Title: Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.
Author: Friedrich Gerstäcker
Release date: April 29, 2014 [eBook #45534]
Most recently updated: October 24, 2024
Language: German
Credits: Produced by Matthias Grammel and the Online Distributed
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Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)
Zweiter Band.
Unter Palmen.
Gesammelte Erzählungen
von
Friedrich Gerstäcker.
Leipzig,
Arnoldische Buchhandlung.
1866.
Seite | ||
Das Klima der Tropen. |
1 |
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El Comisario. | 8 | |
Erstes Capitel - Tomaco. | 8 | |
Zweites Capitel - Die erste Crinoline. | 21 | |
Drittes Capitel - Der Alarm. | 29 | |
Viertes Capitel - Die Einnahme von Tomaco. | 43 | |
Fünftes Capitel - Baptista. | 64 | |
Sechstes Capitel - Der Succurs. | 93 | |
Siebentes Capitel - Der Commissair in der Falle. | 106 | |
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Letztes Capitel - Im Pailon. |
126 |
Am Cachavi. | 137 | |
Erstes Capitel - In Concepcion. | 137 | |
Zweites Capitel - Ein Besuch beim Alkalden. | 150 | |
Drittes Capitel - Die Canoefahrt. | 163 | |
Viertes Capitel - Nach dem Pailon. | 182 | |
Fünftes Capitel - Die Indianerin. | 200 | |
Sechstes Capitel - Im Walde. | 212 | |
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Siebentes Capitel - In Cachavi. |
238 |
Der Tiger |
260 |
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Negerleben | 273 |
Daß es in jenen Ländern, welche innerhalb der heißen Zone liegen und die wir kurzweg »die Tropen« nennen, auch sehr heiß sein muß, gilt als eine völlig feststehende Thatsache, und man hört gar nicht etwa so selten, daß Leute an einem recht warmen Sommertag bei uns die armen Menschen bemitleiden, die »bei der Hitze« auch noch unter dem Aequator sitzen müssen. Zehn gegen eins läßt sich aber wetten, daß in sehr vielen heißen Ländern jene armen bemitleideten Menschen in der nämlichen Zeit sich viel kühler und behaglicher befinden, als wir selber.
Es giebt allerdings Landstriche, wo die Hitze außerordentlich drückend sein und durch verschiedene Umstände noch vermehrt werden kann. So z. B. in den afrikanischen, asiatischen und auch australischen Wüsten, wo der trockene Sand den ganzen Tag über von der Sonne gebrannt wird und noch lange nach Sonnenuntergang die eingesogene Brutwärme wieder [S. 2] aushaucht. Weit anders dagegen ist es in allen übrigen Tropenländern der Erde.
Vor allen Dingen dürfen wir annehmen, daß es dort — so sonderbar das auch klingen mag — doch in der That nie heißer wird, als es bei uns an recht heißen Sommertagen ebenfalls werden kann, keinenfalls heißer. Ich weiß mich nicht zu erinnern, daß ich in irgend einem Lande der Welt — und selbst das nur an einzelnen sehr heißen Tagen — mehr als neunundzwanzig und einen halben oder dreißig Grad Réaumur im Schatten gehabt habe, und das blos in Afrika; in Indien dagegen, in Australien, in der Südsee und in allen Tropenländern Amerika's habe ich nie mehr als achtundzwanzig und einen halben bis neunundzwanzig Grad im Schatten erlebt, und glaube auch nicht, daß es je dort heißer wird.
Was diesen Ländern den Namen der heißen giebt, ist also nicht die größere Hitze, sondern die das ganze Jahr ununterbrochen währende, aber dafür hat man dort wieder andere Vortheile, welche die Hitze lange nicht so empfinden lassen, wie sie bei uns empfunden wird.
Wir in Europa sind nämlich nur auf ein kaltes Klima eingerichtet, und erwischt uns einmal hier eine so heiße Zeit, wie im letzten Sommer, so haben wir [S. 3] keinen Schlupfwinkel, wohin wir flüchten können, und meinen gleich, daß wir schmelzen müßten. In den heißen Ländern dagegen ist man vollständig darauf vorbereitet. Die Häuser sind danach gebaut mit hohen, luftigen Zimmern, durch welche die Luft überall frei aus und ein kann, ohne durch enge Fensterhöhlen einen schädlichen Zug zu erregen; Badehäuser stehen überall, die Kleidung ist ebenfalls dem Klima angemessen und alle Beschäftigungen und Arbeiten sind so eingetheilt, daß sich besonders die Europäer den Sonnenstrahlen nie in den heißesten Tagesstunden aussetzen.
Ein anderer Vortheil, den man dort hat, liegt in den kurzen Tagen. In den Tropen geht die Sonne, mit geringem Unterschied, durch das ganze Jahr jeden Tag um sechs Uhr auf und um sechs Uhr unter. Bei uns, wo sie sich in den längsten Tagen schon gleich nach drei Uhr Morgens zeigt, erhitzt sie um sieben Uhr schon den Boden mehr, als dort um neun Uhr; auch hat sie dort um vier Uhr Abends schon wieder ihre Kraft verloren. Noch angenehmer aber ist das Klima, z. B. in Indien, in der Regenzeit, wo fast jeden Nachmittag um drei Uhr ein kleiner Wolkenbruch, den die Leute dort scherzhaft Regen nennen, vom Himmel herunterfällt und die Erde kühlt und erfrischt. Die Abende in dieser Jahreszeit sind dann [S. 4] wahrhaft wundervoll und von drückender Hitze von der Zeit an keine Rede mehr. Aber trotzdem, daß die Hitze dort eigentlich nie lästig wird, erschlafft sie doch mit den Jahren den Körper, denn nicht allein die kalten Nächte fehlen, sondern überhaupt der Winter, in dem sich Menschen wie Pflanzen wieder ausruhen und frische Kräfte sammeln können. Es ist mit einem Wort nicht heißer dort, als bei uns im Sommer, ja die Hitze wird dort in einzelnen Fällen vielleicht nicht einmal als so drückend verspürt, aber es ist ewig Sommer und das reibt zuletzt die stärkste und kräftigste Constitution auf.
Aber nicht alle Tropenländer sind etwa so heiß; an der Westküste von Amerika z. B. kennt man, selbst unter den niedrigsten Breiten, eine andauernde Hitze nur an wenigen Stellen. Die Ursache davon erklärt ein Blick auf die Karte — das niedere Land ist dort zu schmal und im Osten von den schneebedeckten Cordilleren begrenzt, im Westen vom Meer bespühlt und den Seewinden offen, darum kann es da nie sehr heiß werden, wenigstens hat man immer kühle Nächte.
Es ist eine sonderbare Thatsache, daß ein ganz bedeutender Handel, gerade von Deutschland aus, nach Peru mit den allerschwersten und dicksten Tuchen getrieben wird, und nicht etwa für das innere, hochgelegene [S. 5] Land werden diese allein verwandt, sondern selbst in dem an der Küste und im flachen Lande liegenden Lima (12 Grad südl. Breite) getragen. Sowie aber die Sonne im Meere versinkt und die Luft von den Schneeriesen der Cordilleren herüberweht, wird es auch ordentlich frisch an der Küste, und man kann einen warmen Rock recht gut vertragen. Selbst unter dem Aequator sind die Nächte frisch und angenehm, und da über den ungeheuern Waldungen von Ecuador und Neu-Granada der Himmel fast stets bedeckt ist, die Sonne also auch nie ordentliche Kraft gewinnt, so steigt die Hitze dort über Tag selten höher als 26° — nie aber über 28 — und selbst das nur auf wenige Stunden.
Die Linie des ewigen Schnees wird in den Tropen auf 16,000 Fuß gerechnet und fällt, jemehr sie sich der kalten Zone nähert, bis sie etwa unter 80° nördlicher wie südlicher Breite die Meeresfläche erreicht. Ganz genau trifft das aber auf die Grade nicht zu. Besonders in den Cordilleren Südamerikas liegt die Schneelinie unter 15-17° südl. Breite fast höher oder wenigstens eben so hoch, wie unter der Linie selber. Die Ursache davon sind eine Masse kalter Hochebenen in der Nachbarschaft und eine große Menge schneebedeckter Berge, welche näher zum Aequator [S. 6] liegen und dadurch die Luft unnatürlich kälter machen, als es unter gewöhnlichen Umständen der Fall sein dürfte.
Als ein Beispiel, in wie großer Höhe unter den Tropen noch Menschen wohnen können, während in Europa, z. B. in der Schweiz, die Gletscher an manchen Stellen bis zu 5000 Fuß und tiefer herabreichen, mag die Stadt Cerro de Pasco in Peru dienen. Cerro de Pasco, eine Stadt, die in den Cordilleren unmittelbar an den reichen Silberminen jener Berge entstand, liegt etwa unter 11° südl. Breite, aber 14,500 Fuß hoch über der Meeresfläche — also noch etwas unter der Linie des ewigen Schnees — aber es fällt dort schon ewiger Schnee, wenn er auch nicht immer liegen bleibt, denn fast kein Tag vergeht im ganzen Jahr, an dem es nicht ein wenig schneit. Nur ein dürftiges Gras wächst dort an den Bergen, das immer gelb aussieht, weil die Spitzen stets erfroren sind. Das Futter für die Lastthiere müssen diese selber aus den tiefer gelegenen Thälern heraufholen — Bohnen und Hülsenfrüchte sind dort tropische Gewächse und werden eingeführt, mit ihnen aber auch Ananas und Bananen, denn die Thiere brauchen nur ein Paar Meilen weiter hinabgeschickt zu werden, um die Region des Zuckerrohrs zu erreichen.
Der Aufenthalt in solcher Höhe ist aber trotzdem nicht unerträglich, wenn auch der Neuankömmling im Anfang viel an Kopfschmerzen zu leiden hat und besonders lange einen leisen Druck auf den Schläfen fühlt. Man gewöhnt sich zuletzt daran, und der Beweis liegt schon darin, daß die Stadt Cerro de Pasco nahe an 14,000 Einwohner zählt. Nur sehr viel kleine Kinder sollen dort sterben, und wie ich hörte, vergeht kein Tag, an dem nicht wenigstens eine Kinderleiche beerdigt wird. Cerro de Pasco ist, soviel ich weiß, die höchstgelegene Stadt der ganzen Erde.
Die Grenze zwischen den beiden Republiken Neugranada und Ecuador an der Westküste Süd-Amerikas bildet der aus den Cordilleren mit wildem Ungestüm niederstürzende Fluß Mira — und auch wirklich nichts weiter, als die Grenze, denn erst ganz nahe der See, im flachen Land, ist es möglich, ihn mit Booten zu befahren. Weiter oben hat er einen viel zu steilen Fall, und riesige Felsblöcke, die er überall aus seinem Bett und von seinen Ufern losgerissen, machen die Passage selbst für Canoes gefährlich.
Durch die Gewalt, mit welcher er aus den Bergen kommt, und bei einer außerordentlich kräftigen Strömung durchriß er aber das niedere fruchtbare Land an verschiedenen Stellen, und bildete so einige kleine Inseln, von denen Tomaco die wichtigste, und ein wirkliches Miniaturparadies ist. Ein Paradies nämlich, [S. 9] was Scenerie und Vegetation betrifft, denn sonst sorgen die Bewohner dieser Republiken schon dafür, daß die paradiesischen Zustände in ihrem Lande nicht zu sehr an die alte Sagenheimath unserer Vorältern erinnern.
Ein vielleicht hundert oder hundertzwanzig Fuß hoher Felsen scheint den Kern der Insel zu bilden, an dem sich die Macht des Stromes in früheren Jahrhunderten brach, so daß dieser gezwungen wurde, sich rechts und links daran hin seine Bahn, dem Meere zu, zu suchen. Aber der fruchtbarste Boden deckt das alte Gestein und, ganz unähnlich ihren Nachbarn an der Küste, die zu faul sind, einen Fruchtkern in den Boden zu stecken, haben die Leute, die sich dort auf der kleinen Insel niederließen, einen wahren Garten aus ihr geschaffen, dessen Producte jetzt Käufer an der ganzen Küste finden.
Fortwährend legen dort kleine Schooner an, die von Guajaquil besonders Waaren und leider auch Getränke bringen, und, dafür mit Cocosnüssen, Bananen, Cherimoyen, Alligatorpears (aguacarta), Ananas und andern kostbaren Früchten beladen, wieder dorthin zurückkehren, oder ihre Fracht auch an den Zwischendörfern absetzen, und dafür Gummi oder Cacao einnehmen.
Im Anfang bestand die kleine Ansiedelung, die sich auf der Insel gegründet, nur aus wenigen Personen, die sich theils mit dem sehr bedeutenden Fischfang, theils mit dem Gartenbau beschäftigten. — Nach und nach siedelten sich mehr dort an, Kaufläden entstanden und Branntweinschenken; eine Brennerei wurde sogar auf der Insel selber angelegt, um das dort gezogene Zuckerrohr gleich an Ort und Stelle zu verwerthen, und der Verkehr wuchs so bedeutend, daß es sogar der kleine englische Dampfer, der seine regelmäßigen Fahrten zwischen Panama und Guajaquil macht, für vortheilhaft fand, dort anzulegen und so eine Postverbindung zwischen Tomaco und der übrigen Welt herzustellen.
Einen Alkalde wählten sich die Leute zwar noch immer selber und aus ihrer Mitte, und sie hatten bis dahin von den gar nicht seltenen Revolutionen Neugranadas eigentlich nur dann erst Kunde bekommen, wenn die Sache vorbei und für eine oder die andere Partei entschieden war. Wie sich der Wohlstand der Insel aber mehr und mehr hob, lenkte sie auch — keinen Falls zu ihrem Vortheil — die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich, und die Wichtigkeit ihres Besitzes stellte sich mehr und mehr heraus, als auch das unmittelbar daran stoßende Ecuador Oberhoheitsrechte über Tomaco beanspruchte.
Trotzdem hatte man in der letzten Revolution, die Mosquera gegen die bestehende Regierung anzettelte, noch sehr wenig von den Lasten des Krieges gefühlt, und einzelne Familien zogen sich sogar aus dem, den ewigen Streifcorps beider Parteien preisgegebenen Bogota hierher zurück. Aber dieser Friede sollte nicht lange dauern, denn während südlich von ihnen in Ecuador der Mulattengeneral Franco die Fackel der Empörung in ein ruhiges Land schleuderte und seine Macht mit gemietheten Banden eine kurze Zeit aufrecht hielt, rüstete Mosquera im Norden ein paar kleine Schiffe aus, um auch die Küstenplätze des Reiches zu besetzen, während er mit seinen Truppen das Innere durchzog und mit wechselndem Glück bald Bogota, die Hauptstadt, einnahm, bald wieder daraus vertrieben wurde. An eine Vertheidigung derselben dachte man nie. — Welche Partei gerade die stärksten Banden hatte, rückte ein, und die andere zog indessen ab, um größere Verstärkung zu bekommen.
Ob Mosquera siegte oder besiegt wurde, unruhige und beunruhigende Gerüchte zuckten überall an der Küste auf und ab, und ließen die Eingeborenen, die nicht das geringste Interesse an dem endlichen Ausgang des Kampfes hatten, ihres Lebens sich nie freuen. Was lag ihnen daran, ob ihr Präsident Mosquera [S. 12] oder sonst wie hieß? Sie bekamen ihn auf Tomaco doch nie zu sehen, und selbst zu Ecuador hätten sie sich mit der größten Gleichmüthigkeit schlagen lassen, wenn sie weiter keinen Nachtheil hatten.
Aber es ist eine alte Geschichte, daß weder in Republiken noch Monarchien das eigentliche Volk selber eine Revolution macht, sondern im Gegentheil dazu überredet werden muß. Der materielle Druck einer Regierung wirkt nie so unerträglich, treibt nie so rasch zum Aeußersten, wie der geistige, den das eigentliche Volk nicht so leicht fühlt.
Auch Mosquera's Regierung würden sich die Einwohner von Tomaco mit Vergnügen unterworfen haben, so weit es nämlich die unteren Classen, die Fischer und Ackerbauer betraf, denn sollten sie sich etwa, eines Namens wegen, widersetzen und ihre Netze und Boote, ihre Anpflanzungen und Gärten preisgeben? — Aber in Tomaco befand sich ein unter der alten Regierung gewählter Alkalde, ein Postmeister, ein Steuereinnehmer — lauter Leute, die allerdings in bloßen Füßen und Kattunhemden in der Welt herumliefen, aber trotzdem eine Stellung zu verlieren hatten. Sie stützten mit ihrem Anhang das alte Regime, während die hierher geflüchteten Neu-Granadienser Alles thaten, was in ihren Kräften stand, um [S. 13] gegen Mosquera und die Umsturzpartei zu wirken. Es wurde ihnen das um so leichter, als Mosquera in dem Verdacht stand, eine Militärherrschaft gründen zu wollen, und das war die verhaßteste von Allen, denn die jungen Leute fürchteten, nicht mit Unrecht, ausgehoben und in das innere, ungesunde Land geschleppt zu werden.
Kurz, Mosquera schien in Tomaco, wenn man die Bevölkerung hätte wollen über ihn abstimmen lassen, wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Desto größer war die Beunruhigung der Leute, als der kleine Dampfer, die »Anna«, eines Tages die Kunde mit nach Tomaco brachte, daß Mosquera Buenaventura besetzt habe, und zwei »Kriegsschiffe« schon von dort ausgelaufen seien, um die südlicher liegenden Küstenstädte ebenfalls dem »neuen Präsidenten« zu unterwerfen. Sie hatten wenigstens Buenaventura schon verlassen, als die Anna dort anlief, wenn es auch noch eine Weile dauern konnte, bis sie hierherzu aufkreuzten, da ihnen Wind, wie Strömung an der Küste fortwährend entgegen waren.
Wie ein Lauffeuer zuckte diese Schreckenskunde über die Insel und die Bewohner schienen gar nicht an Widerstand zu denken, bis ein Franzose, der dort eine Art von Hôtel oder Branntweinwirthschaft mit [S. 14] einem Kaufladen hielt und außerdem noch herüber und hinüber speculirte, der Unschlüssigkeit ein Ende machte, und von seinem Ladentisch aus den Einwohnern auseinander setzte, daß sie sich vertheidigen und ihre Freiheit bewahren müßten.
Der Mann sprach jedenfalls als Fremder unparteiisch, denn daß er ein Dutzend alte Musketen und ordinäre, schon halb verrostete Flinten auf Lager hatte, und außerdem Pulver und Munition führte, wovon er in ruhigen Zeiten außerordentlich wenig absetzte, konnte ihn kaum dazu bewogen haben, seinen Mitbürgern einen solchen Rath zu geben. Nichtsdestoweniger versäumte er keine Zeit, um die genannten Kriegsinstrumente, so rasch es anging, wenigstens von außen, wieder etwas in Stand zu setzen und den Rost zu entfernen. Was er an sonstigen Waffen: Pistolen und Messern, besaß, wurde ebenfalls vorgesucht, um zur Schau auf seinem Ladentische auszuliegen.
Unterdessen wirkte das ausgestreute Gift. In seinem Laden sammelten sich vorzugsweise die Müßiggänger der Stadt, um bei einem Glase Aguaardiente oder süßen Liqueurs, den sie sehr gern tranken und den Monsieur Renard so schlecht als theuer führte, ihre zukünftige Haltung zu besprechen. Sie wollten sich zu einem Entschluß hinaufarbeiten, der aber — [S. 15] wie die Meisten recht gut wußten — im letzten und entscheidenden Augenblick doch unausführbar war.
Welchen Widerstand hätten sie einer bewaffneten Macht bieten wollen? Ein einziger Raketenschuß würde ihre ganze aus Bambus und Schilfdächern erbaute kleine Stadt in Brand gesteckt haben. Befestigungen gab es gar nicht — die Straßen lagen sämmtlich offen, feindliche Boote konnten in der Fluthzeit fast an jedem Theile der Insel landen. Dazu war die Bevölkerung fast waffenlos und, wenn sie auch Waffen gehabt hätte, ungeübt in dem Gebrauch derselben. Alle Vernunftgründe sprachen deshalb dafür, etwas, das man doch nun einmal nicht ändern konnte, ruhig über sich ergehen zu lassen, noch dazu, da es ihnen nicht einmal Nachtheil bringen konnte. — Aber der Branntwein! Sobald die Köpfe erregt waren, fingen die Leute an, welche ihre jetzige Regierung ebenfalls nur dem Namen nach kannten, patriotisch zu werden, und eines Tages, ehe es dunkel wurde, hatte Louis Renard seine sämmtlichen alten Musketen an den Mann gebracht, sogar seine eigene und letzte, ziemlich gute Doppelflinte verkauft und mit seiner Munition so weit aufgeräumt, daß ein neuer Auftrag nach Guajaquil oder Panama nöthig wurde.
Am nächsten Morgen waren die Bewohner von [S. 16] Tomaco auch schon mit Tagesanbruch munter, und Kundschafter erkletterten den Felsen, um von dort aus einen besseren Ueberblick über die See zu gewinnen, und etwa ansegelnde Fahrzeuge augenblicklich signalisiren zu können. Ueberhaupt befand sich die Stadt in einer ziemlichen Aufregung, da sich zu gleicher Zeit eine Art von Miliz gebildet hatte, die freilich nur in der einen Hinsicht uniform war, daß sämmtliche »Soldaten« ohne Uniform erschienen. Auch zwei kleine Kanonen wurden vorgesucht, die der Postmeister einmal von der »Anna« erstanden hatte, wo man sie gebraucht, um Signalschüsse zu geben. Natürlich fehlte es an Kugeln dazu, die sich aber durch kleine Stücke gehackten Bleies ersetzen ließen, und es sah in der That so aus, als ob die Stadt entschlossen wäre, ihre »heiligen Rechte« bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen — aber es sah auch nur so aus.
Die Leute exercirten allerdings den ganzen Vormittag und als die Seebrise mit dem nahenden Abend das Land bestrich, begannen sie noch einmal, und die Meisten hatten sich schon gemerkt, was Links und Rechts war. Als indeß der ganze Tag verlief, ohne daß sich ein feindliches Segel blicken ließ, und am nächsten und nächstfolgenden Mosquera's Flotte immer noch auf sich warten ließ, erkaltete der Eifer, und [S. 17] man fing an, seinen gewohnten Beschäftigungen wieder nachzugehen. Sie mußten das ja auch, wenn sie überhaupt leben wollten, denn wer denkt in diesem Klima daran, sich Vorräthe von dem anzulegen, was er gerade braucht! An der Insel lagen ein kleiner Schooner und zwei Wallfischboote, die angelaufen waren, um Früchte zu kaufen; diese mußten ihre Ladung bekommen, und die Fischer durften ebenfalls nicht länger müßig liegen, denn Alles murrte, daß kein einziger frischer Fisch im ganzen Orte zu finden war.
Man tröstete sich sogar damit, daß die ganze Flottengeschichte nicht wahr sei. Der liebe Gott wüßte, welches Märchen man den Leuten von der Anna in Buenaventura aufgebunden hatte. Mosquera dachte wahrscheinlich gar nicht daran, sie in ihrem abgelegenen Fischerdorf zu belästigen, und ihre Vorsichtsmaßregeln waren unnütz gewesen — hatten aber freilich nur jenen leichtsinnigen Menschen Schaden gethan, die sich verleiten ließen, so Hals über Kopf Schießwaffen und Munition zu kaufen. Was sollten sie jetzt mit den alten Schießeisen anfangen?
In einem neugebauten Haus, das sich durch die noch nicht wettergebräunten Tragestämme und das helle, frische Dach deutlich von den anderen unterschied, auch auffallend sauberer gehalten war und oben, statt [S. 18] der sonst gewöhnlich halb oder ganz fehlenden Seitenwände, neue Bambusseiten zeigte, deren regelmäßig eingeschnittene Fenster mit einer dort gebräuchlichen Art von Bambusjalousien verhangen waren, wohnte ein Señor Ramos mit seiner Familie, der vor etwa drei Monaten mit seiner Frau, einem Kinde und zwei schwarzen Dienstleuten hierher übersiedelte, gleich nach seiner Ankunft den Platz kaufte und das Haus darauf baute.
In jenen glücklichen Ländern nämlich braucht man zu einem Hausbau keine Maurer, Zimmerleute, Tischler, Dachdecker, Tüncher, Glaser, Schlosser, Tapezierer und wie die schrecklichen Menschen alle heißen, die einem Bauherrn das Leben bis in das innerste Herzblut hinein vergiften, so daß er tagtäglich das Bauen auf ewige Zeiten verschwört. Wer sich ein »Haus« bauen will, accordirt dasselbe mit einem Eingeborenen, der sich entweder von seiner eigenen Familie helfen läßt, oder ein paar Nachbarn zur Arbeit nimmt, dann werden die dazu nöthigen Stämme im Walde frisch gefällt, Einer spaltet die jungen Palmen, die zu Boden oder Wänden benutzt werden sollen, indem man sie einhackt und ausbreitet, ein Anderer holt das Schilf oder die Palmenblätter zum Dach und schnürt sie mit Bast in Büschel zusammen. Wenn [S. 19] einmal die Löcher gegraben sind, in welche die Pfähle zu stehen kommen, die den oberen und einzigen Stock tragen sollen, so ist auch das Haus in einer einzigen Woche fertig, und kann bezogen werden. Die Häuser stehen dort alle auf Pfählen. Es ist das viel gesünder und luftiger und auch des vielen Ungeziefers wegen nöthig, das sich unten auf dem Boden weit zahlreicher einfinden würde. Nur in den kleinen Städten haben die Kaufleute ihre Läden unten, indem sie einen Palmen- oder Bambusverschlag um die unteren Stämme machen, aber auch sie wohnen oben. Ueberhaupt würde es Niemandem einfallen, auf der feuchten Erde zu schlafen, wenn er sich nicht gerade draußen im Wald befindet, und dazu gezwungen ist.
Señor Ramos muthete das nicht einmal seinen Dienstleuten zu, sondern setzte noch ein kleines Nebenhaus für diese an, das zwar seine besondere Leiter hatte, mit dem Hauptgebäude aber im ersten Stock durch einen schmalen und schwanken Bambussteg verbunden war, der Abends durch eine vorgebundene und mit einer Matte bedeckte Gitterthür von dem nämlichen Material abgesperrt wurde.
Señor Ramos mußte — wenn die Vermuthung der Leute von Tomaco richtig war — ein sehr reicher Mann sein, denn er arbeitete nicht allein Nichts — [S. 20] das thaten sehr Viele in Tomaco — er verkaufte auch Nichts, und bezahlte Alles, was er brauchte — wenn das auch nicht viel war — baar und in blankem Silber. Er verließ auch sein Haus nur sehr selten, schrieb aber dort fleißig, und nur, wenn der englische Dampfer kam, fuhr er mit dem Capitän an Bord zurück, blieb dort, bis das kleine Fahrzeug wieder zu arbeiten anfing, und kehrte nachher in seinem eigenen Canoe, das sein Neger ruderte, an Land und in sein Haus zurück.
Er war, wie man recht gut wußte, ein Feind Mosquera's und ein getreuer Anhänger der Regierung von Panama, denn er hatte, als er hierher zog, kein Hehl daraus gemacht. Trotzdem kaufte er sich weder bei Señor Renard eine von dessen alten Musketen, noch exercirte er mit in der Sonne am Strand, und als ihn der Postmeister direct dazu aufforderte, sich an der Nationalvertheidigung zu betheiligen, meinte er, er könne schon exerciren, und wenn es wirklich zum Kampf käme, würde er neben dem Postmeister fechten, — eine Sache, die der Postmeister — allerdings aber nur im Stillen — für sehr unwahrscheinlich fand, denn er selber war noch gar nicht mit sich einig, ob er es soweit würde kommen lassen.
Jetzt herrschte wieder Ruhe auf Tomaco. Fünf Tage waren vergangen, seit Capitän King von der Anna die Nachricht gebracht hatte, daß die Mosqueraflotte unterwegs sei. Sie fand aber durch Nichts eine Bestätigung, im Gegentheil war sogar eben ein Canoe von Irapiche eingelaufen, das Gummi geladen hatte, und dafür Aguaardiente mitnehmen wollte, und dessen Leute aussagten, an der ganzen nördlichen Küste wisse man Nichts von einem Einbruch der Mosquera-Truppen. Bonaventura sollten sie allerdings besetzt haben, von dort aber seien die Schiffe wieder nach Norden gegangen, um zuerst Panama zu nehmen, und dadurch die Regierung des ganzen Landes in die Hand zu bekommen.
Der leichte, sorglose Sinn der Bevölkerung verlangte nicht mehr, denn schon die gehabte Aufregung war ihnen unbequem gewesen. Die Fischer schaukelten schon lange wieder draußen in ihren Canoes, während die Landeigenthümer hinaus in ihre Platanare gingen, um die schweren Fruchttrauben derselben an den Strand zu tragen, oder hinauf in die Cocospalmen zu steigen, um die erst halbreifen, aber mit erquickendem [S. 22] Wasser gefüllten Früchte abzupflücken und mit einer geschickten Schwingung der Hand so hinabzuwerfen, daß sie sich in der Luft drehten und dann mit ihrer Spitze in den Sand fielen. Schlugen sie breit auf, so platzten sie leicht durch ihr Gewicht, denn die Nuß ist so mit Milch angefüllt, daß diese herausspritzt, sowie man nur mit einem Messer hineinsticht.
In dem kleinen Städtchen herrschte wieder ganz das alte Leben. Nur die Frauen waren in einer etwas ungewöhnlichen Bewegung, denn »Señor Renard« hatte mit dem Dampfer von Panama einen Gegenstand bekommen und eben ausgepackt, der ihr Interesse wunderbar fesselte, und zu den lebhaftesten Debatten Veranlassung gab.
Der Gegenstand war in der That von großer Wichtigkeit, nämlich nichts Geringeres als — eine Crinoline, und zwar die erste, die in diesem entlegenen Theil der Welt je gesehen worden.
In einem Ort, wo es so viel müßige Leute gab, wie in Tomaco, verstand es sich von selbst, daß die wenigen Kaufleute beim Auspacken ihrer eben angekommenen Waaren immer eine Menge von Zuschauern hatten. Es lag das ja auch mit in ihrem eigenen Interesse, denn es machte eine Ankündigung derselben unnöthig, sobald das schöne Geschlecht Stück für Stück [S. 23] derselben in Augenschein nahm, und dann sicherlich schon an dem nämlichen Abend Stück für Stück einzeln besprach und kritisirte. Selbst schon beim Auspacken wurde manches Stück verkauft, denn darin bleiben sich die Menschen überall in der ganzen Welt gleich, ob sie nun in einer braunen oder weißen Haut herumgehen: daß sie nämlich gern das Neueste haben und sich besonders bei der Auswahl solcher Dinge zu dem hingezogen fühlen, was ihnen aus fremden Ländern gebracht wird.
Auch diesmal hatte sich ein Theil Neugieriger eingefunden, als Renard seine neuen Waaren öffentlich — wie er es stets that — auspackte, und allerdings wäre es nicht leicht gewesen, etwas Derartiges in diesen offenen Häusern heimlich zu thun. Renard kam freilich selbst in Verlegenheit, als er diese erste und einzige Crinoline aus ihrem Versteck hervorzog und entfaltete, denn wenn ihm auch der Verkäufer in Panama angezeigt hatte, daß er ihm in Kiste so und so, einen aus Paris erhaltenen Artikel neuer Damenmoden mitschicke, so war der Franzose, der früher Kellner, dann Matrose auf einem Walfischfänger gewesen und später in Chile desertirt war, doch keineswegs in die Toilettengeheimnisse der Damen soweit eingeweiht, um selbständig gleich an Ort und Stelle [S. 24] beurtheilen zu können, wie dieser höchst durchsichtige Gegenstand zu einer Damengarderobe verwandt werden könne. Den Nutzen begriff er nicht, und als Zierrath oder Schmuck schienen ihm die Drahtreifen nicht elegant genug, um gerade aus Paris zu kommen.
»Que es esta?« (Was ist das?) riefen die Damen wie aus einem Munde, als er das wunderliche Ding entpuppte. — »'donde viene, (wo kommt es her?) Señor?«
»No se,« (Ich weiß nicht) sagte Monsieur Renard achselzuckend, indem er den fraglichen Gegenstand selbst mißtrauisch betrachtete, »alguna cosa por las Señoritas« (Etwas für die Damen).
»Por las Señoritas? Impossible! Que barbaridad!« stöhnte eine dicke Negerin entrüstet, als ihr vielleicht einfiel, wie sie in einem solchen Kleidungsstück aussehen würde.
Das wunderbare Fabrikat ging nun von Hand zu Hand; während aber die jungen Mädchen errötheten und unter einander kicherten, die älteren Damen mißbilligend den Kopf schüttelten, sammelten sich immer mehr Leute vor dem Hause des Herrn Renard, und mit wenigen Ausnahmen fehlte, kaum eine Viertelstunde später, keine von Evas Töchtern — hoch oder gering — um den neuen Putz in Augenschein zu nehmen.
Aber zu einem Resultat kamen sie nicht. Selbst das Wort Crinolina blieb ihnen ein Räthsel, denn Niemand wußte, was es bedeuten solle, obgleich es spanisch klang. Es waren nämlich weder Pferdehaare, noch Leinwand daran, was es allenfalls hätte bedeuten können, sondern nur Baumwolle und Eisendraht.
Endlich machte Señora Ramos' Schwarze, die bei der Versammlung nicht fehlen durfte, den Vorschlag, ihre Herrin zu fragen. Diese hatte sich in Bogota — wenn sie auch hier außerordentlich einfach ging, stets nach der neuesten Mode gekleidet, und ihr Herr bekam immer Zeitungen, in denen lauter Neues stand. Vielleicht wußten die es.
Das war ein Vorschlag zur Güte, und Renard's Frau — eine Eingeborene — wurde augenblicklich abgesandt, um eine Aufklärung, wenn irgend möglich, zu erbitten, indessen die Damen in äußerster Spannung auf dem Posten blieben. Sie mußten doch erfahren, wie dieses neue Kleidungsstück getragen würde.
Nach einer Viertelstunde endlich — und wie lang ihnen diese wurde! — kehrte sie zurück und das Räthsel war gelöst. Dies Drahtgeflecht stellte nur einen Unterrock vor — die anderen Kleider wurden darüber gezogen, um recht hübsch und weit auszublähen. [S. 26] — Das war das ganze Geheimniß, aber die Lösung befriedigte die Damen noch nicht, denn nun wollten sie auch einmal sehen, wie das wunderliche Ding getragen würde, und ob es praktisch wäre — das heißt, ob es vornehm aussähe.
Hier aber fand sich eine andere Schwierigkeit, denn Niemand wollte es anfangs anprobiren — selbst Señora Renard weigerte sich hartnäckig. Eine alte Negerin erbot sich endlich — gegen angemessene Vergütung natürlich — die Probe an sich machen zu lassen. Sie trotzte allen Schrecken. Renard aber war klug genug, darauf nicht einzugehen, denn er wollte die neue Mode, von der er später einen erklecklichen Profit hoffte, nicht gleich von vornherein lächerlich und dadurch unmöglich machen. Endlich bewog er ein junges allerliebstes Mädchen von Halbblut durch das Opfer eines buntseidenen Tuches, die Crinoline unter ihr Kleid zu ziehen. Die Toilette wurde im Laden selber, unter der Beihülfe von Renard's Frau, gemacht, die Thüre indeß verhangen, und die rings versammelten Frauen hielten schon unberufene Neugierige ab, daß sich nicht ein oder der andere junge Bursche gelüsten ließ, durch die allerdings zahlreichen Ritzen des Hauses zu schauen, denn im Stande wären die es gewesen.
Es war ein großer Moment im Leben dieses einfachen Naturvolkes, als Juanna, wie das junge Mädchen hieß, endlich im vollen Staat und Glanz aus der Mattenthür des Ladens trat, denn da sich ihr Kleid als zu kurz und eng erwiesen, hatte ihr Madame Renard für die Probe ihr bestes Sonntagskleid geborgt, das mit seinen rothen und grünen Blumen ordentlich glänzte und funkelte. Verschämt und kichernd ging die junge Dame ein paar Mal vor dem Laden auf und ab, immer dann und wann selbst staunend auf die Pracht niederzuschauen, die sie umgab. Wen störte es, daß sie bloße Füße hatte, und daß ihr das volle lockige schwarze Haar wild und ungeordnet um die Schläfe hing?
Die Damen fingen wirklich schon an, Geschmack an der Sache zu finden. Wie viel schöner sah man das Muster auf einem Kleid, wenn man es so ausgespannt tragen konnte, und wie vornehm schaute das arme einfache Ding, das Mädchen, in dem Gestell aus — und wie viel Zeug brauchte man für einen einzigen Rock.
Juanna selbst wünschte sich in ihrem ungewohnten Staat auch der kranken Schwester zeigen, die daheim lag und Nichts von all den Herrlichkeiten zu sehen bekam. Leichtsinniger Weise erlaubte es ihr Renard [S. 28] — wohnte sie doch nur schräg gegenüber — und Juanita flog der eigenen Wohnung zu, an der — wie bei allen übrigen Häusern, nur eine schmale Leiter — oft nur ein eingekerbter Baumstamm — lehnte, um an diesem auf und ab zu steigen.
Die Meisten der Neugierigen folgten ihr, kaum aber war sie drei oder vier Stufen hinauf gestiegen, als die Zuschauer unten in ein schallendes Gelächter ausbrachen. Das arme Kind merkte jetzt, daß ihr Kleid, das ihr sonst glatt am Körper niederhing, weit auf der Leiter ausblähte. Aengstlich drückte sie es zusammen, aber die elastischen Reifen wichen aus — was sie auf der einen Seite niederdrückte, stand auf der anderen um so viel weiter ab. Vor Scham tief erröthend, sprang sie endlich von der Leiter mit einem Satz hinab, um die häßlichen Reifen so rasch als möglich los zu werden.
Das gab der Crinoline den Todesstoß, denn daran hatte bis jetzt noch Niemand gedacht. Welche Frau oder welches Mädchen hätte mit einem solchen Putz ihr Haus je verlassen oder wieder dahin zurückkehren können? Es war rein unmöglich, denn an allen Häusern lehnten diese Leitern, und Monsieur Renard that das Einzige, was er mit der Crinoline überhaupt thun konnte — denn kaufen wollte sie jetzt [S. 29] Niemand — er hing sie in seinen Laden unter Siebe, eiserne Töpfe, Besen und andere dergleichen im Handel vorkommende Dinge, an der Decke auf, und nahm sich vor, mit dem nächsten Dampfer nach Panama an seinen Correspondenten zu schreiben, ihm doch um Gottes Willen keine weitere Nachsendung derartiger Moden zu machen.
Juanna hieß aber von dem Tag an nur La Crinolita in der ganzen Stadt, und lange noch standen die Leute vor dem Hause und lachten und plauderten mit einander, bis endlich ein tüchtiger Regenschauer sie in ihre Häuser trieb, und sie von dort aus, über die Straße hinüber und unter einander, aber doch unter Dach, das höchst interessante Gespräch über die merkwürdige Neuigkeit fortsetzen konnten. An Mosquera's Flotte dachte Niemand mehr.
So rückte der Abend heran. Der Regen hatte aufgehört und am westlichen Horizont wurde eben noch ein rother Gluthstreifen sichtbar, den die untergehende Sonne auf ihrer Bahn nach sich zog, als plötzlich ein Canoe um die nördliche Landzunge bog [S. 30] und, von den Rudern der darin Sitzenden getrieben, wie ein Pfeil über das Wasser dahin und der Landung zuschoß.
»Mosquera!« hieß der Schreckensruf, der gleich darauf durch die kleine, noch ebenso ruhige Stadt zuckte — »Mosquera! — Draußen segeln die Schiffe an und Tomaco ist vom Feinde bedroht.«
Das war ein Durcheinanderlaufen, und wie sich Alles noch vor wenigen Stunden lachend und jubelnd um Renard's Laden gedrängt hatte, so rannten die Leute jetzt nach dem Strande, um von den eingelaufenen Fischern das Nähere über die beunruhigende Kunde zu hören. Selbst Señor Ramos befand sich diesmal unter den Neugierigen. Aber der Bericht, den die Seeleute geben konnten, lautete immer noch unbestimmt, wenn er auch das Schlimmste fürchten ließ.
Sie hatten draußen an der Punta Mariana gefischt, und befanden sich schon wieder auf dem Heimweg, als sie zwei Fahrzeuge bemerkten, die gegen den Wind aufkreuzten und augenscheinlich auf Tomaco zuhielten. Das eine war ein Schooner gewesen, das andere eine Galeotte. Wie sie näher kamen, hatten sie auf dem Schooner eine Flagge aufgezogen, da sie aber von ihnen fortwehte, konnten sie die Farben nicht [S. 31] erkennen, und wahrscheinlich sollte das ein Zeichen sein, daß man sie an Bord verlangte, um dort vielleicht als practicos oder Lootsen zu dienen.
Aus Furcht davor hatten sie sich in die Ruder gelegt und waren geflohen, während das kleinere Fahrzeug, die Galeotte, sobald sie das an Bord merkte, versuchte, ihnen den Weg abzuschneiden. Aber das ging freilich nicht; sie selbst hielten sich in seichtem Wasser, wohin ihnen das tiefer gehende Segelschiff nicht folgen durfte, wenn es nicht auf den Grund gerathen wollte, und als es wenden mußte, trieb es der ungünstige Wind viel mehr zurück, als daß es Fortgang gemacht hätte.
»Und wann könnten sie hier sein?«
Keinen Falls vor morgen früh, denn von der letzten Punta aus hatten sie die beiden Kriegsfahrzeuge nur noch in weiter Ferne gesehen, und ohne Lootsen an Bord durften sie nicht wagen, in dunkler Nacht hier einzulaufen.
Das war der einzige Trost, den sie mitbrachten, aber am nächsten Morgen konnten die Bewohner von Tomaco darauf rechnen, den unwillkommnen Besuch der Feinde da zu haben.
Was nun thun? Ihr erster Nationalitätseifer war schon merklich abgekühlt, und sollten sie wirklich [S. 32] all' ihr Hab' und Gut daran wagen, um der Regierung in Panama, die bis dahin noch gar Nichts für sie gethan, die Insel in treuer Botmäßigkeit zu erhalten? Wer vergütete ihnen den Schaden, wenn die Stadt in Brand geschossen wurde? — Aller Wahrscheinlichkeit nach Niemand, und die Stimmung der Bevölkerung fing an, eine entschieden friedliche zu werden. Selbst Renard, der keine verkäuflichen Waffen mehr an der Hand hatte, hütete sich, ein einziges aufregendes Wort fallen zu lassen, ja er wußte sogar einige Beispiele von andern Städten Neu-Granadas zu erzählen, wo Mosquera — weil er keinen Widerstand gefunden — vollkommen friedlich eingezogen war und Niemanden belästigt hatte.
Nur der Postmeister blieb Feuer und Flammen und war wieder emsig beschäftigt, die Landwehr zu organisiren, die er am liebsten die ganze Nacht durch hätte exerciren lassen. Dazu brachte er die Leute nun allerdings nicht, aber sein Beispiel diente doch dazu, sie wenigstens in etwas aufzuregen. — Schämten sie sich doch, so gar kalt zu bleiben, wo es die Vertheidigung des Vaterlandes und des eigenen Heerdes galt. Sie verstanden sich also dazu, am nächsten Morgen, noch vor Tag, den Strand zu besetzen, die Kanonen zu richten und — wie es der Postmeister verlangte — [S. 33] »mit Gut und Blut ihre Ehre und ihre Rechte zu vertheidigen.«
Der Postmeister sorgte auch dafür, daß sie nicht zu lange schliefen, denn kaum tauchte der Morgenstern über den Baumwipfeln des festen Landes auf, so rasselte, von ihm selber bearbeitet, eine alte Trommel durch die stillen Straßen der Stadt, um in einer Art von verzweifeltem Generalmarsch die Bevölkerung zu wecken, die jungen Männer herauszurufen und die Frauen und Kinder durch den ungewohnten Lärm fast zu Tod zu ängstigen.
Er unterließ auch keine Vorsichtsmaßregeln. Ein Canoe wurde, als noch tiefe Nacht auf dem Meere lag, an die nördliche Punta hinaufgeschickt, um dort auf Wacht zu liegen, bis der Tag anbreche, und dann ungesäumt genaue Kunde zu bringen. Ebenso wurden auf den Felsen hinauf Posten geschickt, und ihnen eine kleine Fahne mitgegeben, durch welche sie bestimmte Botschaften auf eine vorher bestimmte Art herabwinken sollten — was sie aber natürlich vergaßen, ehe sie nur oben waren.
Unterdessen ließ er die beiden Kanonen an die äußerste Spitze der Insel schaffen, von wo er aus beide Canäle — wenn auch nicht gerade beschießen, doch jedenfalls bedrohen konnte, und ebenso mußten die Leute [S. 34] mit Spitzhacken und Schaufeln arbeiten, um eine Art Schanze aufzuwerfen, hinter der sie gedeckt gegen das Feuer der Schiffe stehen konnten. In dem lockeren Sande war leicht zu arbeiten und sie hatten bald eine Brustwehr ausgegraben, die hinreichend schien, sie zu verbergen, wenn sie auch einer wirklichen Kanonenkugel kaum einen Widerstand geboten hätte.
Bis Tagesanbruch waren sie richtig damit fertig. Der Postmeister blickte mit Stolz auf das vollendete Werk, und als der Tag graute, hingen Aller Blicke mit Spannung an dem westlichen Horizonte, den noch ein duftiger Nebel deckte. Kaum aber hob sich die Sonne, so preßte sie auch diese leichten Schwaden auf die Oberfläche der See nieder, von der sie rasch aufgesogen wurden, und »dort sind sie! dort sind sie!« lief der Ruf von Mund zu Mund und fand bald sein Echo in der Stadt, der die geängstigten Frauen und Kinder entströmten, um den Feind mit eigenen Augen zu schauen.
Zu gleicher Zeit winkten die Posten auch auf den Hügeln mit ihren Fahnen, und kam das nach der Punta ausgesandte Canoe in voller Eile zurück. — Sie Alle hatten den Feind zu gleicher Zeit bemerkt, und die Richtung, welche die kleinen Fahrzeuge mit der schwachen Morgenbrise nahmen, ließ keinen Zweifel mehr, daß [S. 35] Tomaco wirklich ihr Ziel sei. — Aber waren es auch wirklich Kriegsschiffe?
In dem breiten weißen Streifen, der um den Rumpf herum lief, zeigten sich allerdings die schwarzen viereckigen Portlöcher — aber ob es gemalte oder wirkliche Porte waren, ließ sich in der Entfernung noch nicht erkennen, und solche gemalte Porte führten fast alle Kauffartheischiffe, während die wahren Kriegsschiffe gewöhnlich ganz schwarz angestrichen waren und nicht die geringste Abzeichnung trugen.
Der Postmeister selber, der eine Art von Telescop besaß, das er einmal einem Walfischfänger um ein Billiges abgekauft, bemühte sich vergebens, etwas Genaueres zu erkennen — das verwünschte Glas hatte so viel gekratzte Risse! — Nicht einmal eine Flagge zeigten sie, und suchten nur mit sämmtlichen beigesetzten Segeln den schwachen Wind zu fassen und dadurch vorwärts und auf Ankergrund zu kommen. Mit der Seebrise, die den Nachmittag etwa um drei Uhr einsetzte, durften sie sicher darauf rechnen, die Einfahrt des Hafens in ihrer Gewalt zu haben.
Es war jetzt in der That nichts weiter zu thun als diesen Zeitpunct eben abzuwarten, denn ein verzweifelter Plan, den der Postmeister entwarf, mit Canoes und Booten nämlich in die offene See hinauszufahren, [S. 36] und die Kriegsschiffe zu entern und zu nehmen fand auch nicht den geringsten Anklang. Die Leute meinten ganz vernünftig: wenn sie das wollten, könnten sie ja nur ruhig warten, bis die beiden Fahrzeuge zu ihnen hereinkämen; dann hätten sie es doch jedenfalls weit bequemer.
Indessen ging der Alkalde, dem nicht wohl bei der Sache wurde, zu Señor Ramos hinüber, um dessen Meinung zu hören; er staunte aber nicht wenig, als ihm dieser ganz ruhig sagte, er würde an seiner Stelle nicht den geringsten Widerstand leisten, denn einem ordentlichen Angriff hielten seine Leute doch nicht Stand, und Widersetzlichkeit würde den Feind nur erbittern, aber nie etwas an der Sache — der Besetzung Tomacos durch Mosquera's Truppen — ändern.
»Wenn Sie das nur dem Postmeister gesagt hätten!« entgegnete, etwas bestürzt, der Alkalde. »Der ist ganz Feuer und Flamme.«
»Der Postmeister ist ein Bramarbas,« sagte Señor Ramos ruhig. — »Lassen Sie den da draußen maneuvriren, er wird nicht den geringsten Schaden thun.«
Dabei blieb es, und die Einwohner von Tomaco beobachteten mit ängstlicher Spannung das zwar [S. 37] langsame, aber doch unverkennbare Näherrücken der »Flotte«.
Den stolzen Namen Flotte verdienten die beiden kleinen Fahrzeuge allerdings nicht. Es waren ein paar ganz gewöhnliche Schooner, wie sie überhaupt an der Küste kreuzten, um Tauschhandel zu treiben und selten größere Reisen als nach Panama und wieder zurück zu machen. Noch dazu wurden zu diesen Fahrten gewöhnlich die ältesten und schlechtesten Schiffe benutzt, da sie in dieser Breite nie eine schwere See oder gar einen Sturm zu fürchten hatten. Das Schlimmste, womit sie kämpfen mußten, waren Windstillen, die ihre Reise oft um das Dreifache verlängerten. Uebrigens fanden sie überall an der Küste kleine Häfen, wo sie einlaufen und frische Provisionen kaufen konnten — Wassermangel fand in einer Gegend nie statt, wo wenigstens einmal an jedem Tag ein kleiner Wolkenbruch fiel, so daß man an Deck, mit einem ausgespannten Segeltuch, leicht auffangen konnte, was man über Tag brauchte.
Die beiden kleinen Fahrzeuge schienen nun auch nicht um einen Grad besser zu sein, als alle anderen derartigen gleichen Gelichters, und möglich, daß der Postmeister, der lange Jahre seines Lebens an der Küste zugebracht, auch der festen Ueberzeugung war, [S. 38] er hätte es nur mit friedlichen Küstenfahrern zu thun und könne, in sehr billiger und gefahrloser Weise, seinen Muth zeigen und seinen Landsleuten imponiren. Mosquera, noch nicht im Besitz Panamas oder irgend eines anderen bedeutenden Hafens, war aber in der That genöthigt gewesen, ein paar ganz gewöhnliche Schooner, wie er sie an der Küste genommen oder aufgekauft hatte, zu bemannen und zu armiren, und da die Bewohner dieser kleinen Hafenplätze auch wohl noch nie ein wirkliches Kriegsschiff gesehen hatten, so konnten sie, seiner Meinung nach, recht gut Alles erfüllen, zu was er sie brauchte — und erfüllten es auch in vielen Fällen.
Die Spannung am Lande hatte ihren Höhepunct erreicht, als beide Schooner, etwa Mittags um 12 Uhr, draußen vor dem Eingange des Canals, neben einander ankerten, und gleich darauf ein kleines Boot in See gelassen wurde — was man mit bloßen Augen deutlich erkennen konnte — in das einige Mann hineinstiegen und dann dem Lande zuruderten. Hinten im Heck des Bootes stand ein Offizier, und als er näher kam, hob er eine kleine weiße Fahne empor — es war richtig ein Parlamentairboot, und da die Leute recht gut wußten, daß sie von den paar Mann keinen Ueberfall zu fürchten hatten, drängten sie mehr und mehr [S. 39] der Landung zu, um dort gleich an Ort und Stelle das Schlimmste zu erfahren.
Selbst der Postmeister, der aber seinen Leuten streng anbefahl, auf ihren Posten zu bleiben, den sie bis auf den letzten Mann vertheidigen wollten, näherte sich der Stelle, um bei dem Kriegsrath zugezogen zu werden.
Still und schweigend ruderte indeß das Boot heran, und die vier Leute an den Riemen — ruppig genug aussehende Burschen, wenn sie wirklich zu einem Kriegsschiff gehörten — warfen bei ihrer Arbeit etwas scheu den Kopf zurück nach den Leuten am Strande, und schienen keineswegs eines ganz freundlichen Empfanges gewiß zu sein.
Vollkommene Ruhe bewahrte indeß der Offizier selber, der, als das Boot den Sand scheuerte, von seinem Sitze aufstand und die weiße Fahne emporhob. Da aber gerade Ebbe war, lag das Boot, wenn auch schon festgefahren, noch immer wohl zehn oder zwölf Schritte von dem seichten Strande ab, und Einer der Leute sprang ohne Weiteres hinaus und in's Wasser, um ihn auf seinen Schultern auf trockenen Boden zu tragen, denn er hatte Stiefeln an, die er nicht naß machen durfte.
Der Offizier nahm das auch an, und zwar als [S. 40] eine Sache, die sich von selbst verstand, wenn es ihm auch in der Würde seiner Stellung und europäischen Augen gegenüber vielleicht Eintrag gethan hätte, so huckepack und nichts weniger als graziös, an's Land geritten zu kommen. Hier aber war man etwas Aehnliches schon so gewöhnt, daß Niemand nur eine Miene deshalb verzog und der Alkalde, in etwas steifer und gezwungener Haltung ihm entgegentrat, um zu erfragen, was er wünsche und was die Schiffe da draußen beabsichtigten.
Der Offizier grüßte freundlich, ohne sich dann aber bei weiteren Höflichkeiten aufzuhalten, sagte er ruhig:
»Señores, ich komme hierher im Namen meines Capitäns und Admirals, des ehrenwerthen Don Juan Salcantra, um Sie aufzufordern, Sr. Excellenz, dem geliebten und tapferen Präsidenten Mosquera, den Huldigungseid zu leisten und zu schwören, daß Sie diesen Platz gegen alle Feinde Sr. Excellenz vertheidigen und ihm überhaupt treue Unterthanen sein wollen.«
Todtenstille folgte dieser Aufforderung, und selbst der Alkalde war in Verlegenheit, was er darauf erwidern solle. Mit der Schlauheit und Geschmeidigkeit der ganzen spanischen Race ließ er aber doch nicht lange auf eine Antwort warten und erwiderte freundlich:
»Señor, wir sind ruhige und friedliebende Bürger auf Tomaco, die mit treuer Anhänglichkeit an ihrer Regierung hängen und erst vor ein paar Tagen erfahren haben, daß eine Revolution im Lande ausgebrochen sei. Daß der neue Präsident in Panama Mosquera heißt, wußten wir noch gar nicht, und wenn Sie uns von dort den schriftlichen Befehl zu dem eben Verlangten bringen, sind wir mit Vergnügen bereit, Ihrem Wunsche zu willfahren.«
»Die Regierung in Panama,« sagte nun der Offizier finster, »ist gestürzt — General Mosquera regiert jetzt allein im Lande, und deshalb haben die verschiedenen Hafenplätze auch von ihm allein Befehle entgegen zu nehmen, die er aber nie schriftlich, sondern nur mündlich giebt.«
»Bitte um Entschuldigung, Señor,« nahm der Postmeister das Wort. »Die Regierung von Panama ist nicht gestürzt, wenigstens nicht, daß Sie etwas davon wissen könnten, denn der englische Dampfer, der direct von Panama kam, hat erst nach Ihnen Buenaventura verlassen, und uns noch Depeschen unserer Regierung mitgebracht.«
»Señor,« erwiderte der Offizier kalt, »die Regierung von Panama ist im ganzen Lande gestürzt, und in Panama eingeschlossen, Sie können dieselbe [S. 42] also nicht mehr Regierung nennen. Aber ich bin nicht hier, um mich mit Ihnen in einen Wortstreit einzulassen. Meine Aufforderung an Sie ergeht nur dahin, ob Sie sich den rechtmäßigen Behörden unterwerfen wollen, wo nicht, werden wir mit unseren Schiffen Ihren Gehorsam zu erzwingen wissen, und die Folgen — haben Sie sich dann selber zuzuschreiben. — Ich bitte um Antwort.«
»Und die soll Ihnen werden,« rief der enragirte Postmeister, ehe der Alkalde selber das Wort ergreifen konnte. — »Kommen Sie nur so nahe, daß wir Sie mit unseren Kanonen erreichen können, so wollen wir Ihnen eine Antwort hinüberschicken, daß Ihnen die Köpfe brummen.«
»Ist das Ihr letztes Wort?« frug der Offizier finster.
Der Alkalde wollte etwas erwidern, aber die Umstehenden, denen die kecke Rede ihres Postmeisters imponirte, brachen in ein donnerndes Hurrah aus, und die Leute im Boote griffen erschreckt nach ihren Rudern, weil sie sich nicht sicher fühlten, daß die übermüthigen Burschen am Ende über sie herfallen könnten. — Was wußten sie von Völkerrecht oder Parlamentairflagge!
Der Offizier mochte etwas Aehnliches fürchten, denn er trat dicht zum Rand des Wassers zurück und [S. 43] sah sich nach seinen Leuten um. Dadurch gewannen die Bewohner von Tomaco nur neuen Muth. Der Alkalde wollte etwas sprechen, aber er kam nicht zu Worte — wieder gaben die Hurrahschreier eine volle Salve, und der Offizier, mit gänzlicher Mißachtung seiner blanken Stiefeln und trockenen Beinkleider, trat in das Seewasser hinein, war mit wenigen Schritten bei seinem Boote, schwang sich hinein, und während sich die Ruderer mit aller Macht in die Riemen legten, glitt die etwas plumpe Jolle wieder in tiefes Wasser zurück und dem Schiffe zu.
Draußen in See hatte indeß die Mannschaft mit großer Spannung dem Erfolg des Parlamentairs entgegengesehen, denn dieser gab ja die Entscheidung, ob sie die vor ihnen liegende Insel ruhig besetzen oder sie erst nach einem vielleicht harten und blutigen Kampfe erobern sollten.
Und eine wunderliche Mannschaft war es in der That, welche die Decks der kleinen Fahrzeuge füllte. Besonders der Schooner, eigentlich das stärkere Schiff von den beiden, zeichnete sich darin aus, denn [S. 44] zusammengeleseneres Volk ließ sich kaum auf der Welt denken. Nicht ein Mann sah aus wie der andere oder hatte auch nur das geringste Seemännische in seinem Wesen. Schmutzig, abgerissen, nicht einmal in ihrer Hautfarbe gleich, die vom tiefen Schwarz des Negers bis zu der braunen Haut des Halbindianers alle verschiedenen Schattirungen zeigte, räkelten sie sich und lagen über Deck, und die drei oder vier Europäer dazwischen schienen einer ganz anderen Welt anzugehören.
Besonders der Steuermann, ein Engländer, und wie alle englischen Seeleute sauber und adrett gekleidet, sah mit unbeschreiblicher Verachtung auf den Troß hinab, als er jetzt oben auf dem Quarterdeck, sein Telescop in der Hand, die Befehle des Capitäns, eines Neu-Granadiensers, erwartete.
Aber die Schiffe wenigstens paßten zu der Mannschaft, denn wenn man ihnen von außen auch erst kürzlich einen frischen Ueberzug von Oelfarbe gegeben hatte, so konnte das doch den Augen eines Kundigen die alten Schäden nicht verbergen, die sich nicht übertünchen ließen. Selbst der Hauptmast war geflickt und die Segel schienen nur aus einzelnen Lappen zusammengesetzt zu sein — die meisten Taue bestanden aus zusammengedrehter roher Haut und aus dem Deck selber hatte Alter oder lange Benutzung schon ganze [S. 45] Spähne herausgefressen, daß es gar nicht mehr ordentlich gescheuert werden konnte. Ueberhaupt sah das ganze Fahrzeug genau so aus, als ob es eine einzige tüchtige See rettungslos in den Grund waschen müsse, während der untere Raum, in dem die Besatzung schlief und aß, gar keine Beschreibung zuließ.
Allerdings hatte der Steuermann versucht, in diese Wirthschaft Ordnung oder doch wenigstens Reinlichkeit zu bringen, aber vergebens. Die ganze Mannschaft trat gegen ihn auf, und da ihn der Capitän in seinen Bemühungen nicht im Geringsten unterstützte, ja seinem Cajütenjungen sogar gestattete, daß er die Cajüte in einem ähnlichen Zustande hielt, so ließ er es endlich gehen; was sollte er sich auch mit den Land-Lubbern die Schwindsucht an den Hals ärgern?
Jetzt kam das Boot zurück.
»Wie die Kerle nur rudern!« brummte er leise vor sich hin. »Ein Heidenglück, daß hier kein Mensch einen Begriff davon hat, wir müßten uns zu Tode schämen mit unserer Bande. Hol' sie der Henker!«
Und er spuckte dabei seinen Tabacksaft mit einem wahren Ingrimm in's Meer hinein.
Das Boot kam indeß näher und der Capitän — oder Almirante, wie er sich stolz nennen ließ — hatte schon ungeduldig mit seinem Fernrohre hinüber gesehen. [S. 46] Der Offizier, der jetzt im Boot aufgerichtet stand, schüttelte die emporgehobene Hand zum Zeichen der Verneinung, und leise vor sich hinfluchend rief der Neu-Granadienser:
»Nun, Señores, wenn Ihr es denn nicht anders haben wollt, so kann ich Euch nicht helfen! — Señor Culpepper,« wandte er sich dann an den Engländer, »geben Sie den Befehl, daß die Kanonen scharf geladen werden, wir wollen den Herren da am Ufer, sowie wir etwas näher hinan kommen können, die in Buenaventura aufgetragenen Grüße bringen.«
Señor Culpepper zerbiß eine Verwünschung zwischen den Zähnen und ging nach vorn, denn was auf einem wirklichen Kriegsschiffe nur durch den Befehl und die Pfeife des Bootsmannes beordert wird, mußte er selber überwachen, und vielleicht auch mit Hand anlegen, wenn er es gethan haben wollte.
Indem stieg eine schmächtige hagere Gestalt in einem blauen Rock mit blanken Knöpfen und straff anliegenden schwarzen Haaren, einen kleinen Panamahut auf dem Kopf, an Deck, wo ein paar Matrosen eben beschäftigt waren, das Sonnenzelt aufzuspannen. Der Neuheraufgekommene aber, wenn er auch selbst vom »Almirante« mit großer Achtung behandelt wurde, hatte kein angenehmes Aeußere. Die gelbe [S. 47] Hautfarbe seines Gesichts trug eine Menge bläulicher Flecke, beinahe als ob er einmal einen Schrotschuß auf den Kopf bekommen hätte, und wenn er auch nicht gerade schielte, hatte das eine Auge doch — was man im gewöhnlichen Leben so nennt — einen falschen Blick. Dabei ging der Mann immer ein wenig gebückt und sah wie lauernd und mißtrauisch um sich her.
An Bord unter den Leuten hieß er gleich vom ersten Tage an »die Ratte«, wenn er auch einen ziemlich hohen Posten zu bekleiden schien und von den Officieren gewöhnlich Señor Comisario genannt wurde — was kümmerte das die Mannschaft? — an Bord hatte er ihnen doch Nichts zu befehlen.
»Nun, wie ist es?« fragte er, sowie er das Deck betrat und den lauernden Blick umherwarf. — »Das Boot noch nicht zurück?«
»Dort kommt es eben langseit,« sagte der Seemann. »Wir müssen, wie ich merke, Gewalt brauchen.«
»Dann lassen Sie das Nest in Grund und Boden zusammen schießen, Señor Almirante!« rief der Commissair, während seine Augen ein unheimliches Feuer annahmen. »Die Canaillen haben es nicht besser verdient, und wenn wir an der Küste einmal ein solches Exempel statuiren, so erspart uns das eine Menge Mühe vielleicht für andere Plätze.«
»Wenn es nicht sein muß,« sagte der Seemann kopfschüttelnd, »so möchte ich es gerade bei Tomaco nicht gern thun. Es ist einer der betriebsamsten Orte Neu-Granadas.«
»Rebellisches Gesindel!« rief der Commissair im Eifer. »Ich kenne sie von früher her und besser als Sie glauben. Verrätherisches Pack die ganze Bande, und seien Sie versichert, daß ich jede Maßregel vertrete, die Sie gegen dies Volk in Anwendung bringen.«
Der Seemann erwiderte nichts darauf, denn der ausgesandte Parlementair stieg eben an Bord und machte seine Meldung.
»Und haben Sie erfahren, ob ein Señor José Ramos hier in Tomaco lebt?« unterbrach ihn der Commissair, ehe er seinen Bericht ganz vollendet hatte.
»Señor,« sagte dieser, »ich hatte an Land mehr zu thun, als mich nach einzelnen Persönlichkeiten zu erkundigen. Der Zeitpunkt war gerade nicht besonders passend.«
»Aber Sie haben doch wenigstens Jemanden von dort mitgebracht, der uns nähere Auskunft geben könnte!« rief der Commissair, indem er einen giftigen Blick nach dem jungen Mann schoß.
»Wir waren froh, daß wir uns selber wieder fortbrachten,« [S. 49] erwiderte dieser, »denn die Stimmung schien eine sehr aufgeregte zu sein. Uebrigens haben sie dort drüben im Sande Schanzen aufgeworfen und dieselben auch wahrscheinlich mit Kanonen armirt, wenn ich das von dort, wo ich mich befand, auch nicht ganz deutlich erkennen konnte.«
»Was für Kanonen werden sie hier am Lande haben!« sagte der Capitain verächtlich. — »Unsere Zwanzigpfünder sollen da schon ganz anders mit ihnen sprechen. Wie steht es mit der Fluth, Señor Culpepper?«
»Fängt eben an zu steigen, Señor,« lautete die Antwort — »vor drei Stunden dürfen wir aber nicht daran denken, die Anker zu lichten, denn wenn wir hier auf dem Sande festfahren, und sie haben wirklich so ein Ding wie ein Geschütz am Land, so können sie mit uns machen was sie wollen.«
Der Capitain erwiderte nichts, sondern ließ sein Boot bemannen und ruderte nach der Galeotte hinüber, während der Commissair, seine Nägel beißend, an Deck auf und ab ging und nur manchmal das Telescop aufnahm, um zu beobachten, was da drüben am Lande vorging.
Indessen schlenderte der Steuermann wieder über Deck, damit dort — soweit das möglich war — Alles [S. 50] in Ordnung gebracht würde, wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte. Vorn am Gangspill lehnte ein anderer Europäer — ein junger Franzose, der den Posten eines master at arms bekleidete. Er hatte beide Arme auf das Gangspill gelehnt, stützte sein Kinn darauf und blickte in tiefem Sinnen nach dem Lande hinüber.
»Nun Bill,« sagte Mr. Culpepper zu ihm, indem er neben ihm stehen blieb und ihm auf die Schulter klopfte, »worüber denkt Ihr nach?«
»Ich, Sir?« sagte der Franzose, der ziemlich gut englisch sprach, denn er hatte lange in Canada gelebt, und schien auf der See daheim zu sein. Er war reinlich und ganz matrosenartig gekleidet, was man von der übrigen Gesellschaft nicht sagen konnte — »ich überlege mir eben, daß es eine verdammt viel bessere Beschäftigung wäre, da drüben auf dem Rücken unter einer Cocospalme zu liegen, als hier mit einer nichtswürdigen Bande von Land-Lubbern sich zu Schanden zu ärgern. Ich habe das Leben hier bis an den Hals satt.«
»Ich wohl nicht, Camerad?« lachte der Engländer mit einem leisen Fluch. — »Aber was kann's helfen? Heute bekommen wir wenigstens einmal Abwechselung in die Wirthschaft und ich kann Euch sagen, daß ich [S. 51] neugierig bin, wie sich unsere tapferen Neu-Granadienser im Feuer benehmen werden.«
»Im Feuer?« sagte der Franzose verächtlich. — »So lange sie nicht fortlaufen können, werden sie natürlich Stand halten. Uebrigens geb' ich Euch mein Wort, daß es hier an Bord gefährlicher ist, hinter einer von unseren alten Kanonen zu stehen, wie davor, denn ich möchte nicht dabei sein, wenn sie abgefeuert werden.«
Der Engländer lachte laut auf.
»Und habt Ihr sie nicht selber heute zu dem Zwecke geladen?«
»Bah!« sagte der Franzose. — »Die sind schon oft geladen, aber noch nie abgeschossen worden — so lange ich wenigstens an Bord bin — und so lange ich an Bord bin, werd' ich es auch zu vermeiden suchen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«
»Wird aber diesmal nicht gehen,« schmunzelte der Engländer, »denn die Ratte scheint eine ganz besondere Wuth auf das Nest da drüben zu haben, und kann die Zeit nicht erwarten, wo der Befehl zum Feuern gegeben wird.«
»Die Ratte soll — zu Grase gehen,« brummte Bill durch die Zähne. »Ich möchte nur wissen, was der hier schon einmal ausgeheckt hat, daß er so wüthend [S. 52] auf den Ort ist. Habt Ihr je ein freundlicheres Plätzchen in der Welt gesehen, Mate?« fuhr er fort und deutete mit dem Arm nach der reizenden Insel hinüber. — »Kann es etwas Pittoreskeres geben, als jenen alten grauen Felsen mit den Palmen am Fuße, seiner hellgrünen Zuckerrohr-Mantille und den prachtvollen, breitblätterigen Bananen oben auf dem Gipfel? Wie friedlich könnten die Menschen hier leben — und leben auch so, wahrscheinlich — wenn wir sie mit unserer verwünschten Politik in Ruhe ließen und die »Ratte«, statt sie hier an's Land zu setzen, einfach im Canal ersäuften.«
Der Engländer lachte leise vor sich hin und ging wieder nach hinten, wo er jetzt, da die Fluth schon scharf einsetzte und der Bug vom Land abgedreht lag, einen besseren Ueberblick über die Insel hatte. Der Capitain kam ebenfalls zurück und die Mannschaft wurde zum Essen gerufen, um völlig bereit zu sein. So rückte etwa drei Uhr heran — das Wasser war bedeutend gestiegen, und da der Commissair ebenfalls unablässig drängte, um an Land zu kommen, gab der »Admiral« endlich den Befehl, die Anker wieder zu lichten und aufzusegeln.
»Fertig zum Feuern!« lautete dabei der Befehl. Es schien wirklich Ernst zu werden, und der [S. 53] master at arms wurde auf das Quarterdeck befohlen.
»Lassen Sie Ihre Leute bei den Kanonen stehen, Sir,« redete ihn hier der Capitain an, »und beim ersten Schuß, der vom Lande her fällt, geben Sie eine Salve — eine ganze Breitseite (es waren drei Kanonen an jeder Seite) und zielen Sie gut.«
»Sehr wohl, Señor Almirante,« sagte der Franzose, mit der Hand an der Mütze, »aber — wollen Sie mir eine Bemerkung erlauben?«
»Was ist da noch zu bemerken?« fragte der Capitain scharf.
»Weiter nichts,« bemerkte der Franzose, »als daß der Schooner das Abfeuern der Kanonen nicht aushält. Sie sind zu schwer für uns.«
»Mit dem Bedenken kommen Sie jetzt, im entscheidenden Augenblick?« fuhr der Capitain auf.
»Señor,« erwiderte der Mann ruhig, »als ich in Buenaventura der kleinen Prügelei wegen von den Behörden eingesteckt wurde und die Wahl bekam, zwei Monate in einer wahren Pesthöhle von Gefängniß zu sitzen, oder an Bord dieses Kriegsschiffes zu gehen, hatte ich mit der Armirung desselben nichts zu thun. Jetzt haben Sie mich zum Geschützmeister gemacht und es ist meine Schuldigkeit, Sie vor der Gefahr zu warnen.«
»Sie wollen mir doch nicht sagen,« rief der Admiral, »daß wir nicht wagen dürften, einen Schuß zu thun!«
»Allerdings,« erwiderte mit unzerstörbarer Ruhe der Franzose. »Ich habe den Schooner genau untersucht — die Planken und Rippen sind so morsch, daß Sie in keinem anderen Wasser damit fahren könnten, wie gerade hier — sie halten nur noch bei ruhiger Fahrt aus reiner Gefälligkeit zusammen. Ich weigere mich übrigens nicht, zu feuern. Geben Sie den Befehl, und Sie sollen sehen, daß Ihre Geschützstücke ordentlich bedient werden. — Ich kann schwimmen und wenn der alte Kasten auseinander geht und die Kanonen nicht platzen, so hoffe ich an Land zu kommen. Daß wir aber heute Abend, wenn wir nur eine einzige Breitseite abfeuern, die Wand bersten, und eine Stunde später voll Wasser laufen, darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort« — und seine Mütze lüftend drehte er sich ab und ging wieder ruhig auf seinen Posten.
Der Capitain blieb in einer höchst unbehaglichen Stimmung zurück und auch der Commissair war ein sehr bestürzter Zuhörer der Unterredung gewesen, denn er hatte bis jetzt einen ganz anderen Begriff von ihrer Marine gehabt. Sank das Schiff wirklich, so war er verloren, denn er konnte nicht schwimmen, und ob sie [S. 55] in einem Boot freundlich an der Küste empfangen würden, bezweifelte er sehr.
Der Engländer wurde jetzt gerufen, um seine Meinung über die Sache zu hören, aber er zuckte die Achseln. Der Franzose war, wie er bestätigte, gelernter Schiffszimmermann, und hatte ihn schon ein paar Mal auf den wahrhaft traurigen Zustand der Schiffshölzer aufmerksam gemacht. Er traute selber nicht und wenn sie seinem Rath folgen wollten, so hielten sie mit Schießen wenigstens so lange als möglich zurück. Der Schooner macht jetzt schon so viel Wasser, daß sie auf jeder Wacht eine volle Stunde pumpen müßten, und ihn dann noch nicht einmal frei bekämen. — Wenn sich durch Erschütterung des Feuerns die Hölzer noch mehr lösten, stünde er für nichts. — Uebrigens könne er auch schwimmen.
Und damit spuckte er sein Priemchen über Bord und schnitt sich ein frisches ab, während der Schooner, von der Galeotte dicht gefolgt, mit der jetzt einsetzenden Seebrise rasch seinem Ziele entgegenlief und einem Kampfe, sobald er vom Lande aus begonnen wurde, nun schon gar nicht mehr ausweichen konnte. Gegen diese Brise und die starke Strömung der einsetzenden Fluth wären die erbärmlich segelnden Fahrzeuge gar nicht im Stande gewesen, die offene See wieder zu erreichen.
Der »Almirante« befand sich in Verlegenheit, denn es kann ja nichts Fataleres für den Befehlshaber eines Kriegsschiffes geben, als zu hören, daß die Kanonen, die zu dem besonderen Zwecke an Bord geschafft wurden, um damit zu schießen, nicht abgefeuert werden dürften, wenn man nicht befürchten wolle, nicht etwa Schaden nach außen anzurichten, sondern das eigene Fahrzeug zu ruiniren. Wer weiß auch, was er gethan hätte, wenn gerade Ebbe gewesen wäre und ein günstiger Wind ihm irgend eine andere Bewegung erlaubt hätte, als die, vorwärts zu segeln. So aber befand er sich genau in der Lage eines Cavalleristen, dessen Pferd mit ihm, angesichts der feindlichen Reihen, durchgeht, und zwar gerade auf die Feinde zu. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als zu thun, als ob er das Pferd noch selber regiere und lenke, und nur aus rasender Tapferkeit zu diesem tollkühnen Angriff getrieben werde. Er war auch mit sich einig, denn wenn wir zu einem Entschluß gezwungen werden, ist es nicht schwer, ihn zu fassen.
Jetzt befand man sich der im Sande eingegrabenen Batterie gegenüber. Deutlich konnte man schon die dort am Ufer durcheinander laufenden Soldaten erkennen und der Capitän bemerkte mit seinem Glas, daß sie wirklich mit einem Gegenstande, der einer [S. 57] Kanone ähnlich sah, beschäftigt waren. Es dauerte auch nicht lange, so folgte ein Blitz, dann eine kleine weiße Rauchwolke und während der Schuß zu ihnen herüberdröhnte, sprangen die Leute alle nach dieser Seite des Fahrzeugs, um zu sehen, welche Richtung die Kugel nehmen würde. — Aber keine Kugel kam. Dicht am Ufer spritzte das Wasser allerdings an ein paar Stellen auf, das war aber wenigstens hundert Schritt vom Schiff selber entfernt und nicht einmal in der Richtung, sondern viel weiter nach hinten. Uebrigens erfolgte kein Befehl einer Erwiderung an Bord. Die Leute standen mit brennenden Lunden neben ihren Kanonen, aber sie schossen nicht, und mit wahrhaft majestätischer Ruhe glitten die beiden Fahrzeuge, die zu wenig Tiefgang hatten, um bei steigender Fluth ein Auflaufen zu fürchten, an den so mühsam aufgeworfenen Schanzen vorüber und gerade auf die Stadt zu, bis sie, dieser gegenüber, plötzlich auf ein gegebenes Signal die Segel lösten und die Anker niederrollen ließen. Kaum zwei Minuten später schwang ihr Bug mit der Strömung herum und beide zeigten jetzt der Stadt die drohenden Seiten, mit denen sie jeden Moment den Angriff beginnen konnten.
»Und was wollen Sie thun?« fragte der Commissair ängstlich, als der Capitän sein Boot beorderte, [S. 58] um selber an das Land zu fahren. »Uebereilen Sie um Gotteswillen nichts, daß Sie Ihre Schiffe nicht gefährden.«
»Haben Sie keine Angst,« sagte der Seemann mit einem verächtlichen Lächeln. — »Es wäre ja Schade um das Material. Uebrigens kenne ich meine Landsleute und hoffe das ohne Blutvergießen durchzusetzen was wir durch unsere Kanonen erreichen wollten. Dann werden Sie mir erlauben, nach Buenaventura zurückzukehren und dort diese kostbaren Fahrzeuge der Obhut Sr. Excellenz wieder zu überliefern.«
»Von Herzen gern, von Herzen gern, Almirante,« rief der Commissair rasch. »Auch hoffe ich, Ihnen dann einige wichtige Gefangene mitzugeben. Meine Kundschafter, die mir meldeten, daß Señor Ramos mit seiner Familie nach Tomaco geflüchtet sei, und jetzt hier gegen Mosquera agitire, können sich nicht geirrt haben und dann war unsere Reise nicht umsonst, denn ich gebe Ihnen mein Wort, daß dieser Ramos der gefährlichste und schlimmste Agitator in ganz Neu-Granada ist.«
»Veremos!« erwiderte der Capitän trocken und stieg in sein Boot hinab, mit dem die Leute schon seiner warteten. Er nahm nicht einmal eine weiße Fahne mit, sondern steuerte das Boot direct auf eine sich am [S. 59] Strand sammelnde Menschengruppe zu, weil er an der Stelle ziemlich richtig den besten Landungsplatz vermuthete. Zu gleicher Zeit sah er, wie die an den Sandschanzen aufgestellte Mannschaft im Sturmschritt mit ihren beiden kleinen Kanonen herbeieilte, um — wenn nöthig — vielleicht den Landungsplatz zu vertheidigen, denn daß sie gegen die Schiffe selber mit ihren Geschützen nichts ausrichten konnten, hatten sie wohl bei dem ersten Mal Feuern bemerkt.
Der Alkalde erwartete ihn schon, und diesmal fest entschlossen, sich durch den Postmeister nicht wieder das Wort vor dem Mund wegnehmen zu lassen. Er trat auch dem Capitain, sowie dieser an's Land sprang, entgegen und sagte, indem er ihm die Hand reichte und schüttelte:
»Buenos Dias, Señor! — Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen. Können Sie uns vielleicht Aufklärung geben, zu welchen Zweck Sie hier Ihre beiden Schiffe vor unserer Stadt geankert haben?«
Ein leises Lächeln flog über die Züge des Seemannes, als er antwortete:
»Mit weit größerem Rechte, mein verehrter Señor, könnte ich Sie fragen, weshalb Sie auf ein paar Schiffe Ihres eigenen Landes, die einen Hafen ihres eigenen Territoriums besuchen, feuern lassen. — Bitte, [S. 60] unterbrechen Sie mich nicht. Wäre ich Ihnen wirklich feindlich gesinnt, was hinderte mich, furchtbare Rache für die Beleidigung zu nehmen, denn Sie werden mir zugeben, daß eine einzige in diese Bambushäuser gefeuerte Kanone entsetzliche Verwirrung anrichten und viele Menschenleben gefährden würde. Um aber kein Blut treuer Unterthanen unseres theueren Vaterlandes zu vergießen, um den Bürgerkrieg nicht auf dies friedliche Eiland zu tragen, komme ich noch einmal zu Ihnen, um Sie aufzufordern, das zu thun, was Sie doch nicht mehr ändern können: Sr. Excellenz den jetzigen Präsidenten der Republik, Señor Mosquera, anzuerkennen und ihm Treue zu schwören. Ich selber komme nur als der Feind derer, die den Huldigungseid verweigern — im anderen Fall sind wir Freunde und Bundesgenossen, und ich stehe mit meiner Person dafür, daß Sie weder an Ihrer Stadt, noch irgend einem derselben angehörenden loyalen Bürger geschädigt werden sollen.«
»Aber bester Herr,« sagte der Alkalde, durch die freundliche und vernünftige Anrede schon halb gewonnen und nur noch in Verlegenheit, wie er vor den Umstehenden eine vielleicht etwas zu rasche Sinnesänderung beschönigen sollte, »wir — wir wissen hier eigentlich noch gar nichts von Sr. Excellenz, dem neuen [S. 61] Präsidenten. Wir sind friedliebende Menschen, die mit keinem Lande einen Krieg wollen — am allerwenigsten mit dem eigenen, aber wie — wie bekommen wir denn eine Garantie, daß nicht — ohne jedoch das Geringste gegen Ihre eigene Person andeuten zu wollen — daß nicht irgend ein Schiff bei uns anlegen könnte, welches irgend einen neuen Namen als Präsident und Regierung aufstellt und Besitz von der Insel ergreift?«
»Darüber beruhigen Sie sich,« sagte der Seemann; »ich handele nicht nach eigener Machtvollkommenheit, sondern habe einen Regierungs-Commissair an Bord, der, von Buenaventura aus mit allen nöthigen Papieren und Schriftstücken beglaubigt, das Weitere mit Ihnen auf vollkommen gesetzlichem Wege in Ordnung bringen wird. Der Herr ist Ihnen auch, soweit ich erfahren habe, nicht einmal ein Fremder, sondern war früher selber, wie er mich versicherte, ein Einwohner oder wohl gar ein Beamter dieser Insel —«
»In der That? Und sein Name?«
»Señor Fosca.«
»Fosca? Alle Teufel!« platzte der Alkalde etwas erstaunt heraus; »Señor Fosca ist Regierungs-Commissair geworden?« Aber es blieb ihm keine Zeit mehr zum Ueberlegen, denn der Postmeister kam gerade mit [S. 62] einem Theil seiner Leute wenigstens herbei, da ihm keineswegs alle folgten. Die Meisten, indem sie eine Beschießung der Stadt fürchteten, liefen nach ihren Häusern, um dort zu retten, was sie retten konnten. Der Alkalde war aber fest entschlossen, diesmal ohne den Postmeister zu handeln, und sagte deshalb rasch und bestimmt:
»Wenn Sie mir Ihr Wort geben, Señor, daß der Stadt kein Schaden geschehen soll, so glaube ich in Uebereinstimmung mit meinen Mitbürgern zu handeln, wenn ich Ihnen erkläre, daß wir den Präsidenten Mosquera anerkennen wollen.«
»Ja wohl! Gewiß! En verdad — con gusto!« tönte es von allen Seiten, denn das entschlossene Aufsegeln der Kriegsschiffe hatte seine Wirkung auf die Gemüther nicht verfehlt.
»Und das Versprechen gebe ich Ihnen,« sagte der Seemann, dem damit eine wahre Centnerlast von der Seele fiel, denn eine Weigerung hätte ihn in die größte Verlegenheit gebracht.
»Und wissen Sie, welche Verantwortung Sie da auf sich nehmen, Señor Alkalde?« schrie der Postmeister, der eben zur rechten Zeit erschien, um zu spät zu kommen. »Wir sind hier freie Bürger, und wenn irgend ein Präsident —«
»Fosca ist Regierungs-Commissair und an Bord,« flüsterte ihm der Alkalde zu, indem er seinen Arm faßte; »halten Sie das Maul.«
Der Postmeister sah ihn verdutzt an. Es war augenscheinlich, daß er den Sinn der Worte nicht so rasch begriff, aber der Alkalde warf ihm einen warnenden Blick zu, und sich auf dem Absatz herumdrehend nahm er den Hut ab, schwenkte ihn in der Luft und rief mit seiner weit hinaus dröhnenden Stimme:
»Compañeros el viva! Viva Sa Excellencia el praesidente Señor Mosquera! — El viva!«
»El viva! El viva!« jubelten ihm die Leute nach, die ebenfalls ihre Hüte schwenkten, und wie ein Lauffeuer pflanzte sich der Schrei durch die Stadt fort. Galt er ja doch als Friedenszeichen und war den Leuten eine Bürgschaft, daß sie von den Schrecken und Gefahren des Krieges verschont bleiben sollten. Mit der Gewißheit hätten sie irgend einen lebenden oder auch todten Menschen — wer er immer gewesen — leben lassen.
Es war in der That ein Jubel auf der Insel, als ob man diesem Augenblick schon seit Jahren mit der größten Spannung entgegengesehen hätte, und daß der Postmeister gerade, der noch vor wenigen Stunden da unten am Strande Sandschanzen aufgeworfen und [S. 64] selbst eine Kanone auf die nahenden Schiffe abgefeuert, in den Ruf mit einstimmte, fiel keiner Seele mehr auf.
Der Capitän hatte seine Schuldigkeit gethan und sein Ziel viel rascher und vollkommener erreicht, als er je gehofft. Es drängte ihn deshalb wieder an Bord zurück. Aber so bald kam er noch nicht los, denn von allen Seiten strömten Menschen herbei, um ihm die Hand zu drücken und ihm zu erklären, daß sie gute Freunde bleiben und keinen Krieg miteinander haben wollten. Und nicht allein die Männer thaten das, sondern ganz besondere Energie entwickelten die Negerweiber, von denen die Insel ein außerordentlich starkes Contingent stellte, und wo solch eine alte würdige Dame einmal die Hand des Seemannes erwischte, ließ sie nicht sogleich wieder los. Sie versicherten ihm dabei stets mit ihrer gewöhnlich tiefen Baßstimme, daß sie sich unendlich glücklich schätzen würden, wenn er zu ihnen in das Haus kommen und eine Tasse Chocolade trinken wolle.
Er hatte Mühe sich ihrer zu erwehren, und sein [S. 65] Boot endlich wieder gewinnend, sprang er hinein und ließ sich an Bord zurückrudern.
Still vor sich hin mußte er freilich unterwegs lachen, wenn er sich überlegte, daß Tomaco eigentlich nur dadurch friedlich erobert und Mosquera eine neue Stadt gewonnen sei, daß sich beide Theile vor einander gefürchtet hätten, denn wie die Sachen standen, konnten sie sich gegenseitig keinen großen Schaden thun. Die List war aber gelungen; die Bewohner von Tomaco hatten sich durch eine völlig unausführbare Drohung: die Beschießung der Stadt, einschüchtern lassen, und es lag jetzt an Señor Fosca, das Weitere in Frieden und Freundschaft zu arrangiren und sich mit den Behörden zu verständigen.
Als der Capitän sein kleines Fahrzeug erreicht und den Befehl gegeben hatte, Munition und Kugeln wieder fortzuräumen und die »Geschützstücke« auf's Neue zu befestigen — ein sicheres Zeichen also, daß von einem Kampf nicht weiter die Rede war — trat plötzlich der Franzose zu seinem Admiral heran, und seinen kleinen Wachshut abnehmend, wollte er ihn eben anreden, als Señor Fosca mit triumphirendem Blick auf diesen zukam und rief:
»Ich weiß Alles! Schon ehe Sie zurückkamen war ein Fruchtboot hier. — Meine alten Freunde sind noch [S. 66] dieselben — der nämliche Eifer, Einer dem Andern einen Verdienst vor der Nase wegzuschnappen. — Aber ich habe auch Ihren Erfolg erfahren und — daß Señor Ramos wirklich hier mit seiner ganzen Familie lebt. Er kann uns jetzt nicht mehr entgehen und ich bitte Sie also, Almirante, mir nachher sechs Mann von Ihren Leuten zur Verfügung zu stellen, um den Verräther zu verhaften.«
»Mein bester Señor,« sagte der Seemann, dem die Sache augenscheinlich fatal war, — »ich habe den guten Leuten da drüben versprochen, sie nicht weiter zu schädigen.«
»Aber der Verräther war ausgenommen,« rief Fosca rasch, — »gehört er doch auch gar nicht nach Tomaco und geht der Stadt nicht das Geringste an. Señor Almirante, ich habe den strengen Auftrag von Sr. Excellenz, auf diesen gefährlichsten aller Staatsverräther zu fahnden und ihn nach Buenaventura zu liefern. Ich möchte nicht in des Mannes Haut stecken, der ihm Zeit und Gelegenheit ließe, zu entkommen.«
»Ach was!« brummte der Seemann verdrießlich vor sich hin, »so gefährlich wird die Sache nicht sein, Señor. Aber meinetwegen thun Sie, was Sie nicht lassen können und nehmen Sie sich von Leuten was Sie brauchen. Ich mache Sie aber dafür auch für [S. 67] alle Folgen verantwortlich, wenn Sie die jetzt beruhigten Einwohner wieder aufreizen und unser Aller Sicherheit dadurch gefährden.«
»Die Verantwortung übernehme ich,« sagte der Commissair, und ein boshaftes Lächeln zuckte über sein fahles Gesicht, als er sich umdrehte und wieder in die Cajüte hinunter stieg.
»Was wollen Sie?« wandte sich der Capitän nun, eben nicht in bester Laune, an den jungen Franzosen, der indessen zurückgetreten war, um sein Anliegen später vorzubringen.
»Señor Almirante,« sagte der Franzose, »wie ich zu meiner Freude sehe, ist kein Krieg mehr nöthig. Unter diesen Verhältnissen brauchen Sie aber auch keinen master at arms mehr, und da ich jetzt ein unnützes Möbel an Bord bin, so wollte ich Sie ersuchen, mir meine Entlassung zu geben. Ich möchte gern in mein eigenes Vaterland zurückkehren.«
»Thut mir leid,« sagte der Seemann barsch, »Ihre Zeit ist noch nicht um und außerdem brauche ich Sie nothwendig. Sie sind Schiffszimmermann, nicht wahr?«
»Ein sehr mittelmäßiger,« bestätigte achselzuckend der Gefragte.
»Thut nichts! Wahrscheinlich immer noch besser [S. 68] als unsere carpinteros in Buenaventura. — Sie müssen mit helfen, den Schooner wieder in Stand zu setzen, wenn wir zurückkommen.«
»Den Schooner?« lächelte der Franzose. — »Ach ja, es geht, wenn er einen neuen Rumpf und andere Masten bekommt und nachher frisch aufgetakelt werden kann. An den alten Kasten werden Sie aber doch keine Reparaturkosten mehr wegwerfen wollen?«
»Das ist Sache der Regierung,« brach der Capitain kurz ab. »Sie gehen jedenfalls mit zurück und dort findet sich das Weitere. Sehen Sie indessen zu, daß mir das Volk kein Unglück mit dem Pulver anrichtet — daß sie besonders da unten nicht rauchen. Haben Sie mich verstanden?«
»Vollkommen gut, Señor,« sagte der Franzose mit einer Verbeugung, als der Seemann an ihm vorüberschritt und dem Commissair in die Cajüte folgte.
»Abgeblitzt!« lachte der Engländer, der, als er auf das Quarterdeck kam die Unterredung gehört hatte. — »Hätte ich Euch auch vorher sagen wollen, Camerad, denn wenn der Alte uns paar Europäer von Bord ließe, wen behielt er denn da zurück als die Buschläufer, die ein Fallreep nicht von der Besanschote zu unterscheiden wissen. Nein, damit ist's nichts! [S. 69] Ich hätte selber Einsprache dagegen erhoben, also schlagt Euch die Phantasien aus dem Kopfe.«
»Wird wohl nicht anders werden, Mr. Culpepper,« stimmte der Franzose bei, indem er leise vor sich hinpfeifend, nach vorn ging.
Der Nachmittag war indessen schon ziemlich weit vorgerückt; die Sonne stand kaum noch eine halbe Stunde hoch am westlichen Himmel und die Wolken begannen schon die den Tropen eigene, violette Färbung anzunehmen, als Señor Fosca mit seinem Boot an Land fuhr. Statt der erbetenen sechs Mann Wache hatte er sich aber zwölf ausgesucht, die vollständig bewaffnet ihn begleiten sollten, und der Capitain that da auch keinen Einspruch. Er wollte augenscheinlich mit der ganzen Sache nichts zu thun haben.
Am Land wurde er von den Spitzen der Behörden empfangen, der Alkalde, der Postmeister und der Steuerbeamte — dessen Posten er selber früher einmal auf Tomaco bekleidet hatte — standen an der Landung und die Begrüßung — wenn man überhaupt auf äußere Anzeichen schließen konnte — war eine herzliche.
Am liebsten hätte Señor Fosca nun allerdings das vorgenommen, was ihm am meisten am Herzen zu liegen schien: die Verhaftung des Hochverräthers — aber das ging doch nicht — der wichtigere Act und [S. 70] zwar die Uebernahme der Insel und die Huldigung des neuen Präsidenten mußte vorausgehen, und die Spitzen der Bevölkerung, von den meisten dort Ansässigen begleitet, begaben sich demnach in das »Regierungsgebäude« (ein Haus, das sich vor den übrigen nur durch einen etwas größeren Umfang auszeichnete), um den feierlichen Act dort vorzunehmen.
Vorher hatte der Postmeister, der jetzt die Geschmeidigkeit selber zu sein schien und gar nicht so that, als ob er je den geringsten Widerstand gegen Mosquera's Ansprüche geleistet, eine längere und geheime Unterredung mit Señor Fosca, und dann erfolgte in ziemlich summarischer Weise die Uebergabe der Stadt und Insel an den neuen Herrscher, mit der Bestätigung der jetzigen Beamten in ihrem Dienst.
Es war unterdessen vollkommen dunkel geworden und die beiden »Kriegsfahrzeuge« in dem Canal hatten jedes an ihrem Vormast eine rothe Laterne aufgezogen. Wachen brauchte es nicht an Deck, denn die ganze Mannschaft lag zerstreut darauf herum oder saß plaudernd vorn auf der Back oder auf den Railings. Hinten auf dem Quarterdeck ging der Franzose mit verschränkten Armen auf und ab; der englische Steuermann lag bequem auf einer Bank ausgestreckt und rauchte seine Cigarre.
Der Franzose hatte seine Jacke neben sich auf dem Steuerrad hängen, jetzt ging er hin und zog sie wieder an.
»Nun, Bill,« lachte Mr. Culpepper. »Ihr friert doch nicht in der Temperatur?«
»Das nicht, Sir,« sagte der Mann gleichgiltig, »aber der Thau fängt an zu fallen, und da drüben zieht auch wieder ein Wetter herauf. Wir bekommen eine böse Nacht.«
»Ob es in dem verbrannten Lande nicht auch alle Tage vom Himmel herunterschüttet!« brummte der Engländer und rauchte ruhig weiter. — Der Franzose beschäftigte sich damit, einen Theil der noch unordentlich umherliegenden Brassen aufzurollen. Eine davon aber, ohne daß es Mr. Culpepper sehen konnte, nahm er und hing sie über Bord, dann stieg er langsam und gleichmüthig über die Railing, ließ sich an dem Tau geräuschlos hinab und verschwand im nächsten Augenblick unter Wasser.
»Heh, Bill!« rief der Engländer nach einer Weile, ohne jedoch den Kopf zu wenden. — »Wohin wolltet Ihr denn eigentlich, wenn Euch der Alte losgelassen hätte?«
Er bekam keine Antwort und sah sich jetzt erstaunt um. — Das Deck war leer.
»Hm!« brummte Mr. Culpepper vor sich hin. »Habe ihn doch gar nicht fortgehen hören —«
»Du, Juan, da schwimmt ein Fisch!« sagte einer der Leute vorn an Bord. »Wetter! Das muß ein großer Kerl sein. Ich mache meine Angel zurecht, vielleicht fangen wir ihn.«
Es hatte sich für einen Moment ein dunkler Gegenstand über Wasser gezeigt, verschwand aber sogleich wieder und einige der Leute holten ihr Angelgeräth vor. Es gab wirklich viel Fische dort in der Nähe des Landes und das aufsteigende Gewitter begünstigte den Fang.
Bill, wie ihn Mr. Culpepper alter Gewohnheit wegen nannte, hieß eigentlich weder Bill, noch Guillaume, sondern Baptiste Lecomb, und hatte unterdeß seine Flucht so keck und rasch ausgeführt, daß er als ein ganz vortrefflicher Schwimmer das Land erreichte und längst zwischen den dunklen Häusern verschwunden war, ehe er an Bord vermißt wurde. Am Land zog er sich vor allen Dingen aus, und rang seine Kleider soweit als möglich trocken, daß er sich nirgends durch die übergroße Nässe verrieth — eine Erkältung brauchte er in dem heißen Clima nicht zu besorgen — und erkundigte sich dann bei dem ersten Eingeborenen, den er antraf, ob kein Europäer, besonders [S. 73] ob kein Franzose in dem Orte wohne. Er befand sich nicht weit von Renard's Haus und als er zu diesem hingewiesen war, machte er keine weitern Umstände einzutreten.
Monsieur Renard war eben nach Hause zurückgekommen und bei der Uebergabe der Stadt an Mosquera gegenwärtig gewesen. Er stand in seinem Laden und war gerade im Begriff, seine beiden Lampen anzuzünden, da er an diesem Abend unter den obwaltenden Verhältnissen nicht ohne Grund zahlreiche Gäste erwartete, und die jetzt aufflackernde einzelne Oelflamme nur ein sehr ungewisses Licht verbreitete. Wie in aller Welt hätte man auch eine solche Festlichkeit in einem solchen Ort anders feiern wollen als durch Trinken, und Renard wußte, daß er die besten Getränke in der Stadt hielt. — Es waren wenigstens die theuersten.
Eben nicht angenehm überrascht wurde er da durch den etwas unerwarteten Besuch, der sich ihm ohne Weiteres als Deserteur von einem der neugranadiensischen Kriegsschiffe vorstellte.
Baptiste war in der That nicht der Mann, große Umstände zu machen, und nach seiner ersten Einführung setzte er nur hinzu, indem er sich im Laden umsah:
»Zuerst, Landsmann, sehe ich, Sie haben hier Getränke, also bitte ich, geben Sie mir einen tüchtigen Cognac, denn heißes Wasser zu einem Grog, der mir besser thun würde, ist gewiß nicht fertig — es ist wenigstens nie fertig, wenn es am nöthigsten gebraucht wird, und dann verschaffen Sie mir ein Canoe, damit ich nach Ecuador entkommen kann.«
»Und brauchen Sie sonst Nichts?« fragte Renard, über diese Zwanglosigkeit erstaunt.
»Ein paar Dutzend Franken baar Geld wären allerdings erwünscht, denn das Einzige, was ich von landesüblicher Münze besitze,« fuhr der junge Franzose fort, »sind zwei schlechte ecuadorische Reale, sogenannte Dimesstücke, die ich Ihnen hier nicht einmal für Ihren Cognac anbieten mag. Ich darf doch einen Landsmann nicht beleidigen.«
»Alle Wetter!« lachte Renard, den diese ganz eigene Keckheit — und er selber war sonst nicht gerade blöde — zu amüsiren anfing, »Sie trotzen nicht schlecht auf unsere Landsmannschaft, Kamerad, denn wissen Sie wohl, daß Sie mich hier — mit dem neuen Regime im Lande — durch Ihre Flucht in die furchtbarste Verlegenheit bringen können, sobald man erfährt, daß ich das Geringste damit zu thun hätte!«
»Bah!« sagte Baptiste gleichgültig. »Sie wissen [S. 75] recht gut, daß jeder Franzose, unter ähnlichen Umständen, das Nämliche für Sie thun würde, also ist es nicht der Mühe werth, nur ein Wort weiter deshalb zu verlieren. Oder wollten Sie mich etwa an die Bestien wieder ausliefern?«
»Aber, bester Freund,« sagte Renard, wirklich in Verlegenheit, »was hilft Ihnen selbst ein Canoe? Der Weg von hier nach dem Pailon — dem nächsten Platz in Ecuador — ist gar nicht so leicht zu finden und Sie brauchen —«
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen,« lachte Baptiste. — »Ich bin nicht zum ersten Male in Tomaco und kenne den Weg sowohl durch die Lagune wie um die Punta Manglares.«
»Dann, bester Freund,« sagte Renard rasch, indem er ihm ein tüchtiges Glas Cognac einschenkte, das Baptiste mit einem vergnügten »à votre santé! Apropos, haben Sie nicht ein paar Cigarren?« leerte — »kann ich Ihnen keinen bessern Rath geben als — und hier haben Sie auch einige vortreffliche Esmeralda-Cigarren — als sich das erste beste Canoe von der Landung zu nehmen und zu machen, daß Sie fortkommen, denn wenn man Sie an Bord vermißt, werden Sie auch augenblicklich verfolgt werden, und wo soll man Sie an einem Ort verbergen der nicht einmal [S. 76] Wände, viel weniger heimliche Verstecke hat? Nur so viel Rücksicht bitte ich Sie auf einen Landsmann zu nehmen, daß Sie mein Canoe liegen lassen. Es hat vorn am Bug einen kleinen Messingknopf mit einem Hufeisen darunter genagelt. Ein Ruder gebe ich Ihnen mit.«
»Sehr schön,« sagte Baptiste. »Ihr Canoe ist sicher, aber vorher beantworten Sie mir noch eine Frage. Lebt hier im Ort ein Señor Ramos? Apropos, haben Sie hier eine Hinterthüre, wenn Jemand vorn in den Laden kommen sollte?«
»Allerdings, aber je länger Sie zögern, desto schwieriger wird Ihre Flucht sein. Ein Señor Ramos lebt allerdings hier; kennen Sie ihn?«
»Ist er derselbe Ramos, der vor drei Jahren in Buenaventura wohnte?«
»Er zog glaube ich von dort nach Bogota.«
»Er hat Familie?«
»Eine sehr hübsche junge Frau und ein Kind, ein kleines Mädchen von etwa sechs oder sieben Jahren.«
»Peste!« rief Baptista, indem er mit dem Fuße aufstampfte, »dann kann ich noch nicht fort.«
»Und was haben Sie mit dem zu thun?« fragte der Franzose. »Er hält mit keinem Menschen Verkehr, und von ihm dürfen Sie keine Hülfe erwarten.«
»Aber er braucht sie!« rief Baptiste rasch. »Vor drei Jahren, als ich in Buenaventura todtkrank und verlassen lag, hat er mich in sein Haus aufgenommen und wie ein eigenes Kind gepflegt. — Seine Frau ist ein Engel und die kleine Adriana ein Cherub. Meine Hand soll verdorren, wenn ich die braven Leute im Stich lasse!«
»Das ist nicht übel!« rief Renard ärgerlich werdend. »Erstlich braucht Señor Ramos weder Ihre noch eines andern Menschen Hülfe, und verlangt sie auch wahrscheinlich gar nicht, und dann möchte ich wissen, was Sie ihm nützen wollten, da Sie sich selber nicht einmal auf offener Straße dürfen blicken lassen.«
»So haben Sie nichts davon gehört?« fragte Baptiste, »daß ihn der neue Commissair — diese schieläugige Canaille mit dem Körper einer Katze und der Seele eines Schakals — gefangen nach Buenaventura schleppen will, ihn und die junge Frau und den Engel von einem Kind in jene Hölle von Gefängniß, das mich, einen starken, kräftigen Mann, fast zum Selbstmord trieb?«
»Alle Wetter!« sagte Monsieur Renard halblaut und erstaunt. — »Also darauf liefen die Anfragen des Señor Fosca hinaus? — Aber wie können Sie ihm helfen?« fuhr er dann laut und kopfschüttelnd [S. 78] fort. »In der Stadt hat Señor Ramos wenig oder gar keine Freunde, denn er hielt mit keinem Menschen Verkehr und war immer stolz und aufgeblasen. — Gegen mich auch,« setzte er etwas gereizt hinzu, »denn ich kam ihm ganz freundlich entgegen und meine Frau hat den Leuten sogar einen Besuch gemacht, obgleich wir sie gar nicht kannten, aber nicht ein Fuß von ihnen ist über unsere Schwelle gekommen, außer den, welchen die Dienstleute darüber setzten, wenn sie Waaren holten, die sie aber schon hier holen mußten, weil sie sie sonst nirgends so gut und billig bekommen.«
»Hat er seinen Neger bei sich?« fragte Baptista rasch, und ohne auf das, was Renard sagte, zu hören, »einen flinken Mulattenjungen, der Antonio heißt?«
»Einer des Namens ist allerdings bei ihm, ein Bursche von vielleicht vierundzwanzig Jahren.«
»Wenn ich nur den wenigstens sprechen könnte, daß man ihn warnte —«
»Alle Teufel!« rief Renard schnell. — »Jetzt kommen Leute.«
»Wo ist das Ruder?« rief Baptista rasch.
»Da hier in der Ecke lehnen zehn oder zwölf.«
Der Franzose griff ohne Weiteres eins davon heraus.
»Dort hinaus! Da ist die Thüre in den Hof. [S. 79] — Machen Sie, daß Sie hinüber nach Ecuador kommen.«
Baptista sprang der Thüre zu, als dort ebenfalls Stimmen laut wurden.
»Caramba!« murmelte er leise vor sich hin. — »Das war zu spät.« Den Blick umherwerfend erspähte er ein leeres Brodfaß, das dicht neben der Ausgangsthüre und in einer Art von Gang stand, der aber nur durch Kisten, Nagelfässer und sonstige Waaren gebildet wurde. Ohne Renard ein Wort weiter zu sagen, oder ihn um Erlaubniß zu fragen, legte er die Hand auf den Rand desselben, stützte sich mit der Rechten auf das Ruder und sprang hinein. Das Ruder lehnte er dann daneben und hatte eben noch Zeit sich unterzuducken, als die Thüre auch schon aufging und ein paar Einwohner von Tomaco, unter ihnen der Postmeister, den Laden auf diesem ihrem Hause näher liegenden Wege betraten. Gleichzeitig kam auch, laut und leidenschaftlich mitsammen redend, ein Schwarm von Menschen von der anderen Seite und Renard, der, ehe er nur einen Entschluß fassen konnte, seinen verzweifelten Landsmann schon in seinem Versteck und dessen Flucht für jetzt wenigstens völlig abgeschnitten sah, warf nur rasch und fast unwillkürlich eine gerade dort liegende alte Matte über [S. 80] das Faß, und machte sich dann bereit, seine — jedenfalls in diesem Augenblick unwillkommenen — Gäste zu empfangen.
Señor Ramos hatte sich an diesem bewegten Tage, wie immer, streng abgeschlossen in der Räumlichkeit seines eigenen Hauses und inmitten seiner kleinen Familie gehalten, denn er suchte absichtlich Alles zu vermeiden, was ihn mit dem politischen Treiben Tomacos hätte in Berührung bringen können. Was half es auch, welche politische Richtung diese äußerste, vollkommen abgeschiedene Ecke des Staates verfolgte? Sie stand mit dem übrigen Lande in gar keiner Verbindung, und hatte sich dem zu fügen, was an den Hauptplätzen und im Herzen der Republik erkämpft und ausgefochten wurde.
Welchen Theil er früher an diesen Kämpfen genommen hatte — Niemand wußte es in Tomaco; Niemand kümmerte sich darum. Hier schien er nur darauf bedacht, seine Häuslichkeit so freundlich als möglich herzurichten, was ihm denn auch mit den wenigen ihm hier zu Gebote stehenden Mitteln sicher gelungen war.
Das Haus zeichnete sich vor den übrigen, wie schon früher erwähnt, allerdings nur durch seine etwas größere Sauberkeit, und die zierlich gearbeiteten Bambusjalousien, [S. 81] vielleicht auch dadurch aus, daß es vollkommen geschlossen stand, und nur dann einen Einblick in das Innere gewährte, sobald die Fenster in der Abendkühle weit geöffnet wurden. Im Innern aber konnte es mit keinem der übrigen verglichen werden, denn Señor Ramos hatte keine Kosten gescheut, ein kleines neu-granadiensisches Paradies daraus zu schaffen.
Den Boden deckte vollständig eine chinesische roth- und gelbgestreifte Strohmatte, ein Luxus, der sich in keinem einzigen der andern Häuser fand. Die Betten, die in einem kleinen Bambusverschlag standen, waren reinlich überzogen und mit schneeweißen Mosquitonetzen versehen, und selbst die Wände waren nicht leer und ein Spiegel hing über einem kleinen sauber polirten Tisch von inländischem Mahagoniholz, während zwei Oelgemälde in vortrefflicher Ausführung Ansichten des wunderbar schönen Innern von Neu-Granada darstellten.
Der Tisch war gerade zum Abendbrod gedeckt und die Chocolade dampfte in Tassen von feinem Porcellan, während auf den Schüsseln gebratene Bananen und Fische, frische Eier, feiner Schiffszwieback und eine dampfende Schüssel mit Reis und gekochten Austern verriethen, daß es sich die Bewohner auch in [S. 82] leiblichen Genüssen an nichts fehlen ließen. Auf dem Tische brannten zwei Stearinlichter in Porcellanleuchtern. Dazu standen in einem besonderen silbernen Gestell zwei junge angeschnittene Cocosnüsse auf dem Tisch, deren süßes Wasser oder Milch als kühlendes Getränk dienen sollte, und die Frau, eine reizende liebe Gestalt, mit rabenschwarzen Locken und feurigen Augen, hatte gerade der Kleinen die Serviette umgebunden und sie auf ihrem Stühlchen näher zum Tisch gerückt, als unten vor dem Hause Stimmen laut wurden, ohne daß sie jedoch Geschrei oder Toben gehört hätten. Es war als ob eine Menge von Leuten mit einander flüstere oder leise spreche.
»Was ist das?« sagte die Frau, erschreckt aufhorchend. »Hörst Du nichts, José?«
»Was wird es sein, mein Kind!« erwiderte freundlich der Mann. »Müßiges Volk, das sich noch in der Straße herumtummelt, bis es von dem Gewitter in die Häuser getrieben wird. Setz' Dich, Schatz! Die Chocolade wird sonst kalt.«
»Sie kommen die Leiter herauf!« rief die Frau ängstlich. »Was können sie in der Zeit noch von uns wollen? Es ist so viel fremdes Volk im Ort.«
»Gott weiß es!« erwiderte der Mann, jetzt ebenfalls aufstehend, denn die Frau hatte Recht. »Bleib' [S. 83] sitzen, Adriana, mein Kind. Laß Du Dich wenigstens nicht stören. Bleibe Du auch hier, mein Herz, ich werde selber nachsehen.«
»Ave Maria!« sagte plötzlich eine Stimme draußen an der kleinen Bambusthür, die ebenfalls nur dieses eine Haus verschloß — denn Niemand wird in einem der südamerikanischen Länder ein fremdes Haus ohne diese fromme Anrede betreten, wenn auch der Sinn derselben oft nicht mehr bedeutet als der profane Anruf bei uns, ob Jemand daheim sei.
»Purisima!« erwiderte Don Jose und öffnete die Thür, aber ein kaltes, eisiges Gefühl durchzuckte sein Herz als der Lichter Schein auf das bleiche tückische Gesicht des Commissairs fiel, der mit einem spöttischen Lächeln das kleine freundliche Gemach rasch mit den Augen überflog und dann höhnisch sagte:
»Ungemein erfreut, Don José, Euch nach langem Suchen endlich in Euerm stillen Asyl aufgefunden zu haben. Die Señorita doch wohl, hoffe ich? Bedauere, wenn ich vielleicht stören sollte, aber Geschäfte, wie Ihr wißt, Don José, dulden nun einmal keinen Aufschub.«
»Señor Fosca!« sagte Ramos fast tonlos — und er mußte sich zusammen nehmen, um seine Fassung zu bewahren. »Ich hatte nicht erwartet, Euch hier zu sehen, denn ich glaubte, daß —«
»Ich noch ruhig hinter den eisernen Gittern säße, hinter die Ihr die Güte gehabt, mich zu setzen, wie?« lächelte der Mann und eine fast teuflische Bosheit zuckte über sein außerdem nicht schönes Gesicht.
»Ich that nur meine Pflicht, Señor,« erwiderte Ramos.
»Natürlich, Don José, natürlich! — Mehr thun wir Alle nicht. Aber wollen Sie mich wirklich heute Abend hier an der Thüre stehen lassen? Señorita, bitte, setzen Sie sich, Sie zittern ja, als ob Sie einen Geist gesehen hätten.«
Ohne ein Wort zu erwidern schob ihm Don José einen Stuhl hin, auf den er aber, mit einer höflich dankenden Verbeugung, nur zuschritt und mit der Hand dessen Lehne ergriff, sich aber nicht niedersetzte.
»Es wird mir nicht so viel Zeit bleiben,« sagte er endlich, während er mit tückischer Schadenfreude das Entsetzen beobachtete, das sein Erscheinen unter den glücklichen Menschen angerichtet, »denn ich muß heute Abend noch an Bord zurückkehren, aber die Pflicht wird eine angenehme, da ich die Fahrt in so liebenswürdiger Gesellschaft mache. Señorita, ich möchte Sie bitten, etwas Wäsche zusammen zu packen, denn Sie werden uns begleiten.«
»Ich!« rief die Frau erbebend, und ihre Wangen [S. 85] überzog Todenblässe. — »Was, um der Jungfrau Willen, haben Sie vor?«
»Señor,« sagte aber Ramos, der sich die größte Gewalt anthun mußte, um ruhig zu bleiben, — »führt Sie eine Botschaft hierher, die Sie für mich haben, so bitte ich, sich direct an mich deshalb zu wenden — einen unpassenden Scherz, den Sie sich mit meiner Frau erlauben, dürfte ich nicht in der Stimmung sein, ruhig zu ertragen. Sie wissen doch, daß Sie hier in meinem Hause sind?«
»Señor Ramos,« erwiderte der Commissair mit seiner ewig lächelnden Ruhe, die dem Gegner das Blut wie Feuer durch die Adern strömen machte, »behalten Sie Ihr kaltes Blut! — Uebrigenes kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß ich in diesem Augenblick zu nichts weniger als zum Scherzen aufgelegt bin. Als ich Ihrer Frau Gemahlin sagte, sie würde uns begleiten, sprach ich im vollen Ernst, denn ich bin hierhergekommen, Señor Ramos, um Sie und Ihre Familie im Namen Sr. Excellenz unseres hohen und berühmten Präsidenten Mosquera als Hochverräther zu verhaften und nach Buenaventura hinüber zu führen.«
»Meine Familie?« schrie Don José fast außer sich. — »Und wenn ich wirklich ein Hochverräther [S. 86] wäre, was hätte mein Weib — mein Kind dabei zu thun?«
»Das Kind allerdings nichts,« lächelte der Commissair, »aber die Anklage lautet gegen Sie und Ihre Frau Gemahlin, und so leid es mir thut —«
»Hund, verruchter!« stöhnte da Ramos, der seine Wuth nicht länger mäßigen konnte, indem er eins der auf dem Tisch liegenden Messer aufgriff und damit auf den Buben lossprang. Fosca aber, der mit der entschiedenen Absicht hierher gekommen war, seinen Todfeind bis zum Aeußersten zu reizen und dann erst zu vernichten, war darauf vollkommen vorbereitet und hatte nichts versäumt.
Bei der ersten Bewegung, die der Wüthende machte, stieß er die Thüre auf und in dem Moment sprangen die indessen heraufgeschlichenen Soldaten — Gesindel, das er sich selber zu dem Zweck an Bord ausgesucht — über die Schwelle und legten ihre Gewehre an. Die Frau fuhr in jähem Entsetzen nach ihrem Kind, das schreiend die Aermchen nach ihr ausstreckte, aber ihre Kräfte vermochten nicht sie länger aufrecht zu halten; sie brach ohnmächtig zusammen und ihr Mann, alles Uebrige in der Angst um die Gattin vergessend, ließ das Messer fallen und sprang zu, um sie zu unterstützen.
»Bindet den Verräther!« sagte Fosca ruhig, und ehe Ramos, mit der Ohnmächtigen beschäftigt, nur den Sinn der Worte begriff, hatten sich ein Paar der halbwilden Burschen schon auf ihn geworfen. Während ihn der Eine mit dem Kolben vor die Stirn stieß, daß er zur Seite stürzte, faßten die Andern seine Arme, zwangen sie zurück und schnürten sie fest.
Für einen Augenblick herrschte jetzt eine Scene der gräßlichsten Verwirrung in dem kleinen Gemach. Der Gefangene, der nur für einen Augenblick betäubt gewesen war, fuhr empor und suchte sich von seinen Banden zu befreien. In dem Ringen stürzte der Tisch um und das Kind kreischte so laut, daß es die Mutter damit wieder zum Leben zurückrief. — Aber auf der Straße unten sammelten sich ebenfalls Leute, und zwar Bewohner der Stadt, die den Señor Ramos immer nur als einen braven, ruhigen Mann gekannt, und jetzt nicht halb zufrieden waren, ihn so behandelt zu sehen, aber auch keinen entscheidenden Schritt gegen das bewaffnete wilde Gesindel wagen wollten.
»Nichtswürdiger Bube!« rief da Ramos, sobald er nur wieder Athem und Besinnung erlangte, das ganze Furchtbare seiner jetzigen Lage zu übersehen. — »Diebische, schuftige Canaille, aus dem Gefängniß [S. 88] entsprungen, um hier Deine boshafte Rache an Unschuldigen zu üben....!«
Ein Soldat kam heraufgesprungen und flüsterte Fosca einige Worte zu. — Die Stimmung unten wurde eine immer drohendere, und so gern sich der Commissair vielleicht noch eine Weile länger an den Qualen der Unglücklichen geweidet hätte, durfte er es doch nicht wagen. Er wußte genau, wie weit er gehen konnte und daß er in der Furcht der Bevölkerung vor einem Conflict seine beste Stütze hatte, war aber einmal der Damm durchbrochen, so ließen sich die Folgen nicht absehn. So lag ihm denn nur daran, der Scene so rasch als möglich ein Ende zu machen.
»Knebelt den Burschen!« sagte er finster. »Wir dürfen uns nicht länger mit ihm aufhalten — und dann an Bord.«
Den Soldaten selber war das ein erwünschter Befehl, denn sie fürchteten nicht mit Unrecht, daß er ihnen das Volk über den Hals schreien könne. Im Nu war das Knebeln geschehen, denn darin besaßen sie eine anerkennungswerthe Fertigkeit.
Ramos befand sich wenige Secunden später machtlos in der Gewalt seiner Feinde.
»Señor, um der heiligen Jungfrau Willen, was habt Ihr mit uns vor?« rief die Frau. [S. 89] — »Was ist geschehen, daß so Entsetzliches nöthig wurde?«
»Señorita,« sagte Fosca, dem jetzt nur daran lag, fort und an Bord zu kommen, und der deshalb vor allen Dingen die Frau beruhigen mußte, »wenn Ihr Herr Gemahl nicht nach einer Waffe gegriffen hätte, wäre das Alles unnöthig gewesen. Ertragen Sie für jetzt, was sich nicht ändern läßt, mit Geduld. Die Anklage ist allerdings erhoben und da die Regierung den Befehl zu Ihrer Verhaftung erließ, so muß derselbe auch ausgeführt werden. An Ort und Stelle finden Sie aber vielleicht Mittel und Wege, sich wirksam zu vertheidigen und Ihrer Rückreise — wenn Sie freigesprochen werden — steht dann nicht das Mindeste im Wege; jetzt fort mit ihm, Ihr Leute! — Macht rasch! Das Boot wartet. Señorita, wenn Sie noch etwas von Ihren Sachen mitzunehmen wünschen, was Sie auf der Reise brauchen, so habe ich nicht das Geringste dawider. — Alles Andere ist Staatseigenthum und wird Ihnen erst bei Ihrer Freisprechung in Buenaventura wieder eingehändigt.«
»Staatseigenthum?«
»Bitte, beeilen Sie sich ein wenig, denn so leid es mir thut, kann ich Ihnen doch nur noch fünf Minuten Zeit geben.«
So völlig machtlos die Frau bei dem ersten Begreifen dessen, was sie bedrohte, in sich zusammen gebrochen war, so vollkommen klar stand jetzt Alles vor ihrer Seele, und das Entsetzliche, anstatt sie zu beugen, hielt sie aufrecht. Sie sah den Gatten widerstandslos in der Gewalt der Feinde, sah sich und ihr Kind von einem gleichen Schicksal bedroht und fühlte, daß sie für Alle denken mußte. Mit zitternder Hand strich sie sich die herabgefallenen Locken aus der Stirn, aber ihr Blick schweifte fest und suchend in dem kleinen Gemach umher und haftete im nächsten Augenblick auf der angstvollen Gestalt Antonio's, der neben dem furchtsam zusammengekauerten Mulattenmädchen in der kleinen Hinterthüre stand.
»Ah, Teresa,« rief sie diese an, »mach ein wenig rasch! Muchacha, wir haben Eile. Gieb mir etwas Kinderwäsche für meine Adriana heraus — und für mich auch. — Wir gehen auf Reisen. Das Mädchen darf mich doch begleiten, Señor?«
»Bedaure sehr, Ihnen das abschlagen zu müssen, Señorita,« sagte Fosca kalt. — »Es ist nicht Sitte, daß Gefangene Dienerschaft mitnehmen, und der Raum auf dem Schooner ist ohnedieß außerordentlich beschränkt.«
»Die Reise wird nicht lange dauern?«
»Höchstens zwei Tage. Wir laufen vor dem Wind nach Buenaventura hinauf.«
»Gut denn! Wie Gott will! Hier, Teresa — still, mein Herz, weine nicht — die Mama bleibt bei Dir — hier, Teresa, diese Sachen packe in die kleine chinesische Kiste — dies auch noch — hier ist noch ein Kleidchen für Adriana —«
Sie war an den Schreibtisch ihres Mannes getreten und hatte dort aus einer der Schiebladen ein kleines Kästchen genommen, das sie mit ihrem Körper so verdeckte, um es vor den Blicken des Commissairs zu verbergen. Ihr Auge suchte dabei Antonio und der schlaue Schwarze begriff augenblicklich, was sie wollte. Als sie an ihm vorüberging, hatte sie es ihm gereicht und er es auch schon mit einer raschen Bewegung hinter sich und hinaus in das Dunkle geschafft.
»Madame erlauben mir vielleicht, daß ich Ihnen behülflich bin,« sagte da vortretend Fosca, — »es versteht sich von selbst, daß Sie alle Werthsachen ausliefern, um den Staat für etwaige entstehende Unkosten zu decken.«
»Ich verstehe,« sagte die Señora kalt. — »Sie haben volle Freiheit hier, Señor —«
»Wo ist der Mulatte, der da noch eben in der Thüre stand?«
»Haben Sie Auftrag, auch ihn wegen Hochverrathes zu verhaften?« fragte die junge Frau mit einem bitteren Lächeln.
Fosca schritt rasch der kleinen Hinterthüre zu, aber der Mulatte war verschwunden und über die schwanken Bambusstäbe, die da draußen die Brücke zu dem Hintergebäude bildeten, wagte er nicht, ihm zu folgen. Ohne Weiteres machte er sich dagegen über die wenigen Schränke her. Von dem Bette riß er ein Tuch herunter und breitete es auf den Boden, dann warf er darauf, was ihn des Mitnehmens werth dünkte, band es zusammen und gab es einem der Soldaten zum Tragen. Aber er schien noch nicht befriedigt, denn er hatte bis jetzt kein baares Geld gefunden und wandte sich deshalb an die Frau.
»Nehmen Sie, was Sie finden,« sagte diese verächtlich, »und verlangen Sie nur nicht, daß ich Ihnen suchen helfe. — Ich wüßte übrigens nicht, daß der Staat seine Beamten zum Plündern in die Häuser schickt.«
Fosca durchwühlte noch eine Zeitlang alle Fächer, aber die Zeit mochte ihm selber dabei zu lang währen. Vor Allem mußte er seine Gefangenen an Bord und in Sicherheit schaffen — nachher konnte er ja noch immer hierher zurückkehren. Indessen beorderte er [S. 93] zwei von den Soldaten, auf Wacht zu bleiben und Niemanden hinauf zu lassen. Zwei Andere trugen indessen den Gefangenen zur Treppe, wo andere standen, sie zu unterstützen. Aber Ramos richtete sich hier auf und stieg selber die Stufen hinab. Widersetzlichkeit hätte auch nichts geholfen und ihn selber nur den Mißhandlungen der Buben ausgesetzt.
Vor dem Hause hatten sich indeß eine Menge von Menschen versammelt, und untereinander flüsterten die Leute und bedauerten die arme Frau und das Kind, aber Niemand wagte ihnen thätlich beizustehen. Wer konnte auch wissen, welches furchtbare Verbrechen die Beiden begangen hatten!
»Hallo, Renard! Noch dunkel hier?« riefen die erst Eintretenden den Franzosen an. — »Was, zum Teufel! treibt Ihr? Ist das Oel ausgegangen?«
»Einen Augenblick, Señores, einen Moment nur!« rief Renard, geschäftig um seinen Ladentisch herumeilend, um Licht zu machen, denn die eine düster brennende Lampe erhellte den Raum nicht zum dritten Theil. »Bin ja selber erst jetzt nach Hause gekommen. [S. 94] Alle Wetter! An solchen Tagen kann man doch nicht daheim sitzen und die Welt eben treiben lassen was sie will.«
»Unseren Alkalden begreife ich nicht, daß er diesen — Señor hier nach Herzenslust wirthschaften läßt,« riefen die Vordersten, als sie von der Frontthüre aus das Haus betraten. — »Es ist schändlich, die arme Frau so zu behandeln. Die hat doch wahrhaftig keinen Hochverrath begangen.«
»Quien sabe, compañero« sagte ein Anderer. »Es passiren wunderliche Dinge in der Welt, und was hätten wir machen wollen? Uns der neuen Regierung widersetzen? — Eine hübsche Bande von Soldaten haben sie mitgebracht und was für ein Gewissen hätten sich die Kerle daraus gemacht, unter uns hinein zu schießen. Renard, ein Glas von Eurem besten Cognac. Mir ist die Geschichte in den Magen gefahren, und ich muß sie hinunterspühlen.«
»Was ist denn vorgefallen, Señores?« fragte Renard neugierig gemacht, indem er die beiden Oellampen rasch angezündet hatte und die Cognacflasche mit Gläsern auf den Ladentisch stellte.
»Ach was? Nichts!« sagte der Postmeister, der von der andern Seite kam. — »Mir auch die Flasche! Nichts, als daß sie diesen Señor Ramos endlich abgefaßt [S. 95] haben und ihn nun mit nach Buenaventura nehmen. Ich habe dem Burschen nie getraut, denn er that immer viel zu geheimnißvoll und wollte mit Keinem von uns Umgang haben.«
»Aber was hat die Frau damit zu thun, Don Gaspar?« redete ein anderer den Postmeister an. »Die und das arme Kind auf ihren schmierigen Schooner und zwischen all' das Gesindel zu schleppen, ist doch mehr als grausam und der Präsident weiß sicher nichts davon.«
»Was geht's uns an? Das ist ihre Sache!« brummte der noch vor wenigen Stunden so wüthende Nationalitätsvertheidiger. — »Wir haben genug mit unseren eigenen Angelegenheiten zu thun.«
»Hülfe, Señores! Hülfe um des Himmels Erbarmen Willen!« rief ein junger Mulattenbursche, der in die Thüre gestürzt kam und sich verstört in dem Raume umsah. — »Meinen armen Herrn, meine arme Señora und das kleine liebe Kind haben sie fortgeschleppt und wollen sie in's Gefängniß stecken! O, helfen Sie, helfen Sie! Señor Ramos so ein guter, braver Mann — so eine gute, brave und schöne Dame! Es ist ja schrecklich!«
»Ach was! Mache daß Du fortkommst, Braunfell!« schrie ihn der Postmeister an, der übrigens [S. 96] nicht viel lichter war wie Jener selber. »Wenn Deine Herrschaft nichts verbrochen hat, wird ihr auch nichts geschehen, und hat sie sich etwas eingebrockt, nun gut, dann bekommt sie jetzt Gelegenheit es auszuessen.«
»Es ist eigentlich eine wunderbare Geschichte, Don Gaspar,« sagte ein Mann, der einen kleinen Schooner hatte und mit diesem gewöhnlich Fahrten zwischen der Insel und den übrigen Küstenstrichen machte, »daß man den Ramos einsteckt, der beim Ansegeln der Fahrzeuge ruhig in seinem Hause saß, und Euch frei laufen ließ, der Ihr die Mannschaft nicht allein gegen den Usurpator — wie Ihr ihn nanntet — aufgeboten, nein, sogar Eure furchtbare Kanone auf die Feinde abgefeuert habt und jetzt seid Ihr auf einmal ein Herz und eine Seele mit der Gesellschaft —«
»Kümmert Euch um Euch selber!« rief Don Gaspar, dem das Gespräch nicht angenehm zu sein schien. — »So lange wir noch nicht wußten, daß wir es mit einer rechtmäßigen Regierung zu thun hatten, waren es unsere Feinde, und ich glaube, ich habe bewiesen, daß ich mein Leben und Blut für mein Vaterland wagen kann. Wie aber die Sache jetzt steht, mit einem wirklichen Regierungs-Commissair an Bord, der ordentliche Vollmacht vom Präsidenten hat —«
»Die aber noch Keiner von uns zu sehen bekommen,« unterbrach ihn der Andere wieder.
»Er braucht sie auch nicht Jedem unter die Nase zu reiben!« rief der kleine Mann ärgerlich, »und wir sollten froh sein, daß wir endlich geregelte Verhältnisse bekommen, denn diese ewigen Revolutionen bringen uns nur hier Gefahr und können uns nie etwas nützen.«
»Schöne geregelte Verhältnisse das,« sagte der Erste wieder, »wenn man friedliche Familien Nachts aus ihren Häusern holt und auf das erste beste Schiff schleppt!«
»Verbrecher müssen auch wie Verbrecher behandelt werden,« rief Don Gaspar, sein ausgetrunkenes Glas auf den Tisch stoßend. »Ehrliche Leute haben sich weder davor zu fürchten, noch sich darum zu kümmern.« Und seinen Hut auf das eine Ohr schiebend verließ er rasch das Haus.
»Ehrliche Leute!« lachte der Schoonermann hinter ihm her. — »Prachtvolle ehrliche Leute, die, alle Beide! — Weil der eine Lump Steuerdefraudationen begangen hat, mußte er bei Nacht und Nebel fort von hier, und weil er den Anderen nicht verrathen, muß der jetzt durch Dick und Dünn mit ihm, wenn er sich nicht selber an den Pranger stellen will.«
»Oh por amor de Dios, helft meiner armen [S. 98] Herrschaft!« bat der Mulatte noch einmal. — »Hat mein armer Herr jemals einen Menschen gekränkt? — Hat die gute liebe Dame nicht vielen, vielen Armen Wohlthaten erzeigt, und war sie nicht immer lieb und freundlich gegen Jeden, Jeden?«
»Ja, mein braver Bursche,« sagte der Schoonermann, »das ist Alles recht schön und gut, aber so viel ich weiß, haben sie sie schon an Bord des Schiffes und was können wir da machen?«
»Ach nein, Señor,« rief der Mulatte rasch, — »das Boot war abgefahren — Señor Fosca konnte nicht fort — er war sehr böse und hat sie jetzt so lange unter das Haus des Alkalden gethan — einen Platz, wo sich sonst die Kühe und Schweine aufhalten. — Meine arme, arme Señora!«
Stimmen wurden laut draußen und sechs oder acht der Schiffssoldaten drangen in den Raum.
»Hallo, Señores!« sagte Monsieur Renard. — »Was wünschen Sie? Auf der Jagd nach Hochverräthern, wie?«
»Ein Officier ist von unserem Schiff entflohen,« sagte der Eine der Leute barsch, »ein Franzose, einer von Euren Landsleuten und wir sollen hier nachsuchen, ob er sich nicht in Eurer Wohnung aufhält. Ist er da, so gebt ihn heraus, denn er kann nicht fort. Unsere [S. 99] beiden Boote kreuzen an der anderen Seite und wir müssen ihn wieder haben. Almirante hat 50 Dollar geboten, wer ihn wiederbringt.«
»Peste!« murmelte Monsieur Renard leise zwischen den Zähnen, während die übrigen Gäste den Laden verließen, um mit dem braunen wilden Volk in keine Berührung zu kommen. — »Aber, Señores, hier ist er nicht, so viel sehen Sie, er müßte sich denn während meiner Abwesenheit oben versteckt haben. Bitte, gehen Sie hinauf und durchsuchen Sie das ganze Haus. Ich würde nie einen Deserteur beherbergen.«
»O du lieber Himmel!« stöhnte der arme Mulatte und stützte sich mit dem Ellenbogen an das nämliche Faß, in dem Baptiste versteckt lag, »wer wird meiner armen Herrschaft helfen?«
»Kommen Sie nur, Señores,« sagte Renard, dem jetzt nur daran lag, die Leute aus dem Laden zu bringen, weil er sich ziemlich sicher wußte, daß sein Landsmann die ihm vergönnte Zeit zur Flucht benutzen würde. Die Soldaten, in der Hoffnung, den Entsprungenen zu finden, folgten ihm auch rasch; kaum hatten sie aber den unteren Raum verlassen, als Antonio, wie von einer Schlange gestochen, zurückschrak, denn aus dem Fasse heraus ergriff eine Hand seinen Arm — aber eine Stimme flüsterte gleich darauf:
»Ich helfe Dir, Camerad! Komm!« Mit einem Satze war der Franzose aus seinem Verstecke heraus, ergriff das Ruder, nahm, ohne besonders wählerisch zu sein, noch ein anderes von den dort lehnenden, das er dem Mulatten in die Hand drückte und zog den armen Teufel, der gar nicht wußte, was er von dem Allem denken sollte, mit sich und durch die Hinterthüre in's Freie hinaus.
Er bedurfte keiner langen Zeit, um sich mit dem Mulatten zu verständigen.
»Kennst Du mich nicht mehr, Tonio?«
»No, Señor! — Es ist dunkel —«
»Hast Du Baptiste vergessen?«
»O Señor Batista — unsere arme Señora —«
»Komm, mein Bursche! So lange Leben da ist, so lange ist Hoffnung, und wenn wir nicht zu helfen vermögen, so können wir dem schurkischen Fosca wenigstens ein Messer in den Giftbalg rennen. Ich bin heute Abend gerade bei Laune. Hast Du ein Canoe?«
»Ein gutes, großes Canoe — läuft wie der Wind.«
»Können wir damit in See gehen?«
»In See? — Ich weiß nicht — große Wellen in See.«
»Bah! Besser ersoffen als nach Buenaventura,« sagte Baptiste. — »Wo liegt Dein Canoe?«
»Gleich dort drüben an dem Sandbluff.«
»Wenn wir nur Jemanden hätten, der bereit stände.«
»Teresa!« sagte der Mulatte rasch.
»Gut — und noch ein Ruder soll sie mitnehmen. Fort mit Dir! Ich bleibe hier so lange unter dem Hause, bis Du zurückkommst.«
Der Mulatte flog mehr als er ging die Straße hinab und Baptiste drückte sich in den Schatten des nächsten Ueberbaues, wo er auch eine Entdeckung nicht zu fürchten hatte, denn um alle die Plätze abzusuchen, würden die Soldaten eine ganze Nacht gebraucht haben. Antonio blieb aber auch nur wenige Minuten.
»Was nun, Master? — Was können wir zwei gegen alle die Soldaten ausrichten? — Sie werden uns todtschießen und die arme Señora doch mit fortschleppen.«
»Was wir machen können, Camerad, weiß ich selber noch nicht,« lachte Baptiste in tollem Uebermuth. »Das muß der Augenblick geben. Ich fühle mich aber aufgelegt, mit einer ganzen Rotte der feigen Schufte anzubinden, und kann ich die Unglücklichen nicht befreien, so liefere ich mich selber wieder an den Schooner aus, denn sie sollen die Reise nicht ohne einen Freund an Bord machen.«
»Sie sind von dem Schiffe entflohen?«
»Bst, Camerad! Jetzt ist keine Zeit zum Geschichten erzählen. Wo ist des Alkalden Haus?«
»Gleich dort drüben. Sowie wir um diese Ecke biegen, liegt es vor uns.«
»So komm!« flüsterte Baptiste. — »Wenn ich erkannt werden sollte und fliehen müßte, findest Du mich gleich nachher unter dem nämlichen Hause wieder, wo ich eben auf Dich gewartet habe. Die Schufte werden auch das ganze Haus geplündert haben.«
»Das Beste hat die Señora gerettet,« rief Antonio rasch, »ein Kästchen, das sie mir zum Aufheben gegeben.«
»Und wo ist das?«
»Teresa nimmt es mit zum Canoe.«
»Bravo, mein Junge! Das war gescheit und nun vorwärts.«
In der Straße, in welche sie einbogen, war Alles todtenstill und Baptiste blieb zögernd stehen. — Die Gefangenen mußten schon fortgebracht sein, denn sie hätten sonst wenigstens Soldaten sehen müssen. Antonio ergriff seinen Arm und drückte ihn leise.
»Bleibt hier einen Augenblick,« flüsterte er, »ich bin gleich zurück!« und wie ein Pfeil glitt er über die dunkle Straße hinüber und dann dicht an der anderen [S. 103] Seite hin, bis zu des Alkalden Haus. Aber schon nach wenigen Secunden kehrte er zurück. Kein Mensch war mehr dort zu sehen, die Gefangenen mußten schon an Bord geschafft sein.
»Dann sei Gott uns gnädig!« flüsterte Baptiste zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch. »Ich habe mein Wort gegeben, und beim Himmel, ich will es halten.«
»Was wollt Ihr thun, Señor?«
»Ich kehre an Bord zurück. Allein und freudlos sollen die armen Menschen ihren Feinden nicht überantwortet werden. Wo liegt Dein Canoe?«
»Gleich dort drüben, Señor, etwas oberhalb der Schiffe. O meine arme, arme Señora!«
»Wo stand ihr Haus früher?«
»Wenn wir durch diese Gasse gehen, kommen wir daran vorbei. — O so schön war es dort! So lieb und freundlich, bis die bösen, bösen Menschen kamen.«
»Fort! fort! Wir dürfen hier nicht länger zögern. — Komm dort vorbei, vielleicht hören wir noch etwas von ihnen. Was liegt auch daran, ob ich der Patrouille begegne.« Und mit raschen Schritten, fast in einem halben Lauf, rannte er die Gasse hinab, mit Antonio an seiner Seite.
»Dort liegt das Haus.«
»Da ist noch Licht darin,« rief Baptiste überrascht.
»Sie werden es völlig plündern. Señor Fosca läßt nichts zurück, denn seit ihn mein Herr in Bogota wegen Unterschlagung und Betrug in's Gefängniß werfen ließ, hat er eine furchtbare Wuth auf ihn bekommen.«
»Also deshalb? Wahrhaftig, sie tragen Sachen herunter. Komm, Antonio, wir wollen ihnen helfen.« Und rasch entschlossen, wie er immer war, schritt er, von dem Mulattenburschen aber nur scheu gefolgt, gerade über die Straße hinüber, wo er einen Soldaten mit einem Pack traf, während der andere gerade wieder die Leiter hinaufstieg.
»Aber Muchachos,« redete er den Burschen wie ärgerlich an, — »was vertrödelt Ihr die Zeit hier auf eine so nichtswürdige Weise? Wißt Ihr nicht, daß sie an Bord auf Euch warten?«
»Pero Señor!« sagte der Bursche ganz erstaunt seinen Offizier ansehend. — »Sind Sie denn nicht fortgelaufen? Caracho! Sie werden doch in der ganzen Stadt gesucht!«
»Du faselst wohl?« rief Baptiste. »Marsch mit Euch! Der Commissair wird wüthend werden.«
»Aber der Commissair hat uns ja eben erst noch [S. 105] einmal heraufgeschickt. Er will Alles mitnehmen, ehe er die Gefangenen an Bord schafft.«
»Hat er die noch nicht drüben?« rief der Franzose wie ärgerlich, »das ist ja rein zum rasend werden mit der Langweiligkeit. Wer ist noch bei ihm?«
»Weiter Niemand als sechs von unseren Leuten, zum Rudern und zur Bewachung.«
»Aber ein Boot hat er doch?«
»Ja, von der Galeotte ist eins herübergeschickt. Das ist eben die Mannschaft, denn die Anderen sind den Fluß hinauf, weil sie glaubten, daß Sie nach Ecuador hinüber wollten.«
»Ich nach Ecuador? Unsinn!« rief Baptiste, mit wenigen Schritten die Stufen hinauffliegend. Dort überraschte er den zweiten nicht minder als seinen Cameraden, durch sein Erscheinen, aber er ließ ihn gar nicht zu Worte kommen.
»Fort mit Dir, Bursche!« rief er. »Die Zeit vergeht! Wir müssen zum Boot!« Ohne Weiteres das Bettzeug von einem der Gestelle nehmend, trug er es an die Treppe und warf es hinunter. — »Hier, Antonio, trage das!« — Dann griff er das andere auf, hob es sich auf den Kopf, und folgte damit ebenfalls.
Der Soldat wagte natürlich keinen Einspruch. [S. 106] Wie konnte er auch? Daß sein Vorgesetzter den Befehl in die Hand nahm, verstand sich von selbst, und daß es geheißen hatte, er sei desertirt — lieber Gott! an Bord der Schiffe herrschte überhaupt so viel Confusion, daß ein solcher kleiner Mißgriff nicht einmal zu den Unwahrscheinlichkeiten gehörte. Daß aber der Offizier solche Eile hatte, beunruhigte ihn, denn die Soldaten trauten noch immer dem Frieden nicht in der Stadt. War etwas vorgefallen? Wenn sie hier abgeschnitten und beim Plündern eines Hauses gefaßt wurden, konnte es ihnen schlecht gehen. In aller Hast griff er auf, was ihm gerade unter die Hände kam, und folgte den Vorangegangenen, die schon unterwegs nach dem Boote waren.
In einer entsetzlichen Lage waren indessen die unglücklichen Gefangenen, die, ganz der Willkür ihres Henkers anheim gegeben, den rohen Scherzen und dem Spott der Soldaten zur Zielscheibe dienen mußten, damit diese sich die müßige Zeit am Ufer vertreiben konnten. Fosca hinderte sie auch nicht daran und Señor Ramos knirschte machtlos seine Zähne zusammen. Er konnte nichts dagegen thun. Mit auf den [S. 107] Rücken gebundenen Händen lag er hinten im Boot, während neben ihm im Heck, die Steuerreeps in der Hand, der Commissair Platz genommen hatte. Die Frau kauerte mit dem Kinde in der Mitte des Bootes, neben ihren dort aufgehäuften Habseligkeiten, und ihre stillen Thränen netzten die Wangen der Kleinen, während sie ihr liebe Worte gab, sie zu beruhigen suchte und ihr Trost zusprach — Trost, der ihr selber fehlte.
Der Commissair war schon fast ungeduldig geworden, denn wenn auch seine eigene Habgier die Leute noch einmal hinauf geschickt hatte, um so viel als möglich mit fortzuführen, fing die Zeit ihm doch an lang zu werden.
Die Soldaten schlenderten indessen am Ufer auf und ab, als einer von ihnen die Ankunft der Erwarteten meldete.
»Nun endlich!« rief ihnen Fosca schon von weitem entgegen. »Das hat lange gedauert. Macht, daß Ihr herein kommt. Aber wozu schleppt Ihr den ganzen Plunder mit herunter? Wer hat Euch gesagt, daß Ihr die Betten mitnehmen sollt? Wir haben ja nicht einmal im Boote Platz. Werft die Lumpen dort auf den Sand und legt nur das Andere herein.«
»Bitte um Entschuldigung, Señor Comisario,« [S. 108] lachte Baptiste, indem er seine Ladung, gegen den Befehl, in das Boot warf und dann Antonio's ebenfalls abnahm und den ersten folgen ließ; »es ist eine alte Regel, beim Ausräumen nichts zurückzulassen, und da die Gefangenen doch unterwegs wahrscheinlich auch schlafen wollen, brachte ich mit, was mir unter die Hände kam.«
»Caramba!« rief der Commissair erstaunt. »Señor Batista? Ich meinte, die ganze Mannschaft sei hinter Ihnen her, um Sie wieder einzufangen!«
»Das ist prächtig,« lachte der Franzose. »Dasselbe haben mir schon die Burschen gesagt. Wenn ich also auf speciellen Befehl des Admirals in der Stadt herumlaufe, um einige Aufträge auszuführen, hetzt der Steuermann die Soldaten hinter mir drein, um mich wieder einzufangen. Kostbare Idee das! — Aber rasch, Jungens, das Wasser fällt schnell, die Ebbe muß bald ausgelaufen sein und wir bleiben auf trockenem Sande sitzen. Holzköpfe, Ihr, seht Ihr nicht daß das Boot schon aufsitzt? Angefaßt da! Rasch, damit wir es wieder flott bekommen!«
Die Thatsache ließ sich nicht leugnen und die Soldaten, völlig beruhigt darüber, daß ihr Officier nicht hatte weglaufen wollen — er wäre sonst doch wahrhaftig nicht freiwillig wieder gekommen — sprangen [S. 109] in das Wasser und schoben das Boot zurück, bis es wieder flott wurde.
»Wir haben hier nicht alle Platz!« rief der Commissair.
»Das ist richtig. Dann bleiben die Soldaten zurück, bis wir das Boot wieder herüber schicken können.«
»Das geht nicht,« beharrte Fosca. »Ich muß Wache bei dem Gefangenen haben.«
»Dann wird doch wohl noch ein Canoe aufzutreiben sein,« sagte Baptiste. — »He, Bursche, hast Du kein Canoe in der Nähe?«
»Gleich hier oben, Señor,« rief Antonio, an den die Frage gerichtet war.
»Dann hole es, schnell!«
Der Mulatte verschwand wie ein Schatten in der Nacht.
»Wer war der?« fragte der Commissair.
»Ein Bursche, der uns heute Abend noch frisches Fleisch herüber liefern soll. Er muß mit an Bord, um den Auftrag zu erhalten.«
Ein eigener wilder Plan zuckte durch des Franzosen Hirn. Noch war es vielleicht möglich die Unglücklichen zu retten, wenn er den größten Theil der Soldaten beseitigen konnte. Aber wie? Gewohnt jedoch, Alles dem Augenblick zu überlassen, sprang er [S. 110] jetzt ebenfalls in das Boot, angeblich um das Gepäck zu ordnen, in Wirklichkeit, um es so zu vertheilen, daß so wenig als möglich Menschen darin sitzen konnten.
Die Gefangenen hatten ihn gar nicht beachtet und noch viel weniger in der Dunkelheit erkannt. Waren doch auch Jahre verflossen, daß sie seine Stimme gehört, die damals, von Krankheit geschwächt, auch matt und hohl genug geklungen hatte. Und wie konnten sie ihn an Bord hier und unter denen vermuthen, die im Begriff waren, ihr ganzes Lebensglück zu zerstören!?
Von oben den Canal herunter kam jetzt das Canoe gerudert und lief im nächsten Augenblick etwa zehn Schritt von dem anderen auf den Sand.
»Hallo! Was ist das für ein Frauenzimmer da drin?« rief der Commissair.
»Die Wäscherin, Señor, die an Bord soll und die ich dort oben fand,« erwiderte Antonio rasch gefaßt, und Ramos zuckte unwillkürlich zusammen, denn jetzt hatte er seines treuen Burschen Stimme erkannt. Aber Baptiste rief, auf die Idee eingehend:
»Zum Henker und wegen der bin ich eine volle Stunde in dem dunklen Nest und drüben an der Punta herumgehetzt! Ich glaubte schon, der Admiral würde mir alle Wetter auf den Hals fluchen, wenn ich sie nicht mitbrächte. Aber hinein hier mit ihr in [S. 111] das Boot! Die darf ich nicht drüben bei den Soldaten lassen.«
»Hier in das Boot geht sie nicht mehr,« rief der Commissair dazwischen. »Caramba! Mann, wen und was wollt Ihr denn nicht noch hereinpacken?«
Baptiste war nicht gesonnen, seinen einmal gewonnenen Vortheil aufzugeben. Jetzt mußte er mit dem Boote fliehen — das war die letzte Möglichkeit eines Erfolges, und da er mit dem Canoe nie hätte wagen dürfen, schwer geladen in die offene See hinauszusteuern, so bot das Boot, so mittelmäßig es auch sonst sein mochte, doch unendlich mehr Sicherheit. Ohne deshalb auch weiter den Befehl des Commissairs zu beachten und das Mulattenmädchen, das schnell an Land gesprungen war, selber in den Bug des Bootes hebend, sagte er:
»Ueberlassen Sie das Alles mir, verehrter Herr! Ich bringe Sie sicher hinüber, denn mir liegt selbst daran, von der Sache abzukommen. Auf einem Kriegsschiff macht man nicht gern den Polizeidiener und Büttel. — He, kannst Du rudern, Bursche?«
»Gewiß, Señor,« erwiderte Antonio.
»Dann marsch hinein mit Dir und stoß ab! Halt, für das Canoe sind zu viel Leute! Zwei können noch mit hier herein.«
»Wenn Sie nicht den ganzen Platz verpackt hätten,« rief der Commissair unwillig. »Werft doch den Plunder über Bord.«
»Gut, dann legt Eure Gewehre hier herein. Gebt sie her! Herr Commissair, bitte um ein wenig Raum.« Und die Gewehre der Leute nehmend, trug er sie selber, das Wasser nicht achtend, hinter nach den Steuerreeps.
»Und wie soll ich jetzt steuern?« fragte Fosca ärgerlich.
»Das besorge ich selber. Jetzt vorwärts! Einer von Euch noch herein. Du hier, Pedro!« sagte er, einen kleinen schwächlichen Burschen aus dem Trupp ergreifend. »Setze Dich da vorn hin und rudere aus Leibeskräften. Nun ab! Kommt mit dem Canoe nach, so rasch Ihr könnt.«
Die Soldaten waren ganz verdutzt. Wenn ihnen aber das hastige, fremdartige Benehmen ihres Officiers auch auffiel, konnten sie doch nichts dagegen thun, denn er war einmal ihr Vorgesetzter, und so lange es sich der Commissair gefallen ließ, durfte es ihnen auch recht sein.
»Caracho, Señor!« lachte der Eine. »Die Señorita hätten Sie uns ebensogut im Canoe lassen können. — Sie haben ja schon eine an Bord.«
»Nichts für uns Beide, Camerad!« rief ihm der [S. 113] Franzose zu, während er, von Antonio kräftig unterstützt, das Boot mit dem Ruder hinaus in tiefes Wasser stieß. Dort wirkte schon die Strömung und sie mußten zu den Rudern greifen.
»Bitte, Señor,« sagte dann Baptiste, indem er ziemlich rücksichtslos über die Gefangenen hin nach hinten stieg und sich zu dem gebundenen Ramos niederbog, »der Señor hier liegt mir im Wege. Steuern Sie einmal einen Augenblick.«
»Ja steuern!« brummte der Commissair. »Alle Gewehre liegen auf den Reepen.«
»Fassen Sie nur das Ruder mit der Hand an. Sie wissen sich doch sonst immer so vortrefflich zu helfen, Señor.«
Der Ton, mit dem dieses gesagt wurde, frappirte den Neu-Granadienser, aber er mußte in der That das Steuer etwas aufdrehen, wenn das Boot nicht mit der Strömung zu weit hinabgetrieben werden sollte. Er erhob sich zu dem Zweck, kniete auf den Sitzbord und richtete das Ruder.
»Muth!« flüsterte in demselben Moment Baptiste dem Gefangenen zu und Ramos fühlte, wie ein scharfes Messer seine Bande durchschnitt. Seine Arme wurden frei.
»Und nun legt Euch in die Ruder, Burschen!« [S. 114] rief der Franzose, sich wieder aufrichtend, den beiden Leuten zu, indem er selber zum Steuerruder ging und die Gewehre so zurückschob, daß er zwischen sie und den Commissair zu sitzen kam.
»Guarda se, Señor,« sagte der Soldat, »sie sind alle geladen.«
»Ich weiß es. Nehmt Euch nur beim Aussteigen damit in Acht, daß Keiner an dem Hahn hängen bleibt. So, Señor Comisario, jetzt werde ich Sie ablösen. Haben Sie die Güte und rücken Sie noch ein klein wenig hinüber.«
»Halten Sie nicht zu tief! Die Strömung ist hier sehr stark und wir treiben sonst vorbei,« sagte Fosca, als er sah, daß der Franzose den Bug mehr abfallen ließ.
»Nur keine Angst, Señor,« lachte dieser in der Erregung des Augenblickes und das Herz klopfte ihm, als ob es ihm die Brust zersprengen wollte. »Ich verfehle mein Ziel nicht, und passen Sie auf, was für eine angenehme Fahrt wir haben.«
»Sie treiben wahrhaftig zu weit nach unten! Caracho, Señor! Können Sie nicht steuern? Sehen Sie doch, wie das Canoe hält.«
»Ja, mein bester Señor,« lachte Baptiste — sie waren dem Canoe wenigstens hundert Schritte voraus. [S. 115] »Die Leute da drüben wollen auch an Bord, wir aber sind im Begriff, eine kleine Seefahrt zu machen.«
»Eine Seefahrt?« rief der Commissair, erschreckt von seinem Sitze aufspringend. — »Verrath!«
Er hatte das Wort noch nicht ganz heraus, als ihm Baptiste's Finger den Hals wie in einem Schraubstock zusammenpreßten.
»Señor Ramos,« rief er dabei, »auf und an Ihr Ruder! Du, Pedro, nach vorn! Die geringste Bewegung die Du machst, und ich jage Dir eine von den Kugeln durch den Leib — oder halt! Willst Du rudern, so rudere, was Du rudern kannst, und es soll nachher Dein Schade nicht sein, aber bei dem geringsten Zeichen von Verrath bist Du eine Leiche!«
»Ja, Señor, gewiß — wenn ich muß.«
»Du mußt! Antonio, bei der ersten falschen Bewegung, die er macht, rennst Du ihm Dein Messer in den Leib und wirfst ihn über Bord. Rudere jetzt! Stärker! Caramba, es ist für Dein Leben, Patron, denn wenn wir eingeholt werden, massakrire ich Dich selber.«
»Hallo!« schrien jetzt die im Canoe befindlichen Soldaten hinter ihnen her. »Weiter hinauf! Ihr verfehlt das Schiff.«
»Bube!« zischte der gefangene Commissair unter dem furchtbaren Griff seines Nachbars durch die [S. 116] Zähne, und sich dann mit äußerster Kraftanstrengung frei machend, schrie er in einem wahren Aufkreisch um Hülfe. Aber es war nur ein einziger Ruf, den er ausstoßen konnte, denn Baptiste, der das Steuer nicht loslassen konnte, hatte nur einen Moment in seinem Griffe nachgelassen. Der Gefahr durften sie sich nicht aussetzen und ehe der Ueberlistete einen zweiten Schrei ausstoßen konnte, traf ihn die geballte Faust des kräftigen Franzosen so eisenstark gegen die Schläfe, daß er, wie von einer Kugel getroffen, zusammenknickte.
»Jetzt binden und knebeln Sie ihn, Señor!« rief er Ramos zu. »Rasch! Um unser aller Leben, denn wirkliche Gefahr erwartet uns erst, wenn sie auf den Schiffen mißtrauisch werden.«
Es bedurfte keiner Worte weiter. Ramos begriff ihre Lage besser als irgend ein Anderer, wenn er sich auch noch nicht denken konnte, wer sein Befreier sei. Es war auch keine Zeit zu fragen, und mit einem Stück des Seils, mit dem er selber gebunden gewesen, schnürte er dem noch Bewußtlosen die Glieder zusammen und zwang ihm dann das Halstuch seines Kindes zwischen die Zähne in den Mund.
Sie trieben jetzt, ungefähr noch 120 Schritte von dem nächsten Schiff entfernt, an diesem vorbei.
»Ahoy the boat!« schrie Mr. Culpepper's Stimme von dort herüber. — »Was für ein Boot ist das? Wohin wollt Ihr?«
Keine Antwort erfolgte. Baptiste wußte nicht gleich, was er erwidern sollte, oder fürchtete, sich durch seine Stimme zu verrathen.
»Boot hinab! Rasch! Hinunter mit Euch, Ihr Jungen! Die besten Ruderer hinein und vier Mann mit Gewehren, hinter dem Boot dort her! Gebt Feuer, wenn sie nicht halten und dann rasch wieder geladen!«
Die Worte hallten deutlich von dort herüber.
»Diable!« murmelte Baptiste vor sich hin. — »Mit zwei Rudern kommen wir nicht aus der Stelle. Señor, Sie müssen mit helfen. Rasch, greifen Sie ein Ruder auf, um Ihr Leben. Oder können Sie steuern? Ich habe mehr Kraft.«
»Ich kann steuern,« sagte da die junge Frau, die vor Aufregung zitternd die letzten Vorgänge beobachtet, aber noch nicht gewagt hatte, eine Frage zu thun, ein Wort laut werden zu lassen. Wie ein Traum kam ihr das Ganze vor, und der Uebergang von dem furchtbarsten erdenkbaren Elend und Jammer zu Freiheit und Leben war ihr so überraschend schnell, so unerwartet, nie mehr gehofft gekommen, daß sie noch immer [S. 118] nicht daran glauben mochte. Jetzt aber, wo ihre eigene Kraft und Geschicklichkeit ihnen nützlich werden konnte, brach sie das Schweigen.
»Brav, Señora, brav!« rief Baptiste jubelnd aus. »Das giebt uns ein Ruder mehr. Und jetzt, Teresa, hierher! Weiter zurück, mein Schatz! Der Bug drückt vorn zu viel nieder und wir gehen deshalb zu schwer. Du kannst das Kind nehmen.«
»Teresa?« fragte die Frau erstaunt, aber Freudenthränen weinend und doch in zitternder Angst kroch das arme Mädchen über die aufgethürmten Betten hinweg zu ihrer Herrin, vor der sie niederfiel und ihre Knie umfaßte.
»Weg mit den Thränen, Schatz! Weg mit den Thränen!« rief Baptiste lachend. »Dazu ist nachher Zeit. Wir werden da draußen Salzwasser genug in's Boot kriegen. — So recht, Pedro, lege Dich tüchtig hinein! Es soll Dein Schaden nicht sein und wir wollen doch sehen, ob wir in Ecuador nicht noch etwas Besseres aus Dir machen können als einen lumpigen Soldaten. Wir sind jetzt Kameraden, und ich lasse Dich nicht im Stich.«
Dadurch, daß das Mädchen zurückkommen mußte, hatte das Boot viel an leichterer Fahrt gewonnen, denn der Bug hob sich. Des Seemanns scharfes [S. 119] Ohr hatte aber auch bereits das Einsetzen der Ruder vom Schiffe her gehört, wenn sie den Schooner selber auch schon nicht mehr auf dem dunklen Hintergrunde des Manglarenwaldes erkennen konnten. Nur die rothen Lichter leuchteten noch herüber.
»Nun für unser Leben!« rief er, sein eigenes Ruder aufgreifend, während die Señora das Steuer genommen und nicht zu viel versprochen hatte, als sie versicherte, sie könne es regieren. »Halten Sie den Bug jetzt noch immer auf jenen hellleuchtenden Stern zu — es ist die Venus, und mag er uns Glück bedeuten heute Abend.«
Von jetzt an wurde kein Wort mehr gesprochen. Die vier Männer ruderten schweigend, aber aus Leibeskräften, denn sie wußten, daß nur größere Schnelligkeit sie retten konnte.
Da fielen rasch hinter einander drei Schüsse von dem verfolgenden Boot.
»Großer Gott, sie schießen!« rief die Frau. »Lege das Kind auf den Boden des Bootes, Teresa.«
»Nicht hierher,« beruhigte sie Baptiste, da er, mit dem Rücken nach vorn im Boot sitzend, das Abblitzen der Gewehre hatte sehen können. »Es ist unmöglich, daß sie uns hier schon erkennen, wenn nicht die hellen Betten zu sehr leuchten.«
»Werft sie über Bord!« bat Ramos.
»Bewahre!« lachte der Franzose, »lieber den Comisario. Erst müssen wir finden, daß sie uns zu schwer sind. Decke jenen dunklen Poncho darüber, der auf dem Sitzbrett liegt, Teresa. Er gehört freilich dem Herrn Commissair, aber zu dem Zweck wird er ihn uns wohl leihen.«
»Aber was bedeuten die Schüsse?«
»Nichts Gutes,« sagte Baptiste finster. »Es sind Signale für das Boot an der anderen Seite der Insel, um dasselbe herbeizurufen, und wenn es wirklich in der Nähe ist, kann es uns den Weg abschneiden. Aber caramba!« setzte er mit fest zusammengebissenen Zähnen hinzu. — »Wir haben auch Gewehre im Boot und im schlimmsten Falle können wir ihnen einen wärmeren Empfang bereiten als sie jetzt wohl denken.«
»Aber keine Munition.«
»Pedro hat doch gewiß seine Patronentasche mit. Wie viel Patronen sind darin?«
»Zwanzig, Señor.«
»Bravo, und sechs geladene Gewehre, die Festung ist armirt.«
»Und mit dem Boot hinter uns?«
»Ah bah!« sagte Baptiste, sich in sein Ruder legend. — »Die Sache ist allerdings fast zu interessant, [S. 121] um angenehm zu sein, aber hol's der Teufel! — Entschuldigen Sie, Señora, auf See lernt man ein rohes Sprechen, ohne manchmal etwas dabei zu denken — ich hoffe doch noch, daß wir die hohe See gewinnen sollen und wenn sie uns da hinaus folgen, nun, dann formiren wir mit den Matratzen eine kleine Festung um den schwachen Theil der Besatzung und wehren uns eben unserer Haut. Vorwärts jetzt! — Mit dem Reden geht Kraft verloren.«
Wieder wurden hinter ihnen drei Schüsse abgefeuert und Baptiste sah zu seinem Schrecken, daß sie diesmal nicht in die Luft schossen, sondern hinter ihnen her. Aber die Entfernung war noch zu groß, nur wenn sie hoch gehalten hätten, wäre vielleicht eine oder die andere Kugel bis zu ihnen geschlagen. So fielen sie alle zu kurz und er hütete sich wohl ein Wort darüber zu sagen, um die Frauen nicht unnützer Weise zu beunruhigen.
Das Boot flog rasch durch das Wasser und eine Zeit lang wurde kein Wort weiter gewechselt. Der Commissair war wieder zur Besinnung gekommen und wand sich krampfhaft am Boden des Bootes, aber er konnte keinen Schaden thun und Baptiste, neben dem er lag, behielt ihn auch scharf im Auge.
»Wenn wir uns ein klein wenig mehr rechts hielten,« [S. 122] sagte Ramos endlich, — »die Gefahr wäre dort geringer, einem der anderen Boote zu begegnen.«
»Wir dürfen nicht,« erwiderte Baptiste, — »wenn sie uns nachher den Paß zwischen der Punta Manglares und der Insel verlegen, so treiben sie uns weit in See hinaus und dort steht jetzt ein tüchtiger Südwind, von dem wir hier nur noch nichts fühlen, weil wir durch das südliche Land gedeckt sind. Vorwärts! Hier ist die Spitze der Insel! In wenigen Minuten muß es sich entscheiden! Bis jetzt war Gott mit uns, er wird uns nun auch nicht verlassen.«
Das hinter ihnen folgende Boot hatte jedenfalls etwas an sie gewonnen, man konnte die Ruderschläge desselben deutlicher hören, aber ihre Ruder knarrten und machten dadurch zu viel Geräusch.
»Teresa,« sagte Baptiste, »nimm Lappen oder Tücher, was Du gerade hast, Schatz, tauche sie in's Wasser und lege sie uns unter die Ruder, verstehst Du? So! Ich habe mir schon geholfen,« fuhr er fort, indem er sein Taschentuch in die Ruderdolle brachte, — »nur für die Anderen.«
Das war bald geschehen und sie hatten nun den Vortheil, wenigstens geräuschlos zu fliehen.
Auf Baptiste's Wunsch ließ die junge Frau das Boot jetzt noch ein wenig dem Land zu abfallen. So [S. 123] nahe befanden sie sich jetzt am Ufer, daß die auf der Backbord-Seite Rudernden mit ihren Riemen schon den Sand fühlen konnten. Sie durften nicht wagen, näher hinan zu halten. Da hörten sie plötzlich laute Stimmen und Fluchen, dicht an ihrer Linken.
Fast unwillkürlich hielten Alle mit Rudern ein und wie ein dunkler Schatten glitt das Boot, von der Ebbe und Strömung des Mira begünstigt, über die Oberfläche.
»Seco!« sagte da eine deutliche Stimme. »Caracho, Basilio! Ich sagte Dir es gleich, daß wir hier auf den Grund rennen würden. Nun sitzen wir fest. Hinaus mit Euch, daß wir den faulen Kasten wieder flott bekommen.«
»Sie sitzen fest! Vorwärts!« jubelte Baptiste mit vorsichtig gedämpfter Stimme — und wieder trafen die Ruder in's Wasser, immer noch die vorherige Richtung haltend, um wenigstens aus dem Bereich der Schußwaffen zu kommen. Die in dem anderen Boot hatten wirklich in dem Augenblick zu viel mit ihrer eigenen Lage zu thun, um nach etwas Anderem auszuschauen. Sie waren jedenfalls über Bord gesprungen, um das dadurch erleichterte Boot vom Sand abzuheben und wieder in tieferes Wasser zu schieben. Deutlich konnten die Flüchtigen das Plätschern und Fluchen der [S. 124] Leute hören. Aber so dicht mit den Köpfen über dem Wasserspiegel mochte doch wohl einer oder der andere der Leute das vorbeigleitende Boot bemerkt haben. Plötzlich war Alles ruhig und eine Stimme rief gleich nachher:
»He da! Ist das nicht ein Boot?«
Keine Antwort folgte.
»Caracho! Warum antwortet Ihr nicht? — Schieß, Pablo!«
»Vorwärts um der heiligen Jungfrau willen!« drängte Baptiste. — »Sie sind noch nicht flott. Jeder Ruderschlag bringt uns weiter aus dem Bereich ihrer verdammten Flinten.«
Es dauerte wohl zwei Minuten, bis sie den scharfen Blitz eines abgefeuerten Gewehres sahen, aber gute Schützen sind diese spanischen Abkömmlinge nicht, schlechte Gewehre hatten sie ebenfalls und im Dunkeln auf den Schatten eines Bootes zu halten ist ein schwieriges Ding. Die Kugel schlug wenigstens vier oder fünf Ellen rechts von den Fliehenden auf das Wasser. Und kein zweiter Schuß folgte. Die Mannschaft wollte sich wahrscheinlich nicht auf das unsichere Feuern verlassen und lieber ihr Boot rasch wieder flott bekommen.
Dann antworteten wieder einige Schüsse von dem [S. 125] verfolgenden Boot, und die Burschen des gestrandeten schrien als Antwort so laut sie konnten.
»Jetzt links hinüber, Señora!« rief da Baptiste. — »Immer an den Manglaren hin! Dort ist tiefes Wasser, bis wir an die nächste Punta kommen. Sie ist nicht mehr weit, und haben wir erst die zweite Mündung des Mira hinter uns, dann sind wir gerettet.«
Die Leute arbeiteten mit Anspannung aller ihrer Kräfte und selbst Pedro leistete Außerordentliches, denn es schien ihm selber nicht viel daran zu liegen, in den eben erst verlassenen Kriegsdienst zurückzukehren.
Deutlich konnten sie jetzt noch einmal die Zurufe von den verschiedenen Booten unterscheiden; auch die Ruder hörten sie wieder knarren, aber die Verfolger, mit dem Terrain kaum genau bekannt, schienen unsicher geworden zu sein, welche Richtung das flüchtige Boot genommen habe. Vielleicht fürchteten sie auch mit der Ebbe hinaus in See genommen zu werden.
Eine Viertelstunde später herrschte Todtenstille auf dem Wasser, die nur durch das leise Plätschern der Ruder unterbrochen wurde. Sie waren gerettet.
Sie waren gerettet, immer aber noch arbeiteten die Ruderer wacker vorwärts, und das Boot glitt an dem dunklen Ufer rasch dahin. Jetzt hatten sie die Mündung des Mira erreicht, und in der Dunkelheit war es fast, als ob es das offene Meer sei. Don José hielt auch wirklich mit Rudern inne und frug, ob sie sich nicht jetzt links am Lande halten müßten.
»Wenn wir Fluth hätten, oder in einem Canoe säßen, ja, Señor,« sagte Baptiste, immer noch mit unterdrückter Stimme, obgleich schon lange mehr kein Laut der Verfolger zu ihnen gedrungen war. »Mit dem Boote hier dürfen wir aber getrost wagen um die Punta Manglares zu fahren, denn gegen den Mira hätten wir sonst ein tüchtiges und schweres Stück anzurudern. Vorwärts, Señorita! Gerade hindurch, bis wir den Wald wieder erreichen, den Sie dort wie einen dunklen Streifen vor sich sehen. Nur ein kleines Stück dann noch weiter, und wir kommen in die offene See.«
»Und kennen Sie den Weg?«
»Wie meine Tasche.« —
Wieder ruderten sie schweigend weiter, denn unter [S. 127] dem Schatten der Manglaren wollte sie Alle noch nicht das unruhige Gefühl verlassen, als ob an jeder Ecke ein anderes Boot der Verfolger auftauchen, und ihnen den Weg zur Rettung abschneiden könnte. Aber sie hatten Nichts mehr zu fürchten, und kaum eine halbe Stunde später trug sie die rasch abströmende Ebbe zwischen einer mit Manglaren bewachsenen langen Insel und der dort vorspringenden Landzunge hindurch, und wenige Minuten noch und ihr Boot schaukelte auf den langen getragenen Wogen des stillen Oceans.
Glücklicher Weise trafen sie hier nicht mehr den scharfen Süder, den Baptiste gefürchtet, und der sie gezwungen hätte die Fluth abzuwarten und wieder zurück in den letzten Mira-Arm einzulaufen, um von dort aus den Canal zu suchen. Der Wind hatte sich vollständig gelegt, und nur die See wogte noch und hob sich und sank mit dem darüber hingleitenden Boot.
Zur Linken öffnete sich ihnen ein wunderbarer Anblick, so daß Aller Blicke unwillkürlich dorthin flogen, denn dort schäumte bei fast niedrigstem Wasserstand die Brandung über und gegen die freigelegten Sandbänke an, und warf ihre phosphorglühenden Wogen, deren weiße Kämme wie flüssiges Gold schimmerten und leuchteten, donnernd gegen den Strand. — Und [S. 128] immer und immer erneute sich das Bild! sowie die eine Sturzsee in tausend blitzende Funken zerfloß, bildete sich weiter zu ihnen eine neue, die mehr und mehr anschwoll und von glitzernden Gluthenstreifen durchzogen zu sein schien, bis sie sich hob und brach und dann einen wahren Feuerregen umhersprühte.
»Wie furchtbar schön ist das!« hauchte die Frau, das großartige Schauspiel aber doch mit scheuen Blicken betrachtend, denn wenn sich eine neue Woge hob, war es, als ob sie näher und näher zu ihnen kam, und sie unmerklich aber sicher, wie in einer gewaltigen Strömung dort hinüber reißen müßte. »Werden wir dort nicht hinein treiben?«
»Nein, Señora,« sagte Baptiste freundlich. »Haben Sie keine Angst! Die Elemente sind gnädiger mit uns als die Menschen. Ich fürchtete einen scharfen Süder, bei dem wir allerdings Schwierigkeiten gehabt haben würden hier vorbei zu laufen, aber statt dessen erhebt sich, wie ich eben fühle eine leichte Seebrise, und mit der können wir es uns bequemer machen, als wir es bis jetzt gehabt haben. Bitte führen Sie nur noch kurze Zeit das Steuer — nur nicht weiter in die See hinaus, nur immer in der nämlichen Entfernung von den Brandungswellen, wie wir uns bis jetzt gehalten, ich werde jetzt das Boot ein wenig behaglicher [S. 129] herrichten.« Er legte sein Ruder nieder, stieg über die Sachen hinweg, die er in der Mitte so eng als möglich zusammenpackte, und eine der Matratzen vorn im Boote ausbreitete, daß sie eine Art von Mulde bildete.
»So Señora,« sagte er dann freundlich, indem er zurück stieg und ihr die Hand reichte, »jetzt klettern Sie hier vorn herüber. — Haben Sie keine Angst, ich halte Sie. Das Kind gebe ich Ihnen dann nach, und legen Sie sich da vorn ganz unbesorgt zum Schlafen nieder. Sie bedürfen der Ruhe und die arme kleine Adriana auch.«
»Aber wer sind Sie,« sagte die Frau jetzt, indem sie seinen Anordnungen folgte, »daß Sie Ihr Leben für uns wagten und jetzt auch noch so freundlich Sorge tragen?«
»Wenn wir Tageslicht bekommen, erkennen Sie mich vielleicht wieder,« lächelte Baptiste. »Jetzt überlassen Sie uns nur die Sorge um das Boot.«
Aus seinem Ruder richtete er nun einen kleinen Mast her, aus einem der Betttücher machte er ein Segel, ein anderes Ruder gebrauchte er zum Ausholer, und als er die Schote befestigt hatte und anzog, fühlten sie bald, daß der Wind in die Leinwand schlug und anzog. Ziemlich so rasch wie vorher mit den [S. 130] Rudern, aber völlig geräuschlos, und sanft wie von einer Schaukel gehoben und fortgeführt, glitt das Boot über die Fluth und die junge Frau, ihr schlummerndes Kind im Arm, war, von den Aufregungen der letzten Nacht zum Aeußersten erschöpft, bald in einen sanften Schlaf gefallen.
Pedro, der arme Teufel, der für sein Leben gerudert hatte, fühlte sich ebenfalls so todesmatt, daß er, als ihm Baptiste den Befehl gab sein Ruder einzunehmen, zurück mit dem Kopf gegen die Matratze sank und augenblicklich einschlief.
Und immer weiter, jetzt gerade nach Süden, dann ein wenig zum Osten zurückhaltend, steuerte Baptiste das Boot. Neben ihm wand sich aber der unglückselige Commissair in solchen augenscheinlichen Schmerzen, daß Ramos endlich selber Mitleiden mit dem Verräther fühlte und leise sagte:
»Dürfen wir ihm nicht jetzt wenigstens den Knebel aus dem Munde nehmen? ich fürchte, er erstickt.« —
»Schade wär's nicht um ihn,« sagte Baptiste trocken, »aber meinetwegen. Er wird ja ohnedieß klug sein und das Maul halten, oder wir machen kurzen Proceß mit ihm und werfen ihn über Bord. Es wäre überhaupt das Beste, ihn hier an einer oder der anderen Manglarenspitze auszusetzen, dort könnte er sich [S. 131] amüsiren und die zahllosen Mosquitos füttern.« Aber er bog sich doch, noch während er sprach, zu dem Gefangenen über und nahm ihm das Tuch aus dem Mund. Fosca athmete tief und schwer auf, aber er gab keinen Laut von sich. Die Drohung hatte gewirkt, denn ein Aussetzen in den Manglaren[A] wäre ein sicherer und furchtbarer Tod für ihn gewesen.
So fuhren sie langsam weiter. Die Brise blieb schwach, aber doch immer stark genug, um das Boot, das sie von der Seite fing, vorwärts zu treiben, bis endlich am östlichen Horizont, den der niedere Laubgürtel des flachen Landes bildete, die Wolken anfingen sich zu lichten. Der Tag brach an, aber die Atmosphäre ist in diesem Himmelsstrich fast nie rein und ungetrübt, wenigstens nur in sehr seltenen Fällen Morgens.
Ein leiser Duft ruhte auf dem Walde, durch die feuchten Schwaden erzeugt, die ihm unausgesetzt entstiegen. Aber vor ihnen lag die Mündung des Pailon, die erste und nördlichste Ansiedlung in Ecuador — an der linken Landspitze (eigentlich einer Insel); bald konnten sie die einzelnen Häuser der dort wohnenden Fischer erkennen. Die Fluth stieg dabei wieder, und von ihr geführt liefen sie mit dem ersten Morgengrauen in den breiten herrlichen Canal ein, der an beiden Seiten von, ihre Zweige bis zum Wasser niederhängenden Manglaren dicht begrenzt, gerade nach Süden hinab dem kleinen Fischerdorf San Lorenzo zuführte.
Die Frau war erwacht und mit dem stillen Frieden um sich, mit dem Gefühle vollkommener Sicherheit hob sich ihr Herz zu Gott, und ihr Kind, ihre liebe Adriana an sich pressend, betete sie leise aber brünstig zu dem Allerbarmer —
Aber welch ein wunderbarer Ton um sie her? Wie ferner Orgelklang traf er ihr Ohr, leise summend in vollen melodischen Akkorden! Und als sie erstaunt den eigenthümlichen Klängen horchte, war es ihr fast, als ob sie aus der Meerestiefe zu ihr heraufdrangen. — Es konnte keine Täuschung sein! Dicht unter dem Boot klang es vor, jetzt rechts ein wenig, jetzt links, und als sie sich über den Rand des Bootes bog, wurde der Laut voller und deutlicher. Da ging dort drüben, über dem grünen Laubmeer, die Sonne auf und goß ihr Licht über die funkelnde, spiegelglatte Bai.
»Hören Sie den Orgelklang, Señora?« frug Baptiste.
»Was, um Gottes Willen, ist das?«
»Das sind die singenden Fische des Pailon,« lachte der junge Franzose, »die gerade ihr Morgenconcert zu halten scheinen.«
Als er sich aufrichtete, fiel der Sonne Licht voll auf seine freundlichen edlen Züge, und der Blick der Frau heftete fragend an ihnen.
»Und kennen Sie mich noch nicht, Señorita?« fragte der junge Mann herzlich. »Auch Sie nicht, Señor Ramos? Hab ich mich so entsetzlich verändert, oder ist die Erinnerung an den armen kranken Matrosen, den Sie in Ihrem Haus in Buenaventura so treulich pflegten, ganz Ihrem Gedächtniß entschwunden?«
»Don Batista!« rief Ramos, seine Hand ergreifend und herzlich schüttelnd. »Wie sollen wir Ihnen das je danken?«
»Danken?« entgegnete der junge Mann. »Ich bin lange genug Ihr Schuldner geblieben. Jetzt wollen wir vor allen Dingen dieses unglückselige Menschenkind losbinden,« fuhr er lachend fort, um den Dank von sich abzuwenden. — »Allmächtiger Gott, wie sieht dieser Neu-Granadiensische Commissair aus! [S. 134] Hier ist seine Macht aber vorbei. Wir sind innerhalb der Grenzen von Ecuador, und der Platz, dem wir uns nähern, soviel ich gehört habe, in den Händen einer englischen Compagnie. Was fangen wir mit dem elenden Patron an?«
Noch während er sprach, hatte er die Leine gelöst, die des Gefangenen Hände und Arme zusammenschnürte und Fosca richtete sich mühsam empor. Er sah in der That entsetzlich aus. Sein Gesicht war, von dem Schlag der ihn betäubte, mit geronnenem Blut und dem Schmutz des Bootes bedeckt, sein Rock und Hemd zerrissen, und der boshafte Blick des Buben flog scheu und tückisch von Einem zum Andern.
»Beim Himmel,« lachte Baptiste, »ich weiß, was ich thue. Mir fehlt gerade ein Erwerbszweig und ich werde die Jammergestalt hier in San Lorenzo für Geld sehen lassen. Entrée ein halbes Pfund Cacaobohnen oder ein Dutzend Esmeraldas-Cigarren.«
»Ihr habt jetzt die Macht,« knirschte der Gefangene zwischen den Zähnen durch, »aber es wird eine Zeit kommen, wo Ihr mir Rechenschaft für diese Behandlung geben sollt. Ich bin Neu-Granadiensischer Beamter und Präsident Franco in Ecuador wird nicht dulden, daß ich so behandelt werde.«
»Präsident Franco wird in nächster Zeit noch viel [S. 135] mehr dulden müssen,« lachte Baptiste verächtlich, »wenn sie ihn nicht etwa jetzt schon aus dem Land hinausgejagt haben. Aber Frieden, Kamerad. Du hast uns an Bord genug geärgert, um diese Züchtigung zu verdienen, hättest Du nicht auch wie ein Verräther und Schuft an diesen braven Leuten gehandelt.... Von jetzt an — und das ist die mildeste Strafe, die Dir werden konnte — keine Gemeinschaft mehr zwischen uns! Hier setze ich Dich an das Land, und dann sorge dafür, mein Bursche, daß Du so rasch als möglich in Dein gesegnetes Neu-Granada hinüber kommst, denn erfahren sie hier Deine Geschichte, so stehe ich Dir für Nichts. Dort liegt San Lorenzo,« fuhr er fort, als sie eben eine Biegung der Bai erreichten, die sich nach Osten in das innere Land hineinzog. »Dort liegen die friedlichen Fischerwohnungen eines braven Volkes. Dort, Señor Ramos, können Sie, wenn Sie nicht in das Innere gehen wollen, die Entwickelung der Wirren Ihres Vaterlandes ruhig abwarten, denn unter diesen Leuten lebt kein Verräther.«
»Aber Sie bleiben bei uns,« fiel die Señora rasch ein — »Sie müssen uns Gelegenheit geben Ihnen zu beweisen, wie tief wir uns Ihnen verpflichtet fühlen.«
»Vorerst,« lachte Baptiste, »werde ich hier meine mitgebrachte Waffensammlung verkaufen, die wenigstens [S. 136] einen Theil des Lohns einbringen kann, den mir die Regierung des braven Mannes da für erzwungene Dienste schuldig ist und dann — Quien sabe — das Uebrige findet sich.«
Das Boot glitt, fast nur durch die Fluth vorwärts getragen, in eine kleine Bucht ein, die im Westen das Fischerdorf begrenzte; gleich an der äußersten Spitze, an einem dort vorspringenden Felsen landete Baptiste und sagte zu Fosca:
»So Señor, hinaus mit Ihnen und das zur Warnung: Haben wir die Sachen hier an Land geschafft und begegnet die Señora beim Aussteigen noch einmal Ihrer nichtswürdigen Physiognomie, dann seien Sie versichert, daß ich Sie eigenhändig anpacke und hier von dem Felsen hinunterwerfe. Ein Bad könnte Ihnen überhaupt Nichts schaden. Sie haben also etwa zehn Minuten Vorsprung. Marsch!«
Fosca ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit Händen und Füßen kletterte er an dem rauhen Steinblock empor, und im nächsten Augenblick war er am Land verschwunden. Als die Señora das Ufer betrat, war keine Spur mehr von ihm zu sehen, und erst Nachmittags erfuhren sie, daß er ein Canoe gemiethet habe und mit der nächsten Ebbe nach Tomaco zurückgegangen sei.
[A] Die Manglaren oder Mangrovebäume sind ein Seegewächs, denn sie stehen nur da am Land, wo die Fluth der See ihre Wurzeln bespühlen kann. Ihr Boden ist Schlamm und kein lebendes Wesen hält sich zwischen ihnen auf als Krabben und Mosquitos.
An dem Santiago-Flusse in Ecuador, tief im Walde drinnen, von Palmen- und Bananenhainen umgeben, liegt das kleine Binnenstädtchen Concepcion so malerisch und freundlich, wie sich nur etwas denken läßt.
Dicht unter demselben mündet der, kurz vorher den Cachavi aufnehmende Bogota in den breiteren und tieferen Santiago, und vermittelt, wenn auch nur durch Canoes, die Verbindung mit der reichsten Provinz des Innern, mit Imbaburru und deren Hauptstadt Ibarra, während der Santiago durch die Tola-Mündung mit dem Meer in direkter Verbindung steht und nach Norden hinauf sogar, durch die Taja-Lagune, einen breiten und bequemen Wasserweg nach dem Pailon und der dort neu angelegten englischen Colonie und deren Hafen bildet. Den meisten und lebendigsten [S. 138] Verkehr unterhielt es aber doch mit dem fast nur von Negern bewohnten Cachavi und den dortigen Golddistrikten, und wenn auch der Handel mit dem Innern nur durch Lastträger betrieben werden konnte, da nicht einmal ein Maulthierpfad durch den Wald führte, war der Umsatz doch nicht unbedeutend und die Leute befanden sich wohl und in guten Umständen.
Der Santiago sowohl, wie der Bogota fließen aber auch durch ein reiches, unendlich fruchtbares Land, und breite ausgedehnte Baumwollen- und Zuckerrohrfelder mit weiten Cacao- und Bananenanpflanzungen (sogenannten Platanaren) geben Zeugniß, welch' reichen Ertrags der Boden dort fähig ist, und wie er die geringste Arbeit tausendfältig lohnt. Sie sind auch ziemlich dicht besiedelt, wenn auch nicht von den Ureinwohnern des Landes, die sich in den feuchten und heißen Niederungen dieser Gegend nicht so wohl zu fühlen scheinen, als weiter oben in den kühleren Bergen und an den rasch quellenden Gebirgswässern. Möglich aber auch, daß sie von den Negern, mit denen sie überhaupt nicht gern Gemeinschaft halten, zurückgedrängt wurden.
Als nämlich mit der Abschüttelung des spanischen Joches die Leibeigenen der spanischen Provinzen freigegeben und für ewige Zeiten frei erklärt wurden, da [S. 139] zerstreuten sie sich — besonders in Ecuador und Neu-Granada — vorzugsweise über dies Terrain und wurden Herren des dortigen Bodens, dessen Sclaven sie bis jetzt gewesen waren. Ueberall am Santiago und Bogota legten sie Estancien an, rodeten den Wald aus, und pflanzten Bananen, Cacao, Kaffee und Zuckerrohr, und wenn sie jetzt auch nach ihrer Bequemlichkeit arbeiteten, und nicht mehr vom Tagesanbruch bis in die späte Nacht Hacke und Schaufel führen mußten, so dankte ihnen der Boden doch mit verschwenderischer Hand für die geringe Mühe, die sie auf seine Pflege verwandten, und wo sie nicht eben reich wurden, hatten sie doch vollauf zu leben.
Welche Bedürfnisse kannten sie denn auch, die sie nicht hier mit Leichtigkeit beschaffen mochten. Ihre Wohnungen waren um weniges besser, als die, in denen sie früher von ihren Herren einquartirt worden, ihre Kleidung — eine baumwollene Hose und ein eben solches Hemd mit einem selbst geflochtenen Strohhut blieb dieselbe, und was sie an Nahrung brauchten und wünschten, lieferte das Land.
So bildeten sie bald, in diesen Distrikten wenigstens, die große Majorität des Staates und es gab Dörfer, wo sie sich sogar ihren Alkalden aus eigener schwarzer Mitte wählten.
Nur die Stellen der Gobernadores und Friedensrichter besetzte die Regierung mit den Hijos del pais — das heißt nicht etwa den eigentlichen »Söhnen des Landes,« den Indianern, sondern mit den Abkömmlingen der spanischen Raçe, die auch solche Plätze viel besser zu verwerthen und auszubeuten verstanden.
Ecuador war allerdings eine Republik, aber es wäre deshalb der obersten Staatsbehörde doch nicht im Traum eingefallen, dem Volk in seinen eigenen Richtern eine Majorität zu gestatten.
Auch Concepcion war zu einem sehr großen Theil von Negern bewohnt. Nichts destoweniger blieben aber in dieser größeren Stadt die Weißen in der Majorität, wo sie schon durch ihre Farbe den Stand der Honoratioren vertraten. Ueberhaupt hat der Neger nur in sehr seltenen Fällen — so geschickt er oft in mechanischen Arbeiten sein mag — Talent zum Handel. Es fehlt ihm der Speculationsgeist, und die verschiedenen Läden befanden sich deshalb sämmtlich in der Hand von Weißen. Eben so waren — wie sich das von selbst versteht — der Geistliche, der Alkalde und der Schullehrer Abkömmlinge der spanischen Raçe, und selbst ein italienischer Schneider hatte sich dort etablirt; und sich — wie das gewöhnlich diese Art von Professionisten thun — zu einer der ersten [S. 141] politischen Größen und zu einer entschiedenen Opposition der bestehenden Regierung aufgeschwungen.
Señor Rigoli, wie der kleine, sehr lebendige Mann hieß, hing nämlich mit Leib und Seele an der Quitenischen Regierung, während der Alkalde und Geistliche besonders — Beide von dem gegenwärtigen Usurpator des Südens, dem Mulattengeneral Franco eingesetzt — für diesen nach allen Kräften zu wirken suchten.
Rigolis Feinde behaupteten allerdings, nur der Geist des Widerspruchs hätte den kleinen Italiener in diese politische Richtung geworfen, denn ohne Widerspruch konnte er nicht existiren: aber er leugnete dies vollkommen, und würde dadurch jedenfalls seine beste Kundschaft in den Honoratioren der Stadt verloren haben, wenn sie eben nicht gezwungen gewesen wären, bei ihm arbeiten zu lassen. Er hatte nämlich keinen Concurrenten im Ort, als einen Neger, der Alles verdarb, was er unter die Scheere bekam, aber dafür auch zu den leidenschaftlichsten Anhängern Francos gehörte und alle Augenblicke neue Gerüchte über die gewonnenen Siege des Mulattengenerals verbreitete.
Uebrigens war diese politische Meinungsverschiedenheit bis jetzt sehr harmlos verlaufen, denn Theil an den großen Kämpfen ihres Vaterlandes konnten [S. 142] die Bewohner von Concepcion nicht nehmen, dafür lagen sie von dem Hauptplatz der Action zu weit entfernt, und völlig abgeschieden und aus dem Weg in ihrem reizenden Thal. Aber es würzte doch die Unterhaltung, und wenn Rigoli Abends in der Posada eine Flasche Tschitscha getrunken und eine zweite vor sich hatte, hielt er so lange politische Reden, bis er seine Gegner — wenn auch nicht überzeugte, doch wenigstens zu Paaren trieb, und zuletzt gewöhnlich das Schlachtfeld allein behauptete.
So lebhaft aber derartige Debatten fast jeden Abend geführt wurden — und in der letzten Zeit lebhafter als je, da sich ein Franco'scher Offizier hier aufhielt, was aber nicht vermochte, den kleinen muthigen Mann der Nadel einzuschüchtern — so still lag Concepcion während der heißen Stunden des Tages, wenn die Häuser keinen Schatten mehr warfen und die breiten Bananenwipfel ihre sonst vom leichtesten Luftzug bewegten Fächerblätter still und regungslos hielten. Dann ließ sich auch kein lebendes Wesen mehr auf der Straße blicken und in den luftigen, auf Pfählen gebauten Häusern, schaukelten die Bewohner derselben in ihren Hängematten, oder lagen ausgestreckt auf dem Boden unter ihren Mosquitonetzen.
Nicht weit von der Plaza, freundlich genug gelegen [S. 143] und von bunt blühenden und duftigen Akazien halb versteckt, wie von einer einzelnen Cocospalme überragt, stand ein kleines, niederes und düsteres Gebäude, aus festen, eisenharten Stämmen aufgeführt, und die Fenstereinschnitte — und welches andere Haus hatte hier überhaupt Fenster, wo alle Wände offen lagen — mit dicken eisernen Gittern verwahrt.
Es war die »colabozo«, das Gefängniß Concepcions, und in der That gewöhnlich leer und offenstehend, aus dem Grund vielleicht, damit ein Jeder hinein gehen, und sich den unheimlichen dumpfigen Raum betrachten könne. Heute aber schien sie verschlossen und fest verriegelt, und draußen an der schweren Thür auch noch mit einem riesigen Vorlegeschloß gesichert, denn der »Schließer« konnte doch nicht immer davor sitzen, eines einzigen lumpigen Gefangenen wegen.
In dem Gefängniß aber, die Stirn gegen das Gitter gepreßt, lehnte ein junger, bis zum Gürtel nackter Neger, und hielt mit dem einen, durch die Stäbe hinausgestreckten Arm die Hand eines bildhübschen Negermädchens, das vor seiner Zelle stand und in der Linken ein bunt gewürfeltes Tuch mit Gaben hielt, die sie dem Gefangenen wahrscheinlich mitgebracht.
»Armer José,« klagte dabei das Mädchen, indem ihr die großen hellen Thränen in die Augen traten [S. 144] — »daß es dahin mit Dir kommen mußte. Oh was hast Du nur verbrochen, daß sie Dich in den schrecklichen Kerker werfen konnten!«
»Verbrochen, mi corazon — Nichts,« seufzte der junge Bursch. »Nichts auf der Welt weiter, als daß ich Dich, nach jahrelanger Abwesenheit, wieder einmal sehen wollte. — Nur deshalb nahm ich an der Tola-Mündung das Canoe, und weil ich Einzelner nicht so stark rudern konnte, als die vier starken Cajapas-Indianer, holten sie mich hier ein und ich muß jetzt büßen.«
»Aber die Sclaverei ist ja doch bei uns aufgehoben,« rief das Mädchen heftig, — »Mutter und Vater waren schon freie Menschen, und die Gesetze verbieten den Weißen, Sclaven zu halten.«
»Die Gesetze,« zischte der junge Bursch trotzig zwischen den Zähnen durch, — »wer hat die Gesetze gegeben, als nur die Weißen, und sie machen damit, was sie wollen. Was bin ich anderes als der Sclave jenes Guajaquilenen? Er hatte mir Geld geborgt, und ich muß es jetzt abverdienen.«
»Oh José,« sagte da das Mädchen mit leisem, wie schüchternem Vorwurf im Ton, aber einem gar so lieben und herzlichen Blick — »weshalb hast Du von ihm geborgt? — konntest Du denn das böse, häßliche [S. 145] Trinken nicht lassen, womit Du uns Beide jetzt unglücklich gemacht?«
Der junge Bursche senkte beschämt den Kopf.
»Du hast Recht, querida«, sagte er leise — »ich war schlecht und leichtsinnig, aber schon seit langen Monden trinke ich nicht mehr, und arbeite fleißig — doch was hilft es mir. Wir ziehen ununterbrochen von Ort zu Ort, und die Arbeitstage, die er mir dem Gesetz nach gestatten muß, nützen mir Nichts, denn für wen soll ich arbeiten auf der Reise?«
»Und wie viel bist Du ihm schuldig?« frug das Mädchen ängstlich.
»Ich weiß es nicht,« seufzte der junge Bursch — »er schreibt sich Alles auf, was er mir giebt, und soviel hat mir der Alkalde gesagt, daß ich für 40 Dollars ein ganzes Jahr für ihn arbeiten muß —«
»Und ist es soviel?«
»Ich glaube es nicht — was hat er mir denn gegeben? Die dürftigste Kleidung, ein paar Stangen Taback und schon seit langen Monden kein aguardiente mehr. — Ich trinke nicht — nie mehr — ich habe es Dir versprochen, Eva.«
»Dann laß mich dafür sorgen, daß Du frei wirst, José,« sagte das junge Mädchen, und frohe Zuversicht leuchtete aus ihren Augen. »Ich habe das letzte [S. 146] Jahr viel, recht viel gearbeitet. Ich habe den Leuten Lebensmittel in die Minen gefahren, und selber ein wenig Gold gegraben, auch bei unserem Alkalden in Cachavi geschafft, Tag und Nacht, wie seine Frau krank war und sich nicht selber helfen konnte. Das Geld liegt in Cachavi — ich hole es. — Was brauchen wir es auch, wir sind beide kräftig und gesund, und können uns schon auch ohne das eine Heimath gründen.«
»Aber wie willst Du nach Cachavi hinauf kommen, Herz?« frug der junge Bursch, — »der Fluß ist reißend, und allein wärst Du nie im Stande, ein Canoe über die Stromschnellen zu bringen.«
»Mein Bruder ist hier,« sagte das Mädchen — »er lernt ein Handwerk bei einem Weißen. — Der ist gut — der wird ihm erlauben, daß er mir helfen darf, und wenn wir heute Abend fortfahren, können wir morgen schon oben sein.«
»Dein Bruder ist schwächlich —«
»Aber ich bin stark,« rief das junge Mädchen lächelnd — »hab' kein Sorge, José, ich bringe Dir Hülfe, und wenn Du mir nur versprichst, nie mehr zu trinken, so können wir bald ein neues und schönes Leben beginnen.«
»Oh wie von Herzen gern verspreche ich Dir das, [S. 147] aber — der Weiße giebt mich nicht wieder los, und hat mir schon gesagt, daß er mich, wenn er wieder nach Concepcion zurückgekehrt, an den Padre verkaufen will, und der bekommt immer Recht. — Hält er nicht schon seit sieben Jahren drei Sclaven in seinem Haus, und sind sie je im Stande gewesen, sich frei zu kaufen?«
»Dann gehe ich zu dem Meister Rigoli,« sagte das Mädchen entschlossen — »er ist gut — er wird mir helfen und der Präsident selber nicht leiden, daß sie hier die Gesetze unter die Füße treten, die er zum Besten unseres Stammes gegeben hat. Er will ja keine Sclaven im Lande leiden — alle Menschen sollen frei und gleich sein.«
»Ach Du mein liebes Herz,« seufzte da José, »was weiß der Präsident von uns armen Schwarzen in Concepcion, und ist es nicht gerade einer seiner Offiziere, dem ich angehöre? Glaubst Du denn, daß er mir gegen den beistehen würde?«
»Laß Du mich nur machen,« lächelte aber das junge Mädchen zuversichtlich, »Señor Rigoli bringt Alles in Ordnung, und ich und mein Bruder fahren indessen, so rasch uns die Ruder treiben können, den Strom hinauf, um das Geld zu holen. Stromabwärts geht's ja nachher wie der Wind, und in einem halben Tag bin ich vom Cachavi hier unten.«
»Du treues Herz, — und Alles das meinethalben.«
»Und hier habe ich Dir indessen auch etwas mitgebracht,« fuhr das junge Mädchen fort, indem sie das Tuch zu ihm emporhob. Aber sie fand bald, daß sie es, dickgefüllt wie es war, nicht durch die Stäbe brachte, und begann deshalb rasch es auszupacken.
»Hier,« sagte sie, indem sie ihm die einzelnen Sachen hinein reichte — »sind in ihren Blättern gekochte Bananen — hier etwas geröstetes Schweinefleisch — ich konnte Dir nicht soviel bringen, sie fordern einen so hohen Preis dafür — hier hast Du Erdnüsse und rothen Pfeffer, und die Chokolade habe ich selbst für Dich gerieben und da« — fügte sie leise hinzu — »ist auch etwas Geld. — Es ist nicht viel,« lächelte sie wehmüthig, »aber ich habe ja auch immer gespart und gespart, damit wir dereinst ein kleines Häuschen bauen und uns ein Stück Vieh und ein paar Hühner anschaffen könnten. — Aber schau nicht so traurig d'rein, José — wenn wir beide zusammen arbeiten, gehts ja auch nachher so viel rascher und irgendwo am Bogota oder Santiago wird sich ja wohl noch ein Plätzchen für uns finden, wo wir uns eine Stelle urbar machen können.«
»Du wackeres, wackeres Kind, wie soll ich Dir das je danken?« sagte José gerührt.
»Und hast Du es mir nicht schon gedankt?« erwiderte wehmüthig das junge Mädchen — »lebte denn ein Mensch auf der weiten Welt, der die arme Waise nach der Eltern Tode lieb hatte, und für sie und ihren Bruder sorgte, wie Du?«
»Und was hab' ich gethan?«
»Viel — sehr viel,« sagte das Mädchen rasch — »Du hast mir die Hoffnung für dieses Leben erhalten, denn als wir die Mutter begraben hatten, war es mir, als ob ich mich auch in das stille Grab legen müßte, und nie, nie im Leben wieder froh werden könnte. — Und Alles, Alles wäre auch nachher gut gegangen, wenn nur das böse Trinken — aber ich will Dir jetzt keine Vorwürfe machen, José,« unterbrach sie sich rasch — »Du hast mir ja versprochen, daß es nie, nie mehr geschehen soll, und jetzt gilt es nur, Dich aus Deiner Sclaverei zu befreien.«
»Du willst schon fort?«
»Ich muß — die Zeit vergeht, vorher aber habe ich noch mit meinem Bruder und seinem Lehrmeister zu sprechen, und nachher muß ich suchen, daß ich ein Canoe geborgt bekomme. Aber das krieg' ich schon,« setzte sie lächelnd hinzu, »denn alle Menschen sind jetzt [S. 150] gut mit mir, weil sie sehen, daß ich brav und fleißig bin. Also mit Gott, José — aber ich komme noch einmal zu Dir zurück, und bringe Dir dann auch ein paar Cocosnüsse zum Trinken mit. Die Señora Bastiano hat deren viele in ihrem Garten, und erlaubt mir schon ein paar zu pflücken.«
»Mein liebes, liebes Herz.«
»Hab' guten Muth,« lachte da das Mädchen, die den Geliebten nicht wollte merken lassen, wie weh ihr selber um's Herz war, »bald bring' ich Hülfe und dann brauchen wir uns nicht mehr zu trennen — Lebe wohl José« — und mit beiden Armen sich kraftvoll an dem Gitter emporhebend, brachte sie ihren Mund über die unterste Eisenstange, drückte einen Kuß auf seine Lippen, und lief dann flüchtigen Schrittes durch die Straßen hinab.
In einer der Hauptstraßen der kleinen Stadt, und in einem, ebenfalls auf Pfählen gebauten Eckhaus, lebte und schneiderte Meister Rigoli mit drei Lehrjungen, die er sich, wie er meinte, nur angenommen hatte, um seinen täglichen Aerger nicht zu vermissen, [S. 151] denn alle Arbeit mußte er doch selber thun — und that sie auch wirklich, weil ihm Niemand — weder in der Politik noch in der Schneiderei — etwas recht machen konnte.
Rigoli war aber trotzdem von Herzen ein seelensguter Mensch, der nie Jemandem wissentlich ein Unrecht gethan hätte, aber auch eben so wenig ein Unrecht an anderen Menschen leiden konnte. Ein so bescheidenes Metier er dabei trieb, so fürchtete ihn selber der Alkalde, denn er hatte — was man so im gewöhnlichen Leben zu nennen pflegt — Haare auf den Zähnen, und war dabei viel gescheuter und belesener als der Alkalde selber — wozu allerdings nicht viel gehörte.
In dieser Tageszeit schienen aber auch seine geistigen Kräfte erschöpft zu sein, denn inmitten seiner Lehrlinge, die Nadel in der Hand, ein neu zugeschnittenes Kleidungsstück vor sich auf den Knien, war er eingenickt, und als Eva geräuschlosen Schrittes die zu seiner Werkstätte aufführende Leiter hinanstieg und dabei ihr schüchternes »Ave Maria« murmelte, um ihre Gegenwart bemerkbar zu machen, hörte sie dasselbe von keiner Seele beantwortet — denn die Jungen schliefen ebenfalls.
Sie blieb einen Augenblick auf der Leiter stehen, [S. 152] und während sie sich mit den nackten, vollen Armen auf die niedere Schwelle stützte, von wo aus sie den ganzen inneren Raum mit den Augen überfliegen konnte, zuckte ein leichtes Lächeln über ihre wirklich schönen Züge. Aber es war auch nur ein Moment, denn rasch kam wieder das Gefühl ihrer eigenen, unglücklichen Lage über sie, und daß sie keine Zeit versäumen dürfte, wenn sie den Geliebten wirklich retten wollte.
Mit lauter Stimme wiederholte sie deshalb ihr meldendes »Ave Maria,« das der kleine Rigoli aber, noch halb im Schlaf, mit einem sehr profanen »Caracho, Señor, tres varas — no es possible —« beantwortete.
Durch seine eigenen, laut herausgestoßenen Worte erwachte er indeß vollkommen, und sich im ersten Augenblick erstaunt umsehend, — er begriff augenscheinlich nicht gleich was mit ihm vorgegangen — überzeugten ihn die schlafenden Lehrlinge an seiner Seite doch rasch genug von dem Thatbestand. Er machte sich selber und einen neben ihm sitzenden dicken und entsetzlich schwitzenden Mulattenjungen auch rasch dadurch munter, daß er diesem eine derbe Ohrfeige steckte, die ihn blitzschnell auf die Füße brachte. Die Anderen erwachten dadurch ebenfalls und griffen rasch und [S. 153] mechanisch nach ihrer fallengelassenen Arbeit, während der Meister kopfschüttelnd sagte:
»Ob das faule Volk nicht jede Gelegenheit benutzt! Caramba, Señores, ich werde Euch auf den Pelz kommen, wenn Ihr mir nicht besser aufpaßt! — He meine kleine Eva — entra, Schatz, entra. — Was bringst Du mir? ist der Wollkopf, Señor Bastiano, wieder nicht mit seinem Rock zufrieden?«
»Ach Señor,« sagte das junge Mädchen, indem sie der Aufforderung Folge leistete und die letzten Stufen der Leiter emporstieg, neben der sie sich dann am Boden niederkauerte — »mit einer Bitte für mich selber komm ich diesmal.«
»Mit einer Bitte, Schatz? — nun laß hören.«
»Daß Ihr mir auf zwei Tage den Bruder borgen möget, um ein Canoe nach Cachavi hinauf zu rudern.«
»Ihr Beiden? — aber wozu? was wollt ihr denn oben?« frug Rigoli kopfschüttelnd.
Eva schwieg einen Augenblick und sah still und ängstlich vor sich nieder. Endlich faßte sie sich ein Herz und erst mit leiser, dann immer festerer Stimme erzählte sie dem kleinen gutmüthigen Italiener ihre einfache Leidensgeschichte. Das Schicksal des Geliebten, den jener Francosche Offizier — trotzdem daß die Gesetze [S. 154] die Sclaverei verböten, als Sclave halte, und hier in das Gefängniß geworfen habe, weil er nur auf wenige Tage nach Cachavi hinauf gewollt, wo er sie selber zu finden geglaubt. Jetzt aber gedenke der Weiße den armen José wieder mit fort von hier zu nehmen, Gott nur wisse wohin, daß sie ihn vielleicht nie im Leben wieder zu sehen bekomme, und sie selber wolle jetzt nach Cachavi hinauf, um von dort ihr mühsam gespartes und bei dem Alkalden hinterlegtes Geld zu holen und den Geliebten frei zu kaufen.
Der kleine Rigoli hatte der Erzählung aufmerksam zugehört, und im Anfang wohl seine Arbeit wieder dabei aufgenommen und weiter genäht, aber je mehr er sich in die Sache hinein dachte, desto empörter wurde er, und die neben ihm liegende Scheere aufgreifend rief er, als Eva geendet:
»Da haben wir die Geschichte, und dieser Lump von Alkalden wagt es, mir von Freiheit und Gesetzlichkeit zu reden; Sclaverei, wie sie im Buche steht — Unterdrückung des Volkes, Mißbrauch der Amtsgewalt, ungerechtfertigte Einkerkerung, Veräußerung der Menschenrechte — aber ich weiß weshalb. Eben dieser selbe Señor Cerro, der hier mit seinem gelben, nichtswürdigen Gesicht herumläuft und sich einen Francoschen Offizier nennt, hat diesem hergeregneten Alkalden [S. 155] die Stelle verschafft, und jetzt hocken sie mitsammen unter einer Decke — der Padre nicht ausgenommen, und glauben, sie können die Herren und Meister hier im Lande spielen. Da wollen wir aber einen Riegel vorschieben,« fuhr er fort, indem er von seinem Sitz aufsprang, und sich den etwas heruntergerutschten Hosenbund wieder in die Höhe zog. »Dieser kleine blutgierige Wütherich, dieser Franco, hat uns hier oben Nichts zu befehlen, sonst wäre er längst mit seinen Soldaten hierher gekommen und gegen Quito marschirt, und dasselbe Recht, was der hat, Präsident zu sein, habe ich auch, wenn ich auch nicht schwarz bin und Haare statt Wolle auf dem Kopfe habe. — Und jetzt komm einmal, Eva — jetzt wollen wir dieser obersten Gerichtsbarkeit einmal einen Besuch abstatten, daß ihr die Augen übergehen sollen.«
Und damit hatte er seine Toilette beendet, stülpte sich seinen kleinen Panamahut auf und schritt der Leiter zu.
Das arme Negermädchen war eine bestürzte Zuhörerin des Ganzen gewesen, denn wenn sie auch die einzelnen Ausdrücke und deren Sinn nicht verstand, begriff sie doch so viel, daß der kleine Schneidermeister ihrer obersten Gerichtsbehörde zu Leibe wollte, und daß sie dabei Zeuge sein sollte. Wenn der Mann [S. 156] aber, der die Macht hatte, ihren Geliebten in's Gefängniß zu werfen, böse gemacht wurde, welches furchtbare Unglück konnte er über sie Alle verfügen, und mit zitternder Stimme bat sie:
»Oh Señor, macht den Herrn Alkalden nicht böse, oder er sperrt uns Alle mit einander ein, und dann hat José Niemanden in der Welt mehr, der ihm helfen kann.«
»Mich einsperren?« lachte aber jetzt Meister Rigoli bei dem Gedanken laut auf — »mich, den einzigen Schneider, den sie in der ganzen Stadt haben? — Das Mädchen ist himmlisch! — Nein, mein Schatz, da hab' keine Furcht. So viel Verstand hat unser Alkalde denn doch noch — wenn ich auch nicht für mehr einstehen möchte, und daß er Dir Nichts thut, das laß meine Sorge sein. Und jetzt komm, arbeiten kann ich doch nichts mehr mit den Gedanken um das allgemeine Wohl im Kopf, und nun wollen wir einmal sehen — und wo ich Euch Schlingel wieder schlafend finde, wenn ich zurück komme, statuire ich ein Exempel an Euch — ob wir die oberste Gerichtsbehörde nicht überzeugen können, daß wir in einer Republik leben, und freie Bürger sind — komm.«
Und ohne ihr weiter Zeit zu einem Einwand zu lassen, kletterte er voran die Leiter hinunter und schritt [S. 157] dann, von dem zitternden Mädchen dicht gefolgt, die Straße hinauf, der Wohnung des Alkalden zu.
Es war allerdings jetzt keine Besuchszeit in den Tropen, und der würdige Friedensrichter denn auch noch mitten in seiner Siesta, welche er in der, nach dortiger Landessitte kurz geschlungenen Hängematte halb sitzend, halb liegend verträumte. Rigoli schien aber nicht gesonnen, sich bei Kleinigkeiten und leeren Ceremonialformen aufzuhalten. Den Neger, der ihm unten den Aufgang verweigern wollte, schob er einfach bei Seite und hatte denn auch die Genugthuung, ihr gesetzliches Oberhaupt bald völlig erwacht, wenn auch nicht eben sehr erfreut, in der Hängematte sitzen zu sehen, um zu hören was er verlange.
»Ich habe Sie gestört, Señor Alkalde,« sagte der kleine Mann, der den Sturm allein versucht hatte, denn Eva wäre unter keiner Bedingung zu bewegen gewesen, ihm dahinauf zu folgen.
»Das haben sie allerdings, Señor Rigoli,« versicherte der Alkalde mit einem nichts weniger als freundlichen Gesicht, »und die Sache muß in der That sehr wichtig sein, daß Sie einem Manne, der ununterbrochen von schweren Geschäften geplagt ist, die einzige kleine Ruhe seiner Siesta kürzen.«
»Bitte um Verzeihung, Señor,« sagte Rigoli ohne [S. 158] weitere Umstände, »aber die Sache ist allerdings wichtig, denn es handelt sich hier darum, ob wir noch ein Gesetz im Lande haben, oder nicht.«
»Lieber Meister Rigoli,« sagte der Alkalde, durch die Anrede in seiner Laune eben nicht gebessert — »ich bin schon so ziemlich daran gewöhnt, daß Sie sich fortwährend um Sachen bekümmern, die Sie eigentlich gar Nichts angehen. Was ist nun wieder?«
»Die Sache, Señor,« sagte der kleine Italiener gereizt, »geht jeden Bürger an, denn wenn ich unter einer despotischen Regierung hätte leben wollen, so wäre ich lieber in meiner eigenen Heimath geblieben.«
»Sie hätten wirklich besser daran gethan.«
»Meinen Sie?« rief Rigoli ärgerlich, »aber wir wollen uns nicht wieder zanken,« setzte er ruhiger hinzu. — »Die Sache selber ist auch zu ernst, denn sie betrifft unserer Aller Freiheit — die Menschenrechte eines ganzen Volkes, die hier — vielleicht ohne Ihr Wissen — verletzt werden.«
»Da wäre ich doch begierig — aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen, Señor.«
»Mit Vergnügen,« sagte Señor Rigoli, der sich um Alles nicht hätte etwas vergeben mögen. — »Und nun zur Sache: Sie wissen doch, daß hier ein Neger im Gefängniß sitzt.«
»Ich habe ihn selber einsperren lassen. Er war seinem Herrn entlaufen,« sagte der Alkalde ruhig.
»So besteht also in Ecuador, trotz den dagegen erlassenen Gesetzen, noch immer die Sclaverei?« rief Rigoli rasch.
»Bitte um Verzeihung,« erwiderte der Alkalde — »er ist nicht der Sclave, sondern nur der Diener seines Herrn, bis er diesem die schuldige Summe abgearbeitet hat.«
»Wenn ich also irgend Jemandem ein paar Thaler schuldig bin — oder umgekehrt, Señor Alkalde,« sagte der kleine Schneider, »wenn mir Jemand einen ähnlichen Betrag schuldete, so wäre ich eben so berechtigt, den besagten Herrn in Dienst zu nehmen und ihn — wenn er nicht gehorchte, einsperren zu lassen, wie?«
Der Alkalde bekam einen etwas rothen Kopf, denn die Frage war zu deutlich gestellt gewesen, als daß er sie nicht hätte auf die 52 Dollars beziehen sollen, die er selber dem vor ihm Sitzenden noch schuldete.
»Señor,« sagte er, aber doch etwas verlegen, »Sie vergessen, daß ein solches Gesetz nur für Neger und frühere Sclaven Kraft haben kann; es ist wenigstens noch nie auf einen Caballero angewandt worden, oder könnte auf ihn angewendet werden.«
»Und das nennen Sie eine Republik.«
»Bah, sein Sie vernünftig — einen Unterschied muß es nun einmal in der Welt geben, und wo man keine Schwarze hat, bildet, wie Sie mir selber erzählt haben, ein Theil der Weißen das Proletariat.«
»Aber ich habe gehört, daß jener Señor, der sich einen Francoschen Offizier nennt, und eher aussieht wie ein durchgegangener Schulmeister, die Absicht haben soll, seinen Diener, wenn Sie denn so wollen, zu verkaufen?«
»Er kann ihn nicht verkaufen,« bemerkte der Alkalde kopfschüttelnd, »das würde direkt gegen die Gesetze verstoßen, aber er mag ihn an einen Anderen, der ihm die ausgelegten Gelder zurückerstattet, abtreten.«
»Danke Ihnen — und ist das etwas Anderes als verkaufen?«
»Lieber Freund,« sagte der Alkalde, dem das Gespräch unangenehm wurde, »ländlich, sittlich — Sie sind mit unseren Gebräuchen noch zu wenig bekannt, um die inneren Triebfedern zu erkennen, durch welche die Staatsmaschine in Gang gehalten wird.«
»Und nennen Sie eine Umgehung der Gesetze eine innere Triebfeder?«
»Es war ein Irrthum, dessen sich die Gesetzgeber schuldig machten,« bemerkte der Ecuadorianer trocken, [S. 161] »die Sclaverei völlig abzuschaffen, und wir thun nur unsere Schuldigkeit, wenn wir den einmal begangenen und unwiderruflichen Fehler soviel als möglich gut zu machen suchen.«
»Caracho!« rief der kleine Italiener, »das heißt ehrlich gesprochen, und eigentlich hätte ich einen anderen Namen dafür. — Aber damit kommen wir nicht zur Sache. Unter welchen Bedingungen wird der gefangene Neger wieder freigegeben?«
»Sobald er seine eingegangene Schuld bezahlt,« lautete die Antwort. »Derartige Leute benutzen aber höchst selten die ihnen durch unser Gesetz verstatteten drei freien Tage in jeder Woche, um für sich selber zu arbeiten, und ihre eingegangenen Verpflichtungen abzutragen.«
»Und wie kann er arbeiten?« rief Rigoli rasch, »wenn sein Herr die ganze Zeit mit ihm im Lande umherzieht, und ihm die Feiertage nicht einmal anrechnet, um seine Heimath zu besuchen?« — Der Alkalde zuckte die Achseln.
»Das ist allerdings ein Punkt,« sagte er, »den das Gesetz nicht vorgesehen hat, denn ich sehe keine Möglichkeit um einen caballero zu zwingen, ruhig an einer Stelle zu bleiben, damit der ihm verschuldete Diener Geld in der Nachbarschaft verdienen kann.«
»Und wie viel beträgt des Burschen Schuld jetzt?«
»Soviel ich weiß einige vierzig Thaler,« erwiderte der Richter — »jedenfalls über ein Jahrlohn — und wenn es nur ein und vierzig sind, hat er ein Recht ihn zur Arbeit anzuhalten.«
»Und wenn das Geld in einigen Tagen bezahlt wird?«
»Ich weiß doch nicht recht,« sagte der würdige Richter etwas verlegen, »ob der Señor damit gezwungen werden kann, seine Rechte auf die Jahresarbeit des Burschen aufzugeben, denn er hat keine weiteren Zinsen von dem ausgelegten Capital.«
»So? — das wollen wir denn aber einmal sehen,« rief der kleine Italiener, in vollem Ingrimm von seinem Stuhl emporspringend. — »Wenn das die neuen Gesetze sind, die der verdammte Mulattengeneral in unserem Lande geben will!«
»Señor Rigoli,« unterbrach ihn der Alkalde erschreckt, »wissen Sie, daß Sie von unserer höchsten Obrigkeit sprechen, und ich eigentlich gezwungen wäre —«
»Zum Henker mit unserer ganzen Obrigkeit,« beharrte aber der unverbesserliche kleine Schneider, der nicht den geringsten Respekt, weder vor dem Präsidenten noch vor dem Alkalden zeigte. — »Wenn es denn so [S. 163] mit uns steht, dann will ich doch sehen, ob nicht das Volk einmal gelegentlich die Sache in die Hand nehmen kann, und wo Sie dann bleiben, Señor, und der Padre mit Einschluß Ihres Franco'schen Generals, darauf bin ich nachher selber neugierig.«
»Señor Rigoli, Sie werden mich noch zwingen, ernstere Maßregeln mit Ihnen zu ergreifen.«
»Ach Papperlapapp,« sagte der Italiener verächtlich, »drohen gilt nicht, aber das versichere ich Sie, Señor, wird das Geld herbeigebracht, und der Schwarze nicht freigelassen, dann zettele ich Ihnen hier eine Negerrevolution an, die sich gewaschen hat, und dann wollen wir doch einmal sehen, ob wir die Francosche Wirthschaft nicht auch bei der Gelegenheit auseinanderjagen können.«
»Señor Rigoli!« rief der Alkalde und fuhr aus seiner Hängematte in die Höhe, aber der kleine Italiener nahm keine Notiz mehr von ihm, stülpte seinen Hut auf und verließ ohne Weiteres das Haus.
In ängstlicher Furcht hatte indessen das arme Negermädchen unten auf den Erfolg der Unterredung [S. 164] gewartet, und die lauten, ärgerlichen Stimmen oben konnten sie wahrlich nicht dabei beruhigen. — Jetzt endlich kam der weiße Mann zurück — aber er sah erhitzt und ärgerlich aus. Sie wagte nicht einmal ihn zu fragen, welche Hoffnung sie fassen dürfe. Der kleine Italiener ließ sie aber nicht lange in Ungewißheit.
»Nimm Deinen Bruder, Schatz,« sagte er, »und mache daß Du nach Cachavi zurückkommst und Dein Geld holst — ich würde es Dir selber borgen, aber die Lumpen hier zahlen so schlecht, daß man kaum landesübliche Münze genug für Bananen und Chocolade im Haus behält. Hast Du ein Canoe?«
»Noch nicht, Señor,« sagte das Mädchen schüchtern; »aber die Señora Bastiano borgt mir gewiß das ihrige.«
»Gut dann; Du könntest meines kriegen, aber am Bug ist ein Stück herausgebrochen, und muß erst wieder gemacht werden — das soll aber jetzt gleich geschehen, denn ich weiß nicht, wie bald ich es selber brauchen werde. Wann willst Du fort?«
»Gleich, Señor — der Weg ist weit,« sagte das junge Mädchen, »sobald ich nur das Canoe habe.«
»Noch eins — wie viel Geld hast Du denn eigentlich, Schatz?«
»Es werden wohl 46 Dollars sein,« erwiderte [S. 165] zitternd das arme Kind — »glauben Sie, daß es genug ist, um den armen José zu befreien?«
»Genug? sicher!« rief der kleine Italiener, sich vergnügt die Hände reibend — »und sag' dem Alkalden in Cachavi nur, zu welchem Zweck Du es willst, und daß sie hier Deinen Liebsten als Sclaven halten, dem Gesetz zum Trotz. — Und wenn Du zurückkehrst, so komme gleich zu mir, und ich bringe die Sache in Ordnung, darauf kannst Du Dich verlassen. Verstanden?«
»Oh wie soll ich Euch je dafür danken, Señor?«
»Danken? für was?« brummte der kleine Mann vor sich hin — »wenn ich Dir das Geld geben könnte, hättest Du Ursache dafür — so nicht — mach' nur, daß Du fort kommst.«
Eva ließ sich das nicht zweimal sagen, und flog die Straße hinab der Wohnung der »Señora Bastiano«, einer würdigen Negerdame, zu. Allerdings machte diese noch einige Schwierigkeiten, denn sie wollte morgen oder übermorgen selber nach dem Pailon hinüber fahren, um dort einige alte Freunde zu besuchen, da ihr aber das junge Mädchen fest versprach, bis spätestens übermorgen wieder zurück zu sein, ließ sie sich endlich erbitten, und kaum zwei Stunden später, nachdem Eva noch von José Abschied genommen, und [S. 166] seine Seele mit freudiger Hoffnung erfüllt hatte, saßen die beiden Geschwister, Eva und ihr Bruder Tonio, im Canoe, ruderten den Santiago hinab, bis zu der nächsten Landspitze und bogen dann in den Bogota ein, um hier ihre beschwerliche und ermüdende Fahrt gegen die Strömung zu beginnen.
Aber Eva kannte keine Ermüdung; der freundliche Italiener hatte die beiden Geschwister auch noch außerdem mit Mundvorrath versehen, daß sie nirgends anzulaufen brauchten. Frisches Wasser quoll ebenfalls um sie her, denn bis hierher reichte die Fluth des Meeres nicht, und rüstig und unverdrossen ruderten sie bis zu der Mündung des Cachavi, wo dann die Strömung des wohl kleineren, aber viel reißenderen Flusses so mächtig wurde, daß sie zu ihren Stangen greifen mußten. Aber unermüdlich arbeiteten sie vorwärts, die ganze Nacht hindurch und noch stand am nächsten Tage die Sonne hoch am Himmel, als sie das kleine Negerstädtchen, wo früher ihre Eltern gewohnt, erreichten.
Eva hatte hier keine Schwierigkeit, das ersparte Geld von dem Alkalden zu bekommen, denn diese Leute speculiren nicht mit den ihnen anvertrauten Capitalien. Das Geld hing wohlverwahrt in einem Beutel von weißem Baumwollenzeug an einer etwas versteckten [S. 167] Stelle unter dem Dach und war rasch herbeigeholt; aber der Alkalde, ein alter greiser Neger, der früher selber Sclave gewesen, und durch das Emancipationsgesetz befreit worden, hatte mehr von der Welt gesehen, als das junge Mädchen, und schien dem unerfahrenen Kinde nur ungern den mühsam genug verdienten und aufgespeicherten Schatz anzuvertrauen.
Er kannte die Leute, die sich caballeros nennen, durch und durch, und wäre am liebsten selber mit nach Concepcion hinab gefahren, um bei dem dortigen Alkalden die Sache in Ordnung zu bringen — aber es ging nicht. Seine Frau war wieder krank und eine Tochter lag am Fieber darnieder, und dann erwarteten sie jetzt auch mit jedem Tage die indianischen Träger von Ibarra, die ihnen eine Menge neuer Waaren bringen sollten, bei deren Verkauf er jedenfalls zugegen sein mußte. Kurz es ging eben nicht an, und er mußte das junge Mädchen ihrem Schicksal überlassen.
Diese wäre am liebsten auch gleich an dem nämlichen Abend wieder aufgebrochen, um auch nicht eine Stunde so werthvoller Zeit zu versäumen, aber ihr überdieß schwächlicher Bruder war durch die ungewohnte Anstrengung so erschöpft, daß er einer Nacht Schlaf nothwendig bedurfte. Der Alkalde selber litt ebenfalls nicht, daß sich das junge Mädchen so übermäßig [S. 168] anstrenge, sie mußte deshalb bei ihm übernachten, aber mit Tagesgrauen war sie wieder auf, röstete für sich und Tonio ein paar Bananen zu Frühstück und Mittagessen, und ging dann selber zu dem Canoe hinab, um dieses, das die Nacht über stets hoch an Land hinaufgezogen werden mußte, da der Fluß oft so plötzlich steigt, flott zu bekommen.
Ihr Bruder packte indessen oben die Bananen ein, und der alte Alkalde war selber mit zum Fluß gekommen, um nachzusehen, daß sie ihr Geld gut verwahre, und ihr Glück auf die Reise zu wünschen.
Dem jungen Mädchen war bei der Arbeit — das Canoe allein über das Geröll in's Wasser zu schieben — warm geworden, und sie hatte ihr leichtes Oberkleid ab und in's Canoe geworfen, der kurze dünne Kattunrock reichte ihr dabei kaum bis über's Knie. Aber ihr Gesicht strahlte vor Freude, denn heute noch — heute, konnte sie den Geliebten befreien, durfte ihn selber aus seinem dumpfen Kerker in die liebe Gottesnatur hinausführen, und das Herz hätte ihr fast zerspringen mögen vor Lust und Seligkeit.
Mit viel geringerem Eifer kam ihr Bruder, von dem Alkalden begleitet, zum Ufer herunter. Ihm wäre es weit lieber gewesen, wenn er hier oben, in seiner Vaterstadt, ein paar Rasttage hätte machen [S. 169] dürfen, und von der übermäßigen Anstrengung gestern thaten ihm außerdem noch die Arme weh.
Eva sah, wie er nur zum Ufer herabkam, seine betrübte Miene und lachte ihn fröhlich an.
»Da, setz' Dich vorn hinein in's Canoe und mach' es Dir bequem, Tonio — ich brauche Dich heute nicht zum Rudern, denn der Fluß trägt uns allein schon rasch zu Thal.«
»Und hier ist Dein Geld, Mädel,« sagte der Alkalde, indem er der jungen Dirne den Beutel reichte, »verwahre es gut und laß es nicht in's Wasser fallen.«
»Ich bin ja doch kein Kind mehr, Señor,« sagte die Jungfrau, indem sich ein leises Erröthen über ihre dunklen Züge stahl, »seht — hier schlag' ich es fest in das Tuch, und wenn ich auch schwimmen müßte, so kann's nicht verloren gehen.«
Damit nahm sie sich ein seidenes, buntes, aber schon lange verblichenes Tuch, das ihr José einmal in früherer Zeit geschenkt, vom Hals, faltete das Geld hinein, verband die beiden Enden dicht mit im Canoe liegenden Bast und schlug es sich dann um die schlanke Hüfte. — »So — und noch einen Knoten, und nun dürft Ihr sicher sein, daß ich es nach Concepcion bringe.«
»Dann mit Gott, mein Kind,« sagte der alte [S. 170] Neger. »Du bist ein rechtschaffenes und braves Mädchen, und verdienst dereinst glücklich zu werden. Hast Du Deinen José aber befreit, dann bleibe nicht in Concepcion zwischen den vielen Weißen — sie hassen uns, wenn sie sich's auch nicht immer merken lassen. — Kommt herauf zu uns nach Cachavi — zu verdienen giebts hier immer, und daß Du an mir einen treuen Freund hast, weißt Du ja.«
»Dank Euch, Señor — Dank Euch recht vom Herzen — ich werde die freundlichen Worte nie vergessen, die Ihr zu der armen Waise gesprochen,« sagte die Jungfrau, — »und Gott nur weiß, wie bald wir Eure Hülfe in Anspruch nehmen müssen. Geht aber Alles gut, und bleibt José und ich gesund, dann hoff' ich, gründen wir uns auch unseren eigenen Heerd, ohne irgend Jemandem zur Last zu fallen. Wir sind Beide jung und kräftig und der Herr da oben wird ja weiter helfen. — Alles in Ordnung, Tonio?«
»Alles, Eva,« sagte der junge Bursch, der sich behaglich vorn in dem Canoe ausstreckte — »stoß ab, daß wir vielleicht in der Hitze ein Bischen in den Schatten fahren können.«
Das Mädchen trat, ohne ein Wort weiter zu sagen, aus dem Canoe hinaus in die klare Fluth, um das schwanke Fahrzeug von den letzten Steinen, auf [S. 171] denen es noch auflag, los zu heben, als ein scharfer, gellender Schrei vom oberen Theil des Stromes niederschallte, und rasch in dem Dorfe selber an mehreren Stellen beantwortet wurde.
»Halt, Mädel! Halt!« rief der alte Alkalde rasch und erschreckt — »die Wasser kommen. Hab' ich es mir doch fast gedacht, denn es donnerte tüchtig gegen Morgen, und oben in den Gebirgen ist ein starker Regen gefallen.«
»Desto rascher kommen wir hinab,« lachte aber das tollkühne Ding, indem sie ihr Canoe mit starker Hand in den Strom hineinstieß, und selber nachsprang.
»Caramba, Eva,« rief ihr Bruder erschreckt, indem er sich mit beiden Armen an dem Rand des Canoe emporrichtete. — »Du willst doch nicht etwa fahren, wenn die Wasser kommen?«
»Und warum nicht?«
»Das ist Thorheit, Mädel!« schrie der Alkalde, indem er selber in die Fluth hineinsprang, um das Canoe noch zu erfassen und zurückzuziehen.
»Zu spät!« lachte aber Eva, indem sie ihr Ruder schon gegen die Steine gesetzt hatte, und das schlanke Boot mit scharfem Druck in den Strom hinaustrieb. — »Wir können ja auch Beide schwimmen, und schlägt das Canoe gar um, bringen wir's schon wieder in die [S. 172] Höh'. Adios, Señor, adios! Habt keine Sorge um uns. Ich weiß ein Ruder zu führen. Hei, da kommt die Woge! Jetzt, Tonio, liege still und rühre und rege Dich nicht. — Adios, Señor, auf Wiedersehen in Cachavi!«
Vom Strande nieder stürzten eine Masse schwarzer Gestalten nach dem Flußufer, um ihre dort angebundenen Fahrzeuge in Sicherheit zu bringen, denn rasend schnell steigt oft das Wasser in diesem kleinen, den mächtigen Bergen entquellenden Strome. Unten im Thal ist vielleicht das schönste, sonnigste Wetter, und das Wasser des Cachavi selber, so klar wie Krystall, murmelt still dahin in der eingeengten Bahn. Aber weiter oben hat der Sturm seinen Tanz gehalten, und die Wolken haben ihre Sturzfluth über die Hänge entladen, an deren steilen Abdachungen nieder Bach an Bach in die Hauptader hinabspringt. Den Lehm aber wuschen sie mit, und nicht allmählig wächst der Fluß dann an, nein, so gewaltsam und mit einem Guß, wie ihm die Massen zugetheilt wurden, so wälzt er sie in einer hohen, lehmfarbenen Woge die Bahn entlang, und hinter dieser braust und kocht schäumend die Sturmfluth, nicht selten Felsblöcke aus ihrem Bett drängend und mit sich fort führend.
Sie kann auch nicht heimlich nahen. Schon von [S. 173] weitem hört man ihr dumpfes Brausen, und wie sie die Bäume schüttelt und Busch und Strauchwerk tief hineintaucht in ihre kochenden Wogen; wahrhaft unheimlich sieht es aus, wenn die hohe gelbe Welle sich überstürzend in den klaren Strom hineinpeitscht, und wenn sie, darüber hinrollend, die zurückgelassene Fluth in flüssigen Lehm verwandelt.
Der Fluß steigt in einem solchen Falle oft drei bis vier Fuß in wenigen Minuten und führt mit Pfeilesschnelle auf seiner Oberfläche dahin, was er sich losgespült. Indianer und Schwarze aber, die an seinem Ufer wohnen, flüchten, wenn sie sich gerade in ihren Canoes befinden, in wilder ängstlicher Eile an Land und ziehen ihre Fahrzeuge hinter sich her, bis sie dieselben in sicherer Entfernung von den rasenden Wassern wissen.
Nun wußte der alte Alkalde allerdings, daß ein Mensch, wenn er sein Ruder gut gebrauchen konnte, wohl im Stande wäre, die Mitte der Strömung zu halten, und aufkochende Wirbel zeigten immer schon voraus, wo ein vom Wasser kaum bedeckter Felsen ihm hätte Gefahr bringen können. Aber das schwache Mädchen — war sie im Stande, das Canoe zu steuern, und wenn ihr die Kraft gebrach — sie kannte die Gefahr gar nicht, von einer solchen Fluth erfaßt zu werden, [S. 174] gegen die keine Menschenkraft im Stande gewesen wäre anzuschwimmen. Wenn ihr Kopf gegen einen Felsen traf —
Aber zu spät kamen alle Warnungen und Zurufe; das tolle Mädchen wollte nicht hören, und hochaufgerichtet, das Ruder im Wasser haltend, das Antlitz aber der heranstürmenden gelben Woge zugewandt, um ihr mit voller, ungeschwächter Kraft entweichen zu können, stand sie da. Sie wußte, daß die Gefahr schon halb vorüber war, sobald sie nur die erste hohe Welle verhindert hatte ihr die Fluth in das Canoe zu werfen — jetzt kam sie heran — das Ruder setzte sie ein, daß es sich von dem Drucke bog — fort schnellte das Canoe, hinter ihr die gelbe drohende Masse — aber das Wasser, das so vorausdrängte, hob das Hintertheil des leichten Fahrzeugs, jetzt faßte es die Woge und drohte den Bug vorn in den Grund zu bohren, Tonio stieß einen Angstschrei aus, und hielt sich krampfhaft an dem Bootrand fest.
»Gewonnen!« jubelte da die wilde Schifferin, indem sie den linken Arm emporwarf, aber keine Zeit blieb ihr jetzt weitere Zeichen zu geben, denn ihre ganze Gewandtheit erforderte die Regierung des Bootes, das sie mit kundiger Hand inmitten der furchtbaren Strömung zu lenken wußte.
Und es war ein wunderbar schönes, wenn auch wildes Bild.
Hochaufgerichtet im Canoe, den schlanken, üppigen und rabenschwarzen Oberkörper nackt bis zum Gürtel, mit jeder Muskel in voller Thätigkeit, stand die Jungfrau. Das wollige, in kleine Zöpfe geflochtene Haar flatterte im Wind, die dunklen, seelenvollen Augen glühten im Triumph über ihr gewonnenes Wagestück, die vollen rothen Lippen hatte sie trotzig aufgeworfen, daß zwei Reihen perlengleicher Zähne sichtbar wurden, und das lange Ruder mit voller Sicherheit, und dadurch auch mit Ruhe führend, glitt sie wie eine schwarze Najade über die schäumende Fluth.
Die zum Strome hinabgesprungenen jungen Männer hatten ihr anfangs erschreckt und sprachlos nachgesehen, denn keiner von allen zweifelte daran, daß die erste und schwerste Sturzfluth auch ihr Schicksal besiegeln und das Canoe rettungslos senken und füllen müßte. Wie es sich aber hob und sank und wieder hob, und die schlanke Gestalt des Mädchens fest und unerschüttert in ihrem Nachen stehen blieb, da donnerte ein lauter Jubelruf der Bewunderung und des Beifalls hinter ihr her, und ein leichtes Lächeln flog über ihre schönen Züge, als er ihr Ohr erreichte. — Aber schon hatte sie die nächste Biegung [S. 176] des Stromes erreicht — wie ein Pfeil glitt der Kahn, von der stürzenden Fluth getragen, dahin — ihr Ruder begegnete der Kraft, die sie an das jenseitige Ufer zu werfen drohte — sie hielt die Mitte des Stromes, und wenige Secunden später war auch der Schrei schon in weiter Ferne verhallt, und hoher, mächtiger Urwald umgab sie an allen Seiten.
Tonio, der kleine schwarzbraune Bursche, dem aber der Muth der Schwester vollständig gebrach, hatte mit Entsetzen sich zum Theilhaber eines Wagestücks machen sehen, das ihm die krause Wolle zu Berge trieb. Mit beiden Händen fest an den Rand des Canoes geklammert, erwartete er auch nichts Geringeres, als dieses sinken und umdrehen zu sehen, wobei sie selber dann, wenn sie an's Ufer schwimmen wollten, gegen die noch immer hier und da aus der gährenden Fluth vorragenden Felsböcke geschleudert und elend zerschellt werden würden. Er war sich auch in dem Augenblick wirklich noch nicht einmal recht klar, ob die Schwester ihr Fahrzeug muthwillig in den Strom hinausgestoßen, oder ob die Sturzfluth sie in ihrem wilden Ansturm vom Ufer losgerissen habe, und das Canoe jetzt, grimmig spielend, seinem Verderben entgegen wirbelte. — Aber es behielt seine Richtung — es schwankte wohl unter den nachpressenden [S. 177] Wellen und tanzte auf und ab, aber der schlanke Bug vermied sorgfältig jede Gefahr, die ihm durch Felsen oder treibendes Holz drohen konnte und hoch und aufgerichtet, mit den blitzenden Augen jeden gefährlichen Punkt bewachend und ihm ausweichend, stand Eva im Rücktheil des Bootes.
Die ersten Wellen hatten dabei wohl ihre Spritzkämme an Bord gesandt und eine Menge Wasser hineingeworfen, das gleich anfangs keine Zeit blieb zu beseitigen. Jetzt aber war die erste Gefahr überwunden, und sich völlig bewußt der weiteren Fahrt auch ruhig begegnen zu können, wandte sie ihre Aufmerksamkeit auch wieder dem Boote zu.
»Komm, Tonio,« sagte sie lachend, »rutsch ein Stückchen weiter zurück zu mir, daß ich das Wasser im Canoe unter die Füße bekomme. Was fürchtest Du Dich, Muchacho, Du weißt ja doch, daß ich ein Canoe zu führen verstehe.«
»Ja, aber Eva,« klagte der Knabe, indem er jedoch dem Befehl Folge leistete, »was fiel Dir denn auch ein, in den Strom hinauszustoßen, wo die Fluth kam. Wenn ich das vorher gewußt hätte, wär' ich gewiß nicht mit Dir gefahren.«
»Du bist gar nicht wie ein Junge, Tonio,« sagte das junge Mädchen lachend, indem sie den rechten [S. 178] Fuß im Canoe feststellte, und dann mit dem linken das im Canoe stehende Wasser faßte, und es so gegen ihr rechtes Bein schnellte, daß es hoch aufspritzend über Bord flog. Mit sechs, acht Streichen hatte sie das kleine Fahrzeug vom Wasser klar, und das bischen Nässe, das zurückblieb — bah, was schadete das den bloßen Füßen der Maid; ja, es kühlte sie eher, indem es darüber hinwusch.
Aber jetzt erforderte der Fluß auch wieder ihre volle Aufmerksamkeit, denn noch war er nicht hoch genug gestiegen, um die darin liegenden Stromschnellen völlig auszugleichen, und vor ihr lag eine Stelle, in der die gelbe Fluth gurgelte und zischte, und überall verrätherische, unter dem Wasser lauernde Felsen kündete.
»Setz' Dich, Eva,« bat Tonio, »wenn das Canoe einen Stein streift, fliegst Du hinaus und kannst Dir Schaden thun.«
»Wenn ich sitze, seh' ich die Felsen nicht,« entgegnete aber die wackere Bootführerin, »hab' keine Angst, Herz, ich führe Dich sicher hindurch. Ist es denn das erste Mal, daß ich durch solches Wasser steuere?«
Im nächsten Moment brodelte und schäumte die Fluth um den Bug und wie es die Wellen faßten, [S. 179] rieb der flache Boden ein paar Mal auf den glatten Steinen. Aber Eva hatte nicht zu viel versprochen, wenn sie dem Bruder versicherte, sie führe durch, was sie begonnen. Jetzt lag das Ruder zwischen ihren Füßen und mit einer leichten, aber zähen Stange, die sie aufgegriffen, lenkte sie den Lauf des Canoes so geschickt, daß es auch nicht ein einzig Mal die Seite den gefährlichen Stellen bot. Blitzesschnell aber schoß das leichte Fahrzeug in den aufgeregten Wassern seine Bahn dahin, und Secunden brauchten sie dazu, um Stellen zu passiren, gegen die sie gestern noch, mit Anspannung aller ihrer Kräfte halbe Stunden lang anarbeiten mußten.
Erst aber nur einmal eine einzige Legua zurückgelegt, und die Gefahr war vorüber; das Wasser fing an sich wieder zu beruhigen — es stieg wohl noch, aber nur langsam, und mit unermüdeter Kraft trieb Eva ihren Nachen weiter.
Nur ein einziges Mal landeten sie auch unterwegs, und zwar an einer Stelle, wo ein alter Neger, ein Freund ihres verstorbenen Vaters, den Urwald gelichtet und einen Platanar angelegt hatte, und der Alte ließ sie nicht fort, ehe sie nicht einen Becher Chokolade bei ihm getrunken hatten. Aber dann ging es auch weiter, und Tonio mußte jetzt [S. 180] ebenfalls sein Ruder nehmen, um noch rascher das Ziel zu erreichen.
Am Cachavi selber trafen sie überhaupt wenig gelichtete Punkte — das tiefer gelegene Land war fruchtbarer, und als sie den ruhigern Bogota erreichten, schien es ordentlich, als ob sie die Wildniß hinter sich gelassen hätten. Noch mußten sie allerdings weite Strecken Wald passiren, aber dann lichtete sich dieser plötzlich, und die breitblätterigen Bananen schüttelten ihre edel geformten Wipfel bis dicht über die, steil unter ihnen abfallende Uferbank. Hochstämmige Cocospalmen ragten mit ihren gefiederten Kronen über die darunter versteckten Wohngebäude der Menschen, und Cacao- und Baumwollenpflanzungen bewiesen, daß auch der freie Neger, wo ihm zu seiner Entwicklung nur Raum gegeben wird, dem Boden mehr abzuringen weiß, als er zu seinem eigenen Bedarfe braucht.
Aber wenig genug beachtete das junge Mädchen diese Anfänge der Civilisation, diese Zeichen regen Fleißes, und nur dann und wann haftete ihr Blick hier und da auf einer freundlicher gelegenen Hütte, aus deren Schattenbäumen vielleicht eine Fülle goldiger Orangen hervorleuchtete, während zahmes Vieh am Ufer des Flusses weidete, denn so hatte sie sich ihre eigene Heimath oft und oft in stillen Stunden [S. 181] ausgemalt, und ein schwerer Seufzer hob dann wohl ihre Brust, wenn sie daran dachte, wie lange sie Beide — sie und ihr José, wohl noch hart und bitter arbeiten müßten, ehe sie das ersehnte Ziel erreicht. — Aber der Arm ruhte dabei auch keinen Augenblick — je näher sie der Mündung des Bogota in den Santiago kamen, desto schärfer griff sie aus, denn jede Viertelstunde, die sie hier versäumte, verlängerte ja auch die Kerkerhaft des Geliebten.
Endlich sah sie das breite, klare Wasser des schönen Stromes vor sich — um die Landzunge bog der Bug ihres Canoes, und dort voraus schimmerten wieder die weißen Häuser von Concepcion im Sonnenlicht.
Oh wie bog sich ihr Ruder gegen die Strömung des Santiago jetzt an, um die kurze Strecke dort hinüber zurückzulegen, und wie trieb sie den Bruder an, den sie bis jetzt so viel als möglich geschont, um sie in dieser letzten kurzen Fahrt zu unterstützen. Er theilte ihre Eile gar nicht, denn dort wartete nur wieder die Werkstatt des kleinen Italieners auf ihn, der er gar so gern noch eine kurze Zeit entgangen wäre — aber die Schwester ließ ihn nicht. Aus allen Kräften mußte er sich in's Ruder legen, und kaum berührte ihr Canoe den Sand, unterhalb der Stadt, als sie auch schon [S. 182] mit flüchtigem Satz an's Land sprang, Tonio die Sorge um das Canoe überlassend.
Kaum nahm sie sich dabei Zeit, ihr Oberkleid wieder umzuwerfen, so drängte es sie, dem Geliebten die Kunde seiner baldigen Freiheit zu bringen, und rasch hatte sie auch das Gefängniß erreicht, aber — ein eisiges Gefühl ergriff ihr Herz, als sie das niedere, unheimliche Gebäude schon von weitem erblickte, denn — die Thür stand offen. — Hatten ihn die Weißen frei gelassen, oder war er —
Ueber den Plan schlenderte der Schließer des Gebäudes, ein alter mürrischer Neger mit einem, von den Blattern ganz zerrissenen Gesicht. — Sie kannte ihn.
»Oh Pedro!« rief sie ihn mit zitternder Stimme an — »wo — wohin habt Ihr José gethan?«
»José?« antwortete der Alte mürrisch — »sein Herr ist mit ihm heute Morgen den Strom hinab gefahren. — Was weiß ich, wohin.«
Eva's Herzblut stockte bei der furchtbaren Kunde. — So war alle Mühe und Aufopferung umsonst gewesen und José — der unglückliche José auf's Neue [S. 183] für sie verloren. Im ersten Augenblick stand sie auch wirklich regungslos und keines Gedankens fähig an derselben Stelle, nur von dem Gefühl ihres Unglücks, ihrer Verlassenheit erfüllt, und der alte Pedro war lange in den Schatten seiner eigenen Wohnung zurückgekehrt, ehe sie einen neuen Entschluß fassen konnte, was nun zu thun — wie zu handeln.
Rigoli — der kleine freundliche Weiße — er blieb jetzt ihre einzige Hoffnung, und wenige Minuten später stand sie in seiner Wohnung.
Der Italiener war allerdings auf's Aeußerste überrascht, sie schon wieder in Concepcion zu sehen, und wollte es kaum glauben, daß sie in der Zeit nach Cachavi hinauf und wieder zurückgerudert sein könne. Aber das mitgebrachte Geld, das sie ihm zeigte, ließ keinen Zweifel mehr, und Rigoli, der indessen den Gefangenen nicht aus den Augen verloren, erging sich nun erst für kurze Zeit in einer Reihe der lästerlichsten Verwünschungen gegen den schuftigen Guajaquilenen, jenen Francoschen Offizier, und gegen den Alkalden selber, der mit ihm jedenfalls unter einer Decke stecke. Eva, die ihn dabei mit keiner Sylbe unterbrach, erfuhr nun, daß er gestern noch einmal bei dem Alkalden gewesen sei, und dort einen heftigen Auftritt mit diesem gehabt habe, als er hörte, daß sich der angebliche [S. 184] Offizier zur Abreise bereit mache. Er verlangte, daß dieser die Rückkunft des abgesandten Boten erwarten solle, der abgegangen wäre um die Summe für den Loskauf des Gefangenen herbeizuholen — ja er erbot sich sogar selber Bürgschaft für die Zahlung des Geldes zu leisten — Alles aber vergebens. Der Guajaquilene behauptete, daß er seinen Diener jetzt gerade nothwendig brauche, da er an den Pailon hinüber und von dort durch den Wald wieder nach Concepcion zurückkehren wolle. Er wisse aber nicht, ob er dort sicher einen Träger bekommen könne. Wenn er zurückkehre und das Geld wirklich bezahlt werde, so ließe sich weiter über die Sache sprechen.
»Und kehrt der Weiße wirklich hierher zurück?«
»Der Teufel trau' ihm!« rief Rigoli heftig aus — »möglich ist's, aber sicher in keinem Fall, denn was ich mir über die Sache denke, so ist dieser vorgebliche Franco'sche General weiter Nichts als ein ganz gewöhnlicher Landspeculant, der die Gegend hier abschnüffeln will, ob er irgendwo einen vortheilhaften Kauf machen kann, ohne Schwielen dabei in die Hände zu bekommen. Wenn er den José aber hier nicht an den Padre abtreten darf, so verkauft er ihn unterwegs, wo er die erste beste Gelegenheit bekommt, und ein paar hundert Dollars daran verdienen kann. Die [S. 185] nöthigen Papiere sind ja leicht genug fabricirt, und wenn er dem armen Jungen, der natürlich weder schreiben noch lesen kann, etwas von baldiger Freiheit vorschwatzt, malt der sein Zeichen unter irgend einen Wisch, den er ihm vorlegt.«
»Armer José,« hauchte das zitternde Mädchen.
»Wenn wir einen anderen Alkalden hätten, als diesen Holzklotz von einem Menschen,« zürnte der kleine Italiener, »so wäre so etwas ganz unmöglich gewesen. Aber mache einmal etwas gegen diesen — ich hätte bald was gesagt. Er blieb dabei, daß kein Gesetz des ganzen Staates irgend einen weißen und freien Mann zwingen könne, seine Reise aufzuschieben, und fort ist er jetzt an den Pailon — ich hab' ihn nicht halten können.«
»Und wenn ich ihm dort das Geld für José brächte,« rief das Mädchen plötzlich, von einem neuen Gedanken ergriffen, »müßte er ihn dort nicht frei geben?«
»Hm,« sagte Rigoli — »aber Du kannst nicht allein an den Pailon gehn — Du kennst ja Niemand dort.«
»Die Señora Bastiano fährt heute oder morgen dorthin ab. Sie befahl mir ihr Canoe rasch zurückzubringen, weil sie es für die Reise brauchte. — Sie [S. 186] nimmt mich mit — und ist auch bekannt dort und geachtet —«
»Geachtet? — hm,« sagte der kleine Schneider, der seine ganz eigene Idee darüber hatte, wie geachtet die dicke Negerin wohl in der, jetzt von lauter Fremden besetzten Ansiedlung sein würde. Aber er mochte dem armen Kinde auch das Herz nicht unnöthiger Weise vielleicht schwer machen und sagte endlich:
»Nun, versuchen kannst Du's immer, Schatz — Schaden wird's nicht thun, ob's Dir aber hilft — Gott weiß es. Säßen wir hier nur nicht so weggesetzt aus der Welt, ich ginge — straf mich dieser und jener, meiner Seel' selber zum Präsidenten, und wenn es selbst dieser blutige Franco wäre, und schenkte ihm einmal ein Glas reinen Wein ein; aber von hier aus müßte ich erst nach Tomaco in Neu-Granada, und dort auf das Dampfboot passen, und wo das Geld dazu hernehmen, wo keiner der hiesigen Lumpe Geld genug im Sack hat, auch nur den Stoff für seine Hosen zu bezahlen.«
»Lebt wohl, Meister Rigoli,« sagte Eva herzlich — »und habt Dank — vielen Dank für die Mühe, die Ihr Euch meinetwegen gegeben. Ich werde es Euch nie vergessen.«
»Bah Mädel,« sagte der kleine gutmüthige Mann, [S. 187] »reden wir nicht weiter davon. Ich wollte ich könnte Dir mehr helfen. Aber laß gut sein, jetzt — geh erst mit Deiner dicken Señora an den Pailon, und wenn Du dann zurückkommst und Nichts ausgerichtet hast —«
»Aber sie müssen ihn doch freilassen, wenn ich das Geld für ihn bezahle.«
»Na ich setze ja nur den schlimmsten Fall — gewiß müßen sie, wenn ihre Gesetze nicht lauter Lügen sein sollten — aber ich meine ja nur so — wenn Du trotz alle dem Nichts ausrichten solltest, dann komm wieder zu mir hierher und — ich weiß dann freilich selber noch nicht, was ich gleich thun werde, aber einen Skandal giebts, darauf kannst Du Dich verlassen — einen Mordskandal, und das Andere — wollen wir dann eben abwarten. Schon gut, Mädel, schon gut, — mach' jetzt, daß Du zu Deiner Señora Bastiano hinüber kommst. Apropos, wo ist denn Dein Bruder eigentlich — ah, da kommt er eben angekrochen. Na! der wird schön müde sein von der Parforcetour. Du hast den Teufel im Leibe. Nun er mag heute schlafen und sich ordentlich ausruhen, daß er mir morgen wieder frisch bei Kräften ist.«
Wie in einem Traum stieg das arme Mädchen die Leiter hinab und eilte dem Hause der Patronin zu, von [S. 188] der allein sie jetzt noch Hülfe und Unterstützung hoffte. Die alte würdige Dame war übrigens den Augenblick bereit, sie mitzunehmen, aber für heute Abend war an den Aufbruch nicht mehr zu denken. Sie hatte das Canoe gar nicht so rasch zurück erwartet — sie mußte ja damit geflogen sein — einige Provisionen mußten auch noch eingelegt, und einige Abschiedsbesuche gemacht werden — Morgen früh aber jedenfalls — je früher desto besser, um die Morgenkühle noch zu benutzen, und dann wollten sie den Señor schon kriegen, der einen freien Mann zum Sclaven herabwürdigte. Sie kannte alle Familien am Pailon — brave ehrenwerthe Leute, mit denen sie in intimster Verbindung stand — die ließen sie nicht im Stich, und Eva konnte ganz ruhig sein, auf dem Rückweg hätten sie ihren José mit im Canoe.
Das Mädchen brannte vor Ungeduld, aber die Señora Bastiano war nicht aus ihrem Gleis zu bringen, und es blieb eben bei der Abfahrt auf den nächsten Morgen.
Schon vor Tag war Eva munter und unten an der Landung, um das kleine Canoe in Stand zu setzen und ja keine Zeit zu versäumen — aber es half ihr Nichts. Eine Reise nach dem Pailon war für die würdige Dame, die nur selten aus ihren vier Pfählen [S. 189] kam, eine viel zu wichtige Begebenheit, um sie so leichthin anzutreten. Die dazu nöthigen Vorbereitungen mußten mit der ihrem Stande würdigen Ordnung getroffen werden. Dabei hatte sie sich überlegt, daß das kleine Canoe ein solches Auftreten aber unmöglich mache, und deshalb beschlossen, ein größeres zu miethen.
Dem lagen nun allerdings keine Schwierigkeiten entgegen, denn große Canoes gab es in Concepcion genug, und ein solches war bald herbeigeschafft, aber es erforderte einige Zeit, ehe eine hübsch und vollständig schattige Laube in dem Heck desselben aufgebaut werden konnte, und wenn auch Eva unermüdlich Bananenblätter und Stäbe herzutrug, und die Arbeiter zur Eile antrieb, so wurde es doch fast zehn Uhr, ehe sie Alles in Stand hatten, und die Señora gerufen werden konnte.
Und jetzt kam sie. Señora Bastiano war wirklich eine Persönlichkeit in Concepcion, — unter der farbigen Raçe wenigstens. Ihr Mann besaß ein nicht unbedeutendes Grundeigenthum und hielt eine Menge Leute in seinen Diensten. Außerdem spielte er ganz vortrefflich die Marimba oder Holzharmonika, und da die alte Señora wirklich ein gutes Herz hatte und viele Arme unterstützte, so war sie gewißermaßen ein Orakel [S. 190] der Neger geworden, die sich bei ihr und ihrem Gatten in schwierigen Verhältnissen gern Rath, und wenn es sein mußte, auch Hülfe holten.
Es ist dabei wunderbar, mit welcher Würde solche alte Negerdamen aufzutreten pflegen, wenn sie einen gewissen Rang in der Gesellschaft einnehmen, oder doch einzunehmen glauben. Keine Fürstin mag es ihnen an huldreicher Herablassung gleich thun, wo sie mit minder Glücklichen zusammen kommen, und da sie sich außerdem sehr gewählt kleiden und fast immer eine sehr tiefe Baßstimme haben, so kann sich der Europäer, wenn er ihnen begegnet, selten eines Lächelns erwehren — aber ich wollte es ihm nicht rathen, daß es die Señora bemerkte. Ein völlig vernichtender Blick würde ihn gewiß dafür strafen.
Señora Bastiano war der Typus dieser Negerfrauen. Wohlbeleibt, wenn auch nicht übermäßig stark, aber sehr voll gebaut, und mit zurückgebogenem Kopf einherschreitend, trug sie ein carrirtes Seidenkleid; darüber, trotz der niederbrennenden Sonne, einen papageygrünen chinesischen Shawl, eine dicke Kette von Bernsteinkugeln um den braunen Hals, und glanzlederne Schuhe aber ohne Strümpfe, und einen hellgelben, seidenen Sonnenschirm oder Knicker, den sie aber nur als Fächer benutzte.
Die Begleitung Eva's war ihr dabei ganz angenehm, denn wenn sie auch selbstverständlich ein Mädchen zur Bedienung mitnahm, sahen zwei doch besser und anständiger aus, und Eva dankte Gott, als sie endlich im Canoe saßen, das von zwei starken Negern gerudert wurde, und sie nun unterwegs waren. Rückten sie doch nun auch mit jedem Ruderschlage ihrem Ziele näher. Sie selber wollte auch gleich mitarbeiten, aber das litt die Señora nicht.
»Laß Du das nur die Leute thun, mein Kind,« sagte sie freundlich, aber bestimmt. »Die haben Mark in den Knochen und bringen uns schon rasch genug vorwärts, ob wir ein paar Stunden früher oder später an den Pailon kommen, bleibt sich doch vollkommen gleich. Du kriegst Deinen José.« Damit war die Sache abgemacht.
Das Canoe war ein breites, sehr bequem hergerichtetes Fahrzeug, aus dem Stamm eines der mächtigen Waldriesen dieser Gegend ausgehauen, mit flachem Boden, daß es nicht so leicht umschlug, und um ihm noch größere Sicherheit zu geben, mit ein paar schwachen Balsastämmen[B] an beiden Seiten. Den [S. 192] dritten Theil des ganzen Canoes deckte dabei eine laubenartige Hütte, gerade hoch genug, daß man bequem, und ohne anzustoßen, darunter sitzen konnte. Sie war einfach durch gebogene und am Canoe befestigte Bambusstäbe hergestellt, über welche die breiten Blätter der wilden und keine Frucht tragenden Banane gelegt und festgesteckt wurden, und so dicht, daß sie nicht allein die Sonnenstrahlen verhinderten durchzubrechen, sondern auch einen recht tüchtigen Regenschauer abhalten konnten, — und auf beides mußte man in diesem Klima gefaßt sein.
In der Mitte der Laube nun, auf einer Anzahl von weichen Matten, saß die Señora, zu ihren Füßen kauerte die mitgenommene Dienerin, und wenigstens des Steuers hatte sich Eva bemächtigt, um doch etwas beitragen zu können, zur Beschleunigung ihrer Reise.
So ruderten sie mit der nicht unbedeutenden Strömung — nachdem der Abschied am Ufer von einer Anzahl anderer würdiger Damen auch noch einige Zeit in Anspruch genommen — rasch vorwärts, und wie ein wechselndes Bild von Palmen, Bananen und mächtigem Urwald, der seine Riesenzweige bis weit über das Ufer hinausstreckte, glitt die Landschaft an ihnen vorüber.
»Siehst Du das Haus dort, an der rechten Uferbank, Eva?« frug da die alte Dame, nachdem sie etwa eine Stunde so gefahren waren, »wo die vielen Orangen stehen?«
»Si Señora.«
»Fahre dort an die Landung.«
»Wollen wir halten?«
»Ja mein Kind; die Señora Piedra würde es mir sehr übel nehmen, wenn ich vorbeiführe, ohne ihr einen guten Morgen zu sagen. — Es sind gar achtbare Leute die Piedras.«
Eva gehorchte seufzend, und eine volle Stunde ihrer kostbaren Zeit wurde damit verschwendet, daß sich ein paar alte Frauen leere Höflichkeiten sagten, und Chokolade dazu tranken.
Und das war nur der Anfang einer vollkommenen Kette von Besuchen gewesen, denn Señora Bastiano schien es mit einem höchst empfindlichen Gefühl von Schicklichkeit ganz unversöhnbar zu halten, daß sie auch nur ein einziges Haus vorbeifuhr, in welchem eine, selbst flüchtige Bekanntschaft wohnte. Und was für Zeit brauchte sie nicht allein zum Ein- und Aussteigen, [S. 194] und dem vorläufigen Anfragen im Hause, wohinauf immer erst einer der Ruderer mußte, um sich zu erkundigen, ob die »Señora« daheim und geneigt sei, den Besuch zu empfangen. Wie sie aber den vierten solcher Besuche gemacht und glücklich beendet hatten, trat die Fluth ein, in deren Bereich sie sich schon befanden, und um ihre Leute nicht unnöthig anzustrengen, wie auch den dringenden Anforderungen einer anderen dicken Mulattin nachgebend, dort zu übernachten, wurde das Boot noch am hellen lichten Tag an Land gezogen und Halt gemacht. Bei Nacht wäre Señora Bastiano überhaupt nicht gefahren — ihre Nerven vertrugen das nicht.
So versäumten sie die Ebbe, und mußten bis zur zweiten Ebbe warten, die erst um neun Uhr Morgens eintrat. Dann erst gingen sie wieder unterwegs, aber auch nur, um diese unglücklichen Besuche zu erneuern, mit denen wieder ein Theil der günstigen Zeit nutzlos vergeudet wurde.
Eva hätte blutige Thränen der Ungeduld weinen mögen, aber selbst ihre Bitten fruchteten Nichts bei der alten Dame.
»Kind, das verstehst Du nicht,« sagte sie leutselig, »wenn Du einmal älter bist, wirst Du auch einsehen, daß man Rücksichten im Leben zu nehmen hat, und [S. 195] daß wir uns selber damit ehren, wenn wir Anderen eine Ehre erweisen.«
Es blieb auch dabei, und als sie endlich die Gegend der Manglaren erreichten, wo die Ansiedelungen seltener wurden, und zuletzt ganz aufhörten, war es zum zweiten Male nöthig geworden, in dem letzten Hause zu übernachten.
Von da an nahmen die Visiten ein Ende; nur im Garcero sprach die Señora am nächsten Morgen noch einmal vor, traf aber glücklicher Weise Niemand zu Hause, da die Bewohner der Ansiedelung sämmtlich nach dem Pailon und San Lorenzo hinaufgefahren waren, und jetzt endlich faßten undurchdringliche Manglaren das sumpfige Ufer ein, Lagune schloß sich an Lagune und bildete Inseln und Küstenland, an dem zur Fluthzeit das Wasser in den Zweigen und wunderlichen Wurzelbildungen der Mongrove wusch, und zur Ebbezeit den von Millionen von Krabben bevölkerten Schlamm offen legte.
Bald fuhren sie auch in den breiten und tiefen Canal des Pailon ein, der in einem rechtwinkeligen Arm erst von dem nördlich gelegenen Ocean nach Süden hineinläuft, und hier von der Mündung der Tolita-Lagune direkt nach Osten einmündet. An dem Süd-Ufer dieses breiten Armes lag das kleine Fischerdorf San Lorenzo.
Es hatte die Nacht über wieder gegossen, was vom Himmel herunter wollte — wie denn überhaupt in diesem Himmelsstrich und inmitten der weiten, waldbewachsenen Niederungen selten eine Nacht ohne Regen vorüber geht — aber jetzt, nachdem sie die Morgennebel niedergedrückt, stand die Sonne frei und klar am Himmel, und beleuchtete die wunderschöne Bai, und blitzte von den Millionen Regentropfen des Waldmeeres nieder.
Vor dem Canoe her strichen ein paar große braune Pelikane, und ein Fregattenvogel stand hoch, mit zitterndem Flügelschlage in blauer Luft, bis er sich einen Fisch zur Beute ersehen, auf den er dann wie ein Pfeil herunter schoß, tief unter Wasser tauchte, und wenige Momente später wieder mit tropfenden Schwingen ordentlich aus der Fluth emporschnellte, um seine Beute hoch in dem eigenen Element zu verzehren.
Bis hierher hatten sie die Ebbe günstig für sich gehabt, von da an aber kam sie aus dem Pailon heraus gegen sie an, und wenn sie auch schon ihre größte Kraft verloren, mußten die beiden Schwarzen nun doch tüchtig rudern, um gegen sie anzuarbeiten. Ein Beilegen in den Manglaren war unmöglich, denn dort hätten sie Mosquitos und eine kleine nichtswürdige Art von Stechfliegen, Jejen genannt, zu Tode gepeinigt, [S. 197] und Señora Bastiano kannte jene Stellen zu genau, um sich vom Ungeziefer mißhandeln zu lassen. Da mochten die Neger lieber schwitzen.
Es war etwa drei Uhr Nachmittags, als sie San Lorenzo endlich erreichten — leider in voller Ebbe, wo das ganze Ufer von einem vielleicht vierzig Schritt breiten Schlammgürtel so vollständig eingefaßt war, daß an ein Landen gar nicht gedacht werden konnte. Die Neger sprangen allerdings über Bord, und schoben das Canoe so weit es nur möglicher Weise ging, auf den Schlamm hinauf und dem Ufer um etwa zehn Schritt näher — dann aber arbeitete ihnen das solide Gewicht der Señora so entschieden entgegen, daß sie es auch keinen Zoll breit weiter vorrücken konnten, und die Señora hatte jetzt die Wahl, bis zur wachsenden Fluth hier draußen sitzen zu bleiben — was immer noch vier volle Stunden dauern konnte, oder das allerdings nicht ganz würdevolle Entree nach San Lorenzo hinein zu wählen, und mit hochaufgeschürzten Röcken durch den etwa knietiefen Schlamm an Land zu waten.
Beides schien ihr gleich unangenehm, so entschloß sie sich denn endlich zu der kürzeren, wenn auch schmerzlicheren Procedur, zog ihre Schuhe aus, die sie Eva zu tragen gab, packte ihrer anderen Dienerin den Sonnenschirm und eine Anzahl anderer Kleinigkeiten [S. 198] mit einem Korb Backwerk auf, das sie den Kindern ihrer Freunde mitgebracht, und — stieg über Bord.
Es war allerdings ein höchst komischer Anblick, die alte würdige Dame in dieser Situation, und dabei mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt, durch den tiefen Schlamm waten zu sehen, und ein paar Fremde, die am Ufer standen, wollten sich auch halb todt darüber lachen — aber um so viel finsterere Falten zog das braune Gesicht der alten Dame, die ihre Kleider in der Angst, sie im Schlamm zu verunreinigen, noch weit höher aufnahm als eigentlich nöthig gewesen wäre. Aber muthig watete sie vorwärts, und hatte endlich die Genugthuung, eine kleine Quelle zu erreichen, die während der Ebbe in ein paar Steinlöchern frisches Wasser hielt, und wo sie im Stande war, sich von ihrem Mädchen die Füße waschen zu lassen.
Dort aber mußte sie noch immer eine Weile in der bisher behaupteten Stellung verharren, bis ihre Dienerin die ihr anvertrauten Sachen abgelegt hatte, und dann im Stande war, ihre Señora mit Hülfe eines Spahns erst von dem gröbsten Schlamm zu säubern, und dann reinzuwaschen. Erst jetzt durfte sie wagen, ihre Kleider fallen zu lassen, und ihre Schuhe anzulegen, um, wie es ihrem Stande zukam, in der Stadt zu erscheinen.
Darauf aber hatte Eva schon nicht mehr gewartet. Leicht und flüchtig, war sie nur wenig in den Schlamm eingesunken, und wie sie nur die Schuhe am Ufer auf einen trocknen Platz gestellt, eilte sie flüchtigen Laufes in die Stadt hinauf, um sich dort nur erst die Gewißheit zu holen, daß José in San Lorenzo angekommen sei und dort weile. Mehr verlangte sie ja nicht — in allem Uebrigen würde ihr die Señora Bastiano gewiß schon helfen.
Armes Kind, auch dieser Weg schien vergebens gewesen, denn gleich im nächsten Haus erfuhr sie, daß gestern allerdings ein »Señor Ecuadoriano,« der ihrer Beschreibung entsprach, mit einem Canoe und einem schwarzen Diener eingetroffen sei, und Verkehr mit den Fremden gehabt habe, dann aber, und zwar noch gestern Abend, oder jedenfalls heute Morgen vor Tagesanbruch zu Lande aufgebrochen sei, denn er habe das Canoe an die Fremden verkauft. Zu Lande konnte er aber keinen anderen Weg eingeschlagen haben, als die erst kürzlich durch die Wildniß ausgehauene »Trocha«.[C] Ob er auf der aber beabsichtige bis zum Bogota, und dann hinauf nach Quito zu gehen, oder ob er nach Concepcion zurückkehren wolle, wußte Niemand anzugeben.
Der gutmüthige Ecuadorianer, dem das junge, in Thränen fast zerfließende Mädchen leid that, ging sogar selber zu den dort eingetroffenen Engländern hinüber, um sich zu erkundigen, ob sie etwas über den Fremden und sein nächstes Ziel wüßten, erfuhr aber auch keine bestimmte Antwort. Er hatte nur, ihnen gegenüber, geäußert, daß er den Weg durch die Trocha einschlagen wolle, um das Land kennen zu lernen. Sein Geschäft war, wie er angab, Juwelenhandel, und er hatte ihnen eine Anzahl von kostbaren Steinen zum Verkauf angeboten. Die Leute aber, die hierher gekommen waren um das Land zu cultiviren, brauchten keine Diamanten und Saphire, und als er fand, daß er hier keine Geschäfte machen konnte, war er ohne Weiteres wieder aufgebrochen.
Als Diener hatte er die Leute mitgenommen, die ihn hierher gerudert, einen jungen Negerburschen und zwei alte Mulatten.
[B] Die Balsa ist ein vollkommen korkähnliches, außerordentlich leichtes weißes Holz — nicht wie der Kork nur die Rinde des Baumes. Der Balsabaum wächst oft zu zwei- und dritthalb Schuh Stärke und eignet sich, seiner fabelhaften Leichtigkeit wegen, ganz vorzüglich zum Wassertransport. Er hat nicht viel mehr Gewicht, als das Mark unseres Ahorns, ist aber fester.
[C] Trocha ein Pfad, nicht mit geebnetem Weg, sondern nur eine Bahn durch den Wald — durch angekerbte Stämme bezeichnet.
Was jetzt thun? In ihrer Verzweiflung lief Eva zurück zur Señora Bastiano, aber die alte Dame war [S. 201] schon, mit ihrer unteren Toilette wieder in Ordnung, auf einer ihrer Staatsvisiten begriffen, die hier natürlich den Weißen — als geborenen Honoratioren, zuerst galten. Sie besuchte gerade einen Ecuadorianer, den sie aber just bei einer etwas wunderlichen Beschäftigung traf. Er stand nämlich unten in seinem Hof und hatte einen alten Topf auf dem Feuer stehen, in dem er bemüht schien, eine Hand voll rostiger Nägel, ein zerbrochenes Harpuneneisen und ein paar ausgediente Vorhängeschlösser abzukochen.
»Ave Maria!« sagte die Señora, indem sie vor Erstaunen die Hände zusammen schlug, »das alte Eisen wollen Sie doch nicht weich kochen, Señor?«
»Ah Señora Bastiano — auch einmal in San Lorenzo?« lachte der Mann. — »Sie kommen gerade recht zum Mittagsessen — haben Sie aber keine Furcht, meine Frau wird Ihnen schon etwas Besseres zubereiten. — Ich koche hier eben nur schwarze Dinte.«
»Aus alten Vorlegeschlössern?«
»Aus altem Eisen und grünen Cocosnußschalen — man muß sich zu helfen wissen, Señora, wenn man so weit von einer Stadt abwohnt. Aber wollen Sie nicht hinaufgehen? Manuelita wird sich unendlich freuen, Sie zu begrüßen. Ich komme auch gleich nach.«
Die Señora folgte würdevoll der Einladung, und [S. 202] als Eva den Platz erreichte, war es unmöglich, jetzt ein Anliegen bei ihr vorzubringen. Sie wäre in diesem Augenblick mit Entrüstung über eine solche Unschicklichkeit abgewiesen worden.
Dicht daneben wohnte eine alte Indianerin mit ihrer Tochter. Wie Eva mit niedergeschlagenen und thränenden Augen auf der Straße stand, rief die Alte gutmüthig von oben herunter:
»Was hast Du, Kind? — weshalb weinst Du? komm herauf.«
Draußen in der Bai lag ein Schiff, dasselbe, das die neuen Einwanderer hierher gebracht. Ein paar betrunkene Matrosen kamen lachend und schreiend die Straße herab, und aus Furcht, von ihnen gesehen zu werden, folgte das arme Mädchen der Einladung.
Dort mußte sie jetzt erzählen, was sie hierher geführt, und weshalb sie so traurig sei, und die Alte schüttelte dabei den Kopf und sagte:
»Die Fremden sind schlimm, aber die eigenen Landeskinder sind noch viel schlimmer, wo sie einen von uns, sei es nun ein schwarzer oder ein brauner Mensch, unterdrücken können. Daß ihre Haut von der Sonne gebleicht ist, während die unsere davon gebrannt wurde — ist's unsere Schuld? aber verachten thun sie uns doch, wo wir ihnen in den Weg [S. 203] treten, und prahlen thun sie auch, daß Gott der Herr uns nur erschaffen habe, um für sie zu arbeiten.«
»Aber wie kann ich den armen Menschen jetzt befreien?« bat Eva, die nur dem einen Gedanken folgen mochte.
»Ja mein Herz,« sagte die Alte kopfschüttelnd, »was willst Du da machen? Wäre es hier im Orte, so könnten Dir die Fremden vielleicht dabei helfen, die bringen Manches fertig, was Unsereiner für unmöglich gehalten hätte. Aber während Du hier herumläufst und Deine Zeit verlierst, marschirt der Weiße ruhig seine Bahn fort, und kommt er dann nachher, wo die Trocha ausläuft, oben an den Bogota, so ist er mit einem der dort immer vorbeifahrenden Canoes fort, und wer soll Dir sagen, ob er stromauf oder stromab gegangen.«
»Und mündet der Pfad an keinem Haus aus?«
»Segne Dich Gott, Kind, nein. Blanker, wilder Wald ist's, durch den er läuft, voll von wilden Schweinen und Schlangen und Tigern, so daß sich keiner von unseren besten Männern allein hinein getraut. Es gehen immer nur wenigstens zwei mitsammen hinein, damit sie Hülfe haben, wenn Einem ein Unglück zustößt.«
Eva hatte mit ängstlich klopfendem Herzen der [S. 204] Beschreibung gelauscht, aber vor ihrer Seele stand nur das Bild des Geliebten, der, selbst während sie hier zauderte, weiter und weiter in eben jenen furchtbaren Wald hineingetrieben wurde, während sie ja die Mittel in Händen hielt, ihn der Freiheit, dem Leben wiederzugeben.
»Und kann ich den Weg finden?« sagte sie endlich, und ihr Auge glühte dabei von einem wilden, fast unheimlichen Feuer — »ich fürchte mich nicht vor dem Walde, ich bin ja darin aufgewachsen.«
»Die Trocha, Schatz?« sagte die Alte — »und wer wird mit Dir gehen?«
»Ich habe Niemand,« seufzte das arme Mädchen, »aber Gott ist mit mir.«
Die Alte schüttelte den Kopf.
»Das ist Wahnsinn,« brummte sie. »Wenn Du auch der Trocha folgen könntest, und wirklich von keinem Tiger unterwegs gefressen würdest, was wolltest Du machen, wenn Dich der Weiße nachher wieder unverrichteter Sache fortschickte — was er jedenfalls thut. Wenn er Deinen José hätte losgeben wollen, so würde er ihn nicht von Concepcion mit fortgenommen haben. Wart's ab, Kind, Du bist noch jung, und es fällt Dir schwer etwas aufzugeben, an das Du Dein Herz gesetzt hast — mit den Jahren [S. 205] lernst Du's« — setzte sie seufzend hinzu, »und — wirst es auch zuletzt gewöhnt. Lieber Himmel, was wird uns hier auf der Welt nicht genommen, das wir lieb und theuer hatten, und die Geistlichen, wenn sie einmal zu uns kommen — sagen dann, man müsse dem lieben Gott für Alles danken — auch für Leid und Trübsal.«
»Wenn ich nur den Platz wüßte, wo die Trocha beginnt,« sagte Eva, die keine Sylbe der letzten Rede verstanden, oder auch nur auf den Sinn geachtet hatte.
Das junge Indianermädchen hatte daneben gestanden, und mit mitleidigen Blicken die Fremde betrachtet.
»Ich weiß den Platz im Wald, wo die Trocha beginnt« sagte sie plötzlich — »ich war dort — ich bringe Dich über den Nadadero hinüber, bis zu der Stelle, wo die niedergebrochenen Stämme über den Sumpf führen.«
»Und was soll ihr das helfen, Muchacha,« rief die Alte, »thörichtes Kinderzeug, das Ihr alle beide seid und glaubt, Ihr müßtet Euren Willen haben zu jeder Zeit. Soll das tollkühne Mädchen etwa allein in die Wildniß hineinlaufen, und elend darin zu Grunde gehn? Wer hat sie dann auf dem Gewissen? — Du und ich.«
»Oh fürchtet nicht für mich,« rief Eva rasch, »ich bin stärker als ihr glaubt.«
»Was hilft Dir Deine Stärke, Kind, wenn Du Dich verirrst und in die Sümpfe, oder gar zurück zu der Bai in die Manglaren hinein geräthst — Perdido! es ist ein entsetzliches Wort, und ich möchte Dir nicht wünschen, daß Du seine Schrecken erfährst. Sei vernünftig und füge Dich.«
Eva stand zaudernd — aber wieder tauchte des armen José Bild vor ihr auf.
»Ich gehe,« hauchte sie — »führe mich, gutes Mädchen — thu' mir die Liebe, und zeige mir den Weg. Du bist ja die Einzige, die mir helfen will.«
»So komm,« sagte das junge Indianermädchen entschlossen. »Sie hat Recht, Mutter; ich würde gerade so an ihrer Stelle handeln.«
»So lauft meinetwegen,« rief die Alte mürrisch. »Wer nicht hören will, muß fühlen, caramba und ich will mit Euch beiden tollen Mädchen Nichts weiter zu thun haben. So viel aber prophezeihe ich Dir, Negrilla — Dein Geld nehmen Sie Dir ab, und Deinen José führen sie trotzdem mit fort. Ich kenne die beiden braunen Schufte, die der Ecuadorianer bei sich hat. — Der Eine von ihnen war es, der meines Vaters Haus bei Esmeraldas in Brand steckte, und [S. 207] daß der Andere nicht in Cachavi vor fünf Jahren gehangen wurde, verdankt er nur seiner schnellen Flucht. Es ist böses, böses Volk, dem Du allein nachlaufen willst und — gebe Gott, daß Dir nichts Schlimmeres geschieht.«
»Gott wird mich schützen und die heilige Jungfrau,« sagte Eva fest — »und Ihr, habt Dank für den guten Rath, aber wenn ich José erst erreicht habe, fürchte ich Nichts. — Er wird mich schon schützen, denn sein Arm ist stark wie Eisen.«
Die Alte seufzte tief auf, aber sie sah wohl, daß sie dem fremden Mädchen den einmal gefaßten Entschluß nicht ausreden könne.
»Halt,« sagte sie aber plötzlich — »dort in der Calebasse ist etwas gebackener Reis — den nimm mit — und da, die Bananen binde in Dein Tuch — Du mußt etwas auf dem Weg zum Leben haben, denn im Walde findest Du Nichts als Negritonüsse, und weiter oben drinnen, wilde bittere Castanien.«
»Tausend, tausend Dank.«
»Und noch eins — dort in der Ecke steht eine alte Lanze, die mir einmal ein Strolch von Neu-Granadienser für Branntwein in Pfand gegeben hat. Er soll heute noch wiederkommen, und das alte Ding lehnt schon drei volle Jahr in meinem Hause hier, [S. 208] und ärgert mich jedesmal, wenn ich es ansehe. Nimm es mit.«
»Die Lanze?« lächelte Eva.
»Ja wohl, die Lanze,« sagte die Frau mürrisch. — »Du magst sie als Stock gebrauchen, zum Gehen — sie ist nicht zu lang dazu, oder als Wehr, wenn Dir etwas zustoßen sollte — wer weiß es denn, und zu schwer ist sie auch nicht zum Tragen. — Und noch eins, merke Dir den Weg gut durch den Sumpf, wenn Du allein zurückkehren solltest, daß Du den nachher nicht verfehlst, und dann — dann sprich wieder hier vor.«
»Wie soll ich Euch für Alles danken,« sagte das junge Mädchen schüchtern.
»Für was, für das alte Eisen?« brummte die Frau. — »Am allerliebsten ließ ich Dich gar nicht gehen — ja ich weiß schon,« setzte sie hinzu, als Eva eine bittende Bewegung machte, »all' mein Reden hilft mir doch Nichts — also lauf — und daß Du mir bald wieder zurückkommst, Cherita — bis zum Sumpf magst Du mitgehen, aber weiter keinen Schritt.«
»Weiter kann ich ihr ja auch Nichts helfen, Mutter,« sagte das junge Mädchen — »so komm, Fremde — Du hast einen weiten Weg;« und rasch stieg sie [S. 209] die Leiter hinab, während Eva noch einmal der Alten, statt weiteren Dankes, die Hand schüttelte, und der Vorangegangenen dann freudig folgte.
Es war ein wunderliches Paar, die beiden Mädchen. Die junge Negerin, voll aufgeblüht, mit dem Typus der aethiopischen Raçe, aber alles Unschöne daran gemildert, und mit dem vollen Ebenmaß ihrer Glieder, schlank und hoch gewachsen, während die Indianerin, vielleicht kaum sechzehn Jahre zählend, von lichtbrauner Farbe, wohl schlank, aber kleiner und schmächtiger war als Eva. Ihre Züge trugen den vollen Ausdruck der kaukasischen Raçe. Herrliches langes, schwarzes Haar floß ihr um die Schultern, und die dunklen, seelenvollen Augen wurden von den herrlichsten Wimpern beschattet. Auch ihre Hände und Füße waren zierlich und klein geformt, aber ihr ganzer Körper schien fast zu zart für dieses wilde Leben, und als Eva rasch und rüstig neben ihr hinschritt, faßte sie bittend ihre Hand und sagte:
»Du darfst nicht so rasch gehen, Fremde — mir thut es sonst hier in der Seite weh.«
»Bist Du krank, Herz?« frug Eva freundlich.
»Nein,« lächelte das junge Mädchen wehmüthig. — »Die Mutter behauptet es freilich, aber nur, weil sie sich so übermäßig sorgt. Siehst Du, so geht es [S. 210] ganz gut, und wir kommen doch rasch von der Stelle.«
So schritten die beiden Mädchen durch das Fischerdorf, das nur aus einzelnen, über den Rasen zerstreuten Häusern bestand, und tauchten in ein kleines Dickicht ein, durch welches ein sumpfiger Weg nach den Platanaren führte. Aber was kümmerte sie der Schlamm — beide hochgeschürzt und mit nackten Füßen, schritten sie rasch hindurch, und passirten jetzt die Bananenanpflanzung, in der sie eine Masse gefällter und darin umhergeworfener Bäume überklettern mußten.
Dicht dahinter lag der Nadadero, ein kleiner, reizender Waldstrom mit klarem Wasser, aber überall leicht zu durchwaten, und an dem anderen Ufer desselben betraten sie den eigentlichen Wald, aber hier noch licht und offen, aus Oelpalmen und der Palma real, Negritos und Laubwald bestehend.
Hier zeigte ihr Cherita zuerst den Beginn der Trocha — der sie von jetzt zu folgen hatte, und die hier aus weiter Nichts bestand, als einzelnen Marken an den Bäumen — ein Stück Rinde abgeschlagen oder einen Busch eingehauen, denn kein wirklicher Fußpfad führte hier hindurch. Die Hauptschwierigkeit war aber, den Durchgang durch den nächsten [S. 211] Sumpf zu finden, und die Indianerin hatte sich den gemerkt. Der Platz lag auch nicht mehr weit. Kaum eine Viertelstunde mochten sie so zurückgelegt haben, als sich das Terrain wieder senkte, und bald führte sie ihre Begleiterin seitab von den Marken zu einer Stelle, wo einer der mächtigen Waldriesen querüber in den Sumpf geschlagen war. Hier blieb sie stehen.
»Dort ist Dein Pfad, Schwester,« sagte sie leise, »und mag Gott Dich schützen, daß Du Deinen Zweck erreichst. Cherita wird für Dich beten.«
»Dank, Dank, Du herziges Kind,« sagte das junge Negermädchen gerührt, umschlang sie mit ihren Armen und drückte einen Kuß auf ihre Lippen.
»Und werd' ich es je erfahren?«
»Ich sende Dir Botschaft — verlass' Dich darauf.«
»Sei glücklich!« flüsterte die Indianerin noch einmal, während ein Paar große, helle Thränen ihre Augen füllten. Dann wandte sie sich ab und kehrte nach dem Dorf zurück, während Eva, den Lanzenschaft als Stütze brauchend, auf den alten Baum hinübersprang, und mit flüchtigen Schritten darauf hin eilte, ihrem Ziel entgegen.
Es war ein ganz eigenes, fast erdrückendes Gefühl, das Eva's Herz erfaßte, als sie zuerst allein in den düstern Urwald eintauchte, der in keinem Lande der Welt mächtiger und bewältigender auftritt, als in diesen Sümpfen. Aber sie schaute weder rechts, noch links — José war der einzige Gedanke, den sie kannte, und nur ihr Auge flog forschend über die nächsten Büsche, um die angehauenen Zweige und dadurch die einzig richtige Bahn nicht zu verfehlen.
Hier im Anfang war das freilich noch nicht möglich, denn der Zufall hatte da, wo der abgebrochene Wipfel des einen Baumes endete, einen anderen ihm entgegengeworfen, so daß diese beiden den schlimmsten und tiefsten Theil des Sumpfes vollkommen überdeckten. Wo sie den Baum verlassen mußte, sank sie nur noch auf mehrere Schritte weit bis über die Knie in flüssigen Schlamm, und zähes, dicht verwachsenes Wurzelwerk, das durch seine zahllosen und festen Fasern vielleicht eine Brücke über einen unsichtbaren Abgrund bildete, denn der eingestoßene Lanzenschaft fand keinen Grund. Aber dicht vor ihr lag fester Boden, und dort zeigte auch bald ein von einem Popabaum [S. 213] abgehauener Spahn mit der, an dem Stamm hinuntergelaufenen dicken und süßen, aber schon gelb gewordenen Milch deutlich und leicht erkennbar die Stellen, wo sich die Trocha in den Wald hineinzog.
Dicht über ihr ertönte plötzlich ein gellender Schrei, und Eva schrak empor, aber es war nur ein Affenschwarm, den ihr Erscheinen geängstigt hatte, denn die scheuen Thiere flüchteten jetzt über die dicht in einander gewachsenen Wipfel hin, um eine ruhigere Stelle zu suchen, als diese, und doch lag auch hier Todesschweigen auf der Waldung. Doch das Mädchen wendete dem plappernden, davon flüchtenden Trupp keinen Blick zu; nur ängstlich forschte sie nach den spärlichen Zeichen, die das Messer der Weißen hie und da an einem Busch zurückgelassen, und mit den nackten Füßen flog sie dabei leicht hin über niedergebrochene Aeste und weiter hin, als sie die Hügel erreichte, über rauhes Gestein.
Aber je weiter sie kam, desto deutlicher wurde auch die Trocha, die man Anfangs, wie noch unsicher der Richtung, kaum bezeichnet hatte. Durch das ärgste Dickicht fand sie an manchen Stellen eine ordentliche und breite Bahn freigehauen, und brauchte jetzt wenigstens nicht mehr zu fürchten, ihren Weg zu verlieren.
Wie still und geheimnißvoll lag aber der Wald! Wie das rauschte und brauste! Doch Eva war in dem Walde ja daheim, und fürchtete nicht seine Oede und Einsamkeit.
Huhp, Huhp! klang von da drüben her der wie hülferufende Ton einer ängstlichen Stimme.
»Rufe nur!« lachte das Mädchen trotzig vor sich hin, »mich lockst Du nicht von meinem Wege ab, falscher Verirrter!«[D] und fester packte sie ihren Lanzenschaft und glitt die steilen, schlüpfrigen Lehmabhänge nieder, watete durch niedere Bergwasser und klomm an feuchten Hängen hinauf, immer und aufmerksam der angezeigten Spur folgend.
Wohl hielt sie dabei den Blick am Boden selber, denn gerade von diesem Theil des Landes waren ihr gar schreckliche Geschichten erzählt worden, wie er von giftigen Schlangen wimmeln sollte. Aber sie fand bald, daß es in ihren heimischen Wäldern grade so viel, oder besser, grade so wenig gab, als hier, denn nur selten einmal sah sie eine kleine Schlange scheu aus der Trocha hinaus in das Dickicht schlüpfen, und wandte den Kopf nicht einmal, um nachzusehen.
Vorwärts lag ihre Bahn, aber wie schwül es hier in dem feuchten Walde war, in den dichten Büschen, während die niederen Negritopalmen mit ihren wunderlich stacheligen Fruchtkugeln den Raum zwischen Unterholz und Palmenkronen vollständig ausfüllten, und dadurch den Wald so dichteten, daß kein Sonnenstrahl auf das dunkelgelbe nasse Laub fallen, und es je abtrocknen konnte.
Und wie das plötzlich raschelte und wühlte, und brach um sie her. Erschrocken hielt sie still und horchte, aber es war nur ein Rudel von wilden Schweinen, von Seynos, von denen sie nichts zu fürchten hatte, wenn sie nicht eines der Jungen angriff, das dann vielleicht durch sein Quietschen die Alten zu Hülfe gerufen. Grunzend, und dann und wann einander bei Seite stoßend, durchwühlten sie quer über die Trocha hinüber den Grund, und Eva blieb dicht vor ihnen stehen, um sie erst vorüber zu lassen.
Da bekam ein alter Keiler Wind von ihr, und hob sichernd den Rüssel.
»Fort mit Dir, Bursche,« rief das Mädchen, und schwenkte die Lanze, und mit einem lauten, halb erschreckten, halb ärgerlichen Grunzen floh die schwarze Gestalt in den dicken Busch hinein, wohin ihm das alarmirte Rudel jetzt flüchtig folgte. Ein wahrhaft [S. 216] mephitischer Geruch erfüllte aber die Luft, durch die sie davon gestürmt.
Und weiter verfolgte das junge Negermädchen ihre Bahn. Ein kleiner, reißender Waldstrom lag quer durch ihren Pfad, aber was kümmerte sie der, sie schwamm hindurch und nahm sich, drüben am anderen Ufer angelangt, kaum Zeit die tropfenden dünnen Kleider nothdürftig auszuringen. Vorwärts mußte sie; überall vor sich im Wege sah sie die deutlichen Spuren der vorangegangenen Männer, den Eindruck von den Stiefeln jenes Guajaquilenen, die Fährten der nackten Füße seiner drei Begleiter, und sie wußte, daß die schmalste davon ihrem José gehörte — vorwärts, denn einen großen Vorsprung hatten diese, und erreichten sie den Bogota vor ihr, dann war auch dieser schwere Gang vergebens, und der Geliebte vielleicht auf immer für sie verloren.
Immer wellenförmiger wurde das Terrain, und gegen Abend umwölkte sich auch der bis jetzt lichte Himmel, und der Regen viel in Strömen herab. Wohl passirte sie jetzt wieder eine der mit Palmzweigen gedeckten Hütten, in denen Wanderer schon übernachtet hatten, und darunter hätte sie im Trocknen ausruhen können. Aber was that ihr das Wasser! Durchnäßt war sie doch schon lange, in ihrem dünnen Zeug, und [S. 217] in dem heißen Klima kühlte sie das eher, als daß es ihr hinderlich gewesen wäre. Weiter strebte sie, weiter, und als der Abend endlich zu dämmern anfing, beflügelte sie ihre Schritte nur noch mehr, als ob sie damit der einbrechenden Nacht hätte entfliehen können.
Umsonst; furchtbar rasch schwand die kurze Dämmerung, und als sie trotzdem ihren Weg noch fortsetzen wollte, sah sie doch bald die Unmöglichkeit eines solchen Wagnisses ein.
Kaum eine Viertelstunde war vergangen, seit sie oben am Himmel durch eine gelegentliche kleine Lücke in den Baumwipfeln die Wolken sich hatte in der Abenddämmerung röthen sehen, und wenn auch der Himmel noch licht, wie ein zartes, helles Gewebe, durch das Baumgewölbe schimmerte, lag doch schon tiefe, undurchdringliche Nacht auf dem Urwald drunten.
Eva sah bald die Unmöglichkeit ein, ihren Weg in dieser Finsterniß zu verfolgen. Sie war nicht mehr im Stande die Zeichen der Trocha zu erkennen. Nur einen riesigen Baumstamm sah sie noch durch das Dunkel schimmern, und eilte jetzt zu dessen Wurzel, um dort und im Schutz seiner Zweige den dämmernden Morgen zu erwarten.
Und wie das jetzt um sie her lebte und sich regte [S. 218] in der Wildniß, denn mit einbrechender Nacht erwachen ja die meisten Waldbewohner erst zu ihrer geheimnißvollen Thätigkeit. Nicht weit von ihr suchte wieder ein Affenschwarm seinen Ruheplatz für die Nacht, und wie das da oben in den alten Wipfeln plapperte und kreischte und zankte und grunzte! Es war ein entsetzlicher Lärm, ehe sie alle einen bequemen Sitz gefunden hatten, und keiner den andern mehr belästigte. Endlich wurde es still, nur ein oder das andere kleine Aeffchen gab noch manchmal einen Schrei von sich, dann verstummte auch das.
Jetzt hämmerte plötzlich, dicht über ihr im Baume ein Specht, der Carpintero, wie ihn die Ecuadorianer nennen. Was suchte der noch in der Dunkelheit? Aber er schwieg rasch, denn nebenan im Gebüsch begann »die verlorene Seele« ihr leises, klagendes Lied, nicht unähnlich dem Ansetzen unserer eigenen heimischen Nachtigall, aber viel stärker, viel seelenvoller, mit einem Ton, als ob er dem furchtbarsten Gram eines bedrückten, kummervollen Herzens Laute gäbe.
Die »verlorene Seele« nennt der Indianer diesen Vogel, und Eva traten die Thränen in die Augen, als sie den klagenden Tönen lauschte, die genau so klangen, als ob sie aus ihrem eigenen Herzen kämen.
Es war völlig Nacht geworden, und mächtige [S. 219] Leuchtkäfer schwirrten durch die Finsterniß und zuckten, wie kleine Miniaturblitze, in gelben und grünen Lichtern von Busch zu Busch. Und jetzt, da bellte eine Schlange, nicht zehn Schritt von ihr entfernt, die wahrscheinlich die Nähe eines Menschen gewittert hatte. Unwillkürlich griff das junge Mädchen nach der am Baum lehnenden Waffe, um das ekle Geschöpf von sich abzuhalten; war es doch auch ein unheimlicher Gast, ihm in der Finsterniß zu begegnen.
Deutlich konnte sie das Ungethüm durch das Laub schlüpfen hören, wie es sich über die feuchten Blätter hinwegwand, aber es kam nicht näher, es scheute die Nähe der Menschen, und nahm die Richtung seitab von dem Baum.
Und das alte faule Holz umher fing an zu leuchten, und nahm phantastische, abenteuerliche Formen an. Von allen Seiten schimmerte es durch den Wald; dort hing ein altes, halbverfaultes Blatt von einer Negritopalme nieder und zeigte in seinem Phosphorschein die skelettgleichen Rippen der Blätter, hier glich ein heruntergebrochener, von feuchtem Moder überzogener Ast in seinen Windungen der Form einer glühenden Schlange.
Jetzt ein leiser, leichter Schritt durch den Wald; eine Tigerkatze vielleicht, die auf Beute ausging, und [S. 220] scheu die fremde, aber auch gefürchtete Witterung umschlich, die sie bekommen, und nun — Eva fuhr entsetzt von ihrem Lager empor, ein lautes Prasseln und Brechen durch die Zweige, und gleich darauf ein schmetternder Schlag, der den Boden selbst erbeben machte, aber ihr drohte keine Gefahr. Nur einer der alten Waldriesen, der vielleicht Jahrtausenden getrotzt, war niedergebrochen, in seinem Fall das ganze, ihm im Wege stehende Unterholz mit sich zu Boden reißend. Die Affen wurden wieder laut und schnatterten und klagten, und die Eule antwortete mit ihrem monotonen, hohlen Ruf dem dumpfen Fall des niedergebrochenen Baumes.
Das junge Mädchen sank wieder auf ihr Lager zwischen den alten Wurzeln zurück, und wenn es sie auch jetzt in dem dünnen, nassen Zeug, trotz der warmen Nacht, anfing zu frösteln, drückte sie sich doch in Moos und Blätter hinein, und war bald sanft und süß eingeschlafen.
Kaum eine Legua von ihr in der Trocha, an einer der schon früher errichteten und mit Palmenblättern gedeckten Ranchos hielt an dem nämlichen Abend Señor Cerro, um dort zu übernachten, und warf sich, als er die Stelle erreichte, todesmüde unter einen [S. 221] Baum, daß seine Leute indessen den Schlafplatz wieder herstellen konnten.
Ein ziemlich starker Baumast war nämlich in der Zeit, in der er nicht gebraucht worden, auf den Rancho gestürzt, und hatte ein Paar von den Stangen zerbrochen und einige Blätter geschädigt. Außerdem mußte auch das alte Laub, was zur Lagerstatt gedient hatte, hinaus- und fortgeschafft werden, ehe sich der Weiße hineinwagte, denn wer wußte, ob es nicht Schlangen, Centipeden, und welches andere Ungeziefer noch beherbergte.
Señor Cerro war gerade nicht bei guter Laune. Er hatte unterwegs einen Affen zu ihrem Abendbrod schießen wollen, dem flüchtenden Trupp aber nicht so rasch nachkommen können, und wie er ihnen im Dickicht den Weg abzuschneiden suchte, war er mit dem Gewehr gestürzt, daß an diesem der Schaft abbrach.
Einer der Mulatten versuchte zwar, ihn mit Bast wieder zusammenzuschnüren, aber es ging nicht, er bekam keinen Halt, und mißmuthig ließ der Ecuadorianer endlich die doch jetzt nutzlose Waffe zu dem übrigen Gepäck in einen der Körbe legen.
Seine drei Diener gingen indessen rüstig daran, das Lager wieder in Ordnung zu bringen, und der Eine von ihnen nahm die Axt und fällte ein paar junge, [S. 222] gut bewipfelte Palmen, während der Andere mit seiner Macheta die einzelnen langen Blätter abhieb.
José, der arme Bursche und Leibeigene seines strengen, mürrischen Herrn, faßte dann das Mittelblatt an der Spitze, riß es von einander und trat zwischen die Hälften, bis er das Hauptblatt dadurch in zwei völlig gleiche Theile schied, die dann sowohl dazu dienten, das Dach des Ranchos wieder auszubessern, als auch zu Schlafmatten verwandt werden konnten. Diese wurden zum Rancho geschleppt und sorgfältig ausgebreitet, und in kaum einer halben Stunde war die Wohnung für diese Nacht wieder völlig regendicht und mit einer neuen Matratze versehen auf's Neue hergestellt.
Der älteste Mulatte hatte indessen noch eine andere stärkere Palme umgehauen, deren Wipfel er von einander hieb, um zu dem Herz oder Kern zu gelangen, denn diese Stelle enthielt ein schneeweißes, vortreffliches Mark, das ausgezeichnet schmeckte und recht gut als Gemüse dienen konnte.
José packte indessen aus dem Provisionskorb den er unterwegs zu tragen hatte, die für den Herrn mitgenommenen Lebensmittel, scharf geröstetes Schweinefleisch und in Fett hart gebratene Bananenscheiben, sowie einige getrocknete Fische aus, und stellte den [S. 223] eisernen Topf zum Feuer, um die Chokolade darin zu kochen.
Es war aber plötzlich vollständig dunkel geworden, und der Ecuadorianer hatte sich auf die am besten ausgepolsterte Seite des Rancho geworfen und suchte die Beendigung der Mahlzeit durch Flüche und Verwünschungen zu beeilen. Um die Langeweile indeß zu tödten, fing er die einzelnen großen Leuchtkäfer, die von dem Feuerschein herbeigelockt, herüber und hinüber durch den Rancho schwirrten, drückte ihnen die Flügeldecken auseinander, daß der darunter leuchtende hellgelbe Punkt deutlich zum Vorschein kam, und mit den beiden grün schimmernden Kugeln, welche die schönen Thiere am Kopf trugen, wie Edelsteine erglänzten. Dann band er sie neben einander an eine der Querstangen des Rancho, so daß sie ordentlich Licht darin verbreiteten, und ließ die armen Thiere dort in all ihrer Pracht sich abzappeln und quälen, bis mit ihrem Tod auch der Feuerschein erlosch.
Aber selbst dieses Licht genügte ihm nicht, seine endlich fertige Mahlzeit dabei zu verzehren, denn während er aß und die beiden Mulatten ihre eigenen Vorräthe heraussuchten, mußte José eine kleine Fackel von zusammengeknetetem Gummi elasticum halten, die ein zwar dunkelrothes aber doch vollkommen helles Licht [S. 224] verbreitete, und — als der Herr endlich abgespeist, wieder ausgelöscht und in ein Blatt gewickelt wurde, um bis zum nächsten Abend aufgespart zu werden.
Die Diener mochten ihre Mahlzeit beim Schein des Feuers verzehren, oder im Dunklen, wie sie wollten.
Seine Decken waren indessen für den Herrn ebenfalls ausgebreitet worden, und eine zum Daraufliegen, die andere zum Hineinhüllen benutzend, war er bald sanft und fest eingeschlafen.
Am nächsten Morgen dämmerte kaum der Tag, als José schon wieder emsig beschäftigt war, das Feuer frisch anzufachen, das ein gegen Morgen gefallener Regenguß völlig ausgelöscht hatte. Er trug zu dem Zweck die trockenen Hülsen einer reifen Cocosnuß bei sich, die wie Zunder fangen und die Gluth bis zur letzten Faser hartnäckig halten. Es war übrigens kein leichtes Stück Arbeit, in diesem nassen Walde, wo Alles bis in das Mark hinein von Feuchtigkeit durchdrungen ist, ein helles Feuer anzufachen, und er gebrauchte eine lange Zeit dazu. Indessen der Herr schlief ja noch, und endlich hatte er es so weit, um den Chokoladentopf wieder an die Gluth setzen zu können. Die Sonne war aber schon lange über den Horizont herauf, als er damit zu Stande kam, und [S. 225] da sich die beiden Mulatten ebenfalls nicht sonderlich beeilten, ihre Morgenruhe zu unterbrechen, war es fast acht Uhr geworden, ehe sie wieder an den Aufbruch denken konnten.
Aber ihr Ziel lag nicht mehr weit. Kaum eine halbe Stunde bequemen Marsches brachte sie an das Ufer des breiten Bogota, und sie fanden hier schon, nachdem sie zuerst ein häßliches Bambusdickicht passirt waren, einen ziemlich großen und freien Platz ausgehauen, der selbst vom Fluß aus deutlich sichtbar war, und die Stelle künden sollte, an welcher die Trocha ausmündete.
Aeußerst vorsichtig schritten aber die Diener über jene Stelle, welche durch den Bambus ausgehauen war, denn den zwar kleinen, aber furchtbar harten und scharfen Dornen, welche an dessen Auszweigungen sitzen, und mit denen der Boden hier bestreut war, boten selbst ihre harten, aber nackten Sohlen nicht hinlänglich Widerstand. Den Lagerplatz dagegen hatten die früher hier Gewesenen vollständig abgeräumt, und es war dort sogar ein großer Rancho gebaut, um unmittelbar am Ufer übernachten zu können.
Schon von Weitem konnten die Wanderer die breite und offene Lichtung im Walde und damit das erste Ziel ihres beschwerlichen Marsches erkennen, [S. 226] denn dort auf dem Strome lag der Sonnenstrahl, der nie in diese dichten Wälder drang, und es war ein ganz eigenthümlich wohlthuendes Gefühl, mit dem sie den offenen, freien Platz betraten.
Der Guajaquilene schien sich aber am wenigsten diesem Genuß hinzugeben, denn so bequem er bis jetzt seinen Weg verfolgt hatte, so rasch sprang er nun an das Ufer und schien dort ein Canoe zu suchen, das, wie man ihm am Pailon gesagt, dort angebunden liegen sollte. Aber nirgends war ein dem ähnliches Fahrzeug zu erblicken, und gerade dort, wo die Trocha am Ufer des Bogota ausmündete, lag weder an dieser, noch an der anderen Seite ein besiedelter und dann auch bewohnter Platz. Wald, dichter, undurchdringlicher Wald deckte beide Ufer, und noch viel dichter in der unmittelbaren Nähe des Wassers, als weiter zurück, denn hier war er noch mit Bambus und Schling- und Schmarozerpflanzen verwachsen.
»Caracho,« murmelte Señor Cerro leise zwischen den Zähnen durch, indem er den Fuß unwillig auf den Boden stampfte, »ob man sich auch noch auf einen Menschen in der Welt verlassen kann.«
»Kein Boot da, Señor?« frug der eine Mulatte, »nun wartet nur ein klein Weilchen, den Bogota fahren immer Canoes hinunter und hinauf.«
»Aber ich will weder hinunter noch hinauf.«
»Weiß schon, Señor,« grinste der Mulatte, »aber wenn wir erst Hand auf Bug haben, fährt es uns hin, wohin wir wollen, auch gerad' über den Strom.«
»Und glaubt Ihr gewiß, daß Ihr den Weg nach Alto Tambo finden könnt?«
»Sicher wie was,« nickte der Gelbe, »Señor hat doch das kleine gelbe Messingding?«
»Den Compaß? Ja!«
»Schön — der zeigt genau die Richtung an, und wenn wir fortgehen, wie die Trocha läuft, immer gerade aus, so treffen wir auf Camino real, können ihn gar nicht verfehlen; läuft gerade quer durch von Cachavi nach Malbucho hin.«
»So wollen Sie nicht zurück nach Concepcion, oder hinauf nach Cachavi, Señor?« frug José erschreckt.
»Du, mein Bursche,« sagte der Mulatte tückisch, »gehst hin, wohin man Dich schickt, und wenn Dein Herr weder Lust nach Concepcion noch Cachavi hat, so schleppst Du Deinen Bambuskorb eben durch den Wald. Was kann's Dich kümmern.«
»Und ist der Wald nicht zu dicht?« fragte noch einmal der Ecuadorianer, ohne von des Negerburschen Frage die geringste Notiz zu nehmen.
»Si, un poco!« lachte der Andere, »aber wir kommen schon durch. Nero geht mit der Macheta vorweg und Señor hinterher, und sagen nur immer nach dem Compaß, rechts oder links, oder gerad aus — dauert zwei Tage, sind wir im Weg.«
»Und Lebensmittel?«
»Bah, Menge von Palmen und wildem Honig und Kastanien. Kommen schon durch — besser wie durch Cachavi.«
»Ich weiß nicht — ich wäre doch lieber erst nach Cachavi gefahren, um dort frische Lebensmittel einzunehmen.«
»Da geht Nero aber nicht mit,« sagte der erste Mulatte trocken.
»Caramba,« rief der Ecuadorianer, »glaubst Du, es würde Einer der schwarzen Schufte dort wagen dürfen, Hand an Dich zu legen, so lange Du in meinen Diensten stehst? Den wollte ich sehen.«
»Quien sabe,« brummte der Mulatte achselzuckend — »besser ist besser, und wir sparen dabei noch außerdem eine lange Strecke Weg.«
»Wenn nur mein Gewehr nicht zerbrochen wäre.«
»Machen wir wieder,« lachte der Mulatte — »gar nicht weit von hier am Fluß — glaube ein Stückchen weiter oben, wohnt ein Schmied, der legt ein Blech [S. 229] darum. Der hat auch großen Platanar, nehmen wir Lebensmittel und gehen dann gerad' durch, durch den Wald.«
»Wenn nur erst ein Canoe käme.«
»Hallo, was ist das?« rief der Mulatte rasch, und drehte den Kopf der Richtung zu, von der sie eben hergekommen — »dort geht ein Mensch.«
»Ein Mensch?« rief der Ecuadorianer emporfahrend, denn allerdings war es etwas Außerordentliches, in dieser Wildniß noch ein lebendes Wesen zu finden — »Caramba — ein Mädchen?« fuhr er aber noch überraschter fort, als im nächsten Augenblick Eva aus den Büschen trat. Aber diese achtete weder auf ihn noch einen der beiden Mulatten; nur José hatte ihr fernsehender Blick gesucht, nur auf diesen sprang sie zu, und seine Hand ergreifend rief sie freudig aus:
»Gott sei Dank, José! Gott sei Dank, so war mein langer einsamer Weg doch nicht umsonst, und ich bin noch zur rechten Zeit gekommen.«
»Meine Eva!« rief der junge Bursch bewegt — »aber wie um Gottes Willen kommst Du in diese Wildniß — Von Concepcion in einem Canoe?«
»Hat das Mädchen ein Canoe bei sich?« frug der Ecuadorianer rasch und erfreut.
»Nein, Señor,« sagte die junge Negerin, langsam dabei den Kopf schüttelnd — »derselben Trocha bin ich gefolgt wie Sie —«
»Allein?« rief Nero erstaunt.
»Wie ich hier stehe.«
»Mein armes, armes Mädchen,« sagte José gerührt, »aber hier sind wir am Bogota-Fluß, und das nächste Canoe kann und wird Dich wieder zwischen die Ansiedlungen bringen. Wenn Dich nun eine Schlange gebissen, oder ein wildes Thier gefaßt hätte.«
»Die Thiere des Waldes sind barmherziger als die Menschen,« sagte das Mädchen leise.
»Und wo willst Du hin, Muchacha?« frug sie der Ecuadorianer, indem sein Blick die tadellosen Formen des Mädchens überflog — »Du kannst bei uns bleiben, wenn Du Lust hast — es soll Dein Schade nicht sein.«
»Ich wollte zu Euch, Señor?«
»Zu mir? Caramba!« lachte der Ecuadorianer vergnügt auf, »das trifft sich ja herrlich, denn in dem vermaledeiten Wald ist das Leben langweilig und öde genug.«
»Zu Euch — José's — Eures Dieners wegen,« fuhr aber die junge Negerin fort, ohne den Doppelsinn der Worte zu verstehen oder zu beachten.
»José's wegen? In der That, und was hast Du mit dem zu thun, wenn man fragen darf?«
Eva antwortete nicht gleich. Sie knüpfte von ihrem Gürtel das kleine Säckchen mit Silber los, das sie sorgfältig da vorne verwahrt hatte, und es dann in der Hand dem weißen Mann entgegenhaltend, sagte sie bittend:
»Nehmt das, Señor, ich bin einen weiten, mühsamen Weg gekommen, um es Euch zu bringen, und ich habe lange, sehr lange hart arbeiten müssen, bis ich so viel zusammenbringen konnte, aber es ist mit Freuden geschehen, wenn ich mir damit José's Freiheit erkaufen kann. Nehmt, es ist mehr, wie sein jährlicher Lohn beträgt; es sind sechsundvierzig Dollars, und laßt uns dann mitsammen in die Heimath ziehen.«
»Eva, mein braves, wackeres Mädchen!« rief José.
Der Ecuadorianer aber, während des armen Kindes Blicke in Angst und Hoffnung an ihm hingen, nahm lächelnd das Geld und wog es in der Hand.
»Also das ist Dein Schatz,« sagte er höhnisch, »und nur seinet-, nicht meinetwegen bist Du hier in den Wald gekommen?«
Des Mädchens Blick hing zitternd an den kalten, spöttischen Zügen des Weißen.
»Und gebt Ihr ihn jetzt frei?«
»Frei?« lachte dieser, »wenn das Alles wäre, was er mir schuldete! Aber glaubst Du denn, Du albernes Ding, daß ich ihn die zwei Jahre nur dafür genährt und gekleidet und mit agua ardiente versorgt habe? Hundertundzwanzig Dollars ist er mir schuldig, und wenn die entrichtet werden —«
»Hundertundzwanzig, Señor,« rief da José erschreckt, »und wofür die Summe? Für die baumwollene Hose und Jacke, und den alten Hut?«
»Halte Dein Maul, Bursche, bis Du gefragt wirst,« unterbrach ihn finster der Weiße, »in meinem Buch ist Alles eingetragen, und wenn Du einmal Deine Schulden abverdient hast, kannst Du meinethalben Deiner Wege gehen, ich will froh sein, wenn ich mich nicht mehr mit Dir zu plagen brauche.«
»Aber Señor,« — bat das Mädchen.
»Das Geld hier werd' ich ihm aber zu Gute schreiben,« lächelte der Ecuadorianer tückisch. »Sind es wirklich sechsundvierzig Dollars, denn jetzt habe ich keine Lust sie nachzuzählen, so bleibt er dann nur noch mit 74 in meiner Schuld, und wenn er fleißig ist, und Du ihm dabei hilfst, so kann er immer in Jahr und Tag frei kommen,« und er schob den Beutel dabei in seine Brusttasche.
»Aber jetzt — jetzt soll er nicht mit mir gehen?« bat das Mädchen in Todesangst: »Oh, treibt nicht Euren Scherz mit uns, Señor, wir sind arm und unglücklich genug in der Welt, und haben Nichts, Nichts weiter als einander. Seid barmherzig!«
»Laß mich zufrieden mit Deinen Quängeleien,« unterbrach sie der Ecuadorianer ungeduldig. »Du hast es jetzt gehört — genug damit. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, und da kann ich den Diener, wenn ich ihn gerade am Nöthigsten brauche, nicht fortschicken. — Alle Wetter, Burschen, kommt da nicht ein Canoe?«
»Von unten herauf, Señor,« grinste Nero, »eben biegt es um die Landspitze — gerade zur rechten Zeit, um uns hier fortzubringen. Wohin wir gehen, folgt uns das alberne Ding doch nicht.«
»Señor,« sagte José, der mit fest zusammengebissenen Zähnen dem Urteilsspruch des Weißen gelauscht hatte — »wenn Ihr mich nicht wollt frei lassen — wenn ich noch fort muß in den Wald mit Euch, und die Gesetze Euch darin beschützen, dann gebt dem armen Kinde auch das Geld wieder — dann will ich selber abverdienen, was ich Euch schulde.«
»Du sprichst, wenn Du gefragt wirst, mein Junge,« lachte der Ecuadorianer, »denn ich weiß [S. 234] selber gut genug, was ich zu thun habe. Und jetzt pack' Deinen Korb auf, trag' ihn zum Ufer hinab, und ruf' das Canoe heran, daß wir weiter kommen.«
»Nicht einen Schritt, bis Ihr Eva das Geld zurückgegeben habt,« rief José, und sein Auge leuchtete von einem unheimlichen Feuer. — »Ich weiß, daß Ihr unter Euren Gesetzen mit uns Negern noch schalten wollt, wie es Euch gefällt, aber beim ewigen Gott —«
»Rebellion?« zischte der Weiße zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch — »aber dafür giebt's ein Mittel, Nero, wenn sich der Hund widersetzt, klopfe ihn einmal mit Deiner Macheta auf den Schädel.«
»Den wollen wir schon kriegen,« lachte der riesige Mulatte, indem er die Macheta ergriff — »fort mit Dir, Caracho!« rief er dabei, indem er den Neger mit der Faust in den Nacken griff, und ihn vorwärts stoßen wollte — »hinunter die Bank da, oder ich mache Dir Beine.«
José hatte sich, der rohen Uebermacht gegenüber, bis jetzt so schwach und willenlos gezeigt, daß die beiden Mulatten ihn schon auf dem ganzen Weg zur Zielscheibe ihres Spottes gemacht. Was er aber auch ertragen und geduldet, so lange er sich allein und [S. 235] hülfslos wußte, und vielleicht selber dabei fühlte, wie große Schuld er an seiner eigenen Knechtschaft trage, jetzt in Eva's Gegenwart kochte sein Blut auf, und jäh emporfahrend stieß er den Mulatten vor die Brust, daß dieser zurücktaumelte, in einer Wurzel hängen blieb und mit schwerem Schlag, der Länge nach, zu Boden stürzte.
»Caracho,« rief der andere Mulatte, und sprang dem Neger nach der Kehle, und dieser konnte sich seines Gegners kaum erwehren, als Nero mit einem wahren Wuthgeheul vom Boden emporschnellte.
»Negerbestie,« schrie er dabei, und mit der schweren und scharfen Macheta ausholend, sprang er von hinten auf José zu.
»Mörder!« kreischte da Eva, die in zitternder Todesangst Zeuge des beginnenden und so ungleichen Kampfes gewesen. Sie wußte dabei kaum, was sie that, aber die Lanze, die sie noch immer hielt, mit beiden Händen fassend, rannte sie die Spitze derselben dem Mulatten, gerade als er den Stich gegen José führen wollte, in die Achselhöhle hinein, daß er mit einem gellenden Aufschrei zusammen brach.
Mit einem gotteslästerlichen Fluch riß in diesem Augenblick der Ecuadorianer einen Revolver aus seiner Tasche und drückte ihn drei vier Mal auf das [S. 236] Mädchen ab; aber Du lieber Gott, er trug die Waffe schon wochenlang in der Tasche, und in diesem ewigen Regen, und ununterbrochenen feuchten Dünsten, die dem Boden entsteigen, versagt ja schon nach zwölf Stunden jedes frisch geladene Gewehr, und machtlos schlug der Hahn auf die Hütchen nieder.
Aber jetzt war auch José's Blut in Wallung gerathen, und die Macheta aufgreifend, die der Hand des zusammenbrechenden Mulatten entfallen war, warf er sich in blinder Wuth auf seinen bisherigen Herrn, der es indessen nicht für gerathen fand, den Angriff abzuwarten. Auch der Mulatte hatte mit Entsetzen seinen Kameraden stürzen sehen, und Beide — er wie der Weiße, stoben vor den gegen sie gehobenen Waffen des zur Verzweiflung getriebenen Negerpaars in die nächsten Büsche hinein, und aus Sicht.
José wäre nun am liebsten dem Weißen gefolgt, und dessen Leben war dann verloren, aber Eva ergriff seinen Arm, und in der Angst, daß noch irgend ein unglücklicher Zufall ihre Flucht hemmen könne, rief sie bittend:
»Komm José — o komm — da naht das Canoe — es führt uns der Heimath entgegen —«
»Er wird uns verfolgen und anklagen.«
»Lass' ihn — dann flüchten wir in den Wald hinein, und die Wildniß sei unsre Heimath, wohin sie nicht wagen dürfen, uns zu folgen — Komm José — es ist Blut genug geflossen,« setzte sie schaudernd hinzu, »oh vermehre nicht die Schrecken dieser Stunde — aber ich konnte nicht anders.«
»Du rettest mein Leben!« rief José.
»Fort von hier — ich sterbe selber, wenn ich das Blut noch länger sehen muß, das ich vergoß« — und schaudernd vor dem Entsetzlichen, sprang sie die steile Uferbank hinab.
Es war ein einzelner Neger, der hier in seinem Canoe vorüberruderte, und von Concepcion kommend, wollte er nach Hause — nach Cachavi zurückkehren. Er lenkte den Bug seines Fahrzeugs rasch dem Lande zu, als er das Mädchen am Ufer stehen und winken sah, und wenige Minuten später hatte er Eva wie José in seinem Fahrzeug aufgenommen, das jetzt, von sechs kräftigen Armen getrieben, die Fluth unter dem Bug aufschäumen machte, und jede neue Gefahr hinter sich ließ.
[D] El perdido nennen die Ecuadorianer einen ziemlich großen braunen Vogel, der genau einen solchen Ruf hat, als ob ein Mensch in der Wildniß verirrt wäre, und um Hülfe riefe.
In Cachavi herrschte große Aufregung, und Niemand dachte heute an's Arbeiten. Die Männer mußten nämlich einen wichtigen Fall berathen, über den indeß die Frauen schon lange einig waren, und — während sich die Ehegatten in dem breiten Gerichtsgebäude sammelten, überall auf den Straßen in kleinen Gruppen standen.
Die Sache betraf aber auch in der That nichts Geringeres, als die Flucht José's von seinem weißen Herrn, und die Ermordung des Mulatten, denn Eva wie José hatten bei ihrer Ankunft in Cachavi dem Alkalden die ganzen Vorgänge treu und einfach erzählt, und um seinen Schutz gebeten, wenn sie bis hierher verfolgt werden sollten.
Der Fall kam übrigens zu einer höchst ungünstigen Zeit, denn erst gestern war ein Canoe von der Tolamündung eingetroffen, wo sie Nachricht von Esmeraldas gehabt haben wollten, daß General Franco von Guajaquil aufgebrochen wäre, Bodegas genommen hätte, und jetzt gegen Quito marschire, um sich das ganze Land zu unterwerfen. Wenn er Sieger [S. 239] blieb — und die Berichte, die seine Anhänger hierher gesandt, ließen kaum einen Zweifel darüber — so schickte er einen Theil seiner Schwärme auch jedenfalls in diesen entlegenen Theil des Landes, und was hatten sie dann zu hoffen, wenn sie gegen einen seiner eigenen Offiziere Partei genommen?
Die Frauen sind in der ganzen Welt über solche Combinationen erhaben. Bei ihnen spricht das Herz das erste Wort, und nur der Augenblick entscheidet ihre Handlungen. Die Frauen deshalb waren auch fest entschlossen, den armen jungen Burschen nicht wieder auszuliefern, und was Eva betraf — ei! den hätten sie sehen wollen, der ihr in ihrer eigenen Vaterstadt ein Leides that, und daß sie dem pockennarbigen Mulatten einen Lanzenstich versetzt — der hatte den Strick verdient, zehnmal und hundertmal, und war ja schon einmal bei Nacht und Nebel von Cachavi in einem gestohlenen Canoe geflüchtet, um der gerechten Strafe für seine Missethaten zu entgehen.
In dem Gerichtssaal tagten indeß die Männer, und eine wunderliche Versammlung war es, der der Alkalde präsidirte. Aber kein Mulatte fand sich unter ihnen, lauter ächte, rabenschwarze Söhne Aethiopiens, wenn auch wohl Alle auf diesem Grund und Boden geboren, saßen, lagen und standen in dem Raum umher [S. 240] und rauchten ihre Papiercigarre. Sie Alle, ohne Ausnahme, waren nackt bis auf den Gürtel, und selbst das dichte, fest zusammengekräußte Wollenhaar verschmähte einen Hut.
Eva und José waren erst diesen Morgen vernommen worden, und Keiner der hier Anwesenden zweifelte, daß sie mit jedem Wort Wahrheit gesprochen. Der Alkalde selber hatte ja auch das Geld für Eva in Verwahrung gehabt, und ihr es erst vor wenigen Tagen ausgehändigt. Er wußte genau, wie viel es gewesen, und was sie damit gewollt.
Der Alkalde, eine schlanke, muskulöse Gestalt, mit schon grauem Wollkopf und etwas Cavalièrem in seinem ganzen Wesen, wie denn überhaupt die freien Neger — selbst in den Sklavenländern die Sklaven, wenn sie sich am Sonntag ihre eigenen Herren wissen — sehr gern die Bewegungen und Manieren der Weißen nachahmen, hatte den Leuten jetzt eine lange Rede gehalten, worin er beide Seiten der Frage beleuchtete, und seine Zuhörer dadurch in völliger Ungewißheit ließ, zu welcher Seite er sich eigentlich schlug, und welche Meinung sie haben sollten. Es war dabei schmählich warm geworden; die Sonne stand im Zenith, und kein Lüftchen regte sich, das die Temperatur hätte nur in etwas abkühlen können.
Ein kleiner dicker Neger, in Cachavi sehr geachtet, weil er die besten und festesten Dächer flechten konnte, nahm da endlich das Wort und sagte:
»Was zerbrechen wir uns denn den Kopf über ungelegte Eier. Das Wettermädel hat dem schuftigen Nero eine Lanze in den Leib gerannt, weil er den José mit der Macheta todtschlagen wollte — soweit ist Alles in Ordnung. Wenn wir uns hier im Walde nicht selber helfen, wer soll es sonst thun? und daß sie dem schurkischen Mulatten einen Denkzettel gegeben, oder ihn auch meinetwegen todt gestochen hat, ist nur ein Gewinn für die Colonie. — Daß aber der José ein Recht hatte wegzugehen, wenn sein Jahresgeld bezahlt worden, das mein' ich, ist außer aller Frage, und wenn ihn der Señor zurückhaben will, mag er einfach herkommen und beweisen, daß er ihm noch etwas schuldig ist. Nachher kommen wir wieder zusammen, was sollen wir uns jetzt bei der Hitze abquälen.«
Der Vorschlag klang viel zu vernünftig, als daß ihm nicht alle Uebrigen hätten beistimmen sollen. Der Alkalde schüttelte zwar mit dem Kopf; im Grunde genommen war's ihm aber vielleicht auch recht, die Sache vor der Hand auf sich beruhen zu lassen; alle diese Menschen leben ja doch nur dem Augenblick. Die [S. 242] Sitzung war also damit geschlossen, und die Frauen erfuhren wenige Minuten später zu ihrer Genugthuung, daß José und Eva vor der Hand in Cachavi bleiben könnten. — Wenn noch etwas in der Sache geschehen solle, so möchten's die Herren in Concepcion anfangen. Sie wollten weiter nichts damit zu thun haben.
So vergingen zwei Tage, ohne daß man etwas von dem unteren Strom gehört hätte, und den Bewohnern von Cachavi lag auch jetzt eine andere Sache am Herzen. Die schon lange von Ibarra erwarteten Indianer, welche neue Waare bringen sollten, waren nämlich immer noch nicht eingetroffen, und allerlei dumpfe Gerüchte und Vermuthungen durchliefen die kleine Stadt. Waren sie verunglückt? — böse Ströme hatten sie unterwegs zu passiren — oder sollte sich der Krieg schon bis dort in die entlegene Provinz Imbaburru gezogen haben, daß sie dem Feinde in die Hände gefallen? Es wäre ein harter Schlag für das kleine Städtchen gewesen, denn viele der Einwohner würden unter dem Verlust gelitten haben.
Man beschloß endlich, ihnen einen Boten entgegen zu senden — oder vielmehr zwei, denn ein Einzelner würde nie den Wald auf irgend eine Entfernung betreten — um sich Gewißheit zu verschaffen, und zwei [S. 243] der Männer wurden gemiethet, und noch an dem nämlichen Tage in die Wildniß hinein gesandt, die Cachavi vom Malbucho auf reichlich vier Tagereisen trennte.
An demselben Nachmittag langte aber eine andere Kunde an, die ihr Interesse wieder an das Schicksal der beiden jungen Leute fesselte.
In Concepcion war nämlich der Weiße mit Nero's Leiche und dem anderen Mulatten eingetroffen, und hatte die Auslieferung seines Dieners und der Mörderin verlangt, und der Alkalde von Concepcion sandte jetzt einen Boten nach Cachavi, um die beiden Verbrecher mit einer dort beizugebenden Wache überliefert zu bekommen.
Der Bote kehrte aber unverrichteter Sache zurück. Der Alkalde hielt es nach der neulich zusammenberufenen Versammlung nicht einmal für nöthig, auf's Neue bei den Einwohnern anzufragen — oder seine Frau entschied vielmehr für ihn, denn sie fertigte den Boten, einen Gerichtsdiener von Concepcion, gleich so energisch ab, und auf ihr Schreien sammelten sich rasch so viele dunkle, drohende Gestalten, daß der arme Teufel froh war, wie er wieder in seinem Canoe saß, und ungeschädigt das Negerdorf im Rücken hatte.
Das war nun allerdings ein ganz entschiedener Akt der Widersetzlichkeit gegen die bestehende Autorität [S. 244] gewesen, und der Alkalde selber hätte vielleicht gewünscht, seine eigene Ehehälfte etwas weniger leidenschaftlich dabei zu sehen, aber die Sache war einmal geschehen, und ließ sich nicht mehr ändern, und da das ganze Dorf der Abfertigung beistimmte, brauchte er auch die Verantwortung nicht allein zu tragen.
Herrschte denn überhaupt in Ecuador ein gesetzlicher Zustand? — war das Land nicht in Aufruhr und offenem Bürgerkrieg begriffen, und wußte denn irgend Einer von Allen — in Cachavi sowohl wie in Concepcion — wer jetzt Präsident im Lande sei — und wenn er es sei, wie lange? War es Franco noch, dann allerdings hatte der Alkalde von Concepcion den Schutz desselben, um sich den Rücken zu decken, und konnte in dem Fall auch wohl eine Rechtsverletzung in seinem Sinne strafen, falls Franco's Truppen in der That das Land besetzten, oder der Mulattengeneral Geld genug schickte, um Soldaten hier für ihn anzuwerben — war das aber nicht der Fall, so hätte es ihm schwer werden sollen, sich von der Negercolonie Gehorsam zu erzwingen, und den Zeitpunkt konnten sie eben ruhig abwarten.
Wer aber dadurch in die grimmigste Verlegenheit gerieth, war der Alkalde von Concepcion. Dieser Señor Cerro, der hier als Franco'scher Offizier auftrat, [S. 245] verlangte, wie er erklärte, nicht mehr als sein Recht, und da er selber von Franco'schen Behörden in seine Stelle eingesetzt worden, konnte er das nicht gut vernachlässigen, ohne die Franco'sche Regierung auf den Fuß zu treten. Jetzt aber weigerten ihm die verwünschten Neger da oben ganz direkt den Gehorsam, und was blieb ihm da anders übrig, als seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen? Der mußten sie sich ja dann auch fügen, oder offene Rebellion erklären, was derartige Leute aber nicht sogleich thaten, da die Negeremancipation, wie sie von der einen Regierung eingesetzt worden, von einer andern auch eben so leicht wieder umgestoßen werden konnte.
Es galt also, einen raschen und entschiedenen Entschluß zu fassen, denn dieser Señor Cerro drohte mit einem Bericht an den General Franco, und der mußte vermieden werden. Also überraschte denn der Alkalde die Bewohner Concepcions am nächsten Morgen mit einem Aufruf an die Nationalgarde, und verbreitete dabei — um sich den Rücken zu decken — die Kunde in dem kleinen Ort, daß General Franco Quito genommen habe, jetzt gegen Ibarra vorrücke, und einen Theil seines Heeres über San Pedro und Malbucho an den Bogota senden werde, um sich von der Loyalität seiner Unterthanen zu überzeugen.
Das wirkte wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel für Viele, die bis jetzt geglaubt hatten, der Revolution des übrigen Landes viel zu fern zu sein, um je darunter leiden zu können, und deshalb auch, obgleich im Herzen vollkommen Quitenisch gesinnt, doch General Franco's Partei anerkannten — nur eben der Bequemlichkeit wegen. Aber was ließ sich thun? — Gehorchten sie dem Aufruf nicht, und überschwemmten die Franco'schen Banden wirklich das Land, dann durften sie sich auch fest darauf verlassen, als Mißliebige denuncirt, und von den Freibeutern nach Herzenslust gebrandschatzt zu werden. Wohl oder übel holten sie also alle ihre halbverrosteten Waffen herbei, und um zehn Uhr Morgens lagen vier Canoes mit Bewaffneten, und das fünfte mit dem Alkalden, Señor Cerro, und sämmtlichen Dienern der Gerechtigkeit reisefertig an der Landung, und setzten sich zusammen in Bewegung stromauf.
An ihnen vorbei aber glitt ein anderes, leichtes Canoe, von vier stämmigen Negern gerudert, und am Steuer saß der kleine italienische Schneider, der die Aufforderung, zur Nationalgarde zu stoßen, mit Hohn zurückgewiesen hatte, und jetzt auf eigene Faust die Reise machte.
Als ihn der Alkalde bemerkte, schien er nicht übel [S. 247] Lust zu haben, den kleinen contrairen Fremden zu arretiren, denn es ahnte ihm, daß der Bursche, wenn er vor ihnen einträfe, da oben böses Blut machen würde. Ehe er aber mit seinem Entschluß völlig im Reinen war, passirte das Canoe schon das vorderste des Zuges, und an ein Einholen desselben war nicht mehr zu denken. Daß der kleine, nichtswürdige Italiener aber nicht warten würde, wenn er ihn anriefe, wußte er vorher, und durfte sich auch deshalb nicht einmal mit einem solchen Versuch blamiren.
Des Alkalden Befürchtung war aber auch sehr gerechtfertigt, denn Rigoli hatte kaum von der Anklage und dem Unternehmen der tapferen Ecuadorianer gehört, als er auch augenblicklich beschloß, dem entgegen zu arbeiten. Seine Neger entwickelten dabei einen wahren Feuereifer, ihn vorwärts zu bringen, und am nächsten Morgen mit Tagesanbruch landete er schon in Cachavi, während die schweren Canoes der Bewaffneten, obgleich sie ebenfalls die halbe Nacht gearbeitet hatten, doch endlich beilegen, und Tageslicht abwarten mußten.
Es mochte elf Uhr Mittags sein, als sie das Negerdorf in Sicht bekamen, und sie sahen sich dabei eben nicht angenehm überrascht, die Landung Mann an Mann mit den herkulischen, halbnackten Einwohnern [S. 248] besetzt zu finden, die dabei noch Lanzen, Machetas, Musketen und eine Masse anderer gefährlicher Werkzeuge in Händen hielten.
Was jetzt thun? — der Alkalde wäre am liebsten gleich wieder umgekehrt, und hätte sich damit begnügt, einen Bericht an die Regierung in Guajaquil abzufassen, daß das Land im Aufstande wäre, und General Franco eine Armee zum Schutz der beleidigten Autorität herbeisenden möge — aber Señor Cerro ließ ihn nicht.
»Glauben Sie doch nur nicht,« rief er ihm zu, »daß sich diese sclavischen Hunde ernstlich widersetzen werden — lassen Sie uns hier unten landen, und in geschlossenen Colonnen hinaufmarschiren, und zeigen sie den geringsten Widerstand, so schießen wir das ganze Nest in Brand.«
»Ja, Señor,« sagte der Alkalde verlegen, »aber sie haben nur schon gezeigt, daß sie Widerstand leisten können. Ihre eigene Erfahrung —«
Der Ecuadorianer knirschte die Zähne zusammen, wenn er an den Moment dachte, wo er vor einem Mädchen die Flucht ergriffen, und die Erinnerung daran diente wahrlich nicht dazu, ihn zu besänftigen.
»Vorwärts,« rief er; »bei der geringsten Widersetzlichkeit feuert Ihr zwischen den nackten Trupp [S. 249] hinein — wir wollen ihnen die schwarzen Felle pfeffern, und ich übernehme jede Verantwortung, die daraus für Sie entstehen könnte.«
Der Nationalgarde von Concepcion blieb in der That weiter nichts übrig, als wenigstens zu landen, wenn sie sich nicht auf ewige Zeiten lächerlich machen, und dem Gespött der Neger aussetzen wollte. Die Canoes wurden deshalb an das steinige Ufer gelenkt, und die Besatzung derselben sprang, ohne daran im Geringsten verhindert zu werden, auf trockenen Boden.
Etwas unterhalb der Stadt, und gerade der Kirche gegenüber befanden sie sich hier; als sie aber das eigentliche und hohe Ufer erklommen, waren sie auf's Aeußerste erstaunt, auch nicht einen der Feinde mehr zu sehen. Wie in den Boden hinein schienen diese verschwunden, und Señor Cerro rief triumphirend aus:
»Nun, Señor, habe ich es Ihnen nicht vorher gesagt? Wo sind die feigen Canaillen jetzt geblieben? Zeigen Sie ihnen Ernst, und Keiner von Allen wagt auch nur, Ihnen frech in's Auge zu sehen.«
»Da kommt der Alkalde.«
»Der alte Wollkopf?«
»Er wird wahrscheinlich unterhandeln wollen.«
»Fertigen Sie ihn kurz ab, das ist das Beste; keine Unterhandlungen mit Rebellen.«
Der Alkalde dachte anders darüber; der alte Neger war aber jetzt schon zu dicht herangekommen, um ein weiteres Gespräch zu gestatten, und wie er sich auf etwa zehn Schritte genaht hatte, sagte er ruhig:
»Señor Alkalde, können Sie mir vielleicht erklären, weshalb die Boote mit den Bewaffneten hier an unserer friedlichen Stadt landen? Ich hoffe doch nicht, daß der Bürgerkrieg bis in unser stilles Asyl gedrungen ist.«
»Señor Alkalde,« erwiderte der Ecuadorianer sehr förmlich, »die Ursache kennen Sie wahrscheinlich. Es handelt sich hier um die Auslieferung einer Mörderin, und die Zurückgabe eines entlaufenen und contractbrüchigen Dieners. Machen Sie keine Schwierigkeiten, amigo, denn die Gesetze müssen in Kraft gehalten werden, und es sollte mir wahrhaft leid thun, wenn ich gezwungen würde, von der mitgekommenen Macht Gebrauch zu machen.«
»Señor Alkalde,« erwiderte der alte Neger da, aber vollkommen ruhig — »ich glaube fest, daß wir noch Alles in Frieden beilegen können, wenn Sie nicht eben zu sehr auf Ihre Macht trotzen, und Recht und Gesetz auch für uns gelten lassen.«
»Das versteht sich von selbst,« rief der Alkalde aus Concepcion rasch.
»Schön,« sagte der Alte, der übrigens keine Waffe in den Händen trug, »dann können wir Ihnen den Beweis liefern, daß das arme Mädchen, welches Sie eines Mordes anklagen, nur in einem Akt der Nothwehr handelte, als sie jenen nichtsnutzigen Mulatten, der den Tod schon zehnmal verdient hatte —«
»Sie stach ihn meuchelmörderisch nieder,« schrie Señor Cerro dazwischen. —
»Ueber den Haufen stieß,« fuhr der alte Neger ruhig fort. »Und was den weggelaufenen Diener betrifft, für den jener Herr da die Auslösungssumme schon in der Tasche hat, und nicht wieder herausgeben wollte, so braucht er uns nur die Beweise zu liefern, wofür ihm José 120 Dollars schuldet, und wenn die Belege alle richtig sind, soll ihm entweder das noch fehlende Geld ausgezahlt werden, oder er seinen Diener zurückbekommen. Finden Sie das nicht in der Ordnung?«
»Gegen das Letzte ließe sich allerdings nichts —«
»Und glaubt Ihr Canaillen,« schrie der Ecuadorianer in voller Wuth heraus, »daß ich mich zwingen ließe, einem Neger Contracte vorzulegen? Beim ewigen Gott, es ist weit in Ecuador gekommen, aber dem wollen wir ein Ende machen. — Gebt Ihr die beiden Verbrecher gutwillig heraus oder nicht?«
Der alte Neger antwortete ihm gar nicht — er hob beide Hände trichterförmig an den Mund, und stieß einen eigenthümlichen, aber durchdringenden und lauten Ton damit hervor. — Und überall umher wurde es lebendig — den Fluß herunter, den sie von hier aus deutlich übersehen konnten, kamen plötzlich noch vier Canoes mit bewaffneten Negern — selbst den Strom herauf ruderten zwei mit Anstrengung aller ihrer Kräfte, und aus allen Häusern quollen — jedenfalls dem verabredeten Zeichen gehorchend — Massen von dunklen, drohenden Gestalten, ohne sich jedoch im Geringsten feindlich zu gebehrden. Nur den Platz schlossen sie in einem weiten Bogen vollständig ein, wo die Canoes von Concepcion gelandet waren, und der dortige Alkalde bemerkte zu seinem Entsetzen, daß ihre eigenen Fahrzeuge unten im Fluß von den beiden stromauf kommenden Canoes vom Ufer gelöst, und an die andere Seite hinüber geführt wurden, was ihnen natürlich jeden Rückzug abschnitt.
Zu gleicher Zeit ertönte aber aus dem Walde des anderen Ufers ein gellender, langgezogener Schrei, der jedoch nicht in Verbindung mit den hier getroffenen Vorbereitungen zu stehen schien, denn die Neger selber stutzten und horchten dort hinüber, aber nicht lange.
»Die Indianer kommen!« jubelte eine Stimme, und bald antwortete ein wildes, tobendes Jauchzen dem Meldungsruf von da drüben. — Das aber brachte die tapferen Schaaren von Concepcion, die sich hier überhaupt sehr in der Minderzahl sahen, ganz außer Fassung.
»Die Indianer kommen?« Hatten diese verzweifelten Schwarzen auch noch die wilden Horden des Innern zu ihrer Hülfe herbeigerufen?
»Señor,« rief der Alkalde den alten Neger ängstlich an, »ich mache Sie für jedes Blutvergießen hier verantwortlich. — Wir sind als friedliche Boten des Gesetzes zu Ihnen gekommen —«
»Der ist verantwortlich,« sagte der alte Mann ruhig, »der den ersten Schuß abfeuert, oder die erste Lanze wirft.«
»Aber Sie haben unsere Canoes wegnehmen lassen.«
»Zu Ihrer Abreise stehen Ihnen dieselben immer wieder zur Verfügung,« lächelte der Alte — »aber wer kommt da?« unterbrach er sich plötzlich rasch und selber erstaunt, als sein Blick nach dem jenseitigen Ufer hinüberflog — »Soldaten?«
»Das sind die Truppen des General Franco!« rief der Alkalde von Concepcion jubelnd aus — »Viva [S. 254] Franco! Viva Franco!« schrie er dabei, aber ziemlich vereinzelt, denn beide Parteien waren in diesem Augenblick gleich gespannt, ob sie von dorten her Freund oder Feind zu erwarten hätten.
Das Dickicht da drüben wurde in der That in diesem Augenblick lebendig, und Gewehre blitzten in der Sonne — und braune, aber uniformirte Burschen sprangen die Uferbank hinab, und in das seichte Wasser hinein, um den Fluß zu durchwaten.
»Viva Franco!« schrie der Alkalde noch einmal in einem Uebermaß von Entzücken. — »Das sind die Truppen des tapferen Generals!«
»Viva Flores!« donnerte aber in dem Augenblick von dort drüben der Gegengruß herüber, daß der Magistratsperson das letzte Wort vor Angst in der Kehle stecken blieb. — »Franco, der schuftige Dieb, ist verjagt, Flores el viva!«
»El viva!« jubelten da die Neger, die sich von allen Seiten zum Ufer drängten — »el viva! — el viva!«
Und »Flores el viva« schallte es jetzt sogar aus den Reihen der Concepcionsleute selber, die gar nicht daran dachten, die usurpirten Rechte des Mulattengenerals zu vertheidigen, wo sie noch dazu die Uebermacht auf Flores Seite sahen.
Der Alkalde war indessen rasch gefaßt. Was konnte ihm hier geschehen? Huldigte das Volk der, wie es schien, siegreichen Quitenischen Regierung, welchen Grund hätte er dann gehabt, sich dem nicht anzuschließen? Und wie er sich nur von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, Quitenische Soldaten von dieser Seite her marschiren zu sehen, wo er jene furchtbare Wildniß wußte, stimmte er plötzlich lustig in den Ruf mit ein.
Alles drängte indessen dem Ufer zu, das die durch das Wasser watenden Soldaten jetzt erreicht hatten, und dabei sehr erfreut schienen, hier keine Feinde, sondern Bundesgenossen zu finden. Da erhob sich plötzlich am unteren Theil des Flusses ein Lärm, der aber nur von ein paar einzelnen Menschen ausgehen konnte.
»Caracho!« hörten sie eine Stimme in wildem Fluch — »was haltet Ihr mich fest? — was habe ich mit Euch zu schaffen?«
»Du mit uns wohl nichts, mein Schatz,« lachte dagegen des kleinen Italieners Stimme; »aber wir dagegen so viel mehr mit Dir. Was hast Du denn ausgefressen, daß Du auf einmal Fersengeld geben willst?«
»Was ist dort? — Wen habt Ihr da?« frug jetzt [S. 256] der Quitenische Offizier, der seine Leute rasch gesammelt hatte, weil er noch immer nicht recht wußte, wie er mit den Bewohnern dieser Gegend stand. Das Vivarufen allein hielt er noch für keine genügende Bürgschaft.
»Weiter Niemanden, Señor,« sagte da der kleine, herbeikommende Schneider, während seine vier Neger den Gefangenen schon fest gefaßt, und ihm in aller Eile die Hände auf dem Rücken zusammen geschnürt hatten — »als einen Herrn, der sich für einen Franco'schen Offizier ausgiebt, und unter der Firma einen ganzen Haufen voll Unheil angerichtet hat.«
»Señor Cerro,« rief aber der fremde Offizier erstaunt, »das ist ja ein eigenes Zusammentreffen. Also Sie sind ein Franco'scher Offizier?«
»Ich kenne Sie nicht, Señor,« sagte der Gebundene finster; »aber wenn Sie wirklich Quitenischer Offizier sind, so verlange ich wenigstens als Kriegsgefangener behandelt, und nicht in den Händen dieser Schufte gelassen zu werden.«
»Hoho, Señor,« schrie Rigoli lebendig, »wir werden Dir gleich Deinen Schädel weich klopfen, wenn Du Deine Zunge nicht im Zaume hältst.«
»Ich glaube, Sie sind in ganz richtiger Verwahrung, Señor,« erwiderte aber kalt der Quitener. — [S. 257] »Das ist kein Offizier, compañeros,« wandte er sich dann an die Leute, »sondern ein Schuft, der in Guajaquil, als eine Art Kammerdiener des Mulattengenerals, einen bedeutenden Diebstahl beging, und dann flüchtig wurde. Durchsucht ihn doch einmal, vielleicht finden wir noch eine Anzahl Juwelen bei ihm, die damals vermißt wurden.«
»Sieh einmal an,« lachte der Italiener — »das Geldsäckchen der armen Eva hatte er auch noch, das habe ich aber schon in Sicherheit gebracht — nun, vielleicht finden wir noch mehr.«
Cerro machte einen verzweifelten Versuch, seine Banden zu zerreißen, aber die Neger hielten ihn wie in einem Schraubstock. Er wurde zu Boden geworfen, und bald fand sich denn auch, daß er in einem um den Leib geschnallten Geldgürtel eine Anzahl werthvoller Steine und Golddoublonen versteckt trug.
Indessen hatten die Bewohner von Concepcion Kunde aus dem Innern von den Neugekommenen, wie auch von den sie begleitenden indianischen Lastträgern erfragt, und als sie jetzt die Bestätigung erhielten, daß der kleine Tyrann Franco schon vor drei Wochen aus Guajaquil verjagt und zu Schiff getrieben, das ganze Land aber in den Händen des Quitenischen [S. 258] Generals Flores, und der Bürgerkrieg wirklich beendet sei, kannte der Jubel keine Grenzen.
Natürlich war jetzt von einer Verfolgung oder Bestrafung José's keine Rede mehr. Der »Señor Cerro« blieb gebunden in den Händen der Polizei, um ihn in den nächsten Tagen durch den Sumpf nach Ibarra, und von da nach Quito zu schaffen, wo er den ordentlichen Gerichten übergeben werden sollte. Der würdige Alkalde von Concepcion aber war ebenfalls machtlos geworden, und die Bürger der kleinen Stadt luden den Offizier mit seinen Leuten jetzt auf das Herzlichste ein, mit ihnen nach Concepcion hinab zu fahren, und dort den Sieg der gerechten Sache solenn zu feiern.
Rigoli war einer der lebhaftesten bei dieser Einladung, und ruhte auch nicht eher, bis er den Offizier, um den Zug mit ihm zu eröffnen, allein und an der Spitze seiner Flotte in seinem Canoe hatte, das er jetzt mit einer, in dem dortigen Laden zusammengekauften und rasch genähten ecuadorianischen blau, roth und gelben Flagge schmückte.
Aber er vergaß in seinem Jubel auch nicht das arme, junge Paar, das so viel Leid ausgestanden. Noch in der nämlichen Woche kehrte er nach Cachavi zurück, und vier Wochen später bezogen José und Eva einen kleinen, reizenden Rancho, unmittelbar unter der [S. 259] Stelle, wo der Cachavi in den Bogota mündet, mit Orangenbäumen vor dem Hause, und ein paar wehenden Cocospalmen, wie einem schon angepflanzten Platanar. Die Hochzeit aber wurde in Cachavi ausgerichtet, und Rigoli tanzte darauf, zum Jubel der Neger, die sich über den kleinen fidelen Burschen vor Lachen ausschütten wollten, mit der jungen Frau die erste Marimba.
Es war an einem jener wundervollen Abende, wie wir sie wirklich nur in den Tropen finden, daß ich auf Java mit Herrn Phlippeau zu seiner Kaffeepflanzung nach Lembang hinauf fuhr. Lembang liegt außerdem schon etwa 4500 Fuß über der Meeresfläche, von drei bis sechs Uhr Abends war der gewöhnliche, fast immer von Gewittern begleitete Schauer gefallen, der die Erde abgekühlt und die Bäume und Pflanzen mit seinem erfrischenden Segen überschüttet hatte, und die Luft kühl und labend. Hoch am Himmel stand das südliche Kreuz, und ein wunderbarer Blüthenduft wehte von den Fruchtbaum-Oasen der einzelnen Kampongs oder Dörfer zu uns herüber.
Die Theeplantage von Tjoem Boeloeit hatten wir schon lange hinter uns, und der Weg zog sich ziemlich steil an dem Berghang empor, aber die vier munteren Macassarhengste zogen den leichten Wagen rasch bergan, und unsere Cigarren rauchend und im Fond zurückgelegt, [S. 261] genossen wir mit voller Lust den wahrhaft wundervollen Abend.
So erreichten wir endlich die Höhe des Berges, auf dem das Wohnhaus mit den Kaffeegebäuden, Mühlen und Trockenhäusern lag, von denen wir selber etwa noch sechshundert Schritt entfernt sein mochten, als ich einen eigenen dumpfen Ton zu hören glaubte, und in demselben Moment auch die Pferde unruhig wurden und von dem Kutscher kaum konnten in der Straße gehalten werden.
»Was ist?« fragte Herr Phlippeau, sich rasch im Wagen aufrichtend. —
»Tau, Tuwan!« sagte der Bursche mit seinem singenden Ton und achselzuckend — aber wir sollten nicht lange darüber in Zweifel bleiben, denn kaum waren die Thiere, wenn auch noch schnaubend und blasend, wieder dazu gebracht worden anzuziehen, als plötzlich das laute, donnerähnliche Gebrüll eines Tigers an unser Ohr schlug und die Pferde jetzt so wild und erschreckt zurückfuhren und in die Höh' bäumten, daß uns nur eben Zeit blieb aus dem Wagen zu springen und ihnen in die Zügel zu fallen.
Es gelang auch endlich sie wenigstens so weit zu beruhigen, daß sie still standen, aber an ein Weiterfahren war vor der Hand nicht zu denken, da sie sich [S. 262] alle im Geschirr verwickelt hatten, und ehe wir das in der Dunkelheit lösen und in Ordnung bringen konnten, ertönte ein neues Brüllen der verwünschten Bestie, worauf sie es ärger als zuvor trieben. Der eine kleine Hengst besonders begann so furchtbar hinten auszukeilen, daß der malayische Kutscher gar nicht mehr in seine Nähe wollte; ebensowenig war dieser aber zu bewegen, nach dem kaum zweihundert Schritt entfernten Kampong zurück zu laufen und Hülfe von dort herbeizuholen, denn bis jetzt hatten wir alle Hände voll zu thun die Pferde zu verhindern, daß sie nicht den Wagen seitwärts vom Weg abschoben und zertrümmerten.
Herr Phlippeau redete dabei heftig und ärgerlich in malayisch auf ihn ein; da er aber sehr rasch sprach, verstand ich nicht, was er sagte, und halb lachend, halb fluchend wandte er sich endlich gegen mich und rief:
»Jetzt fürchtet sich der Esel vor dem Tiger, den er selber jeden Morgen füttert.«
»Dem Tiger?« —
»Allerdings; ich habe ihn ja neben meinem eigenen Haus in einem Käfig. Das ist aber schon das zweite Mal, daß es mir die Bestie so macht, und ich muß sie todtschießen, denn die Pferde wollen mir [S. 263] Nachts gar nicht mehr in die Nähe der Häuser und scheuen schon, wenn der Wind nur von dort herüberweht und ihnen die Witterung zuträgt.«
Es gelang uns endlich die Pferde los und frei zu machen, daß der Wagen wenigstens nicht mehr gefährdet war, und ich sprang jetzt selber nach dem Kampong hinüber, um ein paar der dortigen Einwohner herbeizurufen, damit sie die Pferde einzeln führen konnten. Wir selber wollten natürlich viel lieber die kurze Strecke nach dem Hause zu gehen, als daß wir uns noch einmal der Arbeit mit den scheuen Thieren unterzogen.
Der Tiger schien sich beruhigt zu haben, kaum aber hatten die herbei gerufenen Malayen die Thiere gefaßt, als das Gebrüll von neuem begann und die kleinen Hengste toller als je zu schnauben und auszuschlagen begannen. Das aber war jetzt der Malayen Sache, mit ihnen fertig zu werden, wir selber schritten rasch auf dem breiten, gut gehaltenen Weg den Häusern zu, und erfuhren am andern Morgen, daß die Eingeborenen wirklich gestern Abend noch mehrere Stunden gebraucht hatten, um die erschreckten Pferde in ihre Umzäunung zu bringen.
Herr Phlippeau war aber fest entschlossen die unbequeme Bestie, die ihm denselben Streich schon einmal [S. 264] gespielt hatte, als er vor einigen Tagen mit seiner Frau zurück nach Hause wollte, abzuschaffen, was eben nicht anders geschehen konnte, als sie todt zu schießen. Der Transport nach Batavia hinab, wo er den Tiger hätte gut genug an eines der heimkehrenden Schiffe verkaufen können, war zu lang und unbequem, auch kostspielig, und ich selber wurde zum Executor bestimmt.
Am nächsten Morgen nahm ich deßhalb meine Büchse und ging zu dem Käfig, oder Kasten, der mitten auf einem offenen Platz, etwa vierzig Schritt von den Häusern der malayischen Diener entfernt, und zwischen diesen und den Wohngebäuden stand. Der Kasten war gar nicht von starker Art und nur aus etwa 4 Zoll starken Stäben von Arenpalmen-Holz gemacht. Dieses Holz eignet sich aber vortrefflich dazu wilde, störrische Bestien zu halten, denn erstens ist es zäh, und dann splittert es, wenn diese hineinbeißen wollen, und sticht sie in das Zahnfleisch, so daß sie selten mehr als einen oder zwei Versuche machen, ihr Gefängniß zu durchbrechen.
Die Malayen selber waren aber sehr froh, als sie hörten daß der Tiger getödtet werden sollte, denn ihrer Behauptung nach hatte er die letzte Nacht so furchtbar gewüthet und an seinem Käfig gerüttelt, daß sie [S. 265] gefürchtet zu haben schienen, er würde sich wirklich frei machen, und dann ihnen zuerst einen Besuch abstatten, ehe er sich in seinen Wald zurückzog. — Der Tiger mußte jetzt übrigens den Zorn und die Ungeduld, die er die Nacht gefühlt, überwunden haben, denn er lag lang ausgestreckt und ruhig in seinem Käfig und leckte seine Tatzen mit der stachligen Zunge.
Es war noch ein junges, vielleicht zweijähriges Thier, schlank und geschmeidig, mit glattem, wundervoll gezeichnetem Fell. Wie ich aber auf ihn zu und dicht an seinen Käfig trat, hörte er mit Lecken auf, duckte sich womöglich noch dichter auf den Boden nieder, legte die Ohren zurück, fletschte die Zähne und knurrte leise und tief, wie ein ärgerlicher Hund. So lag er eine lange Weile — seine Augen waren ordentlich grün geworden und leuchteten unheimlich, und wie ich einen Arm nach seinem Käfig ausstreckte, als ob ich ihn berühren wollte, fuhr er plötzlich mit einem wilden Satz und weit geöffnetem Rachen gegen die Stäbe an. Aber er biß, von früher her wahrscheinlich gewitzigt, nicht hinein, sondern schien sich damit zu begnügen, mir nur anzuzeigen, daß ihm meine Gegenwart unbequem sei.
Einige zwanzig Arbeiter vom Platz hatten sich indessen ziemlich dicht um den Käfig versammelt, und [S. 266] nur die Frauen wichen scheu zurück, als das gereizte Thier empor fuhr. Der Tiger aber, wie damit zufrieden gestellt, daß er uns seinen Muth und seine Kampfbegier gezeigt, war wieder in seine alte Stellung zurückgefallen, und nur der tückische Blick blieb mir seitwärts zugewandt, als ob er in mir seinen schlimmsten Feind ahnte. Wäre er frei gewesen, so bin ich auch fest überzeugt, daß er mich, vor allen Anderen, angenommen hätte. — So freilich mußte er sich das vergehen lassen; der kleine aber starke Käfig hielt ihn sicher genug.
Der Kasten war in der That kaum breit genug, daß das so geschmeidige Thier im Stande schien sich darin umzudrehen, und er lag jetzt mit dem Gesicht nach vorn und den Rücken der schmalen Thür zugedreht, die mit einem hölzernen Zapfen verschlossen gehalten wurde, vollkommen bequem zu einem sicheren Schuß.
Da ich ihn noch abstreifen wollte, ehe es zu heiß wurde, zögerte ich auch nicht lange, und ließ die Malayen von der anderen Seite zurücktreten, weil ich nicht wußte, ob meine Spitzkugel, die ich damals noch führte — ich bin auf der Jagd aber vollkommen davon zurück gekommen — nicht doch vielleicht durch den Schädel schlagen und auf der anderen Seite noch [S. 267] Unheil anrichten konnte. Die neugierigen Burschen waren aber kaum fern zu halten, so wollten sie alle, ganz in der Nähe, den Tod des Raubthiers betrachten, und wie ich nur wenigstens vor der Kugel freien Raum hatte, trat ich dicht an den Käfig, hielt dem Raubthier die Mündung des Büchsenlaufs vor das Ohr und drückte ab.
Der Tiger zuckte nicht einmal zusammen; der halb und tückisch nach mir gehobene Kopf fiel auf seine Tatzen nieder, und die Malayen sprangen jetzt zu ihm heran. Wie ich selber aber nun den Schuß gefeuert hatte, gab ich mein Gewehr dem Nächsten zum Halten, trat hinten an den Kasten, zog den Pflock heraus und öffnete die kleine Thür. Das aber hatten die Malayen nicht gedacht. Auf den Tiger war allerdings ein Schuß gefallen, aber daß er todt sei und keinem Menschen auf der Welt mehr schaden könne, wußte ich nur allein, die Malayen schienen wenigstens von einem so raschen und nicht von der geringsten Bewegung begleiteten Tod noch keineswegs überzeugt, und kaum hatte ich die Klappe geöffnet, ja wie ich nur den Pflock herauszog, stoben sie alle in wilder Flucht und mit lautem Geschrei auseinander und ihren Hütten zu.
Es war ein höchst komischer Anblick, und vergebens mein Rufen, daß der Tiger todt und unschädlich [S. 268] sei. Erst als ich mich nicht weiter um sie kümmerte und den Tiger beim Schwanz ergriff, aus dem Käfig zog und anfing ihn abzustreifen, kamen sie wieder schüchtern näher und lachten nun selber, in ihrer gutmüthigen Weise, über ihre Furcht. Keiner aber legte mit Hand an, und sie ließen mich meine Arbeit ganz allein vollenden. Erst als ich die Haut vollkommen herunter hatte und mir nun von Einigen dünne Bambusstäbe bringen ließ, um sie auszuspannen und dann in der Sonne rasch zu trocknen, machten sich ein paar von ihnen daran den Körper aufzuschlitzen.
Im Anfang wußte ich allerdings nicht, zu welchem Zweck das geschah, denn daß sie das Fleisch des Tigers nicht essen, hatte ich schon oft bestätigen hören. Sie nahmen aber auch nur das Herz des Raubthiers heraus, das sie in kleine Stücke schnitten und unter einander vertheilten. Wie ich ihnen noch erstaunt zusah, verschluckten auch ein paar von ihnen ihren Antheil gleich roh an Ort und Stelle, und nur mein letzter Führer auf der Rhinocerosjagd, ein Bursche, der auch nicht einen Funken von Courage besaß und bei dem Ausreißen vorher der Schnellfüßigste gewesen, verschwand mit seinem Stück und kehrte erst nach einigen Minuten ohne dasselbe zurück.
Er sollte mir jetzt erklären, was dieser Gebrauch [S. 269] bedeute, denn zum Sattessen hatten sie das Fleisch keinesfalls genossen, dazu waren die Bissen zu klein gewesen. Er kam dann endlich, wenn auch etwas verschämt, mit dem Bekenntniß heraus, daß die Javanen, wenn sie ein Stück von dem Herzen des Tigers verzehren, auch einen Theil von dessen Muth bekämen. Rasch setzte er aber hinzu, daß er nichts davon gegessen habe, das solle ich nicht glauben — und dabei saß ihm das frische Blut noch in den Mundwinkeln.
Merkwürdiger Aberglauben, den die Leute haben, nicht wahr? — Und machen wir civilisirten Christen es etwa besser, haben wir nicht eine Menge von Dingen, die andere Völkerschaften für ebenso unhaltbar und thöricht halten, wie wir jenen Gebrauch? Es ist und bleibt dieselbe Geschichte, und wir wollen nur nicht selber eingestehen, das wir Alle Balken im Auge tragen.
Thöricht ist der Gebrauch aber schon aus dem Grund, weil die Leute mit dem Stück vom Herzen den Muth des Tigers gewinnen wollen; es giebt nämlich auf der Welt keine, zwar blutgierigere, aber auch feigere Bestie, als gerade den Tiger. Er reißt Menschen nieder, ja, aber nur, wenn er sie aus dem Hinterhalt überfallen kann, nie und nimmer offen und Gesicht in Gesicht. Heimlich schleicht er herbei und liegt auf der Lauer, um irgend ein Stück Wild oder [S. 270] auch vielleicht ein Rind zu erbeuten, aber schon das Geräusch des nahenden Menschen schreckt ihn empor und treibt ihn in die Flucht, und wenn man in Java wirklich von Menschen hört, die er überfallen hat, so sind es fast immer nur Frauen und Kinder, an die er sich gewagt.
Schon seine ganze Jagd beweist, wie wenig Muth er besitzt, denn er muß getrieben und umstellt werden, ehe man ihn zum Schuß bekommen kann, und nur schwer verwundet oder in der Verzweiflung sich überlistet zu sehen, nimmt er, wenn er nicht länger fliehen kann, den Kampf an, und dann freilich ist er ein gefährlicher Gegner, ja vielleicht der gefährlichste von allen wilden Bestien, weil seine Gewandtheit seiner furchtbaren Kraft gleich kommt.
Es ist vorgekommen, daß ein Tiger eins der kleinen Javanischen Pferde aus einer fünf Fuß hohen Umzäunung geraubt hat, ohne den Zaun zu durchbrechen, und er muß es, wenn er nicht damit hinüber gesprungen ist, doch wenigstens hinübergehoben haben, wozu kaum vier Menschen im Stande gewesen wären — und draußen trug er es im Rachen fort. Aber Märchen sind es auch wieder, wenn man behauptet, daß ein einziger Schlag seiner Tatze einen Büffel betäube und zu Boden werfe. Nur wenn er [S. 271] ihm auf den Nacken springen kann, ist der einzelne Büffel verloren, und den dortigen bantings oder wilden Rindern mit ihren spitzen Hörnern, die sich stets in Trupps halten, soll er scheu aus dem Wege gehen, und nur wo das ungestraft geschehen kann, auf ein Kalb fahnden.
Es giebt in Java viel Tiger, und man findet sogar in den Walddistrikten hie und da sogenannte »todte Kampongs«, die von den Bewohnern der vielen Tiger wegen früher verlassen und deren Stätten von der gewaltigen Vegetation schon lange überwuchert wurden, so daß nur die früher dort gepflanzten Cocos- und Arecapalmen die Stellen bezeichnen, auf denen sie gestanden. Und doch wird von dem Jäger nur in höchst seltenen Fällen, und dann selbst nur durch Zufall, ein Tiger im Wald angetroffen und erlegt, denn der Tiger hält eben nicht Stand. Nur in Gruben wird er gefangen, oder hie und da benutzt auch wohl ein Europäer ein von der Bestie zerrissenes und aufgefundenes Stück, um Nachts dabei anzusitzen und sie auf dem Anstand zu erlegen. Alle von den Eingeborenen erbeuteten Felle müssen dabei an die Regierung eingeliefert werden und der Eigenthümer bekommt dafür eine vom Staat festgesetzte Prämie von früher fünfzehn jetzt zwanzig Gulden.
Der Tiger spielt aber, trotz seiner Feigheit, bei den Javanen eine große Rolle und besonders seinen Krallen — außer der Wirkung, die das frisch verzehrte Herz ausüben soll — trauen sie noch eine besondere Kraft zu, oft sehr zum Aerger der Europäer, die sich dort angekaufte oder sonst gewonnene Felle gern vollständig erhalten wollen. Die Eingeborenen stehlen nämlich diese Krallen, wo sie ihrer nur irgend habhaft werden können, und auch an dem Fell, das ich an jenem Tag abstreifte und zum Trocknen in die Sonne hing, fehlten sie schon an dem nämlichen Abend sämmtlich.
Die Menschen gewöhnen sich — und es ist das eine merkwürdige Thatsache — mit der Zeit selbst an das Wunderbarste, so daß sie es zuletzt nicht einmal der Mühe werth halten, mehr darüber nachzudenken. Wir sehen die Sonne auf- und untergehen, die Pflanzen keimen und wachsen, das Meer ebben und fluthen — sehen Winter und Sommer kommen, den Baum aus einem Kern, den Schmetterling aus einer Raupe, den Lieutenant aus einem Wickelkind entstehen, und bemerken die Verwandlung nicht einmal mehr, die für uns etwas Alltägliches geworden.
So staunen wir auch wohl anfangs neue Erfindungen an und bewundern die Kraft des Dampfes und Elektro-Magnetismus — aber nicht lange, dann benutzen wir sie und können uns kaum noch denken, daß es eine Zeit gegeben hat, in der sie nicht gekannt war.
Ebenso geht es mit althergebrachten Gewohnheiten und Sitten. Kommt ein Europäer in ein tropisches Land, so ist er ganz erstaunt, dort auf einmal einer Race zu begegnen, die vollkommen nackt in der Welt herumläuft, und will sich halb todt lachen, wenn sich der König eines fremden Volkes zu ihm auf die Erde setzt und ihn um etwas Tabak anspricht; aber kaum lebt er vier Wochen unter den Leuten, so sieht er weder die Nackten mehr, noch findet er etwas Außerordentliches in der Herablassung Sr. Majestät.
Genau so geht es uns mit der Sclaverei.
Wenn sie noch nie bestanden hätte und ein Mensch sich dann erfrechen wollte, einen zweiten, der eine andere Hautfarbe hat, als er, und nicht ganz so »gebildet« ist, zu zwingen, für ihn umsonst zu arbeiten, während er in der nämlichen Zeit dessen Frau und Kinder an einen Dritten verkaufte, so wären wir außer uns und hielten das mit Recht für eine Scheußlichkeit und Niederträchtigkeit. Jetzt aber sind wir so gewohnt, von Negersclaven und deren Versteigerung zu hören, daß die meisten Menschen bis vor kurzer Zeit gar nichts Absonderliches mehr in der Sache fanden. Ja, in den Ländern, wo die Sclaverei wirklich bestand, wurde sogar das Recht der Weißen, schwarze Sclaven zu halten, in den Schulen gelehrt, und [S. 275] Geistliche entblödeten sich nicht, die heilige Schrift zu mißbrauchen, um ein solches Verbrechen als von Gott selber eingesetzt hinzustellen.
Daß wir die Baumwolle theurer bezahlen müssen, wenn es einmal keine Sclaven mehr giebt, steht wohl fest, denn der Arbeiter verlangt dann seinen verdienten Lohn, aber das Rechtlichkeitsgefühl civilisirter Menschen hat sich endlich dahin ausgesprochen, daß ein wenn auch durch Jahrtausende geübter Brauch doch ein Mißbrauch und eine Niederträchtigkeit sein könne, und während in Rußland die Leibeigenen freigegeben wurden, traten in Nordamerika Hunderttausende unter Waffen, um ihr Vaterland von der Schmach zu befreien, zu den Sclavenstaaten gezählt zu werden.
Es fällt mir indessen hier nicht ein, eine Abhandlung über die Sclaverei, ihre Nichtberechtigung oder Berechtigung zu schreiben. Der gesunde Sinn des Volkes hat längst darüber entschieden und sie für ein Verbrechen erklärt — wenn es auch selbst in Deutschland noch einige Menschen giebt, die sie vertheidigen und mit schalen Phrasen ihre Existenz als nothwendig darzustellen suchen. Ich selber möchte hier dem Leser nur eine kurze Schilderung der Zustände geben, in denen ich Neger in den verschiedenen Welttheilen getroffen habe, und eine solche Zusammenstellung ist [S. 276] immer insofern interessant, als sie einen Vergleich zuläßt.
Von der Heimath der Neger will ich nicht reden. Leute, die mit deren Vaterland genau vertraut sind, haben das schon viel besser gethan, als ich es im Stande wäre. Nach Allem aber, was man von ihnen hört und sieht, scheint es, daß sie dort, wo sie mit den Weißen noch nicht in nähere Berührung kamen, wie das auch bei den Indianern der übrigen Welttheile der Fall ist, harmlos und gastfrei sind und eben nicht mehr arbeiten, als sie zu ihrem Lebensunterhalt brauchen.
Dann kommen die Europäer zu ihnen. Portugiesische Sclavenhändler durchziehen das Land, die Gier nach Reichthümern wird in ihnen erregt, alle Leidenschaften werden wachgerufen und zu Verbrechen gesteigert, und dann werfen sich die Weißen in die Brust und sagen: »Was für thierische Völker sind das! Kann sie Gott der Herr für etwas Anderes erschaffen haben, als den Weißen durch ihre Körperkraft zu dienen?«
Wir wollen uns diese thierischen Völker betrachten, wie sie in anderen Ländern der Erde leben, wohin sie aber nur durch die Weißen selber gebracht wurden.
Die eingeborenen Afrikaner sind nämlich keine seefahrende Nation, woran auch vielleicht die ungünstige Beschaffenheit ihrer Küsten die Schuld trägt. Nur die ihnen zunächstliegenden wenigen Inseln haben sie bevölkert und sie entweder ganz besetzt, oder sich mit den Ureinwohnern vermischt, wie z. B. auf der Westküste von Madagascar.
Daß die Eingeborenen Australiens eine Mischlingsrace von Aethiopiern und Malayen sein sollten, ist nur eine Phantasie Blumenbach's. Die australischen Schwarzen sind ein unzweifelhafter Urstamm, und nie hat ein Aethiopier oder Neger deren Küsten, außer auf einem Schiffe der Weißen, betreten.
Auch im ostindischen Archipel, ja selbst in dem ihnen gegenüberliegenden Arabien finden wir keine Spur von ihnen als freien Einwanderern. Sie sind nur als Sclaven dort hinüber geschleppt, während sie von den an ihren Küsten landenden Abkömmlingen der kaukasischen Race weiter und weiter in das innere Land zurückgedrängt wurden.
Wenn sie aber nicht selber zur See gehen wollten, so gab man ihnen Passage, und die Spanier und Portugiesen, nachdem sie in Amerika die gutmüthigen Indianer unter dem Vorwand, ihre Seelen zu retten, erschlagen oder zu Tode geknechtet hatten, mußten [S. 278] schon Sclaven dort hinüber führen, um die Arbeit zu thun, die das faule Seeräubergesindel nicht selber verrichten mochte.
Nordamerika folgte, und wie sich der Reis-, Baumwollen- und Zuckerrohrbau als ergiebig zeigte, schaffte man Neger dort hinüber, die nicht allein die Felder bestellen mußten, sondern auch einen einträglichen Handelsartikel bildeten.
Die Sclaven werden nun überall, wo man sie hält, nur in seltenen Fällen wirklich schlecht behandelt, denn es liegt im eigenen Interesse des Besitzers, sie gesund und bei Kräften zu erhalten. Sie dürfen deshalb ebensowenig, wie ein Pferd oder Stier, überarbeitet werden, und die Hauptkunst eines ordentlichen »Sclavenzüchters« besteht darin, so viel Arbeit aus ihnen herauszubekommen, als sie leisten können, ohne sie dabei zu schädigen.
Es giebt Ausnahmen — ich kenne auch selbst aus den Vereinigten Staaten Beispiele von boshafter, ausgesuchter Grausamkeit — Geschichten, wie sie selbst Mrs. Beecher-Stowe nicht schlimmer erdacht hat, die doch das Mögliche darin leistete, aber es sind das doch nur Ausnahmen. Im Ganzen hatten sie ihre bestimmte Arbeitszeit und ihre ihnen angemessene Kost, auch die nöthige Kleidung, und die meisten [S. 279] Herren gaben ihnen auch noch einen Gartenplatz, um darin für sich selber zu arbeiten. Die Vertheidiger der Sclaverei sagen nun: »Was will so ein Neger mehr? Ist er nicht viel besser daran, als unsere deutschen Armen, die, wenn sie krank und elend werden, verhungern können, ohne daß sich ein Mensch um sie bekümmert? Der Herr muß seinen Sclaven erhalten, auch wenn er nicht arbeitet.«
Das ist wahr, und die gezwungene Arbeit bleibt das geringste Elend der Sclaven — das furchtbarste ist der Verkauf.
Eine Negerfamilie hat über Tag ihre Arbeit gethan, ihr Herr ist gut und milde mit ihnen, sie werden freundlich behandelt, aber — er liegt krank in seinem Haus. Wenn er morgen stirbt, wird das Gut mit seinem Inventar, zu dem die Sclaven gehören, verkauft, und was wird dann aus ihnen? Jetzt noch sitzen Vater und Mutter mit ihren Kindern beisammen — wie lange noch? Die Gesetze verboten freilich, daß in den Staatsauctionen die Familien getrennt wurden; aber wer kaufte die Neger auf den Auctionen? Nur herumreisende Yankees, denn kein anständiger Südländer würde sich zu dem schmutzigen Geschäft eines Sclavenhändlers hergegeben haben; nur diese Menschenclasse, die der freie Norden und dort hauptsächlich [S. 280] der kleine Complex der eigentlichen Yankeestaaten, Massachusets, Connecticut und Vermont liefert. Die aber machten sich auch kein Gewissen daraus, Familien zu trennen und das Weib von dem Gatten, Kinder aus dem Arme der Eltern zu reißen. Es war einmal ihr Geschäft, für das ja auch sogar mancher deutsche Gelehrte seine Lanze einlegte und, wenn auch unbewußt, seine Rechtmäßigkeit vertheidigte.
Das ist das Furchtbare im Leben des Negersclaven, daß er nie und zu keiner Stunde seiner eigenen Familie sicher ist, daß er, wenn er sein Kind auf den Arm nimmt und es herzt und küßt, nicht weiß, ob nicht schon morgen ein frecher, tabakkauender Weißer, von den Gesetzen beschützt, den Arm danach ausstreckt und er es nie, nie wiedersieht. Fragt die Aermsten unserer Armen, fragt die unglücklichen Erzgebirger, die sich in ungünstigen Jahren von faulen Kartoffeln nähren und nicht einmal genug von der Nahrung haben, ob sie mit ihm tauschen möchten!
Aber sonst geht es den Negern gut.
Es ist gerade so, als ob ich von einem Menschen sage: »Er hat freilich die Schwindsucht — aber sonst geht es ihm gut.«
Ein glücklicher Leichtsinn half dem Volk übrigens das oft Unerträglichste wirklich zu ertragen. Ja, man [S. 281] hörte wohl dann und wann einmal von dem Selbstmord einer Mutter, der man ihr Kind geraubt und die sich in den Strom gestürzt; auch hat dann und wann ein junger Bursch aus thörichter Eifersucht einen Aufseher erschlagen und ist natürlich deshalb gehangen worden. Aber war das nicht Wahnsinn, mußte er denn nicht wissen, daß die Sclavinnen alle Eigenthum ihres Herrn sind, und keines der Mädchen dem Aufseher oder nigger-driver eine kleine Gefälligkeit weigern konnte, wenn sie nicht die Hölle auf Erden haben wollte?
Wie vergnügt die jungen Leute trotzdem zur Arbeit gingen! Es lag ihnen einmal im Blut, und wenn man sie so zusammen schwatzen und lachen hörte, hätte man kaum glauben können, daß eine einzige Sorge ihr Leben trübe?
Der Neger hat ungemein viel Sinn für das Komische und Niemand in der Welt kann herzlicher und lauter lachen, als ein Neger. Ihr Jaw! Jaw! Jaw! hört man oft unglaubliche Strecken weit, und sie biegen sich dabei zurück und zeigen ein paar Reihen von Zähnen, die an blendender Weiße Nichts zu wünschen übrig lassen. Musik und Tanz lieben sie ebenfalls leidenschaftlich, und das einfachste Instrument genügt, um eine ganze Plantage auf die Füße zu bringen. [S. 282] Oft und oft habe ich die Arbeiter bewundert, die an der Levée von New-Orleans die schweren Baumwollenballen und Zucker-»hogsheads« an Bord der Schiffe wälzen. Besonders das letztere Geschäft treiben sie systematisch.
Es giebt nämlich kaum eine schwerere Arbeit, als solch ein großes Zuckerfaß zu rollen, denn es ist nie vollständig gefüllt. Der schwere Zucker fällt dadurch fortwährend nach unten, so daß stets das ganze Gewicht gehoben werden muß. Je schwerer die Arbeit aber, desto lauter und lustiger geht es dabei zu, und man soll nur einmal die acht Mann, die gewöhnlich zu einem großen Faß gebraucht werden, sehen, wie sie dabei hüpfen und springen und im Tact ein munteres Lied singen. Wie am Bord der Schiffe bei schweren Arbeiten, macht auch hier Einer den Vorsänger, der irgend eines ihrer oft schwermüthigen, oft ausgelassenen Negerlieder singt, in das dann, beim Ende eines jeden Verses, der Chor in lauter jubelnder Lust einfällt. Aber noch nicht genug, der Vorsänger ist auch zugleich Vortänzer, und während er jetzt mit triefender Stirn gegen die ungefüge Last anarbeitet, springt er plötzlich zurück, tanzt, während er die zwei letzten Strophen seines Verses singt, um die Arbeitenden und das Faß her, und wirft dann mit [S. 283] dem Refrain seine Schulter wieder gegen das riesige Hogshead.
So finden wir sie in den Sclavenstaaten, während sie in der Freiheit ganz andere, viel gesetztere Menschen werden und ihrer Arbeit mit großem Eifer, aber weit ruhiger obliegen, den fröhlichen leichtherzigen Sinn aber auch da nicht verleugnen.
In den nördlichen Staaten der Union leben Tausende und Tausende von freien »Farbigen«, wie sie sich dort selbst bezeichnen, denn sie setzen eine Ehre darin, nicht etwa Schwarze oder gar Neger und noch schlimmer Nigger genannt zu werden, da das Wort Nigger eins ihrer eigenen und ärgsten Schimpfworte ist. Sie belegen ihre Race auch deshalb nur mit dem Namen coloured people oder farbiges Volk, und der Unterschied zwischen ihnen und den Weißen wird mit a white lady und a coloured lady oder a white gentleman und a coloured gentleman ausgedrückt.
Nun fand man sie allerdings in vielen Gewerken vertreten; sehr selten wird man aber einen der Race als Drechsler, Blechschmied, Uhrmacher &c. antreffen, selbst Kaufleute und Händler wurden sie nur in Ausnahmsfällen. Dagegen monopolisirten sie schon früher in allen nordischen Städten Amerikas sowohl, wie [S. 284] selbst im Süden die sogenannten barbershops oder Barbierläden, in denen auch stets zugleich frisirt wird. Sämmtliche Köche und Kellner in den großen Hotels, Oystershops und anderen Anstalten sind ebenfalls »coloured men« und keine Musikbande besteht fast von den Canadischen Seen nieder bis zum Cap Horn an der Südspitze des Festlandes, wo nicht ein Neger oder Mulatte die große Trommel schlüge oder Cymbeln und Triangel bearbeitete.
Auch an Bord von Schiffen sind sie meist Köche und Stewards, seltener Matrosen, nie aber konnten sie als Steuermann fahren und können es wahrscheinlich noch nicht, denn kein weißer amerikanischer Matrose würde sich von ihnen etwas befehlen lassen.
Merkwürdig ist überhaupt die grenzenlose Verachtung, mit welcher die farbigen Leute, selbst in ihren lichtesten Abkömmlingen, von den weißen Nordamerikanern behandelt wurden, ehe ihre Emancipation erklärt war. Sie hatten im Theater ihre bestimmten Plätze, auf der Eisenbahn ihre besonderen Wagen, sie mußten in den Straßen jedem Weißen ausweichen, wenn sie sich nicht augenblicklicher Züchtigung aussetzen wollten, und nur in neuerer Zeit scheint man den Versuch gemacht zu haben, sie in Allem den weißen Bürgern der Union gleichzustellen, ja ihnen [S. 285] sogar das Stimmrecht zu verleihen, und es bleibt abzuwarten, wie lange das gut thut. Es wird aber sehr schwer sein, die alten Vorurtheile so mit einem Mal zu beseitigen, denn der Weiße haßte nicht allein den Neger — das hätte sich ändern lassen —, nein er verachtete ihn auch, und ein derartiges Gefühl ist unendlich schwer in Achtung zu verkehren. Geschah doch sogar das Außerordentliche vor einigen Jahren in einem der ersten Hotels Bremens, einer deutschen Stadt, wo ein Violinenvirtuos, ein Mulatte und ein durchaus gebildeter junger Mann, die Tafel auf Geheiß des Wirthes verlassen mußte, weil die dort das Haus zahlreich frequentirenden amerikanischen Schiffscapitaine drohten, das Hotel in Verruf zu erklären, wenn der Nigger nicht entfernt würde.
Jetzt ist die Sclaverei im Norden aufgehoben, und das einzige Land des amerikanischen Continents, wo es noch (außer in einem kleinen Theile Guianas) Negersclaven giebt, ist Brasilien. Dorthin wird auch noch — trotz aller dem entgegenlaufenden Gesetze — ein lebhafter Negerhandel von der afrikanischen Küste getrieben. Man scheint übrigens die Sclaven in Brasilien — so weit ich nämlich darüber urtheilen kann, — ziemlich gut zu behandeln, und die Regierung thut auch ihr Möglichstes der Verbreitung der Sclaverei [S. 286] entgegenzutreten. Verbietet man doch sogar den deutschen Colonisten dort Sclaven zu halten. Die Neger verleugnen aber auch dort ihr leichtes Blut nicht und verrichten die schwersten Arbeiten unter Singen und Lachen. So sah ich einst vier Neger ein Pianino in Rio-Janeiro durch die Straßen tragen, und zwar auf ganz eigenthümliche, dort aber stets gebräuchliche Weise. Sie trugen das ziemlich schwere Instrument an den vier Ecken auf den Köpfen, und keuchten nicht etwa ihren Weg entlang, sondern tanzten. Einer von ihnen hatte eine Art von Castagnetten, mit denen er den Tact angab, und während sie mit lauter, jubelnder Stimme und außerordentlich vergnügten Gesichtern eines ihrer tollen Lieder sangen, tanzten sie dabei im wahren Sinn des Worts auf dem breiten Trottoir hin und verdrehten ihre Körper in der wunderlichsten Art.
In sämmtlichen Republiken des amerikanischen Continents sind die Negersclaven freigegeben, denn mit Recht hielten es die damaligen Gesetzgeber einer Republik für unwürdig, alle Menschen frei und gleichberechtigt zu erklären, und doch dabei die eine bestimmte Race in Banden und Knechtschaft zu halten. An der ganzen Westküste Amerikas, wie auch in den La Plata-Staaten, giebt es, dem Gesetz nach, keinen [S. 287] Sklaven mehr. Wo aber wäre schon ein Gesetz gegeben worden, das nicht der Eigennutz und die Habgier der Menschen zu umgehen und kraftlos zu machen gewußt!
Das Gesetz in Ecuador und Peru sagt ausdrücklich, daß dort kein Neger mehr als Sclave gehalten und verkauft werden darf, und doch geschieht Beides noch bis zu dieser Stunde, wenn auch in beschränktem Maße, aber noch dazu vor Gericht und von den Gesetzen unterstützt. Das Wie? ist leicht erklärt. Die Neger sind Alle frei, aber — Contracte haben, zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, volle Gültigkeit. Die Neger sind, wenn nicht zur Arbeit gezwungen, ziemlich faul, und Viele von ihnen auch dem Trunk ergeben. Haben sie gar kein Geld mehr, so arbeiten sie, und Weiße finden sich überall, die ihnen Vorschuß geben. Hat der Neger aber von einem Weißen erst einmal Vorschuß bis zu einer Höhe von vierzig Dollars erhalten, dann kommt der Gläubiger zu den Schwarzen und sagt: »Hör' einmal, lieber Freund, das geht nicht mehr. Was Du mir schuldig bist, kannst Du allerdings nach und nach abarbeiten, aber Du mußt mir jetzt hier diesen Schein unterschreiben, daß ich vierzig Dollars an Dich zu fordern habe und Du mir dafür ein Jahr dienen willst. Was Du indessen brauchst, [S. 288] geb' ich Dir.« Der Schwarze unterschreibt nun den Schein und tritt in den Dienst des Weißen, dessen Sclave er von dem Augenblick ist, denn in nur sehr seltenen Fällen wird er wieder frei. Was er nämlich indessen an Kleidern und Schuhwerk braucht, oder an Branntwein haben will, giebt ihm sein neuer Herr bereitwillig, zu von ihm selbst festgestellten Preisen, und sorgt dadurch schon dafür, daß er bis zum Ende des Jahres wieder die alten vierzig Dollars Schulden hat.
Auch ein förmlicher Verkauf ist dabei nicht ausgeschlossen, wenn dieser auch unter einem anderen Namen stattfindet. Ein Anderer zahlt nämlich dem Gläubiger die Schuldsumme vor Gericht, und eine Kleinigkeit mehr privatim, wenn verlangt, und der Sclave — wechselt seinen Herrn.
In Ecuador haben sich die befreiten Sclaven meist in das niedere Land gezogen und dort ganze Districte besiedelt. In den mächtigen Niederungen, besonders an den Ufern der verschiedenen Ströme, sind förmliche Niederlassungen von ihnen gegründet, und man kann dort tagelang reisen ohne einen anderen Menschen als einen Neger oder Mulatten zu treffen. So fand ich am Cachavi (einem kleinen Strom, der sich in den Santiago ergießt und durch diesen mit dem [S. 289] Pailon in Verbindung steht) eine völlige kleine Negerrepublik. Sie hatten dort einen schwarzen Alcalden und schwarze Beamte und nur ein einziger weißer Händler, ein Italiener, lebte zwischen ihnen.
So war es an der ganzen Westküste aufwärts, während auch im Süden die Ufer des Guajaquilstroms meistens von Schwarzen besetzt und bebaut waren, die dort Platanare- und Cacaopflanzungen angelegt hatten, während die Weißen den Handel zwischen ihnen vermittelten.
Anders stellte sich das Verhältniß in Peru, wo es kein niederes sumpfiges Land giebt, das ihnen, wie in den nördlicheren Staaten, allein überlassen blieb. Dort halten sich die Schwarzen in der Nähe von Lima, oder selbst in der Stadt auf — eben nicht zum Nutzen der öffentlichen Sicherheit — und es giebt kaum ein frecheres, vorlauteres Volk in der weiten Welt, als diese freigesprochenen Neger Perus. Ganze Vorstädte bevölkern sie dort, und während die Regierung die jungen Leute meist unter die Soldaten steckte, sind doch noch genug übrig geblieben, um die Straßen unsicher zu machen. Nicht mit Unrecht legte man nämlich den Schwarzen einen großen Theil jener Straßenräubereien zur Last, die in der unmittelbaren Nähe Limas verübt wurden und ihren Höhepunkt erreichten, [S. 290] als die Todesstrafe aufgehoben wurde. Die Gefängnisse waren nämlich so beengt, daß man die Verbrecher gar nicht alle darin unterbringen konnte, und es ist wohl nicht blos eine Fabel, wenn die Peruaner behaupten, daß man damals, wenn die Zellen gefüllt waren und neue Sträflinge eingeliefert wurden, die hinausließ, die am längsten gesessen hatten. Erst als Präsident Castilla im Jahre 1860 die Todesstrafe nothgedrungen wieder einführte und zugleich ein riesiges Zellengefängniß mit furchtbaren Behältern im Bau begann, nahmen die Verbrechen etwas ab, wenn sie auch nicht ganz aufhörten.
Und tragen die Schwarzen allein an diesen Verbrechen die Schuld? Ich glaube kaum. Befreite Sclaven nur waren es, die das gewonnene Gut, ihre Freiheit, misbrauchten, weil sie nie gelernt hatten es zu schätzen, und wahr ist das Wort:
Wir dürfen uns deshalb auch nicht wundern, wenn wir noch von manchem Misbrauch hören sollten, den die Neger in Nordamerika von ihrer Freiheit machen. Es ist leicht, aus einem Sclaven einen freien Menschen, aber entsetzlich schwer, aus einer rohen arbeitenden Kraft plötzlich und mit einem [S. 291] Schlag einen civilisirten und vernunftbegabten Staatsbürger zu machen.
Unverhältnißmäßig wenig Neger giebt es, zum großen Glück für die dortige Bevölkerung, in Australien, was aber nur zufälligen Umständen zu verdanken ist.
In Nordamerika waren die kriegerischen Eingeborenen nicht zur Arbeit zu zwingen, und zogen sich, durch ihr Terrain begünstigt, weiter und weiter in ihre Wälder zurück; ebenso in Brasilien. In den übrigen spanischen Colonien, wo jene Piraten, die auf ihren verschiedenen Raubzügen die Länder nach und nach entdeckten, von fanatischen Priestern angestachelt, Millionen unschuldige Menschen unter dem Vorgeben erschlugen, ihre Seelen zu retten, rotteten sie die Bevölkerung aus. In allen diesen Ländern mußte der Sclavenhandel die fehlenden Arbeiter ersetzen. Nicht so in Australien, das von England aus nur als Verbrechercolonie in Besitz genommen, und durch hinübergesandte Sträflinge zuerst colonisirt wurde. Dort brauchte man keine Sclaven, denn die Kettengänge der verurtheilten Verbrecher verrichteten so lange die Arbeit, bis freiwillige Einwanderer, durch den Reichthum des Landes angelockt, ihre Plätze einnahmen. So kommt es denn, daß sich dort nur sehr [S. 292] wenig Neger aufhalten, und es sind das fast nur einzelne, von Schiffen entlaufene Matrosen. Ja selbst diese hielten sich in den Städten auf und mieden, nach einigen verunglückten Versuchen, das innere Land, wo sie bald fanden, daß selbst ihr Aufenthalt dort mit Lebensgefahr für sie verknüpft sei, da ihnen die Australischen Schwarzen erbittert nachstellten.
Merkwürdig ist der Haß der Mulatten und Quadronen gegen die Neger, deren Stamm sie doch entsprossen. Wie der Wolf keinen grimmigeren Feind in der Welt hat, als den Wolfshund, wie der Renegat kein Volk so hart bedrückt, als seinen eigenen Stamm, so haßt der Mulatte selbst den Weißen, der ihn unter die Füße tritt, nicht so bitter, wie seine eigene schwarze Verwandtschaft, und die grausamsten und unerbittlichsten Sclavenaufseher oder nigger-driver der ganzen Welt sind überall die Mulatten selber.
Besonders hat sich das auch in dem Befreiungskrieg von Haiti gezeigt, wo die Mulatten die entsetzlichsten Grausamkeiten gegen die eigentlichen Neger begingen, und wieder ihrerseits von diesen auf das Bitterste verfolgt und, wo es anging, vernichtet wurden.
Der Charakter der Negerrace ist im ganzen gutmüthig, denn bei nur einigermaßen freundlicher Behandlung [S. 293] sind sie leicht bei guter Laune und willig zu jeder Arbeit zu erhalten. Viel religiöser Sinn liegt nicht in ihnen, wo sie sich aber einmal in diese Richtung werfen, da werden sie auch leicht fanatisch, besonders die Frauen, und neigen dann meist zu den Secten, deren Religionsübungen in den lautesten Ausbrüchen stattfinden, wie z. B. die Methodisten in Amerika. Diese haben in der That die meisten Anhänger unter den Schwarzen, und einer solchen Andacht beizuwohnen, wenn der »Geist« über die Betenden kommt und sie zu rasen anfangen, wenn sie stampfen, springen, schreien und ihre eigene scharfe Ausdünstung dabei den geschlossenen Raum erfüllt, ist das Haarsträubendste, was man sich auf der Welt denken kann.
Dabei lieben sie Putz und helle Farben. Die Frauen besonders kleiden sich am liebsten in Weiß und Hellgelb und es steckt wirklich etwas vom Affen in ihrer Natur, wenn man sieht, wie gewissenhaft der freie Schwarze die Moden der Weißen nachahmt, und wie komisch er sich darin bewegt.
Nehmen wir ein Bild aus der Zeit vor Aufhebung der Sclaverei, Ein alter, würdiger gelbbrauner Gentleman mit vollkommen weißwolligem Haar, der in seiner Jugend vielleicht auf irgend einer [S. 294] südstaatlichen Pflanzung Baumwolle pflückte, später als Steward auf einem Dampfboot mit furchtbar gescheiteltem Haar eine Serviette unter dem Arme herumtrug, um sich im reiferen Mannesalter hinter den gestreiften Barbierpfahl der schönen Kunst zurückzuziehen, hat sich endlich zur Ruhe gesetzt und ordentlich rührend ist die steife Ehrbarkeit, mit der er jetzt seinen schwarzen Frack, weiße Hosen, ein großes, schneeweißes Jabot, riesige Vatermörder und eine vergoldete Dose trägt.
Dort kommen zwei schwarze Damen Broadway herunter. Es ist Sonntag Nachmittag, die eine Dicke — mit einer Statur, mit der sie auf jeder deutschen Messe als »Kolossdame« ihr Glück machen könnte, — ist in ein weißes, ausgeschnittenes Mousselinkleid gehüllt, das ihre Reize mehr verräth, als verbirgt — Sie trägt dabei eine goldene Kette, riesige Ohrringe, Broche, Gürtelschnalle, Armbänder, Ringe, kurz einen wahren Juwelierladen von Offenbacher Arbeit, einen weißen Seidenhut mit sämmtlichen Landesfarben der Welt, und einen orangegelben chinesischen Shawl. Die junge Dame aber, die sie bei sich hat, ein junges Ding von noch kaum siebenzehn Jahren, voll und schlank gebaut, nur von Rabenschwärze und mit etwas zu sehr aufgeworfenen Lippen, aber prachtvollen Zähnen [S. 295] und ein paar wahren Gluthaugen, geht ebenfalls weiß gekleidet und noch dazu höchst kokett mit weißen Rosen in dem wulstigen Wollhaar, das in unzählige kleine Zöpfe geflochten ist.
Ihnen begegnet ein junger Stutzer — ebenfalls »couleurt.« Er war Steward in einem der ersten Hôtels Philadelphias und ist jetzt nach New-York gekommen, um hier ein »Engagement« zu suchen. Er geht à quatre épingles gekleidet, ordentlich carrikirt modern, mit hellblauer, kaum fingerbreiter Cravatte, veilchenblauen Glacéhandschuhen, Glanzstiefeln, großcarrirten, sehr engen Pantalons, hellblauem Frack mit gelben Knöpfen, weißer, gestickter Weste, Tuchnadel, Hemdknöpfen, Uhrkette und Berloques, kurz mit Schmuck behangen, wie ihn bei uns nur ein jüdischer Weinreisender trägt. Ein kleines Rohrstöckchen mit Elfenbeingriff, ein gekrümmtes Knie vorstellend, hält er an die dicken Lippen und betrachtet musternd die ihm Begegnenden. Da fällt sein Blick auf das ungleiche Paar.
»By Golly!« ruft er entzückt aus, »Missus Nelson and the lovely blossom Miss Sarah Mary!« (Madame Nelson und die liebliche Blüthe Fräulein Sarah Mary.)
»Oh, Looord a Massy,« sagte die alte würdige [S. 296] Dame mit einem tiefen Grundbaß, indem sie erstaunt mitten im Weg stehen bleibt und beide Hände — von denen die eine den Sonnenschirm, die andere den »Strickbeutel« hält, erstaunt emporhebt, »Mr. Brown in New-York.« Die junge Dame lächelt verschämt und zeigt zwei Reihen wundervoller Zähne und ein paar verführerische Grübchen in den Backen. Mr. Brown ist ganz befangen von der aufgeblühten Knospe, die er seit Jahren nicht gesehen. Er behält den Hut in der Hand.
»Bitte, bedecken Sie sich, Mr. Brown,« sagte die Dame, »Gemmen always do.« (Die Herren thuen das immer.)
Mr. Brown gehorcht, aber noch immer wie in einem Traum. Dabei vergißt er die für Einen seiner Race stets nöthige Aufmerksamkeit in der Straße.
Ein junger Patricier kommt des Weges; er ist elegant, aber nachlässig gekleidet, sein Gesicht sieht verlebt und unzufrieden aus. Er scheint nicht besonders guter Laune; seine Stirn ist in Falten gezogen: plötzlich stößt er gegen den ent- und verzückten Mr. Brown aus Philadelphia an.
»Kannst Du nicht aus dem Weg gehen, verdammter Nigger!« und ein Faustschlag schleudert den Unglücklichen aus seinem Himmel und von dem Trottoir [S. 297] hinab, daß ihm der Hut vom Kopf und der Stock mit dem Elfenbeinknie aus der Hand fällt.
»Loooord a Massy!« haucht die alte würdige Dame wieder in tiefer Entrüstung, aber mit nur halblauter Stimme, und der unglückliche Mr. Brown wagt gar keine Entgegnung und hebt nur bestürzt seine Habseligkeiten wieder auf. Er weiß recht gut, daß alle Weißen in Sicht bei der geringsten Widersetzlichkeit über ihn herfallen und ihn mit Händen und Füßen mißhandeln würden. Klagen? bei wem?
»No dammage done« (kein Schaden verursacht), lacht ein Irländer, der gerade sehr vergnügt mit seiner »dray« oder seinem Karren vorüberfährt.
Es waren das tägliche Scenen in New-York und sind es vielleicht noch, denn das Volk, was auch die Regierung für Gesetze erläßt, wird sich schwer daran gewöhnen können, dem »Nigger« eine Gleichberechtigung mit sich selber zuzugestehen.
Dadurch bleiben sie auf sich selber angewiesen — eine verachtete Classe in einer ihnen fremden Welt, selbst wenn sie sich, wie das gar nicht etwa selten geschieht, zu Wohlstand und selbst Reichthum hinaufarbeiten.
So besuchte ich einst das Haus eines alten, sehr reichen Mulatten, der am False River in Louisiana [S. 298] eine große Plantage und selbst viele Sclaven hatte. Ich wollte einen von diesen von ihm miethen und wurde von der chamber maid oder dem »Kammermädchen«, das mir die Thüre öffnete, in das untere, hohe und luftige »Parlour« gewiesen.
Welch ein Unterschied: die Stammesgenossen des alten Herrn wohnten da draußen in kleinen, dürftigen Negerhütten, ihre Kleidung war ein weißbaumwollener Kittel, ihre Nahrung die gewöhnliche Negerkost: Speck und Syrup — und hier?
Das Zimmer war mit einer rothen, geschmackvollen Tapete ausgeschlagen. Gepolsterte Divans und Fauteuils standen darin umher und Mahagonymeubles. An den Wänden hingen — allerdings nicht gerade von den ersten Künstlern gemalte — Bilder alter, würdiger Herren und Damen aus der Familie, mit schwarzbraunen Gesichtern und Wulstlippen, aber in höchstem Staat und Glanz — es schien der Ahnensaal zu sein — und auf dem einen Divan und in dem einen Fauteuil lehnten zwei gelbbraune Damen von etwa zwei- und sechsundzwanzig Jahren in einem sehr losen, aber sehr sauberen Morgenanzug — die erhitzten Gesichter komischer Weise dicht mit weißem Puder bestreut, um die transpirirte Feuchtigkeit abzutrocknen. Sie empfingen mich aber mit Grazie, und der alte [S. 299] Herr, der bald darauf eintrat, machte das Geschäft mit mir in wenigen Minuten ab.
Es war ein Mann von — wie man ihn dort taxirte — etwa hunderttausend Dollars Vermögen, aber dennoch durfte er nicht wagen, sich in irgend einem Hôtel mit an den Tisch zu setzen, oder — wenn er einmal das Dampfboot nach New-Orleans benutzen wollte — auf diesem in der Cajüte zu fahren. Er mußte im Zwischendeck bleiben, wohin die »Niggers« gehörten.
Wie wunderbar ist überhaupt die ganze Race über den Erdboden zerstreut! In der Heimath, unter ihren kleinen Fürsten, deren Geldgier die Weißen erregt haben, geknechtet, gehetzt, eingefangen und an die Fremden verkauft, arbeiten sie in einigen Ländern unter der Peitsche ihres Aufsehers, während sie in anderen, der eigenen Heimath entfremdet, als unabhängige Menschen leben dürfen — und wie benutzen sie diese Freiheit?
Der Stamm Israels, auf ganz ähnliche Weise in der Welt zerstreut, macht einen anderen Gebrauch davon. Die Mehrzahl weiß, daß sie, nicht zu der bevorzugten Kaste gehörend, nie durch sich selbst, nur durch den Erwerb herrschen kann, und wirft ihre ganze Fähigkeit auf diesen Zweig. Der Neger nicht. Er [S. 300] hat keinen Sinn für Wissenschaften, kein Geschick für den Handel, und was er sich verdient, geschieht mit schwerer Arbeit oder eisernem Fleiß. Allerdings haben wir einige Ausnahmen, wie z. B. Ira Aldridge und einige Wenige, die sich wirklich der Kunst gewidmet, aber sie stehen viel zu vereinzelt da, um auch nur zu zählen.
Wo wir in Europa Neger oder ihre Abkömmlinge zu sehen bekommen, sind es entweder in Livrée gesteckte herrschaftliche Diener, Kunstreiter, oder Gesindel, das sich auf den Messen und Märkten herumtreibt, um dort entweder die große Trommel zu schlagen oder sich als Indianer in den Buden für Geld sehen zu lassen.
Der Neger lernt dabei leicht eine fremde Sprache, aber nie rein, und besonders scheint ihn der Buchstabe R darin zu stören, während dagegen die Indianerstämme, z. B. die australischen Schwarzen, ein ganz merkwürdiges Gehör für einen fremden Klang haben und vorgesprochene Sätze auf das Genaueste nachsprechen.
Vollkommen ungerecht wäre es aber, dem Stamm der Neger, wenn sie bis jetzt auch noch nicht gerade viel darin geleistet haben, alle geistigen Fähigkeiten abzusprechen, denn wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir immer annehmen, wie wenig Gelegenheit ihnen bis jetzt geboten wurde, sich zu entwickeln. [S. 301] Selbst wo man sie freigegeben hat, hörten sie nie auf, einen untergeordneten Stamm zu bilden, und wo man ihnen wirklich ein eigenes und freies Terrain anwies, um einen eigenen und selbstständigen Staat dort zu bilden, oder wo sie sich das selber nahmen, wie in der Negercolonie in Liberia oder auf Haiti, war es immer nur wieder ein heißes, tropisches Land, das sie bewohnten und das nun einmal einer jeden geistigen Entwicklung hinderlich ist und Geist und Körper erschlafft. Selbst der Europäer, so lange er nicht seinen, in einer gemäßigten Zone gestärkten Körper, mit in ein heißes Land bringt, fühlt sich dort am wenigsten zu geistigen Arbeiten angeregt, wie können wir es da von dem Neger verlangen?
Freieren Spielraum bekommen sie jetzt allerdings in den nordamerikanischen Staaten, aber sie werden immer und ewig ein verachteter Stamm bleiben, unbequem durch ihre Masse, aber deshalb nur noch mehr gehaßt, und wenn man nicht ein Mittel findet sie zu Hunderttausenden aus dem Land zu schaffen, so kann gerade das Anwachsen des Negerstammes, inmitten der weißen Bevölkerung, später noch einmal zu schweren und blutigen Conflicten führen.
Leipzig,
Druck von Giesecke & Devrient.