The Project Gutenberg eBook of Römische Geschichte — Buch 3
    
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Title: Römische Geschichte — Buch 3

Author: Theodor Mommsen

Release date: February 1, 2002 [eBook #3062]
                Most recently updated: June 21, 2020

Language: German



*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE — BUCH 3 ***




Römische Geschichte 

Drittes Buch
Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
griechischen Staaten

von Theodor Mommsen

The following e-text of Mommsen’s Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those quotations is a
modern Greek character set. Therefore, aspirations are not marked in Greek
words, nor is there any differentiation between the different accents of
ancient Greek and the subscript iotas are missing as well.

Contents

 Drittes Buch—Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung
 Karthagos und der griechischen Staaten
 KAPITEL I. Karthago
 KAPITEL II. Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago
 KAPITEL III. Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen
 KAPITEL IV. Hamilkar und Hannibal
 KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae
 KAPITEL VI. Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama
 KAPITEL VII. Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode
 KAPITEL VIII. Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg
 KAPITEL IX. Der Krieg gegen Antiochos von Asien
 KAPITEL X. Der Dritte Makedonische Krieg
 KAPITEL XI. Regiment und Regierte
 KAPITEL XII. Boden- und Geldwirtschaft
 KAPITEL XIII. Glaube und Sitte
 KAPITEL XIV. Literatur und Kunst




Drittes Buch
Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
griechischen Staaten


arduum res gestas scribere

arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben

Sallust




KAPITEL I.
Karthago


Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der
Voelker der alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im
Osten, fuer diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die
Grenze verschoben und die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und
scheidet ein tiefes Gefuehl der Fremdartigkeit die indogermanischen
Voelker von den syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies
gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein
anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phoenikern. Ihre
Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen
Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur mit
diesem Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der
christlichen Zeit nannte der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter;
den Hellenen aber hiess Kanaan das “Purpurland” oder auch das “Land der
roten Maenner”, Phoenike, und Punier pflegten auch die Italiker,
Phoeniker oder Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heissen. Das
Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die
vortrefflichen Haefen und der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel
guenstig, der hier, wo das ueberreiche oestliche Festland hinantritt an
die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche Mittellaendische
See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem Menschen
aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben
die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der
Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben
und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden
wir sie in Kypros und Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika
und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr
Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis
oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende gehen das Gold und
die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein,
die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische
Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle
Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn,
das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was
es brauchen kann oder doch kaufen mag, und ueberall kommen sie herum,
um immer wieder zurueckzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz
haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt
zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch
an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich, dass das
Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die
grossartigen und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen
Gebiete innerhalb des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren
nicht zunaechst den Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem
Sinn den aramaeischen Nationen vor allen anderen eigen und den
Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch weder die
phoenikische Religion noch die phoenikische Wissenschaft und Kunst,
soviel wir sehen, jemals unter den aramaeischen einen selbstaendigen
Rang eingenommen. Die religioesen Vorstellungen der Phoeniker sind
formlos und unschoen, und ihr Gottesdienst schien Luesternheit und
Grausamkeit mehr zu naehren als zu baendigen bestimmt; von einer
besonderen Einwirkung phoenikischer Religion auf andere Voelker wird
wenigstens in der geschichtlich klaren Zeit nichts wahrgenommen.
Ebensowenig begegnet eine auch nur der italischen, geschweige denn
derjenigen der Mutterlaender der Kunst vergleichbare phoenikische
Tektonik oder Plastik. Die aelteste Heimat der wissenschaftlichen
Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon oder doch das
Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem Lauf der
Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier
begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in der Natur
wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der
Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die
Phoeniker haben wohl von den kunstreichen und hoch entwickelten
babylonischen Gewerken fuer ihre Industrie, von der Sternbeobachtung
fuer ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der Ordnung der Masse
fuer ihren Handel Vorteil gezogen und manchen wichtigen Keim der
Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass das Alphabet oder
irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes ihnen
eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und was durch sie
von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das
haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die
Saat ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie
sich beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die
Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern
gaenzlich. Im Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen
Zunge die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die
Berber Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der
Hannos und der Barkiden. Aber vor allem mangelt den Phoenikern, wie
allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen, der
staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden
Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros ist das
phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil
herrschenden Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern
untertan. Mit der halben Macht haetten hellenische Staedte sich
unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Maenner,
berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach dem Osten oder
der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der
schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel
nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders
sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie
die Phoeniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie
auch draussen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der
kaufmaennischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre
Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den
Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in
fernen Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame
Arbeit der Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten
vermeiden sie den Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem
oestlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdraengen
und in den grossen Seeschlachten, die in frueher Zeit um die Herrschaft
im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537)
und Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phoeniker, die die
Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz
einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen
will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere
oder Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker
zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit
offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen
Expedition der afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei
Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als
gehorsame Untertanen des Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem
Feldzug gegen die oestlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen
des Westens ausgerueckt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der
Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mussten schlagen
lassen.

Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und
mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter
den Phoenikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch
weniger Mangel an Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls;
vielmehr haben die Aramaeer mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein
indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald
mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt, ihre Nationalitaet
gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie gegen alle
Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten mit den
Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der Mangel an
staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei der
treuesten Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der
Phoeniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es geluestete
sie nicht nach der Herrschaft; “ruhig lebten sie”, sagt das Buch der
Richter, “nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und im
Besitz von Reichtum”.

Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und
sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste
Spaniens und an der nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden
weder der Arm des Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der
griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen
gegenueberstanden wie in Amerika die Indianer den Europaeern. Unter den
zahlreichen und bluehenden phoenikischen Staedten an diesen Gestaden
ragte vor allem hervor die “Neustadt”, Karthada oder, wie die
Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die frueheste
Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten
Phoenikerstadt in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die
Heimat selbst durch die unvergleichlich guenstige Lage und die rege
Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Muendung des
Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas
durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhaeusern
besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten Anschwellung
des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite
als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von
Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten
Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares
Quellwasser darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und
die Vermittlung beider so einzig guenstig, dass nicht bloss die
tyrische Ansiedlung daselbst die erste phoenikische Kaufstadt ward,
sondern auch in der roemischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt,
die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht
guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten
Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und
gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in
solcher Lage und mit solchen Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber
fordert die Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu
einer politischen Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere
phoenikische Stadt besessen hat.

Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in
Karthago nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen.
Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden,
den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm
der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wueste die Stadt
hinreichend schuetzten vor jedem Angriff der oestlichen Maechte,
scheint Karthago doch die Herrschaft des Grosskoenigs wenn auch nur dem
Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um sich die
Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern.

Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten
doch Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere
Politik draengten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich
unaufhaltsam gegen Westen ergoss, der die Phoeniker schon aus dem
eigentlichen Griechenland und von Italien verdraengt hatte und eben
sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das
gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo standhalten, wenn
sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo sie mit
griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten,
genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel
und Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und
Kyrene gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden
der Griechen; es war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu
ernstlicher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und
hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenaeer eine
Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts der Wueste
von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die
phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der
Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der
maechtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins
zweite Jahrhundert Roms fallen und die den suedwestlichen Teil des
Mittelmeers den Phoenikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten
hatte, von selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine
veraenderte politische Stellung. Karthago war nicht mehr eine blosse
Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen
Teil des Mittelmeers, weil sie es musste. Wesentlich trug
wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der Soeldnerei, die
in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der Stadt in
Uebung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit
aelter ist und vielleicht eben durch die Phoeniker emporkam. Durch das
auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer grossartigen
Geldspekulation, die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens ist.

Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche
die Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum
Eigenbesitz und zur Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450)
scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu
haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten muessen.
Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher
hatten die Phoeniker es sich angelegen sein lassen, ihre Kapitalien
auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im grossen Massstab zu
betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn ein grosser
Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um Tagelohn
dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen
libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land
- wir finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen.
Man ging weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau
scheint bei den Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der
phoenikischen Ansiedlung, vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu
sein - wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen
Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der
Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen
karthagischen Heeres einem regelmaessigen Rekrutierungssystem
unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen (νομάδες) an
den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene
zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die
karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu
stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse
Stadt Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den
Karthagern erobert. Dies sind die “Staedte und Staemme (έθνη) der
Untertanen”, die in den karthagischen Staatsvertraegen erscheinen;
jenes die unfreien libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen Nomaden.

Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen
Phoeniker in Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu
diesen teils die von Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und
einen Teil der Nordwestkueste gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die
nicht unbedeutend gewesen sein koennen, da allein am Atlantischen Meer
auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft gemacht wurden, teils die
besonders an der Kueste der heutigen Provinz Constantine und des Beylik
von Tunis zahlreichen altphoenikischen Niederlassungen, zum Beispiel
Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis
(suedlich von Susa) - die zweite Stadt der afrikanischen Phoeniker -,
Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie
es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter karthagische
Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den
Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr
nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager
selbst in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern
hatten niederreissen muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu
leisten hatten. Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der
Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft
und Geld, Klein-Leptis zum Beispiel jaehrlich die ungeheure Summe von
465 Talenten (574000 Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit
den Karthagern und konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig
Utica war, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der
Karthager gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal
entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt;
wie denn die Phoeniker fuer solche Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von
der griechischen Gleichgueltigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht
hegten. Selbst im auswaertigen Verkehr sind es stets “Karthago und
Utica”, die zusammen festsetzen und versprechen; was natuerlich nicht
ausschliesst, dass die weit groessere Neustadt der Tat nach auch ueber
Utica die Hegemonie behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die
Hauptstadt eines maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der
tripolitanischen Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im
westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher
Besetzung der Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren
oestlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das
Binnenland beherrschend und seine Grenze bestaendig weiter gegen Sueden
vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller
bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phoenikische
Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und Syrien
die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit
gleicher Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch
gesprochen und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen
Staemme nahmen fuer ihre Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie
vollstaendig zu phoenikisieren lag indes weder im Geiste der Nation
noch in der Politik Karthagos.

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^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in
dem karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz
einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen
heissen: οι Καρχ ηδονίων ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst
heissen sie auch Bundes- συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder
steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium
mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das Commercium folgt aus
den “gleichen Gesetzen”. Dass die altphoenikischen Kolonien zu den
Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer
libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es
hinsichtlich der von Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum
Beispiel im Periplus des Hanno: “Es beschlossen die Karthager, dass
Hanno jenseits der Saeulen des Herkules schiffe und Staedte der
Libyphoeniker gruende”. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphoeniker
bei den Karthagern nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche
Kategorie. Damit kann es recht wohl bestehen, dass der Name grammatisch
die mit Libyern gemischten Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz
zum Text des Polybios); wie denn in der Tat wenigstens bei der Anlage
sehr exponierter Kolonien den Phoenikern haeufig Libyer beigegeben
wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie im Namen und im
Rechtsverhaeltnis zwischen den Latinern Roms und den Libyphoenikern
Karthagos ist unverkennbar.

^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit
die Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines
der zahllosen aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint
allerdings diesem in einzelnen Formen naeher zu stehen als das
phoenikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, dass die Libyer die
Schrift nicht von den Phoenikern, sondern von aelteren Einwanderern
erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen der italischen
Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr
wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer
Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der die
auf uns gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben
wurden.

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Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von
Libyen stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die
Veraenderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte
Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies
derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er
nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen
Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte Jahrhundert Roms
ausgefuellt hat.

Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen
phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros,
dessen Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die
Drangsale von aussen, namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im
ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert
Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und die alten
Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber nach der gesicherten
und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre Intelligenz, ihre
Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit Rom in
Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste
kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.

Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der
karthagischen Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte
gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt.

In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische
Ansiedlung in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und
oestlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das Gebiet der
Silbergruben, so dass sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder
doch wenigstens die Kueste davon innehatten. Das Binnenland den
einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht
bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der
Stationen fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte
Muehe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es
ist wahrscheinlich, dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch
waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzaehlte unter den
tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen
Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von
Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und die
Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades
beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern
selbst in frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als
Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten
Kaempfe gefuehrt wurden.

Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts
Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen
von ihnen ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem
gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen
wie die Numidier in Afrika an dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis
(Cagliari) und anderen wichtigen Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt
und die fruchtbaren Kuestenlandschaften durch eingefuehrte libysche
Ackerbauern verwertet.

In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere
oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende
gefallen; allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der
Karthager teils die kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite,
Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich
und bluehend war, teils die West- und Nordwestkueste Siziliens, wo sie
von Motye, spaeter von Lilybaeon aus die Verbindung mit Afrika, von
Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der
Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner,
Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der
Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher Zustand
hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der
Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480)
nicht auf die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf
die attische Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden
rivalisierenden Nationen bequemten sich, einander zu dulden, und
beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr Gebiet.

Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug;
allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler
der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens,
der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in
Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an
der spanischen Ostkueste als auf Korsika und in der Gegend der Syrten
machten die Herren der nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer
geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur das
Tyrrhenische und gallische Meer mussten die Phoeniker mit andern
Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die
Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den
ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar
gegen die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der
etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen
Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden
bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der grossen Entwuerfe
des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische
Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus
an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich
ueber das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden
auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt.
Das naechste Ergebnis der langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen
ihnen und ihrem ebenso maechtigen als schaendlichen Gegner Dionysios
von Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwaechung der
sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und die
Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die
bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela,
Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern
von Grund aus zerstoert; nicht ungern sah Dionysios, wie das
Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann,
gestuetzt auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien
angeworbenen Soeldner, die veroedeten oder mit Militaerkolonien
belegten Landschaften desto sicherer zu beherrschen. Der Friede, der
nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383)
abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen Staedte Thermae
(das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des
Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um
den Besitz der Insel ringenden Maechten nur als vorlaeufiges Abkommen;
immer von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den
Nebenbuhler ganz zu verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren
Dionysios 360 (394), in der Timoleons 410 (344), in der des Agathokles
445 (309), in der pyrrhischen 476 (278) - waren die Karthager Herren
von ganz Sizilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen
Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner unter tuechtigen
Fuehrern, wie der aeltere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren,
ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu
verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das Uebergewicht auf die
Seite der Karthager, von denen regelmaessig der Angriff ausging und
die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten,
doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und Energie den Angriff
betrieben als die von Parteien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt
die Verteidigung. Mit Recht durften die Phoeniker erwarten, dass nicht
immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die Beute ihnen entreissen
wuerde; und vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf schon
entschieden: Pyrrhos’ Versuch, die syrakusanische Flotte
wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war,
beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze
westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu
besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. Hand in Hand
damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl
dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenueber zu monopolisieren;
und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum Zwecke
fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein Zeitgenosse der
Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560
275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach
Sardinien oder nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den
Karthagern in die Haende fiel, von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und
damit stimmt es voellig ueberein, dass Karthago den roemischen
Handelsschiffen die spanischen, sardinischen und libyschen Haefen durch
den Vertrag vom Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre
448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen saemtlich
schloss.

Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig
Jahre vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als
uebergegangen aus der monarchischen in eine Aristokratie oder in eine
zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt
er sie. Die Leitung der Geschaefte stand zunaechst bei dem Rat der
Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden
jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und achtundzwanzig
Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der
Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen
die Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege
trifft, die Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt
und ihm eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig
die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen
adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein grosser stand, ist
zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig
scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden zu haben;
hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten
auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des
Feldherrn; Isokrates, Aristoteles’ aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die
Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten
und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen
Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm
beigegebenen Gerusiasten tatsaechlich wenigstens seine Macht
beschraenken mussten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine
den Roemern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine
feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des Feldherrn nicht, und es ist
derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig unzweifelhaft verschieden
gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich unterscheidet; doch
war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den Karthagern
ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann
zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint.

Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft
der Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das
Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen
karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war gleich
dem spartanischen Ephorat hervorgegangen aus der aristokratischen
Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. Bei der
Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten
Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen
hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die
Verwaltung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden
zu vereinigen; dies fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu
einer Aenderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen
Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der Quaestur ein Anrecht gab
zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch der Kandidat einer
Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende
Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich
vermutlich von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere
Zeit, ja lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern
und Griechen gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das
einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus
aristokratischer Kooptation hervorgehenden oligarchischen; wovon eine
vereinzelte, aber charakteristische Spur ist, dass in Karthago neben
dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunaechst waren
sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich
die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten
und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen
und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit
dem Tode bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die
Verwaltungsbehoerden unter Kontrolle einer anderen Koerperschaft
gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht ueber von der kontrollierten
auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift sich leicht, teils
dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum
Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und
dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem
Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie
den Feldherrn in Rat und Tat laehmte.

Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta
ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen
beschraenkt, doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade
von Einfluss gewesen zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein
offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines
Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst, wenn durch
Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in
anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer gut
fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in
Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward
wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt;
die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den
spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen oligarchisch
geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen
“Stadtbuergern” und “Handarbeitern” wird erwaehnt, der auf eine sehr
niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen
laesst.

Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die
karthagische Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es
begreiflich ist bei einer Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse
und bestehend einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den
Mund lebenden staedtischen Menge, anderseits aus Grosshaendlern,
Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das System, die
heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen
zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die
abhaengigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen
einer verrotteten staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago
nicht; Aristoteles bezeichnet es als die wesentliche Ursache der
erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen Verfassung. Bis auf seine
Zeit hatte in Karthago weder von oben noch von unten eine nennenswerte
Revolution stattgefunden; die Menge blieb fuehrerlos infolge der
materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie allen
ehrgeizigen oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward
abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst
von dem Herrentisch fuer sie abfielen. Eine demokratische Opposition
konnte freilich bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit
des Ersten Punischen Krieges war dieselbe voellig machtlos. Spaeterhin,
zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr
politischer Einfluss im Steigen und in weit rascherem, als gleichzeitig
der der gleichartigen roemischen Partei: die Volksversammlungen
begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung zu geben und
brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung des
Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt,
dass kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im
Amte sein koenne und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche
allerdings nach der Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte,
wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte
ein maechtiger patriotischer und reformierender Schwung; doch darf
darueber nicht uebersehen werden, auf wie fauler und morscher Grundlage
sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die von kundigen Griechen
der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, dass sie
insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte
gefragt werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie
in Karthago, die Buben sie machen halfen.

In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter
den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des
Peloponnesischen Krieges war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis
des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten
finanziell ueberlegen und werden ihre Einkuenfte denen des Grosskoenigs
verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der
Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und
Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu betreiben und
zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die agronomische
Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen und
roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt,
sondern auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und
den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward.
Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phoenikischen Acker-
mit der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der
phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu erwerben, als
man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des Landes
an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
Nomadenwirtschaft es nach Polybios’ Zeugnis vielleicht allen uebrigen
Laendern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in
der Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer
waren, wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese
floss nach Karthago mittelbar die Grundrente “des besten Teils von
Europa” und der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an
der Kleinen Syrte, ueberschwenglich gesegneten nordafrikanischen
Landschaft. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes
Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufbluehende Reederei und
Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen
Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher schon
bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte
Monopolisierung nicht bloss aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland
allen Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel
zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu
konzentrieren verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago,
wie spaeterhin in Rom, zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss
bestimmt, aber nicht vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine
ansehnliche phoenikische Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden
sich reiche, freilich nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den
sizilischen Tempeln weggefuehrte Kunstschaetze und betraechtliche
Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des
Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich
die agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwaehnte
Werk des Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich in
einem der karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des
Admirals Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste.
Selbst die allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der
Kunde fremder Sprachen ^3, worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit
dem kaiserlichen Rom auf einer Linie gestanden haben mag, zeugt von der
durchaus praktischen Richtung, welche der hellenischen Bildung in
Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings unmoeglich ist, von der
Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in diesem London des
Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den oeffentlichen
Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert
hatte, und trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts
dennoch die Beisteuern der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben
vollstaendig deckten und von den Buergern direkte Steuern nicht erhoben
wurden; ja dass noch nach dem Zweiten Punischen Kriege, als die Macht
des Staates schon gebrochen war, die laufenden Ausgaben und eine
jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne
Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte
Finanzwirtschaft gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem
Frieden der Staat zur sofortigen Erlegung der noch uebrigen
sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber es ist nicht bloss die Summe
der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der karthagischen
Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze einer
spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter
allen bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen
Staatsanleihen die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und
Silber- ein dem Stoff nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in
dieser Weise sonst dem Altertum fremd ist. In der Tat, wenn der Staat
eine Spekulation waere, nie haette einer glaenzender seine Aufgabe
geloest als Karthago.

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^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach
der Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1,
17), lesen koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des
Plautinischen ‘Poeners’ heisst es von dem Titelhelden:

Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn’

Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr?

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Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren
Acker- und Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus
untergeordnete und durchaus praktische Stellung von Kunst und
Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, nur dass in dieser
Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als Rom. Aber in Karthago
hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals noch die
Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die
karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer
waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der
Buergerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war
in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und dem
Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugaenglich. In
Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen Handelsstaedten eigene
Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens aeusserlich noch
altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die
karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren
Kollegen, dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren
zueinander alle Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes
Tafelgeschirr reiche aus fuer den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo
man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist
bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustaende.

Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten
die Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die
strenge Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde
den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich
des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit
einem Griechen nur vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu
verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das roemische
Regierungssystem; aber gegen die grausame Haerte und die ans Alberne
streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung
erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und verstaendig.
Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich oeffnete
und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen
beruhte auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die
Regierung und vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein
Wesen war das Misstrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er
weder sicher sein, dass das Volk ihm folgte, wohin er fuehrte, noch
unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der
roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt zurueckwich und die
Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit und
Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte
Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen
nationalen Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau
einstuerzen liessen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher
ist der tuechtige Beamte in Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit
seiner Regierung, in Karthago haeufig in entschiedener Fehde mit den
Herren daheim und gedraengt, sich ihnen verfassungswidrig zu
widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche
Sache zu machen.

Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche
stammfremde Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in
sein Buergerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst
gesetzlich Zugaenge zu demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus
aus sich ab und liess den abhaengigen Distrikten nicht einmal die
Hoffnung auf dereinstige Gleichstellung. Rom goennte den
stammverwandten Gemeinden Anteil an den Fruechten des Sieges,
namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den uebrigen
untertaenigen Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und
Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen;
Karthago behielt nicht bloss fuer sich, was die Siege einbrachten,
sondern entriss sogar den Staedten besten Rechts die Handelsfreiheit.
Rom nahm der Regel nach nicht einmal den unterworfenen Gemeinden die
Selbstaendigkeit ganz und legte keiner eine feste Steuer auf; Karthago
sandte seine Voegte ueberall hin und belastete selbst die
altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die unterworfenen
Staemme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im
karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit
Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und
materiell sich verbessert haben wuerde; in dem roemisch-italischen
nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die
materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die politische
Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum Kampf
herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als zu
gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmaenner meinten, die
phoenikischen Untertanen durch die groessere Furcht vor den empoerten
Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das
karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen sie einen
kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung
bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren
Fuegung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken,
die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches
Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen.
von Agathokles und von Regulus und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem
Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, dass die libyschen
Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege
gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder
aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben.
Sie gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im
Handel mit dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von
Anfang an und ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei
weitem freier sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt
ward. Waere Syrakus in ihre Haende gefallen, so haette sich freilich
dies bald geaendert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der
wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen
Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine
ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach
dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte
des grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im
ganzen mussten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen
ihren phoenikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den
Roemern die Samniten und Tarentiner.

Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel
um vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder
dadurch aus, dass die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und
Zoelle weit eher und eben, wenn man sie am noetigsten brauchte,
versiegten als die roemischen, und dass die karthagische Kriegfuehrung
bei weitem kostspieliger war als die roemische.

Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr
verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die
karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000
Koepfe mit Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des
fuenften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte
im fuenften Jahrhundert im Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten
auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Buergerheer hatte Rom
schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter gleichen Verhaeltnissen
ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des Buergergebiets
im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der waffenfaehigen
Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als
der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des
Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es
sich angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen,
so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den
kraeftigen Koerper des Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen
der Phoeniker vor dem Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert
focht in den sizilischen Heeren noch eine “heilige Schar” von 2500
Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den
karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit Ausnahme der
Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die roemischen
Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch auf den
Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten der
beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere
Dienste leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker
ebensowenig kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise
noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den
Heeren, indem die zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit
vermutlich mit Geld abkauften. In dem eben erwaehnten spanischen Heer
von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann
und auch diese nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den Kern der
karthagischen Armeen bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren
Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden
liess und deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu
kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften
Libyens und Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den Balearen,
deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die
Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland
angeworbene Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne
Muehe fast auf jede beliebige Staerke gebracht werden und auch an
Tuechtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Mut faehig sein, mit dem
roemischen sich zu messen; allein nicht bloss verstrich, wenn Soeldner
angenommen werden mussten, ehe dieselben bereit standen, eine
gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden Augenblick
auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend
die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der
Vorteil, fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an
das gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen
Schlages galten seine Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern
ungefaehr soviel wie heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher
Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der Verrat der libyschen Truppen
durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen gefaehrlichen
Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum Sprichwort
gewordene Ruf der “punischen Treue”, der den Karthagern nicht wenig
geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere ueber
einen Staat bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und
mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als
seine Feinde.

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^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht
auf den Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe
berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen,
namentlich in einer Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist
dagegen zu erinnern, dass die Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist,
nicht staedtisch, ebenso wie die roemischen Zensuszahlen, und dass
dabei also alle Karthager gezaehlt sind, mochten sie in der Stadt oder
in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen Gebiet oder im Ausland
sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine grosse Zahl
in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades aus
gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies
als die der in Gades ansaessigen Buerger war.

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Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht
verkennen und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen.
Man hielt auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit
Soeldner ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was
bei den Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in
welcher Waffe wir die Karthager den Sikelioten regelmaessig ueberlegen
finden, und die Elefanten, seit diese im Kriegswesen die aelteren
Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten Karthagos befanden
sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte zu
befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen
lassen, dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen
Lande auch die Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu
Italien, wo die meisten unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten
hatten und eine Kette roemischer Festungen die ganze Halbinsel
beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der Hauptstadt bot man auf,
was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete den Staat
nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom politisch
und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung
niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die
Kriegsmarine, auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie
in der Fuehrung der Schiffe waren die Karthager den Griechen
ueberlegen; in Karthago zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei
Ruderverdecken, und die karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit
meistens Fuenfdecker, waren in der Regel bessere Segler als die
griechischen, die Ruderer, saemtlich Staatssklaven, die nicht von den
Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitaene gewandt und
furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Roemern
ueberlegen, die mit den wenigen Schiffen der verbuendeten Griechen und
den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in der offenen See
auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten das
westliche Meer beherrschte.

Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der
beiden grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil
eines einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom,
da der Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen
waren. Allein wir koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass
Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um
kuenstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen,
aber dass es nicht imstande gewesen war, die Grundmaengel des fehlenden
eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen stehenden Symmachie
in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in Italien,
Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich
nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem
solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit
der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen,
sondern liessen sich herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab;
dass selbst maechtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See
schwaecheren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in
Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin
gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und
waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg
begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich
in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten,
auch der hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste.




KAPITEL II.
Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago


Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den
Karthagern und den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel.
Von beiden Seiten ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem
Propagandismus, indem Karthago Verbindungen unterhielt mit der
aristokratisch-republikanischen Opposition in Syrakus, die
syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in den Karthago
zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit
Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre
Schlachten schlugen wie die phoenikischen Feldherren. Und wie man auf
beiden Seiten mit gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten
mit gleicher, in der okzidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und
Treulosigkeit gestritten. Die unterliegende Partei waren die
Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte Karthago sich
beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia, Minoa und
Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber
saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos’ Vertreibung aus
Sizilien und Italien (479 275) liess die bei weitem groessere Haelfte
der Insel und vor allem das wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den
Syrakusiern blieb nichts als Tauromenion und der Suedosten der Insel.
In der zweiten grossen Stadt an der Ostkueste, in Messana, hatte eine
fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt und behauptete die
Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den Karthagern. Es waren
kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das bei den in und um
Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I, 368) hatte
im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was spaeter
Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die
soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen
Griechen dort ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit
des Lebens in Capua und den uebrigen kampanischen Staedten, die
politische Ohnmacht, zu der die roemische Hegemonie sie verurteilte,
ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment die Verfuegung ueber sich
selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb die kampanische
Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es
versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf
hier wie ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an
Gewalttaetigkeit und Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den
Treuebruch im Gefolge hatte. Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer
Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich selbst bemaechtigen solle,
vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten imstande sei,
leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in
Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre
Herrschaft in nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden
die politischen Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in
Sizilien; schon die waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien
gelangten kampanischen Hauptleute hatten in Entella und Aetna in
solcher Art sich eingenistet. Etwa um das Jahr 470 (284) setzte ein
kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles gedient hatte und nach
dessen Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene Rechnung trieb,
sich fest in Messana, der zweiten Stadt des griechischen Siziliens und
dem Hauptsitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von Griechen
beherrschten Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder
vertrieben, die Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die
Soldaten verteilt und die neuen Herren der Stadt, die “Marsmaenner”,
wie sie sich nannten, oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht
der Insel, deren nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach
Agathokles’ Tode sich unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern
diese Vorgaenge, durch welche die Syrakusier anstatt einer
stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten oder untertaenigen
Stadt einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe erhielten;
mit karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos
und der unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck.

Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen,
durch den sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen,
dass der Gott, der die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied,
nicht der Gott der Geschichte ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden
anderer zu richten, mag die Menschen verdammen; fuer Sizilien konnte es
heilbringend sein, dass hier eine streitkraeftige und der Insel eigene
Macht sich zu bilden anfing, die schon bis achttausend Mann ins Feld zu
stellen vermochte und die allmaehlich sich in den Stand setzte, den
Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich immer mehr der Waffen
entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit
gegen die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen.

Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der
durch seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen
verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie
durch die Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten
hatte, die Blicke seiner Mitbuerger wie die der syrakusanischen
Soldateska auf sich gelenkt hatte, Hieron, des Hierokles Sohn, ward
durch eine militaerische Wahl an die Spitze des mit den Buergern
hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge Verwaltung,
sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er schnell sich die
Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs
gewohnten Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er
entledigte sich, freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen
Soeldnerheeres, regenerierte die Buergermiliz und versuchte, anfangs
mit dem Titel als Feldherr, spaeter als Koenig, mit den Buergertruppen
und frischen und lenksameren Geworbenen die tiefgesunkene hellenische
Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, die im Einverstaendnis
mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der Insel vertrieben hatten,
war damals Friede; die naechsten Feinde der Syrakusier waren die
Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem ausgerotteten
Soeldner, die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer des
syrakusanischen Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge
kleinerer griechischer Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um
diese Zeit gegen die Bundes-, Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner,
die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen schickten, wandte Hieron sich
gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, nach welchem Hieron zum Koenig
der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), gelang es, die Mamertiner in
ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem die Belagerung einige Jahre
gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich aufs aeusserste gebracht und
ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit eigenen Kraeften zu
behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht moeglich war und
das Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen hatte,
ebenso sicher in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die
einzige Rettung war die Auslieferung der Stadt entweder an die
Karthager oder an die Roemer, denen beiden hinreichend gelegen sein
musste an der Eroberung des wichtigen Platzes, um ueber alle anderen
Bedenken hinwegzusehen. Ob es vorteilhafter sei, den Herren Afrikas
oder den Herren Italiens sich zu ergeben, war zweifelhaft; nach langem
Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet der kampanischen
Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den Roemern
anzutragen.

Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als
die Boten der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles
an dem ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand
ahnen; aber dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz
andere und wichtigere Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen
der bisher vom Senat gefassten Beschluesse, musste jedem der
ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein. Streng rechtliche
Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei, ueberhaupt zu
ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das Buendnis mit
Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen Kampaner
mit gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre
nicht weniger schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und
zur Freundschaft von Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten
Strafe zu entziehen. Man gab damit ein Aergernis, das nicht bloss den
Gegnern Stoff zu Deklamationen liefern, sondern auch sittliche Gemueter
ernstlich empoeren musste. Allein wohl mochte auch der Staatsmann, dem
die politische Moral keineswegs bloss eine Phrase war, zurueckfragen,
wie man roemische Buerger, die den Fahneneid gebrochen und roemische
Bundesgenossen hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit
Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern,
diesen zu Raechern die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur
darum gehandelt, ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana
geboten, so konnte Rom allerdings sich diese wie jene gefallen lassen.
Rom strebte nach dem Besitz Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens;
schwerlich gingen beider Maechte Plaene damals weiter. Allein eben
darin lag es begruendet, dass jede an ihrer Grenze eine Mittelmacht zu
haben und zu halten wuenschte - so die Karthager Tarent, die Roemer
Syrakus und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich geworden war,
die Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht. Wie
Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den
Roemern in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu
gewinnen und nur durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt
in Sizilien sich fuer Rom die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in
seine Symmachie zu ziehen; schlug man sie aus, so durfte man nicht
erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder syrakusanisch ward,
sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War es
gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so
nicht wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen
Italien und Sizilien zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus
guten Gruenden zuverlaessige Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit
dem Verzicht auf Messana die Herrschaft ueber den letzten freien Pass
zwischen der Ost- und Westsee und die Handelsfreiheit Italiens
aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung Messanas auch
Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago
fuehren musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war,
Rom hatte ihn nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit
dem Ueberschreiten der See abwich von der bisherigen rein italischen
und rein kontinentalen Politik; man gab das System auf, durch welches
die Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten, um ein anderes zu erwaehlen,
dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte. Es war einer der
Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an den
eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die
Hand zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu
folgen, es weiss keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber
den Antrag der Konsuln, die Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu
fuehren; er kam zu keinem entscheidenden Beschluss. Aber in der
Buergerschaft, an welche die Sache verwiesen ward, lebte das frische
Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten Grossmacht. Die Eroberung
Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den Makedoniern, wie
die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische Bahn zu
betreten; formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch
die Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die
ueberseeischen Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft
aufgenommen ^1 und auf Antrag der Konsuln von der Buergerschaft
beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489 265).

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^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die
italischen Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic.
Verr. 5, 19, 50) und besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der
Silberpraegung nicht.

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Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in
die Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher
dem Namen nach mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe
aufnehmen wuerden. Hieron hatte Grund genug, die an ihn ergangene
Aufforderung der Roemer, gegen ihre neuen Bundesgenossen in Messana die
Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu behandeln, wie die Samniten
und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von Capua und Thurii
aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung zu
antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit
und von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man
erwarten, dass er in das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn
Karthago sich ruhig verhielt. Unmoeglich schien dies nicht. Eine
roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265), sieben Jahre nach dem
Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu bemaechtigen, nach
Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu verlangen; die nicht
unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten auf einmal
wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen
Kriegsvorbereitungen auch die diplomatische Ruestkammer mit
Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die kuenftigen Manifeste sich, wie
die Roemer es pflegten, die Rolle des angegriffenen Teils zu
reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte sagen, dass
die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der
Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der
zufaellige Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen
Bruch. Die Gesandten brachten nach Rom die Desavouierung des
karthagischen Admirals zurueck, der den Versuch auf Tarent gemacht
hatte, nebst den erforderlichen falschen Eiden; auch die karthagischen
Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren gemaessigt
gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens als
Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die
italischen, so betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als
innere, in die eine unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann,
und war entschlossen, hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische
Politik einen leiseren Gang, als der der offenen Kriegsdrohung war. Als
die Vorbereitungen zu der roemischen Hilfesendung an die Mamertiner
endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte, gebildet aus den
Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die Vorhut des
roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in Rhegion
erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen
Partei in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und
den Mamertinern vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben
sei und dass im Hafen von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg
karthagische Besatzung liege, beide unter dem Befehl des Admirals
Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss beherrschte mamertinische
Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die schleunig
gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass man
sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte und
verwegene Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging
nichtsdestoweniger mit seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen
die roemischen Schiffe zurueck und brachten sogar einige derselben auf;
doch sandte der karthagische Admiral, eingedenk der strengen Befehle,
keine Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten zugeben, den guten
Freunden jenseits der Meerenge dieselben zurueck. Es schien fast, als
haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos kompromittiert wie
die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht abschrecken,
und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt,
berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch
erschien in derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer
waehnend, den offenen Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der
Versammlung selbst bemaechtigten die Roemer sich seiner Person, und
Hanno sowie die schwache und fuehrerlose phoenikische Besatzung auf der
Burg waren kleinmuetig genug, jener, seinen Truppen den Befehl zum
Abzug zu geben, diese, dem Befehl des gefangenen Feldherrn nachzukommen
und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf der Insel in
den Haenden der Roemer.

Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und
Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den
Roemern den Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen Platz
wiederzugewinnen. Eine starke karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno,
Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe von Messana. Waehrend sie selber
die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans Land gesetzte karthagische
Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der nur auf das
Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana
und uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt.

Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius
Caudex mit dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen
Nacht gelang die Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit
und Glueck waren mit den Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf
einen Angriff des gesamten roemischen Heeres und daher nicht vereinigt,
wurden von den aus der Stadt ausrueckenden roemischen Legionen einzeln
geschlagen und damit die Belagerung aufgehoben. Den Sommer ueber
behauptete das roemische Heer das Feld und machte sogar einen Versuch
auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch die
Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und
Karthago) mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das
roemische Heer zurueck nach Messana und von da unter Zuruecklassung
einer starken Besatzung nach Italien. Die Erfolge dieses ersten
ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen daheim der Erwartung nicht
ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht triumphierte; indes konnte
das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht verfehlen, auf die
Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden Jahre
betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die
Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem
Feldzug “der von Messana” (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden
Sieg ueber die verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach
dieser Schlacht das phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das
Feld zu halten wagte, da fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und
ueberhaupt die kleineren griechischen Staedte den Roemern zu, sondern
Hieron selbst verliess die karthagische Partei und machte Frieden und
Buendnis mit den Roemern (491 263). Er folgte einer richtigen Politik,
indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es den Roemern mit dem
Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen anschloss, als es
noch Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu erkaufen. Die
sizilischen Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene Politik
nicht durchfuehren konnten und nur zwischen roemischer und
karthagischer Hegemonie zu waehlen hatten, mussten jedenfalls die
erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr wahrscheinlich noch nicht
die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten, sondern nur sie nicht
von Karthago erobern zu lassen, und auf alle Faelle anstatt des
karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems von Rom eine
leidlichere Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu erwarten war.
Hieron blieb seitdem der wichtigste, standhafteste und geachtetste
Bundesgenosse der Roemer auf der Insel.

Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das
Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen
Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr
schwierige Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher
bedenkliche und unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines
waglichen Charakters. Man machte denn auch fuer denselben nicht
groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in Samnium und Etrurien;
die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492 262) nach der
Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den
sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen
zurueckzutreiben. Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons
Sohn, warf mit dem Kern seiner Truppen sich in Akragas, um diese
wichtigste karthagische Landstadt aufs aeusserste zu verteidigen.
Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten die Roemer sie mit
verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die Eingeschlossenen,
die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am Notwendigen. Zum
Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia und
schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf
beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer
Schlacht, um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit
herauszukommen. In dieser zeigte sich die numidische Reiterei
ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der phoenikischen Infanterie
das roemische Fussvolk; das letztere entschied den Sieg, allein die
Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg der
gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der
Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der
belagerten Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu
erreichen; dennoch war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in
die Haende der Roemer und damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit
Ausnahme der Seefestungen, in denen der karthagische Feldherr Hamilkar,
Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich bis an die Zaehne verschanzte und
weder durch Gewalt noch durch Hunger zu vertreiben war. Der Krieg spann
von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der Karthager aus den
sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den italischen
Kuesten.

In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen
Schwierigkeiten des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie
erzaehlt wird, vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer
warnten, es nicht bis zum Bruche zu treiben, denn wider ihren Willen
koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im Meer waschen, so war
diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte beherrschte ohne
Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen
Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern
bedrohte auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort
eine konsularische Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer
groesseren Invasion kam es nicht; allein wohl landeten kleinere
karthagische Abteilungen an den italischen Kuesten und brandschatzten
die Bundesgenossen und, was schlimmer als alles Uebrige war, der Handel
Roms und seiner Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es brauchte nicht
lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus
vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die
Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden
sizilischen Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt,
was Dionysios, Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso
leicht war, die Karthager aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie
zu ueberwinden. Man sah es ein, dass alles darauf ankam, eine Flotte zu
schaffen und beschloss eine solche von zwanzig Drei- und hundert
Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes dieses energischen
Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen stammende
Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst die
Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase;
Italiens Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und
auch an italischen Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren
dies Kriegsbarken und Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich
gewesen waren; Fuenfdecker, die nach dem neueren, besonders von
Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast ausschliesslich in der
Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht gebaut. Die
Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein
Seestaat von Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von
Linienschiffen; und eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein
fremdes Linienschiff zum Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die
Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine gestrandete karthagische Pentere
als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer, wenn sie gewollt haetten,
mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller zum Ziele gelangen
koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um Italien
durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die
Schiffsoffiziere, die man groesstenteils aus der italischen
Handelsmarine genommen haben wird, als fuer die Matrosen, deren Name
(socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang ausschliesslich von den
Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter Sklaven, die der
Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die aermere
Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man
teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des
Schiffsbaus, teils die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt,
wird es begreiflich, dass die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon
gescheitert ist, eine Kontinental- in eine Seemacht umzuwandeln,
innerhalb eines Jahres loesten und ihre Flotte von hundertundzwanzig
Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief. Freilich kam
dieselbe der karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs
gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik
dieser Zeit vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete
und Bogenschuetzen vom Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen
von demselben aus arbeiteten, gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser
Zeit; allein der gewoehnliche und eigentlich entscheidende Kampf
bestand im Niedersegeln der feindlichen Schiffe, zu welchem Zwecke die
Vorderteile mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren; die
kaempfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder
dem andern der Stoss gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb
befanden sich unter der Bemannung eines gewoehnlichen griechischen
Dreideckers von etwa 200 Mann nur etwa zehn Soldaten, dagegen 170
Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des Fuenfdeckers zaehlte etwa
300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis.

Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen
bei ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an
Manoevrierfaehigkeit notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen,
dass man den Soldaten im Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle
zuteilte. Man brachte auf dem Vorderteil des Schiffes eine fliegende
Bruecke an, welche nach vorn wie nach beiden Seiten hin niedergelassen
werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit Brustwehren versehen und
hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das feindliche Schiff zum
Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der Stoss vermieden
war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen Verdeck
nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; wodurch
nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen
Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche
Verdeck hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen.
Eine eigene Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis
die Landtruppen zu diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in
einer grossen Seeschlacht, wo freilich die roemische Flotte zugleich
die Landungsarmee an Bord hat, bis 120 Legionarier auf den einzelnen
Schiffen fechten.

So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen
war. Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein
Feenmaerchen machen, und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss
begreifen um zu bewundern. Der Flottenbau der Roemer war eben gar
nichts als ein grossartiges Nationalwerk, wo durch Einsicht in das
Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit, durch Energie in
Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage gerissen ward,
die uebler war, als sie zunaechst schien.

Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral,
der Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn
segelfertigen Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260),
meinte auf der Fahrt Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu
koennen. Allein eine Abteilung der bei Panormos stationierten
karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in dem die roemischen
Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre mit dem
Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht
ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana
unter Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf
sie auf ein schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem
sie das Glueck hatte, einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden
Verlust zuzufuegen, und traf also gluecklich und siegreich im Hafen von
Messana ein, wo der zweite Konsul Gaius Duilius das Kommando an der
Stelle seines gefangenen Kollegen uebernahm. An der Landspitze von
Mylae, nordwestlich von Messana, traf die karthagische Flotte, die
unter Hannibal von Panormos herankam, auf die roemische, welche hier
ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in den schlecht
segelnden und unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte Beute
erblickend, stuerzten sich in aufgeloester Linie auf dieselben; aber
die neu erfundenen Enterbruecken bewaehrten sich vollkommen. Die
roemischen Schiffe fesselten und stuermten die feindlichen, wie sie
einzeln heransegelten; es war ihnen weder von vorn, noch von den Seiten
beizukommen, ohne dass die gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte auf
das feindliche Verdeck. Als die Schlacht zu Ende war, waren gegen
fuenfzig karthagische Schiffe, fast die Haelfte der Flotte, von den
Roemern versenkt oder genommen, unter den letzteren das Admiralsschiff
Hannibals, einst das des Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch
groesser der moralische Eindruck. Rom war ploetzlich eine Seemacht
geworden und hatte das Mittel in der Hand, den Krieg, der endlos sich
hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu drohen schien,
energisch zu Ende zu fuehren.

Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut
kombinierte Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies
durchgesetzt, so konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung
dieser Inseln Friede geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht
genuegte, der zweite Akt des Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder
man konnte die Inseln vernachlaessigen und sich gleich mit aller Macht
auf Afrika werfen, nicht in Agathokles’ abenteuernder Art die Schiffe
hinter sich verbrennend und alles setzend auf den Sieg eines
verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die
Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in
diesem Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach
den ersten Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man
wollte, mit aeusserster Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung
noetigen.

Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der
Schlacht von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den
Hafen Aleria auf Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des
Feldherrn, der dieser Tat gedenkt - und machte aus Korsika eine
Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf der Nordkueste dieser
Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte an
Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit
besserem Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste
gepluendert; aber zu einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es
nicht. Ebensowenig kam man in Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte
energisch und geschickt den Krieg nicht bloss mit Waffen zu Lande und
zur See, sondern auch mit der politischen Propaganda; von den zahllosen
kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von den Roemern ab und
mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und in den
Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten,
namentlich in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen
Waffenplatz Drepana, wohin der leichteren Seeverteidigung wegen
Hamilkar die Bewohner des Eryx uebergesiedelt hatte. Ein zweites
grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg (497 257), in dem beide
Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der Lage der Dinge.
In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun an dem
geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen
liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer
Operationen ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen
strategischen Verhaeltnissen, welche allerdings in einem solchen Fall
nach dem damaligen Stande der Kriegswissenschaft sich fuer den
Angreifer ueberhaupt (I, 426) und ganz besonders fuer die noch im
Anfang der wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden Roemer unguenstig
stellten. Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der
italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht
viel weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der
Operationen und ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss
der Senat, das System zu aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im
Fruehjahr 498 (256) ging eine Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel
nach der libyschen Kueste; an der Muendung des Himeraflusses am
suedlichen Ufer Siziliens nahm sie das Landungsheer an Bord: es waren
vier Legionen unter der Fuehrung der beiden Konsuln Marcus Atilius
Regulus und Lucius Manlius Volso, beides erprobte Generale. Der
karthagische Admiral liess es geschehen, dass die feindlichen Truppen
sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die
Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in
Schlachtordnung aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken.
Nicht leicht haben groessere Massen zur See gefochten als in dieser
Schlacht gegeneinander standen. Die roemische Flotte von 330 Segeln
zaehlte mindestens 100000 Mann an Schiffsbemannung ausser der etwa
40000 Mann starken Landungsarmee; die karthagische von 350 Schiffen
trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so dass gegen
dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren, um
zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die
Phoeniker standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken
Fluegel gelehnt an die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins
Dreieck, die Admiralschiffe der beiden Konsuln an der Spitze, in
schraeger Linie rechts und links neben ihnen das erste und zweite
Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport der Reiterei
gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck
schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer
folgte ein viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige
Angriff durchbrach ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst
angegriffene Zentrum derselben absichtlich zurueckwich, und die
Schlacht loeste sich auf in drei gesonderte Treffen. Waehrend die
Admirale mit den beiden auf den Fluegeln aufgestellten Geschwadern dem
karthagischen Zentrum nachsetzten und mit ihm handgemein wurden,
schwenkte der linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der Karthager
auf das dritte roemische Geschwader ein, welches durch die
Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen, und
draengte dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer;
gleichzeitig wurde die roemische Reserve von dem rechten karthagischen
Fluegel auf der hohen See umgangen und von hinten angefallen. Das erste
dieser drei Treffen war bald zu Ende: die Schiffe des karthagischen
Mitteltreffens, offenbar viel schwaecher als die beiden gegen sie
fechtenden roemischen Geschwader, wandten sich zur Flucht. Mittlerweile
hatten die beiden anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand
gegen den ueberlegenen Feind; allein im Nahgefecht kamen die
gefuerchteten Enterbruecken ihnen zustatten, und mit deren Hilfe gelang
es, sich so lange zu halten, bis die beiden Admirale mit ihren Schiffen
herankommen konnten. Dadurch erhielt die roemische Reserve Luft, und
die karthagischen Schiffe des rechten Fluegels suchten vor der
Uebermacht das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf zum Vorteil der
Roemer entschieden, fielen alle noch seefaehigen roemischen Schiffe dem
hartnaeckig seinen Vorteil verfolgenden karthagischen linken Fluegel in
den Ruecken, so dass dieser umzingelt und fast alle Schiffe desselben
genommen wurden. Der uebrige Verlust war ungefaehr gleich. Von der
roemischen Flotte waren 24 Segel versenkt, von der karthagischen 30
versenkt, 64 genommen. Die karthagische Flotte gab trotz des
betraechtlichen Verlustes es nicht auf, Afrika zu decken und ging zu
diesem Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo sie die Landung
erwartete und eine zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein die
Roemer landeten statt an der westlichen Seite der Halbinsel, die den
Golf bilden hilft, vielmehr an der oestlichen, wo die Bai von Clupea
ihnen einen fast bei allen Winden Schutz bietenden geraeumigen Hafen
und die Stadt, hart am Meere auf einem schildfoermig aus der Ebene
aufsteigenden Huegel gelegen, eine vortreffliche Hafenfestung darbot.
Ungehindert vom Feinde schifften sie die Truppen aus und setzten sich
auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein verschanztes Schiffslager
errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen beginnen. Die
roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis
20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten
Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen
Opfern gelungen; man schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer
sich fuehlten, beweist der Beschluss des Senats, den groessten Teil der
Flotte und die Haelfte der Armee nach Italien zurueckzuschicken; Marcus
Regulus blieb allein in Afrika mit 40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und
500 Reitern. Es schien indes die Zuversicht nicht uebertrieben. Die
karthagische Armee, die entmutigt sich in die Ebene nicht wagte, erlitt
erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in denen sie ihre
beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht verwenden
konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf und
ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den
naechsten Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu
welchem Ende er dicht bei derselben, in Tunes sein Winterlager
aufschlug.

Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die
Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien
und Sardinien, sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom,
welches die Karthager verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine
zu verzichten und zu den roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese
Bedingungen, welche Karthago mit Neapel und Tarent gleichgestellt haben
wuerden, konnten nicht angenommen werden, solange noch ein
karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte auf der See, und
die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige Begeisterung, wie
sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen, bei dem
Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese
Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man
sie den Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in
Sizilien den kleinen Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt
hatte, erschien in Libyen mit der Elite der sizilischen Truppen, die
fuer die neuausgehobene Mannschaft einen trefflichen Kern abgab; die
Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten ihnen ferner die
trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso zahlreiche
griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos von
Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen
neuen Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des
Winters die Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische
Feldherr untaetig bei Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich
ueber seinem Haupt zusammenzog, oder mochte militaerisches Ehrgefuehl
ihm zu tun verbieten, was seine Lage erheischte - statt zu verzichten
auf eine Belagerung, die er doch nicht imstande war, auch nur zu
versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg von Clupea, blieb er
mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt
stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern
versaeumend, und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen
fehlte und was durch Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der
Numidier so leicht zu erreichen war, eine gute leichte Reiterei.
Mutwillig brachte er sich und sein Heer also in dieselbe Lage, in der
einst Agathokles auf seinem verzweifelten Abenteurerzug sich befunden
hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255), hatten sich die Dinge schon so
veraendert, dass jetzt die Karthager es waren, die zuerst ins Feld
rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten; natuerlich, denn es lag
alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, ehe von Italien
Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die Roemer
zoegern sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im
offenen Felde nahmen sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren
Staerke - denn obwohl die Zahl des Fussvolks auf beiden Seiten
ungefaehr dieselbe war, gaben doch den Karthagern die 4000 Reiter und
100 Elefanten ein entschiedenes Uebergewicht - und trotz des
unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich auf einem weiten
Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos, der an
diesem Tage die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei
auf die feindliche, die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der
Schlachtlinie stand; die wenigen roemischen Schwadronen zerstoben im Nu
vor den feindlichen Kavalleriemassen und das roemische Fussvolk sah
sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt. Die Legionen,
hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor gegen die
feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben aufgestellte
Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der Roemer hemmte,
fasste wenigstens der linke roemische Fluegel, an den Elefanten
vorbeimarschierend, die Soeldnerinfanterie auf dem rechten feindlichen
und warf sie vollstaendig. Allein eben dieser Erfolg zerriss die
roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den Elefanten, an den
Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte sich zwar
ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden
doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche
linke Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo die
libysche Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der
Beschaffenheit des Terrains und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei
ward niedergehauen oder gefangen, was in diesen Massen gefochten hatte;
nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise die zu Anfang
zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die
roemischen Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit
Not Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul
selbst, der spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung,
dass er von den Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden
sei, nahm an zwei edlen karthagischen Gefangenen die empoerendste
Rache, bis es selbst die Sklaven erbarmte und auf deren Anzeige die
Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3.

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^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos’ militaerisches Talent
Karthago gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen
Offiziere werden schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu
lernen, dass die leichte afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der
Ebene verwandt werde als in Huegeln und Waeldern. Von solchen
Wendungen, dem Echo der griechischen Wachtstubengespraeche, ist selbst
Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem Siege von den Karthagern
ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging freiwillig fort,
vielleicht in aegyptische Dienste.

^3 Weiter ist ueber Regulus’ Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt
wird, ist sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem
Glueck und Unglueck der Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer
Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp des ungluecklichen wie aus
Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine Menge obligat
erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt; widerwaertige
Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten
Geschichte.

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Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge
natuerlich gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen
Mannschaft. Eine roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und
nach einem schoenen Sieg am Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die
Karthager 114 Schiffe einbuessten, gelangte sie nach Clupea eben zur
rechten Zeit, um die dort verschanzten Truemmer der geschlagenen Armee
aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie gesandt worden, ehe die
Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in einen Sieg
verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein
Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer
den Kopf verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea
saemtliche Truppen auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig
den wichtigen und leicht zu verteidigenden Platz raeumend, der ihnen
die Moeglichkeit der Landung in Afrika sicherte, und der Rache der
Karthager ihre zahlreichen afrikanischen Bundesgenossen schutzlos
preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit nicht, ihre
leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue
deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000
Talenten Silber (1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben
und in saemtlichen abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz
geschlagen - es sollen ihrer dreitausend gewesen sein und dieses
entsetzliche Wueten der karthagischen Beamten wesentlich den Grund
gelegt haben zu der Revolution, welche einige Jahre spaeter in Afrika
ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt das
Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der
Flotte in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe
mit der Mannschaft zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli
499 255). Die Kapitaene hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die
improvisierten roemischen Admirale die Fahrt einmal also befohlen.

Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange
eingestellte Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn,
landete in Lilybaeon mit einem starken Heer, das besonders durch die
gewaltige Elefantenmasse - es waren ihrer 140 - in den Stand gesetzt
wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten; die letzte Schlacht hatte
gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten Fussvolks durch
Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die Roemer
nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des
Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist,
im roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die
den afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln
allmaehlich zu unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer
Flotte; und da diejenige zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei
Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge gesiegt hatte, baute man eine
neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen Kriegsschiffen wurde auf einmal
der Kiel gelegt - nie hatte man bisher gleichzeitig so viele zu bauen
unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit von drei Monaten
standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254) erschien die
roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe zaehlend, an
der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von der
Seeseite ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens,
Panormos, erobert, und ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus,
Kephaloedion, Tyndaris den Roemern in die Haende, so dass am ganzen
noerdlichen Gestade der Insel nur noch Thermae den Karthagern verblieb.
Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen der Roemer auf Sizilien.
Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen standen vor
Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen Befehlshaber,
die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine Hauptschlacht zu
erzwingen versucht haetten.

Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die
sicheren Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika
zu machen, nicht um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu
pluendern. Ungehindert kamen sie damit zustande; allein nachdem sie
schon in den schwierigen und ihren Piloten unbekannten Gewaessern der
Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit Muehe wieder
losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien ein
Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die
Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der
Kueste zu waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges
durch das offene Meer nach Ostia zu steuern muessen.

Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die
Kriegsflotte abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die
Kuestenverteidigung und die Geleitung der Transporte zu beschraenken.
Zum Glueck nahm eben jetzt der stockende Landkrieg auf Sizilien eine
guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502 (252) Thermae, der letzte
Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen, und die wichtige
Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht im Jahre
darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503
251). Die unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im
Stadtgraben aufgestellten leichten Truppen der Roemer geworfen und
stuerzten teils in den Graben hinab, teils zurueck auf ihre eigenen
Leute, die in wilder Verwirrung mit den Elefanten zugleich sich zum
Strande draengten, um von den phoenikischen Schiffen aufgenommen zu
werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das karthagische Heer,
dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum in die
Festungen einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den
Roemern in die Haende gefallen war (505 249), auf der Insel den
Karthagern nichts mehr als Drepana und Lilybaeon. Karthago bot zum
zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg des Metellus und die
Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei im Senat die
Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen, die
Belagerung der beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen und zu
diesem Ende wiederum eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu lassen.
Die Belagerung von Lilybaeon, die erste grosse und regelrechte, die Rom
unternahm, und eine der hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt,
wurde von den Roemern mit einem wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer
Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt zu legen und dieselbe von
der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See zu sperren,
vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und Palisaden
und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der
Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige
Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen
Flotte im Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem
karthagischen Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren,
Lebensmittel in Menge und Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu
werfen und unangefochten wieder heimzukehren. Nicht viel gluecklicher
war die belagernde Landarmee. Man begann mit regelrechtem Angriff; die
Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit hatten die Batterien
sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald gangbar. Allein
der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen Angriff
ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall
erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis
anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang
den Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall
abgeschlagen worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die
roemische Maschinenreihe zu verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die
Vorbereitungen zum Sturm auf und begnuegten sich, die Mauer zu Wasser
und zu Lande zu blockieren. Freilich waren dabei die Aussichten auf
Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den feindlichen
Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel
leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der
Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte
Reiterei der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen,
die in der ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen.
Die Eroberung Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um
geduldig bei der muehseligen Arbeit auszuharren, die denn doch mit der
Zeit der. gewuenschten Erfolg verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius
Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon eingeschlossen zu halten, allzu
gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den Operationsplan zu
aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die
karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte
unversehens zu ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das
Freiwillige aus den Legionen an Bord genommen hatte, fuhr er um
Mitternacht ab und erreichte, in guter Ordnung segelnd, den rechten
Fluegel am Lande, den linken in der hohen See, gluecklich mit
Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der phoenikische
Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit nicht
und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die
roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden
Hafen an der Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite
seine Schiffe aus dem Hafen heraus und stellte sich ausserhalb
desselben in Linie. Dem roemischen Admiral blieb nichts uebrig, als die
vordersten Schiffe moeglichst schnell aus dem Hafen zurueckzunehmen und
sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu ordnen; allein ueber
dieser rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl seiner
Aufstellung und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils
von der feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit
gebrach, die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln,
teils so dicht an die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder
zurueckweichen noch hinter der Linie hinsegelnd sich untereinander zu
Hilfe kommen konnten. Die Schlacht war nicht bloss verloren, ehe sie
begann, sondern die roemische Flotte so vollstaendig umstrickt, dass
sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar der Konsul entkam,
indem er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr als drei
Viertel der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an
Bord, fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige
grosse Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben.
Lilybaeon war der Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch
die Truemmer der roemischen Flotte in ihre fruehere Stellung
zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu schwach, um den nie
ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte vor dem
Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den
Beistand des Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen
und frevelhaft leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in
dem langen und aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war;
und was dessen Uebermut noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen
hatte, ging kurz darauf durch den Unverstand seines Kollegen zugrunde.
Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus, der den Auftrag erhalten
hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten Zufuhren in Syrakus zu
verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen Kueste der Insel
mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu geleiten,
beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten
Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu
folgen. Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit
hundert auserlesenen Schiffen die roemische Flotte im Hafen von
Lilybaeon blockierte, davon Nachricht erhielt, wandte er sich nach der
Suedkueste der Insel, schnitt die beiden roemischen Geschwader, sich
zwischen sie legend, voneinander ab und zwang sie, an den unwirtlichen
Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen sich zu bergen. Die
Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern tapfer
zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon
seit laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an
Vereinigung und Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken
war, konnte Karthago die Vollendung seines Werkes den Elementen
ueberlassen. Der naechste grosse Sturm vernichtete denn auch beide
roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden vollstaendig, waehrend
der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen unbeschwerten und
gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft und die
Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249).

Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte
Jahr, und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als
im ersten. Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde
gegangen, drei davon mit roemischen Heeren an Bord; ein viertes
ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in Libyen vernichtet, ungerechnet
die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur See, die in Sizilien
die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die Seuchen gefordert
hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist daraus
zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um
etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die
Verluste der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und
daneben der Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer
traf, noch nicht mit eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse
ist es nicht moeglich, sich eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der
unmittelbare Schaden an Schiffen und Material als der mittelbare durch
die Laehmung des Handels muessen ungeheuer gewesen sein. Allein
schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel, durch die man
den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika mit
frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich
gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen
unternommen; die geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden
gewaltigen Seeburgen Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als
je zuvor. Was sollte man beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt
gewissermassen Recht. Die Vaeter der Stadt verzagten; sie liessen die
Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl wissend, dass ein ziel-
und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien verderblicher war als
die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten Silberstuecks, aber
ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem Glueck, um zu
den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte die
Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den
Kapitaenen, die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen
bereit waren, zu diesem Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung.
Der Landkrieg ward dem Namen nach fortgefuehrt, weil man eben nicht
anders konnte; allein man begnuegte sich, die sizilischen Festungen zu
beobachten, und was man besass, notduerftig zu behaupten, was dennoch,
seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und aeusserst
kostspielige Anstalten erforderte.

Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen
Gegner zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der
Kraefte gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen,
konnten die phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass
die Karthager den Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete,
nicht haetten offensiv und nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein
die karthagische Regierung war eben nicht energisch, sondern schwach
und laessig, wenn nicht ein leichter und sicherer Gewinn oder die
aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte los zu sein,
liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem
Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in
und um Sizilien zu beschraenken.

So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die
ruhmlosesten, welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts
kennt, und ruhmlos auch fuer das Volk der Karthager. Indes ein Mann von
diesen dachte und handelte anders als seine Nation. Hamilkar, genannt
Barak oder Barkas, das ist der Blitz, ein junger, vielversprechender
Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247) den Oberbefehl in Sizilien. Es
fehlte in seiner Armee wie in jeder karthagischen an einer
zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die Regierung, obwohl
sie vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden Fall es
zu versuchen verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den
Niederlagen zuzusehen und hoechstens die geschlagenen Feldherren ans
Kreuz heften zu lassen. Hamilkar beschloss, sich selber zu helfen. Er
wusste es wohl, dass seinen Soeldnern Karthago so gleichgueltig war wie
Rom, und dass er von seiner Regierung nicht phoenikische oder libysche
Konskribierte, sondern im besten Fall die Erlaubnis zu erwarten hatte,
mit seinen Leuten das Vaterland auf eigene Faust zu retten,
vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er kannte auch sich und die
Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich nichts; aber der
echte Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des Vaterlandes
seine eigene Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der junge
General. Nachdem er die Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und
Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer ins Auge zu sehen, setzte er
auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei Palermo), der gleich einer
Festung das umliegende Land beherrscht, sich mit seinen Leuten fest und
liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen und Kindern sich einrichten
und das platte Land durchstreifen, waehrend phoenikische Kaper die
italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte er seine Leute
reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und bedrohte, mit
Drepana die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige Panormos in
naechster Naehe mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die Roemer
nicht, ihn von seinem Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der
Eirkte der Kampf eine Weile gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine
zweite aehnliche Stellung am Eryx. Diesen Berg, der auf der halben
Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den Tempel der Aphrodite
trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und von da aus
Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte das
Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits
blockierten. Die von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels
gestellten keltischen Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein
schlimmes Raubgesindel, das waehrend dieser Belagerung den Tempel
pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art veruebte, verteidigten die
Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch Hamilkar liess sich nicht
wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der Flotte und der
Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen. Der
sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die
Roemer zu nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und
seine Soldaten und die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war
schon klar, dass dem Hamilkar kein roemischer General gewachsen war,
und die Zeit liess sich berechnen, wo auch der karthagische Soeldner
sich dreist wuerde messen koennen mit dem Legionaer. Immer verwegener
zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen Kueste - schon hatte
gegen eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein Praetor
ausruecken muessen. Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus
mit der Flotte, was spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn
unternahm.

Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei
der Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen
sich eine Anzahl einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch
ohne Regierungsbeschluss zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg
ein Ende zu machen. Die gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht
den Mut der Nation gehoben, doch in engeren Kreisen die Energie und die
Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in Geschwader zusammengetan,
Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den Karthagern vor
Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch
Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so
grossartiger Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und
patriotisch gesinnten Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer
den Kaperdienst gebauten Schiffe und die darin geuebten Mannschaften
abgaben und die ueberhaupt weit sorgfaeltiger hergestellt wurde, als
dies bisher bei dem Staatsbau geschehen war. Diese Tatsache, dass eine
Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines schweren Krieges
zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000 Matrosen
freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in
den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die
Ehre zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand
dort kaum einen Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen
Hamilkar seine Korsarenzuege gemacht, verschwanden vor der Uebermacht,
und fast ohne Widerstand besetzten die Roemer die Haefen von Lilybaeon
und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu Lande jetzt energisch
begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt; selbst die
beiden Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser Gefahr.
Man ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das
Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt
haetten; und als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften
Schiffe auf der Hoehe von Drepana erschienen, war es doch mehr eine
Transport- als eine schlagfertige Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker
hatten gehofft, ungestoert landen, die Vorraete ausschiffen und die
fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord nehmen zu koennen;
allein die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und zwangen sie,
da sie von der heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln
wollten, bei der kleinen Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht
anzunehmen (10. Maerz 513 241). Der Ausgang war keinen Augenblick
zweifelhaft, die roemische Flotte, gut gebaut und bemannt und, da die
vor Drepana erhaltene Wunde den Konsul Catulus noch an das Lager
fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius Valerius Falto
vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer beladenen,
schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden
versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein in den Hafen von
Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen Patrioten hatte
Frucht getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den Frieden.

Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die
Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen
Feldherrn unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen.
Hamilkar, der, seine siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler
vernichtet sah, fuegte hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne
darum weder seine Soldatenehre noch sein Volk noch seine Entwuerfe
aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu halten, seit die Roemer die
See beherrschten, und dass die karthagische Regierung, die ihre leere
Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten zu fuellen
versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die
roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab
also die Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet
des karthagischen Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der
ueblichen Form, dass Rom sich verpflichtete, nicht mit der
karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen Bundesgenossenschaft,
das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und abhaengigen
Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder in
diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4.
Was die Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche
Rueckgabe der roemischen Gefangenen und die Zahlung einer
Kriegskontribution von selbst; dagegen die Forderung des Catulus, dass
Hamilkar die Waffen und die roemischen Ueberlaeufer ausliefern solle,
wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit Erfolg. Catulus
verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den Phoenikern freien
Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18 Denaren (4
Taler) fuer den Mann.

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^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das
Gebiet der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus,
vielleicht selbst nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt
glaublich genug; allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb.
3, 27).

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Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert
erschien, so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu
sein. Es kann sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit
dem Triumph auch den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und
den wechselvollen Gang des Krieges, die Erwaegung, dass ein
patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den Sieg entschieden hatte,
sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht selbst
Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu
solcher Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit
dem Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne
Zweifel unter dem Einfluss der Patrioten, die die letzte
Schiffsruestung durchgesetzt hatten, anfaenglich die Ratifikation
verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen wir nicht und
vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den Frieden nur
verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen,
oder ob sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf
die politische Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren,
den Krieg fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht
mehr um Frieden handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die
Weigerung in dem ersten Sinne, so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen
den Gewinn Siziliens verschwand jedes andere Zugestaendnis, und es war
bei Hamilkars Entschlossenheit und erfinderischem Geist sehr gewagt,
die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke zu setzen. Wenn dagegen
die gegen den Frieden opponierende Partei in der vollstaendigen
politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische
Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie
politischen Takt und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms
Kraefte noch ausreichten, um den Zug des Regulus zu erneuern und soviel
nachzusetzen, als erforderlich war, um nicht bloss den Mut, sondern die
Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu brechen, ist eine andere Frage,
welche in dem einen oder dem andern Sinn zu beantworten jetzt niemand
wagen kann.

Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer
Kommission, die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie
bestaetigte im wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die
Kriegskosten von Karthago zu zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente
(5½ Mill. Taler), davon ein Drittel gleich, der Rest in zehn
Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der Abtretung von Sizilien
auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in den
definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine
redaktionelle Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es
Sizilien hingab, sich die laengst von der roemischen Flotte besetzte
Insel Lipara nicht konnte vorbehalten wollen, versteht sich von selbst,
und dass man mit Ruecksicht auf Sardinien und Korsika absichtlich eine
zweideutige Bestimmung in den Vertrag gesetzt habe, ist ein unwuerdiger
und unwahrscheinlicher Verdacht.

So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen
Nation stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den
neuen Herren der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens
vierhundert Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von
deren Mauern alle Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der
Westen hatte Frieden (513 241).

Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die
roemische Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel
einfasst. Es ist einer der laengsten und schwersten, welchen die Roemer
gefuehrt haben; die Soldaten, welche die entscheidende Schlacht
schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil noch nicht geboren.
Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente, die er
darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer
militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt
haben. Es konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines Wechsels
der politischen Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden
italischen Politik und der noch nicht gefundenen des Grossstaats. Der
roemische Senat und das roemische Kriegswesen waren unuebertrefflich
organisiert fuer die rein italische Politik. Die Kriege, welche diese
hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten stets auf der in
der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten
Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die
Aufgaben waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und
Operationen zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten;
der Festungskrieg war in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen
kaum einmal beilaeufig in Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man
nicht vergisst, dass in den damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen
der blanken Waffe wesentlich das Handgemenge entschied, dass eine
Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren und wer eben
Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf einen
Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus in
unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils
hinein und hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde
eine Strasse, von jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die
Belagerung der festen Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der
die ersten Taktiker Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer
jetzt zum erstenmal zu versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem
Landheer und mit dem Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu
schaffen und, was schwieriger war, sie zu gebrauchen, es galt, die
wahren Angriffs- und Verteidigungspunkte zu finden, die Massen zu
vereinigen und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne die Zuege zu
berechnen und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte auch
der taktisch weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner
besiegen. Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments
der Ratversammlung und den kommandierenden Buergermeistern
entschluepften?

Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst
im Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen
Systems eine nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das
Fehlen einer festen militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der
Feldherren, die vollstaendige Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil
half man ihnen ab durch Energie und durch Glueck; so dem Mangel einer
Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung war ein grossartiger
Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine
roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach und
behandelte sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering
geschaetzt neben dem hochgeehrten Dienst in den Legionen, die
Seeoffiziere waren grossenteils italische Griechen, die Bemannung
Untertanen oder gar Sklaven und Gesindel. Der italische Bauer war und
blieb wasserscheu; unter den drei Dingen, die Cato in seinem Leben
bereute, war das eine, dass er einmal zu Schiff gefahren sei, wo er zu
Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil wohl in der Natur der
Sache, da die Schiffe Rudergaleeren waren und der Ruderdienst kaum
geadelt werden kann; allein, eigene Seelegionen wenigstens haette man
bilden und auf die Errichtung eines roemischen Seeoffizierstandes
hinwirken koennen. Man haette, den Impuls der Nation benutzend,
allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch die Zahl,
sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht
herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten
Kaperwesen ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah
nichts derart von der Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen
in seiner unbehilflichen Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung
dieses Krieges und hat wie im Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag
gegeben. Viel schwieriger zu ueberwinden waren diejenigen Maengel, die
sich ohne Aenderung der Verfassung nicht beseitigen liessen. Dass der
Senat je nach dem Stande der in ihm streitenden Parteien von einem
System der Kriegfuehrung zum andern absprang und so unglaubliche Fehler
beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige Einziehung der
Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische Staedte
belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu
zwingen, die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu
liefern fuer gut fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von
Rechts wegen wechselte - das alles liess sich nicht abstellen, ohne
Verfassungsfragen anzuregen, deren Loesung schwieriger war als der Bau
einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu vereinigen mit den
Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen aber wusste niemand
noch in die neue Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat noch die
Feldherren. Regulus’ Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in
dem Gedanken befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles
entscheide. Es gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie
ihm die Erfolge in den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256)
genau da, wo fuenfzig Jahre spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal
und keine erprobte feindliche Armee gegenueberstand. Allein der Senat
zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich von der taktischen
Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden Vertrauen auf
diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch, und
nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich
ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in
seiner Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die
Bauernmanier, durch die Etrurien und Samnium genommen worden waren, war
die Ursache der Niederlage in der Ebene von Tunes. Der in seinem
Bereiche ganz richtige Satz, dass jeder rechte Buergersmann zum General
tauge, war irrig geworden; in dem neuen Kriegssystem konnte man nur
Feldherren von militaerischer Schule und militaerischem Blicke
brauchen, und das freilich war nicht jeder Buergermeister. Noch viel
aerger aber war es, dass man das Oberkommando der Flotte als eine
Dependenz des Oberbefehls der Landarmee behandelte und der erste beste
Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General, sondern auch Admiral
spielen zu koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem
Krieg erlitten hat, sind nicht die Stuerme schuld und noch weniger die
Karthager, sondern der anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale.

Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren
Gewinn, als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die
energische Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen
sehr deutlich die Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie
des Friedens; und wenn Rom gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar
auch der Gunst der Goetter und der Energie seiner Buerger, aber mehr
als beiden den die Maengel der roemischen Kriegfuehrung noch weit
uebertreffenden Fehlern seiner Feinde.




KAPITEL III.
Die Ausdehnung Italiens bis an seine natürlichen Grenzen


Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften
Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte
unter roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis
an das Ionische Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende
ging, waren diese Grenzen bereits nach beiden Seiten hin
ueberschritten, waren jenseits des Apennin wie jenseits des Meeres
italische, der Eidgenossenschaft angehoerige Gemeinden entstanden. Im
Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu raechen, bereits im
Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden in dem
grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen
Insel verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena
namentlich die latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde
in Messana zu der von Rom geleiteten Verbindung, und wie beide national
italischen Ursprungs waren, so hatten auch beide teil an den gemeinen
Rechten und Pflichten der italischen Eidgenossenschaft. Es mochten mehr
die augenblicklich draengenden Ereignisse als eine umfassende
politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben; aber
begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen
Karthago erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine neue
und weitere politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche
Beschaffenheit der Halbinsel ohnehin schon nahe genug legte. Politisch
und militaerisch war es wohl gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem
niedrigen und leicht zu ueberschreitenden Apennin an die maechtige
Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu verlegen und mit der
Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im Westen und
Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung
der Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten
sich mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung
des Werkes zu erleichtern.

In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als
das Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse
fruchtbare und hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen
Frieden zum groesseren Teil in den Besitz der Roemer uebergegangen.
Koenig Hieron von Syrakus, der in den letzten zweiundzwanzig
Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis festgehalten
hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch gehabt;
allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss begonnen
hatte, nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei
Beendigung desselben ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz
Siziliens. Hieron mochte zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das
heisst ausser dem unmittelbaren Bezirk von Syrakus die Feldmarken von
Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara und Tauromenion - und seine
Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung jeder Veranlassung,
ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang gelassen ward, und
dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem voelligen Sturz
der einen oder der anderen geendigt hatte und also fuer die sizilische
Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des Bestehens blieb. In
dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in Panormos,
Lilybaeon, Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein.
Sie bedauerten nur, dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht
ausreichte, um die westliche See in ein roemisches Binnenmeer zu
verwandeln, solange noch Sardinien karthagisch blieb. Da eroeffnete
sich bald nach dem Friedensschluss eine unerwartete Aussicht, auch
diese zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu entreissen. In
Afrika hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom die
Soeldner und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich
empoert. Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die
karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren
seinen sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen
Mitteln auszahlen koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim
erbeten; er moege, hiess es, die Mannschaft nur zur Abloehnung nach
Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die Leute kannte, schiffte er
sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man sie truppweise
abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte selber
hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht
so sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang
und dem Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer
wieder in Libyen vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem
versprochenen Solde zu kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter
den Truppen, und das unsichere und feige Benehmen der Behoerden zeigte
den Meuterern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren
gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder abhaengigen
Distrikten; sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung
dekretierte Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der
fuerchterliche Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und
kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie
wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit dem meuterisch erpressten
Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte man in Karthago
sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht
anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die
Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen
trugen ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen;
eine Menge karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten
Offiziere des sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten
Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert und das aus der
Stadt ausrueckende karthagische Heer durch die Verkehrtheit des
ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen.

Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin
groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn
gebracht hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513
(241) zu bereuen, der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt
wenigstens allen voreilig erschien, und zu vergessen, wie erschoepft
damals der eigene Staat gewesen war, wie maechtig der karthagische
damals dagestanden hatte. Die Scham verbot zwar, mit den karthagischen
Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man gestattete den
Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien Werbungen zu
veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den Libyern
zu verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom
mit diesen bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als
nichtsdestoweniger der Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den
roemischen Schiffern fortging und Hamilkar, den die aeusserste Gefahr
wieder an die Spitze der karthagischen Armee zurueckgefuehrt hatte,
eine Anzahl dabei betroffener italischer Kapitaene aufgriff und
einsteckte, verwandte sich der Senat fuer dieselben bei der
karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch die
Insurgenten selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen
Bundesgenossen zu erkennen; die sardinischen Besatzungen, welche gleich
der uebrigen karthagischen Armee sich fuer die Aufstaendischen erklaert
hatten, boten, als sie sich ausserstande sahen, die Insel gegen die
Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem Innern zu halten,
den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und aehnliche
Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an
dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars aufs
aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom
zurueck, hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen
Italiens hinaus und also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische
Regierung damals zu gehen gedachte; dagegen ging sie auf die
Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein und uebernahm von ihnen,
was von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen war (516 238).
Mit schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner trifft
die Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft
es nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu
machen und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann, dem
Gebote des Rechtes und der Ehre den augenblicklichen Gewinn
nachzusetzen. Die Karthager, deren Bedraengnis eben um die Zeit der
Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen war, schwiegen vorlaeufig
ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes diese Gefahr wider
Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch Hamilkars
Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle
Herrschaft eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom
karthagische Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein
die Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten
mit nichtigen oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber
allerlei Unbill, die die Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt
haben sollten, und eilten, den Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in
der Politik jeder darf, was er kann, trat hervor in seiner
unverhuellten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung hiess die
Karthager, den gebotenen Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre
zuvor auf Sardiniens Abtretung bestanden, der Krieg wuerde
wahrscheinlich seinen Fortgang gehabt haben. Allein jetzt, wo beide
Inseln verloren, Libyen in Gaerung, der Staat durch den
vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast fuenfjaehrigen
entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war, musste man
wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem
die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die mutwillig veranlassten
Kriegsruestungen eine Entschaedigung von 1200 Talenten (2 Mill. Taler)
nach Rom zu zahlen, standen die Roemer widerwillig vom Kriege ab. So
erwarb Rom fast ohne Kampf Sardinien, wozu man Korsika fuegte, die alte
etruskische Besitzung, in der vielleicht noch vom letzten Kriege her
einzelne roemische Besatzungen standen. Indes beschraenkten die Roemer,
eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in Sardinien und mehr noch
in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit den
Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr
man trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte
die gefangene Ware auf den Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche
Unterwerfung ging man nicht. Nicht um ihrer selbst willen hatte man die
Inseln besetzt, sondern zur Sicherung Italiens. Seit sie die drei
grossen Eilande besass, konnte die Eidgenossenschaft das Tyrrhenische
Meer das ihrige nennen.

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^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden
Inseln, die der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die
Abtretung Sardiniens nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es
ist aber auch schlecht beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der
Insel drei Jahre nach dem Frieden damit motivierten. Haetten sie es
getan, so wuerden sie bloss der politischen Schamlosigkeit eine
diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben.

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Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das
roemische Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach
aus blossen Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig
entstanden, aber darum nicht minder fuer die ganze Folgezeit von der
tiefsten Bedeutung geworden ist; den Gegensatz der festlaendischen und
der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um die spaeter gelaeufigen
Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und der Provinzen.
Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die
Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern
ihr Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische
Regiment; wobei es sich natuerlich von selbst versteht, dass sie
faktisch sich in das Amtsgebiet teilten, und ebenso sich von selbst
versteht, dass sie in jedem einzelnen Bezirk ihres Sprengels durch die
dafuer bestehenden Bestimmungen gebunden waren, also zum Beispiel die
Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu
ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen Gemeinden die
bestehenden Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch
Italien verteilten vier Quaestoren beschraenkten die konsularische
Amtsgewalt formell wenigstens nicht, indem sie in Italien ebenso wie in
Rom lediglich als von den Konsuln abhaengige Hilfsbeamte betrachtet
wurden. Man scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich auch auf die
Karthago abgenommenen Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien
einige Jahre durch Quaestoren unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu
haben; allein sehr bald wusste man sich praktisch von der
Unentbehrlichkeit eigener Oberbehoerden fuer die ueberseeischen
Landschaften ueberzeugen. Wie man die Konzentrierung der roemischen
Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der Erweiterung der
Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke
stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste
jetzt (527 227) auch die administrativ-militaerische Konzentration in
der Person der Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen
ueberseeischen Gebiete, sowohl fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst
Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul eingesetzt, welcher an Rang
und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor gleichstand, uebrigens aber,
gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung der Praetur, in
seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und Oberrichter war.
Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den
Konsuln, so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder
mehrere Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet
und in der Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch
die Kassenverwaltung zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres
Amtes dem Senat Rechnung zu legen hatten.

Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die
ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die
Grundsaetze, nach denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien
organisiert hatte, wurden grossenteils auch auf die ausseritalischen
Besitzungen uebertragen. Dass die Gemeinden ohne Ausnahme die
Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren, versteht sich von
selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein
Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes
Eigentum erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen.
Dagegen gestattete die roemische Regierung wenigstens den sizilischen
Staedten, die man nicht zu fuerchten hatte, eine gewisse foederative
Organisation und wohl selbst allgemeine sikeliotische Landtage mit
einem unschaedlichen Petitions- und Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen
war es zwar nicht wohl moeglich, das roemische Courant sofort auch auf
den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber gesetzlichen Kurs
scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und ebenso,
wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht,
in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen
blieb nicht bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der
Satz, dass das ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu
Privateigentum verfallen sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -,
sondern es behielten auch die saemtlichen sizilischen und sardinischen
Gemeinden die Selbstverwaltung und eine gewisse Autonomie, die freilich
nicht in rechtsverbindlicher Weise ihnen zugesichert, sondern
provisorisch zugelassen ward. Wenn die demokratischen
Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in jeder Stadt die Macht in
die Haende des die staedtische Aristokratie repraesentierenden
Gemeinderates gelegt ward; wenn ferner wenigstens die sizilischen
Gemeinden angewiesen wurden, jedes fuenfte Jahr dem roemischen Zensus
korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu veranstalten, so war beides
nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den roemischen Senat,
welcher mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der finanziellen
und militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in der
Tat nicht regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war
in dieser wie in jener Hinsicht das gleiche geschehen.

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^2 Dahin fuehren teils das Auftretender “Siculer” gegen Marcellus (Liv.
26, 26 f.), teils die “Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden”
(Cic. Verr. 2, 42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte
Analogien (Marquardt, Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden
commercium zwischen den einzelnen Staedten folgt der Mangel des
concilium noch keineswegs.

^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den
Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf
roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch
sind unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer-
oder hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am
besten gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die
Mamertiner, die Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner,
wesentlich auch die Panormitaner haben nur Kupfer geschlagen.

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Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen
den italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein
folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen
Staedten abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu
dem Heer oder der Flotte der Roemer auferlegten, wurden den
ueberseeischen Gemeinden, mit denen eine bindende Paktierung ueberhaupt
nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug nicht auferlegt, sondern sie
verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach Aufgebot des roemischen
Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet werden
konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen
in der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der
Zehnte der sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des
Wertes aller in den sizilischen Haefen aus- und eingehenden
Handelsartikel nach Rom entrichtet. Den Insulanern waren diese Abgaben
nichts Neues. Die Abgaben, welche die karthagische Republik und der
persische Grosskoenig sich zahlen liessen, waren jenem Zehnten
wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland war eine solche
Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der Tyrannis und
oft auch mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten
laengst in dieser Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach
Karthago entrichtet und laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer
eigene Rechnung erhoben. “Wir haben”, sagt Cicero, “die sizilischen
Gemeinden also in unsere Klientel und in unseren Schutz aufgenommen,
dass sie bei dem Rechte blieben, nach welchem sie bisher gelebt hatten,
und unter denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde gehorchten,
wie sie bisher ihren eigenen Herren gehorcht hatten.” Es ist billig,
dies nicht zu vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht
tun. Nicht fuer die Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl
fuer ihre neuen Herren war das Aufgeben des ebenso weisen wie
grossherzigen Grundsatzes der roemischen Staatsordnung, von den
Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt derselben Geldentschaedigung
anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen die alle Milderungen
in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle Ausnahmen im
einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach
gemacht. Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner
ein und stellte wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent
zu der roemischen Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht
der Eintritt in die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen
Beguenstigungen Freiheit von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass
ihre Stellung in finanzieller Hinsicht selbst noch guenstiger war als
die der italischen Gemeinden. Es waren dies Egesta und Halikyae, welche
zuerst unter den Staedten des karthagischen Sizilien zum roemischen
Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen Binnenland, das
bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu
ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien
griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor
allem Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und
jetzt bestimmt, die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer
Politik, die abhaengigen Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen
verschiedenen Rechts zu gliedern, wandten die Roemer also auch auf
Sizilien an; aber durchschnittlich standen die sizilischen und
sardinischen Gemeinden nicht im bundesgenoessischen, sondern in dem
offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit.

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^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt,
dass die Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als
roemischer oder latinischer bedienten und “Auslaender” nur hoechstens
unter den Leichtbewaffneten verwendeten.

^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die
merkwuerdige Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise
gestattet blieb, sich in ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als
roemische Aufpasser der freiesten Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa
auch unter den ersten zu Rom uebergetretenen Staedten gewesen zu sein
(Diod. 1, 23 p. 501).

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Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und
den steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit
dem Gegensatz zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich
notwendiger Weise zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der
italischen Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit
den italischen Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst
der Neugruendung von Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und
Sardinien rechtlich so wenig etwas im Wege wie in dem Lande jenseits
des Apennin. Es konnten auch festlaendische Gemeinden des Waffenrechts
entbehren und tributaer sein, wie dies fuer einzelne keltische
Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in ziemlich
ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen
die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie
die steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem
hellenisch zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische
Ansiedelungen roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der
roemischen Regierung ohne Zweifel schon jetzt fest, das barbarische
Land zwischen Apennin und Alpen nicht bloss sich zu unterwerfen,
sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort neue Gemeinden
italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren. Also
wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland,
sondern sie waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben;
dagegen der neu abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder,
was dasselbe ist, das festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues
und weiteres Italien werden, das von den Alpen bis zum Ionischen Meere
reichte. Vorerst freilich fiel dies Italien als wesentlich
geographischer Begriff mit dem politischen der italischen
Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, teils
enger. Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur
Alpengrenze als Italia, das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges
Gebiet der Togatraeger und steckte, aehnlich wie es in Nordamerika
geschah und geschieht, die Grenze vorlaeufig geographisch ab, um sie
mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung allmaehlich auch politisch
vorzuschieben ^6.

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^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder
dem konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder
den Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten
Jahrhundert in mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass
gewisse Priester Rom nicht verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward
dahin ausgelegt, dass es ihnen nicht gestattet sei, das Meer zu
ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58; 71; Cic. Phil.
11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert
hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul
nur “auf roemischem Boden” den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544
vorgetragen wird: der roemische Boden begreife ganz Italien in sich
(Liv. 27, 5). Die Einrichtung des keltischen Landes zwischen den Alpen
und dem Apennin zu einem eigenen, vom konsularischen verschiedenen und
einem besonderen staendigen Oberbeamten unterworfenen Sprengel gehoert
erst Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand geltend machen, dass
schon im sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder Ariminum als
“Amtsbezirk” (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt wird.
Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter
allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen
Oberbeamten unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen
Konsul zunaechst durch Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter
Mitwirkung des Senats festgestellte Kompetenz; und in diesem Sinn sind
haeufig einzelne norditalische Landschaften oder auch Norditalien
ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen worden.

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Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst
vorbereitete Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit
Karthago gegruendet worden war (510 244), war Roms Suprematie von
vornherein entschieden. In der Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen
muessen; in der oestlichen sorgte schon die hellenische Zwietracht
dafuer, dass alle Staaten auf der griechischen Halbinsel ohnmaechtig
blieben oder wurden. Der bedeutendste derselben, der makedonische, war
unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen Adriatischen Meer durch die
Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer verdraengt worden und
kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu schuetzen. Wie
sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen natuerlichen
Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie
sich anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik,
beweist das merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges
mit Karthago dem Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem
Kriege zu unterstuetzen, den er wegen Berenikes Ermordung gegen
Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg. 507-529 247-225) fuehrte und
bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den letztern Partei genommen
hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den hellenistischen
Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und
verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten
Ilier.

Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen
Maechte bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft,
die im Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des
Aratos, die aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene
Makedonierreich hielten selber einer den andern nieder; und
ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals eher in Rom, als dass
man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, dass sie
allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der
Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die
Aetoler, versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein
da die Aetoler darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst
unverschaemte Antwort erteilten, ging das antiquarische Interesse der
roemischen Herren doch keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg
anzufangen, durch den sie die Makedonier von ihrem Erbfeind befreit
haben wuerden (um 515 239).

Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge
begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen
Kueste bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden
hatte, liessen sich die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer
gruendlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlechten
Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig gefallen. Allein
endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung Makedoniens, das keine
Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der Beschirmung des
hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten seiner
Feinde fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen
Voelkerschaften, etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und
Nordalbanesen, zu gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil
vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker,
der bekannten “liburnischen” Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg
gegen jedermann zur See und an den Kuesten. Die griechischen
Ansiedlungen in diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa (Lissa) und
Pharos (Lesina), die wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo) und
Apollonia (noerdlich von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem
zu leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber
noch weiter suedlich, in Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros,
setzten die Korsaren sich fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten
die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Raeubern in eine
unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und Messene hin waren die
Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer, was
sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener
Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren griechischen
Bundesgenossen geschlagen; die Korsarenflotte vermochte endlich sogar
die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen. Die Klagen
der italischen Schiffer, die Hilfsgesuche der altverbuendeten
Apolloniaten, die flehenden Bitten der belagerten Issaer noetigten
endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte nach Skodra zu
schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von dem
Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur
Antwort, dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes
Gewerbe sei und die Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei
zu wehren; worauf Lucius Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich
angelegen sein lassen werde, den Illyriern ein besseres Landrecht
beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht sehr diplomatischen Replik
wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des Koenigs, einer der
Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der Moerder
verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr
525 (229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit
einer Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote,
waehrend diese die Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres
Gemahls Agron Tode die Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes
fuehrte, musste, in ihrem letzten Zufluchtsort belagert, die
Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren von Skodra wurden
wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches engbegrenztes
Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen Staedte,
sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die
Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen;
suedlich von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten
kuenftig illyrische Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte
nicht ueber zwei zusammen fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem
Adriatischen Meer war in der loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur
vollen Anerkennung gebracht durch die rasche und energische
Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter und setzte
sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden
tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten
wurde Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische
getreten war, als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse
eingesetzt; die griechischen Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und
die Gemeinden der Atintanen und Parthiner wurden in milden Formen der
Symmachie an Rom geknuepft. Diese Erwerbungen an der Ostkueste des
Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt genug, um einen eigenen
Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und vielleicht auch nach
anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten Ranges gesandt
und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten, welche
Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten
gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im
Adriatischen Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es
auch anders kommen sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen
Adriatischen Meere, welche ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer
nicht gewaehrten; die neuen Bundesgenossen, namentlich die griechischen
Handelsstaedte, sahen in den Roemern ihre Retter und taten ohne
Zweifel, was sie konnten, sich des maechtigen Schutzes dauernd zu
versichern; im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss niemand
imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen
Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die
Scham, als statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen
Eidgenossenschaft, der streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt
zweihundert Segel der Barbaren in ihre Haefen einliefen und mit einem
Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen zukam und an der diese so
klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich schaemte, dass die
Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen muessen,
so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die
Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen
Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen.

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^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb.
22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher
von Issa bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des
Praefectus pro legato insularem Baliarum (Orelli 732) und des
Statthalters von Pandataria (IRN 3528). Es scheint danach ueberhaupt in
der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein, fuer die entfernteren
Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese
“Stellvertreter” aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus,
der sie ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur
die Konsuln gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen
Makedonien und Gallia Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen
dieser beiden Statthalter; wie denn das hier in Rede stehende Gebiet,
der Kern des spaeteren roemischen Illyricum, bekanntlich zum Teil zu
Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte.

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Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu
protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand
traf man nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die
Schluessel zum Hause des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen
Gegner geschaffen, von dem, wenn er wieder zu Kraeften oder eine
guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich erwarten liess, dass er sein
Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der kraeftige und besonnene
Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl er schon den
hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre spaeter
der Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog,
im Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und
die von den Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich
unterwarf, machte Antigonos Buendnis mit ihm, und Demetrios’ Truppen
fochten mit in Antigonos’ Heer in der Schlacht bei Sellasia (532 222).
Allein Antigonos starb (Winter 533/34 221/20); sein Nachfolger
Philippos, noch ein Knabe, liess es geschehen, dass der Konsul Lucius
Aemilius Paullus den Verbuendeten Makedoniens angriff, seine Hauptstadt
zerstoerte und ihn landfluechtig aus seinem Reiche trieb (535 219).

Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war
tiefer Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit
Falerii (513 241) ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen
Norden dehnte zwischen dem Gebiet der Eidgenossenschaft und der
Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch eine weite Strecke sich aus,
die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze Italiens galt an der
adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb Ancona.
Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich
gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise
wie das eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die
Senonen, die hier ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72
(283/82) ausgerottet und die einzelnen Ortschaften entweder als
Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder als Bundesstaedte, sei es
latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen, wie Ravenna, mit
Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna bis zu
der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po
behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis
Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von
Parma) die Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier
stehende keltische Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert,
begannen die Ligurer, die mit einzelnen keltischen Staemmen gemischt
auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und Pisa an sitzend, das
Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts vom Po hatten
die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl illyrischer
Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im Besitz;
zwischen ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um
Brescia und Cremona), die selten mit der keltischen Nation hielten und
wohl stark mit Venetern gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand),
dieser der bedeutendste der italischen Keltengaue und in stetiger
Verbindung nicht bloss mit den kleineren, in den Alpentaelern
zerstreuten Gemeinden teils keltischer, teils anderer Abkunft, sondern
auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die Pforten der Alpen, der
maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare Strom, die groesste
und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas, waren nach
wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl
gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach
abhaengig und immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei
verharrten und duenngesaet in den weiten Flaechen ihre Herden- und
Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte erwarten, dass die Roemer
eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu bemaechtigen; um so mehr als die
Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen in den Feldzuegen von
471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu regen, ja was
noch bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue begannen,
diesseits der Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im Jahre
516 (238) die Boier den Krieg erneuert und deren Herren Atis und
Galatas, freilich ohne Auftrag der Landesgemeinde, die Transalpiner
aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen; zahlreich
waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236) lagerte ein
Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen hatte. Die
Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht zu
versuchen, schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu gewinnen,
Boten der Kelten nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von
Ariminum zu fordern wagten - es schien, als seien die Zeiten des
Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter Zwischenfall machte dem
Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die Boier,
unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr
eigenes Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern;
es kam zwischen den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und
nachdem die boischen Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen
waren, kehrten die Transalpiner heim. Damit waren die Boier den Roemern
in die Haende gegeben, und es hing nur von diesen ab, sie gleich den
Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po vorzudringen; allein
es ward vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger Landstriche der
Friede gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil man eben
den Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem
dieser durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es
die richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die
Alpen so rasch und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen.
Die bestaendigen Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen
Invasion sind darum hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer
beeilten sich eben nicht. So begannen denn die Kelten ihrerseits den
Krieg, sei es, dass die roemischen Ackerverteilungen an der Ostkueste
(522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie gerichtet, sie besorgt
gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit eines Krieges
mit Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was vielleicht
das Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder
einmal des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten
beliebte. Mit Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten
und sich fuer die Roemer erklaerten, traten dazu saemtliche italische
Kelten zusammen, und ihnen schlossen sich unter den Fuehrern
Concolitanus und Aneroestus zahlreich die Kelten des oberen Rhonetals
oder vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu Fuss und 20000 zu
Ross oder zu Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer der
Kelten auf den Apennin zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom
sich des Angriffs nicht versehen und nicht erwartet, dass die Kelten
mit Vernachlaessigung der roemischen Festungen an der Ostkueste und des
Schutzes der eigenen Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt
vorzugehen wagen wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher
Keltenschwarm in ganz gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die
Gefahr war ernst und schien noch ernster, als sie war. Der Glaube, dass
Roms Untergang diesmal unvermeidlich und der roemische Boden vom
Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst in Rom unter
der Menge so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es nicht
unter ihrer Wuerde hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch
einen noch krasseren zu bannen und zur Erfuellung des Schicksalspruchs
einen gallischen Mann und eine gallische Frau auf dem roemischen Markt
lebendig begraben zu lassen. Daneben traf man ernstlichere Anstalten.
Von den beiden konsularischen Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu
Fuss und 1100 Reiter zaehlte, stand das eine unter Gaius Atilius
Regulus in Sardinien, das zweite unter Lucius Aemilius Papus bei
Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so schnell wie moeglich nach dem
zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon hatten gegen die mit Rom
verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine Besatzung in der
Heimat zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der Umbrer
angewiesen, von den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier
einzuruecken und dem Feinde auf seinen eigenen Aeckern jeden
erdenklichen Schaden zuzufuegen. Die Landwehr der Etrusker und Sabiner
sollte den Apennin besetzen und womoeglich sperren, bis die regulaeren
Truppen eintreffen koennten. In Rom bildete sich eine Reserve von 50000
Mann; durch ganz Italien, das diesmal in Rom seinen rechten Vorkaempfer
sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft verzeichnet, Vorraete und
Kriegsmaterial zusammengebracht.

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^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als “die Kelten in den Alpen und
an der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte)
nenne”, werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich
ist es, dass die gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten
genannt und erst die historische Spekulation der caesarischen und
augustischen Zeit die Redaktoren jener Fasten bewogen hat, daraus
“Germanen” zu machen. Wofern dagegen die Nennung der Germanen in den
Fasten auf gleichzeitige Aufzeichnungen zurueckgeht - in welchem Falle
dies die aelteste Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man hier doch
nicht an die spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen,
sondern an einen keltischen Schwarm.

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Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln
lassen, und wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten
fanden den Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die
reichen Ebenen des tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen.
Schon standen sie bei Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer
von Ariminum unter dem Konsul Papus ihnen in der Flanke erschien,
waehrend die etruskische Landwehr, die sich nach der Ueberschreitung
des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen hatte, dem Marsch
der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere sich
gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische
Fussvolk ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab
auf der Strasse gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die
Nacht hindurch die Vorposten und folgte am andern Morgen der
Hauptmacht. Als die tuskische Landwehr, die dicht am Feinde lagerte,
seines Abzugs inneward, meinte sie, dass der Schwarm anfange sich zu
verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben darauf hatten die
Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk empfing auf
dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet und
aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach
heftigem Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf
einem Huegel Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht
rechtzeitig das konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die
Gallier, sich nach der Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter
Plan, die Vereinigung der beiden roemischen Heere zu hindern und das
schwaechere einzeln zu vernichten, war nur halb gelungen; fuer jetzt
schien es ihnen geraten, zunaechst die betraechtliche Beute in
Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen zogen sie sich aus
der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste und
marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg
verlegt fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae
gelandet waren und, da sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren,
sich sofort auf demselben Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in
der entgegengesetzten Richtung in Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon
(an der Muendung des Ombrone) trafen sie auf den Feind. Waehrend das
roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der grossen Strasse
vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus selber
gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und
so bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von
ihrem Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht,
in dem mit vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht
umsonst hatte er sein Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus
gewahrte das Gefecht und ahnte den Zusammenhang; schleunig ordnete er
seine Scharen und von beiden Seiten drangen nun roemische Legionen auf
das Keltenheer ein. Mutig stellte dieses sich zum Doppelkampf, die
Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen des Papus, die alpinischen
Taurisker und die Boier gegen das sardinische Fussvolk; das
Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang. Die
Kraefte waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die
verzweifelte Lage der Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr.
Aber die Transalpiner, nur des Nahkampfes gewohnt, wichen vor den
Geschossen der roemischen Plaenkler; im Handgemenge setzte die bessere
Staehlung der roemischen Waffen die Gallier in Nachteil; endlich
entschied der Flankenangriff der siegreichen roemischen Reiterei den
Tag. Die keltischen Berittenen entrannen; fuer das Fussvolk, das
zwischen dem Meere und den drei roemischen Heeren eingekeilt war, gab
es keine Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig Concolitanus wurden
gefangen; 40000 andere lagen tot auf dem Schlachtfeld; Aneroestus und
sein Gefolge hatten sich nach keltischer Sitte selber den Tod gegeben.

Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die
Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der
Kelten diesseits der Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand
ergaben im folgenden Jahr (530 224) sich die Boier nebst den Lingonen,
das Jahr darauf (531 223) die Anaren; damit war das Flachland bis zum
Padus in roemischen Haenden. Ernstlichere Kaempfe kostete die Eroberung
des noerdlichen Ufers. Gaius Flaminius ueberschritt in dem
neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei Piacenza) den Fluss (531
223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der Festsetzung am
anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den Fluss im
Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um
freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise
zugestanden. Kaum war er indes entronnen, als er vom Gebiet der
Cenomanen aus und mit diesen vereinigt von Norden her in den Gau der
Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu spaet begriffen diese, um was es
sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel ihrer Goettin die goldenen
Feldzeichen, “die unbeweglichen” genannt, und mit ihrem ganzen
Aufgebot, 50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die
Lage dieser war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss
(vielleicht dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche
Gebiet und fuer den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie
angewiesen auf die unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab
keine Wahl. Man zog die in den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf
das linke Ufer des Flusses; auf dem rechten, den Insubrern gegenueber,
stellte man die Legionen auf und brach die Bruecken ab, um von den
unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken angefallen zu
werden.

Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur
Heimat durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der
roemischen Waffen und der roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das
Heer schlug sich durch; wieder einmal hatte die roemische Taktik die
strategischen Fehler gutgemacht. Der Sieg gehoerte den Soldaten und
Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen den gerechten Beschluss des
Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern haetten die Insubrer
Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so weit
war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen
Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern
derselben und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im
folgenden Jahr (532 222) abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das
ihrige einrueckenden konsularischen Heere. Es gab noch manches harte
Gefecht; bei einer Diversion, welche die Insubrer gegen die roemische
Festung Clastidium (Casteggio, unterhalb Pavia) am rechten Poufer
versuchten, fiel der gallische Koenig Virdumarus von der Hand des
Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer halb von den Kelten schon
gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht
erstuermte der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der Insubrer,
Mediolanum, und die Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der
Gegenwehr ein Ende. Damit waren die italischen Kelten vollstaendig
besiegt, und wie eben vorher die Roemer den Hellenen im Piratenkrieg
den Unterschied zwischen roemischer und griechischer Seebeherrschung
gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom Italiens
Pforten anders gegen den Landraub zu wahren wusste als Makedonien die
Tore Griechenlands und dass trotz allen inneren Haders Italien dem
Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie Griechenland zerrissen
dastand.

Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po
entweder den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und
venetische Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es
bedurfte indes der Zeit, um die Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen
und die Landschaft zu romanisieren. Man verfuhr dabei nicht in
derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten Italiens und in den
entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po duldete man im
ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten Kriege, die
namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238), scheinen
mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und
Taeler den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch
hier kaum mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221)
scheint nicht viel mehr bezweckt zu haben, als die letzten
Schlupfwinkel der adriatischen Piraten zu vernichten und laengs der
Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den Erwerbungen an dem
anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen die
Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung
rettungslos verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen
Nation nahm keiner der noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der
italischen Stammgenossen an, und die Roemer sahen in denselben nicht
bloss ihre Nationalfeinde, sondern auch die Usurpatoren ihres
natuerlichen Erbes. Die ausgedehnte Ackerverteilung von 522 (332) hatte
schon das gesamte Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit roemischen
Kolonisten gefuellt, die ohne kommunale Organisation in Marktflecken
und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter,
und es war nicht schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur
nebenher obliegende und ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung,
wie die keltische war, zu verdraengen und auszurotten. Die grosse
Nordchaussee, die wahrscheinlich schon achtzig Jahre frueher ueber
Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an die neubegruendete
Festung Spoletium (514 240) verlaengert worden war, wurde jetzt (534
220) unter dem Namen der Flaminischen Strasse ueber den neu angelegten
Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlopass an die
Kueste und an dieser entlang von Fanum (Fano) bis nach Ariminum
gefuehrt; es war die erste Kunststrasse, die den Apennin ueberschritt
und die beiden italischen Meere verband. Man war eifrig beschaeftigt,
das neugewonnene fruchtbare Gebiet mit roemischen Ortschaften zu
bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs ueber den Po auf dem
rechten Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza) gegruendet, nicht
weit davon am linken Cremona angelegt, ferner auf dem den Boiern
abgenommenen Gebiet der Mauerbau von Mutina (Modena) weit
vorgeschritten; schon bereitete man weitere Landanweisungen und die
Fortfuehrung der Chaussee vor, als ein ploetzliches Ereignis die Roemer
in der Ausbeutung ihrer Erfolge unterbrach.




KAPITEL IV.
Hamilkar und Hannibal


Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um
einen teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien
jetzt in den Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische
Staatskasse, war der geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass
man nicht bloss die Hoffnung hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung
so nahe geschienen, die saemtlichen Seestrassen aus dem oestlichen in
das westliche Mittelmeer zu monopolisieren, sondern dass das ganze
handelspolitische System gesprengt, das bisher ausschliesslich
beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens Verlust
fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem
phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen
sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen
vermocht. Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit
den Massalioten, den Etruskern, den sizilischen Griechen teilen
muessen, was man frueher allein besessen; auch das, was man jetzt noch
hatte, Afrika, Spanien, die Pforten des Atlantischen Meeres, reichte
aus, um maechtig und wohlgemut zu leben. Aber freilich, wer buergte
dafuer, dass wenigstens dies blieb?

Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er
forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und
wenn Rom den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg
unternommen hatte, jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago,
wenn nicht die Verkehrtheit des Feindes oder ein besonderer Gluecksfall
dazwischen trat, unzweifelhaft verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden;
aber es hatte an einem Haar gehangen, dass dem Frieden die Ratifikation
verweigert ward, und man wusste, wie die oeffentliche Meinung in Rom
diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein, dass Rom an die
Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm
genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer,
dass die Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen
fanden, den afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber
doch zu vertilgen?

Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen
Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung
fuer die unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene
Niederlage zu raechen, nicht einmal zunaechst, um das Verlorene
zurueckzugewinnen, sondern um sich eine nicht von dem Gutfinden des
Landesfeindes abhaengige Existenz zu erfechten. Allein wenn einem
schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach unbestimmter
Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren, entschlosseneren,
hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich sogleich
fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die
politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken
moechten, ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse
der Geldesknechte, der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur
Zeit zu gewinnen, nur in Frieden zu leben und zu sterben, nur den
letzten Kampf um jeden Preis hinauszuschieben bedacht sind. So gab es
auch in Karthago eine Friedens- und eine Kriegspartei, die beide wie
natuerlich sich anschlossen an den schon zwischen den Konservativen und
den Reformisten bestehenden politischen Gegensatz: jene fand ihre
Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten und der
Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal,
und in den Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge
unter Hamilkars Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren,
doch den Patrioten einen Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der
ungeheuren Gefahr zu versprechen schien. Schon lange mochte zwischen
diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der libysche Krieg zwischen
sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt worden. Nachdem
die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle
Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung
angezettelt hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen
Regierungssystems diese Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und
endlich durch ihre und namentlich ihres Fuehrers, des Heerverderbers
Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an den Rand des Abgrundes
gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte, Hamilkar Barkas, in
der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von den Folgen
ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und
dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man
ihm den Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben
heimschickte, vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche
Bitte der Regierung zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und
trotz der Feinde wie trotz des Kollegen durch seinen Einfluss bei den
Aufstaendischen, seine geschickte Behandlung der numidischen Scheichs,
sein unvergleichliches Organisatoren- und Feldherrngenie in unglaublich
kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen und das empoerte Afrika
zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237).

Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt
sprach sie um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die
ganze Verderbtheit und Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an
den Tag gekommen, ihre Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre
Hinneigung zu den Roemern; anderseits zeigte die Wegnahme Sardiniens
und die drohende Stellung, welche Rom dabei einnahm, deutlich auch dem
geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der roemischen
Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago
unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser
notwendig den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur
Folge haben muesse. Es mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an
der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd, die Auswanderung nach den
Inseln des Atlantischen Meeres anrieten; wer durfte sie schelten? Aber
edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die Nation sich selber zu bergen,
und grosse Naturen geniessen das Vorrecht, aus dem, worueber die Menge
der Guten verzweifelt, Begeisterung zu schoepfen. Man nahm die neuen
Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es blieb nichts uebrig, als
sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten schlagend ihn
sorgfaeltig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer
gemisshandelten Nation. Dann aber schritt man zu einer politischen
Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der Regimentspartei hatte man
sich hinreichend ueberzeugt; dass die regierenden Herren auch im
letzten Krieg weder ihren Groll vergessen noch groessere Weisheit
gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans Naive grenzende
Unverschaemtheit, dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess machten als
dem Urheber des Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der
Regierung seinen sizilischen Soldaten Geldversprechungen gemacht habe.
Wenn der Klub der Offiziere und Volksfuehrer die morschen Stuehle
dieses Missregiments haette umstossen wollen, so wuerde er in Karthago
selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen sein; allein auf
desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von Karthago
schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten. Zu allen
uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die Mittel
zur Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass weder
die Roemer noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum
gewahr wurden.

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^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet,
sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen
Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in
unsern zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind
Fabius bei Polyb. 3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen
die Verhaeltnisse der Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen
Klatsch, mit dem die “revolutionaere Verbindung” (εταιρεία τών
πονηροτάτων ανθρώπων) von ihren Gegnern beschmutzt ward, kann man bei
Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen suchen, vielleicht auch
finden.

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So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im
vollen Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss
beantragt und durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende
des libyschen Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen,
Hanno und Hamilkar, den ersteren abzurufen und den letzteren zum
Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf unbestimmte Zeit in der Art zu
ernennen, dass er eine von den Regierungskollegien unabhaengige
Stellung - eine verfassungswidrige monarchische Gewalt nannten es die
Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er nur von der
Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden durfte
^2. Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der
Hauptstadt aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als
Gerusiasten oder Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei
Vertraegen neben dem Feldherrn genannt werden; natuerlich blieb der
Volksversammlung daheim das Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation
sein oder nicht, es bezeichnet deutlich, wie die Kriegspartei das Heer
als ihre Domaene ansah und behandelte.

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^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die
Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom
protestiert bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der
Barkas zu Karthago hat manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen
die Generalstaaten.

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Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich.
Die Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor
kurzem erst war im Binnenland die “Stadt der hundert Tore” Theveste
(Tebessa) von den Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser
Grenzfehden, die dem neuen Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich
nicht von solcher Bedeutung, dass nicht die karthagische Regierung, die
man ja in ihrem naechsten Kreise gewaehren liess, zu den darueber von
der Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette stillschweigen
koennen, waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht nicht
einmal erkannten.

So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und
im libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder
keinen zum Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm
ist vielleicht niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das
Schicksal gefuehrt worden. Das Heer sollte den Staat retten; aber was
fuer ein Heer? Die karthagische Buergerwehr hatte unter Hamilkars
Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht schlecht geschlagen; allein er
wusste wohl, dass es ein anderes ist, die Kaufleute und Fabrikanten
einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt, einmal zum Kampf
hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu bilden. Die
karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, aber
in ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse
vertreten - Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige
libyphoenikische Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus
den libyschen Zwangsrekruten und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie
Hamilkar moeglich war, allein auch ihm nur, wenn er seinen Leuten
puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen vermochte. Aber dass die
karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu viel noetigeren
Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden Heere,
hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich selber
ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte
Pellegrino im kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war
nicht bloss Militaer-, er war auch Parteichef; gegen die
unversoehnliche und der Gelegenheit, ihn zu stuerzen, begierig und
geduldig harrende Regierungspartei musste er auf die Buergerschaft sich
stuetzen, und mochten deren Fuehrer noch so rein und edel sein, die
Masse war tief verdorben und durch das unselige Korruptionssystem
gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug
wohl die Not oder die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall
selbst in den feilsten Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar
fuer seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren
durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der karthagischen Gemeinde
dauernd sich sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimat durch
regelmaessige Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter
Laune zu erhalten. So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die
Erlaubnis, sie zu retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem
Uebermut der Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten
durch Demut und Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist
abzudingen; genoetigt, den verachteten Vaterlandsverraetern, die sich
die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen Plaenen seine Verachtung zu
bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden
zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von innen, auf die
Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich beide
taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und
Soldaten zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das
Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu
ueberwinden kaum moeglich schien. Er war noch ein junger Mann, wenig
hinaus ueber die Dreissig; aber er schien zu ahnen, als er sich
anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht vergoennt sein werde, das
Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfuellung anders als
von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal hiess er, da
er Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen
Namen ewigen Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne
Hasdrubal und Mago, die “Loewenbrut”, wie er sie nannte, im Feldlager
auf als die Erben seiner Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses.

Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung
des Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er
schien einen Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen;
sein Heer, das besonders an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin,
neben ihm segelte die Flotte, gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen
Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er sei bei den Saeulen des Herkules
ueber das Meer gegangen und in Spanien gelandet, wo er Krieg fuehre mit
den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts zuleide getan und ohne
Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen Behoerden. Sie
konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen
Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal
aufstanden, trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu
Paaren, dass auf lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher
unabhaengige Staemme sich bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in
Spanien getan, koennen wir im einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten
Cato, der ein Menschenalter nach Hamilkars Tode in Spanien die noch
frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen sie trotz allem Poenerhass
den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben Hamilkar Barkas genannt
zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im allgemeinen
noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den neun
letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist,
bis er im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend
den Tod fand, wie Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen
begannen, und was alsdann waehrend der naechsten acht Jahre (527-534
227-220) der Erbe seines Amtes und seiner Plaene, sein Tochtermann
Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des Meisters weiter
geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepôts fuer den Handel, die nebst
dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der spanischen Kueste
allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte, ward ein
karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst
begruendet und durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt.
Die schoensten Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden
phoenikisches Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an
dem einzigen guten Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena)
von Hasdrubal angelegt, mit des Gruenders praechtiger “Koenigsburg”;
der Ackerbau bluehte auf und mehr noch die Grubenwirtschaft in den
gluecklich aufgefundenen Silberminen von Cartagena, die ein Jahrhundert
spaeter ueber 2½ Mill. Taler (36 Mill. Sesterzen) jaehrlich eintrugen.
Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden abhaengig von Karthago und
zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die Haeuptlinge auf alle
Weise, selbst durch Zwischenheiraten in das karthagische Interesse zu
ziehen. So erhielt Karthago hier fuer seinen Handel und seine Fabriken
eine reiche Absatzquelle, und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht
bloss das Heer, sondern es blieb noch uebrig, nach Hause zu senden und
fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die Provinz bildete und schulte
zugleich die Armee. In dem Karthago unterworfenen Gebiet fanden
regelmaessige Aushebungen statt; die Kriegsgefangenen wurden
untergesteckt in die karthagischen Korps; von den abhaengigen Gemeinden
kam Zuzug und kamen Soeldner, soviel man begehrte. In dem langen
Kriegsleben fand der Soldat im Lager eine zweite Heimat und als Ersatz
fuer den Patriotismus den Fahnensinn und die begeisterte
Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die ewigen Kaempfe mit den
tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen numidischen
Reiterei ein brauchbares Fussvolk.

Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft
regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer
sie noch etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in
Sizilien und Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das
spanische Heer mit seinen glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen
bald so populaer, dass es sogar moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum
Beispiel nach Hamilkars Fall, bedeutende Nachsendungen afrikanischer
Truppen nach Spanien durchzusetzen, und die Regierungspartei wohl oder
uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen musste, unter sich und
gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere und den Poebel
zu schelten.

Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten
ernstlich eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste
Ursache der Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre
Unbekanntschaft mit den Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche
sicher auch die Hauptursache gewesen ist, weshalb Hamilkar zur
Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht, wie es sonst wohl auch
moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die Erklaerungen,
mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um Erkundigungen
an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien
entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die
roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im
Senat unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von
Hamilkars Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den
Handel der verlorenen Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt
einen Angriffskrieg der Karthager, und namentlich eine Invasion
Italiens von Spanien aus, wie das sowohl ausdrueckliche Angaben als die
ganze Lage der Sache bezeugen, fuer schlechterdings unmoeglich. Dass
unter der Friedenspartei in Karthago manche weiter sahen, versteht
sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr geneigt sein,
ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen
Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde
aufzuklaeren und damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu
beschleunigen; und wenn es dennoch geschah, so mochte man in Rom solche
Parteidenunziationen mit Fug sehr vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich
allerdings musste die unbegreiflich rasche und gewaltige Ausbreitung
der karthagischen Macht in Spanien die Aufmerksamkeit und die
Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr denn auch in den letzten
Jahren vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat Schranken zu setzen
versuchten. Um das Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres jungen
Hellenentums eingedenk, mit den beiden griechischen oder
halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste, Zakynthos oder
Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias) Buendnis,
und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis
setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu
ueberschreiten, was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um
einen Einfall in Italien auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn,
der diesen unternahm, konnte ein Vertrag nicht fesseln -, sondern teils
um der materiellen Macht der spanischen Karthager, die gefaehrlich zu
werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um sich an den freien
Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit unter
seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall,
dass eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte.
Fuer den bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen
Unvermeidlichkeit der Senat sich nie getaeuscht hat, besorgte man von
den spanischen Ereignissen schwerlich groessere Nachteile, als dass man
genoetigt werden koenne, einige Legionen nach Spanien zu senden, und
dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser versehen sein werde,
als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest entschlossen,
wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar nicht
anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu
beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu
kamen in den ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die
Kriegserklaerung abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von
dem Freunde und Feinde urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm
gestorben seien, endlich in den letzten Jahren, wo der Senat allerdings
zu begreifen anfing, dass es nicht weise sei, mit der Erneuerung des
Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche Wunsch, zuvor mit
den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der Ausrottung
bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm,
benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs
neue nach Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen
Keltenzuege zu erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische
Friedenspartei noch auf die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten,
versteht sich; ueberdies boten, wenn man den Krieg wollte, die
spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand dazu dar.
Unbegreiflich ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber
ebensowenig laesst sich leugnen, dass der roemische Senat diese
Verhaeltnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie
seine Fuehrung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch
viel unverzeihlicher aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst
mehr ausgezeichnet durch Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als
durch eine grossartige Auffassung und rasche Ordnung der Dinge, worin
ihr vielmehr die Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithradates oft
ueberlegen gewesen sind.

So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel
zum Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer
und eine stetig sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der
rechte Augenblick, die rechte Richtung gefunden werden sollte, fehlte
der Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und Herz in verzweifelter Lage unter
einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung gebahnt hatte, war nicht
mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger
Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht
gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der
Oberleitung des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir
nicht zu entscheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von
Moerderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des
spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars aeltesten Sohn, den
Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249), also damals
im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt.
Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande
fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus,
die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen
Krieges mit durchempfunden. Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager
gefolgt; bald zeichnete er sich aus. Sein leichter und festgebauter
Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen Laeufer und Fechter und
einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu versagen, griff ihn
nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen und zu
entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die
Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er,
wie es scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten
Sosilos von Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache
selber abfassen zu koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer
seines Vaters ein, um unter dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu
tun, um ihn in der Schlacht neben sich fallen zu sehen. Nachher hatte
er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal die Reiterei befehligt und
durch glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch sein Fuehrertalent
sich ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten jugendlichen General,
die Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte nun
ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben.
Er trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben
auf seinen Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den
Roemern hiess er grausam, den Karthagern habsuechtig; freilich hasste
er, wie nur orientalische Naturen zu hassen verstehen, und ein
Feldherr, dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen sind, musste wohl
suchen zu haben. Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit seine
Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und grosse Bild nicht
zu trueben vermocht. Von schlechten Erfindungen, die sich selber
richten, und von dem abgesehen, was durch Schuld seiner
Unterfeldherren, namentlich des Hannibal Monomachos und Mago des
Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den Berichten ueber
ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und nach
dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie
alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer Besonnenheit und
Begeisterung, Vorsicht und Tatkraft miteinander zu vereinigen
verstanden hat. Eigentuemlich ist ihm die erfinderische
Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des phoenikischen Charakters
bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege, Hinterhalte und
Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter der
Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage
ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er
von den Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man
haeufig in Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes
auskundschaftend. Von seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der
Geschichte dieser Zeit und nicht minder von seiner staatsmaennischen
Begabung, die er noch nach dem Frieden mit Rom durch seine Reform der
karthagischen Verfassung und durch den beispiellosen Einfluss
bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den Kabinetten der
oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er besass,
beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und
vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn
gemeutert hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm
die Blicke aller.

Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den
Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland
noch in Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der
Tuer schien, ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen,
wohin es ihm beliebte, bevor die Roemer ihn begannen, wie es ihnen
bequem war, mit einer Landung in Afrika. Sein Heer war bald
marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in grossem Massstab
gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts weniger als
Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals, des
patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen
als der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des
Friedens hatte jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der
Kriegspartei mit politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars Plaene
beschnitten und bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint, den
unbekannten jungen Mann, der jetzt in Spanien befehligte, auf
Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu lassen; und Hannibal
scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener Widersetzlichkeit
gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er versuchte die
Saguntiner zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten sich, in
Rom Klage zu fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission
erschien, nun diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu
treiben; allein die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie
schwiegen in Spanien, um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim
zu berichten, dass Hannibal schlagfertig stehe und der Krieg vor der
Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon traf die Nachricht ein von dem
Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig mit Hasdrubal
ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die Gruendung
der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den
Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom
sich an, im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag
war kostbar; Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach
Karthago, dass die Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten,
zu nahe traeten und er sie darum angreifen muesse; und ohne die Antwort
abzuwarten, begann er im Fruehjahr 535 (219) die Belagerung der mit Rom
verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg gegen Rom. Was man in Karthago
dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen nach dem Eindruck, den
Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle “angesehenen
Maenner”, heisst es, missbilligten den “ohne Auftrag” geschehenen
Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von Auslieferung des
dreisten Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die naehere
Furcht vor dem Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass
man die Unmoeglichkeit begriff, einen solchen Schritt, einmal getan,
zurueckzutun; sei es, dass die blosse Macht der Traegheit ein
bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss sich endlich, sich zu
nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu fuehren, doch
fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische Staedte
sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen
Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend
der achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden illyrischen
Raeuberkrieg die Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der See und
geeigneter Landungsplaetze, sich die Schande des zugesagten und nicht
gewaehrten Schutzes ersparen und dem Krieg vielleicht eine andere
Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die Stadt ward endlich
erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur Verteilung sandte,
ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die davon
bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede
Versoehnung mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine
roemische Gesandtschaft in Karthago erschien und die Auslieferung des
Feldherrn und der im Lager anwesenden Gerusiasten forderte, und als der
roemische Sprecher, die versuchte Rechtfertigung unterbrechend, die
Diskussion abschnitt und, sein Gewand zusammenfassend, sprach, dass er
darin Frieden und Krieg halte und dass die Gerusia waehlen moege, da
ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass man es ankommen
lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot, nahm man
ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den
Winter 535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena,
um alles teils zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von
Spanien und Afrika; denn da er wie sein Vater und sein Schwager den
Oberbefehl in beiden Gebieten fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz
der Heimat die Anstalten zu treffen. Die gesamte Masse seiner
Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000 zu Pferd;
ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker
ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit
Ausnahme weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem
karthagischen Heere Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser
einigen phoenikischen Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst
ausgehobenen karthagischen Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue
der letzteren sich zu versichern gab der menschenkundige Feldherr ihnen
ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen Urlaub waehrend des ganzen
Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den engherzigen
phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das karthagische
Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren wuerden.
Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition
bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der
Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an
die westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000
Mann zu Fuss zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der
Elefanten, ausserdem die dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und
das Regiment uebernahm hier Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das
unmittelbar karthagische Gebiet ward verhaeltnismaessig schwach
besetzt, da die Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel genug bot; ebenso
genuegte in Spanien, wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit
veranstalten liessen, fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten,
waehrend dagegen ein verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich
afrikanischen Waffen, der Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die
Hauptsorgfalt wurde darauf gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien
und Afrika zu sichern, weshalb in Spanien die Flotte blieb und
Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse gehuetet ward. Fuer die
Treue der Truppen buergte, ausser den in dem festen Sagunt versammelten
Geiseln der spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten ausserhalb
ihrer Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr vorwiegend
nach Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische nach
Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was
den Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20
Fuenfdeckern mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste
segeln und diese verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich sich
wieder in Lilybaeon festsetzen; dieses bescheidene Mass von
Anstrengungen glaubte Hannibal seiner Regierung zumuten zu koennen. Mit
der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien einzuruecken, wie das
ohne Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag. Ein
entscheidender Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf
Karthago nur in Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem
letzteren begann, so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von
vornherein entweder auf ein sekundaeres Operationsobjekt, wie zum
Beispiel Sizilien, oder gar auf die Verteidigung beschraenken - die
Niederlagen brachten in all diesen Faellen das gleiche Verderben, nicht
aber der Sieg die gleiche Frucht.

Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die
Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug
nicht ein verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische
Expedition mit strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren
Operationsbasis, als Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und
eine Hafenfestung konnte Hannibal sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das
Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot sich in dem Gebiet der
italischen Eidgenossenschaft irgendein haltbarer Stuetzpunkt. Hatte sie
zu ganz anderen Zeiten und trotz der hellenischen Sympathien dem Stoss
des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie jetzt auf das
Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde;
zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen
Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt.
Einzig das Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer
Napoleon in seinen sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen
ist; diese, noch von dem kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf
gaerenden Voelkerschaften, den Italikern stammfremd und in ihrer
Existenz bedroht, um die eben jetzt sich die ersten Ringe der
roemischen Festungs- und Chausseenkette legten, mussten in dem
phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen
zaehlte, ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als
Verpflegungs- und Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche
Vertraege mit den Boiern und Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich
anheischig machten, dem karthagischen Heer Wegweiser entgegenzusenden,
ihnen gute Aufnahme bei ihren Stammgenossen und Zufuhr unterwegs
auszuwirken und gegen die Roemer sich zu erheben, sowie das
karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend
fuehrten endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch den
Sieg von Sellasia seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte,
stand mit Rom in gespannten Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der
das roemische Buendnis mit dem makedonischen vertauscht hatte und von
den Roemern vertrieben worden war, lebte als Fluechtling am
makedonischen Hof, und dieser hatte den Roemern die begehrte
Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die Heere vom
Guadalquivir und vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den
gemeinschaftlichen Feind, so konnte das nur am Po geschehen. So wies
alles nach Norditalien; und dass schon des Vaters Blick dahin gerichtet
gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der die Roemer zu ihrer
grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet waren.

Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den
Vorzug gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund
mit Massalia eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und
hat die Folge bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese
Frage genuegend zu entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es
ankommen wuerde und die sich nicht durch Vermutung ergaenzen lassen.
Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu waehlen. Statt den ihm unbekannten
und weniger zu berechnenden Wechselfaellen der Seefahrt und des
Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener erschienen sein,
lieber die unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der Boier
und Insubrer anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete
Heer noch die Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er
genau wissen, wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua
darbietet als die Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er
einschlug, die uralte Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme
die Alpen ueberstiegen hatten; der Verbuendete und Erretter des
Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen betreten.

So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit
dem Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann
zu Fuss und 12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein
Drittel Spanier - die mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt
sein, den Galliern zu imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals
Fussvolk war nicht mehr wie das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt,
sich hinter einen Vorhang von Elefanten zu verbergen, und der Feldherr
einsichtig genug, um dieser zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die
Niederlage des eigenen wie die des feindlichen Heeres herbeigefuehrt
hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu bedienen. Mit diesem Heere
brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena auf gegen den Ebro.
Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den Kelten
angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges
liess er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen
militaerischen Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren
Blick und die sichere Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen
ihm in die unbekannte Weite folgte; und die feurige Rede, in der er die
Lage des Vaterlandes und die Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte,
die gewisse Knechtung der teuren Heimat, das schmachvolle Ansinnen der
Auslieferung des geliebten Feldherrn und seines Stabes, entflammte den
Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen aller.

Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in
festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man
wollte, wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht
noch zur rechten Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit
den Kelten fertig sein koennen; noch waren diese furchtbar und jene
offen. Man haette mit Karthago entweder Freundschaft haben koennen,
wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich einhielt, oder, wenn man das
nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen sein; jener Friede
ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und Karthagos
Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren.
Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn
hatte man diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die
Verhaeltnisse im Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt
haben; ueberall war entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun
begann der Krieg, zu dem man Zeit und Ort den Feind hatte bestimmen
lassen; und im wohlbegruendeten Vollgefuehl militaerischer
Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten
Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer
Soldaten - nur die roemische Reiterei war minder gut und
verhaeltnismaessig minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein
Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der ausrueckenden Truppen. Der
roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die eben aus dem Adriatischen
Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte keiner der von diesem Kriege
beruehrten Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die
natuerliche und richtige Verwendung dieser erdrueckenden Uebermacht
ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg
eroeffnet werden sollte mit einer Landung in Afrika; die spaetere
Wendung der Ereignisse hatte die Roemer gezwungen, eine gleichzeitige
Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen, vornehmlich, um nicht
die spanische Armee vor den Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem
Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt zu
Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor allen Dingen ein
roemisches Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel; allein man
versaeumte das Gebot des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht
Monate lang hielt Sagunt sich umsonst - als die Stadt ueberging, hatte
Rom zur Landung in Spanien nicht einmal geruestet. Indes noch war das
Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei, dessen Voelkerschaften
nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer waren, sondern
auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern Versprechungen
schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt man zu
Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von Cartagena zu Lande;
wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen Kriegserklaerung die
Roemer wie die Phoeniker im April aufbrachen, konnte Hannibal den
roemischen Legionen an der Ebrolinie begegnen.

Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte
fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul
Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich
Zeit, und als am Po ein Aufstand ausbrach, liess er das zur
Einschiffung bereitstehende Heer dort verwenden und bildete fuer die
spanische Expedition neue Legionen. So fand Hannibal am Ebro zwar den
heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen; mit diesen ward
er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer war
als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee
in einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass
durch jene Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal
aufgeopfert wurden, konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die
Zoegerung selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere
selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im Fruehling 536 (218)
nicht geahnt haben muss, durch zeitiges Erscheinen der Roemer in
Spanien abgewendet worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht, sein
spanisches “Koenigreich” aufgebend, sich wie ein Verzweifelter nach
Italien zu werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die
Unterwerfung Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das
er zur Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den
Pyrenaeen zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches
Heer ihm den Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht
begnuegt haben wuerde, sich demselben zu entziehen; und was die
Hauptsache war, wenn die Roemer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um
einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so schloss der Winter die
Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die afrikanische
Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab.

An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen
in die Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den
Feldherrn den Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem
Gefuehl steuern sollte, dass sein Unternehmen eines von denen sei, von
welchen man nicht heimkehrt. Mit einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und
9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg ohne
Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber Narbonne
und Nîmes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils die
frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils
die Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon
gegenueber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher
Widerstand zu warten. Der Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach
Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet
worden, dass er zu spaet komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro,
sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese Nachrichten, welche
zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals aufgeklaert
zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition
vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den
keltischen Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der
Massalioten und dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an
der Rhone zu empfangen und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den
Einmarsch in Italien zu verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand
gegenueber dem Punkte, wo er ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der
keltische Landsturm, waehrend der Konsul selbst mit seinem Heer von
22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in Massalia selbst vier
Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des gallischen
Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer mit
der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und
bevor Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass
nicht einen Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den
zahlreichen Rhoneschiffern in der Umgegend alle ihre Barken zu jedem
Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch fehlte, aus gefaellten
Baeumen gezimmert; und in der Tat konnte die ganze zahlreiche Armee an
einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah, marschierte eine
starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in Gewaltmaerschen
stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb Avignon
gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier
ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den
Fluss, um dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu
fassen, die dem Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des
fuenften Tages nach der Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos
Abmarsch, stiegen die Rauchsignale der entsandten Abteilung am
gegenueberliegenden Ufer auf, fuer Hannibal das sehnlich erwartete
Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier, sehend, dass die
feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen eilten,
loderte ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht
und geteilt, vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem
Uebergang zu wehren und zerstreuten sich in eiliger Flucht.

Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die
geeignete Besetzung der Rhôneuebergaenge und liess sich nicht einmal
durch die dringenden Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch
bestimmen. Er traute ihren Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine
schwache roemische Reiterabteilung zur Rekognoszierung auf dem linken
Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits die gesamte feindliche Armee
auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die allein noch am
rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem sie in
der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu
koennen, einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht
geliefert hatte - das erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem
Krieg aufeinandertrafen -, machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um
im Hauptquartier Bericht zu erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf
mit all seinen Truppen gegen Avignon auf; allein als er dort eintraf,
war selbst die zur Deckung des Uebergangs der Elefanten
zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen
abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten
Truppen und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die “feige
Flucht” des Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal
durch reine Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige
Verteidigungslinie preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten
Fehler vom verkehrten Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne
irgendeine Aussicht auf Erfolg nun doch noch tat, was mit so sicherer
einige Tage zuvor geschehen konnte, eben dadurch das wirkliche Mittel,
den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden gegeben. Seit Hannibal
diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht mehr zu hindern,
dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die erste
Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen
war ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die
schwachen Abteilungen im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort
dem Feind einen gefaehrlichen Empfang bereiten. Allein nicht bloss
verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch nach Avignon, sondern es
fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der politische Mut, sei
es die militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps den
Umstaenden gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter
seinem Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger
Mannschaft zurueck nach Pisae.

Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt
und den aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch
den Dolmetsch hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen
ungehindert seinen Marsch nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben
er waehlte, darueber konnte weder die Kuerze des Weges noch die
Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden, wenngleich er weder mit
Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den Weg musste er
einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die
Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende
Subsistenzmittel, sei es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen
konnte - denn obwohl Hannibal Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel
auf Saumtieren sich nachzufuehren, so konnten bei einem Heere, das
immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann zaehlte, diese doch
notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem
Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn
sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde,
fuehrten in alter Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte
Alpenuebergaenge: der Pass ueber die Kottische Alpe (Mont Genèvre) in
das Gebiet der Tauriner (ueber Susa oder Fenestrelles nach Turin) und
der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach
Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere; allein von da an,
wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und
unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen
Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen
mindestens sieben- bis achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat
erst Pompeius hier angelegt, um zwischen der dies- und der jenseitigen
gallischen Provinz eine kuerzere Verbindung herzustellen.

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^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine
Heerstrasse geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber
die Poeninische Alpe oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch
erst durch Caesar und Augustus Militaerstrasse ward, kommen natuerlich
hier nicht in Betracht.

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Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein
nachdem er die erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand
ueberstiegen hat, haelt er sich in dem Tale der oberen Isère, das von
Grenoble ueber Chambéry bis hart an den Fuss des Kleinen St. Bernhard,
das heisst der Hochalpenkette sich hinzieht und unter allen
Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und bevoelkertste ist. Es ist
ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter allen natuerlichen
Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste;
obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr noch
im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen.
Dieser Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den
aeltesten Zeiten an die grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das
italische Land gewesen. Die karthagische Armee hatte also in der Tat
keine Wahl; es war ein glueckliches Zusammentreffen, aber kein
bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass die ihm verbuendeten keltischen
Staemme in Italien bis an den Kleinen St. Bernhard wohnten, waehrend
ihn der Weg ueber den Mont Genèvre zunaechst in das Gebiet der Tauriner
gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in Fehde
lagen.

So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf
gegen das Tal der oberen Isère zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf
dem naechsten Weg, an dem linken Ufer der unteren Isère hinauf, von
Valence nach Grenoble, sondern durch die “Insel” der Allobrogen, die
reiche und damals schon dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und
westlich von der Rhone, suedlich von der Isère, oestlich von den Alpen
umfasst wird. Es geschah dies wieder deshalb, weil die naechste Strasse
durch ein unwegsames und armes Bergland gefuehrt haette, waehrend die
Insel eben und aeusserst fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand
sie von dem oberen Isèretal scheidet. Der Marsch an der Rhone in und
quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in sechzehn
Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst
wusste Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei
allobrogischen Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der
bedeutendsten derselben zu verpflichten, dass derselbe den Karthagern
nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern auch ihnen
die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit Waffen, Kleidung und
Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste Alpenkette,
die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger
gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt,
waere fast der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte
den Pass stark besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen
Ueberfall zu vermeiden, und lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang
die Kelten sich in die Haeuser der naechsten Stadt zerstreuten, worauf
er in der Nacht den Pass einnahm. So war die Hoehe gewonnen; allein auf
dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem See von Bourget
hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde. Die
Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die
marschierende Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das
in Folge derselben entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als
Hannibal sich mit seinen leichten Truppen von oben herab auf die
Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Muehe und mit starkem Verlust
den Berg hinuntergejagt, allein die Verwirrung, besonders in dem Train,
ward noch erhoeht durch den Laerm des Gefechts. So nach starkem Verlust
in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt,
um die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen
Verlust an Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach
einem Rasttag in dem anmutigen Tal von Chambéry setzte die Armee an der
Isère hinauf ihren Marsch fort, ohne in dem breiten und reichen Grund
durch Mangel oder Angriffe aufgehalten zu werden. Erst als man am
vierten Tage eintrat in das Gebiet der Ceutronen (die heutige
Tarantaise), wo allmaehlich das Tal sich verengt, hatte man wiederum
mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu sein. Die Ceutronen empfingen das
Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans) mit Zweigen und Kraenzen,
stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie durch Freundesland
zog man durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar am Fuss
der Alpen angelangt waren, da wo der Weg die Isère verlaesst und durch
ein enges und schwieriges Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem
Gipfel des Bernhard emporwindet, erschien auf einmal die Landwehr der
Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils auf den rechts und links
den Pass einschliessenden Bergraendern, in der Hoffnung, den Tross und
das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal, dessen sicherer Takt in all
jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts gesehen hatte als die
Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche Beute zu
gewinnen, hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die
Reiterei voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten
Fussvolk; die Absicht der Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er
nicht verhindern konnte, dass sie, auf den Bergabhaengen den Marsch des
Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte oder herabgerollte Steine
sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem “weissen Stein” (noch
jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des Bernhard einzeln
stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden Kreidefels,
lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die ganze Nacht
hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu decken, und
erreichte unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am
folgenden Tage die Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die
sich um einen kleinen See, die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung
von etwa 2½ Miglien ausbreitet, liess er die Armee rasten. Die
Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der Soldaten zu
bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende
gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen
des unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die
hoffnungslose Lage der Versprengten und Verwundeten, das nur der
Begeisterung des Fuehrers und seiner Naechsten nicht chimaerisch
erscheinende Ziel, fingen an, auch auf die afrikanischen und spanischen
Veteranen zu wirken. Indes die Zuversicht des Feldherrn blieb sich
immer gleich; zahlreiche Versprengte fanden sich wieder ein; die
befreundeten Gallier waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem
Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet;
nach kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und
schwierigsten Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward
das Heer dabei nicht wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte
Jahreszeit - man war schon im Anfang September - vertrat bei dem
Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg die Ueberfaelle der Anwohner
bereitet hatten. Auf dem steilen und schluepfrigen Berghang laengs der
Doria, wo der frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und verdorben
hatte, verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die
Abgruende; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an
eine Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil
darueber haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen
und wo in kalten Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk
kam hinueber; aber Pferde und Elefanten vermochten die glatten
Eismassen, ueber welche nur eine duenne Decke frischgefallenen Schnees
sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem Trosse, der Reiterei und
den Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der schwierigen Stelle das
Lager. Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch angestrengtes Schanzen
den Weg fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer ferneren
dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten
endlich die halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war
nach viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach
einem weiteren dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und
fruchtbarer sich entwickelnde Tal der Doria, dessen Einwohner, die
Salasser, Klienten der Insubrer, in den Karthagern ihre Verbuendeten
und ihre Befreier begruessten, gelangte die Armee um die Mitte des
September in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen in den
Doerfern einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine
vierzehntaegige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen.
Haetten die Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten
und kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort
erzwungen, so haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan;
zum Glueck fuer ihn waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten,
und stoerten die feindlichen Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so
sehr bedurften ^4.

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^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als
geloest gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren
Wickham und Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls
Schwierigkeiten darbieten, moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen
stehen.

Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, “fingen die Spitzen
schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken” (Polyb. 3, 54); auf dem
Wege lag Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht
frisch gefallener, sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem
Bernhard beginnt der Winter um Michaelis, der Schneefall im September;
als Ende August die genannten Englaender den Berg ueberstiegen, fanden
sie fast gar keinen Schnee auf ihrem Wege, aber zu beiden Seiten die
Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint Hannibal Anfang September
auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl vereinbar ist, dass er
dort eintraf, “als schon der Winter herannahte” - denn mehr ist
ςυνάπτειν τήν τής πλειάδος δύσιν (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten der
Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C. L.
Ideler, Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241.

Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so
ist auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen
Ende Dezember (περί χειμερινάς τροπάς Polyb. 3, 72) eingetretenen
Ereignisse, namentlich die Translokation des nach Afrika bestimmten
Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es passt dazu ferner, dass in
einer Heerversammlung υπό τήν εαρινήν ώραν (Polyb. 3, 34), also gegen
Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht ward und der Marsch
fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn also
Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von
der Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhône Anfang August
eingetroffen, wo denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers
(Polyb. 3, 41), also spaetestens Anfang Juni sich einschiffte unterwegs
sich sehr verweilt oder in Massalia in seltsamer Untaetigkeit laengere
Zeit gesessen haben muss.

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Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss,
den 9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der
Gefechte, der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal
zaehlte nach seiner eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss -
davon drei Fuenftel Libyer, zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil
wohl demontierte Reiter, deren verhaeltnismaessig geringer Verlust
nicht minder fuer die Trefflichkeit der numidischen Kavallerie spricht
wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der Feldherr diese
ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder etwa 33
maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen
besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr
nur durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler
des Feindes moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer
kostete, sondern die Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie
einer laengeren Rast bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist
eine militaerische Operation von zweifelhaftem Werte, und es darf in
Frage gestellt werden, ob Hannibal sie selber als gelungen betrachtete.
Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen Tadel des Feldherrn
knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten
Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war,
sie vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes
Barbarenland -, und ob ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse
einzuschlagen oder in Cartagena oder Karthago sich einzuschiffen, ihn
geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde. Die umsichtige und
meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf jeden Fall
bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr durch
die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des
Feldherrn, Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom
aufzunehmen, war jetzt zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen
Zug entwarf; und wie Steins und Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und
grossartiger war als die von York und Bluecher, so hat auch der sichere
Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte Glied der grossen Kette von
vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die Alpen, stets mit
groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am Trasimenischen See
und auf der Ebene von Cannae.




KAPITEL V.
Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae


Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war
mit einem Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische
Kriegsplan gesprengt. Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die
eine in Spanien gelandet und dort schon mit dem Feinde handgemein; sie
zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich. Die zweite, die unter dem
Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach Afrika bestimmt war,
stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische Zauderei bewies
sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach Italien
und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm
zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den
syrakusanischen aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich
versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor
diesem Hafen den kuerzeren gezogen. Doch war das Verweilen der
feindlichen Geschwader in den italischen Gewaessern so unbequem, dass
der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika ueberfuhr, die kleinen
Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien operierende
karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und dem
Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen
Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die
brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines
geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der
Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie
moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte
noch in Lilybaeon.

Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an
Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal
verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings nicht
gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter den
Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen
Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia
und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die
Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon
im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die
Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen.
Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten,
ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor
Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig
mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu
entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem
Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen
und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine
zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer
und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer den
Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der
einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte,
Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache,
dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand.
Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine
20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu
halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren
Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul Publius
Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und
vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen
allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden
Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer
Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die
Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger
Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden
im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor
Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg
trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend
geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen
der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende
keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia,
ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen,
waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts
marschierte, um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene
zwischen dem Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische
Reiterei, die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten
Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke
ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in Person.
Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes
an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter
aufgestellt war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei
aus und waehrend diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte,
nahm die leichte numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten
Scharen des feindlichen Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die
roemischen Reiter in die Flanken und den Ruecken. Dies entschied das
Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr betraechtlich; der Konsul
selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr gefehlt hatte,
empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur der
Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde
hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater
heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke
des Feindes, begriff den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer
schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss
aufzustellen und entschloss sich, unter den Augen des Gegners auf das
rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die Operationen sich auf einen
engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der roemischen
Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes
militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit
verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick
paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht bereit
machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher
ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte
Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei
freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes
konnte, da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es
diesem nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf
einer Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten
Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene
vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer
keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue
ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu
raeumen und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was
ohne namhaften Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden
numidischen Reiter mit dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen
Lagers die Zeit verdarben. In dieser starken Stellung, den linken
Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den Po und die Festung
Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit nicht
unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von
Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche
Armee abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast
aller gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen
nicht abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und
derselbe genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen;
ferner hinderte die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung
der insubrischen Grenzen durch die Cenomanen die Hauptmasse der
gallischen Insurgenten, sich unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und
gab dem zweiten roemischen Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in
Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten durch das insurgierte
Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen und mit der
Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe
vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an
40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen,
doch an Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu
bleiben, wo es stand, um den Feind entweder zu noetigen, in der
winterlichen Jahreszeit den Flussuebergang und den Angriff auf das
roemische Lager zu versuchen oder sein Vorruecken einzustellen und den
Wankelmut der Gallier durch die laestigen Winterquartiere auf die Probe
zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war es nicht minder
unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem Verfahren
zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius
Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein
fuehrte und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte
den Mann und versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den
Roemern treugebliebenen keltischen Doerfer wurden grausam verheert und
als darueber ein Reitergefecht sich entspann, gestattete Hannibal den
Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. Bald darauf, an einem rauhen
regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet, zu der
Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten
Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese
wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die
hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen.
Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand sich auf dem
von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht geordneten
Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros der Armee
schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und durchnaesst
kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; die
Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die
leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen
das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei
sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die
Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und die weit
zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts ueberfluegelten.
Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines Namens wert; es focht zu
Anfang der Schlacht mit der entschiedensten Ueberlegenheit gegen die
feindliche Infanterie, und selbst als die Zurueckdraengung der
roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den Leichtbewaffneten
gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu kehren, stand
dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu
bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar,
1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago,
Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der
roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die
Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen Zentrums
wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt. Das erste
Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng zusammenschliessend,
die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde sich
seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den
gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe
gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse
ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten,
von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht;
nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des Fussvolks
vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die
Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls Placentia
^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre als
diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage
gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht
vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen
sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg
teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf
die keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den
infolge des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine
Menge von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf
einen einzigen.

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^1 Polybios’ Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen
klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung
in den Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert
ward, waehrend das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was
beides wohl bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar
ist -, so mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um
Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein
bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile
der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg
bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss
ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia
bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps
mehrere Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer
roemischen Festung angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich
nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte
und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der placentinischen Garnison
besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die erste Passage ebenso
schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, Militaer wie er
war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt, dass es
in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6),
ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken.

Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische
Lager auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia
verlegt, ist neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch
daran erinnert werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen
Casteggio jetzt durch Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen
5117).

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Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die
nationale Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob
und organisierte. Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in
die Festungen Placentia und Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der
Heimat, mussten sie ihre Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur
wie durch ein Wunder entging der Konsul Tiberius Sempronius der
Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen
nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in der rauben
Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte,
bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein
ernstlicher Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt
haben wuerde, durch Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und
andere kleinere roemische Positionen den Feind zu necken.
Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den gallischen Aufstand zu
organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 Berittene sollen von
den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben.

Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine
ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und
nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch
keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die
nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach
Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius
und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die vier
Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde
verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb
an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und
von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum
endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier
zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser,
wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um in
der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive
uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich
die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das
Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer
selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der
Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der
Trebia; er wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms,
von dem zaehen roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch
Ueberraschung zu erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche
Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich
ihm, dem von daheim nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung
zukam und der in Italien zunaechst nur auf das schwankende und
latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische
Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen
Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe
der phoenikische Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte
die Defensive Scipios und der glaenzende Rueckzug der geschlagenen
Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. Aus dieser Einsicht
flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals ganze Handlungsweise in
Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel des
Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu
fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen
Erfolgen, sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung
und der endlichen Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu
erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das einzige, was Hannibal
gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu werfen hatte, sein
militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins Gewicht fiel, wenn er
seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen deroutierte, und er
verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel war das von
der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige
Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale
ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer
den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen
Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie
hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine
bewundertsten Schlachten.

Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn
nicht bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine
neugewonnene Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess
und den Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er
alle Gefangenen sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit
Sklavenfesseln belasten - dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die
ihm hier und sonst in die Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist
ohne Zweifel mindestens stark uebertrieben; dagegen wurden die
saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um
daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre,
sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte
Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den
Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher.
In der Tat bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um
sich einen Weg durch die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen.
Gaius Flaminius mit der etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei
Arezzo, um von hier aus zur Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse
etwa nach Lucca abzuruecken, sowie es die Jahreszeit erlaubte. Allein
Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang ward in moeglichst
westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse
Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen zwischen
dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die
Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu
marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen
trockenen Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und
die gefallenen Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich,
namentlich das gallische Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den
schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte laut und waere ohne
Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die karthagische Reiterei
unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht unmoeglich gemacht
haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen
haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal selbst
verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward
erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch
bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren.
Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der
Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu
verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen
Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, bis das zweite, nun
bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer herankam. Indes er
selber urteilte anders. Er war ein politischer Parteifuehrer, durch
seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu beschraenken, in die Hoehe
gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner Konsulate gesponnenen
aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert, durch die wohl
gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian
fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte,
berauscht zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso
sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit
der fixen Idee behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein
Feldzug gegen die Insubrer von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler
nur bewies, dass tuechtige Soldaten oefters gutmachen, was schlechte
Generale verderben, galt ihm und seinen Anhaengern als der
unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius Flaminius an die Spitze
des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein schnelles Ende zu
bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat verschafft, und
solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von unbewaffneten
Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der
Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier
ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit
entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess durch
die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die zahlreiche
Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen und die
Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter den
Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen des
Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue, vor
der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen solchen
Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem
unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist
ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch
des Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal
gegen Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo
Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit
gehabt hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen
zwei steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang
der Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte
er den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden
Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen
in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die
Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein
Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich
schloss die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des
Passes und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden
Nebel ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur
eine Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von
den Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast
ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst,
in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen
Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche
Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der
Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer,
marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf
einem Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen
Reiterkorps umzingelt und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug
versprach, von Hannibal verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen
behandelt. 15000 Roemer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das
heisst das Heer war vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500
Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht
genug, so ward gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die
Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann
stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig
seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer
umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war
verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort
machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken
ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern
instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein
Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt
der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im Fall
einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt.

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^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender,
muss nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius
seine Diktatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22,
31, 7; 32, 1) niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die
Kalenderverwirrung war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.

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Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf
Rom; auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr,
seine Armee mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt
unversehrt erhalten und vielleicht den Gegner sich gegenueber
festgehalten haben wuerde. Es geschah wieder einmal etwas ganz
Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren Ueberrumpelung
fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte entsetzlich
das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und
machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde
in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht
verwunden; hier hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend
und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein
libysches Fussvolk in roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die
Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier
aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen Verbindungen mit der
Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine Siegesbotschaften nach
Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich
wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war,
brach er auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das
suedliche Italien hinein.

Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der
Infanterie sich jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig
eines Angriffs auf die Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm
mindestens vier Wochen ungestoerter Musse zur Verwirklichung des
beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des feindlichen Landes
mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein
militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu
machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen
gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft
nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die
Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise
mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten
an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer
Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und
mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine
Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische
Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer
viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie
unvorsichtig es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine
solche Probe zu stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt.
Der Diktator Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten
Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an
der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten
sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr
Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war
ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die
nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger
Verehrer der guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und
des Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst
Opfern und Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer
Gegner des Gaius Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen
toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze der Geschaefte gerufen, ging er
ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, um jeden Preis eine
Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden Preis eine
solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten
Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange
das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht
schwer halten werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche
Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern.
Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen in Rom und im roemischen Heer,
erfuhr den Stand der Dinge sofort und richtete wie immer seinen
Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des feindlichen Anfuehrers.
An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den Apennin in das
Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an der
Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua,
das als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen
Staedten und die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck
des roemischen Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er
hatte dort Verbindungen angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom
roemischen Buendnis hoffen liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm
fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend schlug er die Strasse nach
Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses ganzen Zuges der
karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte seine Soldaten zu
der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand zuzusehen,
wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen
pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen.
Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich
herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den
Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem
heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des Volturnus diese Stadt
stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden Hoehen mit seiner
Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000 Mann auf der am
Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein Hannibal hiess
seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der Strasse
sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit
angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es
schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei
Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich
umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend,
zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch
freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab,
ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und
mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte
und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in
nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die
Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner
ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute
und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die
Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen
Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend,
dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen
Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den
Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde
einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische
Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner
ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er
hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich
von Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel
des Heeres taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden,
waehrend Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die
ausgesendeten Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus
Minucius, der im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den
Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um
naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen
Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die
Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres
hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen
gegen einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst
bestanden, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte
und sie noetigte, sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht
von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht
verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los.
Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war, sich
roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem
Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es
doch ein seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem
Feind gestattete, unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen
Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu verwuesten und durch eine
geordnete Fouragierung im groessten Massstab sich fuer den Winter
hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius Scipio, als er im
Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden, und der
Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine
Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff
gab. Es war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht
wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die
Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat; allein wie lange
konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich
unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer eigenen Kontingente
auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische Heer anlangte, so
konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser Kriegfuehrung
noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen Legionen von
Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls
dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten
Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig
ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, “Hannibals Lakai”, ihm zuwies,
und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es
kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den
eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der
gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten sich des Haders -
wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator tatsaechlich vom
Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium der
konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen Soldaten
und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und
sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war,
in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu
beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen
bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die
roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei
abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht
bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften
Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte
Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei
seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen
Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt
und mit geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn
nicht hier sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines
frischen Korps groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte
Wendung der Dinge gab dem System des passiven Widerstandes
gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in diesem
Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden
konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der
stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine
Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im
wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei
Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht der Zauderer
hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner Eidgenossenschaft
und vielleicht nicht minder der Nationalhass der Okzidentalen gegen den
phoenikischen Mann.

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^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei
Gerunium dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei
sacrom M. Minuci(us) C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei
S. Lorenzo aufgefunden worden.

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Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht
als die roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron
von Syrakus und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten
Feldzug anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die
uebrigen italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer
stellten -, wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen
zeigte man an, dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des
Tributs; ja man beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die
Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war
trotz der Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem
Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von
dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden
Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner
energischeren Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht
mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man eine halbe Massregel
getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. Diesen Fehler
beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie Rom noch
keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel ueber die
Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl Bundesgenossen,
genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken. Ausserdem
ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal
bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der
Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur
darauf an, auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das
starre Auftreten des Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden
demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und ueberhaupt den Senat
unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl nicht ohne Schuld
seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den Krieg
absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines
Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln
angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst
recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner
Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219)
den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure
Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der
Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur durch
seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als
Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war,
und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine
rohe Unverschaemtheit.

Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen
wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die
Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach
Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich
nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an
Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das Kastell von Cannae
(zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische Ebene beherrschte
und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient hatte. Die roemische
Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des Herbstes
verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus
Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln
kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden
gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es
immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht
zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch
die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des
Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen und dem
entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten, stieg
die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb
Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei
Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000
Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte
nichts mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher
eroerterten Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite
apulische Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner
Reiterei zu entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen
Armee, hart an dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen
gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald
ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen
Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen
und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die
einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten
daher, zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um
ihn zum Abzug und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder
guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten
Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses
auf, so dass die Hauptmacht am linken Ufer zu stehen kam, ein starkes
Korps aber am rechten unmittelbar dem Feind gegenueber Stellung nahm,
um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht auch Cannae zu bedrohen.
Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu kommen,
ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem
linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem
demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es
war so viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu
stehen, sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den
Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben fand. Nach der alten
toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die entscheidende Stimme
im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um Tag; man musste also am
folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der Gasse seinen Willen
tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der ueberlegenen
Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch er
nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen
Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den
karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses ernstlich
bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000 Mann blieb
in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das karthagische
waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen Heere den
Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der roemischen Armee
ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem
unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser
Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich
hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager
westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee folgte
und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte roemische wie
der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische Reiterei
stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem rechten
am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische auf
dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen stand
das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl des
Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete
Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die
keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die
vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten
die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die
gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach
der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem
Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im
Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere
Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier
ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die
Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen
vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren
Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck
sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel
der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen
regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und
diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen
Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt
und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem
Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu
teilen. Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche
Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine
Angriffskolonne verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche
Zentrum. In dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links
einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen
und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die
Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken
kam und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse
nun gar nicht mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte
Hasdrubal, nachdem er mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine
Reiter aufs neue gesammelt und geordnet und sie hinter dem feindlichen
Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen
italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend beschaeftigt,
stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal, die
Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum
drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den
Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht
moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein
Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit so geringem Verlust des
Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet worden wie das roemische
bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei
Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoss der Legionen traf.
Dagegen von den 76000 Roemern, die in der Schlachtlinie gestanden
hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul Lucius Paullus, der
Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der Stabsoffiziere, achtzig
Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus Varro rettete sein
rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er ertrug es
zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark,
ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus
diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als
sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel
noch vor Ablauf desselben die nach Gallien gesandte Legion in einen
Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das
naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern gaenzlich vernichtet.

Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische
Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen
war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein
in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in
seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des Westens und
Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen Stadt den
Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die
gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das
kuehne und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn
Gnaeus Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone
war dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste
zwischen den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch
des Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537
217) die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen,
hatte, nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals,
mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro
ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar hatte
Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika
Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders
gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen
verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn
vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae
siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche
andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt; diese
beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die
zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von
Spanien aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu
erwarten.

Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so
viel geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader
bedrohten die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten
Afrika vor einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren
Beistand verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu
finden sei, und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die
langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege,
vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer
die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des
Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich
leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen
an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae
selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische
Senat beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld
und Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000
numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in
Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben.

Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien
war anfangs durch Antigonos’ ploetzlichen Tod, dann durch seines
Nachfolgers Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner
hellenischen Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537
220-217) verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen
Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem
Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie
massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt
schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es,
eine Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm
die Rueckgabe der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward.

In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit
es mit Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik
eingehalten, und auch den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen
nach dem Frieden mit Rom namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig
erwiesen. Es ist kein Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen
Karthago und Rom hoechst ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er
nicht, und als er eintrat, hielt er mit wohlberechneter Treue fest an
Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann
nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger
des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich
mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit
machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische
Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel
vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess
mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen,
die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei
Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln
postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf
einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung
nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen
Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden
musste.

Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude
der roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es
die Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden
hatte. Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in
Messapien, zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und
Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der
Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der
Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner
groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter;
die Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und
vornehmlich Capua, die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss
und 4000 Berittene ins Feld zu stellen vermochte und deren Uebertritt
den der Nachbarstaedte Atella und Calatia entschied. Freilich
widersetzte sich die vielfach an das roemische Interesse gefesselte
Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem Parteiwechsel sehr
ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die hierueber
entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von diesen
Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen
der Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem
Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht,
festnehmen und nach Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst
sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was es auf sich habe mit der von
dem karthagischen Feldherrn soeben den Kampanern feierlich
zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen hielten die
sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die
roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch
der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker
selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und
ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus
zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine
ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen
Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe
taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung
Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden
von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur
Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf
brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die
sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales,
unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie
doch die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem
Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie
zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen
Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von
ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo
latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als
Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im
karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht
ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago in
die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte
gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden.

Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der
Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der
gesamten Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine
grausame, aber gerechte Strafe der schweren politischen
Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss einzelne toerichte oder
elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft selbst hatte zu
Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt zugeschnittene
Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht
moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen
Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des
Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine gruendliche
Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war, jetzt
wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der
einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche
Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung
des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle
Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen
auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem
Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits
an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der
italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung,
dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf
das “Volk” Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen
Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide “neue
Maenner” und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur
Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt
entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden,
und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei
Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt
besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika
zurueckberief, die Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und
jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er
hatte, als die erste jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick
das Ruder in die Hand gab, gleichfalls nicht unbefangen von
Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus Fabius mit jenen
roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch er den
Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive
vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und
in der Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan,
was an ihm lag, um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern.
Die Folge war erstlich, dass das wichtigste Instrument, das eben fuer
solche Faelle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben
hatte, die Diktatur ihm unter den Haenden zerbrach; und zweitens
mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht. Den jaehen Sturz der
roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius noch Gaius
Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den Regierten,
die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und
Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit
Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und,
was schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller
an sich gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und
unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro - allein von
allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten - nach Rom
zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm
entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes
nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen
Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen
Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den
Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs
verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur,
wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen
zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt
hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren
gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf
sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und
strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten,
um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die
Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu
begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben
und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an
den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser
gewiesen, die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage
beschraenkt, damit der Dienst der freudigen Goetter, von dem das
Trauergewand ausschloss, nicht allzulange unterbrochen werde - denn so
gross war die Zahl der Gefallenen, dass fast in keiner Familie die
Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes
durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio
den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch
seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter
seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken
zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes
ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer
Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort
etwa zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu
schimpflichem und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der
unfaehige Feldherr ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom
zurueckberufen; der in den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus
Claudius Marcellus, der bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia
nach Sizilien abzugehen, uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten
Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige Armee zu organisieren.
Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr;
Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die ganze Mannschaft
bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und
die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate angekaufte
Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten
Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall
in Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche
Patrioten forderten, aus den Latinern, sondern aus den
naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot die Loesung der
Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes an; man lehnte sie
ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen angelangten
karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht scheinen, als
denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen sollten
nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es
musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer
ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.




KAPITEL VI.
Der Hannibalische Krieg von Cannae bis Zama


Hannibals Ziel bei seinem Zug nach Italien war die Sprengung der
italischen Eidgenossenschaft gewesen; nach drei Feldzuegen war dasselbe
erreicht, soweit es ueberhaupt erreichbar war. Dass die griechischen
und die latinischen oder latinisierten Gemeinden Italiens, nachdem sie
durch den Tag von Cannae nicht irre geworden waren, ueberhaupt nicht
dem Schreck, sondern nur der Gewalt weichen wuerden, lag am Tage, und
der verzweifelte Mut, mit dem selbst in Sueditalien einzelne kleine und
rettungslos verlorene Landstaedte, wie das brettische Petelia, gegen
den Phoeniker sich wehrten, zeigte sehr klar, was seiner bei den
Marsern und Latinern warte. Wenn Hannibal gemeint hatte, auf diesem
Wege mehr erreichen und auch die Latiner gegen Rom fuehren zu koennen,
so hatten diese Hoffnungen sich als eitel erwiesen. Aber es scheint,
als habe auch sonst die italische Koalition keineswegs die gehofften
Resultate fuer Hannibal geliefert. Capua hatte sofort sich ausbedungen,
dass Hannibal das Recht nicht haben solle, kampanische Buerger
zwangsweise unter die Waffen zu rufen; die Staedter hatten nicht
vergessen, wie Pyrrhos in Tarent aufgetreten war, und meinten
toerichterweise, zugleich der roemischen und der phoenikischen
Herrschaft sich entziehen zu koennen. Samnium und Lucanien waren nicht
mehr, was sie gewesen, als Koenig Pyrrhos gedacht hatte, an der Spitze
der sabellischen Jugend in Rom einzuziehen. Nicht bloss zerschnitt das
roemische Festungsnetz ueberall den Landschaften Sehnen und Nerven,
sondern es hatte auch die vieljaehrige roemische Herrschaft die
Einwohner der Waffen entwoehnt - nur maessiger Zuzug kam von hier zu
den roemischen Heeren -, den alten Hass beschwichtigt, ueberall eine
Menge einzelner in das Interesse der herrschenden Gemeinde gezogen. Man
schloss sich wohl dem Ueberwinder der Roemer an, nachdem Roms Sache
einmal verloren schien; allein man fuehlte doch, dass es jetzt nicht
mehr um die Freiheit sich handle, sondern um die Vertauschung des
italischen mit dem phoenikischen Herrn, und nicht Begeisterung, sondern
Kleinmut warf die sabellischen Gemeinden dem Sieger in die Arme. Unter
solchen Umstaenden stockte in Italien der Krieg. Hannibal, der den
suedlichen Teil der Halbinsel beherrschte bis hinauf zum Volturnus und
zum Garganus und diese Landschaften nicht wie das Keltenland einfach
wieder aufgeben konnte, hatte jetzt gleichfalls eine Grenze zu decken,
die nicht ungestraft entbloesst ward; und, um die gewonnenen
Landschaften gegen die ueberall ihm trotzenden Festungen und die von
Norden her anrueckenden Heere zu verteidigen und gleichzeitig die
schwierige Offensive gegen Mittelitalien zu ergreifen, reichten seine
Streitkraefte, ein Heer von etwa 40000 Mann, ohne die italischen
Zuzuege zu rechnen, bei weitem nicht aus. Vor allen Dingen aber fand er
andere Gegner sich gegenueber. Durch furchtbare Erfahrungen belehrt,
gingen die Roemer ueber zu einem verstaendigeren System der
Kriegfuehrung, stellten nur erprobte Offiziere an die Spitze ihrer
Armeen und liessen dieselben, wenigstens wo es not tat, auf laengere
Zeit bei dem Kommando. Diese Feldherren sahen weder den feindlichen
Bewegungen noch den Bergen herab zu, noch warfen sie sich auf den
Gegner, wo sie ihn eben fanden, sondern, die rechte Mitte zwischen
Zauderei und Vorschnelligkeit haltend, stellten sie in verschanzten
Lagern, unter den Mauern der Festungen sich auf und nahmen den Kampf da
an, wo der Sieg zu Resultaten, die Niederlage nicht zur Vernichtung
fuehrte. Die Seele dieser neuen Kriegfuehrung war Marcus Claudius
Marcellus. Mit richtigem Instinkt hatten nach dem unheilvollen Tag von
Cannae Senat und Volk auf diesen tapferen und krieggewohnten Mann die
Blicke gewandt und ihm zunaechst den faktischen Oberbefehl uebertragen.
Er hatte in dem schwierigen Sizilischen Kriege gegen Hamilkar seine
Schule gemacht und in den letzten Feldzuegen gegen die Kelten sein
Fuehrertalent wie seine persoenliche Tapferkeit glaenzend bewaehrt.
Obwohl ein hoher Fuenfziger, brannte er doch vom jugendlichsten
Soldatenfeuer und hatte erst wenige Jahre zuvor als Feldherr den
feindlichen Feldherrn vom Pferde gehauen - der erste und einzige
roemische Konsul, dem eine solche Waffentat gelang. Sein Leben war den
beiden Gottheiten geweiht, denen er den glaenzenden Doppeltempel am
Capenischen Tore errichtete, der Ehre und der Tapferkeit; und wenn die
Rettung Roms aus dieser hoechsten Gefahr nicht das Verdienst eines
einzelnen ist, sondern der roemischen Buergerschaft insgemein und
vorzugsweise dem Senat gebuehrt, so hat doch kein einzelner Mann bei
dem gemeinsamen Bau mehr geschafft als Marcus Marcellus.

Vom Schlachtfeld hatte Hannibal sich nach Kampanien gewandt. Er kannte
Rom besser als die naiven Leute, die in alter und neuer Zeit gemeint
haben, dass er mit einem Marsch auf die feindliche Hauptstadt den Kampf
haette beendigen koennen. Die heutige Kriegskunst zwar entscheidet den
Krieg auf dem Schlachtfeld; allein in der alten Zeit, wo der
Angriffskrieg gegen die Festungen weit minder entwickelt war als das
Verteidigungssystem, ist unzaehlige Male der vollstaendigste Erfolg im
Feld an den Mauern der Hauptstaedte zerschellt. Rat und Buergerschaft
in Karthago waren weitaus nicht zu vergleichen mit Senat und Volk in
Rom, Karthagos Gefahr nach Regulus’ erstem Feldzug unendlich dringender
als die Roms nach der Schlacht bei Cannae; und Karthago hatte
standgehalten und vollstaendig gesiegt. Mit welchem Schein konnte man
meinen, dass Rom jetzt dem Sieger die Schluessel entgegentragen oder
auch nur einen billigen Frieden annehmen werde? Statt also ueber solche
leeren Demonstrationen moegliche und wichtige Erfolge zu verscherzen
oder die Zeit zu verlieren mit der Belagerung der paar tausend
roemischer Fluechtlinge in den Mauern von Canusium, hatte sich Hannibal
sofort nach Capua begeben, bevor die Roemer Besatzung hineinwerfen
konnten, und hatte durch sein Anruecken diese zweite Stadt Italiens
nach langem Schwanken zum Uebertritt bestimmt. Er durfte hoffen, von
Capua aus sich eines der kampanischen Haefen bemaechtigen zu koennen,
um dort die Verstaerkungen an sich zu ziehen, welche seine grossartigen
Siege der Opposition daheim abgerungen hatten. Als die Roemer erfuhren,
wohin Hannibal sich gewendet habe, verliessen auch sie Apulien, wo nur
eine schwache Abteilung zurueckblieb und sammelten die ihnen
gebliebenen Streitkraefte auf dem rechten Ufer des Volturnus. Mit den
zwei cannensischen Legionen marschierte Marcus Marcellus nach Teanum
Sidicinum, wo er von Rom und Ostia die zunaechst verfuegbaren Truppen
an sich zog, und ging, waehrend der Diktator Marcus Junius mit der
schleunigst neu gebildeten Hauptarmee langsam nachfolgte, bis an den
Volturnus nach Casilinum vor, um womoeglich Capua zu retten. Dies zwar
fand er schon in der Gewalt des Feindes; dagegen waren dessen Versuche
auf Neapel an dem mutigen Widerstand der Buergerschaft gescheitert, und
die Roemer konnten noch rechtzeitig in den wichtigen Hafenplatz eine
Besatzung werfen. Ebenso treu hielten zu Rom die beiden anderen
groesseren Kuestenstaedte, Cumae und Nuceria. In Nola schwankte der
Kampf zwischen der Volks- und der Senatspartei wegen des Anschlusses an
die Karthager oder an die Roemer. Benachrichtigt, dass die erstere die
Oberhand gewinne, ging Marcellus bei Caiatia ueber den Fluss und, an
den Hoehen von Suessula hin um die feindliche Armee herum marschierend,
erreichte er Nola frueh genug, um es gegen die aeusseren und die
inneren Feinde zu behaupten. Ja bei einem Ausfall schlug er Hannibal
selber mit namhaftem Verlust zurueck; ein Erfolg, der als die erste
Niederlage, die Hannibal erlitt, moralisch von weit groesserer
Bedeutung war als durch seine materiellen Resultate. Zwar wurden in
Kampanien Nuceria, Acerrae und nach einer hartnaeckigen, bis ins
folgende Jahr (539 215) sich hinziehenden Belagerung auch der
Schluessel der Volturnuslinie, Casilinum, von Hannibal erobert und
ueber die Senate dieser Staedte, die zu Rom gehalten hatten, die
schwersten Blutgerichte verhaengt. Aber das Entsetzen macht schlechte
Propaganda; es gelang den Roemern, mit verhaeltnismaessig geringer
Einbusse den gefaehrlichen Moment der ersten Schwaeche zu ueberwinden.
Der Krieg kam in Kampanien zum Stehen, bis der Winter einbrach und
Hannibal in Capua Quartier nahm, durch dessen Ueppigkeit seine seit
drei Jahren nicht unter Dach gekommenen Truppen keineswegs gewannen. Im
naechsten Jahre (539 215) erhielt der Krieg schon ein anderes Ansehen.
Der bewaehrte Feldherr Marcus Marcellus und Tiberius Sempronius
Gracchus, der sich im vorjaehrigen Feldzug als Reiterfuehrer des
Diktators ausgezeichnet hatte, ferner der alte Quintus Fabius Maximus
traten, Marcellus als Prokonsul, die beiden andern als Konsuln, an die
Spitze der drei roemische Heere, welche bestimmt waren, Capua und
Hannibal zu umringen; Marcellus auf Nola und Suessula gestuetzt,
Maximus am rechten Ufer des Volturnus bei Cales sich aufstellend,
Gracchus an der Kueste, wo er Neapel und Cumae deckend bei Liternum
Stellung nahm. Die Kampaner, welche nach Hamae, drei Miglien von Cumae,
ausrueckten, um die Cumaner zu ueberrumpeln, wurden von Gracchus
nachdruecklich geschlagen; Hannibal, der, um die Scharte auszuwetzen,
vor Cumae erschienen war, zog selbst in einem Gefecht den kuerzeren,
und kehrte, da die von ihm angebotene Hauptschlacht verweigert ward,
unmutig nach Capua zurueck. Waehrend so die Roemer in Kampanien nicht
bloss behaupteten, was sie besassen, sondern auch Compulteria und
andere kleinere Plaetze wieder gewannen, erschollen von Hannibals
oestlichen Verbuendeten laute Klagen. Ein roemisches Heer unter dem
Praetor Marcus Valerius hatte bei Luceria sich aufgestellt, teils um in
Gemeinschaft mit der roemischen Flotte die Ostkueste und die Bewegungen
der Makedonier zu beobachten, teils um in Verbindung mit der Armee von
Nola die aufstaendigen Samniten, Lucaner und Hirpiner zu brandschatzen.
Um diesen Luft zu machen, wandte Hannibal zunaechst sich gegen seinen
taetigsten Gegner Marcus Marcellus; allein derselbe erfocht unter den
Mauern von Nola einen nicht unbedeutenden Sieg ueber die phoenikische
Armee, und diese musste, ohne die Scharte wieder ausgewetzt zu haben,
um den Fortschritten des feindlichen Heeres in Apulien endlich zu
steuern, von Kampanien nach Arpi aufbrechen. Ihr folgte Tiberius
Gracchus mit seinem Korps, waehrend die beiden anderen roemischen Heere
in Kampanien sich anschickten, mit dem naechsten Fruehjahr zum Angriff
auf Capua ueberzugehen.

Hannibals klaren Blick hatten die Siege nicht geblendet. Es ward immer
deutlicher, dass er so nicht zum Ziele kam. Jene raschen Maersche,
jenes fast abenteuerliche Hin- und Herwerfen des Krieges, denen
Hannibal im wesentlichen seine Erfolge verdankte, waren zu Ende, der
Feind gewitzigt, weitere Unternehmungen durch die unumgaengliche
Verteidigung des Gewonnenen selbst fast unmoeglich gemacht. An die
Offensive liess sich nicht denken, die Defensive war schwierig und
drohte jaehrlich es mehr zu werden; er konnte es sich nicht verleugnen,
dass die zweite Haelfte seines grossen Tagwerks, die Unterwerfung der
Latiner und die Eroberung Roms, nicht mit seinen und der italischen
Bundesgenossen Kraeften allein beendigt werden konnte. Die Vollendung
stand bei dem Rat von Karthago, bei dem Hauptquartier in Cartagena, bei
den Hoefen von Pella und Syrakus. Wenn in Afrika, Spanien, Sizilien,
Makedonien jetzt alle Kraefte gemeinschaftlich angestrengt wurden gegen
den gemeinschaftlichen Feind; wenn Unteritalien der grosse Sammelplatz
ward fuer die Heere und Flotten von Westen, Sueden und Osten, so konnte
er hoffen, gluecklich zu Ende zu fuehren, was die Vorhut unter seiner
Leitung so glaenzend begonnen hatte. Das Natuerlichste und Leichteste
waere gewesen, ihm von daheim genuegende Unterstuetzung zuzusenden; und
der karthagische Staat, der vom Kriege fast unberuehrt geblieben und
von einer auf eigene Rechnung und Gefahr handelnden kleinen Zahl
entschlossener Patrioten aus tiefem Verfall dem vollen Sieg so nahe
gefuehrt war, haette dies ohne Zweifel vermocht. Dass es moeglich
gewesen waere, eine phoenikische Flotte von jeder beliebigen Staerke
bei Lokri oder Kroton landen zu lassen, zumal solange, als der Hafen
von Syrakus den Karthagern offenstand und durch Makedonien die
brundisinische Flotte in Schach gehalten ward, beweist die ungehinderte
Ausschiffung von 4000 Afrikanern, die Bomilkar dem Hannibal um diese
Zeit von Karthago zufuehrte, in Lokri, und mehr noch Hannibals
ungestoerte Ueberfahrt, als schon jenes alles verloren gegangen war.
Allein nachdem der erste Eindruck des Sieges von Cannae sich verwischt
hatte, wies die karthagische Friedenspartei, die zu allen Zeiten bereit
war, den Sturz der politischen Gegner mit dem des Vaterlandes zu
erkaufen, und die in der Kurzsichtigkeit und Laessigkeit der
Buergerschaft treue Verbuendete fand, die Bitten des Feldherrn um
nachdruecklichere Unterstuetzung ab mit der halb einfaeltigen, halb
tueckischen Antwort, dass er ja keine Hilfe brauche, wofern er wirklich
Sieger sei, und half so nicht viel weniger als der roemische Senat Rom
erretten. Hannibal, im Lager erzogen und dem staedtischen
Parteigetriebe fremd, fand keinen Volksfuehrer, auf den er sich haette
stuetzen koennen wie sein Vater auf Hasdrubal, und musste die Mittel
zur Rettung der Heimat, die diese selbst in reicher Fuelle besass, im
Ausland suchen.

Hier durfte er, und wenigstens mit mehr Aussicht auf Erfolg, rechnen
auf die Fuehrer des spanischen Patriotenheeres, auf die in Syrakus
angeknuepften Verbindungen und auf Philippos’ Intervention. Es kam
alles darauf an, von Spanien, Syrakus oder Makedonien neue
Streitkraefte gegen Rom auf den italischen Kampfplatz zu fuehren; und
um dies zu erreichen oder zu hindern, sind die Kriege in Spanien,
Sizilien und Griechenland gefuehrt worden. Sie sind alle nur Mittel zum
Zweck, und sehr mit Unrecht hat man sie oft hoeher angeschlagen. Fuer
die Roemer sind es wesentlich Defensivkriege, deren eigentliche Aufgabe
ist, die Pyrenaeenpaesse zu behaupten, die makedonische Armee in
Griechenland festzuhalten, Messana zu verteidigen und die Verbindung
zwischen Italien und Sizilien zu sperren; es versteht sich, dass diese
Defensive womoeglich offensiv gefuehrt wird und im guenstigen Fall sich
entwickelt zur Verdraengung der Phoeniker aus Spanien und Sizilien und
zur Sprengung der Buendnisse Hannibals mit Syrakus und mit Philippos.
Der italische Krieg an sich tritt zunaechst in den Hintergrund und
loest sich auf in Festungskaempfe und Razzias, die in der Hauptsache
nichts entscheiden. Allein Italien bleibt dennoch, solange die
Phoeniker ueberhaupt die Offensive festhalten, stets das Ziel der
Operationen, und alle Anstrengung wie alles Interesse knuepft sich
daran, die Isolierung Hannibals im suedlichen Italien aufzuheben oder
zu verewigen.

Waere es moeglich gewesen, unmittelbar nach der Cannensischen Schlacht
alle die Hilfsmittel heranzuziehen, auf die Hannibal sich Rechnung
machen durfte, so konnte er des Erfolges ziemlich gewiss sein. Allein
in Spanien war Hasdrubals Lage eben damals nach der Schlacht am Ebro so
bedenklich, dass die Leistungen von Geld und Mannschaft, zu denen der
cannensische Sieg die karthagische Buergerschaft angespannt hatte,
groesstenteils fuer Spanien verwendet wurden, ohne dass doch die Lage
der Dinge dort dadurch viel besser geworden waere. Die Scipionen
verlegten den Kriegsschauplatz im folgenden Feldzug (539 215) vom Ebro
an den Guadalquivir und erfochten in Andalusien, mitten im eigentlich
karthagischen Gebiet, bei Illiturgi und Intibili zwei glaenzende Siege.
In Sardinien mit den Eingeborenen angeknuepfte Verbindungen liessen die
Karthager hoffen, dass sie sich der Insel wuerden bemaechtigen koennen,
die als Zwischenstation zwischen Spanien und Italien von Wichtigkeit
gewesen waere. Indes Titus Manlius Torquatus, der mit einem roemischen
Heer nach Sardinien gesendet ward, vernichtete die karthagische
Landungsarmee vollstaendig und sicherte den Roemern aufs neue den
unbestrittenen Besitz der Insel (539 215). Die nach Sizilien
geschickten cannensischen Legionen behaupteten im Norden und Osten der
Insel sich mutig und gluecklich gegen die Karthager und Hieronymos,
welcher letztere schon gegen Ende des Jahres 539 (215) durch
Moerderhand seinen Tod fand. Selbst mit Makedonien verzoegerte sich die
Ratifikation des Buendnisses, hauptsaechlich weil die makedonischen an
Hannibal gesendeten Boten auf der Rueckreise von den roemischen
Kriegsschiffen aufgefangen wurden. So unterblieb vorlaeufig die
gefuerchtete Invasion der Ostkueste, und die Roemer gewannen Zeit, die
wichtigste Station Brundisium zuerst mit der Flotte, alsdann auch mit
dem vor der Ankunft des Gracchus zur Deckung von Apulien verwendeten
Landheer zu sichern und fuer den Fall der Kriegserklaerung einen
Einfall in Makedonien selbst vorzubereiten. Waehrend also in Italien
der Kampf zum Stehen und Stocken kam, war ausserhalb Italien
karthagischerseits nichts geschehen, was neue Heere oder Flotten rasch
nach Italien gefoerdert haette. Roemischerseits hatte man sich dagegen
mit der groessten Energie ueberall in Verteidigungszustand gesetzt und
in dieser Abwehr da, wo Hannibals Genie fehlte, groesstenteils mit
Erfolg gefochten. Darueber verrauchte der kurzlebige Patriotismus, den
der Cannensische Sieg in Karthago erweckt hatte; die nicht
unbedeutenden Streitkraefte, welche man dort disponibel gemacht hatte,
waren, sei es durch faktioese Opposition, sei es bloss durch
ungeschickte Ausgleichung der verschiedenen, im Rat laut gewordenen
Meinungen, so zersplittert worden, dass sie nirgend wesentlich
foerderten und da, wo sie am nuetzlichsten gewesen waeren, eben der
kleinste Teil hinkam. Am Ende des Jahres 539 (215) durfte auch der
besonnene roemische Staatsmann sich sagen, dass die dringende Gefahr
vorueber sei und die heldenmuetig begonnene Gegenwehr nur auf
saemtlichen Punkten mit Anspannung aller Kraefte auszuharren habe, um
zum Ziel zu gelangen.

Am ersten ging der Krieg in Sizilien zu Ende. Es hatte nicht zunaechst
in Hannibals Plan gelegen, auf der Insel einen Kampf anzuspinnen,
sondern halb zufaellig, hauptsaechlich durch die knabenhafte Eitelkeit
des unverstaendigen Hieronymos war hier ein Landkrieg ausgebrochen,
dessen, ohne Zweifel eben aus diesem Grunde, der karthagische Rat mit
besonderem Eifer sich annahm. Nachdem Hieronymos zu Ende 539 (215)
getoetet war, schien es mehr als zweifelhaft, ob die Buergerschaft bei
der von ihm befolgten Politik verbleiben werde. Wenn irgend eine Stadt,
so hatte Syrakus Ursache an Rom festzuhalten, da der Sieg der Karthager
ueber die Roemer unzweifelhaft jenen wenigstens die Herrschaft ueber
ganz Sizilien geben musste und an eine wirkliche Einhaltung der von
Karthago den Syrakusanern gemachten Zusagen kein ernsthafter Mann
glauben konnte. Teils hierdurch bewogen, teils geschreckt durch die
drohenden Anstalten der Roemer, die alles aufboten, um die wichtige
Insel, die Bruecke zwischen Italien und Afrika, wieder vollstaendig in
ihre Gewalt zu bringen, und jetzt fuer den Feldzug 540 (214) ihren
besten Feldherrn, den Marcus Marcellus nach Sizilien gesandt hatten,
zeigte die syrakusanische Buergerschaft sich geneigt, durch
rechtzeitige Rueckkehr zum roemischen Buendnis das Geschehene vergessen
zu machen. Allein bei der entsetzlichen Verwirrung in der Stadt, wo
nach Hieronymos’ Tode die Versuche zur Wiederherstellung der alten
Volksfreiheit und die Handstreiche der zahlreichen Praetendenten auf
den erledigten Thron wild durcheinander wogten, die Hauptleute der
fremden Soeldnerscharen aber die eigentlichen Herren der Stadt waren,
fanden Hannibals gewandte Emissaere Hippokrates und Epikydes
Gelegenheit, die Friedensversuche zu vereiteln. Durch den Namen der
Freiheit regten sie die Masse auf; masslos uebertriebene Schilderungen
von der fuerchterlichen Bestrafung, die den soeben wieder unterworfenen
Leontinern von den Roemern zuteil geworden sein sollte, erweckten auch
in dem bessern Teil der Buergerschaft den Zweifel, ob es nicht zu spaet
sei, um das alte Verhaeltnis mit Rom wiederherzustellen; unter den
Soeldnern endlich wurden die zahlreichen roemischen Ueberlaeufer,
meistens durchgegangene Ruderer von der Flotte, leicht ueberzeugt, dass
der Friede der Buergerschaft mit Rom ihr Todesurteil sei. So wurden die
Vorsteher der Buergerschaft erschlagen, der Waffenstillstand gebrochen
und Hippokrates und Epikydes uebernahmen das Regiment der Stadt. Es
blieb dem Konsul nichts uebrig, als zur Belagerung zu schreiten; indes
die geschickte Leitung der Verteidigung, wobei der als gelehrter
Mathematiker beruehmte syrakusanische Ingenieur Archimedes sich
besonders hervortat, zwang die Roemer nach achtmonatlicher Belagerung,
dieselbe in eine Blockade zu Wasser und zu Lande umzuwandeln.
Mittlerweile war von Karthago aus, das bisher nur mit seinen Flotten
die Syrakusaner unterstuetzt hatte, auf die Nachricht von der
abermaligen Schilderhebung derselben gegen die Roemer ein starkes
Landheer unter Himilko nach Sizilien gesendet worden, das ungehindert
bei Herakleia Minoa landete und sofort die wichtige Stadt Akragas
besetzte. Um dem Himilko die Hand zu reichen, rueckte der kuehne und
faehige Hippokrates aus Syrakus mit einer Armee aus; Marcellus’ Lage
zwischen der Besatzung von Syrakus und den beiden feindlichen Heeren
fing an bedenklich zu werden. Indes mit Hilfe einiger Verstaerkungen,
die von Italien eintrafen, behauptete er seine Stellung auf der Insel
und setzte die Blockade von Syrakus fort. Dagegen trieb mehr noch als
die feindlichen Armeen die fuerchterliche Strenge, mit der die Roemer
auf der Insel verfuhren, namentlich die Niedermetzelung der des Abfalls
verdaechtigen Buergerschaft von Enna durch die roemische Besatzung
daselbst, den groessten Teil der kleinen Landstaedte den Karthagern in
die Arme. Im Jahre 542 (212) gelang es den Belagerern von Syrakus
waehrend eines Festes in der Stadt, einen von den Wachen verlassenen
Teil der weitlaeuftigen Aussenmauern zu ersteigen und in die Vorstaedte
einzudringen, die von der Insel und der eigentlichen Stadt am Strande
(Achradina) sich gegen das innere Land hin erstreckten. Die Festung
Euryalos, die, am aeussersten westlichen Ende der Vorstaedte gelegen,
diese und die vom Binnenland nach Syrakus fuehrende Hauptstrasse
deckte, war hiermit abgeschnitten und fiel nicht lange nachher. Als so
die Belagerung der Stadt eine den Roemern guenstige Wendung zu nehmen
begann, rueckten die beiden Heere unter Himilko und Hippokrates zum
Entsatz heran und versuchten einen gleichzeitigen, ueberdies noch mit
einem Landungsversuch der karthagischen Flotte und einem Ausfall der
syrakusanischen Besatzung kombinierten Angriff auf die roemischen
Stellungen; allein er ward allerseits abgeschlagen, und die beiden
Entsatzheere mussten sich begnuegen, vor der Stadt ihr Lager
aufzuschlagen, in den sumpfigen Niederringen des Anapos, die im
Hochsommer und im Herbst den darin Verweilenden toedliche Seuchen
erzeugen. Oft hatten diese die Stadt gerettet, oefter als die
Tapferkeit der Buerger; zu den Zeiten des ersten Dionys waren zwei
phoenikische Heere, damals die Stadt belagernd, unter ihren Mauern
durch diese Seuchen vernichtet worden. Jetzt wendete der Stadt das
Schicksal die eigene Schutzwehr zum Verderben; waehrend Marcellus’
Heer, in den Vorstaedten einquartiert, nur wenig litt, veroedeten die
Fieber die phoenikischen und syrakusanischen Biwaks. Hippokrates starb,
desgleichen Himilko und die meisten Afrikaner; die Ueberbleibsel der
beiden Heere, groesstenteils eingeborene Sikeler, verliefen sich in die
benachbarten Staedte. Noch machten die Karthager einen Versuch, die
Stadt von der Seeseite zu retten; allein der Admiral Bomilkar entwich,
als die roemische Flotte ihm die Schlacht anbot. Jetzt gab selbst
Epikydes, der in der Stadt befehligte, dieselbe verloren und entrann
nach Akragas. Gern haette Syrakus sich den Roemern ergeben; die
Verhandlungen hatten schon begonnen. Allein zum zweitenmal scheiterten
sie an den Ueberlaeufern; in einer abermaligen Meuterei der Soldaten
wurden die Vorsteher der Buergerschaft und eine Anzahl angesehener
Buerger erschlagen und das Regiment und die Verteidigung der Stadt von
den fremden Truppen ihren Hauptleuten uebertragen. Nun knuepfte
Marcellus mit einem von diesen eine Unterhandlung an, die ihm den einen
der beiden noch freien Stadtteile, die Insel, in die Haende lieferte;
worauf die Buergerschaft ihm freiwillig auch die Tore von Achradina
auftat (Herbst 542 212). Wenn irgendwo, haette gegen diese Stadt, die
offenbar nicht in ihrer eigenen Gewalt gewesen war und mehrfach die
ernstlichsten Versuche gemacht hatte, sich der Tyrannei des fremden
Militaers zu entziehen, selbst nach den nicht loeblichen Grundsaetzen
des roemischen Staatsrechts ueber die Behandlung bundbruechiger
Gemeinden die Gnade walten koennen. Allein nicht bloss beflecke
Marcellus seine Kriegerehre durch die Gestattung einer allgemeinen
Pluenderung der reichen Kaufstadt, bei der mit zahlreichen anderen
Buergern auch Archimedes den Tod fand, sondern es hatte auch der
roemische Senat kein Ohr fuer die verspaeteten Beschwerden der
Syrakusaner ueber den gefeierten Feldherrn und gab weder den einzelnen
die Beute zurueck noch der Stadt ihre Freiheit. Syrakus und die frueher
von ihm abhaengigen Staedte traten unter die den Roemern
steuerpflichtigen Gemeinden ein - nur Tauromenion und Neeton erhielten
das Recht von Messana, waehrend die leontinische Mark roemische Domaene
und die bisherigen Eigentuemer roemische Paechter wurden -, und in dem
den Hafen beherrschenden Stadtteil, der “Insel”, durfte fortan kein
syrakusanischer Buerger wohnen.

Sizilien schien also fuer die Karthager verloren; allein Hannibals
Genie war auch hier aus der Ferne taetig. Er sandte zu dem
karthagischen Heer, das unter Hanno und Epikydes rat- und tatlos bei
Akragas stand, einen libyschen Reiteroffizier, den Muttines, der den
Befehl der numidischen Reiterei uebernahm und mit seinen fluechtigen
Scharen den bitteren Hass, den die roemische Zwingherrschaft auf der
ganzen Insel gesaet hatte, zu offener Flamme anfachend, einen
Guerillakrieg in der weitesten Ausdehnung und mit dem gluecklichsten
Erfolg begann, ja sogar, als am Himerafluss die karthagische und
roemische Armee aufeinandertrafen, gegen Marcellus selbst mit Glueck
einige Gefechte bestand. Indes das Verhaeltnis, das zwischen Hannibal
und dem karthagischen Rat obwaltete, wiederholte hier sich im kleinen.
Der vom Rat bestellte Feldherr verfolgte mit eifersuechtigem Neid den
von Hannibal gesandten Offizier und bestand darauf, dem Prokonsul eine
Schlacht zu liefern ohne Muttines und die Numidier. Hannos Wille
geschah und er ward vollstaendig geschlagen. Muttines liess sich
dadurch nicht irren; er behauptete sich im Innern des Landes, besetzte
mehrere kleine Staedte und konnte, da von Karthago nicht
unbetraechtliche Verstaerkungen ihm zukamen, seine Operationen
allmaehlich ausdehnen. Seine Erfolge waren so glaenzend, dass endlich
der Oberfeldherr, da er den Reiteroffizier nicht anders hindern konnte,
ihn zu verdunkeln, demselben kurzweg das Kommando ueber die leichte
Reiterei abnahm und es seinem Sohn uebertrug. Der Numidier, der nun
seit zwei Jahren seinen phoenikischen Herren die Insel erhalten hatte,
fand hiermit das Mass seiner Geduld erschoepft; er und seine Reiter,
die dem juengeren Hanno zu folgen sich weigerten, traten in
Unterhandlungen mit dem roemischen Feldherrn Marcus Valerius Laevinus
und lieferten ihm Akragas aus. Hanno entwich in einem Nachen und ging
nach Karthago, um den schaendlichen Vaterlandsverrat des hannibalischen
Offiziers den Seinen zu berichten; die phoenikische Besatzung in der
Stadt ward von den Roemern niedergemacht und die Buergerschaft in die
Sklaverei verkauft (544 210). Zur Sicherung der Insel vor aehnlichen
Ueberfaellen, wie die Landung von 540 (214) gewesen war, erhielt die
Stadt eine neue, aus den roemisch gesinnten Sizilianern ausgelesene
Einwohnerschaft; die alte herrliche Akragas war gewesen. Nachdem also
ganz Sizilien unterworfen war, ward roemischerseits dafuer gesorgt,
dass einige Ruhe und Ordnung auf die zerruettete Insel zurueckkehrte.
Man trieb das Raeubergesindel, das im Innern hauste, in Masse zusammen
und schaffte es hinueber nach Italien, um von Rhegion aus in Hannibals
Bundesgenossengebiet zu sengen und zu brennen; die Regierung tat ihr
Moegliches, um den gaenzlich darniederliegenden Ackerbau wieder auf der
Insel in Aufnahme zu bringen. Im karthagischen Rat war wohl noch oefter
die Rede davon, eine Flotte nach Sizilien zu senden und den Krieg zu
erneuern; allein es blieb bei Entwuerfen.

Entscheidender als Syrakus haette Makedonien in den Gang der Ereignisse
eingreifen koennen. Von den oestlichen Maechten war fuer den Augenblick
weder Foerderung noch Hinderung zu erwarten. Antiochos der Grosse,
Philippos’ natuerlicher Bundesgenosse, hatte nach dem entscheidenden
Siege der Aegypter bei Raphia 537 (217) sich gluecklich schaetzen
muessen, von dem schlaffen Philopator Frieden auf Basis des Status quo
ante zu erhalten; teils die Rivalitaet der Lagiden und der stets
drohende Wiederausbruch des Krieges, teils Praetendentenaufstaende im
Innern und Unternehmungen aller Art in Kleinasien, Baktrien und den
oestlichen Satrapien hinderten ihn, jener grossen antiroemische Allianz
sich anzuschliessen, wie Hannibal sie im Sinne trug. Der aegyptische
Hof stand entschieden auf der Seite Roms, mit dem er das Buendnis 544
(210) erneuerte; allein es war von Ptolemaeos Philopator nicht zu
erwarten, dass er Rom anders als durch Kornschiffe unterstuetzen werde.
In den grossen italischen Kampf ein entscheidendes Gewicht zu werfen,
waren somit Makedonien und Griechenland durch nichts gehindert als
durch die eigene Zwietracht; sie konnten den hellenischen Namen retten,
wenn sie es ueber sich gewannen, nur fuer wenige Jahre gegen den
gemeinschaftlichen Feind zusammenzustehen. Wohl gingen solche
Stimmungen durch Griechenland. Des Agelaos von Naupaktos prophetisches
Wort, dass er fuerchte, es moege mit den Kampfspielen, die jetzt die
Hellenen unter sich auffuehrten, demnaechst vorbei sein; seine ernste
Mahnung, nach Westen die Blicke zu richten und nicht zuzulassen, dass
eine staerkere Macht allen jetzt streitenden Parteien den Frieden des
gleichen Joches bringe - diese Reden hatten wesentlich dazu
beigetragen, den Frieden zwischen Philippos und den Aetolern
herbeizufuehren (537 217), und fuer dessen Tendenz war es bezeichnend,
dass der aetolische Bund sofort eben den Agelaos zu seinem Strategen
ernannte. Der nationale Patriotismus regte sich in Griechenland wie in
Karthago; einen Augenblick schien es moeglich, einen hellenischen
Volkskrieg gegen Rom zu entfachen. Allein der Feldherr eines solchen
Heerzuges konnte nur Philippos von Makedonien sein und ihm fehlte die
Begeisterung und der Glaube an die Nation, womit ein solcher Krieg
allein gefuehrt werden konnte. Er verstand die schwierige Aufgabe
nicht, sich aus dem Unterdruecker in den Vorfechter Griechenlands
umzuwandeln. Schon sein Zaudern bei dem Abschluss des Buendnisses mit
Hannibal verdarb den ersten und besten Eifer der griechischen
Patrioten; und als er dann in den Kampf gegen Rom eintrat, war die Art
der Kriegfuehrung noch weniger geeignet, Sympathie und Zuversicht zu
erwecken. Gleich der erste Versuch, der schon im Jahre der
cannensischen Schlacht (538 216) gemacht ward, sich der Stadt Apollonia
zu bemaechtigen, scheiterte in einer fast laecherlichen Weise, indem
Philippos schleunigst umkehrte auf das gaenzlich unbegruendete
Geruecht, dass eine roemische Flotte in das Adriatische Meer steuere.
Dies geschah, noch ehe es zum foermlichen Bruch mit Rom kam; als dieser
endlich erfolgt war, erwarteten Freund und Feind eine makedonische
Landung in Unteritalien. Seit 539 (215) standen bei Brundisium eine
roemische Flotte und ein roemisches Heer, um derselben zu begegnen;
Philippos, der ohne Kriegsschiffe war, zimmerte an einer Flottille von
leichten illyrischen Barken, um sein Heer hinueberzufuehren. Allein als
es Ernst werden sollte, entsank ihm der Mut, den gefuerchteten
Fuenfdeckern zur See zu begegnen; er brach das seinem Bundesgenossen
Hannibal gegebene Versprechen, einen Landungsversuch zu machen, und um
doch etwas zu tun, entschloss er sich, auf seinen Teil der Beute, die
roemischen Besitzungen in Epeiros, einen Angriff zu machen (540 214).
Im besten Falle waere dabei nichts herausgekommen; allein die Roemer,
die wohl wussten, dass die offensive Deckung vorzueglicher ist als die
defensive, begnuegten sich keineswegs, wie Philippos gehofft haben
mochte, dem Angriff vom andern Ufer her zuzusehen. Die roemische Flotte
fuehrte eine Heerabteilung von Brundisium nach Epeiros; Orikon ward dem
Koenig wieder abgenommen, nach Apollonia Besatzung geworfen und das
makedonische Lager erstuermt, worauf Philippos vom halben Tun zur
voelligen Untaetigkeit ueberging und einige Jahre in tatenlosem
Kriegszustand verstreichen liess, trotz aller Beschwerden Hannibals,
der umsonst solcher Lahmheit und Kurzsichtigkeit sein Feuer und seine
Klarheit einzuhauchen versuchte. Auch war es nicht Philippos, der dann
die Feindseligkeiten erneuerte. Der Fall von Tarent (542 212), womit
Hannibal einen vortrefflichen Hafen an denjenigen Kuesten gewann, die
zunaechst sich zur Landung eines makedonischen Heeres eigneten,
veranlasste die Roemer, den Schlag von weitem zu parieren und den
Makedoniern daheim so viel zu schaffen zu machen, dass sie an einen
Versuch auf Italien nicht denken konnten. In Griechenland war der
nationale Aufschwung natuerlich laengst verraucht. Mit Hilfe der alten
Opposition gegen Makedonien und der neuen Unvorsichtigkeiten und
Ungerechtigkeiten, die Philippos sich hatte zu Schulden kommen lassen,
fiel es dem roemischen Admiral Laevinus nicht schwer, gegen Makedonien
eine Koalition der Mittel- und Kleinmaechte unter roemischem Schutz
zustande zu bringen. An der Spitze derselben standen die Aetoler, auf
deren Landtag Laevinus selber erschienen war und sie durch Zusicherung
des seit langem von ihnen begehrten akarnanischen Gebiets gewonnen
hatte. Sie schlossen mit Rom den ehrbaren Vertrag die uebrigen Hellenen
auf gemeinschaftliche Rechnung an Land und Leuten zu pluendern, so dass
das Land den Aetolern, die Leute und die fahrende Habe den Roemern
gehoeren sollten. Ihnen schlossen sich im eigentlichen Griechenland die
antimakedonisch oder vielmehr zunaechst antiachaeisch gesinnten Staaten
an: in Attika Athen, im Peloponnes Elis und Messene, besonders aber
Sparta, dessen altersschwache Verfassung eben um diese Zeit ein
dreister Soldat Machanidas ueber den Haufen geworfen hatte, um unter
dem Namen des unmuendigen Koenigs Pelops selbst despotisch zu regieren
und ein auf gedungene Soeldnerscharen gestuetztes Abenteurerregiment zu
begruenden. Es traten ferner hinzu die ewigen Gegner Makedoniens, die
Haeuptlinge der halb wilden thrakischen und illyrischen Staemme und
endlich Koenig Attalos von Pergamon, der in dem Ruin der beiden
griechischen Grossstaaten, die ihn einschlossen, den eigenen Vorteil
mit Einsicht und Energie verfolgte und scharfsichtig genug war, sich
der roemischen Klientel schon jetzt anzuschliessen, wo seine Teilnahme
noch etwas wert war. Es ist weder erfreulich noch erforderlich, den
Wechselfaellen dieses ziellosen Kampfes zu folgen. Philippos, obwohl er
jedem einzelnen seiner Gegner ueberlegen war und nach allen Seiten hin
die Angriffe mit Energie und persoenlicher Tapferkeit zurueckwies, rieb
sich dennoch auf in dieser heillosen Defensive. Bald galt es, sich
gegen die Aetoler zu wenden, die in Gemeinschaft mit der roemischen
Flotte die ungluecklichen Akarnanen vernichteten und Lokris und
Thessalien bedrohten; bald rief ihn ein Einfall der Barbaren in die
noerdlichen Landschaften; bald sandten die Achaeer um Hilfe gegen die
aetolischen und spartanischen Raubzuege; bald bedrohten Koenig Attalos
von Pergamon und der roemische Admiral Publius Sulpicius mit ihren
vereinigten Flotten die oestliche Kueste oder setzten Truppen ans Land
in Euboea. Der Mangel einer Kriegsflotte laehmte Philippos in allen
seinen Bewegungen; es kam so weit, dass er von seinem Bundesgenossen
Prusias in Bithymen, ja von Hannibal Kriegsschiffe erbat. Erst gegen
das Ende des Krieges entschloss er sich zu dem, womit er haette
anfangen muessen, hundert Kriegsschiffe bauen zu lassen; Gebrauch ist
indes von denselben nicht mehr gemacht worden, wenn ueberhaupt der
Befehl zur Ausfuehrung kam. Alle, die Griechenlands Lage begriffen und
ein Herz dafuer hatten, beklagten den unseligen Krieg, in dem
Griechenlands letzte Kraefte sich selbst zerfleischten und der
Wohlstand des Landes zugrunde ging; wiederholt hatten die
Handelsstaaten Rhodos, Chios, Mytilene, Byzanz, Athen, ja selbst
Aegypten versucht zu vermitteln. In der Tat lag es beiden Parteien nahe
genug, sich zu vertragen. Wie die Makedonier hatten auch die Aetoler,
auf die es von den roemischen Bundesgenossen hauptsaechlich ankam, viel
unter dem Krieg zu leiden; besonders seit der kleine Koenig der
Athamanen von Philippos gewonnen worden und dadurch das innere Aetolien
den makedonischen Einfaellen geoeffnet war. Auch von ihnen gingen
allmaehlich manchem die Augen auf ueber die ehrlose und verderbliche
Rolle, zu der sie das roemische Buendnis verurteilte; es ging ein
Schrei der Empoerung durch die ganze griechische Nation, als die
Aetoler in Gemeinschaft mit den Roemern hellenische Buergerschaften,
wie die von Antikyra, Oreos, Dyme, Aegina, in Masse in die Sklaverei
verkauften. Allein die Aetoler waren schon nicht mehr frei: sie wagten
viel, wenn sie auf eigene Hand mit Philippos Frieden schlossen, und
fanden die Roemer keineswegs geneigt, zumal bei der guenstigen Wendung
der Dinge in Spanien und in Italien, von einem Kriege abzustehen, den
sie ihrerseits bloss mit einigen Schiffen fuehrten und dessen Last und
Nachteil wesentlich auf die Aetoler fiel. Endlich entschlossen diese
sich doch, den vermittelnden Staedten Gehoer zu geben; trotz der
Gegenbestrebungen der Roemer kam im Winter 548/49 (206/05) ein Friede
zwischen den griechischen Maechten zustande. Aetolien hatte einen
uebermaechtigen Bundesgenossen in einen gefaehrlichen Feind verwandelt;
indes es schien dem roemischen Senat, der eben damals die Kraefte des
erschoepften Staates zu der entscheidenden afrikanischen Expedition
aufbot, nicht der geeignete Augenblick, den Bruch des Buendnisses zu
ahnden. Selbst den Krieg mit Philippos, den nach dem Ruecktritt der
Aetoler die Roemer nicht ohne bedeutende eigene Anstrengungen haetten
fuehren koennen, erschien es zweckmaessig, durch einen Frieden zu
beendigen, durch den der Zustand vor dem Kriege im wesentlichen
wiederhergestellt ward und namentlich Rom mit Ausnahme des wertlosen
atintanischen Gebiets seine saemtlichen Besitzungen an der
epeirotischen Kueste behielt. Unter den Umstaenden musste Philippos
sich noch gluecklich schaetzen, solche Bedingungen zu erhalten; allein
es war damit ausgesprochen, was sich freilich nicht laenger verbergen
liess, dass all das unsaegliche Elend, welches die zehn Jahre eines mit
widerwaertiger Unmenschlichkeit gefuehrten Krieges ueber Griechenland
gebracht hatten, nutzlos erduldet, und dass die grossartige und
richtige Kombination, die Hannibal entworfen und ganz Griechenland
einen Augenblick geteilt hatte, unwiederbringlich gescheitert war.

In Spanien, wo der Geist Hamilkars und Hannibals maechtig war, war der
Kampf ernster. Er bewegt sich in seltsamen Wechselfaellen, wie die
eigentuemliche Beschaffenheit des Landes und die Sitte des Volkes sie
mit sich bringen. Die Bauern und Hirten, die in dem schoenen Ebrotal
und dem ueppig fruchtbaren Andalusien wie in dem rauhen von zahlreichen
Waldgebirgen durchschnittenen Hochland zwischen jenem und diesem
wohnten, waren ebenso leicht als bewaffneter Landsturm
zusammenzutreiben wie schwer gegen den Feind zu fuehren und ueberhaupt
nur zusammenzuhalten. Die Staedte waren ebensowenig zu festem und
gemeinschaftlichem Handeln zu vereinigen, so hartnaeckig jede einzelne
Buergerschaft hinter ihren Waellen dem Draenger Trotz bot. Sie alle
scheinen zwischen den Roemern und den Karthagern wenig Unterschied
gemacht zu haben; ob die laestigen Gaeste, die sich im Ebrotal, oder
die, welche am Guadalquivir sich festgesetzt hatten, ein groesseres
oder kleineres Stueck der Halbinsel besassen, mag den Eingeborenen
ziemlich gleichgueltig gewesen sein, weshalb von der eigentuemlich
spanischen Zaehigkeit im Parteinehmen mit einzelnen Ausnahmen, wie
Sagunt auf roemischer, Astapa auf karthagischer Seite, in diesem Krieg
wenig hervortritt. Dennoch ward der Krieg von beiden Seiten, da weder
die Roemer noch die Afrikaner hinreichende eigene Mannschaft mit sich
gefuehrt hatten, notwendig zum Propagandakrieg, in dem selten
festgegruendete Anhaenglichkeit, gewoehnlich Furcht, Geld oder Zufall
entschied, und der, wenn er zu Ende schien, sich in einen endlosen
Festungs- und Guerillakrieg aufloeste, um bald aus der Asche wieder
aufzulodern. Die Armeen erscheinen und verschwinden wie die Duenen am
Strand; wo gestern ein Berg stand, findet man heute seine Spur nicht
mehr. Im allgemeinen ist das Uebergewicht auf Seiten der Roemer, teils
weil sie in Spanien zunaechst wohl auftraten als Befreier des Landes
von der phoenikischen Zwingherrschaft, teils durch die glueckliche Wahl
ihrer Fuehrer und durch den staerkeren Kern mitgebrachter
zuverlaessiger Truppen; doch ist es bei unserer sehr unvollkommenen und
namentlich in der Zeitrechnung tiefzerruetteten Ueberlieferung nicht
wohl moeglich, von einem also gefuehrten Kriege eine befriedigende
Darstellung zu geben.

Die beiden Statthalter der Roemer auf der Halbinsel, Gnaeus und Publius
Scipio, beide, namentlich Gnaeus, gute Generale und vortreffliche
Verwalter, vollzogen ihre Aufgabe mit dem glaenzendsten Erfolg. Nicht
bloss war der Riegel der Pyrenaeen durchstehend behauptet und der
Versuch, die gesprengte Landverbindung zwischen dem feindlichen
Oberfeldherrn und seinem Hauptquartier wiederherzustellen, blutig
zurueckgewiesen worden, nicht bloss in Tarraco durch umfassende
Festungswerke und Hafenanlagen nach dem Muster des spanischen
Neukarthago ein spanisches Neurom erschaffen, sondern es hatten auch
die roemischen Heere schon 539 (215) in Andalusien mit Glueck
gefochten. Der Zug dorthin ward das Jahr darauf (540 214) mit noch
groesserem Erfolg wiederholt; die Roemer trugen ihre Waffen fast bis zu
den Saeulen des Herakles, breiteten ihre Klientel im suedlichen Spanien
aus und sicherten endlich durch die Wiedergewinnung und
Wiederherstellung von Sagunt sich eine wichtige Station auf der Linie
vom Ebro nach Cartagena, indem sie zugleich eine alte Schuld der Nation
soweit moeglich bezahlten. Waehrend die Scipionen so die Karthager aus
Spanien fast verdraengten, wussten sie ihnen im westlichen Afrika
selbst einen gefaehrlichen Feind zu erwecken an dem maechtigen
westafrikanischen Fuersten Syphax in den heutigen Provinzen Oran und
Algier, welcher mit den Roemern in Verbindung trat (um 541 213). Waere
es moeglich gewesen, ein roemisches Heer ihm zuzufuehren, so haette man
auf grosse Erfolge hoffen duerfen; allein in Italien konnte man eben
damals keinen Mann entbehren und das spanische Heer war zu schwach, um
sich zu teilen. Indes schon Syphax’ eigene Truppen, geschult und
gefuehrt von roemischen Offizieren, erregten unter den libyschen
Untertanen Karthagos so ernstliche Gaerung, dass der stellvertretende
Oberkommandant von Spanien und Afrika, Hasdrubal Barkas, selbst mit dem
Kern der spanischen Truppen nach Afrika ging. Vermutlich durch ihn trat
dort eine Wendung ein; der Koenig Gala in der heutigen Provinz
Constantine, seit langem der Rival des Syphax, erklaerte sich fuer
Karthago, und sein tapferer Sohn Massinissa schlug den Syphax und
noetigte ihn zum Frieden. Ueberliefert ist uebrigens von diesem
libyschen Krieg wenig mehr als die Erzaehlung der grausamen Rache, die
Karthago, wie es pflegte, nach Massinissas Siege an den Aufstaendischen
nahm.

Diese Wendung der Dinge in Afrika ward auch folgenreich fuer den
spanischen Krieg. Hasdrubal konnte abermals nach Spanien sich wenden
(543 211), wohin bald betraechtliche Verstaerkungen und Massinissa
selbst ihm folgten. Die Scipionen, die waehrend der Abwesenheit des
feindlichen Oberfeldherrn (541 542 213 212) im karthagischen Gebiet
Beute und Propaganda zu machen fortgefahren hatten, sahen sich
unerwartet von so ueberlegenen Streitkraeften angegriffen, dass sie
entweder hinter den Ebro zurueckweichen oder die Spanier aufbieten
mussten. Sie waehlten das letztere und nahmen 20000 Keltiberer in Sold,
worauf sie dann, um den drei feindlichen Armeen unter Hasdrubal Barkas,
Hasdrubal Gisgons Sohn, und Mago besser zu begegnen, ihr Heer teilten
und nicht einmal ihre roemischen Truppen zusammenhielten. Damit
bereiteten sie sich den Untergang. Waehrend Gnaeus mit seinem Korps,
einem Drittel der roemischen und den saemtlichen spanischen Truppen,
Hasdrubal Barkas gegenueber lagerte, bestimmte dieser ohne Muehe durch
eine Summe Geldes die Spanier im roemischen Heere zum Abzuge, was ihnen
nach ihrer Landsknechtmoral vielleicht nicht einmal als Treubruch
erschien, da sie ja nicht zu den Feinden ihres Soldherrn ueberliefen.
Dem roemischen Feldherrn blieb nichts uebrig, als in moeglichster Eile
seinen Rueckzug zu beginnen, wobei der Feind ihm auf dem Fusse folgte.
Mittlerweile sah sich das zweite roemische Korps unter Publius von den
beiden anderen phoenikischen Armeen unter Hasdrubal Gisgons Sohn und
Mago lebhaft angegriffen, und Massinissas kecke Reiterscharen setzten
die Karthager in entschiedenen Vorteil. Schon war das roemische Lager
fast eingeschlossen; wenn noch die bereits im Anzuge begriffenen
spanischen Hilfstruppen eintrafen, waren die Roemer vollstaendig
umzingelt. Der kuehne Entschluss des Prokonsuls, mit seinen besten
Truppen den Spaniern entgegenzugehen, bevor deren Erscheinen die Luecke
in der Blockade fuellte, endigte nicht gluecklich. Die Roemer waren
wohl anfangs im Vorteil; allein die numidischen Reiter, die den
Ausfallenden rasch waren nachgesandt worden, erreichten sie bald und
hemmten sowohl die Verfolgung des halb schon erfochtenen Sieges, als
auch den Rueckmarsch, bis dass die phoenikische Infanterie herankam und
endlich der Fall des Feldherrn die verlorene Schlacht in eine
Niederlage verwandelte. Nachdem Publius also erlegen war, fand Gnaeus,
der langsam zurueckweichend sich des einen karthagischen Heeres muehsam
erwehrt hatte, ploetzlich von dreien zugleich sich angefallen und durch
die numidische Reiterei jeden Rueckzug sich abgeschnitten. Auf einen
nackten Huegel gedraengt, der nicht einmal die Moeglichkeit bot, ein
Lager zu schlagen, wurde das ganze Korps niedergehauen oder
kriegsgefangen; von dem Feldherrn selbst ward nie wieder sichere Kunde
vernommen. Eine kleine Abteilung allein rettete ein trefflicher
Offizier aus Gnaeus’ Schule, Gaius Marcius, hinueber auf das andere
Ufer des Ebro und ebendahin gelang es dem Legaten Titus Fonteius, den
von dem Korps des Publius im Lager gebliebenen Teil in Sicherheit zu
bringen; sogar die meisten im suedlichen Spanien zerstreuten roemischen
Besatzungen vermochten sich dorthin zu fluechten. Bis zum Ebro
herrschten die Phoeniker in ganz Spanien ungestoert und der Augenblick
schien nicht fern, wo der Fluss ueberschritten, die Pyrenaeen frei und
die Verbindung mit Italien hergestellt sein wuerde. Da fuehrte die Not
im roemischen Lager den rechten Mann an die Spitze. Die Wahl der
Soldaten berief mit Umgehung aelterer, nicht untuechtiger Offiziere zum
Fuehrer des Heeres jenen Gaius Marcius, und seine gewandte Leitung und
vielleicht ebenso sehr der Neid und Hader unter den drei karthagischen
Feldherren entrissen diesen die weiteren Fruechte des wichtigen Sieges.
Was von den Karthagern den Fluss ueberschritten, wurde zurueckgeworfen
und zunaechst die Ebrolinie behauptet, bis Rom Zeit gewann, ein neues
Heer und einen neuen Feldherrn zu senden. Zum Glueck gestattete dies
die Wendung des Krieges in Italien, wo soeben Capua gefallen war; es
kam eine starke Legion - 12000 Mann - unter dem Propraetor Gaius
Claudius Nero, die das Gleichgewicht der Waffen wieder herstellte. Eine
Expedition nach Andalusien im folgenden Jahr (544 210) hatte den besten
Erfolg; Hasdrubal Barkas ward umstellt und eingeschlossen und entrann
der Kapitulation nur durch unfeine List und offenen Wortbruch. Allein
Nero war der rechte Feldherr nicht fuer den Spanischen Krieg. Er war
ein tuechtiger Offizier, aber ein harter auffahrender unpopulaerer
Mann, wenig geschickt, die alten Verbindungen wieder anzuknuepfen und
neue einzuleiten und Vorteil zu ziehen aus der Unbill und dem Uebermut,
womit die Punier nach dem Tode der Scipionen Freund und Feind im
Jenseitigen Spanien behandelt und alle gegen sich erbittert hatten. Der
Senat, der die Bedeutung und die Eigentuemlichkeit des Spanischen
Krieges richtig beurteilte und durch die von der roemischen Flotte
gefangen eingebrachten Uticenser von den grossen Anstrengungen erfahren
hatte, die man in Karthago machte, um Hasdrubal und Massinissa mit
einem starken Heer ueber die Pyrenaeen zu senden, beschloss, nach
Spanien neue Verstaerkungen zu schicken und einen ausserordentlichen
Feldherrn hoeheren Ranges, dessen Ernennung man dem Volke anheimzugeben
fuer gut fand. Lange Zeit - so lautet der Bericht - meldete sich
niemand zur Uebernahme des verwickelten und gefaehrlichen Geschaefts,
bis endlich ein junger siebenundzwanzigjaehriger Offizier, Publius
Scipio, der Sohn des in Spanien gefallenen gleichnamigen Generals,
gewesener Kriegstribun und Aedil, als Bewerber auftrat. Es ist ebenso
unglaublich, dass der roemische Senat in diesen von ihm veranlassten
Komitien eine Wahl von solchem Belang dem Zufall anheimgestellt haben
sollte, als dass Ehrgeiz und Vaterlandsliebe in Rom so ausgestorben
gewesen, dass fuer den wichtigen Posten kein versuchter Offizier sich
angeboten haette. Wenn dagegen die Blicke des Senats sich wandten auf
den jungen talentvollen und erprobten Offizier, der in den heissen
Tagen am Ticinus und bei Cannae sich glaenzend ausgezeichnet hatte, dem
aber noch der erforderliche Rang abging, um als Nachfolger von
gewesenen Praetoren und Konsuln aufzutreten, so war es sehr natuerlich,
diesen Weg einzuschlagen, der das Volk auf gute Art noetigte, den
einzigen Bewerber trotz seiner mangelnden Qualifikation zuzulassen und
zugleich ihn und die ohne Zweifel sehr unpopulaere spanische Expedition
bei der Menge beliebt machen musste. War der Effekt dieser angeblich
improvisierten Kandidatur berechnet, so gelang er vollstaendig. Der
Sohn, der den Tod des Vaters zu raechen ging, dem er neun Jahre zuvor
am Ticinus das Leben gerettet hatte, der maennlich schoene junge Mann
mit den langen Locken, der bescheiden erroetend in Ermangelung eines
Besseren sich darbot fuer den Posten der Gefahr, der einfache
Kriegstribun, den nun auf einmal die Stimmen der Zenturien zu der
hoechsten Amtstaffel erhoben - das alles machte auf die roemischen
Buerger und Bauern einen wunderbaren und unausloeschlichen Eindruck.
Und in der Tat, Publius Scipio war eine begeisterte und begeisternde
Natur. Er ist keiner jener wenigen, die mit ihrem eisernen Willen die
Welt auf Jahrhunderte hinaus durch Menschenkraft in neue Gleise
zwingen; oder die doch auf Jahre dem Schicksal in die Zuegel fallen,
bis die Raeder ueber sie hinrollen. Publius Scipio hat im Auftrag des
Senats Schlachten gewonnen und Laender eroberter hat mit Hilfe seiner
militaerischen Lorbeeren auch als Staatsmann in Rom eine hervorragende
Stellung eingenommen; aber es ist weit von da bis zu Alexander und
Caesar. Als Offizier ist er seinem Vaterlande wenigstens nicht mehr
gewesen als Marcus Marcellus, und politisch hat er, wenn auch
vielleicht ohne seiner unpatriotischen und persoenlichen Politik sich
deutlich bewusst zu sein, seinem Lande mindestens ebensoviel geschadet,
als er ihm durch seine Feldherrngaben genutzt hat. Dennoch ruht ein
besonderer Zauber auf dieser anmutigen Heldengestalt; von der heiteren
und sicheren Begeisterung, die Scipio halb glaeubig halb geschickt vor
sich hertrug, ist sie durchaus wie von einer blendenden Aureole
umflossen. Mit gerade genug Schwaermerei, um die Herzen zu erwaermen,
und genug Berechnung, um das Verstaendige ueberall entscheiden und das
Gemeine nicht aus dem Ansatz wegzulassen; nicht naiv genug, um den
Glauben der Menge an seine goettlichen Inspirationen zu teilen, noch
schlicht genug, ihn zu beseitigen, und doch im stillen innig
ueberzeugt, ein Mann vom Gottes besonderen Gnaden zu sein - mit einem
Wort eine echte Prophetennatur; ueber dem Volke stehend und nicht
minder ausser dem Volke; ein Mann felsenfesten Worts und koeniglichen
Sinns, der durch Annahme des gemeinen Koenigtitels sich zu erniedrigen
meinte, aber ebensowenig begreifen konnte, dass die Verfassung der
Republik auch ihn band; seiner Groesse so sicher, dass er nichts wusste
von Neid und Hass und fremdes Verdienst leutselig anerkannte, fremde
Fehler mitleidig verzieh; ein vorzueglicher Offizier und feingebildeter
Diplomat, ohne das abstossende Sondergepraege dieses oder jenes Berufs,
hellenische Bildung einigend mit dem vollsten roemischen
Nationalgefuehl, redegewandt und anmutiger Sitte, gewann Publius Scipio
die Herzen der Soldaten und der Frauen, seiner Landsleute und der
Spanier, seiner Nebenbuhler im Senat und seines groesseren
karthagischen Gegners. Bald war sein Name auf allen Lippen und er der
Stern, der seinem Lande Sieg und Frieden zu bringen bestimmt schien.

Publius Scipio ging nach Spanien 544/45 (210/09) ab, begleitet von dem
Propraetor Marcus Silanus, der an Neros Stelle treten und dem jungen
Oberfeldherrn als Beistand und Rat dienen sollte, und von seinem
Flottenfuehrer und Vertrauten Gaius Laelius, ausgeruestet abermals mit
einer ueberzaehlig starken Legion und einer wohlgefuellten Kasse.
Gleich sein erstes Auftreten bezeichnet einer der kuehnsten und
gluecklichsten Handstreiche, die die Geschichte kennt. Die drei
karthagischen Heerfuehrer standen Hasdrubal Barkas an den Quellen,
Hasdrubal Gisgons Sohn an der Muendung des Tajo, Mago an den Saeulen
des Herakles; der naechste von ihnen um zehn Tagemaersche entfernt von
der phoenikischen Hauptstadt Neukarthago. Ploetzlich im Fruehjahr 545
(209), ehe noch die feindlichen Heere sich in Bewegung setzten, brach
Scipio gegen diese Stadt, die er von der Ebromuendung aus in wenigen
Tagen auf dem Kuestenweg erreichen konnte, mit seiner ganzen Armee von
ungefaehr 30000 Mann und der Flotte auf und ueberraschte die nicht
ueber 1000 Mann starke phoenikische Besatzung mit einem kombinierten
Angriff zu Wasser und zu Lande. Die Stadt, auf einer in den Hafen
hinein vorspringenden Landspitze gelegen, sah sich zugleich auf drei
Seiten von der roemischen Flotte, auf der vierten von den Legionen
bedroht und jede Hilfe war weit entfernt; aber der Kommandant Mago
wehrte sich mit Entschlossenheit und bewaffnete die Buergerschaft, da
die Soldaten nicht ausreichten, um die Mauern zu besetzen. Es ward ein
Ausfall versucht, welchen indes die Roemer ohne Muehe zurueckschlugen
und ihrerseits, ohne zu der Eroeffnung einer regelmaessigen Belagerung
sich die Zeit zu nehmen, den Sturm auf der Landseite begannen. Heftig
draengten die Stuermenden auf dem schmalen Landweg gegen die Stadt;
immer neue Kolonnen loesten die ermuedeten ab; die schwache Besatzung
war aufs aeusserste erschoepft, aber einen Erfolg hatten die Roemer
nicht gewonnen. Scipio hatte auch keinen erwartet; der Sturm hatte
bloss den Zweck, die Besatzung von der Hafenseite wegzuziehen, wo er,
unterrichtet davon, dass ein Teil des Hafens zur Ebbezeit trocken
liege, einen zweiten Angriff beabsichtigte. Waehrend an der Landseite
der Sturm tobte, sandte Scipio eine Abteilung mit Leitern ueber das
Watt, “wo Neptun ihnen selbst den Weg zeige”, und sie hatte in der Tat
das Glueck, die Mauern hier unverteidigt zu finden. So war am ersten
Tage die Stadt gewonnen, worauf Mago in der Burg kapitulierte. Mit der
karthagischen Hauptstadt fielen achtzehn abgetakelte Kriegs- und 63
Lastschiffe, das gesamte Kriegsmaterial, bedeutende Getreidevorraete,
die Kriegskasse von 600 Talenten (ueber 1 Million Taler), zehntausend
Gefangene, darunter achtzehn karthagische Gerusiasten oder Richter, und
die Geiseln der saemtlichen spanischen Bundesgenossen Karthagos in die
Gewalt der Roemer. Scipio verhiess den Geiseln die Erlaubnis zur
Heimkehr, sowie die Gemeinde eines jeden mit Rom in Buendnis getreten
sein wuerde, und nutzte die Hilfsmittel, die die Stadt ihm darbot, sein
Heer zu verstaerken und in besseren Stand zu bringen, indem er die
neukarthagischen Handwerker, zweitausend an der Zahl, fuer das
roemische Heer arbeiten hiess gegen das Versprechen der Freiheit bei
der Beendigung des Krieges, und aus der uebrigen Menge die faehigen
Leute zum Ruderdienst auf den Schiffen auslas. Die Stadtbuerger aber
wurden geschont und ihnen die Freiheit und die bisherige Stellung
gelassen; Scipio kannte die Phoeniker und wusste, dass sie gehorchen
wuerden, und es war wichtig, die Stadt mit dem einzigen vortrefflichen
Hafen an der Ostkueste und den reichen Silberbergwerken nicht bloss
durch eine Besatzung zu sichern.

So war die verwegene Unternehmung gelungen, verwegen deshalb, weil es
Scipio nicht unbekannt war, dass Hasdrubal Barkas von seiner Regierung
den Befehl erhalten hatte, nach Gallien vorzudringen, und diesen
auszufuehren beschaeftigt war, und weil die schwache, am Ebro
zurueckgelassene Abteilung unmoeglich imstande war, ihm dies ernstlich
zu wehren, wenn Scipios Rueckkehr sich auch nur verzoegerte. Indes er
war zurueck in Tarraco, ehe Hasdrubal sich am Ebro gezeigt hatte; das
gefaehrliche Spiel, das der junge Feldherr spielte, als er seine
naechste Aufgabe im Stich liess, um einen lockenden Streich
auszufuehren, ward verdeckt durch den fabelhaften Erfolg, den Neptunus
und Scipio gemeinschaftlich gewonnen hatten. Die wunderhafte Einnahme
der phoenikischen Hauptstadt rechtfertigte so ueber die Massen alles,
was man daheim von dem wunderbaren Juengling sich versprochen hatte,
dass jedes andere Urteil verstummen musste. Scipios Kommando wurde auf
unbestimmte Zeit verlaengert; er selber beschloss, sich nicht mehr auf
die duerftige Aufgabe zu beschraenken, der Hueter der Pyrenaeenpaesse
zu sein. Schon hatten infolge des Falles von Neukarthago nicht bloss
die diesseitigen Spanier sich voellig unterworfen, sondern auch
jenseits des Ebro die maechtigsten Fuersten die karthagische Klientel
mit der roemischen vertauscht. Scipio nutzte den Winter 545/46 (209/08)
dazu, seine Flotte aufzuloesen und mit den dadurch gewonnenen Leuten
sein Landheer so zu vermehren, dass er zugleich den Norden bewachen und
im Sueden die Offensive nachdruecklicher als bisher ergreifen koenne,
und marschierte im Jahre 546 (208) nach Andalusien. Hier traf er auf
Hasdrubal Barkas, der in Ausfuehrung des lange gehegten Planes, dem
Bruder zu Hilfe zu kommen, nordwaerts zog. Bei Baecula kam es zur
Schlacht, in der sich die Roemer den Sieg zuschrieben und 10000
Gefangene gemacht haben sollen; aber Hasdrubal erreichte, wenn auch mit
Aufopferung eines Teils seiner Armee, im wesentlichen seinen Zweck. Mit
seiner Kasse, seinen Elefanten und dem besten Teil seiner Truppen
schlug er sich durch an die spanische Nordkueste, erreichte am Ozean
hinziehend die westlichen, wie es scheint, nicht besetzten
Pyrenaeenpaesse und stand noch vor dem Eintritt der schlechten
Jahreszeit in Gallien, wo er Winterquartier nahm. Es zeigte sich, dass
Scipios Entschluss, mit der ihm aufgetragenen Defensive die Offensive
zu verbinden, unueberlegt und unweise gewesen war; der naechsten
Aufgabe des spanischen Heeres, die nicht bloss Scipios Vater und Oheim,
sondern selbst Gaius Marcius und Gaius Nero mit viel geringeren Mitteln
geloest hatten, hatte der siegreiche Feldherr an der Spitze einer
starken Armee in seinem Uebermut nicht genuegt, und wesentlich er
verschuldete die aeusserst gefaehrliche Lage Roms im Sommer 547 (207),
als Hannibals Plan eines kombinierten Angriffs auf die Roemer endlich
dennoch sich realisierte. Indes die Goetter deckten die Fehler ihres
Lieblings mit Lorbeeren zu. In Italien ging die Gefahr gluecklich
vorueber; man liess sich das Bulletin des zweideutigen Sieges von
Baecula gefallen und gedachte, als neue Siegesberichte aus Spanien
einliefen, nicht weiter des Umstandes, dass man den faehigsten
Feldherrn und den Kern der spanisch-phoenikischen Armee in Italien zu
bekaempfen gehabt hatte.

Nach Hasdrubal Barkas’ Entfernung beschlossen die beiden in Spanien
zurueckbleibenden Feldherren, vorlaeufig zurueckzuweichen, Hasdrubal
Gisgons Sohn nach Lusitanien, Mago gar auf die Balearen, und bis neue
Verstaerkungen aus Afrika anlangten, nur Massinissas leichte Reiterei
in Spanien streifen zu lassen, aehnlich wie es Muttines in Sizilien mit
so grossem Erfolge getan. So geriet die ganze Ostkueste in die Gewalt
der Roemer. Im folgenden Jahre (547 207) erschien wirklich aus Afrika
Hanno mit einem dritten Heere, worauf auch Mago und Hasdrubal sich
wieder nach Andalusien wandten. Allein Marcus Silanus schlug Magos und
Hannos vereinigte Heere und nahm den letzteren selbst gefangen.
Hasdrubal gab darauf die Behauptung des offenen Feldes auf und
verteilte seine Truppen in die andalusischen Staedte, von denen Scipio
in diesem Jahr nur noch eine, Oringis, erstuermen konnte. Die Phoeniker
schienen ueberwaeltigt; aber dennoch vermochten sie das Jahr darauf
(548 206) wieder ein gewaltiges Heer ins Feld zu senden, 32 Elefanten,
4000 Mann zu Pferde, 70000 zu Fuss, freilich zum allergroessten Teil
zusammengeraffte spanische Landwehr. Wieder bei Baecula kam es zur
Schlacht. Das roemische Heer zaehlte wenig mehr als die Haelfte des
feindlichen und auch von ihm war ein guter Teil Spanier. Scipio
stellte, wie Wellington in gleichem Fall, seine Spanier so auf, dass
sie nicht zum Schlagen kamen - die einzige Moeglichkeit, ihr Ausreissen
zu verhindern -, waehrend er umgekehrt seine roemischen Truppen zuerst
auf die Spanier warf. Der Tag war dennoch hart bestritten; doch siegten
endlich die Roemer, und wie sich von selbst versteht, war die
Niederlage eines solchen Heeres gleichbedeutend mit der voelligen
Aufloesung desselben - einzeln retteten sich Hasdrubal und Mago nach
Gades. Die Roemer standen jetzt ohne Nebenbuhler auf der Halbinsel; die
wenigen nicht gutwillig sich fuegenden Staedte wurden einzeln bezwungen
und zum Teil mit grausamer Haerte bestraft. Scipio konnte sogar auf der
afrikanischen Kueste dem Syphax einen Besuch abstatten und mit ihm, ja
selbst mit Massinissa fuer den Fall einer Expedition nach Afrika
Verbindungen einleiten - ein tollkuehnes Wagstueck, das durch keinen
entsprechenden Zweck gerechtfertigt ward, so sehr auch der Bericht
davon den neugierigen Hauptstaedtern daheim behagen mochte. Nur Gades,
wo Mago den Befehl fuehrte, war noch phoenikisch. Einen Augenblick
schien es, als ob, nachdem die Roemer die karthagische Erbschaft
angetreten und die hier und da in Spanien genaehrte Hoffnung nach
Beendigung des phoenikischen Regiments auch der roemischen Gaeste
loszuwerden und die alte Freiheit wieder zu erlangen, hinreichend
widerlegt hatten, in Spanien eine allgemeine Insurrektion gegen die
Roemer ausbrechen wuerde, bei welcher die bisherigen Verbuendeten Roms
vorangingen. Die Erkrankung des roemischen Feldherrn und die Meuterei
eines seiner Korps, veranlasst durch den seit vielen Jahren
rueckstaendigen Sold, beguenstigten den Aufstand. Indes Scipio genas
schneller als man gemeint hatte und daempfte mit Gewandtheit den
Soldatentumult; worauf auch die Gemeinden, die bei der Nationalerhebung
vorangegangen waren, alsbald niedergeworfen wurden, ehe die
Insurrektion Boden gewann. Da es also auch damit nichts und Gades doch
auf die Laenge nicht zu halten war, befahl die karthagische Regierung
dem Mago zusammenzuraffen, was dort an Schiffen, Truppen und Geld sich
vorfinde, und damit womoeglich dem Krieg in Italien eine andere Wendung
zu geben. Scipio konnte dies nicht wehren - es raechte sich jetzt, dass
er seine Flotte aufgeloest hatte - und musste zum zweitenmal die ihm
anvertraute Beschirmung der Heimat gegen neue Invasion seinen Goettern
anheimstellen. Unbehindert verliess der letzte von Hamilkars Soehnen
die Halbinsel. Nach seinem Abzug ergab sich auch Gades, die aelteste
und letzte Besitzung der Phoeniker auf spanischem Boden, unter
guenstigen Bedingungen den neuen Herren. Spanien war nach
dreizehnjaehrigem Kampfe aus einer karthagischen in eine roemische
Provinz verwandelt worden, in der zwar noch jahrhundertelang die stets
besiegte und nie ueberwundene Insurrektion den Kampf gegen die Roemer
fortfuehrte, aber doch im Augenblick kein Feind den Roemern
gegenueberstand. Scipio ergriff den ersten Moment der Scheinruhe, um
sein Kommando abzugeben (Ende 548 206) und in Rom persoenlich von den
erfochtenen Siegen und den gewonnenen Landschaften zu berichten.

Waehrend also Marcellus in Sizilien, Publius Sulpicius in Griechenland,
Scipio in Spanien den Krieg beendigten, ging auf der italischen
Halbinsel der gewaltige Kampf ununterbrochen weiter. Hier standen,
nachdem die Cannensische Schlacht geschlagen war und deren Folgen an
Verlust und Gewinn sich allmaehlich uebersehen liessen, im Anfang des
Jahres 540 (214), des fuenften Kriegsjahres, die Roemer und Phoeniker
folgendermassen sich gegenueber. Norditalien hatten die Roemer nach
Hannibals Abzug wieder besetzt und deckten es mit drei Legionen, wovon
zwei im Keltenlande standen, die dritte als Rueckhalt in Picenum.
Unteritalien bis zum Garganus und Volturnus war mit Ausnahme der
Festungen und der meisten Haefen in Hannibals Haenden. Er stand mit der
Hauptarmee bei Arpi, ihm in Apulien gegenueber, gestuetzt auf die
Festungen Luceria und Benevent, Tiberius Gracchus mit vier Legionen. Im
brettischen Lande, dessen Einwohner sich Hannibal gaenzlich in die Arme
geworfen hatten und wo auch die Haefen, mit Ausnahme von Rhegion, das
die Roemer von Messana aus schuetzten, von den Phoenikern besetzt
worden waren, stand ein zweites karthagisches Heer unter Hanno, ohne
zunaechst einen Feind sich gegenueber zu sehen. Die roemische
Hauptarmee von vier Legionen unter den beiden Konsuln Quintus Fabius
und Marcus Marcellus war im Begriff, die Wiedergewinnung Capuas zu
versuchen. Dazu kam roemischerseits die Reserve von zwei Legionen in
der Hauptstadt, die in alle Seehaefen gelegte Besatzung, welche in
Tarent und Brundisium wegen der dort befuerchteten makedonischen
Landung durch eine Legion verstaerkt worden war, endlich die starke,
das Meer ohne Widerstreit beherrschende Flotte. Rechnet man dazu die
roemischen Heere in Sizilien, Sardinien und Spanien, so laesst sich die
Gesamtzahl der roemischen Streitkraefte, auch abgesehen von dem
Besatzungsdienst, den in den unteritalischen Festungen die dort
angesiedelte Buergerschaft zu versehen hatte, nicht unter 200000 Mann
anschlagen, darunter ein Drittel fuer dies Jahr neu einberufene Leute
und etwa die Haelfte roemische Buerger. Man darf annehmen, dass die
gesamte dienstfaehige Mannschaft vom 17. bis zum 46. Jahre unter den
Waffen stand und die Felder, wo der Krieg sie zu bearbeiten erlaubte,
von den Sklaven, den Alten, den Kindern und Weibern bestellt wurden.
Dass unter solchen Verhaeltnissen auch die Finanzen in der peinlichsten
Verlegenheit waren, ist begreiflich; die Grundsteuer, auf die man
hauptsaechlich angewiesen war, ging natuerlich nur sehr unregelmaessig
ein. Aber trotz dieser Not um Mannschaft und Geld vermochten die Roemer
dennoch, das rasch Verlorene zwar langsam und mit Anspannung aller
Kraefte, aber doch zurueckzuerobern; ihre Heere jaehrlich zu vermehren,
waehrend die phoenikischen zusammenschwanden; gegen Hannibals italische
Bundesgenossen, die Kampaner, Apuler, Samniten, Brettier, die weder wie
die roemischen Festungen in Unteritalien sich selber genuegten noch von
Hannibals schwachem Heer hinreichend gedeckt werden konnten, jaehrlich
Boden zu gewinnen; endlich mittels der von Marcus Marcellus
begruendeten Kriegsweise das Talent der Offiziere zu entwickeln und die
Ueberlegenheit des roemischen Fussvolks in vollem Umfange ins Spiel zu
bringen. Hannibal durfte wohl noch auf Siege hoffen, aber nicht mehr
auf Siege wie am Trasimenischen See und am Aufidus; die Zeiten der
Buergergenerale waren vorbei. Es blieb ihm nichts uebrig, als
abzuwarten, bis entweder Philippos die laengst versprochene Landung
ausfuehren oder die Brueder aus Spanien ihm die Hand reichen wuerden,
und mittlerweile sich, seine Armee und seine Klientel soweit moeglich
unversehrt und bei guter Laune zu erhalten. Man erkennt in der zaehen
Defensive, die jetzt beginnt, mit Muehe den Feldherrn wieder, der wie
kaum ein anderer stuermisch und verwegen die Offensive gefuehrt hat; es
ist psychologisch wie militaerisch bewundernswert, dass derselbe Mann
die beiden ihm gestellten Aufgaben ganz entgegengesetzter Art in
gleicher Vollkommenheit geloest hat.

Zunaechst zog der Krieg sich vornehmlich nach Kampanien. Hannibal
erschien rechtzeitig zum Schutz der Hauptstadt, deren Einschliessung er
hinderte; allein weder vermochte er irgendeine der kampanischen
Staedte, die die Roemer besassen, den starken roemischen Besatzungen zu
entreissen, noch konnte er wehren, dass ausser einer Menge minder
wichtiger Landstaedte auch Casilinum, das ihm den Uebergang ueber den
Volturnus sicherte, von den beiden Konsularheeren nach hartnaeckiger
Gegenwehr genommen ward. Ein Versuch Hannibals Tarent zu gewinnen,
wobei es namentlich auf einen sicheren Landungsplatz fuer die
makedonische Armee abgesehen war, schlug ihm fehl. Das brettische Heer
der Karthager unter Hanno schlug sich inzwischen in Lucanien mit der
roemischen Armee von Apulien herum; Tiberius Gracchus bestand hier mit
Erfolg den Kampf und gab nach einem gluecklichen Gefecht unweit
Benevent, bei dem die zum Dienst gepressten Sklavenlegionen sich
ausgezeichnet hatten, den Sklavensoldaten im Namen des Volks die
Freiheit und das Buergerrecht.

Im folgenden Jahr (541 213) gewannen die Roemer das reiche und wichtige
Arpi zurueck, dessen Buergerschaft, nachdem die roemischen Soldaten
sich in die Stadt eingeschlichen hatten, mit ihnen gegen die
karthagische Besatzung gemeinschaftliche Sache machte. Ueberhaupt
lockerten sich die Bande der Hannibalischen Symmachie; eine Anzahl der
vornehmsten Capuaner und mehrere brettische Staedte gingen ueber zu
Rom; sogar eine spanische Abteilung des phoenikischen Heeres trat,
durch spanische Emissaere von dem Gang der Ereignisse in der Heimat in
Kenntnis gesetzt, aus karthagischen in roemische Dienste.

Unguenstiger war fuer die Roemer das Jahr 542 (212) durch neue
politische und militaerische Fehler, die Hannibal auszubeuten nicht
unterliess. Die Verbindungen, welche Hannibal in den grossgriechischen
Staedten unterhielt, hatten zu keinem ernstlichen Resultat gefuehrt;
nur die in Rom befindlichen tarentinischen und thurinischen Geiseln
liessen sich durch seine Emissaere zu einem tollen Fluchtversuch
bestimmen, wobei sie schleunig von den roemischen Posten wieder
aufgegriffen wurden. Allein die unverstaendige Rachsucht der Roemer
foerderte Hannibal mehr als seine Intrigen; die Hinrichtung der
saemtlichen entwichenen Geiseln beraubte sie eines kostbaren
Unterpfandes, und die erbitterten Griechen sannen seitdem, wie sie
Hannibal die Tore oeffnen moechten. Wirklich ward Tarent durch
Einverstaendnis mit der Buergerschaft und durch die Nachlaessigkeit des
roemischen Kommandanten von den Karthagern besetzt; kaum dass die
roemische Besatzung sich in der Burg behauptete. Dem Beispiel Tarents
folgten Herakleia, Thurii und Metapont, aus welcher Stadt zur Rettung
der Tarentiner Akropolis die Besatzung hatte weggezogen werden muessen.
Damit war die Gefahr einer makedonischen Landung so nahe gerueckt, dass
Rom sich genoetigt sah, dem fast gaenzlich vernachlaessigten
griechischen Krieg neue Aufmerksamkeit und neue Anstrengungen
zuzuwenden, wozu gluecklicherweise die Einnahme von Syrakus und der
guenstige Stand des spanischen Krieges die Moeglichkeit gewaehrte. Auf
dem Hauptkriegsschauplatz, in Kampanien, ward mit sehr abwechselndem
Erfolge gefochten. Die in der Naehe von Capua postierten Legionen
hatten zwar die Stadt noch nicht eigentlich eingeschlossen, aber doch
die Bestellung des Ackers und die Einbringung der Ernte so sehr
gehindert, dass die volkreiche Stadt auswaertiger Zufuhr dringend
bedurfte. Hannibal brachte also einen betraechtlichen Getreidetransport
zusammen und wies die Kampaner an, ihn bei Benevent in Empfang zu
nehmen; allein deren Saumseligkeit gab den Konsuln Quintus Flaccus und
Appius Claudius Zeit herbeizukommen, dem Hanno, der den Transport
deckte, eine schwere Niederlage beizubringen und sich seines Lagers und
der gesamten Vorraete zu bemaechtigen. Die beiden Konsuln schlossen
darauf die Stadt ein, waehrend Tiberius Gracchus sich auf der Appischen
Strasse aufstellte, um Hannibal den Weg zum Entsatz zu verlegen. Aber
der tapfere Mann fiel durch die schaendliche List eines treulosen
Lucaners, und sein Tod kam einer voelligen Niederlage gleich, da sein
Heer, groesstenteils bestehend aus jenen von ihm freigesprochenen
Sklaven, nach dem Tode des geliebten Fuehrers auseinanderlief. So fand
Hannibal die Strasse nach Capua offen und noetigte durch sein
unvermutetes Erscheinen die beiden Konsuln, die kaum begonnene
Einschliessung wieder aufzuheben, nachdem noch vor Hannibals Eintreffen
ihre Reiterei von der phoenikischen, die unter Hanno und Bostar als
Besatzung in Capua lag, und der ebenso vorzueglichen kampanischen
nachdruecklich geschlagen worden war. Die totale Vernichtung der von
Marcus Centenius, einem vom Unteroffizier zum Feldherrn unvorsichtig
befoerderten Mann, angefuehrten regulaeren Truppen und Freischaren in
Lucanien, und die nicht viel weniger vollstaendige Niederlage des
nachlaessigen und uebermuetigen Praetors Gnaeus Fulvius Flaccus in
Apulien beschlossen die lange Reihe der Unfaelle dieses Jahres. Aber
das zaehe Ausharren der Roemer machte wenigstens an dem entscheidenden
Punkte den raschen Erfolg Hannibals doch wieder zunichte. Sowie
Hannibal Capua den Ruecken wandte, um sich nach Apulien zu begeben,
zogen die roemischen Heere sich abermals um Capua zusammen, bei Puteoli
und Volturnum unter Appius Claudius, bei Casilinum unter Quintus
Fulvius, auf der Nolanischen Strasse unter dem Praetor Gaius Claudius
Nero; die drei wohlverschanzten und durch befestigte Linien miteinander
verbundenen Lager sperrten jeden Zugang, und die grosse, ungenuegend
verproviantierte Stadt musste durch blosse Umstellung in nicht
entfernter Zeit sich zur Kapitulation gezwungen sehen, wenn kein
Entsatz kam. Wie der Winter 542/43 (212/11) zu Ende ging, waren auch
die Vorraete fast erschoepft, und dringende Boten, die kaum imstande
waren, durch die wohlbewachten roemischen Linien sich
durchzuschleichen, begehrten schleunige Hilfe von Hannibal, der, mit
der Belagerung der Burg beschaeftigt, in Tarent stand. In Eilmaerschen
brach er mit 33 Elefanten und seinen besten Truppen von Tarent nach
Kampanien auf, hob den roemischen Posten in Calatia auf und nahm sein
Lager am Berge Tifata unmittelbar bei Capua, in der sicheren Erwartung,
dass die roemischen Feldherren eben wie im vorigen Jahre daraufhin die
Belagerung aufheben wuerden. Allein die Roemer, die Zeit gehabt hatten,
ihre Lager und ihre Linien festungsartig zu verschanzen, ruehrten sich
nicht und sahen unbeweglich von den Waellen aus zu, wie auf der einen
Seite die kampanischen Reiter, auf der anderen die numidischen
Schwaerme an ihre Linien anprallten. An einen ernstlichen Sturm durfte
Hannibal nicht denken; er konnte voraussehen, dass sein Anruecken bald
die anderen roemischen Heere nach Kampanien nachziehen wuerde, wenn
nicht schon frueher der Mangel an Futter in dem systematisch
ausfouragierten Lande ihn aus Kampanien vertrieb. Dagegen liess sich
nichts machen. Hannibal versuchte noch einen Ausweg, den letzten, der
seinem erfinderischen Geist sich darbot, um die wichtige Stadt zu
retten. Er brach mit dem Entsatzheer, nachdem er den Kampanern von
seinem Vorhaben Nachricht gegeben und sie zum Ausharren ermahnt hatte,
von Capua auf und schlug die Strasse nach Rom ein. Mit derselben
gewandten Kuehnheit wie in seinen ersten italischen Feldzuegen warf er
sich mit einem schwachen Heer zwischen die feindlichen Armeen und
Festungen und fuehrte seine Truppen durch Samnium und auf der
Valerischen Strasse an Tibur vorbei bis zur Aniobruecke, die er
passierte und auf dem anderen Ufer ein Lager nahm, eine deutsche Meile
von der Stadt. Den Schreck empfanden noch die Enkel der Enkel, wenn
ihnen erzaehlt ward von “Hannibal vor dem Tor”; eine ernstliche Gefahr
war nicht vorhanden. Die Landhaeuser und Aecker in der Naehe der Stadt
wurden von den Feinden verheert; die beiden Legionen in der Stadt, die
gegen sie ausrueckten, verhinderten die Berennung der Mauern. Durch
einen Handstreich, wie ihn Scipio bald nachher gegen Neukarthago
ausfuehrte, Rom zu ueberrumpeln, hatte Hannibal uebrigens nie gemeint
und noch weniger an eine ernstliche Belagerung gedacht; seine Hoffnung
war einzig darauf gestellt, dass im ersten Schreck ein Teil des
Belagerungsheeres von Capua nach Rom marschieren und ihm also
Gelegenheit geben werde, die Blockade zu sprengen. Darum brach er nach
kurzem Verweilen wieder auf. Die Roemer sahen in seiner Umkehr ein
Wunder der goettlichen Gnade, die durch Zeichen und Gesichte den argen
Mann zum Abzug bestimmt habe, wozu ihn die roemischen Legionen freilich
zu noetigen nicht vermochten; an der Stelle, wo Hannibal der Stadt am
naechsten gekommen war, von dem Capenischen Tor an dem zweiten
Miglienstein der Appischen Strasse, errichteten die dankbaren
Glaeubigen dem Gott “Rueckwender Beschuetzer” (Rediculus Tutanus) einen
Altar. In der Tat zog Hannibal ab, weil es so in seinem Plane lag, und
schlug die Richtung nach Capua ein. Allein die roemischen Feldherren
hatten den Fehler nicht begangen, auf den ihr Gegner gerechnet hatte;
unbeweglich standen die Legionen in den Linien um Capua und nur ein
schwaches Korps war auf die Kunde von Hannibals Marsch nach Rom
detachiert worden. Wie Hannibal dies erfuhr, wandte er sich ploetzlich
um gegen den Konsul Publius Galba, der ihm von Rom her unbesonnen
gefolgt war, und mit dem er bisher vermieden hatte zu schlagen,
ueberwand ihn und erstuermte sein Lager; aber es war das ein geringer
Ersatz fuer Capuas jetzt unvermeidlichen Fall. Lange schon hatte die
Buergerschaft daselbst, namentlich die besseren Klassen derselben, mit
bangen Ahnungen der Zukunft entgegengesehen; den Fuehrern der Rom
feindlichen Volkspartei blieb das Rathaus und die staedtische
Verwaltung fast ausschliesslich ueberlassen. Jetzt ergriff die
Verzweiflung Vornehme und Geringe, Kampaner und Phoeniker ohne
Unterschied. Achtundzwanzig vom Rat waehlten den freiwilligen Tod; die
uebrigen uebergaben die Stadt dem Gutfinden eines unversoehnlich
erbitterten Feindes. Dass Blutgerichte folgen mussten, verstand sich
von selbst; man stritt nur ueber langen oder kurzen Prozess: ob es
klueger und zweckmaessiger sei, die weiteren Verzweigungen des
Hochverrats auch ausserhalb Capuas gruendlich zu ermitteln oder durch
rasche Exekution der Sache ein Ende zu machen. Ersteres wollten Appius
Claudius und der roemische Senat; die letztere Meinung, vielleicht die
weniger unmenschliche, siegte ob. Dreiundfuenfzig capuanische Offiziere
und Beamte wurden auf den Marktplaetzen von Cales und Teanum auf Befehl
und vor den Augen des Prokonsuls Quintus Flaccus ausgepeitscht und
enthauptet, der Rest des Rates eingekerkert, ein zahlreicher Teil der
Buergerschaft in die Sklaverei verkauft, das Vermoegen der
Wohlhabenderen konfisziert. Aehnliche Gerichte ergingen ueber Atella
und Calatia. Diese Strafen waren hart; allein mit Ruecksicht auf das,
was Capuas Abfall fuer Rom bedeutet, und auf das, was der
Kriegsgebrauch jener Zeit wenn nicht recht, doch ueblich gemacht hatte,
sind sie begreiflich. Und hatte nicht durch den Mord der saemtlichen in
Capua zur Zeit des Abfalls anwesenden roemischen Buerger unmittelbar
nach dem uebertritt die Buergerschaft sich selber ihr Urteil
gesprochen? Arg aber war es, dass Rom diese Gelegenheit benutzte, um
die stille Rivalitaet, die lange zwischen den beiden groessten Staedten
Italiens bestanden hatte, zu befriedigen und durch die Aufhebung der
kampanischen Stadtverfassung die gehasste und beneidete Nebenbuhlerin
vollstaendig politisch zu vernichten.

Ungeheuer war der Eindruck von Capuas Fall, und nur um so mehr, weil er
nicht durch Ueberraschung, sondern durch eine zweijaehrige, allen
Anstrengungen Hannibals zum Trotze durchgefuehrte Belagerung
herbeigefuehrt worden war. Er war ebenso sehr das Signal der den
Roemern wiedergewonnenen Oberhand in Italien, wie sechs Jahre zuvor der
Uebertritt Capuas zu Hannibal das Signal der verlorenen gewesen war.
Vergeblich hatte Hannibal versucht, dem Eindruck dieser Nachricht auf
die Bundesgenossen entgegenzuarbeiten durch die Einnahme von Rhegion
oder der tarentinischen Burg. Sein Gewaltmarsch, um Rhegion zu
ueberraschen, hatte nichts gefruchtet und in der Burg von Tarent war
der Mangel zwar gross, seit das tarentinisch-karthagische Geschwader
den Hafen sperrte, aber da die Roemer mit ihrer weit staerkeren Flotte
jenem Geschwader selbst die Zufuhr abzuschneiden vermochten, und das
Gebiet, das Hannibal beherrschte, kaum genuegte, sein Heer zu
ernaehren, so litten die Belagerer auf der Seeseite nicht viel weniger
als die Belagerten in der Burg und verliessen endlich den Hafen. Es
gelang nichts mehr; das Glueck selbst schien von dem Karthager
gewichen. Diese Folgen von Capuas Fall, die tiefe Erschuetterung des
Ansehens und Vertrauens, das Hannibal bisher bei den italischen
Verbuendeten genossen, und die Versuche jeder nicht allzusehr
kompromittierten Gemeinde, auf leidliche Bedingungen in die roemische
Symmachie wieder zurueckzutreten, waren noch weit empfindlicher fuer
Hannibal als der unmittelbare Verlust. Er hatte die Wahl, in die
schwankenden Staedte entweder Besatzung zu werfen, wodurch er sein
schon zu schwaches Heer noch mehr schwaechte und seine zuverlaessigen
Truppen der Aufreibung in kleinen Abteilungen und dem Verrat preisgab -
so wurden ihm im Jahre 544 (210) bei dem Abfall der Stadt Salapia 500
auserlesene numidische Reiter niedergemacht; oder die unsicheren
Staedte zu schleifen und anzuzuenden, um sie dem Feind zu entziehen,
was denn auch die Stimmung unter seiner italischen Klientel nicht heben
konnte. Mit Capuas Fall fuehlten die Roemer des endlichen Ausganges des
Krieges in Italien sich wiederum sicher; sie entsandten betraechtliche
Verstaerkungen nach Spanien, wo durch den Fall der beiden Scipionen die
Existenz der roemischen Armee gefaehrdet war, und gestatteten zum
erstenmal seit dem Beginn des Krieges sich eine Verminderung der
Gesamtzahl der Truppen, die bisher trotz der jaehrlich steigenden
Schwierigkeit der Aushebung jaehrlich vermehrt worden und zuletzt bis
auf 23 Legionen gestiegen war. Darum ward denn auch im naechsten Jahr
(544 210 ) der italische Krieg laessiger als bisher von den Roemern
gefuehrt, obwohl Marcus Marcellus nach Beendigung des sizilischen
Krieges wieder den Oberbefehl der Hauptarmee uebernommen hatte; er
betrieb in den inneren Landschaften den Festungskrieg und lieferte den
Karthagern unentschiedene Gefechte. Auch der Kampf um die tarentinische
Akropole blieb ohne entscheidendes Resultat. In Apulien gelang Hannibal
die Besiegung des Prokonsuls Gnaeus Fulvius Centumalus bei Herdoneae.
Das Jahr darauf (545 209) schritten die Roemer dazu, der zweiten
Grossstadt, die zu Hannibal uebergetreten war, der Stadt Tarent sich
wieder zu bemaechtigen. Waehrend Marcus Marcellus den Kampf gegen
Hannibal selbst mit gewohnter Zaehigkeit und Energie fortsetzte - in
einer zweitaegigen Schlacht erfocht er, am ersten Tage geschlagen, am
zweiten einen schweren und blutigen Sieg; waehrend der Konsul Quintus
Fulvius die schon schwankenden Lucaner und Hirpiner zum Wechsel der
Partei und zur Auslieferung der phoenikischen Besatzungen bestimmte;
waehrend gut geleitete Razzias von Rhegion aus Hannibal noetigten, den
bedraengten Brettiern zu Hilfe zu eilen, setzte der alte Quintus
Fabius, der noch einmal - zum fuenftenmal - das Konsulat und damit den
Auftrag, Tarent wieder zu erobern, angenommen hatte, sich fest in dem
nahen messapischen Gebiet, und der Verrat einer brettischen Abteilung
der Besatzung ueberlieferte ihm die Stadt, in der von den erbitterten
Siegern fuerchterlich gehaust ward. Was von der Besatzung oder von der
Buergerschaft ihnen vorkam, wurde niedergemacht und die Haeuser
gepluendert. Es sollen 30000 Tarentiner als Sklaven verkauft, 3000
Talente (5 Mill. Taler) in den Staatsschatz geflossen sein. Es war die
letzte Waffentat des achtzigjaehrigen Feldherrn; Hannibal kam zum
Entsatz, als alles vorbei war, und zog sich zurueck nach Metapont.

Nachdem also Hannibal seine wichtigsten Eroberungen eingebuesst

hatte und allmaehlich sich auf die suedwestliche Spitze der Halbinsel
beschraenkt sah, hoffte Marcus Marcellus, der fuer das naechste Jahr
(546 208) zum Konsul gewaehlt worden war, in Verbindung mit seinem
tuechtigen Kollegen Titus Quinctius Crispinus dem Krieg durch einen
entscheidenden Angriff ein Ende zu machen. Den alten Soldaten fochten
seine sechzig Jahre nicht an; wachend und traeumend verfolgte ihn der
eine Gedanke, Hannibal zu schlagen und Italien zu befreien. Allein das
Schicksal sparte diesen Kranz fuer ein juengeres Haupt. Bei einer
unbedeutenden Rekognoszierung wurden beide Konsuln in der Gegend von
Venusia von einer Abteilung afrikanischer Reiter ueberfallen. Marcellus
focht den ungleichen Kampf, wie er vor vierzig Jahren gegen Hamilkar,
vor vierzehn bei Clastidium gefochten hatte, bis er sterbend vom Pferde
sank; Crispinus entkam, starb aber an den im Gefecht empfangenen Wunden
(546 208).

Man stand jetzt im elften Kriegsjahr. Die Gefahr schien geschwunden,
die einige Jahre zuvor die Existenz des Staates bedroht hatte; aber nur
um so mehr fuehlte man den schweren und jaehrlich schwerer werdenden
Druck des endlosen Krieges. Die Staatsfinanzen litten unsaeglich. Man
hatte nach der Schlacht von Cannae (538 216) eine eigene Bankkommission
(tres viri mensarii) aus den angesehensten Maennern niedergesetzt, um
fuer die oeffentlichen Finanzen in diesen schweren Zeiten eine dauernde
und umsichtige Oberbehoerde zu haben; sie mag getan haben, was moeglich
war, aber die Verhaeltnisse waren von der Art, dass alle Finanzweisheit
daran zuschanden ward. Gleich zu Anfang des Krieges hatte man die
Silber- und die Kupfermuenze verringert, den Legalkurs des
Silberstueckes um mehr als ein Drittel erhoeht und eine Goldmuenze weit
ueber den Metallwert ausgegeben. Sehr bald reichte dies nicht aus; man
musste von den Lieferanten auf Kredit nehmen und sah ihnen durch die
Finger, weil man sie brauchte, bis der arge Unterschleif zuletzt die
Aedilen veranlasste, durch Anklage vor dem Volk an einigen der
schlimmsten ein Exempel zu statuieren. Man nahm den Patriotismus der
Vermoegenden, die freilich verhaeltnismaessig eben am meisten litten,
oft in Anspruch und nicht umsonst. Die Soldaten aus den besseren
Klassen und die Unteroffiziere und Reiter insgesamt schlugen,
freiwillig oder durch den Geist der Korps gezwungen, die Annahme des
Soldes aus. Die Eigentuemer der von der Gemeinde bewaffneten und nach
dem Treffen bei Benevent freigesprochenen Sklaven erwiderten der
Bankkommission, die ihnen Zahlung anbot, dass sie dieselbe bis zum Ende
des Krieges anstehen lassen wollten (540 214). Als fuer die Ausrichtung
der Volksfeste und die Instandhaltung der oeffentlichen Gebaeude kein
Geld mehr in der Staatskasse war, erklaerten die Gesellschaften, die
diese Geschaefte bisher in Akkord gehabt hatten, sich bereit, dieselben
vorlaeufig unentgeltlich fortzufuehren (540 214). Es ward sogar, ganz
wie im Ersten Punischen Kriege, mittels einer freiwilligen Anleihe bei
den Reichen eine Flotte ausgeruestet und bemannt (544 210). Man
verbrauchte die Muendelgelder, ja man griff endlich im Jahre der
Eroberung von Tarent den letzten, lange gesparten Notpfennig (1144000
Taler) an. Dennoch genuegte der Staat seinen notwendigsten Zahlungen
nicht; die Entrichtung des Soldes stockte namentlich in den
entfernteren Landschaften in besorglicher Weise. Aber die Bedraengnis
des Staats war nicht der schlimmste Teil des materiellen Notstandes.
ueberall lagen die Felder brach; selbst wo der Krieg nicht hauste,
fehlte es an Haenden fuer die Hacke und die Sichel. Der Preis des
Medimnos (1 preussischer Scheffel) war gestiegen bis auf 15 Denare (3
1/3 Taler), mindestens das Dreifache des hauptstaedtischen
Mittelpreises, und viele waeren geradezu Hungers gestorben, wenn nicht
aus Aegypten Zufuhr gekommen waere und nicht vor allem der in Sizilien
wieder aufbluehende Feldbau der aergsten Not gesteuert haette. Wie aber
solche Zustaende die kleinen Bauernwirtschaften zerstoeren, den sauer
zurueckgelegten Sparschatz verzehren, die bluehenden Doerfer in
Bettler- und Raeubernester verwandeln, das lehren aehnliche Kriege, aus
denen sich anschaulichere Berichte erhalten haben.

Bedenklicher noch als diese materielle Not war die steigende Abneigung
der Bundesgenossen gegen den roemischen Krieg, der ihnen Gut und Blut
frass. Zwar auf die nichtlatinischen Gemeinden kam es dabei weniger an.
Der Krieg selber bewies es, dass sie nichts vermochten, solange die
latinische Nation zu Rom stand; an ihrer groesseren oder geringeren
Widerwilligkeit war nicht viel gelegen. Jetzt indes fing auch Latium an
zu schwanken. Die meisten latinischen Kommunen in Etrurien, Latium, dem
Marsergebiet und dem noerdlichen Kampanien, also eben in denjenigen
latinischen Landschaften, die unmittelbar am wenigsten von dem Kriege
gelitten hatten, erklaerten im Jahre 545 (209) dem roemischen Senat,
dass sie von jetzt an weder Kontingente noch Steuern mehr schicken und
es den Roemern ueberlassen wuerden, den in ihrem Interesse gefuehrten
Krieg selber zu bestreiten. Die Bestuerzung in Rom war gross; allein
fuer den Augenblick gab es kein Mittel, die Widerspenstigen zu zwingen.
Zum Glueck handelten nicht alle latinischen Gemeinden so. Die
gallischen, picenischen und sueditalischen Kolonien, an ihrer Spitze
das maechtige und patriotische Fregellae, erklaerten im Gegenteil, dass
sie um so enger und treulicher an Rom sich anschloessen - freilich war
es diesen allen sehr deutlich dargetan, dass bei dem gegenwaertigen
Kriege ihre Existenz womoeglich noch mehr auf dem Spiele stand als die
der Hauptstadt und dass dieser Krieg wahrlich nicht bloss fuer Rom,
sondern fuer die latinische Hegemonie in Italien, ja fuer Italiens
nationale Unabhaengigkeit gefuehrt ward. Auch jener halbe Abfall war
sicherlich nicht Landesverrat, sondern Kurzsichtigkeit und
Erschoepfung; ohne Zweifel wuerden dieselben Staedte ein Buendnis mit
den Phoenikern mit Abscheu zurueckgewiesen haben. Allein immer war es
eine Spaltung zwischen Roemern und Latinern, und der Rueckschlag auf
die unterworfene Bevoelkerung der Landschaften blieb nicht aus. In
Arretium zeigte sich sogleich eine bedenkliche Gaerung; eine im
Interesse Hannibals unter den Etruskern angestiftete Verschwoerung ward
entdeckt und schien so gefaehrlich, dass man deswegen roemische Truppen
marschieren liess. Militaer und Polizei unterdrueckten diese Bewegung
zwar ohne Muehe; allein sie war ein ernstes Zeichen, was in jenen
Landschaften kommen koenne, seit die latinischen Zwingburgen nicht mehr
schreckten.

In diese schwierigen und gespannten Verhaeltnisse schlug ploetzlich die
Nachricht hinein, dass Hasdrubal im Herbst des Jahres 546 (208) die
Pyrenaeen ueberschritten habe und man sich darauf gefasst machen
muesse, im naechsten Jahr in Italien den Krieg mit den beiden Soehnen
Hamilkars zu fuehren. Nicht umsonst hatte Hannibal die langen schweren
Jahre hindurch auf seinem Posten ausgeharrt; was die faktioese
Opposition daheim, was der kurzsichtige Philippos ihm versagt hatte,
das fuehrte endlich der Bruder ihm heran, in dem wie in ihm selbst
Hamilkars Geist maechtig war. Schon standen achttausend Ligurer, durch
phoenikisches Gold geworben, bereit, sich mit Hasdrubal zu vereinigen;
wenn er die erste Schlacht gewann, so durfte er hoffen, gleich dem
Bruder die Gallier, vielleicht die Etrusker gegen Rom unter die Waffen
zu bringen. Italien war aber nicht mehr, was es vor elf Jahren gewesen;
der Staat und die einzelnen waren erschoepft, der latinische Bund
gelockert, der beste Feldherr soeben auf dem Schlachtfeld gefallen und
Hannibal nicht bezwungen. In der Tat, Scipio mochte die Gunst seines
Genius preisen, wenn er die Folgen seines unverzeihlichen Fehlers von
ihm und dem Lande abwandte.

Wie in den Zeiten der schwersten Gefahr bot Rom wieder dreiundzwanzig
Legionen auf; man rief Freiwillige zu den Waffen und zog die gesetzlich
vom Kriegsdienst Befreiten zur Aushebung mit heran. Dennoch wurde man
ueberrascht. Freunden und Feinden ueber alle Erwartung frueh stand
Hasdrubal diesseits der Alpen (547 207); die Gallier, der Durchmaersche
jetzt gewohnt, oeffneten fuer gutes Geld willig ihre Paesse und
lieferten, was das Heer bedurfte. Wenn man in Rom beabsichtigt hatte,
die Ausgaenge der Alpenpaesse zu besetzen, so kam man damit wieder zu
spaet; schon vernahm man, dass Hasdrubal am Padus stehe, dass er die
Gallier mit gleichem Erfolge wie einst sein Bruder zu den Waffen rufe,
dass Placentia berannt werde. Schleunigst begab der Konsul Marcus
Livius sich zu der Nordarmee; und es war hohe Zeit, dass er erschien.
Etrurien und Umbrien waren in dumpfer Gaerung; Freiwillige von dort
verstaerkten das phoenikische Heer. Sein Kollege Gaius Nero zog aus
Venusia den Praetor Gaius Hostilius Tubulus an sich und eilte mit einem
Heere von 40000 Mann, Hannibal den Weg nach Norden zu verlegen. Dieser
sammelte seine ganze Macht im brettischen Gebiet, und auf der grossen,
von Rhegion nach Apulien fuehrenden Strasse vorrueckend traf er bei
Grumentum auf den Konsul. Es kam zu einem hartnaeckigen Gefecht, in
welchem Nero sich den Sieg zuschrieb; allein Hannibal vermochte
wenigstens, wenn auch mit Verlust, durch einen seiner gewoehnlichen
geschickten Seitenmaersche sich dem Feinde zu entziehen und ungehindert
Apulien zu erreichen. Hier blieb er stehen und lagerte anfangs bei
Venusia, alsdann bei Canusium, Nero, der ihm auf dem Fuss gefolgt war,
dort wie hier ihm gegenueber. Dass Hannibal freiwillig stehenblieb und
nicht von der roemischen Armee am Vorruecken gehindert ward, scheint
nicht zu bezweifeln; der Grund, warum er gerade hier und nicht weiter
noerdlich sich aufstellte, muss gelegen haben in Verabredungen
Hannibals mit Hasdrubal oder in Mutmassungen ueber dessen Marschroute,
die wir nicht kennen. Waehrend also hier die beiden Heere sich untaetig
gegenueberstanden, ward die im Hannibalischen Lager sehnlich erwartete
Depesche Hasdrubals von Neros Posten aufgefangen; sie ergab, dass
Hasdrubal beabsichtigte, die Flaminische Strasse einzuschlagen, also
zunaechst sich an der Kueste zu halten und dann bei Fanum ueber den
Apennin gegen Narnia sich zu wenden, an welchem Orte er Hannibal zu
treffen gedenke. Sofort liess Nero nach Narnia als dem zur Vereinigung
der beiden phoenikischen Heere ausersehenen Punkt die hauptstaedtische
Reserve vorgehen, wogegen die bei Capua stehende Abteilung nach der
Hauptstadt kam und dort eine neue Reserve gebildet ward. Ueberzeugt,
dass Hannibal die Absicht des Bruders nicht kenne und fortfahren werde,
ihn in Apulien zu erwarten, entschloss sich Nero zu dem kuehnen Wagnis,
mit einem kleinen, aber auserlesenen Korps von 7000 Mann in
Gewaltmaerschen nordwaerts zu eilen und womoeglich in Gemeinschaft mit
dem Kollegen den Hasdrubal zur Schlacht zu zwingen; er konnte es, denn
das roemische Heer, das er zurueckliess, blieb immer stark genug, um
Hannibal entweder standzuhalten, wenn er angriff, oder ihn zu geleiten
und mit ihm zugleich an dem Orte der Entscheidung einzutreffen, wenn er
abzog. Nero fand den Kollegen Marcus Livius bei Sena gallica, den Feind
erwartend. Sofort rueckten beide Konsuln aus gegen Hasdrubal, den sie
beschaeftigt fanden, den Metaurus zu ueberschreiten. Hasdrubal
wuenschte die Schlacht zu vermeiden und sich seitwaerts den Roemern zu
entziehen; allein seine Fuehrer liessen ihn im Stich, er verirrte sich
auf dem ihm fremden Terrain und wurde endlich auf dem Marsch von der
roemischen Reiterei angegriffen und so lange festgehalten, bis auch das
roemische Fussvolk eintraf und die Schlacht unvermeidlich ward.
Hasdrubal stellte die Spanier auf den rechten Fluegel, davor seine zehn
Elefanten, die Gallier auf den linken, den er versagte. Lange schwankte
das Gefecht auf dem rechten Fluegel und der Konsul Livius, der hier
befehligte, ward hart gedraengt, bis Nero, seine strategische Operation
taktisch wiederholend, den ihm unbeweglich gegenueberstehenden Feind
stehen liess und, um die eigene Armee herum marschierend, den Spaniern
in die Flanke fiel. Dies entschied. Der schwer erkaempfte und sehr
blutige Sieg war vollstaendig; das Heer, das keinen Rueckzug hatte,
ward vernichtet, das Lager erstuermt, Hasdrubal, da er die vortrefflich
geleitete Schlacht verloren sah, suchte und fand gleich seinem Vater
einen ehrlichen Reitertod. Als Offizier und als Mann war er wert,
Hannibals Bruder zu sein.

Am Tage nach der Schlacht brach Nero wieder auf und stand nach kaum
vierzehntaegiger Abwesenheit abermals in Apulien Hannibal gegenueber,
den keine Botschaft erreicht und der sich nicht geruehrt hatte. Die
Botschaft brachte ihm der Konsul mit; es war der Kopf des Bruders, den
der Roemer den feindlichen Posten hinwerfen liess, also dem grossen
Gegner, der den Krieg mit Toten verschmaehte, die ehrenvolle Bestattung
des Paullus, Gracchus und Marcellus vergeltend. Hannibal erkannte, dass
er umsonst gehofft hatte und dass alles vorbei war. Er gab Apulien und
Lucanien, sogar Metapont auf und zog mit seinen Truppen zurueck in das
brettische Land, dessen Haefen sein einziger Rueckzug waren. Durch die
Energie der roemischen Feldherren und mehr noch durch eine beispiellos
glueckliche Fuegung war eine Gefahr von Rom abgewandt, deren Groesse
Hannibals zaehes Ausharren in Italien rechtfertigt und die mit der
Groesse der cannensischen den Vergleich vollkommen aushaelt. Der Jubel
in Rom war grenzenlos; die Geschaefte begannen wieder wie in
Friedenszeit; jeder fuehlte, dass die Gefahr des Krieges verschwunden
sei.

Indes ein Ende zu machen beeilte man sich in Rom eben nicht. Der Staat
und die Buerger waren erschoepft durch die uebermaessige moralische und
materielle Anspannung aller Kraefte; gern gab man der Sorglosigkeit und
der Ruhe sich hin. Heer und Flotte wurden vermindert, die roemischen
und latinischen Bauern auf ihre veroedeten Hoefe zurueckgefuehrt, die
Kasse durch den Verkauf eines Teils der kampanischen Domaene gefuellt.
Die Staatsverwaltung wurde neu geregelt und die eingerissenen
Unordnungen abgestellt; man fing an, das freiwillige Kriegsanlehen
zurueckzuzahlen, und zwang die im Rueckstand gebliebenen latinischen
Gemeinden, ihren versaeumten Pflichten mit schweren Zinsen zu genuegen.

Der Krieg in Italien stockte. Es war ein glaenzender Beweis von
Hannibals strategischem Talent sowie freilich auch von der Unfaehigkeit
der jetzt ihm gegenueberstehenden roemischen Feldherren, dass er von da
an noch durch vier Jahre im brettischen Lande das Feld behaupten und
von dem weit ueberlegenen Gegner weder gezwungen werden konnte, sich in
die Festungen einzuschliessen noch sich einzuschiffen. Freilich musste
er immer weiter zurueckweichen, weniger in Folge der ihm von den
Roemern gelieferten, nichts entscheidenden Gefechte, als weil seine
brettischen Bundesgenossen immer schwieriger wurden und er zuletzt nur
auf die Staedte noch zaehlen konnte, die sein Heer besetzt hielt. So
gab er Thurii freiwillig auf; Lokri ward auf Publius Scipios
Veranstaltung von Rhegion aus wieder eingenommen (549 205). Als sollten
seine Entwuerfe noch schliesslich von den karthagischen Behoerden, die
sie ihm verdorben hatten, selbst eine glaenzende Rechtfertigung
erhalten, suchten diese in der Angst vor der erwarteten Landung der
Roemer jene Plaene nun selbst wieder hervor (548, 549 206, 205) und
sandten an Hannibal nach Italien, an Mago nach Spanien Verstaerkung und
Subsidien mit dem Befehl, den Krieg in Italien aufs neue zu entflammen
und den zitternden Besitzern der libyschen Landhaeuser und der
karthagischen Buden noch einige Frist zu erfechten. Ebenso ging eine
Gesandtschaft nach Makedonien, um Philippos zur Erneuerung des
Buendnisses und zur Landung in Italien zu bestimmen (549 205). Allein
es war zu spaet. Philippos hatte wenige Monate zuvor mit Rom Frieden
geschlossen; die bevorstehende politische Vernichtung Karthagos war ihm
zwar unbequem, aber er tat oeffentlich wenigstens nichts gegen Rom. Es
ging ein kleines makedonisches Korps nach Afrika, das nach der
Behauptung der Roemer Philippos aus seiner Tasche bezahlte; begreiflich
waere es, allein Beweise wenigstens hatten, wie der spaetere Verlauf
der Ereignisse zeigt, die Roemer dafuer nicht. An eine makedonische
Landung in Italien ward nicht gedacht.

Ernstlicher griff Mago, Hamilkars juengster Sohn, seine Aufgabe an. Mit
den Truemmern der spanischen Armee, die er zunaechst nach Minorca
gefuehrt hatte, landete er im Jahre 549 (205) bei Genua, zerstoerte die
Stadt und rief die Ligurer und Gallier zu den Waffen, die das Gold und
die Neuheit des Unternehmens wie immer scharenweise herbeizog; seine
Verbindungen gingen sogar durch ganz Etrurien, wo die politischen
Prozesse nicht ruhten. Allein was er an Truppen mitgebracht, war zu
wenig fuer eine ernstliche Unternehmung gegen das eigentliche Italien,
und Hannibal war gleichfalls viel zu schwach und sein Einfluss in
Unteritalien viel zu sehr gesunken, als dass er mit Erfolg haette
vorgehen koennen. Die karthagischen Herren hatten die Rettung der
Heimat nicht gewollt, da sie moeglich war; jetzt, da sie sie wollten,
war sie nicht mehr moeglich.

Wohl niemand zweifelte im roemischen Senat, weder daran, dass der Krieg
Karthagos gegen Rom zu Ende sei, noch daran, dass nun der Krieg Roms
gegen Karthago begonnen werden muesse; allein die afrikanische
Expedition, so unvermeidlich sie war, scheute man sich anzuordnen. Man
bedurfte dazu vor allem eines faehigen und beliebten Fuehrers; und man
hatte keinen. Die besten Generale waren entweder auf dem Schlachtfeld
gefallen oder sie waren, wie Quintus Fabius und Quintus Fulvius, fuer
einen solchen ganz neuen und wahrscheinlich langwierigen Krieg zu alt.
Die Sieger von Sena, Gaius Nero und Marcus Livius, waeren der Aufgabe
schon gewachsen gewesen, allein sie waren beide im hoechsten Grade
unpopulaere Aristokraten; es war zweifelhaft, ob es gelingen wuerde,
ihnen das Kommando zu verschaffen - so weit war man ja schon, dass die
Tuechtigkeit allein nur in den Zeiten der Angst die Wahlen entschied -,
und mehr als zweifelhaft, ob dies die Maenner waren, die dem
erschoepften Volke neue Anstrengungen ansinnen durften. Da kam Publius
Scipio aus Spanien zurueck, und der Liebling der Menge, der seine von
ihr empfangene Aufgabe so glaenzend erfuellt hatte oder doch erfuellt
zu haben schien, ward sogleich fuer das naechste Jahr zum Konsul
gewaehlt. Er trat sein Amt an (549 205) mit dem festen Entschluss, die
schon in Spanien entworfene afrikanische Expedition jetzt zu
verwirklichen. Indes im Senat wollte nicht bloss die Partei der
methodischen Kriegfuehrung von einer afrikanischen Expedition so lange
nichts wissen, als Hannibal noch in Italien stand, sondern es war auch
die Majoritaet dem jungen Feldherrn selbst keineswegs guenstig gesinnt.
Seine griechische Eleganz und moderne Bildung und Gesinnung sagte den
strengen und etwas baeurischen Vaetern der Stadt sehr wenig zu und
gegen seine Kriegfuehrung in Spanien bestanden ebenso ernste Bedenken
wie gegen seine Soldatenzucht. Wie begruendet der Vorwurf war, dass er
gegen seine Korpschefs allzugrosse Nachsicht zeige, bewiesen sehr bald
die Schaendlichkeiten, die Gaius Pleminius in Lokri veruebte, und die
Scipio allerdings durch seine fahrlaessige Beaufsichtigung in der
aergerlichsten Weise mittelbar mit verschuldet hatte. Dass bei den
Verhandlungen im Senat ueber die Anordnung des afrikanischen Feldzugs
und die Bestellung des Feldherrn dafuer der neue Konsul nicht uebel
Lust bezeigte, wo immer Brauch und Verfassung mit seinen
Privatabsichten in Konflikt gerieten, solche Hemmnisse beiseite zu
schieben, und dass er sehr deutlich zu verstehen gab, wie er sich
aeussersten Falls der Regierungsbehoerde gegenueber auf seinen Ruhm und
seine Popularitaet bei dem Volke zu stuetzen gedenke, musste den Senat
nicht bloss kraenken, sondern auch die ernstliche Besorgnis erwecken,
ob ein solcher Oberfeldherr bei dem bevorstehenden Entscheidungskrieg
und den etwaigen Friedensverhandlungen mit Karthago sich an die ihm
gewordenen Instruktionen binden werde; eine Besorgnis, welche die
eigenmaechtige Fuehrung der spanischen Expedition keineswegs zu
beschwichtigen geeignet war. Indes bewies man auf beiden Seiten
Einsicht genug, um es nicht zum Aeussersten kommen zu lassen. Auch der
Senat konnte nicht verkennen, dass die afrikanische Expedition
notwendig und es nicht weise war, dieselbe ins Unbestimmte
hinauszuschieben; nicht verkennen, dass Scipio ein aeusserst faehiger
Offizier und insofern zum Fuehrer eines solchen Krieges wohl geeignet
war und dass, wenn einer, er es vermochte, vom Volke die Verlaengerung
seines Oberbefehls so lange als noetig und die Aufbietung der letzten
Kraefte zu erlangen. Die Majoritaet kam zu dem Entschluss, Scipio den
gewuenschten Auftrag nicht zu versagen, nachdem derselbe zuvor die der
hoechsten Regierungsbehoerde schuldige Ruecksicht wenigstens der Form
nach beobachtet und im Voraus sich dem Beschluss des Senats unterworfen
hatte. Scipio sollte dies Jahr nach Sizilien gehen, um den Bau der
Flotte, die Herstellung des Belagerungsmaterials und die Bildung der
Expeditionsarmee zu betreiben, und dann im naechsten Jahr in Afrika
landen. Es ward ihm hierzu die sizilische Armee - noch immer jene
beiden aus den Truemmern des cannensischen Heeres gebildeten Legionen -
zur Disposition gestellt, da zur Deckung der Insel eine schwache
Besatzung und die Flotte vollstaendig ausreichten, und ausserdem ihm
gestattet, in Italien Freiwillige aufzubieten. Es war augenscheinlich,
dass der Senat die Expedition nicht anordnete, sondern vielmehr
geschehen liess; Scipio erhielt nicht die Haelfte der Mittel, die man
einst Regulus zu Gebot gestellt hatte, und ueberdies eben dasjenige
Korps, das seit Jahren vom Senat mit berechneter Zuruecksetzung
behandelt worden war. Die afrikanische Armee war im Sinne der
Majoritaet des Senats ein verlorener Posten von Strafkompanien und
Volontaers, deren Untergang der Staat allenfalls verschmerzen konnte.

Ein anderer Mann als Scipio haette vielleicht erklaert, dass die
afrikanische Expedition entweder mit anderen Mitteln oder gar nicht
unternommen werden muesse; allein Scipios Zuversicht ging auf die
Bedingungen ein, wie sie immer waren, um nur zu dem heissersehnten
Kommando zu gelangen. Sorgfaeltig vermied er, soweit es anging, das
Volk unmittelbar zu belaestigen, um nicht der Popularitaet der
Expedition zu schaden. Die Kosten derselben, namentlich die
betraechtlichen des Flottenbaus, wurden teils beigeschafft durch eine
sogenannte freiwillige Kontribution der etruskischen Staedte, das
heisst durch eine den Arretinern und den sonstigen phoenikisch
gesinnten Gemeinden zur Strafe auferlegte Kriegssteuer, teils auf die
sizilischen Staedte gelegt; in vierzig Tagen war die Flotte
segelfertig. Die Mannschaft verstaerkten Freiwillige, deren bis
siebentausend aus allen Teilen Italiens dem Rufe des geliebten
Offiziers folgten. So ging Scipio im Fruehjahr 550 (204) mit zwei
starken Veteranenlegionen (etwa 30000 Mann), 40 Kriegs- und 400
Transportschiffen nach Afrika unter Segel und landete gluecklich, ohne
den geringsten Widerstand zu finden, am Schoenen Vorgebirge in der
Naehe von Utica.

Die Karthager, die seit langem erwarteten, dass auf die
Pluenderungszuege, welche die roemischen Geschwader in den letzten
Jahren haeufig nach der afrikanischen Kueste gemacht hatten, ein
ernstlicher Einfall folgen werde, hatten, um dessen sich zu erwehren,
nicht bloss den italisch-makedonischen Krieg aufs neue in Gang zu
bringen versucht, sondern auch daheim geruestet, um die Roemer zu
empfangen. Es war gelungen, von den beiden rivalisierenden
Berberkoenigen, Massinissa von Cirta (Constantine), dem Herrn der
Massyler, und Syphax von Siga (an der Tafnamuendung, westlich von
Oran), dem Herrn der Massaesyler, den letzteren, den bei weitem
maechtigeren und bisher den Roemern befreundeten, durch Vertrag und
Verschwaegerung eng an Karthago zu knuepfen, indem man den anderen, den
alten Nebenbuhler des Syphax und Bundesgenossen der Karthager, fallen
liess. Massinissa war nach verzweifelter Gegenwehr der vereinigten
Macht der Karthager und des Syphax erlegen und hatte seine Laender dem
letzteren zur Beute lassen muessen; er selbst irrte mit wenigen Reitern
in der Wueste. Ausser dem Zuzug, der von Syphax zu erwarten war, stand
ein karthagisches Heer von 20000 Mann zu Fuss, 6000 Reitern und 140
Elefanten - Hanno war eigens deshalb auf Elefantenjagd ausgeschickt
worden - schlagfertig zum Schutz der Hauptstadt, unter der Fuehrung des
in Spanien erprobten Feldherrn Hasdrubal, Gisgons Sohn; im Hafen lag
eine starke Flotte. Ein makedonisches Korps unter Sopater und eine
Sendung keltiberischer Soeldner wurden demnaechst erwartet.

Auf das Geruecht von Scipios Landung traf Massinissa sofort in dem
Lager des Feldherrn ein, dem er vor nicht langem in Spanien als Feind
gegenuebergestanden hatte; allein der laenderlose Fuerst brachte
zunaechst den Roemern nichts als seine persoenliche Tuechtigkeit, und
die Libyer, obwohl der Aushebungen und Steuern herzlich muede, hatten
doch in aehnlichen Faellen zu bittere Erfahrungen gemacht, um sich
sofort fuer die Roemer zu erklaeren. So begann Scipio den Feldzug.
Solange er nur die schwaechere karthagische Armee gegen sich hatte, war
er im Vorteil und konnte nach einigen gluecklichen Reitergefechten zur
Belagerung von Utica schreiten; allein als Syphax eintraf, angeblich
mit 50000 Mann zu Fuss und 10000 Reitern, musste die Belagerung
aufgehoben und auf einem leicht zu verschanzenden Vorgebirg zwischen
Utica und Karthago ein befestigtes Schiffslager geschlagen werden. Hier
verging dem roemischen General der Winter 550/51 (204/03). Aus der
ziemlich unbequemen Lage, in der das Fruehjahr ihn fand, befreite er
sich durch einen gluecklichen Handstreich. Die Afrikaner,
eingeschlaefert durch die von Scipio mehr listig als ehrlich
angesponnenen Friedensverhandlungen, liessen sich in einer und
derselben Nacht in ihren beiden Lagern ueberfallen: die Rohrhuetten der
Numidier loderten in Flammen auf, und als die Karthager eilten zu
helfen, traf ihr eigenes Lager dasselbe Schicksal; wehrlos wurden die
Fluechtenden von den roemischen Abteilungen niedergemacht. Dieser
naechtliche Ueberfall war verderblicher als manche Schlacht. Indes die
Karthager liessen den Mut nicht sinken und verwarfen sogar den Rat der
Furchtsamen, oder vielmehr der Verstaendigen, Mago und Hannibal
zurueckzurufen. Eben jetzt waren die erwarteten keltiberischen und
makedonischen Hilfstruppen angelangt; man beschloss, auf den “grossen
Feldern”, fuenf Tagemaersche von Utica, noch einmal die offene
Feldschlacht zu versuchen. Scipio eilte, sie anzunehmen; mit leichter
Muehe zerstreuten seine Veteranen und Freiwilligen die
zusammengerafften karthagischen und numidischen Schwaerme und auch die
Keltiberer, die bei Scipio auf Gnade nicht rechnen durften, wurden nach
hartnaeckiger Gegenwehr zusammengehauen. Die Afrikaner konnten nach
dieser doppelten Niederlage nirgend mehr das Feld halten. Ein Angriff
auf das roemische Schiffslager, den die karthagische Flotte versuchte,
lieferte zwar kein unguenstiges, aber doch auch kein entscheidendes
Resultat und ward weit aufgewogen durch die Gefangennahme des Syphax,
die dem Scipio sein beispielloser Gluecksstern zuwarf und durch welche
Massinissa das fuer die Roemer ward, was anfangs Syphax den Karthagern
gewesen war.

Nach solchen Niederlagen konnte die karthagische Friedenspartei, die
seit sechzehn Jahren hatte schweigen muessen, wiederum ihr Haupt
erheben und sich offen auflehnen gegen das Regiment der Barkas und der
Patrioten. Hasdrubal, Gisgons Sohn, ward abwesend von der Regierung zum
Tode verurteilt und ein Versuch gemacht, von Scipio Waffenstillstand
und Frieden zu erlangen. Er forderte Abtretung der spanischen
Besitzungen und der Inseln des Mittelmeeres, Uebergabe des Reiches des
Syphax an Massinissa, Auslieferung der Kriegsschiffe bis auf zwanzig
und eine Kriegskontribution von 4000 Talenten (fast 7 Mill. Taler) -
Bedingungen, die fuer Karthago so beispiellos guenstig erscheinen, dass
die Frage sich aufdraengt, ob sie Scipio mehr in seinem oder mehr in
Roms Interesse anbot. Die karthagischen Bevollmaechtigten nahmen
dieselben an unter Vorbehalt der Ratifikation ihrer Behoerden, und es
ging eine karthagische Gesandtschaft deshalb nach Rom ab. Allein die
karthagische Patriotenpartei war nicht gemeint, so leichten Kaufs auf
den Kampf zu verzichten; der Glaube an die edle Sache, das Vertrauen
auf den grossen Feldherrn, selbst das Beispiel, das Rom gegeben hatte,
feuerten sie an auszuharren, auch davon abgesehen, dass der Friede
notwendig die Gegenpartei ans Ruder und damit ihnen selbst den
Untergang bringen musste. In der Buergerschaft hatte die
Patriotenpartei das Uebergewicht; man beschloss, die Opposition ueber
den Frieden verhandeln zu lassen und mittlerweile sich zu einer letzten
und entscheidenden Anstrengung vorzubereiten. An Mago und an Hannibal
erging der Befehl, schleunigst nach Afrika heimzukehren. Mago, der seit
drei Jahren (459-551 205-203) daran arbeitete, in Norditalien eine
Koalition gegen Rom ins Leben zu rufen, war eben damals im Gebiet der
Insubrer (um Mailand) dem weit ueberlegenen roemischen Doppelheer
unterlegen. Die roemische Reiterei war zum Weichen und das Fussvolk ins
Gedraenge gebracht worden und der Sieg schien sich fuer die Karthager
zu erklaeren, als der kuehne Angriff eines roemischen Trupps auf die
feindlichen Elefanten und vor allem die schwere Verwundung des
geliebten und faehigen Fuehrers das Glueck der Schlacht wandte: das
phoenikische Heer musste an die ligurische Kueste zurueckweichen. Hier
erhielt es den Befehl zur Einschiffung und vollzog ihn; Mago aber starb
waehrend der Ueberfahrt an seiner Wunde. Hannibal waere dem Befehl
wahrscheinlich zuvorgekommen, wenn nicht die letzten Verhandlungen mit
Philipp ihm eine neue Aussicht dargeboten haetten, seinem Vaterland in
Italien nuetzlicher sein zu koennen als in Libyen; als er in Kroton, wo
er in der letzten Zeit gestanden hatte, ihn empfing, saeumte er nicht,
ihm nachzukommen. Er liess seine Pferde niederstossen sowie die
italischen Soldaten, die sich weigerten, ihm ueber das Meer zu folgen,
und bestieg die auf der Rede von Kroton laengst in Bereitschaft
stehenden Transportschiffe. Die roemischen Buerger atmeten auf, da der
gewaltige libysche Loewe, den zum Abzug zu zwingen selbst jetzt noch
niemand sich getraute, also freiwillig dem italischen Boden den Ruecken
wandte; bei diesem Anlass ward dem einzigen ueberlebenden unter den
roemischen Feldherren, welche die schwere Zeit mit Ehren bestanden
hatten, dem fast neunzigjaehrigen Quintus Fabius von Rat und
Buergerschaft der Graskranz verehrt. Dieser Kranz, welchen nach
roemischer Sitte das durch den Feldherrn gerettete Heer seinem Retter
darbrachte, von der ganzen Gemeinde zu empfangen, war die hoechste
Auszeichnung, die einem roemischen Buerger je zuteil geworden ist, und
der letzte Ehrenschmuck des alten Feldherrn, der noch in demselben
Jahre aus dem Leben schied (551 203). Hannibal aber gelangte, ohne
Zweifel nicht unter dem Schutz des Waffenstillstandes, sondern allein
durch seine Schnelligkeit und sein Glueck, ungehindert nach Leptis und
betrat, der letzte von Hamilkars “Loewenbrut”, hier abermals nach
sechsunddreissigjaehriger Abwesenheit den Boden der Heimat, die er,
fast noch ein Knabe, verlassen hatte, um seine grossartige und doch so
durchaus vergebliche Heldenlaufbahn zu beginnen und westwaerts
ausziehend von Osten her heimzukehren, rings um die karthagische See
einen weiten Siegeskreis beschreibend. Jetzt, wo geschehen war, was er
hatte verhueten wollen und was er verhuetet haette, wenn er gedurft,
jetzt sollte er, wenn moeglich, retten und helfen; und er tat es, ohne
zu klagen und zu schelten. Mit seiner Ankunft trat die Patriotenpartei
offen auf; das schaendliche Urteil gegen Hasdrubal ward kassiert, neue
Verbindungen mit den numidischen Scheichs durch Hannibals Gewandtheit
angeknuepft und nicht bloss dem tatsaechlich abgeschlossenen Frieden in
der Volksversammlung die Bestaetigung verweigert, sondern auch durch
die Pluenderung einer an der afrikanischen Kueste gestrandeten
roemischen Transportflotte, ja sogar durch den ueberfall eines
roemische Gesandte fuehrenden roemischen Kriegsschiffs der
Waffenstillstand gebrochen. In gerechter Erbitterung brach Scipio aus
seinem Lager bei Tunis auf (552 202) und durchzog das reiche Tal des
Bagradas (Medscherda), indem er den Ortschaften keine Kapitulation mehr
gewaehrte, sondern die Einwohnerschaften der Flecken und Staedte in
Masse aufgreifen und verkaufen liess. Schon war er tief ins Binnenland
eingedrungen und stand bei Naraggara (westlich von Sicca, jetzt el Kef,
an der Grenze von Tunis und Algier), als Hannibal, der ihm von
Hadrumetum aus entgegengezogen war, mit ihm zusammentraf. Der
karthagische Feldherr versuchte von dem roemischen in einer
persoenlichen Zusammenkunft bessere Bedingungen zu erlangen; allein
Scipio, der schon bis an die aeusserste Grenze der Zugestaendnisse
gegangen war, konnte nach dem Bruch des Waffenstillstandes unmoeglich
zu weiterer Nachgiebigkeit sich verstehen, und es ist nicht glaublich,
dass Hannibal bei diesem Schritt etwas anderes bezweckte, als der Menge
zu zeigen, dass die Patrioten keineswegs unbedingt gegen den Frieden
seien. Die Konferenz fuehrte zu keinem Ergebnis und so kam es zu der
Entscheidungsschlacht bei Zama (vermutlich unweit Sicca) ^1. In drei
Linien ordnete Hannibal sein Fussvolk: in das erste Glied die
karthagischen Mietstruppen, in das zweite die afrikanische Land- und
die phoenikische Buergerwehr nebst dem makedonischen Korps, in das
dritte die Veteranen, die ihm aus Italien gefolgt waren. Vor der Linie
standen die achtzig Elefanten, die Reiter auf den Fluegeln. Scipio
stellte gleichfalls seine Legionen in drei Glieder, wie die Roemer
pflegten, und ordnete sie so, dass die Elefanten durch und neben der
Linie weg ausbrechen konnten, ohne sie zu sprengen. Dies gelang nicht
bloss vollstaendig, sondern die seitwaerts ausweichenden Elefanten
brachten auch die karthagischen Reiterfluegel in Unordnung, so dass
gegen diese Scipios Reiterei, die ueberdies durch das Eintreffen von
Massinissas Scharen dem Feinde weit ueberlegen war, leichtes Spiel
hatte und bald in vollem Nachsetzen begriffen war. Ernster war der
Kampf des Fussvolks. Lange stand das Gefecht zwischen den
beiderseitigen ersten Gliedern; in dem aeusserst blutigen Handgemenge
gerieten endlich beide Teile in Verwirrung und mussten an den zweiten
Gliedern einen Halt suchen. Die Roemer fanden ihn; die karthagische
Miliz aber zeigte sich so unsicher und schwankend, dass sich die
Soeldner verraten glaubten und es zwischen ihnen und der karthagischen
Buergerwehr zum Handgemenge kam. Indes Hannibal zog eilig, was von den
beiden ersten Linien noch uebrig war, auf die Fluegel zurueck und schob
seine italischen Kerntruppen auf der ganzen Linie vor. Scipio draengte
dagegen in der Mitte zusammen, was von der ersten Linie noch
kampffaehig war und liess das zweite und dritte Glied rechts und links
an das erste sich anschliessen. Abermals begann auf derselben Walstatt
ein zweites, noch fuerchterlicheres Gemetzel; Hannibals alte Soldaten
wankten nicht trotz der Ueberzahl der Feinde, bis die Reiterei der
Roemer und des Massinissa, von der Verfolgung der geschlagenen
feindlichen zurueckkehrend, sie von allen Seiten umringte. Damit war
nicht bloss der Kampf zu Ende, sondern das phoenikische Heer
vernichtet; dieselben Soldaten, die vierzehn Jahre zuvor bei Cannae
gewichen waren, hatten ihren Ueberwindern bei Zama vergolten. Mit einer
Handvoll Leute gelangte Hannibal fluechtig nach Hadrumetum.

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^1 Von den beiden diesen Namen fuehrenden Orten ist wahrscheinlich der
westlichere, etwa 60 Miglien westlich von Hadrumetum gelegene,
derjenige der Schlacht (vgl. Hermes 20, 1885, S. 144, 318). Die Zeit
ist der Fruehling oder Sommer des Jahres 552 (202); die Bestimmung des
Tages auf den 19. Oktober wegen der angeblichen Sonnenfinsternis ist
nichtig.

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Nach diesem Tage konnte auf karthagischer Seite nur der Unverstand zur
Fortsetzung des Krieges raten. Dagegen lag es in der Hand des
roemischen Feldherrn, sofort die Belagerung der Hauptstadt zu beginnen,
die weder gedeckt noch verproviantiert war, und, wenn nicht
unberechenbare Zwischenfaelle eintraten, das Schicksal, welches
Hannibal ueber Rom hatte bringen wollen, jetzt ueber Karthago walten zu
lassen. Scipio hat es nicht getan; er gewaehrte den Frieden (553 201),
freilich nicht mehr auf die frueheren Bedingungen. Ausser den
Abtretungen, die schon bei den letzen Verhandlungen fuer Rom wie fuer
Massinissa gefordert worden waren, wurde den Karthagern auf fuenfzig
Jahre eine jaehrliche Kontribution von 200 Talenten (340000 Taler)
aufgelegt und mussten sie sich anheischig machen, nicht gegen Rom oder
seine Verbuendeten und ueberhaupt ausserhalb Afrika gar nicht, in
Afrika ausserhalb ihres eigenen Gebietes nur nach eingeholter Erlaubnis
Roms Krieg zu fuehren; was tatsaechlich darauf hinauslief, dass
Karthago tributpflichtig ward und seine politische Selbstaendigkeit
verlor. Es scheint sogar, dass die Karthager unter Umstaenden
verpflichtet waren, Kriegsschiffe zu der roemischen Flotte zu stellen.

Man hat Scipio beschuldigt, dass er, um die Ehre der Beendigung des
schwersten Krieges, den Rom gefuehrt hat, nicht mit dem Oberbefehl an
einen Nachfolger abgeben zu muessen, dem Feinde zu guenstige
Bedingungen gewaehrte. Die Anklage moechte gegruendet sein, wenn der
erste Entwurf zustande gekommen waere; gegen den zweiten scheint sie
nicht gerechtfertigt. Weder standen in Rom die Verhaeltnisse so, dass
der Guenstling des Volkes nach dem Siege bei Zama die Abberufung
ernstlich zu fuerchten gehabt haette - war doch schon vor dem Siege ein
Versuch, ihn abzuloesen, vom Senat an die Buergerschaft und von dieser
entschieden zurueckgewiesen worden; noch rechtfertigen die Bedingungen
selbst diese Beschuldigung. Die Karthagerstadt hat, nachdem ihr also
die Haende gebunden und ein maechtiger Nachbar ihr zur Seite gestellt
war, nie auch nur einen Versuch gemacht, sich der roemischen Suprematie
zu entziehen, geschweige denn, mit Rom zu rivalisieren; es wusste
ueberdies jeder, der es wissen wollte, dass der soeben beendigte Krieg
viel mehr von Hannibal unternommen worden war als von Karthago und dass
der Riesenplan der Patriotenpartei sich schlechterdings nicht erneuern
liess. Es mochte den rachsuechtigen Italienern wenig duenken, dass nur
die fuenfhundert ausgelieferten Kriegsschiffe in Flammen aufloderten
und nicht auch die verhasste Stadt; Verbissenheit und
Dorfschulzenverstand mochten die Meinung verfechten, dass nur der
vernichtete Gegner wirklich besiegt sei, und den schelten, der das
Verbrechen, die Roemer zittern gemacht zu haben, verschmaeht hatte,
gruendlicher zu bestrafen. Scipio dachte anders und wir haben keinen
Grund und also kein Recht anzunehmen, dass in diesem Fall die gemeinen
Motive den Roemer bestimmten, und nicht die adligen und hochsinnigen,
die auch in seinem Charakter lagen. Nicht das Bedenken der etwaigen
Abberufung oder des moeglichen Glueckswechsels noch die allerdings
nicht fernliegende Besorgnis vor dem Ausbruch des Makedonischen Krieges
haben den sicheren und zuversichtlichen Mann, dem bisher noch alles
unbegreiflich gelungen war, abgehalten, die Exekution an der
ungluecklichen Stadt zu vollziehen, die fuenfzig Jahre spaeter seinem
Adoptivenkel aufgetragen wurde und die freilich wohl jetzt gleich schon
vollzogen werde konnte. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die beiden
grossen Feldherren, bei denen jetzt auch die politische Entscheidung
stand, den Frieden wie er war boten und annahmen, um dort der
ungestuemen Rachsucht der Sieger, hier der Hartnaeckigkeit und dem
Unverstand der Ueberwundenen gerechte und verstaendige Schranken zu
setzen; der Seelenadel und die staatsmaennische Begabung der hohen
Gegner zeigt sich nicht minder in Hannibals grossartiger Fuegung in das
Unvermeidliche als in Scipios weisem Zuruecktreten von dem
Ueberfluessigen und Schmaehlichen des Sieges. Sollte er, der
hochherzige und freiblickende Mann, sich nicht gefragt haben, was es
denn dem Vaterlande nuetzte, nachdem die politische Macht der
Karthagerstadt vernichtet war, diesen uralten Sitz des Handels und
Ackerbaus voellig zu verderben und einen der Grundpfeiler der damaligen
Zivilisation frevelhaft niederzuwerfen? Die Zeit war noch nicht
gekommen, wo die ersten Maenner Roms sich hergaben zu Henkern der
Zivilisation der Nachbarn und die ewige Schande der Nation leichtfertig
glaubten von sich mit einer muessigen Traene abzuwaschen.

So war der Zweite Punische Krieg, oder wie die Roemer ihn richtiger
nennen, der Hannibalische Krieg beendigt, nachdem er siebzehn Jahre vom
Hellespont bis zu den Saeulen des Herkules die Inseln und Landschaften
verheert hatte. Vor diesem Krieg hatte Rom sein politisches Ziel nicht
hoeher gesteckt als bis zu der Beherrschung des Festlandes der
italischen Halbinsel innerhalb ihrer natuerlichen Grenzen und der
italischen Inseln und Meere. Dass man den Krieg auch beendigte mit dem
Gedanken, nicht die Herrschaft ueber die Staaten am Mittelmeer oder die
sogenannte Weltmonarchie begruendet, sondern einen gefaehrlichen
Nebenbuhler unschaedlich gemacht und Italien bequeme Nachbarn gegeben
zu haben, wird durch die Behandlung Afrikas beim Friedensschluss
deutlich bewiesen. Es ist wohl richtig, dass andere Ergebnisse des
Krieges, namentlich die Eroberung von Spanien, diesem Gedanken wenig
entsprachen; aber die Erfolge fuehrten eben ueber die eigentliche
Absicht hinaus, und zu dem Besitz von Spanien sind die Roemer in der
Tat man moechte sagen zufaellig gelangt. Die Herrschaft ueber Italien
haben die Roemer errungen, weil sie sie erstrebt haben; die Hegemonie
und die daraus entwickelte Herrschaft ueber das Mittelmeergebiet ist
ihnen gewissermassen ohne ihre Absicht durch die Verhaeltnisse
zugeworfen worden.

Die unmittelbaren Resultate des Krieges waren ausserhalb Italien die
Verwandlung Spaniens in eine roemische, freilich in ewiger Auflehnung
begriffene Doppelprovinz; die Vereinigung des bis dahin abhaengigen
syrakusanischen Reiches mit der roemischen Provinz Sizilien; die
Begruendung des roemischen statt des karthagischen Patronats ueber die
bedeutendsten numidischen Haeuptlinge; endlich die Verwandlung
Karthagos aus einem maechtigen Handelsstaat in eine wehrlose Kaufstadt;
mit einem Worte Roms unbestrittene Hegemonie ueber den Westen des
Mittelmeergebiets, in weiterer Entwicklung das notwendige
Ineinandergreifen des oestlichen und des westlichen Staatensystems, das
im Ersten Punischen Krieg sich nur erst angedeutet hatte, und damit das
demnaechst bevorstehende entscheidende Eingreifen Roms in die Konflikte
der alexandrischen Monarchien. In Italien wurde dadurch zunaechst das
Keltenvolk, wenn nicht schon vorher, doch jetzt sicher zum Untergang
bestimmt, und es war nur noch eine Zeitfrage, wann die Exekution
vollzogen werden wuerde. Innerhalb der roemischen Eidgenossenschaft war
die Folge des Krieges das schaerfere Hervortreten der herrschenden
latinischen Nation, deren inneren Zusammenhang die trotz einzelner
Schwankungen doch im ganzen in treuer Gemeinschaft ueberstandene Gefahr
geprueft und bewaehrt hatte, und die steigende Unterdrueckung der nicht
latinischen oder nicht latinisierten Italiker, namentlich der Etrusker
und der unteritalischen Sabeller. Am schwersten traf die Strafe oder
vielmehr die Rache teils den maechtigsten teils den zugleich ersten und
letzten Bundesgenossen Hannibals, die Gemeinde Capua und die Landschaft
der Brettier. Die capuanische Verfassung ward vernichtet und Capua aus
der zweiten Stadt in das erste Dorf Italiens umgewandelt; es war sogar
die Rede davon, die Stadt zu schleifen und dem Boden gleichzumachen.
Den gesamten Grund und Boden mit Ausnahme weniger Besitzungen
Auswaertiger oder roemisch gesinnter Kampaner erklaerte der Senat zur
oeffentlichen Domaene und gab ihn seitdem an kleine Leute
parzellenweise in Zeitpacht. Aehnlich wurden die Picenter am Silarus
behandelt; ihre Hauptstadt wurde geschleift und die Bewohner zerstreut
in die umliegenden Doerfer. Der Brettier Los war noch haerter; sie
wurden in Masse gewissermassen zu Leibeigenen der Roemer gemacht und
fuer ewige Zeiten vom Waffenrecht ausgeschlossen. Aber auch die
uebrigen Verbuendeten Hannibals buessten schwer, so die griechischen
Staedte mit Ausnahme der wenigen, die bestaendig zu Rom gehalten
hatten, wie die kampanischen Griechen und die Rheginer. Nicht viel
weniger litten die Arpaner und eine Menge anderer apulischer,
lucanischer, samnitischer Gemeinden, die grossenteils Stuecke ihrer
Mark verloren. Auf einem Teile der also gewonnenen Aecker wurden neue
Kolonien angelegt; so im Jahre 560 (194) eine ganze Reihe
Buergerkolonien an den besten Haefen Unteritaliens, unter denen
Sipontum (bei Manfredonia) und Kroton zu nennen sind, ferner Salernum
in dem ehemaligen Gebiet der suedlichen Picenter und diesen zur
Zwingburg bestimmt, vor allem aber Puteoli, das bald der Sitz der
vornehmen Villeggiatur und des asiatisch-aegyptischen Luxushandels
ward. Ferner ward Thurii latinische Festung unter dem neuen Namen Copia
(560 194), ebenso die reiche brettische Stadt Vibo unter dem Namen
Valentia (562 192). Auf anderen Grundstuecken in Samnium und Apulien
wurden die Veteranen der siegreichen Armee von Afrika einzeln
angesiedelt; der Rest blieb Gemeinland und die Weideplaetze der
vornehmen Herren in Rom ersetzten die Gaerten und Ackerfelder der
Bauern. Es versteht sich, dass ausserdem in allen Gemeinden der
Halbinsel die namhaften, nicht gut roemisch gesinnten Leute soweit
beseitigt wurden, als dies durch politische Prozesse und
Gueterkonfiskationen durchzusetzen war. Ueberall in Italien fuehlten
die nichtlatinischen Bundesgenossen, dass ihr Name eitel und dass sie
fortan Untertanen Roms seien; die Besiegung Hannibals ward als eine
zweite Unterjochung Italiens empfunden und alle Erbitterung wie aller
Uebermut des Siegers vornehmlich an den italischen, nichtlatinischen
Bundesgenossen ausgelassen. Selbst die farblose und wohlpolizierte
roemische Komoedie dieser Zeit traegt davon die Spuren; wenn die
niedergeworfenen Staedte Capua und Atella dem zuegellosen Witz der
roemischen Posse polizeilich freigegeben und die letztere geradezu
deren Schildburg wurde, wenn andere Lustspieldichter darueber spassten,
dass in der todbringenden Luft, wo selbst die ausdauerndste Rasse der
Sklaven, das Syrervolk, verkomme, die kampanische Sklavenschaft schon
gelernt habe auszuhalten, so hallt aus solchen gefuehllosen
Spoettereien der Hohn der Sieger, freilich auch der Jammerlaut der
zertretenen Nationen wieder. Wie die Dinge standen, zeigt die
aengstliche Sorgfalt, womit waehrend des folgenden Makedonischen
Krieges die Bewachung Italiens vom Senat betrieben ward, und die
Verstaerkungen, die den wichtigsten Kolonien - so Venusia 554 (200),
Narnia 555 (199), Cosa 557 (197), Cales kurz vor 570 (184) - von Rom
aus zugesandt wurden.

Welche Luecken Krieg und Hunger in die Reihen der italischen
Bevoelkerung gerissen hatten, zeigt das Beispiel der roemischen
Buergerschaft, deren Zahl waehrend des Krieges fast um den vierten Teil
geschwunden war; die Angabe der Gesamtzahl der im Hannibalischen Krieg
gefallenen Italiker auf 300000 Koepfe scheint danach durchaus nicht
uebertrieben. Natuerlich fiel dieser Verlust vorwiegend auf den Kern
der Buergerschaft, die ja auch den Kern wie die Masse der Streiter
stellte; wie furchtbar namentlich der Senat sich lichtete, zeigt die
Ergaenzung desselben nach der Schlacht bei Cannae, wo derselbe auf 123
Koepfe geschwunden war und mit Muehe und Not durch eine
ausserordentliche Ernennung von 177 Senatoren wieder auf seinen
Normalstand gebracht ward. Dass endlich der siebzehnjaehrige Krieg, der
zugleich in allen Landschaften Italiens und nach allen vier
Weltgegenden im Ausland gefuehrt worden war, die Volkswirtschaft im
tiefsten Grund erschuettert haben muss, ist im allgemeinen klar; zur
Ausfuehrung im einzelnen reicht die Ueberlieferung nicht hin. Zwar der
Staat gewann durch die Konfiskationen, und namentlich das kampanische
Gebiet blieb seitdem eine unversiegliche Quelle der Staatsfinanzen;
allein durch diese Ausdehnung der Domaenenwirtschaft ging natuerlich
der Volkswohlstand um ebenso viel zurueck, als er in anderen Zeiten
gewonnen hatte durch die Zerschlagung der Staatslaendereien. Eine Menge
bluehender Ortschaften - man rechnet vierhundert - war vernichtet und
verderbt, das muehsam gesparte Kapital aufgezehrt, die Bevoelkerung
durch das Lagerleben demoralisiert, die alte gute Tradition
buergerlicher und baeuerlicher Sitte von der Hauptstadt an bis in das
letzte Dorf untergraben. Sklaven und verzweifelte Leute taten sich in
Raeuberbanden zusammen, von deren Gefaehrlichkeit es einen Begriff
gibt, dass in einem einzigen Jahre (569 185) allein in Apulien 7000
Menschen wegen Strassenraubs verurteilt werden mussten; die sich
ausdehnenden Weiden mit den halb wilden Hirtensklaven beguenstigten
diese heillose Verwilderung des Landes. Der italische Ackerbau sah sich
in seiner Existenz bedroht durch das zuerst in diesem Kriege
aufgestellte Beispiel, dass das roemische Volk statt von selbst
geerntetem auch von sizilischem und aegyptischem Getreide ernaehrt
werden koenne. Dennoch durfte der Roemer, dem die Goetter beschieden
hatten, das Ende dieses Riesenkampfes zu erleben, stolz in die
Vergangenheit und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Es war viel
verschuldet, aber auch viel erduldet worden; das Volk, dessen gesamte
dienstfaehige Jugend fast zehn Jahre hindurch Schild und Schwert nicht
abgelegt hatte, durfte manches sich verzeihen. Jenes wenn auch durch
wechselseitige Befehdung unterhaltene, doch im ganzen friedliche und
freundliche Zusammenleben der verschiedenen Nationen, wie es das Ziel
der neueren Voelkerentwicklungen zu sein scheint, ist dem Altertum
fremd: damals galt es Amboss zu sein oder Hammer; und in dem Wettkampf
der Sieger war der Sieg den Roemern geblieben. Ob man verstehen werde
ihn zu benutzen, die latinische Nation immer fester an Rom zu ketten,
Italien allmaehlich zu latinisieren, die Unterworfenen in den Provinzen
als Untertanen zu beherrschen, nicht als Knechte auszunutzen, die
Verfassung zu reformieren, den schwankenden Mittelstand neu zu
befestigen und zu erweitern - das mochte mancher fragen; wenn man es
verstand, so durfte Italien gluecklichen Zeiten entgegensehen, in denen
der auf eigene Arbeit unter guenstigen Verhaeltnissen gegruendete
Wohlstand und die entschiedenste politische Suprematie ueber die
damalige zivilisierte Welt jedem Gliede des grossen Ganzen ein
gerechtes Selbstgefuehl, jedem Stolz ein wuerdiges Ziel, jedem Talent
eine offene Bahn geschaffen haben wuerden. Freilich wenn nicht, nicht.
Fuer den Augenblick aber schwiegen die bedenklichen Stimmen und die
trueben Besorgnisse, als von allen Seiten die Krieger und Sieger in
ihre Haeuser zurueckkehrten, als Dankfeste und Lustbarkeiten, Geschenke
an Soldaten und Buerger an der Tagesordnung waren, die geloesten
Gefangenen heimgesandt wurden aus Gallien, Afrika, Griechenland und
endlich der jugendliche Sieger im glaenzenden Zuge durch die
geschmueckten Strassen der Hauptstadt zog, um seine Palme in dem Haus
des Gottes niederzulegen, von dem, wie sich die Glaeubigen
zufluesterten, er zu Rat und Tat unmittelbar die Eingebungen empfangen
hatte.




KAPITEL VII.
Der Westen vom Hannibalischen Frieden bis zum Ende der dritten Periode


In der Erstreckung der roemischen Herrschaft bis an die Alpen- oder,
wie man jetzt schon sagte, bis an die italische Grenze und in der
Ordnung und Kolonisierung der keltischen Landschaften war Rom durch den
Hannibalischen Krieg unterbrochen worden. Es verstand sich von selbst,
dass man jetzt da fortfahren wuerde, wo man aufgehoert hatte, und die
Kelten begriffen es wohl. Schon im Jahre des Friedensschlusses mit
Karthago (553 201) hatten im Gebiet der zunaechst bedrohten Boier die
Kaempfe wieder begonnen; und ein erster Erfolg, der ihnen gegen den
eilig aufgebotenen roemischen Landsturm gelang, sowie das Zureden eines
karthagischen Offiziers Hamilkar, der von Magos Expedition her in
Norditalien zurueckgeblieben war, veranlassten im folgenden Jahr (554
200) eine allgemeine Schilderhebung nicht bloss der beiden zunaechst
bedrohten Staemme, der Boier und Insubrer; auch die Ligurer trieb die
naeherrueckende Gefahr in die Waffen, und selbst die cenomanische
Jugend hoerte diesmal weniger auf die Stimme ihrer vorsichtigen
Behoerden als auf den Notruf der bedrohten Stammgenossen. Von “den
beiden Riegeln gegen die gallischen Zuege”, Placentia und Cremona, ward
der erste niedergeworfen - von der placentinischen Einwohnerschaft
retteten nicht mehr als 2000 das Leben -, der zweite berannt. Eilig
marschierten die Legionen heran, um zu retten, was noch zu retten war.
Vor Cremona kam es zu einer grossen Schlacht. Die geschickte und
kriegsmaessige Leistung derselben von seiten des phoenikischen Fuehrers
vermochte es nicht, die Mangelhaftigkeit seiner Truppen zu ersetzen;
dem Andrang der Legionen hielten die Gallier nicht stand und unter den
Toten, welche zahlreich das Schlachtfeld bedeckten, war auch der
karthagische Offizier. Indes setzten die Kelten den Kampf fort;
dasselbe roemische Heer, welches bei Cremona gesiegt, wurde das
naechste Jahr (555 199), hauptsaechlich durch die Schuld des sorglosen
Fuehrers, von den Insubrern fast aufgerieben und erst 556 (198) konnte
Placentia notduerftig wiederhergestellt werden. Aber der Bund der zu
dem Verzweiflungskampf vereinigten Kantone ward in sich uneins; die
Boier und die Insubrer gerieten in Zwist, und die Cenomanen traten
nicht bloss zurueck von dem Nationalbunde, sondern erkauften sich auch
Verzeihung von den Roemern durch schimpflichen Verrat der Landsleute,
indem sie waehrend einer Schlacht, die die Insubrer den Roemern am
Mincius lieferten, ihre Bundes- und Kampfgenossen von hinten angriffen
und aufreiben halfen (557 197). So gedemuetigt und im Stich gelassen,
bequemten sich die Insubrer nach dem Fall von Comum gleichfalls zu
einem Sonderfrieden (558 196). Die Bedingungen, welche Rom den
Cenomanen und Insubrern vorschrieb, waren allerdings haerter, als sie
den Gliedern der italischen Eidgenossenschaft gewaehrt zu werden
pflegten; namentlich vergass man nicht, die Scheidewand zwischen
Italikern und Kelten gesetzlich zu befestigen und zu verordnen, dass
nie ein Buerger dieser beiden Keltenstaemme das roemische Buergerrecht
solle gewinnen koennen. Indes liess man diesen transpadanischen
Keltendistrikten ihre Existenz und ihre nationale Verfassung, so dass
sie nicht Stadtgebiete, sondern Voelkergaue bildeten, und legte ihnen
auch wie es scheint keinen Tribut auf; sie sollten den roemischen
Ansiedlungen suedlich vom Po als Bollwerk dienen und die nachrueckenden
Nordlaender wie die raeuberischen Alpenbewohner, welche regelmaessige
Razzias in diese Gegenden zu unternehmen pflegten, von Italien
abhalten. Uebrigens griff auch in diesen Landschaften die Latinisierung
mit grosser Schnelligkeit um sich; die keltische Nationalitaet
vermochte offenbar bei weitem nicht den Widerstand zu leisten wie die
der zivilisierten Sabeller und Etrusker. Der gefeierte lateinische
Lustspieldichter Statius Caecilius, der im Jahre 586 (168) starb, war
ein freigelassener Insubrer; und Polybios, der gegen Ausgang des
sechsten Jahrhunderts diese Gegenden bereiste, versichert, vielleicht
nicht ohne eigene Uebertreibung, dass daselbst nur noch wenige Doerfer
unter den Alpen keltisch geblieben seien. Die Veneter dagegen scheinen
ihre Nationalitaet laenger behauptet zu haben.

Das hauptsaechliche Bestreben der Roemer war in diesen Landschaften
begreiflicherweise darauf gerichtet, dem Nachruecken der
transalpinischen Kelten zu steuern und die natuerliche Scheidewand der
Halbinsel und des inneren Kontinents auch zur politischen Grenze zu
machen. Dass die Furcht vor dem roemischen Namen schon zu den
naechstliegenden keltischen Kantonen jenseits der Alpen gedrungen war,
zeigt nicht bloss die vollstaendige Untaetigkeit, mit der dieselben der
Vernichtung oder Unterjochung ihrer diesseitigen Landsleute zusahen,
sondern mehr noch die offizielle Missbilligung und Desavouierung,
welche die transalpinischen Kantone - man wird zunaechst an die
Helvetier (zwischen dem Genfer See und dem Main) und an die Karner oder
Taurisker (in Kaernten und Steiermark) zu denken haben - gegen die
beschwerdefuehrenden roemischen Gesandten aussprachen ueber die
Versuche einzelner keltischer Haufen, sich diesseits der Alpen in
friedlicher Weise anzusiedeln, nicht minder die demuetige Art, in
welcher diese Auswandererhaufen selbst zuerst bei dem roemischen Senat
um Landanweisung bittend einkamen, alsdann aber dem strengen Gebot,
ueber die Alpen zurueckzugehen, ohne Widerrede sich fuegten (568 f.,
575 186, 179) und die Stadt, die sie unweit des spaeteren Aquileia
schon angelegt hatten, wieder zerstoeren liessen. Mit weiser Strenge
gestattete der Senat keinerlei Ausnahme von dem Grundsatz, dass die
Alpentore fuer die keltische Nation fortan geschlossen seien, und
schritt mit schweren Strafen gegen diejenigen roemischen Untertanen
ein, die solche Uebersiedlungsversuche von Italien aus veranlasst
hatten. Ein Versuch dieser Art, welcher auf einer bis dahin den Roemern
wenig bekannten Strasse im innersten Winkel des Adriatischen Meeres
stattfand, mehr aber noch, wie es scheint, der Plan Philipps von
Makedonien, wie Hannibal von Westen so seinerseits von Osten her in
Italien einzufallen, veranlassten die Gruendung einer Festung in dem
aeussersten nordoestlichen Winkel Italien, der noerdlichsten italischen
Kolonie Aquileia (571-573 183-181), die nicht bloss diesen Weg den
Fremden fuer immer zu verlegen, sondern auch die fuer die dortige
Schiffahrt vorzueglich bequem gelegene Meeresbucht zu sichern und der
immer noch nicht ganz ausgerotteten Piraterie in diesen Gewaessern zu
steuern bestimmt war. Die Anlage Aquileias veranlasste einen Krieg
gegen die Istrier (576, 577 178, 177), der mit der Erstuermung einiger
Kastelle und dem Fall des Koenigs Aepulo schnell beendigt war und durch
nichts merkwuerdig ist als durch den panischen Schreck, den die Kunde
von der Ueberrumpelung des roemischen Lagers durch eine Handvoll
Barbaren bei der Flotte und sodann in ganz Italien hervorrief.

Anders verfuhr man in der Landschaft diesseits des Padus, die der
roemische Senat beschlossen hatte Italien einzuverleiben. Die Boier,
die dies zunaechst traf, wehrten sich mit verzweifelter
Entschlossenheit. Es ward sogar der Padus von ihnen ueberschritten und
ein Versuch gemacht, die Insubrer wieder unter die Waffen zu bringen
(560 194); ein Konsul ward in seinem Lager von ihnen blockiert und
wenig fehlte, dass er unterlag; Placentia hielt sich muehsam gegen die
ewigen Angriffe der erbitterten Eingeborenen. Bei Mutina endlich ward
die letzte Schlacht geliefert; sie war lang und blutig, aber die Roemer
siegten (561 193), und seitdem war der Kampf kein Krieg mehr, sondern
eine Sklavenhetze. Die einzige Freistatt im boischen Gebiet war bald
das roemische Lager, in das der noch uebrige bessere Teil der
Bevoelkerung sich zu fluechten begann; die Sieger konnten nach Rom
berichten, ohne sehr zu uebertreiben, dass von der Nation der Boier
nichts mehr uebrig sei als Kinder und Greise. So freilich musste sie
sich ergeben in das Schicksal, das ihr bestimmt war. Die Roemer
forderten Abtretung des halben Gebiets (563 191); sie konnte nicht
verweigert werden, aber auch auf dem geschmaelerten Bezirk, der den
Boiern blieb, verschwanden sie bald und verschmolzen mit ihren
Besiegern ^1.

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^1 Nach Strabons Bericht waeren diese italischen Boier von den Roemern
ueber die Alpen verstossen worden und aus ihnen die boische Ansiedlung
im heutigen Ungarn um Steinamanger und Oedenburg hervorgegangen, welche
in der augustischen Zeit von den ueber die Donau gegangenen Geten
angegriffen und vernichtet wurde, dieser Landschaft aber den Namen der
boischen Einoede hinterliess. Dieser Bericht passt sehr wenig zu der
wohlbeglaubigten Darstellung der roemischen Jahrbuecher, nach der man
sich roemischerseits begnuegte mit der Abtretung des halben Gebietes;
und um das Verschwinden der italischen Boier zu erklaeren, bedarf es in
der Tat der Annahme einer gewaltsamen Vertreibung nicht - verschwinden
doch auch die uebrigen keltischen Voelkerschaften, obwohl von Krieg und
Kolonisierung in weit minderem Grade heimgesucht, nicht viel weniger
rasch und vollstaendig aus der Reihe der italischen Nationen.
Anderseits fuehren andere Berichte vielmehr darauf, jene Boier am
Neusiedler See herzuleiten von dem Hauptstock der Nation, der ehemals
in Bayern und Boehmen sass, bis deutsche Staemme ihn suedwaerts
draengten. Ueberall aber ist es sehr zweifelhaft, ob die Boier, die man
bei Bordeaux, am Po, in Boehmen findet, wirklich auseinandergesprengte
Zweige eines Stammes sind und nicht bloss eine Namensgleichheit
obwaltet. Strabons Annahme duerfte auf nichts anderem beruhen als auf
einem Rueckschluss aus der Namensgleichheit, wie die Alten ihn bei den
Kimbern, Venetern und sonst oft unueberlegt anwandten.

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Nachdem die Roemer also sich reinen Boden geschaffen hatten, wurden die
Festungen Placentia und Cremona, deren Kolonisten die letzten unruhigen
Jahre grossenteils hingerafft oder zerstreut hatten, wieder organisiert
und neue Ansiedler dorthin gesandt; neu gegruendet wurden in und bei
dem ehemaligen senonischen Gebiet Potentia (bei Recanati unweit Ancona;
570 184) und Pisaurum (Pesaro; 570 184), ferner in der neu gewonnenen
boischen Landschaft die Festungen Bonoma (565 189), Mutina (571 183)
und Parma (571 183), von denen die Kolonie Mutina schon vor dem
Hannibalischen Krieg angelegt und nur der Abschluss der Gruendung durch
diesen unterbrochen worden war. Wie immer verband sich mit der Anlage
der Festungen auch die von Militaerchausseen. Es wurde die Flaminische
Strasse von ihrem noerdlichen Endpunkt Ariminum unter dem Namen der
Aemilischen bis Placentia verlaengert (567 187). Ferner ward die
Strasse von Rom nach Arretium oder die Cassische, die wohl schon
laengst Munizipalchaussee gewesen war, wahrscheinlich im Jahre 583
(171) von der roemischen Gemeinde uebernommen und neu angelegt, schon
567 (187) aber die Strecke von Arretium ueber den Apennin nach Bononia
bis an die neue Aemilische Strasse hergestellt, wodurch man eine
kuerzere Verbindung zwischen Rom und den Pofestungen erhielt. Durch
diese durchgreifenden Massnahmen wurde der Apennin als die Grenze des
keltischen und des italischen Gebiets tatsaechlich beseitigt und
ersetzt durch den Po. Diesseits des Po herrschte fortan wesentlich die
italische Stadt-, jenseits desselben wesentlich die keltische
Gauverfassung, und es war ein leerer Name, wenn auch jetzt noch das
Gebiet zwischen Apennin und Po zur keltischen Landschaft gerechnet
ward.

In dem nordwestlichen italischen Gebirgsland, dessen Taeler und Huegel
hauptsaechlich von dem vielgeteilten ligurischen Stamm eingenommen
waren, verfuhren die Roemer in aehnlicher Weise. Was zunaechst
nordwaerts vom Arno wohnte, ward vertilgt. Es traf dies hauptsaechlich
die Apuaner, die, auf dem Apennin zwischen dem Arno und der Magra
wohnend, einerseits das Gebiet von Pisae, anderseits das von Bononia
und Mutina unaufhoerlich pluenderten. Was hier nicht dem Schwert der
Roemer erlag, ward nach Unteritalien in die Gegend von Benevent
uebergesiedelt (574 180), und durch energische Massregeln die
ligurische Nation, weicher man noch im Jahre 578 (175) die von ihr
eroberte Kolonie Mutina wieder abnehmen musste, in den Bergen, die das
Potal von dem des Arno scheiden, vollstaendig unterdrueckt. Die 577
(177) auf dem ehemals apuanischen Gebiet angelegte Festung Luna unweit
Spezzia deckte die Grenze gegen die Ligurer aehnlich wie Aquileia gegen
die Transalpiner und gab zugleich den Roemern einen vortrefflichen
Hafen, der seitdem fuer die Ueberfahrt nach Massalia und nach Spanien
die gewoehnliche Station ward. Die Chaussierung der Kuesten- oder
Aurelischen Strasse von Rom nach Luna und der von Luca ueber Florenz
nach Arretium gefuehrten Querstrasse zwischen der Aurelischen und
Cassischen gehoert wahrscheinlich in dieselbe Zeit.

Gegen die westlicheren ligurischen Staemme, die die genuesischen
Apenninen und die Seealpen innehatten, ruhten die Kaempfe nie. Es waren
unbequeme Nachbarn, die zu Lande und zur See zu pluendern pflegten; die
Pisaner und die Massalioten hatten von ihren Einfaellen und ihren
Korsarenschiffen nicht wenig zu leiden. Bleibende Ergebnisse wurden
indes bei den ewigen Fehden nicht gewonnen, vielleicht auch nicht
bezweckt; ausser dass man, wie es scheint, um mit dem transalpinischen
Gallien und Spanien neben der regelmaessigen See- auch eine
Landverbindung zu haben, bemueht war, die grosse Kuestenstrasse von
Luna ueber Massalia nach Emporiae wenigstens bis an die Alpen
freizumachen - jenseits der Alpen lag es dann den Massalioten ob, den
roemischen Schiffen die Kuestenfahrt und den Landreisenden die
Uferstrasse offen zu halten. Das Binnenland mit seinen unwegsamen
Taelern und seinen Felsennestern, mit seinen armen, aber gewandten und
verschlagenen Bewohnern diente den Roemern hauptsaechlich als
Kriegsschule zur Uebung und Abhaertung der Soldaten wie der Offiziere.

Aehnliche sogenannte Kriege wie gegen die Ligurer fuehrte man gegen die
Korsen und mehr noch gegen die Bewohner des inneren Sardinien, welche
die gegen sie gerichteten Raubzuege durch Ueberfaelle der
Kuestenstriche vergalten. Im Andenken geblieben ist die Expedition des
Tiberius Gracchus gegen die Sarden 577 (177) nicht so sehr, weil er der
Provinz den “Frieden” gab, sondern weil er bis 80000 der Insulaner
erschlagen oder gefangen zu haben behauptete und Sklaven von dort in
solcher Masse nach Rom schleppte, dass es Sprichwort ward:
“spottwohlfeil wie ein Sarde”.

In Afrika ging die roemische Politik wesentlich auf in dem einen,
ebenso kurzsichtigen wie engherzigen Gedanken, das Wiederaufkommen der
karthagischen Macht zu verhindern und deshalb die unglueckliche Stadt
bestaendig unter dem Druck und unter dem Damoklesschwert einer
roemischen Kriegserklaerung zu erhalten. Schon die Bestimmung des
Friedensvertrags, dass den Karthagern zwar ihr Gebiet ungeschmaelert
bleiben, aber ihrem Nachbarn Massinissa alle diejenigen Besitzungen
garantiert sein sollten, die er oder sein Vorweser innerhalb der
karthagischen Grenzen besessen haetten, sieht fast so aus, als waere
sie hineingesetzt, um Streitigkeiten nicht zu beseitigen, sondern zu
erwecken. Dasselbe gilt von der durch den roemischen Friedenstraktat
den Karthagern auferlegten Verpflichtung, nicht gegen roemische
Bundesgenossen Krieg zu fuehren, so dass nach dem Wortlaut des Vertrags
sie nicht einmal befugt waren, aus ihrem eigenen und unbestrittenen
Gebiet den numidischen Nachbarn zu vertreiben. Bei solchen Vertraegen
und bei der Unsicherheit der afrikanischen Grenzverhaeltnisse
ueberhaupt konnte Karthagos Lage gegenueber einem ebenso maechtigen wie
ruecksichtslosen Nachbarn einem Oberherrn, der zugleich Schiedsrichter
und Partei war, nicht anders als peinlich sein; aber die Wirklichkeit
war aerger als die aergsten Erwartungen. Schon 561 (193) sah Karthago
sich unter nichtigen Vorwaenden ueberfallen und den reichsten Teil
seines Gebiets, die Landschaft Emporiae an der Kleinen Syrte, teils von
den Numidiern gepluendert, teils sogar von ihnen in Besitz genommen. So
gingen die Uebergriffe bestaendig weiter; das platte Land kam in die
Haende der Numidier, und mit Muehe behaupteten die Karthager sich in
den groesseren Ortschaften. Bloss in den letzten zwei Jahren,
erklaerten die Karthager im Jahre 582 (172), seien ihnen wieder siebzig
Doerfer vertragswidrig entrissen worden. Botschaft ueber Botschaft ging
nach Rom; die Karthager beschworen den roemischen Senat, ihnen entweder
zu gestatten, sich mit den Waffen zu verteidigen, oder ein
Schiedsgericht mit Spruchgewalt zu bestellen, oder die Grenze neu zu
regulieren, damit sie wenigstens ein- fuer allemal erfuehren, wieviel
sie einbuessen sollten; besser sei es sonst, sie geradezu zu roemischen
Untertanen zumachen, als sie so allmaehlich den Libyern auszuliefern.
Aber die roemische Regierung, die schon 554 (200) ihrem Klienten
geradezu Gebietserweiterungen, natuerlich auf Kosten Karthagos, in
Aussicht gestellt hatte, schien wenig dagegen zuhaben, dass er die ihm
bestimmte Beute sich selber nahm; sie maessigte wohl zuweilen das
allzugrosse Ungestuem der Libyer, die ihren alten Peinigern jetzt das
Erlittene reichlich vergalten, aber im Grunde war ja eben dieser
Quaelerei wegen Massinissa von den Roemern Karthago zum Nachbar gesetzt
worden. Alle Bitten und Beschwerden hatten nur den Erfolg, dass
entweder roemische Kommissionen in Afrika erschienen, die nach
gruendlicher Untersuchung zu keiner Entscheidung kamen, oder bei den
Verhandlungen in Rom Massinissas Beauftragte Mangel an Instruktionen
vorschuetzten und die Sache vertagt ward. Nur phoenikische Geduld war
imstande, sich in eine solche Lage mit Ergebung zu schicken, ja dabei
den Machthabern jeden Dienst und jede Artigkeit, die sie begehrten und
nicht begehrten, mit unermuedlicher Beharrlichkeit zu erweisen und
namentlich durch Kornsendungen um die roemische Gunst zu buhlen.

Indes war diese Fuegsamkeit der Besiegten doch nicht bloss Geduld und
Ergebung. Es gab noch in Karthago eine Patriotenpartei und an ihrer
Spitze stand der Mann, der, wo immer das Schicksal ihn hinstellte, den
Roemern furchtbar blieb. Sie hatte es nicht aufgegeben, unter Benutzung
der leicht vorauszusehenden Verwicklungen zwischen Rom und den
oestlichen Maechten noch einmal den Kampf aufzunehmen und, nachdem der
grossartige Plan Hamilkars und seiner Soehne wesentlich an der
karthagischen Oligarchie gescheitert war, fuer diesen neuen Kampf vor
allem das Vaterland innerlich zu erneuern. Die bessernde Macht der Not
und wohl auch Hannibals klarer, grossartiger und der Menschen
maechtiger Geist bewirkten politische und finanzielle Reformen. Die
Oligarchie, die durch Erhebung der Kriminaluntersuchung gegen den
grossen Feldherrn wegen absichtlich unterlassener Einnahme Roms und
Unterschlagung der italischen Beute das Mass ihrer verbrecherischen
Torheiten voll gemacht hatte - diese verfaulte Oligarchie wurde auf
Hannibals Antrag ueber den Haufen geworfen und ein demokratisches
Regiment eingefuehrt, wie es den Verhaeltnissen der Buergerschaft
angemessen war (vor 559 195). Die Finanzen wurden durch Beitreibung der
rueckstaendigen und unterschlagenen Gelder und durch Einfuehrung einer
besseren Kontrolle so schnell wieder geordnet, dass die roemische
Kontribution gezahlt werden konnte, ohne die Buerger irgendwie mit
ausserordentlichen Steuern zu belasten. Die roemische Regierung, eben
damals im Begriff, den bedenklichen Krieg mit dem Grosskoenig von Asien
zu beginnen, folgte diesen Vorgaengen mit begreiflicher Besorgnis; es
war keine eingebildete Gefahr, dass die karthagische Flotte in Italien
landen und ein zweiter Hannibalischer Krieg dort sich entspinnen
koenne, waehrend die roemischen Legionen in Kleinasien fochten. Man
kann darum die Roemer kaum tadeln, wenn sie eine Gesandtschaft nach
Karthago schickten (559 195), die vermutlich beauftragt war, Hannibals
Auslieferung zu fordern. Die grollenden karthagischen Oligarchen, die
Briefe ueber Briefe nach Rom sandten, um den Mann, der sie gestuerzt,
wegen geheimer Verbindungen mit den antiroemisch gesinnten Maechten dem
Landesfeind zu denunzieren, sind veraechtlich, aber ihre Meldungen
waren wahrscheinlich richtig; und so wahr es auch ist, dass in jener
Gesandtschaft ein demuetigendes Eingestaendnis der Furcht des
maechtigen Volkes vor dem einfachen Schofeten von Karthago lag, so
begreiflich und ehrenwert es ist, dass der stolze Sieger von Zama im
Senat Einspruch tat gegen diesen erniedrigenden Schritt, so war doch
jenes Eingestaendnis eben nichts anderes als die schlichte Wahrheit,
und Hannibal eine so ausserordentliche Natur, dass nur roemische
Gefuehlspolitiker ihn laenger an der Spitze des karthagischen Staats
dulden konnten. Die eigentuemliche Anerkennung, die er bei der
feindlichen Regierung fand, kam ihm selbst schwerlich ueberraschend.
Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg gefuehrt hatte, so
hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Besiegten trifft. Die
Karthager konnten nichts tun als sich fuegen und ihrem Stern danken,
dass Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem Orient
die groessere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die
mindere liess, ihren groessten Buerger auf ewige Zeiten aus der Heimat
verbannt, sein Vermoegen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben.
Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge der Goetter
sind, denen sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz
verleihen, hat also an Hannibal in vollem Masse sich bewaehrt.

Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal laesst es sich
verantworten, dass die roemische Regierung nach dessen Entfernung nicht
aufhoerte, die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gaerten dort
die Parteien nach wie vor; allein nach der Entfernung des
ausserordentlichen Mannes, der fast die Geschicke der Welt gewendet
haette, bedeutete die Patriotenpartei nicht viel mehr in Karthago als
in Aetolien und in Achaia. Die verstaendigste Idee unter denen, welche
damals die unglueckliche Stadt bewegten, war ohne Zweifel die, sich an
Massinissa anzuschliessen und aus dem Draenger den Schutzherrn der
Phoeniker zu machen. Allein weder die nationale noch die libysch
gesinnte Faktion der Patrioten gelangte an das Ruder, sondern es blieb
das Regiment bei den roemisch gesinnten Oligarchen, welche, soweit sie
nicht ueberhaupt aller Gedanken an die Zukunft sich begaben, einzig die
Idee festhielten, die materielle Wohlfahrt und die Kommunalfreiheit
Karthagos unter dem Schutze Roms zu retten. Hierbei haette man in Rom
wohl sich beruhigen koennen. Allein weder die Menge noch selbst die
regierenden Herren vom gewoehnlichen Schlag vermochten sich der
gruendlichen Angst vom Hannibalischen Kriege her zu entschlagen; die
roemischen Kaufleute aber sahen mit neidischen Augen die Stadt auch
jetzt, wo ihre politische Macht dahin war, im Besitz einer ausgedehnten
Handelsklientel und eines festgegruendeten, durch nichts zu
erschuetternden Reichtums. Schon im Jahre 567 (187) erbot sich die
karthagische Regierung die saemtlichen im Frieden von 553 (201)
stipulierten Terminzahlungen sofort zu entrichten, was die Roemer,
denen an der Tributpflichtigkeit Karthagos weit mehr gelegen war als an
den Geldsummen selbst, begreiflicherweise ablehnten und daraus nur die
Ueberzeugung gewannen, dass aller angewandten Muehe ungeachtet die
Stadt nicht ruiniert und nicht zu ruinieren sei. Immer aufs neue liefen
Geruechte ueber die Umtriebe der treulosen Phoeniker durch Rom. Bald
hatte ein Emissaer Hannibals, Ariston von Tyros, sich in Karthago
blicken lassen, um die Buergerschaft auf die Landung einer asiatischen
Kriegsflotte vorzubereiten (561 193); bald hatte der Rat in geheimer
nächtlicher Sitzung im Tempel des Heilgottes den Gesandten des Perseus
Audienz gegeben (581 173); bald sprach man von der gewaltigen Flotte,
die in Karthago fuer den Makedonischen Krieg geruestet werde (583 171).
Es ist nicht wahrscheinlich, dass diesen und aehnlichen Dingen mehr als
hoechstens die Unbesonnenheiten einzelner zugrunde lagen; immer aber
waren sie das Signal zu neuen diplomatischen Misshandlungen von
roemischer, zu neuen Uebergriffen von Massinissas Seite, und die
Meinung stellte immer mehr sich fest, je weniger Sinn und Verstand in
ihr war, dass ohne einen dritten punischen Krieg mit Karthago nicht
fertig zu werden sei.

Waehrend also die Macht der Phoeniker in dem Lande ihrer Wahl ebenso
dahinsank wie sie laengst in ihrer Heimat erlegen war, erwuchs neben
ihnen ein neuer Staat. Seit unvordenklichen Zeiten wie noch heutzutage
ist das nordafrikanische Kuestenland bewohnt von dem Volke, das sich
selber Schilah oder Tamazigt heisst und welches die Griechen und Roemer
die Nomaden oder Numidier, das ist das Weidevolk, die Araber Berber
nennen, obwohl auch sie dieselben wohl als “Hirten” (Schâwie)
bezeichnen, und das wir Berber oder Kabylen zu nennen gewohnt sind.
Dasselbe ist, soweit seine Sprache bis jetzt erforscht ist, keiner
anderen bekannten Nation verwandt. In der karthagischen Zeit hatten
diese Staemme mit Ausnahme der unmittelbar um Karthago oder unmittelbar
an der Kueste hausenden wohl im ganzen ihre Unabhaengigkeit behauptet,
aber auch bei ihrem Hirten- und Reiterleben, wie es noch jetzt die
Bewohner des Atlas fuehren, im wesentlichen beharrt, obwohl das
phoenikische Alphabet und ueberhaupt die phoenikische Zivilisation
ihnen nicht fremd blieb und es wohl vorkam, dass die Berberscheichs
ihre Soehne in Karthago erziehen liessen und mit phoenikischen
Adelsfamilien sich verschwaegerten. Die roemische Politik wollte
unmittelbare Besitzungen in Afrika nicht haben und zog es vor, einen
Staat dort grosszuziehen, der nicht genug bedeutete, um Roms Schutz
entbehren zu koennen und doch genug, um Karthagos Macht, nachdem
dieselbe auf Afrika beschraenkt war, auch hier niederzuhalten und der
gequaelten Stadt jede freie Bewegung unmoeglich zu machen. Was man
suchte, fand man bei den eingeborenen Fuersten. Um die Zeit des
Hannibalischen Krieges standen die nordafrikanischen Eingeborenen unter
drei Oberkoenigen, deren jedem nach dortiger Art eine Menge Fuersten
gefolgspflichtig waren: dem Koenig der Mauren, Bocchar, der, vom
Atlantischen Meer bis zum Fluss Molochath (jetzt Mluia an der
marokkanisch-franzoesischen Grenze), dem Koenig der Massaesyler,
Syphax, der von da bis an das sogenannte Durchbohrte Vorgebirge
(Siebenkap zwischen Djidjeli und Bona) in den heutigen Provinzen Oran
und Algier, und dem Koenig der Massyler, Massinissa, der von dem
Durchbohrten Vorgebirge bis an die karthagische Grenze in der heutigen
Provinz Constantine gebot. Der maechtigste von diesen, der Koenig von
Siga, Syphax, war in dem letzten Krieg zwischen Rom und Karthago
ueberwunden und gefangen nach Italien abgefuehrt worden, wo er in der
Haft starb; sein weites Gebiet kam im wesentlichen an Massinissa - der
Sohn des Syphax, Vermina, obwohl er durch demuetiges Bitten von den
Roemern einen kleinen Teil des vaeterlichen Besitzes zurueckerlangte
(554 200), vermochte doch den aelteren roemischen Bundesgenossen nicht
um die Stellung des bevorzugten Draengens von Karthago zu bringen.
Massinissa ward der Gruender des Numidischen Reiches; und nicht oft hat
Wahl oder Zufall so den rechten Mann an die rechte Stelle gesetzt.
Koerperlich gesund und gelenkig bis in das hoechste Greisenalter,
maessig und nuechtern wie ein Araber, faehig, jede Strapaze zu
ertragen, vom Morgen bis zum Abend auf demselben Flecke zu stehen und
vierundzwanzig Stunden zu Pferde zu sitzen, in den abenteuerlichen
Glueckswechseln seiner Jugend wie auf den Schlachtfeldern Spaniens als
Soldat und als Feldherr gleich erprobt, und ebenso ein Meister der
schwereren Kunst, in seinem zahlreichen Hause Zucht und in seinem Lande
Ordnung zu erhalten, gleich bereit, sich dem maechtigen Beschuetzer
ruecksichtslos zu Fuessen zu werfen wie den schwaecheren Nachbar
ruecksichtslos unter die Fuesse zu treten und zu alledem mit den
Verhaeltnissen Karthagos, wo er erzogen und in den vornehmsten Haeusern
aus- und eingegangen war, ebenso genau bekannt wie von afrikanisch
bitterem Hasse gegen seine und seiner Nation Bedraengen erfuellt, ward
dieser merkwuerdige Mann die Seele des Aufschwungs seiner, wie es
schien, im Verkommen begriffenen Nation, deren Tugenden und Fehler in
ihm gleichsam verkoerpert erschienen. Das Glueck beguenstigte ihn wie
in allem so auch darin, dass es ihm zu seinem Werke die Zeit liess. Er
starb im neunzigsten Jahr seines Lebens (516-605 238-149), im
sechzigsten seiner Regierung, bis an sein Lebensende im vollen Besitz
seiner koerperlichen und geistigen Kraefte, und hinterliess einen
einjaehrigen Sohn und den Ruf, der staerkste Mann und der beste und
gluecklichste Koenig seiner Zeit gewesen zu sein. Es ist schon erzaehlt
worden, mit welcher berechneten Deutlichkeit die Roemer in ihrer
Oberleitung der afrikanischen Angelegenheiten ihre Parteinahme fuer
Massinissa hervortreten liessen, und wie dieser die stillschweigende
Erlaubnis, auf Kosten Karthagos sein Gebiet zu vergroessern, eifrig und
stetig benutzte. Das ganze Binnenland bis an den Wuestensaum fiel dem
einheimischen Herrscher gleichsam von selber zu, und selbst das obere
Tal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vaga ward dem
Koenig untertan; aber auch an der Kueste oestlich von Karthago besetzte
er die alte Sidonierstadt Gross-Leptis und andere Strecken, so dass
sein Reich sich von der mauretanischen bis zur kyrenaeischen Grenze
erstreckte, das karthagische Gebiet zu Lande von allen Seiten umfasste
und ueberall in naechster Naehe auf die Phoeniker drueckte. Es leidet
keinen Zweifel, dass er in Karthago seine kuenftige Hauptstadt sah; die
libysche Partei daselbst ist bezeichnend. Aber nicht allein durch die
Schmaelerung des Gebiets geschah Karthagos Eintrag. Die schweifenden
Hirten wurden durch ihren grossen Koenig ein anderes Volk. Nach dem
Beispiel des Koenigs, der weithin die Felder urbar machte und jedem
seiner Soehne bedeutende Ackergueter hinterliess, fingen auch seine
Untertanen an, sich ansaessig zu machen und Ackerbau zu treiben. Wie
seine Hirten in Buerger, verwandelte er seine Plunderhorden in
Soldaten, die von Rom neben den Legionen zu fechten gewuerdigt wurden,
und hinterliess seinen Nachfolgern eine reich gefuellte Schatzkammer,
ein wohldiszipliniertes Heer und sogar eine Flotte. Seine Residenz
Cirta (Constantine) ward die lebhafte Hauptstadt eines maechtigen
Staates und ein Hauptsitz der phoenikischen Zivilisation, die an dem
Hofe des Berberkoenigs eifrige und wohl auch auf das kuenftige
karthagisch-numidische Reich berechnete Pflege fand. Die bisher
unterdrueckte libysche Nationalitaet hob sich dadurch in ihren eigenen
Augen, und selbst in die altphoenikischen Staedte, wie Gross-Leptis,
drang einheimische Sitte und Sprache ein. Der Berber fing an, unter der
Aegide Roms sich dem Phoeniker gleich, ja ueberlegen zu fuehlen; die
karthagischen Gesandten mussten in Rom es hoeren, dass sie in Afrika
Fremdlinge seien und das Land den Libyern gehoere. Die selbst in der
nivellierenden Kaiserzeit noch lebensfaehig und kraeftig dastehende
phoenikisch-nationale Zivilisation Nordafrikas ist bei weitem weniger
das Werk der Karthager als das des Massinissa.

In Spanien fuegten die griechischen und phoenikischen Staedte an der
Kueste, wie Emporiae, Saguntum, Neukarthago, Malaca, Gades, sich um so
bereitwilliger der roemischen Herrschaft, als sie sich selber
ueberlassen, kaum imstande gewesen waeren, sich gegen die Eingeborenen
zu schuetzen; wie aus gleichen Gruenden Massalia, obwohl bei weitem
bedeutender und wehrhafter als jene Staedte, es doch nicht versaeumte,
durch engen Anschluss an die Roemer, denen Massalia wieder als
Zwischenstation zwischen Italien und Spanien vielfach nuetzlich wurde,
sich einen maechtigen Rueckhalt zu sichern. Die Eingeborenen dagegen
machten den Roemern unsaeglich zu schaffen. Zwar fehlte es keineswegs
an Ansaetzen zu einer national-iberischen Zivilisation, von deren
Eigentuemlichkeit freilich es uns nicht wohl moeglich ist, eine
deutliche Vorstellung zu gewinnen. Wir finden bei den Iberern eine
weitverbreitete nationale Schrift, die sich in zwei Hauptarten, die des
Ebrotals und die andalusische, und jede von diesen vermutlich wieder in
mannigfache Verzweigungen spaltet und deren Ursprung in sehr fruehe
Zeit hinaufzureichen und eher auf das altgriechische als auf das
phoenikische Alphabet zurueckzugehen scheint. Von den Turdetanern (um
Sevilla) ist sogar ueberliefert, dass sie Lieder aus uralter Zeit, ein
metrisches Gesetzbuch von 6000 Verszeilen, ja sogar geschichtliche
Aufzeichnungen besassen; allerdings wird diese Voelkerschaft die
zivilisierteste unter allen spanischen genannt und zugleich die am
wenigsten kriegerische, wie sie denn auch ihre Kriege regelmaessig mit
fremden Soeldnern fuehrte. Auf dieselbe Gegend werden wohl auch
Polybios’ Schilderungen zu beziehen sein von dem bluehenden Stand des
Ackerbaus und der Viehzucht in Spanien, weshalb bei dem Mangel an
Ausfuhrgelegenheit Korn und Fleisch dort um Spottpreise zu haben war,
und von den praechtigen Koenigspalaesten mit den goldenen und silbernen
Kruegen voll “Gerstenwein”. Auch die Kulturelemente, die die Roemer
mitbrachten, fasste wenigstens ein Teil der Spanier eifrig auf, so dass
frueher als irgendwo sonst in den ueberseeischen Provinzen sich in
Spanien die Latinisierung vorbereitete. So kam zum Beispiel schon in
dieser Epoche der Gebrauch der warmen Baeder nach italischer Weise bei
den Eingeborenen auf. Auch das roemische Geld ist allem Anschein nach
weit frueher als irgendwo sonst ausserhalb Italien in Spanien nicht
bloss gangbar, sondern auch nachgemuenzt worden; was durch die reichen
Silberbergwerke des Landes einigermassen begreiflich wird. Das
sogenannte “Silber von Osca” (jetzt Huesca in Aragonien), das heisst
spanische Denare mit iberischen Aufschriften, wird schon 559 (195)
erwaehnt, und viel spaeter kann der Anfang der Praegung schon deshalb
nicht gesetzt werden, weil das Gepraege dem der aeltesten roemischen
Denare nachgeahmt ist. Allein mochte auch in den suedlichen und
oestlichen Landschaften die Gesittung der Eingeborenen der roemischen
Zivilisation und der roemischen Herrschaft soweit vorgearbeitet haben,
dass diese dort nirgend auf ernstliche Schwierigkeiten stiessen, so war
dagegen der Westen und Norden und das ganze Binnenland besetzt von
zahlreichen, mehr oder minder rohen Voelkerschaften, die von keinerlei
Zivilisation viel wussten - in Intercatia zum Beispiel war noch um 600
(154) der Gebrauch des Goldes und Silbers unbekannt - und sich
ebensowenig untereinander wie mit den Roemern vertrugen.
Charakteristisch ist fuer diese freien Spanier der ritterliche Sinn der
Maenner und wenigstens ebenso sehr der Frauen. Wenn die Mutter den Sohn
in die Schlacht entliess, begeisterte sie ihn durch die Erzaehlung von
den Taten seiner Ahnen, und dem tapfersten Mann reichte die schoenste
Jungfrau unaufgefordert als Braut die Hand. Zweikaempfe waren
gewoehnlich, sowohl um den Preis der Tapferkeit wie zur Ausmachung von
Rechtshaendeln - selbst Erbstreitigkeiten zwischen fuerstlichen Vettern
wurden auf diesem Wege erledigt. Es kam auch nicht selten vor, dass ein
bekannter Krieger vor die feindlichen Reihen trat und sich einen Gegner
bei Namen herausforderte; der Besiegte uebergab dann dem Gegner Mantel
und Schwert und machte auch wohl noch mit ihm Gastfreundschaft. Zwanzig
Jahre nach dem Ende des Hannibalischen Krieges sandte die kleine
keltiberische Gemeinde von Complega (in der Gegend der Tajoquellen) dem
roemischen Feldherrn Botschaft zu, dass er ihnen fuer jeden gefallenen
Mann ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert senden moege, sonst werde
es ihm uebel ergehen. Stolz auf ihre Waffenehre, so dass sie haeufig es
nicht ertrugen, die Schmach der Entwaffnung zu ueberleben, waren die
Spanier dennoch geneigt, jedem Werber zu folgen und fuer jeden fremden
Span ihr Leben einzusetzen - bezeichnend ist die Botschaft, die ein der
Landessitte wohl kundiger roemischer Feldherr einem keltiberischen, im
Solde der Turdetaner gegen die Roemer fechtenden Schwarm zusandte:
entweder nach Hause zu kehren, oder fuer doppelten Sold in roemische
Dienste zu treten, oder Tag und Ort zur Schlacht zu bestimmen. Zeigte
sich kein Werbeoffizier, so trat man auch wohl auf eigene Hand zu
Freischaren zusammen, um die friedlicheren Landschaften zu
brandschatzen, ja sogar die Staedte einzunehmen und zu besetzen, ganz
in kampanischer Weise. Wie wild und unsicher das Binnenland war, davon
zeugt zum Beispiel, dass die Internierung westlich von Cartagena bei
den Roemern als schwere Strafe galt, und dass in einigermassen
aufgeregten Zeiten die roemischen Kommandanten des jenseitigen Spaniens
Eskorten bis zu 6000 Mann mit sich nahmen. Deutlicher noch zeigt es der
seltsame Verkehr, den in der griechisch-spanischen Doppelstadt Emporiae
an der oestlichen Spitze der Pyrenaeen die Griechen mit ihren
spanischen Nachbarn pflogen. Die griechischen Ansiedler, die auf der
Spitze der Halbinsel, von dem spanischen Stadtteil durch eine Mauer
getrennt wohnten, liessen diese jede Nacht durch den dritten Teil ihrer
Buergerwehr besetzen und an dem einzigen Tor einen hoeheren Beamten
bestaendig die Wache versehen; kein Spanier durfte die griechische
Stadt betreten und die Griechen brachten den Eingeborenen die Waren nur
zu in starken und wohleskortierten Abteilungen. Diese Eingeborenen voll
Unruhe und Kriegslust, voll von dem Geiste des Cid wie des Don Quixote
sollten denn nun von den Roemern gebaendigt und womoeglich gesittigt
werden. Militaerisch war die Aufgabe nicht schwer. Zwar bewiesen die
Spanier nicht bloss hinter den Mauern ihrer Staedte oder unter
Hannibals Fuehrung, sondern selbst allein und in offener Feldschlacht
sich als nicht veraechtliche Gegner; mit ihrem kurzen zweischneidigen
Schwert, welches spaeter die Roemer von ihnen annahmen, und ihren
gefuerchteten Sturmkolonnen brachten sie nicht selten selbst die
roemischen Legionen zum Wanken. Haetten sie es vermocht, sich
militaerisch zu disziplinieren und politisch zusammenzuschliessen, so
haetten sie vielleicht der aufgedrungenen Fremdherrschaft sich
entledigen koennen; aber ihre Tapferkeit war mehr die des Guerillas als
des Soldaten und es mangelte ihr voellig der politische Verstand. So
kam es in Spanien zu keinem ernsten Krieg, aber ebensowenig zu einem
ernstlichen Frieden; die Spanier haben sich, wie Caesar spaeter ganz
richtig ihnen vorhielt, nie im Frieden ruhig und nie im Kriege tapfer
erwiesen. So leicht der roemische Feldherr mit den Insurgentenhaufen
fertig ward, so schwer war es dem roemischen Staatsmanne, ein
geeignetes Mittel zu bezeichnen, um Spanien wirklich zu beruhigen und
zu zivilisieren: in der Tat konnte er, da das einzige wirklich
genuegende, eine umfassende latinische Kolonisierung, dem allgemeinen
Ziel der roemischen Politik dieser Epoche zuwiderlief, hier nur mit
Palliativen verfahren.

Das Gebiet, welches die Roemer im Laufe des Hannibalischen Krieges in
Spanien erwarben, zerfiel von Haus aus in zwei Massen; die ehemals
karthagische Provinz, die zunaechst die heutigen Landschaften
Andalusien, Granada, Murcia und Valencia umfasste, und die
Ebrolandschaft oder das heutige Aragonien und Katalonien, das
Standquartier des roemischen Heeres waehrend des letzten Krieges; aus
welchen Gebieten die beiden roemischen Provinzen des Jen- und
Diesseitigen Spaniens hervorgingen. Das Binnenland, ungefaehr den
beiden Kastilien entsprechend, das die Roemer unter dem Namen
Keltiberien zusammenfassten, suchte man allmaehlich unter roemische
Botmaessigkeit zu bringen, waehrend man die Bewohner der westlichen
Landschaften, namentlich die Lusitaner im heutigen Portugal und dem
spanischen Estremadura, von Einfaellen in das roemische Gebiet
abzuhalten sich begnuegte und mit den Staemmen an der Nordkueste, den
Callaekern, Asturern und Kantabrern ueberhaupt noch gar nicht sich
beruehrte. Die Behauptung und Befestigung der gewonnenen Erfolge war
indes nicht durchzufuehren ohne eine stehende Besatzung, indem dem
Vorsteher des diesseitigen Spaniens namentlich die Baendigung der
Keltiberer und dem des jenseitigen die Zurueckweisung der Lusitaner
jaehrlich zu schaffen machten. Es ward somit noetig, in Spanien ein
roemisches Heer von vier starken Legionen oder etwa 40000 Mann Jahr aus
Jahr ein auf den Beinen zu halten; wobei dennoch sehr haeufig zur
Verstaerkung der Truppen in den von Rom besetzten Landschaften der
Landsturm aufgeboten werden musste. Es war dies in doppelter Weise von
grosser Wichtigkeit, indem hier zuerst, wenigstens zuerst in groesserem
Umfang, die militaerische Besetzung des Landes bleibend und
infolgedessen auch der Dienst anfaengt dauernd zu werden. Die alte
roemische Weise, nur dahin Truppen zu senden, wohin das augenblickliche
Kriegsbeduerfnis sie rief, und ausser in sehr schweren und wichtigen
Kriegen die einberufenen Leute nicht ueber ein Jahr bei der Fahne zu
halten, erwies sich als unvertraeglich mit der Behauptung der
unruhigen, fernen und ueberseeischen spanischen Aemter; es war
schlechterdings unmoeglich, die Truppen von da wegzuziehen, und sehr
gefaehrlich, sie auch nur in Masse abzuloesen. Die roemische
Buergerschaft fing an innezuwerden, dass die Herrschaft ueber ein
fremdes Volk nicht bloss fuer den Knecht eine Plage ist, sondern auch
fuer den Herrn, und murrte laut ueber den verhassten spanischen
Kriegsdienst. Waehrend die neuen Feldherren mit gutem Grund sich
weigerten, die Gesamtabloesung der bestehenden Korps zu gestatten,
meuterten diese und drohten, wenn man ihnen den Abschied nicht gebe,
ihn sich selber zu nehmen.

Den Kriegen selbst, die in Spanien von den Roemern gefuehrt wurden,
kommt nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Sie begannen schon mit
Scipios Abreise und waehrten, solange der Hannibalische Krieg dauerte.
Nach dem Frieden mit Karthago (553 201) ruhten auch auf der Halbinsel
die Waffen, jedoch nur auf kurze Zeit. Im Jahre 557 (197) brach in
beiden Provinzen eine allgemeine Insurrektion aus; der Befehlshaber der
Jenseitigen ward hart gedraengt, der der Diesseitigen voellig
ueberwunden und selber erschlagen. Es ward noetig, den Krieg mit Ernst
anzugreifen, und obwohl inzwischen der tuechtige Praetor Quintus
Minucius ueber die erste Gefahr Herr geworden war, beschloss doch der
Senat im Jahre 559 (195), den Konsul Marcus Cato selbst nach Spanien zu
senden. Er fand auch in der Tat bei der Landung in Emporiae das ganze
Diesseitige Spanien von den Insurgenten ueberschwemmt; kaum dass diese
Hafenstadt und im inneren Land ein paar Burgen noch fuer Rom behauptet
wurden. Es kam zur offenen Feldschlacht zwischen den Insurgenten und
dem konsularischen Heer, in der nach hartem Kampf Mann gegen Mann
endlich die roemische Kriegskunst mit der gesparten Reserve den Tag
entschied. Das ganze Diesseitige Spanien sandte darauf seine
Unterwerfung ein; indes es war mit derselben so wenig ernstlich
gemeint, dass auf das Geruecht von der Heimkehr des Konsuls nach Rom
sofort der Aufstand abermals begann. Allein das Geruecht war falsch,
und nachdem Cato die Gemeinden, die zum zweitenmal sich aufgelehnt
hatten, schnell bezwungen und in Masse in die Sklaverei verkauft hatte,
ordnete er eine allgemeine Entwaffnung der Spanier in der diesseitigen
Provinz an und erliess an die saemtlichen Staedte der Eingeborenen von
den Pyrenaeen bis zum Guadalquivir den Befehl, ihre Mauern an einem und
demselben Tage niederzureissen. Niemand wusste, wie weit das Gebot sich
erstreckte, und es war keine Zeit sich zu verstaendigen; die meisten
Gemeinden gehorchten und auch von den wenigen widerspenstigen wagten es
nicht viele, als das roemische Heer demnaechst vor ihren Mauern
erschien, es auf den Sturm ankommen zu lassen.

Diese energischen Massregeln waren allerdings nicht ohne nachhaltigen
Erfolg. Allein nichtsdestoweniger hatte man fast jaehrlich in der
“friedlichen Provinz” ein Gebirgstal oder ein Bergkastell zum Gehorsam
zu bringen, und die stetigen Einfaelle der Lusitaner in die jenseitige
Provinz fuehrten gelegentlich zu derben Niederlagen der Roemer; wie zum
Beispiel 563 (191) ein roemisches Heer nach starkem Verlust sein Lager
im Stich lassen und in Eilmaerschen in die ruhigeren Landschaften
zurueckkehren musste. Erst ein Sieg, den der Praetor Lucius Aemilius
Paullus 565 (189) ^2, und ein zweiter noch bedeutenderer, den der
tapfere Praetor Gaius Calpurnius jenseits des Tagus 569 (185) ueber die
Lusitaner erfocht, schafften auf einige Zeit Ruhe. Im diesseitigen
Spanien ward die bis dahin fast nominelle Herrschaft der Roemer ueber
die keltiberischen Voelkerschaften fester begruendet durch Quintus
Fulvius Flaccus, der nach einem grossen Siege ueber dieselben 573 (181)
wenigstens die naechstliegenden Kantone zur Unterwerfung zwang, und
besonders durch seinen Nachfolger Tiberius Gracchus (575, 576 179,
178), welcher mehr noch als durch die Waffen, mit denen er dreihundert
spanische Ortschaften sich unterwarf, durch sein geschicktes Eingehen
auf die Weise der schlichten und stolzen Nation dauernde Erfolge
erreichte. Indem er angesehene Keltiberer bestimmte, im roemischen Heer
Dienste zu nehmen, schuf er sich eine Klientel; indem er den
schweifenden Leuten Land anwies und sie in Staedten zusammenzog - die
spanische Stadt Graccurris bewahrte des Roemers Namen -, ward dem
Freibeuterwesen ernstlich gesteuert; indem er die Verhaeltnisse der
einzelnen Voelkerschaften zu den Roemern durch gerechte und weise
Vertraege regelte, verstopfte er soweit moeglich die Quelle kuenftiger
Empoerungen. Sein Name blieb bei den Spaniern in gesegnetem Andenken,
und es trat in dem Lande seitdem, wenn auch die Keltiberer noch manches
Mal unter dem Joch zuckten, doch vergleichungsweise Ruhe ein.

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^2 Von diesem Statthalter ist kuerzlich das folgende Dekret auf einer
in der Naehe von Gibraltar aufgefundenen, jetzt im Pariser Museum
aufbewahrten Kupfertafel zum Vorschein gekommen: “L. Aimilius, des
Lucius Sohn, Imperator, hat verfuegt, dass die in dem Turm von Laskuta
[durch Muenzen und Plin. 3, 1, 15 bekannt, aber ungewisser Lage]
wohnhaften Sklaven der Hastenser [Hasta regia, unweit Jerez de la
Frontera] frei sein sollen. Den Boden und die Ortschaft, die sie zur
Zeit besitzen, sollen sie auch ferner besitzen und haben, so lange es
dem Volk und dem Rat der Roemer belieben wird. Verhandelt im Lager am
12. Januar [564 oder 565 der Stadt]. “ (L. Aimilius L. f. inpeirator
decreivit, utei quei Hastensium seruei in turri Lascutana habitarent,
leiberei essent. Agrum oppidumqu[eJ, quod ea tempestate posedisent,
item possidere habereque iousit, dum poplus senatusque Romanus vellet.
Act. in castreis a. d. XII k. Febr.) Es ist dies die aelteste roemische
Urkunde, die wir im Original besitzen, drei Jahre frueher abgefasst als
der bekannte Erlass der Konsuln des Jahres 568 (186) in der
Bacchanalienangelegenheit.

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Das Verwaltungssystem der beiden spanischen Provinzen war dem
sizilisch-sardinischen aehnlich, aber nicht gleich. Die Oberverwaltung
ward wie hier so dort in die Haende zweier Nebenkonsuln gelegt, die
zuerst im Jahr 557 (197) ernannt wurden, in welches Jahr auch die
Grenzregulierung und die definitive Organisierung der neuen Provinzen
faellt. Die verstaendige Anordnung des Baebischen Gesetzes (573 181),
dass die spanischen Praetoren immer auf zwei Jahre ernannt werden
sollten, kam infolge des steigenden Zudrangs zu den hoechsten
Beamtenstellen und mehr noch infolge der eifersuechtigen Ueberwachung
der Beamtengewalt durch den Senat nicht ernstlich zur Ausfuehrung, und
es blieb, soweit nicht in ausserordentlichem Wege Abweichungen
eintraten, auch hier bei dem fuer diese entfernten und schwer
kennenzulernenden Provinzen besonders unvernuenftigen jaehrlichen
Wechsel der roemischen Statthalter. Die abhaengigen Gemeinden wurden
durchgaengig zinspflichtig; allein statt der sizilischen und
sardinischen Zehnten und Zoelle wurden in Spanien vielmehr von den
Roemern, eben wie frueher hier von den Karthagern, den einzelnen
Staedten und Staemmen feste Abgaben an Geld oder sonstigen Leistungen
auferlegt, welche auf militaerischere Wege beizutreiben der Senat
infolge der Beschwerdefuehrung der spanischen Gemeinden im Jahr 583
(171) untersagte. Getreidelieferungen wurden hier nicht anders als
gegen Entschaedigung geleistet, und auch hierbei durfte der Statthalter
nicht mehr als das zwanzigste Korn erheben und ueberdies gemaess der
eben erwaehnten Vorschrift der Oberbehoerde den Taxpreis nicht
einseitig feststellen. Dagegen hatte die Verpflichtung der spanischen
Untertanen, zu den roemischen Heeren Zuzug zu leisten, hier eine ganz
andere Wichtigkeit als wenigstens in dem friedlichen Sizilien, und es
ward dieselbe auch in den einzelnen Vertraegen genau geordnet. Auch das
Recht der Praegung von Silbermuenzen roemischer Waehrung scheint den
spanischen Staedten sehr haeufig zugestanden und das Muenzmonopol hier
keineswegs so wie in Sizilien von der roemischen Regierung in Anspruch
genommen worden zu sein. Ueberall bedurfte man in Spanien zu sehr der
Untertanen, um hier nicht die Provinzialverfassung in moeglichst
schonender Weise einzufuehren und zu handhaben. Zu den besonders von
Rom beguenstigten Gemeinden zaehlten namentlich die grossen
Kuestenplaetze griechischer, phoenikischer oder roemischer Gruendung,
wie Saguntum, Gades, Tarraco, die als die natuerlichen Pfeiler der
roemischen Herrschaft auf der Halbinsel zum Buendnis mit Rom zugelassen
wurden. Im ganzen war Spanien fuer die roemische Gemeinde militaerisch
sowohl wie finanziell mehr eine Last als ein Gewinn; und die Frage
liegt nahe, weshalb die roemische Regierung, in deren damaliger Politik
der ueberseeische Laendererwerb offenbar noch nicht lag, sich dieser
beschwerlichen Besitzungen nicht entledigt hat. Die nicht unbedeutenden
Handelsverbindungen, die wichtigen Eisen- und die noch wichtigeren,
selbst im fernen Orient seit alter Zeit beruehmten Silbergruben ^3,
welche Rom wie Karthago fuer sich nahm und deren Bewirtschaftung
namentlich Marcus Cato regulierte (559 195), werden dabei ohne Zweifel
mitbestimmend gewesen sein; allein die Hauptursache, weshalb man die
Halbinsel in unmittelbarem Besitz behielt, war die, dass es dort an
Staaten mangelte, wie im Keltenland die massaliotische Republik, in
Libyen das numidische Koenigreich waren, und dass man Spanien nicht
loslassen konnte, ohne die Erneuerung des spanischen Koenigreichs der
Barleiden jedem unternehmenden Kriegsmann freizugeben.

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^3 1. Makk. 8, 3: “Und Judas hoerte, was die Roemer getan hatten im
Lande Hispanien, um Herren zu werden der Silber- und Goldgruben
daselbst.”




KAPITEL VIII.
Die östlichen Staaten und der Zweite Makedonische Krieg


Das Werk, welches Koenig Alexander von Makedonien begonnen hatte, ein
Jahrhundert zuvor, ehe die Roemer in dem Gebiet, das er sein genannt,
den ersten Fussbreit Landes gewonnen, dies Werk hatte im Verlauf der
Zeit, bei wesentlicher Festhaltung des grossen Grundgedankens, den
Orient zu hellenisieren, sich veraendert und erweitert zu dem Aufbau
eines hellenisch-asiatischen Staatensystems. Die unbezwingliche Wander-
und Siedellust der griechischen Nation, die einst ihre Handelsleute
nach Massalia und Kyrene, an den Nil und in das Schwarze Meer gefuehrt
hatte, hielt jetzt fest, was der Koenig gewonnen hatte, und ueberall in
dem alten Reich der Achaemeniden liess unter dem Schutz der Sarissen
griechische Zivilisation sich friedlich nieder. Die Offiziere, die den
grossen Feldherrn beerbten, vertrugen allmaehlich sich untereinander
und es stellte ein Gleichgewichtssystem sich her, dessen Schwankungen
selbst eine gewisse Regelmaessigkeit zeigen. Von den drei Staaten
ersten Ranges, die demselben angehoeren, Makedonien, Asien und
Aegypten, war Makedonien unter Philippos dem Fuenften, der seit 534
(220) dort den Koenigsthron einnahm, im ganzen, aeusserlich wenigstens,
was es gewesen war unter dem zweiten Philippos, dem Vater Alexanders:
ein gut arrondierter Militaerstaat mit wohlgeordneten Finanzen. An der
Nordgrenze hatten die ehemaligen Verhaeltnisse sich wiederhergestellt,
nachdem die Fluten der gallischen Ueberschwemmung verlaufen waren; die
Grenzwache hielt die illyrischen Barbaren wenigstens in gewoehnlichen
Zeiten ohne Muehe im Zaum. Im Sueden war Griechenland nicht bloss
ueberhaupt von Makedonien abhaengig, sondern ein grosser Teil
desselben: ganz Thessalien im weitesten Sinn von Olympos bis zum
Spercheios und der Halbinsel Magnesia, die grosse und wichtige Insel
Euboea, die Landschaften Lokris, Doris und Phokis, endlich in Attika
und im Peloponnes eine Anzahl einzelner Plaetze, wie das Vorgebirge
Sunion, Korinth, Orchomenos, Heraea, das triphylische Gebiet - alle
diese Land- und Ortschaften waren Makedonien geradezu untertaenig und
empfingen makedonische Besatzung, vor allen Dingen die drei wichtigen
Festungen Demetrias in Magnesia, Chalkis auf Euboea und Korinth, “die
drei Fesseln der Hellenen”. Die Macht des Staates aber lag vor allem in
dem Stammland, in der makedonischen Landschaft. Zwar die Bevoelkerung
dieses weiten Gebiets war auffallend duenn; mit Anstrengung aller
Kraefte vermochte Makedonien kaum soviel Mannschaft aufzubringen als
ein gewoehnliches konsularisches Heer von zwei Legionen zaehlte, und es
ist unverkennbar, dass in dieser Hinsicht sich das Land noch nicht von
der durch die Zuege Alexanders und den gallischen Einfall
hervorgebrachten Entvoelkerung erholt hatte. Aber waehrend im
eigentlichen Griechenland die sittliche und staatliche Kraft der Nation
zerruettet war und dort, da es mit dem Volke doch vorbei und das Leben
kaum mehr der Muehe wert schien, selbst von den Besseren der eine ueber
dem Becher, der andere mit dem Rapier, der dritte bei der Studierlampe
den Tag verdarb, waehrend im Orient und in Alexandreia die Griechen
unter die dichte einheimische Bevoelkerung wohl befruchtende Elemente
aussaeen und ihre Sprache wie ihre Maulfertigkeit, ihre Wissenschaft
und Afterwissenschaft dort ausbreiten konnten, aber ihre Zahl kaum
genuegte, um den Nationen die Offiziere, die Staatsmaenner und die
Schulmeister zu liefern, und viel zu gering war, um einen Mittelstand
rein griechischen Schlages auch nur in den Staedten zu bilden, bestand
dagegen im noerdlichen Griechenland noch ein guter Teil der alten
kernigen Nationalitaet, aus der die Marathonkaempfer hervorgegangen
waren. Daher ruehrt die Zuversicht, mit der die Makedonier, die
Aetoler, die Akarnanen, ueberall wo sie im Osten auftreten, als ein
besserer Schlag sich geben und genommen werden, und die ueberlegene
Rolle, welche sie deswegen an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia
spielen. Die Erzaehlung ist bezeichnend von dem Alexandriner, der
laengere Zeit in Makedonien gelebt und dort Landessitte und
Landestracht angenommen hat, und nun, da er in seine Vaterstadt
heimkehrt, sich selber einen Mann und die Alexandriner gleich Sklaven
achtet. Diese derbe Tuechtigkeit und der ungeschwaechte Nationalsinn
kamen vor allem dem makedonischen als dem maechtigsten und geordnetsten
der nordgriechischen Staaten zugute. Wohl ist auch hier der
Absolutismus emporgekommen gegen die alte gewissermassen staendische
Verfassung; allein Herr und Untertanen stehen doch in Makedonien
keineswegs zueinander wie in Asien und Aegypten, und das Volk fuehlt
sich noch selbstaendig und frei. In festem Mut gegen den Landesfeind,
wie er auch heisse, in unerschuetterlicher Treue gegen die Heimat und
die angestammte Regierung, in mutigem Ausharren unter den schwersten
Bedraengnissen steht unter allen Voelkern der alten Geschichte keines
dem roemischen so nah wie das makedonische, und die an das Wunderbare
grenzende Regeneration des Staates nach der gallischen Invasion
gereicht den leitenden Maennern wie dem Volke, das sie leiteten, zu
unvergaenglicher Ehre.

Der zweite von den Grossstaaten, Asien, war nichts als das
oberflaechlich umgestaltete und hellenisierte Persien, das Reich des
“Koenigs der Koenige”, wie sein Herr sich, bezeichnend fuer seine
Anmassung wie fuer seine Schwaeche, zu nennen pflegte, mit denselben
Anspruechen von Hellespont bis zum Pandschab zu gebieten und mit
derselben kernlosen Organisation, ein Buendel von mehr oder minder
abhaengigen Dependenzstaaten, unbotmaessigen Satrapien und halbfreien
griechischen Staedten. Von Kleinasien namentlich, das nominell zum
Reich der Seleukiden gezaehlt ward, war tatsaechlich die ganze
Nordkueste und der groessere Teil des oestlichen Binnenlandes in den
Haenden einheimischer Dynastien oder der aus Europa eingedrungenen
Keltenhaufen, von dem Westen ein guter Teil im Besitz der Koenige von
Pergamon, und die Inseln und Kuestenstaedte teils aegyptisch, teils
frei, so dass dem Grosskoenig hier wenig mehr blieb als das innere
Kilikien, Phrygien und Lydien und eine grosse Anzahl nicht wohl zu
realisierender Rechtstitel gegen freie Staedte und Fuersten - ganz und
gar wie seiner Zeit die Herrschaft des deutschen Kaisers ausser seinem
Hausgebiet bestellt war. Das Reich verzehrte sich in den vergeblichen
Versuchen, die Aegypter aus den Kuestenlandschaften zu verdraengen, in
dem Grenzhader mit den oestlichen Voelkern, den Parthern und Baktriern,
in den Fehden mit den zum Unheil Kleinasiens daselbst ansaessig
gewordenen Kelten, in den bestaendigen Bestrebungen, den
Emanzipationsversuchen der oestlichen Satrapen und der kleinasiatischen
Griechen zu steuern, und in den Familienzwisten und
Praetendentenaufstaenden, an denen es zwar in keinem der
Diadochenstaaten fehlt, wie ueberhaupt an keinem der Greuel, welche die
absolute Monarchie in entarteter Zeit in ihrem Gefolge fuehrt, allein
die in dem Staate Asien deshalb verderblicher waren als anderswo, weil
sie hier bei der losen Zusammenfuegung des Reiches zu der Abtrennung
einzelner Landesteile auf kuerzere oder laengere Zeit zu fuehren
pflegten.

Im entschiedensten Gegensatz gegen Asien war Aegypten ein
festgeschlossener Einheitsstaat, in dem die intelligente Staatskunst
der ersten Lagiden unter geschickter Benutzung des alten nationalen und
religioesen Herkommens eine vollkommen absolute Kabinettsherrschaft
begruendet hatte und wo selbst das schlimmste Missregiment weder
Emanzipations- noch Zerspaltungsversuche herbeizufuehren vermochte.
Sehr verschieden von dem nationalen Royalismus der Makedonier, der auf
ihrem Selbstgefuehl ruhte und dessen politischer Ausdruck war, war in
Aegypten das Land vollstaendig passiv, die Hauptstadt dagegen alles und
diese Hauptstadt Dependenz des Hofes; weshalb hier mehr noch als in
Makedonien und Asien die Schlaffheit und Traegheit der Herrscher den
Staat laehmte, waehrend umgekehrt in den Haenden von Maennern, wie der
erste Ptolemaeos und Ptolemaeos Euergetes, diese Staatsmaschine sich
aeusserst brauchbar erwies. Zu den eigentuemlichen Vorzuegen Aegyptens
vor den beiden grossen Rivalen gehoert es, dass die aegyptische Politik
nicht nach Schatten griff, sondern klare und erreichbare Zwecke
verfolgte. Makedonien, die Heimat Alexanders; Asien, das Land, in dem
Alexander seinen Thron gegruendet hatte, hoerten nicht auf, sich als
unmittelbare Fortsetzungen der alexandrischen Monarchie zu betrachten
und lauter oder leiser den Anspruch zu erheben, dieselbe wenn nicht
her-, so doch wenigstens darzustellen. Die Lagiden haben nie eine
Weltmonarchie zu gruenden versucht und nie von Indiens Eroberung
getraeumt; dafuer aber zogen sie den ganzen Verkehr zwischen Indien und
dem Mittelmeer von den phoenikischen Haefen nach Alexandreia und
machten Aegypten zu dem ersten Handels- und Seestaat dieser Epoche und
zum Herrn des oestlichen Mittelmeeres und seiner Kuesten und Inseln. Es
ist bezeichnend, dass Ptolemaeos III. Euergetes alle seine Eroberungen
freiwillig an Seleukos Kallinikos zurueckgab bis auf die Hafenstadt von
Antiocheia. Teils hierdurch, teils durch die guenstige geographische
Lage kam Aegypten den beiden Kontinentalmaechten gegenueber in eine
vortreffliche militaerische Stellung zur Verteidigung wie zum Angriff.
Waehrend der Gegner selbst nach gluecklichen Erfolgen kaum imstande
war, das ringsum fuer Landheere fast unzugaengliche Aegypten ernstlich
zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloss in Kyrene
sich festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der
phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Sued- und Westkueste von
Kleinasien, ja sogar in Europa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch
die beispiellose Ausbeutung des fruchtbaren Niltals zum unmittelbaren
Besten der Staatskasse und durch eine die materiellen Interessen
ernstlich und geschickt foerdernde und ebenso ruecksichtslose wie
einsichtige Finanzwirtschaft war der alexandrinische Hof seinen Gegner
auch als Geldmacht bestaendig ueberlegen. Endlich die intelligente
Munifizenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster
Forschung in allen Gebieten des Koennens und Wissens entgegenkamen und
diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen
und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nuetzte
nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Maschinenbau den
Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspuerten,
sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und
grossartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen
Zersplitterung in sich hegte, soweit sie sich ueberhaupt zur
Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes.
Waere Alexanders Reich stehengeblieben, so haette die griechische Kunst
und Wissenschaft einen Staat gefunden, wuerdig und faehig, sie zu
fassen; jetzt wo die Nation in Truemmer gefallen war, wucherte in ihr
der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet
Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen
unerschoepflich waren, die Koenige Tragoedien und die Minister
Kommentare dazu schrieben und die Pensionen und Akademien florierten.

Das Verhaeltnis der drei Grossstaaten zueinander ergibt sich aus dem
Gesagten. Die Seemacht, welche die Kuesten beherrschte und das Meer
monopolisierte, musste nach dem ersten grossen Erfolg, der politischen
Trennung des europaeischen Kontinents von dem asiatischen, weiter
hinarbeiten auf die Schwaechung der beiden Grossstaaten des Festlandes
und also auf die Beschuetzung der saemtlichen kleineren Staaten,
waehrend umgekehrt Makedonien und Asien zwar auch untereinander
rivalisierten, aber doch vor allen Dingen in Aegypten ihren
gemeinschaftlichen Gegner fanden und ihm gegenueber zusammenhielten
oder doch haetten zusammenhalten sollen.

Unter den Staaten zweiten Ranges ist fuer die Beruehrungen des Ostens
mit dem Westen zunaechst nur mittelbar von Bedeutung die Staatenreihe,
welche vom suedlichen Ende des Kaspischen Meeres zum Hellespont sich
hinziehend das Innere und die Nordkueste Kleinasiens ausfuellt:
Atropatene (im heutigen Aserbeidschan suedwestlich vom Kaspischen
Meer), daneben Armenien, Kappadokien im kleinasiatischen Binnenland,
Pontos am suedoestlichen, Bithynien am suedwestlichen Ufer des
Schwarzen Meeres - sie alle Splitter des grossen Perserreiches und
beherrscht von morgenlaendischen, meistens altpersischen Dynastien, die
entlegene Berglandschaft Atropatene namentlich die rechte
Zufluchtsstaette des alten Persertums, an der selbst Alexanders Zug
spurlos voruebergebraust war, und alle auch in derselben zeitweiligen
und oberflaechlichen Abhaengigkeit von der griechischen Dynastie, die
in Asien an die Stelle der Grosskoenige getreten war oder sein wollte.

Von groesserer Wichtigkeit fuer die allgemeinen Verhaeltnisse ist der
Keltenstaat in dem kleinasiatischen Binnenland. Hier mitten inne
zwischen Bithynien, Paphlagonien, Kappadokien und Phrygien hatten drei
keltische Voelkerschaften, die Tolistoager, Tectosagen und Trocmer sich
ansaessig gemacht, ohne darum weder von der heimischen Sprache und
Sitte noch von ihrer Verfassung und ihrem Freibeuterhandwerk zu lassen.
Die zwoelf Vierfuersten, jeder einem der vier Kantone eines der drei
Staemme vorgesetzt, bildeten mit ihrem Rate von dreihundert Maennern
die hoechste Autoritaet der Nation und traten auf der “heiligen
Staette” (Drunemetum) namentlich zur Faellung von Bluturteilen
zusammen. Seltsam wie diese keltische Gauverfassung den Asiaten
erschien, ebenso fremdartig duenkte ihnen der Wagemut und die
Landsknechtsitte der nordischen Eindringlinge, welche teils ihren
unkriegerischen Nachbarn die Soeldner zu jedem Krieg lieferten, teils
die umliegenden Landschaften auf eigene Faust pluenderten oder
brandschatzten. Diese rohen aber kraeftigen Barbaren waren der
allgemeine Schreck der verweichlichten umwohnenden Nationen, ja der
asiatischen Grosskoenige selbst, welche, nachdem manches asiatische
Heer von den Kelten war aufgerieben worden, und Koenig Antiochos I.
Soter sogar im Kampf gegen sie sein Leben verloren hatte (493 261)
zuletzt selber zur Zinszahlung sich verstanden.

Dem kuehnen und gluecklichen Auftreten gegen diese gallischen Horden
verdankte es ein reicher Buerger von Pergamon, Attalos, dass er von
seiner Vaterstadt den Koenigstitel empfing und ihn auf seine Nachkommen
vererbte. Dieser neue Hof war im kleinen was der alexandrinische im
grossen; auch hier war die Foerderung der materiellen Interessen, die
Pflege von Kunst und Literatur an der Tagesordnung und das Regiment
eine umsichtige und nuechterne Kabinettspolitik, deren wesentlicher
Zweck war, teils die Macht der beiden gefaehrlichen festlaendischen
Nachbarn zu schwaechen, teils einen selbstaendigen Griechenstaat im
westlichen Kleinasien zu begruenden. Der wohlgefuellte Schatz trug viel
zu der Bedeutung dieser pergamenischen Herren bei; sie schossen den
syrischen Koenigen bedeutende Summen vor, deren Rueckzahlung spaeter
unter den roemischen Friedensbedingungen eine Rolle spielte, und selbst
Gebietserwerbungen gelangen auf diesem Wege, wie zum Beispiel Aegina,
das die verbuendeten Roemer und Aetoler im letzten Krieg den
Bundesgenossen Philipps, den Achaeern, entrissen hatten, von den
Aetolern, denen es vertragsmaessig zufiel, um 30 Talente (51000 Taler)
an Attalos verkauft ward. Indes trotz des Hofglanzes und des
Koenigstitels behielt das pergamenische Gemeinwesen immer etwas vom
staedtischen Charakter, wie es denn auch in seiner Politik gewoehnlich
mit den Freistaedten zusammenging. Attalos selbst, der Lorenzo de’
Medici des Altertums, blieb sein lebelang ein reicher Buergersmann, und
das Familienleben der Attaliden, aus deren Hause ungeachtet des
Koenigstitels die Eintracht und Innigkeit nicht gewichen war, stach
sehr ab gegen die wueste Schandwirtschaft der adligeren Dynastien.

In dem europaeischen Griechenland waren ausser den roemischen
Besitzungen an der Ostkueste, von denen in den wichtigsten, namentlich
in Kerkyra roemische Beamte residiert zu haben scheinen, und dem
unmittelbar makedonischen Gebiet noch mehr oder minder imstande, eine
eigene Politik zu verfolgen, die Epeiroten, Akarnanen und Aetoler im
noerdlichen, die Boeoter und Athener im mittleren Griechenland und die
Achaeer, Lakedaemonier, Messenier und Eleer im Peloponnes. Unter diesen
waren die Republiken der Epeiroten, Akarnanen und Boeoter in vielfacher
Weise eng an Makedonien geknuepft, namentlich die Akarnanen, weil sie
der von den Aetolern drohenden Unterdrueckung einzig durch
makedonischen Schutz zu entgehen vermochten; von Bedeutung war keine
von ihnen. Die inneren Zustaende waren sehr verschieden; wie es zum
Teil aussah, dafuer mag als Beispiel dienen, dass bei den Boeotern, wo
es freilich am aergsten zuging, es Sitte geworden war, jedes Vermoegen,
das nicht in gerader Linie vererbte, an die Kneipgesellschaften zu
vermachen, und es fuer die Bewerber um die Staatsaemter manches
Jahrzehnt die erste Wahlbedingung war, dass sie sich verpflichteten,
keinem Glaeubiger, am wenigsten einem Auslaender, die Ausklagung seiner
Schuldner zu gestatten.

Die Athener pflegten von Alexandreia aus gegen Makedonien unterstuetzt
zu werden und standen im engen Bunde mit den Aetolern; auch sie indes
waren voellig machtlos, und fast nur der Nimbus attischer Kunst und
Poesie hob diese unwuerdigen Nachfolger einer herrlichen Vorzeit unter
einer Reihe von Kleinstaedten gleichen Schlages hervor.

Nachhaltiger war die Macht der aetolischen Eidgenossenschaft; das
kraeftige Nordgriechentum war hier noch ungebrochen, aber freilich
ausgeartet in wueste Zucht- und Regimentlosigkeit - es war
Staatsgesetz, dass der aetolische Mann gegen jeden, selbst gegen den
mit den Aetolern verbuendeten Staat als Reislaeufer dienen koenne, und
auf die dringenden Bitten der uebrigen Griechen, dies Unwesen
abzustellen, erklaerte die aetolische Tagsatzung, eher koenne man
Aetolien aus Aetolien wegschaffen als diesen Grundsatz aus ihrem
Landrecht. Die Aetoler haetten dem griechischen Volke von grossem
Nutzen sein koennen, wenn sie ihm nicht durch diese organisierte
Raeuberwirtschaft, durch ihre gruendliche Verfeindung mit der
achaeischen Eidgenossenschaft und durch die unselige Opposition gegen
den makedonischen Grossstaat noch viel mehr geschadet haetten.

Im Peloponnes hatte der Achaeische Bund die besten Elemente des
eigentlichen Griechenlands zusammengefasst zu einer auf Gesittung,
Nationalsinn und friedliche Schlagfertigkeit gegruendeten
Eidgenossenschaft. Indes die Bluete und namentlich die Wehrhaftigkeit
derselben war trotz der aeusserlichen Erweiterung geknickt worden durch
Aratos’ diplomatischen Egoismus, welcher den Achaeischen Bund durch die
leidigen Verwicklungen mit Sparta und die noch leidigere Anrufung
makedonischer Intervention im Peloponnes der makedonischen Suprematie
so vollstaendig unterworfen hatte, dass die Hauptfestungen der
Landschaft seitdem makedonische Besatzungen empfingen und dort
jaehrlich Philippos der Eid der Treue geschworen wurde. Die
schwaecheren Staaten im Peloponnes, Elis, Messene und Sparta, wurden
durch ihre alte, namentlich durch Grenzstreitigkeiten genaehrte
Verfeindung mit der achaeischen Eidgenossenschaft in ihrer Politik
bestimmt und waren aetolisch und antimakedonisch gesinnt, weil die
Achaeer es mit Philippos hielten. Einige Bedeutung unter diesen Staaten
hatte einzig das spartanische Soldatenkoenigtum, das nach dem Tode des
Machanidas an einen gewissen Nabis gekommen war; er stuetzte sich immer
dreister auf die Vagabunden und fahrenden Soeldner, denen er nicht
bloss die Haeuser und Aecker, sondern auch die Frauen und Kinder der
Buerger ueberwies, und unterhielt emsig Verbindungen, ja schloss
geradezu eine Assoziation zum Seeraub auf gemeinschaftliche Rechnung
mit der grossen Soeldner- und Piratenherberge, der Insel Kreta, wo er
auch einige Ortschaften besass. Seine Raubzuege zu Lande wie seine
Piratenschiffe am Vorgebirge Malea waren weit und breit gefuerchtet, er
selbst als niedrig und grausam verhasst; aber seine Herrschaft breitete
sich aus, und um die Zeit der Schlacht bei Zama war es ihm sogar
gelungen, sich in den Besitz von Messene zu setzen.

Endlich die unabhaengigste Stellung unter den Mittelstaaten hatten die
freien griechischen Kaufstaedte an dem europaeischen Ufer der Propontis
sowie auf der ganzen kleinasiatischen Kueste und auf den Inseln des
Aegaeischen Meeres; sie sind zugleich die lichteste Seite in dieser
trueben Mannigfaltigkeit des hellenischen Staatensystems, namentlich
drei unter ihnen, die seit Alexanders Tode wieder volle Freiheit
genossen und durch ihren taetigen Seehandel auch zu einer achtbaren
politischen Macht und selbst zu bedeutendem Landgebiet gelangt waren:
Byzantion, die Herrin des Bosporos, reich und maechtig durch die
Sundzoelle und den wichtigen Kornhandel nach dem Schwarzen Meer;
Kyzikos an der asiatischen Propontis, die Tochterstadt und die Erbin
Milets, in engsten Beziehungen zu dem Hofe von Pergamon, und endlich
und vor allen Rhodos. Die Rhodier, die gleich nach Alexanders Tode die
makedonische Besatzung vertrieben hatten, waren durch ihre glueckliche
Lage fuer Handel und Schiffahrt Vermittler des Verkehrs in dem ganzen
oestlichen Mittelmeer geworden und die tuechtige Flotte wie der in der
beruehmten Belagerung von 450 (304) bewaehrte Mut der Buerger setzten
sie in den Stand, in jener Zeit ewiger Fehden aller gegen alle
vorsichtig und energisch eine neutrale Handelspolitik zu vertreten und
wenn es galt zu verfechten; wie sie denn zum Beispiel die Byzantier mit
den Waffen zwangen, den rhodischen Schiffen Zollfreiheit im Bosporos zu
gestatten, und ebensowenig den pergamenischen Dynasten das Schwarze
Meer zu sperren erlaubten. Vom Landkrieg hielten sie sich dagegen
womoeglich fern, obwohl sie an der gegenueberliegenden karischen Kueste
nicht unbetraechtliche Besitzungen erworben hatten, und fuehrten ihn,
wenn es nicht anders sein konnte, mit Soeldnern. Nach allen Seiten hin,
mit Syrakus, Makedonien und Syrien, vor allem aber mit Aegypten standen
sie in freundschaftlichen Beziehungen und genossen hoher Achtung bei
den Hoefen, so dass nicht selten in den Kriegen der Grossstaaten ihre
Vermittlung angerufen ward. Ganz besonders aber nahmen sie sich der
griechischen Seestaedte an, deren es an den Gestaden des Pontischen,
Bithynischen und Pergamenischen Reiches wie auf den von Aegypten den
Seleukiden entrissenen kleinasiatischen Kuesten und Inseln unzaehlige
gab, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos,
Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und andere mehr.
Alle diese waren im wesentlichen frei und hatten mit ihren Grundherren
nichts zu schaffen, als die Bestaetigung ihrer Privilegien von ihnen zu
erbitten und hoechstens ihnen einen maessigen Zins zu entrichten; gegen
etwaige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald schmiegsam, bald
energisch sich zu wehren. Hauptsaechlich hilfreich hierbei waren die
Rhodier, welche zum Beispiel Sinope gegen Mithradates von Pontos
nachdruecklich unterstuetzten. Wie fest sich unter dem Hader und eben
durch die Zwiste der Monarchen die Freiheiten dieser kleinasiatischen
Staedte gegruendet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige Jahre
nachher zwischen Antiochos und den Roemern nicht ueber die Freiheit der
Staedte selbst gestritten ward, sondern darueber, ob sie die
Bestaetigung ihrer Freibriefe vom Koenig nachzusuchen haetten oder
nicht. Dieser Staedtebund war wie in allem so auch in dieser
eigentuemlichen Stellung zu den Landesherren eine foermliche Hansa,
sein Haupt Rhodos, das in Vertraegen fuer sich und seine Bundesgenossen
verhandelte und stipulierte. Hier ward die staedtische Freiheit gegen
die monarchischen Interessen vertreten, und waehrend um die Mauern
herum die Kriege tobten, blieb hier in verhaeltnismaessiger Ruhe
Buergersinn und buergerlicher Wohlstand heimisch, und es gediehen hier
Kunst und Wissenschaft, ohne durch wueste Soldatenwirtschaft zertreten
oder von der Hofluft korrumpiert zu werden.

Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand
zwischen dem Orient und dem Okzident fiel und die oestlichen Maechte,
zunaechst Philippos von Makedonien, veranlasst wurden, in die
Verhaeltnisse des Westens einzugreifen. Wie es geschah und wie der
Erste Makedonische Krieg (540-549 214-205) verlief, ist zum Teil schon
erzaehlt und angedeutet worden, was Philippos im Hannibalischen Kriege
haette tun koennen und wie wenig von dem geschah, was Hannibal hatte
erwarten und berechnen duerfen. Es hatte wieder einmal sich gezeigt,
dass unter allen Wuerfelspielen keines verderblicher ist als die
absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien
damals bedurfte; indes eine unbedeutende Natur war er nicht. Er war ein
rechter Koenig, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das
lebhafte Gefuehl, selbst und allein zu herrschen, war der Grundzug
seines Wesens; er war stolz auf seinen Purpur, aber nicht bloss auf
ihn, und er durfte stolz sein. Er bewies nicht allein die Tapferkeit
des Soldaten und den Blick des Feldherrn, sondern auch einen hohen Sinn
in der Leitung der oeffentlichen Angelegenheiten, wo immer sein
makedonisches Ehrgefuehl verletzt ward. Voll Verstand und Witz gewann
er, wen er gewinnen wollte, vor allem eben die faehigsten und
gebildetsten Maenner, so zum Beispiel Flamininus und Scipio; er war ein
guter Gesell beim Becher und den Frauen nicht bloss durch seinen Rang
gefaehrlich. Allein er war zugleich eine der uebermuetigsten und
frevelhaftesten Naturen, die jenes freche Zeitalter erzeugt hat. Er
pflegte zu sagen, dass er niemand fuerchte als die Goetter; aber es
schien fast, als seien diese Goetter dieselben, denen sein
Flottenfuehrer Dikaearchos regelmaessige Opfer darbrachte, die
Gottlosigkeit (Asebeia) und der Frevel (Paranomia). Weder das Leben
seiner Ratgeber und der Beguenstiger seiner Plaene war ihm heilig, noch
verschmaehte er es, seine Erbitterung gegen die Athener und Attalos
durch Zerstoerung ehrwuerdiger Denkmaeler und namhafter Kunstwerke zu
befriedigen; es wird als Staatsmaxime von ihm angefuehrt, dass, wer den
Vater ermorden lasse, auch die Soehne toeten muesse. Es mag sein, dass
ihm nicht eigentlich die Grausamkeit eine Wollust war; allein fremdes
Leben und Leiden war ihm gleichgueltig, und die Inkonsequenz, die den
Menschen allein ertraeglich macht, fand nicht Raum in seinem starren
und harten Herzen. Er hat den Satz, dass fuer den absoluten Koenig kein
Versprechen und kein Moralgebot bindend sei, so schroff und grell zur
Schau getragen, dass er eben dadurch seinen Plaenen die wesentlichsten
Hindernisse in den Weg legte. Einsicht und Entschlossenheit kann
niemand ihm absprechen; aber es ist damit in seltsamer Weise Zauderei
und Fahrigkeit vereinigt; was vielleicht zum Teil dadurch sich
erklaert, dass er schon im achtzehnten Jahr zum absoluten Herrscher
berufen ward und dass sein unbaendiges Wueten gegen jeden, der durch
Widerreden und Widerraten ihn in seinem Selbstregieren stoerte, alle
selbstaendigen Ratgeber von ihm verscheuchte. Was alles in seiner Seele
mitgewirkt haben mag, um die schwache und schmaehliche Fuehrung des
Ersten Makedonischen Krieges hervorzurufen, laesst sich nicht sagen -
vielleicht jene Laessigkeit der Hoffart, die erst gegen die
nahegerueckte Gefahr ihre volle Kraft entwickelt, vielleicht selbst
Gleichgueltigkeit gegen den nicht von ihm entworfenen Plan und
Eifersucht auf Hannibals ihn beschaemende Groesse. Gewiss ist, dass
sein spaeteres Benehmen nicht den Philippos wiedererkennen laesst, an
dessen Saumseligkeit Hannibals Plan scheiterte.

Philippos schloss den Vertrag mit den Aetolern und den Roemern 548/49
(206/05) in der ernsten Absicht, mit Rom einen dauernden Frieden zu
machen und sich kuenftig ausschliesslich den Angelegenheiten des Ostens
zu widmen. Es leidet keinen Zweifel, dass er Karthagos rasche
Ueberwaeltigung ungern sah; es kann auch sein, dass Hannibal auf eine
zweite makedonische Kriegserklaerung hoffte und dass Philippos im
stillen das letzte karthagische Heer mit Soeldnern verstaerkte. Allein
sowohl die weitschichtigen Dinge, in die er mittlerweile im Osten sich
einliess, als auch die Art der Unterstuetzung und besonders das
voellige Stillschweigen der Roemer ueber diesen Friedensbruch, da sie
doch nach Kriegsgruenden suchten, setzen es ausser Zweifel, dass
Philippos keineswegs im Jahre 551 (203) nachholen wollte, was er zehn
Jahre zuvor haette tun sollen.

Er hatte sein Auge nach einer ganz anderen Seite gewendet. Ptolemaeos
Philopator von Aegypten war 549 (205) gestorben. Gegen seinen
Nachfolger Ptolemaeos Epiphanes, ein fuenfjaehriges Kind, hatten die
Koenige von Makedonien und Asien Philippos und Antiochos sich
vereinigt, um den alten Groll der Kontinentalmonarchien gegen den
Seestaat gruendlich zu saettigen. Der aegyptische Staat sollte
aufgeloest werden, Aegypten und Kypros an Antiochos, Kyrene, Ionien und
die Kykladen an Philippos fallen. Recht in Philippos’ Art, der ueber
solche Ruecksichten lachte, begannen die Koenige den Krieg, nicht bloss
ohne Ursache, sondern selbst ohne Vorwand, “eben wie die grossen Fische
die kleinen auffressen”. Die Verbuendeten hatten uebrigens richtig
gerechnet, besonders Philippos. Aegypten hatte genug zu tun, sich des
naeheren Feindes in Syrien zu erwehren, und musste die kleinasiatischen
Besitzungen und die Kykladen unverteidigt preisgeben, als Philippos auf
diese als auf seinen Anteil an der Beute sich warf. In dem Jahr, wo
Karthago mit Rom den Frieden abschloss (553 201), liess derselbe eine
von den ihm untertaenigen Staedten ausgeruestete Flotte Truppen an Bord
nehmen und an der thrakischen Kueste hinauf segeln. Hier ward
Lysimacheia der aetolischen Besatzung entrissen, und Perinthos, das zu
Byzanz im Klientelverhaeltnis stand, gleichfalls besetzt. So war mit
den Byzantiern der Friede gebrochen, mit den Aetolern, die soeben mit
Philippos Frieden gemacht, wenigstens das gute Einvernehmen gestoert.
Die Ueberfahrt nach Asien stiess auf keine Schwierigkeiten, da Koenig
Prusias von Bithynien mit Makedonien im Bunde war; zur Vergeltung half
Philippos ihm die griechischen Kaufstaedte in seinem Gebiet bezwingen.
Kalchedon unterwarf sich. Kios, das widerstand, wurde erstuermt und dem
Boden gleich, ja die Einwohner zu Sklaven gemacht - eine zwecklose
Barbarei, ueber die Prusias selbst, der die Stadt unbeschaedigt zu
besitzen wuenschte, verdriesslich war und die die ganze hellenische
Welt aufs tiefste erbitterte. Besonders verletzt noch waren abermals
die Aetoler, deren Strateg in Kios kommandiert hatte, und die Rhodier,
deren Vermittlungsversuche von dem Koenig schnoede und arglistig
vereitelt worden waren. Aber waere auch dies nicht gewesen, es standen
die Interessen aller griechischen Kaufstaedte auf dem Spiel. Unmoeglich
konnte man zugeben, dass die milde und fast nur nominelle aegyptische
Herrschaft verdraengt ward durch das makedonische Zwingherrentum, mit
dem die staedtische Selbstregierung und der freie Handelsverkehr sich
nimmermehr vertrug; und die furchtbare Behandlung der Kianer zeigte,
dass es hier sich nicht um das Bestaetigungsrecht der staedtischen
Freibriefe handelte, sondern um Tod und Leben fuer einen und fuer alle.
Schon war Lampsakos gefallen und Thasos behandelt worden wie Kios; man
musste sich eilen. Der wackere Strateg von Rhodos, Theophiliskos,
ermahnte seine Buerger der gemeinsamen Gefahr durch gemeinsame Abwehr
zu begegnen und nicht geschehen zu lassen, dass die Staedte und Inseln
einzeln dem Feinde zur Beute wuerden. Rhodos entschloss sich und
erklaerte Philippos den Krieg. Byzanz schloss sich an; ebenso der
hochbejahrte Koenig Attalos von Pergamon, Philippos’ persoenlicher und
politischer Feind. Waehrend die Flotte der Verbuendeten sich an der
aeolischen Kueste sammelte, liess Philippos durch einen Teil der
seinigen Chios und Samos wegnehmen. Mit dem anderen erschien er selbst
vor Pergamon, das er indes vergeblich berannte; er musste sich
begnuegen, das platte Land zu durchstreifen und an den weit und breit
zerstoerten Tempeln die Spuren makedonischer Tapferkeit
zurueckzulassen. Ploetzlich brach er auf und ging wieder zu Schiff, um
sich mit seinem Geschwader, das bei Samos stand, zu vereinigen. Allein
die rhodisch-pergamenische Flotte folgte ihm und zwang ihn zur Schlacht
in der Meerenge von Chios. Die Zahl der makedonischen Deckschiffe war
geringer, allein die Menge ihrer offenen Kaehne glich dies wieder aus
und Philippos’ Soldaten fochten mit grossem Mute; doch unterlag. er
endlich. Fast die Haelfte seiner Deckschiffe, vierundzwanzig Segel,
wurden versenkt oder genommen, 6000 makedonische Matrosen, 3000
Soldaten kamen um, darunter der Admiral Demokrates, 2000 wurden
gefangen. Den Bundesgenossen kostete der Sieg nicht mehr als 800 Mann
und sechs Segel. Aber von den Fuehrern der Verbuendeten war Attalos von
seiner Flotte abgeschnitten und gezwungen worden, sein Admiralschiff
bei Erythrae auf den Strand laufen zu lassen; und Theophiliskos von
Rhodos, dessen Buergermut den Krieg und dessen Tapferkeit die Schlacht
entschieden hatte, starb den Tag nach derselben an seinen Wunden. So
konnte, waehrend Attalos’ Flotte in die Heimat ging und die rhodische
vorlaeufig bei Chios blieb, Philippos, der faelschlich sich den Sieg
zuschrieb, seine Fahrt weiter fortsetzen und sich nach Samos wenden, um
die karischen Staedte zu besetzen. An der karischen Kueste lieferten
die Rhodier, diesmal von Attalos nicht unterstuetzt, der makedonischen
Flotte unter Herakleides ein zweites Treffen bei der kleinen Insel Lade
vor dem Hafen von Milet. Der Sieg, den wieder beide Teile sich
zuschrieben, scheint hier von den Makedoniern gewonnen zu sein, denn
waehrend die Rhodier nach Myndos und von da nach Kos zurueckwichen,
besetzten jene Milet und ein Geschwader unter dem Aetoler Dikaearchos
die Kykladen. Philippos inzwischen verfolgte auf dem karischen Festland
die Eroberung der rhodischen Besitzungen daselbst und der griechischen
Staedte; haette er Ptolemaeos selbst angreifen wollen und es nicht
vorgezogen, sich auf die Gewinnung seines Beuteanteils zu beschraenken,
so wuerde er jetzt selbst an einen Zug nach Aegypten haben denken
koennen. In Karien stand zwar kein Heer den Makedoniern gegenueber, und
Philippos durchzog ungehindert die Gegend von Magnesia bis Mylasa; aber
jede Stadt in dieser Landschaft war eine Festung, und der
Belagerungskrieg zog sich in die Laenge, ohne erhebliche Resultate zu
geben oder zu versprechen. Der Satrap von Lydien, Zeuxis, unterstuetzte
den Bundesgenossen seines Herren ebenso lau, wie Philippos sich lau in
der Foerderung der Interessen des syrischen Koenigs bewiesen hatte, und
die griechischen Staedte gaben Unterstuetzung nur aus Furcht oder
Zwang. Die Verproviantierung des Heeres ward immer schwieriger;
Philippos musste heute den pluendern, der ihm gestern freiwillig
gegeben hatte, und dann wieder gegen seine Natur sich bequemen zu
bitten. So ging allmaehlich die gute Jahreszeit zu Ende, und in der
Zwischenzeit hatten die Rhodier ihre Flotte verstaerkt und auch die des
Attalos wieder an sich gezogen, so dass sie zur See entschieden
ueberlegen waren. Es schien fast, als koennten sie dem Koenig den
Rueckzug abschneiden und ihn zwingen, Winterquartier in Karien zu
nehmen, waehrend doch die Angelegenheiten daheim, namentlich die
drohende Intervention der Aetoler und der Roemer, seine Rueckkehr
dringend erheischten. Philippos sah die Gefahr; er liess Besatzungen,
zusammen bis 3000 Mann, teils in Myrina, um Pergamon in Schach zu
halten, teils in den kleinen Staedten um Mylasa: Iassos, Bargylia,
Euromos, Pedasa, um den trefflichen Hafen und einen Landungsplatz in
Karien sich zu sichern; mit der Flotte gelang es ihm bei der
Nachlaessigkeit, mit welcher die Bundesgenossen das Meer bewachten,
gluecklich die thrakische Kueste zu erreichen und noch vor dem Winter
553/54 (201/00) zu Hause zu sein.

In der Tat zog sich gegen Philipp im Westen ein Gewitter zusammen,
welches ihm nicht laenger gestattete, die Pluenderung des wehrlosen
Aegyptens fortzusetzen. Die Roemer, die in demselben Jahre endlich den
Frieden mit Karthago auf ihre Bedingungen abgeschlossen hatten, fingen
an, sich ernstlich um diese Verwicklungen im Osten zu bekuemmern. Es
ist oft gesagt worden, dass sie nach der Eroberung des Westens sofort
daran gegangen seien, den Osten sich zu unterwerfen; eine ernstliche
Erwaegung wird zu einem gerechteren Urteil fuehren. Nur die stumpfe
Unbilligkeit kann es verkennen, dass Rom in dieser Zeit noch keineswegs
nach der Herrschaft ueber die Mittelmeerstaaten griff, sondern nichts
weiter begehrte, als in Afrika und in Griechenland ungefaehrliche
Nachbarn zu haben; und eigentlich gefaehrlich fuer Rom war Makedonien
nicht. Seine Macht war allerdings nicht gering und es ist
augenscheinlich, dass der roemische Senat den Frieden von 548/49
(206/05), der sie ganz in ihrer Integritaet beliess, nur ungern
gewaehrte; allein wie wenig man ernstliche Besorgnisse vor Makedonien
in Rom hegte und hegen durfte, beweist am besten die geringe und doch
nie gegen Uebermacht zu fechten genoetigte Truppenzahl, mit welcher Rom
den naechsten Krieg gefuehrt hat. Der Senat haette wohl eine
Demuetigung Makedoniens gern gesehen; allein um den Preis eines in
Makedonien mit roemischen Truppen gefuehrten Landkrieges war sie ihm zu
teuer, und darum machte er nach dem Ruecktritt der Aetoler sofort
freiwillig Frieden auf Grundlage des Status quo. Es ist darum auch
nichts weniger als ausgemacht, dass die roemische Regierung diesen
Frieden in der bestimmten Absicht schloss, den Krieg bei gelegenerer
Zeit wieder zu beginnen, und sehr gewiss, dass augenblicklich bei der
gruendlichen Erschoepfung des Staats und der aeussersten Unlust der
Buergerschaft auf einen zweiten ueberseeischen Krieg sich einzulassen,
der Makedonische Krieg den Roemern in hohem Grade unbequem kam. Aber
jetzt war er unvermeidlich. Den makedonischen Staat, wie er im Jahre
549 (205) war, konnte man sich als Nachbar gefallen lassen; allein
unmoeglich durfte man gestatten, dass derselbe den besten Teil des
kleinasiatischen Griechenlands und das wichtige Kyrene hinzuerwarb, die
neutralen Handelsstaaten erdrueckte und damit seine Macht verdoppelte.
Es kam hinzu, dass der Sturz Aegyptens, die Demuetigung, vielleicht die
Ueberwaeltigung von Rhodos auch dem sizilischen und italischen Handel
tiefe Wunden geschlagen haben wuerden; und konnte man ueberhaupt ruhig
zusehen, wie der italische Verkehr mit dem Osten von den beiden grossen
Kontinentalmaechten abhaengig ward? Gegen Attalos, den treuen
Bundesgenossen aus dem Ersten Makedonischen Krieg, hatte Rom ueberdies
die Ehrenpflicht zu wahren und zu hindern, dass Philippos, der ihn
schon in seiner Hauptstadt belagert hatte, ihn nicht von Land und
Leuten vertrieb. Endlich war der Anspruch Roms, den schuetzenden Arm
ueber alle Hellenen auszustrecken, keineswegs bloss Phrase; die
Neapolitaner, Rheginer, Massalioten und Emporiten konnten bezeugen,
dass dieser Schutz sehr ernst gemeint war, und gar keine Frage ist es,
dass in dieser Zeit die Roemer den Griechen naeher standen als jede
andere Nation und wenig ferner als die hellenisierten Makedonier. Es
ist seltsam, den Roemern das Recht zu bestreiten, ueber die frevelhafte
Behandlung der Kianer und Thasier in ihren menschlichen wie in ihren
hellenischen Sympathien sich empoert zu fuehlen. So vereinigten sich in
der Tat alle politischen, kommerziellen und sittlichen Motive, um Rom
zu dem zweiten Kriege gegen Philippos zu bestimmen, einem der
gerechtesten, die die Stadt je gefuehrt hat. Es gereicht dem Senat zur
hohen Ehre, dass er sofort sich entschloss und sich weder durch die
Erschoepfung des Staates noch durch die Impopularitaet einer solchen
Kriegserklaerung abhalten liess, seine Anstalten zu treffen - schon 553
(201) erschien der Propraetor Marcus Valerius Laevinus mit der
sizilischen Flotte von 38 Segeln in der oestlichen See. Indes war die
Regierung in Verlegenheit, einen ostensibeln Kriegsgrund ausfindig zu
machen, dessen sie dem Volk gegenueber notwendig bedurfte, auch wenn
sie nicht ueberhaupt viel zu einsichtig gewesen waere, um die
rechtliche Motivierung des Krieges in Philippos’ Art gering zu
schaetzen. Die Unterstuetzung, die Philippos nach dem Frieden mit Rom
den Karthagern gewaehrt haben sollte, war offenbar nicht erweislich.
Die roemischen Untertanen in der illyrischen Landschaft beschwerten
sich zwar schon seit laengerer Zeit ueber die makedonischen Obergriffe.
Schon 551 (203) hatte ein roemischer Gesandter an der Spitze des
illyrischen Aufgebots Philippos’ Scharen aus dem illyrischen Gebiet
hinausgeschlagen und der Senat deswegen den Gesandten des Koenigs 552
(202) erklaert, wenn er Krieg suche, werde er ihn frueher finden, als
ihm lieb sei. Allein diese Uebergriffe waren eben nichts als die
gewoehnlichen Frevel, wie Philippos sie gegen seine Nachbarn uebte;
eine Verhandlung darueber haette im gegenwaertigen Augenblick zur
Demuetigung und Suehnung, aber nicht zum Kriege gefuehrt. Mit den
saemtlichen kriegfuehrenden Maechten im Osten stand die roemische
Gemeinde dem Namen nach in Freundschaft und haette ihnen Beistand gegen
den Angriff gewaehren koennen. Allein Rhodos und Pergamon, die
begreiflicherweise nicht saeumten, die roemische Hilfe zu erbitten,
waren formell die Angreifer, und Aegypten, wenn auch alexandrinische
Gesandte den roemischen Senat ersuchten, die Vormundschaft ueber das
koenigliche Kind zu uebernehmen, scheint doch auch nicht eben sich
beeilt zu haben, durch Anrufung unmittelbarer roemischer Intervention
zwar die augenblickliche Bedraengnis zu beendigen, aber zugleich der
grossen westlichen Macht das Ostmeer zu oeffnen. Vor allen Dingen aber
haette die Hilfe fuer Aegypten zunaechst in Syrien geleistet werden
muessen und wuerde Rom in einen Krieg mit Asien und Makedonien zugleich
verwickelt haben, was man natuerlich um so mehr zu vermeiden wuenschte,
als man fest entschlossen war, wenigstens in die asiatischen
Angelegenheiten sich nicht zu mischen. Es blieb nichts uebrig, als
vorlaeufig eine Gesandtschaft nach dem Osten abzuordnen, um teils von
Aegypten zu erlangen, was den Umstaenden nach nicht schwer war, dass es
die Einmischung der Roemer in die griechischen Angelegenheiten
geschehen liess, teils den Koenig Antiochos zu beschwichtigen, indem
man ihm Syrien preisgab, teils endlich den Bruch mit Philippos
moeglichst zu beschleunigen und die Koalition der
griechisch-asiatischen Kleinstaaten gegen ihn zu foerdern (Ende 553
201). In Alexandreia erreichte man ohne Muehe, was man wuenschte; der
Hof hatte keine Wahl und musste dankbar den Marcus Aemilius Lepidus
aufnehmen, den der Senat abgesandt hatte, um als “Vormund des Koenigs”
dessen Interessen zu vertreten, soweit dies ohne eigentliche
Intervention moeglich war. Antiochos loeste zwar seinen Bund mit
Philipp nicht auf und gab den Roemern nicht die bestimmten
Erklaerungen, welche sie wuenschten; uebrigens aber, sei es aus
Schlaffheit, sei es bestimmt durch die Erklaerung der Roemer, in Syrien
nicht intervenieren zu wollen, verfolgte er seine Plaene daselbst und
liess die Dinge in Griechenland und Kleinasien gehen.

Darueber war das Fruehjahr 554 (200) herangekommen, und der Krieg hatte
aufs neue begonnen. Philippos warf sich zunaechst wieder auf Thrakien,
wo er die saemtlichen Kuestenplaetze, namentlich Maroneia, Aenos,
Elaeos, Sestos besetzte; er wollte seine europaeischen Besitzungen vor
einer roemischen Landung gesichert wissen. Alsdann griff er an der
asiatischen Kueste Abydos an, an dessen Gewinn ihm gelegen sein musste,
da er durch den Besitz von Sestos und Abydos mit seinem Bundesgenossen
Antiochos in festere Verbindung kam und nicht mehr zu fuerchten
brauchte, dass die Flotte der Bundesgenossen ihm den Weg nach oder aus
Kleinasien sperre. Diese beherrschte das Aegaeische Meer, nachdem das
schwaechere makedonische Geschwader sich zurueckgezogen hatte;
Philippos beschraenkte zur See sich darauf, auf dreien der Kykladen,
Andros, Kythnos und Paros, Besatzungen zu unterhalten und Kaperschiffe
auszuruesten. Die Rhodier gingen nach Chios und von da nach Tenedos, wo
Attalos, der den Winter ueber bei Aegina gestanden und mit den
Deklamationen der Athener sich die Zeit vertrieben hatte, mit seinem
Geschwader zu ihnen stiess. Es waere wohl moeglich gewesen, den
Abydenern, die sich heldenmuetig verteidigten, zu Hilfe zu kommen;
allein die Verbuendeten ruehrten sich nicht, und so ergab sich endlich
die Stadt, nachdem fast alle Waffenfaehigen im Kampf vor den Mauern und
nach der Kapitulation ein grosser Teil der Einwohner durch eigene Hand
gefallen waren, der Gnade des Siegers; sie bestand darin, dass den
Abydenern drei Tage Frist gegeben wurden, um freiwillig zu sterben.
Hier im Lager von Abydos traf die roemische Gesandtschaft, die nach
Beendigung ihrer Geschaefte in Syrien und Aegypten die griechischen
Kleinstaaten besucht und bearbeitet hatte, mit dem Koenig zusammen und
entledigte sich ihrer vom Senat erhaltenen Auftraege: der Koenig solle
gegen keinen griechischen Staat einen Angriffskrieg fuehren, die dem
Ptolemaeos entrissenen Besitzungen zurueckgeben und wegen der den
Pergamenern und Rhodiern zugefuegten Schaedigung sich ein
Schiedsgericht gefallen lassen. Die Absicht des Senats, den Koenig zur
foermlichen Kriegserklaerung zu reizen, ward nicht erreicht; der
roemische Gesandte Marcus Aemilius erhielt vom Koenig nichts als die
feine Antwort, dass er dem jungen schoenen roemischen Mann wegen dieser
seiner drei Eigenschaften das Gesagte zugute halten wolle.

Indes war mittlerweile die von Rom gewuenschte Veranlassung von einer
anderen Seite her gekommen. Die Athener hatten in ihrer albernen und
grausamen Eitelkeit zwei unglueckliche Akarnanen hinrichten lassen,
weil dieselben sich zufaellig in ihre Mysterien verirrt hatten. Als die
Akarnanen in begreiflicher Erbitterung von Philippos begehrten, dass er
ihnen Genugtuung verschaffe, konnte dieser das gerechte Begehren seiner
treuesten Bundesgenossen nicht weigern und gestattete ihnen, in
Makedonien Mannschaft auszuheben und damit und mit ihren eigenen Leuten
ohne foermliche Kriegserklaerung in Attika einzufallen. Zwar war dies
nicht bloss kein eigentlicher Krieg, sondern es liess auch der Fuehrer
der makedonischen Schar, Nikanor, auf die drohenden Worte der gerade in
Athen anwesenden roemischen Gesandten sofort seine Truppen den
Rueckmarsch antreten (Ende 553 201). Aber es war zu spaet. Eine
athenische Gesandtschaft ging nach Rom, um ueber den Angriff Philipps
auf einen alten Bundesgenossen Roms zu berichten, und aus der Art, wie
der Senat sie empfing, sah Philippos deutlich, was ihm bevorstand;
weshalb er zunaechst, gleich im Fruehling 554 (200) seinen
Oberbefehlshaber in Griechenland, Philokles, anwies, das attische
Gebiet zu verwuesten und die Stadt moeglichst zu bedraengen.

Der Senat hatte jetzt, was er bedurfte, und konnte im Sommer 554 (200)
die Kriegserklaerung “wegen Angriffs auf einen mit Rom verbuendeten
Staat” vor die Volksversammlung bringen. Sie wurde das erstemal fast
einstimmig verworfen; toerichte oder tueckische Volkstribunen
querulierten ueber den Rat, der den Buergern keine Ruhe goennen wolle;
aber der Krieg war einmal notwendig und genau genommen schon begonnen,
so dass der Senat unmoeglich zuruecktreten konnte. Die Buergerschaft
ward durch Vorstellungen und Konzessionen zum Nachgeben bewogen. Es ist
bemerkenswert, dass diese Konzessionen wesentlich auf Kosten der
Bundesgenossen erfolgten. Aus ihren im aktiven Dienst befindlichen
Kontingenten wurden - ganz entgegen den sonstigen roemischen Maximen -
die Besatzungen von Gallien, Unteritalien, Sizilien und Sardinien,
zusammen 20000 Mann, ausschliesslich genommen, die saemtlichen vom
Hannibalischen Krieg her unter Waffen stehenden Buergertruppen aber
entlassen; nur Freiwillige sollten daraus zum Makedonischen Krieg
aufgeboten werden duerfen, welches denn freilich, wie sich nachher
fand, meistens gezwungene Freiwillige waren - es rief dies spaeter im
Herbst 555 (199) einen bedenklichen Militaeraufstand im Lager von
Apollonia hervor. Aus neu einberufenen Leuten wurden sechs Legionen
gebildet, von denen je zwei in Rom und in Etrurien blieben und nur zwei
in Brundisium nach Makedonien eingeschifft wurden, gefuehrt von dem
Konsul Publius Sulpicius Galba.

So hatte sich wieder einmal recht deutlich gezeigt, dass fuer die
weitlaeufigen und schwierigen Verhaeltnisse, in welche Rom durch seine
Siege gebracht war, die souveraenen Buergerversammlungen mit ihren
kurzsichtigen und vom Zufall abhaengigen Beschluessen schlechterdings
nicht mehr passten und dass deren verkehrtes Eingreifen in die
Staatsmaschine zu gefaehrlichen Modifikationen der militaerisch
notwendigen Massregeln und zu noch gefaehrlicherer Zuruecksetzung der
latinischen Bundesgenossen fuehrte.

Philippos’ Lage war sehr uebel. Die oestlichen Staaten, die gegen jede
Einmischung Roms haetten zusammenstehen muessen und unter anderen
Umstaenden auch vielleicht zusammengestanden waeren, waren
hauptsaechlich durch seine Schuld so untereinander verhetzt, dass sie
die roemische Invasion entweder nicht zu hindern oder sogar zu foerdern
geneigt waren. Asien, Philipps natuerlicher und wichtiger
Bundesgenosse, war von ihm vernachlaessigt worden und ueberdies
zunaechst durch die Verwicklung mit Aegypten und den syrischen Krieg an
taetigem Eingreifen gehindert. Aegypten hatte ein dringendes Interesse
daran, dass die roemische Flotte dem Ostmeer fern blieb; selbst jetzt
noch gab eine aegyptische Gesandtschaft in Rom sehr deutlich zu
verstehen, wie bereit der alexandrinische Hof sei, den Roemern die
Muehe abzunehmen, in Attika zu intervenieren. Allein der zwischen Asien
und Makedonien abgeschlossene Teilungsvertrag ueber Aegypten warf
diesen wichtigen Staat geradezu den Roemern in die Arme und erzwang die
Erklaerung des Kabinetts von Alexandreia, dass es in die
Angelegenheiten des europaeischen Griechenlands sich nur mit
Einwilligung der Roemer mischen werde. Aehnlich, aber noch bedraengter
gestellt waren die griechischen Handelsstaedte, an ihrer Spitze Rhodos,
Pergamon, Byzanz; sie haetten unter anderen Umstaenden ohne Zweifel das
Ihrige getan, um den Roemern das Ostmeer zu verschliessen, aber
Philippos’ grausame und vernichtende Eroberungspolitik hatte sie zu
einem ungleichen Kampf gezwungen, in den sie ihrer Selbsterhaltung
wegen alles anwenden mussten, die italische Grossmacht zu verwickeln.
Im eigentlichen Griechenland fanden die roemischen Gesandten, die dort
eine zweite Ligue gegen Philippos zu stiften beauftragt waren,
gleichfalls vom Feinde wesentlich vorgearbeitet. Von der
antimakedonischen Partei, den Spartanern, Eleern, Athenern und
Aetolern, haette Philippos die letzten vielleicht zu gewinnen vermocht,
da der Friede von 548 (206) in ihren Freundschaftsbund mit Rom einen
tiefen und keineswegs aufgeheilten Riss gemacht hatte; allein abgesehen
von den alten Differenzen, die wegen der von Makedonien der aetolischen
Eidgenossenschaft entzogenen thessalischen Staedte Echinos, Larissa
Kremaste, Pharsalos und des phthiotischen Thebae zwischen den beiden
Staaten bestanden, hatte die Vertreibung der aetolischen Besatzungen
aus Lysimacheia und Kios bei den Aetolern neue Erbitterung gegen
Philippos hervorgerufen. Wenn sie zauderten, sich der Ligue gegen ihn
anzuschliessen, so lag der Grund wohl hauptsaechlich in der
fortwirkenden Verstimmung zwischen ihnen und den Roemern.

Bedenklicher noch war es, dass selbst unter den fest an das
makedonische Interesse geknuepften griechischen Staaten, den Epeiroten,
Akarnanen, Boeotern und Achaeern, nur die Akarnanen und Boeoter
unerschuettert zu Philippos standen. Mit den Epeiroten verhandelten die
roemischen Gesandten nicht ohne Erfolg und namentlich der Koenig der
Athamanen, Amynander, schloss an Rom sich fest an. Sogar von den
Achaeern hatte Philippos durch die Ermordung des Aratos teils viele
verletzt, teils ueberhaupt einer freieren Entwicklung der
Eidgenossenschaft wieder Raum gegeben; sie hatte unter Philopoemens
(502-571 252-183, Strateg zuerst 546 208) Leitung ihr Heerwesen
regeneriert, in gluecklichen Kaempfen gegen Sparta das Zutrauen zu sich
selber wiedergefunden und folgte nicht mehr, wie zu Aratos’ Zeit, blind
der makedonischen Politik. Einzig in ganz Hellas sah die achaeische
Eidgenossenschaft, die von Philippos’ Vergroesserungssucht weder Nutzen
noch zunaechst Nachteil zu erwarten hatte, diesen Krieg vom
unparteiischen und nationalhellenischen Gesichtspunkte an; sie begriff,
was zu begreifen nicht schwer war, dass die hellenische Nation damit
den Roemern selber sich auslieferte, sogar ehe diese es wuenschten und
begehrten, und versuchte darum, zwischen Philippos und den Rhodiern zu
vermitteln; allein es war zu spaet. Der nationale Patriotismus, der
einst den Bundesgenossenkrieg beendigt und der. ersten Krieg zwischen
Makedonien und Rom wesentlich mit herbeigefuehrt hatte, war erloschen;
die achaeische Vermittlung blieb ohne Erfolg, und vergeblich bereiste
Philippos die Staedte und Inseln, um die Nation wieder zu entflammen -
es war das die Nemesis fuer Kios und Abydos. Die Achaeer, da sie nicht
aendern konnten und nicht helfen mochten, blieben neutral.

Im Herbst des Jahres 554 (200) landete der Konsul Publius Sulpicius
Galba mit seinen beiden Legionen und 1000 numidischen Reitern, ja sogar
mit Elefanten, die aus der karthagischen Beute herruehrten, bei
Apollonia; auf welche Nachricht der Koenig eilig vom Hellespont nach
Thessalien zurueckkehrte. Indes teils die schon weit vorgerueckte
Jahreszeit, teils die Erkrankung des roemischen Feldherrn bewirkten,
dass zu Lande dies Jahr nichts weiter vorgenommen ward als eine starke
Rekognoszierung, bei der die naechstliegenden Ortschaften, namentlich
die makedonische Kolonie Antipatreia, von den Roemern besetzt wurden.
Fuer das naechste Jahr ward mit den noerdlichen Barbaren, namentlich
mit Pleuratos, dem damaligen Herrn von Skodra, und dem Dardanerfuersten
Bato, die selbstverstaendlich eilten, die gute Gelegenheit zu nutzen,
ein gemeinschaftlicher Angriff auf Makedonien verabredet.

Wichtiger waren die Unternehmungen der roemischen Flotte, die 100 Deck-
und 80 leichte Schiffe zaehlte. Waehrend die uebrigen Schiffe bei
Kerkyra fuer den Winter Station nahmen, ging eine Abteilung unter Gaius
Claudius Cento nach dem Peiraeeus, um den bedraengten Athenern Beistand
zu leisten. Da Cento indes die attische Landschaft gegen die
Streifereien der korinthischen Besatzung und die makedonischen Korsaren
schon hinreichend gedeckt fand, segelte er weiter und erschien
ploetzlich vor Chalkis auf Euboea, dem Hauptwaffenplatz Philipps in
Griechenland, wo die Magazine, die Waffenvorraete und die Gefangenen
aufbewahrt wurden und der Kommandant Sopater nichts weniger als einen
roemischen Angriff erwartete. Die unverteidigte Mauer ward erstiegen,
die Besatzung niedergemacht, die Gefangenen befreit und die Vorraete
verbrannt; leider fehlte es an Truppen, um die wichtige Position zu
halten. Auf die Kunde von diesem ueberfall brach Philippos in
ungestuemer Erbitterung sofort von Demetrias in Thessalien auf nach
Chalkis, und da er hier nichts von dem Feind mehr fand als die
Brandstaette, weiter nach Athen, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
Allein die Ueberrumpelung misslang und auch der Sturm war vergeblich,
so sehr der Koenig sein Leben preisgab; das Herannahen von Gaius
Claudius vom Peiraeeus, des Attalos von Aegina her zwangen ihn zum
Abzug. Philippos verweilte indes noch einige Zeit in Griechenland; aber
politisch und militaerisch waren seine Erfolge gleich gering. Umsonst
versuchte er die Achaeer fuer sich in Waffen zu bringen; und ebenso
vergeblich waren seine Angriffe auf Eleusis und den Peiraeeus sowie ein
zweiter auf Athen selbst. Es blieb ihm nichts uebrig, als seine
begreifliche Erbitterung in unwuerdiger Weise durch Verwuestung der
Landschaft und Zerstoerung, der Baeume des Akademos zu befriedigen und
nach dem Norden zurueckzukehren. So verging der Winter. Mit dem
Fruehjahr 555 (199) brach der Prokonsul Publius Sulpicius aus seinem
Winterlager auf, entschlossen, seine Legionen von Apollonia auf der
kuerzesten Linie in das eigentliche Makedonien zu fuehren. Diesen
Hauptangriff von Westen her sollten drei Nebenangriffe unterstuetzen:
in noerdlicher Richtung der Einfall der Dardaner und Illyrier, in
oestlicher ein Angriff der kombinierten Flotte der Roemer und der
Bundesgenossen, die bei Aegina sich sammelte; endlich von Sueden her
sollten die Athamanen vordringen und, wenn es gelang, sie zur Teilnahme
am Kampfe zu bestimmen, zugleich die Aetoler. Nachdem Galba die Berge,
die der Apsos (jetzt Beratinó) durchschneidet, ueberschritten hatte und
durch die fruchtbare dassaretische Ebene gezogen war, gelangte er an
die Gebirgskette, die Illyrien und Makedonien scheidet und betrat,
diese uebersteigend, das eigentliche makedonische Gebiet. Philippos war
ihm entgegengegangen; allein in den ausgedehnten und schwach
bevoelkerten Landschaften Makedoniens suchten sich die Gegner einige
Zeit vergeblich, bis sie endlich in der lynkestischen Provinz, einer
fruchtbaren aber sumpfigen Ebene, unweit der nordwestlichen
Landesgrenze aufeinandertrafen und keine 1000 Schritt voneinander die
Lager schlugen. Philippos’ Heer zaehlte, nachdem er das zur Besetzung
der noerdlichen Paesse detachierte Korps an sich gezogen hatte, etwa
20000 Mann zu Fuss und 2000 Reiter; das roemische war ungefaehr ebenso
stark. Indes die Makedonier hatten den grossen Vorteil, dass sie, in
der Heimat fechtend und mit Weg und Steg bekannt, mit leichter Muehe
den Proviant zugefuehrt erhielten, waehrend sie sich so dicht an die
Roemer gelagert hatten, dass diese es nicht wagen konnten, zu
ausgedehnter Fouragierung sich zu zerstreuen. Der Konsul bot die
Schlacht wiederholt an, allein der Koenig versagte sie beharrlich und
die Gefechte zwischen den leichten Truppen, wenn auch die Roemer darin
einige Vorteile erfochten, aenderten in der Hauptsache nichts. Galba
war genoetigt, sein Lager abzubrechen und anderthalb Meilen weiter bei
Oktolophos ein anderes aufzuschlagen, von wo er leichter sich
verproviantieren zu koennen meinte. Aber auch hier wurden die
ausgeschickten Abteilungen von den leichten Truppen und der Reiterei
der Makedonier vernichtet; die Legionen mussten zu Hilfe kommen und
trieben dann freilich die makedonische Vorhut, die zu weit vorgegangen
war, mit starkem Verlust in das Lager zurueck, wobei der Koenig selbst
das Pferd verlor und nur durch die hochherzige Hingebung eines seiner
Reiter das Leben rettete. Aus dieser gefaehrlichen Lage befreite die
Roemer der bessere Erfolg der von Galba veranlassten Nebenangriffe der
Bundesgenossen oder vielmehr die Schwaeche der makedonischen
Streitkraefte. Obwohl Philippos in seinem Gebiet moeglichst starke
Aushebungen vorgenommen und roemische Ueberlaeufer und andere Soeldner
hinzugeworben hatte, hatte er doch nicht vermocht, ausser den
Besatzungen in Kleinasien und Thrakien, mehr als das Heer, womit er
selbst dem Konsul gegenueberstand, auf die Beine zu bringen, und
ueberdies noch, um dieses zu bilden, die Nordpaesse in der
pelagonischen Landschaft entbloessen muessen. Fuer die Deckung der
Ostkueste verliess er sich teils auf die von ihm angeordnete
Verwuestung der Inseln Skiathos und Peparethos, die der feindlichen
Flotte eine Station haetten bieten koennen, teils auf die Besatzung von
Thasos und der Kueste und auf die unter Herakleides bei Demetrias
aufgestellte Flotte. Fuer die Suedgrenze hatte er gar auf die mehr als
zweifelhafte Neutralitaet der Aetoler rechnen muessen. Jetzt traten
diese ploetzlich dem Bunde gegen Makedonien bei und drangen sofort mit
den Athamanen vereinigt in Thessalien ein, waehrend zugleich die
Dardaner und Illyrier die noerdlichen Landschaften ueberschwemmten und
die roemische Flotte unter Lucius Apustius, von Kerkyra aufbrechend, in
den oestlichen Gewaessern erschien, wo die Schiffe des Attalos, der
Rhodier und der Istrier sich mit ihr vereinigten.

Philippos gab hiernach freiwillig seine Stellung auf und wich in
oestlicher Richtung zurueck: ob es geschah, um den wahrscheinlich
unvermuteten Einfall der Aetoler zurueckzuschlagen oder um das
roemische Heer sich nach und ins Verderben zu ziehen oder um je nach
den Umstaenden das eine oder das andere zu tun, ist nicht wohl zu
entscheiden. Er bewerkstelligte seinen Rueckzug so geschickt, dass
Galba, der den verwegenen Entschluss fasste, ihm zu folgen, seine Spur
verlor und es Philippos moeglich ward, den Engpass, der die
Landschaften Lynkestis und Eordaea scheidet, auf Seitenwegen zu
erreichen und zu besetzen, um die Roemer hier zu erwarten und ihnen
einen heissen Empfang zu bereiten. Es kam an der von ihm gewaehlten
Stelle zur Schlacht. Aber die langen makedonischen Speere erwiesen sich
unbrauchbar auf dem waldigen und ungleichen Terrain; die Makedonier
wurden teils umgangen, teils durchbrochen und verloren viele Leute.
Indes wenn auch Philippos’ Heer nach diesem ungluecklichen Treffen
nicht laenger imstande war, den Roemern das weitere Vordringen zu
wehren, so scheuten sich doch diese selber in dem unwegsamen und
feindlichen Land, weiteren unbekannten Gefahren entgegenzuziehen, und
kehrten zurueck nach Apollonia, nachdem sie die fruchtbaren
Landschaften Hochmakedoniens Eordaea, Elimea, Orestis verwuestet und
die bedeutendste Stadt von Orestis, Keletron (jetzt Kastoria auf einer
Halbinsel in dem gleichnamigen See), sich ihnen ergeben hatte - es war
die einzige makedonische Stadt, die den Roemern ihre Tore oeffnete. Im
illyrischen Land ward die Stadt der Dassaretier, Pelion, an den oberen
Zufluessen des Apsos, erstuermt und stark besetzt, um auf einem
aehnlichen Zug kuenftig als Basis zu dienen.

Philippos stoerte die roemische Hauptarmee auf ihrem Rueckzug nicht,
sondern wandte sich in Gewaltmaerschen gegen die Aetoler und Athamanen,
die in der Meinung, dass die Legionen den Koenig beschaeftigten, das
reiche Tal des Peneios furcht- und ruecksichtslos pluenderten, schlug
sie vollstaendig und noetigte, was nicht fiel, sich einzeln auf den
wohlbekannten Bergpfaden zu, retten. Durch diese Niederlage und ebenso
sehr durch die starken Werbungen, die in Aetolien fuer aegyptische
Rechnung stattfanden, schwand die Streitkraft der Eidgenossenschaft
nicht wenig zusammen. Die Dardaner wurden von dem Fuehrer der leichten
Truppen Philipps, Athenagoras, ohne Muehe und mit starkem Verlust ueber
die Berge zurueckgejagt. Die roemische Flotte richtete auch nicht viel
aus; sie vertrieb die makedonische Besatzung von Andros, suchte Euboea
und Skiathos heim und machte dann Versuche auf die chalkidische
Halbinsel, die aber die makedonische Besatzung bei Mende kraeftig
zurueckwies. Der Rest des Sommers verging mit der Einnahme von Oreos
auf Euboea, welche durch die entschlossene Verteidigung der
makedonischen Besatzung lange verzoegert ward. Die schwache
makedonische Flotte unter Herakleides stand untaetig bei Herakleia und
wagte nicht den Feinden das Meer streitig zu machen. Fruehzeitig gingen
diese in die Winterquartiere, die Roemer nach dem Peiraeeus und
Kerkyra, die Rhodier und Pergamener in die Heimat.

Im ganzen konnte Philipp zu den Ereignissen dieses Feldzuges sich
Glueck wuenschen. Die roemischen Truppen standen nach einem aeusserst
beschwerlichen Feldzug im Herbst genau da, von wo sie im Fruehling
aufgebrochen waren, und ohne das rechtzeitige Dareinschlagen der
Aetoler und die unerwartet glueckliche Schlacht am Pass von Eordaea
haette von der gesamten Macht vielleicht kein Mann das roemische Gebiet
wiedergesehen. Die vierfache Offensive hatte ueberall ihren Zweck
verfehlt und Philippos sah im Herbste nicht bloss sein ganzes Gebiet
vom Feind gereinigt, sondern er konnte noch einen, freilich
vergeblichen, Versuch machen, die an der aetolisch-thessalischen Grenze
gelegene und die Peneiosebene beherrschende feste Stadt Thaumakoi den
Aetolern zu entreissen. Wenn Antiochos, um dessen Kommen Philippos
vergeblich zu den Goettern flehte, sich im naechsten Feldzug mit ihm
vereinigte, so durfte er grosse Erfolge erwarten. Es schien einen
Augenblick, als schicke dieser sich dazu an; sein Heer erschien in
Kleinasien und besetzte einige Ortschaften des Koenigs Attalos, der von
den Roemern militaerischen Schutz erbat. Diese indes beeilten sich
nicht, den Grosskoenig jetzt zum Bruch zu draengen; sie schickten
Gesandte, die in der Tat es erreichten, dass Attalos’ Gebiet geraeumt
ward. Von daher hatte Philippos nichts zu hoffen.

Indes der glueckliche Ausgang des letzten Feldzugs hatte Philipps Mut
oder Uebermut so gehoben, dass, nachdem er der Neutralitaet der Achaeer
und der Treue der Makedonier sich durch die Aufopferung einiger festen
Plaetze und des verabscheuten Admirals Herakleides aufs neue versichert
hatte, im naechsten Fruehling 556 (198) er es war, der die Offensive
ergriff und in die atintanische Landschaft einrueckte, um in dem engen
Pass, wo sich der Aoos (Viosa) zwischen den Bergen Aeropos und Asmaos
durchwindet, ein wohlverschanztes Lager zu beziehen. Ihm gegenueber
lagerte das durch neue Truppensendungen verstaerkte roemische Heer,
ueber das zuerst der Konsul des vorigen Jahres, Publius Villius, sodann
seit dem Sommer 556 (198) der diesjaehrige Konsul Titus Quinctius
Flamininus den Oberbefehl fuehrte. Flamininus, ein talentvoller, erst
dreissigjaehriger Mann, gehoerte zu der juengeren Generation, welche
mit dem altvaeterischen Wesen auch den altvaeterischen Patriotismus von
sich abzutun anfing und zwar auch noch an das Vaterland, aber mehr an
sich und an das Hellenentum dachte. Ein geschickter Offizier und
besserer Diplomat, war er in vieler Hinsicht fuer die Behandlung der
schwierigen griechischen Verhaeltnisse vortrefflich geeignet; dennoch
waere es vielleicht fuer Rom wie fuer Griechenland besser gewesen, wenn
die Wahl auf einen minder von hellenischen Sympathien erfuellten Mann
gefallen und ein Feldherr dorthin gesandt worden waere, den weder feine
Schmeichelei bestochen noch beissende Spottrede verletzt haette, der
die Erbaermlichkeit der hellenischen Staatsverfassungen nicht ueber
literarischen und kuenstlerischen Reminiszenzen vergessen und der
Hellas nach Verdienst behandelt, den Roemern aber es erspart haette,
unausfuehrbaren Idealen nachzustreben.

Der neue Oberbefehlshaber hatte mit dem Koenig sogleich eine
Zusammenkunft, waehrend die beiden Heere untaetig sich
gegenueberstanden. Philippos machte Friedensvorschlaege; er erbot sich,
alle eigenen Eroberungen zurueckzugeben und wegen des den griechischen
Staedten zugefuegten Schadens sich einem billigen Austrag zu
unterwerfen; aber an dem Begehren, altmakedonische Besitzungen,
namentlich Thessalien, aufzugeben, scheiterten die Verhandlungen.
Vierzig Tage standen die beiden Heere in dem Engpass des Aoos, ohne
dass Philippos wich oder Flamininus sich entschliessen konnte, entweder
den Sturm anzuordnen oder den Koenig stehenzulassen und die vorjaehrige
Expedition wieder zu versuchen. Da half dem roemischen General die
Verraeterei einiger Vornehmer unter den sonst gut makedonisch gesinnten
Epeiroten, namentlich des Charops, aus der Verlegenheit. Sie fuehrten
auf Bergpfaden ein roemisches Korps von 4000 Mann zu Fuss und 300
Reitern auf die Hoehen oberhalb des makedonischen Lagers und wie
alsdann der Konsul das feindliche Herr von vorn angriff, entschied das
Anruecken jener unvermutet von den beherrschenden Bergen
herabsteigenden roemischen Abteilung die Schlacht. Philippos verlor
Lager und Verschanzung und gegen 2000 Mann und wich eilig zurueck bis
an den Pass Tempel die Pforte des eigentlichen Makedoniens. Allen
anderen Besitz gab er auf bis auf die Festungen; die thessalischen
Staedte, die er nicht verteidigen konnte, zerstoerte er selbst - nur
Pherae schloss ihm die Tore und entging dadurch dem Verderben. Teils
durch diese Erfolge der roemischen Waffen, teils durch Flamininus’
geschickte Milde bestimmt, traten zunaechst die Epeiroten vom
makedonischen Buendnis ab. In Thessalien waren auf die erste Nachricht
vom Siege der Roemer sogleich die Athamanen und Aetoler eingebrochen,
und die Roemer folgten bald; das platte Land war leicht ueberschwemmt,
allein die festen Staedte, die gut makedonisch gesinnt waren und von
Philippos Unterstuetzung empfingen, fielen nur nach tapferem Widerstand
oder widerstanden sogar dem ueberlegenen Feind; so vor allem Atrax am
linken Ufer des Peneios, wo in der Bresche die Phalanx statt der Mauer
stand. Bis auf diese thessalischen Festungen und das Gebiet der treuen
Akarnanen war somit ganz Nordgriechenland in den Haenden der Koalition.

Dagegen war der Sueden durch die Festungen Chalkis und Korinth, die
durch das Gebiet der makedonisch gesinnten Boeoter miteinander die
Verbindung unterhielten, und durch die achaeische Neutralitaet noch
immer wesentlich in makedonischer Gewalt, und Flamininus entschloss
sich, da es doch zu spaet war, um dies Jahr noch in Makedonien
einzudringen, zunaechst Landheer und Flotte gegen Korinth und die
Achaeer zu wenden. Die Flotte, die wieder die rhodischen und
pergamenischen Schiffe an sich gezogen hatte, war bisher damit
beschaeftigt gewesen, zwei kleinere Staedte auf Euboea, Eretria und
Karystos, einzunehmen und daselbst Beute zu machen; worauf beide indes
ebenso wie Oreos wieder aufgegeben und von dem makedonischen
Kommandanten von Chalkis, Philokles, aufs neue besetzt wurden. Die
vereinigte Flotte wandte sich von da nach Kenchreae, dem oestlichen
Hafen von Korinth, um diese starke Festung zu bedrohen. Von der anderen
Seite rueckte Flamininus in Phokis ein und besetzte die Landschaft, in
der nur Elateia eine laengere Belagerung aushielt; diese Gegend,
namentlich Antikyra am Korinthischen Meerbusen, war zum Winterquartier
ausersehen. Die Achaeer, die also auf der einen Seite die roemischen
Legionen sich naehern, auf der anderen die roemische Flotte schon an
ihrem eigenen Gestade sahen, verzichteten auf ihre sittlich ehrenwerte,
aber politisch unhaltbare Neutralitaet; nachdem die Gesandten der am
engsten an Makedonien geknuepften Staedte Dyme, Megalopolis und Argos
die Tagsatzung verlassen hatten, beschloss dieselbe den Beitritt zu der
Koalition gegen Philippos. Kykliades und andere Fuehrer der
makedonischen Partei verliessen die Heimat; die Truppen der Achaeer
vereinigten sich sofort mit der roemischen Flotte und eilten, Korinth
zu Lande einzuschliessen, welche Stadt, die Zwingburg Philipps gegen
die Achaeer, ihnen roemischerseits fuer ihren Beitritt zu dem Bunde
zugesichert worden war. Die makedonische Besatzung indes, die 1300 Mann
stark war und grossenteils aus italischen Ueberlaeufern bestand,
verteidigte entschlossen die fast uneinnehmbare Stadt; ueberdies kam
von Chalkis Philokles herbei mit einer Abteilung von 1500 Mann, die
nicht bloss Korinth entsetzte, sondern auch in das Gebiet der Achaeer
eindrang und im Einverstaendnis mit der makedonisch gesinnten
Buergerschaft ihnen Argos entriss. Allein der Lohn solcher Hingebung
war, dass der Koenig die treuen Argeier der Schreckensherrschaft des
Nabis von Sparta auslieferte. Diesen, den bisherigen Bundesgenossen der
Roemer, hoffte er nach dem Beitritt der Achaeer zu der roemischen
Koalition zu sich hinueberzuziehen; denn er war hauptsaechlich nur
deshalb roemischer Bundesgenosse geworden, weil er in Opposition zu den
Achaeern und seit 550 (204) sogar in offenem Kriege mit ihnen sich
befand. Allein Philippos’ Angelegenheiten standen zu verzweifelt, als
dass irgend jemand jetzt sich auf seine Seite zu schlagen Lust
verspuert haette. Nabis nahm zwar Argos von Philippos an, allein er
verriet den Verraeter und blieb im Buendnis mit Flamininus, welcher in
der Verlegenheit, jetzt mit zwei untereinander im Krieg begriffenen
Maechten verbuendet zu sein, vorlaeufig zwischen den Spartanern und
Achaeern einen Waffenstillstand auf vier Monate vermittelte.

So kam der Winter heran. Philippos benutzte ihn abermals, um womoeglich
einen billigen Frieden zu erhalten. Auf einer Konferenz, die in Nikaea
am Malischen Meerbusen abgehalten ward, erschien der Koenig persoenlich
und versuchte, mit Flamininus zu einer Verstaendigung zu gelangen,
indem er den petulanten Uebermut der kleinen Herren mit Stolz und
Feinheit zurueckwies und durch markierte Deferenz gegen die Roemer als
die einzigen ihm ebenbuertigen Gegner von diesen ertraegliche
Bedingungen zu erhalten suchte. Flamininus war gebildet genug, um durch
die Urbanitaet des Besiegten gegen ihn und die Hoffart gegen die
Bundesgenossen, welche der Roemer wie der Koenig gleich verachten
gelernt hatten, sich geschmeichelt zu fuehlen; allein seine Vollmacht
ging nicht so weit wie das Begehren des Koenigs: er gestand ihm gegen
Einraeumung von Phokis und Lokris einen zweimonatlichen
Waffenstillstand zu und wies ihn in der Hauptsache an seine Regierung.
Im roemischen Senat war man sich laengst einig, dass Makedonien alle
seine auswaertigen Besitzungen aufgeben muesse; als daher Philippos’
Gesandte in Rom erschienen, begnuegte man sich zu fragen, ob sie
Vollmacht haetten, auf ganz Griechenland, namentlich auf Korinth,
Chalkis und Demetrias zu verzichten, und da sie dies verneinten, brach
man sofort die Unterhandlungen ab und beschloss die energische
Fortsetzung des Krieges. Mit Hilfe der Volkstribunen gelang es dem
Senat, den so nachteiligen Wechsel des Oberbefehls zu verhindern und
Flamininus das Kommando zu verlaengern; er erhielt bedeutende
Verstaerkung, und die beiden frueheren Oberbefehlshaber Publius Galba
und Publius Villius wurden angewiesen, sich ihm zur Verfuegung zu
stellen. Auch Philippos entschloss sich, noch eine Feldschlacht zu
wagen. Um Griechenland zu sichern, wo jetzt alle Staaten mit Ausnahme
der Akarnanen und Boeoter gegen ihn in Waffen standen, wurde die
Besatzung von Korinth bis auf 6000 Mann verstaerkt, waehrend er selbst,
die letzten Kraefte des erschoepften Makedoniens anstrengend und Kinder
und Greise in die Phalanx einreihend, ein Heer von etwa 26000 Mann,
darunter 16000 makedonische Phalangiten, auf die Beine brachte. So
begann der vierte Feldzug 557 (197). Flamininus schickte einen Teil der
Flotte gegen die Akarnanen, die in Leukas belagert wurden; im
eigentlichen Griechenland bemaechtigte er sich durch List der
boeotischen Hauptstadt Thebae, wodurch sich die Boeoter gezwungen
sahen, dem Buendnis gegen Makedonien wenigstens dem Namen nach
beizutreten. Zufrieden, hierdurch die Verbindung zwischen Korinth und
Chalkis gesprengt zu haben, wandte er sich nach Norden, wo allein die
Entscheidung fallen konnte. Die grossen Schwierigkeiten der Verpflegung
des Heeres in dem feindlichen und grossenteils oeden Lande, die schon
oft die Operationen gehemmt hatten, sollte jetzt die Flotte beseitigen,
indem sie das Heer laengs der Kueste begleitete und ihm die aus Afrika,
Sizilien und Sardinien gesandten Vorraete nachfuehrte. Indes die
Entscheidung kam frueher, als Flamininus gehofft hatte. Philippos,
ungeduldig und zuversichtlich wie er war, konnte es nicht aushalten,
den Feind an der makedonischen Grenze zu erwarten; nachdem er bei Dion
sein Heer gesammelt hatte, rueckte er durch den Tempepass in Thessalien
ein und traf mit dem ihm entgegenrueckenden feindlichen Heer in der
Gegend von Skotussa zusammen. Beide Heere, das makedonische und das
roemische, das durch Zuzuege der Apolloniaten und Athamanen und die von
Nabis gesandten Kretenser, besonders aber durch einen ansehnlichen
aetolischen Haufen verstaerkt worden war, zaehlten ungefaehr gleich
viel Streiter, jedes etwa 26000 Mann; doch waren die Roemer an Reiterei
dem Gegner ueberlegen. Vorwaerts Skotussa, auf dem Plateau des
Karadagh, traf waehrend eines trueben Regentages der roemische Vortrab
unvermutet auf den feindlichen, der einen zwischen beiden Lagern
gelegenen, hohen und steilen Huegel, die Kynoskephalae genannt, besetzt
hielt. Zurueckgetrieben in die Ebene, erhielten die Roemer Verstaerkung
aus dem Lager von den leichten Truppen und dem trefflichen Korps der
aetolischen Reiterei und draengten nun ihrerseits den makedonischen
Vortrab auf und ueber die Hoehe zurueck. Hier aber fanden wiederum die
Makedonier Unterstuetzung an ihrer gesamten Reiterei und dem groessten
Teil der leichten Infantrie; die Roemer, die unvorsichtig sich
vorgewagt hatten, wurden mit grossem Verlust bis hart an ihr Lager
zurueckgejagt und haetten sich voellig zur Flucht gewandt, wenn nicht
die aetolischen Ritter in der Ebene den Kampf so lange hingehalten
haetten, bis Flamininus die schnell geordneten Legionen herbeifuehrte.
Dem ungestuemen Ruf der siegreichen, die Fortsetzung des Kampfes
fordernden Truppen gab der Koenig nach und ordnete auch seine
Schwerbewaffneten eilig zu der Schlacht, die weder Feldherr noch
Soldaten an diesem Tage erwartet hatten. Es galt, den Huegel zu
besetzen, der augenblicklich von Truppen ganz entbloesst war. Der
rechte Fluegel der Phalanx unter des Koenigs eigener Fuehrung kam frueh
genug dort an, um sich ungestoert auf der Hoehe in Schlachtordnung zu
stellen; der linke aber war noch zurueck, als schon die leichten
Truppen der Makedonier, von den Legionen gescheucht, den Huegel
heraufstuermten. Philipp schob die fluechtigen Haufen rasch an der
Phalanx vorbei in das Mitteltreffen, und ohne zu erwarten, bis auf dem
linken Fluegel Nikanor mit der anderen, langsamer folgenden Haelfte der
Phalanx eingetroffen war, hiess er die rechte Phalanx mit gesenkten
Speeren den Huegel hinab sich auf die Legionen stuerzen und
gleichzeitig die wieder geordnete leichte Infanterie sie umgehen und
ihnen in die Flanke fallen. Der am guenstigen Orte unwiderstehliche
Angriff der Phalanx zersprengte das roemische Fussvolk, und der linke
Fluegel der Roemer ward voellig geschlagen. Auf dem anderen Fluegel
liess Nikanor, als er den Koenig angreifen sah, die andere Haelfte der
Phalanx schleunig nachruecken; sie geriet dabei auseinander, und
waehrend die ersten Reihen schon den Berg hinab eilig dem siegreichen
rechten Fluegel folgten und durch das ungleiche Terrain noch mehr in
Unordnung kamen, gewannen die letzten Glieder eben erst die Hoehe. Der
rechte Fluegel der Roemer ward unter diesen Umstaenden leicht mit dem
feindlichen linken fertig; die Elefanten allein, die auf diesem Fluegel
standen, vernichteten die aufgeloesten makedonischen Scharen. Waehrend
hier ein fuerchterliches Gemetzel entstand, nahm ein entschlossener
roemischer Offizier zwanzig Faehnlein zusammen und warf sich mit diesen
auf den siegreichen makedonischen Fluegel, der, den roemischen linken
verfolgend, so weit vorgedrungen war, dass der roemische rechte ihm im
Ruecken stand. Gegen den Angriff von hinten war die Phalanx wehrlos und
mit dieser Bewegung die Schlacht zu Ende. Bei der vollstaendigen
Aufloesung der beiden Phalangen ist es begreiflich, dass man 13000
teils gefangene, teils gefallene Makedonier zaehlte, meistens
gefallene, weil die roemischen Soldaten das makedonische Zeichen der
Ergebung, das Aufheben der Sarissen, nicht kannten; der Verlust der
Sieger war gering. Philippos entkam nach Larissa und nachdem er alle
seine Papiere verbrannt hatte, um niemanden zu kompromittieren, raeumte
er Thessalien und ging in seine Heimat zurueck.

Gleichzeitig mit dieser grossen Niederlage erlitten die Makedonier noch
andere Nachteile auf allen Punkten, die sie noch besetzt hielten: in
Karien schlugen die rhodischen Soeldner das dort stehende makedonische
Korps und zwangen dasselbe, sich in Stratonikeia einzuschliessen; die
korinthische Besatzung ward von Nikostratos und seinen Achaeern mit
starkem Verlust geschlagen, das akarnanische Leukas nach heldenmuetiger
Gegenwehr erstuermt. Philippos war vollstaendig ueberwunden; seine
letzten Verbuendeten, die Akarnanen, ergaben sich auf die Nachricht von
der Schlacht bei Kynoskephalae.

Es lag vollstaendig in der Hand der Roemer, den Frieden zu diktieren:
sie nutzten ihre Macht, ohne sie zu missbrauchen. Man konnte das Reich
Alexanders vernichten; auf der Konferenz der Bundesgenossen ward dies
Begehren von aetolischer Seite ausdruecklich gestellt. Allein was hiess
das anders als den Wall hellenischer Bildung gegen Thraker und Kelten
niederreissen? Schon war waehrend des eben beendigten Krieges das
bluehende Lysimacheia auf dem Thrakischen Chersonesos von den Thrakern
gaenzlich zerstoert worden - eine ernste Warnung fuer die Zukunft.
Flamininus, der tiefe Blicke in die widerwaertigen Verfehdungen der
griechischen Staaten getan hatte, konnte nicht die Hand dazu bieten,
dass die roemische Grossmacht fuer den Groll der aetolischen
Eidgenossenschaft die Exekution uebernahm, auch wenn nicht seine
hellenischen Sympathien fuer den feinen und ritterlichen Koenig ebenso
sehr gewonnen gewesen waeren wie sein roemisches Nationalgefuehl
verletzt war durch die Prahlerei der Aetoler, der “Sieger von
Kynoskephalae”, wie sie sich nannten. Den Aetolern erwiderte er, dass
es nicht roemische Sitte sei, Besiegte zu vernichten, uebrigens seien
sie ja ihre eigenen Herren und stehe es ihnen frei, mit Makedonien ein
Ende zu machen, wenn sie koennten. Der Koenig ward mit aller moeglichen
Ruecksicht behandelt, und nachdem er sich bereit erklaert hatte, auf
die frueher gestellten Forderungen jetzt einzugehen, ihm von Flamininus
gegen Zahlung einer Geldsumme und Stellung von Geiseln, darunter seines
Sohnes Demetrios, ein laengerer Waffenstillstand bewilligt, den
Philippos hoechst noetig brauchte, um die Dardaner aus Makedonien
hinauszuschlagen.

Die definitive Regulierung der verwickelten griechischen
Angelegenheiten ward vom Senat einer Kommission von zehn Personen
uebertragen, deren Haupt und Seele wieder Flamininus war. Philippos
erhielt von ihr aehnliche Bedingungen, wie sie Karthago gestellt worden
waren. Er verlor alle auswaertigen Besitzungen in Kleinasien, Thrakien,
Griechenland und auf den Inseln des Aegaeischen Meeres; dagegen blieb
das eigentliche Makedonien ungeschmaelert bis auf einige unbedeutende
Grenzstriche und die Landschaft Orestis, welche frei erklaert ward -
eine Bestimmung, die Philippos aeusserst empfindlich fiel, allein die
die Roemer nicht umhin konnten, ihm vorzuschreiben, da bei seinem
Charakter es unmoeglich war, ihm die freie Verfuegung ueber einmal von
ihm abgefallene Untertanen zu lassen. Makedonien wurde ferner
verpflichtet, keine auswaertigen Buendnisse ohne Vorwissen Roms
abzuschliessen noch nach auswaerts Besatzungen zu schicken; ferner
nicht ausserhalb Makedoniens gegen zivilisierte Staaten noch ueberhaupt
gegen roemische Bundesgenossen Krieg zu fuehren und kein Heer ueber
5000 Mann, keine Elefanten und nicht ueber fuenf Deckschiffe zu
unterhalten, die uebrigen an die Roemer auszuliefern. Endlich trat
Philippos mit den Roemern in Symmachie, die ihn verpflichtete, auf
Verlangen Zuzug zu senden, wie denn gleich nachher die makedonischen
Truppen mit den Legionen zusammen fochten. Ausserdem zahlte er eine
Kontribution von 1000 Talenten (1700000 Taler).

Nachdem Makedonien also zu vollstaendiger politischer Nullitaet
herabgedrueckt und ihm nur so viel Macht gelassen war, als es bedurfte,
um die Grenze von Hellas gegen die Barbaren zu hueten, schritt man
dazu, ueber die vom Koenig abgetretenen Besitzungen zu verfuegen. Die
Roemer, die eben damals in Spanien erfuhren, dass ueberseeische
Provinzen ein sehr zweifelhafter Gewinn seien, und die ueberhaupt
keineswegs des Laendererwerbes wegen den Krieg begonnen hatten, nahmen
nichts von der Beute fuer sich und zwangen dadurch auch ihre
Bundesgenossen zur Maessigung. Sie beschlossen, saemtliche Staaten
Griechenlands, die bisher unter Philippos gestanden, frei zu erklaeren;
und Flamininus erhielt den Auftrag, das desfaellige Dekret den zu den
Isthmischen Spielen versammelten Griechen zu verlesen (558 196).
Ernsthafte Maenner freilich mochten fragen, ob denn die Freiheit ein
verschenkbares Gut sei und was Freiheit ohne Einigkeit und Einheit der
Nation bedeute; doch war der Jubel gross und aufrichtig, wie die
Absicht aufrichtig war, in der der Senat die Freiheit verlieh ^1.

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^1 Wir haben noch Goldstater mit dem Kopf des Flamininus und der
Inschrift “T. Quincti(us)”, unter dem Regiment des Befreiers der
Hellenen in Griechenland geschlagen. Der Gebrauch der lateinischen
Sprache ist eine bezeichnende Artigkeit.

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Ausgenommen waren von dieser gemeinen Massregel nur die illyrischen
Landschaften oestlich von Epidamnos, die an den Herrn von Skodra,
Pleuratos, fielen und diesen, ein Menschenalter zuvor von den Roemern
gedemuetigten Land- und Seeraeuberstaat wieder zu der maechtigsten
unter all den kleinen Herrschaften in diesen Strichen machten; ferner
einige Ortschaften im westlichen Thessalien, die Amynander besetzt
hatte und die man ihm liess, und die drei Inseln Paros, Skyros und
Imbros, welche Athen fuer seine vielen Drangsale und seine noch
zahlreicheren Dankadressen und Hoeflichkeiten aller Art zum Geschenk
erhielt. Dass die Rhodier ihre karischen Besitzungen behielten und
Aegina den Pergamenern blieb, versteht sich. Sonst ward den
Bundesgenossen nur mittelbar gelohnt durch den Zutritt der neu
befreiten Staedte zu den verschiedenen Eidgenossenschaften. Am besten
wurden die Achaeer bedacht, die doch am spaetesten der Koalition gegen
Philippos beigetreten waren; wie es scheint, aus dem ehrenwerten
Grunde, dass dieser Bundesstaat unter allen griechischen der
geordnetste und ehrbarste war. Die saemtlichen Besitzungen Philipps auf
dem Peloponnes und dem Isthmos, also namentlich Korinth, wurden ihrem
Bunde einverleibt. Mit den Aetolern dagegen machte man wenig Umstaende;
sie durften die phokischen und lokrischen Staedte in ihre Symmachie
aufnehmen, allein ihre Versuche, dieselbe auch auf Akarnanien und
Thessalien auszudehnen, wurden teils entschieden zurueckgewiesen, teils
in die Ferne geschoben, und die thessalischen Staedte vielmehr in vier
kleine selbstaendige Eidgenossenschaften geordnet. Dem Rhodischen
Staedtebund kam die Befreiung von Thasos und Lemnos, der thrakischen
und kleinasiatischen Staedte zugute.

Schwierigkeit machte die Ordnung der inneren Verhaeltnisse
Griechenlands, sowohl der Staaten zueinander, als der einzelnen Staaten
in sich. Die dringendste Angelegenheit war der zwischen den Spartanern
und Achaeern seit 550 (204) gefuehrte Krieg, dessen Vermittlung den
Roemern notwendig zufiel. Allein nach vielfachen Versuchen, Nabis zum
Nachgeben, namentlich zur Herausgabe der von Philippos ihm
ausgelieferten achaeischen Bundesstadt Argos zu bestimmen, blieb
Flamininus doch zuletzt nichts uebrig, als dem eigensinnigen kleinen
Raubherrn, der auf den offenkundigen Groll der Aetoler gegen die Roemer
und auf Antiochos’ Einruecken in Europa rechnete und die Rueckstellung
von Argos beharrlich weigerte, endlich von den saemtlichen Hellenen auf
einer grossen Tagfahrt in Korinth den Krieg erklaeren zu lassen und mit
der Flotte und dem roemisch-bundesgenoessischen Heere, darunter auch
einem von Philippos gesandten Kontingent und einer Abteilung
lakedaemonischer Emigranten unter dem legitimen Koenig von Sparta,
Agesipolis, in den Peloponnes einzuruecken (559 195). Um den Gegner
durch die ueberwaeltigende Uebermacht sogleich zu erdruecken, wurden
nicht weniger als 50000 Mann auf die Beine gebracht und mit
Vernachlaessigung der uebrigen Staedte sogleich die Hauptstadt selbst
umstellt; allein der gewuenschte Erfolg ward dennoch nicht erreicht.
Nabis hatte eine betraechtliche Armee, bis 15000 Mann, darunter 5000
Soeldner, ins Feld gestellt und seine Herrschaft durch ein
vollstaendiges Schreckensregiment, die Hinrichtung in Masse der ihm
verdaechtigen Offiziere und Bewohner der Landschaft, aufs neue
befestigt. Sogar als er selber nach den ersten Erfolgen der roemischen
Armee und Flotte sich entschloss, nachzugeben und die von Flamininus
ihm gestellten verhaeltnismaessig sehr guenstigen Bedingungen
anzunehmen, verwarf “das Volk”, das heisst das von Nabis in Sparta
angesiedelte Raubgesindel, nicht mit Unrecht die Rechenschaft nach dem
Siege fuerchtend und getaeuscht durch obligate Luegen ueber die
Beschaffenheit der Friedensbedingungen und das Heranruecken der Aetoler
und der Asiaten, den von dem roemischen Feldherrn gebotenen Frieden,
und der Kampf begann aufs neue. Es kam zu einer Schlacht vor den Mauern
und zu einem Sturm auf dieselben; schon waren sie von den Roemern
erstiegen, als das Anzuenden der genommenen Strassen die Stuermenden
wieder zur Umkehr zwang. Endlich nahm denn doch der eigensinnige
Widerstand ein Ende. Sparta behielt seine Selbstaendigkeit und ward
weder gezwungen, die Emigranten wieder aufzunehmen, noch dem
Achaeischen Bunde beizutreten; sogar die bestehende monarchische
Verfassung und Nabis selbst blieben unangetastet. Dagegen musste Nabis
seine auswaertigen Besitzungen, Argos, Messene, die kretischen Staedte
und ueberdies noch die ganze Kueste, abtreten, sich verpflichten, weder
auswaertige Buendnisse zu schliessen noch Krieg zu fuehren und keine
anderen Schiffe zu halten als zwei offene Kaehne, endlich alles Raubgut
wieder abzuliefern, den Roemern Geiseln zu stellen und eine
Kriegskontribution zu zahlen. Den spartanischen Emigranten wurden die
Staedte an der lakonischen Kueste gegeben und diese neue Volksgemeinde,
die im Gegensatz zu den monarchisch regierten Spartanern sich die der
“freien Lakonen” nannte, angewiesen, in den Achaeischen Bund
einzutreten. Ihr Vermoegen erhielten die Emigrierten nicht zurueck,
indem die ihnen angewiesene Landschaft dafuer als Ersatz angesehen
ward; wogegen verfuegt wurde, dass ihre Weiber und Kinder nicht wider
deren Willen in Sparta zurueckgehalten werden sollten. Die Achaeer,
obwohl sie durch diese Verfuegung ausser Argos noch die freien Lakonen
erhielten, waren dennoch wenig zufrieden; sie hatten die Beseitigung
des gefuerchteten und gehassten Nabis, die Rueckfuehrung der
Emigrierten und die Ausdehnung der achaeischen Symmachie auf den ganzen
Peloponnes erwartet. Der Unbefangene wird indes nicht verkennen, dass
Flamininus diese schwierigen Angelegenheiten so billig und gerecht
regelte, wie es moeglich ist, wo zwei beiderseits unbillige und
ungerechte politische Parteien sich gegenueberstehen. Bei der alten und
tiefen Verfeindung zwischen den Spartanern und Achaeern waere die
Einverleibung Spartas in den Achaeischen Bund einer Unterwerfung
Spartas unter die Achaeer gleichgekommen, was der Billigkeit nicht
minder zuwiderlief als der Klugheit. Die Rueckfuehrung der Emigranten
und die vollstaendige Restauration eines seit zwanzig Jahren
beseitigten Regiments wuerde nur ein Schreckensregiment an die Stelle
eines anderen gesetzt haben; der Ausweg, den Flamininus ergriff, war
eben darum der rechte, weil er beide extreme Parteien nicht
befriedigte. Endlich schien dafuer gruendlich gesorgt, dass es mit dem
spartanischen See- und Landraub ein Ende hatte und das Regiment
daselbst, wie es nun eben war, nur der eigenen Gemeinde unbequem fallen
konnte. Es ist moeglich, dass Flamininus, der den Nabis kannte und
wissen musste, wie wuenschenswert dessen persoenliche Beseitigung war,
davon abstand, um nur einmal zu Ende zu kommen und nicht durch
unabsehbar sich fortspinnende Verwicklungen den reinen Eindruck seiner
Erfolge zu trueben; moeglich auch, dass er ueberdies an Sparta ein
Gegengewicht gegen die Macht der Achaeischen Eidgenossenschaft im
Peloponnes zu konservieren suchte. Indes der erste Vorwurf trifft einen
Nebenpunkt und in letzterer Hinsicht ist es wenig wahrscheinlich, dass
die Roemer sich herabliessen, die Achaeer zu fuerchten.

Aeusserlich wenigstens war somit zwischen den kleinen griechischen
Staaten Friede gestiftet. Aber auch die inneren Verhaeltnisse der
einzelnen Gemeinden gaben dem roemischen Schiedsrichter zu tun. Die
Boeoter trugen ihre makedonische Gesinnung selbst noch nach der
Verdraengung der Makedonier aus Griechenland offen zur Schau; nachdem
Flamininus auf ihre Bitten ihren in Philippos’ Diensten gestandenen
Landsleuten die Rueckkehr verstattet hatte, ward der entschiedenste der
makedonischen Parteigaenger, Brachyllas, zum Vorstand der Boeotischen
Genossenschaft erwaehlt und auch sonst Flamininus auf alle Weise
gereizt. Er ertrug es mit beispielloser Geduld: indes die roemisch
gesinnten Boeoter, die wussten, was nach dem Abzug der Roemer ihrer
warte, beschlossen den Tod des Brachyllas, und Flamininus, dessen
Erlaubnis sie sich dazu erbitten zu muessen glaubten, sagte wenigstens
nicht nein. Brachyllas ward demnach ermordet; worauf die Boeoter sich
nicht begnuegten, die Moerder zu verfolgen, sondern auch den einzeln
durch ihr Gebiet passierenden roemischen Soldaten auflauerten und deren
an 500 erschlugen. Dies war denn doch zu arg; Flamininus legte ihnen
eine Busse von einem Talent fuer jeden Soldaten auf, und da sie diese
nicht zahlten, nahm er die naechstliegenden Truppen zusammen und
belagerte Koroneia (558 196). Nun verlegte man sich auf Bitten; in der
Tat liess Flamininus auf die Verwendung der Achaeer und Athener gegen
eine sehr maessige Busse von den Schuldigen ab, und obwohl die
makedonische Partei fortwaehrend in der kleinen Landschaft am Ruder
blieb, setzten die Roemer ihrer knabenhaften Opposition nichts entgegen
als die Langmut der Uebermacht. Auch im uebrigen Griechenland begnuegte
sich Flamininus, soweit es ohne Gewalttaetigkeit anging, auf die
inneren Verhaeltnisse namentlich der neubefreiten Gemeinden
einzuwirken, den Rat und die Gerichte in die Haende der Reicheren und
die antimakedonisch gesinnte Partei ans Ruder zu bringen und die
staedtischen Gemeinwesen dadurch, dass er das, was in jeder Gemeinde
nach Kriegsrecht an die Roemer gefallen war, zu dem Gemeindegut der
betreffenden Stadt schlug, moeglichst an das roemische Interesse zu
knuepfen. Im Fruehjahr 560 (194) war die Arbeit beendigt: Flamininus
versammelte noch einmal in Korinth die Abgeordneten der saemtlichen
griechischen Gemeinden, ermahnte sie zu verstaendigem und maessigem
Gebrauch der ihnen verliehenen Freiheit und erbat sich als einzige
Gegengabe fuer die Roemer, dass man die italischen Gefangenen, die
waehrend des Hannibalischen Krieges nach Griechenland verkauft worden
waren, binnen dreissig Tagen ihm zusende. Darauf raeumte er die letzten
Festungen, in denen noch roemische Besatzung stand, Demetrias, Chalkis
nebst den davon abhaengigen kleineren Forts auf Euboea, und
Akrokorinth, also die Rede der Aetoler, dass Rom die Fesseln
Griechenlands von Philippos geerbt, tatsaechlich Luege strafend, und
zog mit den saemtlichen roemischen Truppen und den befreiten Gefangenen
in die Heimat.

Nur von der veraechtlichen Unredlichkeit oder der schwaechlichen
Sentimentalitaet kann es verkannt werden, dass es mit der Befreiung
Griechenlands den Roemern vollkommen ernst war, und die Ursache,
weshalb der grossartig angelegte Plan ein so kuemmerliches Gebaeude
lieferte, einzig zu suchen ist in der vollstaendigen sittlichen und
staatlichen Aufloesung der hellenischen Nation. Es war nichts Geringes,
dass eine maechtige Nation das Land, welches sie sich gewoehnt hatte,
als ihre Urheimat und als das Heiligtum ihrer geistigen und hoeheren
Interessen zu betrachten, mit ihrem maechtigen Arm ploetzlich zur
vollen Freiheit fuehrte und jeder Gemeinde desselben die Befreiung von
fremder Schatzung und fremder Besatzung und die unbeschraenkte
Selbstregierung verlieh; bloss die Jaemmerlichkeit sieht hierin nichts
als politische Berechnung. Der politische Kalkuel machte den Roemern
die Befreiung Griechenlands moeglich, zur Wirklichkeit wurde sie durch
die eben damals in Rom und vor allem in Flamininus selbst
unbeschreiblich maechtigen hellenischen Sympathien. Wenn ein Vorwurf
die Roemer trifft, so ist es der, dass sie alle und vor allem den
Flamininus, der die wohlbegruendeten Bedenken des Senats ueberwand, der
Zauber des hellenischen Namens hinderte, die Erbaermlichkeit des
damaligen griechischen Staatenwesens in ihrem ganzen Umfang zu
erkennen, und dass sie all den Gemeinden, die mit ihren in sich und
gegeneinander gaerenden ohnmaechtigen Antipathien weder zu handeln noch
sich ruhig zu halten verstanden, ihr Treiben auch ferner gestatteten.
Wie die Dinge einmal standen, war es vielmehr noetig, dieser ebenso
kuemmerlichen als schaedlichen Freiheit durch eine an Ort und Stelle
dauernd anwesende Uebermacht ein- fuer allemal ein Ende zu machen; die
schwaechliche Gefuehlspolitik war bei all ihrer scheinbaren Humanitaet
weit grausamer, als die strengste Okkupation gewesen sein wuerde. In
Boeotien zum Beispiel musste Rom einen politischen Mord, wenn nicht
veranlassen, doch zulassen, weil man sich einmal entschlossen hatte,
die roemischen Truppen aus Griechenland wegzuziehen und somit den
roemisch gesinnten Griechen nicht wehren konnte, dass sie landueblicher
Weise sich selber halfen. Aber auch Rom selbst litt unter den Folgen
dieser Halbheit. Der Krieg mit Antiochos waere nicht entstanden ohne
den politischen Fehler der Befreiung Griechenlands, und er waere
ungefaehrlich geblieben ohne den militaerischen Fehler, aus den
Hauptfestungen an der europaeischen Grenze die Besatzungen wegzuziehen.
Die Geschichte hat eine Nemesis fuer jede Suende, fuer den impotenten
Freiheitsdrang wie fuer den unverstaendigen Edelmut.




KAPITEL IX.
Der Krieg gegen Antiochos von Asien


In dem Reiche Asien trug das Diadem der Seleukiden seit dem Jahre 531
(223) der Koenig Antiochos der Dritte, der Urenkel des Begruenders der
Dynastie. Auch er war gleich Philippos mit neunzehn Jahren zur
Regierung gekommen und hatte Taetigkeit und Unternehmungsgeist genug
namentlich in seinen ersten Feldzuegen im Osten entwickelt, um ohne
allzu arge Laecherlichkeit im Hofstil der Grosse zu heissen. Mehr indes
durch die Schlaffheit seiner Gegner, namentlich des aegyptischen
Philopator, als durch seine eigene Tuechtigkeit war es ihm gelungen,
die Integritaet der Monarchie einigermassen wiederherzustellen und
zuerst die oestlichen Satrapien Medien und Parthyene, dann auch den von
Achaeos diesseits des Tauros in Kleinasien begruendeten Sonderstaat
wieder mit der Krone zu vereinigen. Ein erster Versuch, das schmerzlich
entbehrte syrische Kuestenland den Aegyptern zu entreissen, war im
Jahre der Trasimenischen Schlacht von Philopator bei Raphia blutig
zurueckgewiesen worden, und Antiochos hatte sich wohl gehuetet, mit
Aegypten den Streit wieder aufzunehmen, solange dort ein Mann, wenn
auch ein schlaffer, auf dem Thron sass. Aber nach Philopators Tode (549
205) schien der rechte Augenblick gekommen, mit Aegypten ein Ende zu
machen; Antiochos verband sich zu diesem Zweck mit Philippos und hatte
sich auf Koilesyrien geworfen, waehrend dieser die kleinasiatischen
Staedte angriff. Als die Roemer hier intervenierten, schien es einen
Augenblick, als werde Antiochos gegen sie mit Philippos
gemeinschaftliche Sache machen, wie die Lage der Dinge und der
Buendnisvertrag es mit sich brachten. Allein nicht weitsichtig genug,
um ueberhaupt die Einmischung der Roemer in die Angelegenheiten des
Ostens sofort mit aller Energie zurueckzuweisen, glaubte Antiochos
seinen Vorteil am besten zu wahren, wenn er Philippos’ leicht
vorauszusehende Ueberwaeltigung durch die Roemer dazu nutzte, um das
Aegyptische Reich, das er mit Philippos hatte teilen wollen, nun fuer
sich allein zu gewinnen. Trotz der engen Beziehungen Roms zu dem
alexandrinischen Hof und dem koeniglichen Muendel hatte doch der Senat
keineswegs die Absicht, wirklich, wie er sich nannte, dessen
“Beschuetzer” zu sein; fest entschlossen, sich um die asiatischen
Angelegenheiten nicht anders als im aeussersten Notfall zu bekuemmern
und den Kreis der roemischen Macht mit den Saeulen des Herakles und dem
Hellespont zu begrenzen, liess er den Grosskoenig machen. Mit der
Eroberung des eigentlichen Aegypten, die leichter gesagt als getan war,
mochte es freilich diesem selbst nicht recht ernst sein; dagegen ging
er daran, die auswaertigen Besitzungen Aegyptens eine nach der andern
zu unterwerfen und griff zunaechst die kilikischen sowie die syrischen
und palaestinensischen an. Der grosse Sieg, den er im Jahre 556 (198)
am Berge Panion bei den Jordanquellen ueber den aegyptischen Feldherrn
Skopas erfocht, gab ihm nicht bloss den vollstaendigen Besitz dieses
Gebiets bis an die Grenze des eigentlichen Aegypten, sondern schreckte
die aegyptischen Vormuender des jungen Koenigs so sehr, dass dieselben,
um Antiochos vom Einruecken in Aegypten abzuhalten, sich zum Frieden
bequemten und durch das Verloebnis ihres Muendels mit der Tochter des
Antiochos, Kleopatra, den Frieden besiegelten. Nachdem also das
naechste Ziel erreicht war, ging Antiochos in dem folgenden Jahr, dem
der Schlacht von Kynoskephalae, mit einer starken Flotte von 100 Deck-
und 100 offenen Schiffen nach Kleinasien, um die ehemals aegyptischen
Besitzungen an der Sued- und Westkueste Kleinasiens in Besitz zu nehmen
- wahrscheinlich hatte die aegyptische Regierung diese Distrikte, die
faktisch in Philippos’ Haenden waren, im Frieden an Antiochos
abgetreten und ueberhaupt auf die saemtlichen auswaertigen Besitzungen
zu dessen Gunsten verzichtet - und um ueberhaupt die kleinasiatischen
Griechen wieder zum Reiche zu bringen. Zugleich sammelte sich ein
starkes syrisches Landheer in Sardes.

Dieses Beginnen war mittelbar gegen die Roemer gerichtet, welche von
Anfang an Philippos die Bedingung gestellt hatten, seine Besatzungen
aus Kleinasien wegzuziehen und den Rhodiern und Pergamenern ihr Gebiet,
den Freistaedten die bisherige Verfassung ungekraenkt zu lassen, und
nun an Philippos’ Stelle sich Antiochos derselben bemaechtigen sehen
mussten. Unmittelbar aber sahen sich Attalos und die Rhodier jetzt von
Antiochos durchaus mit derselben Gefahr bedroht, die sie wenige Jahre
zuvor zum Kriege gegen Philippos getrieben hatte; und natuerlich
suchten sie die Roemer in diesen Krieg ebenso wie in den eben
beendigten zu verwickeln. Schon 555/56 (199/98) hatte Attalos von den
Roemern militaerische Hilfe begehrt gegen Antiochos, der sein Gebiet
besetzt habe, waehrend Attalos’ Truppen in dem roemischen Kriege
beschaeftigt seien. Die energischeren Rhodier erklaerten sogar dem
Koenig Antiochos, als im Fruehjahr 557 (197) dessen Flotte an der
kleinasiatischen Kueste hinauf segelte, dass sie die Ueberschreitung
der Chelidonischen Inseln (an der lykischen Kueste) als
Kriegserklaerung betrachten wuerden, und als Antiochos sich hieran
nicht kehrte, hatten sie, ermutigt durch die eben eintreffende Kunde
von der Schlacht bei Kynoskephalae, sofort den Krieg begonnen und die
wichtigsten karischen Staedte Kaunos, Halikarnassos, Myndos, ferner die
Insel Samos in der Tat vor dem Koenig geschuetzt. Auch von den
halbfreien Staedten hatten zwar die meisten sich demselben gefuegt,
allein einige derselben, namentlich die wichtigen Staedte Smyrna,
Alexandreia, Trogs und Lampsakos hatten auf die Kunde von der
Ueberwaeltigung Philipps gleichfalls Mut bekommen, sich dem Syrer zu
widersetzen, und ihre dringenden Bitten vereinigten sich mit denen der
Rhodier. Es ist nicht zu bezweifeln, dass Antiochos, soweit er
ueberhaupt faehig war, einen Entschluss zu fassen und festzuhalten,
schon jetzt es bei sich festgestellt hatte, nicht bloss die
aegyptischen Besitzungen in Asien an sich zu bringen, sondern auch in
Europa fuer sich zu erobern und einen Krieg deswegen mit Rom wo nicht
zu suchen, doch es darauf ankommen zu lassen. Die Roemer hatten
insofern alle Ursache, jenem Ansuchen ihrer Bundesgenossen zu
willfahren und in Asien unmittelbar zu intervenieren; aber sie
bezeigten sich dazu wenig geneigt. Nicht bloss zauderte man, solange
der Makedonische Krieg waehrte, und gab dem Attalos nichts als den
Schutz diplomatischer Verwendung, die uebrigens zunaechst sich wirksam
erwies; sondern auch nach dem Siege sprach man wohl es aus, dass die
Staedte, die Ptolemaeos und Philippos in Haenden gehabt, nicht von
Antiochos sollten in Besitz genommen werden, und die Freiheit der
asiatischen Staedte Myrina, Abydos, Lampsakos ^1, Kios figurierte in
den roemischen Aktenstuecken, allein man tat nicht das Geringste, um
sie durchzusetzen und liess es geschehen, dass Koenig Antiochos die
gute Gelegenheit des Abzugs der makedonischen Besatzungen aus denselben
benutzte, um die seinigen hineinzulegen. Ja man ging so weit, sich
selbst dessen Landung in Europa im Fruehjahr 557 (197) und sein
Einruecken in den Thrakischen Chersonesos gefallen zu lassen, wo er
Sestos und Madytos in Besitz nahm und laengere Zeit verwandte auf die
Zuechtigung der thrakischen Barbaren und die Wiederherstellung des
zerstoerten Lysimacheia, das er zu seinem Hauptwaffenplatz und zur
Hauptstadt der neugegruendeten Satrapie Thrakien ausersehen hatte.
Flamininus, in dessen Haenden die Leitung dieser Angelegenheiten sich
befand, schickte wohl nach Lysimacheia an den Koenig Gesandte, die von
der Integritaet des aegyptischen Gebiets und von der Freiheit der
saemtlichen Hellenen redeten; allein es kam dabei nichts heraus. Der
Koenig redete wiederum von seinen unzweifelhaften Rechtstiteln auf das
alte, von seinem Ahnherrn Seleukos eroberte Reich des Lysimachos,
setzte auseinander, dass er nicht beschaeftigt sei, Land zu erobern,
sondern einzig die Integritaet seines angestammten Gebiets zu wahren,
und lehnte die roemische Vermittlung in seinen Streitigkeiten mit den
ihm untertaenigen Staedten in Kleinasien ab. Mit Recht konnte er
hinzufuegen, dass mit Aegypten bereits Friede geschlossen sei und es
den Roemern insofern an einem formellen Grund fehle zu intervenieren
^2. Die ploetzliche Heimkehr des Koenigs nach Asien, veranlasst durch
die falsche Nachricht von dem Tode des jungen Koenigs von Aegypten und
die dadurch hervorgerufenen Projekte einer Landung auf Kypros oder gar
in Alexandreia, beendigte die Konferenzen, ohne dass man auch nur zu
einem Abschluss, geschweige denn zu einem Resultat gekommen waere. Das
folgende Jahr 559 (195) kam Antiochos wieder nach Lysimacheia mit
verstaerkter Flotte und Armee und beschaeftigte sich mit der
Einrichtung der neuen Satrapie, die er seinem Sohne Seleukos bestimmte;
in Ephesos kam Hannibal zu ihm, der von Karthago hatte landfluechtig
werden muessen, und der ungemein ehrenvolle Empfang, der ihm zuteil
ward, war so gut wie eine Kriegserklaerung gegen Rom.
Nichtsdestoweniger zog noch im Fruehjahr 560 (194) Flamininus
saemtliche roemische Besatzungen aus Griechenland heraus. Es war dies
unter den obwaltenden Verhaeltnissen wenigstens eine arge Verkehrtheit,
wenn nicht ein straefliches Handeln wider das eigene bessere Wissen;
denn der Gedanke laesst sich nicht abweisen, dass Flamininus, um nur
den Ruhm des gaenzlich beendigten Krieges und des befreiten Hellas
ungeschmaelert heimzubringen, sich begnuegte, das glimmende Feuer des
Aufstandes und des Krieges vorlaeufig oberflaechlich zu verschuetten.
Der roemische Staatsmann mochte vielleicht recht haben, wenn er jeden
Versuch, Griechenland unmittelbar in roemische Botmaessigkeit zu
bringen und jede Intervention der Roemer in die asiatischen
Angelegenheiten fuer einen politischen Fehler erklaerte; aber die
gaerende Opposition in Griechenland, der schwaechliche Uebermut des
Asiaten, das Verweilen des erbitterten Roemerfeindes, der schon den
Westen gegen Rom in Waffen gebracht hatte, im syrischen Hauptquartier,
alles dies waren deutliche Anzeichen des Herannahens einer neuen
Schilderhebung des hellenischen Ostens, deren Ziel mindestens sein
musste, Griechenland aus der roemischen Klientel in die der
antiroemisch gesinnten Staaten zu bringen und, wenn dies erreicht
worden waere, sofort sich weiter gesteckt haben wuerde. Es ist
einleuchtend, dass Rom dies nicht geschehen lassen konnte. Indem
Flamininus, all jene sicheren Kriegsanzeichen ignorierend, aus
Griechenland die Besatzungen wegzog und gleichzeitig dennoch an den
Koenig von Asien Forderungen stellte, fuer die marschieren zu lassen er
nicht gesonnen war, tat er in Worten zu viel, was in Taten zu wenig und
vergass seiner Feldherrn- und Buergerpflicht ueber der eigenen
Eitelkeit, die Rom den Frieden und den Griechen in beiden Weltteilen
die Freiheit geschenkt zu haben wuenschte und waehnte.

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^1 Nach einem kuerzlich aufgefundenen Dekret der Stadt Lampsakos (AM 6,
1891, S. 95) schickten die Lampsakener nach der Niederlage Philipps
Gesandte an den roemischen Senat mit der Bitte, dass die Stadt in den
zwischen Rom und dem Koenig (Philippos) abgeschlossenen Vertrag mit
einbezogen werden moege (όπως συμπεριληφθώμεν [εν ταίς συνθήκαις] ταίς
γενομέναις Ρωμαίοις πρός τόν [βασιλέα]), welche der Senat, wenigstens
nach der Auffassung der Bittsteller, denselben gewaehrte und sie im
uebrigen an Flamininus und die zehn Gesandten wies. Von diesem erbitten
dann dieselben in Korinth Garantie ihrer Verfassung und Briefe an die
Koenige. Flamininus gibt ihnen auch dergleichen Schreiben; ueber den
Inhalt erfahren wir nichts Genaueres, als dass in dem Dekret die
Gesandtschaft als erfolgreich bezeichnet wird. Aber wenn der Senat und
Flamininus die Autonomie und Demokratie der Lampsakener formell und
positiv garantiert haetten, wuerde das Dekret schwerlich so
ausfuehrlich bei den hoeflichen Antworten verweilen, welche die
unterwegs um Verwendung bei dem Senat angesprochenen roemischen
Befehlshaber den Gesandten erteilten.

Bemerkenswert ist in dieser Urkunde noch die gewiss auf die troische
Legende zurueckgehende “Bruederschaft” der Lampsakener und der Roemer
und die von jenen mit Erfolg angerufene Vermittlung der Bundesgenossen
und Freunde Roms, der Massalioten, welche mit den Lampsakenern durch
die gemeinsame Mutterstadt Phokaea verbunden waren.

^2 Das bestimmte Zeugnis des Hieronymos, welcher das Verloebnis der
syrischen Kleopatra mit Ptolemaeos Epiphanes in das Jahr 556 (198)
setzt, in Verbindung mit den Andeutungen bei Livius (33, 40) und Appian
(Syr. 3) und mit dem wirklichen Vollzug der Vermaehlung im Jahre 561
(193) setzen es ausser Zweifel dass die Einmischung der Roemer in die
aegyptischen Angelegenheiten in diesem Fall eine formell unberufene
war.

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Antiochos nuetzte die unerwartete Frist, um im Innern und mit seinen
Nachbarn die Verhaeltnisse zu befestigen, bevor er den Krieg beginnen
wuerde, zu dem er seinerseits entschlossen war und immer mehr es ward,
je mehr der Feind zu zoegern schien. Er vermaehlte jetzt (561 193) dem
jungen Koenig von Aegypten dessen Verlobte, seine Tochter Kleopatra;
dass er zugleich seinem Schwiegersohn die Rueckgabe der ihm entrissenen
Provinzen versprochen habe, ward zwar spaeter aegyptischerseits
behauptet, allein wahrscheinlich mit Unrecht, und jedenfalls blieb
faktisch das Land bei dem Syrischen Reiche ^3. Er bot dem Eumenes, der
im Jahre 557 (197) seinem Vater Attalos auf dem Thron von Pergamon
gefolgt war, die Zurueckgabe der ihm abgenommenen Staedte und
gleichfalls eine seiner Toechter zur Gemahlin, wenn er von dem
roemischen Buendnis lassen wolle. Ebenso vermaehlte er eine Tochter dem
Koenig Ariarathes von Kappadokien und gewann die Galater durch
Geschenke, waehrend er die stets aufruehrerischen Pisidier und andere
kleine Voelkerschaften mit den Waffen bezwang. Den Byzantiern wurden
ausgedehnte Privilegien bewilligt; in Hinsicht der kleinasiatischen
Staedte erklaerte der Koenig, dass er die Unabhaengigkeit der alten
Freistaedte wie Rhodos und Kyzikos, zugestehen und hinsichtlich der
uebrigen sich begnuegen wolle mit einer bloss formellen Anerkennung
seiner landesherrlichen Gewalt; er gab sogar zu verstehen, dass er
bereit sei, sich dem Schiedsspruch der Rhodier zu unterwerfen. Im
europaeischen Griechenland war er der Aetoler gewiss und hoffte auch
Philippos wieder unter die Waffen zu bringen. Ja es erhielt ein Plan
Hannibals die koenigliche Genehmigung, wonach dieser von Antiochos eine
Flotte von 100 Segeln und ein Landheer von 10000 Mann zu Fuss und 1000
Reitern erhalten und damit zuerst in Karthago den Dritten Punischen und
sodann in Italien den Zweiten Hannibalischen Krieg erwecken sollte;
tyrische Emissaere gingen nach Karthago, um die Schilderhebung daselbst
einzuleiten. Man hoffte endlich auf Erfolge der spanischen
Insurrektion, die eben als Hannibal Karthago verliess auf ihrem
Hoehepunkt stand.

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^3 Wir haben dafuer das Zeugnis des Polybios (28, 1), das die weitere
Geschichte Judaeas vollkommen bestaetigt; Eusebios (chron. p. 117 Mai)
irrt, wenn er Philometor zum Herrn von Syrien macht. Allerdings finden
wir, dass um 567 (187) syrische Steuerpaechter ihre Abgaben nach
Alexandreia zahlen (Ios. ant. Iud. 12, 4, 7); allein ohne Zweifel
geschah dies unbeschadet der Souveraenitaetsrechte nur deswegen, weil
die Mitgift der Kleopatra auf diese Stadtgefaelle angewiesen war; und
eben daher entsprang spaeter vermutlich der Streit.

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Waehrend also von langer Hand und im weitesten Umfang der Sturm gegen
Rom vorbereitet ward, waren es wie immer die in diese Unternehmung
verwickelten Hellenen, die am wenigsten bedeuteten und am wichtigsten
und ungeduldigsten taten. Die erbitterten und uebermuetigen Aetoler
fingen nachgerade selber an zu glauben, dass Philippos von ihnen und
nicht von den Roemern ueberwunden worden sei, und konnten es gar nicht
erwarten, dass Antiochos in Griechenland einruecke. Ihre Politik ist
charakterisiert durch die Antwort, die ihr Strateg bald darauf dem
Flamininus gab, da derselbe eine Abschrift der Kriegserklaerung gegen
Rom begehrte: die werde er selber ihm ueberbringen, wenn das aetolische
Heer am Tiber lagern werde. Die Aetoler machten die Geschaeftstraeger
des syrischen Koenigs fuer Griechenland und taeuschten beide Teile,
indem sie dem Koenig vorspiegelten, dass alle Hellenen die Arme nach
ihm als ihrem rechten Erloeser, ausstreckten, und denen, die in
Griechenland auf sie hoeren wollten, dass die Landung des Koenigs
naeher sei, als sie wirklich war. So gelang es ihnen in der Tat, den
einfaeltigen Eigensinn des Nabis zum Losschlagen zu bestimmen und damit
in Griechenland das Kriegsfeuer zwei Jahre nach Flamininus’ Entfernung,
im Fruehling 562 (192) wieder anzufachen; allein sie verfehlten damit
ihren Zweck. Nabis warf sich auf Gythion, eine der durch den letzten
Vertrag an die Achaeer gekommenen Staedte der freien Lakonen und nahm
sie ein, allein der kriegserfahrene Strateg, der Achaeer Philopoemen,
schlug ihn an den Barbosthenischen Bergen und kaum den vierten Teil
seines Heeres brachte der Tyrann wieder in seine Hauptstadt zurueck, in
der Philopoemen ihn einschloss. Da ein solcher Anfang freilich nicht
genuegte, um Antiochos nach Europa zufuehren, beschlossen die Aetoler,
sich selber in den Besitz von Sparta, Chalkis und Demetrias zu setzen
und durch den Gewinn dieser wichtigen Staedte den Koenig zur
Einschiffung zu bestimmen. Zunaechst gedachte man sich Spartas dadurch
zu bemaechtigen, dass der Aetoler Alexamenos, unter dem Vorgeben,
bundesmaessigen Zuzug zu bringen, mit 1000 Mann in die Stadt
einrueckend, bei dieser Gelegenheit den Nabis aus dem Wege raeume und
die Stadt besetze. Es geschah so und Nabis ward bei einer Heerschau
erschlagen; allein als die Aetoler darauf, um die Stadt zu pluendern,
sich zerstreuten, fanden die Lakedaemonier Zeit sich zu sammeln und
machten sie bis auf den letzten Mann nieder. Die Stadt liess darauf von
Philopoemen sich bestimmen, in den Achaeischen Bund einzutreten.
Nachdem den Aetolern dies loebliche Projekt also verdientermassen nicht
bloss gescheitert war, sondern gerade den entgegengesetzten Erfolg
gehabt hatte, fast den ganzen Peloponnes in den Haenden der Gegenpartei
zu einigen, ging es ihnen auch in Chalkis wenig besser, indem die
roemische Partei daselbst gegen die Aetoler und die chalkidischen
Verbannten die roemisch gesinnten Buergerschaften von Eretria und
Karystos auf Euboea rechtzeitig herbeirief. Dagegen glueckte die
Besetzung von Demetrias, da die Magneten, denen die Stadt zugefallen
war, nicht ohne Grund fuerchteten, dass sie von den Roemern dem
Philippos als Preis fuer die Hilfe gegen Antiochos versprochen sei; es
kam hinzu, dass mehrere Schwadronen aetolischer Reiter unter dem
Vorwende, dem Eurylochos, dem zurueckgerufenen Haupt der Opposition
gegen Rom, das Geleite zu geben, sich in die Stadt einzuschleichen
wussten. So traten die Magneten halb freiwillig, halb gezwungen auf die
Seite der Aetoler, und man saeumte nicht, dies bei dem Seleukiden
geltend zu machen.

Antiochos entschloss sich. Der Bruch mit Rom, so sehr man auch bemueht
war, ihn durch das diplomatische Palliativ der Gesandtschaften
hinauszuschieben, liess sich nicht laenger vermeiden. Schon im
Fruehling 561 (193) hatte Flamininus, der fortfuhr, im Senat in den
oestlichen Angelegenheiten das entscheidende Wort zu haben, gegen die
Boten des Koenigs Menippos und Hegesianax das roemische Ultimatum
ausgesprochen: entweder aus Europa zu weichen und in Asien nach seinem
Gutduenken zu schalten, oder Thrakien zu behalten und das Schutzrecht
der Roemer ueber Smyrna, Lampsakos und Alexandreia Troas sich gefallen
zu lassen. Dieselben Forderungen waren in Ephesos, dem Hauptwaffenplatz
und Standquartier des Koenigs in Kleinasien, im Fruehling 562 (192)
noch einmal zwischen Antiochos und den Gesandten des Senats Publius
Sulpicius und Publius Villius, verhandelt worden, und von beiden Seiten
hatte man sich getrennt mit der Ueberzeugung, dass eine friedliche
Einigung nicht mehr moeglich sei. In Rom war seitdem der Krieg
beschlossen. Schon im Sommer 562 (192) erschien eine roemische Flotte
von 30 Segeln mit 3000 Soldaten an Bord unter Aulus Atilius Serranus
vor Gythion, wo ihr Eintreffen den Abschluss des Vertrags zwischen den
Achaeern und Spartanern beschleunigte; die sizilische und italische
Ostkueste wurde stark besetzt, um gegen etwaige Landungsversuche
gesichert zu sein; fuer den Herbst ward in Griechenland ein Landheer
erwartet. Flamininus bereiste im Auftrag des Senats seit dem Fruehjahr
562 (192) Griechenland, um die Intrigen der Gegenpartei zu
hintertreiben und soweit moeglich die unzeitige Raeumung Griechenlands
wiedergutzumachen. Bei den Aetolern war es schon so weit gekommen, dass
die Tagsatzung foermlich den Krieg gegen Rom beschloss. Dagegen gelang
es dem Flamininus, Chalkis fuer die Roemer zu retten, indem er eine
Besatzung von 500 Achaeern und 500 Pergamenern hineinwarf. Er machte
ferner einen Versuch, Demetrias wieder zu gewinnen; und die Magneten
schwankten. Wenn auch einige kleinasiatische Staedte, die Antiochos vor
dem Beginn des grossen Krieges zu bezwingen sich vorgenommen, noch
widerstanden, er durfte jetzt nicht laenger mit der Landung zoegern,
wofern er nicht die Roemer all die Vorteile wiedergewinnen lassen
wollte, die sie durch die Wegziehung ihrer Besatzungen aus Griechenland
zwei Jahre zuvor aufgegeben hatten. Antiochos nahm die Schiffe und
Truppen zusammen, die er eben unter der Hand hatte - es waren nur 40
Deckschiffe und 10000 Mann zu Fuss nebst 500 Pferden und sechs
Elefanten - und brach vom thrakischen Chersonesos nach Griechenland
auf, wo er im Herbst 562 (192) bei Pteleon am Pagasaeischen Meerbusen
an das Land stieg und sofort das nahe Demetrias besetzte. Ungefaehr um
dieselbe Zeit landete auch ein roemisches Heer von etwa 25000 Mann
unter dem Praetor Marcus Baebius bei Apollonia. Also war von beiden
Seiten der Krieg begonnen.

Es kam darauf an, wie weit jene umfassend angelegte Koalition gegen
Rom, als deren Haupt Antiochos auftrat, sich realisieren werde. Was
zunaechst den Plan betraf, in Karthago und Italien den Roemern Feinde
zu erwecken, so traf Hannibal wie ueberall so auch am Hof zu Ephesos
das Los, seine grossartigen und hochherzigen Plaene fuer
kleinkraemerischer und niedriger Leute Rechnung entworfen zu haben. Zu
ihrer Ausfuehrung geschah nichts, als dass man einige karthagische
Patrioten kompromittierte; den Karthagern blieb keine andere Wahl, als
sich den Roemern unbedingt botmaessig zu erweisen. Die Kamarilla wollte
eben den Hannibal nicht - der Mann war der Hofkabale zu unbequem gross,
und nachdem sie allerlei abgeschmackte Mittel versucht hatte, zum
Beispiel den Feldherrn, mit dessen Namen die Roemer ihre Kinder
schreckten, des Einverstaendnisses mit den roemischen Gesandten zu
bezichtigen, gelang es ihr, den grossen Antiochos, der wie alle
unbedeutenden Monarchen auf seine Selbstaendigkeit sich viel zugute tat
und mit nichts so leicht zu beherrschen war wie mit der Furcht,
beherrscht zu werden, auf den weisen Gedanken zu bringen, dass er sich
nicht durch den vielgenannten Mann duerfe verdunkeln lassen; worauf
denn im hohen Rat beschlossen ward, den Phoeniker kuenftig nur fuer
untergeordnete Aufgaben und zum Ratgeben zu verwenden, vorbehaltlich
natuerlich den Rat nie zu befolgen. Hannibal raechte sich an dem
Gesindel, indem er jeden Auftrag annahm und jeden glaenzend ausfuehrte.

In Asien hielt Kappadokien zu dem Grosskoenig; dagegen trat Prusias von
Bithynien wie immer auf die Seite des Maechtigeren. Koenig Eumenes
blieb der alten Politik seines Hauses getreu, die ihm erst jetzt die
rechte Frucht tragen sollte. Er hatte Antiochos’ Anerbietungen nicht
bloss beharrlich zurueckgewiesen, sondern auch die Roemer bestaendig zu
einem Kriege gedraengt, von dem er die Vergroesserung seines Reiches
erwartete. Ebenso schlossen die Rhodier und die Byzantier sich ihren
alten Bundesgenossen an. Auch Aegypten trat auf die Seite Roms und bot
Unterstuetzung an Zufuhr und Mannschaft an, welche man indes
roemischerseits nicht annahm.

In Europa kam es vor allem an auf die Stellung, die Philippos von
Makedonien einnehmen wuerde. Vielleicht waere es die richtige Politik
fuer ihn gewesen, sich, alles Geschehenen und nicht Geschehenen
ungeachtet, mit Antiochos zu vereinigen; allein Philippos ward in der
Regel nicht durch solche Ruecksichten bestimmt, sondern durch Neigung
und Abneigung, und begreiflicherweise traf sein Hass viel mehr den
treulosen Bundesgenossen, der ihn gegen den gemeinschaftlichen Feind im
Stich gelassen hatte, um dafuer auch seinen Anteil an der Beute
einzuziehen und ihm in Thrakien ein laestiger Nachbar zu werden, als
seinen Besieger, der ihn ruecksichts- und ehrenvoll behandelt hatte. Es
kam hinzu, dass Antiochos durch Aufstellung abgeschmackter
Praetendenten auf die makedonische Krone und durch die prunkvolle
Bestattung der bei Kynoskephalae bleichenden makedonischen Gebeine den
leidenschaftlichen Mann tief verletzte. Er stellte seine ganze
Streitmacht mit aufrichtigem Eifer den Roemern zur Verfuegung. Ebenso
entschieden wie die erste Macht Griechenlands hielt die zweite, die
Achaeische Eidgenossenschaft fest am roemischen Buendnis; von den
kleineren Gemeinden blieben ausserdem dabei die Thessaler und die
Athener, bei welchen letzteren eine von Flamininus in die Burg gelegte
achaeische Besatzung die ziemlich starke Patriotenpartei zur Vernunft
brachte. Die Epeiroten gaben sich Muehe, es womoeglich beiden Teilen
recht zu machen. Sonach traten auf Antiochos’ Seite ausser den Aetolern
und den Magneten, denen ein Teil der benachbarten Perrhaeber sich
anschloss, nur der schwache Koenig der Athamanen, Amynander, der sich
durch toerichte Aussichten auf die makedonische Koenigskrone blenden
liess, die Boeoter, bei denen die Opposition gegen Rom noch immer am
Ruder war, und im Peloponnes die Eleer und Messenier, gewohnt, mit den
Aetolern gegen die Achaeer zu stehen. Das war denn freilich ein
erbaulicher Anfang; und der Oberfeldherrntitel mit unumschraenkter
Gewalt, den die Aetoler dem Grosskoenig dekretierten, schien zu dem
Schaden der Spott. Man hatte sich eben wie gewoehnlich beiderseits
belogen: statt der unzaehlbaren Scharen Asiens fuehrte der Koenig eine
Armee heran, kaum halb so stark wie ein gewoehnliches konsularisches
Heer, und statt der offenen Arme, die saemtliche Hellenen ihrem
Befreier vom roemischen Joch entgegenstrecken sollten, trugen ein paar
Klephtenhaufen und einige verliederlichte Buergerschaften dem Koenig
Waffenbruederschaft an.

Fuer den Augenblick freilich war Antiochos den Roemern im eigentlichen
Griechenland zuvorgekommen. Chalkis hatte Besatzung von den
griechischen Verbuendeten der Roemer und wies die erste Aufforderung
zurueck; allein die Festung ergab sich, als Antiochos mit seiner ganzen
Macht davorrueckte, und eine roemische Abteilung, die zu spaet kam, um
sie zu besetzen, wurde beim Delion von Antiochos vernichtet. Euboea
also war fuer die Roemer verloren. Noch machte schon im Winter
Antiochos in Verbindung mit den Aetolern und Athamanen einen Versuch,
Thessalien zu gewinnen; die Thermopylen wurden auch besetzt, Pherae und
andere Staedte genommen, aber Appius Claudius kam mit 2000 Mann von
Apollonia heran, entsetzte Larisa und nahm hier Stellung. Antiochos,
des Winterfeldzugs muede, zog es vor, in sein lustiges Quartier nach
Chalkis zurueckzugehen, wo es hoch herging und der Koenig sogar trotz
seiner fuenfzig Jahre und seiner kriegerischen Plaene mit einer
huebschen Chalkidierin Hochzeit machte. So verstrich der Winter 562/63
(192/91), ohne dass Antiochos viel mehr getan haette als in
Griechenland hin- und herschreiben - er fuehre den Krieg mit Tinte und
Feder, sagte ein roemischer Offizier. Mit dem ersten Fruehjahr 563
(191) traf der roemische Stab bei Apollonia ein, der Oberfeldherr
Manius Acilius Glabrio, ein Mann von geringer Herkunft, aber ein
tuechtiger, von den Feinden wie von seinen Soldaten gefuerchteter
Feldherr, der Admiral Gaius Livius, unter den Kriegstribunen Marcus
Porcius Cato, der Ueberwinder Spaniens, und Lucius Valerius Flaccus,
die nach altroemischer Weise es nicht verschmaehten, obwohl gewesene
Konsuln, wieder als einfache Kriegstribune in das Heer einzutreten. Mit
sich brachten sie Verstaerkungen an Schiffen und Mannschaft, darunter
numidische Reiter und libysche Elefanten, von Massinissa gesendet, und
die Erlaubnis des Senats, von den ausseritalischen Verbuendeten bis zu
5000 Mann Hilfstruppen anzunehmen, wodurch die Gesamtzahl der
roemischen Streitkraefte auf etwa 40000 Mann stieg. Der Koenig, der im
Anfang des Fruehjahrs sich zu den Aetolern begeben und von da aus eine
zwecklose Expedition nach Akarnanien gemacht hatte, kehrte auf die
Nachricht von Glabrios Landung in sein Hauptquartier zurueck, um nun in
allem Ernst den Feldzug zu beginnen. Allein durch seine und seiner
Stellvertreter in Asien Saumseligkeit waren unbegreiflicherweise ihm
alle Verstaerkungen ausgeblieben, so dass er nichts hatte als das
schwache und nun noch durch Krankheit und Desertion in den liederlichen
Winterquartieren dezimierte Heer, womit er im Herbst des vorigen Jahres
bei Pteleon gelandet war. Auch die Aetoler, die so ungeheure Massen
hatten ins Feld stellen wollen, fuehrten jetzt, da es galt, ihrem
Oberfeldherrn nicht mehr als 4000 Mann zu. Die roemischen Truppen
hatten bereits die Operationen in Thessalien begonnen, wo die Vorhut in
Verbindung mit dem makedonischen Heer die Besatzungen des Antiochos aus
den thessalischen Staedten hinausschlug und das Gebiet der Athamanen
besetzte. Der Konsul mit der Hauptarmee folgte nach; die Gesamtmacht
der Roemer sammelte sich in Larisa. Statt eilig nach Asien
zurueckzukehren und vor dem in jeder Hinsicht ueberlegenen Feind das
Feld zu raeumen, beschloss Antiochos, sich in den von ihm besetzten
Thermopylen zu verschanzen und dort die Ankunft des grossen Heeres aus
Asien abzuwarten. Er selbst stellte in dem Hauptpass sich auf und
befahl den Aetolern, den Hochpfad zu besetzen, auf welchem es einst
Xerxes gelungen war, die Spartaner zu umgehen. Allein nur der Haelfte
des aetolischen Zuzugs gefiel es, diesem Befehl des Oberfeldherrn
nachzukommen; die uebrigen 2000 Mann warfen sich in die nahe Stadt
Herakleia, wo sie an der Schlacht keinen andern Teil nahmen, als dass
sie versuchten, waehrend derselben das roemische Lager zu ueberfallen
und auszurauben. Auch die auf dem Gebirg postierten Aetoler betrieben
den Wachdienst laessig und widerwillig; ihr Posten auf dem Kallidromos
liess sich von Cato ueberrumpeln, und die asiatische Phalanx, die der
Konsul mittlerweile von vorn angegriffen hatte, stob auseinander, als
ihr die Roemer den Berg hinabeilend in die Flanke fielen. Da Antiochos
fuer nichts gesorgt und an den Rueckzug nicht gedacht hatte, so ward
das Heer teils auf dem Schlachtfeld, teils auf der Flucht vernichtet;
kaum dass ein kleiner Haufen Demetrias, und der Koenig selbst mit 500
Mann Chalkis erreichte. Eilig schiffte er sich nach Ephesos ein; Europa
war bis auf die thrakischen Besitzungen ihm verloren und nicht einmal
die Festungen laenger zu verteidigen. Chalkis ergab sich an die Roemer,
Demetrias an Philippos, dem als Entschaedigung fuer die fast schon von
ihm vollendete und dann auf Befehl des Konsuls aufgegebene Eroberung
der Stadt Lamia in Achaia Phthiotis die Erlaubnis ward, sich der
saemtlichen zu Antiochos uebergetretenen Gemeinden im eigentlichen
Thessalien und selbst des aetolischen Grenzgebiets, der dolopischen und
aperantischen Landschaften, zu bemaechtigen. Was sich in Griechenland
fuer Antiochos ausgesprochen hatte, eilte, seinen Frieden zu machen:
die Epeiroten baten demuetig um Verzeihung fuer ihr zweideutiges
Benehmen, die Boeoter ergaben sich auf Gnade und Ungnade, die Eleer und
Messenier fuegten, die letzteren nach einigem Straeuben, sich den
Achaeern. Es erfuellte sich, was Hannibal dem Koenig vorhergesagt
hatte, dass auf die Griechen, die jedem Sieger sich unterwerfen
wuerden, schlechterdings gar nichts ankomme. Selbst die Aetoler
versuchten, nachdem ihr in Herakleia eingeschlossenes Korps nach
hartnaeckiger Gegenwehr zur Kapitulation gezwungen worden war, mit den
schwer gereizten Roemern ihren Frieden zu machen; indes die strengen
Forderungen des roemischen Konsuls und eine rechtzeitig von Antiochos
einlaufende Geldsendung gaben ihnen den Mut, die Verhandlungen noch
einmal abzubrechen und waehrend zwei ganzer Monate die Belagerung in
Naupaktos auszuhalten. Schon war die Stadt aufs Aeusserste gebracht und
die Erstuermung oder die Kapitulation nicht mehr fern, als Flamininus,
fortwaehrend bemueht, jede hellenische Gemeinde vor den aergsten Folgen
ihres eigenen Unverstandes und vor der Strenge seiner rauheren Kollegen
zu bewahren, sich ins Mittel schlug und zunaechst einen leidlichen
Waffenstillstand zustande brachte. Damit ruhten in ganz Griechenland,
vorlaeufig wenigstens, die Waffen.

Ein ernsterer Krieg stand in Asien bevor, den nicht so sehr der Feind,
als die weite Entfernung und die unsichere Verbindung mit der Heimat in
sehr bedenklichem Licht erscheinen liessen, waehrend doch bei
Antiochos’ kurzsichtigem Eigensinn der Krieg nicht wohl anders als
durch einen Angriff im eigenen Lande des Feindes beendet werden konnte.
Es galt zunaechst, sich der See zu versichern. Die roemische Flotte,
die waehrend des Feldzugs in Griechenland die Aufgabe gehabt hatte, die
Verbindung zwischen Griechenland und Kleinasien zu unterbrechen, und
der es auch gelungen war, um die Zeit der Schlacht bei den Thermopylen
einen starken asiatischen Transport bei Andros aufzugreifen, war
seitdem beschaeftigt, den Uebergang der Roemer nach Asien fuer das
naechste Jahr vorzubereiten und zunaechst die feindliche Flotte aus dem
Aegaeischen Meer zu vertreiben. Dieselbe lag im Hafen von Kyssus auf
dem suedlichen Ufer der gegen Chios auslaufenden Landzunge Ioniens;
dort suchte die roemische sie auf, bestehend aus 75 roemischen, 23
pergamenischen und sechs karthagischen Deckschiffen unter der Fuehrung
des Gaius Livius. Der syrische Admiral Polyxenidas, ein rhodischer
Emigrierter, hatte nur 70 Deckschiffe entgegenzustellen; allein da die
roemische Flotte noch die rhodischen Schiffe erwartete und Polyxenidas
auf die ueberlegene Seetuechtigkeit namentlich der tyrischen und
sidonischen Schiffe vertraute, nahm er den Kampf sogleich an. Zu Anfang
zwar gelang es den Asiaten, eines der karthagischen Schiffe zu
versenken; allein sowie es zum Entern kam, siegte die roemische
Tapferkeit und nur der Schnelligkeit ihrer Ruder und Segel verdankten
es die Gegner, dass sie nicht mehr als 23 Schiffe verloren. Noch
waehrend des Nachsetzens stiessen zu der roemischen Flotte 25 rhodische
Schiffe und die Ueberlegenheit der Roemer in diesen Gewaessern war nun
zwiefach entschieden. Die feindliche Flotte verhielt sich seitdem ruhig
im Hafen von Ephesos, und da es nicht gelang, sie zu einer zweiten
Schlacht zu bestimmen, loeste die roemisch-bundesgenoessische Flotte
fuer den Winter sich auf; die roemischen Kriegsschiffe gingen nach dem
Hafen von Kane in der Naehe von Pergamon. Beiderseits war man waehrend
des Winters fuer den naechsten Feldzug Vorbereitungen zu treffen
bemueht. Die Roemer suchten die kleinasiatischen Griechen auf ihre
Seite zu bringen: Smyrna, das alle Versuche des Koenigs, der Stadt sich
zu bemaechtigen, beharrlich zurueckgewiesen hatte, nahm die Roemer mit
offenen Armen auf und auch in Samos, Chios, Erythrae, Klazomenae,
Phokaea, Kyme und sonst gewann die roemische Partei die Oberhand.
Antiochos war entschlossen, den Roemern womoeglich den Uebergang nach
Asien zu wehren, weshalb er eifrig zur See ruestete und teils durch
Polyxenidas die bei Ephesos stationierende Flotte herstellen und
vermehren, teils durch Hannibal in Lykien, Syrien und Phoenikien eine
neue Flotte ausruesten liess, ausserdem aber ein gewaltiges Landheer
aus allen Gegenden seines weitlaeufigen Reiches in Kleinasien
zusammentrieb. Frueh im naechsten Jahre (564 190) nahm die roemische
Flotte ihre Operationen wieder auf. Gaius Livius liess durch die
rhodische Flotte, die diesmal, 36 Segel stark, rechtzeitig erschienen
war, die feindliche auf der Hoehe von Ephesos beobachten und ging mit
dem groessten Teil der roemischen und den pergamenischen Schiffen nach
dem Hellespont, um seinem Auftrag gemaess durch die Wegnahme der
Festungen daselbst den Uebergang des Landheeres vorzubereiten. Schon
war Sestos besetzt und Abydos aufs Aeusserste gebracht, als ihn die
Kunde von der Niederlage der rhodischen Flotte zurueckrief. Der
rhodische Admiral Pausistratos, eingeschlaefert durch die
Vorspiegelungen seines Landsmannes, von Antiochos abfallen zu wollen,
hatte sich im Hafen von Samos ueberrumpeln lassen, er selbst war
gefallen, seine saemtlichen Schiffe bis auf fuenf rhodische und zwei
troische Segel waren vernichtet, Samos, Phokaea, Kyme auf diese
Botschaft zu Seleukos uebergetreten, der in diesen Gegenden fuer seinen
Vater den Oberbefehl zu Lande fuehrte. Indes als die roemische Flotte
teils von Kane, teils vom Hellespont herbeikam und nach einiger Zeit
zwanzig neue Schiffe der Rhodier bei Samos sich mit ihr vereinigten,
ward Polyxenidas abermals genoetigt, sich in den Hafen von Ephesos
einzuschliessen. Da er die angebotene Seeschlacht verweigerte und bei
der geringen Zahl der roemischen Mannschaften an einen Angriff von der
Landseite nicht zu denken war, blieb auch der roemischen Flotte nichts
uebrig, als gleichfalls sich bei Samos aufzustellen. Eine Abteilung
ging inzwischen nach Patara an die lykische Kueste, um teils den
Rhodiern gegen die sehr beschwerlichen, von dorther auf sie gerichteten
Angriffe Ruhe zu verschaffen, teils und vornehmlich, um die feindliche
Flotte, die Hannibal heranfuehren sollte, vom Aegaeischen Meer
abzusperren. Als dieses Geschwader gegen Patara nichts ausrichtete,
erzuernte der neue Admiral Lucius Aemilius Regillus, der mit 20
Kriegsschiffen von Rom angelangt war und bei Samos den Gaius Livius
abgeloest hatte, sich darueber so sehr, dass er mit der ganzen Flotte
dorthin aufbrach; kaum gelang es seinen Offizieren, ihm unterwegs
begreiflich zu machen, dass es zunaechst nicht auf die Eroberung von
Patara ankomme, sondern auf die Beherrschung des Aegaeischen Meeres,
und ihn zur Umkehr nach Samos zu bestimmen. Auf dem kleinasiatischen
Festland hatte mittlerweile Seleukos die Belagerung von Pergamon
begonnen, waehrend Antiochos mit dem Hauptheer das pergamenische Gebiet
und die Besitzungen der Mytilenaeer auf dem Festland verwuestete; man
hoffte, mit den verhassten Attaliden fertig zu werden, bevor die
roemische Hilfe erschien. Die roemische Flotte ging nach Elaea und dem
Hafen von Adramyttion, um den Bundesgenossen zu helfen; allein da es
dem Admiral an Truppen fehlte, richtete er nichts aus. Pergamon schien
verloren; aber die schlaff und nachlaessig geleitete Belagerung
gestattete dem Eumenes, achaeische Hilfstruppen unter Diophanes in die
Stadt zu werfen, deren kuehne und glueckliche Ausfaelle die mit der
Belagerung beauftragten gallischen Soeldner des Antiochos dieselbe
aufzuheben zwangen. Auch in den suedlichen Gewaessern wurden die
Entwuerfe des Antiochos vereitelt. Die von Hannibal geruestete und
gefuehrte Flotte versuchte, nachdem sie lange durch die stehenden
Westwinde zurueckgehalten worden war, endlich in das Aegaeische Meer zu
gelangen; allein an der Muendung des Eurymedon vor Aspendos in
Pamphylien traf sie auf ein rhodisches Geschwader unter Eudamos, und in
der Schlacht, die die beiden Flotten sich hier lieferten, trug ueber
Hannibals Taktik und ueber die numerische Ueberzahl die Vorzueglichkeit
der rhodischen Schiffe und Seeoffiziere den Sieg davon - es war dies
die erste Seeschlacht und die letzte Schlacht gegen Rom, die der grosse
Karthager schlug. Die siegreiche rhodische Flotte stellte darauf sich
bei Patara auf und hemmte hier die beabsichtigte Vereinigung der beiden
asiatischen Flotten. Im Aegaeischen Meer ward die roemisch-rhodische
Flotte bei Samos, nachdem sie durch die Entsendung der pergamenischen
Schiffe in den Hellespont zur Unterstuetzung des dort eben anlangenden
Landheers sich geschwaecht hatte, nun ihrerseits von der des
Polyxenidas angegriffen, der jetzt neun Segel mehr zaehlte als der
Gegner. Am 23. Dezember des unberichtigten Kalenders, nach dem
berichtigten etwa Ende August 564 (190), kam es zur Schlacht am
Vorgebirg Myonnesos zwischen Teos und Kolophon; die Roemer durchbrachen
die feindliche Schlachtlinie und umzingelten den linken Fluegel
gaenzlich, so dass 42 Schiffe von ihnen genommen wurden oder sanken.
Viele Jahrhunderte nachher verkuendigte den Roemern die Inschrift in
saturnischem Mass ueber dem Tempel der Seegeister, der zum Andenken
dieses Sieges auf dem Marsfeld erbaut ward, wie vor den Augen des
Koenigs Antiochos und seines ganzen Landheers die Flotte der Asiaten
geschlagen worden und die Roemer also “den grossen Zwist schlichteten
und die Koenige bezwangen”. Seitdem wagten die feindlichen Schiffe
nicht mehr, sich auf der offenen See zu zeigen und versuchten nicht
weiter, den Uebergang des roemischen Landheers zu erschweren.

Zur Fuehrung des Krieges auf dem asiatischen Kontinent war in Rom der
Sieger von Zama ausersehen worden, der in der Tat den Oberbefehl
fuehrte fuer den nominellen Hoechstkommandierenden, seinen geistig
unbedeutenden und militaerisch unfaehigen Bruder Lucius Scipio. Die
bisher in Unteritalien stehende Reserve ward nach Griechenland, das
Heer des Glabrio nach Asien bestimmt; als es bekannt ward, wer dasselbe
befehligen werde, meldeten sich freiwillig 5000 Veteranen aus dem
Hannibalischen Krieg, um noch einmal unter ihrem geliebten Fuehrer zu
fechten. Im roemischen Juli, nach der richtigen Zeit im Maerz fanden
die Scipionen sich bei dem Heere ein, um den asiatischen Feldzug zu
beginnen; allein man war unangenehm ueberrascht, als man statt dessen
sich zunaechst in einen endlosen Kampf mit den verzweifelnden Aetolern
verwickelt fand. Der Senat, der Flamininus’ grenzenlose Ruecksichten
gegen die Hellenen uebertrieben fand, hatte den Aetolern die Wahl
gelassen zwischen Zahlung einer voellig unerschwinglichen
Kriegskontribution und unbedingter Ergebung, was sie aufs neue unter
die Waffen getrieben hatte; es war nicht abzusehen, wann dieser
Gebirgs- und Festungskrieg zu Ende gehen werde. Scipio beseitigte das
unbequeme Hindernis durch Verabredung eines sechsmonatlichen
Waffenstillstandes und trat darauf den Marsch nach Asien an. Da die
eine feindliche Flotte in dem Aegaeischen Meere nur blockiert war und
die zweite, die aus dem Suedmeer herankam, trotz des mit ihrer
Fernhaltung beauftragten Geschwaders taeglich dort eintreffen konnte,
schien es ratsam, den Landweg durch Makedonien und Thrakien
einzuschlagen und ueber den Hellespont zu gehen; hier waren keine
wesentlichen Hindernisse zu erwarten, da Koenig Philippos von
Makedonien vollstaendig zuverlaessig, auch Koenig Prusias von Bithynien
mit den Roemern in Buendnis war und die roemische Flotte leicht sich in
der Meerenge festzusetzen vermochte. Der lange und muehselige Weg
laengs der makedonischen und thrakischen Kueste ward ohne wesentlichen
Verlust zurueckgelegt; Philippos sorgte teils fuer Zufuhr, teils fuer
freundliche Aufnahme bei den thrakischen Wilden. Indes hatte man teils
mit den Aetolern, teils auf dem Marsch soviel Zeit verloren, dass das
Heer erst etwa um die Zeit der Schlacht von Myonnesos an dem
Thrakischen Chersonesos anlangte. Aber Scipios wunderbares Glueck
raeumte wie einst in Spanien und Afrika so jetzt in Asien alle
Schwierigkeiten vor ihm aus dem Wege. Auf die Kunde von der Schlacht
bei Myonnesos verlor Antiochos so vollstaendig den Kopf, dass er in
Europa die starkbesetzte und verproviantierte Festung Lysimacheia von
der Besatzung und der dem Wiederhersteller ihrer Stadt treu ergebenen
Einwohnerschaft raeumen liess und dabei sogar vergass, die Besatzungen
aus Aenos und Maroneia gleichfalls herauszuziehen, ja die reichen
Magazine zu vernichten, am asiatischen Ufer aber der Landung der Roemer
nicht den geringsten Widerstand entgegensetzte, sondern waehrend
derselben sich in Sardes damit die Zeit vertrieb, auf das Schicksal zu
schelten. Es ist kaum zweifelhaft, dass, wenn er nur bis zu dem nicht
mehr fernen Ende des Sommers Lysimacheia haette verteidigen und sein
grosses Heer an den Hellespont vorruecken lassen, Scipio genoetigt
worden waere, auf dem europaeischen Ufer Winterquartier zu nehmen, in
einer militaerisch wie politisch keineswegs gesicherten Lage.

Waehrend die Roemer, am asiatischen Ufer ausgeschifft, einige Tage
stillstanden, um sich zu erholen und ihren durch religioese Pflichten
zurueckgehaltenen Fuehrer zu erwarten, trafen in ihrem Lager Gesandte
des Grosskoenigs ein, um ueber den Frieden zu unterhandeln. Antiochos
bot die Haelfte der Kriegskosten und die Abtretung seiner europaeischen
Besitzungen sowie der saemtlichen in Kleinasien zu Rom uebergetretenen
griechischen Staedte; allein Scipio forderte Kriegskosten und die
Aufgebung von ganz Kleinasien. Jene Bedingungen, erklaerte er, waeren
annehmbar gewesen, wenn das Heer noch vor Lysimacheia oder auch
diesseits des Hellespont staende; jetzt aber reichten sie nicht, wo das
Ross schon den Zaum, ja den Reiter fuehle. Die Versuche des
Grosskoenigs, von dem feindlichen Feldherrn in morgenlaendischer Art
den Frieden durch Geldsummen zu erkaufen - er bot die Haelfte seiner
Jahreseinkuenfte! -, scheiterten wie billig; fuer die unentgeltliche
Rueckgabe seines in Gefangenschaft geratenen Sohnes gab der stolze
Buerger dem Grosskoenig als Lohn den Freundesrat, auf jede Bedingung
Frieden zu schliessen. In der Tat stand es nicht so; haette der Koenig
sich zu entschliessen vermocht, den Krieg in die Laenge und in das
innere Asien zurueckweichend den Feind sich nachzuziehen, so war ein
guenstiger Ausgang noch keineswegs unmoeglich. Allein Antiochos,
gereizt durch den vermutlich berechneten Uebermut des Gegners und fuer
jede dauernde und konsequente Kriegfuehrung zu schlaff, eilte, seine
ungeheure, aber ungleiche und undisziplinierte Heermasse je eher desto
lieber dem Stoss der roemischen Legionen darzubieten. Im Tale des
Hermos bei Magnesia am Sipylos unweit Smyrna trafen im Spaetherbst 564
(190) die roemischen Truppen auf den Feind. Er zaehlte nahe an 80000
Mann, darunter 12000 Reiter; die Roemer, die von Achaeern, Pergamenern
und makedonischen Freiwilligen etwa 5000 Mann bei sich hatten, bei
weitem nicht die Haelfte; allein sie waren des Sieges so gewiss, dass
sie nicht einmal die Genesung ihres krank in Elaea zurueckgebliebenen
Feldherrn abwarteten, an dessen Stelle Gnaeus Domitius das Kommando
uebernahm. Um nur seine ungeheure Truppenzahl aufstellen zu koennen,
bildete Antiochos zwei Treffen; im ersten stand die Masse der leichten
Truppen, die Peltasten, Bogentraeger, Schleuderer, die berittenen
Schuetzen der Myser, Daher und Elymaeer, die Araber auf ihren
Dromedaren und die Sichelwagen; im zweiten hielt auf den beiden
Fluegeln die schwere Kavallerie (die Kataphrakten, eine Art
Kuerassiere), neben ihnen im Mitteltreffen das gallische und
kappadokische Fussvolk und im Zentrum die makedonisch bewaffnete
Phalanx, 16000 Mann stark, der Kern des Heeres, die aber auf dem engen
Raum nicht Platz fand und sich in Doppelgliedern 32 Mann tief
aufstellen musste. In dem Zwischenraum der beiden Treffen standen 54
Elefanten, zwischen die Haufen der Phalanx und der schweren Reiterei
verteilt. Die Roemer stellten auf den linken Fluegel, wo der Fluss
Deckung gab, nur wenige Schwadronen, die Masse der Reiterei und die
saemtlichen Leichtbewaffneten kamen auf den rechten, den Eumenes
fuehrte; die Legionen standen im Mitteltreffen. Eumenes begann die
Schlacht damit, dass er seine Schuetzen und Schleuderer gegen die
Sichelwagen schickte mit dem Befehl, auf die Bespannung zu halten; in
kurzer Zeit waren nicht bloss diese zersprengt, sondern auch die
naechststehenden Kamelreiter mit fortgerissen; schon geriet sogar im
zweiten Treffen der dahinterstehende linke Fluegel der schweren
Reiterei in Verwirrung. Nun warf sich Eumenes mit der ganzen roemischen
Reiterei, die 3000 Pferde zaehlte, auf die Soeldnerinfanterie, die im
zweiten Treffen zwischen der Phalanx und dem linken Fluegel der
schweren Reiterei stand, und da diese wich, flohen auch die schon in
Unordnung geratenen Kuerassiere. Die Phalanx, die eben die leichten
Truppen durchgelassen hatte und sich fertig machte, gegen die
roemischen Legionen vorzugehen, wurde durch den Angriff der Reiterei in
der Flanke gehemmt und genoetigt, stehenzubleiben und nach beiden
Seiten Front zu machen, wobei die tiefe Aufstellung ihr wohl zustatten
kam. Waere die schwere asiatische Reiterei zur Hand gewesen, so haette
die Schlacht wiederhergestellt werden koennen, aber der linke Fluegel
war zersprengt, und der rechte, den Antiochos selber anfuehrte, hatte,
die kleine, ihm gegenueberstehende roemische Reiterabteilung vor sich
hertreibend, das roemische Lager erreicht, wo man des Angriffs sich mit
grosser Muehe erwehrte. Darueber fehlten auf der Walstatt jetzt im
entscheidenden Augenblick die Reiter. Die Roemer hueteten sich wohl,
die Phalanx mit den Legionen anzugreifen, sondern sandten gegen sie die
Schuetzen und Schleuderer, denen in der dichtgedraengten Masse kein
Geschoss fehlging. Die Phalanx zog sich nichtsdestoweniger langsam und
geordnet zurueck, bis die in den Zwischenraeumen stehenden Elefanten
scheu wurden und die Glieder zerrissen. Damit loeste das ganze Heer
sich auf in wilder Flucht; ein Versuch, das Lager zu halten, misslang
und mehrte nur die Zahl der Toten und Gefangenen. Die Schaetzung des
Verlustes des Antiochos auf 50000 Mann ist bei der grenzenlosen
Verwirrung nicht unglaublich; den Roemern, deren Legionen gar nicht zum
Schlagen gekommen waren, kostete der Sieg, der ihnen den dritten
Weltteil ueberlieferte, 24 Reiter und 300 Fusssoldaten. Kleinasien
unterwarf sich, selbst Ephesos, von wo der Admiral die Flotte eilig
fluechten musste, und die Residenzstadt Sardes. Der Koenig bat um
Frieden und ging ein auf die von den Roemern gestellten Bedingungen,
die, wie gewoehnlich, keine anderen waren als die vor der Schlacht
gebotenen, als namentlich die Abtretung Kleinasiens enthielten. Bis zu
deren Ratifikation blieb das Heer in Kleinasien auf Kosten des Koenigs,
was ihm auf nicht weniger als 3000 Talente (5 Mill. Taler) zu stehen
kam. Antiochos selber nach seiner liederlichen Art verschmerzte bald
den Verlust der Haelfte seines Reiches; es sieht ihm gleich, dass er
den Roemern fuer die Abnahme der Muehe, ein allzugrosses Reich zu
regieren, dankbar zu sein behauptete. Aber Asien war mit dem Tage. von
Magnesia aus der Reihe der Grossstaaten gestrichen; und wohl niemals
ist eine Grossmacht so rasch, so voellig und so schmaehlich zugrunde
gegangen wie das Seleukidenreich unter diesem Antiochos dem Grossen. Er
selbst ward bald darauf (567 187) in Elymais oberhalb des Persischen
Meerbusens bei der Pluenderung des Beltempels, mit dessen Schaetzen er
seine leeren Kassen zu fuellen gekommen war, von den erbitterten
Einwohnern erschlagen.

Die roemische Regierung hatte, nachdem der Sieg erfochten war, die
Angelegenheiten Kleinasiens und Griechenlands zu ordnen. Sollte hier
die roemische Herrschaft auf fester Grundlage errichtet werden, so
genuegte dazu keineswegs, dass Antiochos der Oberherrschaft in
Vorderasien entsagt hatte. Die politischen Verhaeltnisse daselbst sind
oben dargelegt worden. Die griechischen Freistaedte an der ionischen
und aeolischen Kueste sowie das ihnen wesentlich gleichartige
pergamenische Koenigreich waren allerdings die natuerlichen Traeger der
neuen roemischen Obergewalt, die auch hier wesentlich auftrat als
Schirmherr der stammverwandten Hellenen. Aber die Dynasten im inneren
Kleinasien und an der Nordkueste des Schwarzen Meeres hatten den
Koenigen von Asien laengst kaum noch ernstlich gehorcht, und der
Vertrag mit Antiochos allein gab den Roemern keine Gewalt ueber das
Binnenland. Es war unabweislich eine gewisse Grenze zu ziehen,
innerhalb deren der roemische Einfluss fortan massgebend sein sollte.
Dabei fiel vor allem ins Gewicht das Verhaeltnis der asiatischen
Hellenen zu den seit einem Jahrhundert daselbst angesiedelten Kelten.
Diese hatten die kleinasiatischen Landschaften foermlich unter sich
verteilt und ein jeder der drei Gaue erhob in seinem
Brandschatzungsgebiet die festgesetzten Tribute. Wohl hatte die
Buergerschaft von Pergamon unter der kraeftigen Fuehrung ihrer dadurch
zu erblichem Fuerstentum gelangten Vorsteher sich des unwuerdigen
Joches entledigt, und die schoene Nachbluete der hellenischen Kunst,
welche kuerzlich der Erde wieder entstiegen ist, ist erwachsen aus
diesen letzten, von nationalem Buergersinn getragenen hellenischen
Kriegen. Aber es war ein kraeftiger Gegenschlag, kein entscheidender
Erfolg; wieder und wieder hatten die Pergamener ihren staedtischen
Frieden gegen die Einfaelle der wilden Horden aus den oestlichen
Gebirgen mit den Waffen zu vertreten gehabt, und die grosse Mehrzahl
der uebrigen Griechenstaedte ist wahrscheinlich in der alten
Abhaengigkeit verblieben ^4. Wenn Roms Schirmherrschaft ueber die
Hellenen auch in Asien mehr als ein Name sein sollte, so musste dieser
Tributpflichtigkeit ihrer neuen Klienten ein Ziel gesetzt werden; und
da die roemische Politik den Eigenbesitz und die damit verknuepfte
stehende Besetzung des Landes zur Zeit in Asien noch viel mehr als auf
der griechisch-makedonischen Halbinsel ablehnte, so blieb in der Tat
nichts anderes uebrig, als bis zu der Grenze, welche Roms Machtgebiet
gesteckt werden sollte, auch Roms Waffen zu tragen und bei den
Kleinasiaten ueberhaupt, vor allem aber in den Keltengauen die neue
Oberherrlichkeit mit der Tat einzusetzen.

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^4 Aus dem erwaehnten Dekret von Lampsakos geht mit ziemlicher
Sicherheit hervor, dass die Lampsakener bei den Massalioten nicht bloss
Verwendung in Rom erbaten, sondern auch Verwendung bei den
Tolistoagiern (so heissen die sonst Tolistoboger genannten Kelten in
dieser Urkunde und in der pergamenischen Inschrift CIG 3536, den
aeltesten Denkmaelern, die sie erwaehnen). Danach sind wahrscheinlich
die Lampsakener noch um die Zeit des Philippischen Krieges diesem Gau
zinsbar gewesen (vgl. Liv. 38, 16).

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Dies hat der neue roemische Oberfeldherr Gnaeus Manlius Volso getan,
der den Lucius Scipio in Kleinasien abloeste. Es ist ihm dies zum
schweren Vorwurf gemacht worden; die der neuen Wendung der Politik
abgeneigten Maenner im Senat vermissten bei dem Kriege den Zweck wie
den Grund. Den ersteren Tadel gegen diesen Zug insbesondere zu erheben,
ist nicht gerechtfertigt; derselbe war vielmehr, nachdem der roemische
Staat sich in die hellenischen Verhaeltnisse, so, wie es geschehen war,
eingemischt hatte, eine notwendige Konsequenz dieser Politik. Ob das
hellenische Gesamtpatronat fuer Rom das richtige war, kann gewiss in
Zweifel gezogen werden; aber von dem Standpunkt aus betrachtet, den
Flamininus und die von ihm gefuehrte Majoritaet nun einmal genommen
hatten, war die Niederwerfung der Galater in der Tat eine Pflicht der
Klugheit wie der Ehre. Besser begruendet ist der Vorwurf, dass es zur
Zeit an einem rechten Kriegsgrund gegen dieselben fehlte; denn
eigentlich im Bunde mit Antiochos hatten sie nicht gestanden, sondern
ihn nur nach ihrem Brauch in ihrem Lande Mietstruppen anwerben lassen.
Aber dagegen fiel entscheidend ins Gewicht, dass die Sendung einer
roemischen Truppenmacht nach Asien der roemischen Buergerschaft nur
unter ganz ausserordentlichen Verhaeltnissen angesonnen werden konnte
und, wenn einmal eine derartige Expedition notwendig war, alles dafuer
sprach, sie sogleich und mit dem einmal in Asien stehenden siegreichen
Heere auszufuehren. So wurde, ohne Zweifel unter dem Einfluss des
Flamininus und seiner Gesinnungsgenossen im Senat, im Fruehjahr 565
(189) der Feldzug in das innere Kleinasien unternommen. Der Konsul
brach von Ephesos auf, brandschatzte die Staedte und Fuersten am oberen
Maeander und in Pamphylien ohne Mass und wandte sich darauf nordwaerts
gegen die Kelten. Der westliche Kanton derselben, die Tolistoager,
hatte sich auf den Berg Olympos, der mittlere, die Tectosagen, auf den
Berg Magaba mit Hab und Gut zurueckgezogen, in der Hoffnung, dass sie
sich hier wuerden verteidigen koennen, bis der Winter die Fremden zum
Abzug zwaenge. Allein die Geschosse der roemischen Schleuderer und
Schuetzen, die gegen die damit unbekannten Kelten so oft den Ausschlag
gaben, fast wie in neuerer Zeit das Feuergewehr gegen die wilden
Voelker, erzwangen die Hoehen, und die Kelten unterlagen in einer jener
Schlachten, wie sie gar oft frueher und spaeter am Po und an der Seine
geliefert worden sind, die aber hier so seltsam erscheint wie das ganze
Auftreten des nordischen Stammes unter den griechischen und phrygischen
Nationen. Die Zahl der Erschlagenen und mehr noch die der Gefangenen
war an beiden Stellen ungeheuer. Was uebrig blieb, rettete sich ueber
den Halys zu dem dritten keltischen Gau der Trocmer, welche der Konsul
nicht angriff. Dieser Fluss war die Grenze, an welcher die damaligen
Leiter der roemischen Politik beschlossen hatten innezuhalten.
Phrygien, Bithynien, Paphlagonien sollten von Rom abhaengig werden; die
weiter oestlich gelegenen Landschaften ueberliess man sich selber.

Die Regulierung der kleinasiatischen Verhaeltnisse erfolgte teils durch
den Frieden mit Antiochos (565 189), teils durch die Festsetzungen
einer roemischen Kommission, der der Konsul Volso vorstand. Ausser der
Stellung von Geiseln, darunter seines juengeren gleichnamigen Sohnes,
und einer nach dem Mass der Schaetze Asiens bemessenen
Kriegskontribution von 15000 euboeischen Talenten (25½ Mill. Taler),
davon der fuenfte Teil sogleich, der Rest in zwoelf Jahreszielern zu
entrichten war, wurde Antiochos auferlegt die Abtretung seines gesamten
europaeischen Laenderbesitzes und in Kleinasien aller seiner
Besitzungen und Rechtsansprueche noerdlich vom Taurusgebirge und
westlich von der Muendung des Kestros zwischen Aspendos und Perge in
Pamphylien, so dass ihm in Vorderasien nichts blieb als das oestliche
Pamphylien und Kilikien. Mit dem Patronat ueber die vorderasiatischen
Koenigreiche und Herrschaften war es natuerlich vorbei. Asien oder, wie
das Reich der Seleukiden von da an gewoehnlich und angemessener genannt
wird, Syrien verlor das Recht, gegen die westlichen Staaten
Angriffskriege zu fuehren und im Fall eines Verteidigungskrieges von
ihnen beim Frieden Land zu gewinnen, das Recht, das Meer westlich von
der Kalykadnosmuendung in Kilikien mit Kriegsschiffen zu befahren,
ausser um Gesandte, Geiseln oder Tribut zu bringen, ueberhaupt
Deckschiffe ueber zehn zu halten, ausser im Fall eines
Verteidigungskrieges, und Kriegselefanten zu zaehmen, endlich das
Recht, in den westlichen Staaten Werbungen zu veranstalten oder
politische Fluechtlinge und Ausreisser daraus bei sich aufzunehmen. Die
Kriegsschiffe, die er ueber die bestimmte Zahl besass, die Elefanten
und die politischen Fluechtlinge, welche bei ihm sich befanden,
lieferte er aus. Zur Entschaedigung erhielt der Grosskoenig den Titel
eines Freundes der roemischen Buergergemeinde. Der Staat Syrien war
hiermit zu Lande und auf dem Meer vollstaendig aus dem Westen
verdraengt und fuer immer; es ist bezeichnend fuer die kraft- und
zusammenhanglose Organisation des Seleukidenreichs, dass dasselbe
allein unter allen von Rom ueberwundenen Grossstaaten nach der ersten
Ueberwindung niemals eine zweite Entscheidung durch die Waffen begehrt
hat.

Die beiden Armenien, bisher wenigstens dem Namen nach asiatische
Satrapien, verwandelten sich, wenn nicht gerade in Gemaessheit des
roemischen Friedensvertrages, doch unter dessen Einfluss in
selbstaendige Koenigreiche und ihre Inhaber Artaxias und Zariadris
wurden Gruender neuer Dynastien.

Koenig Ariarathes von Kappadokien kam, da sein Land ausserhalb der von
den Roemern bezeichneten Grenze ihrer Klientel lag, mit einer Geldbusse
von 600 Talenten (1 Mill. Taler) davon, die dann noch auf die Fuerbitte
seines Schwiegersohnes Eumenes auf die Haelfte herabgesetzt ward.

Koenig Prusias von Bithynien behielt sein Gebiet, wie es war, ebenso
die Kelten; doch mussten diese geloben, nicht ferner bewaffnete Haufen
ueber die Grenze zu senden, und die schimpflichen Tribute der
kleinasiatischen Staedte hatten ein Ende. Die asiatischen Griechen
ermangelten nicht, diese allerdings allgemein und nachhaltig empfundene
Wohltat mit goldenen Kraenzen und den transzendentalsten Lobreden zu
vergelten.

In Vorderasien war die Besitzregulierung nicht ohne Schwierigkeit,
zumal da hier die dynastische Politik des Eumenes mit der der
griechischen Hansa kollidierte; endlich gelang es, sich in folgender
Art zu verstaendigen. Allen griechischen Staedten, die am Tage der
Schlacht von Magnesia frei und den Roemern beigetreten waren, wurde
ihre Freiheit bestaetigt und sie alle mit Ausnahme der bisher dem
Eumenes zinspflichtigen der Tributzahlung an die verschiedenen Dynasten
fuer die Zukunft enthoben. So wurden namentlich frei die Staedte
Dardanos und Ilion, die alten Stammgenossen der Roemer von Aeneas’
Zeiten her, ferner Kyme, Smyrna, Klazomenae, Erythrae, Chios, Kolophon,
Miletos und andere altberuehmte Namen. Phokaea, das gegen die
Kapitulation von den roemischen Flottensoldaten gepluendert worden war,
erhielt zum Ersatz dafuer, obwohl es nicht unter die im Vertrag
bezeichnete Kategorie fiel, ausnahmsweise gleichfalls seine Mark
zurueck und die Freiheit. Den meisten Staedten der
griechisch-asiatischen Hansa wurden ueberdies Gebietserweiterungen und
andere Vorteile zuteil. Am besten ward natuerlich Rhodos bedacht, das
Lykien mit Ausschluss von Telmissos und den groesseren Teil von Karien
suedlich vom Maeander empfing; ausserdem garantierte Antiochos in
seinem Reiche den Rhodiern ihr Eigentum und ihre Forderungen sowie die
bisher genossene Zollfreiheit.

Alles uebrige, also bei weitem der groesste Teil der Beute, fiel an die
Attaliden, deren alte Treue gegen Rom sowie die von Eumenes in diesem
Kriege bestandene Drangsal und sein persoenliches Verdienst um den
Ausfall der entscheidenden Schlacht von Rom so belohnt ward, wie nie
ein Koenig seinen Verbuendeten gelohnt hat. Eumenes empfing in Europa
den Chersonesos mit Lysimacheia; in Asien ausser Mysien, das er schon
besass, die Provinzen Phrygien am Hellespont, Lydien mit Ephesos und
Sardes, den noerdlichen Streif von Karien bis zum Maeander mit Tralles
und Magnesia, Grossphrygien und Lykaonien nebst einem Stueck von
Kilikien, die milysche Landschaft zwischen Phrygien und Lykien und als
Hafenplatz am suedlichen Meer die lykische Stadt Telmissos; ueber
Pamphylien ward spaeter zwischen Eumenes und Antiochos gestritten,
inwieweit es dies- oder jenseits der gesteckten Grenze liege und also
jenem oder diesem zukomme. Ausserdem erhielt er die Schutzherrschaft
und das Zinsrecht ueber diejenigen griechischen Staedte, die nicht
unbeschraenkt die Freiheit empfingen; doch wurde auch hier bestimmt,
dass den Staedten ihre Freibriefe bleiben und die Abgabe nicht erhoeht
werden solle. Ferner musste Antiochos sich anheischig machen, die 350
Talente (600000 Taler), die er dem Vater Attalos schuldig geworden war,
dem Eumenes zu entrichten, ebenso ihn mit 127 Talenten (218000 Taler)
fuer die rueckstaendigen Getreidelieferungen zu entschaedigen. Endlich
erhielt Eumenes die koeniglichen Forsten und die von Antiochos
abgelieferten Elefanten, nicht aber die Kriegsschiffe, die verbrannt
wurden; eine Seemacht litten die Roemer nicht neben sich. Hierdurch war
das Reich der Attaliden in Osteuropa und Asien das geworden, was
Numidien in Afrika war, ein von Rom abhaengiger maechtiger Staat mit
absoluter Verfassung, bestimmt und faehig, sowohl Makedonien als Syrien
in Schranken zu halten, ohne anders als in ausserordentlichen Faellen
roemischer Unterstuetzung zu beduerfen. Mit dieser durch die roemische
Politik gebotenen Schoepfung hatte man die durch republikanische und
nationale Sympathie und Eitelkeit gebotene Befreiung der asiatischen
Griechen soweit moeglich vereinigt. Um die Angelegenheiten des ferneren
Ostens jenseits des Tauros und Halys war man fest entschlossen, sich
nicht zu bekuemmern; es zeigen dies sehr deutlich die Bedingungen des
Friedens mit Antiochos und noch entschiedener die bestimmte Weigerung
des Senats, der Stadt Soloi in Kilikien die von den Rhodiern fuer sie
erbetene Freiheit zu gewaehren. Ebenso getreu blieb man dem
festgestellten Grundsatz, keine unmittelbaren ueberseeischen
Besitzungen zu erwerben. Nachdem die roemische Flotte noch eine
Expedition nach Kreta gemacht und die Freigebung der dorthin in die
Sklaverei verkauften Roemer durchgesetzt hatte, verliessen Flotte und
Landheer im Nachsommer 566 (188) Asien, wobei das Landheer, das wieder
durch Thrakien zog, durch die Nachlaessigkeit des Feldherrn unterwegs
von den Ueberfaellen der Wilden viel zu leiden hatte. Die Roemer
brachten nichts heim aus dem Osten als Ehre und Gold, die in dieser
Zeit sich schon beide in der praktischen Form der Dankadresse, dem
goldenen Kranze, zusammenzufinden pflegten.

Auch das europaeische Griechenland war von diesem asiatischen Krieg
erschuettert worden und bedurfte neuer Ordnung. Die Aetoler, die immer
noch nicht gelernt hatten, sich in ihre Nichtigkeit zu finden, hatten
nach dem im Fruehling 564 (190) mit Scipio abgeschlossenen
Waffenstillstand nicht bloss durch ihre kephallenischen Korsaren den
Verkehr zwischen Italien und Griechenland schwierig und unsicher
gemacht, sondern vielleicht noch waehrend des Waffenstillstandes,
getaeuscht durch falsche Nachrichten ueber den Stand der Dinge in
Asien, die Tollheit begangen, den Amynander wieder auf seinen
athamanischen Thron zu setzen und mit Philippos in den von diesem
besetzten aetolischen und thessalischen Grenzlandschaften sich
herumzuschlagen, wobei der Koenig mehrere Nachteile erlitt. Es versteht
sich, dass hiernach Rom ihre Bitte um Frieden mit der Landung des
Konsuls Marcus Fulvius Nobilior beantwortete. Er traf im Fruehling 565
(189) bei den Legionen ein und nahm nach fuenfzehntaegiger Belagerung
durch eine fuer die Besatzung ehrenvolle Kapitulation Ambrakia,
waehrend zugleich die Makedonier, die Illyrier, die Epeiroten, die
Akarnanen und Achaeer ueber die Aetoler herfielen. Von eigentlichem
Widerstand konnte nicht die Rede sein; auf die wiederholten
Friedensgesuche der Aetoler standen denn auch die Roemer vom Kriege ab
und gewaehrten Bedingungen, welche solchen erbaermlichen und
tueckischen Gegnern gegenueber billig genannt werden muessen. Die
Aetoler verloren alle Staedte und Gebiete, die in den Haenden ihrer
Gegner waren, namentlich Ambrakia, welches infolge einer gegen Marcus
Fulvius in Rom gesponnenen Intrige spaeter frei und selbstaendig ward,
ferner Oinia, das den Akarnanen gegeben wurde; ebenso traten sie
Kephallenia ab. Sie verloren das Recht, Krieg und Frieden zu schliessen
und wurden in dieser Hinsicht von den auswaertigen Beziehungen Roms
abhaengig; endlich zahlten sie eine starke Geldsumme. Kephallenia
setzte sich auf eigene Hand gegen diesen Vertrag und fuegte sich erst,
als Marcus Fulvius auf der Insel landete; ja die Einwohner von Same,
die befuerchteten, aus ihrer wohlgelegenen Stadt durch eine roemische
Kolonie ausgetrieben zu werden, fielen nach der ersten Unterwerfung
wieder ab und hielten eine viermonatliche Belagerung aus, worauf die
Stadt endlich genommen und die Einwohner saemtlich in die Sklaverei
verkauft wurden.

Rom blieb auch hier dabei, sich grundsaetzlich auf Italien und die
italischen Inseln zu beschraenken. Es nahm von der Beute nichts fuer
sich als die beiden Inseln Kephallenia und Zakynthos, welche den Besitz
von Kerkyra und anderen Seestationen am Adriatischen Meer
wuenschenswert ergaenzten. Der uebrige Laendererwerb kam an die
Verbuendeten Roms; indes die beiden bedeutendsten derselben, Philippos
und die Achaeer, waren keineswegs befriedigt durch den ihnen an der
Beute gegoennten Anteil. Philippos fuehlte sich nicht ohne Grund
verletzt. Er durfte sagen, dass in dem letzten Krieg die eigentlichen
Schwierigkeiten, die nicht in dem Feinde, sondern in der Entfernung und
der Unsicherheit der Verbindungen lagen, wesentlich durch seinen
loyalen Beistand ueberwunden waren. Der Senat erkannte dies auch an,
indem er ihm den noch rueckstaendigen Tribut erliess und seine Geiseln
ihm zuruecksandte; allein Gebietserweiterungen, wie er sie gehofft,
empfing er nicht. Er erhielt das magnetische Gebiet mit Demetrias, das
er den Aetolern abgenommen hatte; ausserdem blieben tatsaechlich in
seinen Haenden die dolopische und athamanische Landschaft und ein Teil
von Thessalien, aus denen gleichfalls die Aetoler von ihm vertrieben
worden waren. In Thrakien blieb zwar das Binnenland in makedonischer
Klientel, aber ueber die Kuestenstaedte und die Inseln Thasos und
Lemnos, die faktisch in Philipps Haenden waren, ward nichts bestimmt,
der Chersonesos sogar ausdruecklich an Eumenes gegeben; und es war
nicht schwer zu erkennen, dass Eumenes nur deshalb auch Besitzungen in
Europa empfing, um nicht bloss Asien, sondern auch Makedonien im
Notfall niederzuhalten. Die Erbitterung des stolzen und in vieler
Hinsicht ritterlichen Mannes ist natuerlich; allein es war nicht
Schikane, was die Roemer bestimmte, sondern eine unabweisliche
politische Notwendigkeit. Makedonien buesste dafuer, dass es einmal
eine Macht ersten Ranges gewesen war und mit Rom auf gleichem Fuss
Krieg gefuehrt hatte: man hatte hier, und hier mit viel besserem Grund
als gegen Karthago, sich vorzusehen, dass die alte Machtstellung nicht
wiederkehre.

Anders stand es mit den Achaeern. Sie hatten im Laufe des Krieges gegen
Antiochos ihren lange genaehrten Wunsch befriedigt, den Peloponnes ganz
in ihre Eidgenossenschaft zu bringen, indem zuerst Sparta, dann, nach
der Vertreibung der Asiaten aus Griechenland, auch Elis und Messene
mehr oder weniger gezwungen beigetreten waren. Die Roemer hatten dies
geschehen lassen und es sogar geduldet, dass man dabei mit
absichtlicher Ruecksichtslosigkeit gegen Rom verfuhr. Flamininus hatte,
als Messene erklaerte, sich den Roemern zu unterwerfen, aber nicht in
die Eidgenossenschaft eintreten zu wollen und diese darauf Gewalt
brauchte, zwar nicht unterlassen, den Achaeern zu Gemuete zu fuehren,
dass solche Sonderverfuegungen ueber einen Teil der Beute an sich
unrecht und in dem Verhaeltnis der Achaeer zu den Roemern mehr als
unpassend seien, aber denn doch in seiner sehr unpolitischen
Nachgiebigkeit gegen die Hellenen im wesentlichen den Achaeern ihren
Willen getan. Allein damit hatte die Sache kein Ende. Die Achaeer, von
ihrer zwerghaften Vergroesserungssucht gepeinigt, liessen die Stadt
Pleuron in Aetolien, die sie waehrend des Krieges besetzt hatten, nicht
fahren, machten sie vielmehr zum unfreiwilligen Mitgliede ihrer
Eidgenossenschaft; sie kauften Zakynthos von dem Statthalter des
letzten Besitzers Amynander und haetten gern noch Aegina dazu gehabt.
Nur widerwillig gaben sie jene Insel an Rom heraus und hoerten sehr
unmutig Flamininus’ guten Ratschlag, sich mit ihrem Peloponnes zu
begnuegen. Sie glaubten es sich schuldig zu sein, die Unabhaengigkeit
ihres Staates um so mehr zur Schau zu tragen, je weniger daran war; man
sprach von Kriegsrecht, von der treuen Beihilfe der Achaeer in den
Kriegen der Roemer; man fragte die roemischen Gesandten auf der
achaeischen Tagsatzung, warum Rom sich um Messene bekuemmere, da Achaia
ja nicht nach Capua frage, und der hochherzige Patriot, der also
gesprochen, wurde beklatscht und war der Stimmen bei den Wahlen sicher.
Das alles wuerde sehr recht und sehr erhaben gewesen sein, wenn es
nicht noch viel laecherlicher gewesen waere. Es lag wohl eine tiefe
Gerechtigkeit und ein noch tieferer Jammer darin, dass Rom, so
ernstlich es die Freiheit der Hellenen zu gruenden und den Dank der
Hellenen zu verdienen bemueht war, dennoch ihnen nichts gab als die
Anarchie und nichts erntete als den Undank. Es lagen auch den
hellenischen Antipathien gegen die Schutzmacht sicher sehr edle
Gefuehle zugrunde, und die persoenliche Bravheit einzelner
tonangebender Maenner ist ausser Zweifel. Aber darum bleibt dieser
achaeische Patriotismus nicht minder eine Torheit und eine wahre
historische Fratze. Bei all jenem Ehrgeiz und all jener nationalen
Empfindlichkeit geht durch die ganze Nation vom ersten bis zum letzten
Mann das gruendlichste Gefuehl der Ohnmacht. Stets horcht jeder nach
Rom, der liberale Mann nicht weniger wie der servile; man dankt dem
Himmel, wenn das gefuerchtete Dekret ausbleibt; man mault, wenn der
Senat zu verstehen gibt, dass man wohl tun werde, freiwillig
nachzugeben, um es nicht gezwungen zu tun; man tut, was man muss
womoeglich in einer fuer die Roemer verletzenden Weise, “um die Formen
zu retten”; man berichtet, erlaeutert, verschiebt, weicht aus, und wenn
das endlich alles nicht mehr gehen will, so wird mit einem
patriotischen Seufzer nachgegeben. Das Treiben haette Anspruch wo nicht
auf Billigung doch auf Nachsicht, wenn die Fuehrer zum Kampf
entschlossen gewesen waeren und den Untergang der Nation der
Knechtschaft vorgezogen haetten; aber weder Philopoemen noch Lykortas
dachten an einen solchen politischen Selbstmord - man wollte womoeglich
frei sein, aber denn doch vor allem leben. Zu allem diesem aber sind es
niemals die Roemer, die die gefuerchtete roemische Intervention in die
inneren Angelegenheiten Griechenlands hervorrufen, sondern stets die
Griechen selbst, die wie die Knaben den Stock, den sie fuerchten,
selber einer ueber den andern bringen. Der von dem gelehrten Poebel
hellenischer und nachhellenischer Zeit bis zum Ekel wiederholte
Vorwurf, dass die Roemer bestrebt gewesen waeren, inneren Zwist in
Griechenland zu stiften, ist eine der tollsten Abgeschmacktheiten,
welche politisierende Philologen nur je ausgesonnen haben. Nicht die
Roemer trugen den Hader nach Griechenland - wahrlich Eulen nach Athen
-, sondern die Griechen ihre Zwistigkeiten nach Rom. Namentlich die
Achaeer, die ueber ihren Arrondierungsgeluesten gaenzlich uebersahen,
wie sehr zu ihrem eigenen Besten es gewesen, dass Flamininus die
aetolisch gesinnten Staedte nicht der Eidgenossenschaft einverleibt
hatte, erwarben in Lakedaemon und Messene sich eine wahre Hydra inneren
Zwistes. Unaufhoerlich baten und flehten Mitglieder dieser Gemeinden in
Rom, sie aus der verhassten Gemeinschaft zu loesen, darunter
charakteristisch genug selbst diejenigen, die die Rueckkehr in die
Heimat den Achaeern verdankten. Unaufhoerlich ward von dem Achaeischen
Bunde in Sparta und Messene regeneriert und restauriert: die
wuetendsten Emigrierten von dort bestimmten die Massregeln der
Tagsatzung. Vier Jahre nach dem nominellen Eintritt Spartas in die
Eidgenossenschaft kam es sogar zum offenen Kriege und zu einer bis zum
Wahnsinn vollstaendigen Restauration, wobei die saemtlichen von Nabis
mit dem Buergerrecht beschenkten Sklaven wieder in die Knechtschaft
verkauft und aus dem Erloes ein Saeulengang in der Achaeerstadt
Megalopolis gebaut, ferner die alten Gueterverhaeltnisse in Sparta
wiederhergestellt, die Lykurgischen Gesetze durch die achaeischen
ersetzt, die Mauern niedergerissen wurden (566 188). Ueber alle diese
Wirtschaft ward dann zuletzt von allen Seiten der roemische Senat zum
Schiedsspruch aufgefordert - eine Belaestigung, die die gerechte Strafe
fuer die befolgte sentimentale Politik war. Weit entfernt, sich zu viel
in diese Angelegenheiten zu mischen, ertrug der Senat nicht bloss die
Nadelstiche der achaeischen Gesinnungstuechtigkeit mit musterhafter
Indifferenz, sondern liess selbst die aergsten Dinge mit straeflicher
Gleichgueltigkeit geschehen. Man freute sich herzlich in Achaia, als
nach jener Restauration die Nachricht von Rom einlief, dass der Senat
darueber zwar gescholten, aber nichts kassiert habe. Fuer die
Lakedaemonier geschah von Rom aus nichts, als dass der Senat, empoert
ueber den von den Achaeern verfuegten Justizmord von beilaeufig sechzig
bis achtzig Spartanern, der Tagsatzung die Kriminaljustiz ueber die
Spartaner nahm - freilich ein empoerender Eingriff in die inneren
Angelegenheiten eines unabhaengigen Staates! Die roemischen
Staatsmaenner kuemmerten sich so wenig wie moeglich um diese Suendflut
in der Nussschale, wie am besten die vielfachen Klagen beweisen ueber
die oberflaechlichen, widersprechenden und unklaren Entscheidungen des
Senats; freilich, wie sollte er klar antworten, wenn auf einmal vier
Parteien aus Sparta zugleich im Senat gegeneinander redeten! Dazu kam
der persoenliche Eindruck, den die meisten dieser peloponnesischen
Staatsmaenner in Rom machten; selbst Flamininus schuettelte den Kopf,
als ihm einer derselben heute etwas vortanzte und den andern Tag ihn
von Staatsgeschaeften unterhielt. Es kam so weit, dass dem Senat
zuletzt die Geduld voellig ausging und er die Peloponnesier dahin
beschied, dass er sie nicht mehr bescheiden werde und sie machen
koennten, was sie wollten (572 182). Begreiflich ist dies, aber nicht
recht; wie die Roemer einmal standen, hatten sie die sittliche und
politische Verpflichtung, hier mit Ernst und Konsequenz einen
leidlichen Zustand herzustellen. Jener Achaeer Kallikrates, der im
Jahre 575 (179) an den Senat ging, um ihn ueber die Zustaende im
Peloponnes aufzuklaeren und eine folgerechte und gehaltene Intervention
zu fordern, mag als Mensch noch etwas weniger getaugt haben als sein
Landsmann Philopoemen, der jene Patriotenpolitik wesentlich begruendet
hat; aber er hatte recht.

So umfasste die Klientel der roemischen Gemeinde jetzt die saemtlichen
Staaten von dem oestlichen zu dem westlichen Ende des Mittelmeeres;
nirgend bestand ein Staat, den man der Muehe wert gehalten haette zu
fuerchten. Aber noch lebte ein Mann, dem Rom diese seltene Ehre erwies:
der heimatlose Karthager, der erst den ganzen Westen, alsdann den
ganzen Osten gegen Rom in Waffen gebracht hatte und der vielleicht nur
gescheitert war, dort an der ehrlosen Aristokraten-, hier an der
kopflosen Hofpolitik. Antiochos hatte sich im Frieden verpflichten
muessen, den Hannibal auszuliefern; allein derselbe war zuerst nach
Kreta, dann nach Bithynien entronnen ^5 und lebte jetzt am Hof des
Koenigs Prusias, beschaeftigt, diesen in seinen Kriegen gegen Eumenes
zu unterstuetzen und wie immer siegreich zu Wasser und zu Lande. Es
wird behauptet, dass er auch den Prusias zum Kriege gegen Rom habe
reizen wollen; eine Torheit, die so, wie sie erzaehlt wird, sehr wenig
glaublich klingt. Gewisser ist es, dass zwar der roemische Senat es
unter seiner Wuerde hielt, den Greis in seinem letzten Asyl aufjagen zu
lassen - denn die Ueberlieferung, die auch den Senat beschuldigt,
scheint keinen Glauben zu verdienen -, dass aber Flamininus, der in
seiner unruhigen Eitelkeit nach neuen Zielen fuer grosse Taten suchte,
auf seine eigene Hand es unternahm, wie die Griechen von ihren Ketten,
so Rom von Hannibal zu befreien und gegen den groessten Mann seiner
Zeit den Dolch zwar nicht zu fuehren, was nicht diplomatisch ist, aber
ihn zu schleifen und zu richten. Prusias, der jaemmerlichste unter den
Jammerprinzen Asiens, machte sich ein Vergnuegen daraus, dem roemischen
Gesandten die kleine Gefaelligkeit zu erweisen, die derselbe mit halben
Worten erbat, und da Hannibal sein Haus von Moerdern umstellt sah, nahm
er Gift. Er war seit langem gefasst darauf, fuegt ein Roemer hinzu,
denn er kannte die Roemer und das Wort der Koenige. Sein Todesjahr ist
nicht gewiss; wahrscheinlich starb er in der zweiten Haelfte des Jahres
571 (183), siebenundsechzig Jahre alt. Als er geboren ward, stritt Rom
mit zweifelhaftem Erfolg um den Besitz von Sizilien; er hatte gerade
genug gelebt, um den Westen vollstaendig unterworfen zu sehen, um noch
selber seine letzte Roemerschlacht gegen die Schiffe seiner roemisch
gewordenen Vaterstadt zu schlagen, um dann zuschauen zu muessen, wie
Rom auch den Osten ueberwand gleichwie der Sturm das fuehrerlose
Schiff, und zu fuehlen, dass er allein imstande war, es zu lenken. Es
konnte ihm keine Hoffnung weiter fehlschlagen, als er starb; aber
redlich hatte er in fuenfzigjaehrigem Kampfe den Knabenschwur gehalten.

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^5 Dass er auch nach Armenien gekommen sei und auf Bitten des Koenigs
Artaxias die Stadt Artaxata am Araxes erbaut habe (Strab. 11 p. 528;
Plut. Luc. 31), ist sicher Erfindung; aber es ist bezeichnend, wie
Hannibal, fast wie Alexander, mit den orientalischen Fabeln verwachsen
ist.

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Um dieselbe Zeit, wahrscheinlich in demselben Jahre, starb auch der
Mann, den die Roemer seinen Ueberwinder zu nennen pflegten, Publius
Scipio. Ihn hatte das Glueck mit allen den Erfolgen ueberschuettet, die
seinem Gegner versagt blieben, mit Erfolgen, die ihm gehoerten und
nicht gehoerten. Spanien, Afrika, Asien hatte er zum Reiche gebracht
und Rom, das er als die erste Gemeinde Italiens gefunden, war bei
seinem Tode die Gebieterin der zivilisierten Welt. Er selbst hatte der
Siegestitel so viele, dass deren ueberblieben fuer seinen Bruder und
seinen Vetter ^6. Und doch verzehrte auch ihn durch seine letzten Jahre
bitterer Gram, und er starb, wenig ueber fuenfzig Jahre alt, in
freiwilliger Verbannung, mit dem Befehl an die Seinigen, seine Leiche
nicht in der Vaterstadt beizusetzen, fuer die er gelebt hatte und in
der seine Ahnen ruhten. Es ist nicht genau bekannt, was ihn aus der
Stadt trieb. Die Anschuldigungen wegen Bestechung und unterschlagener
Gelder, die gegen ihn und mehr noch gegen seinen Bruder Lucius
gerichtet wurden, waren ohne Zweifel nichtige Verleumdungen, die solche
Verbitterung nicht hinreichend erklaeren; obwohl es charakteristisch
fuer den Mann ist, dass er seine Rechnungsbuecher, statt sich einfach
aus ihnen zu rechtfertigen, im Angesicht des Volks und der Anklaeger
zerriss und die Roemer aufforderte, ihn zum Tempel des Jupiter zu
begleiten und den Jahrestag seines Sieges bei Zama zu feiern. Das Volk
liess den Anklaeger stehen und folgte dem Scipio auf das Kapitol; aber
es war dies der letzte schoene Tag des hohen Mannes. Sein stolzer Sinn,
seine Meinung, ein anderer und besserer zu sein als die uebrigen
Menschen, seine sehr entschiedene Familienpolitik, die namentlich in
seinem Bruder Lucius den widerwaertigen Strohmann eines Helden
grosszog, verletzten viele und nicht ohne Grund. Wie der echte Stolz
das Herz beschirmt, so legt es die Hoffart jedem Schlag und jedem
Nadelstich bloss und zerfrisst auch den urspruenglichen Hochsinn.
Ueberall aber gehoert es zur Eigentuemlichkeit solcher, aus echtem Gold
und schimmerndem Flitter seltsam gemischter Naturen, wie Scipio eine
war, dass sie des Glueckes und des Glanzes der Jugend beduerfen, um
ihren Zauber zu ueben, und dass, wenn dieser Zauber zu schwinden
anfaengt, unter allen am schmerzlichsten der Zauberer selbst erwacht.

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^6 Africanus, Asiagenus, Hispallus.




KAPITEL X.
Der Dritte Makedonische Krieg


Philippos von Makedonien war empfindlich gekraenkt durch die
Behandlung, die er nach dem Frieden mit Antiochos von den Roemern
erfahren hatte; und der weitere Verlauf der Dinge war nicht geeignet,
seinen Groll zu beschwichtigen. Seine Nachbarn in Griechenland und
Thrakien, grossenteils Gemeinden, die einst vor dem makedonischen Namen
nicht minder gezittert hatten wie jetzt vor dem roemischen, machten es
sich wie billig zum Geschaeft, der gefallenen Grossmacht all die Tritte
zurueckzugeben, die sie seit Philippos’ des Zweiten Zeiten von
Makedonien empfangen hatten; der nichtige Hochmut und der wohlfeile
antimakedonische Patriotismus der Hellenen dieser Zeit machte sich Luft
auf den Tagsatzungen der verschiedenen Eidgenossenschaften und in
unaufhoerlichen Beschwerden bei dem roemischen Senat. Philippos war von
den Roemern zugestanden worden, was er den Aetolern abgenommen habe;
allein foermlich an die Aetoler angeschlossen hatte sich in Thessalien
nur die Eidgenossenschaft der Magneten, wogegen diejenigen Staedte, die
Philippos in zwei anderen der thessalischen Eidgenossenschaften, der
thessalischen im engeren Sinn und der perrhaebischen, den Aetolern
entrissen hatte, von ihren Buenden zurueckverlangt wurden aus dem
Grunde, dass Philippos diese Staedte nur befreit, nicht erobert habe.
Auch die Athamanen glaubten ihre Freiheit begehren zu koennen; auch
Eumenes forderte die Seestaedte, die Antiochos im eigentlichen Thrakien
besessen hatte, namentlich Aenos und Maroneia, obwohl ihm im Frieden
mit Antiochos nur der Thrakische Chersonesos ausdruecklich zugesprochen
war. All diese Beschwerden und zahllose geringere seiner saemtlichen
Nachbarn, ueber Unterstuetzung des Koenigs Prusias gegen Eumenes, ueber
Handelskonkurrenz, ueber verletzte Kontrakte und geraubtes Vieh
stroemten nach Rom; vor dem roemischen Senat musste der Koenig von
Makedonien von dem souveraenen Gesindel sich verklagen lassen und Recht
nehmen oder Unrecht, wie es fiel; er musste sehen, dass das Urteil
stets gegen ihn ausfiel, musste knirschend von der thrakischen Kueste,
aus den thessalischen und perrhaebischen Staedten die Besatzungen
wegziehen und die roemischen Kommissare hoeflich empfangen, welche
nachzusehen kamen, ob auch alles vorschriftsmaessig ausgefuehrt sei.
Man war in Rom nicht so erbittert gegen Philippos wie gegen Karthago,
ja in vieler Hinsicht dem makedonischen Herrn sogar geneigt; man
verletzte hier nicht so ruecksichtslos wie in Libyen die Formen, aber
im Grunde war die Lage Makedoniens wesentlich dieselbe wie die von
Karthago. Indes Philippos war keineswegs der Mann, diese Pein mit
phoenikischer Geduld ueber sich ergehen zu lassen. Leidenschaftlich wie
er war, hatte er nach seiner Niederlage mehr dem treulosen
Bundesgenossen gezuernt als dem ehrenwerten Gegner, und seit langem
gewohnt, nicht makedonische, sondern persoenliche Politik zu treiben,
hatte er in dem Kriege mit Antiochos nichts gesehen als eine
vortreffliche Gelegenheit, sich an dem Alliierten, der ihn schmaehlich
im Stich gelassen und verraten hatte, augenblicklich zu raechen. Dies
Ziel hatte er erreicht; allein die Roemer, die sehr gut begriffen, dass
den Makedonier nicht die Freundschaft fuer Rom, sondern die Feindschaft
gegen Antiochos bestimmte, und die ueberdies keineswegs nach solchen
Stimmungen der Neigung und Abneigung ihre Politik zu regeln pflegten,
hatten sich wohl gehuetet, irgend etwas Wesentliches zu Philippos’
Gunsten zu tun, und hatten vielmehr die Attaliden, die von ihrer ersten
Erhebung an mit Makedonien in heftiger Fehde lagen und von dem Koenig
Philippos politisch und persoenlich aufs bitterste gehasst wurden, die
Attaliden, die unter allen oestlichen Maechten am meisten dazu
beigetragen hatten, Makedonien und Syrien zu zertruemmern und die
roemische Klientel auf den Osten auszudehnen, die Attaliden, die in dem
letzten Krieg, wo Philippos es freiwillig und loyal mit Rom gehalten,
um ihrer eigenen Existenz willen wohl mit Rom hatten halten muessen,
hatten diese Attaliden dazu benutzt, um im wesentlichen das Reich des
Lysimachos wieder aufzubauen, dessen Vernichtung der wichtigste Erfolg
der makedonischen Herrscher nach Alexander gewesen war, und Makedonien
einen Staat an die Seite zu stellen, der zugleich ihm an Macht
ebenbuertig und Roms Klient war.

Dennoch haette vielleicht, wie die Verhaeltnisse einmal standen, ein
weiser und sein Volk mit Hingebung beherrschender Regent sich
entschlossen, den ungleichen Kampf gegen Rom nicht wieder aufzunehmen;
allein Philippos, in dessen Charakter von allen edlen Motiven das
Ehrgefuehl, von allen unedlen die Rachsucht am maechtigsten waren, war
taub fuer die Stimme sei es der Feigheit, sei es der Resignation, und
naehrte tief im Herzen den Entschluss, abermals die Wuerfel zu werfen.
Als ihm wieder einmal Schmaehungen hinterbracht wurden, wie sie auf den
thessalischen Tagsatzungen gegen Makedonien zu fallen pflegten,
antwortete er mit der Theokritischen Zeile, dass noch die letzte Sonne
nicht untergegangen sei ^1.

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^1 Ηδη γάρ φράσδη πάνθ' άλιον άμμι δεδύκειν. (1, 102).

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Philippos bewies bei der Vorbereitung und der Verbergung seiner
Entschluesse eine Ruhe, einen Ernst und eine Konsequenz, die, wenn er
in besseren Zeiten sie bewaehrt haette, vielleicht den Geschicken der
Welt eine andere Richtung gegeben haben wuerden. Namentlich die
Fuegsamkeit gegen die Roemer, mit der er sich die unentbehrliche Frist
erkaufte, war fuer den harten und stolzen Mann eine schwere Pruefung,
die er doch mutig ertrug - seine Untertanen freilich und die
unschuldigen Gegenstaende des Haders, wie das unglueckliche Maroneia,
buessten schwer den verhaltenen Groll. Schon im Jahre 571 (183) schien
der Krieg ausbrechen zu muessen; aber auf Philippos’ Geheiss bewirkte
sein juengerer Sohn Demetrios eine Ausgleichung des Vaters mit Rom, wo
er einige Jahre als Geisel gelebt hatte und sehr beliebt war. Der
Senat, namentlich Flamininus, der die griechischen Angelegenheiten
leitete, suchte in Makedonien eine roemische Partei zu bilden, die
Philippos’ natuerlich den Roemern nicht unbekannte Bestrebungen zu
paralysieren imstande waere, und hatte zu deren Haupt, ja vielleicht
zum kuenftigen Koenig Makedoniens, den juengeren, leidenschaftlich an
Rom haengenden Prinzen ausersehen. Man gab mit absichtlicher
Deutlichkeit zu verstehen, dass der Senat dem Vater um des Sohnes
willen verzeihe; wovon natuerlich die Folge war, dass im koeniglichen
Hause selbst Zwistigkeiten entstanden und namentlich des Koenigs
aelterer und vom Vater zum Nachfolger bestimmter, aber in ungleicher
Ehe erzeugter Sohn Perseus in seinem Bruder den kuenftigen Nebenbuhler
zu verderben suchte. Es scheint nicht, dass Demetrios sich in die
roemischen Intrigen einliess; erst der falsche Verdacht des Verbrechens
zwang ihn, schuldig zu werden, und auch da beabsichtigte er, wie es
scheint, nichts weiter als die Flucht nach Rom. Indes Perseus sorgte
dafuer, dass der Vater diese Absicht auf die rechte Weise erfuhr; ein
untergeschobener Brief von Flamininus an Demetrios tat das uebrige und
lockte dem Vater den Befehl ab, den Sohn aus dem Wege zu raeumen. Zu
spaet erfuhr Philippos die Raenke, die Perseus gesponnen hatte, und der
Tod ereilte ihn ueber der Absicht, den Brudermoerder zu strafen und von
der Thronfolge auszuschliessen. Er starb im Jahre 575 (179) in
Demetrias, im neunundfuenfzigsten Lebensjahre. Das Reich hinterliess er
zerschmettert, das Haus zerruettet, und gebrochenen Herzens gestand er
sich ein, dass all seine Muehsal und all seine Frevel vergeblich
gewesen waren.

Sein Sohn Perseus trat darauf die Regierung an, ohne in Makedonien oder
bei dem roemischen Senat Widerspruch zu finden. Er war ein stattlicher
Mann, in allen Leibesuebungen wohl erfahren, im Lager aufgewachsen und
des Befehlens gewohnt, gleich seinem Vater herrisch und nicht
bedenklich in der Wahl seiner Mittel. Ihn reizten nicht der Wein und
die Frauen, ueber die Philippos seines Regiments nur zu oft vergass; er
war stetig und beharrlich wie sein Vater leichtsinnig und
leidenschaftlich. Philippos, schon als Knabe Koenig und in den ersten
zwanzig Jahren seiner Herrschaft vom Glueck begleitet, war vom
Schicksal verwoehnt und verdorben worden; Perseus bestieg den Thron in
seinem einunddreissigsten Jahr, und wie er schon als Knabe mitgenommen
worden war in den ungluecklichen roemischen Krieg, wie er aufgewachsen
war im Druck der Erniedrigung und in dem Gedanken einer nahen
Wiedergeburt des Staates, so erbte er von seinem Vater mit dem Reich
seine Drangsale, seine Erbitterung und seine Hoffnungen. In der Tat
griff er mit aller Entschlossenheit die Fortsetzung des vaeterlichen
Werkes an und ruestete eifriger, als es vorher geschehen war, zum
Kriege gegen Rom; kam doch fuer ihn noch hinzu, dass es wahrlich nicht
die Schuld der Roemer war, wenn er das makedonische Diadem trug. Mit
Stolz sah die stolze makedonische Nation auf den Prinzen, den sie an
der Spitze ihrer Jugend stehen und fechten zu sehen gewohnt war; seine
Landsleute und viele Hellenen aller Staemme meinten in ihm den rechten
Feldherrn fuer den nahen Befreiungskrieg gefunden zu haben. Aber er war
nicht, was er schien; ihm fehlte Philipps Genialitaet und Philipps
Spannkraft, die wahrhaft koeniglichen Eigenschaften, die das Glueck
verdunkelt und geschaendet, aber die reinigende Macht der Not wieder zu
Ehren gebracht hatte. Philippos liess sich und die Dinge gehen; aber
wenn es galt, fand er in sich die Kraft zu raschem und ernstlichem
Handeln. Perseus spann weite und feine Plaene und verfolgte sie mit
unermuedlicher Beharrlichkeit; aber wenn die Stunde schlug und das, was
er angelegt und vorbereitet hatte, ihm in der lebendigen Wirklichkeit
entgegentrat, erschrak er vor seinem eigenen Werke. Wie es
beschraenkten Naturen eigen ist, ward ihm das Mittel zum Zweck; er
haeufte Schaetze auf Schaetze fuer den Roemerkrieg und als die Roemer
im Lande standen, vermochte er nicht von seinen Goldstuecken sich zu
trennen. Es ist bezeichnend, dass nach der Niederlage der Vater zuerst
eilte, die kompromittierenden Papiere in seinem Kabinett zu vernichten,
der Sohn dagegen seine Kassen nahm und sich einschiffte. In
gewoehnlichen Zeiten haette er einen Koenig vom Dutzendschlag so gut
und besser wie mancher andere abgeben koennen; aber er war nicht
geschaffen, ein Unternehmen zu leiten, das von Haus aus verloren war,
wenn nicht ein ausserordentlicher Mann es beseelte.

Makedoniens Macht war nicht gering. Die Ergebenheit des Landes gegen
das Haus der Antigoniden war ungebrochen, das Nationalgefuehl hier
allein nicht durch den Hader politischer Parteien paralysiert. Den
grossen Vorteil der monarchischen Verfassung, dass jeder
Regierungswechsel den alten Groll und Zank beseitigt und eine neue Aera
anderer Menschen und frischer Hoffnungen herauffuehrt, hatte der Koenig
verstaendig benutzt und seine Regierung begonnen mit allgemeiner
Amnestie, mit Zurueckberufung der fluechtigen Bankerottierer und Erlass
der rueckstaendigen Steuern. Die gehaessige Haerte des Vaters brachte
also dem Sohn nicht bloss Vorteil, sondern auch Liebe. Sechsundzwanzig
Friedensjahre hatten die Luecken in der makedonischen Bevoelkerung
teils von selbst ausgefuellt, teils der Regierung gestattet, hierfuer
als fuer den eigentlichen wunden Fleck des Landes ernstliche Fuersorge
zu treffen. Philippos hielt die Makedonier an zur Ehe und
Kinderzeugung; er besetzte die Kuestenstaedte, aus denen er die
Einwohner in das Innere zog, mit thrakischen Kolonisten von
zuverlaessiger Wehrhaftigkeit und Treue; er zog, um die verheerenden
Einfaelle der Dardaner ein fuer allemal abzuwehren, gegen Norden eine
Scheidewand, indem er das Zwischenland jenseits der Landesgrenze bis an
das barbarische Gebiet zu Einoede machte, und gruendete neue Staedte in
den noerdlichen Provinzen. Kurz, er tat Zug fuer Zug dasselbe fuer
Makedonien, wodurch spaeter Augustus das Roemische Reich zum zweitenmal
gruendete. Die Armee war zahlreich - 30 000 Mann, ohne die Zuzuege und
die Mietstruppen zu rechnen - und die junge Mannschaft geuebt durch den
bestaendigen Grenzkrieg gegen die thrakischen Barbaren. Seltsam ist es,
dass Philippos nicht wie Hannibal es versuchte, sein Heer roemisch zu
organisieren; allein es begreift sich, wenn man sich erinnert, was den
Makedoniern ihre zwar oft ueberwundene, aber doch noch immer
unueberwindlich geglaubte Phalanx galt. Durch die neuen Finanzquellen,
die Philippos in Bergwerken, Zoellen und Zehnten sich geschaffen hatte,
und den aufbluehenden Ackerbau und Handel war es gelungen, den Schatz,
die Speicher und die Arsenale zu fuellen; als der Krieg begann, lag im
makedonischen Staatsschatz Geld genug, um fuer das dermalige Heer und
fuer 10000 Mann Mietstruppen auf zehn Jahre den Sold zu zahlen und
fanden sich in den oeffentlichen Magazinen Getreidevorraete auf ebenso
lange Zeit (18 Mill. Medimnen oder preussische Scheffel) und Waffen
fuer ein dreifach so starkes Heer, als das gegenwaertige war. In der
Tat war Makedonien ein ganz anderer Staat geworden, als da es durch den
Ausbruch des zweiten Krieges mit Rom ueberrascht ward; die Macht des
Reiches war in allen Beziehungen mindestens verdoppelt - mit einer in
jeder Hinsicht weit geringeren hatte Hannibal es vermocht, Rom bis in
seine Grundfesten zu erschuettern.

Nicht so guenstig standen die aeusseren Verhaeltnisse. Es lag in der
Natur der Sache, dass Makedonien jetzt die Plaene von Hannibal und von
Antiochos wieder aufnehmen und versuchen musste, sich an die Spitze
einer Koalition aller unterdrueckten Staaten gegen Roms Suprematie zu
stellen; und allerdings gingen die Faeden vom Hofe zu Pydna nach allen
Seiten. Indes der Erfolg war gering. Dass die Treue der Italiker
schwankte, ward wohl behauptet; allein es konnte weder Freund noch
Feind entgehen, dass zunaechst die Wiederaufnahme der Samnitenkriege
nicht gerade wahrscheinlich sei. Die naechtlichen Konferenzen
makedonischer Abgeordneter mit dem karthagischen Senat, die Massinissa
in Rom denunzierte, konnten gleichfalls ernsthafte und einsichtige
Maenner nicht erschrecken, selbst wenn sie nicht, wie es sehr moeglich
ist, voellig erfunden waren. Die Koenige von Syrien und Bithynien
suchte der makedonische Hof durch Zwischenheiraten in das makedonische
Interesse zu ziehen; allein es kam dabei weiter nichts heraus, als dass
die unsterbliche Naivitaet der Diplomatie, die Laender mit Liebschaften
erobern zu wollen, sich einmal mehr prostituierte. Den Eumenes, den
gewinnen zu wollen laecherlich gewesen waere, haetten Perseus’ Agenten
gern beseitigt; er sollte auf der Rueckkehr von Rom, wo er gegen
Makedonien gewirkt hatte, bei Delphi ermordet werden, allein der
saubere Plan misslang.

Von groesserer Bedeutung waren die Bestrebungen, die noerdlichen
Barbaren und die Hellenen gegen Rom aufzuwiegeln. Philippos hatte den
Plan entworfen, die alten Feinde Makedoniens, die Dardaner in dem
heutigen Serbien, zu erdruecken durch einen anderen, vom linken Ufer
der Donau herbeigezogenen, noch wilderen Schwarm deutscher Abstammung,
den der Bastarner, sodann mit diesen und der ganzen dadurch in Bewegung
gesetzten Voelkerlawine selbst nach Italien auf dem Landweg zu ziehen
und in die Lombardei einzufallen, wohin er die Alpenpaesse bereits
erkunden liess - ein grossartiger, Hannibals wuerdiger Entwurf, welchen
auch ohne Zweifel Hannibals Alpenuebergang unmittelbar angeregt hat. Es
ist mehr als wahrscheinlich, dass hiermit die Gruendung der roemischen
Festung Aquileia zusammenhaengt, die eben in Philippos’ letzte Zeit
faellt (573 181) und nicht passt zu dem sonst von den Roemern bei ihren
italischen Festungsanlagen befolgten System. Der Plan scheiterte indes
an dem verzweifelten Widerstand der Dardaner und der mitbetroffenen
naechstwohnenden Voelkerschaften; die Bastarner mussten wieder abziehen
und der ganze Haufen ertrank auf der Heimkehr unter dem einbrechenden
Eise der Donau. Der Koenig suchte nun wenigstens unter den Haeuptlingen
des illyrischen Landes, des heutigen Dalmatiens und des noerdlichen
Albaniens, seine Klientel auszubreiten. Nicht ohne Perseus’ Vorwissen
kam einer derselben, der treulich zu Rom hielt, Arthetauros, durch
Moerderhand um. Der bedeutendste von allen, Genthios, der Sohn und Erbe
des Pleuratos, stand zwar dem Namen nach gleich seinem Vater in
Buendnis mit Rom, allein die Boten von Issa, einer griechischen Stadt
auf einer der dalmatinischen Inseln, berichteten dem Senat, dass Koenig
Perseus mit dem jungen, schwachen, trunkfaelligen Menschen in
heimlichem Einverstaendnis stehe und Genthios’ Gesandte in Rom dem
Perseus als Spione dienten.

In den Landschaften oestlich von Makedonien gegen die untere Donau zu
stand der maechtigste unter den thrakischen Haeuptlingen, der Fuerst
der Orysen und Herr des ganzen oestlichen Thrakiens von der
makedonischen Grenze am Hebros (Maritza) bis an den mit griechischen
Staedten bedeckten Kuestensaum, der kluge und tapfere Kotys, mit
Perseus im engsten Buendnis; von den anderen kleineren Haeuptlingen,
die es hier mit Rom hielten, ward einer, der Fuerst der Sagaeer,
Abrupolis, infolge eines gegen Amphipolis am Strymon gerichteten
Raubzugs von Perseus geschlagen und aus dem Lande getrieben. Von
hierher hatte Philipp zahlreiche Kolonisten gezogen und standen
Soeldner zu jeder Zeit in beliebiger Zahl zu Gebot.

Unter der ungluecklichen hellenischen Nation ward von Philippos und
Perseus lange vor der Kriegserklaerung gegen Rom ein zwiefacher
Propagandakrieg lebhaft gefuehrt, indem man teils die nationale, teils
- man gestatte den Ausdruck - die kommunistische Partei auf die Seite
Makedoniens zu bringen versuchte. Dass alle national Gesinnten unter
den asiatischen wie unter den europaeischen Griechen jetzt im Herzen
makedonisch waren, versteht sich von selbst; nicht wegen einzelner
Ungerechtigkeiten der roemischen Befreier, sondern weil die Herstellung
der hellenischen Nationalitaet durch eine fremde den Widerspruch in
sich selbst trug, und jetzt, wo es freilich zu spaet war, jeder es
begriff, dass die abscheulichste makedonische Regierung minder
unheilvoll fuer Griechenland war als die aus den edelsten Absichten
ehrenhafter Auslaender hervorgegangene freie Verfassung. Dass die
tuechtigsten und rechtschaffensten Leute in ganz Griechenland gegen Rom
Partei ergriffen, war in der Ordnung; roemisch gesinnt war nur die
feile Aristokratie und hier und da ein einzelner ehrlicher Mann, der
ausnahmsweise sich ueber den Zustand und die Zukunft der Nation nicht
taeuschte. Am schmerzlichsten empfand dies Eumenes von Pergamon, der
Traeger jener fremdlaendischen Freiheit unter den Griechen. Vergeblich
behandelte er die ihm unterworfenen Staedte mit Ruecksichten aller Art;
vergeblich buhlte er um die Gunst der Gemeinden und der Tagsatzungen
mit wohlklingenden Worten und noch besser klingendem Golde - er musste
vernehmen, dass man seine Geschenke zurueckgewiesen, ja dass man eines
schoenen Tages im ganzen Peloponnes nach Tagsatzungsbeschluss alle
frueher ihm errichteten Statuen zerschlagen und die Ehrentafeln
eingeschmolzen habe (584 170), waehrend Perseus’ Name auf allen Lippen
war; waehrend selbst die ehemals am entschiedensten antimakedonisch
gesinnten Staaten, wie die Achaeer, ueber die Aufhebung der gegen
Makedonien gerichteten Gesetze berieten; waehrend Byzantion, obwohl
innerhalb des Pergamenischen Reiches gelegen, nicht von Eumenes,
sondern von Perseus Schutz und Besatzung gegen die Thraker erbat und
empfing, und ebenso Lampsakos am Hellespont sich dem Makedonier
anschloss; waehrend die maechtigen und besonnenen Rhodier dem Koenig
Perseus seine syrische Braut, da die syrischen Kriegsschiffe im
Aegaeischen Meer sich nicht zeigen durften, mit ihrer ganzen
praechtigen Kriegsflotte von Antiocheia her zufuehrten und hochgeehrt
und reich beschenkt, namentlich mit Holz zum Schiffbau, wieder
heimkehrten; waehrend Beauftragte der asiatischen Staedte, also der
Untertanen des Eumenes, in Samothrake mit makedonischen Abgeordneten
geheime Konferenzen hielten. Jene Sendung der rhodischen Kriegsflotte
schien wenigstens eine Demonstration; und sicher war es eine, dass der
Koenig Perseus unter dem Vorwand einer gottesdienstlichen Handlung bei
Delphi den Hellenen sich und seine ganze Armee zur Schau stellte. Dass
der Koenig sich auf diese nationale Propaganda bei dem bevorstehenden
Kriege zu stuetzen gedachte, war in der Ordnung. Arg aber war es, dass
er die fuerchterliche oekonomische Zerruettung Griechenlands benutzte,
um alle diejenigen, die eine Umwaelzung der Eigentums- und
Schuldverhaeltnisse wuenschten, an Makedonien zu ketten. Von der
beispiellosen Ueberschuldung der Gemeinden wie der einzelnen im
europaeischen Griechenland, mit Ausnahme des in dieser Hinsicht etwas
besser geordneten Peloponnes, ist es schwer, sich einen hinreichenden
Begriff zu machen; es kam vor, dass eine Stadt die andere ueberfiel und
auspluenderte, bloss um Geld zu machen, so zum Beispiel die Athener
Oropos, und bei den Aetolern, den Perrhaebern, den Thessalern lieferten
die Besitzenden und die Nichtbesitzenden sich foermliche Schlachten.
Die aergsten Greueltaten verstehen sich bei solchen Zustaenden von
selbst; so wurde bei den Aetolern eine allgemeine Versoehnung
verkuendet und ein neuer Landfriede gemacht, einzig zu dem Zweck, eine
Anzahl von Emigranten ins Garn zu locken und zu ermorden. Die Roemer
versuchten zu vermitteln; aber ihre Gesandten kehrten unverrichteter
Sache zurueck und meldeten, dass beide Parteien gleich schlecht und die
Erbitterung nicht zu bezaehmen sei. Hier half in der Tat nichts anderes
mehr als der Offizier und der Scharfrichter; der sentimentale
Hellenismus fing an, ebenso grauenvoll zu werden, wie er von Anfang an
laecherlich gewesen war. Koenig Perseus aber bemaechtigte sich dieser
Partei, wenn sie den Namen verdient, der Leute, die nichts, am
wenigsten einen ehrlichen Namen zu verlieren hatten, und erliess nicht
bloss Verfuegungen zu Gunsten der makedonischen Bankerottierer, sondern
liess auch in Larisa, Delphi und Delos Plakate anschlagen, welche
saemtliche wegen politischer oder anderer Verbrechen oder ihrer
Schulden wegen landfluechtig gewordene Griechen aufforderten, nach
Makedonien zu kommen und volle Einsetzung in ihre ehemaligen Ehren und
Gueter zu gewaertigen. Dass sie kamen, kann man sich denken; ebenso
dass in ganz Nordgriechenland die glimmende soziale Revolution nun in
offene Flammen ausschlug und die national-soziale Partei daselbst um
Hilfe zu Perseus sandte. Wenn die hellenische Nationalitaet nur mit
solchen Mitteln zu retten war, so durfte bei aller Verehrung fuer
Sophokles und Pheidias man sich die Frage erlauben, ob das Ziel des
Preises wert sei.

Der Senat begriff, dass er schon zu lange gezoegert habe und dass es
Zeit sei, dem Treiben ein Ende zu machen. Die Vertreibung des
thrakischen Haeuptlings Abrupolis, der mit den Roemern in Buendnis
stand, die Buendnisse Makedoniens mit den Byzantiern, Aetolern und
einem Teil der boeotischen Staedte waren ebensoviel Verletzungen des
Friedens von 557 (197) und genuegten fuer das offizielle
Kriegsmanifest; der wahre Grund des Krieges war, dass Makedonien im
Begriff stand, seine formelle Souveraenitaet in eine reelle zu
verwandeln und Rom aus dem Patronat ueber die Hellenen zu verdraengen.
Schon 581 (173) sprachen die roemischen Gesandten auf der achaeischen
Tagsatzung es ziemlich unumwunden aus, dass ein Buendnis mit Perseus
mit dem Abfall von dem roemischen gleichbedeutend sei. Im Jahr 582
(172) kam Koenig Eumenes persoenlich nach Rom mit einem langen
Beschwerdenregister und deckte die ganze Lage der Dinge im Senat auf,
worauf dieser wider Erwarten in geheimer Sitzung sofort die
Kriegserklaerung beschloss und die Landungsplaetze in Epeiros mit
Besatzungen versah. Der Form wegen ging noch eine Gesandtschaft nach
Makedonien, deren Botschaft aber derart war, dass Perseus, erkennend,
dass er nicht zurueck koenne, die Antwort gab, er sei bereit, ein neues
wirklich gleiches Buendnis mit Rom zu schliessen, allein den Vertrag
von 557 (197) sehe er als aufgehoben an, und die Gesandten anwies,
binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit war der Krieg
tatsaechlich erklaert. Es war im Herbst 582 (172); wenn Perseus wollte,
konnte er ganz Griechenland besetzen und die makedonische Partei
ueberall ans Regiment bringen, ja vielleicht die bei Apollonia stehende
roemische Division von 5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdruecken und
den Roemern die Landung streitig machen. Allein der Koenig, dem schon
vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess sich mit seinem
Gastfreund, dem Konsular Quintus Marcius Philippus, ueber die
Frivolitaet der roemischen Kriegserklaerung in Verhandlungen ein und
sich durch diese bestimmen, den Angriff zu verschieben und noch einmal
einen Friedensversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, der Senat
nur beantwortete mit der Ausweisung saemtlicher Makedonier aus Italien
und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten die Senatoren der
aelteren Schule die “neue Weisheit” ihres Kollegen und die unroemische
List; allein der Zweck war erreicht und der Winter verfloss, ohne dass
Perseus sich ruehrte. Desto eifriger nutzten die roemischen Diplomaten
die Zwischenzeit, um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu
berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die Patriotenpartei
daselbst, die weder mit jenen sozialen Bewegungen einverstanden war
noch ueberhaupt sich weiter verstieg als zu der Sehnsucht nach einer
weisen Neutralitaet, dachte daran, sich Perseus in die Arme zu werfen;
und ueberdies war dort jetzt durch roemischen Einfluss die Gegenpartei
ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom anschloss. Der Aetolische
Bund hatte zwar in seinen inneren Unruhen von Perseus Hilfe erbeten;
aber der unter den Augen der roemischen Gesandten gewaehlte neue
Strateg Lykiskos war roemischer gesinnt als die Roemer selbst. Auch bei
den Thessalern behielt die roemische Partei die Oberhand. Sogar die von
Alters her makedonisch gesinnten und oekonomisch aufs tiefste
zerruetteten Boeoter hatten in ihrer Gesamtheit sich nicht offen fuer
Perseus erklaert; doch liessen wenigstens drei ihrer Staedte, Thisbae,
Haliartos und Koroneia auf eigene Hand sich mit Perseus ein. Da auf die
Beschwerde des roemischen Gesandten die Regierung der boeotischen
Eidgenossenschaft ihm den Stand der Dinge mitteilte, erklaerte jener,
dass sich am besten zeigen werde, welche Stadt es mit Rom halte und
welche nicht, wenn jede sich einzeln ihm gegenueber ausspreche; und
daraufhin lief die Boeotische Eidgenossenschaft geradezu auseinander.
Es ist nicht wahr, dass Epaminondas’ grosser Bau von den Roemern
zerstoert worden ist; er fiel tatsaechlich zusammen, ehe sie daran
ruehrten, und ward also freilich das Vorspiel fuer die Aufloesung der
uebrigen, noch fester geschlossenen griechischen Staedtebuende ^2. Mit
der Mannschaft der roemisch gesinnten boeotischen Staedte belagerte der
roemische Gesandte Publius Lentulus Haliartos, noch ehe die roemische
Flotte im Aegaeischen Meer erschien.

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^2 Die rechtliche Aufloesung der Boeotischen Eidgenossenschaft erfolgte
uebrigens wohl noch nicht jetzt, sondern erst nach der Zerstoerung
Korinths (Paus. 7, 14, 4; 16, 6.)

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Chalkis ward mit achaeischer, die orestische Landschaft mit
epeirotischer Mannschaft, die dassaretischen und illyrischen Kastelle
an der makedonischen Westgrenze von den Truppen des Gnaeus Sicinius
besetzt, und sowie die Schiffahrt wieder begann, erhielt Larisa eine
Besatzung von 2000 Mann. Perseus sah dem allem untaetig zu und hatte
keinen Fussbreit Landes ausserhalb seines eigenen Gebietes inne, als im
Fruehling oder nach dem offiziellen Kalender im Juni 583 (171) die
roemischen Legionen an der Westkueste landeten. Es ist zweifelhaft, ob
Perseus namhafte Bundesgenossen gefunden haben wuerde, auch wenn er
soviel Energie gezeigt haette, als er Schlaffheit bewies; unter diesen
Umstaenden blieb er natuerlich voellig allein, und jene weitlaeufigen
Propagandaversuche fuehrten vorlaeufig wenigstens zu gar nichts.
Karthago, Genthios von Illyrien, Rhodos und die kleinasiatischen
Freistaedte, selbst das mit Perseus bisher so eng befreundete Byzanz,
boten den Roemern Kriegsschiffe an, welche diese indes ablehnten.
Eumenes machte sein Landheer und seine Schiffe mobil. Koenig Ariarathes
von Kappadokien schickte ungeheissen Geiseln nach Rom. Perseus’
Schwager, Koenig Prusias II. von Bithynien, blieb neutral. In ganz
Griechenland ruehrte sich niemand. Koenig Antiochos IV. von Syrien, im
Kurialstil “der Gott, der glaenzende Siegbringer” genannt zur
Unterscheidung von seinem Vater, dem “Grossen”, ruehrte sich zwar, aber
nur um dem ganz ohnmaechtigen Aegypten waehrend dieses Krieges das
syrische Kuestenland zu entreissen.

Indes wenn Perseus auch fast allein stand, so war er doch ein nicht
veraechtlicher Gegner. Sein Heer zaehlte 43000 Mann, darunter 21000
Phalangiten und 4000 makedonische und thrakische Reiter, der Rest
groesstenteils Soeldner. Die Gesamtmacht der Roemer in Griechenland
betrug zwischen 30- und 40000 Mann italischer Truppen, ausserdem ueber
10000 Mann numidischen, ligurischen, griechischen, kretischen und
besonders pergamenischen Zuzugs. Dazu kam die Flotte, die nur 40
Deckschiffe zaehlte, da ihr keine feindliche gegenueberstand - Perseus,
dem der Vertrag mit Rom Kriegsschiffe zu bauen verboten hatte, richtete
erst jetzt Werften in Thessalonike ein -, die aber bis 10000 Mann
Truppen an Bord hatte, da sie hauptsaechlich bei Belagerungen
mitzuwirken bestimmt war. Die Flotte fuehrte Gaius Lucretius, das
Landheer der Konsul Publius Licinius Crassus. Derselbe liess eine
starke Abteilung in Illyrien, um von Westen aus Makedonien zu
beunruhigen, waehrend er mit der Hauptmacht wie gewoehnlich von
Apollonia nach Thessalien aufbrach. Perseus dachte nicht daran, den
schwierigen Marsch zu stoeren, sondern begnuegte sich, in Perrhaebien
einzuruecken und die naechsten Festungen zu besetzen. Am Ossa erwartete
er den Feind und unweit Larisa erfolgte das erste Gefecht zwischen den
beiderseitigen Reitern und leichten Truppen. Die Roemer wurden
entschieden geschlagen. Kotys mit der thrakischen Reiterei hatte die
italische, Perseus mit der makedonischen die griechische geworfen und
zersprengt; die Roemer hatten 2000 Mann zu Fuss, 2000 Reiter an Toten,
600 Reiter an Gefangenen verloren und mussten sich gluecklich
schaetzen, unbehindert den Peneios ueberschreiten zu koennen. Perseus
benutzte den Sieg, um auf dieselben Bedingungen, die Philippos erhalten
hatte, den Frieden zu erbitten; sogar dieselbe Summe zu zahlen war er
bereit. Die Roemer schlugen die Forderung ab; sie schlossen nie Frieden
nach einer Niederlage, und hier haette der Friedensschluss allerdings
folgeweise den Verlust Griechenlands nach sich gezogen. Indes
anzugreifen verstand der elende roemische Feldherr auch nicht; man zog
hin und her in Thessalien, ohne dass etwas von Bedeutung geschah.
Perseus konnte die Offensive ergreifen; er sah die Roemer schlecht
gefuehrt und zaudernd; wie ein Lauffeuer war die Nachricht durch
Griechenland gegangen, dass das griechische Heer im ersten Treffen
glaenzend gesiegt habe - ein zweiter Sieg konnte zur allgemeinen
Insurrektion der Patriotenpartei fuehren und durch die Eroeffnung eines
Guerillakrieges unberechenbare Erfolge bewirken. Allein Perseus war ein
guter Soldat, aber kein Feldherr wie sein Vater; er hatte sich auf
einen Verteidigungskrieg gefasst gemacht, und wie die Dinge anders
gingen, fand er sich wie gelaehmt. Einen unbedeutenden Erfolg, den die
Roemer in einem zweiten Reitergefecht bei Phalanna davontrugen, nahm er
zum Vorwand, um nun doch, wie es beschraenkten und eigensinnigen
Naturen eigen ist, zu dem ersten Plan zurueckzukehren und Thessalien zu
raeumen. Das hiess natuerlich soviel, als auf jeden Gedanken einer
hellenischen Insurrektion verzichten; was sonst sich haette erreichen
lassen, zeigt der dennoch erfolgte Parteiwechsel der Epeiroten. Von
beiden Seiten geschah seitdem nichts Ernstliches mehr; Perseus
ueberwand den Koenig Genthios, zuechtigte die Dardaner und liess durch
Kotys die roemisch gesinnten Thraker und die pergamenischen Truppen aus
Thrakien hinausschlagen. Dagegen nahm die roemische Westarmee einige
illyrische Staedte, und der Konsul beschaeftigte sich damit, Thessalien
von den makedonischen Besatzungen zu reinigen und sich der unruhigen
Aetoler und Akarnanen durch Besetzung von Ambrakia zu versichern. Am
schwersten aber empfanden den roemischen Heldenmut die ungluecklichen
boeotischen Staedte, die mit Perseus hielten; die Einwohner sowohl von
Thisbae, das sich ohne Widerstand ergab, sowie der roemische Admiral
Gaius Lucretius vor der Stadt erschien, wie von Haliartos, das ihm die
Tore schloss und erstuermt werden musste, wurden von ihm in die
Sklaverei verkauft, Koroneia von dem Konsul Crassus gar der
Kapitulation zuwider ebenso behandelt. Noch nie hatte ein roemisches
Heer so schlechte Mannszucht gehalten wie unter diesen Befehlshabern.
Sie hatten das Heer so zerruettet, dass auch im naechsten Feldzug 584
(170) der neue Konsul Aulus Hostilius an ernstliche Unternehmungen
nicht denken konnte, zumal da der neue Admiral Lucius Hortensius sich
ebenso unfaehig und gewissenlos erwies wie sein Vorgaenger. Die Flotte
lief ohne allen Erfolg in den thrakischen Kuestenplaetzen an. Die
Westarmee unter Appius Claudius, dessen Hauptquartier in Lychnidos im
dassaretischen Gebiet war, erlitt eine Schlappe ueber die andere;
nachdem eine Expedition nach Makedonien hinein voellig verunglueckt
war, griff gegen Anfang des Winters der Koenig mit den an der
Suedgrenze durch den tiefen, alle Paesse sperrenden Schnee entbehrlich
gewordenen Truppen den Appius seinerseits an, nahm ihm zahlreiche
Ortschaften und eine Menge Gefangene ab und knuepfte Verbindungen mit
dem Koenig Genthios an; ja er konnte einen Versuch machen, in Aetolien
einzufallen, waehrend Appius sich in Epeiros von der Besatzung einer
Festung, die er vergeblich belagert hatte, noch einmal schlagen liess.
Die roemische Hauptarmee machte ein paar Versuche, erst ueber die
Kambunischen Berge, dann durch die thessalischen Paesse in Makedonien
einzudringen, aber sie wurden schlaff angestellt und beide von Perseus
zurueckgewiesen. Hauptsaechlich beschaeftigte der Konsul sich mit der
Reorganisierung des Heeres, die freilich auch vor allen Dingen noetig
war, aber einen strengeren Mann und einen namhafteren Offizier
erforderte. Abschied und Urlaub waren kaeuflich geworden, die
Abteilungen daher niemals vollzaehlig; die Mannschaft ward im Sommer
einquartiert, und wie die Offiziere im grossen Stil, stahlen die
Gemeinen im kleinen; die befreundeten Voelkerschaften wurden in
schmaehlicher Weise beargwohnt - so waelzte man die Schuld der
schimpflichen Niederlage bei Larisa auf die angebliche Verraeterei der
aetolischen Reiterei und sandte unerhoerterweise deren Offiziere zur
Kriminaluntersuchung nach Rom; so draengte man die Molotter in Epeiros.
durch falschen Verdacht zum wirklichen Abfall; die verbuendeten Staedte
wurden, als waeren sie erobert, mit Kriegskontributionen belegt, und
wenn sie auf den roemischen Senat provozierten, die Buerger
hingerichtet oder zu Sklaven verkauft - so in Abdera und aehnlich in
Chalkis. Der Senat schritt sehr ernstlich ein ^3: er befahl die
Befreiung der ungluecklichen Koroneier und Abderiten und verbot den
roemischen Beamten, ohne Erlaubnis des Senats Leistungen von den
Bundesgenossen zu verlangen. Gaius Lucretius ward von der Buergerschaft
einstimmig verurteilt. Allein das konnte nicht aendern, dass das
Ergebnis dieser beiden ersten Feldzuege militaerisch null, politisch
ein Schandfleck fuer die Roemer war, deren ungemeine Erfolge im Osten
nicht zum wenigsten darauf beruhten, dass sie der hellenischen
Suendenwirtschaft gegenueber sittlich rein und tuechtig auftraten.
Haette an Perseus’ Stelle Philippos kommandiert, so wuerde dieser Krieg
vermutlich mit der Vernichtung des roemischen Heeres und dem Abfall der
meisten Hellenen begonnen haben; allein Rom war so gluecklich, in den
Fehlern stets von seinen Gegnern ueberboten zu werden. Perseus
begnuegte sich in Makedonien, das nach Sueden und Westen eine wahre
Bergfestung ist, gleichwie in einer belagerten Stadt sich zu
verschanzen.

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^3 Der kuerzlich aufgefundene Senatsbeschluss vom 9. Oktober 584 (170),
der die Rechtsverhaeltnisse von Thisbae regelt (Eph. epigr. 1872, S.
278 f.; AM 4, 1889, S. 235f.), gibt einen deutlichen Einblick in diese
Verhaeltnisse.

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Auch der dritte Oberfeldherr, den Rom 585 (169) nach Makedonien sandte,
Quintus Marcius Philippus, jener schon erwaehnte ehrliche Gastfreund
des Koenigs, war seiner keineswegs leichten Aufgabe durchaus nicht
gewachsen. Er war ehrgeizig und unternehmend, aber ein schlechter
Offizier. Sein Wagestueck, durch den Pass Lapathus westlich von Tempe
den Uebergang ueber den Olympos in der Art zu gewinnen, dass er gegen
die Besatzung des Passes eine Abteilung zurueckliess und mit der
Hauptmacht durch unwegsame Abhaenge nach Herakleion zu den Weg sich
bahnte, wird dadurch nicht entschuldigt, dass es gelang. Nicht bloss
konnte eine Handvoll entschlossener Leute ihm den Weg verlegen, wo dann
an keinen Rueckzug zu denken war, sondern noch nach dem Uebergang stand
er mit der makedonischen Hauptmacht vor sich, hinter sich die stark
befestigten Bergfestungen Tempe und Lapathus, eingekeilt in eine
schmale Strandebene und ohne Zufuhr wie ohne Moeglichkeit zu
fouragieren, in einer nicht minder verzweifelten Lage, als da er in
seinem ersten Konsulat in den ligurischen Engpaessen, die seitdem
seinen Namen behielten, sich gleichfalls hatte umzingeln lassen. Allein
wie damals ihn ein Zufall rettete, so jetzt Perseus’ Unfaehigkeit. Als
ob er den Gedanken nicht fassen koenne, gegen die Roemer anders als
durch Sperrung der Paesse sich zu verteidigen, gab er sich
seltsamerweise verloren, sowie er die Roemer diesseits derselben
erblickte, fluechtete eiligst nach Pydna und befahl, seine Schiffe zu
verbrennen und seine Schaetze zu versenken. Aber selbst dieser
freiwillige Abzug der makedonischen Armee befreite den Konsul noch
nicht aus seiner peinlichen Lage. Er ging zwar ungehindert vor, musste
aber nach vier Tagemaerschen wegen Mangels an Lebensmitteln sich wieder
rueckwaerts wenden; und da auch der Koenig zur Besinnung kam und
schleunigst umkehrte, um in die verlassene Position wieder
einzuruecken, so waere das roemische Heer in grosse Gefahr geraten,
wenn nicht zur rechten Zeit das unueberwindliche Tempe kapituliert und
seine reichen Vorraete dem Feind ueberliefert haette. Die Verbindung
mit dem Sueden war nun zwar dadurch dem roemischen Heere gesichert;
aber auch Perseus hatte sich in seiner frueheren wohlgewaehlten
Stellung an dem Ufer des kleinen Flusses Elpios stark verbarrikadiert
und hemmte hier den weiteren Vormarsch der Roemer. So verblieb das
roemische Heer den Rest des Sommers und den Winter eingeklemmt in den
aeussersten Winkel Thessaliens; und wenn die Ueberschreitung der Paesse
allerdings ein Erfolg und der erste wesentliche in diesem Krieg war, so
verdankte man ihn doch nicht der Tuechtigkeit des roemischen, sondern
der Verkehrtheit des feindlichen Feldherrn. Die roemische Flotte
versuchte vergebens Demetrias zu nehmen und richtete ueberhaupt gar
nichts aus. Perseus’ leichte Schiffe streiften kuehn zwischen den
Kykladen, beschuetzten die nach Makedonien bestimmten Kornschiffe und
griffen die feindlichen Transporte auf. Bei der Westarmee stand es noch
weniger gut; Appius Claudius konnte mit seiner geschwaechten Abteilung
nichts ausrichten, und der von ihm begehrte Zuzug aus Achaia ward durch
die Eifersucht des Konsuls abgehalten zu kommen. Dazu kam, dass
Genthios sich von Perseus durch das Versprechen einer grossen Geldsumme
hatte erkaufen lassen, mit Rom zu brechen, und die roemischen Gesandten
einkerkern liess; worauf uebrigens der sparsame Koenig es ueberfluessig
fand, die zugesicherten Gelder zu zahlen, da Genthios nun allerdings
ohnehin gezwungen war, statt der bisherigen zweideutigen eine
entschieden feindliche Stellung gegen Rom einzunehmen. So hatte man
also einen kleinen Krieg mehr neben dem grossen, der nun schon drei
Jahre sich hinzog. Ja haette Perseus sich von seinem Golde zu trennen
vermocht, er haette den Roemern noch gefaehrlichere Feinde erwecken
koennen. Ein Keltenschwarm unter Clondicus, 10000 Mann zu Pferde und
ebenso viele zu Fuss, bot in Makedonien selbst sich an, bei ihm Dienste
zu nehmen; allein man konnte sich ueber den Sold nicht einigen. Auch in
Hellas gaerte es so, dass ein Guerillakrieg sich mit einiger
Geschicklichkeit und einer vollen Kasse leicht haette entzuenden
lassen; allein da Perseus nicht Lust hatte zu geben und die Griechen
nichts umsonst taten, blieb das Land ruhig.

Endlich entschloss man sich in Rom, den rechten Mann nach Griechenland
zu senden. Es war Lucius Aemilius Paullus, der Sohn des gleichnamigen
Konsuls, der bei Cannae fiel; ein Mann von altem Adel, aber geringem
Vermoegen und deshalb auf dem Wahlplatz nicht so gluecklich wie auf dem
Schlachtfeld, wo er in Spanien und mehr noch in Ligurien sich
ungewoehnlich hervorgetan. Ihn waehlte das Volk fuer das Jahr 586 (168)
zum zweitenmal zum Konsul seiner Verdienste wegen, was damals schon
eine seltene Ausnahme war. Er war in jeder Beziehung der rechte: ein
vorzueglicher Feldherr von der alten Schule, streng gegen sich und
seine Leute und trotz seiner sechzig Jahre noch frisch und kraeftig,
ein unbestechlicher Beamter - “einer der wenigen Roemer jener Zeit,
denen man kein Geld bieten konnte”, sagt ein Zeitgenosse von ihm - und
ein Mann von hellenischer Bildung, der noch als Oberfeldherr die
Gelegenheit benutzte, um Griechenland der Kunstwerke wegen zu bereisen.

Sowie der neue Feldherr im Lager bei Herakleion eingetroffen war, liess
er, waehrend Vorpostengefechte im Flussbett des Elpios die Makedonier
beschaeftigten, den schlecht bewachten Pass bei Pythion durch Publius
Nasica ueberrumpeln; der Feind war dadurch umgangen und musste nach
Pydna zurueckweichen. Hier, am roemischen 4. September 586 (168) oder
am 22. Juni des Julianischen Kalenders - eine Mondfinsternis, die ein
kundiger roemischer Offizier dem Heer voraussagte, damit kein boeses
Anzeichen darin gefunden werde, gestattet hier die genaue
Zeitbestimmung - wurden beim Traenken der Rosse nach Mittag zufaellig
die Vorposten handgemein, und beide Teile entschlossen sich, die
eigentlich erst auf den naechsten Tag angesetzte Schlacht sofort zu
liefern. Ohne Helm und Panzer durch die Reihen schreitend ordnete der
greise Feldherr der Roemer selber seine Leute. Kaum standen sie, so
stuermte die furchtbare Phalanx auf sie ein; der Feldherr selber, der
doch manchen harten Kampf gesehen hatte, gestand spaeter ein, dass er
gezittert habe. Die roemische Vorhut zerstob, eine paelignische Kohorte
ward niedergerannt und fast vernichtet, die Legionen selbst wichen
eilig zurueck, bis sie einen Huegel erreicht hatten, bis hart an das
roemische Lager. Hier wandte sich das Glueck. Das unebene Terrain und
die eilige Verfolgung hatte die Glieder der Phalanx geloest; in
einzelnen Kohorten drangen die Roemer in jede Luecke ein, griffen von
der Seite und von hinten an, und da die makedonische Reiterei, die
allein noch haette Hilfe bringen koennen, ruhig zusah und bald sich in
Massen davonmachte, mit ihr unter den ersten der Koenig, so war in
weniger als einer Stunde das Geschick Makedoniens entschieden. Die 3000
erlesenen Phalangiten liessen sich niederhauen bis auf den letzten
Mann; es war, als wolle die Phalanx, die ihre letzte grosse Schlacht
bei Pydna schlug, hier selber untergehen. Die Niederlage war furchtbar;
20000 Makedonier lagen auf dem Schlachtfeld, 11000 wurden gefangen. Der
Krieg war zu Ende, am fuenfzehnten Tage nachdem Paullus den Oberbefehl
uebernommen hatte; ganz Makedonien unterwarf sich in zwei Tagen. Der
Koenig fluechtete mit seinem Golde - noch hatte er ueber 6000 Talente
(10 Mill. Taler) in seiner Kasse - nach Samothrake, begleitet von
wenigen Getreuen. Allein da er selbst von diesen noch einen ermordete,
den Euandros von Kreta, der als Anstifter des gegen Eumenes versuchten
Mordes zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verliessen ihn auch die
koeniglichen Pagen und die letzten Gefaehrten. Einen Augenblick hoffte
er, dass das Asylrecht ihn schuetzen werde; allein selbst er begriff,
dass er sich an einen Strohhalm halte. Ein Versuch, zu Kotys zu
fluechten, misslang. So schrieb er an den Konsul; allein der Brief ward
nicht angenommen, da er sich darin Koenig genannt hatte. Er erkannte
sein Schicksal und lieferte auf Gnade und Ungnade den Roemern sich aus
mit seinen Kindern und seinen Schaetzen, kleinmuetig und weinend, den
Siegern selbst zum Ekel. Mit ernster Freude und mehr der Wandelbarkeit
der Geschicke als dem gegenwaertigen Erfolg nachsinnend empfing der
Konsul den vornehmsten Gefangenen, den je ein roemischer Feldherr
heimgebracht hat. Perseus starb wenige Jahre darauf als
Staatsgefangener in Alba am Fuciner See ^4; sein Sohn lebte in
spaeteren Jahren in derselben italischen Landstadt als Schreiber.

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^4 Dass die Roemer, um zugleich ihm das Wort zu halten, das ihm sein
Leben verbuergte, und Rache an ihm zu nehmen, ihn durch Entziehung des
Schlafs getoetet, ist sicher eine Fabel.

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So ging das Reich Alexanders des Grossen, das den Osten bezwungen und
hellenisiert hatte, 144 Jahre nach seinem Tode zugrunde.

Damit aber zu dem Trauerspiel die Posse nicht fehlte, ward gleichzeitig
auch der Krieg gegen den “Koenig” Genthios von Illyrien von dem Praetor
Lucius Anicius binnen dreissig Tagen begonnen und beendet, die
Piratenflotte genommen, die Hauptstadt Skodra erobert, und die beiden
Koenige, der Erbe des grossen Alexander und der des Pleuratos, zogen
nebeneinander gefangen in Rom ein.

Es war im Senat beschlossen worden, dass die Gefahr nicht wiederkehren
duerfe, die Flamininus’ unzeitige Milde ueber Rom gebracht hatte.
Makedonien ward vernichtet. Auf der Konferenz zu Amphipolis am Strymon
verfuegte die roemische Kommission die Aufloesung des
festgeschlossenen, durch und durch monarchischen Einheitsstaates in
vier, nach dem Schema der griechischen Eidgenossenschaften
zugeschnittene republikanisch-foederative Gemeindebuende, den von
Amphipolis in den oestlichen Landschaften, den von Thessalonike mit der
chalkidischen Halbinsel, den von Pella an der thessalischen Grenze und
den von Pelagonia im Binnenland. Zwischenheiraten unter den
Angehoerigen der verschiedenen Eidgenossenschaften waren ungueltig, und
keiner durfte in mehr als einer derselben ansaessig sein. Alle
koeniglichen Beamten sowie deren erwachsene Soehne mussten das Land
verlassen und sich nach Italien begeben, bei Todesstrafe - man
fuerchtete noch immer, und mit Recht, die Zuckungen der alten
Loyalitaet. Das Landrecht und die bisherige Verfassung blieb uebrigens
bestehen; die Beamten wurden natuerlich durch Gemeindewahlen ernannt
und innerhalb der Gemeinden wie der Buende die Macht in die Haende der
Vornehmen gelegt. Die koeniglichen Domaenen und die Regalien wurden den
Eidgenossenschaften nicht zugestanden, namentlich die Gold- und
Silbergruben, ein Hauptreichtum des Landes, zu bearbeiten untersagt;
doch ward 596 (138) wenigstens die Ausbeutung der Silbergruben wieder
gestattet ^5. Die Einfuhr von Salz, die Ausfuhr von Schiffbauholz
wurden verboten. Die bisher an den Koenig gezahlte Grundsteuer fiel
weg, und es blieb den Eidgenossenschaften und den Gemeinden
ueberlassen, sich selber zu besteuern; doch hatten diese die Haelfte
der bisherigen Grundsteuer nach einem ein fuer allemal festgestellten
Satz, zusammen jaehrlich 100 Talente (170000 Taler), nach Rom zu
entrichten ^6. Das ganze Land ward fuer ewige Zeiten entwaffnet, die
Festung Demetrias geschleift; nur an der Nordgrenze sollte eine
Postenkette gegen die Einfaelle der Barbaren bestehen bleiben. Von den
abgelieferten Waffen wurden die kupfernen Schilde nach Rom gesandt, der
Rest verbrannt.

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^5 Die Angabe Cassiodors, dass im Jahre 596 (158) die makedonischen
Bergwerke wieder eroeffnet wurden, erhaelt ihre naehere Bestimmung
durch die Muenzen. Goldmuenzen der vier Makedonien sind nicht
vorhanden; die Goldgruben also blieben entweder geschlossen oder es
wurde das gewonnene Gold als Barren verwertet. Dagegen finden sich
allerdings Silbermuenzen des ersten Makedoniens (Amphipolis), in
welchem Bezirk die Silbergruben belegen sind; fuer die kurze Zeit in
der sie geschlagen sein muessen (596-608 158-146) ist die Zahl
derselben auffallend gross und zeugt entweder von einem sehr
energischen Betrieb der Gruben oder von massenhafter Umpraegung des
alten Koeniggeldes.

^6 Wenn das makedonische Gemeinwesen durch die Roemer der
“herrschaftlichen Auflagen und Abgaben entlastet ward” (Polyb. 37, 4),
so braucht deshalb noch nicht notwendig ein spaeterer Erlass dieser
Steuer angenommen zu werden; es genuegt zur Erklaerung von Polybios’
Worten, dass die bisher herrschaftliche jetzt Gemeindesteuer ward. Der
Fortbestand der der Provinz Makedonien von Paullus gegebenen Verfassung
bis wenigstens in die augustische Zeit (Liv. 45, 32; Iust. 33, 2)
wuerde freilich sich auch mit dem Erlass der Steuer vereinigen lassen.

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Man erreichte seinen Zweck. Das makedonische Land hat zweimal noch auf
den Ruf von Prinzen aus dem alten Herrscherhause zu den Waffen
gegriffen, und ist uebrigens von jener Zeit bis auf den heutigen Tag
ohne Geschichte geblieben.

Aehnlich ward Illyrien behandelt. Das Reich des Genthios ward in drei
kleine Freistaaten zerschnitten; auch hier zahlten die Ansaessigen die
Haelfte der bisherigen Grundsteuer an ihre neuen Herren, mit Ausnahme
der Staedte, die es mit den Roemern gehalten hatten und dafuer
Grundsteuerfreiheit erhielten - eine Ausnahme, die zu machen Makedonien
keine Veranlassung bot. Die illyrische Piratenflotte ward konfisziert
und den angeseheneren griechischen Gemeinden an dieser Kueste
geschenkt. Die ewigen Quaelereien, welche die Illyrier den Nachbarn
namentlich durch ihre Korsaren zufuegten, hatten hiermit wenigstens auf
lange hinaus ein Ende.

Kotys in Thrakien, der schwer zu erreichen und gelegentlich gegen
Eumenes zu brauchen war, erhielt Verzeihung und seinen gefangenen Sohn
zurueck.

So waren die noerdlichen Verhaeltnisse geordnet und auch Makedonien
endlich von dem Joch der Monarchie erloest - in der Tat, Griechenland
war freier als je, ein Koenig nirgend mehr vorhanden.

Aber man beschraenkte sich nicht darauf, Makedonien Sehnen und Nerven
zu zerschneiden. Es war im Senat beschlossen, die saemtlichen
hellenischen Staaten, Freund und Feind, ein fuer allemal unschaedlich
zu machen und sie miteinander in dieselbe demuetige Klientel
hinabzudruecken. Die Sache selbst mag sich rechtfertigen lassen; allein
die Art der Ausfuehrung namentlich gegen die maechtigeren unter den
griechischen Klientelstaaten ist einer Grossmacht nicht wuerdig und
zeigt, dass die Epoche der Fabier und Scipionen zu Ende ist. Am
schwersten traf dieser Rollenwechsel denjenigen Staat, der von Rom
geschaffen und grossgezogen war, um Makedonien im Zaum zu halten, und
dessen man jetzt nach Makedoniens Vernichtung freilich nicht mehr
bedurfte, das Reich der Attaliden. Es war nicht leicht, gegen den
klugen und besonnenen Eumenes einen ertraeglichen Vorwand zu finden, um
ihn aus seiner bevorzugten Stellung zu verdraengen und ihn in Ungnade
fallen zu lassen. Auf einmal kamen um die Zeit, da die Roemer im Lager
bei Herakleion standen, seltsame Geruechte ueber ihn in Umlauf; er
stehe mit Perseus im heimlichen Verkehr; ploetzlich sei seine Flotte
wie weggeweht gewesen; fuer seine Nichtteilnahme am Feldzug seien ihm
500, fuer die Vermittlung des Friedens 1500 Talente geboten worden, und
nur an Perseus’ Geiz habe sich der Vertrag zerschlagen. Was die
pergamenische Flotte anlangt, so ging der Koenig mit ihr, als die
roemische sich ins Winterquartier begab, gleichfalls heim, nachdem er
dem Konsul seine Aufwartung gemacht hatte. Die Bestechungsgeschichte
ist so sicher ein Maerchen wie nur irgendeine heutige Zeitungsente;
denn dass der reiche, schlaue und konsequente Attalide, der den Bruch
zwischen Rom und Makedonien durch seine Reise 582 (172) zunaechst
veranlasst hatte, und fast deswegen von Perseus’ Banditen ermordet
worden waere, in dem Augenblick, wo die wesentlichen Schwierigkeiten
eines Krieges ueberwunden waren, an dessen endlichem Ausgang er
ueberdies nie ernstlich gezweifelt haben konnte, dass er seinen Anteil
an der Beute seinem Moerder um einige Talente verkauft und das Werk
langer Jahre an eine solche Erbaermlichkeit gesetzt haben sollte, ist
denn doch nicht bloss gelogen, sondern sehr albern gelogen. Dass kein
Beweis weder in Perseus’ Papieren noch sonst sich vorfand, ist sicher
genug; denn selbst die Roemer wagten nicht, jene Verdaechtigungen laut
auszusprechen. Aber sie hatten ihren Zweck. Was man wollte, zeigt das
Benehmen der roemischen Grossen gegen Attalos, Eumenes’ Bruder, der die
pergamenischen Hilfstruppen in Griechenland befehligt hatte. Mit
offenen Armen ward der wackere und treue Kamerad in Rom empfangen und
aufgefordert, nicht fuer seinen Bruder, sondern fuer sich zu bitten -
gern werde der Senat ihm ein eigenes Reich gewaehren, Attalos erbat
nichts als Aenos und Maroneia. Der Senat meinte, dass dies nur eine
vorlaeufige Bitte sei und gestand sie mit grosser Artigkeit zu. Als er
aber abreiste, ohne weitere Forderungen gestellt zu haben, und der
Senat zu der Einsicht kam, dass die pergamenische Regentenfamilie unter
sich nicht so lebe, wie es in den fuerstlichen Haeusern hergebracht
war, wurden Aenos und Maroneia zu Freistaedten erklaert. Nicht einen
Fussbreit Landes erhielten die Pergamener von der makedonischen Beute;
hatte man nach Antiochos’ Besiegung Philippos gegenueber noch die
Formen geschont, so wollte man jetzt verletzen und demuetigen. Um diese
Zeit scheint der Senat Pamphylien, ueber dessen Besitz Eumenes und
Antiochos bisher gestritten, unabhaengig erklaert zu haben. Wichtiger
war es, dass die Galater, bisher im wesentlichen in der Gewalt des
Eumenes, nachdem derselbe den pontischen Koenig mit Waffengewalt aus
Galatien vertrieben und im Frieden ihm die Zusage abgenoetigt hatte,
mit den galatischen Fuersten keine Verbindung ferner unterhalten zu
wollen, jetzt, ohne Zweifel rechnend auf die zwischen Eumenes und den
Roemern eingetretene Spannung, wenn nicht geradezu von diesen
veranlasst, sich gegen Eumenes erhoben, sein Reich ueberschwemmten und
ihn in grosse Gefahr brachten. Eumenes erbat die roemische Vermittlung;
der roemische Gesandte war dazu bereit, meinte aber, dass Attalos, der
das pergamenische Heer befehligte, besser nicht mitgehe, um die Wilden
nicht zu verstimmen, und merkwuerdigerweise richtete er gar nichts aus,
ja er erzaehlte bei der Rueckkehr, dass seine Vermittlung die Wilden
erst recht erbittert habe. Es waehrte nicht lange, so ward die
Unabhaengigkeit der Galater von dem Senat ausdruecklich anerkannt und
gewaehrleistet. Eumenes entschloss sich, persoenlich nach Rom zu gehen
und im Senat seine Sache zu fuehren. Da beschloss dieser ploetzlich,
wie vom boesen Gewissen geplagt, dass Koenige kuenftig nicht mehr nach
Rom sollten kommen duerfen, und schickte ihm nach Brundisium einen
Quaestor entgegen, ihm diesen Senatsbeschluss vorzulegen, ihn zu
fragen, was er wolle, und ihm anzudeuten, dass man seine schleunige
Abreise gern sehen werde. Der Koenig schwieg lange; er begehre, sagte
er endlich, weiter nichts und schiffte sich wieder ein. Er sah, wie es
stand: die Epoche der halbmaechtigen und halbfreien
Bundesgenossenschaft war zu Ende; es begann die der ohnmaechtigen
Untertaenigkeit.

Aehnlich erging es den Rhodiern. Ihre Stellung war ungemein bevorzugt;
sie standen mit Rom nicht in eigentlicher Symmachie, sondern in einem
gleichen Freundschaftsverhaeltnis, das sie nicht hinderte, Buendnisse
jeder Art einzugehen und nicht noetigte, den Roemern auf Verlangen
Zuzug zu leisten. Vermutlich war eben dies die letzte Ursache, weshalb
ihr Einverstaendnis mit Rom schon seit einiger Zeit getruebt war. Die
ersten Zerwuerfnisse mit Rom hatten stattgefunden infolge des
Aufstandes der nach Antiochos’ Ueberwindung ihnen zugeteilten Lykier
gegen ihre Zwingherren, die sie (576 178) als abtruennige Untertanen in
grausamer Weise knechteten; diese aber behaupteten, nicht Untertanen,
sondern Bundesgenossen der Rhodier zu sein und drangen damit im
roemischen Senat durch, als derselbe aufgefordert war, den
zweifelhaften Sinn des Friedensinstruments festzustellen. Hierbei hatte
indes ein gerechtfertigtes Mitleid mit den, arg gedrueckten Leuten wohl
das meiste getan; wenigstens geschah von Rom nichts weiter, und man
liess diesen wie anderen hellenischen Hader gehen. Als der Krieg mit
Perseus ausbrach, sahen ihn die Rhodier zwar wie alle uebrigen
verstaendigen Griechen ungern, und namentlich Eumenes als Anstifter
desselben war uebel berufen, so dass sogar seine Festgesandtschaft bei
der Heliosfeier in Rhodos abgewiesen ward. Allein dies hinderte sie
nicht, fest an Rom zu halten und die makedonische Partei, die es wie
allerorts so auch in Rhodos gab, nicht an das Ruder zu lassen; die noch
585 (169) ihnen erteilte Erlaubnis, Getreide aus Sizilien auszufuehren,
beweist die Fortdauer des guten Vernehmens mit Rom. Ploetzlich
erschienen kurz vor der Schlacht bei Pydna rhodische Gesandte im
roemischen Hauptquartier und im roemischen Senat mit der Erklaerung,
dass die Rhodier nicht laenger diesen Krieg dulden wuerden, der auf
ihren makedonischen Handel und auf die Hafeneinnahme druecke, und dass
sie der Partei, die sich weigere, Frieden zu schliessen, selbst den
Krieg zu erklaeren gesonnen seien, auch zu diesem Ende bereits mit
Kreta und mit den asiatischen Staedten ein Buendnis abgeschlossen
haetten. In einer Republik mit Urversammlungen ist vieles moeglich;
aber diese wahnsinnige Intervention einer Handelsstadt, die erst
beschlossen sein kann, als man in Rhodos den Fall des Tempepasses
kannte, verlangt eine naehere Erklaerung. Den Schluessel gibt die wohl
beglaubigte Nachricht, dass der Konsul Quintus Marcius, jener Meister
der “neumodischen Diplomatie”, im Lager bei Herakleion, also nach
Besetzung des Tempepasses, den rhodischen Gesandten Agepolis mit
Artigkeiten ueberhaeuft und ihn unter der Hand ersucht hatte, den
Frieden zu vermitteln. Republikanische Verkehrtheit und Eitelkeit taten
das uebrige; man meinte, die Roemer gaeben sich verloren, man haette
gern zwischen vier Grossmaechten zugleich den Vermittler gespielt -
Verbindungen mit Perseus spannen sich an; rhodische Gesandte von
makedonischer Gesinnung sagten mehr, als sie sagen sollten; und man war
gefangen. Der Senat, der ohne Zweifel groesstenteils selbst von jenen
Intrigen nichts wusste, vernahm die wundersame Botschaft mit
begreiflicher Indignation und war erfreut ueber die gute Gelegenheit
zur Demuetigung der uebermuetigen Kaufstadt. Ein kriegslustiger Praetor
ging gar so weit, bei dem Volk die Kriegserklaerung gegen Rhodos zu
beantragen. Umsonst beschworen die rhodischen Gesandten einmal ueber
das andere kniefaellig den Senat, der hundertundvierzigjaehrigen
Freundschaft mehr als des einen Verstosses zu gedenken; umsonst
schickten sie die Haeupter der makedonischen Partei auf das Schafott
oder nach Rom; umsonst sandten sie einen schweren Goldkranz zum Dank
fuer die unterbliebene Kriegserklaerung. Der ehrliche Cato bewies zwar,
dass die Rhodier eigentlich gar nichts verbrochen haetten und fragte,
ob man anfangen wolle, Wuensche und Gedanken zu strafen und ob man den
Voelkern die Besorgnis verargen koenne, dass die Roemer sich alles
erlauben moechten, wenn sie niemanden mehr fuerchten wuerden. Seine
Worte und Warnungen waren vergeblich. Der Senat nahm den Rhodiern ihre
Besitzungen auf dem Festland, die einen jaehrlichen Ertrag von 120
Talenten (200000 Taler) abwarfen. Schwerer noch fielen die Schlaege
gegen den rhodischen Handel. Schon die Verbote der Salzeinfuhr nach und
der Ausfuhr von Schiffbauholz aus Makedonien scheinen gegen Rhodos
gerichtet. Unmittelbarer noch traf den rhodischen Handel die Errichtung
des delischen Freihafens; der rhodische Hafenzoll, der bis dahin
jaehrlich 1 Mill. Drachmen (286000 Taler) abgeworfen hatte, sank in
kuerzester Zeit auf 150000 Drachmen (43000 Taler). Ueberhaupt aber
waren die Rhodier in ihrer Freiheit und dadurch in ihrer freien und
kuehnen Handelspolitik gelaehmt, und der Staat fing an zu siechen.
Selbst das erbetene Buendnis ward anfangs abgeschlagen und erst 590
(164) nach wiederholten Bitten erneuert. Die gleich schuldigen, aber
machtlosen Kreter kamen mit einem derben Verweis davon.

Mit Syrien und Aegypten konnte man kuerzer zu Werke gehen. Zwischen
beiden war Krieg ausgebrochen, wieder einmal ueber Koilesyrien und
Palaestina. Nach der Behauptung der Aegypter waren diese Provinzen bei
der Vermaehlung der syrischen Kleopatra an Aegypten abgetreten worden;
was der Hof von Babylon indes, der sich im faktischen Besitz befand, in
Abrede stellte. Wie es scheint, gab die Anweisung der Mitgift auf die
Steuern der koilesyrischen Staedte die Veranlassung zu dem Hader und
war das Recht auf syrischer Seite; den Ausbruch des Krieges veranlasste
der Tod der Kleopatra im Jahr 581 (173), mit dem spaetestens die
Rentenzahlungen aufhoerten. Der Krieg scheint von Aegypten begonnen zu
sein; allein auch Koenig Antiochos Epiphanes ergriff die Gelegenheit
gern, um das traditionelle Ziel der Seleukidenpolitik, die Erwerbung
Aegyptens, waehrend der Beschaeftigung der Roemer in Makedonien noch
einmal - es sollte das letzte Mal sein - anzustreben. Das Glueck schien
ihm guenstig. Der damalige Koenig von Aegypten, Ptolemaeos VI.
Philometor, der Sohn jener Kleopatra, hatte kaum das Knabenalter
ueberschritten und war schlecht beraten; nach einem grossen Sieg an der
syrisch-aegyptischen Grenze konnte Antiochos in demselben Jahr, in
welchem die Legionen in Griechenland landeten (583 171), in das Gebiet
seines Neffen einruecken und bald war dieser selbst in seiner Gewalt.
Es gewann den Anschein, als gedenke Antiochos unter Philometors Namen,
sich in den Besitz von ganz Aegypten zu setzen; Alexandreia schloss ihm
deshalb die Tore, setzte den Philometor ab und ernannte an seiner
Stelle den juengeren Bruder, Euergetes II. oder der Dicke genannt, zum
Koenig. Unruhen in seinem Reiche riefen den syrischen Koenig aus
Aegypten ab; als er zurueckkam, hatten in seiner Abwesenheit die
Brueder sich miteinander vertragen, und er setzte nun gegen beide den
Krieg fort. Wie er eben vor Alexandreia stand, nicht lange nach der
Schlacht von Pydna (586 168), traf ihn der roemische Gesandte Gaius
Popillius, ein harter, barscher Mann, und insinuierte ihm den Befehl
des Senats, alles Eroberte zurueckzugeben und Aegypten in einer
bestimmten Frist zu raeumen. Der Koenig erbat sich Bedenkzeit; aber der
Konsular zog mit dem Stabe einen Kreis um ihn und hiess ihn sich
erklaeren, bevor er den Kreis ueberschreite. Antiochos erwiderte, dass
er gehorche und zog ab nach seiner Residenz, um dort als der Gott, der
glaenzende Siegbringer, der er war, die Bezwingung Aegyptens nach
roemischer Sitte zu feiern und den Triumph des Paullus zu parodieren.

Aegypten fuegte sich freiwillig in die roemische Klientel; aber auch
die Koenige von Babylon standen hiermit ab von dem letzten Versuch,
ihre Unabhaengigkeit gegen Rom zu behaupten. Wie Makedonien im Krieg
des Perseus, so machten die Seleukiden im koilesyrischen den gleichen
und gleich letzten Versuch, sich ihre ehemalige Macht wiederzugewinnen;
aber es ist bezeichnend fuer den Unterschied der beiden Reiche, dass
dort die Legionen, hier das barsche Wort eines Diplomaten entschied.

In Griechenland selbst waren als Verbuendete des Perseus, nachdem die
boeotischen Staedte schon mehr als genug gebuesst hatten, nur noch die
Molotter zu strafen. Auf geheimen Befehl des Senats gab Paullus an
einem Tage siebzig Ortschaften in Epeiros der Pluenderung preis und
verkaufte die Einwohner, 150000 an der Zahl, in die Sklaverei. Die
Aetoler verloren Amphipolis, die Akarnanen Leukas wegen ihres
zweideutigen Benehmens; wogegen die Athener, die fortfuhren, den
bettelnden Poeten ihres Aristophanes zu spielen, nicht bloss Delos und
Lemnos geschenkt erhielten, sondern sogar sich nicht schaemten, um die
oede Staette von Haliartos zu petitionieren, die ihnen denn auch zuteil
ward. So war etwas fuer die Musen geschehen, aber mehr war zu tun fuer
die Justiz. Eine makedonische Partei gab es in jeder Stadt und also
begannen durch ganz Griechenland die Hochverratsprozesse. Wer in
Perseus’ Heer gedient hatte, ward sofort hingerichtet; nach Rom ward
beschieden, wen die Papiere des Koenigs oder die Angabe der zum
Denunzieren herbeistroemenden politischen Gegner konpromittierten - der
Achaeer Kallikrates und der Aetoler Lykiskos zeichneten sich aus in
diesem Gewerbe. So wurden die namhafteren Patrioten unter den
Thessalern, Aetolern, Akarnanen, Lesbiern und so weiter aus der Heimat
entfernt; namentlich aber ueber tausend Achaeer, wobei man nicht so
sehr den Zweck verfolgte, den weggefuehrten Leuten den Prozess, als die
kindische Opposition der Hellenen mundtot zu machen. Den Achaeern, die
wie gewoehnlich sich nicht zufrieden gaben, bis sie die Antwort hatten,
die sie ahnten, erklaerte der Senat, ermuedet durch die ewigen Bitten
um Einleitung der Untersuchung, endlich rundheraus, dass bis auf weiter
die Leute in Italien bleiben wuerden. Sie wurden hier in den
Landstaedten interniert und leidlich gehalten, Fluchtversuche indes mit
dem Tode bestraft; aehnlich wird die Lage der aus Makedonien
weggefuehrten ehemaligen Beamten gewesen sein. Wie die Dinge einmal
standen, war dieser Ausweg, so gewaltsam er war, noch der
ertraeglichste und die enragierten Griechen der Roemerpartei sehr wenig
zufrieden damit, dass man nicht haeufiger koepfte. Lykiskos hatte es
deshalb zweckmaessig gefunden, in der Ratsversammlung vorlaeufig 500
der vornehmsten Maenner der aetolischen Patriotenpartei niederstossen
zu lassen; die roemische Kommission, die den Menschen brauchte, liess
es hingehen und tadelte nur, dass man diesen hellenischen
Landesgebrauch durch roemische Soldaten habe vollstrecken lassen. Aber
man darf glauben, dass sie zum Teil, um solche Greuel abzuschneiden,
jenes italische Internierungssystem aufstellte. Da ueberhaupt im
eigentlichen Griechenland keine Macht auch nur von der Bedeutung von
Rhodos oder Pergamon bestand, so bedurfte es hier einer Demuetigung
weiter nicht, sondern was man tat, geschah nur, um Gerechtigkeit,
freilich im roemischen Sinne, zu ueben und die aergerlichsten
Ausbrueche des Parteihaders zu beseitigen.

Es waren hiermit die hellenistischen Staaten saemtlich der roemischen
Klientel vollstaendig untertan geworden und das gesamte Reich
Alexanders des Grossen, gleich als waere die Stadt seiner Erben Erbe
geworden, an die roemische Buergergemeinde gefallen. Von allen Seiten
stroemten die Koenige und die Gesandten nach Rom, um Glueck zu
wuenschen, und es zeigte sich, dass niemals kriechender geschmeichelt
wird, als wenn Koenige antichambrieren. Koenig Massinissa, der nur auf
ausdruecklichen Befehl davon abgestanden war, selber zu erscheinen,
liess durch seinen Sohn erklaeren, dass er sich nur als den
Nutzniesser, die Roemer aber als die wahren Eigentuemer seines Reiches
betrachte und dass er stets mit dem zufrieden sein werde, was sie ihm
uebrig lassen wuerden. Darin war wenigstens Wahrheit. Koenig Prusias
von Bithynien aber, der seine Neutralitaet abzubuessen hatte, trug die
Palme in diesem Wettkampf davon; er fiel auf sein Antlitz nieder, als
er in den Senat gefuehrt ward, und huldigte den “rettenden Goettern”.
Da er so sehr veraechtlich war, sagt Polybios, gab man ihm eine artige
Antwort und schenkte ihm die Flotte des Perseus.

Der Augenblick wenigstens fuer solche Huldigungen war wohlgewaehlt. Von
der Schlacht von Pydna rechnet Polybios die Vollendung der roemischen
Weltherrschaft. Sie ist in der Tat die letzte Schlacht, in der ein
zivilisierter Staat als ebenbuertige Grossmacht Rom auf der Walstatt
gegenuebergetreten ist; alle spaeteren Kaempfe sind Rebellionen oder
Kriege gegen Voelker, die ausserhalb des Kreises der
roemisch-griechischen Zivilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren.
Die ganze zivilisierte Welt erkennt fortan in dem roemischen Senat den
obersten Gerichtshof, dessen Kommissionen in letzter Instanz zwischen
Koenigen und Voelkern entscheiden, um dessen Sprache und Sitte sich
anzueignen fremde Prinzen und vornehme junge Maenner in Rom verweilen.
Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu
entledigen, ist in der Tat nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem
grossen Mithradates von Pontos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber
auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhaelt an der
Staatsmaxime, wo irgend moeglich jenseits der italischen Meere keine
Besitzungen und keine Besatzungen zu uebernehmen, sondern jene
zahllosen Klientelstaaten durch die blosse politische Suprematie in
Ordnung zu halten. Dieselben durften also weder sich in voellige
Schwaeche und Anarchie aufloesen, wie es dennoch in Griechenland
geschah, noch aus ihrer halbfreien Stellung sich zur vollen
Unabhaengigkeit entwickeln, wie es doch nicht ohne Erfolg Makedonien
versuchte. Kein Staat durfte ganz zugrunde gehen, aber auch keiner sich
auf eigene Fuesse stellen; weshalb der besiegte Feind wenigstens die
gleiche, oft eine bessere Stellung bei den roemischen Diplomaten hatte
als der treue Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufgerichtet,
aber wer selber sich aufrichtete, erniedrigt ward - die Aetoler,
Makedonien nach dem Asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die
Erfahrung. Aber diese Beschuetzerrolle ward nicht bloss bald den Herren
ebenso unleidlich wie den Dienern, sondern es erwies sich auch das
roemische Protektorat mit seiner undankbaren, stets von vorn wieder
beginnenden Sisyphusarbeit als innerlich unhaltbar. Die Anfaenge eines
Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms, auch nur
Mittelstaaten in der ihnen moeglichen Unabhaengigkeit neben sich zu
dulden, zeigen sich schon deutlich nach der Schlacht von Pydna in der
Vernichtung der makedonischen Monarchie. Die immer haeufigere und immer
unvermeidlichere Intervention in die inneren Angelegenheiten der
griechischen Kleinstaaten mit ihrer Missregierung und ihrer politischen
wie sozialen Anarchie, die Entwaffnung Makedoniens, wo doch die
Nordgrenze notwendig einer anderen Wehr als blosser Posten bedurfte,
endlich die beginnende Grundsteuerentrichtung nach Rom aus Makedonien
und Illyrien sind ebensoviel Anfaenge der nahenden Verwandlung der
Klientelstaaten in Untertanen Roms.

Werfen wir zum Schluss einen Blick zurueck auf den von Rom seit der
Einigung Italiens bis auf Makedoniens Zertruemmerung durchmessenen
Lauf, so erscheint die roemische Weltherrschaft keineswegs als ein von
unersaettlicher Laendergier entworfener und durchgefuehrter Riesenplan,
sondern als ein Ergebnis, das der roemischen Regierung sich ohne, ja
wider ihren Willen aufgedrungen hat. Freilich liegt jene Auffassung
nahe genug - mit Recht laesst Sallustius den Mithradates sagen, dass
die Kriege Roms mit Staemmen, Buergerschaften und Koenigen aus einer
und derselben uralten Ursache, aus der nie zu stillenden Begierde nach
Herrschaft und Reichtum hervorgegangen seien; aber mit Unrecht hat man
dieses durch die Leidenschaft und den Erfolg bestimmte Urteil als eine
geschichtliche Tatsache in Umlauf gesetzt. Es ist offenbar fuer jede
nicht oberflaechliche Betrachtung, dass die roemische Regierung
waehrend dieses ganzen Zeitraums nichts wollte und begehrte als die
Herrschaft ueber Italien, dass sie bloss wuenschte, nicht
uebermaechtige Nachbarn neben sich zu haben, und dass sie, nicht aus
Humanitaet gegen die Besiegten, sondern in dem sehr richtigen Gefuehl,
den Kern des Reiches nicht von der Umlage erdruecken zu lassen, sich
ernstlich dagegen stemmte, erst Afrika, dann Griechenland, endlich
Asien in den Kreis der roemischen Klientel hineinzuziehen, bis die
Umstaende jedesmal die Erweiterung des Kreises erzwangen oder
wenigstens mit unwiderstehlicher Gewalt nahelegten. Die Roemer haben
stets behauptet, dass sie nicht Eroberungspolitik trieben und stets die
Angegriffenen gewesen seien; es ist dies doch etwas mehr als eine
Redensart. Zu allen grossen Kriegen mit Ausnahme des Krieges um
Sizilien, zu dem Hannibalischen und dem Antiochischen nicht minder als
zu denen mit Philippos und Perseus, sind sie in der Tat entweder durch
einen unmittelbaren Angriff oder durch eine unerhoerte Stoerung der
bestehenden politischen Verhaeltnisse genoetigt und daher auch in der
Regel von ihrem Ausbruch ueberrascht worden. Dass sie nach dem Sieg
sich nicht so gemaessigt haben, wie sie vor allem im eigenen Interesse
Italiens es haette tun sollen, dass zum Beispiel die Festhaltung
Spaniens, die Uebernahme der Vormundschaft ueber Afrika, vor allem der
halb phantastische Plan, den Griechen ueberall die Freiheit zu bringen,
schwere Fehler waren gegen die italische Politik, ist deutlich genug.
Allein die Ursachen davon sind teils die blinde Furcht vor Karthago,
teils der noch viel blindere hellenische Freiheitsschwindel;
Eroberungslust haben die Roemer in dieser Epoche so wenig bewiesen,
dass sie vielmehr eine sehr verstaendige Eroberungsfurcht zeigen.
Ueberall ist die roemische Politik nicht entworfen von einem einzigen
gewaltigen Kopfe und traditionell auf die folgenden Geschlechter
vererbt, sondern die Politik einer sehr tuechtigen, aber etwas
beschraenkten Ratsherrenversammlung die, um Plaene in Caesars oder
Napoleons Sinn zu entwerfen, der grossartigen Kombination viel zu wenig
und des richtigen Instinkts fuer die Erhaltung des eigenen Gemeinwesens
viel zu viel gehabt hat. Die roemische Weltherrschaft beruht in ihrem
letzten Grunde auf der staatlichen Entwicklung des Altertums
ueberhaupt. Die alte Welt kannte das Gleichgewicht der Nationen nicht
und deshalb war jede Nation, die sich im Innern geeinigt hatte, ihre
Nachbarn entweder geradezu zu unterwerfen bestrebt, wie die
hellenischen Staaten, oder doch unschaedlich zu machen, wie Rom, was
denn freilich schliesslich auch auf die Unterwerfung hinauslief.
Aegypten ist vielleicht die einzige Grossmacht des Altertums, die
ernstlich ein System des Gleichgewichts verfolgt hat; in dem
entgegengesetzten trafen Seleukos und Antigonos, Hannibal und Scipio
zusammen, und wenn es uns jammervoll erscheint, dass all die andern
reich begabten und hochentwickelten Nationen des Altertums haben
vergehen muessen, um eine unter allen zu bereichern, und dass alle am
letzten Ende nur entstanden scheinen, um bauen zu helfen an Italiens
Groesse und, was dasselbe ist, an Italiens Verfall, so muss doch die
geschichtliche Gerechtigkeit es anerkennen, dass hierin nicht die
militaerische Ueberlegenheit der Legion ueber die Phalanx, sondern die
notwendige Entwicklung der Voelkerverhaeltnisse des Altertums
ueberhaupt gewaltet, also nicht der peinliche Zufall entschieden,
sondern das unabaenderliche und darum ertraegliche Verhaengnis sich
erfuellt hat.




KAPITEL XI.
Regiment und Regierte


Der Sturz des Junkertums nahm dem roemischen Gemeinwesen seinen
aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon frueher darauf
hingewiesen worden, dass die Plebejerpartei von Haus aus denselben
gleichfalls, ja in gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als
das Patriziat; denn wenn innerhalb des alten Buergertums die unbedingte
Gleichberechtigung gegolten hatte, so ging die neue Verfassung von
Anfang an aus von dem Gegensatz der in den buergerlichen Rechten wie in
den buergerlichen Nutzungen bevorzugten senatorischen Haeuser zu der
Masse der uebrigen Buerger. Unmittelbar mit der Beseitigung des
Junkertums und mit der formellen Feststellung der buergerlichen
Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben
entsprechende Opposition; und es ist frueher dargestellt worden, wie
jene dem gestuerzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum
auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den
letzten der alten staendischen Opposition verschlangen. Die Anfaenge
dieser Parteibildung gehoeren also dem fuenften, ihre bestimmte
Auspraegung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese
innere Entwicklung nicht bloss von dem Waffenlaerm der grossen Kriege
und Siege gleichsam uebertaeubt, sondern es entzieht sich auch ihr
Bildungsprozess mehr als irgendein anderer in der roemischen Geschichte
dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt ueber den Strom sich legt und
unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue
roemische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue
Fortschrittspartei gegenueber gleich der im Grunde sich verbergenden
und langsam sich wieder ausdehnenden Stroemung. Die einzelnen jede fuer
sich geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung,
deren historisches Fazit fuer jetzt noch in keiner eigentlichen
Katastrophe tatsaechlich vor Augen tritt, zur allgemeinen
geschichtlichen Anschauung zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der
Untergang der bisherigen Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den
kuenftigen Revolutionen fallen in diese Epoche; und die Schilderung
derselben sowie der Entwicklung Roms ueberhaupt bleibt unvollstaendig,
wenn es nicht gelingt, die Maechtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die
Zunahme der Unterstroemung anschaulich darzulegen und in dem
furchtbaren Droehnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen
zu lassen.

Die roemische Nobilitaet knuepfte auch formell an aeltere, noch der
Zeit des Patriziats angehoerende Institutionen an. Die gewesenen
ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten genossen nicht bloss, wie
selbstverstaendlich, von jeher tatsaechlich hoeherer Ehre, sondern es
knuepften sich daran schon frueh gewisse Ehrenvorrechte. Das aelteste
derselben war wohl, dass den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward,
im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die
Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben
aufzustellen und diese Bilder bei Todesfaellen von Familiengliedern im
Leichenkondukt aufzufuehren; wobei man sich erinnern muss, dass die
Verehrung des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als
unrepublikanisch galt, und die roemische Staatspolizei darum die
Ausstellung der Bilder von Lebenden ueberall nicht duldete und die der
Bilder Verstorbener streng ueberwachte. Hieran schlossen mancherlei
aeussere, solchen Beamten und ihren Nachkommen durch Gesetz oder
Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene Fingerring der
Maenner, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Juenglinge, der
Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben
^1 - geringe Dinge, aber dennoch wichtige in einer Gemeinde, wo die
buergerliche Gleichheit auch im aeusseren Auftreten so streng
festgehalten und noch waehrend des Hannibalischen Krieges ein Buerger
eingesperrt und jahrelang im Gefaengnis gehalten ward, weil er
unerlaubter Weise mit einem Rosenkranz auf dem Haupte oeffentlich
erschienen war ^2. Diese Auszeichnungen moegen teilweise schon in der
Zeit des Patrizierregiments bestanden und, solange innerhalb des
Patriziats noch vornehme und geringe Familien unterschieden wurden, den
ersteren als aeussere Abzeichen gedient haben; politische Wichtigkeit
erhielten sie sicher erst durch die Verfassungsaenderung vom Jahre 387
(367), wo durch zu den jetzt wohl schon durchgaengig Ahnenbilder
fuehrenden patrizischen die zum Konsulat gelangenden plebejischen
Familien mit der gleichen Berechtigung hinzutraten. Jetzt stellte
ferner sich fest, dass zu den Gemeindeaemtern, woran diese erblichen
Ehrenrechte geknuepft waren, weder die niederen noch die
ausserordentlichen noch die Vorstandschaft der Plebs gehoere, sondern
lediglich das Konsulat, die diesem gleichstehende Praetur und die an
der gemeinen Rechtspflege, also an der Ausuebung der
Gemeindeherrlichkeit teilnehmende kurulische Aedilitaet ^3. Obwohl
diese plebejische Nobilitaet im strengen Sinne des Wortes sich erst hat
bilden koennen, seit die kurulischen Aemter sich den Plebejern
geoeffnet hatten, steht sie doch in kurzer Zeit, um nicht zu sagen von
vornherein, in einer gewissen Geschlossenheit da - ohne Zweifel weil
laengst in den altsenatorischen Plebejerfamilien sich eine solche
Adelschaft vorgebildet hatte. Das Ergebnis der Licinischen Gesetze
kommt also der Sache nach nahezu hinaus auf das, was man jetzt einen
Pairsschub nennen wuerde. Wie die durch ihre kurulischen Ahnen
geadelten plebejischen Familien mit den patrizischen sich
koerperschaftlich zusammenschlossen und eine gesonderte Stellung und
ausgezeichnete Macht im Gemeinwesen errangen, war man wieder auf dem
Punkte angelangt, von wo man ausgegangen war, gab es wieder nicht bloss
eine regierende Aristokratie und einen erblichen Adel, welche beide in
der Tat nie verschwunden waren, sondern einen regierenden Erbadel, und
musste die Fehde zwischen den die Herrschaft okkupierenden
Geschlechtern und den gegen die Geschlechter sich auflehnenden Gemeinen
abermals beginnen. Und so weit war man sehr bald. Die Nobilitaet
begnuegte sich nicht mit ihren gleichgueltigen Ehrenrechten, sondern
rang nach politischer Sonder- und Alleinmacht und suchte die
wichtigsten Institutionen des Staats, den Senat und die Ritterschaft,
aus Organen des Gemeinwesens in Organe des altneuen Adels zu
verwandeln.

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^1 All diese Abzeichen kommen, seit sie ueberhaupt aufkommen, zunaechst
wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilitaet, d. h. den agnatischen
Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher
Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt
worden sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies fuer den goldenen
Fingerring, den im fuenften Jahrhundert nur die Nobilitaet (Plin. nat.
33, 1, 18), im sechsten schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26,
36), im siebenten jeder von Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder
Freigeborene traegt; ferner von dem silbernen Pferdeschmuck, der noch
im Hannibalischen Kriege nur der Nobilitaet zukommt (Liv. 26, 37); von
dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den Soehnen der
kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, spaeterhin denen
aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des
Hannibalischen Krieges, selbst den Soehnen der Freigelassenen gestattet
ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen
der Senatorenkinder in der Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat.
a.a.O.; Liv. 26, 36), in der ciceronischen der Kinder von Ritterzensus
(Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die Geringeren das Lederamulett
(lorum) tragen.

Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und
der Ritter, so dass wenigstens in spaeterer Zeit ihn jene breit, diese
schmal trugen; mit der Nobilitaet hat der Clavus nichts zu schaffen.

^2 Plin. nat. 21, 3, 6. Das Recht, oeffentlich bekraenzt zu erscheinen,
ward durch Auszeichnung im Kriege erworben (Polyb. 6, 39, 9; Liv. 10,
41), das unbefugte Kranztragen war also ein aehnliches Vergehen, wie
wenn heute jemand ohne Berechtigung einen Militaerverdienstorden
anlegen wuerde.

^3 Ausgeschlossen bleiben also das Kriegstribunat mit konsularischer
Gewalt, das Prokonsulat, die Quaestur, das Volkstribunat und andere
mehr. Was die Zensur anlangt, so scheint sie trotz des kurulischen
Sessels der Zensoren (Liv. 40, 45 ; vergl. 27, 8) nicht als kurulisches
Amt gegolten zu haben; fuer die spaetere Zeit indes, wo nur der
Konsular Zensor werden kann, ist die Frage ohne praktischen Wert. Die
plebejische Aedilitaet hat urspruenglich sicher nicht zu den
kurulischen Magistraturen gezaehlt (Liv. 23, 23); doch kann es sein,
dass sie spaeter mit in den Kreis derselben hineingezogen ward.

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Die rechtliche Abhaengigkeit des roemischen Senats der Republik,
namentlich des weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur,
hatte sich rasch gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch
die Revolution von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der
Gemeindeaemter unter den Gemeinderat, die Uebertragung der Berufung in
den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor allem die
gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten auf
Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten
berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhaengigen Ratsmannschaft
in ein so gut wie unabhaengiges und in gewissem Sinn sich selber
ergaenzendes Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege,
durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen
Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der Sache nach beide
bei der Regierungsbehoerde selbst. Zwar war in dieser Epoche die
Buergerschaft noch zu unabhaengig, um die Nichtadligen aus dem Senat
vollstaendig ausschliessen zu lassen, auch wohl die Adelschaft noch zu
verstaendig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng
aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen
Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei
Rangklassen der Konsulare, Praetorier und Aedilizier, als auch
namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten
und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die
Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate sassen,
zu einer unbedeutenden und verhaeltnismaessig einflusslosen Stellung in
demselben herabgedrueckt und ward der Senat wesentlich Traeger der
Nobilitaet.

Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen
Organ der Nobilitaet wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt.
Dem neuen Erbadel musste, da er nicht die Macht hatte, sich des
Alleinbesitzes der Komitien anzumassen, es in hohem Grade
wuenschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der
Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu
jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der
Servianischen Ordnung fuer diesen Zweck wie geschaffen. Die
achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte ^4, wurden
verfassungsmaessig ebenfalls von den Zensoren vergeben. Zwar sollten
diese die Ritter nach militaerischen Ruecksichten erlesen und bei den
Musterungen alle durch Alter oder sonst unfaehigen oder ueberhaupt
unbrauchbaren Reiter anhalten, ihr Staatspferd abzugeben; aber dass die
Ritterpferde vorzugsweise den Vermoegenden gegeben wurden, lag im Wesen
der Einrichtung selbst, und ueberall war den Zensoren nicht leicht zu
wehren, dass sie mehr auf vornehme Geburt sahen als auf Tuechtigkeit
und den einmal aufgenommenen ansehnlichen Leuten, namentlich den
Senatoren, auch ueber die Zeit ihr Pferd liessen. Vielleicht ist es
sogar gesetzlich festgestellt worden, dass der Senator dasselbe
behalten konnte, so lange er wollte. So wurde es denn wenigstens
tatsaechlich Regel, dass die Senatoren in den achtzehn Ritterzenturien
stimmten und die uebrigen Plaetze in denselben vorwiegend an die jungen
Maenner der Nobilitaet kamen. Das Kriegswesen litt natuerlich darunter,
weniger noch durch die effektive Dienstunfaehigkeit eines nicht ganz
geringen Teils der Legionarreiterei, als durch die dadurch
herbeigefuehrte Vernichtung der militaerischen Gleichheit, indem die
vornehme Jugend sich von dem Dienst im Fussvolk mehr und mehr
zurueckzog. Das geschlossene adlige Korps der eigentlichen Ritterschaft
wurde tonangebend fuer die gesamte, den durch Herkunft und Vermoegen
hoechstgestellten Buergern entnommene Legionarreiterei. Man wird es
danach ungefaehr verstehen, weshalb die Ritter schon waehrend des
Sizilischen Krieges dem Befehl des Konsuls Gaius Aurelius Cotta, mit
den Legionariern zu schanzen, den Gehorsam verweigerten (502 252), und
weshalb Cato als Oberfeldherr des spanischen Heeres seiner Reiterei
eine ernste Strafrede zu halten sich veranlasst fand. Aber diese
Umwandlung der Buergerreiterei in eine berittene Nobelgarde gereichte
dem Gemeinwesen nicht entschiedener zum Nachteil als zum Vorteil der
Nobilitaet, welche in den achtzehn Ritterzenturien nicht bloss ein
gesondertes, sondern auch das tonangebende Stimmrecht erwarb.

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^4 Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200
die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezaehlt haben soll, ist nicht
haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten
aufgefuehrten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler;
jede dieser Erzaehlungen ist vielmehr fuer sich entstanden und zu
erklaeren. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst
von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle
Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die ueberhaupt nirgend bei den
Alten erscheint. Dagegen spricht fuer die im Text vorgetragene Annahme
einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die
Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiss, dass die
Zenturie 100 Mann zaehlt und es urspruenglich drei, dann sechs, endlich
seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die
Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich
zusammenhaengende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S.
243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen,
sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Koepfe an: und dieser
sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und
durchaus nicht nach Livius’ Einzelansaetzen zu korrigierenden Lesung)
und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulaessigen Lesung
MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero
deutet zugleich sehr verstaendlich an, dass hiermit der damalige
Bestand der roemischen Ritterschaft ueberhaupt bezeichnet werden soll.
Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil
uebertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu
nachdenklichen Annalisten gelaeufig ist - ganz in gleicher Art werden
ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der
Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O.,
S. 238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der
Ritterpferde auf 2200 zu erhoehen, eine ebenso bestimmte Bestaetigung
der oben vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht.
Die geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden
bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage
derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der
zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch
Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes
neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico,
stehen seit fruehrepublikanischer Zeit die zum Rossdienst auf eigenem
Pferd pflichtigen Buerger, welche nichts sind als die hoechste
Zensusklasse; sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten
sonst als Ritter und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls
in Anspruch.

In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Haeusern das
erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des
Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschraenkung auf eine bestimmte
Zahl erneuert und faellt damit fuer die erste Zensusklasse als solche
die Ritterbenennung weg.

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Verwandter Art ist die foermliche Trennung der Plaetze des
senatorischen Standes von denjenigen, von welchen aus die uebrige Menge
den Volksfesten zuschaute. Es war der grosse Scipio, der in seinem
zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine
Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien;
und dass jene nichts zu beschliessen hatte, machte die hierin liegende
offizielle Ankuendigung der Scheidung von Herrenstand und
Untertanenschaft nur um so praegnanter. Die Neuerung fand darum auch
auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehaessig und
nicht nuetzlich war und dem Bestreben des kluegeren Teiles der
Aristokratie ihr Sonderregiment unter den Formen der buergerlichen
Gleichheit zu verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus
erklaert es sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der spaeteren
republikanischen Verfassung ward; warum dieses urspruenglich keineswegs
in erster Reihe stehende Amt sich allmaehlich mit einem ihm an sich
durchaus nicht zukommenden aeusseren Ehrenschmuck und einer ganz
einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der
Gipfelpunkt und die Erfuellung einer wohlgefuehrten oeffentlichen
Laufbahn erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition,
ihre Maenner in dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor waehrend oder
nach seiner Amtsfuehrung wegen derselben vor dem Volke zur
Verantwortung zu ziehen, als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und
gegen jedes derartige Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat - es
genuegt in dieser Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung
Catos um die Zensur hervorrief und an die ungewoehnlich
ruecksichtslosen und formverletzenden Massregeln, wodurch der Senat die
gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550
(204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur
sich ein charakteristisches Misstrauen der Regierung gegen dieses ihr
wichtigstes und eben darum gefaehrlichstes Werkzeug. Es war durchaus
notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten ueber das Senatoren-
und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschliessungs- von dem
Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt
werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitaeten aus dem Senat zu
beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig
vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren,
ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden musste. Das
Ausstossungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsaechlich den Glanz der
blanken Waffe - die Schneide, die man fuerchtete, stumpfte man ab.
Ausser der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die
Mitgliederlisten der adligen Koerperschaften nur von fuenf zu fuenf
Jahren der Revision unterlagen, und ausser den in dem
Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers
gegebenen Beschraenkungen trat noch eine weitere sehr fuehlbare hinzu,
indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur
Pflicht machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe
schriftlicher Entscheidungsgruende und in der Regel nicht ohne ein
gleichsam gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen.

In dieser hauptsaechlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur
gestuetzten politischen Stellung riss die Nobilitaet nicht bloss das
Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in
ihrem Sinne um. Es gehoert schon hierher, dass man, um die
Gemeindeaemter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig wie
irgend moeglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die
Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschaefte es erfordert
haetten. Nur dem allerdringlichsten Beduerfnis ward notduerftig
abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Praetor
verwalteten Gerichtsgeschaefte unter zwei Gerichtsherren, von denen der
eine die Rechtssachen unter roemischen Buergern, der andere diejenigen
unter Nichtbuergern oder zwischen Buergern und Nichtbuergern uebernahm,
im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln fuer
die vier ueberseeischen Aemter Sizilien (527 227), Sardinien und
Korsika (527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die
allzu summarische Art der roemischen Prozesseinleitung sowie der
steigende Einfluss des Bueropersonals gehen wohl zum grossen Teil
zurueck auf die materielle Unzulaenglichkeit der roemischen
Magistratur.

Unter den von der Regierung veranlassten Neuerungen, die darum, weil
sie fast durchgaengig nicht den Buchstaben, sondern nur die Uebung der
bestehenden Verfassung aendern, nicht weniger Neuerungen sind, treten
am bestimmtesten die Massregeln hervor, wodurch die Bekleidung der
Offiziersstellen wie der buergerlichen Aemter nicht, wie der Buchstabe
der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich von
Verdienst und Tuechtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt und
Anciennetaet abhaengig gemacht ward. Bei der Ernennung der
Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache
nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode grossenteils vom
Feldherrn auf die Buergerschaft uebergegangen; in dieser Zeit kam es
weiter auf, dass die saemtlichen Stabsoffiziere der regelmaessigen
jaehrlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier
ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden.
Immer unuebersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den
Subalternen, die ihre Posten durch puenktlichen und tapferen Dienst vom
Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung
von der Buergerschaft sich erwarb. Um nur den aergsten Missbraeuchen
dabei zu steuern und ganz ungepruefte junge Menschen von diesen
wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es noetig, die Vergebung der
Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl von
Dienstjahren zu knuepfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das
Kriegstribunat, die rechte Saeule des roemischen Heerwesens, den jungen
Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn
hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr haeufig eludiert
und die Offizierswahl abhaengig von allen Uebelstaenden des
demokratischen Aemterbettels und der aristokratischen
Junkerexklusivitaet. Es war eine schneidende Kritik der neuen
Institution, dass bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171) es
notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu
suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu
ueberlassen.

Bei den buergerlichen Aemtern ward zunaechst und vor allem die
Wiederwahl zu den hoechsten Gemeindestellen beschraenkt. Es war dies
allerdings notwendig, wenn das Jahrkoenigtum nicht ein leerer Name
werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl
zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur
Zensur ueberhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser
Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fuehlbare Steigerung darin,
dass das Gesetz hinsichtlich des zehnjaehrigen Intervalls zwar im Jahre
537 (217) fuer die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher
aber davon nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses
Zeitabschnitts die Wiederwahl ueberhaupt schon selten ward. Weiter
erging gegen das Ende dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluss,
der die Bewerber um Gemeindeaemter verpflichtete, dieselben in einer
festen Stufenfolge zu uebernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten
und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides laengst
vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche Beschraenkung der
Wahlfreiheit, dass die uebliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben
und der Waehlerschaft das Recht entzogen ward, in ausserordentlichen
Faellen sich ueber jene Erfordernisse wegzusetzen. Ueberhaupt wurde den
Angehoerigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tuechtigkeit
der Eintritt in den Senat eroeffnet, waehrend nicht bloss der aermeren
und geringeren Schichten der Bevoelkerung der Eintritt in die
regierenden Behoerden sich voellig verschloss, sondern auch alle nicht
zu der erblichen Aristokratie gehoerenden roemischen Buerger zwar nicht
gerade aus der Kurie, aber wohl von den beiden hoechsten
Gemeindeaemtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsaechlich ferngehalten
wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der
sozialen Aristokratie angehoeriger Konsul nachzuweisen und
wahrscheinlich ueberhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen.
Aber auch die Zahl der Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom
Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des Perseischen Krieges zum
ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten erscheinen, ist
aeusserst beschraenkt; und bei weitem die meisten derselben, wie zum
Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, Laelier lassen
sich auf Oppositionswahlen zurueckfuehren oder gehen zurueck auf
besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius
Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die
Ausschliessung der Aermeren vom Regiment war freilich durch die
Verhaeltnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein
aufgehoert und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht
laenger moeglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die Spitze
der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht
wohlgetan, dass die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der
kurulischen Haeuser sich bewegten und ein “neuer Mensch” nur durch eine
Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte ^5. Wohl lag eine
gewisse Erblichkeit nicht bloss in dem Wesen des senatorischen
Instituts, insofern dasselbe von Haus aus auf einer Vertretung der
Geschlechter beruhte, sondern in dem Wesen der Aristokratie ueberhaupt,
insofern staatsmaennische Weisheit und staatsmaennische Erfahrung von
dem tuechtigen Vater auf den tuechtigen Sohn sich vererben und der
Anhauch des Geistes hoher Ahnen jeden edlen Funken in der Menschenbrust
rascher und herrlicher zur Flamme entfacht. In diesem Sinne war die
roemische Aristokratie zu allen Zeiten erblich gewesen, ja sie hatte in
der alten Sitte, dass der Senator seine Soehne mit sich in den Rat nahm
und der Gemeindebeamte mit den Abzeichen der hoechsten Amtsehre, dem
konsularischen Purpurstreif und der goldenen Amulettkapsel des
Triumphators, seine Soehne gleichsam vorweisend schmueckte, ihre
Erblichkeit mit grosser Naivitaet zur Schau getragen. Aber wenn in der
aelteren Zeit die Erblichkeit der aeusseren Wuerde bis zu einem
gewissen Grade durch die Vererbung der inneren Wuerdigkeit bedingt
gewesen war und die senatorische Aristokratie den Staat nicht zunaechst
kraft Erbrechts gelenkt hatte, sondern kraft des hoechsten aller
Vertretungsrechte, des Rechtes der trefflichen gegenueber den
gewoehnlichen Maennern, so sank sie in dieser Epoche, und namentlich
mit reissender Schnelligkeit seit dem Ende des Hannibalischen Krieges,
von ihrer urspruenglichen hohen Stellung als dem Inbegriff der in Rat
und Tat erprobtesten Maenner der Gemeinde herab zu einem durch Erbfolge
sich ergaenzenden und kollegialisch missregierenden Herrenstand. Ja, so
weit war es in dieser Zeit bereits gekommen, dass aus dem schlimmen
Uebel der Oligarchie das noch schlimmere der Usurpation der Gewalt
durch einzelne Familien sich entwickelte. Von der widerwaertigen
Hauspolitik des Siegers von Zama und von seinem leider erfolgreichen
Bestreben, mit den eigenen Lorbeeren die Unfaehigkeit und
Jaemmerlichkeit des Bruders zuzudecken, ist schon die Rede gewesen; und
der Nepotismus der Flaminine war womoeglich noch unverschaemter und
aergerlicher als der der Scipionen. Die unbedingte Wahlfreiheit
gereichte in der Tat weit mehr solchen Koterien zum Vorteil als der
Waehlerschaft. Dass Marcus Valerius Corvus mit dreiundzwanzig Jahren
Konsul geworden war, war ohne Zweifel zum Besten der Gemeinde gewesen;
aber wenn jetzt Scipio mit dreiundzwanzig Jahren zur Aedilitaet, mit
dreissig zum Konsulat gelangte, wenn Flamininus noch nicht dreissig
Jahre alt von der Quaestur zum Konsulat emporstieg, so lag darin eine
ernste Gefahr fuer die Republik. Man war schon dahin gelangt, den
einzigen wirksamen Damm gegen die Familienregierung und ihre
Konsequenzen in einem streng oligarchischen Regiment finden zu muessen;
und das ist der Grund, weshalb auch diejenige Partei, die sonst der
Oligarchie opponierte, zu der Beschraenkung der Wahlfreiheit die Hand
bot.

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5 Die Stabilitaet des roemischen Adels kann man namentlich fuer die
patrizischen Geschlechter in den konsularischen und aedilizischen
Fasten deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581
(366-173) (mit Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in
denen beide Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer
das Konsulat bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen
Aedilen in den varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang
des sechsten Jahrhunderts ausschliesslich aus den Patriziern gewaehlt
worden und sind fuer die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553,
555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese
patrizischen Konsuln und Aedilen verteilen sich folgendermassen nach
den Geschlechtern:


Konsuln 388-500   Konsuln 501-581   Kurulische Aedilen jener

             (366-254):        (253-173):        16 patrizische
             Kollegien


Cornelier    15                15                14

Valerier     10                8                 4

Claudier     4                 8                 2

Aemilier     9                 6                 2

Fabier       6                 6                 1

Manlier      4                 6                 1

Postumier    2                 6                 2

Servilier    3                 4                 2

Quinctier    2                 3                 1

Furier       2                 3                 -

Sulpicier    6                 2                 2

Veturier     -                 2                 -

Papirier     3                 1                 -

Nautier      2                 -                 -

Julier       1                 -                 1

Foslier      1                 -                 -

—————————————————————————

             70                70               32

Also die fuenfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit
der Licinischen Gesetze in der Gemeinde maechtig waren, haben ohne
wesentliche Aenderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch
Adoption aufrecht erhalten, die naechsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum
Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen
Nobilitaet treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes
auch die alten plebejischen Haeuser, wie die Licinier, Fulvier,
Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in der
entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.

———————————————————————————

Von diesem allmaehlich sich veraendernden Geiste der Regierung trug den
Stempel das Regiment. Zwar in der Verwaltung der aeusseren
Angelegenheiten ueberwog in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit
und Energie, durch welche die Herrschaft der roemischen Gemeinde ueber
Italien gegruendet worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um
Sizilien hatte die roemische Aristokratie sich allmaehlich auf die
Hoehe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen
lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung
geteilte Regiment verfassungswidrig fuer den Gemeinderat usurpierte, so
legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale,
aber klare und feste Steuerung des Staats waehrend des hannibalischen
Sturmes und der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und
bewies es der Welt, dass den weiten Kreis der italisch-hellenischen
Staaten zu beherrschen einzig der roemische Senat vermochte und in
vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein ueber dem grossartigen und mit
den grossartigsten Erfolgen gekroenten Auftreten des regierenden
roemischen Gemeinderats gegen den aeusseren Feind darf es nicht
uebersehen werden, dass in der minder scheinbaren und doch weit
wichtigeren und weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten
des Staates sowohl die Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die
neuen Einrichtungen einen fast entgegengesetzten Geist offenbaren,
oder, richtiger gesagt, die entgegengesetzte Richtung hier bereits das
Uebergewicht gewonnen hat.

Vor allem dem einzelnen Buerger gegenueber ist das Regiment nicht mehr,
was es gewesen. Magistrat heisst der Mann, der mehr ist als die andern;
und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr
eines jeden Buergers. Aber diese straffe Haltung laesst jetzt sichtlich
nach. Wo das Koteriewesen und der Aemterbettel so in Bluete steht wie
in dem damaligen Rom, huetet man sich, die Gegendienste der
Standesgenossen und die Gunst der Menge durch strenge Worte und
ruecksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit
altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie
zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schosse des
Herrenstandes hervorgegangene Maenner. Es war schon etwas, dass
Paullus, als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war,
statt nach beliebter Art sich bei der Buergerschaft zu bedanken,
derselben erklaerte, er setze voraus, dass sie ihn zum Feldherrn
gewaehlt haetten, weil sie ihn fuer den faehigsten zum Kommando
gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht kommandieren zu
helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms Suprematie und
Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der Strenge
seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch,
im grossen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerruetteten
hellenischen, phoenikischen und orientalischen Staaten in diesen
Beziehungen damals noch unendlich ueberlegen; dennoch kamen schon arge
Dinge auch in Rom vor. Wie die Erbaermlichkeit der Oberfeldherren, und
zwar nicht etwa von der Opposition gewaehlter Demagogen, wie Gaius
Flaminius und Gaius Varro, sondern gut aristokratischer Maenner,
bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl des Staates auf das
Spiel gesetzt hatte, ist frueher erzaehlt worden. Und in welcher Art
die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt der
Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia
(562 192) - um seinen Buhlknaben fuer die ihm zuliebe versaeumten
Fechterspiele in der Hauptstadt zu entschaedigen, hatte der hohe Herr
einen in das roemische Lager gefluechteten, vornehmen Boier herbeirufen
lassen und ihn mit eigener Hand beim Gelage niedergestossen. Schlimmer
als der Vorgang selber, dem mancher aehnliche sich an die Seite stellen
liesse, war es noch, dass der Taeter nicht bloss nicht vor Gericht
gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste
der Senatoren strich, seine Standesgenossen den Ausgestossenen im
Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen - freilich
war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der maechtigsten
Koteriehaeupter des Senats.

Auch das Finanzwesen der roemischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher
zurueck als vorwaerts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im
Wachsen. Die indirekten Abgaben - direkte gab es in Rom nicht - stiegen
infolge der erweiterten Ausdehnung des roemischen Gebietes, welche es
zum Beispiel noetig machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der
kampanischen und brettischen Kueste neue Zollbueros in Puteoli, Castra
(Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der
neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen Distrikten Italiens
abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es nicht laenger
moeglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten roemischen
Buergern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes die
roemische Regierung wahrscheinlich den Buergern dasselbe zum
Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese
Finanzmassregel fuer den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die
Steigerung des Ertrages der Domaenen. Die Abgabe freilich, welche von
dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Aerar von
Rechts wegen zukam, ward zum allergroessten Teil wohl weder gefordert
noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloss das Hutgeld bestehen, sondern
es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen
Domaenen, namentlich der groessere Teil des Gebiets von Capua und das
von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und
an kleine Zeitpaechter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation
von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewoehnlich entgegengetreten;
wodurch dem Staate eine betraechtliche und sichere Einnahmequelle
entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen
spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den
Einnahmen die Abgaben der ueberseeischen Untertanen hinzu.
Ausserordentlicherweise flossen waehrend dieser Epoche sehr bedeutende
Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem
Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210
Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) - letzteres die groesste Barsumme, die
je auf einmal in die roemische Kasse gelangt ist.

Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben
groesstenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme
Siziliens, kosteten wohl ungefaehr ebensoviel als sie eintrugen; die
Ausgaben fuer Wege- und andere Bauten stiegen im Verhaeltnis mit der
Ausdehnung des Gebiets; auch die Rueckzahlung der von den ansaessigen
Buergern waehrend der schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschuesse
(tributa) lastete noch manches Jahr nachher auf dem roemischen Aerar.
Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die schlaffe
Nachsicht der Oberbehoerden dem gemeinen Wesen verursachten sehr
namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von
ihrer ueppigen Wirtschaft aus gemeinem Saeckel, von den Unterschleifen
namentlich am Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und
Erpressungssystem wird unten noch die Rede sein. Wie der Staat bei den
Verpachtungen seiner Gefaelle und den Akkorden ueber Lieferungen und
Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefaehr danach ermessen, dass
der Senat im Jahre 587 (167) beschloss, von dem Betrieb der an Rom
gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die Grubenpaechter
doch entweder die Untertanen pluendern oder die Kasse bestehlen wuerden
- freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behoerde
sich selber ausstellte. Man liess nicht bloss, wie schon gesagt ward,
die Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen,
sondern man litt es auch, dass bei Privatanlagen in der Hauptstadt und
sonst auf oeffentlichen Grund und Boden uebergegriffen und das Wasser
aus den oeffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es
machte sehr boeses Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche
Kontravenienten ernstlich einschritt und sie zwang, entweder auf die
Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten oder dafuer das
gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde gegenueber
bewies das sonst so peinliche oekonomische Gewissen der Roemer eine
merkwuerdige Weite. “Wer einen Buerger bestiehlt”, sagt Cato,
“beschliesst sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber,
wer die Gemeinde bestiehlt.” Wenn trotz dessen, dass das oeffentliche
Gut der roemischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und
Spekulanten gepluendert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten
in Rom der Unterschleif sei, waehrend man in Griechenland kaum hier und
da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife; wie der
roemische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort hin
ungeheure Summen redlich verwalte, waehrend in Griechenland der
kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen
aufgeboten wuerden und doch jedermann betruege, so liegt hierin nur,
dass die soziale und oekonomische Demoralisation in Griechenland noch
viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch
nicht wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte.
Das allgemeine finanzielle Resultat spricht sich fuer uns am
deutlichsten in dem Stand der oeffentlichen Bauten und in dem
Barbestand des Staatsschatzes aus. Fuer das oeffentliche Bauwesen
finden wir in Friedenszeiten ein Fuenftel, in Kriegszeiten ein Zehntel
der Einkuenfte verwendet, was den Umstaenden nach nicht gerade
reichlich gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie
mit den nicht in die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern
wohl manches fuer die Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt,
fuer die Chaussierung der italischen Hauptstrassen ^6, fuer die Anlage
oeffentlicher Gebaeude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser
Periode bekannten hauptstaedtischen Bauten war die wahrscheinlich im
Jahre 570 (184) verdungene grosse Reparatur und Erweiterung des
hauptstaedtischen Kloakennetzes, wofuer auf einmal 1700000 Taler (24
Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache
nach angehoert, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber
allem Anschein nach stand in dem oeffentlichen Bauwesen, auch abgesehen
von den schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten
Abschnitt der vorigen zurueck; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist
in Rom keine neue Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm
freilich zu: die letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich
genoetigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2,
171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluss dieser Periode (597 157) nahe
an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse vorraetig waren.
Allein bei den ungeheuren ausserordentlichen Einnahmen, welche in dem
Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der roemischen
Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre
Niedrigkeit als durch ihre Hoehe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als
duerftigen Angaben es zulaessig ist, hier von Resultaten zu sprechen,
zeigen die roemischen Staatsfinanzen wohl einen Ueberschuss der
Einnahme ueber die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein
glaenzendes Gesamtergebnis.

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^6 Die Kosten von diesen sind indes wohl grossenteils auf die Anlieger
geworfen worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht
abgeschafft; es muss nicht selten vorgekommen sein, dass man den
Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie beim Strassenbau zu verwenden
(Cato agr. 2).

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Am bestimmtesten tritt der veraenderte Geist der Regierung hervor in
der Behandlung der italischen und ausseritalischen Untertanen der
roemischen Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die
gewoehnlichen und die latinischen bundesgenoessischen Gemeinden, die
roemischen Passiv- und die roemischen Vollbuerger. Von diesen vier
Klassen wurde die dritte im Laufe dieser Periode so gut wie
vollstaendig beseitigt, indem das, was frueher schon fuer die
Passivbuergergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war, jetzt
auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und
diese allmaehlich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi
und Formiae, das volle Buergerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua
nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines
Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege aufgeloest. Wenn auch einige
wenige Gemeinden, wie Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in
Kampanien, in dem frueheren Rechtsverhaeltnis verblieben sein moegen,
so darf doch, im grossen und ganzen betrachtet, dies Buergerrecht
zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten.

Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurueckgesetzte, der
Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den
Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu
namentlich die Angehoerigen der ehemaligen, mit Hannibal verbuendet
gewesenen kampanischen, suedlichen picentischen und brettischen
Gemeinden gehoerten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen
geduldeten Kettenstaemme an, deren Stellung zu der italischen
Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch
die in ihre Bundesvertraege mit Rom aufgenommene Klausel, dass keiner
aus diesen Gemeinden je das roemische Buergerrecht solle gewinnen
duerfen, hinreichend als eine zurueckgesetzte charakterisiert wird.

Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon
frueher angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu
ihrem Nachteil veraendert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie
zum Beispiel Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten waehrend aller
Wechselfaelle dieses Krieges unveraendert auf der Seite Roms gestanden
und darum ihr bisheriges Bundesrecht unveraendert behalten; bei weitem
die meisten mussten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige
Revision der bestehenden Vertraege gefallen lassen. Von der gedrueckten
Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus
ihren Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten
und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen,
wurde dies damit motiviert, dass waehrend der letzten Jahre 4000
samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie
Fregellae uebergesiedelt seien.

Dass die Latiner, das heisst jetzt die wenigen noch ausserhalb des
roemischen Buergerverbandes stehenden Staedte im alten Latium wie Tibur
und Praeneste, die ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstaedte, wie
namentlich einzelne der Herniker, und die durch ganz Italien
zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt noch besser gestellt waren,
ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im Verhaeltnis kaum weniger
sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten wurden unbillig
gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von der
Buergerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen
gewaelzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel
Bundesgenossen aufgeboten als Buerger; so nach dem Ende des
Hannibalischen Krieges die Buerger alle, nicht aber die Bundesgenossen
verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise fuer den Besatzungs- und
den verhassten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk
577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit
den Buergern, sondern nur die Haelfte gegeben, so dass inmitten des
ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurueckgesetzten
Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei
Landanweisungen in Norditalien die Buerger je zehn, die Nichtbuerger je
drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschraenkte Freizuegigkeit war den
latinischen Gemeinden bereits frueher (486 268) genommen und ihnen die
Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche
Kinder und einen Teil ihres Vermoegens in der Heimatgemeinde
zurueckliessen. Indes diese laestigen Vorschriften wurden auf vielfache
Weise umgangen oder uebertreten, und der massenhafte Zudrang der
Buerger der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer
Behoerden ueber die zunehmende Entvoelkerung der Staedte und die
Unmoeglichkeit, unter solchen Umstaenden das festgesetzte Kontingent zu
leisten, veranlassten die roemische Regierung, polizeiliche
Ausweisungen aus der Hauptstadt in grossem Umfang zu veranstalten (567,
577 187, 177). Die Massregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum
nicht weniger schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen
Binnenland angelegten Staedte gegen das Ende dieser Periode an, statt
des latinischen, das volle Buergerrecht zu empfangen, was bis dahin nur
hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast
regelmaessige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende
Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gruendung 571 (183)
begann, ist die juengste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche
mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefaehr gleichzeitig
ausgefuehrten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577
184-177) ward schon das volle Buergerrecht gegeben. Die Ursache war
offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem roemischen
Buergerrecht. Die in die neuen Pflanzstaedte ausgefuehrten Kolonisten
wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der roemischen
Buergerschaft ausgewaehlt, und es fehlten selbst unter dem aermeren
Teile derselben die Leute, die willig gewesen waeren, auch mit
Erwerbung bedeutender materieller Verteile ihr Buerger- gegen
latinisches Recht zu vertauschen.

Endlich ward den Nichtbuergern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt
in das roemische Buergerrecht fast vollstaendig gesperrt. Das aeltere
Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der roemischen einzuverleiben,
hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch uebermaessige
Ausdehnung der roemischen Buergerschaft dieselbe allzusehr zu
dezentralisieren, und deshalb die Halbbuergergemeinden eingerichtet.
Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die
Halbbuergergemeinden das Vollbuergerrecht empfingen, teils zahlreiche
entferntere Buergerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf das
aeltere Inkorporationssystem kam man den verbuendeten Gemeinden
gegenueber nicht zurueck. Dass nach der vollendeten Unterwerfung
Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das
bundesgenoessische mit dem roemischen Buergerrecht vertauscht haette,
laesst sich nicht nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem
keine mehr dieses erhalten. Auch der Uebertritt einzelner Italiker in
das roemische Buergerrecht fand fast allein noch statt fuer die
latinischen Gemeindebeamten und durch besondere Beguenstigung fuer
einzelne der bei Gruendung von Buergerkolonien mit zugelassenen
Nichtbuerger ^7.

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^7 So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der
Gruendung der Buergerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der
Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das Buergerrecht geschenkt (Cic. Brut.
20, 79); worauf er denn auch nach bekannter Sitte dessen Vornamen
annahm. Von Rechts wegen erwarben, wenigstens in dieser Epoche, die in
die Buergerkolonie mit deduzierten Nichtbuerger dadurch die roemische
Civitaet keineswegs, wenn sie auch haeufig dieselbe sich anmassten
(Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gruendung einer Kolonie
beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen
Volksschluss die Verleihung des Buergerrechts an eine beschraenkte
Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).

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Diesen tatsaechlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhaeltnisse
der italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und
Folgerichtigkeit nicht abgesprochen wer den. Die Lage der
Untertanenklassen wurde im Verhaeltnis ihrer bisherigen Abstufung
durchgaengig verschlechtert und, waehrend die Regierung sonst die
Gegensaetze zu mildern und durch Uebergaenge zu vermitteln bemueht
gewesen war, wuerden jetzt ueberall die Mittelglieder beseitigt und die
verbindenden Bruecken abgebrochen. Wie innerhalb der roemischen
Buergerschaft der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den
oeffentlichen Lasten durchgaengig sich entzog und die Ehren und
Vorteile durchgaengig fuer sich nahm, so trat die Buergerschaft
ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenueber und schloss
diese mehr und mehr von dem Mitgenuss der Herrschaft aus, waehrend sie
an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil ueberkam. Wie
die Nobilitaet gegenueber den Plebejern, so lenkte die Buergerschaft
gegenueber den Nichtbuergern zurueck in die Abgeschlossenheit des
verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalitaet seiner
Institutionen grossgeworden war, schnuerte jetzt selbst sich ein in die
starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der
Passivbuergerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehoert
auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, spaeter noch zu
eroerternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes
Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden
des Unterschieds zwischen den latinischen und den uebrigen italischen
Gemeinden. Die Grundlage der roemischen Macht war die bevorzugte
Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den
Fuessen, seit die latinischen Staedte anfingen, sich nicht mehr als die
bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der maechtigen stammverwandten
Gemeinde, sondern wesentlich gleich den uebrigen als Untertanen Roms zu
empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unertraeglich zu finden
begannen. Denn dass die Brettier und ihre Leidensgenossen schon voellig
wie Sklaven behandelt wurden und voellig wie Sklaven sich verhielten,
zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten,
ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; dass
ferner in den keltischen und vor allem den ueberseeischen Untertanen
eine noch gedruecktere und von der Regierung in berechneter Absicht der
Verachtung und Misshandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den
Italikern zur Seite gestellt ward, schloss freilich auch eine Abstufung
innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch fuer den
frueheren Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden
italischen Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewaehren. Eine tiefe
Verstimmung bemaechtigte sich der gesamten italischen
Eidgenossenschaft, und nur die Furcht hielt sie ab, laut sich zu
aeussern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei Cannae im Senat
gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Maennern das
roemische Buergerrecht und Sitz im Senat zu gewaehren, war freilich zur
Unzeit gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit
welcher Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das
Verhaeltnis zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter
Hannibal den Krieg nach Italien getragen haette, so durfte man
zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten Widerstand des latinischen
Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein wuerde.

Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das
roemische Gemeinwesen eingefuehrt hat, und zugleich diejenige, welche
am entschiedensten und verhaengnisvollsten aus der bisher eingehaltenen
Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das aeltere roemische Staatsrecht
kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die ueberwundenen
Buergerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft oder in der
roemischen aufgehoben oder endlich zu einem Buendnis zugelassen, das
ihnen wenigstens die kommunale Selbstaendigkeit und die Steuerfreiheit
sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen in Sizilien, Sardinien
und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren frueheren Herren gesteuert
und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal behalten wollte, war es
nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verstaendigste und unzweifelhaft
das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den bisherigen Normen
zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische
Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch
diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den
Barbaren entriss. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte.
Ohne Zweifel war es anfaenglich die Absicht der roemischen Regierung,
durch die Abgaben der Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern,
sondern nur die Kosten der Verwaltung und Verteidigung damit zu decken;
doch wich man auch hiervon schon ab, als man Makedonien und Illyrien
tributpflichtig machte, ohne daselbst die Regierung und die
Grenzbesetzung zu uebernehmen. Ueberhaupt aber kam es weit weniger
darauf an, dass man noch in der Belastung Mass hielt, als darauf, dass
man ueberhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; fuer
den Suendenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich
den Baum pluendert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuss. Das
neue Provinzialregiment noetigte zu der Einsetzung von Voegten, deren
Stellung nicht bloss mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit
der roemischen Verfassung schlechthin unvertraeglich war. Wie die
roemische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des frueheren
Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Koenigs Statt; wie denn
auch zum Beispiel der sizilische Praetor in dem Hieronischen Palast zu
Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der Vogt
nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und
Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in
den ihm untergebenen Staedten zu Fuss und von einem einzigen Diener
begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als
er von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er
vorher sein Schlachtross, weil er sich nicht befugt hielt, die
Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist
auch keine Frage, dass die roemischen Statthalter, obgleich sicherlich
nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die
Grenze der Knauserei und Laecherlichkeit trieben, doch zum guten Teil
durch ihre altvaeterliche Froemmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten
herrschende ehrbare Stille, durch die verhaeltnismaessig rechtschaffene
Amts- und Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die
schlimmsten unter den Blutsaugern der Provinzialen, die roemischen
Steuerpaechter und Bankiers, ueberhaupt durch den Ernst und die Wuerde
ihres Auftretens den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und
haltungslosen Griechen nachdruecklich imponierten. Auch die
Provinzialen befanden sich unter ihnen verhaeltnismaessig leidlich. Man
war durch die karthagischen Voegte und syrakusanischen Herren nicht
verwoehnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den
nachkommenden Skorpionen der gegenwaertigen Ruten sich dankbar zu
erinnern; es ist wohl erklaerlich, wie spaeterhin das sechste
Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit der Provinzialherrschaft
erschien. Aber es war auf die Laenge nicht durchfuehrbar, zugleich
Republikaner und Koenig zu sein. Das Landvogtspielen demoralisierte mit
furchtbarer Geschwindigkeit den roemischen Herrenstand. Hoffart und
Uebermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der Rolle, dass daraus
dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon
war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem
alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, dass
der Vogt ganz reine Haende aus der Provinz wieder mitbrachte; dass
Paullus, der Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas
Besonderes angemerkt. Die ueble Sitte, dem Amtmann “Ehrenwein” und
andere “freiwillige” Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die
Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches
Erbstueck sein; schon Cato musste in seiner Verwaltung Sardiniens 556
(198) sich begnuegen, diese Hebungen zu regulieren und zu ermaessigen.
Das Recht der Beamten und ueberhaupt der in Staatsgeschaeften Reisenden
auf freies Quartier und freie Befoerderung ward schon als Vorwand zu
Erpressungen benutzt. Das wichtigere Recht des Beamten,
Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute Unterhalt (in
cellam), teils im Kriegsfall zur Ernaehrung des Heeres oder bei anderen
besonderen Anlaessen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz
auszuschreiben, wurde schon so arg gemissbraucht, dass auf die Klagen
der Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des
Taxpreises fuer beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich
veranlasst fand. Selbst fuer die Volksfeste in Rom fing schon an bei
den Untertanen requiriert zu werden; die masslosen Tribulationen, die
der Aedil Tiberius Sempronius Gracchus fuer die von ihm auszurichtende
Festlichkeit ueber italische wie ausseritalische Gemeinden ergehen
liess, veranlassten den Senat, offiziell dagegen einzuschreiten (572
182). Was ueberhaupt der roemische Beamte sich am Schlusse dieser
Periode nicht bloss gegen die ungluecklichen Untertanen, sondern selbst
gegen die abhaengigen Freistaaten und Koenigreiche herausnahm, das
zeigen die Raubzuege des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die
heillose Wirtschaft in Griechenland waehrend des Krieges gegen Perseus.
Die Regierung hatte kein Recht, sich darueber zu verwundern, da sie es
an jeder ernstlichen Schranke gegen die uebergriffe dieses
militaerischen Willkuerregiments fehlen liess. Zwar die gerichtliche
Kontrolle mangelte nicht ganz. Konnte auch der roemische Vogt nach dem
allgemeinen und mehr als bedenklichen Grundsatz: gegen den
Oberfeldherrn waehrend der Amtsverwaltung keine Beschwerdefuehrung zu
gestatten, regelmaessig erst dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn
das Uebel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine Kriminal- als
eine Zivilverfolgung gegen ihn moeglich. Um jene einzuleiten, musste
ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die
Sache in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die
Zivilklage wurde von dem Senator, der die betreffende Praetur
verwaltete, an eine nach der damaligen Gerichtsverfassung aus dem
Schosse des Senats bestellte Jury gewiesen. Dort wie hier lag also die
Kontrolle in den Haenden des Herrenstandes, und obwohl dieser noch
rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegruendete Beschwerden nicht
unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar verschiedene Male auf
Anrufen der Geschaedigten die Einleitung eines Zivilverfahrens selber
zu veranlassen sich herbeiliess, so konnten doch Klagen von Niedrigen
und Fremden gegen maechtige Glieder der regierenden Aristokratie vor
weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch
mindestens dem gleichen Stande angehoerigen Richtern und Geschworenen
von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und
schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben.
Einen gewissen Anhalt fanden die Geschaedigten freilich in den
erblichen Klientelverhaeltnissen, welche die Staedte und Landschaften
der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen naeher getretenen
Roemern verknuepften. Die spanischen Statthalter empfanden es, dass an
Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; und dass die
Vertreter der drei von Paullus ueberwundenen Nationen, der Spanier,
Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen liessen, seine Bahre zum
Scheiterhaufen zu tragen, war die schoenste Totenklage um den edlen
Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloss den Griechen
Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenueber
wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige
Servilitaet auch ihre Herren zu demoralisieren - die Beschluesse der
Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstoert und
gepluendert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten,
sind eines der schandbarsten Blaetter in den wenig ehrbaren Annalen von
Syrakus -, sondern es hatte auch bei der schon gefaehrlichen
Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite.
Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, dass die roemischen Beamten
die Goetter und den Senat einigermassen fuerchteten und im Stehlen
meistenteils Mass hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft,
wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich
fest, dass bei geringen Erpressungen und maessiger Gewalttaetigkeit der
roemische Beamte gewissermassen in seiner Kompetenz und von Rechts
wegen straffrei sei, die Beschaedigten also zu schweigen haetten;
woraus denn die Folgezeit die verhaengnisvollen Konsequenzen zu ziehen
nicht unterlassen hat. Indes waeren auch die Gerichte so streng
gewesen, wie sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche
Rechenschaft nur den aergsten Uebelstaenden steuern. Die wahre
Buergschaft einer guten Verwaltung liegt in der strengen und
gleichmaessigen Oberaufsicht der hoechsten Verwaltungsbehoerde; und
hieran liess der Senat es vollstaendig mangeln. Hier am fruehesten
machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments
sich geltend. Von Rechts wegen haetten die Voegte einer weit strengeren
und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie fuer die
italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mussten jetzt,
wo das Reich grosse ueberseeische Gebiete umfasste, die Anstalten
gesteigert werden, durch welche die Regierung sich die Uebersicht ueber
das Ganze bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Voegte
herrschten so gut wie souveraen, und das wichtigste der fuer den
letzteren Zweck dienenden Institute, die Reichsschatzung, wurde noch
auf Sizilien, aber auf keine der spaeter erworbenen Provinzen mehr
erstreckt. Diese Emanzipation der obersten Verwaltungsbeamten von der
Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der roemische Vogt, an der
Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender Finanzmittel,
dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von der
Oberverwaltung tatsaechlich unabhaengig, endlich mit einer gewissen
Notwendigkeit dahin gefuehrt, sein und seiner Administrierten Interesse
von dem der roemischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen,
glich weit mehr einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des
roemischen Senats in der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte
der Mann, der eben im Auslande eine gesetzliche Militaertyrannis
gefuehrt hatte, von da den Weg wieder zurueck in die buergerliche
Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht
Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, dass die
beiden fundamentalen Saetze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie
und die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr
hier unter den Haenden zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der
Regierung gegen Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze
Vogteiwesen, der Einrichtung der Provinzialquaesturen, die wenigstens
die Finanzgewalt den Voegten aus den Haenden zu nehmen bestimmt waren,
der Beseitigung der an sich so zweckmaessigen Einrichtung laengerer
Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis hervor, welche
die weiterblickenden roemischen Staatsmaenner vor der hier gesaeten
Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment
der Nobilitaet entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen
Richtung, und der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die
Vorbereitung kuenftiger Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn
nicht unbemerkten, doch ungehemmten stetigen Fortgang.

Wenn die neue Nobilitaet weniger scharf als die alte
Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene
nur tatsaechlich die uebrige Buergerschaft im Mitgenuss der politischen
Rechte beeintraechtigte, so war eben darum die zweite Zuruecksetzung
nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als die erste. An
Versuchen zu dem letzteren fehlte es natuerlich nicht. Die Opposition
ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilitaet auf dem Senat; um
jene zu verstehen, ist zunaechst die damalige roemische Buergerschaft
nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern.

Was von einer Buergerversammlung wie die roemische war, nicht dem
bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert
werden kann: ein sicherer Blick fuer das gemeine Beste, eine
einsichtige Folgsamkeit gegenueber dem richtigen Fuehrer, ein festes
Herz in guten und boesen Tagen und vor allem die Aufopferungsfaehigkeit
des Einzelnen fuer das Ganze, des gegenwaertigen Wohlbehagens fuer das
Glueck der Zukunft - das alles hat die roemische Gemeinde in so hohem
Grade geleistet, dass, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede
Bemaekelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der
gute und verstaendige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze
Verhalten der Buergerschaft der Regierung wie der Opposition gegenueber
beweist mit vollkommener Deutlichkeit, dass dasselbe gewaltige
Buergertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld raeumen musste,
auch in den roemischen Komitien entschied; die Buergerschaft hat wohl
oft geirrt, jedoch nicht geirrt in Poebeltuecke, sondern in
buergerlicher und baeuerlicher Beschraenktheit. Aber allerdings wurde
die Maschinerie, mittels welcher die Buergerschaft in den Gang der
oeffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und
wuchsen ihr durch ihre eigenen Grosstaten die Verhaeltnisse
vollstaendig ueber den Kopf. Dass im Laufe dieser Epoche teils die
meisten bisherigen Passivbuergergemeinden, teils eine betraechtliche
Anzahl neuangelegter Pflanzstaedte das volle roemische Buergerrecht
empfingen, ist schon angegeben worden. Am Ende derselben erfuellte die
roemische Buergerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im
weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil Kampaniens, so dass sie an
der Westkueste noerdlich bis Caere, suedlich bis Cumae reichte;
innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Staedte, wie Tibur,
Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum ausser derselben. Dazu kamen die
Seekolonien an den italischen Kuesten, welche durchgaengig das
roemische Vollbuergerrecht besassen, die picenischen und
transapenninischen Kolonien der juengsten Zeit, denen das Buergerrecht
hatte eingeraeumt werden muessen, und eine sehr betraechtliche Anzahl
roemischer Buerger, die, ohne eigentliche, gesonderte Gemeinwesen zu
bilden, in Marktflecken und Doerfern (fora et conciliabula) durch ganz
Italien zerstreut lebten. Wenn man der Unbehilflichkeit einer also
beschaffenen Stadtgemeinde auch fuer die Zwecke der Rechtspflege ^8 und
der Verwaltung teils durch die frueher schon erwaehnten
stellvertretenden Gerichtsherren einigermassen abhalf, teils wohl auch
schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen und
transapenninischen Kolonien, zu der spaeteren Organisation kleinerer
staedtischer Gemeinwesen innerhalb der grossen roemischen Stadtgemeinde
wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen
politischen Fragen die Urversammlung auf dem roemischen Marktplatz
allein berechtigt; und es springt in die Augen, dass diese in ihrer
Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was
sie gewesen, als die saemtlichen Stimmberechtigten ihre buergerliche
Berechtigung in der Art ausuebten, dass sie am Morgen von ihren Hoefen
weggehen und an demselben Abend wieder zurueck sein konnten. Es kam
hinzu, dass die Regierung - ob aus Unverstand, Schlaffheit oder boeser
Absicht, laesst sich nicht sagen - die nach dem Jahre 513 (241) in den
Buergerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie frueher in
neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so dass
allmaehlich jeder Bezirk aus verschiedenen, ueber das ganze roemische
Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie
diese, von durchschnittlich 8000, die staedtischen natuerlich von mehr,
die laendlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne oertlichen
Zusammenhang und innere Einheit, liessen schon keine bestimmte Leitung
und keine genuegende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermisst
werden musste, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte
voranging. Wenn ferner die Buergerschaft vollkommen die Faehigkeit.
hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und
geradezu laecherlich, in den hoechsten und schwierigsten Fragen, welche
die herrschende Weltmacht zu loesen ueberkam, einem wohlgesinnten, aber
zufaellig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das
entscheidende Wort einzuraeumen und ueber Feldherrnernennungen und
Staatsvertraege in letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder
die Gruende noch die Folgen ihrer Beschluesse begriffen. In allen ueber
eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die
roemischen Urversammlungen eine unmuendige und selbst alberne Rolle
gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen
Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie
zum Beispiel bei der Kriegserklaerung gegen Makedonien 554 (200), so
machte sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kuemmerliche und
kuemmerlich auslaufende Opposition.

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^8 In der bekanntlich zunaechst auf ein Landgut in der Gegend von
Venafrum sich beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die
rechtliche Eroerterung der etwa entstehenden Prozesse nur fuer einen
bestimmten Fall nach Rom gewiesen: wenn naemlich der Gutsherr die
Winterweide an den Besitzer einer Schafherde verpachtet, also mit einem
in der Regel nicht in der Gegend domizilierten Paechter zu tun hat
(agr. 149). Es laesst sich daraus schliessen. dass in dem gewoehnlichen
Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward,
die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom,
sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden.

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Endlich stellte dem unabhaengigen Buergerstand sich der Klientenpoebel
formell gleichberechtigt und tatsaechlich oft schon uebermaechtig zur
Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit
unvordenklicher Zeit uebte der vornehme Roemer auch ueber seine
Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von
denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen,
wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder
verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben, und
sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der
Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht
bloss die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus
den Schutzbefohlenen Guenstlinge und Bettler; und der neue Anhang der
Reichen unterhoehlte aeusserlich und innerlich den Buergerstand. Die
Aristokratie duldete nicht bloss diese Klientel, sondern beutete
finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten
Pfennigkollekten, welche bisher hauptsaechlich nur zu religioesen
Zwecken und bei der Bestattung verdienter Maenner stattgefunden hatten,
jetzt von angesehenen Herren - zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in
Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes - benutzt, um bei
ausserordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu
erheben. Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich
beschraenkt (550 204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen
von ihren Klienten regelmaessigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen
Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu
beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche
maechtige Konkurrenz der abhaengige Poebel bereits in dieser Zeit dem
selbstaendigen Mittelstand machte.

Die reissend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der
Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst
nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen
beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem
sich fortsetzenden, sehr ernsten Eroerterungen ueber ihr Stimmrecht in
den Gemeindeversammlungen, und der waehrend des Hannibalischen Krieges
vom Senat gefasste merkwuerdige Beschluss, die ehrbaren freigelassenen
Frauen zur Beteiligung bei den oeffentlichen Kollekten zuzulassen und
den rechten Kindern freigelassener Vaeter die bisher nur den Kindern
der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser
als die Freigelassenen mochte die Majoritaet der nach Rom
uebersiedelnden Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale
Servilitaet ebenso unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete.

Aber es wirkten nicht bloss diese natuerlichen Ursachen mit zu dem
Aufkommen eines hauptstaedtischen Poebels, sondern es kann auch weder
die Nobilitaet noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen
werden, systematisch denselben grossgezogen und durch Volksschmeichelei
und noch schlimmere Dinge den alten Buergersinn, soviel an ihnen war,
unterwuehlt zu haben. Noch war die Waehlerschaft durchgaengig zu
achtbar, als dass unmittelbare Wahlbestechung im grossen sich haette
zeigen duerfen; aber indirekt ward schon in unloeblichster Weise um die
Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der
Beamten, namentlich der Aedilen, fuer billige Kornpreise zu sorgen und
die Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus
endlich die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpoebels
hervorging: Brot umsonst und ewiges Volksfest. Grosse Kornsendungen,
welche entweder die Provinzialstatthalter zur Verfuegung der roemischen
Marktbehoerde stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei
einzelnen roemischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom
lieferten, machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den
Aedilen moeglich, an die hauptstaedtische Buergerbevoelkerung das
Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte
Cato, dass die Buergerschaft nicht mehr auf guten Rat hoere - der Bauch
habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender
Weise zu. Fuenfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem
Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnuegt; der erste
roemische Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fuegte ein zweites
Volksfest und einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220) ^9, und mag sich
mit diesen Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen
Festes: “plebejische Spiele” hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis
erkauft haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch
ging man weiter in der einmal eroeffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der
Ceres, der Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn ueberhaupt, doch
nur wenig juenger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung
der Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein
viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fuenftes zu Ehren
der neu aus Phrygien nach Rom uebergesiedelten Grossen Mutter
hinzugefuegt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen
Krieges - bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Buergerschaft
von dem Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentuemlich
italische Deisidaemonie war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht
an solchen, welche sie nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in
Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und Vertretung sich der Menge
zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, dass die Regierung, welche der
Buergerschaft so ungeheure Opfer zumuten musste, in solchen Dingen
nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in
ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres Volksfest,
die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen
Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste
beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln - so die kurulischen Aedilen
zu dem alten Volksfest noch das Fest der Goettermutter und das der
Flora, die plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der
staedtische Praetor die Apollinarischen Spiele. Man mag damit, dass die
neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Saeckel nicht zur Last fielen,
sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat waere es weit
weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer Anzahl
unnuetzer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, dass die Ausrichtung
einer Volkslustbarkeit tatsaechlich zur Qualifikation fuer die
Bekleidung des hoechsten Gemeindeamtes ward. Die kuenftigen
Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande fuer diese Spiele
einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche
steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in
Hoffnung noch ausser dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige
“Leistung” (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab.
Die Pracht der Spiele wurde allmaehlich der Massstab, nach dem die
Waehlerschaft die Tuechtigkeit der Konsulatsbewerber bemass. Die
Nobilitaet hatte freilich schwer zu zahlen - ein anstaendiges
Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte
gern, da sie ja damit den unvermoegenden Leuten die politische Laufbahn
verschloss. Aber die Korruption beschraenkte sich nicht auf den Markt,
sondern uebertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Buergerwehr
hatte sich gluecklich geschaetzt, eine Entschaedigung fuer die
Kriegsarbeit und im gluecklichen Fall eine geringe Siegesgabe
heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus,
warfen das roemische wie das Beutegeld mit vollen Haenden unter sie aus
- es war darueber, dass Cato waehrend der letzten Feldzuege gegen
Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten
Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits
durchgaengig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an,
auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der
Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloss fuer sich und sein
unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Maenner
mit Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurueckkamen - dass
auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu
geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben
verfuhr, da fehlte wenig, dass seine eigenen Soldaten, namentlich die
durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten
Freiwilligen, nicht durch Volksbeschluss dem Sieger von Pydna die Ehre
des Triumphes aberkannt haetten, die man schon an jeden Bezwinger von
drei ligurischen Doerfern wegwarf.

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^9 Die Anlage des Circus ist bezeugt. Ueber die Entstehung der
plebejischen Spiele gibt es keine alte Ueberlieferung, denn was der
falsche Asconius (p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem
Flaminischen Circus gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst
sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen
(Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen.

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Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Buergerschaft
unter diesem Uebergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man
an den Feldzuegen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise
offenbarte die einreissende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg
(576 178), wo ueber ein geringes, vom Geruechte lawinenhaft
vergroessertes Scharmuetzel das Landheer und die Seemacht der Roemer,
ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten
ueber ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten noetig fand.
Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon waehrend des
Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlasst,
gegen die Laessigkeit der Militaerpflichtigen von Ritterschatzung mit
ernsten Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ?
180) stellte ein Buergerschaftsbeschluss den Nachweis von zehn
Dienstjahren als Qualifikation fuer die Bekleidung eines jeden
Gemeindeamtes fest, um die Soehne der Nobilitaet dadurch zum Eintritt
in das Heer zu noetigen.

Aber wohl nichts spricht so deutlich fuer den Verfall des rechten
Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen
nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen
gleichartig bei allen Staenden und Klassen erscheint. Zu der Ehre des
Triumphes draengte man sich so, dass es kaum gelang, die alte Regel
aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in offener
Feldschlacht mehrenden, ordentlichen hoechsten Gemeindebeamten
verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben
die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloss. Man
musste es schon sich gefallen lassen, dass diejenigen Feldherren,
welche vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom
Senat oder der Buergerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens
auf dem Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon
war kein Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu
unbedeutend, um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den
friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570
(184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des
Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknuepft, die wenigstens
5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward oefter
durch falsche Bulletins umgangen - sah man doch auch schon in den
vornehmen Haeusern manche feindliche Ruestung prangen, die keineswegs
vom Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen
Jahres es sich zur Ehre gerechnet hatte, das naechste Jahr in den Stab
seines Nachfolgers einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration
gegen die neumodische Hoffart, dass der Konsular Cato unter Tiberius
Sempronius Longus (560 194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als
Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte fuer den der Gemeinde erwiesenen
Dienst der Dank der Gemeinde ein- fuer allemal genuegt; jetzt schien
jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der
Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, dass
ihm, wenn er abends durch die Strassen der Hauptstadt ging,
ausnahmsweise ein Fackeltraeger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und
Denkmaeler, sehr oft auf Kosten des Geehrten errichtet, wurden so
gemein, dass man es spoettisch fuer eine Auszeichnung erklaeren konnte,
ihrer zu entbehren. Aber nicht lange genuegten derartige bloss
persoenliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen Siegen dem Sieger
und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schoepfen; welchen
Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begruendet hat, indem er sich
selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter
den von Spanien nennen liess ^10. Dem Beispiel der Hohen folgten die
Niederen nach. Wenn der Herrenstand es nicht verschmaehte, die
Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und dem gewesenen Zensor
ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte man es den
Freigelassenen nicht veruebeln, dass auch sie verlangten, wenigstens
ihre Soehne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmuecken zu duerfen.
Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht bloss den
Buerger und die Buergerin von dem Fremden und dem Sklaven, sondern auch
den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener von
dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem
gemeinen Buerger, den Sproessling eines kurulischen Hauses von dem
gemeinen Senator - und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was
gut und gross, das Werk der buergerlichen Gleichheit war!

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^10 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das
des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von
Messana den Namen Messala annahm; dass der Konsul von 419 (335) in
aehnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen
Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus
gleichartig.

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Die Zwiespaeltigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der
Opposition. Gestuetzt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den
lauten Ruf nach Reform; gestuetzt auf die hauptstaedtische Menge
beginnt die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht
voellig trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es
doch notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern.

Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkoerpert entgegen in der Person
des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte
Staatsmann des aelteren, noch auf Italien sich beschraenkenden und dem
Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum spaeterhin als das Muster
des echten Roemers von altem Schrot und Korn; mit groesserem Recht wird
man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des roemischen
Mittelstandes gegen die neue hellenisch-kosmopolitische Nobilitaet.
Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der
wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in
die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem
rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich
entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getaeuscht. Unter
Flaccus’ Aegide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den
Mitbuergern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum
Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten
Jahre eingetreten in die Buergerwehr, hatte er den ganzen
Hannibalischen Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der
bei Zama durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und
Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien,
Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich
tuechtig bewaehrt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz.
Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender
Bauernwitz, seine Kenntnis des roemischen Rechts und der roemischen
Verhaeltnisse, seine unglaubliche Ruehrigkeit und sein eiserner Koerper
machten ihn zuerst in den Nachbarstaedten angesehen, alsdann, nachdem
er auf dem Markt und in der Kurie der Hauptstadt auf einen groesseren
Schauplatz getreten war, zu dem einflussreichsten Sachwalter und
Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius
Curius, unter den roemischen Staatsmaennern sein Ideal, angeschlagen
hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem einreissenden
Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen,
und noch in seinem fuenfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem
neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schoen
- gruene Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare - und
kein grosser Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann.
Politisch und sittlich gruendlich borniert und stets das Ideal der
guten alten Zeit vor den Augen und auf den Lippen, verachtete er
eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen sich vor sich selber
legitimiert zu mitleidloser Schaerfe und Haerte gegen alles und alle,
rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der
polizeilichen Ordnung und der kaufmaennischen Redlichkeit liegenden
Pflicht, ein Feind aller Bueberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und
Genialitaet und vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie
einen Versuch gemacht, die Quellen des Uebels zu verstopfen, und sein
Leben lang gegen nichts gefochten als gegen Symptome und namentlich
gegen Personen. Die regierenden Herren sahen zwar auf den ahnenlosen
Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht, ihn weit zu
uebersehen; aber die elegante Korruption in und ausser dem Senat
zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer
republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem
Hannibalischen Krieg, vor dem hoechst einflussreichen Senator und dem
Abgott der roemischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner
vornehmen Kollegen hielt er oeffentlich sein Suendenregister vor,
allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und
allerdings auch mit besonderem Genuss denjenigen, die ihn persoenlich
gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er
oeffentlich auch der Buergerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und
jeden neuen Unfug. Seine bitterboesen Angriffe erweckten ihm zahllose
Feinde und mit den maechtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich den
Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener
unversoehnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er oeffentlich angeklagt
worden. Aber die Bauernschaft - und es ist dies bezeichnend dafuer, wie
maechtig noch in dieser Zeit in dem roemischen Mittelstand derjenige
Geist war, der den Tag von Cannae hatte uebertragen machen - liess den
ruecksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen niemals
fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen
Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im
voraus ankuendigte, dass sie in diesem Amte eine durchgreifende
Reinigung der Buergerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen
beabsichtigten, wurden die beiden gefuerchteten Maenner von der
Buergerschaft gewaehlt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und
derselbe musste es hinnehmen, dass in der Tat das grosse Fegefest
stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der
Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste
gestrichen wurden.

Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz
und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die
Gesinnung war, aus der sie hervorgingen, konnten doch hoechstens den
Strom der Korruption auf eine kurze Weile zurueckstauen; und wenn es
bemerkenswert ist, dass Cato dem zum Trotz oder vielmehr dadurch seine
politische Rolle zu spielen vermocht hat, so ist es ebenso bezeichnend,
dass es so wenig ihm gelang, die Koryphaeen der Gegenpartei wie diesen
ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem Gesinnungsgenossen vor
der Buergerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse wenigstens in den
politisch wichtigen Faellen durchgaengig ganz ebenso erfolglos
geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr
als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich
zur Beschraenkung des Luxus und zur Herbeifuehrung eines sparsamen und
ordentlichen Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen
wurden und die zum Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu
beruehren sein werden.

Bei weitem praktischer und nuetzlicher waren die Versuche, dem
einreissenden Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die
Ausweisungen von neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel
den ersten Platz einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem
ersten und zweiten Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des
letzteren bis gegen den Schluss dieses Zeitabschnitts in grosser Anzahl
und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind
die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im
Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560
(194) und vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen
dem Apennin und dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstaedte
Placentia, Cremona, Bononia und Aquileia und der Buergerkolonien
Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und
565-577 (189-177). Bei weitem die meisten dieser segensreichen
Gruendungen duerfen der Reformpartei zugeschrieben werden. Hinweisend
einerseits auf die Verwuestung Italiens durch den Hannibalischen Krieg
und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und ueberhaupt der
freien italischen Bevoelkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten,
neben und gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im
Cisalpinischen Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen
Landschaft haben Cato und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und
obwohl die roemische Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht
in dem Massstab nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt haette, so
blieb sie doch nicht taub gegen die warnende Stimme des verstaendigen
Mannes.

Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem
Verfall der Buergerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen
Reiterstellen Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der
Staatskasse nicht gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem
exklusiven Geiste der Nobilitaet und ihrem Bestreben, diejenigen, die
nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der Buergerreiterei zu
verdraengen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die schweren
Kriegslaeufte, welche ja sogar die roemische Regierung zu dem
gluecklicherweise verunglueckenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach
orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der
fuer den Dienst im Buergerheer bisher geforderten Qualifikationen: des
Minimalzensus von 11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit.
Abgesehen davon, dass man die zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen
(43 Taler) geschaetzten Freigeborenen und saemtliche Freigelassene zum
Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus fuer den Legionaer auf
4000 Asse (115 Taler) ermaessigt und wurden im Notfall auch sowohl die
Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375
Asse (11 Taler) geschaetzten Freigeborenen in das Buergerfussvolk
miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang
dieser Epoche angehoerenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig
wie die servianische Militaerreform aus Parteibestrebungen
hervorgegangen; allein sie taten doch der demokratischen Partei
insofern wesentlichen Vorschub, als mit den buergerlichen Belastungen
zuerst die buergerlichen Ansprueche und sodann auch die buergerlichen
Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die Armen und
Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit sie
ihm dienten; und hauptsaechlich daraus entsprang eine der wichtigsten
Verfassungsaenderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der
Zenturiatkomitien, welche hoechst wahrscheinlich in demselben Jahre
erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende ging (513 241).

Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn
auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die
Ansaessigen gestimmt, aber doch die Vermoegenden ueberwogen: es hatten
zuerst die Ritter gestimmt, das heisst der patrizisch-plebejische Adel,
sodann die Hoechstbesteuerten, das heisst diejenigen, die ein Vermoegen
von mindestens 100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten
^11; und diese beiden Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten,
jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der
vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen,
deren Schaetzung unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300
Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen
Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen
behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der
ersten Klasse durch das Los erwaehlte Stimmabteilung uebertragen. Die
Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug
angeschlagen werden, zumal in einer Epoche, in der tatsaechlich der
Einfluss des Adels auf die Gesamtbuergerschaft in stetigem Steigen war.
War doch selbst der eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit
maechtig genug, um die gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern
offenstehende zweite Konsul- und zweite Zensorstelle, jene bis an den
Schluss dieser Periode (bis 582 172), diese noch ein Menschenalter
darueber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu besetzen,
ja in dem gefaehrlichsten Moment, den die roemische Republik erlebt
hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen
gesetzlich erfolgte Wahl des nach aller Ansicht faehigsten Offiziers,
des Plebejers Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod
erledigten Konsulstelle einzig seines Plebejertums wegen rueckgaengig
zu machen. Dabei ist es freilich charakteristisch fuer das Wesen auch
dieser Reform, dass das Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den
Hoechstbesteuerten entzogen ward, das den Ritterzenturien entzogene
Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus der ganzen
Buergerschaft erwaehlte Abteilung, sondern ausschliesslich auf die
erste Klasse ueberging. Diese sowie ueberhaupt die fuenf Stufen blieben
wie sie waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der
Weise verschoben, dass der Minimalzensus wie fuer den Dienst in der
Legion so auch fuer das Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000
Asse herabgesetzt ward. Ueberdies lag schon in der formeller
Beibehaltung der frueheren Saetze bei dem allgemeinen Steigen des
Vermoegensstandes gewissermassen eine Ausdehnung des Stimmrechts im
demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb gleichfalls
unveraendert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn
Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien
allein die Majoritaet gehabt hatten, so wurden in der reformierten
Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch
bewirkt, dass unter allen Umstaenden wenigstens die zweite Stufe zur
Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche Schwerpunkt der
Reform war die Verbindung, in welche die neuen Stimmabteilungen mit der
Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die Zenturien aus den
Tribus in der Weise hervorgegangen, dass wer einer Tribus angehoerte,
von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden musste.
Seitdem die nicht ansaessigen Buerger in die Tribus eingeschrieben
worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und waehrend
sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier staedtischen
Abteilungen beschraenkt waren, hatten sie in denen der Zenturien mit
den ansaessigen Buergern formell das gleiche Recht, wenngleich
wahrscheinlich die zensorische Willkuer in der Zusammensetzung der
Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus eingeschriebenen
Buergern das Uebergewicht auch in der Zenturienversammlung gewaehrte.
Dieses Uebergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in
der Weise festgestellt, dass von den 70 Zenturien der ersten Klasse
jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansaessigen
Buerger davon nur acht erhielten; in aehnlicher Weise muss auch in den
vier anderen Stufen den ansaessigen Buergern das Uebergewicht
eingeraeumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die bisherige
Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im Stimmrecht
in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansaessigen Freigelassenen
in die vier staedtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im Jahre 534
(220) durch einen der namhaftesten Maenner der Reformpartei, den Zensor
Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius Sempronius
Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der roemischen Revolution,
fuenfzig Jahre spaeter (585 169) wiederholt und verschaerft. Diese
Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von
Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsaenderung,
die die neue Opposition der Nobilitaet abgewann, der erste Sieg der
eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der
Beschraenkung des zensorischen Willkuerregiments, teils in der
Beschraenkung des Einflusses einerseits der Nobilitaet, anderseits der
Nichtansaessigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung der
Zenturiatkomitien nach dem fuer die Tributkomitien schon geltenden
Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, dass Wahlen,
Gesetzvorschlaege, Kriminalanklagen und ueberhaupt alle die Mitwirkung
der Buergerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgaengig an die
Tributkomitien gebracht und die schwerfaelligeren Zenturien nicht
leicht anders zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmaessig
notwendig oder doch ueblich war, um die Zensoren, Konsuln und Praetoren
zu waehlen und um einen Angriffskrieg zu beschliessen. Es ward also
durch diese Reform nicht ein neues Prinzip in die Verfassung hinein,
sondern ein laengst in der praktisch haeufigeren und wichtigeren
Kategorie der Buergerschaftsversammlungen massgebendes zu allgemeiner
Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische
Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen
Stuetzen jeder wirklich revolutionaeren Partei, dem Proletariat und der
Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung
dieser Abaenderung der fuer die Urversammlungen massgebenden
Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz
hat die gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten
Standes nicht verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich
erschwert. Es ist sicher nicht bloss Schuld der allerdings mangelhaften
Ueberlieferung, dass wir nirgend eine tatsaechliche Einwirkung der
vielbesprochenen Reform auf den politischen Verlauf der Dinge
nachzuweisen vermoegen. Innerlich haengt uebrigens mit dieser Reform
noch die frueher schon erwaehnte Beseitigung der nicht
stimmberechtigten roemischen Buergergemeinden und deren allmaehliches
Aufgehen in die Vollbuergergemeinde zusammen. Es lag in dem
nivellierenden Geiste der Fortschrittspartei, die Gegensaetze innerhalb
des Mittelstandes zu beseitigen, waehrend die Kluft zwischen Buergern
und Nichtbuergern sich gleichzeitig breiter und tiefer zog.

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^11 Ueber die urspruenglichen roemischen Zensussaetze ist es schwierig,
etwas Bestimmtes aufzustellen. Spaeterhin galten bekanntlich als
Minimalzensus der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier
uebrigen Klassen in dem (wenigstens ungefaehren) Verhaeltnis von ¾, ½,
¼, 1/9 stehen. Diese Saetze aber versteht bereits Polybios und
verstehen alle spaeteren Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10
Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu muessen, wenn auch
in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere
Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Roemischen
Muenzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442
(312) die Zensussaetze in Geld statt in Grundbesitz ausdrueckte, kann
sich dabei nicht des leichten As bedient haben, der erst 485 (269)
aufkam. Entweder also hat er dieselben Betraege in schweren Assen
ausgedrueckt und sind diese bei der Muenzreduktion in leichte umgesetzt
worden, oder er stellte die spaeteren Ziffern auf, und es blieben
dieselben trotz der Muenzreduktion, welche in diesem Falle eine
Herabsetzung der Klassensaetze um mehr als die Haelfte enthalten haben
wuerde. Gegen beide Annahmen lassen sich gueltige Bedenken erheben;
doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter
Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder fuer das Ende des
fuenften Jahrhunderts noch als beilaeufige Konsequenz einer bloss
administrativen Massregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz
aus der Ueberlieferung verschwunden sein wuerde. 100000 leichte As oder
40000 Sesterzen koennen uebrigens fueglich als Aequivalent der
urspruenglichen roemischen Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen
werden; so dass danach die Schatzungssaetze ueberhaupt nur im Ausdruck,
nicht aber im Wert gewechselt haben wuerden.

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Fasst man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und
erreicht ward, so hat sie dem einreissenden Verfall, vor allem dem
Einschwinden des Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen
und sparsamen Sitte, aber auch dem uebermaechtigen politischen Einfluss
der neuen Nobilitaet unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern
sich bemueht und bis zu einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man
vermisst ein hoeheres politisches Ziel. Das Missbehagen der Menge, der
sittliche Unwille der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren
angemessenen und kraeftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine
deutliche Einsicht in die Quelle des Uebels noch einen festen Plan, im
grossen und ganzen zu bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht
hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die
rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig Gutes fuer den
Erfolg. Ob die Krankheit ueberhaupt durch Menschenwitz geheilt werden
konnte, bleibt billig dahingestellt; die roemischen Reformatoren dieser
Zeit aber scheinen mehr gute Buerger als gute Staatsmaenner gewesen zu
sein und den grossen Kampf des alten Buergertums gegen den neuen
Kosmopolitismus auf ihrer Seite einigermassen unzulaenglich und
spiessbuergerlich gefuehrt zu haben.

Aber wie neben der Buergerschaft der Poebel in dieser Zeit emporkam, so
trat auch schon neben die achtbare und nuetzliche Oppositionspartei die
volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute,
die an der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der
Schlafsucht; die sich Zuhoerer mieten, wenn sich keine freiwillig
einfinden, und die man wie den Marktschreier anhoert, ohne auf sie zu
hoeren, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen
anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem
Muster der griechischen Schwaetzer des Marktes gebildeten spassigen und
witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; zu
nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als
Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln - fuer
ein Stueck Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der
Tat, diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese
vor allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung
drang, so hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschraenkung der
Regierungs- und Erweiterung der Buergerschaftskompetenz. In ersterer
Beziehung ist die wichtigste Neuerung die tatsaechliche Abschaffung der
Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine populaeren Gegner 537
(217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulaeren
Institut den Todesstoss. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538
216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit
aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie
dies doch in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein
paar Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgaengiger Bezeichnung der
zu ernennenden Person durch die Buergerschaft, ein Diktator fuer
staedtische Geschaefte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne
foermlich abgeschafft zu werden, tatsaechlich ausser Gebrauch. Damit
ging dem kuenstlich ineinander gefugten roemischen Verfassungssystem
ein fuer dessen eigentuemliche Beamtenkollegialitaet sehr
wuenschenswertes Korrektiv verloren und buesste die Regierung, von der
das Eintreten der Diktatur, das heisst die Suspension der Konsuln,
durchaus und in der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden
Diktators abgehangen hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein - nur
unvollkommen ward dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in
Anspruch genommene Befugnis, in ausserordentlichen Faellen, namentlich
bei ploetzlich ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen
hoechsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die
Instruktion: nach Ermessen fuer das gemeine Wohl Massregeln zu treffen,
und damit einen dem heutigen Standrecht aehnlichen Zustand
herbeizufuehren. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in
der Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen
in bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die
politisch wichtigsten Kollegien der Sachverstaendigen, ergaenzten sich
nach altem Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit
diese Koerperschaften ueberhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war
fuer diese zur Ueberlieferung der Kunde goettlicher Dinge von
Geschlecht zu Geschlecht bestimmten Institute die einzige ihrem Geist
entsprechende Wahlform die Kooptation. Es ist darum zwar nicht von
grossem politischen Gewicht, aber bezeichnend fuer die beginnende
Desorganisation der republikanischen Ordnungen, dass in dieser Zeit
(vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber
wohl die Bezeichnung der Vorstaende der Curionen und der Pontifices aus
dem Schosse dieser Koerperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde
ueberging; wobei ueberdies noch, mit echt roemischer formaler
Goetterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Haelfte der
Bezirke, also nicht das “Volk” den Wahlakt vollzog. Von groesserer
Bedeutung war das zunehmende Eingreifen der Buergerschaft in
persoenliche und sachliche Fragen aus dem Kreise der Militaerverwaltung
und der aeusseren Politik. Hierher gehoert der Uebergang der Ernennung
der ordentlichen Stabsoffiziere vom Feldherrn auf die Buergerschaft,
dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen der Fuehrer der
Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der verfassungs-
und vernunftwidrige Buergerschaftsbeschluss von 537 (217), wodurch das
hoechste Kommando zwischen dem unpopulaeren Generalissimus und seinem
populaeren und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn
geteilt ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der
Buergerschaft verfuehrte tribunizische Gequengel wegen unverstaendiger
und unredlicher Kriegfuehrung (545 209), welches denselben doch schon
noetigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen
seiner militaerischen Befaehigung vor dem Publikum der Hauptstadt
auszuweisen; hierher die noch skandaloeseren Versuche, dem Sieger von
Pydna durch Buergerschaftsbeschluss den Triumph abzuerkennen; hierher
die allerdings wohl vom Senat veranlasste Bekleidung eines Privatmanns
mit ausserordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210); hierher die
bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat
ihm denselben verweigere, sich von der Buergerschaft bewilligen zu
lassen (549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb
naerrischen Menschen, der Buergerschaft wider Willen der Regierung eine
in jeder Hinsicht ungerechtfertigte Kriegserklaerung gegen die Rhodier
zu entreissen (587 167); hierher das neue staatsrechtliche Axiom, dass
jeder Staatsvertrag erst durch Ratifikation der Gemeinde vollgueltig
werde. Dieses Mitregieren und Mitkommandieren der Buergerschaft war in
hohem Grade bedenklich, aber weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in
das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloss, weil die Macht des Senats in
der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf das aelteste und
wichtigste Recht der Regierung: die ausschliessliche Verwaltung des
Gemeindevermoegens, sondern weil die Unterstellung der wichtigsten
hierher gehoerigen Angelegenheit, der Aufteilung der Gemeindedomaenen,
unter die Urversammlungen der Buergerschaft mit Notwendigkeit der
Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut
unbeschraenkt in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist
reicht bloss verkehrt, sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert
die bestgesinnte Buergerschaft und gibt dem Antragsteller eine mit
keinem freien Gemeinwesen vertraegliche Macht. Wie heilsam auch die
Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen Tadels darum der Senat
wert war, indem er es unterliess, durch freiwillige Aufteilung des
okkupierten Landes dies gefaehrlichste aller Agitationsmittel
abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf
Aufteilung der picenischen Domaenen im Jahre 522 (232) an die
Buergerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr
geschadet, als durch den Zweck ihm genuetzt. Wohl hatte
zweihundertundfuenfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt;
aber die beiden Massregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach
zusammenstimmten, waren dennoch insofern voellig verschieden, als
Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber
regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung
eines grossen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa
bloss die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militaerische,
administrative und finanzielle Regiment als legitime Domaene des Senats
und huetete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in
unabwendbarer Aufloesung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu
machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der
beschraenktesten Monarchie, dem Monarchen eine so voellig nichtige
Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveraenen roemischen Volke
zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu
bedauern, aber bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach
der Ansicht der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und
seine Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Buergerschaft gebracht,
welche in das eigentliche Regiment eingegriffen haette, niemals die von
ihnen gewuenschten politischen oder finanziellen Massregeln, wie zum
Beispiel die Kriegserklaerung gegen Karthago und die Ackerauslegungen,
mittelbar oder unmittelbar durch Buergerschaftsbeschluss dem Senat
abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die
Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als haette in ihnen eine
boeswillige Majoritaet vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines
angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not
in der Regel in den Komitien noch Gehoer und wendete die aeussersten
Schaedigungen und Schaendlichkeiten ab - die Buergerschaft, vor der
Marcellus sich verantwortete, liess den Anklaeger schimpflich
durchfallen und waehlte den Angeklagten zum Konsul fuer das folgende
Jahr; auch von der Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos liess die
Versammlung sich ueberzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die
Wahl des Paullus und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber
zu solchen Wahlen und solchen Beschluessen bedurfte es doch schon eines
besonderen Aufschwungs; durchgaengig folgte die Masse willenlos dem
naechsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden.

Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr
wirkt, schon auch schaedlich; auch die Nichtigkeit der souveraenen
Volksversammlung schloss keine geringe Gefahr ein. Jede Minoritaet im
Senat konnte der Majoritaet gegenueber verfassungsmaessig an die
Komitien appellieren. Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst
besass, unmuendigen Ohren zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen,
war ein Weg eroeffnet, um sich eine Stellung zu verschaffen oder einen
Beschluss zu erwirken, denen gegenueber Beamte und Regierung formell
gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Buergergenerale, gewohnt,
im Weinhaus Schlachtplaene auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres
angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst
herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem
hauptstaedtischen Aemterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst
galt, vor allen Dingen in Masse verabschiedet werden mussten - und
daher die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae und die
schimpfliche Kriegfuehrung gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward
die Regierung durch jene unberechenbaren Buergerschaftsbeschluesse
gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie
am meisten in ihrem guten Recht war.

Aber die Schwaechung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch
die geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden
Gefahren. Unmittelbarer noch draengte unter der Aegide der
verfassungsmaessigen Rechte der Buergerschaft die faktioese Gewalt der
einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der hoechsten
Autoritaet im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als
das persoenliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus
einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und
Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das
gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufaelligen Fuehrer
abhingen? Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und
dichter ballten die Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschlaege
rollten bereits durch die schwuele Luft. Dabei trafen in zwiefach
bedenklicher Weise die scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in
ihren aeussersten Spitzen sowohl hinsichtlich der Zwecke wie
hinsichtlich der Mittel zusammen. In der Poebelklientel und dem
Poebelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich eine
gleichartige und gleich gefaehrliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt
den Staatsmaennern der folgenden Generation als der Eroeffner
derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und - setzen wir
hinzu - weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution hervorging.
Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart, der
Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilitaet, stuetzte sich in seiner
persoenlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf die
Menge, die er nicht bloss durch den Schimmer seiner Individualitaet
bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die
Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb,
und vor allen Dingen auf die ihm persoenlich anhaengende hohe und
niedere Klientel - nur die traeumerische Unklarheit, auf welcher der
Reiz wie die Schwaeche dieses merkwuerdigen Mannes grossenteils beruht,
liessen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als der
erste Buerger von Rom, nicht oder doch nicht voellig erwachen.

Die Moeglichkeit einer Reform zu behaupten, wuerde ebenso verwegen
sein, wie sie zu leugnen; dass eine durchgreifende Verbesserung des
Staats an Haupt und Gliedern dringendes Beduerfnis war und dass von
keiner Seite dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiss.
Zwar im einzelnen geschah von seiten des Senats wie von seiten der
buergerschaftlichen Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die
Majoritaeten noch wohlgesinnt und boten ueber den Riss weg, der die
Parteien trennte, noch haeufig sich die Haende, um gemeinschaftlich die
schlimmsten Uebelstaende zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht
verstopfte, so half es wenig, dass die besseren Maenner mit Besorgnis
auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen
und Daemmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnuegten
und selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung
der Justiz und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und
umfaenglich genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine
boese Zukunft zu bereiten. Indem sie versaeumten, den Acker umzubrechen
waehrend es Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht saeten. Den
spaeteren Geschlechtern, die die Stuerme der Revolution erlebten,
erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms
und Cato als das Muster des roemischen Staatsmanns. Es war vielmehr die
Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen
Mittelmaessigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in
England; und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern
der Nation wieder in frische Wallung gebracht haette. Wo man den Blick
hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; man sieht die
Arbeiter geschaeftig, bald sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern;
von Vorbereitungen aber zu einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt
man nirgend eine Spur, und es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur
noch, wann das Gebaeude einstuerzen wird. In keiner Epoche ist die
roemische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom
Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein
Menschenalter darueber hinaus; aber die Stabilitaet der Verfassung war
hier wie ueberall nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern
der beginnenden Erkrankung und der Vorbote der Revolution.




KAPITEL XII.
Boden- und Geldwirtschaft


Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermassen
pragmatisch zusammenhaengende Geschichte derselben moeglich wird, so
treten auch in dieser Zeit zuerst die oekonomischen Zustaende mit
groesserer Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die
Grosswirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer spaeteren Weise
und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne dass sich genau scheiden
liesse, was darin auf aelteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden-
und Geldwirtschaft der frueher zivilisierten Nationen, namentlich der
Phoeniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende
Intelligenz der Nation zurueckgeht. Zur richtigen Einsicht in die
innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen
Verhaeltnisse hier zusammenfassend zu schildern.

Die Bodenwirtschaft ^1 war entweder Guts- oder Weide- oder
Kleinwirtschaft, wovon die erste in der von Cato entworfenen
Schilderung uns mit grosser Anschaulichkeit entgegentritt.

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^1 Um uebrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen,
ist es notwendig, sich zu erinnern, welche grossen Veraenderungen auch
hier durch die neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten
ward im Altertum Roggen nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten
Hafers sah man in der Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich
zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien zuerst am Ende des
fuenfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des siebzehnten
Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus
Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur
entstandene Varietaet der den Roemern bekannten Cardonen, aber doch in
ihrer Eigentuemlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen
oder die “griechische Nuss”, der Pfirsich oder die “persische”, auch
die “weiche Nuss” (nux mollusca) sind zwar Italien urspruenglich fremd,
aber begegnen wenigstens schon hundertfuenfzig Jahre vor Christus. Die
Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus dem
Orient eingefuehrt und ein lebendiger Zeuge des uralten
kommerziell-religioesen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward
in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47;
Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Fruechte wegen (Plin. nat. 13,
4, 26), sondern eben wie heutzutage, als Prachtgewaechs und um der
Blaetter bei oeffentlichen Festlichkeiten sich zu bedienen. Juenger ist
die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in
der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt zu werden anfing, obwohl
der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist; noch juenger vielleicht
die Aprikose oder die “armenische Pflaume”. Der Zitronenbaum ward erst
in der spaeteren Kaiserzeit in Italien kultiviert; die Orange kam gar
erst durch die Mauren im zwoelften oder dreizehnten Jahrhundert dahin,
ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe (Agave americana). Die
Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut worden. Auch der
Bueffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten Italien
eigen.

Wie man sieht, sind die mangelnden grossenteils eben diejenigen
Produkte, die uns recht “italienisch” scheinen; und wenn das heutige
Deutschland, verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein
suedliches Land genannt werden kann, so ist auch Italien in nicht
minderem Grade seitdem “suedlicher” geworden.

Die roemischen Landgueter waren, als groesserer Grundbesitz betrachtet,
durchgaengig von beschraenktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte
ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewoehnliches Mass war die
sogenannte Centuria von 200 Morgen. Wo die muehsame Rebenzucht
betrieben ward, wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato
setzt fuer diesen Fall einen Flaecheninhalt von 100 Morgen voraus. Wer
mehr Kapital in die Landwirtschaft stecken wollte, vergroesserte nicht
sein Gut, sondern erwarb mehrere Gueter; wie denn wohl schon der
Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von
zwei oder drei Landguetern gedacht worden ist.

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Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der roemischen
Gemeindewirtschaft fremd; nur bei den abhaengigen Gemeinden kam sie
vor. Verpachtung auf kuerzere Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme
als auch in der Art, dass der Paechter alle Betriebskosten trug und
dafuer einen Anteil, in der Regel wohl die Haelfte der Fruechte,
empfing ^2, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein
eigener Paechterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet ^3.
Regelmaessig leitete also der Eigentuemer selber den Betrieb seiner
Gueter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern
erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan
festzustellen, die Ausfuehrung zu beaufsichtigen und seinen Leuten die
Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm moeglich ward, teils eine Anzahl
Gueter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach Umstaenden den
Staatsgeschaeften zu widmen.

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^2 Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der
Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug des fuer die Pflugstiere benoetigten
Futters, zwischen Verpaechter und Paechter (colonus partiarius) zu den
zwischen ihnen ausgemachten Teilen geteilt. Dass die Teile in der Regel
gleich waren, laesst die Analogie des franzoesischen bail à cheptel und
der aehnlichen italienischen Pachtung auf halb und halb sowie die
Abwesenheit jeder Spur anderer Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig
hat man den politor, der das fuenfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen
geteilt wird, den sechsten bis neunten Aehrenkorb erhaelt (Cato agr.
136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht Teilpaechter, sondern ein
in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen
Gesellschaftsvertrag erhaelt.

^3 Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die
roemischen Kapitalisten anfingen, ueberseeische Besitzungen in grossem
Umfang zu erwerben; wo man es denn auch zu schaetzen wusste, wenn eine
Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).

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Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse
gebaut; daneben Rueben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum
Viehfutter, Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkraeuter.
In der Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Fruehjahr gesaet.
Fuer die Bewaesserung und Entwaesserung war man sehr taetig und zum
Beispiel die Drainage durch geblendete Graeben frueh im Gebrauch. Auch
Wiesen zur Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden
sie haeufig kuenstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von groesserer
wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Oelbaum und der
Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser fuer sich auf
eigenen Weinbergen gepflanzt ward ^4. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und
andere Fruchtbaeume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag,
teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nuetzlichen Laubes, Ulmen,
Pappeln und andere Laubbaeume und Buesche. Dagegen hat bei den
Italikern, bei denen durchgaengig Vegetabilien, Fleischspeisen nur
ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch
kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der
heutigen Oekonomie. Obwohl man den oekonomischen Zusammenhang des
Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der
Duengerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung
von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Grossvieh ward nur
gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe
nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens
auch im Winter im Stall gefuettert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide
Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stueck auf 240 Morgen rechnet;
haeufig indes zog der Eigentuemer es vor, die Winterweide an einen
grossen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde
einem Teilpaechter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von
Laemmern und eines gewissen Masses von Kaese und Milch zu ueberlassen.
Schweine - Cato rechnet auf das groessere Landgut zehn Staelle -,
Huehner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Beduerfnis
gemaestet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und
ein Fischkasten eingerichtet - die bescheidenen Anfaenge der spaeter so
unermesslich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Zuechtung.

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^4 Dass zwischen den Rebstoecken kein Getreide gebaut ward, sondern
hoechstens leicht im Schatten fortkommende Futterkraeuter, geht aus
Cato (agr. 33, vgl. 137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3,
3) bei dem Weinberg keinen anderen Nebengewinn als den Ertrag der
verkauften Ableger. Dagegen die Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes
Getreidefeld besaet (Colum. 2, 9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen
Baeumen gezogen wird, baut man auch zwischen diesen Getreide.

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Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pfluegen, und Eseln,
die besonders zum Duengerschleppen und zum Treiben der Muehle verwandt
wurden; auch ward wohl noch, wie es scheint fuer den Herrn, ein Pferd
gehalten. Man zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie;
durchgaengig waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das
Gut von 100 Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen,
ein juengerer Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden
nach Catos Anschlag fuer das kleinere Grundstueck drei, fuer das
groessere vier erfordert.

Die Menschenarbeit ward regelmaessig durch Sklaven beschafft. An der
Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter
(vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die
Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit
anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin (vilica), die
Haus, Kueche und Speisekammer, Huehnerhof und Taubenschlag besorgt;
eine Anzahl Pflueger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein Eseltreiber,
ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab, ein Schafhirt. Die Zahl
schwankte natuerlich je nach der Bewirtschaftungsweise. Auf ein
Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen werden zwei Pflueger und
sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen zwei Pflueger und
neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit Olivenpflanzungen und
Schafherde drei Pflueger, fuenf Knechte und drei Hirten gerechnet. Fuer
den Weinberg brauchte man natuerlich mehr Arbeitskraefte: auf ein Gut
von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflueger, elf Knechte und
zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natuerlich freier als die uebrigen
Knechte; die Magonischen Buecher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und
eigene Kasse zu gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu
verheiraten; er allein wird auch Aussicht gehabt haben, im Fall des
Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu erlangen. Im uebrigen
bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand. Die Knechte wurden
eben wie das Grossvieh nicht auf dem Gut gezogen, sondern in
arbeitsfaehigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn sie
durch Alter oder Krankheit arbeitsunfaehig geworden waren, mit anderem
Ausschuss wieder auf den Markt geschickt ^5. Das Wirtschaftsgebaeude
(villa rustica) war zugleich Stallung fuer das Vieh, Speicher fuer die
Fruechte und Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen fuer
den Herrn haeufig auf dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana)
eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der Wirtschafter selbst,
erhielt seine Beduerfnisse auf Rechnung des Herrn in gewissen Fristen
nach festen Saetzen geliefert, womit er dann auszukommen hatte; so
Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden und von denen
die Empfaenger nur die Instandhaltung selber beschafften; so monatlich
eine Quantitaet Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner Salz,
Zukost - Oliven oder Salzfisch -, Wein und Oel. Die Quantitaet richtete
sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der
leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mass als diese empfing.
Alles Backen und Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle assen
gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu
fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder einen Entweichungsversuch
befuerchten liess, ward angeschlossen auf die Arbeit geschickt und des
Nachts in den Sklavenkerker gesperrt ^6. Regelmaessig reichten diese
Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von selbst versteht, die
Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern aus. Fremde
Arbeiter wurden sonst fuer gewoehnlich nicht verwandt, ausser in
besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den
Sklavenstand zu beschraenken und dafuer gemietete Leute zu verwenden,
und zur Einbringung der Ernte, fuer welche die stehenden Arbeitskraefte
nirgend genuegten. Bei der Korn- und Heuernte nahm man gedungene
Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem Eingebrachten die
sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen, das fuenfte Korn
empfingen - so zum Beispiel gingen jaehrlich umbrische Arbeiter in
grosser Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte einbringen zu
helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem
Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften,
gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht
einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen
besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte ^7; sehr haeufig
verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig und
liess den Kaeufer die Einbringung besorgen.

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^5 Mago oder sein Uebersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) raet, die
Sklaven nicht zu zuechten, sondern nicht juenger als
zweiundzwanzigjaehrig zu kaufen; und ein aehnliches Verfahren muss auch
Cato im Sinn gehabt haben, wie der Personalbestand seiner
Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht geradezu sagt.
Den Verkauf der alten und kranken Sklaven raet Cato (agr. 2)
ausdruecklich an. Die Sklavenzuechtung, wie sie Columella (1, 8)
beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Soehne haben, von der
Arbeit befreit, die Muetter von vier Soehnen sogar freigelassen werden,
ist wohl mehr eine selbstaendige Spekulation als ein Teil des
regelmaessigen Gutsbetriebes, aehnlich wie das von Cato selbst
betriebene Geschaeft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf
aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwaehnte
charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche
Dienerschaft (familia urbana).

^6 In dieser Beschraenkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der
Haussoehne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen
auch bei Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst
mahlen koennen, statt des Kornes Brot verabreicht werden muss (56).
Sogar in der Kaiserzeit tritt die Fesselung der Sklaven durchgaengig
noch auf als eine definitiv von dem Herrn, provisorisch von dem
Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13;
Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder durch
gefesselte Sklaven in spaeterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem
vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoss mit
vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu
erreichenden Fensteroeffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stueck
des Wirtschaftsgebaeudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, dass
die Lage der Gutssklaven haerter war als die der uebrigen Knechte und
darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich
vergangen hatten oder zu haben schienen. Dass grausame Herren uebrigens
auch ohne jeden Anlass die Fesselung eintreten liessen, soll damit
nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin angedeutet, dass die
Rechtsbuecher die den Verbrechersklaven treffenden Nachteile nicht
ueber die Gefesselten, sondern die Strafe halber Gefesselten
verhaengen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte
eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde
gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Ueber das Phokylideische Gedicht.
Berlin 1856, S. XXXI).

^7 Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdruecklich wohl aber Varro
(rust. 1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es waere oekonomisch
fehlerhaft gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Mass der
Erntearbeiten einzurichten, und am wenigsten wuerde man, wenn es
dennoch geschehen waere, die Trauben auf dem Stock verkauft haben, was
doch haeufig vorkam (Cato agr. 147).

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Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten
Ruecksichtslosigkeit der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer
Linie; ein guter Kettenhund, heisst es bei einem roemischen Landwirt,
muss nicht zu freundlich gegen seine “Mitsklaven” sein. Man naehrt
gehoerig den Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten koennen, weil
es nicht wirtschaftlich waere, sie hungern zu lassen; und man verkauft
sie wie die abgaengige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfaehig geworden
sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich waere, sie laenger zu
behalten. In aelterer Zeit hatten religioese Ruecksichten auch hier
mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den
gebotenen Fest- und Rasttagen ^8 von der Arbeit entbunden; nichts ist
bezeichnender fuer den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als
die Art, wie sie die Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach
einschaerften und der Sache nach umgingen, naemlich anrieten, den Pflug
an jenen Tagen allerdings ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht
ausdruecklich verpoenten Arbeiten auch an diesen Tagen die
Sklavenschaft rastlos zu beschaeftigen. Grundsaetzlich ward ihr
keinerlei freie Regung gestattet - der Sklave, lautet einer von Catos
Wahrspruechen, muss entweder arbeiten oder schlafen -, und durch
menschliche Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu
knuepfen, ward nicht einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in
unverhuellter Scheusslichkeit, und man machte sich keine Illusionen
ueber die Folgen. “Soviel Sklaven, soviel Feinde”, sagt ein roemisches
Sprichwort. Es war ein oekonomischer Grundsatz, Spaltungen innerhalb
der Sklavenschaft eher zu hegen als zu unterdruecken; in demselben
Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und nicht minder das Orakel
der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven gleicher
Nationalitaet zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche
Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizufuehren. Es ward, wie
schon gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert,
wie die roemische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den
“Landguetern des roemischen Volkes”, den Provinzen; und die Welt hat es
empfunden, dass der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem
Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn man uebrigens sich zu jener wenig
beneidenswerten Hoehe des Denkens emporgeschwungen hat, wo in der
Wirtschaft durchaus nichts gilt als das darin steckende Kapital, so
kann man der roemischen Gutswirtschaft das Lob der Folgerichtigkeit,
Taetigkeit, Puenktlichkeit, Sparsamkeit und Soliditaet nicht versagen.
Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen
Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf
und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine
Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiss, aber
auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl
versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfasst, aber sich nie wie
ein Knecht muede arbeitet, der stets zu Hause ist, nicht borgt noch
verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen Gottesdienst als um
den der eignen Haus- und Feldgoetter sich kuemmert und als rechter
Sklave allen Verkehr mit den Goettern wie mit den Menschen dem Herrn
anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden
begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und
ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein
schlechter Landmann, heisst es anderswo, der das kauft, was er auf
seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei Tage
vornimmt, was bei Licht sich beschaffen laesst, es sei denn, dass das
Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag tut,
was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber der,
welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten laesst. Auch
die charakteristische Duengerbegeisterung mangelt nicht; und wohl sind
es goldene Regeln, dass fuer den Landmann der Boden nicht da ist zum
Scheuern und Fegen, sondern zum Saeen und Ernten, dass man also zuvor
Reben und Oelbaeume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu
frueher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse
Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der
rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgaengig
die bekannten baeurischen Erfahrungssaetze auf; doch ist man sichtbar
bestrebt, sich fremde Erfahrungen und auslaendische Produkte
anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten
griechische, afrikanische und spanische erscheinen.

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^8 Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen-
und Feiertage; und damit stimmt ueberein, dass nach Tertullian (idol.
14) die Zahl der heidnischen Festtage noch nicht die fuenfzig Tage der
christlichen Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt
dann die Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche
Columella auf dreissig Tage anschlaegt. In diese fiel ohne Zweifel
durchgaengig das wandelbare “Saatfest” (feriae sementivae; vgl. 1, 201
und Ov. fast. 1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin.
epist. 8, 21, 2 und sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht
verwechselt werden.

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Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsaechlich nur
verschieden durch den kleineren Massstab. Der Eigentuemer selbst und
seine Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt.
Der Viehstand zog sich zusammen, und wo das Gut nicht laenger die
Kosten des Pfluges und seiner Bespannung deckte, trat dafuer die Hacke
ein. Oel- und Weinbau traten zurueck oder fielen ganz weg. In der Naehe
Roms oder eines anderen groesseren Absatzplatzes bestanden auch
sorgfaeltig berieselte Blumen- und Gemuesegaerten, aehnlich etwa wie
man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen Ertrag.

Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Grosse getrieben als der
Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) musste auf jeden Fall betraechtlich
mehr Flaechenraum haben als das Ackergut - man rechnete mindestens 800
Morgen - und konnte mit Vorteil fuer das Geschaeft fast ins Unendliche
ausgedehnt werden. Nach den klimatischen Verhaeltnissen Italiens
ergaenzen sich daselbst gegenseitig die Sommerweide in den Bergen und
die Winterweide in den Ebenen; schon in jener Zeit wurden, eben wie
jetzt noch und grossenteils wohl auf denselben Pfaden, die Herden im
Fruehjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurueck von da
nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt
ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum
Teil Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel,
hauptsaechlich um den Gutsbesitzern, Frachtfuehrern, Soldaten und so
weiter die benoetigten Tiere zu liefern; auch Schweine- und
Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbstaendiger aber und weit hoeher
entwickelt war infolge des fast durchgaengigen Tragens von Wollstoffen
die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im
ganzen dem Gutsbetrieb aehnlich, so dass der Viehmeister (magister
pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer ueber kamen
die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft
meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter Schuppen und
Huerden; es lag also in den Verhaeltnissen, dass man die kraeftigsten
Maenner dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und ihnen eine bei
weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei der Gutsmannschaft
geschah.

Um die oekonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermassen zu
wuerdigen, sind die Preisverhaeltnisse und namentlich die Kornpreise
dieser Zeit zu erwaegen. Durchschnittlich sind dieselben zum
Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld der roemischen
Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre
Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche Beguenstigung des
hauptstaedtischen Proletariats auf Kosten der italischen Bauernschaft,
zu den furchtbarsten Fehlgriffen gefuehrt worden ist. Es handelt sich
hier vor allem um den Konflikt des ueberseeischen und des italischen
Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich,
teils gegen eine maessige Verguetigung der roemischen Regierung
geliefert ward, wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur
Verpflegung des roemischen Beamtenpersonals und der roemischen Heere
verwandt, teils an die Zehntpaechter in der Art abgetreten, dass diese
dafuer entweder Geldzahlung leisteten oder auch es uebernahmen, gewisse
Quantitaeten Getreide nach Rom oder wohin es sonst erforderlich war zu
liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die roemischen
Heere durchgaengig mit ueberseeischem Korne unterhalten, und wenn dies
auch der roemischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloss
sich doch damit eine wichtige Absatzquelle fuer den italischen
Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung, welche laengst
wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt hatte und bei
drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im Ausland
eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der
Untertanen ihr alljaehrlich grosse Getreidemassen und wahrscheinlich
groessere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Haende fuehrten,
und seit ihr ueberdies die Gelegenheit geboten war, auslaendisches
Getreide in fast unbegrenzter Quantitaet zu maessigen Preisen zu
erwerben, mit solchem Getreide die hauptstaedtischen Maerkte zu
ueberfuehren und dasselbe zu Saetzen abzugeben, die entweder an sich
oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon in
den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunaechst auf
Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preussische Scheffel (sechs
Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die
Buerger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre
nachher (558 196) kamen ueber 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu
dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst
eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie
mischte sich hinein, und diese ausserordentlichen, aber vermutlich sehr
haeufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die
Regierung oder einzelne Beamte, sind der Keim der spaeteren
Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das ueberseeische Korn nicht
auf diesem ausserordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte,
drueckte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloss wurden die
Getreidemassen, die der Staat an die Zehntpaechter losschlug, ohne
Zweifel in der Regel von diesen so billig erworben, dass sie beim
Wiederverkauf unter dem Produktionspreis weggegeben werden konnten;
sondern wahrscheinlich war auch in den. Provinzen, namentlich in
Sizilien, teils infolge der guenstigen Bodenverhaeltnisse, teils der
ausgedehnten Gross- und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der
Produktionspreis ueberhaupt betraechtlich niedriger als in Italien, der
Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium
wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin
aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es musste also schon im
natuerlichen Laufe der Dinge das ueberseeische Korn nach der Halbinsel
stroemen und das dort erzeugte im Preise herabdruecken. Unter diesen
durch die leidige Sklavenwirtschaft unnatuerlich verschobenen
Verhaeltnissen waere es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten
des italischen Getreides auf das ueberseeische einen Schutzzoll zu
legen; aber es scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten
der Einfuhr des ueberseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein
Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein - denn wenn die Ausfuhr
einer Quantitaet Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere
Verguenstigung gestattet ward, so muss wohl der Regel nach die
Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und
also das ueberseeische Korn fuer das Mutterland monopolisiert worden
sein. Die Wirkungen dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr
ausserordentlicher Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der
Hauptstadt fuer 6 roemische Modii (= 1 preuss. Scheffel) Spelt nicht
mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180
roemische Pfund (zu 22 Lot preussisch) trockene Feigen, 60 Pfund Oel,
72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuss. Quart) Wein verkauft
wurden, kommt freilich eben seiner Ausserordentlichkeit wegen wenig in
Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos
Zeit heisst Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde
in den italischen Haefen das sizilische und sardinische Korn um die
Fracht losgeschlagen. In den reichsten Kornlandschaften der Halbinsel,
in der heutigen Romagna und Lombardei zahlte man zu Polybios’ Zeit fuer
Kost und Nachtquartier im Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen
halben As (1/3 Groschen); der preussische Scheffel Weizen galt hier
einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere Durchschnittspreis, etwa
der zwoelfte Teil des sonstigen Normalpreises ^9, zeigt mit
unwidersprechlicher Deutlichkeit, dass es der italischen
Getreideproduktion an Absatzquellen voellig mangelte und infolgedessen
das Korn wie das Kornland daselbst so gut wie entwertet war.

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^9 Als hauptstaedtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens fuer
das siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar fuer
den roemischen Modius oder 1/3 Taler fuer den preussischen Scheffel
Weizen, wofuer heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den
Provinzen Brandenburg und Pommern von 1816- 1841) ungefaehr 1 Taler 24
Silbergroschen gezahlt wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz
der roemischen und der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder
dem Sinken des Silberwertes beruht, laesst sich schwerlich entscheiden.

Uebrigens duerfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und
der spaeteren Zeit die Kornpreise wirklich staerker geschwankt haben,
als dies heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben
angefuehrten von 4 und 7 Groschen den preussischen Scheffel mit denen
der aergsten Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im
Hannibalischen Kriege der preussische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15
Drachmen: Polyb. 9, 44), im Buergerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare:
Cic. Verr. E, 92; 214), in der grossen Teuerung unter Augustus gar auf
218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.)
stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme
sind wenig belehrend und koennten nach beiden Seiten hin unter gleichen
Bedingungen auch heute noch sich wiederholen.

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In einem grossen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevoelkerung nicht
zu ernaehren vermag, haette ein solches Ergebnis als nuetzlich oder
doch nicht unbedingt als nachteilig betrachtet werden moegen; ein Land
wie Italien, wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus
Hauptsache war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den
Interessen der wesentlich unproduktiven hauptstaedtischen Bevoelkerung,
der freilich das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des
Ganzen auf die schmaehlichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt
es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie
unfaehig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik
war. Das duerftigste Repraesentativsystem haette wenigstens zu
ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Uebels
gefuehrt; aber in jenen Urversammlungen der Buergerschaft machte alles
andere eher sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden
Patrioten. Jede Regierung, die diesen Namen verdiente, wuerde von
selber eingeschritten sein; aber die Masse des roemischen Senats mag in
gutem Koehlerglauben in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glueck des
Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine hatten ja
wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die
republikanische Koenigskontrolle zu besorgen - so trieb das Schiff
ungehindert in die Brandung hinein.

Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr
lieferte, war die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr,
als allmaehlich auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den uebrigen
Staenden, die sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der frueheren
republikanischen Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie
rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den
groesseren Grundbesitz aufgehen wuerden.

Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten.
Derselbe produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein
Land nicht nach dem aelteren System an kleinere Zeitpaechter abgab,
sondern es nach dem neueren durch seine Knechte bewirtschaften liess;
wo dies also nicht schon frueher geschehen war, zwang die Konkurrenz
des sizilischen Sklavenkorns den italischen Gutsherrn, zu folgen und
anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne Weib und Kind zu
wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher durch
Steigerung oder auch durch Aenderung der Kultur den Konkurrenten
gegenueber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich
begnuegen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der
nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der
roemischen Gutswirtschaft das Zuruecktreten des Getreidebaus, der
vielfach sich auf die Gewinnung der fuer das Arbeiterpersonal
erforderlichen Quantitaet beschraenkt zu haben scheint ^10, und die
Steigerung der Oel- und Weinproduktion sowie der Viehzucht. Diese
hatten bei den guenstigen klimatischen Verhaeltnissen Italiens die
auslaendische Konkurrenz nicht zu fuerchten: der italische Wein, das
italische Oel, die italische Wolle beherrschten nicht bloss die eigenen
Maerkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein
Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit
Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns ueber die
oekonomischen Resultate der roemischen Bodenwirtschaft berichtet wird.
Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, dass das in
Grundstuecken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen
schien; was auch der damaligen, um das Doppelte hoeheren
durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht
lieferte im ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser
rentierte am besten der Weinberg, demnaechst der Gemuesegarten und die
Olivenpflanzung, am wenigsten Wiese und Kornfeld ^11. Natuerlich wird
die Betreibung einer jeden Wirtschaftsgattung unter den ihr
angemessenen Verhaeltnissen und auf ihrem naturgemaessen Boden
vorausgesetzt. Diese Verhaeltnisse reichten an sich schon aus, um
allmaehlich an die Stelle der Bauernwirtschaft ueberall die
Grosswirtschaft zu setzen; und auf dem Wege der Gesetzgebung ihnen
entgegenzuwirken war schwer. Aber arg war es, dass man durch das
spaeter noch zu erwaehnende Claudische Gesetz (kurz vor 536 218) die
senatorischen Haeuser von der Spekulation ausschloss und dadurch deren
ungeheure Kapitalien kuenstlich zwang, vorzugsweise in Grund und Boden
sich anzulegen, das heisst die alten Bauernstellen durch Meierhoefe und
Viehweiden zu ersetzen. Es kamen ferner der dem Staat weit
nachteiligeren Viehwirtschaft, gegenueber dem Gutsbetrieb, noch
besondere Foerderungen zustatten. Einmal entsprach sie als die einzige
Art der Bodennutzung, welche in der Tat den Betrieb im grossen
erheischte und lohnte, allein der Kapitalienmasse und dem
Kapitalistensinn dieser Zeit. Die Gutswirtschaft forderte zwar nicht
die dauernde Anwesenheit des Herrn auf dem Gut, aber doch sein
haeufiges Erscheinen daselbst und gestattete die Erweiterung der Gueter
nicht wohl und die Vervielfaeltigung des Besitzes nur in beschraenkten
Grenzen; wogegen das Weidegut sich unbegrenzt ausdehnen liess und den
Eigentuemer wenig in Anspruch nahm. Aus diesem Grunde fing man schon
an, gutes Ackerland selbst mit oekonomischem Verlust in Weide zu
verwandeln - was die Gesetzgebung freilich, wir wissen nicht wann,
vielleicht um diese Zeit, aber schwerlich mit Erfolg, untersagte. Dazu
kamen die Folgen der Domaenenokkupation. Durch dieselbe entstanden
nicht bloss, da regelmaessig in groesseren Stuecken okkupiert ward,
ausschliesslich grosse Gueter, sondern es scheuten sich auch die
Besitzer, in diesen auf beliebigen Widerruf stehenden und rechtlich
immer unsicheren Besitz bedeutende Bestellungskosten zu stecken,
namentlich Reben und Oelbaeume zu pflanzen; wovon denn die Folge war,
dass man diese Laendereien vorwiegend als Viehweide nutzte.

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^10 Darum nennt Cato die beiden Gueter, die er schildert, kurzweg
Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf
keineswegs bloss Wein und Oel, sondern auch Getreide und anderes mehr
gebaut ward. Waeren freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des
Weinbergs angewiesen wird, sich mit Faessern zu versehen (11), das
Maximum einer Jahresernte, so muessten alle 100 Morgen mit Reben
bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei fuer den Morgen schon
ein fast unerhoerter war (Colum. 3, 3); allein Varro (rust. 1, 22)
verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, dass der Weinbergbesitzer
in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu muessen, bevor die
alte verkauft ist.

^11 Dass der roemische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich
sechs Prozent machte, laesst Columella (3, 3, 9) schliessen. Einen
genaueren Anschlag fuer Kosten und Ertrag haben wir nur fuer den
Weinberg, wofuer Columella auf den Morgen folgende Kostenberechnung
aufstellt:

Kaufpreis des Bodens                         1000 Sesterzen

Kaufpreis der Arbeitssklaven

auf den Morgen repartiert                    1143 Sesterzen

Reben und Pfaehle                             2000 Sesterzen

Verlorene Zinsen waehrend

der ersten zwei Jahre                        497 Sesterzen

Zusammen                                     4640 Sesterzen

                                             = 336 Taler.

Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900
Sesterzen (65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent
darstellen wuerde. Indes ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch
von Missernten abgesehen, die Kosten der Einbringung und die fuer
Instandhaltung der Reben, Pfaehle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen
worden sind.

Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt
auf hoechstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher
auf weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von
25 roemischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem
hauptstaedtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht
mehr als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der
Preis noch niedriger gestanden haben muss. Varro (3, 2) rechnet als
gewoehnlichen guten Bruttoertrag eines groesseren Gutes 150 Sesterzen
vom Morgen. Entsprechende Kostenanschlaege sind hierfuer nicht
ueberliefert; dass die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten
machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst.

Alle diese Angaben fallen uebrigens ein Jahrhundert und laenger nach
Catos Tod. Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, dass sich
Viehwirtschaft besser rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89;
Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai.
21); was natuerlich nicht heissen soll, dass es ueberall raetlich ist,
Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist
dahin, dass das fuer die Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst
geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem in die
Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, hoehere Zinsen
trage. Vielleicht ist dabei auch noch darauf Ruecksicht genommen, dass
die mangelnde Taetigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland
weniger nachteilig wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und
Olivenkultur. Innerhalb des Ackergutes stellt sich nach Cato die
Bodenrente folgendermassen in absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2.
Gemuesegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der Rebenkultur hohen Ertrag
abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7.
Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfuetterung - welche neun
Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergueter
saemtlich wiederkehren.

Von dem hoeheren Reinertrag des Weinbaues gegenueber dem Kornbau zeugt
auch, dass nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den
ihr zinspflichtigen Doerfern ausgefaellten Schiedsspruch die Stadt von
dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins
empfaengt.

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Von der roemischen Geldwirtschaft in aehnlicher Weise eine
zusammenfassende Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von
Fachschriften aus dem roemischen Altertum ueber dieselbe, teils ihre
Natur selbst, die bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als
die Bodennutzung. Was sich ermitteln laesst, gehoert seinen Grundzuegen
nach vielleicht weniger noch als die Bodenwirtschaft den Roemern
eigentuemlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken
Zivilisation, deren Grosswirtschaft begreiflicherweise eben wie die
heutige ueberall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das
kaufmaennische Schema zunaechst von den Griechen festgestellt und von
den Roemern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schaerfe
der Durchfuehrung und die Weite des Massstabes eben hier so
eigentuemlich roemisch, dass der Geist der roemischen Oekonomie und
ihre Grossartigkeit im Guten wie im Schlimmen vor allem in der
Geldwirtschaft sich offenbart.

Der Ausgangspunkt der roemischen Geldwirtschaft war natuerlich das
Leihgeschaeft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den
Roemern eifriger gepflegt worden als das Geschaeft des gewerbmaessigen
Geldverleihers (fenerator) und des Geldhaendlers oder des Bankiers
(argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der
Uebergang der groesseren Kassefuehrung von den einzelnen Kapitalisten
auf den vermittelnden Bankier, der fuer seine Kunden Zahlung empfaengt
und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland ihre
Geldgeschaefte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit
vollstaendig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloss die
Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon ueberall in die
kleinen Geschaefte ein und liessen immer haeufiger in den Provinzen und
Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschiessen fing
schon im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Roemer zu
werden.

Eng damit verwandt war das unermessliche Gebiet der Entreprise. Das
System der mittelbaren Geschaeftsfuehrung durchdrang den ganzen
roemischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine
komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen
eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder
Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgaengig
in Akkord, was irgend in Akkord sich geben liess: die Bauten und die
Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und der
Konkursmasse, wobei der Unternehmer - gewoehnlich ein Bankier - die
saemtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva
vollstaendig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und
nach Umstaenden noch daraufzuzahlen.

Welche hervorragende Rolle in der roemischen Volkswirtschaft der
ueberseeische Handel bereits frueh gespielt hatte, ist seinerzeit
gezeigt worden; von dem weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser
Periode nahm, zeugt die steigende Bedeutung der italischen Hafenzoelle
in der roemischen Finanzwirtschaft. Ausser den keiner weiteren
Auseinandersetzung beduerfenden Ursachen, durch die die Bedeutung des
ueberseeischen Handels stieg, ward derselbe noch kuenstlich gesteigert
durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische Nation
in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen
Klientelstaaten den Roemern und Latinern vertragsmaessig zustehende
Zollfreiheit.

Dagegen blieb die Industrie verhaeltnismaessig zurueck. Die Gewerke
waren freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, dass
sie bis zu einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn
Cato dem kampanischen Landwirt anraet, seinen Bedarf an Sklavenkleidung
und Schuhzeug, an Pfluegen, Faessern und Schloessern in Rom zu kaufen.
Auch kann bei dem starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und
Eintraeglichkeit der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden ^12. Doch
zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmaessige Industrie, wie sie in
Aegypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur
sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in
Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere
Industrie gehoerte wesentlich dem griechischen Tarent an, und ueberall
ueberwog hier wohl schon jetzt die Einfuhr von aegyptischem Linnen und
milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.

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^12 Die industrielle Bedeutung des roemischen Tuchgewerks ergibt sich
schon aus der merkwuerdigen Rolle, die die Walker in der roemischen
Komoedie spielen. Die Eintraeglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato
(bei Plut. Cato mai. 21).

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Dagegen gehoert gewissermassen hierher die Pachtung oder der Kauf
ausseritalischer Laendereien durch roemische Kapitalisten, um daselbst
den Kornbau und die Viehzucht im grossen zu betreiben. Die Anfaenge
dieser spaeterhin in so enormen Verhaeltnissen sich entwickelnden
Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in
diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten
Verkehrsbeschraenkungen, wenn sie nicht dazu eingefuehrt waren, doch
wenigstens dahin wirken mussten, den davon befreiten roemischen
Spekulanten eine Art von Monopol fuer den Grundbesitzerwerb in die
Haende zu geben.

Der Geschaeftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte
durchgaengig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier
richteten, soweit ihr Geschaeftskreis reichte, Nebenkontore und
Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die
Gesellschaft, die vom Staate Hafenzoelle gepachtet hatte, stellte fuer
das Hebegeschaeft in jedem Bureau hauptsaechlich ihre Sklaven und
Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte sich
Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder
Fechterspiele fuer Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte
oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum
Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann liess sich seine
Waren auf eigenen Schiffen unter der Fuehrung von Sklaven oder
Freigelassenen kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im
Gross- oder Kleinverkehr. Dass der Betrieb der Bergwerke und der
Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt
zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht
beneidenswert und durchgaengig unguenstiger als die der griechischen;
dennoch befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die
Industriesklaven sich im ganzen ertraeglicher als die Gutsknechte. Sie
hatten haeufiger Familie und faktisch selbstaendige Wirtschaft und die
Moeglichkeit, Freiheit und eigenes Vermoegen zu erwerben, lag ihnen
nicht fern. Daher waren diese Verhaeltnisse die rechte Pflanzschule der
Emporkoemmlinge aus dem Sklavenstand, welche durch Bediententugend und
oft durch Bedientenlaster in die Reihen der roemischen Buerger und
nicht selten zu grossem Wohlstand gelangten und sittlich, oekonomisch
und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des
roemischen Gemeinwesens beigetragen haben.

Der roemische Geschaeftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen
politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbuertig und in seiner Art
nicht minder grossartig. Wer ein anschauliches Bild von der
Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wuenscht, braucht
nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen,
in denen der phoenikische Handelsmann phoenikisch redend auf die Buehne
gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen
Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber laesst sich die
Ausdehnung und Intensitaet des roemischen Geschaeftsverkehrs in den
Muenz- und Geldverhaeltnissen verfolgen. Der roemische Denar hielt
voellig Schritt mit den roemischen Legionen. Dass die sizilischen
Muenzstaetten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge
der roemischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmuenze
beschraenkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens
neben dem aelteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald
ausschliesslich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso
rasch, wo nicht noch rascher, drang die roemische Silbermuenze in
Spanien ein, wo die grossen Silbergruben bestanden und eine aeltere
Landesmuenze so gut wie nicht vorhanden war; sehr frueh haben die
spanischen Staedte sogar angefangen, auf roemischen Fuss zu muenzen.
Ueberhaupt bestand, da Karthago nur in beschraenktem Umfang muenzte,
ausser der roemischen keine einzige bedeutende Muenzstaette im
westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und
etwa noch der Muenzstaetten der illyrischen Griechen in Apollonia und
Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Roemer anfingen sich im
Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem roemischen Fuss in der Art
unterworfen, dass ihnen zwar die Silberpraegung blieb, sie aber
durchgaengig, namentlich die Massalioten, veranlasst wurden, ihre
Drachme auf das Gewicht des roemischen Dreivierteldenars zu regulieren,
den denn auch die roemische Regierung ihrerseits unter dem Namen der
Victoriamuenze (victoriatus) zunaechst fuer Oberitalien zu praegen
begann. Dieses neue von dem roemischen abhaengige System beherrschte
nicht bloss das massaliotische, oberitalische und illyrische Gebiet,
sondern es gingen auch diese Muenzen in die noerdlichen
Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die
Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis
hinein in das heutige Siebenbuergen. Auf die oestliche Haelfte des
Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare
roemische Herrschaft so auch die roemische Muenze sich noch nicht;
dafuer aber trat hier der rechte und naturgemaesse Vermittler des
internationalen und ueberseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die
roemische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen
von einer voruebergehenden, durch die Finanzbedraengnis waehrend des
Hannibalischen Krieges veranlassten Goldpraegung, unwandelbar daran
fest, ausser dem national-italischen Kupfer nichts als Silber zu
schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhaeltnisse
angenommen, dass er auch ohne Muenze mit dem Golde nach dem Gewicht
auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in
der roemischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel gepraegtes oder
ungepraegtes Silber, fuenf Sechstel Gold in Barren ^13, und ohne
Zweifel fanden sich in allen Kassen der groesseren roemischen
Kapitalisten die edlen Metalle wesentlich in dem gleichen
Verhaeltnisse. Bereits damals also nahm das Gold im Grossverkehr die
erste Stelle ein und ueberwog, wie hieraus weiter geschlossen werden
darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und namentlich
mit dem seit Philipp und Alexander dem Grossen zum Goldcourant
uebergegangenen Osten.

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^13 Es lagen in der Kasse 17410 roemische Pfund Gold, 22070 Pfund
ungepraegten, 18230 Pfund gepraegten Silbers. Das Legalverhaeltnis des
Goldes zum Silber war 1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.

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Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschaeftsverkehr der roemischen
Kapitalisten floss ueber kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel
dieselben auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht
leicht dauernd an, sondern kehrten frueher oder spaeter zurueck nach
Rom, indem sie ihr gewonnenes Vermoegen entweder realisierten und in
Italien anlegten oder auch mit den erworbenen Kapitalien und
Verbindungen den Geschaeftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die
Gelduebermacht Roms gegen die uebrige zivilisierte Welt war denn auch
vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militaerische.
Rom stand in dieser Beziehung den uebrigen Laendern aehnlich gegenueber
wie heutzutage England dem Kontinent - wie denn ein Grieche von dem
juengeren Scipio Africanus sagt, dass er “fuer einen Roemer” nicht
reich gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum
verstand, kann man ungefaehr danach abnehmen, dass Lucius Paullus bei
einem Vermoegen von 100000 Talern (60 Talente) nicht fuer einen reichen
Senator galt, und dass eine Mitgift, wie jede der Toechter des aelteren
Scipio Africanus sie erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als
angemessene Aussteuer eines vornehmen Maedchens angesehen ward,
waehrend der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr als eine
halbe Million Taler (300 Talente) im Vermoegen hatte.

Es war denn auch kein Wunder, dass der kaufmaennische Geist sich der
Nation bemaechtigte, oder vielmehr - denn er war nicht neu in Rom -,
dass daselbst das Kapitalistentum jetzt alle uebrigen Richtungen und
Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie
das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu werden. Die
Erhaltung und Mehrung des Vermoegens war durchaus ein Teil der
oeffentlichen und der Privatmoral. “Einer Witwe Habe mag sich mindern”,
schrieb Cato in dem fuer seinen Sohn aufgesetzten Lebenskatechismus,
“der Mann muss sein Vermoegen mehren, und derjenige ist ruhmwuerdig und
goettlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbuecher bei seinem Tode
nachweisen, dass er mehr hinzuerworben als ererbt hat”. Wo darum
Leistung und Gegenleistung sich gegenueberstehen, wird jedes auch ohne
irgendwelche Foermlichkeit abgeschlossene Geschaeft respektiert, und
wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmaennische Gewohnheit und
Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht
zugestanden ^14; aber das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in
der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt Polybios,
schenkt keiner keinem, wenn er nicht muss, und niemand zahlt einen
Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehoerigen nicht. Sogar
die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmaennische Moral, die in allem
Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von
Geschenken und Vermaechtnissen, die Uebernahme von Buergschaften wurden
in dieser Zeit durch Buergerschaftsschluss beschraenkt, die
Erbschaften, wenn sie nicht an die naechsten Verwandten fielen,
wenigstens besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die
kaufmaennische Puenktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilitaet das
ganze roemische Leben. Buch ueber seine Ausgabe und Einnahme zu
fuehren, ist jeder ordentliche Mann sittlich verpflichtet - wie es denn
auch in jedem wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer
(tablinum) gab -, und jeder traegt Sorge, dass er nicht ohne letzten
Willen aus der Welt scheide; es gehoerte zu den drei Dingen, die Cato
in seinem Leben bereut zu haben bekennt, dass er einen Tag ohne
Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefaehr wie wir
sie den kaufmaennischen Buechern beizulegen pflegen, kam nach
roemischer Uebung jenen Hausbuechern durchgaengig zu. Das Wort des
unbescholtenen Mannes galt nicht bloss gegen ihn, sondern auch zu
seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter rechtschaffenen Leuten
war nichts gewoehnlicher als sie durch einen, von der einen Partei
geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten, womit
sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb
eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunaechst
fuer den unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei
gleicher Reputierlichkeit beider Parteien fuer den Beklagten zu
sprechen ^15. Die konventionelle Respektabilitaet tritt namentlich in
der scharfen und immer schaerferen Auspraegung des Satzes hervor, dass
kein anstaendiger Mann sich fuer persoenliche Dienstleistungen bezahlen
lassen duerfe. Darum erhielten denn nicht bloss Beamte, Offiziere,
Geschworene, Vormuender und ueberhaupt alle mit oeffentlichen
Verrichtungen beauftragten anstaendigen Maenner keine andere Verguetung
fuer ihre Dienstleistungen als hoechstens den Ersatz ihrer Auslagen,
sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich
untereinander leisten: Verbuergung, Vertretung im Prozess, Aufbewahrung
(depositum), Gebrauchsueberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten
Gegenstaende (commodatum), ueberhaupt Geschaeftsverwaltung und
Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so dass es
unschicklich war, dafuer eine Verguetung zu empfangen, und eine Klage
selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollstaendig der
Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schaerfsten die Ersetzung des
Duells, auch des politischen, in dem roemischen Leben dieser Zeit durch
die Geldwette und den Prozess. Die gewoehnliche Form, um persoenliche
Ehrenfragen zu erledigen, war die, dass zwischen dem Beleidiger und dem
Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden
Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die
Tatfrage in aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die
Annahme einer solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger
angebotenen Wette war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum
Zweikampf rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu
vermeiden.

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^14 Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-,
Gesellschaftsvertrags und ueberhaupt die ganze Lehre von den nicht
formalen klagbaren Vertraegen.

^15 Die Hauptstelle darueber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2.
Auch fuer den Literalkontrakt, das heisst die lediglich auf die
Eintragung des Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Glaeubigers
basierte Forderung, gibt diese rechtliche Beruecksichtigung der
persoenlichen Glaubwuerdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr
Zeugnis in eigener Sache handelt, den Schluessel; und daher ist auch,
als spaeter diese kaufmaennische Reputierlichkeit aus dem roemischen
Leben entwich, der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden,
aber von selber verschwunden.

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Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschaeftsmann
schwer fasslichen Intensitaet auftretenden Kaufmannstums war die
ungemeine Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe
noch besondere Nahrung durch das schon oft erwaehnte System der
Regierung, ihre Geschaefte durch Mittelsmaenner beschaffen zu lassen;
denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen war es natuerlich und wohl
auch der groesseren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben,
dass nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften
diese Pachtungen und Lieferungen uebernahmen. Nach dem Muster dieser
Unternehmungen organisierte sich der gesamte Grossverkehr. Es finden
sogar sich Spuren, dass fuer das Assoziationswesen so charakteristische
Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur
gemeinschaftlichen Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Roemern
vorgekommen ist ^16. Namentlich in den ueberseeischen und den sonst mit
bedeutendem Risiko verbundenen Geschaeften nahm das Assoziationswesen
eine solche Ausdehnung an, dass es praktisch an die Stelle der dem
Altertum unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewoehnlicher als
das sogenannte Seedarlehen, das heutige Grossaventurgeschaeft, wodurch
Gefahr und Gewinn des ueberseeischen Handels sich auf die Eigentuemer
von Schiff und Ladung und die saemtlichen fuer diese Fahrt
kreditierenden Kapitalisten verhaeltnismaessig verteilt. Es war aber
ueberhaupt roemische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen
Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbstaendig zu
spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit
seinem Gelde auszuruesten, sondern mit neunundvierzig andern
Kapitalisten zusammen fuenfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum
fuenfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigefuehrte
groessere Verwicklung der Geschaeftsfuehrung uebertrug der roemische
Kaufmann durch seine puenktliche Arbeitsamkeit und seine - vom reinen
Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem
vorzuziehende - Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese
kaufmaennischen Assoziationen mit hundertfachen Faeden in die Oekonomie
eines jeden angesehenen Roemers ein. Es gab nach Polybios’ Zeugnis kaum
einen vermoegenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller
Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen waere; und um
soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil
seines Kapitals in den kaufmaennischen Assoziationen ueberhaupt stecken
gehabt haben.

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^16 In dem merkwuerdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) fuer den wegen
der Olivenlese abzuschliessenden Akkord findet sich folgender
Paragraph: “Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen]
niemand zuruecktreten, um zu bewirken, dass die Olivenlese und Presse
teurer verdungen werde; ausser wenn [der Mitbieter den andern Bieter]
sofort als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein
scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm
bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit
welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwoeren, [nicht zu
jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den Eid
nicht schwoeren, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.” Dass der
Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird
stillschweigend vorausgesetzt.

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Auf allem diesem aber beruht die Dauer der roemischen Vermoegen, die
vielleicht noch merkwuerdiger ist als deren Groesse. Die frueher
hervorgehobene, in dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, dass der
Bestand der grossen Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast
gleich bleibt, findet hier, in den einigermassen engen, aber soliden
Grundsaetzen der kaufmaennischen Vermoegensverwaltung ihre Erklaerung.

Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der roemischen
Oekonomie konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft
unzertrennlichen Uebelstaende nicht ausbleiben. Die buergerliche
Gleichheit, welche bereits durch das Emporkommen des regierenden
Herrenstandes eine toedliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich
schweren Schlag durch die scharf und immer schaerfer sich zeichnende
soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Fuer die Scheidung nach
unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwaehnte,
anscheinend gleichgueltige, in der Tat einen Abgrund von
Kapitalistenuebermut und Kapitalistenfrevel in sich schliessende Satz,
dass es schimpflich sei, fuer die Arbeit Geld zu nehmen - es zog sich
damit die Scheidewand nicht bloss zwischen dem gemeinen Tageloehner und
Handwerker und dem respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern
ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und dem
Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach
oben hin zog eine aehnliche Schranke das von Gaius Flaminius
veranlasste Claudische Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und
Senatorensoehnen untersagte, Seeschiffe ausser zum Transport des
Ertrags ihrer Landgueter zu besitzen und wahrscheinlich auch sich bei
den oeffentlichen Lizitationen zu beteiligen, ueberhaupt ihnen alles
das zu betreiben verbot, was die Roemer unter “Spekulation” (quaestus)
verstanden ^17. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den Senatoren
hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen Opposition,
welche damit zunaechst wohl nur den Uebelstand beseitigen wollte, dass
Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschaefte machten; es
kann auch sein, dass die Kapitalisten hier schon, wie spaeter so oft,
mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die
Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluss der Senatoren die
Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natuerlich nur sehr
unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege
genug eroeffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat
dieser Volksschluss eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder
doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen
gezogen und der zunaechst politischen eine reine Finanzaristokratie an
die Seite gestellt, den spaeter so genannten Ritterstand, dessen
Rivalitaeten mit dem Herrenstand die Geschichte des folgenden
Jahrhunderts erfuellen.

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^17 Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der
Verordnung ueber die Seeschiffe; aber dass auch die Staatsentreprisen
(redemptiones) dem Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius
(tog. cand. p. 94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach
Livius “jede Spekulation fuer den Senator unschicklich gefunden ward”,
so hat das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht.

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Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das
unverhaeltnismaessige Hervortreten eben der sterilsten und fuer die
Volkswirtschaft im ganzen und grossen am wenigsten produktiven
Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster Stelle haette erscheinen
sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel bluehte; aber er war
durchgaengig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze scheint man
imstande gewesen zu sein, fuer die Sklaven, welche aus den keltischen
und wohl auch schon aus den deutschen Laendern nach Ariminum und den
anderen norditalischen Maerkten stroemten, mit Waren Deckung zu geben;
wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das
Keltenland von der roemischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun
gar mit Griechenland, Syrien, Aegypten, Kyrene, Karthago musste die
Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die
Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden;
mehr wollte man eben auch nicht sein und liess den Passivhandel, wie
jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist, notwendig ihn fuehrt,
mit opulenter Gleichgueltigkeit sich gefallen - besass man doch Geld
genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte und nicht brauchte.
Dagegen die unproduktivsten aller Geschaefte, der Geldhandel und das
Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der roemischen
Oekonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung
eines wohlhabenden Mittel- und auskoemmlichen Kleinstandes enthalten
war, verkuemmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im
besten Fall zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei.

Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen
Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des
Gemeinwesens und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch
den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr
lebendig, welche Saat des Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag;
und vor allem richteten sich der instinktmaessige Hass des grossen
Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit
langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach
immer noch verpoente gewerbsmaessige Leihgeschaeft. Es heisst in einem
Lustspiel dieser Zeit:

Wahrhaftig gleich eracht’ ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer;

Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr’s auf offnem Markte.

Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut’ ihr beide.

Gesetze gnug hat eurethalb die Buergerschaft erlassen;

Ihr bracht’ sie, wie man sie erliess; ein Schlupf ist stets gefunden.

Wie heisses Wasser, das verkuehlt, so achtet das Gesetz ihr.

Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Fuehrer der
Reformpartei Cato sich aus. “Es hat manches fuer sich”, heisst es in
der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, “Geld auf Zinsen zu leihen;
aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und
in dem Gesetze geschrieben, dass der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer
vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann,
ein wieviel schlechterer Buerger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen
erachtet ward”. Der Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem
Geldverleiher und einem Moerder sei nicht gross; und man muss es ihm
lassen, dass er in seinen Handlungen nicht hinter seinen Reden
zurueckblieb - als Statthalter in Sardinien hat er durch seine strenge
Rechtspflege die roemischen Bankiers geradezu zum Lande
hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete ueberhaupt
seiner ueberwiegenden Majoritaet nach die Wirtschaft der Spekulanten
mit Widerwillen und fuehrte sich nicht bloss durchschnittlich
rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute,
sondern tat auch oefter ihnen Einhalt; nur brachen der haeufige Wechsel
der roemischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer
Gesetzhandhabung dem Bemuehen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die
Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer war,
dass es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu
ueberwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veraenderte Richtung
zu geben; hauptsaechlich in diesem Sinne wurde von Maennern, wie Cato
war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. “Wenn unsere
Vorfahren”, faehrt Cato in der eben angefuehrten Vorrede fort, “einem
tuechtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen
tuechtigen Bauern und einen tuechtigen Landwirt; wer also gelobt ward,
schien das hoechste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich fuer
wacker und erwerbsfleissig; aber sein Geschaeft ist Gefahren und
Ungluecksfaellen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die
tapfersten Leute und die tuechtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie
dieser ehrbar, sicher und niemandem gehaessig, und die damit sich
abgeben, kommen am wenigsten auf boese Gedanken”. Von sich selber
pflegte er zu sagen, dass sein Vermoegen lediglich aus zwei
Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und
wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit
gemaess war ^18, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen
wie der Nachwelt als das Muster eines roemischen Gutsbesitzers
gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwuerdige wie schmerzliche
Wahrheit, dass dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene
Heilmittel der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der
Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der
Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei
der Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber
wie war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis
zum fuenften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der
Art gefuehrt hatte, dass es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den
arbeitenden Bauern entzog und den muessig zehrenden Rentiers in die
Haende fuehrte, war ausgeglichen worden hauptsaechlich durch die
Erweiterung der roemischen Oekonomie und das Hinueberwerfen des in
Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet
taetige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte
Geschaeftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und
eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die
senatorischen Kapitalien auf kuenstlichem Wege zur Anlage in italischem
Grundbesitz zu draengen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise
das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der
zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im
Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war
der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde
und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf
Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen
Ueberschuss von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht
radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und
verwandelten sie im besten Fall in Meierhoefe mit Sklavenwirtschaft.
Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die
Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfruechte.
Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und
vollkommen richtig; aber wie passt sie auf die Wirtschaft selbst, die
er schildert und anraet? Wenn ein roemischer Senator, wie das nicht
selten gewesen sein kann, solcher Landgueter wie das von Cato
beschriebene vier besass, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit
der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfuenfzig Bauernfamilien
ernaehrt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fuenfzig
groesstenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um
die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit
selber bis zum Verwechseln aehnlich.

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^18 Einen Teil seines Vermoegens steckte Cato wie jeder andere Roemer
in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht
seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in
Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch
Zinsgeschaefte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter
Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das
Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein
verbotener Zinsbetrieb und gehoert auch der Sache nach wesentlich zu
den Reederei- und Befrachtungsgeschaeften.

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Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veraenderten
Bevoelkerungsverhaeltnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der
Zustand der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar
gut. Die bei der Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und
dem Po in grosser Anzahl daselbst gegruendeten Bauernstellen
verschwanden nicht so schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende
dieser Periode die Gegend bereiste, ruehmt ihre zahlreiche, schoene und
kraeftige Bevoelkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung waere es
wohl moeglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur
Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Aehnlich hatte Picenum und der
sogenannte “gallische Acker” durch die Aufteilungen des Domaniallandes
in Gemaessheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche
Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg
mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die
inneren Verhaeltnisse der untertaenigen Gemeinden dem Gedeihen eines
freien Bauernstandes unguenstig. Besser stand es in Latium, dem die
Vorteile des hauptstaedtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden
konnten und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte,
sowie in den abgeschlossenen Bergtaelern der Marser und Sabeller.
Sueditalien dagegen hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht
und ausser einer Menge kleinerer Ortschaften die beiden groessten
Staedte, Capua und Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann
ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren
Kriegen des fuenften Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zaehlung
von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfaehige zu stellen als
die saemtlichen latinischen Staedte und wahrscheinlich damals nach dem
roemischen Buergerdistrikt die bluehendste Landschaft der Halbinsel.
Allein der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue veroedet und
die Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres,
obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch
uebler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis
dahin wohlbevoelkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet
worden. In Apulien fanden spaeter zwar Ackeranweisungen statt, allein
die hier angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevoelkerter blieb
die schoene kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der
anderen, im Hannibalischen Kriege aufgeloesten Gemeinden Staatsbesitz
und waren die Inhaber derselben durchgaengig nicht Eigentuemer, sondern
kleine Zeitpaechter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen
Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr duenne
Bevoelkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran
sich reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah
nicht viel, um hier den Ackerbau wieder in die Hoehe zu bringen - mit
Ausnahme etwa von Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort
angelegten Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der
politischen und oekonomischen Verhaeltnisse der verschiedenen
Landschaften und dem verhaeltnismaessig bluehenden Zustand einzelner
derselben ist im ganzen doch der Rueckgang unverkennbar, und er wird
durch die unverwerflichsten Zeugnisse ueber den allgemeinen Zustand
Italiens bestaetigt. Cato und Polybios stimmen darin ueberein, dass
Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwaecher als am Ende
des fuenften bevoelkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen
aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende
Schwierigkeit der Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum
Dienst in den Legionen herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen
ueber die Hoehe der von ihnen zu stellenden Kontingente bestaetigen
diese Angaben; und was die roemische Buergerschaft anlangt, so reden
die Zahlen. Sie zaehlte im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus’ Zug nach
Afrika, 298000 waffenfaehige Maenner; dreissig Jahre spaeter, kurz vor
dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000
Koepfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem
Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Koepfe, also um ein Viertel
gesunken; und ein Menschenalter nachher, waehrend dessen keine
ausserordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage
besonders der grossen Buergerkolonien in der norditalischen Ebene einen
fuehlbaren ausserordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum
die Ziffer wieder erreicht, auf der die Buergerschaft zu Anfang dieser
Periode gestanden hatte. Haetten wir aehnliche Ziffern fuer die
italische Bevoelkerung ueberhaupt, so wuerden sie ohne allen Zweifel
ein verhaeltnismaessig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das
Sinken der Volkskraft laesst sich weniger belegen, doch ist es von
landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, dass Fleisch und Milch
aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben
wuchs die Sklavenbevoelkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien
und dem Brettierland muss schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den
Ackerbau ueberwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier
recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so
unsicher gemacht, dass starke Besatzung dorthin gelegt werden musste;
im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine im groessten Massstab angelegte,
auch mit dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwoerung
entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in
Etrurien mussten roemische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren
(558 196, und sogar in Latium kam es vor, dass Staedte wie Setia und
Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte
ueberrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen
und loeste die Gemeinschaft der freien Buerger sich auf in eine Herren-
und Sklavenschaft; und obwohl es zunaechst die beiden langjaehrigen
Kriege mit Karthago waren, welche die Buerger- wie die
Bundesgenossenschaft dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken
der italischen Volkskraft und Volkszahl die roemischen Kapitalisten
ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann
niemand sagen, ob die Regierung haette helfen koennen; aber
erschreckend und beschaemend ist es, dass in den doch grossenteils
wohlmeinenden und tatkraeftigen Kreisen der roemischen Aristokratie
nicht einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die
Ahnung von der ganzen Hoehe der Gefahr sich offenbart. Als eine
roemische Dame vom hohen Adel, die Schwester eines der zahlreichen
Buergeradmirale, die im Ersten Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde
zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem roemischen Markt ins
Gedraenge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden aus, dass es
hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu
stellen und durch einen neuen Aderlass der Buergerschaft auf dem Markte
Luft zu machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die
wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch nichts als der
schneidende Ausdruck der straeflichen Gleichgueltigkeit, womit die
gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Buerger- und Bauernschaft
herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man liess es
geschehen; und so kam denn ueber das eben noch in maessiger und
verdienter Wohlfahrt unzaehliger freier und froehlicher Menschen
bluehende italische Land mit Riesenschnelle die Veroedung.




KAPITEL XIII.
Glaube und Sitte


In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer
er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte
bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und
ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen,
traurig und schwer gelebt zu haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr
und keiner weniger zu tun, als sein Haus in guter Zucht zu halten und
in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem
aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der
Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem
einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging zugleich
mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein
Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes
folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das
Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien zu jenem gewaltigen
Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat
und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns
gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. Zwar gehoerte zu
dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes auch dies,
dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit
waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in
die schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode
sich aeussern durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis
des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die
mehr als jede andere Erscheinung im roemischen Leben geeignet ist, uns
Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es
war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die Buergerschaft geladen ward
durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: “Jener Wehrmann ist Todes
verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das Geleite zu
geben; er wird weggetragen aus seinem Hause”. Es eroeffneten ihn die
Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen
letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei
erschien, auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann
noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der
grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit, die
Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand, dass
wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben, die
Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher
gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet
oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs
getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben
gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der
Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in
hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der
hoechste Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie
eintrat, so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden
Amtstracht geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das
Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei
Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im
goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten
Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes,
alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren
purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern
ueberspreiteten Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen
Schmuck des hoechsten von ihm bekleideten Amtes und umgeben von den
Ruestungen der von ihm erlegten Feinde und den in Scherz und Ernst ihm
gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in
schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit
verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die Verwandter. und
Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. So ging
der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet;
die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen
Stuehlen sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste
Geschlechtsgenosse betrat die Rednerbuehne, um in schlichter
Aufzaehlung die Namen und Taten eines jeden der im Kreise
herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst Verstorbenen der
versammelten Menge zu verlautbaren.

Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende
Nation haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter,
sicherlich nicht bis in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation
hinein ertragen; aber selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig
geartete Griechen, wie zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die
grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten
Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit
des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die
abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem
gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und
der Ehren satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst
auf dem Markte erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen.

Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht
sich nicht mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten
und Westen uebergriff, war es auch mit der alten italischen
Eigenartigkeit vorbei und trat an deren Stelle die hellenisierende
Zivilisation. Zwar unter griechischem Einfluss hatte Italien gestanden,
seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es ist frueher dargestellt
worden, wie das jugendliche Griechenland und das jugendliche Italien,
beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet, geistige
Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr
aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der
Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der
Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie
in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis
nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und vor der eigenen
geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und wenn selbst
kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die deutsche, in
den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht haben, sich der
armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu bedienen, so
kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit brennendem
Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der
geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas
Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den
hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte
wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr
humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete
vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem
geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu
gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom
ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des
Grossen auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss
Anregung mehr noch Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark
der italischen Nation. Natuerlich straeubte die lebenskraeftige
italische Eigenartigkeit sich gegen das fremde Element. Erst nach dem
heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer dem weltbuergerlichen
Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische Frack den
germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der
Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in
einer den frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem
griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig
in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel.

Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser
Kampf der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst
die politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche
Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter
Schiffbruch frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls
hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen
gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische
Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit
massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben
wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die
letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem
Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so
zum Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich
in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten,
sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen,
den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und
beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere
Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum
war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den
Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien,
soweit der Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien,
um das die Roemer sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in
dieser Epoche der Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und
die dortige lokale Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich
ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon;
aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer Aufschrift
versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr schwunghaft
und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter
Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig
eingegangen in griechische Art und griechische Kunst.

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^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia
und seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften
festgestellt; wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so
stellt sich dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht
gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener Beiname nichts sein als eine
Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer
schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den
geborenen Asiaten.

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Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen
Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens
und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht
unterlassen werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen
zugleich sich bewegenden und schwer zu einer Anschauung
zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine Darstellung zu
versuchen.

Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war,
zeigt am deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies
Problem der italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen
erregte. Bei dem Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische
Oberfeldherr zu hoeren, dass er waehrend der Schlacht nichts getan habe
als wie ein Pfaffe beten und opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas
platten Gescheitheit seine Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit
dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat
nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und
dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien.

Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine
Antiquitaet war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon
sichtlich an, sich zur Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht
tritt die beginnende Erstarrung des Glaubens so bestimmt hervor wie in
den veraenderten oekonomischen Verhaeltnissen des Gottesdienstes und
der Priesterschaft. Der oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss
immer weitschichtiger, sondern vor allem auch immer kostspieliger.
Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse
zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien
der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei
Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht
bloss die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes
bedurfte es hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner
Schmausangelegenheiten mit Eifer und Andacht befliss. Neben den
klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale Immunitaet nicht. Die
Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer Bedraengnis es als ihr Recht
in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht beizutragen und liessen
erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur Nachzahlung der
rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die Gemeinde wurde
auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein
kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der
Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken
war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den
katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie
von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet
der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben und sonstigen
Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast betrachtet
wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast zu werden -
“Erbschaft ohne Opferschuld” ward bei den Roemern sprichwoertlich
gesagt, etwa wie bei uns “Rose ohne Dornen”. Das Geluebde des Zehnten
der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male infolgedessen
auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten ward. Mit
dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem
gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden,
von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom.
Endlich die untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig
nichts fuer nichts; und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen,
wenn auf der roemischen Buehne in der ehelichen Gardinenkonversation
neben der Kuechen-, Hebammen- und Praesentenrechnung auch das fromme
Konto mit erscheint:

Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag

Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge
Frau;

Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand’ ist’s, schick’ ich
nichts.

Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich.

Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so
jetzt einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den
hoechsten wie in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der
alte Stolz der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer
oekonomischen Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber
gleichzeitig war es auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind
von Vernunft und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die
ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche
Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist
damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des
Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit
der natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese
Pflicht den Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass
ein einzelnes Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis
dreissigmal hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja
auch Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder
vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte,
als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu sieben
Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In dieser
Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre
Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der
Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen
Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu
befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb -
freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der
Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser
Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt
werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und
Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit
geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine
Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene
Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener
und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen
Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios’
Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren
Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die
hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden
Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der
Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu
schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende
Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was
geradezu durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum
Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem
roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch
hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen
war die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in
Rom. Die poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus
den Schriften des alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von
Megara (um 280 470) ausgezogen oder vielmehr, wenigstens
groesstenteils, ihm untergeschoben hatten, sah in den griechischen
Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der Seele ein
Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie,
aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren
allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war
sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der Landesreligion
einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion lieferten die
“heiligen Memoiren” des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form
von Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland
getanen Reisen die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten
gruendlich und urkundlich sichteten und im Resultat darauf
hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch gebe. Zur
Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die Geschichte
von Kronos’ Kinderverschlingung erklaert wird aus der in aeltester Zeit
bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften Menschenfresserei.
Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei machte das
Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in
Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion
begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und
wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und der neuen
Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven
Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische
uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit
gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen
und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war
ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese
Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm
eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen
Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen.

So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und
wie man die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der
Boden mit wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem
Unkraut. Inlaendischer Aberglaube und auslaendische Afterweisheit
gingen buntscheckig durch-, neben- und gegeneinander. Kein italischer
Stamm blieb frei von der Umwandlung alten Glaubens in neuen
Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und Blitzweisheit, so
stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie Kunst des
Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei der
latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier
verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so
die praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die
merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des
Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst
vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies und dass die Buecher sehr
neu ausgesehen haetten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem
Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf den Schatz und liess
die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische Fabrikation
reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden
Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran
genuegen zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von
orientalischer Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den
Unglauben so auch den Aberglauben in seinen aergerlichsten und
gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben als auslaendischer
hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen Reiz. Die
chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren schon im
sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit
bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme
der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter
der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten
bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen
muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus,
einer Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein,
den die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den
Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der
Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das
froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit
umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das
beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit
der Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der
Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch
streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter
Kelten (Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer
Buerger zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch
der wueste Apparat der “Grossen Mutter”, diese, mit dem Obereunuchen an
der Spitze unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in
orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus
zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische
Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des
Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu
schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft
der scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine
geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen
griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein
Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz
Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten
Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde
hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell,
grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die
Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu
werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende
Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende
sich absehen lasse.

Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie
gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich
einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen
Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte
seinem Wirtschafter in die Instruktion, “dass er ohne Vorwissen und
Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich darbringen
lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem Fluraltar,
und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei einem
Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem
Chaldaeer”. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange,
das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein
Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen
Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt
Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren
Anhang:

Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,

Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein,

Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus,

Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn.

Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die
Unvernunft verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die
frommen Preller wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede
auslaendische nicht besonders konzessionierte Gottesverehrung
untersagt, selbst die Befragung des verhaeltnismaessig unschuldigen
Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von Amts wegen verhindert
und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn
die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch der hoehere
Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung dennoch
nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem
Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in
vorkommenden Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf
die Fortpflanzung der etruskischen Wissenschaft in den vornehmen
etruskischen Familien von Regierungs wegen hinzuwirken, sowie die
Gestattung des nicht unsittlichen und auf die Frauen beschraenkten
Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren, unschuldigen
und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer
Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des
Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem
neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht
auch davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist
es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch
Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren,
erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den
Behoerden eingeschritten ward.

Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das
roemische Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im
wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato
ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter,
Schriftsteller und Spekulant auch war, so war und blieb das
Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein guter
Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht
war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus
verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen.
Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer
gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf
es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven
wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren
gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum
Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der
Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig
mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und
Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder
und an die Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer
suendhaft. Bei der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und
empfahl, auf gute Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im
Alter die Tochter eines seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit
der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall
in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als
ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden
gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene
Geschlecht; “ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle” - meinte
der alte Herr - und “waeren die Menschen der Weiber los, so moechte
unser Leben wohl minder gottlos sein”. Dagegen war die Erziehung der
ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen
Augen eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel
selbst, und wenn sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen
liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst deren Kinder an die eigene
Brust - einer der wenigen Zuege, worin das Bestreben hervortritt, durch
menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die
Institution der Sklaverei zu mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der
Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend moeglich, selber zugegen. Mit
Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche Unschuld; wie in Gegenwart der
vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er in Gegenwart seiner
Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu nehmen und
nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn diese
bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes
ist wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach
ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige
Bube besser tauge als der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben
selbst zu allen Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten,
schwimmen und fechten und Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand
auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war, wo der Roemer damit
auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und ebenso den
nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben musste,
wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm
Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum
lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen
und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten
Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass
er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete,
seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze
Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein
Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben
eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge
Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn
mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30
Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den
Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe
Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse
(21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der
Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder
nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind
von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als
auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei
Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger
Witz ihn zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er
auch weder die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem
Wirtschaftsbuch unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit
fuer den Fall, dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen
allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf
war Taetigkeit. Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und
jeden Abend pflegte er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber
gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen
Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder
fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden
abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als
die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten.

So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der
rechte roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem
griechischen Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die
roemische, allerdings etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit
gleichsam verkoerpert erschienen - wie denn ein spaeter roemischer
Dichter sagt:

Nichts ist an der fremden Sitt’ als tausendfache Schwindelei;

Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt;

Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir.

Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber
wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus
dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt
sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen als zu
mildern.

Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit.
Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und
wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich
dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als
Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven
legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein paar Jahre
darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich ein. Die
Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) schwere
Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im
Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle
Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von
seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl
zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt
zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die
Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete Frau
von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen
gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft
ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig
nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose
Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt
fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu
streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch
Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die
Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der
Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge des
Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von
Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den
Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten
Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen
gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst
willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden
Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso
wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche
und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur
Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon
an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, “die
Herrscher der Welt zu beherrschen”; in der Buergerschaftsversammlung
war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den
Provinzen Statuen roemischer Damen.

Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und
in der Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre
564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und
Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und seine geld-, tag-
und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren
die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem Schelten durch,
dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) gefasste
Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die bunten
Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559
195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig,
als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse
neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes
Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten
attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt
ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die dieser neue
Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal am Tage
warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck (prandium)
nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die Hauptmahlzeit
reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten die
Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur
bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen,
der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen
begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein
eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem
Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um
583 (171) entstanden die ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber
die Kunst, gut zu essen, mit langen Verzeichnissen der essenswertesten
Seefische und Meerfruechte fanden ihr Publikum; und es blieb nicht bei
der Theorie. Auslaendische Delikatessen, pontische Sardellen,
griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden, und Catos
Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des
koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich
erheblichen Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der
Gaeste und ihrer Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen
Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer
getrunken, aber eigentliche Trinkgelage nicht gekannt; jetzt kam das
foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein wenig oder gar nicht
gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das Vortrinken mit
obligater Nachfolge regierte, das “griechisch Trinken” (Graeco more
bibere) oder “griechen” (pergraecari, congraecare), wie die Roemer es
nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm das Wuerfelspiel, das
freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche Verhaeltnisse an,
dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten. Die
Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato
schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den
Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam
der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der
erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche
wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, abgesehen von einigen
unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien beizuzaehlenden
Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein einziges
allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest
bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses
Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies
daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten
megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das
Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese
bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen,
bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand
diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter
denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2.,
391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor
allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines
der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten
Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249),
gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des
Zweiten Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon
erwaehnten Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit
550 204), unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit
537 217); beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten
des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem
idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben
konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie
fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige
Geniefeen von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei
machten innerhalb dieser Festlichkeiten die schlechten und
demoralisierenden Elemente mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und
Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich nach wie vor noch die
Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr anschaulich die
Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn er den
Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die
bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte
nach neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und
Kaempfern treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf.
Von den dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war
wohl auch ein Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall
der beste bei dieser Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische
Komoedie und Tragoedie nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und
Fuechse vor dem Publikum laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon
lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden
foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und
Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach
Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen
Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren
Fechterspiele, wie sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden
jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem
roemischen Markt Menschenblut zum Spasse vergossen. Natuerlich trafen
diese entsittlichenden Belustigungen auch auf strengen Tadel; der
Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus, sandte seiner
Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt hatte;
die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der
auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward
und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten keine
Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei es die
rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie es scheint,
die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von Fechterpaaren bei
Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht unterdrueckt.
Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem Tragoeden den
Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer den
Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze
des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den
szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein
preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht
darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn
auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten zu
erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder
einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere
Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen
waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die
ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien
durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren
miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.

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^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‘Curculio’ schildert das
derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig
Witz, aber mit grosser Anschaulichkeit:

Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt,

Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht

Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.

Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick’ ich Dich.

Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin.

[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar;

Auch der Lustknab’ ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.]

Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf.

Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt,

In der Mitt’ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind.

Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin;

Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus

Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag.

Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn;

Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt;

Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil;

Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,

Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:

Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia.

Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des
ersten roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz.

Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in
dieser Zeit Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest.
v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin.
407). Dasselbe gilt von den Fleischern. Leucadia Oppia mag ein
schlechtes Haus gehalten haben.

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Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die
roemischen Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die
Lehrmeister zu demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland
unbekannt waren, fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164),
der Roemeraffe von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl
sie dem menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum
anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort
ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch.

Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine
oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der
Hauptstadt ward immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten
stiegen zu unerhoerter Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit
Schwindelpreisen bezahlt; das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen
Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein
huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher
Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die Losung fuer hoch und
niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die
Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem
Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser
Hinsicht zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen
Notstuetzen versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den
Sachwaltern untersagt werden, fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine
schoene Ausnahme machten nur die Rechtsverstaendigen, die bei ihrer
ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, nicht durch
Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl womoeglich
nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu
gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug
und Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische
Ausnutzung rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der
Ehe. Vor allem die letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der
Spekulation; Geldheiraten waren gewoehnlich und es zeigte sich noetig,
den Schenkungen, welche die Ehegatten sich untereinander machten, die
rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser
Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen Ecken
anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr
in der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum
Genuss zu gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher
wird. Alle Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das
Schicksal ueber die Roemer mit voller Hand ausgeschuettet; aber
wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe von zweifelhaftem Wert.




KAPITEL XIV.
Literatur und Kunst


Die roemische Literatur beruht auf ganz eigentuemlichen, in dieser Art
kaum bei einer anderen Nation wiederkehrenden Anregungen. Um sie
richtig zu wuerdigen, ist es notwendig, zuvoerderst den Volksunterricht
und die Volksbelustigungen dieser Zeit ins Auge zu fassen.

Alle geistige Bildung geht aus von der Sprache; und es gilt dies vor
allem fuer Rom. In einer Gemeinde, wo die Rede und die Urkunde so viel
bedeutete, wo der Buerger in einem Alter, in welchem man nach heutigen
Begriffen noch Knabe ist, bereits ein Vermoegen zu unbeschraenkter
Verwaltung ueberkam und in den Fall kommen konnte, vor der versammelten
Gemeinde Standreden halten zu muessen, hat man nicht bloss auf den
freien und feinen Gebrauch der Muttersprache von jeher grossen Wert
gelegt, sondern auch frueh sich bemueht, denselben in den Knabenjahren
sich anzueignen. Auch die griechische Sprache war bereits in der
hannibalischen Zeit in Italien allgemein verbreitet. In den hoeheren
Kreisen war die Kunde der allgemein vermittelnden Sprache der alten
Zivilisation laengst haeufig gewesen und jetzt, bei dem durch die
veraenderte Weltstellung ungeheuer gesteigerten roemischen Verkehr mit
Auslaendern und im Auslande, dem Kaufmann wie dem Staatsmann wo nicht
notwendig, doch vermutlich schon sehr wesentlich. Durch die italische
Sklaven- und Freigelassenschaft aber, die zu einem sehr grossen Teil
aus geborenen Griechen oder Halbgriechen bestand, drang griechische
Sprache und griechisches Wissen bis zu einem gewissen Grade ein auch in
die unteren Schichten namentlich der hauptstaedtischen Bevoelkerung.
Aus den Lustspielen dieser Zeit kann man sich ueberzeugen, dass eben
der nicht vornehmen hauptstaedtischen Menge ein Latein mundgerecht war,
welches zum rechten Verstaendnis das Griechische so notwendig
voraussetzt wie Sternes Englisch und Wielands Deutsch das Franzoesische
^1. Die Maenner der senatorischen Familien aber redeten nicht bloss
griechisch vor einem griechischen Publikum, sondern machten auch diese
Reden bekannt - so Tiberius Gracchus (Konsul 577, 591 177,163) eine von
ihm auf Rhodos gehaltene - und schrieben in der hannibalischen Zeit
ihre Chroniken griechisch, von welcher Schriftstellerei spaeter noch zu
sprechen sein wird. Einzelne gingen noch weiter. Den Flamininus ehrten
die Griechen durch Huldigungen in roemischer Sprache; aber auch er
erwiderte das Kompliment: der “grosse Feldherr der Aeneiaden” brachte
den griechischen Goettern nach griechischer Sitte mit griechischen
Distichen seine Weihgeschenke dar ^2. Einem anderen Senator rueckte
Cato es vor, dass er bei griechischen Trinkgelagen griechische
Rezitative mit der gehoerigen Modulation vorzutragen sich nicht
geschaemt habe.

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^1 Ein bestimmter Kreis griechischer Ausdruecke, wie stratioticus,
machaera, nauclerus, trapezita, danista, drapeta, oenopolium, bolus,
malacus, morus, graphicus, logus, apologus, techna, schema, gehoert
durchaus zum Charakter der Plautinischen Sprache; Uebersetzungen werden
selten dazu gefuegt und nur bei Woertern, die ausserhalb des durch jene
Anfuehrungen bezeichneten Ideenkreises stehen, wie zum Beispiel es im
‘Wilden’ (1, 1, 60), freilich in einem vielleicht erst spaeter
eingefuegten Verse heisst: φρόνησις est sapientia [Edelmut ist
Weisheit]. Auch griechische Brocken sind gemein, zum Beispiel in der
‘Casina’ (3, 6, 9):

πράγματά μοι παρέχεις - Dabo μέγα κακόν, ut opinor;

ebenso griechische Wortspiele, zum Beispiel in ‘Die beiden Bacchis’
(240):

opus est chryso Chrysalo;

wie denn auch Ennius die etymologische Bedeutung von Alexandros,
Andromache als den Zuschauern bekannt voraussetzt (Varro ling. 7, 82).
Am bezeichnendsten sind die halbgriechischen Bildungen wie ferritribax,
plagipatida, pugilice oder im ‘Bramarbas’ (213):

euge! euscheme hercle astitit sic dulice et comoedice!

Ei die Tenuere! Holla, seht mir den Farceur da, den Akteur!

^2 Eines dieser im Namen des Flamininus gedichteten Epigramme lautet
also: Dioskuren, o hoert, ihr freudigen Tummler der Rosse!

Knaben des Zeus, o hoert, Spartas tyndarische Herrn!

Titus der Aeneiade verehrt euch die herrliche Gabe,

Als Freiheit verliehn er dem hellenischen Stamm.

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Unter dem Einfluss dieser Verhaeltnisse entwickelte sich der roemische
Unterricht. Es ist ein Vorurteil, dass in der allgemeinen Verbreitung
der elementaren Kenntnisse das Altertum hinter unserer Zeit wesentlich
zurueckgestanden habe. Auch unter den niederen Klassen und den Sklaven
wurde viel gelesen, geschrieben und gerechnet; bei dem
Wirtschaftersklaven zum Beispiel setzt Cato nach Magos Vorgang die
Faehigkeit zu lesen und zu schreiben voraus. Der Elementarunterricht
sowie der Unterricht im Griechischen muessen lange vor dieser Zeit in
sehr ausgedehntem Umfang in Rom erteilt worden sein. Dieser Epoche aber
gehoeren die Anfaenge eines Unterrichts an, der statt einer bloss
aeusserlichen Abrichtung eine wirkliche Geistesbildung bezweckt. Bisher
hatte in Rom die Kenntnis des Griechischen im buergerlichen und
geselligen Leben so wenig einen Vorzug gegeben, wie etwa heutzutage in
einem Dorfe der deutschen Schweiz die Kenntnis des Franzoesischen ihn
gibt; und die aeltesten Schreiber griechischer Chroniken mochten unter
den uebrigen Senatoren stehen wie in den holsteinischen Marschen der
Bauer, welcher studiert hat und des Abends, wenn er vom Pfluge nach
Hause kommt, den Virgilius vom Schranke nimmt. Wer mit seinem
Griechisch mehr vorstellen wollte, galt als schlechter Patriot und als
Geck; und gewiss konnte noch in Catos Zeit auch wer schlecht oder gar
nicht griechisch sprach, ein vornehmer Mann sein und Senator oder
Konsul werden. Aber es ward doch schon anders. Der innerliche
Zersetzungsprozess der italischen Nationalitaet war bereits, namentlich
in der Aristokratie, weit genug gediehen, um das Surrogat der
Nationalitaet, die allgemein humane Bildung, auch fuer Italien
unvermeidlich zu machen; und auch der Drang nach einer gesteigerten
Zivilisation regte bereits sich maechtig. Diesem kam der griechische
Sprachunterricht gleichsam von selber entgegen. Von jeher ward dabei
die klassische Literatur, namentlich die ‘Ilias’ und mehr noch die
‘Odyssee’ zu Grunde gelegt; die ueberschwenglichen Schaetze
hellenischer Kunst und Wissenschaft lagen damit bereits ausgebreitet
vor den Augen der Italiker da. Ohne eigentlich aeusserliche Umwandlung
des Unterrichts ergab es sich von selbst, dass aus dem empirischen
Sprach- ein hoeherer Literaturunterricht wurde, dass die an die
Literatur sich knuepfende allgemeine Bildung den Schuelern in
gesteigertem Mass ueberliefert, dass die erlangte Kunde von diesen
benutzt ward, um einzudringen in die den Geist der Zeit beherrschende
griechische Literatur, die Euripideischen Tragoedien und die Lustspiele
Menanders.

In aehnlicher Weise gewann auch der lateinische Unterricht ein
groesseres Schwergewicht. Man fing an, in der hoeheren Gesellschaft
Roms das Beduerfnis zu empfinden, die Muttersprache wo nicht mit der
griechischen zu vertauschen, doch wenigstens zu veredeln und dem
veraenderten Kulturstand anzuschmiegen; und auch hierfuer sah man in
jeder Beziehung sich angewiesen auf die Griechen. Die oekonomische
Gliederung der roemischen Wirtschaft legte, wie jedes andere geringe
und um Lohn geleistete Geschaeft, so auch den Elementarunterricht in
der Muttersprache vorwiegend in die Haende von Sklaven, Freigelassenen
oder Fremden, das heisst vorwiegend von Griechen oder Halbgriechen ^3;
es hatte dies um so weniger Schwierigkeit, als das lateinische Alphabet
dem griechischen fast gleich, die beiden Sprachen nahe und auffaellig
verwandt waren. Aber dies war das wenigste; weit tiefer griff die
formelle Bedeutung des griechischen Unterrichts in den lateinischen
ein. Wer da weiss, wie unsaeglich schwer es ist, fuer die hoehere
geistige Bildung der Jugend geeignete Stoffe und geeignete Formen zu
finden und wie noch viel schwieriger man von den einmal gefundenen
Stoffen und Formen sich losmacht, wird es begreifen, dass man dem
Beduerfnis eines gesteigerten lateinischen Unterrichts nicht anders zu
genuegen wusste, als indem man diejenige Loesung dieses Problems,
welche der griechische Sprach- und Literaturunterricht darstellte, auf
den Unterricht im Lateinischen einfach uebertrug - geht doch heutzutage
in der Uebertragung der Unterrichtsmethode von den toten auf die
lebenden Sprachen ein ganz aehnlicher Prozess unter unseren Augen vor.

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^3 Ein solcher war zum Beispiel der Sklave des aelteren Cato, Chilon,
der als Kinderlehrer fuer seinen Herrn Geld erwarb (Plut. Cato mai.
20).

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Aber leider fehlte es zu einer solchen Uebertragung eben am Besten.
Lateinisch lesen und schreiben konnte man freilich an den Zwoelf Tafeln
lernen; aber eine lateinische Bildung setzte eine Literatur voraus und
eine solche war in Rom nicht vorhanden.

Hierzu kam ein Zweites. Die Ausdehnung der roemischen Volkslustbarkeit
ist frueher dargestellt worden. Laengst spielte bei denselben die
Buehne eine bedeutende Rolle; die Wagenrennen waren wohl bei allen die
eigentliche Hauptbelustigung, fanden aber doch durchgaengig nur einmal,
am Schlusstage statt, waehrend die ersten Tage wesentlich dem
Buehnenspiel anheimfielen. Allein lange Zeit bestanden diese
Buehnenvorstellungen hauptsaechlich in Taenzen und Gaukelspiel; die
improvisierten Lieder, die bei denselben auch vorgetragen wurden, waren
ohne Dialog und ohne Handlung. Jetzt erst sah man fuer sie sich nach
einem wirklichen Schauspiel um. Die roemischen Volksfestlichkeiten
standen durchaus unter der Herrschaft der Griechen, die ihr Talent des
Zeitvertreibs und Tageverderbes von selber den Roemern zu
Plaesiermeistern bestellte. Keine Volksbelustigung aber war in
Griechenland beliebter und keine mannigfaltiger als das Theater;
dasselbe musste bald die Blicke der roemischen Festgeber und ihres
Hilfspersonals auf sich ziehen. Wohl lag nun in dem aelteren roemischen
Buehnenlied ein dramatischer, der Entwicklung vielleicht faehiger Keim;
allein daraus das Drama herauszubilden, forderte vom Dichter wie vom
Publikum eine Genialitaet im Geben und Empfangen, wie sie bei den
Roemern ueberhaupt nicht und am wenigsten in dieser Zeit zu finden war;
und waere sie zu finden gewesen, so wuerde die Hastigkeit der mit dem
Amuesement der Menge betrauten Leute schwerlich der edlen Frucht Ruhe
und Weile zur Zeitigung gegoennt haben. Auch hier war ein aeusserliches
Beduerfnis vorhanden, dem die Nation nicht zu genuegen vermochte; man
wuenschte sich ein Theater und es mangelten die Stuecke.

Auf diesen Elementen beruht die roemische Literatur; und ihre
Mangelhaftigkeit war damit von vornherein und notwendig gegeben. Alle
wirkliche Kunst beruht auf der individuellen Freiheit und dem
froehlichen Lebensgenuss, und die Keime zu einer solchen hatten in
Italien nicht gefehlt; allein indem die roemische Entwicklung die
Freiheit und Froehlichkeit durch das Gemeingefuehl und das
Pflichtbewusstsein ersetzte, ward die Kunst von ihr erdrueckt und
musste statt sich zu entwickelt. verkuemmern. Der Hoehepunkt der
roemischen Entwicklung ist die literaturlose Zeit. Erst als die
roemische Nationalitaet sich aufzuloesen und die
hellenisch-kosmopolitischen Tendenzen sich geltend zu machen anfingen,
stellte im Gefolge derselben die Literatur in Rom sich ein; und darum
steht sie von Haus aus und mit zwingender innerlicher Noetigung auf
griechischem Boden und in schroffem Gegensatz gegen den spezifisch
roemischen Nationalsinn. Vor allem die roemische Poesie ging. zunaechst
gar nicht aus dem innerlichen Dichtertriebe hervor, sondern aus den
aeusserlichen Anforderungen der Schule, welche lateinische Lehrbuecher,
und der Buehne, die lateinische Schauspiele brauchte. Beide
Institutionen aber, die Schule wie die Buehne, waren durch und durch
antiroemisch und revolutionaer. Der gaffende Theatermuessiggang war dem
Philisterernst wie dem Taetigkeitssinn der Roemer alten Schlags ein
Greuel; und wenn es der tiefste und grossartigste Gedanke in dem
roemischen Gemeinwesen war, dass es innerhalb der roemischen
Buergerschaft keinen Herrn und keinen Knecht, keinen Millionaer und
keinen Bettler geben, vor allem aber der gleiche Glaube und die gleiche
Bildung alle Roemer umfassen sollte, so war die Schule und die
notwendig exklusive Schulbildung noch bei weitem gefaehrlicher, ja fuer
das Gleichheitsgefuehl geradezu zerstoerend. Schule und Theater wurden
die wirksamsten Hebel des neuen Geistes der Zeit und nur um so mehr,
weil sie lateinisch redeten. Man konnte vielleicht griechisch sprechen
und schreiben, ohne darum aufzuhoeren, ein Roemer zu sein; hier aber
gewoehnte man sich, mit roemischen Worten zu reden, waehrend das ganze
innere Sein und Leben griechisch ward. Es ist nicht eine der
erfreulichsten Tatsachen in diesem glaenzenden Saeculum des roemischen
Konservativismus, aber wohl eine der merkwuerdigsten und geschichtlich
belehrendsten, wie waehrend desselben in dem gesamten nicht unmittelbar
politischen geistigen Gebiet der Hellenismus Wurzel geschlagen und wie
der Maître de Plaisir des grossen Publikums und der Kinderlehrer im
engen Bunde miteinander eine roemische Literatur erschaffen haben.

Gleich in dem aeltesten roemischen Schriftsteller erscheint die
spaetere Entwicklung gleichsam in der Nuss. Der Grieche Andronikos (vor
482 bis nach 547 272-207), spaeter als roemischer Buerger Lucius ^4
Livius Andronicus genannt, kam in fruehem Alter im Jahre 482 (272)
unter den anderen tarentinischen Gefangenen nach Rom in den Besitz des
Siegers von Sena, Marcus Livius Salinator (Konsul 535, 547 219, 207).
Sein Sklavengewerbe war teils die Schauspielerei und Textschreiberei,
teils der Unterricht in der lateinischen und griechischen Sprache,
welchen er sowohl den Kindern seines Herrn als auch anderen Knaben
vermoegender Maenner in und ausser dem Hause erteilte; er zeichnete
sich dabei so aus, dass sein Herr ihn freigab, und selbst die Behoerde,
die sich seiner nicht selten bedient, zum Beispiel nach der
gluecklichen Wendung des Hannibalischen Krieges 547 (207) ihm die
Verfertigung des Dankliedes uebertragen hatte, aus Ruecksicht fuer ihn
der Poeten- und Schauspielerzunft einen Platz fuer ihren gemeinsamen
Gottesdienst im Minervatempel auf dem Aventin einraeumte. Seine
Schriftstellerei ging hervor aus seinem zwiefachen Gewerbe. Als
Schulmeister uebersetzte er die Odyssee ins Lateinische, um den
lateinischen Text ebenso bei seinem lateinischen wie den griechischen
bei seinem griechischen Unterricht zu Grunde zu legen; und es hat
dieses aelteste roemische Schulbuch seinen Platz im Unterricht durch
Jahrhunderte behauptet. Als Schauspieler schrieb er nicht bloss wie
jeder andere sich die Texte selbst, sondern er machte sie auch als
Buecher bekannt, das heisst, er las sie oeffentlich vor und verbreitete
sie durch Abschriften. Was aber noch wichtiger war, er setzte an die
Stelle des alten wesentlich lyrischen Buehnengedichts das griechische
Drama. Es war im Jahre 514 (240), ein Jahr nach dem Ende des Ersten
Punischen Krieges, dass das erste Schauspiel auf der roemischen Buehne
aufgefuehrt ward. Diese Schoepfung eines Epos, einer Tragoedie, einer
Komoedie in roemischer Sprache und von einem Mann, der mehr Roemer als
Grieche war, war geschichtlich ein Ereignis; von einem kuenstlerischen
Wert der Arbeiten kann nicht die Rede sein. Sie verzichten auf jeden
Anspruch an Originalitaet; als Uebersetzungen aber betrachtet, sind sie
von einer Barbarei, die nur um so empfindlicher ist, als diese Poesie
nicht naiv ihre eigene Einfalt vortraegt, sondern die hohe Kunstbildung
des Nachbarvolkes schulmeisterhaft nachstammelt. Die starken
Abweichungen vom Original sind nicht aus der Freiheit, sondern aus der
Roheit der Nachdichtung hervorgegangen; die Behandlung ist bald platt,
bald schwuelstig, die Sprache hart und verzwickt ^5. Man glaubt es ohne
Muehe, was die alten Kunstrichter versichern, dass, von den
Zwangslesern in der Schule abgesehen, keiner die Livischen Gedichte zum
zweiten Male in die Hand nahm. Dennoch wurden diese Arbeiten in
mehrfacher Hinsicht massgebend fuer die Folgezeit. Sie eroeffneten die
roemische Uebersetzungsliteratur und buergerten die griechischen
Versmasse in Latium ein. Wenn dies nur hinsichtlich der Dramen geschah
und die Livische ‘Odyssee’ vielmehr in dem nationalen saturnischen
Masse geschrieben ward, so war der Grund offenbar, dass die Jamben und
Trochaeen der Tragoedie und Komoedie weit leichter sich im Lateinischen
nachbilden liessen als die epischen Daktylen.

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^4 Die spaetere Regel, dass der Freigelassene notwendig den Vornamen
des Patrons fuehrt, gilt fuer das republikanische Rom noch nicht.

^5 In einem der Trauerspiele des Livius hiess es:

quem ego néfrendem álui lácteam immulgéns opem.

Milchfuell’ ein Zahnlosem melkend ihm aufnaehrt’ ich ihn.

Die Homerischen Verse (Od. 12, 16)

Ούδ' άρα Κίρκην

εξ Αίδεω ελθόντες ελήθομεν, αλλά μάλ' 'ωκα

ηλθ' εντυναμένη. άμα δ΄ αμφίπολοι φέρον αυτή

σίτον καί κρέα πολλά καί αίθοπα οίνον ερυθρον.

aber verborgen

Kehrten der Kirke wir nicht vom Hades, sondern gar hurtig

Kam sie gewaertig herbei; es trugen die dienenden Jungfraun

Brot ihr und Fleisch in Fuell’ und den tiefrot funkelnden Wein her.

werden also verdolmetscht:

tópper cíti ad aédis - vénimús Círcae:

simúl dúona córam (?) - pórtant ád návis.

mília ália in ísdem - ínserínúntur.

In Eil’ geschwinde kaemmen - wir zu Kirkes Hause.

Zugleich vor uns die Gueter - bringt man zu den Schiffen

Auch wurden aufgeladen - tausend andere Dinge.

Am merkwuerdigsten ist nicht so sehr die Barbarei als die
Gedankenlosigkeit des Uebersetzers, der statt Kirke zum Odysseus
vielmehr den Odysseus zur Kirke schickt. Ein zweites, noch
laecherlicheres Quiproquo ist die Uebersetzung von αιδοίοιςιν έδωκα
(Od. 15, 373) durch lusi (Fest. v. affatim p. 11). Dergleichen ist auch
geschichtlich nicht gleichgueltig; man erkennt darin die Stufe der
Geistesbildung, auf der diese aeltesten roemischen versezimmernden
Schulmeister standen; und nebenbei auch, dass dem Andronikos, wenn er
gleich in Tarent geboren war, doch das Griechische nicht eigentlich
Muttersprache gewesen sein kann.

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Indes diese Vorstufe der literarischen Entwicklung ward bald
ueberschritten. Die Livischen Epen und Dramen galten den Spaeteren, und
ohne Zweifel mit gutem Recht, gleich den daedalischen Statuen von
bewegungs- und ausdrucksloser Starrheit mehr als Kuriositaeten denn als
Kunstwerke. In der folgenden Generation aber baute auf den einmal
festgestellten Grundlagen eine lyrische, epische und dramatische Kunst
sich auf; und auch geschichtlich ist es von hoher Wichtigkeit, dieser
poetischen Entwicklung zu folgen.

Sowohl dem Umfang der Produktion nach wie in der Wirkung auf das
Publikum stand an der Spitze der poetischen Entwicklung das Drama. Ein
stehendes Theater mit festem Eintrittsgeld gab es im Altertum nicht; in
Griechenland wie in Rom trat das Schauspiel nur als Bestandteil der
jaehrlich wiederkehrenden oder auch ausserordentlichen buergerlichen
Lustbarkeiten auf. Zu den Massregeln, wodurch die Regierung der mit
Recht besorglich erscheinenden Ausdehnung der Volksfeste entgegenwirkte
oder entgegenzuwirken sich einbildete, gehoerte es mit, dass sie die
Errichtung eines steinernen Theatergebaeudes nicht zugab ^6. Statt
dessen wurde fuer jedes Fest ein Brettergeruest mit einer Buehne fuer
die Akteure (proscaenium, pulpitum) und einem dekorierten Hintergrund
(scaena) aufgeschlagen und im Halbzirkel vor derselben der
Zuschauerplatz (cavea) abgesteckt, welcher ohne Stufen und Sitze bloss
abgeschraegt ward, so dass die Zuschauer, soweit sie nicht Sessel sich
mitbringen liessen, kauerten, lagen oder standen ^7. Die Frauen moegen
frueh abgesondert und auf die obersten und schlechtesten Plaetze
beschraenkt worden sein; sonst waren gesetzlich die Plaetze nicht
geschieden, bis man seit dem Jahre 560 (194), wie schon gesagt ward,
den Senatoren die untersten und besten Plaetze reservierte.

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^6 Zwar wurde schon 575 (179) ein solches fuer die Apollinarischen
Spiele am Flaminischen Rennplatz erbaut (Liv. 40, 51; W. A. Becker,
Topographie der Stadt Rom, S. 605), aber wahrscheinlich bald darauf
wieder niedergerissen.

^7 Noch 599 (155) gab es Sitzplaetze im Theater nicht (F. W. Ritschl,
Parerga zu Plautus und Terentius. Bd. 1. Leipzig 1845, S. XVII, XX,
214; vgl. O. Ribbeck, Die roemische Tragoedie im Zeitalter der
Republik. Leipzig 1875, S. 285); wenn dennoch nicht bloss die Verfasser
der plautinischen Prologe, sondern schon Plautus selbst mehrfach auf
ein sitzendes Publikum hindeutet (Mil. 82; 83; Aul. 4, 9, 6; Truc. a.
E.; Epid. a. E.), so muessen wohl die meisten Zuschauer sich Stuehle
mitgebracht oder sich auf den Boden gesetzt haben.

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Das Publikum war nichts weniger als vornehm. Allerdings zogen die
besseren Staende sich nicht von den allgemeinen Volkslustbarkeiten
zurueck; die Vaeter der Stadt scheinen sogar anstandshalber
verpflichtet gewesen zu sein, sich bei denselben zu zeigen. Aber wie es
im Wesen eines Buergerfestes liegt, wurden zwar Sklaven und wohl auch
Auslaender ausgeschlossen, aber jedem Buerger mit Frau und Kindern der
Zutritt unentgeltlich verstattet ^8, und es kann darum die
Zuschauerschaft nicht viel anders gewesen sein, als wie man sie
heutzutage bei oeffentlichen Feuerwerken und Gratisvorstellungen sieht.
Natuerlich ging es denn auch nicht allzu ordentlich her: Kinder
schrien, Frauen schwatzten und kreischten, hier und da machte eine
Dirne Anstalt, sich auf die Buehne zu draengen; die Gerichtsdiener
hatten an diesen Festtagen nichts weniger als Feiertag und Gelegenheit
genug hier einen Mantel abzupfaenden und da mit der Rute zu wirken.

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^8 Frauen und Kinder scheinen zu allen Zeiten im roemischen Theater
zugelassen worden zu sein (Val. Man.. 6, 3, 12; Plut. Quaest. conv. 14;
Cic. har. resp. 12, 24; Vitr. 5, 3, 1; Suet. Aug. 44 usw.); aber
Sklaven waren von Rechts wegen ausgeschlossen (Cic, har. resp. 12, 26;
Ritschl, Parerga, Bd. 1, S. XIX, 223) und dasselbe muss wohl von den
Fremden gelten, abgesehen natuerlich von den Gaesten der Gemeinde, die
unter oder neben den Senatoren Platz nahmen (Varro 5, 155; Tust. 43, 5,
10; Suet. Aug. 44).

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Durch die Einfuehrung des griechischen Dramas steigerten sich wohl die
Anforderungen an das Buehnenpersonal und es scheint an faehigen Leuten
kein Oberfluss gewesen zu sein - ein Stueck des Naevius musste einmal
in Ermangelung von Schauspielern durch Dilettanten aufgefuehrt werden.
Allein. in der Stellung des Kuenstlers aenderte sich dadurch nichts;
der Poet oder, wie er in dieser Zeit genannt ward, der “Schreiber”, der
Schauspieler und der Komponist gehoerten nach wie vor nicht bloss zu
der an sich gering geachteten Klasse der Lohnarbeiter, sondern wurden
auch vor wie nach in der oeffentlichen Meinung auf die markierteste
Weise zurueckgesetzt und polizeilich misshandelt (l, 475). Natuerlich
hielten sich alle reputierlichen Leute von diesem Gewerbe fern - der
Direktor der Truppe (dominus gregis, factionis, auch choragus), in der
Regel zugleich der Hauptschauspieler, war meist ein Freigelassener,
ihre Glieder in der Regel seine Sklaven; die Komponisten, die uns
genannt werden, sind saemtlich Unfreie. Der Lohn war nicht bloss gering
- ein Buehnendichterhonorar von 8000 Sesterzen (600 Taler) wird kurz
nach dem Ende dieser Periode als ein ungewoehnlich hohes bezeichnet -,
sondern ward ueberdies von den festgebenden Beamten nur gezahlt, wenn
das Stueck nicht durchfiel. Mit der Bezahlung war alles abgetan: von
Dichterkonkurrenz und Ehrenpreisen, wie sie in Attika vorkamen, war in
Rom noch nicht die Rede - man scheint daselbst in dieser Zeit, wie bei
uns, nur geklatscht oder ausgepfiffen, auch an jedem Tage nur ein
einziges Stueck zur Auffuehrung gebracht zu haben ^9. Unter solchen
Verhaeltnissen, wo die Kunst um Tagelohn ging und es statt der
Kuenstlerehre nur eine Kuenstlerschande gab, konnte das neue roemische
Nationaltheater weder originell noch ueberhaupt nur kuenstlerisch sich
entwickeln; und wenn der edle Wetteifer der edelsten Athener die
attische Buehne ins Leben gerufen hatte, so konnte die roemische, im
ganzen genommen, nichts werden als eine Sudelkopie davon, bei der man
nur sich wundert, dass sie im einzelnen noch so viel Anmut und Witz zu
entfalten vermocht hat.

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^9 Aus den plautinischen Prologen (Cas. 17; Amph. 65) darf auf eine
Preisverteilung nicht geschlossen werden (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S.
229); aber auch Trin. 706 kann sehr wohl dem griechischen Original,
nicht dem Uebersetzer angehoeren, und das voellige Stillschweigen der
Didaskalien und Prologe sowie der gesamten Ueberlieferung ueber
Preisgerichte und Preise ist entscheidend.

Dass an jedem Tage nur ein Stueck gegeben wird, folgt daraus, dass die
Zuschauer am Beginn des Stuecks von Hause kommen (Poen. 10) und nach
dem Ende nach Hause gehen (Epid. Pseud. Rud. Stich. Truc. a. E.). Man
kam, wie dieselben Stellen zeigen, nach dem zweiten Fruehstueck ins
Theater und war zur Mittagszeit wieder zu Hause; es waehrte das
Schauspiel also nach unserer Rechnung etwa von Mittag bis halb drei
Uhr, und so lange mag ein Plautinisches Stueck mit der Musik in den
Zwischenakten auch ungefaehr spielen (vgl. Hor. epist. 2, 1. 1891. Wenn
Tacitus (arm. 14 20) die Zuschauer “ganze Tage” im Theater zubringen
laesst, so sind dies Zustaende einer spaeteren Zeit.

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In der Buehnenwelt ward das Trauerspiel bei weitem durch die Komoedie
ueberwogen; die Stirnen der Zuschauer runzelten sich, wenn statt des
gehofften Lustspiels ein Trauerspiel begann. So ist es gekommen, dass
diese Zeit wohl eigene Komoediendichter, wie Plautus und Caecilius,
aufweist, eigene Tragoediendichter aber nicht begegnen, und dass unter
den dem Namen nach uns bekannten Dramen dieser Epoche auf ein
Trauerspiel drei Lustspiele kommen. Natuerlich griffen die roemischen
I.ustspieldichter oder vielmehr Uebersetzer zunaechst nach den
Stuecken, welche die hellenische Schaubuehne der Zeit beherrschten; und
damit fanden sie sich ausschliesslich ^10 gebannt in den Kreis der
neueren attischen Komoedie und zunaechst ihrer namhaftesten Dichter
Philemon von Soioi in Kilikien (394? - 492 360 - 262) und Menandros von
Athen (412-462 342-292). Dieses Lustspiel ist nicht bloss fuer die
roemische Literatur-, sondern selbst fuer die ganze Volksentwicklung so
wichtig geworden, dass auch die Geschichte Ursache hat, dabei zu
verweilen.

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^10 Die sparsame Benutzung der sogenannten mittleren Komoedie der
Attiker kommt geschichtlich nicht in Betracht, da diese nichts war als
das minder entwickelte menandrische Lustspiel. Vor. einer Benutzung der
aelteren Komoedie mangelt jede Spur. Die roemische Hilarotragoedie, die
Gattung des Plautinischen Amphitryon, heisst zwar den roemischen
Literarhistorikern die Rhinthonische; aber auch die neueren Attiker
dichteten dergleichen Parodien und es ist nicht abzusehen, warum die
Roemer fuer ihre Uebersetzungen, statt auf diese naechstliegenden
Dichter, vielmehr auf Rinthon und die aelteren zurueckgegriffen haben
sollten.

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Die Stuecke sind von ermuedender Einfoermigkeit. Fast ohne Ausnahme
drehen sie sich darum, einem jungen Menschen auf Kosten entweder seines
Vaters oder auch des Bordellhalters zum Besitze eines Liebchens von
unzweifelhafter Anmut und sehr zweifelhafter Sittlichkeit zu verhelfen.
Der Weg zum Liebesglueck geht regelmaessig durch irgendeine
Geldprellerei, und der verschmitzte Bediente, der die benoetigte Summe
und die erforderliche Schwindelei liefert, waehrend der Liebhaber ueber
seine Liebes- und Geldnot jammert, ist das eigentliche Triebrad des
Stueckes. Es ist kein Mangel an obligaten Betrachtungen ueber Freude
und Leid der Liebe, an traenenreichen Abschiedsszenen, an Liebhabern,
die vor Herzenspein sich ein Leides anzutun drohen; die Liebe oder
vielmehr die Verliebtheit war, wie die alten Kunstrichter sagen, der
eigentliche Lebenshauch der Menandrischen Poesie. Den Schluss macht die
wenigstens bei Menander unvermeidliche Hochzeit; wobei noch zu mehrerer
Erbauung und Befriedigung der Zuschauer die Tugend des Maedchens sich
herauszustellen pflegt als wenn nicht ganz, doch so gut wie
unbeschaedigt und das Maedchen selbst als die abhanden gekommene
Tochter eines reichen Mannes, demnach als eine in jeder Hinsicht gute
Partie. Neben diesen liebes- finden sich auch Ruehrstuecke; wie denn
zum Beispiel unter den Plautinischen Komoedien der ‘Strick’ sich um
Schiffbruch und Asylrecht bewegt, das ‘Dreitalerstueck’ und ‘Die
Gefangenen’ gar keine Maedchenintrige enthalten, sondern die
edelmuetige Aufopferung des Freundes fuer den Freund, des Sklaven fuer
den Herrn schildern. Personen und Situationen wiederholen sich dabei
wie auf einer Tapete bis ins einzelne herab, wie man denn gar nicht
herauskommt aus den Apartes ungesehener Horcher, aus dem Anpochen an
die Haustueren, aus den mit irgendeinem Gewerbe durch die Strassen
fegenden Sklaven; die stehenden Masken, deren es eine gewisse feste
Zahl, zum Beispiel acht Greisen-, sieben Bedientenmasken gab, aus
denen, in der Regel wenigstens, der Dichter nur auszuwaehlen hatte,
beguenstigten weiter die schablonenartige Behandlung. Eine solche
Komoedie musste wohl das lyrische Element in der aelteren, den Chor,
wegwerfen und sich von Haus aus auf Gespraech und hoechstens Rezitation
beschraenken - mangelte ihr doch nicht bloss das politische Element,
sondern ueberhaupt jede wahre Leidenschaft und jede poetische Hebung.
Auf eine grossartige und eigentlich poetische Wirkung legten es die
Stuecke auch verstaendigerweise gar nicht an; ihr Reiz bestand
zunaechst in der Verstandesbeschaeftigung durch den Stoff sowohl, wobei
die neuere Komoedie sich von der aelteren ebenso sehr durch die
groessere innerliche Leere wie durch die groessere aeusserliche
Verschlungenheit der Fabel unterschied, als besonders durch die
Ausfuehrung im Detail, wobei namentlich die fein zugespitzte
Konversation der Triumph des Dichters und das Entzuecken des Publikums
war. Verwirrungen und Verwechslungen, womit sich ein Hinuebergreifen in
den tollen, oft zuegellosen Schwank sehr gut vertraegt - wie denn zum
Beispiel die Casina mit dem Abzug der beiden Braeutigame und des als
Braut aufgeputzten Soldaten echt falstaffisch schliesst -, Scherze,
Schnurren und Raetsel, welche ja auch an der attischen Tafel dieser
Zeit in Ermangelung eines wirklichen Gespraechs die stehenden
Unterhaltungstoffe hergaben, fuellen zum guten Teil diese Komoedien
aus. Die Dichter derselben schrieben nicht wie Eupolis und Aristophanes
fuer eine grosse Nation, sondern vielmehr fuer eine gebildete und, wie
andere geistreiche und in tatenloser Geistreichigkeit verkommende
Zirkel, in Rebusraten und Scharadenspiel aufgehende Gesellschaft. Sie
geben darum auch kein Bild ihrer Zeit - von der grossen geschichtlichen
und geistigen Bewegung derselben ist in diesen Komoedien nichts zu
spueren, und man muss erst daran erinnert werden, dass Philemon und
Menander wirklich Zeitgenossen von Alexander und Aristoteles gewesen
sind -, aber wohl ein ebenso elegantes wie treues Bild der gebildeten
attischen Gesellschaft, aus deren Kreisen die Komoedie auch niemals
heraustritt. Noch in dem getruebten lateinischen Abbild, aus dem wir
sie hauptsaechlich kennen, ist die Anmut des Originals nicht voellig
verwischt und namentlich in den Stuecken, die dem talentvollsten unter
diesen Dichtern, dem Menander, nachgebildet sind, das Leben, das der
Dichter leben sah und selber lebte, nicht so sehr in seinen Verirrungen
und Verzerrungen, als in seiner liebenswuerdigen Alltaeglichkeit artig
widergespiegelt. Die freundlichen haeuslichen Verhaeltnisse zwischen
Vater und Tochter, Mann und Frau, Herrn und Diener, mit ihren
Liebschaften und sonstigen kleinen Krisen sind so allgemeingueltig
abkonterfeit, dass sie noch heute ihre Wirkung nicht verfehlen; der
Bedientenschmaus zum Beispiel, womit der ‘Stichus’ schliesst, ist in
der Beschraenktheit seiner Verhaeltnisse und der Eintracht der beiden
Liebhaber und des einen Schaetzchens in seiner Art von
unuebertrefflicher Zierlichkeit. Von grosser Wirkung sind die eleganten
Grisetten, die gesalbt und geschmueckt, mit modischem Haarputz und im
bunten goldgestickten Schleppgewande erscheinen oder besser noch auf
der Buehne Toilette machen. In ihrem Gefolge stellen die
Gelegenheitsmacherinnen sich ein, bald von der gemeinsten Sorte, wie
deren eine im ‘Curculio’ auftritt, bald Duennen gleich Goethes alter
Barbara, wie die Scapha in der Wunderkomoedie; auch an hilfreichen
Bruedern und Kumpanen ist kein Mangel. Sehr reichlich und mannigfaltig
besetzt sind die alten Rollen; es erscheinen umeinander der strenge und
geizige, der zaertliche und weichmuetige, der nachsichtige
gelegenheitsmachende Papa, der verliebte Greis, der alte bequeme
Junggesell, die eifersuechtige bejahrte Hausehre mit ihrer alten, gegen
den Herrn mit der Frau haltenden Magd; wogegen die Juenglingsrollen
zuruecktreten und weder der erste Liebhaber noch der hie und da
begegnende tugendhafte Mustersohn viel bedeuten wollen. Die
Bedientenwelt: der verschmitzte Kammerdiener, der strenge Hausmeister,
der alte wackere Erzieher, der knoblauchduftende Ackerknecht, das
impertinente Juengelchen - leitet schon hinueber zu den sehr
zahlreichen Gewerberollen. Eine stehende Figur darunter ist der
Spassmacher (parasitus), welcher fuer die Erlaubnis, an der Tafel des
Reichen mitzuschmausen, die Gaeste mit Schnurren und Scharaden zu
belustigen, auch nach Umstaenden sich die Scherben an den Kopf werfen
zu lassen hat - es war dies damals in Athen ein foermliches Gewerbe,
und sicher ist es auch keine poetische Fiktion, wenn ein solcher
Schmarotzer auftritt, aus seinen Witz- und Anekdotenbuechern sich
eigens praeparierend. Beliebte Rollen sind ferner der Koch, der nicht
bloss mit unerhoerten Saucen zu renommieren versteht, sondern auch wie
ein gelernter Dieb zu stipitzen; der freche, zu jedem Laster sich mit
Vergnuegen bekennende Bordellwirt, wovon der Ballio im ‘Luegenbold’ ein
Musterexemplar ist; der militaerische Bramarbas, in dem die
Landsknechtwirtschaft der Diadochenzeit sehr bestimmt anklingt; der
gewerbsmaessige Industrieritter oder der Sykophant, der schuftige
Wechsler, der feierlich alberne Arzt, der Priester, Schiffer, Fischer
und dergleichen mehr. Dazu kommen endlich die eigentlichen
Charakterrollen, wie der Aberglaeubige Menanders, der Geizige in der
Plautinischen Topfkomoedie. Die nationalhellenische Poesie hat auch in
dieser ihrer letzten Schoepfung ihre unverwuestliche plastische Kraft
noch bewaehrt; aber die Seelenmalerei ist hier doch schon mehr
aeusserlich kopiert als innerlich nachempfunden und um so mehr, je mehr
die Aufgabe sich den wahrhaft poetischen naehert - es ist bezeichnend,
dass in den eben angefuehrten Charakterrollen die psychologische
Wahrheit grossenteils durch die abstrakte Begriffsentwicklung vertreten
wird, der Geizige hier die Nagelschnitze sammelt und die vergossene
Traene als verschwendetes Wasser beklagt. Indes dieser Mangel an tiefer
Charakteristik und ueberhaupt die ganze poetische und sittliche
Hohlheit dieser neueren Komoedie faellt weniger den Lustspieldichtern
zur Last als der gesamten Nation. Das spezifische Griechentum war im
Verscheiden; Vaterland, Volksglaube, Haeuslichkeit, alles edle Tun und
Sinnen war gewichen, Poesie, Historie und Philosophie innerlich
erschoepft und dem Athener nichts uebrig geblieben, als die Schule, der
Fischmarkt und das Bordell - es ist kein Wunder und kaum ein Tadel,
wenn die Poesie, die die menschliche Existenz zu verklaeren bestimmt
ist, aus einem solchen Leben nichts weiter machen konnte, als was das
Menandrische Lustspiel uns darstellt. Sehr merkwuerdig ist dabei, wie
die Poesie dieser Zeit, wo immer sie dem zerruetteten attischen Leben
einigermassen den Ruecken zu wenden vermochte, ohne doch in.
schulmaessige Nachdichtung zu verfallen, sofort sich am Ideal staerkt
und erfrischt. In dem einzigen Ueberrest des parodisch-heroischen
Lustspiels dieser Zeit, in Plautus’ ‘Amphitryon’ weht durchaus eine
reinere und poetischere Luft als in allen uebrigen Truemmern der
gleichzeitigen Schaubuehne; die gutmuetigen, leise ironisch gehaltenen
Goetter, die edlen Gestalten aus der Heroenwelt, die possierlich feigen
Sklaven machen zueinander den wundervollsten Gegensatz und nach dem
drolligen Verlauf der Handlung die Geburt des Goettersohnes unter
Donner und Blitz eine beinahe grossartige Schlusswirkung. Diese Aufgabe
der Mythenironisierung war aber auch verhaeltnismaessig unschuldig und
poetisch, verglichen mit der des gewoehnlichen das attische Leben der
Zeit schildernden Lustspiels. Eine besondere Anklage darf vom
geschichtlich-sittlichen Standpunkt aus gegen die Poeten keineswegs
erhoben und dem einzelnen Dichter kein individueller Vorwurf daraus
gemacht werden, dass er im Niveau seiner Epoche steht; die Komoedie war
nicht Ursache, sondern Wirkung der in dem Volksleben waltenden
Verdorbenheit. Aber wohl ist es, namentlich um den Einfluss dieser
Lustspiele auf das roemische Volksleben richtig zu beurteilen,
notwendig, auf den Abgrund hinzuweisen, der unter all jener Feinheit
und Zierlichkeit sich auftut. Die Flegeleien und Zoten, welche zwar
Menander einigermassen vermied, an denen aber bei den anderen Poeten
kein Mangel ist, sind das wenigste; weit schlimmer ist die grauenvolle
Lebensoede, deren einzige Oasen die Verliebtheit und der Rausch sind,
die fuerchterliche Prosa, worin was einigermassen wie Enthusiasmus
aussieht allein bei den Gaunern zu finden ist, denen der eigene
Schwindel den Kopf verdreht hat und die das Prellergewerbe mit einer
gewissen Begeisterung treiben, und vor allem jene unsittliche
Sittlichkeit, mit welcher namentlich die menandrischen Stuecke
staffiert sind. Das Laster wird abgestraft, die Tugend belohnt und
etwaige Peccadillos durch Bekehrung bei oder nach der Hochzeit
zugedeckt. Es gibt Stuecke, wie die Plautinische ‘Dreitalerkomoedie’
und mehrere Terenzische, in denen allen Personen bis auf die Sklaven
hinab eine Portion Tugendhaftigkeit beigemischt ist; alle wimmeln von
ehrlichen Leuten, die fuer sich betruegen lassen, von Maedchentugend
womoeglich, von gleich beguenstigten und Kompagnie machenden
Liebhabern; moralische Gemeinplaetze und wohl gedrechselte
Sittensprueche sind gemein wie die Brombeeren. In einem versoehnenden
Finale, wie das in ‘Die beiden Bacchis’ ist, wo die prellenden Soehne
und die geprellten Vaeter zu guter Letzt alle miteinander ins Bordell
kneipen gehen, steckt eine voellig Kotzebuesche Sittenfaeulnis.

Auf diesen Grundlagen und aus diesen Elementen erwuchs das roemische
Lustspiel. Originalitaet ward bei demselben nicht bloss durch
aesthetische, sondern wahrscheinlich zunaechst durch polizeiliche
Unfreiheit ausgeschlossen. Unter der betraechtlichen Masse der
lateinischen Lustspiele dieser Gattung, die uns bekannt sind, findet
sich nicht ein einziges, das sich nicht als Nachbildung eines
bestimmten griechischen ankuendigte; es gehoert zum vollstaendigen
Titel, dass der Name des griechischen Stueckes und Verfassers mit
genannt wird, und wenn, wie das wohl vorkam, ueber die “Neuheit” eines
Stueckes gestritten ward, so handelte es sich darum, ob dasselbe schon
frueher uebersetzt worden sei. Die Komoedie spielt nicht etwa bloss
haeufig im Ausland, sondern es ist eine zwingende Notwendigkeit und die
ganze Kunstgattung (fabula palliata) danach benannt, dass der
Schauplatz ausserhalb Roms, gewoehnlich in Athen ist und dass die
handelnden Personen Griechen oder doch Nichtroemer sind. Selbst im
einzelnen wird, besonders in denjenigen Dingen, worin auch der
ungebildete Roemer den Gegensatz bestimmt empfand, das auslaendische
Kostuem streng durchgefuehrt. So wird der Name Roms und der Roemer
vermieden und wo ihrer gedacht wird, heissen sie auf gut griechisch
“Auslaender” (barbari); ebenso erscheint unter den unzaehlige Male
vorkommenden Geld- und Muenzbezeichnungen auch nicht ein einziges Mal
die roemische Muenze. Man macht sich von so grossen und so gewandten
Talenten, wie Naevius und Plautus waren, eine seltsame Vorstellung,
wenn man dergleichen auf ihre freie Wahl zurueckfuehrt; diese krasse
und sonderbare Exterritorialitaet der roemischen Komoedie war ohne
Zweifel durch ganz andere als aesthetische Ruecksichten bedingt. Die
Verlegung solcher gesellschaftlicher Verhaeltnisse, wie sie die
neuattische Komoedie durchgaengig zeichnet, nach dem Rom der
hannibalischen Epoche wuerde geradezu ein Attentat auf dessen
buergerliche Ordnung und Sitte gewesen sein. Da aber die Schauspiele in
dieser Zeit regelmaessig von den Aedilen und Praetoren gegeben wurden,
die gaenzlich vom Senat abhingen, und selbst die ausserordentlichen
Festlichkeiten, zum Beispiel die Leichenspiele, nicht ohne
Regierungserlaubnis stattfanden, und da ferner die roemische Polizei
ueberall nicht und am wenigsten mit den Komoedianten Umstaende zu
machen gewohnt war, so ergibt es sich von selbst, weshalb diese
Komoedie, selbst nachdem sie unter die roemischen Volkslustbarkeiten
aufgenommen war, doch noch keinen Roemer auf die Buehne bringen durfte
und gleichsam in das Ausland verbannt blieb.

Noch viel entschiedener ward den Bearbeitern das Recht, einen Lebenden
lobend oder tadelnd zu nennen, sowie jede verfaengliche Anspielung auf
die Zeitverhaeltnisse untersagt. In dem ganzen plautinischen und
nachplautinischen Komoedienrepertoire ist, soweit wir es kennen, nicht
zu einer einzigen Injurienklage Stoff. Ebenso begegnet uns von den bei
dem lebhaften Munizipalsinn der Italiker besonders bedenklichen
Invektiven gegen Gemeinden - wenn von einigen ganz unschuldigen
Scherzen abgesehen wird - kaum eine andere Spur als der bezeichnende
Hohn auf die ungluecklichen Capuaner und Atellaner und
merkwuerdigerweise verschiedene Spottreden ueber die Hoffart wie ueber
das schlechte Latein der Praenestiner ^11. Ueberhaupt findet sich in
den Plautinischen Stuecken von Beziehungen auf die Ereignisse und
Verhaeltnisse der Gegenwart nichts als Glueckwuensche fuer die
Kriegfuehrung ^12 oder zu den friedlichen Zeiten; allgemeine Ausfaelle
gegen Korn- und Zinswucher, gegen Verschwendung, gegen
Kandidatenbestechung, gegen die allzu haeufigen Triumphe, gegen die
gewerbsmaessigen Beitreiber verwirkter Geldbussen, gegen pfaendende
Steuerpaechter, gegen die teuren Preise der Oelhaendler, ein einziges
Mal - im ‘Curculio’ - eine an die Parabasen der aelteren attischen
Komoedie erinnernde, uebrigens wenig verfaengliche laengere Diatribe
ueber das Treiben auf dem roemischen Markt. Aber selbst in solchen
hoechst polizeilich normal patriotischen Bestrebungen unterbricht sich
wohl der Dichter:

Doch bin ich nicht naerrisch, mich zu kuemmern um den Staat,

Da die Obrigkeit da ist, die sich hat zu kuemmern drum?

und im ganzen genommen ist kaum ein politisch zahmeres Lustspiel zu
denken, als das roemische des sechsten Jahrhunderts gewesen ist ^13.
Eine merkwuerdige Ausnahme macht allein der aelteste namhafte roemische
Lustspieldichter Gnaeus Naevius. Wenn er auch nicht gerade roemische
Originallustspiele schrieb, so sind doch noch die wenigen Truemmer, die
wir von ihm besitzen, voll von Beziehungen auf roemische Zustaende und
Personen. Er nahm es unter anderm sich heraus, nicht bloss einen
gewissen Maler Theodotos mit Namen zu verhoehnen, sondern selbst an den
Sieger von Zama folgende Verse zu richten, deren Aristophanes sich
nicht haette schaemen duerfen:

Jenen selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende fuehrte,

Dessen Taten lebendig leben, der bei den Voelkern allen allein gilt,

Den hat nach Haus der eigene Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.

Wie in den Worten:

Heute wollen freie Worte reden wir am Freiheitsfest,

so mag er oefter polizeiwidrig angesetzt und bedenkliche Fragen getan
haben, wie zum Beispiel:

Wie ward ein so gewaltiger Staat nur so geschwind euch ruiniert?

worauf denn mit einem politischen Suendenregister geantwortet ward, zum
Beispiel:

Es taten neue Redner sich, einfaeltige junge Menschen auf.

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^11 Bacch. 24; Trin. 609; Truc. 3, 2, 23. Auch Naevius, der es freilich
ueberall nicht so genau nahm, spottet ueber Praenestiner und Lanuviner
(com. 21 R.) Eine gewisse Spannung zwischen Praenestinern und Roemern
tritt oefter hervor (Liv. 23, 20, 42, 1); und die Exekutionen in der
pyrrhischen sowie die Katastrophe der sullanischen Zeit stehen sicher
damit im Zusammenhang. Unschuldige Scherze wie Capt. 160; 881
passierten natuerlich die Zensur. Bemerkenswert ist auch das Kompliment
fuer Massalia (Cas. 5, 4, 1).

^12 So schliesst der Prolog der Kaestchenkomoedie mit folgenden Worten,
die hier stehen moegen als die einzige gleichzeitige Erwaehnung des
Hannibalischen Krieges in der auf uns gekommenen Literatur:

Also verhaelt sich dieses. Lebet wohl und siegt

Mit Maennermut, so wie ihr dies bisher getan.

Bewahret eure Verbuendeten alten und neuen Bunds,

Zuleget Zuzug ihnen, eurem rechten Schluss gemaess,

Verderbt die Verhassten, wirket Lorbeer euch und Lob,

Damit besiegt gewaehre der Poener euch die Poen.

Die vierte Zeile (augete auxilia vostris iustis legibus) geht auf die
den saeumigen latinischen Kolonien im Jahre 550 (204) auferlegten
Nachleistungen (Liv. 29, 15; oben 2, 175).

^13 Man kann darum auch bei Plautus kaum mit der Annahme von
Anspielungen auf Zeitereignisse vorsichtig genug sein. Vielen
verkehrten Scharfsinn dieser Art hat die neueste Untersuchung
beseitigt; aber sollte nicht auch die Beziehung auf die Bacchanalien,
welche im Cas. 5, 4, 11 gefunden wird (Ritschl, Parerga, Bd. 1, S.
192), zensurwidrig sein? Man koennte sogar die Sache umkehren und aus
den Erwaehnungen des Bacchusfestes in der ‘Casina’ und einigen anderen
Stuecken (Amph. 703; Aul. 3, 1, 3; Bacch. 53, 371; Mil. 1016 und
besonders Men. 836) den Schluss ziehen, dass dieselben zu einer Zeit
geschrieben sind, wo es noch nicht verfaenglich war, von Bacchanalien
zu reden.

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Allein die roemische Polizei war nicht gemeint, gleich der attischen
die Buehneninvektiven und politischen Diatriben zu privilegieren oder
auch nur zu dulden. Naevius ward wegen solcher und aehnlicher Ausfaelle
in den Block geschlossen und musste sitzen, bis er in anderen Komoedien
oeffentlich Busse und Abbitte getan hatte. Ihn trieben diese Haendel,
wie es scheint, aus. der Heimat; seine Nachfolger aber liessen durch
sein Beispiel sich warnen - einer derselben deutet sehr verstaendlich
an, dass er ganz und gar nicht Lust habe, gleich dem Kollegen Naevius
der unfreiwilligen Maulsperre zu unterliegen. So ward es durchgesetzt,
was in seiner Art nicht viel weniger einzig ist als die Besiegung
Hannibals, dass in einer Epoche der fieberhaftesten Volksaufregung eine
volkstuemliche Schaubuehne von der vollstaendigsten politischen
Farblosigkeit entstand.

Aber innerhalb dieser von Sitte und Polizei eng und peinlich gezogenen
Schranken ging der Poesie der Atem aus. Nicht mit Unrecht mochte
Naevius die Lage des Dichters unter dem Szepter der Lagiden und
Seleukiden, verglichen mit derjenigen in dem freien Rom, beneidenswert
nennen ^14. Der Erfolg im einzelnen ward natuerlich bestimmt durch die
Beschaffenheit des eben vorliegenden Originals und das Talent des
einzelnen Bearbeiters; doch muss bei aller individuellen
Verschiedenheit dies ganze Uebersetzungsrepertoire in gewissen
Grundzuegen uebereingestimmt haben, insofern saemtliche Lustspiele
denselben Bedingungen der Auffuehrung und demselben Publikum angepasst
wurden. Durchgaengig war die Behandlung im ganzen wie im einzelnen im
hoechsten Grade frei; und sie musste es wohl sein. Wenn die
Originalstuecke vor derselben Gesellschaft spielten, die sie kopierten,
und eben hierin ihr hauptsaechlichster Reiz lag, so war das roemische
Publikum dieser Zeit von dem attischen so verschieden, dass es jene
auslaendische Welt nicht einmal imstande war recht zu verstehen. Von
dem haeuslichen Leben der Hellenen fasste der Roemer weder die Anmut
und Humanitaet noch die Sentimentalitaet und die uebertuenchte Leere.
Die Sklavenwelt war eine voellig andere; der roemische Sklave war ein
Stueck Hausrat, der attische ein Bedienter - wo Sklavenehen vorkommen,
oder der Herr mit dem Sklaven ein humanes Gespraech fuehrt, erinnern
die roemischen Uebersetzer ihr Publikum daran, sich an dergleichen in
Athen gewoehnliche Dinge nicht zu stossen ^15; und als man spaeter
Lustspiele in roemischem Kostuem zu schreiben anfing, musste die Rolle
des pfiffigen Bedienten herausgeworfen werden, weil das roemische
Publikum solche, ihre Herren uebersehende und gaengelnde Sklaven nicht
vertrug. Eher als die feinen Alltagsfiguren hielten die an sich derber
und possenhafter zugeschnittenen Staende- und Charakterbilder die
Uebertragung aus; aber auch von diesen musste doch der roemische
Bearbeiter manche und wahrscheinlich eben die feinsten und
originellsten, wie zum Beispiel die Thais, die Hochzeitskoechin, die
Mondbeschwoererin, den Bettelpfaffen Menanders, ganz liegen lassen und
sich vorwiegend an diejenigen auslaendischen Gewerbe halten, mit
welchen der bereits sehr allgemein in Rom verbreitete griechische
Tafelluxus sein Publikum vertraut gemacht hatte. Wenn der Kochkuenstler
und der Spassmacher in dem Plautinischen Lustspiel mit so auffallender
Vorliebe und Lebendigkeit geschildert sind, so liegt der Schluessel
dazu darin, dass griechische Koeche ihre Dienste schon damals auf dem
roemischen Markt taeglich ausboten und dass Cato das Verbot, einen
Spassmacher zu halten, sogar seinem Wirtschafter in die Instruktion zu
setzen noetig fand. In gleicher Weise konnte der Uebersetzer von der
eleganten attischen Konversation seiner Originale einen sehr grossen
Teil nicht brauchen. Zu der raffinierten Kneip- und Bordellwirtschaft
Athens stand der roemische Buerger- und Bauersmann ungefaehr wie der
deutsche Kleinstaedter zu den Mysterien des Palais Royal. Die
eigentliche Kuechengelehrsamkeit ging nicht in seinen Kopf; die
Esspartien blieben freilich auch in der roemischen Nachbildung sehr
zahlreich, aber ueberall dominiert ueber die mannigfaltige Baeckerei
und die raffinierten Saucen und Fischgerichte der derbe roemische
Schweinebraten. Von den Raetselreden und Trinkliedern, von der
griechischen Rhetorik und Philosophie, die in den Originalen eine so
grosse Rolle spielten, begegnet in der Bearbeitung nur hier und da eine
verlorene Spur.

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^14 Etwas anderes kann die merkwuerdige Stelle in dem ‘Maedel von
Tarent’ nicht bedeuten:

Was im Theater hier mir gerechten Beifall fand,

Dass das kein Koenig irgend anzufechten wagt -

Wie viel besser als hier der Freie hat’s darin der Knecht!

^15 Wie das moderne Hellas ueber Sklaventum dachte, kann man zum
Beispiel bei Euripides (Ion. 854; vgl. Hel. 728) sehen:

Dem Sklaven bringt das eine einzig Schande nur:

Der Name; in allem andern ist nicht schlechter als

Der freie Mann der Sklave, welcher brav sich fuehrt.

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Die Verwuestung, welche die roemischen Bearbeiter durch die Ruecksicht
auf ihr Publikum in den Originalen anzurichten genoetigt waren,
draengte sie unvermeidlich in eine Weise des Zusammenstreichens und
Durcheinanderwerfens hinein, mit der keine kuenstlerische Komposition
sich vertrug. Es war gewoehnlich, nicht bloss ganze Rollen des
Originals herauszuwerfen, sondern auch dafuer andere aus anderen
Lustspielen desselben oder auch eines anderen Dichters wieder
einzustuecken; was freilich bei der aeusserlich rationellen Komposition
der Originale und ihren stehenden Figuren und Motiven nicht voellig so
arg war, wie es scheint. Es gestatteten ferner wenigstens in der
aelteren Zeit sich die Dichter hinsichtlich der Komposition die
seltsamsten Lizenzen. Die Handlung des sonst so vortrefflichen
‘Stichus’ (aufgefuehrt 554 200) besteht darin, dass zwei Schwestern,
welche der Vater veranlassen moechte, sich von ihren abwesenden
Ehemaennern zu scheiden, die Penelopen spielen, bis die Maenner mit
reichem Kaufmannsgewinn und als Praesent fuer den Schwiegervater mit
einem huebschen Maedchen wieder nach Hause kommen. In der ‘Casina’, die
bei dem Publikum ganz besonders Glueck machte, kommt die Braut, von der
das Stueck heisst und um die es sich dreht, gar nicht zum Vorschein,
und die Aufloesung wird ganz naiv als “spaeter drinnen vor sich gehend”
vom Epilog erzaehlt. Ueberhaupt wird sehr oft die Verwicklung ueber das
Knie gebrochen, ein angesponnener Faden fallengelassen und was
dergleichen Zeichen einer unfertigen Kunst mehr sind. Die Ursache
hiervon ist wahrscheinlich weit weniger in der Ungeschicklichkeit der
roemischen Bearbeiter zu suchen als in der Gleichgueltigkeit des
roemischen Publikums gegen die aesthetischen Gesetze. Allmaehlich indes
bildete sich der Geschmack. In den spaeteren Stuecken hat Plautus
offenbar mehr Sorgfalt auf die Komposition gewendet und ‘Die
Gefangenen’ zum Beispiel, der ‘Luegenbold’, ‘Die beiden Bacchis’ sind
in ihrer Art meisterhaft gefuehrt; seinem Nachfolger Caecilius, von dem
wir keine Stuecke mehr besitzen, wird es nachgeruehmt, dass er sich
vorzugsweise durch die kunstmaessigere Behandlung des Sujets
auszeichnete.

In der Behandlung des einzelnen fuehren das Bestreben des Poeten,
seinen roemischen Zuhoerern die Dinge moeglichst vor die Augen zu
bringen, und die Vorschrift der Polizei, die Stuecke auslaendisch zu
halten, die wunderlichsten Kontraste herbei. Die roemischen Goetter,
die sakralen, militaerischen, juristischen Ausdruecke der Roemer,
nehmen sich seltsam aus in der griechischen Welt; bunt durcheinander
gehen die roemischen Aedilen und Dreiherren mit den Agoranomen und
Demarchen; in Aetolien oder Epidamnos spielende Stuecke schicken den
Zuschauer ohne Bedenken nach dem Velabrum und dem Kapitol. Schon eine
solche klecksartige Aufsetzung der roemischen Lokaltoene auf den
griechischen Grund ist eine Barbarisierung; aber diese in ihrer naiven
Art oft sehr spasshaften Interpolationen sind weit ertraeglicher als
die durchgaengige Umstimmung der Stuecke ins Rohe, welche bei der
keineswegs attischen Bildung des Publikums den Bearbeitern notwendig
schien. Freilich mochten schon von den neuattischen Poeten manche in
der Ruepelhaftigkeit keiner Nachhilfe beduerfen; Stuecke wie die
Plautinische ‘Eselskomoedie’ werden ihre unuebertreffliche Plattheit
und Gemeinheit nicht erst dem Uebersetzer verdanken. Aber es walten
doch in den roemischen Komoedien die rohen Motive in einer Weise vor,
dass die Uebersetzer hierin entweder interpoliert oder mindestens sehr
einseitig kompiliert haben muessen. In der unendlichen Pruegelfuelle
und der stets ueber dem Ruecken der Sklaven schwebenden Peitsche
erkennt man deutlich das catonische Hausregiment, sowie die catonische
Opposition gegen die Frauen in dem nimmer endenden Heruntermachen der
Weiber. Unter den Spaessen eigener Erfindung, mit welchen die
roemischen Bearbeiter die elegante attische Konversation zu wuerzen
fuer gut befunden haben, finden sich manche von einer kaum glaublichen
Gedankenlosigkeit und Roheit ^16.

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^16 So ist zum Beispiel in das sonst sehr artige Examen, welches in dem
Plautinischen ‘Stichus’ der Vater mit seinen Toechtern ueber die
Eigenschaften einer guten Ehefrau anstellt, die ungehoerige Frage
eingelegt, ob es besser sei, eine Jungfrau oder eine Witwe zu heiraten,
bloss um darauf mit einem nicht minder ungehoerigen und im Munde der
Sprecherin geradezu unsinnigen Gemeinplatz gegen die Frauen zu
antworten. Aber das ist Kleinigkeit gegen den folgenden Fall. In
Menanders ‘Halsband’ klagt ein Ehemann dem Freunde seine Not:

A: Ich freite die reiche Erbin Lamia, du weisst

Es doch? - B: Ja freilich. - A: Sie, der dieses Haus gehoert

Und die Felder und alles andre hier umher. Sie duenkt,

Gott weiss es! von allem Ungemach das aergste uns;

Zur Last ist sie all’ und jedem, nicht bloss mir allein,

Dem Sohn auch und gar der Tochter. - B: Allerdings, ich weiss,

So ist es.

In der lateinischen Bearbeitung des Caecilius ist aus diesem, in seiner
grossen Einfachheit eleganten Gespraech der folgende Flegeldialog
geworden:

B: Deine Frau ist also zaenkisch, nicht? - A: Ei schweig davon! -

B: Wieso? - A: Ich mag nichts davon hoeren. Komm’ ich etwa dir

Nach Haus und setze mich, augenblicks versetzt sie mir

Einen nuechternen Kuss. - B: Ei nun, mit dem Kusse trifft sie’s schon;

Ausspeien sollst du, meint sie, was du auswaerts trankst.

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Was dagegen die metrische Behandlung anlangt, so macht im ganzen der
geschmeidige und klingende Vers den Bearbeitern alle Ehre. Wenn die
jambischen Trimeter, die in den Originalen vorherrschten und ihrem
maessigen Konversationston allein angemessen waren, in der lateinischen
Bearbeitung sehr haeufig durch jambische oder trochaeische Tetrameter
ersetzt worden sind, so wird auch hiervon die Ursache weniger in der
Ungeschicklichkeit der Bearbeiter zu suchen sein, die den Trimeter gar
wohl zu handhaben wussten, als in dem ungebildeten Geschmack des
roemischen Publikums, dem der praechtige Vollklang der Langverse auch
da gefiel, wo er nicht hingehoerte.

Endlich traegt auch die Inszenierung der Stuecke den gleichen Stempel
der Gleichgueltigkeit der Direktion wie des Publikums gegen die
aesthetischen Anforderungen. Die griechische Schaubuehne, welche schon
wegen des Umfangs des Theaters und des Spielens bei Tage auf ein
eigentliches Gebaerdenspiel verzichtete, die Frauenrollen mit Maennern
besetzte und einer kuenstlichen Verstaerkung der Stimme des
Schauspielers notwendig bedurfte, ruhte in szenischer wie in
akustischer Hinsicht durchaus auf dem Gebrauch der Gesichts- und
Schallmasken. Diese waren auch in Rom wohlbekannt; bei den
Dilettantenauffuehrungen erschienen die Spieler ohne Ausnahme maskiert.
Dennoch wurden den Schauspielern, welche die griechischen Lustspiele in
Rom auffuehren sollten, die dafuer notwendigen, freilich ohne Zweifel
viel kuenstlicheren Masken nicht gegeben; was denn, von allem andern
abgesehen, in Verbindung mit der mangelhaften akustischen Einrichtung
der Buehne ^17 den Schauspieler nicht bloss noetigte seine Stimme ueber
die Gebuehr anzustrengen, sondern schon den Livius zu dem hoechst
unkuenstlerischen, aber unvermeidlichen Ausweg zwang, die Gesangstuecke
durch einen ausserhalb des Spielerpersonals stehenden Saenger vortragen
und von dem Schauspieler, in dessen Rolle sie fielen, nur durch stummes
Spiel darstellen zu lassen. Ebensowenig fanden die roemischen Festgeber
ihre Rechnung dabei, sich fuer Dekorationen und Maschinerie in
wesentliche Kosten zu setzen. Auch die attische Buehne stellte
regelmaessig eine Strasse mit Haeusern im Hintergrunde vor und hatte
keine wandelbaren Dekorationen; allein man besass doch ausser anderem
mannigfaltigen Apparat namentlich eine Vorrichtung, um eine kleinere,
das Innere eines Hauses vorstellende Buehne auf die Hauptszene
hinauszuschieben. Das roemische Theater aber ward damit nicht versehen,
und man kann es darum dem Poeten kaum zum Vorwurf machen, wenn alles,
sogar das Wochenbett auf der Strasse abgehalten wird.

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^17 Selbst als man steinerne Theater baute, mangelten diesen die
Schallgefaesse, wodurch die griechischen Baumeister die Schauspieler
unterstuetzten (Vitr. 5, 5, 8).

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So war das roemische Lustspiel des sechsten Jahrhunderts beschaffen.
Die Art und Weise, wie man die griechischen Schauspiele nach Rom
uebertrug, gewaehrt von dem verschiedenartigen Kulturstand ein
geschichtlich unschaetzbares Bild; in aesthetischer wie in sittlicher
Hinsicht aber stand das Original nicht hoch und das Nachbild noch
tiefer. Die Welt bettelhaften Gesindels, wie sehr auch die roemischen
Bearbeiter sie unter der Wohltat des Inventars antraten, erschien doch
in Rom verschlagen und fremdartig, die feine Charakteristik gleichsam
weggeworfen; die Komoedie stand nicht mehr auf dem Boden der
Wirklichkeit, sondern die Personen und Situationen schienen wie ein
Kartenspiel, willkuerlich und gleichgueltig gemischt; im Original ein
Lebens-, ward sie in der Bearbeitung ein Zerrbild. Bei einer Direktion,
die imstande war, einen griechischen Agon mit Floetenspiel,
Taenzerchoeren, Tragoeden und Athleten anzukuendigen und schliesslich
denselben in eine Pruegelei zu verwandeln, vor einem Publikum, welches,
wie noch spaetere Dichter klagen, in Masse aus dem Schauspiel weglief,
wenn es Faustkaempfer oder Seiltaenzer oder gar Fechter zu sehen gab,
mussten Dichter, wie die roemischen waren, Lohnarbeiter von
gesellschaftlich niedriger Stellung, wohl selbst wider die eigene
bessere Einsicht und den eigenen besseren Geschmack sich der
herrschenden Frivolitaet und Roheit mehr oder minder fuegen. Es ist
alles Moegliche, dass nichtsdestoweniger einzelne lebende und frische
Talente unter ihnen aufstanden, die das Fremdlaendische und Gemachte in
der Poesie wenigstens zurueckzudraengen und in den einmal gewiesenen
Bahnen zu erfreulichen und selbst bedeutenden Schoepfungen zu gelangen
vermochten. An ihrer Spitze steht Gnaeus Naevius, der erste Roemer, der
es verdient, ein Dichter zu heissen und, soweit die ueber ihn
erhaltenen Berichte und die geringen Bruchstuecke seiner Werke uns ein
Urteil gestatten, allem Anschein nach eines der merkwuerdigsten und
bedeutendsten Talente in der roemischen Literatur ueberhaupt. Er war
des Andronicus juengerer Zeitgenosse - seine poetische Taetigkeit
begann bedeutend vor und endigte wahrscheinlich erst nach dem
Hannibalischen Kriege - und im allgemeinen von ihm abhaengig; auch er
war, wie das in gemachten Literaturen zu sein pflegt, in allen von
seinem Vorgaenger aufgebrachten Kunstgattungen, im Epos, im Trauer- und
Lustspiel, zugleich taetig und schloss auch im Metrischen sich eng an
ihn an. Nichtsdestoweniger trennt die Dichter wie die Dichtungen eine
ungeheure Kluft. Naevius war kein Freigelassener, kein Schulmeister und
kein Schauspieler, sondern ein zwar nicht vornehmer, aber
unbescholtener Buerger, wahrscheinlich einer der latinischen Gemeinden
Kampaniens, und Soldat im Ersten Punischen Kriege ^18. Recht im
Gegensatz zu Livius ist Naevius’ Sprache bequem und klar, frei von
aller Steifheit und von aller Affektion und scheint selbst im
Trauerspiel dem Pathos gleichsam absichtlich aus dem Wege zu gehen; die
Verse, trotz des nicht seltenen Hiatus und mancher anderen, spaeterhin
beseitigten Lizenzen, fliessen leicht und schoen ^19. Wenn die
Quasipoesie des Livius etwa wie bei uns die Gottschedische aus rein
aeusserlichen Impulsen hervor- und durchaus am Gaengelbande der
Griechen ging, so emanzipierte sein Nachfolger die roemische Poesie und
traf mit der wahren Wuenschelrute des Dichters diejenigen Quellen, aus
denen allein in Italien eine volkstuemliche Dichtung entspringen
konnte: die Nationalgeschichte und die Komik. Die epische Dichtung
lieferte nicht mehr bloss dem Schulmeister ein Lesebuch, sondern wandte
sich selbstaendig an das hoerende und lesende Publikum. Die
Buehnendichtung war bisher, gleich der Kostuemverfertigung, ein
Nebengeschaeft des Schauspielers oder eine Handlangerei fuer denselben
gewesen; mit Naevius wandte das Verhaeltnis sich um und der
Schauspieler ward nun der Diener des Dichters. Durchaus bezeichnet
seine poetische Taetigkeit ein volkstuemliches Gepraege. Es tritt am
bestimmtesten hervor in seinem ernsten Nationalschauspiel und in seinem
Nationalepos, wovon spaeter noch die Rede sein wird; aber auch in den
Lustspielen, die unter allen seinen poetischen Leistungen die seinem
Talent am meisten zusagenden und erfolgreichsten gewesen zu sein
scheinen, haben, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich nur aeussere
Ruecksichten den Dichter bestimmt, sich so, wie er es tat, den
griechischen Originalen anzuschliessen und dennoch ihn nicht gehindert,
in frischer Lustigkeit und im vollen Leben in der Gegenwart seine
Nachfolger und wahrscheinlich selbst die matten Originale weit hinter
sich zurueckzulassen, ja in gewissem Sinne in die Bahnen des
Aristophanischen Lustspiels einzulenken. Er hat es wohl empfunden und
in seiner Grabschrift auch ausgesprochen, was er seiner Nation gewesen
ist:

Wenn Goettern um den Menschen - Totentrauer ziemte,

Den Dichter Naevius klagten - goettliche Camenen;

Dieweil, seit er hinunter - zu den Schatten abschied,

Verschollen ist in Rom der - Ruhm der roemischen Rede.

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^18 Die Personalnotizen ueber Naevius sind arg verwirrt. Da er im
Ersten Punischen Kriege focht, kann er nicht nach 495 (259) geboren
sein. 519 (235) wurden Schauspiele, wahrscheinlich die ersten, von ihm
gegeben (Gell. 12, 21, 45). Dass er schon 550 (204) gestorben sei, wie
gewoehnlich angegeben wird, bezweifelte Varro (bei Cic. Brut. 15, 60)
gewiss mit Recht; waere es wahr, so muesste er waehrend des
Hannibalischen Krieges in Feindesland entwichen sein. Auch die
Spottverse auf Scipio koennen nicht vor der Schlacht bei Zama
geschrieben sein. Man wird sein Leben zwischen 490 (264) und 560 (194)
setzen duerfen, so dass er Zeitgenosse der beiden 543 (211) gefallenen
Scipionen (Cic. rep. 4, 10), zehn Jahre juenger als Andronicus und
vielleicht zehn Jahre aelter als Plautus war. Seine kampanische
Herkunft deutet Gellius, seine latinische Nationalitaet, wenn es dafuer
der Beweise beduerfte, er selbst in der Grabschrift an. wenn er nicht
roemischer Buerger, sondern etwa Buerger von Cales oder einer anderen
latinischen Stadt Kampaniens war, so erklaert es sich leichter, dass
ihn die roemische Polizei so ruecksichtslos behandelte. Schauspieler
war er auf keinen Fall, da er im Heere diente.

^19 Man vergleiche zum Beispiel mit den livianischen das Bruchstueck
aus Naevius’ Trauerspiel ‘Lycurgus’:

Die ihr des koeniglichen Leibes haltet Wacht,

Sogleich zum laubesreichen Platze macht euch auf,

Wo willig ungepflanzt emporsprosst das Gebuesch.

Oder die beruehmten Worte, die in ‘Hektors Abschied’ Hektor zu Priamos
sagt:

Lieblich, Vater, klingt von dir mir Lob, dem vielgelobten Mann.

und den reizenden Vers aus dem ‘Maedel von Tarent’:

Alii adnutat, alii adnictat; alium amat, alium tenet.

Zu diesem nickt sie, nach jenem blickt sie; diesen im Herzen, den im
Arm.

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Und solcher Maenner- und Dichterstolz ziemte wohl dem Manne, der die
Kaempfe gegen Hamilkar und gegen Hannibal teils miterlebte, teils
selber mitfocht, und der fuer die tief bewegte und in gewaltigem
Freudenjubel gehobene Zeit nicht gerade den poetisch hoechsten, aber
wohl einen tuechtigen, gewandten und volkstuemlichen dichterischen
Ausdruck fand. Es ist schon erzaehlt worden, in welche Haendel mit den
Behoerden er darueber geriet und wie er, vermutlich dadurch von Rom
vertrieben, sein Leben in Utica beschloss. Auch hier ging das
individuelle Leben ueber dem gemeinen Besten, das Schoene ueber dem
Nuetzlichen zugrunde.

In der aeusseren Stellung wie in der Auffassung seines Dichterberufs
scheint ihm sein juengerer Zeitgenosse, Titus Maccius Plautus (500? -
570 254-184). weit nachgestanden zu haben. Gebuertig aus dem kleinen,
urspruenglich umbrischen, aber damals, vielleicht schon latinisierten
Staedtchen Sassina, lebte er in Rom als Schauspieler und, nachdem er
den damit gemachten Gewinn in kaufmaennischen Spekulationen wieder
eingebuesst hatte, als Theaterdichter von der Bearbeitung griechischer
Lustspiele, ohne in einem anderen Fache der Literatur taetig zu sein
und wahrscheinlich ohne Anspruch auf eigentliches Schriftstellertum zu
machen. Solcher handwerksmaessigen Komoedienbearbeiter scheint es in
Rom damals eine ziemliche Zahl gegeben zu haben; allein ihre Namen
sind, zumal da sie wohl durchgaengig ihre Stuecke nicht publizierten
^20, so gut wie verschollen, und was von diesem Repertoire sich
erhielt, ging spaeterhin auf den Namen des populaersten unter ihnen,
des Plautus. Die Literatoren des folgenden Jahrhunderts zaehlten bis
hundertunddreissig solcher “plautinischer Stuecke”, von denen indes auf
jeden Fall ein grosser Teil nur von Plautus durchgesehen oder ihm ganz
fremd war; der Kern derselben ist noch vorhanden. Ein gegruendetes
Urteil ueber die poetische Eigentuemlichkeit des Bearbeiters zu
faellen, ist dennoch sehr schwer, wo nicht unmoeglich, da die Originale
uns nicht erhalten sind. Dass die Bearbeitung ohne Auswahl gute wie
schlechte Stuecke uebertrug, dass sie der Polizei wie dem Publikum
gegenueber untertaenig und untergeordnet dastand, dass sie gegen die
aesthetischen Anforderungen sich ebenso gleichgueltig verhielt wie ihr
Publikum und diesem zuliebe die Originale ins Possenhafte und Gemeine
umstimmte, sind Vorwuerfe, die mehr gegen die ganze Uebersetzungsfabrik
als gegen den einzelnen Bearbeiter sich richten. Dagegen darf als dem
Plautus eigentuemlich gelten die meisterliche Behandlung der Sprache
und der mannigfachen Rhythmen, ein seltenes Geschick, die Situation
buehnengerecht zu gestalten und zu nutzen, der fast immer gewandte und
oft vortreffliche Dialog und vor allen Dingen eine derbe und frische
Lustigkeit, die in gluecklichen Spaessen, in einem reichen
Schimpfwoerterlexikon, in launigen Wortbildungen, in drastischen, oft
mimischen Schilderungen und Situationen unwiderstehlich komisch wirkt -
Vorzuege, in denen man den gewesenen Schauspieler zu erkennen meint.
Ohne Zweifel hat der Bearbeiter auch hierin mehr das Gelungene der
Originale festgehalten als selbstaendig geschaffen - was in den
Stuecken sicher auf den Uebersetzer zurueckgefuehrt werden kann, ist
milde gesagt mittelmaessig; allein es wird dadurch begreiflich, warum
Plautus der eigentliche roemische Volkspoet und der rechte Mittelpunkt
der roemischen Buehne geworden und geblieben, ja noch nach dem
Untergang der roemischen Welt das Theater mehrfach auf ihn
zurueckgekommen ist.

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^20 Diese Annahme scheint deshalb notwendig, weil man sonst unmoeglich
in der Art, wie die Alten es tun, ueber die Echtheit oder Unechtheit
der Plautinischen Stuecke haette schwanken koennen; bei keinem
eigentlichen Schriftsteller des roemischen Altertums begegnet eine auch
nur annaehernd aehnliche Ungewissheit ueber das literarische Eigentum.
Auch in dieser Hinsicht wie in so vielen anderen aeusserlichen Dingen
besteht die merkwuerdigste Analogie zwischen Plautus und Shakespeare.

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Noch weit weniger vermoegen wir zu einem eigenen Urteil ueber den
dritten und letzten - denn Ennius schrieb wohl Komoedien, aber durchaus
ohne Erfolg - namhaften Lustspieldichter dieser Epoche, Statius
Caecilius, zu gelangen. Der Lebensstellung und dem Gewerbe nach stand
er mit Plautus gleich. Geboren im Keltenland in der Gegend von
Mediolanum kam er unter den insubrischen Kriegsgefangenen nach Rom und
lebte dort als Sklave, spaeter als Freigelassener von der Bearbeitung
griechischer Komoedien fuer das Theater bis zu seinem wahrscheinlich
fruehen Tode (586 168). Dass seine Sprache nicht rein war, ist bei
seiner Herkunft begreiflich; dagegen bemuehte er sich, wie schon gesagt
ward, um strengere Komposition. Bei den Zeitgenossen fanden seine
Stuecke nur schwer Eingang, und auch das spaetere Publikum liess gegen
Plautus und Terenz den Caecilius fallen; wenn dennoch die Kritiker der
eigentlichen Literaturzeit Roms, der varronischen und augustinischen
Epoche, unter den roemischen Bearbeitern griechischer Lustspiele dem
Caecilius die erste Stelle eingeraeumt haben, so scheint dies darauf zu
beruhen, dass die kunstrichterliche Mittelmaessigkeit gern der
geistesverwandten poetischen vor dem einseitig Vortrefflichen den
Vorzug gibt. Wahrscheinlich hat jene Kunstkritik den Caecilius nur
deshalb unter ihre Fluegel genommen, weil et regelrechter als Plautus
und kraeftiger als Terenz war; wobei er immer noch recht wohl weit
geringer als beide gewesen sein kann.

Wenn also der Literarhistoriker bei aller Anerkennung des sehr
achtbaren Talents der roemischen Lustspieldichter doch in ihrem reinen
Uebersetzungsrepertoire weder eine kuenstlerisch bedeutende noch eine
kuenstlerisch reine Leistung erkennen kann, so muss das
geschichtlich-sittliche Urteil ueber dasselbe notwendig noch bei weitem
haerter ausfallen. Das griechische Lustspiel, das demselben zu Grunde
liegt, war sittlich insofern gleichgueltig, als es eben nur im Niveau
der Korruption seines Publikums stand; die roemische Schaubuehne aber
war in dieser zwischen der alten Strenge und der neuen Verderbnis
schwankenden Epoche die hohe Schule zugleich des Hellenismus und des
Lasters. Dieses attisch-roemische Lustspiel mit seiner in der Frechheit
wie in der Sentimentalitaet gleich unsittlichen, den Namen der Liebe
usurpierenden Leibes- und Seelenprostitution, mit seiner widerlichen
und widernatuerlichen Edelmuetigkeit, mit seiner durchgaengigen
Verherrlichung des Kneipenlebens, mit seiner Mischung von Bauernroheit
und auslaendischem Raffinement, war eine fortlaufende Predigt
roemisch-hellenischer Demoralisation und ward auch als solche
empfunden. Ein Zeugnis bewahrt der Epilog der Plautinischen
‘Gefangenen’:

Dieses Lustspiel, da ihr schautet, ist anstaendig ganz und gar:

Nicht wird darin ausgegriffen, Liebeshaendel hat es nicht,

Keine Kinderunterschiebung, keine Geldabschwindelung;

Nicht kauft drin der Sohn sein Maedchen ohne des Vaters Willen frei.

Selten nur ersinnt ein Dichter solcherlei Komoedien,

Die die Guten besser machen. Wenn drum euch dies Stueck gefiel,

Wenn wir Spieler euch gefallen, lasst uns dies das Zeichen sein:

Wer auf Anstand haelt, der klatsche nun zum Lohn uns unserm Spiel.

Man sieht hier, wie die Partei der sittlichen Reform ueber das
griechische Lustspiel geurteilt hat; und es kann hinzugesetzt werden,
dass auch in jenen weissen Raben, den moralischen Lustspielen, die
Moralitaet von derjenigen Art ist, die nur dazu taugt, die Unschuld
gewisser zu betoeren. Wer kann es bezweifeln, dass diese Schauspiele
der Korruption praktischen Vorschub getan haben? Als Koenig Alexander
an einem Lustspiel dieser Art, das der Verfasser ihm vorlas, keinen
Geschmack fand, entschuldigte sich der Dichter, dass das nicht an ihm
sondern an dem Koenige liege; um ein solches Stueck zu geniessen,
muesse man gewohnt sein, Kneipgelage abzuhalten und eines Maedchens
wegen Schlaege auszuteilen und zu empfangen. Der Mann kannte sein
Handwerk; wenn also die roemische Buergerschaft allmaehlich an diesen
griechischen Komoedien Geschmack fand, so sieht man, um weichen Preis
es geschah. Es gereicht der roemischen Regierung zum Vorwurf, nicht,
dass sie fuer diese Poesie so wenig tat, sondern dass sie dieselbe
ueberhaupt duldete. Das Laster ist zwar auch ohne Kanzel maechtig; aber
damit ist es noch nicht entschuldigt, demselben eine Kanzel zu
errichten. Es war mehr eine Ausrede als eine ernstliche Verteidigung,
dass man das hellenisierende Lustspiel von der unmittelbaren Beruehrung
der Personen und Institutionen Roms fernhielt. Vielmehr haette die
Komoedie wahrscheinlich sittlich weniger geschadet, wenn man sie freier
haette walten, den Beruf des Poeten sich veredeln und eine
einigermassen selbstaendige roemische Poesie sich entwickeln lassen;
denn die Poesie ist auch eine sittliche Macht, und wenn sie tiefe
Wunden schlaegt, so vermag sie auch viel zu heilen. Wie es war, geschah
auch auf diesem Gebiet von der Regierung zu wenig und zu viel; die
politische Halbheit und die moralische Heuchelei ihrer Buehnenpolizei
hat zu der furchtbar raschen Aufloesung der roemischen Nation das
Ihrige beigetragen.

Wenn indes die Regierung dem roemischen Lustspieldichter nicht
gestattete, die Zustaende seiner Vaterstadt darzustellen und seine
Mitbuerger auf die Buehne zu bringen, so war doch dadurch die
Entstehung eines lateinischen Nationallustspiels nicht unbedingt
abgeschnitten; denn die roemische Buergerschaft war in dieser Zeit noch
nicht mit der latinischen Nation zusammengefallen, und es stand dem
Dichter frei, seine Stuecke wie in Athen und Massalia, ebenso auch in
den italischen Staedten latinischen Rechts spielen zu lassen. In der
Tat entstand auf diesem Wege das lateinische Originallustspiel (fabula
togata ^21; der nachweislich aelteste Verfasser solcher Stuecke,
Titinius, bluehte wahrscheinlich um das Ende dieser Epoche ^22. Auch
diese Komoedie ruhte auf der Grundlage des neuattischen
Intrigenstuecks; aber sie war nicht Uebersetzung, sondern Nachdichtung:
der Schauplatz des Stuecks war in Italien und die Schauspieler
erschienen in dem nationalen Gewande, in der Toga. Hier waltet das
latinische Leben und Treiben in eigentuemlicher Frische. Die Stuecke
bewegen sich in dem buergerlichen Leben der Mittelstaedte Latiums, wie
schon die Titel zeigen: ‘Die Harfenistin oder das Maedchen von
Ferentinum’, ‘Die Floetenblaeserin’, ‘Die Juristin’, ‘Die Walker’, und
manche einzelne Situationen noch weiter bestaetigen, wie zum Beispiel
ein Spiessbuerger sich darin seine Schuhe nach dem Muster der
albanischen Koenigssandalen machen laesst. In auffallender Weise treten
die maennlichen gegen die Frauenrollen zurueck ^23. Mit echt nationalem
Stolze gedenkt der Dichter der grossen Zeit des Pyrrhischen Krieges und
sieht herab auf die neulatinischen Nachbarn,

Welche oskisch und volskisch reden, denn Latein verstehn sie nicht.

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^21 Togatus bezeichnet in der juristischen und ueberhaupt in der
technischen Sprache den Italiker im Gegensatz nicht bloss zu dem
Auslaender, sondern auch zu dem roemischen Buerger. So ist vor allen
Dingen formula togatorum (CIL I, 200, von 21; 50) das Verzeichnis
derjenigen italischen Militaerpflichtigen, die nicht in den Legionen
dienen. Auch die Benennung des Cisalpinischen oder Diesseitigen
Galliens als Gallia togata, die zuerst bei Hirtius vorkommt und nicht
lange nachher aus dem gemeinen Sprachgebrauch wieder verschwindet,
bezeichnet diese Landschaft vermutlich nach ihrer rechtlichen Stellung,
insofern in der Epoche vom Jahre 665 (89) bis zum Jahre 705 (49) die
grosse Mehrzahl ihrer Gemeinden latinisches Recht besass. Virgil (Aen.
1, 282) scheint ebenfalls bei der gens togata, die er neben den Roemern
nennt, an die latinische Nation gedacht zu haben.

Danach wird man auch in der fabula togata dasjenige Lustspiel zu
erkennen haben, das in Latium spielte wie die fabula palliata in
Griechenland; beiden aber ist die Verlegung des Schauplatzes in das
Ausland gemeinsam, und die Stadt und die Buergerschaft Roms auf die
Buehne zu bringen, bleibt ueberhaupt dem Lustspieldichter untersagt.
Dass in der Tat die togata nur in den Staedten latinischen Rechts
spielen durfte, zeigt die Tatsache, dass alle Staedte, in denen unseres
Wissens Stuecke des Titinius und Afranius spielen, Setia, Ferentinum,
Velitrae, Brundisium nachweislich bis auf den Bundesgenossenkrieg
latinisches oder doch bundesgenoessisches Recht gehabt haben. Durch die
Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien ging den
Lustspieldichtern diese latinische Inszenierung verloren, da das
Cisalpinische Gallien, das rechtlich an die Stelle der latinischen
Gemeinden gesetzt ward fuer den hauptstaedtischen Buehnendichter zu
fern lag, und es scheint damit auch die fabula togata in der Tat
verschwunden zu sein. Indes traten die rechtlich untergegangenen
Gemeinden Italiens, wie Capua und Atella, in diese Luecke ein, und
insofern ist die fabula Atellana gewissermassen die Fortsetzung der
togata.

^22 Ueber Titinius fehlt es an allen literarischen Angaben; ausser
dass, nach einem Varronischen Fragment zu schliessen, er aelter als
Terenz (558-595 196-159) gewesen zu sein scheint (Ritschl, Parerga, Bd.
1, S. 194) - denn mehr moechte freilich auch aus dieser Stelle nicht
entnommen werden koennen und, wenn auch von den beiden hier
verglichenen Gruppen die zweite (Trabea, Atilius, Caecilius) im ganzen
aelter ist als die erste (Titinius, Terentius, Atta), darum noch nicht
gerade der aelteste der juengeren Gruppe juenger zu erachten sein als
der juengste der aelteren.

^23 Von den fuenfzehn Titinischen Komoedien, die wir kennen, sind sechs
nach Maenner- (baratus?, caecus, fullo nes, Hortensius, Quintus,
varus), neun nach Frauenrollen benannt (Gemma, iurisperita, prilia?,
privigna, psaltria oder Ferentinatis, Setina, tibicina, Veliterna,
Ulubrana ?), von denen zwei, die ‘Juristin’ und die ‘Floetenblaeserin’
offenbar Maennergewerbe parodierten. Auch in den Bruchstuecken waltet
die Frauenwelt vor.

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Der hauptstaedtischen Buehne gehoert dieses Lustspiel ebenso an wie das
griechische; immer aber mag in demselben etwas von der landschaftlichen
Opposition gegen das grossstaedtische Wesen und Unwesen geherrscht
haben, wie sie gleichzeitig bei Cato und spaeterhin bei Varro
hervortritt. Wie in der deutschen Komoedie, die in ganz aehnlicher
Weise von der franzoesischen ausgegangen war wie die roemische von der
attischen, sehr bald die franzoesische Lisette durch das
Frauenzimmerchen Franziska abgeloest ward, so trat, wenn nicht mit
gleicher poetischer Gewalt, doch in derselben Richtung und vielleicht
mit aehnlichem Erfolg, in Rom neben das hellenisierende das latinische
Nationallustspiel.

Wie das griechische Lustspiel kam auch das griechische Trauerspiel im
Laufe dieser Epoche nach Rom. Dasselbe war ein wertvollerer und in
gewisser Hinsicht auch ein leichterer Erwerb als die Komoedie. Die
Grundlage des Trauerspiels, das griechische, namentlich das Homerische
Epos, war den Roemern nicht fremd und bereits mit ihrer eigenen
Stammsage verflochten; und ueberhaupt ward der empfaengliche Fremde
weit leichter heimisch in der idealen Welt der heroischen Mythen als
auf dem Fischmarkt von Athen. Dennoch hat auch das Trauerspiel, nur
minder schroff und minder gemein, die antinationale und hellenisierende
Weise gefoerdert; wobei es von der entscheidendsten Wichtigkeit war,
dass die griechische tragische Buehne dieser Zeit vorwiegend von
Euripides (274, 348 480, 406) beherrscht ward. Diesen merkwuerdigen
Mann und seine noch viel merkwuerdigere Wirkung auf Mit- und Nachwelt
erschoepfend darzustellen, ist dieses Ortes nicht; aber die geistige
Bewegung der spaeteren griechischen und der griechisch-roemischen
Epoche ward so sehr durch ihn bestimmt, dass es unerlaesslich ist, sein
Wesen wenigstens in den Grundzuegen zu skizzieren. Euripides gehoert zu
denjenigen Dichtern, welche die Poesie zwar auf eine hoehere Stufe
heben, aber in diesem Fortschritt bei weitem mehr das richtige Gefuehl
dessen, was sein sollte, als die Macht offenbaren, dies poetisch zu
erschaffen. Das tiefe Wort, welches sittlich wie poetisch die Summe
aller Tragik zieht, dass Handeln Leiden ist, gilt freilich auch fuer
die antike Tragoedie; den handelnden Menschen stellt sie dar, aber
eigentliche Individualisierung ist ihr fremd. Die unuebertroffene
Grossheit, womit der Kampf des Menschen und des Schicksals bei
Aeschylos sich vollzieht, beruht wesentlich darauf, dass jede der
ringenden Maechte nur im ganzen aufgefasst wird; das wesenhafte
Menschliche ist im ‘Prometheus’ und ‘Agamemnon’ nur leicht angehaucht
von dichterischer Individualisierung. Sophokles fasst wohl die
Menschennatur in ihrer allgemeinen Bedingtheit, den Koenig, den Greis,
die Schwester; aber den Mikrokosmos des Menschen in seiner
Allseitigkeit, den Charakter bringt keine einzelne seiner Gestalten zu
Anschauung. Es ist hier ein hohes Ziel erreicht, aber nicht das
hoechste; die Schilderung des Menschen in seiner Ganzheit und die
Verflechtung dieser einzelnen, in sich fertigen Gestalten zu einer
hoeheren poetischen Totalitaet ist eine Steigerung und darum sind,
gegen Shakespeare gehalten, Aeschylos und Sophokles unvollkommene
Entwicklungsstufen. Allein wie Euripides es unternimmt, den Menschen
darzustellen wie er ist, liegt darin mehr ein logischer und in gewissem
Sinn ein geschichtlicher als ein dichterischer Fortschritt. Er hat die
antike Tragoedie zu zerstoeren, nicht die moderne zu erschaffen
vermocht. Ueberall blieb er auf halbem Wege stehen. Die Masken, durch
welche die Aeusserung des Seelenlebens gleichsam aus dem Besonderen ins
Allgemeine uebersetzt wird, sind fuer die typische Tragoedie des
Altertums ebenso notwendig wie mit dem Charaktertrauerspiel
unvertraeglich; Euripides aber behielt sie bei. Mit bewundernswert
feinem Gefuehl hatte die aeltere Tragoedie das dramatische Element, das
frei walten zu lassen sie nicht vermochte, niemals rein dargestellt,
sondern es stets durch die epischen Stoffe aus der Uebermenschenwelt
der Goetter und Heroen und durch die lyrischen Choere gewissermassen
gebunden. Man fuehlt es, dass Euripides an diesen Ketten riss: er ging
mit seinen Stoffen wenigstens bis in die halb historische Zeit hinab
und seine Chorlieder traten so zurueck, dass man bei spaeteren
Auffuehrungen sie haeufig und wohl kaum zum Nachteil der Stuecke
wegliess - aber doch hat er weder seine Gestalten voellig auf den Boden
der Wirklichkeit gestellt noch den Chor ganz beiseite geworfen.
Durchaus und nach allen Seiten hin ist er der volle Ausdruck einer Zeit
einerseits der grossartigsten geschichtlichen und philosophischen
Bewegung, anderseits der Truebung des Urquells aller Poesie, der reinen
und schlichten Volkstuemlichkeit. Wenn die ehrfuerchtige Froemmigkeit
der aelteren Tragiker deren Stuecke gleichsam mit einem Abglanz des
Himmels ueberstroemt, wenn die Abgeschlossenheit des engen Horizontes
der aelteren Hellenen auch ueber den Hoerer ihre befriedende Macht
uebt, so erscheint die Euripideische Welt in dem fahlen Schimmer der
Spekulation so entgoettlicht wie durchgeistigt, und truebe
Leidenschaften zucken wie die Blitze durch die grauen Wolken hin. Der
alte, tiefe innerliche Schicksalsglaube ist verschwunden; das Fatum
regiert als aeusserlich despotische Macht, und knirschend tragen die
Knechte ihre Fesseln. Derjenige Unglaube, welcher der verzweifelnde
Glaube ist, redet aus diesem Dichter mit daemonischer Gewalt.
Notwendigerweise gelangt also der Dichter niemals zu einer ihn selber
ueberwaeltigenden plastischen Konzeption und niemals zu einer wahrhaft
poetischen Wirkung im ganzen; weshalb er auch sich gegen die
Komposition seiner Trauerspiele gewissermassen gleichgueltig verhalten,
ja hierin nicht selten geradezu gesudelt und seinen Stuecken weder in
einer Handlung noch in einer Persoenlichkeit einen Mittelpunkt gegeben
hat - die liederliche Manier, den Knoten durch den Prolog zu schuerzen
und durch eine Goettererscheinung oder eine aehnliche Plumpheit zu
loesen, hat recht eigentlich Euripides aufgebracht. Alle Wirkung liegt
bei ihm im Detail, und mit allerdings grosser Kunst ist hierin von
allen Seiten alles aufgeboten, um den unersetzlichen Mangel poetischer
Totalitaet zu verdecken. Euripides ist Meister in den sogenannten
Effekten, welche in der Regel sinnlich sentimental gefaerbt sind und
oft noch durch einen besonderen Hautgout, zum Beispiel durch Verwehung
von Liebesstoffen mit Mord oder Inzest, die Sinnlichkeit stacheln. Die
Schilderungen der willig sterbenden Polyxena, der vor geheimem
Liebesgram vergehenden Phaedra, vor allem die prachtvolle der mystisch
verzueckten Bakchen sind in ihrer Art von der groessten Schoenheit;
aber sie sind weder kuenstlerisch noch sittlich rein und Aristophanes’
Vorwurf, dass der Dichter keine Penelope zu schildern vermoege,
vollkommen begruendet. Verwandter Art ist das Hineinziehen des gemeinen
Mitleids in die Euripideische Tragoedie. Wenn seine verkuemmerten
Heroen, wie der Menelaos in der ‘Helena’, die Andromache, die Elektra
als arme Baeuerin, der kranke und ruinierte Kaufmann Telephos,
widerwaertig oder laecherlich und in der Regel beides zugleich sind, so
machen dagegen diejenigen Stuecke, die mehr in der Atmosphaere der
gemeinen Wirklichkeit sich halten und aus dem Trauerspiel in das
ruehrende Familienstueck und beinahe schon in die sentimentale Komoedie
uebergehen, wie die ‘Iphigenie in Aulis’, der ‘Ion’, die ‘Alkestis’
vielleicht unter all seinen zahlreichen Werken die erfreulichste
Wirkung. Ebenso oft, aber mit geringerem Glueck versucht der Dichter
das Verstandesinteresse ins Spiel zu bringen. Dahin gehoert die
verwickelte Handlung, welche darauf berechnet ist, nicht wie die
aeltere Tragoedie das Gemuet zu bewegen, sondern vielmehr die Neugierde
zu spannen; dahin der dialektisch zugespitzte, fuer uns Nichtathener
oft geradezu unertraegliche Dialog; dahin die Sentenzen, die wie die
Blumen im Ziergarten durch die Euripideischen Stuecke ausgestreut sind;
dahin vor allem die Euripideische Psychologie, die keineswegs auf
unmittelbar menschlicher Nachempfindung, sondern auf rationeller
Erwaegung beruht. Seine Medeia ist insofern allerdings nach dem Leben
geschildert, als sie vor ihrer Abfahrt gehoerig mit Reisegeld versehen
wird; von dem Seelenkampf zwischen Mutterliebe und Eifersucht wird der
unbefangene Leser nicht viel bei Euripides finden. Vor allem aber ist
in den Euripideischen Tragoedien die poetische Wirkung ersetzt durch
die tendenzioese. Ohne eigentlich unmittelbar in die Tagesfragen
einzutreten und durchaus mehr die sozialen als die politischen Fragen
ins Auge fassend, trifft doch Euripides in seinen innerlichen
Konsequenzen zusammen mit dem gleichzeitigen politischen und
philosophischen Radikalismus und ist der erste und oberste Apostel der
neuen, die alte attische Volkstuemlichkeit aufloesenden
kosmopolitischen Humanitaet. Hierauf beruht wie die Opposition, auf die
der ungoettliche und unattische Dichter bei seinen Zeitgenossen stiess,
so auch der wunderbare Enthusiasmus, mit welchem die juengere
Generation und das Ausland dem Dichter der Ruehrung und der Liebe, der
Sentenz und der Tendenz, der Philosophie und der Humanitaet sich
hingab. Das griechische Trauerspiel schritt mit Euripides ueber sich
selber hinaus und brach also zusammen; aber des weltbuergerlichen
Dichters Erfolg ward dadurch nur gefoerdert, da gleichzeitig auch die
Nation ueber sich hinausschritt und gleichfalls zusammenbrach. Die
Aristophanische Kritik mochte sittlich wie poetisch vollkommen das
Richtige treffen; aber die Dichtung wirkt nun einmal geschichtlich
nicht in dem Masse ihres absoluten Wertes, sondern in dem Masse, wie
sie den Geist der Zeit vorzufuehlen vermag, und in dieser Hinsicht ist
Euripides unuebertroffen. So ist es denn gekommen, dass Alexander ihn
fleissig las, dass Aristoteles den Begriff des tragischen Dichters im
Hinblick auf ihn entwickelte, dass die juengste dichtende wie bildende
Kunst in Attika aus ihm gleichsam hervorging, das neuattische Lustspiel
nichts tat, als den Euripides ins Komische uebertragen, und die in den
spaeteren Vasenbildern uns entgegentretende Malerschule ihre Stoffe
nicht mehr den alten Epen, sondern der Euripideischen Tragoedie
entnahm, dass endlich, je mehr das alte Hellas dem neuen Hellenismus
wich, des Dichters Ruhm und Einfluss mehr und mehr stieg und das
Griechentum im Auslande, in Aegypten wie in Rom, unmittelbar oder
mittelbar wesentlich durch Euripides bestimmt ward.

Der Euripideische Hellenismus ist durch die verschiedenartigsten
Kanaele nach Rom geflossen und mag daselbst wohl rascher und tiefer
mittelbar gewirkt haben als geradezu in der Form der Uebersetzung. Die
tragische Schaubuehne ist in Rom nicht gerade spaeter eroeffnet worden
als die komische; allein sowohl die bei weitem groesseren Kosten der
tragischen Inszenierung, worauf doch, wenigstens waehrend des
Hannibalischen Krieges, ohne Zweifel Ruecksicht genommen worden ist,
als auch die Beschaffenheit des Publikums hielten die Entwicklung der
Tragoedie zurueck. In den Plautinischen Lustspielen wird auf Tragoedien
nicht gerade oft hingedeutet, und die meisten Anfuehrungen der Art
moegen aus den Originalen heruebergenommen sein. Der erste und einzig
erfolgreiche Tragoediendichter dieser Zeit war des Naevius und Plautus
juengerer Zeitgenosse Quintus Ennius (515-585 239-169), dessen Stuecke
schon von den gleichzeitigen Lustspieldichtern parodiert und von den
Spaeteren bis in die Kaiserzeit hinein geschaut und deklamiert wurden.

Uns ist die tragische Schaubuehne der Roemer weit weniger bekannt als
die komische; im ganzen genommen wiederholen dieselben Erscheinungen,
die bei dieser wahrgenommen wurden, sich auch bei jener. Das Repertoire
ging gleichfalls wesentlich aus Uebersetzungen griechischer Stuecke
hervor. Die Stoffe werden mit Vorliebe der Belagerung von Troja und den
unmittelbar damit zusammenhaengenden Sagen entnommen, offenbar weil
dieser Mythenkreis allein dem roemischen Publikum durch den
Schulunterricht gelaeufig war; daneben ueberwiegen die
sinnlich-grausamen Motive, der Mutter- oder Kindermord in den
‘Eumeniden’, im ‘Alkmaeon’, im ‘Kresphontes’, in der ‘Melanippe’, in
der ‘Medeia’, die Jungfrauenopfer in der ‘Polyxena’, den ‘Erechthiden’,
der ‘Andromeda’, der ‘Iphigeneia’ - man kann nicht umhin, sich dabei zu
erinnern, dass das Publikum dieser Tragoedien Fechterspielen
zuzuschauen gewohnt war. Frauen- und Geisterrollen scheinen den
tiefsten Eindruck gemacht zu haben. Die bemerkenswerteste Abweichung
der roemischen Bearbeitung von dem Original betrifft ausser dem Wegfall
der Masken den Chor. Der roemischen, zunaechst wohl fuer das komische
chorlose Spiel eingerichteten Buehne mangelte der besondere Tanzplatz
(orchestra) mit dem Altar in der Mitte, auf dem der griechische Chor
sich bewegte, oder vielmehr es diente derselbe bei den Roemern als eine
Art Parkett; danach muss wenigstens der kunstvoll gegliederte und mit
der Musik und der Deklamation verschlungene Chortanz in Rom weggefallen
sein, und wenn der Chor auch blieb, so hatte er doch wenig zu bedeuten.
Im einzelnen fehlte es natuerlich an Vertauschungen der Masse, an
Verkuerzungen und Verunstaltungen nicht; in der lateinischen
Bearbeitung der Euripideischen ‘Iphigeneia’ zum Beispiel ist, sei es
nach dem Muster einer anderen Tragoedie, sei es nach eigener Erfindung
des Bearbeiters, aus dem Frauen- ein Soldatenchor gemacht. Gute
Uebersetzungen in unserem Sinn koennen die lateinischen Tragoedien des
sechsten Jahrhunderts freilich nicht genannt werden ^24, doch gab
wahrscheinlich ein Trauerspiel des Ennius von dem Euripideischen
Original ein weit minder getruebtes Bild als ein Plautinisches
Lustspiel von dem des Menander.

Die geschichtliche Stellung und Wirkung des griechischen Trauerspiels
in Rom ist derjenigen der griechischen Komoedie vollstaendig
gleichartig; und wenn, wie das der Unterschied der Dichtgattungen mit
sich bringt, in dem Trauerspiel die hellenistische Richtung geistiger
und reinlicher auftritt, so trug dagegen die tragische Buehne dieser
Zeit und ihr hauptsaechlicher Vertreter Ennius noch weit entschiedener
die antinationale und mit Bewusstsein propagandistische Tendenz zur
Schau. Ennius, schwerlich der bedeutendste, aber sicher der
einflussreichste Dichter des sechsten Jahrhunderts, war kein geborener
Latiner, sondern von Haus aus ein Halbgrieche; messapischer Abkunft und
hellenischer Bildung, siedelte er in seinem fuenfunddreissigsten Jahre
nach Rom ueber und lebte dort, anfangs als Insasse, seit 570 (184) als
Buerger in beschraenkten Verhaeltnissen, teils von dem Unterricht im
Lateinischen und Griechischen, teils von dem Ertrag seiner Stuecke,
teils von den Verehrungen derjenigen roemischen Grossen, welche, wie
Publius Scipio, Titus Flaminius, Marcus Fulvius Nobilior, geneigt
waren, den modernen Hellenismus zu foerdern und dem Poeten zu lohnen,
der ihr eigenes und ihrer Ahnen Lob sang, und auch wohl einzelne von
ihnen, gewissermassen als im voraus fuer die zu verrichtenden
Grosstaten bestellter Hofpoet, ins Feldlager begleitete. Das
Klientennaturell, das fuer einen solchen Beruf erforderlich war, hat er
selbst zierlich geschildert ^25. Von Haus aus und seiner ganzen
Lebensstellung nach Kosmopolit, verstand er es, die Nationalitaeten,
unter denen er lebte, die griechische, launische, ja sogar die oskische
sich anzueignen, ohne doch einer von ihnen sich zu eigen zu geben; und
wenn bei den frueheren roemischen Poeten der Hellenismus mehr
folgeweise aus ihrer dichterischen Wirksamkeit hervorgegangen als ihr
deutliches Ziel gewesen war, und sie darum auch mehr oder minder
wenigstens versucht hatten, sich auf einen volkstuemlichen Boden zu
stellen, so ist sich Ennius vielmehr seiner revolutionaeren Tendenz mit
merkwuerdiger Klarheit bewusst und arbeitet sichtlich darauf hin, die
neologisch-hellenische Richtung bei den Italikern energisch zur Geltung
zu bringen. Sein brauchbarstes Werkzeug war die Tragoedie. Die Truemmer
seiner Trauerspiele zeigen, dass ihm das gesamte tragische Repertoire
der Griechen und namentlich auch Aeschylos und Sophokles sehr wohl
bekannt waren; um so weniger ist es zufaellig, dass er bei weitem die
meisten und darunter alle seiner gefeierten Stuecke dem Euripides
nachgebildet hat. Bei der Auswahl und Behandlung bestimmten ihn
freilich zum Teil aeussere Ruecksichten; aber nicht dadurch allein kann
es veranlasst sein, dass er so entschieden den Euripides im Euripides
hervorhob, die Choere noch mehr vernachlaessigte als sein Original, die
sinnliche Wirkung noch schaerfer als der Grieche akzentuierte, dass er
Stuecke aufgriff wie den ‘Thyestes’ und den aus Aristophanes’
unsterblichem Spott so wohlbekannten ‘Telephos’ und deren Prinzenjammer
und Jammerprinzen, ja sogar ein Stueck wie ‘Menalippe die Philosophin’,
wo die ganze Handlung sich um die Verkehrtheit der Volksreligion dreht
und die Tendenz, dieselbe vom naturphilosophischen Standpunkte aus zu
befehden, auf der flachen Hand liegt. Gegen den Wunderglauben fliegen
ueberall, zum Teil in nachweislich eingelegten Stellen ^26, die
schaerfsten Pfeile, und von Tiraden, wie die folgende ist:

Himmelsgoetter freilich gibt es, sagt’ ich sonst und sag’ ich noch;

Doch sie kuemmern keinesweges, mein’ ich, sich um der Menschen Los,

Sonst ging’s gut den Guten, schlecht den Boesen; doch dem ist nicht so.

wundert man sich fast, dass sie die roemische Buehnenzensur passierten.
Dass Ennius in einem eigenen Lehrgedicht dieselbe Irreligiositaet
wissenschaftlich predigte, ward schon bemerkt; und offenbar ist es ihm
mit dieser Aufklaerung Herzenssache gewesen. Dazu stimmt vollkommen die
hier und da hervortretende radikal gefaerbte politische Opposition ^27,
die Verherrlichung der griechischen Tafelfreuden, vor allem die
Vernichtung des letzten nationalen Elements in der lateinischen Poesie,
des saturnischen Masses, und dessen Ersetzung durch den griechischen
Hexameter. Dass der “vielgestaltige” Poet alle diese Aufgaben mit
gleicher Sauberkeit ausfuehrte, dass er der keineswegs daktylisch
angelegten Sprache den Hexameter abrang und ohne den natuerlichen Fluss
der Rede zu hemmen sich mit Sicherheit und Freiheit in den ungewohnten
Massen und Formen bewegte, zeugt von seinem ungemeinen, in der Tat mehr
griechischen als roemischen Formtalent ^28; wo man bei ihm anstoesst,
verletzt viel haeufiger griechische Sprachdiftelei ^29 als roemische
Roheit. Er war kein grosser Dichter, aber ein anmutiges und heiteres
Talent, durchaus eine lebhaft anempfindende poetische Natur, die
freilich des poetischen Kothurnes bedurfte, um sich als Dichter zu
fuehlen, und der die komische Ader vollstaendig abging. Man begreift
den Stolz, womit der hellenisierende Poet auf die rauhen Weisen
herabsieht, “in denen die Waldgeister und die Barden ehemals sangen”,
und die Begeisterung, womit er die eigene Kunstpoesie feiert:

Heil Dichter Ennius! welcher du den Sterblichen

Das Feuerlied kredenzest aus der tiefen Brust.

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^24 Zur Vergleichung stehe hier der Anfang der Euripideischen und der
Ennianischen ‘Medeia’:

Είθ' ώφελ' Αργούς διασπάσθαι σκάφος

Κόλχων ες αίαν κυανέας Συπληγάδας


Μήδ' τέν νάπαισι Πηλίου πεσείν ποτε     Utinam ne in nemore Pelio
securibus

Τμηθείσα πεύκη, μηδ' ερετμώσαι χέρας    Caesa accidisset abiegna ad
terram

                                        trabes,

                                        Neve inde navis inchoandae
                                        exordium

                                        Coepisset, quae nunc nominatur

                                        nomine

Ανδρών αρίστων, οι τό πάγχρυσον θέρος  Argo, quia Argivi in ea dilecti

                                       viri

                                       Vecti petebant pellem inauratam

                                       arietis

Πελία μετήλθον. Ου γάρ άν δέσποιν εμή  Colchis, imperio regis Peliae,
per

                                       dolum.

Μηδεία πύργους γής έπλευσα Ιωλκίας     Nam nunquam era errans mea domo

                                       efferret pedem

Έρωτι θυμόν εκπλαγείσ' Ιάσονος.        Medea, animo aegra, amore saevo

saucia.


Nie durch die schwarzen Symplegaden

haette hin

Fliegen gesollt ins Kolcherland der

Argo Schiff,

Noch stuerzen in des Pelion             O waer’ im Pelionhaine von den

Waldesschlucht jemals                  Beilen nie

Gefaellt die Fichte, noch berudern      Gehaun zur Erde hingestuerzt

sie die Hand                           der Tannenstamm

                                       Und haette damit der Angriff

                                       angefangen nie

                                       Zum Beginn des Schiffes, das

                                       man jetzt mit Namen nennt


Der Tapfern, die das goldne Vliess Argo weil drin fuhr Argos

dem Pelias                             auserlesne Schar,

                                       Von Kolchi nach Gebot des

                                       Koenigs Pelias

Zu holen gingen! Nicht die Herrin      Mit List zu holen uebergueldetes

waere mir                               Widdervliess!

Medeia zu des Iolkerlandes Tuermen      Vors Haus dann irr den Fuss mir

dann                                   Herrin setzte nie,

Von Iasons Liebe sinnbetoert            Medea, krank im Herzen, wund
von

hinweggeschifft.                       Liebespein.

Die Abweichungen der Uebersetzung vom Original sind belehrend, nicht
bloss die Tautologien und Periphrasen, sondern auch die Beseitigung
oder Erlaeuterung der weniger bekannten mythologischen Namen: der
Symplegaden, des Kolcherlandes, der Argo. Eigentliche
Missverstaendnisse des Originals aber sind bei Ennius selten.

^25 Ohne Zweifel mit Recht galt den Alten als Selbstcharakteristik des
Dichters die Stelle im siebenten Buch der Chronik, wo der Konsul den
Vertrauten zu sich ruft,

mit welchem er gern und

Oftmals Tisch und Gespraech und seiner Geschaefte Eroertrung

Teilte, wenn heim er kam, ermuedet von wichtigen Dingen,

Drob er geratschlagt hatte die groessere Haelfte des Tags durch

Auf dem Markte sowohl wie im ehrwuerdigen Stadtrat;

Welchem das Gross’ und das Klein’ und den Scherz auch er mitteilen

Durft’ und alles zugleich, was gut und was uebel man redet,

Schuetten ihm aus, wenn er mocht’, und anvertrauen ihm sorglos;

Welcher geteilt mit ihm viel Freud’ im Hause und draussen;

Den nie schaendlicher Rat aus Leichtsinn oder aus Bosheit

Uebel zu handeln verlockt; ein Mann, unterrichtet, ergeben,

Angenehm, redegewandt und genuegsam froehlichen Herzens,

Redend zur richtigen Zeit und das Passende, klueglich und kuerzlich,

Im Verkehre bequem und bewandert verschollener Dinge,

Denn ihn lehrten die Jahre die Sitten der Zeit und der Vorzeit,

Von vielfaeltigen Sachen der Goetter und Menschen Gesetz auch,

Und ein Gespraech zu berichten verstand er sowie zu verschweigen.

In der vorletzten Zeile ist wohl zu schreiben multarum rerum leges
divumque hominumque.

^26 Vgl. 2, 393. Aus der Definition des Wahrsagers bei Euripides (Iph.
Aul. 956), dass er ein Mann sei,

Der wenig Wahres unter vielem Falschen sagt

Im besten Fall; und trifft er’s nicht, es geht ihm hin.

hat der lateinische Uebersetzer folgende Diatribe gegen die
Horoskopsteller gemacht:

Sterneguckerzeichen sucht er auf am Himmel, passt, ob wo

Jovis Zieg’ oder Krebs ihm aufgeh’ oder einer Bestie Licht.

Nicht vor seine Fuesse schaut man und durchforscht den Himmelsraum.

^27 Im ‘Telephus’ heisst es:

Palam mutire plebeis piaculum est.

Verbrechen ist gemeinem Mann ein lautes Wort.

^28 Die folgenden, in Form und Inhalt vortrefflichen Worte gehoeren der
Bearbeitung des Euripideischen ‘Phoenix’ an:

Doch dem Mann mit Mute maechtig ziemt’s zu wirken in der Welt

Und den Schuldigen zu laden tapfer vor den Richterstuhl.

Das ist Freiheit, wo im Busen rein und fest wem schlaegt das Herz;

Sonst in dunkler Nacht verborgen bleibt die frevelhafte Tat.

In dem wahrscheinlich der Sammlung der vermischten Gedichte
einverleibten ‘Scipio’ standen die malerischen Zeilen:

— munduscaeli vastus constitit silentio;

Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit,

Sol equis iter repressit ungulis volantibus,

Constitere amnes perennes, arbores vento vacant.

[Iovis winkt’;] es ging ein Schweigen durch des Himmels weiten Raum.

Rasten hiess die Meereswogen streng die grollenden Neptun,

Seiner Rosse fliegende Hufe hielt zurueck der Sonnengott,

Inne haelt der Fluss im Fluten, im Gezweig nicht weht der Wind.

Die letzte Stelle gibt auch einen Einblick in die Art, wie der Dichter
seine Originalpoesien arbeitete: sie ist nichts als eine Ausfuehrung
der Worte, die in der urspruenglich wohl Sophokleischen Tragoedie
‘Hektors Loesung’ ein dem Kampfe zwischen Hephaestos und dem Skamander
Zuschauender spricht:

Constitit Credo Scamander, arbores vento vacant.

Inne haelt, schau! der Skamander, im Gezweig nicht weht der Wind.

und das Motiv ruehrt schliesslich aus der Ilias (21, 381) her.

^29 So heisst es im ‘Phoenix’:

- - stultust, qui cupita cupiens cupienter cupit.

Toericht, wer Begehrtes begehrend ein Begieriger begehrt,

und es ist dies noch nicht das tollste Radschlagen der Art. Auch
akrostichische Spielereien kommen vor (Cic. div. 2, 54, 111).

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Der geistreiche Mann war eben sich bewusst, mit vollen Segeln zu
fahren; das griechische Trauerspiel ward und blieb fortan ein Besitztum
der launischen Nation.

Einsamere Wege und mit minder guenstigem Winde steuerte ein kuehnerer
Schiffer nach einem hoeheren Ziel. Naevius bearbeitete nicht bloss
gleich Ennius, wenngleich mit weit geringerem Erfolg, griechische
Trauerspiele fuer die roemische Buehne, sondern er versuchte auch ein
ernstes Nationalschauspiel (fabula praetextata) selbstaendig zu
schaffen. Aeusserliche Hindernisse standen hier nicht im Weg; er
brachte Stoffe sowohl aus der roemischen Sage als aus der
gleichzeitigen Landesgeschichte auf die Buehne seiner Heimat. Derart
sind seine ‘Erziehung des Romulus und Remus’ oder der ‘Wolf’, worin der
Koenig Amulius von Alba auftrat, und sein ‘Clastidium’, worin der Sieg
des Marcellus ueber die Kelten 532 (222) gefeiert ward. Nach seinem
Vorgang hat auch Ennius in der ‘Ambrakia’ die Belagerung der Stadt
durch seinen Goenner Nobilior 565 (189; 2, 273) nach eigener Anschauung
geschildert. Die Zahl dieser Nationalschauspiele blieb indes gering und
die Gattung verschwand rasch wieder vom Theater; die duerftige Sage und
die farblose Geschichte Roms vermochten mit dem hellenischen Sagenkreis
nicht auf die Dauer zu konkurrieren. Ueber den dichterischen Gehalt der
Stuecke haben wir kein Urteil mehr; aber wenn die poetische Intention
im ganzen in Anschlag kommen darf, so gibt es in der roemischen
Literatur wenige Griffe von solcher Genialitaet, wie die Schoepfung
eines roemischen Nationalschauspiels war. Nur die griechischen
Tragoedien der aeltesten, den Goettern noch sich naeher fuehlenden
Zeit, nur Dichter wie Phrynichos und Aeschylos hatten den Mut gehabt,
die von ihnen miterlebten und mitverrichteten Grosstaten neben denen
der Sagenzeit auf die Buehne zu bringen; und wenn irgendwo es uns
lebendig entgegentritt, was die Punischen Kriege waren und wie sie
wirkten; so ist es hier, wo ein Dichter, der wie Aeschylos die
Schlachten, die er sang, selber geschlagen, die Koenige und Konsuln
Roms auf diejenige Buehne fuehrte, auf der man bis dahin einzig Goetter
und Heroen zu sehen gewohnt war.

Auch die Lesepoesie beginnt in dieser Epoche in Rom; schon Livius
buergerte die Sitte, welche bei den Alten die heutige Publikation
vertrat, die Vorlesung neuer Werke durch den Verfasser, auch in Rom
wenigstens insofern ein, als er dieselben in seiner Schule vortrug. Da
die Dichtkunst hier nicht oder doch nicht geradezu nach Brot ging, ward
dieser Zweig derselben nicht so wie die Buehnendichtung von der Ungunst
der oeffentlichen Meinung betroffen; gegen das Ende dieser Epoche sind
auch schon der eine oder der andere vornehme Roemer in dieser Art als
Dichter oeffentlich aufgetreten ^30. Vorwiegend indes ward die
rezitative Poesie kultiviert von denselben Dichtern, die mit der
szenischen sich abgaben, und ueberhaupt hat jene neben der
Buehnendichtung eine untergeordnete Rolle gespielt, wie es denn auch
ein eigentliches dichterisches Lesepublikum in dieser Zeit nur noch in
sehr beschraenktem Masse in Rom gegeben haben kann. Vor allem schwach
vertreten war die lyrische, didaktische, epigrammatische Poesie. Die
religioesen Festkantaten, von denen die Jahrbuecher dieser Zeit
allerdings bereits den Verfasser namhaft zu machen der Muehe wert
halten, sowie die monumentalen Tempel- und Grabinschriften, fuer welche
das saturnische Mass das stehende blieb, gehoerten kaum der
eigentlichen Literatur an. Soweit ueberhaupt in dieser die kleinere
Poesie erscheint, tritt sie in der Regel und schon bei Naevius unter
dem Namen der Satura auf - eine Bezeichnung, die urspruenglich dem
alten, seit Livius durch das griechische Drama von der Buehne
verdraengten handlungslosen Buehnengedicht zukam, nun aber in der
rezitativen Poesie einigermassen unseren “vermischten Gedichten”
entspricht und gleich diesen nicht eigentlich eine positive
Kunstgattung und Kunstweise anzeigt, sondern nur Gedichte nicht
epischer und nicht dramatischer Art von beliebigem, meist subjektivem
Stoff und beliebiger Form. Ausser Catos spaeter noch zu erwaehnendem
‘Gedicht von den Sitten’, welches vermutlich, anknuepfend an die
aelteren Anfaenge volkstuemlich didaktischer Poesie, in saturnischen
Versen geschrieben war, gehoeren hierher besonders die kleineren
Gedichte des Ennius, welche der auf diesem Gebiet sehr fruchtbare
Dichter teils in seiner Saturensammlung, teils abgesondert
veroeffentlichte: kuerzere erzaehlende Poesien aus der vaterlaendischen
Sagen- oder gleichzeitigen Geschichte, Bearbeitungen des religioesen
Romans des Euhemeros, der auf den Namen des Epicharmos laufenden
naturphilosophischen Poesien, der Gastronomie des Archestratos von
Gela, eines Poeten der hoeheren Kochkunst; ferner einen Dialog zwischen
dem Leben und dem Tode, Aesopische Fabeln, eine Sammlung von
Sittenspruechen, parodische und epigrammatische Kleinigkeiten - geringe
Sachen, aber bezeichnend wie fuer die Mannigfaltigkeit so auch fuer die
didaktisch-neologische Tendenz des Dichters, der auf diesem Gebiete,
wohin die Zensur nicht reichte, sich offenbar am freiesten gehen liess.

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^30 Ausser Cato werden noch aus dieser Zeit zwei “Konsulare und Poeten”
genannt (Suet. vita Ter. 4): Quintus Labeo, Konsul 571 (183), und
Marcus Popillius, Konsul 581 (173). Doch bleibt es dahingestellt, ob
sie ihre Gedichte auch publizierten. Selbst von Cato duerfte letzteres
zweifelhaft sein.

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Groessere dichterische wie geschichtliche Bedeutung nehmen die Versuche
in Anspruch, die Landeschronik metrisch zu behandeln. Wieder war es
Naevius, der dichterisch formte, was sowohl von der Sagen- als von der
gleichzeitigen Geschichte einer zusammenhaengenden Erzaehlung faehig
war und namentlich den Ersten Punischen Krieg einfach und klar, so
schlecht und recht, wie die Dinge waren, ohne irgend etwas als
unpoetisch zu verschmaehen und ohne irgendwie, namentlich in der
Schilderung der geschichtlichen Zeit, auf poetische Hebung oder gar
Verzierungen auszugehen, durchaus in der gegenwaertigen Zeit
berichtend, in dem halb prosaischen saturnischen Nationalversmass
heruntererzaehlte ^31. Es gilt von dieser Arbeit wesentlich dasselbe,
was von dem Nationalschauspiel desselben Dichters gesagt ward. Die
epische Poesie der Griechen bewegt sich wie die tragische voellig und
wesentlich in der heroischen Zeit; es war ein durchaus neuer und
wenigstens der Anlage nach ein beneidenswert grossartiger Gedanke, mit
dem Glanze der Poesie die Gegenwart zu durchleuchten. Mag immerhin in
der Ausfuehrung die Naevische Chronik nicht viel mehr gewesen sein als
die in mancher Hinsicht verwandten mittelalterlichen Reimchroniken, so
hatte doch sicher mit gutem Grund der Dichter sein ganz besonderes
Wohlgefallen an diesem seinem Werke. Es war nichts Kleines in einer
Zeit, wo es eine historische Literatur ausser den offiziellen
Aufzeichnungen noch schlechterdings nicht gab, seinen Landsleuten ueber
die Taten der Zeit und der Vorzeit einen zusammenhaengenden Bericht
gedichtet und daneben die grossartigsten Momente daraus ihnen
dramatisch zur Anschauung gebracht zu haben.

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^31 Den Ton werden folgende Bruchstuecke veranschaulichen. Von der
Dido:

Freundlich und kundig fragt sie - welcher Art Aeneas

Von Troia schied.

spaeter:

Die Haende sein zum Himmel - hob empor der Koenig

Amulius, dankt den Goettern -

aus einer Rede, wo die indirekte Fassung bemerkenswert ist:

Doch liessen sie im Stiche - jene tapfren Maenner,

Das wuerde Schmach dem Volk sein - jeglichem Geschlechte.

bezueglich auf die Landung in Malta im Jahre 498 (256):

Nach Meute schifft der Roemer, - ganz und gar die Insel

Brennt ab, verheert, zerstoert er, - macht den Feind zunichte.

endlich von dem Frieden, der den Krieg um Sizilien beendigte:

Bedungen wird es auch durch - Gaben des Lutatius

Zu suehnen; er bedingt noch, - dass sie viel Gefangne

Und aus Sizilien gleichfalls - rueck die Geiseln geben.

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Eben dieselbe Aufgabe wie Naevius stellte sich auch Ennius; aber die
Gleichheit des Gegenstandes laesst den politischen und poetischen
Gegensatz des nationalen und des antinationalen Dichters nur um so
greller hervortreten. Naevius suchte fuer den neuen Stoff eine neue
Form; Ennius fuegte oder zwaengte denselben in die Formen des
hellenischen Epos. Der Hexameter ersetzt den saturnischen Vers, die
aufgeschmueckte, nach plastischer Anschaulichkeit ringende
Homeridenmanier die schlichte Geschichtserzaehlung. Wo es irgend
angeht, wird geradezu Homer uebertragen, wie zum Beispiel die
Bestattung der bei Herakleia Gefallenen nach dem Muster der Bestattung
des Patroklos geschildert wird und in der Kappe des mit den Istriern
fechtenden Kriegstribuns Marcus Livius Stolo kein anderer steckt als
der Homerische Aias - nicht einmal die Homerische Anrufung der Muse
wird dem Leser erlassen. Die epische Maschinerie ist vollstaendig im
Gange; nach der Schlacht von Cannae zum Beispiel verzeiht Juno in
vollem Goetterrat den Roemern und verheisst ihnen Jupiter nach
erlangter ehefraeulicher Einwilligung den endlichen Sieg ueber die
Karthager. Auch die neologische und hellenistische Tendenz ihres
Verfassers verleugnen die ‘Jahrbuecher’ keineswegs. Schon die bloss
dekorative Verwendung der Goetterwelt traegt diesen Stempel. In dem
merkwuerdigen Traumgesicht, womit das Gedicht sich einfuehrt, wird auf
gut pythagoreisch berichtet, dass die jetzt im Quintus Ennius wohnhafte
Seele vor diesem in Horneros und noch frueher in einem Pfau sesshaft
gewesen sei, und alsdann auf gut naturphilosophisch das Wesen der Dinge
und das Verhaeltnis des Koerpers zum Geiste auseinandergesetzt. Selbst
die Wahl des Stoffes dient den gleichen Zwecken - haben doch die
hellenischen Literaten aller Zeiten eine vorzueglich geeignete Handhabe
fuer ihre griechisch-kosmopolitischen Tendenzen eben in der
Zurechtmachung der roemischen Geschichte gefunden. Ennius betont es,
dass man die Roemer

Griechen ja immer genannt und Graier sie pflege zu heissen.

Der poetische Wert der vielgefeierten Jahrbuecher ist nach den
frueheren Bemerkungen ueber die Vorzuege und Maengel des Dichters im
allgemeinen leicht abzumessen. Dass durch den Aufschwung, den die
grosse Zeit der Punischen Kriege dem italischen Volksgefuehl gab, auch
dieser lebhaft mitempfindende Poet sich gehoben fuehlte und er nicht
bloss die Homerische Einfachheit oft gluecklich traf, sondern auch noch
oefter die roemische Feierlichkeit und Ehrenhaftigkeit aus seinen
Zeilen ergreifend widerhallt, ist ebenso natuerlich wie die
Mangelhaftigkeit der epischen Komposition, die notwendig sehr lose und
gleichgueltig gewesen sein muss, wenn es dem Dichter moeglich war,
einem sonst verschollenen Helden und Patron zuliebe ein eigenes Buch
nachtraeglich einzufuegen. Im ganzen aber waren die ‘Jahrbuecher’ ohne
Frage Ennius’ verfehltestes Werk. Der Plan, eine ‘Ilias’ zu machen,
kritisiert sich selbst. Ennius ist es gewesen, welcher mit diesem
Gedicht zum erstenmal jenen Wechselbalg von Epos und Geschichte in die
Literatur eingefuehrt hat, der von da an bis auf den heutigen Tag als
Gespenst, das weder zu leben noch zu sterben vermag, in ihr umgeht.
Einen Erfolg aber hat das Gedicht allerdings gehabt. Ennius gab sich
mit noch groesserer Unbefangenheit fuer den roemischen Homer als
Klopstock fuer den deutschen, und ward von den Zeitgenossen und mehr
noch von der Nachwelt dafuer genommen. Die Ehrfurcht vor dem Vater der
roemischen Poesie erbte fort von Geschlecht zu Geschlecht: den Ennius,
sagt noch der feine Quintilian, wollen wir verehren wie einen
altersgrauen heiligen Hain, dessen maechtige tausendjaehrige Eichen
mehr ehrwuerdig als schoen sind; und wer darueber sich wundern sollte,
der moege an verwandte Erscheinungen, an den Erfolg der Aeneide, der
Henriade, der Messiade sich erinnern. Eine maechtige poetische
Entwicklung der Nation freilich wuerde jene beinahe komische offizielle
Parallelisierung der Homerischen ‘Ilias’ und der Ennianischen
‘Jahrbuecher’ so gut abgeschuettelt haben wie wir die Sappho-Karschin
und den Pindar-Willamov; aber eine solche hat in Rom nicht
stattgefunden. Bei dem stofflichen Interesse des Gedichts besonders
fuer die aristokratischen Kreise und dem grossen Formtalent des
Dichters blieben die ‘Jahrbuecher’ das aelteste roemische
Originalgedicht, welches den spaeteren gebildeten Generationen
lesenswert und lesbar erschien; und so ist es wunderlicherweise
gekommen, dass in diesem durchaus antinationalen Epos eines
halbgriechischen Literaten die spaetere Zeit das rechte roemische
Mustergedicht verehrt hat.

Nicht viel spaeter als die roemische Poesie, aber in sehr verschiedener
Weise entstand in Rom eine prosaische Literatur. Es fielen bei dieser
sowohl die kuenstlichen Foerderungen hinweg, wodurch die Schule und die
Buehne vor der Zeit eine roemische Poesie grosszogen, als auch die
kuenstliche Hemmung, worauf namentlich die roemische Komoedie in der
strengen und beschraenkten Buehnenzensur traf. Es war ferner diese
schriftstellerische Taetigkeit nicht durch den dem “Baenkelsaenger”
anhaftenden Makel von vornherein bei der guten Gesellschaft in den Bann
getan. Darum ist denn auch die prosaische Schriftstellerei zwar bei
weitem weniger ausgedehnt und weniger rege als die gleichzeitige
poetische, aber weit naturgemaesser entwickelt; und wenn die Poesie
fast voellig in den Haenden der geringen Leute ist und kein einziger
vornehmer Roemer unter den gefeierten Dichtern dieser Zeit erscheint,
so ist umgekehrt unter den Prosaikern dieser Epoche kaum ein nicht
senatorischer Norne und sind es durchaus die Kreise der hoechsten
Aristokratie, gewesene Konsuln und Zensoren, die Fabier, die Gracchen,
die Scipionen, von denen diese Literatur ausgeht. Dass die konservative
und nationale Tendenz sich besser mit dieser Prosaschriftstellerei
vertrug als mit der Poesie, liegt in der Sache; doch hat auch hier, und
namentlich in dem wichtigsten Zweige dieser Literatur, in der
Geschichtschreibung, die hellenistische Richtung auf Stoff und Form
maechtig, ja uebermaechtig eingewirkt.

Bis in die Zeit des Hannibalischen Krieges gab es in Rom eine
Geschichtschreibung nicht; denn die Anzeichnungen des Stadtbuchs
gehoerten zu den Akten, nicht zu der Literatur, und verzichteten von
Haus aus auf jede Entwicklung des Zusammenhanges der Dinge. Es ist
bezeichnend fuer die Eigentuemlichkeit des roemischen Wesens, dass
trotz der weit ueber die Grenzen Italiens ausgedehnten Macht der
roemischen Gemeinde und trotz der stetigen Beruehrung der vornehmen
roemischen Gesellschaft mit den literarisch so fruchtbaren Griechen
dennoch nicht vor der Mitte des sechsten Jahrhunderts das Beduerfnis
sich regte, die Taten und Geschicke der roemischen Buergerschaft auf
schriftstellerischem Wege zur Kunde der Mit- und Nachwelt zu bringen.
Als nun aber dies Beduerfnis endlich empfunden ward, fehlte es fuer die
roemische Geschichte an fertigen schriftstellerischem Formen und an
einem fertigen Lesepublikum; und grosses Talent und laengere Zeit waren
erforderlich, um beide zu erschaffen. Zunaechst wurden daher diese
Schwierigkeiten gewissermassen umgangen dadurch, dass man die
Landesgeschichte entweder in der Muttersprache, aber in Versen, oder in
Prosa, aber griechisch schrieb. Von den metrischen Chroniken des
Naevius (geschrieben um 550? 204) und Ennius (geschrieben um 581 173)
ist schon die Rede gewesen; sie gehoeren zugleich zu der aeltesten
historischen Literatur der Roemer, ja die des Naevius darf als das
ueberhaupt aelteste roemische Geschichtswerk angesehen werden.
Ungefaehr gleichzeitig entstanden die griechischen Geschichtsbuecher
des Quintus Fabius Pictor ^32 (nach 553 201), eines waehrend des
Hannibalischen Krieges in Staatsgeschaeften taetigen Mannes aus
vornehmem Geschlecht, und des Sohnes des Scipio Africanus, Publius
Scipio († um 590 164). Dort also bediente man sich der bis zu einem
gewissen Grade bereits entwickelten Dichtkunst und wandte sich an das
nicht gaenzlich mangelnde poetische Publikum; hier fand man die
fertigen griechischen Formen vor und richtete die Mitteilungen, wie
schon das weit hinaus ueber die Grenzen Latiums sich erstreckende
stoffliche Interesse derselben es nahelegte, zunaechst an das gebildete
Ausland. Den ersten Weg schlugen die plebejischen, den zweiten die
vornehmeren Schriftsteller ein; eben wie in der Zeit Friedrichs des
Grossen neben der vaterlaendischen Pastoren- und
Professorenschriftstellerei eine aristokratische Literatur in
franzoesischer Sprache stand und die Gleim und Ramler deutsche
Kriegslieder, die Koenige und Feldherren franzoesische
Kriegsgeschichten verfassten. Weder die metrischen Chroniken, noch die
griechischen roemischer Verfasser waren eine eigentliche lateinische
Geschichtschreibung; diese begann erst mit Cato, dessen nicht vor dem
Schluss dieser Epoche publizierte ‘Ursprungsgeschichten’ zugleich das
aelteste lateinisch geschriebene Geschichts- und das erste bedeutende
prosaische Werk der roemischen Literatur sind ^33.

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^32 Die griechische Abfassung dieses aeltesten prosaischen roemischen
Geschichtswerkes ist durch Dionys (1, 6) und Cicero (div. 1, 27 , 43)
ausser Zweifel gestellt. Ein Problem bleiben die unter demselben Namen
von Quintilian und spaeteren Grammatikern angefuehrten lateinischen
Annalen, und es wird die Schwierigkeit noch dadurch gesteigert, dass
unter demselben Namen auch eine sehr ausfuehrliche Darstellung des
pontifizischen Rechts in lateinischer Sprache angefuehrt wird. Indes
die letztere Schrift wird von keinem, der die Entwicklung der
roemischen Literatur im Zusammenhang verfolgt hat, einem Verfasser aus
der Zeit des Hannibalischen Krieges beigelegt werden; und auch
lateinische Annalen aus dieser Zeit erscheinen problematisch, obwohl es
dahingestellt bleiben muss, ob hier eine Verwechslung mit dem juengeren
Annalisten Quintus Fabius Maximus Servilianus (Konsul 612 142)
obwaltet, oder ob von den griechischen Annalen des Fabius wie von denen
des Acilius und des Albinus eine alte lateinische Bearbeitung
existiert, oder ob es zwei Annalisten des Namens Fabius Pictor gegeben
hat.

Das dem Lucius Cincius Alimentus, einem Zeitgenossen des Fabius,
beigelegte, ebenfalls griechische Geschichtswerk scheint untergeschoben
und ein Machwerk aus augustischer Zeit.

^33 Catos gesamte literarische Taetigkeit gehoert erst in sein
Greisenalter (Cic. Cat. 11 38; Nep. Cato 3); die Abfassung auch der
frueheren Buecher der ‘Ursprungsgeschichten’ faellt nicht vor, aber
wahrscheinlich auch nicht lange nach 586 (168) (Plin. nat. 3, 14, 114).

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Alle diese Werke waren freilich nicht im Sinne der Griechen ^34, wohl
aber im Gegensatz zu der rein notizenhaften Fassung des Stadtbuchs
pragmatische Geschichten von zusammenhaengender Erzaehlung und mehr
oder minder geordneter Darstellung. Sie umfassten, soviel wir sehen
saemtlich, die Landesgeschichte von der Erbauung Roms bis auf die Zeit
des Schreibers, obwohl dem Titel nach das Werk des Naevius nur den
ersten Krieg mit Karthago, das Catos nur die Ursprungsgeschichten
betraf; danach zerfielen sie von selbst in die drei Abschnitte der
Sagenzeit, der Vor- und der Zeitgeschichte. Bei der Sagenzeit war fuer
die Entstehungsgeschichte der Stadt Rom, die ueberall mit grosser
Ausfuehrlichkeit dargestellt ward, die eigentuemliche Schwierigkeit zu
ueberwinden, dass davon, wie frueher ausgefuehrt ward, zwei voellig
unvereinbare Fassungen vorlagen: die nationale, welche wenigstens in
den Hauptumrissen wahrscheinlich schon im Stadtbuch schriftlich fixiert
war, und die griechische des Timaeos, die diesen roemischen
Chronikschreibern nicht unbekannt geblieben sein kann. Jene sollte Rom
an Alba, diese Rom an Troia anknuepfen; dort ward es also von dem
albanischen Koenigssohn Romulus, hier von dem troischen Fuersten Aeneas
erbaut. Der gegenwaertigen Epoche, wahrscheinlich entweder dem Naevius
oder dem Pictor, gehoert die Verklitterung der beiden Maerchen an. Der
albanische Koenigssohn Romulus bleibt der Gruender Roms, aber wird
zugleich Aeneas Tochtersohn; Aeneas gruendet Rom nicht, bringt aber
dafuer die roemischen Penaten nach Italien und erbaut diesen zum Sitze
Lavinium, sein Sohn Ascanius die Mutterstadt von Rom und die alte
Metropole Latiums, das Lange Alba. Das alles war recht uebel und
ungeschickt erfunden. Dass die urspruenglichen Penaten Roms nicht, wie
man bisher geglaubt, in ihrem Tempel am roemischen Markte, sondern in
dem zu Lavinium aufbewahrt seien, musste dem Roemer ein Greuel sein,
und die griechische Dichtung kam noch schlimmer weg, indem die Goetter
erst dem Enkel verliehen, was sie dem Ahn zugeschieden hatten. Indes
die Redaktion genuegte ihrem Zweck: ohne geradezu den nationalen
Ursprung Roms zu verleugnen, trug sie doch auch der hellenisierenden
Tendenz Rechnung und legalisierte einigermassen das in dieser Zeit
bereits stark im Schwunge gehende Kokettieren mit dem Aeneadentum; und
so wurde dies die stereotype und bald die offizielle
Ursprungsgeschichte der maechtigen Gemeinde.

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^34 Offenbar im Gegensatz gegen Fabius hebt Polybios (40, 6, 4) es
hervor, dass der Graecomane Albinus sich Muehe gegeben habe, seine
Geschichte pragmatisch zu schreiben.

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Von der Ursprungsfabel abgesehen, hatten im uebrigen die griechischen
Historiographen sich um die roemische Gemeinde wenig oder gar nicht
gekuemmert, so dass die weitere Darstellung der Landesgeschichte
vorwiegend aus einheimischen Quellen geflossen sein muss, ohne dass in
der uns zugekommenen duerftigen Kunde mit Bestimmtheit auseinander
traete, welcherlei Ueberlieferungen ausser dem Stadtbuch den aeltesten
Chronisten zu Gebote gestanden und was sie etwa von dem Ihrigen
hinzugetan haben. Die aus Herodot eingelegten Anekdoten ^35 sind diesen
aeltesten Annalisten wohl noch fremd gewesen und eine unmittelbare
Entlehnung griechischen Stoffes in diesem Abschnitt nicht nachweisbar.
Um so bemerkenswerter ist die ueberall, selbst bei dem Griechenfeind
Cato, mit grosser Bestimmtheit hervortretende Tendenz, nicht bloss Rom
an Hellas anzuknuepfen, sondern Italiker und Griechen als ein
urspruenglich gleiches Volk darzustellen - hierher gehoeren die aus
Griechenland eingewanderten Uritaliker oder Aboriginer sowie die nach
Italien wandernden Urgriechen oder Pelasger.

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^35 So ist die Geschichte der Belagerung von Gabii aus Herodotischen
Anekdoten von Zopyros und dem Tyrannen Thrasybulos zusammengeschrieben,
eine Version der Aussetzungsgeschichte des Romulus, ueber den Leisten
der Herodotischen Erzaehlung von Kyros’ Jugend geschlagen.

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Die landlaeufige Erzaehlung fuehrte in einem, wenn auch schwach und
lose geknuepften Faden, doch einigermassen zusammenhaengend durch die
Koenigszeit bis hinab auf die Einsetzung der Republik; hier aber
versiegte die Sage ganz, und es war nicht bloss schwierig, sondern wohl
geradezu unmoeglich, aus den Beamtenverzeichnissen und den ihnen
angehaengten duerftigen Vermerken eine irgendwie zusammenhaengende und
lesbare Erzaehlung zu gestalten. Am meisten empfanden dies die Dichter.
Naevius scheint deshalb von der Koenigszeit sogleich auf den Krieg um
Sizilien uebergegangen zu sein; Ennius, der im dritten seiner achtzehn
Buecher noch die Koenigszeit, im sechsten schon den Krieg mit Pyrrhos
beschrieb, kann die ersten zwei Jahrhunderte der Republik hoechstens in
den allgemeinsten Umrissen behandelt haben. Wie die griechisch
schreibenden Annalisten sich geholfen haben, wissen wir nicht. Einen
eigentuemlichen Weg schlug Cato ein. Auch er verspuerte keine Lust, wie
er selber sagt, “zu berichten, was auf der Tafel im Hause des
Oberpriesters steht: wie oft der Weizen teuer gewesen und wann Mond und
Sonne sich verfinstert haetten”; und so bestimmte er denn das zweite
und dritte Buch seines Geschichtswerkes fuer die Berichte ueber die
Entstehung der uebrigen italischen Gemeinden und deren Eintritt in die
roemische Eidgenossenschaft. Er machte sich also los aus den Fesseln
der Chronik, welche Jahr fuer Jahr nach Voranstellung der jedesmaligen
Beamten die Ereignisse berichtet; namentlich hierher wird die Angabe
gehoeren, dass Catos Geschichtswerk die Vorgaenge “abschnittsweise”
erzaehlte. Diese in einem roemischen Werke auffallende
Beruecksichtigung der uebrigen italischen Gemeinden griff teils in die
oppositionelle Stellung des Verfassers ein, welcher gegen das
hauptstaedtische Treiben sich durchaus auf das munizipale Italien
stuetzte, teils gewaehrte sie einen gewissen Ersatz fuer die mangelnde
Geschichte Roms von der Vertreibung des Koenigs Tarquinius bis auf den
Pyrrhischen Krieg, indem sie deren wesentliches Ergebnis, die Einigung
Italiens unter Rom, in ihrer Art gleichfalls darstellte.

Dagegen die Zeitgeschichte wurde wiederum zusammenhaengend und
eingehend behandelt: nach eigener Kunde schilderten Naevius den ersten,
Fabius den zweiten Krieg mit Karthago; Ennius widmete wenigstens
dreizehn von den achtzehn Buechern seiner Chronik der Epoche von
Pyrrhos bis auf den Istrischen Krieg; Cato erzaehlte im vierten und
fuenften Buche seines Geschichtswerkes die Kriege vom Ersten Punischen
bis auf den mit Perseus und in den beiden letzten, wahrscheinlich
anders und ausfuehrlicher angelegten die Ereignisse aus den letzten
zwanzig Lebensjahren des Verfassers. Fuer den Pyrrhischen Krieg mag
Ennius den Timaeos oder andere griechische Quellen benutzt haben; im
ganzen aber beruhten die Berichte teils auf eigener Wahrnehmung oder
Mitteilungen von Augenzeugen, teils einer auf dem andern.

Gleichzeitig mit der historischen und gewissermassen als ein Anhang
dazu begann die Rede- und Briefliteratur, welche ebenfalls Cato
eroeffnet - denn aus der frueheren Zeit besass man nichts als einige,
meistenteils wohl erst in spaeterer Zeit aus den Familienarchiven an
das Licht gezogene Leichenreden, wie zum Beispiel diejenige, die der
alte Quintus Fabius, der Gegner Hannibals, als Greis seinem im besten
Mannesalter verstorbenen Sohn gehalten hatte. Cato dagegen zeichnete
von den unzaehligen Reden, die er waehrend seiner langen und taetigen
oeffentlichen Laufbahn gehalten, die geschichtlich wichtigen in seinem
Alter auf, gewissermassen als politische Memoiren, und machte sie teils
in seinem Geschichtswerk, teils, wie es scheint, als selbstaendige
Nachtraege dazu, bekannt. Auch eine Briefsammlung hat es von ihm schon
gegeben.

Mit der nichtroemischen Geschichte befasste man sich wohl insoweit, als
eine gewisse Kenntnis derselben dem gebildeten Roemer nicht mangeln
durfte; schon von dem alten Fabius heisst es, dass ihm nicht bloss die
roemischen, sondern auch die auswaertigen Kriege gelaeufig gewesen, und
dass Cato den Thukydides und die griechischen Historiker ueberhaupt
fleissig las, ist bestimmt bezeugt. Allein wenn man von der Anekdoten-
und Spruchsammlung absieht, welche Cato als Fruechte dieser Lektuere
fuer sich zusammenstellte, ist von einer schriftstellerischen
Taetigkeit auf diesem Gebiet nichts wahrzunehmen.

Dass durch diese beginnende historische Literatur insgesamt eine
harmlose Unkritik durchgeht, versteht sich von selbst; weder
Schriftsteller noch Leser nahmen an inneren oder aeusseren
Widerspruechen leicht Anstoss. Koenig Tarquinius der Zweite, obwohl bei
dem Tode seines Vaters schon erwachsen und neununddreissig Jahre nach
demselben zur Regierung gelangend, besteigt nichtsdestoweniger noch als
Juengling den Thron. Pythagoras, der etwa ein Menschenalter vor
Vertreibung der Koenige nach Italien kam, gilt den roemischen
Historikern darum nicht minder als Freund des weisen Numa. Die im Jahre
262 (492) der Stadt nach Syrakus geschickten Staatsboten verhandeln
dort mit dem aelteren Dionysios, der sechsundachtzig Jahre nachher (348
406) den Thron bestieg. Vornehmlich tritt diese naive Akrisie hervor in
der Behandlung der roemischen Chronologie. Da nach der - wahrscheinlich
in ihren Grundzuegen schon in der vorigen Epoche festgestellten -
roemischen Zeitrechnung die Gruendung Roms 240 Jahre vor die Einweihung
des Kapitolinischen Tempels, 360 Jahre vor den gallischen Brand und das
letztere, auch in griechischen Geschichtswerken erwaehnte Ereignis nach
diesen in das Jahr des athenischen Archonten Pyrgion 388 v. Chr. (Ol.
98, 1) fiel, so stellt sich hiernach die Erbauung Roms auf Ol. 8, 1.
Dieses war, nach der damals bereits als kanonisch geltenden
Eratosthenischen Zeitrechnung, das Jahr nach Troias Fall 436;
nichtsdestoweniger blieb in der gemeinen Erzaehlung der Gruender Roms
der Tochtersohn des troischen Aeneas. Cato, der als guter Finanzmann
hier nachrechnete, machte freilich in diesem Fall auf den Widerspruch
aufmerksam; eine Aushilfe aber scheint auch er nicht vorgeschlagen zu
haben - das spaeter zu diesem Zweck eingeschobene Verzeichnis der
albanischen Koenige ruehrt sicher nicht von ihm her.

Dieselbe Unkritik, wie sie hier obwaltet, beherrschte bis zu einem
gewissen Grade auch die Darstellung der historischen Zeit. Die Berichte
trugen sicher ohne Ausnahme diejenige starke Parteifaerbung, wegen
welcher der fabische ueber die Anfaenge des zweiten Krieges mit
Karthago von Polybios mit der ihm eigenen kuehlen Bitterkeit
durchgezogen wird. Das Misstrauen indes ist hier besser am Platz als
der Vorwurf. Es ist einigermassen laecherlich, von den roemischen
Zeitgenossen Hannibals ein gerechtes Urteil ueber ihre Gegner zu
verlangen; eine bewusste Entstellung der Tatsachen aber, soweit der
naive Patriotismus nicht von selber eine solche einschliesst, ist den
Vaetern der roemischen Geschichte doch nicht nachgewiesen worden.

Auch von wissenschaftlicher Bildung und selbst von dahin einschlagender
Schriftstellerei gehoeren die Anfaenge in diese Epoche. Der bisherige
Unterricht hatte sich wesentlich auf Lesen und Schreiben und auf die
Kenntnis des Landrechts beschraenkt ^36. Allmaehlich aber ging den
Roemern in der innigen Beruehrung mit den Griechen der Begriff einer
allgemeineren Bildung auf und regte sich das Bestreben, nicht gerade
diese griechische Bildung unmittelbar nach Rom zu verpflanzen, aber
doch nach ihr die roemische einigermassen zu modifizieren.

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^36 Plautus sagt (Most. 126) von den Eltern, dass sie die Kinder “lesen
und die Rechte und Gesetze kennen lehren”; und dasselbe zeigt Plut.
Cato mai. 20.

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Vor allen Dingen fing die Kenntnis der Muttersprache an sich zur
lateinischen Grammatik auszubilden; die griechische Sprachwissenschaft
uebertrug sich auf das verwandte italische Idiom. Die grammatische
Taetigkeit begann ungefaehr gleichzeitig mit der roemischen
Schriftstellerei. Schon um 520 (234) scheint ein Schreiblehrer Spurius
Carvilius das lateinische Alphabet reguliert und dem ausserhalb
desselben stehenden Buchstaben g (I, 487) den Platz des entbehrlich
gewordenen z gegeben zu haben, welchen derselbe noch in den heutigen
okzidentalischen Alphabeten behauptet. An der Feststellung der
Rechtschreibung werden die roemischen Schulmeister fortwaehrend
gearbeitet haben; und auch die lateinischen Musen haben ihre
schulmeisterliche Hippokrene nie verleugnet und zu allen Zeiten neben
der Poesie sich der Orthographie beflissen. Namentlich Ennius hat, auch
hierin Klopstock gleich, nicht bloss das anklingende Etymologienspiel
schon ganz in alexandrinischer Art geuebt ^37, sondern auch fuer die
bis dahin uebliche einfache Bezeichnung der Doppelkonsonanten die
genauere griechische Doppelschreibung eingefuehrt. Von Naevius und
Plautus freilich ist nichts dergleichen bekannt - die volksmaessigen
Poeten werden gegen Rechtschreibung und Etymologie auch in Rom sich so
gleichgueltig verhalten haben, wie Dichter es pflegen.

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^37 So heisst ihm in den Epicharmischen Gedichten Jupiter davon quod
invat, Ceres davon quod gerit fruges.

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Rhetorik und Philosophie blieben den Roemern dieser Zeit noch fern. Die
Rede stand bei ihnen zu entschieden im Mittelpunkt des oeffentlichen
Lebens, als dass der fremde Schulmeister ihr haette beikommen koennen;
der echte Redner Cato goss ueber das alberne Isokrateische “ewig reden
lernen und niemals reden koennen” die ganze Schale seines zornigen
Spottes aus. Die griechische Philosophie, obwohl sie durch Vermittlung
der lehrhaften und vor allem der tragischen Poesie einen gewissen
Einfluss auf die Roemer gewann, wurde doch mit einer aus baeurischer
Ignoranz und ahnungsvollem Instinkt gemischten Apprehension betrachtet.
Cato nannte den Sokrates unverbluemt einen Schwaetzer und einen als
Frevler an dem Glauben und den Gesetzen seiner Heimat mit Recht
hingerichteten Revolutionaer; und wie selbst die der Philosophie
geneigten Roemer von ihr dachten, moegen wohl die Worte des Ennius
aussprechen:

Philosophieren will ich, doch kurz und nicht die ganze Philosophie;

Gut ist’s von ihr nippen, aber sich in sie versenken schlimm.

Dennoch duerfen die poetische Sittenlehre und die Anweisung zur
Redekunst, die sich unter den Catonischen Schriften befanden, angesehen
werden als die roemische Quintessenz oder, wenn man lieber will, das
roemische Caput mortuum der griechischen Philosophie und Rhetorik. Die
naechsten Quellen Catos waren fuer das Sittengedicht neben der
selbstverstaendlichen Anpreisung der einfachen Vaetersitte vermutlich
die Pythagoreischen Moralschriften, fuer das Rednerbuch die
Thukydideischen und besonders die Demosthenischen Reden, welche alle
Cato eifrig studierte. Von dem Geiste dieser Handbuecher kann man
ungefaehr sich eine Vorstellung machen nach der goldenen, von den
Nachfahren oefter angefuehrten als befolgten Regel fuer den Redner, “an
die Sache zu denken und daraus die Worte sich ergeben zu lassen” ^38.

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^38 Rem tene, verba sequentur.

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Aehnliche allgemein propaedeutische Handbuecher verfasste Cato auch
fuer die Heilkunst, die Kriegswissenschaft, die Landwirtschaft und die
Rechtswissenschaft, welche Disziplinen alle ebenfalls mehr oder minder
unter griechischem Einfluss standen. Wenn nicht die Physik und
Mathematik, so fanden doch die damit zusammenhaengenden
Nuetzlichkeitswissenschaften bis zu einem gewissen Grade Eingang in
Rom. Am meisten gilt dies von der Medizin. Nachdem im Jahre 535 (219)
der erste griechische Arzt, der Peloponnesier Archagathos in Rom sich
niedergelassen und dort durch seine chirurgischen Operationen solches
Ansehen erworben hatte, dass ihm von Staats wegen ein Lokal angewiesen
und das roemische Buergerrecht geschenkt ward, stroemten seine Kollegen
scharenweise nach Italien. Cato freilich machte nicht bloss die fremden
Heilkuenstler mit einem Eifer herunter, der einer besseren Sache
wuerdig war, sondern versuchte auch, durch sein aus eigener Erfahrung
und daneben wohl auch aus der medizinischen Literatur der Griechen
zusammengestelltes medizinisches Hilfsbuechlein die gute alte Sitte
wieder emporzubringen, wo der Hausvater zugleich der Hausarzt war. Die
Aerzte und das Publikum kuemmerten wie billig sich wenig um dieses
eigensinnige Gekeife; doch blieb das Gewerbe, eines der
eintraeglichsten, die es in Rom gab, Monopol der Auslaender, und
Jahrhunderte lang hat es in Rom nur griechische Aerzte gegeben.

Von der barbarischen Gleichgueltigkeit, womit man bisher in Rom die
Zeitmessung behandelt hatte, kam man wenigstens einigermassen zurueck.
Mit der Aufstellung der ersten Sonnenuhr auf dem roemischen Markt im
Jahre 491 (263) fing die griechische Stunde (ώρα, hora) auch bei den
Roemern an gebraucht zu werden; freilich begegnete es dabei, dass man
in Rom eine fuer das um vier Grade suedlicher liegende Katane
gearbeitete Sonnenuhr aufstellte und ein Jahrhundert lang sich danach
richtete. Gegen Ende dieser Epoche erscheinen einzelne vornehme
Maenner, die sich fuer mathematische Dinge interessierten. Manius
Acilius Glabrio (Konsul 563 191) versuchte der Kalenderverwirrung durch
ein Gesetz zu steuern, das dem Pontifikalkollegium gestattete, nach
Ermessen Schaltmonate einzulegen und wegzulassen; wenn dies seinen
Zweck verfehlte, ja uebel aerger machte, so lag die Ursache davon wohl
weniger in dem Unverstand als in der Gewissenlosigkeit der roemischen
Theologen. Auch der griechisch gebildete Marcus Fulvius Nobilior
(Konsul 565 189) gab sich Muehe wenigstens um allgemeine Kundmachung
des roemischen Kalenders. Gaius Sulpicius Gallus (Konsul 588 166), der
nicht bloss die Mondfinsternis von 586 (168) vorhergesagt, sondern auch
ausgerechnet hatte, wie weit es von der Erde bis zum Monde sei und der
selbst als astronomischer Schriftsteller aufgetreten zu sein scheint,
wurde deshalb von seinen Zeitgenossen als ein Wunder des Fleisses und
des Scharfsinnes angestaunt.

Dass fuer die Landwirtschaft und die Kriegskunst zunaechst die ererbte
und die eigene Erfahrung massgebend war, versteht sich von selbst und
spricht auch in derjenigen der zwei Catonischen Anleitungen zur
Landwirtschaft, die auf unsere Zeit gekommen ist, sehr bestimmt sich
aus. Dennoch fielen auch auf diesen untergeordneten eben wie in den
hoeheren geistigen Gebieten die Resultate der griechischen und der
lateinischen, ja selbst der phoenikischen Kultur zusammen und kann
schon darum die einschlagende auslaendische Literatur nicht ganz
unberuecksichtigt geblieben sein.

Dagegen gilt dasselbe nur in untergeordnetem Grade von der
Rechtswissenschaft. Die Taetigkeit der Rechtsgelehrten dieser Zeit ging
noch wesentlich auf in der Bescheidung der anfragenden Parteien und in
der Belehrung der juengeren Zuhoerer; doch bildete in dieser
muendlichen Unterweisung schon sich ein traditioneller Regelstamm und
auch schriftstellerische Taetigkeit mangelt nicht ganz. Wichtiger als
Catos kuerzer Abriss wurde fuer die Rechtswissenschaft das von Sextus
Aelius Paetus, genannt der “Schlaue” (catus), welcher der erste
praktische Jurist seiner Zeit war und infolge dieser seiner
gemeinnuetzigen Taetigkeit zum Konsulat (556 198) und zur Zensur (560
194) emporstieg, veroeffentlichte sogenannte “dreiteilige Buch”, das
heisst eine Arbeit ueber die Zwoelf Tafeln, welche zu jedem Satze
derselben eine Erlaeuterung, hauptsaechlich wohl der veralteten und
unverstaendlichen Ausdruecke, und das entsprechende Klagformular
hinzufuegte. Wenn dabei in jener Glossierung der Einfluss der
griechischen grammatischen Studien unleugbar hervortritt, so knuepfte
die Klagformulierung vielmehr an die aeltere Sammlung des Appius und
die ganze volkstuemliche und prozessualische Rechtsentwicklung an.

Im allgemeinen tritt der Wissenschaftsbestand dieser Epoche mit grosser
Bestimmtheit hervor in der Gesamtheit jener von Cato fuer seinen Sohn
aufgesetzten Handbuecher, die als eine Art Enzyklopaedie in kurzen
Saetzen darlegen sollten, was ein “tuechtiger Mann” (vir bonus) als
Redner, Arzt, Landwirt, Kriegsmann und Rechtskundiger sein muesse. Ein
Unterschied zwischen propaedeutischen und Fachwissenschaften wurde noch
nicht gemacht, sondern was von der Wissenschaft ueberhaupt notwendig
und nuetzlich erschien, von jedem rechten Roemer gefordert.
Ausgeschlossen ist dabei teils die lateinische Grammatik, die also
damals noch nicht diejenige formale Entwicklung gehabt haben kann,
welche der eigentliche wissenschaftliche Sprachunterricht voraussetzt,
teils die Musik und der ganze Kreis der mathematischen und physischen
Wissenschaften. Durchaus sollte in der Wissenschaft das unmittelbar
Praktische, aber auch nichts als dies und dieses moeglichst kurz und
schlicht zusammengefasst werden. Die griechische Literatur wurde dabei
wohl benutzt, aber nur um aus der Masse von Spreu und Wust einzelne
brauchbare Erfahrungssaetze zu gewinnen - “die griechischen Buecher
muss man einsehen, aber nicht durchstudieren”, lautet einer von Catos
Weidspruechen. So entstanden jene haeuslichen Not- und Hilfsbuecher,
die freilich mit der griechischen Spitzfindigkeit und Unklarheit auch
den griechischen Scharf- und Tiefsinn austrieben, aber eben dadurch
fuer die Stellung der Roemer zu den griechischen Wissenschaften fuer
alle Zeiten massgebend geworden sind.

So zog denn mit der Weltherrschaft zugleich Poesie und Literatur in Rom
ein, oder, mit einem Dichter der ciceronischen Zeit zu reden:

Als wir Hannibal bezwungen, nahte mit beschwingtem Schritt

Der Quiriten hartem Volke sich die Mus’ im Kriegsgewand.

Auch in den sabellisch und etruskisch redenden Landschaften wird es
gleichzeitig an geistiger Bewegung nicht gemangelt haben. Wenn
Trauerspiele in etruskischer Sprache erwaehnt werden, wenn Tongefaesse
mit oskischen Inschriften Bekanntschaft ihrer Verfertiger mit der
griechischen Komoedie verraten, so draengt die Frage sich auf, ob nicht
gleichzeitig mit Naevius und Cato auch am Arnus und Volturnus eine
gleich der roemischen hellenisierende Literatur in der Bildung
begriffen gewesen ist. Indes jede Kunde darueber ist verschollen, und
die Geschichte kann hier nur die Luecke bezeichnen.

Die roemische Literatur, ueber die allein uns ein Urteil noch
verstattet ist, wie problematisch ihr absoluter Wert dem Aesthetiker
erscheinen mag, bleibt dennoch fuer denjenigen, der die Geschichte Roms
erkennen will, von einzigem Wert als das Spiegelbild des inneren
Geisteslebens Italiens in dem waffenklirrenden und zukunftsvollen
sechsten Jahrhundert, in welchem die italische Entwicklung abschloss
und das Land anfing einzutreten in die allgemeinere der antiken
Zivilisation. Auch in ihr herrscht diejenige Zwiespaeltigkeit, die
ueberall in dieser Epoche das Gesamtleben der Nation durchdringt und
die Uebergangszeit charakterisiert. Ueber die Mangelhaftigkeit der
hellenistisch-roemischen Literatur kann kein unbefangenes und durch den
ehrwuerdigen Rost zweier Jahrtausende unbeirrtes Auge sich taeuschen.
Die roemische Literatur steht neben der griechischen wie die deutsche
Orangerie neben dem sizilischen Orangenwald; man kann an beiden sich
erfreuen, aber nebeneinander sie auch nur zu denken, geht nicht an.
Womoeglich noch entschiedener als von der roemischen Schriftstellerei
in der fremden Sprache gilt dies von derjenigen in der Muttersprache
der Latiner; zu einem sehr grossen Teil ist dieselbe gar nicht das Werk
von Roemern, sondern von Fremdlingen, von Halbgriechen, Kelten, bald
auch Afrikanern, die das Latein sich erst aeusserlich angeeignet hatten
- unter denen, die in dieser Zeit als Dichter vor das Publikum traten,
ist nicht bloss, wie gesagt, nicht ein nachweislich vornehmer Mann,
sondern auch keiner, dessen Heimat erweislich das eigentliche Latium
waere. Selbst die Benennung des Dichters ist auslaendisch; schon Ennius
nennt sich mit Nachdruck einen Poeten ^39. Aber diese Poesie ist nicht
bloss auslaendisch, sondern sie ist auch mit allen denjenigen Maengeln
behaftet, welche da sich einfinden, wo die Schulmeister schriftstellern
und der grosse Haufe das Publikum ausmacht. Es ist gezeigt worden, wie
die Komoedie durch die Ruecksicht auf die Menge kuenstlerisch
vergroebert wurde, ja in poebelhafte Roheit verfiel; es ist ferner
gezeigt worden, dass zwei der einflussreichsten roemischen
Schriftsteller zunaechst Schulmeister und erst folgeweise Poeten waren,
und dass, waehrend die griechische erst nach dem Abbluehen der
volkstuemlichen Literatur erwachsene Philologie nur am toten Koerper
experimentierte, in Latium Begruendung der Grammatik und Grundlegung
der Literatur, fast wie bei den heutigen Heidenmissionen, von Haus aus
Hand in Hand gegangen sind. In der Tat, wenn man diese hellenistische
Literatur des sechsten Jahrhunderts unbefangen ins Auge fasst, jene
handwerksmaessige, jeder eigenen Produktivitaet bare Poesie, jene
durchgaengige Nachahmung eben der flachsten Kunstgattungen des
Auslandes, jenes Uebersetzungsrepertoire, jenen Wechselbalg von Epos,
so fuehlt man sich versucht sie rein zu den Krankheitssymptomen dieser
Epoche zu rechnen.

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^39 Vgl. 2, 445:

Enni poeta salve, qui mortalibus

Versus propinas flammeos medullitus.

Die Bildung des Namens poeta aus dem vulgar-griechischen ποητής statt
ποιητής - wie επόησεν den attischen Toepfern gelaeufig war - ist
charakteristisch. Uebrigens bezeichnet poeta technisch nur den
Verfasser epischer und rezitativer Gedichte, nicht den Buehnendichter,
welcher in dieser Zeit vielmehr scriba heisst (Fest. v. scriba, p. 333
M.).

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Dennoch wuerde ein solches Urteil, wenn nicht ungerecht, doch nur sehr
einseitig gerecht sein. Vor allen Dingen ist wohl zu bedenken, dass
diese gemachte Literatur in einer Nation emporkam, die nicht bloss
keine volkstuemliche Dichtkunst besass, sondern auch nie mehr zu einer
solchen gelangen konnte. In dem Altertum, welchem die moderne Poesie
des Individuums fremd ist, faellt die schoepferisch poetische
Taetigkeit wesentlich in die unbegreifliche Zeit des Werdebangens und
der Werdelust der Nation; unbeschadet der Groesse der griechischen
Epiker und Tragiker darf man es aussprechen, dass ihr Dichten
wesentlich bestand in der Redaktion der uralten Erzaehlungen von
menschlichen Goettern und goettlichen Menschen. Diese Grundlage der
antiken Poesie mangelte in Latium gaenzlich; wo die Goetterwelt
gestaltlos und die Sage nichtig blieb, konnten auch die goldenen Aepfel
der Poesie freiwillig nicht gedeihen. Hierzu kommt ein Zweites und
Wichtigeres. Die innerliche geistige Entwicklung wie die aeusserliche
staatliche Entfaltung Italiens waren gleichmaessig auf einem Punkte
angelangt, wo es nicht laenger moeglich war, die auf dem Ausschluss
aller hoeheren und individuellen Geistesbildung beruhende roemische
Nationalitaet festzuhalten und den Hellenismus von sich abzuwehren.
Zunaechst auf dieser allerdings revolutionaeren und
denationalisierenden, aber fuer die notwendige geistige Ausgleichung
der Nationen unerlaesslichen Propaganda des Hellenismus in Italien
beruht die geschichtliche und selbst die dichterische Berechtigung der
roemisch-hellenistischen Literatur. Es ist aus ihrer Werkstatt nicht
ein einziges neues und echtes Kunstwerk hervorgegangen, aber sie hat
den geistigen Horizont von Hellas ueber Italien erstreckt. Schon rein
aeusserlich betrachtet setzt die griechische Poesie bei dem Hoerer eine
gewisse Summe positiver Kenntnisse voraus. Die voellige
Abgeschlossenheit in sich, die zu den wesentlichsten
Eigentuemlichkeiten zum Beispiel des Shakespeareschen Dramas gehoert,
ist der antiken Dichtung fremd; wem der griechische Sagenkreis nicht
bekannt ist, der wird fuer jede Rhapsodie wie fuer jede Tragoedie den
Hintergrund und oft selbst das gemeine Verstaendnis vermissen. Wenn dem
roemischen Publikum dieser Zeit, wie das die Plautinischen Lustspiele
zeigen, die Homerischen Gedichte und die Heraklessagen einigermassen
gelaeufig und von den uebrigen Mythen wenigstens die allgemeingueltigen
bekannt waren ^40, so wird diese Kunde neben der Schule zunaechst durch
die Buehne ins Publikum gedrungen und damit zum Verstaendnis der
hellenischen Dichtung wenigstens ein Anfang gemacht sein. Aber weit
tiefer noch wirkte, worauf schon die geistreichsten Literatoren des
Altertums mit Recht den Ton gelegt haben, die Einbuergerung
griechischer Dichtersprache und griechischer Masse in Latium. Wenn “das
besiegte Griechenland den rauhen Sieger durch die Kunst ueberwand”, so
geschah dies zunaechst dadurch, dass dem ungefuegen lateinischen Idiom
eine gebildete und gehobene Dichtersprache abgewonnen ward, dass
anstatt der eintoenigen und gehackten Saturnier der Senar floss und der
Hexameter rauschte, dass die gewaltigen Tetrameter, die jubelnden
Anapaeste, die kunstvoll verschlungenen lyrischen Rhythmen das
lateinische Ohr in der Muttersprache trafen. Die Dichtersprache ist der
Schluessel zu der idealen Welt der Poesie, das Dichtmass der Schluessel
zu der poetischen Empfindung; wem das beredte Beiwort stumm und das
lebendige Gleichnis tot ist, wem die Takte der Daktylen und Jamben
nicht innerlich erklingen, fuer den haben Homer und Sophokles umsonst
gedichtet. Man sage nicht, dass das poetische und rhythmische Gefuehl
sich von selber verstehen. Die idealen Empfindungen sind freilich von
der Natur in die Menschenbrust gepflanzt, aber um zu keimen brauchen
sie guenstigen Sonnenscheins; und vor allem in der poetisch wenig
angeregten latinischen Nation bedurften sie auch aeusserlicher Pflege.
Man sage auch nicht, dass bei der weitverbreiteten Kenntnis der
griechischen Sprache deren Literatur fuer das empfaengliche roemische
Publikum ausgereicht haette. Der geheimnisvolle Zauber, den die Sprache
ueber den Menschen ausuebt und von dem Dichtersprache und Rhythmus nur
Steigerungen sind, haengt nicht jeder zufaellig angelernten, sondern
einzig der Muttersprache an. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man die
hellenistische Literatur und namentlich die Poesie der Roemer dieser
Zeit gerechter beurteilen. Wenn ihr Bestreben darauf hinausging, den
Euripideischen Radikalismus nach Rom zu verpflanzen, die Goetter
entweder in verstorbene Menschen oder in gedachte Begriffe aufzuloesen,
ueberhaupt dem denationalisierten Hellas ein denationalisiertes Latium
an die Seite zu setzen und alle rein und scharf entwickelten
Volkstuemlichkeiten in den problematischen Begriff der allgemeinen
Zivilisation aufzuloesen, so steht diese Tendenz erfreulich oder
widerwaertig zu finden in eines jeden Belieben, in niemandes aber, ihre
historische Notwendigkeit zu bezweifeln. Von diesem Gesichtspunkte aus
laesst selbst die Mangelhaftigkeit der roemischen Poesie zwar
nimmermehr sich verleugnen, aber sich erklaeren und damit
gewissermassen sich rechtfertigen. Wohl geht durch sie hindurch ein
Missverhaeltnis zwischen dem geringfuegigen und oft verhunzten Inhalt
und der verhaeltnismaessig vollendeten Form, aber die eigentliche
Bedeutung dieser Poesie war auch eben formeller und vor allen Dingen
sprachlicher und metrischer Art. Es war nicht schoen, dass die Poesie
in Rom vorwiegend in den Haenden von Schulmeistern und Auslaendern und
vorwiegend Uebersetzung oder Nachdichtung war; aber wenn die Poesie
zunaechst nur eine Bruecke von Latium nach Hellas schlagen sollte, so
waren Livius und Ennius allerdings berufen zum poetischen Pontifikat in
Rom und die Uebersetzungsliteratur das einfachste Mittel zum Ziele. Es
war noch weniger schoen, dass die roemische Poesie sich mit Vorliebe
auf die verschliffensten und geringhaltigsten Originale warf; aber in
diesem Sinne war es zweckgemaess. Niemand wird die Euripideische Poesie
der Homerischen an die Seite stellen wollen; aber geschichtlich
betrachtet sind Euripides und Menander voellig ebenso die Bibel des
kosmopolitischen Hellenismus wie die ‘Ilias’ und die ‘Odyssee’
diejenige des volkstuemlichen Hellenentums, und insofern hatten die
Vertreter dieser Richtung guten Grund, ihr Publikum vor allem in diesen
Literaturkreis einzufuehren. Zum Teil mag auch das instinktmaessige
Gefuehl der beschraenkten poetischen Kraft die roemischen Bearbeiter
bewogen haben, sich vorzugsweise an Euripides und Menander zu halten
und den Sophokles und gar den Aristophanes beiseite liegen zu lassen;
denn waehrend die Poesie wesentlich national und schwer zu verpflanzen
ist, so sind Verstand und Witz, auf denen die Euripideische wie die
Menandrische Dichtung beruhte, von Haus aus kosmopolitisch. Immer
verdient es noch ruehmliche Anerkennung, dass die roemischen Poeten des
sechsten Jahrhunderts nicht an die hellenische Tagesliteratur oder den
sogenannten Alexandrinismus sich anschlossen, sondern lediglich in der
aelteren klassischen Literatur, wenn auch nicht gerade in deren
reichsten und reinsten Bereichen, ihre Muster sich suchten. Ueberhaupt,
wie unzaehlige falsche Akkommodationen und kunstwidrige Missgriffe man
auch denselben nachweisen mag, es sind eben nur diejenigen
Versuendigungen an dem Evangelium, welche das nichts weniger als
reinliche Missionsgeschaeft mit zwingender Notwendigkeit begleiten; und
sie werden geschichtlich und selbst aesthetisch einigermassen
aufgewogen durch den von dem Propagandatum ebenso unzertrennlichen
Glaubenseifer. Ueber das Evangelium mag man anders urteilen als Ennius
getan; aber wenn es bei dem Glauben nicht so sehr darauf ankommt, was,
als wie geglaubt wird, so kann auch den roemischen Dichtern des
sechsten Jahrhunderts Anerkennung und Bewunderung nicht versagt werden.
Ein frisches und maechtiges Gefuehl fuer die Gewalt der hellenischen
Weltliteratur, eine heilige Sehnsucht, den Wunderbaum in das fremde
Land zu verpflanzen, durchdrangen die gesamte Poesie des sechsten
Jahrhunderts und flossen in eigentuemlicher Weise zusammen mit dem
durchaus gehobenen Geiste dieser grossen Zeit. Der spaetere gelaeuterte
Hellenismus sah auf die poetischen Leistungen derselben mit einer
gewissen Verachtung herab; eher vielleicht haette er zu den Dichtern
hinaufsehen moegen, die bei aller Unvollkommenheit doch in einem
innerlicheren Verhaeltnis zu der griechischen Poesie standen und der
echten Dichtkunst naeher kamen als ihre hoeher gebildeten Nachfahren.
In der verwegenen Nacheiferung, in den klingenden Rhythmen, selbst in
dem maechtigen Dichterstolz der Poeten dieser Zeit ist mehr als in
irgendeiner anderen Epoche der roemischen Literatur eine imponierende
Grandiositaet, und auch wer ueber die Schwaechen dieser Poesie sich
nicht taeuscht, darf das stolze Wort auf sie anwenden, mit dem sie
selber sich gefeiert hat, dass sie den Sterblichen

das Feuerlied kredenzt hat aus der tiefen Brust.

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^40 Aus dem troischen und dem Herakles-Kreise kommen selbst
untergeordnete Figuren vor, zum Beispiel Talthybios (Stich. 305),
Autolykos (Bacch. 275), Parthaon (Men. 745). In den allgemeinsten
Umrissen muessen ferner zum Beispiel die thebanische und die
Argonautensage, die Geschichten von Bellerophon (Bacch. 810), Pentheus
(Merc. 467), Prokne und Philomele (Rud. 604), Sappho und Phaon (Mil.
1247) bekannt gewesen sein.

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Wie die hellenisch-roemische Literatur dieser Zeit wesentlich
tendenzioes ist, so beherrscht die Tendenz auch ihr Widerspiel, die
gleichzeitige nationale Schriftstellerei. Wenn jene nichts mehr und
nichts weniger wollte, als die latinische Nationalitaet durch
Schoepfung einer lateinisch redenden, aber in Form und Geist
hellenischen Poesie vernichten, so musste eben der beste und reinste
Teil der latinischen Nation mit dem Hellenismus selbst die
entsprechende Literatur gleichfalls von sich werfen und in Acht und
Bann tun. Man stand zu Catos Zeit in Rom der griechischen Literatur
gegenueber ungefaehr wie in der Zeit der Caesaren dem Christentum:
Freigelassene und Fremde bildeten den Kern der poetischen wie spaeter
den Kern der christlichen Gemeinde; der Adel der Nation und vor allem
die Regierung sahen in der Poesie wie im Christentum lediglich
feindliche Maechte; ungefaehr aus denselben Ursachen sind Plautus und
Ennius von der roemischen Aristokratie zum Gesindel gestellt und die
Apostel und Bischoefe von der roemischen Regierung hingerichtet worden.
Natuerlich war es auch hier vor allem Cato, der die Heimat gegen die
Fremde mit Lebhaftigkeit vertrat. Die griechischen Literaten und Aerzte
sind ihm der gefaehrlichste Abschaum des grundverdorbenen Griechenvolks
^41, und mit unaussprechlicher Verachtung werden die roemischen
Baenkelsaenger von ihm behandelt. Man hat ihn und seine
Gesinnungsgenossen deswegen oft und hart getadelt und allerdings sind
die Aeusserungen seines Unwillens nicht selten bezeichnet von der ihm
eigenen schroffen Borniertheit; bei genauerer Erwaegung indes wird man
nicht bloss im einzelnen ihm wesentlich Recht geben, sondern auch
anerkennen muessen, dass die nationale Opposition auf diesem Boden mehr
als irgendwo sonst ueber die Unzulaenglichkeit der bloss ablehnenden
Verteidigung hinausgegangen ist. Wenn sein juengerer Zeitgenosse Aulus
Postumius Albinus, der durch sein widerliches Hellenisieren den
Hellenen selbst zum Gespoett ward und der zum Beispiel schon
griechische Verse zimmerte - wenn dieser Albinus sich in der Vorrede zu
seinem Geschichtswerk wegen des mangelhaften Griechisch damit
verteidigte, dass er ein geborener Roemer sei, war da die Frage nicht
voellig an ihrem Orte, ob er rechtskraeftig verurteilt worden sei,
Dinge zu treiben, .die er nicht verstehe? oder waren etwa die Gewerbe
des fabrikmaessigen Komoedienuebersetzers und des um Brot und
Protektion singenden Heldendichters vor zweitausend Jahren ehrenhafter,
als sie es jetzt sind? oder hatte Cato nicht Ursache, es dem Nobilior
vorzuruecken, dass er den Ennius, welcher uebrigens in seinen Versen
die roemischen Potentaten ohne Ansehen der Person glorifizierte und
auch den Cato selbst mit Lob ueberhaeufte, als den Saenger seiner
kuenftigen Grosstaten mit sich nach Ambrakia nahm? oder nicht Ursache
die Griechen, die er in Rom und Athen kennenlernte, ein unverbesserlich
elendes Gesindel zu schelten? Diese Opposition gegen die Bildung der
Zeit und den Tageshellenismus war wohl berechtigt; einer Opposition
aber gegen die Bildung und das Hellenentum ueberhaupt hat Cato
keineswegs sich schuldig gemacht. Vielmehr ist es das hoechste Lob der
Nationalpartei, dass auch sie mit grosser Klarheit die Notwendigkeit
begriff, eine lateinische Literatur zu erschaffen und dabei die
Anregungen des Hellenismus ins Spiel zu bringen; nur sollte ihrer
Absicht nach die lateinische Schriftstellerei nicht nach der
griechischen abgeklatscht und der roemischen Volkstuemlichkeit
aufgezwaengt, sondern unter griechischer Befruchtung der italischen
Nationalitaet gemaess entwickelt werden. Mit einem genialen Instinkt,
der weniger von der Einsicht der einzelnen als von dem Schwung der
Epoche ueberhaupt zeugt, erkannte man, dass fuer Rom bei dem
gaenzlichen Mangel der poetischen Vorschoepfung der einzige Stoff zur
Entwicklung eines eigenen geistigen Lebens in der Geschichte lag. Rom
war, was Griechenland nicht war, ein Staat; und auf dieser gewaltigen
Empfindung beruht sowohl der kuehne Versuch, den Naevius machte,
mittels der Geschichte zu einem roemischen Epos und einem roemischen
Schauspiel zu gelangen, als auch die Schoepfung der lateinischen Prosa
durch Cato. Das Beginnen freilich, die Goetter und Heroen der Sage
durch Roms Koenige und Konsuln zu ersetzen, gleicht dem Unterfangen der
Giganten, mit aufeinander getuermten Bergen den Himmel zu stuermen;
ohne eine Goetterwelt gibt es kein antikes Epos und kein antikes Drama,
und die Poesie kennt keine Surrogate. Maessiger und verstaendiger
ueberliess Cato die eigentliche Poesie als unrettbar verloren der
Gegenpartei, obwohl sein Versuch, nach dem Muster der aelteren
roemischen, des appischen Sitten- und des Ackerbaugedichts eine
didaktische Poesie in nationalem Versmass zu erschaffen, wenn nicht dem
Erfolge, doch der Absicht nach bedeutsam und achtungswert bleibt. Einen
guenstigeren Boden gewaehrte ihm die Prosa, und er hat denn auch die
ganze ihm eigene Vielseitigkeit und Energie daran gesetzt, eine
prosaische Literatur in der Muttersprache zu erschaffen. Es ist dies
Bestreben nur um so roemischer und nur um so achtbarer, als er sein
Publikum zunaechst im Familienkreise erblickte und als er damit in
seiner Zeit ziemlich alleinstand. So entstanden seine
‘Ursprungsgeschichten’, seine aufgezeichneten Staatsreden, seine
fachwissenschaftlichen Werke. Allerdings sind sie vom nationalen Geiste
getragen und bewegen sich in nationalen Stoffen; allein sie sind nichts
weniger als antihellenisch, sondern vielmehr wesentlich, nur freilich
in anderer Art als die Schriften der Gegenpartei, unter griechischem
Einfluss entstanden. Die Idee und selbst der Titel seines Hauptwerkes
ist den griechischen “Gruendungsgeschichten” (κτίσεις) entlehnt.
Dasselbe gilt von seiner Redeschriftstellerei - er hat den Isokrates
verspottet, aber vom Thukydides und Demosthenes zu lernen versucht.
Seine ‘Enzyklopaedie’ ist wesentlich das Resultat seines Studiums der
griechischen Literatur. Von allem, was der ruehrige und patriotische
Mann angegriffen hat, ist nichts folgenreicher und nichts seinem
Vaterlande nuetzlicher gewesen als diese von ihm selbst wohl
verhaeltnismaessig gering angeschlagene literarische Taetigkeit. Er
fand zahlreiche und wuerdige Nachfolger in der Rede- und der
wissenschaftlichen Schriftstellerei; und wenn auf seine originellen, in
ihrer Art wohl der griechischen Logographie vergleichbaren
‘Ursprungsgeschichten’ auch kein Herodot und Thukydides gefolgt ist, so
ward es doch von ihm und durch ihn festgestellt, dass die literarische
Beschaeftigung mit den Nuetzlichkeitswissenschaften wie mit der
Geschichte fuer den Roemer nicht bloss ehrenhaft, sondern ehrenvoll
sei.

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^41 “Von diesen Griechen”, heisst es bei ihm, “werde ich an seinem Orte
sagen, mein Sohn Marcus, was ich zu Athen ueber sie in Erfahrung
gebracht habe; und will es beweisen, dass es nuetzlich ist, ihre
Schriften einzusehen, nicht sie durchzustudieren. Es ist eine
grundverdorbene und unregierliche Rasse - glaube mir, das ist wahr wie
ein Orakel; und wenn das Volk seine Bildung herbringt, so wird es alles
verderben und ganz besonders, wenn es seine Aerzte hierher schickt. Sie
haben sich verschworen, alle Barbaren umzubringen mit Arzeneiung, aber
sie lassen sich dafuer noch bezahlen, damit man ihnen vertraue und sie
uns leicht zugrunde richten moegen. Auch uns nennen sie Barbaren, ja
schimpfen uns mit dem noch gemeineren Namen der Opiker. Auf die
Heilkuenstler also lege ich dir Acht und Bann.”

Der eifrige Mann wusste nicht, dass der Name der Opiker, der im
Lateinischen eine schmutzige Bedeutung hat, im Griechischen ganz
unverfaenglich ist, und dass die Griechen auf die unschuldigste Weise
dazu gekommen waren, die Italiker mit demselben zu bezeichnen.

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Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf den Stand der bauenden und
bildenden Kuenste, so macht, was die ersten anlangt, der beginnende
Luxus sich weniger in dem oeffentlichen als im Privatbauwesen
bemerklich. Erst gegen den Schluss dieser Periode, namentlich mit der
Catonischen Zensur (570 184) faengt man in jenem an, neben der gemeinen
Notdurft auch die gemeine Bequemlichkeit ins Auge zu fassen, die aus
den Wasserleitungen gespeisten Bassins (lacus) mit Stein auszulegen
(570 184), Saeulengaenge aufzufuehren (575, 580 179, 174) und vor allem
die attischen Gerichts- und Geschaeftshallen, die sogenannten Basiliken
nach Rom zu uebertragen. Das erste dieser etwa unseren heutigen Basaren
entsprechende Gebaeude, die porcische oder Silberschmiedhalle, wurde
von Cato im Jahre 570 (184) neben dem Rathaus errichtet, woran dann
rasch andere sich anschlossen, bis allmaehlich an den Langseiten des
Marktes die Privatlaeden durch diese glaenzenden saeulengetragenen
Hallen ersetzt waren. Tiefer aber griff in das taegliche Leben die
Umwandlung des Hausbaues ein, welche spaetestens in diese Epoche
gesetzt werden muss: es schieden sich allmaehlich Wohnsaal (atrium),
Hof (cavum aedium), Garten und Gartenhallen (peristylium), der Raum zur
Aufbewahrung der Papiere (tablinum), Kapelle, Kueche, Schlafzimmer; und
in der inneren Einrichtung fing die Saeule an sowohl im Hofe wie im
Wohnsaal zur Stuetzung der offenen Decke und auch fuer die Gartenhallen
verwandt zu werden - wobei wohl ueberall griechische Muster kopiert
oder doch benutzt wurden. Doch blieb das Baumaterial einfach; “unsere
Vorfahren”, sagt Varro, “wohnten in Haeusern aus Backsteinen und legten
nur, um die Feuchtigkeit abzuwehren, ein maessiges Quaderfundament”.

Von roemischer Plastik begegnet kaum eine andere Spur als etwa die
Wachsbossierung der Ahnenbilder. Etwas oefter ist von Malerei und
Malern die Rede: Manius Valerius liess den Sieg ueber die Karthager und
Hieron, den er im Jahre 491 (263) vor Messana erfochten, auf der
Seitenwand des Rathauses abschildern - die ersten historischen Fresken
in Rom, denn viele gleichartige folgten und die im Gebiet der bildenden
Kunst das sind, was nicht viel spaeter das Nationalepos und das
Nationalschauspiel im Gebiet der Poesie wurden. Es werden als Maler
genannt, ein gewisser Theodotos, der, wie Naevius spottete,

verschanzt, in Decken sitzend, drinnen im heiligen Raum

die scherzenden Laren malte mit dem Ochsenschwanz.

Marcus Pacuvius von Brundisium, welcher in dem Herkulestempel auf dem
Rindermarkt malte - derselbe, der im hoeheren Alter als Bearbeiter
griechischer Tragoedien sich einen Namen gemacht hat; der Kleinasiate
Marcus Plautius Lyco, dem fuer seine schoenen Malereien im Junotempel
zu Ardea diese Gemeinde ihr Buergerrecht verlieh ^42. Aber es tritt
doch eben darin sehr deutlich hervor, dass die Kunstuebung in Rom nicht
bloss ueberhaupt untergeordnet und mehr Handwerk als Kunst war, sondern
dass sie auch, wahrscheinlich noch ausschliesslicher als die Poesie,
den Griechen und Halbgriechen anheimfiel.

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^42 Plautius gehoert in diese oder in den Anfang der folgenden Periode,
da die Beischrift bei seinen Bildern (Plin. nat. 35, 10, 115) als
hexametrisch nicht fueglich aelter sein kann als Ennius und die
Schenkung des ardeatischen Buergerrechts notwendig vor dem
Bundesgenossenkrieg stattgefunden haben muss, durch den Ardea seine
Selbstaendigkeit verlor.

———————————————————————————-

Dagegen zeigen sich in den vornehmen Kreisen die ersten Spuren des
spaeteren dilettantischen und Sammlerinteresses. Man bewunderte schon
die Pracht der korinthischen und athenischen Tempel und sah die
altmodischen Tonbilder auf den roemischen Tempeldaechern mit
Geringschaetzung an; selbst ein Mann wie Lucius Paullus, eher Catos
Gesinnungsgenosse als Scipios, betrachtete und beurteilte den Zeus des
Pheidias mit Kennerblick. Mit dem Wegfuehren der Kunstschaetze aus den
eroberten griechischen Staedten machte in groesserem Massstab den
ersten Anfang Marcus Marcellus nach der Einnahme von Syrakus (542 212);
und obwohl dies bei den Maennern alter Zucht scharfen Tadel fand und
zum Beispiel der alte strenge Quintus Maximus nach der Einnahme von
Tarent (545 209) die Bildsaeulen der Tempel nicht anzuruehren, sondern
den Tarentinern ihre erzuernten Goetter zu lassen gebot, so wurden doch
dergleichen Tempelpluenderungen immer haeufiger. Namentlich durch Titus
Flamininus (560 194) und Marcus Fulvius Nobilior (567 187), zwei
Hauptvertreter des roemischen Hellenismus, sowie durch Lucius Paullus
(587 167) fuellten sich die oeffentlichen Gebaeude Roms mit den
Meisterwerken des griechischen Meissels. Auch hier ging den Roemern die
Ahnung auf, dass das Kunstinteresse so gut wie das poetische einen
wesentlichen Teil der hellenischen Bildung, das heisst der modernen
Zivilisation ausmache; allein waehrend die Aneignung der griechischen
Poesie ohne eine gewisse poetische Taetigkeit unmoeglich war, schien
hier das blosse Beschauen und Herbeischaffen auszureichen, und darum
ist eine eigene Literatur in Rom auf kuenstlichem Wege gestaltet, zur
Entwicklung einer eigenen Kunst aber nicht einmal ein Versuch gemacht
worden.






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RÖMISCHE GESCHICHTE — BUCH 3 ***


    

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