The Project Gutenberg eBook of Hamsun / Flaubert: Zwei Reden

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Title: Hamsun / Flaubert: Zwei Reden

Author: Kasimir Edschmid

Release date: November 6, 2012 [eBook #41306]
Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK HAMSUN / FLAUBERT: ZWEI REDEN ***

Die Schwarzen Bücher

2/3

Erstes bis fünftes Tausend
Copyright 1922 by Wolf Albrecht Adam Verlag
Alle Rechte vorbehalten

Kasimir Edschmid

HAMSUN / FLAUBERT

Zwei Reden

*

1•9•2•2
Wolf Albrecht Adam Verlag
Hannover

Die beiden Reden wurden Neunzehnhundertzwanzig und Neunzehnhunderteinundzwanzig zum erstenmal im Hessischen Landestheater in Darmstadt gehalten und darauf an vielen Orten. Die erste über Hamsun und die Situation der europäischen Literatur anläßlich der Zuteilung des Nobelpreises an Hamsun, die andere zu Flauberts hundertstem Geburtstag am zwölften Dezember Neunzehnhunderteinundzwanzig.

Hamsun Seite 9—37
Flaubert Seite 39—70

Hamsun

Den Namen Hamsuns nennen, heißt von großer europäischer Literatur reden.

Er gesellt sich sofort zu Tolstoi, Wedekind, d’Annunzio, Giovanno Pascoli, zu Chesterton und Shaw, zu Strindberg und Barbusse und Flaubert. Er ist, in diesen Zusammenhängen, als nordischer Bruder Strindbergs ganz repräsentativ zu Hause in dieser Gemeinschaft der bedeutenden europäischen Köpfe.

Im verkleinerten Kreis der Romanciers aber gibt es außer Gorki und Anatole France niemand mehr neben ihm.

Er scheint sogar berufen, in diesem Triumvirat Deutschland zu vertreten, denn einen deutschen Roman hat es nie gegeben. Immer war das westeuropäische Gesicht am deutlichsten in Frankreich, da neigt sich Europa schon schön gegen das strahlende Afrika und den asiatischen, türkischen Eroberer.

Im Mittelalter brachten die Mauren orientalischen Einfluß nach Spanien, und spanische Troveres entzündeten erst feurig herüberreitend die Provence und den Norden Frankreichs, und die herrlichsten der deutschen Epiker, der Hartmann von Aue, der Gottfried von Straßburg und der von Eschenbach wären nie erstanden ohne Chrestien von Troies und Bennoit de St. More und den Herrn von Britanje.

Von den Amadis- und Rosenromanen bis zu Voltaire und Balzac und dem heutigen Anatole France ist der westeuropäische Roman stets in wundervoller Linie in Frankreich zu Hause gewesen und in seinen Büchern steht die Geschichte abendländischer Menschheit am deutlichsten und mit der besten Tradition geschrieben. Die letzte und zärtlichste Blüte ist Anatole France.

Das osteuropäische Gesicht ist in Rußland zu einer ungeheuerlichen und barbarischen Sonne aufgestanden und es scheint, als ob die müdere und abgeklärtere Geistigkeit Frankreichs in die Verteidigungsstellung käme. In Dostojewski und Gorki und dem in ihrer Mitte stehenden Tolstoi sind gewaltige geistige Spannungen in die neue Welt getreten, und Asien, das die Franzosen, die es von den Spaniern schon gekeltert übernahmen, in eine entzückende Europäischkeit gebunden und damit graziös überwunden hatten, bereitet von der anderen Seite der Halbkugel einen furchtbaren Einfall in Europa vor.

Zwischen diese europäischen Geistesspannungen sind die Deutschen gelagert, aber es gibt kein großes, hell beschienenes Gesicht, das sich unter ihnen zwischen den beiden, mitteleuropäisch, erhöbe.

Es wird es auch nie geben. Es gibt auch keine deutsche Politik, die von Antwerpen bis nach Bagdad langte.

Denn schließlich sind auch die Deutschen alle irgendwie Westeuropäer, was sogar die Antibolschewisten betonen, und haben durch den Schuß Christentum, der ihre eigentlich ausgesprochen heidnische Einstellung band und gestaltete, wahrlich für alle im Kulturablauf bis zum Absterben ihrer Rasse verbleibenden Jahrhunderte unter allen Umständen genug Asien im Blut.

Wenn im Umkreis der gottgewollten Jahrhunderte die führende Macht des Geistes bei Nachlassen der europäischen Energie einmal wieder Koreanern und Chinesen zufällt, wenn in Tibet ein Bergstamm ein neues gigantisches Pulver, in Timbuktu ein neuer Heiland eine neue große Idee entdecken und uns, bis dahin Müde und Morsche, ganz damit erledigen wird, dann ist es ja völlig gleich, unter welchen Umständen wir mit unserer Halbkugel untertauchen.

Bis dahin sollte man aber so stolz sein, mit erhobenen Nacken sich als westliche Europäer zu fühlen und sich keine falschen Sehnsüchte zu suggerieren.

Was den duldsamen asiatischen Russen mit ihrem sehr großen, aber sehr abscheulichen Satrapen Dostojewski gut ist, ist den Deutschen sicher nicht, noch viel weniger aber den romanischen Völkern bekömmlich. Sie haben in dem Empfinden der Volksmassen viel zu wenig Sinn für das Übersinnliche und gar keine Mystik und ohne Ausnahme noch viel zu viel innere Bereitschaft für Bankkonten und Sparkassenbücher und viel zu viel, Gott in seiner Langmut scheinbar immer noch wohlgefällige, Sehnsüchte nach Lärm und Militär und kriegerischen Fahrten.

Die Russen sind eine asiatische Kinderschar mit einer unbeschreiblichen gläubigen Naivetät des Empfindens und einer ungeheuerlichen Bereitwilligkeit zu leiden und zu dulden.

Die romanischen Westeuropäer hatten die asiatische Geisteswelle, die mit den blonden Mauren über die Pyrenäen mit herrlichen Kulturen stäubte, mit ihrem europäischen Geist überwunden.

Heute ist der Anprall des eroberersüchtigen russischen Geistes auszuhalten. Lüge man sich doch nicht vor, Figuren Dostojewskis zu sein. Die Deutschen sind wahrlich näher bei Maupassant, so wenig elegant sie sind, als bei den Nervenkavalkaden dieses Asiaten.

Jedenfalls hat der europäische Januskopf heut nur diese beiden Gesichter.

Die Aufgabe der Deutschen könnte sein, von beiden nehmend zu erstarken und einen neuen europäischen Typ heraufzuführen, der in diesem Sinne noch nicht existiert. Das wäre ein großes und bedeutendes Unternehmen. Jedenfalls kann man nicht, wie von Hirnliliputanern geglaubt wird, so wenig wie einem Körper das Herz, der Zeit ihre Kunst aus dem Leibe schneiden und für sich allein gut präparieren und besehen. Man sieht dann wahrhaftig nicht mehr wie etwas Muskulatur, aber von Seele keinen Fetzen.

Wenn man sagt, es gäbe keinen deutschen Roman, in dem das Schicksal und die Seelengefahr und das tödliche Glück unserer Erdstriche so genau und schön gezeichnet sei wie in dem der Russen und Franzosen, spricht man gegen die Mentalität der Deutschen, aber nicht gegen ihre Kunst, der an Liebe und Begeisterung für ihre Größe und ihr Unglück eine andere voranzusetzen nichts anderes als eine lächerliche Einfältigkeit wäre. Der Mangel von heute kann jede Berufung von morgen sein und, wo aus der mangelnden Tradition her die Gleichheitslinien des Typus fehlen, ist wahrlich wundervolle Größe chaotisch getürmt.

Seit Gottfried Keller hatte man jedenfalls keinen Roman, der, Keyserling vielleicht ausgenommen, repräsentativ für den Ausdruck der Zeit und der nationalen Größe sich auch einem europäischen Publikum als der wahrhaft deutsche zeigen könnte.

Die Deutschen schrieben viel zwar über die Bäche und die Berge der Heimat, über die Eheirrungen der einzelnen Gesellschaftsschichten, über den Tod, sei er in Bülz oder Venedig zu Hause, über die Liebe, sei sie die des Verfassers der Göttinnen oder des wilden Panizza oder die christliche des Herrn Röttger, über die Kaufleute, sei es in Hamburg oder in Rottach, sei es von Ludwig Thoma oder der Boy-Ed oder dem Thomas Mann . . . das alles blieben zum Teil erbärmliche, zum Teil hinreißende Sachen, aber: es blieben Monologe und Konversationen von einer Coupéseite zur anderen, es wurde keine europäische Unterhaltung und es gab wahrlich keinen einzigen Geiger, dessen Ton in das Orchester der europäischen Konzerte einen Klang gebracht hätte, an dessen Wehmut und Stolz, an dessen Zerrissenheit und barbarischer Sehnsucht, an dessen Größe und Verhaltenheit ein internationales Publikum wie unter einer magischen Berührung gar kein anderes Gefühl hätte haben können, als daß dies lediglich der deutsche Ton sein könnte und nichts anderes auf dieser schiefen Welt.

Diese Mission in diesem Sinne kommt den Deutschen heute nicht zu. Aber auch die germanische Repräsentation ist ihnen nicht zugefallen.

Sie sind von slawischen und romanischen Meeren zu sehr umfaßt, als daß sie nicht im rein Germanischen schon sehr zersetzt seien. Selbst Goethe stammt aus dem romanischen Bereich, und der große Imperialist Bismarck war zur Mehrzahl Slawe.

Auch die Engländer, die politisch festgehalten waren, haben keinesweg anständig Germanisches geschaffen. Ihre prärafaelitische Mystik schwimmt in verdammtem Parfüm, Shaw ist ein sozialistischer, Chesterton ein katholischer Kelte. Das Volk hat ungewöhnliches Weltgefühl und eine Linie in die europäische Tafel gezogen von Schärfe und Kontur wie kein Volk, aber über das Zivilisatorische hinaus grenzt ihre geistige Anmut an den Kitsch. Mit Staatsmännern, Shagpfeifen, Börsen, Hockey und Burburry-Mänteln erobert man vielleicht die Erde, aber nicht die geistige Größe. Die englischen Germanen sind berufen, in der Wirklichkeit der Tatsachen jene weltmännische Rolle zu spielen, die im Geistigen hier ohne Pause gesucht wird.

Diese Rolle ist nach Skandinavien gelegt worden, und es ist ein seltsames Verhältnis des Ausgleichs, wie sehr diese kleinen Länder, die politisch bedeutungslos sind, bei denen von Eroberung der Welt wenig die Rede sein kann, und die auch sonst abseits des weltlichen Getriebes liegen, geistig eine Rolle spielen, die in einem riesenhaften Verhältnis zu ihrer sogenannten Macht steht.

Hier hat das Germanische sich am geschliffensten und echtesten erhalten. Da ist sein Zentrum zurückgekehrt in den Norden, aus dem die Ströme der Völker seinerzeit ausgeflossen waren.

Da haben die Menschen noch die weißblonden Haare und die gereckte Kühnheit, die sie gegen die Gletscher und das Eis einst kämpferisch stellte. Sie sind voll vom Blutsaft der alten Traditionen, auf den Färöerinseln singt man noch die altnordischen Weisen, in Lappland lebt der alte Götterglaube noch. Dazu hat sich angesammelt, was die Wikingerfahrten aus südlicher Süße, von syrakusaner Himmeln und afrikanischen Sonnen mitgebracht haben, und die Tragik der lombardischen und keltischen Züge, die Schicksale jener nordischen Horden, die teils an den romanischen Mauern sich zerschlugen, teils neue Reiche bauten, hat sich erlesen in ihnen ausgereift. Es ist etwas müd äußerlich in den Gedanken des Nordens zurückgekehrt. Die imperialistischen Träume sind geträumt.

Die Rolle hat jedes Volk einmal gespielt, die Welt beherrschen zu wollen, selbst Holland und Portugal und Belgien schritten auf dem Regenbogen des Machtwahnsinns daher, aber die Vorsehung spielt ihr Ablösungsspiel mit immer erneuter Ironie, doch kein Volk hat den Blick, ihre Komödie zu durchschauen, und jedes rennt fanatisch und mit irrsinnigen Rufen, die alten Masken vorm Gesicht, auf die Kanonenrampe.

Schweden hat die Epochen seiner Eroberungen mit Karl dem Zwölften begraben, Dänemark führt keine Eroberungszüge mehr, um den Norden zu unterjochen. Von Norwegen stoßen keine Seeräuberheere mehr nach der Provence und Sizilien. Das ist vorbei.

Die Zeit der Maschinenschlachten und der Dutzendmillionenheere hat Resignation gebracht. Wenn Europa nicht stirbt, gibt es vielleicht einmal eine spätere Zeit, die auf diese Landreservate zurückgreift, um sie mit weiserem Hohn lächelnd gegen die aufgeblasenen Sieger von heute auszuspielen.

Vielleicht sind es dann geistige Waffen, mit denen sie siegen oder irgendein Instrument, das vorzieht, bei der Minderheit nur zu funktionieren. Vielleicht lernen sie die Sonne einzuwecken oder das Kohlenatom zu sprengen, um mit zweitausendmal mehr Dynamik in das europäische Konzert zu treten.

Zwei Jahrzehnte nach Neunzehnhundertzwanzig ist von all diesen Weltdingen bei ihnen kein Wort mehr fällig. Sie sitzen machtpolitisch auf dem Trockenen und wissen es nicht anders. Auch industriell sind sie nicht allzuglänzend eingerichtet, im Krieg hatten sie zum Teil kein Brot und wurden von Amerika wegen deutscher Sympathien schlecht behandelt, Norwegen ausgenommen, wo man die Deutschen gerne schlachtete, weil sie den Reedereien das Geschäft mit den Ubooten allzusehr erschwerten.

Aber in all diesen prächtigen germanischen Figuren ist die Erinnerung ihrer mythischen Vergangenheiten noch wach, ihre Träume sind belastet mit der reinen Größe der Jahrhundertfahrten, und die Edda und die Zaubersprüche haben sich nicht verloren bei dieser direkten Rasse.

Vor allem stehen sie der Mystik näher, ihre langen weißen Nächte und die Herbheit der Landschaft und die Größe der unsterblichen Meere verweben sie in höher gespannte Zusammenhänge.

Der nordische Mensch ist ein nüchterner Kostgänger, gut und sehnig gewachsen, voll beispielloser Körperkultur, aber in dem Leben des Geringsten unter ihnen nähert sich irgendeine Stelle schon dem Übersinnlichen.

Ihnen strömt das mystische Element aus der Nähe der unheimlichen Erdpole und aus der götternahen Schwere ihres nördlichen Blutes zu.

Bei den Franzosen erschöpft sich das Mystische in den Kathedralen oder in legendärer Katholischkeit, die Italiener pirschen sich darin bereits über den Eros in die glatte Sinnlichkeit, bei den Deutschen schwält es durch das Grüblerische zu der lodernden Ekstase. Die Slawen haben es bis in die Fingerspitzen der Nerven gezogen und haben sich damit bis in die Geisteskrankheit begeben mit der Form, wie sie dem Dämon des Leids sich fatalistisch schenken.

Bei den Nordländern ist eine wundervolle Brechung des Lichtes. Da scheinen Athleten und sachliche Sportsleute wie vor einem übersinnlichen Gestrahl zu scheuen, es dringt in ihr Blut und sie haben alle für ihr ganzes Leben eine Zweigespaltenheit, indem ihre Härte immer gegen das Verschleiernde in ihnen kämpft.

Sie sind wie gegen ihren Willen einbezogen in Zusammenhänge jenseits ihrer Welt. Sie stehen immer zur Hälfte in der unwirklichen Existenz der langen geheimnisvoll weißen Nächte des Sommers. Sie besitzen fast alle ein Geringes vom zweiten Gesicht.

Wenn ihre nördlich gefahrenen Schiffer aus der Zone der höheren Wendekreise zurückkehren, dann sehnen sie sich wie Verschmachtende nach dem Dunkel, sie haben wochenlang keine Nächte gehabt und konnten nicht schlafen und sie begehren das Dunkel mit Inbrunst wie man nach Geliebten aus ist, sie haben das Verlangen nach Nacht, um sich vor der übergroßen Helligkeit dahinein zu verkriechen.

So ist die Seele aller nordischen Menschen durchschienen, sie haben alle den Drang nach etwas auszubrechen, was außerhalb ihrer täglichen Welt ist. Es ist, als sei der Nordpol mit sagenhaften magnetischen Kräften auf sie gerichtet und ziehe sie in Richtungen, wohin sie nicht wollten, und wohin es sie dennoch dunkel verlangt.

Das ist die Spaltung in dem nordischen Menschen, sein Konflikt, sein tragischer Schnitt. Nach Überlieferung der Geheimlehre der Vorzeit ist der Raum, in dem wir leben, mit einem anderen unsichtbaren Raum ausgefüllt, und in den Häusern und Straßen und Landschaften leben andere uns nicht erreichbare und erfühlbare Kreaturen der Götter. Das ist das Sinnbild des nordischen Menschen. Das Gerüst seines Körpers ist nur zum Teil sein Bau. Wie von ultravioletten Strahlen erzeugt, die nicht gesehen werden können, aber dennoch wirklich sind, ist in ihm ein anderes Doppelleben, von dem er selbst nicht viel weiß.

Dies andere Leben ist der Schlüssel seines Geheimnisses und erklärt die Unbegreiflichkeit seines Wesens und seiner Schicksale und ist der schöne Reiz all seiner Untergänge. Es ist das Furchtbarste und das Herrlichste an ihm. Die nordischen Menschen tragen alle den geheimnisvollen Kranz unsichtbar, wie die antiken todgeweihten Jünglinge. Was sie auch tun und denken, ist nur ein wacher Traum, denn plötzlich tritt ihre gespenstische andere Seelenhälfte an die Stelle der sichtbaren ruhigen und klaren und fährt das Schiff ihres Daseins in den Nebel, und Sein und Nichtsein tauscht sich erschreckend aus.

Bald tritt der eine Teil hervor, bald springt der andere vor ihn hin. Manchmal ist in den Literaturen nur ein Lebensgang mit greller Wirklichkeit gezeichnet, aber, wer liest, spürt mit allen Sinnen, daß alles Täuschung ist, daß der geheimnisvolle anderswohin gewandte Andere dahinter steht und sich nicht zeigt und die hergezeigten Dinge nur wie eine Larve vor sich hält.

Der nordische Mensch ist nie ohne unsichtbare Abgründe hinter sich aufgetreten. Er ist ein Transparent seiner selbst, hinter dem erst die großen unbekannten Naturkräfte stehen. Manchmal treten sie einen Augenblick auf die Bühne und verwirren und blassen wie eine Augentäuschung sofort wieder ab. Oft zeigen sie sich gar nicht. Aber hier ist sicher dann mit tödlicher Sicherheit, daß alles, was man so feurig sieht, so unerhört versteht und schmeckt und riecht, so göttlich plastisch und wie Marmor anfühlt, daß es nichts ist als Blendung und daß es alles bedeutet und jeden Sinn hat, nur nicht den, welchen es mit der uns zugewandten Seite ihres Wesens darstellt.

Die Menschen aber sind sehr herb und stolz, sie stammeln manchmal, um nicht zu zeigen, daß sie singen wollen. Sie haben Melodien auf den Lippen, wenn der Gram ihnen auf die Zunge beißt.

Nur wer das Nordland ohne Pause von einer unwirklichen weißen Nachtsonne erleuchtet sieht, von einer Eindringlichkeit des flutenden hellen Lichts, wie selbst die zauberhaftesten südlichen Mondnächte es nur mit Schwäche malen, vermag das Gespenstische der Seelenkurven zu erfassen, mit denen der nördliche Germane sein Leben äußert und vollzieht.

In der Eleganz, die nicht nur die Kostüme der Frauen haben, sondern die aus der Haltung der Linie und dem Bewußtsein der Rasse und alter Kultur der Körperpflege kommt (wo im höchsten Norden ärmste Bauern eigenes Dampfbad haben), in der Eleganz, die ihre Sprache und ihre nationale Bewegung ausmacht und verschönert, nähert sich dieser Typus den Franzosen. In der übersinnlichen Verwobenheit stößt er an den Seelenstand der Slawen.

Er führt über seine blonde germanische Herbheit das Süße des romanischen Geistes zur großen barbarischen selbst zerstörerischen Seelengeste der Russen.

Zur Wikingerei seiner ausschweifenden Charakterschwünge fügt er die Urbanität europäischer Größe und die Menschheitslinie.

Dabei bleibt er in Umrissen, klar wie ein Engländer in Hosenschnitt und Scheitel und Handgelenkbiegung, der helle typische Germane, der Germane, der glänzend speist und lebt und mitten in Daseinssäften steht, trainiert ist und sogar kapriziöse Frauen besitzt, der Germane, der aber in dem Augenblick, wo der Zuschauer ihn glaubt zu kennen und so bestimmen, rasch zurückschnellt in einen geheimnisvoll überlichteten Nebel, wo Gewolltes und Getanes sich kreuzen, wo Ja und Nein sich nach unbestimmbaren Gesetzen mischen und aufheben, und wo die klirrende Wahrheit des Moments in einer Sekunde schon als äffender Spuk und geheimnisvolle Beziehung entschwirrt.

Dies ist der nordische Mensch und sein Geheimnis. Dies ist Knut Hamsun.

Die Doppelexistenz löst das Rätsel der Menschen über das Geheimnis der Literatur. So kommt es, daß der nordische Mensch dasselbe bedeutet wie: Hamsun, ebenso wie Ciceros Name den Römer beschwört oder Mozart die Gleichung des Rokoko sofort hinzufügt.

Bei Hamsun endlich laufen alle Falten und Schatten und alle Erhabenheiten des nordischen Menschen zusammen. Hat sich die nordische Menschheitsfigur erst in allen Situationen und allen ihren Breiten und Längegraden erwiesen, tritt aus der großen Addition der Leidenschaften und Laster und Tugenden die Gestalt des Hamsun als Summe sinnbildhafter Größe hervor.

Man teilt Skandinavien heut in drei Königreiche ein, manchmal war es anders, die einen bekriegten, die anderen beherrschten einander, das wechselte und wird wechseln, es ist nicht wichtig.

Die drei Nationen verstehen in der Sprache einander. Den Schweden scheint der dänische Dialekt affenhaft und komisch, die Norweger stottern rauher, finden schwedisch aber keineswegs elegant. Schließlich ist es bei Deutschen der ähnliche Fall. Ein Helgoländer hält einen bayrischen Gebirgler für einen fremden Teufel, genau so wenig wie ein Pikarde einen lackäugigen Provenzalen versteht. Die Rassenmerkmale sind keineswegs das, was eine Nation im geographischen Sinn zusammenhängt, das sind andere und viel fürchterlichere Dinge.

Jedenfalls unterscheiden sich die drei skandinavischen Völker eigentlich nur in Nüancen. Kopenhagen ist eine neblige, reiche und märchenhaft weiche schöne Stadt. Stockholm ist mit königlicher Kühnheit an den Mälar gestellt. Christiania wird schon von nördlicher Beschattung gespenstisch gezeichnet.

Die Norweger laufen Ski, sind fast an den Fingern herzuzählen, ein paar hunderttausend, bewohnen dünn gesät ein riesiges Land, und fast jeder ist, ähnlich wie bei den Balten, ein Schriftsteller, jeder Bauer kennt seine zeitgenössischen Dichter genau.

Die Dänen lesen am meisten, sind ein ungemein gewandtes weltmännisches und lebemänniges Volk, die elegantesten Typen des Nordens, ein wenig Paris und ein wenig Décadence, von ungewöhnlich graziöser Verdorbenheit.

Die Schweden sitzen gerne an den Kaminen und lassen schöne Frauen die Lieder des großen Sängers Belman singen.

Bei den dänischen Weltleuten findet sich dagegen die Literatur mit den buntesten und wechselnsten Farben aufgestellt. Der Zug der dänischen Dichter ist lang, und am Anfang stehen die Policinells und die Harlekine, und dann erst kommen die befrackten Liebhaber des irdischen Schicksals und die neckigen Touristen der Ehetragödien und hinter ihnen die exotischen Wanderer mit Südseefedern und afrikanischen Sonnenfanalen und dann die Gelehrten und feinfingrigen Weisen und ganz am Ende erst einige Ankläger gegen die Zeit und wilde Eroberergestalten des Lebens und der geistigen Territorien.

Aber keiner aus diesem Zug der Sehnsüchtigen kann sich selbst unter den betrunkensten Maskeraden dem Bann entziehen, der den nordischen Menschen unwiderbringlich gefaßt hat und ihn in eine seelische Bewölkung hineinzieht, die ihn verdüstert und näher an das unheimliche Schicksal zieht.

Bei jedem der dreißig oder siebzig zeitgenössischen dänischen Dramatiker, die in der Weise Schnitzlers mit Humor und nicht ohne Geist die Eheprobleme ihres Landes (in dem die Ehe korrumpiert ist wie nirgends in Europa), spöttisch und amusiert behandeln, erscheint sofort nach den ersten Takten die dunkle Unterströmung, und die Melodie des entsetzlichen Verfallenseins dieser Menschen an eine schwere Blutmitgift rauscht unter dem Foxtrott ihrer Laune tragisch herauf.

Die Franzosen verstehen anders ihre Burlesken zu runden und mit skeptischen Grimassen noch eleganter zu sein als das Schicksal, dem sie höhnisch und gewiß frivol überlegen applaudieren, wenn sie in „Porte St. Martin“ oder in „Femina“ und „Porte Royale“ die Lustspiele der Nation herunterspielen.

Bei den Dänen aber erscheint plötzlich zwischen Fräcken und Séparés und Kokotten der Wind des Fatums, der sich ihnen in den Nacken schmeißt und ihre Gesichter hinüberwendet in eine bleiche Lautlosigkeit, worauf sie, anders und seltsam geworden, und sich selbst nicht kennend, mit fremden Zungen zu reden beginnen und irre Geste zu machen scheinen.

Dann ist der Fremde in ihnen herausgetreten, hat sich verbeugt und als Stellvertreter des seitherigen Körperinhabers begonnen, eine zeitlang geheimnisvoll zu figurieren.

Alle Nordländer sind Doppelmenschen, und die Kunst fängt da an, wo sie es kapieren können.

Am wundervollsten hat dies der Norweger Hamsun gekonnt.

Die dänischen Lustspieldichter können nicht lachen lassen, die Heiterkeit klingt an entferntes Weinen an, hinter Dirnengesichtern leuchtet das Skelett, und die Süße jedes Augenblicks ist voll Traurigkeit. Die Heiteren sind hier fürwahr die am schlechtesten Maskierten, und die Pierrots sind die durchschaubarsten in ihrem Ernst.

Dieser Zug ist ein seltsamer Karneval der Täuschungen, denn die Ernsten und Schweren könnten, da hier sich ja alles und jeder dem anderen widerspricht, vielleicht voll von Laune und Heiterkeit sein! Doch entgeht keiner seiner Doppelnatur und dem Schlag ins Genick, den das Schicksal ihnen allen gibt.

Bei Jens Peter Jakobsen und dem fadenfeinen Herman Bang ist die Brechung von dem Blut her gegeben. Diese Menschen tragen ihre Bestimmung mit einer Melancholie schon von der Geburt und haben die tödliche Sehnsucht nach der geheimnisvollen Ferne, die bei ihnen Tod heißt, früh im Fleisch.

Aage von Kohl wirft sich umsonst (schon fast Russe in seiner Schreibweise), in die slawische Allüre und verdeckt doch damit nicht sein gezeichnetes germanisches Haupt.

Laurids Bruun hat Europa verlassen und die beispielloseste aller Farbensüchte auf Tahiti und den Palauinseln durchlebt, er ist wie ein Gott im Unmittelbaren und Freien und Hellen geschwommen, und Jürgen Jürgensen hat den Kongo entdeckt mit allem Grauen des donnernden Urwalds und den schweigenden Nächten voll großem Getier, aber über den Häuptern von beiden, die so weit geflohen sind, steht mit einer gewissen Ängstlichkeit, fast zerbrechlich wie Glas, die halbbelichtete Sonne der nordischen Nächte, und keines Palaumädchens glatte Frische und keiner Negerin wundervolle Haut und keine Morgenröte um die tropisch und unbekümmert atmende Natur kann das Gespenst bannen, das alle plötzlich wie eine scheue Herde zu sich hinüberzieht.

Pontoppidan, der das größte Fresko des sterbenden bürgerlichen Zeitalters geschrieben hat, Gjellerup, der die müde und vornehme Hand nach den indischen Weisheiten hinüberstreckte, keiner bezwang es oder verbarg es.

Madelung überkam es mitten in seinen Fahrten durch Sibirien, wo er mit einer Brutalität und Genauigkeit, wie wenige, Tiere und Menschen nachschuf.

Selbst der größte Dichter des europäischen Proletariats, den Lunatscharsky selbst, der russische Beauftragte des Volkes, neben Gorki stellte, selbst der Bornholmer Nexö, der mit einer strahlenden Paradiesischkeit die Welt neu erlebte und sie für seine unterdrückte Klasse zu erobern in einem grandiosen Werke auszog, wendet plötzlich blaß in das Nordlicht sein götterhaft entschleierndes Haupt und neigt den Kopf.

Und selbst der, welcher den Trotz am steilsten und kühnsten aufgebogen hatte, der wolfgebißhafte Jensen, der den germanischen Mythos noch einmal in seinem Werke wundervoll schuf und, ein kühner Germane wie kaum je einer, kolumbushaft neue Erde und neues Land in ununterbrochenem Zug der wilden geistigen Ausschweifungen entdeckte, auch Jensen hat jene Minuten, wo ihm, dem Stärksten und Beschwingtesten, seine erdhaften Figuren entgleiten und sich hinüberbegeben in die andere Welt der Beschattung, der Grübelei und der tiefen Widersprüche.

Die Schweden haben keine Mischungen von gleicher Reizung, dies Land geht von mit Wasserduft versponnenen Weiden Skånes und violetten Wäldern Smålands bis in den lappischen Schnee und die nördliche Zone.

Auch ihre Frauen aber, auch ihre Lebenssitten sind von auffallend germanischer Eleganz. Aber ihrem Lebenszeichen fehlt die quecksilberne Beweglichkeit, fehlt das südliche der Dänen, deren Himmel nie aufgehört hat mit Versailles und dem Lido zu kokettieren.

Die Schweden haben die Endlosigkeit ihrer grauen Flächen seit alters her im Blut, sie sind keine Dramatiker, wie sie nach dem größten und zerrissensten ihrer Landsleute, dem Strindberg, gedacht werden, sondern Lyriker mit schwerem und tiefsinnig melancholischem Einschlag.

Sieht man die blitzende Sonne auf dem blau erzitternden Mälar und die unwahrscheinlich blonden und koketten hochbeinigen Damen und den Rhythmus einer kühnen und erlebnisfrohen Gesellschaft, kann man den Kontrast am deutlichsten erkennen, wenn sich die untere Tiefe der schwedischen Seele dann in ihren Volksliedern, voll der Eintönigkeit der Weite öffnet.

Alle ihre Prosadichter haben die lyrische Note, bei Geyjerstam, den die Deutschen am meisten lasen, ist es fast so dünn wie bei Jakobsen oder Bang, aber es ist noch viel mehr von den Schatten des Schicksals umwölkt, wie seine Menschen aneinander vorbeileben.

Bei der Lagerlöf geht es ins Legendäre, und die Menschen rutschen ihr in einen religiösen Nebel oder verschwinden in dem Mythos, der aus der tausendjährigen Scholle, die sie bebauen, aufsteigt und sie wie in ein erzenes Zeitalter entführt.

Auch Verner van Heidenstam kann die Linie, die seine schwerblütige Prosa irgendwo anbindet an Belmann, den großen Sänger des Volkes, mit den gehäuftesten Kapiteln seiner Epen nicht verdecken.

Selbst in den schwedischen Kriminalromanen, die neben den englischen und norwegischen die besten und einzigen sind, die es gibt, ist in den tollsten Situationen plötzlich der Moment der Gebanntheit, die vipernhafte Erschlaffung des Menschen, und zwischen Einbruch und Ausbruch, zwischen Blendlaterne und Revolverschuß entschleiert sich das Phänomen des nordischen Menschen in einer scheinbaren Verrücktheit, einer Handlung voll Widerspruch und Abgesondertheit, in einem Marsch in eine Kurve hinein, die ihn hinausführt aus allen Kombinationen der Klugheit.

Selbst Per Halström, den die Schweden für ihren vornehmsten und distinguiertesten Dichter halten, und der wie fast alle Schweden den großen Strindberg für ein Scheusal hält, der wie fast alle Schweden sprachlos vor den letzten, schon ganz ins Übersinnliche gehenden Dramen Strindbergs steht, derselbe Per Halström, der an dem viel größeren Norweger Knut Hamsun das Hin und Her und Sichvertauschen seiner Menschen für Varietéulk, für Mogelei und Publikumskniffe erklärt, derselbe Halström kann sich dem Zwang nicht entziehen, den er bei anderen mit Witzen bekämpft. Auch seine vornehm und klassisch und etwas dünn gezeichneten Menschen entwischen ihm und bekommen gespenstischen Umriß manchmal. Der Spötter wird, kaum er das tadelnde Wort gesagt, schon Delinquent.

Die meisten nordischen Künstler haben in der Nähe des Irrsinns laviert, viele sind in Alkohol und Wahnsinn untergegangen, manchmal hat sie jener andere Mensch in ihren Figuren, jene andere gegen das Schrankenlose und Mysthische weit geöffnete Seite ihrer Natur ins Unbegrenzte und Unkontrollierte hinübergezogen.

Der irrsinnige Maler Josephson vermochte in einen im Grund erbärmlichen Naturalismus sogar die Größe einer europäischen Vision hineinzulegen.

Dasselbe steht auf Ibsens lehrerhaft erhobenen Zeigefingern, wo in fast komisch düster gewollten Szenen das Gespenst manchmal wirklich erscheint und sei es auch nur in dem Grauen, das Ibsen selbst davor empfindet, dasselbe, wie bei diesem Dänen, bei Björnson, bei dem Isländer Sigurjurdson.

Der Norweger Johannes Bojer, der wie alle Norweger etwas von einem Holzfäller an sich hat, hat sogar in der Figur eines Gefangenen die Doppelseele selbst gestaltet.

Der Grönländer Rasmussen erschreckt das Geheimnis auf dem panischsten Zug der Kühnheit durch das Treibeis nach dem Pole, aber keinen hat es so bis an den Rand der tragischsten Ausschweifungen gehetzt wie den Norweger Hans Jäger, der die furchtbarste Konfession des Erotischen in diesem Jahrhundert geschrieben hat.

Den kühnsten Griff, die Seele seiner Region zu fassen und zu gestalten, hat der größte europäische Maler Munch getan. Der größte Teil der deutschen Malerei ist ohne den Munch nicht zu denken, genau wie Strindbergs Existenz fast die gesamte neue deutsche Dramatik überflüssig macht.

Munch hat dem schwebenden Gespenst aufgelauert und hat es mit einer Größe und Kraft zur Wirklichkeit gezwungen, wie selten ein Maler das Unwahrscheinliche und Unsichtbare klar zu Farbe und Eindruck gebildet hat. Ob er Kapitäne oder Sichküssende malt, er zwingt den ganzen Schauer einer geheimnisvollen Sonderexistenz in eine vor Brutalität bald platzende Erscheinung, und im Donner und dem Zucken der unwahrscheinlichsten Farben fängt er wie in einer Teufelsbeschwörung die nordische Seele, die auch bei diesen elementarsten Geburten fast schon wieder entschwebt.

Die ganz große Musik aber, noch größer wie die Beute dieses malenden Jägers, die wahre Versöhnung und die großen Mosaikfresken, das allein ist Knut Hamsuns Werk.

Er ist der Bruder Munchs, aber er hat dazu noch die Süße und die Südlichkeit neben dem rauhen Schrei. Er hat neben der Urkraft das Weiche, und seine Männlichkeit ist so unbezweifelbar, daß er nicht ohne einige weibliche Ergänzungen auskommt, um den Menschheitshorizont rund zu gestalten.

Er ist der wahrhafte große Erfüller des Nordens.

Alles was hier gesagt wurde von diesem und jenem ist eigentlich über Hamsun gesagt, denn das all lebt in seinem Werk. Kein kleiner farbiger Däne, kein schwedischer schwerer Bauerndichter hat zu anderem Zweck gelebt, als daß Hamsun aller Erbschaft antrete.

Sie sind ihm alle nichts wie die Klaviatur, aus der er die volle und ganze Melodie erst anhebt. In Hamsun ist die Südsee und der soziale Aufschrei, ist die Verdorbenheit der Gesellschaft und die Wikingerei des Blutes, ist der gütige Haß und die unerschöpfliche Liebe.

Dieser Dichter hat sich nie spezialisiert. Auch ist sein Parlando nie von dieser oder jener Einstellung der Zeit sonderlich beeinflußt geblieben. Er hatte wahrlich keine Mission, ein Formproblem zu knacken oder die Ehen zu untersuchen oder die Bals-Parés des Schauerlichen herunterzutanzen oder das Unsichtbare am Kopf zu fassen und ins Panoptikum zu zerren.

Das alles ist unter ihm und ihm nur Material.

Niemand wird verkleinert, wenn man Hamsun erhöht. Strindberg ist grandioser und Nexö zeitlich wichtiger und Aage von Kohl monumentaler und Jensen wohl toller.

Aber die großen Gleichungen werden nicht aus der Schärfe der Profile und der besonderen Akzentuierung der Einstellungen gemessen, sondern sie werden gestellt zwischen die Beziehungen von Größe und Fülle.

Denn nur der ist ein Repräsentant und von fürstlicher Stellung im geistigen Territorium, wer sein Haupt so tragen kann, daß schließlich alles sich in ihm zu einer besonderen Einheit verkörpert, was irgendwie sein Volk, seine Rasse oder den Geist bemerkenswert macht.

Denn nicht der bei Gott ist der typische Deutsche, der je nach dem Geschmack der einzelnen Schichten am blondesten oder am dicksten, am rohsten oder am gutmütigsten ist, sondern derjenige, der die Laster und die Tugenden dieses widerspruchsvollen Volkes unter einer guten Kontrolle mit Überlegenheit und Größe harmonisch trägt.

Bei Hamsun hat der nordische Mensch erst seine volle Auslösung gefunden und ist im letzten Sinne repräsentativ geworden.

Er hat das Lasterhafte und das Dünn-Erschreckte des Dänen Bang und die Urwaldgröße des Jürgen Jürgensen, er hat den germanischen Urmythus des Jensen von den Tropen bis über die Gletscherzeit im Blut, er ist weise wie Gjellerup und brutal wie Munch, er haßt wie es nur der Strindberg konnte, säuselt wie Jakobsen und hat die Verwobenheit der Lagerlöf.

Er hat in seinem Buche „Hunger“ die proletarische, in der „Stadt Segelfoß“ die soziale Frage behandelt, im „Pan“ europäische Gefühle weit hinaus getragen, in seinem „Kaukasienbuch“ die Farbensehnsucht und die Tropenexotik der Europaflüchtigen heiß erlebt, in „Viktoria“ das Süßeste an Leid und Liebe geschrieben und den schönsten Liebesbrief, den die Literatur kennt und hat in „Mysterien“ die nordische Seele bis zur Unkenntlichkeit sich austoben lassen zwischen Maske und wahrem Gesicht.

Er hat einen phänomenalen Impressionismus von europäischer Weite geschaffen und ist im Gehalt ein Expressionist, wie kaum ein anderer typisch für diese Zeit.

Er hat aus Vorwurf, aus Idee, aus Stil und aus Zeitmotiv sich den Teufel gemacht und aus all dem nur aktuellen Sensationshaschern wichtigen Beiwerk endgültig den einfachen armen und leidenden Menschen herausgeschält.

Er ist in keiner Maske und keiner Maskerade hängen geblieben, hat sich nicht um die Zeitgenossen geschert, hat die Welt durchtippelt, in norwegische Städte sich verkrochen und auf eine Insel begeben und hat das bedeutendste Werk des Nordens geschaffen, an dem jede Einschaltung, jede Einbiegung in eine Bewegung und einen Stil eine dumme Verwegenheit bedeutete, es sei denn, man sage, die skandinavische Literatur, die die germanische vorstellt, habe hier einen ihrer schönsten Hochschwünge und einen bedeutsamen Zenith erreicht.

An Geschlossenheit des Weltbilds, an wahrhaft ruhiger Rundung des Rasseerlebens, an dichterischer und zeitgenössischer Bedeutung können wir Deutsche ihm nichts entgegenstellen, wenn die Franzosen mit France, die Italiener mit d’Annunzio, und die heutigen Russen mit Gorki kommen. Der einzige wäre der tote und lange vor seinem Ende blinde Dichter Graf Keyserling gewesen, der Balte, der die ganze Schönheit seiner zugrunde gehenden aristokratischen Rasse wahrlich in einem Weltbild, dem einzigen deutschen seit fünfzig Jahren, noch einmal zu formen wußte.

Hamsun, der in der Jugend Amerika durchstrolchte, nie recht wußte, wann er geboren ward, der Lyrik liebt weil er sie am wenigsten kann, Dramatisches haßt, weil es ihm am wenigsten Erfolg brachte, Hamsun, von dem die Franzosen neunzehnhundertzwanzig noch keine rechte Übersetzung haben, und den in Deutschland, als sein „Pan“ erschien, einige wenige zu lieben begannen, während einige viele ihn im Äußeren nachmachten, indem sie ihn verzuckerten und auf das Rosaschleifchenhirnniveau der deutschen Backfische senkten und ihm dabei das Geheimnis der nordischen Doppelseele aus dem Leibe quetschten, Hamsun ist ein alter Mann und hat sein Werk fast hinter sich.

Man beginnt jetzt in Deutschland ihn etwas mehr zu sehen und wohl auch etwas mehr zu lieben.

Bei keinem Dichter der Weltgeschichte ist in Roman und Novelle und Drama die Größe eines Menschenschlages im Herben und Sichverschleiern und Sichderewigkeitzuwenden so seltsam Merkmal wie bei ihm geworden, dergestalt, daß tatsächlich immer wichtiger wie das, was in den Zeilen steht, das ist, was zwischen ihnen steht. Von Bedeutung ist mehr das, was nicht gesagt wird, wie das, was geäußert wird.

Und das, was an Tat geschieht, ist in Wirklichkeit nur eine Blendung und ein Ablenken, aber von Wichtigkeit ist das, was unterdrückt wird. Diese Menschen sind keine Schwächlinge, keine Ästheten, keine Hanswurste, keine Hirnathleten, sie sind nicht Literatur oder Psychopathen oder nach dem abscheulichen Rezept irgendeines medizinischen Seelenzerknabberers gebaut.

Sie sind der wundervolle Niederschlag des vom Gespenst des Nordens und seiner Widersprüche angeregten und filtrierten Menschen, der mutig ist und kühn und groß und alle Eigenschaften hat der Eroberer und der Starken und der Wikinger von ehedem, dessen Seele aber labyrinthisch und gewöhnlich von einem guten und wohlwollenden Dämon getrieben wird, sich keusch und seltsam zu verhüllen und irgendwie scheinbar zu wissen: dies alles Leben unserer irdischen Bestimmung sei weiter doch nichts als ein göttlicher Witz und ein tragischer Humbug des Schöpfers und irgendwo ganz anders sei der wahre Schatz und die schönere Sicherheit.

Deshalb, weil diese Menschen so in die Spiralen hineinwandern, ist das Leid, das sie immer umwölkt, aus einer Spannung zwischen Leben und Geist geboren und von einer süßen und satten Getränktheit, fast überirdisch schon manchmal in seinem Nichtgesagt- aber Empfundenwerden.

Man geht nie direkt aufeinander los, sondern man weicht aus, man macht die unmöglichsten Umwege umeinander, ja die Liebenden und Hassenden umschweben sich schon gewissermaßen nach bestimmten Gesetzen, unruhvoll und voll Jubel und Bestürzungen wie das Schweifen der Sternhimmel, die auch sich gewöhnt haben die Kreise einer gewissen Entsagung umeinander vorzunehmen.

Es ist bisher nicht gesehen worden, daß die Wasserscheide zwischen asiatischem und westeuropäischem Geist durch Christiania geht. Es ist wichtig zu wissen, daß weder Berlin noch Wien hierfür irgendwie momentan in Frage kommt. Man hat auch nie verstanden, daß hier im Norden eine bedeutende Literatur zu Hause ist, die, wenn sie auch nicht tiefspaltig ist und groß im Sinne der französischen und deutschen, doch ein Zeitmaß an Repräsentation jedenfalls heute ausübte, vor dem wir uns heftig zu verbeugen haben. Der germanische Mensch hat sich jedenfalls in den skandinavischen begeben, und die nordische Seele hat sich in Hamsun erfüllt und damit den dritten europäischen großen Typus geschaffen.

Flaubert

Balzac gab dem französischen Roman die Fülle, France die Weisheit, Flaubert gab ihm die Größe. Balzac lieh ihm die Weite und das Demokratische, France das aus Vollendung heraus Müde und Lächelnde, Flaubert die Aristokratie.

Die Faust des großen Balzac gestaltete die Gesellschaft seiner Epoche beim Beginn des Jahrhunderts in ein phantastisches Furioso, am Ende dieses Jahrhunderts entläßt France diese erledigte bürgerliche Gesellschaft mit der Gebärde der milden Skepsis. In der Mitte des Jahrhunderts schuf Flaubert über sie hinaus große Kunst.

Er mußte zwar durch sein Jahrhundert hindurch, um zur Kunst zu kommen, die er groß und über alles liebte, aber er verachtete es, obwohl er nicht ohne Sympathie für die Menschen war. Er wollte nicht die Geschichte seiner Zeit schreiben, sondern es kam ihm darauf an, daß sein Kunstwerk die Dichte aus Erz und seine Menschen die Unerbittlichkeit im Umriß bekamen, die sie über das Jahrhundert hinaus erhielten, auch wenn sie ihre Zeit lebten. Jeder Weg führte ihn nur zur Kunst.

So bekam sein Werk die Höhe, daß in seinem Jahrhundert sein Roman wieder den großen Typ des Prosa-Kunstwerks darstellt. Dafür gab er sein Leben hin, und nie ist ein furchtbarerer Kampf geführt worden wie zwischen seinem Leben und dem Moloch Kunst.

Doch gab er dabei sein Leben nicht auf, wie die geschäftigen Erzähler seines Daseins darstellen, sondern er führte es mit derselben Souveränität, die sein Werk ausmacht. Er war kein kleiner Schreiber, kein Hysteriker und Nervendilettant, der die Taten der Welt, die er fürchtet, in die schwachen Räusche der Literatur einbiegt. Er war kein Dandy: ein riesenhafter Gallier, mit dem Schnurrbart eines Generals, ein Hüne, ein großer Esser, ein reicher Gentleman, der sein Leben gelebt hat, gut speiste, sein Teil an Frauen hatte, ein königlicher Bürger.

Er hat von seinem Landhaus Croisset aus die Welt bereist, Italien, Griechenland gesehen, voll saftiger Lebenliebe. Er hat in Beduinendars geschlafen, hat vor der Küste Tunis aus Ungeduld, Karthago zu sehen, kein Auge geschlossen, ist in der Karawane auf dem Maultier nach Biserta geritten, vierzehn Stunden im Sattel, auf Dromedaren durch die Wüste. Eine große Schlange am Bein seines Pferdes hat er mit Peitschenhieben getötet. Er konnte auch dies. Später haben die nächtlichen Fischer sein helles Haus, wo er die Nächte schrieb, als Leuchtturm genommen, er hat darüber gelacht.

Auf seinem Tisch standen die besten Parfüms, seine Pflege war außergewöhnlich wie seine Distanz. Dieser Mann da, der in Croisset bei Rouen Unsterbliches schrieb, eine Wohnung in Paris hatte und gute Menus zusammenstellte, war kein asketischer Schreiber, er war auch im Leben ein Fürst von fast germanischem Einschlag in der Derbe und Ungeniertheit seiner Haltung. Er schrieb seine Briefe nicht wie ein kleiner Autor, sondern wie ein Kommandeur. Er hatte auch in seinem Leben die Größe des Anspruchs und die Helligkeit der Geste, mit der er seinen Kampf um die Kunst kämpfte, der lang und furchtbar war.

Darum überhaupt konnte er seinen Kampf um die letzten Territorien der Kunst so unerbittlich führen, weil er ein Feldherr war und kein Franktireur, und weil er dadurch so vieles zuzusetzen hatte. Denn die Jahrzehnte, die dieser Mann als „Einsiedler von Croisset“ in seinem Landhaus saß, Tag und Nacht darum rang, dem festländischen Roman Europas das Gesicht der Schönheit und den Wuchs des Siegers und die Seele voll Musik aber die Muskulatur eines schlanken Athleten zu geben, diese Jahrzehnte, während deren er fast ohne aufzustehn von dem Tisch, an dem er schrieb, aus dem Nichts heraus ein unerhörtes Werk riß, tausendmal das Geschaffene verdammte und tausendmal neu schuf, diese Jahrzehnte sind der heroischste Kampf, den ein großes Leben und ein großes Werk führten.

Darum ist es so wichtig, zu sehen, daß nicht ein Schwärmer, nicht ein Asket, ein Nervenkranker aus seinem Leiden die Maskerade eines Martyriums schnitt, sondern daß ein Vollblut, ein Jäger, ein fester Globetrotter, ein Ringkämpfer des Geistes seine Säfte überwand und eines Tages sein Leben von den Dingen der Welt zurückzog und es auf die Kunst so fanatisch einstellte, wie es nur ein voller Mensch kann.

Denn der Weg von Kraft und Blut zum Verzicht auf die geliebte Welt ist ein verzweifelt viel weiterer und zackigerer als die Himmelfahrt, die impotente Jünglinge und lendendürre Klepper der Künste vornehmen, in dem sie aus ihren Gebrechen einen Vorzug machen. Dieser aber hob mit einem schmerzhaften Lächeln sein Dasein weg von den Genüssen und Erlebnissen und hetzte es der Kunst nach, daß die Fugen knirschten vor der Zähigkeit des Willens.

Darum ward aber die seelische Elastizität seiner Kunst so groß, weil sein Leben so gewaltig darin sich spiegelte. Der wundervollste Fall des Widerspiels von Kunst und Leben hat hier eingesetzt und sich vollendet.

Flaubert ließ alles für die Arbeit, und nach den Reisen und Frauen gab es nichts für ihn als die Beschäftigung mit der Kunst. Da trat das Menschliche so tief und klar in seine Kunst hinein, daß der Gewalt des Geistes sich die Stärke des Menschen hinzufügte. Dadurch ist ein Gegengewicht geschaffen gegen seine tollsten geistigen Ausschweifungen. Denn man glaubt sie. Hinter jeder, selbst der kühnsten literarischen Geste steht der Mensch Flaubert und tut sie mit. Das gibt dem Werk das große Format.

Sein menschliches Beispiel mischt in das Buch die Macht der Überzeugung. Was er aus Überfülle zurückhielt im Leben, floß ebenso voll in sein Werk. Manchem seiner Nachahmer, wie dem Italer D’Annunzio und dem deutschen Heinrich Mann glaubt man eine gewisse große Haltung des Künstlerischen sowie des Geistes, aber es bleibt Literatur einen Schritt schon über die papierne Grenze, und man glaubt an Beispielen und Menschlichem ihnen kein Wort. Sie haben aus Schwäche sich in das zuckende Abenteuer der Kunst geschleudert und sitzen vibrierend wie Rennfahrer an die Kunst geschmiedet, und wenn sie loslassen, fallen sie zurück in die Dünne ihres menschlichen Formats. Das Schwache und Hohle, das die krampfhafte und schmerzliche Verhaltenheit ihrer Leidenschaften hat, kommt daher, daß keine gewaltigen Menschen hinter dem Dichter stehen.

Aber bei diesem Flaubert, der nicht in die Kunst flüchtete, sondern der sie wählte, indem er ein volles saftiges Leben dafür hinwarf und sein rotes Blut hineinpumpte, ist die Weite des dichterischen Geistes tief erhellt von der des Menschen. Wundervoller hat sich nie das Heldenhafte mit dem Martyrischen gekreuzt, und nie hat Leben und Arbeit von verschiedenen Seiten, indem es sich gleichwohl wie toll bekämpfte, eine solche Höhe der Harmonie erreicht.

Flaubert liebte die Literatur wie ein Narr, aber er ist kein Literat. In Rouen, von reichen Eltern geboren achtzehnhunderteinundzwanzig, schrieb er siebzehnjährig: „Ich schreibe Werke, die nicht den Preis Monthyon erhalten werden, und die zu lesen die Mutter ihrer Tochter nicht erlauben wird.“ Er hat sein Zeitalter gekannt und hat es an sich erfahren. Die Masse haßt nichts so sehr, als den Anblick eines Überragenden, darum sind ihre Götter gewöhnlich Subalterne, aber die echten Helden spüren jeweils, was es heißt, ein stolzes Herz auf dieser Erde zu tragen.

Flaubert hat jede, auch die tiefste Verständnislosigkeit erfahren. Es braucht nicht verschwiegen zu werden, daß er mit einer grenzenlosen Verachtung zurückschlug. Das Publikum aber spürt nichts rascher und sicherer als Verachtung, wenn sie schweigend bezeugt wird. Wegen seiner „Bovary“ hat es ihm einen der größten Prozesse gemacht, den die Literatur kennt, indem man ihn der Verletzung der Sitten anklagte und ihm dadurch wider seinen Willen, nachdem er denkwürdig vor widerwilligen Richtern gesiegt, einen sensationellen Erfolg verschafft. Der Literaturpapst St. Beuve schrieb an seiner „Salambo“ ebenso ahnungslos vorbei wie irgendein kritischer Kretin. Keiner sah, daß der größte geballte Roman zeitloser Leidenschaft in der erlesenen Zucht einer vollkommen gebändigten Sprache vorlag und stritt um Aquädukte und über die Orthographie Hannibals und die Zeremonien seiner Empfänge. Eben hatten in der Tat die Realisten ihre Sturmbanner aufgezogen und Zola sein Programm an ihre Spitze gestellt. Man beging den erbärmlichen Irrtum, Flaubert einzuordnen und mit modischen Maßen zu messen. Was an Höhe und fliegender Kraft aber an Flaubert darüber hinaus ins Dichterische stieg, knipsten die kleinen Hüter des Kritischen ab, und hielten das wie stets für Verzerrung, was in Wirklichkeit die Erfüllung war.

Er sah, daß wie verzaubert alles, wenn es seiner Hand entglitt, im Wort der Masse ins Gegenteil sich kehrte. Flog er, beschimpfte die Meute ihn, er sei im Kot. Formte er die vollendete Höhe der französischen Prosa (wie keiner vor ihm) und führte die Sprache seines Landes in Kurven von erfrorener, verzückter Schönheit, schrieb ein Biedermann, er kümmere sich nicht um den Stil. Gab er das Beispiel vornehmster dichterischer Zurückhaltung, schrieb Barbery D’Aurevilly, er beschmutze den Bach, in dem er bade. Alle Dummheiten, alle Einfältigkeiten, die eine Heimat gegen ihren bedeutenden Sohn unternehmen kann, hat er erfahren. Heute, wo seine Bücher europäischen Ruhm und klassische Geltung haben, erscheint es reichlich absurd, daß die Bürger und Provinzblattschreiber Rouens den Aristokraten als Sozialisten verleumdeten, den Einsiedler als sittenlos schmähten und am liebsten auf diesen Bürger verzichtet hätten, dem sie, als er, der größte Schriftsteller seiner Zeit schon damals, um die Grabstätte für ein Denkmal seines Freundes, des Rouenser Dichters Boulhiet bat, das glatt verweigerten, und den politisch hetzten, der so ganz unpolitisch war. Aber der Tägliche Anzeiger von Rouen hat dies, wie alle „Täglichen Anzeiger“ der Welt, besser gewußt.

Flaubert aber, der wußte, wer er war, wohin er wollte und, wie alle Genialen, von seiner Mission überzeugt war, wandte sich voll Widerwillen von diesen Vertretern seiner Epoche. Er verachtete sie zu sehr, als daß er ihnen gezürnt hätte. Aber er sah in diesen armen und bemitleidenswerten Affen nichts anderes wie den Ausdruck der großen Masse, die stets dumpf gegen das Klare und mit wütendem Zorn gegen das Große reagiert.

Er verachtete die Masse so ungeheuer, so instinktiv mit dem besten Empfinden des Zuchttieres, daß er nie auch nur die Spur eines Kompromisses schloß. Er dachte an kein Publikum, wenn er schrieb, er dachte an keine Erfolge. Er war nur eingestellt, die Kunst so hoch zu treiben, wie es, bis an das Schwindelgefühl, ging. In hunderten Briefen hat er seine souveräne Ablehnung des Publikums ausgesprochen. Nach der Fertigstellung der „Bovary“ mußte er aus übergroßem Dégout vor der bürgerlichen Masse in jahrelange glänzendere Luft des heroischen antiken Stoffes sich flüchten. Er hat die Perfidie des Publikums, und wie „Candide“, die schreibende Canaille, kennen gelernt. Keine Zeile der Förderung hat er der Presse zu danken, kein Kritiker, der ihn nicht, wie jeden Autor von Begabung, in jeder Epoche zerriß.

Seine Zeit stand ihm gegenüber als Meute. Er übersah sie zwar, aber er hätte sie darum nicht gehaßt allein. Er hat nur ihre Kleine verachtet. Mit diesem unschöpferischen, nur politisierten Zeitalter war keine Größe zu erschwingen. Er war gegen die Zeit, wie sie gegen ihn, aber er war bedeutend genug, sich leicht damit zu trösten, daß sie auch gegen Molière, Cervantes, Shakespeare und Rabelais war, und daß er nur einer in der ausgewählten Kette derer war, die, weil sie Göttliches schufen, einen Teil der Einsamkeit und des Leides der Welt besonders tragen mußten.

Er verachtete das Getriebe mit einer Bewegung, damit erledigte er es. Denn er war auch als Mensch von einer solchen Breite der Übersicht, daß er persönliches Schicksal und private Unbill nie in dem Sinne empfunden hätte, daß sie seine Richtung und sein Werk beeinflußt hätten. Allein er sah in dieser Dummheit der Masse die Tragik unserer Existenz, denn er wußte, daß die barbarischen Fehlerquellen des Lebens von den Kriegen bis zur Armut nur auf die Majorität der Unaufgeklärten zurückgehen.

Und er war ein zu großer Künstler, als daß er nicht aus der klaren Wollust der Form heraus die Todfeindschaft der Zuchtlosen gespürt hätte.

Er haßte die Menge aristokratisch im besten Sinne, obwohl er kein Reaktionär war, und obwohl er die Menschen mit der Anteilnahme eines sympathischen Athleten liebte. Aber ihr Auftreten als Gesamtheit, die stets den Gesetzen des Schönheitswidrigen und Geistfeindlichen sich beugte, ertrug er nicht ohne Fassungslosigkeit und Zorn.

Er sieht, daß von den Regierungen bis zu den kleinsten Kritikern, von den Theaterleitern bis zu den Redakteuren, daß alles, was das geringste Stück Macht in der Hand hat, der Kunst gegenüber versagt, da Macht subaltern ist, und, seit die Erde sich drehte, Schönheit und Gutes nie mit ihr verbunden war. Er sieht La Biche und Du Camp in der Akademie, und es ist ihm zum Speien. Er sieht ein Publikum, das mit Speeren und Pistolen der Kunst gegenübertritt.

Er sieht ein Land voll Selbstschüssen, Tellereisen und Falltüren für das Schöne. Er sieht die Führer der Literatur demoralisiert, auf der Gier nach Erfolg zitternd vor Mißerfolg und Versagen, und schon so an die bürgerliche Börse des niederen Erfolges geschmiedet, daß sie zappeln, statt fürstlich nur der Kunst ins Gesicht zu sehen. Er weiß als ein Gelehrter auch, daß sogar Boileau die Dummheiten, die er in der Akademie hören mußte, sein Ende beschleunigt haben, und er zieht die Folgerung daraus: dies Jahrhundert ist keines Auftriebes fähig, keiner großen zeugenden Kraft untertan.

An politische Umänderung der Welt glaubte er nicht. Die Commune ist ihm die letzte Zuckung des Mittelalters. Er verachtet diese Zeit, aber er entzieht sich ihr nicht.

Er nimmt sie zwar in seinen Romanen als Modell, aber er nimmt sie nur, um sie zu malen, nicht um Partei zu ergreifen. Er benutzt sie, um auch durch ihre Armseligkeit an wahrer Erhabenheit zur Dichtung vorzudringen. Sie ekelt ihn, aber er treibt sie dennoch bis in die kalte Luft der größten Dichtung, und muß sehen, daß die Zeitgenossen ihn für einen Stümper halten.

Ihre naturalistischen Programme sind wie die Wagen bei den Pferderennen aufgestellt. Er war nicht so tief unten, um darauf zu passen, so belächelte man ihn. Daß man Flaubert für einen Realisten hielt, weil seine Epoche damit bis zum Erwürgen voll war, ist einer der lächerlichen Irrtümer, die die Blindheit der Zeitgenossen hervorbringt. Die Zeit ist immer voll von Mißverständnissen, genau wie jede Handlung von Bedeutung.

Als Flaubert verhinderte, daß die Prosa immer heftiger in die Gossen der Gebrauchssprache lenkte und ein Idiom von ungeheurer Dichte und marmorkalter Zucht dem entgegenwarf, hielten die Menschen ihn für einen Verfasser von Cochonnerien und zogen ihn vor die Assisen. Er aber weiß die Tragik, die ihn von seiner armseligen Zeit trennt, sieht, daß Ehren entehren, Titel herabsetzen, Ämter die Menschenwürde nehmen, und zuckte die Achseln, aber nicht ohne mit Hoheit den Kampf gegen die Dummheit aufzunehmen. Auch war er ohne Eitelkeit, daß Lob ihn keineswegs überzeugte. Von diesen Menschen freute es nicht. Es schmeichelt vielleicht, aber innerlich erfriert er vor Verachtung.

Doch, wenn er seine Zeit ablehnte, die seinem Wesen zu eng und seinem Anspruch zu klein war, so hatte das Altertum dagegen als Ganzes für ihn ungeheure legendäre Kraft. Doch flüchtete er nicht hinein wie sein Kollege Huysmans, der aus künstlicher Ästethik und, unfähig, seine Zeit zu zwingen, in den Rausch der mittelalterlichen Ekstasen, wie in eine Bekehrung mit klappernden Nerven sprang.

Vielmehr wandte er sich von dem Jahrhundert, das um die Suppenschüsseln der Arbeiter und die unbefleckte Empfängnis katholisch und sozial und verdummend schaukelt, er wandte sich von den politischen Raketen, die er haßte, zeitweise in die antike Welt, um aus den phantastischen Stoffen und der Raserei zeitloser Leidenschaften ein Bild des Gewaltigen zu gestalten.

Und wenn es ihn schon reizte, seine miserable Gegenwart zu dichterischem Gebilde und Haltung und Ausmaß zu entflammen, so reizte es ihn wie einen Rasenden, die Größe schon entgegenzunehmen aus den mythischen Zeiten und den visionären Stoffen, und dies Maß erlesener Stoffe zu einem kolossalen tropischen Gebilde innerer Maße und zuchtvoller Gesetzmäßigkeit zu gestalten.

Keine dieser Aktionen war eine Flucht. Der Wechsel war nur ein Ausgleich der Spannungen, denn der Wille zum Formen war in ihm beispiellos.

Jene Legende des Sokrates, der am Vorabend seines Todes eine Melodie von einem Spielmann zu lernen begehrt, um selbst sie in unersättlichem Daseinsdrang vor dem Tode ja noch zu haben, darf ihm, da das Leben kurz und die Kunst lang ist, als das Höchste der Moral erschienen sein.

Flaubert ist ein Weltmann und er erholt sich, was heute außer Mode, wie die gebildeten Leute seiner Zeit, von der Unzulänglichkeit der Menschen bei der Kunst. Der Gentleman zitiert stundenlang Verse, an ihrem Wohllaut wie an Musik und schönen Speisen sich erfreuend. Dieser genaue Kenner aller Schliche und Kniffe des Daseins schmatzt mit Vergil herum. Er hat eine herbe männliche Liebe für alles Erlauchte und Dichterische. Er singt die Verse Hugos, er hat etwas von einem General, der sein Handwerk vollendet beherrscht, aber den Ruhm, lateinisch zu reden, darüber stellt.

Er genießt Kunst mit einer Sinnlichkeit ohne Gleichen, er saugt sie durch alle Poren ein, sein Gehör und sein Verstand sind für jede Schwingung der Werke und des Gedankens bis zur Exaltation empfänglich. Ein Gourmet der Kunst, aber ein nüchterner distanzierter Genießer zugleich, stoßen hier zusammen, aber er hat etwas auch von einem Boxer, der Sentiments zu verdecken hat.

Das Weltmännische und die Kunst ergänzen sich bei ihm in überlegenem Maße, denn er sucht das Herrische zu dämpfen, aber das Banale zu vergrößern. Er hat eine wundervolle Scham gegenüber dem Eigenleben der Stoffe.

Den, der Größe trägt, läßt er sie nicht laut sagen, aber den Armseligen treibt er aus Mitleid bis in die vollendete Figur, die ihm möglich scheint. Eine noble Vornehmheit erfüllt so alle seine Charaktere.

Da er gut und schlecht nur schildert, wie alle große Kunst es tut, als Bestandteile der Kunst, die sich entwickeln nach ihrer Gesetzlichkeit, die also nur zu gestalten sind, ohne daß man für sie Partei nimmt, kommt eine Einfachheit in ihn, die ohne gleichen wird. Die steilsten Leidenschaften ziehen sich irgendwie zurück, das alltägliche Menschliche herrscht wieder. Aber die banalsten Dinge bekommen eiserne Haltung, daß sie so simpel, aber so monumental ausgehen wie das Leben und wie jener wundervolle Schluß der „éducation sentimentale“, dem kein Gott etwas wegzunehmen, aber auch nur ein geringes hinzuzufügen vermochte.

Aber schon hier, wo Takt und Stärke sich liebevoll vereinen, ist er auf dem furchtbaren Wege vom Genießen in die Hölle. Der zerstörende Prozeß der Arbeit tritt ihm aus der Kunst mit allen Martern entgegen. Der Amateur wird Dompteur, und diese Dressuren und Jagden in die Kunst hinein zeigen das größte jahrzehntelange Martyrium der Geschichte.

Die anderen Schreiber seiner Zeit hatten doch neben der Kunst noch ein Leben nebenher sich zu bewahren gewußt, Zola, der wahrlich bestialisch schuf, hatte seine Geliebte, der Bienenfleiß der Brüder Goncourt ließ ihnen Raum zur Geselligkeit der Leute von Rang, die sie waren, Maupassant saß im Ministerium und hatte den tollsten Harem. Dieser Flaubert aber überging alles und wandte nur immer heftiger, je weiter die Jahrzehnte kamen, gebannt und unabwendbarer jedesmal, der Kunst sein Gesicht zu.

Er folgte ihrem gestirnhaften Gang mit der schicksalhaften Lähmung und Entschlossenheit der Sonnenblume, die dem Lauf des Taggestirnes mit dem offenen Mähnenkopf folgt und von der die Antike sagt, daß sie, eine Nymphe, auf diese Weise verzaubert an den Sonnengott voll unablässiger Sehnsucht gebunden sei. Flaubert bindet sich jedoch nicht an die Kunst wie ein Exaltierter und hat mit der zerrissenen Inbrunst des Van Gogh gar nichts zu tun. Er ist kein Gefressener von der Kunst, er ist ein Männlicher, ein stählern Entschlossener, er ist selbst ein Verspeiser, es ist etwas von der Ruhe des Detektivs in der Besessenheit, mit der er sein Leben ihr bestimmt.

Diese anderen, die Kunst wie Schaum vor dem Munde führten und zusammengekracht wären wie entleerte Puppen, wenn man sie ihnen entzogen hätte, diese Ekstatiker wie Gauguin und Grabbe und Bürger, diese Verbrennenden und Selbstzerstörer haben nichts Gemeinsames mit seinem kälteren und bewußten Furioso der Opferung.

Denn bei Flaubert wäre niemand im Zweifel, was wiederum keinem der andern geglaubt würde, daß er, wenn man durch einen Trick Kunst aus der Welt zu entfernen verstanden hätte, auch ein gewaltiges Leben anderswie mit gleicher Breite wie in seinen Romanen gelebt hätte, und daß seine Sehnsucht sich im Urbarmachen unbekannter Länder, in der Anlage phantastischer Städte, im Bau von unvorstellbaren Brücken und der Vollendung eiserner Organisationen fest erfüllt hätte.

Wenn es aber bestimmt war, daß einmal im Jahrhundert der denkwürdige Kampf zwischen Leben und Kunst in der Höhe eines symbolischen Vorganges ausgekämpft werden sollte, so ist es sicher, daß hier die Größe der Opferung der Größe der Leistung wohl entsprach. Daß aber auch der Ungeheuerlichkeit der Liebe, die aufgewandt wurde, sich die gleiche Fülle der empfangenen Qualen hinzufügte.

Die Kunst ist eine furchtbare Geliebte, wenn sie ernst gejagt wird, aber auch niemals mag ihr ein Gegner durch seine unerbittliche Kühle, mit der er jahrzehntelang die Zähigkeit dieser Jagd fortsetzte, so furchtbar geworden sein. Niemals hat aber jemand Kunst als Gegner mit solcher Würde, solcher Männlichkeit geehrt, indem er sie so sehr über alles stellte wie der Gallier Flaubert.

Dieser Mann zögerte keinen Moment, alles von sich abzutun, um ihr ganz zu gehören. Er ging nicht in die Wüste, vernachlässigte auch nicht die Eleganz seines Anzuges, worin nur Kinder und Einfältige das Wesen einer Überzeugung sehen, aber er bog sein ganzes Leben und alles, was daran hing, wie die Zacken einer Krone nach seinem Ideal hin.

Er faßte die Kunst von allen Seiten, und wenn sie sprach, hatte nichts mehr Wichtigkeit, und alles war nur voll Sinn im Hinblick auf sie. Er reiste nicht mehr, um ihr besser zu dienen. Er ließ eine Geliebte fallen, als sie ihn von ihr abzog. Er war gewohnt, gut zu leben, aber er hätte in dem Augenblick auch dem entsagt, wo es ihn gestört hätte, der Kunst näher zu rücken. Er opferte den Ruhm, die Ehrungen der Städte. Er haßte die Bewegungen und ließ auch den Sport, da sie an der gleichen Kraftquelle sogen wie seine Arbeit und blieb zuletzt nur festgebannt an der Platte des Tisches kleben, an der er die Kunst beschwor. Besuche kamen noch, Turgenieff, Zola, die Goncourts, Maupassant, Charpentier, aber, so sehr er sie einlud, so sehr sie ihn freuten, im Grunde zählte er doch, wieviel Tage, wieviel Stunden er dadurch an die Arbeit verloren.

Er war mit eigenem Entschluß und freier kühner Überlegung in diese furchtbare Umarmung hineingegangen, die ihn zerfleischte und erdrückte. Auch dieser Bewegung seines Lebens hat er dadurch Größe gegeben.

Doch hat er in dieser tragischen Verstrickung den großen europäischen Roman des letzten Jahrhunderts geschaffen. Zwischen den steif gewordenen Marionetten der Romantik und den tobenden Entfesselungen der Naturalisten steht er in einsamer und gebieterischer Haltung, den Blick weit über beide hinaus.

Man wird nicht umhin können, in späteren Jahrhunderten zu sagen, daß zwischen den großen Gefühlen und bunten Träumen der Befreier der Phantasie um Viktor Hugo und den hinreißenden Kämpfern für die Idee der Menschenwürde um Zola, daß zwischen beiden Verdiensten Flaubert den Roman weit über diese Aufgaben in die volle Repräsentation seiner Rasse hinaufgeführt hat.

Wohl hat er ebenfalls Farbe, und keiner konnte wie er malen, wenn er die See des Orients voll Flamingos sah, und die Röte des Schicksals purpurn über Karthago flammte. Aber in seiner Farbe saß die Anspannung eines Geistes, der nicht für Gefühle und nicht für Soziales, sondern für die höchste Entfaltung und Freiheit einer aufs letzte gedrängten und erhöhten Kunst lebte.

Er hatte das andere alles auch, aber nicht als Zweck und nicht als Ende. Denn Kunst hat keinen Ablauf zwischen irdischen Zielen und zwischen zeitlichen Absichten, sondern entrollt sich erst rein in der zeitlosen Zone ungeheurer dichterischer Figur. Da ist dann auch Romantisches dabei und Soziales darunter, aber beides sind nur Färbungen, und beides sind nur Teile eines unabsehbaren Mosaiks von Gegebenheiten, die die Räume des Dichterischen nach den Gesetzen großer Harmonien wie die Sternbahnen durchfluten.

In diese Höhe, wo nur ein Schurke gut und schlecht unterscheidet, und wo unter den Zwängen der Gestaltung die Schicksale und Ereignisse sich vor dem Horizont der Ewigkeit vollenden, trägt aber nur die gewaltigste Anspannung.

Daß Kunst so enorm sei, und daß der Roman nicht ein Gewäsch und ein Geplärr um gleichgültige moderne Probleme sei, sondern daß er in Dichtung hoch hinauf gefrieren müsse, das wieder gezeigt und gelehrt zu haben, ist Flauberts unsterbliche Tat. Neben der Leistung aber steht sein Leben als sinnbildhafter Vergleich für die Gewaltigkeit dieses Kampfes.

Er türmte nicht neues Material wie Zola, er attackierte nicht den Herzmuskel wie Dumas, kam nicht gigantisch und wirr wie Balzac und hüllte sich nicht in dichterische Melancholie wie Musset, er brauste nicht vielfarben wie Hugo . . . er goß seinen Roman aus Geist und Stoff und Sprache in ein fabelhaftes Gefäß, daß der Melodie der Sprache die ungehemmte Größe der Gedanken entsprach, wie der Breite des Stoffes die überirdische Ungebundenheit, in der er ihn bewegte.

Nach so vielen Verwässerern erschien endlich ein Erbauer des Romans. Diese Bücher wurden nicht geschrieben, sie wurden gehämmert. Diese Sprache erzählte nicht mehr, sondern sie war so transparent, daß sie versinnbildlichte. Diese Sätze waren nicht aus den Seifenblasen des Gefühls aufgetrieben, sie waren Architektur.

Seit langem entstand zum ersten Male wieder ein Roman, der eine Welt in sich einschloß, wo unter dem Kuppeldach der Dichtung alle Gefügtheiten der Seele und der Zeit in wahrhafter Gestaltung sich bewegten. Endlich wieder erschienen im Roman riesige Dimensionen der Idee im klaren Spiel sie begrenzender, zu höchster Zucht hinaufgeführter Formen.

Ein Gipfel war erreicht. Eine Sprache geschmiedet, die das Banalste faßte und vor Dichtertum gleichzeitig bebte. Ein Raum war umspannt an Weite, wie nicht zuvor. Der französische Roman bekam mit neuer Wahrheit europäische Geltung. Das leichte Glissieren des Französischen, das man gern nicht voll nimmt, erhielt durch seine Dichte neues Format. Über Balzac, der nicht nach Höhe gliederte, über Dostojewski, der in der psychologischen Gebundenheit seiner Figuren nie diese Freiheit erreichen kann, hat er ein neues Weltgefühl dichterisch und mit aller Ungebundenheit der Bewegung eingerahmt.

Es ist zwar keine Sache von dem Umfang eines Cervantes, der Breite des Rabelais, der wilden Gestuftheit des Shakespeare, so große Bauten schafft nur dies oder jenes Jahrhundert, das mit Kathedralen und göttlich durchkreisten Stilen sein Weltgefühl instrumentiert. Aber Flaubert schuf für die Dünne seiner Epoche ein Gebilde, das jeder Bedeutung angemessen, in seiner Strenge erstaunlich, mit seiner Konsequenz bewundernswert, und durch seine Größe ein stolzes Signal über dem Jahrhundert ist.

Seine Wichtigkeit ist international. Es gibt keinen Romanzier nach ihm, der ihn zu übertreffen vermocht hätte, aber es gibt kaum einen von Bedeutung, der ohne ihn auch nur denkbar wäre.

Der hellste Kämpfer der westlichen Gesittung, unseres europäischen Formwillens und agressiven Talentes hat sich hier gegen das mit barbarischen Kämpfern des Geistes nahende Rußland aufgerichtet.

Die Raumweite und die Süße des Mittelalters hat er in seinen Tag hinein gespannt, aber er hat auch verstanden, die Schnelligkeit und die Blitzschärfe und die flache Glätte unserer Zeit zu der wahrhaften Souveränität zu gestalten, die die westliche Kultur in ihren höchsten Punkten sicher inne hat.

Auch hat Flaubert diesem Werk einen festen Unterbau gegeben. Seine Genauigkeit kannte keine Grenzen. Er las ein Buch von vierhundert Seiten über Zypressen, weil er den Garten eines Astartetempels damit bepflanzen will. Er liest Dutzende von militärischen Büchern, weil er neue Effekte aus der antiken Kriegskunst, aus der klassischen Infanterie herausholen will. In vier Zeilen muß er ein Arbeitshaus in Lyon erwähnen, darum schreibt er einen langen Brief mit Fragen über die Lebensform, die Instrumente, er läßt sich eine Zeichnung anfertigen; er macht eine Reise, um eine Gegend anzusehen, die er in drei Zeilen als Rahmen um eine seelische Auseinandersetzung legen will. Er läßt den Helden der „éducation sentimentale“ von Fontainebleau während der Barrikadenkämpfe zurückkehren, er entfaltet ein großes Fragen, ob damals die Bahn existiert hätte, ob es wahrscheinlich sei, daß sie gesperrt gewesen sei, ob der Held den Wagen als das Natürlichere wohl nehmen könne oder ob nicht. Er läßt denselben Burschen Börsengeschäfte machen, aber er erkundigt sich in langen Briefen, welche Spekulationsobjekte zwischen Mai und Juni die gängigsten seien.

Er ist ein großer phantastischer Autor, er brauchte von alledem kein Wort.

Aber er will es wissen, er will auch dies beherrschen, er will hier wie überall das festeste Fundament. Er weiß, daß die letzte Grundlage der Kunst die Natur und das Tatsächliche ist, und daß von da erst die Himmelfahrt in das Dichterische beginnt. Er ist ein Pedant der Phantasie, ein klarer Errechner der Visionen. Aber . . . er beherrscht auch dies Geringe, und das Bewußtsein des Fundaments gibt dem Bau die Linie der Stetigkeit.

Er arbeitet jahrelang an „Salambo“, bis er aufbricht, es zu riechen, zu schmecken, und dann, den Duft des Erlebnisses, das Bild der Natur und des glühenden Himmels Karthagos im Hirn, zerstört er, nach Hause gekommen, das mühselig Geschriebene, und richtet sein Werk ganz nach dem Eindruck der Reise. Das Seltsame geschieht, daß der größte Visionär der Prosa einen ganzen phantastischen Roman zurückführt nicht auf die schönen Blitze seines Hirnes, sondern auf die Bilder, die ihn aus den armseligsten Resten gigantischer Historien, aus wahrlich kaum von der Wüste unterscheidbaren Ruinen packten. Um ganz groß und frei zu sein, muß man nämlich alles wissen, um es wieder vergessen zu können. Man beweist Überlegenheit nicht, indem man beiseite schiebt, sondern indem man erprobt.

Flaubert wußte alles, jedes medizinische, chemische, botanische Problem war ihm nah. Er (neben Strindberg) vereinigte das ganze Wissen seiner Zeit noch einmal, aber nicht, um es wie Zola zu beschreiben, sondern um es zu gestalten.

Er brauchte es nicht, aber er besaß es und, wo man auch die Totalität seines Werkes anfaßte, war er auch in den Details ein Könner und sandte die Wissenschaftler, die ihn attackirten, ebenso wie den geschwollenen St. Beuve, die ihn mit Albernheiten angriffen, mit überlegenen Witzen der Sachlichkeit nach Hause. Daß bei der Sitzung der wissenschaftlichen Gesellschaft dieser Romanschriftsteller der einzige war, der Hippokrates gelesen, ist für den Glanz seiner Romane, die nicht wie die von France mit dem dekorativen Fries des Wissens behängt sind, so gleichgültig wie nur etwas, aber es zeigt den Geist, der hinter den Werken stand.

Flaubert ist nie nach außen hin gescheit, aber er verstand es, das Wissen um die Dinge der Welt und die Kreise ihrer Kulturen in seine Bücher so hineinzuformen, daß es unbemerkt darin stand als Teil eines Menschen oder einer Entwickelung, dergestalt, daß ihre Vollkommenheit so groß war, daß sie das Milieu ihres Geistes nicht in Reden, sondern im Wesen hatten. So goß sich schon in den Voraussetzungen wundervoll straff die Struktur der Bücher, für die Marmor als Wort zu wenig und Stahl nicht süß genug für die Kraft ist.

Denn was Hanswurste und Alberne das Artistische an ihm nennen, ist ja nur das Überragende, und daß er eben verstand, alles zu wissen und nichts davon spüren zu lassen, daß er hinter alles zurücktrat und alles laufen ließ, aber dennoch eine Gewalt des Sinnbilds und eine Größe der Persönlichkeit hinter das Geschaffene stellte, die furchtbar in ihrer Intensität und bezaubernd in ihrer Schönheit sind.

Dies alles wird erkämpft, bedroht stets von den Massen der Wochen und Jahre, die vor ihm stehen, und deren Schatten die Werke an die Wand werfen.

Stets wußte er, daß ein Buch vier Jahre von Qualen, ein Kapitel Monate von Schmerzen kosten werde, daß er Nächte hindurch wie ein Toller, während die Fischer ihre Boote nach seinem hellen Zimmer richteten, nach dem Ausdruck in seiner präzisesten Schönheit, nach dem Satz von der vollendetsten und gespanntesten Melodie suchen werde, und daß die Last der Jahre und der ungeheuren Schlachten durch den Wall der Wissenschaften und die Barrikaden der Zeit hindurch ihn fast erdrücken werden.

Dennoch wurde sein Menschliches nicht hart, sein Herz nicht Stein. Maupassant, sein Schüler, den er wie einen Sohn liebt, widmet ihm seine Gedichte so: „Gustave Flaubert, dem berühmten und väterlichen Freunde, dem meine ganze zärtliche Anhänglichkeit gehört, dem untadeligen Meister, den ich vor allen anderen bewundere.“ Und in der Tat, Flaubert hat den Maupassant nicht nur gelehrt, in großem Stil und in wundervoll dichterischer Luft zu schreiben, sondern er war auch der Meister, der ihn anwies, im Menschlichen nicht zu versagen und in dem Zeitalter der Politiker, Schurken und kleinen Wänste ein Kerl zu sein.

Flaubert hat wohl die Masse grenzenlos verachtet, weil er aus der Dummheit heraus den Urfeind für das menschliche Geschlecht kommen sah. Dem einzelnen Menschen stand er mit Wohlwollen, manchem mit burschikoser Güte gegenüber. Seine Freundschaft war unumstößlich von Garantie. Die besten Männer seiner Zeit liebten ihn. Er wußte, daß Freundschaft nicht ein gesellschaftlicher Akt ist, sondern zu beweisen sei. Zu den Premieren der Freunde fährt er nicht aus Prestige, sondern um seine Hände und seine Bravos in ihren Dienst zu stellen. Eine Reise Flauberts aber war ein Losreißen von seiner Arbeit und ein Opfer von Bedeutung schon durch dies. Seine Briefe zeigen ein immer großes Herz.

Der Athlet mit dem Gesicht eines gallischen Kriegers barg, gemischt mit Verstand, ein rührendes Gefühl des Taktes. Welche Anschmiegsamkeit bewies der Unerbittliche den ihm wesensfremden Büchern der fadenfein aristokratisch schwächlichen Goncourts gegenüber, wie schrie er derbe Komplimente über sein freundschaftlich gerührtes Herz.

Das machte aber, weil er larg war und seine Achtung vor dem künstlerischen Willen mit seiner herzlichen Gesinnung zu vereinen vermochte. Er, der so Vieles und so Hohes erstrebte und so sehr wie keiner um die Mühen wußte, hatte, wie jedes Genie, Respekt.

Er war nicht einseitig und eine zu volle und geprüfte Natur, als daß er sich nicht der Bedeutung, wie sie auch immer sei und ihm begegnete, beugte. Alles Glühende, alles Erhabene lockte ihn. Er liebt Byron und Rousseau, Montaigne und Hugo, Voltaire und Baudelaire. Jeder Adel zog ihn an. Aber wie wußte er seine Natur zu zähmen, wo die Achtung seine Empfindlichkeit zu übertreffen hatte. Wie stieß Zola ihn ab, aber wie erkannte er demütig sein Genie an. Wie lächerlich fand er La Biche, doch wie respektierte er das Handwerk selbst bei den Scharlatanen.

Er war souverän genug, anzuerkennen, und groß genug, Tadel zu verwinden. Alles Niedere parierte er mit seinem Lächeln. Seine Ritterlichkeit war die feste Achse seines Wesens. Als eine Zeitschrift Renan, den er verehrte, angriff, zog er seine Mitarbeiterschaft an dem Journal zurück, dem er nah verbunden war, denn es war ihm unerträglich, Bedeutung selbst von Freunden geschmäht zu werden. Er identifizierte sich mit dem Genie, aber er versäumte nicht, es mit Noblesse zu tun. Ja er, der die Menschen verachtete und es auf sich genommen hatte, die ihn zerfleischende Bestie der Kunst allein zu lieben, konnte, wenn es sein mußte, die Rücksichten der Kunst zurücksetzen für seine Freunde, und als er für den bedrängten Maupassant einen Aufsatz in den „Gaulois“ schrieb, den er nicht mehr überlesen konnte, hat er gezeigt, daß auch im Menschlichen zu opfern sein kühnes Herz im Stande sei.

Auch verstand er das Leben genug, um zu wissen, daß Literatur zu machen und Kunst zu lieben nicht genüge, wenn es aus blassen Herzen komme und er, der nichts verachtete als das Gemeine und alles anerkannte außer dem Unedlen, stand genug fest auf dem Boden dieser Erde, um zu verlangen, daß die Dichter so von allen Spannungen zur Höhe durchlaufen seien, daß sie alles beherrschen müßten: den Fischfang und den Seiltanz wie das Gefühl für die Schönheit.

Sein großes Herz ist ohne Echo geblieben wie das aller überragenden. Er wurde ausgenutzt und verlassen, schenkte und erhielt nichts. Der instinktive Haß der Öffentlichkeit, der Presse, der Schreiber gegen das verhüllt Gewaltige bewies ihm Schädigung, nie eine Förderung. Doch er wußte darüber sein grimmiges Lächeln zu lächeln. Er hatte eine Geliebte, die ihn nicht verließ, und er hatte ja sein Dasein selbst gestaffelt und gewählt. Er kannte seine Tragik.

Denn er war mit großem Anspruch an das Leben und zahlreichen Gelüsten geboren. Aber die verdammte Literatur, für die er sich völlig entschieden, hatte sie alle in seinen Bauch zurückgetrieben. Auch kannte er die Arbeit nicht nur als Wollust, sondern er kannte sie bis in ihre verbrecherischsten Tiefen: die Schützengräbenkämpfe um die Kunst . . . und kannte fürwahr die unfruchtbare Last der Tage und Wochen, wo er Kunst beschwor, und wo nichts kam, zu gut, als daß er Enttäuschung im Menschlichen (was doch gering war gegen den Zustand, wo Kunst ihn verließ) nicht leicht und rasch ertragen hätte.

Dennoch war er ein Lebenskünstler wie wenige. Wie die Solidität seiner dichterischen Gesichte war seine Kenntnis der Menschen fest fundiert. Denn durchschaute er sie nicht, wäre seine Unerbittlichkeit nicht so groß.

Er weiß alle Schlechtigkeit, man hat sie, jede, an ihm erprobt. Er weiß alle Sünden, denn alle Versuchungen sind an ihn herangetreten. Und die Welt und die Frauen, die er verlassen hat, und die Schritte der Dromedare in purpurnen Abendhimmeln und die großen Räusche italienischer Buchten und der Segel des Nils sind nicht ohne Größe wahrhaftig an das ihnen verschlossene Haus in Croisset getreten . . . und alle Versuchungen der Welt hat wahrlich nicht nur sein „Heiliger Antonius“ durchlebt.

Er kennt die Kompromisse, die das Leben ausstreckt, und er ist alt genug geworden, zu sehen, wie seine Generation und die Menschen seines Alters sich gehalten haben und er erschrickt. Er gibt nur einen Rat, hart zu sein und dem Edlen nur zu leben, das heißt, unerbittlich nach Kunst zu streben und alles zu verachten, was nicht dahin zielt.

Doch ist er Weltmann genug, die Höflichkeit in das Gebiet der Liebe und nicht in das der Strenge hinüberzuziehen, und er verehrt und liebt seine Freundin, eine bonapartische Prinzessin, obwohl er weiß, daß ihre Äußerung über Geistiges nicht mehr wiegt wie die eines sechsjährigen Kindes, aber er weiß ebenso der Bemühung ihres Salons um Kunst und der Würde ihrer Abkunft den Respekt zu geben, der gehört.

Er weiß auch, daß die Literatur der sicherste Maßstab für die Menschen ist, doch ist ihm auch nicht fremd, daß die Wirklichkeit sich nie dem Ideal beugt, aber daß sie dieses vielmehr bestätigt.

Wer seine Zeit so verachtete, daß er aus seinen modernen Romanen stets wieder in die Glut der antiken stürzte, wer sich erst überwinden mußte, auch das Zeitgemäße zu Würde zu gestalten, kann für Politik, die sein Jahrhundert verdarb, nichts anderes wie Abscheu haben. Er stand wie alle Geistigen zwischen den Lagern. Er hatte Sympathie für die Tradition, soweit sie adlig war, aber er haßte die Reaktion. Doch war sein Blut zu aristokratisch, als daß er die Demokratie in einer Republik aufgeplusterter Mittelmäßigkeiten geliebt hätte. Er hatte soziales Gefühl, aber er war kein Sozialist, ja er haßte diese Masse, die anrückte, wie jedes Publikum.

Er war wie sein großer Vorfahr Cicero und wie Plato für die Herrschaft einer Majorität, die nicht Nummer und Masse ist, sondern durch Generationen aufgeklärt ist, aus der Geschichte gelernt hat und eine legitime Aristokratie abstellt.

Da er aber weiß, daß dies der Brennpunkt aller Dinge ist, und daß hier die Dummheit unbesiegbar scheint und jene Tragik beginnt, die unser Dasein in Krieg und Frieden auseinander reißt, wendet er sich mit der Gebärde der Verachtung ab. Er entscheidet sich für die Kunst, der er treu dient wie keiner, und in deren Sphäre er diese Gegensätze, ohne respektlos sich hineinzumischen, in großen Gestaltungen seiner Hand schicksalshaft und mit monumentaler Geballtheit sich abrollen lassen kann.

Doch war er durch den ewigen Verzicht, sich direkt zu äußern, mit Meinungen bis zum Platzen gefüllt. Er hatte nur immer, statt zu erklären oder zu loben oder zu verurteilen, in die Handlungen seiner Figuren alles karg hineingestopft, und es wuchs glatt in das Ebenmaß ihrer Konturen. Er schrieb für die Ewigkeit und die Dichtung und nahm daher nicht kritisch Stellung, er malte keinen Jahrzehntgott, sondern nur unter Dauergesetzen. Aber manchmal, wenn die Dummheit ihn zu ersticken drohte, entschloß er sich wohl, im Alter, wenn er verdienstlich die großen Werke beiseite gelegt und seine Mission erfüllt hätte, Kritik zu treiben und in den Tag hinein das Schwert seiner Meinung zu tragen.

Er kam nicht dazu. Doch war er so unintellektuell, so unjüdisch gescheit, daß, hätte er geschrieben, nicht der Clown St. Beuve, sondern Flaubert der größte Kritiker seiner Zeit gewesen wäre. Seine Briefe, Muster an kristallener Klarheit, geben die Geschichte seiner Zeit, die Kritik der Literatur und das Urteil ihrer Menschen darin, kurzweilig und furchtbar, derb und gewaltig und in jedem Sinn meisterlich.

Flaubert wußte genau, wo er stand, was das Schicksal von ihm wollte und wohin er strebte. Das ist erstaunlich, mit welchem Anspruch auf Meisterliches und welchem Wissen um die Furchtbarkeit seines Kampfes sowohl wie auch um die vollendete Höhe seiner Mission er auftrat.

Erstaunlicher noch ist, wie die drei Längengrade, die seine Wallfahrt gliedern: die Größe und das Leben und die Kunst, in einer unverwirrbaren Symmetrie sich durch sein Dasein gelegt haben.

Worum verzweifelt die andern ringen, den einen Ausgleich nur zwischen Kunst und Leben sich zu erfinden, das vermochte er, indem er sein Leben hingab, auch noch ohne Erschütterung mit dem Anspruch auf Größe zu vereinen. Die Opfer, die auf dem einen Ufer niedergelegt wurden, haben auf dem andern wundervolle Triumphe gebracht.

Er wußte die unzerreißbare Kette seiner Romane in dieses Dreieck einzuspannen, und was er an Leben hineingab, wuchs ihm an Größe wieder in das Herz zurück, ein beglückender Kreislauf. In ihm ward das repräsentative Werk des Jahrhunderts geformt.

In diesem Sinne ist das bürgerliche Verenden in der „Bovary“ nichts anderes wie der herrische aufgebäumte Untergang in „Salambo“ und die „Versuchungen des Antonius“ haben irgendwo die gleiche Welt wie das furchtbare Grau vor „Bouvard et Pécuchet“.

Flaubert, der immer disponierte und, ein gewaltiger Taktiker der Arbeit, die Laufgräben gegen die Kunst lanzierte, hatte auf einen Samstag das Ende seines letzten Romanes und seine Abreise nach Paris festgesetzt. Er rief noch nach einem Parfüm und starb an diesem Tage auf seinem Divan. Maupassant telegraphierte in die Welt. Zola reiste durch halb Frankreich und traf in der Droschke zwischen Croisset und Rouen auf der Landstraße den Leichenzug, dem wenige Menschen folgten und den im Tod die Treuesten selbst verließen, und der den größten Romanzier Europas ins Grab trug, das wiederum zu klein geschaufelt war, um seinen Sarg fassen zu können, der kopfüber in die Erde stürzte, daß selbst die Menschen, die das Furchtbarste kannten, zu weinen anfingen über die tolle Kraft des Todes, dem auch die erlesene Größe nichts anderes wog wie einen Witz.

Als sie vorher auf dem kilometerlangen Weg durch die Sonne den Gallier mit dem Schnurrbart eines Feldherrn durch seine Vaterstadt Rouen fuhren, standen die Leute vor den Toren, um die Pariser Journalisten und Zola zu sehen. Der Name Gustave Flaubert erinnerte sie nicht an sein Werk, sie erinnerten sich vielmehr dabei seines Vaters, der Arzt in der Stadt gewesen war.

Hier aber trugen sie unerkannt einen der besten Söhne des Jahrhunderts an ihnen vorbei. Voltaire wußte es: „Das Leben ist ein kalter Scherz.“

Aber der Ruhm ist ewig und über alle Dummheit hinaus der Historie angehörig, wenn man solch ein Kämpfer für die Ewigkeit war.

Kasimir Edschmid
im zeitgenössischen Urteil.

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TIMES (LONDON):

Kasimir Edschmid ist einer der berühmtesten Prosaschriftsteller der zeitgenössischen deutschen Literatur.

REVUE MONDIALE (PARIS):

Edschmid ist ein großer Künstler und gleichzeitig eine der eindringlichsten Intelligenzen seines Landes, wie es seine Aufsätze und sein kritisches Werk beweisen.

GOETEBORGSPOSTEN
(GÖTEBORG):

In der jungen Generation, die in Deutschland die Möglichkeit der Prosa erneuert, nimmt Edschmid eine leitende Stellung ein.

L’ART LIBRE (BRUXELLES):

Im Anblick seines ersten Buches hielt man Edschmid für einen Novellisten. In den „Achatnen Kugeln“ beweist sich nunmehr eine bewunderungswürdige Gestaltung des Romans, und durch seine literarischen Aufsätze hat er den ersten Platz unter den Kritikern in Deutschland eingenommen.

HET GETIJ (AMSTERDAM):

„Die doppelköpfige Nymphe“ ist die Urteilssammlung heftigster Prägung über alles heutige deutsche Dichten und Schreiben, ebenso umsichtig wie verantwortungsbewußt. Eine solche Überlegenheit, daß die Erbübel des deutschen Sagens „Ungefährsein, Träumerei, Zufälligkeit“ fast hinschwinden.

NIEUWE ROTTERDAMSCHE
COURANT (ROTTERDAM):

Ein Blick auf Kasimir Edschmids Werk zeigt mehr wie alles Theoretische über die neue Richtung des Romans. Die Frage, was sie in Deutschland will, kann im Weggehen über die zeitlichen Zusammenhänge und in dem Eindruck von einem gewaltigen, durchdringenden Lebensgefühl durch den Roman „Die Achatnen Kugeln“ glatt beantwortet werden.

PESTER LLOYD (BUDAPEST):

Die „Achatnen Kugeln“ eine mächtige Kurve durch Himmel und Hölle des modernen Diesseits. Ein bis zur Utopie modernes Werk. Übernational nicht infolge Milieus, auch nicht infolge politischen Bekenntnisses, sondern infolge eines köstlichen Mischblutes; hispanisch des farbentrunkenen Auges helldunkle Glut, gallisch der Linienführung federnde Eleganz, germanisch der Gestaltung eiserne Konsequenz, angelsächsisch des athletischen Körpers Zentraleinstellung, skandinavisch aller menschlichen Brandung helle Keuschheit. Des Werkes prägnanteste geistgeschichtliche Definition: der Gegenpol Dostojewskis.

RUDOLF FRANK
(FRANKFURTER NACHRICHTEN):

Schon nach den ersten Abschnitten der „Doppelköpfigen Nymphe“ drängt es Zeugnis abzulegen, daß hier ein Geist spricht, denkt, schildert und scheidet, wie ihn deutsche Literatur nur selten, ganz selten unter ihren zahlreichen Beurteilern fand. Seit Kerrs gesammelten Schriften kam kein Werk, das deutscher Literatur mit so untrügerischem Instinkt, mit so treffendem Verstand, mit so umfassendem, durchglühenden Gefühl und bildnerischer Kraft entgegenblickte als Edschmids „Doppelköpfige Nymphe“. So schreibt ein Dichter Literaturgeschichte. In fünfzig Jahren wird man diesen Edschmid einen deutschen Klassiker nennen.

CARL STERNHEIM
(TRIBUNAL):

Ich habe Ihren Roman „Die Achatnen Kugeln“ in einem Atem gelesen. Sie stehen mir mit seiner Vollendung kameradschaftlich vielleicht von deutschen Dichtern der Gegenwart am nächsten. Eine Elementarkraft deutscher Dichtung. Nicht bravo — aber Hosianna!! Ihre Sprache ist stellenweise zum Weinen schön. Es gibt Sätze, wo ich kein Vergleich mehr bin. Aber Baudelaire ist es. Ich bin glücklich, einem Mitschaffenden sagen zu können: Ich danke. Das ist wunderschön. Indem ich Ihnen dazu, weil ich weiß, welch hohen Ehrgeiz Sie haben, als Älterer die Hand drücke, bin ich sehr mitbeteiligt an der siegreichen Durchdrückung Ihres Werkes gegen die zu erwartende Dummheit und Faulheit deutscher Kritik.

RENÉ SCHICKELE
(FRANKFURTER ZEITUNG):

Reitet er nicht etwa gut, der Edschmid? Reitet er nicht schön? Hat er nicht den Wind der ganzen, sich drehenden Welt im Gesicht? Voller Anmut selbst, wenn er salopp sitzt. Seine Novelle gibt sein volles Maß, sein Wesen, Höhe und Tiefe. Kritiken wie eine kann nur ein ganz starker Dichter schreiben. Ich glaube nicht mehr an die Literatur. Aber ich glaube an Kasimir Edschmid und sein Werk.

PAUL COLIN (PARIS):

Die „Doppelköpfige Nymphe“ ist das Chef d’oeuvre der zeitgenössischen deutschen literarischen Kritik.

HERMANN BAHR
(NEUES WIENER JOURNAL):

Ich nenne Kasimir Edschmid, der durch seinen hochgespannten, edlen Ehrgeiz, die große, priesterliche Gebärde, die Strenge seines künstlerischen Gewissens, sein reines Pflichtgefühl, den weiten Blick für alle Probleme des Abendlandes und wohl auch durch seinen sorgsam verwalteten, klug gebrauchten Einfluß eine fast diktatorische Macht über einen guten, ja vielleicht den besten Teil der gebildeten Jugend hat.

ROBERT MUELLER
(FREMDENBLATT, WIEN):

Edschmid ist eines der stringentesten europäischen Talente.

Von
Kasimir Edschmid
erschienen:

BEI ERICH REISS

Über den Expressionismus in der Literatur
und die neue Dichtung
Kean, Schauspiel in fünf Akten nach
Dumas.

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BEI KURT WOLFF

Die sechs Mündungen, Novellen / Das
rasende Leben, Novellen /
Timur, Novellen.

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BEI PAUL CASSIRER

Die Fürstin, Novellen / Die doppelköpfige
Nymphe, Aufsätze über die Literatur und
die Gegenwart / Die Achatnen Kugeln,
Roman / Frauen, Novellen.

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Bücher aus dem
Verlag Wolf Albrecht Adam

DIE SCHWARZEN BÜCHER:

1. Theodor Lessing: Dührings Haß /
2/3. Kasimir Edschmid: Hamsun /
Flaubert, Zwei Reden / 4/5. H. A. Korff:
Goethe und der Sinn seines Lebens;
Der Geist des westöstlichen Divans.
Zwei Vorträge.

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ÜBERNOMMEN:

Aus dem Verlag Harry Wolff:
Walther Teich: Die Gefangenen, Ein
Spiel in 4 Bildern.

Aus dem
Verlag Der weiße Lotus, Frankfurt a/M.:
W. A. Adam: Weltsymphonie.

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Druck
Th. Schäfer
Hannover
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Anmerkungen zur Transkription

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