Title: Die Cigarette
Ein Vademecum für Raucher
Author: Stephan Dirk
Release date: March 11, 2024 [eBook #73143]
Language: German
Original publication: Leipzig: Verlag für Industrie-Kultur
Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net
Anmerkungen zur Transkription
Die Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurde übernommen; offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend korrigiert worden.
Das Original hat keine Kapitelüberschriften. Zur besseren Übersicht sind Trennlinien eingefügt worden.
EIN VADEMECUM FÜR RAUCHER
von
Stephan Dirk
Herausgegeben von der Reemtsma A. G.
VERLAG FÜR INDUSTRIE-KULTUR
LEIPZIG 1924
Alle Rechte,
insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten
Copyright 1924 by Verlag für Industrie-Kultur,
Leipzig
Druck von Günther, Kirstein & Wendler in Leipzig
INHALTSVERZEICHNIS
Seite | |
Die Bedeutung der Cigarette für die Allgemeinheit | 7 |
Unterlagen zur Beurteilung einer Cigarette | 21 |
Das Mischungsproblem | 32 |
Die Fabrikation der Cigarette | 38 |
Die wichtigsten Arten des Orienttabaks | 44 |
Über die Genußwirkung des Tabaks | 65 |
Eine Psychologie der Raucher | 81 |
Über die Kultur des Cigarettengenusses | 96 |
[S. 7]
Es gibt wenig Genußmittel, die für die Menschheit eine so verallgemeinerungsfähige Bedeutung gefunden haben wie die Cigarette, und es ist deshalb besonders verwunderlich, daß man in den breiten Raucherkreisen über die Herkunft der Cigarette und ihre Unterschiedlichkeiten so wenig Kenntnisse antrifft.
Es gibt wohl sehr viele Weinkenner, die einen Pfälzer von einem Steinwein und einen Mosel gegenüber einem Rheingauer nicht nur an Flaschenformen und Flaschenfarben unterscheiden können oder sogar innerhalb enger Gebiete gleichartige Weinarten noch nach Lage, Jahrgang und Auslese bestimmen; es mag auch eine ziemlich große Anzahl Cigarrenraucher geben, denen die Geschmackseigenarten bestimmter Sumatra-, Brasil-, Virginiapflanzen usw. bekannt sind, aber die Cigarette hat trotz ihrer großen Bedeutung bis heute nur wenig Freunde gefunden, die sich auch mit den Feinheiten unterschiedlicher Provenienzen und unterschiedlicher Mischungen beschäftigt haben.
Es mag die allgemeine Unkenntnis über die Cigarette mit ihrer verhältnismäßig kurzen Verbreitungszeit begründet[S. 8] werden können; aber die eigentliche Ursache wird darin zu suchen sein, daß sich die Cigarettenraucher noch kaum darüber klar sind, wie außerordentlich mannigfaltig Orienttabake sind, und wie weit ihre Verarbeitung und Mischung an Kompliziertheit und Schwierigkeit alles übertrifft, was bisher bei der Fabrikation von Genußmitteln in Betracht kam. Noch heute kann man häufig die Meinung vertreten finden, daß der Inhalt einer Papierhülse ziemlich gleichgültig ist, wenn nur überhaupt ein echter Tabak verwendet wurde. Nach dem Kriege nahm man auf Grund der Zwangswirtschaftserfahrungen sogar allgemein an, daß es wirklich reine Orientcigaretten kaum gibt, und daß selbst eine wesentliche Untermischung mit deutschen Tabaken und Surrogaten geschmacklich kaum feststellbar ist.
In Wirklichkeit sind die heutigen Raucher weitaus verwöhnter, als sie selbst wissen. Wenn es manchem Unternehmer vor dem Kriege gelingen konnte, mit gestreckten und gefälschten Orienttabaken auch auf dem freien Markt noch Abnehmer in genügender Anzahl zu finden, so dürfte dies heute, sogar unter dem Zwang der hohen Preise für importierte Tabake kaum mehr möglich sein, ohne daß er die größten Gefahren für die Weiterentwicklung seines Unternehmens heraufbeschwört. Das durch die Kriegserfahrungen geschärfte[S. 9] Mißtrauen gegen Ersatzgenußmittel hat für heute eine Qualitätsforderung gebracht, an die vor dem Kriege niemand denken konnte, und die vor allen Dingen auch den Rauchern selbst gar nicht zum Bewußtsein kam.
Der Krieg und die Nachkriegsjahre, die ja in vieler Hinsicht an Stelle langsamer Entwicklung einen raschen Umschwung gebracht haben, haben gezeigt, wie sehr die Cigarette dem Bedürfnis unserer Generation entspricht. Bis gar nicht so lange Zeit vor dem Kriege war die Cigarette eigentlich eine nur wenig anerkannte Nebenerscheinung der Cigarre. In der Meinung kultivierter Raucherkreise blieb sie bis zu einem gewissen Grade das unkultivierte Requisit von unreifen Jünglingen und zweifelhaften Existenzen, die ohne Geschmacksverfeinerung und wirkliche Genußfähigkeit ein gleichgültiges Fabrikat in einer überflüssig eleganten Form verbrauchten. Wie mancher Vater hat damals seinem herangewachsenen Sohne das Rauchen unter der Bedingung gestattet, daß er bei einer vernünftigen ordentlichen Cigarre bliebe und nicht der Geschmacklosigkeit der überdies weitaus schädlicheren Cigarette anheimfiele.
Die Cigarette wurde gegenüber der Cigarre lange Zeit geringschätzig beurteilt. Als besonderes Abschreckungsmittel wurde die schädliche Wirkung des[S. 10] verbrannten Papiers und weiterhin die Zweifelhaftigkeit des Inhalts betont, zu dem ein richtiger Cigarrenraucher ja tatsächlich keine Stellung finden konnte. Das alles aber hat das rasche Anwachsen der Bedeutung von Cigaretten nicht aufhalten können, und heute wird ihr Antagonist, die Cigarre, sowohl in der Zahl der Anhänger wie in wirtschaftlicher Hinsicht durch die Cigarette weit übertroffen.
Wenn die Wandlungen menschlicher Genußbedürftigkeit im Laufe der Zeiten auch kaum einer aburteilenden Kritik unterworfen werden können, so ist der Rückgang der Cigarre gegenüber der Cigarette doch sehr zu bedauern. Denn mit der Cigarre wandert wieder einmal ein Bild alter und feiner Lebenskultur in die Vergangenheit. Eine wirkliche Raucherkultur wird heute noch sehr selten mit der Cigarette verbunden; ihr Dasein ist hierzu noch zu jung. Aber es wäre sehr wünschenswert, wenn die Cigrettenraucher etwas von der alten Cigarrenraucherkultur lernen könnten und auf dieser Tradition eine wirkliche Cigarettenkultur aufbauen würden. Es ist deshalb wünschenswert, weil sich mit der Kultur solcher Lebensgewohnheiten regelmäßig auch eine Kultivierung der Lebensformen überhaupt gleichzeitig zu entwickeln pflegt, und weil außerdem mit einer Kultur der Genußmittel der für die Volksgesundheit[S. 11] beste harmonische Ausgleich der Kontraste des menschlichen Lebens erreicht wird.
Man könnte auch sagen, daß eine Kultur der Genußmittel die Schädlichkeit derselben auf ein Mindestmaß beschränkt, aber man würde damit eine unrichtige Beurteilungseinstellung gegenüber den narkotischen Genußmitteln im allgemeinen und gegenüber der Cigarette im besondern einnehmen. Wohl scheinen die Meinungskämpfe für und gegen irgendwelche Genußmittel und damit die Betonung oder Ableugnung der Schädlichkeit von Alkohol, Tabak, Kaffee usw. kein Ende nehmen zu wollen, aber der Einsichtige weiß, daß mit der einfachen Schädlichkeitsfeststellung für den menschlichen Organismus noch keine Entscheidungsbasis für solche Streitigkeiten gewonnen sein kann. Wir wissen heute, daß der Mensch ein Mittelpunkt für Kraftansammlung und Kraftverbrauch, für Kräfte und Gegenkräfte, Gifte und Gegengifte, körperlich fördernde und körperlich schädigende Einflüsse ist. Die eine Seite ist nicht ohne die andere Seite denkbar. Ein Körper, an den geringe Kräftebeanspruchungen gestellt werden, wird wenig Kräfte sammeln können. Worauf es ankommt, ist nur das Gleichgewicht, und was vermieden werden muß, ist nur ein Gleichgewicht zerstörendes Übermaß auf der einen wie auf der anderen Seite.
[S. 12]
Außerdem ergibt das menschliche Leben so viele und vor allem so starke Beanspruchungen des Nervensystems, daß die angenommene Schädlichkeit des Tabakgenusses dagegen nur gering erscheint.
Wenn noch dazu der Nachweis erbracht wird, daß nervöse Spannungen des Menschen durch den Tabakgenuß eine beruhigend-harmonische Auflösung erfahren können, so bedeutet dies die Anerkennung eines positiven Wertes des Tabaks. Solche nervöse Spannungen lassen sich keineswegs im Leben vermeiden, wie es die Naturapostel verlangen, und solange dies der Fall ist, wird das Bedürfnis nach einem Ausgleich immer wieder Genußmittel suchen, die einseitig starke geistige Leistungen kompensieren können. Es ist charakteristisch, daß einerseits die Gesundheitsfanatiker extremer »Anti«-Bestrebungen meist selbst körperlich und geistig nicht sehr kräftig sind, und daß es andererseits niemandem gelungen ist, den Nachweis zu erbringen, daß durch ängstliches Vermeiden größerer Kräfteanspannungen des Gehirns und des Körpers das Leben verlängert werden kann. Selbstverständlich müssen Kräftebeanspruchungen der jeweiligen Leistungsfähigkeit des Menschen entsprechen. Bei solchen Streitfragen sind Meinungen eigentlich immer Ergebnisse ganz persönlicher Erfahrungen und Empfindungen. Das einzige[S. 13] objektive Vorbild, das die Forderung eines »naturgemäßen« Lebens vorweisen kann, ergibt das Tier, denn es gibt keine auch noch so primitiven Menschenrassen, die für Enthaltsamkeit nachweislich als Vorbild Geltung behaupten können. Wir wissen aber, daß der Mensch im Gegensatz zum Tier geistigen Anforderungen genügen muß, die in gar keinem Verhältnis mehr zum Körper stehen. Schon die einfachen Nervenbeanspruchungen des täglichen geistigen Lebens sind im eigentlichen Sinne der Naturapostel derartig ungesund, daß jeder Vergleich mit Lebewesen, die nur ihrer Gesundheit und natürlich also nur der körperlichen Selbsterhaltung und Fortpflanzung leben, hoffnungslos ist. Die vielleicht Überzüchtung zu nennende Entwicklung des menschlichen Geistes bedingt dann eben Mittel, die einen Ausgleich schaffen, und es ist sinnlos, gegen diese Mittel zu Felde zu ziehen, oder sie auch nur als überflüssigen Luxus zu betrachten, solange die Ursachen nicht beseitigt werden können, die sie veranlaßt und erzwungen haben.
Der Mensch braucht Schuhwerk, da er im allgemeinen für den Spezialsport des Barfußlaufens kein Interesse mehr aufbringt. Er braucht Kleidung, da sein Körper allein den Witterungseinflüssen nicht mehr standhalten kann. Und so braucht er auch Genußmittel,[S. 14] da der Körper des Menschen nicht mehr in der Lage ist, den übersteigerten Anforderungen geistigen Lebens den erforderlichen Ausgleich zu geben.
Die heilsame Wirkung des Tabakgenusses ist nicht mit Heilmitteln zu vergleichen, die das Wandeln und Vergehen des Menschen nach der Meinung Lebensunkundiger aufhalten sollen, aber sie ist segensreich durch die Anregung oder die Beruhigung, die sie im Ausgleich widerstrebender Spannungen zu geben vermag.
Die weitaus meisten Raucher werden den Genuß von Tabak als Ausgleichsmittel auch fast immer irgendwie körperlich empfinden können. Wer im Felde gewesen ist und dort nach den ungeheuren Nervenbeanspruchungen die Gier nach dem Tabak kennengelernt hat, wer im heutigen Erwerbsleben steht und sich weder innerlich noch äußerlich von den aufregenden Verhältnissen unserer Zeit unabhängig machen kann und zum Tabak greift, der weiß, daß dieses manchmal als schädlich verschrieene Kraut eine sehr segensreiche Wirkung besitzt. Die Voraussetzung ist immer wieder die Kultivierung des Genusses und die sich daraus ergebende Einstellung zur Leistungsfähigkeit des eigenen Körpers mit dem Ergebnis eines tatsächlichen Ausgleichs. Extreme Beanspruchungen, die über die Elastizitätsgrenze[S. 15] des Körpers hinausgehen, haben natürlich relativ schädliche Folgen. Aber selbst dann ist die Schädlichkeit des Tabaks überhaupt nicht mit der Schädlichkeit anderer Genußmittel, die er ersetzen will, zu vergleichen. Die generelle Annahme, daß mit oder ohne Tabak ein Mensch oder ein Volk eine kürzere oder längere Lebenszeit gewinnen kann, ist irrig. Außerdem wird doch wohl nach allgemeinem Empfinden ein Leben nicht nach seiner Länge, sondern nach seiner Intensität bewertet.
So können zu allen Zeiten und bei allen Völkern Mittel nachgewiesen werden, die mit der narkotischen Wirkung des Tabaks vergleichbar sind. Bei vielen primitiven Völkern ist es die Betelnuß, bei anderen das Opium, dessen schädliche Folgen — so groß sie für den Körper eines Europäers auch sein mögen — für den Körper des Asiaten viel geringer sind, als allgemein angenommen wird. An weiteren Mitteln sind Haschisch, Kiff-Kiff und andere pflanzliche Produkte usw. bekannt. In Deutschland und vielen anderen vor allem europäischen Ländern erfüllte die gleiche Aufgabe Jahrhunderte hindurch der Alkohol. Erst nach den Zeiten des Sir Francis Drake trat daneben mehr und mehr der Tabakgenuß in Erscheinung, und es ist auffallend, daß mit der Zunahme und Verfeinerung des Tabakgenusses[S. 16] in den letzten Jahrzehnten gleichlaufend eine Abnahme des Alkoholgenusses nachweisbar ist. Die Bedürfnisse einer Allgemeinheit wandeln sich im Laufe der Zeiten und passen sich dem jeweiligen Entwicklungszustand der Menschen und der Völker immer wieder an. Es scheint, als ob der Tabakgenuß dazu berufen wäre, die Jahrhunderte alte Aufgabe des Alkohols in weitgehendem Maße zu übernehmen. Der mittelalterliche und spätere Verbrauch von Alkohol war geradezu ungeheuer. Wir können uns heute kaum noch eine Vorstellung machen, was die damaligen Menschen vertragen haben. Die bedeutendsten geistigen Träger ihrer Zeit wie beispielsweise Luther, Goethe, Bismarck und viele, viele andere waren frohe Zecher und genossen die Ausgleichswirkung dieses geistigen Genußmittels mit einer Lebhaftigkeit, die in unserer augenblicklichen Zeit Befremden erregen würde. Das Zeichen unserer Zeit sind zahllose Antialkoholbewegungen und ein tatsächlich außerordentliches Nachlassen des Konsums. Dem Kenner menschlicher Entwicklungserscheinungen gibt beispielsweise das Alkoholverbot in Amerika nicht so sehr den Beweis, daß theoretisch volksgesundheitliche Bestrebungen praktisch in großem Maße durchführbar sind, sondern er erkennt daraus, daß tatsächlich die Zeit des Alkohols[S. 17] langsam vorübergeht, und daß die Möglichkeit eines Verbotes hierfür nur ein Symptom ist. Gerade in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat der Tabakverbrauch in ganz besonderem Maße zugenommen, so daß nur von einer Richtungsänderung der Ausgleichsbedürfnisse gesprochen werden kann. Die Notwendigkeit eines Ausgleiches zeigte sich sehr deutlich, als graue Theoretiker der Volksgesundheit auch noch ein Nikotinverbot als Gesetz durchsetzen wollten, und ein alter Senator die Debatte in Washington mit den Worten erledigte, daß die Staaten keine Kleinkinderbewahranstalten seien. Noch deutlicher zeigt sich die Verschiebung im Ausgleichsuchen bei den mohammedanischen Völkern, bei denen auf Grund des Alkoholverbotes der Religion die Kultur des Kaffees und des Tabaks eine Höhe gewonnen hat, wie sie nirgends sonst in der Welt erreicht wird. Verbote sind stets völlig zwecklos, wenn die menschliche Natur nicht die zum Verbote nötige Majorität durch eine entsprechende Wandlung ihrer Bedürfnisse zuläßt, oder wenn kein Ersatz für die aufgegebene Genußmöglichkeit vorhanden ist.
In Zusammenfassung der vorher gegebenen Argumente kann mit allgemeiner Gültigkeit behauptet werden, daß Genußmittel mit dem Ziel einer anregenden[S. 18] oder beruhigenden Wirkung auf das Nervensystem und damit auf die menschliche Psyche nicht ausgeschaltet werden können und naturnotwendig sind. Volksgesundheitlich können nur diejenigen Genußmittel als schädlich bezeichnet werden, die dem jeweiligen Entwicklungszustand und den sich daraus ergebenden Bedürfnissen des Menschen oder des Volkes nicht entsprechen. Der Kenner der Massenpsyche weiß, daß zwangsweise durchgeführte Verbote, die nicht in einem Instinkt gegenüber den allgemeinen Bedürfnissen, sondern in der Theorie einzelner ihre Ursache haben, die Gefahren von Entladungen der anders nicht gelösten Spannungen zur Folge haben. Es steht weiterhin fest, daß der Tabak für die Gegenwart als Ausgleichsmittel eine so allgemeine Bedeutung hat, daß weder von physischer Schädlichkeit noch von einem volkswirtschaftlich schädlichen Luxus gesprochen werden kann. Es scheint weiterhin, daß von den verschiedenen Formen des Tabakgenusses die Cigarette die bevorzugte Form des zwanzigsten Jahrhunderts ist.
Da für die Wertung der Tabakfabrikate das einfache Bedürfnis für den einzelnen Menschen unmittelbar vorausgesetzt werden muß, ist es selbstverständlich nicht zu verteidigen, wenn jemand auch ohne ein[S. 19] irgendwie unbestimmtes Bedürfnis zur Cigarette greift, da dann weder Genußmöglichkeit noch der Ausgleichwert des Tabaks gefolgert werden kann. Es ist unverantwortlich, dem Nachahmungstrieb, der Eitelkeit usw. nachzugeben und beispielsweise heranwachsenden Kindern das Rauchen schon zu einer Zeit zu gestatten, zu der ein wirkliches Ausgleichsbedürfnis noch nicht denkbar ist. Erst durch das Bedürfnis wird erwiesen, daß ein Genußmittel dem Organismus entspricht, wobei natürlich krankhafte Übersteigerungen des Genußtriebes ausgenommen werden müssen.
Aber selbst für Exzesse krankhaft übersteigerter Genußtriebe ist der Tabak im allgemeinen viel zu harmlos; man vergleiche nur die manchmal verheerenden Wirkungen von Alkohol, Opiaten usw. gegenüber der großen Seltenheit von gesundheitlichen Schädigungen durch übertriebenen Tabakgenuß. Auch bei solchen seltenen Beispielen wird man meistens nicht in dem starken Tabakgenuß die wirkliche Ursache der gesundheitlichen Schädigungen suchen müssen, sondern in den jeweiligen Umständen, die ihrerseits erst den Tabakgenuß zur Folge haben. Es dürfte vielleicht sogar der interessante Nachweis erbracht werden können, daß die anscheinend gesündesten Speisen durch übertriebenen Genuß praktisch einen größeren Prozentsatz an[S. 20] gesundheitlichen Schädigungen in der Menschheit ergeben, als der — selbstverständlich stets zu vermeidende — übergroße Tabakgenuß.
Die Menschheit verliert langsam ihre Robustheit; ihre altersunterschiedlichen Gruppen, Völker und Rassen drängen langsam nach Verfeinerung, und mit der wachsenden Differenzierung des einzelnen Menschen geht eine steigende Verfeinerung und Differenzierung der Genußmittel parallel. Das Nachlassen des Bierkonsums, die zunehmende Verfeinerung auch in alkoholischen Getränken, die vielfache Aufgabe des Alkohols als tägliches Getränk beispielsweise zugunsten des weitaus kultivierteren Tees, das Anwachsen der Schokoladen- und Konfiturenindustrie usw. veranschaulichen den natürlichen Entwicklungsvorgang, wenn auch vielleicht nur der Tee mit der außerordentlichen Genußdifferenzierung verglichen werden kann, die der Cigarette die Zukunft sichert.
[S. 21]
Die Verfeinerung des Geschmacksempfindens, die in Deutschland seit dem Kriege registriert werden kann, scheint eine Kultivierung der Cigarette gewährleisten zu können, die eine segensreiche Bedeutung dieses Genußmittels für das 20. Jahrhundert erhoffen läßt. In den außerdeutschen Ländern sind die Verhältnisse etwas anders. Heute steht Deutschland von den größeren Völkern bezüglich der Qualitätsforderungen an der Spitze, wenn auch diesen Forderungen vorläufig noch infolge mangelnder Kaufkraft der Konsumenten nur von wenigen qualitätsstolzen Fabriken in einem wirklich ausreichenden Maße entsprochen werden kann.
Die Cigarette ist in Deutschland noch nicht seit sehr lange bekannt, und erst in den letzten zwei Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts gewann sie für Deutschland eine stetig anwachsende Bedeutung. Da wir die Cigarette in ihrer heutigen Form aus dem Osten bekommen haben, nennen wir sie zum Unterschied zu später in Deutschland bekannt gewordenen Abarten »Orientcigarette«. Wir bezeichnen mit diesem Namen[S. 22] eine ganz bestimmte Art von in Papier gehüllten Tabakfabrikaten, deren Herkunftsländer für uns im Orient liegen. In Wirklichkeit ist die Kenntnis des Tabaks und der Cigarettenform auch nach dem Orient erst vor wenigen Jahrhunderten gelangt. Sie stammt aus Amerika, wo bereits Columbus Cigaretten in Form von maisblattumwickelten Tabaken gesehen hat. Als die Kenntnis des Tabaks nach dem Orient kam, wurde dieses Genußmittel mit einer erstaunlichen Sicherheit den Bedürfnissen des Landes angepaßt. Es entwickelte sich im Orient eine Kultur des Tabakanbaus, die sehr bald an Differenzierung die Erzeugnisse der amerikanischen Ursprungsländer weit übertraf. Mag auch der orientalische Tabak ursprünglich vorzugsweise in Pfeifen unterschiedlicher Art geraucht worden sein, so wurde auch die Gewohnheit, den Tabak in Papierhüllen zu fassen, übernommen, und damit entstand im Orient zugleich eine Kultur der Cigarette, die so groß wurde, daß für uns der eigentliche Cigarettenbegriff mit dem der Orientcigarette völlig identisch wurde. Wenn der deutsche Raucher amerikanische Tabake zu Cigaretten verarbeitet findet, so pflegt er diese als minderwertig abzulehnen und den Inhalt der Papierhülse mit »schwarzem« Tabak zu bezeichnen. Eine Cigarette mit schwarzem Tabak erscheint dem deutschen Raucher[S. 23] nicht als eine richtige Cigarette. Wenn dies geschichtlich auch nicht zu vertreten ist, so wird es eben dadurch verständlich, daß die uns bekannte Orientcigarette an Verfeinerung und Veredlung des Genusses den Tabaken der Neuen Welt so außerordentlich überlegen ist, daß ein Wettbewerb beider Tabakarten wenigstens in der Form einer Cigarette in Deutschland ausgeschlossen erscheint.
Die Tabake, die der Cigarettenraucher als schwarze Tabake bezeichnet, sind uns unter der Vorstellung von Cigarren- oder Pfeifentabaken geläufiger. In den außerdeutschen Ländern ist diese Einstellung den Tabaken gegenüber nicht allgemein. Beispielsweise werden in Frankreich, Spanien, Belgien, Argentinien und anderen stark romanisch gefärbten Ländern die sogenannten schwarzen Tabake den Orienttabaken vorgezogen. Es mag dies teilweise durch die Wirtschaftspolitik der Länder, wie z. B. Frankreich, wo für die Regiecigarette ein hoher Prozentsatz französischer Tabake verarbeitet wird, begründet werden können. Aber in anderen Ländern wieder neigt das Bedürfnis der Raucher so offensichtlich zu dem einfacheren und herberen Genuß der sogenannten schwarzen Tabake, daß von ganz individuellen Bedürfnissen verschiedener Rassen gesprochen werden kann.
[S. 24]
In Nordamerika wurde durch das Alkoholverbot der Tabakverbrauch ganz wesentlich verstärkt. Es werden dort Orientcigaretten fabriziert, die an Qualität unübertrefflich sind; doch für die breite Masse des Volkes kommen vorzugsweise amerikanische Tabake zur Verarbeitung. Allerdings entspricht der in Amerika zu Cigaretten verarbeitete Tabak nicht unmittelbar den in Europa bekannten schwarzen Tabaken, sondern es werden vorzugsweise Virginia-Tabake verbraucht, die ursprünglich wie alle anderen amerikanischen Tabake charakteristische Pfeifen- oder Cigarrentabake sind, aber durch bestimmte Prozesse für den Konsum in Cigarettenhülsen zubereitet werden. Diese Virginiacigaretten sind in Deutschland aus dem Jahre 1919 besonders unter der Bezeichnung »englische Cigaretten« bekannt, denn sie wurden vorzugsweise von englischer Seite aus in Deutschland durch das »Loch im Westen« eingeführt. In England selbst nimmt der Verbrauch von Virginiacigaretten ebenfalls einen großen Raum ein, da er durch die dortigen klimatischen Verhältnisse begünstigt wird. Außerdem gibt es in England, vor allem auf Grund der guten Beziehungen zum Orient und besonders zu Ägypten, auch sehr wertvolle Orientcigaretten, die sich jedoch bei weitem noch kein so großes Publikum verschafft haben wie die entsprechenden Fabrikate in Deutschland.
[S. 25]
Nach den Gepflogenheiten des deutschen Rauchers können wir die Orienttabake als eigentliche Cigarettentabake glatt von sämtlichen anderen Tabaken abtrennen, da die letzteren innerhalb Deutschlands fast ausschließlich für Pfeifen und Cigarren verwendet werden. Zu diesen Pfeifen- und Cigarrentabaken gehören auch die Erzeugnisse des deutschen, überhaupt des westeuropäischen Tabakanbaues.
Mangels einer größeren Einfuhrmöglichkeit von Orienttabaken während des Krieges wurden vielfach Versuche gemacht, die Restbestände an wirklichen Orienttabaken durch deutsche Tabake usw., also sogenannte schwarze Tabake zu strecken oder auch ausgesprochene Surrogate zu verwenden. Die außerordentliche Abneigung, die diese Cigaretten bei dem Raucherpublikum gefunden haben, hat noch bis heute die Meinung bestehen lassen, daß der Qualitätsgrad einer Cigarette an der hellen Farbe des Tabaks erkannt werden kann. Wenn es auch richtig war, daß der Raucher seinen Augen trauen konnte, sobald er in den Zeiten der Zwangswirtschaft an der dunkleren Färbung einheimischer oder amerikanischer Tabake die Minderwertigkeit eines Fabrikats erkennen wollte, so trifft diese Farbgraduierung keineswegs zu, sobald es sich um eine Kritik innerhalb[S. 26] verschiedener Sorten wirklich echter Orientcigaretten handelt. Es gibt sehr wertvolle Orienttabake, die dunkel gefärbt sind; andere sind wiederum rötlich, und das eigentümliche Mittelding zwischen dem echten Orienttabak und den amerikanischen Pfeifentabaken, nämliche der Virginiatabak, hat gerade eine besonders helle Farbe, ohne daß er an Qualität auch nur im entferntesten mit irgendeinem echten Orienttabak verglichen werden kann. Abgesehen von einer Feststellung der Verwendung von Misch- oder Ersatztabaken, die man sehr wohl noch dem Auge zutrauen kann, ist es ganz außerordentlich schwer, bereits beim Anblick einer Cigarette ein Urteil abgeben zu können. Die Anhaltspunkte zur Beurteilung sind allzu gering. Neben Erwähnung der Farbe hört man häufig für dieses oder jenes »Format« plädieren. Aber auch ein Format kann niemals für die Qualität einer Cigarette ausschlaggebend sein, denn es steht in den weitaus meisten Fällen in unmittelbarer Abhängigkeit von der Art der verwendeten Tabake und ihrem Mischungsverhältnis. Wenn es sich um schwere und gehaltvolle Tabake handelt, so wird das Format relativ schmal und klein sein müssen. Ist der Tabak leicht und sehr milde, so wird das Format der Cigarette sehr voll sein müssen, damit die größere Brandfläche, die jeweils dem Querschnitt der[S. 27] Cigarette entspricht, einen volleren Geschmack auslöst. Je wertvoller und je sorgfältiger Cigaretten hergestellt werden, desto bestimmter wird das entsprechende Format festgelegt werden müssen. Die Abhängigkeit von Tabak und Tabakmischung vom Format und umgekehrt ist so weitgehend, daß ein und dieselbe Füllung in dem einen Format fast ungenießbar sein kann, dagegen in einem anderen Format einen überraschend schönen Charakter zur Geltung bringt.
Die einzige wirkliche Möglichkeit zur Beurteilung einer Cigarette ist eine gewissenhafte Rauchprobe, und selbst dann sind noch eine Anzahl Umstände zu beachten, deren Einwirkung häufig unterschätzt wird.
Man stelle sich beispielsweise die Stimmung vor, in der man sich nach einem guten und reichlichen Essen, zu allen edlen und schönen Dingen bereit, einer fast körperlich übertriebenen Behaglichkeit hingibt. Würde man sich dann eine Cigarette anzünden, die sehr aromatisch und auf Grund einer gewissen Herbigkeit sehr anregend wirkt, so würde man zweifellos sehr enttäuscht sein und diesen Mißklang zur augenblicklichen Stimmung zu einer Verurteilung der Cigarette umbiegen. Die meisten Menschen benötigen in einer solchen behaglichen Stimmung eine weiche, milde, aber sehr volle und blumige Cigarette, die den durch das Essen bereits[S. 28] gewonnenen seelischen Ausgleich erhöht und jegliche Aufregung verhindert. Man stelle sich jedoch andererseits einen Geistesarbeiter vor, der nächtelang über kniffligen Problemen sitzt, und dessen unbedingt zur Arbeit erforderliche Konzentration durch langsames Ermüden nachläßt. Wenn er dann zu einer milden, weichen, versöhnlichen Cigarette greifen wollte, so würde gerade das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung eintreten, und die erhoffte Spannung würde sich ganz auflösen. In solchen Augenblicken benötigt er eine herbe, kräftig-aromatische Cigarette von momentaner anregender Wirkung und möglichst kurzer Brenndauer, da die Muße für einen langen und stillen Genuß des Tabaks nicht vorhanden ist.
Es gibt Cigaretten, die man eigentlich nur in einem bequemen Sessel richtig genießen kann, und die an anderer Stelle, beispielsweise auf der Straße einfach deplaziert wirken. Es gibt andere Cigaretten, die den hastigen, kurzen Augenblicken einer Konzert- oder Theaterpause angepaßt sind, wieder andere, die nach langen Anstrengungen körperlicher Art eine erfrischende, anregende Wirkung auslösen, usw.
Neben diesen verschiedenen Wirkungsmöglichkeiten, die der raffinierte Raucher kennt, gibt es natürlich für jeden einzelnen eine eigentliche Leib- und Magencigarette,[S. 29] die man als die typische Gewohnheitscigarette bezeichnen kann. Da die Menschen mit ihren Bedürfnissen außerordentlich verschieden sind, sind natürlich auch die Cigaretten verschieden, die den jeweiligen individuellen Bedürfnissen entsprechen sollen. Wat den enen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall. Eine süße Smyrna-Cigarette, die dem einen den ganzen Tag über ein immerwährendes Vergnügen bereitet, würde dem andern völlig unerträglich werden können. Natürlich sind dies Differenzierungen, wie sie nur der sehr verwöhnte Raucher kennt, aber bei der Beurteilung von Cigaretten ganz allgemein spielt der ganz persönliche Geschmack eine so große Rolle, daß man häufig ein sehr schlechtes Urteil über eine Cigarette erleben kann trotzdem diese eigentlich nur den jeweiligen Geschmacksforderungen widerspricht, aber im übrigen qualitativ unantastbar ist. Ein extremes Beispiel ergibt die bereits erwähnte Cigarette mit sogenanntem schwarzem Tabak, die von manchen Ausländern als die einzig mögliche Cigarette bezeichnet wird, und die der größte Teil der deutschen Raucher mit dem besten Willen nicht verträgt, ohne daß man deshalb sagen dürfte, die Cigarette wäre an sich schlecht.
Die Schwierigkeit für das Auffinden einer richtigen Leib- und Magencigarette beruht vor allen Dingen in[S. 30] der Gefahr der Geschmacksübermüdung. Je wertvoller die Tabake sind, desto charakteristischer sind sie in ihren Geschmackseigenarten, und es ist eine sehr schwere Aufgabe des Fabrikanten, die Geschmackseigenarten derart abzudämpfen, daß eine Geschmacksübermüdung bis zu einem gewissen Grade ausgeschaltet bleibt. Ganz und gar wird sich die Gefahr nicht beseitigen lassen, denn es dürfte wohl überhaupt kein menschliches Genußmittel geben, das nicht doch hin und wieder eine Abwechslung erfordert. So haben sich bereits viele Raucher daran gewöhnt, mit bestimmten gegeneinander abgeglichenen Cigaretten hin und wieder abzuwechseln, um sich die Lebendigkeit der Wirkung zu erhalten und eine Übermüdung zu vermeiden. Andererseits kann man sich allerdings auch an eine bestimmte Cigarette oder einen bestimmten Cigarettencharakter so gewöhnen, daß man kaum noch in der Lage ist, anderen Arten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Jede wirklich wertvolle und eigenartige Mischung verlangt auch ein gewisses Einleben, und man kann sich manchmal an eine anfangs abgelehnte Cigarette durch gewissenhaftes Nachprüfen so gewöhnen, daß man gegen diese wiederum keine andere eintauschen möchte. Man kann eben manchmal erst langsam auf den richtigen Geschmack kommen.
[S. 31]
Die einzige Anforderung, die man bei Voraussetzung unterschiedlichster Arten an eine Cigarette immer stellen muß, ist die jeweilig ihrer Art entsprechende wirkliche Reinheit und Qualität. Wenn jemand an den Genuß reiner Orientcigaretten gewöhnt ist, wird er stets sofort auch den minimalsten Prozentsatz der Verwendung unedlerer Tabake feststellen können. Außerhalb reiner Qualitätsfragen ist ein Streit nicht möglich. De gustibus non est disputandum.
[S. 32]
In erster Linie hängt der Charakter einer Cigarette von der Art der verwendeten Tabake ab. Aber mindestens ebenso wesentlich sind die Mischungsprobleme. Es ist heute noch wenig bekannt, daß auch der denkbar edelste Tabak (und zwar je edler, desto weniger) allein verarbeitet nicht rauchbar ist. Erst durch Mischung verschiedener Tabake nach bestimmten Gesichtspunkten entsteht das Tabakmaterial für eine Cigarette. Die Regeln und Rezepte für Mischungen sind sehr komplizierter und variabler Art, da jeder Tabak, der verwendet wird, seinen besonderen Eigenarten entsprechend gemischt werden muß. Es werden immer wieder neue Variationen erfunden, denen zahllose Experimente vorhergehen. Die Mischungsgeheimnisse d. h. wertvolle Mischungsrezepte sind ein sehr wesentliches Besitztum eines Fabrikanten.
Die Begründung der Unrauchbarkeit einzelner Tabaksorten für sich allein ist darin zu suchen, daß jeder Tabak von Charakter geschmacklich zu einseitig ist und seinen Charakter übermäßig aufdringlich zur Geltung bringt. Die Absicht des Mischers ist es nun, diejenigen[S. 33] Tabake gegeneinander abzuwägen, die sich gegenseitig ausgleichen und dadurch ihre jeweilige Geschmackseinseitigkeit verlieren, um dieses oder jenes feine Aroma oder diesen oder jenen feinen Geschmacksakkord den jeweiligen Anforderungen gemäß mehr oder weniger unaufdringlich auswirken zu lassen. Die Mischungsforderung ist ähnlich wie bei weitaus den meisten Speisen, die für sich genossen schal und leer schmecken würden und ihren Wert eigentlich erst durch entsprechende Gewürze wie Salz usw. offenbaren. Die Gewürze selbst wiederum können nicht allein genossen werden. Erst der fein abgewogene Zusammenklang und Ausgleich verschiedener Eigenarten ergibt die Genußmöglichkeit.
Deshalb unterscheidet man genau so wie bei vielen anderen gastronomischen Materialien Tabake, die als Gewürze verwendet werden und daher Würztabake genannt werden können, und Tabake, die eine möglichst ruhige Basis ergeben, und auf denen sich die Mischungen von Würztabaken frei entwickeln können. Da es sich bei Tabaken nicht um Nahrungsmittel, sondern Genußmittel handelt, sind natürlich die Würztabake die wichtigsten und wertvollsten. Die zur Basis verwendeten Tabake kann man als Fülltabake bezeichnen. Es sind dies vorzugsweise Tabake sehr ruhiger[S. 34] und unaufdringlicher Geschmacksarten, die auf Grund der Bezeichnung durchaus nicht mit Tabaken verwechselt werden dürfen, die man zu Zeiten der Zwangswirtschaft als Füllsel für Cigarettenhülsen unter teilweiser Beimischung echter Orienttabake verwendete. Wenn die Fülltabake auch durch den Wert der edelsten Würztabake übertroffen werden, so liegt doch gerade in der Auswahl, Verwertung und Dosierung von Fülltabaken der Kern des ganzen Mischungsproblems. Durch weitgehende Kenntnis, welche Fülltabake und Fülltabakmischungen diesen oder jenen Würztabaken oder Würztabakmischungen die harmonisch ausgleichende Basis geben können, kann ein Fabrikant allen mit ihm im Wettbewerb stehenden Unternehmungen qualitativ den Rang ablaufen. Die Geheimnisse der Fülltabake werden als persönlichste Erfahrungen ängstlich gehütet. Die Schwierigkeiten der Auswertung bestehen aber gerade darin, daß man jeweils nur unter den auf dem Markt zur Verfügung stehenden Tabaken die Auswahl hat und immer wieder neue Rezepte aufstellen muß, da gleichartig geratene Sorten nur selten wieder aufzutreiben sind. Eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Würztabaken und Fülltabaken steht für den Tabakmarkt nicht fest, da in dieser oder jener Mischung dieser oder jener[S. 35] Fülltabak auch als Würztabak dienen kann. Weiterhin gibt es auch sehr wertvolle Sorten, die eigentlich als Würztabake bezeichnet werden können, aber einen Geschmacksausgleich bereits untereinander finden, ohne daß ein gegensätzlicher Fülltabak benötigt wird.
Die Bauern der Ursprungsländer des Tabaks sind nicht so empfindlich gegen starke und sehr herbe Cigaretten wie die Europäer. Der türkische Bauer kann Mischungen rauchen, die nach unserem Empfinden sehr einseitig gewürzt sind. Aber trotz der gewissen Einseitigkeit der Mischungen für die Einwohner der Tabakländer, die sich aus der bevorzugten oder ausschließlichen Verwendung der örtlich vorhandenen Tabake ergibt, sind die dort verwendeten Rauchtabake doch immer wieder Mischungen, in denen ein Ausgleich wenigstens bis zu einem gewissen Grade gesucht wird.
Die Mischungsprobleme sind ganz außerordentlich diffizil und setzen eine Geschmackskritik voraus, die Nichtfachleuten geradezu märchenhaft erscheinen muß. Es gibt Orientalen, die beim Rauchen einer Cigarette sofort die zehn oder zwanzig maßgebenden Würztabake aufzählen, die in einer Mischung enthalten sind. Infolgedessen werden auch in den europäischen Fabriken von Rang die Mischungen fast ausschließlich von[S. 36] Orientalen ausgeführt oder zumindest angeregt. Es ist sehr eigenartig und charakteristisch, daß solche Mischer immer wieder die Tabaksorten ihrer engeren Heimat besonders vorziehen und in diesen Sorten allein genügend Differenzmaterial für Mischungen finden zu können glauben. Im allgemeinen werden jedoch zu Mischungen für Europäer so ziemlich alle Gebiete herangezogen, die als Ursprungsländer edler Tabake in Betracht kommen, um damit Differenzierungen zu schaffen, die den vielseitigen Anforderungen entsprechen können.
Die Mischungsaufgaben ergeben sich aus den jeweils zur Verfügung stehenden Provenienzen, denn die Eigenarten verschiedener Tabake, denen entsprochen werden muß, sind unbegrenzt variabel. Für diese Geschmackseigenarten ist in erster Linie die Pflanzenart bestimmend. Dazu kommt die Bodenbeschaffenheit und die Lage der Anbaugebiete mit ihren jeweils eigentümlichen klimatischen Verhältnissen. Weiterhin spielt die Höhenlage und die Sonnenlage eine so große Rolle, daß schon geringe Höhenunterschiede angebauter Flächen und kleine Abweichungen in der Lage dieser Flächen zur Himmelsrichtung auch bei sonst gleichartigen Voraussetzungen deutlich bemerkbar werden.[S. 37] Selbstverständlich ist außerdem jeder Jahrgang, jede Ernte unterschiedlich, denn die verschiedene Zahl der Sonnentage, der Niederschläge, der Temperaturen usw. in verschiedenen Jahren ergibt sehr verschiedene Tabake.
Man kann also, abgesehen von öfteren weitgehenden Ähnlichkeiten verschiedener Tabakpartien, behaupten, daß genau ein und derselbe Tabak nie zweimal auf dem Markt erscheint.
[S. 38]
Liegen die benötigten Tabake nach Einkauf, Verzollung usw. in den zur Fabrik gehörigen Lagerräumen zur Verfügung, und liegen die obig besprochenen Mischungsrezepte für die jeweils vorhandenen und zur Verarbeitung gelangenden Provenienzen fest, so ist der weitere Fabrikationsvorgang bis zur Cigarette mehr ein Problem der Präzision, der Sauberkeit, Zweckmäßigkeit und kaufmännischen Rentabilität als ein maßgebender Faktor für die Geschmacksqualität der Cigarette.
Da die zur Verfügung stehenden Provenienzen kaum in gleicher Geschmackseigenart nachzubekommen sind, da aber andererseits das Bedürfnis besteht, eine einmal eingeführte Cigarettenmarke von bestimmter Geschmacksrichtung möglichst lange auf dem Markte zu erhalten, werden die für den Geschmack maßgebenden Partien jeweilig in sehr großen Mengen erworben, so daß möglichst auf Jahre hinaus die gleichbleibende Qualität und Geschmackseigenart einer Cigarette gesichert ist. Weiterhin bemüht man sich, möglichst viele verschiedene Tabakarten zu Mischungen zu verwenden, so daß der durch neue Ernten bedingte Ausfall dieses oder jenes Mischungsteiles[S. 39] durch einen möglichst ähnlichen Tabak ergänzt werden kann, ohne daß diese minimalen Differenzen dem Raucher auffallen können, vor allem, wenn der Grundcharakter und die Qualitätsstufe der Cigarettenmarke voll erhalten bleibt.
Das Tabaklager der großen Cigarettenfabriken steht unter dem Tabakmeister, der die Tabake fachtechnisch behandeln muß, die Mischungsrezepte in Vorschlag bringt und die Mischungen selbst überwacht. Diese Stellung ist wohl ausschließlich Orientalen vorbehalten, da selbst die verwöhnteste Zunge eines Europäers nicht in der Lage ist, die minimalen Geschmacksdifferenzen praktisch zu bestimmen. Trotzdem ist es natürlich, daß ein Tabakmeister, so bedeutsam seine Stellung auch sein mag, keineswegs für die Qualitätsstellung der Fabrik, für die er arbeitet, maßgebend sein kann. Hierfür ist und bleibt die eigentliche Firmenleitung durchaus maßgebend. Selbst bei den besten Beamten muß eine auch nur etwas mangelhafte Fachkenntnis der Firmenleitung in Tabak- und Mischungsfragen sehr verhängnisvoll werden. Denn an dieser Stelle wird Qualitätswille, Stil und Geschmacksforderung maßgebend festgelegt.
Die Tabake werden in den Ballen, in denen sie aus dem Orient ankommen, in den Fabrikationsgang gebracht.[S. 40] In der ersten Station werden die Ballen geöffnet, aufgeteilt, die eng aneinander gepreßten Blätter werden einzeln auseinander genommen und sortiert. Nach der Sortierung werden die Blätter (nach ihren Provenienzen geordnet) in große Holzkisten gefüllt und erwarten in dieser Form den Mischungsvorgang. Die nächste Station ist der Mischungsplatz, auf dem aus den Holzkisten in dem angegebenen Verhältnis der Mischungsrezepte die Tabake der verschiedenen Provenienzen schichtweise übereinander gelegt werden. Es ist dies ein ziemlich großer Platz, auf den der Inhalt der Kisten gekippt und von Arbeitern in gleichmäßigen Lagen auf der ganzen Fläche verteilt wird. Bei diesem Prozeß wird der Tabak den jeweiligen unterschiedlichen Anforderungen entsprechend mehr oder weniger angefeuchtet. Dann wird das Gemisch in große Boxen gebracht, wo es einige Tage lagert.
Die nächste Station ist die Tabakschneiderei. Das Tabakgemisch wird großen Schneidemaschinen zugeführt, die die Blätter in feine Strähnen zerschneiden. Der von den Messern herunterfallende Tabak wird auf Transportbändern in eine Entstaubungsanlage gebracht, die als nächste Station die Aufgabe hat, den Tabak von dem bitteren Tabakstaub gründlich zu reinigen. Aus der Entstaubungstrommel wird der Tabak wieder in[S. 41] große Holzkisten gefüllt und neuerlich einem Zwischenlager zugeführt.
Aus diesem Zwischenlager gelangt der Tabak in den Maschinensaal, in dem er zur Cigarette verarbeitet wird. An Stelle der früheren Handarbeit ist heute in einem außerordentlich weitgehenden Maße die weitaus präziser und wesentlich sauberer arbeitende Maschine getreten. Die fertiggestellten Cigaretten werden in Schragen gesammelt und dem sogenannten Schragenlager zugeführt, in dem die Cigaretten wiederum eine Lagerzeit von etwa drei Tagen durchmachen.
Aus dem Schragenlager kommt die Cigarette in den Packsaal. Dort wird sie unmittelbar in die für den Verkauf bestimmten Packungen gebracht. Von hier aus kommen die Cigaretten in ihren Originalpackungen in ein zweites Zwischenlager, das sogenannte Unbanderolierten-Lager, aus dem sie den jeweiligen Anforderungen gemäß zur Anbringung der Banderole abgeholt werden. In der Banderolierabteilung wird diese Banderole auf maschinellem Wege um die Originaldosen oder Kartons herumgelegt, und zwar derart, daß die Dose nun nicht mehr geöffnet werden kann, ohne daß die Banderole an einer der drei behördlich geforderten Stellen zerrissen wird. Hinter dem Banderolierten-Lager befindet sich die vorletzte Station, das sogenannte Fertiglager.[S. 42] Hier erwarten die Cigaretten, in Halbmille-Pakete geordnet, ihre Expedition. Aus der sich daran anschließenden Expeditionsabteilung gehen die Cigaretten in die Welt hinaus.
Der Vorgang, der in der kurzen Schilderung der wesentlichen Stationen sehr einfach erscheint, ist in Wirklichkeit erheblich komplizierter. Eine große Anzahl von Vorsichtsmaßregeln gegen Witterungseinflüsse, für die der Tabak eine übergroße Empfindlichkeit besitzt, und weiteren Vorkehrungen, die hygienischen Anforderungen entsprechen, lassen die Fabrikationseinrichtungen zu einem sehr komplizierten Apparat werden. Sehr wesentlich ist vor allem, daß der Tabak nach dem Entblättern nicht mehr von Menschenhand berührt wird, da dies aus ästhetischen Gründen für ein Genußmittel stets geboten erscheint.
Der Wirtschaftssachverständige wird im allgemeinen der Ansicht sein, daß ein sehr wichtiger Teil der Cigarettenindustrie bisher noch nicht erwähnt ist: die Reklame. Es ist leider durchaus richtig, daß selbst das beste Fabrikat ohne irgendwelche Mittel, das Publikum aufmerksam zu machen, nicht zur Geltung gebracht werden kann. Es ist dies bedauerlich, aber unumgänglich.[S. 43] Für die Qualitätsfrage der Cigarette ist diese Angelegenheit völlig bedeutungslos, zumal das deutsche Raucherpublikum sich heute offensichtlich mehr und mehr dem Einfluß der Reklame zu entziehen sucht, und es weiterhin praktisch erwiesen werden kann, daß die Qualität der Cigarette auf dem Markt stets endgültig entscheidet. Deswegen bleibt allerdings ganz unabhängig von einer Reklameabsicht die Forderung bestehen, daß eine wertvolle Ware ein wertvolles Gewand beanspruchen muß. Die künstlerischen Leistungen, für die gerade in der Cigarettenindustrie sehr viel Raum zur Verfügung gestellt wird, sollten sich jedoch lieber auf eine rein sachliche Basis beschränken, auf der sie dem jeweiligen Stil und dem Wert des Tabakerzeugnisses gemäß das Verkaufsobjekt zu einem harmonischen Ganzen gestalten, so daß die Gefahr vermieden wird, die wir häufig in der Überwucherung geschmacklicher Stilmittel gegenüber dem eigentlichen Fabrikat erkennen können. Denn letzten Endes handelt es sich immer wieder nur um die Qualität der Ware selbst.
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Vor etwa drei Jahrhunderten mögen amerikanische Tabake in den heutigen Ursprungsländern unserer Cigarettentabake eingeführt worden sein. Durch die neuen für das Wachstum der Pflanzen maßgebenden Verhältnisse entstanden aber allmählich völlig neuartige Pflanzen, die heute in der übrigen Welt ihresgleichen nicht finden können.
Zur Gewinnung einer gewissen Übersicht werden die Tabake ihrer Pflanzenart nach hauptsächlich in zwei große Gruppen geteilt. Die erste Gruppe bilden die Basma. Hierzu gehören die berühmtesten und teuersten Tabake. Sie bestehen vorzugsweise aus kleinen und sehr zartrippigen Blättern von meist heller Färbung.
Die zweite Gruppe bilden die Baschibagli, die sich durch größere Blätter und etwas stärkere Rippen von den vorhergehenden unterscheiden. Zu diesen beiden Hauptgruppen treten noch einzelne Zwischenstufen, die sich vermutlich aus der Verbindung beider Arten ergeben haben.
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Im allgemeinen werden diese beiden Tabakarten auch in der Manipulation unterschieden. Der Tabak, der in den Herbstmonaten geerntet wird, im Winter die ersten Sortierungen bei den Tabakbauern erfährt und ungefähr zu gleicher Zeit von den Händlern aufgekauft wird, hat den ganzen Sommer hindurch einen Prozeß durchzumachen, den man Fermentation nennt. Für diese Fermentation werden die beiden Arten Basma und Baschibagli unterschiedlich manipuliert. Und zwar werden die Baschibagliblätter, nachdem sie durch verschiedene Sortierungen nach Qualität und Größe eingeteilt sind, Blatt auf Blatt dicht übereinander gelegt und gepreßt. Offensichtlich benötigen die etwas fleischigeren Baschibagliblätter ein dichteres Aufeinanderlegen für die Fermentation als die feineren und kleineren Basmablätter.
An diesen beiden Manipulationsarten können die zum Versand fertigen Ballen schon unterschieden werden. Allerdings gibt es einzelne Baschibagliprovenienzen, die wie die Basma manipuliert werden, und umgekehrt ebenfalls. Vom allgemeinen Gebrauch abweichend wird in der Samsoun- und Schwarzmeer-Gegend der Tabak, der meist einen vorstehenden Stengel hat, übereinander gelegt, an den Stengeln mit Bast befestigt und in dieser Form zur Fermentation gebracht.
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Es ist natürlich, daß das relativ große Gebiet der Anbauflächen orientalischer Tabake gewisse Verschiedenheiten in der Behandlung bedingt. Die gleiche Schwierigkeit ergibt sich bei der verschiedenen Bezeichnungsweise ähnlicher oder gleichartiger Sortierungen, die auch in den verschiedenen sprachlichen Vorbedingungen verschiedener Gegenden begründet ist.
Wenn also für den Einkäufer die Basma-Provenienzen an ihrer Manipulationsform äußerlich kenntlich sind, so muß der Fachmann doch sorgfältig untersuchen, ob der Tabak, der in Basmaform geliefert wird, auch die Qualität besitzt, um ihn als Basmatabak im Sinne des Wortes ansprechen zu können. Die Unterscheidungen sind häufig sehr schwer. Es werden beispielsweise öfters griechische Tabake, und zwar solche minderwertigen Ursprungs, als Basma gearbeitet und als erheblich wertvollere mazedonische Basma in den Verkehr gebracht. Es ist Sache des Einkäufers, in solchen Fällen am Geschmack, der Blattform und anderen Anzeichen festzustellen, ob es sich um eine Manipulation handelt, die nicht der eigentlichen Basmapflanze und ihrer Qualität entspricht.
Die Tabakpflanze wird durchschnittlich 70 cm hoch und trägt an einem geraden Schaft verschiedene Blätter[S. 47] in regelmäßigen Abständen, die von unten anfangend nach oben gleichmäßig kleiner werden. Die Erntezeit, die sich auf ca. zwei Monate erstreckt, beginnt mit dem Einsammeln der untersten Blätter und hört in periodischen Abständen mit dem Pflücken der obersten, ganz kleinen Blätter auf. Die Stellung der einzelnen Blätter bedingt einen unterschiedlichen Wert derselben. Die wertvollsten und gesuchtesten Blätter sind die zuletzt geernteten ganz kleinen Blätter an der Krönung der Pflanze. Diese werden vielfach Dubec-Blätter genannt. Der Fachmann unterscheidet danach verschiedene Blätter verschiedener Stellungen zum Stamm der Pflanze und infolgedessen verschiedene Erntezeiten. Die Namen wechseln jedoch nach den verschiedenen Gegenden. Es ist verständlich, daß die Stellung eines Blattes zum Stamm der Pflanze für den Geschmack der betreffenden Blätter von großer Wichtigkeit ist. Die unteren, zuerst geernteten größeren Blätter haben weniger Gehalt im Verhältnis zu ihrer Masse als die ganz feinen Blätter an der Spitze, und dementsprechend werden sie auf dem Markt bewertet.
Außer den Unterscheidungen der eigentlichen Pflanzen und weiterhin der Stellung der Blätter zum Stamm der Pflanze kennt der Fachmann auch noch weitere[S. 48] Einteilungen, die sich jedoch mehr auf die unmittelbare Qualität des jeweiligen Materials in seiner äußeren Form beziehen. Für diese reinen Qualitätsunterschiede nimmt man wiederum Bezeichnungen, die teilweise von den vorhergehenden Unterscheidungen übernommen worden sind und damit gleichzeitig in einen Zusammenhang mit den qualitativ in erster Linie maßgebenden Unterschieden der Ernten selbst kommen. Auch diese Bezeichnungen sind nach dem jeweils örtlichen Sprachgebrauch unterschiedlich und wenig verallgemeinerungsfähig, so daß ihr Gebrauch nur für den mit der Mannigfaltigkeit aller Sorten vertrauten Fachmann von Wert ist.
Außer den rein qualitativen Unterschieden im Bereich einer einzelnen Pflanze sind natürlich die Unterschiede der Provenienzen selbst maßgebend, und zwar nicht nur in qualitativer Hinsicht, sondern auch für die geschmackliche Eigenart, die der Fabrikant für diese oder jene Cigarette zu diesem oder jenem besondern Zweck erreichen will. Die bevorzugten Tabakprovenienzen teilt man im großen und ganzen in drei Hauptsorten ein. Zuerst die Mazedonischen Tabake aus den Gebieten der ehemaligen Europäischen Türkei, dann die heutigen Türkischen Tabake Kleinasiens mit den Schwarzmeertabaken türkischer Gebiete und zuletzt[S. 49] die Russischen Tabake, die hauptsächlich aus den russischen Schwarzmeer-Gegenden kommen.
Das älteste europäische Tabakland von Rang ist Mazedonien. Schon seit Jahrhunderten nimmt der Tabak im dortigen Wirtschaftsleben den Hauptplatz ein, wenn auch die frühere Produktion gegenüber der heutigen sehr klein war. Der mazedonische Tabak war wegen seiner ausgezeichneten Eigenschaften schon seit langer Zeit berühmt, und noch bevor das Abendland sich in größerem Umfange dem Konsum der Cigarette zuwandte, wurden die wertvollen Blätter dieses Gebietes im Palast des Sultans und den Konaks der hohen Beamten und Würdenträger besonders hoch geachtet. Hauptsächlich der Halbkreis, der sich über Yenidje, Xanthi und Drama bis nach Cavalla erstreckt, war schon frühzeitig fast ausschließlich der Tabakkultur gewidmet. Von diesen Bezirken erzeugte Yenidje weniger Tabak als die anderen Distrikte, aber qualitativ war gerade dieser Tabak der weitaus gesuchteste. Später wurde der Tabakbau auch auf die Bezirke des heutigen Bulgarien und Altgriechenland ausgedehnt.
Zu den Hauptarten dieser Gebiete, die vor allen Dingen durch den Xanthi (Yenidje) und Cavalla repräsentiert werden, treten die türkischen Tabake hinzu, deren bedeutendste Vertreter die Samsoun- und[S. 50] Smyrna-Tabake sind. Die vier wichtigsten Herkunftsgebiete der russischen Tabake sind 1. der kaukasische Distrikt, 2. die Krim, 3. der Sochoum-Distrikt und 4. die beiden bessarabischen Distrikte.
Als Nebensorten kommen dann noch altgriechische und bulgarische Tabake in Betracht. Geringere und mittlere Sorten liefern das ehemalige Herzegowina, geringe Sorten Ungarn und auch China, ferner die Inseln Samos, Chios usw.
Xanthi und Cavalla sind die klassischen Tabakgegenden. Im Xanthi-Bezirk werden fast ausschließlich Basma-Tabake erzeugt. Dieser Bezirk zerfällt wiederum in drei größere Gruppen, und zwar die eigentliche Xanthi-Gegend, die Sarischaban und die Gumuldjina. Sarischaban umfaßt die Ebene im Mündungsgebiet der Mesta und das nächstliegende nördliche Bergland im Westen dieses Flusses. Zu Gumuldjina gehören die Umgebung der gleichnamigen Stadt sowie das nordwestliche Bergland. Den engeren Xanthi-Bezirk bilden die Gegenden der Stadt Xanthi am Gebirgsrand der südlichen Ebene mit Yenidje und das Bergland nördlich von Xanthi bis gegen die bulgarische Grenze hin.
Für die weitere Einteilung der drei Gruppen ist im Xanthi-Bezirk in der Hauptsache die Bodenlage maßgebend.[S. 51] Man unterscheidet im engeren Distrikt Xanthi die Yakka-, Ova- und Djebel-Dörfer, ebenso die Karchi-Yakka, die Ova von Sarish und die Djebel von Sarish. Bei der Gumuldjina-Gruppe hält man sich gleichzeitig an die Landschaften und bezeichnet als Unterschiede Gumuldjina-Djebel-, Gumuldjina-Schech-Djuma-, Gumuldjina-Djem-Dereh und die Gumuldjina-Deri-Dereh-Dörfer. Man unterscheidet also ganz allgemein in diesen Gebieten Yakka-Tabake, Ova-Tabake und Djebel-Tabake mit ihren Unterarten. Unter Yakka-Tabaken versteht man Tabake auf einem Anbaugebiet, das am unteren Berghang liegt. In dieser Lage wachsen von den edlen Sorten des edlen Bezirkes die alleredelsten Tabake. Die Ova-Tabake sind in den mittleren Höhenlagen, und die Djebel-Tabake sind vorzugsweise Bergtabake, die sich durch eine gewisse Kleinheit, aber infolgedessen große Würzigkeit und Süßigkeit auszeichnen.
Die Yakka-Tabake zerfallen wieder in die eigentlichen Yakka, die Kütschück-Yakka und die Sova-Yakka. Einige der bekanntesten Dörfer dieser Provenienzen sind: Okdjailar, Tschakirly, Fedjirly, Djeleber.
Die eigentlichen Ova sind die Xanthi-Ova, wozu auch noch diejenigen Tabake gerechnet werden, die auf den Hügeln nahe der Westseite der Bucht von Lagos wachsen. Die Hauptdörfer sind Kiretschiler, Bujuk-Murselli,[S. 52] Kutschuk-Murselli, Saltykly, Emirler-Teké, Hametli, Horozlon, Mussellin, Misraculy, Mizanly.
Die bekannteren Djebel-Provenienzen sind: Yenikeny, Koronlar, Arpadijk, Mahmondlon, Koslondja.
Karchi-Yakka: Sarychabon, Indjeghiz, Agalar, Avably, Béglémich, Seltehouklon, Tchobonly.
Diese Angaben könnten noch sehr viel weiter geführt werden, doch wird der Laie nicht viel damit anfangen können. Die angegebenen Namen haben aber vielleicht einen Nachschlagewert, da diese oder jene Provenienz doch hin und wieder auch in der Öffentlichkeit genannt wird.
Die weitgehende Unterscheidung kleiner und kleinster Distrikte, wie sie gerade für das Xanthi-Gebiet durchgeführt ist, ist durchaus keine Übertreibung. Infolge der Empfindlichkeit dieser hochwertigsten Tabaksorten spielt die schon vorhergehend betonte Unterschiedlichkeit bezüglich Bodenbeschaffenheit, Klima, Sonnenlage usw. die größte Rolle für die Qualität der Tabake der einzelnen Dörfer.
Neben Xanthi ist der Cavalla-Bezirk der bedeutendste. Er zerfällt wieder in die wichtigen Unterdistrikte Cavalla, Drama und Seres. Für die Basma-Sorten dieser Gegend sind die wichtigsten die der Sichna-, Machalla-, Mahalladakia-[S. 53] und Kir-Dörfer, die zu beiden Seiten der Stadt Drama liegen. Die Qualitäten dieser Gegend sind ganz außerordentlich wertvoll, aber doch um ein geringes weicher, zarter und daher weniger ergiebig als die schweren, gehaltvollen und überaus ergiebigen Xanthi-Qualitäten.
Ungefähr in der Mitte zwischen dem Drama-, Seres- und Cavalla-Bezirk liegen noch mehrere kleine Bezirke, unter denen Zichna mit dem gleichnamigen Tabak als wertvoller Herkunftsort am bekanntesten ist.
Neben den den Hauptwert des berühmten Tabaklandes bedingenden Basma-Tabaken werden auch einige Tabake gewonnen, die als Baschibagli verarbeitet in den Handel kommen. In der Cavalla-Region sind es die Pravi-Tabake; in der Drama-Ebene werden die besten Baschibagli-Tabake in den Dörfern Pursitschan (Persitschan) und Kirlikova gewonnen. Danach kommen die Djebel-, Drama- und die sogenannten Nevrokop-Baschibagli des gleichen Bezirkes, die jedoch hinter den erstgenannten an Güte zurückstehen.
Eine Zwischenstellung nimmt der teils im Drama-Bezirk, teils im Cavalla-Bezirk gewonnene Kabakoulak ein, der zwar als Baschibagli verarbeitet wird, jedoch in Blattform und Größe zwischen einem Baschibagli-(Persitschan-) und einem Basma-Blatt steht.
[S. 54]
Von den um dieses klassische Gebiet des Orienttabaks herumliegenden Anbaugebieten kommen noch die Nigrita-, die Salonik- und die Chalchis-Region bis zum Golf von Saloniki in Betracht, dann weiter nördlich die Doiran-, die Strumitza- und die Petrich-Region. Nördlich von Seres liegen die Dimirhisar-, die Melnik- und die Nevrokop-Regionen. Dazu kommen nordwestlich von Xanthi die Egridere- sowie die Kirjali-Regionen. In diesen Bezirken werden in der Hauptsache Baschibagli-Tabake erzeugt.
Unter den teilweise sehr guten Bulgaren-Tabaken ist der als Baschibagli in den Verkehr kommende Dubnitza besonders zu nennen, Dubnitza ist ein kleiner Platz südlich von Sofia. Südlich von Dubnitza wächst ein ähnlicher Tabak in einem kleinen rings um den Ort Djumaja gelegenen Bezirk.
Von den Tabaken der heutigen Türkei, deren Hauptgebiet Kleinasien ist, ist der stärkste der Samsoun-Tabak. Er brennt ziemlich schwer und gibt auch dunkle Asche, er hat aber die für die Mischungsprobleme außerordentlich wichtige Eigenschaft, alle diejenigen Tabake, die nicht besonders harmonisch zusammengepaßt werden können, zu verbinden. Er ist im Rauchen glatt und besitzt die bereits oben erwähnte seltene Eigenschaft,[S. 55] den Geschmacksausgleich in sich selbst finden zu können, so daß er ohne Beimischung anderer Tabaksorten geraucht werden kann. Der feinste Samsoun-Tabak wächst in dem Gebiet von Samsoun, das dieser Provenienz den allgemeinen Namen gegeben hat, und zwar auf dem Berge nördlich der Stadt gleichen Namens. Den wertvollsten bezeichnet man mit Maden. Dieser Tabak ist mittelkräftig, dabei aber außerordentlich glatt und von angenehmem Geschmack. Der in der Ebene wachsende Samsoun-Tabak ist ebenfalls von großer Feinheit und sehr gutem Geschmack.
Südlich von diesem Gebiet wächst der Bafra-Tabak, welcher voll und kräftig ist. Auch dieser Tabak ist von ausgezeichneter Qualität. Die Farbe des Bafra-Tabaks ist mehr rötlichbraun, während der Samsoun-Tabak mehr ins Gelbliche geht.
Längs des Schwarzen Meeres, bei Brussa beginnend, gedeiht ebenfalls ein aus Bafra-Samen gezogener Tabak, der aber in der Qualität minderwertiger ist. Die Sortierungen der Schwarzmeer-Tabake werden auch vorzugsweise nach Blattgrößen gewonnen, und zwar heißen die kleinsten Blätter Doruk, die etwas größeren Doruk-Alti und eine etwas andere Blattart Bitjak. Dazu kommen noch als Untersortierungen die Baljabitjak und die Gourmez hinzu.
[S. 56]
Zu erwähnen ist noch der östlich von Samsoun gezogene Taschowa-Tabak, ein gehaltloser, gelber und leichter Fülltabak.
Der vornehmste und edelste kleinasiatische Tabak ist der Smyrna-Tabak. Er ist meist hell, besonders in der besseren Qualität. Er ist sehr weich und von sehr starkem Aroma. Der Smyrna-Tabak ist das typischste Beispiel von Würztabaken. Sein Aroma und seine Schärfe läßt ihn für sich allein gemischt für den menschlichen Genuß völlig ungeeignet erscheinen. Aber er besitzt die Eigenschaft, in kleinen Mengen anderen Tabaksorten beigemischt, ein wundervoll süßes Aroma hervortreten zu lassen.
Der feinste Smyrna-Tabak wächst in den Bezirken Ayassoluk, Ghiourkoi und Tshangli. Diese Tabake werden nicht als Basma manipuliert, sondern als Caloups, d. h. die Blätter werden an Fäden aufgereiht, während die in den Bezirken Ligda, Odemich wachsenden Tabake hauptsächlich als Basma verarbeitet werden, was man hier Pastals nennt. Der Ligda-Bezirk ist neben dem Ayassoluk und dem Ghiourkoi der beste Smyrna-Bezirk. Die Bezirke im Innern Kleinasien, und zwar besonders Magnesia, bringen die weniger wertvollen Smyrna-Tabake hervor.
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Die Süße und der Duft des guten Smyrna-Tabaks und besonders der als bevorzugt bezeichneten Bezirke ist unvergleichlich. Er ist infolgedessen das hochwertigste Material für Cigaretten einer entsprechenden Geschmacksabsicht. Die verschiedenen Qualitäten des Smyrna-Tabaks, soweit es sich um Pastals d. h. Basma-Arbeit handelt, werden in Dubec, Dubec Basma, Sirapastal und Teterta eingeteilt; soweit sie in Caloups gearbeitet sind, teilt man sie in Caloup-Maxoul, Caloups, Cabas (gereihte Blätter wie die Caloups, aber in geringerer Qualität), Matzakia (geringere Sortierungen) und in Tonges oder Refusen (lose Blätter). Die minderwertigste Sortierung nennt man Kirik, das sind zersplitterte oder zerbrochene Refusen.
Die vorgenannten Tabake, vor allem die mazedonischen, Samsoun- und Smyrna-Tabake werden in ihren oberen Qualitäten je nach der Qualitätsanforderung der Cigarette in größeren oder kleineren Mengen als ausschlaggebende Würztabake beigemischt. Die Mittelqualität dieser Tabaksorten dient bei guten Cigaretten als Füllmaterial. Bei geringeren Cigaretten werden als Füllmaterial in der Hauptsache bulgarische und ähnliche Tabake verwendet.
Die russischen Tabake bilden eine ziemlich scharf abgetrennte Gruppe für sich, da ihre Herbheit und[S. 58] Eigenart eine besondere Form der Cigarette und eine besondere Art zu rauchen bedingt.
Bei fast allen russischen Distrikten werden qualitativ zwei Arten von Tabaken unterschieden, nämlich Tabake, die aus Samsoun-Samen gezogen werden, und solche, die aus Trapezunt-Samen herkommen. Von diesen beiden Arten ist die erste ganz erheblich wertvoller als die zweite. So unterscheidet man z. B. in dem kaukasischen Distrikt, dem sogenannten Kuban-Distrikt, außer dem edelsten Gewächs dieses Gebietes, dem Maikub-Tabak, noch je zwei Arten Sakuban-, Abin- und Martanska-Tabake. Von diesen Sorten besitzt vor allem der Martanska-Tabak aus Samsoun-Samen einen sehr guten Ruf. Er ist ziemlich neutral in seiner Mischwirkung, hellfarbig und von gutem, edlem und vor allem reinem Geschmack.
Die bekanntesten und verbreitetsten russischen Tabake kommen aus der Krim. Es gibt dort einen sehr edlen als Basma verarbeiteten Dubec, der zwar schwer brennt, aber als Würztabak seines starken Aromas wegen sehr gesucht ist. Daneben gibt es auch Baschibagli-Arten. Der eigentliche Krim-Tabak im engeren Sinne wird von Fachleuten Joujenberger genannt.
Den Sochoum-Distrikt teilt man in die Gebiete Batum, Sozji, Tuapse und des eigentlichen Sochoum, von denen[S. 59] der letztere sehr beachtenswert ist. Der aus Trapezunt-Samen gewonnene Sochoum ist leicht, hellfarbig und gehaltlos, aber die andere Art aus Samsoun-Samen ist sehr aromatisch, voll, sehr ergiebig und gegenüber dem erstgenannten von mehr bräunlicher Farbe. Beide Arten sind durchaus rein im Geschmack und nicht schmierig. Der Sochoum aus Samsoun-Samen ist der wertvollste Tabak russischer Provenienz. Er ist dem originalen Samsoun-Tabak ziemlich gleichwertig, und deshalb ist er in die Rangabstufung der edelsten türkischen Provenienzen sehr wohl einreihbar.
Der bessarabische Distrikt ist bezüglich seiner Qualitäten ziemlich monoton. Man unterscheidet eigentlich nur einen westlichen und einen östlichen Teil und kann dabei behaupten, daß der Tabak desto besser ist, je östlicher seine Herkunft innerhalb des Gebietes bezeichnet wird. Für den europäischen Markt haben seine Erzeugnisse qualitativ nur eine geringe Bedeutung.
Zu erwähnen sind noch die häufig zur Verarbeitung gelangenden altgriechischen Tabake, insbesondere der Argos-Tabak, der Missilonghi-Tabak, der Volo-Tabak und der Agrinion-Tabak; ferner die auf den verschiedenen Inseln des Jonischen und Ägäischen Meeres kultivierten Tabake.
[S. 60]
Die altgriechischen Tabake sind mit Ausnahme des Agrinion-Myrodata-Tabaks qualitativ mehr oder weniger minderwertig. Sie brennen in der Hauptsache schwer und hinterlassen beim Rauchen einen bitteren Nachgeschmack, der sich erhöht, wenn der Tabak nicht unmittelbar nach der Verarbeitung zur Cigarette geraucht wird. Die Farbe des griechischen Tabaks ist mit geringen Ausnahmen hellgelb. In der Hauptsache finden diese Tabake jedoch nur für geringere Cigarettensorten Verwendung. Wenn auch häufig diese Tabake für bessere Cigaretten von nicht besonders fachkundigen Fabrikanten verarbeitet werden, so muß doch gesagt werden, daß eine gute, in der Qualität sich gleichbleibende Cigarette aus den altgriechischen Tabaken nicht hergestellt werden kann. Der Myrodata-Tabak aus dem Agrinion-Bezirk dagegen ist süß, brennt gut und ist als Beimischung zu mazedonischem Tabak verwendbar. Die auf den Inseln gezogenen Tabake sind gleichfalls in der Farbe größtenteils hellgelb und besitzen zumeist dieselben Eigenschaften wie der altgriechische Tabak. Eine Ausnahme bildet der auf der Insel Samos wachsende Tabak, der im Charakter dem Smyrna ähnelt, ohne ihn allerdings auch nur im entferntesten an Wert zu erreichen. Dieser Tabak wird vielfach als Smyrna-Tabak angeboten und gekauft. Der nicht sehr[S. 61] fachkundige und in diesem Falle betrogene Fabrikant stellt dann erst viel später fest, daß der Tabak ihn enttäuscht hat.
Wenn man einem Orientalen eine Frage über die Abwertung der einzelnen Provenienzen vorlegt, so kann man gewiß sein, daß er die Tabake seiner engeren Heimat als die jeweils besten bezeichnet. Trotzdem die Möglichkeiten der Schaffung guter Cigaretten mannigfaltig sind, wird doch eine gewisse Übereinstimmung in dem Urteil festzustellen sein, daß die edlen mazedonischen Tabake der Xanthi- und Cavalla-Bezirke und die Smyrna-Tabake, wozu noch der Samsoun tritt, die edelsten Gewächse sind, die zur Verarbeitung kommen können. Die drei genannten Hauptarten charakterisieren gleichzeitig gewisse Geschmacksunterschiede der durch sie erzeugten Cigaretten. Während die aus vorzugsweise mazedonischen Tabaken hergestellten Cigaretten meist sehr voll, weich und blumig wirken, zeigen die Cigaretten aus vorzugsweise Samsoun-Tabaken ein gewisses herbes und charaktervolles Aroma. Die durch Smyrna-Tabake charakterisierten Cigaretten dagegen zeichnen sich durch eine außerordentliche Süßigkeit aus, zu der je nach den verwendeten Fülltabakmischungen eine mehr oder weniger starke Völligkeit, Weichheit[S. 62] oder auch Strenge der unmittelbaren Geschmackswirkung hinzukommt.
Die Europäer sind gewohnt, noch von einer anderen charakteristischen Cigarettensorte mit typischen Geschmackseigenschaften zu sprechen. Es sind dies die ägyptischen Cigaretten. Die früher starke Einfuhr von Cigaretten aus Ägypten hat die Meinung verbreiten lassen, daß dieses Land ebenfalls zu den eigentlichen Tabakländern gerechnet werden muß. In Wirklichkeit ist dies durchaus nicht der Fall. Auf Grund eigentümlicher Zollverhältnisse, die sich aus der Zugehörigkeit des Landes zur Türkei und innerhalb dieser Zugehörigkeit doch besonderen Stellung durch die britische Oberhoheit ergaben, sahen sich eine ganze Anzahl Unternehmer veranlaßt, in Ägypten Fabrikationsunternehmungen zu gründen, um die dadurch gegebenen günstigen Zollbedingungen auszunützen. Dadurch erhielt ein Land, das ursprünglich mit Cigarettentabaken so gut wie gar nichts zu tun hatte, den Charakter eines Tabaklandes. Heute ist der eigentliche Anlaß für eine ägyptische Cigarettenindustrie nicht mehr gegeben. Es mag zwar einerseits einem Bedürfnis der Tradition entsprechen, die Fabrikation dort aufrecht zu erhalten, und andererseits ist die Fabrikation bis zu einem gewissen Grade durch die besonders günstigen klimatischen[S. 63] Verhältnisse begründet. Aber auch hierin vermag die technische Vervollkommnung unserer Zeit eine Unabhängigkeit zu garantieren, so daß ein Rückgang der ägyptischen Produktion vorausgesehen werden kann.
Aus der großen Anzahl der genannten Provenienzen, die sich in der Praxis noch weit komplizierter verästeln, ergibt es sich, daß der Einkauf von Tabaken ganz außerordentliche Fachkenntnisse voraussetzt, und daß von diesem Einkauf besonders das Wohl und Wehe einer Fabrik abhängt. Die Tabake werden im allgemeinen nach ihrer Manipulation in Ballen durch einen weiteren Zwischenhandel auf die europäischen Märkte gebracht. Die weitaus meisten europäischen Fabriken erwerben erst an diesen Plätzen die Tabake, die sie zur weiteren Verarbeitung in Cigaretten ihren Unternehmungen zuführen. Diejenigen Cigarettenfabriken dagegen, die sich erhöhte Möglichkeiten der Qualifizierung ihrer Erzeugnisse zu verschaffen suchen, müssen sich von dem europäischen Markt unabhängig machen und versuchen, in den Ursprungsländern des Tabaks selbst einzukaufen. Naturgemäß ist dies mit außerordentlichen Schwierigkeiten verknüpft, denn der direkte Einkauf setzt nicht nur einen großen technischen Apparat voraus, sondern zugleich Fachkräfte, die den Europäern selten zur Verfügung[S. 64] stehen. Aber nur dann ist es möglich, die vielen Zufälligkeiten unterschiedlicher Ernten zum Erwerb besonders hochqualifizierter Tabake auszunutzen und dadurch die Möglichkeit zu gewinnen, allererste Provenienzen bei relativ niedrigen Preisen zu verarbeiten und diesem entsprechend hochwertige Cigaretten relativ billig auf den Markt zu bringen.
[S. 65]
Es ist merkwürdig, wie oft die Frage, worin eigentlich der Genuß des Rauchens besteht, unbeantwortet bleibt, denn es erscheint unerfindlich, warum dieser Genuß geheimnisvoller und unerklärlicher sein soll als irgendein anderer. Wenn auch niemand allgemeingültig die Umwandlung der Erlebnisse unserer Sinnesorgane in eine Genußvorstellung formulieren kann, so genügt doch bereits zur Beantwortung der Frage nach dem Genuß des Rauchens der Nachweis, welche Sinnesorgane beteiligt werden, und welche Wirkungen der Tabak auf den Menschen ausübt, sobald eine wirkliche Genußempfindung zum Bewußtsein kommt.
Die vornehmste Aufgabe weist man fast allgemein dem Geschmackssinn zu, ohne eigentlich recht das Kompetenzgebiet dieses Sinnesorgans abzugrenzen. Die Geschmacksnerven werden nur von gelösten Substanzen getroffen, und daraus erkennt man, daß die Zunge eigentlich recht wenig an der Geschmacksvorstellung, die wir vom Tabakrauch haben, beteiligt sein kann. Dies wird jeder leicht feststellen können, der sich beim Rauchen die Nase zuhält, denn die vorher irgendwie vorhandenen[S. 66] Geschmacksempfindungen verschwinden sofort. Nur für eine besondere, jedem Raucher bekannte Erscheinung ist die Zunge verantwortlich, und zwar für den Nachgeschmack. Er läßt sich dadurch erklären, daß der Tabakrauch die Feuchtigkeit im Munde bis zu einem gewissen Grade geschmacklich beeinflußt. Sobald nun die hauptsächlich durch das Geruchsorgan erzeugte allgemeine Geschmacksempfindung vom Tabak nachgelassen hat, und die Empfindungen der Zunge nicht mehr übertönt werden, bringt sich der nach dem Ausstoßen des Rauches noch im Munde zurückbleibende Speichel zur Geltung.
Die eigentlichen Geschmacksnerven können nur wenige einfache Kontrastempfindungen vermitteln. Die einzigen Geschmacksarten sind süß, sauer, bitter und salzig. Aus diesen vier Arten setzen sich alle auch noch so komplizierten Geschmackserlebnisse zusammen, gleichwie aus vier Grundfarben eine unendliche Anzahl von Mischungsfarben und Bildern entstehen kann.
Der größte und wesentlichste Teil der Empfindungen, den wir allgemein Geschmack nennen, wird durch das Geruchsorgan vermittelt. Die Geruchsnerven sind ihrerseits wieder nur in der Lage, gasförmige Stoffe wahrzunehmen, und zwar müssen diese gasförmigen Stoffe an den wie feine Härchen die Schleimhaut überragenden[S. 67] Nervenenden in der dritten obersten Muschelwindung der Nase vorbeistreichen, denn die Gerüche von ruhenden Gasen können nicht wahrgenommen werden. Die Bewegung der gasförmigen Stoffe wird durch die Atmung hervorgerufen. Das menschliche Geruchsorgan ist vielleicht der empfindlichste Apparat, den der Mensch besitzt, denn er übertrifft an Feinheit selbst die besten chemischen Untersuchungsmethoden. So werden auch die wesentlichsten Geschmacksempfindungen beim Tabakrauchen durch die Geruchsnerven vermittelt, vor allem solche, von denen man ganz speziell bei einer Geschmackskritik spricht.
Eine gewisse Rolle spielt bei dem Rauchgenuß auch das Tastgefühl, denn es vermittelt das angenehme Gefühl der Wärme und des Tabakrauchvolumens. Die verschiedene Brennart verschiedener Tabake und das unterschiedliche Format der Brandfläche ergeben ganz unterschiedliche Volumina des bei einmaligem normalen Ziehen gewonnenen Rauches. Vor allem bei milden Cigaretten, die eine größere Rauchmenge ohne Aufdringlichkeit zulassen, ergibt das Tastgefühl die Empfindung der Völligkeit, die besonders im Verein mit dem Gefühl der Wärme angenehm empfunden werden kann. Die Wärmegrade spielen ganz allgemein bei Genußmitteln eine ganz außerordentliche Rolle. Zum Beispiel[S. 68] können auch die raffiniertesten Weinkenner durch geschickte unterschiedliche Temperierung der zu kritisierenden Weine völlig in Verwirrung gebracht werden; und so angenehm der Tabakrauch im warmen Zustand empfunden werden kann, so unangenehm ist die Wirkung des kalten Rauches, wie wir ihn manchmal in schlecht gelüfteten Räumen antreffen oder aus türkischen Wasserpfeifen kennen, wenn bei ihnen das Wasser im Gefäß nicht mehr warm genug ist.
Alle Empfindungen, die durch die drei genannten Nervenarten des Geschmacks, Geruchs und des Tastgefühls vermittelt werden, ergeben zusammen den eigentlichen Geschmacksakkord. Genau wie bei Kunstwerken der Musik, Literatur usw. nicht die einzelnen Teile, aus denen das Erlebnis besteht, für den Wert maßgebend sind, genau so ist das, was wir Geschmack nennen, jeweils aus vielen Einzelempfindungen zusammengesetzt, die vielleicht jede für sich allein unerträglich sein mögen, aber im Zusammenklang die höchste Befriedigung erzeugen können.
Häufig hört man den Gedanken ausgedrückt, daß bei dem Genuß des Rauchens vorzugsweise das Auge beteiligt sei. Man erzählt zum Beweis die Beobachtung, daß man in völliger Dunkelheit ebenso wenig wie ein[S. 69] Blinder am Rauchen Vergnügen finden würde. Zweifellos wird man nicht bestreiten können, daß die Betrachtung der aufsteigenden Rauchwölkchen ein beschauliches Gemüt in den genießerischen Zustand der Gedankenlosigkeit zu bringen vermag. Aber es wäre durchaus verfehlt, hierin einen Hauptgrund des Rauchbedürfnisses suchen zu wollen. Es gibt sehr wohl Blinde, die rauchen, und sehr viele Menschen, die gar nicht den Unterschied kennen, den man nach der vorhergehenden Behauptung zwischen dem Tabakgenuß bei Licht und bei Dunkelheit machen müßte. Gerade für die Geschmackskritik sind die Wahrnehmungen des Auges völlig belanglos. Wenn Gründe gesucht werden sollen, weshalb die Tätigkeit des Auges beim Rauchen nur ungern völlig ausgeschaltet wird, so sind sie sehr leicht darin zu finden, daß jeder Mensch nur mit Unbehagen einen Verbrennungsvorgang ohne vorsichtige Kontrolle der Augen zuläßt, zumal wenn beim Anzünden des Tabaks wie in den weitaus meisten Fällen eine offene Flamme verwendet wird.
Zu den oben genannten mehr unmittelbaren Genußarten kommen noch einige andere hinzu, die wir zwar als mittelbare Genußarten bezeichnen können, die aber keineswegs unwesentlicher sind. Der Tabak würde für[S. 70] den Menschen bedeutungslos sein, wenn er ausschließlich geschmackliche Reize durch die genannten Sinnesorgane auslösen würde. Schon wenn wir den spielerischen Reiz, den das Verfolgen der Tabakwölkchen unter Umständen verursachen kann, als eine positive Genußmöglichkeit des Tabaks erklären, so muß ein anderer ebenfalls vom Geschmack unabhängiger Reiz noch mehr betont werden, und zwar liegt dieser in den automatischen Bewegungen, die der Rauchvorgang mit sich bringt. Das Saugen an dem Rauchobjekt in periodischen Abständen, die automatisch gleichartigen Bewegungen der Hand usw. beschäftigen sehr häufig den Raucher in einem gewissen beruhigenden Maße. Die Beschäftigung selbst ist mühelos und stellt weder körperliche noch geistige Anforderungen, so daß die periodische Tätigkeit eine Entlastung des Körpers und des Geistes ergibt.
Dem gleichen Zweck der inneren Beruhigung dienen beispielsweise auch die verschiedenen Perlenketten, die man vor allem bei arabischen Kaufleuten häufig antrifft. Um jede Übereilung zu verhindern und ein gewisses methodisches Vorgehen des Verstandes anzuregen, lassen sie gedankenlos und automatisch an ihren Perlenketten eine Perle nach der anderen langsam durch ihre Finger gleiten. Dadurch wird die Zeit gewissermaßen fühlbar[S. 71] gemacht und in gleichmäßige Intervalle eingeteilt. Jeder, der bei starker Beanspruchung seines Denkvermögens einmal zu solch einem Hilfsmittel gegriffen hat, wird mit Verwunderung die tatsächlich stark beruhigende Wirkung festgestellt haben. Man kann auch in Europa bei sehr vielen Menschen irgendwelche ganz unwillkürlichen gleichmäßigen Bewegungen bei schwieriger Gedankenarbeit beobachten, so daß scheinbar ein instinktiver Drang nach einer Rhythmisierung des Zeitablaufes a priori im Menschen vorhanden ist. Der eine wippt mit den Fußspitzen, der andere klopft mit dem Finger oder seinem Fingerring gedankenlos an seinen Stuhl oder Tisch, die meisten aber greifen zu einem Rauchmittel, das heute beinahe zu einem unentbehrlichen Konferenzrequisit geworden ist. Man kann deutlich bemerken, daß ein langsam und scheinbar sorgfältig genossenes Rauchmittel in Augenblicken starker geistiger Anstrengung zu einem Instrument gleichmäßiger, automatischer, skandierender Nebensächlichkeit wird, das alle störenden Beeinflussungen von Seiten der Umwelt bindet und somit unschädlich macht.
Mit dem eigentlichen Rauchgenuß hat diese Nebenerscheinung nichts zu tun. Die beruhigende Einwirkung, die den eigentlichen Wert des Tabaks ausmacht[S. 72] und weder durch Rosenketten noch durch ähnliche Dinge ersetzt werden kann, beruht in seiner — wenn auch noch so schwachen — narkotischen Wirkung.
Die narkotische Wirkung des Tabaks ist außerordentlich verschieden und nicht unmittelbar von den Qualitätsgraden abhängig. Analytisch ist der Nikotingehalt gerade bei den edelsten Dubec-Blättern prozentual am geringsten und bei den ganz tief am Stamm sitzenden Blättern am stärksten. Die Genußwürdigkeit dagegen steht hierzu im umgekehrten Verhältnis.
Die Einwirkung des Tabakrauchens auf den Organismus erfolgt durch die Atmungsorgane. Man hört häufig den Vorwurf gegen die Cigarette, daß sie das Inhalieren des Tabakrauches gegenüber den früher verwendeten Pfeifen und Cigarren begünstige. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß das Inhalieren bei Pfeifen und Cigarren zwar seltener ist, die effektive Wirkung aber eher umgekehrt; und da sich überhaupt keine andere Möglichkeit der Beeinflussung des Körpers durch den Tabakgenuß auffinden läßt, ist schließlich letzten Endes die Wirkung selbst entscheidend. Die amerikanischen Tabake und vor allen Dingen ihre Gebrauchsformen, die sich durch besonders breite und große Brandflächen gegenüber der Cigarette charakterisieren[S. 73] lassen, wirken bedeutend schwerer als Cigarettentabake, und dementsprechend ist ihre Einwirkung durch die Atmungsorgane auch erheblicher. Außerdem wird jedoch bei jeder Tabakart und Rauchform die unmittelbare physische Wirkung auf die Lunge ganz außerordentlich überschätzt. Man verkennt vollkommen das enorme Anpassungsvermögen des menschlichen Körpers. Wenn den Wirkungen nachgegangen werden soll, die ein unmäßiger Tabakgenuß hervorruft, dann sind diese wohl kaum je in irgendwelchen Schädigungen der Lunge zu suchen, sondern fast ausschließlich in den Beanspruchungen der Nerven, denn durch die Lunge gewinnt der Tabak einen gewissen Einfluß auf das Blut, das Blut selbst teilt diesen den Nervenenden mit, und in den nachweisbaren Einwirkungen auf das Nervensystem müssen wir das einzige sehen, wodurch eine Beeinflussung des menschlichen Organismus durch den Tabakgenuß stattfindet. Wie sich manche törichten Menschen an Lasten überheben, die ihre Kräfte bei weitem übersteigen, und dadurch Schaden an ihrer Gesundheit nehmen, so gibt es auch Menschen, die ihrer Genußsucht keine Grenzen setzen. Aber bei dem Tabakgenuß weiß die Natur Mittel, um den Raucher zur Ordnung zu rufen. Sobald die Beeinflussung des Körpers einen gewissen harmlosen Grad übersteigt, macht der[S. 74] Körper eine erhöhte Anzahl von weißen Blutkörperchen mobil, die eine gründliche Reinigung vornehmen. Dies wird von einer Erhöhung der Körpertemperatur begleitet, so daß der Raucher sich heiß oder sogar fieberig fühlt. Dies ist ein Warnungsruf: »Halt, jetzt hör auf!« Darauf muß der Raucher unbedingt achten, denn wenn er diese Stimme der Natur überhört, wird sie sehr energisch und steigert dies bei außergewöhnlichen Exzessen bis zu wirklichem Fieber, Frösteln, Schwäche und Schwindelanfällen: eine sogenannte Nikotinvergiftung. Gegen sinnloses Übertreiben und die Unvernünftigkeit der Menschen gibt es allerdings keine Mittel, aber daran ist nicht der Tabak schuld. Es ist eben hier auch so wie sonst überall im Leben. Wenn jedoch der Warnung der Natur Folge geleistet wird, dann bleibt sie ohne die geringsten Folgen. Als gutes Gegenmittel merke man sich Kaffee und Tee, die als gerbsäurehaltige Stoffe das Alkaloid Nikotin binden und dadurch unschädlich machen. Deshalb raucht der kluge Türke am liebsten seine Cigarette zu einer guten Tasse Mokka, wobei sich beide Genußmittel gegenseitig in sehr weitgehendem Maße aufheben.
Die dem Mundspeichel durch den Tabakrauch mitgeteilten Stoffe, deren Geschmackseigentümlichkeiten[S. 75] an dem sogenannten Nachgeschmack erkannt werden, gelangen durch das gewohnheitsmäßige Schlucken in den Magen. Man hört infolgedessen häufig die Annahme, daß der Einfluß des Tabakgenusses auf den Raucher vorzugsweise hierdurch erfolgt. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn die dem Speichel mitgeteilten Stoffquanten sind außerordentlich gering (wie wir an der bezeichnenden Geringfügigkeit des Nachgeschmackes sehen), und außerdem würde selbst ein Tabaksud einen gründlich verdorbenen Magen ergeben, aber keineswegs die typischen Genußerlebnisse des Rauchens. Man hört hin und wieder, daß die durch den Speichel aufgelösten Tabakstoffe eine Förderung der Verdauung bewirken, also leicht abführend wirken, aber von Beschwerden könnte nur dann die Rede sein, wenn der Magen nicht in Ordnung und daher überempfindlich war, also sowieso eine ganze Reihe von Dingen nicht vertragen hätte, die für einen gesunden Magen sogar wichtige und unbestreitbar wertvolle Nahrungsmittel sein können. Wenn jemand einen schwachen Magen hat, ist ihm wohl einerseits ein starker Tabakgenuß nicht zu empfehlen, aber andererseits müßte man den betreffenden gleichzeitig vor einer ganzen Anzahl schöner Dinge wie Hummermayonnaise, Plumpudding u. a. warnen. Ähnlich wäre es, wenn[S. 76] man von einem Einwirkungsweg des Tabaks auf den menschlichen Körper reden würde, sobald irgend jemand bei starker Erkältung und übergroßer Empfindlichkeit der Atmungsorgane durch den Tabakrauch Hustenanfälle bekommt. Wenn jemand stark erkältet ist, so wird er tunlichst seinen Tabakverbrauch auf ein Mindestmaß beschränken oder lieber zeitweise überhaupt einstellen, ohne daß dies für die Frage nach der Beeinflussung des menschlichen Körpers durch den Tabak von Bedeutung sein kann.
Die mittelbaren Arten des Tabakgenusses, die den unmittelbaren des reinen Geschmacksgenusses gegenüberstehen, lassen sich in zwei Gruppen teilen. Einmal handelt es sich um Anregungen des reinen Einbildungsvermögens, und weiterhin um die obig beschriebene Einwirkung auf die Nerven. Beide Arten sind sowohl unter sich als auch von dem unmittelbaren Geschmacksgenuß untrennbar. Keine Art tritt irgendwie allein auf, sondern erst alle zusammen ergeben in ihrer außerordentlichen Kompliziertheit und Fülle von unkontrollierbaren Einzelempfindungen dem Kenner den im einzelnen niemals restlos definierbaren, beinahe geheimnisvollen Genuß an einem edlen Tabak.
[S. 77]
Dem Menschen ist es nicht gegeben, eine größere Anzahl von unzusammenhängenden Sinneseindrücken gleichzeitig empfinden zu können. Es ist demnach natürlich, daß der Tabakgenuß einen bestimmten Bereich des Vorstellungsvermögens des Menschen in Anspruch nehmen und den Menschen dadurch von vielen störenden Dingen ablenken kann, die ihm zwar vielleicht nicht zum Bewußtsein kommen, die aber in ihm ein Gefühl der Unrast und der Konzentrationsunfähigkeit erregen. Die gleiche Wirkung erzielt der Tabakgenuß durch seine Beeinflussung der Nerven. Bei dem modernen Menschen existiert meistens eine außerordentliche Überempfindlichkeit der Nerven. Der Tabakgenuß vermag nun diese Überempfindlichkeit zu dämpfen. Es ist ähnlich wie bei den vielen allopathischen und homöopathischen Beruhigungsmitteln, die Ärzte zu verschreiben pflegen. Nur ist die rein organische Wirkung ganz unvergleichlich schwächer, denn, wie gesagt, kommen beim Tabakgenuß so viel mehr suggestive Momente hinzu, daß die praktische Wirkung der Beruhigung und Abdämpfung der Überempfindlichkeit der Nerven in den feinsten Graduierungen erreicht wird, ohne daß die tatsächlich physische Beeinflussung der Nerven wesentlich zu sein braucht.
[S. 78]
Die Abdämpfung der Überempfindlichkeit der Nerven zusammen mit der Ablenkung, die alle physischen und psychischen Wirkungen des Tabaks ergeben, lassen den Menschen eine Ruhe und eine Behaglichkeit kennen lernen, die er anders sich nur durch stets recht wenig empfehlenswerte Drogen verschaffen könnte. Es ist zu allen Zeiten bekannt gewesen und auch gerade in dem letzten Kriege immer wieder bestätigt worden, wie sehr der Tabakgenuß den Menschen über die Mangelhaftigkeit einer Situation hinwegzubringen vermag. Er stillt Schmerzen, beruhigt den Hunger und läßt die größten Aufregungen überwinden. Wie häufig bringen starke geistige Beanspruchungen das menschliche Gehirn in eine Unruhe, die schließlich keinen geschlossenen Gedanken ganz mehr aufkommen läßt. Das durch starke Stöße angetriebene Räderwerk des Gehirns kommt nicht zum Stillstand; selbst dann nicht, wenn die Aufgabe vollbracht ist, also Hoffnung und Anrecht auf Ruhe und Erholung besteht. Der Tabak dämpft die Unrast des Räderwerkes. Er verschließt die vielen Pforten zu den Nebenwegen haltloser Gedankenabschweifungen und beseitigt die ununterbrochene Ablenkung von beabsichtigten großen Gedankengängen, die der moderne Mensch mit seinem häufig so mangelhaften Konzentrationsvermögen, der Überreiztheit seiner[S. 79] Nerven und der daraus sich ergebenden Zerstreutheit und gedanklichen Zersplitterung dauernd erlebt. Der Tabakrauch wirkt wie das Öl im Kompaß; es verhindert nicht die Zielrichtung der Kompaßnadel, aber es sorgt dafür, daß die Nadel nicht von jeder Kleinigkeit abgelenkt wird und ununterbrochen unruhig hin und her zittert, sondern daß sie ruhig, sicher und beständig ihre Aufgabe erfüllt.
Die Schönheit des kultivierten Tabakgenusses liegt aber vor allem in der sich aus dem Vorhergehenden ergebenden Anpassungsfähigkeit der Wirkung an die jeweiligen Bedürfnisse. Demjenigen, der sich behaglich ausruhen will und Ablenkung von allen vorhergehenden Beschäftigungen sucht, ermöglicht er eine ruhige innere Behaglichkeit. Andererseits ermöglicht der Tabakgenuß demjenigen, der die Anregung zu intensiver Arbeit sucht, die notwendige Konzentration der Gedanken und die Erfrischung seines körperlichen Befindens. Selbstverständlich ist physisch die Wirkung des Tabaks immer wieder dieselbe, und nur nach Stärkegraden abstufbar, aber gerade weil die Wirkung nicht wie bei Schlafmitteln oder ähnlichen Drogen in starker physischer Beeinflussung beruht, sondern weil sie beinahe nur andeutet und anregt, ermöglicht sie die ruhige, sichere Grundfläche, auf der sich ungestört alles das aufbauen[S. 80] läßt, worauf die Wünsche des Rauchers abzielen. Selbstverständlich spielt hierbei die Einbildung eine große Rolle, aber sie ist ein wichtiger Bestandteil des Tabakgenusses. Es ist keine Einbildung, die auch ohne den Tabakgenuß konstruiert werden könnte, sondern sie kann eben nur durch die wenn auch geringen Einwirkungen auf die Nerven zusammen mit den wichtigen Geschmacksmomenten entstehen. So ist es tatsächlich möglich, daß man in einem Falle durch den Tabakgenuß lebhaft angeregt wird und in einem anderen Falle gerade gegenteilig beruhigt wird. Diese mit verschiedenen Differenzierungen möglichen verschiedenen Wirkungen kann der kultivierte Raucher durch bestimmte Geschmacksdifferenzierungen unterstützen. Die Wichtigkeit der verschiedenen Geschmacksarten ist gerade darin zu suchen, daß sie das jeweilige Endergebnis der verschiedenen praktischen Wirkungsmöglichkeiten bis zu einem gewissen Grade bestimmen.
[S. 81]
Es ist gesagt worden, daß durch eine Auswahl der Tabake nach verschiedenen Geschmacksakkorden die jeweilig beabsichtigte Wirkung des Rauchgenusses bestimmt werden kann. Außer einer solchen Anpassung an die jeweilig durch Augenblicksstimmungen bedingten Geschmacksforderungen wird jedoch vor allem die Anpassung an die jeweils individuellen Eigenarten des Rauchers vorauszusetzen sein.
Die individuellen Eigenarten eines Rauchers liegen einerseits in der Eigenart jedes persönlichen Geschmacksempfindens begründet, andererseits ist das Temperament und deshalb sogar die Lebensanschauung des einzelnen von grundlegender Wichtigkeit. Es mag snobbistisch klingen, wenn in scheinbarer Anlehnung an ästhetisierende Phrasenhelden heutiger Mode »unproblematische« und »primitive« Genußmittel mit weltanschaulichen Dingen zusammengezogen werden, aber die Tatsache des innigen Zusammenhanges ist jedem Untersuchenden so unbestreitbar, daß eine Tabakbewertung auch von dieser Seite aus zu vertreten ist.
Schon der alte Platon teilt alle Genußmöglichkeiten des Menschen in zwei scharf voneinander zu trennende[S. 82] Arten, die den Zusammenhang des Tabakgenusses mit den wesentlichsten geistigen Werten des Menschen bedingen. Er unterscheidet einerseits die negativen Genüsse, d. h. solche, die nur in der Beseitigung eines Mangels bestehen. Hierzu rechnet er alle Genüsse des Essens, des Trinkens, der Liebe usw., die Befriedigung aller körperlichen Bedürfnisse, die ja erst durch die Voraussetzungen des Hungers, des Durstes, der Liebessehnsucht usw. möglich werden. Die andere Art von Genüssen nennt er Geschenke der Götter. Hierzu gehören nur zwei Formen: die Freude an Erlebnissen und Ergebnissen des Verstandes und Narkotika. Unter Narkotika verstanden die alten Griechen zwar noch nicht den Tabak unserer Zeit, aber ein Rauschmittel, das praktisch für sie dieselbe Bedeutung hatte wie für uns der Tabak, denn es waren wohlriechende Räuchereien, die zum Zweck leiser Abdämpfung der Nerven und Befreiung des Geistes aus den Hemmungen körperlicher Gebundenheit eingeatmet wurden. Solche Genußmittel und die mannigfaltigen Betätigungen des menschlichen Geistes waren die voneinander untrennbaren »Geschenke der Götter«. Man lese im Symposion des Xenophon die Worte des großen Sokrates, mit denen er den Segen dieser Göttergeschenke gegenüber der brutalen Genußsucht seiner Zeit vertritt, und man wird verstehen,[S. 83] welchen innigen Zusammenhang ein harmloses, primitiv erscheinendes Genußmittel in Wirklichkeit mit den unsterblichen Worten und Werken der alten Griechen beansprucht hat, vor denen wir heute noch voll Staunen und ehrfürchtiger Bewunderung stehen.
Das göttliche Geschenk unserer Zeit ist der Tabak: in ihm liegt die Philosophie unserer Zeit begründet. Aus seinen Erscheinungsformen lassen sich die Stile und Charaktere der Jahrhunderte seiner Herrschaft erkennen, denn die Innigkeit seines Zusammenhanges mit dem Wechsel der Anschauungen verlangt eine Anpassung seiner Wirkungsarten, aus denen wir heute rückwirkend psychologische Studien der Zeiten machen können. Es wird wohl kein Genußmittel vorgewiesen werden können, das derartig anpassungsfähig ist wie der Tabak. Nicht nur die unendlich mannigfaltigen rein geschmacklichen Abstufungen, sondern auch die mannigfaltigen Genußformen, z. B. in den verschiedenen Pfeifenarten, als Kautabak, Schnupftabak, Cigarre, Cigarette und als Räuchermittel, ergeben Varianten, die den weitest auseinanderliegenden Genußbedürfnissen gerecht werden können.
Um innerhalb der Vielheit von Erscheinungsformen eine gewisse Übersicht zu gewinnen, müssen wir[S. 84] uns auf einige wenige typische Formen beschränken und jedem Leser überlassen, durch Ableitungen und Mischungen unter den aufgestellten Beispielen nach eigenen Erfahrungen die der Wirklichkeit entsprechende Mannigfaltigkeit zu ergänzen. Weiterhin müssen wir die vielen Formen eines Tabakgenusses ausschalten, die dem modernen Europäer fast unbekannt sind und niemals Einfluß gewonnen haben. Streng genommen sind doch auch Opium, Haschisch, Betelnuß, Kiff-Kiff und sogar Kokain und Äther Genußmittel, die durch Rauchen, Kauen, Schnupfen genossen werden, tabakartige Narkotika, wenn auch ihre Gleichstellung mit den Erzeugnissen aus der Tabakpflanze sehr ungerecht sein würde. Für den Europäer sind jedoch eigentlich nur die verschiedenen amerikanischen Tabake mit ihren süd- und westeuropäischen, afrikanischen usw. Anbaugebieten einerseits und die Orienttabake im Südosten Europas und Vorderasiens andererseits von allgemeiner Bedeutung. Die Unterscheidung ist historisch nicht richtig, aber praktisch durchaus anwendbar, so daß wir im folgenden zwischen amerikanischen und orientalischen Tabaken unterscheiden wollen, ohne dabei an entsprechend begrenzte Herkunftsländer zu denken.
Die beiden Tabakarten unterscheiden sich in ihrem Geschmack wie in ihrer Rauchwirkung grundsätzlich.[S. 85] Sie entsprechen verschiedenen Menschenarten und verlangen entsprechend unterschiedliche Genußmethoden.
Der Geschmacksakkord der amerikanischen Tabake wird besonders durch seine hauptsächlichen Verbrauchsformen: in der Pfeife und als Cigarre bedingt. Beide Formen ergeben gegenüber der Cigarette eine weitaus größere Brandfläche, wodurch das Empfinden größerer Völligkeit und größerer Wärme ausgelöst wird. Ohne das positive Gefühl größeren Rauchvolumens beim normalen Ziehen an der Pfeife oder Cigarre würde der Genuß des amerikanischen Tabaks unvollkommen bleiben müssen, denn die Geschmackseigenarten sind meist sehr fein unter einer recht großen Herbheit des Rauches verdeckt. Auch die eigentliche Rauchwirkung ist nur langsam fortschreitend; sie würde bei zu geringer Völligkeit nur ungenügend zur Entwicklung kommen. Dem Cigarettenraucher ist außer der Wärme und der Völligkeit beim Rauchen der amerikanischen Tabake besonders die schon genannte Herbheit auffallend. Die Nervenenden der Nase scheinen mit ziemlicher Bitterkeit und Schärfe gereizt zu werden, und nur langsam entwickelt sich daneben ein eigentliches Aroma, das der richtige Cigarrenkenner jedoch gerade bei den ersten Zügen am deutlichsten zu verspüren meint. Man muß sich zwei verschiedenartige Stärkegraduierungen[S. 86] vorstellen, um sich ein Beurteilungsbild zu schaffen. Ein Rauchmittel kann äußerlich und auch innerlich kräftig sein. Äußerlich kräftig soll heißen, daß die beizende Wirkung auf die Geschmacks- und Geruchsnerven sehr stark ist; innerlich soll dagegen heißen, daß ihre Rauchwirkung ganz unabhängig vom Geschmack kräftig oder nachhaltig ist. Dies entspricht verschiedenen Geschmacksforderungen: die einen lieben ein mildes Aroma bei relativ kräftigerer narkotischer Wirkung, die anderen wollen den Rauch vor allem richtig »fühlen«. Im Bereiche auch aller der Tabakarten, die wir aushilfsweise einfach amerikanische Tabake nennen, gibt es, wie schon gesagt, eine übergroße Zahl unterschiedlichster Provenienzen, Sortierungen und Mischungen. Zum Unterschied vom Orienttabak ist er jedoch keineswegs auf so komplizierte Mischungsrezepte angewiesen, um genossen werden zu können. Er ist relativ einfach. Die Unterschiede der Tabake von Habana, Sumatra, Java, Portoriko, Mexiko, Varinas, Manila, Maryland usw. beruhen zwar auch auf aromatischen Variationen, aber hauptsächlich auf den verschiedenen Verhältnissen der äußeren und inneren Kraft der Rauchwirkung. Bei den Habana-Tabaken ist das Verhältnis zugunsten eines sehr edlen Duftes sehr weit nach der inneren Kraft verschoben.[S. 87] Deshalb wird gerade dieser Tabak als hochwertiges Würzmittel bei sehr vielen Mischungen verwandt. Aber auch bei ihm ist die innere Wirkung an eine langsame Entwicklung gebunden.
Diesen Eigenarten des amerikanischen Tabaks entsprechen auch ihre Freunde. Die langsame Entwicklung seiner inneren Kraft verlangt eine relativ lange Dauer des Rauchvorganges und die entsprechende Zeit, Ruhe und Aufmerksamkeit. So sehen wir den richtigen Cigarrenraucher in unbeirrbarer Ruhe die ganze Entwicklung genießerisch auskosten. Junge Leute verstehen selten, eine gute Cigarre richtig zu genießen; sie haben weder die Zeit, die Ruhe, noch die beschauliche Lebensphilosophie, die zur Cigarre gehört. Allerdings ist der intensive Genießer der Cigarre ein Extrem, das nicht allzu häufig vorkommen mag, aber mehr oder weniger hat jeder Cigarrenraucher von diesem Typ in sich. Das vollkommenste Bild ergibt der genießerisch und kultivierte Holländer der alten Zeit. In ihm hat eine jahrhundertelange Tradition seiner Kolonialbeziehungen eine Rauchkultur entstehen lassen, die nirgends sonst in der Welt gefunden wird. Die Einfachheit des Aromas und das Konkrete der voluminösen Rauchwirkung edler amerikanischer Tabake ergab die Weltanschauung saturierter Menschen. Sie lieben positive und[S. 88] einfache Dinge. Die schweren Importen setzen einen guten Magen voraus. Die Beschaulichkeit des Genusses bedingt ein ruhiges, streng geregeltes Leben, das sich in der holländischen Häuslichkeit und dem unbeirrbaren Konservativismus der Vertreter alter Rauchkultur zeigt. Es bedingt das Bedürfnis eines soliden Fundamentes auch eine Begrenzung der Interessen auf wenige Dinge positiver Art. Daher die Abneigung gegen alles Genialische und die häufige Abwertung der Menschen nach einseitigen Gesichtspunkten, z. B. der jeweiligen Vermögensbasis. Aber die alten Herren haben einen Stil und eine Lebenskunst bewiesen, die sie mit Recht jedem Angreifer auf ihre etwaige Nüchternheit, ihr Spießbürgertum und ihre Verachtung spekulativer Dinge zur Rechtfertigung vorweisen können.
In allen möglichen Abschattierungen findet man in aller Herren Ländern Konsumenten amerikanischer Tabake, die dem Typ des alten Holländers mehr oder weniger ähneln. Die Ähnlichkeit der Weltanschauungen nimmt mit der Ähnlichkeit der Genußformen zu und ab. Von dem erklärten Typ der edlen amerikanischen Tabake leichterer äußerer und schwererer innerer Kraft laufen Ketten von Übergängen nach den anderen Grenzfällen, die mehr durch kräftiges äußeres Aroma zugleich oder auch ohne innere Kraft oder gar[S. 89] durch Verzicht auf Kraft in beider Hinsicht charakterisiert werden.
Die äußerlich größere Milde der edlen holländischen Cigarren leistet der beruhigenden Wirkung des Rauchgenusses mit dem Ziel der Erholung Vorschub. Die Zunahme der geschmacklichen Reizung veranlaßt bei aller Beruhigung der Nerven eine mehr anregende Wirkung. Infolgedessen werden die Cigarren stärkerer aromatischer Art vorzugsweise in romanischen Ländern geraucht, wo das lebhaftere Temperament keine rechte Würdigung der geschmacklich weniger aufdringlichen Tabake aufkommen läßt. Dem Nordländer erscheint der Romane sehr oft äußerlicher und manchmal oberflächlicher, als objektiv zugegeben werden kann; aber dieser Anschauungsunterschied prägt sich sehr deutlich in den Genußformen des Tabaks aus. Eine Pfeffersuppe, wie sie der Spanier kennt, ist in Nordeuropa eine Unmöglichkeit, aber trotzdem kann man nicht allgemein von einem geringeren Geschmacksraffinement der Romanen sprechen. Charakteristisch ist jedoch für sie das Bedürfnis stark anregender Geschmacksreize, ohne die er keinen wirklichen Genuß anerkennt. Der Romane ist selten fähig, ein Genußmittel fast um seiner selbst willen zu verehren. Es ist ihm Mittel zum Zweck, ohne Gedanken an Vertiefung. Er will einen unmittelbaren[S. 90] Reiz verspüren, trotzdem er auch bei den schärfsten Reizen noch Unterschiede macht. Es läßt dies den Verdacht aufkommen, daß seine Sinne schon sehr abgestumpft und verbraucht sind, daß er Sensationen verlangt, die den Stierkämpfen der Spanier und den Grausamkeitsinstinkten mancher alten Völker entsprechen. Es liegt scheinbar eine Weltanschauung zugrunde, die sich in äußerlichen Wirkungen, scharfen Genüssen, extremen Vorstellungen und in einer Schärfe äußerer Gegensätzlichkeiten auslebt, ohne daß große Beharrlichkeit, Methodik, ernste Vertiefung und positive Fundierung gesucht wird. Es gibt dort Cigarren von einer Giftigkeit des Geschmacks. daß deren Genuß schon beinahe pervers genannt werden kann; es liegt manchmal — cum grano salis — fast ein wenig genießerische Selbstquälerei zugrunde. Bei den noch möglichen Unterschieden der äußerlichen Geschmacksmomente und den entsprechenden individuellen Unterschieden der Raucher besteht trotzdem keine betonbare Individualität. Die überraschend große Gleichförmigkeit des Tabakgenusses verbürgt ein geringes Individualisierungsbestreben innerhalb des Volksganzen als Masse. Die Kultur des Romanen ist die schöne Kultur der Geste, der gedanklich unbeschwerten Form, der den Nordeuropäern beneidenswert erscheinenden künstlerischen[S. 91] Selbstverständlichkeit und scheinbaren Problemlosigkeit. Sie läßt eine Kultur der Cigarre am holländischen Maßstab gemessen nicht zu, sie ergibt keine Häuslichkeit, keine Beständigkeit und keine Intimität. Weil dem Romanen an der Vertiefung der inneren Wirkung nichts liegt, wertet er für die amerikanischen Tabake auch die sonst wenig verständliche Form der Cigarette aus. In dieser Form verliert infolge der kleineren Brandfläche und der kürzeren Genußdauer der amerikanische Tabak seine innere Kraft fast ganz und gar. Der in der Cigarre durch die Schärfe hindurch lebendige aromatische Geschmack wird gleichfalls sehr vermindert; es bleibt das äußerliche Vergnügen am Rauchvorgang selbst, an den automatischen Bewegungen und vor allem an der Sensation des herben Tabakreizes, der nur wenig feinere Geschmackseigenarten und Graduierungen empfinden läßt. Hier ist der Tabakgenuß zu einer ganz nebensächlichen, lediglich anreizenden Aufgabe abgedrängt worden. Sein Genuß ist völlig andachtslos geworden und dadurch kaum entwicklungsfähig.
Außer diesen Grenzfällen äußerlicher und innerlicher Kraftentfaltung des Tabaks gibt es noch eine Kategorie von Menschen, die zwar gern Cigarren rauchen, aber in der immerwährenden Angst vor der Kraft leben. Es[S. 92] sind die vielen besonders in Deutschland heimischen Raucher, die stets nach kleineren Formaten und hellen Farben in der Hoffnung auf große Leichtigkeit des Tabaks suchen. Sie kennen keine Intensität genießerischer Rauchmethoden, auch nicht die Brutalität ätzender Sensationen, sie suchen eine milde leichte Sorte und haben die Idee aufgebracht, daß die Milde an der Helligkeit der Deckblattfarben erkennbar sei. Diejenigen dieser Kategorie, die noch das Bedürfnis aromatischer Erlebnisse mitbringen, sind eigentlich verloren gegangene Cigarettenraucher. Sie haben die Cigarre von ihren Vorbildern übernommen, ohne die Zeit und Ruhe für einen intensiven Genuß aufbringen zu können oder einen Sinn für scharfe Anreize zu besitzen. Diese Zwischengeneration versucht in ihrer Anschauung traditionell zu sein, ohne auch nur eine Ahnung von dem Stil ihrer Vorbilder zu haben; sie rauchen aus einem unklaren Verlangen heraus, pendeln ziemlich wahllos zwischen scheinbaren Geschmackskulturen hin und her, ahmen mehr nach, als sie selbst nachzuerleben vermögen. Sie sind so farblos wie ihre Geschmacksbegriffe, trotzdem sie in verzeihlichem Selbstbetrug sich für wichtiger halten, als sie sind. Sie haben keine Weltanschauung.
Wenn der Romane trotz seines Temperaments doch noch die eigentlichen Formen des Genusses amerikanischer[S. 93] Tabake, vor allem die Cigarre beibehalten hat, so liegt das daran, daß seine wenig intensive Ausnutzung dieser Form seinem Temperament keine große Beschränkung auferlegt. Die Zunahme des Lebenstempos in den letzten Jahrzehnten mußte jedoch die jüngeren Europäer notwendig zur Abwendung von der Cigarre überhaupt führen. Die Intensität des Genußverlangens blieb dieselbe, so daß der amerikanische Tabak in Form der Cigarette nur einen sehr unvollkommenen Ersatz gebildet hätte. Es mußte also ein Tabak gefunden werden, der würziger, aromatischer und auch innerlich kräftiger war als die bisherigen amerikanischen Tabake, und bereits in der Form der Cigarette bei kürzerer Brenndauer und kleinerer Brandfläche wirksam werden konnte.
Im Gegensatz zu den Orienttabaken müssen die meisten amerikanischen Tabake außer der Fermentation noch einen Verwandlungsprozeß durch Rösten, Zusatz von Beizen und Laugen aus Zuckerstoffen, Salzen, Färbemitteln, Gewürzen usw. durchmachen. Dadurch konnte man die Geschmackserscheinungen in weitem Maße künstlich variieren. Dies benutzte man besonders bei den Virginia-Tabaken, um diese für die Bedingungen der Cigarettenform brauchbar zu machen, so daß der Name Virginia-Tabak heute bereits fast speziell[S. 94] den typischen englischen Cigarettentabak bezeichnet, trotzdem Virginia-Tabak, der sogenannte »echte« Tabak, die eigentliche Mutterpflanze fast aller edlen Tabaksorten der Welt bedeutet. Der Virginia-Cigarettentabak ist heute typisch für die angelsächsischen Länder, besonders Nordamerika. Eine sehr große Kultur verrät dieses Zwischenprodukt nicht. Es ist im Geschmack ziemlich gehaltlos und vorwiegend durch die künstlichen Zusätze bestimmt, ist aber immerhin der Cigarettenform angepaßt und ermöglicht bei kleinerer Brandfläche und kürzerer Brenndauer einen bis zu einem gewissen Grade abgeschlossenen Geschmacksakkord. Sicher ist die Virginia-Cigarette beinahe bis zur blonden Farbe des Tabaks für die Angelsachsen charakteristisch: sie gehört zu einer etwas sentimentalen Süßigkeit und auf die Dauer zu einer großen Langweiligkeit. Variationsmöglichkeiten sind nicht viel gegeben, da der süße Zuckergeschmack sich immer wieder vordrängt.
Geistig komplizierter organisierten Menschen kann der künstliche Cigarettentabak wenig bieten. Die alte Cigarrenkultur ist im Aussterben. Die Genußintensität der Pflanzer ist in unseren kalten Ländern nicht möglich. Die modernen Menschen beanspruchen Echtheit, Variabilität der Genußstärke, Schnelligkeit der Wirkung und einen Reichtum von Geschmacksakkorden, wie sie[S. 95] keine der bisherigen Arten des Tabakgenusses ermöglichen konnte.
Die Weltanschauung des modernen Europäers des zwanzigsten Jahrhunderts ist nicht mehr wie in vergangenen Jahrhunderten ausschließlich in begrenzten religiösen Vorstellungen begreifbar, sondern in einer philosophischen Fundierung, die den Reichtum aller naturwissenschaftlichen und erkenntnistheoretischen Errungenschaften aller Zeiten und Völker einbegreifen will. Das Wissen der Relativität unserer Vorstellungen läßt uns die Vergänglichkeit aller Erscheinungen tiefer empfinden, als es unseren Vorfahren möglich war. Heute suchen wir das Absolute nicht mehr in real empfundenen Bildvorstellungen, sondern in den Beziehungen der Dinge zueinander, im Kontrast, im Akkord und in der ewigen Ausgleichssehnsucht, die uns als der göttliche Funke lebendig hält. Dadurch gewinnen wir Kontakt mit der Philosophie des Ostens, und analog dieser Annäherung in den Grundanschauungen eroberte sich der Orienttabak mit seiner wundervollen reichen Geschmackskultur die Gegenwart des jungen Europa.
[S. 96]
Der Orienttabak ist im Laufe der Zeit von dem Bild des Türken untrennbar geworden, dem er seine einzigartige Kultur verdankt, und dessen Anschauungen er in vollkommenster Weise widerspiegelt.
Die Türken sind uns jungen Europäern gegenüber ein altes Volk, dessen Stileinheit und Anschauungsreife dementsprechend allen modernen Kulturerscheinungen Europas außerordentlich überlegen ist. Die Gewandtheit im Verkehr, die Feinheit der Sitte, die Lebensweisheit und Geschmackskultivierung in äußerlichen Dingen hat manchem ernsthaft und objektiv beobachtenden Europäer Bewunderung und auch Beschämung über den eigenen so unbegründeten Hochmut abgenötigt. Der Türke hat das Erbe von Jahrtausenden uralter Kulturländer angetreten, ihre Entwicklungskraft mag erloschen sein, aber sie verwalten ihr geistiges Erbe gut.
Die Lebensanschauungen des feingebildeten Türken haben eine gewisse Ähnlichkeit mit dem schon geschilderten holländischen Raucher. Es verbindet beide[S. 97] eine gewisse bedächtige Gründlichkeit in ihrem Lebensgenuß mit allen sich daraus ergebenden Folgerungen bezüglich der Charakterisierung; aber der Türke ist abgeklärter und noch weit mehr Philosoph als sein holländisches Gegenstück, er ist vor allem differenzierter, feingeistiger, raffinierter und weniger saturiert. Es ist dies der Unterschied zwischen Cigarette und Cigarre, zwischen dem Orienttabak und dem amerikanischen Tabak, beide Sorten vertreten durch ihre vollkommensten Genießer.
Es ist nicht anzunehmen, daß die Cigarettenform schon frühzeitig bei den Orientalen bevorzugt wurde. Auch hier wird die Pfeife die größte Rolle gespielt haben. Aber die Variationsmöglichkeiten, die der Orienttabak durch die Mischungsmöglichkeiten fand, ließen den Wechsel zu dieser oder jener Genußform mühelos zu.
Das Bild des vornehmen Türken, fast bewegungslos, mit untergeschlagenen Beinen auf seinen Polstern wie eine indische Buddha-Figur sitzend, mit dem langen Rohr seines Tschibuk oder dem Schlauch seiner Nargileh, seiner Wasserpfeife in den Fingern, umgeben von leichten blauen Rauchwölkchen voll milden Duftes, ist uns das Bild des über alle Lebensunwichtigkeiten erhabenen[S. 98] Philosophen. In kleinen Zeitabständen sieht man den Tabak im Pfeifenkopf aufglühen oder hört das monoton gurgelnde Geräusch der Wasserpfeife, Takte eines Zeitraums wohliger Wunschlosigkeit und restloser Ruhe. Man glaube nicht, daß dies ein primitiver Zustand ist; er ist ungeheuer kompliziert. Es ist eine Überwindung der Mannigfaltigkeit menschlicher Triebe und keine einfache Ablehnung derselben. Es ist nicht die Absonderung des »Nichts erleben wollens«, sondern die Reife des »Alles erlebt habens«, die Generationen unbändigen Lebens ermöglicht haben. Ganz analog ist der Geschmacksakkord, der dieses Nirwana spiegelt. Er ist keine einfache Terz oder Quinte, sondern eine berauschende Musik, die sich aber immer wieder in seltsam volltönenden Harmonien auflöst. Es sind die unbeschreiblichen Geschmacksakkorde der edlen milden Xanthi-Tabake, die in ihren eigenen Abstufungen untereinander gemischt aus sich selbst heraus, aus der Vielheit der Empfindungen, eine mild strahlende Einheit zu ergeben vermögen. Die Müdigkeit, die dem Erlebnis zugrunde liegt, ist uns heute nicht mehr fremd. Es ist doch alles eitel; mit diesem Gedanken verbinden wir von Zeit zu Zeit eine Sehnsucht nach Erlösung, die stärker ist als der Spott der Lebensgierigen, die ja doch auch einmal still und andachtsvoll[S. 99] erkennen werden, was Ewigkeitswerte der Erkenntnis bedeuten. Diese Ruhe des Wissens hat nichts mit Stumpfsinn zu tun, es ist vielmehr die Grundlage einer stillen Heiterkeit und genußvoller Gedankenspielereien. Die mohammedanische Spruchweisheit ist berühmt und verrät eine Kraft in dieser scheinbaren Passivität, die die Sprünge jugendlich begeisterter Welteroberer überleben wird.
Die philosophische Stimmung ist die Grundtendenz des zwanzigsten Jahrhunderts. Die schon allgemeinere Erkenntnis der Relativität, die früher erst der Weisheit des reiferen Alters entsprach, läßt uns heute die Dinge des Lebens anders anschauen, als dies in den vorhergehenden Generationen bei uns der Fall gewesen sein mag. Trotzdem kann sich naturgemäß die heutige Jugend nicht auf die gleiche Temperamentlosigkeit einstellen, die dem geschilderten Bilde zugeschrieben werden muß, aber auf der aufgeklärten Grundstimmung lassen sich alle dem Reichtum der orientalischen Tabake analogen Eigenarten aufbauen, die zusammen das zwanzigste Jahrhundert charakterisieren.
Gegenüber der älteren Zeit sind wir vor allem weitaus differenzierter in unseren Empfindungsgleichnissen geworden; besonders in innerlich individuellen Angelegenheiten. Die scharfen äußerlichen Reize, die[S. 100] auch die beste Cigarre noch von der Cigarette unterscheiden, bedeuten heute kaum noch einen Ausgleich zu gleichartig äußerlichen Erregungen. Die Probleme sind tiefer, und nicht ohne Sinn erwacht heute die Wissenschaft der Psyche zu überragender Bedeutung. Die Empfindungsmannigfaltigkeit, die der Cigarette folgt, ist auch eine mehr innerliche; ihr äußerlicher Reiz ist so gering, daß ein richtiger Cigarrenraucher ihr Wesen nicht erkennt. Und doch vermag die innerliche Kraft der Cigarette ein Tempo anzuregen, das niemals von der Cigarre erreicht werden kann.
Von den milden Mischungen der Xanthi-Tabake bis zu den aufregenden Schwarzmeer-Tabaken ist ein Spielraum gegeben, der der immer stärkeren Individualisierung des modernen Europa die Zahl der Graduierungen abläuft. Lassen wir dem Xanthi-Tabak beispielsweise die Tendenz und mischen wir ihn mit edlen Cavalla-Basma-Blättern, so entsteht ein Geschmacksakkord, der bei aller Ruhe einer gewissen geistigen Hellhörigkeit Vorschub leistet. Würzen wir vorzugsweise mit Smyrna-Tabaken, dann erleben wir den Rausch süßer Sinnlichkeit. Die Samsoun-Tabake sind kriegerisch wie Janitscharenmusik, und manche Russen-Tabake begleiten das verzehrende Feuer genialischer Nervosität. Nun sind die meisten Menschen keine scharf umreißbaren[S. 101] Typen; es lebt in jedem von uns mehr oder weniger Himmel und Hölle, innerhalb des Grundcharakters unserer Zeit, und deshalb werden die modernen Cigaretten nicht so einseitig wie bei den Türken gemischt und gewürzt, sondern alle zur Verfügung stehenden Provenienzen werden mehr oder weniger zu wechselnden Mischungen hinzugezogen, um dem komplizierten Menschen unserer Zeit ein analoges Genußmittel zu verschaffen.
Der Charakter einer Cigarette und ihres Liebhabers prägt sich schon in der unterschiedlichen Art zu rauchen aus. Der eine ahmt in der Bedächtigkeit seiner Bewegungen die Methodik seines Handelns nach, der andere zeigt die müde Geste resignierender Anschauungen. Wieder ein anderer läßt beim Ziehen an der Cigarette die Intensität und Aufmerksamkeit erkennen, mit der er jede Aufgabe angreift. Am eigentümlichsten rauchen die Liebhaber russischer Provenienzen. Sie saugen ein paarmal kurz, rasch und hastig, um dann sofort die Cigarette wieder fortzuwerfen und im nächsten Augenblick sich wieder eine neue anzuzünden. Trotzdem die russischen Cigaretten meist nur sehr wenig Tabak enthalten, wird auch diese kleine Strecke nicht einmal ausgenutzt. Danach kann man sich den Charakter der Raucher vorstellen, genau so wie ihre Gegenpole,[S. 102] die die Cigarette bis zum letzten Ende sorgsam auszunutzen suchen, während der eigentliche Sybarit ganz genau die Entwicklung der Rauchwirkung verfolgt und mit Sicherheit weiß, wann er am besten aufhört, um das Geschenk der Götter restlos und ungetrübt auszukosten.