The Project Gutenberg eBook of Eine Mutter

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Title: Eine Mutter

Author: Friedrich Gerstäcker

Release date: June 15, 2014 [eBook #45977]
Most recently updated: October 24, 2024

Language: German

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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK EINE MUTTER ***

Eine Mutter.

Roman
im Anschluß an »die Colonie«

von
Friedrich Gerstäcker.

Dritte Auflage.


Jena,
Hermann Costenoble.

Verlagsbuchhandlung.

Inhalt.

Seite
Fürchtegott Pfeffer 1
Unter den Buden 17
Das Rendezvous 30
Die gräfliche Familie 42
Paradies und Hölle 57
Jeremias 68
Die erste Begegnung 81
Fräulein Bassini 95
Hinter den Coulissen 111
Graf Rottack bei Pfeffers 125
Am alten Wartthurm 137
Das Wiedersehen 157
Verschiedene Kunstinteressen 172
Horatius Rebe 184
Die Leseprobe 203
Vornehme Welt 218
Festvorkehrungen 229
Leiden eines Theater-Directors 246
Der Verlobungsabend 261
Hamlet, Prinz von Dänemark 284
Der Wilddieb 299
Ein gestörtes Fest 312
Nach dem Theater 331
Am andern Morgen 343
Wie das Glück wechselt 358
Der reiche Mann 373
Die Recension 388
Die Contremine 409
Der Maulwurfsfänger 427
Pfeffer dictirt einen Brief 443
Jeremias auf Reisen 455
Paula 470
Die Werbung 484
Schluß 495

1.
Fürchtegott Pfeffer.

Ein gar reges und geräuschvolles Leben und Treiben erfüllte heute die überhaupt nicht unbedeutende und besonders viel von Fremden besuchte Provinzialstadt Haßburg.

Schon die Lage des alten Ortes war eine reizende, und eine große Zahl von wohlhabenden Leuten hatte sich deshalb sogar in oder nahe bei der Stadt bleibend niedergelassen, so daß sie mit ihren freundlichen Villen und Wohnhäusern die Anlagen wie die Hänge der daranstoßenden Hügelkette bunt und prächtig überstreuten.

Heute füllte aber noch eine ganz besondere Veranlassung sowohl die engen und etwas winkeligen Straßen des Weichbildes, wie auch die Anlagen und freien Plätze mit einer Unzahl geputzter Menschen, denn es war Jahrmarkt wie zugleich Haßburger Vogelschießen, wozu sich dann natürlich die ganze Nachbarschaft herbeidrängte. Besonders die Bauern kamen in hellen Schwärmen zu Markt gezogen, und in den Hauptverbindungsstraßen wimmelte es wie bei einer Völkerwanderung.

Unmittelbar vor der Stadt, auf einem großen, freien Platz, der sogenannten »Schützenwiese«, stand denn auch eine große Zahl von Buden aufgeschlagen, während dicht daneben in einem niedern, langen Gebäude die »Altschützen« auf verschiedenen Ständen unermüdlich nach ihren dahinter aufgestellten Scheiben knallten.

Der Verkehr war hier draußen auch der stärkste, wenngleich selbst die innere Stadt nicht von Buden verschont geblieben, und während eine Zahl von Drehorgeln mit ihren grausig gemalten Mordgeschichten, böhmischen Musikbanden, Gymnastikern in schmutzig-weißen, phantastischen Anzügen und anderen Meßkünstlern geringeren Grades die Promenaden überschwemmten, sammelte sich hier das Volk besonders, und oft wurde selbst die Passage durch die verschiedenen Aufzüge für kurze Zeit gehemmt und unterbrochen.

An diesen Theil der Promenade stieß übrigens unmittelbar die Stadt, mit ihren hohen, schmalen, gedrängten Häusermassen, und während die Front der hier sichtbaren Reihe in eine enge, dumpfige Straße hinaussah und auch dort ihren Haupteingang hatte, genossen die Wohnungen der Hintergebäude (so eingeschränkt die Miethsleute dort auch vielleicht wohnen mußten) doch wenigstens freie Aussicht auf grüne Bäume und blauen Himmel, und jetzt auch, als Zugabe, auf das ganze wilde Gedränge des Markttrubels, der unmittelbar vor ihren Fenstern auf und ab wogte.

In der zweiten Etage eines dieser schmalen Gebäude wohnte der am Haßburger Theater angestellte Komiker Fürchtegott Pfeffer mit seiner Schwester und deren achtzehnjährigen Tochter Henriette in einem kleinen und sehr beschränkten Logis. Aber eben so klein und beschränkt war auch seine Gage, und Pfeffer, wenn auch sonst ein wunderlicher und excentrischer Kauz, doch ein ziemlich guter Haushalter und – sonderbarer Weise – fast der Einzige oder doch einer der Wenigen vom ganzen Theaterpersonal, der in Haßburg keine Schulden hatte.

Das ganze Logis bestand nur aus zwei neben einander liegenden Stuben, jede mit einem kleinen Alcoven versehen, dann einer etwas engen und nur nothdürftig erleuchteten Küche, und einer kleinen Holzkammer.

Die eine Stube hatte Pfeffer selber zum Studir- und Wohnzimmer inne, in dem daranstoßenden Alcoven schlief er. In dem andern Zimmer wohnten Mutter und Tochter, und es wäre kaum möglich gewesen, sich zwei sonst ganz gleiche Räumlichkeiten verschiedener zu denken, als diese zwei sich zeigten.

Das Zimmer der Frauen glich einer Puppenstube. Die allerdings sehr zerwaschenen Gardinen waren schneeweiß; ebenso der sorgsam gescheuerte Boden. Kein Stäubchen lag auf irgend einem der sauber polirten Erlenmöbel. Überall herrschte die größte, ja, fast peinliche Ordnung, und nur auf einem schmalen Arbeitstisch am Fenster, an dem Henriette saß und einen geschmackvollen Kranz von künstlichen Veilchen und Schneeglöckchen zusammenstellte, lagen die verschiedenen zu ihrer Arbeit nöthigen Ingredienzen ebenso durcheinander, wie es die Arbeit gerade mit sich bringt.

An Allem sah man, daß hier sorgliche und ordnungsliebende Frauenhände walteten – und wie lag dagegen das Nachbarzimmer!

Dort wirthschaftete Onkel Pfeffer, und zwar als unumschränkter Gebieter der Räumlichkeit, über welche man aber nicht gleich beim ersten Betreten des Zimmers einen vollkommenen Überblick bekam, da eine permanente Wolke von Tabaksqualm den überhaupt nicht sehr hellen Raum in ein ewiges, geheimnißvolles Halbdunkel hüllte. Hatte man sich aber erst daran gewöhnt und war nicht gleich beim ersten Betreten dieses künstlerischen Heiligthums über einen Haufen dicht an der Thür liegender Broschüren, Bücher und Schriftstücke gestolpert, so erschien Fürchtegott Pfeffer, wie der heraufbeschworene Geist eines Zauberers, mit in Papilloten rund herum fest eingewickelten Haaren, in einem sehr schmutzigen, langen, wattirten Schlafrock, die lange Pfeife in der Linken, eine offene »Rolle«, aus der er memorirte, in der rechten Hand, und blieb dann jedesmal – beide Arme vor sich haltend und mit einer Bewegung etwa mitten in der Stube stehen, als ob er hätte sagen wollen: Na, wer stört mich nun wieder?

Die Stube selber befand sich nicht allein in einer künstlerischen, sondern sogar in einer künstlichen Unordnung, gegen die aber weder Schwester noch Nichte einschreiten durften. Pfeffer behauptete nämlich – und vielleicht nicht ganz mit Unrecht –, sobald einmal bei ihm aufgeräumt würde, fände er nie mehr, was er suche, und es sei nachher eine Heidenarbeit, sein Studirzimmer wieder in den Stand zu setzen, wie er es allein brauchen könne, das heißt: in ein wahres Chaos von lauter benutzten und unbenutzten Dingen.

Die Gardinen waren jedenfalls, als sie am Ersten des Monats aufgemacht worden, eben so rein und weiß gewesen, wie in der Nachbarstube; wenn aber auch erst drei Wochen dazwischen lagen, so sahen sie doch jetzt schon entsetzlich aus. Ein schwarzer Reif schien auf sie gefallen zu sein – wie ein Trauercouvert mit schwarzen Rändern hingen sie von der Decke nieder, und noch immer zog der dicke Qualm zu ihnen empor und setzte sich den vorangegangenen Rußtheilchen an.

An den Wänden hingen eine Menge Bilder von theatralischen Größen, alle jedoch nur in einfach braunen oder schwarzen Rahmen. Was aber die Kunst getrennt, hatte die Kunst hier wieder vereint, denn über dem kleinen, mit buntem Kattun bezogenen Sopha nahmen Bogumil Dawison und Emil Devrient den Ehrenplatz ein, ja, ein Lorbeerkranz verband sogar Beide mit einander.

Dort hingen auch Ludwig Löwe und Laroche, dort hingen die Charlotte Ackermann, die alte Schröder und eine Menge berühmter Schauspieler und Schauspielerinnen; dort hingen Schiller, Göthe, Lessing, Iffland – aber kein einziges Bild eines Tenoristen oder einer Primadonna, und noch viel weniger eins, das nur im Entferntesten auf die Posse Bezug gehabt hätte.

Pfeffer haßte nicht allein die Oper, sondern auch die Posse, und war vielleicht gerade deshalb ein so ausgezeichneter Komiker, weil er seine Rolle mit einer solchen Erbitterung – ja, mit einem wahrhaft tödtlichen Haß abspielte, gewissermaßen, um sie nur los zu werden.

Außerdem stand in der Stube noch ein alter Schreibtisch aus Nußbaumholz, aber von oben bis unten mit Büchern, Rollen, Costümbildern, Zeitungsblättern wie allen nur erdenklichen Rauchapparaten, als Tabakskasten und Beutel, Pfeifenröhren, Cigarrenspitzen etc., bedeckt. Den Nipptisch in der Stube bildete aber die Commode mit einem Photographie-Album im Centrum. Rechts davon stand ein unbenutzter Mahagoni-Tabakskasten mit gestickten Seitenwänden, neben ihm ein gesticktes Uhrgehäuse, links eine eben solche Cigarrentasche, wie ein mit Silber beschlagener, guter Meerschaumkopf in geöffneter Kapsel – Alles mit dichtem Staub bedeckt, denn abwischen durfte es Niemand.

Zwischen den beiden Fenstern, über einem kleinen Wandschrank, war auch ein Spiegel angebracht, der Vorhang aber von beiden Seiten so gesteckt worden, daß er den obern, also benutzbaren Theil desselben vollkommen bedeckte und nur den untern sichtbar ließ, den Pfeffer brauchte, wenn er sich rasirte.

Zwischen den beiden Stuben die er und seine Schwester bewohnten, bestand eine Verbindungsthür, aber sie schien cassirt zu sein. Es hing wenigstens auf seiner Seite eine dicke wollene Decke davor, und ein kleines Büchergestell war so angebracht, daß es den untern Raum vollkommen ausfüllte. Aber nicht deshalb war es etwa geschehen, weil sich Bruder und Schwester nicht vertragen hätten – im Gegentheil, es gab kaum zwei Geschwister, die sich zärtlicher liebten, wenn sich auch Pfeffer selber etwas Derartiges nie merken ließ. Wäre aber die Thür benutzt gewesen, so hätte der fortwährende und furchtbare Tabaksqualm auch unfehlbar in das andere, von den Damen bewohnte Zimmer hineinziehen müssen, und Pfeffer selber that da Einspruch.

So verkehrten sie denn, wenn auch nicht so rasch, doch eben so häufig durch den kleinen Vorsaal mit einander, der draußen auf die Treppe ausmündete und dadurch dem Tabaksrauch einen freien Abzug gab, ohne in das Zimmer der Schwester zu dringen. Nach einem stillschweigenden Übereinkommen betrat er deshalb auch nie das Nachbarzimmer mit seiner Pfeife – wenigstens nie, wenn die Fenster geschlossen waren. An warmen Sommertagen, wenn diese weit geöffnet standen, kam er aber doch auch manchmal einen Moment »als Schornstein«, wie er es selber nannte, hinüber, blies den Qualm ein paar Minuten dort in's Freie hinaus und kehrte dann in sein »Rauchnest« zurück – oftmals, ohne auch nur eine einzige Silbe gesprochen zu haben. Heute Morgen war er in besonders schlechter Laune, denn die zahlreichen Musikbanden, von denen manchmal zwei zu gleicher Zeit verschiedene Melodien unter seinem Fenster bliesen, hatten jedes Memoriren unmöglich gemacht. Was half es ihm, daß er die Fenster fest verschlossen hielt und die Rouleaux selbst herunter ließ, um so wenig als möglich von dem Treiben da unten zu hören und zu sehen! Die schrillen Töne drangen doch hindurch, und der Tabaksqualm wurde zuletzt so dicht und arg, daß er es selber nicht mehr darin aushalten konnte.

Mit einem halb verbissenen Fluche zog er die Rouleaux wieder in die Höhe, stieß die Fensterflügel auf und ging dann, sein Zimmer auch durch die geöffnete Thür lüftend, einen Augenblick zu seiner Schwester hinüber, wo er an eins der weitgeöffneten Fenster trat.

»Du kannst wohl heute bei dem Lärm nicht arbeiten, Onkel?« fragte ihn das junge Mädchen, das in einfach bürgerlicher, fast etwas dürftiger Tracht an einem kleinen Tisch am Fenster saß und künstliche Blumen zusammenstellte. Sie sah ihm wohl an, daß er mürrisch und verdrießlich war, konnte aber in solchen Fällen noch immer am besten mit ihm auskommen.

»Arbeiten,« knurrte Pfeffer an seiner Pfeifenspitze vorbei und schoß erst eine Anzahl von Rauchringeln in die blaue, sonnige Luft hinaus – »arbeiten, bei dem Skandal? Es ist ordentlich, als ob sie Einem das Gehirn auseinander trieben. Das halte ich auch nicht länger aus. Gott straf' mich, morgen kündige ich das verwünschte Logis und ziehe an's andere Ende der Stadt! Lieber doch oben auf einem Thurm und eine Meile vom Theater wohnen, als hier in diesem Sodom und Gomorrha!«

Henriette lächelte leise vor sich hin, denn den nämlichen Entschluß faßte der Onkel an jedem solchen Markt, hütete sich aber wohl, ihn je auszuführen; denn die Wohnung lag ihm selber viel zu bequem und nahe beim Theater, um sie leichtsinnig aufzugeben. Er war eben verdrießlich heute, und da mußte man ihn austoben lassen; er wurde auch schon von selber wieder gut.

Jetzt freilich leuchtete sein Gesicht wie eine Wetterwolke mit seinen finster zusammengezogenen Brauen, die Stirn in tiefen Falten und einen Ausdruck in den Zügen, als ob er die Welt hätte vergiften können. Da plötzlich, als ob eine Garbe von Leuchtkugeln die dunkle Nacht erhellt, nahm er die Pfeife aus dem Munde – sein Gesicht strahlte von Freundlichkeit, und mit einer tiefen Verbeugung und dem verbindlichsten Lächeln vom Fenster aus Jemanden grüßend, der gerade unten vorbeiging, sagte er mit seiner wohlwollendsten Miene: »Daß Du den Hals brächest, Du verdammter schiefbeiniger Halunke Du – Du Leuteschinder – empfehle mich Ihnen gehorsamst!«

»Wer geht denn da vorbei?« sagte seine Schwester, eine Frau vielleicht hoch in den Dreißigen, aber ein liebes, freundliches, matronenhaftes Wesen, die leidend schien und auf dem Sopha lag.

»Der Herr Director,« lächelte Henriette.

»Wie der Schuft die Beine spreizt,« sagte Pfeffer, der wieder seine alte, finstere Miene angenommen hatte, sobald der Director von unten nicht mehr heraufsah – »breitspuriger Musenkutscher – grüßt auch noch, der – Heuchler!«

»Ach, Onkel, sieh nur, was da für reizende Kinder in der Equipage sitzen!« rief Henriette, die von ihrer Arbeit aufgeblickt, während Pfeffer noch immer giftig seinem Vorgesetzten oder Chef nachschaute. »Das sind gewiß Fremde, denn ich erinnere mich nicht, sie schon hier gesehen zu haben.«

Unten vor dem Fenster fuhr in diesem Augenblick ganz langsam, da die Pferde in dem Menschengewühl nur im Schritt gehen konnten, eine leichte, sehr elegante Equipage vorüber. Ein Kutscher in Livrée führte sie, und im Fond derselben saßen ein Herr und eine Dame in Reisekleidern, während auf dem Rücksitz ein junges Mädchen – wahrscheinlich die Bonne – die größte Mühe hatte, zwei allerliebste Kinder, einen Knaben von etwa vier und ein kleines Mädchen von vielleicht drittehalb Jahren, ruhig auf ihren Sitzen zu halten. Und das schien in der That kein kleines Stück Arbeit, denn das lebendige Pärchen entdeckte in der neuen, regen Umgebung eine solche Menge von Merkwürdigkeiten, daß sie mit den kurzen Ärmchen nur immer da- und dorthin deuteten und Vater und Mutter das gerade Bemerkte auf frischer That auch zeigen, ja, am liebsten hinaus und näher hinan wollten.

Die Eltern aber, die dem sie umwogenden Treiben kaum einen Blick schenkten, lächelten über die fröhliche Unruhe der Kinder und mußten nur selber mit beschwichtigen und ermahnen helfen, um ihren unruhigen Eifer zu zügeln.

»Ja, das sind Fremde,« sagte Pfeffer, der einen mürrischen Blick nach der bezeichneten Richtung hinunterwarf; »es wimmelt ja von denen jetzt in Haßburg – vornehmes Pack – hochnasige Gesellschaft – was kümmern die uns!«

»Was das für eine reizende Frau ist und was für wundervolle Haare sie hat!« fuhr Jettchen fort.

»Ja, wie Deine Tante, Fräulein Bassini – ein ächter Goldfuchs – wie nur ein Mensch an rothen Haaren Freude finden kann.«

»Aber sie sind doch nicht roth, Onkel – es ist das herrlichste Goldblond, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

»Goldblond,« brummte Pfeffer verächtlich vor sich hin – »Rothfuchs – was Du für einen Begriff von goldblond hast.«

»Du bist einmal verdrießlich heute, Onkel,« lächelte Henriette, »und in der Stimmung hättest Du selbst am Himmelsblau 'was auszusetzen.«

»Hätt' ich?« brummte Pfeffer und qualmte stärker – »was die Jungfer Naseweis nicht Alles bemerkt. – Das da unten sind auch ein paar goldblonde Pferde, nicht wahr?«

»Das ist die Equipage des reichen Monford,« sagte Jettchen, die wieder einen Blick hinausgeworfen hatte, aber zugleich auch, verlegen erröthend, ohne daß der Onkel jedoch etwas davon bemerkte, nach unten irgend Jemanden dankend grüßte.

»Die wälzen sich ordentlich in Gold,« sagte Pfeffer – »Herr Gott, ist das nun Gerechtigkeit? Das Volk weiß nicht, wie es die Tausende, nur um sie los zu werden, zum Fenster hinauswerfen soll, und bei uns langt's manchmal knapp zu Kartoffeln und Häringen!«

»Und wer weiß, ob sie so glücklich sind, wie wir!«

»Glücklich – was sollte denen an ihrem Glück fehlen? Alles, was sich ein Mensch nur möglicher Weise wünschen kann, wenn er recht unverschämt ist, haben sie: eine große, reiche Familie, Sohn und Tochter, gesund und vornehm – bah, geh mir mit den Redensarten, die sich recht hübsch von der Kanzel herunter oder auf dem Theater ausnehmen: »Reichthum macht nicht glücklich« – aber im wirklichen Leben – alle Teufel,« unterbrach er sich plötzlich und nahm rasch die Pfeife aus dem Mund, »schnüffelt da unten nicht schon wieder unser siebenundzwanzigster Liebhaber, unser Herr Rebe mit seinem classischen Vornamen herum? Horatius Rebe – Horatius Cocles – jedenfalls Geschwisterkind mit einander – daß Dich die Milz sticht!«

»Aber, bester Onkel,« lächelte Henriette, dabei doch etwas verlegen und jedenfalls mehr erröthend, als eigentlich nöthig gewesen wäre – »was kann denn ein Mensch für seinen Vornamen? Er hat ihn sich doch nicht selber gegeben.«

»Unsinn, selber gegeben – natürlich hat er ihn sich nicht selber gegeben, sondern irgend ein eben so verrückter Pathe; aber er kann ihn doch zum Teufel werfen, sowie er nur einmal so viel Verstand hat, um eine Nachtmütze von einer Lichtscheere zu unterscheiden!« rief der Onkel, der heute wirklich entschlossen schien, sich über Alles zu ärgern. – »Horatius – Horatius! Jeder anständige Mensch auf der Welt hat doch wenigstens zwei oder drei verschiedene Vornamen, von denen er berechtigt ist, sich den auszuwählen, der ihm am besten gefällt. Warum thut er das nicht auch? – aber denkt gar nicht dran. Wahrscheinlich ist er auch noch stolz auf seinen Horatius; daß Dich der Henker hole – ich wollte Dich behoratiussen, wenn Du mein Sohn wärest!«

»Aber, Onkelchen,« lachte Henriette still vor sich hin, »wenn Dir nun seine anderen Namen auch nicht besser gefielen, wie der da?«

»Ach, Schnack,« rief Pfeffer, »und was weißt Du überhaupt von seinen anderen Vornamen, heh? Was sagst Du?«

»Oh, nichts, Onkelchen, ich zählte nur eben hier die Blätter zu dieser weißen Rose ab.«

»Und beim Himmel,« fuhr Pfeffer auf, der, während er sprach, den jungen Menschen nicht aus den Augen gelassen hatte, »da kommt er schon wieder auf's Haus zu! Jettchen, Jettchen, ich will Dir 'was sagen – ich fange an Verdacht zu schöpfen, daß sich der junge Springinsfeld die Schuhsohlen hier nicht umsonst alle Tage vor dem Fenster abläuft – ich hätte Dich für vernünftiger gehalten.«

»Aber, Onkel!«

»Die Posse laß Dir vergehen,« fuhr Pfeffer fort; »Du hast nichts, als was Du Dir mit Deiner Hände Arbeit sauer genug verdienst, und er hat gar nichts, als seine »Liebe zur Kunst«, wie er's hochpoetisch nennt, und die ihn bis jetzt nicht viel höher gebracht hat, als Stühle heraus zu tragen und höchstens einmal einen Ritter anzumelden! Darin paßt Ihr nun allerdings zu einander, daß Ihr Beide nichts habt, aber das Ende vom Liede wäre auch, daß Ihr Euch Beide unglücklich machtet und Euer Leben verdürbet!«

»Aber, Onkel, er denkt gar nicht daran!«

»Denkt nicht daran? – Lehr' Du mich Menschen kennen! – Übrigens weiß ich schon, daß er nur wieder unter dem Vorwande heraufkommt, mich zu besuchen. Na, die Freude will ich ihm dieses Mal machen – arbeiten kann ich außerdem heute nichts – daß Ihr ihn mir aber nicht hier herüber laßt – das sag' ich Euch!« – Und damit nahm er seinen Schlafrock vorn zusammen und ging wieder über den Vorsaal in sein eigenes Zimmer hinüber.

Henriette blieb schweigend an ihrer Arbeit sitzen, und die Mutter war aufgestanden und nahm ihr jetzt gegenüber am Fenster Platz.

»Der junge Rebe ist die letzte Zeit recht oft hier gewesen, Kind,« sagte sie endlich, während ihr Auge über die bunten Gruppen vor dem Fenster glitt, ohne sie zu sehen.

»Liebe Mutter...«

»Ich glaube, der Onkel hat Recht, Kind,« fuhr die Frau aber wehmüthig fort – »nicht, daß ich etwas gegen den jungen Mann selber einzuwenden hätte; er scheint brav und ordentlich zu sein, und man hört über sein ganzes Betragen nur immer Gutes, aber – das Theater ist ein gefährlicher Boden für junge Leute, und – kein Mensch weiß außerdem, ob er auch wirklich Talent hat und es je zu etwas bringen wird.«

»Er studirt so fleißig!« sagte Henriette leise.

»Ja, mein Kind,« seufzte die Frau, »das allein macht es nicht, und darin steht der Künstler weit gegen den Gelehrten im Nachtheil. In jedem andern Fache kann es ein wirklich tüchtiger Mann durch Fleiß und Ausdauer erzwingen, vorwärts zu kommen, wenn er auch nicht übermäßig begabt sein sollte; in der Kunst aber nicht, und nicht allein das Talent hilft ihm da, er muß auch Glück haben, wenn er es je zu etwas bringen – wenn er je ein erstes Fach bekleiden will. Kann er das aber nicht, dann wäre es viel vernünftiger, er lernte eher das einfachste Handwerk, als daß er sich seine Lebenszeit bei kleinen Bühnen herumtriebe, um da zweite oder dritte Rollen zu spielen. In dem Fall, mein Herz, ist der Schauspielerstand ein elendes und trauriges Leben, glaube mir!«

»Aber Du warst selber beim Theater, Mama,« sagte Henriette, »der Onkel ist dabei, Deine selige Mutter, wie Du mir oft erzählt, soll ebenfalls eine brave Sängerin gewesen sein, ja, Deine eigene Schwester spielt jetzt noch Komödie!«

»Das Alles ist wahr, Herz,« nickte die Mutter, »unsere ganze Familie gehört dem Theater an, und doch danke ich Gott, daß Du Dir Dein Brod, so spärlich es auch sein mag, auf andere Art verdienen kannst. Ja, wer eins der ersten Fächer bekleidet, wer bei einer großen Bühne der Liebling des Publikums geworden, der nimmt wohl eine ehrenvolle Stellung ein und kann auch ganz seiner Kunst leben; die Direction braucht ihn und seine Zukunft ist gesichert – aber wie Wenigen unter Tausenden ist das beschieden, und sich in untergeordneten Fächern bald hier, bald da herumtreiben, jetzt hier mit einer kleinen Gage angestellt, dann wieder im Lande nach einem Engagement herumsuchend, das, mein liebes Kind, sei versichert, ist ein trauriges Brod, und schlimmer, weit schlimmer, als Holzhacken und Tagelohn!«

»Aber verdienen die Leute nicht, was sie zum Leben brauchen?«

»Ja – vielleicht. – So lange sie allein stehen und gesund bleiben, schlagen sie sich durch, und der Leichtsinn, der ein glückliches Erbe dieses Standes ist, hilft ihnen über manches Schwere hinweg. Verheirathen sie sich aber und kommt Familie dazu, dann tritt nur zu häufig der furchtbare Ernst des Lebens an sie heran und sie leiden oft, ohne eine Stätte, wohin sie ihr Haupt legen können, die bitterste Noth. – Aber ich brauche Dir das gar nicht weiter zu bestätigen; Du siehst es selber hier fast jede Woche, denn keine vergeht, wo nicht Einer oder der Andere hier durchkommt und sein Leben mit Collectenmachen fristet – nur um den nagenden Hunger zu stillen, nur um der dringendsten Noth abzuhelfen. Jeder Thaler aber, der ihnen gereicht wird, ist doch nur ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein und ihres Jammers kein Ende – kannst Du es mir und dem Onkel verdenken, wenn wir Dich vor einem solchen Schicksal bewahrt wissen wollen?«

»Liebe Mutter!«

»Aber wir schwatzen und schwatzen hier,« brach die Frau plötzlich ab, »und es wird indessen spät; da schlägt es wahrhaftig schon zehn Uhr – Kind, Du mußt nach dem Mittagessen sehen, sonst wird der Onkel nachher böse, wenn es nicht zur rechten Zeit auf dem Tisch steht.«

»Ja, ja, Mama,« rief Henriette, schob ihre Arbeit rasch bei Seite und ging hinaus in die Küche. Die Mutter sah ihr sinnend nach, stützte dann den Kopf in die Hand und seufzte leise, aber recht aus tiefster Seele herauf:

»Oh, daß wir so arm sind!« –

Pfeffer hatte indessen sein unter der Zeit vollständig gelüftetes Zimmer wieder betreten und die Thür geschlossen, als es anklopfte.

»Guten Morgen, Herr Pfeffer,« sagte in diesem Augenblick der junge Rebe, welcher auf der Schwelle erschien, »ich störe doch nicht?«

»Woher vermuthen Sie das, mein sehr verehrter Herr Horatius Rebe, wenn man fragen darf?« brummte Pfeffer, dessen Laune sich noch nicht im Geringsten gebessert hatte.

»Weil ich Sie so deutlich erkennen kann,« lächelte der junge Mann, »denn wenn Sie tüchtig arbeiten, haben Sie auch gewöhnlich eine dem entsprechende Wolke um sich her.«

»Das Rauchen ist Ihnen doch nicht unangenehm?« fragte Pfeffer verbindlich und mit einer Bewegung, als ob er seine Pfeife gleich in die Ecke stellen wollte.

»Mein guter Herr Pfeffer,« sagte Rebe mit einem wehmüthigen Zug um die Lippen, »ich weiß sehr wohl, daß mir nichts unangenehm sein darf – übrigens würde ich selber wieder rauchen, wenn meine Gage nur ein klein wenig höher wäre.«

»So – und was verschafft mir da heute die Ehre Ihres Besuches?«

»Ich sehe, Sie sind heute nicht in glücklicher Stimmung,« sagte Rebe – »kann ich vielleicht die Damen sprechen?«

»Nein,« brummte Pfeffer – »meine Schwester ist krank und Jettchen pflegt sie.«

»Doch nicht ernstlich?«

»Allerdings, sie pflegt sie ganz ernstlich.«

»Nein, ich meine...«

»Wünschen sie sonst noch etwas?«

»Mein lieber Herr Pfeffer, sagen Sie mir nur, weshalb Sie mich heute so schrecklich ablaufen lassen,« bat Rebe herzlich, indem er auf ihn zuging und seine Hand zu ergreifen suchte, die Pfeffer aber in die Tasche steckte – »habe ich Ihnen etwas zu Leide gethan?«

»Nein – noch nicht – aber Sie wollen es!« brummte mürrisch der Mann.

»Ich will es?«

»Ja – Sie verdrehen dem Mädel, dem Jettchen, den Kopf!«

»Aber, bester Herr Pfeffer!«

»Können Sie eine Frau ernähren?«

»Noch nicht, aber ich hoffe...«

»Hoffe – alberne Redensart – hoffe, hoffe – dafür giebt Ihnen kein Mensch einen Pfifferling, viel weniger eine ganze Haushaltung! Wie lange sind Sie schon beim Theater?«

»Seit einem Jahre – seit ich hier bin!«

»Hm – und was waren Sie früher?«

»Ich habe studirt.«

»Nun ja, das dachte ich mir ungefähr, und nachdem Sie Ihren Eltern das schwere Geld gekostet, laufen Sie zum Theater – nein, es ist ganz unglaublich, wie verrückt manche Menschen sind, studirt bis in die blaue Pechhütte hinein, nur um nachher die Geschichte an den Nagel zu hängen und in der Welt herum zu fahren! Wofür haben Sie nun studirt?«

»Und glauben Sie wirklich, daß mir das als Schauspieler verloren wäre?« lächelte Rebe. »Hier gerade kann es mir bedeutend nützen, und wenn meine Liebe zur Kunst...«

»Jetzt hören Sie auf,« schrie Pfeffer – »Liebe zur Kunst – wenn ich den Blödsinn nur nicht mehr hören müßte – Liebe zur – ich hätte bald 'was gesagt, Herr Horatius! – Apropos, ist der Horatius etwa Ihr Theatername, und glauben Sie, daß er sich besonders hübsch auf dem Zettel ausnehmen soll, wenn es zum Beispiel heißt: Horatio, Herr Horatius Rebe?«

»Ich bin so getauft,« lächelte der junge Mann, »und – möchte mich doch auch nicht gern wieder umtaufen.«

»Aber Sie haben doch, zum Teufel, auch noch andere Namen!« rief Pfeffer. »Weshalb nehmen Sie nicht einen von denen?«

»Allerdings, Herr Pfeffer,« sagte Rebe etwas verlegen, »aber die anderen klingen eben auch nicht besser. Ich heiße mit meinem vollen Namen Horatius Scipio Quintus.«

»Nanu bitt' ich aber zu grüßen!« rief Pfeffer erstaunt. »Weiter nichts?«

»Mein Vater war ein armer Schullehrer,« fuhr Rebe fort, »der für die Alten schwärmte – er ist lange todt,« fügte er leise hinzu, »und ich mochte ihn nicht dadurch noch im Grabe kränken, daß ich den ihm einst lieb gewesenen Namen verwarf.«

»Sehr ehrenwerth, Herr Horatius Cocles – Rebe, wollt' ich sagen,« brummte Pfeffer, »aber ich glaube, Sie haben Ihren todten Papa noch viel mehr damit gekränkt, daß Sie unter die Komödianten gegangen oder, wenn Ihnen der Ausdruck besser gefällt, Mime geworden sind. Keinesfalls hätten Sie zu studiren gebraucht, um ein schlechter Schauspieler zu werden.«

»Aber ich hoffe ein guter zu werden, Herr Pfeffer.«

»Da haben wir wieder die Hoffnung, und indessen beschäftigen Sie sich mit Hinaustragen von Stühlen und Ableiern von kleinen Rollen!«

»Weil ich keine größeren bekommen kann!« rief Rebe. »Ist denn der Director auch nur dazu zu bewegen, mir einmal einen Versuch zu gestatten? Erlaubt er mir denn nur ein einziges Mal, zu zeigen was ich wirklich kann? Ach, mein bester Herr Pfeffer, wenn Sie es nur ein einziges Mal dahin bringen könnten, daß ich...«

»Bleiben Sie mir vom Leibe,« rief Pfeffer; »ich habe mit der ganzen Schmiere nichts zu thun! Ich spiele meine Rolle ab, und damit Basta – wenn Ihnen eine von denen zusagen sollte, mit dem größten Vergnügen – in das Andere mische ich mich nicht. So viel sage ich Ihnen aber: – hier – wenn Sie wirklich Talent hätten – kommen Sie zu nichts; Handor spielt Alles, also eine Aussicht bleibt Ihnen nicht, und deshalb bitte ich Sie sehr ernstlich, daß Sie dem armen Mädchen, dem Jettchen, keine weiteren Sparren in den Kopf setzen!«

»Aber, bester Herr Pfeffer!«

»Ich glaube, Sie haben mich verstanden?«

»Vollkommen!«

»Schön, dann brauchen wir auch weiter nichts darüber zu reden, und ich...«

Er wurde hier unterbrochen, denn in dem Moment flog die Thür auf und herein stürzte in größter Eile und mit einem »Allerseitigen Guten Morgen« Fräulein Bassini, Pfeffer's älteste Schwester, ebenfalls Mitglied des hiesigen Stadttheaters – mit einem riesigen Toupet von hochrothen Locken, dabei decolletirt und sehr phantastisch angezogen. Sie machte auch nicht viel Umstände.

»Fürchtegott,« rief sie, »ich habe meine Dose vergessen und muß in die Probe – borg' mir die Deinige.«

Fräulein Bassini – wie sie mit ihrem Theaternamen hieß, da ihr der Name Pfeffer zu prosaisch klang – spielte Charakter- und Anstandsdamen. Sie war aber »jeder Zoll eine Schauspielerin« und, wenn auch schon im Anfange der Vierzig – was sie übrigens hartnäckig leugnete –, doch noch so liebenswürdig kokett, wie ein junges Mädchen von siebzehn Jahren.

»Schon wieder einmal,« sagte Pfeffer, wie es übrigens schien, nicht sehr erbaut von dem Überfall; »merkwürdig, daß Du nie etwas von Deiner Auftakelei vergißt. Frauenzimmer, wie siehst Du heute Morgen wieder aus – gerad' wie ein Pfingstochse!«

»Du bist und bleibst ein Grobian!« rief Fräulein Bassini, indem sie ohne Weiteres die auf dem Tisch stehende Dose an sich nahm und einsteckte – »was müssen denn nur andere Leute von Dir denken. – Guten Morgen, Herr Rebe!«

»Und willst Du nicht einmal zu Deiner Schwester hinübergehen? Sie ist nicht recht wohl.«

»Es hat schon zehn Uhr geschlagen, und ich komme im ersten Act,« rief Fräulein Bassini, und damit war sie aus der Thür verschwunden.

Als sie dieselbe öffnete, sah Rebe draußen in der Küche Henriette stehen.

»Also, mein lieber Herr Pfeffer?«

»Nun, ich denke, Sie haben auch Probe; Sie machen ja wohl einen von den Ballgästen?«

»Leider,« seufzte der junge Mann, »aber ich komme erst am Schluß des zweiten Actes.«

»War mir sehr angenehm,« sagte Pfeffer mit einer Miene, als ob er ihn eben so lieb wie nicht zur Thür hinausgeworfen hätte.

Rebe machte eine Verbeugung und verließ das Zimmer. Wie er die Thür hinter sich zudrückte, traf er vorn in der kleinen, halbdunkeln Küche, die ihr Licht nur durch ein Thürfenster des Vorsaales erhielt, Jettchen.

»Mein liebes Fräulein, ich danke meinem Schicksal, daß ich Ihnen wenigstens Guten Morgen sagen kann.«

»Guten Morgen, Herr Rebe,« erwiderte Henriette leise.

»Ihre Frau Mutter ist nicht wohl?«

»Hoffentlich nur eine Erkältung.«

»Hoffentlich – und Sie arbeiten so fleißig?«

»Ich muß ja wohl.«

»Sie glauben nicht, wie lang mir der gestrige Tag geworden ist – wie lang mir mein übriges Leben werden wird.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Jettchen leise.

»Ihr Onkel hat mir mit ziemlich deutlichen Worten das Haus verboten – und ich fühle selber, daß er dabei in seinem Rechte ist. Zürnen Sie mir nicht, mein liebes Jettchen, wenn ich seinem Befehl gehorche – ich sehe ein, daß es sein muß.«

Drinnen im Zimmer klingelte es.

»Die Mutter verlangt nach mir,« rief das junge Mädchen.

»Leben Sie wohl,« Jettchen, sagte Rebe und reichte ihr die Hand, die sie schüchtern nahm – aber wieder klingelte es – und sich losreißend, flog sie in das Zimmer zurück. Horatius Rebe aber sah ihr wehmüthig nach und verließ dann in einer recht gedrückten und traurigen Stimmung das Haus, welches er kurz vorher so freudig betreten hatte.

2.
Unter den Buden.

Der Wagen mit dem jungen Paar und den Kindern, der vorhin Henriettens Aufmerksamkeit erregt, fuhr noch eine Strecke durch das Menschengewühl im Schritt, bis er einen freieren Platz erreichte. Dort ließ der Kutscher die Pferde ein wenig austraben, und bald hielt das leichte Fuhrwerk vor einem nicht sehr großen, aber außerordentlich freundlich gelegenen herrschaftlichen Haus, an dessen Gartenpforte schon verschiedene dienstbare Geister standen, um die erwartete Herrschaft in Empfang zu nehmen.

Der junge Mann war, wie nur der Wagen hielt, rasch zuerst hinausgesprungen, und seine beiden Kleinen aufnehmend und den herbeieilenden Mädchen übergebend, half er der jungen Frau ebenfalls aus dem Wagen – aber sie bedurfte kaum seiner Hülfe.

Es war eine reizende, schlank gewachsene Gestalt, mit wundervollen goldblonden Haaren und lebendigen, aber doch so seelenvollen Augen, die aber kaum ihre Hand auf seinen Arm stützte, so leicht sprang sie selbst von dem Wagen herab. Aber unten blieb sie stehen, und einen halb neugierigen, halb ängstlichen Blick umherwerfend, sagte sie mit leiser, fast zitternder Stimme:

»Und sind wir denn wirklich hier in Haßburg, Felix? Haben wir endlich unser lang ersehntes Ziel erreicht?«

»Haßburg, gewiß,« lächelte ihr Gatte, indem er ihren Arm in den seinen zog und, von den Kindern und den Dienern gefolgt, dem Hause zuschritt – »und alles Andere wird sich auch wohl fügen. Jetzt aber, herziges Frauchen, zeige ich Dir vor allen Dingen unsere neue Heimath, und hoffe gewiß, daß Du mit mir zufrieden sein sollst.«

»Mein guter Felix – Du sorgst so für Alles!«

»Du wirst mir bezeugen müssen,« lächelte ihr Gatte, »daß ich mich diesmal selbst übertroffen habe.«

Und in der That hatte er nicht zu viel versprochen. Das freundliche Haus, das mitten in einem reizenden, wohlgepflegten Garten stand, glich einem kleinen Paradies. Alles war dabei wohl reich und ihrem Rang entsprechend, aber auch so einfach und geschmackvoll hergerichtet, daß, wie er mit seiner Gattin die Räume durchschritt, Helene, die junge Gräfin Rottack, kaum Worte fand, ihm dafür zu danken.

So durchwanderten sie das ganze Haus, und endlich, als sie so ziemlich Alles besichtigt hatten, traten sie hinaus auf einen kleinen eisernen Balkon. Hier aber eröffnete sich ihnen ein wunderliebliches Landschaftsbild nach den, Haßburg umschließenden Hügeln und Hängen hinüber, und Helene, von der Aussicht wirklich entzückt und überrascht, flüsterte, indem sie ihr Haupt an des Gatten Schulter schmiegte:

»Wie soll ich es Dir danken, Felix, daß Du so meinen kleinsten, vielleicht thörichten Wunsch erfüllt? Wie soll ich überhaupt je im Leben das wieder gut machen, was Du schon in den wenigen Jahren für mich – für das arme, freundlose Kind – für die Waise gethan? – Ich weiß es nicht – mein ganzes Herz ist nur erfüllt von dem Einen Gefühl des Dankes, der Liebe für Dich, Du guter Mann!«

»Meine Helene – mein liebes Herz!« rief Graf Rottack, sie an sich pressend – »wer von uns ist dem Andern denn mehr zu Dank verpflichtet, Du mir, oder ich Dir? Was anders habe ich gethan, als nur die Liebe erwidert, die Du mir entgegenbrachtest, während Du Dein ganzes Glück, Dein ganzes Leben vertrauensvoll in meine Hände legtest!«

»Mein Felix!«

»Was wäre aus mir geworden,« fuhr der junge Mann fort, sie immer noch in seinem Arm haltend, »wenn Du Dich damals meiner nicht angenommen? In einer Stimmung, die mich der tollsten Streiche fähig machte, wäre ich vielleicht zu Grunde gegangen. Du allein hast mich dem Leben erhalten, und gebe nur Gott, daß ich Dir, armes Herz, auch den Frieden wiedergeben könne, nach dem Du Dich sehnst – daß ich Dir das Einzige verschaffe, was bisher nicht in meinen Kräften stand – die Liebe Deiner Mutter!«

»Und hast Du jetzt nicht den Schritt gethan, der uns ihr näher bringen mußte?« sagte Helene herzlich.

»Ja, mein Schatz,« erwiderte Graf Felix, indem er sie losließ und sich mit der Hand wie verlegen durch die dunkeln Locken fuhr – »aber – ich möchte nicht, daß Du Dich dadurch zu großen Erwartungen hingäbst, und ich – fürchte – wir sind jetzt gerade noch so weit von unserem Ziel entfernt, wie früher.«

»Du hast kein Vertrauen zu ihr...«

»Aufrichtig gesagt, nein,« erwiderte ihr Gatte. »Du weißt, daß die Gräfin Monford, als wir vor fünf Jahren aus Brasilien zurückkehrten, mit ihrem Gatten auf Reisen war und sich drei Jahre lang in Italien, Griechenland und Egypten amüsirte. Dann kehrten sie auf wenige Monate zurück und gingen wieder nach Paris und London, so daß eben kein Halt an sie zu bekommen war. Jetzt endlich haben sie sich seit etwa sechs Monaten hier bei Haßburg auf ihrem alten Stammsitz niedergelassen, und ich war im Stande, die genauesten Erkundigungen über sie einzuziehen.«

»Und was können fremde Menschen über sie sagen?«

»Fremde Menschen wissen genau, wie sie sich fremden Menschen zeigt,« sagte Graf Rottack achselzuckend, »und wir selber müssen vollkommen darauf gefaßt sein, als Fremde von ihr behandelt zu werden.«

»Die eigene Tochter?«

»Liebes Kind, Du vergißt, daß sie Dich nicht öffentlich anerkennen darf, wenn sie sich nicht in den Augen der Welt vollständig compromittiren will. Graf Monford ist dabei nicht allein ein sehr reicher, sondern auch entsetzlich stolzer Herr, der an seinem Stammbaum mit einer Verehrung hängt, als ob ihn Gott der Herr damals dem Altvater Noah mit den ersten Weinreben in den Garten gepflanzt hätte. Einen Flecken darauf, sobald er nur eine Ahnung davon bekäme, würde er für mehr als ein Unglück, er würde ihn für das Verderben seines ganzen Hauses halten, und erhielte er die Gewißheit des Geschehenen, so zerrisse er – glaube mir, ich kenne dergleichen Herren – nachsichts- und erbarmungslos die Bande, die ihn an seine Gattin fesseln. Und seine Gattin weiß das, darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Aber das Gefühl muß ja doch in ihr sprechen,« sagte Helene weich und herzlich.

Graf Rottack wollte etwas darauf erwidern, aber bezwang sich. Er hatte die Arme gekreuzt und starrte einen Augenblick sinnend auf die sonnenbeschienenen Hänge hinaus. Endlich wandte er das Antlitz wieder der ängstlich zu ihm aufschauenden Gattin zu und sagte, ihr freundlich in die Augen sehend: »Du weißt, meine Helene, daß ich bis jetzt Alles gethan habe, Deinen Wunsch zu erfüllen, Deinen Plan zu fördern. Es ist Alles geschehen, um uns dem näher zu bringen – die Entfremdung von Deiner Mutter zu heben; so laß uns aber, ehe wir den letzten Schritt dazu thun, auch die Sache vorher ruhig besprechen, damit Dich eine doch mögliche Enttäuschung Deiner Hoffnungen nachher nicht zu unerwartet faßt und erschüttert.«

»So glaubst Du wirklich...«

»Von Glauben kann noch keine Rede sein, mein Herz, aber Du weißt, wie Deine Mutter, nach jenem Fehltritt ihres Lebens, sich von Dir lossagte und von da an eigentlich weiter gar nichts für Dich that, als daß sie jener nach Brasilien gehenden Frau, der sie Dich vollständig überließ – ein Kostgeld für Dich zahlte. Du entdecktest das Geheimniß und verließest jene Frau. Fest aber darfst Du davon überzeugt sein, daß diese Madame Baulen Deiner Mutter die Flucht ihres Kindes nicht angezeigt hat, sondern nach wie vor das Geld für Dich noch regelmäßig fortbezieht. Deine wirkliche Mutter muß Dich also noch immer in Brasilien glauben.«

»Ich bat Dich immer, ihr einmal zu schreiben,« sagte Helene leise.

»Um Gottes willen keinen Brief, Schatz!« rief ihr Gatte lächelnd. »Eine Sache, die man wirklich als Geheimniß wahren will, darf man nie einem Papier anvertrauen, denn kein Mensch kann wissen, wem ein solches Blatt einmal durch Zufall in die Hand geräth. Denke nur daran, wie Du selber das Geheimniß Deiner Geburt erfahren: nur dadurch, daß Deine Mutter diese nöthigste aller Vorsichtsmaßregeln versäumte, durch einen in Deine – also in unrechte Hände gerathenen Brief. Nein, alles Derartige muß entweder mündlich oder gar nicht abgemacht werden, mündlich und ohne Zeugen, schon Deiner Mutter und deshalb auch Deinetwegen, und einmal habe ich den Versuch schon gemacht.«

»Du hast sie gesehen, Felix?« rief Helene rasch und geängstigt, »und mir kein Wort davon gesagt,« setzte sie leise und fast vorwurfsvoll hinzu, »war das recht?«

»Weil ich Dir nicht unnöthiger Weise weh thun wollte, Schatz.«

»Und was sagte sie?«

»Ich hatte mich ihrem Gatten und ihr, als ich damals das Haus kaufte, an einem dritten Orte vorstellen lassen und benutzte dann die Gelegenheit, nachdem der Kauf abgeschlossen, mich bei ihnen als Nachbar, in ihrer eigenen Wohnung, einzuführen. Natürlich war es nur eine Formvisite, aber es sollte auch zugleich eine vorläufige Probe sein, ob die Gräfin bei meinem Erscheinen irgend eine Bewegung zeigen würde. War das der Fall, so hätte Madame Baulen in Santa Clara ihr doch, und wider alles Erwarten, Mittheilung gemacht.«

»Und was sagte sie?«

»Ich hatte mich in unserer alten brasilianischen Freundin nicht geirrt,« lachte Felix. »Die Gräfin Monford konnte keine Ahnung haben, denn sie zuckte mit keiner Wimper, mein Name rief keine Erinnerung in ihrer Seele wach. Ich war ihr ein vollkommen fremder Mensch.«

»Und war sie gut, war sie freundlich?« fragte Helene, und ihr Blick hing angstvoll an den Lippen des Gatten.

»Sie war sehr vornehm und sehr stolz,« sagte Felix nach einigem Zögern; »ich konnte nicht warm bei ihr werden. Aber laß Dir das keine Sorgen machen, Kind,« fuhr er herzlich fort, als er den schmerzlichen Zug in ihrem Antlitz bemerkte, »gegen einen vollkommen fremden Menschen konnte sie ja auch kaum anders sein. Nur dürfen wir nichts übereilen und müssen vor allen Dingen erst einmal bekannt mit der Familie werden. Sie soll Dich erst sehen und lieb gewinnen, und dann findet sich einmal eine Gelegenheit, wo Du sie, am besten hier bei uns, ohne Zeugen sprechen und Dich ihr entdecken kannst. Willst Du das mir überlassen?«

»Von Herzen gern, Felix,« sagte Helene mit tiefem Gefühl. »Wem auf der Welt könnte ich lieber den heißesten Wunsch meiner Seele anvertrauen, als Dir, der Du schon so oft bewiesen hast, wie lieb ich Dir bin, wie gut Du es mit mir meinst.«

»Schön, meine Puppe,« lachte da Felix wieder in der alten muntern Laune und schloß sie in die Arme. »Dann aber mach' auch jetzt wieder ein freundliches Gesicht und laß Kummer und Sorgen fahren. Was geschehen kann, geschieht, dann haben wir uns wenigstens selber keine Vorwürfe zu machen. Und nun, Schatz, nimm Dich vor allen Dingen einmal Deiner Kinder an, denn die kleine Gesellschaft macht ja draußen einen Heidenlärm.«

»Ich kann sie nicht mehr bändigen, Herr Graf!« rief in diesem Augenblick die Bonne, die mit ihnen aus dem Nebenzimmer kam. »Günther will absolut hinaus auf den Markt unter die Buden, und Helenchen verlangt ebenfalls zur Musik!«

»Vortrefflich, dann gehen wir unter die Buden,« lachte Felix, dem es ganz erwünscht kam, etwas gefunden zu haben, was seine junge Frau für den Augenblick zerstreuen konnte, und ein Jubelgeschrei der Kinder antwortete ihm.

Helene war nicht recht damit einverstanden, aber das kleine Volk hatte einmal die Zusage und nahm den Papa beim Wort, und die nöthigen Anordnungen waren bald getroffen.

Es mochte jetzt etwa zwei Uhr sein; das Diner, welches das junge Paar stets mit den Kindern und der Bonne einnahm, war auf fünf Uhr bestellt, und mit dem jubelnden Knaben an der Hand, während Helene das Töchterchen führte, von der Bonne und einer Magd begleitet, die mitgenommen wurde, um die Kleinste von Zeit zu Zeit zu tragen, schritten sie in das Treiben hinaus, das selbst bis hierher seine Trabanten gesandt hatte. Die Schützenwiese lag aber auch gar nicht weit von dort entfernt, und man konnte das Hämmern der Pauken, wie einzelne Trompetenstöße und ebenso den scharfen, kurzen Krach der Büchsenschüsse, wenn auch durch die Entfernung gemildert, doch deutlich bis hier herüber hören.

Und die Kinder waren selig, denn überall bot sich ihnen Neues, Ungeahntes.

Hier stand eine Polichinell-Bude mit den kleinen, beweglichen Figuren und der geheimnißvollen, aus dem Kattunkasten herausklingenden Stimme. Dort auf einem großen, runden Tische, von zahlreichen Zuschauern umdrängt, gab eine bunt gekleidete Affenfamilie ihre Vorstellungen. Da drüben wurde nach einer Reihe von aufgestellten Scheiben und Sternen mit Bolzenbüchsen geschossen, und wenn man das Ziel traf, so sprang plötzlich ein bunt gemalter Mann mit einer spitzen Mütze heraus, oder ein lauter Knall kündete den Treffer.

Und dann die Carroussels! Wie jubelte das kleine Pärchen, als es die bunt beflaggten schwebenden Pferde und Wagen sah, und natürlich gaben sie keine Ruhe, bis sie mitten darin saßen und, von der Bonne und Magd bewacht, ihren Rundritt machen durften. Der kleine Günther ließ aber richtig nicht nach, bis er auch auf eins der kleinen Pferdchen gesetzt wurde, wo er versprach, sich tüchtig festzuhalten. Er faßte auch mit beiden Händchen die Eisenstange, als ob sein kleines Leben daran hinge.

Die Mutter war erst ängstlich, daß er herunterfallen könnte, denn wenn sie selber auch das wildeste Pferd nicht scheute, sorgte sie sich doch um den kleinen Liebling. Der Vater ließ ihn aber lächelnd gewähren, und wie stolz saß jetzt der kleine Bursch auf seinem gemalten Pferd, dessen Seiten er mit den Hacken bearbeitete, bis sich die Reihe an zu drehen fing. Dann aber klammerte er sich fest und ängstlich an, denn so rasch hatte er sich die Bewegung doch nicht gedacht.

Und nun kamen die Buden selber mit ihren zahmen Ponies und kreischenden Papageien, mit ekelhaft fetten Menschen, die sich für Geld sehen ließen, mit angestrichenen Indianern und gezähmten Hyänen, mit Taschenspielern, Feuerfressern, Bauchrednern und wie diese Unnatürlichkeiten alle hießen. Die Kinder sehen allerdings nur das Wunderbare und den Flittertand daran, während die Erwachsenen gewöhnlich ein Gefühl des Ekels oder Mitleids beschleicht, wo derartige Charlatanerien zu einem Broderwerb benutzt werden, die doch das Elend nicht verbergen können, das hinter all' dem Tand und Putz sich birgt.

Das junge Paar ekelte auch dieses wüste Treiben an, das sie nur den Kindern zu Liebe wieder einmal durchkosteten. Diese ließen aber keine Ruhe, bis sie auch wenigstens ein paar der Buden betreten hatten, und am meisten jubelten sie bei einem Marionettenspiel, aus dem sie fast nur mit Gewalt wieder entfernt werden konnten.

»Bleib nur ein klein wenig sitzen, Mama,« rief Helenchen, als der Vorhang endlich fiel, »er geht gleich wieder in die Höh'!« Lachend nahm Graf Rottack die Kleine auf den Arm, um sie durch das Gedränge hinaus in's Freie zu tragen, und athmete ordentlich hoch auf, als er endlich wieder den blauen Himmel über sich sah. Hier draußen preßte aber gerade eine solche Masse von Menschen vorüber, daß er der Bonne Acht auf den Knaben befahl und, seine Frau an den Arm nehmend, über die Straße hinüber zu kommen suchte, wo er freieren Raum sah.

Die Marionettenbude war die letzte in der Reihe, und dicht daran führte die breite Promenade, welche sich um die Stadt selber herumzog und gewöhnlich zu Spazierfahrten der haute volée benutzt wurde. Eben jetzt kam eine Equipage, langsam im Schritt durch die Menschenmenge sich Bahn suchend, vorüber, und die aus dem Wege Drängenden hemmten jede Passage in diesem Augenblick so, daß Graf Rottack mit den Seinen stehen bleiben mußte, um sie erst vorüber zu lassen.

Helene fühlte, wie Felix ihren Arm fest an sich drückte, und von einer plötzlichen Ahnung ergriffen, flüsterte sie rasch und erschreckt: »Wer ist das?«"

»Sei stark, mein braves Frauchen, und verrathe keine Bewegung,« ermahnte sie ihr Gatte, »es sind Monfords!«

»Meine...«

»Bst, mein Schatz,« warnte Felix rasch, »wir können ihnen nicht mehr ausweichen. Hänge Dich nur fest an meinen Arm.«

Der Wagen hatte sie erreicht und fuhr unmittelbar an ihnen vorüber. Nur der Graf und die Gräfin saßen im Fond desselben. Er, der Graf, mochte ein Herr hoch in den Sechzigen sein, mit weißem, vollem Haar und einem wohlgepflegten Schnurrbart.

Seine Frau, eine Dame von vielleicht einigen vierzig Jahren, stattlich und vornehm, in eleganter, aber nicht überladener Toilette, während der Graf selber nur eine Jagdjoppe mit grünem Kragen trug, lehnte nachlässig neben ihm und betrachtete die an ihrem Wagen vorbeidrängenden Menschen durch ihre Lorgnette.

Graf Rottack, der noch immer sein kleines Töchterchen auf dem Arm trug, grüßte, und Helene, die zitternd an seinem Arme hing, verneigte sich ebenfalls. Graf Monford, den jungen Mann erkennend, dankte freundlich, während die Gräfin nur eben die Lorgnette von ihrem Auge entfernte und langsam das Haupt neigte.

Die Gräfin mußte einmal bildschön gewesen sein – sie war es selbst jetzt noch und schien das auch zu wissen – aber der Wagen passirte, und Graf Rottack, der sich erst umsah, ob er auch die Seinen bei einander habe, schritt jetzt mit Helenen über die Straße, um aus dem Menschenschwarm hinaus zu kommen. Dort übergab er sein kleines Töchterchen der Wärterin.

»Kanntest Du den Herrn?« sagte im Wagen Graf Monford zu seiner Gattin, als sie vorübergefahren.

»War das nicht der Graf Rottack, der uns einmal vor einiger Zeit besucht?«

»Ganz recht, mit seiner jungen Frau wahrscheinlich. Er hat sich ja hier angekauft. Ein hübsches Paar.«

»Aber die Frau scheint sehr kränklich, sie hatte keinen Blutstropfen im Gesicht.«

»Möglich, vielleicht angegriffen von der Reise. Es kann auch sein, daß er sie gerade aus Gesundheitsrücksichten hierher gebracht. So viel ich weiß, ist es eine Amerikanerin.«

»Aus Amerika?«

»Er war ja selber lange dort...«

Die Unterhaltung wurde hier abgebrochen. Die Gräfin hing ihren eigenen Gedanken nach, und der Graf richtete sich auf, um nach den Pferden zu sehen, indem das Handpferd vor einem vorüberziehenden Kameel scheute und nur schwer wieder beruhigt werden konnte.

Sprachlos hing indes Helene an des Gatten Arm und mußte ihre ganze Geistesstärke zusammennehmen, um der Bewegung Herr zu werden, die sie beim ersten Anblick der Mutter ergriffen.

»Oh, wie kalt, wie stolz sie aussah!« flüsterte sie endlich leise vor sich hin.

»Beruhige Dich, mein Herz – wie bleich Du nur geworden bist – sei mein starkes Kind. Es wird ja noch Alles gut werden.«

»Laß mich nur einen Augenblick, Felix!« bat die junge Frau, »es war nur der erste Moment, die erste Überraschung. Sieh', jetzt geht es wieder besser, ich bin ja nur ein thöricht Kind, daß ich mir über das Aussehen der stolzen Frau Sorge machen sollte. Konnte sie denn ahnen, wer an ihrem Wagen stand? Und ihr Antlitz war so lieb und schön – Du hast Recht, Felix: es wird noch Alles gut werden.«

Mitten im Weg kam ein kleiner, dicker Herr auf sie zu, der, die Hände in den Taschen, einen sehr hohen Cylinderhut auf hatte und, obgleich er sehr anständig und einfach gekleidet ging, doch durch seine Beweglichkeit, mit welcher er den kleinen, runden Körper schwenkte, und durch sein entschieden vergnügtes Gesicht Rottack's Auge für einen Moment auf sich zog. Aber bei solchen Gelegenheiten, wie Jahrmarkt und Vogelschießen, kommen ja oft gar wunderliche Leute zusammen, und er wollte eben mit der Gattin vorübergehen, als des Fremden Blick auf sie fiel.

Merkwürdig war die Veränderung, die da in dessen Zügen vorging. Im Nu war der kleine vergnügte Mann ganz ernsthaft geworden, ja, sah ordentlich erstaunt aus, riß aber auch im nächsten Augenblick die rechte Hand aus der Hosentasche und den Hut vom Kopf, wobei er eine ordentlich blendende Glatze zeigte, und ging tief grüßend, aber wie verdutzt vorüber.

Graf Rottack konnte kaum ein Lächeln über den wunderlichen Menschen unterdrücken, aber er dankte freundlich und schritt jetzt in dem hier freier werdenden Weg der gar nicht mehr so fern liegenden Wohnung zu.

Auch von Helenens Antlitz war jetzt der Schatten gewichen, der sich über ihre lieben Züge gelegt, und die Farbe in ihre Wangen zurückgekehrt. Sie hatte ihr kleines Mädchen, das nicht länger getragen werden wollte, an die rechte Hand genommen, und die Kleine trippelte munter nebenher und zeigte mit dem freien Händchen, fortwährend jubelnd, bald da-, bald dorthin, wo sie etwas Neues und Auffallendes entdeckte.

»Bitte um Entschuldigung,« sagte in diesem Augenblick, dicht an Graf Rottack's Seite, eine Stimme, und als er den Kopf danach umdrehte, bemerkte er zu seinem Erstaunen den komischen kleinen Fremden, der wieder mit entblößtem Kopf neben ihm stand, oder vielmehr neben ihm herging und, zu ihm aufsehend, fortfuhr: »Ich habe doch das Vergnügen, den Herrn Grafen Rottack zu begrüßen?«

»Mein Name ist Rottack,« sagte Felix erstaunt, »aber ich weiß nicht...«

»Und kennen Sie mich nicht mehr? Und die Frau Gräfin auch nicht? Und das?« rief er, indem er seinen Hut wieder aufstülpte, die Füße auseinander spreizte und beide Hände auf die eingebogenen Kniee drückte – »Hurrjeh, das ist schon die kleine Familie?«

»Jeremias!« rief in dem Augenblick erstaunt Helene aus.

»Jeremias, bei Allem, was lebt!« lachte jetzt Rottack gerade hinaus, indem er dem kleinen, noch vor den Kindern kauernden Mann die Hand entgegenstreckte. »Mensch, wo kommen Sie auf einmal hergeschneit?«

»Direct von Brumsilien, Herr Graf,« sagte der kleine Mann mit dem ernsthaftesten Gesicht, indem er sich wieder aufrichtete, die dargebotene Hand derb und herzlich schüttelte und dann eben so ungenirt Helenens freundlich gebotene Rechte nahm – »direct von Santa Clara, aus dem alten Nest, und wahrhaftig, keinem Menschen auf der Welt hätte ich lieber begegnen mögen, als Ihnen Beiden! Der Anblick thut kranken Augen wohl. Und das ist die kleine Familie? Jemine, meine Güte, was für ein paar Puppen; und so geschwinde!«

Ein Zug von Schmerz war über Helenens Antlitz gezuckt, als der Anblick des Fremden aus der fernen Colonie ihr rasch wieder schon fast vergessene trübe Bilder vor die Seele rief; aber wie eine leichte Wolke strich es darüber hin, und bald lag wieder lichter Sonnenschein auf dem holden Angesicht.

Sie hatte auch Jeremias immer gern gehabt und wohl gefühlt, daß dem komischen, hastigen Wesen des Mannes ein guter Kern zu Grunde lag, der es treu und ehrlich meinte. Rottack selber war aber hoch erfreut, dem kleinen Manne wieder begegnet zu sein, der ihm Nachricht von vielen Menschen bringen konnte. Übrigens sah er recht gut, daß sich Jeremias, wenn er auch sonst vielleicht noch der Alte geblieben, in seinen Verhältnissen und seinem ganzen Leben sehr gebessert haben mußte.

Er war nicht allein sehr anständig gekleidet, sondern sah auch adrett und sauber aus. Er trug keinen Goldschmuck irgend welcher Art an sich, aber seine Kleider vom besten Tuch, und schneeweiße Wäsche. Nur in die Glacé-Handschuhe hatten sich die arbeitsharten Hände nicht gewöhnen können, möglich auch, daß vielleicht keine passende Größe aufzufinden gewesen, denn im Innern der Hand waren schon beide aufgeplatzt. Aber seine Bewegungen blieben frei und unbefangen, wie immer.

»Nun sagen Sie mir aber vor allen Dingen, Jeremias,« rief Rottack endlich, nachdem er sich von seinem ersten Erstaunen über dieses plötzliche Begegnen erholt, »wie kommen Sie gerade nach Haßburg? Stammen Sie aus dieser Gegend, oder hat Sie nur der Zufall hierher geführt?«

»Keins von Beiden,« erwiderte der kleine Mann, der aber sonderbarer Weise wie etwas verlegen bei der Frage wurde; »das ist übrigens eine lange Geschichte, Herr Graf, die sich nicht so auf der Straße erzählen läßt.«

»Dann kommen Sie mit uns, Jeremias,« rief der Graf rasch, »und essen Sie mit uns – wir gehen gerade zum Diner!«

»Aber, Herr Graf!« rief Jeremias, ordentlich verblüfft.

»Machen Sie keine Umstände,« lachte Felix, der seelenfroh war, gerade jetzt etwas zu finden, das Helene zerstreuen und ihr die frohe Laune wiedergeben konnte; »wir sind ganz unter uns und können da nach Herzenslust plaudern. Ich habe eine ordentliche Sehnsucht danach, wieder einmal etwas von Brasilien zu hören.«

»Na, wenn Sie es denn nicht anders haben wollen,« lachte Jeremias, dem man es aber ansah, wie schmeichelhaft ihm die Auszeichnung war – »mir kann's recht sein. Jemine, es geht aber doch eigentlich nirgends curioser zu, als in der Welt!«

»Also Sie kommen mit?« lächelte Helene, die selber schon zu lange in den transatlantischen Colonien gelebt hatte, um darin etwas Außerordentliches zu finden, daß ein Mann, der früher sogar in einem dienenden Verhältnis zu ihnen gestanden, jetzt auch einmal ihr Gast sein sollte, ja, es drängte sie selber, Neues aus dem alten Leben zu hören, mit dem sie jetzt freilich vollkommen abgeschlossen.

»Ob ich mitkomme,« lachte aber Jeremias, »mit dem größtmöglichsten Vergnügen, und die kleine Erbprinzessin werde ich mir indessen ausbitten,« und damit wollte er das kleine Helenchen von der Erde und auf den Arm nehmen. Das aber war für Helenchen zu viel Vertraulichkeit auf einmal – den fremden Mann kannte sie ja noch gar nicht, und mit einem: »Du, das darfst Du nicht!« fuhr sie zurück und wehrte ihn mit ihren kleinen Händchen von sich ab.

»Steckt im Blute,« lächelte Jeremias, während er, den Kopf seitwärts gehalten, nach ihr hinabsah – »bin der kleinen Comtesse noch nicht vorgestellt worden; aber ich weiß, wie man's macht – bitte, warten Sie nur einen Augenblick!« und ehe Graf Rottack und Helene nur etwas entgegnen konnten, drehte er sich ab und schoß mit langen Schritten auf eine gerade dort gelegene große Conditorei los, in die er eintauchte und wenige Minuten später wieder mit einer riesigen, goldpapiernen Zuckerdüte zum Vorschein kam.

»Na, und jetzt, mein gnädiges Fräulein,« rief er, indem er dem lachenden Kinde die Düte offen hinhielt, »was sagen wir nun? Zugegriffen, versteht sich – Kinder sind sich doch alle gleich, allgemeine Menschennatur. Und jetzt wollen wir zum Essen gehen, wenn die Frau Gräfin nichts dagegen haben.«

Damit nahm er die Kleine, die es sich, eifrig mit der Düte beschäftigt, jetzt auch ruhig gefallen ließ, ohne Weiteres auf den Arm und unterhielt sich, während Felix mit der Gattin voran und ihrem Hause zuschritt, unterwegs mit der ihm erst erstaunt und dann lachend zuhörenden Bonne.

3.
Das Rendezvous.

Mild und erwärmend lag die Nachmittagssonne auf dem schönen Land und warf einen ordentlich magischen Schein über die rothblinkenden Stämme eines Tannenwaldes, der, dunkel und dicht gedrängt, die nächste Hügelkette deckte, und über das breite, wohlgepflegte Wiesenthal, das sich am Fuße desselben hinzog. Ein kleiner, schmaler Fluß schlängelte sich hindurch, helle Weidenbäume mit ihrem graugrünen Laube faßten ihn ein, während einzelne hochstämmige Erlen mit den knotigen, oft behackten Stämmen dazwischen standen und malerische Gruppen bildeten. Der Fluß aber sprang murmelnd und rasch zwischen ihnen hin und warf die Sonnenstrahlen wie spielend in blitzenden Lichtern zurück.

Seitwärts aber erhob sich ein kleiner, sorgfältig mit Blüthenbüschen bepflanzter Hügel, aus dessen Strauch- und Baumwerk, von einzelnen schlanken italienischen Pappeln überragt, die Mauern eines stattlichen Schlosses oder Herrenhauses hervorleuchteten, während rechts durch einen tiefen Einschnitt der Hügelkette die Ziegeldächer von Haßburg und der eine Thurm des Domes sichtbar wurden.

In dem Wiesenthale selber, bald dicht am Ufer des kleinen Flusses, bald mitten darin, lagen zerstreute Gruppen von Birken, knorrigen Eichen, Linden und Blutbuchen, als ob sie der Zufall dort hätte keimen lassen. In der That aber waren sie künstlich angelegt und gepflegt, und dienten auch nur dazu, um der ganzen Gegend etwas Parkähnliches zu geben, ohne ihr jedoch den Charakter ihrer ursprünglichen Natürlichkeit zu nehmen.

Der ganze District war auch in der That nur ein erweiterter Theil des unmittelbar an das Schloß stoßenden Gartens, und ein schmaler, aber gut gehaltener und mit Kies überstreuter Fahr- und Reitweg lief, den Windungen des Wassers folgend, auf das Schloß zu. Das Ganze wurde durch einen leichten, grün angestrichenen Drahtzaun eingeschlossen, der aber von Weitem gar nicht sichtbar war und dadurch dem Parke nur noch mehr das Ansehen einer freien Landschaft ließ.

Menschen waren nirgends zu erkennen, nur unten am Fluß, wo das Hochwasser die Uferbank so ausgewaschen hatte, daß die das Erdreich zusammenhaltenden Wurzeln einer uralten Erle fast eine Art von Dach bildeten, kauerte ein Mensch neben einem hier durch die Strömung gewühlten Wasserloch und angelte.

Ob er ein Recht dazu hatte? Es schien kaum so, denn Alles verrieth weit eher, daß er sich hier auf verbotenem Grund oder doch jedenfalls bei einer verbotenen Beschäftigung befand. Er benutzte eine höchst sinnreich so gefertigte Angelruthe, daß sie, wenn er sie zusammenschob, genau in seinen alten Eichstock paßte und durch die unten angeschraubte Zwinge dann vollkommen abgeschlossen und versteckt wurde, und hatte dabei eine alte, abgenutzte, lederne Jagdtasche umgehängt, in welcher auch jedenfalls sein übriges Angelgeräth stak, denn draußen war nichts weiter davon zu bemerken.

Der ganze Bursche sah überhaupt alt und abgenutzt aus. Er trug einen fadenscheinigen, grauen Rock mit fettigem Kragen, alte lederne Gamaschen und derbe Schuhe, auf dem Kopfe eine abgegriffene, graue Mütze, und eine baumwollene Weste, wie sie die ärmsten Bauern zu tragen pflegen. Er schien dabei auch nicht mehr jung; das unter der Mütze hervorquellende Haar war, wenn nicht ganz weiß, doch stark gesprenkelt. Nur der kleine, struppige Schnurrbart, der nicht zu seinem Vortheil Spuren von Schnupftabak zeigte, war völlig weiß, was sich leider nicht von seiner Wäsche sagen ließ, und trotzdem sah der Mensch aus, als ob er schon einmal bessere Tage gesehen hätte, mochte er jetzt auch noch so arg heruntergekommen sein. Seine Stirn war hoch und gewölbt, und das kleine, graue, lebendige Auge konnte, wenn es nicht scheu umherblickte, oft recht trotzig unter den buschigen Brauen hervorleuchten.

In seiner, ob nun hier erlaubten oder verbotenen Kunst schien er übrigens gar nicht so ungeschickt, denn in der kurzen dort verbrachten Zeit hatte er schon zwei mehr als halbpfündige Forellen aus dem fischreichen Strom herausgeworfen, ihnen dann augenblicklich mit einem alten, abgenutzten, aber haarscharfen Genickfänger den Kopf durchstochen und sie, also abgeschlachtet, in seinen Ranzen geschoben.

Übrigens zeigte er wenig Furcht bei seiner Beschäftigung, so versteckt er sie auch trieb; er qualmte aus einer kleinen, kurzen Pfeife mit einem Maserkopf und einer Spitze, die jedem andern Menschen das Rauchen hätte für Lebenszeit verleiden können, und hob nur selten einmal und nur dann, wenn er wieder einen Fisch gefangen, den Kopf, um über den Wiesenrand in den Park hinaus zu sehen. Aber er hatte auch einen Wächter.

Oben unter der Erle saß ein kleiner Spitz, so alt und ruppig und grau gesprenkelt wie sein Herr, ein Auge geschlossen, als ob er auf der Seite schliefe, während das andere aufmerksam bald da, bald dort hinüberflog, und so regungslos, als ob er zu den Wurzeln, zwischen denen er kauerte, gehörte. Der alte Fischer war auch völlig unbesorgt, denn er wußte recht gut, daß ihm das kleine pfiffige Thier das Nahen irgend eines Menschen augenblicklich anzeigen würde – war es doch darauf dressirt.

Übrigens hatte der Alte ein Recht, sich hier im Park aufzuhalten, denn sein angebliches Geschäft war, die Maulwürfe aus den Wiesen wegzufangen, worin er eine ganz besondere Geschicklichkeit besaß. Auch in der Gegend, in welcher er seit etwa drei Jahren sein Wesen trieb, war er bekannt genug, und das Volk nannte ihn kurzweg den »Maulwurfsfänger«. Sodann führte er auch Gift für Ratten und Mäuse bei sich, wußte Mittel gegen jedes andere Ungeziefer, und die Bauern in der Umgegend ließen es sich außerdem nicht nehmen, daß er »mehr verstehe, als Brod essen«, das heißt, daß er auch mit übernatürlichen Dingen Gemeinschaft pflege und in einer Anzahl von »schwarzen Künsten« erfahren sei, die er, wenn er wolle, sowohl zum Nutzen wie zum Schaden seiner Mitmenschen benutzen könne.

Der gräfliche Revierförster, welcher den Maulwurfsfänger vielleicht schon deshalb haßte, weil ihn dieser immer spöttisch »Herr College« nannte, kam der Sache jedenfalls näher, wenn er den Menschen für einen ganz durchtriebenen Burschen hielt, der sich eben so wenig ein Gewissen daraus gemacht hätte, eine Schlinge für einen Maulwurf wie für einen Hasen oder für ein Reh zu legen; wenigstens hatte er schon einige von diesen angetroffen, ohne aber je dem Thäter auf die Spur zu kommen. War es der »alte Fritz«, wie der Bursche in der Nachbarschaft allgemein mit seinem Vornamen hieß, wirklich gewesen, so wußte er es viel zu schlau anzustellen, als sich von einem der Beamten erwischen zu lassen, und da man ihm in der That keine ungesetzliche Handlung nachweisen konnte, gab Graf Monford, dem diese Besitzung gehörte, auch dem Drängen seines Försters nicht nach, dem verdächtigen Gesellen das Betreten des herrschaftlichen Bodens zu verbieten. Er solle nur ordentlich aufpassen, erwiderte er stets dem Förster, und wenn er ihn je einmal ertappe, sei es noch immer Zeit ihn fortzujagen, früher nicht.

Eine Stunde mochte der Mann etwa so unter der alten Erle gesessen und geangelt haben, und hatte eben wieder einen starken Fisch herausgebracht, als der Spitz oben leise knurrte.

»Bravo, mein Hundchen,« lachte der Alte vor sich hin, »und gerade zur rechten Zeit, denn dem Platz hier muß ich doch jetzt ein paar Tage Ruhe geben.«

Mit diesen Worten schlachtete er seine zappelnde Beute ab, schob sie zu den Übrigen in den Ranzen, vertilgte dann rasch soviel als möglich alle Spuren, die da unten seine Beschäftigung hätten verrathen können, und richtete sich vorsichtig in die Höhe. Er brauchte auch nicht lange umher zu suchen, von welcher Seite Jemand nahe, denn der Kopf seines klugen Hundes gab ihm dafür die genaue Richtung an, und dort hinüber sehend, erkannte er bald, daß er von diesem Störenfried nichts zu fürchten habe.

Es war ein sehr elegant, fast etwas auffällig gekleideter Herr, eine Persönlichkeit wie aus einem Modejournal herausgeschnitten, mit sorgfältig gepflegten Locken, kleinem, sehr zierlichem Schnurrbart, Glanzstiefeln, kurz Allem, was dazu gehört. Was sich aber nicht gehörte, war, daß er nicht auf dem Wege her, wo die Thür lag, sondern quer über die Wiese kam, also jedenfalls über den Drahtzaun gestiegen sein mußte. Eben so wenig schien er auf einem gleichgültigen Spaziergang begriffen, sondern weit eher Jemanden zu suchen oder zu erwarten. Dem schlauen Maulwurfsfänger konnte es wenigstens nicht entgehen, daß er sich vorsichtig nach allen Seiten umsah und seine Richtung so über die Wiese nahm, um fortwährend durch die Büsche und Baumgruppen gegen einen Blick von den oberen Schloßfenstern gedeckt zu bleiben.

»Spitz, komm 'runter,« flüsterte der Alte jetzt seinem Hunde zu, denn er hatte seinen Plan geändert, das Versteck zu verlassen, und schien vor der Hand einmal abwarten zu wollen, was der fremde Herr hier im Schilde führe. Möglich auch, daß er selber nicht von ihm gesehen zu werden und deshalb nur noch seine Zeit abzupassen wünschte, um ihn erst hinter die eine oder die andere Baumgruppe zu lassen – und doch war wohl hier nur sehr wenig Gefahr vorhanden, daß der feine Stutzer ihn verrathen oder selbst nur ahnen konnte, was er da getrieben.

Der Spitz gehorchte übrigens augenblicklich. Wie ein Fuchs drückte er sich auf den Boden und kroch dicht an den Wurzeln der Erle hin bis hinter den Stamm, von wo er auf das unmittelbare Flußufer hinabsprang. Hier allerdings schnüffelte er erst einmal nach den, wenn auch vertilgten Blutspuren der abgeschlachteten Fische hin; dann drehte er sich ein paar Mal im Sande herum, bis er die richtige Stellung gefunden hatte, und legte sich zusammengerollt ruhig nieder. Er wußte, daß seine Dienste vor der Hand nicht weiter in Anspruch genommen wurden.

Der Maulwurfsfänger hatte indessen, ohne weitere Notiz von seinem Hund zu nehmen – das Kinn auf die zusammengestellten Fäuste gestützt – die Bewegungen des Nahenden über die Uferbank hin eine ganze Weile beobachtet. Er wußte dabei recht gut, daß er selber nicht gesehen werden konnte, denn seine graue Mütze und sein graues Haar verschwanden auf die Entfernung völlig in der Erdfarbe des Bodens. Plötzlich aber stahl sich ein grimmes Lächeln über seine Züge, denn vom Schloß herunter entdeckte er durch die Büsche ein lichtes Frauenkleid, das mit dem Besuche augenscheinlich in Zusammenhang stand.

Der Alte hatte nun allerdings vortreffliche Augen, schien sich aber hier doch nicht allein auf diese verlassen zu wollen, sondern griff in die Brusttasche und holte von dort ein kleines Teleskop hervor, das er auseinander zog und auf die nahende Dame richtete. Nur wenige Secunden sah er aber aufmerksam hindurch, als er auch schon leise vor sich hin pfiff und dann lachend murmelte:

»Sieh, sieh, sieh, Comtesse Paula, auch schon auf der Jagd, und noch dazu, wie es scheint, auf verbotenem Wilddiebstahl – was man doch nicht Alles erlebt, wenn man alt wird! Und wer zum Henker ist denn nur der feine Herr, der nicht offen in's Schloß kommen darf, sondern hinten herum über die Zäune steigen muß, um von der verbotenen Frucht zu naschen? Hm, das Gesicht kenne ich nicht,« setzte er leise hinzu, als er das Glas dort hinüber gerichtet hatte. »Geschniegelt und gebügelt genug sieht er aus, um da oben hinein in die Gesellschaft zu passen, mit goldenen Ketten und Ringen und allem möglichen Firlefanz; wird ihm aber wohl am Besten fehlen, am alten Adel. Ja, mein Schatz, da mußt Du Dir freilich die Graupen nach der jungen Gräfin Monford vergehen lassen, oder...«

Er brach kurz ab, drehte sich um, kauerte sich wieder am Wasser nieder und starrte wie in alte Erinnerungen versunken auf die blitzende Fläche, aber ein höhnisches, ordentlich unheimliches Lächeln zuckte um seine Lippen.

»Puh,« sagte er endlich und blies den Qualm seiner Pfeife in einer dichten Wolke von sich, »es giebt nichts Neues mehr auf der Welt, Alles schon da gewesen, Alles; wird ordentlich langweilig, hier oben noch länger herum zu trampen. Komm, Spitz, wir wollen machen, daß wir nach Hause kommen, was geht's uns Beide an?«

Damit schob er seine Angelruthe wieder sorgfältig zusammen und schraubte die Zwinge fest. Der Spitz hatte sich aufgerichtet und benutzte die ihm gegönnte freie Zeit, um sich erst hier unten am Wasser noch ein paar übrige Flöhe abzukratzen. Sein Herr sah indessen noch einmal über die Uferbank, ohne jedoch das Teleskop mehr zu Hülfe zu nehmen.

Die jungen Leute hatten sich richtig gefunden; die Dame lehnte im Arm des Fremden, das Haupt an seiner Brust, und während er sie mit dem rechten Arm unterstützte, führte er sie auf einem der kleinen Pfade hin, die sich durch die verschiedenen Baumgruppen schlängelten. Dort drinnen ließ sich von hier aus nicht einmal mehr das lichte Kleid der Dame erkennen, und der Maulwurfsfänger faßte ohne Weiteres seinen daran schon gewöhnten Hund auf, hob ihn in die Höhe, warf ihn auf die Uferbank und kletterte ihm dann selber nach, um in die Stadt, wo er seine Wohnung hatte, zurückzukehren.

Er hielt aber dabei eben so wenig den Pfad, wie der junge Herr vorher, sondern schlenderte, von dem Hunde gefolgt, der Schwanz und Ohren hängen ließ, als ob er nicht Drei zählen könnte, quer über die Wiese, und zwar gerade dem Bosquet zu, in welchem die beiden Liebenden verschwunden waren. Er that das aber nicht etwa aus Neugierde, sondern sein nächster Weg lag gerade dort hindurch, und er hielt sich auch nicht einmal mehr im Gehen auf. Nur den Blick warf er, auch mehr aus alter Gewohnheit, suchend umher; aber von dem Pärchen war nichts mehr zu erkennen, und bald darauf betrat er wieder die Wiese, die ihn unten am Schloßberg hin zu dem Hauptfahrweg führte.

Kurz vorher, ehe er diesen erreichte, bemerkte er die gräfliche Equipage, welche aus der Stadt heraufgefahren kam. Er blieb oben auf dem etwas höheren Rasenrand stehen und zog, während wieder das alte spöttische Lächeln um seine Lippen zuckte, mit fast übertriebener Ehrfurcht die Mütze vor den Herrschaften.

Der Graf, ohne mehr als einen flüchtigen Blick nach ihm hinüber zu werfen, dankte durch ein leises Kopfnicken; die Gräfin beachtete ihn gar nicht.

»Ganz unterthänigster und gehorsamster Diener, meine verehrten gräflichen Herrschaften,« spottete indeß der Maulwurfsfänger hinter ihnen her und hielt noch immer die abgezogene Mütze in der Hand; »wünsche eine recht angenehme Fahrt und besonders viel Glück zu dem neuen geheimnißvollen Schwiegersohn des edlen, unbefleckten gräflichen Stammbaumes! Hahahahaha,« lachte er dann toll und lustig auf, indem er die Mütze wieder auf den Kopf stülpte, »ob es denn nicht rein zum Todtschießen ist, wenn man die hochnasige Grethe da im Wagen sitzen sieht und dann zurückdenkt, wie – hei, lustig, Maulwurfsfänger, Kammerjäger! heute wollen wir da unten auch eine gräfliche Mahlzeit halten, zur Erinnerung an die alten Zeiten, und auf die Gesundheit des fidelen Brautpaares eine Flasche guten Weins leeren; habe so lange keinen gekostet – hurrah!«

Damit faßte er seinen durch die Fische beschwerten Ranzen mit der linken Hand, sprang auf den Fahrweg und verfolgte von jetzt an rasch seinen Weg nach Haßburg hinab. –

»Und so lange habe ich Deine süßen, lieben Augen nicht küssen dürfen, meine Paula,« klagte indessen der junge Mann, den der Maulwurfsfänger in den Park hatte schleichen sehen, indem er das junge, schüchterne Mädchen an sich zog und wieder und wieder ihre Stirn und Augen küßte.

»Ach, Rudolph,« seufzte Paula, die immer noch scheu den Blick umherwarf, ob sie nicht von irgend einem Lauscher bemerkt werden könnten, »nur auf Minuten war ich im Stande, mich wegzustehlen, denn Du glaubst nicht, wie mich diese alte, häßliche Gouvernante, die sie jetzt meine Gesellschafterin nennen, quält und peinigt. Eine schöne Gesellschafterin, nicht einmal Raum, an Dich zu denken, läßt sie mir den langen Tag mit ihren ewigen Gesprächen und Büchern, mit ihrer Musik und ihren alten, langweiligen Classikern.«

»Mein armes, armes Kind!« rief Rudolph feurig aus; »aber die Zeit wird ja auch kommen, wo wir uns vor der Welt angehören dürfen, Deine Eltern...«

»Ach, Rudolph,« seufzte das arme Mädchen unter Thränen, »hoffe nicht auf die; nur eine Andeutung machte ich neulich, daß ich glaubte, ich könne auch mit einem Manne glücklich werden, der von geringerem Stande sei, als ich, und meine Mutter gerieth außer sich – ich fürchte Alles!«

»Und ich fürchte nichts,« rief der junge Mann, eigentlich mit etwas zu viel Pathos, »nichts, als die Grenzen Deiner Liebe; laß auch Hindernisse wie Gebirge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und darüber hin in Louisens Arme fliegen!«

»In Louisens?« sagte das junge Mädchen erschreckt.

»In Deine, mein Herz,« lächelte ihr Geliebter; »kennst Du die wunderbar schöne Stelle aus Kabale und Liebe denn nicht?«

»Ach, Rudolph, mir ist das Herz so schwer; was kann ich gegen den Willen der Eltern thun?«

»Ha, laß doch sehen,« declamirte Rudolph weiter, »ob ihr Adelsbrief älter ist, als der Riß zum unendlichen Weltall; wer kann den Bund zweier Herzen lösen oder die Töne eines Accords auseinander reißen!«

»Aber Du weißt nicht, Rudolph, wie entsetzlich streng die Eltern sein können, wo es, wie sie glauben, die Ehre ihres Hauses gilt; mein Wort verhallt da ohne Klang.«

»So flieh mit mir, Geliebte,« drängte Jener; »was nützt uns Glanz und Pracht, wenn unsere Herzen verbluten? Meine Kunst ernährt uns, wohin wir den Fuß wenden. Dem Namen Handor jauchzt die ganze Künstlerwelt entgegen, und frei und glücklich leben wir den Musen, der Liebe...«

»Ach, Rudolph, ich soll die Mutter, soll den Vater verlassen?«

»Du sollst Vater und Mutter verlassen und dem Manne folgen, gebietet Dir selber die heilige Schrift.«

»Mein armer Vater!«

»Er wird seine Härte bereuen, wenn er sieht, welche ruhmvolle Laufbahn Du gewählt, und erweicht, gerührt Dich an sein Herz zurückrufen.«

»Er wird mir fluchen!«

»Gut, so bleib,« sagte Rudolph resignirt, indem er den Arm wie abwehrend gegen sie ausstreckte, »bleib Deine Lebenszeit ein Sclave jener alternden Vorurtheile und Formen; folge der Hand, die Dich erbarmungslos zur Schlachtbank führt – Dein Rudolph kann entsagen –

»Wie konnte solch ein Glück auch mir beschieden,
Vom Himmel mir gegönnt sein – mir, dem ja
Das Schicksal von der Wiege jede Freude
Verbittert und vergiftet! Dem der Becher,
Zum Trunk gehoben schon, von durst'ger Lippe
So oft und oft gerissen wurde! Geh –
Geh – geh, Zuleima – glücklich wirst Du sein,
Und ich? – Für mich kein Glück – für mich ein Grab!«

Und wie verzweifelnd barg er das Antlitz in den Händen.

»Rudolph, Rudolph, oh, nicht so, Du weißt ja, daß Du mir das Herz mit solchen Reden brichst; thu es nicht, thu es nicht!«

»Aber welcher Ausgang bleibt mir, als der Tod? Du weißt, daß ich nicht ohne Dich leben kann, weißt, daß ich verderben und untergehen müßte, wenn nicht Dein reines Herz mich an dieses Leben fesselt! Aber was kümmert das Dich,« setzte er bitter hinzu, »Du folgst Deinem Vater, Deiner Mutter; der arme Rudolph mag zu Grunde gehen, er ist ja doch nur ein Schauspieler.«

»Und habe ich das um Dich verdient, Rudolph?« sagte Paula mit leisem Vorwurf im Ton, während sie ihr schmerzbewegtes Antlitz zu ihm emporhob. »Habe ich Dir nicht wieder und wieder bewiesen, wie meine ganze Seele nur an Dir hängt, wie ich kein Glück, keine Seligkeit auf dieser Welt kenne, als nur Dich?«

»Und doch willst Du mir entsagen,« erwiderte der junge Mann schmerzvoll, »doch hältst Du es für möglich, daß Du entsagen kannst, während mir schon bei dem bloßen Gedanken daran das Blut zu Eis gerinnt, und meine Pulse aufhören zu schlagen?«

»Laß mir Zeit zum Denken, Rudolph,« bat das arme Kind, »habe Nachsicht mit meiner Schwäche, wenn ich einen Augenblick schwanken und zaudern konnte. Sieh, noch ist es ja auch nicht so weit, noch ist es ja möglich, daß ich der Eltern Herz zum Besten wende; ich will es wenigstens versuchen, ich will Alles thun, was in meinen Kräften steht, um einen Schritt zu vermeiden, der ja doch mein ganzes künftiges Leben, selbst an Deiner Seite, mit einem Vorwurf belasten müßte.«

»Und wenn Alles fehlschlägt?«

»Ich bin Dein, Rudolph, Dein für alle Zeiten,« rief Paula, »Gott sei mir gnädig, aber ich kann nicht anders; was da auch kommen möge, welche Prüfung mir der Himmel auch auferlegt, ich fühle es, daß die Liebe zu Dir stärker ist als alles Andere!«

»Mein Mädchen, mein süßes Leben,« rief Handor, »jetzt bricht auf's Neue ein Strahl der Hoffnung in mein zerrissenes Herz; aber sie werden Dich zwingen wollen!«

»Der Gewalt setz' ich Gewalt entgegen,« rief Paula leidenschaftlich, »treiben sie mich zum Äußersten, so fallen die Folgen auch auf ihr Haupt zurück; Gott hätte diese Liebe zu Dir nicht in mein Herz gelegt, Rudolph, wenn sie nicht göttlich wäre, und seiner Weisung will ich folgen. Aber ich muß jetzt fort.«

»Und kann ich nie
Ein Stündchen ruhig Dir am Busen hängen
Und Brust an Brust und Seel' in Seele drängen?«

klagte Rudolph, Göthe's »Faust« citirend.

»Ich darf nicht länger bleiben,« sagte Paula, »ja, ich fürchte, daß meine Eltern schon zurück sind und nach mir gefragt haben.«

»Und wann sehe ich Dich wieder?«

Paula zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Wir dürfen nicht so oft zusammen kommen,« sagte sie endlich. »Du glaubst nicht, wie viel Augen uns bewachen. Aber es ist doch vielleicht nöthig, daß ich Dir morgen Nachricht gebe; so sei denn morgen Abend – morgen Abend ist kein Theater, nicht wahr?«

»Nein, mein Herz, ich habe den Tag und Abend frei.«

»Gut denn, so sei morgen Abend an der bewußten Stelle neben dem alten Wartthurm. Es ist möglich, daß ich selber Zeit finde, einen Moment dorthin zu kommen, wo nicht, findest Du einen Zettel an dem bestimmten Platz.«

»Tausend Dank, mein süßes Leben!« rief Rudolph leidenschaftlich, indem er sie umschlang und wieder und wieder küßte. Sie gab sich seinen Liebkosungen auch für wenige Secunden hin, dann aber machte sie sich leise von ihm los.

»Lebe wohl, Rudolph, lebe wohl!« rief sie ihm zu, drückte noch einen Kuß auf seine Lippen und floh dann wie ein gescheuchtes Reh den Busch entlang, um erst weiter oben den Pfad wieder zu erreichen, von wo sie nachher langsam, wie von einem Spaziergang kommend, nach dem Schloß zurückkehren konnte.

»Himmlisches Mädchen,« sagte Rudolph, der stehen geblieben war und ihr mit einem behaglichen Lächeln nachgesehen hatte, »lauter Feuer und Gluth, eine lebendige Julia! Und der Alte? Bah, er wird eine Weile wüthen und Rache schnauben, daß die Comtesse mit einem Komödianten durchgegangen, und zuletzt bleibt es immer die alte Geschichte. Was will er denn machen? Es ist die einzige Tochter, und wenn ihm der Schwiegersohn auch gerade nicht genehm sein mag, muß er doch schon gute Miene zum bösen Spiel machen – der alte adelsstolze Narr der.«

Und sich erst vergnügt und selbstzufrieden die Hände reibend – von seiner vorigen Verzweiflung war keine Spur mehr zu entdecken –, griff er seinen kleinen Spazierstock wieder vom Boden auf, schlenderte langsam nach dem nächsten Weg hinaus, blieb hier noch einmal stehen, um sich erst mit seinem Taschentuch die in dem trocknen Laub und Sand staubig gewordenen Glanzstiefeln zu säubern, und schlug dann dieselbe Richtung wieder ein, von der er vorher gekommen und wo er mit einem kleinen Umweg das Schloß und dessen nächste Umgebung vermied, um von dort ungesehen in die Stadt zurückzukehren.

4.
Die gräfliche Familie.

Die Equipage des Grafen Monford fuhr indessen langsam den sogenannten »Schloßberg« hinauf, denn der Graf hielt außerordentlich auf seine Pferde und litt nie, daß sie nutzlos angestrengt wurden, strafte auch nichts härter, als einen Verstoß gegen die darüber erlassenen Befehle. Der leichte Wagen knirschte über den hier reichlich ausgestreuten Kies, und der Weg zog sich bis zur Treppe des Herrenhauses durch einen wahren Flor von in voller Blüthe stehendem Hollunder, Goldregen, Akazien und Schneeballen hin, während die Front des ganzen Gebäudes mit allen nur erdenklichen Topfgewächsen so reich geschmückt war, daß selbst die breite, kunstvoll gearbeitete Marmortreppe, die zu dem Gartensalon und Empfangszimmer hinauf führte, einem vollblühenden Garten glich und den Duft ihrer Blumen durch die geöffneten Fenster in alle Räume des Schlosses sandte.

Und alle Räume waren so reich als geschmackvoll ausgestattet, denn Graf Monford besaß ein bedeutendes Vermögen und hatte auf seinen weiten Reisen gelernt, sich die Bequemlichkeiten und den Luxus aller Himmelsstriche anzueignen, ohne dabei sein Haus zu überladen. Die kostbarsten Gemälde, die herrlichsten Statuen und Statuetten schmückten die Zimmer, aber wo sie standen, schien es auch, als ob sie fehlen würden, wenn man sie weggenommen hätte.

Eine zahlreiche Dienerschaft füllte dabei das Haus – Graf Monford hatte früher auf von seinem Vater ererbten Besitzungen in Westindien gelebt und sich daran gewöhnt, eine Masse von Dienstleuten um sich zu haben – und herrliche Pferde standen in den Ställen, die sich, mit weiten Rasengründen für die Fohlen, eine ganze Strecke in den Park hineinzogen.

Als er ausgestiegen war, blieb er auch noch eine Weile (während seine Gemahlin nach oben ging, um Toilette zum Diner zu machen, und der Bediente eine Anzahl aus der Stadt mitgebrachter Pakete aus dem Wagen nahm) auf der Treppe stehen, um indessen seine beiden Goldfüchse zu betrachten, die, ungeduldig über den Aufenthalt, die schönen Köpfe auf und nieder warfen.

»Der Soliman scheut noch immer,« sagte er dabei, während sein prüfender Blick über die Thiere glitt und den Kutscher besorgt machte, daß er etwas Ungehöriges daran entdecke, – »daß wir ihm das gar nicht abgewöhnen können.«

»Er ist lammfromm geworden, Herr Graf,« erwiderte aber der Mann, indem er mit dem Ende der Peitsche langsam eine Stechfliege vom Halse des besprochenen Thieres zu entfernen suchte – »aber die fremden Beester jetzt in der Stadt, da scheut beinahe jedes Pferd.«

Der Graf nickte und betrat dann den mit feinen indischen Matten belegten Marmorboden des untern Saales, während der Kutscher, da Alles aus dem Wagen entfernt war, leise mit der Zunge schnalzte und nach den Stallgebäuden hinüberfuhr.

Im Salon war Graf Monford sonst gewöhnt, daß ihm seine Tochter entgegenkam. Er traf heute nur ihre Gesellschafterin, Mademoiselle Beautemps, eine ausgetrocknete Französin, sehr elegant gekleidet, aber mit einem etwas verbissenen Zug um die dünnen Lippen und sehr steifer, selbstbewußter Haltung.

»Wo ist Paula, Mademoiselle?«

»Ich war eben im Begriff, sie zu suchen, Herr Graf,« erwiderte die Dame. »Sie ist in den Park spazieren gegangen, ohne mir ein Wort davon zu sagen.«

»Das wäre freilich unverantwortlich,« entgegnete Graf Monford, während es wie ein leises, halb spöttisches Lächeln um seine Lippen zuckte, »besonders wenn man bedenkt, daß das Kind erst siebzehn Jahre alt ist und wahrscheinlich im nächsten Jahre heirathen wird. Hat sie ihre Kammerjungfer mit?«

»Sie ist vollständig allein gegangen.«

»Vollständig allein? So – nun, sie weiß, daß wir um fünf Uhr diniren, und wird zur rechten Zeit zurück sein.«

»Aber nicht einmal Zeit behalten, ihre Toilette zu machen. Wenn mir der Herr Graf erlauben...«

»Sie werden sie dann verfehlen und ebenfalls das Diner versäumen. Sie wird schon kommen« – und damit schritt er in sein Zimmer hinüber, das zu ebener Erde lag.

Mademoiselle Beautemps biß sich auf die Lippen, antwortete aber nur, sich ihrer Stellung und Würde bewußt, durch eine sehr förmliche Verbeugung, die der alte Herr nicht einmal bemerkte, und trat dann auf die Treppe hinaus, um die Ankunft ihres ungehorsamen Zöglings mit anscheinender Geduld, bei der sie aber in innerlichem Ärger fortwährend in raschem Tacte die Marmorplatten mit dem Fuß schlug, zu erwarten.

Ein Reiter kam den Weg heraufgesprengt, hielt an der Treppe, sprang aus dem Sattel, warf die Zügel seines warm gewordenen Thieres dem ihm folgenden Reitknecht zu, und war dann in wenigen Sätzen oben bei der Gouvernante.

»Ah, guten Morgen, Mademoiselle – Karl, reib das Pferd gut ab, und daß dann der Fingal gesattelt wird – ich reite nach dem Diner gleich wieder in die Stadt zurück. – Wo ist Paula, Mademoiselle?«

»Thut mir leid, Ihnen keine Auskunft geben zu können, Herr Graf,« sagte die Dame achselzuckend; »die Comtesse scheint die Zügel der Regierung selber in die Hand nehmen zu wollen.«

»Durchgebrannt?« lachte der junge Mann, indem er seine Handschuhe auszog und in den Reitrock steckte. »Die Eltern sind aber zu Hause, wie ich sehe,« setzte er mit einem Blick auf die Wagenspuren hinzu, »und wahrhaftig, gleich fünf Uhr – alle Wetter, da habe ich keine Zeit mehr zu verlieren!« und rasch sprang er in das Haus und in sein eigenes Zimmer hinauf.

Mademoiselle Beautemps hatte wenigstens die Genugthuung, nicht länger auf die Folter gespannt zu sein, denn in diesem Augenblick kam auch die Comtesse aus dem Park herauf. Sie mußte scharf gegangen sein, denn sie sah erregt aus.

»Aber, Comtesse, ich bitte Sie um Gottes willen, wo haben Sie gesteckt? Kann man denn nicht auf einen Augenblick den Rücken wenden!«

»Sind die Eltern schon da?«

»Schon lange, es wird gleich servirt werden. Und wie sehen Sie aus! Mit der Frisur können Sie gar nicht bei Tafel erscheinen! Wo waren Sie?«

»Im Park. Ist George auch schon da?«

»Alle – es wird den Augenblick dinirt. Ich muß wirklich in Zukunft bitten...«

Paula ließ sie gar nicht ausreden. An ihr vorüber huschte sie durch den Saal in ihr eigenes kleines Boudoir, wo Bertha, ihre Kammerjungfer, sie schon erwartete, und als Mademoiselle Beautemps, damit nicht zufrieden, sich das Wort abgeschnitten zu sehen, ihr dahin folgen wollte, um ihre Ermahnung und Strafpredigt zu beenden, hatte die sorgsame Zofe schon den Riegel vorgeschoben. Es wurde Niemand mehr eingelassen.

Paula brauchte aber für ihre Toilette außerordentlich wenig Zeit; das volle, herrliche Haar fiel fast von selbst in seine natürlichen Locken, und noch ehe die Gräfin Mutter den Speisesaal betrat, wo in diesem Augenblick gerade die Suppe aufgetragen wurde, war sie dort.

Ihr Bruder stand schon am Fenster und blätterte in einem Haufen von Zeitungen.

»Ah, da bist Du ja!« rief er ihr entgegen. »Sag', Schatz,« flüsterte er dann, »hat Dir Papa schon etwas mitgetheilt?«

»Mir, George?« fragte Paula erstaunt – »was soll er mir mitgetheilt haben? Ich weiß von nichts!«

»Nun, dann kommt es noch,« lächelte George, ihr freundlich zunickend. »Apropos, Paula, gehst Du Dienstag mit in's Theater? Die Räuber werden gegeben. Handor ist famos als Karl Moor.«

»Ich weiß es nicht,« sagte Paula erröthend, »wenn es Papa erlaubt...«

»Hoffentlich nicht, Comtesse,« bemerkte hier die Gesellschafterin, die gerade zur rechten Zeit in den Saal getreten war, um die Frage zu hören; »denn mit meiner Zustimmung besuchen Sie das Theater nicht so oft. Es ist ein Tempel des Lasters, in dem junge Mädchen eigentlich gar nichts zu suchen haben.«

»Mademoiselle!« wollte George gereizt ausfahren, als sich die Thür öffnete und die Eltern erschienen. Die Unterhaltung war damit abgebrochen.

»George – ah, da bist Du ja, Paula! Hast Du einen Spaziergang gemacht, mein Kind?«

»Mein lieber Vater...«

»Schon gut, Du bist ja noch zur rechten Zeit eingetroffen. Höre, George, Du hast Deinen Rappen wieder tüchtig warm geritten. Wenn Du meinem Rath folgst, schonst Du das Pferd.«

»Ich hatte mich verspätet, Papa, und ließ ihn nur ein wenig austraben. Heute Nachmittag nehme ich den Weißfuß.«

»Du willst wieder fort?«

»Ich habe mich zu einer Partie Whist bei Boltens engagirt und vorher noch Einiges zu besorgen.«

»Setzen wir uns.«

Das Diner wurde gewöhnlich schweigend verzehrt, da es Graf Monford nicht liebte, sich in Gegenwart der Diener zu unterhalten. Nur vollkommen gleichgültige Dinge durften besprochen werden, und selbst diese so kurz als möglich, und doch hätte George gar zu gern schon während der Tafel von dem Theater angefangen, das er leidenschaftlich gern besuchte. Aber es ging eben nicht, denn er wußte im Voraus, daß er entweder keine Antwort oder gar einen Verweis bekommen hätte.

George war das treue Abbild seiner Schwester, nur etwa zwei oder drei Jahre älter als sie, aber mit denselben edlen und offenen Zügen, denselben kastanienbraunen Augen, aber fast schon ein wenig zu selbstständig für seine Jahre, wozu denn freilich die Erziehung im elterlichen Hause Vieles beigetragen.

Als junger Bursche und noch unter einem Hofmeister wurde er mit eiserner, nachsichtsloser Strenge bis zu dem Augenblick behandelt, wo er zur Universität abging, und dort plötzlich und mit einem Schlag sein eigener, freier Herr war. Natürlich wußte er die ihm so rasch und unerwartet gekommene Freiheit nicht immer nur zu gebrauchen, sondern mißbrauchte sie auch nicht selten.

Dazu kam, daß Graf und Gräfin Monford sich Jahre lang auf Reisen befanden, wo denn die Kinder auch nur auf fremde Menschen angewiesen blieben und ihre Eltern nicht einmal zu sehen bekamen, und mit der ganzen vorangegangenen Erziehung konnte es kaum anders geschehen, als daß sich beide Theile mehr und mehr entfremdet werden mußten.

Graf und Gräfin Monford hatten in der That keine Kosten und Mühen gescheut, um ihre Kinder Alles lernen zu lassen, was sie in ihren Bereich bringen konnten, aber sie machten ein sehr großes Haus, und nur zu oft ist es ja in solchen »großen Häusern« leider der Fall, daß die gesellschaftlichen Pflichten den elterlichen vorgezogen werden oder, wie man sich einredet, vorgezogen werden müssen. Man hat Rücksichten zu nehmen (wie die Entschuldigungen heißen), überdies zuverlässige Leute daheim, denen man die Kinder recht gut anvertrauen kann. Eine Gesellschaft jagt dann die andere, einmal daheim oder auch außer dem Hause, von allen aber sind die Kinder ausgeschlossen, und ihre kurze Jugendzeit vergeht, ohne daß sie sich erinnern, der Mutter mehr als ein- oder zweimal auf dem Schooß gesessen zu haben.

Aber ein Kind will nicht allein Pflege – die kann ihm jeder gemiethete und gute Dienstbote geben – es will auch Liebe, und wenn ihm die entzogen wird, so wächst es auch wohl ohne sie frisch und kräftig auf, aber in seinem Herzen bleibt ein leerer, öder Raum, den es sich selber dann oft mit verderblichen Stoffen füllt. Unter der Obhut Fremder aufgewachsen, hatten sie allerdings vor den Eltern, denen sie erst herangewachsen näher traten, eine gewaltige Ehrfurcht gehabt, aber sie kannten kein anderes Gefühl und hielten diese Ehrfurcht für Liebe, während die Eltern stolz, recht stolz auf ihre Kinder waren und auch diesen Stolz für Liebe nahmen. So täuschten sich beide Theile über ihre Gefühle, und auch die Welt, und doch waren beide Kinder von Herzen seelensgut und brav, und auch die Eltern fest überzeugt, Alles für sie gethan zu haben, was in ihren Kräften stand, um vollen Anspruch auf ihre Dankbarkeit zu haben.

Die Liebe aber, die den beiden Geschwistern durch ihre Eltern mehr unbewußt als absichtlich entzogen worden, brachten sie dafür einander selber in desto reicherem Maße zu. Mit unendlicher Zärtlichkeit hingen beide an einander, ob auch ihre Charaktere noch so verschieden sein mochten.

Paula, von zartem Körperbau, mit vieler Phantasie begabt, neigte mehr zur Schwärmerei. Sie las viel und, leider, unter Anleitung der Französin, nicht immer recht passende Bücher; sie liebte dabei leidenschaftlich das Theater und konnte sich durch irgend ein gegebenes Schau- oder Trauerspiel so aufregen lassen, daß sie halbe Nächte lang ihre Kissen mit Thränen netzte. Unglücklicher Weise fand sie dabei in der Familie, der sie, während die Eltern auf Reisen gewesen, zur Obhut übergeben worden, nur zu viel Nahrung, denn diese hatte ein kleines Liebhabertheater in ihrer eigenen Wohnung errichtet, verkehrte viel mit Künstlern und fachte dadurch den Funken, der in Paula's Herzen glimmte, zur lichten Flamme an.

Das Technische in der Aufführung bei den kleinen, dort gegebenen Stücken hatte man nämlich nicht gut bewältigen können oder es auch vielleicht für zu mühsam gehalten. Ein geschickter Leiter wurde für nothwendig erachtet, und dort hatte Paula Handor kennen lernen.

George seinerseits war nichts weniger als ein Schwärmer und hing viel mehr dem Realistischen an. Er liebte wohl auch das Theater, weil es ihm Unterhaltung bot, ohne daß er sich aber sonst auch nur mit einer Faser seines Herzens dazu hingezogen fühlte. Weit mehr beschäftigten ihn die seinem Stande auch angemesseneren ritterlichen Übungen. Er war ein perfecter, tollkühner Reiter, ein eifriger und für sein Alter recht guter Jäger, besonders ein sicherer Schütze, und wenn er nebenbei auch etwas Musik und Malerei trieb und mit Vergnügen ein gutes Buch las, hatte er doch keinen rechten Trieb dafür. Er verstand etwas von Jedem, ohne es in irgend einer Sache zur Vollkommenheit zu bringen, und da er das selber fühlte, verlor er auch bald die Lust daran.

Auch an dem Liebhaber-Theater hatte er sich anfangs mit großer Lust betheiligt und vielen Eifer dabei gezeigt, aber es ermüdete ihn doch bald, wie er denn nie lange an einer Sache Vergnügen fand, und als Ende März die Auerhahnbalz begann, gab er es vollständig auf und fuhr lieber Nachts hinauf in den Wald, um Morgens um zwei oder drei Uhr an Ort und Stelle auf dem Balzplatz zu sein.

Durch das Liebhaber-Theater war er aber selber mit einigen Künstlern bekannt geworden. Deren freies, offenes Wesen sagte ihm zu, denn im Umgang mit ihnen brauchte er sich keinen Zwang anzuthun, und sein leicht empfänglicher Geist fand, was ihm in seinen gewöhnlichen Kreisen gründlich fehlte: Anregung und Befriedigung. Mit einem Worte, er fühlte sich unter den Künstlern und in ihrem freien Verkehr wohler und behaglicher, als in den steifen, aber allerdings sehr vornehmen Gesellschaften, in denen er sonst heimisch war oder doch heimisch sein sollte.

Auch zu Hause war ihm der lästige Formenzwang zu unbequem. Er hatte oft davon gehört und gelesen, was für ein mächtiger Zauber in dem einen kleinen Worte »daheim« liege und wie die eigene Heimath uns das Liebste und Theuerste auf der Welt sein sollte; aber mitgefühlt hatte er das noch nie und hielt es, mit anderen Überschwänglichkeiten, für eine Licenz der Dichter, die vollkommen berechtigt wären, sich irgend einen Punkt der Welt zu einem kleinen Paradiese auszumalen, ob sie dazu nun ein beliebiges Feenreich oder eine menschliche Wohnung wählten.

Viel Ruhe hatte er deshalb auch zu Hause nicht, ja, er plauderte wohl gern einmal ein halb Stündchen mit der Schwester und wußte, daß er die gehörigen Formen der Tischzeit einhalten mußte, wenn er nicht eben draußen auf der Jagd war oder eine andere Einladung angenommen und sich daheim formell abgemeldet hatte – sonst fesselte ihn nichts an das Vaterhaus.

Die Tafel war beendet und der Kaffee im Nebenzimmer servirt worden. Dorthin folgte er den Eltern, und seinen Arm um Paula's Taille legend, drückte er einen Kuß auf ihre Wange.

»Aber was hast Du nur, George?«

»Nichts, mein Herz,« lächelte der Bruder, »ausgenommen so viel zu thun, daß ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.«

»Du?«

George nickte ihr zu und wollte das Zimmer verlassen.

»Du willst wieder fort, George?« sagte die Mutter.

»Ja, Mama – heut Abend sehen wir uns doch bei Boltens; nicht wahr, Ihr kommt auch hin?«

»Ich weiß es noch nicht, mein Sohn,« erwiderte die Gräfin – »ich habe etwas Kopfschmerz – aber vielleicht doch.«

»Du bist gar nicht mehr zu Hause, George,« bemerkte der Vater, »man bekommt Dich wirklich nur noch beim Essen zu sehen.«

»Ja, bester Vater,« lachte George, »ich habe jetzt drei Pferde zuzureiten, und das kann ich doch nicht hier im Park thun. Der Fingal macht mir am meisten zu schaffen.«

»Aber es ist ein vortreffliches Pferd,« nickte der Vater, »Du hast da einen guten Kauf gemacht, halte ihn nur auch gut.«

»Wie meinen Augapfel, Papa,« lachte der junge Mann. »Also auf Wiedersehen in der Stadt!« und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Paula blieb mit ihren Eltern allein im Zimmer, denn Mademoiselle Beautemps trank keinen Kaffee und benutzte diese kurze Zeit stets, um in ihrem Zimmer ein Viertelstündchen Siesta zu halten, worin sie Paula niemals störte. Sie wollte jetzt ebenfalls das kleine, freundliche Gemach verlassen, als der Vater, der mit auf den Rücken gelegten Händen auf und ab gegangen war, leise sagte:

»Paula!«

»Mein Vater!«

»Ich und Deine Mutter möchten ein paar Worte mit Dir reden.«

»Mit mir, Vater?«

»Ja, mein Kind,« sagte der alte Herr, indem er vor ihr stehen blieb, ihr leise mit der rechten Hand das Kinn emporhob und freundlich fortfuhr: »Sieh, mein Schatz, Du bist nun schon vor zwei Monaten siebzehn Jahre alt geworden und – eben kein Kind mehr...«

»Mademoiselle Beautemps betrachtet mich aber noch als ein solches,« sagte fast unbewußt Paula, denn ein schmerzhaftes, gleichsam eisiges Gefühl schnürte ihr in dem Augenblick beinahe die Brust zusammen. Sie ahnte, was folgen würde.

»Mademoiselle Beautemps...« sagte der Vater rasch, brach aber kurz ab, hustete und lächelte still vor sich hin. »Nun, Du wirst nicht mehr lange mit ihr geplagt werden, Kind,« fügte er dann mit trockenem Humor hinzu, »und was ich eben jetzt mit Dir reden wollte – das heißt ich und Deine Mutter –, soll gerade dazu dienen, Dich von ihr frei zu machen.«

»Mein lieber Vater!« flüsterte Paula und warf einen Blick nach der Mutter hinüber, die am Fenster stand, mit einer kleinen Scheere ein paar abgeblühte Rosen von einem Stock schnitt und die Blätter hinausstreute.

»Verstehst Du, was ich meine?«

»Nein, mein Vater,« hauchte das junge Mädchen.

»Und doch siehst Du beinahe so aus, als ob Du es verständest,« lächelte der alte Herr. »Aber ich will mich kurz fassen, mein Kind, denn große Umschweife sind unter uns ja doch nicht nöthig. Ich frage Dich also geradeheraus, mein Herz, hast Du noch nicht daran gedacht, Dir einen Lebensgefährten auszusuchen?«

»Mein lieber, lieber Vater!«

»Aber, George,« sagte die Gräfin kopfschüttelnd, »Du fällst doch auch wohl da ein klein wenig zu sehr mit der Thür in's Haus. Das ist kaum eine discrete Frage für ein junges Mädchen, die das überhaupt auch wohl ihren Eltern überlassen wird.«

»Ich weiß nun gerade nicht,« lächelte der alte Herr, »ob Paula damit so recht einverstanden sein würde. Aber eben weil ich glaube, daß sich unsere Gedanken auf halbem Wege begegnen, habe ich so direct gefragt, denn ich bin überzeugt, ich schieße nicht weit vorbei, wenn ich vermuthe, daß Du den jungen Grafen Bolten gern hast – wie, Schatz? Er ist wenigstens auf allen Bällen Dein unermüdlicher Tänzer, und das Vielliebchen, das Du neulich mit ihm gegessen – nun, Du brauchst nicht bis hinter die Ohren roth zu werden, meine Puppe – wir sind Alle nicht besser gewesen, als wir jung waren.«

Über Paula's Stirn und Wangen hatte sich allerdings im ersten Augenblick tiefe Röthe ergossen, im nächsten Moment aber schon schoß das Blut wie in einem Strom zum Herzen zurück und ließ ihr Antlitz todtenbleich, während sie leise, aber fest sagte: »Du irrst Dich, Vater, – ich liebe den jungen Grafen nicht.«

»Nicht?«

»Du liebst ihn nicht?« wiederholte aber auch die Mutter und drehte sich rasch und wie erstaunt der Tochter zu. »Und das sagt das Mädchen mit einer solchen Bestimmtheit, als ob damit die ganze Sache abgemacht und beseitigt wäre.«

»Der Vater hat mich gefragt, Mama, und er verlangt ja doch Wahrheit von mir.«

»Das allerdings, mein Herz,« sagte der alte Herr ruhig, während sein Blick forschend an dem Antlitz der Tochter hing, »die verlangt er in der That – aber kannst Du mir einen Grund angeben?«

»Und wäre es Liebe, Vater, wenn man einen Grund dafür nennen könnte?«

»Hm,« sagte der alte Herr, dadurch selber in Verlegenheit gebracht, »Du scheinst Nutzen aus Deiner Lectüre gezogen zu haben, mein Töchterchen. Die Sache ist denn aber doch zu ernsthafter Natur, um ihr durch ein Wortspiel auszuweichen; so höre denn, was ich Dir darüber zu sagen habe. Über die Familie Bolten selber brauchte ich kein Wort zu verlieren; wir haben sie Alle gern und sind lange, lange Jahre damit befreundet – wie geachtet und geschätzt sie im ganzen Lande sind, weißt Du außerdem, und unser alter Name braucht sich wahrlich nicht zu schämen, neben dem ihrigen genannt zu werden. Hubert ist dabei ein junger, liebenswürdiger Mensch, talentvoll, gutmüthig, ein bischen aufbrausend zwar, aber das wird sich mit den Jahren geben, und außerdem der einzige Sohn. Daß er Dich gern hatte, habe ich – und ich muß gestehen, zu meiner Freude – schon seit längerer Zeit bemerkt; daß Du ihm nicht abgeneigt warst, konnte Jeder sehen, der Euch ein paar Mal zusammen beobachtet hat. Dazu kommt, mein liebes Kind, daß uns Beide, Deine Mutter und mich, diese Verbindung mit dem Bolten'schen Hause glücklich machen würde, und ich bin überzeugt, daß alles dies zusammen genommen, wenn Du es Dir überlegst, Deinen Entschluß bestimmen muß. Ich brauche Dir nur noch zu sagen, daß heute Morgen, als wir in der Stadt waren, der alte Graf bei mir förmlich um Dich für seinen Sohn angehalten hat, und ich hoffe, wir können ihm heut Abend eine gute Antwort mit hineinnehmen – wie, mein Schatz?«

»Mein lieber Vater, ich – ich bin noch so jung!«

»Darin hast Du Recht, und das habe ich meinem Freunde Bolten selbst entgegnet; er sieht das auch vollkommen ein, und Du sollst nicht gedrängt werden. Wir haben deshalb Beide ausgemacht, daß die Trauung nicht früher als an Deinem achtzehnten Geburtstage stattfindet; um uns aber das Glück unserer Kinder zu sichern, wollen wir die Verlobung am nächsten Freitag hier bei uns feiern, wozu uns Deine gütige Mama einen kleinen Ball arrangiren wird – bist Du damit einverstanden?«

»Dränge sie nicht zu sehr, George,« sagte jetzt die Mutter freundlicher, als sie bis dahin gesprochen. »Ihr Männer seid Euch darin doch alle gleich, das folgt Schlag auf Schlag, und da soll das arme Kind auf jede Frage auch augenblicklich antworten! Versteht sich, wird sie wollen, aber Du siehst doch, daß sie jetzt bald roth, bald blaß wird – laß ihr doch nur Zeit, erst Athem zu holen!«

»Meine liebe, liebe Mutter!« rief Paula und warf sich, von ihren Gefühlen überwältigt, an der Mutter Brust.

»Aber, ma fille!« sagte sie, sich rasch und erschreckt losmachend – »komm, mein Herz, komm, wozu diese Aufregung – Du weißt, Kind, wie das immer meine Nerven angreift, und mein Kopf schmerzt mich überhaupt heute.«

»Aber ich liebe ihn nicht, Mama!« bat Paula in Todesangst. »Der junge Graf ist ein braver, lieber Mensch, aber – aber...«

»Aber, mein Kind?« fragte die Mutter streng.

»Er – er paßt nicht für mich – er – hat für nichts Sinn, als für seine Pferde und Gewehre – er haßt Musik und Bücher – er...«

»Lauter Verbrechen, nicht wahr?« lächelte die Mutter spöttisch – »und kann er deshalb nicht ein guter Ehemann werden?«

»Und soll das Herz denn gar keine Stimme haben, Mama?« flüsterte das arme, gequälte Mädchen – »soll denn nur immer todter Rang und Reichthum Verbindungen schließen und Menschen auf ewig an einander ketten, die sich ohne diese nie gefunden oder nur gesucht hätten?«

»Todter Rang und Reichthum, meine Tochter?« sagte der Vater ernst – »ich glaube, Du solltest uns dankbar dafür sein, daß wir Dir die Dir gebührenden Vorrechte auch erhalten und verwahren, Du wirst doch nicht glauben, daß ich Dich je unter Deinem Stande verheirathen würde?«

»Willst Du mich nicht glücklich sehen, Papa?« fragte Paula herzlich.

»Gewiß, mein Kind, das ist mein heißester Wunsch,« erwiderte der Vater, »aber eben deshalb muß ich jetzt über Dich wachen, daß Dich Dein leicht erregtes Herz nicht zu einem Schritt hinführt, den Du später schwer bereuen und dann sicher unglücklich dadurch werden würdest. Aber wie ich Dir schulde, für Dein Glück zu sorgen, so schuldest Du auch uns, die Ehre unseres Hauses aufrecht zu erhalten, und wer Dir dabei am besten rathen kann, sind denn doch wohl Deine Eltern selber.«

»Und wenn ich vorher wüßte, daß ich unglücklich werden würde?«

»Paula,« sagte der Vater ernst, »ich bitte Dich, nur jetzt, wo es sich um Deine ganze Zukunft handelt, Deine überspannten Romane und phantastischen Ideen aus dem Spiel zu lassen! Du hast uns schon neulich einmal so eine Andeutung gemacht, daß Du Dich an der Seite des ärmsten Mannes glücklich fühlen könntest, wenn »Eure Seelen«, wie Du Dich beliebtest auszudrücken, mit einander harmonirten. Es ist der alte Unsinn mit »eine Hütte und ihr Herz«, der so lange stichhaltig bleibt, bis das Herz eben in die Hütte hineinziehen soll und die Räumlichkeit dann überall zu beengt findet. Glaube mir, mein Kind, solche Ideen sehen sehr hübsch auf dem Papier aus und lassen sich vortrefflich bei einer warmen, mondhellen Nacht durchschwärmen, aber sie gleichen jenen wunderbar schillernden Quallen, die an der Oberfläche der See herumschwimmen und von Weitem einen prachtvollen Anblick gewähren, nimmt man sie aber in die Hand, so bleibt nichts übrig, als eine graue, schlammige Blase, die man mit Ekel wieder von sich wirft. »Gleich und Gleich gesellt sich gern!« ist ein altes, gutes und wahres Sprüchwort, und wir finden das in der Natur bestätigt, wohin wir blicken. Ein Adler könnte sich da eben so wenig daran gewöhnen, einen Bund für das Leben mit einem Truthahn zu schließen und von Körnern und Kartoffelschalen zu leben, weil ihre Seelen vielleicht sympathisiren – es geht eben nicht, und die Grafentochter würde sich elend und unglücklich fühlen, wenn sie aus der gewohnten Sphäre niedersteigen und in einer Hütte leben sollte. Das sind eben jugendliche Träume, die ich auch nicht zu hoch anschlage und deshalb gern verzeihe. Nun sei aber vernünftig, mein Töchterchen, Du bist alt genug dazu. Wir haben eine Wahl für Dich getroffen, die Dein Herz nur mit Freude und Dankbarkeit gegen uns erfüllen kann, also füge Dich dem; denn Du weißt auch, daß Deine Eltern nie ihre Einwilligung zu einer Verbindung unter Deinem Range geben würden, solltest Du wirklich je thöricht genug sein, selber an etwas Derartiges ernsthaft zu denken.«

»Mein Vater...«

»Laß nur sein, mein Kind – ich wußte ja, daß mein gutes Töchterchen nicht den Lieblingsplan ihrer Eltern kreuzen würde; also werde ich das Weitere schon selber mit Boltens in Ordnung bringen. Du darfst Dir indessen immer Deinen Ballstaat zurecht machen,« setzte er lächelnd hinzu, indem er ihr leise das Kinn emporhob und einen Kuß auf ihre Stirn drückte, »und daß wir nachher ein recht munteres, fröhliches Bräutchen haben, davon bin ich überzeugt...«

Ein Diener öffnete in diesem Augenblick die Thür und meldete, in steifer Haltung an der Schwelle stellen bleibend: »Baronesse von Halldorf läßt fragen, ob es der gnädigen Herrschaft genehm wäre...«

»Wird uns sehr angenehm sein,« sagte die Gräfin, die froh war, einen Vorwand gefunden zu haben, das Gespräch abzubrechen – »aber, Schatz, Du hast ganz rothe Augen bekommen – geh auf Dein Zimmer und bade sie ein wenig mit Rosenwasser, wir erwarten Dich dann unten.«

Der Besuch mußte empfangen werden, und die arme Paula, das Herz zum Brechen schwer, zog sich auf ihr Zimmer zurück, schob den Riegel hinter sich vor und sank auf das Sopha.

»Kein Mitleid mit den Gefühlen ihres eigenen Kindes,« flüsterte sie dabei – »keine Frage selber danach, ob dieses Herz schon gewählt, schon entschieden haben könnte – nichts, nichts als der leere, hohle Schein, als Stand und Rang und Reichthum – oh, ich bin recht, recht unglücklich!« und still weinend barg sie ihr Antlitz in den Händen.

5.
Paradies und Hölle.

In der Schloßgasse zu Haßburg – denn die alte Stadt, welche in längstvergangenen Zeiten einmal der Sitz eines Erzbischofs gewesen, hatte die verschiedenen Benennungen aus ihrer Glanzperiode noch getreulich aufbewahrt – stand ein nicht sehr großes, aber wunderlich verziertes Gebäude. Es war massiv, aus dunkelgrauem, halbverwittertem Sandstein aufgeführt und mit einer wahren Verschwendung von Steinhauerarbeit bis unter den Giebel hinauf bedeckt.

Was die zahllosen Gruppen, Bilder und Arabesken daran alle bedeuten sollten, wäre wohl schwer zu entziffern gewesen – möglich, daß selbst die Urheber derselben keine rechte Idee davon gehabt. Deutlich erkennbar war aber noch eine ordentliche Legion von dicken, pausbackigen Engeln mit Posaunen und sonstigen Instrumenten, die jeden nur einigermaßen benutzbaren Raum ausfüllten und den obern Theil des Hauses vollständig bedeckten, während zwei sehr durch die Zeit und Sturm und Wetter mißhandelte Riesen, die zwischen Drachenköpfen und Ungeheuerschwänzen ihren Platz behaupteten, das Portal zu tragen schienen.

Und bunt und prächtig genug mußte das Haus ausgesehen haben, als es aus der Hand des Künstlers frisch hervorging. Noch jetzt ließen sich nämlich an einigen geschützten und tiefer liegenden Stellen Spuren von früherer Vergoldung und Malerei erkennen, mit denen besonders die Instrumente der Engel geglänzt und geschimmert haben mochten.

An eine Renovation dieser geschwundenen Pracht hatte freilich Niemand gedacht. Das Haus gerieth in die Hände einer Familie, die seine Lage für eine Wirthschaft passend fand, da es dem Theater schräg gegenüber und auch in der Nähe des Domes wie des Rathhauses stand, und der neue Eigenthümer, mit einer unbestimmten Ahnung, daß die vielen Engel wohl eine Andeutung der künftigen Seligkeit selber sein könnten, nannte seine Wirthschaft drinnen nach den Sinnbildern draußen »Zum Paradies«.

Der Mann verdiente viel Geld damit, und als er älter und ihm das Geräusch und die eigene Unbequemlichkeit eines solchen Lebens zu groß wurde, ließ er die Wirthschaft eingehen, den obern Stock zu Familienwohnungen einrichten und behielt nur die unteren Räumlichkeiten mit den Kellern für sich, in welchen er eine ganz vortreffliche Weinstube etablirte.

Der alte Trauvest war von jeher ein ausgezeichneter Weinkenner gewesen und hatte immer etwas auf ein gutes Getränk gehalten. Seine Weinstube bekam deshalb bald einen Namen und die in Haßburg ansässigen »Künstler«, lustiges, luftiges Volk, das solche Plätze immer am besten aufzustöbern weiß, erwählte den Ort zu seiner Künstlerkneipe, wozu ihnen der Wirth, damit sie nicht mit dem gewöhnlichen trocknen Pfahlbürger und Stammgast Einen Tisch zu besetzen brauchten, ein kleines besonderes Käfterchen hübsch einrichten und sogar mit Eichenholz austäfeln ließ. Der und Jener »stiftete« dann auch noch bald einen alten, wunderlich geschnitzten Schrank, bald ein paar antike Sessel, hundertjährige Pocale und Deckelkrüge, alte Waffen und Rüstungen, kurz, was in der Art aufzutreiben war, hinein, so daß sich der kleine, malerisch geschmückte Raum bald in ein ordentliches Raritäten-Cabinet verwandelte.

Das Haus wurde zuletzt wirklich dadurch berühmt, und kein Fremder besuchte Haßburg, der sich nicht bemüht hätte, auch die Künstlerkneipe im »Paradies«, die das lustige Völkchen dem Namen des Gebäudes gerade entgegen »Die Hölle« taufte, kennen zu lernen.

Zu den Künstlern: Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich in Haßburg aufhielten, fühlten sich aber auch die Schauspieler hingezogen. Der gute Wein hatte sie schon lange in das »Paradies« geführt, die bessere Gesellschaft lockte sie aus dem »Paradies« in die »Hölle«, und von den Künstlern wurden sie, als einer freien Kunst angehörend, auch mit offenen Armen empfangen.

Der Schauspieler ist überhaupt der beste Gesellschafter in der Welt und steht ja auch mit allen anderen Künstlern in nächster und innigster Beziehung. Wie der Maler, muß er Charaktere studiren, um sie wahr und treu, nicht auf der Leinwand, sondern im wirklich lebendigen Bild wiederzugeben. Mit dem Dichter muß er fühlen, empfinden und sich begeistern, und alles das in rasch wechselnden Gestalten, Schlag auf Schlag, und Triumph oder Niederlage bringt ihm schon der nächste Augenblick, der nächste Abend.

Alle anderen Künstler schaffen nicht allein für ihre Zeit, nein, sie haben die Hoffnung, daß auch noch spätere Geschlechter sich ihrer Werke freuen mögen und ihr Name noch genannt wird, wenn sie schon selbst dahingegangen. Nicht so der Schauspieler, der, nur auf den augenblicklichen Erfolg angewiesen, auch nur für diesen wirkt und schafft. Der Beifall des Publikums, das ihn selber hört und sieht, ist seine Belohnung; dieser strebt er nach, und ist ihm die gesichert, dann geht er freudig und vertrauensvoll an's nächste Werk.

Dieser Erfolg des Augenblickes übt aber auch natürlich auf sein ganzes Leben entschiedenen Einfluß, denn er verwächst mit ihm und theilt sich seinem ganzen Charakter mit; die Vergangenheit existirt nicht für ihn, was anders ist sie auch, als eine abgespielte Komödie – und die Zukunft? Eine neue brillante Rolle kann ihm die rosig genug gestalten, weshalb sich jetzt schon Sorgen darüber machen? Noch läuft sein Contract, das Publikum liebt ihn, oder – hat sich an ihn gewöhnt, und was die sonstigen kleinen Leiden und Ärgernisse betrifft, die nun einmal als Salz und Würze unseres ganzen Lebens dienen müssen, ei, die hat er reichlich in vermutheten Intriguen der Intendanz oder der eigenen Collegen, oder in boshaften Recensionen eines nicht gehörig honorirten Theaterkritikers – was will er mehr?

Leichtes Blut schwimmt oben, leichtes Blut gehört zu seiner ganzen Existenz, und gerade dieser, in den meisten Fällen liebenswürdige leichte Sinn läßt ihn das Leben an seiner lichten Seite fassen und ihm Alles abgewinnen, was eben daraus zu gewinnen ist.

Gute und vielbeschäftigte Schauspieler und Schauspielerinnen – während Sänger und Sängerinnen – mit wenigen Ausnahmen – nur ihre Noten studiren und sich verwünscht wenig um Text, Sujet oder Charakter ihrer Rolle kümmern – müssen auch gebildete Menschen sein, und sind es fast stets. Sie haben dabei die Form des Umganges vollständig in ihrer Gewalt, sie müssen verstehen, sich in allen Kreisen des Lebens zu bewegen, und verstehen es, und mit einem gewissen Instinct, der sie alles Steife und Langweilige vermeiden läßt, bringen sie bald Leben in jeden Cirkel, den sie besuchen.

Es ist mit Einem Wort ein frohes, glückliches Völkchen, und wer in ihrer Mitte nicht warm wird und seinen im gewöhnlichen Leben noch ängstlich gepflegten Zopf auf kurze Zeit vergißt, den kann man ruhig aufgeben. Er ist für die Gesellschaft verloren und paßt nur noch für »Gesellschaften«.

Es läßt sich denken, daß auch in der »Hölle« ein munterer Ton herrschte, wie denn auch vor Allem hier die Regel galt, nichts, und wäre es der bitterste Scherz gewesen, übel zu nehmen. Schon über der Thür stand auch auf einer großen, schwarzen Tafel mit dicken, goldenen, altdeutschen Buchstaben der etwas ungelenke Vers:

Wer hier in diese Stuben kombt ein,
Laß allen Ärger und Hader daheim.

Und gerade dieses laisser aller der Gesellschaft hatte manche junge Leute aus Kreisen, die sonst nicht gern ein »bürgerliches Wirthshaus« besuchen, veranlaßt, dann und wann hier vorzusprechen und sich ein Stündlein unter den Künstlern, unter denen sie immer einzelne Bekannte fanden, zu amüsiren. Besonders waren einige Artillerie-Officiere, die selber zeichneten und malten, regelmäßige Besucher der »Hölle« geworden und zogen dann wieder Andere nach.

So hatte sich denn auch am heutigen Abend, während vorn in der Weinstube die steiferen Bürger, Beamten und Professoren saßen, in der »Hölle« ein lustiges Völkchen zusammengefunden, das dem guten Weine des alten Trauvest wacker zusprach. Vom Theater schien aber nur das Schauspiel vertreten, da heute eine Oper gegeben wurde; sonst saß aber eine gemischte Gesellschaft in Uniformen, Sammetröcken und Joppen um den langen Tisch, und das Gespräch hatte sich gerade um einen Wein gedreht, den ihnen Trauvest als Markobrunner vorgesetzt und den ein Hauptmann von Seidlitz für Deidesheimer erklärte, so daß schon eine Wette angeboten und acceptirt war.

»Wo nur Handor heute bleibt?« rief Höfken, der das Fach der Charakterrollen am Theater bekleidete; »der hat die beste Zunge von uns Allen, und seinem Urtheil füge ich mich.«

»Topp, angenommen!« rief der Gegenpart.

»Handor muß etwas auf dem Strich haben,« meinte Berthel, der Heldenvater; »er geht mir schon seit etwa fünf Wochen mit einer Sorgfalt gekleidet...«

»Bah,« rief einer der Maler, »als erster Liebhaber muß er auf seine Toilette halten; er gilt ja bei der ganzen schönen Welt von Haßburg für das Modejournal der Stadt.«

»Ach was da, Modejournal,« knurrte Pfeffer, der unten am Tische bei einer halben Flasche Wein saß, »Schulden sind's, und damit er den Leuten Sand in die Augen streut, hängt er den Plunder um sich her; Esel, wenn sie sich davon blenden lassen.«

»Nein, Höfken hat Recht,« rief aber auch Berthel, »es muß etwas Anderes dahinter stecken – Schulden, bah! Wenn ein Mensch erst einmal so viel Schulden hat, daß er doch ganz gewiß weiß, er kann sie nicht bezahlen, dann machen sie ihm auch keine Sorgen mehr, und so steht's mit Handor. Nein, bei dem spukt etwas Anderes, und ich bezahlte wahrhaftig...«

»Eine Flasche Champagner, Kellner,« rief in diesem Augenblick eine laute, fröhliche Stimme, und als sich Alle danach wandten, stand Handor, der eben genannte erste Liebhaber, in der geöffneten Thür; »aber wohl in Eis, verstanden?« setzte er rasch hinzu, »oder auch gleich zwei, drei Flaschen, mein Junge, denn ich bin schmählich durstig heut Abend und schmählich vergnügt – Guten Abend, meine Herren!«

»He, Handor, beim Zeus! Junge, wo kommst Du her? Eben sprachen wir von Dir; wo bist Du gewesen?«

»Im Himmel, Kinder, im siebenten Himmel,« rief der junge Mann, indem er Hut und Stock an einen Nagel hing und dann einen Stuhl neben dem etwas zur Seite rückenden Höfken nahm, »direct aus den himmlischen Sphären stieg ich nieder in die »Hölle«, und nur der himmlische Trank kann mir Ersatz für das Verlorene geben.«

»Pff,« zischte Pfeffer durch die Zähne, »den Himmel, in dem der gesteckt hat, kenn' ich.«

»Alle Wetter, Handor,« lachte aber auch der Maler, »Sie scheinen heute Ihren splendiden Tag zu haben!«

»So lang der Wirth nur weiter borgt,
Sind wir vergnügt und unbesorgt!«

citirte Pfeffer.

»Vive la bagatelle!« rief aber Handor, ein ihm gereichtes Glas auf einen Zug leerend.

»Halt,« sagte Höfken »hier gilt es eine Wette; da, Handor, ehe Du uns Dein Abenteuer erzählst, sag' uns einmal, was für Wein das ist.«

»Und wer hat Dir gesagt, daß ich Euch überhaupt mein Abenteuer erzählen werde?«

»Als ob der schweigen könnte,« lachte ein Anderer; »hast Du wieder bei Deiner jungen Putzmacherin geschwärmt oder bei der dicken Banquierstochter, oder gar mit der kleinen Jüdin den Romeo gelesen? Der Mensch hat, bei Gott, ein Glück, um das man ihn beneiden könnte.«

»Thorheiten!« lachte Handor verächtlich; »welchen Wein meint Ihr?«

»Hier dieses Glas; aber jetzt koste vorsichtig, es gilt eine Wette.«

»Gebt mir vorher ein Stück Brod.«

Das Verlangte wurde gebracht, und während jetzt Handor den Wein mit Kennermiene prüfte und kostete, herrschte lautlose Stille in dem kleinen Raum. Trauvest, der gerade in die Thür trat, blieb auf der Schwelle stehen.

»Nun, wo ist der gewachsen?«

Handor kostete noch einmal. »Rüdesheimer Berg,« sagte er dann.

»Rüdesheimer?«

Handor nickte.

»Meine Herren,« sagte Trauvest, »ich muß Ihnen mittheilen, daß ich gestern zwei Fässer Wein, eins mit Markobrunner und eins mit Rüdesheimer Berg, habe abziehen lassen, und wie ich eben von meinem Küfer höre, hat er beim Siegeln den Lack verwechselt, was schuld an dem Irrthum ist; Herr Handor hat Recht, es ist allerdings Rüdesheimer Berg.«

»Alle Wetter,« rief Hauptmann von Seidlitz, »die Zunge muß Handor viel Geld gekostet haben!«

»Oder anderen Leuten,« meinte Pfeffer.

»Allen Respect übrigens vor Ihrer Zunge, Herr Handor,« fuhr Trauvest fort, »und wenn Sie das Theater aufgeben wollten, möchte ich Sie wohl als Reisenden engagiren; Sie sollten ganz vortreffliche Provisionen bekommen.«

»Herzlichen Dank, lieber Trauvest,« lachte der erste Liebhaber, »bin von Ihrer Güte überzeugt, befinde mich aber doch jetzt noch besser so. Sollte ich aber wirklich einmal in den Fall kommen...«

»Dann wenden Sie sich nur an mich, ich halte mein Wort,« nickte der alte Mann.

»Apropos, Handor,« rief der Maler Arnold, der ihm gegenüber saß, »haben Sie schon die schöne Fremde gesehen, welche heute angekommen ist, die Gräfin Rottack? Die Familie ist hier nach Haßburg übergesiedelt.«

»Nein,« rief Handor; »ist sie hübsch?«

»Bildschön,« versicherte Arnold ganz in Feuer. »Sie wurde mir heute unter den Buden gezeigt, wo sie mit ihrem Manne und den Kindern spazieren ging; ein reizendes Wesen mit einem von den Gesichtern, die der liebe Gott nur wenig Begünstigten mitgegeben, und denen man auf den ersten Blick gut sein muß. Und was für wunderbar goldenes Haar sie hat! Ich bin ihnen eine Weile nachgegangen, nur um die Sonne auf dem Haar blitzen und leuchten zu sehen.«

»Meiner Seel',« rief Pfeffer »wenn Sie so entzückt von rothen Haaren sind, weshalb malen Sie denn nicht einmal meine Schwester, die Bassini? Die brennt.«

Alle lachten.

»Der Pfeffer ist doch ein ganz nichtsnutziger Patron, nicht einmal seine eigene, leibliche Schwester kann er ungeschoren lassen,« rief Berthel.

»Bah, ungeschoren,« sagte Pfeffer, »sie trägt eine Perrücke!«

»Lassen Sie mir die Bassini in Ruhe!« rief Höfken dazwischen; »das ist eine ganz brave Person, wenn sie auch sonst vielleicht ihre Wunderlichkeiten hat. Und wie ordentlich und ehrlich bringt sie sich mit ihrer kleinen Gage durch, daß sie nicht einen Pfennig Schulden in der Stadt hat!«

»Das kann Handor auch von sich sagen,« meinte Pfeffer.

»Ich wollte, es wäre wahr, Pfeffer,« bemerkte Trauvest trocken, und ein tolles Gelächter brach von allen Seiten los.

»Lacht nur,« sagte aber der erste Liebhaber, während sich ein spöttischer Zug um seine Lippen legte; »wir wollen aber einmal sehen, wer von uns hier heute über vier Wochen die wenigsten Schulden haben wird, Ihr oder ich.«

»Du hast wohl in die Lotterie gesetzt?« fragte Höfken.

»Nein, er heirathet eine Gouvernante und wird Gouverneur,« meinte Pfeffer.

»Thorheit,« rief Handor, »da kommt der Champagner, und nun Gläser her und ein volles Glas den schönsten Augen

Für den Augenblick war jedes weitere Gespräch gestört, denn das Einschenken, Anstoßen und Trinken beschäftigte die Anwesenden so vollkommen, daß sie nicht einmal den Eintritt eines neuen Gastes bemerkten.

Es war der junge Graf Monford, der gar nicht etwa so selten die Künstlerkneipe besuchte, weil er dort immer sicher war, gute Gesellschaft zu finden.

»Nun mußt Du uns aber auch Deine schönsten Augen nennen, Handor,« rief Höfken ihm zu, »denn wenn ich ihnen ein Glas bringen soll, muß ich auch wissen, an welchem Theile des Himmels diese Sterne stehen.«

»Nie indiscret, Kamerad,« lachte Handor, »Jeder von uns trinkt den Augen, die er für die schönsten hält.«

»Und in dem Sinne nehme ich auch ein Glas mit,« rief George Monford; »heh, Kellner, noch Champagner!«

Handor war bei der Stimme rasch herumgefahren, und für den Augenblick verlor sein Antlitz jede Farbe; aber in dem Tumult bemerkte es Niemand, und Handor hatte auch rasch genug seine Fassung wiedergewonnen.

»Graf Monford,« rief er erfreut, ihm die Hand entgegenstreckend und sie herzlich schüttelnd, »lassen Sie sich auch einmal wieder bei uns sehen?«

»Ich bin heute eigentlich nur hergekommen, um Sie auf ein paar Minuten zu sprechen,« sagte der junge Mann.

»Mich?«

»Nachher; eine Geschäftssache,« lachte George; »Sie brauchen nicht zu erschrecken. Also den schönsten Augen, meine Herren, und da ist wohl Keiner hier, der den Toast nicht mittränke.«

»Bitte um Verzeihung,« sagte Pfeffer, »wenn ich auf etwas Derartiges anstieße, so wäre es höchstens auf die »beste Brille«; der Teufel soll die schönen Augen holen, wenn man Abends nicht mehr damit lesen kann.«

»Hahaha, Freund Pfeffer, immer giftig!«

Graf George rückte jetzt mit zum Tisch und das Gespräch wurde allgemeiner; nur Handor war merkwürdig einsilbig geworden, und so ausgelassen lustig er im Anfange geschienen, so schweigsam zeigte er sich jetzt, daß es sogar den Tischgenossen auffiel. Wie er aber nacheinander ein paar Gläser des feurigen Trankes hinuntergestürzt, wurde er etwas lebendiger; doch lagen ihm immer noch die paar Worte auf dem Herzen, welche ihm der junge Graf vorher gesagt. Was wollte der von ihm? Eine Geschäftssache? War er dem Liebesverhältniß mit dessen Schwester auf die Spur gekommen und wollte ihn jetzt vielleicht gar fordern? Die Cavaliere nannten das eine Geschäftssache. Das Gefühl wurde ihm zuletzt so unbehaglich und drückend, daß er aufstand, hinter Graf George's Stuhl ging und, leise seine Schulter berührend, sagte: »Mein lieber Herr Graf, Sie wollten mir vorhin etwas mittheilen; wenn ich bitten dürfte, ich kann nicht mehr lange bleiben.«

»Ach ja,« rief George, indem er aufsprang und nach seiner Uhr sah, »meine Zeit ist ebenfalls um; sagen Sie einmal, lieber Handor,« fuhr er dann leise fort, indem er ihn unter dem Arm nahm und etwas bei Seite führte, »ich habe eine Bitte an Sie.«

»An mich?«

»Zuerst muß ich Ihnen die Mittheilung machen, daß wir morgen über acht Tage, also am Freitag, die Verlobung meiner Schwester Paula in unserem Hause...«

»Ihrer Schwester Paula....?«

»Bst, nicht so laut, die Sache ist noch Geheimniß, soll wenigstens nicht vor der Zeit öffentlich bekannt werden, und ich ersuche Sie auch deshalb um Ihre Discretion; also daß wir dann in unserem Hause Paula's Verlobung feiern, und ich wollte sie gern zu dem Tage, unter anderen Sachen die ich mir ausgedacht, mit der Aufführung irgend eines hübschen Stückes auf unserem kleinen Liebhaber-Theater überraschen. Haben Sie etwas recht Hübsches, Neues, das wir bis dahin noch lernen können, und sind Sie vielleicht selber im Stande, uns bei der Inscenesetzung und den Proben zu unterstützen? Aber es muß natürlich Alles heimlich betrieben werden, denn weder Braut noch Bräutigam dürfen etwas davon erfahren.«

»Herr Graf,« sagte Handor, und er mußte sich Mühe geben, die Worte heraus zu bringen, so hatte der Schreck über die all' seinen Hoffnungen drohende Nachricht seine Zunge gelähmt, »ich – ich glaube gewiß, daß ich etwas Passendes finde, und stehe Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«

»Danke Ihnen, lieber Handor,« sagte der junge Mann, indem er ihm die Hand drückte, »Sie werden uns dadurch unendlich verbinden; Sie wissen ja selber, wie meine Schwester das Theater liebt und dafür schwärmt. Irgend ein hübsches neues Lustspiel von Scribe vielleicht und nicht zu lang; aber Sie können am besten beurtheilen, was dafür passend ist.«

»Gewiß, Herr Graf, gewiß, ich – ich finde sicher etwas; nur – nur in diesem Augenblick...«

»Nun, natürlich läßt sich das nicht so Knall und Fall bereden,« sagte Graf George; »überlegen Sie sich die Sache, und bitte, geben Sie mir morgen Abend spätestens Nachricht. Ich muß jetzt fort, denn ich bin zu einer Whistpartie engagirt. Also, adieu Handor, auf Wiedersehen!« und damit reichte er ihm die Hand. »Guten Abend, meine Herren!«

Handor trat zum Tisch zurück und mußte sich merklich zwingen, seine ruhige Fassung zu bewahren. Er bestellte noch eine Flasche Champagner und trank hastig; aber die Gedanken ließen ihm nicht Ruhe, er mußte allein sein und stand endlich auf, die Gesellschaft, der seine Aufregung nicht entgehen konnte, zu verlassen.

Ein paar Gäste wollten ihn noch mit seiner Zerstreutheit necken; aber er ging nicht auf ihre Scherze ein und verließ endlich nach einer unbestimmten Entschuldigung das Zimmer.

Draußen an der Treppe, die hinauf auf die Straße führte, traf er Trauvest, an dem er mit einem kurzen Gruß vorüber wollte.

»Hören Sie, mein lieber Handor,« redete ihn dieser an.

»Ja, Trauvest?«

»Sie nehmen es mir nicht übel,« fuhr der Wirth freundlich fort, »aber ich muß Sie wirklich bitten, daß Sie mir wenigstens einen Theil Ihrer schmählich aufgelaufenen Rechnung zahlen. Ich selber habe meine letzte Weinsendung in den nächsten Tagen zu berichtigen und bin wirklich in Verlegenheit, wo ich das Geld hernehmen soll; ich würde Sie sonst doch noch nicht belästigen.«

»Hm, ja, Trauvest, wie viel bin ich Ihnen denn eigentlich so ungefähr schuldig?«

»Nun, es werden ohne das Heutige immer so eine dreihundert und einige siebzig Thaler sein.«

»Dreihundert, alle Teufel, das hat sich merkwürdig aufsummirt!«

»Ja, lieber Gott,« sagte Trauvest achselzuckend, »billige Weine trinken Sie nicht, und eine hübsche Zeit ist ebenfalls verstrichen, seit Sie die letzte Abzahlung machten.«

»Sie haben Recht, Trauvest,« sagte Handor, indem er seinen Paletot zuknöpfte; »den Wievielten schreiben wir heute?«

»Der Monat geht auf die Neige.«

»Am Ersten sollen Sie bedacht werden, Sie gehen vor.«

»Vergessen Sie's nur nicht, Herr Handor.«

»Gewiß nicht, alter Freund; guten Abend!« Und er stieg die Treppe hinauf, die hinaus in's Freie führte.

6.
Jeremias.

Ehe sie nur das kaum zweihundert Schritt von dort gelegene neue Wohnhaus des Grafen Rottack erreichten, waren Jeremias und die kleine lebendige französische Bonne, die aber ziemlich gut Deutsch sprach, schon die besten Freunde geworden, und selbst das kleine Helenchen schien sich so wohl bei ihrem neuen Wärter zu befinden, der auch fortwährend mit ihr lachte und plauderte, daß sie nicht die mindeste Furcht mehr vor ihm hatte. Nur der kleine Günther betrachtete ihn noch immer ein wenig scheu und mißtrauisch von der Seite – er konnte augenscheinlich noch nicht recht klug aus ihm werden, und dann war Jeremias doch auch eine von allen denen, mit welchen er bis jetzt verkehrt, so verschiedene Persönlichkeit, daß sich der kleine Bursche fast unwillkürlich von ihm zurückhielt.

Jeremias hatte aber jetzt auch in der That genug mit sich selber zu thun, denn so unbefangen er sich sonst in allen Lebensverhältnissen benahm, so fühlte er sich doch, als er in diesem Augenblick die neue und sehr elegante Wohnung des Grafen Rottack betrat, in einer so vollständig ungewohnten Sphäre, daß er einige Zeit brauchte, um sich hinein zu finden.

In Brasilien hatte er allerdings verschiedene Male mit Grafen und Gräfinnen verkehrt, aber das waren auch ganz andere Verhältnisse gewesen. Titel und Namen mochten sie allerdings gehabt haben, aber der äußere Glanz fehlte ihnen dort, der im alten Vaterland unter solchen Verhältnissen, wenn auch oft auf das Künstlichste, doch stets gewahrt und beobachtet wird, und so unbefangen er anfangs die Einladung zum Diner von dem jungen Grafen angenommen hatte, dessen er sich noch recht gut erinnerte, wie er mit der Violine in Santa Clara herumlief und bei Bohlos an dem nämlichen Tische sein Bier trank, an dem er selber ab und zu einsprach – so befangen fühlte er sich jetzt plötzlich, als er die betreßten Diener sah, die herzusprangen, als Graf und Gräfin das Haus betraten, und die Ehrfurcht bemerkte, mit der das junge Paar von allen Seiten behandelt wurde. Ja, er kam in die größte Verlegenheit, als er Helenchen auf den Boden gesetzt hatte und einer der Diener zusprang und ihm den Hut abnahm, während ein anderer – was er eben an Graf Rottack gethan – auch zu ihm kam, um ihm den Oberrock auszuziehen.

»Bitte,« sagte Jeremias erschreckt, »ich habe nur den einen an und kann doch...« – er hielt plötzlich inne, denn er sah, wie sich die Bonne nur mit Gewalt das Lachen verbiß, und der Diener selber trat etwas bestürzt zurück, weil er bemerkt, daß er den Fremden in Verlegenheit gebracht.

»Kommen Sie nur herein, alter Freund,« rief Rottack, der verhindern wollte, daß er sich vor den spottlustigen Dienern eine Blöße gab, »und thun Sie, als wenn Sie hier zu Hause wären! – Ist das Essen fertig?«

»Es kann jeden Augenblick servirt werden, Herr Graf.«

»Schön, dann lassen Sie auftragen.«

Jeremias folgte der freundlichen Einladung, aber er war noch weit davon entfernt, sich behaglich zu fühlen. Erstlich hatten sie ihm seinen Hut weggenommen, und er wußte jetzt nicht, was er mit seinen Händen anfangen sollte; dann hatte er vergessen, sich draußen abzutreten, und auf dem Teppich hier, den er so schön noch auf keinem Tische gesehen, sollte er jetzt mit den staubigen Stiefeln herumlaufen.

Rottack aber, der sich etwa denken konnte, was in der Seele des kleinen Mannes vorging, und der fest entschlossen schien, ihm jede Verlegenheit zu ersparen, machte all' seinen Bedenklichkeiten ein rasches Ende, indem er ihm ohne Weiteres einen Stuhl zum Tisch rückte, auf den schon einer der aufmerksamen Diener ein Couvert für den Gast gelegt hatte, und ausrief: »So, Jeremias, nun setzen Sie sich daher, und Helene, die den Augenblick zurückkommt, soll sich zu Ihnen auf die Seite und Günther auf die andere setzen, und nun unterhalten Sie sich nur noch einen Augenblick mit den Kindern, ich bin gleich wieder bei Ihnen.«

Jeremias sah sich um – die Diener, vor denen er sich am meisten genirte, hatten ebenfalls das Zimmer verlassen, und die Bonne war damit beschäftigt, die Kinder ihrer Hüte und Mäntelchen zu entledigen, die das Kindermädchen dann in deren Stube hinübertrug – Jeremias war sich selber überlassen, in dem Fall brauchte er nur wenige Minuten, um mit dem kleinen Günther Freundschaft zu schließen. Im Handumdrehen fertigte er ihm aus der goldenen Düte, die er auf ein paar der Suppenteller ausleerte, eine Mütze, und wie Felix zurückkam, hatte er ihn auf dem Knie reiten, und der kleine Bursche lachte und schrie vor Lust und Vergnügen, als das »Pferdchen« mit ihm durchging und in immer wilderen Sätzen Hopp, Hopp machte.

Felix lachte, als er wieder in's Zimmer trat und Helenchen eben auf das andere Knie des kleinen freundlichen Mannes hinaufkletterte, um mit Theil an dem wilden Ritt zu nehmen.

Helene kam jetzt ebenfalls zurück, und die Suppe wurde gebracht; das kleine Volk mußte Ruhe geben und Alle nahmen ihre bestimmten Plätze ein.

»'s ist doch aber wirklich merkwürdig,« sagte Jeremias, »wie sich so Leute auf der Welt wiederfinden können.«

»Sie hätte ich allerdings hier nicht vermuthet,« lächelte Felix. »Nun erzählen Sie uns aber auch einmal vor allen Dingen Alles, was Sie selber betrifft, und wie Sie besonders wieder nach Deutschland zurückgekommen sind. Sie können glauben, daß wir uns dafür interessiren.«

»Na, denke doch,« schmunzelte Jeremias, der, wie er nur erst einmal die Serviette um und den Suppenteller vor sich hatte, auch alles Neue und Fremdartige vergaß, was ihn umgab. »Aber sehen Sie, Herr Graf, wie Sie damals weggingen – Jemine war das eine Zeit, wie wir den großbrodigen Herrn von Reitschen los wurden und den guten Herrn Sarno wiederkriegten – damals...« – er sah sich vorsichtig um, ob keiner von den Dienern mehr im Zimmer war – »damals lief ich noch in Hemdsärmeln herum mit dem Einspänner, dem Handkarren, Sie wissen wohl, und putzte...« – die Bonne genirte ihn doch etwas, daß er nicht recht mit der Sprache heraus mochte – »nun, that allerlei Arbeit, was vorkam, hatte mir aber doch hübsches Geld dabei verdient, denn ich sparte wie ein Hamster und gab keinen Milreis unnöthig aus. Da starb gleich sechs Monate später Bodenlos – Sie kennen ja doch Bohlossen – er hatte sich richtig in aller Stille todtgesoffen, denn äußerlich merkte man ihm nie 'was davon an, und das Wirthshaus wurde verkauft.

»Buttlich, der mit Herrn von Reitschen herübergekommen und so eine Schwindelwirthschaft errichtet hatte, war schon drei Monate vorher durchgebrannt – der arme Baron verlor durch den Lump auch ein paar hundert Milreis, beinahe ein halbes Conto[1], und wenn Bohlossen sein Haus gut gehalten wurde, ließen sich Geschäfte damit machen. Herr Rohrland rieth mir auch zu...«

[1] Ein Conto de Reïs etwa 500 Dollars.

»Und wie geht es den guten Leuten?« fragte Helene.

»Vortrefflich,« nickte Jeremias – »Rohrland ist ein Mann bei der Spritze, immer auf dem Damme, immer fleißig, und die kleine Frau ein Mordswei –, eine prächtige Frau – und alle Jahre Kindtaufe, immer einen kleinen Jungen oder auch einmal ein Mädchen – es wimmelt nur so bei ihnen.«

»Und Sie kauften die Wirthschaft?« fragte Felix, während Helene still vor sich hin lächelte und die Bonne bis hinter die Ohren roth wurde.

»Na ob,« sagte Jeremias, wieder im alten Gleise, »das Haus ging spottbillig weg, das Inventar war ebenfalls zu bezahlen, was ich an Getränken und sonstwie brauchte, lieferte mir Herr Rohrland, und nun ging die Geschichte flott. In Santa Catharina hatte sich's ausgesprochen, daß wir einen guten Director in der Colonie hätten, der etwas auf seine Colonisten hielt, in Rio wurd's auch bekannt, und von allen Seiten kamen jetzt die Auswandererschiffe an, daß der Director und ich manchmal nicht wußten, wo uns der Kopf stand – aber Geld wie Heu. Es war ordentlich, als ob der Segen auf dem alten Hause läge, und wie ich mir noch ein neues dazu baute, hatte ich immer noch nicht Platz genug. Weil ich das baare Geld aber nicht wollte im Kasten liegen lassen – von wegen Buxen und Consorten, die mir damals keinen schlechten Schreck eingejagt –, kaufte ich Land dafür, was sie mir nicht stehlen konnten, und verdiente da wieder dran, Hand über Hand; kurz, in vier Jahren war ich ein gemachter Mann, und da erst, wie ich 'was hatte und es mit dem Besten in der Colonie aufnehmen konnte, kriegt' ich das Heimweh und beschloß, einmal wieder nach Deutschland zurückzukehren. Meine Häuser verkaufte ich um das Doppelte, was ich dafür gegeben hatte, meine Colonien verpachtete ich an arme Colonisten, die noch keinen eigenen Grund und Boden hatten, und – da bin ich...«

»Und wie haben Sie alle unsere Freunde in der alten Colonie verlassen?« fragte Felix – »was macht Sarno, und haben Sie nichts von Günther von Schwartzau mehr gesehen?«

»Herr Sarno ist noch immer der Alte,« erzählte Jeremias, emsig mit einem Gänseschenkel beschäftigt – »immer bei der Spritze, und die Geschichte geht jetzt dort wie am Schnürchen. Wer nicht in die Colonie paßt, den beißt er weg, und die Anderen befinden sich alle wohl, oder wenn sie's nicht thun, ist es ihre eigene Schuld. Einen andern Pfarrer haben sie auch, einen braven, ordentlichen Mann, der nie länger als eine halbe Stunde predigt...«

»Und von Schwartzau wissen Sie nichts?«

»Doch – im vorigen Jahr war er wieder in der Colonie und wohnte ein paar Wochen beim Herrn Director; er war lange krank gewesen und sah recht elend aus. Jetzt ging's ihm aber wieder besser, und kurz vorher, ehe ich wegging, hörte ich, daß er selber Director in San Sebastian oder Gott weiß, wie die neue Colonie heißt, geworden wäre.«

»Armer Günther!« seufzte Felix – »so treibt er sich noch immer in der Fremde umher und kann keine Ruhe finden...«

»Und was macht der Baron?« fragte Helene, der eine andere Frage noch am Herzen lag, die sie aber nicht wagte.

»Je, nun,« sagte Jeremias, »der Baron trägt immer noch dieselben Nankinghosen, die beim Waschen immer kürzer werden – armer Teufel – ne, lieber Freund, ich bin noch nicht fertig,« unterbrach er sich rasch und hielt mit beiden Händen seinen Teller, den ihm der aufwartende Diener, weil er ihn einen Augenblick außer Acht gelassen, gerade fortnehmen wollte.

Felix lachte und winkte, ihn in Ruhe zu lassen, und Jeremias, der seinen Gänseschenkel wieder vornahm, fuhr fort:

»Dem armen Teufel geht's eigentlich erbärmlich. Arbeiten kann er und will er nichts, und mit Vornehmthun giebt's in den Colonien nichts aus – der Buttlich betrog ihn, wie gesagt, um eine hübsche Summe – wie er's aus ihm herausgekriegt, weiß ich auch nicht. Nachher ließ er sich in ein Geschäft mit Herrn von Pultele – Hurrjeh!« unterbrach sich Jeremias plötzlich, weil er glaubte, einen Mißgriff gemacht zu haben.

»Erzählen Sie nur weiter,« lachte aber Felix – »also, Herr von Pulteleben ist auch noch in der Colonie...?«

»Jetzt nicht mehr,« sagte Jeremias, der puterroth geworden war und einen verzweifelten Blick nach Helenen hinüberwarf. »Es war eine Seele von einem Menschen, aber – aber ein bischen – ein bischen unpraktisch, und da kam er auf die unglückliche Idee, mit dem Baron eine Perlenfischerei an der Küste anzulegen.«

»Eine Perlenfischerei?«

»Ja, gewiß – und gefischt haben sie auch genug,« meinte Jeremias, »aber nicht einmal so viel Perlen gefunden, um sich eine Tuchnadel davon machen zu lassen, und da bekam es der Herr Baron denn zuerst satt – die Mittel erlaubten es nicht – und Herr von Pulteleben ging nachher nach Rio Grande, aber ich habe nichts weiter von ihm gehört.«

»Und die Gräfin Baulen,« sagte Helene ruhig, »ist sie noch in Santa Clara?«

»Ihre Frau Mutter? Gewiß!« rief Jeremias, der natürlich keine Ahnung von den dortigen Vorgängen haben konnte – »immer noch die Alte – sehr achtungswerthe Dame,« setzte er aber rasch und erschreckt hinzu – »ungeheure Betriebskraft, weiß immer etwas Neues, um zu speculiren – aber Graf Oskar ist fort...«

»Fort – wohin?« rief Helene rasch.

»Der liebe Gott weiß es,« sagte Jeremias achselzuckend – »mein Himmel, junges Blut will austoben, und Brasilien ist groß – Frau Mutter hatte eine kleine Schwierigkeit mit dem Bäckermeister Spenker und zog aus, miethete nachher ein kleines Haus gerade dem Baron gegenüber, und da war der junge Graf eines Morgens auf eine Entdeckungsreise ausgegangen, wie sie sagten, und konnte nachher selber nicht mehr entdeckt werden. Aber das Alles hat Ihnen gewiß Ihre Frau Mutter schon geschrieben – lieber Gott, in Brasilien geht das ja auch oft so, daß ein junger Mensch einen Platz satt bekommt und sich nach einem andern umsieht, der ihm besser gefällt!«

»Und was ist aus der Frau jenes Mörders, jenes Bux geworden?« fragte Felix, der das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen wünschte.

»Der geht's gut,« bestätigte Jeremias; »das war eine brave, rechtschaffene Frau, und wie sie sich nur erst einmal von der schlechten Behandlung erholt hatte, schaffte sie tüchtig. Ihre Kinder brachten wir rasch bei Colonisten unter, und nachher habe ich sie selber in das Hotel genommen, wo sie sich vortrefflich betragen hat. Sie ist jetzt noch dort und verdient sich hübsches Geld...«

»Und jener Bux?«

»Nun, den haben sie nach Rio gebracht und dort wahrscheinlich gehangen oder in's Loch gesteckt. Ich habe nie etwas Weiteres von ihm gehört.«

»Aber ein sonderbares Zusammentreffen ist es doch,« lächelte Helene, »daß wir uns hier gerade in Haßburg wiedersehen sollten...«

»Und noch dazu den ersten Tag, wo ich hier bin!« rief Jeremias.

»Apropos, Sie wollten mir ja erzählen, was Sie gerade nach Haßburg geführt,« sagte Felix, »denn wie Sie selber sagen, stammen Sie gar nicht aus der Gegend...«

»Hm,« meinte Jeremias und warf einen Blick über die Schulter nach dem aufwartenden Diener und dann nach der Bonne hinüber, »das ist auch eine etwas längere Geschichte.«

»Also dann beim Kaffee,« nickte der junge Graf, dem es nicht entgangen war, daß der kleine Mann noch etwas Anderes auf dem Herzen hatte – »aber vorher noch ein Glas Wein, Jeremias, wie? Machen Sie keine Umstände, Mann, der Wein ist trinkbar.«

»Famoser Stoff!« bestätigte Jeremias, der indessen mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache war, denn es ging ihm im Kopf herum, daß sich die junge Gräfin eigentlich gar nicht so lebhaft nach ihrer »Mutter« erkundigt hatte, wie er wohl erwartet haben mochte, und auch über das Verschwinden ihres Bruders nicht im Mindesten aufgeregt erschien. Aber sie mußte es jedenfalls schon früher brieflich erfahren haben, und wußte vielleicht sogar, wo er stak. Daß er ihm selber noch eine nicht unbeträchtliche Summe schulde, erwähnte er nicht; er besaß, trotz seiner rauhen Hülle, zu viel Zartgefühl, und doch hatte es ihm Rottack entweder angemerkt oder es sich auch nur gedacht – und große Definitionsgabe gehörte allerdings nicht dazu.

Aber die Tafel wurde jetzt abgeräumt und dann der Kaffee gebracht. Die Bonne verließ mit den Kindern den Speisesaal, und das junge Paar war mit Jeremias allein.

»Und nun, mein alter Freund,« sagte Felix, »schießen Sie einmal los – Sie haben noch etwas auf dem Herzen.«

Jeremias war eigentlich nicht wenig froh, daß er dieses Diner glücklich überstanden hatte, denn er fühlte sich, so lange es dauerte, fortwährend in einer gewissen Aufregung, aus Furcht, irgend einen Mißgriff zu begehen. Aber es schien doch ziemlich gut abgelaufen zu sein, denn das ausgenommen, daß er von den ihm präsentirten Speisen hartnäckig die Gabel abgenommen und neben sich gelegt hatte, so daß er sich zuletzt im Besitze von sieben oder acht solcher Instrumente fand und über den Vorrath selber erschrak, war nicht das geringste Ungehörige vorgefallen. Jetzt aber wurde er plötzlich, ohne die geringste scheinbare Ursache, feuerroth und sagte, viel verlegener, als er sich nur je gezeigt: »Hm, ja, Herr Graf, ich – ich wollte eigentlich – Schwerebrett, Sie lachen mich aber aus, wenn ich's Ihnen sage – die Frau Gräfin lacht jetzt schon.«

»Gewiß nicht, Jeremias, wenn es etwas Ernstes ist,« lächelte Helene, der die Unruhe des kleinen Mannes allerdings komisch vorkam.

»Ja, ernst wär' es schon,« nickte ihr Gast leise mit dem Kopf vor sich hin, »aber – lachen werden Sie doch,« setzte er resignirt hinzu, »denn eigentlich könnte ich selber darüber lachen, wenn – wenn...« – Er stak fest und nahm sein Taschentuch heraus, um sich damit die Stirn und den Kopf abzutrocknen, denn die Stirn ging ihm fast bis hinten in die Halsbinde hinunter.

»Also erzählen Sie, Jeremias,« sagte Helene freundlich; »Sie wissen ja, daß wir es gut mit Ihnen meinen, und wenn Ihnen Felix bei irgend etwas behülflich sein kann, so bin ich fest überzeugt, daß es ihm die größte Freude machen wird.«

»Ich auch, Frau Gräfin, ich auch,« bestätigte Jeremias treuherzig und leerte dabei das Glas, das ihm der junge Graf noch einmal vollgeschenkt hatte, wie um sich Muth zu machen, auf Einen Zug. »Und Sie sollen's auch erfahren,« setzte er dann hinzu – »Sie sollen's erfahren, denn ich weiß, Sie meinen es gut mit mir. Aber erst erlauben Sie mir, daß ich eine Tasse Kaffee trinke – der starke Wein ist mir in den Kopf gestiegen, und ich möchte kein dumm Zeug schwatzen – es ist so schon, wie's ist – so, danke Ihnen, und nun sollen Sie meine Lebensgeschichte hören, aber ganz kurz, ich bin im Augenblick damit fertig, denn es ist Alles ungeheuer geschwind gegangen und eigentlich gar nicht viel zu erzählen – wenn nur eben die Frau nicht wäre.«

»Die Frau?«

Jeremias seufzte tief auf, trank seinen Kaffee, den ihm Helene selber eingeschenkt, und begann dann: »Ich war ein leichtsinniger Strick in meiner Jugend, lief meinem Alten fort und ging zum Theater.«

»Zum Theater?« lachte Felix erstaunt.

»Das heißt, ich wirkte im Chor,« fuhr Jeremias fort, »und half mit beim Ballet, und damals war ich auch noch schlank und geschmeidig und hatte die Beine dazu. Ich verdiente auch, was ich brauchte, als einzelner Mensch nämlich, aber da kam – und jetzt werden Sie lachen, Frau Gräfin – da kam die Liebe und ich heirathete!«

»Sie sind verheirathet, Jeremias?« riefen beide Gatten zugleich und erstaunt aus.

»Ja, wenn ich's nur selber wüßte,« sagte Jeremias mit einem höchst komischen Ausdruck von Verzweiflung in den Zügen – »das ist ja eben das Unglück, daß ich nicht weiß, ob ich's bin oder ob ich's war, und deshalb bin ich ja wieder nach Deutschland zurückgekommen!«

»So wissen Sie nicht, ob Ihre Frau noch lebt?«

»Das ist die Geschichte, und auf den Kopf haben Sie's getroffen, Frau Gräfin – aber hören Sie. Meine Frau war brav und gut und ebenfalls beim Theater. Sie spielte kleine Rollen, und wir Beide verdienten etwa so viel, wie wir brauchten. Da wurde sie krank und entlassen, die Familie vermehrte sich ebenfalls, und...« – Jeremias wurde hier augenscheinlich so verlegen, daß er eine ganze Weile kein Wort weiter vorbrachte. Er trank an seinem Kaffee, er zupfte an seinem Rock und rückte auf seinem Stuhl herum. Endlich aber, da er doch wohl merkte, daß es nicht so fortging, nahm er sich mit Gewalt zusammen und platzte heraus – »und ich wurde liederlich – Sie dürfen mir's glauben, Frau Gräfin, ein ganz liederlicher Strick – ich trank und spielte und setzte meiner Schlechtigkeit endlich, als sich meine brave Frau von mir scheiden ließ, die Krone auf – und lief davon. So, Gott sei Dank, jetzt ist das Schlimmste heraus und Sie wissen's nun einmal – das Andere ist Kleinigkeit,« fuhr er, tief Athem holend, fort. »Ich trieb mich erst eine Weile in Deutschland herum, Jahre lang, bis ich das Brod nicht mehr hatte; dann schiffte ich nach Amerika über und versuchte es da, aber es ging auch nicht. Das alte Leben steckte mir noch in den Gliedern, und anstatt Geld für Frau und Kind nach Haus zu senden, verthat ich, was ich verdiente, bis zuletzt die Reue kam. Hurrjeh, hab' ich mir damals Grobheiten gemacht und mich selber vorgekriegt – aber es half! Ich nahm mir vor, ein ordentlicher Kerl zu werden, und um aus all' der Gesellschaft herauszukommen, in der ich mich in Amerika herumgetrieben, ging ich zu Schiff nach Brasilien.

»Dort fing ich ein anderes Leben an. Ich war nie gewohnt gewesen, viel zu arbeiten – in Brasilien streifte ich die Ärmel in die Höh' und ging scharf dran. Sie wissen's selber, Sie haben mich dort schaffen sehen, und nachher ging's. Die ganzen langen Jahre hatte ich aber nicht an zu Hause gedacht oder, wenn ich dran dachte, mit Gewalt nicht dran denken wollen. Was konnt's auch helfen, was wollte ich zu Hause anfangen, so lange ich nichts hatte! Wie ich aber anfing, zu Geld zu kommen, und wie es sich mehrte und mehrte und ich anfing, reich zu werden, da kam die Reue über das Vergangene noch viel stärker, wie nach meinem liederlichen Leben. Da kam das Heimweh, da ging mir der Gedanke im Kopf herum, daß meine arme Frau vielleicht doch nicht aus Kummer und Gram gestorben wäre und hier noch in Sorge und Noth lebe. Jetzt schrieb ich nach Deutschland, um ihre Adresse zu erfahren, aber umsonst; kein Mensch konnte mir Nachricht geben, und auf die meisten Briefe bekam ich nicht einmal eine Antwort. Am liebsten hätte ich mich da auch gleich selber aufgepackt und wäre herübergefahren, aber die Zeiten waren zu günstig, ich verdiente zu rasch und wollte noch mehr, und bekam mehr. Da litt's mich denn endlich nicht länger in dem Brumsilien drüben, und mit dem Dampfer bin ich herübergekommen, um nur recht geschwind wieder da zu sein.«

»Und haben Sie Ihre Frau gefunden?« rief Helene rasch, die mit inniger Theilnahme der kleinen, einfachen Erzählung gefolgt war.

»Das ist ja gerade der Teufel – bitte tausendmal um Entschuldigung!« sagte Jeremias, sich wieder den Schweiß abtrocknend. »Seit sechs Wochen rutsche ich jetzt im Lande herum und kann nichts Genaues erfahren. Zuerst war ich in Regensburg, wo wir damals wohnten – und glücklicher Weise kannte mich dort Niemand mehr – und da hieß es, daß sie schon vor langen Jahren nach Erlangen gezogen und wieder zum Theater gegangen wäre. Ich nach Erlangen. Dort erfuhr ich gar nichts, als daß sich die Theater-Gesellschaft von jener Zeit nach Preußen und zwar an den Rhein gewandt habe. Ich an den Rhein. In Mainz traf ich zufällig einen Menschen, der mir erzählte, dort wohne noch ein alter Schauspieler und gäbe jetzt Clavierstunden – zu dem ging ich – ich kannte ihn wohl, aber er mich nicht mehr, von wegen der Glatze, und der sagte mir jetzt, daß meine Frau wieder ihren Mädchennamen angenommen hätte und nach Frankfurt gegangen wäre. Ich nach Frankfurt, und keine Spur mehr gefunden, Wochen lang, bis ich vorgestern in Köln wieder einen alten Schauspieler traf, der behauptet, er habe den Namen in einer Theaterzeitung gelesen. Jetzt machten wir uns über die alten Zeitungen her – da ich ein paar Flaschen Wein kommen ließ, arbeitete der Alte mit wie ein Pferd –, und nach sechs oder acht Stunden Suchens faßten wir den Artikel, der mich wieder Hals über Kopf hierher nach Haßburg jagte.«

»Und sie ist hier?« rief Felix.

»Ja, das weiß ich noch nicht,« seufzte Jeremias, »denn wie Sie mich trafen, war ich ja auch erst eben angekommen und wollte mich gerade umsehen, ob ich nicht vielleicht Einem vom Theater unterwegs begegnete, denn die kennt man gleich, und wenn sie noch so einfach angezogen gehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber einen Theatermenschen will ich unter Tausenden herausfinden.«

»Aber Sie wissen also den Namen?« sagte Felix – »dann muß es ja doch die größte Kleinigkeit sein, sie hier aufzufinden.«

»Allerdings,« erwiderte Jeremias kleinlaut – »ihr Theatername war damals Bassini, und ein Fräulein Bassini soll auch hier an der Bühne engagirt sein, der Theaterzeitung wenigstens nach, aber...«

»Aber?«

»Aber,« stöhnte Jeremias, »jetzt, da ich meinem Ziel so nahe bin, habe ich eine Heidenangst bekommen, allein zu ihr zu gehen – alle meine Sünden fallen mir bei, und – und ich wollte wahrhaftig manchmal, ich – wäre wieder in Brasilien!«

»Und sind Sie nicht hergekommen, um gut zu machen, was Sie früher verschuldet haben?« sagte Helene herzlich.

»Ja, das wohl – aber...«

»Ich gehe mit Ihnen, Jeremias,« rief Graf Felix lachend, »ich helfe Ihnen Ihre Frau suchen!«

»Ach, Herr Graf,« sagte der kleine Mann verlegen, »wenn Sie – wenn Sie das thun wollten, da wäre mir ein wahrer Berg vom Herzen herunter!«

»Ich gehe mit Ihnen,« bestätigte Graf Rottack aber noch einmal, denn theils nahm er wirklich Interesse an dem kleinen verzweifelten Manne, da ihm dieser wieder alle die alten transatlantischen Erinnerungen, als ein Stück selber von daher, so lebendig in der Seele wach gerufen, und dann machte es ihm auch Spaß, von der Entwickelung dieses kleinen Dramas Zeuge zu sein.

»Und wann wollen Sie gehen?« fragte Helene.

»Ja, heute ist es zu spät,« rief Rottack, »aber den heutigen Abend verwenden Sie dazu, die Wohnung Ihrer geschiedenen Frau aufzufinden, und dann holen Sie mich morgen Mittag um zwei Uhr ab! Ist Ihnen das recht? Ich kann nicht früher.«

»So wollen wir's machen,« rief Jeremias, ihm treuherzig die breite Hand entgegenstreckend – »jetzt hab' ich auch wieder Courage, und morgen wissen wir dann gleich, woran wir sind!«

»Wollen Sie schon fort?«

»Wenn Sie mir erlauben, Frau Gräfin, ja, denn der Boden fängt mir an, unter den Füßen zu brennen, bis ich Alles heraus habe. Aber morgen Mittag punkt zwei Uhr bin ich wieder hier.«

»Rauchen Sie, Jeremias?« fragte Felix.

»Wo werd' ich nicht!« meinte der kleine Mann, indem er eine der ihm gebotenen Havannas mit einem Kratzfuß annahm – »wissen Sie denn wohl noch, wie wir einmal in der...« – Er wurde auf einmal feuerroth im Gesicht, denn er fühlte, daß er wieder eine Dummheit begangen – »reden wir nicht mehr davon,« brach er auch kurz ab, indem er sich die Cigarre an dem Licht, das ihm einer der eben eintretenden Diener brachte, anzündete und diesem dann sehr freundlich dafür dankte – »und nun leben Sie wohl und nehmen Sie's nicht übel, daß ich Sie so lange gelangweilt habe!«

»Und haben Sie guten Muth, Jeremias – Felix wird Alles in Ordnung bringen,« lächelte Helene freundlich.

Jeremias nickte ihr dankend zu, drehte sich dann um und stieg wieder in das wilde Leben und Treiben hinaus, das noch immer in der Straße draußen auf und ab wogte.

7.
Die erste Begegnung.

Eben hatte es in der zu dem Schloß des Grafen Monford gehörenden Kapelle zwölf Uhr geschlagen, als die Gräfin mit ihrem Gemahl, den Kiesweg am Flusse herabkommend, von einem Spaziergange zurückkehrte. Sie gingen dem Schlosse zu.

Der Park lag still und einsam wie immer; weit unten am Drahtzaun äs'ten sich ein paar Stück Damwild, und mitten auf der Wiese kroch eine gebückte Menschengestalt, der ein kleiner Hund folgte, herum; sonst ließ sich nichts Lebendes erkennen.

Es war das der Maulwurfsfänger, der nach seinen Fallen gesehen hatte und die ertappten Übelthäter in ihren schwarzen Pelzen, weniger als Warnungszeichen für die übrigen, sondern mehr als Beweis seiner Thätigkeit und seines Erfolges, an schwanken Ruthen mitten auf dem Rasen aufhing.

Jetzt schien er mit seiner Arbeit vor der Hand zu Ende; möglich auch, daß er sich nur ausruhen und dabei sein Mittagsbrod verzehren wollte. Er schritt zu der nächsten Linde, die dicht an dem Kiesweg stand, und wo er zugleich Schutz gegen die heute ziemlich warm brennende Sonne fand. Dort legte er seinen Ranzen ab und neben sich, nahm ein Stück Brod und Wurst heraus, wie eine kleine Flasche mit Branntwein, zog seinen Genickfänger vor und begann, während der Spitz vor ihm saß und ihn mit etwas seitwärts gebogenen Kopf aufmerksam betrachtete und jedem Bissen, den er zum Munde führte, mit den Augen folgte, seine Mahlzeit.

Die beiden Spaziergänger, welche auf demselben Wege herankamen, an dem er saß, mußte er jedenfalls bemerkt haben; der Spitz markirte sie auch ein paar Mal, indem er dort hinübersah. Der Alte nahm aber nicht die geringste Notiz von ihnen; wußte er sich ja doch auch hier in seinem vollen Recht und in seinem Beruf, und der Platz unter der Linde, so lange er dort saß und Rast hielt, gehörte ihm.

»Nicht wahr, um zwölf Uhr hatten sich Rottacks ansagen lassen?« fragte die Gräfin, nachdem sie eine Weile schweigend neben ihrem Gemahl hergeschritten war.

»Ja, mein Kind,« sagte der alte Herr, »eben schlug es Zwölf; aber unsere Uhr geht einige Minuten vor. Wir werden gerade zur rechten Zeit wieder oben sein.«

»Ich möchte nur wissen,« fuhr die Gräfin nach einer kurzen Pause fort, »was die junge Frau für eine Geborene ist. Sonderbare Sitte das, auf seine Karte nichts zu setzen, als ganz einfach: Graf Rottack und Frau, gerade als ob er ein Schuhmacher oder Schneider wäre.«

»Mein liebes Herz,« lächelte der Graf, mit den Achseln zuckend, »er wird mit der Abstammung seiner Gemahlin wahrscheinlich keinen Staat machen können und ist klug genug, sie ganz wegzulassen.«

»Diese Aufmerksamkeit gegen uns ist doch auch wirklich ganz außerordentlich; wie ich vorhin gehört habe, sind die Herrschaften erst gestern hier eingetroffen.«

»Wir werden etwas vorsichtig mit diesem Umgang sein müssen,« bemerkte der Graf, »bis man wenigstens Genaueres über die Familienverhältnisse erfährt. Der junge Rottack hat mir übrigens so weit ganz gut gefallen; nur ein wenig sehr ungenirt ist er, wie alle die Herren, welche sich eine Zeit lang in fremden Welttheilen und unter Republikanern herumgetrieben haben.«

»Ist seine Frau eine Deutsche?«

»Ja, mein Herz, da fragst Du mich zu viel; ihrem Ansehen nach jedenfalls, denn wenn ich nicht irre, hat sie blonde Haare. Aber wir werden ja sehen. Behagt uns der Umgang nicht oder stellt sich etwas dagegen heraus, so giebt es Mittel und Wege genug, ihn in der freundlichsten Weise wieder abzubrechen oder wenigstens zu erschweren, und sind unsere Befürchtungen unbegründet, so haben wir vielleicht einen sehr angenehmen Zuwachs unserer, doch eben nicht sehr zahlreichen Gesellschaft erhalten.«

Sie hatten in diesem Augenblick die Stelle erreicht, an welcher der Maulwurfsfänger sein frugales Mittagsbrod verzehrte.

»Guten Tag, Herr Graf! Guten Tag, Frau Gräfin!« sagte der Bursche, ohne sich übrigens in seiner Beschäftigung stören zu lassen oder dieses Mal auch nur eine weitere Ehrfurchtsbezeigung für nöthig zu halten, als ein etwas Höherschieben der alten Mütze mit dem Rücken der Hand, in der er das Messer hielt.

»Guten Tag, mein Mann!« sagte der alte Herr, während die Gräfin ihn durch die Lorgnette betrachtete, und war schon halb vorüber, als er noch einmal stehen blieb und, den Kopf zurückwendend, fortfuhr: »Hör' einmal, Freund, der Förster beklagt sich fortwährend über Dich und liegt mir stets in den Ohren, ich solle Dir das Betreten meiner Grundstücke verbieten.«

»Nachher soll ich die Maulwürfe wohl von der Grenze aus mit Sympathie vertreiben?« lachte der Bursche still vor sich hin und schob wieder ein Stück Brod und Wurst in den Mund.

»Von den Maulwürfen ist hier keine Rede,« erwiderte der alte Herr, weniger vielleicht durch die Antwort, als durch das heute so unehrerbietige Benehmen des alten Burschen gereizt; »wie mir der Förster sagt, fängst Du aber auch noch andere Dinge, als Maulwürfe, und meine Leute haben jetzt strengen Befehl, Dir auf den Dienst zu passen. Erwischen sie Dich dabei, oder beträgst Du Dich auch nur ein einziges Mal selbst verdächtig, so nimm Dich in Acht!«

»Werde so frei sein,« brummte der Mann vor sich hin.

»Auch verbiete ich Dir von jetzt an, Dich nach Sonnenuntergang hier herumzutreiben; Du kannst Deine Maulwürfe bei Tage fangen, und nun Gott befohlen!« setzte er rasch hinzu, als ob er fürchte, noch eine Antwort zu erhalten. Er hatte sich mit dem Menschen schon zu lange aufgehalten.

Damit wanderte er mit der Gräfin wieder langsam den Kiesweg entlang, der dem Schlosse zuführte, und der Maulwurfsfänger, den Kopf ihnen nachgedreht, sah noch eine ganze Weile hinter ihnen drein. Endlich wandte er sich gegen seinen Hund und sagte: »Hast Du's gehört, Spitz, was der gnädige Herr Graf befohlen?«

Der Spitz trippelte ein paar Mal mit den Vorderfüßen, hob dann die Nase in die Höhe und nieste kurz.

»So? Na, das ist mir lieb,« erwiderte sein Herr, »nun thu mir auch den Gefallen und richte Dich danach. Weißt Du, was es setzt, wenn sie Dich wieder einmal nach Sonnenuntergang hier erwischen, heh, weißt Du's?«

Der Spitz trippelte stärker und nieste noch einmal.

»Na, dann brauchen wir über die Sache kein Wort mehr zu verlieren,« nickte der Alte und lachte still vergnügt vor sich hin, fuhr aber dabei in seinem Selbstgespräch, ohne sein Kauen jedoch zu unterbrechen, fort: »Merkwürdig doch, wie die Kinder oft mit einem geladenen Schießgewehr spielen, und wie leicht kann's losgehen und bläst ihnen dann die ganze Ladung mitten in's Gesicht hinein! Und die Frau Gräfin, wie sie den Staub hinter sich vom Kieswege auffegt; eigentlich sollte der Gärtner seinen Arbeitsweibern auch so ein Ding, so eine Crinoline und Schleppe hinten dran kaufen, dann könnte er das Rechen sparen das ganze Jahr, und schickte die nur jeden Morgen spazieren durch den Park. Frauenvolk, Frauenvolk,« rief er kopfschüttelnd, indem er seinem Spitz ein Stück Wurst zuwarf, das dieser geschickt fing und schwanzwedelnd verzehrte, »'s ist nicht zu glauben; und wie sie mich mit der Lorgnette betrachtete, – muß doch ein verdammt schwaches Gedächtniß haben, denn nahe genug hat sie mich doch schon gesehen – und nicht einmal mit der Brille; 's ist merkwürdig, und der Hochmuthsteufel scheint ihr alle anderen Dinge rein aus dem Kopf gejagt zu haben, denn mir steht sie noch vor Augen, als ob es erst gestern gewesen wäre.«

Der Spitz knurrte und drehte den Kopf nach rechts.

»Hallo,« fuhr der Maulwurfsfänger fort, indem er rasch dorthin sah, »wer kommt da? Besuch? Na, nicht zu uns Beiden, Spitz; so vornehm treiben wir's nicht mehr.«

Es waren ein Herr und eine Dame, hinter denen etwa fünfzig Schritte weiter zurück ein Diener in Livrée folgte.

»Ich dachte es, Helene,« sagte Graf Rottack, als er mit ihr auf dem Weg herankam, »daß wir ein wenig zu früh eingetroffen wären; aber die Herrschaften sind jetzt nach dem Hause zurückgekehrt, um uns zu erwarten, und siehst Du, da drüben liegt es schon. Nur jetzt Herz gefaßt,« setzte er leise hinzu, »nur jetzt keine Schwäche gezeigt, denn es ist das erste und deshalb auch für Dich das peinlichste Begegnen; aber da zeige auch, daß Du die Seelenstärke besitzest, die Du mir ja schon so oft bewiesen.«

»Hab' keine Furcht, Felix,« erwiderte Helene, »ich werde Dein Vertrauen rechtfertigen. Ich bin stark, und wenn ich auch das Gefühl nicht abschütteln kann, daß mir im Innern genau so ist, als ob es mir die Brust zusammenschnüren wolle, äußerlich soll man mir nichts anmerken, ich stehe Dir dafür. Nur vor der allerersten Begrüßung scheu' ich mich; aber auch das geht ja rasch vorüber, und ich fürchte fast, die Frau Gräfin wird mir das sehr erleichtern.«

Sie waren während dieses Gesprächs dicht an den Maulwurfsfänger hinangekommen, der aber keinen Blick mehr auf sie warf und ruhig sein Mahl beendete. Erst als sie dicht vor ihm standen und Felix ihn anredete, sah er auf, und sein Blick haftete fest und wie erstaunt auf dem lieben Antlitz der jungen Frau.

»Lieber Freund,« redete ihn indessen Felix an, »können Sie mir nicht sagen, ob diese Fußspuren, die von einem Herrn und einer Dame herrühren und ganz frisch sind, dem Grafen und der Gräfin Monford gehören? Es wurde uns gesagt, sie gingen im Park spazieren.«

»Dort hinten können Sie noch in den Büschen das lichte Kleid der Gräfin erkennen,« sagte der Mann, der aber in diesem Augenblick ganz sein früheres mürrisches Wesen abgelegt zu haben schien. Wie seiner selber unbewußt, zog er dabei die Mütze vom Kopf und starrte den ihren Weg mit einem freundlichen »Danke!« Verfolgenden nach, als ob er eine Erscheinung gesehen hätte.

»Wunderbar,« murmelte er dabei leise vor sich hin, »hol' mich der Teufel, wunderbar; und gerade in diesem Augenblick, genau so, als ob es ein Geist gewesen wäre – und gerade an der Stelle!«

Der dem jungen Paar folgende Diener kam gerade vorbei und nickte dem unter dem Baum Sitzenden grüßend zu. Er war schon vorüber, ehe ihn der Alte anrief:

»Ach, lieber Herr, können Sie mir nicht sagen, wer die junge, schöne Dame da vorn war?«

»Meine Herrschaft, die Frau Gräfin Helene mit dem Herrn Grafen Rottack,« sagte der Mann und ging weiter; und der Alte blieb kopfschüttelnd in seiner Stellung und schnitt sogar ganz in Gedanken dem Hund die Überreste seines Mahles entzwei, das ihm dieser, ohne daß er es bemerkte, aus den Fingern herausnahm.


Rechts vom Schlosse und kaum hundert Schritt davon entfernt erhob sich ein kleiner Hügel, auf dem in früheren Jahrhunderten ein alter, wie die Sage ging, noch von den Römern gebauter Wartthurm stand. Der Platz war jetzt mit zur Anlage gezogen, der alte Thurm aber mit seinen unverwüstlichen Quadern im Eingange mit nicht geringer Schwierigkeit erweitert und zu einer Aussicht über das darunter hinlaufende Thal benutzt worden.

Es gab auch kaum einen Punkt in der ganzen Nachbarschaft, von dem man einen freundlicheren Blick über das drunten ausgebreitete Haßburg mit seinen Gärten und Anlagen und die dahinter weitgedehnten und meist bepflanzten und bebauten Hänge gehabt hätte.

Um den alten viereckigen Thurm herum lief eine kleine, niedere und mit Epheu dicht bewachsene Ringmauer, und selbst von hier aus waren Einschnitte durch die aus dem Bergabhang stehenden Bäume gemacht und die Zweige derselben künstlich so verschnitten worden, daß man wie durch einzelne Medaillons einen Blick hinaus in's Freie gewann. Immer aber blieb die Ringmauer zu hoch von Bäumen umgeben, um von hier unten aus eine freie Aussicht zu gewähren, und der Platz, so reizend er an sich sein mochte, wurde deshalb auch nur wenig benutzt. Höchstens dinirte die Herrschaft manchmal, besonders an recht heißen Sommertagen, hier, und hatte man Gäste, so wurde vielleicht der Kaffee dort eingenommen. Sonst kam nur der Gärtner hin, der ihn in Ordnung hielt und manchmal vielleicht die Aloepflanzen begoß, welche in den großen, aus Stein gehauenen, vasenartigen Töpfen auf der Ringmauer standen.

Aber Paula besuchte den Platz zuweilen ebenfalls, und auch heute wieder allein. Seit gestern wenigstens hatte sie mehr Freiheit bekommen. Der Vater mußte mit der alten, häßlichen Französin gesprochen und ihr etwas Unangenehmes gesagt haben; denn sie stichelte ein paar Mal darauf und vernachlässigte seit der Zeit besonders ihren Zögling auffallend; Paula athmete zum ersten Mal auf.

Sie kam allein den schmalen Weg herauf; aber für einen Spaziergang ging sie fast zu rasch, und oben an dem Thurm blieb sie plötzlich stehen und sah und horchte den Pfad zurück, ob ihr auch Niemand folge. Aber der alte Thurm lag so einsam wie je, und um dessen Mauern herumgleitend, trat sie zur dritten Aloevase an der Mauer, bog sich hinüber, fühlte vorsichtig mit der Hand und zog gleich darauf ein kleines, rosafarbenes, zusammengefaltetes Papier heraus, das sie zuerst an ihre Lippen drückte und dann, wieder mit einem scheuen Blick über die Schulter, öffnete.

Es enthielt weder Adresse noch Unterschrift, und nur die wenigen Zeilen:

»Mein Herz! Ich muß Dich heut Abend zwischen neun und zehn Uhr, und wenn es selbst noch später sein sollte, sprechen. Eine furchtbare Kunde ist zu meinem Ohr gelangt, die mich zum Denken unfähig macht. Ich muß Leben oder Tod von Deinen Lippen empfangen. Wann Du auch kommst, von neun Uhr an harr' ich Dein.

Ewig der Deine.«

»Also er weiß es,« sagte Paula, wie sie nur mit flüchtigen Blicken die Zeilen verschlungen hatte; »oh, mein Gott, was soll ich thun – armer, armer Rudolph – arme, arme Paula!«

Das Papier noch in der Hand, lehnte sie an der Ringmauer, stützte den Kopf in die Rechte und schaute mit thränengefüllten Augen in das Grün der Bäume hinein.

»Und da steckt meine kleine Schwärmerin,« rief plötzlich dicht hinter ihr eine laute, lachende Stimme, daß sie mit einem nur halb unterdrückten Schrei emporzuckte und zugleich das verrätherische Papier in der Hand zusammenknitterte. »Holla, und erschrickt sogar?« fuhr dieselbe Stimme fort, und sie erkannte ihren Bruder George, der mit Sporen und Reitpeitsche, wie er eben vom Pferd gestiegen, hier heraufgesprungen war. »Was hast Du, Mädel – und Thränen in; den Augen? Das ist kein Gesicht für ein Bräutchen!«

Paula, nur im ersten Moment überrascht, hatte ihre Geistesgegenwart schnell wiedergewonnen; von dem leichtherzigen und nichts weniger als mißtrauischen Bruder brauchte sie auch keine Entdeckung zu fürchten. Ja, wenn es ihr Drachen, Mademoiselle Beautemps, gewesen wäre!

»Ach, George,« sagte sie traurig, indem sie den jetzt fest zusammengeknillten Brief in ihre Tasche brachte, »mir ist auch nicht wie einer Braut zu Muthe, am wenigsten mit dem mir bestimmten Bräutigam. Ich will ja noch nicht heirathen.«

»Das sollst Du aber auch gar nicht, närrisches Kind,« lachte George. »Du hast ja beinahe noch ein volles Jahr Zeit, um Dir diesen »wichtigsten aller Schritte«, wie der Papa sagt, gehörig zu überlegen.«

»Aber was kann ich noch überlegen, wenn ich verlobt bin? Oh Gott, ich wollte, ich wäre ein armes, schlichtes Bauernmädchen, daß sich Papa und Mama nicht so viel um meine Heirath bekümmerten.«

George lachte laut auf. »Und glaubst Du, da wäre es anders?« rief der Bruder. »Da kennst Du unsere Bauern schlecht. Ist es ein »Vierspänniger«, so dürftest Du nur auch wieder den Sohn eines »Vierspännigen« heirathen, und wäre es gar ein »Sechsspänniger«, arme Paula, da hättest Du eine noch schlimmere Etikette durchzumachen. Alle Welt hält den Grundsatz oben: Gleich und Gleich gesellt sich gern.«

»Den Ihr nach Eurer Art verdreht, Du und der Vater,« rief Paula heftig; »ja, Gleich und Gleich gesellt sich gern, aber nicht das Gleich, das Ihr darunter versteht, Gold und Silber und der alberne Rang von Grafen und Baronen, sondern gleiche Herzen, gleiche Gesinnungen, gleiche Seelen, die Euch aber nicht gleich gelten; Herz, Seele, ja, das ist Nebensache, das findet sich außerdem, das sieht man ja auch nicht, das steckt inwendig und kommt deshalb auch nicht in Betracht; aber das Geld, der Rang, ja, freilich, das sind Sachen, die in die Augen stechen, wenigstens der Menge, und auf die muß geachtet, die muß berücksichtigt werden!«

»Jetzt sieh Einer den kleinen Philosophen an,« lachte George, »wer hätte das hinter dem Mädel gesucht!«

»Ach, laß mich zufrieden, Du spottest nur immer über mich!« »Nein, Schatz,« rief George rasch, »das thu' ich nicht; aber sage mir im Ernst, ob Du etwas gegen Hubert einzuwenden hast. Ist er nicht ein braver, tüchtiger Cavalier, und hat er Dich nicht von ganzem Herzen lieb?«

»Nicht halb so lieb, wie seine Pferde und Hunde,« erwiderte Paula bitter.

»Aber, Herzensmädchen, wie ungerecht Du jetzt bist,« rief George; »Hubert ist ein seelensguter Mensch, ein bischen jähzornig, ja, und daß er ein leidenschaftlicher Jäger und Reiter ist, wirst Du ihm doch wahrlich nicht zum Vorwurf machen wollen, wo Dein Vater und Bruder dieselben Leidenschaften theilen.«

»Aber deshalb soll ich ihn doch nicht etwa lieben? Er mag ja reiten und schießen, so viel er will, ich wahrlich werde ihn nicht daran verhindern. Aber weshalb muß er mich aussuchen, mich unglücklich machen wollen vor allen Anderen?«

»Unglücklich, Paula?«

»Ja, unglücklich,« sagte das arme Mädchen, indem ihm die hellen Thränen in die Augen traten; »ich will nichts von ihm wissen, ich will nicht heirathen, am wenigsten Deinen Hubert, sag' ihm das!«

»Du bist ein Kind, Herz,« lachte George über den fast kindischen Trotz der Schwester, »und kennst Hubert eigentlich noch nicht einmal genau. Lerne ihn erst kennen, Schatz, und wenn Du dann wirklich eine nicht zu besiegende Abneigung gegen ihn hast, dann will ich selber dem Vater zuzureden suchen, daß er Dich frei giebt.«

»Und weshalb da jetzt die Verlobung?«

»Das ist eine Idee von Mama,« sagte George achselzuckend, »Und der etwas auszureden, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hat, wird außerordentlich schwer fallen; aber ich bin fest überzeugt, daß Du glücklich mit ihm werden wirst.«

»Du bist überzeugt davon?«

»Ja, Schatz; sieh nur Papa und Mama an. Der alte Gärtner Janus, der jetzt schon vierzig Jahre in Papas Diensten ist, hat mir die Geschichte selber einmal erzählt; die Mama hat den Papa auch damals nicht geliebt, wie sie ihn heirathen sollte. Sie hat fortlaufen wollen und Gott weiß, was – und wie glücklich und zufrieden leben sie jetzt miteinander!«

»Die Mama hat den Papa auch nicht heirathen wollen?«

»Gott bewahre, mit Händen und Füßen soll sie sich gesträubt haben – wahrscheinlich auch mit solchen phantastischen Ideen –, aber Großvater war ein strenger Herr und ließ sich auf keine Unterhandlungen ein, und der Erfolg bewies zuletzt, daß er doch Recht gehabt.«

»Und weißt Du, was ihr armes Herz dabei gelitten haben mag?« sagte Paula mit tiefem Gefühl. »Könnt Ihr Männer in einer Frauenseele lesen?«

»Und ist der Vater nicht etwa brav und gut? Hat er sie nicht auf Händen getragen sein Leben lang?«

Paula sah seufzend vor sich nieder und sagte leise: »Ach, Du verstehst mich nicht, George!«

»Du verstehst Dich selber nicht, Herz,« rief George freundlich; »irgend ein Phantasiebild, das Du Dir heraufbeschworen, soll Dir jetzt in die Seele passen, und da es nicht paßt, fühlst Du Dich unglücklich. Komm, mach' wieder ein freundliches Gesicht; wer von uns Allen ist denn gewohnt, Dich traurig zu sehen, und wenn Du es bist, machst Du das ganze Haus unbehaglich – alle Wetter,« unterbrach er sich selber rasch, »da kommt Besuch, das werden Rottacks sein! Vaters Kammerdiener sagte mir schon, daß sie erwartet würden; komm lieber gleich mit hinunter, Du wirst doch sonst geholt.«

»Geh' voran, George,« bat Paula, »mir sind die Augen noch roth; ich komme gleich.«

»Aber mach' nicht zu lange; ich bin selber neugierig, unsere neuen Nachbarn kennen zu lernen. Bei Boltens wurde schon von ihnen gesprochen. Die Frau Gräfin soll eine ganz brillante Schönheit sein.«

»Geh nur voran, George, ich komme gleich nach,« sagte Paula und stand noch ein paar Secunden, als sie der Bruder schon verlassen hatte, und sah hinter ihm drein. Dann nahm sie den erhaltenen Brief aus der Tasche, riß ihn in unzählige kleine Stücke und streute die vom Luftzug fortgetragenen Fragmente über die Ringmauer in den Wald hinab. –

Während indessen Graf und Gräfin Monford ihre Wohnung betraten, meldete ihnen schon einer der Diener, daß Graf Rottack und Gemahlin nach ihnen gefragt, dann in den Park gegangen seien, um sie selber aufzusuchen, und nun dicht hinter ihnen herkämen. Das junge Paar war in der That kaum hundert Schritt hinter ihnen, und die beiden Herrschaften hatten nur eben Zeit gehabt, sich in das Empfangszimmer zurückzuziehen, als ihnen der Besuch auch schon gemeldet wurde.

Rottack betrat, Helene am Arm, den untern Saal, der, mit geöffneten Flügelthüren und einer kleinen, wohlgepflegten Terrasse davor, einen freundlichen, sonnigen Blick auf das weite Land bot. Graf Monford – während die Gräfin vom Sopha, auf das sie sich in der Geschwindigkeit niedergelassen, aufstand – ging ihnen entgegen, reichte Rottack die Hand und sagte herzlich: »Herr Graf, es ist unendlich liebenswürdig von Ihnen, uns Ihre liebe Frau zugeführt zu haben. Frau Gräfin, ich schätze mich glücklich, Sie in Haßburg, und noch dazu als Nachbarin begrüßen zu können – meine Frau!«

Gräfin Monford, welche die junge Frau beim Eintritte scharf fixirt hatte, verneigte sich kalt und vornehm, und Helene, die sie fast mit Ehrfurcht begrüßte, fühlte, wie ihre Kniee zitterten, und mußte alle ihre Energie zusammen nehmen, um diese erste, oh, so verzeihliche Schwäche zu besiegen. Aber sie war von Jugend auf daran gewöhnt worden, sich zu beherrschen; sie wußte, wie nothwendig das besonders hier jetzt sei, und wenn sie auch fühlte, daß das Blut wieder ihre Wangen für einen Moment verließ, nahm sie sich doch tapfer zusammen und erwiderte sogar ein paar Worte auf die Anrede des alten Herrn, freilich unbewußt, ohne sich dessen klar zu sein, was sie eigentlich sagte.

Für einen solchen Fall sind unsere gesellschaftlichen Formen aber ganz vortrefflich, denn nur mit dem passenden Ausdruck in den Zügen, darf man wirklich unzusammenhängende Formeln schwatzen, um die nämliche Wirkung zu erzielen, wie bei der vernünftigsten und durchdachtesten Rede. Was für Unsinn wird manchmal bei solchen Begrüßungen mit der ernsthaftesten Miene gesprochen, mit der ernsthaftesten Miene angehört und erwidert! Es sind nur eben Worte, die man verlangt, auf den Sinn dabei kommt es wahrlich nicht an.

»Sie sind erst ganz kürzlich hier in Haßburg eingetroffen?« wandte sich die Gräfin Monford an ihren jungen Besuch, denn über etwas mußte gesprochen werden.

»Gestern, Frau Gräfin,« erwiderte Helene und fühlte sich noch nicht stark genug, das Auge zu der Frau zu erheben, während Felix, indem er mit dem Grafen sprach, die Züge der Dame scharf und forschend musterte.

»Und Sie beabsichtigen, sich hier bleibend niederzulassen?«

»Ich hoffe so, – die Gegend – ist so unendlich ansprechend.«

»Da haben Sie Recht, meine Gnädigste,« lächelte der alte Herr; »es sollte Ihnen schwer werden, in Deutschland einen schöneren Punkt zu finden, wenn es auch vielleicht noch viele eben so schöne in unserem Vaterlande geben mag – aber wollen die Herrschaften nicht Platz nehmen?«

Die Damen setzten sich auf das Sopha, die Herren nahmen Stühle, und das Gespräch wurde jetzt, da es an Stoff nicht fehlte, allgemein. Auch Helene, da Felix und Graf Monford Theil daran nahmen und das Auge der Gräfin nicht mehr allein auf ihr haftete, fühlte sich mehr erleichtert und unbefangener.

»Aber Sie sind doch jedenfalls eine Deutsche, Frau Gräfin?« sagte Graf Monford, als Helene eben von ihren Kindern erzählt und wie sie sich gestern an dem Jahrmarkt gefreut; »Sie sprechen wenigstens vortrefflich Deutsch, und man hört Ihnen nicht einmal einen Dialekt an.«

»Allerdings,« erwiderte Helene, tief erröthend, »ich bin in Deutschland geboren, wenn auch größtentheils in einem transatlantischen Land erzogen.«

»Sie haben übrigens recht gethan, von da drüben wegzuziehen,« sagte der alte Herr; »mein Gott, muß das jetzt in dem Amerika eine Wirthschaft sein! Der Krieg nimmt gar kein Ende und dauert doch schon über Jahr und Tag.«

»Wir kommen nicht aus den nordamerikanischen Freistaaten,« erwiderte Felix, »und haben, wo wir wohnten, wenig von dem Bürgerkrieg selbst gehört. Unser Aufenthalt« – und sein Blick ruhte dabei wie völlig absichtslos auf der Gräfin – »lag in Brasilien.«

»In Brasilien?« sagte diese fast unwillkürlich.

»Ei, das laß ich mir eher gefallen,« rief aber auch Graf Monford; »dort sollen doch wenigstens geregeltere Zustände sein, wenn man sich eben mit der vielleicht nicht immer angenehmen Hitze befreunden kann. Ich habe selbst einen etwas weitläufigen Verwandten in Rio. Wo haben Sie gelebt?«

»In einer der südlicher gelegenen Colonien,« sagte Felix, einer directeren Antwort noch vor der Hand ausweichend.

»In der That,« sagte der alte Herr, »dann freilich müssen wir Ihrer lieben Frau Gemahlin um so dankbarer sein, wenn sie von unserer Gegend befriedigt ist, denn mit den Tropen können wir uns allerdings nicht messen. Aber schön ist es trotzdem hier bei uns; bitte, Frau Gräfin, treten Sie einmal hier auf die Terrasse und sehen Sie, wie allerliebst das alte Haßburg da unten liegt; dort rechts hinüber glaub' ich auch sogar, daß man das Dach Ihres eigenen Hauses von hier erkennen kann, auch ein Stück vom Hause selbst. Ah, da kommt auch George – mein Sohn – Gräfin Rottack.«

Helene war mit dem alten Herrn vor das Haus auf die offene Terrasse getreten, um sich die Aussicht zeigen zu lassen; ergriff sie doch selber mit Freuden die Gelegenheit, gerade jetzt, wo Brasilien zuerst genannt worden, hinaus an die freie Luft zu treten, um sich durch keine Bewegung, durch kein Erröthen zu verrathen.

Auch die Gräfin Monford war aufgestanden und mit ihr Felix, um den Beiden zu folgen; aber sie zögerte noch. Es lag ihr eine Frage auf der Zunge, die sie sich scheute auszusprechen, und doch mußte sie gethan werden. Graf Rottack bemerkte dabei, daß etwas sie beunruhige, aber er hütete sich wohl, ihr entgegen zu kommen. Die Gräfin durfte jedoch diesen einen Moment, wo sie sich mit dem Fremden gewissermaßen allein im Zimmer befand, nicht unbenutzt vorübergehen lassen, und sich, schon im Begriff, auf die Terrasse zu gehen, noch einmal zu dem jungen Mann wendend, sagte sie mit so gleichgültigem Ton als möglich:

»Wie hieß die Colonie, wo Sie gewohnt haben, Herr Graf?«

»Santa Clara, gnädige Gräfin,« erwiderte Felix, sich leicht verbeugend; »meine Helene ist die Tochter der dort ansässigen Gräfin Baulen.«

»In der That?« hauchte die Gräfin und blieb einen Moment mit der Hand auf den Stuhl gestützt, an dem sie eben vorüber wollte, stehen; aber es war auch nur ein Moment. »Ah, da kommen meine Kinder,« sagte sie; »bitte, Herr Graf, wollen Sie nicht hinaus auf die Terrasse treten?«

Sie ging langsam voran hinaus, und Rottack ließ ihr hier absichtlich Zeit, um sich vollständig zu sammeln, indem er vorher dem jungen Grafen George und dessen Schwester Paula vorgestellt wurde und sich freundlich mit ihnen unterhielt.

Und Helene stand Paula gegenüber, die mit ihren treuen, kindlichen Augen fast scheu zu ihr aufsah. Oh wie gern hätte sie das liebe, holde Kind an sich gezogen, fest, fest in ihre Arme, und mit dem theuren, noch nie gebrauchten Schwesternamen genannt! Wie lieb und gut sie aussah, und wie traurig doch und ernst – war denn auch schon in dieses junge Herz die Sorge, der Kummer eingekehrt? Sie vermochte auch nicht, es hier bei der kalten üblichen Form zu lassen, und auf das junge, sich schüchtern vor der hohen, edlen Gestalt neigende Mädchen zugehend, schloß sie Paula halb in die Arme und küßte sie auf die Stirne.

Und die Gräfin?

Felix hatte mit den beiden Grafen Monford an der Terrasse gestanden, über das Land hinausgesehen und das Treiben in der unter ihnen liegenden Stadt beobachtet. Jetzt wandte er sich wieder der Gräfin zu und ertappte sie gerade, wie ihr Blick ernst und forschend, aber ohne das geringste Zeichen innerer Bewegung an Helenen hing. Kaum fühlte sie aber, daß des jungen Grafen Auge auf ihr haftete, als sie sich diesem zuwandte und, mit zu der Terrasse tretend, ihn in ihrer gewöhnlichen ruhigen Weise auf die einzelnen Schönheiten der Scenerie aufmerksam machte.

Keine Spur von Befangenheit war dabei in ihr zu entdecken, kein Zeichen einer innern heftigen Bewegung, wie eine solche Entdeckung, als die eben gemachte, sie eigentlich doch hervorgerufen haben sollte. Sie war vornehm, wie immer, wenn auch gesprächiger, als sie sich bis jetzt gezeigt, und Graf Rottack konnte und wollte seinen Besuch auch nicht über die gewöhnliche Zeit hinausdehnen. Der Same war jedenfalls geworfen und das Korn mußte Früchte treiben.

Nicht lange danach empfahlen sich die jungen Leute der gräflichen Familie, wobei der alte Herr noch den Wunsch aussprach, daß sie öfter zusammenkommen möchten; die junge Frau hatte jedenfalls einen sehr günstigen Eindruck auf ihn gemacht, wie sie sich im Sturm schon Paula's Herz erobert. – Der Wagen fuhr vor, und bald rollte das leichte Fuhrwerk mit ihnen wieder in die Stadt zurück.

8.
Fräulein Bassini.

Eine lange Weile saßen die beiden Gatten schweigend neben einander im Wagen. Es war ordentlich, als ob sich beide scheuten, ein Gespräch zu beginnen. Endlich sagte doch Helene mit leiser Stimme:

»Sie ist eine recht, recht stolze Frau – oh, es wird schwer halten, dieses Herz zu bezwingen!«

»Meine arme Helene!«

»Ob sie nicht ahnte, daß ich ihr näher stehen könnte, als sie erfuhr, daß wir aus Brasilien kämen?«

»Liebes Herz,« sagte Felix leise, »sie weiß jetzt, daß Du ihre Tochter bist...«

»Sie weiß es?« rief Helene erschreckt.

»Ich habe ihr den Namen jener Frau genannt.«

»Und doch so kalt, doch so hart!«

»Beruhige Dich darüber, Helene,« sagte Felix freundlich; »Anderes konnten wir für diese erste Zusammenkunft kaum erwarten. Die Überraschung war zu groß – ich sah ihr an, daß sie Mühe hatte, ihre Fassung zu bewahren, was sie allerdings mit einer mir selber unerklärlichen Seelenstärke möglich machte. Laß ihr jetzt Zeit, das Gehörte still und allein, und von keinen äußeren Eindrücken gestört, zu überdenken. Laß sie erst mit sich selber in's Reine kommen, und sie selber wird Dich dann aufsuchen – sie muß es ja thun, wenn sie nicht jedes Gefühls bar sein sollte!«

»Und wenn sie es nicht thut, Felix?«

»Wozu uns jetzt mit einer Unmöglichkeit absorgen? Sie wird es sicherlich, mein Kind.«

»Und wenn sie es nicht thut?«

»Dann versuchen wir das Letzte, dann fordere ich für Dich eine Unterredung mit ihr – eine Ausrede, dem alten Herrn gegenüber, ist bald gefunden – und die kann und wird sie Dir nicht weigern. Dann aber ist sie auch nicht im Stande, Dir zu widerstehen, deß bin ich fest überzeugt. Liegst Du erst einmal an ihrem Herzen, dann läßt sie Dich auch nicht wieder, noch dazu, wenn sie erfährt, daß ihr Geheimniß in sicheren und treuen Händen ruht; daß Du nichts, nichts auf der weiten Gotteswelt von ihr verlangst, als ihre Liebe...«

Der Wagen hatte indessen die kurze Entfernung zurückgelegt, und während er in den Garten einfuhr und vor dem Hause hielt, sahen sie, daß sich Jeremias schon eingefunden und mittlerweile mit den Kindern beschäftigt hatte. Er spielte Kutsche und Pferd mit ihnen, und während er die vor Vergnügen zappelnde kleine Helene auf dem Arme trug und dabei den Kiesweg entlang galoppirte, hatte ihn Günther hinten an beiden Rockschößen und rief Jüh! und Hoh! und suchte ihn bald links, bald rechts einzulenken.

Nur wie die Eltern in den Garten einfuhren, ließ der Kleine los und sprang dem Portale zu, um der Erste zu sein, der sie begrüßte, und Helenchen streckte ihnen ebenfalls, in lautem Jubel aufkreischend, die Ärmchen entgegen, so daß Jeremias jetzt wohl oder übel seinen noch nicht unterbrochenen Galopp dorthin lenken mußte.

»Haben Sie lange auf mich gewartet, Jeremias?« rief ihm der junge Graf entgegen.

»Eben im Augenblick hat es erst Zwei geschlagen,« sagte Jeremias, der indessen die Kleine der Mutter hinreichen mußte, »und das wilde Völkchen hier hat mich tüchtig in Athem gehalten.«

»Und sind Sie jetzt bereit?«

»Wollen Sie wirklich noch mit mir gehen?«

»Gewiß, das ist ja eine verabredete Sache – haben Sie denn die Wohnung indessen aufgefunden?«

»Sie ist gar nicht weit von hier, gleich in der nächsten Straße.«

»Schön, Jeremias – ich will nur meinen Überrock anziehen, und dann gehen wir zusammen.«

Er war auch in wenigen Minuten wieder im Garten und schritt mit Jeremias, der sich unterdessen Helenen empfohlen, auf die Straße hinaus und dem bezeichneten Hause zu.

Unterwegs wurde wenig gesprochen, Felix war noch mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt – er arbeitete gegen die Furcht an, welche heute das kalte, gefaßte Benehmen von Helenens Mutter in ihm wach gerufen, seiner armen Frau wegen, und Jeremias fühlte sich noch viel mehr von dem Gedanken dieses ersten Begegnens niedergedrückt; denn wenn es auch ein schönes und erhebendes Gefühl sein mag, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen, eine alte, langjährige Schuld abzutragen, ist doch auch das Bewußtsein drückend, dabei einzugestehen, daß man eben schlecht und leichtsinnig gehandelt und Reue über das Vergangene fühle.

So hatten sie, rascher als Beide selber geglaubt, die Strecke zurückgelegt, die sie von dem von Jeremias bezeichneten Hause trennte, und hier blieb der kleine Mann plötzlich stehen, drückte sich unter die Thür und sagte:

»Mir ist genau so zu Muthe, als ob ich mir einen Zahn wollte ausreißen lassen – Hurrjeh, ich wollte, die Geschichte wäre erst vorüber!«

»Wohnt sie hier?«

»Ja, zwei Treppen hoch; ich habe mich genau erkundigt, bin auch gestern hier schon ein paar Mal vorbeigegangen, habe aber nichts gesehen, als einen orangefarbenen Shawl oder Morgenrock, der da oben an dem einen Fenster mehrere Male hin und wieder fuhr.«

»Also gehen wir hinauf.«

»Thun Sie mir den einzigen Gefallen, Herr Graf, und warten Sie noch einen Augenblick,« bat der kleine Mann, »daß ich erst noch Luft schnappen kann – mir ist die Kehle wie zugeschnürt.«

Felix lächelte und blieb, während sich Jeremias den hellen Schweiß von der Stirn trocknete, neben ihm stehen. Endlich faßte sich dieser doch ein Herz – was half es auch, wenn er länger zögerte, geschehen mußte es doch – also vorwärts!

»Ein Heidenglück ist's, daß Sie bei mir sind,« flüsterte er dem jungen Grafen zu, »denn allein hätt' ich's nicht zuwege gebracht. Ich wäre, hol' mich Dieser und Jener, wieder fort und erst noch einmal um die ganze Stadt gelaufen!«

»Sie hätten vorher ein Glas Wein trinken sollen!«

»Ich habe eine ganze Flasche getrunken,« sagte Jeremias, »nur um Courage zu kriegen, aber es hilft ja nichts – es war, als ob man Wasser auf einen heißen Stein gösse, es zischte ordentlich. Na, meinethalben, jetzt muß die Bombe platzen, und nun kommen Sie, Herr Graf, jetzt wollen wir Sturm laufen!«

Damit öffnete er entschlossen die Hausthür und betrat den innern Raum.

Es war ein kleines, unansehnliches Haus, altmodisch gebaut wie die meisten der älteren Häuser von Haßburg, unten mit einem mit Steinplatten belegten schmalen Vorplatz, auf dem noch eine dort aufgestellte Wäschrolle den größten Theil des Raumes in Anspruch nahm. Rechts unten wohnte ein Schuster; die Thür der Werkstatt stand, des warmen Tages wegen, offen, und man konnte den Meister mit einem Gesellen und einem Lehrling drinnen arbeiten sehen, während ein ungesunder, warmer Dunst von dort auf den kühleren Vorplatz herausdrang.

»Wie hieß die Dame gleich?« fragte Rottack leise seinen Begleiter.

»Bassini,« flüsterte dieser zurück.

»Können Sie uns sagen, ob hier eine Dame Namens Bassini im Hause wohnt?« fragte der junge Graf, artig seinen Hut lüftend, in die Stube hinein.

»Eine vom Theater?« nickte der Meister – »ja, oben, zwei Treppen hoch.«

»Sein Sie aber so gut und putzen Sie sich erst die Stiefeln ab,« sagte eine Frau, die von der Seite her, mit einem großen Topf in der Hand, wie aus einer Coulisse heraus zum Vorschein kam, – »ich habe gerade die Treppe gescheuert.«

Felix machte lächelnd eine zustimmende Verbeugung, nahm dann die befohlene Operation auf das Ängstlichste an einem dort liegenden, schon sehr abgetretenen Strohteller vor, und stieg nun, während Jeremias unten seinem Beispiel folgte, langsam die noch feuchten, dunstenden Stufen hinauf.

Jeremias würde sich mit Vergnügen den ganzen Nachmittag da unten die Stiefel abgetreten haben, wenn er nur nicht mitgemußt hätte – aber es ging doch zuletzt nicht anders.

Auf dem niedern Vorsaal der ersten Etage befanden sich zwei Thüren; an einer war mit vier Nägeln ein Papier befestigt, das die deutlich geschriebene Aufschrift trug: »G. Borsig, Schneidermeister«; an der andern befand sich ein kleines Messingschild – dort wohnte ein Graveur.

Die alte hölzerne Treppe knarrte entsetzlich, aber sie stiegen auch jetzt die zweite hinan und fanden hier, gerade wie unten, wieder zwei Thüren, ohne daß die Inwohnenden es jedoch der Mühe werth gehalten, ihren Namen außen kund zu geben. Bewohnte Fräulein Bassini die ganze zweite Etage? Jeremias wußte es nicht, und es blieb nichts weiter übrig, als an die erste beste Thür zu klopfen und sich dort zu erkundigen.

Graf Rottack hatte einmal die Leitung übernommen, Jeremias war für den Augenblick vollkommen willenlos, und deshalb, wie er sich nur einen Moment in dem beengten Raum umgesehen, klopfte er auch an die nächste Thür herzhaft an.

»Herein!« rief eine laute Stimme.

Der junge Graf öffnete die Thür – »Können Sie mir vielleicht sagen...«

»Ja wohl – bitte, treten Sie näher,« schrie ihn eine kleine, schmächtige Gestalt an, die in einem mock-türkischen, aber entsetzlich schmutzigen Schlafrock, mit einer langen Pfeife, aus der sie keinen Kanaster rauchte, und in rothen Schlapp-Pantoffeln im Zimmer spazieren ging – »treten Sie nur näher.«

»Sie entschuldigen,« sagte Felix, der die Überzeugung hatte, daß Fräulein Bassini hier nicht wohnen könne.

»Alles in Ordnung, bitte, kommen Sie nur herein, ich kann den verdammten Zug nicht vertragen!« schrie der Türke.

Rottack hätte am liebsten die Thür gleich wieder zugemacht und die andere versucht, welche jedenfalls die richtige war, aber sein Zartgefühl ließ ihn keine Unart begehen – er mochte den Mann nicht beleidigen und war auch wirklich neugierig geworden, einen Blick in das Heiligthum dieses merkwürdigen Menschen zu werfen, aus dem er von da draußen doch nicht klug werden konnte.

Jeremias folgte willenlos, wie ein Opfer, das man zur Schlachtbank führt und das sich in sein Geschick ergeben hat.

»So, das ist recht,« schrie der kleine Mann jetzt wieder, indem er seine Pfeifenspitze gegen sie schwenkte; »ich habe schon den ganzen Morgen auf Sie gewartet, es ist Alles bereit – hier,« fuhr er fort, indem er einen riesigen, fast die halbe Wand einnehmenden Kleiderschrank aufriß und dabei eine etwas sehr getragene Harlequinsjacke und irgend ein anderes phantastisches Maskencostüm hervorzog, das einen furchtbaren Kamphergeruch im Zimmer verbreitete – »die werden ihnen wie angegossen sitzen, fast noch ganz neu, nur höchstens ein- oder zweimal getragen – Graf Ruchofski hatte den Harlequin auf der letzten Maskerade.«

»Aber, mein sehr werther Herr,« lächelte Rottack, der mit dem besten Willen jetzt erst zu Worte kam, »ich zweifle gar nicht an der Güte Ihrer Anzüge, aber...«

»Na, dann stecken Sie sie weg,« sagte der kleine Türke gemüthlich, aber mit einer so lauten Stimme, als ob er über einen Fluß hinüberschriee, indem er die beiden außerdem schon mehr als zerknitterten Gegenstände in ein ziemlich compactes Bündel zusammenrollte, »können sie ja gleich selber mitnehmen, ich habe Niemanden zum Schicken.«

»Wohnt Fräulein Bassini hier in dieser Etage?« fragte jetzt Rottack, der wohl sah, daß er auf keine andere Weise zum Ziele kam.

»Ja, gleich da drüben die Thür!« rief der Mann, indem er, während er die Pfeife mit den Zähnen hielt, das Paket beendete und sich nach einem Bindfaden in der Stube umsah.

»Sie sind wahrscheinlich im Irrthum,« fuhr Rottack jetzt, die Zwischenpause benutzend, fort, »wir brauchen gar keine Masken-Anzüge und sind auch deshalb gar nicht hiehergekommen, wir wollten blos Fräulein Bassini sprechen.«

»Fräulein Bassini?« rief der Türke verdutzt.

»Sie müssen schon entschuldigen, daß wir Sie gestört haben...«

»Ja, aber hatten Sie denn nicht den Harlequin und den Sultan Saladin bestellt?«

»Nicht wir, verehrter Herr,« sagte Rottack freundlich, »ich habe überhaupt noch nie davon gehört, daß Jemand mitten im Sommer eine Maskerade abhalten könnte!«

»Na, das ist aber merkwürdig,« rief der kleine Mann verwundert, indem er das Bündel in Gedanken immer fester zusammenschnürte – »aber die beiden Herren wollten doch heute Morgen zu mir kommen!«

»Jedenfalls jemand Anders – Sie entschuldigen wohl, daß wir Sie gestört haben...«

»Bütte, bütte,« sagte der Mann mit einer Miene, als ob schon der Verdacht einer solchen Vermuthung sein innerstes Ehrgefühl verletze – »das ist aber wirklich merkwürdig – nun, warten Sie, ich will gleich einmal nachsehen, ob der Schlüssel steckt,« und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, warf er das Paket ziemlich rücksichtslos in die Ecke und glitt an Beiden vorüber zur Thür hinaus.

Rottack warf den Blick im Zimmer umher und mußte sich gestehen, in seinem ganzen Leben noch kein tolleres Conglomerat von Kunst und Natur gesehen zu haben, als in diesem Raume.

War der Mann ein Schriftsteller? Eine Unmasse von überall aufgehäuften Broschüren, ganze Schichten von Manuscripten und gedruckten Heften, die Tisch und Boden deckten, schienen das fast zu bestätigen, und über dem Sopha prangten auch auf Gips-Consolen, und aus demselben werthvollen Material gefertigt, rechts und links zwei Büsten von Göthe und Schiller, die letztere bekränzt. Weshalb fehlten aber Beiden die Nasen?

An der einen Thür öffnete ein Waschtisch gastlich seine Klappe, etwas indiscret den ganzen Inhalt verrathend, und mitten im Zimmer stand ein Stiefelknecht, die beiden Hörner wie ein Paar gespitzte Ohren nach dem Fenster zu gerichtet, rechts und links daran aber ein Stiefel, wie der glückliche Besitzer dieses Gemaches sie wahrscheinlich gestern Abend bei später Nachhausekunft ausgezogen hatte.

An den Wänden hingen Bilder von Napoleonischen Schlachten – erbärmliche Lithographien natürlich und jedenfalls Eigenthum des Vermiethers; nur ein Ölgemälde über dem Schreibtisch schien dem Bewohner selber zu gehören, denn es war wahrscheinlich – oder sollte es wenigstens sein – ein Brustbild von ihm selber in »Frack und Asche«, mit einer furchtbaren goldenen Kette, sehr weißer und breiter Cravatte und einer Normalfrisur, auffällig dabei die rechte Hand mit einer Rose hebend, um einen großen goldenen Siegelring zu zeigen.

Rottack hätte sich gern noch länger im Zimmer umgesehen, denn der Mann fing an ihn zu interessiren; aber da der Türke jetzt mit der Nachricht zurückkam oder dieselbe vielmehr in's Zimmer hineinschrie, daß der Schlüssel stecke, so war ihnen jeder Vorwand genommen, sich länger hier aufzuhalten.

Mit einer dankenden Verbeugung empfahlen sie sich; der Eigenthümer des Zimmers, wahrscheinlich doch etwas ärgerlich, daß er seine Ballanzüge nicht los geworden, warf die Thür hinter ihnen heftig in's Schloß, und Graf Rottack schritt jetzt ohne Weiteres auf den nächsten Vorsaal-Eingang zu, wo er etwas schüchtern anklopfte.

Drinnen im Zimmer wurde Musik gemacht. Irgend Jemand spielte Clavier und eine Dame sang dazu – das Klopfen war keinesfalls gehört worden.

Der junge Mann, während Jeremias hülf- und rathlos dabei stand, klopfte etwas stärker, aber mit dem nämlichen Erfolg. Da drinnen wurde weiter gespielt, und da Rottack nicht Lust hatte, noch weitere Zeit mit nutzlosen Anmeldungen zu versäumen, öffnete er die Thür.

Am Clavier saß eine Dame in einem grell orangefarbenen seidenen Morgenrock, den Kopf wie von einem Heiligenschein von einer Unzahl von Papilloten umgeben. Weiter konnte er aber in dem Moment nichts erkennen, denn mit einem ordentlichen Aufkreisch fuhr die überraschte Schöne von ihrem Sitz am Clavier in die Höh' und schoß wie ein orangefarbener Lichtstreif in die nächste Kammer.

»Da haben wir's,« lachte Graf Felix, indem er sich nach Jeremias umdrehte – »bemerkten Sie die Dame?«

»Sie standen ja davor – schreien aber hab ich's gehört!« erwiderte Jeremias, sich den Kopf kratzend.

»Zu wem wollen Sie denn?« fragte in diesem Augenblick eine Art von »Aufwartung«, ein Mittelding zwischen Scheuerfrau und Mädchen für Alles, die gerade von der Arbeit weg aus einer kleinen, dunkeln Küche vortauchte.

»Zu Fräulein Bassini,« sagte Rottack – »wir sind doch hier recht?«

»Ja, recht ist's schon, aber das Fräule ist noch nicht angezogen.«

»Ist sie krank?«

»Ne, aber wenn sie keine Probe hat, da pressirt's immer nich, und nachens schreit se, wenn Jemand kommt. Wer sind Sie denn und was wollen Sie?«

Die Frage war zu direct gestellt, um ein Mißverstehen möglich zu machen, und da Jeremias den jungen Grafen am Rock zupfte, weil er seinen Namen nicht genannt habe wollte, so erwiderte dieser:

»Bitte, sagen Sie doch dem Fräulein, Graf Rottack wäre hier, um sich Auskunft in einer Familienangelegenheit zu erbitten – hier, seien Sie so gut und geben Sie der Dame meine Karte. Ich lasse fragen, um welche Zeit ich etwa wieder vorsprechen dürfte, da uns die Dame jetzt doch wahrscheinlich nicht empfangen wird.«

»Hm,« brummte die Alte, welche nicht die Hälfte von dem verstanden hatte, was ihr der junge Mann sagte, »warten Sie einmal einen Augenblick, ich werde dem Fräule das Ding da hineintragen.«

Damit machte sie ihnen die Thür vor der Nase zu und ließ die beiden Herren auf dem Vorplatz stehen. Es dauerte aber nur ganz kurze Zeit, so kam sie wieder zurück, öffnete die Thür und sagte: »Sie möchten nur hereintreten, das Fräule kommt gleich,« und mit dem Bewußtsein wahrscheinlich, Alles gethan zu haben, was sie anging, verschwand sie wieder in ihrer Küche, in der sie im Halbdunkel wie ein unheimliches Gespenst herumwirthschaftete.

Rottack und Jeremias hatten aber kaum, der Einladung folgend, das Zimmer betreten, als sich die Kammerthür ein wenig öffnete und eine Stimme herausrief: »Dürfte ich den Herrn Grafen ersuchen, einen Augenblick Platz zu nehmen – ich komme gleich!« und die Kammerthür flog wieder zu.

»Da wären wir,« lachte Rottack, indem er Jeremias die Hand auf die Schulter legte. »Wie ist Ihnen jetzt zu Muthe?«

»Hundeschlecht,« versicherte der kleine Mann flüsternd – »aber das sieht hier ganz nett aus. Gott sei Dank, da ist es ihr doch nicht so schlecht ergangen – ich wollte, es wäre erst vorbei!«

Dieses Zimmer hier sah allerdings anders aus, wie das gegenüberliegende, und es ließ sich nicht verkennen, daß hier eine Frau ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Große Ordnung herrschte aber hier eben so wenig wie dort, denn fast auf allen Stühlen lagen verschiedene Toilettengegenstände, während auf dem Tisch, neben dem eben erst verlassenen Kaffeegeschirr und einer Tabaksdose, ein paar Spiele Karten zu einer noch nicht vollendeten Patience geordnet waren.

Dennoch zeigten sich die Spuren sorgender Frauenhand. Überall war ordentlich abgewischt und auf dem Tisch lag eine ziemlich weißgewaschene, gehäkelte Decke. Auch die Vorhänge sahen, wenn auch ziemlich dürftig, doch rein aus, und an der Wand hingen ein paar Abbildungen in Steindruck aus der biblischen Geschichte, wie die schauerliche Caricatur einer Maria Magdalena in Öl gemalt.

Selbst die Commode war nicht ohne Schmuck und bildete eine Art von Nipptisch, auf dem eine Anzahl bescheidener Porzellanfiguren standen, mit einigen kleinen Statuetten alter, eingetrockneter Chocolade, die vielleicht im vorigen oder vorvorigen Jahre einen Christbaum geziert. Auch eine bildliche Darstellung der heiligen drei Könige in Wachs und in einem Glaskästchen, wie sie das Kind an der Krippe besuchen, stand in der Mitte, und rechts und links davon ein Glasleuchter mit halb abgebrannten Stearinkerzen.

»Hurrjeh,« flüsterte Jeremias, der indessen auf den Fußspitzen im Zimmer umhergegangen war, um den status quo zu untersuchen, indem er mit zwei Fingern eine Partie brennend rother falscher Locken emporhob – »ob das wohl ein Stück von meiner Frau ist?«

Felix mußte wirklich an sich halten, um nicht gerade heraus zu lachen, und an Jeremias hinantretend, sagte er leise:

»Das wäre ein unverkennbares Zeichen von Sympathie, denn so viel ich mich erinnere, trugen Sie früher eine eben solche Perrücke.«

»Ja, aber – wie ist mir denn,« sagte Jeremias ganz verdutzt, »das – das ist doch ganz unmöglich – meine Frau hatte braune Haare!«

»Sie haben sich doch nicht etwa im Namen geirrt? Das wäre ein schöner Spaß!« lachte Felix.

»Gott bewahre – Alles trifft...«

»Auch der Vorname?«

»Ja, den habe ich noch gar nicht erfahren können, denn auf dem Zettel steht er nicht mit, aber es ist ja auch gar nicht möglich! es stimmt Alles wie eine Kirchenrechnung, und ich bin ja von Regensburg aus ihrer Spur bis hierher gefolgt.«

»Dann hilft es nichts, dann müssen wir's abwarten. Da sind wir überdies einmal und können jetzt gar nicht wieder fort, ohne vorher die Dame gesprochen zu haben. Sie macht übrigens lange mit ihrer Toilette.«

»Ich muß unterthänigst um Entschuldigung bitten!« sagte in diesem Augenblick eine Stimme hinter ihnen, und als sich Beide ordentlich erschreckt umwandten, stand die Dame in dem orangefarbenen Morgenkleide, die Haare jedoch ihrer Papilloten entledigt, auf der Schwelle und fuhr mit einem tiefen Knix fort: »Sie haben mich noch im vollen Negligé überrascht, Herr Graf.«

Jeremias hatte wieder, wie ein Versinkender, der nach Allem greift, was ihm in den Weg kommt, Rottack's Rockzipfel erwischt und flüsterte ihm mit angstgepreßter Stimme zu: »Das ist sie nicht!«

Rottack gerieth in die größte Verlegenheit, denn die Dame mußte fast die Worte verstanden haben, und was nun? – »Gnädiges Fräulein!« sagte er stotternd.

»Oh, bitte – aber wollen die Herren nicht Platz nehmen?« unterbrach ihn, wieder mit einem Knix, der dieses Mal jedenfalls dem »gnädigen« galt, die Dame – »es ist nur bei mir noch nicht aufgeräumt. Wir Künstler sind eigentlich recht nachlässiges Volk.«

»Gnädiges Fräulein,« nahm aber Rottack noch einmal das Wort, »gestatten Sie uns vielmehr, uns zu entschuldigen, daß wir Sie so unberufen gestört haben – eine ganz eigene Angelegenheit führt uns hierher, über die Sie vielleicht allein im Stande sind, uns Auskunft zu geben.«

»Aber wollen die Herren denn nicht Platz nehmen? Ich bitte sehr darum!«

Es war der Einladung nicht länger auszuweichen, und während Rottack einen der Stühle heranschob und sich darauf niederließ, setzte sich Jeremias auf die äußerste Spitze eines andern, daß es ordentlich gefährlich aussah, denn er konnte jeden Augenblick herunterrutschen.

Die Dame hatte, sich fest in ihren grellfarbenen Morgenrock einhüllend, ihnen gegenüber auf dem Sopha Platz genommen und schien mit der gespanntesten Aufmerksamkeit die Eröffnung zu erwarten.

Jung war sie nicht mehr – sie mochte wohl im Anfang der Vierzig sein – hübsch war sie gerade auch nicht, und ihr Gesicht ein wenig zu sehr markirt, obgleich sie lebendige Augen und besonders weiße Zähne hatte. Nur ihr Teint war weiß, wie das gewöhnlich bei rothen Haaren der Fall ist, und diese Haare störten auch Rottack besonders, denn er mußte immer wieder unwillkürlich zu den zahllosen, scharf durch die Papilloten gekräuselten Locken aufsehen, die besonders gegen die grelle Orangenfarbe des Überwurfs gar nicht zu ihrem Vortheil abstachen. Jeremias dagegen, der mit dem nämlichen Wohlbefinden seinen Platz auf jeder Armensünderbank eingenommen haben würde, sah gar nichts. Ihm schwamm Alles vor den Augen zu einem rothen, blitzenden, unbestimmten Schein zusammen, und nur des Einen Gefühls war er sich bewußt: Fort möcht' ich!

»Also in was könnte ich Ihnen Auskunft geben?« sagte Fräulein Bassini endlich, der die Pause etwas zu lange dauerte, indem sie wie unwillkürlich einen Griff nach ihrer Dose machte, die Hand aber wieder erschreckt zurückzog.

Rottack stak fest – es war eine verwünschte Geschichte, denn er wußte nicht, wie er beginnen sollte, und Jeremias selber that den Mund nicht auf. Er konnte doch die Dame nicht direct fragen, ob sie schon einmal verheirathet gewesen wäre. Etwas mußte aber auch geschehen, denn stumm konnten sie einander nicht gegenüber sitzen bleiben. Mit einem fast gewaltsamen Ansatze sagte er endlich:

»Haben Sie vielleicht eine Schwester oder Verwandte, die den nämlichen Namen führt, wie Sie, und ebenfalls beim Theater ist?«

»Nein,« lächelte Fräulein Bassini, diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorüber lassend, ihre Zähne zu zeigen, »nicht daß ich wüßte.«

Es war wieder nichts.

»Das ist wunderbar,« sagte der junge Graf nach einer Pause; »ich erhielt nämlich vor einiger Zeit einen Auftrag von einem Freund in – Amerika, mich genau nach der Familie zu erkundigen und ihren Wohnort zu erfahren, und – da ihm – da meinem Freunde sehr viel daran gelegen scheint, so würde es mir aufrichtig leid thun, seine Bitte nicht erfüllen zu können.«

»Darf ich fragen, wie Ihr Freund heißt?« sagte Fräulein Bassini mit liebenswürdiger Unbefangenheit und brachte Rottack dadurch in eine noch viel größere Verlegenheit, denn wie hieß Jeremias eigentlich? Er hatte ihn nie unter einem andern Namen als seinem Vornamen gekannt, ja, bis jetzt auch wirklich noch gar nicht daran gedacht, daß er möglicher Weise anders heißen könne, und jetzt, in Gegenwart der Dame, durfte er ihn doch nicht um seinen Namen fragen.

»Es – ist eine Familien-Angelegenheit,« stotterte er endlich nach einer Pause, und hatte sich in seinem ganzen Leben noch nicht so unbehaglich gefühlt, wie hier, wo er nicht gerade mit der Wahrheit heraus konnte und durfte. Aber das ging nicht länger; er mußte, wenn er keinen Namen nannte, die Dame doch wenigstens davon überzeugen, daß irgend ein ernster Grund seinen Besuch veranlaßt habe, und fuhr deshalb entschlossen fort: »Mein gnädiges Fräulein, ich will ganz aufrichtig sein – mein Freund in Amerika war früher hier in Deutschland an eine Dame, die Ihren Namen trug, verheirathet...«

»Meinen Namen?«

»Zerwürfnisse im ehelichen Leben, bei denen er wohl der Hauptschuldige war, führten zu einer Trennung, und er verließ Europa...«

»Auguste!« rief Fräulein Bassini plötzlich, während sie die Hände zusammenschlug, und Rottack fühlte einen entschiedenen und kräftigen Ruck an seinem Rockschoß.

»Das ist der Name,« flüsterte ihm Jeremias dabei zu.

»Und hat sich der Lump wirklich noch einmal nach seiner armen, verlassenen Frau erkundigt?« rief Fräulein Bassini, jetzt keinen Augenblick mehr in Zweifel, um was es sich handle, aber auch ganz vergessend, daß der Herr Graf eben noch jenen »Lump« seinen »Freund« genannt. »Der hat es nöthig, denn seinetwegen hätte meine arme Schwester in Jammer und Elend längst vergehen können!«

Jeremias sah sich nach einer Versenkung um.

»Ihre Schwester?« rief Rottack, das Wort rasch auffassend, denn es war die erste Spur, die er in der ganzen Geschichte fand – »und wo ist sie jetzt?«

»Wo sie ist, Herr Graf? – Hier in Haßburg ist sie und wohnt bei ihrem Bruder, kümmerlich und ärmlich genug, das weiß Gott, denn das Nothwendigste müssen sie sich oft am Munde abdarben, und wenn sie das Kind, die Henriette, nicht hätte, das brave Mädel, die Tag und Nacht arbeitet, um ein paar Groschen zu verdienen, so wär's längst aus mit ihr, denn sie ist ewig krank und kann selber nichts mehr schaffen!«

»Aber wie heißt denn Ihr Bruder, liebes, bestes Fräulein?« rief Rottack – »auch Bassini? Sie sagten doch vorher, daß Keine des Namens mehr...«

»Pfeffer heißt er, Schauspieler Pfeffer – er ist Komiker hier beim Theater, und ein tüchtiger Komiker, das muß ihm der Neid lassen.«

»Aber, verehrtes Fräulein,« sagte Rottack, der aus der Verwandtschaft nicht klug werden konnte, »wenn Herr Pfeffer der Bruder jener Dame und jene Dame ihre Schwester ist, so wäre Herr Pfeffer doch eigentlich auch Ihr Bruder?«

»Ja, das ist er auch,« versicherte Fräulein Bassini.

»Aber Bassini und Pfeffer...«

»Oh, die Namen meinen Sie – ja, lieber Gott,« sagte die Dame, »am Theater kann man da nicht immer genaue Ordnung halten, und Pfeffer klingt recht gut für einen Komiker, aber nicht für eine Dame oder gar eine Primadonna, die nun schon einmal in unserer Zeit eine italienische Endung haben muß. Unsere Mutter aber, eine geborene Bassenich, war Primadonna und nannte sich einfach Bassini – und nach ihrer Verheirathung Pfeffer-Bassini, wonach wir Töchter den Mutter- oder Mädchennamen der Mutter beibehielten und Fürchtegott Pfeffer blieb.«

»Fürchtegott?«

»Mein Bruder, der Komiker.«

»Und Ihre Frau Schwester wohnt also bei Ihrem Herrn Bruder?«

»Ja wohl, Neumarkstraße Nummer 23, der Eingang ist auch von der Promenade, ganz dicht am Theater – jedes Kind zeigt Ihnen das Haus. Aber nun, bitte, Herr Graf,« fuhr Fräulein Bassini fort, indem sie sich etwas zur Seite bog, um auch einmal einen vollen Blick auf den schweigsamen Begleiter des jungen Mannes zu erhalten, der sich, so weit das möglicher Weise anging, hinter diesen gedrückt hatte – »sagen Sie auch, was das für eine Bewandtniß mit jenem Menschen, jenem Stelzhammer, hat?«

»Stelzhammer, mein Fräulein?« sagte Rottack, der ganz verwirrt zwischen den vielen Namen wurde.

»Nun, Ihrem Freund in Amerika,« erwiderte die Dame.

»Stelzhammer, – ja so – Jeremias Stelzhammer – ganz recht,« sagte Rottack und fühlte wieder, wie er hinten am Rock gezupft wurde – »aber, verehrtes Fräulein, gestatten Sie mir, daß ich vorher nähere Erkundigungen bei Ihrem Bruder einziehe. Ich darf nicht indiscret sein, und habe meinem Freund fest versprechen müssen, nur an directer Stelle Nachforschungen anzustellen.«

»Nun, auf den Herrn brauchen Sie doch wahrhaftig keine Rücksicht zu nehmen!« rief Fräulein Bassini – »ein solcher Vagabond, der seine brave, redliche Frau schändlich verlassen hat!«

»Und wenn er nun willens wäre, alles Begangene wieder gut zu machen, wenn er nun Reue über das Geschehene fühlte?«

»Ja, der,« sagte Fräulein Bassini verächtlich – »hat er Geld geschickt?«

»Vor allen Dingen habe ich nur den speciellen Auftrag erhalten, mich zu erkundigen, ob seine Frau noch lebt und wie es ihr geht. Sowie ich das erfahren habe, versteht es sich von selbst, daß ich ihm genauen Bericht erstatte, und wenn er dann nicht selber herüberkommt, was sehr wahrscheinlich ist, so wird er doch jedenfalls Sorge tragen, daß sie von da an keinen Mangel mehr leidet. Also, mein gnädiges Fräulein,« fuhr er fort, indem er aufstand und Jeremias sich hinter ihm mit einer Schnelligkeit erhob, als ob er die ganze Zeit auf Nadeln gesessen hätte, »nehmen Sie vor der Hand meinen herzlichen Dank für Ihre freundlichen Mittheilungen, die uns hoffentlich zu einem guten Resultate führen, und seien Sie versichert, daß ich seiner Zeit nicht ermangeln werde, Ihnen getreuen Bericht über den Erfolg meines Briefes abzustatten.«

»Aber wo wohnt denn dieser Herr Stelzhammer jetzt eigentlich und was treibt er?« fragte Fräulein Bassini, sich ebenfalls erhebend – »man muß doch jedenfalls ein klein wenig wissen wie und wo, wenn man einmal gefragt wird.«

»Sie sollen Alles erfahren, mein gnädiges Fräulein, Alles, was Sie nur einigermaßen interessiren könnte,« wehrte Graf Rottack ab – »lassen Sie mich nur erst die Hauptsache in Ordnung bringen, und seien Sie versichert, daß ich Sie dann selber davon in Kenntniß setzen werde. Bin ich Ihnen doch auch zu großem Dank durch die Nachricht verpflichtet, die Sie mir gegeben.«

»Ja, aber,« wollte Fräulein Bassini sagen, da sie sich nicht mit dem Gedanken befreunden konnte, noch vor der Hand völlig im Dunkeln gelassen zu werden. Rottack brannte aber selber der Boden hier unter den Füßen, und mit einer sehr artigen Verbeugung, welche die Dame wieder mit einem tiefen Knix erwiderte, schritt er zur Thür, und Jeremias fuhr wie der Blitz hinter ihm her. Beide waren auch gleich sehr dabei interessirt, so rasch sie konnten wieder in's Freie zu kommen, Jeremias schien wirklich die ganze lange Zeit da oben den Athem angehalten zu haben, so aus voller Brust schöpfte er Luft, als er den blauen Himmel wieder über sich sah.

9.
Hinter den Coulissen.

In der nämlichen Zeit, in welcher an diesem Morgen Graf Rottack mit seiner jungen Frau zu dem Besuch nach Monford hinausfuhr, war im Theater Probe von den »Räubern«.

Überhaupt wurde das Schauspiel gerade in dieser Zeit sehr beschäftigt, denn in der nächsten Woche stand auch noch eine Festvorstellung des »Hamlet« bevor. Man erwartete nämlich in den nächsten Tagen den Erbprinzen zum Besuch, und der Director hatte angefragt, was Seine Königliche Hoheit im Theater zu sehen wünsche, worauf der »Hamlet« bezeichnet wurde. Am nächsten Tag sollte dann noch ein großer Ball arrangirt, kurz, Alles gethan werden, um dem jungen und hohen Herrn den Aufenthalt in der Stadt so angenehm als möglich zu machen.

»Hamlet« mußte aber neu einstudirt werden, und die Aufführung der ebenfalls lange nicht gegebenen »Räuber« kam da etwas in die Quere; aber es half eben nichts. Das Publikum wollte solche Stücke sehen, und die Schauspieler mußten sich fügen.

Auf dem Theater, das jetzt natürlich nicht erleuchtet sein konnte, herrschte ein düsteres Halbdunkel. Das Licht fiel dürftig durch die geöffneten Seitenfenster herein, und nur ein einzelner Sonnenstrahl stahl sich an einer Ecke vorüber und beschien eine der Coulissen, einen bemalten Leinwandbaum.

Nur vor dem Souffleurkasten brannten die beiden Lampen, und rechts auf der Bühne, wo ein Tisch und ein paar Stühle standen, saßen der Director in einem weiten Mantel und der etwas kränkliche Regisseur in großen Filzschuhen und einem Pelze, trotz der Wärme draußen, denn die Luft war hier drinnen kellerartig und es zog fortwährend.

Auf der Bühne gingen sehr anständig gekleidete Herren und Leute in Hemdsärmeln friedlich untereinander herum, und zwar beide Theile ihren Geschäften nach – die Einen die Darsteller, die Anderen Maschinisten, Coulissenschieber und Lampenputzer, während hinten auf der Bühne eine Dame in Hut und Schleier, ein Manuscript in der Hand, noch memorirend zwischen ihnen auf und ab wanderte und nur manchmal das Manuscript – ihre Rolle – gesticulirend ausstreckte und leise tragische Worte dazu murmelte.

Es war Amalia, Fräulein Rottenhöfer, erste tragische Liebhaberin im Theater zu Haßburg.

»Dritte Scene, meine Herren!« rief der Regisseur und klingelte.

Die Schauspieler traten zusammen; die Scenerie war gestellt: die böhmischen Wälder. Es begann die Scene im zweiten Acte, wo die Räuber, nachdem sie Roller befreit, wieder zusammenkommen, und ging so ziemlich.

Pfeffer gab den Spiegelberg; überhaupt hatten dieses Mal alle Kräfte am Theater aufgeboten werden müssen, um die zahlreichen Rollen so tüchtig als möglich zu besetzen, und die Leute gaben sich die größte Mühe. Nur wo Schwarz auftritt, mußte das Einspringen noch einmal gemacht werden.

Jetzt wurde Roller angemeldet, aber der Hauptmann, Karl Moor, war noch nicht da; das Pferd, welches gewissenhaft in Haßburg beibehalten wurde, stand hinten in der letzten Coulisse und schien selber ungeduldig zu werden.

Ratzmann: »Roller, Schweizer, Blitz, Donner, Hagel und Wetter!«

»Wo ist denn Karl Moor?« rief der Regisseur, von seinem Stuhl aufspringend.

»Eben war er noch im Conversations-Zimmer, Herr Regisseur,« sagte der Inspector, dem das Pferd vorher auf den Fuß getreten hatte und der jetzt mit gotteslästerlichen Verwünschungen hinter den Coulissen herumhinkte.

»Aber warum ruft ihn denn Niemand? – Herr Handor, nehmen Sie mir das nicht übel, bei einem so classischen Stück...«

»Bitte um Verzeihung!« sagte Handor, der mit finster zusammengezogenen Brauen aus der Coulisse kam und über die Bühne zu dem Pferd schritt. »Bitte, meine Herren, noch einmal das Stichwort!«

Ratzmann wieder: »Roller, Schweizer, Blitz, Donner, Hagel und Wetter!«

Handor hatte sich in den Sattel geschwungen und spornte sein Roß über die Bühne, das mit klappernden Hufschlägen, genau so, als ob es auf Eis ginge, vorsichtig weiter schritt.

Räuber Moor: »Freiheit, Freiheit...!« – »Aber so lassen Sie doch das Pferd los; ich werde doch nicht sollen auf die Bühne geführt werden!«

Die Zwischenrede galt einem der Maschinisten, der in seinem Diensteifer mit hinausgegangen war und jetzt zurücksprang.

»Noch einmal, meine Herren, wenn ich bitten darf,« rief der Regisseur; »das Pferd muß sich gewöhnen, allein heraus zu kommen.«

Räuber Moor lenkte mit einem halbverbissenen Fluch den alten, geduldigen und etwas kreuzlahmen Schimmel wieder um, und Ratzmann mußte zum dritten Mal das Stichwort geben.

Jetzt ging es; der Schimmel stakte, trotz allen Anspornens, sehr vorsichtig heraus, und mit den Worten: »Du bist im Trocknen, Roller; führ' meinen Rappen ab, Schweizer, und wasche ihn mit Wein!« sprang Karl Moor aus dem Sattel.

»Herr Handor,« rief der Regisseur, wieder aufstehend, »ich habe Sie früher darauf aufmerksam gemacht, daß Sie einen Schimmel reiten.«

»Der Rappe steht in der Rolle,« sagte Handor ärgerlich.

»Ja, allerdings, aber wir haben nun einmal keinen Rappen, und ich kann das Pferd doch nicht, nur des einen unwesentlichen Wortes wegen, schwarz anstreichen lassen.«

»Gut, so »führ' meinen Schimmel ab, Schweizer, und wasche ihn mit Wein«.«

»Hat sich auch mordmäßig angestrengt,« flüsterte der eine Lampenputzer, als Schweizer mit einiger Schwierigkeit das Thier zum Weitergehen bewog.

Die nächste Scene ging jetzt so ziemlich; Karl Moor schien aber in einer gereizten Stimmung und nahm, während die Räuber ihre Heldenthaten erzählten, gar keine Notiz von ihnen. Als aber Schufterle (Horatius Rebe) an zu sprechen fing, stampfte er ein paar Mal ungeduldig mit dem Fuß und brummte dann seine Zwischenrede so leise in den Bart, daß Schufterle kaum das Stichwort verstehen konnte.

»Etwas lauter, Herr Handor, wenn ich bitten darf,« sagte der Regisseur, indem er sein Buch gegen das auf dem Tisch stehende Licht hielt.

»Dann, bitte, sagen Sie auch Herrn Rebe, daß er seine Rolle mit einigem Verstand spielt,« bemerkte Handor; »das Publikum muß ja lachen!«

»Ich habe nichts Auffälliges bemerkt,« erwiderte der Regisseur; »bitte, Herr Rebe, sagen Sie Ihre Worte noch einmal.«

Rebe that so und kam zu dem Schlußsatze: »Armes Thierchen, sagt' ich, Du verfrierst ja hier, und warf's in die Flammen.«

»Ganz gut,« nickte der Regisseur.

»Es ist ja nicht zum Ansehen,« rief Handor gereizt; »bei den Worten: »und warf's in die Flammen« stehen Sie ja wie ein Stock!«

»Bitte um Entschuldigung, Herr Handor,« sagte Rebe ruhig, »erstlich markiren Sie gar nicht, und man weiß nicht, ob Sie mit uns oder mit dem Souffleur reden...«

»Herr, was unterstehen Sie sich!«

»Von Unterstehen kann hier gar keine Rede...«

»Meine Herren, bitte um keinen Zank auf der Probe; was wünschen Sie, Herr Handor, das Herr Rebe thun soll?«

»Sich regen, den Arm hinauswerfen, wenn er die Worte sagt: »und warf's in die Flammen«. Er muß seinem Mitspieler eine Andeutung geben.«

»Ich glaubte, Sie brauchten nur das Stichwort,« sagte Rebe ruhig; »zum Telegraphiren eignet sich die Rolle nicht.«

»Herr,« rief Handor gereizt, »für einen Menschen, der kaum einen Stuhl hinaustragen kann, ist diese Antwort einem Künstler gegenüber unverschämt!«

»Herr Handor...«

»Herr Handor,« rief auch der Regisseur, von seinem Stuhl aufspringend, »entweihen Sie die Kunst nicht durch solche Reden; Sie haben sich überhaupt gegen das Bühnenreglement vergangen, und ich muß Sie in Strafe nehmen!«

»Nennen Sie denn das eine Probe,« rief Handor heftig, »wenn ich nicht einmal Statisten zurechtweisen darf, wie sie sich zu benehmen haben?«

»Herr Handor,« rief aber jetzt auch Rebe gereizt, »ich werde Ihnen nach der Probe sagen, was ich von Ihnen denke – hier füge ich mich den Gesetzen!«

»Meine Herren,« bat der Regisseur, »Sie gehen mir zu sehr in den Charakter Ihrer Rollen ein, und es ist nur ein Glück, daß Ihnen der Requisiteur noch nicht die Dolche und Pistolen geliefert hat. Bitte, noch einmal das Stichwort – Herr Rebe, Ihres mein' ich – »und warf's in die Flammen«.«

Rebe gehorchte ziemlich mürrisch dem Befehle und Handor ärgerte ihn noch mehr dadurch, daß er die Worte: »Fort, Ungeheuer, laß dich nimmer unter meiner Bande sehen!« mit ganz besonderer Betonung sprach. Es war aber für den Augenblick nichts dagegen zu machen und er mußte abgehen, während Karl Moor seinen späteren Monolog mürrisch und in den Bart hinein sprach.

Schufterle kam von da an nur noch ein einziges Mal vor und hätte weggehen können; aber er blieb, um das Ende der Probe abzuwarten, wo aber noch einmal ein Streit vorfiel, und zwar mit der ersten tragischen Liebhaberin selber.

In der Scene zwischen Karl Moor und Amalia, wo Handor sehr zerstreut spielte – wie er denn überhaupt nach des sehr gewissenhaften Regisseurs Ausspruch heute gar nicht bei der Sache war –, hatte er bei den Worten: »Wie, mein Fräulein, wenn Ihr Geliebter Ihnen für jeden Kuß einen Mord aufzählen könnte?« den Arm von Fräulein Rottenhöfer so fest und plötzlich gefaßt, daß eine Schnur von imitirten Perlen, die sie am Handgelenk trug, zerriß und ein paar der zerdrückten Perlen ihr die Haut ritzten.

Die Dame wurde heftig und behauptete, daß er sie in der Scene gar nicht anfassen dürfe, und er erwiderte ihr ziemlich kurz, ob sie glaube, daß er den Charakter seiner Rolle nicht verstehe; übrigens wolle er ihr die Perlen bezahlen.

Es gab dann noch einen Auftritt, wo sich der Director selber in's Mittel legen mußte, denn Fräulein Rottenhöfer erklärte, nicht mit einem so rohen, ungebildeten Menschen spielen zu wollen.

Handor murmelte ein Wort zwischen den Zähnen durch, das wie »Gans« klang und keinesfalls in seiner Rolle stand, wonach die Dame denn nichts Besseres thun konnte, als in Ohnmacht zu fallen.

Daß Handor durch dies Alles nicht in die beste Laune gerieth, läßt sich denken, und die wurde nicht erhöht, als die Probe, welche heute fast bis zwei Uhr gedauert hatte, endlich vorüber war und er vor dem Theater auf Rebe traf, der ruhig zu ihm hinging und ihn anredete:

»Herr Handor, auf ein Wort.«

»Was wollen Sie?« fragte der erste Liebhaber kurz.

»Nichts weiter, als Genugthuung für Ihre Beleidigung heute.«

»Genugthuung?«

»Sie verstehen doch, was ich damit meine.«

»Sie sind ein Narr, Rebe!« sagte Handor und wollte sich von ihm abdrehen. So wohlfeilen Kaufes kam er aber nicht davon.

»Dann erkläre ich Sie für einen feigen Lump, Herr Handor!« sagte der junge Mann, der kreidebleich vor innerer Aufregung geworden war und vor Wuth zitterte.

Handor biß die Zähne zusammen.

»Gut, Sie sollen Ihre Genugthuung, wie Sie's nennen, haben, Sie verdienen eine Züchtigung, aber nicht jetzt. Sie wissen, was wir in nächster Woche vorhaben; die Vorstellung des »Hamlet« dürfen wir nicht stören, wenn Sie auch vielleicht entbehrt werden könnten. Nach dem »Hamlet« stehe ich Ihnen zu Diensten.«

»Gut denn, also nach der Vorstellung oder am nächsten Morgen.«

Handor nickte nur, drehte ihm den Rücken zu und ging die Straße hinunter.

Gerade am Theater vorüber war Pfeffer gekommen, und wenn auch noch nicht nahe genug, um die Worte zu verstehen, hatte ihm doch der Sinn nicht gut entgehen können.

»Das ist recht, Herr Horatius Cocles,« sagte er, während er vor ihm stehen blieb und ihn starr ansah, »das wäre allerdings die leichteste Manier, Jemandes Rollen zu bekommen, wenn man ihn einfach todtschießt. Sind Sie denn ganz des Teufels, Mensch, und wollen Sie sich mit Gewalt Ihre Carrière verderben?«

»Herr Pfeffer!«

»Ach was, Pfeffer hin, Pfeffer her, es pfeffert sich was! Wo wollen Sie denn hin, wenn man Ihnen hier den Contract kündigt?«

»Meine Ehre gilt mir höher als mein Leben!« rief der junge Mann stolz.

»Puh, so viel dafür!« rief der alte Mann verächtlich; »wenn Ihnen so ein Lump Ihre Ehre nehmen kann, so wär's nicht der Mühe werth, sie aufzuheben! Und all' das andere Unheil, welches Sie nachher anrichten – heh?«

»Andere Unheil?« sagte Rebe traurig. »Haben Sie mir nicht selber Ihr Haus verboten, Herr Pfeffer, und glauben Sie, daß außerdem auch wohl ein einziges Auge naß würde in ganz Haßburg, wenn ich – von hier fortginge oder stürbe?«

»Puh!« sagte Pfeffer wieder, sah eine Weile vor sich nieder, schob dann beide Hände in seine Taschen und schritt der eigenen Wohnung zu.

Fürchtegott Pfeffer stieg auch direct hinauf in sein eigenes Zimmer und lief dort, ohne den Hut abzunehmen, die Hände auf den Rücken gelegt und aus Leibeskräften vor sich hin pfeifend, in dem kleinen Gemache mit einer wahren Vehemenz auf und ab. Sein Spaziergang war dabei ein keineswegs unbehinderter, denn überall lag bald ein Haufen Manuscripte, bald Bücher und Zeitungen, die ihm kein Mensch anrühren durfte, im Wege. Unverdrossen stieg er aber über das Alles weg, herüber und hinüber, und war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, daß er gar nichts weiter hörte noch sah.

»Was mag nur der Onkel heute haben?« sagte Jettchen, die mit eisernem Fleiß an ihrer Arbeit saß. Zu jenem, zu Ehren des Erbprinzen bestimmten Balle hatte sie nämlich eine solche Masse von Aufträgen bekommen und Bestellungen auf Blumen waren so von allen Seiten eingelaufen, daß das arme Kind schon die ganze Nacht durcharbeiten mußte, um nur Alle zu befriedigen und ja keine Kunden zu verlieren. Du lieber Gott, im Sommer, wo der Schöpfer ja da draußen seine herrlichen, frischen und duftenden Blumen wachsen ließ, war die Arbeit überdies nur sehr spärlich und der Verdienst so klein – da durfte man sich schon eine so glückliche Gelegenheit nicht entgehen lassen!

Die Mutter lag wieder auf dem Sopha; sie befand sich etwas besser heute, war aber noch immer sehr schwach und angegriffen.

»Ich weiß es nicht,« sagte sie leise; »wahrscheinlich wieder ein Ärger auf der Probe.«

»Wenn er so pfeift, ist er immer sehr böser Laune,« seufzte Jettchen; »aber jetzt kommt er ja gar nicht von der Probe; er war doch vorhin schon zum Essen da, und hat in den letzten Acten nichts zu thun.«

»Laß ihn nur, mein Kind,« lächelte die Frau wehmüthig; »bei solchen Gelegenheiten pfeift er sich gewöhnlich ordentlich aus, und nachher ist er wieder guter Laune; nur stören darf man ihn nicht darin.«

»Es ist doch auch wirklich ein leidiges Leben beim Theater,« sagte das arme Mädchen leise; »immer nur Ärger und Streit, als ob die Leute gar nicht friedlich neben einander leben könnten, und Abends, wenn dann die Lichter angezündet sind, merkt man gar nichts davon und Alles schwelgt in Glanz und Freude.«

»Es ist Alles falsch, mein Herz,« nickte die Mutter leise vor sich hin, »Alles; aber nicht allein auf dem Theater, Kind, wo sie sich draußen aus der Bühne vor dem Publikum in den Armen liegen und sich hinter den Coulissen nachher alles gebrannte Herzeleid anthun – im wirklichen Leben machen sie's auch nicht viel besser. Vor der Welt, die da das Publikum ist, ja, da glänzt und schimmert Alles, und hinter den Coulissen – das heißt im eigenen Hause, im eigenen Familienkreise, worin erst recht Liebe und Freundschaft, Friede und Eintracht herrschen sollten – da säet der böse Feind sein Unkraut aus, und Jammer und Elend sind die Folgen.«

»Aber bei uns doch nicht, Mama,« sagte herzlich das junge Mädchen.

»Nein, Kind, bei uns nicht,« seufzte die Frau, deren Erinnerungen weit zurückgeschweift waren. »Wir, mein Herz, erscheinen aber auch nicht mehr draußen vor dem Publikum, vor der Welt; wir haben uns hier unsere kleine Welt gegründet und – Erfahrung genug im Leben gesammelt, um uns die nicht selber muthwillig zu zerstören. Gebe nur Gott, daß uns die Welt da draußen eben so wenig beachtet, wie wir sie!«

Henriette schwieg und wandte langsam den Kopf zur Seite, daß die Mutter, wenn sie zufällig einmal herübersah, nicht die verrätherische Thräne bemerken sollte, die ihr im Auge blitzte; sie wäre ja sonst noch trauriger geworden.

»Na, Guste, wie geht's?« sagte plötzlich Pfeffer, der den Kopf in die Thür steckte. »Ein bischen besser?«

»Ich danke Dir, Fürchtegott; komm doch herein.«

»Ich rauche.«

»Die Fenster stehen ja auf, da thut mir der Rauch nicht weh.«

»Hm,« sagte Pfeffer, der jetzt in's Zimmer trat, die Thür hinter sich zuzog und dann zum Sopha ging. »Du siehst immer noch höllisch angegriffen aus – und der Heidenlärm da draußen! Wenn ich nur dem einen Kerl mit seiner Mordgeschichte den Hals umdrehen könnte, nachher wär' ich zufrieden.«

»Ja, Onkel,« lächelte Henriette, »Und dann würde die Polizei kommen und Dich einsperren und köpfen lassen, und nachher malte dann ein Anderer Deine Geschichte, und die würde dann auch abgesungen, von dem furchtbaren Halsabdreher Fürchtegott Pfeffer.«

»Was die Mamsell nicht weiß!« sagte der Onkel, indem es ihm aber doch wie ein Lächeln über das Antlitz zuckte; »hol' mich Dieser und Jener, Thierquälerei wird bestraft, aber Menschenquäler dürfen überall frei umherlaufen und haben sogar noch die Unverschämtheit, Geld dafür einzu– aber alle Teufel,« unterbrach er sich überrascht, als er, während er sprach, zu Jettchen's Tisch getreten war und dort ihre Arbeit erblickte, »den Kranz hast Du ja erst gestern Abend angefangen, als ich zu Bette ging, Mädel, was zum Henker, Du hast doch nicht die ganze Nacht daran gesessen?«

»Lieber Onkel,« sagte Henriette bittend, »sei nicht böse, aber – die Zeit drängte so – bis zu dem Balle, der in der nächsten Woche sein soll, ist noch so viel bestellt...«

»Und wie Du aussiehst, bleich und angegriffen; das geht nicht, Schatz, das geht wahrhaftig nicht, das darf ich nicht leiden!«

»Ich habe sie auch gebeten, zu Bett zu gehen,« sagte die Mutter, »aber der Trotzkopf wollte nicht.«

»Wenn der Ball erst vorüber ist, schlafe ich dafür eine ganze Woche,« lächelte Henriette; »denke nur, Onkel, was für hübsches Geld ich dabei verdiene.«

Pfeffer antwortete nichts. Er stand am Fenster, blies Ringe hinaus und klopfte dabei mit der Fußspitze den Boden, als die Thür plötzlich aufgerissen wurde, Fräulein Bassini den Kopf in's Zimmer steckte und hereinrief: »War er schon hier?«

»Wer?« rief Pfeffer, sich scharf auf dem Absatz herumdrehend. »Was, zum Teufel, kommst Du denn so in's Zimmer gestürmt – weißt Du denn nicht, daß Deine Schwester krank ist? Wer soll hier gewesen sein?«

»Nun, der Graf,« sagte die Dame, die Thür hinter sich zuziehend.

»Der Graf – bei Dir rappelt's wohl? Was für ein Graf?«

»Also, so wißt Ihr noch gar nichts?«

»Na, jetzt hör' einmal mit Deinem Schnack auf,« brummte Pfeffer; »thu Deine Gartenanlage vom Kopf herunter und setze Dich auf Deinen – hätte bald 'was gesagt. Steckt in dem Frauenzimmer eine Unruhe – Apropos, hast Du mir meine Dose wieder mitgebracht?«

»Nein, die hab' ich heilig vergessen – aber Fürchtegott, Auguste, Jettchen, wißt Ihr denn, wer bei mir war?«

»Ach schnack' keinen Unsinn; wie können wir wissen, wer bei Dir gewesen ist,« rief Pfeffer – »vielleicht der Friseur mit einer neuen Perrücke?«

»Grobian! Ein Graf war bei mir, ein wirklicher, lebendiger Graf mit Orden – nein, Orden hat er nicht gehabt, das ist wahr; merkwürdig eigentlich, daß ein Graf blos so, ohne Orden herumgehen kann wie andere Menschen.«

»Ob das Frauenzimmer nicht einen Sparren hat wie ein Hebebaum,« knurrte ihr Bruder – »und was wollte er?«

»Das räthst Du nicht, und wenn ich Dir ein Jahr Zeit ließe.«

»Er wollte Dich wahrscheinlich bitten, auf der Bühne nicht so zu schreien, weil er eine Prosceniums-Loge hat.«

»Du bist heute unausstehlich.«

»Aber so sag' uns doch nur, was er wollte, Tante, rathen können wir's ja doch im Leben nicht,« bat Henriette.

»Das Kind ist viel vernünftiger als Du,« erwiderte Fräulein Bassini; »nein, Schatz, rathen könnt Ihr's allerdings nicht, aber er kam, um sich nach Augusten zu erkundigen.«

»Nach mir?« rief die Frau.

»Und zu Dir?« sagte Pfeffer.

»Ja, zu mir, Überklug, weil er mich für meine Schwester hielt.«

»Mit der Perrücke?«

»Herr Gott, der Mensch bringt mich noch zur Verzweiflung!«

»Aber so laß sie doch nur einmal erzählen, Fürchtegott.«

»Na, hindere ich sie etwa daran? Aber bringt sie denn etwas Anderes heraus wie Unsinn? Wenn es der kein Souffleur einbläst, wird sie nie fertig!«

»Du hast einmal wieder Deinen liebenswürdigen Tag, das muß wahr sein; aber ich will mich heute nicht ärgern.«

»Was wollte denn der Graf von mir?« sagte die Frau, ungläubig dazu mit dem Kopf schüttelnd.

»Ja, das ist ja eben das Wunderbare,« rief Fräulein Bassini, ganz entzückt, die Trägerin einer solchen Neuigkeit zu sein; »im Auftrag seines Freundes kam er, wie er sagte. Und weißt Du, wer der Freund war? Herr Stelzhammer.«

»Oh, Du mein Gott!« sagte die kranke Frau und wurde todtenbleich.

»Sein Freund?« rief Pfeffer ärgerlich; »das hab' ich mir etwa denken können, und das wird ein sauberer Graf gewesen sein, der Dich besucht hat; vielleicht ein Photo–graf oder ein Tele–graf – ein Freund von dem Lump – na, nun bitt' ich aber zu grüßen – Herr Jesus, was das für ein verrücktes Frauenzimmer ist!«

»Du redest, wie Du es verstehst!« rief Fräulein Bassini gereizt. »Der Stelzhammer ist in Amerika ein großer, reicher Herr geworden, und das Gewissen schlägt ihm jetzt; er hat den Herrn Grafen gebeten, sich hier nach Dir zu erkundigen, wie es Dir geht, was Du machst und ob es Dir an etwas fehlt.«

»Nein, was das für ein sorgsamer Gatte ist,« rief Herr Pfeffer, sich mit der rechten Hand auf sein Knie schlagend, »ist erst achtzehn Jahre abwesend und erkundigt sich wirklich schon einmal, wie es seiner Frau geht!«

»Und sind sie nicht vor Gericht geschieden?« rief Fräulein Bassini, die merkwürdiger Weise nun, da ihr Bruder die Partei nahm, welche sie selber bis jetzt gehalten, auf die entgegengesetzte Seite übersprang. »Ist er denn gesetzlich verpflichtet, sich überhaupt noch um sie zu bekümmern?«

»Jetzt hör' Einer das Frauenzimmer an!« rief Pfeffer entrüstet. »Hat es denn Jemand von ihm verlangt, heh? Hab' ich etwa Deinen Herrn Grafen ersucht, hierher zu kommen? Aber ist ein Mann, wenn er sich auch von seiner Frau scheiden läßt, nicht etwa doch verpflichtet, noch für sie zu sorgen? Oder glaubst Du etwa, daß da jeder Lump herkommen und heirathen, und sich dann wieder scheiden lassen kann und weglaufen darf wie die Sau vom Trog?«

»Du bist und bleibst ein Grobian – und wenn er es nun bereut?«

»Zeit wär's,« brummte Pfeffer; »aber nun erzähle einmal vernünftig, wenn Dir das irgend möglich ist, was der Fremde wollte und weshalb er zu Dir kam.«

»Eigentlich waren es Zwei,« berichtete Fräulein Bassini, »aber aus dem Zweiten bin ich nicht klug geworden; ich glaube, es muß der Kammerdiener gewesen sein. Er hat auch den Mund die ganze Zeit nicht aufgethan – ein kleiner, dicker Mensch mit einer Glatze wie der Tisch groß.«

»Na, so lüg' Du und der Teufel!«

»Und das Andere war ein Graf?« fragte Henriette.

»Was ich Dir sage, Kind, hier habe ich noch seine Karte,« fuhr Fräulein Bassini, in ihrer tiefen Tasche danach suchend, fort; »da, da steht's: Felix Randolph, Graf von Rottack – da steht's gedruckt, und nun wirst Du's doch glauben, Bruder Thomas?«

Pfeffer nahm die Karte, besah sie, schüttelte mit dem Kopf und warf sie dann auf den Tisch. »Und was wollte er eigentlich?« fragte er hierauf.

»Weiter nichts, als sich nach Augusten erkundigen. Er hätte Auftrag, wie er sagte, von seinem Freunde Stelzhammer in Amerika, hier Nachforschungen anzustellen, und wie er erfuhr, daß ich nur die Schwester wäre – denn es scheint, daß er mich für Auguste hielt –, stand er auf und sagte, er würde selber hierher gehen.«

»Zu uns hierher?« fragte die Frau erschreckt.

»Na, er wird uns auch nicht beißen,« brummte Pfeffer; »neugierig wäre ich aber doch, was der Patron, Dein sauberer Mann, eigentlich will. Sollte mich gar nicht wundern, wenn er Geld brauchte und uns anpumpen möchte.«

»Aber Onkel!«

»Liebes Kind,« brummte Pfeffer, »es sind schon närrischere Dinge in der Welt vorgekommen, das wäre nicht das Tollste; komisch wär's aber, so viel ist richtig, und ein Hauptspaß dabei, denn dem Grafen wollt' ich heimleuchten!«

»Wie kannst Du nur so reden, Fürchtegott,« bat die Frau, »weißt Du nicht, daß Du mir entsetzlich weh damit thust?«

»Ach was,« sagte der Mann, aber doch jetzt mit mehr Gutmüthigkeit im Ton, »ich weiß wohl, daß Du immer seine Partei genommen hast.«

»Er war auch von Herzen gut,« sagte die Frau, »recht gut und brav, nur entsetzlich leichtsinnig, und wir Beide noch damals so jung; Gott nur weiß, wie schlimm es ihm auch vielleicht in der Welt ergangen ist.«

»Nicht schlimmer, wie er's verdient hat!« polterte Pfeffer heraus. »Aber wann war denn der Graf eigentlich bei Dir, Lise?«

»Ach, vor kaum einer halben Stunde,« rief Fräulein Bassini, »und denke Dir nur, ich war noch gar nicht angezogen; ich hatte den ganzen Morgen studirt und noch keine Toilette gemacht, saß am Clavier und phantasirte ein wenig – auf einmal geht die Thür auf und der Graf guckt herein. Ich dachte, der Schlag sollte mich auf der Stelle rühren.«

»Ein Wunder nur, daß er den Grafen nicht gerührt hat, wenn er Dich im Negligé gesehen!« lachte Pfeffer.

»Aber, Onkel!«

»Dein Negligé ist freilich schöner,« rief Fräulein Bassini, »mit dem Schlafrock, der kleben bleibt, wenn man ihn an die Wand wirft, und Deinem alten, ekelhaften Tabaksgestank! Aber um mich ärgern zu lassen, bin ich nicht hergekommen,« rief sie, von ihrem Stuhl aufstehend; »nur Augusten wollte ich die Nachricht bringen – »mit Dir habe ich weiter nichts zu thun!« – Und wirklich böse gemacht, schoß sie der Thür zu.

»Vergiß das nächste Mal die Schnupftabaksdose nicht!« rief ihr der Bruder nach, und Fräulein Bassini riß, verächtlich den Kopf zurückwerfend, die Thür auf, als sie plötzlich einen tiefen, ehrfurchtsvollen Knix nach außen machte und dann flüsternd, aber deutlich genug in das Zimmer zurückrief:

»Der Graf!«

10.
Graf Rottack bei Pfeffers.

»Und was nun,« sagte Felix, als sie mitsammen die Straße hinabschritten und Jeremias noch einen scheuen Blick hinter sich warf, als ob er fürchte, daß ihnen diese entsetzliche orangefarbene Dame folgen könne – »wollen wir zu Pfeffers?«

»Herr Graf,« stöhnte der kleine Mann, »ich bin nicht im Stande – ich gebe Ihnen mein Wort, ich habe in der Viertelstunde da oben bei dem schrecklichen Frauenzimmer, meiner Fräulein Schwägerin, mehr ausgestanden, als ob ich die ganze Zeit über auf einer Folterbank gesessen hätte!«

»Aber wußten Sie denn nichts von dieser Schwester?«

»Ich wußte, daß meine Frau eine Schwester hatte, habe sie aber nie gesehen, denn sie war damals schon lange beim Theater und irgendwo im Preußischen an einer kleinen Bühne engagirt, hatte sich auch nie mit ihrer jüngeren Schwester vertragen können.«

»Und der Bruder?«

»War Komiker an unserem Theater, entzweite sich aber ebenfalls mit meiner damaligen Frau, weil er gegen unsere Heirath gerathen, und hielt keinen Verkehr mit uns.«

»Sie müssen damals ein sauberer Zeisig gewesen sein, Jeremias?«

»Reden wir nicht davon,« sagte der kleine Mann mit einem aus tiefster Brust herausgeholten Seufzer; »aber es ist ja nun vorbei und ich brauche doch wenigstens nicht mit einer Schwägerin gestraft zu werden, wenn ich nicht einmal eine Frau habe.«

»Aber was wollen Sie jetzt thun? Jene Dame wird unfehlbar ohne weiteren Zeitverlust zu ihrer kranken Schwester laufen und sie alarmiren.«

»Die wär's im Stande.«

»Darauf können Sie sich fest verlassen,« sagte Felix, »und ich bin überzeugt, daß sie selbst in diesem Augenblick in aller Hast ihre Toilette macht. Was dann?«

»Und wenn ich selber hingehe, jage ich der armen Frau vielleicht den Tod vor Schrecken ein, denn – hübscher bin ich nicht geworden.«

»Hören Sie, Jeremias,« sagte Graf Rottack, nach seiner Uhr sehend, »ich habe etwa noch eine halbe Stunde Zeit und die Sache einmal begonnen. Ich werde allein zu jenem Herrn Pfeffer hinaufgehen und sehen, wie Alles steht.«

»Ach, mein bester, herrlichster Herr Graf, wenn Sie das für mich thun wollten – sehen Sie, schicken Sie mich nachher durch die Hölle, wie den seligen Tamino durch Feuer und Wasser, wohin Sie wollen, ich springe mitten hinein!«

»Aber Alles kann ich doch nicht thun, Jeremias,« sagte Rottack, »ja, im Gegentheil würde meine Gegenwart später nur störend sein – nachher müssen Sie allein gehen.«

»Ja gewiß, mit dem größten Vergnügen!« rief der kleine Mann, dem der Angstschweiß auf der Stirn stand – »erzählen Sie nur vorher die Geschichte; sagen Sie ihr, wie ich geschafft und gearbeitet habe und ein ordentlicher Kerl geworden bin, und bitten Sie, daß sie – nicht mehr böse auf mich ist. und mir wenigstens erlaubt, ihr zu helfen.«

»Sie hatten ein Kind, Jeremias?«

»Ja, ein Mädchen,« sagte dieser kleinlaut.

»Sie wird herangewachsen sein – und kennt den Vater nicht einmal.«

»Lieber, bester Herr Graf, thun Sie mir den einzigen Gefallen und reden Sie nichts weiter, ich verliere sonst das kleine bischen Verstand – es ist wahrhaftig nicht viel, was mir noch übrig geblieben ist – gehen Sie hinauf, ich werde indessen hier unten auf und ab laufen.«

»Aber wo ist denn das Haus?«

»Hier muß es irgendwo sein, dies ist wenigstens die Straße, und – holla, sehen Sie wohl, Sie hatten Recht – da brennt meine orangefarbene Schwägerin eben hinein – ich kenne sie an der Haartour – glücklicher Weise hat sie uns nicht gesehen.«

»Gut, dann will ich ihr wenigstens Zeit lassen, das Eis zu brechen,« lächelte Rottack; »kommen Sie, wir wollen erst noch einmal die Straße hinab und wieder zurück gehen, und nachher besuche ich Ihre Verwandten.«

»Und ich laufe unterdessen hier Spießruthen.«

»Das fällt zu sehr auf. Dort drüben ist ein Bierlocal, gehen Sie da hinein und setzen Sie sich an's Fenster, daß Sie die Thür im Auge behalten.«

»Das ist recht,« sagte Jeremias, mit Allem einverstanden, was ihm nur das erste Bahnbrechen seines schweren Schrittes ersparte, und als sie Fräulein Bassini hinlänglich Zeit gelassen zu haben glaubten, ihre Neuigkeit anzubringen, und zu dem Eingang des Hauses zurückkehrten, trat Graf Rottack seinen nicht eben leichten Gang an. Jeremias aber, dem erlassenen Rath zufolge, postirte sich an das innere Fenster des benachbarten Wirthshauses und trank in Gedanken und Herzensangst ein Glas Bier nach dem andern.

Der junge Graf stieg indessen langsam die Treppe hinauf. Unten im Hause hatte er schon erfahren, daß Herr Pfeffer im zweiten Stock wohne, und wie er dort oben den Vorsaal erreichte, wußte er augenblicklich, wohin er sich zu wenden habe, als er das überraschte Gesicht und die orangefarbene Gestalt der Dame in der freilich gleich wieder zugeschlagenen Thür entdeckte.

Rottack war aber nicht der Mann, um schüchtern eine Einladung abzuwarten. Er ging ohne Weiteres auf die Thür zu, klopfte an und öffnete dieselbe auf das laute, etwas barsche »Herein!« Pfeffer's. Dieser hatte nämlich keine Zeit gehabt, in sein Zimmer zu gehen und den alten Schlafrock auszuziehen, da er vorher erst den Vorsaal hätte passiren müssen, und drückte sich nun, als der Fremde eintrat, vorsichtig an der Wand hin, um diesen Fehler so rasch als möglich zu verbessern. Der Schlafrock war wirklich in gar zu desolaten Umständen.

»Ich habe das Vergnügen, mit Herrn Pfeffer zu sprechen? Ah, mein Fräulein, ich hatte schon vorher die Ehre...«

»Ja, mein Herr,« sagte Pfeffer, der sich hier keine Blöße geben durfte, »mein Name ist Pfeffer – Fürchtegott Pfeffer.«

»Und Ihre Frau Gemahlin? – Bitte, bleiben Sie liegen, Madame, ich möchte um Alles in der Welt Sie nicht derangiren, und muß so schon um Verzeihung bitten, so ohne Weiteres eingetreten zu sein!«

»Bitte – nein, nicht meine Frau, meine Schwester Auguste – dies meine Schwester Lise – Elise wollt' ich sagen – dort meine Nichte Henriette – mit wem hab' ich die Ehre?«

»Mein Name ist Rottack, und wenn ich mich hier in eine Familienangelegenheit dränge – denn ich darf wohl annehmen, daß Ihnen das Fräulein hier schon die Ursache meines Besuches mitgetheilt hat – so mag mich das entschuldigen, daß ich es in bester Absicht und in der Hoffnung thue, einen günstigen Erfolg für beide Theile zu erzielen.«

»Aber wollen Sie sich nicht setzen, Herr Graf?« rief Fräulein Bassini und schritt nach dem Fenster zu, um dort einen leeren Stuhl zu holen.

»Pardon, mein gnädiges Fräulein!« rief Rottack und sprang ihr zuvor, während Pfeffer ein sauer-komisches Gesicht bei dem Worte »gnädiges« zog, den Moment aber auch benutzte, zur Thür hinaus zu fahren – »Sie erlauben mir wohl...«

Er hatte den Stuhl erfaßt, als sein Blick auf die Arbeit Henriettens fiel, die neben ihrem Arbeitstisch in ängstlicher Spannung aufgestanden war.

»Ah, mein liebes Fräulein, wie reizend und geschmackvoll Sie arbeiten! Die Blumen könnten wahrhaftig eben so gut in Paris gemacht sein – der Kranz ist prachtvoll!«

»Sie sind zu gütig, Herr – Graf,« flüsterte Henriette beschämt und tief erröthend – »ich habe sehr rasch daran arbeiten müssen.«

»Wirklich vortrefflich,« fuhr Rottack fort, den Schmuck aufnehmend und gegen das Licht haltend.

»Nicht wahr, Jettchen arbeitet hübsch?« sagte Fräulein Bassini, die ebenfalls zum Tisch getreten war und sich in dem Lobe der Nichte mit geschmeichelt fühlte – »ja, das macht ihr Keine hier nach – und so rasch, Sie glauben es gar nicht!«

»Dürfte ich da Ihre Zeit wohl auch einmal in Anspruch nehmen, mein liebes Fräulein,« sagte der junge Mann, »und Sie um einen Kranz von diesen Veilchen und solchen Maiblumen bitten? Ich weiß, daß ich große Freude damit anrichten würde.«

»Ja, Herr Graf,« sagte in dem Augenblick Pfeffer, der mit einer noch nie entwickelten Schnelligkeit seinen drüben mitten in's Zimmer geschleuderten Schlafrock abgeworfen und den langen braunen Rock angezogen hatte – »aber nur jetzt nicht; das Mädel hat sich schon halb caput zu dem verdammten Ball gearbeitet...«

»Ich werde Sie nicht drängen,« lächelte Rottack, »und wenn ich den Kranz erst in vier oder sechs Wochen bekomme.«

»Sie sollen ihn noch früher haben,« lächelte Henriette freundlich; »nur die nächsten Tage bin ich so sehr beschäftigt.«

»Und was war es nun, Herr Graf, was Sie uns zu sagen wünschten?« platzte Fräulein Bassini heraus, die ihre Ungeduld, das erwartete Geheimniß zu hören, nicht länger bezähmen konnte.

»Sie haben Recht, mein Fräulein,« sagte Rottack ernst. »Herr Pfeffer, ich habe Ihrer Frau Schwester eine wichtige Mittheilung zu machen, was eigentlich unter vier Augen geschehen sollte; da aber die arme Dame leidend ist, so erbitte ich mir Fräulein Henriettens – nicht wahr, das war der Name der jungen Dame? – Fräulein Henriettens Gegenwart dazu aus, da sie ja selber mit interessirt dabei ist.«

»Sehr wohl, Herr Graf,« sagte Pfeffer, der die Andeutung nicht mißverstehen konnte – »na, komm so lange mit zu mir hinüber, Lise.«

»Aber wir gehören doch eigentlich mit zur Familie!« rief Fräulein Bassini, von dem Gedanken empört, daß sie schon wieder nichts erfahren sollte.

»Na, komm nur, Alte,« lachte Pfeffer, »das hilft Dir nichts, ich lasse Dich drüben nicht einmal horchen – aber noch Eins, Herr Graf – bitte, machen Sie's kurz und regen Sie mir die Guste nicht zu sehr auf; sie zittert jetzt schon am ganzen Leibe!«

»Ich habe ihr nichts Trauriges mitzutheilen, mein lieber Herr,« sagte Rottack freundlich – »seien Sie versichert, daß Alles, was ich zu sagen habe, auf die schonendste Weise gesagt werden wird.«

»Bon,« sagte Pfeffer, und Fräulein Bassini – die doch nicht mit Gewalt da bleiben konnte, obgleich sie einmal nicht übel Lust dazu zu haben schien – bei der Hand nehmend, verließ er mit ihr das Zimmer.

»Jettchen!« rief die Frau.

»Meine liebe, liebe Mutter!« rief Henriette, flog an ihre Seite und kniete vor ihr am Sopha nieder.

»Beruhigen Sie sich, verehrte Frau,« sagte Rottack herzlich, »ich habe Ihnen eine recht gute Mittheilung zu machen. So erfahren Sie denn vor allen Dingen, daß ich Ihre Familienverhältnisse genau kenne und sogar persönlich befreundet mit ihrem geschiedenen Manne bin...«

»Und er lebt?« sagte die Frau zitternd.

»Er lebt,« nickte Rottack freundlich, »und hat nicht allein seine frühere übereilte Handlung tief und aufrichtig bereut, sondern auch Alles gethan, was in seinen Kräften steht, um sie, so weit es irgend möglich ist, wieder gut zu machen.«

»Und so lange Jahre habe ich nichts von ihm gehört – hat er nicht ein einziges Mal nach seinem Kind gefragt?«

»Meine liebe, gute Mutter, rege Dich nur nicht auf!«

»Aber wo ist er?« fragte die Frau – »wird er nie wieder nach Deutschland zurückkommen?«

»Würden Sie ihm verzeihen, wenn er wiederkehrte?«

»Was kann ich ihm verzeihen,« sagte die Frau traurig – »wir waren Beide damals jung und unerfahren, trugen Beide wohl vielleicht gleichviel Schuld – ich – hatte mir nur nie gedacht, daß er mich so ganz vergessen könnte.«

»Und wenn ich Ihnen sage, daß er Sie nicht vergessen, daß er da drüben im fremden Land geschafft und gearbeitet hat wie ein braver, ehrlicher Mann, daß es ihm anfangs sauer, recht sauer wurde, daß er sich aber keine Mühe verdrießen ließ, bis er endlich doch seinen Zweck erreichte und nicht allein durch eisernen Fleiß, sondern auch glückliche Speculation und Umsicht ein Vermögen erwarb, mit dem er anständig hier in Deutschland leben könnte?...«

»Und in seinem Glück hat er unserer gedacht?« sagte die Frau leise und faltete wie unwillkürlich die Hände.

»Mehr als das,« fuhr Rottack herzlich fort; »es ließ ihm drüben in Brasilien keine Ruhe. Immer stand das Bild seiner verlassenen Familie vor ihm, und wie er sich endlich ein freier, unabhängiger Mann wußte, verließ er die Fremde und kehrte nach Deutschland zurück.«

»Er ist hier?« rief Henriette rasch, und die Frau deckte ihr bleiches Antlitz mit den Händen.

»Er ist hier,« sagte Rottack leise, »hier in der Stadt, und hat mich, der ihn drüben in Brasilien kennen lernte, zu Ihnen hergesandt, um Sie zu fragen, ob Sie ihm verzeihen wollen – ob er sein Kind wiedersehen darf.«

Henriette hatte ihr Antlitz an der Mutter Schulter geborgen, und diese antwortete nicht; sie lag still und regungslos, aber die großen, hellen Thränen liefen ihr, unter den Fingern weg, an den bleichen Schläfen nieder und netzten das Kissen, auf dem sie lag.

»Nicht wahr, der Vater darf wiederkommen, liebe, liebe Mutter?« bat das Kind, indem sie die Weinende heftig umschlang – »hast Das nicht manche lange Nacht in Thränen zugebracht, daß er fort war, und mir oft gesagt, wie er sich freuen würde, wenn er mich, sein Jettchen, einmal sehen könnte? – Und dann wird es Dir auch besser gehen,« flüsterte sie ihr leise zu, »Du wirst gesund und kräftig werden und brauchst keine Sorge mehr zu tragen, Dir nichts mehr versagen, wie doch so oft bisher...«

Die Frau nahm die Hände von den Augen, öffnete ihre Arme, umschloß ihr Kind damit und preßte die Lippen auf ihre heiße Stirn.

»Ja, mein Kind,« sagte sie dabei leise, »er darf wiederkommen – wir haben Beide recht viel ohne einander ausgestanden, recht viel, der Eine mehr, der Andere weniger – aber wir haben uns doch einmal geliebt, und es ist gut, wenn wir da nicht in Groll von einander scheiden.«

»Meine liebe, gute, gute Mutter!«

»Aber nicht heute,« fuhr die Mutter fort, »nicht heute – die Nachricht hat mich doch zu sehr angegriffen – ich würde es vielleicht nicht ertragen, oder Jeremias doch zu sehr erschrecken, wenn er mich gar so elend fände – heute nicht, aber morgen früh. Es ist besser so für uns Beide – wir haben Beide Zeit, uns zu sammeln und darauf vorzubereiten – nicht wahr, er kommt nicht heute, lieber Herr?«

»Er soll heute nicht kommen, verehrte Frau,« sagte Rottack, der mit inniger Rührung die Bewegung von Mutter und Tochter beobachtet hatte, aber Zartgefühl genug besaß, um kein Wort da hinein zu reden. »Sie dürfen sich nicht zu sehr anstrengen und aufregen, aber seien Sie auch versichert, daß Sie Ihre Freundlichkeit nicht bereuen werden. Jeremias ist ein braver, tüchtiger Mann geworden, älter zwar und ziemlich wohlbeleibt – wenn Sie noch ein anderes Bild von ihm in der Erinnerung tragen –, aber durchaus brav und ehrlich, und er könnte glücklich sein, wenn ihn die Reue über das Vergangene nicht bis jetzt hätte zu keinem Frieden kommen lassen.«

Henriette hatte, während er sprach, zu ihm aufgesehen, und freudige Dankbarkeit über die guten Worte glänzte dabei in ihren Zügen.

»Und wie sollen wir Ihnen je dafür danken, daß Sie sich fremder, armer Leute mit solcher Liebe und Güte annehmen?« sagte sie herzlich.

»Mir, mein liebes Fräulein, haben Sie gar nicht zu danken,« lächelte Rottack; »es ist einmal meine Bestimmung auf der Welt, mich eigentlich um lauter Sachen zu bekümmern, die mich gar nichts angehen, und um so mehr durfte ich hier die Hand bieten, wo ich Ihren Vater seit langen Jahren kenne und in seinem Wirken und Schaffen beobachtet habe, ohne freilich damals zu ahnen, welchen Verpflichtungen er sich hier entzog. Und darf ich ihm jetzt wenigstens einen Gruß von Ihnen bringen?«

»Oh, einen recht herzlichen!« rief Henriette.

»Er mag kommen,« nickte die Frau, »morgen früh um zehn Uhr – nicht früher – ich will ihn dann erwarten. Grüßen Sie ihn auch von mir, lieber Herr, sagen Sie ihm aber auch, wie Sie die junge Frau, die er verlassen hat, wiedergefunden haben – er soll nicht erschrecken – ich bin recht alt und schwach in den Jahren geworden.«

»Aber jetzt wirst Du wieder gesund werden, Mütterchen.«

»Wir wollen's hoffen, Kind,« sagte die Frau leise.

»Und jetzt überlasse ich Sie sich selber,« rief Rottack, »und wenn Sie mir erlauben, komme ich später noch einmal mit Freund Jeremias her, um zu sehen, wie es Ihnen geht, und – um mich nach dem Kranze zu erkundigen, mein liebes Fräulein.«

»Und den Vater?«

»Schicke ich Ihnen morgen früh um zehn Uhr mit dem Glockenschlage.«

Und damit hatte er seinen Hut aufgegriffen und das Zimmer schon verlassen, ehe die Frau noch einmal recht wußte, daß er gegangen war.

Kaum trat er aber unten aus dem Hause auf die Straße, so sah er auch, wie Jeremias am Fenster drin in die Höhe fuhr, und er schritt jetzt, um nicht von oben aus noch vielleicht beobachtet zu werden, rasch die Straße hinab, wo ihn der ihn Erwartende schon leicht einholen konnte.

Dieser kam aber noch nicht so rasch aus dem Haus hinaus. Wie er den jungen Grafen nur aus der Thür kommen sah, von welcher er die ganze Zeit kein Auge verwandt, sprang er in die Höhe, griff seinen Hut auf und wollte, alles Andere vergessend, aus der Thür hinausfahren.

»Holla,« rief da der Kellner, ihm rasch in den Weg springend, »erst bezahlen und dann fortlaufen!«

»Ja so,« sagte Jeremias ganz bestürzt, »das hätte ich beinahe vergessen.«

»Ja wohl, kennen wir schon,« lächelte der unverschämte Bursche – »merkwürdig, was die Leute jetzt beim Jahrmarkt für ein kurzes Gedächtniß – na, aber,« brach er kurz und erstaunt ab, als ihm Jeremias, ohne sich weiter mit ihm aufzuhalten, ein Zehngroschenstück in die Hand drückte, ihn bei Seite schob und aus der Thür schoß – »er wird doch nicht...« – und mißtrauisch sah er sich überall an der Stelle, wo der Fremde gesessen hatte, nach den verschiedenen Gegenständen um, ob er nicht vielleicht »in der Eile« etwas mitgenommen hatte – aber es war noch Alles in Ordnung: das Feuerzeug stand, die Zeitung lag auf dem Tisch, ein Stuhl fehlte auch nicht, Röcke und Hüte hingen dort nicht am Fenster. Der Kellner schüttelte mit dem Kopf, war aber doch vorsichtig genug, das Zehngroschenstück, welches sich ebenfalls als ächt erwies, zu wechseln und nur den wirklich verzehrten Betrag des sonderbaren Fremden an der Kasse abzuliefern.

Jeremias hatte sich indeß kaum losgemacht, als er schon wie ein Wetter hinter dem davoneilenden Rottack herschoß.

»Waren Sie oben?«

»Allerdings – kommen Sie erst mit um diese Ecke, Jeremias, daß wir vom Hause aus nicht mehr gesehen werden können – so, jetzt dürfen wir langsam gehen. Ich war oben, Freund, und habe Ihre Frau – und Tochter gesprochen.«

»Meine Tochter!« seufzte der kleine Mann aus tiefster Brust – »wie – wie merkwürdig das klingt – meine Tochter – und darf ich hinauf?«

»Ja – aber nicht heute.«

»Gott sei Dank!« stöhnte Jeremias, dem damit ein ordentlicher Stein von der Brust fiel – »heute hätte ich's auch nicht ausgehalten, die Aufregung war zu groß. Aber wie sah sie aus, lieber, bester Herr Graf?«

»Recht leidend, Jeremias, recht krank und elend, wozu auch vielleicht die Erregung des Augenblicks mit beigetragen hat. Aber sie freute sich darauf, Sie wiederzusehen.«

»Sie freute sich?«

»Ja, und Ihre Tochter ist ein liebes, herziges Kind, das heißt, kein Kind mehr, sondern ein großes, erwachsenes, hübsches Mädchen.«

»Ein hübsches,« sagte Jeremias kleinlaut.

»Ja, gewiß,« lächelte Rottack, »und außerordentlich geschickt im Blumenmachen, womit sie sich ernährt zu haben scheint. In ihrem Zimmer sah es dabei so nett und sauber aus, wie in einem Puppenstübchen, ärmlich zwar, aber deshalb nicht minder freundlich.«

»Und morgen?«

»Punkt zehn Uhr morgen früh sind Sie oben – ich habe ihnen das versprochen, denn ich kann bei der Sache nun nichts weiter thun, und um zwei oder drei Uhr kommen Sie dann bei mir vor und sagen mir Antwort, wie Alles abgelaufen.«

»Ach, Du lieber Gott,« seufzte Jeremias, »wenn es doch erst zwei oder drei Uhr wäre, und – was ich noch gleich fragen wollte, die orangefarbene Schwägerin war auch da?«

»Ja, aber ich schickte sie aus dem Zimmer.«

»Und was sagte Pfeffer?«

»Herr Pfeffer scheint ein komischer Kauz zu sein, aber ich glaube, daß Sie sich mit ihm vertragen werden – und nun Ade, Jeremias, ich habe selber zu Hause zu thun und schon zu viel Zeit hier versäumt.«

»Lieber Herr Graf, wenn Sie einmal in ähnliche Verlegenheit...«

»Ich hoffe nicht, Jeremias,« lachte der Graf Rottack laut auf, »wenn aber, so sollen Sie mein Vermittler sein, das verspreche ich Ihnen,« und dem kleinen Mann die Hand zum Abschied reichend, schritt er rasch die Straße hinab.

Jeremias folgte der andern Richtung, um in das Hotel zurückzukehren, wo er augenblicklich wohnte, als ihm plötzlich Jemand in die Ohren schrie:

»Nun, haben Sie die Dame gefunden?«

»Hurrjeh,« sagte der kleine Mann zusammenfahrend, »haben Sie mich erschreckt – ja so, Sie sind der Herr von heute Morgen mit dem Ballanzuge.«

»Ja,« schrie der Mann wieder – »haben Sie die Dame getroffen?«

»Allerdings, mein lieber Herr,« sagte Jeremias schüchtern, denn die Leute blieben schon stehen, weil sie glaubten, daß sich dort ein paar zankten, »aber ich muß Ihnen bemerken, daß ich gar nicht taub bin; ich höre vortrefflich, Sie brauchen deshalb nicht so laut zu reden.«

»Thu' ich auch nicht Ihretwegen,« schrie der Mann wieder, »sondern meinetwegen!«

»Ihretwegen?«

»Nein, meinetwegen!« brüllte der entsetzliche Mensch jetzt ordentlich – »ich bin der Souffleur beim hiesigen Theater!«

»Na, das nehmen Sie mir aber nicht übel,« sagte Jeremias – »wenn Sie da auch so schreien...«

»Das ist ja eben der Teufel,« rief der Mann wieder – »wenn man den ganzen Tag Probe und Abends Aufführung hat und nun in einem fort flüstern und zischeln muß, dann thut's Einem nachher um so wohler, wenn man einmal ordentlich schreien darf! Ich kriegte eine Gemüthskrankheit, wenn ich mich über Tag nicht manchmal ausschreien könnte!«

»So,« sagte Jeremias, »also deshalb?«

»Wo gehen Sie denn hin? – können vielleicht ein Glas Bier zusammen trinken.«

»Danke Ihnen sehr!« rief Jeremias, von der Idee erschreckt, seinen Nachmittag mit dem Schreier zuzubringen – »ich bin augenblicklich gerade beschäftigt.«

»So?« schrie der Mann wieder – »na, dann – leben Sie recht wohl!« und mit den Worten nickte er ihm zu und trat in das nächste Eckhaus, das auf einem Schilde draußen »Baierisch Bier« versprach.

11.
Am alten Wartthurm.

An dem Nachmittag war es recht still im Monford'schen Park. Graf und Gräfin hatten eine Einladung in die Stadt angenommen, der sich Paula durch vorgeschützte Kopfschmerzen entzog, und Georg ritt schon gleich nach dem Diner auf ein benachbartes Gut – angeblich um ein dort neugekauftes Pferd zu sehen, in Wirklichkeit aber, um die Mitwirkung des ihm befreundeten Gutsherrn zu der theatralischen Vorstellung am Verlobungsabend zu erbitten.

Die Verlobung war nämlich fest bestimmt worden. Paula hatte allerdings noch, selbst an dem Morgen, einen Versuch gemacht, die Eltern wenigstens um Aufschub eines so entscheidenden Schrittes zu bitten, aber umsonst. Die Mutter – heute finsterer und unnahbarer als je – hatte sie kurz abgewiesen, und der Vater sie einfach gefragt, welchen Grund sie für einen solchen Aufschub angeben könne, und sie dann nicht gewagt, Handor's Namen zu nennen. Wußte sie doch auch nur zu gut, mit welcher Entrüstung, mit welchem Zorn nur die Andeutung eines solchen Eidams von den stolzen Eltern zurückgewiesen worden wäre. Ließen ja doch Beide die Ansprüche des Herzens nicht gelten, wo die Ehre ihrer Familie, wie sie meinten, auf dem Spiele stand.

Nicht einmal ein Bürgerlicher hätte wagen dürfen, um die Hand der reichsten Grafentochter des Landes zu werben, viel weniger denn ein Schauspieler, die der Graf selber – so wenig er sich sonst auch dem Fortschritt der Zeit verschlossen zeigte – noch immer als eine untergeordnete Menschenklasse betrachtete, so daß es sogar damals Schwierigkeiten gehabt hatte, seine Erlaubniß zu erhalten, wirkliche Schauspieler zu den Proben ihres kleinen Liebhabertheaters heranzuziehen. An den betreffenden Abenden durften sie aber nie eingeladen werden.

Paula war recht unglücklich und erwartete unter Zittern und Bangen den Abend; wußte sie doch schon im Voraus, in welcher Verzweiflung ihr Rudolph sein würde – und was konnte sie ihm sagen, wie ihn trösten.

Draußen im Park schaffte und arbeitete der alte Gärtner Jonas, der als Knabe, ja, fast als Kind in den Dienst des Vaters der Gräfin gekommen und dann später mit ihr hierher übergesiedelt war. Er galt als eine Art von altem Inventar im Hause, und so stolz die Gräfin selber auch nur die geringste Unterhaltung mit ihren Dienstboten vermied, mit dem alten Jonas plauderte sie oft, wenn sie in den Park kam und ihn bei seiner Arbeit traf, fragte ihn, wie es ihm ginge und was er treibe, und gab ihm auch wohl manchmal ein Stück Geld, um sich eine Extragüte daran zu thun. Der alte Mann hing deshalb auch mit großer Liebe und Verehrung an ihr.

Jonas war heute beschäftigt, die aufgeblühten Blumentrauben von den verschiedenen Büschen und Rosensträuchen abzuschneiden und die Wege unmittelbar um das Schloß herum wieder auszurechen, denn die Aufsicht im Park selber hatte sein Untergebener, ein Gärtnerbursche. Wie er noch daran war, kam der Förster Mäder, die Flinte auf dem Rücken, die kurze Pfeife im Mund, mitten durch die Büsche heraufgestiegen und sah sich hier, ehe er den Alten bemerkte, überall in den Wegen selber aufmerksam um. Aber da war schon jede, sonst vielleicht mögliche Spur durch den Rechen des alten Mannes verwischt und ausgeglichen worden, und der Förster zerbiß einen Fluch über seiner Pfeifenspitze. Eben wollte er sich auch wenden und den Weg hinuntergehen, als er den Alten entdeckte, der mit seiner kurzen Leiter oben in einem Busche emsig beschäftigt war.

»Heh, Jonas,« redete er diesen an, »Ihr kriecht doch manchmal noch nach Dunkelwerden im Park herum, habt Ihr denn nie etwas bemerkt, daß sich hier noch Gesindel nach der Zeit in den Büschen aufhielt?«

»Guten Abend, Herr Förster!« nickte ihm der Alte zu; »ja, ein recht schöner Abend heute.«

»Tauber Esel!« brummte der Förster ergrimmt in den Bart, denn er schien eben nicht besonders guter Laune, und wiederholte dann die Frage mit lauter, fast schreiender Stimme, wobei er dicht unter die Leiter trat.

Der Alte schüttelte mit dem Kopf. »Nein, mein guter Herr Förster,« sagte er ruhig, »Gesindel darf hier schon gar nicht in den Park hinein, die wollten wir bald wieder hinaus haben. Der Einzige, der manchmal noch Abends, wenn ich hier durch ging, herumkroch, war der alte Fritz, welcher nach seinen Fallen sah.«

»Ja, das ist gerade der Rechte.«

»Ja, der hatte das Recht dazu,« nickte der alte Gärtner, »und weiter weiß ich Niemand. Dem hat es aber der Herr Graf auch heute verboten, wie er mir mitgetheilt, ehe er fortfuhr. Er soll nach Sonnenuntergang nicht mehr auf herrschaftliche Grundstücke, was den Maulwürfen wahrscheinlich sehr angenehm sein wird; wie es nachher aber den Wiesen ergeht, ist eine andere Sache.«

»Das ist aber gerade der Lump, der mir meine Fasanen wegfängt!« rief der Förster.

Der alte Mann schüttelte mit dem Kopf.

»Nein,« sagte er, »die Fasanen thun den Wiesen nichts; im Gegentheil fangen sie die Grashüpfer weg und sind auch sonst artige Thiere.«

»Herr Gott von Danzig,« fluchte der Forstmann still vor sich hin, »ob das nicht gerade genug ist, um den Verstand zu verlieren!« – Und um sich nur nicht länger zu ärgern, fuhr er wieder zurück in das Gebüsch und schritt an dem Bergabhang hin der Wiese zu.

Der Förster hatte in der That heute einen ganz ingrimmigen Zorn, und auch vielleicht mit Recht, denn er konnte es sich nicht verhehlen, daß auf seinem Revier gewildert wurde, und war doch auch nicht im Stande, den Frevler zu erwischen, so viel Mühe er sich deshalb schon gegeben.

Er wohnte freilich auch dazu entsetzlich unbequem, denn die eigentliche Jagd des Grafen, ein großes, sehr bedeutendes Waldgehege, stieß nicht einmal an die Stadt, sondern begann erst an dem nächsten Dorf, dessen Gemarkung allerdings an die Stadtflur grenzte. Dort befand sich ein sehr bedeutender Rehstand und ein Thiergarten mit Roth- und Damwild. Nur eine kleine Fasanerie war unmittelbar am Schloß in einem Kieferndickicht angelegt, und die Fasanen machten dem Förster mehr Mühe und Arbeit, als sein ganzer übriger Wildstand zusammen; denn der Fasan ist ein zutraulich dummer Vogel, der leicht dem vierbeinigen wie zweibeinigen Raubzeug zum Opfer fällt.

Heute aber hatte er wieder einmal ganz unleugbare Beweise gefunden, daß ihm irgend Jemand mußte einen Besuch bei den Fasanen abgestattet haben; denn nicht allein daß er schon seit einiger Zeit bedenklich viel Federn in dem kleinen Dickicht gefunden, wo sie hauptsächlich Abends aufbäumten, nein, heute traf er sogar einen augenscheinlich kranken Isabellenhahn, der nicht mehr fort konnte und den ihm sein Hund apportirte, und als er ihn untersuchte, hatte er eine große Fischangel im Körper sitzen, an der noch ein abgerissenes Stück Bindfaden befestigt war.

Wenn er sich nun auch vergebens den Kopf zerbrach, wie um Gottes willen Jemand Fasanen mit der Angelruthe fangen könnte, so blieb es doch keinem Zweifel unterworfen, daß irgend ein nichtsnutziger Geselle hier die Hand im Spiel habe. – Und nun gerade einen Isabellenhahn, von denen der Graf nur drei Stück um theures Geld gekauft und die ihm selber auf die Seele gebunden waren, weil die Frau Gräfin sie so gern hatte! Aber was, um's Himmels willen, ließ sich bei der Sache thun?

Er suchte allerdings das ganze Gehölz auf das Sorgfältigste ab, ob er nicht irgend etwas finden könne, was ihm einen Anhalt geben mochte – denn daß der nichtswürdige Maulwurfsfänger dazwischen stecke, glaubte er sicher –, aber umsonst. War der es gewesen, so fing er die Sache auch überhaupt viel zu schlau an, um sich so leicht zu verrathen, und es blieb ihm nichts Anderes übrig, als von jetzt an seine Wachsamkeit zu verdoppeln und doch vielleicht einmal den Frevler auf frischer That zu ertappen. – »Aber nachher freu' Dich!« dachte er bei sich und ballte dazu in Gedanken die Faust nach der Wiese zu, auf welcher der Mann gewöhnlich wirthschaftete und wo er ihn auch noch vor kaum einer Stunde gesehen hatte.

Den Weg herüber vom Schlosse kam Paula, langsam und das liebe, sonst so fröhliche Antlitz in recht ernste, schmerzliche Falten gelegt. Sie betrat die kleine Terrasse, ohne den alten Gärtner, der noch immer da oben in seinem Busche steckte, nur zu sehen, und schritt auf die niedere Mauer zu, als dessen freundliches: »Gott grüße Sie, gnädige Comtesse!« sie ordentlich zusammenfahren machte.

»Ach, Jonas, wie habt Ihr mich erschreckt!« sagte sie lächelnd. »Was macht Ihr denn da oben?«

»Ja, ich bin gleich fertig, gnädige Comtesse,« sagte der Alte, freundlich sein Mützchen dabei rückend; »das Übrige mag bis morgen bleiben, denn ich muß auch noch die Blumenstöcke am Schlosse nachsehen und die abgeblühten fortnehmen.«

Dabei stieg er von seiner Leiter herunter und hob sich diese auf die Schulter, um nach vorn zu gehen; aber er blieb doch noch einmal neben der jungen Dame stehen, für die er all' die Zärtlichkeit empfand, welche nur ein alter Diener eines Hauses für ein Kind empfinden kann, das unter seinen Augen aufgewachsen ist.

»Und wie geht es sonst, Jonas?« fragte Paula freundlich.

»Ach ja, zu thun giebt's immer, gnädige Comtesse,« nickte ihr der alte Mann lächelnd zu; »in einem so großen Garten reißt's nicht ab das ganze Jahr lang Winter und Sommer.«

»Aber ich dächte, mit dem Gehör ging es recht schlecht, Jonas,« sagte Paula, indem sie sich dicht zu seinem Ohr bog und sehr laut sprach.

»Ach nein, gnädige Comtesse,« lächelte der alte Mann, mit dem Kopf schüttelnd; »ich habe mich vorher mit dem Förster eine ganze Weile unterhalten und jedes Wort verstanden; es macht sich doch noch immer. Freilich, so gut ist's nicht mehr, wie früher. Aber mit Ihnen geht's desto besser. Lieber Gott, wenn ich dran denke, wie Sie hier an der nämlichen Stelle manchmal um mich her im Sand herumkrochen und mit dem großen Neufundländer Hund spielten, den der gnädige Herr Graf damals hatte – armer Tyras, dort drüben unter dem Goldregenbusch haben wir ihn begraben! Ja, wie die Zeit vergeht, und jetzt sind Sie so groß und hübsch herangewachsen und eine vornehme Dame geworden; aber ich sehe Sie immer noch, was Sie für ein liebes, herziges Kindchen waren, mit den langen, blonden Locken, und manches gesegnete Mal hab' ich Sie auf den Armen gehabt und bin dann hier mit Ihnen um den alten Thurm herumgaloppirt.«

»Mein alter, guter Jonas!« sagte Paula gerührt; »ja, ich weiß mich selber noch recht gut auf Tyras zu besinnen.«

»Na,« lachte der alte Mann, »die gnädige Frau Mama hatte es freilich manchmal nicht gern, wenn wir zu sehr mitsammen tollten, aber dann hat sie doch auch wieder darüber gelacht.«

Paula sah wohl, daß mit dem alten Mann kein Gespräch mehr zu führen war, mochte ihm aber auch nicht weh thun, nickte ihm freundlich zu und schritt dann zu der Mauer, an der sie stehen blieb und sinnend nach der Stadt hinuntersah. Nur manchmal drehte sie sich nach dem Alten um, der noch immer mit seinem Handwerksgeräth herumwirthschaftete, bis er die Leiter endlich wieder schulterte und mit einem: »Na, Gott behüt' Sie, gnädige Comtesse!« den Kiesweg hinabschritt.

Kaum war er fort, als sie wieder ein kleines Zettelchen aus ihrer Tasche nahm, dasselbe zusammenfaltete, sich vorsichtig noch einmal überall umschaute, und es dann an dieselbe Stelle schob, von der sie heute Morgen das rosafarbene Papier genommen. Dann schritt sie langsam wieder und recht schwer aufseufzend in das Haus zurück.

Der Nachmittag verging so, der Abend dämmerte und um das Haus im Park begannen die Vögel sich zu ihrer Nachtruhe vorzubereiten. Die Amsel, welche den ganzen Tag geschwiegen und mit eisernem Fleiße Futter für sich und die junge Brut zusammengesucht, begann ihr reizendes, melodisches Lied, das sie noch, wie ein Nachtgebet, schmetternd von der höchsten Spitze eines Blüthenbusches hinausjubelte. Hier und da zwitscherte ein Rothkehlchen, um die Gefährtin herbeizurufen und mit ihr gemeinsam den geschützten Platz in irgend einem Gesträuch aufzusuchen, wo sie Nachts nicht von einer gefräßigen und lichtscheuen Eule gefunden werden konnten. Jetzt flatterte ein großer, schwerer Vogel, es war ein Fasanenhahn, der sich in einen der jungen Bäume hinaufschwang und dann mit thörichtem Spectakel, Schreien und Glucksen der Nachbarschaft verkündete, daß er glücklich oben angekommen wäre, und wo er die Nacht schlafen würde. Er hörte auch nicht eher mit Lärmmachen auf, bis er sich ordentlich zurecht gerückt und seine Federn gehörig aufgeblustert hatte.

Dann kam ein anderer und noch ein anderer, wie es dunkler wurde, und die Fledermäuse fingen schon an, ihre Zickzacklinien zu ziehen, während noch hoch in der Luft, und in dem dämmernden Abend selbst unsichtbar, ein Volk Krähen mit lautem Gekreisch nach ihrem Ruheplatz, zu dem fichtenbesetzten Bergabhange hinüberstrich.

Dann wurde es still, ganz still. Nur die Grillen zirpten noch in den Bäumen und unten vom Schloßteiche herauf tönte das monotone, schläfrige Quaken der Frösche. Drüben am östlichen Himmel aber hob sich voll und majestätisch die rothglühende Mondscheibe herauf, und während sich unten im Thal der Nebel sammelte, goß sie hier oben, als sie höher stieg, voll und klar ihr mildes Licht über die Höhen.

Aber anderes Leben regte sich.

Den Kiesweg herauf, der durch den Park führt, trabte ein Reiter. Es war der junge Graf George, welcher von seinem Besuch zurückkehrte, sein Pferd dem herzuspringenden Stallknecht übergab und dann hinauf in sein Zimmer ging.

Zu gleicher Zeit belebte sich auch der Platz am alten Thurm. Zuerst schüttelte sich in geheimnißvoller Weise einer der Wipfel junger Bäume, die dicht an der Mauer standen; dann wurde über dieser ein vorsichtig gehobener Kopf sichtbar, der aber viele Minuten lang aufmerksam in seiner Stellung verharrte und in dem Schatten der dichten Wipfel auch kaum, selbst von der Terrasse aus, hätte erkannt werden können. Erst als Alles ruhig blieb, regte sich die Gestalt auf's Neue, und der Maulwurfsfänger – dem der Graf so ernstlich den Besuch des Grundstücks nach Dunkelwerden verboten hatte – kroch vorsichtig über die niedere Mauer und sprang auf den Rasenrand nieder, der die Büsche umschloß, damit in dem aufgerechten Kiesweg seine Fußstapfen nicht sichtbar wurden.

Irgend etwas Nichtsnutziges hatte der alte Bursche im Werk, das war sicher, er hätte sonst nicht so scheu den dunkelsten Schatten der Bäume gesucht und jede nur mögliche Vorsicht gebraucht, um nicht entdeckt zu werden. So düster der kleine, baumumschlossene Platz hier auch lag, er hielt sich nicht lange dort auf, horchte noch einmal, ob Alles sicher war, und tauchte dann in das dichte Strauchwerk einer kleinen Tujagruppe ein, das sich wie eine Mauer wieder hinter ihm schloß.

Und es war die höchste Zeit gewesen, daß er sich entfernt hatte, denn kaum konnte er den Platz fünf Minuten verlassen haben, als auf dem kleinen Pfad, der hier vom Park heraufführte, ein anderer scheuer Besuch heranschlich, der eben so vorsichtig, wie der ihm vorausgegangene, nach allen Seiten horchte und dann langsam den kleinen Hügel erstieg, auf welchem der alte Thurm lag.

Der jetzige Besuch trug einen dunkeln Mantel und eine ebensolche Mütze, und blieb, als er den obern Raum erreichte, vorsichtig stehen und horchte wieder; aber nichts regte sich, todtenstill lag der Platz, und nur rechts im Dickicht – er drehte erschreckt den Kopf danach um – flatterte ein kleiner Vogel und strich, aufgeschreckt von seinem Ruheplatze, ängstlich zwitschernd über die Hügelgruppe und in das nächste Dickicht hinein.

Handor – denn niemand Anders war der späte und heimliche Besuch – dachte aber nicht daran, daß irgend eine Ursache das kleine Thier erschreckt haben mußte, und daß das möglicher Weise ein Mensch sein könne, dem er hier gerade nicht gern begegnet wäre. Er fühlte sich vollkommen beruhigt, als er sah, daß die Ursache des Geräusches nur ein kleiner, unschuldiger Vogel gewesen. Am Wartthurm war Niemand, und als er sich überzeugt hatte, glitt er zu der nämlichen Stelle der Mauer, wo Paula an jenem Nachmittag erst das kleine Zettelchen verborgen hatte. Das fand er auch und öffnete es, aber es war nicht möglich, bei dem ungewissen Schein des Mondes die noch dazu auf dunkles Papier geschriebenen feinen Schriftzüge zu lesen; er schob den Zettel deshalb in die Tasche, hüllte sich wieder in seinen Mantel und trat dann, um seine Zeit abzuwarten, halb in das nämliche Tujagebüsch hinein, in welchem vorher der Maulwurfsfänger verschwunden war. Aber doch nicht so weit, daß er den freien Platz hier oben nicht vollständig hätte übersehen können, während er beim Nahen irgend einer Gefahr im Stande war, in dem Dickicht zu verschwinden.

So mochte er etwa eine Viertelstunde regungslos, und dem geringsten Geräusch horchend, gestanden haben, als er plötzlich einen großen Vogel weiter drin im Dickicht und etwas mehr den Hang hinunter flattern und mit den Flügeln schlagen hörte. Er horchte hoch auf; das dauerte aber kaum zehn oder zwölf Secunden, dann war wieder Alles todtenstill.

»Was nur mit den verdammten Vögeln heut Abend ist!« flüsterte Handor leise und ärgerlich vor sich hin; »mich können sie doch wahrhaftig nicht gehört haben.«

Aber ihm blieb auch keine lange Zeit, darauf zu achten, denn im Knirschen des Kieses hörte er einen leichten Schritt und erkannte gleich darauf eine dunkle Gestalt, die rasch und scheu den Weg heraufkam. Jetzt fiel das Mondlicht auf sie – es war Paula, und im nächsten Augenblick hielt er die Geliebte in den Armen.

Mit süßen Schmeichelworten wollte er sie begrüßen; aber Paula hatte in diesem Moment nur Thränen, denn Angst und Aufregung, die ihre Nerven zum Äußersten gespannt, übertäubten bei diesem ersten Begegnen jedes andere Gefühl.

»Mein liebes Mädchen,« flüsterte Handor, »beruhige Dich doch, ich bin ja bei Dir, ich halte Dich ja wieder einmal in den Armen! – Was ist Dir denn nur, Deine ganze Gestalt zittert ja wie Espenlaub.«

»Die Angst, entdeckt zu werden, Rudolph,« bat das arme Mädchen; »oh, zürne mir nicht, aber nur mit schwerem Herzen wagte ich den Schritt – nur gezwungen von der Gewalt der Eltern, die mich ihren Standesvorurtheilen opfern wollen.«

»So ist das Furchtbare wahr?«

»Leider ja – morgen in acht Tagen soll ich dem jungen Grafen Bolten verlobt werden; ich habe gebeten und gefleht – umsonst, Vater und Mutter haben kein Erbarmen gegen ihr Kind, und mit Gewalt soll ich zum Altar geschleppt werden!«

»Das dürfen sie nicht, Herz,« rief Handor, »das ist gegen die Gesetze des Landes, und wenn Du Dich weigerst...«

»Aber wie darf ich, wie kann ich denn?« klagte das arme Mädchen. »Bin ich denn im Stande, ihnen zu sagen, daß ich Dich, nur Dich liebe und nie einem andern Manne meine Hand reichen, ihn mit einem schon vergebenen Herzen betrügen würde?«

»Meine Paula...!«

»Ich wage es nicht,« fuhr die Grafentochter fort; »ich kenne meinen Vater, kenne meine stolze Mutter, die mir schon den Gedanken, die Bitte nicht vergeben würden!«

»So flieh mit mir, Geliebte!« drängte Handor. »Was hält Dich hier, wo Du selber keine Hoffnung hast, einer gehaßten und verabscheuten Verbindung zu entgehen, ja, wo eine Aussicht eines öden, trostlosen Lebens vor Dir liegt? Oh, ich weiß,« fuhr er traurig fort, »daß ich Dir das nicht bieten kann, was in den Armen jenes Grafen Deiner wartet – kein stattliches Schloß, keine blendende Equipage, keinen Dienertroß; aber was die Liebe Dir zu bieten vermag, womit die Kunst Dich erfreuen kann, Paula, das ist Dir gewiß, und Deine Eltern – es müßten ja keine Menschen sein, wenn sie dem eigenen Kind entsagen, die einzig Tochter auf ewige Zeiten von sich stoßen würden. Dein Vater wird wüthen, ja, er wird uns verfolgen lassen, um Dich mir mit Gewalt zu entreißen; aber fürchte nichts: in meinem Schutze bist Du sicher, und hat der erste Ärger über einen zerstörten Plan sich ausgetobt, ist der erste Mißmuth vorüber, getäuschter Hoffnung wegen – er gerade am wenigsten wird grausam sein. Denke Dir dann, Herz,« fuhr er fort, während sie sich ängstlich und zitternd an ihn schmiegte, »denke Dir jene selige Zeit, wenn ich, mit Deinen Eltern versöhnt, Dich ihnen wieder zuführen kann, wenn wir vereint zu ihren Füßen liegen und ihr Segen dann die Bande heiligt, die uns des Himmels Seligkeit schon auf Erden gegeben haben!«

»Mein Rudolph, mein Rudolph, oh, wie glücklich, wie namenlos glücklich würde mich Dein Besitz machen!« rief das junge, leidenschaftliche Mädchen. »Ich kann ja nicht ohne Dich leben – Gott nur weiß es, Tag und Nacht sind meine Gedanken bei Dir, und wenn ich mir jetzt denke, daß ich von Deiner Seite gerissen, daß ich einem Manne überliefert werden soll, den ich nicht lieben kann, so liegt mein künftiges Leben kalt und dunkel vor mir wie eine ewige, endlose Winternacht!«

»Meine Paula!« rief Handor und preßte sie fest an sich; aber im nächsten Moment horchte er auch rasch und erschreckt empor. Drinnen im Busch flatterte wieder ein Vogel, aber jetzt weiter entfernt als vorhin, und es war ihm fast, als ob er den Schritt eines Menschen auf dem Kiesboden gehört hätte.

»Komm,« flüsterte er leise und zog die Erschreckte mit sich in das Dickicht hinein, »das Mondlicht ist hier viel zu hell; ein Verrätherauge könnte wachen.«

»Ich darf nicht so lange fortbleiben, wenn ich vermißt werde...«

»Komm nur jetzt; mir war, als ob ich etwas hörte.« Und er zog die nur halb Widerstrebende in den Schutz der Tujas, die ihnen Sicherheit und Deckung boten.

Handor hatte sich übrigens dieses Mal nicht geirrt, denn allerdings kreuzte gerade in diesem Augenblick ein Mann mit einem Gewehr auf dem Rücken den Kiesweg, der dicht unter dem Hügel wegführte. Es war der Förster, der schon seit Dunkelwerden im Park herumkroch und, nachdem er all' die entlegenen Stellen desselben vorsichtig abgesucht, um seinem Fasanendiebe auf die Spur zu kommen, jetzt auch dicht am Schlosse die Hölzer abspüren wollte: denn nirgend anders hatte er etwas Verdächtiges gefunden, während der heutige Abend wie gemacht zu einem derartigen Wilddiebstahl war.

Ein Fasanendieb konnte nämlich im Dunkeln gar nichts ausrichten, und selbst bei Mondschein war, wenn er nicht recht hell, wie gerade heut Abend, schien, die Sache schwierig, da die belaubten Bäume noch zu viel Schatten warfen. Daß aber trotzdem ein schlauer Dieb den Versuch, und zwar nicht erfolglos, gemacht, davon hatte er ja selber die Beweise im Holze – eine Anzahl von Federn und den kranken, mit einem Fischhaken gerissenen Fasanenhahn – gefunden, und der Gesell, welcher da einmal glücklich durchgekommen, würde diesen Abend kaum versäumt haben, um sein Diebeshandwerk fortzusetzen.

Gerade jetzt kreuzte er deshalb, im Schatten der Baumgruppen über die Wiese kommend, den Kiesweg. Es war ihm fast, als ob er ein Geräusch gehört hätte, und er zog sich nun unter dem Wartthurmhügel hin dem Gebüsche zu, wo ebenfalls jede Nacht einige zwanzig Fasanen besonders in einer kleinen Birkenlichtung aufbäumten und dort allerdings einiger Gefahr ausgesetzt waren.

Aber nichts wurde laut; wohl eine halbe Stunde stand er regungslos auf seinem Posten. Da plötzlich – ordentlich erschreckt zuckte er empor – hörte er das krampfhafte Flattern eines Fasans, das nämliche, was Handor schon zweimal vorher erschreckt hatte, ohne daß dieser freilich wußte, was es bedeute. Der alte Förster kannte den Laut aber viel zu gut, um auch nur einen Moment darüber in Zweifel zu sein.

Fast unwillkürlich fuhr er mit dem Gewehr in die Höhe; aber er wußte auch recht gut, daß ihm das für den Augenblick nichts helfen konnte. Noch einmal horchte er – der Vogel flatterte noch – jetzt wußte er genau die Richtung, und eine kurze Strecke auf dem Rasen hinspringend, wo sein Schritt geräuschlos verhallte, tauchte er gleich darauf in das die Anlage umgebende und nicht sehr dichte Buschwerk, genau der Richtung zu, wo die Birken standen. – –

Der alte Maulwurfsfänger hatte indessen kaum das Dickicht erreicht, als er auch den Hang, wo er jeden Fuß breit des Terrains kannte, vorsichtig hinunterschlich und der Stelle zuhielt, an der, wie er recht gut wußte, die Fasanen Nachts aufbäumten. Trotzdem trug er keine Waffe, mit der man hätte glauben sollen, daß er ihnen gefährlich werden konnte – nichts, als seinen alten Eichenstock. Überdies wußte er ja auch recht gut, daß er in solcher Nähe vom Schloß keinen Schuß wagen durfte, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, unmittelbar darauf von den Schloßleuten umstellt und gefangen zu werden.

Der alte Bursche wußte aber besseren Bescheid und war, allem Anschein nach, nicht zum ersten Mal auf einem solchen Fang.

Mit der größten Umsicht und Ruhe schlich er langsam vorwärts, bis er den lichteren Platz jenes kleinen Birkenwäldchens, etwas dürrer Boden mit Haidegrund, der weiter nichts Anderes hervorbrachte, erreichte, und hier spionirte er dann so lange herum und suchte die Mondesscheibe hinter die Bäume zu bekommen, bis er den Platz erreichte, wo die Fasanen standen. Aber auch das half ihm anfangs nichts, denn die ersten, welche er traf, waren zu hoch aufgebäumt, als daß er sie hätte erreichen können. Doch nicht alle schienen so vorsichtig gewesen zu sein. Nicht lange, so traf er einen dick aufgeblusterten Hahn, der, den Kopf unter die Flügel gesteckt, fest auf seinem Aste schlief und nicht einmal sein Nahen bemerkt haben konnte.

Der alte Maulwurfsfänger störte ihn auch nicht; leise kroch er zehn oder zwanzig Schritt zurück, bis unter einen dunkeln Busch, und begann hier seine Vorbereitungen.

Erst schraubte er seine Stockzwinge ab und steckte diese, damit sie ihm nicht verloren ginge, in die Westentasche; dann zog er die Angelruthe heraus und befestigte oben an der Spitze derselben einen mächtigen Angelhaken, wie sie bei den kleinen Fischen des innern Landes nie gebraucht werden. Diesen Haken band er so an die Ruthe, daß die Spitze mit dem Widerhaken nach unten zeigte, und als er dieselbe fest und sicher angeschnürt, daß sie ihm nicht wieder abriß, wie neulich einmal mit einem feisten, prächtigen Hahn, hob er sich langsam empor und glitt völlig geräuschlos zu dem Stamm des Baumes, auf dem seine Beute stand.

Ein ungeübtes Auge würde aber in dem belaubten Baum kaum im Stande gewesen sein, den Platz genau zu bestimmen, wo sich das Wild befand; der alte Bursche wußte das besser, und nachdem er nur ein paar Mal mit dem Kopf unter dem Baume hin und her gefahren, hielt er plötzlich still, brachte seine Ruthe vorsichtig in die Höhe und ließ die Angel langsam und geräuschlos an dem Stamm selber hinaufgleiten.

Der Fasan schlief fest; alle Bewegungen waren auch so vollständig geschickt ausgeführt, daß er kaum etwas davon merken konnte, da die Gestalt des Mannes unter dem Baume mit dem gleichfarbigen Untergrund zu einer ununterscheidbaren Masse zusammenschmolz. Jetzt aber hatte der Haken, ohne daß der Maulwurfsfänger von unten das Hinderniß bemerken konnte, gegen einen kleinen, trockenen Zweig gestoßen, und rasch und erschreckt richtete sich der Hahn mit einem leise gluckenden Laut empor.

Der Alte unter dem Baum rührte sich nicht. Wie an den Stamm gewachsen stand er da; nur seine rechte Hand dirigirte vorsichtig den Haken um das Hinderniß herum. Unten am Stocke hatte er sich dabei vorsichtiger Weise ein Zeichen gemacht, nach welcher Seite hin die Biegung des Hakens selber saß; jetzt mußte er damit über dem Hahn sein, und mit einem plötzlichen Ruck riß er den Stock zurück und den unglücklichen Fasan damit von seinem sicher geglaubten Stand herunter.

Dieser schlug allerdings aus Leibeskräften mit den Flügeln, aber nicht lange. Im Nu hatte ihn der Wilddieb gefaßt und ihm auch eben so rasch den Hals abgedreht, wonach er ihn in seine jetzt völlig leere Jagdtasche steckte und sich erst vorsichtiger Weise, ehe er auf neue Beute ausging, unter den nächsten Busch drückte, um abzuwarten, ob das nun einmal nicht zu vermeidende Geräusch nicht doch am Ende unberufene Zeugen herbeigelockt hätte.

Aber nichts ließ sich hören; der Wald war so still, wie je, und nur hier und da in den Bäumen regten sich die benachbarten Fasanen, die durch den Todeskampf des Kameraden munter geworden waren und von da und dort ein leises Glucksen hören ließen.

Jetzt glitt er wieder wie ein Schatten vor. Die schlanke Gestalt des Mannes kroch gebückt und schleichend über das durch den Nachtthau feucht gewordene Laub dahin, bis er unter den rege gewordenen Vögeln eine neue Beute ersehen hatte.

Was schadete es auch, daß sie munter geworden waren! Der Fasan streicht nach Dunkelwerden nur mit großem Widerwillen von seinem einmal eingenommenen Stande ab, weil er recht gut weiß, wie schwer es ihm wird, bei Nacht einen andern Platz zu finden, und sobald der Wilddieb nur die Vorsicht beobachtete, seinen Stock langsam und von dem Stamm wo möglich gedeckt in die Höhe zu bringen, hatte es mit dem Fange keine Schwierigkeit.

Auch den zweiten hatte er sich so gesichert, und wie er ihn herunterbrachte, entdeckte er dicht daneben auf einem ganz niedern Ast einen dritten.

Trotzdem wartete der Maulwurfsfänger wieder eine ganze Weile im Dickicht seine Zeit ab, ehe er sich auf's Neue in das lichtere Holz hineinwagte; wußte er doch recht gut, daß ihn der alte Förster schon lange in Verdacht hatte, und daß der eben so gut die Zeit kannte, in welcher er seinem Fang nachzugehen pflegte.

Eigentlich hatte er sich vorgenommen gehabt, an dem Abend mit zwei Hähnen zufrieden zu sein; der dritte Hahn saß aber zu verlockend da, fast auf dem untersten Ast der Birke, er hätte ihn beinahe mit der Hand erreichen können; so günstige Gelegenheit fand er nicht wieder, und wenn er einen Monat danach gegangen wäre. Nach einer guten Weile erhob er sich deshalb wieder und kroch langsam gegen den Baum vor; der alberne Vogel hatte den Kopf wieder eingesteckt, und bis dicht unter ihn kam er, ehe er durch das doch nicht zu vermeidende Geräusch geweckt wurde und rasch emporfuhr – aber das half ihm nichts mehr. Der verhängnißvolle Haken saß ihm dicht über dem Kragen, der Wilddieb zog an, und der gefangene Fasan stürzte von seinem Ast herunter.

So tief aber hatte er gesessen, daß der untere Theil des Stockes, als ihn der Maulwurfsfänger zurückriß, gegen den Boden stieß und der Fasan dadurch von dem Haken loskam. Ehe er aber die Flügel ordentlich gebrauchen konnte, war der Wilddieb schon mit einem Satz auf ihm, faßte ihn am Halse, drehte ihm den Kopf herum und schob ihn dann schnell in den alten Ranzen zu den übrigen. – Aber erschreckt fuhr er empor – das waren rasch springende Schritte im Laub. Noch einmal horchte er. War es vielleicht ein aufgescheuchtes Stück Damwild, das sich hier in der Nachbarschaft niedergethan und nun den Platz floh? Nein, die Schritte gehörten keinem Stück Wild, und seinen Stock aufgreifend, floh der Dieb, so rasch er konnte, dem schützenden Dickicht zu.

»Halt, Schuft! Canaille – hab' ich Dich – steh' oder ich schieße!« schrie eine Stimme, die der Maulwurfsfänger nur zu gut kannte, denn es war die seines alten Freundes, des Försters. Wenn dieser aber geglaubt hatte, ihn damit wirklich zum Stehen zu bringen, so irrte er sich, denn der alte schlaue Gesell dachte an nichts weniger. Befand er sich doch auch unmittelbar vor dem Dickicht, das ihm seinen Rückzug vollständig decken konnte! Unter dem Schatten der Bäume war überhaupt kein sicherer Schuß möglich, und ohne deshalb auch nur einen Moment zu versäumen, floh er auf den nächsten dicken Busch zu und sprang dort gerade hinein, als der alte Jäger sein Gewehr an die Backe riß.

Freilich wußte dieser, daß er einen Menschen eines solchen Vergehens halber nicht gleich todtschießen durfte, und zielte deshalb tief, um ihn in die Beine zu treffen; aber das Korn seiner Flinte konnte er überdies nicht sehen, ja, die ganze Gestalt des Flüchtigen glitt nur wie ein Schatten über den dunkeln Boden, und ehe er zum Abdrücken kommen konnte, war der Verbrecher in dem Busch verschwunden.

Aber darum war er noch nicht entwischt, denn gerade dorthin, wohin er floh, schloß die nach unten ziemlich hoch abfallende Mauer den Park ein. Dort hinüber konnte er nicht, des Försters Meinung nach; dann aber blieb ihm kein anderer Weg, als dicht unter dem kleinen Wartthurmhügel, unmittelbar am Schloß vorbei, und wenn er dort die Leute alarmirte, gelang es vielleicht doch noch, ihn zu erwischen.

Mit dem Gedanken feuerte er sein Gewehr in die Luft ab, schrie: »Halt ihn, halt ihn auf! Dieb! Dieb!« und lief dann, so rasch ihn seine Füße trugen, etwas mehr links zurück, wo er das größte Dickicht umging und dem Flüchtigen, sobald er auf offenes Terrain hinauskam, den Weg abschneiden konnte. Ließ er sich aber davon zurückschrecken und blieb im Dickicht, so nahm er all' die Bedienten und Leute im Schloß zusammen, umstellte mit ihnen das Dickicht und hatte ihn nachher sicher.

Der Schuß und das Schreien war allerdings im Schloß gehört worden, hatte aber auch noch andere Leute alarmirt.

»Rudolph, um aller Heiligen willen, wir sind verrathen!« flüsterte Paula, indem sie sich aus des Geliebten Armen wand. »Oh, Du mein großer Gott!«

»Noch nicht, mein Herz,« rief Handor, der wohl auch erschreckt emporhorchte, sich aber doch nicht denken konnte, daß der weit in den Büschen drin abgefeuerte Schuß ihm gegolten habe. – »Flieh' – das ist etwas Anderes – Du giebst mir Nachricht, wann ich Dich wiedersehen kann; fort – dort hinüber in den Busch – wir dürfen nicht zusammen gesehen werden – ich selber schleiche mich indessen auf dem Weg zurück, den ich gekommen bin.«

Ehe Paula etwas darauf erwidern oder nur einen Schritt vorwärts thun konnte, brachen und prasselten rechts von ihnen die Büsche – aber nur eine dunkle Gestalt ließ sich erkennen, die dort hindurchsetzte. Handor, der schon wieder so weit am Rand der Dickung stand, daß er wenigstens hindurchsehen konnte, drehte erschreckt den Kopf der Richtung zu – aber von da hatten sie nichts zu fürchten. Der Bursche, welcher selber auf der Flucht schien, war mit einem Satz oben auf der Mauer und schien da einen Moment zu zögern – aber es war auch nur ein Moment, denn im nächsten schon verschwand er in den dichten Zweigen eines dort stehenden jungen Baumes und hinter der Mauer, während der Wipfel des Stammes, an dem er niederglitt, deutlich im Mondlicht schwankte und zitterte.

»Jetzt fort,« flüsterte Handor, der natürlich glaubte, daß eine Verfolgung des Entflohenen nur dort stattfinden könne, wo er ihn zuletzt gesehen; »rasch hier gerad' aus durch die niederen Büsche zum Schloß, ich halte mich links – fürchte nichts, mein süßes Leben!« – Und noch einen flüchtigen Kuß auf ihre Lippen drückend, schob er sie freundlich drängend über den Kiesweg hinüber, während er selber, wie er sie nur von dem dunkeln Schatten der Büsche gedeckt sah, rasch den Kiesweg hinabschritt, um denen aus dem Weg zu kommen, die dem Entflohenen etwa folgen könnten.

Das aber war gefehlt. Hier lief er gerade dem dicht an den Buschrand heranspringenden alten Förster in den Weg, der plötzlich, wie ein Tiger auf seine Beute, auf ihn zustürzte, dicht vor ihm sein Gewehr an die Backe riß und mit lauter, donnernder Stimme schrie:

»Halt, Canaille! Jetzt hab' ich Dich verdammten Fasanendieb, nur einen Schritt und ich pfeffere Dir die Beine, daß Du in sechs Wochen keinen Schritt thun kannst!«

»Um Gottes willen, schießen Sie nicht, lieber Freund!« rief Handor, der allerdings im ersten Augenblick erschrak, seine Geistesgegenwart aber keinen Moment verlor. Er mußte den Mann auch hier aufhalten, desto sicherer konnte Paula das Schloß wieder erreichen.

»Wenn Du stehen bleibst, nein,« rief der alte Mann, der jetzt ganz bestimmt glaubte, den Fasanendieb erwischt zu haben; »aber bei der geringsten Bewegung, Gott verdamm' mich, ich spaße nicht! Heh, hallo!« schrie er dann, so laut er nur schreien konnte, denn sie mußten ihn von hier aus – wo im Sommer im Schloß alle Fenster offen standen – hören können. »Hierher! holla, holla!«

»Und wären Sie vielleicht so gut, mir zu sagen, weshalb Sie mich hier festhalten und einen so greulichen Spectakel machen?« fragte Handor ruhig.

»Heh, hallo! Hui, heh!« schrie aber der Alte, ohne ihn auch nur einer Antwort zu würdigen, und vom Schloß aus antworteten jetzt einzelne Stimmen. Die Leute waren dort schon durch den ungewohnten Schuß und den ersten Ruf aufmerksam geworden und traten vor die Thür.

Paula hatte indessen die vordere Terrasse erreicht und wollte eben darüber hin in ihr Zimmer flüchten, als sie oben ihren Bruder an seinem Fenster bemerkte, während unten in der Gartenthür der Koch mit seiner weißen Schürze und Mütze und einer der Bedienten standen. Es blieb ihr deshalb nichts übrig, als bis zu einem der kleinen Balkons zu gleiten, die, von eisernen Gittern umgeben, der Aussicht wegen hier gebaut waren. Blieb sie aber länger hier, so mußte sie entdeckt werden, wenn man sie nicht überhaupt schon in ihrem Zimmer gesucht hatte. Das Beste, was sie thun konnte, war, daß sie sich selber zeigte.

Als ob sie dort gestanden hätte, trat sie jetzt vor in das volle Licht des Mondes hinein und rief zu ihrem Bruder hinauf:

»Was ist das für ein Lärm, George?«

»Bist Du das, Paula?« rief dieser zurück. »Warte, ich komme gleich hinunter.« – Und er verschwand vom Fenster. Wenige Secunden später stand er auch schon neben ihr mit seiner Flinte in der Hand. – »Was machst Du denn noch so spät hier unten im Garten, Schatz?«

»Mein Kopf schmerzt mich zum Zerspringen. Was bedeutet der Lärm?«

»Gott weiß es; geh in's Haus, Kind, ich werde selber nachsehen,« rief der junge Mann und sprang jetzt, von ein paar Bedienten gefolgt, der Richtung zu, in der der alte Förster noch immer sein Heh, holla! lustig in die stille Nacht hinausschrie.

»Alle Wetter,« lachte George, als er ihm, sein eigenes Gewehr im Anschlag, nahe kam, »was giebt es denn hier? Wer ist das?«

»Ich, Herr Graf,« rief der Förster, der ihn schon an der Stimme erkannt hatte; »ich habe den verfluchten Fasanendieb erwischt!«

»In der That? Also der Herr hier? Wer bist Du, mein Bursche?« rief der junge Graf, indem die Bedienten um den Gefangenen herumtraten, der allerdings keine Hoffnung mehr hatte, zu entkommen, aber auch nicht die geringste Neigung zu einem Fluchtversuch zeigte. Dabei trat George dicht an den Gefangenen hinan und erkannte überrascht das im Mondlicht lächelnd ihm zugekehrte Gesicht des Fremden. »Handor!« rief er ganz erstaunt aus.

»Also Sie kennen ihn auch noch?« sagte der Förster, der jetzt den Hahn seiner Flinte in Ruhe setzte. »Das ist ein sauberer Patron!«

»Sie entschuldigen, Herr Graf,« lächelte Handor mit der größten Ruhe, »daß ich Ihnen hier etwas sehr öffentlich als Fasanendieb vorgestellt werde! Weshalb der gute Mann da Verdacht auf mich hat, weiß ich nicht recht, denn ich pflege mich gewöhnlich nur dann mit Fasanen zu beschäftigen, wenn ich sie gebraten in der Schüssel finde.«

»Aber wie, um Gottes willen, kommen Sie hier Nachts in den Park?« fragte George.

»Nur, um Sie zu sprechen,« sagte Handor. »Ich wußte nicht,« fügte er leise, sich zu dem jungen Grafen überbiegend, hinzu, »ob die Überraschung des Verlobungsabends auch vielleicht auf Ihre Eltern ausgedehnt war, und da ich Ihnen darüber Bericht erstatten wollte...«

»Aber, mein lieber Handor, das ist wirklich zu freundlich von Ihnen! Bester Förster, der Herr ist kein Fasanendieb, die Versicherung kann ich Ihnen geben.«

»Kein Fasanendieb?« rief der Förster ordentlich erschreckt. »Und habe ich denn nicht, nachdem ich vorher den ganzen Abend im Busch herumgekrochen und hier auf der Lauer gelegen, den Fasan flattern hören und, wie ich zusprang, den Dieb weg und in den Busch hinein flüchten sehen?«

»Diesen Herrn?«

»Ja, wie Viele sollen sich denn hier Nachts herumtreiben? Über die Mauer konnt' er nicht, und als ich hier vorsprang, kam er gerade den Weg herunter und wollte am Schlosse vorbei und durchbrennen.«

»Das nun gerade nicht,« lächelte Handor, der sich jetzt vollkommen sicher fühlte; »über die Mauer habe ich allerdings Jemanden springen oder doch an einem der Bäume hinabklettern sehen, einige Minuten später oder vielmehr unmittelbar danach, als ich in den gewundenen Gängen den Weg verfehlte und auf eine Art von Terrasse kam, auf der ein alter Thurm steht.«

»Ah, dort – also da ist Ihnen Ihr Vogel doch entflogen, Förster,« lachte George. »Und nun, Handor,« rief er, indem er den jungen Mann unter den Arm faßte und mit sich fort führte, »erzählen Sie mir, was Sie haben und ob wir's rechtzeitig zu Stande bringen. Kommen Sie einen Augenblick hier im Weg mit auf und ab, denn zum Schloß kann ich Sie jetzt nicht führen, meine Schwester war eben noch auf der Terrasse.«

Damit gingen die jungen Leute, ohne sich weiter um den Förster zu bekümmern, den Weg entlang und Handor berichtete jetzt, daß er ein reizendes Lustspiel gefunden habe, welches sich leicht würde besetzen lassen. Er hätte es gleich mitbringen wollen, aber auf seinem Tisch zu Hause liegen lassen, werde es jedoch morgen in aller Frühe herausschicken.

»Haben sie denn wieder Fasanen gestohlen, Förster?« fragte einer der Diener, als die beiden Herren den Rücken wandten, den Alten. Dieser antwortete aber nicht. Mit einem lästerlichen Fluch warf er sein Gewehr auf den Rücken und kehrte, sich umdrehend, nach der Stelle zurück, wo er den Wilddieb zuerst gesehen hatte, um dort noch nach Spuren zu suchen und Beweise für seine spätere Anklage zu finden.

Handor und George gingen wohl noch eine Viertelstunde im Park auf und ab, um das Nöthige über Proben und Eintheilung zu besprechen; dann kehrte der Erstere auf dem breiten Fahrweg in die Stadt zurück.

Als George wieder in's Schloß kam und nach Paula fragte, berichtete das Kammermädchen, die Comtesse habe sich in ihr Zimmer zurückgezogen und sei zu Bett gegangen.

12.
Das Wiedersehen.

Das war eine schwere Nacht für Jeremias gewesen, eine ruhelosere wenigstens, wie er seit langen, langen Jahren gehabt, und rastlos warf er sich auf seinem Lager umher, bis sich der Himmel schon wieder im Osten zu färben begann und er jetzt erst in einen kurzen, traumgequälten Schlaf fiel. Aber sonderbarer Weise hatte der Traum nicht die mindeste Beziehung auf das, was ihn den ganzen Tag beschäftigt und seine Seele erfüllt hatte. – Er war wieder in Brasilien und Nordamerika, und alle fatalen Lagen, in denen er sich je in seinem Leben befunden, spiegelten sich ihm mit tollen, verzerrten Bildern vor seinem innern Geiste ab, bis er endlich mit einem lauten Aufschrei in seinem Bette emporfuhr und dadurch den armen Hausknecht, der gerade gekommen war, um seine Kleider zum Reinigen abzuholen, bis zum Tod erschreckte.

»Herr Du meine Güte,« sagte der Mann, indem er ordentlich zusammenfuhr, »was schreien Sie denn nur so; es thut Ihnen ja Niemand 'was – nur die Kleider will ich auskloppen!«

»Guten Morgen!« sagte Jeremias, der sich verdutzt und noch immer halb im Schlaf umsah – »wie viel Uhr ist's denn?«

»Sieben Uhr vorbei – Sie haben wohl geträumt?«

»Ja, ein bischen,« gestand Jeremias, der sich jetzt vor dem Hausknecht schämte und nur verstohlen unter sein Kopfkissen griff, ob seine Brieftasche noch da wäre. Dann legte er sich wieder auf die andere Seite, als ob er noch einmal schlafen wolle. Aber er schlief nicht mehr; jetzt wäre es ihm nicht möglich gewesen, und um acht Uhr stand er auf, trank seinen Kaffee und lief dann mit schnellen Schritten in seinem etwas langen, aber schmalen Zimmer auf und ab.

So schnell er aber auch lief, so langsam verging ihm trotzdem die Zeit; hundertmal sah er nach der Uhr und hielt diese dann an's Ohr, weil er glaubte, sie müsse stehen geblieben sein, so wenig wollte der Zeiger von der Stelle.

Endlich, endlich war es halb zehn Uhr und er begann sich anzukleiden, was ihm aber auch nicht viel Minuten wegnahm, und noch fehlten zehn Minuten an der bestimmten Zeit, als er schon in Sicht des Hauses war, dem er aber noch nicht zu nahen wagte.

Zehn Minuten vor zehn Uhr stand Pfeffer oben in der Stube seiner Schwester fertig angezogen, denn er mußte wieder hinüber in die Probe.

Die Kranke fühlte sich heute bedeutend besser, aber sie sah leidender aus, als je, denn die Erregung dieser Stunde hatte alles Blut aus ihren Wangen getrieben und ihren Augen einen fast überirdischen Glanz verliehen.

»Höre 'mal, Guste,« sagte Pfeffer, während er sie kopfschüttelnd betrachtete, »Du gefällst mir heute gar nicht, und wenn ich wüßte, daß der Patron, der Stelzhammer, Dich am Ende durch sein Wiederkommen noch kränker machte, wie damals durch sein Fortlaufen, so wartete ich lieber noch ein klein bischen da draußen auf dem Gang und schmiß ihn dann, wenn er sich oben blicken ließe, einfach die Treppe hinunter – steil genug ist sie.«

»Mir ist viel besser heute, Fürchtegott,« sagte lächelnd die Frau; »ich sehe nur ein bischen angegriffen aus.«

»Das weiß Gott!« brummte Pfeffer – »und wenn ich nur eigentlich wüßte, was er wollte? Geschieden seid Ihr und müßt geschieden bleiben...«

»Und kannst Du es ihm verdenken, daß er Sehnsucht nach seinem Kinde hat?«

»Hm,« knurrte ihr Bruder ärgerlich in den Bart, »hat dann verdammt lange Zeit gebraucht, bis sie zum Durchbruch kam!«

»Fürchtegott...«

»Na meinetwegen, das macht Ihr jetzt mit einander ab – ich muß in die Probe, aber recht ist mir's nicht, das kann ich Dir versichern, und viel lieber wär's mir gewesen, wenn ich dem Herrn erst einmal hätte auf den Zahn fühlen dürfen – Windbeutel der – Herr Gott, jetzt ist's schon in drei Minuten Zehn, und ich fange an... – na also, halt' Dich tapfer, Alte,« sagte er, indem er der Schwester mit mehr Herzlichkeit, als er sonst gern zeigen mochte, die Hand reichte – »reg' Dich nicht zu sehr auf. Jettchen, Dir bind' ich sie auf die Seele – na, das wird ein bischen Heulerei werden, und ist mir doch lieb, daß ich nicht dabei zu sein brauche,« – und seinen Hut aufstülpend, verließ er rasch das Zimmer.

Unten auf der Straße ging er, den Hut in die Stirn gezogen, die linke Hand auf dem Rücken, die rechte vorn in den zugeknöpften Rock gesteckt, rasch seines Weges, als er einem kleinen, wohlbeleibten ältlichen Herrn begegnete, der kein bestimmtes Ziel zu haben schien, auch ein paar Mal stehen blieb und an den Häusern hinaufsah, als ob er eine Nummer suche.

Als ihm Pfeffer begegnete, sah ihn dieser mißtrauisch über die Brille an. War das etwa der Schwager – so dicht am Hause und unmittelbar vor zehn Uhr?

Der Fremde hatte ihn jedenfalls aus dem Hause kommen sehen und betrachtete ihn ebenfalls, und als Beide sich passirt hatten, sahen sie sich gegenseitig noch einmal um.

Aber er konnte es doch nicht sein, er ging an der Thür vorbei. Pfeffer hatte sich ihn auch ganz anders gedacht, aber augenblicklich keinen Moment Zeit mehr zu verlieren, um darüber nachzudenken, eben schlug es vom Rathhausthurm zehn Uhr, und wie er stets außerordentlich pünktlich war, haßte er nichts so sehr auf der Welt – außer einem schlechten Glas Bier – als Strafe wegen Versäumnis zu zahlen.

Es war aber trotzdem Jeremias gewesen, dem er da begegnete, und dieser hatte ebenfalls einen starken Verdacht, daß der Herr, der ihn so aufmerksam betrachtete, mehr von ihm wußte, als ihm augenblicklich angenehm war. Er ging deshalb an dem Hause vorbei – richtig, er sah sich nach ihm um – immer noch ein Stück die Straße hinab, bis jener um die Ecke verschwunden war. Dann erst kehrte er zurück. Es schlug gerade zehn Uhr vom Thurm; das war die Zeit, und jetzt der Augenblick gekommen, den er ersehnt und gefürchtet, Jahre lang – und auf den Hacken drehte er um und betrat festen Schrittes das wohlgemerkte Haus.

Auf der ersten Treppe ging es auch so ziemlich; er schritt Stufe nach Stufe rasch empor, ja, er zählte die Stufen, während er sie betrat, vergaß aber eben so rasch die Zahl, und wie er den dritten Absatz erreichte, mußte er stehen bleiben, denn der Athem ging ihm aus und er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trocknen. Und wie ihm dabei das Herz schlug – er hätte es nicht für möglich gehalten, daß es im Leben so klopfen könnte. Aber was half es – er war angemeldet, die Zeit verstrichen, und je länger er hier zögerte... – die Zähne zusammenbeißend, nahm er einen frischen Anlauf, und jetzt war er oben. Drinnen im Zimmer hatten sie seinen Schritt schon gehört. Jetzt stand er an der Thür und hob den Finger zum Anklopfen. Die Adern pochten ihm in der Stirn, als ob sie ihr zähes Gewebe zersprengen wollten – es mußte sein.

»Herein!«

Langsam öffnete er die Thür – mitten im Zimmer stand bleich und zitternd ein liebliches, jugendfrisches Kind, auf dem Sopha saß eine ernste und doch freundliche Frauengestalt – er sah aber ihre Umrisse nur, die düster, wie in einem Nebel, mit Regenbogenrändern zusammenflossen.

Er trat in's Zimmer und drückte die Thür wieder hinter sich in's Schloß, und keinen Schritt wagte er weiter hinein zu thun.

»Und bist Du das wirklich, Jeremias – bist Du wirklich endlich zurückgekehrt, um Dein Weib, Dein Kind noch einmal zu sehen?« sagte die Frau mit ihrer milden, aber jetzt schmerzbewegten Stimme.

Jeremias war nicht im Stande zu antworten, sein Hut fiel auf den Boden nieder; mit beiden Händen deckte er sein Gesicht, und Thränen, heiße, brennende Thränen quollen ihm aus den Augen.

Aber da hielt sich Henriette nicht länger. –

»Vater!« rief sie, flog an seinen Hals und legte ihre Arme um ihn – »Vater, lieber, lieber Vater! oh, daß ich den Namen endlich gefunden habe – nun darfst Du nicht wieder fort von uns – nie, nie, darfst die Mutter nicht wieder, darfst Dein Kind nicht mehr verlassen!«

Das brach das Eis. Jeremias nahm die Hände von den Augen, und sein Kind umfassend und an sich drückend, schluchzte er unter Thränen: »Jettchen, Jettchen, kennst Du denn Deinen weggelaufenen Vater noch?«

»Mein lieber Vater – und wie hat sich die Mutter auf den Augenblick gefreut! Komm zur Mutter!« und ihn leise führend, zog sie ihn zum Sopha, wo die Frau, ihre Augen von Thränen überströmend, saß – aber es waren Freudenthränen, wenn sich auch mancher Tropfen Wermuth hineinmischte.

Jetzt hatte er die Stelle erreicht – sehen konnte er kaum, denn wie ein Netz schwamm es ihm in farbigen, schillernden Lichtern vor den Augen, aber er fühlte eine sich ihm entgegen streckende Hand, und ehe er selber recht wußte, wie ihm geschehen, saß er auf dem Sopha neben der Gattin, die ihr Haupt wie müde an seine Brust lehnte und leise weinte.

»Meine gute, gute Auguste – und kannst Du wirklich dem schlechten Menschen verzeihen, der zu feige war, Noth und Mangel mit Dir zu tragen, und hinaus in die Welt lief wie ein richtiger Vagabond?«

»Mein armer Jeremias, wir haben Beide recht viel ausgestanden!«

»Das weiß Gott, das weiß Gott!« stöhnte der kleine Mann, indem er zum ersten Mal einen Versuch machte, sich die Augen zu trocknen – »recht viel haben wir ausgestanden, Auguste, und es vielleicht nicht einmal so schwer verdient, denn wir waren Beide noch jung und hatten keinen Begriff von dem, was zum Leben gehörte. Aber jetzt, jetzt bin ich wieder da und kann wenigstens einen Theil meiner Schuld sühnen.«

Die Frau seufzte auf, recht aus tiefster Brust, aber sie sagte kein Wort, nur fester lehnte sie ihr Haupt an die Schulter des Verlorenen und Wiedergewonnenen, und Jeremias küßte ihre Stirn, und rascher als je rollten ihm die Thränen über die Wangen nieder.

Jeremias war aber keine Natur, die sich solchen Gefühlseindrücken lange gutwillig hingegeben hätte. Thränen – er wußte sich der Zeit nicht zu erinnern, daß ihm eine Thräne in's Auge gekommen wäre, und jetzt weinte er wie ein kleines Kind! Das ging nicht. Mit einer wahren Energie faßte er sein rothes, schon ganz nasses seidenes Taschentuch auf, wischte sich entschieden die Augen ab und sagte:

»Und das ist Jettchen? Lieber Gott im Himmel, wenn ich noch an den Abend zurückdenke, wo ich dem Kind den letzten Kuß gab – aber nein, das ist jetzt vorbei, das ist überstanden! Ich bin wieder bei Euch – ich war damals ein schlechter – nein, kein schlechter Mensch, Auguste, glaube mir das! Ich bin nie schlecht, aber leichtsinnig, bodenlos leichtsinnig gewesen, und jetzt habe ich nichts weiter auf der Gotteswelt zu thun, als das wieder gut zu machen, so viel es nämlich in meinen Kräften steht...«

»Mein lieber Vater...«

»Und hast Du mich denn wirklich lieb, Kind?« rief Jeremias gerührt. »Guter Gott, es ist so lange her, daß ich mich kaum noch erinnern kann, es hätte mich jemals ein Mensch in meinem Leben lieb gehabt!«

»Jeremias...«

»Ja, Auguste, Du!« sagte er herzlich – »und das einzige Wesen, das mich wirklich lieb hatte, habe ich auch am allerschlechtesten behandelt!«

»Und trug ich denn nicht selber mit die Schuld?«

»Nein, Auguste, nein, wahrhaftig nicht! Glaub's ihr nicht, Jettchen – sie war immer brav und gut, nur viel zu gut, viel zu gut für mich, und erst draußen mußte ich's einsehen, mußte ich's fühlen lernen, draußen unter den fremden Menschen, die mich da und dorthin stießen! Liebe – wer hat da draußen Liebe zu einem Andern!«

»Armer Vater!«

»Ja, mein Kind, wohl kannst Du sagen: »armer Vater«, denn nicht allein, daß mir's so schlecht ging, daß ich Hunger und Noth zu leiden hatte – das geschah mir recht, und manchmal hätte ich mich ordentlich darüber freuen können, aber die Reue kam noch dazu, die Reue, daß ich schlecht an Euch gehandelt, und nur erst, als ich die Möglichkeit sah, daß ich das jemals wieder, wenigstens zum Theil, gut machen könnte, wurde es besser. Da habe ich auch wohl noch gedarbt, aber gespart dabei, jeden Reïs gespart und zurückgelegt, und da wurde es mir auch wieder im Herzen wohl, da wurde ich wieder froh und glücklich, und jetzt – Gott sei ewig Lob und Dank! – jetzt ist auch das überstanden, und Ihr sollt nun keine Noth mehr leiden!«

»Wir haben noch keine Noth gelitten, Jeremias,« sagte die Mutter freundlich.

»Doch, Auguste, doch!« rief Jeremias, indem er noch einmal seine Augen abwischte und sich dann im Zimmer umsah – »ich seh' es an Allem – kümmerlich habt Ihr Euch bis jetzt behelfen müssen – und der Tisch da drüben? Wovon hat denn das Kind da so blasse Wangen und so rothe Ränder um die Augen?«

»Vom Weinen, Vater – vor lauter Freudenthränen, daß wir Dich wieder haben!«

»Und ich glaub's doch nicht – Graf Rottack hat mir's schon erzählt, und wenn ich mir auch nichts merken ließ, wollt' es mir doch fast das Herz abdrücken!«

»Es ist nicht so schlimm,« lächelte Henriette, »arbeiten muß ein Jeder, und ich möchte gar nicht ohne Arbeit leben.«

»Gott lohn' es Dir, was Du an Deiner Mutter gethan hast, Kind – und er wird's auch, er wird's auch – hab' jetzt guten Muth, und wenn Euch der junge Jeremias auch davongelaufen ist, so hat er Euch doch jetzt den alten hergeschickt, daß der die Geschichte wieder in Ordnung bringt. – Aber jetzt müssen wir auch die übrige Familie herbeiholen. Wo steckt denn der Schwager?«

»Onkel hatte um zehn Uhr Probe, Vater, und ging kurz vorher weg, ehe Du kamst.«

»Ob ich es mir nicht beinahe gedacht habe,« nickte Jeremias vor sich hin – »darum guckte er mich so an! Den hätt' ich aber nicht wiedergekannt...«

»Hast Du ihn gesehen, Jeremias?«

»Ich glaube ja, unten am Hause – und wann kehrt er zurück?«

»Er kann nicht lange bleiben; es ist nur Probe von einem einactigen Lustspiele. Er wird bald wiederkommen.«

Jeremias hatte die Frau jetzt zum ersten Mal aufmerksamer betrachtet, und ein eigenes, wehes Gefühl zuckte ihm durch's Herz, als er in die bleichen, abgehärmten Züge schaute, auf denen ihn das augenblickliche Roth der Erregung nicht täuschen konnte. – »Aber, Auguste,« sagte er leise, »Du bist wirklich krank – was fehlt Dir nur? Hast Du keinen Arzt?«

»Ja Jeremias,« nickte lächelnd die Frau, »ich habe einen Arzt, aber er kommt nur selten, denn er kann mir ja doch nicht helfen. Jetzt ist der beste Arzt mit Dir eingezogen: das Gefühl, daß Du uns doch nicht ganz vergessen hattest und daß ich, wenn ich einmal von hier scheide, das arme Jettchen nicht ganz schutzlos in der Welt zurücklasse.«

»Meine Mutter...«

»Laß, mein Kind – wir bleiben vielleicht noch eine Weile beisammen, und an dem Onkel hättest Du ja auch wohl eine Stütze gehabt; es wird jetzt gewiß wieder besser gehen.«

»Du bist recht krank, Auguste...«

Die Frau schüttelte lächelnd mit dem Kopf. – »Lange nicht so krank, als Du denkst. Aber nun erzähle mir, mir und Deinem Kinde, wo Du die langen Jahre gewesen und wie es Dir ergangen. Du kannst doch wohl glauben, daß wir neugierig sind, das zu hören.«

Jeremias fühlte recht gut, daß sie seine Aufmerksamkeit nur von sich selber ableiten wollte, und warf einen scheuen Blick auf Jettchen, in deren Augen wieder Thränen standen; aber wenn sie es selber wünschte, mochte er ihr auch nicht entgegenhandeln. So neben ihr, ihre Hand in der seinen, gab er ihr jetzt mit kurzen Worten eine gedrängte Übersicht seines ganzen, vielbewegten Lebens. Dabei aber, und von der Gegenwart abgelenkt, brach auch oft wieder der alte, drollige Humor durch und rief manchmal ein Lächeln auf die Züge von Frau und Tochter. Je weiter er aber darin kam, desto wärmer wurde er selber, und wie er erst von der Zeit erzählen konnte, wo sich seine Umstände besserten, wo er anfing, Geld zu verdienen und von Tag zu Tag die Stunde näher rücken sah, in der er zu den Seinen zurückkehren konnte, da glühte sein dickes, gutmüthiges Gesicht in Freude, und nun fing er auch an aufzuzählen, was er verdient hatte, und zuletzt wie rasch und leicht, »Hand über Hand«, wie er sich ausdrückte, und wie die, welche ihm noch nach so langen Jahren ihre Treue und Liebe bewahrt, nun auch keine Noth mehr leiden sollten, und wie er sie hegen und pflegen wolle sein ganzes Leben lang.

Wie er mitten im Erzählen war, ging plötzlich die Thür auf und Pfeffer stand auf der Schwelle.

»Ob ich mir's denn nicht gedacht habe,« sagte er, mit dem Kopf nickend – »also das ist Herr Stelzhammer? Sieh' mal an, und schon ganz häuslich niedergelassen...«

»Herzonkel!« rief Henriette und flog auf ihn zu – »ach, wir sind so glücklich, daß er wieder da ist!«

»Ih, seh'n Sie einmal an,« meinte Pfeffer, indem er über Henriettens Schulter wegzusehen suchte, »also eine glückliche Familie – auch eine komische Manier, eine Familie glücklich zu...«

Er kam nicht weiter. Henriette hatte ihm die Hand auf den Mund gelegt und ließ ihn nichts mehr sagen, und Jeremias war aufgestanden, ging auf den Mann zu, und ihm die Hand entgegenstreckend, sagte er gutmüthig:

»Schwager – Schwager Pfeffer, wollen wir nicht auch Freunde werden?«

Fürchtegott Pfeffer legte vorsichtiger Weise seine beiden Hände auf den Rücken, und als ihn Henriette losließ, betrachtete er sich aufmerksam von Kopf bis zu Füßen seinen neuen Schwager und seine Schwester, die, wohl bleich und angegriffen, aber doch mit einem lange vermißten Zug von Glück in ihren milden Zügen auf dem Sopha saß.

»Und sehen Sie da, Herr Stelzhammer, was Sie angerichtet?« sagte er endlich.

»Schwager Pfeffer, gieb mir Deine Hand,« drängte Jeremias.

»Sehen Sie, wie es hier anderen Leuten gegangen, während Sie sich ganz vergnügt in Brasilien und bei der Königin Pomare und Gott weiß wo sonst noch herumgetrieben haben?« fuhr Pfeffer unerbittlich fort.

»Bester Schwager Pfeffer – Bruder – Onkel!« baten jetzt aber Alle miteinander – »gieb ihm die Hand – sei gut mit ihm – er hat ja versprochen, daß er uns Alle lieb haben will!«

»Das dank' ihm der Deubel!« brummte Pfeffer, immer noch in seiner alten Stellung – »und jetzt will er hier bleiben?«

»Er geht nicht wieder fort, Schwager,« sagte Jeremias, »er ist herzensfroh, daß er wieder da ist, und will auch, so weit das nur irgend angeht, gut machen, was er früher einmal schlecht gemacht hat – es thut ihm in der Seele weh!«

»Thut's ihm – so?« sagte Pfeffer – »und das geschieht ihm recht; verdient hätt' er 'was Anderes; aber da die Guste heute wieder einmal ein glückliches Gesicht macht, was ihr in langen, langen Jahren nicht vorgekommen, so... na, da ist meine Hand auch, Jeremias, und – sei willkommen in Deutschland.«

»Schwager Pfeffer!« rief Jeremias gerührt, indem er die Hand nahm und herzlich drückte, dann aber seine Gefühle nicht mehr bewältigen konnte und den Mann beim Kopfe faßte und herzhaft abküßte, was sich Pfeffer mit einer wahrhaft stoischen Ruhe gefallen ließ. Wie er aber glauben mochte, daß es nun genug sei, sagte er:

»So – und nun setz' Dich hin und betrag' Dich vernünftig – weiß es Gott, jetzt flennt der auch – na, da will ich nur hinübergehen und meine Wasserstiefeln anziehen.«

»Du darfst nicht fort, Onkelchen!« rief Henriette, rasch seinen Arm fassend – »Du mußt jetzt bei uns bleiben, und Deine Wasserstiefeln brauchst Du auch nicht – siehst Du, es ist Alles wieder trocken!«

»Hm – na da meinetwegen,« brummte Pfeffer, der sich noch immer nicht ganz behaglich zu fühlen schien, denn das Neue der Situation gefiel ihm nicht – »drüben ist's freilich gemüthlicher, und bei einer Pfeife... – rauchst Du, Jeremias?«

»Ja gewiß, Schwager!«

»Das ist wenigstens vernünftig – bespricht sich so Manches doch besser, was – wir gerade miteinander zu besprechen haben.«

»Heute dürft Ihr auch hier rauchen,« sagte die Frau freundlich; »die Brust ist mir heute viel leichter.«

»Na, das wollen wir doch nicht gleich am ersten Tag einführen,« sagte ihr Bruder, »daß wir Dir hier das Zimmer vollqualmen; der Mensch ist ja kein Schornstein, und... – aber, Jeremias, Jeremias!« rief er plötzlich, indem er seinen neuen Schwager oder vielmehr alten Schwager betrachtete und sich dabei bedenklich hinter dem rechten Ohr kratzte – »Junge, Junge, wo sind Deine Haare geblieben? Du hast Dir ja in dem Brasilien eine Staatsglatze stehen lassen!«

»Ja, mein bester Pfeffer...«

»Alle Wetter,« rief dieser rasch, »Warst Du denn schon gestern bei der Lise drüben – mit dem Grafen?«

»Bei der Lise?«

»Nun, bei meiner andern Schwester, der Bassini.«

»Ja, allerdings,« lächelte Jeremias verlegen – »wir glaubten... – aber wo willst Du hin, Jettchen?«

»In die Küche, Vater, und das Essen besorgen – Du bleibst doch bei uns?«

»Na, er soll wohl in's Wirthshaus gehen?« rief Pfeffer.

»Ja – wenn Ihr mich haben wollt...«

»Haben wollt – Unsinn – aber die wird Augen machen, wenn sie kommt und Dich hier sieht! Das war die Glatze, die wie eine Tischplatte groß sein sollte!«

»Aber wo ist die Elise?« fragte die Frau lächelnd – »es wundert mich, daß sie noch nicht da ist...«

»Lauter Unsinn hat sie heute auf der Probe geschwatzt,« lachte Pfeffer, »den ganzen Schädel hatte sie voll vom neuen Schwager, und mich nannte sie sogar ein paar Mal Jeremias. Jetzt muß sie ihre Scene noch einmal durchprobiren, denn so wär's heut Abend eine Heidenwirthschaft geworden – aber noch Eins, da Jettchen gerade draußen ist – mit dem Rebe hat's wieder was' gesetzt!«

»Mit dem Rebe?« sagte die Frau bestürzt.

»Rebe? – Wer ist das?«

»Hm,« brummte Pfeffer, »ein vierter und fünfter Liebhaber, der aus lauter Leidenschaft zur Kunst, weil er auf der Bühne keine Liebhaberin bekommen kann und immer abfährt, unserem Jettchen Schrullen in den Kopf gesetzt hat.«

»Dem Jettchen?«

Pfeffer nickte und summte leise ein Lied vor sich hin.

»Der Rebe,« sagte die Frau, »ist ein braver, anständiger Mensch und ordentlicher Leute Kind, aber blutarm und dabei Feuer und Flamme für's Theater.«

»Hat er denn Talent?«

»Ih nu,« meinte Pfeffer, »so ganz ungeschickt stellt er sich gerade nicht an, und manchmal macht er seine Sache gar nicht so schlecht – verderben thut er wenigstens nie etwas; aber was will das sagen? Eine große Rolle können sie ihm nicht anvertrauen und thun es nicht – Handor spielt sie auch alle allein, – und wenn er's im Leben nicht weiter bringen kann als zu einem so unglückseligen Fach, so hätte er zehntausendmal lieber Schuster oder Schneider werden sollen!«

»Und Jettchen hat ihn gern?«

»Ich fürchte ja,« nickte die Frau, »sie – spricht nicht darüber.«

»Das ist gerade das Schlimmste!« rief Pfeffer – »wenn sie viel davon erzählte, wär's nicht so arg; aber so hockt sie Tag und Nacht an dem verdammten Blumentisch und grübelt und denkt und seufzt, und nachher frißt sich so eine Geschichte noch viel tiefer in's Herz hinein. – Deshalb hat sich die Lise nie ordentlich verliebt, weil sie's gleich allen Menschen erzählen mußte.«

»Und ließe sich nicht doch vielleicht etwas Anderes für ihn finden,« sagte Jeremias, »womit er sein Brod ehrlich verdienen könnte? Was ich dabei thun kann...«

»Ja wohl, der auch,« schüttelte Pfeffer mit dem Kopf; »er hat ja studirt und, ich glaube sogar, sein Examen gemacht – aber Gott bewahre, Komödie müssen wir spielen, »die Kunst hat ihn gerufen«, und eher richtet er sich und Jettchen zu Grunde, ehe er davon abgeht!«

»Und was war heute wieder mit ihm?« fragte die Frau.

»Ach, die ewigen Häkeleien mit dem eitlen Laffen, dem Handor!« rief ihr Bruder – »der Mensch kann ihn nicht leiden und chicanirt ihn, wo sich Gelegenheit bietet; da hat denn unser sauberer Director – ein Lump, wie er im Buche steht – weil er den Handor nicht entbehren kann, dem Rebe gekündigt.«

»Du lieber Gott,« seufzte die Frau – »das arme Jettchen!«

»Aber vielleicht ist das ein Glück,« sagte Jeremias, »und bringt ihn möglicher Weise dazu, wozu mir ihn haben wollen, daß er ganz vom Theater abgeht. Wenn ich nur einmal mit ihm sprechen könnte!«

»Der nicht, der wahrhaftig nicht!« rief Pfeffer – »dem hat's der Souffleurkasten angethan, und der ruht nicht eher, bis sie ihn einmal erst mit faulen Äpfeln und anderen Vegetabilien von den Brettern hinuntergepfiffen haben. Dann kommt er in das Stadium, wo er über die Undankbarkeit des Publikums und den schlechten Geschmack unseres jetzigen Zeitalters schimpft, und nachher wär's vielleicht möglich, ihn zur Vernunft zu bringen – früher nicht.«

Die Frau seufzte recht tief auf, und Jeremias, der kein Auge von ihr wandte, sagte herzlich:

»Na, laß nur sein, Auguste, vielleicht wird ja noch Alles gut; ich bin ja jetzt da, und Du sollst sehen, ich halte Dir, was ich versprochen habe.«

»Aber daß das Jettchen einen schlechten Schauspieler heirathet,« rief Pfeffer, »dazu gebe ich meine Einwilligung nicht – lieber, bei Gott, einen Tagelöhner, denn da wissen sie doch vorher, daß sie hungern müssen, und faseln nicht in einem fort von Lorbeern und »Rufen«! Jeremias, sei vernünftig – Du weißt, wie Du's getrieben hast.«

»Ja, Bruder Pfeffer, Du hast Recht,« sagte Jeremias kleinlaut; »es ist freilich ein bitterböses Ding...«

»Ist er da?« rief draußen eine schrille Stimme – »ist er gekommen, Jettchen?«

»Gott sei uns gnädig!« sagte Pfeffer – »jetzt tritt Fräulein Bassini auf, jetzt Acht gegeben – ich müßte meine leibliche Schwester nicht kennen!«

In dem Augenblick wurde die Thür aufgerissen und Fräulein Bassini trat wirklich auf, aber nicht, wie ihr Bruder vielleicht erwartet haben mochte, in aller ungeduldigen Hast, sondern mit Würde. Langsam den Kopf erhoben, fast zurückgebeugt, trat sie in's Zimmer. Kaum aber traf ihr Blick den Gesuchten, als sie vollständig aus ihrer Rolle fiel, denn zu ihrem Erstaunen kannte sie ihn augenblicklich als den Nämlichen, den sie damals für den »Kammerdiener« des Grafen gehalten und deshalb mit gründlicher Nichtachtung behandelt hatte.

»Herr Du meine Güte,« rief sie, »das ist ja...«

»Der Mann mit der tischplattengroßen Glatze,« ergänzte Pfeffer – »ja wohl, Fräulein Bassini – bitte, setzen Sie sich, es kommen gleich Stühle, – habe die Ehre, Ihnen hier einen, eine Zeit lang verloren gegangenen Schwager vorzustellen, der sich neuerdings wiedergefunden hat: Herr Jeremias Stelzhammer.«

»Liebe Schwägerin,« sagte Jeremias, der mit gutmüthigem Gesicht auf sie zuging und ihr die Hand entgegenstreckte.

»Herr Stelzhammer,« sagte Fräulein Bassini vornehm, »es ist mir sehr angenehm...«

»Ach, Papperlapapp,« rief Pfeffer, »Du kommst um einen Posttag zu spät – wir haben die ganze Geschichte schon untereinander abgemacht – gieb ihm die Hand und einen Kuß und seid gute Freunde!«

»Aber, Fürchtegott...«

»Wird schon nicht anders werden, Schwägerin,« lachte jetzt auch Jeremias, indem er auf sie zuging und die Arme ausbreitete.

»Aber so geschwind geht es denn doch nicht,« rief Fräulein Bassini, noch zurückweichend, – »das nehmen Sie mir nicht übel, Schwager, das war doch...« – aber sie kam nicht weiter. Jeremias war nicht der Mann, sich auf solche Art zurückweisen zu lassen, und als Jettchen eben die Thür aufmachte, um dem Vater zu helfen, wenn die Tante vielleicht – wie sie das gar zu gern that – noch etwa Einwendungen zu machen hätte, faßte er sie schon beim Kopfe und drückte ihr einen herzhaften Kuß auf den Mund.

»Aber, Schwager,« rief Fräulein Bassini, »meine Locken...«

»Donnerwetter ja, Junge,« rief Pfeffer, »nimm Dich in Acht; die gehen ab!«

»Du bist ein Grobian, Fürchtegott...«

»Und nun Friede und Freundschaft,« sagte Pfeffer – »komm, sei vernünftig, Lise – der Jeremias war früher ein Leichtfuß und ist jetzt ein ordentlicher Kerl geworden, die Auguste freut sich, daß er wieder da ist, Jettchen auch; also haben wir Beide doch nichts hineinzureden, denn das ist eine Familien-Angelegenheit.«

»Und gehören wir nicht etwa mit zur Familie?«

»Beiläufig ja, aber nie mehr wie nöthig – und nun, Jettchen, wie ist es mit Deinem Essen?«

»Gleich fertig, Onkelchen, ich will nur den Tisch decken – aber mit Tellern wird's heute knapp hergehen; auf so viel Gäste sind wir freilich nicht eingerichtet.«

»Bah, da behelfen wir uns – nicht wahr, Jeremias?«

»Du lieber Gott,« sagte dieser, »mir ist heute gar nicht wie essen! Ich bin so froh, so glücklich, ich könnte auf Einem Beine tanzen...«

»Müßte famos aussehen,« lachte Pfeffer – »und jetzt Platz da, daß das Mädel den Tisch decken kann – heute wollen wir einmal en famille speisen!«

13.
Verschiedene Kunstinteressen.

Graf Rottack war an diesem Morgen in der Stadt gewesen, um noch einige Einkäufe zu machen. Als er zurückkehrte, fand er Helene allein in ihrer Stube, den Kopf in die Hand gestützt und eine helle Thräne im Auge, während die Kinder um sie her lustig und guter Dinge am Boden spielten.

»Und wieder so traurig, Herz?« sagte er, indem er auf sie zuging, sie leise umfaßte und ihre Stirn küßte; »kann ich denn gar kein Lächeln mehr auf Deine Wangen rufen?«

»Ach, Felix,« seufzte die junge Frau, indem sie ihr Haupt an ihn lehnte, »sei nur nicht böse, ich weiß, daß ich Unrecht thue, Dir Unrecht thue vor allen Anderen, denn kein Wesen in der Welt hätte mehr Ursache, sich glücklich zu fühlen, als ich; aber – der gestrige Morgen will mir noch immer nicht aus dem Kopf. Sie wußte, daß ich ihr Kind war, sie mußte es wissen, da Du ihr den Namen jener Frau genannt, und doch, wie kalt, wie stolz blieb sie gegen mich, wie verrieth kein Zug in ihrem Antlitz, daß ihr Herz nur den tausendsten Theil jener Sehnsucht fühlte, in meine Arme zu fliegen, wie sie mich fast verzehrt und aufreibt!«

»Sie mußte sich Gewalt anthun, Herz,« beruhigte sie Felix; »wer von uns weiß denn, was sie dabei gelitten?«

Helene schüttelte leise und traurig mit dem Kopf. »Jene eisernen Züge,« flüsterte sie, »sahen nicht aus, als ob je ihr Herz irgend eine Pein darauf hervorgerufen; sie war kalt wie Eis, und ihr Blick haftete neugierig, aber wahrlich nicht liebend auf mir.«

»Und doch hast Du Dich vielleicht geirrt, Helene!« rief Felix; »mußte nicht zuerst bei Deinem Anblick auch das Eine erste Gefühl die Oberhand gewinnen: die Angst, ihr Geheimniß verrathen zu sehen? Laß sie einmal mit Dir allein sein, laß sie Dich selber sprechen und Dir dabei in die lieben, treuen Augen sehen, und ihr Mutterherz wird schmelzen; sie wird das Kind in ihre Arme drücken!«

»Ach, und weiter verlange ich ja auch nichts auf der Welt, Felix, als nur einmal, ein einziges Mal an ihrem Herzen zu ruhen und den süßen Namen Mutter auszusprechen. Dann will ich ihren Frieden nie, nie wieder stören; ich ziehe fort mit Dir, wohin Du mich führst, und will selig sein – schwelgen in der Erinnerung an den einen Augenblick!«

»Und der Wunsch wird Dir erfüllt werden, Helene,« sagte Felix freundlich, »glaube mir; sie wird vielleicht noch Widerstand leisten, weil sie nicht weiß und wissen kann, wie weit Deine Ansprüche an sie gehen. Sie wird bis dahin ihrem eigenen Herzen Gewalt anthun, aber nicht weiter, und dann später die Stunde segnen, welche Dich wieder in ihre Arme führte. Glaubst Du mir?«

»Oh, ich glaube Dir ja so gern, mein Felix,« rief Helene, ihn an sich ziehend, »weiß ich ja doch, wie treu und gut Du es mit mir meinst!«

»Und nun auch nicht mehr traurig, mein Schatz,« lachte der junge Graf; »jetzt mußt Du Dich zerstreuen; Du darfst mir nicht länger grübeln und denken. Sieh nur das kleine fröhliche Völkchen, das sich dort am Boden balgt, oder noch besser, komm, wir wollen ein wenig musiciren, das verjagt Dir am besten alle häßlichen Gedanken; komm.« Und seine Geige, die unter dem Flügel stand, herausnehmend, stimmte er sie, während die Kinder ebenfalls ihr bisheriges Tollen aufgaben und Günther jubelnd ausrief:

»Das ist recht, nun können wir zusammen tanzen, Lenchen!«

Die Mutter mußte sich wohl fügen. Noch lag ein Zug von Wehmuth um die zarten Lippen, aber sie lächelte doch schon wieder, und bald übte die Musik ihren vollen Zauber auf sie aus, der sie rasch alles Andere vergessen ließ. Mitten in einer jener Weisen waren sie auch schon, die Felix damals in stiller Nacht unter dem Fenster der Geliebten gespielt, und die Kinder, rücksichtslos auf Tact und Tonstück, nur in der Lust, Musik zu hören, hatten sich dabei umfaßt und tanzten und jubelten im Zimmer umher, als einer der Diener die Thür öffnete und anfragte, ob Graf George Monford die Ehre haben könne, die Herrschaften zu sprechen. Er übergab dabei zugleich dessen Karte.

»Graf Monford?« Helene fühlte, wie sie erbleichte.

»Es ist der junge Graf,« flüsterte ihr Felix leise zu; »fasse Dich, Herz, ein Höflichkeitsbesuch. – Es wird uns angenehm sein.«

Wenige Secunden später öffnete sich die Thür und Graf George trat ein, aber nicht als förmlicher Besuch, wie Felix gedacht, sondern in seiner liebenswürdigen, offenen Weise, und schon in der Thür rief er freundlich:

»Ich kann es mir nicht vergeben, Sie gestört zu haben, und es ist unendlich liebenswürdig von Ihnen, gnädige Gräfin, daß Sie einem, doch eigentlich vollkommen fremden Menschen eine Ihrer liebsten Stunden zum Opfer bringen! Mein lieber Herr Graf, ich muß ernstlich um Entschuldigung bitten!«

»Seien Sie uns herzlich willkommen!« sagte Rottack freundlich, der sich schon lange zu dem offenen, ehrlichen Gesicht des jungen Mannes hingezogen gefühlt hatte; »bitte, legen Sie ab und setzen wir uns – keine Förmlichkeiten weiter – wir freuen uns aufrichtig, Sie bei uns zu sehen!«

»Und selbst, wenn ich gleich mit einer Bitte käme?«

»Vielleicht noch viel mehr, wenn Sie uns gleich Gelegenheit geben, Ihnen gefällig zu sein,« lächelte Rottack.

»Ich halte Sie beim Wort,« lachte George; »so will ich denn, wie man so sagt, gleich mit der Thür in's Haus fallen, damit ich Sie nicht zu lange von Ihren Instrumenten entfernt halte, denn dann ersuche ich Sie dringend, fortzufahren.«

»Und womit können wir Ihnen dienen?«

»Es ist ein Scherz. In acht Tagen soll die Verlobung meiner Schwester Paula gefeiert werden, und zwar mit dem jungen Grafen Bolten, und da Paula so außerordentlich für's Theater schwärmt und sich besonders auf unseren Liebhabertheatern selber ausgezeichnet hat, so habe ich mir für den Abend eine kleine Überraschung ausgedacht. Wir wollen nämlich unter uns ein kleines, allerliebstes Lustspiel aufführen, das ich heute Morgen zugeschickt bekommen habe. Unglücklicher Weise kommen aber mehr Personen darin vor, als ich an »Künstlern« stellen kann, und da hat mir – da die Zeit überdies drängt – die Verzweiflung den kühnen Entschluß eingegeben, Sie und Ihre liebenswürdige Frau Gemahlin um Hülfe und Beistand anzuflehen.«

»Das ist allerdings sehr liebenswürdig von Ihnen, mein bester Graf,« lächelte Rottack, während Helene leicht erbleichte; »aber erstlich gerathen wir da auf ein Feld, das wir Beide wohl noch nie betreten haben – nicht wahr, Helene?«

»Noch nie,« hauchte leise die junge Frau.

»Und dann ist die Zeit zu einer solchen Vorbereitung doch auch wohl ein wenig sehr kurz. Haben Sie das Stück bei sich?«

»Nein, da wir nur Ein Exemplar besitzen, läuft mein Commissionär eben damit in der Stadt herum und läßt die wenigen Bogen in drei verschiedenen Druckereien zu gleicher Zeit setzen. Aber bis spätestens morgen in aller Frühe haben wir genügende Exemplare und bis zehn Uhr ist es längstens in Ihren Händen. Ihre Rollen sind klein, das Lernen wird Ihnen keine Schwierigkeit machen. Meine gute Mutter will selber so freundlich sein, die Leitung der Leseprobe zu übernehmen. Haben Sie Mitleid mit einem armen, unglückseligen Theaterunternehmer!«

Rottack sah sinnend vor sich nieder. So plötzlich bot sich da eine ja lange ersehnte Gelegenheit, in freundlichere und nähere Beziehung zu der sonst so schwer zugänglichen Monford'schen Familie zu treten – und Helene?

»So schicken Sie uns nur vorher wenigstens das Stück,« sagte er endlich lächelnd, »und bezeichnen Sie darin die uns zugedachten Rollen; wir wollen dann augenblicklich Kriegsrath mit einander halten, meine Frau und ich, und Sie keinesfalls lange in Ungewißheit lassen. Ist die Ausführung möglich, so sage ich, wenigstens für meine Person, zu.«

»Liebster, bester Graf, wie soll ich Ihnen danken?« rief George fröhlich. »Und Ihre Frau Gemahlin? – Aber ich will jetzt nicht drängen,« unterbrach er sich rasch, »und Ihnen vielleicht ein Versprechen abpressen, das Ihnen später unangenehm sein könnte. Nehmen Sie aber die Versicherung, daß Sie uns Allen eine große Freude damit machen würden, und besonders Paula, deren Herz Sie wahrhaft im Sturm erobert haben müssen, Frau Gräfin, denn sie konnte gestern gar nicht aufhören, von Ihnen zu reden.«

»Dann ist unser Gefühl ein vollständig gegenseitiges gewesen, Herr Graf,« lächelte Helene, »denn ich kann Ihnen versichern, daß auch ich Ihre Schwester bei dem ersten Begegnen herzlich lieb gewonnen habe, und mich also doppelt freue, das zu hören.«

»Wie gut Sie sind!« rief George. »Ist es aber nicht merkwürdig, daß sich Menschen oft so rasch zu einander hingezogen fühlen und, ohne mehr als ein paar gleichgültige Worte zu sprechen, mit einander Freundschaft schließen, während wir uns von Anderen, ohne daß sie uns je das Geringste zu Leide gethan, wieder eben so rasch und unerklärlich abgestoßen fühlen?«

»Es ist das eine Freimaurerei des Geistes,« lächelte Felix, »die sich an geheimen, oft unbewußten Zeichen versteht und erkennt, und sie übt, im Guten wie im Bösen, ihre Macht. Gute Menschen finden sich nicht rascher unter einander, wie ein paar richtige Gauner, die oft schon nach einem kaum flüchtig gewechselten Blick einander verstehen und Freundschaft, wenigstens Kameradschaft schließen.«

»Ich selber gebe außerordentlich viel auf den ersten Eindruck, den ein Fremder auf mich macht,« sagte George.

»Ich Alles,« rief Felix, »und kann wohl sagen, daß ich mich selten oder nie getäuscht. Ließ ich mich aber durch irgend welche Zufälligkeit bestimmen, von diesem ersten Eindruck abzusehen, dann durfte ich auch fest darauf rechnen, daß ich dafür büßen mußte.«

»Und sollte dieser Glaube an den ersten Eindruck, den ein Fremder auf uns macht, nicht oftmals auch die Ursache einer großen Ungerechtigkeit gegen ihn sein?« sagte Helene. »Was kann ein Mensch zum Beispiel für ein unschönes Gesicht, das uns doch nie gefallen wird, während er vielleicht das beste Herz darunter birgt?«

»Ein schönes Gesicht ist allerdings eine große Empfehlung im Leben,« sagte George, »und wer es erhalten, kann Gott nicht genug dankbar dafür sein; ein häßliches muß man eben hinnehmen, wie man Krankheit oder ein sonstiges Unglück hinnimmt.«

»Aber kann nicht ein unschönes Gesicht auch gut und freundlich sein?« sagte die junge Frau.

»Allerdings, Frau Gräfin, und wie oft finden wir das; aber der Charakter spricht sich gewiß darin aus.«

»Also wer von der Natur zum Beispiel einen boshaften Zug um den Mund bekommen hat,« meinte Helene kopfschüttelnd, »müßte deshalb auch entschieden boshaft sein und könnte nicht einmal dafür verantwortlich gemacht werden?«

»Umgekehrt, Schatz,« rief ihr Gatte. »Was Du da sagst, wäre ein Unglück für solche arme Menschen, nicht eine Eigenschaft, die uns sie meiden läßt. Nicht wer einen boshaften Zug um den Mund hat, wird dadurch boshaft, nein, wer boshaft ist, bekommt sicherlich diesen Zug. Das heißt: gerade der Charakter der Menschen prägt sich im Lauf der Jahre in dem Antlitz derselben aus: je älter sie werden, desto deutlicher, und wer das Verständniß dafür hat, liest die Schrift.«

»Aber manchmal irren wir uns doch,« sagte George. »So kenne ich hier einen jungen Schauspieler – unsern ersten Liebhaber – und einen tüchtigen Künstler, der auf mich bei seinem ersten Anblick, trotz seiner wirklich edlen Züge, jenen abstoßenden Eindruck gemacht hat, dessen Sie vorhin erwähnten, und der also auch deshalb für uns maßgebend sein sollte. Ich ließ mich aber dadurch nicht abschrecken und machte seine nähere Bekanntschaft, oder äußere Umstände ließen sie mich machen, und muß gestehen, daß sich bei diesem meine Menschenkenntniß nicht erprobte, denn er hat sich stets als einen liebenswürdigen, geistvollen und besonders fabelhaft gefälligen Mann gezeigt, dem ich schon unzählige Male verpflichtet bin.«

»Lieber Gott, wir können uns ja irren,« sagte Felix; »ich selber würde mich aber nach einer solchen erhaltenen Warnung – wie ich es nennen möchte – nur höchst vorsichtig mit ihm eingelassen und ihm – vielleicht – unrecht gethan haben.«

»Aber wir plaudern hier und ich halte Sie von Ihrer Musik ab.«

»Wir haben nur musicirt, um uns die Zeit zu vertreiben,« lächelte Helene; »der Grund ist jetzt vollständig weggefallen.«

»Und wenn ich Sie nun bäte, fortzufahren?«

»Wenn Sie Freude daran finden, von Herzen gern,« sagte Helene, ohne Weiteres von ihrem Stuhl sich erhebend, und sie wie Felix hatten bald wieder das vorhin unterbrochene Musikstück aufgenommen.


Am Markt, zwischen der Drachen-Apotheke und einem andern, sehr anständigen und hohen Gebäude, das einem Seidenhändler gehörte, stand ein schmales, vierstöckiges Haus mit nur zwei Fenstern Front und machte auf den Beschauer etwa den Eindruck, als ob sich ein Mensch mit angezogenen Armen in ein Uhrgehäuse geklemmt hätte und sich nicht regen und nicht rühren könne.

Dort residirte in der zweiten Etage Doctor Feodor Strohwisch, Dichter und Schriftsteller, oder vielmehr Privatgelehrter, wie er in dem Adreßbuch angegeben stand, der aber auch ein kleines Tageblatt redigirte und darin die Geißel über das Theater schwang. Und nicht über das Theater allein; Alles, was vorkam, jedes Fach, jede Kunst fand in ihm ihren unerbittlichen – oder eigentlich nicht ganz unerbittlichen Kritiker, denn es gab Mittel, ihn zu erweichen, und mit einer solch' liebenswürdigen Unverschämtheit drosch er auf Alles los, was sich unabhängig genug glaubte, ihn zu ignoriren, daß die Masse, welche selten ein eigenes Urtheil für sich selber hat, seine Kritiken endlich für baare Münze hinnahm und auch noch nebenbei seine Gelehrsamkeit bewunderte.

Von den Mitgliedern des Theaters, wenigstens von dem größten Theile derselben, war er gehaßt und gefürchtet zugleich, denn gegen sein Blatt gab es keine Appellation, da er ihm unbequeme Artikel nie aufnahm. Äußerlich behandelten ihn aber fast Alle sehr artig, und die boshaftesten Urtheile ließ man ruhig über sich ergehen, weil man nur dadurch noch boshafteren ausweichen konnte.

Strohwisch durfte in der That Alles sagen und sagte Alles, und im Laufe der Jahre hatte er sich eine Sicherheit und Unfehlbarkeit angeeignet, die wirklich nichts zu wünschen übrig ließ.

In seinem Zimmer sah es sehr gelehrt und sehr unordentlich aus. Ein großer Mahagoni-Schreibtisch, der seine eigene unquittirte Rechnung in dem einen Gefach sorgfältig versteckt hielt, als ob er sich selber darüber schäme, stand in der einen Ecke, unmittelbar am Fenster. Vier oder fünf Bücherregale mit einer neueren und viel benutzten Ausgabe des Brockhaus'schen Conversations-Lexikons füllten die eine Wand, ein sehr elegantes, aber etwas beschmutztes Sopha, mit einem Spiegel in Goldrahmen darüber, die andere.

Auf dem Sopha lagen vier oder fünf gestickte Rückenkissen, eine gestickte Cigarrentasche aber geöffnet auf dem Tisch; unter dem Spiegel befand sich ein sinniger Neujahrswunsch aus Menschenhaaren geflochten, und den Tisch bedeckte eine weiße gehäkelte Decke mit hellblauen Vergißmeinnicht darin; kurz, die Spuren weiblicher Arbeit waren überall, auf Fußbank, Briefhalter, Papierkorb, Briefbeschwerer u. s. w. anzutreffen.

Über dem Schreibtisch aber hingen zwei Lorbeerkränze, der eine mit hellblauem, der andere mit rosaseidenem Bande, und einem Spruch von zierlicher Frauenhand geschrieben, den man aber von unten aus auf dem überhaupt auch etwas rauchgeschwärzten Papier nicht lesen konnte.

An der Wand befanden sich ein paar an die äußerste Grenze des Schicklichen streifende französische Kupferstiche von badenden und nach dem Bade tanzenden Nymphen, und rechts und links vom Spiegel zwei ebenfalls französische Studienköpfe, bis an den untern Rand des Rahmens decolletirt.

Sämmtliche Stühle waren übrigens mit neuen, unaufgeschnittenen, in gelbem, grauem, grünem, blauem und rothem Papier broschirten Büchern bedeckt, und selbst auf dem Boden lag noch eine Anzahl von ihnen zwischen Cigarrenstummeln, Papierstreifen und zerschnittenen Zeitungen.

Feodor arbeitete. Er saß auf einem Drehstuhl und hatte eine Cigarre im Munde, die vorn brannte und die er hinten kaute, und dann und wann schrieb er eine Zeile und strich darauf das Geschriebene wieder durch.

Da klopfte es laut an die Thür, und mit seinem Herein! erschien Handor, den Hut nachlässig auf dem Kopf, einen Glacéhandschuh angezogen, den andern in der Hand.

»Guten Tag, Doctor! Stör' ich?«

»Nun, Sie verderben wenigstens nichts, denn ich quäle mich eben wieder mit so einem verfluchten Gelegenheitsgedicht.«

»Daß Sie's nicht satt kriegen!« lachte Handor.

»Es ist eine rein verzweifelte Arbeit,« rief der Doctor, »immer etwas Pikantes sagen zu sollen, wenn...«

»Einem nichts einfällt – trostlos!«

»Na, das wär' das Wenigste,« bemerkte Strohwisch; »aber man will doch auch nicht all' sein Pulver auf eine Sache verschießen, die Einem nichts einbringt, als vielleicht ein lumpiges Mittagessen.«

»Sonst ist wohl kein Honorar zu fürchten?«

»Gott bewahre; es ist für den Commerzienrath, der morgen sein commerzienräthliches fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiert. Was das Alles für Ursachen zu Festen sind! Aber was fehlt Ihnen? Sie sehen verdrießlich aus.«

»Ach was,« sagte Handor, indem er sich aus der offenen Cigarrentasche eine Cigarre nahm und sie anbrannte, »ich habe mich wieder einmal über den Lump, den Rebe, geärgert – eingebildeter Esel! Aber der Director hat ihm gekündigt, er muß fort. Da können Sie sich nachher eine Güte thun und ihm eine Grabschrift schreiben.«

»Werde ich ihm besorgen,« lachte der Doctor, sich vergnügt die Hände reibend, »werde ich ihm mit Vergnügen besorgen, und noch dazu in Versen unter »Eingesandt«-Rebe, bebe, lebe, strebe, gebe, hebe – es paßt nur eigentlich kein pikanter Reim auf den langweiligen Namen.

Horatius Rebe,
Wer kann, bebe
Bei dem Abgang dieses Lichts,
Doch vergebe
Horatius Rebe
Daß er uns hier schadet nichts.

Das ist gut, wie?«

»Werden Sie nicht langweilig,« sagte Handor, indem er seinen Hut auf den Tisch stellte, seinen Handschuh hinein und sich selber dann zwischen die Rückenkissen auf das Sopha warf. »Was ich gleich sagen wollte, Doctor, wissen Sie genau, wann der Erbprinz hier eintrifft?«

»Nun, versteht sich doch von selbst; werde ich das nicht genau wissen! Am nächsten Freitag Morgen mit dem Zehn-Uhr-Zug. Dann ist großer Empfang – militärisch natürlich – Alles in Uniform, wo, zwischen all' den goldenen Epauletten und Ordenssternen, der Bürgermeister, als Vertreter der Stadt, allein im Frack wie ein schwarzes Schaf in der Heerde herumläuft. Mittags Diner auf dem Rathhaus, Abends Festvorstellung im Theater – »Hamlet« auf speciellen Wunsch – nach dem Theater Fackelzug und dann Kneiperei bis zum nächsten Morgen, wozwischen ein geplagter Redacteur dann auch noch seine Correspondenzen schreiben soll.«

»Hm, merkwürdig,« sagte Handor, der die letzten Worte gar nicht gehört zu haben schien.

»Merkwürdig? – was ist merkwürdig?«

»Oh, nichts, es fiel mir nur ein, wie so Vieles manchmal auf Einen Tag zusammentrifft.«

»Ja, er bleibt auch nur zwei Tage in Haßburg, und am zweiten Tag ist großer bal paré, mit der ganzen haute volée geladen. Wunderbares Leben doch, das so ein Prinz führt! Bei Jove, ich glaube, ich habe auch eine gute Natur, aber wenn ich nur eine einzige Woche so durchschwiemeln sollte, ging ich wahrhaftig drauf!«

»Lieber Doctor,« sagte Handor gleichgültig, »wenn sich ein solcher Prinz derartigen »Genüssen«, die für ihn Alltäglichkeiten sind, mit einer solchen Leidenschaftlichkeit hingeben wollte, wie Sie gewöhnlich dabei entwickeln, so hielt er's auch nicht aus. Aber, was ich Sie schon immer einmal fragen wollte: von wem haben Sie eigentlich die beiden Lorbeerkränze, welche da über Ihrem Schreibtisch hängen?«

»Oh,« sagte Feodor bescheiden, »sie sind nur von Damen.«

»Nur von Damen?«

»Ja; in unserem literarischen Club feiern wir manchmal geistige olympische Spiele...«

»In Ihrem Vergötterungsverein,« lachte Handor, »wo Ihr Euch gegenseitig anbetet und hinter dem Rücken dann auf einander schimpft.«

»Hören Sie einmal, Handor, das ist übertrieben!«

»Gehen Sie mir weg; mich haben sie auch einmal mit hineingeschleppt, um mich bei einer Tasse heißem Zimmtwasser, das die Dame vom Hause Thee nannte, und bei drei unsichtbaren Butterbrödchen sechs Stunden auf das Tödtlichste langweilen zu lassen. Das war ein furchtbarer Abend, Doctor!«

»Sie übertreiben wahrhaftig,« rief Feodor, seinen Kopf zurückwerfend; »ich habe doch auch von meinen Gedichten vorgelesen.«

»Leider!«

»Sie sind unausstehlich heute, und ich wollte dieses unglückselige Geschöpf, dieser Rebe, wäre erst einmal über alle Berge; früher finden Sie doch Ihren Humor nicht wieder.«

»Ach was, Rebe,« sagte Handor verächtlich; »glauben Sie, daß mir der Patron nur eine Stunde von meiner Zeit vergiften könnte?«

»Na, was steckt Ihnen denn sonst in den Gliedern – Schulden? Lieber, bester Freund, Sie sind doch hoffentlich auch schon auf dem Standpunkt angelangt, daß, wenn sich Jemand Schulden halber Sorgen zu machen hat, es entschieden nur der Gläubiger sein kann – Gläubiger – ein famoser Name übrigens, weil er glaubt, daß er Geld kriegt; hahahaha!«

»Sehe ich aus wie Jemand, den die Schulden drücken?« spottete Handor, indem er seine Cigarrenasche auf den Teppich abstrich.

»Na, dann sind Sie verliebt,« rief Feodor, »heh? Hab' ich's getroffen, hat der haßburgische Herzbrecher auch endlich einmal seine Meisterin gefunden? Handor, der erste Liebhaber des haßburgischen Theaters, wirklich verliebt, ohne Schminke und Gasbeleuchtung – es ist eine himmlische Idee! Übrigens – Donnerwetter, was mir da einfällt – haben Sie schon davon gehört, daß dieser Rebe ein Heidenglück macht?«

»Ein Heidenglück – welches?«

»Er heirathet das hübsche Blumen-Jettchen, das spröde, alberne Ding, dem alten Pfeffer seine Nichte, deren Vater gestern mit einer Million von Ostindien zurückgekommen ist.«

»Unsinn,« sagte Handor, »eine von Ihren gewöhnlichen Tageblatt-Enten.«

»Na, Sie werden's sehen. Der Rebe hat mit dem Mädel schon lange ein Verhältniß gehabt, aber natürlich Pauvreté in allen Ecken. Jetzt macht sich die Sache. Am Ende werden wir ihn hier noch nicht einmal los.«

»Vom Theater gewiß, und das Andere kümmert mich wenig,« sagte Handor gleichgültig, indem er aufstand und seinen Hut aufnahm.

»Sie wollen wieder fort?«

»Ich habe zu thun. Apropos, Doctor, können Sie mir nicht wenigstens einen Theil von den hundert Thalern zurückzahlen, die ich Ihnen neulich borgte? Trauvest quält mich mit den paar Thalern, die ich ihm schuldig bin.«

»Lieber, bester Freund,« rief Feodor – »kahl wie eine Feldmaus im Augenblick; die Gelder kommen erbärmlich ein, und in der letzten Zeit habe ich gar nichts verdienen können, weil ich fortwährend mit Ihnen beschäftigt war.«

»Mit mir?«

»Meine Correspondenzen für die verschiedenen Blätter. Ich sage Ihnen, die eine Recension über Ihren »Fiesco« hat mich vier volle Stunden gekostet, so ausführlich habe ich Alles besprochen, und ich taxire meine Arbeitsstunden stets auf einen Louisd'or.«

»Das ist viel.«

»Geistige Arbeiten, lieber Freund, sind keine Holzhackerarbeit; die Fäuste können immer schaffen, aber der Kopf braucht seinen Genius, und wenn der ausbleibt, steckt er fest.«

»Und wann können wir Abrechnung halten?«

»Ich erwarte eine bedeutende Honorarzahlung in den nächsten Tagen.«

»Schön, also auf Wiedersehen, Doctor!«

»Auf Wiedersehen, lieber Handor, auf Wiedersehen!«

Handor hatte die Thür hinter sich zugedrückt, und Feodor sah ihm, freundlich mit der Hand winkend, nach; dann aber murmelte er leise vor sich hin:

»Einfaltspinsel, eingebildeter – will in allen Blättern gelobt und herausgestrichen sein und dann auch noch geborgtes Geld wieder haben – es ist wirklich großartig! Wer hält ihn denn hier am Theater? Niemand weiter als ich, und wenn ich ihn fallen lasse, ist er in vierzehn Tagen fertig; keine Hand rührt sich mehr – ich müßte meine Haßburger nicht kennen. – Komm Du mir!« Und die unangenehmen Gedanken abschüttelnd, drehte er sich wieder auf seinem Stuhl herum, griff die Feder auf und begann von Neuem sein commerzienräthliches Ehrengedicht, das aber trotz alledem nicht recht fließen wollte – der Genius war noch nicht da.

14.
Horatius Rebe.

Oben in der Schloßgasse, dem »Paradies« schräg gegenüber, in einem sehr großen, massiv gebauten Hause, aber oben in der vierten Etage und in einem sehr bescheidenen, wie sehr beschränkten Dachstübchen, wohnte Horatius Rebe, »der zweite oder eigentlich vierte oder fünfte Liebhaber« am Haßburger Theater – und eine bescheidenere Wohnung ließ sich in der That kaum denken.

Das Ameublement bestand aus einem Holztisch, der Morgens als Waschtisch, über Tag als Arbeitstisch diente, aus einem mit sehr verblichenem und auch schon oft ausgebessertem Kattun überzogenen Sopha, das mit Eisenfeilspänen gestopft sein mußte, so hart war es, und zwei ordinären Rohrstühlen. Dazu gehörte noch ein kleiner, sehr dürftiger Spiegel und eine lackirte Commode, wie ein glatt gehobeltes Bücherbrett, und dennoch war der kleine Raum so nett und sauber als möglich hergerichtet.

Man konnte gerade nicht sagen, daß eine musterhafte Ordnung darin herrschte, denn hier war ein Buch, in dem der Eigenthümer vorher gelesen, auf dem Tisch umgeschlagen, dort im Fenster lagen einige Noten, und darunter stand ein kleiner Zithertisch mit der Zither darauf und den Stuhl schräg davor gerückt. Ein Zimmer sieht aber überhaupt nicht wohnlich aus, wenn es zu sorgfältig aufgeräumt und geordnet ist – man muß erkennen können, daß es von Jemandem benutzt wird, sonst macht es einen öden und unheimlichen Eindruck, mag es so einfach oder so prachtvoll möblirt sein, wie es will.

Und benutzt wurde es in der That, denn außer einem winzig kleinen Alcoven, der kaum ein Bett und einen gelb angestrichenen schmalen Kleiderschrank hielt und durch eine etwas zu kurze Kattungardine von der Stube getrennt wurde, war es die einzige Räumlichkeit, welche Horatius Rebe besaß, und diese hatte er sich denn auch so freundlich hergestellt, wie es eben seine Mittel erlaubten.

Über dem Sopha hing eine ziemlich gute Lithographie von Schiller im weißen, offenen Hemdkragen; über dem Arbeitstisch eine andere von Bogumil Dawison mit dem kecken, herausfordernden, aber geistreichen Gesicht. Es waren die beiden einzigen Bilder, die er besaß, eine kleine Photographie seiner verstorbenen Mutter ausgenommen, die über seinem Bett ihren Platz gefunden.

Aber trotzdem hatte der Raum doch noch eine andere Ausschmückung erhalten, denn unter Schiller's Bild kreuzten sich ein Paar Schläger, durch ein altes, vielgetragenes Band der Burschenschaft, der er früher angehört, mit einander verbunden, während unter denselben die alte, dreifarbige Studentenmütze jetzt zugleich als Zeichen der Erinnerung und – als Uhrhalter diente.

Aber in dem Fenster standen Blumen, eine prachtvolle Monatsrose, zwei Resedastöckchen und zwei Heliotropen, und unter Dawison's Bild war ein kleines Sträußchen von künstlich gemachten, aber täuschend nachgeahmten Vergißmeinnicht, Veilchen und Maiblümchen befestigt.

Das war der ganze Zierrath, wenn wir die dürftige Bibliothek ausnehmen, die aber nur aus kaum zwanzig Bänden bestand. Da war ein Band mit Byron's Werken in der Original-Ausgabe, die Dramen von Schiller, Lessing und Göthe, und Heine's, Freiligrath's und Rückert's Gedichte, und ein dicker Band, der Shakespeare's gesammelte Werke ebenfalls im Urtext enthielt, lag, den »Hamlet« aufgeschlagen, auf dem Tisch.

Rebe hatte augenscheinlich darin gelesen, aber selbst diese Lectüre konnte ihn nicht fesseln; andere Gedanken gingen ihm im Kopf herum, und überhaupt sah er heute bleich und angegriffen aus, als ob er eine schlaflose Nacht gehabt oder vielleicht gar durchgeschwärmt hätte.

Aber, lieber Gott, schwärmen – wovon? Seine kleine Gage hielt ihn eben am Leben in der theuern Stadt – selbst den Genuß einer Cigarre mußte er sich versagen, wenn er sich nicht in Schulden stecken wollte; ein Glas Bier Mittags gehörte zu seinen Extravaganzen – nein, eine schwere Lebenssorge lag auf seinem Herzen.

Der Souffleur, welcher es von seiner Zimmernachbarin, dem Fräulein Bassini, erfahren, hatte ihm allerdings unter dem Siegel der Verschwiegenheit – mitgetheilt, daß Fräulein Bassini's Schwager, Henriettens Vater, als reicher Onkel von Amerika zurückgekommen wäre, aber an dem nämlichen Tag war ihm selbst seine kleine, untergeordnete Stellung an der hiesigen Bühne gekündigt worden, und er besaß nicht einmal Geld genug, um auf Reisen zu gehen und sich ein neues Engagement zu suchen, viel weniger eine Zeit lang zu zehren, wenn er nicht gleich an einer andern Bühne placirt werden konnte. Und wo durfte er das jetzt im Sommer hoffen, wo die meisten Theater sogar geschlossen waren?

Und Henriette – durfte er jetzt wagen, ihr wieder zu nahen, wo er selber sogar brodlos geworden und ihr nichts, nichts auf der weiten Gotteswelt bieten konnte, als seine Liebe? Sie hätte ihn nicht verschmäht, das wußte er; aber durfte er ein solches Opfer annehmen? Nie. Er hätte seine Selbstachtung verloren für immer und keinem Menschen mehr offen in's Auge sehen können.

Nein, er selber mußte sich erst wieder eine Stellung im Leben erringen, mußte selbstständig dastehen, und dann – wenn das Loos auch noch so bescheiden war, das er der Geliebten bieten konnte –, dann erst durfte er ihr wieder frei und offen nahen und seine Werbung erneuern. Jetzt war sie für ihn verloren, unerreichbar verloren.

Und wem verdankte er dies Alles? Wem anders, als diesem ungebildeten, aufgeblasenen Gecken, diesem Handor, der sich nur hier an der Bühne hielt, weil sich das Publikum einmal an ihn gewöhnt hatte und das Frauenvolk in seine hübsche Larve vernarrt war. Hatte er es denn nicht in den letzten zwei Jahren schon an mehreren anderen Bühnen versucht, um ein besseres Engagement zu erlangen, und war er nicht immer mit Schimpf und Schande hierher, als letztem und einzigem Zufluchtsort, zurückgekehrt? Aber Rache wollte er wenigstens an ihm nehmen. Die Vorstellung des »Hamlet« mußten sie noch vorüber lassen, das sah er selber ein, die durfte nicht gestört werden, aber dann konnte er ihm auch nicht die verlangte Genugthuung weigern, er durfte es nicht – und nachher? Bah, was lag daran – sein Leben war ja doch verfehlt, sein Lebensglück vernichtet und zerstört, was lag daran, was aus ihm wurde – ob er jetzt ganz verdarb und unterging!

Sein Leben verfehlt? Oh, er hätte bittere Thränen weinen mögen, wenn er daran dachte, mit welcher Liebe und Leidenschaft er Alles hinter sich geworfen, was andere Menschen für ihn aufgebaut, nur um sich ganz und ausschließlich der Kunst in die Arme zu werfen!

Hatte denn die blinde, urtheilslose Menge Recht, wenn sie auch das nur einen »Broderwerb« nannte? Gab es denn wirklich kein höheres, ideales Ziel dabei, und war auch das Gefühl, das er in seinem eigenen Herzen für einen Funken himmlischen Feuers gehalten, der ihn entzückte und begeisterte, nichts als Lüge, nichts als eine Täuschung seiner selbst, ein mattes, wärmeloses Irrlicht gewesen, das nur allein dazu gedient, um ihn vom rechten Wege abzulenken?

Das war der bitterste Gedanke, der ihn quälte – alles Andere hätte er leicht und gern ertragen, Mangel, Sorgen, Zurücksetzung – lieber Gott, sie gehörten dazu und jedes Talent hatte sich durch sie hin die Bahn zu Licht und Freiheit öffnen, und oft erzwingen müssen – aber besaß er wirklich das Talent? Hatte Handor Recht, der ihm erst gestern wieder mit kalten, höhnischen Worten gesagt, daß er es nie weiter als bis zum Stühletragen auf den Brettern bringen würde? Oder war es nur Bosheit, nichtswürdige, tückische Bosheit von ihm gewesen? Er selber fühlte die Begeisterung, fühlte die Kraft in sich, das Schwerste zu unternehmen und zu überwinden – aber besaß er sie auch, und würde ihn der Director, der, wie er recht gut wußte, sich die größte Mühe gab, junge und tüchtige Kräfte heranzuziehen, so leicht entlassen haben, wenn er selber auch nur eine Spur davon in ihm entdeckt?

Oh, diese Zweifel an sich selbst, wie sie ihn peinigten und seinen sonst so frischen Muth niederdrückten! Und Keiner, Keiner war da, der ihn aufgerichtet hätte nur mit einem einzigen Wort des Trostes; keinen Freund hatte er, in dessen Brust er sein warmes Herz nur ein einziges Mal hätte ausschütten dürfen! Wo sollte er ihn auch finden? – Ihre Gelage feierte er nicht mit, Wirthshäuser zu besuchen, Bier- oder Weinstuben, verstatteten ihm seine dürftigen Mittel nicht; sein Mittagessen verzehrte er in einem ganz abgelegenen, obscuren Local, wo eine verhältnismäßig gute Kost zu einem mäßigen Preis verabreicht wurde. Er selber besuchte Niemanden, aus Furcht, Jemandem zur Last zu fallen – und wer sollte ihn besuchen in seiner dürftigen Bodenkammer? Er stand allein, ganz allein in der Welt, und das einzige Wesen, das ihn nicht verachtete und auf ihn herabsah, das einzige Wesen, was ihm in Liebe und Treue ergeben war und ihn so glücklich, so selig hätte machen können, das mußte er meiden, durfte ihm nicht wieder nahen, und fühlte selber, wie sich unübersteigliche Schranken zwischen ihnen aufgethürmt.

Mit untergeschlagenen Armen und zusammengezogenen Brauen ging er raschen Schrittes in seinem kleinen Gemache auf und ab, als es heftig an die Thür klopfte. Ehe er aber nur Herein! rufen konnte, öffnete sich diese schon, und das spitze, rothe Gesicht des Souffleur Mauser erschien mit einem laut herausgeschrieenen »Guten Morgen, Herr Rebe!« auf der Schwelle.

»Guten Morgen, Herr Mauser,« sagte Rebe, »und was bringen Sie mir?«

»Bringen?« lachte der Eintretende, indem er die Thür hinter sich zuzog und es auch nicht der Mühe werth hielt, seine Cigarre ausgehen zu lassen – »habe ich schon Jemandem etwas gebracht, ausgenommen zu Neujahr einen kleinen Repertoirschwindel? Fällt gar nicht vor, aber – ein paar Worte im Vertrauen wollte ich mit Ihnen reden, Herr Rebe, und deshalb bin ich hergekommen.«

»In der That?« sagte Rebe kopfschüttelnd – »aber dann bitte, setzen Sie sich – und was ist es, was Sie mir vertrauen wollen?«

»Ja, seh'n Sie, Herr Rebe,« rief Mauser und unterbrach seine Rede wieder, denn die Cigarre war am Ausgehen gewesen und er mußte eine Zeit lang heftig ziehen, um sie wieder in Gluth zu bringen, »zu vertrauen habe ich Ihnen eigentlich nichts, sondern wollte Ihnen nur... – die verdammte Cigarre hat gar keine Luft – haben Sie nicht eine andere?«

»Ich rauche gar nicht, Herr Mauser.«

»Ja so – ich wollte, ich thät's auch nicht; es kostet jährlich ein schmähliches Geld. Ich wollte Ihnen nur einen guten Rath geben, wenn Sie ihn nämlich annehmen, denn die Herren Künstler haben gewöhnlich ihre Sparren für sich, und glauben, sie könnten es allein – was aber wären sie ohne den Souffleur, he? Wenn ich einmal mein Buch da unten zumache, so hört die Geschichte da oben auf, wie eine abgelaufene Spieldose, und sie können nur den Vorhang fallen lassen.«

»Sie dürften wohl Recht haben,« lächelte Rebe wehmüthig – »bei Vielen ist das in der That der Fall.«

»Ob ich Recht habe! Glauben Sie mir, lieber Rebe, ein Souffleur guckt nicht umsonst das ganze Jahr hinter die Coulissen und peitscht alle Proben mit durch. Der Director und der Regisseur – bah, wenn die da oben an ihrem Tisch sitzen und das große Wort führen, glauben oft, daß sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben! Ich könnt's ihnen sagen, alle Nasen lang, wo es fehlt und wo's hapert, denn ich habe die ganze Geschichte am Fädchen! Aber Mauser ist klug, Mauser hält's Maul und denkt: wo's Dich nicht juckt, da kratz' Dich nicht – so denk' ich!«

»Was aber hat das mit dem guten Rath zu thun, den Sie mir geben wollten, Herr Mauser?« sagte Rebe, der sich heute gerade nicht in der Stimmung fühlte, das Geschwätz des Mannes mit anzuhören. »Ich begreife nicht recht...«

»Das will ich Ihnen sagen,« unterbrach ihn Mauser, indem er die jetzt wirklich ausgegangene und halb zerkaute Cigarre ärgerlich und ziemlich rücksichtslos in die nächste Ecke schleuderte, wie er das in der Bierstube zu thun gewohnt war – »ich bin Ihr Freund, Rebe, ich meine es gut mit Ihnen, ich kenne auch den ganzen Schwindel und die Geschichten, die Sie hier gehabt haben, aber wenn Sie meinem Rath folgen wollen, so machen Sie einfach die Bude zu.«

»Die Bude zu?«

»Ja wohl, das heißt: werfen die bunten Lappen fort und treten nicht wieder auf!«

»Nicht wieder auf?«

»Nein, gehen vom Theater! Sie passen nicht dazu! Sie haben nicht den rechten, genialen Wurf, es fehlt Ihnen – mit Einem Worte, Sie sind kein Schauspieler!«

»Wenn Sie nur so freundlich sein wollten, das Alles ein klein wenig leiser zu sagen, mein lieber Herr Mauser,« bemerkte Rebe, dem es aber doch wie ein eisiges Gefühl durch's Herz schoß – »hier nebenan wohnt ein junger Mann, den Sie doch nicht in das Geheimniß gezogen haben wollen?«

»Geheimniß? Verdammt wenig Geheimniß ist dabei, Rebe!« schrie Mauser – »die ganze Stadt weiß es! Aber Sie wissen auch, daß ich nicht leiser sprechen kann – ich muß schreien, wenn ich nicht in dem verfluchten Kasten sitze, und dort sitz' ich lange genug, das weiß der Himmel, Morgens vier, fünf Stunden, und Abends beinah' eben so viel!«

»Dann wollen wir lieber einen kleinen Spaziergang machen.«

»Dank' Ihnen – jetzt will ich erst essen gehen und nachher schlaf' ich – bin auch nur heraufgeklettert, um Ihnen das zu sagen. Glauben Sie mir, Rebe, ich meine es gut mit Ihnen, Sie passen nicht in die Lumperei – Sie sind ein anständiger Kerl, aber ein anständiger Kerl ist noch immer kein erster Liebhaber, und der werden Sie im ganzen Leben nicht.«

»Ich danke Ihnen, Herr Mauser,« sagte Rebe kalt, denn er fing an sich über den Menschen zu ärgern, »ich werde mir die Sache überlegen.«

»Ja, das kennen wir schon,« brummte der Souffleur – »überlegen, das heißt, es noch eine Weile so hingehen lassen und dann doch thun, was Sie freut – Alte Geschichte! Aber meinetwegen – wer nicht hören will, muß fühlen, und das seh' ich jetzt schon; Sie geben keine Ruh', bis Sie einmal eine größere Rolle irgendwo kriegen und dann richtig von der Bühne heruntergepfiffen werden – nachher ist Friede.«

»Sie urtheilen sehr hart.«

»Ich bin weiter nichts als Souffleur, aber ich kenne den Schwindel, Herr Rebe – ich kenne den Schwindel, mir brauchen Sie kein X für ein U zu machen, und ich habe schon Manchem auf den richtigen Weg geholfen – das ist mein Geschäft.«

»Aber Sie werden mir doch zugestehen, daß eine wahre und aufopfernde Liebe zur Sache...«

»Papperlapapp, reden Sie mir nicht von Aufopferung und Liebe!« rief der Souffleur – »Sand in die Augen, das ist der Schwindel – mit einem Ohr unten im Kasten drin, und doch immer dabei thun, als ob man keine Ahnung hätte, daß überhaupt ein Souffleur auf der Welt wäre – Liebe zur Sache! Fragen Sie einmal Pfeffer! – Apropos, Sie wissen doch, daß der Mann von Pfeffer's Schwester, der dicke Stelzhammer, steinreich von Brasilien zurückgekehrt ist und die Jette jetzt einen Grafen heirathet?«

»Einen Grafen?«

»Gewiß – der Alte hat ihn sich besonders zu dem Zweck mitgebracht. Waren auch bei mir und haben mir einen Besuch gemacht und den ganzen Schwindel erzählt – das ist ein Glück, was das Mädel macht!«

»Aber das ist ja gar nicht möglich!«

»Möglich? Sagen Sie mir einmal, was auf dieser verrückten Welt nicht möglich ist – ich weiß nichts. Aber ich habe schon zu lange mit Ihnen geschwatzt – Donnerwetter, fünf Minuten nach Zwölf – meine Suppe wird kalt! Also folgen Sie meinem Rath, Rebe – überlassen Sie das Mimen anderen Leuten, die es besser verstehen und die den Pfiff weghaben – am besten, Sie gehen gleich unter die Millionäre; sollte aber da keine Stelle offen sein, na dann irgend ein ehrliches Handwerk, lieber ein Tapezierer oder ein Riemer, wie ein schlechter Schauspieler. Sie sind noch jung, Sie können noch Alles lernen, und daß ich Ihr Freund bin, können Sie daraus sehen, daß ich Ihnen die Wahrheit sage. 'Morgen, Herr Rebe!« und seinen Hut aufgreifend und sich dabei an die Taschen fühlend, ob er auch nichts vergessen hätte, verließ er das Zimmer und stolperte die etwas dunkle und steile Treppe wieder hinab.

Rebe war empört über das rücksichtslose Benehmen des Menschen, und wer weiß, ob er zu jeder andern Zeit die hochnasige Unverschämtheit desselben so ruhig hingenommen hätte. Jetzt war er gebrochen, und wie der Mann kaum die Thür hinter sich zugeworfen, sank er auf einen Stuhl, deckte sein Antlitz mit der Hand und saß dort still und regungslos eine lange, lange Zeit – er wußte gar nicht, wie lange; er vergaß die Zeit und sein eigenes Mittagessen, und nur das Eine Gefühl lebte und arbeitete in ihm: das Gefühl seines Elends, seines Unglücks.

Und wieder wurden draußen Schritte laut – es mußte jemand Fremdes sein, denn sie gingen herüber und hinüber. Rebe horchte auf – links von ihm, an einer verschlossenen Bodenkammerthür, wurde angeklopft. Er stand auf und ging zur Thür, die er öffnete, denn der kleine Vorsaal war sehr dunkel.

»Ist Jemand da?«

»Sie entschuldigen, wohnt hier Herr Rebe?«

»Das bin ich selber – bitte, treten Sie näher.«

»Ich störe doch nicht?«

»Nein – mit wem hab' ich die Ehre?«

»Ich muß mich selber vorstellen, bester Herr,« lächelte der kleine Fremde etwas verlegen, »und – und komme auch nur im – im Interesse einer uns Beiden befreundeten Familie. Mein Name ist Jeremias Stelzhammer.«

»Herr Stelzhammer?« rief Rebe und fühlte, wie ihm in dem Augenblick das Blut in einem wahren Strom in's Antlitz schoß – »von – von Brasilien – aber wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Bitte – ja,« sagte Jeremias, der überhaupt nicht recht wußte, wie er beginnen sollte. »Sie – Sie kennen mich also und haben von mir gehört?«

»Ja, mein Herr, ich – erfuhr, daß Hen –, daß Fräulein Henriettens Vater nach langer Abwesenheit zurückgekehrt sei, und – habe mich herzlich darüber gefreut.«

»Danke Ihnen,« sagte Jeremias und saß wieder fest. Er hatte etwas auf dem Herzen, aber er konnte das rechte Ende nicht gleich finden, um es abzuwickeln, und sah sich verlegen im Zimmer um – und, lieber Gott, wie ärmlich sah es in dem Zimmer aus – und doch wie nett und sauber!

»Und was verschafft mir die Ehre?« sagte Rebe endlich nach einer Pause.

»Ja, sehen Sie,« sagte Jeremias, also gewaltsam auf das gebracht, was ihn heute Morgen hiehergeführt, »das ist eigentlich eine ganz curiose Geschichte, und ich müßte vielleicht ein Stück Weges dazu ausholen – vielleicht geht's aber auch so, wenn wir gleich mitten hineinspringen. Eigentlich wollte ich um die Sache nur so hinten herumkommen – wissen Sie, so im Gespräch – aber Ihr Gesicht gefällt mir, Herr Rebe, und ich glaube, ich kann mit Ihnen gleich von der Leber wegreden...«

»Sie würden mich dadurch sehr verbinden,« sagte Rebe, dem es bei der langen Vorrede ganz unheimlich wurde. Was hatte der Mann nun wieder? Bis jetzt bekümmerte sich Niemand um ihn, und heute gab Einer dem Andern die Thür in die Hand – war das ein neuer Freund, wie der Souffleur?

Jeremias mochte aber wohl fühlen, daß er den jungen Mann in Verlegenheit brachte, wenn er noch länger zurückhielt, und fuhr deshalb, jetzt wirklich mitten in den fraglichen Punkt hineinspringend, nur im Anfang noch ein wenig stotternd, fort:

»Sehen Sie, Herr Rebe, ich bin Henriettens Vater und – möchte das Kind gern glücklich wissen, was Sie begreifen werden – und nun hat mir Pfeffer, mein Schwager, die ganze Geschichte gestern Abend erzählt, und nun möchte ich Sie bitten...«

»Daß ich Herrn Pfeffer's Haus nicht wieder betreten möge, nicht wahr, Herr Stelzhammer?« sagte Rebe bitter – »aber seien Sie unbesorgt, es hätte deshalb Ihres Besuches nicht bedurft, denn ich fühle selber, daß ich jetzt, hier aus meiner Stellung selbst geschoben und kaum im Stande, mich allein am Leben zu erhalten, nicht das Recht habe, das Geschick eines andern, mir theuren Wesens an das meine zu fesseln. Fürchten Sie nicht, daß ich Ihnen wieder lästig fallen werde, wie es mein Schicksal zu sein scheint, wohin ich komme. Sowie mein Contract mit diesem Monat abgelaufen ist, verlasse ich Haßburg, und ich glaube kaum, daß Sie dann je wieder von mir hören werden.«

»Sehen Sie,« sagte Jeremias, der ihm indessen schweigend und kopfschüttelnd zugehört, »jetzt gehen Sie durch, gerade wie ein scheu gewordenes Pferd, und immer nach der verkehrten Richtung. Seh' ich denn aus wie ein so schrecklicher Tyranski Absolutski, der nur eben die Nase nach Deutschland hineinsteckt und dann auch gleich sein Kind, um das er sich die langen Jahre nicht gekümmert, unglücklich machen will? Lassen Sie uns vernünftig mit einander reden, Herr Rebe, und ich glaube, ich habe einen Ausweg für Sie gefunden, oder – wir können doch wenigstens erst einmal sehen, ob wir keinen finden.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen...«

»Ja, wenn ich aufrichtig sein will, weiß ich es eigentlich selber noch nicht recht,« sagte Jeremias, sich hinter dem rechten Ohr kratzend, »denn ich – ich möchte Ihnen doch nicht gern wehe thun, und – und sehe auch keinen andern Weg, als...«

»Bitte, geniren Sie sich nicht,« lachte Rebe bitter – »weshalb sollen Sie gerade der einzige Mensch in der Welt sein, der Rücksichten auf mich nimmt?«

»Jetzt gehen Sie wieder durch,« nickte Jeremias, »aber es kann nichts helfen – so kommen wir nicht zu Ende. So will ich Ihnen denn sagen, was ich mit meinem Schwager Pfeffer besprochen habe – Jettchen weiß natürlich kein Wort davon –, und nachher wollen wir hören, was Ihre Meinung von der Sache ist.«

»Ich bin in der That begierig!«

»Pfeffer meint,« fuhr Jeremias fort, »daß Sie beim Theater außerordentlich wenig Aussichten hätten, es je zu etwas Vernünftigem zu bringen, und daß es schade um Sie wäre, wenn Sie Ihre Kräfte dabei vergeudeten.«

»Das ist sehr liebenswürdig von Herrn Pfeffer...«

»Glauben Sie nicht, daß er etwas auf Sie hat!« rief Jeremias rasch – »er meint es wahrhaftig gut mit Ihnen und sprach nur Gutes von Ihnen, und daß Sie sonst ein braver und anständiger Mensch wären!«

»Sonst?«

»Ja, – nur zum Theater taugten Sie nicht – Sie – Sie wären zu... – Hurrjeh,« unterbrach sich Jeremias, »es ist eine ganz verfluchte Geschichte, wenn man es mit Jemandem gut meint und soll ihm dann Grobheiten sagen, aber es geht ja nicht anders, und wenn Jemand einem Andern einen kranken Zahn ausziehen soll, so muß er ihm auch wehe thun, und man weiß doch dabei, daß es eben nicht anders angeht! Wenn Sie das nur wenigstens auch wüßten!«

»Bis jetzt,« sagte Rebe kalt, »habe ich nur aus Ihren Reden ersehen, daß Sie, auf Herrn Pfeffer's Urtheil hin, mir den guten Rath geben wollen, einer Laufbahn zu entsagen, die bis zu diesem Augenblick mein ganzes und einziges Lebensglück ausgemacht hat. Wovon ich nachher leben soll, darüber wird Herr Pfeffer wohl selber im Unklaren sein, ganz abgesehen davon, ob ich überhaupt nachher noch leben könnte.«

»Aber das ist es gerade, weshalb ich hergekommen bin!« rief Jeremias rasch. »Glauben Sie denn, ich wollte mich blos unangenehm bei Ihnen machen, um Ihnen etwas zu sagen, was Sie doch wahrhaftig nicht erfreuen kann?«

»Es ist mir wenigstens lieb, daß Sie das selber einsehen,« sagte Rebe ruhig, »und ich bin Ihnen dankbar für Ihren guten Willen – mit was kann ich Ihnen sonst noch dienen?«

»Na ja, nun werfen Sie mich lieber gleich 'naus!« sagte Jeremias in komischer Verzweiflung. »Aber so hören Sie mich doch nur an. Das Theater kann Ihnen wahrhaftig nicht so an's Herz gewachsen sein, daß Sie gar kein anderes Leben für möglich halten! Du lieber Gott, was treibt man nicht Alles, um ordentlich und ehrlich durchzukommen, und wenn ich Ihnen Alles erzählen könnte, was ich schon gewesen bin, Sie würden sich wundern, so viel kann ich Ihnen sagen! – Aber jetzt geht es mir gut,« fuhr er entschlossen fort, ehe Rebe ein Wort zu erwidern vermochte; »ich habe mir etwas erspart und nur den einzigen Wunsch, die Menschen glücklich und zufrieden zu sehen, die ich – die ich – um die ich mich eigentlich hätte ein bischen früher bekümmern sollen. Jettchen aber ist ein liebes, herzensgutes Kind, dem ich Alles zu Gefallen thun könnte, und – wenn sie auch noch nicht recht mit der Sprache herausgerückt ist, so habe ich doch so viel gemerkt, daß sie Ihnen gut ist und nicht das Geringste dagegen würde einzuwenden haben, wenn Sie im Stande wären, um sie anzuhalten.«

»Aber?« sagte Rebe, während er sich Mühe geben mußte, seine Fassung zu bewahren, »ich muß Sie um den noch fehlenden Nachsatz bitten!«

»Aber,« fuhr Jeremias entschlossen fort, »das sind Sie jetzt noch nicht und hätten, allem Anschein nach, auch noch für die nächste, vielleicht für eine sehr lange Zeit keine Aussicht dazu, und da – möchte ich Ihnen helfen.«

»Sie, Herr Stelzhammer?« rief Rebe erstaunt – »und wie können Sie mir helfen? Glauben Sie, daß ich je im Stande wäre, mich von meiner Frau ernähren zu lassen?«

»Wenn ich das glaubte,« sagte Jeremias trocken, »so wäre ich gar nicht zu Ihnen gekommen. Nein, ich wollte einmal mit Ihnen sprechen, ob Sie vielleicht doch nicht auf einen andern Weg zu bringen wären, und muß Sie deshalb vorher – mir, als Jettchen's Vater, dürfen Sie das nicht übel nehmen – auf das Gewissen fragen: Lieben Sie das Mädel wirklich recht von Herzen, und würden Sie dieselbe, eben wenn Sie Ihr Brod hätten, zur Frau nehmen?«

»Herr Stelzhammer,« sagte Rebe bewegt, indem er ihm die Hand entgegenstreckte, »vorher, und ehe ich Ihre Frage beantworte, muß ich Ihnen ein Unrecht abbitten, das ich gegen Sie verübt!«

»Gegen mich?«

»Ja – denn ich hielt Sie, als Sie dies Zimmer betraten, – und auch noch eine Zeit lang nachher – für einen jener wohlmeinenden Freunde, die ihre Freundschaft nur darin suchen, sich ein Recht heraus zu nehmen, grob zu sein, Sie sehen, ich bin aufrichtig...«

»Bitte, geniren Sie sich nicht,« sagte Jeremias.

»Ich bitte Sie deshalb um Verzeihung,« fuhr Rebe herzlich fort, indem er die Hand des kleinen Mannes, die er noch immer in der seinen hielt, derb schüttelte – »ich habe Ihnen unrecht gethan, denn ich fühle, daß Sie es wirklich gut mit mir und Henrietten meinen!«

»Sollte so denken,« nickte der kleine Mann; »ich wußte, daß Sie dahinter kommen würden, wenn wir nur erst eine Weile beisammen wären.«

»Dann aber nehmen Sie die Versicherung,« fuhr Rebe fort, »daß ich Ihre Tochter viel zu aufrichtig und wahr liebe, um mein Unglück eine Ursache sein zu lassen, auch das ihrige herbeizuführen. Ich trete jetzt hinaus in die Welt – mit geringen Hoffnungen, es ist wahr – aber auch mit dem festen, männlichen Willen, mir mein Leben zu erkämpfen, wie es Tausende vor mir gethan haben. Geh' ich dabei unter, nun, dann ist nur ein doch werthloses Dasein weniger. – Gelingt es mir aber – und trotz allem Mißgeschick flüstert eine Stimme in mir noch immer: »Es wird!« – dann, mein lieber Herr, hoffe ich Ihnen zu beweisen, mit wie heißer Liebe ich an Henrietten hange und – daß ich ihrer Werth bin!«

»Mein lieber Herr,« sagte Jeremias, auf seinem Stuhl herumrückend, »das ist Alles recht schön und gut, daß Ihr abgebrannt seid, wie jener Pfarrer meinte, aber es bringt uns keinen Schritt weiter in der Sache, denn wenn Jettchen Sie wirklich lieb hat, so glauben Sie doch sicherlich nicht, daß Sie ihr einen Gefallen thun, wenn Sie, wie Sie es nennen, untergehen, so ehrenvoll das auch an sich sein mag.«

»Aber was kann ich thun?«

»Sie haben studirt, nicht wahr?«

»Ja...«

»Das ist eben der Teufel,« meinte Jeremias, sich wieder hinter dem Ohr kratzend, »daß mit den studirten Leuten am allerwenigsten anzufangen ist! Sie verstehen Griechisch und Lateinisch und Alles, was sie im Leben nicht gebrauchen können, aus dem Grunde; will man aber 'was Praktisches mit ihnen anfangen, so hapert's an allen Ecken. Was in dem Amerika nur allein für eine Menge studirter Menschen herumhungern und ihrem Gott dankten, wenn sie in ihrer Jugend ein Handwerk gelernt hätten, ist ganz unglaublich! Aber lassen Sie nur gut sein,« unterbrach er sich rasch, als er merkte, daß Rebe etwas erwidern wollte; »vielleicht finden wir doch noch etwas, und dann sollen Sie sehen, daß ich es wirklich gut mit Ihnen meine, junger Mann, und Ihnen beistehen werde wie ein wahrer Freund – wir müssen nur erst auf den rechten Punkt kommen.«

»Aber was soll sich finden, bester Herr – ein Engagement...«

»Reden wir nicht mehr davon,« sagte Jeremias gutmüthig; »wenn Sie nicht auf's Theater passen, hilft Ihnen auch ein Engagement nichts, und die Zeit, die Sie dort auf's Neue verbringen, ist eben einfach auf den Kopf geschlagen. Wir fangen 'was Anderes an – mir gehen eine Menge Pläne durch den Kopf, und Sie sollen einmal sehen, in Zeit von vier Wochen habe ich Sie da so hineingearbeitet, daß Sie selber Ihre Lust und Freude daran finden werden.«

»Herr Stelzhammer,« sagte Rebe freundlich, aber auch fest und bestimmt, »die Zeit nur, die Sie hier mit mir vergeuden, ist verloren, denn mich ziehen Sie nicht aus der vorgezeichneten Bahn.«

»Aber, mein bester Herr!«

»Bitte, lassen Sie nun auch mich reden. Ich kenne Herrn Pfeffer genau; ich weiß, daß er von Herzen ein guter und sonst braver und ehrlicher Mensch ist, aber er hat eine verbissene Natur und sucht besonders etwas darin, auf das Theater zu schimpfen. Wenn man ihn reden hört, so sollte man glauben, er wäre bei jeder neuen Rolle der unglückseligste Mensch, so raisonnirt er und mit solcher Unlust geht er jedesmal daran, sie zu lernen; aber nehmen Sie ihm einmal eine oder fordern Sie ihn einmal auf, vom Theater zu gehen, so hören Sie, was er Ihnen sagt.«

»Pfeffer? – Lieber heute, als morgen.«

»Ich kenne ihn besser. Er redet grundsätzlich Jedem ab, zur Bühne zu gehen, und was sein Urtheil über mich betrifft – ein so guter Schauspieler er in seinem Fache sein mag –, so kann das für mich keinen entscheidenden Werth haben; denn hat er mich auch nur erst ein einziges Mal in einer wirklich guten, ja, selbst nur in einer mittelmäßigen Rolle gesehen? Habe ich denn hier am Theater – ich weiß selber nicht, weshalb – auch nur ein einziges Mal Gelegenheit bekommen, zu versuchen und zu zeigen, was ich vermag? Nie – nur zu Statisten- oder, kaum mehr als dazu, zu kleinen, erbärmlichen Rollen bin ich verwandt worden, in denen ich kaum ein paar Worte zu sprechen hatte und mich selbst schämte, wenn ich, meiner unwürdig, so da draußen vor dem Publikum stand. Und jetzt sollte ich die Bühne verlassen – jetzt, mit dem nagenden Gefühl im Herzen, daß ich das Zeug zu etwas Besserem in mir trage? – Glauben Sie da selber, bester Herr, daß ich bei irgend einer andern Beschäftigung, die Ihre Güte für mich ausgedacht, Ruhe und Befriedigung fühlen, daß ich ausharren könnte, wo es noch immer in mir gährt und treibt und die Sehnsucht nach der wahren Kunst mich verzehren, aber auch zugleich zu allem Andern untauglich machen würde?«

»Ja, mein lieber, junger Freund,« sagte Jeremias bestürzt, »das wäre ja aber eine ganz verzweifelte Geschichte, und während Sie in der Welt draußen nach der »wahren Kunst« suchen, die ich noch nirgends gefunden habe, so alt ich bin, grämt sich das arme Jettchen daheim die Augen roth und wird zuletzt eine alte Jungfer. Überlegen Sie sich die Sache nur erst ordentlich. Sie glauben gar nicht, was der Mensch Alles kann, wenn er nur ernstlich will.«

»Ich habe mir Alles überlegt, bester Herr, wieder und wieder,« sagte Rebe herzlich – »meine ursprüngliche Carrière, durch welche ich im Laufe der Jahre in der regelmäßigen Staats-Tretmühle meinen bestimmten Platz und die Hoffnung auf Avancement hätte bekommen können, habe ich mir durch meinen Austritt verscherzt; die Herren nehmen Niemanden zum Staatsdienst wieder auf, der einmal Schauspieler gewesen ist, obgleich sie ihre Schauspieler weit besser bezahlen, als ihre Staatsdiener, und dahin ist mir der Weg also gründlich abgeschnitten, – zu etwas Anderem passe ich nicht. Es giebt kaum einen unglückseligeren Menschen für irgend eine Speculation auf der weiten Welt, als mich; zum Kaufmann habe ich nicht das geringste Talent, aber meine ganze Seele hängt am Theater, und wem Gott einen solchen Trieb dazu in's Herz gelegt hat, der darf und kann ihm nicht entsagen, wenn er seinen Lebenszweck nicht verfehlen will.«

»Aber, mein lieber Herr Rebe, ich – ich war auch schon einmal beim Theater – und wobei bin ich eigentlich nicht gewesen?« sagte Jeremias etwas kleinmüthig.

»Und haben Sie je den Drang gefühlt,« rief Rebe begeistert, »der Kunst Alles, Alles opfern zu müssen – selbst Ihr Leben?«

»Könnt' ich gerade nicht sagen,« meinte der kleine Mann kopfschüttelnd – »ich sang und tanzte meinen Stiefel weg und freute mich nur immer auf den Ersten, weil da Gagetag war.«

»Dann hat Ihnen das Verlassen der Bühne auch keine Thräne gekostet.«

»Ne, wahrhaftig nicht,« bestätigte Jeremias – »eh'r im Gegentheil. Ich war seelenfroh, aus der Bude herauszukommen – Kunst – ja Kunst! Ich habe keine Kunst darin entdeckt.«

»Und tadeln Sie mich deshalb, weil ich dabei aushalte, daß ich mein ganzes Leben, mein Glück, mein Alles daran setze, um mein Ziel zu erreichen? Ich kann aber nicht anders, lieber Herr – ich fühle, daß ich in jedem andern Fache, so freundlich Sie mir auch zur Seite stehen würden, eine unselbstständige, gedrückte Stellung einnehmen müßte, während ich hier ein weites, offenes Feld vor mir sehe, meiner Kraft, meinem Ehrgeiz zu genügen. Bring' ich es dann zu 'was, so verdanke ich bei Gott Alles nur mir selbst, was ich erstrebt, und kann dem Besten stolz in's Auge sehen! War es ein Mißgriff, dann wird der arme Rebe Niemandem mehr lästig fallen – Niemand wird mehr von ihm hören und – Niemand auch wohl mehr nach ihm fragen,« setzte er leise hinzu.

»Und ist das Ihr fester und letzter Entschluß?« sagte Jeremias kopfschüttelnd.

»Ich kann nicht anders, lieber Herr,« sagte Rebe herzlich; »ich müßte mich selbst verachten, wenn ich anders handeln wollte.«

»Das ist freilich recht traurig,« nickte der kleine Mann mit dem Kopf, indem er von seinem Stuhl aufstand, »und mir thut dabei Niemand wie das arme Jettchen leid, denn Sie selber wollen es ja nicht besser haben.«

»Mein armes Jettchen!« sagte Rebe leise – »aber sie ist frei!« fuhr er leidenschaftlich fort – »glauben Sie nicht, daß ich sie mit Wort oder Bitte an das Leben eines Unglücklichen fesseln werde! Es war freilich mein schönstes, seligstes Gefühl, der Gedanke, sie mir einst verdienen zu können – aber die Zeit liegt zu fern, zu ungewiß, um sie zu binden! Es war mein heißester Wunsch, sie glücklich zu wissen – ich will nicht die Ursache sein, das Gegentheil herbeizuführen!«

»Sie sind ein braver Mann, mein lieber Herr Rebe,« sagte Jeremias herzlich, indem er ihm nochmals die Hand reichte und die seine herzhaft drückte; »ich glaube, Jettchen würde glücklich mit Ihnen werden, ob Sie nun Schauspieler oder 'was Anderes wären...«

»Sie sind mir böse,« sagte Rebe leise, der wohl bemerkte, daß der Mann noch einen Rückhalt hatte – »Sie halten mich für einen eigensinnigen Trotzkopf, der das Glück des ihm liebsten Wesens gleichgültig von sich stößt, nur um seinem Eigensinn zu fröhnen.«

»Doch nicht,« sagte Jeremias, mit dem Kopf schüttelnd; »ich begreife freilich nicht, wie Jemand mit einer solchen Leidenschaft am Theater hangen und Freude darin finden kann, sich in die Geschichte so – ich weiß eigentlich nicht wie ich sagen soll – so hinein zu bohren. Aber ich begreife, daß Jemand, der fest von irgend etwas überzeugt ist, auch Hals und Kragen dransetzen kann, um es durchzuführen. Aber da stehen Sie allein, da giebt es keinen Menschen, der Ihnen helfen und beispringen kann.«

»Ich weiß es,« sagte Rebe ruhig, »weiß auch, welche schwere Prüfungszeit mich wahrscheinlich noch erwartet, und nur um das bitte ich Sie, denken Sie nicht schlechter von mir, weil ich Ihr freundliches Anerbieten zurückgewiesen habe – glauben Sie nicht, daß ich darum Henriette auch nur um einen Gedanken weniger liebe, weniger bereit wäre, ihr Alles aufzuopfern, aber – ich muß mich später selber achten können. – Kein Vorwurf darf auf meiner Seele lasten, mir meines Strebens einst nicht klar gewesen zu sein, mit Einem Wort: ich muß erst versuchen, ob ich wirklich zu dem, was mein ganzes Sein erfüllt, nicht passe und in der That nicht im Stande bin, mir aus mir selbst heraus eine Carrière zu schaffen. Dann, wenn ich das gethan, wenn ich gesehen habe, daß ich mich geirrt, will ich es aufgeben – nicht mit blutendem Herzen, nein, mit dem ruhigen Bewußtsein, meine Pflicht gethan zu haben, und was dann aus mir wird, das weiß nur Gott!«

Jeremias begriff nur halb, was Rebe sagte; er verstand etwa den Sinn der Worte, aber nicht die mächtige Triebfeder seiner Handlungsweise, die er in seiner Sprache mit dem kurzen, aber bezeichnenden Worte »Dickkopf« wiedergegeben haben würde. Aber unter solchen Umständen ließ sich hier auch nichts weiter machen. Er selber hatte sein Möglichstes gethan, Jettchen beizustehen; wenn der bühnentolle Schauspieler nicht wollte, zwingen konnte er ihn nicht.

»Na, mein lieber Herr Rebe,« sagte er aufstehend, »unter diesen Umständen läßt sich vor der Hand gar nicht weiter über die Sache reden. Versuchen Sie's denn in Gottes Namen, und ich selber will Ihnen alles Glück und allen Segen wünschen.«

»Ich danke Ihnen herzlich, mein lieber Herr, aber – erlauben Sie mir denn wohl, daß ich,« setzte er leiser hinzu, »ehe ich von hier fortgehe, Ihrer Tochter noch einmal Lebewohl sage?«

»Das kann man keinem Menschen verwehren,« sagte Jeremias, mit dem Kopf schüttelnd; »Abschied nehmen ist 'was Heiliges, aber – setzen Sie mir dem Mädel keine Schrullen weiter in den Kopf. Es wird dem armen Ding wehe genug thun.« – Und Rebe's Hand noch einmal herzhaft drückend, drehte er sich um und schritt zur Thür hinaus.

15.
Die Leseprobe.

George Monford hatte wirklich sein Äußerstes geleistet und mit einer ganz fabelhaften Ausdauer alle Schwierigkeiten, die sich ihm durch die Kürze der gegebenen Zeit entgegenstellten, um seine Lieblingsidee zur Ausführung zu bringen, überwunden.

Wer aber jemals selber die Vorstellung eines Liebhabertheaters oder selbst nur das Stellen von lebenden Bildern zu leiten übernommen gehabt, weiß allein, was für ganz verzweifelte Dinge da geschehen können, welch' enorme Rücksichten da genommen und welche Schleichwege eingeschlagen werden müssen, um endlich all' die verschiedenen Köpfe – und je schöner, desto schwerer – unter Einen Hut zu bringen.

George hatte Alles durchzukosten. Hier nahm Einer die ihm überbrachte Rolle an, um sie drei Stunden später wieder unter irgend einem Vorwand zurückzuschicken; dort war eine Person, auf die er fest gerechnet, so plötzlich und ernsthaft erkrankt, daß selbst ein Möglichkeitsversprechen außer aller Frage blieb. Comtesse B. konnte mit Baronesse X. unmöglich zusammen wirken, da sich Letztere über eine neue Robe der Ersteren ungünstig ausgesprochen, was Comtesse Y. zu Ohren von Comtesse B. gebracht hatte. Hauptmann von Z. sah sich nicht im Stande, eine Civilperson zu spielen, während Lieutenant von P. einen Hauptmann vorstellen sollte. Es war rein zum Verzweifeln, all' diesen Bedenken und kleinen Misèren rechtzeitig zu begegnen, und George wechselte an den beiden ersten Tagen an jedem dreimal seine Pferde und kränkte seinen Reitknecht auf das Tiefste, der in der Zeit, in welcher er vor den Häusern hielt, gar nicht wußte, was er mit den unruhigen, ungeduldigen Thieren anfangen sollte.

Endlich, endlich, und ein tiefer Dankesseufzer hob seine Brust, hatte er Alles im Stande, und nach ganz unsagbaren, aber jetzt überwundenen Schwierigkeiten war die erste Leseprobe auf heut Abend festgesetzt.

Um das aber bewerkstelligen zu können, hatte ordentlich eine kleine Verschwörung angezettelt werden müssen, denn Paula durfte natürlich nichts davon merken, und war zu dem Zweck von einer andern, in das Geheimniß gezogenen Familie, die kein Contingent zu der Vorstellung stellte, eingeladen worden.

Rottacks selber hatten sich erboten, diese erste Probe in ihren Räumen abzuhalten, da man damit wechseln wollte, und Graf und Gräfin Monford ihnen schon deshalb an dem nämlichen Morgen eine sehr kurze und sehr steife Gegenvisite für den ersten Besuch gemacht. Es war das einmal Ton, und diese langweilige und für beide Theile gleich lästige Form durfte Niemandem erspart werden.

Paula machte übrigens ganz unbewußt dieser ersten Vorübung die meisten Schwierigkeiten, denn sie erklärte, nicht die geringste Lust zu haben, die Gesellschaft zu besuchen. Sie fühle sich nicht wohl, sagte sie, und scheue sich, unter Menschen zu gehen.

Paula sah in der That seit ein paar Tagen leidend aus; ihre Wangen waren bleich, ihre Augen eingefallen, und das Schlimmste, ihr ganzes Wesen, das sonst von Frohsinn strahlte, schien gedrückt.

Dem Bruder war das vor Allen aufgefallen, denn die Eltern schrieben es, als eine Art von Widersetzlichkeit, dem ausgesprochenen Willen, die Verlobung betreffend, zu und hüteten sich wohl es zu bemerken. Man mußte Paula ein paar Tage sich selber überlassen, dann gab sich das auch Alles von selbst, und sie war wieder die gehorsame, fröhliche Tochter, wie früher.

Nicht so George, der seine Schwester besser kannte. Er sah, sie war wirklich nicht wohl, und zu ihr gehend, schlang er seinen Arm um sie und sagte herzlich:

»Was hast Du, Paula? Was fehlt Dir, Herz? Du siehst wahrhaftig bleich und angegriffen aus!«

»Mir ist nicht wohl, George,« sagte das junge Mädchen, ihr Haupt an des Bruders Brust lehnend und vergebens bemüht, ein paar vorquellende Thränen zurückzupressen; »so viele Dinge gehen mir im Kopf herum – ich muß nur immer denken und denken, und das thut mir so weh!«

»Du darfst nicht grübeln, Schatz,« tröstete sie George und versuchte ihr Antlitz sich zuzuwenden; aber sie litt es nicht. »Daß Du jetzt genug zu denken hast, glaub' ich Dir ja von Herzen gern; aber es sind doch auch nicht solch' traurige Dinge, die Dir dabei im Kopf herumgehen können, um Dich so niedergeschlagen zu stimmen, wie Du jetzt dreinschaust. Hab' guten Muth, mein kleiner, braver Paul,« fuhr er schmeichelnd fort, als sie ihm nichts erwiderte, sondern sich nur fester an ihn lehnte; »Hubert Bolten ist wirklich ein seelensguter Mensch, manchmal ein bischen aufbrausend und leichtsinnig, aber, lieber Gott, das giebt sich Alles von selber, wenn er erst einmal solch' eine kleine Hausfrau hat. Und denke Dir nur, wie glücklich Du Vater und Mutter dadurch machst, die ja ihr ganzes Herz daran gehangen haben – und Hubert, hundertmal hat er mich in der Stadt, wo er mich nur traf, gefragt, wie es Dir ginge und was Du triebest, und zehnmal wär' er schon herausgekommen, wenn ihn die Eltern nicht gebeten hätten, vor der Verlobung jeden auffälligen Schritt zu vermeiden.«

»Ach, George, ich kann Dir gar nicht sagen...«

»Bst, Schatz, da kommt die Mama,« unterbrach sie George rasch, »laß sie Dich nicht so traurig finden. Du weißt, sie kann es nicht leiden, obgleich sie die letzten Tage selber ganz entsetzlich finstere Gesichter geschnitten hat.«

Die Gräfin kam durch den Garten auf die offene Salonthür zu, und Paula hatte sich rasch aufgerichtet und die verrätherischen Thränen abgewischt. George hatte Recht, die Mutter mußte mit ihrem Leid verschont werden, und wo hätte das Kind eigentlich seinen Schmerz am ersten ausschütten, am leichtesten ausweinen sollen, als an dem Herzen der Mutter!

»Nun, Paula, Du bist noch nicht angezogen? Der Wagen wird gleich vorfahren.«

»Im Augenblick, liebe Mutter, ich bin in wenig Minuten fertig; am liebsten blieb ich freilich zu Hause.«

»Geh Du nur, mein Kind, die Zerstreuung wird Dir wohlthun; überdies haben wir auch fest zugesagt.«

»Ich gehe ja, liebe Mutter,« sagte Paula leise, wandte sich ab und schritt ihrem Zimmer zu, in dem sie bald verschwand.

»Mama,« sagte George, der ihr schweigend nachgesehen hatte, während die Mutter an den Tisch gegangen war, auf dem ein paar illustrirte Journale lagen, »wenn ich nur eine Ahnung davon hätte, daß sich Paula mit Hubert wirklich unglücklich fühlen könnte, ich wüßte nicht, was ich thäte!«

»Unglücklich« – sagte die Gräfin, ruhig den Kopf herüber und hinüber wiegend, ohne sich aber nach George umzudrehen – »denkst Du, daß wir selber die Verbindung zugeben würden, wenn wir das fürchteten?«

»Sicher nicht, Mama, sicher nicht; aber – Paula hat sich in den letzten zwei Tagen recht verändert, und – wenn ich sie nicht so genau kennte und nicht wüßte, daß es unmöglich wäre, so würde ich wahrhaftig glauben, sie hätte irgend eine andere heimliche Zuneigung.«

»Meinst Du?« rief die Gräfin, sich jetzt scharf ihm zuwendend. »Hast Du irgend einen Verdacht? Auf wen?«

George schüttelte mit dem Kopf. »Ich schöpfte Verdacht,« sagte er, »nur ihres bleichen Aussehens und Trübsinns wegen – aber auf wen? Ich wüßte Niemanden zu nennen oder zu errathen, und so scharf ich sie auch in diesen Tagen beobachtet habe, ich konnte nicht das Geringste entdecken, was ihn bestätigt hätte. Ich weiß mich auch in der That auf Niemanden zu erinnern, den sie nur im Mindesten ausgezeichnet, ja, mit irgend einem Antheil erwähnt hätte, und mit mir spricht sie doch über Alles und plaudert frisch von der Leber weg, was ihr gerade auf die Lippen kommt. Verstellungsgabe hat sie gar nicht – ihre Seele ist so rein wie ein Spiegel.«

Die Gräfin sah ihren Sohn fest, aber wie in Gedanken an; ihre Seele war in dem Moment nicht bei dem Blicke und schweifte vielleicht zu anderen Zeiten, anderen Scenen hinüber; aber wie ein Schatten zog das über ihre Stirn, und sie sagte, nur langsam dabei mit dem Kopf nickend:

»Du hast Recht, George, so würde sich Paula nie verstellen können, und wäre dem wirklich so, dann hätte sie doch ein Wort davon gegen mich oder Deinen Vater geäußert, wenigstens eine Andeutung dahin fallen lassen. Es ist Laune bei ihr, weiter nichts, und Du wirst sehen, wie vollständig sich das schon in den nächsten Tagen giebt.«

»Das will ich recht von Herzen hoffen, Mama,« sagte George mit einem Seufzer, »denn so könnte ich das nicht mit ansehen. Wenn mir nicht der arme Hubert leid thäte, wahrhaftig, ich würde Euch selber bitten, die Verlobung wenigstens noch eine Zeit lang hinaus zu schieben, daß auch Paula erst klar mit sich würde.«

»Das geht nun nicht mehr, mein Kind,« sagte die Gräfin ruhig, »es ist Alles bestimmt angeordnet und zu viel Leute wissen auch schon darum; es würde nachher nur ein ganz unnützes, unangenehmes Gerede geben. Aber da ist der Wagen, begleitest Du Paula?«

»Ja, Mama, aber wie kommst Du selber hinein?«

»Ich lasse mir die Droschke anspannen; sei nur pünktlich bei Rottacks, denn ich – möchte dort nicht gern lange warten.«

»Pünktlich, gewiß,« rief George; »Rottacks sind übrigens prächtige Leute und gefallen mir außerordentlich – auch nicht die Spur von Zwang oder Zurückhaltung, und die Gräfin ist so natürlich und herzlich, wie er selber. Was ist sie nur für eine Geborene – hast Du nicht gehört? Ich bin an verschiedenen Orten danach gefragt worden.«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte seine Mutter, indem sie sich von ihm abwandte und zum Fenster schritt – »auf der Karte steht ihr Name nicht.«

»Die böse Welt behauptet natürlich schon wieder,« fuhr George fort, »daß es eine Mesalliance sei; aber das glaub' ich auf keinen Fall, denn die Gräfin hat etwas so vornehm Edles in ihrem ganzen Wesen, was sie sich im Leben nie angeeignet haben kann; das muß ihr angeboren sein. Doch das bleibt sich gleich; ich meinestheils bin herzlich froh, daß wir die Leutchen nach Haßburg bekommen haben, denn für den Winter besonders sind sie eine ganz kostbare Acquisition, und Du solltest sie einmal musiciren hören!«

»Da kommt Paula; wirst Du sie wieder abholen?«

»Versteht sich; ich habe schon Alles mit ihr besprochen. Adieu, liebe Mutter, auf Wiedersehen bei Rottacks!« –

In Graf Rottack's kleiner, aber reizender Villa war der Salon für die erwartete Gesellschaft auf das Freundlichste hergerichtet und Alles für die erste abzuhaltende Leseprobe vorbereitet worden. Felix selber hatte es arrangirt und kehrte jetzt in Helenens Zimmer zurück, in dem die Kinder auf der Erde spielten.

Helene saß in einem Fauteuil vor ihrem Nähtisch, aber sie arbeitete nicht; den Kopf in die Hand gestützt, sah sie träumend vor sich nieder und hörte nicht einmal, daß der kleine Günther sie schon dreimal gefragt hatte, wo der Papa wäre.

Erst bei Felix' Eintritt hob sie das Antlitz, und zwar wie erschreckt, als ob sie gefürchtet hätte, jemand Anders dort zu sehen.

»Muth, Muth, mein Herz,« rief ihr Felix fröhlich zu; »wir rücken jetzt dem Augenblick, den Du so lange herbeigesehnt, rasch entgegen, und das Glück selber hat uns darin begünstigt – willst Du jetzt den Muth verlieren?«

»Nein, Felix,« sagte Helene freundlich; »zürne mir nur nicht, daß mich eben das so schnelle Nahen des Augenblicks bestürmt, und – Du weißt, ich bin ja manchmal wie ein thörichtes Kind – mit Angst erfüllt. Es ist aber doch vielleicht nur die Unruhe der Erwartung.«

»Gewiß, nichts weiter, liebes Herz.«

»Aber wie wollen wir es möglich machen, die Mutter hier unter den vielen fremden Menschen allein zu sprechen? Es wird nicht angehen, und wir werden den Moment wieder versäumen und auf's Neue lange, lange hinausschieben müssen.«

»Das ist mir auch schon im Kopf herumgegangen,« sagte Felix sinnend. »Zuerst hatte ich gedacht, daß Du vielleicht einen Vorwand fändest, sie in Dein eigenes Zimmer zu führen, aber ich hatte dabei gehofft Dich ruhiger zu treffen, als Du wirklich bist; ich darf Dich nicht mit ihr allein lassen, und es wird mir nichts Anderes übrig bleiben, als sie direct zu bitten, nach der Leseprobe noch einen Augenblick zu verweilen.«

»Sie wird es nicht thun.«

»Doch, mein Herz,« nickte Felix, »sie wird es thun, denn sie kennt jetzt unser Geheimniß – sie muß es kennen nach dem Namen, den ich ihr genannt, und wer weiß, ob sie sich nicht selber danach gesehnt hat, Dich aufzusuchen, und nur noch nicht wußte, auf welche Weise das am besten und am wenigsten auffallend geschehen könne. Wir kommen ihr damit auf halbem Wege entgegen, und sie wird die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, sich mit Dir auszusprechen, darauf kannst Du Dich verlassen, wie auch immer sie gesinnt sein möge.«

»Meine Mutter!« flüsterte Helene, indem sie beide Hände gegen ihr Herz preßte.

»Ich bin fest davon überzeugt, Schatz,« sagte Felix, dem jetzt Alles daran lag, seine Frau zu beruhigen; »denke doch nur, wie peinlich für sie ein solcher Zustand auf die Länge der Zeit werden würde, uns in ihrer Nähe zu haben und dann immer nur zu scheinen, als ob sie uns fremd wäre. Sie wird die Gelegenheit mit Freuden ergreifen, Dich allein zu sprechen, und wenn sich die Gattin auch jetzt noch vielleicht dagegen sträubt, die ihr fremd gewordene Tochter anzuerkennen, die Mutter wird der Umarmung ihres Kindes nicht widerstehen können.«

»Das gebe Gott, Felix,« sagte Helene leise, »denn wenn sie es thäte, würde es mich recht, recht sehr unglücklich machen!«

»Sie thut es nicht, Herz – aber wahrhaftig, da kommen schon die ersten unserer Gäste!«

»Papa,« rief der kleine Günther, der das Herumtanzen auf dem Teppich satt bekommen hatte, »spiel' ein bischen mit mir.«

»Ja, jetzt hätt' ich Zeit, Du Schlingel,« lachte sein Vater – »spiele mit Dir, nicht wahr? Hinüber zu Eurer Bonne! Bitte, Helene, laß die Kinder hinüber bringen – und daß Ihr mir artig seid, das rathe ich Euch, sonst dürft Ihr heute Abend nicht mit uns essen!« – Und sich von dem kleinen Burschen, der sich an ihn anhängen wollte, losmachend, eilte er in das Empfangszimmer, um die eben eingetroffenen Herrschaften zu begrüßen.

Gleich danach fuhr George mit der Gräfin Monford vor, und Helene war jetzt selber so in Anspruch genommen, daß sie sich schon gewaltsam fassen mußte, um keine Störung zu verursachen.

Und die Gräfin selber erleichterte ihr das sehr, denn viel freundlicher war sie heute, als noch je; sie reichte Helenen die Hand, was sie bis jetzt noch nicht gethan, und sagte, wie sie bedaure, sie auf solche Art in ihrer Häuslichkeit zu stören und ihre Hülfe gleich, kaum nach der ersten Bekanntschaft, in Anspruch zu nehmen; ihr George habe aber einmal an die Sache sein Herz gesetzt, und der sei von einer Zähigkeit, die einmal Erfaßtes nie im Leben wieder loslasse, und wenn er deshalb alle seine Mitmenschen bis zum Tode quälen sollte.

George war aber ihr Liebling, und sie sagte das mit einem so zufriedenen Blick auf den eben Angeklagten, daß man recht gut sehen konnte, wie wohl es ihr selber thue, das einmal Begonnene mit Erfolg gekrönt zu sehen.

Helene war bei der freundlichen Anrede feuerroth geworden, während die Gräfin ihr ganz unbefangen gegenüber stand; Felix aber, der, während er mit George sprach, seine Frau nicht aus den Augen gelassen hatte, kam ihr rasch zu Hülfe und übernahm selber die Erwiderung, indem er der Gräfin nochmals versicherte, wie sehr es sie freue, etwas mit zu dem glücklichen Tag, der Verlobung der liebenswürdigen Comtesse, beitragen zu können, und ihre einzige Furcht jetzt sei nur die, daß sie, zum ersten Mal etwas Derartiges unternehmend, am Ende ihrer Verpflichtung nicht ordentlich würden genügen können. Gräfin Monford möge deshalb auch seiner Frau die Befangenheit zu Gute halten, die sich aber jedenfalls nach der ersten Scenenprobe geben werde.

Das Gespräch wurde jetzt allgemein, und während die Diener Kaffee, Limonade, Wein und Backwerk herumtrugen, sammelten sich die verschiedenen Gäste, da noch nicht alle beisammen waren, in kleinen Gruppen, bis endlich der Wagen mit den letzten Säumigen vorfuhr und George jetzt darauf drang, »an die Arbeit« zu gehen.

Die Leseprobe verlief, wie alle derartigen Dinge, ziemlich glatt und ohne besondere Störung. Durch George's Eifer, die Sache zu fördern, waren mehr als hinreichende Exemplare gedruckt, um jedem Mitwirkenden ein Heft zu sichern, so daß die verschiedenen Herrschaften schon Zeit genug gehabt hatten, das ganze Stück für sich durchzulesen und sich die Stellen, an denen sie selber einfallen mußten, mit Rothstift anzustreichen.

Wenn es trotzdem ein paar junge Damen möglich machten, noch unbefangen in ihrem Hefte nachzulesen, während ihr Stichwort schon gefallen war, und dann, als sie namentlich aufgerufen wurden, ganz erschreckt an einer natürlich verkehrten Stelle einzusetzen, so amüsirte das nur die kleine Gesellschaft, setzte die betreffenden jungen Damen in Verlegenheit und hatte weiter keine Folgen, als daß die Stelle, mit einem kleinen Stück voraus, noch einmal durchgenommen werden mußte.

Endlich war Alles glücklich zum Schluß geführt und die Gesellschaft hatte sich dabei mit dem aufgegebenen Stoff befreundet. Es war eins jener reizenden kleinen französischen Lustspiele, die, eigentlich ohne innern Gehalt, aber mit einem liebenswürdigen, piquanten Dialog und glücklich erdachten, überraschenden Situationen, nicht allein den Zuschauer fesseln, sondern auch gewöhnlich mit ganz besonderer Vorliebe von den Mitspielenden, die sich selber für ihre Rollen interessiren, ausgeführt werden.

Einzelne Equipagen fuhren schon wieder vor, als Graf Rottack, der einen Moment benutzte, wo er sich der Gräfin Monford, von Anderen ungehört, nahen konnte, zu ihr trat und mit halblauter Stimme sagte, während er dabei ein dort liegendes Album aufschlug, als ob er ihr die Kupferstiche zeigen wollte:

»Dürfte ich Sie ersuchen, Frau Gräfin, Ihren Wagen bis zuletzt warten zu lassen; es ist eine Sache von höchster Wichtigkeit, die ich Ihnen, aber nur Ihnen allein, mittheilen möchte.«

»Ein Geheimniß?« lächelte die Dame, aber mit einer Ruhe und Unbefangenheit, die den jungen Grafen wirklich erschreckte, denn zum ersten Mal zuckte ihm der Gedanke durch's Hirn: »Hast Du Dich vielleicht geirrt? Ist das am Ende gar nicht jene Gräfin Monford?« Diese Ruhe und Geistesgegenwart wäre ja, wenn seine Andeutung neulich auch nur mit dem leisesten Hauch verstanden worden, rein unmöglich, unbegreiflich gewesen! – »Und bezieht es sich auf unsere Vorstellung?« fuhr die Gräfin fort, als Rottack, ordentlich bestürzt, schwieg, indem sie sich zu dem Album niederbeugte und mit ihrer Lorgnette das Bild betrachtete.

»Nein, gnädige Gräfin,« sagte Felix, der in dem Augenblick selber seine Fassung kaum bewahren konnte, »und trotzdem ist es vielleicht wichtig genug, Ihre Aufmerksamkeit für einen Moment zu fesseln; ich bitte Sie dringend darum!«

»Eh bien!« lächelte die Gräfin, indem sie sich wieder aufrichtete; »ich weiß überhaupt nicht, ob mein Wagen so pünktlich vorfahren wird, da ich nicht glaubte, daß wir unsere Probe so rasch beenden würden – wahrlich, wir haben erst halb sieben Uhr.«

Ein paar Damen kamen jetzt auf sie zu, um sich bei ihr zu verabschieden; eine von diesen hatte ein paar Mal kleine Irrungen beim Vorlesen verursacht.

»Nun, mein liebe Constance, lernen Sie brav,« sagte die Gräfin, »daß Sie uns am nächsten Freitag nicht stecken bleiben – George würde unglücklich sein.«

»Gewiß, Frau Gräfin, ich werde recht fleißig lernen,« sagte das junge Mädchen tief erröthend, – »ich habe mich heute so geschämt.«

»Weshalb geschämt? Wir sind keine Schauspieler, liebes Kind, und die Sache ist nicht halb so wichtig, wie sie George macht,« lächelte die Gräfin. »Sorgen Sie sich nur deshalb nicht, es wird schon Alles gut gehen.«

Wagen nach Wagen fuhr vor; nur der der Gräfin Monford war noch nicht darunter, und George hatte sich schon vorher verabschiedet, um noch Einiges zu besorgen und dann Paula abzuholen. Jetzt nahmen die Letzten Abschied.

»Die Gräfin Rottack wird mich noch kurze Zeit beherbergen müssen,« lächelte Gräfin Monford, als sie den sich ihr Empfehlenden die Hand reichte; »mein Kutscher versäumt wieder einmal die Zeit, es ist kein Verlaß mehr auf die Leute.«

Helene war mit ihrer Mutter allein im Zimmer, aber sie wagte nicht, sie anzureden; es war ihr, als ob ihr die Luft zum Athmen fehlte, und ihr Herz schlug stürmisch in der Brust. Auch die Gräfin sprach nicht – hatte ein ähnliches Gefühl sie erfaßt? Ihre Züge verriethen nichts davon, und waren kalt und unerforschlich, wie immer.

Felix, der die Damen an den Wagen geleitet hatte, konnte sich denken, in welcher Stimmung seine arme Gattin sich befinden würde, und flog rasch zurück.

»Ich bin für Niemanden jetzt zu sprechen,« rief er dem Bedienten im Vorzimmer noch zu, »für Niemanden, verstehen Sie?«

»Sehr wohl, Herr Graf.«

»Und nun Ihre Mittheilung, Herr Graf,« sagte Gräfin Monford, als er das Zimmer wieder betrat; »Sie haben den Zeitpunkt jedenfalls glücklich gewählt. – Ich – ich weiß nicht, ob Ihre Frau Gemahlin davon unterrichtet ist.«

»Helene wird uns einen Augenblick verlassen,« sagte Felix, der, so keck er jeder ihn selbst betreffenden Katastrophe entgegen gegangen wäre, doch hier fühlte, wie ihn sein gewöhnlicher froher Muth, seine Zuversicht verließ, wo es sich um das Wohl und Wehe des ihm liebsten Wesens handelte und das Benehmen der Gräfin selber ihn mit immer mehr Angst und der Ahnung eines unglücklichen Ausgangs erfüllte.

»Also unter vier Augen,« sagte die Gräfin kalt und fast spöttisch lächelnd, während Helene sich mit einer Verbeugung in das Nebengemach zurückzog, ohne daß die Dame weiter Notiz von ihr genommen hätte. »Sie machen mich wirklich neugierig, Graf Rottack.«

Felix warf den Blick der Richtung zu, nach der sich Helene gewandt; die Thür war verschlossen, und mit vor innerer Bewegung fast unhörbarer Stimme sagte er:

»Es ist in der That etwas Wichtiges, um das es sich hier handelt, Frau Gräfin, denn das Glück des mir theuersten Wesens auf der Welt, das Glück meiner Helene, hängt von dieser Stunde ab!«

»Und stehe ich damit in Verbindung?« sagte die Gräfin kalt und stolz, indem sie dabei fest seinem Blick begegnete.

»Ja,« sagte Felix leise, aber entschlossen, denn er fühlte, daß jetzt die Zeit zum Handeln gekommen sei und er jede andere Rücksicht bei Seite lassen müsse. »Bitte, nehmen Sie Platz, Frau Gräfin, hören Sie mich geduldig nur wenige Minuten, und dann – wenn Ihr eigenes Herz nicht jetzt schon für uns spricht – mögen Sie selber entscheiden, ob die Sache – wichtig genug war, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen.«

»So reden Sie,« sagte die Gräfin, indem sie auf dem ihr gebotenen Fauteuil Platz nahm.

»Erinnern Sie sich, Frau Gräfin,« begann der junge Mann, während es ihm schwer wurde, die ersten Worte hervorzubringen, »daß ich Ihnen neulich in Ihrem eigenen Schlosse sagte, Helene sei die Tochter der Gräfin Baulen, die sich in der Provinz Santa Clara in Brasilien damals aufhielt, vielleicht noch da lebt?«

»Ich glaube, ja...«

»Sie glauben, ja?« fuhr Felix fort, dessen Pulse jetzt rascher an zu schlagen fingen. »Und – ist Ihnen dann Helene weiter nichts, als die Tochter der Gräfin Baulen – oder jener Frau, die sich dort in ihrem albernen Stolze Gräfin nennt?«

Die Gräfin hatte ihm mit einem marmorkalten Antlitz zugehört; nicht ein Zug desselben zuckte oder verrieth, was in ihr vorging, keine Wimper regte sich. Felix kam es so vor, als ob ihre Wangen um einen Schatten bleicher geworden wären, aber das Licht der untergehenden Sonne konnte ihn täuschen, und ruhig und regungslos verharrte sie in ihrer Stellung und erwiderte auch noch kein Wort, als Felix schon eine Zeit lang geschwiegen, als ob sie erwartete, daß er noch einmal fortfahren würde. Endlich sagte sie mit ihrer abgemessenen, leidenschaftslosen Stimme:

»Herr Graf, Sie trauen mir in der That viel Discretion zu, daß Sie mir solcher Art die innersten und zartesten Geheimnisse Ihrer Verwandtschaft mittheilen: ich weiß nicht, ob Sie gut daran thun.«

»Frau Gräfin,« rief Felix, »ist des denn möglich, daß ein menschliches Wesen solche Selbstbeherrschung zu üben vermag, wenn – aber jetzt kann es nichts helfen,« unterbrach er sich rasch, »wir verlieren die kostbare Zeit hier mit einem Wortspiel; Sie müssen Alles wissen: so vernehmen Sie denn, daß Helene erst vor unserer Abreise von dort, vor unserer Vermählung erfahren hat, wer ihre wirkliche Mutter ist – daß sie dabei fühlt, wie sie nie von ihr anerkannt werden kann und wird, es auch nicht verlangt. Das Geheimniß soll bleiben, wie es bis jetzt gewesen, fest und undurchdringlich und nie gebrochen von unseren Lippen – aber Helenens Seele drängt nach dem Augenblick, wo sie einmal an dem Herzen der Mutter liegen, nur einmal den theuren Namen nennen darf, den sie bis jetzt nur von einem Wesen gekannt hat, das sie nie geliebt. Oh, wenn Sie wüßten, was das arme Kind gelitten,« fuhr der junge Mann lebendig fort, als die Gräfin schwieg und leise mit dem Kopf schüttelte – »wenn Sie ahnen könnten, wie es sie mit allen Fasern des Herzens hierher gezogen, nur einmal die Kniee der Mutter umfassen und einmal ihr müdes Haupt an ihre Brust legen zu dürfen, Sie würden Mitleid mit ihr haben...!«

»Herr Graf, nicht weiter, wenn ich bitten darf,« unterbrach ihn die Gräfin, »denn irgend ein Geheimniß liegt hier zu Grunde, das Sie im Begriff sind, einer völlig unbetheiligten und demselben fernstehenden Person zu enthüllen. Hier muß ein Irrthum obwalten, und ich – will nicht weiter nachforschen, inwieweit Sie mich selber da hineingezogen; daß es mir aber nicht angenehm sein kann, werden Sie einsehen, und ich ersuche Sie deshalb, kein Wort mehr darüber zu verlieren.«

»Kein Wort mehr davon?« wiederholte Rottack staunend; »und ist es möglich, daß – aber nein,« unterbrach er sich rasch, »Sie glauben sicherlich, daß nur eine vage unbestimmte Vermuthung mich zu dem Schritt getrieben. Sehen Sie her, Frau Gräfin – kennen Sie diesen Brief? Kennen Sie die Handschrift dieser Zeilen? Dort liegt der andere Brief, den Sie heute Morgen die Güte hatten, meiner Frau mit der Anzeige Ihres heutigen Kommens zu senden – kennen Sie diesen Brief?«

Die Gräfin hatte einen flüchtigen Blick über die Zeilen geworfen, und so riesenstark sie bis jetzt Alles zurückgehalten, was ihre Seele bewegen oder auch nur in Miene oder Ausdruck ihr inneres Gefühl verrathen konnte – dieser Beweis gegen sie kam ihr zu rasch und unerwartet. Ihre Wangen erbleichten sichtlich, und die Hand, welche das Papier hielt, zitterte – aber nicht so lange, als sie Zeit gebrauchte, den Brief zu lesen; ihre Stirn zog sich in Falten; den kleinen, feingeschnittenen Mund umzuckte Trotz und Ärger, und mit finsterem Blick, aber vollkommen fester Stimme sagte sie:

»Also die Ähnlichkeit einer Handschrift soll hier gemißbraucht werden...«

»Um Gottes willen, halten Sie ein, Frau Gräfin,« rief Felix rasch und erschreckt, »auch nur der Schatten eines solchen Argwohns wäre furchtbar! Dieses Papier ist der einzige Beweis auf der weiten Gotteswelt, den wir gegen Sie haben – sehen Sie hier!« – Noch während er sprach, hatte er das Papier wieder aus ihrer Hand genommen und an einem auf dem Kaminsims stehenden Feuerzeug ein Streichholz entzündet; er hielt den Brief darüber – er flackerte auf, und nachdem er ihn zwischen den Fingern hatte vollständig verbrennen lassen, warf er die Asche auf den leeren Rost. – »Glauben Sie jetzt noch, daß hier von einem Mißbrauch die Rede sein kann?«

Die Gräfin hatte sich ebenfalls erhoben, und ihr Blick haftete scharf und forschend auf den edlen Zügen des jungen Mannes. Mit vollkommen wiedererlangter Fassung regte sich aber auch nicht eine Muskel ihres starren Antlitzes, und sie sagte ruhig:

»Ich habe das nicht anders von Ihnen erwartet, Herr Graf. Die Handschrift war allerdings täuschend ähnlich; aber Sie werden auch fühlen, daß ein weiteres Gespräch über diesen Gegenstand nur für beide Theile peinlich werden müßte. Ich glaube, mein Wagen ist vorgefahren.«

»Mutter!« sagte da eine weiche, schmerzdurchbebte Stimme, und als die Frau fast unwillkürlich den Kopf danach wandte, stand Helene, die Augen in Thränen gebadet, die Hände gefaltet, das Antlitz leichenbleich, auf der Schwelle.

Fast unwillkürlich wandte sich die Gräfin halb ab, als ob sie den Platz rasch verlassen wolle; wenn das aber ihre Absicht gewesen, so siegte doch ihr besseres Gefühl.

»Ihre Frau sieht recht angegriffen aus, Herr Graf,« sagte sie; »es thut mir leid, die unschuldige Ursache einer solchen Täuschung gewesen zu sein, aber ich hoffe und wünsche nicht, daß das unsern weitern Verkehr stören möge. Es wird mich immer freuen, Sie Beide bei uns zu sehen.«

Sie wollte fort, aber es war, als ob sie nicht konnte, als ob ihre Füße selber am Boden wurzelten; und Helene kam auf sie zu, langsam und wie ohne eigenen Willen, und ihre Hand faßte die der Gräfin und zog sie an ihre Lippen, und ihre Kniee beugten sich vor der strengen, harten Frau. Aber ehe sie dazu kam, hatte Gräfin Monford ihren Arm gefaßt, und sich an Felix wendend, rief sie:

»Ihre Frau ist krank, Herr Graf, haben Sie Acht auf sie – geistige Überreizung zieht manchmal ebenfalls nachtheilige Folgen nach sich; erklären Sie ihr den Irrthum, das wird sie beruhigen – ich werde morgen nachfragen lassen, wie sie die Nacht geschlafen hat. Wie sie zittert, die arme Frau – Sie dürfen sich nicht so aufregen, liebes Kind – ich hoffe, daß wir uns recht bald wiedersehen, Herr Graf!« Und sich leicht, aber stolz verneigend, während Felix zu Helenen gesprungen war und sie unterstützt hatte, verließ sie den Saal, ohne auch nur noch einmal den Blick zurückzuwenden.

Draußen hielt in der That der Wagen, den der Bediente auf des Grafen strengen Befehl nicht anzumelden gewagt hatte. Wenige Minuten später hörten sie das Knirschen der Räder auf dem Gartenkies, und Helene, ihr Haupt an der Brust des Gatten bergend, rief leise und weinend:

»Verloren – auf immer verloren!«

16.
Vornehme Welt.

Gräfin Monford war draußen in ihren Wagen gestiegen und hatte sich nur mit dem einen kleinen Wort »Nach Hause!« zu dem Bedienten, der den Schlag für sie offen hielt, in die Ecke gelehnt. Die Pferde zogen an und der Kutscher hielt draußen rechts ab, um das Gewirr der Schützenwiese zu vermeiden. Es war heute der letzte Tag dieses Volksfestes, und das Gedränge und Toben und Schreien auf dem Platz besonders arg. Noch konnte er aber kaum dreihundert Schritt gefahren sein, als er wieder einzügelte, und als die Gräfin, unzufrieden damit, den Kopf hob, erkannte sie George, der dem Kutscher ein Zeichen gegeben hatte, und den jungen Grafen Hubert zu Pferde, die rechts und links an der Droschke hielten und sie begrüßten.

»Aber, Mama, so lange bist Du bei Rottacks geblieben?« rief George, indem er sein muthiges Pferd kaum zum Stehen brachte. »Nicht wahr, es sind liebe Leute? Ich hatte eben nicht übel Lust, mit Hubert einmal vorzureiten und ihn mit dem Grafen bekannt zu machen.«

»Ah, lieber Hubert, wie geht es Ihnen und Ihrer guten Mutter?« sagte die Gräfin, dem jungen Grafen Bolten freundlich zunickend – »thue das heute lieber nicht, George; die junge Gräfin hat heftige Kopfschmerzen bekommen, und ihr Mann wollte eben nach einem Arzt schicken.«

»Das bedauere ich in der That. Es wird doch nichts von Bedeutung sein?«

»Migräne.«

»Fährst Du direct nach Hause, Mama?«

»Ja; kommt nicht zu spät und laßt mich nicht so lange allein.«

»Nein, gewiß nicht; in einer halben Stunde hole ich Paula ab. Aber die Pferde wollen nicht länger stehen – guten Abend!«

Die Gräfin nickte Beiden freundlich zu, und die Droschke rollte weiter, während die jungen Leute ihre Pferde wieder wandten, um ihren Ritt zu beenden. Die Thiere waren aber durch das Halten ungeduldig geworden, und Hubert's Fuchs besonders, ein englischer Vollbluthengst, stieg und tanzte auf den Hinterbeinen und konnte nur mit Mühe von seinem gerade auch nicht sanftmüthigen Herrn gebändigt werden.

Eben hatte er ihn wieder fest im Zügel, als ein armer Teufel, ein junger Bursch mit einem Schiebkarren voll Töpferwaaren, die er irgendwo zum Verkauf ausstellen oder herumfahren wollte, auf der Straße herabkam und, durch das unruhige Pferd irre gemacht, nicht gleich wußte, nach welcher Seite er ausbiegen sollte. Dadurch that er das Verkehrteste: er blieb dicht vor dem hochgeladenen Karren halten, und als dieses halb davor scheute und, von dem Zügel dabei gerissen, auf die Seite und an den Karren hinantrat, klapperten die Töpfe, und das Pferd schlug erschreckt danach und mitten in die zerbrechlichen Waaren hinein.

Der junge Graf riß es allerdings wieder herum; es begann aber sein Tanzen jetzt von Neuem, und Hubert, irritirt, setzte ihm die Sporen ein, daß es wild zusammen- und an dem Karren vorbeifuhr. Der Reiter aber, der es fest im Zügel hatte, nun er an dem unglücklichen Topf-Fuhrmanne vorüberflog, hieb diesen mit der Reitpeitsche über den Kopf und hatte dann alle Hände voll zu thun, daß der Hengst nicht mitten in die Menschen hinein- und mit ihm durchging. Die Leute hatten aber vor dem scheuen Pferde Platz genug gemacht, und ihm jetzt halb den Zügel lassend, flog er mit ihm die Allee hinab.

»Oh mein Gott, meine Töpfe, mein Kopf!« klagte indeß der arme Karrenführer, der im ersten Augenblick gar nicht wußte, was ihm weher that, der Hieb oder die Vernichtung seiner Waare.

Hubert's Reitknecht sprengte an ihm vorüber, seinem Herrn nach. George aber, dem der arme Bursche leid that, zügelte sein Pferd ein und hielt neben ihm.

»Wie groß ist der Schade?« rief er freundlich. »Ich mache es gut – der Herr da vorn konnte sein Pferd nicht halten...«

»Ach, und wie hart er mich geschlagen hat – ich war doch gewiß nicht schuld daran!«

»Wie groß ist der Schade, wie viel Töpfe sind Dir zerbrochen? Sag' rasch, mein Junge, denn mein Pferd wird auch ungeduldig.«

»Ach, Du lieber Gott,« klagte der arme Teufel, »ich weiß es ja nicht – gewiß über einen Thaler, und der große Topf da unten ist auch entzwei!«

»Da,« rief George, indem er in die Tasche griff und ihm ein Goldstück hinüberwarf, – »so behalte das Andere als Schmerzensgeld!« Und ehe ihm der Bursche danken konnte, ließ er seinem Thier den Zügel und trabte rasch die Allee hinab.

Um die Biegung derselben hatte Hubert seinen Hengst endlich wieder zum Stehen gebracht und erwartete ihn.

»Ob Einem das Lumpenvolk wohl je mit seinem Karren und Fuhrwerk ausweicht!« rief er ihm entgegen – »ich denke, der wird aber das nächste Mal vorsichtiger sein!«

»Der arme Junge konnte nichts dafür, Hubert; Dein Hengst nahm ja die ganze Straße ein – Du bist zu rasch gewesen.«

»Ach was – der Hieb wird ihm gut thun, und seine Töpfe mag er sich wieder zusammenleimen!«

George schwieg, und die beiden jungen Leute setzten jetzt, aus dem Menschengewirr heraus, ihren Spazierritt ruhiger fort, bis sie in die Nähe des Hauses kamen, in dem Paula heute zum Besuch war. George wollte dort absteigen und mit seiner Schwester zurückfahren.

Noch ehe sie das Haus erreichten, kam Handor die Straße herunter und grüßte. George zügelte sein Pferd ein.

»Reite voran, Hubert – ich habe mit dem Herrn dort etwas zu sprechen.«

»Mit dem?« sagte Hubert verwundert – »das ist ja der Schauspieler...«

»Ja – Handor – ich komme gleich nach. – Hier, Karl, nimm mein Pferd, laß ihm aber den Zügel etwas weit; es geht ganz ruhig nebenher, und halte Dich nirgends mehr auf. Du reitest gerade nach Hause.«

»Sehr wohl, Herr Graf.«

Der Reitknecht griff den Zügel des Thieres auf und George, der indessen abgestiegen war, schritt auf den ihn erwartenden Handor zu, dem er die Hand reichte und mit ihm langsam die Straße hinaufging.

Hubert, der sich nicht denken konnte, was Graf Monford mit dem Schauspieler zu verkehren habe, schüttelte den Kopf, trabte aber dann bis zu dem Thorweg des Hauses, mit dessen Insassen er ebenfalls bekannt war, um dort wenigstens Paula begrüßen zu können und George's Rückkehr zu erwarten. – –

Die kleine Zwischenscene mit dem übermüthigen jungen Grafen und dem Töpferjungen hatte sich gerade vor Pfeffer's Fenster abgespielt.

Seine Schwester war kränker geworden – möglich, daß die neuliche Aufregung mit dazu beigetragen hatte, aber der Arzt, welcher jetzt täglich und manchmal zweimal am Tage kam, hatte angeordnet, daß ihr Bett in die luftigere Stube geschafft werden und sie dasselbe nicht verlassen sollte. Auch verbot er jedes Rauchen im Zimmer; der scharfe Dampf that der Brust der Kranken weh.

Jeremias wich fast nicht von ihrem Bett, und wenn er ausging, brachte er gewiß irgend etwas mit, von dem er glaubte, daß es ihren Zustand erleichtern oder ihr angenehm sein könne – und wie Vieles gab es da, denn die bisherige Einrichtung der Familie war ja nur auf das Nothdürftigste beschränkt worden und hatte selten oder nie auf eine selbst einfache Bequemlichkeit ausgedehnt werden können!

Und Jettchen sah fast noch kränker aus, als ihre Mutter, denn der Vater hatte ihr seine Unterredung mit Rebe erzählt, und wenn sie ihm auch Recht geben mußte, wenn sie auch fühlte, daß er gehandelt habe, wie er als ehrlicher und selbstständiger Mann handeln sollte, so konnte sie sich doch auch der Überzeugung nicht verschließen, daß damit ihre letzte Hoffnung zerknickt und der Geliebte für sie verloren sei. – Und die Mutter fühlte das mit ihr, und deshalb besonders war ihr Geist so niedergedrückt, der Körper so jeder Lebensthätigkeit beraubt worden, weil die Sorge um das liebe Kind ihr Herz und Sinn erfüllte.

Pfeffer selbst war in einer ganz verzweifelten Stimmung. Die Angst um die Schwester, deren Zustand er vielleicht noch für viel bedenklicher hielt, als er wirklich war, litt ihn nicht in seinem Zimmer, und drüben durfte er nicht rauchen – Haß und Ingrimm erfüllten ihn dabei gegen seinen Director und die Ursache alles dieses Unheil, den »aufgeblasenen Handor«, wie er ihn nannte, ohne daß er irgend ein Mittel wußte, einem von ihnen beizukommen.

Hundertmal im Tage, nachdem er im Krankenzimmer auf und ab gelaufen war und die Kranke ordentlich nervös gemacht hatte, schoß er in seine Stube hinüber, griff eine Pfeife auf, ging damit zum Tabakskasten, fand dort, daß sie schon gestopft sei, und stellte sie unwillig wieder bei Seite. Nachher fing er an seine Dose zu suchen, die er aber in der ewigen Unruhe nie finden konnte und dadurch nur immer irritirter wurde.

Und dabei mußte er Komödie spielen, erst den Schuster in Lumpaci Vagabundus und dann, zwei Abende später, den Grafen in Aschenbrödel – und daheim den Familienjammer; denn wenn er es sich auch nicht merken ließ, ging ihm Jettchen's Herzenskummer fast eben so nahe, wie der Schwester Krankheit. Es war rein zum Tollwerden, und Pfeffer, der überhaupt nicht zu den geduldigsten Naturen gehörte, hätte heute Brunnen vergiften können.

Jetzt stand er wieder am Fenster und sah, wie die Reiter die Allee herabgesprengt kamen, wie das Pferd des einen scheu wurde und dieser den armen Teufel von Schiebkärrner mißhandelte. Und wie fing er da oben am Fenster jetzt an zu schimpfen, und zwar laut hinaus und mit der geballten Faust nach der Allee hinüber drohend, daß Jeremias gar nicht wußte, was er hatte, und zu ihm trat.

»Nun seh' Einer das vornehme Gesindel an!« schrie er – »Sie Lump, Sie! Sie Baron, Sie Junge – na, wenn ich nur unten wäre!«

Übrigens war es sehr gut für ihn, daß er nicht unten war und überhaupt Niemand in der Allee hören konnte, was er rief, denn jedes einzelne Wort hätte Anlaß zu einer Injurienklage geben können.

»Aber was hast Du nur, Fürchtegott?«

»Was ich habe? Ist es denn nicht zum Halsabschneiden, wenn man zusehen muß, wie dieses übermüthige Gesindel den armen Arbeiter behandelt? – Haut ihn mit der Peitsche über den Kopf! Hätt' ich eine Flinte gehabt, vom Pferde hätt' ich den Cujon heruntergeschossen!«

»Aber schrei doch nicht so, die Schwester ängstigt sich ja – sie zittert so schon an allen Gliedern...«

»Und ich wohl nicht? – Aber vor Wuth!«

»Aber der Herr da unten giebt dem Mann ja Geld!«

»Der Andere war's – sein sauberer Compagnon – und das ist nun die »bevorzugte Klasse«, die höhere Schicht der Gesellschaft; das sind die Repräsentanten von Bildung und Intelligenz! Gott straf' mich, wenn man nicht manchmal verrückt werden möchte, nur ein solches Komödienspiel außer der Bühne anzusehen!«

»Wer war es denn?«

»Kenn' ich die Laffen alle, die mit Glacéhandschuhen und einem Titel und Orden in der Welt herumlaufen? Irgend einer der Gesellschaft, ob er nun Herr von so oder Herr von so heißt!«

»Aber, lieber Schwager, wir können die Welt nicht ändern...«

»Und wozu spielen wir denn Komödie?« rief Pfeffer, immer noch in voller Wuth – »weshalb führen wir ihnen denn auf der Bühne immer auf's Neue ihre Albernheiten und Schwachheiten, ihren Stolz und Dünkel, ihre Sünden und Laster vor, als um sie zu bessern? Aber Gott bewahre, da sitzt das verstockte Volk selber im ersten Rang, hört und sieht zu und applaudirt sogar noch mit, wenn man ihnen mit Gift und Galle einmal ordentlich die Wahrheit gegeigt hat! – Aber Gott bewahre, das geht sie ja nichts an, die Canaille, die da gemeint ist, heißt ja Franz Moor oder Präsident so und so – das sind sie ja nicht – sie sind Cavaliere von reinem Blut und Stammbaum – Herrgott von Danzig!« und seine Hausmütze auf's linke Ohr schiebend, rannte er aus dem Zimmer, zog sich drüben an und lief dann direct hinaus in's Freie und weit in den Wald hinein, nur um seinem Ärger und Ingrimm Luft zu machen. – –

Handor war eben von seinem Spaziergang in die eigene Wohnung zurückgekehrt. Unten im Hause traf er auf den Theaterdiener, der gerade bei ihm gewesen war, aber wieder fort wollte, da er einen Geldbrief abzugeben hatte. Er nahm ihn mit hinauf in die Stube, da er quittiren mußte.

Er wohnte in der Hauptstraße in der ersten Etage eines nicht großen, aber sehr freundlichen und netten Hauses chambre garnie. Die Einrichtung war elegant: Mahagoni-, mit rothem Plüsch gepolsterte Möbel, großer Spiegel in Goldrahmen, Kupferstiche und Ölbilder an den Wänden. Bücher standen nirgends. Nur auf dem Secretär lagen zwei oder drei ziemlich neue Bände und auf dem Tisch ein paar illustrirte und fünf oder sechs verschiedene Theater-Zeitungen – einige von diesen unter Kreuzband, wie sie von der Post gekommen, und noch nicht einmal geöffnet.

»Bitte, lieber Peters, kommen Sie hier mit herein,« sagte Handor, indem er, von dem Theaterdiener gefolgt, voran in sein Zimmer schritt und noch im Eintreten den Brief erbrach; »ich gebe Ihnen die Quittung gleich wieder mit. Hat der Director nichts weiter gesagt?«

»Gestöhnt hat er,« sagte der Mann, indem er, obwohl schon in der offenen Thür, trotzdem noch gewissenhaft vorher anklopfte – »wie er immer thut, wenn er Geld hergeben soll. Zäh ist er wie der Deubel.«

»Wenn er es nur hergiebt, Peters,« lachte Handor, indem er die Banknoten nachzählte – »das ist die Hauptsache.«

»Ja und er hat's doch, beim Deubel, nicht nöthig,« bemerkte Peters, »denn was für Einnahmen haben wir jetzt gehabt! Beim Lumpaci Vagabundus war das Haus gerappelte voll, und ebenso beim Goldonkel und dem Aschenbrödel, und daß neulich in der Ifagenia Niemand drin war – lieber Gott, das weiß er einmal, daß ihm in den Schäksbier seine Stücke Niemand 'nein will!«

»Das wäre nicht übel, Peters – der Hamlet nächstens soll hoffentlich ein volles Haus machen.«

»Ist er auch von dem?«

»Von Shakespeare? Gewiß!«

Peters zuckte die Achseln und hielt mit seiner Meinung zurück. – »Sagen Sie 'mal, Herr Handor,« fuhr er nach einer Weile fort, »ist es denn wahr, daß Herr Rebe abgeht?«

»Ich glaube, ja; ich weiß es nicht, Peters,« erwiderte Handor, die Noten noch einmal überzählend.

»Schade um das junge Blut,« meinte der Theaterdiener, mit dem Kopf schüttelnd, »ist ein recht ordentlicher Mensch – da hätten wir lieber den Nüßler fortschicken sollen, mit dem ist's nichts, und er lernt nicht einmal. Über den sollten Sie den Mauser reden hören! Wenn der ihm seine Rolle nicht laut vorschrie', gäb's jeden Abend ein Unglück!«

»Ja, mein lieber Peters, das sind Sachen, die mich nichts angehen und um die ich mich nicht bekümmere. Alle Wetter, jetzt ist mir die Dinte wieder eingetrocknet – ach, bitte, springen Sie doch einmal zum Hausmann hinunter, daß der Ihnen ein wenig in das Dintenfaß gießt!«

»Ih, lassen Sie einmal sehen,« sagte Peters, das Dintenfaß schräg gegen das Fenster haltend, denn es dämmerte schon stark – »da gießen wir ein bischen Wasser darauf und dann thut's es noch einmal.«

»Ja, das wird gehen – da steht noch ein Rest Rothwein, nehmen Sie etwas von dem.«

»Würde mich der Sünde scheuen, Herr Handor,« sagte Peters, »die Gottesgabe in die Dinte zu gießen – der Wein erfreut des Menschen Herz.«

»Na, dann trinken Sie ihn und nehmen Wasser,« lachte Handor – »dort auf dem Schränkchen steht die Caraffe.«

»Danke schön, wollen Beides besorgen – es kommt nur immer auf die richtige Eintheilung an, wie ich unserem Secretär wohl zehnmal am Tage sage!« Damit hatte er seine alte Mütze, die er auf der Straße immer keck auf dem linken Ohr trug, abgelegt und die Dinte in wenigen Minuten so verdünnt, daß Handor doch seinen Namen damit unterschreiben konnte und ihm jetzt die Quittung reichte.

»Danke gehorsamst. – Wollen wir den Wein wieder wegstellen?« sagte dann Peters zurückhaltend.

»Den sollten Sie ja trinken!«

»Der Wohlthätigkeit keine Schranken gesetzt, wie auf den Zetteln des Kirchenconcerts steht,« bemerkte Peters, indem er sich selber ein Glas herbeiholte, den Wein hineingoß und den Rest auf einen Zug leerte. »Donnerwetter, das ist guter Stoff, Herr Handor!« fuhr er, sich den Mund wischend, fort – »so etwas kommt eigentlich selten an einen Theaterdiener, immer nur Haßburger Dünnbier, mit Respect zu melden – Fußbad, wie wir's in der »Krone« nennen. Nu, danke auch recht schön!«

»Und das für Botenlohn,« sagte Handor, indem er ihm ein Geldstück in die Hand drückte.

»Auch noch?« bemerkte Peters – »ja, da sieht man gleich, was ein erster Liebhaber ist – ein erster Tenorist zahlt nie ein Trinkgeld, wenn er Vorschuß kriegt; sie meinen immer, es käme zu oft und liefe zu viel in's Geld. Also 'pfehle mich Ihnen, Herr Handor – morgen haben Sie doch nichts zu thun, nicht wahr? Ach so, es ist ja Oper – also vergnügten Abend – nun, mit dem kleinen Paketchen da kann man sich schon einen vergnügten Abend machen, und es reicht auch ein Stück in die Nacht hinein.«

Und damit schoß der gesprächige Diener der Musen wieder zur Thür hinaus, während Handor, der sich indessen Licht angezündet hatte, den Brief des Directors mit den Augen überflog. Bei dem Abschiedsgruß des Burschen nickte er nur mit dem Kopfe.

Der Brief war kurz und lautete:

»Mein lieber Herr Handor! Es ist eigentlich vollkommen gegen meine Grundsätze, irgend einem Mitglied zweimal im Monat Vorschuß oder sogar die erst zum Ersten fällige Gage voraus zu zahlen. Ich will dieses Mal eine Ausnahme machen, da der Erste ja bald ist, und um Sie auch bei guter Laune zu erhalten. Ich hoffe, Sie werden das anerkennen.

Ihr ergebenster Krüger, Director.«

Noch während er las und ein leichtes, spöttisches Lächeln über seine Züge blitzte, klopfte es stark an die Thür. Fast unwillkürlich nahm er das Paket Banknoten, schob sie in die Tasche und rief dann: »Herein!«

Der Anklopfende ließ sich nicht lange bitten.

»Guten Abend, Herr Handor! Das freut mich ja sehr, daß ich Sie endlich einmal zu Hause treffe – ich bin heute schon viermal da gewesen und immer umsonst!«

»Ah, Meister Seilitz,« sagte Handor, der seine Augen mit der Hand gegen das Licht schützen mußte, um ihn zu erkennen – wenn er ihn nicht schon an der Stimme erkannt hatte, denn er schien eben nicht angenehm überrascht von der Entdeckung, – »und was verschafft mir die Ehre Ihres fünfmaligen Besuches?«

»Ja, mein bester Herr Handor, Sie wissen ja wohl – die Rechnung. Dem Fabrikanten muß ich vierteljährlich seine Tuche bezahlen, die Gesellen wöchentlich, und ich bin nicht mehr im Stande, die Auslagen zu bestreiten, wenn mich meine Kunden so im Stich lassen. Ich möchte Sie dringend bitten, mir wenigstens einen Theil meiner Rechnung abzubezahlen!«

»Mein guter Herr Seilitz,« sagte Handor lächelnd, »Sie wissen aber doch, daß ein Schauspieler nie vor dem Ersten Geld hat, und mit dem besten Willen wär' ich jetzt nicht im Stande –«

»Aber Sie erinnern sich doch, Herr Handor, daß ich Ihnen das letzte Jahr hindurch regelmäßig am Ersten meine Aufwartung gemacht habe, und der Himmel weiß, wie es kommt, ich konnte nie den günstigen Moment treffen, denn einmal kam ich eine Stunde zu früh und das andere Mal eine Stunde zu spät – aber es war immer nichts.«

»Sie haben wirklich Unglück gehabt, Meister Seilitz,« sagte Handor, »aber diesmal soll ihnen das nicht wieder so begegnen. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß wir diesmal am Ersten meine Rechnung abschließen – vielleicht noch früher.«

»Ich würde Ihnen unendlich dankbar sein, Herr Handor,« sagte der Schneidermeister, »und da es nur noch ein paar Tage bis zum Ersten sind, so will ich auch nichts weiter dagegen sagen. Dann aber müßte ich wirklich – so leid es mir thun sollte – die Gerichte zu Hülfe rufen, denn ich kann nicht länger warten.«

»Nun, Meister Seilitz, wenn Sie mir auch nicht gerade gleich mit den Gerichten drohen...«

»Es thut mir wirklich leid, Herr Handor, denn ich behandle meine Kunden gern mit Achtung, aber...«

»Jetzt werden Sie doch so freundlich sein und mich verlassen, Herr Seilitz,« sagte Handor, der auch anfing ärgerlich zu werden. »Wenn Sie bis zum Ersten Ihr Geld nicht haben, »so thun Sie nachher, was Ihnen – angenehm ist.«

»Sehr wohl, Herr Handor – Sie haben mir Ihr Wort gegeben, und ich verlasse mich darauf. Sie wissen, wenn ich Ihnen einmal etwas versprochen, habe ich es auch gehalten.«

»Das haben Sie – also für den Augenblick...«

»Ich will Ihnen nicht länger lästig fallen – am Ersten, Morgens zwischen zehn und elf Uhr, werde ich mir wieder erlauben nachzufragen.«

»Sehr wohl, Herr Seilitz.«

»Guten Abend, Herr Handor.«

Handor stand, als ihn der Mann verließ, mit dem rechten Arm auf den Tisch gestützt, die Linke in der Tasche, in die er die Banknoten gesteckt, und blieb in der Stellung noch lange, nachdem sein Gläubiger schon die Stube und das Haus verlassen hatte. Leise nickte er dabei mit dem Kopf und murmelte:

»Das geht nicht mehr länger so – das geht bei Gott nicht mehr! Das ist ein Hundeleben, und keine Existenz – aber bah,« rief er, den Kopf zurückwerfend, daß ihm das lange, lockige Haar aus der Stirn flog, »steh' ich denn nicht am Vorabend großer Ereignisse? Bis zum Ersten? – Bis zum Ersten sind die Würfel gefallen, und Sie bekommen Ihr Geld, Herr Seilitz, oder – Sie bekommen es nicht,« setzte er gleichgültig hinzu, ging zum Secretär, in dem er das eben vom Director erhaltene Geld, den Rest seiner ganzen Gage für diesen Monat, verschloß und den Schlüssel in die Tasche steckte. Dann klingelte er und nahm Hut und Mantel um, blieb aber noch mitten in der Stube, so fertig angezogen zum Ausgehen, stehen, bis die Thür aufging und sein kleiner Laufbursche, der aber eine dünne Goldlitze als Ansatz einer Livrée um den Rockkragen trug, in der Thür erschien.

»Ich gehe aus, Fritz.«

»Sehr wohl, Herr Handor.«

»Weißt Du, wohin ich gehe?«

»In die »Hölle«, Herr Handor.«

»Allerdings, mein Bursche – wenn Dich aber Jemand danach fragen sollte?«

»Bis dahin werd' ich's wohl wieder vergessen haben, Herr Handor.«

»Gute Nacht, mein Bursche,« sagte der junge Mann, ihm mit dem Kopf zunickend, und stieg langsam und leise vor sich hin pfeifend die Treppe hinunter.

17.
Festvorkehrungen.

Die nächsten Tage brachten in Haßburg nicht viel Neues. Jahrmarkt und Vogelschießen waren vorbei, und die gewöhnliche Erschlaffung nach allen solchen Wochen lang dauernden Aufregungen trat ein. Nur die Haßburger Jugend amüsirte sich noch eine Zeit lang auf dem Platz, wo die Buden gestanden hatten oder vielmehr noch standen oder eben abgerissen wurden, um einen Blick in die oft sehnsüchtig, jedenfalls neugierig umlagerten Heiligthümer zu gewinnen. Und wie oft wurde diese Ausdauer mit Erfolg gekrönt, denn jetzt lag den Besitzern ja doch nichts mehr daran, ihre Sehenswürdigkeiten jedem sterblichen Auge verborgen zu halten. Die Zeit war um, in der sie vom Magistrat concessionirt gewesen, Geld für das Anschauen derselben zu nehmen; von denen, die hier umherstanden, zahlte ihnen doch keiner mehr Entrée, und das »Aufladen« wurde ziemlich öffentlich betrieben.

Nicht geringe Schwierigkeiten bot es dabei der wißbegierigen Jugend, um heute im Sonnenlicht und in Alltagskleidern die verschiedenen Persönlichkeiten wieder herauszufinden, deren Leistungen sie vielleicht noch gestern Abend bei dem Licht einer Anzahl von Öllampen und im bunten, phantastischen Flitterputz bewundert und angestaunt hatten.

»Du, das ist der, der gestern Abend das Feuer gefressen hat und sich den Degen bis in den Magen stieß,« rief einer der Jungen seinem Nachbar zu, indem er ihm den Ellbogen in die Seite rannte.

»Ach, dummer Junge, der doch nicht in der grünen Jacke!«

»Der mit der langen Troddel an der Mütze, gewiß; ich sag' Dir, ich kenn' ihn. Gestern hatt' er 'nen rothen Kittel an. Siehst Du, jetzt macht er's gerade so wieder, wie gestern mit dem linken Bein – das ist er.«

»Und Du, das ist das kleine Mädchen, das auf dem Seil tanzte – na, sieht die aber heute aus!«

Die Jungen hatten in ihrer Unschuld Recht. Die beiden bezeichneten Individuen glichen heute Morgen auch nicht im Entferntesten ihrem gestrigen Ich und sahen ruppig genug aus. Der Mann ging in großcarrirten Hosen, trug eine gestickte Mütze mit einer wohl eine halbe Elle langen Troddel von unächter Quaste, und war in eine grüne, abgeschabte Pikesche gekleidet. Das Mädchen trug einen zerfetzten Kattunrock und darüber ein altseidenes, von Fettflecken starrendes Tuch – und wie unbeschreiblich prächtig waren sie ihnen gestern dagegen erschienen.

Der Jugend blieb aber nicht lange Zeit, sich mit dem Studium der verschiedenen Charaktere zu befassen, denn Einer rief es in diesem Augenblick dem Andern zu, daß die Thierbude ausgeräumt würde, und Alles drängte dorthin, um einen Blick auf die wilden Bestien gratis zu bekommen.

Boshafter Weise hatten die Wärter allerdings die verschiedenen Kästen mit Matten und alten Decken verhangen, so daß nichts frei blieb, als einige Affen und ostindische Arras, die aber von keinem Interesse waren, da sie den ganzen Markt über außen an der Bude der Schaulust des Publikums preisgegeben gewesen. Hier und da rutschte aber doch einmal ein oder der andere Vorhang bei Seite oder war nicht gut genug befestigt und glitt, das Innere des Käfigs enthüllend, nieder.

»Der Eisbär!« ging dann der Ruf durch die ein Hurrah ausstoßende Jugend. »Hast Du ihn gesehen? Und das war der eine Löwe!«

»Ach bewahre, das war ein Leopard.«

»Ja, Du weißt's – ich habe den Schwanz und das ganze Hinterbein gesehen.«

»Du, da ist der Seehund – hurrah!« schrieen die Jungen, als das fragliche Thier, durch die ungewohnte Bewegung vielleicht, aus seinem Faß oder Kübel hinausschnellte und von dem zuspringenden Eigenthümer wieder zurück in sein nasses Element geworfen wurde.

Es gab so viel zu sehen, das kleine Volk wußte gar nicht, wohin es sich zuerst wenden, was es zuerst anstaunen sollte, und doch starrte das nackte Elend fast aus all' diesen halbzerrissenen Schaubuden dem Sonnenlicht entgegen. Bleiche, überwachte Gesichter, schlecht und ärmlich gekleidete, aber trotzdem mit unächtem Schmuck bedeckte Gestalten, widerliche rohe Kerle, die brennende Cigarre im Munde; abgelebte, verdrossene Frauen oder freche Dirnen, die mit den Vorbeipassirenden ihre nichts weniger als zarten Scherze trieben. Und dabei hämmerten die Zimmerleute, warfen die Dächer der Buden hinab, wo die bisherigen Inhaber derselben sie noch nicht einmal vollständig geräumt hatten, und allerlei wunderliches Fuhrwerk hielt dabei mitten zwischen den verschiedenen Haufen von »Künstlern«, Kindern, Hunden, Ponies und Affen, um ihre bunte Fracht aufzunehmen und dann einen andern Platz, eine andere Stadt zu suchen, wo sie ihr trauriges Geschäft fortsetzen und ihr Leben fristen konnten.

Und wie froh waren die Insassen der benachbarten Häuser, daß dieses wüste Toben und Treiben, dem sie eine volle Woche hatten still halten müssen, nun doch endlich einmal seinen Abschluß gefunden! Wie weggefegt waren die Drehorgelspieler und Mordgeschichten-Ausschreier, die Fleckenreinigungs- und Glasdiamanten-Männer, die blinden Bergwerksbesitzer und Luftballon-Jungen. Kein Kameel drückte mehr der nordischen Promenade seine Fährten ein, kein Bärenpaar balgte sich unterwegs zum Entsetzen harmloser Kindermädchen. Es war vorbei, das Vogelschießen beendet, und die Stadt lag wieder still und ruhig wie immer, die Bewohner derselben gingen auf's Neue ihren gewohnten Beschäftigungen nach.

Und doch bereitete sich schon wieder eine neue Aufregung für die Stadt vor, die aber dieses Mal nur in bestimmten und bevorzugten Kreisen blieb: die Ankunft des Erbprinzen, die am ersten Abend eine Festvorstellung im Theater eröffnen und am zweiten ein Ball beschließen sollte, zu dem der größte Theil der haute volée und sogar auch sehr viele bürgerliche Familien geladen waren. Wie viele Hände setzt aber ein solcher Ball in Bewegung, denn was für eine Masse von Putz und Staat wird für einen solchen Abend aufgespart und zur Schau gestellt, und wie viel unsagbare Mühe kostet es, bis alle die nothwendigen Ingredienzen, vom weißen Atlasschuh bis hinauf zum dominirenden Haarschmuck, ausgewählt, geprüft, verworfen, verändert und endlich für brauchbar befunden, zusammengetragen und zur wirklichen Benutzung hergestellt sind!

Und wie wird da geschneidert und gestärkt, gewaschen, aufgeputzt und abgemessen, und was für große Berathungen finden – bei geschlossenen Thüren und im Corset – statt, und mit welcher Wichtigkeit wird das Alles betrieben, als ob das Wohl der einzelnen Familienglieder davon abhange – und wie wünschen sich die Töchter, daß der Abend schon da – und Vater und Mutter, daß er erst vorüber wäre!

Dieser Hast des Zusammenbauens stand aber das Theater nicht nach, denn es hatte sich herausgestellt, daß »Hamlet« als Festvorstellung nicht genügen würde. Der junge Prinz – oder der alte Hofmeister vielleicht – liebte nämlich auch Ballet, und da es sich doch nicht gut in den »Hamlet« einlegen ließ (obgleich einige Directoren doch vielleicht einen Geistertanz in der Kirchhofsscene möglich gemacht haben würden), so war beschlossen worden, in den Zwischenacten, und zwar nach dem ersten und dritten Act, eine besonders zu dem Zweck herbeigerufene Balletgröße springen zu lassen.

Das gab jetzt Proben. Der Theaterdiener kam gar nicht mehr von den Füßen, ausgenommen wenn er unterwegs einmal aus Versehen in ein Bierhaus hineinfiel, wo er dann wunderbarer Weise fast jedesmal den Souffleur Mauser traf. Dieser benutzte nämlich die verschiedenen Zwischenpausen auf das Geschickteste, um sowohl seinen Durst wie Ärger mit einem oder verschiedenen Gläsern Bier hinunter zu waschen. Jede Probe und Vorstellung erfüllte ihn aber auch mit neuem Gift, denn er konnte noch immer nicht die Zeit vergessen, wo er selber da oben auf den Brettern gestanden und seiner Lunge freien Lauf gelassen hatte. Aber es war nicht gegangen – Chicane natürlich arbeitete dagegen an: das Publikum zeigte sich in den ernstesten Scenen heiter, und der Director behauptete, daß er seine Rolle zu Schanden schriee. Da wurde er aus Rache Souffleur, und der Ingrimm kochte mit ihm im Kasten drin.

Und heute erst – heute war der Erbprinz angekommen, und Alles drängte auf den Straßen zusammen, um ihn vorüberfahren zu sehen; nur in den düsteren Theaterräumen hatte man keine Zeit dazu, denn dort wurde die Generalprobe für den heutigen Abend abgehalten, und Handor wußte kein Wort mehr von seiner Rolle.

Zehnmal wenigstens mußte er den »Hamlet« schon gespielt haben, aber so zerstreut wie heute war der unglückselige Mensch noch in seinem ganzen Leben nicht gewesen, und Mauser hätte ihn erwürgen können.

Der Director selber ging in Todesangst hinten auf der Bühne auf und ab, denn Handor ließ sich nie etwas sagen und war im Stande, wenn er irgendwie geärgert wurde, heut Abend statt seiner Garderobe ein ärztliches Zeugniß auf die Bühne zu schicken, daß er nicht spielen könne. Er wollte wie ein rohes Ei behandelt werden, und wenn er heute stecken blieb – und nach der Generalprobe mußte er stecken bleiben –: der Director trug eine Perrücke, aber er hätte sich mögen die Haare ausreißen.

Rebe hatte die Rolle des Güldenstern, und in der Scene mit ihm und Rosenkranz wußte Handor in der That kein einziges Wort mehr; er mußte vor dem Souffleurkasten stehen bleiben und dem Souffleur nur eben nachsprechen, was er ihm vorsagte. Es war eine peinliche Situation für die übrigen Schauspieler, und nach der Scene, als Handor in das Conversationszimmer ging, wo er eine Flasche Wein stehen hatte, folgte ihm der Director.

»Mein bester Herr Handor!«

»Herr Director?«

»Nicht wahr, Sie memoriren heute noch tüchtig? Es – es haperte ein wenig; denn wenn wir uns heut Abend blamiren sollten...«

»Glauben Sie, daß ich mich blamiren werde, Herr Director?« sagte Handor.

»Sie – oh Gott, nein, gewiß nicht, lieber Handor! Aber schon ein Zögern im Dialog – der Erbprinz kennt den »Hamlet« durch und durch, und Sie können sich doch denken, daß ich eine Art von Stolz darein setzen würde, wenn Sie ihn so recht packten und hinrissen!«

»Haben Sie keine Furcht,« sagte Handor gleichgültig – »ich – bin heute Morgen etwas zerstreut – ich erhielt gerade vor der Probe einen unangenehmen Brief – die Todesnachricht eines Verwandten; ich kann meine Rolle, Sie werden heut Abend sehen.«

»Das gebe Gott!« sagte der geplagte Director mit einem recht aus tiefster Brust herausgeholten Seufzer; »Sie wissen ja auch, Herr Handor, daß ich Ihnen überall gern gefällig bin, wo ich nur irgend kann.«

»Ich weiß es, mein lieber Director; Sie werden heut Abend keine Ursache haben, sich über mich zu beklagen. Mauser soll mir kein einziges Wort souffliren.«

»Mein lieber Herr Handor!«

»Gewiß, mein bester Director; kommen, Sie, nehmen Sie ein Glas Wein mit mir. Mir ist die Kehle wie ausgebrannt.«

»Ja, mir auch,« stöhnte der Director, indem er der Einladung Folge leistete, »und hier wollen wir auf eine gute und zusammengreifende Vorstellung anstoßen – Hamlet lebe!«

»Hamlet der Däne lebe,« lachte Handor, »wenn Sie ihn auch heut Abend umbringen lassen!«

»Ach, Du lieber Gott, wenn nur der Abend erst vorüber wäre!« sagte der Director, wischte sich den Schweiß von der Stirn und griff dann seinen Strohhut auf, um nach Hause zu gehen. –


Draußen im Schlosse des Grafen Monford ging es fast noch unruhiger zu, als im Theater, denn einige dreißig Gäste waren auf heut Abend angesagt, und die Vorbereitungen dazu wurden im großartigsten Maßstabe getroffen.

Allerdings genirte den Grafen die Festvorstellung im Theater, und er würde die Verlobung seiner einzigen Tochter gern verlegt haben, wenn sich nicht gerade an diesen Tag eine besondere Erinnerung knüpfte. Aber eben heute vor achtundzwanzig Jahren hatte er sich mit seiner eigenen Frau verlobt, und es war schon seit langer Zeit sein Lieblingswunsch gewesen, Paula's und später George's Verlobung an dem nämlichen Tag zu feiern. Selbst die Ankunft des Erbprinzen konnte deshalb keine Änderung in seinem ursprünglichen Plan hervorrufen, hätte er sich selbst mit dem regierenden Hause besser gestanden, als er wirklich stand. Aber das war eine alte Geschichte, und der regierende Herr ihm einmal in einer Rangsache zu nahe getreten, was ihm Graf Monford nie vergab; weshalb also sollte er jetzt auch Rücksicht auf den Thronfolger nehmen! Es geschah ihm ganz recht, wenn er den ersten Rang nur spärlich besetzt fand, denn die Herrschaften hatten den Adel überhaupt vernachlässigt und mochten es sich selber zuschreiben, wenn der Adel ein Gleiches mit ihnen that.

Um so mehr fühlte sich aber der Graf Monford dafür verpflichtet, heute jeden Glanz zu entfalten, den sein Haus bot, und während das ganze Schloß von oben bis unten in einen blühenden Garten verwandelt worden war, brach die Tafel fast unter der Last des Silbers, die sie zu tragen hatte, und immer noch schleppten die Diener Kisten und Ballen herbei, deren Inhalt die hier schon ausgestreute Pracht vermehren sollte. Dadurch aber glich das Haus trotz der Blumen und der ausgestellten Herrlichkeit mehr einer Packkammer, als einer Festhalle.

Graf George war den ganzen Tag abwesend, denn er hatte in der Stadt alle Hände voll mit der Inscenesetzung seines Stückes zu thun, welche auf der Privatbühne einer andern befreundeten Familie in Haßburg stattfand. Wie erschrak er freilich, als er hörte, daß die junge Gräfin Rottack gleich nach der Leseprobe unwohl geworden sei und einen ganzen Tag das Bett hüten mußte. Er fürchtete schon einen neuen Schlag für sein Theater. Glücklicher Weise war es aber nur ein leichtes Unwohlsein gewesen, und sie fühlte sich schon am nächsten Morgen wieder wohl genug, die einmal übernommene Pflicht auch zu erfüllen.

Aber wie viel gab es für den armen jungen, daran gar nicht gewöhnten Grafen noch dabei zu thun, und wie geheimnißvoll mußte das Alles betrieben werden! Was für Mühe hatte es außerdem gekostet, das kleine, schon lange nicht mehr benutzte Privattheater im Schlosse selber wieder in Stand zu setzen, ohne daß Paula etwas davon merkte – und nur der geringste Verdacht würde ja die ganze Überraschung zerstört haben. Paula schien ihm aber dabei ordentlich selber in die Hände zu arbeiten, denn sie sah nichts von Allem, was um sie her vorging, und war nie zufriedener, als wenn sie ungestört und allein in ihrem Zimmer bleiben oder im Garten auf und ab gehen konnte.

Recht bleich und angegriffen sah sie aus, das konnte selbst dem jungen, leichtherzigen Grafen nicht entgehen, und er hatte sie oft gefragt, ob sie sich unwohl fühle, aber immer eine entschieden verneinende Antwort erhalten. Sollte sie sich wirklich in der Verbindung unglücklich fühlen? Aber Hubert war solch ein herzensguter und tüchtiger Mensch, sie mußte glücklich an seiner Seite werden, noch dazu, wenn sie sah, wie glücklich sie die Eltern dadurch machte. Das gab sich auch gewiß schon nach den ersten Tagen: nur das Neue der Situation, nur der Gedanke, in ein vollkommen fremdes Leben selbstständig einzutreten, machte sie jetzt so befangen und zerstreut und raubte ihren Wangen die sonst so blühende Farbe, ihren Augen den gewohnten freundlichen Glanz. Damit beruhigte sich George vollkommen, und hatte auch in der That jetzt so viel und so Verschiedenes zu denken, daß er gar nicht recht zu Besinnung kommen konnte. Die Schwester hätte ihm auch wirklich gar keinen größeren Gefallen thun können, als daß sie sich still und abgeschlossen hielt.

Paula war in der Zeit viel im Garten und ihr liebster Spaziergang der nach dem alten Thurm, wo sie Stunden lang allein und träumend saß und nach den fernen Bergen hinüberschaute. War sie doch auch jetzt von ihrer Gouvernante oder Gesellschafterin vollständig erlöst, die sich allerdings noch im Hause befand, aber alle Macht über sie verloren hatte.

Graf Monford wollte, daß seine Tochter sich frei und unabhängig fühlen lernen sollte, ehe sie das elterliche Haus verließ, und Paula dankte ihm das wenigstens aus vollem Herzen.

Auch heute Morgen war das junge Mädchen erst langsam auf der Terrasse eine Zeit lang auf und ab und dann ihrer Lieblingsstelle zugegangen, und George hatte mit Schmerzen auf den Augenblick gewartet, wo er sie in den Büschen verschwinden sah, denn eine neue Decoration, mit deren Anfertigung sich der Maler verspätet hatte, lag schon seit zwei Stunden im Hinterhalt und konnte nicht in das Schloß geschafft werden, so lange er jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt war, daß die Schwester plötzlich aus ihrem Zimmer treten und ihm die ganze Freude stören möchte.

Jetzt war sie fort, und eben wollte er den Befehl geben, die etwas unbehülflichen Versetzstücke rasch herbeizuschaffen, als Mademoiselle Beautemps auf dem Schauplatz erschien. Daß die nicht schweigen konnte, wo sie nur die Ahnung hatte, daß es ein Geheimniß galt, wußte er aus Erfahrung, und die mußte deshalb ebenfalls unter jeder Bedingung entfernt werden.

»Ah, Mademoiselle,« rief er ihr zu, »wo haben Sie denn gesteckt? Paula hat Sie schon seit einer Viertelstunde gesucht.«

»Die Comtesse mich?« rief die Französin, nicht ohne Grund erstaunt; »das wäre wunderbar.«

»Ja gewiß, sie ist in den Garten gegangen, um Sie dort zu suchen. Im Park oder am alten Thurm werden Sie sie finden.«

Mademoiselle schüttelte mit dem Kopf, folgte aber doch der Weisung und nahm ebenfalls die von Paula eingeschlagene Richtung.

»So, nun aber rasch,« lachte George fröhlich vor sich hin; »tummelt Euch, Ihr Leute, in zehn Minuten muß Alles im Hause und hinter verschlossenen Thüren sein, damit uns die Damen nicht wieder in den Weg kommen, denn das Fräulein wird bald wieder abgefertigt werden. Was Paula nur denken wird,« schmunzelte er dann leise vor sich hin, »daß ich ihr die alte Französin über den Hals schicke; aber heut Abend erzähl' ich ihr, weshalb.«

Die Leute sprangen mit gutem Willen zu, und die verschiedenen Coulissen und Versetzstücke wurden rasch in's Schloß und die Treppe hinauf gebracht. Nur der alte Jonas schüttelte den Kopf dazu, daß sie auch noch gemalte Bäume in das Haus schleppten, wo er selber schon Alles in einen blühenden Wald verwandelt hatte, und schimpfte auf die ungeschickten Träger, die ihm da und dort an den Ecken die aufgestellten Blumenstöcke umgeworfen und sogar ein paar Töpfe zerbrochen hatten. Nichts wie Ärger mit dem unnützen Volk, das nicht einmal eine Distel von einer Camellie unterscheiden konnte und so rücksichtslos mit der einen wie mit der andern umging.

Mademoiselle Beautemps wandelte indessen in majestätischer Haltung den Weg entlang, den vor ihr, leicht wie ein scheues Reh, Paula geschlüpft war, und wunderte sich im Stillen, was die Comtesse von ihr haben wolle, da sie sich in der letzten Woche kaum mit einem Blick um sie gekümmert hatte.

Ihre Stellung hier war überhaupt eine unhaltbare geworden, so strenge Gewalt sie auch bis noch vor ganz kurzer Zeit über die einzige Tochter des Hauses ausgeübt. Der alte Graf selber mochte sie dabei nicht leiden, wie sie recht gut fühlte, und sie war auch schon fest entschlossen, nicht, wie es vorher bestimmt, bis zur Vermählung der Comtesse hier auszuhalten, sondern gleich nach der Verlobung die Familie zu verlassen. Was sollte sie auch noch länger hier, wo sie doch nichts mehr befehlen durfte und von keiner Seite geliebt, nur von der Gräfin selber noch gehalten wurde? Die Comtesse haßte sie ja doch, das wußte sie genau, und das Gefühl war gegenseitig.

Albernes, eigenwilliges Ding, vom Glück verzogen, von ihren Eltern und ihrer ganzen Umgebung verwöhnt, nur nicht von ihr – beim Himmel, nicht von ihr! Hatte sie sich nicht aufgeopfert für das alberne Geschöpf und sogar eine Stelle bei der Fürstin Negitchow ausgeschlagen, und welchen Dank dafür gehabt, als stummen Gehorsam und ein verdrossenes Wesen? Und jetzt mußte sie auch noch erleben, daß sie die reichste und beste Partie im ganzen Lande machte und dann jedenfalls mit Stolz und Hochmuth auf sie herabgesehen hätte; dem wenigstens wollte sie entgehen, den Kelch sich ersparen und morgen – sie war fest dazu entschlossen – ihre Stellung aufgeben und dann auch ohne Weiteres Haßburg verlassen.

Mit diesen Gedanken, die langen, mageren Arme vor sich fest in einander geschlagen, die Brauen zusammengezogen und die dünnen Lippen eingekniffen, schritt sie vorwärts und erreichte jetzt, den Windungen des mit Büschen besetzten Weges folgend, das kleine Plateau, auf welchem der alte Thurm stand.

Von hier aus konnte sie freilich noch nicht die ganze Terrasse überblicken; wie sie aber um den Thurm herumschritt, sah sie Paula, die dort, den Ellbogen auf die niedere Mauer gestützt, unter einer der Aloevasen lehnte und einen kleinen, rosafarbenen Zettel in der Hand hielt, der ihre Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch zu nehmen schien. So vertieft war sie in denselben, daß sie nicht einmal das Nahen der sonst so gefürchteten Gouvernante bemerkte, und erst als sie deren Schritt auf dem knisternden Kies hörte, hob sie rasch erschreckt den Kopf und knitterte zugleich das kleine Blatt wie unwillkürlich in ihrer Hand zusammen.

»Mademoiselle!«

»Gnädige Comtesse sind so angelegentlich beschäftigt, daß Sie mein Kommen nicht einmal gewahrten,« sagte die Französin mit einer fast spöttischen Höflichkeit, indem ihr Blick scharf und forschend bald auf den Zügen des jungen Mädchens haftete, bald zu der Hand hinflog, die noch immer das Blatt, aber jetzt verborgen, hielt.

»Und weshalb schleichen Sie hinter mir drein?« sagte Paula finster, denn zum ersten Mal erhob sich ihr Herz zum offenen Widerstand gegen die ihr lästige, widerliche Persönlichkeit.

»Schleichen, gnädige Comtesse?« lächelte die Mademoiselle. »Wie ein Grenadier bin ich aufgetreten, aber Sie hörten und sahen nicht. Es muß etwas sehr Interessantes sein, was Sie da studirten.«

»Und was wollen Sie?«

»Was ich will? Ich könnte Ihnen einfach sagen, daß ich spazieren ginge, wie Sie,« bemerkte die Gouvernante kalt; »aber Sie scheinen selbst vergessen zu haben, daß Sie mich gesucht und nach mir verlangt. Graf George schickt mich zu Ihnen.«

»Mein Bruder? Sie zu mir? Und weshalb, wenn ich fragen darf?«

»Ich sage Ihnen ja, daß er behauptet, Sie hätten mich gesucht.«

»Das ist denn ein Irrthum,« erwiderte die Comtesse kalt, drehte sich ab und lehnte sich wieder auf die Terrassenmauer, ohne ihre frühere Gouvernante weiter eines Blickes oder einer Antwort zu würdigen.

Die Französin faßte ihre Unterlippe mit den Zähnen, und einen Augenblick war es fast, als ob sie ihrer Gereiztheit über solche augenscheinliche Mißachtung Worte leihen wolle; aber sie hatte das Terrain verloren. Ein Zank mit der jetzt gefeierten jungen Herrin konnte ihr nur schaden, und sich auf dem Absatz herumdrehend, schritt sie schweigend, aber in wahrlich nicht besserer Laune den Weg zurück, den sie vorher gekommen, und erreichte das Schloß eben wieder, als Jonas, leise dabei vor sich hinmurmelnd, die umgeworfenen Blumentöpfe auf's Neue ordnete.


Oben im Park, der Stelle gerade gegenüber, wo der Maulwurfsfänger an jenem Morgen seinem heimlichen Angeln oblag, kniete jetzt der nämliche Mann mitten auf der Wiese und war eifrig bemüht, die dort gefangenen Maulwürfe an ihrer Drahtschlinge aufzuheben, die Fallen wieder zu stellen und die ertappten Übelthäter an einer schwanken Ruthe aufzuhängen. Neben ihm saß sein Spitz.

Unten vom Drahtzaun her kam der Förster, die Flinte auf dem Rücken, den gescheckten Jagdhund neben sich. Wie er die freie Wiese betrat, bemerkte er augenblicklich die dort kauernde dunkle Gestalt des Mannes, und schritt quer über den Rasen auf den Burschen zu.

Der Spitz knurrte, sowie der Förster seine Richtung änderte, und Fritz sah erst seinen Hund an und dann nach der Gegend hinüber, die dieser andeutete.

»Ruhig, Spitz,« sagte er aber, wie er nur die Gestalt erkannt hatte; »der thut uns hier nichts und muß höchstens mit langer Nase wieder abziehen. Kommt mir gerade recht und bin eben in der Stimmung, ihm Audienz zu ertheilen.«

Ohne den Nahenden auch nur so weit zu beachten, den Kopf noch einmal nach ihm umzudrehen, fuhr er in seiner Arbeit fort; aber der Spitz knurrte stärker, denn der Jagdhund genirte ihn, und er rückte auch etwas näher zu seinem Herrn, als er bis jetzt gesessen.

Er und der Jagdhund schienen auch in der That keine großen Freunde zu sein, als ob sie die Antipathie theilten, die ihre beiden Herren gegen einander empfanden. Caro, wie der Hund des Jägers hieß, kam mit gesträubten Haaren und hochgehobenem Schwanze, an dem auch nicht die geringste Spur von Wedeln sichtbar war, langsam näher; er knurrte freilich nicht, aber seine oberen Lefzen zogen sich zusammen, daß die blanken und scharfen Zähne sichtbar wurden, und er sah den kleinen Köter dabei von der Seite mit einem Blick an, als ob er nur einen leisen Wink seines Herrn erwartete, um mit einem Sprung über den Eindringling herzufallen.

Der Spitz schien sich übrigens gar nicht so sehr vor dem ihm an Stärke vielleicht viermal überlegenen Gegner zu fürchten. Den Rücken deckte er freilich dicht an seinem Herrn, dort aber hielt er auch Stand und wies dem großen Hunde die Zähne so lebhaft und kampfesmuthig, und hob sein kleines Schwänzchen so keck und herausfordernd empor, daß man ihm ansah, er würde einem Angriff von der andern Seite keinen Zollbreit ohne Gegenwehr weichen.

»Na, mein Bursch, was treibst Du hier wieder?« redete der jetzt dicht herangekommene Förster den Maulwurfsfänger mit eben nicht freundlicher Stimme an. »Eine Woche fast bist Du ausgeblieben, und ich hatte schon im Stillen gehofft, daß wir Dich los wären; Du scheinst aber zäher zu sein, als Deine Maulwürfe.«

»Ein freundliches Waidmannsheil wäre wohl ein besserer Gruß für einen Collegen gewesen, Herr Förster,« lächelte der Angeredete spöttisch vor sich hin, »aber manche Menschen verstehen es nicht besser. Und wo ich gewesen bin? Auf einem andern Revier, Herr College, um dem Raubzeug nachzustellen, denn wenn ich von der Monford'schen Besitzung allein leben sollte, möcht' ich in der Woche wohl kaum ein Stück Fleisch in den Topf bekommen, und am Sonntag erst gar nicht.«

»Und wie haben die Fasanen geschmeckt?« fragte der Forstmann tückisch.

»Na, wenn's auch gerade keine Fasanen sind,« erwiderte gleichgültig der alte schlaue Bursche, der nicht auf solche Weise zu fangen war, »so ist's doch wenigstens ein gesundes Stück Rindfleisch oder eine Bratwurst. Übrigens thun Sie mir die Liebe und halten Sie Ihren Hund zurück, denn wenn er mit meinem Spitz anbindet, stehe ich Ihnen für nichts. Der verwünschte Köter hat mir erst gestern einen Metzgerhund todtgebissen.«

»Das Ding da!« lachte der Förster verächtlich; »wenn ich meinem Caro Ein Wort sagte, frißt er ihn mit Haut und Haaren!«

»Möchte eine verwünscht theure Mahlzeit werden!« erwiderte trocken der Maulwurfsfänger, indem er seine letzte Beute an der Ruthe befestigte; »aber wo wollen Sie hin, Herr Förster?«

»Wenn Dich Jemand darum fragen sollte, mein Bursche,« erwiderte der Forstmann, »so sag' ihm nur einfach, Du wüßtest es nicht – verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Förster,« lächelte der Mann, »werd' es ausrichten. Haben Sie vielleicht sonst noch etwas zu bestellen?«

»Komm, Caro,« sagte der Jäger, »das ist keine Gesellschaft für uns. Übrigens,« fuhr er fort, sich nochmals nach dem Manne umdrehend, »erwische ich Dich noch einmal Nachts zwischen meinen Fasanen, mein Bursche – und daß ich Dir jetzt aufpasse, darauf kannst Du Dich verlassen, – so will ich von Gott verdammt sein, wenn ich Dir nicht die Jacke voll Schrot schieße – und nun Gott befohlen!«

»Gott befohlen, Herr Förster, und viel Glück zur Jagd,« lächelte ihm der Alte stillvergnügt nach.

Der Förster murmelte einen gotteslästerlichen Fluch in den Bart, wußte aber, daß er mit Reden doch nichts bei dem da ausrichtete, und schritt so hochbeinig fort, wie sein Hund, der sich alle Mühe gab, dem verhaßten Spitz durch ärgerliche Stellung begreiflich zu machen, daß sein Rückzug kein freiwilliger wäre und er eben nur seinem Herrn folgen müsse.

Der Maulwurfsfänger nahm aber gar keine weitere Notiz von ihm, und wie er sich erst überzeugt hatte, daß der Waidmann wirklich eine andere Richtung eingeschlagen, lachte er still vor sich hin und brummte:

»Alter Esel, Du wärst der Rechte, mich zu fangen! Mein Spitz hat mehr Grütze im Kopfe, als Du, und wenn's mich nach Fasanen gelüstete, holte ich mir heut Abend noch meinen Theil. 's ist doch wunderbar in der Welt,« setzte er dann hinzu, indem er still mit dem Kopf schüttelte, »was unser Herrgott in all' seinen verschiedenen Fächern für Kerle herumlaufen hat. Wem er ein Amt giebt, giebt er auch Verstand, sagt man gewöhnlich; – ja Prosit! Wär' ich in Deiner Stelle, und Du in meiner, alter Schneesieber, verdammt will ich sein, wenn Du mir auch nur eine Feder vom Platz holen solltest, ohne daß ich Dich erwischte, und jetzt plündere ich dem albernen Strohkopf schon ein Vierteljahr lang in Wasser, Wald und Feld sein Revier aus, ohne daß er auch mehr wie einen Verdacht hat, wer der Thäter ist – Du wärst mir der Rechte, mich zu fangen!«

»Holla, Fritz, wie geht's?« rief den Alten eine Stimme vom Wege herüber an, und als der Maulwurfsfänger rasch den Kopf nach ihm drehte – denn der Spitz hatte den Nahenden in seinem Ärger über den Caro gar nicht beachtet, – erkannte er Einen von der Dienerschaft, der mit einem Korb am Arme durch den Park ging und, als er den Maulwurfsfänger nicht weit aus seinem Weg sah, ein Stück quer über die Wiese hinüberschritt, um ein paar Minuten mit ihm zu plaudern.

»Nun, Alter, wie geht's – immer so fleißig? Heute solltest Du aber den Maulwürfen doch auch Frieden geben,« redete er ihn an.

»Heute – so? Und wer giebt mir Frieden? Sollen's die Bestien etwa besser haben, als ich?«

»Wer Dir Frieden giebt?« lachte der Lakai; »komm nur heut Abend auf's Schloß, Du gehörst ja doch gewissermaßen mit zu den Gutsleuten und kannst da auf ein derb Stück Braten und eine Flasche Wein sicher rechnen.«

»Nun, weißt Du, Thomas,« sagte der Maulwurfsfänger, und sein kleines graues Auge blitzte ordentlich wie in Stolz auf den betreßten Diener, »wenn ich einmal eine Flasche Wein trinken will, so zahle ich sie mir auch und brauche mich nachher bei Niemandem dafür zu bedanken.«

»Jetzt blas mir aber den Staub weg!« lachte der Lakai. »Na, wenn Unsereiner sich nicht zu gut dafür dünkt und der Förster selber herüber kommt, dann wirst Du Dich doch auch wohl nicht wegwerfen, wenn Du mit von der Partie bist!«

Es war fast, als ob der Alte eine trotzige Antwort geben wolle; aber er verbiß die Worte und benutzte die Pause, um sich eine frische Pfeife zu stopfen. Endlich sagte er, während er die Pfeife mit den Zähnen hielt und sich mit Stahl und Schwamm Feuer schlug:

»Und was ist heute da oben los, daß der Alte so freigebig mit dem Stoff herausrückt? Habe doch kein Wort davon gehört!«

»Nun, Verlobung ist heute, die junge Comtesse heirathet den Sohn vom Grafen Bolten – die erste Familie im Lande nach unserer, und da kannst Du Dir doch wohl etwa denken, daß es da hoch hergeht.«

»Sieh, sieh, sieh,« sagte der Maulwurfsfänger, leise vor sich hin mit dem Kopf nickend, »was man doch nicht Alles erlebt, wenn man alt wird; die Comtesse Paula heirathet den Windbeutel, den jungen Grafen Bolten!«

»Windbeutel? Ich wollte Dir nicht rathen, daß der Graf das Wort gehört hätte,« rief der Lakai, »bei Gott, es ginge Dir schlecht!«

»Und hat sie ihn gern?« sagte der Maulwurfsfänger, der einem ganz andern Ideengang folgte.

»Wer – die Comtesse? Soll sie ihn nicht gern haben, einen jungen, hübschen, vornehmen und steinreichen Menschen?«

»Wie ich ihr aber heute nicht weit vom Schloß begegnete, kam's mir beinahe so vor, als ob sie recht bleich und elend aussähe, und so in Gedanken war sie, daß sie nicht einmal bemerkte, wie ich sie grüßte, und sonst dankt sie immer so freundlich.«

»Na ja, ein bischen elend sieht sie wirklich aus,« meinte der Lakai; »aber das haben die vornehmen Fräuleins alle, das gehört mit zum guten Ton.«

»So?« sagte der Maulwurfsfänger zerstreut, der augenscheinlich gar nicht die Worte verstanden hatte. »Merkwürdig, daß so ein Fluch von der Mutter auf die Tochter vererben kann!«

»Was für ein Fluch?«

»Oh, nichts,« sagte der Mann kopfschüttelnd; »und um welche Zeit geht die Festlichkeit an?«

»Um acht Uhr natürlich, früher paßt es sich nicht. Aber ich muß fort, heute weiß man wahrhaftig nicht, wohin man zuerst springen soll.«

»Wohin willst Du denn?«

»In's Dorf und noch Eier holen; eine zwanzig Schock hat der Koch schon heute verbraucht, und immer langt's noch nicht. Nu, komm heut Abend nur, ich werde schon Sorge dafür tragen, daß Du nicht leer ausgehst!« – Und mit den Worten nickte er ihm protegirend zu und schlenderte dann, als ob er dem Maulwurfsfänger beweisen wolle, daß er über seine Zeit verfügen könne, wie es ihm beliebe, langsam den Weg hinab, der zum nächsten und hinter den Bäumen versteckten Dorfe führte.

»Bedientenpack,« murmelte der Maulwurfsfänger in den Bart, als er dem davonschwenkenden Lakai nachsah, »serviles, lumpiges Gesindel, das hinter dem Rücken der Herrschaft die Nase unter dem Hutrand trägt und sie dann wieder vor lauter Unterthänigkeit bis in den Boden hineindrücken möchte – Bedientenpack, ob sie in einer gestickten Uniform oder in einer Livrée stecken! Da doch, bei Gott, lieber Holzhacker oder Tagelöhner, wenn ich mein freies Gewerbe einmal mit einer andern Branche vertauschen müßte! Unter Deiner Protection Wein saufen, Du Lump? Lieber faules Wasser aus einer Regenmulde! Aber nützlich sind die Kerle doch,« lachte er plötzlich still vor sich hin, »denn wie hätte ich ohne den Tagedieb jetzt erfahren, daß heut Abend großer Volksschmaus im Schlosse und der Förster ebenfalls geladen ist. Wart', Grünrock, für morgen früh will ich Dir wenigstens eine Überraschung bereiten, die Dich freuen soll! Aber da wird es Zeit, daß ich mich jetzt nach Hause mache. Komm, Spitz, heut Abend wollen wir auch hochleben und Braten essen und Wein trinken, wenn auch auf andere Weise, wie der Lump da denkt. Die Maulwürfe mögen heute Feierabend haben – Hurrah, die Verlobung soll leben!« – Und seine alte Waidtasche umwerfend und den Stock aufgreifend, schritt er rüstig den Weg entlang, der nach der Stadt hinunter führte.

18.
Leiden eines Theater-Directors.

Der Abend rückte heran und das Theater prangte im Festesschmuck. Director Krüger hatte sich nämlich nicht damit begnügt, eine außergewöhnliche Anzahl von Gasflammen zu öffnen und überhaupt Alles anzuzünden, was leuchten wollte, sondern auch schon seit zwei Tagen den benachbarten Eichenwald plündern und dicke Guirlanden binden lassen, die den ganzen ersten Rang schmücken sollten. In der herrschaftlichen Loge waren sogar zwei Lehnsessel neu gepolstert, kurz, das Außerordentlichste geleistet, und wer Krüger kannte, behauptete, er lebe nicht mehr lange, denn es sei kurz vor seinem Ende.

Natürlich war heute Abonnement suspendu – nicht des Hamlet wegen, oh nein, denn in die classischen Stücke brachte er sonst, selbst im Abonnement, kaum das Nothwendigste von Zuschauern hinein! Aber daß keiner der Haßburger morgen sagen wollte, er habe den Erbprinzen noch nicht gesehen, wußte er, und die Neugierde mußte ihm heute das Haus füllen. Das Stück selber hätte deshalb auch recht gut »Der Erbprinz« heißen können und würde dann nach beiden Seiten hin gepaßt haben.

Es war noch früh und die Kasse eben erst geöffnet worden, aber trotzdem fingen die Räume schon langsam an sich zu füllen. Einzelne Damen mit stattlichen Crinolinen arbeiteten sich über die Bänke weg, Herren kamen herein, den Hut noch auf dem Kopf, und begannen sich langsam ihre weißen Glacéhandschuhe anzuziehen, und nur oben in die Gallerie drängten sich die Massen ein, um heute einen guten Platz – das heißt, eine Aussicht nach der herrschaftlichen Loge – zu gewinnen, wo sie recht genau zuschauen konnten, was der Erbprinz für ein Gesicht machen und ob er recht applaudiren würde.

Auf dem Theater selber sah es noch leer und dunkel aus. Die Arbeitsleute waren allerdings schon beschäftigt, Lampenwerk u. s. w. in Ordnung zu bringen und die verschiedenen Requisiten nach den Richtungen hin zu tragen, wohin sie der Requisiteur beorderte, aber von Schauspielern selber ließ sich noch Niemand sehen, denn die staken noch alle in der Garderobe, und nur dann und wann kam noch ein verspätetes Dienstmädchen, das einen großen, breiten Korb mit irgend einem Anzug trug, und verschämt damit vor der Herrengarderobe stehen blieb, bis Jemand herauskam, um ihn ihr abzunehmen. Hinein wäre sie um die Welt nicht gegangen – das hatte sie Einmal gethan, das erste Mal, als sie auf's Theater geschickt wurde, und den Schreck würde sie im Leben nicht vergessen.

Der Director stand vorn auf der Bühne und betrachtete sich durch eins der kleinen im Vorhang angebrachten Löcher das anwachsende Publikum.

Der Theaterdiener Peters schoß ein paar Mal über die Bühne herüber und war außerordentlich beschäftigt, aber der Director achtete gar nicht auf ihn. Es schien ein volles Haus zu werden, und er amüsirte sich vortrefflich am Vorhangloch.

Jetzt kam Peters wieder zurück; er war eine Zeit lang verschwunden gewesen und ging gerade auf seinen Chef zu.

»Herr Director!«

»Ja, Peters,« sagte dieser, ohne seine Stellung zu verändern, denn er erkannte ihn an der Stimme – »was giebt's?«

»Herr Handor ist noch nicht da.«

»Was?« rief der Director und fuhr wie der Blitz herum – »und kommt schon in der zweiten Scene – Herr Du mein Gott, wo steckt der unglückselige Mensch nur wieder? Laufen Sie doch einmal schnell zu ihm hinüber, Peters, und sagen Sie ihm, es wäre...«

»Ich komme eben von drüben, Herr Director, es ist aber Niemand zu Hause und der Schlüssel liegt unter dem Schrank draußen, wo er ihn immer hinlegt, wenn er ausgegangen ist.«

»Dann sitzt er vielleicht in der »Hölle« – na, weiter fehlte mir heut Abend gar nichts – laufen Sie einmal schnell in die »Hölle«, Peters – springen Sie ein bischen; es wäre doch schauderhaft, wenn der Mensch nicht so viel Interesse an der Sache nehmen sollte, daß er nicht einmal seine bestimmte Zeit einhielte!«

»Herr Gott, meine Beine!« seufzte Peters, als er sich wieder umwandte und in einem kleinen Hundetrab seiner neuen Bestimmung zueilte; »das ist ein Leben, Theaterdiener – wenn ich mich einmal zur Ruhe setze, werde ich Briefträger.«

Der Director hatte indessen das Publikum ganz vergessen, und wenn er einmal einen raschen Blick durch den Vorhang warf, so kamen ihm jetzt die Zuschauer, die ihm früher zu langsam eintrafen, viel zu rasch. Wieder und wieder lief er nach der Garderobe, um sich selber zu überzeugen, ob denn sein unglückseliger Prinz von Dänemark noch nicht eingetroffen sei.

Und wie rasch die Zeit vorrückte, seit er auf ihn wartete! Es war ordentlich, als ob der große Zeiger an der Uhr im Conversationszimmer durchgegangen sei und auf den Moment loshetzte, wo sich Director Krüger mit seinem Hamlet unsterblich blamiren sollte. – Wahrhaftig, da traf das Orchester schon ein, und in der Hofloge – Krüger hätte durch eine Versenkung abgehen mögen – erschien ein mit Orden vorn ganz bedeckter Kammerherr, sah nach, ob die Stühle vorschriftsmäßig standen, und entzückte dann, indem er sich mit seinem weißen Glacéhandschuhen vorn auf den rothen Plüsch der Balustrade stützte und sich das Publikum betrachtete, die Gallerie, wo der Ruf schon von Lippe zu Lippe ging: »Da is er!«

Peters kam im Sturmschritt zurück. Handor war nicht in der »Hölle«, aber vor etwa einer Stunde dort gewesen und hatte ganz allein eine Flasche Champagner getrunken; wo er jetzt sei, konnte ihm Niemand sagen – im »Paradies« wußten sie's auch nicht.

»Ist er denn noch nicht hier?« fragte Peters. Der Director gab ihm gar keine Antwort, und nur mit einem verzweifelten Griff fuhr er sich in die Haare und hob sich die Perrücke halb vom Kopfe.

Jetzt kam der Oberregisseur Sulzer im Costüm aus der Garderobe – er gab heute den König. Er hatte ein schwarzes Sammetbarett auf, mit einem Kronenreif darum, trug natürlich einen Hermelinmantel und gelbe, hohe Stiefel, und sah für einen König sehr bestürzt aus.

»Ist er denn noch nicht da, Herr Director?«

»Haben Sie ihn gesehen?«

»Ich? Nein – aber wo steckt der entsetzliche Mensch? Wenn ihm nur kein Unglück zugestoßen ist!«

»Uns wird eins zustoßen, Sulzer!« rief der Director – »uns wird eins zustoßen – passen Sie auf – wenn er nicht bald kommt, rührt mich der Schlag, denn die Schande überlebe ich nicht!«

»Aber er muß ja kommen, er kann ja nicht ausbleiben! Ist denn der Prinz schon da?«

»Das fehlte auch noch – aber er muß jeden Augenblick eintreffen, und wahrhaftig, da steht der Kapellmeister schon unten mit seiner verfluchten weißen Halsbinde, und die Eichenkränze hängen um den ersten Rang herum, und alle Gasflammen brennen – es ist rein zum Rasendwerden!«

»Wenn wir nun erst die Mamsell Bollo – Badelli – oder Bodellichini – ich kann den verdammten Namen nicht behalten! – tanzen ließen?«

»Das ist eine Galgenfrist, Sulzer; aber es wird uns nichts Anderes übrig bleiben – mir ahnt Schreckliches!«

»Die wird aber auch noch nicht fertig sein, da sie eigentlich erst nach dem zweiten Act kommen sollte.«

»Bitte, springen Sie einmal hin, Sulzer – ich lasse sie um Gottes willen bitten, sich ein wenig zu beeilen! – Peters, ist er noch nicht da?«

»Nein, Herr Director, und jetzt kommt er auch nicht mehr.«

»Du giebst mir einen Dolchstich!« citirte Sulzer im Abgehen, um die Tänzerin in Gang zu bringen.

Die junge Dame war auch in der That ausnahmsweise früh gekommen, aber natürlich mit ihrer Toilette noch nicht fertig. Die Conversation wurde durch das Schlüsselloch geführt – sie erklärte, vor dem Beginn des Stückes nicht fertig werden zu können, und kein Mensch werde von ihr verlangen, daß sie wie eine »Schlumpe« (der Name war für eine Italienerin außerordentlich deutsch) an einem solchen Abend auf den Brettern erscheine.

»Na ja, das fehlte auch noch, daß sich die auf die Hinterbeine setzt!« rief Krüger wüthend und sprang selber nach der Garderobe.

»Aber dafür ist sie doch engagirt,« lachte Pfeffer, der als Todtengräber hinten mit Hilgen als Horatio auf und ab ging und sich über die Verzweiflung seines Directors und das Ausbleiben des einen Prinzen, während der andere jeden Augenblick eintreffen konnte, auf das Köstlichste zu amüsiren schien.

»Das wird ein Hauptskandal werden, wenn Handor nicht kommt,« meinte Hilgen; »so 'was ist noch gar nicht da gewesen – ich begreife den Menschen nicht; er weiß doch, was davon abhängt.«

»Nur immer zu,« lachte Pfeffer, sich vergnügt die Hände reibend; »ich freue mich wie ein Kind auf die Geschichte. Da ist doch endlich einmal eine Abwechselung in dem verdammten Theaterleben!«

»Lassen Sie das den Alten hören...«

»Bah, ich spiele meine Rolle und damit Basta – meine Ansichten sind mein eigen – und dem eingebildeten Laffen, dem Handor, gönne ich ebenso den Rüffel, den er kriegen wird, und den Strafabzug – vielleicht werden wir ihn ganz los damit, denn er ist doch weiter nichts, als ein erbärmlicher Coulissenreißer.«

»Strafabzug?« sagte Hilgen – »er hat schon seine ganze Monatsgage voraus – vom Peters weiß ich's.«

»Alle Teufel,« rief Pfeffer, sich rasch gegen Horatio umdrehend, »ist das gewiß?«

»Ganz gewiß!«

»Soll ich Ihnen etwas sagen, Hilgen?«

»Nun?«

»Dann ist der Musjö auch durchgebrannt und wir sehen ihn nicht wieder.«

»Unsinn – heute, am Abend der Vorstellung – vor einer Stunde bin ich ihm noch begegnet.«

»Na, wir wollen's abwarten – in Schulden sitzt er bis über die Ohren, das weiß jedes Kind – bezahlen kann er sie nicht, so viel ist auch sicher – übermorgen ist der Erste, wo ihm nachher wieder Alles über den Hals kommt...«

»Das wäre ein verfluchter Streich.«

»Abwarten und Thee trinken,« bemerkte Pfeffer, der in diesem Augenblick an Rebe und seine erneuten Aussichten dachte – »sind schon wunderlichere Dinge in der Welt passirt.«

Indessen klopfte der Director an Fräulein Bellachini's Thür und bat mit den höflichsten Worten, »wenn irgend möglich«, um Einlaß.

Drinnen fand noch eine kurze Debatte statt, dann wurde der Riegel zurückgeschoben, und Director Krüger sah sich der fast schon vollständig costümirten gefeierten Tänzerin gegenüber, während ihre Begleiterin oder Ehrendame oder Kammerjungfer eine Anzahl abgeworfener Stücke Damengarderobe rasch zusammen- und in die Ecke schob.

Der Director zeigte sich aber hier nicht wüthend, sondern war die Liebenswürdigkeit selber, und mit dem Hut in der Hand bat er die junge, wunderhübsche und deshalb auch natürlich gerade wundercapriciöse Tänzerin, ihn aus seiner grimmigsten Noth zu erretten und – ihre Toilette ein wenig zu beeilen. Sie sei jetzt schon so zauberschön – wie er in seiner Todesangst hinzusetzte, – daß sie eigentlich gar nichts mehr verbessern, sondern wieder zerstören könne, und sie möge doch ein klein wenig Erbarmen mit dem jungen Prinzen haben, der sicher nicht geahnt hätte, daß er nach Haßburg gekommen wäre, um hier rettungslos sein Herz zu verlieren.

Fräulein Bellachini sträubte sich erst und berief sich auf ihr Engagement und den Zettel. Krüger gab Alles zu; er war um den Finger zu wickeln. Dann wollte sie Bedingungen machen; er ergab sich auf Gnade und Ungnade. Endlich schien sie gerührt zu werden, und dem Director zuckte es wie ein elektrischer Schlag durch die Glieder, denn draußen begann in diesem Augenblick als Ouverture zum Hamlet, Beethoven's Trauermarsch.

Der Prinz war angekommen und der Hamlet fehlte noch immer.

»Wenn Sie ein Fünkchen von Erbarmen haben, so helfen Sie mir wenigstens aus der größten Noth!« rief er in Todesangst – »denken Sie, daß der Hamlet beginnen soll und daß ich keinen Hamlet habe – die ganze Vorstellung ist ruinirt!«

»Aber was geht das mich an? Ich tanze nur in den Zwischenacten...«

»Aber, zuckersüße Terpsichore,« rief Krüger mit einem Gesicht, als ob er sie hätte vergiften können, »sehen Sie denn nicht ein, daß wir ohne Hamlet auch keine Zwischenacte haben können? Das Stück ist ja aus, ehe es angefangen hat, und ich muß hinaus und das Publikum bitten, mir die Ehre an einem andern Abend zu schenken!«

»Keine Zwischenacte?«

»Natürlich nicht.«

»Und dann könnte ich gar nicht tanzen?«

»Der Erbprinz verläßt augenblicklich seine Loge, sowie er hört, daß das Stück gar nicht gegeben werden kann. Benutzen Sie also doch wenigstens diesen einen möglichen Moment, sich ihm zu zeigen, daß er Ihre Kunst bewundern kann.«

Das half. – »Also Sie glauben, daß der Hamlet wirklich heut Abend gar nicht sein kann?« fragte sie rasch.

»Ohne Prinzen von Dänemark? Ich kann ihn nicht spielen.«

»Gut, dann werde ich tanzen – rasch, Toni, meine Schuh', und hier die Blume noch ein wenig fester, sie schwankt zu sehr – ich werde Angst haben, Herr Director!«

»Angst? Ich habe Angst,« sagte der unglückliche Mann – »Sie werden mit Jubel empfangen werden und den alleinigen Triumph des ganzen Abends ernten – tausend, tausend Dank, mein bestes Fräulein!« und sich den Schweiß von der Stirn trocknend, stürzte er wieder hinaus auf das Theater.

»Ist er noch nicht da?«

»Herr Director,« sagte der Requisiteur, der aber auch Mitglied war und heute den Rosenkranz spielte, »ich glaube, Herr Handor kommt heute gar nicht. Ich habe in seinem Hause nachfragen lassen und dort erfahren, daß er heute Nachmittag einen kleinen Koffer weggeschickt habe – aber Niemand wußte, wohin.«

»Dann kann's nichts helfen, dann müssen wir zum Äußersten schreiten!« rief der Director, in dem plötzlich ein großer Entschluß gereift war – »Peters, springen Sie zu Meier hinüber – er soll augenblicklich kommen!«

»Er hat sich aber heute krank melden lassen...«

»Und wenn er auf dem Todtenbett läge, er muß spielen – und, halt – noch Eins – bringen Sie nebenan aus der Blumenhandlung einen Arm voll Kränze mit!«

»Kränze?«

»Kränze und Bouquets – was vorräthig ist – für die Direction, rasch; in zehn Minuten müssen Sie wieder da sein!«

Peters fuhr ab wie aus einer Pistole geschossen, denn heute war mit dem Director nicht zu spaßen.

»Herr Hilgen!«

»Sie befehlen, Herr Director...«

»Sie müssen heut Abend den Hamlet spielen.«

»Ich bitte Sie um Gottes willen!« rief der Mann erschreckt – »den Hamlet? – Dann verlangen Sie vielleicht auch, daß ich im Theater herumfliegen oder die Violine spielen soll?«

»Sie haben mir selber gesagt, Sie hätten ihn schon gespielt...«

»Ja, vor sieben oder acht Jahren – aber seit ich hier engagirt bin, hab' ich ihn nicht mehr angesehen. Ich weiß kein Wort mehr von der Rolle.«

»Sie können noch rasch in den Zwischenacten memoriren.«

»Ich bitte Sie um Alles in der Welt: Sie wissen, daß ich Ihnen gefällig bin, wo ich nur irgend kann, aber verlangen Sie nicht das Unmögliche – ich würde mich und Sie blamiren!«

»Aber Einer muß ihn spielen!« schrie der Director mit trotzdem vorsichtig gedämpfter Stimme, daß man ihn nicht unten hören konnte, denn das Orchester setzte gerade zu einem Adagio ein.

»Ich hätte nicht einmal Garderobe,« sagte Hilgen; »denn mit meiner kleinen, dicken Figur werden Sie doch einsehen, daß mir Herrn Handor's Anzug nicht paßte. Wollen Sie die ganze Geschichte lächerlich machen?«

Der Director lief in halber Verzweiflung mit nach unten gerungenen Händen auf der Bühne auf und ab.

Rebe als Güldenstern stand mit auf der Bühne – er hatte die Unterhaltung mit angehört. Jetzt trat er zu dem Director vor und sagte: »Herr Director!«

»Ja – Herr Rebe – nun, sind Sie vielleicht auch krank geworden?«

»Im Gegentheil,« lächelte Rebe, der aber in einer ungewöhnlichen Aufregung schien und unter der Schminke fast unheimlich aussah – »vielleicht kann ich Ihnen helfen.«

»Sie? – Mit was, wenn ich fragen darf.«

»Ich will den Hamlet übernehmen...«

»Sie?« rief der Director fast sprachlos vor Staunen.

»Ich kenne jedes Wort der Rolle und könnte ihn ohne Souffleur spielen.«

»Aber um des Himmels willen, Menschenkind!« rief der Director – »Sie haben bis jetzt nichts als kleine, erbärmliche Rollen gehabt, und das Publikum...«

»Das war nicht meine Schuld, Herr Director, und zum Theil auch nicht Ihre, sondern eher Herrn Handor's, der mich nicht leiden kann und mit Gewalt unterdrücken will. Hätten Sie mir schon früher dazu Gelegenheit gegeben,so würden Sie vielleicht gefunden haben, daß ich doch zu etwas Besserem zu gebrauchen bin – also wagen Sie es...«

»Aber gleich mit dem Hamlet...«

»Wenn ich mich blamire, geschieht das auf meine eigene Gefahr,« sagte Rebe ruhig – »Sie sind, durch die Noth gezwungen, vollkommen entschuldigt, und dem Publikum können Sie vor Aufgang des Vorhanges mittheilen, daß wegen Ausbleibens des Herrn Handor ein anderes der Mitglieder die Rolle hätte rasch übernehmen müssen. Am besten nennen Sie meinen Namen gar nicht.«

Der Director konnte sich von seinem Staunen noch immer nicht erholen. Hier bot sich allerdings eine Aussicht auf Rettung aus der größten Noth, in der er sich in seinem ganzen Leben befunden; aber war es wirklich eine Rettung und steigerte sich nicht am Ende noch die Blamage dadurch, wenn sein Hamlet ausgepfiffen wurde? Lieber ehrenvoll sterben, als sich lächerlich machen! – Aber Rebe stand so entschlossen vor ihm, er schien seiner Sache so gewiß – Rebe – Rebe, dem er eigentlich kaum gewagt hatte die kleine, erbärmliche Rolle des Güldenstern anzuvertrauen, den Hamlet – seinen Hamlet! Aber was blieb ihm übrig? – er hatte keine Wahl mehr, und wenn Peters gekommen wäre und sich erboten hätte, den Hamlet oder die Ophelia zu spielen, es wäre ihm am Ende nicht wunderbarer oder außerordentlicher vorgekommen, und er hätte zugegriffen.

»Mensch, und wissen Sie, was Sie unternehmen? Vor dem Erbprinzen?« rief er aus.

»Ich fürchte mich weniger vor dem Erbprinzen, als vor mir selber,« lächelte Rebe, »aber ich weiß, daß ich den Hamlet spielen kann.«

»Na, dann in Gottes Namen!« rief Krüger – »Unglück, hab' deinen Lauf! – Courage scheinen Sie zu besitzen, aber wenn das gut geht, will ich's loben!«

»Und darf ich Herrn Handor's Garderobe nehmen?«

»Alles, was Sie finden – Alles – ich übernehme jede Verantwortung! Machen Sie nur um des Himmels willen rasch!«

Rebe antwortete gar nicht – er flog der Garderobe zu.

»Und ist das Vorspiel zu meinem Auftreten, Herr Director?« sagte die reizende Bellachini, die jetzt neben ihm, in vollem Costüm, die Dehnbarkeit ihrer Tricots prüfte – »das klingt genau so, als ob eine Leiche zu Grabe getragen würde.«

»Herr Gott, an den verdammten Trauermarsch hab' ich gar nicht gedacht!« rief Krüger – »Sulzer, springen Sie doch einmal hinunter...«

»Als König?«

»Ja so – schicken Sie Jemanden, daß sie einen Rutscher oder Galopp oder Polka – zum Teufel, es ist mir Alles einerlei! – hintennach schicken – der Rebe spielt den Hamlet.«

»Rebe?« rief Sulzer und blieb vor Schrecken stehen.

»Daß mir nur Jemand zum Kapellmeister springt – rasch – Herr Du meine Güte, sie sind ja schon fertig unten!«

Die Musik hatte aufgehört; oben auf der Gallerie wurden sie schon unruhig, denn die erste Neugierde war befriedigt, der junge Erbprinz begafft worden, und nun wollten sie etwas für ihr Geld haben; den Vorhang selber kannten sie schon auswendig.

An dem einen Loche im Vorhang stand Pfeffer und betrachtete sich das Publikum. »Donnerwetter,« sagte er zu dem neben ihm stehenden Barthel, der den Geist spielte und sich völlig aschgrau gemalt hatte, »heute wird's voll! Was so ein Prinz ziehen kann – den werde ich mir zu meinem Benefiz engagiren. Aber auf dem ersten Rang sieht's noch bös aus; da geht noch verdammt viel Luft durch.«

»Heute ist ja ein großes Fest bei Monfords draußen,« sagte der Geist, »von ich weiß nicht wie viel Personen, und alle aus der haute volée. So viel Derartige haben wir nicht, daß wir sie im Theater nicht spüren sollten. Was hat denn der Rebe mit dem Director?«

»Was weiß ich,« meinte Pfeffer, »wird wahrscheinlich den Hamlet spielen wollen.«

»Na, so gut wie der Handor, glaub' ich, spielt er ihn auch...«

»Wißt Ihr's schon? Rebe spielt den Hamlet,« zischelte in diesem Augenblick Höfken, der den Polonius gab, indem er Pfeffer an der Schulter faßte.

»Der Teufel wird ihn doch nicht plagen!« rief dieser, ordentlich erschreckt.

»Bei Gott, da stürzt er schon nach der Garderobe!«

In dem Augenblick kam, während unten im Orchester, sehr zum Erstaunen des Publikums, ein lustiger Tanz gespielt wurde, Peters hinter den Coulissen mit einem ganzen Arm voll Blumen und Kränzen vorgestürzt.

»Meine Herren, Bühne frei!« rief der Regisseur – »der Vorhang geht auf!« – Alles stob rasch auf die Seite und hinter die Coulissen.

Mauser saß unten im Souffleurkasten und wußte von alledem, was oben auf dem Theater vorging, gar nichts, war aber sehr erstaunt, als auf einmal Fräulein Bellachini herausschwebte und mit unbeschreiblicher Grazie ihre zarten Glieder nach seinem Kasten hinüberwarf. Aber Krüger, der Director, ohne dieser ersten Größe auch nur einen Blick zu schenken, hatte den Theaterdiener an einem Knopf gefaßt, und ihn mit sich nach dem Conversationszimmer ziehend, fragte er hastig:

»Nun, wie ist's, kommt der Meier?«

»Er wollte erst nicht und meinte, er hätte ein Attest eingeschickt, Herr Director, und die Nachtluft thäte ihm weh, und im Beine zwickte es ihn auch; aber ich ließ nicht locker, und wie ich fortstürzte, zog er sich gerade die Stiebeln an.«

»Gut – vortrefflich!«

»Und wo soll ich jetzt mit der Bescheerung hin?«

»Die Kränze und Bouquets tragen Sie in den zweiten Rang zum Logenschließer hinauf – irgend Jemand soll sie werfen, wenn die Dings da fertig ist; wenn er Niemanden findet, soll er sie selber werfen, aber nicht wieder in's Orchester und auf den Baß, wie neulich...«

»Schön, Herr Director...«

»Halt, noch Eins, Peters, sowie Sie das Blumenzeug untergebracht haben, springen Sie hinunter in's Parterre, und sobald der Vorhang fällt, schreien Sie da capo

»Ich?«

»Sie und wen Sie dazu bringen können. Links hinten steht ein ganzer Haufen Freibillets, die Kerle sollen alle da capo schreien, was sie schreien können, oder kein einziger bekommt wieder frei Entrée! Nehmen Sie mit hinein, wen Sie draußen finden! Sagen Sie dem Logenschließer nur, ich hätte Sie beauftragt! Aber da capo brüllen, was Sie können. Sie muß noch einmal springen, daß mir der Rebe fertig wird.«

»Der Rebe?«

»Er spielt den Hamlet.«

»Daß Dich die Milz sticht!« rief Peters – »der Rebe?...«

»Fort mit Ihnen, fort! Wenn die da fertig mit Hopsen ist, ehe Sie unten im Parterre sind, ziehe ich Ihnen eine halbe Monatsgage ab.«

»Dös a noch!« sagte Peters, indem er seinen Blumenflor aufpackte und wie ein Pfeil damit dem Ausgang zuschoß. Dabei murmelte er: »Ob er mir nur je im Leben damit gedroht hätte, er wollte mir eine halbe Monatsgage zulegen – Gott bewahre! Nicht einmal ein Paar neue Stiebeln setzt's, und die hab' ich mir schon heute durchgelaufen! 's doch 'was Schönes um's Theater, besonders wenn man nur die Laufereien zu besorgen hat und Allerwelts-Packträger ist – Blumenwerfen, da capo-Schreien – es ist erstaunlich, was nicht Alles von einem Theaterdiener verlangt wird! Und der Rebe den Hamlet!« setzte er hinzu, indem er die jetzt vollkommen leeren Treppen bis zum zweiten Rang emporflog – »da werd' ich nachher wohl auch noch zu der Hökerin hinüber und einen Korb voll fauler Äpfel zum Einkaufspreis besorgen müssen.«

Peters war übrigens ein durchaus brauchbarer Mensch in jeder Branche und entledigte sich seines Auftrages vollkommen. Während er da oben noch Ordre gegeben hatte, auch von dort aus einen energischen da capo-Ruf erschallen zu lassen, wofür sogar der Logenschließer gewonnen worden, stürzte er hinunter in's Parterre, um die nöthigen Hülfstruppen zusammen zu bringen.

Das Publikum indessen, das zum Anfang eine ernste Tragödie erwartet hatte, war im Beginn des Tanzes überrascht und verhielt sich ziemlich passiv, trotzdem daß die junge Dame einige ganz verzweifelte Sprünge ausführte und eine Fertigkeit im Drehen und Beinwerfen entwickelte, die in Haßburg in dieser Gewandtheit noch nicht gesehen worden. Noch immer hatte sich aber keine Hand gerührt, bis endlich der Erbprinz selber, wenn auch kaum durch das Zusammenklopfen seiner Fingerspitzen, ein wenigstens sichtbares Zeichen der Zufriedenheit gab. Jetzt legte sich das Parterre in's Geschirr, das auf diesen Anfang nur gewartet zu haben schien, und Fräulein Bellachini warf einen halb schmachtenden, halb dankenden Blick nach der Hofloge hinauf.

Krüger sah von alledem nichts, denn eben hatte er den eintreffenden Meier erspäht, den er mit ungeduldigen Geberden in's Conversationszimmer winkte.

Meier sah wirklich kläglich aus; er trug, trotz der warmen Witterung, einen alten, sehr abgenutzten und an den Ärmeln sogar beschädigten Flausrock. Dabei hatte er sich den Backen mit einem dicken weißen Tuch verbunden, in dem sogar möglicher Weise noch ein Umschlag lag, und um vielleicht seinen Zustand noch etwas bedenklicher darzustellen, hielt er sich sogar den Backen, als er zu seinem Vorgesetzten in das Conversationszimmer trat.

Dieser aber schien auf seine Verfassung nicht die mindeste Rücksicht zu nehmen, und kaum hatte er ihn im Zimmer, so rief er ihn an:

»Meier, das ist ein Glück, daß Sie zu Hause waren – Sie müssen heut Abend den Güldenstern spielen!«

»Nicht um eine Million!« rief Meier tragisch.

»Ich gebe Ihnen zehn Thaler Spielhonorar!«

»Baar oder Abzug vom Vorschuß?«

»Baar – in die Hand – heut Abend noch!«

»Es geht nicht, Herr Director – ich kenne die Rolle gar nicht...«

»Die paar Worte lernen Sie im ersten Acte – Sie kommen erst im zweiten vor, und werden nachher gleich in England umgebracht.«

»Da bringen Sie mich lieber gleich um – mit den Zahnschmerzen kann ich nicht Komödie spielen.«

»Ich lasse Ihnen den Zahn ausreißen...«

»Danke Ihnen, das kann ich selber, und in der Rolle steht doch wahrhaftig nicht, daß der Güldenstern einen dicken Backen hatt.«

»Es ist ein Hofmann – warum soll ein Hofmann nicht eben so gut einen dicken Backen haben, wie ein anderer Mensch?« rief der Director.

»Aber der Rebe spielt ja den Güldenstern – was ist denn mit dem los?«

»Der Rebe spielt den Hamlet – Handor ist fort, Gott weiß wohin, hat sich wenigstens heut Abend nicht sehen lassen...«

»Der Rebe spielt den Hamlet?«

»Schreien Sie nicht so, man hört ja jedes Wort draußen – und wenn der die Rolle übernommen hat, werden Sie doch wahrhaftig die paar Worte sprechen können!«

»Jetzt bitt' ich aber zu grüßen, Rebe den Hamlet, da wird Mauser wohl als Geist debutiren.«

»Also Sie spielen?«

»Aber, bester Herr Director, der Rheumatismus ist mir in das Kreuz geschlagen und ich kann das linke Hinterbein nicht mit fortbringen; ich hinke wie ein Invalide.«

»Es steht nirgends in der Rolle, daß Güldenstern nicht hinkt; hinken Sie in Gottes Namen, aber machen Sie, daß Sie in die Garderobe kommen und sich anziehen.«

»Na, das wird gut gehen, aber ich habe noch nicht einmal meine Rolle, und da fällt der Vorhang schon wieder.«

»Rebe hat sie, in Handor's Garderobe, lieber, bester Meier. Zehn Thaler baar! so viel Spielhonorar haben Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht gehabt!«

»Das weiß Gott! Na, meinetwegen;« stöhnte Meier, »wenn es denn einmal auf meinen Ruin abgesehen ist, mir kann's recht sein!« Und mit dem Kopf schüttelnd, begab sich der unglückliche, frisch geworbene Güldenstern nach hinten und brummte unverständliche Verwünschungen über das verdammte »Mimen« in den Bart.

Und draußen wirkte Peters.

Kaum war der Vorhang gefallen, als ein Paar riesige Hände zusammenschlugen und eine scharfe Stimme da capo! brüllte, Andere stimmten bei, und das Parterre, leicht geneigt, einem solchen Beispiel zu folgen, fiel endlich, wenn auch nicht gleich in Übereinstimmung, in den Beifall ein. Auch auf der rechten Seite des zweiten Ranges wurde der Ruf da capo laut, aber noch vereinzelt und von einer ganz unsichtbaren Stimme; aber der Vorhang zögerte noch wieder aufzugehen, und nun wurde das Publikum ungeduldig.

»Bellachini 'raus, Bellachini 'raus!« schrieen Einzelne – »da capo!« tönte der Ruf wieder, »da capo!« ging das Echo von da und dort, und als der Vorhang jetzt rasch in die Höhe rollte und das junge, reizende Mädchen mit einem wilden Sprung noch einmal auf der Bühne erschien, brach der Beifall stürmisch aus.

»Musik, Musik!« schrie der Director, der selber hinunter an die Orchesterthür gelaufen war – »noch einmal anfangen – rasch!«

Alle Musici wiederholten die Worte – der Kapellmeister sah sich nach der Thür um und bemerkte das erhitzte Gesicht seines Directors, der Tactstock hob sich, und die Tänzerin, von der Musik überhaupt hingerissen, begann noch einmal, während es jetzt von oben Kränze und Bouquets ordentlich niederregnete.

Krüger aber brach im Conversationszimmer auf dem Sopha zusammen und stöhnte:

»Und wenn ich so alt würde wie Methusalem, an den Abend will ich denken!«

19.
Der Verlobungsabend.

Und wo war Handor indessen?

Er hatte den Nachmittag dieses Tages in fieberhafter Unruhe und Ungeduld verbracht, denn er stand an einem Wendepunkt seines Lebens, und die nächsten Stunden mußten entscheiden, ob es zum Guten oder zum Bösen neigen würde.

Liebte er Paula wirklich und aufrichtig? Er hatte an sein eigenes Herz noch nie die Frage ernst gestellt, denn er wußte, daß es keiner solchen Neigung fähig sei. Er liebte nur sich selbst; nur sein eigener Ehrgeiz, sein eigenes Wohlbefinden stachelte ihn an, und das liebliche Grafenkind mit einer halben Million im Hintergrunde reizte natürlich seine Begierden. Er merkte bald, daß er einen Eindruck auf sie gemacht; die Aufstellung eines Liebhabertheaters bot ihm erwünschte Gelegenheit, ihr in einer Weise zu nahen, die ihm unter anderen Verhältnissen unmöglich gewesen wäre, und Paula, überhaupt sinniger und schwärmerischer Natur, glaubte in ihm das Ideal ihres Lebens gefunden zu haben.

Daß er an Rang, Vermögen und Bildung tief unter ihr stand, achtete oder sah sie nicht; die Klagen des routinirten Liebhabers rührten ihr Herz und machten ihr Mitleid mit seinen erheuchelten Leiden rege. Die übermäßige und unvernünftige Strenge dabei, mit der sie von einer hartgesottenen Gouvernante bewacht wurde, reizte sie zum Widerstande, und sie vergaß sich zuletzt so weit, dem Geliebten heimlich Zusammenkünfte zu gestatten.

Sie allerdings sah darin nichts Arges; ihr Herz hatte sich ihm so rein und voll hingegeben, so gut und lieb und brav erschien er ihr in allen Stücken, daß sie ihm auch mit ihrer Liebe ihre Ehre anvertraute und selig träumend Monden lang an einem Abgrund stand.

So verschlossen aber ihr dabei sein wahres und inneres Gemüth geblieben, so vollkommen hatte ihr Handor in das, keines falschen Gedankens fähige Herz gesehen und bald gefunden, daß sie an ihm mit der ganzen Kraft ihrer Seele hange. Er war ihre erste heilige Liebe; sie fühlte das Bedürfniß einer Brust, in die sie die Gefühle der ihrigen ausgoß, sie fühlte das Bedürfniß, zu lieben und zu vertrauen, und da ihre eigene Mutter wohl stets freundlich, aber nie, nie herzlich mit ihr war, ihr nie gestattete, ihr so zu nahen, wie ein Kind der Mutter nahen soll, und besonders alle Gemüthsbewegungen als mit ihren Nerven nicht verträglich auf das Sorgfältigste mied und von sich hielt, wuchs diese Liebe Paula's zu dem einzigen Wesen, dem sie sich ganz und ungetheilt hingeben konnte, endlich zu einer Leidenschaft an, die sie selbst erschreckt haben müßte, wenn sie sich je derselben klar geworden wäre.

Handor benutzte das mit kalter Berechnung. Er wußte recht gut, daß der stolze Graf nie seine Einwilligung zu der Verbindung seiner einzigen Tochter mit einem bürgerlichen, pfenniglosen Schauspieler geben würde, so lange er nicht mußte, aber er zweifelte auch keinen Augenblick, daß er sich endlich, dazu gezwungen, fügen und sein Kind nicht verstoßen oder ihm doch jedenfalls eine Summe zur Verfügung stellen würde, die dem Rang der jungen Gräfin entsprechend war – und mehr verlangte er nicht. Damit hatte er Alles erreicht, was er wollte, und dahin arbeitete er jetzt.

In Haßburg konnte er sich doch nicht länger halten. Seine Schulden waren zu einer Höhe angewachsen, die selbst des Versuches spottete, sie zu decken, und die Geduld seiner Gläubiger hatte sich erschöpft. Der nächste Monat schon konnte deshalb eine Katastrophe herbeiführen, die Alles vernichtete, was er bis dahin aufgebaut, und so scheu er den entscheidenden Schritt bis jetzt noch immer hinausgeschoben, so wurde er selber nun dazu gedrängt.

Der Erste des Monats nahte, für den er die volle Gage theils schon verschleudert hatte, theils noch in der Tasche trug; Rebe hatte ihm schon seinen Secundanten geschickt, er konnte ihm nicht ausweichen, die Verlobung kam dazu, und Paula hatte ihm gesagt, daß Vater und Mutter ganz im Stillen ihre Vorbereitungen träfen, um gleich am andern Morgen Haßburg auf längere Zeit mit ihr zu verlassen. Da erhielt er noch von Paula durch die Post einen Brief, den sie der Terrasse nicht hatte anvertrauen mögen, und er erhielt die wenigen, inhaltschweren Worte:

»Wir müssen fliehen. Das Schrecklichste ist geschehen – ich bin elend mein ganzes Leben. Sei heute Abend vor neun Uhr mit einem Wagen am Drahtthor des Parks. Jetzt auf ewig die Deine.«

Und heute Abend »Hamlet«! Handor lachte bitter vor sich hin, doch sein Director machte ihm wenig Sorge. Mit dem Brief war aber die Entscheidung seines eigenen Geschickes unmittelbar in seine Hand gelegt, und es blieb ihm keine Wahl mehr.

Den Brief verbrannte er augenblicklich, dann ging er wohl eine halbe Stunde mit raschen Schritten in seinem Zimmer auf und ab. Das Ob kam nicht mehr in Frage, nur das Wie, und darüber brütete er jetzt. Daß er ein Wesen elend gemacht, zu dem er wie zu einer Heiligen hätte aufschauen sollen, trübte nicht einen seiner Gedanken. Sie war jetzt sein, und nur mit Umsicht mußten die Schritte geschehen, eine Vereitelung ihrer Flucht zu vermeiden, und dann, wenn er sich in Sicherheit wußte, den alten Starrkopf von Vater zu beugen – oder zu brechen – es galt ihm ziemlich gleich. – –

Der Abend dämmerte; im Schloß des Grafen Monford waren alle nöthigen Vorbereitungen getroffen, und die Gäste konnten jetzt jeden Augenblick eintreffen. Die Gräfin selber stand schon fertig angezogen unten im Empfangssaal, von dem aus links eine Reihe prachtvoller Zimmer lag, deren Flügelthüren alle weit offen standen, während sich rechts der große Salon befand, in dem gewöhnlich gespeist wurde.

Paula war noch nicht da, und ihre Mutter ging ein paar Mal auf und ab. Endlich betrat Mademoiselle Beautemps das Zimmer.

»Ist meine Tochter noch nicht fertig?«

»Ich bedauere, Ihnen nichts Bestimmtes darüber sagen zu können, Frau Gräfin,« bemerkte die Französin achselzuckend; »die Comtesse hat sich so vollständig von mir losgesagt, daß ich nicht einmal mehr ihr Boudoir betreten darf. Ich hatte mir auch vorgenommen, Sie zu bitten, mich, obgleich meine Verpflichtung eigentlich noch einige Monate länger dauert, schon morgen zu entlassen, da ich sehe, daß ich hier nicht allein vollkommen nutzlos, sondern auch ein – Gegenstand steigender Unzufriedenheit bin. Sie werden selber begreifen, daß unter solchen Verhältnissen meine Stellung keine angenehme sein kann.«

»Liebe Beautemps, Sie sehen die Sachen mit zu schwarzen Farben.«

»Ich sehe sie leider, wie sie wirklich sind, und die gnädige Gräfin würden mich – und ich glaube, auch die Comtesse – sehr verpflichten, wenn Sie meiner Bitte Gehör schenken wollten.«

»Nun gut, ich werde mit dem Grafen Monford darüber sprechen.«

»Dann erlauben Sie mir noch, Frau Gräfin, Sie auf eine Entdeckung aufmerksam zu machen, zu der mich heute der Zufall brachte; sie betrifft die Comtesse.«

»Eine Entdeckung?«

»Als ich heute Morgen die Comtesse auf der Terrasse suchte, überraschte ich sie, wie sie einen kleinen, rosafarbenen Brief las. Sie erschrak, als sie mich hörte, und drückte das Papier so fest in der Hand zusammen, daß ich es nicht wieder zu sehen bekam.«

»Und was glauben Sie, daß es war?«

»Was es war? Ein Liebesbrief, sans doute

»Und von wem? Doch jedenfalls von ihrem Verlobten?«

»Weshalb dann das Geheimnißvolle gegen mich? Warum erschrak sie, wenn sie ein reines Gewissen hatte?«

»Das ist nicht möglich!« rief die Gräfin rasch.

»Nicht möglich?« sagte achselzuckend die Gouvernante; »glauben Sie mir, Frau Gräfin, Sie wissen noch gar nicht, was bei einem so jungen, unerfahrenen Mädchen unmöglich ist. Ich kenne das, und so lange ich die Aufsicht über die Comtesse und die Überwachung der jungen Dame in meinen Händen hatte, konnte ich Ihnen für Alles, was geschah, gut stehen. Da mich aber der Herr Graf durch einen Machtspruch derselben enthoben, darf ich auch nicht mehr für die Folgen verantwortlich gemacht werden.«

Die Gräfin hatte still und schweigend vor sich niedergesehen. Die Französin wollte morgen ihr Haus verlassen, und sie wußte, daß sie auf deren Verschwiegenheit in einer so zarten Sache, die ihre Familie betraf, nicht rechnen konnte. Es mußte deshalb auf dieser Seite jeder Verdacht zerstört werden, und sie sagte jetzt, die Gouvernante forschend ansehend:

»Ein grünfarbiges Papier hatte sie in der Hand?«

»Nein, Frau Gräfin, ein rosafarbenes, ich habe es deutlich erkannt.«

»Rosafarben? Dann, liebe Beautemps,« lächelte die Gräfin, »war es der nämliche Zettel, den ich ihr heute Morgen gegeben und der weiter nichts enthielt, als das Verzeichniß einiger Sachen, die wir zu unserer in nächster Zeit beabsichtigten Reise mitnehmen wollten. Ich habe es Paula aufgeschrieben, damit nicht immer etwas vergessen wird.«

»Gnädige Gräfin, das Papier sah nicht aus wie ein Verzeichniß,« rief die Gouvernante, die sich an ihren Verdacht klammerte.

»Es war auf meinem Rosabriefpapier geschrieben.«

»Es sah dunkler aus.«

»Wollen Sie eine Schattirung draußen im Freien und in einem solchen Moment erkennen?« lächelte die Gräfin. »Nein, liebe Beautemps, dieses Mal haben Sie einen falschen Verdacht, denn ich gab es Paula ein paar Minuten vorher, ehe ich fortfuhr, und sie wird es dort gelesen haben. Übrigens danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, und ich würde selber auf Paula strenge Obacht haben, wenn nicht mit dem heutigen Abend ein jeder solcher Verdacht von selber aufhören müßte. Sie werden begreifen, daß man ihn nachher nicht einmal mehr äußern dürfte, ohne das Kind aus das Tödtlichste zu beleidigen.«

»Aber, Frau Gräfin,« rief die Französin, »ich kenne Beispiele, wo nach der Verlobung, ja, sogar nach der Trauung...«

»Lassen wir das,« wehrte die Gräfin ab, der das Gespräch unangenehm wurde; »hier mit Paula haben Sie sich geirrt, und ich werde, um Sie selber zu überzeugen, mir nachher den Zettel von ihr geben lassen.«

»Wie die Frau Gräfin befehlen,« sagte die Gouvernante kalt, aber höflich, und ordnete die Lichter auf den verschiedenen Tischen, wegen deren sie hereingekommen war.

Und Paula kam noch immer nicht. Die Gräfin stand einige Minuten ungeduldig in der offenen Thür, drehte sich dann um und schritt langsam in das nächste Zimmer hinein, von dem ein Ausgang zu Paula's Boudoir führte. Dort klopfte sie leise an, und Paula öffnete selber.

»Meine Mutter!« rief sie erstaunt.

»Bist Du fertig, mein Kind? Das ist recht; es wird auch in der That die höchste Zeit, denn es hat schon geschlagen und unsere Gäste müssen jeden Augenblick eintreffen. Aber Du siehst recht bleich aus, Paula; Du hättest wahrhaftig ein klein wenig rouge auflegen sollen.«

»Meine Mutter!« rief Paula und wollte sich in überströmendem Gefühl an ihre Brust werfen.

»Ma fille,« rief aber die Mutter, erschreckt zurücktretend, »Du zerdrückst mir den ganzen Kragen, ich bin ja in voller Toilette, Kind! Komm, komm, das geht nicht, diese Aufregung paßt nicht für einen Moment, wo man eben Gäste empfangen will. Und Thränen – um Gottes willen, Du wirst im Saal mit rothen Augen erscheinen, und was soll dann Dein Verlobter von Dir denken?«

Paula faßte ihr Herz mit der Hand, als ob es zerspringen wollte, – sie vermochte kein Wort darauf zu erwidern.

»Keine Aufregung heut Abend, liebes Kind,« fuhr die Mutter fort, indem sie den in der That schon etwas derangirten Kragen vor dem Spiegel wieder in Ordnung brachte; »morgen früh halten wir einen großen Familienrath, wir Beide zusammen, und da sollst Du mir Dein Herz ausschütten nach Herzenslust – ich bin schon in der That hinter ein paar von Deinen kleinen Geheimnissen gekommen; heute aber haben wir keine Zeit dazu.«

»Morgen, liebe Mutter, morgen? O Gott, was liegt Alles zwischen dieser kurzen Zeit!«

»Viel, in der That, mein Töchterchen: der erste entscheidende Schritt zu Deinem ganzen künftigen Lebensglück – geh ihn getrost, Du wirst es nie bereuen. – Aber da fährt wahrhaftig schon ein Wagen vor; rasch, Kind, die Thränen fort; bade die Augen ein wenig in kaltem Wasser, und bleib nicht lange, der Vater wird sonst böse!« Und mit den Worten rauschte sie mit ihrem schweren Stoffkleid aus dem Zimmer und in den Empfangssalon, um dort die zuerst eingetroffenen Gäste zu begrüßen.

Paula blieb, als die Mutter sie verlassen, mit gefalteten Händen, mit bleichem Antlitz in der Stube stehen. Endlich flüsterte sie leise:

»Und kein Mitleid, kein Gefühl für das eigene Kind – nicht einmal ausweinen an ihrem Herzen durfte ich meinen Gram! Oh, Mutter, Mutter, ahnst Du denn, wie furchtbar weh Du mir damit gethan? Aber nein, nein, sie kann nicht selber fühlen, was mir die Brust hier mit qualvoller Pein zerreißen will; ihr Gott ist der Ehrgeiz, dem selbst das eigene Kind geopfert werden soll – daß das selber einen Willen, ein Gefühl, ein Verlangen haben könnte, scheint ihr entweder nicht möglich oder ist so unbedeutend, daß es keine Beachtung verdient! So lebe wohl, Mutter! Wenn ich denn allein im Leben stehen soll, will ich mir auch die Bahn allein suchen! Gott schütze Euch und mich, aber Er weiß, ich kann nicht anders!«

Eine eigene, feste Entschlossenheit kam über das junge Mädchen, fast noch ein Kind. Ihr Auge blickte klarer, ihr Schritt wurde entschiedener, und rasch trat sie zum Waschtisch, badete ihre Augen in klarem Quellwasser, ordnete sich das Haar wieder ein wenig, festigte eine locker gewordene Blume in ihrem Schmuck und legte dann selber die kostbaren Brillanten um Nacken und Arme, die sie am letzten Weihnachten von ihrem Vater erhalten hatte. Das Alles nahm ihr auch nur wenige Minuten Zeit; rasch war sie damit fertig, und noch einen Blick in den durch zwei Girandolen erleuchteten Spiegel werfend, schritt sie in den Empfangssaal hinüber.

Der Mutterblick ruhte wohlgefällig auf ihr, als sie sah, in wie kurzer Zeit und wie vollkommen ihre Tochter alles Andere von sich abgeschüttelt, was ihr den heutigen Abend zu trüben drohte – ach, wenn sie hätte in ihr Herz sehen können!

Aber ein eigener unnatürlicher und starrer Trotz war über das sanfte, hingebende Kind gekommen: – der Entschluß, sich der Macht, die sie in Fesseln schlagen wollte, für Lebenszeit und gegen ihren Willen, nicht zu beugen, und nur ein einziges Mal schrak sie noch zusammen und fühlte, wie ihre Glieder zitterten. Es war der Moment, in dem der ihr bestimmte Bräutigam, Graf Bolten, den Saal betrat.

Und wie Glück und Freude strahlend sah Graf Bolten aus, als sein Blick ungeduldig im Saal umherflog, die ihm bestimmte Braut zu suchen, und sie jetzt erkannte! Wie rasch glitt er, nicht einmal die Eltern zuerst begrüßend, auf sie zu und flüsterte, ihre Hand ergreifend:

»Meine Paula, meine liebe, liebe Paula, wenn Sie wüßten, wie unaussprechlich glücklich mich der heutige Tag macht!«

»Sie sind sehr gütig, Herr Graf!« stammelte Paula, tief erröthend, denn dem Manne gegenüber war sie sich einer Schuld bewußt.

»Herr Graf? Wie kalt das klingt!« rief Hubert vorwurfsvoll. »Hab' ich mir noch keinen besseren Titel verdient, als die fremde, kalte Form? Seien Sie freundlich mit mir, Paula; mein ganzes Lebensglück liegt ja in Ihren Händen. Lassen Sie es mich mit einem Lächeln, nicht mit einem Trauerblick empfangen!«

»Lebensglück, Du großer Gott,« sagte Paula mit einem Seufzer, »wer von uns armen Sterblichen weiß, was die nächste Stunde für ihn birgt? Hoffen Sie auf kein Glück, Herr Graf; die Enttäuschung wäre zu furchtbar und schmerzlich nachher!«

»Hoffen dürfen wir, liebe Paula,« sagte Hubert herzlich, »es ist das schönste Vorrecht des Menschen und sein Trost und Stab. Lassen Sie mir immer die Hoffnung, die mir Ihr lieber Anblick frisch und warm in's Herz gießt – aber was Plaudern wir da,« brach er lachend ab, »so ernst und feierlich, als ob wir zu einem Begräbniß und nicht zu einer Verlobung gingen. – Da kommt auch die Mama, die wird böse, wenn sie nicht freundliche Gesichter sieht.«

Die Gräfin kam in der That heran, und Hubert sah sich für die nächste Zeit überhaupt von allen Seiten in Anspruch genommen, da das Geheimniß der Verlobung ja doch nur ein öffentliches war und alle Welt ihm ihre Glückwünsche darbringen wollte.

»Und wo steckt George? Ich habe ihn noch mit keinem Blick gesehen.«

»Vorhin,« sagte Hauptmann von Seydlitz, der neben Hubert stand, »fuhr er an mir vorbei, aber mit einem Gesicht wie eine Wetterwolke. Er sah mich gar nicht – weiß der liebe Gott, was er hat!«

»George?« fragte die Gräfin erstaunt. »Was kann der haben, das ihn verdrießlich machen dürfte? Er ist ja doch sonst immer das Leben selber; aber er hat heute Mancherlei zu thun. Ich werde mich einmal nach ihm umsehen.«

Sie traf George, als sie das nächste Zimmer betrat, in Verzweiflung, und er winkte seiner Mutter, ihm über den Gang zu folgen.

»Aber was hast Du nur? Weshalb kommst Du nicht zur Gesellschaft?«

»Zur Gesellschaft? und was ich habe? Heiland der Welt, und dabei wird es nicht für anständig gehalten, zu fluchen!«

»Aber, George!«

»Denke Dir nur, dieses alte, verwünschte Burgfräulein, die genau so aussieht, als ob sie dreieckig geschnitten und dann aufgeklebt wäre, dieses Fräulein von Wünschel läßt mir vor einer halben Stunde absagen!«

»Das ist allerdings fatal!«

»Fatal? Göttlich! Das nennst Du fatal? Und ich bin mit meiner ganzen Geschichte, die mich die letzten acht Tage vollständig aufgerieben hat, heut Abend auch noch obendrein blamirt!«

»Und was willst Du jetzt thun?«

»Weiß ich's denn selber? Ich liege hier auf der Lauer, um irgend ein unglückliches, passendes Individuum abzufassen, das mir in den Weg läuft. Glücklicher Weise sind es nur ein paar Worte zu sprechen, aber es ist eine Hauptsache, die nicht wegbleiben kann.«

»Hast Du denn sonst Alle zusammen?«

»Rottacks fehlen noch; das wäre jetzt ein Hauptspaß, wenn die auch ausblieben – dann schösse ich mir eine Kugel über den Kopf weg...«

»Aber, George...!«

»Über den Kopf, Mama; ich würde außerordentlich vorsichtig zielen, daß ich kein Unglück anrichtete. – Aber, beim Himmel, da kommt Fräulein von Bazcow angefahren. Die entere ich, die thut mir auch den Gefallen!«

»Aber wir sind mit den Leuten erst so kurze Zeit bekannt!«

»Bah, zu Rottacks bin ich am nächsten Tag gegangen – da kommen auch Rottacks – Hurrah, nun bring' ich die Sache doch noch am Ende zu Stande!«

Und fort schoß er mit weiter nichts im Kopf, als der glücklichen Durchbringung seines Liebhabertheaters.

Rottacks fuhren in der That in dem Augenblick vor, und Helene sah bleich und erregt aus, hatte sie doch die stolze Gräfin seit jenem Abend nicht wieder gesehen, da diese den verschiedenen Proben nicht mehr beiwohnte und sie jetzt ein erneutes Begegnen ordentlich fürchtete. Aber es half nichts; der Verpflichtung gegen George konnten sie sich nicht entziehen. Er vor Allen war gerade immer so liebenswürdig und herzlich mit ihnen gewesen, und es hätte ihn zu sehr gekränkt; das durfte nicht sein. So mußten sie denn der Gesellschaft beiwohnen, und gerade die Gesellschaft schützte sie ja auch vor einem für beide Theile vielleicht peinlichen Zusammentreffen mit der Gräfin. In großen Gesellschaften wie in einer großen Stadt kann man, wenn man will, allein sein und sich von der übrigen Welt abschließen; in kleinen Cirkeln und Städten ist es unmöglich. In der Gesellschaft verdeckt die Form auch alles Andere, denn sie besteht nur aus vorgeschriebenen Bewegungen und Situationen, wie ein Schauspiel fast auf offener Bühne, wo sich die im gewöhnlichen Leben vielleicht feindseligsten Charaktere offen und herzlich in die Arme fallen. Auch in der Gesellschaft wird Haß und Liebe übertüncht, und nur die Höflichkeit und der gute Anstand regieren.

Helenens Befürchtung war deshalb auch ganz grundlos gewesen, denn an keinem andern Platz der Welt hätte sie nach der damaligen Scene besser mit ihrer Mutter wieder zusammentreffen können, als in diesem Kreise geputzter, fröhlicher Menschen. Und trotzdem schlug ihr das Herz ängstlich in der Brust, als sie den Saal betraten und die Gräfin auf sie zukam, um sie zu begrüßen. Aber die Gräfin war eine Weltdame; kein Zug ihres Antlitzes verrieth etwas Anderes, und durfte etwas Anderes verrathen, als Freude über das Erscheinen ihrer Gäste.

»Meine liebe Gräfin Rottack, wie ich mich freue, Sie wieder begrüßen zu können. Wir hatten solche Sorge neulich, als wir hörten, daß Sie sich unwohl fühlten! Herr Graf, Sie sind uns herzlich willkommen – hoffentlich hatte es mit Ihrer lieben jungen Frau weiter nichts zu sagen!«

»Migräne, gnädige Gräfin.«

»Ach ja, das alte, häßliche Leiden, ich kenne es; in unserer Familie ist es ordentlich epidemisch.«

»Auch Helene hat es geerbt,« sagte Graf Rottack ruhig. Aber die Gräfin erwiderte freundlich:

»Dann muß sich Ihre liebe Frau recht in Acht nehmen und in Geduld fassen, denn es verliert sich erst mit den Jahren. Und nun bitte, legen Sie ab, lieber Graf. George hat schon ein paar Mal nach Ihnen gefragt, er war selig, als er Sie kommen sah.«

»Er hat doch nicht etwa gefürchtet, daß wir ihn im Stich lassen würden?« sagte Felix.

»Er hat heute alle Hände voll zu thun,« lächelte die Gräfin, »und wirklich dabei das Unglaubliche geleistet, denn Paula ahnt noch gar nichts von der Überraschung – aber da kommt Paula, verrathen Sie sich nicht!«

Paula hatte die junge Gräfin gesehen und kam rasch auf sie zu; aber je mehr sie ihr nahte, desto mehr hemmte sie ihren Schritt, und wollte sie und ihren Gatten eben in der gewöhnlichen stummen und hergebrachten Form der vornehmen Welt begrüßen, als Helene auf sie zutrat, ihre beiden Hände ergriff und mit herzlicher Stimme sagte:

»Meine liebe Comtesse, wie freue ich mich, Sie wiederbegrüßen zu können!«

Die Worte klangen so gut, so lieb, so wahr – Paula traten, so sehr sie dagegen ankämpfte, die Thränen in die Augen, und unwillkürlich bog sie sich zu Helenen über, die einen leisen Kuß auf ihre Stirn drückte.

Die Mutter sah es, und freundlich sagte sie:

»Nehmen Sie sich der Kleinen ein wenig an, Frau Gräfin; sie macht ein viel traurigeres Gesicht heute, als es für den Tag paßt; sie ist mir auch immer zu viel allein und sinnt und grübelt; das taugt nicht für ein junges Mädchen. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, meine Pflichten als Hausfrau sind unerbittlich.«

»Wer ist denn dieser Graf Rottack eigentlich, und wo kommt er auf einmal her?« sagte ein alter Herr mit einem entschieden militärischen Anstrich, zu einem andern Herrn, der neben ihm stand und mit einem etwas verbissenen Gesicht bis jetzt die Gesellschaft betrachtet hatte, als ob er sich über jeden Einzelnen ärgere, daß er überhaupt auf der Welt wäre. »Wissen Sie es nicht, Herr Staatsrath?«

»Thut mir leid,« entgegnete der also Angeredete, »er war lange in Brasilien und hat sich auch seine Frau von dort mitgebracht.«

»Es ist ein reizendes Paar; wunderhübsches Frauchen.«

»Ja, passirt; er sieht mir aber eher wie ein Demokrat im Frack, als wie ein Graf aus, macht auch Besuche bei Schauspielern. Ich glaube nicht, daß viel dahinter ist. Apropos, Oberst, haben Sie denn schon diesen neuen Beitrag zu unserer chronique scandaleuse gehört mit dem Baron Beltine?«

»Mit Beltine? Nein. Da drüben steht er ja.«

»Ja, er ist wieder zurück. Vor acht Tagen machte er sich aber das kleine Vergnügen, eine Schneiderstochter von hier zu entführen. Die ganze Stadt war ja voll davon.«

»Ich habe kein Wort davon gehört; er ist ja aber verheirathet.«

»Eh bien, und was weiter – seine Frau fuhr indessen allein in's Theater.«

»Ach, das ist ja gar nicht möglich; das wäre ja eine Niederträchtigkeit und Graf Monford der Letzte, der ihn danach wieder einladen würde.«

»Lieber Oberst, Sie kennen die Welt noch nicht, obgleich Sie beinahe siebzig Jahre darin leben; der Baron ist außerordentlich reich.«

»Sind Sie auch mit ihm befreundet?«

»Befreundet,« sagte der Staatsrath, die Achseln zuckend; »mit wem ist man eigentlich in der Welt befreundet, und ich in meiner Stellung schon gar. Ich glaube nicht, daß es zwei Menschen in der Stadt giebt, die mich nicht hassen, aber merken Sie das Jemandem an, Oberst? Sie sind Alle die Höflichkeit selber, so lange sie mit mir verkehren, alles Andere geht mich nichts an, und wie sie hinter meinem Rücken schimpfen, was kümmert's mich? Ebenso halten es Andere. Der Baron kann mich auch nicht leiden, eingebildeter, fader Narr, der er ist; aber er und ich geben ausgezeichnete Dejeuners, und da brauchen wir einander.«

»Da kommt er gerade auf uns zu.«

»Ah, lieber Staatsrath! Herr Oberst, ich habe die Ehre!« »

»Mein bester Baron, wo haben Sie die ganze Woche gesteckt? Mir hat ordentlich etwas gefehlt, wenn ich Ihnen Morgens auf meinem gewöhnlichen Spaziergang nicht begegnete.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Staatsrath; ich war auf einige Tage in der Residenz, wohin mich Geschäfte riefen. Die gewöhnlichen Plackereien des Lebens.«

»Über die ich Sie erhaben glaubte.«

»Keiner von uns, Keiner von uns, lieber Staatsrath; aber wo ist eigentlich unser junges Pärchen?«

»Die Braut steht da drüben, sie sieht auffallend blaß und gedrückt aus; Comtesse Monford ist sehr zart.«

»In der That, in der That. Sie entschuldigen, lieber Staatsrath, ich habe der Comtesse noch nicht einmal meine Huldigung dargebracht.«

»Aber, meine liebe Paula, was ist Ihnen?« sagte Helene liebevoll, indem sie ihren Arm um die schlanke Taille des jungen Mädchens legte; »Sie sind so furchtbar aufgeregt.«

»Ach, wenn ich Ihnen Alles sagen könnte,« flüsterte Paula, »wenn ich Sie früher gekannt hätte; Vieles, Vieles wäre vielleicht anders, besser, als es jetzt ist!«

»Es ist selbst jetzt noch nicht zu spät,« sagte Helene herzlich, »und ich hoffe, wir sollen recht gute Freunde werden!«

»Zu spät, zu spät!« hauchte Paula leise, daß der Schall der Worte kaum zu Helenens Ohr drang.

»Das ist recht, meine liebe Frau Gräfin,« sagte in diesem Augenblicke Graf Monford's Stimme, und der Graf grüßte freundlich die junge Dame, »daß Sie mein kleines Töchterchen ein wenig aus ihrer Lethargie emporrütteln – das Köpfchen hoch, Paula, bist ja mein gutes Kind.«

»Mein lieber, lieber Vater!« rief Paula, leidenschaftlich des Vaters Hand ergreifend.

»Bst, Kind, bst,« sagte der alte Herr, »ich habe mir vorgenommen, heut Abend recht lustig und vergnügt zu sein, und da mußt Du mir helfen, denn Du hast auch alle Ursache dazu. Es ist ein merkwürdiges Kind, Frau Gräfin, so außerordentlich weich, gar nicht wie ihre Mutter, die einen viel festeren und entschiedeneren Charakter hat. Aber ein gehorsames Töchterchen ist es doch, das seinen Eltern große, unendlich große Freude macht, und auf das sie wohl mit Recht stolz sein können.«

»Mein guter Vater!«

»Haben Sie nur Geduld mit ihr, Herr Graf,« sagte Helene; »es ist ja so natürlich, daß sie einer so gewaltigen Wendung ihres ganzen bisherigen Lebens nicht mit voller Ruhe und Sicherheit entgegengehen kann.«

»Ich habe auch Geduld mit ihr,« lächelte der Graf, »denn ich kenne meine Tochter, und sie wird mir noch einmal mit thränenden Augen danken –« und Paula freundlich zunickend und mit einer Verneigung gegen Helene schritt er zu dem andern Theil des Saales hinüber. – –

Unten in der Halle hatte der Haushofmeister eine Reihe von Bierfässern und Körbe voll Wein an die eine Wand reihen lassen, und nicht allein die Dienstleute des Gutes und die Forstbeamten und Holzhauer des benachbarten Waldes wurden dort frei gehalten, sondern wer von der Stadt heraufkam, erhielt, was er essen und trinken wollte, denn es sollte Keiner hungrig von der Schwelle gehen, auf der die Freude herrschte.

Das hatten sich denn auch eine Menge von Leuten zu Nutze gemacht, und der Platz hinter dem Schlosse, wohin sie sämmtlich gewiesen wurden, schwärmte von ihnen.

Auch der alte Maulwurfsfänger war mit heraufgekommen, aber er mischte sich nicht unter den Troß, ließ sich auch weder Getränk noch Speisen geben, und drückte sich eigentlich mehr in den Büschen herum, abseit von den Leuten. Es war fast, als ob er Jemanden suche oder erwarte.

Endlich kam der Förster den Weg herauf, seine Flinte wie immer auf dem Rücken, und blieb erst eine Weile da, wo der Weg auf den freien Platz ausmündete, stehen, um sich das fröhliche Treiben zu betrachten. Gefallen that's ihm nicht; ein ächter Jäger mag keinen Lärm leiden, ob er nun auf der Jagd ist oder nicht, denn immer an Ruhe und Stille gewöhnt, stört es ihn. Aber der Förster trank gern ein Glas Wein, und da sein Gehalt ihm nur Bier verstattete, und selbst das mäßig, war er doch auch einmal herüber in's Schloß gekommen, um mit seinem alten Freund, dem Haushofmeister, eine Flasche zu leeren. Der Holzhändler aus der Stadt und der Müller vom Bache gleich unter dem Forsthaus, wie der Schulmeister von Eslich, dem nächsten Dorf, hatten sich auch schon eingefunden und saßen in des Haushofmeisters Stübchen um den runden Tisch am Fenster, während sein eigener, besonders zu dem Zweck herüber bestellter Forstgehülfe nicht weit davon beschäftigt war, ein paar kleine Böller in Ordnung zu bringen, die gelöst werden sollten, wenn drinnen im Saal zuerst die Gesundheit des Brautpaars ausgebracht wurde.

Eben kam auch die Militärmusik vom nächsten Ort auf einem Leiterwagen angefahren, denn die hiesige hatte nicht abkommen können, da sie gleich nach dem Theater nothwendig zu dem beabsichtigten Fackelzug und einem Ständchen für den Erbprinzen gebraucht wurde.

Dem Maulwurfsfänger entging nichts von alledem. Seine kleinen grauen Augen blitzten nach allen Seiten, ohne daß irgend einer der hier Versammelten auch nur die geringste Acht auf ihn gehabt hätte; die Wenigsten bemerkten ihn sogar, und die ihn bemerkten, fanden es natürlich und ganz in der Ordnung, daß er sich ebenfalls zu diesem Feste eingefunden; gehörte er doch mit zu den Arbeitern im Schlosse, in dessen Park er in jeder Woche ein paar Mal zu finden war.

Der alte Bursche betheiligte sich aber nicht an dem Trinken. Wohl eine halbe Stunde lang, als der Förster schon längst in der Stube war, stand er noch halb versteckt in dem Gebüsch an einen Baum gelehnt. Dann erst, als er sich vollständig überzeugt hatte, daß der Forstmann fest hinter seinem Tisch und seiner Flasche Wein saß, zog er sich vorsichtig in das Dickicht zurück und umging jetzt, immer durch das Buschwerk kriechend, das Schloß.

Einmal mußte er freilich noch eine ganze Weile warten, denn wie er den einen Weg kreuzen wollte, standen dort Leute aus dem Dorf und plauderten miteinander. Endlich – und wie lang ihm die Zeit dabei wurde – zogen sie sich ebenfalls zum Schlosse hin, und er glitt jetzt, immer die Büsche haltend und alle offenen Wege vermeidend, der nämlichen Gegend zu, in der ihn damals der Förster bei seiner nächtlichen Fasanenjagd entdeckt, wenn auch nicht erwischt hatte. Aber nicht zu den Fasanen zog ihn dieses Mal sein Trieb des Wilderns.

Der alte Förster war ein ganz ausgezeichneter Forstmann und es hätte kaum einen besseren für die Waldculturen geben können, aber er war kein Jäger, und das darf uns in unserer Zeit gar kein Wunder nehmen. – Allerdings hegte er das Wild, weil es ihm der Graf befohlen hatte, und er haßte und verfolgte alle Wilddiebe aus Leibeskräften, weil ihm das einmal in der Natur lag, daß er keinen Eingriff in seine Rechte dulden konnte. Aber eigentliche Liebe zum Wild hatte er nicht und konnte sie nicht haben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ihm schon seit vielleicht zwanzig Jahren verboten war, selber etwas zu schießen, was der Graf nur für ein Vorrecht der Cavaliere oder etwa eingeladener Gäste hielt.

Der Förster sollte den ganzen Tag in seinem Walde sein; er sollte abspüren und bestätigen, er sollte jeden Hirsch kennen, der auf den verschiedenen Revieren stand, jeden Rehbock sogar; aber der ächten Waidmannslust durfte er selber nie folgen.

In der Jagdzeit hatte der Graf immer eine Menge Gäste, zu deren Ehren Treibjagen veranstaltet oder die mit dem Förster oder einem der Forstgehülfen Bürschen geschickt wurden. Mußte aber Wild abgeschossen werden, so bekamen nie oder nur in höchst seltenen Fällen die Forstleute Auftrag dazu, sondern der junge Graf that es selber, oder lud sich ein paar von seinen Kameraden dazu ein, die dann vielleicht die nöthige Anzahl erlegten und noch außerdem drei oder vier andere Stück zu Holz schossen.

Im Anfange war der Förster außer sich darüber, zuletzt wurde er gleichgültig dagegen, und es dauerte nicht lange, so lag ihm die Forstcultur viel mehr am Herzen, als das Wild, ja, er fing an, sich zu ärgern, wenn der Wildstand zu sehr wuchs, da sie ihm in kalten Wintern seine Culturen schädigten.

Hirsche und Rehe, so weit war er schon gekommen, nannte er »das Viehzeug«, und wäre es dem Grafen einmal eingefallen, seinen ganzen Wildstand auszurotten, der alte Förster würde ihm mit Vergnügen dabei geholfen haben.

Solche Verhältnisse fanden übrigens nicht allein in Haßburg statt; sie sind ziemlich allgemein in ganz Deutschland geworden, und unsere Nachkommen dürfen sich nicht wundern, wenn sie in unserem Vaterland eben so vergebens nach einem wirklichen Jäger suchen werden, wie man jetzt bei uns noch nach einem Wolf, Luchs oder Bären sucht. Sie sind eben oder werden wenigstens ausgerottet.

Der alte Förster hatte, mit einem Wort, »keine Passion« für das edle Waidwerk; er züchtete das Wild, wie eine Hausfrau Hühner und Gänse züchtet, und deshalb war der alte Maulwurfsfänger ein so gefährlicher Kunde für sein Revier.

Dieser nämlich, durch seinen Beruf schon vollkommen berechtigt, überall im Park, in dem es einen sehr bedeutenden Damwildstand gab, umherzusuchen, um angeblich nach Maulwürfen und ihren Gängen zu forschen, hatte diese günstige Gelegenheit nicht unbenutzt verstreichen lassen und kannte alle Wechsel des überhaupt vollkommen vertrauten Wildes so genau, als ob er es hier seit seiner Jugendzeit beobachtet habe; aber das genügte ihm nicht allein.

Er wußte recht gut, daß er in dem umschlossenen und kleinen Park nicht schießen durfte, ohne im Augenblick die sämmtlichen Schloßbewohner auf seiner Fährte zu haben; an ein Wegschaffen irgend eines erlegten Stück Wildes wäre dann nicht zu denken gewesen. Der alte Bursche verstand aber mehr als Maulwürfe zu fangen, und mit dem Terrain erst einmal genau bekannt, hatte er auch bald seinen Plan entworfen.

Gleich hinter der Fasanerie lag ein schmales und langes Fichtendickicht, das den Park gewissermaßen gegen das daranstoßende Feld abschloß und absichtlich so dicht angesäet war, um besonders den jungen Fasanen genügenden Schutz gegen Raubvögel zu gewähren. Hier hindurch hatte sich das Damwild einen Wechsel angelegt, um zu dem Haferstück zu gelangen, und sobald der Maulwurfsfänger den ausspürte, legte er am äußersten Rand desselben auch noch eine Art von künstlicher Salzlecke an, indem er oben unter die Äste einer jenen Platz überragenden Eiche ein paar kleine Salzsäcke band. Bei Regen und nasser Witterung tropfte das aufgelöste Salz herunter, und das Wild hatte dann auch nach kaum drei Wochen den Platz schon aufgefunden und leckte dort ein tiefes Loch in den Boden, um den salzigen Geschmack der Erde zu bekommen.

Weiter wollte der Wilderer nichts; er ließ sie ruhig gewähren, bis seine Zeit gekommen war, und den heutigen Abend hielt er dazu passend. Der Förster saß oben bei der Flasche, der Forstgehülfe war mit den alten Böllern beschäftigt und außerdem ebenfalls durstig; von den Beiden hatte er also nichts zu befürchten. Aus dem Schloß selber kam Niemand heut Abend in den Park, davon war er fest überzeugt; eine bessere und günstigere Gelegenheit fand sich deshalb nicht wieder, und er war fest entschlossen, sie zu benutzen.

Aber er hatte auch schon vorgearbeitet. Daß er ohne Schußwaffe und in einer ziemlich dunkeln Nacht, da der Mond erst nach zwölf Uhr aufging, nichts würde ausrichten können, wußte er recht gut. Zu seinem Wilddiebstahl brauchte er aber kein Licht; ja, Dunkelheit war ihm eher noch günstig, denn schon mit der einbrechenden Dämmerung hatte er sich auf ihm vortrefflich bekannten Wegen in jenes Dickicht geschlichen und dort auf dem Wechsel eine feste Drahtschlinge aufgestellt. Gleich nach Dunkelwerden wechselte das Damwild gewöhnlich von der Parkwiese nach dem Haferfeld hinüber, und nahm es dann wirklich einen andern Weg, so hatte er weiter nichts zu thun, als außen am Park das Feld langsam abzugehen, und er konnte sicher sein, daß eins oder das andere der Thiere den kleinen Pfad annahm und sich dann fing.

Jetzt hatte er den Fichtenstreifen erreicht und kroch vorsichtig darin hinauf; aber er war zu dicht, er kam nicht fort, und wieder in das offene Holz hineinbiegend, glitt er unmittelbar am innern Rand der Stelle zu, wo er seine Schlinge wußte.

Halt, was für ein Geräusch war das? Er hielt und horchte; es schlug etwas den Boden.

»Hurrah,« jubelte er in sich hinein, »da steckt mein Sonntagsbraten, dem auch die Flasche Wein nicht fehlen soll!« und wie ein Indianer fast, rasch und geräuschlos, floh er über die trockenen Nadeln hin, mit denen hier eine Anzahl mehr einzeln stehender Kiefern den Boden bestreut. Jetzt erreichte er den Platz. Die Anstrengungen des gefangenen Wildes, da es den Feind nahen hörte, wurden stärker; es riß und zerrte an den Büschen und schnellte sich vom Boden empor. Aber die Schlinge, an die elastischen Zweige der nächsten jungen Bäume befestigt, hielt, und wenige Minuten später hatte der Maulwurfsfänger seine Beute, ein feistes Schmalthier, gefaßt, zu Boden gerissen und ihm mit seinem scharfen Genickfänger den Todesstoß gegeben.


Die Gäste waren alle versammelt, und während ein Theil von ihnen, den wundervollen Abend noch genießend, vorn auf der Terrasse spazieren ging, bildeten sich auch in dem Saal selber, dessen Thüren und hohe Fensterflügel weit geöffnet standen und die balsamische Luft wie den Duft der Blumen überall herein ließen, einzelne Gruppen von Bekannten untereinander. Und jetzt kam auch George, der sich aber Einzelne unter den Gästen aussuchte, um ein paar Worte mit ihnen zu flüstern. Auch zu Rottacks ging er hinüber.

»Meine Herrschaften,« sagte er rasch und fröhlich, »gleich nach dem Souper beginnt unser Wirken; thun Sie mir also den Gefallen und machen Sie sich, sobald Sie möglicher Weise können, von der Tafel los, damit es keinen Aufenthalt giebt. Ich darf doch auf Sie zählen?«

»Sicher,« sagte Rottack.

»Und Paula hat noch nichts gemerkt? Sie sprachen vorhin mit ihr angelegentlich, Frau Gräfin.«

»Sie hat keine Ahnung und, ich fürchte, auch fast keinen Gedanken für die Festlichkeit,« seufzte Helene; »das arme Kind kommt mir recht angegriffen und so unnatürlich aufgeregt vor.«

»Desto besser, desto besser!« lachte George vergnügt vor sich hin, denn er selber sah, hörte und dachte heute an nichts Anderes, als eben seine beabsichtigte Überraschung.

»George, wo bist Du so lange geblieben?« rief in diesem Augenblick Paula und eilte auf ihn zu; »ich habe Dich so ersehnt.«

»Mein liebes Herz, ich hatte zu thun und wußte Dich ja hier so gut aufgehoben. Wie geht es Dir, Schatz?«

Paula antwortete ihm nicht. Sie sah ihn mit ihren großen Augen fest an, und dann seinen Arm ergreifend und ihn leise ein paar Schritte mit sich zur Seite führend, flüsterte sie:

»Bleibe mir immer gut, George; behalte Deine Schwester lieb.«

»Aber, Paula, was fehlt Dir? Du gehst ja doch noch nicht von uns, wenn Du auch von jetzt an einem Andern angehören wirst; mache Dir doch keine thörichten Sorgen.«

»Mein guter George!«

»Komm, Kind, da beginnt die Tafelmusik; um Gottes willen, was hast Du, Paula, wir sind ja nicht allein!«

Paula hatte mit der Hand fast krampfhaft seinen Arm gefaßt, zog ihn an sich und drückte einen heißen Kuß auf seine Schulter. Dann ließ sie ihn plötzlich los und schritt der Thür der Terrasse zu.

Eine Weile noch wogten die Gäste durcheinander, hier sich begrüßend, dort mitsammen plaudernd, bis der Haushofmeister endlich feierlich auf den Grafen Monford zuschritt und ihm meldete, daß die Suppe servirt werden könne.

»Meine Herrschaften, zur Tafel!« rief der Graf fröhlich; »meine Herren, nehmen Sie sich Ihre Damen. Wo ist Hubert?«

»Er sprach eben im andern Zimmer mit der Mama,« sagte George.

»Rufe ihn einmal. Wo ist denn Paula? Sie war ja eben noch da.«

»Sie wird draußen auf der Terrasse sein; ich werde nachsehen.«

George ging hinaus, um die Schwester zu suchen; aber auf der Terrasse war sie nicht, und von dort herein zogen jetzt die Gäste, dem willkommenen Ruf zur Tafel folgend.

Langsam schritt Paar nach Paar in den zu Tageshelle erleuchteten Saal und ordnete sich nach ihren, ihnen bestimmten Plätzen um die Tafel, deren Pracht das Auge ordentlich blendete.

Riesige silberne Candelaber streckten ihre breitästigen Arme aus und hielten zahllose flammende Wachskerzen. Prachtvoll gearbeitete Frucht- und Blumenkörbe standen dazwischen, und den mittleren Theil deckten sogar noch niedere Aufsätze von blank polirtem Silber, die wie eben so viele Spiegel das Licht tausendfältig zurückstrahlten.

Was Deutschland nicht allein, nein, was die Welt an Blumen und Früchten bot, war auf der Tafel angehäuft, von der saftigen Kirsche bis zur goldgelben Banane und Ananas, und damit harmonirte der Saal selber, der, so einfach auch decorirt, doch in jedem einzelnen Stück den Reichthum sowohl wie den Geschmack des Besitzers verrieth.

Abgeschieden von den Gästen durch einen hohen, schwerseidenen Vorhang, wie man ihn auf dem Theater wohl gemalt sieht, saß das Musikcorps, das mit dem Wagner'schen Marsche aus »Tannhäuser« begonnen hatte, und nach dem Tacte desselben ordneten sich unwillkürlich die Gäste; aber man wollte sich setzen, und ungeduldig sah der Graf umher, denn Paula, Hubert und George fehlten noch. Hatten sie den Ruf zur Tafel nicht gehört?

Der Haushofmeister wurde hinausgeschickt, um nach ihnen zu sehen. Er kehrte ebenfalls nicht wieder.

»Um Gottes willen,« flüsterte Helene ihrem Begleiter zu, »die Comtesse wird doch nicht unwohl geworden sein; sie sah vorhin so bleich aus!«

»Das ist mir auch aufgefallen,« erwiderte dieser; »Graf Monford scheint unruhig zu werden.«

»Eine kleine Störung,« lächelte der Staatsrath seiner Nachbarin, einem gelben, aber sehr reichen Stiftsfräulein von Wurmholz, zu, »die Elisabeth hat ihr Stichwort versäumt und der Festmarsch wird noch einmal von vorn anfangen müssen.«

»Das junge Brautpaar,« sagte die Gnädige achselzuckend, »wird draußen auf der Terrasse schwärmen und nicht bedenken, daß wir Hunger haben; es ist schon ein Viertel nach Neun.«

»Grausame Liebe!« stöhnte der Staatsrath.

Der Graf wurde in der That unruhig, denn solch ein Verstoß gegen die Etiquette gehörte mit zu den unangenehmsten Dingen, die ihm, wie er glaubte, überhaupt passiren konnten.

Ein anderer Diener wurde hinausgeschickt, um den Haushofmeister zu suchen. Er kehrte nach einigen Minuten zurück und flüsterte dem Grafen einige Worte zu.

»Entschuldigen Sie einen Augenblick, meine verehrtesten Herrschaften,« sagte der Graf ruhig, »ich glaube, meine arme Paula ist unwohl geworden; aber es wird nichts zu sagen haben.«

Er verließ mit festen, langsamen Schritten den Saal. Draußen am Eingang stand George.

»Nun, was ist? Was habt Ihr? Wo ist Paula?«

»Fort, Vater!« stöhnte George, der leichenblaß aussah.

»Fort?«

»Ihr Kammermädchen hat vorhin einen kleinen Koffer fortgetragen; mein Jean will sie gesehen haben, und der Gärtner behauptet, hinten am Drahtthor habe ein Wagen gehalten.«

»Wo ist Hubert?« sagte der alte Graf tonlos und hielt sich an dem nächsten Sessel fest.

»Er läßt meinen Rappen satteln.«

Der alte Herr sah seinen Sohn stier an, dann drehte er sich langsam um, als ob er in den Saal zurückschreiten wollte; aber hier verließen ihn die Kräfte. George konnte eben noch zuspringen, um ihn in seinen Armen aufzufangen.

20.
Hamlet, Prinz von Dänemark.

Director Krüger, den wir verlassen haben, als er im Conversationszimmer von all' der Angst und Aufregung wie gerädert zusammenknickte, sollte aber noch nicht zu Ruhe kommen, denn wieder mußte das Orchester Nachricht haben, was es jetzt spielen sollte, da es den Trauermarsch doch nicht noch einmal beginnen konnte. Außerdem kam Fräulein Bellachini eben, von rauschendem Applaus und einer erneuten Blumensalve verfolgt, athemlos und erhitzt, aber mit einem ganz seligen Gesicht in das Conversationszimmer und warf dem Director lachend einen Blumenregen vor die Füße. Der mußte er etwas Angenehmes sagen, sonst gab sie ihm das zehnfach in allerlei Ärgerniß wieder zurück, denn genau so stolz wie eine Sängerin auf ihre Kehle, ist eine Tänzerin natürlich auf ihre Füße.

»Mein liebes, verehrtes Fräulein,« sagte er, sich mit einem innerlichen Seufzer von dem Sopha emporrichtend, »Sie haben getanzt wie ein junger Gott, wie eine Sylphide, eine Bajadere, eine Triade oder Gott weiß, wie die Dinger heißen – Sie haben getanzt wirklich zum – zum Küssen. – Erlauben Sie, daß ich Ihnen im Namen Deutschlands um den Hals falle...

»Mein bester Herr Director...«

Der Director fiel; während er sie aber etwas tragisch umarmte, sah er an der Thür Sulzer stehen und rief zugleich aus:

»Schicken Sie doch zum Donnerwetter zum Kapellmeister, daß er irgend etwas Schwermüthiges spielt – aber kurz! – Ist denn der Rebe fertig?«

»Er läßt eben sagen, es könne angehen.«

»Mein liebes Fräulein, der Erbprinz wird entzückt sein,« sagte Krüger, sie bei Seite schiebend. – »Jetzt müssen Sie aber hinaus, Sulzer, und die Veränderung anzeigen.«

»Mit der Krone?«

»Meinetwegen mit dem Reichsapfel – das ist ja alles Ein Deubel! Haben Sie in's Orchester geschickt?«

»Ja – was soll ich denn anzeigen?«

»Sagen Sie nichts von Rebe!« rief Krüger rasch – »wegen plötzlich eingetretener Heiserkeit des Herrn Handor hätte eins der Mitglieder die Rolle des Hamlet gleich und ohne Vorbereitung übernommen – Direction bäte um Nachsicht.«

»Soll ich Meier's dicken Backen auch gleich anzeigen?«

»Den werden sie selber sehen – na, wenn das heut Abend gut geht...«

»Wär' es nicht eigentlich passend, Herr Director, wenn Sie selber vorher hinauf in die Loge zum Erbprinzen gingen und ihm...«

»Mit meiner großcarrirten Hose?« rief Krüger, »auf die mir noch der Esel, der Schulze, vorher die Lampe gegossen hat? Sehen Sie einmal den Ölflecken – machen Sie, daß Sie hinauskommen!«

»Da fängt die Ouvertüre schon wieder an.«

»Na, dann warten Sie, bis sie fertig ist – nachher aber gleich – der Vorhang braucht gar nicht wieder zu fallen – Sie gehen nur ab.«

Es war jetzt in der That weiter nichts zu thun. Unten im Orchester spielten sie eins jener monotonen Stücke, die gewöhnlich in Schauspielen die Zwischenacte ausfüllen und nichts sind, als ein musikalisches Geräusch, bei dem sich das Publikum ungestört unterhalten kann, und Aus- und Eingehende die Thüren werfen.

»Ist denn Rebe noch nicht unten?« fragte der Director ungeduldig – »wenn wir jetzt noch einmal eine Pause machen müssen...«

»Ich stehe zu Ihren Diensten, Herr Director,« sagte aber dieser selber, indem er in vollem Costüm auf seinen Chef zutrat.

Er hatte die vorher aufgetragene Schminke abgenommen und sah eigentlich bei Lampenlicht geisterhaft bleich aus – aber zu der Rolle paßte es. Das Costüm saß seiner schlanken, edlen Gestalt ebenfalls wie angegossen, und Krüger sah ihn ordentlich überrascht an.

»Und Sie haben wirklich noch Courage?«

»Sie sehen mich vollständig bereit, meinen Platz auszufüllen.«

»Na, Gott gebe seinen Segen dazu – Sie haben es selber gewollt.«

Die Musik schwieg; Sulzer gab das Zeichen zum Aufziehen des Vorhanges und trat dann rasch hinaus.

»Wer da?« schrie ihm Mauser aus dem Souffleurkasten, als ersten Ausruf Bernardo's, entgegen, denn er hatte mit Schmerzen auf den Beginn gewartet und glaubte natürlich, es sollte jetzt losgehen. Sulzer stutzte, und im Parket, wo man den Ruf deutlich gehört hatte, lachten Einige. König Claudius sammelte sich aber rasch wieder, und vortretend und zuerst den Erbprinzen, dann das Publikum mit einer ehrerbietigen Verbeugung begrüßend, brachte er die Anzeige der stattfindenden Veränderung.

Das Publikum nahm dieselbe ruhig hin, und nur ein leises Flüstern lief durch's Parterre, denn kein Name war genannt und Niemand wußte, wer jetzt den Hamlet spielen solle. König Claudius ließ sich aber auf keine weiteren Erklärungen ein, und Mauser selber unten im Souffleurkasten war in der äußersten Spannung, wer von Allen die Hauptrolle im Stücke so rasch übernommen haben konnte, daß er selber keine Ahnung davon hatte.

König Claudius aber war abgegangen. Aus der Coulisse trat der wachthabende Posten, Francisco, vor und schulterte seine Hellebarde, und Bernardo trat von der andern Seite auf.

Die erste Scene ging auch ruhig vorüber, und nur die Spannung des Publikums wurde mit der Verwandlung gesteigert.

Jetzt traten der König, die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes und die Hofleute mit Gefolge auf, und Aller Augen hingen an dem Prinzen, aber jetzt nicht an dem Erbprinzen, sondern an dem von Dänemark, den man mit seinem bleichen Antlitz nicht einmal gleich erkannte. Aber plötzlich – Niemand wußte, woher er gekommen – flog der Ruf in einem hörbaren Zischeln durch das Theater:

»Rebe – Rebe spielt den Hamlet!«

Auf einer der vordersten Bänke saß Jeremias, der heute Rebe, wenn auch in einer kleinen Rolle, auf dem Zettel gefunden hatte und, ohne daheim etwas davon zu sagen, in's Theater gegangen war, um ihn selber einmal spielen zu sehen. War es überhaupt die letzte Rolle, in der er hier auftreten sollte. Sein Nachbar rief jetzt ebenfalls: »Rebe spielt den Hamlet!«, und es gab ihm einen ordentlichen Stich in's Herz, als er den Ausruf hörte.

»Rebe den Hamlet – na, wenn das gut geht!« stöhnte er, gleich dem Director – »was ist denn da vorgefallen und dem unseligen, verzweifelten Menschen in den Kopf gestiegen? Wenn er sich da blamirt – und natürlich wird er –, ist er für immer verloren!« – Jeremias wäre auch jetzt mit Vergnügen fortgegangen, denn er glaubte zu ahnen, was geschehen würde, und mochte das Elend nicht mit ansehen; aber es war unmöglich. Er saß gerade in der Mitte im Parquet, und die Sitze waren so eng, daß die ganze eine Reihe hätte aufstehen müssen, um ihn hinaus zu lassen, und was für Aufsehen würde das mitten im Act erregt haben! Er mußte schon bleiben, wo er war, und geduldig still halten. Was auch geschah, er konnte es doch nicht mehr ändern.

Und wie unbefangen der Mensch dabei aussah, und wie blaß aber auch! Während der König mit Polonius sprach, unterhielt er sich mit den Hofleuten, als ob ihn die ganze Geschichte gar nichts anginge. Im Hause selber herrschte dabei noch immer einige Unruhe, und das flüsterte und zischelte an allen Ecken und Enden. In dem Augenblick aber, wo sich der König an Hamlet wandte:

»Doch nun, mein Vetter Hamlet, und mein Sohn...«

herrschte Todtenstille, und man hätte ein Blatt Papier können fallen hören.

Hamlet sprach aber seine kurzen Sätze einfach und verständig, die ersten Worte nur noch etwas leise – er war noch zu befangen. Trotzdem verstand man jede Silbe, denn das Publikum wagte kaum zu athmen, und schon bei der Anrede an die Mutter:

»Scheint, gnäd'ge Frau? Nein – ist! Mir gilt kein Scheint...«

schien er seine ganze Fassung erlangt zu haben oder hatte vielmehr das Publikum so vergessen, daß er nur Auge und Ohr für seine Rolle hatte, und nach dem Abgange der Übrigen, bei den heftigen Worten:

»Zerschmölze doch dies allzu feste Fleisch,
Zerging' und löst' in einen Thau sich auf!
Oh, hätte nicht der Ew'ge sein Gebot
Gerichtet gegen Selbstmord! Gott, oh Gott,
Wie ekel, schal und flach, wie unersprießlich
Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt...«

sprach er sie mit einer solchen edlen und auch in keiner Bewegung übertriebenen Leidenschaft, daß der Director, der indessen hinter der Coulisse wie auf glühenden Kohlen stand, fast unwillkürlich in sich hineinmurmelte: »Gut, bei Gott, recht gut! Verfluchter Kerl, der Rebe, wenn er nur so fortführe! Am Ende käme er noch unausgepfiffen durch.«

Rebe schien aber nichts Derartiges zu fürchten, denn in der nächsten Scene mit Horatio, Bernardo und Marcellus benahm er sich mit so edlem Anstand und sprach, was er zu sprechen hatte, so durchaus im Geist der Rolle, daß das Staunen im Zuschauerraume wuchs, während er die Damen durch seine wie für den Hamlet geschaffene Gestalt schon halb gewonnen hatte. Aber trotzdem regte sich keine Hand, Alles saß lautlos und still, wie erwartungsvoll, daß plötzlich irgend etwas Außerordentliches geschehen solle, bis zu der Scene mit dem Geist, wo er diesem folgt und ihn endlich stellt.

Barthel war schauerlich als Geist. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß ein im Fegfeuer leidendes Gespenst, wenn es einmal über der Erde erscheine, auch seine dort unten erlittenen Qualen deutlich kund geben müsse, und wimmerte seine Rolle kläglich ab. Die Haßburger hatten sich aber an ihn gewöhnt; sie wußten es nicht anders, als daß der Geist wimmern muß, und nur die Fremden im Theater schüttelten mit dem Kopf, wagten aber kein Urtheil kund zu geben.

Desto besser war Rebe, der in dieser Scene ordentlich aus sich herausging, ohne aber eine einzige unnatürliche Bewegung zu machen oder im Geringsten stark aufzutragen. Das Grausen, das ihn erfaßte, als er den Geist erblickte, theilte sich dem Publikum mit, und wie der Geist mit dem »Ade, ade, gedenke mein!« abwimmerte und Hamlet in die Worte ausbrach:

»Oh Herr des Himmels! Erde! Was noch sonst?
Nenn' ich die Hölle mit? –«

hörte man hier und da einzelne leise Ausrufe von: »Gut! Recht brav!« Aber keine Hand rührte sich.

Der Erbprinz selber schien ganz ergriffen von dem Spiel und gab unwillkürlich wieder das vorher so gut eingeschlagene Zeichen zum Applaudiren, indem er die Fingerspitzen der weißen Glacéhandschuhe vorn zusammenbrachte – aber es half nichts.

Bei der Tänzerin war es etwas Anderes gewesen und diese eine berühmte Notabilität; sie mußte beklatscht werden, oder ganz Haßburg hätte sich blamirt. Ihren Rebe aber, den kannten sie besser als irgend jemand Anders, und da hinein ließen sie sich nicht reden, und wenn es vom Erbprinzen selber gewesen wäre.

Der Vorhang fiel, und schweigend wie das Grab saß das ganze Haus, bis plötzlich wieder das Zischeln und Flüstern begann und Einer dem Andern seine Bemerkungen leise mittheilte, oder erst vorsichtig dessen Ansichten hören wollte.

Jeremias athmete tief auf. Wie der Vorhang fiel, war ordentlich, als ob ein Alp von seiner Brust genommen wäre, in einer solchen, fast fieberhaften Spannung hatte er in den vorigen Scenen gesessen und zugesehen. Jetzt war es vorbei, er konnte wenigstens einmal wieder ordentlich Luft schöpfen, und ein eigenes, merkwürdiges Gefühl durchzuckte ihn, als er dabei die verschiedenen, aber fast sämmtlich günstigen Urtheile über den neuen Hamlet hörte.

»Na, nu seh' einmal ein Mensch an; wer hätte das dem Rebe zugetraut? Nicht gemuckst hat er bis jetzt, und gethan, als ob er nicht Drei zählen könnte, und nun rückt er auf einmal mit dem Hamlet heraus.«

»Na, aber der Handor hätt' ihn doch besser gespielt...«

»Nicht so viel, nicht die Probe; geschrieen hätt' er mehr, ja – aber der verfluchte Kerl sah ordentlich wie ein Prinz aus!«

»Ja, das war nichts,« sagte da ein Anderer, »die Scene mit dem Geist kann ein Jeder spielen, die spielt sich von selber – aber nachher wollen wir einmal sehen! Mein Hamlet wär's nicht.«

»Ach was, er macht's so gut er kann,« meinte Einer auf einer hintern Bank, »und wer weiß denn auch, wann er die Rolle übernommen hat? Der Handor steht ja noch auf dem Zettel.«

»Was nur dem heute fehlt?«

»Fehlen? Er hat wieder 'was zu viel – der Champagner wird heute gut geschmeckt haben!«

»Daß ihm nur noch Jemand 'was borgt! Mir ist er auch noch hundertfünfzig Thaler schuldig – das ist ein leichtfertiger Patron.«

»Da ist der Rebe ordentlicher, der bezahlt Alles, was er kauft.«

»Ja, aber er kauft nichts,« lachte ein kleiner dicker Mann; »der arme Teufel hat immer kein Geld...«

»Bst, es geht wieder an!« – Das Gespräch war abgeschnitten.

Oben auf der Bühne hatte indessen eine andere Scene gespielt, und kaum fiel der Vorhang, als der Director, ordentlich verlegen, auf Rebe zukam und, sich die Hände reibend, sagte:

»Nun, Herr Rebe, ich gratulire! Es – es geht ja recht gut. Ich – ich muß Ihnen gestehen, ich – habe das nicht erwartet.«

»Sie glaubten, ich würde durchfallen, Herr Director?«

»Aufrichtig gesagt, ja; das Schwierigste haben Sie freilich noch immer vor sich, aber bei einer so plötzlichen Übernahme einer Rolle ist das Publikum auch immer rücksichtsvoll genug, ein Auge zuzudrücken. Ich hoffe doch jetzt wenigstens, daß wir das Stück zu Ende bringen.«

»Woran Sie bis dahin gezweifelt haben. Es freut mich wenigstens, Herr Director, daß Sie, wenn ich morgen Haßburg verlasse, kein so hartes Urtheil über mich fällen werden, als das bisher vielleicht der Fall war. Ich habe Ihnen doch wenigstens bewiesen, daß ich nicht blos zum Stühlehinaustragen zu verwenden bin, und daß Sie mir die Rolle des Güldenstern mit recht gutem Gewissen hätten anvertrauen können.«

»Mein lieber Herr Rebe« (»lieber« Herr Rebe hatte er ihn noch nie genannt), sagte der Director wirklich etwas verlegen, »es – es thut mir in der Seele leid, daß wir es nicht früher einmal mit einer etwas bedeutenderen Rolle versucht haben! Halten Sie sich nur heut Abend tapfer; das Publikum ist noch merkwürdig still, aber verlieren Sie den Muth nicht, es geht doch vielleicht noch gut.«

»Mit ein klein wenig Nachsicht hoffe ich mein Versprechen zu lösen,« sagte Rebe; »aber das Orchester beginnt schon wieder. Entschuldigen Sie, Herr Director, ich komme nachher von der andern Seite, und möchte noch einen Blick in meine Rolle werfen.«

»Bitte, lassen Sie sich um Gottes willen nicht stören!«

Der Director war die übertriebene Höflichkeit. Er kannte sich selber nicht wieder, und Peters ging immer hinten auf dem Theater auf und ab und schüttelte mit dem Kopf. So etwas war ihm in seiner Praxis noch nicht vorgekommen.

Hinter der Scene stand Pfeffer als Todtengräber mit dem Geist.

»Wißt Ihr 'was Neues, Barthel?«

»Nichts, mein Prinz,« erwiderte Barthel mit den Worten des Güldenstern, »außer daß die Welt ehrlich geworden...«

»So will ich's Euch sagen,« rief Pfeffer, »in dem Rebe steckt ein Schauspieler!«

»Es brauchte kein Todtengräber vom Grabe herzukommen,« citirte Barthel weiter, nur mit einer Veränderung des Textes, »uns das zu sagen – aber was für einer, ist die Frage.«

»Ein tüchtiger, wackerer Schauspieler!« rief Pfeffer in Eifer. »Hol' mich der Teufel, der Handor reicht ihm das Wasser nicht in der Scene.«

»Bah,« sagte Barthel, der von der Schauspielkunst ganz eigene Ideen hatte, »er sprach den Hamlet etwa gerade so, als ob Sie oder ich einen Geist gesehen hätten und außer sich wären – von Kothurn keine Spur – man darf doch nie vergessen, daß man auf dem Theater ist!«

»Ich will Ihnen 'was sagen, Barthel,« meinte Pfeffer, »Sie sind ein Esel und verstehen vom Hamlet gerade so viel wie der Peters!«

»Ich will Ihnen 'was sagen, Pfeffer,« erwiderte Barthel, »wir sind gute Freunde, aber Sie brauchen deshalb nicht gleich so grob zu werden...«

»Ruhe da hinten, es geht an!« rief der Inspector aus der Coulisse heraus, und im nächsten Augenblick ging der Vorhang wieder in die Höhe.

In der zweiten Scene erregte der neugeworbene Güldenstern mit seinem dicken Backen einige Heiterkeit, denn der Regisseur hatte ihn nicht mit angemeldet; aber das Publikum beruhigte sich bald darüber, denn Meier, als welcher er bald erkannt wurde, war eine zu beliebte und allbekannte Persönlichkeit in der Stadt, für deren bestes Bier er als Orakel galt, als daß man ihn irgend hätte kränken mögen. Außerdem lag es auf der Hand, daß er nur aus Gefälligkeit in Rebe's Rolle eingetreten sei. Der Erbprinz lachte aber, daß er sich zurückbeugen und sein Gesicht mit dem Tuch bedecken mußte, und Meier warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu.

Der zweite Act ging wieder so ruhig vorüber, als der erste. Nicht einen einzigen Applaus bekam Hamlet, obgleich die Zuschauer doch bei Fräulein Bellachini bewiesen hatten, daß sie applaudiren konnten. Peters ging um den Director herum. –

»Herr Director!«

»Ja, Peters.«

»Der Rebe macht seine Sache gar nicht so schlecht; soll ich einmal wieder in's Parterre hinunter und vielleicht mit einer Kleinigkeit...« – er zeigte dabei seine zwei hornharten Fäuste.

»Um Gottes willen, Peters!« rief der Director erschreckt. »Rebe ist in dem Act viel schwächer, als im ersten – ein einziges verkehrtes Beifallszeichen, und der Teufel geht am Ende los! Wir wollen Gott danken, wenn wir die Sache ruhig zu Ende bringen!«

»Wie Sie meinen; manchmal hängt's aber nur an einer Kleinigkeit...«

»Ja wohl thut's das,« rief der Director, »und wir wollen es selber nicht muthwillig heraufbeschwören! Die Heidenangst, die ich heut Abend ausstehe, werde ich überhaupt im Leben nicht vergessen!«

Als der Vorhang fiel, regte sich Niemand. Selbst der Erbprinz hütete sich, einen zweiten Versuch zu machen, da der erste so gründlich mißglückt war. Rebe schien etwas befangen, denn die übrigen Schauspieler wichen ihm aus, aber er suchte seiner Furcht Herr zu werden.

Fräulein Bellachini tanzte wieder in diesem Zwischenact, und Rebe benutzte die Zeit, um indessen hinter der Bühne mit dem Laertes, einem jungen, ganz geschickten Schauspieler, die Zweikampf-Scene ein wenig einzuüben, da diese in der Ausführung besondere Schwierigkeiten hat und leicht lächerlich wird. Rebe selber wußte übrigens vortrefflich mit der Stoßwaffe umzugehen, und da sich sein Gegner auch alle Mühe damit gegeben hatte, ging es recht gut.

Jetzt kam der dritte Act – kam die Scene mit der Mutter, und Rebe entwickelte da eine so volle Kraft und schöne, edle Sprache, daß sich im Publikum immer mehr ein Gefühl zu regen begann, er habe doch am Ende wohl einen Beifall verdient, aber Jeder scheute sich den Anfang zu machen.

Die Scene spielte er durch, von Anfang bis zu Ende ganz vortrefflich, und todtenstill saß das Parterre dabei, denn der erste Rang hält es gewöhnlich für unter seiner Würde, zu applaudiren. Es greift auch die Glacéhandschuhe zu sehr an, und wie darf da der Schauspieler in Betracht kommen, der all' seine Kräfte darangesetzt hat, seiner Aufgabe zu genügen, und dem das Publikum durch nichts, nichts weiter auf der Welt lohnen kann, als augenblicklichen Beifall!

So kamen die letzten Worte:

»Nun, Mutter, gute Nacht – der Rathsherr da
Ist jetzt sehr still, geheim und ernst fürwahr,
Der sonst ein schelm'scher alter Schwätzer war.
Kommt, Herr – ich muß mit Euch ein Ende machen –
Gute Nacht, Mutter...«

Aber das letzte »Gute Nacht, Mutter« sprach er so ergreifend, so wunderbar wahr, daß dem kleinen Jeremias die Thränen in die Augen traten.

Und keine Hand regte sich. Jetzt aber hielt sich Jeremias nicht länger. Seine Handschuhe hatte er schon lange ausgezogen, um zu augenblicklichem Dienst bereit zu sein – jetzt hieb er ein, und wie der erste Schall durch das Haus flog, war es, als ob ein Zauber gebrochen wäre, der bis jetzt Alle befangen gehalten hätte.

Einen solchen Applaus hatte selber die berühmte Tänzerin nicht bekommen: das ganze Haus dröhnte förmlich vom Klatschen und Beifallssturm, in das der Erbprinz jetzt mit augenscheinlicher Freude und mit gutem Willen einstimmte.

»Rebe 'raus!« gellte da zwischendurch eine Stimme, und: »Rebe 'raus!« schrie das Publikum wie aus Einem Munde und als ob es das Versäumte jetzt mit Lärmen und Toben wieder nachholen wollte.

Der Vorhang stieg in die Höhe, aber Rebe kam nicht. Die Ungeduld wuchs, die Leute geberdeten sich wie toll und pochten, stampften, klatschten und schrieen: »'Raus, 'raus! Rebe, Hamlet, Hamlet! Rebe, 'raus, 'raus, 'raus!«

Ein schützender Engel waltet über Allem – Fräulein Rottenhöfer glaubte oder hoffte, ihren Namen mitzuhören.

»Aber, Herr Rebe, so kommen Sie doch, wir werden ja gerufen!«

»Aber, mein bestes Fräulein...«

»Sind Sie ein wunderlicher Heiliger! So kommen Sie doch!« und seine Hand ergreifend, zog sie den schüchternen Hamlet unter einem neuen Ausbruch von Jubel und Beifall auf die Bühne hinaus.

Rebe stand wie betäubt, und Pfeffer ging immer um ihn herum, als ob er ihn anreden wollte, änderte aber eben so oft seine Absicht wieder und machte fortwährend und in Gedanken vergebliche Versuche, seine Hände in die gewohnten Seitentaschen seines alten Rockes zu bringen. Das Costüm hatte leider keine.

Fräulein Bellachini zürnte. Sie war auch gerufen, aber nicht so, und beim zweiten Mal hatte man sogar – da es Peters nicht mehr für nöthig fand – ihren Tanz nicht einmal da capo verlangt.

»Sie schreien wie verrückt,« sagte sie, als sie sich in ihre Garderobe zurückzog; »ich bin froh, daß ich mich nur für diesen einen Abend engagirt habe.«

Jetzt war aber Bahn für Rebe gebrochen. Schon im vierten Act, bei den kleinen Scenen, wurde jede einigermaßen passende Stelle lebhaft applaudirt, und im fünften Act, in der Scene mit dem Todtengräber, brach der Sturm auf's Neue aus. Es war gut, daß Fräulein Bellachini das Theater verlassen hatte. Nicht enden wollte aber der Beifall in der Fechtscene, die auch wirklich vortrefflich von Beiden gegeben wurde, und als der Vorhang endlich zum Schlusse fiel, ging es von Frischem an.

Erst mußten Alle heraus, nur Meier mit seinem dicken Backen fehlte, und Fräulein Rottenhöfer erschien im Mantel und ohne Stroh in den Haaren. Dann wurde Rebe noch besonders gerufen, und wie der Vorhang kaum wieder herunter war, mußte er noch einmal heraus.

Etwas Derartiges war in Haßburg noch nicht geschehen, so lange die alte Stadt stand.

Jetzt endlich beruhigte sich der See – er hatte sein Opfer, und der Director wollte eben auf Rebe zugehen, um ihm seine Anerkennung auszusprechen, als der Hofmarschall aus der Loge des Erbprinzen auf die Bühne kam und den Director ersuchte, einen Augenblick zu dem gnädigsten Herrn heraufzukommen, der ihn zu sprechen wünsche.

»Mich? Heiland der Welt!« sagte Director Krüger erschreckt; »aber ich – ich bin ja nicht – entschuldigen Sie einen Augenblick!« und wie ein Wetter schoß er in das Conversationszimmer, wo er wild nach Peters schrie.

»Peters, Peters! Verfluchter Kerl, wo steckt der nur wieder?«

»Aber, Herr Director, hier bin ich ja – ich habe vor Verzückung auf Einem Bein gestanden!«

»Haben Sie meinen Frack mitgebracht? Ob ich es mir denn nicht immer dachte, daß noch ein Unglück passiren würde! Meinen Frack will ich – hören Sie denn nicht?«

»Aber da liegt er ja auf dem Sopha! Wo wollen Sie denn noch hin?«

»Zum Erbprinzen – er hat ja nach mir verlangt!«

»Mit dem Fettfleck?«

»Herr Du mein Gott, an den Fettfleck habe ich gar nicht gedacht! Oh, daß diesen Schulze der Teufel holte!«

»Glaube nur nicht, daß er unter den vielen Schulzes den richtigen findet,« meinte Peters. »Aber warum nehmen Sie nicht Herrn Rebe's dunkle Hosen? Er ist noch in der Garderobe.«

»Die sind mir ja um einen Fuß zu lang!«

»Krempeln wir auf,« sagte Peters.

»Es geht nicht mehr, er wartet!« ächzte der Director, der seinen alten Rock schon abgeworfen hatte und sich in den etwas engen Frack hineinzwängte – »wo ist mein Hut? Ich halte meinen Hut vor!«

»Da sieht der Fettfleck beinah' noch besser aus,« sagte Peters; »Sie haben den alten erwischt.«

»Na, dann kann's nichts mehr helfen; ein Unglück kommt nie allein, und wenn ich jetzt in Öl eingekocht wäre wie eine Sardine, warten kann ich ihn nicht länger lassen!«

»Das Schnupftuch hängt Ihnen hinten heraus,« sagte Peters.

Der Director steckte es in wilder Hast wieder ein, und sich unterwegs die in Unordnung gerathenen Haare ein wenig zurecht drückend, schoß er in voller Flucht zurück auf die Bühne, um sich dem übermäßig besternten und beordenten Hofmarschall zur Verfügung zu stellen.

Dieser führte ihn auch ohne Weiteres der fürstlichen Loge zu, und Krüger, etwa mit einem Gefühl wie ein Subalternbeamter, der vor einen Vorgesetzten citirt ist und die Gewißheit hat, einen tüchtigen Rüffel zu bekommen, folgte ihm so rasch er konnte.

Der Erbprinz erwartete ihn oben. Der Wagen stand schon lange unten, seiner harrend, aber er blieb trotzdem zurück und sah indessen zu, wie sich das Haus leerte.

»Herr Director Krüger, Königliche Hoheit.«

»Ah, lieber Director, es freut mich, Sie kennen zu lernen – ich bin Ihnen dankbar für Ihre Aufmerksamkeit!«

»Königliche Hoheit,« stotterte Krügen

»Heut Abend aber,« fuhr der Prinz fort, »bitte ich Sie, Ihrem Herrn Rebe in meinem Namen für den Genuß zu danken, den er mir durch sein vortreffliches Spiel bereitet hat. Er ist jetzt noch in Costüm, sonst hätte ich ihn selber heraufrufen lassen, und so ersuche ich Sie denn, ihm in meinem Namen diese Tuchnadel zu überreichen, die er mir zum Andenken tragen mag,« und mit den Worten nahm er seine eigene Brillantnadel aus der Cravatte und überreichte sie dem Director.

»Königliche Hoheit,« stammelte dieser wieder, »sind so gnädig...«

»Guten Abend, Herr Director, nochmals, ich bin Ihnen sehr dankbar!« und fort war er, und in einer solchen Aufregung befand sich der Director, daß er selbst seinen Fettfleck vergessen hatte, und in einem Zustand, von dem er sich selber später keine Rechenschaft ablegen konnte, zurück auf die jetzt leere und fast dunkle Bühne schoß. Er schüttelte dabei fortwährend mit dem Kopf und murmelte in einem fort: »Noch gar nicht dagewesen, noch gar nicht dagewesen!«

Rebe war noch in seiner Garderobe; Krüger folgte ihm dahin fast willenlos.

»Herr Rebe, der Erbprinz läßt Ihnen in meinem Namen sagen...«

»In Ihrem Namen, Herr Director?«

»In seinem Namen, wollte ich sagen, daß er Ihnen unendlich dankbar für den Genuß des heutigen Abends ist und Sie bittet, diese Tuchnadel – Mensch, Sie haben ein Heidenglück! – zu seinem Andenken zu tragen.«

»Herr Director!« sagte Rebe erschrocken.

»Es ist so, Rebe, bei Gott! Seine Königliche Hoheit war unendlich gnädig und hat sich bei mir auch bedankt.«

»In der That?«

»Rebe,« fuhr der Director gerührt fort, »ich habe Ihnen Unrecht gethan, Sie sind zurückgesetzt worden, ungerechter Weise zurückgesetzt worden – Sie hätten eigentlich besser beschäftigt werden müssen, und ich sehe ein, daß Ihnen Unrecht geschehen ist.«

»Herr Director,« sagte Rebe ruhig, »es freut mich wenigstens, daß Sie das noch im letzten Augenblick erkannt haben, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß das mein schönster Lohn heut Abend ist. Wir werden also wenigstens in Frieden und Freundschaft scheiden.«

»Wir wissen noch gar nicht, ob wir scheiden, Rebe,« platzte der Director heraus, »das wissen wir noch gar nicht! Kein Mensch weiß überhaupt, was am nächsten Tag geschieht, ja, an dem nämlichen, und wenn mir heute Morgen Jemand erklärt hätte, daß Sie heut Abend den Hamlet spielen würden, so...« er schwieg erschrocken still, weil er sich beinahe verschnappt hatte. Rebe aber fuhr lächelnd fort:

»Würden Sie ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt haben.«

»Lieber Herr Rebe, ich bitte Sie um Gottes willen...«

»Ich danke Ihnen für Ihre bessere Meinung heut Abend, Herr Director, aber Sie entschuldigen jetzt. Ich fühle mich doch etwas angegriffen und will machen, daß ich nach Hause komme.«

»Soll ich Ihnen vielleicht einen Wagen besorgen?«

Rebe lächelte. – »Tausend Dank, nein – ich wohne gar nicht so weit von hier und bin gewohnt, den Weg im schlechtesten Wetter zu Fuß zu gehen. Gute Nacht, Herr Director.«

»Gute Nacht, lieber Rebe, schlafen Sie recht wohl – Sie können heute auf Ihren Lorbeern ausruhen.«

Rebe knöpfte sich seinen Rock bis oben zu und verließ rasch die Garderobe. Unten an der Treppe ging ein Mann in einem braunen Überrock auf und ab – es war Pfeffer. Rebe wollte mit einem Gruß an ihm vorübergehen.

»Herr Rebe!« rief ihn Pfeffer an.

»Mein bester Herr Pfeffer...«

»Geben Sie mir Ihre Hand.«

Rebe schüttelte die dargebotene aus allen Kräften.

»Sie sind ein ganzer Kerl!« sagte Pfeffer, drehte sich ab und verschwand hinter einer der Coulissen.

Rebe verließ das Theater; er schöpfte tief und anhaltend Athem, als er die frische Nachtluft draußen erreichte. Es war ihm so leicht, so froh zu Sinn, er fühlte den Boden kaum, auf den er trat. Mit raschen Schritten eilte er nach Hause – Essen und Trinken? Er dachte gar nicht daran. Seine Glieder zitterten, seine ganze Gestalt bebte, und als er sein kleines, ärmliches Zimmer im vierten Stock erreichte, schob er den Riegel hinter sich zu, warf sich auf das Sopha, barg sein Gesicht in den Händen und weinte wie ein Kind.

21.
Der Wilddieb.

Unten im Stübchen des Haushofmeisters, im Monford'schen Schlosse saß der alte Förster behaglich hinter einer Flasche Wein und einem großen Stück Kuchen, fest entschlossen, es sich den heutigen Abend einmal gut sein zu lassen – kam es doch überhaupt nicht häufig vor – als der Wiesenmüller, der auf der Stadtseite an das Gut stieß und häufigen Verkehr mit dem Haushofmeister hielt, das Zimmer betrat und sich mit zum Tisch setzte.

Natürlich wurde ihm ebenfalls sogleich ein Glas vorgesetzt, und das Gespräch drehte sich gerade um all' die verschiedenen Persönlichkeiten, welche sich heute zu dem Freibier eingefunden, während Jonas, der zwischen ihnen saß und immer noch glaubte, andere Leute merkten nicht, daß er taub sei, mit hineinsprach und oft die verkehrtesten Dinge vorbrachte.

»Der alte Fritz hat sich auch richtig eingefunden,« sagte der Müller; »das ist ein durchtriebener Halunke und weiß seine Zeit vortrefflich abzupassen.«

»Der Lump!« brummte der Förster in sein Glas hinein. »Der Graf hat ihm ja verboten, sich nach Dunkelwerden auf dem Grund und Boden hier wieder sehen zu lassen.«

»Ja, heute ist aber eine Ausnahme,« lachte der Holzhändler, »denn wenn er bei hellem Tag erst käme, wär' die Geschichte vorbei und er kriegte nichts mehr.«

»Schadete ihm auch nichts,« meinte der Müller, »und ich wollte, er hätte die hiesige Gegend nie gesehen, denn seit er da ist, spür' ich's an meinen Fischen.«

»Er stiehlt, wo er 'was kriegen kann,« nickte der Förster, »und meine Fasanen wissen davon zu erzählen.«

»Und Eure Forellen auch,« lachte der Müller; »meinem Gevatter, dem Mehlberg, hat er neulich sieben Pfund verkauft.«

»Der Cujon!« rief der Förster; »aber ich kann doch hier, Gott straf' mich, nicht den ganzen Tag im Park stecken, wo ich da drüben das große Revier und die Stadt in der Nähe habe, in der das Gesindel Alles brauchen kann, was vorkommt. Wenn er sich aber hier am Fischwasser herumtriebe, müßte ihn Jonas doch über Tag bemerkt haben. Habt Ihr den Fritz schon einmal angeln sehen, Jonas?«

»Du lieber Gott,« sagte der alte Mann, der indessen seinen eigenen Gedanken gefolgt war und jetzt merkte, daß er angeredet wurde, »als kleines Kind hab' ich sie ja schon auf den Armen getragen!«

»Wen?« schrie der Müller.

»Die liebe Comtesse, und wenn mich Gott leben läßt, kann ich jetzt auch vielleicht ihre Kindchen sehen.«

»Ob Ihr den alten Fritz nicht habt fischen sehen, fragt der Förster,« schrie ihm jetzt der Müller in's Ohr.

Jonas sah ihn ganz erstaunt an, denn er begriff die Frage nicht einmal gleich; endlich aber nickte er lächelnd mit dem Kopf und sagte:

»Den alten Fritz? Oh, gewiß, nach Maulwürfen. Seine Angelruthen stecken ja über die ganze Wiese, und er ist darin ein tüchtiger Kerl, das muß man ihm lassen; es macht's ihm Keiner nach.«

»Mit dem Alten ist ja nicht zu reden,« sagte der Förster halblaut, »und wenn wir so schreien, hört's am Ende der Halunke da draußen und lacht uns noch obendrein aus.«

»Hört einmal, Förster,« sagte der Müller leise, »der Maulwurfsfänger ist mit allen Hunden gehetzt, und so hält es verdammt schwer, hinter seine Schliche zu kommen; bei einem Glase Wein hat aber schon Mancher ausgeplaudert, wovor er sich sonst wohl gehütet und sich lieber die eigene Zunge abgebissen hätte. Wenn wir ihn nun einmal hereinriefen und ihm ein bischen zusetzten?«

»Der trinkt uns Beide unter den Tisch,« brummte der Förster.

»Der noch lange nicht,« rief der Müller; »eine bessere Gelegenheit finden wir auch im Leben nicht wieder. Merken kann er nichts, denn alle Arten von Leuten sind heut Abend hier versammelt. Wollen wir's nicht einmal versuchen?«

»Aber am Ende ist's dem Haushofmeister nicht recht, wenn wir den Vagabonden hier in sein Zimmer bringen.«

»Ach was, zu dem Zweck hat er gewiß nichts dagegen, denn er mag ihn auch nicht leiden, weil ihn der Lump immer so vornehm grüßt; und dann kommt der auch nicht vor den nächsten zwei Stunden wieder herein, denn er ist jetzt mit der Tafel beschäftigt, und nachher wird gespeist, wo er ebenfalls dabei sein muß.«

»Na, meinetwegen, dann holt ihn; ich stehe mit ihm nicht so grün, daß ich ihn einladen könnte, und er röche gleich Lunte.«

»Den wollen wir uns einmal langen,« lachte der Müller vergnügt vor sich hin, indem er von seinem Sitz aufstand; »paßt auf, den kaufen wir uns.«

»Wollt Ihr schon fort?« fragte Jonas erstaunt.

Der Müller schüttelte nur mit dem Kopf und verließ langsam das Zimmer, und der Förster qualmte indessen stärker aus seiner Pfeife, trank aber nicht mehr, weil er sich das auf nachher aufsparen wollte! Der Müller blieb aber entsetzlich lange; der alte schlaue Bursche wollte gewiß nicht mit. Endlich kam er wieder herein.

»Na, das ist merkwürdig,« sagte er, »die ganze Zeit hat der Fritz da an dem einen Baum gelehnt; der eine von meinen Burschen hat ihn deutlich gesehen, und der Hund war auch bei ihm, und jetzt ist er fort und nirgends mehr zu finden.«

»Er wird irgendwo an einem der Tische sitzen.«

»Gott bewahre; überall habe ich ihn gesucht, kein Mensch weiß etwas von ihm, und der Berthold, der die Getränke zu vertheilen hat, will ihn noch mit keinem Auge gesehen haben, und den hätte er sich gewiß gemerkt.«

»Dann hat die Canaille wieder 'was im Werk,« sagte der Förster, mit der Faust auf den Tisch schlagend, »und glaubt, weil ich hier fest hinter der Flasche sitze, daß ich ihm die Nacht nicht auf den Dienst passe. Ei Du heiliger Kreuzhimmelschwerenöther Du!« Und mit den Worten stand er von seinem Stuhle auf.

»Unmöglich wär's nicht,« lachte der Müller, »und dick genug hat er's dazu hinter den Ohren. Aber was will er in der stockfinstern Nacht machen? Der Mond geht erst um Mitternacht herum auf; da ist's nichts mit dem Angeln und Wildern.«

»Und mit dem Netzfischen auch nicht, wie?« sagte der Förster, indem er seine Flinte vom Nagel nahm. »Ne, Müller, wenn er nicht mehr da draußen steckt, dann ist er auch im Park auf irgend eine Lumperei aus, und da schmeckt mir doch hier kein Tropfen mehr, bis ich mich wenigstens überzeugt habe. Wo ist denn mein Forstgehülfe?«

»Ja, der steht bei den Böllern und kann nicht fort, bis die abgefeuert sind. Wartet lieber so lange, das wird nicht mehr so ewig dauern, und Zwei sind besser als Einer.«

»Die Böller werden nicht eher abgefeuert, bis die Tafel fast vorüber ist,« sagte einer der Diener, der sich einen Augenblick weggestohlen hatte, um hier rasch ein Glas Wein zu trinken; »dann wird erst die Gesundheit auf das Brautpaar ausgebracht.«

»So lange kann ich nicht warten,« brummte der Förster, indem er seinen Hut aufstülpte; »brauche auch wahrlich keinen Gehülfen und werde mit dem Lump schon allein fertig werden!«

»Was ist denn?« fragte der Lakai.

»Oh, ein Fuchs holt mir die Fasanen weg, und dem hab' ich ein Eisen gestellt,« sagte der Förster; »will nur einmal nachsehen, ob er drin sitzt.«

»Na, viel Glück!« rief ihm der Mann nach.

»Esel!« brummte der Waidmann vor sich hin, als er die Thür zudrückte und sich durch das Gedränge der draußen herumschwärmenden Gäste Bahn brach. Er hatte Gift und Galle im Herzen und erwiderte nicht einmal manchen ihm hier und da gebotenen Gruß.

Es trieb ihn auch, aus der Nähe des Schlosses fortzukommen, und rasch schritt er den Weg entlang nach dem Fluß hinüber, um dort vielleicht den »alten Cujon«, wie er ihn nannte, auf frischer That bei verbotenem Fischfang zu ertappen, und ihn dann den Gerichten ausliefern oder doch wenigstens die Anzeige machen zu können, denn eher wurden sie den frechen Gesellen nicht aus der Gegend los. Konnte er aber erst einmal eines Vergehens überwiesen werden, dann verstand es sich auch von selbst, daß man ihn hier erst abstrafte und nachher als Ausländer einfach über die Grenze schaffte.

Am Fluß selber kannte er genau jede Stelle, an der sich ein Fischdieb einigen Erfolg versprechen durfte, und am Strom hinauf hielt er sich ein Stück davon entfernt auf dem dunkeln und weichen Rasen, bis er einen solchen Platz erreichte und dann mit aller Umsicht dort hinüberschlich – aber immer vergebens. Da, wo er den Wasserrand erreichte, flog ein aufgescheuchter Vogel aus den Büschen, dort sprang ein Frosch in's Wasser, lauter Zeichen, daß sie kürzlich von keinem Menschen belästigt oder gestört worden, und er hatte den Drahtzaun schon fast erreicht, als er draußen vor dem Thor ein Pferd schnauben hörte.

»Na?« sagte der Förster und blieb erstaunt stehen, »wer hält denn jetzt da draußen vor dem Gitter? Die Gäste haben doch die Auffahrt alle vorn.« – Er wäre auch gern einmal vorgegangen, um den Kutscher zu fragen, was er da zu thun habe, denn Stadtwagen durften den Weg gar nicht fahren; knüpfte er aber hier ein Gespräch an, so verrieth er sich vielleicht dem möglicher Weise ganz in der Nähe befindlichen Fischdieb. Nicht einmal über das Gitter konnte er hier; ohne von dem Kutscher bemerkt und dann jedenfalls angerufen zu werden, und da der Maulwurfsfänger nicht innerhalb der Umzäunung stak, mußte er doch jedenfalls draußen sein, wo er auch noch weniger eine Entdeckung zu fürchten brauchte.

Der Förster also, dem nicht so viel daran lag, zu wissen, wer hier unbefugt fahre, da das auch eigentlich Sache des Haushofmeisters oder des Gärtners war, als vielmehr dem Maulwurfsfänger nachzuspüren, zog sich wieder in den Schutz der dichten Erlenschatten zurück und kreuzte, da er hier nicht durch den Fluß konnte, die Wiese. Weiter oben brauchte er dann nur dicht unter dem Holz über den Drahtzaun zu steigen und einen kleinen Bogen zu machen, und kam dann immer wieder, und zwar an einem der besten und bequemsten Fischplätze, an's Wasser.

Wie er den Waldrand erreichte und daran hinschlich, hörte er plötzlich ein Geräusch im Gehölz, als ob Jemand mit einem Stock auf den Boden schlüge. Er stutzte und horchte – jetzt war Alles ruhig. – Sollte denn der verteufelte Kerl selbst in dieser Nacht seinen Fasanen wieder nachstellen? Aber das war ja gar nicht möglich! Was hätte er denn in der Dunkelheit mit ihnen ausrichten können? Wenn man gegen die Bäume hinaufsah, war nichts als ein dunkler, undurchdringlicher Fleck zu erkennen, in dem man nicht einmal einen weißen Vogel so groß wie ein Truthahn unterschieden haben würde, viel weniger einen dunkeln Fasan, der sich an einen der gleichfarbigen und dichtbelaubten Äste schmiegte. Das war vollkommen unmöglich, und wenn – da wieder – wieder das nämliche Geräusch in den Büschen, genau so, als ob ein Rehbock den Grund mit den Vorderläufen schlägt.

Der Förster horchte noch gespannt, um sich der genauen Richtung zu vergewissern, als er hinter sich nach der Wiese zu ein Geräusch hörte und den Kopf rasch dorthin drehte.

Er selber stand hier vollständig gedeckt mit seiner dunkeln Kleidung im Schatten der Bäume; ihn konnte Niemand sehen, das wußte er gut genug, so lange er sich wenigstens nicht von der Stelle bewegte, und sich langsam dem neuen Geräusch zukehrend, erkannte er jetzt eine lichte Gestalt, der eine andere, dunkler gekleidete wie ein Schatten folgte. Beide schritten auf dem hier mitten durch die Wiese führenden Kiesweg entlang und eilten, allem Anschein nach, der Richtung zu, in der er das Pferd hatte schnauben hören.

»Das ist doch merkwürdig,« dachte er, indem er mit dem Kopf schüttelte, »da drinnen im Schloß fängt die Geschichte gerade an, und da sind zwei Damen, die jetzt schon genug davon haben? Und aus der Stadt können sie auch nicht sein, denn wie kämen die mit ihrem Wagen da hinten an das Gitter? Muß doch einmal nachher den Haushofmeister fragen. Oder ging' ich nicht lieber gleich selber hin und sähe zu? Die Sache kommt mir beinahe verdächtig vor und 'was Heimliches muß jedenfalls dahinter stecken.«

Der Förster stand noch unschlüssig, was er thun sollte, als sich der Lärm im Busch wiederholte, jetzt aber viel lauter und anhaltender, als vorher. Es schlug in den Büschen, als ob Jemand mit Gewalt durch ein Dickicht brechen wolle und nicht hindurch könne, oder an einem Busch risse, der nicht nachgeben wollte.

Selbst die beiden Frauen auf dem Weg schienen das Geräusch gehört zu haben, denn wie der Förster den Kopf noch einmal dorthin wandte, sah er, daß sie ihren Schritt beeilten, und besonders die erste in dem lichten Kleide flog wie ein gescheuchtes Reh den Weg entlang, während die andere, welche etwas zu tragen schien, nicht so rasch folgen konnte und eine Strecke zurückblieb. Zu jeder andern Zeit würde dem Förster diese nächtliche und, wie es schien, sehr eilige Wanderung der beiden Damen verdächtig vorgekommen sein und er wahrlich nicht versäumt haben, der Sache näher auf die Spur zu kommen. Aber da drin im Busche war etwas los; das klang jetzt genau, als ob sich ein Stück Wild irgendwo gefangen habe oder vielleicht im Todeskampf mit den Läufen austräte. Was kümmerten ihn die Frauenzimmer; sein Beruf lag dort im Busch drin, und sich den Hut fest auf den Kopf ziehend, daß er ihm nicht in der Dunkelheit von irgend einem vorstehenden Zweig abgeschlagen wurde, tauchte er rasch in den schmalen Streifen Dickicht ein, der die Wiese von dem Kiefernwäldchen abschied und etwa zwanzig Schritt breit sein mochte. War es doch nur eine Anpflanzung von Blüthenbüschen, um mit diesen die Lichtung zu verdecken, welche die hochstämmigen Kiefern bildeten.

Der Förster hütete sich dabei viel Geräusch zu machen. Während er aber selber durch die Büsche kroch, konnte er natürlich nichts hören, denn die Zweige rauschten zu viel neben ihm. Nur erst wie er den Rand und damit das offene Holz erreichte, hielt er wieder still und horchte; da drüben raschelte und schlug es noch, aber auch von links her glaubte er ein Geräusch zu hören, und als er den Kopf dorthin wandte, vernahm er die Schritte eines Menschen, der sich unfehlbar in dem dichten Schatten jenes angepflanzten Fichtenstreifens hielt, denn zu erkennen war in der Dunkelheit und hier in einer Art von Wald nicht das Geringste.

So wie er selber aber nichts sehen konnte, so brauchte er jetzt auch nicht zu fürchten, von jemand Anderem gesehen zu werden, und vorsichtig aus dem Gebüsch heraustretend, glitt er mit auf den Kiefernadeln vollständig geräuschlosem Tritt der Richtung zu, nach der er die Schritte und jetzt auch noch das immer stärker werdende Rascheln in den Büschen hörte.

Wer es sei, der hier bei Nachtzeit in dem Dickicht herumsprang, ließ sich allerdings nicht unterscheiden, ja, der Förster hatte noch nicht einmal die Gestalt erkennen können; aber das blieb sich gleich. Wer sich auch hier befand, war auf faulen Pfaden und hatte hier nichts in der Nacht zu suchen, und die Flinte gespannt in der rechten Hand, den Finger am Bügel, um rasch damit nach dem Drücker herunterfahren zu können, glitt er so leise, aber auch so rasch, wie er möglicher Weise konnte, weiter auf seiner Bahn.

Das Geräusch der Schritte hörte er dabei, als er einen Moment anhielt, um zu horchen, eine kurze Strecke vor sich; jetzt ließ es sich nicht mehr unterscheiden, da es aus einer Richtung mit dem andern kam, das stärker und heftiger wurde, aber genau auf der nämlichen Stelle blieb. Der Förster war nahe genug gekommen, um sicher zu bestimmen, daß es aus dem schmalen Fichtenstreifen herrührte, der an dem jetzt draußen angebauten Haferfeld entlang lief. Was, um Gottes willen, war da nur los? Hatte sich ein Stück Wild gefangen – Schlingen? Zum ersten Mal zuckte es dem alten Forstmann durch den Sinn: dort war eine Schlinge gestellt, und er ertappte den Verbrecher jetzt auf frischer That.

Der Maulwurfsfänger indessen, mit keiner Ahnung, daß ihm sein grimmigster und gefährlichster Feind so dicht auf den Fersen sei, sprang so rasch er konnte der Richtung zu, in der er das gefangene Wild mit den Läufen schlagen hörte. Er achtete dabei nicht einmal auf seinen kleinen Spitz, der dicht hinter ihm folgte, dem aber das Geräusch in der Nachbarschaft dabei nicht entgangen war.

Das kleine kluge Thier stutzte und knurrte leise, denn es wußte recht gut, daß es nicht laut werden durfte – der Maulwurfsfänger hatte es schon seit langen Jahren darauf dressirt, – aber sein Herr hörte nicht. Er lief ihm nach, bis er dicht hinter ihm war, und knurrte stärker, aber mit nicht besserem Erfolg. Der Maulwurfsfänger, von der Leidenschaft ergriffen, hörte und sah nichts weiter, als seine Beute. Der Förster saß, er hatte ihn selber gesehen, in der Stube des Haushofmeisters hinter einer Flasche Wein; der Forstgehülfe war mit den Böllern beschäftigt, weiter hatte er Niemanden zu fürchten, und es blieb ihm da übrig Zeit, den Lohn für seine Mühen zu nehmen und fortzuschaffen. Und mit Einem Sprung in das Dickicht hinein, war er auf dem gefangenen Schmalthier und genickte es ab.

Jetzt war Alles todtenstill – nein, da drinnen regte sich 'was, und sein Spitz, der in diesem Augenblick dicht hinter ihm stand, knurrte lauter.

»Was giebt's, Spitz?« rief der Alte erschreckt. »Kommt Jemand?«

Der Spitz knurrte noch einmal und schlug plötzlich laut an; der Wilddieb erschrak, denn das war ein untrügliches Zeichen, daß ihm Gefahr in unmittelbarer Nähe drohe. Fast unwillkürlich griff er freilich nach der Schlinge, um diese zu lösen und seine Beute frei zu bekommen; aber die Hände zitterten ihm dabei, und er horchte gespannt nach den Kiefern hinüber.

Lange in Zweifel sollte er aber nicht bleiben. War der Förster schon überhaupt in nächster Nähe, durch den Todeskampf des Thieres der richtigen Stelle zugelenkt worden, so verrieth jetzt das Bellen des Hundes nicht allein den genauen Punkt, sondern auch den, mit dem er es hier zu thun hatte.

»Hab' ich Dich endlich einmal erwischt, Dich neunhäutige Canaille?« schrie er, indem er in die jungen Fichten hineinsprang, während er mit der Linken sein Gesicht gegen die schlagenden und stachlichten Büsche schützte, in der Rechten aber noch immer das gespannte Gewehr hielt. »Steh, Schuft, oder ich schieße Dich wie einen tollen Hund über den Haufen!«

Der Maulwurfsfänger hatte im Nu die Gefahr erkannt, aber er verlor seine Besinnung nicht. Der Förster durfte nicht schießen, das wußte er recht gut, die Gesetze verboten es; vor ihm lag das weite Haferfeld, und mit drei Schritten Vorsprung hätte ihn der Alte im Leben nicht eingeholt. So half es denn nichts; die schon sicher geglaubte Beute mußte er freilich im Stich lassen, aber für sich selber fürchtete er auch keinen Moment, und mit einem leisen, eigenthümlichen Pfiff, den sein Spitz gut genug kannte, richtete er sich empor und sprang über das erlegte Stück hinweg, um das Freie zu gewinnen – aber hier fing er sich im wahren Sinne des Worts in seiner eigenen Schlinge.

Der starke Messingdraht war nämlich hoch genug gespannt, um den Kopf eines Stück Wildes in seinen Bereich zu bringen, wonach er dann, sobald sich etwas darin gefangen hatte, auf der einen Seite losriß, damit die Schlinge auf der andern desto fester angezogen werden konnte. Das Wildkalb hatte aber, von der Gewalt, die es festhielt, fortdrängend, seinen Kopf auf die entgegengesetzte Seite gebracht, und als es im Todeskampfe zusammenbrach, drückte es hier den Messingdraht mit sich nieder. Wenn sich aber der kleine, schwanke Fichtenstamm, an welchem derselbe befestigt war, auch halb niederbog, so blieb der Draht doch an jener Seite höher gespannt, was der Mann natürlich in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Als er deshalb über das Wildkalb hinwegsprang, hakte sein einer Fuß darin, und ehe er den andern vorbringen konnte, um sich zu stützen, verlor er das Gleichgewicht und schlug der Länge nach auf den Boden nieder.

Der Förster, welcher jetzt dicht an ihm war, bekam hier einen freieren Blick, als unter den dunkeln Kiefern, da schon das lichte Haferfeld den Hintergrund bildete. Er hatte die aufspringende Gestalt auch bemerkt, und trotz seiner Jahre noch immer ziemlich rüstig, zögerte er keinen Augenblick, den Verbrecher zu packen. Sprang er dann in das Feld, ei, in die Beine durfte er ihn schießen, das war erlaubt, das wollte er wenigstens verantworten, oder dachte auch vielleicht in dem Augenblick gar nicht einmal daran, ob da eine Verantwortung nöthig sei. Nur erst einmal haben, das Andere fand sich alles nachher. Da sah er, wie der Flüchtling auf den Boden niederschlug, er hörte den Fall und setzte mit einem Jubelruf hinterdrein.

Hier aber störte ihn der Spitz, der ihm mit Wuthgekläff nach den Beinen fuhr, so daß er unwillkürlich erschreckt zur rechten Seite hinüberprallte, wo er ebenfalls gegen den starken Draht stieß. Das aber war kein Hinderniß. Ein Tritt nach dem Hund machte ihm einen Augenblick Luft; den Draht hielt er in der Hand und bückte sich geschwind darunter durch, und so rasch war das Alles gegangen, daß er dem zu Boden Geworfenen schon die Hand auf den Rock legte, als sich dieser von der Erde wieder emporschnellte und jetzt mit Einem Satz in's freie Feld hinausfliehen wollte.

Aber so leicht ging das nicht mehr. Der alte Förster hatte ihn wie mit eisernem Griff am Rock, und fühlte jetzt nicht einmal, daß ihm der Köter wieder nach den Beinen fuhr.

»Steh, Hund!« schrie er, die Flinte noch immer mit der Rechten haltend, »oder, Gott straf' mich, ich schieß' Dich zusammen!«

»Alter Tropf,« zischte der zur Verzweiflung getriebene Wilddieb zwischen den Zähnen durch, »Du hältst mich noch nicht!« Und den Arm herumwerfend, schnitt er ihm mit dem scharfen Genickfänger, den er noch immer in der Hand hielt, quer durch das Gesicht hinüber. In demselben Moment that er einen Ruck, und während der Förster, durch Schmerz und Schreck übermannt, einen Augenblick in seinem Griff nachließ, riß er sich los und sprang jetzt, nicht in das offene Haferfeld, sondern in das Fichtendickicht hinein, wohin ihm der Alte mit der Wunde gar nicht folgen konnte.

Der Förster fühlte, wie ihm das Blut in's rechte Auge rann, und fast rasend vor Wuth, riß er die Flinte an die Backe und drückte ab. Sehen konnte er nichts, denn die Gestalt des Flüchtigen war schon im Dickicht verschwunden; nur die Richtung hielt er, und fast unwillkürlich tief, um keinen Mord zu begehen. Aber zeichnen wollte er den Halunken, daß er ihm morgen seine Thäterschaft beweisen konnte, und kein Gericht in der Welt hätte ihn deshalb, wie er meinte, verurtheilen dürfen.

Erst mit dem Schuß selber kam er eigentlich wieder zur Besinnung und horchte jetzt in den Wald hinein, während er sich mit der linken Hand in's Gesicht fühlte. Heiland der Welt, was ihm der Schuft für einen Schnitt versetzt hatte, und wie das brannte und blutete! Seine ganze Hand war naß, und er fühlte, wie ihm der warme Strom in den Bart hineinlief. Aber nichts regte sich im Gebüsch; war der Bursche doch in's freie Feld hinausgeflohen? Er sprang dort hinüber, aber er konnte nichts sehen. Das rechte Auge war schon völlig zugeklebt, und vor dem linken flimmerte es ihm wie tausend Sterne und Lichter.

Da drinnen war es ihm eben, als ob er etwas hätte rascheln hören; jetzt Alles wieder ruhig, es konnte eine Maus gewesen sein – oder hatte er den Menschen todtgeschossen?

Es fing an ihm unheimlich da draußen allein im Walde zu werden – und wie ihn sein Gesicht schmerzte! Was konnte er auch weiter jetzt hier thun? Es blieb am besten, er ging zurück in's Schloß, um dort seinen Bericht abzustatten und sich die Wunde verbinden zu lassen, es wurde ihm überhaupt schon so weich und schwach um's Herz und in den Gliedern. Das war ein schöner Festabend, wo er einmal hatte recht vergnügt sein wollen; Jesus, wie mußte er jetzt aussehen und die Leute erschrecken, wenn er dort zurück zu den fröhlichen Menschen kam – und heute gerade Verlobung! Aber allein wäre er nicht mehr im Stande gewesen, sein eigenes, fast eine halbe Stunde entferntes Forsthaus zu erreichen; er wollte, daß er erst die kurze Strecke nach dem Schloß zurückgelegt, so schwer, so furchtbar schwer wurden ihm die Glieder.

Draußen am Haferrand konnte er nicht hingehen; dort war ein tiefer Graben, über den er jetzt nicht zu springen wagte. Er taumelte in das Kieferwäldchen zurück, um wieder auf den freien Kiesweg im Innern des Parks zu kommen. Dort hatte er auch nicht mehr so weit nach dem Schlosse. Jetzt erreichte er die Büsche, die ihn noch vom Wege trennten; dort hindurch führte irgendwo ein schmaler Pfad, aber wie sollte er den jetzt finden? Er mußte gerade hindurch, und wie weh das that, wenn ihn einer der Zweige auf die Wunde schlug, und wie schwindelig er wurde! Es war ihm ordentlich, als ob der Boden unter seinen Füßen schwanke; aber weiter, nur weiter, daß er wieder zu Menschen, zu Hülfe kam und dort seine Geschichte erzählen konnte.

Jetzt sah er den lichteren Grasplatz vor sich – da war auch der Weg – Gott sei Dank! Den Park entlang galoppirte ein Reiter, was das Pferd laufen wollte; war das der Maulwurfsfänger? Aber wo hatte der so schnell das Pferd herbekommen? Es wurde ihm immer schwächer zu Sinn; seine Gedanken verwirrten sich, weite, glänzende Regenbogen flimmerten ihm vor den Augen und der ganze Park drehte sich mit ihm. Hatte er denn auch die rechte Richtung eingeschlagen und lag das Schloß dorthin zu oder dort drüben? Er war ganz irre geworden und blieb stehen; wie ihm die Kniee zitterten! Er streckte den Arm aus, um sich an etwas zu halten; aber die tastende Hand griff nichts weiter, als die elastischen Zweige der nächsten kleinen Büsche.

Noch that er einige Schritte vorwärts über den Weg hinüber auf den Rasen; er fühlte, daß er umsinken müsse – dann schwanden ihm die Sinne und er brach ohnmächtig, wo er stand, zusammen.

22.
Ein gestörtes Fest.

Lautlose Stille herrschte in dem Festsaal, als der alte Graf ihn verlassen hatte und nicht zurückkehrte. Man wußte, es war etwas geschehen – aber was? Die Gräfin behauptete noch immer ihren Platz; ein Diener war an ihr vorbeigegangen und hatte ihr einige Worte zugeflüstert. Sie hielt sich stolz aufrecht und suchte ruhig auszusehen. War es möglich, noch einen Eclat zu vermeiden? Der Gedanke allein hielt ihre Sinne gefesselt.

Helene befand sich in einer furchtbaren Unruhe. Irgend etwas mußte vorgefallen sein. Selbst die Diener sahen verstört aus – irgend etwas Entsetzliches – und Paula's Aufregung vorher! – Aber die Musik, die hinter ihrem Vorhang nichts davon bemerkte, spielte noch immer den Festmarsch weiter.

»Meine Gnädige,« flüsterte der Staatsrath seiner Nachbarin zu, »wie mir scheinen will, fallen wir mit unserem Tannhäuser vollständig aus der Rolle. Die Verwirrung tritt schon ein, ehe der Festmarsch zu Ende ist, und jetzt wird gleich der Chor der Pilger erschallen. Ich fürchte, wir bekommen heut Abend nichts zu essen.«

»Das wäre entsetzlich!« sagte das alte Stiftsfräulein mit einem giftigen Blick über die Tafel. »Und doch hat der Graf da Silber genug aufgeschichtet, um das Banket eines Kaisers zu überfüllen.«

»Ich habe einen starken Verdacht, daß die Platten – plattirt sind,« flüsterte der Staatsrath.

»Wohl möglich,« meinte das Fräulein; »lieber Gott, es ist ja Alles Schein heutzutage auf der Welt!« – und sie hatte wirklich Ursache, so zu reden, denn sie selber trug falsche Locken, falsche Zähne und falsche Wattirungen, und der Staatsrath, mit einem boshaften Blick über ihre Gestalt, flüsterte:

»Wie Recht haben Sie, meine Gnädige! Aber da kommt George, er sieht blasser aus, wie gewöhnlich.«

Der alte Graf Bolten, der sich bis jetzt außerordentlich ruhig gehalten und nicht von seinem Platz bewegt hatte, ging auf ihn zu, nahm seinen Arm, flüsterte einen Augenblick mit ihm und verließ dann den Saal.

»Was ist, George?« sagte die Gräfin. »Warum kommt der Vater nicht zurück? Wo bleibt Paula? Unsere Gäste warten...«

»Ein plötzliches Unwohlsein hat den Vater ergriffen,« sagte George mit heiserer, fast tonloser Stimme. »Es thut mir leid, die Gesellschaft zu stören; ich fürchte, er wird nicht bei der Tafel erscheinen können.«

Die Trompeten hinter dem Vorhange schmetterten ihre fröhlichen Weisen so stark hervor, daß die Worte beinahe unverständlich wurden. George schritt zu dem Vorhang, schlug ihn zurück und gebot Ruhe.

Mit einem Mißklang hörten die Leute überrascht mitten im Tact auf, und eine unheimliche Stille lag in dem Moment auf dem Saal. Da trat der alte Graf Bolten wieder in den Saal und sagte mit ernster, aber vollkommen leidenschaftsloser Stimme:

»Meine Herrschaften, es thut mir leid, Sie benachrichtigen zu müssen, daß wir uns in keinem Hause der Freude, sondern in einem Hause der Trauer befinden. Meinen alten Freund Graf Monford hat ein ernster Unfall betroffen, der seine Familie an sein Lager fesseln muß – die Tafel ist aufgehoben, denn es würde unmöglich sein, unter diesen Umständen noch längere Störung hier zu verursachen.«

»Aber was fehlt ihm? Was ist geschehen?« rief es von allen Seiten.

»Hoffentlich nichts,« erwiderte abweisend der alte Herr, »was uns verhindern könnte, in einigen Wochen, ja, vielleicht in einigen Tagen wieder eben so fröhlich hier zusammen zu kommen – Frau Gräfin, erlauben Sie mir, daß ich Ihnen meinen Arm biete und Sie hinüber zu Ihrem Gemahl führe.«

»Jetzt kommt der Chor der Pilger, meine Gnädige; habe ich es Ihnen nicht gesagt? Und wie gut die Suppe riecht!« flüsterte der Staatsrath seiner Nachbarin zu.

»Meine Nerven!« stöhnte diese und machte eine Bewegung, als ob sie sich an seinen Arm hängen wollte, dem der Hofmann aber geschickt auswich, indem er that, als ob er es gar nicht bemerkte, und sich rasch ab zu einem Andern der Gesellschaft wandte. Die Dame wurde deshalb nicht ohnmächtig.

Aber eine grenzenlose Verwirrung hatte sich indessen der Gäste bemächtigt. Felix war rasch zu Helenen hinüber gegangen. Er wollte mit George sprechen, aber dieser war seiner Mutter schon gefolgt, und aufdrängen durfte er sich nicht. Er fühlte auch recht gut, daß man jetzt der Familie keinen größeren Gefallen thun könne, als sie sobald als irgend möglich von der Gegenwart Fremder zu befreien; deshalb Helenens Arm ergreifend, flüsterte er ihr rasch zu:

»Komm, mein Herz, hier ist weiter nichts zu thun, als uns zu entfernen. Bei der wundervollen Nacht gehen wir recht gut zu Fuß in die Stadt zurück; laß uns ein wenig eilen, daß wir nicht in den Troß kommen.« Er nahm ihren Arm und führte sie aus dem Saal, und das war das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.

Draußen auf dem Gang stand ein alter Diener, der dem Grafen seinen Rock gab.

»Können Sie mir nicht sagen, Freund, was vorgefallen ist?«

»Der große Gott weiß es!« sagte der Alte, und die Thränen standen ihm in den Augen – »aber Geheimniß kann's nicht mehr bleiben: die junge Comtesse ist fort und Graf Bolten ihr nach. Draußen im Park fiel eben ein Schuß, die Diener wollen mit Fackeln hinaus – das überlebt der alte Herr nicht.«

»Großer Gott, Paula?« rief Helene. Felix aber, ihr selber den Mantel umwerfend und ihren Arm in den seinen ziehend, führte sie hinaus in's Freie.

Nicht so rasch kam die übrige Gesellschaft fort. Viele der Damen, ja, die meisten trugen weiße Atlasschuhe, da man sehr stark auf einen kleinen Ball gerechnet hatte. Sollten sie in diesen den weiten Weg in die Stadt zurücklegen? Aber die Wagen konnte man doch auch unmöglich hier erwarten, und ein anderes Haus war nicht in der Nähe. Boten über Boten wurden jetzt vorausgeschickt, Leute waren dazu genug versammelt, um die Wagen zu beordern, daß sie wenigstens entgegenkamen, oder an Droschken auftrieben, was sich finden ließ – am Theater hielten jetzt eine Menge –, und wie die wilde Jagd hetzten eine Anzahl von jungen Burschen den Weg hinab und an Rottacks vorüber.

Immer leerer wurde es oben im Schlosse, immer unheimlicher. George selber war auf einem zweiten Pferd davongesprengt – wohin? Er wußte es selber nicht.

In Paula's Zimmer stand die Gräfin und las ein kleines Briefchen, das sie versiegelt auf der Tochter Toilettentisch gefunden. Ihr Gesicht war marmorbleich, aber keiner ihrer eisenharten Züge verrieth, welche Gefühle in diesem Augenblick ihr Inneres bewegten.

In dem Zettel, der »An meine Eltern« überschrieben war, standen nur folgende wenige Worte: »Lieber Vater, liebe Mutter! Ich kann den jungen Bolten nicht heirathen, ich würde unglücklich mein ganzes Leben sein. Ich liebe mit aller Kraft meiner Seele Rudolph Handor und werde sein Weib. Oh, verzeiht Eurer armen Tochter!«

Sie faltete das Billet zusammen, kleiner und kleiner, bis es einen dünnen Streifen bildete, und fast mechanisch hob sie es dann empor zum Licht, entzündete es und sah zu, bis es sich verzehrte, ja, die Spitzen ihrer weißen Glacéhandschuhe versengte. Dann schritt sie langsam hinüber zu ihrem Gatten, der noch immer bewußtlos auf einem Sopha lag, während ihm der Haushofmeister mit zitternden Händen kalte Umschläge um die Schläfe machte. Der alte Graf Bolten stand daneben, die rechte Hand auf den Tisch gestützt, in starrer Ruhe und verwandte keinen Blick von dem unglücklichen alten Manne.

Drei Boten waren nach verschiedenen Ärzten gesandt, um sie rasch herbeizurufen; sie konnten aber noch nicht da sein, der Weg war zu weit.

Die Gräfin trat in's Zimmer; Graf Bolten rührte sich nicht und wandte ihr den Blick nicht einmal zu. Sie zog ihre weißen Glacéhandschuhe aus, nahm dem Haushofmeister das nasse Tuch ab und sagte tonlos:

»Sehen Sie nach der Tafel – daß alle Fremden das Haus verlassen – einige junge Leute behalten Sie zurück, wenn wir vielleicht noch Boten gebrauchen sollten.«

»Zu Befehl, Frau Gräfin.«

»Wo ist George?«

»Fort – er hat sich ein Pferd satteln lassen.«

»Es ist gut – sehen Sie nach dem Hause.«

Der Haushofmeister zog sich mit einer Verbeugung und einem traurigen Blick auf seinen Herrn zurück; er wäre noch so gern bei ihm geblieben, aber seine Pflicht rief ihn auf seinen Posten. Die Frau Gräfin hatte Recht: die Masse dort aufgestellten Silbers durfte nicht ohne Aufsicht bleiben – daß sie nur daran gedacht hatte!

Eine halbe Stunde verging so. Graf Bolten rührte sich nicht, er schien wie aus Stein gehauen, und nicht regungsloser war der Ohnmächtige auf dem Sopha, dem die Gattin ruhig und mechanisch die Umschläge wechselte. Endlich fuhr ein Wagen vor. So still war es im Hause geworden, daß man deutlich das Knirschen der leichten Räder auf dem Kies hören konnte. Es war einer der Ärzte, der in Carrière herausgejagt sein mußte.

Draußen vor dem Fenster wurden auch Stimmen laut und Leute kamen mit Fackeln. Weder Graf Bolten noch Gräfin Monford beachteten es. Der Arzt schien einen Augenblick da draußen aufgehalten zu sein; es dauerte wenigstens unverhältnißmäßig lange, ehe er eintrat, oder däuchte ihnen die Zeit nur so lang? Endlich kam er und trat zu dem Lager des Kranken, dessen Hand er nahm, um den Puls zu fühlen.

»Gnädige Gräfin, ich bedauere unendlich...«

»Was halten Sie von seinem Zustand, Doctor?«

Der Doctor schüttelte mit dem Kopf – endlich frug er leise:

»Liegt irgend eine bestimmte Ursache dieser heftigen Störung der Lebensthätigkeit vor? Schreck oder Gemüthsbewegung?«

»Es ist möglich,« erwiderte kaum hörbar die Gräfin.

Der Arzt nickte, ohne etwas weiter zu fragen oder den Puls des Kranken loszulassen. Er hielt einen Aderlaß für nothwendig, aber ehe er ihn anwenden konnte, schlug der Kranke die Augen auf und stierte den Doctor bestürzt an.

»Mein bester Herr Graf, wie fühlen Sie sich jetzt? Es ist Ihnen plötzlich unwohl geworden, nicht wahr?«

Der Graf antwortete nicht. Er schloß die Augen wieder und legte seine Hand gegen die Stirn, als ob er sich auf etwas besänne. Er trug noch seine weißen Handschuhe, und der Arzt entfernte sie jetzt vorsichtig, was der Leidende ruhig geschehen ließ, und rieb ihm dann die Schläfe mit Eau de Cologne.

»Ich danke Ihnen, Doctor,« sagte der Kranke nach einiger Zeit – es waren die ersten Worte, die er wieder sprach –; »bitte, legen Sie mir die Handschuhe nicht fort, ich muß zur Gesellschaft zurück.«

Der Doctor sah die Gräfin fragend an.

»Heute Abend nicht mehr, George,« sagte diese. »Du hast sehr lange in Ohnmacht gelegen, die Gäste sind längst nach Hause, es ist spät.«

Der Kranke sah sie rasch an, und wieder fuhr er sich nach der Stirn, lag aber eine Weile ruhig. Endlich sagte er leise:

»Schicke George und Paula zu mir her; ich will sie sprechen.«

»Die Kinder sind schon im Bett,« erwiderte die Gräfin – »morgen früh – heute halte Dich nur ganz ruhig, daß Du morgen wieder wohl und kräftig bist. Fühlst Du Dich besser?«

Der Arzt hatte zu Graf Bolten aufgesehen, als dieser ihm ein Zeichen gab und das Zimmer verließ. Der Arzt folgte ihm nach einigen Secunden.

»Was halten Sie von dem Zustand des Kranken? Glauben Sie, daß es eine bloße Ohnmacht war?«

»Ich – hoffe, ja. – Hat der Graf Monford dieses Zucken des linken Augenlides schon öfter gehabt?«

»Ich glaube nicht; ich habe es nie bemerkt.«

»Es kann Schwäche im Auge sein; ich hoffe, es ist nicht mehr.«

»Und was fürchten Sie sonst?«

»Oh, nichts, in der That nichts! Nur im ersten Augenblick fürchtete ich, daß es ein leichter Schlaganfall sein könne. Er ist aber ja schon wieder vollkommen bei Besinnung.«

Der Graf nickte langsam mit dem Kopf und sagte endlich:

»Gehen Sie wieder zu dem Kranken hinein, Doctor, ich will nach Hause fahren. Ich glaube, Ruhe wird ihm am wohlsten thun. Gute Nacht, Doctor. Morgen früh bitte ich Sie, mir Nachricht zu senden, wie Sie ihn verlassen haben."

»Sehr gern, Herr Graf, ich werde nicht ermangeln – da draußen haben sie ja auch einen Verwundeten...«

»Einen Verwundeten?« fragte der Graf hastig und erschreckt.

»Den alten Förster. Sie brachten ihn eben in's Haus, wie ich ankam, aber es scheint nichts Gefährliches zu sein. Nur ein Schnitt oder ein Hieb durch's Gesicht – er war von Blutverlust wahrscheinlich ohnmächtig geworden. Ich werde dann gleich nach ihm sehen.«

Der Graf zog seinen Überrock allein an, denn die Diener waren alle hinausgegangen, nahm seinen Hut, nickte dem Arzt noch einmal zu und verließ das Haus, um sich erst der Richtung hinter dem Schlosse zuzuwenden, wo er noch die Fackeln sah.

Allgemeine Bestürzung herrschte indessen auch unter der Dienerschaft, der das Vorgefallene natürlich kein Geheimniß bleiben konnte, ja, die das eigentlich Geschehene sogar schon früher wußte, als die Herrschaft selber. Der junge Gärtnerbursche hatte nämlich erzählt, daß er, als er im Park heraufgekommen wäre, ein paar Frauen bemerkt hätte – Damen mit großen, weiten Kleidern, die rasch den Weg hinabgeeilt wären und von denen die eine etwas Schweres getragen hätte. Vorher aber habe er einen Wagen unten am Drahtthor halten sehen, und ein Herr dort habe ihn gefragt, ob die Tafel schon begonnen hätte. Er glaubte damals, daß der Herr mit zu den Gästen gehöre, vielleicht einer der Rittergutsbesitzer aus der Nachbarschaft, der den Weg durch den Wald gekommen sei; nur daß er nicht mitging oder das Thor nicht geöffnet haben wollte, wunderte ihn – auf was wartete er denn noch? Aber er mußte sich selber eilen, daß er das Tractement nicht versäumte. Die Damen, denen er nachher begegnete, machten ihn stutzig, und er erzählte, was er gesehen, dem einen Lakai, der jetzt seinerseits die Kammerjungfer der gnädigen Comtesse suchte, sie aber nirgends finden konnte. Ehe man aber der Herrschaft selber Mittheilung davon machen konnte, war die Flucht der Comtesse oder wenigstens ihre Abwesenheit schon bemerkt, und der Bericht des Gärtners konnte nur die Richtung andeuten, die sie genommen. Bald darauf sprengte Graf Bolten fort, und gleich danach fiel der Schuß in derselben Gegend.

Der Haushofmeister hatte eine Anzahl von Pechfackeln herausschaffen lassen, um sie heute vielleicht beim Heimfahren der Herrschaften zu verwenden. Mit einigen von diesen machte sich nun eine Anzahl junger Burschen, darunter der Forstgehülfe, auf, um den Park abzusuchen, und da sie sich auf den Wegen vertheilten, trafen sie hier auf den ohnmächtig gewordenen alten Förster, den sie jetzt zurück zum Schloß trugen. Mehrere wurden freilich nach dem Drahtthor geschickt, um dort nach dem Wagen zu sehen, aber der war natürlich fort. Nur die Gleise desselben fanden sie im Sande, wo er gehalten, dann hatte er den dort einzigen Weg nach dem Dorfe eingeschlagen – aber wohin dann weiter? Im Dorf selber liefen vier Wege nach vier verschiedenen Richtungen ab – welchen hatte der Wagen nun verfolgt? Das Dorf lag auch zu weit, um dort jetzt nachzusehen; auch ging der Wind heut Abend ziemlich heftig, und sie hätten sich mit den Pechfackeln, die fortwährend Funken abwarfen, doch nicht zwischen die Strohdächer hineinwagen dürfen. Die Bauern würden es gar nicht gelitten haben.

Der Förster erholte sich übrigens sehr rasch wieder und kaum wie sie ihn in des Haushofmeisters Zimmer auf ein schnell hergerichtetes Lager gelegt hatten. Blutverlust mußte die Ursache seiner Ohnmacht gewesen sein, vielleicht auch der Schmerz der Wunde mit der Aufregung. Wie aber das vorquellende Blut gerann, hörte auch die Blutung von selber auf; der Alte sah aber schrecklich aus.

Der Schnitt ging ihm über dem rechten Auge weg quer über die Nasenwurzel und dann schräg die linke Backe hinab, den er vollständig geschlitzt hatte, daß er auseinander klaffte. Seine Kleider waren dabei bis hinab wie mit Blut getränkt, und die Leute fürchteten zuerst, daß er noch vielleicht eine andere und gefährlichere Wunde an sich habe. Er wurde deshalb ausgezogen und untersucht; es ergab sich aber glücklicher Weise nichts Derartiges, und als er wieder zu sich kam, bestätigte er auch, daß er nirgends sonst getroffen sei; nur den Schnitt habe ihm der verfluchte Kerl, der Maulwurfsfänger, gegeben, als er ihn beim Wildern erwischt, und die kleine Kröte, der Spitz, müsse ihn auch in die Beine gebissen haben – der eine Hinterlauf schmerze ihn schändlich da unten um die Wade herum.

Das erwies sich in der That so; die Hose war dort an drei oder vier Stellen zerrissen und das scharfe Gebiß der kleinen Bestie tief in das Bein eingedrückt, daß das Blut daran herunter gelaufen.

Also mit der Flucht der Comtesse hatte diese Verwundung, wie die Leute anfangs geglaubt, gar nichts zu thun. Dem alten Manne that aber besonders die zerschnittene Backe so weh, daß ihm das Sprechen außerordentlich schwer wurde. Er wollte noch etwas sagen, ließ es aber wieder sein und flüsterte nur das Eine Wort: »Doctor –« dann legte er den Kopf zurück, um sich auszuruhen. Der Doctor war aber noch drinnen beim Grafen und konnte nicht herausgerufen werden – er sollte sich nur noch ein klein Weilchen gedulden, er käme gleich.

Jetzt fuhren noch rasch hintereinander zwei Wagen vor, in denen die beiden anderen herbeigerufenen Ärzte saßen. Der eine von diesen wurde auch sofort bedeutet, daß er, so schnell er irgend könne, hinüber in des Haushofmeisters Zimmer käme, wo ein Verwundeter läge; vorher mußten die beiden Herren aber pflichtschuldigst zum Grafen hinein. Der eine fragte nur: »Was für eine Wunde?«

»Ein Schnitt durch's ganze Gesicht.«

»Nun, das ist nicht so gefährlich, ich komme gleich hinüber« – und damit war er rasch verschwunden, und der Förster mußte warten.

Bei dem Grafen aber konnten sie gar nichts thun. Er hatte sich wieder erholt, fühlte sich jedoch noch sehr angegriffen und beantwortete die an ihn gerichteten Fragen zuerst nur ganz unvollständig und dann gar nicht mehr, und winkte endlich mit der Hand – er wollte allein sein.

Die Ärzte zogen sich zu einer Berathung zurück, das heißt, keiner von ihnen wollte den andern fragen, was er über die Sache denke – er hätte sich dadurch etwas vergeben können –, sondern nur seine Meinung geltend machen. Der Hausarzt, ein Ober-Medicinalrath, behandelte die Sache auch sehr cavalièrement. – Es hatte nichts zu sagen: er kannte die Natur des Grafen – morgen würde nichts von der heutigen Schwäche übrig sein. Es war nur eine Nervenaufregung oder Überreizung, er hoffe das Beste. Die beiden anderen Herren waren ja doch nur aus Versehen, oder in der Angst, ihn nicht gleich zu treffen, gerufen worden.

Der zuerst gekommene Arzt widersprach dem vollkommen und hielt es für einen Nervenschlag, der vielleicht wiederkehren könne. Der Ober-Medicinalrath zuckte die Achseln – was half es ihm zu widersprechen! Er hatte die Behandlung des Kranken ja doch von jetzt ab allein, und die Consultation war eine bloße Höflichkeitsform. Er bat die Herren, ihn zu entschuldigen, da er noch einen andern Fall im Hause zu behandeln habe, und ging zu dem alten Förster hinüber.

Hier aber war nicht viel zu thun. Er nähte die furchtbare Wunde ziemlich gleichmüthig zu, wobei er sich erkundigte, woher der Alte den Schnitt habe, legte dann einen Verband um, betrachtete sich die Bißwunden, ließ sie auswaschen, verordnete kalte Umschläge und ließ sich dann von dem Haushofmeister ein Zimmer anweisen. Er wollte hier übernachten, falls die Frau Gräfin noch einmal nach ihm verlangen sollte.

Der alte Förster fühlte sich indeß durch das Zunähen der Wunde und den Verband sehr erleichtert; er ließ sich noch ein Glas Wein geben, um sich ein wenig zu stärken, und verlangte dann nach seinem Forstgehülfen.

Während er so da lag, war ihm doch die Sache mit dem Schuß, und daß er nachher noch ein Rascheln in den Büschen gehört hatte, im Kopf herumgegangen. Wenn er den Menschen nun doch, obgleich er blind in den Busch gefeuert und tief gehalten, getroffen? Der Forstgehülfe stand noch draußen und besprach die Familienverhältnisse mit einem der Lakaien, der höchst entrüstet über die Flucht war, denn das Kammermädchen schien Eindruck auf ihn gemacht zu haben, und nicht ihm einmal hatte sie sich entdeckt!

»Herr Förster, Sie haben nach mir verlangt!«

»Ach, Wenzel, sind Sie das? Stopfen Sie mir erst einmal meine Pfeife; sie steckt in der linken Rocktasche und der Tabaksbeutel in der rechten.«

»Ja wohl, Herr Förster.« Die Pfeife wurde gestopft und gebracht. Wenzel zündete einen Fidibus an, aber das Rauchen wollte nicht recht gehen. Hatte die Pfeife keinen Zug, oder that ihm dabei die Backe so weh? Der Forstgehülfe selber probirte, sie zog vortrefflich; der Förster nahm sie noch einmal zwischen die Lippen, aber es ging nicht. Er seufzte tief auf und gab sie Wenzel zurück.

»Rauchen Sie sie selber, Wenzel,« sagte er traurig; »es geht nicht. Der verfluchte Maulwurfsfänger!«

»Und weiter soll ich nichts?« fragte der Forstgehülfe, der, dem Auftrag gehorsam, die Pfeife zwischen die Zähne nahm.

»Doch Wenzel; setzen Sie sich einmal einen Augenblick hierher. Das Maul thut mir so weh, ich kann nicht laut sprechen. Nehmen Sie sich Jemanden mit einer Laterne mit, und gehen Sie auf den Platz zurück, wo Sie mich vorher gefunden haben. Das wissen Sie doch, wo das war?«

»Ja wohl, Herr Förster.«

»Gut, von da an gehen Sie auf meinem Schweiß zurück bis zu dem Fichtenstreifen, der am Hafer hinläuft. Sie können nicht fehlen, er muß überall auf den Büschen sitzen. Dort finden Sie eine Drahtschlinge, die der verdammte Halunke, der Maulwurfsfänger, gelegt hat, und ein Stück Wild darin; ich weiß nicht, was es ist, ich hatte keine Zeit, nachzusehen.«

»Der Lumpenkerl!« sagte der Forstgehülfe in gerechter Entrüstung – »ob ich's mir nicht immer gedacht habe!« und qualmte stärker.

»Halten Sie's Maul und hören Sie zu!« sagte der Förster – »gerade wo das Stück liegt, hab' ich gestanden, auf der andern Seite drüben und links hinein in die Fichten geschossen; die Schrote müssen noch in den Zweigen sitzen. Nehmen Sie sich lieber zwei Laternen mit, daß Sie besser sehen können, und suchen Sie mir die Fichten ab, ob ich den Lump nicht doch vielleicht zu Holz geschossen habe.«

»Glauben Sie, daß er etwas hat?«

»Ich weiß es nicht; hingehalten hab' ich – ein bischen tief – aber ich konnte nichts sehen; der Schweiß lief mir in's Auge und stockfinster war's auch, und der Kerl stak in dem jungen Holz drin – aber nachher hat's geraschelt; es ist doch möglich, daß ihm ein paar Schrote in die Beine gefahren sind – 's ist zwar nur Nummer sechs, aber ich möchte doch nicht gern, daß der Kerl die Nacht im Busch läge. Machen Sie, daß Sie fortkommen. Wenn Sie zurück sind, sagen Sie mir Antwort, dann will ich einschlafen.«

Der Forstgehülfe gehorchte dem Befehl; junge Burschen, die ihn begleiten wollten, waren noch genug da, und die Fackeln aufgreifend, welche schon vorher benutzt worden, schritt der kleine Trupp rüstig durch den Park, bis sie die Gegend erreichten, wo sie vorher den Förster gefunden.

Hier übernahm der Forstgehülfe die Leitung. Zuerst mußten sie noch eine kurze Zeit nach der wirklichen Stelle suchen, aber die war bald gefunden, denn in den erst am Nachmittag frisch geharkten Wegen waren die vielen Fußtritte deutlich erkennbar. Und dort lag auch die Blutlache. Hier über den Weg war der alte Mann herübergekommen, Blutzeichen fanden sich überall, die an den Kleidern niedergetropft; dort war er aus den Büschen herausgekommen, ein paar Zweige, an die er sich gehalten, fanden sie eingeknickt, niederhangend und voller Blut – überall hingen in der That die Spuren und führten deutlich zu dem Fichtenstreifen hinüber, wo der von dem gefangenen Wildkalb geschlagene Fleck ihnen schon von Weitem die Stelle zeigte.

»Himmelhund!« fluchte der Forstgehülfe, als er das verendete Thier, noch in der Schlinge festsitzend, fand und sich jetzt niederbog, um es frei zu machen und mit zum Schloß zu nehmen – »wenn ihm der Alte doch nur den.... vollgeschossen hätte!«

»Da knurrt ein Hund!« rief Einer der Leute. Alle horchten, und deutlich hörten sie jetzt aus den Büschen heraus einen menschlichen Ruf nach Hülfe.

»Da liegt er!« rief der Forstgehülfe, und sich rasch emporrichtend, griff er nach einer der Fackeln und preßte durch die Fichtendickung der Stelle zu, von der er den Ruf zu hören geglaubt. Er brauchte nicht weit zu gehen. Kaum zehn Schritt in den Fichten drin schlug ein kleiner Hund an, und dort fanden sie, bleich und mit Blut bedeckt, aber bei voller Besinnung, den Maulwurfsfänger, der hier den Schuß erhalten hatte und zusammengebrochen war.

»Hallo! wen haben wir da?« rief der Forstgehülfe, während er scheu vor dem Anblick zurückprallte und der Hund ein wüthendes Geheul ausstieß. Die dichten Büsche ließen auch kaum die Gestalt erkennen, denn die Fichtenzweige bogen sich von allen Seiten über ihn hin.

»Tragt mich zu Jonas hinüber,« bat der Unglückliche – »mir ist das Bein zerschossen, ich kann nicht mehr!«

Der Vorschlag war in der That vernünftig. Des alten Gärtners Haus lag kaum dreihundert Schritt von dort im Dickicht drin, während die Entfernung nach dem Schloß die dreifache gewesen wäre. In's Schloß hätten sie ihn aber überhaupt gar nicht schaffen dürfen; dort herrschte überdies schon Verwirrung genug, und wenn jetzt der angeschossene Mensch noch dazu gekommen wäre – das ging gar nicht. Der alte Jonas hatte aber oben in seinem Hause noch ein kleines Zimmerchen, das gar nicht benutzt wurde. Dort konnten sie ihn bequem unterbringen, und die einzige Schwierigkeit war jetzt nur, ihn aus dem Dickicht heraus auf den Weg zu schaffen. Der Forstgehülfe schüttelte mit dem Kopf. –

»Seid Ihr bös getroffen?«

»Das Bein ist ab – unter der Hüfte – die Geschichte ist aus.«

Der Jäger wollte etwas darauf erwidern, aber er fühlte selber, daß die Zeit dazu nicht passend wäre. Der arme Teufel schien hart genug gestraft, und jetzt blieb ihnen nichts weiter übrig, als ihm so rasch als möglich Hülfe zu bringen.

Einer der Leute – denn es waren deren mehr herausgekommen, als sie zum Fortschaffen brauchten – mußte gleich in's Schloß zurück, um den Ober-Medicinalrath zur Gärtnerwohnung zu begleiten, den anderen befahl der Forstgehülfe, der sich ziemlich gut zu helfen wußte, ihre Jacken auszuziehen und den Verwundeten, so gut es eben ging, hinein zu legen, während drei auf jeder Seite trugen. Er selber ging ihnen dabei mit seinem Beispiel voran und zog seinen Rock aus, und sie stellten dadurch eine erträgliche Bahre her, um den Verwundeten so schmerzlos als irgend möglich fortzuschaffen.

Zwei von den Leuten mußten vorangehen und die Büsche zurückbiegen; wie sie aber den Verwundeten aufgreifen wollten, fiel der Hund wie toll über sie her und biß nach ihnen.

»Ruhig, Spitz,« sagte der arme Teufel mit schwacher Stimme, »'s ist aus mit uns Beiden; zurück, Spitz, zurück, komm, mein Hund!«

Das kleine kluge Thier winselte kläglich und zeigte noch immer die Zähne; aber es war ordentlich, als ob es verstand, was sein Herr zu ihm gesagt, denn es widersetzte sich nicht mehr den fremden Männern, die den Hülflosen jetzt so sorgsam wie nur irgend möglich auffaßten und aus dem Busch hinaustrugen.

Sobald sie erst einmal den offenen Weg erreichten, ging es etwas besser, und der Maulwurfsfänger klagte auch nicht. Nur als sie ihn etwas weiter am Teich vorbeitrugen, stöhnte er: »Wasser – will mir Keiner einen Tropfen Wasser geben?«

Einer der Männer sprang hinunter und holte Wasser in seinem Hut, von dem der Verwundete gierig trank; dann lag er wieder still, bis sie das kleine, ziemlich einsam gelegene Haus erreichten und ihm dort, mit Laubstreu und einer wollenen Decke drüber, ein Lager zurecht machen konnten. Einer blieb oben, um die Nacht bei ihm zu wachen, denn man durfte ihn nicht hülflos dort zurücklassen.

Bald darauf kam auch der Ober-Medicinalrath, der, nachdem er die Wunde untersucht hatte, den Kopf bedenklich schüttelte.

»Heut Abend scheint ja hier auf dem Schloß der Teufel los gewesen zu sein,« sagte er, »und Ihr habt genug Unglücksfälle für ein ganzes Jahr. Haltet Euch still, Freund, das ist das Beste, was ich Euch rathen kann.«

»Ich werde bald still genug sein,« flüsterte der Alte.

»Nun, so arg ist's nicht,« beruhigte der Arzt; »ein Schuß in's Bein ist noch kein Schuß in den Leib, und ich denke, ich bringe Euch wieder auf die Füße. Wo seid Ihr zu Hause?«

»Fragt die Maulwürfe, die könnten's Euch eben so gut sagen; für jetzt wohne ich in Haßburg in der Färbergasse.«

»Ich will dafür sorgen, daß Ihr heut Abend noch bessere Pflege bekommt,« sagte der Ober-Medicinalrath, »denn nach der Stadt kann ich Euch mit dem Bein nicht transportiren lassen; wir müssen eine Entzündung vermeiden. Habt Ihr eine gute Natur?«

»Wie ein Pferd,« sagte der Alte.

»Gut, dann hoffe ich Euch durchzubringen; aber Ruhe und keine spirituösen Getränke, überhaupt keine Aufregung. Diese Nacht macht ihm kalte Umschläge; ich will sehen, vielleicht bekomme ich noch Eis in der Stadt und schicke Euch davon heraus. Gute Nacht!«

»Gute Nacht, Herr Doctor!« sagte der Maulwurfsfänger, schloß die Augen und legte sich auf seinem Lager zurück. – –

Unten im Schloß war die Gräfin in dem Zimmer, in welchem der Graf lag, in fieberhafter Ungeduld auf und ab gegangen; aber der weiche Teppich ertödtete jeden Schall, so daß der Kranke, der wie schlafend lag, nichts davon hören konnte. Sie erwartete Nachricht von George, von Hubert, denn das Furchtbare war geschehen, ihre Tochter hatte sie vor den Augen der Welt compromittirt, aber das Furchtbarste konnte ihr doch nicht aufbehalten bleiben. Beide junge Leute waren den Flüchtigen nach, die kaum eine Viertelstunde, ja vielleicht nicht einmal zehn Minuten Vorsprung hatten, und Einer von ihnen mußte sie ja doch überholt haben.

Aber sie kamen nicht zurück; Minute nach Minute, Stunde nach Stunde verging, und vergebens horchte sie den klappernden Hufen eines der Pferde.

Der Ober-Medicinalrath kehrte zurück und erkundigte sich nach seinem Patienten. Er schlief, oder lag wenigstens regungslos auf seinem Sopha, wie er ihn vorher verlassen hatte, schien auch nicht zu hören, was um ihn her vorging, beantwortete wenigstens keine der an ihn gerichteten Fragen.

Der Ober-Medicinalrath wollte sich auf sein Zimmer zurückziehen und rieth der Gräfin, ebenfalls schlafen zu gehen. Bei dem Kranken konnte ja eine Wache zurückbleiben und sie augenblicklich rufen, sobald er etwas verlange; ihr selber würde diese unnöthige und gewaltsame Aufregung nur schädlich sein. Die Gräfin verweigerte es; sie wollte wachen, sie war nicht müde.

Der Ober-Medicinalrath zuckte die Achseln und verließ das Zimmer; er war müde.

Wieder verging eine halbe Stunde – da hörte sie Hufschläge auf dem Pflaster des Hofes, die anhielten. Sie öffnete rasch das Fenster und horchte hinaus. Stimmen konnte sie hören, aber keine Worte unterscheiden. Sie klingelte, und es dauerte eine Weile, bis ein Diener kam.

»Wer ist da gekommen?«

»Graf Hubert.«

»Ich lasse ihn bitten, in das Empfangszimmer zu gehen.«

»Er ist schon wieder fort, Frau Gräfin,« sagte der Lakai.

»Schon wieder fort?«

»Ja, er fragte nur, ob Niemand zurückgekommen wäre, und dann, ob Graf George im Hause sei. Als wir das verneinten, sprang er aus dem Sattel, warf Einem der Stallleute den Zügel zu und schlug rasch den Weg nach der Stadt zu Fuß ein.«

»Und Graf George, mein Sohn, ist noch nicht zurückgekehrt?«

»Nein, Frau Gräfin.«

»Was waren das für Leute mit Fackeln, heut Abend?«

»Der Förster hat einen Wilderer erwischt und auf ihn geschossen, den alten Maulwurfsfänger, der immer in den Park kam, und dem Förster hat er das ganze Gesicht mit dem Messer zerschnitten.«

»Der Maulwurfsfänger?«

»Ja, Frau Gräfin. Der Förster hat ihn in's Bein geschossen; er liegt oben beim tauben Jonas im Hause.«

Die Gräfin hörte schon gar nicht mehr, was er sprach. »Sobald mein Sohn zurückkehrt, werde ich gerufen,« sagte sie, »ich muß ihn sprechen, ehe er zu Bett geht. Der Haushofmeister soll dann einen Augenblick zu meinem Mann kommen; ich muß mich umziehen. Wo ist mein Kammermädchen?«

»Draußen, glaub' ich, Frau Gräfin; sie war vorhin in der Küche.«

»Sie soll in mein Zimmer kommen.«

Die Befehle waren rasch erfüllt, und die Gräfin zog sich hastig in ihr Zimmer zurück, um ihren Ballstaat mit einem einfachen Hauskleid zu vertauschen. Der Schmuck drückte sie, den sie trug, und das schwere Seidenkleid, dessen Rauschen ihr wie Hohn und Spott in den Ohren klang.

Kaum war sie umgekleidet, als Graf George auf müde gerittenem Pferd zurückkehrte. Es war indessen nahe an zwölf Uhr geworden.

Der Diener kam und meldete der Gräfin die Rückkehr ihres Sohnes, und die Dame sagte rasch: »Er soll in den Speisesaal kommen, ich will ihn sprechen.«

Noch zögerte sie einen Augenblick; aber der Graf schlief, wie es schien, fest. Er hielt die Augen geschlossen und athmete leicht. Sie bog sich über ihn und horchte seinen Athemzügen; er regte sich nicht, und leise verließ sie das Gemach, um George zu sprechen.

Dieser hatte indessen sein Pferd abgegeben und der Mutter Botschaft erhalten. Er betrat gleich nach ihr den Saal, dessen Tafel noch mit allem Geschirr, wie es die Gäste verlassen, gedeckt stand – wo hätten die Diener Zeit gehabt, es fortzuräumen? Nur das Silber war beseitigt und verschlossen, mit Ausnahme der schweren silbernen Armleuchter, von denen noch zwei auf dem Tisch brannten. Weder die Gräfin noch der junge Graf hatten ja zu Nacht gespeist, und das Essen mußte doch für sie bereit gehalten werden, wenn sie danach fragen sollten.

»Wo warst Du, George?« rief ihm die Mutter entgegen, wie er nur die Schwelle betrat. »Hast Du sie gefunden?«

George schüttelte finster mit dem Kopf. »In die Nacht bin ich hinein geritten,« sagte er, »was mein Pferd laufen konnte; hätte ich zufällig den rechten Weg getroffen, so mußte ich sie erreichen, ehe sie den ersten Meilenstein hinter sich wußten. Aber im Dorfe gehen vier Wege ab – ich habe keine Spur von ihnen entdeckt.«

»Und jetzt?«

»Ich bin nur zurückgekommen, um zu hören, ob Hubert sie vielleicht gefunden. Weit kann sie ja doch nicht sein, allein mit ihrem Kammermädchen.«

»Hubert ist zurück – umsonst! Und glaubst Du, daß sie allein gereist ist?«

»Nun, mit Bertha; Beide sind sie ja gesehen worden, wie sie durch den Park eilten.«

»Und weißt Du, wer im Wagen auf sie gewartet hat?«

»Im Wagen?« wiederholte George erschreckt.

»Jener Schauspieler Handor,« sagte die Mutter mit furchtbarer Ruhe.

»Handor?« schrie George emporfahrend.

»Still,« sagte die Mutter, »wir brauchen unsere Schande nicht selber in die Welt zu schreien, es wird das ohnedies zeitig genug von anderen Leuten geschehen!«

»Aber es ist nicht möglich,« rief George aus, der sich indessen auf die Einzelheiten besann – »Handor spielte heut Abend in der nämlichen Zeit, in der Paula entfloh, in der Stadt den »Hamlet«, und das Theater ist keinesfalls vor zehn Uhr aus gewesen, ja, kaum dann, da ich mich erinnere, daß auch noch in den Zwischenacten etwas angezeigt war.«

»Ich habe den Brief, den mir Paula zurückgelassen, verbrannt,« sagte die Mutter kalt; »sie nennt darin mit einfachen Worten ihren Verführer. Möglich aber, daß sie allein von hier fortgefahren, wenn er wirklich gespielt hat, um sich dann nach der Vorstellung irgend ein Rendezvous zu geben und gemeinschaftlich ihre Reise fortzusetzen; aber in dem Wagen hat ein Herr gewartet.«

»Im Wagen?«

»Der Gärtnerbursche hat ihn selber gesprochen.«

George ging mit gekreuzten Armen im Saale auf und ab. Auf dem Tisch, neben den beiden zurückgelassenen Gedecken standen noch mehrere Flaschen Wein. Er nahm die eine und goß in ein Wasserglas ein; aber er sah nicht, was er ausgoß, so flimmerte es ihm vor den Augen, und die rothe Fluth schoß über das Tischtuch. Dann stürzte er den Inhalt des Glases hastig hinunter.

»Gute Nacht, Mutter!«

»Wo willst Du hin?«

»Noch einmal fort; ich habe mir nur den Schimmel satteln lassen und muß vor Tag wenigstens die Spur haben. Das darf nicht sein, das darf nicht sein, es ist zu furchtbar!«

»Und welchen Zweck hast Du dabei?«

»Welchen Zweck?« rief George erstaunt. »Dir Deine Tochter wieder zuzuführen – die Ehre unseres Hauses zu retten!«

»Ich habe keine Tochter mehr!« sagte die Gräfin mit eisiger Kälte. »Und die Ehre unseres Hauses? Glaubst Du, daß es morgen in der Stadt noch eine Dienstmagd giebt, die nicht am Brunnen die Ehre unseres Hauses bespräche?«

Ehe George etwas darauf erwidern konnte, öffnete sich plötzlich die Thür, und der alte Graf, mit einem Antlitz, das auch jeder Blutstropfen verlassen hatte, und gläsernen, stieren Augen, betrat den Saal.

»Mein Vater!«

»Bitte, meine verehrten Herrschaften, behalten Sie Platz!« sagte der alte Herr mit markerschütternder Freundlichkeit; »meine Paula wird gleich erscheinen – nur ein leichtes Unwohlsein.«

»Großer, allmächtiger Gott,« stöhnte George und barg das Antlitz in den Händen, »das ist schrecklich!«

Der alte Graf ging zum Tisch, setzte sich dort auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hand; während er aber so da saß, liefen ihm die großen, hellen Thränen an den Wangen nieder.

»Mein lieber, lieber Vater!« rief George, sprang zu ihm und umschlang ihn mit den Armen.«

»George,« rief der alte Mann und sah ihn an, »bist Du mir noch geblieben?«

»Mein guter Vater, darf ich Dich jetzt zu Bett geleiten?«

»Ja, geh zu Bett, George,« drängte auch die Frau, »die Ruhe wird Dir gut thun; es ist spät geworden.« Und sie half ihm dabei von der andern Seite, um ihn vom Stuhl aufzuheben. Der alte Graf richtete sich aber von selber empor.

»Ja, Kinder,« sagte er, »ich will zu Bett gehen, ich bin recht müde geworden. Deinen Arm, George; so, das geht schon. Gute Nacht, Ottilie, gute Nacht!« Und mit festen Schritten verließ er, von dem Sohn gestützt, den Saal.

23.
Nach dem Theater.

Gleich nach der Vorstellung des »Hamlet« ging Fürchtegott Pfeffer nicht unmittelbar nach Hause, denn er fühlte sich so merkwürdig aufgeregt, daß er die Entschuldigung für sich hinreichend hielt, erst noch in der »Hölle« einen Schoppen Wein zu trinken und etwas Warmes dazu zu essen. Daheim fand er doch nichts weiter, als eine Tasse Thee und ein Butterbrod, oder wenn er wollte, ein Glas Bier. An jedem andern Abend hätte er sich aber auch vollständig damit begnügt, und war es in der That gar nicht besser gewohnt; heute drängte es ihn aber außerdem, wenn er es sich auch nicht selber gestehen wollte, Menschen zu sehen und ein Urtheil über die Vorstellung zu hören. Er fühlte mit Einem Wort das Bedürfniß, sich etwas mittheilen zu lassen.

Gedrängt voll saß aber die Stube schon, als er sie betrat, und ein Durcheinanderwogen, Sprechen und Debattiren war dort, daß man sein eigenes Wort kaum hören konnte. Aber auch kein Wunder, denn die Vorstellung heut Abend hatte nicht allein schon genug Stoff geboten, sondern man wollte auch den Fackelzug erwarten, der vor dem »Paradies« vorbei mußte und den zu betrachten der Wirth der »Höllengesellschaft« eins von seinen Zimmern vornheraus eingeräumt hatte. Sobald der Zug ankam, sollten sie gerufen werden.

Jetzt dachte aber fast Niemand an etwas Anderes oder sprach von etwas Anderem, als dem Erfolg Rebe's, und es war eigentlich nur Eine Stimme: daß er die Bewohner von Haßburg auf das Äußerste überrascht und Niemand ihm ein solches Talent zugetraut habe. Allerdings gab es auch Andersgesinnte, und unter diesen Doctor Strohwisch, der in der unbestimmten Hoffnung herübergekommen war, Rebe hier zu finden und eine Flasche Champagner mit ihm zu trinken, und jetzt, da er ihn nicht fand, Manches an der »Auffassung« zu tadeln hatte. Er sollte den »tiefen Sinn« einzelner Stellen nicht erfaßt und gewürdigt, Anderes wieder zu »trivial« gesprochen haben, und wie die verschiedenen Recensentenphrasen alle heißen – aber er wurde überstimmt.

»Spielen Sie einmal den Hamlet,« rief der Maler Arnold dem Doctor entgegen, »so rein vom Blatt weg, ohne Vorbereitung, ohne eine Probe, ohne nur vorher in die Rolle hineinzusehen, und mit kaum Zeit genug, in die Lumpen hineinzufahren! Die Nase rümpfen kann ein Jeder, aber meinen Hals zum Pfande, daß unter hundert Schauspielern nicht zehn, ja, nicht drei sind, die ihm das nachmachen!«

»Nun ja, ich habe ja nichts dagegen,« sagte Strohwisch einlenkend, denn er war verschiedener Ursachen wegen noch nicht mit sich im Reinen, ob er entschieden für oder gegen Rebe auftreten solle; er mußte erst mit ihm »sprechen«. »Er hat in der That das Außerordentliche geleistet, und ohne ihn hätte die Vorstellung gar nicht stattfinden können.«

»Wo, zum Henker, kann aber Handor gesteckt haben?« rief einer der Officiere; »hat ihn denn Niemand gesehen?«

»Meine Herren,« sagte Trauvest, »meine Meinung ist die, daß ihn auch Niemand wieder sehen wird.«

»Nicht wiedersehen?« rief Alles durcheinander. »Woher wissen Sie das?«

»Das will ich Ihnen sagen,« meinte Trauvest ruhig, indem er einen Pfropfen aus einer Flasche Rüdesheimer zog und sie auf den Tisch stellte. »Heute gegen Abend war er hier, ziemlich aufgeregt, und ließ sich eine Flasche Champagner geben. Morgen ist der Erste, und er hatte versprochen, da zu zahlen; ich konnte sie ihm nicht gut verweigern. Da hinten an der Tischecke saß er, ganz allein, den Kopf in die Hand gestützt, und schüttete das edle Getränk nur so hinunter; dann stand er plötzlich auf, warf den Mantel um, sagte »Gute Nacht, Trauvest!« und weg war er. Ich hatte freilich noch immer kein Arges daraus, denn ich dachte, die Rolle ginge ihm im Kopf herum, weil mir Höfken erzählt hatte, daß er den Morgen auf der Probe kein Wort davon gewußt, bis ich heut Abend hörte, daß er gar nicht gekommen wäre und Herr Rebe den Hamlet spielen wolle. Da wurde mir nicht wohl bei der Sache, und ich machte mich in sein Logis hinüber – aber wo war Herr Handor? Sein Wirth schien selber schon Angst gekriegt zu haben, weil so viel Nachfrage nach ihm gewesen, und tüchtig auf der Kreide steht er da drüben ebenfalls, das können Sie sich wohl denken. Wir gingen deshalb zu ihm in die Stube hinauf, und da blieb denn wohl kein Zweifel, daß Herr Handor eine kleine Reise angetreten, wobei überdies noch das Mädchen bestätigte, daß er gegen Abend einen Koffer weggeschickt habe. Einige alte Kleidungsstücke, ein paar Stiefel und zwei oder drei Bücher lagen allerdings noch im Zimmer, das war Alles, die Commodenkasten standen leer und der Vogel war ausgeflogen.«

»Merkwürdig,« rief Barthel, »und morgen ist Gagetag!«

»Ja, als ob er die nicht schon weg hätte!« lachte Höfken. »Wenn aber nun der Rebe nicht eingetreten wäre, das hätte eine Heidenwirthschaft gegeben; und der Erbprinz hat dem Rebe seine eigene Tuchnadel geschenkt.«

»Alle Wetter,« rief Strohwisch, »ist das begründet?«

»Ich habe selber dabei gestanden, wie sie Krüger herunter brachte; aber hol' mich Dieser und Jener, er hat sie auch verdient!«

»Habt Ihr's schon gehört?« rief in diesem Augenblick einer der gewöhnlichen Gäste, der Doctor Kleemann, welcher besonders viel populär-medicinische Aufsätze für Zeitungen schrieb und Stammgast in der »Hölle« war.

»Nun, was ist jetzt wieder?« rief Arnold. »Haben sie ihn erwischt?«

»Erwischt – wen?«

»Den Handor.«

»Was hat denn der ausgefressen?«

»Durchgegangen ist er.«

»Alle Wetter!«

»Aber was wollten Sie denn erzählen?«

»Oben bei Monfords sollte doch heute Verlobungsabend sein und große Gesellschaft war geladen.«

»Ja, welche Alle im ersten Range fehlten.«

»Sie hätten eben so gut in's Theater gehen können,« sagte Kleemann, »aus der Verlobung ist nichts geworden; das wird einen Skandal geben in der haute volée

»Aber was ist denn vorgefallen?« rief Strohwisch ganz Ohr, denn solchen Stoff konnte er brauchen. »Alle Wetter, heut Abend jagen sich ja ordentlich die Neuigkeiten; ich kenne mein Haßburg gar nicht wieder!«

»Was vorgefallen ist?« rief Kleemann; »ein Hauptspaß. Ich war heut Abend beim Ober-Medicinalrath, als etwa vor einer halben Stunde ein Bote vom Monford'schen Schlosse ganz außer Athem heruntergestürzt kam, um den Ober-Medicinalrath, der dort Hausarzt ist, hinaufzurufen. Den alten Grafen hat der Schlag gerührt, denn wie sie sich eben zur Tafel setzen wollten, wo die Verlobung proclamirt werden sollte, geht die junge Comtesse heimlich durch.«

»Die Comtesse Monford,« rief Arnold ordentlich erschreckt, »das wunderhübsche, liebliche Mädchen – aber mit wem?«

»Gott weiß es; hinten im Park soll ein Wagen gehalten haben, und der angeführte Bräutigam war zu Pferde nach. Wahrscheinlich erwischt er sie auch wieder, denn Vorsprung hatten sie nicht viel – aber der Skandal, und in der Gesellschaft!«

»Donnerwetter,« sagte Höfken, seine Faust auf den Tisch legend und ganz verdutzt im Kreise herumsehend, »das wäre eigentlich ein merkwürdiges Zusammentreffen: die Comtesse fort und Handor ebenfalls ausgekniffen – dem traue ich Alles zu!«

»Glauben Sie wirklich?« rief Strohwisch rasch; »die Vermuthung liegt allerdings nahe.«

»Unmöglich ist's nicht,« sagte ein Anderer, »der Handor hatte in der letzten Zeit so viel und heimlich mit dem jungen Grafen zu verkehren.«

»Na, der soll wohl dabei geholfen haben?« rief Arnold verächtlich. »Daß der Welt doch eigentlich nie etwas erwünschter ist, als ein Skandal, wenn er nur nicht sie selber betrifft!«

»Sollten wir etwa bemänteln helfen, was in der haute volée vorgeht?« rief Strohwisch.

»Bemänteln? Davon ist keine Rede; aber nur nicht schmutziger machen, als es wirklich ist!« rief Arnold. »Und überhaupt, was geht uns irgend eine Familienangelegenheit an? Kehre Jeder vor seiner eigenen Thür, da hat er gerad' genug zu thun!«

»Sie paßten schön zu einem Zeitungs-Redacteur,« rief Strohwisch lachend.

»Allerdings für kein Blatt, das nur den Stadtklatsch ausbeutet!« sagte Arnold trocken, der den Menschen überhaupt nicht leiden konnte.

»Meine Herren, der Fackelzug!« rief in diesem Augenblicke Trauvest, dem ein Kellner die Meldung gemacht hatte, daß der Zug gerade die Straße heraufkam; »das Zimmer vorn ist offen.«

Alles sprang in die Höhe, um den Zug mit anzusehen, und das Gespräch war unterbrochen. Die Gäste strömten auch alle nach vorn, um den für Haßburg sehr seltenen Anblick eines solchen Schauspiels zu genießen, und Pfeffer, der heut Abend, seiner sonstigen Gewohnheit ganz entgegen, kein Wort in die Unterhaltung eingeworfen, nahm seinen Hut, zahlte seinen Schoppen Wein und schritt langsam in die vom Volk gefüllte Straße hinaus, nicht etwa, um den Fackelzug mit anzusehen, sondern gleich querüber in eine Seitenstraße einzubiegen und seine eigene Wohnung ungestört zu erreichen.

Er hatte auch ruhig die über Handor's Flucht ausgesprochene Vermuthung mit angehört, aber es interessirte ihn nicht, denn mit jenen Kreisen kam er nie in Berührung und kannte sie gar nicht. Andere Dinge gingen ihm aber im Kopf herum, und vorzüglich, ja, ausschließlich die Wendung, welche Rebe's Geschick unstreitig mit dem heutigen Abend genommen hatte, und das Einzige, was ihn dabei ärgerte, war, daß er ihm selber früher jedes Talent abgesprochen.

»Wer konnte das aber auch denken, wer konnte das auch denken?« murmelte er dabei immer vor sich hin; »so ein Duckmäuser, so ein verwünschter Duckmäuser! Und wie geheim er das Alles gehalten hat – und was wird die Jette dazu sagen? Nun ist's ganz vorbei, nun ist dem Faß der Boden ausgestoßen! Und Jeremias, der hat die ganze Geschichte mit angesehen, seine Glatze leuchtete ja ordentlich unten im Parket – merkwürdig, rein merkwürdig!«

Er hatte sein Haus erreicht, – denn diese abgelegenen Straßen schienen heut Abend von Menschen ganz gesäubert zu sein, so war Alles dem Fackelzuge zugeströmt – schloß auf und tastete sich die dunkle Treppe hinauf. Wie er über den Gang schritt, sah er durch das über der Thür angebrachte Fenster, das der Küche über Tag dürftiges Licht geben mußte, bei seiner Schwester drinnen noch die Lampe hell brennen.

Pfeffer schüttelte mit dem Kopf. Das Mädel saß jedenfalls noch da drinnen und arbeitete bis in die späte Nacht hinein, und der Jeremias hatte es ihr streng verboten. Wettermädel das, und ihre Augen sahen so schon roth genug vom vielen heimlichen Weinen aus! Aber er mochte die Schwester nicht mehr stören, die wahrscheinlich schon schlief, sonst wäre er gern noch einmal hinüber gegangen und hätte die Jette auch in's Bett geschickt, oder ihr noch vielleicht gesagt, was heut Abend vorgegangen; es brannte ihm ordentlich auf der Seele.

Das war aber heut Abend zu spät, morgen früh erfuhr sie's ja auch noch früh genug. Er ging leise an sein Zimmer hinüber, um nicht zu viel Geräusch zu machen, und er wollte aufschließen, denn der Schlüssel stak immer von außen. Es war aber schon aufgeschlossen, wer konnte da drinnen gewesen sein?

Kopfschüttelnd trat Pfeffer zu der Commode, auf der das Feuerzeug stand, und entzündete ein Schwefelhölzchen, ließ es aber vor Schreck wieder fallen, daß es verlöschte, als eine ruhige Stimme im Zimmer sagte: »Guten Abend, Pfeffer; bist Du aber lange geblieben!«

»Herr Du meine Güte,« rief Pfeffer, aber immer noch mit unterdrückter Stimme, indem er rasch ein neues Hölzchen entzündete, »wer, zum Henker, hat sich denn da – Jeremias,« setzte er jedoch in unbegrenztem Erstaunen hinzu, als er beim Schein des aufflammenden Phosphors das dicke, gutmüthige Gesicht seines Schwagers erkannte, »wo kommst Du denn noch her?«

»Ich konnt's nicht mehr aushalten,« flüsterte Jeremias, »ich mußte Dich heut Abend noch sprechen und sitze jetzt hier schon eine volle Glockenstunde auf einer Lichtscheere, wie ich eben entdeckt habe, die' auf dem verwünschten Stuhl gelegen hat. Junge, mir ist zu Muthe, als ob ich tanzen müßte!«

»Auch eine sehr passende Zeit und Gelegenheit dafür,« brummte Pfeffer, dem aber trotzdem nichts Lieberes hätte geschehen können, als daß er seinen Schwager noch getroffen. Dabei zündete er das Licht an und setzte es auf den Tisch. »Na, wie war's? Aber sprich leise, ich glaube, die Guste schläft schon.«

»Licht haben sie noch; wie's dunkel war, schien es durch das Schlüsselloch da drüben herein.«

»Das Blitzmädel arbeitet wieder bis nach Mitternacht; ich habe große Lust, hinüber zu gehen und ihr die Lampe vor der Nase auszublasen. Du warst im Theater?«

»Ja, Pfeffer.«

»Nun, wie – bst – ich glaube, die sprechen da drüben noch zusammen.«

»Jettchen,« hatte die Mutter, welche schon ein paar Stunden geschlafen, die Tochter angerufen, »bist Du denn noch auf, Kind? Es muß ja schon so spät sein.«

»Gar nicht, Mütterchen; aber morgen Abend ist ja der Ball, und ich muß doch denen die Arbeit fertig machen, denen ich sie versprochen habe; und der Brautkranz kam auch noch dazu.«

»Ist denn nicht noch Jemand drüben beim Fürchtegott?«

»Ich habe auch sprechen gehört. Vor einer Stunde etwa kam der Onkel nach Hause, ich hörte wenigstens Schritte, und es ging Jemand in das Zimmer nebenan, und dann hat sich nichts weiter gerührt. Jetzt kam wieder Jemand, und nun sprechen sie mit einander.«

An die Verbindungsthür pochte es.

»Seid Ihr noch munter?« fragte Pfeffer's Stimme.

»Ja, Onkel.«

»Können wir einmal hinüberkommen?«

»Wir – wer denn noch?«

»Der Jeremias.«

»Der Vater? War der es, der noch so spät kam? Es ist doch nichts vorgefallen, Onkel?«

»Können wir noch einmal hinüberkommen?«

»Es ist zu spät, Fürchtegott,« sagte Jeremias abwehrend.

»Nie zu spät, eine gute Nachricht zu hören,« brummte Pfeffer; »wie?«

»Ja gewiß, Onkel; ich habe noch Licht.«

»Das weiß ich, Du kleine Hexe, und auch noch die Finger voll Blätter und Staubfäden; na, warte!« Und sein Licht vom Tisch nehmend, winkte er Jeremias und sah, als er sein Zimmer verließ, nur eben noch, wie Jettchen in die Küche hineinhuschte.

Sie gingen hinüber. Das Bett der Kranken war jetzt im Wohnzimmer aufgeschlagen worden, und die Frau, welche recht leidend aussah, hatte sich aufgerichtet, um die beiden Männer begrüßen zu können.

»Nun, wie geht's heut Abend, Auguste? Wieder viel gehustet? Was machst Du?«

»Es geht etwas besser, seit ich die häßliche Medicin nicht mehr trinken muß.«

»War der neue Doctor da?« fragte Pfeffer rasch.

»Jeremias wollte es ja absolut; er behauptete immer, daß unser alter Arzt mich falsch behandle.«

»Und was sagt der neue? Natürlich Alles verkehrt bisher, wie gewöhnlich, und nun versucht er es einmal mit einer andern Quacksalberei; kommt mir damit, das bleibt immer dasselbe.«

»Er hat mir fast gar keine gegeben,« sagte die Frau leise; »er behauptet, ich wäre gar nicht krank, wenigstens könne er nichts entdecken, was eine ernstliche Cur verlange. Nur vor Gemüthsbewegungen solle ich mich hüten und nur besonders keine traurigen Gedanken machen, denn es sehe ihm beinahe so aus, als ob mich nur die Furcht vor einer Krankheit wirklich krank gemacht hätte.«

»Also mache Dir keine traurigen Gedanken!« lachte Pfeffer.

»Und kann ich denn anders?« sagte die Frau leise. »Sehe ich denn nicht das arme Kind, das Jettchen, den ganzen Tag vor mir, wie es immer ruhig, immer freundlich, mit keiner Klage auf dem Herzen auch mit jedem Tage elender wird und sich verzehrt, und nur Abends, wenn sie glaubt, daß ich schlafe, ihre Schmerzensthränen still und heimlich fließen läßt? Das arme Jettchen! Aber was führt Dich noch so spät hierher, Jeremias? Es ist doch nichts vorgefallen? Lieber Gott, ich habe jetzt immer eine solche Angst, als ob irgend etwas recht Schlimmes eintreten müsse!«

»Und wenn's nun etwas recht Gutes wäre, Auguste,« sagte Jeremias, der sich die ganze Zeit verlegen die Hände gerieben hatte – »etwas recht Gutes?«

»Recht Gutes?« rief die Frau aufmerksam werdend. »Ihr seht mir Beide so sonderbar aus, und diese späte Stunde!«

»Wo steckt denn das Jettchen?«

»Hier ist sie schon, Onkel,« rief das junge Mädchen, die Thür öffnend. »Guten Abend Vater! Ich hatte kurz vorher kochend Wasser gemacht, weil die Mutter so hustete; das war den Augenblick wieder zum Kochen gebracht, und da hab' ich Euch Beiden eine Tasse Thee aufgegossen. Onkel trinkt ihn ja doch gern, wenn er Abends nach Hause kommt, nicht wahr?«

»Aber doch nicht um Mitternacht, Schatz; doch nun setze Dich einmal dahin. Wie, Jeremias, nicht wahr? wir wollen den Beiden jetzt einmal eine Geschichte erzählen?«

»Was hast Du nur, Onkel?«

»Dahin setzen und ruhig zuhören; erst gieb mir aber einmal den Zucker her.«

Henriette gehorchte kopfschüttelnd, denn sie begriff gar nicht, was sie aus dem Allen machen sollte. Der Onkel war aber innerlich vergnügt, das hatte sie ihm auf den ersten Blick angesehen; was konnte nur vorgefallen sein?

»So,« sagte jetzt Pfeffer, als er sich hinter den Tisch gesetzt und behaglich seinen etwas späten Thee schlürfte, während ihn die beiden Frauen erwartungsvoll ansahen – »nun erzähl' einmal, Jeremias.«

»Nein, erzähl' Du's lieber,« meinte sein Schwager, »Du kannst's besser.«

»Hm, gut,« nickte Pfeffer, »dann will ich's erzählen; nun paßt einmal auf. Heut Abend war also Hamlet im Theater.«

»Ist das Alles?« lächelte das junge Mädchen, als der Onkel schwieg.

»Doch nicht ganz,« sagte Pfeffer, der in Gedanken nach seiner Cigarrentasche griff, sie aber wieder zurückschob und eine Prise nahm. »Wie wir anfangen wollten, stellte sich nämlich die kleine Schwierigkeit heraus, daß wir – keinen Hamlet hatten.«

»Keinen Hamlet?«

»Handor kam nicht; die Ouvertüre spielte, die Tänzerin mußte ihre Künste machen, und noch immer kein Hamlet.«

»Ja, aber was wurde denn da?«

»Es mußte ihn ein Anderer spielen,« sagte Pfeffer trocken.

»Ein Anderer?« fragte jetzt auch die Frau erstaunt. »Und wer konnte denn in der kurzen Zeit den Hamlet übernehmen?«

»Rebe!« platzte Jeremias heraus.

»Rebe?« riefen die beiden Frauen fast erschreckt wie aus Einem Munde.

»Jetzt verdirbt mir der meine ganze Geschichte!« rief Pfeffer. »Konntest Du denn nicht das Maul halten? Ich hätte sie noch eine ganze Stunde rathen lassen.«

»Aber wie, um Gottes willen, war das möglich?« stöhnte Henriette, während die Mutter ausrief:

»Und ging es gut?«

Jeremias wollte wieder etwas sagen; Pfeffer hatte ihn aber im Auge und fuhr dazwischen:

»Halt, erst komm' ich! Ob es ging? Keine Hand rührte sich im Anfang, Alles war todtenstill, und sie lachten nur, wie Meier mit einem dicken Backen als Güldenstern auftrat. Krüger ging auf dem Theater herum, daß es einen Stein hätte erbarmen sollen, gerade etwa wie Einer, der zum ersten Mal auf einer Versenkung steht und nicht genau weiß, wann sie mit ihm abgeht. Wir hatten übrigens Alle Heidenangst, und ich erwartete jeden Moment, daß sie unten an zu pfeifen fingen. Aber ne – auch der zweite Akt ging vorüber, und im Parterre und Parket saßen sie wie die Mauern.«

»Und dann?«

»Dann haben sie gejubelt und applaudirt und herausgerufen, wie ich's in meinem Leben nicht für möglich gehalten!« rief jetzt Jeremias, der nicht mehr länger an sich halten konnte. »Nein getobt haben sie, wie die Indianer, und der Erbprinz hat dem Rebe seine eigene Tuchnadel als Anerkennung geschickt!«

»Und woher weißt Du denn das schon?« rief Pfeffer.

»Auf der Straße erzählten sich's die Leute. Wie ein Lauffeuer ging's von Mund zu Mund.«

Die Frau hatte vor Freude die Hände gefaltet. Jettchen aber saß still und bleich auf ihrem Stuhl und rührte und regte sich nicht, aber um ihre Lippen zuckte es; sie wollte aufstehen, sie konnte nicht, und plötzlich dem neben ihr sitzenden Vater um den Hals fallend, lehnte sie ihren Kopf auf seine Schulter und schluchzte leise.

»Mein liebes, liebes Jettchen,« sagte Jeremias gerührt, »aber so weine doch nicht, Schatz! Das ist doch keine Ursache zum Weinen, nicht wahr, Fürchtegott? Das ist doch eher Ursache zum Fidelsein. Er hat seine Sache brav gemacht, recht brav, er ist ein ganz tüchtiger Schauspieler, sie Alle sagten da unten, der Handor hätte die Rolle in seinem ganzen Leben nicht so gespielt, und ich habe selber mit applaudirt, daß mir noch jetzt die Hände weh thun.«

»Und was war mit Handor?« fragte die Mutter, die sich immer noch nicht von ihrem Erstaunen erholen konnte.

»Durchgebrannt ist er und wird wahrscheinlich nicht wiederkommen,« rief Pfeffer. »Jetzt aber geht schlafen, und Du auch, Jettchen; es ist spät und Ihr sollt mir nicht länger wach bleiben.«

»Ja, ich will auch nach Hause gehen,« sagte Jeremias.

»Fällt Dir gar nicht ein,« brummte Pfeffer. »Glaubst Du, daß ich nach all' der Aufregung jetzt schlafen kann?«

»Aber es ist zwölf Uhr vorbei.«

»Gerade deswegen, die Nacht ist doch einmal angebrochen, und Jettchen hat gewiß noch heißes Wasser.«

»Ja, Onkel.«

»Sehr schön; auf den dünnen Thee schläft sich's überhaupt erbärmlich; da setzen wir uns noch drüben in meine Stube, rauchen eine vernünftige Pfeife oder Cigarre – hast Du welche mit, Jeremias?«

»Gute, aber ich habe mich im Theater darauf gesetzt.«

»Auf was Du nicht Alles gesessen hast! Na, es wird schon gehen, trinken ein anständiges Glas Grog dazu und besprechen noch so Manches, was wir auf dem Herzen haben.«

»Ich mache Dir gleich wieder heißes Wasser, Onkel.«

»Setz' uns lieber das Wasser und den Spiritus hinüber, Schatz, und vergiß den Zucker nicht. Du, Dein Rum ist famos, Jeremias; ich bin mit der einen Flasche schon halb fertig – und morgen wollen wir dann das Weitere sehen.«

»Und nun machst Du Dir auch keine traurigen Gedanken mehr, nicht wahr Auguste; es wird ja jetzt Alles gut gehen,« sagte Jeremias herzlich.

»Jetzt nicht mehr, Kinder, jetzt nicht mehr,« sagte die Frau gerührt, »und jetzt wird Jettchen auch die rothen Ränder um die Augen verlieren und nicht mehr heimlich weinen.«

»Aber, beste Mutter!«

»Ruhe im Quartier!« rief Pfeffer; »ich habe eine ordentliche Sehnsucht nach einem Glase Grog. Und nun gute Nacht! Du bist doch nicht böse, daß wir Dich heut Abend noch einmal gestört haben?«

»Ich bin recht glücklich, Fürchtegott!«

»Na, also denn Abgang mit allseitiger Zufriedenheit!« rief Pfeffer, griff Jeremias unter den Arm und schleppte ihn mit in sein Zimmer hinüber, wo die beiden Männer noch wenigstens zwei Stunden zusammen saßen, mit einander rauchten und tranken und zuletzt so vergnügt wurden, daß Pfeffer wieder vor verhaltenem Lachen seinen bösen Husten bekam und hinten in den Alcoven ging und den Kopf in's Bett steckte, damit die Frauen nebenan nicht davon gestört würden.

24.
Am andern Morgen.

Lange hatten keine zwei, solcher Art zusammentreffende Ereignisse die Gemüther einer Stadt so gleichzeitig und in allen Schichten der Gesellschaft in Aufregung gesetzt, als die in den vorigen Capiteln beschriebenen.

Da war fast kein Haus in Haßburg, bis zu der niedrigsten Hütte hinab, das sich nicht für den einen oder den andern Theil der Tragödie interessirte, denn Graf Monford war nicht besser und genauer in den höheren, als Handor in den mittleren Kreisen bekannt; und selbst die Handarbeiter und Tagelöhner nahmen Partei in der Sache, denn sie alle kannten den sogenannten »alten Fritz«, den Maulwurfsfänger, der jetzt nicht auf einem einfachen Wildfrevel erwischt sein durfte, sondern jedenfalls bei der Flucht der jungen Gräfin mit geholfen haben mußte.

Es läßt sich denken, daß die abenteuerlichsten Entstellungen dabei zum Vorschein kamen, denn nichts ist so toll und unwahrscheinlich, das nicht doch bei solchen Gelegenheiten eine Menge von Gläubigen und Weiterträgern fände. Leider liegt es dabei nun einmal im Menschen – oder, wenn das zu allgemein ist, doch in dem größten Theil der civilisirten Welt –, daß sie am liebsten Böses oder Nachtheiliges von ihren Mitmenschen hören und es mit viel größerer Vorliebe nacherzählen, als das Gegentheil. Selbst gute Menschen, die nie mit Absicht einem Andern ein Unrecht oder einen Schaden zufügen würden, verweilen mit weit gespannterem Interesse bei irgend einer Schreckenskunde, einem verübten Verbrechen oder einem Unfall, wie bei irgend einem freudigen Ereigniß, und betrifft die Sache nun gar bekannte, oder, noch mehr, befreundete Familien, so können es die verschiedenen Persönlichkeiten kaum erwarten, bis sie im Stande waren, der Sache die weiteste Verbreitung zu geben.

So verworren und unbestimmt alle solche »ersten Gerüchte« aber überhaupt sind, etwas Wahres ist doch gewöhnlich daran, und die Gesellschaft hat besonders eine kaum zu überschätzende Gabe im Combiniren, was ihr in diesem Fall aber noch außerdem sehr erleichtert wurde.

Wie der Gedanke schon an jenem Abend in der »Hölle« aufgetaucht und ausgesprochen worden, daß die Flucht des ersten Liebhabers am Theater mit dem Verschwinden der jungen Gräfin auf das Genaueste in Verbindung stehen könne, so verbreitete sich diese Erzählung des Geschehenen als unwiderlegbare Thatsache am nächsten Morgen durch die ganze Stadt, und die Gräfin Monford hätte jenes Abschiedsbillet ihrer Tochter nicht so sorgfältig zu verbrennen gebraucht; der Inhalt desselben konnte nicht genauer überall bekannt sein, und wenn es Feodor Strohwisch selber gelesen hätte.

Es gab des Neuen aber in der That auf einmal zu viel, um es gleich ordentlich zu sichten und zu verwerthen, und wahrlich, der Stoff, wenn nur ordentlich eingetheilt, würde für den ganzen Sommer und bis spät in den Herbst hinein gelangt haben, um die Gemüther in einer angenehmen Aufregung zu erhalten. So puffte Alles mit Einem Mal in die Höhe; es war ordentlich schade.

Und dabei sollten die Damen auch noch ihren Putz für den heut Abend stattfindenden Ball herrichten, wo jede darauf brannte, Besuche zu machen oder zu empfangen. Es war das schwierigste Stück Arbeit, das sie in ihrem ganzen Leben geleistet, und nur die Aussicht, auch dafür heut Abend wenigstens ihre Meinungen auszutauschen und noch eine Masse interessanter Einzelheiten zu erfahren, konnte sie einigermaßen dafür entschädigen.

Unberührt von dem Allen saß indessen der Held des vorigen Theaterabends, Horatius Rebe, in seinem kleinen, ärmlichen Dachstübchen und träumte den verlebten seligsten Tag seines Lebens noch einmal durch.

Er wußte von Allem nichts, weder von Handor's wirklichem Durchgehen, noch von den Ereignissen, die sich in dem ihm überdies vollkommen fremden gräflich Monford'schen Hause zugetragen, und das doch eigentlich die directe Ursache seines gestrigen Triumphes gewesen.

Das Herz zum Zerspringen voll von Glück und Seligkeit, gab er sich ganz dem einen erhebenden Gefühl hin, endlich seinen Beruf gefunden zu haben, daß seine Zuversicht, sein Vertrauen zu sich selbst ihn nicht getäuscht und daß er im Stande gewesen, nicht allein dem Publikum, nein, auch sich selber zu beweisen, er verdiene den Namen eines Künstlers und sei besser als das, wozu man ihn bis jetzt gemacht und gebraucht: ein Ausfüllsel für werthvollere Stoffe.

Wie hatte ihn bis jetzt Alles unterdrückt und unter die Füße getreten, vom Director nieder bis zum Souffleur, der ihm ja hier in seinem eigenen Zimmer gesagt, daß er lieber Schuster oder Schneider werden, aber jedenfalls die Bühne verlassen solle, weil er kein Talent dafür habe! War ihm denn auch nur von Einer Seite Aufmunterung und Trost geworden – nur von Einer Seite? Aber ja, Henriette; sie allein hatte ihn immer getröstet, wenn er schon verzweifeln wollte, sie allein war lieb und freundlich mit ihm gewesen und hatte den armen Ausgestoßenen nie fühlen lassen, wie verloren und verlassen er in der Welt stehe. Und würde er sie wiedersehen? Gott allein wußte es; denn er ging heute Morgen einen ernsten Gang, und jeden Augenblick erwartete er den Freund, einen alten Commilitonen, der hier bei einem Arzt als Famulus eingetreten war, zurück, um zu erfahren, welche Zeit er mit Herrn Handor für ihr bestimmtes Rencontre ausgemacht und besprochen habe.

Und wenn er fiel? – dann mit Gott, er fiel doch ehrenvoll! Er hatte bewiesen und beweisen können, daß er den Kampf nicht muthwillig und in Überschätzung seiner eigenen Kräfte gesucht, sondern daß er dazu durch ungerechtfertigte Mißhandlung und Heruntersetzung gezwungen worden.

In diesem Augenblick klopfte es an die Thür, und ehe er noch »Herein« rufen konnte, öffnete sich diese und der Erwartete trat ein.

»Nun, Frank, wie steht's?« rief ihm Rebe entgegen. »Wann ist die Zeit? Je eher, desto besser!«

»Höre, Rebe,« sagte der junge Mann, »wenn Du absolut schlagen willst, so mußt Du Dir schon einen Andern suchen, denn Handor ist fort!«

»Fort?«

»Ich hörte schon gestern Abend darüber munkeln, mochte Dir aber nichts davon sagen, bis ich mich selber überzeugt hätte; aber es hat seine Richtigkeit. Ausgekniffen nach allen Regeln der Kunst; aber wohl kaum des Duells wegen, sondern mit einer jungen Dame aus einer der ersten Familien der Stadt, der Comtesse Monford, und mit Hinterlassung eines negativen Vermögens von circa zwanzigtausend Gulden.«

»Und gestern Abend schon?«

»Vor Dunkelwerden ist er noch gesehen worden; jetzt sucht ihn alle Welt, und wird er wirklich eingebracht, möchte er wohl kaum im Stande sein, Dir Genugthuung zu geben. Sei übrigens froh, denn Du bist auf diese Art die unangenehme Geschichte am besten los geworden.«

»Ich begreife noch immer nicht...«

»Du wirst das Nähere schon über Tag hören, denn die ganze Stadt ist voll davon; ich selber habe aber keine Zeit, denn ich muß zu Monfords hinaus, wo gestern ein Mensch, der sich seit einigen Jahren hier im Lande herumtreibt, beim Wildern vom Förster erwischt worden ist und einen bösen Schuß in den Schenkel bekommen haben soll. Also auf Wiedersehen! Sobald ich kann, komme ich zu Dir; die Sache ist aber abgemacht und Du brauchst Dir deshalb nicht weitere Sorgen zu machen.« – Und seinen Hut aufsetzend, den er noch nicht einmal abgelegt, schoß er aus dem Zimmer.

Rebe ging eine Weile mit gekreuzten Armen in seinem kleinen Kämmerchen auf und ab. Was war nicht Alles vorgefallen in den kurzen Tagen, wie drängte sich Ereigniß auf Ereigniß, und wie würde sich selber jetzt sein Schicksal gestalten? – Handor fort auf Nimmerwiederkehren, denn nach dem Geschehenen wäre ja doch seine Stellung am hiesigen Theater unhaltbar gewesen. Sein eigener Contract war dabei mit dem heutigen Tage abgelaufen, und er sollte jetzt die Stadt verlassen, in der er Alles zurücklassen mußte, an dem sein Herz, seine Seele hing. Und war es doch vielleicht möglich, daß er noch blieb? Waren die freundlichen Worte, die ihm der Director gestern Abend nach der Vorstellung gesagt, nicht blos eine leere Höflichkeitsform gewesen, die er heute vergessen hatte oder vielleicht gar bereute?

Wieder klopfte es laut und herzhaft an, und auf Rebe's »Herein« öffnete sich die Thür und Feodor Strohwisch stand in Lebensgröße auf der Schwelle.

Rebe war in der That erstaunt, denn der gefürchtete Recensent Haßburgs hatte ihn bis jetzt, wie er für ihn in der Kritik nie anders als höchstens in einer höhnischen Bemerkung existirte, kaum eines Blickes gewürdigt, wenn er ihm auf der Straße begegnete, ja, selbst die Form des gewöhnlichen Anstandes so weit außer Acht gelassen, ihm nicht einmal auf einen Gruß zu danken, so daß ihn Rebe von da an ebenfalls ignorirte. Und der besuchte ihn jetzt?

Rede war so erstaunt, daß er nicht einmal gleich wußte, wie er ihn empfangen solle. Feodor Strohwisch überhob ihn aber aller derartigen Bedenklichkeiten, denn mit der liebenswürdigsten Cordialität streckte er ihm, während er den Spazierstock unter dem Arm und den Hut auf dem Kopf behielt, beide Hände entgegen und rief herzlich und entzückt:

»Lieber, bester Rebe, gestatten Sie mir, daß ich der Erste sei, der Ihnen zu Ihrem gestrigen ungeheuern Erfolge Glück wünscht; Sie können gar nicht glauben, wie ich mich darüber gefreut habe!«

»Herr Doctor,« sagte Rebe, der sich noch immer nicht von seinem Erstaunen erholen konnte, »das ist in der That eine Überraschung, Sie bei mir zu sehen.«

»Und das wundert Sie?« sagte Strohwisch vollkommen unbefangen; »ich muß Ihnen nur gestehen, daß ich Ihr keimendes Talent schon lange im Stillen beobachtet und erkannt habe, wenn ich auch natürlich nicht ahnen konnte, daß es einmal plötzlich in einer solchen Flamme emporlohen würde. Vortreffliches Bild, nicht wahr? Mit Krüger ist aber nichts anzufangen, der reitet so lange auf seinen Steckenpferden herum, bis er sie alle zu Schande geritten hat; denn wäre der meinem Rathe gefolgt, so würde er Sie schon lange anständig beschäftigt haben – aber Gott bewahre!«

»In der That, Herr Doctor?«

»Das können Sie mir glauben,« sagte Strohwisch, seinen Hut auf den Tisch stellend und sich selber auf einen Stuhl werfend. Dabei sah er sich augenscheinlich im Zimmer nach etwas um.

»Ich bin Ihnen dann in der That sehr zu Dank verpflichtet,« sagte Rebe trocken, »und muß nur bewundern, wie geheimnißvoll Sie das Alles betrieben haben.«

»Bescheidenheit, lieber Freund, vielleicht thörichte Bescheidenheit. Aber à propos, haben Sie nirgendwo eine Cigarre? Meine Cigarrentasche muß in einem andern Rock stecken.«

»Ich bedaure sehr, ich rauche gar nicht.«

»Sie rauchen nicht? Das ist merkwürdig, das müssen Sie sich noch angewöhnen – ein Künstler und nicht rauchen! Sie sind ein ganz außerordentlicher Mensch, Rebe, ein ganz außerordentlicher Mensch!«

Dabei griff er in die Tasche, nahm die in dem andern Rock vermuthete Cigarrentasche, und aus dieser eine Cigarre, biß sie ab und entzündete sie dann mit dem auf dem Tisch neben dem Licht stehenden Streichfeuerzeug.

»Und haben Sie auch schon davon gehört,« fragte Rebe endlich, da sein Besuch keine Anstalt machte, das Gespräch wieder aufzunehmen, sondern nur an seiner etwas schwergehenden Cigarre zog, »daß Herr Handor wirklich durchgegangen sein soll?«

»Futsch,« erwiderte Strohwisch, indem er den Rauch in einer Wolke von sich blies, »vollkommen futsch! Ich habe es schon lange erwartet; er konnte sich auch hier nicht länger halten, oder wurde vielmehr nur noch künstlich von mir über Wasser getragen. Es war vorbei, er hatte sich ausgespielt; immer wieder dieselbe Geschichte, eine Rolle wie die andere, ob er den Marquis Posa oder den Wetter vom Strahl, den Mar Piccolomini oder den Faust spielte. Das Publikum ermüdete zuletzt und sehnte sich nach einer frischen, natürlichen Kraft, und daher auch der rasende Erfolg, den Sie gestern Abend errangen.«

»Aber Herr Handor war hier sehr beliebt.«

»Bah, gemacht; jeden Abend zwanzig Freibillets im Theater, und die, richtig vertheilt, können 'was ausrichten. Sie glauben gar nicht, Rebe, was ein einziges Paar Hände im rechten Moment bedeutet, und ich denke, ich habe Ihnen gestern eine Probe davon gegeben, als ich im dritten Act, wie ich das Publikum genugsam vorbereitet glaubte, mit einem Avec einsetzte.«

»Sie, Herr Doctor?«

»Nun, versteht sich; daß das ein alter Prakticus war, konnten Sie doch gleich am Zuschlagen hören. Das erste Rennen haben Sie dadurch gewonnen, und jetzt kommt Alles darauf an, wie die Sache gehandhabt wird, um Ihnen ohne allen Zweifel einen bleibenden Erfolg hier zu sichern.«

»Das würde wohl nutzlos sein,« meinte Rebe, »sich darüber den Kopf weiter zu zerbrechen, denn mein Contract ist mit dem gestrigen Tage abgelaufen. Es war der letzte Abend, der mir Gelegenheit bot, dem Publikum doch wenigstens zu zeigen, daß ich nicht ganz so mittelmäßig sei, als ich bis daher hingestellt worden.«

»Schwatzen Sie kein Zeug,« sagte Strohwisch mit einer Protectormiene, »Sie jetzt Haßburg verlassen? Denken gar nicht daran – der Director wird doch kein Esel sein und darein willigen!«

»Es wird doch wohl so werden.«

»Und wo will er denn einen Andern herkriegen? Glauben Sie, die ersten Liebhaber laufen auf der Landstraße herum, daß man nur einen Gensdarmen hinzuschicken braucht, um sich einen einzufangen? Hahahaha, denken Sie sich das Bild! Nein, wenn das Publikum mit Ihnen hier zufrieden ist, so hat Krüger gar keine Wahl, und wer das Publikum eigentlich hier in Haßburg ist, Rebe, ich dächte, das wüßten Sie doch – das bin ich

»Sie, Herr Doctor?«

»Fragen Sie nicht so kindlich. Wer schreibt denn die Recensionen über das hiesige Theater, und in wessen Händen liegt es denn, zu bestimmen, ob ein Künstler hier reüssiren soll oder nicht? Sobald ich meine Hand von ihm abziehe, ist er verloren, so lange ich ihn halte, jubelt ihm das Publikum entgegen – Publikum, wenn ich nur den Namen gar nicht mehr hören müßte! Es ist eine zusammengelaufene, urtheilslose Masse, die nur in höchst seltenen Fällen, selbst im Theater drin, eine eigene Meinung kundzugeben wagt, bis sie erst einmal gehört und gelesen hat, wie die Sache besprochen ist.«

»Aber gestern Abend war doch das Gegentheil der Fall.«

»Weil ich zu applaudiren an fing!« rief Strohwisch leidenschaftlich. »Tausendmal haben Sie ja den Beweis mit einem neuen Stück; sitzen sie nicht drin wie die Stöcke und rühren keine Hand, bis sie erst am nächsten Morgen gelesen haben, wie das Stück gefallen hat. Und applaudiren sie wirklich einmal und rufen heraus, und ich beweise ihnen am nächsten Morgen, daß sie sich blamirt haben, sehen Sie einmal zu, ob nachher bei der zweiten Ausführung noch zehn Menschen im Theater sind!«

»Sie mögen in mancher Hinsicht nicht Unrecht haben.«

»In mancher Hinsicht? Lieber Freund, ich habe in jeder Hinsicht Recht. Wer applaudirt denn im Theater? Beantworten Sie mir einmal die Eine Frage. Der erste Rang? Fällt ihm gar nicht ein, das schickt sich nicht für das vornehme Pack und strapazirt die Glacéhandschuhe auch zu sehr, denn man kann sich nicht alle acht Tage ein Paar neue kaufen. Das Parterre ist's, das den Ton angiebt, und der dritte Rang bildet das Echo und macht den Spectakel, und fängt jedesmal deshalb an heraus zu schreien, weil sie den Vorhang noch einmal wollen aufgehen sehen und dadurch etwas mehr für ihr Geld bekommen. Wer sitzt aber im Parterre? Der ehrliche Bürger, Gevatter Schneider und Handschuhmacher, Bierbrauer, Metzger, Posamentirer, lauter Leute, die sich blos für eine Kleinigkeit amüsieren wollen und von denen Sie nicht verlangen können, daß sie auch gleich ein fertiges Urtheil mit hineinbringen. Diese Leute repräsentiren das Publikum, und der erste Rang, so sehr er auch die Nase darüber rümpfen würde, wenn man ihm vorhalten wollte, daß er sich gerade von diesen in seinem eigenen Urtheil bestimmen lasse, besteht doch aus nichts als aufgeputzten Gliederpuppen, die Entrée bezahlen, das Theater füllen und höchstens untereinander raisonniren.«

»Dann muß ich schon meine Chance nehmen, wie sie eben fällt,« sagte Rebe achselzuckend, denn Doctor Strohwisch fing an ihm unangenehm zu werden. »Wir wollen's abwarten. Sie haben mich gestern so freundlich aufgenommen, daß ich wohl hoffen darf, sie werden mir auch ein freundliches Andenken bewahren.«

»Andenken? Phantasie!« sagte Strohwisch. »Bilden Sie sich nur nicht ein, daß Krüger Sie fortläßt, er darf es gar nicht, oder er hätte mich auf dem Halse, und das riskirt er nicht. Nein, betrachten Sie Ihr Wieder-Engagement als vollkommen gesichert; und dann, lieber Rebe, haben Sie keine Sorge, ich mache die Geschichte, ich weiß Bescheid, und Sie sollen einmal sehen, in acht Tagen kräht kein Hahn mehr nach Handor und Sie spielen eine von seinen Rollen nach der andern ruhig weg.«

»Sie malen mir die Zukunft sehr verführerisch, Herr Doctor,« lächelte Rebe, »aber die Hauptsache würde ich doch wohl machen müssen, wenn es wirklich dazu käme. Wenn die Kritik dabei ein wenig nachsichtig mit mir verfahren wollte, so würde ich das dankbar anerkennen, denn ich kann wohl sagen, ich bin durch mein langes Zurückhalten in kaum mehr als Statistenrollen auch kaum mehr als ein Anfänger jetzt und muß wieder von Neuem beginnen.«

»Und was zahlen Sie für die Spalte Honorar?« sagte der Doctor, der mit einer liebenswürdigen Unbefangenheit, die nichts zu wünschen übrig ließ, auf den Hauptpunkt übersprang.

»Zahlen für die Spalte?« sagte Rede wirklich überrascht, denn nach seinen Ansichten von Ehrgefühl war es doch nicht denkbar, daß der »Doctor« damit sagen wollte, er wünsche seine Recensionen von ihm bezahlt zu haben. »Ich verstehe Sie nicht.«

»Sie sind wirklich kindlich,« lächelte Doctor Strohwisch; »Sie wissen doch, daß ich meine Recensionen stets honorirt bekomme.«

»Aber doch nicht von dem Schauspieler!« rief Rebe ordentlich erschreckt.

»Nein, nicht von allen,« sagte der Doctor, »aber die haben sich die Folgen dann auch selber zuzuschreiben.«

Rebe war ein seelensguter Mensch und hätte sich lieber das Äußerste versagt, ehe er im Stande gewesen wäre, irgend Jemanden wissentlich zu beleidigen. Bei dieser Unverschämtheit, von der er bis jetzt wirklich noch keinen Begriff gehabt, kochte ihm aber doch das Blut, und er mußte sich Mühe geben, an sich zu halten.

Strohwisch dabei, mit keiner Ahnung, was in dem jungen Künstler vorging, und in der Meinung, er überlege jetzt mit sich im Stillen, was er ihm etwa bieten könne, sah ihn freundlich lächelnd an und blies ihm dazu den Rauch seiner Cigarre in's Gesicht.

»Nun?« fragte er endlich.

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Doctor,« erwiderte ihm Rebe mit mühsam errungener Fassung. »Erstlich ist die Sache mit einem Wieder-Engagement hier noch im weiten Felde, ich glaube noch nicht einmal daran; wenn das aber auch wirklich eintreten sollte, so bin ich fest entschlossen, was ich erreiche, auch nur mir selber zu verdanken und nie im Leben eine gute Kritik zu bezahlen, wenn ich sie mir nicht ehrlich verdient habe. Ich werde mir die größte Mühe geben, ich werde fleißig lernen, und daß ich der Sache Lust und Liebe entgegenbringe, deß ist Gott mein Zeuge. Mehr kann aber auch kein Mensch von mir verlangen, und genüge ich damit dem Publikum nicht, gut, dann setze ich meinen Stab weiter und will versuchen, mich zu vervollkomnmen, bis ich den Rang erreicht habe, nach dem ich strebe. Genüge ich ihm aber und finden Sie selber, daß ich meinen Platz ausfülle, dann muß ich es Ihnen auch selber überlassen, was Sie darüber schreiben wollen.«

»Mein lieber Herr Rebe,« sagte Strohwisch trocken, »mit diesen Grundsätzen brauche ich kein Prophet zu sein, um Ihnen zu sagen, daß Sie schon in den nächsten acht Tagen ausgepfiffen werden.«

»Herr Doctor!«

»Auf mein Wort, gar keine Frage,« lächelte Strohwisch; »ein Recensent ist nun einmal nicht im Stande neutral zu bleiben. Entweder interessire ich mich für oder gegen Sie, und jetzt haben Sie noch die Wahl. Seien Sie vernünftig,« setzte er dann mit gutmüthigem Kopfschütteln hinzu; »sehen Sie, ein Mensch kann ja doch nun einmal nicht mit seinem Schädel durch eine Mauer rennen, und wie die Welt ist, ändern Sie sie ja doch nicht. Wir wollen die Sache aber einfacher machen, Sie kennen doch das Institut der Lebensversicherungen, nicht wahr? Nun gut; sehen Sie, wie Sie dort Ihr Leben oder in einer andern Anstalt Ihre Möbel, Wäsche und Kleider gegen eine Feuersbrunst versichern können, so versichern Sie bei mir Ihre Carriere als Künstler, und ich will nicht hart mit Ihnen sein: fünf Procent von Ihrer Gage – beim Himmel, Sie dürfen sich nicht über mich beklagen, und die ganze Geschichte kostet Sie im höchsten Fall lumpige hundert Thaler das ganze Jahr.«

»Und wenn ich es für hundert Groschen, ja, für hundert Pfennige haben könnte,« rief Rebe jetzt, von seinem Stuhl emporspringend und wirklich ganz außer sich, »so würde ich mich vor mir selber schämen, einen solchen – Patron zu bestechen, wie Sie sich mir eben gezeigt haben!«

»Bitte,« sagte Strohwisch, sich mit spöttischer Höflichkeit von seinem Stuhl erhebend, aber doch nicht gewillt weiter zu gehen, denn Rebe war von sehniger Statur und muskulös gebaut. »Ich sehe, Sie sind kein Geschäftsmann, Herr Rebe, und bedauere wirklich herzlich, Ihre werthvolle Zeit heute Morgen so lange in Anspruch genommen zu haben. Ob Sie recht daran gethan, mein freundliches Entgegenkommen in solcher Art zurückzuweisen, mag die Zeit lehren. Für jetzt habe ich die Ehre, mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen!« Und seinen Hut aufgreifend, verließ er mit einer sehr förmlichen Verbeugung das Zimmer.

Rebe fühlte sich eine Last von der Seele genommen, als der Mensch ging; denn so lange er sich in seiner Nähe befand, war es ihm ordentlich, als ob irgend ein böser Geist Macht über ihn gewinnen und ihn von seinem ehrlichen Pfade ablenken wollte. Aber kehrte er noch einmal zurück? Draußen knarrte wieder die Treppe. Aber nein, das waren zwei Personen; er hörte Stimmen. Es wurde wieder geklopft.

»Herein!«

»Bitte, nach Ihnen, ich bin hier zu Hause!« hörte er Jemanden sagen. Das war Peters. Die Thür öffnete sich weit und der Theaterdiener nöthigte auch wirklich – Rebe's Herz schlug hoch – Henriettens Vater zuerst hinein.

Jeremias hielt sich aber nicht lange bei der Vorrede auf. Er ging auf Rebe zu, reichte ihm herzlich die Hand und rief: »Mein lieber Rebe, ich komme hierher, um Ihnen Abbitte zu thun.«

»Mir, Herr Stelzhammer?«

»Ich habe Sie im Verdacht gehabt, daß Sie kein Schauspieler wären und die Geschichte nur so aus Plaisir mitmachten; ich bin jetzt aber anderer Meinung darüber. Bleiben Sie dabei, Sie gehören nirgends anders hin, und – ich hoffe, es soll noch Alles gut werden.«

»Mein bester Herr...«

»Nicht wahr, er hat seine Sache gut gemacht!« rief Peters, der selber mit stolz auf den gestrigen Erfolg war, den der Director allerdings auch seinen Beinen zu verdanken hatte. – »Ja, ganz brav hat er's gemacht, und hier, Herr Rebe, auch ein Brief vom Director. Sollen um zwölf Uhr einmal zu ihm in's Bureau kommen, verstehen schon – gratulire im Voraus.«

»Und haben Sie bis dahin noch etwas vor?«

»Nicht das Geringste, Herr Stelzhammer.«

»Schön; hätten Sie etwas dagegen, mich einmal zu begleiten?«

»Wohin, Herr Stelzhammer?«

»Nu, natürlich in den Italienischen Keller,« sagte Peters mit einem verschmitzten Lächeln; »wohin kann man einen Menschen um diese Tageszeit wohl führen? Aber, Donnerwetter, was wollte denn der Doctor Strohwisch schon bei Ihnen – pumpen? Natürlich! Halten Sie sich den zum guten Freunde, wenn ich Ihnen rathen soll; er hat ein bitterböses Maul.«

»War das der Herr, dem wir auf der Treppe begegneten?«

»Ja wohl, mit den kurzen Haaren und dem mopsigen Gesichte; aber er hat's hinter den Ohren. Na, ich muß jetzt fort; vergessen Sie nicht, um zwölf Uhr. Guten Morgen, meine Herren!« Und wie ein Pfeil schoß er wieder aus der Thür hinaus.

»Und wohin soll ich Sie begleiten?«

»Das war der Theaterdiener, nicht wahr?«

»Ja, Peters.«

»Wohin Sie mich begleiten sollen? Wohin Sie wahrscheinlich recht gern mitgehen,« lächelte der kleine Mann. »Sie wissen, was mein Schwager Pfeffer von Ihrer Bewerbung um Jettchen hielt – bitte, lassen Sie mich ausreden. Pfeffer kennt das Theater durch und durch, und mit keiner Aussicht, daß Sie sich je eine unabhängige Stellung dabei erringen könnten, hielt er es für seine Pflicht, ein Verhältniß abzubrechen, das, wie er fürchtete, für Jettchen nur vergebliche Hoffnungen hatte und aus dem doch nie etwas Ernstes werden konnte. Gestern Abend nun, oder vielmehr noch diese Nacht, habe ich mit ihm die Sache überlegt, und wir sind Beide zu dem Schluß gekommen, daß Sie...« Hier stak er fest, denn er wußte jetzt nicht recht, wie er dem ihm mit hochgerötheten Wangen gegenüber sitzenden jungen Mann die Sache weiter auseinander setzen sollte.

»Und erlauben Sie mir, daß ich Henriette wiedersehen darf?« sagte endlich Rebe mit leiser Stimme.

»Hurrjeh, deshalb bin ich ja hergekommen,« rief Jeremias, der sich dadurch mit Einem Mal aller Verlegenheit enthoben sah. »Jetzt, auf den Ruck wollen wir hingehen! Ich sage Ihnen, daheim ist es ein wahrer Jammer die Zeit über gewesen, so hat sich das arme Ding, das Jettchen, heimlich gesorgt und abgequält, und die Mutter ist dabei immer elender und miserabeler geworden. Heute blüht Jettchen wie eine junge Rose und singt im Hause herum, daß es eine Lust ist.«

»Mein lieber Herr Stelzhammer!«

»Machen Sie nur rasch, mir brennt's ordentlich unter den Sohlen,« rief Jeremias; »weiß Gott, es war kein Spaß, das Leiden den ganzen Tag mit anzusehen und nichts dabei thun zu können! Der Hamlet hat die ganze Geschichte wieder auf die Strümpfe gebracht, und wenn Sie jetzt in Gang bleiben, ist mir auch nicht bange.«


Es mochte etwa elf Uhr Morgens sein, als der junge Graf Hubert, sein braves Pferd in Schweiß gebadet, in die Stadt zurückkehrte. Er war seit Tagesanbruch draußen gewesen und sah wild und verstört aus. Sein Gesicht glühte dabei und seine Augen waren wie mit Blut unterlaufen.

Den Weg herunter kam in einem scharfen Trab George. Er hatte Hubert's Pferd erkannt und wollte ihn sprechen.

»Um Gottes willen, Hubert, wo bist Du gewesen?« rief er den Freund erschreckt an. »Wie siehst Du aus?«

»Du freilich siehst aus, als ob Du von einer Morgenpromenade kämest,« erwiderte gereizt der junge Graf. »Wo ich war? Und das fragst Du auch noch? Den Flüchtigen nach. Beim ewigen Gott, hätte ich ihn erreicht, seine Minuten wären gezählt gewesen!«

»Und Du hättest Dich selbst unglücklich dadurch gemacht!«

»Unglücklich? Beim Teufel, glaubst Du, daß ich jetzt glücklich bin, wo die ganze Stadt mit Fingern auf mich deuten wird? Tod und Hölle, ich möchte rasend werden, wenn ich darüber nachdenke!«

George seufzte tief auf. Wie gern hätte er den Freund getröstet, aber war er nicht selber jeden Trostes bar? Seine arme, arme Paula! –

»Handor hat wie ein Schuft gehandelt!« sagte er endlich düster.

»Wer?« schrie Hubert mit einer vor innerer Bewegung fast unhörbaren Stimme, indem er den Arm George's krampfhaft ergriff und nur wieder loslassen mußte, weil er sein Pferd zugleich mit den Sporen berührte und dieses mit ihm nach vorn sprang. Hubert, überdies schon zum Äußersten gereizt, stieß ihm die Sporen jetzt fest in die Seiten, und zugleich es am Zügel zurückreißend, mißhandelte er das Thier, daß es vor Angst und Schmerz kaum stehen konnte. Aber er hatte keinen Sinn für sein Roß, nur gegen George zu riß er es wieder herum, und mit heiserer Stimme wiederholte er: »Wer, sagtest Du, wer?«

»Handor, der Schauspieler,« erwiderte George; »es ist kein Zweifel mehr, und Gott nur weiß es, wie er das Herz des armen Kindes so zu berücken wußte!«

»Handor? Hahahahahaha,« lachte Hubert jetzt wild und grell auf, »das ist zum Todtschießen! Handor, der Komödiant, mit der Comtesse Monford, der Braut des Grafen Bolten, bei Nacht und Nebel und vom Verlobungsschmaus weg, so recht zum Hohn entflohen! Und daher Deine Freundschaft mit diesem Menschen, die ich mir bisher nicht zu erklären wußte; daher Deine heimlichen Zusammenkünfte und Berathungen mit ihm!«

»Hubert, Du weißt nicht, was Du sprichst!« rief George.

»Weiß ich's nicht?« lachte Hubert in aufkochendem Zorn. »Und weil Ihr mich zum Tölpel gemacht und meine Gutmüthigkeit benutzt habt, glaubst Du, daß ich meine Sinne nicht wiederfände?«

»Du bist rasend, die Leute werden schon aufmerksam!«

»Aufmerksam? Hahaha, in der ganzen Stadt wird wahrscheinlich jetzt von nichts Anderem gesprochen, und mit Fingern werden sie gleich auf uns zeigen: Da, das ist der Bräutigam, dem die Braut davongelaufen, und das da der Bruder, der sie zusammengekuppelt hat!«

»Du bist von Sinnen, Hubert!« rief George, der Mitleid mit der Leidenschaft des Freundes fühlte. »Reite nach Hause und beruhige Dich erst, dann wollen wir Alles besprechen; jetzt und in diesem Zustand kannst Du mich nicht beleidigen.« Und damit lenkte er sein Pferd ab und wollte den Weg hinabreiten.

»Kann ich Dich nicht beleidigen, Kuppler?« schrie in diesem Augenblick der fast außer sich Gerathene, indem er sein schon überdies halb wild gewordenes Thier mit den Sporen in mächtigen Sprüngen nach vorn trieb, daß es in wenigen Sätzen George's Pferd eingeholt hatte. »So nimm das wenigstens zum Lohn!« Und ehe es George verhindern oder den Schlag pariren konnte, hieb er ihm mit der schweren Reitpeitsche mit voller Kraft am Kinn herunter über die Brust.

George zügelte im Nu sein Thier ein. Er war todtenbleich geworden; aber so bleich und starr sein Antlitz war, so ruhig hielt er sich im Sattel, und wie Hubert sein springendes Thier nur erst einmal wieder gebändigt, sagte George mit eisiger Kälte:

»Gott vergebe Dir Deinen Wahnsinn, ich kann es nicht, das fordert Blut!«

»Hab' ich Dich endlich warm gemacht?« lachte der junge Graf höhnisch, und seinem Pferd die Zügel lassend, flog er mit ihm in Carrière die Allee entlang.

25.
Wie das Glück wechselt.

In ihrem freundlichen Boudoir saß Helene, scheinbar mit einer kleinen Arbeit beschäftigt; aber ihre Gedanken waren weit von da, und nicht einmal der Kinder achtete sie mehr, die neben ihr auf dem Teppich spielten und aus einem mächtigen Baukasten Schlösser aufzurichten suchten, um sie nachher von Günther's Bleisoldaten stürmen und der Erde gleichmachen zu lassen. Und wie sie dann jubelten und lachten, wenn der stattliche Bau, den sie schon wenigstens noch einmal so hoch als Mamas Fußbank aufgerichtet, polternd in sich zusammenstürzte und Helenchen dann mit den kleinen Patschchen, vor Freude aufkreischend, dazwischen herumstrich, damit auch nicht ein Stein auf dem andern blieb!

Man sagt: Kinder zerstören gern; aber es ist nicht wahr. Nur neubilden wollen sie, nur dem, was sie besitzen, eine andere Form und Gestalt geben, und daß sie dabei leichtsinnig mit dem, was ihnen gegeben, umgehen und nach der Zerstörung oft nicht wieder im Stande sind, das Geschehene ungeschehen zu machen – ist es ihre Schuld, und thun wir großen, erwachsenen Menschen nicht so oft, oh, so entsetzlich oft im Leben genau dasselbe?

Und die Mutter sah das Alles nicht, hörte nicht einmal den Jubel der Lieblinge über eine vollbrachte diminutive Heldenthat, und leise tropften dann und wann große, helle Thränen von ihren Wangen nieder und auf die Arbeit, daß sie das Tuch zu Hülfe nehmen mußte, um nur wieder klar sehen zu können.

Geräuschlos war Felix eingetreten; aber kaum hatten ihn die Kinder bemerkt, als sie aufsprangen und sich jubelnd an seine Kniee hingen; er konnte sich ihrer kaum erwehren, und die Mutter wischte indessen rasch und verstohlen die verrätherischen Tropfen weg, daß der Gatte sie nicht sehen sollte.

»Helene,« sagte Felix und schlang leise seinen Arm um sie, »mein liebes, liebes Frauchen, immer noch die trüben, traurigen Gedanken?«

»Ach, Felix,« seufzte die junge Frau, »soll ich fröhlich sein, wenn ich an das Schicksal der armen Paula denke?«

»Es ist unerklärlich,« rief Graf Rottack, indem er sie losließ und zum Fenster trat, »rein unerklärlich, wie das scheue, schüchterne Wesen nicht allein zu diesem Entschlusse, nein, zu der Ausführung desselben gelangte; denn hätte mir Jemand vorher gesagt, daß gerade Paula so selbstständig, so rücksichtslos selbstständig auftreten könne, ich würde ihn für thöricht erklärt haben.«

»Und ist es bestätigt, daß sie mit jenem Schauspieler entflohen ist?«

»Das Gerücht in der ganzen Stadt sagt allerdings Ja, und es bleibt uns beinahe nichts Anderes zu glauben übrig, als ihm beizustimmen. Handor ist gestern Abend, etwa zu der nämlichen Zeit verschwunden, so daß ein junger Anfänger im Theater seine Rolle übernehmen mußte, und leider lautet das, was ich über jenen Handor heute Morgen in der Stadt hörte, trostlos genug für Paula's künftiges Lebensglück.«

»Arme, arme Paula!«

»Daß sich die Eltern versöhnen ließen, daran ist nun vollends kein Gedanke,« fuhr Felix fort, »und ich fürchte, ich fürchte, das unglückliche junge Mädchen hat einem leichtsinnigen, gewissenlosen Menschen ihre ganze Zukunft anvertraut!«

»Und kann denn gar nichts geschehen, um sie zu retten?«

»Es ist die Frage,« sagte Felix ernst, »ob ihr Vater unter dem ersten Eindruck dieser tödtlichen Kränkung auch nur den Versuch dazu machen wird, und nachher – ist es zu spät. – Aber wer ist das? George Monford – großer Gott, wie todtenbleich er aussieht!«

Es war in der That George, der in diesem Augenblick vor dem Gartenthor abstieg und sein Pferd am Zügel in die innere Einfriedigung hineinziehen wollte. Felix sandte augenblicklich einen Diener hinaus, um es ihm abzunehmen, und wenige Minuten später betrat der junge Graf das Zimmer, in dem die beiden Gatten sich befanden.

Beide begrüßten ihn auf das Herzlichste. George selber war aber so bewegt, daß er anfangs gar nicht im Stande schien, ihre freundlichen Worte zu erwidern. Endlich sagte er leise:

»Was müssen Sie von mir denken, wenn ich schon wieder mit einer Bitte nahe, die aber dieses Mal freilich keinen heitern Scherz betrifft!«

»Lieber Graf,« sagte Rottack herzlich, »Sie wissen, wie willkommen Sie uns immer waren, aber nie mehr, als gerade jetzt, wenn Sie uns Hoffnung machen, daß wir Ihnen in Ihrem Schmerze beistehen können!«

George erwiderte kein Wort, aber er preßte fest die Hand, die er in der seinigen hielt. Sie wurden gestört, denn die Bonne kam herein, um die Kinder abzuholen, und Helenchen wollte nicht mitgehen, weil Günther noch einen kleinen Thurm aufgebaut hatte, den sie vorher umwerfen mußte. Der Vater ließ sie gewähren, und indeß sie das Zimmer verließen, hatte George auch seine volle Ruhe wiedergewonnen. – Kaum schloß sich die Thür hinter ihnen, als er leise sagte:

»Sie wissen Alles, was gestern vorgefallen, und insofern ist es mir eine Erleichterung, daß ich das Entsetzliche nicht zu wiederholen brauche. Wohin sich Paula gewandt, ist unbestimmt, nur die Richtung, welche der Wagen letzte Nacht genommen haben muß, oder wir würden ihn sicher überholt haben, macht es wahrscheinlich, daß sie nach dem Rhein zu geflohen. Wer aber soll sie dort in jetziger Zeit, wo Tausende von Fremden auf und ab schwärmen, verfolgen? Trotzdem hatte ich die Absicht, die Reise heut Abend anzutreten; es ist aber möglich, daß ich daran verhindert werde, und in diesem Fall möchte ich Sie dringend bitten, Ihre Bemühungen mit den meinigen zu vereinigen.«

»Oh, so gern, so gern,« rief Helene, »wenn wir nur eine Andeutung bekommen können, nach welcher Himmelsgegend das unglückliche Kind entflohen!«

»Wohl ist sie ein unglückliches Kind,« sagte George ernst, »denn ich fürchte, sie gerieth in schlimme Hände; aber das zu bedenken ist jetzt zu spät, und nur den Versuch müssen wir noch machen, sie zu retten, ehe sie ganz verloren geht.«

»Und was sagen Ihre Eltern?«

»Von denen ist nichts zu hoffen,« seufzte George. »Die Mutter ist unerbittlich, und nur den Vater könnte ich vielleicht noch gewinnen, wenn nicht ein anderes Hinderniß dazwischen träte. Paula war immer des Vaters Liebling, mit seiner ganzen Seele hing er an der Schwester; deshalb traf ihn auch gestern die Schreckenskunde mit so furchtbarer Schärfe, daß wir schon das Schlimmste fürchteten. Er war ganz außer sich und phantasirte mit offenen Augen. Heute hat er sich erholt; er scheint die Nacht ruhig geschlafen zu haben und war heute Morgen, als ich das Schloß verließ, schon auf und am Fenster. Armer alter Mann, und was steht ihm vielleicht noch bevor!«

»Geben Sie die Hoffnung noch nicht auf,« rief Helene bewegt, »Gott kann noch Alles zum Besten lenken!«

»Ja,« sagte George leise, »aber bis dahin müssen wir thun, was in unseren Kräften steht. Ich weiß nicht, woher es kommt,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »aber zu Ihnen, Frau Gräfin, und zu Ihrem Gatten habe ich mich vom ersten Moment hingezogen gefühlt, habe Vertrauen zu Ihnen gefaßt, und es war mir wunderbarer Weise immer, als ob wir uns eigentlich gar nicht so fremd, als ob wir schon lange mit einander bekannt, befreundet gewesen wären. Das gab mir damals den Muth, sogleich ohne Weiteres zu Ihnen zu kommen und Sie um Beistand in einer Sache zu bitten, die jetzt freilich anders geendet hat, als ich damals dachte. Ihnen, Frau Gräfin, empfehle ich jetzt auch meine Paula. Ich weiß, mit welcher Liebe die Schwester, der es genau so ging, an Ihnen hing, wie oft sie in der kurzen Zeit von Ihnen sprach. Seien Sie ihr eine Schwester, wenn ich – vielleicht verhindert werden sollte, das auszuführen, was ich heute begonnen.«

»Hier haben Sie meine Hand darauf,« sagte Helene, während sich ihre Augen mit Thränen füllten; »wir werden sie wiederfinden, und was treue Liebe vermag, sie zu trösten, ihr zu helfen, soll gewiß geschehen.«

»Ich danke Ihnen,« sagte George gerührt; »ich war davon überzeugt, ehe ich zu Ihnen kam, und jetzt gehe ich fröhlicher an meine Arbeit, da ich weiß, daß ich meine arme Paula nicht fremd, nicht hülflos ihrem Geschick begegnen sehe. Sie haben mir eine schwere Last von der Seele genommen.«

»Aber wollen Sie denn fort von hier?«

»Wahrscheinlich auf eine kurze Zeit, es ist wenigstens möglich, und da ich rasch abgerufen werden könnte, wollte ich doch nichts versäumt haben. Ich komme auch eben vom Telegraphenamte, wo ich in jener Richtung an vier verschiedene Freunde in verschiedenen Orten telegraphirt habe. Für den Fall aber, daß ich nicht hier sein sollte, gab ich Ihre Adresse auf; Sie sehen, Frau Gräfin, wie fest ich auf Ihre Güte rechnete.«

»Aber Paula wird doch gewiß unmittelbar an ihre Eltern schreiben,« sagte Felix.

»Ich glaube es auch, aber ich fürchte, meine Mutter nimmt, in der ersten Zeit wenigstens, keine Briefe von ihr an, und der Vater ist so leidend, daß ich nicht auf ihn rechnen kann.«

»Großer Gott,« seufzte Helene, »welches Unheil kann ein einziger schlechter Mensch über eine glückliche Familie bringen, und wie furchtbar schnell fiel der Schlag!«

»Furchtbar schnell,« wiederholte George leise und fast tonlos die Worte, »ganz furchtbar schnell, und wir waren so glücklich, so ahnungslos glücklich! Aber es hat nicht sein sollen,« fuhr er plötzlich mit fester Stimme und sich wieder hoch aufrichtend fort, »und da es einmal geschehen, müssen wir dem Schicksal trotzig die Stirn bieten.«

»Sie wollen schon fort?«

»Ja, ich habe heute Morgen noch viel zu thun.«

»Sie sind ganz blutig am Kinn, Graf George.«

»Noch ein Andenken dieser Nacht,« sagte George, während ihm das Blut in die Schläfe stieg, »ich hatte einen wilden Ritt. So leben Sie wohl, Herr Graf, leben Sie wohl, Frau Gräfin, Gott schütze Sie und lohne Ihnen, was Sie an meiner Schwester thun!«

Er drückte Beiden die Hand, wandte sich rasch ab und verließ das Haus, um draußen sein Pferd wieder zu besteigen.


In der nämlichen Zeit, in welcher George Monford Rottacks besuchte, schritt Rebe an Jeremias' Seite Pfeffer's Wohnung zu, und wie leicht und wie glücklich schlug ihm dabei das Herz!

Noch hatte er nicht alle Schwierigkeiten besiegt, das wußte er recht gut, ja, eigentlich war nur der erste Schritt auf seiner Bahn gethan; aber er war doch gethan, es war ihm doch gestattet worden, in die Arena einzutreten, und seiner eigenen Kraft anheimgestellt, den Sieg zu erringen, und mehr verlangte er ja nicht, mehr hatte er nie verlangt. Was jetzt auch kommen mochte, er konnte doch erproben, ob er wirklich im Stande sei, eine ehrenvolle Stellung auszufüllen, und dann, wenn das nicht möglich war, mit dem Bewußtsein zurücktreten, sein Äußerstes versucht zu haben. Gelang es ihm aber, blieb er Sieger, dann war auch sein heißester Seelenwunsch erfüllt, das Ziel seines ganzen Strebens erreicht, und er sah eine Laufbahn vor sich, deren Lasten und Mühen selbst nur so viel Genüsse für ihn waren, weil eben seine ganze Seele daran hing, sein ganzes Streben dem gewidmet war.

Und wie lieb und freundlich wurde er oben im Hause von Allen empfangen! Wie hold erröthend trat ihm Henriette entgegen, und wie ganz verändert war selbst der sonst immer mürrische und verdrießliche Fürchtegott Pfeffer gegen ihn geworden!

»Rebe,« sagte er, sowie dieser nur das Zimmer betrat, indem er ihn bei einem Knopf erwischte, »Sie sind ein verfluchter Kerl. Sie haben sich gestern Abend vortrefflich herausgebissen, und wenn Sie auch wirklich nicht in Haßburg bleiben, was aber doch vielleicht der Fall ist, so werden Sie Ihr Glück auf jeder Bühne machen.«

»Herr Pfeffer, Sie glauben gar nicht, wie ich mich freue...«

»Ist auch gar nicht nöthig,« unterbrach ihn Pfeffer, »ich wollte Ihnen auch nur sagen, daß es mir leid thut, früher grob gegen Sie gewesen zu sein; aber Sie dürfen es mir auch nicht übel nehmen, denn was für ein trauriges Exemplar der menschlichen Gesellschaft ein schlechter Schauspieler ist, wissen Sie wahrscheinlich besser, als ich es Ihnen sagen könnte.«

»Aber, Fürchtegott, so laß uns auch einmal zu Worte kommen,« bat die Frau, welche heute aber viel wohler schien, als sie bis jetzt gewesen. Ihre Wangen hatten ordentlich etwas Farbe bekommen und ein liebes, freundliches Lächeln spielte um ihre Lippen.

»Bin schon fertig,« brummte Pfeffer; »'s ist doch merkwürdig, daß Frauen nie leiden können, wenn ein Anderer spricht.«

»Mein lieber Herr Rebe,« sagte Henriettens Mutter, dem jungen Mann die abgemagerte Hand entgegenstreckend, »es hat uns Alle recht herzlich gefreut, als wir Ihren gestrigen Erfolg gehört; Gott wird Sie ja weiter führen und noch Alles zum Guten lenken.«

»Meine liebe, verehrte Frau,« rief Rebe bewegt, »seien Sie versichert, daß ich alles in meinen Kräften Stehende thun werde, um weiter zu kommen, und schon daß ich Ihnen dies sagen darf, ist mir ein großer Trost.«

»Er stichelt,« meinte Pfeffer.

»Und Jettchen?« sagte Rebe leise, indem er seine Hand gegen sie ausstreckte.

»Ich habe es fest geglaubt, daß Sie Ihr Ziel erreichen würden,« flüsterte das junge Mädchen, das wie mit Purpur übergossen da stand, indem es die dargebotene Hand schüchtern nahm.

»Na, dann ist die Geschichte ja abgemacht,« rief Pfeffer, »und viel besser, als ich gedacht habe, denn ich hatte mich schon wieder vor einer Überschwemmung gefürchtet. Aber wo willst Du denn hin, Jeremias?«

»Bin gleich wieder da, warte nur einen Augenblick,« rief der kleine Mann. Er hatte bis jetzt an der Thür gestanden und ein paar Mal hinausgehorcht. Jetzt kam Jemand die Treppe herauf, und wenige Minuten später kehrte Jettchen's Vater mit einer Flasche Champagner unter jedem Arm zurück, die er unbedingt unterwegs bestellt haben mußte.

»So,« rief er, »und nun trinken wir vor allen Dingen erst einmal die Gesundheit des neuen Liebhabers – und Guste auch mit.«

»Aber darf ich Wein trinken?«

»Du? Erst recht, daß Du wieder zu Kräften kommst,« rief Pfeffer. »Der Rebe scheint überhaupt auch, wie er bis jetzt ein heimlicher erster Liebhaber war, ein heimlicher erster Doctor zu sein, denn die Geschichte von gestern Abend hat Dich mehr auf den Strumpf gebracht, als bisher alle Medicinflaschen. Apropos, Rebe, haben Sie den Director schon gesprochen?«

»Ich erhielt vor einer halben Stunde etwa einen Brief von ihm, worin er mich bittet, um zwölf Uhr auf das Bureau zu kommen.«

»Bittet – so? Haben Sie ihn bei sich.«

»Hier ist er.«

»Lassen Sie einmal sehen. »Mein lieber Herr Rebe!« Wie der Lump freundlich sein kann, wenn's ihm auf den Nägeln brennt. »Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mich um zwölf Uhr heute Morgen auf meinem Bureau besuchen wollten. Ich habe Ihnen eine erfreuliche Mittheilung zu machen.« Glaub' ich ihm, dem Cujon! »Ihr ganz ergebenster Krüger, Director.« 's ist unglaublich,« rief Pfeffer, mit der Hand in den Brief schlagend, »und wie schreibt er sonst!«

»Aber, Onkel,« sagte Jettchen, »Herr Rebe ist ja doch nicht mehr bei ihm engagirt!«

»Ach was da, er hätte 'mal gestern nicht sollen den Hamlet spielen und heute Morgen Herrn Director Krüger um eine Unterredung gebeten haben, möchte sehen, wie der Brief gelautet haben würde! Aber wie viel Uhr ist's jetzt?«

»Halb Zwölf.«

»Also nun erst anstoßen auf das Wohl unseres ersten jugendlichen Liebhabers,« rief Jeremias und ließ in dem nämlichen Augenblick einen Pfropfen knallen, als ein scharfer Schrei in der Thür ausgestoßen wurde.

»Oh, mein Gott, haben Sie mich erschreckt!« stöhnte Fräulein Bassini, die auf der Schwelle stand.

»Ob die nicht jedesmal zum rechten Moment kommt,« rief Pfeffer lachend; »na, her, Alte – noch ein Glas, Jettchen!«

»Alte? Fürchtegott, ich verbitte mir Deine Grobheiten! Aber, mein lieber Herr Rebe, Sie haben uns Alle gestern Abend...«

»Die Geschichte ist lange abgemacht,« rief Pfeffer, ihren Arm fassend und sie auf einen Stuhl ziehend.

»Aber ich darf doch...«

»Champagner trinken, gewiß; da stoß mit Horatius an, denn er muß fort, um ein neues Engagement abzuschließen.«

»Also wirklich?« rief Fräulein Bassini entzückt. »Oh, da gratulire ich von ganzem Herzen!«

»Und Rebe soll leben, vivat hoch!« rief Pfeffer.

Pfeffer war überhaupt in einer überaus aufgeregten Stimmung, litt aber trotzdem nicht, daß Rebe über eine Minute seiner Zeit blieb, damit er den Director nicht warten ließ. Das schickte sich nicht für einen jungen Künstler, wie er meinte. Er mußte aber versprechen, ihnen gleich nachher das Resultat mitzutheilen, und dann drückte er ihm selber den Hut auf den Kopf und schob ihn zur Thür hinaus.

Rebe fand den Director in seinem Bureau mit auf den Rücken gelegten Händen auf und ab gehen.

»Mein lieber Herr Rebe,« rief er und streckte ihm die Hand entgegen, »es freut mich ausnehmend, daß Sie meinem Wunsche so pünktlich nachkommen; eben schlägt es Zwölf.«

»Herr Director, Sie werden mir das Zeugniß geben, daß ich nie säumig gewesen bin.«

»Nie, gewiß nicht, nein wahrhaftig! Sie hielten immer musterhaft auf Ordnung; aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?«

Rebe setzte sich und merkte dem Director an, daß er sich in irgend einer Verlegenheit befand. Er schien wirklich nicht recht zu wissen, wie er beginnen sollte, und rückte unruhig auf seinem Stuhle hin und her.

»Nun, wie haben Sie diese Nacht geschlafen?« begann er endlich. »Nicht wahr, vortrefflich? Dachte es mir. Auf Lorbeern schläft sich's vorzüglich,« setzte er lächelnd hinzu, »und ich muß Ihnen gestehen, daß Sie die gestern reichlich und verdient geerntet haben.«

»Sie sind so gütig.«

»Bitte, Sie wissen, ich schmeichle nie; ein Theaterdirector kann das auch nicht. Übrigens haben Sie doch wohl erfahren, welchen Streich mir Herr Handor gespielt?«

»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich seine Flucht nicht begreife.«

»Es ist die bodenloseste Undankbarkeit, die mir je im Leben vorgekommen; sie ist eigentlich undenkbar, classisch großartig, und er hat mich dadurch in die furchtbarste Verlegenheit gesetzt.«

Rebe schwieg. Er war fest entschlossen, sich nicht anzutragen, und Director Krüger durch den Ausruf in eine Sackgasse gerathen.

»Ja, furchtbarste Verlegenheit,« fuhr er nach einer etwas zu langen Kunstpause fort, »aus der Sie uns allerdings für gestern Abend durch Ihr kühnes Einspringen gerissen. Aber was jetzt weiter? Haben Sie sich schon wieder engagirt, Herr Rebe?«

Rebe lächelte. »Sie wissen wohl, Herr Director, daß die Zeit dazu doch etwas zu kurz gewesen wäre.«

»Hm, ja, und – und hätten Sie Lust, an unserer Bühne noch ein paar Versuche zu machen?«

»Mein Engagement ist mit dem heutigen Tage abgelaufen. Sie meinen auf Gastrollen?«

»Hm, ja, und – wenn auch –« Der Director rückte wieder herum. Er hatte jedenfalls etwas, und Rebe konnte sich nicht denken, was es sein möchte. »Hören Sie, Herr Rebe,« platzte er endlich heraus; »es kann nichts helfen, ich muß aufrichtig mit Ihnen reden, denn das Drumherumgehen ist meine Sache nicht; ich bring's nicht fertig.«

»Und ist das bei mir nöthig, Herr Director?«

»Ich will Ihnen etwas sagen,« fuhr Krüger entschlossen fort. »Sie wissen, daß Sie gestern dem Publikum ausnehmend gefallen haben; es hat Ihnen davon jeden Beweis gegeben. Auch der Erbprinz war entzückt von Ihrem Spiel. Das will aber Alles noch nichts sagen, denn allen Respect vor Seiner Königlichen Hoheit, aber ein Urtheil in solchen Dingen haben die Herren sehr selten. Die Hauptsache jedoch bleibt die, Sie haben mir gefallen, Herr Rebe, Sie haben mich hingerissen, die Thränen sind mir altem Esel in die Augen gekommen, was mir, so lange ich fast denken kann, nicht passirt ist, und gestern Abend, ja noch heute Morgen bis etwa vor einer Stunde, war ich fest entschlossen, Sie unter jeder nur einigermaßen annehmbaren Bedingung an unsere Bühne zu fesseln.«

»Und jetzt?« sagte Rebe erwartungsvoll.

»Da bekam ich,« fuhr der Director fort, »vor etwa einer halben Stunde den Wisch da.« Und er zeigte auf einen neben Rebe auf dem Tisch liegenden Brief. »Lesen Sie.«

Rebe nahm den Brief und las ihn laut:

»Mein lieber Herr Director! Ich möchte keine Zeit versäumen, Sie wohlmeinend vor einem voreiligen Schritt zu warnen. Rebe hat gestern Abend den Hamlet gespielt, und das Publikum, dadurch bestochen, daß er eine so große Rolle so rasch übernehmen konnte, war artig genug, ihn für die Gefälligkeit zu honoriren. Die Gegenwart des Erbprinzen trug dazu bei, die Leute etwas aufzuregen. Ich selber hatte eine Claque für Handor besorgt, die aus mißverstandenem Diensteifer das auf seinen augenblicklichen Nachfolger übertrug, und für den Abend war das gut. Lassen Sie sich aber um Gottes willen nicht verleiten, dem unglücklichen Menschen auch nur noch Eine Rolle anzuvertrauen. Er hat auch nicht die Spur von Talent, und ich werde ihm und dem Publikum das in meiner morgen erscheinenden Recension beweisen. Danken Sie Gott, daß Sie ihn los sind, denn Sie dürfen das Publikum gar nicht so in's Gesicht schlagen, ihm ein Subject wie diesen jungen Anfänger für einen Künstler einzuschieben. Aber meine Furcht ist gewiß grundlos, Sie denken wahrscheinlich eben so wenig daran, wie ich es hoffe. Nur das Interesse für unser Institut konnte mich bewegen, diese Zeilen an Sie zu richten.

Hochachtungsvoll Ihr ergebenster
Feodor Strohwisch.«

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte der Director.

»Weiter nichts,« lächelte Rebe, »als daß dieser selbe Herr Strohwisch heute Morgen in aller Frühe bei mir war, mir zu meinem gestern entwickelten Talent gratulirte und mir gegen ein mäßiges Honorar jede Unterstützung versprach.«

»Aber das ist doch nicht möglich! Sie sagten es ihm doch zu?«

»Ich gab ihm zu verstehen,« sagte Rebe, während ihm das Blut in die Schläfe stieg, »daß ich ihn, wenn er sich nicht gutwillig entfernte, die Treppe hinunterwerfen würde!«

»Da haben wir's!« rief der Director aus, indem er wie besessen von seinem Stuhl emporsprang und im Zimmer herumlief. »Unglückliches Menschenkind, wissen Sie denn nicht, daß Sie der Recensent – mit Respect zu melden – da wir doch unter uns sind – hier todt machen kann und auch wirktodt macht?«

»Durch sein Schimpfen?« sagte Rebe. »Mein lieber Herr Director, wenn ich mir dadurch meinen Platz am Theater wahren könnte, daß ich einen dieser erbärmlichen Lohnschreiber bezahlte, um mich zu loben, dann würde ich noch heute der Bühne, an der ich mit ganzer Seele hänge, den Rücken kehren.«

»Aber ändern Sie einmal die Welt,« rief der Director; »das Publikum glaubt nun einmal, was es gedruckt sieht.«

»Und wer schreibt denn überhaupt all' diese Recensionen?« fuhr Rebe fort. »Gehen Sie all' unsere Kritiker durch, und unter den Tausenden, die davon leben, haben Sie kaum fünfzehn oder zwanzig ehrenwerthe und tüchtige Männer, die auch wirklich selber etwas schaffen können. Die Anderen sind lauter heruntergekommene oder noch nie oben gewesene Literaten, die, nicht im Stande, etwas Selbstständiges zu arbeiten, sich nun auf's hohe Pferd setzen und an uns armen Schauspielern, wenn wir ihnen nicht das Blutgeld zahlen, oder an anderen Schriftstellern ihr Gift und ihre Galle auslassen!«

»Aber was hilft Ihnen das? Es ist einmal so, und gegen den Strom kann kein Mensch schwimmen.«

»Oh doch, Herr Director,« lächelte Rebe; »es geht allerdings etwas langsamer, aber es geht.«

»Fangen Sie mit dem an,« rief Krüger, »der scheut sich vor keiner schmutzigen Arbeit!«

»Das glaube ich Ihnen, das thun alle diese Herren nicht; aber ich bezweifle doch, daß er das Publikum so in seiner Gewalt hat, um über einzelne Individuen nach Belieben zu disponiren.«

»Passen Sie auf,« rief Krüger, »ich gebe Ihnen mein Wort, wenn er Sie in seiner nächsten Nummer richtig herunter macht – und das thut er jetzt, darauf können Sie Gift nehmen, – dann rührt sich am nächsten Abend keine Hand, und was das Schlimmste ist, die Leute gehen vielleicht noch ein- oder zweimal aus Neugierde in's Theater, wenn Sie spielen, aber nachher bleiben sie aus wie Röhrwasser.«

»Ich muß es abwarten.«

»Bedenken Sie doch nur,« fuhr Krüger fort, »einem bösen Hunde giebt man zwei Knochen. Was haben Sie denn davon, wenn Sie Tag um Tag im Blatt heruntergerissen werden?«

»Aber wie kann ich's hindern?«

»Gleichen Sie's aus,« rief Krüger rasch, »Strohwisch ist kein Unmensch; mit Geld ist Alles zu machen, und hier – Apropos, lieber Rebe, eh' ich's vergesse, hier habe ich auch Ihr Spielhonorar für gestern Abend.«

»Herr Director...«

»Bitte mir's aus, das stand nicht in Ihrem Contract, und wenn mir Jemand gestern Abend das Messer auf die Brust gesetzt hätte, würde ich mit Wonne das Vierfache bezahlt haben. Das dürfen Sie auch nehmen, Sie haben sich's ehrlich und redlich verdient, und mein Dank für Sie bleibt dabei immer noch derselbe.«

Dabei legte er ihm fünf Friedrichsd'or auf den Tisch, und Rebe's Ehrgefühl sträubte sich erst, so nothwendig er das Geld auch brauchte, dagegen, es anzunehmen, weil er gestern eben noch im Engagement gestanden. Allerdings war es ein außerordentlicher Fall gewesen, und Krüger, der, wenn er wollte, ganz liebenswürdig sein konnte – er wollte nur selten, – bewies ihm mit einer solchen Herzlichkeit, daß er ihn selber beleidigen würde, wenn er etwas verweigerte, was eine reine und einfache Schuldsache der Direction sei, daß er es endlich nicht länger ausschlagen konnte.

»Und – nun,« sagte Krüger, »wenn Sie meinem Rathe folgen, gehen Sie ohne Weiteres zu Strohwisch, Umstände brauchen Sie mit ihm nicht zu machen, und drücken ihm zwei davon in die Hand. Sie sollen dann einmal sehen, was für eine Recension morgen erscheint!«

»Da schenkt' ich sie lieber dem ersten armen Menschen, der mir begegnet, Herr Director,« sagte Rebe. »Ich bin fest entschlossen, mir meinen Weg zu erkämpfen; nur so kann ich mir selber genügen und Freude an der Sache behalten. Im andern Falle müßte ich mich vor mir selber schämen.«

»Das ist sehr schön und ehrenwerth von Ihnen,« sagte der Director trocken, »wird Ihnen aber hier den Hals brechen; Sie sollen sehen.«

»Und wollen Sie es trotzdem versuchen?«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Rebe,« erwiderte der Director nach einer kurzen Pause. »Es ist wohl nicht nöthig, ein Wort über die Vergangenheit zu verlieren – das ist abgemacht, und ich gestehe ein, daß wir Sie verkannt haben. Sie besitzen in der That ein schönes Talent, und ich muß aufrichtig sagen, daß ich selber neugierig wäre, dessen Entwickelung zu beobachten. Nach dem gestrigen Abend würde ich Ihnen auch augenblicklich einen neuen jährigen Contract mit ganz annehmbaren Bedingungen angeboten haben, wenn Sie sich nicht mit diesem Strohwisch verfeindet hätten. Glauben Sie nicht etwa,« fuhr er rasch fort, als er sah, Rebe wolle etwas darauf erwidern, »daß ich selber nur so viel für das Urtheil jenes Menschen gebe. Er versteht vom Theater so viel wie eine Kuh, aber das Publikum liest trotzdem jeden Morgen sein Blatt, und ich weiß aus Erfahrung, welchen Einfluß es, so absurd das klingen mag, ausübt. Aber ich will Ihnen einen Vorschlag machen; es muß Ihnen selber daran liegen, Ihr Talent auch noch in anderen Rollen zu erproben. Ich engagire Sie deshalb für einen Monat – nennen Sie das Gastrollen, wenn Sie wollen – gebe Ihnen zweihundert Gulden für die Zeit und außerdem das Versprechen, Sie wenigstens in acht großen Rollen zu beschäftigen. Sind Sie das zufrieden?«

»Sie begegnen meinem innigsten Wunsche,« sagte Rebe erfreut, »denn gerade um das hatte ich Sie bitten wollen.«

»Desto besser, die Sache wäre also abgemacht. Wenn Sie denn Courage haben, so beißen Sie sich in der Zeit mit Strohwisch herum, und behaupten Sie das Feld, was ich aber, ehrlich gesagt, bezweifle, so sprechen wir weiter mit einander; behaupten Sie es nicht, nun, so haben Sie in der Zeit wenigstens Ihre Kräfte geprüft und ich selber Zeit gewonnen, mich nach einem andern ersten Liebhaber umzusehen. Ich glaube, das ist ein ehrlicher Handel.«

»Für den ich Ihnen von Herzen dankbar bin,« rief Rebe, in die gebotene Hand einschlagend; »nur Eine Bedingung habe ich noch zu stellen.«

»Und die wäre?«

»Daß Sie den Contract von gestern datiren und die fünf Friedrichsd'or als Abschlagszahlung betrachten.«

»Sie sind ein komischer Kauz,« lachte der Director, »und ich muß Ihnen gestehen, etwas Ähnliches ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen. Meier ging gestern Abend gar nicht eher weg, bis er seine versprochenen zehn Thaler hatte.«

»Also es bleibt dabei?«

»Darüber sprechen wir noch. Jetzt muß ich nach Hause, und heute Abend kommen Sie um acht Uhr, wenn Sie können, einmal in meine Wohnung, daß wir mit Sulzer das Repertoire bereden. Also auf Wiedersehen, Rebe, und – halten Sie sich tapfer!«

26.
Der reiche Mann.

Die Welt! Wie wunderbar verschieden der Begriff sich stellt. Für den Einen ist es das weite, unermessene Universum mit seinen kreisenden Sonnensystemen, für den Andern das enge Haus, der kleine, beschränkte Raum am eigenen Herd.

Auch unsere Erde nennen wir die Welt, und in wie viel tausend Welten zerspaltet sich ein einzig Städtchen drin, eine jede abgesondert für sich mit ihren Sorgen und Freuden, ihren Leidenschaften, ihrem Ringen und Streben.

Wen von uns Allen ist nicht schon einmal ein solch' Gefühl überkommen, wenn er Abends in später Stunde durch eine Straße wanderte und die verschiedenen, nur durch dünne Mauern getrennten erleuchteten Familienwohnungen sah! Hier Licht und Glanz und laute Fröhlichkeit; dort, dicht daneben, nur durch einen dunkeln Strich geschieden, Jammer und Elend und bleicher Sorge nagende Pein; hier Einigkeit und Liebe in dürftiger Dachkammer, und dicht darunter, daß Eins die Schritte des Andern hört, Haß und Zwietracht.

So bildet jedes Haus, jede für sich abgeschlossene Wohnung in der That eine eigene kleine, abgeschlossene Welt für sich selber. Da drinnen wird geboren, gelebt, gestorben, ohne daß der Nachbar mehr davon erfährt, als wir von jenen Sternen wissen, die Abends vom klaren Nachthimmel niederfunkeln; und während wir heute ein Fest feiern und die Gläser lustig zusammenklingen, drückt nebenan ein armes Weib dem Gatten die müden Augen zu, und weinend knieen am Bett die armen Waisen.

Aber die Welt rollt und mit ihr Fortuna's Rad, den einen Sterblichen hoch empor zu Glück und Freude hebend, während es zu gleicher Zeit vielleicht den Nachbar unter seinem Gewicht zermalmt. Und wie rasch wechselt das; wie sehnen wir thöricht oft den nächsten Tag, die nächste Stunde herbei, anstatt uns der gegenwärtigen zu freuen, und wissen doch nie, was in dem Schooße der herbeigesehnten für uns verborgen liegt; Dank dem Himmel, daß wir es nicht wissen!

Wie wenige Tage, ja Stunden fast, waren erst vergangen, daß man in Haßburg die Monford'sche Familie, über welche alle Gaben des Glücks verschwenderisch ausgestreut schienen, beneidete, und jetzt? Kummer und Leid waren in die prachtvollen Gemächer eingezogen, und doch hatte das Unglück erst begonnen, die gierige Hand nach ihnen auszustrecken.

Still und geräuschlos glitten heute die sonst so übermüthigen Diener durch die leeren Räume; scheu und lautlos thaten sie ihre Arbeit, und wenn einer dem andern etwas zu sagen hatte, geschah es nicht mehr mit fröhlichem Zuruf, sondern in leisem Flüstern.

Drinnen in seinem Zimmer, am offenen Fenster, den Kopf in die Hand gestützt, saß der alte Graf und starrte hinaus in's Leere. Er hatte sich von seinem gestrigen Anfall vollständig erholt, und der Ober-Medicinalrath war schon vor einer Stunde wieder in der gräflichen Equipage zurück in die Stadt gefahren. Was sollte er auch länger hier thun; die beiden Verwundeten konnte sein Famulus besorgen.

Der Graf hatte heute Morgen durch den Haushofmeister erfahren, daß der Maulwurfsfänger durch den Förster beim Wildern ertappt und in's Bein geschossen sei. Die Anzeige war in der Stadt gemacht worden und die Polizei herausgekommen, um den Thatbestand zu untersuchen. Aber was kümmerten den alten Herrn diese gleichgültigen Menschen, er hatte andere Dinge im Kopf; sie sollten ihn damit zufrieden lassen.

Da der Förster übrigens mit einem heftigen Wundfieber ebenfalls im Bette lag, ließ man ihn jetzt gewähren, um den Termin etwas später anzusetzen und zu untersuchen, ob er zu dem Schusse berechtigt gewesen, d. h. ob er ihn in Selbstvertheidigung gethan, und dagegen sprach allerdings, daß der Getroffene den Schuß nicht von vorn, sondern seitwärts und sogar mehr von hinten bekommen hatte. Man wollte den alten Maulwurfsfänger auch in das Krankenhaus bringen, aber der gerade dazu kommende Famulus des Ober-Medicinalraths litt das nicht. Wie er die Wunde genauer untersuchte, stellte sich heraus, daß der Knochen des Oberschenkels zersplittert war, und der Verwundete lag in einem so heftigen Fieber, daß an einen Transport gar nicht gedacht werden durfte. Die Polizei konnte hier vor der Hand gar nichts thun, nicht einmal an Ort und Stelle verhören, denn der Kranke phantasirte wild und toll durcheinander. Von den Beiden lief ihnen auch jetzt Keiner fort, und sie mußten eben ruhig liegen bleiben.

Die Gräfin befand sich in ihrem Zimmer; sie hatte es vermieden, heute Morgen mit ihrem Gatten zusammen zu treffen. Sie wollte ihn nicht wieder auf's Neue aufregen, wie sie dem Haushofmeister sagte. Ruhe war für ihn das Beste. Nach ihrem Sohne hatte sie einigemal gefragt, aber George war noch nicht zurückgekehrt. Sobald er kam, sollte er ihr gemeldet werden.

Es schlug gerade Zwölf auf der Schloßuhr, als er in den Hof einritt. Er stieg langsam die Treppe hinauf, zu dem Zimmer seiner Mutter, die aber erschrak, als sie seiner ansichtig wurde.

»Um Gott, George, wie siehst Du aus?« rief sie ihm entgegen, »Du bist krank; Dein Gesicht gleicht einem Todten.«

»Es ist nichts, liebe Mutter, wie geht es dem Vater?«

»Besser, er ist auf. Der Ober-Medicinalrath meint, es sei nur eine Ohnmacht gewesen und habe nichts zu sagen. Aber Du mußt Dich schonen. Die Aufregung dieser Nacht hat Dich furchtbar angegriffen und Du bist wohl auch ohne Speise und Trank geblieben.« Sie klingelte, und als der Diener das Zimmer betrat, rief sie ihm zu: »Das Frühstück für meinen Sohn; bringen Sie es herein.«

»Ich danke Dir, Mutter, ich fühle weder Hunger noch Durst.«

»Aber Du mußt etwas genießen, daß Du mir nicht auch am Ende krank wirst. Wir haben Elend genug im Hause, das weiß Gott,« sagte sie mit düsterer Stimme.

Wieder schwiegen Beide, und der Diener kam jetzt herein und brachte einige Speisen, zu denen er eine Caraffe mit Portwein auf den Tisch stellte.

George schenkte sich ein Glas Wein ein, das er leerte, und aß ein paar Bissen; dann schob er den Teller zurück. Er war aufgestanden und ging ein paar Mal im Zimmer auf und ab.

»Mutter,« sagte er endlich leise, indem er vor ihr stehen blieb, »Paula wird sicher in diesen Tagen an Dich schreiben.«

»Nenne mir den Namen nicht mehr,« rief die Gräfin heftig, indem ihr Blick selbst finster und drohend wurde, »ich will ihn nicht wieder hören.«

»Es ist der Name Deiner Tochter, Mutter, – Deines Kindes.«

»Ich habe keine Tochter mehr,« sagte die Gräfin, indem sie sich gewaltsam emporrichtete. »Nie hat eine Tochter ihre Eltern tödtlicher beleidigt, nie gewaltsamer die Bande zerrissen, die sie an sie banden. Es ist geschehen, aber deshalb kein Rücktritt auch mehr möglich. Ich kenne sie nicht mehr.«

»Das ist nicht möglich, Mutter,« rief George bewegt, »so unnatürlich kann Dein Herz nicht denken! Paula war unser Aller Liebling, gut und unschuldsvoll, und daß die Zunge eines schlauen, bübischen Verführers sich in ihr Ohr zu stehlen wußte, oh, bedenke, daß es sie schon unglücklich gemacht, laß sie nicht auch damit die letzte Stütze verlieren, die sie auf der Welt hat, die Liebe, den Schutz ihrer Eltern!«

»Der ward ihr im reichsten Maß zu Theil,« entgegnete mit zusammengezogenen Brauen die Frau. »Kein Kind ist mehr geliebt und auf Händen getragen worden, wie dieses falsche, undankbare Geschöpf. Laß sie jetzt ernten, wo sie gesäet; auf unsere Liebe hat sie keinen Anspruch mehr.«

»Aber der Vater wird sie nicht verstoßen,« rief George heftig, »er kann es nicht, sie war von je sein Liebling!« Er wandte sich, als ob er zu ihm eilen und seine Hülfe anflehen wolle.

»Wenn Du ihn tödten willst,« rief die Mutter heftig, »dann gehe jetzt zu ihm und nenne ihm Deiner Schwester Namen! Er hat sich kaum von seiner Schwäche erholt und der Arzt streng befohlen, daß Alles ihm ferngehalten werden müsse, was ihn nur im Geringsten aufregen und an den erlittenen Verlust mahnen könne. Versuch' es, aber die Folgen auf Dich selber!«

»Großer Gott,« stöhnte George, »was für Hülfe kann die Unglückliche von fremden Menschen erhoffen, wenn die eigenen Eltern ihr Herz vor ihr verschließen?«

»Sie hat sich fremden Menschen in die Arme geworfen,« sagte die Mutter kalt, »fremde Menschen mögen ihr denn auch das ersetzen, was sie hier muthwillig von sich gestoßen; sie hat keine Eltern mehr.«

»Arme Paula!« seufzte George. »Aber Eins versprich mir, Mutter. Bist Du wirklich im Stande, ein Kind so von Deinem Herzen zu reißen, dann gestatte wenigstens fremden Menschen, sich desselben anzunehmen, und kommt ein Brief von Paula – sie wird und muß ja schreiben, – so sende ihn an Rottacks, die mir zugesagt...«

»Bist Du wahnsinnig?« rief die Mutter, ordentlich erschreckt emporfahrend. »An Rottacks? Und was haben die mit unserem Hause zu thun?«

»Es sind brave, treffliche Menschen, die Paula von Herzen lieb haben,« sagte George bewegt; »bei denen kann sie dann wenigstens Rath und Trost und vielleicht auch wieder den Weg zurück zum Herzen der Eltern finden. Willst Du mir das versprechen, Mutter?«

»Du bist von Sinnen!« sagte die stolze Frau finster. »Soll ich selber Fremden unserer Familie Schmach aufdecken? Ich begreife Dich nicht, George. Aber,« fuhr sie plötzlich aufmerksam werdend fort, »was sollen all' diese Reden? Bleibst Du denn nicht selber hier? Du sprichst gerade, als ob Du Vorbereitungen zu einer größeren Reise träfest.«

»Es ist möglich, daß ich in diesen Tagen auf einige Zeit fortgehe,« sagte George leise; »ich weiß es noch nicht, ich muß erst mit dem Vater darüber sprechen.«

»Und willst Du uns nicht nach Italien begleiten?«

»Vielleicht – vielleicht komme ich nach.«

»Du bist so sonderbar, George. Was hast Du?«

»Nichts, liebe Mutter; der Kopf thut mir weh vom vielen Denken und Grübeln.«

Die Gräfin nickte leise vor sich hin, sie kannte das Gefühl selber. »Wohin willst Du jetzt?«

»Zum Vater hinüber.«

»Rege ihn nicht auf; ich wollte lieber, Du miedest ihn für ein paar Tage.«

»Er würde unruhiger werden,« sagte George, »wenn er mich nicht wie gewöhnlich sähe.«

»Du willst mit ihm über – die Entflohene sprechen?«

»Nein, Mama, fürchte das nicht. Ich muß es Gott anheimgeben, daß er Eure Herzen wieder dem Kinde zuwendet; ich fühle, daß meine Stimme zu schwach dafür ist. Lebe wohl, Mutter!«

Er nahm ihre Hand, sah ihr einen Moment ernst und traurig in die Augen, schloß sie dann in die Arme und küßte ihre Wange.

Die Gräfin erwiderte die Umarmung nicht, sie duldete sie nur, sagte auch kein Wort, und George verließ rasch das Zimmer.

Den Vater fand er noch immer in der nämlichen Stellung, wie er schon Stunden lang gesessen. Erst als George sein Zimmer betrat, wandte er zuerst rasch und wie erschreckt das Antlitz der Thür zu, stand dann auf und sagte leise: »Ah, Du bist es, George!«

»Ja, lieber Vater. Ist Dir jetzt besser?«

»Gewiß, gewiß. Wo ist Deine Mutter?«

»In ihrem Zimmer drüben.«

»Ich werde zu ihr hinübergehen; es ist so einsam hier.«

»Recht einsam, Vater.«

Der alte Graf sah ihn rasch und streng an, strich sich aber dann mit der Hand über die Stirn und sagte: »Es ist gut so, ich habe es gern, ich bin gern allein. Aber wo hast Du denn den ganzen Morgen gesteckt?«

»Ich war in der Stadt, Vater; ich wollte...«

»Ich brauche nicht zu wissen, was Du wolltest.«

»Mein lieber, lieber Vater!« Er hatte des Vaters Hand ergriffen und hielt sie fest in der seinigen.

Der alte Graf sah ihn an; dann legte er ihm die andere Hand auf den Kopf und sagte leise: »Ich will zu Deiner Mutter gehen; laß mich jetzt los, George.«

»Lebe wohl, Vater!«

»Gehst Du wieder fort?«

»Ja, ich habe versprochen um vier Uhr in der Stadt zu sein.«

»Gut, gut, aber bleibe nicht zu lange.«

George küßte die Hand, die er in der seinigen hielt. Der alte Graf aber, als ob er fürchte, daß der Sohn noch von etwas Anderem sprechen werde, machte sich los, winkte ihm mit der Hand und verließ dann rasch das Zimmer.

Eine Viertelstunde später ritt George wieder langsam zum Thor hinaus. Der Himmel hatte sich umzogen, der Wind heulte das Thal hinauf und ein feiner Regen begann zu fallen. Er fühlte es nicht. Draußen vor dem Thor hielt er sein Thier noch einmal an und wandte den Blick zurück auf das Schloß.

»Lebt wohl!« sagte er leise und bewegt. »Gott beschütze Euch!« Und das Pferd wieder herumwerfend, trabte er rasch auf der Straße hinab, die nach Haßburg führte.

Über die bewaldeten Berge zogen die Wolken in wilder Hast; von dort herüber leuchtete auch schon fahler Blitze Schein und der Wind riß an den alten Bäumen, als ob er ihre Kraft und Zähigkeit erproben wolle.

Es war eine sehr lange Zeit in Haßburg schönes und trockenes Wetter gewesen. Jetzt schien es, als ob sich die Elemente dafür entschädigen wollten, um mit verstärkter Wuth ihren Reigen aufzuführen. Ein zündender Blitz, als wenn sich das Firmament öffnete, und hinterdrein ein Donnerschlag, der die Erde erbeben machte, und alle Schleusen des Himmels öffneten sich.


Drin im Walde, am obern Ende des Parkes, mit dem Blick nach dem freien Feld, lag das Häuschen des alten Gärtners Jonas, von ihm allein, seiner elfjährigen Enkelin, die er zu sich genommen, weil ihre Eltern sie nicht ernähren konnten, und einer alten Verwandten bewohnt. Das Haus aber, zu einer Gärtnerwohnung eingerichtet, hatte mehr Räumlichkeiten, als der alte Mann benutzen konnte, und der kleine Erker, der sich aber im Winter nicht gut heizen ließ, stand deshalb vollkommen leer.

Hierher hatte man den armen Verwundeten gebracht, und vom Schlosse selber war schon heute Morgen, nachdem man ihn gestern Abend nur nothdürftig auf Laub und eine wollene Decke gelegt, ein ordentliches und weiches Bett heruntergeschafft, damit ihm wenigstens diese Bequemlichkeit nicht fehle.

Der junge Famulus, Rebe's Freund, Frank Hesse, stand neben seinem Lager. Er hatte eben die furchtbare Wunde untersucht und verbunden und der Kranke kaum den Schmerz überwunden, den er dabei gefühlt, wenn er auch keinen Klagelaut ausstieß, sondern die Qual wie ein Mann ertrug.

»Nun, Herr Doctor,« sagte er endlich, als sich seine Nerven wieder ein wenig beruhigt und er die Lippen von einander bringen konnte, »glauben Sie, daß ich's noch lange mache?«

»Lieber Freund,« lautete die ermuthigende Antwort, »gebt Euch keinen solch' traurigen Gedanken hin; es ist ja nur ein Schuß in's Bein, der kann bald wieder heilen.«

»Aber der Knochen ist gebrochen,« sagte der Maulwurfsfänger; »ich fühl's, morsch entzwei, und ob der sich wieder zusammenleimen läßt, der Teufel weiß es.«

»Der Knochen ist allerdings gebrochen,« sagte der junge Arzt, »aber darum doch nicht alle Hoffnung verloren. Der Schuß muß außerordentlich nahe abgefeuert sein.«

»Viel Zeit hatte er allerdings nicht,« brummte der Maulwurfsfänger, bitter vor sich hinlachend, »denn ich war eigentlich schon in den Büschen drin; es können vielleicht eine acht oder zehn Schritt gewesen sein, vielleicht nicht so viel. Die Schrote haben höllisch zusammengehalten, nicht wahr?«

»Es ist beinahe wie ein Kugelschuß,« bestätigte der Arzt. »Habt Ihr denn noch Schmerzen?«

»Nicht mehr, als um einen gewöhnlichen Menschen verrückt zu machen,« sagte der arme Teufel; »ich kann aber einen Puff vertragen. Wie lange leb' ich noch, Doctor?«

»Unsinn, schwatzt nicht solches Zeug! Ihr werdet noch manchem Maulwurf gefährlich werden.«

»Glaub's kaum,« brummte der Alte, »so viel versteh' ich auch von der Geschichte. Schienen kann man den alten Knochen da oben nicht mehr, abnehmen auch nicht, also friß, Vogel, oder stirb. Wir müssen's abwarten, wie Schrader in der Gosse. Ich will auch gar nicht wissen, wie lang's noch dauern könnte, wenn sich der Schuß ausheilen sollte, ich meine nur, wenn – der Brand dazu käm', wie viel Zeit ich dann noch etwa zum Leben hätte.«

»Darüber sprechen wir später,« sagte Frank, dem besonders daran lag, daß sich der Verwundete keinen trüben Gedanken hingeben und dadurch seine Lage verschlimmern sollte. »Jetzt seid guten Muths, Freund, es geschieht hier Alles, was für Euch geschehen kann, und bis Ihr transportirt werden könnt, müßt Ihr nun schon hier aushalten.«

»Transportirt? Ja,« brummte der Verwundete, »ich weiß schon, auf dem alten, verdammten schwarzen Leichenkasten – thut mir nachher kein Finger und kein Bein mehr weh.«

»Vor der Hand noch nicht,« lachte Frank. »Übrigens hütet Euch vor spirituösen Getränken – keinen Branntwein, keinen Wein und kein Bier; den Kaffee hier könnt Ihr trinken, der regt nicht auf.«

»Nein, das weiß Gott,« sagte der Maulwurfsfänger, »höchstens die Galle, daß man ein solches Spülwasser Kaffee nennt; also auf Wasser und Brod gesetzt?«

»Nur für kurze Zeit; sobald das Wundfieber vorüber ist, dürft Ihr wieder kräftige Nahrung zu Euch nehmen.«

»Aber das ist vorüber.«

»Doch nicht ganz; heute Morgen habt Ihr noch eine Menge tolles Zeug geschwatzt.«

»Bah, das thu' ich immer,« sagte der Alte; »aber meinetwegen – nur Einen Wunsch hätt' ich.«

»Und der ist?«

»Den Förster möcht' ich gern einmal anschau'n, wie dem sein Gesicht heut' Morgen aussieht,« lachte der Verwundete ingrimmig in sich hinein. »Ruhig, Spitz,« fuhr er aber gleich darauf, den Hund beschwichtigend, fort, als dieser plötzlich zu knurren anfing. »Ob der nur den Titel des Schuftes hören kann, ohne sich selber zu giften! Ruhig, mein Hund, unsere Zeit kommt doch vielleicht noch einmal!«

Er fiel matt und erschöpft auf sein Lager zurück, denn das viele Sprechen hatte ihn angestrengt, und der junge Arzt suchte jetzt dem kleinen Mädchen – denn mit dem alten, tauben Jonas war nichts zu reden – begreiflich zu machen, in welcher Art sie den Kranken zu behandeln habe. Das Kind fürchtete sich aber vor dem alten, ungeselligen Burschen, der, wenn er allein war, immer vor sich hin lachte oder fluchte; ebenso auch vor dem kleinen, bissigen Hund, der sie immer anknurrte, wenn sie zum Lager wollte, und Frank beschloß deshalb, selber hinüber in das Dorf zu gehen, um eine erfahrene Wärterin zu engagiren. Der Zustand der Wunde war allerdings bedenklich und es durfte in der Behandlung derselben nichts versäumt werden.

Das Gewitter hatte nachgelassen, der Wind sich aber von Südwest nach Nordwest herumgedreht, und ein feiner, kalter Regen peitschte auf die Erde nieder. Wie der Abend endlich dämmerte, war es recht kalt und unfreundlich geworden, ja, so rauh, daß die Gräfin dem einen Diener befahl, in ihrem Kamin ein kleines Feuer anzuzünden. Es fröstelte sie, und der Raum kam ihr heute überdies so öde vor.

Es war völlig Nacht geworden und der Haushofmeister, von einem Diener begleitet, der zwei große silberne und prachtvoll gearbeitete Armleuchter auf den Tisch stellte, hatte die schwerseidenen Gardinen vorgezogen.

Am Kamin, den Blick stier und nachdenkend auf die glühenden Kohlen darin geheftet, saß die Gräfin, neben ihr am Tisch, mit einem Haufen von Zeitungen und Büchern vor sich, der Graf. Aber kein Wort wurde zwischen ihnen gewechselt, keine Frage gestellt, und der alte Herr hielt eben eine große, bunt und elegant gedruckte Karte zwischen den Fingern, die Einladung zu dem heutigen Ball in Haßburg. Nur sein Blick haftete darauf und seine Lippen zogen sich zu einem bittern Lächeln zusammen.

»Wo nur George heute bleibt?« sagte die Gräfin endlich, aber mehr zu sich selber, als zu ihrem Gemahl sprechend, leise vor sich hin. »Er weiß, wie allein wir hier sind.«

Die Thür ging auf und sie wandte rasch den Kopf; aber es war nur der Haushofmeister, der die Theemaschine mit den Tassen hereinbringen ließ.

Draußen heulte der Nordwest und fegte die Terrasse rein; die dichtbelaubten Bäume rauschten und schüttelten schon hier und da einige vergilbte Blätter los, die vom Sturm weit hinab in's Thal getragen wurden.

»Ist der Briefträger noch nicht dagewesen?« fragte der Graf.

»Noch nicht,« erwiderte der Haushofmeister, »aber er kann jeden Augenblick kommen; es ist jetzt seine Zeit, Herr Graf.«

»Wie das da draußen stürmt!«

»Der Regen hat nachgelassen, Herr Graf; aber einen solchen Sturm weiß ich mich nicht zu entsinnen, seit wir hier oben wohnen. Es ist, als ob er die Bäume aus der Erde reißen wollte.«

»Arme Menschen, die jetzt draußen in Wind und Wetter sind,« nickte der Graf, »arme Menschen!«

Der Haushofmeister seufzte tief auf, aber er wagte nicht weiter etwas zu sagen, ordnete das Theeservice, rückte den kleinen Tisch mit der Maschine etwas näher zu seiner Herrin hin, und verließ dann das Gemach.

So verging wieder eine halbe Stunde. Draußen wurde die Vorsaalthür geöffnet und schlug gleich darauf, vom Sturm gefaßt, wieder heftig zu. Der Graf schreckte empor, beruhigte sich aber wieder und nippte an einer Tasse Thee, die ihm die Gattin eingeschenkt.

Schritte draußen – der Haushofmeister kam selber herein; er trug einen silbernen Teller in der Hand, auf dem ein Brief lag. Aber seine Hand zitterte, und mit vor Freude fast bebender Stimme rief er: »Ein Brief, Herr Graf, ein Brief, der Postbote hat ihn eben gebracht!«

Unwillkürlich streckte der Graf die Hand danach aus, aber er ließ sie wieder sinken. »Woher ist er?« fragte er leise.

»Ja, mein bester Herr, das Postzeichen kann ich nicht erkennen, es schwimmt mir Alles vor den Augen; aber die Schriftzüge kenn' ich, die lieben Schriftzüge!«

»Ich will ihn nicht haben,« sagte der Graf und wandte den Kopf zur Seite, als ob er sich seiner Schwäche bewußt sei; »ich will ihn nicht haben.«

»Aber die gnädige Frau Gräfin nimmt ihn dann,« sagte der alte Mann; »oh, dem Himmel sei Dank, da kommt doch endlich Nachricht!«

Er hielt den Teller der Gräfin hin, und sein Blick dankte ihr, als sie den Arm danach ausstreckte.

Finster und schweigend nahm die Gräfin den Brief; nur Einen Blick warf sie auf die Adresse – es waren die Schriftzüge ihrer Tochter – und ohne weiter ein Wort zu sagen, schleuderte sie den Brief auf die glühenden Kohlen im Kamin.

»Frau Gräfin!« schrie der alte treue Diener fast entsetzt auf, »er ist von Ihrer Tochter, von der lieben, lieben Comtesse!« Und fast unwillkürlich wollte er zuspringen, um das auflodernde Papier noch zu retten.

»Halt!« sagte die Gräfin streng, indem sie den Arm abwehrend vorstreckte. »Hußmann, Ihr überschreitet Eure Grenzen!«

Der alte Herr hatte ebenfalls fast unwillkürlich eine Bewegung gemacht, als das Papier in die Flamme flog, aber es war nur ein Moment gewesen; dann nickte er wie zustimmend mit dem Kopf und murmelte leise vor sich hin: »Es muß sein, es muß sein; es geht nicht anders!«

Eine Rettung des Briefes war nicht mehr möglich. Die Gluthhitze des Kamins hatte ihn in wenigen Secunden zerstört, nur noch ein kleiner Haufe schwarzer, krustender Asche lag auf den Kohlen. Der alte Mann ließ den Teller, den er in der Hand hielt, sinken, und ein paar helle Thränen glänzten ihm in den Augen; aber er sagte kein Wort weiter – er durfte nicht. Die Frau Gräfin hatte ihn ja schon in seine Schranken zurückgewiesen, und das noch nie nöthig gehabt, noch nie, so lange er zurückdenken konnte, die vielen, vielen Jahre. Er konnte nichts weiter sagen, es war ihm verboten worden, und daß er das Kind, die gnädige Comtesse, hatte mit erziehen helfen und ihre Jugend mit fast Vaterliebe überwacht, lieber Gott, er war ja nur ein Diener des Hauses, und das vielleicht mehr als seine Schuldigkeit gewesen; wie hätte er können Ansprüche darauf gründen, die ihm noch nie, selbst im Traum nicht, eingefallen waren!

Nur das Eine stand fest, das arme, verlassene Mädchen hatte geschrieben, an ihre Eltern geschrieben; in ihrer Macht war es gewesen zu erfahren, wo sie jetzt weile, wie es ihr gehe – und der Brief von der Flamme rettungslos und für immer zerstört worden! Mit dem Bewußtsein verbeugte sich der alte Mann demüthig, und mit einem recht schmerzlichen Blick auf seinen Herrn, der über den Tisch gebeugt saß und nur immer leise vor sich hin mit dem Kopf nickte, verließ er das Zimmer.

»Es ist Alles vorbei,« sagte der Graf flüsternd, als der Haushofmeister schon lange die Thür wieder hinter sich zugezogen hatte – »Alles vorbei, Alles vorbei! Wo nur George bleibt? Und so glücklich hätten wir sein können, so glücklich!«

Er nahm eine Zeitung auf, als ob er darin lesen wollte; aber die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen, er sah nur ein großes Blatt Papier mit flimmernden Zeichen, und nur manchmal warf er den Blick fast wie vorwurfsvoll nach der Gattin hinüber – aber sie hatte doch Recht gehabt. Es durfte ja nicht sein, es durfte ja nicht sein, die Ehre des Hauses, stand auf dem Spiel, und der mußte jedes Opfer gebracht werden, jedes – selbst das eigene Kind!

Aber die Ehre des Hauses forderte noch mehr.

Wieder war eine kleine Zeit verflossen, da wurden draußen vor dem Hause Stimmen laut, als ob eine Anzahl fremder Menschen unten im Garten ankäme.

Die Gräfin horchte dort hinüber; jetzt war Alles wieder ruhig und die Hausthür ging auf und fiel wieder zu. Dann sprangen einzelne Leute im Schloß selber rasch vorüber. Was war das?

Sie ergriff die neben ihr stehende Glocke und drückte darauf, daß der Ton hell und laut durch den stillen Raum schallte. Niemand gehorchte dem Ruf. Wo war der Diener, den seine Pflicht in das Vorzimmer bannte? Die Gräfin wiederholte ungeduldig das Zeichen.

Da öffnete sich rasch die Thür und einer der jüngsten Lakaien stürzte mit verstörtem Angesicht herein.

»Was ist, Charles? Was habt Ihr da draußen? Weshalb hört Niemand?«

»Ach, gnädige Frau Gräfin,« rief der junge Bursche ganz entsetzt, »sie – sie bringen ihn!«

»Ihn – wen?« rief der Graf und sprang von seinem Sitz empor.

»Den jungen Herrn Grafen.«

»George?« schrie die Gräfin, und Leichenblässe deckte ihre Züge.

»Ja,« jammerte der junge Mensch, »ganz blutig und so blaß!«

Der Graf gab keinen Laut von sich; einen der schweren silbernen Armleuchter griff er auf und schritt der Thür zu.

»Ich bitte Dich um Gottes willen, George, bleib hier!« rief die Gräfin, die ebenfalls aufgesprungen war und seinen Arm faßte.

Der Graf sah sie mit einem eisig kalten Blick an. »Willst Du mich auch noch von meinem letzten Kinde trennen?« sagte er mit einer Stimme, die gar keinen irdischen Ton mehr hatte, und als ihn die Gräfin erschreckt, entsetzt frei ließ, verließ er das Zimmer, aus dem sie ihm fast willenlos, an allen Gliedern zitternd, folgte.

Sie sollten nicht lange über das Geschehene in Zweifel bleiben.

»Es hilft nichts, wir können es nicht verheimlichen,« hörten sie den Hofmeister sagen, »der Stern des alten Hauses ist gesunken!«

Unten die Hausthür war geöffnet; fremde Männer trugen eine Bahre herein, auf der ein Sterbender lag.

Der alte Graf schritt die Treppe hinab, als ob er auf Luft gegangen wäre; er fühlte keine Stufe unter sich, er sah nichts als ein todtenbleiches Antlitz, das von dem Licht zweier Fackeln und darüber gehaltener Kerzen furchtbar deutlich erhellt wurde.

»George,« sagte er, und er selber hörte nicht einmal den Laut der Worte, »George, was ist geschehen?«

»Unterstützt meinen Vater,« sagte der Verwundete leise, »und dann tragt mich hinauf in mein Zimmer – vorsichtig, es thut gar zu weh!«

Zwei der Diener sprangen zum alten Herrn, aber nur den Armleuchter ließ er sich aus der Hand nehmen, den er noch fest und kräftig hielt; er selber stand aufrecht, die rechte Hand, in der er den Leuchter gehalten, noch immer in der nämlichen Stellung emporgehoben, und sein Blick haftete wie gebannt an dem bleichen Antlitz seines Sohnes.

»Was ist geschehen?« wiederholte er, als sich die Mutter mit einem gellenden Aufschrei an die Bahre des geliebten Kindes, an dem ihr Herz mit allen Fasern hing, warf.

Ein Arzt in Uniform begleitete den Trauerzug. Er konnte eben noch verhindern, daß die Unglückliche nicht auf den Verwundeten fiel und seine Schmerzen vergrößerte.

»Hinauf mit Euch, Leute,« rief er, »rasch in das Zimmer, daß der Kranke zu Ruhe kommt! Wollen Sie sich nicht der Dame annehmen?«

Die Worte galten dem Haushofmeister, der, kaum eines Gedankens fähig, neben dem Entsetzlichen stand.

Weitere Worte waren auch unnütz. Während der Arzt selber das Kopfende der Bahre mit unterstützte und alle Diener zusprangen, hoben sie dieselbe leicht und sicher empor und trugen sie rasch die Treppe hinauf in das Zimmer, wo sie den Unglücklichen gleich mit der Matratze, auf der er hierher geschafft worden war, auf sein eigenes Lager legten.

George, todtenbleich und matt, während die Mutter jetzt an seinem Bett kniete und seine Hand gefaßt hielt, war erschöpft und schloß die Augen, und der Graf, den Arm des Arztes ergreifend, sagte mit leiser, aber fester Stimme:

»Was ist vorgefallen? Sie sind verpflichtet, es mir zu sagen; ich muß Alles wissen!«

»Es kann auch leider kein Geheimniß bleiben, Herr Graf,« sagte der Arzt achselzuckend; »der junge Herr hatte heute Nachmittag um vier Uhr ein Rencontre mit dem jungen Grafen Bolten.«

»Mit Hubert?«

»Mit dem jungen Grafen Hubert; Graf Bolten hatte den ersten Schuß und traf seinen Gegner gleich zu furchtbar sicher. Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor,« flüsterte er ihm leise zu, »Rettung ist unmöglich, die Kugel hat die Lunge verletzt.«

Der Arm des Grafen sank wie gelähmt an seiner Seite nieder, als der Verwundete die Augen aufschlug und leise sagte: »Vater! – Mutter!«

»Mein George, mein liebes Kind, wir sind hier, wir sind bei Dir! Um Gottes willen, was fehlt Dir?«

»Es ist vorbei,« flüsterte der Sterbende, – »ich – kann nicht – mehr sprechen. Seid gut – mit Paula – lebt – wohl!«

Er schloß die Augen und ein Zucken lief über seinen ganzen Körper.

»George, George!« schrie die Mutter und warf sich über ihn. Er rührte sich nicht mehr, es war vorbei, und während der Graf, ein wahres Bild des Entsetzens, an seinem Lager stand und den Blick, wie durch einen Zauber gebannt, nicht von dem starren Antlitz des Todten nehmen konnte, lehnte der alte Haushofmeister in der Ecke und schluchzte laut.

27.
Die Recension.

Am nächsten Morgen um zehn Uhr ging Rebe wieder, wie verabredet, zum Director Krüger, um dort das Repertoire für die nächste Vorstellung mit ihm zu besprechen. Er traf den Director in einer nicht geringen Aufregung, und als er nur das Zimmer betrat, rief ihm dieser schon, mit der Hand auf den Tisch zeigend, entgegen:

»Sehen Sie, habe ich Ihnen das nicht vorausgesagt? Jetzt können Sie die Folgen Ihres Leichtsinns erkennen.«

»Aber, bester Herr Director!«

»Haben Sie das Stadtblatt von heute Morgen schon gelesen?«

»Nein, noch nicht.«

»Na, dann machen Sie sich einmal ein Vergnügen. Da liegt der Wisch auf dem Tisch; Strohwisch thut sein Äußerstes.«

»In der That?« lächelte Rebe, indem er das Blatt aufnahm und hineinsah. »Aber es wird dann auch das Äußerste sein, und er ist nachher fertig.«

»Der? Noch lange nicht, da kennen Sie den nicht. Aber lesen Sie nur – nein, bitte, laut. Ich habe nur einen Blick darauf geworfen, weil mich der Grimm packte. Es ist wirklich ein malitiöser Kerl!«

Rebe las: »Theater in Haßburg. Hamlet, Prinz von Dänemark. Zur Feier...«

»Das können Sie überschlagen,« unterbrach ihn der Director, »das ist blos die Einleitung, und die Geschichte haben wir selber mit durchgemacht. Gleich da unten geht's an: Wir sind uns einer Versäumniß bewußt...«

»Ah, da. »Wir sind uns einer Versäumniß bewußt, dem Publikum nicht schon gestern über das Stück berichtet zu haben; aber wir müssen gestehen, daß wir volle vierundzwanzig Stunden gebraucht haben, um uns von unserem Erstaunen über das Gesehene und Erlebte zu erholen. Herr Horatius Rebe den Hamlet – wenn wir es nicht selber mit gelitten und ertragen hätten, wir würden es jetzt noch nicht glauben und das Ganze für einen wüsten, unnatürlichen Traum halten. Aber leider ist es nur allzu wahr, und wir müssen die Thatsache constatiren, daß Herr Horatius Rebe allerdings vorgestern Abend den Hamlet, diesen dänischen Prinzen, auf eine Weise mißhandelt hat, die unserem Nationalgefühl nichts zu wünschen übrig ließ. Wir geben auch zu, daß ohne Herrn Horatius Rebe eine Störung in der Vorstellung stattgefunden haben würde, das heißt, die ganze Vorstellung wäre unmöglich geworden. Aber war das Publikum nicht zehntausendmal besser daran, wenn es sein Geld zurück, als diesen entsetzlichen Hamlet vorgesetzt erhalten?

»Was wir dabei nicht begreifen, ist die bodenlose Selbstüberschätzung dieses jungen »Künstlers«, der es wagen konnte, ohne zu erröthen – denn er sah blaß aus, daß wir eine Zeit lang im Zweifel waren, welches der Geist sei – dem urtheilsfähigen und feingebildeten Haßburger Publikum eine solche Qual zu bereiten. Die Noth entschuldigt dies keineswegs, denn er konnte sich doch unmöglich einbilden, die geistvolle Auffassung eines Handor uns ersetzt zu haben – also was sonst? Er hat nur eine Rolle hergesprochen, damit das Stück gegeben werden konnte – nur damit kein rechtlicher Grund vorhanden war, dem Publikum das Eintrittsgeld zurückzuzahlen.

»Wir haben die Gutmüthigkeit des Publikums bewundert, daß es sich das gefallen ließ und sogar dem Delinquenten noch applaudirte; es sollte ihm das vielleicht in etwas die Angst vergüten, die er gehabt. Nun, Gott sei Dank, der Abend ist auch überstanden und wird hoffentlich nicht wiederkehren.

Laß, Vater, genug sein des grausamen Spiels.

»Herr Horatius Rebe mag ein recht lieber, braver Mensch und ein guter Bürger sein, aber wir können es ihm Schwarz auf Weiß geben, daß er ein sehr mittelmäßiger Schauspieler ist. Sein Hamlet war der Beweis dafür: keine Idee einer höheren Auffassung, keine Faser von Genialität, kein Funke jenes göttlichen Feuers, das die der Kunst Geweihten auch durchdringen und sie und dadurch den Zuschauer elektrisiren muß.

»Das Einzige, was uns Herr Rebe an jenem Abend gezeigt, ist, daß er ein gutes Gedächtniß hat; möge er deshalb nie vergessen, daß er seine ruhmreiche Laufbahn wohl noch immer auf einer kleinen Winkelbühne Deutschlands fortsetzen kann, daß es aber dem Haßburger Publikum nicht zugemuthet werden darf, einen solchen Genuß zum zweiten Male zu leiden. Wir warnen die Direction wohlmeinend vor einem solchen Mißbrauch des Vertrauens und hoffen, daß diese milde Rüge genügt hat, Herrn Horatius Rebe dem hiesigen kunstsinnigen Publikum nicht mehr gefährlich zu machen.

F. S.«

»Nun, wie gefällt Ihnen das?« sagte Krüger, als Rebe die Epistel beendet hatte und das Blatt wieder lächelnd auf den Tisch zurücklegte.

»Und sorgt Sie das wirklich, was ein Strohwisch schmiert?« sagte er. »Ich kann mir doch nicht denken, daß es auch nur den geringsten Einfluß auf das Publikum selber haben könnte; also lassen Sie ihn schreiben. Notiz darf man ja doch von einem solchen Menschen micht nehmen.«

»Das sagen Sie, lieber Rebe,« rief der Director; »aber ich kenne die Welt und mein Publikum besser, und ich versichere Ihnen, der Artikel hat Sie hier zu Grunde gerichtet.«

»Und wollen Sie es trotzdem versuchen?«

»Ja, wollen Sie es denn versuchen?« rief Krüger erstaunt. »Mann Gottes, ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie bei Ihrem ersten Auftreten ausgepfiffen werden!«

»Ich habe keine Furcht, Herr Director,« sagte Rebe ruhig und entschlossen. »Mit solchen schmutzigen Waffen kann ich allerdings nicht kämpfen und werde es nicht, aber wir können jetzt gleich an mir die Probe machen, ob das Publikum wirklich ein Urtheil für sich selber hat, oder ob es sich von jedem lumpigen Literaten leiten und an der Nase herumführen läßt.«

»Ändern Sie einmal die Welt.«

»Ich will sie nicht ändern, ich will sie nur kennen lernen.«

»Na, das Vergnügen können Sie haben,« nickte Krüger; »so viel will ich Ihnen aber sagen, ich habe Sie im Voraus gewarnt. Ich riskire nichts dabei, denn ich bekomme jedenfalls ein volles Haus, und bin auch noch immer erbötig, Sie für einen vollen Monat zu engagiren, aber mit der Bedingung: fallen Sie beim ersten Auftreten gründlich durch, so ist unser Contract gelöst.«

»Und soll Herr Doctor Strohwisch das Urtheil sprechen?« lächelte Rebe.

»Nein,« rief der Director, »Sie selber, denn nach der nächsten Vorstellung bleiben wir nicht lange im Zweifel. Das Gute hat es jedenfalls, daß wir genau wissen, woran wir sind.«

»Gut, ich nehme es an,« nickte Rebe; »ich bin fest entschlossen, dieser Nichtswürdigkeit zu begegnen, und hoffe das Beste.«

»Hoffen, lieber Freund, hoffen ist gar nichts,« sagte der Director. »Aber wollen Sie wenigstens dieses Mal einen guten Rath annehmen?«

»Und welchen, Herr Director?«

»Sie haben den ersten nicht befolgt und, will ich recht ehrlich sein, vielleicht auch gut daran gethan. Ein solcher Mensch wie dieser Strohwisch und alle diese Art Leute ist nicht zu kaufen, sondern nur zu miethen, das heißt, mit Einer Zahlung können Sie sich ihrer nie versichern. Sie brauchen immer Geld und sind unersättlich. Aber wenn es Ihr Stolz auch nicht zuließ, jenen Burschen zu bestechen, so glaube ich, werden Sie doch nichts dagegen haben, seine Pläne zu kreuzen.«

»Wenn das auf ehrenvolle Weise geschehen kann.«

»Ehrenvolle Weise?« sagte der Director, den Kopf ungeduldig herüber und hinüber werfend. »Wenn mich ein unreines Thier anrennt, so sehe ich, daß ich ihm ausweichen kann, und jede Weise ist dabei ehrenvoll, denn Selbsterhaltung bleibt das Hauptgesetz in der Natur. – Ehrenvoll? Nennen Sie es etwa ehrenvoll, wenn Sie den Abend ausgepfiffen werden?«

»Wenn es ohne mein Verschulden und ungerecht geschieht.«

»Und wer fragt danach? Ich bitte Sie um tausend Gottes willen, lassen Sie doch nur die verfluchten Redensarten und werden Sie vernünftig – ohne mein Verschulden und unrecht! Lassen Sie Jemanden auf einen falschen Verdacht hin einstecken und ihm den Kopf herunterschlagen, glauben Sie, daß ihm das nachher eine Beruhigung sein kann, daß es ohne sein Verschulden und ungerecht geschah? Lauter Redensarten; hier haben wir es mit der Sache selber zu thun, und wenn Sie Alles geschickt anfangen, läßt sich dem Musjö doch noch am Ende ein Paroli bieten.«

»Aber wie?«

»Das will ich Ihnen sagen; Geld kostet die Geschichte, weiter nichts. Einige Dutzend Freibillets sollen Sie von mir haben, dann engagiren Sie noch eine Anzahl kräftiger Kerle, die...«

»Mein lieber Herr Director,« unterbrach ihn Rebe, »auf solche Spitzfindigkeiten verstehe ich mich nicht; da wäre ein Mittel, meiner Meinung nach, eben so niedrig wie das andere.«

»Aber die größten Künstler thun es!« rief der Director in Verzweiflung.

»Das mögen sie mit ihrem Gewissen ausmachen,« sagte Rebe ruhig; »ich habe vielleicht, wie ich Ihnen gern zugestehen will, ganz eigenthümliche Begriffe von Ehre, aber meine Meinung ist auch die, daß solche literarische Blutegel gar nicht existiren könnten und elend zu Grunde gehen müßten, wenn Alle so dächten wie ich. Von mir sollen sie wenigstens nie auch nur eines Groschens Werth Unterstützung bekommen, und sind sie nur die Ursache, daß ich am Theater nicht vorwärts komme, gut, dann habe ich mir selber wenigstens keine Vorwürfe zu machen und kann nachher mit Ehren die Bühne verlassen.«

»Wieder »Mit Ehren«,« rief der Director ungeduldig. »Gut, dann machen Sie meinetwegen was Sie wollen, ich werde mir die Zunge nicht weiter daran verbrennen; Sie haben's nicht besser verlangt. Und worin also gedenken Sie das nächste Mal aufzutreten? Unser Repertoire kennen Sie ja.«

»Ich möchte Sie um den Fiesco bitten, Herr Director.«

»Fiesco, hm – meinetwegen; Eins ist so gut wie's Andere, und Fiesco auch eigentlich lange nicht da gewesen. Also nächsten Mittwoch, wenn es Ihnen recht ist, denn Sonntags bringt mir eine Posse mehr ein.«

»Und als zweite Rolle möchte ich Sie um den...«

»Thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie uns wegen der zweiten Rolle noch nicht den Kopf zerbrechen. Erst wollen wir einmal sehen, wie die erste abläuft.«

»Sie scheinen kein rechtes Vertrauen zu haben.«

»Hab' ich auch nicht,« sagte Krüger, »weil ich meine Pappenheimer kenne. Also auf morgen werde ich die erste Probe ansetzen, Herr Rebe, Sie sind doch fertig?«

»Ich könnte die Rolle morgen Abend spielen.«

»Alle Wetter, Sie wären in der That ein brauchbares Mitglied! Handor mußte immer vierzehn Tage Zeit haben, und nachher haperte es noch. Überlegen Sie sich nur die Sache mit den Freibillets noch einmal; ich gebe Ihnen mein Wort...«

»Ich werde es mir überlegen, Herr Director,« unterbrach ihn Rebe, »und bei jeder Stunde Nachdenken finden, daß ich so und nicht anders handeln konnte.«

»Sehr schön, Herr Rebe,« sagte der Director trocken, »dann wollen wir einmal am nächsten Mittwoch sehen, wie dick die Mauer sein wird, an der Sie Ihren Kopf zu versuchen gedenken. Guten Morgen!«

»Guten Morgen, Herr Director!« sagte Rebe und verließ langsam und nachdenkend das Haus.

Während Rebe die Unterredung mit dem Director hatte, wurde bei Pfeffers ein ganz eigenes kleines Familienfest gefeiert.

Der Mutter kränklicher Zustand schien sich nämlich in den wenigen Tagen, ja, man konnte fast Stunden sagen, so wesentlich gebessert zu haben, daß Alles im Hause einen freundlicheren Charakter annahm. – War es die veränderte Diät gewesen? Der frühere Doctor, der Theaterarzt (der »Thierarzt«, wie ihn Pfeffer gewöhnlich nannte), der die Stelle durch Protection erlangt, hatte die arme Frau auf Gott weiß was curirt, und ihr fast jede Nahrung entzogen. Es war eine ganz neue, von ihm erfundene Hungercur, der, wie das Gerücht ging, bis jetzt erst wenige Menschen zum Opfer gefallen. Dadurch aber kam Henriettens Mutter von Tag zu Tag mehr herunter, bis sie zuletzt so schwach wurde, daß sie nicht einmal mehr aufrecht sitzen konnte.

Wenn aber Jeremias auf der Welt irgend etwas haßte, so war es Hunger, oder gar eine Hungercur, die den Körper natürlich so schwächen mußte, daß er sich gar nicht mehr, nicht einmal gegen den Arzt, helfen und schützen konnte. Er ruhte deshalb auch nicht, bis er Pfeffer, oder vielmehr Auguste bewog, einen andern Doctor herbeizuziehen, und dieser erklärte denn auch natürlich augenblicklich, daß sie der frühere ganz falsch behandelt habe und die Kranke bei einer noch kurze Zeit fortgesetzten ähnlichen Cur nicht sowohl ihrer Krankheit, als ihrem Magen erlegen wäre. Nahrhafte Speisen wurden verordnet, und Jeremias schleppte herbei, was nur aufzutreiben war: ein Glas stärkenden kräftigen Weins; eine Stunde später stand ein Dutzend Flaschen alten Portweins in der Stube, und dann wo möglich etwas Bewegung, vor der Hand noch im Zimmer, und so viel frische Luft als thunlich.

Half dieses Alles, oder war es mehr ein Gemüthsleiden gewesen, das auf der Seele der Kranken gelegen, aber schon seit gestern Abend trat eine entschiedene Änderung zum Besseren ein, und Henriette sang heute Morgen wie eine Haidelerche im Hause herum.

Die Mutter saß am geöffneten Fenster, denn nach der gestrigen stürmischen und kalten Nacht hatte sich die Luft gereinigt und die Sonne schien warm und klar. Jeremias war fort gewesen, um Rebe aufzusuchen und Näheres über seine weiteren Pläne und Aussichten zu hören, aber er traf ihn nicht in seiner Wohnung und mußte unverrichteter Sache wieder zurückkehren.

»Das ist ein ganz verzweifelter Mensch, Auguste,« sagte er, als er in dem kleinen Zimmer auf und ab ging und sich den kahlen Kopf kratzte, »wie ich gestern mit ihm sprach und ihm meine Hülfe in Allem, was Jettchen betraf, antrug, faßte er mich bei der Hand und sagte: »Mein lieber Herr Stelzhammer, ich danke Ihnen herzlich für Ihre guten und freundlichen Absichten, und Sie wissen, daß Jettchen's Besitz das Höchste ist, was ich erstrebe, aber ich bin auch fest entschlossen, ihn mir selber zu verdanken. Ich will mir später nie Vorwürfe machen können, daß ich durch meine Frau vorwärts gekommen sei.«

»Und da hat er ganz Recht,« sagte Pfeffer, der in diesem Augenblick eingetreten war und die letzten Worte hörte, »der Rebe ist ein ganzer Kerl, das sage ich noch einmal, und es thut mir jetzt schmählich leid, daß wir ihn früher so unter der Kanone behandelt. Na, wie geht's heute Morgen, Guste, besser? Donnerwetter, Du kriegst ordentlich wieder rothe Backen!«

»Die höchste Zeit, daß ich von Brasilien herüber kam,« rief Jeremias, »Ihr hättet sie hier heilig verhungern lassen.«

»Der verdammte Theaterfriseur,« fluchte Pfeffer, »na, komm Du mir über die Schwelle, ausgenommen zu einem Krankheits- oder Pensionirungsattest! Du meine Güte, wenn ich das erst einmal in Händen hätte und das vermaledeite Komödienspielen an den Nagel hängen könnte!«

»Wünsch' Dir die Zeit nicht heran, Fürchtegott,« nickte die Frau, »alt werden wir Alle früh genug, und doch zehntausendmal lieber von Morgens bis Abends arbeiten, als so da liegen und anderen Menschen zur Last fallen.«

»Zur Last fallen,« brummte Pfeffer, »wem bist Du schon zur Last gefallen, und laß Du das das Jettchen hören, – aber alle Wetter,« unterbrach er sich plötzlich, aus dem Fenster sehend, »kommt denn da nicht Fräulein Bassini wie ein orangefarbener Blitzstrahl angeschossen? Na, die muß eine Neuigkeit haben, da möchte ich meinen Hals darauf verwetten.«

»Kommt sie denn her?« fragte Jeremias.

»Eben ist sie in die Promenadenthür hineingefahren. Was das Frauenzimmer für eine Eile hatte!«

»Wer weiß, was sie hat,« sagte seine Schwester.

»Sicher nichts Gutes,« nickte Pfeffer, »sonst liefe sie nicht so rasch, darauf kannst Du Dich verlassen. Da ist irgend ein Unglück geschehen, oder der Teufel sonst wo los. Ich kenne meine Schwester.«

»Wenn Du nur immer 'was auf die arme Lise bringen kannst,« lächelte die Frau, »und Du hast sie doch lieb, und ich möchte keinem Andern rathen, Übles von ihr zu reden.«

»Wenn sie nur ein klein wenig Vernunft annehmen und sich nicht immer so verflucht lächerlich machen wollte,« sagte Pfeffer, »sonst ist sie ja gut genug, und auf's Theater paßt's. Sie spielt aber den ganzen ausgeschlagenen Tag Komödie, von dem Augenblick an, wo sie Morgens aufsteht, bis Abends, wenn sie wieder einschläft. Ein verrückteres Frauenzimmer ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen.«

»Habt Ihr es schon gelesen?« rief in diesem Moment die besagte Dame, wie sie nur den Kopf zur Thür hereinsteckte, »habt Ihr das Schandblatt schon gesehen? Es ist himmelschreiend, daß so etwas nur die Censur passirt. Da könnte man ja eben so gut in Brasilien bei den Cannibalen leben.«

»Bitte,« meinte Jeremias.

»Nun, hab' ich es nicht gesagt?« lachte Pfeffer.

»Was hast Du gesagt, was ist vorgefallen?« rief die Schwester heftig.

»Na, das mußt Du doch am besten wissen. Was hast Du denn da für ein Zeitungsblatt in der Hand?«

»Habt Ihr das Stadtblatt noch nicht gelesen? Dann habt Ihr nichts gelesen,« rief Fräulein Bassini mit Emphase.

»So, und was steht darin?«

»Eine Kritik über Rebe.«

»Alle Wetter! Gut?«

»Da lies, mach' Dir ein Vergnügen,« sagte Fräulein Bassini, »hier, von Herrn Doctor Strohwisch, Deinem guten Freund.«

»Meinem guten Freund?« brummte Pfeffer, indem er das Blatt nahm und leise vor sich hinmurmelnd an zu lesen fing.

»Und habt Ihr schon gehört,« fuhr indessen Fräulein Bassini fort, um ja keine Zeit zu versäumen, »daß sich des Lumps, des Handor wegen die beiden jungen Grafen von Monford und Bolten gestern duellirt haben und Graf Bolten den Andern todtgeschossen hat?«

»Oh Du lieber Gott,« stöhnte Auguste, »die armen Eltern!«

»Ja, das ist nun nobel,« sagte die Schwester, »damit geben sie einander die Ehre wieder, daß sie sich abschlachten. Die ganze Stadt ist voll davon.«

»Und so reiche, vornehme Leute!«

»Ja, wie gut könnten die es haben; aber ob es wohl Jemand einmal weiß, wenn es ihm wohl ist. Gott bewahre, immer will er's noch wohler haben, bis er zuletzt drin sitzt. So reiche Menschen; sie sitzen ja im Geld, sie wissen nicht wie tief, und silberne Spucknäpfe sollen sie in den Zimmern haben; aber Hochmuth kommt vor dem Fall.«

»Alle Teufel!« rief Pfeffer, der indessen die Einleitung überflogen hatte und jetzt zu dem Kern des Ganzen kam. Jeremias stand neben ihm und sah ihm über die Schulter in's Blatt.

»Oh Du Lumpenkerl!« murmelte er leise vor sich hin, und ballte schon in Gedanken die Faust.

»Das ist ja ein sauberer Patron!«

»Wie? Nu, was habe ich gesagt?«

»Was schreibt er denn?« fragte Auguste.

»Kannst die Bescherung gleich lesen – ei Du Himmelhund, Du Verdammter! Wenn er ihm fünf Thaler in den Rachen geschoben hätte –«

»Ja, schieb einmal, wenn Du nichts hast,« sagte Fräulein Bassini.

»Das ist derselbe Musjö, dem ich einmal auf Rebe's Treppe begegnet bin,« rief Jeremias.

»Nein, da hört Alles auf,« schrie Pfeffer, »ei zum Teufel mit dem Wisch!« und damit knillte er das Papier zusammen und schleuderte es auf die Erde.

»Aber, Fürchtegott,« rief Fräulein Bassini erschreckt, »die Zeitung gehört ja dem Schuhmacher, meinem Hausherrn – was hat denn das arme Papier nur gethan?« – und sie hob es auf und glättete es wieder aus.

»Bitte, laß es mich einmal lesen,« sagte Auguste, und streckte die Hand danach aus.

»Ja, ich möchte es auch einmal haben,« meinte Jeremias, »kann man denn nicht so eine Nummer zu kaufen bekommen?«

»Gewiß, in der Expedition, aber das fehlte auch noch.«

»Ich möchte doch eine Nummer haben,« meinte der kleine Mann, indem er sich heftig die Hände rieb, »und wenn es nur das wäre, um jedes Mißverständniß zu vermeiden.«

»Mißverständniß?«

»Das ist schändlich,« sagte Henriettens Mutter, »wirklich boshaft, niederträchtig, und ich begreife nur nicht, daß sich das Publikum dies gefallen läßt. Er sagt ihnen doch darin mit dürren Worten: Ihr versteht Alle nichts, daß ihr so ein Wesen von dem Rebe macht, ich bin der allein Kluge!«

»Und so ein Lump kriegt ein Freibillet,« rief Pfeffer, »na, wenn ich Director wäre, ich wollte Dich befreibilletten!«

»Der Mensch wird außerdem jetzt Alles daran setzen, um den armen Rebe vollends zu ruiniren,« sagte Fräulein Bassini, »denn er darf jetzt ja nicht einmal mehr applaudirt werden, sonst hätte er nicht Recht gehabt.«

»Natürlich,« sagte Pfeffer, »was der jetzt thun kann, thut er.«

»Und ich glaube nicht einmal, daß ihn der Director nach der Recension wieder spielen läßt,« fuhr Fräulein Bassini fort, »ich kenne ihn, und was der für eine Angst vor diesem aufgesteckten Strohwisch hat, kann gar kein Mensch glauben.«

»Dann geschieht ein Unglück,« sagte Jeremias, und seine Stimme hatte etwas Feierliches, »dann geschieht wahrhaftig ein Unglück.«

»Na, was wird für ein Unglück geschehen,« brummte Pfeffer, »wer einmal Pech haben soll, verliert die Butter vom Brode.«

»Da kommt Jettchen,« rief die Mutter rasch, die das junge Mädchen draußen hörte, »thut die Zeitung weg; sagt ihr nichts davon, das arme Kind kränkt sich sonst zu sehr.«

Fräulein Bassini schob sie rasch in ihre Tasche, aber wie Jettchen eintrat, stockte das Gespräch, und Jeremias selber machte ein so bestürztes Gesicht, daß sie gleich wußte, es war etwas vorgefallen.

»Guten Morgen mitsammen,« rief sie lachend aus, sah aber Alle dann erstaunt im Kreise an und sagte: »Nun, was habt Ihr denn, Ihr seht mich ja Alle so merkwürdig an, was ist denn? Mutter, es ist irgend etwas geschehen?«

»Nichts, was uns beträfe, Kind,« fiel aber hier Fräulein Bassini ein, die sich noch am ersten faßte, »aber hast Du noch nichts von dem Unglück bei Monfords draußen gehört?«

»Leider ja,« nickte Jettchen traurig – »Du lieber Gott, so ein junges, hoffnungsvolles Blut, und in seinem frischesten Alter!«

»Kanntest Du den jungen Grafen?«

»Ich habe ihn draußen im Schlosse gesehen, als ich früher der Comtesse manchmal Arbeiten hinaufbrachte, und in letzter Zeit ist er auch manchmal mit Graf Rottack hier vorbeigeritten. Es war derselbe, Onkel, der damals dem armen Jungen hier vor dem Hause, dem Graf Bolten den Karren überritten hatte, Geld gab, um ihn für den Verlust zu entschädigen.«

»Und der Nämliche hat ihn jetzt todtgeschossen?«

»Und was für Strafe bekommt er nun?«

»Strafe?« sagte Fräulein Bassini, »solche vornehme Herren werden sie auch strafen! Übrigens ist er noch dieselbe Nacht fortgereist, und nun sucht ihn, wenn Ihr ihn haben wollt.«

»Aber was hast Du nur, Vater?« sagte Jettchen, die erstaunt Jeremias betrachtete. Dieser war indessen in der Stube, sich immer die Hände reibend, auf und ab gegangen, und so mit seinen eigenen Gedanken dabei beschäftigt, daß er die Frage nicht einmal gleich hörte.

»Was ich habe, Kind?« sagte er dann, als Jettchen die Worte wiederholte, »oh, oh, nichts, ich dachte nur in dem Augenblick gerade an 'was, ich habe noch etwas zu thun, beinah' hätte ich's vergessen. Also guten Morgen miteinander!«

»Wo willst Du denn hin, Jeremias?«

»Ich muß einmal nach Hause, ich komme nachher wieder!«

»Um zwölf Uhr essen wir.«

»Gut, ich werde kommen, sollte ich aber um zwölf Uhr nicht da sein, so wartet nicht auf mich, denn es ist doch möglich, daß ich Abhaltung bekäme,« und mit den Worten schoß er zur Thür hinaus.

»Was hat nur der Vater?« sagte Jettchen verwundert; »er sah so merkwürdig verstört, so zerstreut aus.«

»Gott weiß es,« brummte Pfeffer, »irgend noch ein paar brasilianische Schrullen vielleicht, die ihm im Kopf herumgehen! Laß ihn nur laufen, der findet sich wieder zurecht, dafür ist mir gar nicht bange. Wo warst Du, Jettchen?«

»Ich habe den Brautkranz fortgetragen,« sagte das junge Mädchen, »und jetzt gar nichts weiter zu thun, als den bestellten Kranz für Graf Rottack zu machen.«

»Das ist gescheidt, da kannst Du Dich endlich einmal ausruhen.«

»Aber die Zeit wird mir lang werden, und was hätte ich Alles zu thun bekommen können! Wie viele Arbeiten waren bestellt, aber Vater wollte es ja nicht leiden.«

»Ganz vernünftig von ihm, denn Du hättest Dich caput gearbeitet, das ist sicher. Nun aber sieh nach Deiner Küche, Schatz, daß wir 'was zu essen bekommen!«

»Ist Alles in Ordnung, Onkel,« nickte Jettchen, »brauche nur ein wenig nachzulegen, denn während es kochte, bin ich blos die zwei Schritt hinüber gelaufen. Punkt zwölf Uhr kann das Essen auf dem Tisch stehen.«

Jeremias stieg in einer unbeschreiblichen Stimmung die Treppe hinab, und niemand Anders war die Veranlassung dazu, wie der arme, unselige Recensent.

»Oh Du Federfuchser,« rief er dabei halblaut vor sich hin und ballte die gar nicht so unansehnliche Faust gegen das Treppengeländer, »oh Du verfluchter Federfuchser – hätt' ich Dich, wie wollt' ich Dich!« Aber er hatte ihn eben nicht, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als Rebe aufzusuchen, um mit diesem zu besprechen, was sich etwa in der Sache thun ließ, denn daß sich etwas thun ließ, davon war er fest überzeugt.

Rebe fand er allerdings, aber bei ihm selber auch nicht die geringste Unterstützung in der Angelegenheit.

Rebe blieb dabei, daß die Persönlichkeit, von welcher der Angriff stamme, so tief unter ihm stehe, daß er gar nichts in der Welt mit ihm anfangen könne, und was das beträfe, gegen ihn zu agiren, so würde er sich dadurch mit diesem Strohwisch genau auf Eine Stufe stellen, daran sei also gar nicht zu denken. Die einzige Waffe, die er in Händen habe, sei die, dem Publikum durch seine Darstellung zu beweisen, daß Jener gelogen habe; weiter könne er nichts, weiter werde er nichts thun.

Jeremias suchte ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er sein Fortkommen an hiesiger Bühne sichern wolle, und Rebe behauptete, das wäre nur dadurch möglich, daß er alle Chancen liefe. Aber sich jetzt und für Eine Vorstellung einen Erfolg sichern und damit alle übrigen noch in Frage gestellt lassen, käme ihm ungefähr ebenso vor, als ob Jemand über einen mächtigen Strom schwimmen wolle und zuerst in einem Teich versuche, ob er sich eine so lange Zeit über Wasser halten könne, bei dem Versuch aber Blasen unter die Arme binde. Er täusche Niemanden damit als sich selber, und müsse dann später dafür büßen.

Es war mit dem Menschen nichts anzufangen, denn er blieb hartnäckig dabei, daß er ehrenvoll siegen oder lieber seine Stellung aufgeben und anderswo beginnen wolle; denn nur dadurch könne er sich seine Selbstachtung und die Achtung anderer ehrenwerther Leute bewahren.

Jeremias mußte ihm ja wohl im Herzen Recht geben. Es war ganz hübsch und ehrlich gehandelt, aber dumm, stockdumm, wenn er das auch nicht gerade aussprach, und in voller Verzweiflung lief er endlich hinüber zu Director Krüger, um von diesem vielleicht eine andere Ansicht zu hören. Das Mittagessen bei Pfeffers hatte er lange vergessen und versäumt.

Hier fand er seinen Mann. Krüger, dem selber daran lag, daß sich Rebe am hiesigen Theater behaupten möge – denn wo fand er solchen ersten Liebhaber gleich für die Gage wieder, mit der er sicher die erste Zeit mit Rebe abschließen konnte –, gab Jeremias in Allem Recht und war so vollkommen in jeder Hinsicht seiner Meinung, daß ein Gespräch fast ganz unmöglich wurde.

Der Director theilte dem kleinen, lebendigen Fremden auch ganz aufrichtig seine eigenen Ansichten über den Recensenten mit; weshalb sollte er sich auch geniren? Strohwisch kostete ihm überhaupt jährlich viel Geld, und Jeremias begriff zuletzt nur das nicht, wie man sich noch mit einem solchen Menschen abgeben und in persönlichem Verkehr mit ihm stehen konnte.

»Lieber Gott,« sagte der Director, »was will ich dagegen thun? Soll ich mir mein ganzes Theater fortwährend schlecht machen lassen? Das Publikum bekäme doch zuletzt, wenn es das alle und alle Tage hörte und läse, einen Widerwillen dagegen und ginge mir schließlich gar nicht mehr hinein; deshalb zahle ich ihm das Blutgeld und stopfe ihm das Maul.«

»Also wann ist Fiesco?«

»Nächsten Mittwoch; wenn Sie etwas thun könnten – aber um Gottes willen, ohne daß es Rebe erführe, denn er würde die ganze Geschichte verderben –, so wäre es mir sehr angenehm, und auf meine Unterstützung dürfen Sie rechnen.«

»Aber in welcher Art?«

»Ich will Ihnen sagen, was ich fürchte,« erwiderte Krüger. »Ich fürchte, Strohwisch wird Anstalten getroffen haben, Herrn Rebe das nächste Mal auspfeifen zu lassen; er hat mir genau dasselbe schon einmal gemacht.«

»Aber das Publikum wird sich das nicht gefallen lassen.«

»Lieber Gott, alle Menschen erfreuen sich zuweilen an einem Skandal,« sagte Krüger, »und wenn nur drei oder vier in derartigen Arbeiten geschickte Leute vortheilhaft im Parterre placirt sind, so finden sie überall ein paar nichtsnutzige Jungen, die ihnen helfen. Sie glauben gar nicht, wie das Pfeifen ansteckt.«

»Hurrjeh,« sagte Jeremias, »vielleicht käme er selber hinein; wenn ich nur dann in der Nähe wäre!«

»Er selber würde sich wahrscheinlich ruhig verhalten, aber das Ganze dirigiren.«

»Na, warten Sie 'mal, dagegen ließe sich doch am Ende noch 'was thun. Apropos, haben Sie Polizei im Theater?«

»Auf die dürfen Sie nicht rechnen,« sagte der Director; »allerdings stehen ein paar Mann im Vorsaal, aber bei derartigen Gelegenheiten verhalten sie sich rein passiv.«

»Sehr schön,« sagte Jeremias, »weiter verlange ich nichts, und nun empfehle ich mich bestens!«

»Sie sind fremd hier in der Stadt, Herr Stelzhammer?«

»Fremd allerdings; aber ich glaube, ich weiß Jemanden, der mich unterstützen kann.«

»Darf ich fragen, wen?«

»Ihren Theaterdiener Peters.«

»Da sind Sie in vortrefflichen Händen,« lachte Krüger vergnügt; »aber lassen Sie ihn um Gottes willen nicht ahnen, daß ich von der Sache etwas weiß!«

»Haben Sie keine Sorge – bitte, bemühen Sie sich nicht, ich finde schon meinen Weg!« Und während der Director oben in seinem Zimmer, sich vergnügt die Hände reibend, auf und ab ging, stieg Jeremias langsam die Treppe hinunter.

Director Krüger wohnte zwei Treppen hoch, und jede Etage bestand aus zwei Abtheilungen Stufen, die in dem alten Hause ziemlich steil aufwärts führten, aber durch Seitenfenster hell erleuchtet wurden.

Jeremias war eben den ersten Absatz hinabgestiegen, als ein Herr dicht unter ihm die Treppe heraufkam und zu ihm aufsah. Der Fremde, welcher etwa einen Kopf größer als unser kleiner Freund sein mochte, stand noch drei oder vier Stufen unter ihm, als er den Kopf zu ihm empordrehte und Jeremias plötzlich halten blieb.

»Hurrjeh!« rief er aus, indem er sich so klein machte, daß er seinen Kopf ziemlich in eine Richtung mit dem die Treppe Heraufkommenden brachte und beide Hände dabei auf die Kniee stützte. »Habe ich nicht das Vergnügen, den Herrn Doctor Strohwisch vor mir zu sehen?«

»Das ist allerdings mein Name,« sagte der Herr. »Und mit wem hab' ich die Ehre?«

»Na, seh'n Sie einmal an,« rief Jeremias, ohne die Frage zu beantworten, »und so hübsch allein unter vier Augen! Da erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen gleich zu sagen, mein lieber Herr Strohwisch, daß Sie ein ganz miserabler, erbärmlicher Dintenkleckser und Schubbejack sind!«

»Sie alberner Esel!« rief der Doctor, der gar nicht gleich wußte, über was er am meisten erstaunen sollte, über die kleine, geduckte, komische Gestalt, die vor ihm kauerte und die er deshalb auch, was persönliche Kraft anbetraf, bedeutend unterschätzte. »Was unterstehen Sie sich? Fort, oder ich werfe Sie die Treppe hinab!«

»So?« sagte Jeremias, der nur auf eine solche Einladung gewartet zu haben schien, drückte sich mit der Linken seinen Hut fest und hatte aber auch im nächsten Moment schon den Doctor beim Kragen, der sich wie ein Kind in seinem Griffe wand.

»Herr, lassen Sie mich los!« schrie er.

»Treppe hinunter – so?« rief Jeremias. »Wundervolle Idee – Kopf weg unten!« Und ehe der »Doctor« nur einen Hülferuf ausstoßen konnte, hatte er ihn herumgedreht, und wie ein Pfeil schoß er die Treppe hinab.

Jeremias' Blut war aber jetzt aufgeregt. Alberner Esel hatte er ihn genannt – was vorangegangen, zählte nicht – und die Recension geschrieben, und da unten kullerte er auf der Treppe herum. Unglücklich für ihn trug Doctor Strohwisch auch ein spanisches Rohr in der Hand, und Jeremias wußte eigentlich später gar nicht mehr recht, wie es gekommen war; ehe er sich aber auf etwas besann, war er die Stufen hinab unten bei seinem Schlachtopfer, hatte ihm den Stock aus der Hand gerissen und zerwalkte ihn dabei nach Herzenslust.

Strohwisch schrie um Hülfe und versuchte zuletzt, zur Verzweiflung getrieben, Gegenwehr; aber jetzt wurde Jeremias erst recht böse. In der Etage, wo er sich befand, wurden Stimmen laut, und um den Kampfplatz auf neutrales Gebiet zu verlegen, faßte er den Unglücklichen wieder beim Kragen und warf ihn vor sich her den nächsten Absatz hinunter, von wo nur noch eine niedere Stufenreihe bis zur Hausthür blieb, und hier folgte Fortsetzung.

Oben in der zweiten Etage stand Director Krüger, schaute über das Geländer hinab und hätte vor Wonne applaudiren mögen, wenn er es sich nur getraut hätte. Unten in der ersten Etage war das Dienstmädchen und dann der Herr Ober-Appellationsrath X. mit der Frau Ober-Appellationsräthin und Fräulein Tochter herausgekommen. An der Hausthür, da der Schall des Tumults hinausdrang, hatten sich ebenfalls Leute gesammelt und drängten zuletzt bis in's Haus hinein. Und oben auf dem ersten Absatze stand Jeremias und prügelte Strohwisch, bis er den Stock in Atome zerschlagen hatte und seinen Arm nicht mehr rühren konnte; dann warf er ihn den letzten Absatz hinunter, den Stummel des spanischen Rohrs, mit einem sehr zierlich geschnitzten Elfenbeinknopfe daran, hinter ihm her, und während er selber an ihm vorüberschritt, sagte er: »So, Herr Doctor, jetzt wünsche ich Ihnen wohl zu bekommen. Mein Name ist Jeremias Stelzhammer.«

»Herr Stelzhammer,« sagte da ein Mann in einem rothen Kragen, der sich indessen durch die immer anwachsenden Zuschauer in das Haus gedrängt hatte, »es thut mir leid, Sie in Ihrer Beschäftigung zu stören.«

»Bitte, ich bin eben fertig,« meinte Jeremias.

»Nun desto besser,« sagte der Mann; »aber nun ersuche ich Sie auch, einmal ein bischen mit mir zu kommen, denn ich habe hier auf Ruhe und Ordnung zu sehen.«

»Mein lieber Herr,« erwiderte Jeremias, jetzt nicht im Geringsten um die Folgen besorgt, denn er sah wohl, daß er es hier mit einem Polizeidiener zu thun hatte, »Ruhe herrscht jetzt, und daß der Herr da ordentliche Prügel besehen hat, wird er Ihnen selber bezeugen können. Ich hoffe, Sie sind nun befriedigt.«

»Doch nicht so ganz,« lachte der Gerichtsdiener, »Sie müssen mit.«

»Verhaften Sie den Kerl im Namen des Gesetzes!« schrie jetzt Strohwisch, der sich kaum von seiner Betäubung erholt hatte. »Ich bin hier auf die nichtswürdigste Weise von ihm angefallen und mißhandelt worden; mein Eigenthum ist dabei zerstört, mein Stock in Selbstvertheidigung zerschlagen, meine Hose zerrissen und beschmutzt...«

»Die Keile nennt er Selbstvertheidigung!« lachte Jeremias.

»Na,« meinte der Polizeidiener mit einem Blick auf die robuste Gestalt des Doctors, »Sie sehen mir allerdings aus, als ob Sie sich hätten wehren können; aber das ist einerlei, Sie mögen das Beide vor Gericht ausmachen.«

»Aber ich werde doch nicht...«

»Ja, Sie müssen auch mit,« sagte der Mann trocken; »ich kann hier nicht untersuchen, wer angefangen hat. Also bitte, machen Sie keine Umstände.«

Immer mehr Leute hatten sich indessen in das Haus gedrängt; denn was sieht das Publikum lieber, als eine Prügelei mit späterer Abführung der Betheiligten durch die Polizei, die gerade so dazu gehört, wie die Verlobung von zwei verliebten Paaren am Ende eines Lustspiels.

»Meine Herren,« sagte der Diener der öffentlichen Sicherheit zu den Eindrängenden mit jener Hochachtung, die er stets Leuten gegenüber beobachtete, gegen welche »noch nichts Gravirendes bekannt geworden«, »seien Sie so gut und gehen Sie nach Hause; Sie sehen, es ist Alles vorüber. Bitte, machen Sie Platz, es kann ja kein Mensch durch.«

Die Leute gaben langsam Raum; aber Doctor Strohwisch brauchte noch einige Zeit, um seine sehr derangirte Toilette etwas in Ordnung zu bringen. Er wollte auch noch Schwierigkeiten machen, mit einem Polizeidiener am hellen Tag durch die Straßen zu gehen, aber es half ihm nichts. Der Mann des Gesetzes blieb unerbittlich wie das Gesetz selber, und wenige Minuten später expedirte der würdige Beamte die beiden Übelthäter zum innigen Vergnügen einer Anzahl zerlumpt und anständig gekleideter Straßenjungen nach dem Rathhaus hin. –

Die Straße herab kam Graf Rottack. Er sah ernst und angegriffen aus, und als er dem Menschenknäuel begegnete, wollte er eben, vor der Berührung damit zurückscheuend, nach der andern Seite der Straße hinüberbiegen, als sein Blick auf Jeremias fiel und er erstaunt und verwundert stehen blieb.

»Aber, Jeremias, um Gottes willen, was haben Sie denn gemacht? Was ist vorgefallen?«

»Nur eine Kleinigkeit, Herr Graf,« lächelte der kleine Mann, aber doch etwas verlegen, in solcher Gesellschaft gerade von ihm betroffen zu werden; »ich und der Herr da geriethen ein wenig aneinander.«

»Ich leiste Bürgschaft für den Herrn,« sagte Felix zu dem Gerichtsdiener; »mein Name ist Graf Rottack.«

»Thut mir leid, Herr Graf,« erwiderte der Mann ruhig, »das hier nicht annehmen zu können. Meine Pflicht ist, die beiden Männer auf's Rathhaus hinaufzuführen und die Anzeige zu machen. Dort notirt dann der Herr Actuar den Fall, und wenn Sie mit hinaufgehen, so hat es nicht die geringste Schwierigkeit, daß der Gefangene augenblicklich auf freien Fuß kommt.«

»Schön.«

»Aber, bester Herr Graf!«

»Gehen Sie nur voran,« lächelte dieser, »denn escortiren möchte ich mich nicht gern lassen; ich folge Ihnen aber augenblicklich.«

Er zog sich zurück, denn einige der Zuschauer, die vielleicht gehofft hatten, daß irgend ein gewaltsames Einschreiten oder sonst ein amüsanter Zwischenfall eintreten könne, preßten näher. Das Rathhaus war nicht weit entfernt, und nachdem die beiden Feinde, nicht gerade zur Erbauung des ziemlich bös zugerichteten »Doctors«, noch eine Weile in dem Vorsaal hatten warten müssen, da gerade ein Dienstmädchen wegen versuchten Diebstahls verhört wurde, kamen sie endlich vor.

Die Verhandlung war übrigens eine kurze; Jeremias, der vorher seinen Vor- und Zunamen wie überhaupt eine kurze Lebensbiographie zu Protokoll geben und erklären mußte, daß er noch nie vor Gericht gestanden, leugnete nicht, den Doctor Strohwisch zuerst angefaßt und geprügelt zu haben, und da Graf Rottack jetzt ebenfalls vorgelassen wurde und erklärte, Bürgschaft für das Erscheinen des Herrn vor Gericht leisten zu wollen, so wurde der Delinquent entlassen.

Der Doctor, eine allbekannte Persönlichkeit in Haßburg, blieb noch oben, um seine Klage gegen den Überfall zu formuliren und gleich aufnehmen zu lassen.

»Aber nun sagen Sie mir um Gottes willen, Jeremias,« rief Rottack, als sie wieder zusammen auf der Straße waren, »was hat Sie denn zu einem solchen Gewaltstreich bringen können? Wir sind doch hier nicht mehr in Brasilien!«

»Mein lieber Herr Graf,« sagte der kleine Mann und schämte sich jetzt ein wenig der Rolle, die er gespielt, »Sie haben Recht – ich hätt's nicht thun sollen, aber die Galle lief mir über. Der Mensch war ein Recensent, und – da hab' ich noch einmal den Hausknecht herausgekehrt; aber ich verspreche es Ihnen, es soll zum letzten Mal geschehen sein, denn ich darf Ihnen doch keine Schande machen!«

»Und was, beim Himmel, haben Sie mit den Recensenten zu thun?« lachte Graf Rottack.

»Das ist weitläufig, das erzähle ich Ihnen ein andermal. Und wie geht es der Frau Gräfin?«

»Sie ist unwohl,« seufzte Felix; »manches Leid verwandter Freunde hat sie tief betroffen und angegriffen. Aber von Ihnen selber weiß ich gar nichts weiter, seit wir uns bei jenem Fräulein – wie hieß sie doch gleich?«

»Bassini.«

»Ja, ganz recht – bei jenem Fräulein gesehen. Haben Sie Frieden mit Ihrer Familie geschlossen? Sie hätten uns wohl einmal, als alten Freunden, Nachricht geben können.«

»Ich gestehe, daß ich wie ein schlechter Kerl gehandelt habe,« rief Jeremias; »aber erstens wußte ich nicht, ob ich Ihnen recht kam, und dann hab' ich die Zeit über so viel zu thun gehabt. Aber Gott sei Dank, es geht Alles recht gut, und wenn Sie es mir erlauben, so komme ich einmal in diesen Tagen und statte ausführlichen Bericht ab.«

»Das soll ein Wort sein, Jeremias,« sagte Graf Rottack, ihm die Hand reichend. »Glauben Sie mir, wir haben die alten Freunde noch nicht vergessen und viel zu wenig neue gefunden, um sie entbehren zu können.«

»Lieber Herr Graf...«

»Auf Wiedersehen, Jeremias!« Und Graf Rottack schritt, tief aufseufzend, die Straße hinab.

28.
Die Contremine.

Der junge, hoffnungsvolle und in der Blüthe seiner Jahre dahingeraffte Graf George von Monford war begraben worden und damit die Tragödie, die einige Tage die Stadt beschäftigt, zu Ende gespielt. Sein Gegner, der junge Graf Bolten, schien seit der Zeit verschwunden; er hatte jedenfalls den Staat verlassen, und die Secundanten wurden verhört und sahen ihrer formellen Strafe entgegen, die ihnen aber jedenfalls leicht genug gemacht wurde.

Es ist auch eine eigene Sache um das Duell und die dagegen erlassenen Gesetze. Wir Alle sind wohl darüber einig, daß es eine gegen die Moralität verstoßende Sitte ist, wenn zwei Menschen in der Absicht, einander zu tödten, gegen einander auftreten. Wir finden es auch natürlich, daß der Staat eine Strafe darauf setzt, aber wie Wenige von denen, die wirklich gegen eine solche »Unsitte« streiten, würden sich selber ihr entziehen, wenn sie sich zu einem solchen Kampf gezwungen sähen!

Ich bin weit davon entfernt, Die zu tadeln, die aus moralischen oder religiösen Bedenken das Duell durchaus für sündlich halten und sich deshalb nicht schlagen. Es ist das eine Gewissenssache, über die kein Anderer ein Recht hat zu urtheilen – aber man soll auch Die nicht verdammen, die mit einem – möglicher Weise irrigen Ehrgefühl eine erlittene Beleidigung nur glauben durch Blut auswaschen zu können. Auch bei ihnen ist es eine Gewissenssache, und wenn hierbei eine Majorität entscheiden könnte, so wären sie ganz entschieden und unzweifelhaft im Recht.

Muth? – Es ist möglich, daß mehr moralischer Muth dazu gehört, eine Herausforderung abzulehnen, als sie anzunehmen; aber das Duell selber ist noch ein letztes Überbleibsel fast der alten, kräftigen Ritterzeit, wo der Mann auch für sein eigenes gutes Recht einstand und nicht um jeden Quark die Polizei belästigte. Das Duell hat manchen Übelstand, ja; mancher Streit wäre auch vielleicht ohne solch ein gewaltsames Mittel beizulegen gewesen, mancher Familie endloser Jammer, namenloses Leid erspart worden, aber trotzdem ist es in vielen Fällen nicht möglich, es zu vermeiden. Es ist ein anerkanntes Übel, aber ein nothwendiges, und nur eine Umwandlung unserer Ansichten und Meinungen könnte dem Zweikampf ein Ende machen.

Hier freilich hatte alte Sitte ein furchtbares und schweres Opfer gekostet, den einzigen Sohn des Hauses, das letzte Kind, und wie das Glück in früheren Jahren nicht müde geworden schien, all' seine Gaben mit verschwenderischen Händen über die von Tausenden beneidete Familie auszustreuen, so unerbittlich schritt jetzt das Unglück durch die verödeten Räume seine erbarmungslose Bahn, das Haus der Freude in ein Haus des Jammers wandelnd.

Der junge Graf war, von einem prächtigen Leichengepränge begleitet, in die Familiengruft beigesetzt worden, und wie die unglücklichen Eltern in das Schloß zurückkehrten, schien das sonst so gastfreie und allen geselligen Freuden geöffnete Haus in ein düsteres Kloster verwandelt zu sein.

Draußen das blitzende Thürschloß des Gartenthors deckte, der englischen Sitte nach, ein Trauerflor – der größte Theil der Dienerschaft war entlassen worden; der alte Graf wollte die vielen Menschen nicht mehr um sich sehen, die Fenster wurden verhängt und nur so weit geöffnet, um das nöthigste Tageslicht herein zu lassen, und die Gräfin selber lag gebrochen auf ihrem Bett.

Der Verlust Paula's hatte sie erschüttert, aber weit mehr ihren Zorn als ihren Schmerz erweckt; der Verlust des Sohnes, an dem ihr Herz mit aller Liebe hing, deren es nur fähig war, brach die Kraft, die sie bis dahin aufrecht gehalten, und sie gab sich jetzt so wild und rücksichtsvoll ihrem Grame hin, als sie den vorher hart und kalt in ihrer Brust zurückgehalten.

Das war ein trauriges Leben jetzt in dem sonst so fröhlichen Hause, und der alte Haushofmeister schlich wie ein Geist in den Räumen umher, als ob er die Verlorenen suche und ihren Verlust noch nicht glauben könne, noch nicht denken möge. So aufmerksam er aber dabei den Grafen selber bediente, so scheu hielt er sich von der bis dahin geliebten Herrin zurück, denn an dem Abend, an dem sie den Brief seiner lieben kleinen Comtesse kalt und erbarmungslos in die verzehrende Flamme warf, hatte sich sein Herz ihr entfremdet, und wieder und wieder zuckte ihm der Gedanke durch den alten Kopf, daß Gottes Strafgericht dafür das jetzt dem Untergang geweihte Haus betroffen habe.

Der Graf selber freilich brauchte fast keine Bedienung. Er verließ sein Zimmer nur dann und wann, um eine halbe Stunde auf der Terrasse auf und ab zu gehen und frische Luft zu schöpfen, fühlte sich aber so schwach, daß ihn ein Diener dabei unterstützen mußte. Er sprach auch wohl immer vom Reisen und befahl dem Haushofmeister drei-, viermal im Tage, die Koffer zu packen und Alles herzurichten, aber der Ober-Medicinalrath, der Morgens und Abends kam, schüttelte dazu mit dem Kopf.

Der Graf war unmittelbar nach den gehabten Aufregungen viel zu schwach, um jetzt an eine Reise denken zu können. Er mußte sich jedenfalls erst wieder, eine kurze Zeit wenigstens, erholen. In vier oder sechs Wochen ließ sich eher darüber reden. Jetzt brauchte er vor allen Dingen sorgsame Pflege und Ruhe.

Ruhe, Du großer Gott, Ruhe herrschte allerdings in dem Hause, aber die Ruhe des Grabes, und wie schon Jeder die Stätte der Trauer von selber mied, wurden selbst die wenigen Personen, die theilnehmend Trost spenden wollten, abgewiesen.

Auch Graf Rottack war hinaufgefahren, um den Unglücklichen sein inniges Beileid auszusprechen und vielleicht zugleich etwas Näheres über Paula's jetzigen Aufenthalt zu erfahren, um die sich Helene sorgte und abängstigte; aber weder Graf noch Gräfin nahmen einen Besuch an. Sie ließen der Nachfrage danken, fühlten sich aber jetzt zu leidend, um Fremde zu empfangen.

Rottack wandte sich sogar an den Haushofmeister, um von diesem etwas über den gegenwärtigen Aufenthalt der Comtesse zu hören. Lieber Gott, der alte Mann wußte selber nichts darüber und liebte seine Herrschaft viel zu sehr, das von ihr weiter zu erzählen, daß sie mit eigenen Händen die einzige Kunde ihres verlorenen Kindes vernichtet hätten – und ein weiterer Brief war doch nicht eingetroffen.

Graf Rottack mußte unverrichteter Sache wieder nach Haßburg zurückkehren.

Empört war er aber hier, in dem sogenannten Stadtblatt einen ganz gemeinen Artikel über die Verhältnisse des Monford'schen Hauses zu lesen, auf welches Doctor Strohwisch eine specielle Malice zu haben schien. Es ist wahr, der alte Graf hatte ihn früher nicht mit der Hochachtung behandelt, die er glaubte als Vertreter der Presse beanspruchen zu dürfen. Sein erster Besuch im Schlosse war allerdings angenommen, aber nicht einmal durch eine abgegebene Karte erwidert worden, sein zweiter schlug total fehl, und nicht eine einzige Einladung war an ihn, trotz aller »Feste und Gelage«, wie er es nannte, ergangen. Man hatte ihn vollständig ignorirt, und er konnte deshalb eine so günstige Gelegenheit, sich zu rächen, nicht unbenutzt vorüber lassen.

Leider verfehlte er aber dadurch vollkommen den beabsichtigten Zweck, denn die Familie Monford war in Haßburg wirklich beliebt gewesen. Die alten Herrschaften galten allerdings für stolz, aber kein Nothleidender hatte je ihre Thür unbeschenkt verlassen, alle Armen- und Wohlthätigkeits-Anstalten der Stadt waren von ihnen stets auf das Freigebigste bedacht worden, und der junge Graf und die Comtesse durch ihre Liebenswürdigkeit und ihr offenes, freundliches Betragen gegen Jeden, mit dem sie in Berührung kamen, allbeliebt in ganz Haßburg gewesen. Das furchtbare Schicksal der Eltern bei so schwerem Verlust trug dann ebenfalls noch dazu bei, alle Schatten in dem allerdings etwas übermüthigen Charakter der Gräfin selber zu verwischen; was mußte ihr Mutterherz jetzt empfinden. – Desto unangenehmer wurden die Leser fast ohne Ausnahme von der rücksichtslosen Schadenfreude berührt, mit welcher ein Leitartikel des Blattes das Unglück dieses edlen Hauses besprach.

Einen unglücklicheren Moment hätte Strohwisch auch nicht wählen können, wenn ihm wirklich ein Erfolg am Herzen lag, als in derselben Nummer den Versuch zu machen, die Entrüstung des Publikums gegen die Theaterdirection aufzurufen, die an diesem Abend die Keckheit haben wollte, ihnen Herrn Horatius Rebe nochmals als Fiesco aufzuzwingen, dem er ein gänzliches Fiasco prophezeite.

Das Blatt wurde Herrn Rebe unter Kreuzband in's Haus geschickt.

Jeremias hatte es ebenfalls gelesen, aber er ließ sich an dem ganzen Tag nicht bei Pfeffers blicken, sondern lief in einer merkwürdigen und an ihm sehr ungewöhnlichen Aufregung in der Stadt herum. Die Klagesache mit Strohwisch konnte es auch nicht sein, denn die war schon abgemacht und er dieses Mal mit einer nicht unbeträchtlichen Geldstrafe davongekommen. Er tauchte auch oft in abgelegenen Straßen in kleine, ganz unansehnliche Spelunken ein, mit deren Bewohnern er einige Zeit verkehrte, stieg in dem Hause in den dritten, in jenem in den vierten Stock hinauf, und entwickelte überhaupt eine Thätigkeit, wie er sie vielleicht seit seinen Dienstjahren in Brasilien nicht mehr gezeigt hatte.

Um zwölf Uhr suchte er dabei kein Hotel auf, um sich nach der ungewohnten Anstrengung zu restauriren, sondern eine ganz gewöhnliche, noch dazu außer dem Weg gelegene Bierkneipe und Schenkwirthschaft, wo er sich ein Glas Bier und eine Portion Graupen und Rindfleisch, die einzigen Gegenstände, die auf der Speisekarte standen, geben ließ.

Er hatte dort aber noch nicht lange gesessen – und es war dabei augenscheinlich, daß er Jemanden erwartete, denn er sah fortwährend nach der Thür – als Peters, der Theaterdiener, auf der Schwelle erschien, ihm ziemlich vertraut zunickte, seinen alten Hut an einen Nagel hing und sich dann, wie zu einem alten Bekannten, neben ihn setzte.

»Na, das ist gescheidt, Peters, daß Ihr kommt,« sagte Jeremias.

»Werde doch die Fütterung nicht versäumen,« bemerkte dieser, »wo sollte nachher die Kraft und Ausdauer herkommen!«

»Und Alles in Ordnung?«

»Alles; aber ich sage Ihnen, Herr Stelzhammer, ich fühle meine Beine nicht, und habe den letzten Groschen von dem Gelde ausgegeben!«

»Hier ist mehr,« nickte ihm Jeremias zu, indem er ihm eine Zwanziggulden-Note in die Hand drückte, »wenn es die Leute nur vernünftig anfangen, daß es nicht auffällig wird.«

»Na, da können Sie sich ganz auf mich verlassen, aber der Durst...«

»Kellner, zwei Glas Bier!«

»Darin, dächt' ich, hätt' ich einige Übung,« fuhr Peters fort, und wischte sich schon im voraus nach dem Bier den Mund, »Alles mit dem gehörigen Avec und zur rechten Zeit!«

»Und wenn welche pfeifen?«

»Desto besser, die werden hinausgefuhrwerkt. Übrigens habe ich mir noch einen Hauptkerl für derlei Sachen – ein außerordentlich nützliches Mitglied, wie unser Director sagt, hier um zwölf Uhr herbestellt, weil ich ihn nicht zu Hause traf.«

»So? kommt er?«

»Gewiß; es ist eine Art verdorbenes Genie, der Gelegenheitsgedichte und dergleichen macht und eigentlich mit dem »Doctor« befreundet; aber, lieber Gott, er hat immer Durst; Ihr Wohl, Herr Stelzhammer, und ein paar Gulden mehr auf die eine Seite können da schon 'was ausrichten!«

»Sie wissen, Herr Peters, daß es mir auf ein paar Gulden nicht ankommt.«

»Sehr hübsch von Ihnen, Herr Stelzhammer,« bemerkte Peters, »wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«

»Wenn die Sache gut abläuft, soll es Ihr Schade gewiß nicht sein!«

»Was thut man nicht im Interesse der Direction,« bemerkte Peters bescheiden, »und wenn uns der Rebe nur ein klein wenig hilft, und ich bin fest überzeugt, er wird seine Sache gut machen, so – aber da kommt er,« stieß er plötzlich seinen Nachbar heimlich mit dem Ellbogen an. »Das ist der Hauptmatador von Allen – aber jetzt ruhig, daß er nichts merkt. Lassen Sie mich nur machen.«

Der Eintretende war eine ganz auffallende Erscheinung, ein baumstarker Mensch mit blonden Haaren und blauen, etwas verschwommenen Augen. Die Nase dabei ein wenig geröthet, das Gesicht unrasirt, ging er, in einen braunen, sehr abgetragenen Überrock, trotz der warmen Witterung, bis oben hin eingeknöpft, so daß auch nicht die Spur von reiner Wäsche sichtbar wurde. Den Hut hatte er dabei keck und zuversichtlich auf einem Ohr sitzen und in der Hand trug er ein dickes spanisches Rohr.

Wie er in die Thür trat, warf er einen Blick in das noch sehr spärlich besetzte Zimmer, bemerkte Peters, nickte ihm huldvoll zu, hing dann ebenfalls seinen Hut an den Nagel und setzte sich, ohne Jeremias weiter zu beachten, dem Theaterdiener gerade gegenüber.

»Wollen Sie mit essen?« fragte der etwas schmutzig aussehende Kellner ohne viele Umstände, »Graupen und Rindfleisch!«

»Danke – Glas Bier!« war die Antwort. »Nun, Peters, wie geht's? Was treibt Ihr?«

»Haben Sie denn schon gegessen, Herr Walther?« fragte dieser.

»Ich? – hm – nein – speise gewöhnlich später...«

»Na, aber dann zur Gesellschaft. – Heh, Kellner, Couvert für den Herrn!« rief Peters, der sich alle gesellschaftlichen Formen angeeignet hatte. »Die Herren kennen sich wohl noch nicht? Herr Walther, eine literarische Größe; Herr Stelzhammer, ein Kaufmann aus Brasilien!«

»Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte Herr Walther mit einem völlig gleichgültigen Gesicht, indem er verlangend nach dem eben gebrachten Bier hinüber sah, und auch drei Viertel des Glases auf einen Zug leerte. »Was wollten Sie denn, Peters? Sie waren bei mir im Hause. Ich hatte einige Besuche zu machen.«

»Sind Sie schon auf heut Abend engagirt, Herr Walther?« fragte Peters, der weitere Umstände nicht für nöthig hielt.

Herr Walther nickte einfach, während er die für ihn bestellten Speisen in Empfang nahm und trotzdem, daß er sonst später speiste, mit außerordentlichem Erfolg zu bearbeiten begann.

»Alle Wetter,« rief Peters, »das wäre mir aber nicht lieb! Sie selber würden viel dabei versäumen, Herr Walther, denn es liegt uns viel daran, daß die Vorstellung heut Abend eine befriedigende ist!«

»So?« sagte Herr Walther.

»Aber vielleicht ließe es sich doch noch vereinigen.«

»Möchte wohl schwerlich gehen, Peters, – ich werde pfeifen,« sagte der Herr mit einer bodenlosen Ruhe.

Jeremias zuckte zusammen, Peters gab ihm aber unter dem Tisch einen Stoß mit dem Fuß.

»Hm,« meinte er dann, als ob in der Antwort nicht das geringste Außergewöhnliche gelegen hätte, »das ist dann freilich etwas Anderes. Schade, aber wenn's nicht ist, ist es nicht – Sie hätten indeß ein schön Stück Geld verdienen können!«

»Bah,« sagte Herr Walther verächtlich, und kaute das nicht ganz zarte Stück Rindfleisch, »was Ihr schön Stück Geld nennt – frei Entrée und einen halben Gulden Klopfgeld. Die andere Seite ist bequemer, dabei kann ich die Hände in den Taschen behalten.«

»Ja, halben Gulden,« lachte Peters, »da wäret Ihr dieses Mal schön angekommen – mit halben Gulden wird sich nicht befaßt, aber, wie gesagt, wenn's nicht ist, ist es nicht,« und dabei fiel er wieder über das Rindfleisch her.

Herr Walther saß ihnen eine Zeit lang schweigend gegenüber und sein Blick streifte dabei ein paar Mal Jeremias. Daß der mit darunter stak, hatte er im Nu weg, und der Mann sah noch dazu aus, als ob er zahlen könne. Er trank sein Bier aus.

»Kellner, unsere Gläser sind leer!« sagte Jeremias, und Peters nickte bestätigend mit dem Kopf. Der Riese machte eine halbe Verbeugung gegen den kleinen Mann, als Anerkennung seines Verdienstes um das öffentliche Wohl, nahm aber das Gespräch nicht wieder auf und schien die Sache an sich kommen zu lassen. Peters aber sagte auch nichts weiter, eine höchst überflüssige Bemerkung ausgenommen, daß er heute einen entsetzlichen Durst habe, und trank stark dabei.

»Kellner, unsere Gläser sind leer!« rief Jeremias wieder nach einer gar nicht etwa so langen Pause.

»Bitte,« sagte dieses Mal Herr Walther, schob aber doch dem Kellner sein geleertes Glas hin. Die Stille wurde ihm aber unheimlich – mit Essen waren sie fertig. Jeremias nahm seine Cigarrentasche heraus, zündete sich eine Cigarre an und offerirte dieselbe dann dem Gegenübersitzenden und Peters. Beide Herren acceptirten.

»Donnerwetter,« sagte Peters, »das ist 'was Feines – allen Respect!«

»Ausgezeichnet,« bemerkte Herr Walther, und blies den Rauch mit Kennermiene durch die Nase. Sein vis-à-vis stieg augenscheinlich in seiner Achtung; Strohwisch rauchte nichtswürdige Cigarren.

Der kleine Jeremias war aber ein praktischer Geschäftsmann und fühlte, daß jetzt die beiden würdigen Leute viel besser mit einander zu Stande kommen würden, wenn er nicht dabei wäre. Seine Gegenwart störte mehr, als daß sie half. Er stand auf und sagte: »Ach, lieber Herr Peters, Sie entschuldigen mich wohl; ich habe noch in der Nachbarschaft etwas zu thun und hole Sie in einer Viertelstunde wieder ab, berichtigt ist Alles – habe die Ehre« – und dabei drückte er dem Theaterdiener noch einen Zehngulden-Schein in die Hand, aber so, daß Herr Walther Zeuge der Bewegung sein mußte. Dann machte er einen kleinen Spaziergang, und zwar eine volle Viertelstunde. Als er aber wieder in die Schenke zurückkehrte, fand er Peters allein vor, der mit freudestrahlendem Gesicht hinter einem frischen Kruge Bier saß.

»Nun?«

»Alles in Ordnung,« lachte dieser, »Sie alter Menschenkenner Sie – capital gemacht – ausgeßeugnet. Mit Ihnen möchte ich öfter zu thun haben. Donnerwetter, wenn ich da bedenke, wie zäh unser Alter ist!«

»Und er wird nicht pfeifen?« sagte Jeremias.

»Das Unmögliche dürfen wir nicht verlangen,« erwiderte achselzuckend Peters, »aber – er läßt sich 'rausschmeißen, und damit haben wir Alles gewonnen. – Ja, Sie lachen,« fuhr Peters halb beleidigt fort, »aber glauben Sie etwa, daß das eine Kleinigkeit ist? Wenn der Stand halten will, bringen ihn zwölf Menschen nicht hinaus, und zu großen Skandal müssen wir vermeiden, sonst mischt sich doch die Polizei hinein. So aber ist Alles in Ordnung. Pfeifen muß er, das sieht ein Kind ein; er hat das Geld dafür schon genommen, aber er bleibt nahe an der Thür stehen, dann fuhrwerken wir ihn wie der Wind hinaus, und damit ist der ganzen Opposition die Spitze abgebrochen.«

»Und das kostet?«

»Ein Heidengeld – fünfzehn Gulden; er wollte es aber nicht einen Kreuzer billiger thun. Seine Ehre stände auf dem Spiel.«

»Gut,« lachte Jeremias vergnügt; »kommt nicht darauf an, und für die Übrigen stehen Sie?«

»Jetzt habe ich keine Sorge weiter,« rief Peters, »nun muß ich aber fort. Donnerwetter, es ist schon ein Uhr vorbei, und ich kann nur die Beine unter die Arme nehmen!«

»Haben Sie noch etwas getrunken?«

»Nur noch vier Glas – das geht jetzt mit auf die große Rechnung – also adieu, Herr Stelzhammer, bei Pompeji sehen wir uns wieder.« Und mit einer eleganten Verbeugung schoß er aus dem Zimmer. –

»Fiesco oder die Verschwörung zu Genua. Fiesco, Graf von Lavagna – Herr Rebe« stand mit groß gedruckten Buchstaben auf den feuerrothen Zetteln, die überall in der Stadt angeklebt waren und die Augen auf sich lenken mußten.

Zugleich hatte sich aber – wer weiß denn durch wen solche Sachen bekannt werden – das Gerücht verbreitet, Rebe würde heut Abend ausgezischt werden, und wer nicht aus Theilnahme für das Stück und die Darsteller hineinging, suchte sich ein Billet zu verschaffen, um den Skandal mit anzusehen, so daß schon um vier Uhr an der Kasse sämmtliche Plätze vergriffen waren.

Insofern hatte der Director also ganz richtig speculirt. Er bekam ein ausverkauftes Haus, sogar das Orchester mußte geräumt werden, und im Übrigen war er nach keiner Seite hin gebunden; er konnte daß Resultat ruhig mit ansehen.

Rebe selber erfuhr von allen den gegen und für ihn gespielten Intriguen natürlich nichts, denn er hielt sich den ganzen Tag in seinem Zimmer verschlossen, um seine Rolle noch einmal fleißig durchzugehen. Ein paar Mal hörte er Schritte auf der Treppe, und es klopfte bei ihm an, aber er gab keine Antwort; denn nur dem Theaterdiener hatte er ein bestimmtes Anpochen gelehrt, wie er sich bemerklich machen sollte, wenn er vielleicht irgend etwas von der Direction zu bestellen hätte. Aber dieser kam nicht, und allen Anderen blieb die Thür verschlossen.

So kam die Theaterzeit heran, und schon eine Stunde vor Öffnung der Kasse drängte sich das Publikum der Gallerie und des Steh-Parterres vor den verschiedenen Thüren des Eingangs, mit Ungeduld die Erschließung derselben erwartend, und kaum geöffnet, füllten sich die Räume.

Die haute volée kam später, aber sie kam, denn Viele hatten an jenem ersten Abend dem so plötzlichen Auftreten Rebe's nicht beiwohnen können, und man war überhaupt neugierig geworden, wie sich ein junger Künstler, den man bis jetzt gewohnt gewesen als Statisten zu betrachten, entwickeln würde. Außerdem sollte er ja auch des vielbesprochenen Handor Platz einnehmen. Wirkliches Interesse für ihn fühlten nur Wenige. Was kümmerte sie der Schauspieler, sie wollten sich amüsiren, und wenn es im Theater ein wenig Skandal gab, desto besser; welchen trefflichen Unterhaltungsstoff hatte man dann wieder auf morgen! Daß die Existenz eines jungen Talents auf dem Spiel stand – wer dachte daran, oder sorgte sich deshalb?

Wie die Vorstellung aber heranrückte, wurde dem Director doch nicht wohl bei der Sache, denn durch seine Kundschafter hatte er schon lange erfahren, was für den Abend beabsichtigt, und wer dabei betheiligt war. Und wo stak Peters? Ob er des Menschen wohl habhaft werden konnte, der wie ein losgelassener Irrwisch in der Stadt umherschoß! Aber was konnte ihm Peters auch helfen?

»Was will gescheh'n, es mag gescheh'n!«

declamirte er mit Pathos vor sich hin und ging dann in's Theater und auf die Bühne, um zu sehen, ob dort wenigstens Alles in Ordnung und keine Störung zu befürchten wäre.

Den Schauspielern selber hatte die Stimmung im Publikum aber auch nicht verborgen bleiben können, und sie wußten aus eigener Erfahrung, welch böses Zeichen es ist, wenn schon im Voraus bei einem Stück Skandal angekündigt wird. Es giebt immer eine Masse nutzloses Volk, das mehr Freude daran, als an einer guten Aufführung findet, und zuletzt den Skandal, wenn er wirklich nicht ausbrechen sollte, provocirt.

Sie Alle wußten aber nicht, wie des Doctors Strohwisch boshafter Artikel durch den Aufsatz über die Monford'sche Familie völlig paralysirt worden. Der bessere Theil des Publikums, und, Gott sei Dank, bei jedem Publikum die Mehrzahl, war entschieden entrüstet darüber, und dadurch auch fest entschlossen, seinen Beifall nicht zurückzuhalten, wenn ihn der Schauspieler wirklich verdienen sollte. Was sich dann im Parterre vorbereitete, mußte man eben abwarten.

Um sechs Uhr sollte die Vorstellung beginnen. Etwa eine halbe Stunde vorher betrat Jeremias, ziemlich erschöpft von dem heutigen ereignißvollen Tag, Graf Rottack's Wohnung und wurde von dem Diener, der ihn rasch wiedererkannte, sogleich gemeldet.

Graf Rottack war allein im Zimmer, als Jeremias in einer Transpiration, die nichts zu wünschen übrig ließ, dasselbe betrat.

»Nun, Jeremias, wie geht's?« redete ihn der junge Graf freundlich an. »Sie haben sich lange nicht bei uns sehen lassen. Was treiben Sie?«

»Was ich in meinem Leben nicht geglaubt hätte, Herr Graf,« sagte der kleine Mann, sich den ganzen Kopf abtrocknend; »ich werbe Leute an, um im Theater zu applaudiren.«

»Wollen Sie selber auftreten?« lachte Felix. »Dann stelle ich Ihnen meine Hände ebenfalls zur Verfügung.«

»Danke Ihnen,« nickte Jeremias, »ich nehme sie an, wenn auch nicht für mich selber. Aber ich bin Ihnen noch die Erzählung von meinem neulichen Abenteuer schuldig, und wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten, denn lange kann ich selber nicht...«

»Setzen Sie sich, Jeremias – für Sie immer.«

Jeremias ließ sich nicht lange nöthigen und erzählte jetzt dem jungen Grafen mit kurzen Worten zwar, aber immer dabei nur das Hauptsächlichste hervorhebend, seine eigene kleine Familienangelegenheit, zu welcher der Schauspieler Rebe und dessen neulicher Erfolg in engster Beziehung stand; dann die Bosheit jenes Literaten und sein neuliches Begegnen mit demselben, und jetzt dessen rachsüchtige Machinationen, um den ihm verhaßten Menschen zu stürzen, und seine eigene Contremine dagegen.

Rottack, welcher der Erzählung mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gelauscht, denn Handor's Flucht stand ja in der genauesten Beziehung dazu, seufzte tief auf.

»Wie wunderbar das in der Welt ist,« sagte er, »daß Eines Glück des Andern Elend birgt! Während durch jenes Menschen Flucht Ihr junger Freund Lorbeern erntet und sich eine Existenz erringt, geht auf der andern Seite darüber ein altes edles Haus zu Trümmern.«

»Ja, Du lieber Gott,« sagte Jeremias achselzuckend, »wie manches edle Haus wird auch mit dem Untergang vieler armen Familien aufgebaut! Wer kann's ändern? Der Himmel helfe dem nur, den's trifft; wir Anderen schwimmen indessen sachte weiter. Aber, Herr Graf, was ich Sie fragen wollte: gehen Sie heut Abend in's Theater?«

»Ich hatte nicht die Absicht, Jeremias. Meine arme Helene fühlt sich noch recht angegriffen, und ich selber bin, aufrichtig gestanden, gerade nicht in der Stimmung, Komödie zu sehen.«

»Sollte mir sehr leid thun,« sagte Jeremias, »ich hatte fest auf Sie gerechnet.«

»Auf mich?«

»Ja, und Ihnen auch schon ein Billet besorgt für den ersten Rang.«

»Für mich?« lachte Felix. »Aber, bester Jeremias, wenn ich das Theater besuchen wollte, würde ich mir doch das selber besorgen.«

»Kriegen aber keins mehr,« rief Jeremias, »das ist ja gerade die Geschichte, nicht um eine Million; Alles ausverkauft bis in die Puppen hinauf.«

»So voll wird es?«

»Na, da kommen Sie schön an; die eine Hälfte von Haßburg sitzt drin und die andere steht vor der Thür.«

»In der That? Und hat Ihr Rebe wirklich brav gespielt?«

»Das nicht allein, er ist auch ein ehrlicher, anständiger Kerl, der sich auf so gemeine Kniffe nicht einläßt, und da...«

»Haben Sie ihm das besorgt,« lächelte Felix.

»'s ist beinahe so 'was; aber thun Sie mir den Gefallen und gehen Sie, 's ist wahrhaftig ein gutes Werk!«

»Und ich soll auch applaudiren?«

»Was Sie können; ziehen Sie nur keine Glacéhandschuhe an, es flappt besser.«

»Das ist nicht übel,« lachte Rottack gerade heraus; »da werben Sie mich also mit einem Freibillet zum Claqueur?«

»Nennen Sie's, wie Sie wollen, aber hauen Sie nur tüchtig ein,« rief der kleine unverwüstliche Bursche; »ich wirke unten.«

Graf Rottack schüttelte den Kopf. »Gut, Jeremias,« sagte er endlich, »ich will gehen.«

»Bravo! Der erste Rang ist die Hauptsache.«

»Aber ich habe eine Bedingung zu stellen.«

»Stellen Sie.«

»Sie sind mit vielen Leuten des Theaters bekannt?«

Jeremias nickte.

»Schön, so bitte ich Sie, genaue Nachforschungen zu halten, ob jener Handor nicht wieder irgendwo aufgetaucht und wo er dann zu finden ist.«

»Der ist Ihnen wohl auch noch schuldig?« rief Jeremias. »Ja, der hat Gott und die Welt angepumpt.«

»Das nicht,« lächelte Graf Rottack; »aber mir liegt sehr viel daran, seinen jetzigen Aufenthaltsort zu erfahren, und ich würde Ihnen unendlich dankbar sein, wenn Sie mir Auskunft darüber brächten.«

»Ja, was an mir liegt, mein lieber Herr Graf, da können Sie sich fest darauf verlassen. Ich habe freilich noch nicht viel Bekannte, aber Pfeffer kennt die ganze Theaterwelt von A bis Z, und was der Eine da nicht weiß, weiß der Andere. Irgendwo muß er ja doch wieder zum Vorschein kommen.«

»Also verlasse ich mich auf Sie.«

»Das können Sie, und wenn – Hurrjeh, da schlägt's Sechs – machen Sie, daß Sie hinüberkommen!« Und wie der Blitz war er zur Thür hinaus.

Er hatte sich auch in der That nicht verhört; die Schloßuhr schlug gerade noch, als er vor die Thür trat, und er lief jetzt mehr, als er ging, dem Theater zu, um sich, dort angekommen, zu seinem Sperrsitz durchzuarbeiten.

Das Orchester beendete eben sein Vorspiel, und Jeremias hatte gerade noch Zeit, einen Blick im Theater selber umher zu werfen, wo Kopf an Kopf dicht gedrängt saß, als der Vorhang aufging.

Fräulein Rottenhöfer als Leonore trat auf; aber sie spielte heut Abend befangen, und kein Wunder, denn überall im Theater hatte sich schon das Gerücht eines beabsichtigten Tumults kund gegeben, und die Schauspieler selber konnten unmöglich unter diesem Eindruck ihre Ruhe bewahren.

Pfeffer, heute übrigens nicht beschäftigt, ging in Todesangst hinter der Scene auf und ab und allen Menschen scheu aus dem Wege, und der Director selber hatte sich in seine kleine, völlig versteckte Loge geflüchtet, von wo er Alles übersehen und doch selber nicht gesehen werden konnte.

Jetzt kam die vierte Scene mit Julia und Fiesco, und im Parterre lachte Jemand laut; aber Alles sah ihn an, es war zu früh und wurde Ruhe geboten.

Rebe übertraf sich selber; mit voller Ruhe und edlem Anstand und zuletzt mit glühender, hinreißender Leidenschaft spielte er die Scene durch. Seine ganze Persönlichkeit paßte dabei vortrefflich zu dem Grafen Lavagna; ein reiches, geschmackvolles Costüm hob sie noch mehr hervor, und die Damen waren entzückt von ihm.

Im Parterre wurde jetzt hier und da leise mit einander geflüstert, aber da bei seinem Abgang kein Zeichen des Beifalls gegeben wurde, unterblieb auch jede Gegendemonstration.

Jeremias hatte indessen immer vom Parket aus nach dem ihm bekannten Platz im ersten Rang hinaufgesehen, ob Graf Rottack noch nicht erschienen wäre.

Jetzt trat Fiesco wieder auf, und in der nächsten Scene mit den drei schwarzen Masken erschien auch Graf Rottack und nahm seinen Platz ein. Auch diese Scene ging vorüber und die mit Bourgognino, und jetzt kam die Hauptscene mit dem Mohren, den Höfken ganz vortrefflich gab. Aber auch hier regte sich noch nichts. Es war ordentlich, als ob Alle, die Rebe's Spiel befriedigte, gefürchtet hätten, durch irgend ein Beifallszeichen den angedrohten Tumult hervorzurufen, und die Gegenpartei schien strenge Ordre zu haben, nicht zu beginnen, weil sie sich dadurch leicht in Nachtheil setzen konnte.

Der Vorhang fiel, Todtenstille herrschte im Hause, bis sich dieselbe in ein lautes Flüstern auflöste. Jeremias war aufgestanden und hatte sich umgedreht. Sein Blick fiel auf ein rothes, dickes Gesicht mit blonden Haaren, das ihm lächelnd zunickte, – das war richtig Herr Walther. Er stand nicht weit von der Thür, und wie er weiter suchte, erkannte er auch mitten im Parket, aber auf einer der letzten Bänke desselben, den Doctor Strohwisch, der ihn hämisch und wie triumphirend belorgnettirte. Jeremias lief die Galle über. War der Bursche seines Sieges so gewiß?

Aber der Vorhang ging wieder auf, und jetzt ließ sich die für Alle unerträglich werdende Aufregung nicht länger zurückhalten.

Schon in Fiesco's erstem Auftreten mit dem Mohren sprach Rebe die Worte: »Von einem Schurken das anzuhören!« so ganz vortrefflich, daß im ersten Range Einige applaudirten, unter ihnen Rottack; im Parterre wurde darauf an zwei, drei Orten gezischt, aber das konnte auch Ruhe bedeuten. Damit aber hatte der Kampf begonnen, denn die vorhin ihren Beifall gezeigt, ärgerten sich jetzt, daß sie Jemand daran verhindern wollte.

Das Flüstern steigerte sich während der folgenden Scenen, die Rebe ganz vortrefflich gab, wozu Director Krüger hinter seinem Gitter fortwährend beifällig mit dem Kopf nickte; und als er sich vom Mohren den Arm ritzen ließ und mit dem Ausruf: »Mörder! Mörder! Besetzt die Wege, – riegelt die Pforten zu!« abstürzte, kam es zum Ausbruch.

Jetzt wurde nicht allein vom Parterre aus, sondern auch vom ersten und zweiten Range lebhaft applaudirt, während an den verschiedensten Stellen das Zischen die Bravos zu übertäuben suchte.

Leonore und Rosa traten rasch auf, konnten aber nicht zu Worte kommen und zogen sich bestürzt zurück. Darüber wurde gelacht, und jetzt ertönte der erste Pfiff, mit dem Herr Walther selber das Zeichen gab und der an verschiedenen Seiten ein Echo fand.

»Da haben wir's,« stöhnte Krüger und sank in seinen Stuhl zurück; »oh, dieser Strohwisch!«

Aber die Opposition war stärker, als die Pfeifer vermuthet hatten. Im Parterre wurde eine Bewegung bemerkbar, und nach verschiedenen Richtungen hin drängten sich Menschen, während Parket und erster Rang plötzlich fest entschlossen schienen, ihren mit Recht gespendeten Beifall nicht übertäuben zu lassen.

»Rebe heraus!« tönte es auf einmal an verschiedenen Stellen, und ein gellendes Pfeifen antwortete, – das war Strohwisch selber.

»Hinaus mit dem Lump!« rief Jeremias, der sich nicht mehr mäßigen, aber auch nicht von seinem Platz konnte, wo er eingekeilt saß. Wieder pfiff es rechts und links. Aber »Hinaus, hinaus mit den Kerlen! Rebe heraus! Bravo, bravo!« tobte es jetzt von allen Seiten, und Herr Walther, der in voller Gemüthsruhe unter einer Parketloge lehnte und laut vor sich hin pfiff, als ob er sich ganz allein in einer einsamen Gegend befände, sah sich plötzlich von zu ihm andrängenden Leuten gefaßt und fortgeschoben.

»Na, holla,« rief er, »was ist das? Ich habe meinen Platz bezahlt!« Aber er leistete dabei nur geringen Widerstand, und Strohwisch, der aufgesprungen war, beobachtete in ziemlicher Spannung die Entfernung seiner Hauptstütze.

»Rebe heraus!« schrie es jetzt wieder von verschiedenen Seiten, und ein schallender Applaus folgte.

Wieder Zischen und Pfeifen, aber schon bedeutend in der Minorität und nur vereinzelt. »Rebe heraus!« schrie das Publikum, und links und rechts wurden indessen einige räthselhafte Individuen aus dem Parterre hinausgeworfen. »Rebe heraus!«

Krüger war auf die Bühne gesprungen. Rebe weigerte sich, hinaus zu gehen, aber auf des Directors Bitten und Beschwörungen gab er endlich nach und trat hinaus.

Stürmischer Applaus und ein einzelner gellender Pfiff dazwischen, den der von Verzweiflung getriebene Recensent als letzten Versuch selber ausgestoßen. Jetzt aber war die Geduld des Publikums auch erschöpft.

»Hinaus mit ihm!« schrieen die ihm Nächsten, während das übrige Publikum nur so viel stärker applaudirte. Strohwisch wollte sich wehren – umsonst; er klammerte sich an die Parketlehne – umsonst. Kräftige Arme hatten ihn gefaßt, und während Rebe unter rauschendem Applaus abging, beförderte das Parterre mit einer merkwürdigen Geschwindigkeit und unter dem noch fortwährend lebhaften Applaudiren des ersten Ranges und dem Jubelgeschrei der Gallerie den unglücklichen Recensenten vor die Thür.

Jetzt hatte Rebe gesiegt. In der Scene mit dem Maler und nachher mit den Verschworenen wurde er rauschend applaudirt, ohne daß die Opposition auch nur einen Gegenlaut gewagt, nach dem Acte wie nach allen übrigen Acten stürmisch, und zum Schlusse sogar, etwas Unerhörtes für Haßburg, dreimal hervorgerufen.

Krüger umarmte ihn auf der Bühne vor allen übrigen Mitgliedern und bat sich seinen Besuch auf morgen früh aus, und das Publikum ging mit dem beruhigenden Gefühl nach Hause, seinen Willen durchgesetzt und sich vortrefflich amüsirt zu haben.

Daß Rebe ein ausgezeichneter Schauspieler sei, darüber war von dem Augenblick an nur Eine Stimme in Haßburg, und sein Triumph wurde vollkommen, als am nächsten Morgen die Nachricht die Stadt durchlief, daß der Eigenthümer des Stadtblattes Herrn Doctor Strohwisch die Redaction des Feuilletons gekündigt habe.

Der boshafte Aufsatz über die Monford'sche Familie hatte ihm den Hals gebrochen.

29.
Der Maulwurfsfänger.

In der Stadt Leben und Bewegung, lärmende Vergnügungen und fröhliches Schaffen und Drängen – draußen auf dem Monford'schen Stammsitz dumpfe Schwüle und Grabesruhe.

Ja, die Sonne schien noch so warm und golden auf die schattigen Waldungen und den sorgfältig gehaltenen Rasen nieder, die Blumen blühten und dufteten wie vordem, der kleine Bergstrom rieselte rasch vorbei und rauschte und plauderte, und die Nachtigallen sangen Abends ihr wunderbar ergreifend Lied; aber still und geräuschlos glitten die Diener in dem alten Schlosse umher, öffneten und schlossen die Thüren leise und vorsichtig und sprachen nur flüsternd mit einander.

Der alte Graf hatte sich bis jetzt noch einigermaßen wohl gefühlt, wenigstens jeden Tag seinen kurzen Spaziergang gemacht. Gestern Abend aber, noch in später Stunde, war er plötzlich wieder, gerade als ihm der Haushofmeister seinen Thee in's Zimmer brachte, vom Stuhle gefallen und lag jetzt in dumpfem Hinbrüten in seinem Bette.

Der Ober-Medicinalrath war noch in der Nacht von Haßburg herausgeholt worden und saß an dem Lager des Kranken. Das war keine Ohnmacht mehr gewesen; der Tod hatte deutlich an des Lebens Pforte geklopft, und der alte Arzt fühlte wieder und wieder den Puls des Kranken, stand dann auf, ging in dem Zimmer auf und ab und setzte sich wieder am Bett nieder.

Die Gräfin kam nur selten in das Zimmer des Kranken, der allerdings nicht bewußtlos, aber vollkommen theilnahmlos auf seinem Bette lag. Er beantwortete auch keine der an ihn gerichteten Fragen, sah wohl nach der Thür, wenn sich diese öffnete, starrte dann aber wieder halbe Stunden lang zur Decke empor.

Des Ober-Medicinalraths Famulus war indessen von der Gärtnerwohnuug herüber gekommen, um Bericht abzustatten und den Arzt zu bitten, sich den Verwundeten dort oben selber einmal anzusehen. Es ging sehr schlecht mit ihm, und er fürchtete, da eine Amputation an der Stelle unmöglich war, das Schlimmste. Die Wunde nahm ungewöhnlich rasch einen bösartigen Charakter an, da sich der Verwundete noch außerdem in heimlicher Weise Branntwein verschafft und unmäßig davon getrunken hatte.

Der Ober-Medicinalrath schüttelte ungeduldig mit dem Kopf, versprach aber im Laufe des Morgens hinüber zu kommen, und fragte, ob sich der Geschossene nicht transportiren ließe.

Es war ganz unmöglich; bei der geringsten Bewegung schrie er laut auf.

Der alte Maulwurfsfänger befand sich wirklich in einer bösen Lage und hatte die ganze Nacht ein heftiges Fieber gehabt. Erst mit der Morgendämmerung ließ das etwas nach, und er fiel dann in einen unruhigen Schlaf, aus dem er manchmal mit einem Schrei emporschreckte. Gegen zehn Uhr wachte er auf und aß etwas Wassersuppe, aber er fühlte sich todesmatt. Als ihm der junge Arzt nachher die Wunde verband, betrachtete er sie selber auch kopfschüttelnd und sagte dann, indem er ihn fest ansah:

»Hören Sie 'mal, Herr Doctor, die Ränder gefallen mir nicht; ich habe in meinem Leben schon zu viel Derartiges gesehen. Das kommt mir beinahe vor wie der Brand – hm?«

»So weit ist's noch nicht,« beruhigte ihn Frank, »aber wenn Ihr noch einen Tropfen Branntwein trinkt, steh' ich Euch für nichts.«

»Ja, jetzt hat's der Branntwein gethan,« nickte der Alte vor sich hin. »Daß Ihr Doctoren doch immer genau wißt, woher es kommt, aber nie, wohin es geht! Ich merke schon, wie die Geschichte ist, faul, überfaul, und...« Er biß vor Schmerz die Zähne aufeinander und fiel, während der Arzt die geöffnete Wunde wieder verband, auf sein Kissen zurück.

So lag er wohl eine halbe Stunde. Der Arzt war fortgegangen, und die alte Wärterin, die ihn pflegen mußte, da man dem Kind im Hause das nicht Alles überlassen konnte, war hinunter in die Küche gestiegen, um sich ihr Mittagessen zu bereiten. In der Zeit mußte dann immer des alten Jonas Enkelin bei ihm sitzen, um die Wärterin rufen zu können, wenn er etwas verlangte, oder ihm selber vielleicht eine kleine Handreichung zu thun.

Der Verwundete hatte eine Weile still gelegen Und auf seine Decke niedergestarrt. Endlich sagte er leise:

»Bärbel!«

»Ja, Herr Fritz,« antwortete die Kleine, welche am Fenster stand und auf die grünen Büsche hinausschaute, »wollt Ihr Wasser? Ich habe frisches mit heraufgebracht.«

»Nein, Kind, jetzt nicht,« antwortete der alte Maulwurfsfänger; »aber willst Du mir einen recht großen Dienst erweisen?«

»Ich darf Euch keinen Branntwein wieder bringen,« sagte die Kleine erschreckt; »der Herr Doctor hat so mit mir gezankt.«

»Das sollst Du auch nicht, Kind,« lautete die matte Antwort; »den letzten in diesem Leben werde ich wohl getrunken haben. Hast Du mir nicht gesagt, daß Du jeden Tag zur Frau Gräfin hinaufgehst und ihr Blumen bringst?«

»Ja, Herr Fritz, wenn die alte Rosie wieder zu Euch heraufkommt, gehe ich gleich. Großvater hat sie schon abgepflückt – immer Mittags.«

»Und siehst Du die Gräfin selber?«

»Ja, jedesmal; ich gehe immer gleich zu ihr in's Zimmer – ich darf.«

»Willst Du mir einen Gefallen thun?«

»Recht gern, wenn ich kann.«

Der alte Maulwurfsfänger schwieg, zog aber von dem kleinen Finger der linken Hand einen schmalen Goldreif mit einem kleinen grünen Stein herunter. Vor acht Tagen noch war der Ring in's Fleisch gewachsen gewesen, daß man ihn fast gar nicht mehr sehen konnte; jetzt fiel er fast von selber ab.

»Willst Du mir auch versprechen, Bärbele, daß Du keinem Menschen etwas von dem, was ich Dir jetzt sage, erzählst?«

»Es ist doch nichts Böses?« fragte das Kind erschreckt.

»Nein, Bärbele, nichts Böses, im Gegentheil, vielleicht macht es mich wieder gesund. Aber höre, Kind; den Ring hier – verlier ihn mir ja nicht – den Ring nimmst Du mit hinauf zur Frau Gräfin, und wenn Du ihr die Blumen bringst, gieb ihr den Ring und sag' ihr, hier bei Euch im Hause liege Jemand krank und wünschte sie noch einmal zu sprechen.«

»Aber die Frau Gräfin soll doch nicht zu Euch herüberkommen?« sagte das Kind bestürzt; »das thut sie gewiß nicht.«

»Gieb ihr nur den Ring, Herz,« bat der Maulwurfsfänger, »und richte aus, was ich Dir gesagt habe, weiter nichts. Willst Du das thun?«

»Gewiß; das ist nichts Böses.«

»Und Du sprichst mit keinem Menschen darüber?«

»Ich will's Keinem sagen, ich verspreche es Euch, und was man verspricht, muß man halten, meinte die Mutter selig immer.«

»Ich danke Dir, Bärbel; ich werd's Dir auch gedenken. Geh jetzt mit Deinen Blumen, je früher Du hinauf auf's Schloß kommst, desto besser; denn – wer weiß, wie lange es noch mit mir dauert.«

»Aber ich kann doch jetzt nicht fort, bis die Rosie wieder heraufkommt.«

»Geh nur, Kind, ich brauche jetzt nichts; ich schlafe so lange, und da ist's besser, wenn ich Ruhe habe.«

Die Kleine zögerte einen Augenblick. Es war ihr nicht recht, daß sie ihre Pflicht versäumen solle – aber der Kranke bat sie so sehr.

»Ich will der Rosie sagen, daß sie dann und wann einmal heraufguckt, und der Großvater muß auch gleich heimkommen,« nickte sie, band den Ring dann in ihr kleines Taschentuch, daß sie ihn ja nicht verlor, und stieg die Treppe hinab, um den Auftrag auszuführen. –

In ihrem Zimmer am offenen Fenster stand die Gräfin Monford in Trauer gekleidet und sah gedankenvoll auf das freundliche Landschaftsbild hinaus, das sich, jetzt freilich unbeachtet, unbewundert, vor ihr entfaltete. Aber wie auch ihr Herz gebrochen sein mochte, ihr Stolz war es nicht, ja, es schien weit eher, als ob er sich durch die furchtbaren Verluste, die sie erlitten, noch mehr gehärtet, noch unzugänglicher diese Brust einem wärmeren Gefühl gemacht habe.

Während ihres Gatten Krankheit waren noch zwei Briefe an diesen eingelaufen, und zwar von Handor selber an den Grafen adressirt, doch ohne nur einen Aufenthaltsort anzugeben, und so frech und unverschämt nur Geld, große Summen für sich fordernd, ja, sogar mit Drohungen im Falle der Weigerung gefüllt, daß die Gräfin sie im auflodernden Zorn zerstörte. Und dieses Menschen wegen hatte die eigene Tochter ihre Eltern verlassen!

Kein Schmerz lag auch jetzt in den Zügen der finstern Frau; das war Trotz allein, starrer, unbeugsamer Trotz dem Schicksal gegenüber, und während ihr thränenloses Auge unter den zusammengezogenen Brauen hervorblitzte, ballte sich unwillkürlich die weiße, mit Ringen bedeckte Hand, als ob sie einem Feind begegne – und doch stand ihr kein Feind gegenüber; nur in der eigenen Brust wohnte er, und klopfte und bohrte und mußte gewaltsam niedergehalten werden.

Über den Gartenplatz kam die kleine Bärbel mit ihren Blumen, sah die Gräfin am Fenster stehen und machte ihren Knix. Aber die Gräfin bemerkte sie gar nicht, wenn auch ihr Blick sie streifte, bis das Kind endlich, das von der Dienerschaft immer unbelästigt hinaufgelassen wurde, draußen schüchtern anklopfte.

Niemand antwortete; Bärbel klopfte noch einmal, und da noch immer keine Antwort erfolgte, öffnete sie die Thür. Es war schon oft vorgekommen, daß sich die Frau Gräfin nicht in ihrem Zimmer befand; dann ging sie doch hinein und legte ihr die Blumen auf den Tisch. Heut aber mußte sie ja drin sein, Bärbel hatte sie selber am Fenster gesehen. Wie sich die Thür öffnete, drehte sich die Gräfin um und erblickte das Kind; Bärbel war ihr Pathchen, und sie hatte die Kleine immer gern gehabt.

»Grüß Gott, Frau Gräfin!« sagte das Kind mit einem tiefen Knix, indem sie ihr den Strauß entgegenhielt; »hier bring' ich die Blumen.«

»Ich danke Dir, Bärbel; leg' sie nur auf den Tisch, ich werde sie selber in die Vase stellen.«

Die Kleine gehorchte und blieb dann zögernd stehen.

»Willst Du noch etwas, Bärbel?«

Bärbel drehte das Tuch verlegen in der Hand herum und knüpfte dann den Ring heraus. »Ja, Frau Gräfin,« flüsterte sie; »bei uns liegt der arme Mensch krank, der Maulwurfsfänger...«

»Ja, ich weiß, er ist vom Förster geschossen.«

»Ja, sehr, und da – da hat er mich heute gebeten...«

»Nun, um was, Bärbel? Braucht er etwas?«

»Nein, Frau Gräfin,« sagte die Kleine ängstlich, denn es kam ihr jetzt gar so entsetzlich vor, daß sie bestellen sollte, der alte, schmutzige Maulwurfsfänger wolle die Frau Gräfin sprechen; »nein, er hat Alles und die alte Rosie pflegt ihn.«

»Und was will er sonst? Was hast Du da, Bärbel?«

»Den Ring hat er mir gegeben,« sagte das Kind, jetzt gewaltsam Muth fassend, denn es hatte ja versprochen den Auftrag auszurichten; »ich – ich sollte ihn Euch bringen, Frau Gräfin.«

»Mir?« rief die Gräfin erstaunt. »Von wem?«

»Von dem alten Fritz, und er möchte – er meinte, er – er wäre recht krank – und er möchte die Frau Gräfin gern sprechen.« Das Kind seufzte recht aus voller Brust auf – jetzt war's heraus.

Die Gräfin schüttelte noch immer erstaunt mit dem Kopf; es mußte da jedenfalls ein Irrthum obwalten, und die Kleine hatte irgend einen Auftrag verkehrt ausgerichtet. »Und zu mir solltest Du den Ring bringen?«

»Ja, zu Euch, Frau Gräfin, und ihn Euch selber in die Hand geben.«

Die Gräfin streckte den Arm aus, und das Kind reichte ihr den kleinen Goldreif, den sie mit zwei Fingern nahm und gleichgültig einen Moment betrachtete; aber plötzlich wurde ihr Blick stier und haftete wie entsetzt auf dem einfachen Schmuck.

»Wer gab Dir den Ring, Bärbel?« fragte sie und faßte des Kindes Schulter. »Wer? Wo kommt er her?«

»Ach, Frau Gräfin, ich kann ja nichts dafür!« bat die erschreckte Kleine; »der kranke Mann gab ihn mir.«

»Der Geschossene?«

»Ja, Frau Gräfin.«

»Und wie heißt er?«

»Ja, das weiß ich nicht,« sagte Bärbel, immer schüchterner werdend; »Fritz heißt er, den alten Fritz nennen sie ihn im Dorfe.«

»Wo hat er den Ring her?« fragte die Gräfin, aber mehr mit sich selber, als mit dem Kinde sprechend.

»Ja, das kann ich Euch auch nicht sagen,« rief die Kleine, immer ängstlicher werdend. »Er wird ihn doch nicht gestohlen haben? Ich sollte keinem Menschen etwas davon erzählen; aber ich kann ja wahrhaftig nichts dafür!«

»Nein, Bärbel, beruhige Dich,« sagte die Gräfin, sich gewaltsam fassend, »ich weiß, Du kannst nichts dafür; Du bist ein gutes Kind und hast nur Deinen Auftrag ausgerichtet. Also ist der Mann wirklich so krank und kann nicht ausgehen?«

»Ach Du lieber Gott,« sagte die Kleine, »nicht einmal tragen können sie ihn; sehr krank ist er. Aber er wird den Ring doch nicht gestohlen haben?«

»Nein, Kind, ich glaube nicht; ich – ich werde ihn selber darum fragen – vielleicht hat er ihn gefunden.«

»Und er gehört Euch?«

»Ja, Bärbel. Aber nun geh wieder nach Hause. Sag' ihm, wenn ich heute spazieren ginge, würde ich bei Euch einmal vorkommen und, wenn er so sehr krank ist, sehen, ob sich etwas für ihn thun läßt.«

Bärbel knixte. Es war fast, als ob sie noch etwas sagen wollte; aber sie brachte nichts mehr heraus und schien auch froh, wieder fort zu kommen, denn die Sache mit dem Ring ging ihr doch noch immer im kleinen Kopf herum.

In einer merkwürdigen Unruhe aber verließ sie die Gräfin, denn kaum hatte sie die Thür hinter sich zugezogen, als sich diese in einen Fauteuil warf und, ihr Antlitz mit den Händen deckend, eine lange Weile regungslos sitzen blieb; dann sprang sie auf und betrachtete wieder den Ring – war es, daß ein Zweifel in ihr aufstieg, ob es der rechte sei? Sie hielt ihn gegen das Licht und prüfte ihn genau, und ging dann, während sie ihn an ihren Finger schob, mit unruhigen Schritten in dem Gemach auf und ab. Plötzlich, wie zu einem Entschluß gekommen, blieb sie am Tisch stehen und klingelte.

»Der Haushofmeister soll hereinkommen.«

Der Diener schloß die Thür wieder, und nach einer Weile kam der alte Mann und fragte, was die Gräfin befehle.

»Hußmann,« sagte die Frau, welche indessen ihre ganze eiserne Ruhe wiedergewonnen hatte, »was für ein Mensch ist das eigentlich, den in jener Nacht der Förster geschossen hat? Wo kommt er her und wie lange ist er schon da?«

»Ja, Frau Gräfin,« sagte der alte Mann achselzuckend, »viel Genaues bin ich auch nicht im Stande, Ihnen darüber zu sagen. Ich weiß nicht einmal seinen vollen Namen, denn hier auf dem Schlosse wurde er nur immer Fritz oder, wie ihn die Leute nannten, der alte Fritz, geheißen, der sich, wie alle derartigen Subjecte, im Lande herumtreibt und dort eine Zeit lang bleibt, wo er Beschäftigung findet.«

»Und wie lange ist er hier?«

»Es mögen jetzt drei oder vier Jahre sein, daß er in die Gegend kam, ich weiß es wirklich selber nicht einmal mehr genau; es war das Jahr, wo die Maulwürfe so überhand genommen hatten, und in deren Vertilgung zeigte er sich außerordentlich geschickt. Nachher war er einmal wieder von Zeit zu Zeit fünf bis sechs Monate verschwunden, dann kam er wieder. Jetzt mag er auf's Neue seit etwa zwei Monaten in der Gegend sein, und der Förster hatte ihn schon lange in Verdacht, daß er nicht blos den Maulwürfen und anderem Ungeziefer nachstellte; er war aber zu schlau, als daß er ihn erwischen konnte, und nur in – in jener Nacht mochte er sich vielleicht sicherer fühlen als sonst, und hatte wohl nicht geglaubt, daß der Förster auf seinem Posten wäre.«

»Und hat er sich zu Zeiten im Schlosse selber gezeigt?«

»Nie, Frau Gräfin. Es ist eigentlich ein sonderbarer Kauz; mit den Bedienten hat er nie verkehrt, und die haben ihn auch deshalb immer verspottet, daß er stolz wäre. Es scheint ein heruntergekommenes Subject, das vielleicht einmal bessere Tage gesehen hat. In der letzten Zeit fing er aber auch an, sich dem Trunk zu ergeben, und das muß ihn jetzt besonders so krank gemacht haben. Ich fragte vorhin den Doctor; er wird's nicht lange mehr machen. Der Brand ist zu der Wunde gekommen, und da sich das Bein nicht amputiren läßt, wird er wohl seinen letzten Jagdfrevel verübt haben. Mir thut's leid um den Förster, der kommt dadurch gewiß in Ungelegenheit, und hat sich doch nur seines eigenen Lebens gewehrt. Außerdem macht er sich ein Gewissen daraus den armen Menschen so schwer getroffen zu haben.«

Die Gräfin stand am Fenster und sah gedankenvoll hinaus. Der Haushofmeister blieb an der Thür. Sie hatte ganz vergessen, daß er im Zimmer war. Nach einer Weile fragte er endlich: »Befehlen Sie sonst noch etwas, Frau Gräfin?«

»Ich? – Nein – ja so – es ist gut, Hußmann; ich danke Euch!« Und der alte Diener verließ geräuschlos das Gemach.

Oben im kleinen Gärtnerhäuschen ging es mit dem Kranken recht schlecht. Der Ober-Medicinalrath war dort gewesen, hatte sich die Wunde angesehen und Alles, was bis jetzt dafür geschehen war, gutgeheißen. Aber es stellte sich schon wieder ein Fieber ein. Der Verwundete schien von einer merkwürdigen Unruhe erfaßt zu sein und klagte auch über Schmerzen im Körper, über ein krampfhaftes Gefühl in der Herzgegend. Der Ober-Medicinalrath verordnete Ruhe und Eisumschläge und als einzige Nahrung eine dünne Wassersuppe; dann nahm er Hut und Stock und verließ den Patienten.

Bärbel war zurückgekommen und zum Kranken hinauf gegangen; aber die alte Rosie saß noch im Zimmer, und sie wußte nicht, ob sie in deren Gegenwart etwas von dem Ring und der Frau Gräfin erwähnen durfte. Aber der Kranke kam ihr zu Hülfe.

»Rosie,« sagte er, »gebt mir doch einen Trunk frisches Wasser. Nein, nicht von dem,« fuhr er fort, als die Alte ihm aus dem Kruge einschenken wollte, »das steht schon so lange im Zimmer; bitte, holt mir frisches, gleich vom Brunnen.«

»Geh, spring einmal hinunter, Bärbel, und hol' frisch Wasser,« sagte die Alte; »Du hast junge Beine.«

»Nein, geht Ihr nur selber; die Bärbel soll mir indessen das Eis wieder auflegen, sie versteht's so gut.«

»Na, ich dächte, ich hätt's auch immer geschickt gemacht.«

»Ja, Rosie; aber bitte, laßt's jetzt einmal die Bärbel thun!«

»Na, meinetwegen; mir kann's recht sein.«

Die alte Person war ein wenig in ihrer Ehre gekränkt, aber sie nahm den Krug auf und humpelte damit, immer vor sich hin murmelnd, die Treppe hinab.

»Nun, Bärbel, hast Du's ausgerichtet?«

»Ja; ich hab's Euch ja versprochen.«

»Gutes Kind; und ihr selber gegeben?«

»Ja.«

»Und was sagte sie?«

»Sie wunderte sich, wie Ihr zu dem Ringe kämt. Habt Ihr ihn gefunden, Maulwurfsfänger?«

»Ja, Kind, ich hab' ihn gefunden im Park draußen. Und wird sie kommen? Sagte sie es Dir?«

»Sie will vorkommen, wenn sie spazieren geht, und sehen, ob es Euch an 'was fehlt.«

Der Kranke athmete tief auf.

»Bärbel!«

»Ja, wollt Ihr 'was?«

»Da unten an dem Bettpfosten hängt meine Weste; geh einmal hin, Kind.«

»Wollt Ihr sie haben?«

»Nein; in der linken Tasche steckt ein blanker Thaler. Hast Du ihn gefunden?«

»Ja, da ist er.«

»Behalt ihn, Bärbel, den sollst Du haben.«

»Den ganzen Thaler?«

»Thu' ihn in Deine Sparbüchse, Kind.«

»Aber darf ich denn das viele Geld behalten? Großvater zankt gewiß.«

»Behalt es mir zum Andenken, ich kann Dir ja doch sonst nichts geben, und Du hast mich so oft gepflegt.«

»Aber das muß ich dem Großvater sagen, heimlich darf ich ihn nicht behalten.«

»Sag's nur dem Großvater, Kind, er wird Dir's erlauben. So, und nun leg' mir das Eis auf; die Rosie wird gleich wiederkommen. Oh Gott, wie das feuert und klopft! Du wirst's nicht mehr oft zu thun brauchen, Bärbel.«

Es war fast, als ob das viele Sprechen oder auch vielleicht die gerade von dem Arzte verbotene Aufregung ihn übermäßig angegriffen habe. Er schloß die Augen, war sehr blaß geworden und lag still und regunglos auf seinem Bett.

Die Rosie wollte ihm das verlangte Wasser geben; aber er antwortete ihr gar nicht, und Bärbel selber schlich sich leise hinunter, um den Großvater im Park aufzusuchen und ihm das Geschenk zu zeigen.

Etwa nach einer Stunde öffnete der Kranke die Augen wieder und sah sich verstört um. Nur die Rosie war bei ihm im Zimmer.

Ob er 'was haben wollte? Nein; er schien unruhig, aber die alte Frau auch keine Person, gegen die er sich aussprechen konnte. Er schüttelte mit dem Kopf und horchte nur immer hoch auf, wenn sich unten im Hause etwas regte. Immer heftiger wurde dabei sein Fieber, und das vorher so bleiche Gesicht flammte jetzt ordentlich in wilder Gluth.

Die Rosie war wieder einmal hinunter gegangen, um etwas zu besorgen, als sie plötzlich rasch die Treppe heraufkam und mit ängstlicher Stimme sagte:

»Herr Du meine Güte, die gnädigste Frau Gräfin ist selber unten und will heraufkommen – die Ehre! Und wie's hier aussieht – na, die wird schön schauen! Aber wer hat daran auch gedacht?« Und dabei schob sie hastig Alles aus dem Wege, was sich eben nicht gut zeigen ließ, und wischte noch mit ihrer Schürze den einen dem Bett gegenüber stehenden Stuhl ab, auf dem sie gewöhnlich saß, als die Thür schon aufging und die hohe, stattliche Gestalt der Gräfin auf der Schwelle stand.

Das kleine Gemach hatte vielleicht noch nie so ärmlich ausgesehen, als in dem Augenblick, wo die elegante Gestalt der Dame in ihrem schwarzen rauschenden Seidenkleide darin erschien, und der ängstliche, scheue Blick, den sie darin umherwarf, zeigte, daß sie das fühlte. Aber im nächsten Moment haftete ihr Auge schon fragend und forschend auf dem Antlitz des Kranken, der, als er ihren Schritt auf der Treppe hörte, unwillkürlich emporgezuckt war, vom Schmerz gebannt aber in seine alte Lage zurücksank und finster die Zähne zusammengebissen auf seine Decke niederstarrte.

Ganz versteinert über die »hohe Ehre« stand indessen die Rosie in der Ecke und knixte nur einmal nach dem andern, um dem vornehmen Besuch ihre Ehrfurcht zu erweisen.

Aber die Gräfin, deren Blick nur über sie hinglitt, sagte leise: »Geh'n Sie hinunter, gute Frau, ich habe mit dem Kranken etwas zu sprechen.«

»Zu Befehl, Frau Gräfin.«

»Und kommen Sie nicht eher wieder herauf, bis ich Sie selber rufe.«

»Zu Befehl, Frau Gräfin.«

Die Alte war seelenfroh, da oben weg zu kommen, und wie ihr die Gräfin nur so viel Raum an der Thür ließ, daß sie hindurch konnte, ohne auf ihr Kleid zu treten, schoß sie die Treppe hinab.

Die Gräfin war mit dem Maulwurfsfänger allein; aber noch immer sprach sie kein Wort, noch immer haftete ihr Blick wie fragend und ungewiß auf den eingefallenen Zügen des vor ihr Liegenden, und erst als dieser keine Miene machte, sie anzureden, und nur wie krampfhaft in die Decke griff, sagte sie leise:

»Sie haben mich zu sprechen verlangt. Was kann ich für Sie thun?«

Der Maulwurfsfänger drehte langsam den Kopf nach ihr um, denn selbst diese Bewegung that ihm weh; dann aber flüsterte er, daß die Worte kaum zu dem Ohr der Gräfin drangen und trotzdem wie mit einem Schlage das Blut aus ihren Wangen jagten:

»Also hast Du den Ring wiedererkannt, Ottilie? Bist Du wirklich gekommen, um mir Lebewohl zu sagen?«

»Heiliger, allmächtiger Gott!« stöhnte die Gräfin und faßte ihr Herz mit beiden Händen, als ob sie es festhalten wolle in der Brust. »Wäre es denn möglich – wäre es wahr...?«

»Es ist wahr, Frau Gräfin,« sagte der Alte, indem ein bitteres Lächeln um seine Lippen spielte, »die Jammergestalt hier auf dem Bett, zerschossen und von Krankheit und Alter gebrochen, eigentlich auch schon halb verfault, mit dem schleichenden Tod in den Gliedern, ist Alles, was von dem einst so lebenslustigen und gefeierten Friedrich von Sitrop übrig geblieben. Wenig, nicht wahr? Verdammt wenig – und das Wenige selbst verstümmelt und mißhandelt!«

Die Frau stand, das Gesicht in den Händen bergend, mitten in der Stube; kein Laut kam über ihre Lippen, aber die ganze Gestalt zitterte und bebte, und des Alten Blick haftete fast wehmüthig und mitleidsvoll an ihr. Endlich fuhr er leise fort: »Setz' Dich, Ottilie – etwas näher zu mir; ich kann nicht so laut sprechen und fühle, daß ich auch nicht mehr lange sprechen werde. Ich weiß Alles, was Du fragen möchtest, ich will Dir Alles mit wenigen Worten sagen. Aber dann – mußt Du mir auch Eine Frage beantworten – nur eine einzige Frage, die mir lange Jahre am Leben gefressen hat und die ich – noch vor meinem Tode gelöst haben möchte. Setz' Dich, die Zeit vergeht und die Secunden fangen an kostbar zu werden.«

Die Gräfin machte eine Bewegung gegen das Bett, und der Spitz, der bis jetzt nur leise und fast unhörbar geknurrt hatte, schlug laut an. Der Maulwurfsfänger pfiff leise durch die Zähne und sagte dann: »Ruhig, Spitz, es ist vorbei; Du wirst jetzt abgelöst von Deinem Posten. Sei ruhig, mein Hund, ich bin's ja auch; hörst Du?«

Das kleine treue Thier knurrte zwar noch leise, aber es kauerte sich wieder unter dem Bett zusammen und winselte nur noch ein wenig, als die Gräfin fast mechanisch nach dem Stuhl griff und sich darauf niederließ. Dann lag er ganz still, schob die Schnauze wieder in seine langen Haare und blieb regungslos liegen, hielt aber immer noch die kleinen blitzenden, schwarzen Augen mißtrauisch auf das Kleid des fremdartigen Besuchs geheftet.

Auch der Kranke schien sich erst von der ungewohnten Anstrengung des Redens zu erholen; dann fuhr er langsam fort:

»Die Geschichte ist sehr kurz. Mein Vermögen brachte ich durch – im Spiel; arbeiten konnte und wollte ich nicht; in Frankreich, wohin ich flüchtete, fälschte ich einen Wechsel, um Geld zu bekommen, und wurde eingekerkert. Ich saß lange Jahre und kehrte, endlich freigelassen, nach Deutschland zurück; aber den Baron hatte ich im französischen Gefängniß oder vielmehr schon vor dessen Thür gelassen, leben mußte ich, Geld hatte ich keins, – das Einzige, was ich verstand, war das Spiel und die Jagd; Croupier mocht' ich nicht werden, so tief war ich doch noch nicht gesunken, zum Förster wollte mich Niemand, da« – ein bitteres, höhnisches Lächeln zuckte um die Lippen des Kranken – »benutzte ich eine frühere Passion von mir, das Fallenstellen, und – wurde Maulwurfsfänger. Sechs Jahre wanderte ich so in Deutschland umher, mich den Henker mehr um die übrige Welt scherend, bis es mir keine Ruhe mehr ließ, den Ort wieder aufzusuchen, wo...«

Er schwieg plötzlich; Todtenstille herrschte in dem kleinen Raum, nur das schwere Athmen der Frau unterbrach die Stille oder machte sie vielmehr noch unheimlicher.

»Das ist eigentlich Alles,« sagte der Kranke nach einer Pause. »Du kanntest mich nicht wieder; hübscher war ich auch nicht geworden, und mir machte es Spaß, so incognito gerade mit diesem Platz zu verkehren. Da begegnete ich neulich im Park einer jungen fremden Frau – wie ein Messer stach mir deren Anblick durch's Herz, – es war, als ob die langen Jahre zurück, statt vorwärts gegangen wären, und Du, Ottilie, wie ich Dich in all' Deiner Schönheit und Jugend gesehen, standest wieder vor mir, wie vor einem Vierteljahrhundert an derselben Stelle.«

Die Gräfin war aufmerksam geworden; ihre Hände sanken langsam in ihren Schooß, und das große Auge haftete fragend auf dem Sprechenden.

»Ich erfragte den Namen,« fuhr dieser endlich leise fort, »er klang mir fremd – Rottack – ich hatte ihn nie gehört.«

»Rottack?« hauchte die Frau.

Der Maulwurfsfänger nickte, und sein Blick hing forschend an ihren Zügen; aber er bekam keine Antwort. Angst und Schmerz lagen in ihrem Antlitz, aber die Lippen blieben unbewegt.

»Rottack,« wiederholte er endlich, »Helene Rottack. Aber Du mußt reden, Ottilie,« fuhr er heftiger fort, »die Zeit verfliegt, meine Pulsschläge sind gezählt, Du mußt meine Frage beantworten!«

»Und welche Frage ist das?«, hauchte die Frau, die sich dem alten, kranken Manne vollkommen willenlos gegenüber befand.

»Was ist aus dem Kind geworden?« sagte der Alte leise. »Als der Graf aus Westindien zurückkehrte, konnte ich Dir nicht wieder nahen, denn ich wußte, daß er mich haßte. Bald darauf mußte ich selber flüchten, schreiben durfte ich nicht – was ist aus dem Kind geworden, Ottilie?«

Die Frau barg ihr Gesicht wieder in den Händen, aber sie antwortete nicht, und fast mitleidig ruhte der Blick des Kranken auf ihr.

»Fürchte nichts,« sagte er endlich leise, »ich weiß, welches furchtbare Unglück Dich in der letzten Zeit betroffen hat. Ich hätte es vielleicht verhindern können,« setzte er düster hinzu. »Ängstige Dich nicht, daß diese Lippen, die so lange geschwiegen, jetzt plaudern könnten; ein Sterbender spricht zu Dir – was ist aus dem Kind geworden?«

»Es lebt!« hauchte die Gräfin.

»Es lebt?« rief der Kranke. »Und – und heißt Helene?«

Die Gräfin antwortete nicht, aber ohne zu ihm aufzusehen, neigte sie leise das Haupt.

»Gott sei Dank!« stöhnte der Mann. »Aber – mir wird auf einmal so wunderbar schwach zu Sinn – es flackert mir vor den Augen. Gieb mir Deine Hand, Ottilie – laß uns versöhnt scheiden – so, das ist lieb von Dir – Gott segne Dich – so – und nun geh – Du darfst nicht länger hier bleiben. Schick' mir die Rosie herauf – die Alte oder die Bärbel, wenn sie unten ist. Oh, mein Gott, wie das brennt – das Eis ist fortgeschmolzen und zu glühend heißem Blei geworden...«

Die Gräfin hatte ihm die Hand gereicht; sie war aufgestanden, und ihre Brust hob sich stürmisch, ihr Antlitz deckte Leichenfarbe. Sie wollte sprechen, aber sie konnte nicht. Willenlos, fast bewußtlos hatte sie bis jetzt in der Gegenwart des Furchtbaren gehandelt; was sie sich vorgenommen, ehe sie das Haus betrat, wie sie mit kalter Verachtung seiner Anklage begegnen, sein Erkennen verleugnen wolle – es war hingeschmolzen, als jene Jammergestalt auf dem Bett, der Schatten dessen, der einmal im Leben ihre ganze Seele füllte, vor ihr lag. Alte Erinnerungen, Reue, Zerknirschung und Mitleid bestürmten ihr Herz; aber ihre Kräfte verließen sie, die Luft hier drohte sie zu ersticken.

»Leb' wohl!« flüsterte sie, und wie von Furien gejagt, floh sie aus dem Zimmer hinaus in's Freie, in die Einsamkeit.

Draußen wurde ihr leichter. Wohl eine Stunde lang ging sie in dem weiten Park auf und ab. Endlich wandte sie sich wieder dem Schlosse zu und ging in ihr Zimmer hinauf.

Noch hatte sie nicht ihren Hut abgelegt, als es leise an die Thür klopfte.

»Herein!«

Bärbel stand auf der Schwelle. »Ach, Frau Gräfin,« sagte die Kleine, und die hellen Thränen liefen ihr an den Wangen nieder, »ich bin nicht hergeschickt, aber – ich – ich wollte Ihnen nur melden, daß der alte Maulwurfsfänger eben gestorben ist.«

»Todt?«

»Die Rosie sagt's. Er liegt kalt und starr auf dem Bett.«

Die Gräfin winkte mit der Hand; Bärbel verließ schüchtern das Zimmer. Die Gräfin Monford wankte zu ihrem Sopha, und Thränen – Thränen, die ersten, die sie seit langen Jahren vergossen, netzten ihr die Wangen.

Sie war glücklich, denn sie konnte weinen.

30.
Pfeffer dictirt einen Brief.

Wochen vergingen und Monate. Die rauhen Herbststürme traten ein, Schnee fiel, und der Winter deckte die freundlichen Hügel und Gebirgszüge um Haßburg mit seiner weißen Decke und die Wasser mit Eis, und noch hatte die Monford'sche Familie mit keinem Menschen in der Stadt wieder verkehrt, noch hatte die Gräfin selber die Stadt nicht wieder betreten, oder auch nur einen einzigen Besuch selbst ihrer früheren intimsten Freunde angenommen.

Der Zustand des Grafen schleppte sich freilich auch nur langsam hin: die früher eingetretenen Schlaganfälle hatten sich mehrfach wiederholt, und so sehr Beide gewünscht haben mochten, diesen Ort, der jetzt für sie so furchtbare Erinnerungen trug, zu verlassen und eine andere Gegend, ein wärmeres Klima zu ihrem Aufenthalt zu wählen, so schüttelte doch der alte Ober-Medicinalrath dazu auf das Entschiedenste den Kopf und beharrte dabei, daß der Graf jetzt an eine Reise gar nicht denken dürfe, wenn er sich nicht muthwillig der größten Gefahr aussetzen wolle. Ihm bliebe vor der Hand nichts weiter übrig, als abzuwarten, ob sich sein sehr bedenklicher Zustand bessern würde, wozu er die Hoffnung keineswegs aufgegeben habe. Träte der Fall ein, dann würde er selber eine Reise nach Italien oder einem andern warmen Himmelsstrich dringend anrathen.

Ganz verändert war indessen die Gräfin selber geworden. Wie sie früher die Pflege des Kranken fast ausschließlich der Dienerschaft überlassen hatte, so wich sie seit jenem Tag, an welchem sie das Gärtnerhaus besucht, fast nicht mehr von dem Lager des Gatten, und wachte, wenn sich sein Zustand dann und wann verschlimmerte, halbe Nächte neben seinem Bett. Sie war auch viel freundlicher mit den Leuten selber geworden, und sogar der alte Haushofmeister, der ihr seit jenem Abend, wo sie den Brief verbrannte, lange Wochen durch wohl ehrerbietig, aber doch wie scheu ausgewichen war, fing an sich ihr wieder zu nähern und Mitleid mit ihr zu fühlen, denn er, vor allen Anderen, sah und fühlte die Veränderung zum Besseren, die mit ihr vorgegangen. Fiel sie doch mit einer wahren Hast über alle Briefe her, die ihr gebracht wurden, und legte sie dann traurig und oft mit einer unterdrückten Thräne bei Seite, wenn keiner von ihnen mehr die jetzt so heiß ersehnten Schriftzüge des verlorenen Kindes trug.

Aber Paula schien verschwunden; kein Brief von ihr war mehr eingetroffen, keine Zeitung nannte Handor's Namen, keine Nachforschung, die sie im Geheimen, besonders durch den Ober-Medicinalrath, anstellen ließ, führte zu irgend einem Resultat. Sie mußte todt sein oder Deutschland verlassen haben, denn alle Nachfragen blieben fruchtlos.

In Haßburg selber hatte man die Monford'sche Familie, die für Wochen lang das Tagesgespräch gebildet, fast vergessen. Eine Zeit lang wurde die Erinnerung daran wohl noch durch die nach dem Tode des Maulwurfsfängers gegen den Förster eingeleitete Untersuchung aufgefrischt, und dieser auch wegen Tödtung – aber mit mildernden Umständen, da er selber dabei verwundet worden – zu zwei Monaten Gefängnißstrafe verurtheilt. Jetzt hatte er diese abgesessen und Niemand sprach mehr davon oder dachte noch daran. –

Freundlicher hatten sich indessen die Verhältnisse in der Pfeffer'schen Familie gestaltet.

Rebe's Erfolg am hiesigen Theater konnte als gesichert betrachtet werden, denn nach der Aufführung des Fiesco wagte sich keine Opposition mehr heraus – oder wurde vielmehr nicht mehr bezahlt und fiel deshalb von selbst weg. – Strohwisch hatte Haßburg verlassen, und Rebe bekam dadurch freien Raum und ehrliches Spiel, sich seine Stellung am Haßburger Theater zu erkämpfen, was er ehrenvoll that. Nacheinander, aber von dem vorsichtigen Director immer noch nur von Monat zu Monat engagirt, trat er in den bedeutendsten und schwierigsten Rollen auf und zeigte sich bald als ein so talent- und geistvoller Schauspieler, daß ihn das Publikum immer lieber gewann und ihm jetzt allabendlich die deutlichsten und lebhaftesten Zeichen seines Beifalls gab.

Aber trotzdem veränderte er seine Lebensart nicht. Seine Gage war schon jetzt eine sehr anständige, und er hätte mit Leichtigkeit ein besseres Quartier nehmen und besser leben können. Das Rechtlichkeitsgefühl aber, das ihn bisher geleitet, führte ihn auch weiter, und wenn er schon offen und ehrlich um Henriettens Hand bei den Eltern angehalten und ihre freudige Einwilligung erlangt hatte, weigerte er sich doch, Henriette früher heimzuführen, als er sich selber so viel Geld erspart habe, um seiner Frau eine freundliche und angemessene Heimath gründen zu können.

Jeremias erbot sich allerdings augenblicklich, ihm jede verlangte und nöthige Summe vorzustrecken, aber Rebe wies Alles, wenn auch freundlich und dankend, doch entschieden zurück. Er wollte sich selber und aus sich selber heraus seinen eigenen Herd gründen, und Henriette hatte ihn deshalb nur um so lieber.

Darin stimmte er aber ganz mit Pfeffer überein, daß er jetzt bei Krüger auch auf einen bestimmten und längeren Contract dringen müsse, denn das Provisorium hatte lange genug gedauert. Rebe schrieb auch deshalb an Krüger, und heute war eine schriftliche Antwort eingelaufen, worin sich der Director in den schmeichelhaftesten Ausdrücken erbot, einen fünfjährigen Contract mit Rebe als erstem Liebhaber und Helden einzugehen, und ihm ein Concept desselben unter sehr annehmbaren Bedingungen beilegte.

Rebe hatte augenblicklich zustimmen wollen, Pfeffer that aber Einspruch und behauptete, daß in einer so wichtigen Angelegenheit auch nothwendiger Weise großer Kriegsrath gehalten werden müsse. Außerdem sei es nicht einmal gerathen, diesem »Blutsauger«, wie er seinen Director im vertraulichen Gespräch gewöhnlich nannte, zu zeigen, daß man augenblicklich zuschnappe, sobald er einen Brocken hinhielt. Er müsse zappeln, er müsse eine Zeit lang in Ungewißheit gehalten werden, dann erst dürfe man hoffen, auf einen andauernd guten Fuß mit ihm zu kommen; sonst setze er seinen Schlachtopfern doch augenblicklich wieder den Daumen auf's Auge.

Rebe wollte dagegen protestiren, aber es half ihm nichts; er wurde gerade nicht überstimmt, aber von Pfeffer überschrieen, und willigte endlich lächelnd in einen »großen Rath«, der an diesem Nachmittag bei Pfeffer zusammenkommen und Rebe's Entschluß bestimmen solle.

Pfeffer's Schwester, die sich merkwürdig in den letzten Monaten erholt hatte und schon tüchtig wieder im Hause wirthschaftete, arrangirte mit Jettchen einen großen Kaffee, und selbst Fräulein Bassini war dazu eingeladen worden und erschien, eine halbe Stunde vor der Zeit, im höchsten Staat und Putz, so daß Pfeffer augenblicklich in sein Zimmer stürzte, den alten Schlafrock abwarf, ein weißes, allerdings etwas »mitgenommenes« Halstuch umband und in seinen alten blauen Frack mit blanken Knöpfen hineinfuhr, dazu ein Paar schmutzige Glacéhandschuhe anzog, seinen Cylinderhut aufsetzte und der Schwester nun, in der linken Hand die lange Pfeife und an den Füßen noch immer die grüngestickten Schlapp-Pantoffeln, entgegen ging, um sie höchst förmlich zu begrüßen.

Pfeffer hielt denn auch, als Alle versammelt waren, in diesem Costüm seinen Vortrag, und Jeremias saß dabei und lachte, fing aber an mit dem Kopf zu schütteln, als sein Schwager Rebe aufzuhetzen begann, den Contract zurück zu weisen und höhere Bedingungen zu fordern. Die Gage war nämlich von Krüger selber so hoch gestellt, wie sie nur Haßburg mit seinen bescheidenen Verhältnissen zahlen konnte, und Jeremias protestirte heftig gegen jede solche Überschreitung des Möglichen. Pfeffer gab endlich nach.

»Gut, Kinder,« sagte er, während Fräulein Bassini daneben saß und an einem entsetzlich langen, brennend rothen Strumpf strickte, »ich habe nichts dagegen, wenn Rebe denn für eine solche Lumpengage bleiben soll, wo er in Berlin und Wien das Doppelte bekommen könnte...«

»Wenn nicht dort alle Stellen besetzt wären, Herr Pfeffer...«

»So habe ich auch nichts dagegen,« fuhr Pfeffer fort, »aber in Einer Sache müßt Ihr mir folgen – Rebe muß ihm einen derben Brief schreiben, in dem er den Contract allerdings annimmt, aber diesem Blutegel, diesem Krüger, auch zu verstehen giebt, daß er ihn durchschaut und sich seines Werthes vollkommen bewußt ist.«

»Aber, bester Herr Pfeffer,« sagte Rebe, »ich bin nicht im Stande einen Brief zu schreiben, in dem ich etwas Anderes sagen soll, als ich wirklich denke.«

»Dann werde ich Ihnen dictiren,« rief Pfeffer.

»Aber, Fürchtegott...« bat die Frau.

»Mach' mich nicht böse,« rief aber Pfeffer jetzt gereizt, »setzen Sie sich dahin, Rebe, dort liegt ein Briefbogen und Feder und Tinte, und fangen Sie an!«

»Aber willst Du das nicht lieber mir dictiren, Onkelchen?« bat Henriette, »Horatius kennt doch noch nicht so genau Deine Art und Weise.«

»Ach was, Art und Weise – er muß sich hinein finden, und so viel Verstand wird er doch wohl haben! Schreiben Sie, Rebe!«

Seine Schwester Auguste saß dabei und schüttelte lächelnd den Kopf, aber sie sagte kein Wort; ja, als Jeremias auch dagegen reden wollte, faßte sie nur seinen Arm und flüsterte: »Laß ihn nur machen! Er will nun einmal seinen Willen haben; das Jettchen wird schon Alles wieder in die Reihe bringen!«

Rebe schien nicht halb damit einverstanden, aber er mochte Pfeffer auch nicht böse machen, setzte sich also an den Schreibtisch, rückte sich den Bogen zurecht, tunkte die Feder ein und sagte: »Also, Herr Pfeffer?«

Fürchtegott Pfeffer ging noch immer – eine höchst possirliche Gestalt – mit seinem Frack und den grüngestickten Pantoffeln, wie der langen Pfeife – in der Stube auf und ab und blies den Rauch in kleinen hellen Wolken von sich.

»Sind Sie so weit?«

»Ja!«

»Gut! so fangen Sie an. Überschrift: Herrn Director Krüger hier, – Mohrengasse 42, erste Etage, rechts, – erste Etage, rechts. Haben Sie rechts?«

»Nur weiter, ich komme schon mit!«

»Also – Schafskopf...«

»Aber, Herr Pfeffer,« sagte Rebe und sah verwundert zu ihm auf.

»So schreiben Sie doch nur, ich verliere ja sonst den Faden.«

Rebe schüttelte mit dem Kopf, und Henriette stand, mit der Hand seine Stuhllehne gefaßt, und sah ihm lächelnd über die Schulter.

»Schreibe nur – schreibe,« flüsterte sie, und ein eigener Zug von Muthwillen zuckte ihr dabei über das liebe Antlitz.

»Haben Sie Schafskopf?«

»Ja, Herr Pfeffer!«

»Haben Sie endlich eingesehen, was ich Ihnen hier bin und leiste...«

»Aber,« wollte Rebe wieder remonstriren, Jettchen hielt ihm jedoch rasch den Mund zu und flüsterte wieder: »Schreibe nur!« Er wurde gar nicht klug aus ihr. Den Brief konnte er doch nicht dem Director schicken, das ging ja unmöglich an.

»Was ich Ihnen hier bin und leiste – haben Sie das?«

»Leiste,« wiederholte Rebe kopfschüttelnd.

»Das Lumpengeld, was Sie mir bieten, ist freilich kaum die Hälfte dessen, was ich verdiene...«

Rebe schrieb jetzt – er wollte wenigstens einmal sehen, was daraus würde, war aber fest entschlossen, nie in dieser Weise selber zu antworten.

»Haben Sie verdiene?«

»Verdiene...«

»Und in den zwei Monaten Urlaub, die Sie vernünftiger Weise eingeschoben...«

»Eingeschoben,« sagte Rebe.

»Werde ich das Dreifache herausschlagen – aber ich komme doch in der Zeit...«

»In der Zeit...«

»Aus der Schmiere hier fort...«

Rebe lachte, aber er schrieb weiter.

»Ich fühle, daß Sie mir mit dem Contract das Fell über die Ohren ziehen – über die Ohren ziehen – aber ich hoffe doch mit – dem Gelde auszukommen – Hol' Sie der Deubel – so, und nun Ihren Namen darunter.«

»Und den Brief soll ich fortschicken?«

»Gewiß!« nickte Pfeffer. – »Aber nun lesen Sie mir erst einmal vor, was Sie geschrieben haben.«

Rebe las: »Sie Schafskopf!«

»Ach, Donnerwetter – Unsinn!« rief Pfeffer.

»Ja, aber das haben Sie mir doch dictirt!«

»Aber Sie müssen doch,« brummte Pfeffer, – »den Teufel auch, Sie haben ja gar keinen Begriff vom Briefschreiben – da weiß Jettchen besser mit umzugehen – na, lesen Sie nur weiter!«

»Haben Sie endlich eingesehen,« las Rebe, »was ich hier bin und leiste? Das Lumpengeld, das Sie mir bieten...«

»Schwerenoth,« schrie Pfeffer und riß ihm das Blatt aus der Hand, »das wollen Sie doch nicht an den Director schreiben! Jettchen, setze Du Dich einmal hin – der Mensch ist so kindlich, als ob er gerade aus der Schule käme – Sie möchte ich zum Secretär haben!«

»Ja, lieber Onkel,« lachte Jettchen, und nahm Rebe's Platz ein, »nun dictire Du mir einmal.«

»Also, bist Du fertig?«

»Alles bereit.«

Pfeffer, Rebe's Brief in der Hand, dictirte nun dem jungen Mädchen genau dasselbe, was auf dem Blatte stand, und Jettchen schrieb. Als er wieder mit »Hol' Sie der Deubel« schloß, nickte Jettchen und stand auf.

»So, nun lies einmal vor.«

Jettchen las: »Hochverehrter Herr!«

Pfeffer nickte, »das klingt schon besser!«

»Recht herzlich freue ich mich, daß Sie Ihre Zweifel endlich besiegt haben und mir vertrauen. Ich nehme den mir gebotenen Contract mit Dank an und bin Ihnen besonders für den zweimonatlichen Urlaub verpflichtet, den ich nicht allein dazu benutzen kann, andere Bühnen zu sehen und dort mein Glück zu versuchen, sondern mich auch noch weiter auszubilden. Ich fühle, daß Sie mir mit dem Contract...«

»Das Fell über die Ohren ziehen,« sagte Pfeffer.

»... ein ehrendes Zeugnis meiner bisherigen Leistungen geben,« las Jettchen, »und hoffe auf ein recht freundliches künftiges Zusammenleben mit Ihnen und meinen Collegen.«

»Hol' Sie der Deubel,« nickte Pfeffer vergnügt.

»Hochachtungsvoll,« las Jettchen, »Ihr ergebenster Horatius Rebe.«

»Bravo!« rief Pfeffer, »der Brief hat Hand und Fuß. Sehen Sie, Rebe, von dem Mädel können Sie noch 'was lernen!«

»Ja, aber mein bester Herr Pfeffer,« lachte Rebe, »wenn Sie sagen: Hol' Sie der Deubel...«

»Meine ich immer »hochachtungsvoll«,« rief Pfeffer – »das versteht sich doch von selbst und sieht ein Kind ein!«

Jeremias hatte ruhig dabei gesessen und sich vortrefflich über Pfeffer's Briefdictiren amüsirt, als es plötzlich anklopfte und auf sein »Herein« ein Bedienter in Livrée auf der Schwelle erschien. Jeremias kannte übrigens die Livrée, es war die des Grafen Rottack.

»Sie entschuldigen – ist Herr Stelzhammer hier zu – ah,« unterbrach er sich, als er den kleinen Mann erkannte und ihm einen Brief überreichte – »wären Sie so freundlich, mir Antwort zu sagen?«

Jeremias brach den Brief auf. Er enthielt nur wenige Zeilen, in denen ihn Graf Rottack bat, sie doch, sobald es irgend anging, zu besuchen, da er dringend weitere Auskunft wünsche.

»Ist der Herr Graf jetzt zu Hause?«

»Allerdings, und wartet jedenfalls, bis ich ihm Antwort bringe.«

»Schön – dann sagen Sie ihm, ich würde gleich kommen.«

»Sehr wohl, Herr Stelzhammer,« und der Diener entfernte sich.

»Wegen der Geschichte?« fragte Pfeffer, als er fort war.

»Jedenfalls,« nickte Jeremias – »und hast Du nichts weiter von der Sache gehört?«

»Nichts weiter, als was die Lise erzählt hat.«

»Mit Handor?« meinte diese, »das ist sicher; die Ronelli, die vor einiger Zeit in Prag gastirte, jetzt aber schon lange wieder von da fort ist, hat mir selber geschrieben, daß er unter einem andern Namen dort aufgetreten, aber durchgefallen wäre. Wo er aber jetzt stecken mag, weiß Gott!«

»Und wie lange ist das her?«

»Ja, das schreibt sie nicht.«

»Kennen Sie denn Niemanden in Prag?«

»Keine Seele – wenn nur der Mauser noch hier wäre – der hat Verwandte in Prag und könnte es von dort gewiß leicht erfahren.«

»Der Mauser? – der Souffleur? Ist denn der fort?«

»Oh, schon über sechs Wochen – er hatte ja einen Zank mit dem Director und ging damals ab. Natürlich aber hat Keiner von uns je wieder etwas von ihm gehört.«

»Wenn ich den Brief nur einmal bekommen könnte,« sagte Jeremias.

»Es steht weiter nichts davon drin,« versicherte Fräulein Bassini. »Die Ronelli ist ja in Prag nur dreimal aufgetreten und dann nach Schwerin gegangen, und schrieb mir auch das Wenige nur, weil sie glaubte, daß es mich interessiren könne. Wenn nur der Mauser noch da wäre, der könnte uns gewiß weitere Auskunft verschaffen. Doch was liegt daran, wo sich der Lump, dieser Handor, jetzt aufhält, und ich möchte wirklich wissen, was der Graf mit dem zu schaffen hat.«

»Ich will wenigstens hören, was er verlangt,« sagte Jeremias, seinen Hut aufgreifend. »Sobald ich kann, komme ich zurück.«

Er fand den jungen Grafen Rottack schon seiner harrend, und dieser kam auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und rief: »Mein lieber Jeremias, ich bin Ihnen unendlich dankbar für Ihre Freundlichkeit. Wir haben Sie sehnsüchtig erwartet!«

»Mein bester Herr Graf!«

»Kommen Sie herein – Helene ist auch drin und will Sie sprechen – wir müssen zusammen berathen, was zu thun ist.«

Helene begrüßte den alten Freund in der That auf das Herzlichste – aber wie bleich und leidend sah sie aus – wo war das Feuer und Leben geblieben, das sonst aus ihren guten Augen sprühte – wie wehmüthig lächelnd reichte sie ihm die Hand, und wie ängstlich drängte sie danach, die Sache erledigt zu sehen, die jetzt ihre ganze Seele in Anspruch nahm: das Schicksal der armen Paula.

Rottack unterstützte sie darin. »Die Nachricht, die Sie uns neulich gaben, Jeremias,« rief er aus, »hat Bestätigung erhalten. Ich habe augenblicklich nach Prag an einen Freund geschrieben, und heute Morgen kam die Antwort. Ein Schauspieler, der sich dort Boslaw nannte und in Prag auftrat, scheint allerdings dieser unglückselige Handor zu sein, der jene Gegend jetzt unter einem falschen Namen bereist, möglicher Weise, um seinen Gläubigern keine Spur seines Aufenthalts zu geben. Das Gerücht nannte dort wenigstens jenen Namen.«

»Und wo steckt er jetzt? Ist er noch in Prag?«

»Das weiß Gott,« seufzte Felix – »von Prag scheint er fort zu sein.«

»Er kann es nicht gewesen sein,« rief Helene, »die Beschreibung jener Person, die er bei sich hatte, paßt doch wahrhaftig nicht auf Paula.«

»Hatte er Jemanden bei sich?« sagte Jeremias.

»Allerdings,« nickte Felix, »dieser Boslaw soll mit einem Frauenzimmer gereist sein, das er für seine Frau ausgab – eine kleine dicke Person, anscheinend eine Böhmin – aber Gott weiß, was da vorgegangen ist!«

»Es ist nicht möglich!« rief Helene unter vorquellenden Thränen.

»Frau Gräfin,« sagte Jeremias, »es ist Alles möglich auf der Welt, besonders das; denn daß sich eine anständige Dame nicht lange mit diesem – Lump glücklich fühlen konnte, war vorauszusehen. Aber was wollen Sie jetzt thun?«

»Sie sollen uns helfen, Jeremias!« rief Graf Rottack.

»Ich? – Aber wie?«

»Sie sind mit den Verhältnissen am Theater bekannt. Sie haben hier eine Menge von Leuten kennen gelernt und können dort rasch neue Bekanntschaften anknüpfen. Ich würde selber reisen, aber ich darf jetzt meine arme Helene nicht allein lassen; so thun Sie uns die Liebe und machen Sie den Versuch, ob Sie nicht an Ort und Stelle etwas Näheres erfahren können. Daß Sie praktisch sind, weiß ich – Sie werden nichts versäumen, und an Geld steht Ihnen zu Gebot, was Sie brauchen.«

»Mein lieber Herr Graf,« sagte Jeremias verlegen, »das ist eine ganz eigenthümliche Sache, und ob ich gerade zu so etwas passe, weiß ich wahrhaftig nicht. Wirklich den Fall gesetzt, daß ich sie finde, was kann ich thun? Wenn die junge Gräfin bei ihrem jetzigen Manne bleiben will, wie kann ich als ein vollkommen fremder Mensch sie daran hindern, und ihr Mann würde mich erst recht ansehen, wollte ich sie nur danach fragen. Ich glaube, ich geriethe da in eine höchst unglückliche Situation und müßte jedenfalls wieder unverrichteter Sache abziehen.«

»Sie sollen nichts thun, Jeremias,« rief Helene bittend, »als den Thatbestand erforschen – nur uns Gewisses über dort berichten, denn wir kennen keinen Menschen, auf den wir uns so fest verlassen könnten, als auf Sie.«

»Hm, das ließe sich schon eher hören,« nickte Jeremias, »abkommen könnte ich jetzt hier; was ich zu thun hatte, ist besorgt, und wenn ich wüßte, daß Ihnen damit ein Gefallen geschähe...«

»Ich würde Ihnen ewig dankbar dafür sein,« rief Helene.

»Topp! ich reise,« sagte Jeremias entschlossen – »Ihnen, Frau Gräfin, habe ich noch nie 'was abschlagen können, das wissen Sie wohl von alten Zeiten her – Apropos nichts wieder von Santa Clara gehört?«

»Wir haben Briefe erhalten,« sagte Felix, »aber es steht nichts darin, was Sie interessiren könnte – ausgenommen, daß die Colonie unter Sarno's Führung blüht und gedeiht und – ja, doch das Eine – daß Baron Jeorgy plötzlich verschwunden ist!«

»Durchgebrannt,« lachte Jeremias, – »nur ein Wunder, daß er sich so lange gehalten hat.«

»Und Director Sarno hat sich verheirathet,« sagte Helene.

»Hurrjeh!« rief Jeremias voller Erstaunen, indem er blitzschnell herumfuhr – »ob ich's ihm nicht immer prophezeit habe! Aber wen?«

»Ein junges, braves Mädchen, die Tochter eines Colonisten, die mit ihren Eltern einen der furchtbaren Parcerie-Verträge im Norden durchgemacht hatte,« sagte Felix.

»Und es geht ihm gut?«

»Vortrefflich – aber jetzt, Jeremias, ist keine Zeit mehr zu versäumen. Wenn Sie uns wirklich die Liebe erzeigen wollen, so müssen Sie unverweilt aufbrechen. Sind Sie mit warmen Kleidern versehen?«

»Hinlänglich – ich habe mich noch immer nicht wieder an die Kälte gewöhnen können und friere mordmäßig.«

»Und bei Ihnen zu Hause geht Alles gut?«

»Danke, ja! Meine selige Frau ist wieder ganz auf dem Zeug.«

»Ihre selige Frau?« lachte Helene.

»Ach ja so,« sagte Jeremias erschreckt; »weiß der liebe Gott, wie es kommt, aber das Wort fährt mir immer heraus. Es ist mir in einem fort, als ob mir die Frau schon einmal gestorben und jetzt erst wieder neu geboren wäre. Aber was kann's helfen,« setzte er seufzend hinzu, »geschehen ist nun einmal geschehen, und das einzige Glück, daß ich doch jetzt im Stande bin, Manches gut zu machen, was ich früher verdorben. Nachher gehe ich wieder nach Brasilien.«

»Sie wollen zurück?« rief Helene erstaunt.

»Es wird sich nicht anders machen – was soll ich hier, wenn ich das Mädel versorgt weiß – aber jetzt haben wir Anderes zu denken,« brach er kurz ab, »und, wie gesagt, wenn ich Ihnen damit dienen kann, brech' ich die Nacht noch auf – viele Vorbereitungen habe ich überdies nicht nöthig.«

»Und tausend Dank im Voraus,« rief Rottack, ihm die Hand herzlich schüttelnd, »Sie glauben nicht, welche Last Sie mir dadurch von der Seele nehmen.«

»Und wie heißt der Herr, der Ihnen von dort geschrieben?«

»Kommen Sie jetzt mit in mein Zimmer, Jeremias,« sagte der junge Graf, »dort gebe ich Ihnen alle in meinem Besitz befindlichen Notizen, und sobald Sie dort etwas Näheres erfahren, telegraphiren Sie augenblicklich.«

Jeremias bedurfte keiner großen Unterweisung, denn er fand sich außerordentlich leicht in Alles, also auch in das, was hier von ihm verlangt wurde. Dann ging er noch einmal zu Pfeffers, um diesen anzuzeigen, daß er auf acht oder zehn Tage verreisen werde, packte nachher seinen Koffer und erwartete dann unten auf dem Bahnhof den Abendzug, der zwischen neun und zehn Uhr durchkam.

31.
Jeremias auf Reisen.

Es war bitterkalt die Nacht, und obgleich der März schon seit ein paar Tagen begonnen hatte, schien es doch fast, als ob der Winter noch gar nicht daran dächte, Abschied zu nehmen, oder doch wenigstens noch einmal zu guter Letzt zeigen wolle, was er könne.

Jeremias versuchte zu schlafen, aber es ging nicht; jede Viertelstunde stiegen Passagiere aus und ein, und die Schaffner schlugen dann jedesmal mit den Thüren, daß er immer wieder erschrocken emporfuhr. Und was ging ihm auch nicht Alles im Kopf herum! Brasilien, ja, in Brasilien war's jetzt freilich wärmer, und dort hätte er nicht so zu frieren brauchen – aber wieder dahin zurück? Früher hatte er sich dort allerdings wohl befunden, aber die deutschen freundlichen Verhältnisse auch fast vergessen gehabt. Jetzt, da er sie wiedergefunden, da er sich wohl darin fühlte, sollte er sie wieder verlassen und allein in die Fremde hinausziehen? Aber was wollte er hier? Sein Kind war jetzt bald versorgt und glücklich, und seine Frau – war es denn noch seine Frau, und er nicht rechtskräftig und für immer von ihr geschieden? Ja, so lange sie krank lag, konnte er sie besuchen und mit ihr verkehren; jetzt, da sie gesund und kräftig geworden und sich von Tag zu Tag mehr erholte, mußte das aufhören, das fühlte er selber, oder er brachte sie in das Gerede der Leute, die sich nicht leicht eine Gelegenheit entschlüpfen lassen, Übles von ihren Nebenmenschen zu denken und zu reden. Und sollte er in derselben Stadt mit ihr als Fremder leben? Das ging nicht, und es war das Allergescheidteste, er schiffte sich ruhig wieder nach Brasilien ein – Brasilien – Hundeleben dort, was ein Mensch nur aushalten mochte, wenn er nicht mehr in Deutschland existiren konnte.

Er wickelte sich fester in seine dicke Reisedecke, zog die Pelzstiefel noch höher herauf und drückte sich wieder in die Ecke. Er wollte schlafen. Das Grübeln und Nachdenken sollte der Teufel holen.

So verging die Nacht und der Morgen dämmerte endlich durch die fest und dick zugefrorenen Fenster des Coupés.

Jeremias beschäftigte sich jetzt eine Weile damit, sie mit Anhauchen wieder aufzuthauen, und brachte endlich glücklich ein kleines Loch zu Stande, durch das er hinaus in's Freie sehen konnte, gab es aber in Verzweiflung wieder auf, als er die trostlose, monotone Gegend entdeckte, durch die der Zug brauste. Schneefelder, so weit das Auge reichte; einzelne Züge von schwarzen Raben und dann und wann eine kleine, magere Kieferndickung; und dort drüben lag ein Dorf, ärmliche Hütten mit Strohdächern, aus denen der blaue Rauch in's Freie quoll. Die Aussicht lohnte nicht der Mühe, um sich fast die Seele aus dem Leib zu hauchen. Er ließ die Öffnung wieder zufrieren und bekümmerte sich nicht weiter um die Landschaft, bis der Zug endlich, etwa gegen Mittag, in Prag selber anhielt.

Er brauchte, dort angekommen, den halben Nachmittag, um sich erst wieder zu restauriren und ordentlich aufzuthauen, und benutzte indessen die Zeit, um sich aus dem Adreßbuch eine Anzahl Namen und Wohnungen abzuschreiben.

Gegen Abend ging er auf seine erste Wanderung aus, und zwar um zuerst jenen Herrn, einen Baron von Toggenburg, aufzusuchen, der dem Grafen Rottack geschrieben und an welchen ihm dieser einen Empfehlungsbrief mitgegeben. Dort aber, wie später beim Director des Theaters, erhielt er nur ganz unbestimmte, vage Nachrichten, die allein darin übereinstimmten, daß jener Boslaw, der wahrscheinliche Handor, Prag vor einiger Zeit wieder verlassen und sich nach Schlesien gewandt habe.

Was nun? Schlesien war groß, und auf ein solches Gerücht hin konnte er doch wahrhaftig nicht nach Schlesien reisen, um dort seine Nachforschung fortzusetzen.

Eine andere Sache, die ihn förmlich verwirrt machte, war die genaue Beschreibung der Person, die Boslaw bei sich gehabt: eine volle, üppige Gestalt, aber mit einem gemeinen sinnlichen Ausdruck in den Zügen, die besonders gern Champagner trank und in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts hier eine Masse Schulden machte.

Das war auf keinen Fall die junge, bildschöne Comtesse Monford gewesen, und hatte wirklich Handor seinen Namen in Boslaw umgeändert, wo konnte er dann das junge, unglückliche Geschöpf zurückgelassen haben, das er aus seiner Eltern Haus entführt?

Jeremias ließ sich übrigens keine Mühe verdrießen und besuchte sogar verschiedene Mitglieder des dortigen Theaters, um von diesen Näheres über jenen Boslaw zu hören – vergeblich. Die Leute wußten ebenfalls nichts weiter, als daß der Herr Boslaw ein einziges Mal aufgetreten und, da er total mißfiel, schon am nächsten Morgen wieder abgereist sei – wohin? Lieber Gott, wer fragte hier danach! Vielleicht erfuhr er das auf der Polizei.

Das war ein neuer Anhaltspunkt – an die Polizei hatte Jeremias noch nicht einmal gedacht. Spornstreichs lief er dorthin, und wenn es auch einige Schwierigkeiten hatte, unter all' den Beamten endlich den richtigen aufzufinden, der ihm über derartige Fremde Auskunft geben konnte, so ließ er sich doch keine Mühe verdrießen, ja, saß selbst anderthalb Stunden mit einer wahren Engelsgeduld auf einer Bank im Vorsaal, zwischen lauter Galgengesichtern und Dienstmädchen, immer von der Seite angesehen und beflüstert, was er wohl ausgefressen haben mochte, daß er hier sitzen mußte, bis die Reihe an ihn kam – und dann auch umsonst.

Der betreffende Beamte brachte wirklich heraus, daß sich ein Schauspieler Boslaw vor einiger Zeit hier in Prag drei Tage mit seiner Frau, Kathi Boslaw, aufgehalten und im »König Wenzel« logirt habe, dann aber wieder abgereist sei. Sein Paß war jedenfalls in Ordnung gewesen; was kümmerten sich die Leute darum, wohin »derartiges Volk« zog, wenn es ihnen hier nicht zur Last fiel!

»König Wenzel« – dort war vielleicht noch eine Möglichkeit, etwas Näheres zu erfahren, und Jeremias versäumte auch diese nicht – und wieder vergebens. Der Wirth wußte von dem jetzigen Aufenthalt des Herrn Boslaw gar nichts; er wollte aber, er wüßte es, daß er den Herrn noch fassen könnte, der nach bezahlter Rechnung seinem Kellner noch eine Flasche Champagner abgeschwindelt und, ehe er es erfuhr, das Weite gesucht hatte. Er schimpfte dabei entsetzlich auf die Schauspieler, die seiner Meinung nach nur allein deshalb in der Welt herumzögen, um arme Wirthe zu betrügen und sich nachher in's Fäustchen zu lachen.

Über die Frau, als Jeremias diese erwähnte, wußte er nun gar kein Ende zu finden. Das sollte ein wahrer Drache gewesen sein, die mit seiner eigenen Frau schon in der ersten Stunde Skandal gehabt und sich bodenlos gemein betragen hätte.

»Und können Sie mir keine Spur angeben, wo ich den Menschen wieder auffinden möchte?«

»Aha, Ihnen ist er wohl auch durchgebrannt?« lachte der Wirth. »Ja, lieber Freund, und wenn Sie ihn träfen, was würd's Ihnen helfen? Das ist eine pauvre Wirthschaft bei dem Pärchen, wenn die Madame auch aufgedonnert genug geht; aber 's ist ja Alles falsch. Einen Brillantschmuck hat die Person, der eine sechstausend Gulden werth sein müßte, wenn er ächt wäre; aber wo sollte die solche ächte Steine herkriegen? Landsleute sind's.«

»Herr Boslaw?« sagte Jeremias.

»Nein, die Steine – böhmische, mein' ich. Wenn Sie meinem Rath folgen wollen, lassen Sie ihn laufen; 's kommt nichts bei der Sache heraus, und Sie verreisen mehr Geld und Zeit dabei, als die Lumperei werth ist.«

»Und wo sich Herr Boslaw früher aufgehalten hat, davon wissen Sie gar nichts?«

»Nein, ich bin auch nicht neugierig danach und weiß nur so viel, daß wir ihn hier nicht wieder zu sehen bekommen werden.«

Es war aus dem Mann nichts weiter heraus zu bekommen, und Jeremias begann einzusehen, daß er sich seine Winterreise nach Prag hätte sparen können, denn hier, an Ort und Stelle, erfuhr er nur einzig und allein die Bestätigung dessen, was sie schon in Haßburg über den Aufenthalt des Menschen in Prag gehört.

Und sollte er noch länger hier bleiben? Er wäre am liebsten gleich zurückgekehrt, aber dem Grafen Rottack lag die Sache so am Herzen, die liebe junge Gräfin hatte ihn so darum gebeten; er mußte jedenfalls noch ein paar Tage zugeben; möglich ja doch, daß er noch irgend Jemanden traf, der ihn auf eine bessere Spur bringen konnte. Er wollte es jedenfalls versuchen, denn er haßte nichts mehr, als so ganz nutz- und erfolglos in der Welt herumgefahren zu sein.

Nur allein von den Schauspielern selber konnte er aber hoffen, irgend etwas über diesen vermeintlichen Handor oder seine früheren Verhältnisse zu erfahren; er studirte deshalb einige Theaterzettel durch, um keinen zu übergehen, schlug die Wohnungen auf und trat dann seine Wanderung an, die ihn allerdings mit einigen sehr interessanten Persönlichkeiten zusammenbrachte, sonst aber auch nicht den geringsten Erfolg hatte. Einige behaupteten allerdings, jener Boslaw sei ihnen bekannt vorgekommen und jedenfalls ein routinirter Schauspieler, sein jetziger Name ihnen aber gänzlich fremd, und da er nie mit irgend Jemandem von ihnen, ausgenommen auf der einen Probe, verkehrt, habe man sich auch nicht weiter um ihn bekümmert.

Das war das nämliche Resultat überall, wohin er kam, bei den Herren wie bei den Damen, und die letzteren besonders verwahrten sich gleich von vornherein gegen die Möglichkeit, auch nur den entferntesten Umgang mit einem solchen »Paar« gehabt zu haben, wie jener Herr und Frau Boslaw.

Jeremias wurde dadurch immer unsicherer und zuletzt ganz fest überzeugt, daß er hier auf einer vollkommen falschen Fährte herumsuche, denn Handor selber – was er früher von ihm gesehen – hatte sich immer sehr anständig benommen, und seine junge Frau, die liebenswürdige Comtesse Paula, hätte ja alle Herzen im Sturm erobern müssen. Boslaw und Handor mußten also ganz entschieden zwei total verschiedene Persönlichkeiten sein, und unter solchen Umständen blieb es dann allerdings das Beste, nur wieder ruhig nach Haßburg zurückzukehren und von dort aus zu sehen, ob man nicht eine bessere Spur bekommen könne.

Einmal mit diesem Entschluß im Reinen und in dem vollen Bewußtsein, in dieser fremden Stadt sein Möglichstes gethan zu haben, um das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen, packte er auch seinen Koffer wieder, zahlte seine Rechnung und ging hinaus auf den Bahnhof, um sein Billet zu lösen.

Das Wetter war bitter kalt, aber die Sonne schien hell und klar auf den knisternden Schnee nieder, und eine Menge Leute waren unterwegs, um den freundlichen Tag zu einem Spaziergang zu benutzen. Geputzte Menschen schritten überall an ihm vorüber oder er überholte sie; aber was kümmerten ihn die Fremden, er kannte doch keinen von ihnen, und eilte nur, ohne sich weiter umzusehen, dem Hausknecht nach, der in einem halben Trab, mit seinem Koffer aus der Schulter, vor ihm her lief.

»Herr Stelzhammer!« schrie ihm da plötzlich Jemand so laut und so nahe in die Ohren, daß er ordentlich zusammenfuhr und sich bestürzt umsah. Dicht neben ihm stand aber ein kleiner, schmächtiger Herr, etwas schäbig gekleidet, mit einer langen italienischen Cigarre im Munde, der ihn ganz erstaunt zu betrachten schien. »Ja, wo zum Teufel kommen Sie denn her?«

Jeremias würde das ausdruckslose Gesicht im Leben nicht wieder erkannt haben, wäre er nicht durch das unmäßige Schreien des Mannes an die Persönlichkeit erinnert worden.

»Herr Du meine Güte,« rief er aus, »habe ich nicht das Vergnügen, mit Herrn Mauser...?«

»Na versteht sich – kennen Sie mich noch?«

»Heh, Hausknecht! Heh, holla!« schrie Jeremias indessen hinter dem davongelaufenen Burschen her. »Entschuldigen Sie einen Augenblick, ich bin gleich wieder da – ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen!« Und wie ein Pfeil schoß er hinter dem vorangegangenen Hausknecht her, um diesen mit seinen Sachen wieder zurück in das Hotel zu dirigiren.

Mauser blieb indessen ordentlich verblüfft mitten auf der Straße stehen. Der kleine Fremde aus Haßburg hatte ihm etwas Wichtiges zu sagen und brannte dabei durch, als ob er vor der Polizei davonliefe! Er sah ihm kopfschüttelnd nach und überdachte sich eben, was möglicher Weise die Ursache eines so wunderlichen Betragens sein könnte, als Jeremias mit dem glücklich eingeholten Hausknecht, dem er schon unterwegs seine Ordre gegeben, zurückkehrte, sich um diesen auch gar nicht weiter kümmerte, sondern ohne Umstände den Souffleur unter den Arm faßte und zu ihm sagte:

»Herr Mauser, Sie haben einen schmählichen Durst, wie? Hab' ich nicht Recht? Man sieht's Ihnen an, einen Durst, der unter Brüdern fünf Gulden werth ist und den es Sünde wäre, mit Wasser zu löschen. Sie sind doch kein Kostverächter?«

»Bitte,« schrie Mauser, »nie im Leben gewesen, und habe auch wissentlich nichts gethan, um einen solchen Verdacht zu rechtfertigen.«

»Schön, dann kommen Sie mit mir,« rief Jeremias, »oder wenn Sie einen Platz wissen, wo vorzüglicher Wein zu haben ist – denn das hiesige Bier soll der Teufel holen, wann er Lust hat –, so führen Sie mich, daß wir ein halbes Stündchen mit einander plaudern können.«

»Trinken Sie gern Ungarwein?« fragte Mauser, dem das Wasser schon im Munde zusammenlief.

»Leidenschaftlich.«

»Brav, dann kommen Sie, dann bringe ich Sie zu einem Platz, an dem Sie ein Glas Adelsberger kosten sollen, nach dem Sie alle zehn Finger lecken – bildlich gesprochen, natürlich.«

»Guter Mensch,« sagte Jeremias gerührt, während sich die Vorbeikommenden schon um die Beiden sammelten, weil sie glaubten, es beginne dort eine Prügelei, so furchtbar schrie Mauser. Jeremias faßte ihn aber ohne Weiteres unter den Arm, und da ihm Mauser die Richtung bezeichnete, schritten sie zusammen über die Brücke und betraten bald darauf eins jener alten Schenklocale mit gewölbten, kellerartigen Räumen, wie sie sich in vielen alten Städten, besonders aber in Österreich finden, wo dann ein höchst mittelmäßiges Bier, aber ein ganz ausgezeichneter Wein verzapft wird.

Dort, Jeder vor der Hand mit einem Seidel wackern Adelsberger vor sich, saßen die Beiden, und Jeremias ergab sich jetzt in das Unvermeidliche, von seinem Gefährten halb taub geschrieen zu werden, nur um aus ihm heraus zu bekommen, was er wußte. Glücklicher Weise befanden sich aber in diesem Augenblick gar keine Gäste weiter in dem niedern, halbdunkeln Raum, denn zum Abendbier war es noch zu früh und das schöne, klare Wetter hatte sie alle in's Freie hinausgelockt.

Jeremias brauchte mit seiner Sache nicht hinter dem Berg zu halten, und nachdem er vor allen Dingen Mauser's Neugierde in Betreff Haßburger Neuigkeiten befriedigt hatte, erzählte er ihm geradezu, weshalb er hierher gekommen sei, und sich so gefreut habe, ihn anzutreffen. War also jener Boslaw wirklich der vermuthete Handor?

»Na, versteht sich,« schrie Mauser, wie Jeremias nur die beiden Namen zusammen nannte. »Ich sage Ihnen, mein lieber Herr Stelzhammer, der Musjö kriegte keinen schlechten Schreck, wie er mich hier als Souffleur fand, denn davon hatte er keine Ahnung, und ich mußte ihm in die Hand versprechen, Keinem vom hiesigen Personal seinen wirklichen Namen zu verrathen. Er habe, wie er meinte, seine Gründe, hier nicht gekannt zu sein, und darin log er gewiß nicht. Ich versprach's ihm auch, und hab's bis jetzt gehalten; wenn Sie aber apart deshalb hierher gereist kommen, so sehe ich nicht ein, weshalb ich's Ihnen verheimlichen soll. Was schert mich der Musjö Handor oder seine saubere Mamsell!«

»Aber das konnte doch unmöglich die junge Comtesse Monford sein! Heh, Mamsell, bitte noch um ein paar frische Seidel für uns; der Wein ist wirklich ausgezeichnet.«

»Freut mi, daß er Ihna schmeckt,« sagte das dralle Schenkmädel und nahm die leeren Seidelflaschen mit fort.

»Die? Bah!« rief der Mauser, der dem Mädchen freundlich zugenickt hatte. »Gott bewahre, wenn sie auch jetzt ihre Brillanten trägt. Das arme Geschöpf hat er ja schon lange sitzen lassen, weil sie krank und elend wurde.«

»Sitzen lassen?« rief Jeremias, fast von seinem Stuhl emporfahrend.

»Ih versteht sich, das war doch klar, daß er sich mit der nicht lange herumschleppen würde. 's ist ein gewissenloser Halunke.«

»Aber wo, um Gottes willen, bester Mauser? Wissen Sie nicht, wo sie zu finden ist? Gerade ihretwegen bin ich ja hier, was schert mich der Schuft, der Handor!«

»So?« sagte Mauser. »Ja, ob sie noch jetzt da sitzt, weiß ich nicht, vor zwei Monaten aber traf ich sie zufällig in einem kleinen, erbärmlichen Dorf, ein paar Meilen von hier: Hrzib.

»Wohl bekomm's Ihnen!« sagte Jeremias. »Und wissen Sie nicht, wie das Dorf hieß?«

Mauser sah ihn erstaunt an. »Ich nannte es Ihnen ja eben: Hrzib.«

»Wie?« rief Jeremias verblüfft.

»Hrzib!« wiederholte noch einmal Mauser mit einem ganz entschiedenen Kopfschleudern.

»Du meine Güte,« sagte Jeremias, »ich glaubte vorhin, Sie hätten geniest!«

»Ja, Sie müssen auch niesen, wenn Sie's aussprechen wollen,« versicherte Mauser; »ganz verfluchte Namen, die böhmischen, die Zunge geht Einem ordentlich entzwei.«

»Und wie weit von hier liegt das Dorf?«

»Ach, mit der Eisenbahn kommen Sie bald hin; aber garantiren kann ich Ihnen nicht, daß sie noch dort ist. Sie war damals krank im Wirthshause; ich sah sie in der Gaststube und hätte sie auch gern angeredet, aber sie zog sich so furchtsam vor mir zurück, daß sie mir leid that, und ich dachte mir auch, daß es ihr gerade nicht angenehm sein könnte, Jemanden aus Haßburg zu begegnen.«

»Und wie kommt man am besten dorthin?«

»Wie Sie hinkommen? Sie fahren bis Podiebrad mit der Bahn und nehmen sich dort einen Wagen oder Schlitten. Wo logiren Sie denn hier?«

»Im Schwarzen Roß.«

»Donnerwetter, Sie geben's fein; aber der Wirth dort kann Ihnen genau die Route beschreiben. Ich fürchte, Sie machen eine Metzgerfahrt, denn ich kann mir nicht denken, daß sich das arme Weibchen in dem Nest zwei Monate aufgehalten hat.«

»Und ihr Mann war damals bei ihr?«

»Gott bewahre, der bummelte in der Welt herum. Wie mir die Wirthsleute sagten, hatte er sie dort gelassen und versprochen, gleich zurückzukehren, war aber schon vierzehn Tage fort, und wie er jetzt hierher kam, trieb er sich mit einem so gemeinen Geschöpf herum – pfui Teufel!«

»Aber Sie nannten doch dort ihren Namen, daß die Leute in ihre Heimath schreiben konnten?« rief Jeremias.

»Wo's mich nicht juckt, kratz' ich mich nicht,« sagte Mauser; »wenn sie das wollte, konnte sie's selber thun. Werde mich hüten und mich in Familien-Angelegenheiten mischen – einmal gemacht, und nicht wieder.«

»Ob man wohl noch heut Abend hinkommen könnte?« sagte Jeremias, der keine Ruhe mehr hatte.

»Sie sind wohl toll!« rief Mauser; »es dämmert schon und die Nächte sind stockdunkel. Wenn Sie Nachts von Podiebrad fort wollten und bei dem Schnee vom Wege abkämen, könnten Sie Hals und Beine brechen. Wollen Sie absolut nachsehen, so fahren Sie morgen früh mit Tagesanbruch weg; nachher haben Sie den ganzen Tag vor sich. 's wird doch ein vergebener Gang sein, denn sie ist nicht mehr dort.«

»Und in welchem Wirthshause war sie?«

»In welchem? Glauben Sie, daß in dem Nest mehr wie eins ist? Ne, da können Sie nicht irre gehen.«

»Aber den Namen von dem verwünschten Ort behalt' ich in meinem Leben nicht. Wie hieß er?«

»Hrzib; na warten Sie, ich gehe nachher mit Ihnen in Ihr Hotel und beschreib' es dem Wirth selber. Das wird das Gescheidteste sein – wie?«

»Sie sind ein Goldmann, Herr Mauser; ich weiß nicht, wie ich es Ihnen danken soll.«

»Bitte,« schrie Mauser; »trinken wir noch ein Seidel?«

»Sechs, wenn Sie wollen,« rief Jeremias, »da ich heut Abend doch nicht mehr fahren kann; denn ich glaube selber, es ist am besten, ich warte bis morgen früh.«

»Denken Sie nur gar nicht daran.«

»Dann sind Sie auch heut Abend mein Gast, und Sie haben sich noch außerdem eine sehr wackere Familie zum höchsten Dank verpflichtet.«

»Reden wir nur gar nicht mehr davon,« schrie Mauser, äußerst vergnügt über die Aussicht eines fidelen Abends; »famoser Zufall, daß wir uns hier getroffen haben, und – Apropos, wie geht es denn Fräulein Bassini, Ihrer Fräulein Schwägerin? Sie soll leben, Herr Stelzhammer, Sie soll, hol' mich der Teufel, leben!«

Jeremias fand, daß dem kleinen Mann der starke Wein etwas zu Kopf gestiegen war, und da jetzt auch schon mit anbrechendem Abend einzelne Gäste eintrafen, schlug er ihm vor, noch einen kurzen Spaziergang zu machen und dann im »Schwarzen Roß« zu soupiren.

Das war nicht abzuschlagen, und Jeremias brachte später den kleinen fidelen Souffleur – der glücklicher Weise heut Abend nicht zu souffliren hatte, oder es wäre um das Stück geschehen gewesen – auf seine eigene Stube, wo sie bei einem delicaten Abendbrod und noch delicateren Weinen so lange zusammen saßen, bis Mauser selber erklärte, heute fände er den Heimweg nicht mehr, so viel sei sicher, und morgen früh würde ihn der Nachtwächter wohl halb oder dreiviertel erfroren an irgend einer Straßenecke treffen.

Dem wollte ihn Jeremias doch nicht aussetzen, ließ ihm also ein Zimmer im Hotel geben, brachte ihn selber zu Bett, und traf dann seine Vorbereitungen, um am nächsten Morgen mit dem Frühzug nach Podiebrad und von da ohne Säumen nach jenem bezeichneten Dorf mit dem entsetzlichen Namen hinüber zu fahren.

Am liebsten hätte er freilich gleich noch heut Abend nach Haßburg hinüber telegraphirt, daß er eine Spur gefunden habe und ihr jetzt folgen wolle, um Rottacks wenigstens einige Hoffnung zu machen. War aber das junge, unglückliche Wesen nicht mehr in jenem kleinen Nest und verlor er dort wieder ihre Spur – was dann? Es blieb immer besser, erst dort an Ort und Stelle seine Nachforschungen zu beginnen, was er auch mit der größten Sicherheit thun durfte, denn wenn er die Comtesse auch schon in Haßburg gesehen hatte, ihn kannte sie auf keinen Fall, selbst wenn er auch seinen Namen nannte.

Beim Portier ließ er jetzt nur noch auf die Tafel schreiben, daß er zur rechten Zeit geweckt sein wolle, und legte sich dann mit dem beruhigenden Bewußtsein schlafen, doch jetzt ein bestimmtes Ziel zu haben, dem er nachfahren könne, und nicht mehr länger in der Irre umhersuchen zu müssen.

Jeremias hatte am vorigen Abend wie Mauser ganz tüchtig gebechert, aber der kleine Mann konnte auch eine ordentliche Portion vertragen, und um halb sechs Uhr am nächsten Morgen saß er schon fertig angezogen und reisebereit vor seinem Kaffee, und unten klingelten auch gleich darauf die mit tönenden Schellen behangenen Pferde, als der Kutscher aus dem Thorweg heraus und vor das Haus fuhr, um dort seinen Passagier zu erwarten und nach dem Bahnhof zu bringen.

Und der Wind pfiff nicht schlecht am Fluß herauf, der Himmel hatte sich dabei umzogen, und es fing an gefrorenen Regen herunter zu werfen, der, wo er in's Gesicht traf, wie Nadeln stach. Aber was half's; der Weg mußte zurückgelegt werden, und mit einer Anzahl wollener Decken versehen, die er sich vom Wirthe geborgt hatte, um nachher von Podiebrad Fuhrgelegenheit zu nehmen und ordentlich eingepackt zu sein, warf er sich in sein Coupé und sah mit Ungeduld der Zeit entgegen, die ihm Gewißheit über die Gesuchte bringen sollte.

In Podiebrad hatte es auch keine Schwierigkeit, ein Fuhrwerk nach jenem Dorfe, dessen Namen er deutlich geschrieben auf einem Zettel bei sich trug, zu finden, und gegen Mittag etwa erreichte er den kleinen Ort und hielt bald darauf vor der Schenke – einem traurigen, wüsten Aufenthalt.

Und hier sollte er die junge, an jede Bequemlichkeit von Jugend auf gewöhnte Comtesse finden? Er schauderte ordentlich, als er sich die Möglichkeit dachte, daß sie hier Monate lang allein und freundlos gehaust habe. Das war auch gar nicht möglich, und er fürchtete jetzt fast ebenso, ihr hier zu begegnen, wie er sich früher danach gesehnt hatte, sie anzutreffen.

»Und was mache ich mit den Pferden, Herr?« fragte der Kutscher, als Jeremias vor der Schenke aus dem Schlitten stieg.

»Stellt sie ein, Freund,« lautete die Antwort, »ein Stall wird doch hier zu finden sein. Ich bleibe wahrscheinlich ein paar Stunden hier und fahre dann wieder zurück.«

Damit trat er in das Haus und in die niedere, furchtbar geheizte Gaststube, aus der ihm aber ein widerlicher Dunst entgegen schlug, daß er ordentlich erschreckt einen Moment in der Thür stehen blieb, um seine Lunge erst an diese Atmosphäre zu gewöhnen.

Gäste waren nicht im Zimmer, einen Fuhrknecht ausgenommen, der am Tisch saß, ein großes Glas Branntwein vor sich hatte und aus einer kurzen, schmutzigen Pfeife Wolken stinkenden Tabaksqualms ausstieß. Jeremias war in Brasilien gerade nicht mit sehr vorzüglichem Tabak verwöhnt worden, der hier roch ihm aber doch außer dem Spaß. Aber was half es; es mußte ertragen werden, und mit einem freundlichen Gruß gegen den Mann, der ihm nur kurz zunickte, wandte er sich an ein weibliches Individuum, möglicher Weise die Wirthin oder auch vielleicht eine Dienstmagd, die aber von Schmutz starrte, und fragte sie, ob hier im Hause eine Dame seit einiger Zeit logire.

Die Antwort, welche er bekam, war böhmisch; das Frauenzimmer verstand kein Wort Deutsch und zeigte nur dabei auf den Fuhrknecht, der ihr wahrscheinlich als Dolmetscher dienen sollte.

Er wandte sich jetzt an diesen und wiederholte seine Frage, bekam aber auch keine Antwort, denn der Mann unterhielt sich jetzt erst eine ganze Weile mit der Frau in einem Kauderwälsch, von dem Jeremias natürlich keine Sterbenssilbe verstand. Endlich drehte er wieder den Kopf nach ihm herum.

»Wen suchen Sie?« sagte er allerdings auf Deutsch, aber so gebrochen, daß Jeremias genau aufpassen mußte, wenn er die Worte verstehen wollte.

»Eine Dame,« sagte Jeremias, »die vor etwa zwei oder drei Monaten in dieses Dorf gekommen und allein hier geblieben ist.«

»Eine Dame?« wiederholte der Mann erstaunt und mit dem Kopf schüttelnd. »Was sollte die hier machen?«

»Ein junges Frauenzimmer,« lenkte Jeremias ein, der daran dachte, daß der Bursche unter Dame vielleicht etwas ganz Anderes verstand.

»Ja so!« rief der Fuhrknecht, und jetzt begann wieder ein langes Gespräch mit dem Weib hinter dem Ofen, das beschäftigt war, ein paar Suppennäpfe auszuwischen. Jeremias wartete auch geduldig seine Zeit ab, um die Beiden nicht zu stören.

»Sie kam mit einem Manne?« fragte endlich der Fuhrknecht wieder, und Jeremias nickte nur.

»Und der Mann ging nachher fort und kam nicht wieder?«

»Dieselbe. Ist sie noch hier im Hause?«

Der Fuhrknecht schüttelte mit dem Kopf. »Nein, die ist lange fort.«

»Fort? Aber wohin?« rief der kleine Mann in Verzweiflung. »Kann mir denn Niemand sagen, wo sie sich jetzt aufhält?«

»Bei Blshrad.«

»Herr Gott, wieder so ein Name!« stöhnte Jeremias. »Aber wo liegt das?«

»Wo das liegt?« sagte der Mann erstaunt.

»Ich meine, ob es weit von hier ist?«

»Ne,« sagte der Bursche.

»Aber wie komm' ich hin?«

»Wie Sie hinkommen? Na, ganz leicht; grad' über die Straße hinüber, das vierte oder fünfte Haus links.«

»Hier im Ort?« rief Jeremias und fuhr mit Blitzesschnelle von seinem Sitz empor.

»Nu ja, versteht sich,« nickte der Mann; »das Weibsen hatte kein Geld mehr, und der Wirth hier, mit nur einer ordentlichen Stube im Hause, wo sich Fremde unterbringen ließen, konnte die doch nicht Jemandem lassen, der nicht einmal mehr dafür bezahlte. Es war aber auch zu kalt, um sie auf die Straße zu setzen; sie wäre draußen erfroren, und da ist sie derweil bei Blshrads untergebracht.«

Die Frau fuhr aber wieder dazwischen und redete auf den Fuhrknecht ein, während dieser ihr beifällig zunickte.

»Was sagt sie?« fragte Jeremias.

»Wenn Ihr zu dem kranken Weibsen gehörtet,« meint sie, »so solltet Ihr auch das zahlen, was sie hier noch schuldig ist, denn die paar Lumpen, welche sie zurückbehalten hätte, wären nicht die Hälfte werth.«

»Oh Du mein großer Gott,« seufzte Jeremias vor sich hin, »zu welch' erschrecklichem Elend bin ich da gekommen!«

»Und wollen Sie's zahlen?« fragte der Mann.

»Ja, Alles – gewiß!« rief Jeremias in furchtbarer Aufregung; »führen Sie mich nur hinüber. – Hier, guter Mann, hier haben Sie Geld, kommen Sie mit hinüber und zeigen Sie mir das Haus; ich möchte keinen Augenblick mehr versäumen. Oh das arme, unglückliche Geschöpf!«

32.
Paula.

Der Fuhrknecht betrachtete erstaunt das Silbergeld, das ihm Jeremias in die Hand drückte, war aber auch rasch erbötig, den reichen Lohn mit so leichter Mühe zu verdienen, und trank nur eben noch vorsichtig sein Glas aus, daß ihm indessen niemand Fremdes darüber kam. Dann führte er den kleinen Mann ohne Weiteres über die Straße hinüber in das kaum hundert Schritt entfernte Haus, wo die Kranke, der Aussage der Wirthin nach, jetzt untergebracht sein sollte.

»Aber hier wohnt sie doch nicht?« rief Jeremias ordentlich erschreckt aus, als ihn der Fuhrknecht auf eine Hütte zuführte, die eher einem Stall, als einer menschlichen Wohnung glich, »das ist ja doch gar nicht möglich!«

»Wenn es die ist, die Sie suchen und die Ihr Mann hier hat sitzen lassen,« brummte der Bursche, der schon Angst hatte, daß er das Geld wieder herausgeben müsse – »gewiß. Gehen Sie doch nur erst einmal hinein.«

Jeremias, doch wahrlich mit manchem Außergewöhnlichen auf seinen langen Reisen und Irrfahrten vertraut, schauderte, als er den kalten, schmutzigen, niedern Raum betrat; sein Führer schien aber hier bekannt, und an ihm vorbeigleitend, öffnete er die Zimmerthür und rief einer dort sitzenden, widerlich häßlichen Frau etwas auf Böhmisch zu.

Diese nickte nur und deutete auf eine andere Thür, und als Jeremias, wirklich zitternd vor Furcht, die Gesuchte in diesem entsetzlichen Aufenthalt zu finden, vorwärts trat, stieß sein Führer eine andere niedere Thür auf, die zu einer kaum zehn Fuß im Quadrat haltenden Kammer führte.

Dort stand ein Bett – wenn ein erbärmliches Holzgestell mit Stroh darauf so genannt werden kann, und auf demselben, mit einer einzigen dünnen, noch überdies zerrissenen wollenen Decke überworfen, lag eine schmächtige weibliche Gestalt. Nur ein ungewisses Licht fiel durch ein fensterartiges Loch im Dach in den öden Raum, der nicht einmal geheizt werden konnte, und neben dem Lager stand ein zerbrochener irdener Krug mit Wasser, wahrscheinlich als einzige Labung.

»Großer, allmächtiger Gott,« rief Jeremias, »das hier, die Jammergestalt, ist doch nicht die Comtesse Monford?«

Wie er den Namen nannte, hob die Kranke den Kopf, und ein wachsbleiches Gesicht, mit unnatürlich großen, dunkeln Augen, starrte ihn an. Er kannte es nicht – aber die Hand, welche die Decke zurückschob, war zart und fein, und die Finger daran so dünn, daß es fast aussah, als ob sie bei der geringsten Anstrengung abbrechen müßten.

Jeremias stand sprachlos vor Entsetzen, aber der kleine praktische Mann hielt sich auch nicht lange bei unnützen Gefühlsäußerungen auf. Ordentlich krampfhaft faßte er den Mann, der ihn hierher geführt, am Arm, und zog ihn wieder hinaus vor die Thür und dem Wirthshause zu.

»Nun, ist sie's nicht?« rief dieser.

»Ja, ja – kommt – kommt nur mit« – – er mußte Jemanden haben, der für ihn sprach, und athemlos betrat er wieder die dumpfe, dunstige Wirthsstube.

Hier aber war indeß der Wirth selber zurückgekehrt, der ein ziemlich gutes Deutsch sprach, und Jeremias hatte das kaum ausgefunden, als er auf ihn einstürmte.

»Habt Ihr ein gutes Zimmer hier im Hause?«

»Ja, Herr!«

»Was geheizt werden kann?«

»Ja, Herr!«

»Habt Ihr ein gutes, warmes Bett?«

»Ist auch zu beschaffen; es stehen zwei drin!«

»Wollt Ihr mir das Zimmer für einen guten Preis vermiethen?«

»Warum nicht – wenn Ihr baar Geld zahlt?«

»Hier ist Geld – ist es geheizt?«

»Nein, Herr, was sollen wir ein Zimmer heizen, in dem Niemand wohnt.«

»Könnt Ihr es gleich heizen, aber rasch?«

»Gewiß,« rief der Wirth, der staunend die Anzahl Silberstücke betrachtete, die ihm Jeremias in Todesangst in die Hand gedrückt, und dann rief er in böhmischer Sprache seiner Frau ein paar Worte zu, die rasch zum Ofen humpelte, dort einen. Arm voll trockenes Holz nahm und das Zimmer damit verließ.

»Und kann Eure Frau eine gute, kräftige Suppe kochen, mit einem Huhn darin und Eiern?«

»Eier haben wir jetzt nicht, Herr,« sagte der Mann, »aber ein Huhn ist da, und die Suppe soll bald fertig sein.«

»Rasch nur, rasch,« rief Jeremias, »ich bezahle Alles!« Und wie ein Pfeil schoß er aus der Thür hinaus, griff draußen im Schlitten alles von wollenen Decken auf, was er fassen konnte, und rannte damit in das gegenüber liegende Haus.

Der Fuhrknecht, der wohl gemerkt hatte, daß hier Geld zu verdienen war, denn der kleine Fremde warf mit den Silberstücken nur so um sich, hatte ihm dabei geholfen, und dort breitete er Alles, was er mitgebracht, über die Kranke aus, um sie nur erst einmal zu erwärmen.

Das besorgt, ordnete er mit Hülfe seines Dolmetschers die aufgelaufene Rechnung der Kranken – nur wenige Gulden für den Aufenthalt, und schickte diesen dann fort, um Leute herbeizuholen, welche die Kranke mit ihrem Bett in das für sie bereite Zimmer tragen konnten, sobald es nur durchwärmt war.

Was läßt sich mit dem Geld nicht Alles machen! Die Wirthin feuerte ein, daß der Ofen knisterte; die Betten wurden durchwärmt, eine gute, nahrhafte Suppe bereitet, und die Träger, denen Jeremias indessen an Branntwein geben ließ, was sie trinken wollten, warteten geduldig, bis der kleine wunderliche Fremde ihnen befehlen würde, das Bett mit der Kranken aufzugreifen und in das Wirthshaus herüberzutragen.

Jeremias dachte dabei an Alles. Auch ein paar Mädchen hatte er indes besorgt, welche die Kranke von ihrem Strohlager in das warme und weiche Bett legen sollten, und als er Alles nun bereit hatte, ging er mit ihnen hinüber, um sie abzuholen.

Die arme Kranke, die unter den vielen wollenen Decken zum ersten Mal wieder nach langer Zeit mochte warm geworden sein, hatte diese über ihren Kopf gezogen, und erst als sie die fremden Stimmen um sich hörte und fühlte, daß ihr Bett selber angefaßt wurde, warf sie erschrocken die Decke von ihrem Gesicht zurück.

»Um Gottes willen, was wollt Ihr mit mir? – oh, laßt mich ruhig sterben.«

»Freunde sind da, gnädige Frau,« antwortete aber Jeremias, dem die Rührung fast die Stimme erstickte – »Ihre Sorge und Noth hat aufgehört, wir bringen Sie in ein anderes Haus, wo Sie ordentliche Pflege finden sollen.«

Paula starrte ihn noch immer ängstlich an, auf ein Zeichen von Jeremias hoben aber die vier Männer das Bett rasch empor, und ehe sie noch Einspruch thun konnte, war es gedreht und im andern Zimmer und durch dieses hin auf die Straße gebracht. Dort liefen Neugierige zusammen. Die arme junge Frau hüllte sich erschreckt wieder in ihre Decken ein, und wenige Minuten später befand sie sich im andern Hause.

Hier freilich mußte sie den Frauen überlassen werden, denn das unbeholfene Gestell ließ sich nicht die schmale Treppe hinaufschaffen. Aber diese wußten auch vortrefflich damit umzugehen, und mit Hülfe der Decken und eines Stuhles trugen sie die Arme rasch und leicht hinauf und legten sie in das für sie schon hergerichtete durchwärmte Bett. Das in Ordnung und der Wirthin noch einmal die Suppe auf die Seele bindend, beorderte Jeremias die Pferde wieder, um so rasch als möglich zur Stadt zu fahren. Er versprach aber noch an dem Abend mit einem Arzte zurückzukehren, und eine Viertelstunde später glitt der Schlitten unter fröhlichem Schellengeklingel nach Podiebrad hinüber.

Jeremias that aber nichts halb. Von dort nahm er nicht allein den besten Arzt mit, der aufzutreiben war, sondern auch eine gute und tüchtige Krankenpflegerin, und schickte zugleich ein Telegramm nach Haßburg, das nur die Worte enthielt: »Graf Rottack, Haßburg. Kommen Sie – gefunden – krank – elend. Prag, Schwarzes Roß. Jeremias.«

Mit dem Doctor und der Wärterin kehrte er noch an demselben Abend nach dem Dorf zurück, und erst als er Alles gethan, was in seinen Kräften stand und was überhaupt vor der Hand nur möglicher Weise zu thun war, fuhr er wieder nach Prag zurück, um dort Rottack's Ankunft, der jedenfalls den nächsten Zug benutzte, zu erwarten. Der mochte dann bestimmen, was weiter geschehen solle.

Wie Jeremias aber nach Prag zurückkehrte, fand er schon ein antwortendes Telegramm vor.

»Ich komme mit dem nächsten Zug; wenn wir weiter fahren müssen, seien Sie am Bahnhof.«

Dadurch wurde allerdings die wenigste Zeit versäumt, und Jeremias behielt auch in der That kaum Raum genug, um etwas zu genießen und gleich darauf wieder nach dem Bahnhof hinaus zu fahren; denn wenn Graf Rottack den ersten Abendzug benutzt hatte, konnte er zu Mittag recht gut in Prag eintreffen.

Und er kam in der That, aber nicht allein, denn Helene hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn zu begleiten, und Jeremias, als er sie am Coupéfenster entdeckte, rief ordentlich erschreckt aus: »Oh Du mein Gott, die Frau Gräfin!«

Rottack ließ ihm aber keine lange Zeit, sich zu besinnen. »Mein lieber Jeremias,« rief er, herausspringend und ihm herzlich die Hand schüttelnd, »wie dankbar sind wir Ihnen! Aber wo ist die Unglückliche – hier?«

»Noch zwei Stunden zu fahren, Herr Graf.«

»Lösen Sie rasch Billets, daß wir den Zug nicht versäumen.«

Das war bald geschehen und das Gepäck umgeschrieben. Jeremias stieg mit ein und hatte nun Zeit genug, ihnen unterwegs all' die Einzelheiten zu erzählen und was bis jetzt geschehen war. Helene zerfloß dabei fast in Thränen; aber sie eilten ja doch auch nun zur Rettung herbei, und in peinlicher Ungeduld zählte sie die Minuten, die sie noch von ihrem Ziele trennten.

Schon von der nächsten Station unterwegs telegraphirten sie wegen eines großen, bequemen Schlittens oder zwei kleinerer, die am Bahnhof bereit stehen sollten, und Helene nahm sich hier wirklich kaum Zeit, etwas zu genießen, als sie selber schon weiter drängte.

Etwa um zwei Uhr erreichten sie Podiebrad, und es war noch heller Tag, als sie endlich das kleine, erbärmliche Dorf vor sich liegen sahen. – Und dort lag Paula?

Helene saß bleich und die Hände gefaltet in ihrem Schlitten und sah zitternd auf die kleinen erbärmlichen Hütten, die ihre Armuth und ihr Elend nur zu deutlich verriethen. Und vor einer von diesen – es war wenigstens eine der größten – hielt jetzt das Fuhrwerk. Ein anderer Schlitten stand schon vor der Thür; es war der des wieder herüber gekommenen Arztes, der ihnen unten in der Wirthsstube entgegentrat.

Er stattete den Fremden einen kurzen Bericht über den Zustand der Kranken ab, der leider Helenens gehegte Furcht bestätigte. Ihr Zustand war in der That bedenklich. Nach einem falschen Wochenbett der Kälte und dem Mangel preisgegeben, wahrscheinlich noch von geistiger Aufregung gequält, hatte die Arme ein bösartiges Fieber ergriffen, und möglich, daß treue Pflege die Gefahr, in der sie schwebe, noch abwenden könne; aber man möge sich auf das Schlimmste wenigstens gefaßt machen.

Helenen liefen, während er sprach, die hellen Thränen an den Wangen nieder; aber sie unterbrach ihn mit keinem Wort, und erst als er geendet hatte, sagte sie leise und bittend: »Darf ich zu ihr?«

»Sie hat gestern Abend wieder viel phantasirt,« meinte der Arzt, »ist aber heute ruhiger, und wenn Sie nicht selber fürchten sie zu stark aufzuregen...«

»Aber eine Wärterin muß sie ja doch haben!«

»Der Herr dort hat schon gestern eine recht brave Person dazu besorgt,« sagte der Arzt, »und es ist wirklich Alles geschehen, was jetzt noch, nachdem der richtige Zeitpunkt längst versäumt worden, nur irgend geschehen konnte. Möglich aber auch, daß es die Kranke wesentlich beruhigt, wenn sie ein befreundetes Gesicht an ihrem Lager sieht, dem Herrn würde ich aber entschieden abrathen...«

»Ich gehe allein,« rief Helene; »haben Sie auch keine Furcht, Herr Doctor, daß ich sie aufregen werde. Ich bin ruhig – gewiß, ich bin ruhig,« setzte sie rasch hinzu, als der Arzt wie zweifelnd mit dem Kopf schüttelte; »ich werde sicher kein Wort sagen, was sie nur im Geringsten erregen könnte. Aber das arme, verlassene Kind muß doch erfahren, daß Freunde in der Nähe sind, die über sie wachen, und dieses Gefühl wird ja dann auch gewiß zu ihrer Beruhigung mit beitragen.«

»So gehen Sie, gnädige Frau,« sagte der Arzt freundlich, »ich verlasse mich ganz auf Sie, und bringen Sie der armen Dame, was ihr bisher so ganz gefehlt hat: Trost.«

Helene legte Hut und Mantel ab; ihre Glieder zitterten so, daß sie sich kaum aufrecht halten konnte. Sie mußte sich erst sammeln, erst wieder Fassung erlangen. Aber ihr starker Geist überwand das bald.

»Ich bin schon ruhig, Felix,« sagte sie, unter Thränen lächelnd, als ihr Gatte zu ihr trat und ihr freundlich zureden wollte. »Fürchte auch nicht, daß mich oben eine solche Schwäche übermannen wird. Du kennst mich ja, vertraue mir nur, und jetzt,« rief sie, indem sie mit ihrem Tuch die letzten Thränenspuren entfernte, »laß mich gehen.«

Damit wandte sie sich entschlossen ab, schritt der Thür zu und die kleine, enge Treppe hinauf. Nur der Arzt begleitete sie, und Rottack und Jeremias blieben unten in der dumpfigen, wüsten Wirthsstube allein mit ihren peinlichen Gedanken zurück.

Helene hatte sich auch nicht zu viel zugetraut. Sie fühlte recht gut, wie viel gerade jetzt von ihrer Haltung, der Kranken gegenüber, abhing, und leise und geräuschlos wohl, aber mit festen Schritten stieg sie hinauf und öffnete selber die Thür, welche zu der armen Verlassenen führte.

Ein Glück, daß ihr der Anblick erspart worden, wie Jeremias sie gefunden, denn so ärmlich das Zimmer auch aussehen mochte, so war es doch reinlich gehalten und durchwärmt, und das Bett dabei so gut, als es nur in einer so geringen Schenke sein konnte.

Die Wärterin saß am Bett, als Helene eintrat, und stand schüchtern auf, die Kranke aber lag, die Augen geschlossen, das bleiche, abgehagerte Antlitz der Thür zugedreht, als ob sie schliefe.

Helenen zog sich das Herz zusammen. Allmächtiger Gott, wie sah die Arme aus? – Wohin war das fröhliche Lächeln der sonst so lieben Lippen verschwunden, wohin das Roth der Wangen, das schelmische Grübchen im Kinn? Und als sie die großen, dunkeln Augen aufschlug und erstaunt, fast erschreckt die Eintretende anstarrte, da hätte Helene ihr um den Hals fliegen und an ihrem Herzen den Gram ausweinen mögen, der ihr die Seele zusammenschnürte. Aber sie bezwang sich.

»Meine liebe Paula,« sagte sie, indem sie mit lautlosem Schritt dem Bett zuglitt und die herabhangende, fast durchsichtige Hand erfaßte, »mein liebes, süßes Herz, wie geht es Dir?«

Paula antwortete ihr nicht. Mit immer wachsendem Staunen betrachtete sie die bekannten Züge, lauschte sie den zärtlichen, liebevollen Lauten.

»Kennst Du mich nicht mehr, Paula?«

»Doch, doch,« flüsterte die Kranke, »Du bist der Engel, den ich herbeigesehnt und der mich dorthin führen soll, wo kein Schmerz und Kummer, kein Haß, keine Falschheit mehr ist – oh, ich danke Dir, Gott, danke Dir recht aus voller Seele, daß meine Leiden jetzt ein Ende nehmen! Oh, wie leicht wird mir, wie wohl, wie froh, oh nimm mich zu Dir! Dein armes, armes Kind – oh laß mich scheiden!«

Sie fiel zurück, Todtenblässe deckte ihre Züge, sie war ohnmächtig geworden.

Helene sprach kein Wort, nur ihr Tuch tauchte sie in kaltes Wasser und legte es der Kranken um die Schläfe, hielt ihr ein mitgebrachtes Flacon unter die Nase und that Alles still und geräuschlos, um sie in's Leben zurückzurufen.

Der Arzt hatte sie dabei unterstützt.

»Es wird vorübergehen,« flüsterte er leise, »bleiben Sie stark, gnädige Frau – vielleicht geht doch noch Alles gut.«

Nach einer langen Weile schlug Paula die Augen wieder auf. Helene war über sie gebeugt und ihre Blicke begegneten sich.

»So hab ich nicht geträumt,« sagte Paula leise, »der Engel ist bei mir geblieben.«

»Meine Paula, mein süßes, liebes Herz, kennst Du mich denn nicht mehr? Kennst Du Deine Helene nicht?«

»Helene? Helene Rottack?« flüsterte die Kranke. »Aber – wie kommen Sie denn hierher, Frau Gräfin? Wie ist mir denn? Bin ich denn nicht...«

»Ich habe Dich gesucht und gefunden, Herz!« rief Helene, die nur mit Gewalt die vorquellenden Thränen zurückdrängen mußte. »Jetzt bleib' ich bei Dir, ich gehe nicht wieder von Dir fort, bis Du auf's Neue wohl und gesund und kräftig bist. Darf ich bei Dir bleiben?«

»Bei mir?« flüsterte Paula, während ihr Blick scheu im Zimmer umherflog. »Bei mir, der Ausgestoßenen, die ihren Bruder und Vater gemordet hat? Bei mir?« Und dabei suchte sie Helenens Hand von sich fortzudrücken. »Geh, geh fort, daß Dich nicht auch der Fluch trifft, der auf mir ruht!«

»Aber was sprichst Du, Paula?«

»Ich weiß Alles,« flüsterte die Arme, »in den Zeitungen stand es, die ich draußen gelesen – Alles – Alles! Oh, daß ich gestorben wäre, um nicht das – das zu ertragen!«

»Hüten Sie die Kranke vor Aufregung!« flüsterte der Arzt.

»Nicht Alles ist wahr, was in den Zeitungen steht, mein Herz,« suchte Helene sie zu beruhigen; »Dein Vater ist wohl krank, aber er lebt.«

»Er lebt – ja,« sagte Paula düster – »aber wie? Oh, Helene, und Du hast Dich nicht von mir gewandt, wo mich Alles, Alles verlassen?«

»Nie, nie, mein armes Kind,« rief die junge Gräfin, »ich bleibe bei Dir; Du darfst mich nicht von Dir weisen; es wird noch Alles gut werden – hoffe nur, Paula!«

»Alles gut werden? Ja,« sagte die Arme leise, »wenn ich im Grabe liege – oh, daß ich ausruhen könnte von all' dem Herzeleid!«

Sie lag wieder still und ruhig. Helene suchte sie zu trösten, aber sie antwortete nicht mehr, bis ihr Geist auf's Neue an zu wandern begann und wilde, erschreckende Bilder vor die Seele heraufbeschwor. Sie jammerte dabei nach ihrem Kinde, das man ihr weggenommen hätte, und wollte von ihrem Lager aufspringen, so daß sie nur mit Mühe gehalten werden konnte; dann lag sie wieder halbe Stunden lang still und wie todt.

Der Arzt schüttelte den Kopf, die Erregung war zuviel für die Kranke gewesen; aber mit eines Engels Geduld saß Helene an ihrem Lager die ganze Nacht hindurch, und kein Schlaf kam in ihre Augen.

Rottack und Jeremias, da der Arzt gegen Abend wieder nach der Stadt zurück mußte, wo er auch ein paar gefährlich kranke Patienten hatte, verbrachten die Nacht ebenfalls in trauriger Weise in der Wirthsstube selber, und noch dazu in einem furchtbaren Tabaksdunst, da sich heute eine Menge von Neugierigen eingefunden hatte, um die Fremden zu sehen, die gekommen wären, die kranke Frau abzuholen.

Für heute ließ sich aber nichts mehr daran ändern, morgen konnte vielleicht eher Rath geschafft werden. Beide waren ja auch überdies an Beschwerden gewöhnt, und auf Stühlen und Bänken richteten sie sich ein, so gut es eben gehen wollte.

Gegen Morgen endlich war die Kranke eingeschlafen, und Helene warf sich ebenfalls in ihren Kleidern auf das noch im Zimmer befindliche Bett, um ein klein wenig zu ruhen, während jetzt die Wärterin an dem Lager der Kranken wachte.

Paula schlief lange und sanft, und als sie endlich erwachte und die treue Freundin zu ihr trat, schlang sie ihren Arm um deren Nacken, zog sie zu sich nieder und weinte still.

»Meine liebe, liebe Paula, Du darfst Dich nicht wieder aufregen, der Arzt hat es streng verboten.«

»Und womit habe ich das verdient, Frau Gräfin,« flüsterte Paula, »daß Sie mir in mein Elend gefolgt sind?«

»Oh, nicht den kalten Titel, Paula, nicht das fremde Sie,« rief Helene bewegt, »nenne mich Helene, nenne mich Schwester, denn Gott ist mein Zeuge, ich will Dir von jetzt an eine Schwester sein!«

»Meine liebe, gute Helene – und Du bist mir nicht böse?«

»Ich Dir böse, Herz, wo ich mein eigen Leben für Dich hingeben könnte?«

Paula schüttelte leise mit dem Kopf und schloß die Augen wieder, und Helene rührte sich nicht weiter, um ihr volle und ungestörte Ruhe zu lassen.

So lag sie zwei volle Stunden in einer Art von Halbschlaf, aus dem sie erst durch den zurückkehrenden Arzt wieder geweckt wurde.

Trotz der furchtbaren Aufregung des vergangenen Abends fand er die Kranke aber heute bedeutend besser. Der Puls ging ruhiger und das Auge war klarer.

Sie hatte jetzt Helenens Hand gefaßt, die sie, ohne ein Wort zu sprechen, festhielt, als ob sie Furcht hätte, daß sie ihr wieder entzogen werden könnte. Helene hielt mit einer rührenden Geduld bei ihr aus, streichelte ihre Wange, küßte ihre Stirn und behandelte sie wie ein krankes Kind, das nur durch Liebkosungen beschwichtigt sein will.

Rottack fragte den Arzt, ob er einen Transport der Kranken nach der nächsten Stadt wenigstens für möglich halte; davon wollte dieser aber nichts wissen, auf keinen Fall für die Folgen stehen, und er unterblieb deshalb. Der Arzt sorgte aber doch dafür, daß die beiden Herren wenigstens ein Quartier und ein paar Betten bei dem Geistlichen bekommen konnten, der sie in liebenswürdiger Weise aufnahm und nicht einmal darin nachließ, als er erfuhr, daß sie »Ketzer« wären. Er selber hatte schon die arme kranke Frau besucht und ihr auch in der That wenigstens das nothdürftige Unterkommen bei den armen Leuten besorgt, und freute sich jetzt aufrichtig, daß ihr die nöthige Hülfe geworden war.

So vergingen vierzehn volle Tage, in denen das Befinden der Kranken herüber und hinüber schwankte. Mit heftigen Anfällen ausbrechender Phantasien wechselten Tage der Ruhe – aber die Anfälle wurden seltener und schwächer, und der junge, kräftige Körper Paula's überwand endlich die furchtbare Mißhandlung, die er erlitten hatte und der er fast unterlegen wäre.

Wie sich aber ihre Nerven kräftigten, schloß sie sich so viel inniger an Helene an, die wieder ihrerseits keine Mühe und Aufopferung scheute, wo es der Pflege des geliebten Schützlings galt.

Nach vier Wochen etwa gestand endlich der Arzt die Möglichkeit zu, die Kranke nicht allein in die nächste Stadt, sondern auch gleich nach Prag transportiren zu können, wo sie doch bessere Pflege und Bequemlichkeit fand, und wenn auch noch jede nur mögliche Vorsicht gebraucht werden mußte hoffte er doch, daß die Reise ohne Gefahr für sie ablaufen würde.

Jeremias wäre schon längst gern fort, denn es drängte ihn nach Hause, aber er wußte auch nicht, in wie weit er doch noch hier sich nützlich machen könne, und seine natürliche Gutmüthigkeit ließ ihn eben nicht. In der ganzen Zeit aber erwähnte Keines von Allen ein Wort über die Vergangenheit. Jedes schien die Berührung derselben zu fürchten, und jede Andeutung selber wurde vermieden. Was hätte es auch geholfen, Paula selber hatte leider schon aus den geschwätzigen Zeitungen das Unglück ihres Hauses erfahren, denn was wird, besonders bei einem stillen politischen Zustand, lieber verbreitet, als Verbrechen und Unfälle. Was ihr aber selbst geschehen, Du guter Gott, es lag zu klar und deutlich vor Aller Augen, und wo es noch einer Ergänzung bedurft hätte, konnte Niemand die besser als Jeremias nach dem geben, was er in Prag über Handor und seine Begleiterin gehört.

Ihre Verbindlichkeiten hier waren jetzt bald abgemacht und geordnet. Das Wetter hatte sich auch gebessert; der Frühling zog siegreich in das Land, und Schnee und Eis schmolz vor seinem warmen Hauch und die Haselbüsche trugen schon ihre Schäfchen. Schneeglöckchen und Himmelsschlüssel fingen an auszukeimen und die Saaten deckte frisches Grün.

Jeremias fuhr selber nach der Stadt hinüber und besorgte einen guten und verschlossenen Wagen. Fest in Tücher und Decken eingepackt, wurde dann die Kranke dort hinein gehoben und hinüber geschafft, und mit dem Schnellzug erreichten sie Prag in kurzer Zeit.

Paula hatte nicht einmal gefragt, wohin man sie führe, denn wenn sich ihr Körper auch unter der guten und sorgsamen Pflege auffällig kräftigte und erholte, ihr Geist blieb noch immer gedrückt, und scheu und zitternd schmiegte sie sich an Helene an, wenn ihr Fremde nahten. Selbst vor Rottack hatte sie im Anfang Furcht, und nur auf Jeremias' Züge, so flüchtig sie ihn bei jenem ersten furchtbaren Begegnen gesehen, schien sie sich zu erinnern und bot ihm die Hand, als er zum ersten Mal zu ihr in's Zimmer trat.

Rottacks selber aber waren noch unschlüssig, wohin sie Paula führen sollten. Nach Haßburg? – jeder Versuch, mit der stolzen, hartherzigen Gräfin von Monford anzuknüpfen, war vergebens gewesen – und sie hier allein lassen?

Rottack selber wollte Haßburg wieder verlassen, sobald er dort seine Angelegenheiten nur einigermaßen ordnen konnte, aber das war nicht in zwei oder drei Tagen abgemacht und verlangte vielleicht eben so viele Wochen, und so lange konnte er die noch immer kranke Paula nicht mit seiner Frau allein lassen. Es war deshalb das Beste, er nahm sie, bis er seine Übersiedelung selber geordnet hatte, mit nach Haßburg in sein eigenes Haus. Niemand brauchte deshalb zu wissen, wen er beherberge. Die Hoffnung, sie mit ihren Eltern auszusöhnen, hatte er freilich längst aufgegeben; aber er war fest entschlossen, Paula nicht mehr von sich zu lassen, und da seiner armen Helene die Liebe der Mutter versagt worden, so hoffte er, daß sie in der Liebe der Schwester ihren Frieden wiederfinden würde.

Jeremias hatte sich übrigens jetzt dahin entschieden, voraus zu reisen, denn hier in Prag konnte er ja doch nichts mehr nützen, und es drängte ihn, seine eigenen Angelegenheiten daheim in Ordnung zu bringen.

Vorher mußte er aber noch eine Pflicht der Dankbarkeit abmachen, zu der ihn Rottack selbst drängte. Diesem hatte er nämlich gesagt, daß er einzig und allein durch den Souffleur, Mauser – der Graf mußte sich ja doch an den Türken erinnern, der so unbändig schrie – auf die Spur gekommen sei, und Rottack zwang ihm nun unter jeder Bedingung zehn Louisd'or auf, die er dem Manne für seine Kunde geben sollte.

Daß es Mauser sehr gut brauchen konnte, wußte Jeremias, das war in seinem ganzen Wesen unverkennbar, und verdient hatte er es auch, denn ohne ihn wäre die ganze Reise umsonst gewesen und die arme Paula wahrscheinlich in Noth und Elend »verdorben und gestorben«. Jeremias suchte ihn deshalb auf, und wenn er auch das bezeichnete Haus mit Leichtigkeit fand, hatte es doch seine Schwierigkeiten, bis er die fünf steilen Treppen emporkletterte, über denen der Souffleur – noch immer in dem nämlichen ungewaschenen Schlafrock und mit demselben Fez auf, thronte.

Mauser erhob übrigens, als er ihn erblickte, ein solches Freudengeschrei, daß die Leute aus der Etage unter ihm herausstürzten, weil sie glaubten, es wäre Jemandem ein Unglück begegnet.

Jeremias mußte jetzt erzählen, aber er that das nur in aller Kürze, denn er selber war mit seiner Zeit gedrängt; wie er aber zuletzt, im Namen des Grafen Rottack, die zehn Louisd'or aus der Tasche nahm und auf den Tisch legte, stand der Souffleur starr vor Schreck und Staunen. Er wollte es erst gar nicht glauben, daß sie sein Eigenthum sein sollten, blos dafür, daß er einen Abend mit »Stelzhammer gekneipt«. Als es ihm dieser aber wieder und wieder versicherte und er sie in die Hand genommen und gewogen, und wieder auf den Tisch gelegt und sich noch einmal hatte bestätigen lassen, daß das fortan sein Eigenthum sei, da kannte seine Ausgelassenheit keine Grenzen.

Wie ein Rasender sprang er in der Stube herum, den Fez schleuderte er in die Ecke, ein Pantoffel flog da, einer dorthin, und das Haus dröhnte von seinen Jubelrufen, die dem Kriegsgeheul der Indianer nicht unähnlich waren.

Jeremias beruhigte ihn nur mit der größten Mühe, und als er sich endlich zufrieden gab, wollte er absolut in seine Kleider fahren, um mit seinem kleinen Wohlthäter, heute natürlich auf eigene Kosten, auszuprobiren, wo der beste Wein sei. Jeremias wußte aber recht gut, daß er ihn dann den ganzen Tag nicht wieder los würde, versprach ihm deshalb, wenn er es irgend möglich machen könne, in einer Stunde etwa wieder herauf zu kommen und ihn abzuholen, und eilte dann in das Hotel zurück, um von Rottacks Abschied zu nehmen.

In derselben Zeit, in der Mauser oben in seinem Zimmer fertig angezogen und mit einem schmählichen Durst saß und auf ihn wartete, fuhr Jeremias auf den Bahnhof hinaus und eine halbe Stunde später gen Haßburg.

33.
Die Werbung.

Jeremias hatte schon von dem böhmischen Dorf aus, wie er nur etwa die ungefähre Zeit seiner Rückkehr bestimmen konnte, nach Hause geschrieben, und lauter Jubel empfing ihn hier, denn Rebe war in der Zeit nicht müßig gewesen.

Director Krüger hatte seinen Contract contrasignirt, und wie er selber der Liebling des Publikums geworden, besserten sich auch seine pecuniären Verhältnisse.

In den vergangenen Monaten, wo er fast noch sparsamer gelebt als je, kaufte er von der jetzt ziemlich hohen Gage nach und nach, was er in der Wirthschaft brauchte. Jettchen's Aussteuer war ja schon von dem Vater reichlich bedacht worden, und Alles jetzt bereit, um die Trauung in der nächsten Zeit zu vollziehen. An demselben Sonntag, an dem Jeremias von seiner Reise zurückkehrte, wurden sie zum ersten Mal aufgeboten, und Jettchen fühlte sich selig in dem Gedanken, nun bald nicht mehr allein zu stehen und dem Geliebten ganz anzugehören.

So eifrig das Jeremias früher auch selber betrieben hatte, so niedergeschlagen zeigte er sich aber jetzt. Sein ganzer Humor schien ihn verlassen zu haben, und wenn er sich auch fast noch herzlicher und theilnehmender gegen Alle benahm, als bisher, so lag doch jedenfalls etwas auf seiner Seele, das er Niemandem anvertrauen mochte.

Anfangs drang Pfeffer in ihn, ihm zu sagen, was ihn drücke. Geldsorgen konnten das nicht sein, denn er schleppte Geschenke nach Geschenken für Jettchen in's Haus – aber was dann? Jeremias wich indeß allen Fragen aus, und man mußte ihn endlich seinen Weg gehen lassen.

So war die Zeit immer mehr herangerückt. Es war Freitag geworden, am Sonntag wurden die Brautleute zum letzten Mal aufgeboten und Montag sollte die Hochzeit sein.

Jeremias hatte bei Pfeffers zu Mittag gegessen, aber fast kein Wort dabei gesprochen. Nach dem Essen saß er auf dem Stuhl am Fenster, und Jettchen war gerade hinausgegangen, um den Kaffee herein zu holen.

»Was siehst Du mich so sonderbar an, Jeremias?« sagte Auguste. »Ich weiß gar nicht, wie Du heute bist.«

»Ich freue mich,« erwiderte der kleine Mann, aber mit ganz wehmüthiger Stimme, »daß es Dir wieder so gut geht, Auguste. Du hast Dich in der Zeit, wo wir in Böhmen steckten, merkwürdig erholt.«

»Wenn wir nur erst einmal herausbekommen könnten, was Sie in Böhmen gemacht haben,« rief Fräulein Bassini.

»Wahrscheinlich,« meinte Pfeffer, »wird's nicht die ganze Stadt wissen sollen, und deshalb erfährst Du's nicht.«

»Als ob ich nicht schweigen könnte!«

»So lange Du nichts weißt, gewiß. Aber 's ist wahr, die Guste hat sich merkwürdig in der Zeit erholt; das dank' ihr aber der Teufel, keine Sorgen mehr, gute Pflege – das schlägt an!«

Jeremias nickte freundlich. »Ja,« sagte er, »und ich kann Euch jetzt mit gutem Gewissen verlassen, denn für das Jettchen ist ja auch gesorgt.«

»Verlassen?« rief die Frau rasch. »Und willst Du wirklich wieder fort?«

»Ich muß, Auguste,« sagte der kleine Mann traurig. »Sieh, ich habe noch so viel da drüben zu besorgen, eine Menge Land, Colonien, die jetzt in fremden Händen sind und verwahrlost werden, wenn man nicht den Leuten dann und wann auf die Finger sieht. Auch Geld hab' ich noch drüben ausstehen, was ich nicht gern einbüßen möchte, und von dem Verkauf des Hotels weiß ich auch nicht einmal, ob die Raten alle richtig eingezahlt sind.«

»Hm,« brummte Pfeffer und schritt, den blauen Qualm ausblasend, in der Stube nachdenkend auf und ab. Aber Auguste sagte kein Wort; sie sah still und traurig vor sich nieder und seufzte tief auf.

»Und wann willst Du wieder fort, Jeremias?« fragte sie endlich so leise, daß er die Worte kaum verstehen konnte.

»Gleich nach der Hochzeit,« lautete die Antwort; »der Dampfer geht, glaub' ich, am Dreizehnten oder Fünfzehnten, und ich möchte noch ein paar Tage in Bordeaux bleiben, um dort Manches einzukaufen.«

»Der Vater will fort?« rief Jettchen erschreckt, die eben den Kaffee gebracht und die letzten Worte gehört hatte. »Um Gottes willen, nein, Vater, Du darfst uns jetzt nicht wieder verlassen!«

»Es muß sein, liebes Herz,« sagte der kleine Mann gerührt, während sie ihre Arme um ihn schlang, »es muß sein; gern thu' ich's ja auch nicht, das darfst Du mir wohl glauben, und ich – ich komme auch wohl bald wieder zurück, sobald ich mich losmachen kann drüben. Wo ist denn der Rebe eigentlich hin?«

»Er hatte etwas wegen seines Anzuges für morgen zu bestellen,« sagte Fräulein Bassini; »er muß gleich wiederkommen.«

»Und wie traurig wird Horatius sein,« sagte Jettchen, »wenn Du uns so bald wieder verläßt und Dich gar nicht mehr an unserem Glücke freust! Jetzt ist mir der ganze frohe Tag verdorben, denn ich werde ja doch nur immer an den Abschied denken.«

»Ich wollte Euch eigentlich gar nichts davon sagen,« bemerkte Jeremias kleinlaut, »bis dicht vor dem Abschied, aber es ging doch nicht an; es ist doch noch so Manches zu besprechen, und da – da bleibt's immer besser, man weiß es eine Weile vorher, daß man sich danach richten kann.«

»Und kannst Du die Geschichte da drüben denn gar nicht durch jemand Anders besorgen lassen?« fragte Pfeffer noch einmal, indem er vor ihm stehen blieb. »Du sagtest doch früher, Du hättest einen zuverlässigen Mann drüben.«

»Es geht nicht, Kinder, es muß sein,« schüttelte Jeremias mit dem Kopf; »'s thut mir selber leid genug, aber läßt sich eben nicht ändern, und, Du lieber Gott, das junge Volk braucht mich ja auch nicht mehr, die haben jetzt genug mit einander zu thun.«

»Und wir Alten?« sagte Pfeffer.

»Na, ich – ich hab' Euch ja doch jetzt einmal wieder gesehen und weiß, daß es Euch gut geht, und alles Andere – aber da kommt Rebe,« unterbrach er sich rasch, indem er seinen Hut nahm; »sagt's ihm nachher, wenn ich weg bin, ich möchte die Geschichte nicht noch einmal durcharbeiten. »Nun, wo haben Sie gesteckt, Rebe?« fragte er diesen, als er vor der Thür an ihm vorbei wollte. »Jettchen hat sich schon gesorgt, daß der Kaffee kalt würde.«

»Sie wollen fort?«

»Ich komme nachher wieder.«

»Dann gehen Sie doch einmal bei Rottacks vorbei, Herr Stelzhammer. Er begegnete mir vorhin auf der Straße und bat mich, Ihnen das auszurichten.«

»Sie sind zurück?«

»Seit heute früh. Eben ist auch die Nachricht eingetroffen, daß in dieser Nacht der alte Graf Monford gestorben sei; da draußen ist's jetzt recht öde geworden.«

»Du lieber Gott,« seufzte Jeremias, »also doch noch! Ja, da will ich gleich zu Rottacks gehen.«

Und Rebe freundlich zunickend, schritt er an ihm vorüber aus der Thür und die Treppe hinab.

Es war ihm recht weh und weich zu Sinn, aber die Anderen durften ja doch nichts davon merken, und sich tüchtig zusammennehmend, schritt er den kurzen Weg hinüber nach Rottack's Haus, wo er auf das Herzlichste begrüßt wurde. Er fand dort auch zu seiner Freude, daß sich Paula wieder so weit erholt hatte, um die Reise ungefährdet fortsetzen zu können. Nicht einmal die Dienerschaft im Hause wußte aber, wer die junge Fremde sei, die krank und verschleiert angekommen, und jede Möglichkeit eines Ausplauderns war dadurch abgeschnitten.

Jeremias wunderte sich freilich manchmal im Stillen, weshalb gerade Rottacks ein so aufopferndes Interesse an der jungen unglücklichen Comtesse nahmen, aber seine eigenen Pläne beschäftigten ihn doch auch zu sehr, um lange darüber nachzudenken, und danach gefragt hätte er überdies nie; was kümmerte das auch ihn, und er hatte Rottacks viel zu lieb, als ihnen einen andern Beweggrund zuzuschreiben, wie aufopfernde Freundschaft.

Dem jungen Grafen Rottack – Helene war bei der Kranken in ihrem eigenen Zimmer – entging aber dagegen nicht die auffallend gedrückte Stimmung seines kleinen Freundes, denn eine solche augenscheinliche Schwermuth war er nicht an ihm gewohnt. Er fragte ihn deshalb direct um die Ursache, und Jeremias gestand ihm denn nach einigem Zögern endlich mit einem gewaltsam heraufgezwungenen Humor, daß er wieder nach »Brumsilien« zurück wolle, um dort nach seinem Eigenthum zu sehen, und daß es ihm schwer werde, jetzt von hier fortzugehen.

»Aber haben Sie mir denn nicht selber gesagt,« fragte der junge Graf, »daß Ihnen Rohrland in Santa Clara Alles besorgt und daß Sie dem das Ganze übergeben hätten? Auf Rohrland können Sie sich doch fest verlassen.«

»Felsenfest,« bestätigte Jeremias, »besser als auf mich selber.«

»Und weshalb da die Reise, wenn Sie nicht gern gehen?«

»Herr Graf,« sagte Jeremias entschlossen und sah sich vorher wie scheu im Zimmer um, ob sie auch ganz allein wären, »ich – ich will Ihnen reinen Wein einschenken; ich muß Jemanden haben, mit dem ich einmal offen sprechen kann, es drückt mir sonst wahrhaftig das Herz ab.«

»Und daß Sie Keinen haben, Jeremias, der wärmeren Antheil an Ihnen nimmt, wissen Sie doch,« sagte der junge Graf herzlich. »Kann ich Ihnen mit etwas helfen, so reden Sie frei. Haben Sie vielleicht zu viel Ausgaben gehabt und brauchen Sie Geld? Heraus mit der Sprache, offen und ehrlich! Ich bin reich, und wo ich Ihnen helfen kann...«

Jeremias schüttelte den Kopf. »Das wär's nicht,« sagte er mit einer komischen Verlegenheit, »Geld wär' da, und wie ich zurückkam, fand ich sogar wieder einen Wechsel von Rohrland vor; ich habe mehr als ich brauche, oder doch vollkommen genug.«

»Aber was, um Gottes willen, kann Sie sonst so niederdrücken? Ihr Lieblingswunsch, die Verheirathung Ihrer Tochter mit dem jungen Rebe, ist seiner Verwirklichung nahe, Ihre Frau hat sich, wie Sie mir selber sagen, vollkommen wieder erholt und ist gesund, an Geld fehlt es Ihnen auch nicht – also an was sonst? Heraus mit der Sprache, Jeremias; Sie haben uns mit wahrer Aufopferung beigestanden, machen Sie mir jetzt auch die Freude, daß ich Ihnen helfen kann.«

Er hatte ihm dabei eine Cigarrenkiste und einen Stuhl hingeschoben, und Jeremias, sich immer noch verlegen beider bedienend, sagte: »Ja, sehen Sie, Herr Graf, das ist allerdings eine wunderliche Geschichte; es fehlt mir eigentlich an gar nichts, als – an der Hauptsache.«

»An der Hauptsache?«

»Sobald Jettchen geheirathet hat,« fuhr Jeremias fort, »so zieht selbstverständlich die Mutter zu den Kindern, und auch Pfeffer hat sich oben in dem Hause Stübchen und Kammer mit einer reizenden Aussicht gemiethet. Soll ich mich dann mutterseelenallein hier irgendwo als Junggeselle einquartieren und auf meine alten Tage da verloren sitzen?«

»Ja, aber weshalb ziehen Sie denn nicht zu Ihren Kindern?«

»Ich?« rief Jeremias ordentlich erschrocken. »Ja, aber das geht ja doch gerade nicht. Von meiner Frau bin ich geschieden, und so lange sie krank, elend und in Noth war, konnte kein Mensch etwas Übles darin sehen, wenn ich in dem Hause aus und ein ging. Jetzt aber, wo sie wieder rüstig und gesund ist und mir mein früheres nichtsnutziges Betragen vollständig vergeben hat, darf ich nicht in ein und dasselbe Haus mit ihr ziehen. Denken Sie nur, was die Leute darüber reden würden, und wo sie über Schauspieler oder was mit ihnen zusammenhängt losziehen können, thun sie's ja doch nur gar zu gern. So aber als Fremder hier zu wohnen, wo man eine Familie im Orte hat, das – hielt ich auf die Länge der Zeit nicht aus, und da ist's besser, ich gehe bei Zeiten.«

Die Unterhaltung zwischen Rottack und Jeremias stockte eine Weile, weil Letzterer schwieg; dann aber fragte Graf Rottack: »Also in Brasilien haben Sie wirklich nichts Wichtiges zu thun, nichts wenigstens, was Ihnen nicht Rohrland eben so gut besorgen könnte?«

»Gar nichts,« schüttelte Jeremias mit dem Kopf; »das war nur eine Ausrede, denn sagen kann ich's ihnen ja doch nicht.«

»Und Ihre Frau ist Ihnen wieder gut?«

»Es ist ein wahrer Engel von einer Frau, und ich fühle erst jetzt, was ich für ein Esel gewesen bin.«

»Dann erklären Sie mir aber auch Eins: weshalb lassen Sie sich nicht wieder mit Ihrer Frau trauen?«

»Hurrjeh,« rief Jeremias, von seinem Sitz emporfahrend, »das geht ja aber doch nicht; wir sind ja geschieden!«

»Aber lieber, bester Freund,« lachte Rottack, »warum geht denn das nicht? Ich kenne verschiedene Beispiele, daß sich früher geschiedene Gatten wieder haben trauen lassen. Sie sind ja Beide frei und unabhängig, und wer in aller Welt will Sie daran hindern oder könnte es Ihnen, wenn Sie Ihre Frau noch lieben, verdenken?«

»Und Sie glauben wirklich?« rief Jeremias, ganz verstört von all' den Gedanken, die ihm jetzt durch den Kopf schossen.

»Glauben – was soll ich glauben?« sagte der junge Graf. »Die Sache ist außer aller Frage. Sie erwerben sich dadurch ein Recht, für die Frau, der Sie einst ewige Treue versprochen und dann ein bischen gewissenlos durchgingen, auch in ihrem Alter zu sorgen und das, was sie gelitten, wieder an ihr gut zu machen; und seien Sie überzeugt, daß man es Ihnen überall sogar hoch anrechnen und Sie deshalb schätzen und lieben wird.«

»Ach, mein bester Herr Graf,« sagte Jeremias, indem er wieder in seinen Stuhl zurücksank, »das ist ja schon seit langen Monden mein Lieblingswunsch gewesen, schon wie Auguste noch krank war, um sie aller Sorge für das Kind zu entheben; aber – ich habe nie geglaubt, daß es möglich wäre, und dann – wenn ich es mir manchmal so dachte, fehlte es mir immer an der Courage, es ihr zu sagen.«

»Fehlt es Ihnen noch daran?« lächelte Rottack.

»Ja,« sagte Jeremias kleinlaut; »ich brächt's nicht über die Lippen.«

»Soll ich dann Ihren Freiwerber machen?«

»Sie – Sie wollten?«

»Und warum nicht? Trüg' ich doch nur dazu bei, einer braven Frau ihren braven Mann wiederzugeben, und wie glücklich werden die Ihrigen sein, wenn Sie sich nicht wieder von ihnen trennen wollen.«

»Ach Gott, ja, und ich auch,« seufzte Jeremias; »es war immer mein Lieblingswunsch gewesen, aber nur ganz im Stillen, mich an dem nämlichen Tag mit meiner seligen Frau – ach, Unsinn, das Wort kommt mir immer auf die Zunge – mit meiner geschiedenen Frau wieder trauen zu lassen, an welchem Jettchen Hochzeit machte.«

»Das wäre allerdings ein wenig rasch,« lachte Rottack, »und möchte Schwierigkeiten machen. Ihre Papiere haben Sie?«

»Alles in musterhafter Ordnung.«

»Brasilianischer Bürger dazu, hm, wir wollen einmal sehen. Aber erst müssen wir doch wohl mit Ihrer Frau sprechen.«

»Und Sie wollten das wirklich thun?«

»Hören Sie einmal, Jeremias,« sagte Graf Rottack, indem er aufstand und seinen Hut nahm. »Bleiben Sie einmal da sitzen. Das Sprüchwort sagt freilich: Gut Werk will Weile haben. Aber ich denke, ein gutes Werk kann man nicht zu bald thun. Da stehen die Cigarren, in den Caraffen dort auf dem Buffet steht Portwein und Sherry, wenn Sie in der Zeit einer Stärkung bedürfen sollten. In einer halben Stunde bringe ich Ihnen Antwort.«

»Ich trinke Ihnen indessen den ganzen Portwein aus,« sagte Jeremias.

Rottack lachte, nickte ihm zu und verließ das Haus. – –

Bei Pfeffers saß die Familie indessen noch in einer recht wehmüthigen Stimmung beisammen, denn Jeremias' eben angekündigter und so nahe bevorstehender Abschied lag Allen auf der Seele. Pfeffer selber ging mit immer größeren Schritten auf und ab und dampfte immer stärker; Fräulein Bassini strickte, als ob der Strumpf noch heute fertig werden müßte, und Rebe stand niedergeschlagen am Fenster, während Jettchen der Mutter Hand in der ihrigen hielt und ihr mit leisen Worten Trost zuflüsterte.

Da klopfte es an die Thür, und auf das etwas erstaunte »Herein!« Pfeffer's trat Graf Rottack in's Zimmer.

»Störe ich?«

»Herr Graf!« rief Pfeffer in einiger Verlegenheit, daß er schon wieder in seinem alten Schlafrock ertappt wurde. »Sie entschuldigen einen Augenblick!«

»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!« rief Rottack. »Es ist eine Familienangelegenheit, in der ich komme. Verehrte Frau, ich freue mich herzlich, Sie dieses Mal so wohl und munter anzutreffen; Sie haben sich wirklich in der kurzen Zeit merkwürdig erholt. Mein liebes Fräulein, wenn auch verspätet, doch nicht minder herzlich ist mein Glückwunsch – oder eigentlich sollte man besonders Ihnen Glück wünschen, Herr Rebe, denn ich glaube, Sie sind am meisten zu beneiden. Ah, auch eine alte Bekannte, Fräulein Bassini, wenn ich nicht irre – aber bitte, wollen denn die Damen nicht Platz behalten? Und was für betrübte Gesichter sehe ich hier? Thränen in den Augen, mein Fräulein? Das schickt sich aber nicht für eine Braut!«

Fräulein Bassini, die, als der Graf eintrat, rasch ihren etwas sehr mitgenommenen Strickstrumpf bei Seite geschoben hatte und dann auf und nieder geknixt war, bis er sie anredete, rief jetzt: »Ach, Herr Graf, wenn Sie dem Jeremias nur zureden wollten, daß er nicht wieder nach Brasilien ginge!«

»Und sind Sie darüber so traurig?«

Die Frauen seufzten tief auf, als sich die Thür wieder öffnete und Pfeffer, der rasch hinausgefahren war, ohne Pfeife und in seinem unvermeidlichen langen braunen Rock erschien.

»Nun, Herr Graf, womit können wir Ihnen dienen?«

»Wir sprachen gerade über Jeremias' Abreise nach Brasilien,« sagte Graf Rottack lächelnd, »und da die Damen hier nicht damit einverstanden scheinen, kann ich Ihnen vielleicht einen Vorschlag zur Güte machen.«

»Sie?« rief Auguste rasch. »Oh, wenn Sie das über ihn vermöchten, Herr Graf, daß er hier bei uns bliebe! Ich weiß, er hält außerordentlich viel auf Sie.«

»Aber doch wohl nicht so viel, verehrte Frau,« lächelte der junge Graf, indem er den ihm von Rebe gebotenen Stuhl dankend nahm, »daß ich mehr über ihn vermöchte, als Sie, wenn Sie ihn schon darum gebeten haben.«

»Aber er sagt, er müsse zurück,« klagte Henriette, »seine Geschäfte und Ländereien zwängen ihn dazu.«

»Das ließe sich doch vielleicht arrangiren,« meinte Rottack. – »Ich danke, ich schnupfe nicht.« Und Pfeffer schob seine Dose ordentlich erschreckt wieder in die Tasche. – »Darüber hab' ich mit ihm gesprochen. Er kann mit leichter Mühe Alles brieflich abmachen; aber« – und sein Blick haftete dabei fest auf der Frau – »eine andere Sorge liegt ihm am Herzen, die er nicht den Muth hat auszusprechen.«

»Nicht den Muth?« rief Pfeffer. »Was in aller Welt kann das aber denn nur sein?«

»Er hat kein Logis in Haßburg,« sagte Rottack, wieder den Blick der Frau suchend.

»Kein Logis?« schrie Pfeffer. »Na, so schlage doch Gott den Deu – Bitte um Entschuldigung! Das geht über die Möglichkeit! Kein Logis?«

»Aber ich begreife den Vater nicht,« sagte auch Henriette; »das kann ihm doch unmöglich Sorge machen.«

»Er muß rein verrückt geworden sein!« rief Fräulein Bassini. »Ich wollte ihm genug Wohnungen in der Stadt verschaffen, um ein ganzes Regiment einzuquartieren.«

Rottack sah still und lächelnd vor sich nieder. »Und glauben Sie auch, verehrte Frau,« sagte er endlich, indem er zu Augusten aufsah, »daß ich ihm das zusagen darf?«

Ein paar Thränen glänzten in den Augen der Frau, ihre Wangen glühten, aber sie sagte leise: »Wenn er will – ich glaube es gewiß.«

»Ich danke Ihnen in seinem Namen!« rief Rottack, indem er aufsprang und ihr die Hand reichte. »Also werden wir von Ihrer Güte Gebrauch machen, mein gnädiges Fräulein.«

»Von meiner Güte?« rief Fräulein Bassini. »Ja, ich verstehe aber kein Wort davon!«

Henriette hatte ihre Mutter rasch und erstaunt angesehen; hohes Roth färbte auch ihre Wangen, aber jubelnd warf sie sich an der Mutter Brust, während Rebe auf Rottack zuging, seine Hand ergriff und sie herzlich schüttelte.

»Ja, aber Fürchtegott,« rief Fräulein Bassini, »begreifst Du etwas?«

»Und darf ich den Ausreißer herschicken?« fragte der junge Graf.

»Schicken Sie ihn,« sagte die Frau leise, »es kann ja Alles – Alles wieder gut werden!«

Rottack ging. Als aber kaum eine Viertelstunde später Jeremias zu ihnen in's Zimmer trat, als ihm Henriette schon an der Thür um den Hals fiel, und der kleine Mann, der vor Rührung kein Wort über die Lippen bringen konnte, auf seine verlassene Frau zuging und ihr die Hand entgegenstreckte, da lehnte sie die thränenbenetzte Wange an seine Brust und flüsterte bewegt: »Ich danke Dir für Deine treue Liebe, Jeremias!«

Und glücklichere Menschen waren wohl kaum an dem Tage in Haßburg versammelt, als in dem kleinen Raum, der diese hier umschloß.

Indessen aber war Rottack thätig. Er hatte in Haßburg in dem Ober-Bürgermeister der Stadt einen Jugendfreund und Studiengenossen seines Vaters gefunden und war mit ihm bekannt geworden. Diesem legte er die Sache vor und befürwortete eine rasche oder vielmehr augenblickliche Erledigung derselben, um es Jeremias zu ermöglichen, seinen Lieblingswunsch zu erfüllen und die Erneuerung seiner Trauung mit den Kindern zusammen zu feiern.

Es ging leichter, als er geglaubt hatte. Jeremias, als brasilianischer Bürger, brauchte keinen Heimathschein. Zufällig, traf es sich, daß heut Abend noch Rathssitzung war, wo das Gesuch vorgelegt werden konnte. Mit dem Geistlichen, einem liebenswürdigen und aufgeklärten Manne, ließ sich ebenfalls reden, von dem dreimaligen Aufgebot konnte dispensirt und dasselbe gleich morgen erlassen werden. Rottack erbot sich dabei, jede nur verlangte Bürgschaft zu leisten. Das Einzige, was Jeremias zu thun hatte, war, seine Papiere noch heut Abend vor sechs Uhr in des Bürgermeisters Haus zu bringen. Alles Andere ließ sich arrangiren.

Der alte Herr hatte auch in der That nicht zu viel versprochen. Wo der gute Wille ist, geht Alles; nur der nöthigen und nicht zu vermeidenden Form muß genügt werden, und am nächsten Montag machte Graf Rottack selber in der menschengedrängten Kirche, da Alle einer so merkwürdigen Trauung beiwohnen wollten, Jeremias' Brautführer.

Als der Zug fröhlicher Menschen aus der Kirche kam, begegneten sie dem großen, schwarz verhangenen und mit silbernen Stickereien bedeckten Leichenwagen der Stadt, der den alten Grafen Monford zu seiner letzten Ruhestätte führte. Nur ein einziger Wagen folgte, in dem die Gräfin, das Haupt mit einem dichten schwarzen Schleier bedeckt, saß.

Der alte Graf hatte es so, noch kurz vor seinem Tode, wo er wieder zur Besinnung kam, verlangt. Niemand weiter sollte ihm folgen, auch keine Leichenrede gehalten und bei dem Einsenken in die Gruft nur von vier Männerstimmen Mendelssohn's herrliches »Auf Wiedersehen« gesungen werden.

Rottack überlief ein ganz eigenes, eisiges Gefühl. Wie wunderbar zeigte sich hier die schwankende Laune des Glücks, denn das, was seinen Freunden hier Heil und Segen brachte, warf dort ein altes, edles Haus in Trümmer.

Und wie einsam, wie verlassen die arme Frau in ihrer Staatscarrosse saß – aber hatte sie es anders gewollt? Starr und eisern war sie ihre Bahn gewandelt, und jetzt bedeckte der Schleier freilich ihr Antlitz, aber Rottack war fest überzeugt, daß diese Züge unter dem Schleier auch ihre kalte Unerbittlichkeit gewahrt hatten und keine Thräne ihre Wange netzte.

Oh, hätte er die arme Gräfin weinen sehen!

34.
Schluß.

Die Hochzeit – die Beerdigung war vorüber, und während dort in der Stadt frohe, glückliche Menschen der Zukunft entgegen jubelten, fuhr die Trauer-Equipage, mit welcher die Gräfin allein ihrem Gatten das letzte Geleit gegeben, in das Schloß zurück, und die in schwarze Wolle vom Kopf bis zu Füßen gekleidete Frau – der Schleier aber noch immer das Gesicht verhüllend – schritt langsam, wie die Ahnfrau ihres Hauses, die Stufen hinauf, die in ihr Zimmer führten.

Sie hatte heute noch nichts gegessen. Der alte Haushofmeister brachte ihr selber auf einem großen silbernen Präsentirbrett einen Imbiß hinaus.

Sie schüttelte den Kopf und winkte mit der Hand, daß es fortgenommen würde.

So verbrachte sie den ganzen Tag. Sie saß in ihrem Stuhl am Fenster und blickte auf das vor ihr ausgebreitete Thal hinaus; sie sprach nicht, sie rührte sich nicht, und nur wenn sich ihr Jemand nahen wollte, winkte sie ihn fort. So saß sie die ganze Nacht, nur erst am nächsten Morgen warf sie sich, halb angekleidet, auf ihr Lager, und ihre Kammerfrau gerieth schon in Angst und Sorge, als sie um zwölf Uhr Mittags ihr Zimmer noch nicht wieder geöffnet hatte und Todtenstille darin herrschte. Aber sie brauchte nichts zu fürchten, die Gräfin lebte und war gesund, und was auch ihr Geist leiden mochte, ihr Körper unterlag dem Druck nicht.

Es war Nachmittag, als der Haushofmeister durch die Kammerfrau um die Kofferschlüssel bitten ließ, da die Frau Gräfin neulich bestimmt habe, daß sie gleich nach der Beisetzung ihres Gatten Haßburg verlassen wolle. Sie ließ ihm wieder sagen, es habe noch Zeit; sie sei noch nicht entschlossen, wann sie abreisen werde.

Er wollte selbst zu ihr, aber die Thür war wieder verschlossen, und erst gegen Abend wurde er beordert, der Frau das Diner hinauf zu schaffen.

Einer der Diener deckte den Tisch, der alte Haushofmeister bediente sie selber. Während sie aß, wurde kein Wort gesprochen. Als er abräumen wollte, sagte die Gräfin:

»Ihr habt mich heute nach den Kofferschlüsseln fragen lassen?«

»Ja, gnädige Frau Gräfin...«

»Dort liegen sie auf dem Tisch.«

»Wann gedenken Sie abzureisen?«

»Wahrscheinlich Ende der Woche – ich weiß es noch nicht. Ihr könnt Eure Sachen immer zurecht machen. Ich werde nur meine Kammerfrau und Euch mitnehmen, Hußmann.«

Der Haushofmeister erwiderte nichts – er hatte die Hände eben an einen der Präsentirteller gelegt, um ihn vom Tisch zu nehmen. Er blieb in der Stellung – endlich sagte er leise:

»Frau Gräfin, ich werde Sie bitten müssen, mich diesmal zu entschuldigen.«

»Zu entschuldigen? Weshalb?« sagte die Frau, deren Gedanken indessen schon weit abgeschweift gewesen.

»Von dem Mitreisen zu entschuldigen, Frau Gräfin,« sagte der alte Mann leise, aber entschlossen.

»Ihr wollt mich auch verlassen, Hußmann?« rief die Gräfin ordentlich erschreckt.

»Ich bin jetzt neunundvierzig Jahre in Ew. Gnaden Dienst, schon bei dem hochseligen Herrn Vater, dann bei Ihnen – ich werde alt, Frau Gräfin, ich kann meinem Dienst nicht mehr so vorstehen, wie ich wohl möchte, und – das Reisen vertrage ich gar nicht mehr. Ich könnte Ihnen unterwegs krank werden, und da ist's viel besser, ich – bitte Sie in Zeiten um meine Entlassung.«

Die Gräfin antwortete ihm nicht – still und regungslos, den Kopf in die Hand gestützt, saß sie am Tisch und starrte vor sich nieder. Der Haushofmeister stand noch immer in ehrfurchtsvoller Stellung neben ihr, eine Erwiderung erwartend.

Endlich winkte ihm die Herrin leise mit der Hand. »Es ist gut, Hußmann,« sagte sie, »ich will es mir überlegen. Ihr habt Euren freien Willen – geht jetzt, laßt mich allein, mir ist nicht recht wohl, ich muß Ruhe haben – geht doch nur!«

Sie sah auf, aber sie war schon allein. Der Haushofmeister hatte das Zimmer so geräuschlos verlassen, daß sie sein Gehen gar nicht bemerkt.

Wie die Stunden dahin schlichen und die Tage in dem öden Haus, und wie unheimlich selbst die Pracht das Ganze machte! Sammt, Silber, Seide und Marmor schienen des Elends ordentlich zu spotten, das jetzt heimisch in diesen Räumen geworden, und wie Schatten glitten die wenigen zurückbehaltenen Diener über die weichen Teppiche der Stuben, durch die kein Lichtstrahl mehr fiel, so dicht waren die Gardinen verhangen – wie ein Schatten selbst schlich die düstere Gestalt der Gräfin mit todbleichem Antlitz in den Sälen umher, die ihre einzige Heimath bildeten und doch keine Heimath mehr boten.

Eine Woche mochte fast nach der Beisetzung des Grafen vergangen sein. Die Gräfin hatte ihre Koffer noch nicht packen lassen, der alte Haushofmeister aber den erbetenen Abschied erhalten. Seine Familie lebte hier in Haßburg, und die Gräfin bat ihn nur, die Aufsicht über das Schloß in ihrer Abwesenheit so lange zu übernehmen, bis sie einen andern zuverlässigen Mann gefunden habe. Der Alte blieb also indessen als Castellan des Schlosses zurück. – Aber noch immer wurden keine Anstalten zum Reisen gemacht, wenn auch das Silbergeschirr und andere werthvolle Sachen schon lange gepackt und in die Stadt geschafft waren.

Da fuhr ein Wagen vor – seit lange der erste wieder vor dem öden Platz. Die Gräfin hatte ihn gehört und dem Geräusch, emporfahrend, gelauscht – dann fiel sie wieder in ihre alte Stellung zurück.

Ein Diener trat in's Zimmer und überreichte ihr eine Karte.

»Herr Graf Rottack wünscht der Frau Gräfin seinen Abschiedsbesuch zu machen – die Frau Gräfin Rottack ließe sich entschuldigen, sie fühle sich nicht wohl.«

Gräfin Monford zuckte zusammen, als sie den Namen hörte – wie unschlüssig hielt sie die Karte in der Hand, aber unwillkürlich fast machte der Arm eine abwehrende Bewegung.«

»Ich kann nicht – jetzt nicht – ich fühle mich nicht wohl.«

»Der Herr Graf sagte mir,« berichtete der Diener, »daß die gräfliche Familie morgen Haßburg verlassen würde.«

Die Gräfin blieb regungslos mehrere Secunden, aber wieder winkte sie abwehrend mit der Hand.

Der Diener verließ das Zimmer, und gleich darauf rollte der Wagen wieder fort; in ihren Stuhl aber sank die Gräfin und deckte ihr Antlitz mit den Händen. – –

Graf Rottack kehrte in seinem Cabriolet, das er selber fuhr, nach Hause zurück. Schon vorher hatte er von Jeremias' jetzt glücklicher Familie Abschied genommen, alle anderen Abschiedsbesuche waren ebenfalls gemacht, und es band ihn nichts mehr an Haßburg, da er die Aufsicht über sein Haus, bis er zurückkehrte, seinem kleinen brasilianischen Freund übergeben.

Er war sehr langsam gefahren und sah ernst und niedergeschlagen aus. Seine arme Helene! Wie hatte sie die Zeit ihres Aufenthalts in Haßburg, wie der Mutter Liebe ersehnt, und wie trüb', wie furchtbar mußte sich da Alles gerade in dieser Zeit gestalten! Aber er brauchte sich selber keine Vorwürfe zu machen. Er hatte gethan, was in seinen Kräften stand, und kein mögliches Mittel unversucht gelassen, um das eiserne Herz der Frau zu erweichen. Es war Alles umsonst gewesen; nicht einmal die unglückliche Paula durfte es wagen, ihr zu nahen, wenigstens jetzt noch nicht, denn ihr Körper war so geschwächt, daß er die kalte Zurückstoßung der Mutter nicht ertragen hätte. So mußte es denn der Alles lindernden Zeit überlassen bleiben, auch diese Wunde zu heilen, auch diese starre Brust zur Sühnung zu stimmen, und für Helene und Paula hoffte jetzt Rottack in einem fremden Land – wenn nicht Vergessen des Unabänderlichen, doch Zerstreuung zu finden. Beide waren ja noch jung, und eine schöne Natur, fremde Scenen und Bilder würden gewiß nicht ihren Eindruck auf ihre Herzen verfehlen.

Nur jetzt fort von hier – der letzte Versuch war gemacht, das Letzte abgeschüttelt, und er konnte die Zeit der Abreise kaum erwarten.

Es dämmerte schon, als er in seine Wohnung zurückkehrte. Paula und Helene saßen, seiner harrend, im Salon, der aber auch freilich schon die Spuren bevorstehender Abreise zeigte.

»Und hast Du sie gesprochen?« rief ihm Helene mit bebender Stimme entgegen, als er den Saal betrat, und auch Paula's Blick hing angstvoll an seinen Zügen.

Felix schüttelte langsam den Kopf. »Nein,« sagte er leise – »es ist umsonst. In ihrem Herzen ist kein verwundbarer Punkt, und so stolz und unerbittlich sie im Glück war, so kalt und so verschlossen hat das Unglück sie erhalten. So, fort denn mit allen Plänen und Hoffnungen, Kinder! Morgen früh ziehen wir hinaus in die weite Welt, und draußen im Sonnenlicht und der freien, herrlichen Natur mag ein neues Leben seine Pforten für Euch öffnen.«

»Und wollen Sie die arme Waise mit sich nehmen, Graf Rottack?« sagte Paula gerührt – »oh, womit habe ich das verdient?«

»Meine liebe Paula,« lächelte Felix, »Helene hat Sie als Schwester adoptirt, und da müssen Sie es sich schon gefallen lassen, mir auch eine freundliche und liebevolle Schwägerin zu sein – aber als solche gehören Sie doch jedenfalls mit zur Familie.«

»Und was wäre ohne Sie aus mir geworden?«

»Die Zeit ist vorbei, meine beste Paula,« rief Felix, »bannen Sie die trüben Gedanken. Das Leben hat noch manchen sonnigen Tag für Sie!«

»Für mich?« sagte Paula, traurig mit dem Kopf schüttelnd, »der Bruder und Vater todt – von der Mutter verstoßen – nur trübe Schatten liegen auf meiner Bahn. Aber Gott lohne Euch Beiden tausendfach die Liebe, die Ihr mir entgegenbrachtet, und je unerklärlicher es mir ist, daß Ihr das arme, verlassene Mädchen an Eure Herzen ziehen konntet, so viel mehr Dank schulde ich Euch dafür.«

»Meine Paula, meine Schwester,« rief Helene, und schloß sie in ihre Arme. Rottack aber, der diese Scene um jeden Preis abzukürzen wünschte, weil er fürchtete, daß die noch immer nicht vollkommen Genesene sich zu sehr aufregen möchte, rief dazwischen:

»Nun muß ich Sie aber darauf aufmerksam machen, meine Damen, daß der Zug morgen früh um halb zehn Uhr geht und Damen gewöhnlich eine Masse von zu packenden Gegenständen bis zum letzten Augenblick aufheben. Ich bitte Sie dringend, hiervon diesmal eine Ausnahme, und heut Abend wo möglich noch Alles fertig zu machen, was irgend fertig gemacht werden kann.«

»Ja, Herz,« sagte Helene, »Felix hat Recht – komm, ich helfe Dir, daß sich unser gestrenger Herr und Gebieter morgen nicht zu beklagen hat, oder uns vorwerfen kann, wir wären lässig gewesen. Komm, Paula, und nun nicht mehr weinen,« fuhr sie fort, der Trauernden die Thränen mit ihrem eigenen Tuch von den Augen wischend, »Du mußt hübsch folgen und brav sein,« und ihren Arm um sie schlagend, führte sie die Schwester in ihr Zimmer hinüber.

Felix blieb allein im Saale. Er hatte sich eine Cigarre angezündet und ging eine Weile sinnend auf und ab. Es war indessen völlig dunkel geworden, aber er klingelte noch nicht nach Licht – er merkte es gar nicht. Mit seinen Gedanken war er wieder in Brasilien. Wie wunderbar sich Alles gestaltet hatte – heute gerade wieder der Jahrestag seines Abschieds von Santa Clara, wo er zu jener Frau in's Zimmer trat und sie zwang, ihm das Couvert für Helene zu geben! Welche Hoffnungen hatten sich daran geknüpft – wie hatte Helene die Zeit herbeigesehnt, in der sie ihrer Mutter in die Arme fliegen könne, und jetzt? Alles vorbei. Wieder standen, wie damals, die Koffer gepackt, aber nicht mehr der Heimath strebten sie entgegen, die Heimath gerade wollten sie eben fliehen.

Der Diener kam mit Licht, und Rottack erschrak ordentlich, als der helle Glanz sein Auge traf; aber er duldete es und warf sich, die Gedanken abschüttelnd, in einen Fauteuil, um die den Nachmittag eingetroffenen Zeitungen zu durchfliegen.

Eine Stunde mochte er so gesessen haben, als Helene zurückkehrte und, ihren Arm um ihn legend, seine Stirn küßte.

»Ist Paula ruhiger?«

»Ja, Felix; sie hat sich erst drüben noch einmal ordentlich ausgeweint, denn auf Deinen heutigen Besuch schien sie doch noch im Stillen wohl eine letzte Hoffnung aufgebaut zu haben. Jetzt ist es vorbei und überstanden, und sie sehnt sich nun selber weg von Haßburg mit seinen furchtbaren Erinnerungen.«

»Wunderbar,« sagte Felix, »wie fast Alles, was mit dieser entsetzlichen Katastrophe zusammenhing, todt und dahin ist. Da lese ich eben in der Zeitung, daß Hubert, Graf von Bolten, vor wenigen Tagen in Österreich beim Zureiten eines wilden, störrischen Pferdes von diesem abgeschleudert, geschleift und todt nach Hause getragen wurde.«

»Es war ein wilder, übermüthiger Mensch.«

»Jetzt ist er ruhig,« sagte Felix leise – »aber wo ist Paula? Laß sie nicht so lange allein, Herz – ihre trüben Gedanken kommen wieder. Denke, was das arme Kind verloren hat!«

»Was ich verloren habe,« flüsterte Helene, die Stirn auf des Gatten Haupt lehnend.

Draußen im Vorsaal hatte einer der Diener eben das Theegeschirr herausgebracht und auf einen Tisch gestellt, um es der Herrschaft hinein zu tragen, als sich die Hausthür öffnete und eine schwarz gekleidete Dame, das Gesicht verschleiert, eintrat.

»Ist Deine Herrschaft zu Hause?«

»Ja, gnädige Frau,« sagte der Diener, über die plötzliche, eigenthümliche Erscheinung fast erschreckt, »wen habe ich die Ehre zu melden?«

»Niemanden,« sagte die hohe, stattliche Frau, aber mit fast tonloser Stimme, »ich werde mich selber melden.«

»Bitte um Verzeihung, ich...« wollte der Diener einwenden, aber eine gebietende Bewegung der verschleierten Dame, die ihm wie eine Erscheinung vorkam, scheuchte ihn zurück, und diese schritt jetzt selbst auf die Thür zu und öffnete sie.

»Meine Helene,« rief Felix, das Antlitz zu der Gattin emporhebend und ihrem Kuß begegnend, »mein liebes, süßes Herz, vertraue auf die Zeit, die auch Dir das Verlorene bringen kann!«

Die Thür öffnete sich, eine schwarz gekleidete Gestalt stand auf der Schwelle. Felix hatte das Geräusch gehört und wandte den Kopf dorthin. Er fuhr überrascht in seinem Stuhl empor. Eine Dame – unangemeldet Abends in seinem Zimmer?

»Was ist das?« flüsterte Helene.

Die Fremde schlug den Schleier zurück, und ein bleiches Antlitz starrte daraus hervor.

»Gräfin Monford!« schrie Felix, von seinem Stuhl emporspringend.

»Meine Mutter!« flüsterte Helene und mußte sich an der Stuhllehne anhalten, um nicht umzusinken.

Die Gräfin sprach kein Wort. Schweigend drückte sie die Thür hinter sich in's Schloß und trat dem Tisch näher. Dort blieb sie stehen; aber jede Spur von Stolz war aus den bleichen Zügen gewichen, in die der Gram seine tiefen Furchen gegraben, und die rechte Hand langsam gegen die Tochter ausstreckend, sagte sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme: »Helene!«

»Meine Mutter!« wiederholte Helene; aber nur wie ein Hauch quollen die Worte über ihre Lippen. Sie rührte sich nicht, keine Bewegung machte sie, dem Anruf zu begegnen.

»Helene, kennst Du Deine Mutter nicht mehr?« sagte die Gräfin aber so weich, so bittend.

Felix sah staunend seine Frau an; aber sie rührte sich nicht. Ihre ganze Gestalt bebte, ihr Antlitz war fast noch bleicher geworden, als das der Mutter; aber während sie krampfhaft die Lehne des neben ihr stehenden Stuhls gefaßt hielt, sagte sie mit fester Stimme:

»Und wo ist Deine Tochter Paula, Mutter?«

Die Gräfin barg ihr Antlitz in den Händen und stand regungslos; aber plötzlich fuhr sie empor:

»Das ist der Name, der mich Tag und Nacht gequält,« rief sie in wilder Erregung aus, »das ist der Wurm, die Reue, die an meinem Herzen genagt, und Alles, Alles hat mich verlassen! Helene, willst auch Du mich verstoßen? Du allein hättest ein Recht dazu – aber sieh hier die Thränen einer Mutter! Helene, mein Kind – mein letztes Kind, stoße mich nicht in Nacht und Verzweiflung!« Und in wilder Leidenschaft zu ihr hinstürzend, ehe Felix noch eine Ahnung haben konnte, was sie beabsichtige, warf sie sich vor Helenen nieder, umfaßte ihre Kniee und barg das thränende Antlitz in ihrem Kleide.

»Frau Gräfin!« sagte Felix erschreckt. Aber jetzt hielt sich Helene auch nicht länger.

»Mutter, Mutter!« rief sie, und sich neben die Knieende niederwerfend, umschlang sie dieselbe mit ihren Armen und preßte ihr heiße und glühende Küsse auf Kopf und Nacken.

»Und hast Du Erbarmen mit Deiner armen, armen Mutter, Helene? Willst Du mich wenigstens nicht von Dir stoßen?«

»Nie, nie, Mutter! Nie, so lange dieses Herz noch schlägt!«

»Mein Kind – mein liebes Kind!«

»Aber wie ist mir denn,« rief Helene plötzlich, sich ihrer Umarmung entziehend, »stehl' ich denn hier nicht den Mutterkuß einem theuern Haupt? Felix, Felix, bring der Mutter ihre Tochter!«

»Ihre Tochter – welche?« rief die Gräfin, erschreckt emporzuckend.

Aber Helene hatte sie umfaßt, und sie von der Diele zu sich aufziehend, warf sie sich an ihre Brust und rief unter Thränen jubelnd: »Dein Kind – Dein verlorenes Kind!«

»Paula?«

In der Thür stand Felix; aber in seinen Armen hielt er die zusammenbrechende Gestalt Paula's, die, flehend und mit unsagbarem Schmerz in ihrem bleichen Antlitz die zitternden Hände der Mutter entgegenstreckte.

»Paula!« schrie die Gräfin, aber mehr vermochte sie nicht. Ihr starrer Geist hatte Alles ertragen, Schlag nach Schlag des Schicksals wirkungslos ihr Haupt getroffen, das Glück dieses Augenblicks ertrug es nicht, und ohnmächtig sank sie in Helenens Arme.

Aber die Freude tödtet nicht so leicht. Von ihren Kindern zum Sopha getragen, schlug sie die Augen wieder auf, und wer vermöchte die Seligkeit dieses Wiedersehens zu schildern! Helene weinte und lachte, und beide Töchter, vor der Mutter knieend, hielten sie fest umschlossen und bargen ihr Haupt an ihrem Herzen.


Am nächsten Tage wurde in Schloß Monford gepackt, und der alte Haushofmeister, der wie der Geist einer vergangenen Zeit in dem öden Gebäude umherschlich, schüttelte erstaunt mit dem Kopf, denn so ruhig, ja heiter hatte er die Frau Gräfin seit dem Tage nicht gesehen, wo das Unglück über das edle Haus hereinbrach und Säule nach Säule niederriß.

Was konnte nur mit ihr vorgegangen sein? Gestern Abend hatte sie zu Fuß das Schloß verlassen und war durch den Grafen Rottack in dessen eigener Equipage erst nach zwölf Uhr zurückgebracht – und heute –

»Hußmann,« sagte die Gräfin, die eben aus ihrem Zimmer trat, »seid doch so gut und tragt dieses Paket selber zum Grafen Rottack hinunter; es ist für eine junge Dame bestimmt, die bei ihm wohnt. Mir liegt aber daran, daß Ihr es in deren eigene Hände gebt, es ist werthvoll – habt Ihr mich verstanden?«

»Zu Befehl, gnädige Gräfin.«

»Der Wagen ist angespannt, Ihr fahrt hinunter, ich möchte, daß Ihr bald zurückkämet.«

Der alte Haushofmeister nahm das Paket und fuhr in die Stadt. Aber er blieb länger aus, als er eigentlich zu dem Weg gebraucht hätte, und wie er zurückkam, sah er ordentlich verklärt aus.

»Habt Ihr meinen Auftrag ausgerichtet, Hußmann?« fragte die Gräfin, als er wieder zu ihr in's Zimmer trat.

»Frau Gräfin,« rief der alte Mann, und seine ganze Gestalt bebte, »gnädige Frau Gräfin!«

»Ich hätte so gern gehabt, daß Ihr uns auf der Reise begleitetet, Hußmann, aber wenn Ihr denn gar nicht wollt...«

»Frau Gräfin,« sprach der alte Mann mit zitternder Stimme, ergriff ihre Hand und netzte sie mit seinen Thränen, »darf ich denn mit?«

»Also deshalb, Hußmann?« sagte die Gräfin leise und wehmüthig.

»Oh, zürnen Sie mir nicht,« bat der Alte, »meine ganze Seele hing ja an dem Kind, und daß Sie – aber jetzt ist ja Alles gut, Alles gut, und so lange ich nur kriechen kann, weiche ich ja nicht von Ihrer Seite.«

Am nächsten Morgen war ein ganzer Berg von Koffern am Perron des Haßburger Bahnhofs aufgeschichtet, und Hußmann und Jeremias lösten eine Anzahl Billets und gaben das Gepäck dann auf. Sämmtliche Marken daran lauteten aber nach Triest.

Kurz vor Abgang des Zuges trafen die Equipagen der Herrschaften ein, zwei von der Rottack'schen Wohnung, eine vom Schlosse Monford herunter, und die alte Gräfin Monford, die allein in ihrem Wagen gekommen war, eilte auf Rottacks zu, half die Kinder mit herausheben und nahm Helenchen, die sich gar nicht vor ihr fürchtete, auf den Arm. Helene selber nahm Günther an die Hand, und Graf Rottack führte eine dichtverschleierte Dame dem Coupé zu.

Die Haßburger zerbrachen sich den Kopf, wer die Fremde wohl sein könne; aber lange Zeit blieb ihnen nicht dazu übrig, denn eben brauste der Schnellzug heran, und die Reisenden nahmen gleich ihre Plätze ein.

Jeremias stand draußen am offenen Fenster.

»Hurrjeh, Herr Graf,« rief er noch in den Wagen hinein, »ist das nicht beinahe genau so, wie damals in Brasilien, nur daß wir dorten keine Eisenbahn hatten – wissen Sie noch, wie ich Ihnen die Sachen...?« Er schwieg erschrocken still, denn wenn er sich seiner früheren Arbeit auch nicht schämte, machte er doch nicht gern Staat damit.

»Und Sie haben treulich bei uns ausgehalten.«

»Bin nun schon beinahe daran gewöhnt, Sie auf den Trab zu bringen,« lachte der kleine Mann. »Aber haben Sie keine Angst, hier soll indessen Alles richtig besorgt werden.«

»Nehmen Sie sich in Acht, der Zug geht ab!« rief der Schaffner.

»Na, so behüt' Sie Alle Gott!« rief Jeremias, die Hand noch einmal treuherzig in das Coupé hineinreichend. »Und auf ein frohes Wiedersehen!«

»Mein alter, wackerer Freund!«

»Wir werden Sie nie vergessen!« sagte die verschleierte Dame und reichte ihm die kleine weiße Hand.

»Gott lohne es Ihnen, Gott lohne es Ihnen!«

Ein scharfer Pfiff – Jeremias trat vom Wagen zurück, Günther und Helenchen winkten ihm noch jubelnd mit den Händchen zu – und fort rasselte der Zug seine wilde Bahn dahin.

Ende.

Druck von G. Pätz in Naumburg a/S.

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Änderungen:

Seitenangabe
originaler Text
geänderter Text

Seite 4:
über dem kleinen, mit bunten Kattun bezogenen Sopha
über dem kleinen, mit buntem Kattun bezogenen Sopha

ein Lobeerkranz verband sogar Beide mit einander
ein Lorbeerkranz verband sogar Beide mit einander

Seite 8:
Was das für eine reizende Frau und was
Was das für eine reizende Frau ist und was

Seite 12:
kannst Du es mir und dem Oukel verdenken
kannst Du es mir und dem Onkel verdenken

Seite 36:
die sich durch die verschienenen Baumgruppen schlängelten
die sich durch die verschiedenen Baumgruppen schlängelten

Seite 47:
plötzlich und mit einem Schlag sein eigener, freier Herr.
plötzlich und mit einem Schlag sein eigener, freier Herr war.

Seite 59:
was die sonstigen kleinen Leiden und Ägernisse betrifft
was die sonstigen kleinen Leiden und Ärgernisse betrifft

Seite 61:
der das Fach der Charakterollen am Theater bekleidete
der das Fach der Charakterrollen am Theater bekleidete

Seite 64:
ehrlich bringt sie sich mit ihren kleinen Gage durch
ehrlich bringt sie sich mit ihrer kleinen Gage durch

Seite 79:
ihr Theatertername war damals Bassini
ihr Theatername war damals Bassini

Seite 88:
Das ist kein Gesicht für einen Bräutchen!
Das ist kein Gesicht für ein Bräutchen!

Seite 132:
und ireudige Dankbarkeit ... glänzte dabei in fhren Zügen
und freudige Dankbarkeit ... glänzte dabei in ihren Zügen

Seite 135:
»Ja, gewiß,« lächte Rottack
»Ja, gewiß,« lächelte Rottack

Seite 147:
versäumt haben, um sein Diebeshandwerk forzusetzen
versäumt haben, um sein Diebeshandwerk fortzusetzen

Seite 169:
und nachher wär's vielleich möglich
und nachher wär's vielleicht möglich

Seite 180:
es ist für den Commerizenrath
es ist für den Commerzienrath

Seite 208:
nach der Leseprobe noch einen Augenblick zu ververweilen
nach der Leseprobe noch einen Augenblick zu verweilen

Seite 218:
die Gräfin, dem jungen Grafen Bolten frenndzunickend
die Gräfin, dem jungen Grafen Bolten freundlich zunickend

Seite 219:
von den Zügel dabei gerissen, auf die Seite und an dem Karren
von dem Zügel dabei gerissen, auf die Seite und an den Karren

Seite 247:
noch Niemand sehen, den die staken noch alle
noch Niemand sehen, denn die staken noch alle

Seite 263:
die dem Rang der jungen Gräfin ensprechend war
die dem Rang der jungen Gräfin entsprechend war

Seite 298:
Sie können heute auf Ihren Lorbern ausruhen
Sie können heute auf Ihren Lorbeern ausruhen

Seite 307:
Jetzt war Alles todenstill
Jetzt war Alles todtenstill

Seite 317:
Eeau de Cologne
Eau de Cologne

Seite 341:
der nicht mehr länger an sich halten konne
der nicht mehr länger an sich halten konnte

Seite 347:
zu Ihrem gestrigen ungeheuern Erfoge Glück wünscht
zu Ihrem gestrigen ungeheuern Erfolge Glück wünscht

Seite 357:
das Herz des armen Kindes so zu berücken mußte
das Herz des armen Kindes so zu berücken wußte

Seite 364:
Ihre Wangen hatte ordentlich etwas Farbe bekommen
Ihre Wangen hatten ordentlich etwas Farbe bekommen

Seite 373:
25. Der reiche Mann.
26. Der reiche Mann.

Seite 414:
»Knellner, zwei Glas Bier!«
»Kellner, zwei Glas Bier!«

Seite 459:
»Herr Boslaw?« sagte Jemerias.
»Herr Boslaw?« sagte Jeremias.

Seite 469:
»Was sagt sie?« fragte Jeremais
»Was sagt sie?« fragte Jeremias

Seite 473:
das unbeholfere Gestell ließ sich nicht die schmale Treppe
das unbeholfene Gestell ließ sich nicht die schmale Treppe

Seite 489:
an gar nichts, als – an der Haupsache
an gar nichts, als – an der Hauptsache

Seite 500:
Paula's Blick hing anstvoll an seinen Zügen
Paula's Blick hing angstvoll an seinen Zügen