Title: Aus halbvergessenem Lande. Culturbilder aus Dalmatien
Author: Theodor Schiff
Release date: October 13, 2015 [eBook #50197]
Most recently updated: October 22, 2024
Language: German
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The Project Gutenberg eBook, Aus halbvergessenem Lande, by Theodor Schiff, Illustrated by Karel Klíč and K. Žádnik
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Anmerkungen zur Transkription
Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.
Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches.
CULTURBILDER AUS DALMATIEN
von
Theodor Schiff.
MIT ZEICHNUNGEN VON K. KLÍČ UND K. ŽÁDNIK.
WIEN, 1875.
VERLAG VON KLÍČ & SPITZER.
(Alle Rechte vorbehalten.)
Einleitung | 3 |
Ein abgeschnittener Kopf. | 7 |
Arme Seelen als Schiffsrheder. | 15 |
Die Pestgräber von Botticelle. | 25 |
Das Paternosterhaus. | 34 |
Jacuve Ciciola und seine Liebe. | 41 |
Wandelnde Kreuze. | 48 |
Hippolytos und Phaedra. | 57 |
Der Frau Mare Kargotic Gesang. | 64 |
Türkischer Tabak. | 70 |
Don Martine von Karakaschitza. | 77 |
Ein Gerichtstag in der Morlakei. | 87 |
Ein türkisches Schnupftuch. | 95 |
Ein Richter in Bosnien. | 103 |
Morlakischer Winter. | 110 |
Die streitbaren Bocchesen. | 118 |
Der Gouverneur von Scoglio Stipansko. | 125 |
Wie die Agave zum Blühen kam. | 135 |
Das Omblathal bei Ragusa. | 141 |
Ein Fischzug bei Lesina. | 149 |
Das Gigg des Kaisers. | 155 |
Ein schmaler Streifen Landes, lang gestreckt und dünn bevölkert, liegt Dalmatien fernab vom emsigen Verkehre der Völker, eingeschlossen zwischen dem massigen Gebirgsgrat der türkischen Grenze und den ruhelosen Wogen des Meeres.
Die Söhne des alten Hellas hatten einst seine Inseln bevölkert – und die heitere Sitte ihres Vaterlandes war mit ihnen eingezogen in die neue Erde. Die stolze Roma hatte ihren wuchtigen Arm ausgestreckt über die lachende Küste – und wie mit einem Zauberschlage wuchsen blühende, reich bevölkerte Städte, wuchsen riesige Paläste hervor, und schöne Tempel in heiterem Säulenschmucke spiegelten sich in den Fluthen der Adria. Barbarenhorden brachen in das Land, Schrecken, Tod und Verderben in ihrem – Gefolge und zugleich mit ihnen hielt das Christenthum seinen stillen Einzug, siegreich in seiner holden Demuth, freiheitkündend in seiner sanften göttlichen Lehre. Das finstere, gewaltthätige Ritterthum entvölkerte mit seinen Kreuzzügen Europa – und Richard Löwenherz fand in Ragusa eine Freistatt. Der erste Napoleon hatte das Land mit seinen Geierkrallen erfasst, und in den kurzen Jahren seines Besitzes hoben sich der Handel und die Industrie des Landes zu nie geahnter Blüthe.
Und heute?
Die erlauchte Krämer-Republik Venedig hat Dalmatiens Forste ausgerodet, – türkische Barbarei in demselben ihre blutigen Zeichen gelassen, – das reichbegabte und dabei so arme Volk verkümmert jetzt in seiner Einsamkeit und das Gespenst des Hungers hält alljährlich seinen Umzug durch die schauerlich nackten Felsengebirge. Heute hat sich die Weltgeschichte abgewendet von dem schönen armen Lande, das in unthätiger Ruhe langsam dahinsiecht, – heute spricht man von Dalmatien wie von einer sagenhaften Erde, und von seinem Volke wie von verklungenen Geschlechtern.
Darum habe ich es versucht, den Schleier zu lüften, der über Dalmatien liegt und über seinen Bewohnern. Ich habe nichts erdichtet und nichts erfunden, sondern einfach erzählt, was ich im Laufe langer Jahre dort gesehen, und die Erinnerungen niedergeschrieben, die mir geblieben sind aus dem Vaterlande meiner Kinder – aus dem halbvergessenen Lande.
Wien im September 1875.
Theodor Schiff.
Aus halbvergessenem Lande.
Die alte Zanetta sass auf ihrem uralten Lehnstuhl und liess sich's wohl geschehen. An einem spiessartigen Stück Holz, das sie durch das Band der breiten grossblumigen Schürze gesteckt hatte, war der Flachs befestigt, den sie mit den knöchernen Fingern ihrer linken Hand langsam herabzupfte, und in der rechten Hand liess sie das länglichrunde Holz »il fuso« kreisen, um das sich das gesponnene Garn wickelte. Auf ihrem Kopfe lagen zwei grosse Krautblätter und über denselben ein viereckig gefaltetes schneeweisses Tuch. Signora Zanetta behauptet seit dreissig Jahren täglich, dass sie heute Kopfschmerzen habe, und dass sie nur frische Krautblätter durch vierundzwanzig Stunden auf den Kopf zu legen brauche, um den Kopfschmerz für immer zu vertreiben. Und darum trägt sie seit dreissig Jahren Krautblätter auf dem Kopf und darüber das viereckig gefaltete weisse Tuch, was zusammen den Eindruck eines bösartigen Turbans exotischer Herkunft hervorbringt. Ein von tausend Runzeln durchfurchtes Gesicht, dessen Mund noch eine untadelhafte Reihe blendend weisser Zähne zeigte, ein verblichenes, aber höchst sauber gehaltenes Kleid, an den zusammengeschrumpften Füssen reine weisse Strümpfe und ein paar türkische Schuhe von dickem rothen Leder, sass die Signora Zanetta auf ihrem Lehnstuhl[8] und um sie schwirrten die Schwärme von Fliegen, wie sie die dreissig Grad Hitze eines Julitages in Spalato zu erzeugen vermögen.
Ein grosses Gemach mit niedriger Decke – an den Wänden rohe Alfresco-Malereien, sämmtlich Theile der Seeküste darstellend, an welcher Herren und Damen in altväterischer Tracht lustwandeln, während in der Ferne der ruhig glänzende Spiegel des Meeres sich endlos erstreckt, – in der Mitte des Zimmers ein ungeheurer Tisch aus dunklem Holze, – an den beiden Längsseiten des Zimmers zwei kleine, schwerfällige, mit Flügelthüren versehene Kasten, auf denen mindestens ein Dutzend blankpolirter messingener Oellampen stand, – über dem einen Kasten ein schauerlich gemaltes, den Kaiser Franz als Jüngling vorstellendes Bild, dem gegenüber ein stark zerfressener Kupferstich mit der Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes hing, – eine alte Wanduhr in einem bis an die Decke reichenden Kasten, – so sah das Gemach aus, in welchem Signora Zanetta sass, spann und es sich wohl geschehen liess.
In Spalato ist Alles alt. Die Häuser, das Pflaster, die Familien, die Kirchen, die Sprache, – Alles ist uralt. Die Domkirche wurde zu Ende des dritten Jahrhunderts von dem alten Christenverfolger Diocletian dem Jupiter erbaut, – die Sphinx vor derselben ist eine Kleinigkeit älter und entstammt der achtzehnten Dynastie der Pharaonen, – und das am Meeresstrande befindliche Franziskaner-Kloster macht einen förmlich modernen Eindruck, weil es erst im Jahre 1212 vom heiligen Franz von Assisi gegründet wurde, – ja, auf dem beliebtesten Spazierwege Spalatos konnte man noch zu Ende der Sechziger-Jahre halb städtisch, halb »national« gekleidete Bürger mit einem rückwärts herabbaumelnden Zopfe sich ergehen sehen. Das Italienisch, das in allen Bürgerfamilien gesprochen wird, ist genau dasselbe, das man in Venedig vor hundert Jahren hörte und in Goldoni's Lustspielen noch heute lesen kann. Eine Familie, die ihren sogenannten Adel erst von hundert oder zweihundert Jahren herwärts datirt, wird so ziemlich als neugeadelt angesehen, und ich kenne selbst in Spalato eine Familie, deren Mitglieder allen Ernstes behaupten, dass ihre in Salona ansässigen Vorfahren bereits römische Patrizier gewesen seien. Salona wurde aber im Jahre 639 nach Christi Geburt zerstört, und das mag der Grund sein, warum das betreffende Adelsdiplom nicht aufgefunden werden konnte.
Es ist überhaupt ein merkwürdiges Volk, das der Dalmatiner und besonders der Spalatiner Adelsgeschlechter. In den engen Gassen der Stadt, in den verstecktesten und übelriechendsten Winkeln derselben sitzen sie in ihren Häusern, denkend der vergangenen Herrlichkeit, als noch der »Conte« nicht viel weniger als ein Souverain und der arme Morlake nicht viel mehr als ein Sklave war, und es für jede Ungerechtigkeit, die der »Conte« beging, höchstens eine Geldstrafe gab, für das Vergehen des armen Bauern aber nur das Ermessen und die Willkür seines Herrn massgebend war. Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen, diese Conti, und so gut österreichisch sie auch im Allgemeinen sein mögen, so denken sie doch noch immer an das verrottete Pascha-Regiment der in ihrem Fett erstickten Republik von Venedig. Ja, – sowie man heute noch allenthalben auf den Mauern und öffentlichen Gebäuden der dalmatinischen Städte den Löwen des San Marco über seine vergangene Herrlichkeit in steinerner Faulheit trauern sieht, so würden sämmtliche »Conti« nicht im mindesten sich wundern, wenn eines schönen Tages wieder einmal so ein Provveditore der Republik auf einem altartigen Segelschiffe angefahren käme, um die verrottete Zopfwirthschaft von neuem zu beginnen.
So wie es unter depossedirten Fürsten üblich sein mag – ich stelle es mir wenigstens so vor, – sich gegenseitig mit »Majestät« anzusprechen, so hört man die Spalatiner alten Familien einander den Titel »Conte« geben, ohne dass weder der eine noch der andere Theil das mindeste Anrecht auf diese Bezeichnung hätte. Das »gemeine« Volk thut dann das Gleiche in seinem Umgange mit den »Conti«, und so wird in Spalato, da man dort nach altvenetianischer Weise die Leute bei ihrem Taufnamen ruft, nur von einem Conte Mome1, Conte Zane2, Conte Toni, von einer Contessa Mare3, Contessa Lele4 und Contessa Bare5 gesprochen.
In dem Hause eines solchen Conte war es, wo ich der alten Zanetta gegenüber sass, die spinnend und kopfnickend mir ihre Erinnerungen erzählte. Da war sie als dreizehnjähriges Kind in die Familie gekommen, in der sie jetzt als dreiundachtzigjährige Greisin das Gnadenbrod ass. Ihren Herrn, den Conte Anastasio, der vor einem Jahre als siebzigjähriger Greis gestorben,[10] hatte sie damals auf den Armen getragen, – dessen Mutter, die Contessa Nene6, war damals eben erst seit zwei Jahren verheiratet gewesen und trotz ihrer Jugend eine gar strenge Frau. »Ja, ja, damals hatten die Diener noch Respect vor dem Herrn und der Frau, und wenn sie pfeifen hörten (denn in jener Zeit gebrauchte man noch keine Glocken in den Zimmern), da stürzten sie Alle holterpolter in's Zimmer, – nicht wie jetzt, wo die Magd hereinschleicht, als ob sie der Frau damit eine Gnade erwiese.«
»Damals,« so erzählte Zanetta, während sich ihre bleichen runzlichten Wangen in Erinnerung an die vergangene Herrlichkeit rötheten, »damals konnte der Herr noch den Diener strafen, ohne dass irgend ein Prätor oder sonst ein Beamter sich unberufenerweise hineinmischte. Wenn das heute geschehen wäre, dass man der seligen Lustrissima7 ihr ganzes Silbergeschirr stahl, wie es bald vor siebzig Jahren geschehen, wer weiss, ob nicht der Joso8, der Lump, noch frei ausgegangen wäre, aber so hat er es bitter genug büssen müssen, – unser Herrgott habe seine Seele gnädig.« – Und Signora Zanetta faltete die Hände und schien ein Gebet für den »Joso« zu murmeln, so dass ich sie, so lange sie in ihrer Andacht versunken war, nicht unterbrechen wollte.
»Und wie war denn die Geschichte, Signora Zanetta, mit dem Joso und dem Silbergeschirr und der Lustrissima?«
»So, wissen Sie das nicht? Hier weiss es Jedermann. Das heisst, Jene, die es gewusst haben, sind eigentlich meistentheils todt, ich aber erinnere mich noch gar gut daran. Damals war ich ein junges Ding und eben erst von der Insel Brazza herübergekommen, weil mich die selige Lustrissima als Magd wollte. Ich bin auch seit jener Zeit nicht mehr aus dem Dienste der Familie ……* getreten, und so hat auch mein Herr, der Conte Nico9, als er vor dreissig Jahren starb, es ausdrücklich im Testamente hinterlassen: La Signora Zanetta resta calzata e vestita in casa ……*, monda e netta10. Auch arbeite ich, was ich will, und seit zehn Jahren putze ich nur mehr alle Morgen die Oellampen, denn das jetzige Volk von Mägden ist zu faul und zu schmutzig zu einem solchen Geschäft. Also richtig, dass ich auf den Joso komme, der war damals[11] Knecht beim Conte Nico und wohnte draussen in dem Hause von Lovrett, eine Viertelstunde vor der Stadt auf dem Wege gegen Paludi. Dort hatte er die Felder zu bearbeiten, die auf weit und breit um das Haus herum dem Conte Nico gehörten. Sie gehören auch jetzt noch der Familie ……*«
»Also, die Lustrissima lag in ihrem ersten Kindbett mit dem kleinen Conte Anastasio, den Sie ja selbst noch gekannt haben und der erst im vorigen Jahre gestorben, und weil es schon gegen zwölf Uhr Mittags war, um welche Zeit gewöhnlich die anderen Frauen zur Lustrissima zu Besuche kamen, so hatte ich den kleinen Conte Anastasio, der eingeschlafen war, in seine schöne Wiege gelegt und putzte ein wenig den Staub von den Möbeln des ersten vor dem Schlafzimmer der Lustrissima befindlichen Zimmers. Da ruft die Lustrissima und sagt: »Zanetta, mir kommt vor, als ob ich einen Geruch von Zwiebel verspürte, – war gewiss der Joso draussen im anderen Zimmer?« Der Joso, müssen Sie wissen, ass sehr gerne frische Zwiebel und roch auch gewöhnlich danach. Sag' ich, nein, Lustrissima, der Joso ist noch nicht zum Essen gekommen und in der Küche draussen wird ihm die Minestra kalt. Sagt die Lustrissima: »Ich weiss nicht, aber die ganze verflossene Nacht träumte mir von Melonen, die mir der Joso brachte, das bedeutet einen Diebstahl. Nimm hier die Schlüssel und sieh in der schwarzen Truhe nach, die draussen steht, ob alles Silberzeug da ist.« Sage ich: Ja, Lustrissima! nehme den Schlüssel und will die Truhe aufsperren, da fehlt aber etwas im Schloss und ich kann nicht damit zu Stande kommen. Unterdessen kommt der Conte Nico nach Hause, der lässt den Schlosser holen, und wie der Deckel endlich aufspringt, ist die Kiste leer. Ja, – von Melonen träumen bedeutet immer Diebe im Hause.«
»Der Conte Nico – Gott hab' ihn selig! – läuft selbst gleich zum Municipium und es werden alle Rondari11 avisirt und die Truhen von uns Dienstleuten wurden alle durchsucht, aber es fand sich nichts und die Rondari konnten auch keinem Diebe auf die Spur kommen. Da liess der Conte Nico alle Dienstleute in's Zimmer kommen und wir mussten niederknien und er machte alle Fenster auf. Einer nach dem Andern mussten wir bei offenem Fenster schwören, dass wir es nicht gethan hätten, – und schliesslich sprach Niemand mehr davon.«
»Die Lustrissima aber hatte sich das schöne Silberzeug zu Herzen genommen, wurde schwer krank und lag durch drei Monate im Bette, obwohl man ihr nach und nach mindestens hundertundfünfzig Blutegel setzte und der alte Doctor R., der Grossvater des jetzigen Doctor R., ihr viele Male zu Ader liess. Wie es ihr schon besser geht, – aber noch sehr schwach war sie, – kommen eines Morgens unsere beiden Knechte, die im Hause wohnen, vom Feld herein und mit ihnen drei Rondari. Die tragen etwas in einer Torba12 und wollen mit der Lustrissima sprechen. Der Conte Nico war schon zeitlich Früh nach Castelli geritten und weil die Lustrissima noch so schwach war, so hatte ich gerade ein schönes Stückchen Schöpsenfleisch für sie gebraten, das ich ihr mit einem Glase Vugava13 hineintragen wollte. Wie die Rondari und die Knechte aber hören, dass der Conte Nico nicht zu Hause sei, liessen sie sich schon gar nicht mehr halten und sagten, wenn ich sie nicht hineinführe zur Lustrissima, so würden sie ohne mich zu ihr in's Zimmer gehen; sie hätten etwas, das die Lustrissima zum Lachen bringen würde, und das thäte ihr gewiss besser als alle Medicinen und Blutegel des Doctors.«
»Die Lustrissima hatte uns sprechen gehört und rief mir zu, dass ich die Leute nur hineinführen möchte zu ihr. Wie nun die Knechte in's Zimmer treten, bemerke ich, dass der Eine, der Ive,14 den Griff seines Handjars und auch seine Hände ganz mit Blut beschmutzt hatte, aber ich erschrak nicht, weil ich glaubte, er hätte vielleicht einen Hammel geschlachtet oder sonst etwas. Da traten die Fünfe hin vor das Bett der Lustrissima, und der Ive, der immer gut sprechen konnte, sagt zu ihr: »Gospoja,15 willst Du wissen, wo Dein Silberzeug ist?« Sagt die Lustrissima: »Freilich möchte ich's gerne wissen, aber ich fürchte, das ist schon lange in der Türkei.« Sagt der Ive: »Schau, Gospoja, kennst Du das?« und zog unter der Jacke die grosse silberne Spuckschale hervor, die noch heute drüben beim anderen Silberzeug steht. Dann griffen die Anderen in ihre Jacken und Gürtel, und nach und nach lag das ganze gestohlene Silberzeug auf dem Bette der Lustrissima zu ihren Füssen.«
»Wie das aber Alles ausgebreitet lag, sagt der Ive: »Weisst Du noch, Gospoja, wie wir alle haben bei offenem Fenster schwören müssen? Ich habe[14] damals gar gut gesehen, wer blass geworden ist, als der Conte Nico die Fenster aufmachte. Darum habe ich seit der Zeit dem Joso aufgepasst, und jede Nacht ging ich um Lovrett herum seit dieser Zeit, bis ich einmal ein Licht sah unter den Feigenbäumen vor dem Hause. Da wusste ich, dass ein Schatz in der Erde sein musste, denn das Licht verschwand, sobald ich näher kam. Und als ich heute Nacht wieder um Lovrett herumschlich, da sah ich den Joso mit der Schaufel aus dem Hause treten und gegen die Feigenbäume gehen. Da rief ich schnell meinen Kameraden und auch die drei Rondari, die wir begegneten, und als wir nach Lovrett kamen, da hatte gerade der Joso das ganze Silber ausgegraben und wollte es in's Haus tragen. Wir aber fielen über ihn her und nahmen es ihm weg. Hier hast Du Dein Silber, Gospoja, und da ist noch etwas.« Und wie der Ive das gesagt hatte, griff er in die Torba und zog den Kopf des Joso hervor, den sie ihm abgeschnitten hatten – –«
»Die Lustrissima erschrak zwar, aber sie war eine gar tapfere Frau, – ganz wie ein Mann. Darum beruhigte sie sich bald, liess den Kopf hinaustragen und befahl mir, den Leuten Wein und Brod zu geben, bis der Conte Nico käme. Der war anfangs böse darüber, weil damals schon die Beamten anfingen, sich in Alles hineinzumischen und solche Dinge nicht leiden wollten. Aber er sprach mit den Herren auf dem Municipium, die hatten auch viel zu viel Respect vor der Familie ……*, als dass sie etwas gethan hätten. Und so fragte Niemand mehr danach, der Joso bekam eine schöne Leiche, und das Silberzeug kam auf seinen alten Platz in die schwarze Truhe. Aber für den Joso wird seit dieser Zeit alle Jahre an seinem Sterbetage, als sie ihm den Kopf abschnitten, eine heilige Messe gelesen.«
»Und wann ist die Lustrissima gestorben?« fragte ich.
»Schon vor zwölf Jahren,« sagte Signora Zanetta, indem sie die Spindel zur Erde gleiten liess, andächtig die Hände faltete und für die Lustrissima zu beten schien.
Die Signora Zanetta erzählte mir diese Geschichte genau an dem Tage, als die Schlacht bei Sedan geschlagen wurde, und lebt noch zur Stunde, in der ich dieses schreibe.
Was die Dalmatiner von uns Deutschen sagen und wie sie von uns denken, das lässt sich nicht in wenigen Worten wiedergeben, hauptsächlich schon aus dem Grunde nicht, weil unter dem Worte »Dalmatiner« zwei ganz verschiedene Nationalitäten zu verstehen sind, die einander in der Sprache gar nicht gleichen, während ihre Sitten nur Weniges mit einander gemein haben. In den Küstenstädten Nord- und Mittel-Dalmatiens, in Zara, Sebenico, Spalato, Almissa und Makarska ist die sogenannte bessere Classe, zu welcher sämmtliche »Conti«, die besser gestellte Mittelclasse und verhältnissmässig nur wenige Gewerbetreibende gehören, grösstentheils italienischer Herkunft; man spricht in der Familie italienisch mit venetianischem Dialekt und hat venetianische Sitten und Gebräuche mit einer merkwürdigen Zähigkeit bis auf den heutigen Tag festgehalten. Im Inneren des Landes hingegen, sowie in den südlicher gelegenen Städten Ragusa, Cattaro, Castelnuovo, dann auf den Inseln, herrschen slavische Sprache, Sitten, Gebräuche und Familien-Namen vor. Die Bewohner des inneren Gebirgslandes sind ausschliesslich Slaven.
Im Allgemeinen wird das Cultur-Element durch den italienisch sprechenden Theil der Bevölkerung vertreten, während sich die Dalmatiner[16] Slaven – mit alleiniger Ausnahme der Bevölkerung von Ragusa – noch in einem wenig beneidenswerthen Urzustande befinden. Ich weiss zwar nicht, ob ich es als eine für uns Deutsche beschämende Thatsache erklären soll, aber es steht fest, dass die Dalmatiner Slaven von dem Daheim der Deutschen kaum mehr wissen als vielleicht die Unterthanen Seiner Majestät des Schah's von Persien. Allenfalls hört man von einem Morlaken hin und wieder Bec (Wien) erwähnen, wobei übrigens die Frage nicht selten ist, welche Sprache denn in »Bec« gesprochen werde. Darüber hinaus gehen aber die ethnografischen und geografischen Begriffe eines Dalmatiner Bauers wohl selten.
Anders verhält es sich mit den »gebildeten«, italienisch sprechenden Dalmatinern. Diese haben noch von ihren Vorfahren oder Zwingherren, den alten Venetianern, die ganze Verachtung für die deutschen Barbaren und vielleicht von den modernen Italienern die Unkenntniss der Geografie übernommen, die sie auch je nach den Abstufungen ihrer bessern oder minder guten Erziehung ziemlich unverhüllt zur Schau tragen. Deutsche Beamte sind in Dalmatien sehr selten, die Chefs der Landes-Regierung sind und waren seit vielen Jahren der Militärgrenze oder sonst dem croatischen Stamme entnommen, die Officiere der in Dalmatien liegenden Truppen schliessen sich von dem Verkehr mit den Familien ab oder werden vielmehr zu demselben gar nicht zugelassen: da ist es natürlich, dass man mit dem Ausdrucke »Deutsch« nur einen sehr unbestimmten Begriff verbindet, und es ist mir mehr als einmal vorgekommen, dass in einer der abendlichen »Conversazioni« von einem »Deutschen aus Ungarn« oder einer »Deutschen aus Böhmen« die Rede war, worunter man ungarisch oder czechisch sprechende Leute verstand.
Aber nicht nur Barbaren sind wir Deutsche für die echten Dalmatiner, sondern auch Ketzer. – Ketzer ohne alle Ausnahme. Daher erklärt sich auch das mit einem guten Theil Misstrauen gemischte und etwas zugeknöpfte Benehmen, mit welchem der Deutsche in Dalmatien von dem Eingebornen italienischer Nationalität empfangen und im Umgange behandelt wird.
Man hat viel von den verrotteten, abergläubischen Ansichten der Tiroler gesprochen und als Entschuldigungs- oder Erklärungsgrund den Wall himmelanstürmender Berge angeführt, der Tirol bis vor Kurzem von dem Verkehre mit der Aussenwelt so ziemlich abgeschlossen hielt. Bei den[17] Dalmatinern mag eine ähnliche Ursache die ähnliche Wirkung hervorgebracht haben. Dalmatien liegt eben ausser dem Wege des Völkerverkehrs und die befruchtenden Ideen der Neuzeit haben dort kaum einen schwachen Widerhall gefunden in seinen Bergen, in den dumpfen Häusern seiner alterthümlichen Städte und an seinen einsamen Küsten.
Wer in Spalato während der Sommer-Monate Luft schnappen will, der muss zeitlich aufstehen. Das ist nicht figürlich zu nehmen, sondern wörtlich. Die Tage sind glühend, die Nächte heiss, – aber in den Morgenstunden, allenfalls von vier bis sechs Uhr, da liegt ein prächtiger satter Schatten über der breiten Marine, dem schönen Spaziergange, der sich zwischen den dem Hafen zugewendeten Häusern der Stadt Spalato und dem Meeresufer hinzieht. Das Meer dehnt sich still und glänzend aus bis zu den noch im Schatten liegenden Inseln Brazza und Solta, die Barken am Ufer heben und senken sich in feierlich rhythmischer Bewegung, der feine blaugraue Duft, den man nur am Seegestade findet, mengt sich am weiten Horizont mit den violetten und hellrothen Farben des Himmels, schöne Möven tauchen abwechselnd in die rosige Himmelsgluth und den silberglänzenden Spiegel des Meeres. Weit draussen kommen vielleicht ein Paar Fischerboote heran mit braunrothen lateinischen Segeln, und dann blitzt plötzlich der erste Morgensonnenstrahl über Segel, Inseln, Möven und Meeresspiegel. Dann kriechen wohl einzelne Matrosen aus den Lucken ihrer Fahrzeuge, in denen sie geschlafen, und machen ihre Morgen-Toilette im Meerwasser; Weiber mit grossen Körben auf dem Kopfe bringen Milch und Gemüse zu Markte, im nahen Franziskaner-Kloster läutet es zur Frühmesse, – aber der echte Spalatiner, besonders wenn er ein Conte ist, schläft noch, – lässt sich von den Mücken stechen, deren es in den engen Gassen und Häusern Millionen gibt, und schwitzt seine Morgenträume.
Der alte Conte Lole16 war zwar ein echter Spalatiner, aber heute wich er ab von der Sitte seiner Väter und war schon um fünf Uhr auf der Marine. Er schien auf etwas oder auf Jemanden zu warten, denn er pflanzte sich, so lang er war, mitten hin vor das kleine Sanitätsgebäude und musterte, die Hand als Schutz gegen die eben aufgehende Sonne über die Augen haltend, die am Ufer verankerten Barken. Meinen Gruss erwiderte er als jenen eines alten Bekannten ziemlich flüchtig, freute[18] sich aber doch, wie er sagte, mich so früh auf und wohl zu sehen. »Der Ante Placibat,« hub er an, immer noch mit der Hand über den Augen, »der Ante Placibat ist ein Faulpelz, – ich sehe weder ihn noch die Colombina. Und doch sollte er schon heute Früh von der Brazza gekommen sein, um gleich wieder nach Zara abzufahren. Ich bin nur seinetwegen am diese Stunde aufgestanden, um ihm Einiges mitzugeben für meinen Bruder, den Conte Duje17. Auch weiss er recht gut, dass der Don Beppo eigens seinetwegen heute schon um sechs Uhr in unserer Capelle Messe liest für eine glückliche Fahrt. Ich möchte Nichts sagen, wenn ihm die Messe nichts gelten würde, aber heute sind gerade zwei von den Knechten auf dem Felde, da ist nur die Magd und der eine Knecht bei der Messe und so kann der Kerl als Dritter zu einer giltigen heiligen Messe kommen, weil ich ihn für einen meiner Diener ausgeben kann. Er verdient's aber nicht, der ……!«
Mir war die ganze Geschichte einigermassen unverständlich. Wer ist Ante Placibat und wer die Colombina? Was ist das für eine Messe, die nur für drei Dienstboten gilt, und wem gegenüber will Conte Lole den Ante Placibat, der doch sein Knecht nicht zu sein scheint, für einen solchen ausgeben?
Ich erbat mir von Conte Lole eine diesbezügliche Erklärung, aber in demselben Augenblicke kam ein Mann auf uns zu, der offenbar der ersehnte Ante Placibat sein musste, denn er grüsste schon von Weitem und Conte Lole rief ihm in halb scherzhaftem, halb ärgerlichem Tone einige Flüche in illirischer Sprache zu. Der Mann trug ein Paar weite Beinkleider von Segeltuch, die mit einer rothen Schärpe um die Hüften befestigt waren, eine braune, vorne offene Jacke und einen breiträndigen Strohhut. Sein Anzug und die hellgrauen zusammengekniffenen Augen zeigten deutlich den Seemann. Der Conte Lole, sagte er, möge sich nur nicht ereifern. Die Colombina (und dabei wies er mit dem Daumen über die rechte Schulter) sei bereits um drei Uhr Früh angekommen und vollkommen klar zur Abreise. Wenn der Conte Lole ein wenig weiter gegen das Zollamt gehen wolle, so könne er sie hinter dem grossen Trabakel18 des Padron Ivicich liegen sehen. Auch habe er bereits einen Matrosen mit dem Mozzo19 in das Haus des Conte Lole gesendet, um mitzunehmen, was mitzunehmen wäre. Und wenn der Conte Lole und ich es erlauben, so[19] lade er uns ein, unterdessen, bis die Leute zurückkämen, mit ihm einen schwarzen Kaffee zu trinken, der im Kaffeehause Troccoli ganz vorzüglich wäre. Und dabei machte er eine tiefe Verbeugung vor uns Beiden. Aber der Conte Lole wollte von allen dem nichts wissen, sondern trieb den Ante Placibat an, dass er jetzt gleich mit ihm nach Hause und zur Messe käme. Auch mir, sagte er, könne es nicht schaden, und wenn ich ihn begleiten wolle, so erweise ich ihm eine Ehre, obwohl die Messe für mich nicht giltig sei, denn ich wäre ein Fremder.
Dass die »Colombina« eine Küstenbarke und Ante Placibat deren Commandant (oder um in der Schiffersprache zu sprechen) ihr Padron war, das hatte ich jetzt glücklich erfahren, aber welches Bewandtniss es mit der »giltigen« Messe habe, die für mich nicht galt, blieb mir immer noch ein Geheimniss, das mir der Ergründung werth schien. Ich nahm deshalb die Einladung des Conte an und begleitete ihn durch die noch wenig belebten Gassen der Stadt, während Ante Placibat sich respectvoll immer einen halben Schritt hinter uns hielt.
Spalato ist nicht gross und um es in gerader Linie nach irgend einer Richtung zu durchmessen, benöthigt man kaum mehr als zehn Minuten. Beiläufig so lange brauchten wir auch, um zu dem Hause des Conte zu gelangen, das, wie er mir unterwegs erzählte, bereits seit zweihundert Jahren seiner Familie gehörte. Der Zugang zu demselben war nicht vielverheissend, da wir uns durch ein Gewirr der engsten und finstersten Gässchen durchwinden mussten, bis wir endlich durch einen mächtigen, wahrscheinlich noch von dem Palaste Diocletian's herstammenden Schwibbogen tretend, uns der Behausung des Conte gegenüber befanden.
Ein alterthümliches, roh in Stein gehauenes und mit grellen Farben überklextes Wappen prangte über dem hohen, aber schmalen Thore. Die weite, beinahe vollkommen finstere Vorhalle, die uns nun empfing, entsandte einen eigenthümlich muffigen, mit mephitischen Dünsten gemischten Duft, was auch der Conte zu bemerken schien, denn er murmelte, während wir die Stiege hinaufschritten, etwas über die Nachlässigkeit eines gewissen Sime20, der des Abends das Thor nicht rechtzeitig schliesse und dadurch die Schuld trage, dass sich die ganze Nachbarschaft des Hauseinganges wie eines Anstandsortes bediene. Im ersten Stocke angekommen, traten[20] wir in eine Vorhalle, von der zwei Thüren, wie es schien, in die Wohnzimmer und eine kleinere dritte in die Capelle führte. Der Conte öffnete die Thüre.
Eine merkwürdigere Capelle und eine sonderbarere Versammlung von Andächtigen ist mir wohl niemals vorgekommen. Vor Allem trat uns eine grosse, magere, streng und sauber aussehende Dame in einfachem Hauskleide entgegen, welche durch die nichts weniger als artige Strafpredigt, die sie wegen zu langem Ausbleiben an den Conte richtete, sich als die Contessa kundgab. Als sie meiner ansichtig wurde, verstummte sie, ohne übrigens im Geringsten verlegen zu werden, und erwiderte meinen Gruss ziemlich gemessen, indem sie mir zugleich den Eintritt freigab. Der Thür gegenüber, die in ein schmales, beiläufig vier Klafter langes Gemach führte, stand ein Altar auf rohen, aus Sandstein gemeisselten Säulen. Ober demselben prangte ein aus Holz geschnitzter Heiliger und über demselben ein vergoldetes Osterlamm. Zwei Reihen schmaler Betschemel, die kaum für je zwei Personen Platz boten, liessen einen Gang frei bis zum Altare. Uralte Heiligenbilder, alte Sträusse von künstlichen Blumen und einige Kupferstiche hingen an den Wänden. Auf den Kniebänken der Betstühle sassen vier junge Damen mit glänzenden Augen, höchst derouter Toilette und ungekämmten, aber prachtvoll langen, dunkelschimmernden Haaren; sie kehrten dem Altar den Rücken und schienen sich in zwanglosem Geplauder zu unterhalten. Das waren die jungen Contessen. Ein beiläufig achtzehnjähriger Bursche, der junge Conte, lehnte an der Thüre und sprach mit einem sehr behäbig aussehenden kugelrunden geistlichen Herrn; ein Morlake und eine städtisch gekleidete höchst schlumpig aussehende Magd standen in der einen Ecke. Das war die Versammlung, welche den Conte Lole und mit ihm den Anfang der Messe erwartete.
Bei unserem Eintritte kam etwas Leben in die Versammlung. Der geistliche Herr legte mit Hilfe des Hausherrn die Messgewänder an, die jungen Damen trachteten die Mängel ihrer Morgen-Toilette so gut und so schnell als möglich zu verdecken, männiglich setzte sich in andächtige Positur und die Messe ward ohne weitere Störung gelesen, nur dass die Contessa hin und wieder giftige Blicke auf Conte Lole schoss und etwas brummte, was eben kein Gebet sein mochte.
Als die Messe beendet und der Segen gegeben war, wurde der behäbige geistliche Herr in die Wohnung der Familie escortirt, um dort[21] seinen Morgenkaffee einzunehmen. Ich aber verabschiedete mich von der gestrengen alten Contessa, sowie den derouten jungen Contessen und gab in Gesellschaft des Conte Lole dem Ante Placibat das Geleite gegen die Marine.
Ich weiss nicht, ob der Conte mir es an der Miene ablas, dass ich gerne eine Erklärung über die geheimnissvolle Giltigkeit und Ungiltigkeit der Messe im Hause ……* gehört hätte, oder ob er nur zeigen wollte, welch' uralter Familie er angehöre, die noch solchen alten Brauch zu hegen und zu pflegen das Recht habe, kurz, er erzählte mir Folgendes:
Vor beiläufig zweihundert Jahren wurde der Theil des Hauses, in welchem die Kapelle steht, durch einen Ahnherrn der Familie ……* erbaut. Irgend ein Papst wurde durch irgend einen der Bischöfe von Spalato gebeten, der Familie ……* das Recht zu geben, in ihrer Hauscapelle Messe lesen zu lassen. Da die Familie ……* wohlhabend und im Stande war, für den hochadeligen Luxus einer eigenen Hauscapelle auch tüchtig zu zahlen, so erfolgte die erbetene Erlaubniss. Unter dem Dachboden in irgend einer Kiste musste auch noch das päpstliche Breve aufbewahrt sein. Der Conte hatte es nie gelesen, wohl aber sein Vater, der vor dreissig Jahren gestorben, und ihm einmal sagte, das Breve sei lateinisch. Und weil die Familie ……* seit jeher sich durch Frömmigkeit ausgezeichnet habe, so habe die Capelle auch ganz besondere Privilegien. Jeden Tag dürfe in derselben Messe gelesen werden, auch gelte die Messe für alle Familien-Mitglieder, auch für Diejenigen, die nur in die Familie geheiratet hatten, und ausserdem für drei männliche oder weibliche Dienstboten, aber nicht …
Das war mir doch zu stark. Da stand ich trotz aller Erklärung wieder vor dem ungelösten Räthsel, das ich doch ergründen wollte.
»Entschuldigen Sie, Conte Lole, wie verstehen Sie das von dem Gelten der Messe?«
Der Conte streifte mich mit einem misstrauischen Seitenblick, als ob er nicht recht im Klaren sei, ob ich denn nicht doch ein Ketzer und daher der nöthigen Vorbildung zum Verständniss seiner Erklärung bar sei. »Gelten heisst gelten,« sagte er tiefsinnig, »wenn Sie zum Beispiel Sonntags in meiner Capelle die Messe hören, so haben sie keine Messe gehört, wenn aber ich oder ein Mitglied meiner Familie in derselben die[22] Messe hören, dann haben wir sie gehört. Das Gleiche gilt für drei meiner Dienstleute.«
»Wenn aber vier von Ihren Dienstleuten der Messe beiwohnen, für welchen von den Vieren gilt dann die Messe nicht, Conte Lole?«
Der Conte dachte einen Augenblick nach und entschied dann rasch: »Für den Letztgekommenen. – Sehen Sie, Herr ……, ich weiss recht gut, obwohl ich niemals aus Dalmatien hinausgekommen bin, dass man in der Welt jetzt nicht mehr viel hält auf solche Dinge, aber in unserer Familie, die von sehr altem Adel ist, war man auch immer fromm. Darum hat man uns auch Privilegien gegeben von Rom, wenn wir darum baten, und nicht genug, auch einen Cardinal haben wir schon in der Familie gehabt und auch ein Wunder.« Und der Conte blickte in offenbar gehobenem aristokratischem Selbstbewusstsein bei der Erinnerung an das Wunder um sich, als erwartete er rings um sich plötzlich eine ganze Legion adeliger Wappenschilde der Familie ……* auftauchen zu sehen.
»Das Wunder ist wohl schon sehr alt?« wagte ich zu fragen.
»Nein, es geschah vor fünfzig Jahren. Mein jüngerer Bruder Conte Zandume21 war mit einem kürzeren Fuss geboren und hinkte. So lange er klein war, wurde das weniger beachtet; die Aerzte sagten, es gäbe kein Mittel dagegen und seine Pesterna22, die eine Morlakin aus Imoschi war, zog ihn nur alle Abend tüchtig bei dem kürzeren Fuss, dass er schrie, aber das half nichts. So war er zwanzig Jahre alt geworden. Da verlobte ich ihn zu einer Wallfahrt in die Capelle des San Dojmo bei Duimovaz. Es war am 7. Mai, dem Tage des San Dojmo, und wir hatten uns etwas verspätet. Darum war es schon tüchtig heiss, als wir in die Gegend von Duimovaz kamen und auf dem ganzen Wege hindurch predigte ich in einemfort dem Zandume, er solle nur festen Glauben hegen, dann werde Alles gut werden. Fede23, Zandume, fede! rief ich immer, aber der Zandume war schon müde, weil er hinkte, und sagte nur: »Ja, Lole!« Endlich kamen wir zur Capelle selbst. Viele Kerzen brannten drinnen und vor denselben lag eine Menge Morlaken, Weiber wie Männer und sonst ordinäres Volk auf den Knien. Ich schob sie aber zur Seite, packte meinen Bruder beim Arm, schob ihn voraus und rief in der höchsten Aufregung »Fede, Zandume! fede, fede, Zandume, fede!« (– Hier folgte noch ein Fluch,[23] der sich nicht in's Deutsche, wohl aber in das Ungarische übertragen lässt –) – – – »Da war das Wunder geschehen.«
»Konnte er jetzt gerade gehen?« fragte ich.
»Nein,« sagte der Conte, »aber er fühlte sich besser, so lange er lebte, und sprach davon bis zu seinem Tode. Vor zwei Jahren ist er gestorben.«
Unterdessen waren wir auf die Marine gekommen, von welcher der breite Schatten gewichen war, da die Sonnenstrahlen sich jetzt kräftig und heiss über dieselbe legten. Das Meer wippte in zitternder Bewegung vor einer stetigen Landbrise und die »Colombina« tanzte mit den anderen Barken gar lustig vor unseren Augen. Der Ante Placibat war auf einem als Landungsbrücke dienenden Brette an Bord gegangen und hantirte mit den Kisten, Fässern und Ballen herum, die auf dem Verdeck lagen, und der Mozzo hockte bei einem kleinen am Bug des Schiffes angemachten Kohlenfeuer um Kaffee zu kochen.
Conte Lole schien doch das Bedürfniss zu fühlen, den etwas zweifelhaften Eindruck, welchen die Erzählung von dem Wunder auf mich gemacht, durch die Aufzählung irgend einer positiven Thatsache abzuschwächen, denn er fragte plötzlich: »Wissen Sie, wem die »Colombina« eigentlich gehört?«
»Vermuthlich Ihnen, Conte Lole?«
»Nein,« antwortete der Conte stolz, »sie gehört den armen Seelen. Mein Grossvater hat sie bauen lassen. Früher war sie grösser und ist auch bis Triest gefahren, jetzt aber fährt sie nur bis Zara. Von dem, was sie einbringt, wird vorerst die Mannschaft gezahlt, dann werden die Reparaturen besorgt und was übrig bleibt wird zu Seelenmessen für die Verstorbenen unserer Familie verwendet. Davon wird der Don Beppo bezahlt, der eben in der Capelle Messe las. Die Reparaturen fressen am meisten und von der ursprünglichen »Colombina« ist kein Spahn mehr da. Aber sie wird immer gut gehalten und frisch aufgezimmert, hat auch immer ausserordentliches Glück gehabt. Weil die armen Seelen eigentlich ihre Eigenthümer sind, brauche ich sie auch nicht zu assecuriren. Schon oft war sie in der grössten Gefahr, – jedes andere Schiff wäre zu Grunde gegangen aber die »Colombina« – – halt! Da fährt sie ab. Glückliche Reise, Ante! Grüsse mir die Freunde in Zara!!«
Während die Brise sich sanft in die Segel legte, tanzte die »Colombina« lustig hinaus über die glitzernde Fläche. Beim Steuerruder stand aber Ante Placibat und schwenkte seinen Strohhut.
Glückliche Reise, »Colombina,« glückliche Reise, Ante Placibat!!
Hätte Herr Stipe Noncovich sein Dasein in irgend einer Stadt irgend eines anderen Landes ausser Dalmatien hingebracht, so würde er jedenfalls auf den Titel eines Commis Anspruch erhoben haben. Da er aber in Spalato sich des Lebens freute, so hiess er einfach »Giovane«.
Giovane ist Alles. Ein Schneidergeselle, ein Advocatenschreiber, ein Schusterlehrjunge, ein Marqueur in einem Kaffeehause, und nicht minder jene jungen Männer, die man im gemeinen Leben deutscher Nation unter den Sammelnamen Ladenjünglinge zu bezeichnen pflegt – sie Alle heissen in ganz Italien und in allen Küstenstädten des italienischsprechenden Dalmatiens »Giovane«, zu deutsch »junger Mann«. Wie alt ein derartiger junger Mann sei, thut nicht das Mindeste zur Sache, denn nicht etwa das jugendliche Alter des Betreffenden soll mit diesem Ausdrucke bezeichnet werden, sondern das Abhängigkeits-Verhältniss, in welchem er zu seinem Herrn steht. Und Herr Stipe Noncovich war ein »Giovane«, er verkaufte Leinwand, Bänder, Schnüre, Vogelleim, abgelegenes Tuch, Schiesspulver, Zucker, Kaffee, fertige Stiefel, Branntwein und noch tausend andere Dinge in dem Laden seines verehrten Oheims und gestrengen Herrn.
Wenn man von der Piazza Signori – dem Herrenplatze – der freundlichen Stadt Spalato in der Richtung gegen den diocletianischen[26] Jupiter-Tempel geht, so stösst man an der Ecke des Platzes auf ein höchst sonderbares Erzeugniss mittelalterlicher Bildhauerkunst. Es sind zwei Bischöfe in vollem Ornate, welche, die Mitra auf dem Kopfe und die respectiven rechten Hände wie zum Segen erhoben, in Sandstein roh ausgemeisselt und in die Quadern des Eckhauses eingefügt sind. Der eine dieser Bischöfe ist in mehr als Lebensgrösse dargestellt – der andere reicht dem ersten kaum bis zum Knie. Die nackten Füsse des grossen und die von schwerfälligem Faltenwurfe überdeckten Knie des kleinen Bischofs sind gleichmässig abgeschliffen und gewöhnlich mit einer Schmutzkruste überzogen. Das hat seinen guten Grund. Der Morlake sowie der Bewohner der Vorstädte Spalatos sieht in jeder alten Statue ohneweiters einen Heiligen. Hat die Statue gar eine Bischofsmütze auf dem Kopfe, so muss es schon ein ganz ausserordentlicher Heiliger sein. Darum sind auch die beiden sandsteinernen Bischöfe heilig und kein Morlake und kein Vorstadtbewohner versäumt es, im Vorübergehen hinaufzulangen, die Füsse des grossen und die Knie des kleinen Bischofs mit den Fingern anzurühren und dann seine Finger zu küssen. Daher die Kruste. Manchesmal regnet es aber, und dann wird die Schmutzkruste vom Regen abgewaschen.
Fragt man einen zur gebildeten Classe zählenden Spalatiner um die Bedeutung dieser beiden Bischofsbilder, so erhält man allerdings eine Auskunft, die einigen Zweifel an der Heiligkeit der beiden Originale zu erwecken geeignet ist. Es soll nämlich einmal im vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert der Bischof von Spalato mit dem Bischofe von Traú ein kleines Zerwürfniss gehabt haben, was zu einem Particularkriege zwischen den beiden Städten Spalato und Traú führte. Bei der Schlacht oder bei dem Gefechte, welches sich die Bewohner der beiden Städte lieferten, wurden die Unterthanen des Bischofs von Traú mit blutigen Köpfen heimgeschickt, worauf dann die beiden geistlichen Herren, wie billig, Frieden machten. Zum Andenken aber an den erfochtenen Sieg und zum Zeichen, wie mächtig er selbst gegenüber seinem Widersacher sei, liess der Bischof von Spalato den grossen und den kleinen Bischof in Sandstein aushauen. Der grosse Bischof war er selbst, – jener winzig kleine der überwundene Bischof von Traú. Heute sind sie Beide heilig und die Morlaken küssen ihnen – da sie zu hoch stehen – symbolisch die Füsse, wie man anderwärts Leute, die man nicht »hat«, in effigie hängt.
An derselben Ecke, an welcher die beiden sandsteinernen Bischöfe mit der periodischen Schmutzkruste an den Füssen prangen, mündet auch eine zweite enge Gasse: die Calle Alberti.
»Calle« heisst in der Venezianer Mundart, die in allen Küstenstädten Dalmatiens gesprochen wird, eine enge Gasse, und Alberti ist der Name einer geachteten Spalatiner Familie, die einmal in dieser Gasse ein Haus besessen hat. Das erwähnte Haus gehört zwar heute einem Schneider, aber die Gasse ist desswegen nicht breiter geworden, und wann zur Zeit der Weinlese die mit bocksledernen Schläuchen beladenen Esel den edlen Traubensaft durch die Calle Alberti schleppen, so müssen die Kaufleute ihre Waaren, die sie anlockend vor ihren Kaufläden ausgehängt haben, hübsch hereinnehmen, wenn dieselben nicht beschmutzt oder gar von einem Esel mitgenommen werden sollen. Denn die Calle Alberti ist der grosse Bazar von Spalato, in dessen Verkaufsgewölben Alles zu haben ist, was nur Herz oder Sinn der männlichen und weiblichen Spalatiner erfreuen mag.
Und dort, in der Calle Alberti, nicht zu weit von dem ungleichen sandsteinernen Bischofspaar, hatte Herr Stipe Noncovich senior seinen Laden, und in demselben lebte, wirkte und verkaufte Herr Stipe Noncovich junior, zugleich Neffe seines Herrn und »Giovane« seines Oheims.
Zu wenig Geld oder auch kein Geld haben kommt wie anderwärts auch in Spalato vor, und bei Herrn Stipe Noncovich junior war dieser Umstand beinahe chronisch geworden. Denn Herr Stipe Noncovich senior fühlte sich doppelt verpflichtet, eine Abwechslung in dieser Beziehung nicht herbeizuführen. Als Dienstgeber seines Neffen lag es nämlich in seinem eigenen Interesse, dessen Lohn so karg als möglich zu halten, und als Oheim seines Giovane fühlte er sich verpflichtet, darüber zu wachen, dass der Letztere durch das lockende Bewusstsein einer vollen Börse nicht auf Abwege verleitet werde. Darum hatte Herr Stipe Noncovich junior kein Geld. Darum musste er seinen brennenden Wunsch unerfüllt lassen, es den anderen jungen Leuten gleichzuthun, Abends vor dem Café Troccoli seine Cigarrette zu rauchen oder fein geputzt und geschniegelt bei den Damen den Galan zu spielen, wenn sie im Mondenschein auf der wunderschönen Marine sich ergingen und riesige Staubwolken mit ihren langen Schleppen aufwirbelten. Spalatiner Damen sind nämlich in den Moden durchaus nicht oder höchstens um ein paar Jahre zurück, und eine Schleppe zu[28] tragen gehört dort zum guten Ton. Je länger die Schleppe, desto besser der Ton.
Richtig – ich wollte eigentlich erzählen, wie Herr Stipe Noncovich junior zu Gelde gekommen, ja sogar ein reicher Mann geworden ist. Ganz genau weiss ich es freilich selbst nicht – was ich aber darüber erfahren konnte, das soll hier nicht verschwiegen werden.
An der Ostküste des Gebietes von Spalato ragen die starren Uferfelsen sägenartig gezackt in die spielenden Meereswogen hinaus. Thurmhoch, senkrecht abfallend und trotzig gleich Ruinen einer mittelalterlichen Burg fühlen sie den leisen Kuss der Wellen nicht, die ihren Fuss umspielen und werden von der wildanstürmenden Brandung nicht erschüttert, wenn der Scirocco gebrochene Wellenberge an sie heranwirft. Sie haben die Griechen in ihren Schiffen landen gesehen und die welterobernden Römer, sie standen so wie heute, als das Christenthum lautlos und siegesfreudig zugleich seinen Einzug hielt in das uralte Dalmaticum; der stiernackige Imperator Diocletian ist auf ihrem breiten Rücken einhergeschritten und die barbarischen Rufe der Avaren hallten aus ihren Klüften wieder. Schöne, lauschige, kleine Buchten hat das Meer in ihren Riesenkörper hineingewaschen, hat den feinsten Sand, so weich wie Sammt, spielend hineingetragen und winkt dort mit silberklaren, leise scherzenden Wellen zu köstlichem Bade. Der Rücken dieser Felsen, der sanft gegen die Stadt Spalato niedergleitet, ist mit einer dünnen Humusschichte bedeckt, die Einsenkungen sind mit Erde ausgefüllt und darüber wirft der Oelbaum seine schwermüthigen Schatten, grünt der Feigenbaum, senkt sich die Rebe unter der schweren Last der dunkeln saftstrotzenden Trauben.
Jener Theil dieser lachenden und trotzigen Felsenhügel, der unmittelbar an das Gebiet von Spalato grenzt, heisst Botticelle, und Botticelle heisst auch die Bucht, die sich dort in das Land eingeschnitten. In der Bucht badet zur Sommerabendzeit die ganze elegante, bürgerliche und gemeine Welt von Spalato – oben auf dem Felsenrücken, unter den üppigen Reben liegen die Leichen von Pestkranken verscharrt und – dort ruhen auch die Schätze. Ja, wirkliche, ordentliche, klingende Schätze in blankem Gold und Silber. Und wer's nicht glaubt, der gehe zu nachtschlafender Zeit nach Botticelle, so um Neumond herum, wenn nur das leise Rauschen des Meeres zu hören und einzelne Sterne durch die feuchtheisse Atmosphäre herniederleuchten. Dann mag er die schlanken, blauen[29] Flammen spielen sehen zwischen den Reben und unter dem dunkeln Schatten der Oelbäume, dann mag er es aufblitzen sehen in dem thaufeuchten, warmen Dunkel, und dann – ja, dann mag er es nochmals behaupten, wenn er Lust und Muth dazu hat, dass in Botticelle keine Schätze liegen.
Eines weiss man nicht: wie die Schätze nach Botticelle gekommen und wer sie dort vergraben hat. Dafür aber herrscht über die Herkunft der Pestleichen nicht der geringste Zweifel. Als im Jahre 1784 zum letztenmale die Pest durch türkische Caravanen nach Spalato eingeschleppt wurde, da begrub man die an dieser Krankheit Verstorbenen in einem grossen, in Stein gehauenen Schacht auf dem gemeinschaftlichen Friedhofe San Stefano. Dort stehen heute noch zwei steinerne Kreuze mit der Aufschrift: »Ob pestem Angelo Diedo Provisore 1784.« Die an der Pest verstorbenen Türken aber verscharrte man ohne viel Ceremonie gleich hinter der Stadt in Botticelle, weil erstens das Lazareth, wo sie gestorben, in der Nähe lag oder vielmehr heute noch dort liegt, und zweitens, weil man die ungetauften Türkenhunde nicht in geweihter Erde und in dem geweihten Schachte begraben wollte. Und gerade dort, über den verscharrten Leibern der pestkranken Türken, tanzen in dunkeln Sommernächten die schlanken, blauen Flammen – gerade dort liegen auch die Schätze.
Alle Welt weiss es. Auch Herr Stipe Noncovich junior wusste es, und wenn er, oft Düten drehend oder die Elle handhabend, in dem dumpfen wie ein Ei gefüllten Laden seines Brodherrn und Oheims stand, dann waren seine Gedanken draussen in Botticelle und irrten dort hin und her, gleich den schlanken, blauen Flammen zur Sommernachtszeit.
Wer die Schätze heben könnte! Ach, welch' schöne Kleider wollte er tragen, wie wollte er geschniegelt und gebügelt über die Marine promeniren, bald mit der, bald mit jener Dame sprechen und dabei den Galanten machen, dass es nur so eine Freude wäre. Und gerade solche mit den allerlängsten Schleppen wollte er sich aussuchen, seinem verehrten Oheim und Herrn zum Trotz, der die neumodischen Schleppen nicht leiden konnte. Und dann hätte er sich vor das Café Troccoli gesetzt, hätte sich Gefrornes geben lassen, den Hut – einen schwarzglänzenden Cylinder – in den Nacken gerückt, und hätte sich eine Cigarrette um die andere gedreht. Eine schwere goldene Uhrkette müsste er haben und eine goldene Uhr, dann an jedem Finger mindestens Einen Ring, goldene[30] Hemdknöpfe, lackirte Stiefletten und die wunderbarsten dunkelblauen Hosen müsste er tragen – ganz wie der Conte Anastasio, der genau in diesem Aufzuge jeden Abend vor dem Café Troccoli sass. Und während er diese Luftschlösser baute und an all' die Herrlichkeiten dachte, musste er im Kaufladen seines Oheims Düten drehen!
Es war einmal ein Schneider in Spalato, dem es ganz ausserordentlich schlecht ging. Der Mann war der Verzweiflung nahe, denn er hatte nichts zu beissen und zu Hause riefen die Kinder um Brod. Da ging er hinaus nach Botticelle – wollte er sich die Felsen herab in's Meer stürzen – wollte er seinen Kummer verträumen – wer weiss es? Als er sich aber dort auf die Erde setzte und in unbewusster Wuth eine handvoll Erde und Steine aufraffte, um sie fortzuschleudern, da blieb ihm ein hellblinkender Ducaten in der Hand. Und dann fand er an derselben Stelle noch einen und wieder einen und so fort, bis er blanke sechsunddreissig Ducaten mit den Händen aus der Erde gescharrt hatte. Mehr fand er nicht, obwohl er mit einem Spaten versehen zum zweitenmal an Ort und Stelle kam und den ganzen Fleck umwühlte. Und das ist kein Märchen, denn der Mann lebt heute noch und hat seinen eigenen Laden, wo er mit drei Burschen den ganzen lieben Tag lang rothe Mützen näht und sie an die Morlaken um gutes Geld verkauft.
Was dem halbverzweifelten Schneider gelungen, das sollte ihm, Herrn Stipe Noncovich junior, nicht möglich sein, – ihm, der sich zu Höherem geboren fühlte?
Eine goldene Uhrkette, ein blank gebügelter Cylinder und die blauen Hosen des Conte Anastasio tanzten vor seinen Augen einen wilden Reigen und das Blut stieg ihm wie siedend zum Kopfe.
Herr Noncovich senior aber hatte in diesem Augenblicke keine so üppigen Träume wie sein hochaufstrebender Neffe und »Giovane«.
Es vergeht selten ein Jahr, in welchem zur heissen Sommerszeit, wenn die Früchte, wenn Melonen und Gurken in reichem Ueberflusse reifen, nicht die Cholera einen kleinen Umzug hält durch das langgestreckte Küstenland Dalmatiens. Auch in diesem Jahre war sie gekommen und Herr Noncovich senior war einer der Ersten, bei dem sie Einkehr gehalten. Weil aber der Verkaufsladen nicht leer stehen durfte und vielleicht auch aus anderen Gründen, war es nicht der Neffe und Giovane, der seinen[31] Herrn und Oheim pflegte, sondern ein guter Freund und weitschichtiger Vetter des Letztern, der Signor Beppo.
Lange dauerte es nicht. Des Morgens hatte der alte Herr sich niedergelegt, zwei Stunden darauf hatte man einen Franciskaner geholt, der die Krankheit wegbeten sollte, Mittags kam der Arzt, um fünf Uhr Nachmittags ging es dem Kranken besser (was die Folge des Wegbetens war) und um zehn Uhr Abends war er eine Leiche.
Der Signor Beppo hielt aber mit rührender Sorgfalt bei dem Kranken aus, hegte und pflegte ihn und als er todt war, bestellte er selbst die Männer und Weiber zur Leichenwache und besorgte in eigener Person Schnaps und Brod für dieselben. Auch warf er den Herrn Stipe Noncovich junior eigenhändig zur Thüre hinaus, als derselbe zu später Nachtstunde in das Trauerhaus kam. Des andern Morgen kam die Gerichtssperre und es wurde Alles hübsch ordentlich aufgenommen, was der alte Herr hinterlassen. Es fand sich aber nicht viel. Ausser den Möbeln und werthlosen Kleidern fand sich eigentlich nichts. Kleider und Möbel sowie das gefüllte Verkaufsgewölbe in der Calle Alberti gingen in die Hände einer in Sebenico lebenden Schwester des Verstorbenen über. Der Herr Beppo, der ihn so treulich in seiner letzten Krankheit gepflegt, bekam nichts. Und Herr Stipe Noncovich junior bekam auch nichts. Darum schimpfte Herr Beppo weidlich über die Undankbarkeit seines verstorbenen Freundes und Herr Stipe Noncovich, der Lebende, lungerte den ganzen Tag in den Strassen der Spalatiner Vorstadt Pozzobuon herum. Auch Abends sah man ihn dort, auf einem Stein sitzend mit einem Stücke Polenta in der einen und einem gebratenen Fisch in der andern Hand.
Warum in Pozzobuon? Vielleicht weil Pozzobuon in der Richtung gegen Botticelle liegt, wo die Schätze vergraben? Oder weil in Pozzobuon Herr Beppo wohnte, der Freund und Pfleger seines verstorbenen Oheims?
Das hat keine lebende Seele je erfahren.
Ja, wer ein schlankes blaues Flämmchen hätte sein können, wie sie zu nachtschlafender Zeit über Botticelle tanzen, der hätte in der Vorstadt Pozzobuon so gegen Mitternacht herum etwas sehen können. Da stand das Haus des Herrn Beppo und hinter demselben dessen Garten, ein grosses mit Paradiesäpfelstauden, Misthaufen, Granatbüschen und Zwiebelbeeten bedecktes Stück Erde. Wer da ein blaues Flämmchen hätte sein können und sich hinter den Granatbüschen verborgen hätte, der hätte in[32] der pechfinstern, feuchten, heissen Nacht Jemanden aus Herrn Beppo's Thür treten gesehen, der auf der linken Schulter eine Kiste und in der rechten Hand einen Spaten trug. Und der hätte sehen können, wie dieser Jemand in der unmittelbaren Nähe zweier Misthaufen und eines prächtigen alten Feigenbaumes eine Grube machte und darin die Kiste begrub und dann wieder Alles hübsch zudeckte und Mist darüber streute und dann wieder in das Haus ging. Der hätte auch sehen können, wie dann aus den Granatbüschen heraus eine andere Gestalt hervorschlich, die auch einen Spaten hatte, aber mit demselben gerade die entgegengesetzte Arbeit verrichtete. Denn die Gestalt grub genau an derselben Stelle nach, wo die Kiste verscharrt worden war. Dann nahm die Gestalt die Kiste wieder heraus, deckte die Grube wieder fein säuberlich zu, hob die Kiste auf die Achsel und trollte sich damit fort. Wohin?
Neuigkeiten sind in Spalato selten. Kommt einmal eine solche vor, so wird sie darum desto begieriger von Alt und Jung aufgegriffen, besprochen und herumgetragen. Und heute gab es etwas Neues. Herr Stipe Noncovich junior war gestern Abends vor dem Café Troccoli gesehen worden. Dort hatte er sich ein Gefrornes geben lassen und sehr viele Cigarretten geraucht. Er hatte einen funkelnagelneuen Cylinder auf dem Kopfe und trug denselben stark nach hinten gerückt, – von allen seinen dicken Fingern blitzten Ringe und um den Hals schlang sich eine schwere goldene Kette. Gold – nicht Talmi. Dazu hatte er ein spanisches Rohr mit einem grossen goldenen Knopf und ein Paar prachtvolle dunkelblaue Hosen. Er war in seinem Auftreten ein genaues Conterfei des Conte Anastasio. Und als er sein Gefrornes zahlte, das zwölf Kreuzer kostete, liess er eine Hundertgulden-Note wechseln, was dem »Giovane« des Café Trocolli bald eine Ohnmacht zugezogen hätte, und zeigte eine prächtige mit Banknoten gefüllte Brieftasche. Mit Einem Worte: Herr Stipe Noncovich junior war ein reicher Herr geworden.
Er hatte Spalato vor vierzehn Tagen als Passagier dritter Classe eines Lloyddampfers verlassen. Seine ganzen Habseligkeiten bestanden in einer kleinen hölzernen Kiste, die mit Stricken zugeschnürt war. Und gestern war er von Triest zurückgekehrt – wenn nicht ein Adonis, so doch ein zweiter Conte Anastasio.
Lange hat es ihn aber in Spalato nicht gelitten. Er war blasirt. Dann wollten auch die Damen nichts von ihm wissen, wenn sie Abends[33] mit den langen Schleppen über die Marine fegten und er den Galanten bei ihnen zu spielen versuchte, weil, wie sie sagten, er schliesslich doch nur ein »Giovane di Bottega« sei. Darum schiffte er sich eines schönen Morgens wieder auf einem Lloyddampfer ein und reiste fort. Heute hat er sich in Buenos Ayres etablirt, wo er einen schwungvollen Handel betreibt. Dorthin liess er sich auch seine Schwester nachkommen, die früher ein armes Schneidermädchen war.
Möchtest Du auch Schätze finden, lieber Leser? Gehe hin nach Spalato zur Sommerszeit, wenn die Granatäpfel glühen, die Traube dunkelt, die köstliche Feige vom Baume winkt. Zur Nachtszeit, bei Neumond, wenn die Nacht schwarz, heiss und feucht über Meer und Felsen hängt, dann ersteige die Höhen von Botticelle, wo unter dunkeln Oelbäumen und fruchtschweren Reben die Leiber der pestkranken ungetauften Türkenhunde ruhen. Siehst Du dann schlanke blaue Flämmchen aufzüngeln und im Tacte der Wogen tanzen, die tief unten den Fuss der jäh abstürzenden zackigen Felsen schmeichelnd küssen, so merke Dir den Punkt ganz genau. Dort liegen die Schätze.
Ein altes Zauberland ist dieses Dalmatien. Die Engel, welche die berühmte Kirche von Loretto seinerzeit nach Italien transportirten, hatten es nicht verschmäht auf ihrer luftigen Reise in Dalmatien Halt zu machen und dort die Kirche, bei Tersate, auf einige Jahre zu deponiren. Wer es je versucht hat, ein schweres Möbel oder eine tüchtige Kiste auf den Schultern fortzutragen, wird den Engeln die Rast von Herzen gönnen; auch glaube ich nicht, dass es auf der weiten Welt einen Dienstmann oder Packträger gibt, der ihnen nicht sachverständig beistimmte. Früher schon hatte der heilige Domnius – recte Domnionus und nicht zu verwechseln mit dem officiellen Schutzpatron der Stadt Spalato, Dominius – bis zu seinem seligen Ende und noch über dasselbe hinaus die Zauberei in Dalmatien geübt. Bolandus erzählt die Geschichte und Archidiaconus Thomas ist sein Gewährsmann. Besagter Domnionus war Hofbeamter Maximinian's, des Mitregenten Diocletian's und ein heimlicher Christ. Als solcher ermahnte er die christlichen Märtyrer, die sich damals in Dalmatien befanden,[35] bei ihrem Glauben auszuharren; er selbst aber floh gegen Rom, als es bekannt wurde, dass auch er den neuen Glauben bekenne. Auf der Claudischen Strasse, unweit der Stadt Julia Chrysopolis und an dem Ufer des Flusses Sytirion, holten ihn die Häscher Maximinian's ein, banden ihn mit Stricken und enthaupteten ihn. Da hob er sein abgeschlagenes Haupt auf, ging mit demselben festen Schrittes über den Fluss und legte es am anderen Ufer nieder, wo er auch sammt seinem Haupte begraben worden ist. Den Grund dieses sonderbaren Benehmens weiss weder Archidiaconus Thomas noch Bolandus anzugeben, aber aus dem Ganzen geht hervor, dass nur Maximinian's Häscher selbst das Geschehene weiter erzählt haben können, welcher Umstand immerhin als höchst achtenswerthes Zeugniss für die Glaubwürdigkeit dieser Geschichte gelten mag.
Was während des Mittelalters in puncto Zauberei in Dalmatien geleistet wurde, darüber ist nicht viel bekannt, da aus naheliegenden Gründen sehr wenige geschriebene Chroniken aus jener Zeit existiren. Wer sich aber die Mühe nehmen wollte, heute eine Hexen- oder Zauberchronik über Dalmatien und speciell über die Morlakei zu schreiben, der würde des krankmachenden Unsinns genug finden, um einen recht anständigen Band damit zu füllen. Die Hebamme ist die erste Zauberin, die mit ihren Künsten an das frisch in die Welt gesetzte Kind herantritt. Sie vergisst nie, wenn sie zu einer Wöchnerin gerufen wird, eine »Rose von Jericho« mitzubringen, ein Distelgewächs, welches sie in ein Glas Wasser steckt bis dasselbe, das Wasser aufsaugend, die früher zusammengeballten Wurzeln öffnet. Dann bekommt das Kind einen »Zapis« um den Hals gehängt, den gedruckten oder geschriebenen in Leinwandfetzen und Schafleder eingenähten Zaubersegen, den der Pfarrer oder das nächste Franciscanerkloster liefern muss. Wächst das Kind heran, so ist es die Mutter oder die Grossmutter, deren Hauptaugenmerk darauf gerichtet ist, den Einfluss der Hexen und bösen Geister von demselben abzuhalten. In den Klüften des wild zerrissenen Gebirges, auf den Höhen der felsigen Berge, in Wald und Sumpf, in jeder Ecke einer verfallenen Hütte und in jedem Wasser, das in eiligem Laufe dem Meere zustürzt, stecken die leidigen Hexen. Die »Viscizza« wandelt als altes Weib im Dorfe herum, macht die Kinder krank, behext die Kühe und treibt ihren Unfug, bis sie nicht eine Tracht Schläge erhält oder durch ein Geschenk begütigt wird. Die »Morina« quält die Menschen im Schlafe und benimmt ihnen den Athem. Der »Macich«[36] versteckt sich in den Häusern, poliert in der Stille der Nacht, zerrt an den Kirchenglocken, singt, lacht, weint und verschwindet dann, wenn er seinen Muthwillen gekühlt hat, indem er sich in einen Ochsen, einen Esel, ein Maulthier oder in ein anderes Vieh verwandelt. Die »Vukodlaci« schleichen bei finsterer Nacht in den Dörfern herum, verführen die Weiber, bringen Krankheiten über Menschen und Vieh und nehmen, wenn verfolgt, die Gestalt von Verstorbenen an. Die »Vile« entführen Knaben und Mädchen, um sie an ihren nächtlichen Reigen theilnehmen zu lassen. Sie verlieben sich auch in Pferde, welche dann weder Sattel noch Reiter dulden, ausser – man hängt ihnen einen Zapis um den Hals. Oel im Hause verschütten, bedeutet den baldigen Tod eines Familien-Mitgliedes; ein umgestossenes Salzfass bringt Krankheit in die Familie; ein Hund, der vor dem Hause heult, bedeutet Unglück.
Gegen Alles das, gegen Tod und Weiberverführung, gegen Viehseuche und den bösen Blick der Hexen, gegen Krankheit und Ungemach aller Art, das durch Zauberkünste heraufbeschworen wurde, gibt es zwei untrügliche Mittel: den Zapis und – den Zaubersegen des Priesters. Ja, der eigentliche und rechte Anti-Zauberer ist der Pfarrer. Dieser muss den Zapis schreiben, wenn er ihn gedruckt nicht vorräthig hält, muss die Würmer und Raupen verfluchen, muss die Heuschrecken vertreiben, Krankheiten bei Menschen und Vieh heilen und nöthigenfalls auch das Wetter machen. Wie er das Alles anstellt, das ist seine Sache. In neuester Zeit haben die Bischöfe angefangen den zaubernden Pfarrern ein wenig auf die Finger zu sehen und wohl auch auf die Finger zu klopfen, aber gerade nur so viel, als zur Erhaltung des bischöflichen Decorums nothwendig ist. Mein Gott! Der Morlake ist nun einmal auf den verdammten Zauber versessen und der Pfarrer will leben – sieht der Bischof aber nicht ein wenig durch die Finger, so holt der Teufel den Zauber und des Pfarrers Lebensunterhalt dazu.
Willst Du, lieber Leser, einen solchen Zauberer in seiner Höhle besuchen? Komm' mit mir!
Der altehrwürdige Palast des Römerkaisers Diocletian spiegelt sich heute noch stumm und altersgrau in den blaugekräuselten Wellen des schönen Hafens von Spalato. Die Quadermauern des Palastes stehen heute, nach anderthalb Jahrtausenden, noch fest und stämmig, die Granit- und Marmorsäulen ragen heute noch ungebrochen, und die kühnen Wölbungen[37] der gedeckten Gänge, die zu dem Atrium des alten jetzt als Domkirche dienenden Jupitertempels führen, tragen auf ihren wuchtigen Schultern heute noch die Häuser, welche, zwischen Marmorsäulen und Quadermauern hineingebaut, die Stadt Spalato bilden. Rings um die Stadt dehnen sich im weiten Halbkreise die Vorstädte, selbst wieder von felsigen Meeresbuchten und üppigen Pflanzungen umzogen, in denen die Traube zwischen Feigenbäumen reift und Oelbäume ihre fahlen ernsten Schatten werfen. Weiter hinaus schliessen nackte, hochaufstrebende, felszerklüftete Berge den Horizont und über dem Ganzen ruht der tiefblaue Himmel, fluthet die feuchtwarme Meeresluft, zittern die heissen, gelbleuchtenden Strahlen der dalmatinischen Sonne.
Durch die Porta Aurea, das goldene Thor des alten Palastes, hinaus führt uns der Weg, vorbei vor den Ruinen der Festungsmauern, über denen noch immer der venezianische Löwe mit halberhobenen Flügeln in lächerlicher Faulheit thront. Die staubige Strasse dreht sich gegen Nordost, immer von den Ruinen der Festungsmauern links und von den in morlakischer Weise gebauten Häusern rechts begleitet. Jetzt treten wir auf einen freieren Platz. Eine kleine Kirche und ein grosses Kloster zeigen ihre nackten, ungeschlachten Mauern. Es ist das Franciscanerkloster, aus dem so viele »Zapis« hinausflattern unter die Vorstadtbewohner und in die Morlakei. Ein Brunnen steht da, von wasserholenden Mägden umlagert, der einzige Brunnen in Spalato, dessen süsses Wasser beinahe durch das ganze Jahr nicht versiegt. Darum heisst der Brunnen Pozzobuon, das Kloster und die Kirche heissen Pozzobuon und die ganze Vorstadt, durch welche wir schreiten, heisst Pozzobuon – zu Deutsch: Guter Brunnen. Auch die Franciscaner im Kloster heissen »Frati di Pozzobuon« und die Zapis, die sie verkaufen, kennt man unter dem Namen der Zapis von Pozzobuon. Alles Pozzobuon. Schräge hinüber vom Kloster ist ein grosses in die Erde gegrabenes Bassin. Es ist mit Quadern ausgemauert, die vor dreissig Jahren aus Salona hieher geführt worden sind. Um das Bassin herum stehen altrömische Sarkophage, halb in die Erde versenkt. Auch diese sind aus Salona.
In dem Bassin schwappt ein dicktrübes Brakwasser von einer Schicht grüner Sumpfpflanzen überdeckt, das auf weit und breit die Luft mit ekelhaftem Gestanke verpestet. Milliarden von Mücken schweben über demselben. Aus dem Bassin wird das Sumpfwasser mit hölzernen Kübeln in die halb vergrabenen Sarkophage geschöpft, um die Eseln, Pferde[38] und Schweine zu tränken, die zu diesem Behufe Abends herbeigetrieben werden. In der Nacht zieht sich dann wieder die grüne Decke über den Stellen zusammen, an denen die Kübel eingetaucht wurden, und des Morgens gleicht die Wasserfläche wieder einem schmutziggrünen Anger.
Vorbei. Der Weg dreht sich abermals nach rechts, die in morlakischer Weise gebauten Häuschen werden seltener, die Düngerhaufen und Kohlgärten um dieselben häufiger und grösser. Links ein grosser Anger, von der Garnison Spalatos »die Flegelwiese« benannt, weil er als Exercirplatz dient – die italienisch sprechenden Spalatiner nennen ihn höflicher »il Campo Marzo«, das Marsfeld. Rechts beginnen die Weingärten. Dunkelblaue, mächtiggrosse Trauben verhüllen in ihrer strotzenden Fülle die wenigen halbvertrockneten Blätter der Reben. Alte Feigenbäume senken ihre schwerbeladenen Aeste zu Boden. Hochaufgeschossener Mais zeitigt seine dicken Kolben und spielt mit seinen schöngeschnittenen Blättern in dem leisen Hauche des Abendwindes. Granatapfelbäume säumen den staubigen Weg – aus ihrem saftigen Grün heraus leuchten die feurigrothen Früchte. Wo ein Stückchen Erde sich zeigt, schiessen wilde Schlingpflanzen heraus und ringeln sich Schlangen gleich um Wein und Feigen, Oelbäume und Granatäpfel. Die Luft ist heiss und feucht. Da gedeiht Alles – auch Zauberer.
Durch das dunkle Grün der üppigen Cultur schimmern die schneeweissen Mauern eines ebenerdigen Hauses. Die mit weissen Vorhängen versehenen Fenster blinken rein und behäbig auf die Strasse. In die Mauern sind Bruchstücke antiker Reliefs eingefügt, und altrömische Inschriften, im Laufe vieler Jahrhunderte halb verwischt, sagen uns, dass »hier« die vielgeliebte Gattin des Titus Sempronius oder sonst eines Patriciers des alten Salona ruhe. Nebenan besagt eine Votivtafel, dass ein glücklicher Bräutigam dieselbe der Venus victrix – der siegreichen Venus gewidmet. Warum? Unbekannt. An der Gartenthüre, durch die man in das Haus gelangt, prangen schlanke Marmorsäulen, von denen die eine nicht zur anderen passt, und vor uns öffnet sich die Thüre – – zu des Zauberers Höhle.
Da steht er selbst. Ein dickes spanisches Rohr mit einem mächtigen Messingknopf stemmt sich auf den Boden, als ob es da Wurzel fassen sollte. Eine fleischige Faust mit wulstigen kurzen Fingern umklammert das Rohr. Der lange und enge Aermel, in dem die Faust halb versteckt, gehört zu einem dunklen, aus grobem Tuche gefertigten Rock, der weit herabfallend ein Paar unmässig grosser Kanonenstiefel theilweise verhüllt.[39] Für die fette und breite Brust, die auch aus Salona zu stammen und einem römischen Gladiator zu gehören scheint, ist der Rock offenbar zu enge. Dafür stützt der hohe Kragen zwei kolossale, wie aus Marmor gehauene Ohren sowie das doppelte Kinn und ein unmässig breites Gesicht, dessen kleine Augen unter den buschigen Augenbrauen mit listiger Schärfe hervorblitzen. Der halbgeöffnete Mund erinnert an die Oeffnung eines Klingenbeutels. Auf dem Kopfe aber sitzt ehrfurchtsgebietend das Abzeichen des dalmatinischen Pfarrers, der schwarze, dreifach gestülpte Schäferhut. Das ist Don Malachia, der Zauberer von Spalato, und das Haus – sein Haus – vor dessen Eingang er steht, ist das Paternosterhaus.
Wie er Pfarrer und Zauberer geworden? Das ist bald erzählt. In die Schule ist er nicht gegangen. Er hat seine Lehrzeit bei einem morlakischen Landpfarrer durchgemacht, der ihn in die Geheimnisse des Schreibens und Lesens eingeweiht und, als er das konnte, ihm auch das Messelesen beigebracht. Dann hatte er die Weihen erhalten und war Priester geworden. Und da er jetzt slavisch schreiben und lesen, nebstbei auch die Messe celebriren konnte – da er die Tonsur auf dem Kopfe und über derselben den dreifach gestülpten Hut trug, so war der morlakische Pfarrer fertig und er ward irgendwo im Gebirge installirt, auf Stunden im Umkreise allein mit der ihm anvertrauten Heerde. So ist er Pfarrer geworden. Was aber das Zaubern betrifft, so hat er es eigentlich von Niemanden gelernt. In dieser Beziehung ist er Autodidakt. Das Gebahren mit den »Zapis« hat er allerdings seinen Amtsbrüdern abgelauscht. Diese – die Zapis – kann man in Spalato bogenweise gedruckt kaufen und er brauchte nur eine Papierscheere, um die einzelnen Zapis abzulösen und sie den Morlaken als unfehlbares Mittel gegen alles mögliche und unmögliche Ungemach zu verkaufen. Das gab ihm die Sauce zum Braten. Um aber den Braten selbst sich zu verschaffen, dazu erfand er sich einen eigenen Sport. Sehr einfach. Nur das Vaterunser.
Ja – das fromme schlichte Gebet, das seit anderthalb Jahrtausenden in schwerer Trübsal, in Noth und Bedrängniss von Millionen und Millionen hinaufgesendet wird zum Schöpfer des Himmels und der Erde – das Gebet, das die Mutter dem Kinde lehrt, wenn es kaum zu stammeln beginnt – das Gebet, das in dem ernsten und feierlichen Momente, in welchem der Geist des Vaters, der Mutter, sich losringt von diesem Erdenungemach, schluchzend von der knienden Kinderschaar als letzter Gruss dem Scheidenden mitgegeben wird – das Gebet, das die Herzen rührt und[40] erschüttert seit jener fernen Zeit, in welcher der schöne Christenglauben seinen stillen, siegreichen Einzug gehalten in die Welt – das Vaterunser – ist der Sport des Don Malachia.
Er selber glaubt nicht daran. Hätte die Bitte, »sondern erlöse uns von dem Uebel« je Wirkung gehabt, so wäre Don Malachia nicht mehr möglich. So aber erfreut er sich des prächtigsten vierschrötigen Wohlseins und betreibt seinen Sport wie früher. Um zehn Kreuzer betet er ein Vaterunser. Das wirkt oder soll doch wirken. Was immer der Morlake wünschen mag, Gutes für sich, Schlimmes für den Nachbar, Regen, Wind, Trockenheit, Genesung von Krankheiten, Vermehrung seines Viehstandes, Fruchtbarkeit seines Weibes – für Alles das betet Don Malachia ein Vaterunser um zehn Kreuzer.
Früher hatte er, was die Fruchtbarkeit der Weiber anbelangt, ein anderes Zaubermittel in Anwendung gebracht, und zwar mit dem besten Erfolge. Die Morlaken zahlten auch dafür. Aber der Bischof, dem man sehr viel davon zu erzählen wusste, wollte dessen Anwendung nicht mehr leiden, umsoweniger, als durch eine merkwürdige Verkettung von Umständen Don Malachia statt des erhofften Geldes oder der Victualien von den Morlaken manchmal für seine Zaubermittel Prügel erhalten hatte. Auch erschiessen wollten sie ihn zuweilen. Darunter aber leidet die Standesehre und desswegen wurde er seines Postens als Pfarrer entsetzt und privatisirte fortan in Spalato. Jetzt betreibt er nur mehr den Vaterunser-Sport. Wie viel Vaterunser ein normal organisirter Mensch im Laufe eines Tages herunterzusagen vermag, ist bis heute wohl noch nicht berechnet worden. Es müssen aber viele sein, denn mit den Vaterunsern, oder, besser gesagt, mit der Bezahlung von zehn Kreuzern für jedes Vaterunser unterhält Don Malachia sich selbst in seiner vierschrötigen Wohlbeleibtheit, seine ziemlich zahlreiche Familie und – mit diesem Gelde hat er sich das hübsche Häuschen erbaut, das so weiss und freundlich durch die blühende Wildniss schimmert. Das Volk kennt die erzählten Umstände ganz genau, lässt aber immer wieder seine Vaterunser um zehn Kreuzer per Stück durch Don Malachia beten. Der Bischof weiss es auch, aber Vaterunserbeten ist nichts Unrechtes – und so lässt sich wenig dagegen einwenden. Im Volksmund aber heisst das Haus: »Kuća od Otčenašah« – das Paternosterhaus.
»Sondern erlöse uns von dem Uebel! Amen.«
Jacuve heisst Jacob – Ciciola ist ein Spitzname und heisst gar nichts, – welches Wesen aber so glücklich war, die Liebe des Jacuve Ciciola zu erringen, das will ich lieber erst am Ende dieser meiner armen Zeilen erzählen, weil es immer gut ist, sich für alle Fälle zu decken und dafür zu sorgen, dass dergleichen Dinge auch bis zu Ende gelesen werden.
Vielleicht war ich nicht ganz exact, als ich dem Namen meines Helden eine negative Bedeutung zusprach. »Ciciare« ist ein Wort, das zwar meines Wissens in keinem Wörterbuche zu finden ist, dafür aber im Dialekte der untersten Venezianer-Volksclassen »saugen« bedeutet, ganz entsprechend dem wunderbar schönen Wiener Ausdrucke »zuzeln«. Gibt man aber die Richtigkeit dieser etymologischen Abstammung zu, so ist auch damit die logische Berechtigung anerkannt, meinen Helden eben Ciciola und nicht anders zu nennen, denn der Herr, der diesen äusserst romantisch klingenden Namen trägt, hat die ebenso angenehme als nützliche Gewohnheit, zwei oder drei junge Zwiebelpflanzen von der Art, die man in Italien und Dalmatien Scalogna, in deutschen Landen aber Schalotte nennt, in der Hand zu halten und mit sichtbarem Behagen daran zu saugen.
Ausser den eben erwähnten hat Jacuve Ciciola keine besonders luxuriösen Gewohnheiten. Ein Paar alte Schuhe, keine Strümpfe, blaue, zerrissene[43] türkische Pumphosen, ein Hemd und ein langer brauner Mantel, der an den Lenden durch einen Strick zusammengefasst ist, bilden seine Bekleidung; auf dem kraushaarigen, dicken Kopfe trägt er eine rothe morlakische Mütze, und in einem Loche, das er in die linke Brustseite des Mantels eigens gerissen, steckt ein kurzer Tschibuk. Er schläft, wo er kann, er isst, was man ihm schenkt, und trinkt Wasser, wann und wo er es findet.
Mit dem Wasser hapert's manchesmal im Sommer; denn Spalato, die Vater- und Residenzstadt Jacuve Ciciola's, besass wohl vor dreizehnhundert Jahren eine prachtvolle aus Quadern gebaute Wasserleitung, welche das frische Quellwasser eine Stunde weit aus Salona nach Spalato führte, aber diese liegt heutzutage in Trümmern. Heute hat man in Spalato nur Regenwasser aus Cisternen; versiegt dieses aber im Hochsommer, was beinahe jedes Jahr der Fall ist, dann müssen die Spalatiner wieder zu dem frischen Quellwasser in Salona greifen, nur läuft dasselbe heute nicht mehr von selbst nach Spalato, sondern es wird in Fässern dahin getragen – auf Eseln.
Man kann nicht sagen, dass Spalato von der Natur stiefmütterlich behandelt sei. Im Sommer hat man dort zu essen und im Winter – wenn es regnet – zu trinken. Unangenehm bleibt es aber, dass, je nach der Jahreszeit, die gleichzeitige Befriedigung beider Bedürfnisse mit Schwierigkeiten verbunden ist, wenigstens für die arme Classe, und Jacuve Ciciola gehört nicht zu den Reichen.
Nur drei Stunden von Spalato entfernt liegt der District Poglizza, noch unter der Herrschaft der Venezianer ein reiches blühendes Stück Landes, das feines Obst und Tabak in solcher Menge und solcher Güte erzeugte, dass die Poglizzaner ein berittenes Corps von dreihundert Reitern auf eigene Kosten ausrüsten und erhalten konnten, wenn die erlauchte Republik Krieg führte. Und die erlauchte Republik führte ziemlich oft Krieg. Heute dürfen die Poglizzaner keinen Tabak mehr bauen, darum können sie auch keinen verkaufen und darum sind sie auch mit ihrer Obstcultur, mit Respect zu sagen, auf den Hund gekommen. Weil aber in den Ritzen und Schluchten des glühenden gelben Gesteins, aus welchem der Boden der Poglizza besteht, wohl Tabak und Obst, aber kein Getreide gedeiht, so haben sie in der Poglizza überhaupt nichts oder beinahe nichts zu essen. Ihre gewöhnliche Nahrung besteht aus Maisbrod und wildwachsenden Kräutern, die sie mit etwas Essig geniessbar machen. War das vergangene Jahr ein schlechtes – und das Jahr kommt, Gott[44] sei's geklagt, oft vor – so mischen sie das Mehl mit gestampfter Baumrinde und backen Brod daraus. Gegen Ende des Winters, wenn das Mehl alle geworden und nur mehr die Baumrinde übrig geblieben, dann ziehen sie einzeln und zu Haufen nach Spalato und betteln. Gelbe pergamentartige Gesichter, schlotternde Gestalten, in Fetzen gehüllt, auf dem Kopfe ein rothes Käppchen und an den Füssen Sandalen aus ungegärbtem Leder, den Bettelstab in der Hand, so schwanken sie in der Winterkälte durch Spalatos Strassen und strecken die zitternden Hände aus mit dem stereotypen »bog vam da« – »Gott vergelt's!«
Viel besser ist eben Jacuve Ciciola auch nicht d'ran, aber er erspart wenigstens den weiten Weg von der Poglizza bis nach Spalato. Und dann bat er auch seine gewissen und regelmässigen Einkünfte, die ihn immerhin vor allzu grossem Elende bewahren. Da stehen zum Beispiel hinter dem Platze, der den volltönenden Titel »Herrenplatz« – Piazza Signori – führt, gewisse alte, halbzerfallene Häuser. In Spalato ist eben Alles alt und die meisten Häuser zeigen eine bedenkliche Neigung, ihr ehrwürdiges Alter durch eine gewisse Hinfälligkeit zu manifestiren. Um eine bestimmte Stunde werden da aus bestimmten Fenstern die Ueberreste der Mahlzeit, die allerdings gewöhnlichen Menschen nicht mehr recht geniessbar erscheinen wollen, einfach auf die Strasse geworfen. Das weiss der Jacuve Ciciola und findet sich regelmässig ein, um das in Empfang zu nehmen, was er als eine ihm mit Recht gebührende Abgabe betrachtet. Hunde, die ihm die Beute streitig machen wollen, verjagt er. Auch kennen ihn dieselben schon und sehen nur aus gehöriger Entfernung mit lüsternen Augen zu, wie der Jacuve Ciciola speist. Offenbar thun sie es in der Erwartung, dass er doch vielleicht etwas übrig lassen könnte, aber diese Erwartung wird oft getäuscht, denn Jacuve Ciciola hat die Kinnbacken eines Esels und das weisse funkelnde Gebiss eines Raubthieres. Den Appetit hat er von beiden. Und so muss ein Bein schon sehr hart sein, wenn Jacuve Ciciola es nicht sollte zermalmen können. Zudem ist Jacuve Ciciola von riesiger Stärke und wäre im Stande, den Hund ohneweiters zu zerreissen, der es wagen würde, mit ihm anzubinden. Das wissen die Hunde.
Das Bedürfniss, Kaffee zu trinken, hat Jacuve Ciciola ebenfalls nicht, und ich bezweifle, dass er überhaupt je diesen Trank verkostet, hingegen ist er ein grosser Freund des Tabaks und weiss sich ihn auch billig zu[45] verschaffen. Wenn er gespeist hat, sind auch so ziemlich alle anderen Leute mit dem Mittagmahle fertig und vor dem auf der Piazza Signori befindlichen Kaffeehause Troccoli sitzen die Officiere der Garnison, die in Spalato ihren Standort hat. Dorthin schleicht Jacuve Ciciola und glotzt so lange die Officiere an, bis sie ihm ein paar Finger voll Tabak oder ein Stückchen Cigarre gereicht. Dann zieht er den kurzen Tschibuk, der wie ein toll gewordener Orden auf seiner linken Brust prangt, aus dem Loche, in dem er gesteckt, und fängt an zu rauchen. Wohin er jetzt geht? Natürlich zum Meere, und zwar gerade an jenen Punkt des Quais, der zum Landungsplatze der anlegenden Dampfer bestimmt ist. Dort sitzt er stundenlang, mit den Füssen über die Quaimauer hinabbaumelnd und mit den Wellen sprechend, die unter ihm an das Gestein klatschen. Ist der Tabak zu Ende, so zieht er aus irgend einer verborgenen Tasche seines braunen Mantels einige Zwiebel hervor und saugt daran, bis der Abend gekommen – darum heisst er eben Ciciola. Ueberkommt ihn dann der Schlaf, so zieht er sich aus der grossartigen Einsamkeit seines Observatoriums zurück und geht zu Bette.
Zu Bette. – Längs des Hafens von Spalato zieht sich eine schöne, breite Strasse, die gegen Westen durch die Gebäude des Zollamtes und der Finanzdirection, im Osten durch einen Complex neu erbauter Häuser begrenzt wird, in deren Rücken der Monte Margliano sich im Meere spiegelt. Diese Häuser, welche der Arkaden wegen, mit denen sie versehen sind, den Namen »procuratie nuove« führen, beherbergen unter Andern ein Gasthaus, dessen Küche sich im Souterrain befindet. Auf dem Boden der Vorhalle ist ein horizontales Eisengitter angebracht, durch welches die heissen Dünste der Küche hinausströmen. Dieses Gitter ist Jacuve Ciciola's Winterbett. Dort schläft er. Trotz seiner sonstigen Gutmüthigkeit gibt er es aber nicht zu, dass einer der armen, vor Kälte zitternden Morlaken, die des Bettelns wegen aus der Poglizza nach Spalato gekommen, sein Lager theile. Es würden deren zu Viele kommen und dann hätte er selbst nicht mehr Platz. Darum verjagt er sie, sobald sie sich blicken lassen.
Im Sommer, da ist es anders und weit besser für Jacuve Ciciola und die bettelnden Morlaken aus der Poglizza. Vor Allem hungern von den Letzteren nicht mehr so Viele. Denn zu Ende des Winters oder im Frühjahre, wenn sie absolut nichts mehr zu essen haben und in Spalato[46] auch nichts mehr erbetteln können, da hält gewöhnlich der Hungertyphus seinen glorreichen Einzug in den District Poglizza, und wer den einmal gehabt, der hungert selten mehr. Dann wächst auch in den Schluchten und Klüften allerhand Kraut, das sie als Speise benützen, und schliesslich finden sie doch eine oder die andere Arbeit, so dass die Uebriggebliebenen dem Hunger und der Baumrinde des nächsten Winters mit ruhigerem Gemüthe entgegensehen können.
Jacuve Ciciola ist dann in seinem Element. Mit dem Sommer kommt allerhand Obst und Gemüse auf den Markt und er waltet dann seines selbstgewählten Amtes als eine Art Aasgeier. Angefaulte Rüben, weggeworfene Melonenschalen und dergleichen Dinge bilden dann eine angenehme und nahrhafte Zukost zu dem Futter, das man ihm aus dem Fenster zuschüttet. Er schläft nicht mehr auf dem Gitter der Wirthshausküche, von wo mit der wohlthuenden Wärme ihm auch der sättigende Geruch der Speisen zuströmte – jetzt gehört Spalato ihm, und keinen Winkel des alten Kaiserpalastes gibt es, wo er nicht, wenn es ihm beliebt, sein Nachtquartier aufschlagen könnte. Die Siesta aber, die hält er jetzt täglich versunken in dem Anblick – seiner Liebe. Ja. Da wäre ich glücklich bei dem zarten Gegenstand angekommen, den ich gleich Anfangs erwähnt, und bin bereit, mein Wort zu lösen.
Als der alte Kaiser und Christenverfolger Diocletian sich den prachtvollen marmorstrotzenden Palast erbaute, in dessen Mauern hinein später die Häuser der Stadt Spalato genistet wurden, da liess er es sich wohl kaum träumen, dass gerade die ihm so verhasste Secte der Christen durch ihren Religionscultus den prachtvollen Jupitertempel erhalten werde, der das Atrium seines Palastes schmückte. Während allenthalben die Prachtbauten der alten römischen Kaiser nur in mehr oder weniger gut erhaltenen Bruchstücken noch Zeugniss geben von dem Kunstsinne ihres Erbauers, steht heute noch der Jupitertempel Diocletian's in seiner vollen ehrfurchtgebietenden Schönheit, er heisst heute die Domkirche, und das Atrium ist zur »piazza del duomo« geworden.
Seit fünfzehn Jahrhunderten ragen die mächtigen Säulen aus egyptischem Granit und tragen den weissmarmornen Sims und die schön gewölbte Kuppel, die seinerzeit auf Diocletian herabgesehen, als er dem »Vater der Götter und Menschen« sein Opfer darbrachte. Seit fünfzehn Jahrhunderten prangen noch immer unversehrt die in weissem Marmor ausgeführten[47] Jagdscenen, die, als Fries um die Kuppel laufend, die keusche Göttin zeigen, wie sie mit der Lanze in der Hand und von dem Trosse der leichtgeschürzten Gespielinnen gefolgt, hinter dem erschreckten Wilde einherstürmt. Und am Fusse der breiten Treppe, die von dem Atrium zum Tempel führt, liegt heute noch auf steinernem Sockel wie vor fünfzehn Jahrhunderten die mächtige aus egyptischem Granit gehauene Sphinx, den schönen Leib in prächtigen Formen hingegossen, mit dem schönen Frauenantlitz und den geheimnissvoll starrenden Augen. Was im Laufe der fünfzehn Jahrhunderte an ihr vorübergeglitten, das scheint in diesem stummen Antlitz und in den unergründlichen Augen verborgen zu ruhen, bis sie es vielleicht einmal später kommenden Geschlechtern erzählt. Für jetzt aber spricht sie nicht und ihre Hände – schöne menschliche Hände – ruhen fest gekreuzt unter dem strebenden Busen. Vielleicht erzählt sie dann einmal, nach abermals fünfzehnhundert Jahren, auch von dem Elende, das sie gesehen, und von den schlotternden bettelnden Morlaken, die Brod aus Baumrinde assen!
Ob Jacuve Ciciola sich wohl etwas Aehnliches denken mag, wenn er auf dem gegenüberliegenden Sockel sich in den Schatten legt, den Leib gestreckt wie die Sphinx und die Augen fest auf das schöne zweitausendjährige Bild gerichtet? Das ist sein Geheimniss. Das aber ist sicher, dass er stundenlang auf den Quadern liegen kann, um die Sphinx anzustarren, während er an seiner Scalogna saugt, und dass manchmal etwas wie Rührung aus seinen Glotzaugen blitzt, wenn er sie anblickt – denn die Sphinx ist Jacuve Ciciola's Liebe.
Seitdem es den österreichischen Nachbarn der schwarzen Berge eingefallen war im trauten Vereine mit den Montenegrinern einen kleinen Feldzug gegen Oesterreich zu eröffnen, in dessen Verlaufe gleichwohl mehr Nasen abgeschnitten wurden als in sämmtlich anderen vom Beginne des dreissigjährigen Krieges bis jetzt gelieferten Schlachten, hat man sich daran gewöhnt Dalmatien als ein Land zu betrachten, das ein Fremder, ohne für seine Nase das Aergste befürchten zu müssen, nicht leicht betreten könne. Morlake, Dalmatiner und Nasenabschneider, das sind für die Meisten ganz homogene Begriffe geworden, und wenn es je einmal Mode gewesen wäre, Vergnügungsreisen nach Dalmatien zu machen: nach dem Aufstande in der Bocca di Cattaro hätte gewiss Niemand mehr daran gedacht, aus einem anderen Grunde als der zwingenden Nothwendigkeit wegen dorthin zu reisen.
Zum Glücke für Dalmatiner und Dalmatinerinnen sind derlei Vorstellungen nicht nur im Allgemeinen grundfalsch, sondern auch in puncto Geographie vollkommen unrichtig, denn man vergisst gewöhnlich darauf Bedacht zu nehmen, dass Dalmatien zwar ein sehr schmales, aber auch sehr langgedehntes Stück Landes ist, und dass es von der Bocca di Cattaro bis zur Landeshauptstadt Zara ebenso weit oder mit Berücksichtigung der[49] mangelhaften Communications-Mittel noch weiter sei, als beispielsweise von Triest nach Wien. Darum wird der Fremde, der zum ersten Male Dalmatiens Küsten im nördlichen oder mittleren Theile desselben, vielleicht bei Spalato betritt, erstaunt sein, einen ganz anderen Schlag von Menschen und andere Sitten zu finden, als seine von dem Anhören nasenabschneiderischer Geschichten erhitzte Phantasie ihm vorgespiegelt hat, – des Ausserordentlichen und von den Sitten anderer Völker Abweichenden findet er immerhin zur Genüge.
Als seinerzeit venezianische Bürger um des Erwerbes willen in das damals rein slavische Land Dalmatien übersiedelten oder von der Republik als Beamte dorthin gesendet wurden, da entsprach es ganz der Regierungspolitik dieses gleich einer zusammenbröckelnden Ruine aus dem Mittelalter in die Neuzeit hineinragenden Staates, die eigenen Angehörigen als Feudalherren über die Einwohner der durch Krieg und Schacher erworbenen Provinzen zu setzen. Gewohnt, zu Hause unter dem stetigen aber schweren Drucke zu seufzen, den eine ausschliesslich in den Händen weniger bevorzugter Patricierfamilien ruhende Regierung auf sie ausübte, fanden es diese Leute um desto angenehmer, wenn sie plötzlich in die Lage kamen nun ihrerseits die kleinen Tyrannen zu spielen; sie traten mit desto mehr Genuss, je lebhafter sie sich an die erhaltenen Tritte noch erinnerten. Die Verhältnisse, die sie in dem arg vernachlässigten Lande vorfanden, waren auch ganz darnach angethan ihre kleinlichen Herrschergelüste eher anzufachen, als denselben hemmend entgegenzutreten.
Um das Land in aussichtsloser Abhängigkeit zu erhalten, hatte die erlauchte Republik nicht nur den materiellen Wohlstand desselben unterdrückt, die Wälder systematisch ausgerodet, die Anlegung von Strassen geradezu verhindert und die Schiffahrt möglichst erschwert, sondern sich auch bemüht die Bevölkerung auf der tiefsten Stufe der Rohheit und Unwissenheit zu erhalten. Letzteres war eben so leicht als mit geringen Kosten verbunden: man errichtete eben nirgends Schulen. Wollte einmal ein Dalmatiner ausnahmsweise seinem Sohne eine bessere Erziehung angedeihen lassen, so war er genöthigt, ihn nach Venedig oder Padua zu senden, – nicht genug, selbst dort unterschied man zwischen Dalmatiner und anderen Studenten und hütete sich wohl, den Ersteren zu viele Kenntnisse beizubringen. Das mag barok und übertrieben klingen, ist aber nichtsdestoweniger wörtlich wahr.
Noch vor dreissig Jahren lebten in Spalato zwei »Dalmatiner Advocaten.« Was ein »Dalmatiner Advocat« ist? Ich will es erklären. Die erlauchte Republik gestattete es den Dalmatinern, an der Universität Padua ohne vorhergängige Studien eine Prüfung abzulegen, welche denselben das Recht, den Doctortitel zu führen und die Advocatie auszuüben verlieh. Wohlgemerkt! nicht in Venedig oder einer der venetianischen Städte, sondern nur in Dalmatien durften dieselben Advocaten sein. Die für diese Prüfung zu erlegende Taxe bestand in einer kleinen Geldsumme und dreissig Schinken. Natürlich war die Prüfung Nebensache, die Geldsumme aber und die dreissig Schinken Hauptsache, daher sich der Gebrauch ergeben konnte, dass Einzelne mehrmals und immer unter anderen Namen ihr Doctorexamen in Padua ablegen konnten. Einer der beiden oben erwähnten »Dalmatiner Advocaten«, dessen Sohn heute noch in einer Stadt Dalmatiens die Advocatur ausübt, machte diese Prüfung fünf Mal immer mit der Börse in der einen und den dreissig Schinken in der andern Hand, und vier Personen ausser ihm, die sich nie aus ihrer Geburtsstadt entfernt hatten, erhielten auf Grund dieser Prüfungen, des Geldes und der hundertzwanzig Schinken die Erlaubniss, als Sachverwalter vor den Schranken dalmatinischer Gerichte aufzutreten.
Italien und speciell die »erlauchte« Republik Venedig befanden sich, als letztere in dem Trubel der politischen Ereignisse ihr wohlverdientes Ende erreichte, mitten in der schönsten Blüthe der Zopfzeit und die Cultur der Zopfzeit war es, welche von den venetianischen Ansiedlern nach Dalmatien getragen wurde. Die Südslaven waren damals und sind auch heute noch lange nicht bei der Zopfzeit angelangt und so ergab sich aus dem Gemische der beiden Nationalitäten eine merkwürdige Verquickung der Sitten und der Cultur, die bis zum heutigen Tage besteht und voraussichtlich noch durch lange Jahre ihren Einfluss zeigen wird. Slavischer Aberglaube und romanische Ueberschwenglichkeit, italienische Selbstüberhebung und der südslavische Charakterzug, sich dem Unvermeidlichen mit stummer Ergebenheit zu beugen, reichten sich da die Hände. Darum wird ein Italiener, der heute die Küstenstädte Nord- und Mitteldalmatiens besucht, vorwiegend slavische Städte zu finden glauben, während ein Slave, wenn er aufrichtig sein will, in Zara, Sebenico, Spalato, Macarsca und Almissa italienische Sitten und Gebräuche ebenso bestimmt finden, als in dem breitgedehnten Dialecte ihrer Bewohner die venetianische Volkssprache wiedererkennen wird.
Eine Eigenschaft haben beide Nationalitäten mit einander gemein: die Sucht zu glänzen. Der Italiener, dem die tausendjährige Cultur seiner Voreltern in den Gliedern steckt, thut es, indem er sich womöglich einen Orden verschafft, ihn so viel als thunlich heraushängt und sich vor aller Welt als »Cavaliere« ansprechen lässt, – der Slave, und zwar besonders der Südslave, indem er in seiner Nationaltracht die schreiensten Farben nebeneinander zur Schau trägt, die ihm zugänglich sind. Darum findet man auch kaum in einem Lande eine solch' ausgesprochene Sucht bei jeder sich ergebenden Gelegenheit den möglichsten, meistens sehr abgeschmackten und verschossenen Prunk zu entwickeln, der sich bis zum fratzenhaften steigert, wenn der Anlass dazu ein religiöser war.
In dem östlichen Theile des diocletianischen Kaiserpalastes, in dessen Ruinen hinein die Stadt Spalato gebaut ist, bildeten die vielfach sich kreuzenden von mächtigen Mauern eingefassten Gänge einen kleinen Platz, der in das östliche Thor des Palastes mündete. Unmittelbar neben dem heute noch bestehenden Thore, da, wo seinerzeit vermuthlich ein Wach- oder Vertheidigungsthurm gestanden haben mag, befindet sich eine kleine schwerfällig und offenbar in gar keinem Style gebaute Kirche, welche »alla buona morte« (zum guten Tod) heisst. Die einfache, ja ärmliche Ausschmückung der Kirche von Innen entspricht der mehr als ungekünstelten Aussenseite und hauptsächlich sind es nur ganz arme Leute, die in derselben dem Gottesdienste beiwohnen.
Sonntags und Donnerstags wird in derselben die Schulmesse für das Obergymnasium abgehalten und wenn die Schüler in der Kirche vollzählig versammelt sind, schliesst der Pedell ohne Weiteres die Thüre mit einem mächtigen Riegel. An der Längenseite der Kirche ist von Aussen eine kleine Marmortafel in der Mauer eingefügt, welche die Umrisse eines stark verwischten Todtenkopfes zeigt, den die meisten Vorübergehenden in Erfüllung eines mir völlig unbekannten religiösen Bedürfnisses mit der Hand betasten. Ob sich die Leute unter dem marmornen Todtenkopf etwas Heiliges vorstellen, habe ich niemals ergründen können. Dort in der Kirche »alla buona morte« beginnt das unheimliche Schattenspiel, das alljährlich am Charfreitage durch die Gassen und Plätze der Stadt Spalato seinen mystischen Gaukel treibt.
Die vierzigtägigen Fasten werden in ganz Dalmatien und vorzüglich in Spalato mit absonderlicher Strenge gehalten. Bischöfliche Dispensen,[53] wie sie in andern nördlicher gelegenen Ländern eine regelmässige Ausnahme bilden, kommen dort nicht vor. Die Kirche gebietet Fasten und es wird einfach gefastet. Einer deutschen Hausfrau würden allerdings die Haare und womöglich auch der Chignon zu Berge stehen, wenn sie einmal in die Lage käme durch vierzig Tage dreimal wöchentlich mit den wenigen Dingen ein Mittagmahl herstellen zu müssen, die durch das Fastengebot nicht verpönt sind. Mittwochs, Freitags und Samstags darf nicht nur kein Fleisch gegessen werden, sondern Butter, Schmalz, Milch und Eier sind ebenfalls verpönt. Die Leute kochen Fische und bereiten alles mit Oel, so dass ich, als ich einmal gezwungenermassen eine derartige Fastenzeit in Spalato durchgemacht hatte, am Ende derselben das Gefühl hatte, als brauchte ich nur ein Endchen Baumwolldocht in den Mund zu nehmen und anzuzünden, um ein Paar Tage lang einer Oellampe gleich zu brennen. Die Domkirche bietet während dieser Zeit zweimal wöchentlich den jungen Leuten beiderlei Geschlechts die erwünschte Gelegenheit sich ziemlich ungestört sehen und sprechen zu können, – sind doch die Fastpredigten, die immer Abends in der zweifelhaften Dämmerung der hohen Kirche abgehalten werden, so sehr als gewöhnliches Stelldichein bekannt, dass man einmal den Schülern der höheren Classen des Gymnasiums es verbieten musste dieselben zu besuchen. Aus demselben Grunde heisst dort auch die vierzigtägige Fasten im Volksmunde, »il carnevaletto delle donne« – der kleine Frauenfasching. Wenn aber diese Zeit zu Ende geht und die Charwoche herannaht, dann beginnt ein eigenthümliches Drängen und Werben unter der Classe der Handwerker und Bauern, dessen Gegenstand der Pfarrer ist, – der Pfarrer der Kirche »alla buona morte.«
Des Abends kann man da dunkle Gestalten verstohlen und heimlich in das Haus schlüpfen sehen, das der Herr Pfarrer bewohnt. Dann kann man aus dessen Zimmer zuerst die leise wispernden Stimmen eines Zwiegespräches hören, das allmälig in ein Brüllen ausartet, denn ein rechter Dalmatiner kann nicht sprechen – nur schreien. Die dunkle Gestalt bittet um etwas, der Pfarrer will es verweigern, – wiederholtes inständiges Bitten – zögerndes Nachgeben des Pfarrers – endlich sind sie handelseinig, – leise und geräuschlos wie sie gekommen, aber offenbar zufriedener und mit leichterem elastischen Tritt verschwindet die dunkle Gestalt, sorgfältig ihr Gesicht vor einer anderen verbergend, die vielleicht vor der Thüre in derselben Angelegenheit harrt.
Des folgendes Tages marschiren, – nicht zusammen, sondern jeder für sich, blos von seinem Treiber begleitet, – verschiedene Esel vor der Wohnung des Herrn Pfarrers auf und verschiedene variciaki24 mit Weizen werden abgeladen. Das Getreide gehört aber nicht dem Herrn Pfarrer, sondern der Kirche »alla buona morte.« Auch von der besseren Gesellschaft kann man eines Abends einen, aber nur einen! Herrn zum Pfarrer schleichen sehen, der dann mit verlegenem Gesichte und fromm verdrehten Augen eine kurze Botschaft dem Pfarrer mitzutheilen hat und wieder fortschleicht. Und nicht nur der Pfarrer, sondern auch der Küster von der Kirche »alla buona morte« beginnen ein absonderlich wichtiges und verschwiegenes Gesicht zur Schau zu tragen und mancher arme Teufel, der vor Jahren auch zur Dämmerstunde hinaufgeschlichen ist in die Wohnung des Pfarrers, sieht die Beiden an und fühlt ein Schauern über den Rücken laufen wie ein abgestrafter Russe beim Anblick der Knute.
Charfreitag ist herangekommen und ein Gefühl festlicher Trauer hat sich der Bewohner Spalatos bemächtigt. Allenthalben werden schwarze Tücher, manchmal nach Umständen auch nur schwarze Fetzen hervorgesucht, welche bestimmt sind des Abends zu den Fenstern des Hauses herausgehängt zu werden, vor welchen die Procession vorüberziehen wird. Oellämpchen werden geputzt, schwarze Kleider aus den Schränken geholt, die Weiber putzen sich mit Schleiern und schwarzen Bändern, die Männer ziehen himmelschreiende Fracks an's Tageslicht und wer sich weder an der Procession zu betheiligen gedenkt, noch so glücklich ist ein Haus zu bewohnen, an welchem die Procession vorüber ziehen muss, der trachtet bei Bekannten ein Plätzchen an einem Fenster zu erlangen. Denn Spalato ist stolz auf seine Charfreitags-Procession, und »nur in Rom sieht man etwas Aehnliches« versichert jeder Spalatiner mit vaterländischem Stolze.
Es schlägt sieben Uhr, – früher darf die Procession nicht beginnen, denn die Tageshelle würde ihr einen guten Theil des Schauerlichen benehmen, das ihren grössten Reiz ausmacht. Vor allen Fenstern hängen die schwarzen Lappen, über allen Lappen brennen dämmerige Oellämpchen und hinter allen dämmerigen Oellämpchen stehen dichtgedrängte schwarzgekleidete Gestalten. Aus den weitgeöffneten Pforten der uralten Domkirche,[55] – des alten Jupitertempels, – an der egyptischen Sphinx vorüber, die mit ihren blinden granitenen Augen herausstarrt auf das ungewohnte Getreibe, über die breiten Stufen herab bewegt sich der Zug. Voran die Waisenkinder, die man hier wie überall als eine Merkwürdigkeit zu betrachten scheint, die als abschreckendes Beispiel bei keinem öffentlichen Aufzuge fehlen darf, – dann die Männer und Weiber des Versorgungshauses, die in ihrem krüppelhaften Siechthum an und für sich abschreckend genug sind, – dann eine Schaar zehn- und zwölfjähriger Bursche, die Eleven des bischöflichen Seminars, welche als Priester maskirt mit ihren schwarzen Talaren, weissen Chorhemden, lilafarbenen Kragen und ebensolchen dreieckigen Baretten Diminutiv-Cardinälen ähnlich sehen, – dann die verschiedenen Leichenvereine und Betbruderschaften in langen, blauen und weissen Kitteln, – alles mit Fackeln in den Händen. Dann kommen die »Herren«, dann Handwerker im Sonntagsstaate, Bewohner der Vorstädte im National-Costüme, Alle mit riesigen Wachskerzen in den Händen und neben jeder Wachskerze ein zerlumpter, barfüssiger Bursche, der in der hohlen Hand die herabfallenden Wachstropfen auffängt, – hinter den Männern die Frauen und Mädchen in schwarzen Kleidern, das Gesicht mit schwarzen Schleiern verhüllt. Und dann? Ja, – jetzt kommt das, worauf die Spalatiner stolz sind.
Ein lebendes Kreuz kommt, – ein zweites, – ein drittes, – ein viertes, fünftes, sechstes. Ein Mann schreitet einher, in einem langen schwarzen Kittel gehüllt. Den Kopf und das Gesicht verdeckt eine schwarze Kapuze, in der zwei kleine Oeffnungen für die Augen gelassen sind. Die Füsse sind nackt und wenn die Erscheinung zwischen dem Beschauer und einer Wachskerze durchgeht, so kann man durch den dünnen schwarzen Stoff hindurch auch die nackten Glieder des Mannes sehen. In dem einen Aermel hinein, hinter dem Rücken vorbei und bei dem andern Aermel heraus, steckt ein tüchtiger Stock, so dass der Unglückliche einem lebenden Kreuze gleich mit wagrecht ausgestreckten Armen gehen muss. Und die Procession dauert länger als eine Stunde! Und so wie er, so sind seine Kameraden nackt in ihren schwarzen Kittel mit ausgestreckten Armen und alle bestreben sich den schwankenden Gang eines zum Tode Erschöpften nachzuahmen und torkeln rechts und links, die Kreuz und die Quer, bis ihre Erschöpfung keine gekünstelte mehr ist und sie zuletzt wirklich zusammen zu sinken drohen. – – –
Das sind die dunkeln Gestalten, die zum Pfarrer der Kirche »alla buona morte« hineinschlüpften, um mit ihm zu verhandeln und gegen Erlag einiger variciaki Weizen die Erlaubniss zu bekommen, am Charfreitage als »Kreuz« die Procession zu begleiten. Hinter diesen tänzelnden und schwankenden Jammergestalten folgt aber noch eine Andere. Schwarz vom Kopf bis zu den nackten Füssen, tief gebeugt unter der Last eines grossen hölzernen Kreuzes, das, um sein Gewicht zu erhöhen, hohl und mit Sand ausgefüllt ist, schwankt eine Gestalt vor dem nachfolgenden Thronhimmel einher. Das Gesicht ist verhüllt, – Niemand kennt ihn, als der Pfarrer der Kirche »alla buona morte« und sein Küster. Sechs stämmige Bauern mit Windlichtern begleiten ihn und sehen mit peinlicher Aufmerksamkeit darauf, dass das untere Ende des Kreuzes, das er über der linken Schulter trägt, den Boden nicht berühre. Geschieht es dennoch, so gilt es nicht! Was? Die Busse! Denn der geheimnissvolle Mann, der das grosse, über einen Centner schwere Kreuz trägt, ist der grösste Sünder, der dem Dompfarrer im Laufe des letzten Jahres gelegentlich des Beichthörens vorgekommen.
In Spalato erzählt man allgemein, der Conte C. habe vor einigen Jahren das grosse Kreuz getragen!
Nördlich von Spalato und von demselben eine gute Stunde entfernt, dehnt sich ein mächtiger natürlicher Hafen, der beste, grösste und schönste im ganzen adriatischen Meere. Gegen Südwesten begrenzt ihn die Insel Solta, auf allen anderen Seiten umsäumt ihn das Festland von Dalmatien mit den bizarren Formen seiner Küste, und wenn der Südwind seine Wellen kräuselnd aufdämmt, so hängen wohl klare Tropfen von Meerwasser an den dunkeln Olivenbäumen und den traubenbedeckten Reben, die sich bis unmittelbar an die Grenze der kühlen Fluth hinabziehen. Die auf den glühenden Kalkfelsen schütter gelagerte Erde, die prächtige Seeluft, der tiefblaue Himmel und die strahlende Sonne erzeugen in ihrem Zusammenwirken eben keine schlechten Producte auf diesem gottgesegneten Stückchen Erde. Der feurigste Wein, die süssesten Feigen, das beste Oel, weite Felder voll prächtiger Melonen, das schönste Gemüse in Hülle und Fülle – das sind die Erzeugnisse des reizenden Geländes, das, von den schroffaufstarrenden nackten Bergen des Mossor gegen die Bora geschützt, in ruhigathmender Schönheit zu den Füssen des Beschauers ruht. Es ist dies die Bucht und das Gestade der »Sette Castelli«, so genannt von sieben alterthümlichen Burgen, die früher längs der Küste zu deren Vertheidigung[58] erbaut waren und jetzt eben so viele Mittelpuncte von freundlichen Dörfern bilden. Und wie um in die Schönheit der Landschaft keinen Misston zu bringen, bilden auch die Bewohner dieser Sette Castelli den schönsten Menschenschlag, der in Dalmatien zu finden. Ernstdreinschauende, hohe und kräftige Männer, dunkeläugige Frauen mit Madonnengesichtern und schweren braunen Zöpfen hegen und pflegen dort den dankbaren Boden.
Dass die Menschen in den Sette Castelli so auffallend schön gerathen, das hängt freilich weniger von dem reichen Erträgnisse ihrer Felder und Gärten ab, sondern von einem anderen Umstande: die Race ist dort gekreuzt. Als nämlich im ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts die Franzosen Dalmatien besetzten, hielt es der Marschall Marmont für nothwendig eine das ganze Land durchziehende Strasse zu bauen, welche es möglich machte zwischen dem Süden und Norden Dalmatiens Verbindungen zu unterhalten, ohne zur See von feindlichen Kreuzern belästigt zu werden. Die Strasse wurde ausgeführt, besteht heute noch und heisst noch immer im Volksmunde »Strada Marmont«. Ueberhaupt möge hier die Bemerkung ihren Platz finden, dass die Franzosen in der kurzen Zeit, während welcher das »illirische Königreich« bestand, für Dalmatien beinahe mehr thaten, als Oesterreich bis vor wenigen Jahren zu thun unterliess. Das Resultat dieser Gleichung zu suchen, sei Anderen überlassen. Erzählt man doch in Dalmatien hierüber eine bezeichnende Aeusserung des Kaisers Franz, der in den zwanziger Jahren das Land bereiste.
»Wer hat dieses Gebäude erbaut?« fragte der Kaiser.
»Die Franzosen, Majestät«, hiess es.
»Und wer hat diesen Garten angelegt?«
»Die Franzosen, Majestät.«
»Und die Strasse?«
»Die Franzosen, Majestät.«
»Und diese Seidenspinnerei?«
»Die Franzosen, Majestät.«
»So?« sagte der Kaiser, in seiner bekannten glatten Manier, »mir scheint, hier haben Alles die Franzosen gemacht, da ist es schade, dass sie nicht ein paar Jahre länger hier geblieben sind.«
Um also nun wieder auf die Strada Marmont und die veredelte Race der Sette Castelli zu kommen, so liess Marschall Marmont gerade das Stück Strasse, das sich von Traù längs der Küste der Sette Castelli bis[59] gegen Spalato zieht, durch die Mannschaft des 72. französischen Infanterie-Regiments bauen. Die Soldaten arbeiteten des Tags, schliefen des Nachts bei den Bauern – und die Folge war eine schöne Strasse und ein prächtiger Menschenschlag – – – ernstblickende hohe und kräftige Männer, dunkeläugige Frauen mit Madonnengesichtern und schweren braunen Zöpfen.
Zwischen dem Gestade der Sette Castelli und der Stadt Spalato, eine halbe Stunde von Ersterem und eine Stunde von der Letzteren entfernt, liegen die Ruinen der einst mächtigen und blühenden Römerstadt Salona, die, theilweise von der durch zwölfhundert Jahre angesammelten Humusschicht befreit, heute noch ihre Bäder und Tempel, ihren Circus und ihr Forum in trübseliger säulenkränzter Schönheit dem Beschauer weisen. Grimmige Mauern umziehen im weiten Halbkreise das Ganze und erstrecken sich epheubewachsen bis an das Meer, auf welchem einst die Bewohner vor den herandrängenden Barbaren flüchteten. Ausserhalb dieser Ruinen liegt das Dorf Salona, durchwegs aus Säulenstücken und Steintrümmern des alten Salona erbaut. Marmorne Reliefs, römische und griechische Inschriften findet man da beinahe an jedem Hause – oft verkehrt eingemauert – und umgestürzte Marmorsarkophage dienen den Bauern als Steintische vor ihren Häusern. Aus einer Höhle des Mossor-Gebirges, kaum eine Stunde weit von dem Dorfe Salona, entspringt der Fluss Jadro, der seine krystallhellen und eiskalten Fluthen in ungestümer Eile dem Meere zujagt, nachdem er im Dorfe Salona eine Anzahl Mühlen getrieben. Wiesen, die ihr saftiges Grün durch das ganze Jahr behalten, schlanke Pappeln, mächtige Buchen und rebenumrankte Maulbeerbäume säumen seine Ufer ein und zwischen dem dunkeln Laube schimmern die weissen Dächer der Mühlen hinaus in die Ferne.
Unter einer dalmatischen Mühle möge man sich nur ja nicht das mächtige Getriebe von Räderwerk und Hebeln vorstellen, aus denen in civilisirten Ländern eine Mühle zu bestehen pflegt. Die Dalmatiner sind eben ein genügsames Volk und ihre Mühlen stehen womöglich noch ein wenig weiter zurück in der Cultur als die Eingebornen selbst. Das Getreide oder der Mais wird dort auf einem Esel in die Mühle geschleppt, schlecht und recht gemahlen und auf demselben Esel wieder nach Hause befördert. Eine Absonderung des Mehles von der Kleie kommt da nicht vor, das muss Jeder zu Hause selbst vornehmen, wenn er es nicht vorzieht die Kleie mit dem Mehl zu verzehren. Der Müller bekommt einen[60] Theil des Getreides als Mahllohn, dort »minella« genannt, betrügt dabei so viel als möglich und so sind beide Theile zufrieden. – – –
Ein Ereigniss gehört in Spalato nicht zu den häufig vorkommenden Dingen, desto grösser aber ist die allgemeine Erregtheit, wenn je einmal das tägliche Einerlei durch irgend Etwas eine angenehme Abwechslung erfährt. In Salona hatte man einen Fund gemacht. Ein Bauer hatte ausserhalb der mächtigen Umfassungsmauern von Salona die Wurzeln eines alten Weinstockes ausgraben wollen und war dabei auf etwas Hartes gestossen. Er grub weiter und fand einen Marmor, der aber zu gross und zu schwer war, als dass er ihn hätte herausheben können. Bei weiterem Nachsuchen zeigte es sich, dass es der Deckel eines Sarkophages war, und dass ein stämmiger Oelbaum, der gerade über demselben seine immergrünen Zweige mit den Reben des abgestorbenen Weinstockes verflochten hatte, die weitere Bloslegung des Sarkophages hinderte. Da schüttete der Bauer die Grube wieder zu, um seinem Oelbaume nicht zu schaden und der Sarkophag hätte ruhig ein weiteres Jahrtausend ruhen können, wenn nicht der Bauer zufällig einen Process gehabt hätte und in die Gelegenheit gekommen wäre mit einem Advocaten in Spalato zu verkehren.
Wie Bauern schon sind, die niemals einen Gegenstand besprechen können, ohne bei dieser Gelegenheit von Allem und Jedem, von ihrem Vieh und Acker, vom Hause und vom Urgrossvater zu schwatzen, so kam auch dieser auf den Deckel zu sprechen, den er unter dem Oelbaume bemerkt hatte. Der Advocat veranlasste ihn, abermals den Deckel und ein Stückchen des darunter liegenden Sarkophages bloszulegen und kaufte dann Deckel und Sarkophag um fünfzig Gulden. Weil aber beide viel zu massig waren, um so leicht gehoben werden zu können, so blieben sie bis auf Weiteres an ihrem Fundorte, halb von Erde bedeckt unter den Wurzeln des Baumes.
Einige Jahre darauf – es war im Jahre 1871 – war der Professor des Obergymnasiums in Spalato, Glavinic, ein lieber Freund, den bei dieser Gelegenheit herzlich zu grüssen mir gestattet sei, Custos des in Spalato bestehenden Museums für Alterthümer. Als nun der Professor für Archäologie an der Wiener Universität, Herr Contze, auf einer Ferienreise in Spalato eintraf, führte ihn Professor Glavinic unter Anderm auch zu dem erwähnten Oelbaume bei Salona. Professor Contze sah nur den wuchtigen Deckel und den Kopf einer der Figuren, die an der Vorderseite des Sarkophages in erhabener Arbeit ausgeführt sind, und erklärte auf den ersten[61] Blick den Letzteren für den Kopf einer Phaedra. Bei seiner Rückkunft nach Wien veranlasste derselbe, dass die Regierung den Sarkophag ankaufte; derselbe wurde durch Artilleriemannschaft mit Hilfe von Hebzeugen gehoben, auf einen starken Karren gepackt und in das Museum nach Spalato überführt. Dort steht er jetzt noch und wer von meinen Lesern einmal das freundliche Spalato besuchen will, kann ihn dort sehen.
Es ist des alten Euripides berühmte Tragödie Hippolytos und Phaedra, die auf der Vorderseite des aus einem Stücke parischen Marmors gehauenen riesigen Sarkophages dargestellt ist. Zur Linken des Beschauers ruht Phaedra von dem durch Zeltwände angedeuteten Frauengemache, während ihre Mägde beschäftigt sind, sie ihres königlichen Schmuckes, des Diadems zu entkleiden. Zur Rechten sitzt Theseus, der beleidigte Vater, im ernsten Gespräche mit seinen Freunden, von denen einer bemüht zu sein scheint, den schrecklichen Verdacht zu zerstreuen, den er dem unschuldigen blühenden Sohn gegenüber Raum gegeben. In der Mitte steht Hippolytos, völlig nackt, mit dem Speer in der Faust, zur Jagd gerüstet, in ätherischer Schönheit – zu seiner Seite das Ross, von den Göttern zum Werkzeuge seines Unterganges bestimmt, indem es ihn über die Klippen zu Tode schleifen sollte. In der einen Hand hält Hippolytos die Rolle, den Befehl des erzürnten Königs und Vaters, der ihn in die Verbannung schickt. Ein Cupido zu den Füssen Phaedra's und die alte Amme zur Seite des Hippolytos, die nach Ammenart als Kupplerin gedient, vervollständigen die Gruppe. Als der Sarkophag, von sechs Ochsen gezogen und mit grünem Reisig geschmückt, seinen Einzug in Spalato hielt, da war Alles auf den Beinen, um ihn anzustaunen und man konnte da aus der Menge des umstehenden Volkes die sonderbarsten Erklärungen über die figurenreiche Gruppe hören, die an seiner Vorderseite prangt.
Aber eine ganz eigenthümliche Anschauung sollte sich über den antiken Fund und seine Bedeutung noch im Volke verbreiten. Zur selben Zeit, als man in den Räumen des alten Salona den Sarkophag hob und ihn nach Spalato überführte, starb in dem Dorfe Salona ein Müller. Weib und Kinder blieben natürlich im Besitze der Mühle und nichts hätte Anlass gegeben des Müllers Tod mit der Hebung des Sarkophages in Verbindung zu bringen, wenn nicht unmittelbar in der Nähe der Mühle eine neu auftretende oder erst jetzt bemerkte Erscheinung die Aufmerksamkeit der Leute erregt hätte.
Der Graben, in welchem das Wasser des Flusses Jadro der erwähnten Mühle zugeleitet wird, verengt sich plötzlich unmittelbar vor der Mühle und stürzt durch drei jäh abfallende Rinnen auf die Mühlräder. In einer dieser Rinnen zeigte sich nun von Zeit zu Zeit, nämlich in Zwischenräumen von einigen Minuten ein silberheller Streifen, der am Boden der hölzernen Rinne sich fortbewegend eine entfernte Aehnlichkeit mit einer Schlange hatte, die gegen den Strom des Wassers schwamm. Dann verschwand die Erscheinung, um nach Kurzem sich wieder zu zeigen. Nun ist es ein Erfahrungssatz, dass die Leute, je weniger Geist sie haben, destomehr das Bedürfniss fühlen, sich mit Geistern zu beschäftigen, daher denn auch binnen wenigen Tagen ganz Spalato, oder wenigstens ein guter Theil desselben, sowie sämmtliche Bauern in der Runde von dem »Geiste des Müllers« sprachen, der sich bei der Mühlenschleusse zeige. Auch warum der Geist sich zeige, war bald kein Geheimniss mehr, – mir wurde es durch eine »Contessa« enthüllt.
Dass die Blüthe der alten Stadt Salona mit der Verbreitung des Christenthums in Dalmatien so ziemlich zusammen falle, davon haben Alle in jenen Gegenden eine, wenn auch nur sehr unbestimmte Ahnung. Die Meisten jedoch, – und dazu gehören nicht nur sämmtliche Bauern, sondern auch das weitverbreitete Geschlecht der Vettern und Frau Basen in Spalato, – zweifelt nicht einen Augenblick daran, dass sämmtliche Särge, deren man bei Salona eine grosse Menge unter der angeschütteten Erde fand und noch findet, die Särge von Heiligen seien. Nun war der Zusammenhang zwischen dem verstorbenen Müller, dem marmornen Sarkophage und der glänzenden Erscheinung im Mühlbache bald hergestellt. Die arme Seele des Müllers fand keine Ruhe und musste so lange als Schlange im Mühlbach Allotria treiben, bis der Sarg des »Heiligen«, der bei Salona gehoben, wieder an seine alte Stelle zurückgebracht sei. Die Müllerin war stolz auf den Zulauf, den ihre Mühle von den Neugierigen erfuhr, stolz auf den offenbar regen Zusammenhang zwischen ihrem verstorbenen Manne und dem unbekannten Heiligen. Die Einwohner des Dorfes Salona waren nicht minder stolz auf die mittelbar ihnen selbst wiederfahrene Ehre, dass so ein uralter Heiliger sich um ihren jüngstverschiedenen Mitbürger und Landsmann in so augenfälliger Weise kümmere und wer weiss ob nicht eine Massendeputation der guten Salonitaner die Rückverführung des Sarkophages an seine alte Stelle in mehr oder weniger[63] turbulenter Weise verlangt hätte, wenn nicht – das Wunder eines schönen Tages aufgehört hätte. Der Müllerbursche schlug ein neues Brett an Stelle eines schadhaft gewordenen in das Rinnsal des Mühlbaches und von diesem Augenblicke an war der Geist des Müllers verschwunden.
Ich selbst war seinerzeit eigens von Spalato nach Salona gepilgert, um das Wunder mitanzusehen und erlaubte mir gegenüber einem jungen Spalatiner Aristokraten, der mich begleitete, die schüchterne Bemerkung, dass die »silberne Schlange« wahrscheinlich aus Luft bestehe, die, von dem rasch strömenden Wasser mitgerissen, die Reflexerscheinung bildete. Mein Begleiter zuckte aber die Achseln und erklärte mit höchst verächtlicher Miene und offenbar im Bewusstsein seiner besseren Einsicht gegenüber einem »deutschen Barbaren«, dass er die Erscheinung für eine »Quecksilberquelle« halte. Dabei liess ich ihn.
Der Sarkophag aber mit dem beleidigten Theseus, der lüsternen Phaedra und dem schönen armen Hippolytos, er ruht nun in dem langen Saale des Museums von Spalato, – zu seinen Füssen steht eine schöne Statue der siegreichen Venus, welche dem Amor lächelnd den gefüllten Köcher reicht. Oft und oft standen wir, mein Freund Glavinic und ich, in Anschauung der Kunstwerke einer längstentschwundenen Zeit versunken vor den schönen, marmornen, lebensgrossen Gebilden, aber wir konnten uns nie zu der Ansicht eines Spassvogels bekehren, der in unserem Bunde der Dritte, uns immer versichern wollte, die siegreiche marmorne Venus steige des Nachts regelmässig von ihrem Piedestale herab, um mit dem armen Hippolytos einen schauderhaften Cancan zu tanzen.
Allerseelen war vor der Thür.
Kein Nebel, keine Bora, kein langweiliger Regen. Der feine braune Duft, der sich des Nachts über die Insel gelegt und über die unendliche glatte Fläche des Meeres, der hebt sich beim ersten Morgenlüftchen und streicht wie ein loser Schleier hin über das Wasser. Die lateinischen Segel der Fischerboote tauchen dann langsam auf unter dem fliehenden Schleier, dann treten die Bergspitzen der herumliegenden kleineren Inseln und des Festlandes hervor, dann zeigt sich vielleicht ein hochgethürmtes, schneeweisses Gewölk, das langsam und stetig vorüberzieht – die mächtigen Segel eines in der Morgenkühle herankommenden Schiffes – dann glüht es auf über der Spitze des Berges Biokovo, der von der Festlandsküste nackt und jäh abstürzt gegen das Meer, als ob er beständig im Begriffe wäre, ein Seebad zu nehmen – dann schiessen breite Feuergarben über Inseln, Schiffe und die tiefgrüne ruhig athmende Fläche des Meeres, die Sonne tritt siegreich hervor und wie hingezaubert erscheint urplötzlich die langgestreckte Insel Brazza, umspielt von den fluthenden Wellen. Ihre weissglänzenden Kalkberge ragen hoch und strenge zum wolkenlosen Himmel, ihre Abhänge sind von sanftgrauen Oelbäumen begrenzt und dann steht Rebe an Rebe eng und dicht, nur von niederen Feigenbäumen unterbrochen bis herab zum Meere, bis in die Bucht, an deren felsigem Strande die weissgetünchten Häuser des Dorfes San Giovanni im Morgensonnenscheine funkeln.
Allerseelen war vor der Thür.
Der prächtigste Herbstmorgen lagerte über Land und Meer. In dem kleinen einstöckigen Häuschen, dessen weinumrankte Fenster hinausblicken über die glänzende Fläche bis auf die Festlandsküste, von der das[65] freundliche Spalato herüberwinkt, schafft und waltet Frau Mare Kargotic. Wer es nicht sieht, der mag es hören. Ganz San Giovanni hört es, denn San Giovanni ist nicht gross und Frau Mare hat eine gar kräftige Stimme. Mitunter flucht sie auch, aber nur selten. Natürlich – ihr Gebieter und Ehegemal (er ist Gebieter, wenn er nicht zu Hause ist) fährt in der weiten Welt herum auf seiner hübschen Brigg »San Cristoforo« und lässt sich, wenn es gut geht, einmal im Jahre zu Hause sehen.
Während der Capitano Luka Kargotic draussen gegen schwere Stürme ankämpft, oder in trostloser Windstille irgendwo tagelang auf einem Flecke liegt, oder in irgend einem Tausende von Meilen entfernten Hafen auf Rückfracht wartet, muss Frau Mare des Hauses Regiment mit kräftiger Hand führen, sich ärgern und plagen. Und da raunt ihr freilich manchmal ein böser Dämon in's Ohr, dass vielleicht der Herr Luka gar irgendwo in einer Hafenstadt, die er angelaufen, sich gut, sehr gut unterhalte. Dann – – nun, die Kinder und die Dienstleute wissen davon zu erzählen, was sie dann thut und was sie dann spricht. Das sind die Momente, in welchen sie – aber nur sehr selten! flucht, – sonst ist sie die beste Frau der Welt.
Auch eine hübsche Frau ist sie, trotz ihrer etwas stark entwickelten Formen, trotz ihrer zweiunddreissig Jahre und trotz der feinen Seemannsrunzeln, die sich – der liebe Herrgott weiss, woher das kommt – um ihre Augenwinkel herum zeigen, als ob sie selbst ein Schiffskapitän wäre. Wirklich und wahrhaftig hübsch, besonders wenn sie im Feiertagskleide ist, wie heute.
In dem kleinen Hafen draussen schaukelt sich eine ganz anständige Barke, bereits zur Hälfte angefüllt mit dem Gottessegen, den Frau Mare in diesem Jahre eingeheimst. Wein, Oel und getrocknete Feigen bilden die Fracht, und die Barke muss bis Mittags fix und fertig sein, um nach Spalato abzufahren, wo alle diese guten Sachen auf den Dampfer übergeladen werden zur Ueberfuhr nach Triest. Der älteste Knabe, der auch Luka heisst wie sein Vater und bereits zwölf Jahre zählt, hat in der Schule lesen und schreiben gelernt – was Frau Mare leider nicht von sich sagen kann – und notirt mit gravitätischer Miene jedes Fass, das hinabgerollt wird zur Barke. Seine sieben jüngeren Geschwister sitzen in sehr defecter Morgentoilette mit ihrer Bonne, einer jungen Morlakin, im Hofraume und verzehren ihr Frühstück: getrocknete Feigen und Brod. Die Knechte[66] schaffen und poltern mit den Fässern und Kisten in rüstiger Emsigkeit und zwei Mägde scheuern im Hause, denn Allerheiligen fällt heuer auf einen Montag. Darum gibt es zwei Feiertage hintereinander und Frau Mare hält etwas darauf, dass dann Alles im Hause hübsch rein und nett sei.
Dass Frau Mare heute in aller Gottesfrüh schon im Festtagsgewande ist, damit hat es aber sein eigenes Bewandtniss. Es wird nämlich heute in der Pfarrkirche vor dem Altar des San Nicoló eine Extramesse gelesen, die sie bezahlt hat. Natürlich hat sie für eine solche besondere Auslage auch ihre besonderen Gründe. Einestheils gehen eben die Feigen, das Oel und der Wein nach Triest, für welche sie die möglichst besten Preise erzielen will. Dafür gibt es kein besseres Mittel als eine Messe. Es handelt sich aber nur um einen möglichst hohen Preis, nicht auch um die Sicherheit der Beförderung, da der Lloyd seine Frachten selbst assecurirt. Frau Mare ist eben practisch und belästigt unsern Herrgott nicht mit Dingen, die auch der Triester Lloyd besorgen kann. Für heute hat sie jedoch noch ein besonderes Anliegen, so wichtig und so geheim, dass es vorderhand ein Geheimniss zwischen ihr und unserm Herrgott bleiben muss. Darum hat sie auch dem Pfarrer, als sie die Messe bezahlte, gesagt, selbe sei für den guten Verkauf des Weines, der Feigen und des Oeles, ferner »für ihre besondere Intention« zu lesen, was der Pfarrer auch zusagte.
Seit Jahren vollzog sich das eheliche und Familienleben der Familie Kargotic in beinahe unwandelbarer Regelmässigkeit. Frau Mare regierte im Hause und der Capitano Luka befuhr das Meer. Jedes Jahr kam der Capitano auf zwei oder drei Wochen nach Hause, bei welcher Gelegenheit er immer allerhand Schönes und Werthvolles mitbrachte. Goldene Ohrgehänge, silberne Leibgürtel, schöne Kleider von schwerer Seide, feine Leinwand, kunstvolle Spitzen, ein Kind, ein paar hübsche Ringe, feine Venezianer Goldketten – das waren so seine gewöhnlichen Angebinde. Das heisst, das Kind brachte er eigentlich nicht mit, aber merkwürdigerweise fügte es sich immer, dass nach einer ganz bestimmten Reihe von Monaten, die seit seiner Anwesenheit verflossen, ein Kind sich wie von selbst einstellte. Störche gibt es in Dalmatien nicht, – dort holt die Hebamme die Kinder vom Berge herab und zahlt sie mit einem Gulden per Stück.
Die Kostbarkeiten hielt Frau Mare in einer schweren geschnitzten Truhe unter Schloss und Riegel, die Kinder – es waren ihrer nach und[67] nach acht geworden – wuchsen tapfer und fröhlich heran, das Beste, was sie unter so bewandten Umständen thun konnten. Zwischen einem Besuche des Capitano Luka und dem andern liefen auch wohl Briefe von ihm ein, aus Odessa, aus Queenstown, aus Marseille und Kronstadt oder aus sonst einem Hafen. Kinder waren niemals in den Briefen, wohl aber feine schöne in- und ausländische Banknoten oder kleine Röllchen mit glänzenden Goldstücken. Die wanderten dann in die Truhe zu den anderen Kostbarkeiten.
Diesmal aber waren schon anderthalb Jahre verflossen, dass der Capitano Luka sich nicht zu Hause hatte sehen lassen. Er war allerdings etwas weit gefahren. Sein letzter Brief trug den Poststempel San Francisco in Californien. Auch war demselben eine ansehnliche Anweisung auf den Banquier Porlitz in Spalato beigelegen, die derselbe mit gewichtigen Goldstücken honorirte. Aber Frau Mare war nicht ruhig. Seeleute sind gar manchen Gefahren ausgesetzt, nicht nur auf dem tückischen Meere, sondern auch in den Hafenstädten, die sie anlaufen. Da gibt es lockere Gesellschaft und kecke Weiber – Frau Mare fühlte sich versucht, ein wenig zu fluchen, aber sie besann sich eines Besseren und bezahlte dem Pfarrer eine Messe vor dem Altare des San Nicoló »auf ihre Intention« und – da es schon in Einem ging – für den guten Verkauf der heurigen Fechsung. Darum war sie heute, am Werktage, schon in aller Gottesfrüh in festtäglichem Staate, mit dem schwarzen Seidenrock und dem blauseidenen offenen Jäckchen über dem rothen Mieder, mit dem silbernen Gürtel um die Hüfte, mit zwölf silbernen Zitternadeln in den dunkeln Zöpfen und drei schweren goldenen Ohrgehängen an jedem Ohr.
Der heilige Nicoló – er ist der Schutzpatron der Seefahrer – der heilige Nicoló in der Pfarrkirche von San Giovanni ist immer im Festtagsgewande. Er ist über und über mit silbernen Armen, Händen, Füssen, ausserdem mit einigen goldenen Münzen behangen und sieht aus wie ein hoher Staatswürdenträger am Frohnleichnamstage. Der kleine Altar, über welchem der San Nicoló prangt, ist heute vollständig mit Kerzen besteckt und der Herr Pfarrer feiert auch die Messe vor demselben mit einer ganz besonderen Inbrunst. Und jedesmal, wenn er sich zu einem Dominus vobiscum umdreht, fallen seine Augen mit einem so wehmüthigen Ausdruck auf die an den Stufen des Altars knieende, im Sonntagsstaate prangende Frau Mare, dass ihr ganz sonderbar um's Herz wird und sie sich beinahe schämt, als ob der Herr Pfarrer ihre »Intention« hätte errathen können.
Als aber die Messe zu Ende, der Herr Pfarrer seinen Segen gegeben und in die Sacristei verschwunden war, als Frau Mare noch immer vor dem Altare kniete, in der Ungewissheit, ob sie in der Kirche beten oder zu Hause ein wenig – nur ganz wenig! – fluchen solle, da kommt der blondhaarige baarfüssige Junge, der dem Herrn Pfarrer ministrirt hatte und sagt, der Herr Pfarrer lasse die Frau Mare bitten, in die Sacristei zu kommen. Und wie sie hineintritt, da sieht sie durch den Weihrauchnebel den Herrn Pfarrer stehen, der ein Papier in der Hand hält und sie wieder so sonderbar ansieht als wie beim Dominus vobiscum. Dann winkt er ihr näher zu treten und bietet ihr einen Stuhl. Dann spricht er etwas – sie kann durch den dicken Weihrauchnebel nicht recht verstehen, was er sagt – er spricht etwas von Gottvertrauen und Fassung und dergleichen Dingen. Die Frau Mare möge nicht erschrecken und tapfer sein, wie sie es immer gewesen. Denn der Capitano Luka käme nicht mehr heim. Er hat ein schönes Seemannsende gefunden, ein echtes, schönes Seemannsende. Der »San Cristoforo« war an der Küste von Californien bei Nacht und Nebel an einen Dampfer angefahren und untergegangen. Die Matrosen hatten sich gerettet und der Steuermann dem Herrn Pfarrer geschrieben. Da, – der Herr Pfarrer klopfte mit der verkehrten Hand auf das Papier, – da steht Alles zu lesen. Der Patron Luka hätte sich auch retten können, aber er verlor seine Zeit damit, dass er den kleinen Schiffsjungen beim Kragen packte und in das Rettungsboot warf, das schon vom sinkenden Schiff abstiess. Er war immer eigensinnig gewesen, der arme Patron Luka, und wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, so – – nun, die Frau Mare wisse das ja selbst am besten. Nun also, – dann war das Schiff untergegangen und er mit dem Schiffe. Vielleicht hat er an seinen ältesten Buben gedacht, als er mit dem kleinen Schiffsjungen seine Zeit verlor. Aber die Frau Mare solle Gottvertrauen und Fassung haben und sich ihren Kindern erhalten. Die Frau Mare möge – – –
Die Frau Mare hat sich kurzweg umgedreht, ist festen Schrittes aus der Sacristei, aus der Kirche und nach Hause gegangen. Dort hat sie der Magd, die einen Kübel mit Oel im Hofe verschüttet, eine Ohrfeige gegeben. Oel verschütten bedeutet Unglück. Dann war sie im Feiertagsgewande, wie sie war, hinaufgestiegen in die Stube, wo die schwere Truhe mit den Kostbarkeiten steht und ein Hausaltar mit dem schöngeschnitzten Modell der Brigg »San Cristoforo« vor demselben. Dort hat sie sich in einen Winkel[69] gekauert und hat angefangen zu singen. Denn eine Dalmatinerin weint nie um einen Todten – sie singt um ihn.
Was Frau Mare Kargotic sang?
Aus der oberen Stube klang es herab in langgezogenen schwermüthigen Tönen und die Kinder mit ihrer morlakischen Bonne drängten sich schauernd und erschreckt zusammen unter dem offenen Fenster:
»Luka, Luka! Du kommst nicht wieder. Da bin ich, da sind Deine acht Kinder – unten stehen Deine Feigen, Dein Oel und Dein Wein – der ganze reiche Gottessegen – und Du kommst nicht wieder! Wer hat es so wie Du verstanden, das Steuer zu führen, wenn der Wind einher brauste und die Wellen über den »San Cristoforo« schlugen? Wer verstand es wie Du, sein Hab und Gut zu wahren und für die Frau zu sorgen und die armen Kinder? Ein Eimerfass hubst Du allein mit Deinen starken Armen; wo die Kräfte der Matrosen nicht ausreichten, da genügte Deine kräftige Hand ganz allein – ganz allein. Und jetzt liegst Du am Meeresgrund und die Wellen spielen mit Deinem Haar und Du kommst nicht wieder! Luka, Luka! ich habe Dich schwer beleidigt! Ich glaubte etwas Unrechtes von Dir und liess heute erst eine Messe auf meine Intention lesen. O wüsstest Du, was meine Intention war! Verzeih', mein Luka, und bete dort oben für mich und für unsere Kinder. Wie Du das letztemal weggingst, waren es sieben und heute sind ihrer acht! O Luka, Luka! Weisst Du noch, wie Du mich einstmals in Deinen starken Armen aufgehoben, als ich zu Tode krank daniederlag? Ach möchtest Du mir, möchtest Du uns allen entgegenkommen, wenn wir einmal einziehen sollen in's ewige Leben und uns auf Deinen Armen, o Luka, auf Deinen kräftigen Armen hineintragen in die Pforten des Paradieses!«
So singt Frau Mare Kargotic in ihrer Stube und unten schaffen die Knechte mit Kisten und Fässern. Denn um zwölf Uhr muss die Barke fix und fertig geladen sein und Allerseelen ist vor der Thür, Allerseelen, wo Wein und Feigen und Oel am besten verkauft werden.
Dafür war die Messe bezahlt, aber es ist immer besser auch selbst vorzusorgen. Und Punct zwölf Uhr stösst die Barke ab von San Giovanni und ein frischer Wind treibt sie fort über die sonnenfunkelnde Fläche des Meeres.
Droben im Stübchen singt Frau Mare Kargotic.
Eine schwere Hand, oder wahrscheinlicher eine schwere Faust klopfte an meine Zimmerthüre, denn der dumpfe Schlag, der sie erzittern machte, konnte nicht leicht von einem menschlichen Knöchel geführt worden sein.
»Herein!«
Die Thüre öffnete sich langsam und herein schob sich Duje Braidovich.
Erinnere Dich gefälligst, theuerer Leser, dass man das »ch« oder »c« am Ende dalmatinischer Namen wie »tsch« ausspreche, und lies den Namen Duje Braidovich noch einmal mit gehöriger Berücksichtigung des diesem Herrn eigenthümlichen Nationalgefühles. So. Jetzt will ich versuchen, diese interessante Persönlichkeit etwas näher zu schildern.
Duje Braidovich ist, was seinen Stand betrifft, eigentlich Nichts – in seinen freien Stunden beschäftigt er sich jedoch mit Tabakschwärzen. Duje Braidovich kann Tage und Wochen lang mit einem halblangen Tschibuk im Munde auf dem Platze des Marktfleckens Sign, seines Geburtsortes,[71] herumlungern, Tage und Wochen lang sich von Polenta nähren und pures Wasser dazu trinken, Tage und Wochen lang mit der gemüthlichsten Ungenirtheit von der Welt jeden Vorübergehenden, der seiner Tracht nach nicht Morlake ist, um »zwei Kreuzer auf Tabak« ansprechen; ja ich habe ihn sogar im Verdacht, dass er zuweilen mehr als einen Tag lang gar nichts isst und sich höchstens des Nachts an den halbreifen Getreideähren und den Krautköpfen der umliegenden Felder schadlos hält.
Dafür kommen aber dann wieder Tage, in denen Duje Braidovich seiner Unthätigkeit völlig entsagt. Dann kann man ihn mit seinen, allen Morlaken eigenthümlichen langen Schritten in dieses und jenes Haus eintreten sehen, wo er eifrige Gespräche mit seinen Bekannten hält und beim Heraustreten eine Hand voll silberner Zehnkreuzerstücke, in Dalmatien »Banovizze« genannt, in einen schmierigen bocksledernen Beutel steckt. Er nimmt auf diese Weise seinen Credit in Anspruch und sammelt Capital zu einem grösseren Unternehmen. Duje Braidovich ist dann immer in einem Zustande angenehmer Aufregung, sehr vergnügt und offenbar grosser Entwürfe voll. Zugleich scheint dann in ihm eine geheimnissvolle und schwer zu erklärende Sympathie für die k. k. Finanzwache sich fühlbar zu machen, denn er geht dann des Tages unzählige Male vor deren Kaserne vorbei, wirft immer schielende Blicke in das halbgeöffnete Thor und sitzt in der Abenddämmerung vor dem Hausthore des gegenüberstehenden Hauses, wo er abwechselnd mit einer ziemlich schmierigen morlakischen Magd und einem schönen schneeweissen Hühnerhunde spricht, welcher dort ebenfalls seinen gewöhnlichen Standort hat und auf den hübschen Namen Colombo hört.
Dabei lässt er aber die gegenüberliegende Finanzwachkaserne oder deren Inwohner nicht aus den Augen, und wenn er auch nicht gerade in sämmtliche Grünröcke vom Commissär bis zum letzten Wachmann hinab verliebt ist, so muss er wenigstens ein grosses Interesse daran haben, deren Treiben zu beobachten.
Eines Tages, oder vielleicht zur Nachtzeit, bricht ein Trupp Finanzwache auf, um an irgend welchem Grenzpuncte irgend welche Schwärzerkaravane abzufangen. Dann macht sich aber auch Duje Braidovich auf die Füsse, – mit dem Unterschiede, dass er consequenter Weise jede Reisegesellschaft zu fliehen scheint. Schwenkt die Finanzwache nach rechts, so geht er links, – zieht jene gegen Süden, so biegt er nach Norden ein. Nach Westen geht er nie, denn da käme er an die Küste; er hat aber[72] an der Küste vorderhand nichts zu thun, sondern seine Geschäfte rufen ihn auf das nahe türkische Gebiet, nach Bosnien. Sodann lässt sich Duje Braidovich zwei, vielleicht drei Tage lang weder in dem Marktflecken Sign, noch in dessen Weichbilde sehen, bis er eines schönen Tages plötzlich wieder auftaucht, etwas mehr gebräunt als gewöhnlich, seine Sandalen (Opanche) stark abgelaufen, seine sonstige Toilette in sehr deroutem Zustande, aber sonst offenbar in gehobenem Selbstbewusstsein.
Duje Braidovich lungert jetzt nicht mehr müssig herum auf dem Platze, auch verlangt er nicht mehr »zwei Kreuzer auf Tabak« von den Vorübergehenden, ebensowenig als er sich halbreifer Getreidekörner und grüner Kohlstrunke als Palliativmittel gegen ungelegenen Appetit bedient. Duje Braidovich zwinkert jetzt allen seinen Bekannten (und er kennt sämmtliche Bewohner Signs, sowie jene eines guten Theiles der Umgebung auf fünf Meilen in der Runde) mit gar pfiffigem Augenblinzeln zu, und fischt aus allen Theilen seines halb-türkischen Anzuges kleine blaue Papierchen mit Tabakproben heraus, die er ihnen halbverstohlen zusteckt. Hierauf verschwindet er ab und zu auf eine Viertelstunde und geht dann frei und mit erhobenem Kopfe vor der Finanzwache vorbei, anscheinend nichts als seinen Tschibuk in der Hand, in das und in jenes Haus. Und ist die Thüre hinter ihm zugeklinkt, so übergibt er, wie ein Taschenspieler seine Sträusschen, dem harrenden »Bekannten« einen aus blauem Papier gefertigten, mit Schnüren aus Ziegenhaaren zusammengenähten Sack, der eine Oka (zwei und ein Viertel Pfund) türkischen Tabak enthält.
Wo er ihn hatte, als er mit erhobenem Kopfe vor der Finanzwache vorbeistolzirte? Wahrscheinlich in den sackähnlichen Falten, welche seine türkischen Hosen rückwärts bilden und die bei jedem Schritte gegen seine Beine schlenkern. Der »Bekannte« denkt aber nach Weise des alten Römerkaisers »non olet« und zählt für die Oka Tabak zwei Gulden in klingenden »Banovizzen« in Duje Braidovich' schwielige Hand. Und wenn ganz Sign und Umgegend mit türkischem Tabak versehen sind, dann versinkt Duje Braidovich wieder in seine frühere Apathie, lungert wieder auf dem Platze herum, zehrt wieder von seinem Fette und verlangt wieder »zwei Kreuzer auf Tabak«, bis eines schönen Tages wieder einmal sein geheimnissvolles Interesse für die Finanzwache, die schmierige morlakische Magd und den schönen schneeweissen Colombo erwacht und er von Neuem seinen Argonautenzug unternimmt in das nahe Bosnien.
Das ist Duje Braidovich, der im Anfang der Sechziger-Jahre in dem zwei Stunden von der türkischen Grenze entfernten Marktflecken Sign an meine Zimmerthür klopfte.
»Herein!«
Duje Braidovich ist ein Mensch, der auf einen gewissen Grad von Wohlerzogenheit Anspruch macht, darum steckte er vorderhand nur seinen mit einem rothen Käppchen bedeckten Kopf in's Zimmer, spuckte auf den Boden und fragte in seinem stark mit Slavisch versetzten Italienisch, ob es ihm erlaubt sei, hereinzutreten. Auf meine bejahende Antwort schob er sich allmälig vorwärts, schloss behutsam die Thüre und zog aus dem oben erwähnten, an dem rückwärtigen Theile seiner Hosen befindlichen tragbaren Magazine eine Oka feinen türkischen Tabak hervor. Der Handel war bald geschlossen. Ich nahm den Tabak, er seine zwanzig Banovizze und extra ein kleines Trinkgeld, weil der Tabak »sopraffino« – vom Allerfeinsten – war. Dann nahm er seinen in die Ecke gestellten Tschibuk wieder zur Hand und verschwand, wie er gekommen.
Es gibt wohl kein Kronland der österreichischen Monarchie, in welchem geschwärzter Tabak mit solcher Unbefangenheit öffentlich verraucht wird, als in Dalmatien. Das Schwärzen des Tabaks ist allerdings verboten wie anderwärts, aber der Besitz des einmal glücklich über die Grenze gebrachten Krautes wird von Niemandem mehr angefochten. In Zara, der Landeshauptstadt, ist man wohl etwas vorsichtiger und zeigt wenigstens auf der Gasse oder in den Kaffeehäusern nicht gerne einen mit türkischem Tabak gefüllten Beutel, aber je weiter man nach Süden kommt, desto leichter ist es, sich mit dem verpönten Kraut zu versorgen, ohne in eine mit dem kaiserlichen Adler versehene Bude zu treten, und desto unbekümmerter wird auf der Gasse, in allen Kaffee- und Wirthshäusern der geschwärzte Tabak geraucht. Ja, im Gebirge, wie zum Beispiele in Sign und an den südlicher gelegenen Küstenorten, in Sebenico, Spalato, Macarsca, Ragusa, Cattaro, gehört ein rother, goldgestickter und mit Tabak angefüllter Beutel, der an den Flanken seines Besitzers baumelt, recht eigentlich zur Nationaltracht.
Das Schwärzen des Tabaks wird übrigens bei Denen, die es betreiben, wie das Wildern in den Tiroler und baierischen Bergen, zur Leidenschaft. Jährlich kommen Fälle vor, dass nicht nur ganze aus zwanzig bis dreissig Pferden bestehende Karavanen mit Tabak von der Finanzwache abgefangen[74] werden, sondern es entspinnt sich auch nur zu häufig zwischen den Schwärzern und der Finanzwache ein Kampf, der nicht selten Verwundungen, oft auch Verluste an Menschenleben auf einer oder der anderen Seite zur Folge hat. Trägt sich das in Nord- oder Mittel-Dalmatien zu, so kräht kein Hahn mehr darnach, wird aber ein Eingeborner im Süden, in den Bocche di Cattaro, bei einer dieser Expeditionen getödtet, dann tritt die Blutrache in ihr schauerliches Recht und die Behörden wissen sich in solchem Falle nicht anders zu helfen, als indem sie den Finanzwachmann, dem das Unglück passirt ist einen Schwärzer todtzuschiessen, so schnell als möglich aus dem Bezirke entfernen.
Da ich gerade von den Abenteuern der dalmatinischen Schwärzer spreche, so mag es am Platze sein, des Endes zu gedenken, das die Kreuz- und Querzüge meines Tabaklieferanten Duje Braidovich genommen.
Es war an einem bitter kalten Decemberabende des Jahres 186* und die Bora brauste mit ihrer allesdurchdringenden, schneidenden Kraft durch die schlechtverwahrten Fenster und die liederlich gezimmerten Thüren der Wohnung, die ich in dem besten Hause des Marktfleckens Sign inne hatte, als, diesmal ohne vorhergehendes Anklopfen, die Zimmerthüre sich leise öffnete und das wettergebräunte Gesicht meines Freundes Duje Braidovich sich zeigte. Duje Braidovich war augenscheinlich zu einer seiner Expeditionen in's türkische Gebiet gerüstet, denn er hatte seine Torba25 auf dem Rücken und in seinem breiten Ledergürtel staken Handjar und Pistolen. Er hatte etwas auf dem Herzen. Zuerst fragte er mich höchst unnöthiger Weise, wie mir das Wetter gefiele, dann, wie es meiner Familie gehe und schliesslich bat er mich ohne weiteren Uebergang, ob ich ihm nicht einen Ducaten leihen wollte. In drei Tagen werde er mir denselben zurückstellen. Er hätte ein Geschäft in Livno, bei dem er ein hübsches Stück Geld verdienen könne und dazu fehlte ihm gerade ein Ducaten.
Ich hatte dem armen Teufel schon öfter derlei Gefälligkeiten erwiesen und ihn immer höchst ehrlich und pünktlich befunden, daher ich auch keinen Anstand nahm, ihm das Verlangte zu geben. Natürlich hütete ich mich, ihn um den Zweck seiner Expedition zu befragen, machte aber doch die Bemerkung, dass heute eine böse Nacht wäre und es schlimm sein müsste, bei solcher Bora den Prolog, – das Grenzgebirge zwischen Dalmatien[75] und Bosnien – zu übersteigen.
Da fingen die Augen des armen Duje Braidovich sonderbar an zu funkeln und zu rollen. »Für mich und für meine Reise ist das Wetter gerade recht,« sagte er, indem er seine braune Jacke über die Brust zusammenzog und mit einem raschen Wurfe den Mantel sich zurechtlegte, »aber ich habe andere Sorgen. Der Zapis, den ich am Halse getragen, seitdem ich mich erinnere, ist mir in Verlust gerathen und wenn ich wüsste, dass es der (hier folgte ein schauerlicher Fluch) Finanzwächter *…… wäre, der mir ihn stehlen liess, während ich gestern Mittags vor der Kirchenthüre schlief, so hätte er wohl am längsten gelebt. Mit dem Zapis fürchte ich Niemand, – ohne Zapis kann mich nur die Muttergottes allein vor Unheil bewahren.«
Wer da weiss, in welch' hohem Ansehen ein Zapis (Amulet) bei der dalmatinischen Landbevölkerung, besonders aber bei dem Morlaken steht, der wird begreifen, dass all' mein Bemühen, den armen Teufel über den Verlust seines Zapis zu trösten, umsonst war. Ich musste mich darauf beschränken, meinem ganz verstört dreinsehenden Tabaklieferanten den guten Rath zu geben, der bösen Bora wegen zu Hause zu bleiben und, bis besseres Wetter käme, sich um einen neuen Zapis umzusehen. Aber auch dieser Rath wollte nicht verfangen. Einen neuen Zapis wolle er sich allerdings kaufen, meinte Duje Braidovich, aber heute müsse er eben ohne Zapis fort, denn seine Kameraden erwarteten ihn in Kula (einem bereits auf türkischem Gebiete liegenden einsamen Gehöfte) um in Gesellschaft aus Livno »Ochsen« zu holen. Damit empfahl sich Duje Braidovich in seiner höflich linkischen Weise und trollte davon.
Auf mich hatte die so deutlich zur Schau getragene Angst des sonst lebensfrohen und gutmüthigen Burschen einen eigenthümlichen Eindruck gemacht und ich verbrachte den grössten Theil der Nacht in unruhigen Träumen, in welchen mit Zapis behangene Pferdegerippe, kämpfende Morlaken und grosse Säcke mit Tabak ein wundervolles Chaos bildeten.
Als ich des Morgens erwachte und das Haus unter der andrängenden Macht der Bora erzittern fühlte, die heulend vom Norden herbrauste, da war mein erster Gedanke jener an Duje Braidovich, der jetzt eben die unwirthlichen Felszacken des Prolog hinabsteigen musste. Die Bora hielt noch den ganzen Tag und die nächstfolgende Nacht an. Dann legte[76] sie sich. Und als ich am zweiten Tage Morgens früh ausging und auf den Bazar – den Marktplatz – kam, der sich am Südende des Marktfleckens Sign befindet, da stand, eine seltene Erscheinung, ein Wagen zur Abfahrt bereit. Dr. Z……, der einzige Arzt des Ortes, ging frostgeschüttelt vor demselben auf und ab. Dann kam der Prätor mit einem untergeordneten Beamten, – gleich darauf der Finanzcommissär.
Wohin die Herren in aller Frühe fuhren? Am Fusse des Prolog, auf der österreichischen Seite desselben, hatte in der vergangenen Nacht die Patrouille der Finanzwache eine mit Tabak beladene Karavane aufgegriffen. Die Treiber liessen ihre Pferde im Stiche und flohen. Nur einer hatte sich zur Wehre setzen wollen, den hatte die Finanzwache erschossen. Das war Duje Braidovich.
Es ist mir völlig unbekannt, von welchen Grundsätzen die Herren Bischöfe Dalmatiens sich bei der Auswahl, der Erziehung und Ordinirung der jungen Geistlichkeit leiten lassen, oder ob ihnen überhaupt dabei besondere Grundsätze vorschweben. Das ist sicher, dass der dalmatiner niedere Clerus im Grossen und Ganzen sich nicht ganz vortheilheilhaft vor jenem anderer Länder unterscheidet und selbst die italienische Geistlichkeit an Unwissenheit bedeutend überragt.
In der Nähe der Stadt Almissa, wo die Cettina sich in's Meer ergiesst, stand oder steht vielmehr heute noch eine eigenthümliche Anstalt für heranwachsende Priester, die Brieko heisst. Dort lernte man seinerzeit einfach Messe lesen. Wenn irgend ein Morlake oder sonst ein Bauer, auch schon in vorgerückten Jahren, das Bedürfniss fühlte Priester zu werden, so meldete er sich bei dem Bischof, der ihn nach Brieko steckte. Dort wurde ihm durch drei, höchstens vier Jahre lesen, schreiben, rechnen und – Messe lesen gelehrt. Natürlich Alles in slavischer Sprache. Dann wurde er ausgeweiht, erhielt eine Art Breve, das ihm gestattete, die Messe in slavischer, mit glagolitischen Buchstaben geschriebener Sprache zu lesen und kam sofort als Pfarrverweser in ein morlakisches Dorf.
Heute ist Brieko kein theologisches Treibhaus mehr, sondern eine Ablegestätte für verdorbene Gymnasiasten. Macht nämlich ein Gymnasialschüler an irgend einem Gymnasium Dalmatiens derartige Fortschritte, dass sein Aufsteigen in eine höhere Classe unmöglich wird, und gibt er die Neigung kund, sich dem geistlichen Stande zu widmen, so kommt er nach Brieko, wo er gut oder übel Einiges von dem lernt, was er im Gymnasium nicht erlernen konnte; dann wird ihm am bischöflichen Seminare in Zara von der Theologie so viel eingetrichtert als eben in seinem Kopfe Platz hat und dann wird er ebenfalls Priester und liest seine Messe in slavischer Sprache. Hin und wieder macht man auch rühmenswerthe Ausnahmen.
So wurde vor einigen Jahren der Messner einer kleinen in Castel Cambio bei Spalato befindlichen Capelle in Folge Protection seines Patrons, des Conte C., zum Priester gemacht, ebenso erhielt kurze Zeit darauf der Portier des bischöflichen Knabenseminars von Spalato ohne viel Umstände die priesterliche Weihe. Der Unterschied zwischen derlei Priestern und solchen, welche ihre ordentlichen theologischen Studien in der Landeshauptstadt Zara absolvirt haben, ist der, dass die Ersteren von der Regierung nur eine kleine jährliche Bezahlung (ich glaube 80 fl.) und wenn sie dienstunfähig werden, keine Pension bekommen. Ihren Unterhalt beziehen sie von der Gemeinde, deren Seelenheil ihnen anvertraut ist, in der Form von Schafen, wollenen Strümpfen und Truthühnern, die ihnen zu Ostern, Weihnachten und Pfingsten von jeder Familie gespendet werden. Die Strümpfe, Schafe und Truthühner, die der Herr Pfarrer nicht selbst aufbrauchen kann, verkauft er gelegentlich auf dem Markte irgend eines näher gelegenen grösseren Ortes und lebt, da er auch ein Stück Feld und ein Haus besitzt, ohne Sorgen und gewöhnlich umso zufriedener mit seinem Lose, als er von der Welt nichts und von ihren verfeinerten Bedürfnissen beinahe so viel als nichts kennen gelernt.
Ein frischer sonniger Herbstnachmittag hatte mich aus meiner Behausung herausgelockt in's Freie. Mit der Flinte auf der Schulter, um für den längeren Spaziergang einen Vorwand zu haben, schlenderte ich auf der von dem morlakischen Marktflecken Sign gegen Verlicca führenden Strasse und bog dann rechts in einen der holprigen Feldwege ein, die ziemlich steil aufsteigend die Abhänge der dinarischen Alpen und deren Ausläufer mit der Landstrasse verbinden. Stein und Gerölle war der Weg,[80] der sich in einer schluchtartigen Vertiefung hinaufwand, Stein und Gerölle bildeten die Aussicht, wenn hie und da die Ränder der Schlucht eine solche gestatteten. Das einzige lebende Wesen um mich herum war mein Hund, der anfangs lustig in dem Gestein herumschnupperte, dann aber, als hätte er sich überzeugt, dass sein Suchen auf diesem Boden unmöglich Erfolg haben könne, mit gesenkten Ohren meinen Schritten folgte.
Ich überlegte eben, ob ich nicht den Weg verlassen und querfeldein gegen meine Behausung abschwenken sollte, als ich den Weg herauf das mir wohlbekannte Getrappel eines Pferdes vernahm, das, von den Stössen der eckigen Steigbügel angetrieben und von dem scharfen Gebiss zurückgerissen, in jener eigentümlich tänzelnden und verzweifelten Gangart herankam, die, ein Mittelding zwischen Schritt, Trab und Galop, den unglücklichen dalmatiner Pferden eigenthümlich ist. Gleich darauf erschien an der letzten Krümmung des Weges eine Gestalt, die ich der blendenden Sonnenstrahlen wegen erst erkennen konnte, als sie mir näher gekommen war und mich mit rauher und lustiger Stimme anrief: »Oho, Gospodine, schön, dass Sie einmal kommen! Ein Glück, dass ich Sie treffe, sonst wäre ich beim cume Mate26 abgestiegen und Sie hätten mich nicht zu Hause gefunden. Evalá27 Gospodine! Wie geht's Ihnen?!«
Auf einem fuchsrothen, türkisch gezäumten, mit einem unmässig hohen Sattel versehenen Rösslein, dessen Augen unter einem krausen Busch zerzauster Haare hervorblitzten, während seine Mähnen wahrscheinlich noch nie einen Kamm gesehen, sass eine kurze stämmige Gestalt. Die hohen, plumpen, vorne mit einer Quaste versehenen Röhrenstiefel, die hellblaue Halsbinde und der dreieckige Hut bezeichneten den morlakischen Pfarrer. Ein dunkler Rock mit unmässig hohem Kragen und fürchterlich engen Aermeln liess seine mächtigen Schösse bis an die Steigbügeln flattern und von der ganzen Gestalt nichts erkennen als ein paar knochige Fäuste und ein von tausend Runzeln durchzogenes Gesicht, dessen kleine dunkle Augen von dichten stahlgrauen Augenbrauen beschattet wurden. In der linken Hand hielt der Reiter die Zügel des Pferdes und einen halblangen Tschibuk, in der rechten ruhte die kurze, derbe Peitsche. Es war – Don Martine, der Pfarrer von Karakaschitza.
Ich erwiderte den freundlichen Gruss und erstattete auf sein Befragen auch pflichtgemäss Bericht über das Befinden meiner Frau und meiner Kinder, versicherte jedoch, dass es nicht meine Absicht gewesen wäre, heute ihm einen Besuch zu machen, sondern dass ich mir dieses Vergnügen für ein anderes Mal vorbehalte. Don Martine wollte aber davon nichts wissen. In zehn Minuten wären wir bei seinem Hause, sagte er, und wenn ich es wünsche, so liesse er mich Abends, der vielen Hunde wegen, die manchmal böse wären, wenn sie eine »civil« gekleidete Person sähen, durch den Messner bis auf die Strasse begleiten – jetzt müsse ich aber mit ihm kommen, seine Schinken und seinen Wein kosten – er schnalzte dabei mit der Zunge – und einen fröhlichen Abend mit ihm zubringen. Obwohl ich ganz genau wusste, welches Bewandtniss es mit den zehn Minuten habe, da wir nach meiner Schätzung noch eine gute halbe Stunde von der Behausung des Don Martine entfernt sein mussten, so willigte ich nichtsdestoweniger ein, wenn aus keinem andern Grunde, so doch, um einmal das Leben und Treiben eines morlakischen Pfarrers mir in der Nähe ansehen zu können. Don Martine trug mir an, hinter ihm als Zweiter auf sein Pferdchen aufzusitzen, was ich aber dankbar ablehnte. Und so klommen wir, er zu Pferde, ich zu Fuss, den steinigen Weg hinan, der immer steiler wurde, je mehr wir uns dem Dorfe Karakaschitza näherten.
»Jetzt sagen Sie mir,« eröffnete ich das Gespräch, »woher Sie eigentlich kommen; Sie sind ja über und über bestaubt. Wohl von Spalato, he?«
»Richtig, Gospodine,« erwiderte er, »ich ritt gestern Mittags fort und dachte schon früher heimzukehren, aber der verd… Pfarrer von Dizmo lässt Niemanden ungeschoren vorüber; so musste ich denn mit ihm ein Glas Wein trinken und komme jetzt seinetwegen erst Abends statt Mittags nach Hause.«
Er schien wirklich böse über die Verzögerung zu sein, denn er gab seinem Pferdchen einen Stoss mit beiden scharfen Bügeln, dass es plötzlich einen Satz vorwärts machte, was bei der Beschaffenheit des Bodens nicht eben ungefährlich war.
»Sachte, sachte, Don Martine! Das Glas Wein muss übrigens ziemlich tief gewesen sein, wie? Auch ist meines Wissens der Wein in Dizmo nicht schlecht, seitdem man ihn dort selbst baut.«
»Nein,« erwiderte mein Begleiter lebhaft, »der Wein aus Dizmo kann sich mit jedem andern Wein in Dalmatien messen. Die Bauern werden[82] reich, seitdem sie angefangen haben, ihn zu bauen und dem Pfarrer geht es, chwala bogu28, auch nicht schlecht dabei. Sehr gute Leute in Dizmo, prächtige Leute, viel besser als meine eigenen hier in Karakaschitza. Ich bin dort fremd, denn wenn ich auch jede Seele von ihnen kenne, meine Pfarrkinder sind es immerhin nicht, und doch, was glauben Sie, bringt mir der Petar Serdarich, weil ich heute im Vorübergehen sein Kind gesund gemacht habe? Zwei Barili29 Wein und einen hübschen Hammel. Ho ho! wenn Sie in der nächsten Woche mich besuchen wollen, können Sie den Wein kosten und den Hammel sehen.«
»Das meine ich auch, Don Martine,« sagte ich lachend, »die Leute in Dizmo sind wahre Engel, seitdem der Wald um das Dorf niedergehauen und die Kerle nicht mehr vom Walde aus die Vorüberreisenden anfallen und ausrauben können, wie sie es früher gethan. Jetzt haben sie statt des Waldes dort eine Kaserne mit sechs tüchtigen Gendarmen und es wird Niemand mehr ausgeplündert, der durch Dizmo kommt, – was hat denn dem Kinde des Petar Serdarich eigentlich gefehlt, das Sie im Vorübergehen geheilt haben?«
Die Frage schien dem Don Martine nicht recht zu gefallen, denn er räusperte sich und stiess einige Hm! Hm! aus, ehe er die rechte Antwort finden konnte. »Wissen Sie,« sagte er endlich, »unsere Leute da sind ärger als das liebe Vieh. Da hat der Petar Serdarich in der vergangenen Woche seine Mutter begraben und, weil er ein reicher Mann ist, das halbe Dorf zum Leichenschmaus eingeladen. Ein sehr schönes Essen, wie mir mein Kamerad, der Pfarrer von Dizmo, erzählte. Wein, Branntwein und Schöpsenfleisch so viel Einer wollte und dazu weisses Brod, wie es die Herren in Spalato essen. Das dauerte drei Tage, denn der Petar Serdarich ist ein reicher Mann. Seinem Buben aber, dem Mate, der jetzt acht Jahre alt ist, dem steckten die Weiber so viel Wein, Braten und Branntwein zu, dass sich der Bursche überessen hatte und dalag wie ein halbkrepirtes Kalb. Wie mich nun der Petar Serdarich bei meinem Kameraden, dem Pfarrer von Dizmo, anhalten sieht, läuft er auf mich zu und sagt, ich möchte doch zu ihm kommen und über dem Kinde beten; der Pfarrer von Dizmo (mein Kamerad) hätte es wohl schon gethan, aber es hätte nichts geholfen. Nun, ich denke, schaden kann es nicht, reite also[83] hin zum Hause des Petar Serdarich, gebe ihm mein Pferd zu halten und gehe hinein. Da liegt der Bube, hat ein elendes Fieber und um ihn herum stehen eine Menge Weiber, die heulen und flennen, dass es eine Schande ist. Ich, nicht faul, bete über ihm und gebe ihm einen Zapis, dann kehre ich wieder zu meinem Kameraden, dem Pfarrer zurück, bleibe ein paar Stunden bei ihm und wie ich wieder aufs Pferd steigen will, um nach Hause zu reiten, kommt der Petar Serdarich und sagt mir, dass es dem Buben besser gehe. Und die nächste Woche kommt er und bringt mir meinen Wein und einen schönen zweijährigen Schöpsen.« Dabei gab er seinem Pferdchen wieder einen Stoss mit den beiden Bügeln.
»Was mag denn dem Buben eigentlich geholfen haben?« fragte ich, »das Beten oder der Zapis?«
»Ich glaube,« entgegnete Don Martine mit gar weiser Miene, »vor Allem der Zapis. Beten ist gewiss auch gut, aber ich sage Ihnen ja, dass der Pfarrer von Dizmo, mein Kamerad, schon über dem Buben gebetet hatte, ohne dass es geholfen hätte. Darum gab ich ihm auch den Zapis. Ich weiss schon, dass unsere gelehrten Herren Vorgesetzten und gar der Bischof nichts von dem Zapis wissen wollen. Sie mögen vielleicht auch Recht haben, und der Bischof ist ein gar braver und gescheidter Herr. Aber manchmal ist er zu streng. Und so ein Herr isst und trinkt gut und fährt in einem Wagen spazieren mit einem Kutscher und zwei Bedienten. Was meinen Sie da, woher er wissen sollte, was uns Bauern gut thut? Ich hatte mir gerade aus Spalato ein Buch Zapis geholt und zwei Pfund Ricinusöl. Ich nehme immer Ricinusöl, wenn ich nicht wohl bin; manchmal gebe ich davon auch Anderen. Auch dem Buben gab ich eine tüchtige Dosis, aber nur so – zur Vorsorge. Am besten hat ihm jedenfalls der Zapis gethan.«
Was ein Zapis eigentlich sei, will ich hier erklären. »Zapis« heisst so viel als »Etwas Geschriebenes«. In der Buchdruckerei eines gewissen G. in Spalato werden als Accidenzarbeit (wie es die Buchdrucker nennen) grosse Bogen Papier gedruckt und verkauft, welche durch Linien in kleine Quadrate abgetheilt sind. In jedem Quadrat steht ein Gebet in lateinischer, slavischer oder italienischer Sprache. Manchmal ist die Sprache gemischt und das Gebet besteht dann aus einem Gallimathias von italienischen, slavischen und lateinischen Phrasen. Die Gebete haben die verschiedensten und oft sonderbarsten Anliegen zum Vorwurfe. Da gibt es deren, die um[84] Schutz vor Hagel und Blitz flehen, andere um Genesung von den Blattern, wieder andere um Fruchtbarkeit der Kühe oder – Weiber, dann wieder eines um Heilung von der Rinderpest, kurz alle Wünsche, die ein Morlake möglicher- und billigerweise an unsern Herrgott haben kann, finden in diesen Gebeten ihren unverblümten Ausdruck. Hat nun ein Morlake ein Anliegen an den Himmel, so geht er entweder zum Pfarrer oder in das nächste Franciscanerkloster und lässt sich einen derlei Zapis geben, der zuerst in seinem Beisein geweiht, dann in Leinwand und Schafleder eingenäht und schliesslich seinem Weibe, seiner Kuh, seinem Kinde oder dem Leithammel seiner Herde, je nach Umständen, um den Hals gehängt wird. Dafür zahlt der Morlake selten in Geld, – gewöhnlich in Schafen, Wein, Truthühner oder Getreide. Die Zapis der Pfarrer sind gut, jene der Franciscaner sind aber besser. Darum kosten sie auch mehr. So stand vor einigen Jahren ein Pater des Franciscanerklosters zu Sign in besonderem Rufe, dass er über die »Würmer« grosse Gewalt habe; wenn daher ein Morlake fand, oder zu finden glaubte, dass ihm Würmer oder Insecten auf seinem Felde grossen Schaden anrichteten, so ging er sicher oft viele Stunden weit in das Franciscanerkloster zu Sign zu dem frommen Wundermann, um sich einen Wurmzapis abzuholen.
Wir hatten uns plaudernd dem Dorfe Karakaschitza genähert und bei einer jähen Biegung des Weges lag plötzlich die roh gebaute unscheinbare Kirche und neben ihr die Wohnung des Don Martine vor unseren Augen. Vor dem kleinen ebenerdigen Hause, dessen Vorderseite von den Ranken eines mächtigen Weinstockes ganz bedeckt war, tummelten sich Hühner, Schweine, Truthühner und Enten ganz vergnüglich in dem freundlichen Elemente einiger grosser Düngerhaufen und Pfützen, während eine Stute, die mit ihrem Fohlen ganz frei neben dem Hause weidete, uns lustig entgegenwieherte. Aus dem Hause kam auf den Ruf des Don Martine ein Knecht und eine Magd, von denen der Erstere dem Don Martine beim Absteigen behilflich war, während die Letztere verschiedene Päcke in Empfang nahm, die Don Martine vom Sattel, wo sie aufgehangen waren, loshakte oder aus seinen unergründlich tiefen Rocktaschen hervorzog.
Mein Begleiter schüttelte sich förmlich vor Vergnügen und Behaglichkeit, als er sich in der gewohnten Umgebung seiner Häuslichkeit sah, und trat nach einem prüfenden Blicke über die geflügelten und ungeflügelten Insassen seines Hofes zur Thüre.
»Frisch Gospodine, jetzt sollen Sie ein Glas Wein kosten, wie ihn auch der Monsignor Bischof nicht besser hat, und dazu einen Schinken, wie ihn eben ein armer Pfarrer bieten kann. Antune! binde das Pferd an und gib ihm nichts zu saufen, bis es sich abgekühlt, und Du, Ivanizza30, bringe Wein und die zwei neuen Gläser, die mir der Gevatter Stipe31 aus Spalato gebracht, und den aufgeschnittenen Schinken! Schnell! sonst … Hereinspaziert. Gospodine; Gott sei Dank, wir sind zu Hause!«
Wir traten in das Haus, dessen erstes grosses Gemach zugleich das Schlaf- und Arbeitszimmer des Pfarrers zu sein schien. In einer Ecke stand ein plumpes, aus weichem Holz gezimmertes Bett mit einem riesigen Strohsacke und einigen unordentlich darüber geworfenen Decken. An der Wand hingen mehrere grell gemalte Heiligenbilder und eine Ansicht der Stadt Spalato von der Seeseite. Eine grosse vielfarbige Kiste in der anderen Ecke, ein Tisch und vier Stühle bildeten die übrige Einrichtung. Ueber dem Tische hingen zwei Jagdgewehre, eine alte Pistole und ein Handjar.
Und auf dem Lehmboden des Zimmers hockte eine Gesellschaft, bestehend aus zwei Knaben und einem Mädchen im Alter von beiläufig zehn bis zwölf Jahren, alle drei nur mit je einem langen Hemde und einem rothwollenen Leibgürtel bekleidet, um eine grosse Schüssel mit Gemüse. Neben ihnen sass, aufmerksam auf seinen Antheil wartend, ein grosser, weisser Hund.
Die Kinder assen. Sie hielten ihren hölzernen Löffel mit beiden Händen. Sie hatten keine Finger an denselben, – ihre Hände waren unförmliche Stumpfen. Der nackte Fuss des einen Knaben war ebenso verstümmelt, ihm fehlten die Zehen.
»Um Gotteswillen, Don Martine, was ist denn das, wer sind denn diese armen Kinder und wie wurden sie so grässlich verstümmelt?«
»Ah, Sie meinen ihre Finger und Zehen, Gospodine? Ja, das kommt bei uns oft vor. Wissen Sie, da gehen die Eltern auf das Feld und lassen die Kleinen zu Hause. Da geschieht es nun, dass die Schweine – mit Respect zu sagen – aus dem Verschlag ausbrechen, weil unsere Bauern, diese verd… Hunde, – mit Respect zu sagen – sie gewöhnlich in demselben Raume halten, wo sie selbst wohnen – und dann geschieht es bisweilen, dass die Kinder von den Schweinen gefressen werden. Gewöhnlich fangen[86] die Bestien bei den Händen oder Füssen an; da schreien die Kinder und werden manchmal gerettet, falls sie nämlich Jemand hört.«
»Darum findet man bei uns in allen Dörfern Leute ohne Finger und ohne Zehen. Die Drei, die Sie da sehen, Gospodine, gehören drei ganz miserablen Familien an, die ihnen nichts zu essen geben, vielweniger auf sie Acht geben konnten. Darum nahm ich sie zu mir, wie sie noch ganz klein waren, sonst hätte sie vielleicht später das Schwein ganz aufgefressen. Ha, ha, ha! Sind aber gute Geschöpfe und helfen im Hause, wo sie können. Da, der Aelteste, dem habe ich lesen gelernt, und er liest Ihnen, dass es eine Pracht ist. Ivanizza, faules Thier! kommt der Wein oder nicht?« – – –
Don Martine starb im darauffolgenden Jahre an den Blattern. Man hatte ihn zu dem Blatternkranken eines fremden Dorfes geholt, dem er einen Zapis umhängte. Bei dieser Gelegenheit bekam er selbst die Krankheit. Es war aber kein zweiter Don Martine da, der ihm einen wirksamen Zapis hätte geben können, und seinen eigenen Zapis wollte er nicht benützen – ganz wie es gewisse Aerzte mit ihren eigenen Recepten thun.
Ein roher, unwissender und abergläubischer Mensch ist er gewesen, der Don Martine, und vielleicht auch ein Betrüger, denn Niemand hat je erfahren können, ob er selbst an die Wirksamkeit seiner Zapis glaubte oder nicht. Aber es wäre doch möglich, dass er mit seinem gutmüthigen Lächeln jetzt zufrieden von dort oben heruntersähe auf sein altes Pfarrhaus mit den Enten, Hühnern, Pferden und Schweinen, die in den Pfützen sich gütlich thun. Und dann sind im morlakischen Dorfe Karakaschitza drei arme Wesen mit fingerlosen Händen und Klumpfüssen, drei Wesen, die er gekleidet, gespeist und erzogen hat in seiner bäuerisch rohen Weise. Und sechs Hände ohne Finger heben sich allabendlich zum Himmel, und drei verstümmelte unglückliche Wesen rufen heute noch schluchzend: »Wärest Du, ach! wärest Du doch bei uns geblieben; ach! könntest Du doch wieder kommen, Don Martine, – wir sind so sehr, so gränzenlos elend. Wir haben Hunger!«
Wenn ein Maler darauf ausginge zu zeigen, welch' unermessliche Menge von Farbentönen sein Pinsel hervorzubringen im Stande sei, und dabei mit ungeregelter Fantasie gerade die schreiendsten Gegensätze an Farben nebeneinander auf die Leinwand klecksen wollte: er könnte kaum ein krauseres Bild zu Stande bringen, als es der Platz vor dem Bezirksgerichte in Sign an einem Gerichtstage aufweist. Männer, Weiber, Kinder, Pferde, Truthühner, Esel, Schafe, alles lagert da kraus durcheinander auf dem kleinen Platze, von dem zwei Stufen in die Räume des Bezirksgerichtes führen. Unter dem Thore steht der Gerichtsdiener mit einem Stocke in der Hand und wehrt vorläufig den Eingang, denn die »udienza« (Gerichtsverhandlung) beginnt nicht vor neun Uhr.
Drei Marksteine waren in dem Dorfe Vucenovich von der Stelle gerückt worden. In Folge dessen hatte sich zwischen den Eigenthümern der beiden Aecker, wovon der eine angab übervortheilt worden zu sein, während der andere jede Uebervortheilung ableugnete, ein Streit entsponnen, dessen Schlichtung um so schwieriger wurde, als eigentlich weder der eine Acker dem einen, noch der andere dem zweiten Streitführenden gehörte. Beide Aecker waren noch vor wenigen Jahren unfruchtbarer öder Steinboden und[88] gehörten dem Staate. Beide streitende Parteien hatten mit Mühe und Schweiss jeder für sich ein Stück fremden Bodens fruchtbar gemacht, indem sie allmälig die Felstrümmer aushackten und, da sie dieselben auf einen Ort zusammentrugen, eine Art moderne Cyklopenmauer herstellten. Und als sie weiter arbeiteten, geriethen sie endlich mit der Haue und dann mit den Köpfen aneinander. Dann setzten sie die Marksteine. Diese waren verrückt worden. Und weil weder der Harambascha32, noch der Pfarrer die Sache zu schlichten vermochten, sondern gerade im Gegentheile ein Paar Pistolenschüsse oder Hiebe mit dem Handjar ordentlich in der Luft lagen, so bequemten sie sich dazu, ihren Streit vor Gericht auszutragen.
Heute ist in Dalmatien sowie anderwärts im Bereiche des österreichischen Staates die Trennung der politischen von der Gerichtsverwaltung durchgeführt; zur Zeit, in welcher unsere Gerichtsscene spielt, das ist im Anfange der sechziger Jahre, war aber der Prätor zugleich Richter und politischer Chef eines Bezirkes. In Sign war der Amtssitz eines solchen Prätors. Den Anschauungen der Morlaken entsprach diese Einrichtung viel mehr und besser, als die jetzt strenge gesonderte Wirksamkeit des Bezirksrichters von jener des politischen Chefs oder Bezirkshauptmannes. Bestehen doch heute noch in der angrenzenden türkischen Provinz Bosnien noch ganz ähnliche Verhältnisse, wo sogar der politische Chef eines Bezirkes, der Richter und auch der Steuereinnehmer in der Person des Muhdir's vereinigt sind. Nun fühlt sich zwar der Morlake keineswegs als Türke, aber er beobachtet türkische Sitten und Einführungen mit einer ehrerbietigen zur Nachahmung geneigten Aufmerksamkeit, weil ihm dieselben materiell und moralisch viel näher liegen, als die einen gewissen Grad von Cultur voraussetzenden gesetzlichen Zustände eines civilisirten Staates.
Ob damals, – noch vor wenigen Jahren – der Prätor mehr Pascha oder mehr Patriarch sein wollte, das hing rein von seinen individuellen Neigungen oder oft von seiner augenblicklichen Gemüthsstimmung ab. Einer Verantwortlichkeit konnte sich derselbe um so leichter entziehen, als er in seiner Eigenschaft als Richter von dem Landesgerichte, in jener eines politischen Bezirkschefs aber von der vorgesetzten politischen Behörde[89] abhing. Darum war der Prätor ein gar gefürchteter Herr, dessen Machtspruch von den Morlaken mit derselben Ehrerbietung aufgenommen wurde, wie jener seines internationalen Amtsbruders, des nach dem Koran richtenden Muhdir's, von den benachbarten Türken.
Man darf sich unter einem morlakischen Gebirgsdorfe nicht die Vorstellung machen, die man im Allgemeinen mit dem Begriffe Dorf verbindet. Ein kleines ebenerdiges Haus ist an der Südseite irgend eines Hügels aus mächtigen halbbehauenen Quadern aufgeführt. Das mit Stroh oder rohen Schieferplatten gedeckte Dach zeigt in der Mitte eine grosse Oeffnung durch welche der Rauch entweicht und bei Regengüssen das Wasser eindringt. Den Boden dieses Hauses bildet die nackte Erde. Ein mit seinen vier Füssen in den Boden gerammter Tisch, zwei Bänke und eine in grellen Farben bemalte Truhe bilden die Einrichtungsstücke. Längs der einen Wand liegt Stroh aufgeschüttet, das manchmal mit einem groben Linnen bedeckt ist. Das ist das Bett. Ein Brett, ähnlich den Schlagbäumen in den Pferdeställen trennt das Lager der männlichen von jenem der weiblichen Familienmitglieder. Die gegenüberliegende Seite der Hütte dient als Stall für Pferde, Schafe und Kühe. In der Mitte ist auf einer Steinunterlage der Feuerherd angebracht, über dem an schwerer Kette ein mächtiger Kessel schwebt. Lange Flinten, silberbeschlagene Pistolen und krumme Handjars hängen an den Wänden. Vor dem Hause stehen gewöhnlich ein Paar Nussbäume oder Buchen. Zur Seite desselben ist der aus Steinen erbaute Schweinstall. Das ist ein Haus des Dorfes. Vielleicht steht auf Büchsenschussweite ein zweites, drittes oder viertes. Vielleicht aber ist es eine gute halbe Stunde bis zum nächsten Hause, das mit peinlicher Genauigkeit dem erstbeschriebenen gleicht. Zwölf oder fünfzehn solche Häuser bilden ein Dorf. Ein solches Dorf ist Vucenovich.
Der Harambascha und der Pfarrer hatten einen heissen Nachmittag gehabt. Der Pfarrer hatte sein türkisches Pferdchen gesattelt und sein rothes Regendach hervorgeholt, um die beiden streitenden Parteien, die jeder in einer anderen Richtung eine Stunde vom Pfarrhause entfernt wohnten, womöglich zu einem Vergleiche zu bewegen. Mit ihm war der Harambascha gegangen, mit einem Arsenal voll Waffen im Gürtel und einer unmässig langen Flinte auf der Achsel. In beiden Häusern hatte man sie mit jener aufmerksamen Zuvorkommenheit empfangen, die zwei solchen Standespersonen gebührt. Hüben und drüben hatte der Domachin33 sie[91] eingeladen auf der Steinbank vor dem Hause Platz zu nehmen und der Domachizza34 aufgetragen, Kaffee zu bereiten. Hüben und drüben hatten die Zwei mit dem Domachin lange und ernste Gespräche gehalten, die von Seite des Harambascha und des Domachin mit unterschiedlichen Flüchen gewürzt wurden, aber hüben und drüben hatten sie nichts erreicht. »Der Gospodine35 Prätor soll entscheiden,« hiess es immer wieder, und was er bestimmen würde, solle geschehen. So konnten die Beiden nichts thun, als die Vereinbarung treffen, dass die eine Partei um drei, die andere um vier Uhr Früh vom Hause aufbreche, sonst möchte es noch Pistolenschüsse oder Hiebe mit dem Handjar geben, wenn sie auf der Strasse zusammenkämen. Das wurde zugesagt. Und so geschah es. – – –
Mit dem ersten Morgengrauen bewegt sich aus dem kleinen Hause heraus die Caravane. Voran der Domachin in seinem schönsten Gewande. Er hat das rothe silbergestickte Leibchen an und über die Achsel die braune Jacke von grober Schafwolle, deren Ecken vorn mit grünem Tuch besetzt und mit rothen Troddeln verziert sind. Um seine niedere rothe Mütze ist ein schmieriger vielfarbiger Turban gewunden. Ein langer Zopf baumelt ihm rückwärts herab, den die Domachizza gestern noch mit frischer Butter tüchtig gesalbt hat, – am Ende desselben sind schwarze Schnüre eingeflochten, die kleine Bleikugeln tragen. Weite, weisse Hemdärmel flattern um seine nervigen behaarten Arme. In den Fächern des breiten ledernen Gürtels stecken ein Paar silberbeschlagene Pistolen und ein krummgebogener Handjar nebst einem kurzen, scharfen Messer. Blaue türkische Beinkleider und Sandalen von rohem Leder vervollständigen seinen Anzug. Seinen Mantel hat er über den plumpen Holzsattel des kleinen Pferdes geworfen, die Fersen in zwei Schlingen gesteckt, die vom Sattel herabhängen und ihm als Steigbügel dienen. Ueber die rechte Schulter ragt die lange mit Steinschloss versehene Flinte, in der linken Hand hält er den unvermeidlichen Tschibuk. Zu beiden Seiten des Sattels baumelt je ein Paar fest an den Füssen zusammengeschnürter Hühner und an dem Schwanze des Pferdes ist an einem Stricke ein Schaf angehängt, das meckernd und widerwillig hinterherläuft. Hinter dem Schafe wandelt die Domachizza. Ein bis an die halben Waden reichendes auf der Brust offenes Hemd, ein eben solcher leinwandener Unterrock und ein langes Kleid von weissem,[92] selbst gewebtem Schafwollstoffe, das, da es vorne ganz offen ist, eine entfernte Aehnlichkeit mit einem riesigen Frack hat, ist ihre Bekleidung. Auf dem Kopfe trägt sie ein rundes Gefäss von dünnem Holze, das einer Schachtel ohne Deckel und Boden gleicht, über dasselbe ist ein weisses Tuch unter dem Kinn zusammengebunden. Am linken Arme hängt ihr ein Körbchen mit Eiern, in dem bunten Gürtel, der sich um ihre Hüfte schlingt, steckt ein langes in einen Dreizack auslaufendes Holz, das ihr als Rocken dient und einen Busch Schafwolle trägt. In der rechten Hand hält sie ein mit einer kleinen Scheibe versehenes rundes Holz, das sie mit den Fingern in drehende Bewegung setzt. So spinnt sie während des ganzen Marsches. Mit ihr laufen zwei Kinder von acht bis zwölf Jahren. Man weiss nicht, ob es Knaben oder Mädchen sind, denn ihre Bekleidung besteht gleichmässig aus einem langen Hemde, einem rothen Gürtel und einem gleichfalls rothen Käppchen. So ziehen sie fünf Stunden weit zu Gericht, nach Sign, zuerst im Morgengrauen, dann in der sengenden Sonnenhitze, ohne je Halt zu machen, ohne ein Wort zu sprechen, der Mann zu Pferd und rauchend, das Weib hinter ihm ausschreitend und spinnend. So sind die Familien mit Kind und Kegel herangezogen von allen Seiten zum Gerichtstage und so haben sie sich zusammengefunden vor der Prätur in Sign. – – –
Es schlägt neun Uhr und der Gerichtsdiener schiebt sich etwas beiseite, um die Leute einzulassen. Flinte, Pistolen, Handjar und Messer werden jedem Einzelnen abgenommen und aufbewahrt, dann treten sie in das weite Vorgemach des Gerichtshauses. Die Männer wickeln sich langsam den Turban vom Kopfe, um beim Eintritte in das Zimmer auch die rothe Kappe abnehmen zu können, – die Weiber, die allenfalls vorgeladen sind, nehmen das Körbchen mit den Eiern mit sich. Die Männer rauchen, die Weiber spinnen.
Die Thüre des Zimmers öffnet sich und der Gerichtsdiener ruft in die Versammlung: »Mate Vucenovich!«
Zwei baumstarke Morlaken, wahre Hünengestalten, erheben sich gleichzeitig von der um das Zimmer laufenden Bank und antworten: »Evo!«36
Der Gerichtsdiener wirft einen Blick auf das Blatt Papier, das er in den Händen hält, und ruft abermals, indem er sich deutlicher erklärt: »Mate Vucenovich, Sohn des Ilia!«37
Abermals antworten ihm die beiden kräftigen Stimmen: »Evo!«
Das ist dem Gerichtsdiener wohl schon häufig vorgekommen. Sämmtliche Einwohner des Dorfes Vucenovich heissen nämlich Vucenovich, beide Vorgeladenen heissen Mate38 und beider Väter hiessen Ilia. Es ist ein verwickelter Fall, aber der Mann weiss sich zu helfen. »Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, Sohnes des Ante!« erschallt der an die Bibel mahnende Ruf, – und dies Mal ist es nur Einer, der ihm antwortet.
Der Prätor hat einen Uniformrock auf dem Leibe und eine schwarze Sammetmütze auf dem Kopfe. Er ist zufälligerweise nicht Pascha, sondern Patriarch. Darum empfängt er den Kläger mit einem derben Schlag auf die Schulter und fragt ihn, wie sich die Ernte angelassen. Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, Sohnes des Ante fühlt sich überaus geehrt durch solchen Empfang und hegt überdies die Meinung, dass ein Prätor, der ihn so vertraulich empfängt, ihm unmöglich Unrecht geben kann. Darum steckt er seinen Tschibuk verkehrt zwischen Haut und Hemde in den Rücken, so dass die Pfeife gleich einem Wahrzeichen über seinem halbrasirten Kopf hinaussieht und fängt an den Casus zu erklären. Der Prätor lässt ihn ruhig aussprechen und gibt ihm immer Recht. Und da er fertig ist, wird wieder die Thüre geöffnet und dies Mal der »Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, Sohnes des Pave«39 gerufen.
Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, Sohnes des Pave, wird bei seinem demüthigen Eintreten ganz wie sein Widersacher von dem Prätor empfangen. Ganz wie dem Ersteren nickt ihm der Prätor seine Zustimmung bei jedem Absatze der langen Rede zu, und ganz wie jener möchte Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, Sohnes des Pave, darauf schwören, dass Gospodine Prätor, der so freundlich mit ihm ist, ihm unmöglich Unrecht geben könne. Soweit verläuft alles hübsch ruhig und friedlich. Als aber jetzt der erste Mate dem zweiten Mate antworten will, erheben Beide ihre mächtigen Stimmen, dass die Fenster klirren, und wer an derlei Scenen nicht gewöhnt wäre, wie es der Prätor ist, der würde kaum glauben, dass es ohne Mord und[94] Todtschlag abgehen könne. Das käme vielleicht auch vor, aber Pistolen und Handjars und Messer ruhen beim Gerichtsdiener!
Jeder Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, behauptet unter grässlichen Flüchen, dass er die Gerechtigkeit seiner Sache feierlich beschwören könne. Jeder von ihnen lässt Drohworte ertönen, zwischen denen man ordentlich die Pistolen knallen hört und den Handjar blitzen sieht.
Da legt sich der Prätor in's Mittel. »Wem hat das Feld gehört, ehe Ihr es zu bearbeiten anfingt?«
Beide verstummen.
»Ich glaube, Ihr lasst die Marksteine stehen, wo sie sind,« sagt der Prätor, »und wenn Ihr nicht in Ruhe und Frieden nach Hause geht, so werden wir im Steueramte fragen, wem eigentlich das Feld gehört. Seid Ihr's zufrieden?«
Die Köpfe der beiden Mate hängen zu Boden, ihre Zöpfe richten sich auf.
»Brate,«40 sagt Mate Vucenovich des Ilia und des Ante zum Mate Vucenovich des Ilia und Pave, willst Du Frieden machen? Ich gebe ein Lamm und Du gibst den Wein, willst Du?«
»Brate, Du hast Recht,« antwortet der Enkel des Pave und sie umarmen und küssen sich und möchten auch dem Prätor in ihrer Freudenbegeisterung dasselbe thun, der sich aber hinter den Tisch zurückzieht.
»Falavi, Falavi, Gospodine Pretur,«41 tönt es von Beiden und unter linkischen Bücklingen entfernen sich die versöhnten Widersacher aus der Gerichtsstube. – – –
Es kommt aber ein Nachspiel. Die beiden Weiber der beiden Mate drängen sich über die Stiege hinauf. Sie halten Jede ein Körbchen Eier in der Hand und Jede von ihnen zieht ein meckerndes Schaf an einem Stricke nach sich. Das wollen sie dem Prätor für sein Urtheil schenken und deswegen haben sie beides mitgebracht. Sie drängen sich auch richtig in's Gerichtszimmer, aus welchem sie jedoch der Prätor hinauswerfen lässt, die Weiber, die Schafe und die Eier.
Die Marksteine bleiben aber wo sie sind und morgen ist grosses Gastmahl in Vucenovich, gegeben von Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, Sohnes des Ante und von Mate Vucenovich, Sohn des Ilia, Sohnes des Pave.
Ehrsame Frauen, sowie nicht minder Jungfrauen, bei denen die Sittsamkeit als selbstverständlich vorausgesetzt wird, mögen ohne alle Scheu diese bescheidenen Zeilen zu Ende lesen, sie werden, wenn auch ein türkisches Schnupftuch den Gegenstand derselben bildet, keineswegs darin jener verfänglichen Ceremonie oder gar der Folgen dieser letzteren Erwähnung finden, die einem althergebrachten, darum aber nichtsdestoweniger unwahren Gerüchten zufolge zwischen Sr. Majestät dem Sultan und seiner jeweiligen Auserwählten stattfindet und deren an und für sich höchst unschuldige Einleitung in dem Zuwerfen eines Schnupftuches besteht.
Ich sehe es noch vor mir, ein langes und schmales Stück durchsichtigen Gewebes, den Rand mit sonderbar krausen, tausendfach verschlungenen Arabesken bedeckt, die eine kunstgeübte Frauenhand in Seide darauf gestickt! Gold- und Silberfäden schlängeln sich, als ob sie verfolgt würden, in sichtbarer Hast durch das farbenglühende Labyrinth, um nach langer Suche ihren glitzernden Lauf wieder da aufzunehmen, wo sie ihn eigentlich enden sollten. Und was mich durch das feine Gewebe anblickt, sind viele, viele unschuldige Kinderaugen, die, überrascht und erschreckt vom ersten Anblicke der Aussenwelt, es noch nicht ahnen können, dass die wirren, von dem gleissenden Silberfaden durchschlungenen Windungen der krausen Arabesken ein Bild ihres eigenen zukünftigen Erdenwallens seien.
Wie ich das Schnupftuch erhalten und was daraus geworden, das will ich klar und bündig erzählen.
Von einem langen und beschwerlichen Ritte ermüdet, hatte ich die ganze Nacht so fest geschlafen, dass weder der empfindliche Frost, noch die dicken Regentropfen, die durch die Risse meines Schlafgemachs eindrangen,[96] mich hatten erwecken können. Was Kälte und Nässe nicht vermocht hatten, das bewirkte aber die kräftige Stimme meines Wirthes vor der Thüre des Gemaches mit ihrem »Dobro dan, gospodine«!42 Die Thüre öffnete sich und vor mir stand, mir die Hand nach abendländischer Weise zum Grusse bietend, eine hohe, etwas vorwärts gebeugte Gestalt, von deren Schulter ein langer dunkelrother Mantel in malerischen Falten bis zur Erde floss. Auf dem von der Stirne bis zum Scheitel rasirten Kopfe sass der Fez, der rückwärts eine Fülle blonden Haares herausgleiten liess; dunkle, von scharfgezeichneten Augenbrauen beschattete Augen, ein kleiner Schnurrbart in dem offenbar nicht mehr als fünfundzwanzigjährigen Gesichte, eine reich mit Gold gestickte blaue Jacke, ein paar Pistolen und ein langes Messer in dem buntseidenen Gürtel, weitfaltige rothe Beinkleider und die nackten Füsse in gelbledernen Pantoffeln – das war mein Hauswirth und Freund Mahmud Firdus Beg.
Mein Aufenthalt in Sign hatte mir die Gelegenheit verschafft, Mahmud Firdus Beg's Bekanntschaft zu machen. Einmal einen lebendigen türkischen Pascha zu sehen, war immer meine Jugendsehnsucht gewesen. Nun war mein Freund Mahmud zwar kein Pascha, wohl aber der Sohn eines solchen, eines Paschas, der in den Vierziger-Jahren als Gouverneur von Bosnien bei einer kleinen Revolution ermordet worden war. Der alte Firdus mochte gut und echt türkisch gewirthschaftet haben, denn er hinterliess seinem Sohne Mahmud ein Besitzthum, gross genug, um mit seinem Erträgnisse besser leben und mehr Aufwand machen zu können als irgend ein anderer bosnischer Grundbesitzer. Mahmud Firdus Beg suchte aus seinem ausgedehnten Besitze so viel herauszuschlagen als nur immer möglich; er lieferte Baumrinde, Harz und Eicheln aus seinen Wäldern, Getreide von seinen Feldern und Häute nach Spalato an irgend einen pfiffigen Griechen, der natürlich das Menschenmöglichste that, ihn zu übervortheilen; er hielt sich ein Heer von faullenzenden, in Roth und Gold gekleideten, bis an die Zähne bewaffneten Dienern, einen prächtigen Marstall, – hatte aber nur eine Frau in seinem Harem, denn Mahmud Firdus Beg war ein aufgeklärter Türke, oder wollte wenigstens für einen solchen gelten; darum richtete er sich nach dem Grundsatze: »Je weniger Weiber, desto mehr Aufklärung« – und machte jährlich eine Reise – mindestens bis Triest.[98] Einmal war er sogar in Wien, »u becu«, wie er mir slavisch erzählte, aber dort gefiel es ihm nicht.
Wenn man vom Schicksale dazu auserlesen ist, in einem Orte wie Sign, dem nordöstlich von Spalato und nahe an der türkischen Grenze gelegenen Vororte der eigentlichen Morlakei, zu leben, so ist man eben nicht wählerisch in seinem Umgange. Und so war Mahmud Firdus Beg mein Freund geworden und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mich jedesmal zu besuchen, so oft er bei seinen häufigen Reisen nach oder von Spalato Sign passirte. Bei dieser Einkehr hatte ich ihn auch meiner Frau vorgestellt und so kam es, dass er vorläufig unser Gast war und durch sein mit nahezu kindischer Urwüchsigkeit vorgebrachtes Geplauder uns über die Eintönigkeit so mancher Abendstunde hinweghalf.
Einmal überraschte er uns, indem er gegen alle türkische Sitte uns Grüsse von seiner Frau und die Ankündigung überbrachte, dass dieselbe seit Wochen mit dem Sticken eines Schnupftuches für meine Ehegesponsin beschäftigt sei. Zugleich lud er mich ein, ihn selbst einmal zu besuchen, oder vielmehr die Reise in seiner Gesellschaft zu machen und das erwähnte Schnupftuch abzuholen. Seine Frau, meinte er, könnte ich allerdings nicht sehen, weil die türkischen Sitten das nicht zugäben; selbst das Haus, in welchem er mit seiner Frau wohne, dürfte ich nicht betreten, dafür aber würde er mir das Gebäude zeigen, das er für seine Dienerschaft errichtet, den Stall, seine Aecker und, wenn ich wollte, auch seine Wälder.
Mich hatte es schon lange verlangt, einen Blick in die bosnische Wildniss zu werfen, und so nahm ich die Einladung nicht ungern an.
Am darauffolgenden Tage waren wir kurz nach Mittag aufgebrochen, hatten über das Gebirge Prolog, über welches damals, in den Sechsziger-Jahren, noch keine Strasse führte, bergauf, bergab, durch zerrissenes Felsengeklüfte einen halsbrechenden Ritt gemacht, waren bei Einbruch der Nacht in der weiten, wasserdurchzogenen Ebene von Livno angekommen, rasteten in einem türkischen »Han«, in welchem wir nichts als schwarzen Kaffee und Feuer für unsere Tschibuks fanden, wurden in pechfinsterer Nacht von den Wolfshunden einer Schafheerde angegriffen, von denen Mahmud ohneweiters einen niederschoss, und kamen endlich bei dem einsam liegenden Besitzthum meines Freundes an, als ich, von der Kälte der Octobernacht und dem fein herabrieselnden Regen halb erstarrt, mich kaum noch auf meinem Pferde halten konnte und schon sämmtliche Türken, gestickte[99] Schnupftücher und bosnische Ebenen in das Land verwünscht hatte, wo der Pfeffer wächst.
Ein Dutzend in rothe, goldgestickte Jacken und blaue Pumphosen gekleidete Gestalten, von denen jede eine Kienfackel schwang, empfing uns vor einem thurmähnlichen Gebäude, dessen unterstes Geschoss dem Geruche nach einen Pferdestall zu enthalten schien, und geleitete uns über eine hölzerne, von Aussen angebrachte Treppe in ein vollkommen kreisrundes Gemach, das von einer in der Mitte desselben aufgehängten Oellampe und von dem Feuer erleuchtet wurde, welches in einem offenen Camine flackerte. Vor letzterem kniete ein martialisch aussehender graubärtiger Türke, – wie ich später erfuhr, ein ehemaliger türkischer Gendarm, – und kochte in einer grossen kupfernen Pfanne Kaffee. Rund um die roh angeworfene Wand lief ein gegen dieselbe sanft aufsteigender Bretterboden, der mit grossen Teppichen bedeckt war – der Dienerschaft Lagerstätte – und zahlreiche, wirr durcheinandergeworfene Polster dienten als Kopfkissen.
Die Diener – ich zählte deren sechsundzwanzig – nahmen mir und ihrem Herrn die Reisekleider ab und präsentirten Jedem von uns einen Tschibuk. Mahmud Firdus Beg nahm auf zwei übereinandergelegten Polstern in der Mitte des Zimmers mit untergeschlagenen Beinen Platz und lud mich mit höchst würdevoller Handbewegung ein, das Gleiche zu thun. Hierauf credenzte uns der Graubart auf einer grossen silbernen Untertasse zwei winzige Becher mit schwarzem Kaffee und bediente sodann ebenso der Reihe nach sämmtliche Diener, welche, nachdem wir uns gesetzt hatten, mit der grössten Ungenirtheit ihre Tschibuks zur Hand nahmen und rauchten, als ob sie unter sich wären.
Während ich noch mit Interesse das Gemach, meine Umgebung und die prächtigen Waffen musterte, die an der Wand hingen, überraschte mich mein Freund und Gastwirth mit der sehr unangenehmen Bemerkung, dass es bei ihnen nicht Sitte sei, des Abends etwas anderes als schwarzen Kaffee zu nehmen, dass er jedoch hoffe, ich werde mir morgen das – Mittagmahl desto besser schmecken lassen. Das war allerdings ein sehr windiger Trost für meinen knurrenden Magen, aber ich konnte, um nicht unhöflich zu erscheinen, nichts anderes thun, als mich in das Unvermeidliche fügen und sofort mein Schlafgemach aufzusuchen. Mahmud schritt voran, steckte vor der Thüre seine blossen Füsse wieder in die gelben[100] Pantoffel, die er draussen stehen gelassen und führte mich mit ruhig feierlichem Wesen, als ob sich von Augenblick zu Augenblick ein Prachtgemach meinen erstaunten Blicken darbieten sollte, über eine zweite wacklige Treppe in einen Raum, der dem inneren Theil einer Kuppel ähnlich sah und der, wenn er die eine oder andere lückenartige Oeffnung gehabt hätte, für ein Taubenhaus hätte gehalten werden können. So aber konnte ich ausser der Thüre, durch die wir eingetreten, keine Oeffnung bemerken, als die fingerbreiten Risse in den Bretern, aus denen dieses Denkmal neutürkischer Baukunst gezimmert war, und durch welche der Regen hereinfliessen sollte, der mich windelweich durchnässte. Und drum war ich ganz froh und glücklich, als mich des anderen Tages der frühe Morgengruss meines Freundes Mahmud Firdus Beg weckte.
Ich sprang auf und folgte der Einladung meines Gastwirthes, im Gelasse der Diener den Morgenkaffee einzunehmen, der uns wieder von dem graubärtigen Türken unter Zugabe des obligaten Tschibuks geboten wurde. Mahmud sagte mir während des Frühstücks in gebrochenem Italienisch – um von den Dienern nicht verstanden zu werden – dass seine Frau ihm aufgetragen, mir Grüsse an meine Frau aufzugeben, und dass sie der Letzteren vielmals für das Zuckerwerk danke, welches ich ihr in einer grossen Schachtel, die während unseres Rittes an dem Sattelknopfe des Pferdes eines der Diener baumelte, mitgebracht hatte.
Unterdessen wieherten die Pferde, die unten vor der Stiege für uns bereit standen, um einen Ritt durch die Besitzung meines Gastfreundes zu machen.
Traurig und öde genug war das, was sich meinen Augen bot – langgestreckte, stundenweit sich ausdehnende Gründe, die nicht bearbeitet waren und die nicht werden besäet werden, bis eine andere als die türkische Regierung über das Wohl und Weh jener jungfräulichen Länder zu entscheiden haben wird – prächtige Eichenwälder in ungebrochenem Bestande, in denen hie und da die alten Baumriesen todt und halbverfault auf dem Boden lagen, während aus ihrem ehrwürdigen Leibe ganze Generationen jungen Nachwuchses hervorspriessen – ungeschlachte, elende, halbnackte Bauern, beinahe durchwegs bosnische Christen (wie ihr Anzug wies), deren Verkommenheit ihnen kaum erlaubt, dort des Lebens dringendste Nothdurft einzuheimsen, wo der Natur verschwenderisch ausgestreute Fülle sich ihren blöden Augen bietet – elende Lehmhütten über[101] die Ebene sparsam zerstreut, in deren jeder eine ganze Familie mit ihrem Viehstande haust – über das Ganze die grauen Regenwolken eines trüben Octobertages, einförmig, schier endlos ausgespannt über die weite Ebene und durch nichts unterbrochen, als durch eine unzählbare Menge schwarzer Punkte, – Falken, die, ruhig an einer Stelle schwebend ihres Raubes harrten!
Und wie wir so dahinsprengten durch die düstere Landschaft, mein Wirth auf seinem Rappen mit dem im Winde von seinen Schultern flatternden dunkelrothen Mantel, ich mit trüben Gedanken die trostlose Wirthschaft betrachtend und hinter uns ein kleiner affenartig aussehender Mohr auf unmässig hohem Gaule, da schien es mir selbst beinahe, als ob wir nicht von Fleisch und Blut wären, sondern als gespenstische Reiter in den Wind hinein ritten über die unabsehbare, öde Ebene.
Was ich sonst noch im Heim Mahmud Firdus Beg's gesehen, wie wir gegessen und was wir gesprochen, übergehe ich, um endlich zum Schnupftuche zurückzukehren und zu berichten, was mit demselben geschehen ist.
Nun, die Sache verhält sich viel einfacher als meine Leser vielleicht nach so langer Einleitung voraussetzen mögen. Meine liebe Frau hat mir acht Kinder geschenkt, unser Herrgott erhalte sie! Die beiden Aeltesten sind Dalmatiner, haben aber bisher noch Keinem die Nase abgeschnitten; die späteren sind anderwärts zur Welt gekommen – Alle aber wurden mit des Türken Schnupftuch zugedeckt, als man sie zur Taufe trug. Es war auch das Beste, was man mit dem farbenschillernden Nichts thun konnte, denn zum Nasenreinigen nach abendländischen Begriffen taugte es einmal durchaus nicht. Anders freilich ist's bei einem Türken; der benützt die Hand dort, wo wir ein Schnupftuch brauchen und reinigt sie dann an dem seidengestickten Gewebe.
Als aber mein achtes Kind zur Taufe getragen war und eine holdselige und wunderschöne Dame Pathenstelle bei demselben vertreten hatte, da wickelte ich Mahmud Firdus Beg's Tuch fein säuberlich zusammen, ging zur schönen Pathin und sprach: »Verehrte, gnädige Frau! Wenn in alten Zeiten ein Raub- oder anderer Ritter nach langen Kreuz- und Querzügen, nach so und so vielen Schlachten und Gefechten heimgekehrt war in seine Burg, da pflegte er wohl Waffen und Rüstzeug zu nehmen und sie vor irgend einem mehr oder weniger wunderthätigen[102] Gnadenbilde aufzuhängen. Ich bin kein Ritter und habe weder Waffen noch Rüstzeug – aber nachdem bereits mein achtes Kind mit diesem farbenbunten Gewebe auf seinem ersten Gange zur Kirche verhüllt gewesen, erlaube ich mir, Ihnen Mahmud Firdus Beg's Schnupftuch zu Füssen zu legen.«
Die holdselige und wunderschöne Dame erröthete ganz prachtvoll und sagte mir, ich möge meine Frau recht herzlich grüssen. Ihr Lächeln schwebt mir aber noch heute vor.
Es war mir nach und nach eine dunkle Idee aufgedämmert, als ob der arabische Hengst, der mich in gleichmässigem, langgestrecktem Galop durch das Thal von Livno trug, viel edler sei als ich selbst. Mein Begleiter und neuerworbener türkischer Freund Mahmud Firdus Beg hatte mir wenigstens die letzte halbe Stunde von nichts gesprochen, als von dem Adel des Thieres unter mir, und Mesrour – so hiess der edle Hengst – hatte jedesmal die Ohren gespitzt so oft er seinen Namen aussprechen hörte. Mich nahm das, offen gesagt, nicht im mindesten Wunder, weil es mir bekannt war, dass vorzugsweise in Pferdeställen derlei genealogisches Selbstgefühl zum Ausdrucke kommt.
Der Octobertag war wunderbar schön. Die Gipfel des hohen, zu unserer Rechten liegenden Berges Prolog, den ich Tags zuvor überschritten, waren in leichte Nebelschleier gehüllt, die, ab und zu vom Winde gehoben und verschoben, sich dann wieder an anderer Stelle über die Hänge des Berges fein und duftig herabsenkten. Zwischen durch schimmerte das kräftige Roth und Braun der im Herbstschmucke prangenden Wälder und durch das struppige Unterholz durch, über das rauhe Gestein herab sprangen und stürzten kleine Wildbäche, die sich dann in der breiten grünen Thalsohle sammelten und sie gleich breiten Silberbändern durchzogen. Dass sie dort tief genug und frisch genug waren, das hatte ich am vorigen Abende erfahren, als ich, von Sign in Dalmatien kommend und gegen die Behausung des Mahmud Firdus Beg reitend, eines dieser Flüsschen zu Pferde passirte und mein Thier plötzlich anfing zu schwimmen, so dass mir das Wasser bis unter die Arme reichte.
Zu unserer Linken begleitete uns eine andere Kette von Bergen – ebenfalls Ausläufer der dinarischen Alpen – die vom Gipfel bis weit[104] herab in die Ebene mit prachtvollen Wäldern bedeckt sind, und vor uns dehnte sich das lange Thal, an dessen südlichem Ende Livno, das Ziel meiner heutigen Reise, lag.
Mahmud Firdus Beg sagte mir, dass der grössere Theil jener Wälder, die auf dem Berge aus Eichen und Buchen, am Fusse desselben aus Aepfel-, Kastanien- und Zwetschken-Bäumen bestehen, sein Eigenthum sei. Auch der Grund und Boden, auf dem wir dahinritten, sei sein Eigenthum. Aber es trage nicht viel. Er hat wohl im Walde mehrere Brettermühlen durch einen Croaten bauen lassen und füttere mit dem Ertrage der Obstbäume grosse Heerden von Schweinen, doch bekäme er für Schweine sowohl als Bretter sehr wenig Geld, denn in Bosnien kaufe sie Niemand, und bis sie auf den Markt nach Sign oder Spalato kommen, haben die Kosten des Transportes den Werth der Waare verzehrt. »Am besten bezahlen sich noch die Schweine, denn diese kaufen zuweilen auch unsere Giauren – wenn sie Geld haben,« fügte Mahmud Firdus Beg hinzu, indem er zugleich feierlich ausspuckte, aber nicht nach der Seite, auf welcher ich ritt, denn dazu war er zu höflich und dann war ich auch sein Gastfreund.
Vielleicht hatte ihn auch der Anblick der vier Rajahs – bosnischen Christen – welche abseits unseres Weges um ein kleines Feuer sassen und ganze Maiskolben an demselben brieten, zu dieser symbolischen Gefühlsäusserung veranlasst. Die Leute standen auf, als wir uns ihnen näherten, und grüssten demüthigst auf türkische Art, indem sie mit der rechten Hand Brust, Mund und Stirne berührten. Mahmud Firdus Beg lachte ihnen hämisch entgegen, liess aber den Gruss unerwidert.
Ich habe mich später erkundigt, woher Mahmud Firdus Beg zu seinem Reichthum und zu dem Titel Beg, der ja eine Art Adelstitel ist, gelangt sei. Für Beides hatte man in echt türkischer Anschauungsweise nur Eine Erklärung: Der Vater des Mahmud Firdus Beg war einst Gouverneur von Bosnien. Daher der Titel, daher der Reichthum. Er hatte die Rajahs so lange geschunden und geplagt, bis sie in ihrer Verzweiflung sich einmal empörten und ihn, wie schon einmal erwähnt, ermordeten. Da ging der Titel Beg und der Reichthum auf seine beiden Söhne über und so ward Mahmud Firdus zum Beg und kam in den Besitz all der prachtvollen Wälder, die sich auf den Hängen der dinarischen Alpen zur Rechten und Linken hinzogen. Der Boden, auf dem wir ritten, gehörte nicht weniger dem Mahmud Firdus Beg. Hin und wieder war ein Stückchen[105] desselben roh bearbeitet und zeigten gelbe Stoppeln oder kleine aus den Wurzeln getriebene verspätete Pflanzen, dass da Weizen oder Tabak gebaut und eingeheimst worden war.
Es hat mit dem Bodenbau sein eigenes Bewandtniss in Bosnien. Der Grund und Boden gehört niemals Jenem, der ihn bebaut. Die Begs – gewöhnlich Nachkommen der im siebzehnten Jahrhunderte zum Islam übergetretenen slavischen Adelsgeschlechter – haben den Boden durch einfache Besitznahme, zuweilen auch durch Mord und Raub erworben. Zuweilen ist das Besitzrecht auch der Preis für den seinerzeit erfolgten Uebertritt zum Islam. Ein Kataster, ein Grundbuch, eine nachweisbare oder ersichtliche Besitzgrenze gehören in den Ebenen und auf den Bergen Bosniens zu den unbekannten Dingen. Der Bauer – Grieche oder Katholik, aber immer Slave – dessen elende Hütte in einer der in den Berg hineinlaufenden Mulden steht, hat Weib und Kind, aber nichts zu essen. Darum spannt er, wenn das Frühjahr gekommen, seine Ochsen ein und bearbeitet ein Stück Land. Das bestellt er mit Getreide oder Tabak und nährt sich bis zur Ernte kümmerlich von halbwilden Früchten und in der Asche gebratenen Maiskolben. Vielleicht hat er auch ein Paar Hammel – dann gehört er schon zu den Wohlhabenden. Kommt nun die Zeit der Ernte, so steht es ganz in der Hand des Begs, ob er selbst oder der Bauer dieselbe heimbringen soll. Vergleicht sich der Bauer mit dem Beg – leistet er von der Ernte dem Beg eine Abgabe, die dessen Ansprüchen genügt, so kann er sich den Rest nach Hause schaffen und hat bei der ausserordentlichen Fruchtbarkeit des beinahe jungfräulichen Bodens und bei seiner unglaublichen Mässigkeit die nöthige Atzung bis zum nächsten Jahre. Gelingt es ihm aber nicht, sich mit dem Beg zu vergleichen, so erklärt dieser einfach, dass der Grund und Boden sein Eigenthum sei, dass der verfluchte Giaur ohne jede Erlaubniss denselben bebaut habe und lässt die Ernte durch seine Diener heimführen. Zuweilen kommen auch noch andere Verhältnisse mit in's Spiel.
Die bosnischen Türken machen von ihrem Rechte zur Vielweiberei nicht immer oder nur einen sehr mässigen Gebrauch. Sie sind eben der Abstammung nach keine Moslems und finden schwer die nöthige echt orientalische Gelassenheit, die dazu gehört, es mit mehr als einem Weibe auszuhalten. Aber die Bauern, die Giaurs, haben oft hübsche Weiber und erwachsene Töchter und – der Beg ist der Herr! Da kommen oft Meinungsverschiedenheiten[106] vor und ich sollte heute noch eine kleine Probe davon sehen.
Der österreichische Consular-Agent in Livno war, wie mir bekannt, nach Mostar gereist und der Mudir, die höchste obrigkeitliche Person in jener Stadt, hatte mir Tags zuvor durch einen Diener Mahmud Firdus Begs seinen Gruss entbieten lassen und mich eingeladen, ihn zu besuchen. Seit mehr als einer halben Stunde schon zeigte sich uns im Süden der Ebene auf einem Hügel, der wie ein Vorgebirge in dieselbe hineinragte, das alte zerfallene Castell, um welches herum die Stadt Livno liegt. Wir mussten einen kleinen Umweg machen, weil gerade vor uns eine zahlreiche Heerde von riesigen Büffeln weidete, durch welche zu reiten sehr bedenklich gewesen wäre. Als wir in einem kleinen Halbkreise um dieselben herum geritten waren, befanden wir uns auch am Fusse der Anhöhe und unmittelbar vor den ersten erbärmlich gebauten Häusern der Stadt. Mahmud Firdus Beg stemmte das Pfeifenrohr auf den rechten Schenkel und stiess seinem Pferde die scharfen tellerartigen Bügel in die Weichen. Ein Türke reitet nie anders in eine Stadt als im Galop. Und so sprengten wir denn den mit runden Steinen gepflasterten Weg im scharfen Galop bergan, dass die Funken stoben und das Pferd eines unserer Diener elend auf Knie und Nase stürzte, während der Reiter über den Kopf desselben ein paar Schritte weit bergauf flog.
Vor einem altertümlichen einstöckigen Gebäude machten wir Halt. Dasselbe war aus Quadern gebaut, hatte im Erdgeschosse auf kurzen starken Säulen ruhende Laubgänge und war offenbar nicht türkischen Ursprungs. Es mochte wohl noch aus dem vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert stammen, als die Slaven Herren des Landes waren und italienischer oder deutscher Kunstsinn auch auf ihre Bauten seinen Einfluss übte. Dass es jetzt in türkischen Händen ist, dafür zeugten die Rundbogenfenster des ersten Stockwerkes, die zur Hälfte mit roh behauenen Steinen vermauert waren.
Wir übergaben die Pferde den Dienern und schritten die sehr schmutzige Wendeltreppe hinan. Vor der Thüre entledigte sich Mahmud Firdus Beg seiner gelben Reitstiefel, und schritt, ohne anzuklopfen, in das Zimmer – mir als einem fremden »Effendi« war es gestattet meine Fussbekleidung zu behalten.
Ein grosses Gemach mit zwei Thüren und einem breiten Fenster. An der einen Seite desselben ein hoher schwerer, aus irgend einem schönen[107] Holze ohne jede Kunstfertigkeit gezimmerter Glaskasten, in welchem Pistolen, Gewehre, Handjare, dann mit Silber beschlagene Kopfgestelle für Pferde hingen und der die eine Wand des Zimmers vollständig einnahm. Längs der anderen drei Wände ein niederer, sanft gegen die Mauer aufsteigender Bretterverschlag, ähnlich den sogenannten Pritschen unserer Wachstuben, mit Teppichen belegt, auf demselben eine grosse Menge von Pölstern: der Divan. Ueber dem Steinboden des Zimmers ein sehr schöner Teppich. Von sonstigen Einrichtungsstücken keine Spur. Das war das Amtszimmer des Mudirs von Livno.
Der Mudir selbst sass mit unterschlagenen Beinen gerade der Thüre gegenüber auf dem Divan und hatte den Schlauch einer türkischen Wasserpfeife – des Nargilés – in der Hand, mit dessen Mundstück er nachlässig spielte. Rothe Pumphosen, ein rothes silberverziertes Leibchen und über demselben eine grüne, mit Silberknöpfen verzierte und mit Pelz ausgeschlagene Jacke bildeten seine Bekleidung. Auf dem Kopfe trug er einen Fess ohne Turban, die Füsse waren nackt. Neben ihm sass ein anderer – ein »civilisirter« Türke. Er war mit schwarzen Pantalons und einem schwarzen verschnürten Rock bekleidet, wie ihn die Beamten in Konstantinopel zu tragen pflegen. Auch trug er lackirte Schuhe und rauchte keinen Tschibuk, sondern eine Cigarrette. Das ist die türkische Civilisation, wie sie im Buche steht. Beiläufig gesagt, erfuhr ich später, dass der »civilisirte« Türke aus Konstantinopel gekommen war, um die Steuercasse des Mudir zu scontriren und bei dieser Gelegenheit einen Abgang von zweihunderttausend Piastern gefunden habe. Ob der Mudir die Summe ersetzte oder nicht, ist mir nicht bekannt geworden, nur erfuhr ich, dass er später in Folge dieser kleinen Unregelmässigkeit nach Damascus versetzt wurde. Da ein Mudir Ortsvorstand, Steuereinnehmer, Richter und politische Behörde – alles in Einer Person – ist, so lässt sich die rücksichtsvolle Behandlung eines so wichtigen Beamten wohl erklären.
Der Mudir und sein Gast grüssten uns höflich ohne aufzustehen, und nachdem wir Beide Platz genommen, bot mir, als dem fremden »Effendi«, der Mudir den Schlauch seines eigenen Nargilés an, während er sich selbst einen Tschibuk geben liess. Da gerade eine gerichtliche Verhandlung vorgenommen werden sollte, ersuchte mich der Mudir, ihm zu erlauben, dass er dieselbe beendige, worauf er mir zu Diensten stehen, oder – wie er sich ausdrückte – sich meiner Anwesenheit erfreuen wolle. Darauf klatschte[108] er in die Hände und zwei Diener traten ein. Der eine derselben zog aus dem Gürtel ein kleines metallenes Tintenzeug, das er stehend seinem Gebieter hinhielt, der Andere schob einen sehr defect gekleideten alten Bauer vor sich her, der einen durchlöcherten Fess in den Händen hielt, während von seinem von den Schläfen bis zum Scheitel glattrasirten Kopf rückwärts ein dünner Zopf herabbaumelte. Ein Mädchen im Alter von dreizehn oder vierzehn Jahren folgte. Sie trug weite Pumphosen von blauer Leinwand, keine Schuhe oder Strümpfe, und ein enges, vorne offenes gleichfalls blaues Jäckchen. Zwei prachtvolle braune Zöpfe hingen ihr fettgetränkt über den Schultern. Hände und Füsse waren roth vom Einflusse der wechselnden Witterung und vielleicht der schweren Arbeit, aber ihr feingeschnittenes Gesicht war das einer Juno und ihr Wuchs der einer Hebe. Sie weinte.
Die Verhandlung spielte sich sehr glatt ab. Ein gewisser Hussein Beg hatte dem Bauer den Tabak wegnehmen lassen, den derselbe geerntet und zubereitet hatte. Dazu hatte er das Recht, denn der Tabak war auf seinem, Hussein Beg's, Grund und Boden gewachsen. Vielleicht hätte der Beg Erbarmen gehabt mit dem unglücklichen Bauer. Aber es war ein kleiner Zwischenfall dazu getreten. Die Jele (Helene), die Tochter des Bauers, hatte in der Nähe von Hussein Beg's Wohnhaus Schafe gehütet. Und als Hussein Beg Abends nach Hause kam, gab er ihr beim Absitzen die Zügel des Pferdes mit dem Auftrage, es in den Stall zu führen. Als aber Jele im Stalle war, da kamen zwei Diener des Hussein Beg und schleppten sie in dessen Haus. Des andern Morgens wurde sie entlassen und weil sie einen Bündel von Maiskolben nicht annehmen wollte, die ihr Hussein hatte verabfolgen lassen, so tractirten sie die Diener mit Faustschlägen. Tags darauf liess Hussein Beg den Tabak aus des Bauers Hütte wegschleppen, seinen, des Hussein Beg's, Tabak.
Das Alles kam umständlich und klar an den Tag. Hussein Beg war nicht zur Verhandlung erschienen, weil er vor zwei Tagen eine Reise nach Sarajevo unternommen hatte. Der Mudir befragte den Bauer und die Jele und notirte Einiges in die Schreibtafel, die er in der linken Hand hielt. Dann sprach er das Urtheil. Der Bauer musste wegen Usurpirung fremden Bodens fünfzig Piaster (fünf Gulden) Strafe zahlen. Wenn er sie nicht zahlen könne, so möge man ihm drei Hammel confisciren und da er und die Jele anfingen zu weinen, so wurden sie beide[109] zur Thüre hinausgeworfen. Dann steckte der Mudir seine Schreibtafel wieder in den Gürtel und die Diener brachten uns prächtig duftenden schwarzen Kaffee.
Es gibt viele Husseins, viele Bauern und sehr viel unbebautes Land in Bosnien. Auch haben viele Bauern hübsche Töchter, aber kein Bauer hat ein Feld, kein Bauer irgend ein Eigenthum. Wenn man darum von Unruhen in Bosnien hört, so möge man doch den richtigen Massstab anlegen und bedenken, dass Aehnliches, wie ich es jetzt erzählte, dort alle Tage vorkommt. Die Folgerungen sind dann leicht.
An ein Felsstück gelehnt, von rauhem, zackigem Gestein umgeben, sass der Antune, das verkleinerte Bild eines herabgekommenen Morlaken, und sein Bruder Ilia lag ruhig ausgestreckt zu seinen Füssen. Was den Antune im Augenblicke am meisten ärgert, ist, dass die Thonpfeife, die er zwischen den Zähnen hält, seit mehreren Tagen nicht gefüllt wurde. Männern, wenn sie Morlaken sind, ziemt zu rauchen, und Antune zählt bereits dreizehn Jahre. Ausserdem vertritt er gegenwärtig Vaterstelle bei seinem noch nicht siebenjährigen Bruder Ilia und waltet als Hausherr in dem einer Hütte ähnlichen Trümmerhaufen, der höchstens drei Stunden von hier entfernt, an dem Südhange eines steinigen Hügels steht.
Hausherren und Familienväter haben ihre Sorgen, darum denkt Antune emsig darüber nach, wie er es machen solle, um den Bruder Ilia mit dem gleichen Kleiderschmuck zu versehen, den er selbst trägt. Denn der Antune hat eine rothe Mütze und um dieselbe herum einen durchlöcherten Lappen als Turban; Antune besitzt einen kleinen Zopf, der, durch Bindfaden verlängert und mit kleinen Bleikugeln beschwert, ihm rückwärts gar stattlich herabhängt. Antune ist mit blauen, zerrissenen, türkischen Hosen und mit einer etwas zu klein gewordenen, aber grün und roth benähten braunen Jacke bekleidet; um des Antune Leib prangt ein schwerer Ledergürtel, in dem zwei mächtige Messer stecken. Antune hat eine, wenn auch leere Pfeife zwischen den Zähnen und Ilia – besitzt nur ein langes weisses Hemd und eine rothwollene Leibbinde, sonst nichts.
Ilia ist ja noch ein Kind und trank bis gestern die Muttermilch, denn ein ordentliches Morlakenkind wird nicht der Mutterbrust entwöhnt, ehe es sieben Jahre alt ist. Der Antune aber ist ein Mann, er hat aus der fünf Fuss langen Flinte seines Vaters auf Hasen und Schnepfen schon[112] mehr Pulver verschossen, als Andere von seinem Alter gesehen; er hat selbst und ganz allein schon einen Hammel geschlachtet; er wusste den schweren Holzsattel auf das alte Pferd zu legen und war mehr als einmal mit einem halben Dutzend Hühner am Sattel und einem Fluch auf der Zunge, – so oft nämlich der magere Gaul stolperte, – auf den Markt nach Sign geritten. Vor Allem ist er jetzt Hausherr und Familienvater. Mit dem erhebenden Bewusstsein des Besitzes ist aber auch die Sorge bei ihm eingezogen, denn gegenwärtig hat er nichts zu rauchen und sein Bruder nichts zu trinken; die fünf Schuh lange Flinte, seinen Stolz, haben die Gendarmen mitgenommen, und mit der Flinte den Vater und mit dem Vater die Mutter.
Dass die amtliche Wiener-Zeitung eines schönen Tages unter den von der Rinderpest heimgesuchten Bezirken auch jenen aufgeführt hatte, in welchem die halbverfallene Hütte des Grgur Staricic steht, war Letzterem ein Geheimniss geblieben, denn eine Zeitung und eine Eisenbahn waren Dinge, deren Dasein er bis jetzt nicht einmal ahnte. Ausserdem stand in gut gemessenem Umkreise von einer Stunde kein Haus in der Nähe des seinigen und da konnte Grgur Staricic nicht viel mit Nachbarn verkehren, die ihm die Neuigkeit von der Rinderpest mitgetheilt hätten. Da war aber eines schönen Tages der Harambascha43 gekommen und hatte sich zu dem Feuer gesetzt, das mitten in der Hütte am Boden flackerte. Der hatte ihm von Dem und Jenem erzählt, wie nämlich die Zeiten so schlecht und die Polenta immer seltener würde, wie aus dem nahen Bosnien herüber Räuber gekommen und eine Caravane ausgeraubt hätten, die gegen Spalato gezogen, wie der Herr Steuereinnehmer so viele Leute pfänden lasse, trotzdem im Bezirke seit Monaten die Hungersnoth herrsche und schliesslich wie allenthalben eine böse Krankheit das Vieh befalle und viele Bekannte um ihren ganzen Viehstand gekommen seien. Darauf hatte der Grgur entgegnet, wie es ihm auch nicht besser ginge, wie er vor vierzehn Tage seinen lahmen Gaul und die letzten zwei Schafe verkauft habe und nichts mehr hätte als die einzige Kuh. Bei diesen Worten hatte sein Weib, die Mande44, die bisher spinnend im Winkel gesessen, aufgeseufzt und die Bemerkung hingeworfen, dass die Kuh seit zwei Tagen nicht mehr fressen wolle und wohl krank sein müsse. Ja, – krank, und unser Herrgott besser's.
Grgur Staricic war aber ein guter Hausvater und hielt etwas auf Schick und Sitte. Darum rief er seinem Weibe, das sich unterstanden hatte, in Gegenwart von Männern zu sprechen, einen Fluch zu. Das hinderte jedoch nicht, dass er und der Harambascha hinausgingen zu der kranken Kuh, die hinter der Thür auf dem Boden lag. Und da hatte der Harambascha, der, ein sehr gescheidter Mann, sogar ein Mittel wider Schlangenbiss und Fieber wusste, gesagt, die Kuh hätte die Rinderpest und müsse erschlagen und verscharrt werden. Darüber aber ergrimmte der Grgur und schwor, er werde den Harambascha niederschiessen, wenn er ihn oder seine Kuh noch einmal verunglimpfe.
Nun, der Harambascha fluchte auch nicht wenig und ging fort, indem er seine Flinte über die Schulter warf und im Fortgehen dem Grgur einen bösen Blick zusendete. Und Tags darauf kam eine ganze Cavalcade, ein Beamter in Uniform, der Bezirksarzt und der Gerichtsdiener zu Pferde, dann zwei Gendarmen zu Fuss. Die untersuchten die Kuh und fanden sie erkrankt; der Grgur musste sie selbst schlachten und dann eine tiefe Grube graben, wobei ihm Mande und der Antune getreulich, aber grollend halfen. Da hinein wurde der Cadaver geworfen, Erde darüber gestampft und der Grgur dafür verantwortlich gemacht, dass Niemand die verpestete Grube öffne. Dann ging die Commission wie sie gekommen war.
Es war aber Weihnachten und Neujahr vor der Thür, die heilige Zeit, die sich in Dalmatien nicht in dem hellen schneeschimmernden Kleide zeigt, wie bei uns zu Hause. Wenn im Norden der Winter über die Flur streicht und die Nebelflocken hinfegen über die kalte Erde, dann schleicht oft ein zweiter falscher Frühling über die steingepanzerten Dalmatiner Berge. Die Sonne steigt dann glanzvoll aus dem feinen duftigblauen Nebel, den die Nacht über Berg und Thal gebreitet, und giesst in verschwenderischer Pracht ihre funkelnden Lichter über das gelbschimmernde Gestein. Wo den langen Sommer über die brennend heissen, kaum je vom Regen genetzten Felsen in kahler Dürre starrten, da locken jetzt die täglichen Niederschläge und die im Boden haftende Wärme eine späte Vegetation hervor, das Trugbild eines rasch vorübergleitenden Frühlings.
Für den Morlaken sind das prächtige Tage. Er kann sein Vieh auf die zerklüfteten Bergabhänge treiben, wo es nach Monaten wieder frisches Futter findet; er kann sich faul hinauslegen vor seine Hütte mit dem Pfeifenstummel im Munde, während sein Weib, das beste Lastthier,[114] das er besitzt, verkümmertes Reisig einsammelt für den Winterbedarf; hin und wieder gelingt es ihm auch, eine Gans, oder eine Ente oder sonst einen Zugvogel zu erlegen, der über die steinerne Wildniss gegen den Süden streicht, und Trinkwasser, das sein Weib den Sommer über aus einer zwei Stunden weit entfernten Pfütze nach Hause schleppen musste, das findet er und sein Vieh jetzt im Ueberfluss. In der Hütte stehen auf einem hohen Verschlage, – damit die genäschigen Ziegen nicht dazu gelangen, – ein Paar Säcke mit Moorhirse und Mais, sein Brod für den Winter; mit dem Gelde, das er für einen Hammel erhalten, hat er die Steuern gezahlt; einige Ziegen und Schafe, vielleicht auch ein Schwein, theilen mit ihm das schützende Dach seiner Hütte und schützen ihn und die Seinigen den Winter über vor Hunger.
Freilich stört dann die eisige Bora manchmal sein Stillleben, wenn sie durch die nackten Gebirgsschluchten einherbraust und in wenigen Stunden das trügerisch hervorgelockte Frühlingsbild verscheucht. Dann wickelt der Morlake sich in seinen braunen Mantel und streckt sich, so lang er ist, neben dem Feuer aus, das mitten in der Hütte brennt. Die Pfeife im Munde überlässt er sich dann träumerischem Behagen und denkt an die nahenden Weihnachten. Vielleicht gestattet er dann auch seinem Weibe, wenn es von der Holzsuche oder mit dem gefüllten Wassereimer auf dem Rücken halberstarrt in die Hütte tritt, sich neben ihm zum Feuer zu hocken und die erstarrten Glieder zu wärmen – vielleicht, denn das Weib ist dem Morlaken ein tief unter ihm stehendes Geschöpf, dem es nie gestattet ist seinen Platz am Tische und nur selten das wärmende Feuer mit ihm zu theilen.
Dieses Jahr hatte sich aber gar schlecht angelassen für die Morlaken auf weit und breit in der Runde. Der Harambascha hatte Recht gehabt und Grgur Staricic wusste es, ehe der Harambascha es ihm erzählte, dass kein Mais und kein Moorhirse in den Hütten zu finden sei, dass die Schafe und Ziegen schon vor Monaten auf den Markt wandern mussten, dass ihm das Mehl für den Winter und das Saatkorn für das Frühjahr fehle, und dass es ihm ganz verteufelt schlecht gehen werde. Und die Festtage waren vor der Thüre! Festtage ohne Schafbraten, ohne Wein und ohne Schnaps, die ihm doch sonst niemals gemangelt!
Kein Braten, kein Wein, kein Branntwein, kein Pulver mehr im Hause und keinen Tabak im Beutel – aber hundert Schritte hinter dem[115] Hause die frisch vergrabene Kuh. Grgur Staricic versteht es besser als der Prätor, der Bezirksarzt und alle diese Herren miteinander. Darum rief er der Mande und ging hin zur frisch gefüllten Grube. Die Mande schleppte zwei Spaten herbei und dann gruben die Zwei, bis der Cadaver wieder an's Tageslicht kam. Der wurde zerstückt in's Haus geschleppt. Braten, guten frischen Braten, hätten sie jetzt in Hülle und Fülle – wenn nicht gerade während der Arbeit wieder die leidigen Gendarmen gekommen wären, die gar wohl ihre Leute kennen mochten.
Da war aber der Grgur Staricic wild aufgefahren und hatte sich mit der Hacke zur Wehre gesetzt als die Gendarmen ihm seinen Festbraten nehmen wollten; und als sie ihn überwunden, da feuerte die Mande aus der Hütte auf die Gendarmen – zum Glück, ohne sie zu treffen, denn die Kugel durchlöcherte nur des Einen Mantel. Darum hatten die Gendarmen den Grgur Staricic mit einem soliden Handeisen an die theure Mande gefesselt, die Flinte mitgenommen und alle Drei, den Grgur, die Mande und die Flinte dem nächsten Bezirksgerichte übergeben.
Das ist die Ursache, warum der Antune jetzt Hausherr und Familienvater ist und der Ilia nichts zu trinken hat. Damit er und sein Bruder zu essen hätten, bequemte er sich, die Schafe des Pfarrers, der nur eine Stunde entfernt wohnte, zur Weide zu treiben. Da konnte der Ilia bei ihm bleiben. Des Nachts schliefen sie im Schafstalle, des Morgens bekamen sie Jeder ein grosses Stück Maisbrod mit auf den Weg und Abends fehlte es auch nicht an einem Bissen. Und dabei konnte er hin und wieder in seiner Hütte nachsehen. Es war zwar nichts da, das fortgenommen werden konnte, aber das Bewusstsein der Verantwortlichkeit machte sich doch geltend.
Weil das Wetter so schön und die Luft so lau, hatte er heute, am Weihnachtsabende, seine Schafe weit hinausgetrieben über die steinige Wüste. Dort sprosst junges Gras aus den Steinritzen, dort grünt noch ein oder das andere Blatt an einsam stehenden verkrüppelten Bäumen und Sträuchern, dort sitzt er auch sonst gerne mit dem Ilia, weil er den ganzen Tag über keines Menschen ansichtig wird und nachbrüten kann über das ihm unbekannte Schicksal des Vaters und der Mutter. Er denkt auch gerne daran, wie er an den Gendarmen sich rächen könne, aber früher müssen Vater, Mutter und Flinte wieder in der halbverfallenen Hütte sein.
Halt! Was war das? Ein dröhnendes Pfeifen tönt aus der Schlucht die jene beiden Felsen trennt – ein Rauschen folgt nach, als ob Millionen[117] von kleinen Steinchen gegen den Felsboden geworfen würden – die Schafe, die weit zerstreut ihre magere Atzung suchten, drängen sich herbei gegen die schützende Felswand und ein eisigkalter Luftstrom braust über den Felsboden hin durch die grün und roth ausgenähte Jacke des Antune und durch das Hemd des Ilia.
Die Bora ist's, die Bora, wie man sie nur in Dalmatiens felsigen Bergen kennt, wo sie plötzlich hereinbricht mit Riesenkraft und Donnergeheul, wo sie Bäume entwurzelt, Felsstücke hinabrollt über die Berge, Hütten wegfegt und das kletternde Vieh hinabstürzt in gähnende Gründe. Die Bora ist's mit ihrem eisigen Hauch, der in wenigen Stunden die jungen Triebe, die ein falscher Frühling hervorgelockt, farblos hinlegt auf den Boden als wenn sie verbrannt wären und glitzernde Eiskrystalle über Berg und Thal zaubert.
Jetzt nach Hause treiben? Nein – das thut der Antune nicht – denn er ist ein Mann und weiss, dass ihm seine Schafe hinabgefegt würden über den Berg wie die Strohhalme. Er weiss auch, dass er vor fünf Stunden nicht nach Hause käme, während die Sonne in zwei Stunden bereits hinter den Berg sinken müsse. Er thut Besseres: er wälzt Steine zusammen gegen die Felswand, die ihm den Rücken wider die Bora schützt.
Ein Haus kann er flugs nicht bauen, aber eine kleine Cyklopenmauer kann er aufführen von ungefügen Steinen und sich auf diese Weise gegen zwei Seiten hin schützen. Das thut er auch mit festverbissenen Zähnen, ohne ein Wort zu sprechen. Der Ilia hilft ihm weinend. Dann treiben sie die Schafe näher zusammen und als die Sonne zu Rüste geht, setzen sie sich hin, Antune an die Felswand gelehnt und den Ilia mit beiden Armen umfangend. Früher hat er dem Ilia seine Jacke angezogen. Er und Ilia haben zwei Schafe bei ihrem Vliess gepackt und enger an sich herangezogen. Dann geht die Sonne unter. Dann brüllt die Bora und mit ihr zieht Frost und der heilige Abend in das Land. Antune und Ilia drückten sich enger zusammen.
Sie schlafen. Ob der Antune von der Rache träumte, die er an den Gendarmen nehmen will? oder der siebenjährige Ilia von der Muttermilch, die er so schmerzlich entbehrt? Das hat man nie erfahren.
Am Christtage fand man die Schafe noch immer zitternd zusammengedrängt unter der Felswand, die Hirten aber schliefen für immer.
Der heilige Tryphon ist ein grosser Heiliger, war aber auch ein wehrhafter und tüchtiger Mann: er hat seinerzeit dem Teufel den Schwanz ausgerissen.
Jedenfalls steht es fest, dass man die sonderbarsten Heiligen der Welt in Dalmatien findet. Nicht in dem Sinne, in welchem man gewöhnlich den Ausdruck »sonderbarer Heiliger« gebraucht, sondern weil es in Dalmatien Heilige gibt, deren Namen kein Mensch kennt, der nicht die neununddreissig Quartbände der Bolandisten durchgelesen, oder Dalmatien seine Heimat nennt. Ein in ganz Dalmatien hochverehrter Heiliger ist der heilige Dojmo: ausser Dalmatien unbekannt – der Specialschutzheilige der Stadt und des Gebietes Cattaro ist der heilige Tryphon – nicht einmal in ganz Dalmatien, geschweige denn über dasselbe hinaus bekannt.
Wenn man die lange eintönige Kette hoher, grösstentheils schroff aufsteigender und unbewaldeter Berge vorüberfährt, welche das unter dem Namen Bocca di Cattaro bekannte Gewirr von Buchten, Meerengen und Canälen zu beiden Seiten begleiten, so findet das Auge gleichwohl schöne, grünschimmernde Ruhepunkte. An beiden Ufern schwingen sich in den kleinen Raum, der zwischen dem Fusse der mächtigen Berge und dem Meeresufer frei geblieben, anmuthige Ortschaften mit netten weissglänzenden Gebäuden; dazwischen sind Gärtchen zerstreut, rings herum ein Anflug von Grün auf dem Bergesabhang oder gar eine schöne üppige Vegetation, wie bei Castelnuovo. Die Häuser stehen meistens hart am Meere, deren Eigenthümer sind Schiffscapitäne, die gar oft mit dem eigenen Schiffe bis vor ihr Hausthor fahren und, von weiter Fahrt heimkehrend, nur einen Sprung vom Verdecke auf das Land zu machen brauchen, um Weib und Kinder zu umarmen.
In dem gegen Süden laufenden eigentlichen Canal von Cattaro ist das am östlichen Ufer liegende Dobrota der letzte Ort, der den erwähnten anmuthigen Eindruck macht. Dann erweitert sich der Canal zu einer Bucht, die keine weitere Ausfahrt bietet. Die Berge werden höher und schroffer, sie fallen so jäh ab, dass man jeden Augenblick fürchten möchte, einer der mächtigen Felsblöcke werde herabkollern und im Niedersturze ein Häuschen begraben, das am Meeresufer steht, oder ein im Canal hinauffahrendes Schiff zerschmettern. Die Farbe des Gesteins wird schwarzgrau, tiefe Schatten breiten sich über die Bucht, in welcher des Winters erst zwei Stunden vor Mittag die Sonne aufgeht; riesige Felskuppen spiegeln sich in der dunklen Fluth – es sind die Spitzen der berühmten schwarzen Berge – montenegrinisches Gebiet. Am Ende dieser unheimlich düstern Bucht liegt eine kleine Masse von dunklen alterthümlichen Häusern, von alten Festungsmauern umgeben, von einem auf vorspringender Kuppe des Felsens erbauten Fort überragt – es ist Cattaro.
Düster wie das Meer und die dasselbe umrahmenden Berge ist die Stadt – düster die alten aus Quadern erbauten Häuser – düster die alterthümlichen, vielfach von Erdbeben beschädigten Kirchen – düster die Menschen, die hier wohnen. Und so mag es denn auch nicht Wunder nehmen, wenn sich die Cattareser einen so düstern Heiligen zum Schutzpatron erkoren haben, wie es der heilige Tryphon ist, den in der ganzen übrigen Welt Niemand kennt, und der dem Teufel den Schwanz ausgerissen hat.
In der uralten Domkirche, die um das Jahr 900 erbaut wurde, und deren ganze mächtige Wölbung auf vier Granit- und Marmorsäulen ruht, zeigt ein ober dem Hochaltar angebrachtes Marmorfries die Thaten des Kirchen- und Schutzpatrons. Der heilige Tryphon war nach der Legende ein Mensch, der, zu Kampsade bei Apamea in Phrygien geboren, schon seit seiner frühesten Jugend sich mit Teufelaustreiben beschäftigte und diese Beschäftigung auch nicht aufgab, bis er unter dem Kaiser Philippus von dem Präfecten Aquilinus gemartert und schliesslich geköpft wurde. In der Schatzkammer der Domkirche sind sehr schöne Marmorsculpturen, welche des Heiligen Martern darstellen; der erwähnte Fries ober dem Hochaltar aber zeigt die Wunder des Heiligen, die er an verschiedenen Besessenen durch Austreibung böser Geister geübt hat – schliesslich flieht ein entsetzlich aussehender Teufel mit Fledermausflügeln und Krallen, während Tryphon ihm eben den Schweif ausreisst.
Ein so tapferer Mann konnte und musste den kriegerischen Bocchesen als der richtige Heilige erscheinen. Als daher die Venezianer im Jahre 809 seinen Körper nach Cattaro brachten, war das Volk hocherfreut darüber, erbaute ihm zu Ehren die Kirche und begab sich unter sein Protectorat. Was aber die pfiffigen Venezianer als Gegenleistung dafür verlangten, dass sie den heiligen Körper von Nicäa auf einem eigenen Schiffe hieher geführt, das weiss man heute nicht mehr – wenigstens konnte ich es ebensowenig in Erfahrung bringen als den Grund, aus welchem hier Jedermann mit einem kleinen Arsenal von Waffen im Gürtel herumgeht.
Nicht weniger wehrhaft als die Männer scheinen die Boccheser Frauen zu sein.
An dem Canale von Cattaro, kaum eine halbe Stunde von dieser Stadt entfernt, liegt Dobrota, ein grosser, hübscher Ort, grösser und viel schöner als Cattaro selbst. Jedes Gebäude dieses Orts bildet für sich eine kleine Festung, ist von den Nachbarhäusern durch einen Garten und tüchtige mit Schiessscharten versehenen Mauern abgesondert. Die Eingänge zu diesen Häusern sind gewölbt, die Thüren von massivem Holz und mit Eisen beschlagen. Neben jeder Hausthüre sind wieder zwei Schiessscharten und unter jedem Fenster sind durch die Mauer zwei Löcher von beiläufig zwei Zoll im Durchmesser gebohrt. Ich konnte lange nicht mit mir in's Reine kommen, welchen Zweck diese ungefähr einen Fuss ober dem Fussboden des Zimmers angebrachten und schräg nach abwärts durch die Mauer laufenden dünnen Canäle haben sollten. Da brachte mir ein günstiges Geschick angenehme Gesellschaft und die gewünschte Erklärung. Beides zugleich.
Wo die Natur so arm und die Umgebung so wild ist, da kann auch der Charakter der Bewohner nicht anders als düster sein. Das ist auch in der Bocca di Cattaro der Fall. Die heitere Beweglichkeit, die hellen Farben in der Kleidung, das laute, lärmende, öffentliche Leben, Dinge, die allerwärts den Süden so schön und seine Bewohner so anmuthig erscheinen lassen, sie fehlen in der Bocca gänzlich. Der richtige Bocchese ist entweder zur See oder er hat sich auf seinen Seereisen ein Stück Geld erworben und heimgebracht; dann geht er in dunkler, halb städtischer, halb slavisch nationaler Kleidung, mit dem langen Tschibuk in der Hand, gemessenen Schrittes durch die Strassen, sitzt mit seinen Genossen plaudernd in irgend einem der kleinen Kaffeehäuser oder späht auf der Marina[121] unter den ankernden Küstenfahrern herum, ob sich nicht in irgend einer Weise ein vortheilhaftes Geschäft, irgend ein Handel machen lasse. Sein Weib und seine Tochter aber, die bleiben unter allen Umständen zu Hause, – es wäre eine Schande, wenn sie sich auf der Strasse sehen und von fremden Männern ansehen liessen, eine Schande für den Herrn des Hauses, für die Weiber, für die Familie. Man ist hier an der Grenze des Orients.
Zwischen dem Bewohner der Stadt und dem sogenannten Bauer gibt es in dieser Beziehung wenig oder keinen Unterschied. Beide tragen dieselbe finstere Würde zur Schau, wenn sie sich auf der Gasse zeigen, – beide halten die Arbeit für unvereinbar mit der Würde eines freigebornen Mannes. »Die Arbeit ist für die Sclaven«, das ist ihr Losungswort. Leider gibt es in der Bocca di Cattaro keine Sclaven mehr und so bleibt die Arbeit eben liegen. Es geht auch ohne dem.
Ich hatte in Cattaro die Bekanntschaft eines jungen Schiffscapitäns gemacht. Der Mann war, so jung er schien, weit herumgekommen in der Welt und hatte vieles von der trockenen und rauhen Aussenseite abgeschliffen, die seinen Landsleuten sonst in so hohem Grade eigen ist. Ja, – selbst über gewisse Vorurtheile vermochte er sich hinauszusetzen, denn er sprach mir von seiner Schwester, einem jungen Mädchen, das nach dem Tode der Aeltern im Hause die Wirthschaft führte. Er sprach von ihr ohne früher um Entschuldigung zu bitten, als ob er von einem unreinen oder ekelhaften Gegenstande gesprochen hätte, und lud mich sogar ein ihn in seinem Hauswesen zu besuchen. Er wohne in Dobrota, eine halbe Stunde von hier entfernt, und wenn ich wolle, sei er bereit mich hinauszuführen. Ich willigte ein.
Die Sonne warf eben ihre letzten Strahlen wie flüssiges Gold über die Kuppen der hohen Berge und der breite Canal kleidete sich in schwarzblaue Tinten. Kleine Fischerboote fuhren bei kaum merkbarem Winde hin über die dunkle Fläche und eine tiefe Frühlingsabendstille senkte sich über die schwarzen Berge und die tiefdunkle See.
Diese feierliche Stille wurde kaum unterbrochen, als wir nach kurzem Gange nach Dobrota kamen. Dobrota ist nur von Schiffscapitänen bevölkert. Folge davon ist, dass man in ganz Dobrota kaum eines erwachsenen Mannes ansichtig wird. Früher erlernten die Dobrotaner die Führung eines Schiffes nur practisch und konnten selten schreiben und lesen. Seitdem der Staat[122] aber die Ausstellung eines Capitän-Patents von dem Erfolge einer theoretischen und practischen Prüfung abhängig macht, besuchen sämmtliche Jungen die nautische Schule, lernen etwas Tüchtiges und gehen dann auf die See. Natürlich sind sie immer auf kleinen Reisen begriffen, schicken Briefe aus New-York, Marseille, London, St. Francisco, Hongkong und Gott weiss woher sonst noch, aber nach Dobrota kommen sie alle zwei oder drei Jahre einmal auf wenige Tage.
Früher traf es sich hin und wieder, dass aus den schwarzen Bergen herab eine kleine nächtliche Expedition unternommen wurde, um von den Familien der abwesenden Schiffscapitäne ein wenig von all' den schönen Sachen, den glänzenden Goldstücken und dem hübschen Geschmeide zu holen, das die in der Welt herumfahrenden Hausväter heimgesendet oder gelegentlich mitgebracht hatten. In den Häusern waren nur Weiber und Kinder, höchstens noch ein Knecht. Wenn nun verdächtiges Gesindel den Eingang des Nachts erzwingen wollte, so wurden lange Gewehre mit erweiterter Mündung durch die unter den Fenstern angebrachten Canäle gesteckt, von welchen ich früher erzählte, und ohne zu zielen einfach abgefeuert. Denn die Canäle sind so gebohrt, dass immer einer die Eingangspforte des von Mauerwerk aufgeführten, von der Gasse gegen das Haus führenden Ganges bestreicht, der andere die Hausthüre selbst.
Wir kamen an das Haus meines Freundes. Ein Knecht öffnete uns nachdem wir an der Pforte geläutet, und wir schritten einen langen zwischen zwei hohen Mauern im Zikzak laufenden Gang entlang gegen das eigentliche Wohngebäude. Der Gang erinnerte einigermassen an den gedeckten Weg einer Festung und mochte auch ungefähr dieselbe Bestimmung haben. An der Thüre des Hauses abermaliges Läuten, darauf eilende Schritte von Innen, – die Thüre öffnete sich und vor uns stand die Schwester meines Freundes.
Ein schönes, schlankes Mädchen mit prachtvollen dunkeln Augen und reichem schwarzen Haare, stand sie in einfachem schwarzen Kleide unter der Thüre und wurde nicht im mindesten verlegen, als ihr Bruder uns einander vorstellte. Ja, sie bot mir die Hand mit der einfachen und unbewussten Eleganz einer Weltdame und übernahm es augenblicklich mir Garten und Haus zu zeigen, während der Bruder einige alte Prachtwaffen herbeiholte, von denen er mir früher schon gesprochen hatte.
Während wir die höchst reinlich gehaltenen mit tüchtigen Fensterbalken und Schiesscanälen versehenen Zimmer durchschritten, erzählte mir[123] meine schöne Führerin, wie ihre Grossmutter, die erst im vorigen Jahre beinahe achtzig Jahre alt gestorben, als deren Kinder noch klein waren und sie mit zwei Mägden und einem Knechte die ganze Besatzung des Hauses bildete, einmal dasselbe vor Nachtszeit gegen einen von mehr als dreissig Räubern unternommenen Ueberfall vertheidigte. Das Mädchen wies mir die Schiessscharten, durch welche die Grossmutter gefeuert hatte und schleppte ein unsinnig langes Trombon herbei, um mir zu zeigen, wie dasselbe, mit mehreren Kugeln oder gehacktem Blei geladen und einfach durch den Schusscanal gesteckt, unfehlbar Jeden treffen musste, der durch das Thor eindringen wollte. Als sie mir das Alles erzählte, blitzten ihre wunderschönen Augen und sie redete sich in eine förmliche Begeisterung hinein, während ihre hübschen Finger fieberhaft mit dem alten Steinschlosse des Trombons spielten. Jedenfalls scheint die Enkelin der Grossmutter nachgerathen zu sein – wehe dem Räuber, der es einmal wagen sollte, diese Festung zu stürmen – ich glaube, das alte Trombon thäte heute noch seine Schuldigkeit.
Das Mädchen wurde gar leutselig und gesprächig, als sie und ihr älterer Bruder, der sich von überstandener Krankheit in der Heimat erholte, mich durch den Garten des Hauses führte. Sie war – wie sie mir erzählte – nur viermal in ihrem Leben in Cattaro gewesen, ausserdem hatte sie noch nie Dobrota verlassen. Das elegante schwarze Kleid, das sie trug, hat sie selbst verfertigt. Sie hält sich ein Modejournal. Früher war sie national gekleidet, aber seitdem Vater und Mutter todt sind, kleidet sie sich »europäisch«, wie sie bezeichnend und lächelnd sagte. Sie ist Braut. Ihr Bräutigam ist natürlich Schiffscapitän und weilt gegenwärtig in Genua. Das Schiff, das er commandirt, ist ihr Eigenthum und sie bringt es ihm als Morgengabe mit. Sobald Schiff und Bräutigam zurückkehren, giebt's Hochzeit und dann macht sie mit ihrem Schiff und ihrem Gemal eine Hochzeitsreise nach New-York, wohin das Schiff Ladung bekommen. Er, der Bräutigam, hat auf ihrem Schiff bereits eine extra schöne Cajüte bauen und einrichten lassen, sämmtliche Möbel sind von dem Holze eines Birnbaumes in Buenos Ayres, das so feine Adern hat »wie ein Christenmensch« und sich anfühlt wie Sammt. Mit demselben Holze ist auch die Cajüte getäfelt und die Schöne freute sich unsinnig auf Cajüte, Bräutigam, Schiff und Reise.
Als wir später wieder in das Haus hinaufgingen und sie der Magd die Tasse mit schwarzem Kaffee abnahm, um dem Bruder und mir denselben[124] zu credenzen, war sie nicht zu bewegen, selbst auch Kaffee zu nehmen oder sich auch nur an den Tisch zu setzen. Es schicke sich nicht, meinte sie, dass ein Frauenzimmer und gar ein Mädchen in Gesellschaft von Männern esse oder trinke, und der Bruder bestätigte ruhig diese Ansicht. Zum Abschiede gab sie mir aber ohne jede Ziererei wieder die Hand und wünschte mir eine recht glückliche Reise. Die meinige werde wohl kürzer sein, sagte sie lächelnd, als die ihrige. In vier Wochen dürfte sie bereits verheiratet sein und dann geht's zu Schiffe. Zurück kehrt sie erst, wenn sie das erste Kind bekommen. Das sagte sie, ohne im mindesten zu erröthen und dabei blickten ihre prachtvollen, schwarzen Augen mit einem eigenthümlichen Ausdrucke hinaus, als ob sie über das Meer sehen könnten bis nach New-York und in die Zukunft bis zur Ankunft des ersten Kindes.
Der Patron Zuanin Dedich drehte unser lateinisches Segel etwas mehr gegen den frischen Ostwind und that einen Ruck am Steuerruder. Folge davon war, dass sich unsere Barke auf die Seite legte, dass ferner beide Damen laut aufschrien und dass ich ein Glas Wein zur Hälfte verschüttete, welches ich eben gefüllt in der Hand hielt.
»Keine Furcht!« sagte Patron Zuanin ruhig, »ich halte etwas vom Winde ab, weil die Barke am besten »mezza nave« fährt und da hinten ein Wetter heraufkommt. Je eher wir nach Stipansko kommen, desto besser. Wenn's gut geht, bleiben wir über Nacht dort. Ich habe mir's ohnehin gedacht – aber mit Weibern ist nicht zu reden, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben. Sie wissen ja!«
Mit seiner Hand, welche die Grösse eines massigen Tellers hatte, veranschaulichte uns dabei Patron Zuanin, dass »mezza nave« eine schiefe Stellung des Schiffes bedeute, wobei der Wind und die klemmende Kraft des Steuerruders unter einem spitzen Winkel sich kreuzen.
Die despectirliche Aeusserung bezüglich der Damen fühlte er sich durchaus nicht bewogen, zu entschuldigen. Nachdem er seinen Orakelspruch zum Besten gegeben, sass er wieder unbeweglich auf seinem Kranz von Stricken, hielt das Steuerruder umfasst und blickte mit seinen hellgrauen Seemannsaugen unverwandt auf die Felsen, die aus den sanftbewegten Wellen vom Sonnenschein übergossen vor uns auftauchten.
Wenn wir auf einer Felsen-Insel übernachten mussten, so war Niemand daran Schuld als der selige Joachim Heinrich Campe mit seinem Robinson Crusoe. Die beiden im Boote befindlichen Damen – die Frau meines Freundes und meine eigene – hatten sich urplötzlich an Robinson's Felsen-Insel erinnert, als sie nach Spalato gekommen, und hingen so lange und so fest an dem Wunsche, einmal auch ein wirkliches Riff-Eiland zu[126] sehen und zu betreten, bis die Partie zu Stande kam, die uns nach Scoglio Stipansko führte.
Scoglio heisst Riff- oder Felsen-Insel. Längs der dalmatinischen Küste liegt eine grosse Menge dieser öden Eilande, vom Meer umflossen, vom Sturm gepeitscht, im Sonnenbrande glühend, nackt oder von spärlichem Pflanzenwuchs bedeckt, zerklüftet und zerrissen, einsam und unbewohnt. Zur Sommerszeit, wenn die sengende Hitze auf den grösseren Inseln und auf dem Festlande Alles ausgetrocknet und verbrannt hat, findet sich wohl einer und der andere der armen Bauern von Lesina, Lissa, Solta oder Zirona, der ein paar Stücke Vieh in einer Barke auf den Scoglio übersetzt, eine Art Hütte aufschlägt und bis zu Winters Anfang dort haust. Ein- oder zweimal des Monats fährt er dann nach Hause zur nächstgelegenen bewohnten Insel, bringt Ziegen- oder Schafkäse zum Verkaufe mit, den er bereitet hat, und holt sich das Nothwendigste zum Leben. Dann bleibt er wieder wochenlang allein auf dem Scoglio.
In der Nähe von Zara, im Canale della Morlacca, gibt es grössere Scogli, welche Bäume und Rebenpflanzungen, sowie Hütten aufweisen und das ganze Jahr bewohnt sind. Im Westen der südlichen grossen Inseln aber, bei den Inseln Lesina, Lissa, Curzola, Zirona, Solta, da findet man nur kleinere Scogli zerstreut, meistens weit hinausgeschoben in das adriatische Meer, so arm und nackt, dass sie oft nicht einmal einen Eigenthümer haben; Niemand begehrt sie.
Weil aber der Scoglio Stipansko im Stande ist, einige Stücke Vieh durch einige Wochen zu ernähren, so hat er auch einen Eigenthümer, die Familie Stipanovich in Oliveto auf der Insel Solta. Und der Scoglio Stipansko war das Ziel unserer Reise, die wir von Spalato aus auf der Barke »Le sorelle allegre«, Patron Zuanin Dedich, unternommen.
Das Gewitter, das vom Osten herankam, hatte angefangen sich fühlbar zu machen. Noch hatten wir hellen glänzenden Sonnenschein, aber das Meer wurde immer unruhiger, die Wogen hoben und senkten unsere kleine Barke, die keck »mezza nave« dahinglitt und der Ostwind, der unser Segel vollauf schwellte, war feucht und frisch von dem über die grosse Insel Brazza niedergehenden Regen.
»Werden wir hier anlegen können, Patron Zuanin?« fragte ich, als die Felsen des Scoglio Stipansko steil und beinahe unmittelbar vor uns aus den weissen Kämmen der Wogen aufstiegen.
»Hier nicht, Herr,« lautete die Antwort. »Hier gibt's keinen Schutz und keinen Ankergrund. Und wenn das Wetter so fortmacht, so geht mir hier über Nacht die Barke in Trümmer. Mit dem Zurückfahren ist's aber für heute entschieden nichts, denn dieser Wind hält an«. Dabei drehte Patron Zuanin das Steuer und wir flogen, um die felsige Küste des Scoglio herum, dessen Westende zu.
Die Felsenabhänge wurden immer niederer, je mehr wir der Nordwestspitze des Scoglio uns näherten, und als wir dieselbe nach zehn Minuten in scharfer Wendung umschifft hatten, befanden wir uns unter dem todten Winde in einer kleinen sandigen Bucht, in welcher einzelne Felstrümmer zerstreut aus dem Wasser hervorsahen. Patron Zuanin schlang das Ende eines Seiles um eines dieser Felstrümmer, die Barke lag still und das Segel schlug in schlappen Falten an die Stange.
Der Kiel unserer Barke knirschte bereits im Sande und wir waren wenigstens noch fünfundzwanzig Schritte vom Ufer entfernt. Es blieb uns also nichts übrig, als uns unserer Fussbekleidung zu entledigen, die Beinkleider hinaufzuschürzen und – Jeder von uns mit seiner Frau in den Armen – das Trockene zu gewinnen.
Wir möchten nur geradeaus gehen, hatte Patron Zuanin gesagt, bis wir das »Haus« des Joso vor uns hätten. Er, Zuanin, werde unterdessen den Proviant an's Land schaffen, die mitgenommenen Decken und auch das Segel, das wir vielleicht des Nachts brauchen könnten.
Vom Ufer aus bedeckte noch auf wenige Schritte trockener Meeressand den Felsboden, wie ihn die hochgehende Fluth oder ein tüchtiger Weststurm heraufgeworfen hatte; dann aber sahen wir nichts vor uns, als eine Art felsiger Mulde, ohne jede Spur eines Pflanzenwuchses, ohne Spur eines lebenden Wesens. Die zerbröckelten scharfen Steine schnitten uns in die Füsse und wir konnten nur langsam vorwärts kommen auf unserer Suche nach dem »Hause« des Joso. Mächtige Steinblöcke hatten sich von den mauerartigen Uferfelsen der Insel losgerissen, waren in das Innere der Insel gekollert und hemmten von Zeit zu Zeit unseren Weg. Wir stiegen bergan. Die hohen Felsen schoben sich näher zusammen und zeigten in ihren Rissen und Sprüngen einen spärlichen Graswuchs. Dazwischen ragten die stacheligen Blätter von Aloëstauden, und als uns ein leises Geräusch aufblicken machte, sahen wir zwei Ziegen, die, in kühnen Sätzen gleich Gemsen von Stein zur Spitze springend, vor uns flohen. Noch einige[128] Minuten dauerte unser beschwerlicher Weg. Dann kamen wir auf eine Art Plateau, aus dessen steinigem Boden gleichwohl dünner Graswuchs sprosste. Zwei magere Kühe und etwa ein Dutzend Schafe weideten da, die bei unserem Anblicke gleich den beiden Ziegen Reissaus nahmen. Zur linker Hand – gegen Norden – erhob sich eine Felswand. Ein herabgestürzter Riesenblock lag da, an den Hang gelehnt. Wir mussten an demselben vorüber und kaum hatten wir ihn erreicht, so stand urplötzlich, wie aus dem Felsen selbst herausgesprungen, eine menschliche Gestalt vor uns – – es war der Gouverneur von Scoglio Stipansko.
Rohe Sandalen an den Füssen, blaue Beinkleider, die an den Hüften mit einer rothwollenen Schärpe befestigt waren, und ein weisses Hemd sowie ein Strohhut waren seine Bekleidung. Ein wettergebräuntes Gesicht mit einem Paar hellgrauer, finsterblickender und fernsehender Augen, das von tausend feinen Runzeln gefurcht war, blickte uns trotzig und ruhig an. Seine linke Hand hielt das Rohr einer langen Flinte umspannt. Der Felsen hinter ihm zeigte eine tiefe Kluft, eine Art Höhle. Ueber den Eingang derselben und den oberen Theil des Felsenblockes, der sich an die Wand lehnt, waren knorrige Baumäste und einige alte Ruder geschichtet. Darüber lag Reisig mit trockenem Laub, dann eine Lage getrockneter Seealgen. Auf dem Ganzen ruhten schwere Steine. Thür war keine vorhanden. Das war die Residenz. Und der Mann, der, auf die alte, lange Flinte gestützt, vor deren Eingang stand, war Joso Grancic, der Gouverneur von Scoglio Stipansko.
Nur Gouverneur? Nein, mehr als das, einziger unumschränkter Gebieter über Alles, was da lebt und webt auf dem Scoglio – nicht ausser, aber über dem Gesetze – nur gebietend, aber Niemandem gehorchend: so waltete Joso Grancic vom Mai bis October jeden Jahres auf dem Scoglio, fernab vom Getriebe der Menschen – nur zwei Stunden von der nächsten dalmatinischen Insel entfernt und doch so einsam, als wäre er auf einem Korallenriffe der Südsee.
Ob er immer so allein gewesen? Nein, wir hörten es später, wer ihm Gesellschaft geleistet. Wir hörten auch, warum er jetzt allein war. Sein Tschibuk trug die Schuld, nicht er.
Der Abend war herangebrochen und der Sturm kam vom Osten her über die Wogen geflogen, so dass sie sich mit weissem Gischte krönten und wild anbrausten an die Felsen. Die zwei mageren Kühe, die Schafe[129] und die Ziegen hatten sich unter die überhängenden Felswände geflüchtet vor dem strömenden Regen.
Wir hatten unser mitgebrachtes Nachtmal eingenommen. In der Höhle hatten wir aus dem Segel und einigen Decken ein Nachtlager für die beiden Frauen bereitet, auf welchem sie, ermüdet von der frischen Seeluft, süss und ruhig schliefen. Wir Männer sassen unter dem Vordache der Hütte zwischen dem Felsenblocke und der Steinwand um ein kleines Feuer aus Kohlen und trockenem Ginster im Kreise. Wir hatten köstlichen Wein aus Solta und den wunderbarsten Tabak, der nur je über die bosnisch-dalmatinische Grenze geschwärzt wurde. Und da wir gut genachtmalt hatten, so ging uns nichts ab zum traulichen Gespräche am gastlichen Feuer. So mögen die Flüchtlinge aus Troja, so der kluge Ulysses mit seinen Gefährten am Feuer gesessen sein, des Tages Müh' und der fremden Umgebung Eigenart besprechend. Nur fehlte jenen der Tabak.
Jose Grancic war gastfreundlich wie alle Dalmatiner. Er hatte uns zu Ehren ein Lamm schlachten wollen, was wir aber nicht zugaben. Und so hatte er wenigstens frischen Käse und Milch und Polenta zu dem gemeinschaftlichen Nachtmal beigesteuert und sass jetzt, langsam seinen Wein schlürfend und den Tschibuk in der Linken, mit unterschlagenen Beinen bei uns am Feuer.
Anfangs war Jose Grancic einsilbig und trocken. Er sprach so selten mit Menschen, da musste er das Reden schier verlernt haben. Dann aber löste ihm der feurige Soltaner Wein die Zunge und er erzählte uns wie es gekommen, dass er jetzt allein sei auf dem Scoglio Stipansko und wie er's früher nicht gewesen.
Ganz im Anfang war er allerdings auch allein. Denn er war noch nicht fünfzehn Jahr alt, als ihn sein Vater zu Beginn des Frühlings mit dem Vieh nach dem Scoglio sendete, wo er den Sommer über blieb. Die Höhle hatte er vor vierzig Jahren auszumeisseln begonnen und auch das Vordach vor derselben war sein Werk. Auch die kleinen Cisternen hatte er in den felsigen Grund gegraben, die ihm und seinem Vieh Wasser lieferten.
Drüben auf der Ostseite hatte er so manchen Spalt des Gesteins langsam und mühselig urbar gemacht. Die Erde hatte er mit den Händen aus den Felsritzen gescharrt und auf seinem Rücken zusammengetragen. Darum ist es sein Kohl und sein Gemüse, das er jetzt baut. Auch eine[131] Rebe, eine einzige, war ihm gelungen, zu ziehen. Diese hat ihre Wurzeln in den Stein getrieben und ist im Verlauf der Jahre ein mächtiger Baum geworden, der eine ganze Felswand überdacht. Darum ist es seine Rebe. Früher waren Vipern auf dem Scoglio in schwerer Menge. Eine hat ihn einmal in den Fuss gebissen. Er hat sich aber die Wunde mit einem glühenden Eisennagel ausgebrannt und ist genesen. Heute ist dieses Gezücht auf dem Scoglio nicht mehr zu finden. Er hat es ausgerottet. In vierzig Jahren!
Vor beiläufig dreissig Jahren – er weiss es nicht ganz genau – hatte Jose Grancic geheiratet. Die Luce (Lucia) war ein ganz armes Bauernkind aus Milna auf der Insel Brazza. Der Vater des Jose hat aber einmal dem Vater der Luce das Leben gerettet, als der Letztere in seinem Boote auf dem Canale dei Castelli umschlug und dem Ertrinken nahe war. Damals hatten die beiden vereinbart, dass ihre Kinder sich einmal heiraten sollten. Das geschah. Die Luce war sehr schön und unter den Burschen von Milna waren viele, die sie gerne zur Frau genommen hätten. Da war auch der Andre Lovric, der sie zur Frau begehrte. Weil die Väter es aber so abgemacht hatten, so heiratete der Jose die Luce.
Schlimm genug, denn sie hatten Beide Nichts. Aber der Jose war doch zufrieden, denn die Luce war sehr schön, er konnte sie mit sich nehmen, wenn er, wie alljährlich, den Scoglio Stipansko mit seinem Vieh bezog, und sie konnte ihm die gröbere Arbeit abnehmen. Denn wozu sonst hat man eine Frau?
Von da ab fuhren der Jose und die Luce abwechselnd mit dem fertigen Käse nach Solta. Denn es gibt keine Frau auf den dalmatinischen Inseln, die im Nothfalle nicht ein Segel zu stellen und das Steuerruder zu führen wüsste.
Nun war aber wieder einmal der Jose gefahren. Nicht nach Solta, sondern diesmal viel weiter, nach Spalato. Er musste dort bei Gericht als Zeuge erscheinen wegen eines Messerstiches, den zur Winterszeit ein Matrose in Solta einem Bauer in Jose's Gegenwart versetzt hatte.
In Spalato wurde er aufgehalten. »Bis Morgen« – hiess es bei Gericht. Dann noch einmal »bis Morgen.« Und dazu hatte er in Spalato den Andre Lovric gesehen, der die Luce hatte heiraten wollen! Aber nur am ersten Tage sah er ihn, dann nicht wieder.
Endlich war er fertig. Er konnte nach Hause fahren. Er kaufte der Luce ein Paar hübsche messingene Knöpfe für ihr Jäckchen und überdies eine Flasche Branntwein. Dann bestieg er sein Boot und fuhr wohlgemuth gegen Scoglio Stipansko.
Der Wind war günstig und in fünf Stunden konnte er zu Hause sein bei der Luce. Da kam aber ein Wetter wie heute; der Sturm überfiel ihn zwischen Brazza und Solta und er musste froh sein, noch mit heiler Haut auf Solta landen zu können. Des andern Morgens fuhr er wieder ab, hungrig und müde, denn er hatte nichts als ein Stück kalter Polenta und die Flasche Branntwein. Und als er gegen Scoglio Stipansko herankam, wer fuhr da in einem Boote, kaum zweihundert Klafter entfernt, an ihm vorüber? War es nicht der Andre Lovric, der die Luce hatte heiraten wollen? Und kam der nicht geradewegs von Scoglio Stipansko – – –?
Jose hat auf den Andre nicht geschossen, weil es zu weit war und keine Kugel auf zweihundert Klafter trägt. Er ist nach Hause gekommen und hat die Luce gefragt, ob der Andre da gewesen. Die Luce ist zuerst glühend roth, dann leichenblass geworden. Er hat ihr nichts gethan. Er hat sie nicht angerührt. Denn er fürchtete, sie zu tödten, und er brauchte ein Weib. Aber aus der Hütte hat er sie gejagt und von dem Augenblicke an musste sie im Freien schlafen – bei jedem Wetter – wie das Vieh. Auch hat er sie gar nicht mehr geschont und hat sie ganz als Lastthier benützt. War sie nicht sein Weib?
Einmal aber, als schon der Spätherbst herangekommen war, zog ein furchtbares Gewitter herauf, welches das Meer in den Tiefen aufwühlte und die brüllenden Wogen gegen die Felsen warf. Es war Nacht geworden und das Vieh hatte sich, zitternd vor Kälte und Nässe, an die Felswände gedrängt. Auch die Luce. Der Jose sass in seiner Hütte bei einem kleinen Feuer und brütete vor sich hin. Da fiel ihm ein, dass er droben auf dem Felsen, der so jäh gegen Süden in's Meer abfällt, seinen Tschibuk habe liegen gelassen. Ohne Tschibuk konnte er aber nicht rauchen. Und so rief er hinaus in die finstere Nacht, in den brüllenden Sturm und den strömenden Regen nach der Luce. Diese kam, gehorsam wie immer, zitternd vor Kälte und durchnässt vom Regen. Und er befahl ihr, von der Felsenspitze, die sie gut kannte, ihm seinen Tschibuk zu bringen.
Gehorsam war die Luce, das ist wahr, aber diesmal wurde sie blass wie der Tod als sie den Befehl vernahm, und schlug ein Kreuz, ehe sie ging.
Sie ist nicht mehr wiedergekommen und auch der Tschibuk blieb verloren, sie muss ihn gefunden haben und mit demselben hinabgestürzt sein in's Meer.
Damals hat Jose zehn Tage lang nicht rauchen können, bis er wieder mit Käse nach Solta fuhr und sich dort einen neuen Tschibuk kaufte.
Und seit jener Zeit ist er allein auf dem Scoglio Stipansko, unumschränkter Herr und Gebieter über Alles, was dort lebt und webt.
Unser Feuer war ausgebrannt und durch die zerrissenen sturmgepeitschten Wolken warf der Mond sein bleiches Licht auf das Vordach der Hütte und auf das harte wettergebräunte Gesicht des Gouverneurs von Scoglio Stipansko.
»Caro Renzo! Ti volevo da molto tempo scrivere, ma credo, che non mi ami più. Sai, che ho a dirti, che t'amo molto. Non so più che mandarti mille baci arditi. Addio, Renzo, per sempre addio! L'ora s'affretta pel partir mio. Tua affettissima Pierina.
Vigilia del Natale del 1874.«
Das Italienisch, in welchem dieser Brief geschrieben, ist weder classisch noch elegant. Auch hätte es seine Schwierigkeiten gehabt, das Schreiben der Post zur Beförderung zu übergeben, denn die obigen Zeilen waren auf dem Blatte einer Agave eingeritzt, das, beinahe einen Fuss breit und gegen vier Fuss lang, in einem prangenden Wust von ähnlichen Blättern halb verborgen, auf einer steinigen Uferklippe der Insel Lesina in die erbarmungslos heisse Luft hineinragte. Die Blätter waren aber alle trotz ihres fleischigen Baues und der kräftigen Stacheln, mit denen sie bewehrt waren, schlapp und welk. Warum? Weil die Agave, zu welcher sie gehörten, im vorigen Jahre geblüht hatte.
Und wenn eine Agave geblüht hat, dann stirbt sie.
Die Pierina war nichts weniger als eine Morlakin. Auch keine Bäuerin.
An den Küsten Dalmatiens und auf den grösseren zu Dalmatien gehörigen Inseln findet man allenthalben Städte, die, wenn auch jetzt verwahrlost und zerfallen, doch noch in ihrem Aeussern das Bild der einstigen Bedeutung bieten, die sie unter den früheren Besitzern des Landes gehabt. So die Stadt Lesina. Ein prächtiges Rathhaus, in venezianischem Style erbaut, öffnet seine weiten Säle den Sitzungen des jetzigen Gemeinderathes. Eine wunderschöne Loggia blickt arcadengeschmückt hinaus über den freundlichen Hafen und das unendliche Meer. Heute nennt man die Loggia Curhaus. Es sind aber keine Curgäste darinnen, sondern nur hin[136] und wieder ein ehrsamer Bewohner der Stadt Lesina, der seinen wohlfeilen schwarzen Kaffee dort nimmt. Ein Winterhafen, bestehend in einem riesigen, gewölbten, ebenerdigen Saale, in welchen die Galeeren der Venezianer zur Winterszeit einfuhren um dort vor Wind und Wetter und Piraten gesichert zu sein, ist heute gegen das Meer abgedämmt und auf seinem steinernen Estrich werden Sardellen in Fässer verpackt. Von den prächtigen Marmorpalästen, welche die eigentliche Stadt bildend einst den venezianischen Patrizierfamilien gehörten, stehen kaum mehr die äussern Mauern. Drinnen in dem kahlen Raume hat Mutter Natur sich's bequem gemacht, – dort wuchern jetzt Feige, Lorbeer und Rebe, und durch das Gitter der arabeskengeschmückten Rundbogenfenster blickt vielleicht eine Ziege heraus, neugierig die Aussenwelt betrachtend und gemächlich wiederkäuend.
Und wie die Häuser, so die Menschen. Die aufgezwungene Zopf-Cultur der Republik Venedig hat mit dem Falle der letzteren auch ihre Lebensfähigkeit verloren. Der äussere Schliff ist geblieben, die venezianische Sprache, die höflichen Umgangsformen. Aber in Wirklichkeit sind die Menschen wieder zur Natur zurückgekehrt. Die Männer trocknen Feigen, fischen Sardellen und pflegen ihre Weingärten so gut sie es vermögen. Und die Weiber wissen sich hübsch zu verbeugen, kleiden sich städtisch, haben flammende venezianische Augen und können meistens etwas schreiben und lesen. Sonst schaffen sie im Hause und verfertigen hin und wieder reizende Netzarbeiten aus den Fasern der Agave. Sie leben – Männer und Weiber – ausserordentlich mässig und begnügen sich mit Allem. Alles will hier so viel heissen als: sehr wenig.
Niemand konnte der Pierina nachsagen, dass sie an Erziehung oder an gefälliger Schönheit den andern Mädchen Lesinas nachgestanden wäre. Sie hatte lesen und schreiben gelernt, hatte selbst ein paar Bücher von Anfang bis zu Ende durchgelesen, die ihr der Zufall in die Hände gespielt, und verstand es merkwürdig gut sich gefällig zu kleiden. Auch einen Brief vermochte sie ziemlich gut zu schreiben, – wenn auch nicht schön, so doch verständlich. Weil aber im Hause die Mutter und zwei ältere Schwestern walteten, so wurde sie dort nicht viel in Anspruch genommen. Und weil sie bereits volle vierzehn Jahre zählte, so hatte es auch mit dem Unterricht schon lange ein Ende gehabt. Darum war sie mehr oder weniger Herrin ihrer Zeit, und wenn nicht gerade ein seltener Regen über die[137] Insel niederging oder der kurze Winter mit seinen Borastürmen über Dalmatien hinbrauste, konnte sie ruhig und halbe Tage lang weit draussen auf einem steinigen Vorgebirge unter dem dichten Schatten eines alten Johannisbrotbaumes sitzen – vor sich die plätschernden Wellen des Meeres, die nackten Klippen und auf denselben eine einzelne riesige Agave. Dort verfertigte sie feine, traumhaft schöne Spitzen aus den Fasern der Agave.
Sie nahm aber die Agavenblätter, deren sie bedurfte, niemals von jener riesigen Pflanze, die einsam auf der Klippe vor ihr in die Luft ragte. Wozu auch? Agaven finden sich auf der ganzen Insel Lesina mehr als übergenug. Und gerade die eine riesige Agave auf der nackten Klippe war ihr heilig. Warum? Das wusste sie nicht. Dalmatinerinnen sind nicht oder höchstens ausnahmsweise sentimental.
Die Leute nennen diese Pflanze Aloë, die Gelehrten sagen, es sei die Agave americana. Wahrscheinlich haben die Gelehrten Recht. Wie sie aus Amerika nach Dalmatien, wie sie vom Festlande auf die Insel Lesina gekommen, ist ein Geheimniss. Die Gelehrten sagen, dass es eine Zeit gegeben, zu welcher die Insel Lesina gar keine Insel war, sondern mit dem Festlande zusammenhing. Damit glauben die Gelehrten das Geheimniss theilweise gelöst zu haben, und wahrscheinlich haben sie auch diesmal Recht. Die Pierina wusste zwar nichts von den Annahmen der Gelehrten, aber sie wusste, dass sie als ganz kleines Kind schon auf diesem Platze unter dem Johannisbrotbaume so gerne gesessen, und dass sie damals schon davon gehört habe, wie die Agave fünfzig Jahre brauche, um zu blühen und wenn sie geblüht habe – sterbe. Das wollte sie sehen. In ihrem einfältigen, kindlichen Kopfe kam es ihr manchmal vor, als ob sie selbst eine Agave oder mit der Agave auf der einsamen, nackten Klippe Eins wäre. Das war aber nur so eine Einbildung, sie selbst glaubte es nicht ernstlich.
Fünfzig Jahre und vierzehn! Das reimt sich wohl schlecht zusammen, aber die prächtige Agave – ihre Agave – war schon ein mächtiges Gewächs, als Pierina noch ein kleines Kind gewesen. Darum hofft sie noch immer darauf, gerade diese Agave blühen und – sterben zu sehen. Es war aber nicht Bosheit, sondern nur Neugierde.
Im verflossenen Jahre, als sie anfing verständiger zu werden und es in ihrem eigenen kleinen Köpfchen so ganz sonderbar zu rumoren und summen begann, als ob sie jetzt erst erwacht wäre und die ersten zwölf[138] Jahre ihres Lebens im Traum zugebracht hätte, – da weinte sie an einem wunderschönen Frühlingsabend bei dem Gedanken, dass die arme Agave nun werde bald sterben müssen. Wenn man aber kaum vierzehn Jahre zählt, so tröstet man sich über derlei Dinge leicht und Pierina lächelte bereits wieder, als ihr die letzte Thräne in das Spitzengewebe fiel, an dem sie eben arbeitete.
Es geht aber mit dem Leben einer Pflanze kaum anders als mit dem Menschenleben: man weiss nicht recht, wann es beginnt und man bemerkt selten sein wirkliches Ende. In eine kleine kaum sichtbare Spalte der nackten Klippe hat der Zufall das Pflänzchen eingenistet. Drei oder vier lanzenförmige Blättchen zeigten sich an ihrem Rande, mit weichen biegsamen Stacheln eingefasst. Im nächsten Jahre haben sich ein paar neue Blätter dazu gefunden, im abernächsten Jahre wieder. Es bildet sich in der Mitte ein grösserer, schlank verlaufender, an der Spitze mit einem grossen Dorn bewehrter Zapfen, und von diesem lösen sich dann alljährlich ein oder zwei Blätter ab. Diese werden immer grösser und stärker, die Dornen, mit denen sie bewehrt sind, immer härter, und nach vielleicht fünfzehn oder zwanzig Jahren prangt das Gewächs in einer Fülle von mächtigen, saftstrotzenden, am Rande mit furchtbaren Stacheln bewehrten Blättern, die in schöngeschwungener Beugung den schlanken Zapfen umfassen, von dem sie sich eines um das andere losgelöst und den sie jetzt mit ihren starken Dornen beschützen.
In diesem Jahre hoffte Pierina ihren Lieblingswunsch erfüllt zu sehen. Es entwickelte sich in der prachtvollen Pflanze vor ihr ein eigenthümlich geheimnissvolles Leben. Der mächtige Zapfen mit dem furchtbaren Dorn schwoll an und weitete sich mehr, als es sonst geschehen war. Er strebte und drängte heraus aus seiner Blätterhülle – und eines Tages war diese gesprengt und es kam der grüne, starke Schaft des Blüthenstieles zum Vorschein.
Schade! Gerade zur Zeit, als diese geheimnissvolle Wandlung sich mit der Agave vollzog, wurde die Aufmerksamkeit Pierina's von derselben abgelenkt. Es war ein fremder junger Mann nach Lesina gekommen, der dem Vater Pierina's empfohlen war. Der strich durch viele Stunden des Tages über Klippen und Gestein und brachte Pflanzen mit nach Hause. Die trocknete er zwischen Blättern von Papier. Dann schrieb er auch viel. Aber es blieb ihm immerhin Zeit genug, die vierzehnjährige Pierina auf[139] ihrem einsamen Liebesplätzchen zu besuchen. Da sprach er mit ihr vom Meer und von den Pflanzen und wie die Natur so wunderschön und doch wieder so geheimnissvoll sei, gerade so wie die unergründlichen Augen Pierina's.
Vielleicht hat er auch von Liebe mit ihr gesprochen, das ist aber niemals bekannt geworden. Von ihnen Beiden hat Keines etwas davon einer andern Menschenseele erzählt und der einzige Zeuge ihrer Gespräche war eine Agaveblüthe.
Die Agave hatte gehalten, was sie versprochen und was Pierina seit ihren Kinderjahren erwartet und erhofft. Ein mächtiger Stamm, über dreissig Fuss hoch, war aus dem trotzigen Blattbüschel in der kurzen Zeit von zwei Monaten herausgeschossen, hatte Zweige nach allen Richtungen hinausgesendet und diese Zweige waren über und über mit zarten in gelb und weiss prangenden Blüthen bedeckt. Und wenn die jungen Leute dort beisammen sassen, da trug der kühlende Seewind den berauschenden Duft der Blüthen gerade hin zu dem jungen Paar.
Blumenduft ist gefährlich, er berauscht so leicht.
Und doch dachte Pierina jetzt weniger an die Agave als je. In ihrem Innern schien auch eine Blüthe aufgegangen zu sein, obwohl sie beiweitem nicht das Alter der Agave hatte. Bei Mädchen geht es schneller und Pierina zählte noch nicht fünfzehn. Und als der Herbst gekommen, da fielen die Blüthen der Agave langsam ab. Der Wind trug sie in die Wellen. Auch der junge Mann – Lorenzo hiess er – schnürte sein Bündel und zog wieder fort über das Meer, auf dem er gekommen. Er hatte ihr zum Abschied gesagt, dass sie ein gutes und liebes Mädchen sei, nur schade, dass sie eben in Lesina aufwachsen musste, wo Frauen so gar nichts von den Sitten der grossen Welt – seiner Welt! – lernen und wissen.
Pierina hatte beim Abschied nicht geweint. Sie sass jetzt wie früher auf ihrem Lieblingsplätzchen unter dem Johannisbrotbaume, vor sich die nackte Klippe mit der mächtigen Agave und weiter draussen das unendliche Meer. Jetzt kam es ihr wieder so vor wie in frühern Jahren, als ob sie Eins mit der Agave vor sich wäre. Denn auch sie blühte nicht mehr. Ihre Wangen wurden täglich blässer und ihre flammenden Augen täglich grösser. Das Ende der Agave hat sie aber nicht mehr mit ansehen können, denn als der Winter mit seinen ersten Borastürmen über Dalmatien hinraste, da war die Pierina gestorben.
Auch die Agave starb im nächsten Jahre – ihre mächtigen Blätter wurden welk und fielen zu Boden. Und auf einem derselben fanden sich einige Zeilen eingeritzt – dieselben, die zu Anfang dieser Erzählung wiedergegeben sind. Sie lauten zu deutsch:
»Lieber Renzo! Ich wollte Dir schon seit langer Zeit schreiben, aber ich glaube, dass Du mich nicht mehr liebst. Du musst wissen, dass ich Dir zu sagen habe, wie sehr ich Dich liebe. Ich kann nichts mehr thun, als Dir tausend glühende Küsse senden. Lebe wohl, Renzo, auf immer lebe wohl. Auch für meine Abreise hat die Stunde geschlagen. Deine Dich liebende Pierina.«
»Am Weihnachtsabende des Jahres 1874.«
Ein ruhig sonnenheller Tag liegt über den Bergen, schimmert über die im Frühlingsschmucke prangende Küste, zittert über das weite Meer. Auf der schönen Strasse, die von Ragusa nordwärts gegen den eigentlichen Hafen, gegen Gravosa, führt, haben sich die zu beiden Seiten derselben gepflanzten jungen Bäumchen mit zarten Blättern geschmückt, am Fusse der gegen die Küste sanft zu verlaufenden Berge stehen die Gärten im Frühlingsblüthenschmuck, hohe Palmen bewegen ihre fächerartigen Zweige im Westwind, trotzige Aloën recken ihre fleischigen dornbewehrten Blätter, Rosen und wildwachsende Levkoyen blühen dazwischen, die Berge im Hintergrunde deckt der Oelbaum. Draussen aber im Hafen wiegt sich die Möve.
Es ist nicht der traute, weissgraue Vogel, der, den Matrosen heilig, in langsamen Fluge über das Meer streicht, seine Nahrung suchend und in den Wellen findend, sondern Sr. Majestät Kriegsdampfer »Möve«, der in Gravosa vor Anker liegt. Die schlanken kühnen Formen werden von den Wellen sanft geküsst, die mächtigen Masten ragen gegen den Himmel, die Raen und das Tauwerk heben sich fein und zart vom durchsichtigen Blau des Horizontes ab. Auf der Brücke steht der Wachoffizier, mit der schwarzgelben Feldbinde umgürtet und dem Fernrohr in der Hand. Waffen führt er keine, obwohl er im Dienste ist. Eine Schildwache mit gezogenem breiten Pallasch geht langsam auf und ab. Auf dem Vorderdecke steht eine kleine Gruppe von Matrosen, untersetzte kräftige Gestalten, in ihren kleidsamen blauen Jacken mit dem weit ausgeschlagenen Hemdkragen; sie sprechen leise zusammen.
An Bord eines Kriegsschiffes, und zwar eines österreichischen Kriegsschiffes, geschieht Alles leise. Ein kurzer Commandoruf, ein schrilles Pfeifen, vielleicht einmal ein Hornsignal, das ist Alles. Sonst thut Jeder seine[142] Pflicht, wagt sein Leben, übt, lernt, arbeitet hoch im Takelwerk, auf dem Verdeck, unten im Schiffsraume, stirbt, wenn es nothwendig ist, aber er schweigt. »Muss Sieg von Lissa heissen!« so lautet der lakonische Befehl, mit welchem Tegetthoff das tausendstimmige Brüllen der Kanonen entfesselte und das grosse markerschütternde Drama einleitete. Nur fünf Worte. Und – es hiess wirklich Sieg von Lissa!
An der Steuerbordseite der »Möve«, gegen das Land zu, durch den Schiffskörper verborgen, schaukelte das feingeschnittene schöne Gigg des Commandanten. Sechs Gasten sassen drinnen, auf ihre Riemen gestützt. Sie warteten des Commandanten und seiner Gäste, welche noch unten in der Cajüte bei einem Glase Sherry weilten. Heute, wo diese Zeilen gedruckt zu lesen, heute trennt mich bereits lange wieder Land und Meer von den lieben alten Freunden, von dem Commandanten Sr. Majestät Kriegsdampfer »Möve« und dessen zweitem Gaste, einem unserer tüchtigsten Flotten-Officiere. Und so sei es mir gestattet, ihnen hier einen freundlichen Gruss zu entbieten und ihnen Beiden die schönen Stunden in's Gedächtniss zu rufen, die wir vor Zeiten mitsammen zugebracht, die schönen Stunden, die wir zuletzt in der traulichen Commandanten-Cajüte der »Möve« zusammen verlebt und den reizenden Ausflug, den wir unternommen in das Thal der Ombla bei Ragusa. Und es sei mir auch gestattet, hier der österreichischen Marine-Officiere überhaupt zu gedenken – es ist mir ein Herzensbedürfniss – ihres freundlichen Entgegenkommens, ihrer anspruchlosen, liebenswürdigen, herzgewinnenden Bescheidenheit, ihrer still betriebenen Studien, ihres umfangreichen Wissens, ihrer Weltkenntniss und ihres wackern, durch und durch ehrenhaften Wesens. Alle Provinzen des weiten Kaiserstaates sind in dem Officiercorps der österreichischen Marine vertreten, alle Sprachen des polyglotten Oesterreich werden unter ihnen gesprochen, aber dort verschwindet jede nationale Färbung und ich habe mich niemals so sehr als Oesterreicher gefühlt als an Bord eines österreichischen Kriegsschiffes, unter dem Schatten der vom hohen Maste flatternden österreichischen Flagge!
Wir klommen von der Cajüte an Deck und bestiegen sodann das schaukelnde Gigg. Die Fallreep-Pfiffe schrillten – die Ehrenbezeugung für den das Schiff verlassenden Commandanten – am Bug des Giggs flatterte das Wimpel, am Achter die Flagge. »Stosst ab! Vorwärts!« und unter den tactmässigen Schlägen von sechs Rudern flog das leichte Boot in kühner[143] Schwenkung um den Körper der »Möve« herum, hinauf gegen die Mündung der Ombla.
Wenn man, vom Norden kommend, durch den Canale di Calamotta in den Hafen von Gravosa einfährt, so treten gegen Osten, gerade gegenüber der Halbinsel Lapad, die Berge, die bis dahin in ununterbrochener Reihenfolge die Küste begleiten, klaffend auseinander und bieten die Aussicht frei auf ein reizendes Thal. In der Mitte desselben strömt ein breiter Fluss von süssem, kristallhellem Wasser, tief genug, um selbst grösseren Schiffen Einlauf zu gewähren, in das Meer. Es ist die Ombla. Etwa eine Viertelstunde von der Mündung des Flusses aufwärts hat derselbe durch angeschwemmte Steine und Erdreich eine flache Insel gebildet, die, mit Binsen und Röhricht überwachsen, ein schönes gleichmässiges grünes Dreieck bildet, dessen eine Spitze gegen das Meer gekehrt ist. Zu beiden Seiten des Flusses steigen die Ufer rascher gegen die bewaldeten Berge, mit prachtvoller fremdartiger, südlicher Vegetation bedeckt. Wieder stehen da Palme und Lorbeer, Myrthe und Aloë, hochstämmiger Rosmarin, Oel- und Feigenbaum und die schlanke, dunkle Cypresse.
In der blühenden Wildniss sind längs der Ufer kleine Gruppen von bewohnten Häusern und einzelne Ruinen zerstreut. Von den letzteren stehen gewöhnlich die Mauern der oft zweistöckigen Villen gänzlich unversehrt, die Fensteröffnungen sind mit schön gearbeiteten Simsen versehen, aber das Dach fehlt, die Häuser sind ausgebrannt und mitten im Hausraume, wo einst das traute Heim glücklicher Menschen war und vielleicht fröhliche Kinder sich tummelten, wuchert jetzt Lorbeer und Rebe. Es waren die Russen im Vereine mit Montenegrinern und Herzegowinern, welche im Jahre 1806, als der französische General Lauriston die Stadt besetzt hielt, Ragusa angriffen und im ganzen Umkreise der Stadt alles verwüsteten, niederbrannten und zerstörten. Die Einwohner flüchteten damals; als aber die Russen mit ihren Verbündeten abgezogen waren, da war die Bevölkerung durch die Zerstörung ihres Besitzstandes zu arm geworden, um ihre Häuser wieder aufzubauen, und so ist heute noch ganz Ragusa mit Ruinen zerstörter Villen umgeben.
Besonders eine dieser Villen – sie ist am linken Ufer der Ombla gelegen – ist bemerkenswerth. Wir legten an der prächtigen, drei Klafter breiten Treppe an, die bis an den Wasserspiegel führt. Ein grosses, weitgedehntes Gebäude lag vor uns in mittelalterlicher Bauart. Schöne Säulen[144] aus Marmor und Sandstein tragen die Bogen einer riesigen, gegen den Fluss offenen Halle. An den Wänden der letzteren prangen Fresken in wunderschönen, lebhaften Farben, als ob sie gestern erst vollendet worden wären. Sie stellen einzelne Scenen aus der Aeneide dar. Schon auf der Stiege hatten wir den süssen, betäubenden Geruch von Lorbeerblättern verspürt und sahen jetzt die grosse Halle mindestens zwei Fuss hoch mit trockenen Lorbeerblättern bedeckt. Mehrere Männer in der kleidsamen halbtürkischen Tracht der Bauern aus der Umgebung von Ragusa waren damit beschäftigt die trockenen Blätter in grosse Säcke zu füllen. Unter dem Thore stand ein Esel und schnupperte mit der Nase unter den vielen Lorbeerblättern, die noch nicht zum Kranz gewunden waren, und die auch diese Bestimmung offenbar nicht erwarten.
Lorbeerblätter in Säcken und ein Esel dabei! Pah – ist doch Alles nichtig in dieser Welt – selbst Lorbeern!
Auf dem einen Felde der Wand war eine schöne Dido dargestellt mit Aeneas zu ihren Füssen. Die Bauern machten uns auf das Bild aufmerksam und sagten uns, es sei eine Muttergottes mit dem heiligen Antonius von Padua; wer sie aber gemalt habe, wem das Haus gehöre mit dem schönen Parke, der sich in Serpentinen hinter dem Hause bergan zieht, das wussten sie nicht. Sie wussten nur, dass ein sehr reicher Herr der Eigenthümer des Hauses gewesen, dass die Russen und Montenegriner dasselbe zerstörten, dass der Park ober dem Hause jetzt gänzlich verwildert sei und dass das ganze Besitzthum jetzt kaum etwas abwerfe, als ein wenig Oliven und die Lorbeerblätter, die wir sahen. Dafür aber führten sie uns über eine halsbrecherische Holzstiege in das zweite Stockwerk und zeigten uns da eine merkwürdige sechseckige Badestube ganz ohne Fenster und mit einer so niederen Thür, dass man – wörtlich genommen – auf allen Vieren hineinkriechen muss.
Wir stöberten und krochen noch lange in dem alten Hause und in der blühenden Wildniss herum, von der es umgeben war, ohne von den Leuten eine weitere Auskunft über den Eigenthümer des Hauses erhalten zu können. Der Eigenthümer sei ein reicher Herr, – hiess es – und lebe nicht in Ragusa, das Haus sei verpachtet, und dessen Räume dienen jetzt nur zum Trocknen der Lorbeerblätter. Der Esel dort und noch einige Eseln tragen die Lorbeerblätter sackweise nach Ragusa und von dort aus werden sie weiter verschifft, – nach Triest.
Das musste uns genügen, wesshalb wir unser Gigg wieder bestiegen und stromaufwärts gegen die Quellen der Ombla fuhren.
Wenn man auf der Bergfahrt die Hälfte des nur eine halbe Stunde langen Flusses hinter sich hat, so verschliesst ein ungeheuerer Felsen, von welchem her die Ombla zu Thal fliesst, die Aussieht. Man fragt sich vergebens, aus welcher Schlucht denn das Becken der Ombla sich hervorwinden könne; es ist eben Alles von zackigen Felsen, die einen weiten Halbkreis bilden, eingeschlossen und nur aus der weissen Farbe des Flusses erkennt man, dass seine Wasser hier irgendwo mit Gewalt herausbrechen oder durch eine plötzlich verengte Schlucht gezwängt werden.
Es scheint, dass Beides der Fall ist. Man sagt nämlich – und ich weiss nicht, ob irgend Jemand sich darüber Gewissheit verschafft habe – dass der bosnische Fluss Trebinschizza, welcher nicht weit von der österreichisch-türkischen Grenze sich in einen Steinschlund verliert, an der Sohle des Omblathales wieder zu Tage trete. Wie dem auch sei, so viel ist gewiss, dass es einen überraschenden Anblick gewährt, die schäumenden und tosenden Wassermassen aus tausend Ritzen und Sprüngen des nackten Felsen in gewaltiger Wucht mit schneeweissem Gischt herauskochen zu sehen, zu sehen, wie sie unmittelbar darauf in wilder Eile über die Räder der dort befindlichen Mühle stürzen um dann beruhigt und geklärt im majestätischen Laufe sich dem Meere entgegenzurollen.
Bei der Rückfahrt besuchten wir ein einsam am rechten Ufer der Ombla liegendes Franciscanerkloster. Wir mussten lange an der Thüre klopfen, bis uns ein steinalter Laienbruder öffnete, dessen übermässige Magerkeit die Vorstellung Lügen strafte, die man sich gewöhnlich von dem behäbigen Aussehen der in frommem Nichtsthun dahinlebenden Mönche macht. Er zeigte uns bereitwilligst das ganze uralte Klostergebäude, das, wie aus einer alten Inschrift ersichtlich, durch das Erdbeben des Jahres 1666 halb zerstört worden war. In dem riesigen, von einem prächtigen Säulengang umgebenen Hofe lagen und standen einzelne Capitäle und abgebrochene Säulenschafte, das Gras wucherte aus den Fugen der Steinplatten und ein in der Ecke stehender riesiger Lorbeerbaum verdeckte drei oder vier der vergitterten Fenster. Wir waren noch mit dem Lesen einiger alter auf Grabmälern angebrachter Inschriften beschäftigt, als ein zweiter Klosterbruder herabkam. Es war der Pater Guardian; er und der[147] magere Laienbruder bildeten zusammen die ganze »Besatzung« des ausgedehnten Klosters.
Der Pater Guardian war sehr dick und roch unangenehm nach Wein und frischen Zwiebeln. Er führte uns zuerst in ein riesiges Refectorium und dann in die ärmliche Kirche. Wenn man die winzige Kirche mit ihren wenigen Betstühlen und den engen Gängen zwischen denselben mit dem grossartig angelegten Refectorium verglich, so mochte man sich wohl die Frage stellen, wie denn die Mönche, welche ehedem das Refectorium füllten, doch in der Kirche Platz finden konnten. Ich wagte sogar eine derartige Frage an unseren dicken Guardian, der mir aber salbungsvoll erwiderte, dass im Refectorium nicht nur gegessen, sondern auch gebetet wird. Damit war ich geschlagen. Im Refectorium waren weitlaufende altersschwarze Tische aufgestellt, an denen mindestens hundertfünfzig Personen Platz nehmen konnten. Dort speiste der dicke Prior und der magere Laienbruder allein – »wenn sie etwas hatten« – sagte der alte Herr. Der Laienbruder hielt sich demüthig im Hintergrunde.
In einer Ecke des Refectoriums war eine Art Fenster in der Mauer angebracht, das in eine dunkle Küche führt. Um das Fenster herum stand der wohl zu beherzigende Spruch: aequa divisio non conturbat fratres45. Ob die »divisio« auch heutzutage noch so gleichmässig sei, wollte uns schier zweifelhaft scheinen, wenn wir den dicken Guardian und den mageren Laienbruder ansahen. Der Guardian machte uns hierauf auf ein rohes alfresco-Gemälde aufmerksam, das sich ebenfalls an der Wand befand. Es stellt einen dicken Fisch vor, der bestrebt ist, einen vor ihm befindlichen mageren Fisch zu verschlingen. Wir glaubten anfangs eine allegorische Anspielung auf den dicken Guardian und den mageren Laienbruder zu sehen, wurden aber bald eines Bessern belehrt.
»Es ist eigentlich ein Wunder,« sagte der Guardian, »wenn es auch Manche nicht glauben wollen. Es war im Jahre 1589 – sehen Sie, da steht es drunter geschrieben, 1589 addi 12 Novembre – als ein Klosterbruder ausging, um Almosen zu sammeln. Es war aber ein schlechtes Jahr gewesen und die Leute hatten selbst nichts – so ging also der Bruder mit seinem leeren Esel traurig dahin am Ufer der Ombla. Da hörte er plötzlich ein Geräusch – – ein kleiner Fisch sprang an das Land –[148] ein anderer grosser Fisch, der den kleinen fressen wollte, ihm nach. Und der Bruder fing alle beide, so dass alle Brüder zu essen hatten, denn der grosse Fisch war ein Thunfisch und wog achtzig Pfund. Darum sind beide hier aufgemalt. Jetzt sind wir nur unser Zwei im Kloster und brauchten kein so grosses Wunder – aber ein kleines Wunder thäte uns gut, denn wir haben wohl Wein und Oel für Beide, aber sonst gar wenig zu essen.«
Einer meiner Begleiter warf die Bemerkung hin, es wäre ein in der Welt ziemlich häufig vorkommender Fall, dass die kleinen Fische von den grossen gefressen werden, aber diese Betrachtung schien dem dicken Guardian zu subtil und er wiederholte nur den Wunsch, dass der liebe Gott recht bald ein Wunder zu Gunsten des Klosters und seiner »Besatzung« wirken möge.
Der magere Laienbruder seufzte.
Wir baten den Guardian, ein kleines Scherflein für die Bedürfnisse des Klosters von uns anzunehmen und empfahlen uns. Eine Minute darauf flog unser Gigg stromabwärts dem Meere zu, auf dem die schöne »Möve« im Abendsonnenschein sich wiegte.
Vom Himmel herab flimmerten die Sterne und spiegelten sich in der unbewegten Fläche des Meeres. Unser Boot flog, von zwei Rudern getrieben, still dahin und die kleinen Wasserberge, die vor dem Bug sich aufwarfen, schossen helle Silberstrahlen hinauf gegen den dunkeln Himmel, so dass sich Sternengold und flüssiges Silber in schönen Wellenlinien zu begegnen schienen. Auch von den Rudern herab floss es in tausend Silberfäden und leuchtende Perlen schwammen in unserm Kielwasser. Sonst war das Meer weithin schwarz und regungslos, denn die Frühlingsnacht hatte sich warm und schwer darübergelegt und heute leuchtete kein Mond. Bei Mondenschein gibt es keinen Sardellenfang, und um den Sardellenfang zu sehen, schossen wir hinaus in die sternenflimmernde Nacht und in die dunkle See.
Wir fuhren aus dem Hafen von Lesina. Blumenduft gab uns das Geleite und zog hinter uns her über die See. Rosmarin, Orange, Lorbeer und die dalmatinische Föhre dufteten von den Anhöhen, welche die Bucht umsäumen und tausend aromatische Kräuter mischten ihren Blüthenhauch drein. Bäume, Blüthen und Berge waren aber von Nacht bedeckt. Nur selten zeigte sich an halber Himmelshöhe eine zackige, dunkle, von einem feinen, hellern Streifen begleitete Linie – es waren die Kuppeln des Höhenzuges, der die Bucht von Lesina gegen Nord und Ost in weitem Schwunge bekränzt. Wir glitten rasch weiter in die Nacht hinein mit dem schwarzen Meeresspiegel vor uns und dem silbern dämmernden Kielwasser unseres Bootes im Rücken.
Eine Stunde dauerte die Fahrt. Von Zeit zu Zeit tauchten zur Rechten und Linken massive dunkle Flecke auf; es waren Kuppen oder grössere Felsen-Inseln, zwischen welchen hindurch unser Weg uns führte. Dann lag[150] wieder die weite dunkle Fläche glatt vor uns mit dem Sternengefunkel drinnen.
»Jetzt fahren wir um den Scoglio Trauna herum, zwischen Karbun und Klebuk durch – und dann sind wir auch bei den Fischern. Heute muss es wieder einen guten Zug geben, denn die See hat sich gegen Abend abgekühlt. Es gab eine ordentliche Landbrise.« So sprach nach einer Stunde absoluter Schweigsamkeit der ältere unserer Ruderer. Der Mann hatte zur See gedient und war bei Lissa gewesen, wie er uns später erzählte.
Vor uns zeigte sich ein dunkelrother Schein, von dem sich eine Reihe von Klippen scharf abhob. Das Boot machte eine Wendung, die Klippen zu unserer Rechten verschwanden und ein breiter Lichtstrahl drang zu uns her, der Alles rings herum in noch tiefere Nacht hüllte und nur die Fischerbarke beleuchtete, von der er ausging und zwei andere, die in ihrer Nähe lagen. Es waren die Fischer.
An Bord der Barken war Alles in lebhafter Bewegung. Die eine derselben hatte an einer starken Eisenstange, die über den Rand des Fahrzeuges hinausragte, ein halbrundes Eisengitter als Rost befestigt, auf welchem grosse Stücke Föhrenholz brannten. Die Flamme war blutroth und der Rauch strich, von der schweren Luft niedergedrückt, über das Wasser hin. Als unsere Augen sich an den blendenden Schein der Flamme und die grelle Beleuchtung etwas gewöhnt hatten, konnten wir, näher kommend, allgemach die einzelnen Personen unterscheiden, die in den Barken sich befanden. Ein alter Mann mit von tausend Runzeln durchzogenem wettergebräuntem Gesichte und schneeweissen Haaren stand am Bug neben dem Feuer und blickte angelegentlich in das Wasser. Zwei Andere stützten sich auf die langen Ruder, die sie in gleichmässigem Tacte, aber langsam bewegten. Niemand von ihnen sprach ein Wort. Eine zweite Barke bewegte sich, gleichen Schritt haltend, in einiger Entfernung neben der ersten hin und im Hintergrunde schaukelte sich ruhig eine dritte, auf welcher zwei Männer, scheinbar unthätig, aber mit gespannter Aufmerksamkeit dem Fischzuge folgend, sassen.
Plötzlich erschollen aus der Richtung her, gegen welche die Barken sich bewegten, einzelne Rufe in slavischer Sprache, kurz und abgemessen wie ein Commando. Sie kamen vom Lande her, von dem Ufer einer kleinen Felsen-Insel, die vor uns lag und eine Bucht bildete, in welche wir,[151] ohne es zu bemerken, eingefahren waren. Auf jeden Commandoruf hob sich etwas Langes von der Wasserfläche, um gleich darauf wieder plätschernd zurückzufallen. Es waren, wie unser Führer uns belehrte, die Seile, an welchen das Netz an's Land gezogen wurde.
»Sind denn wohl Sardellen im Netz?« fragte ich verwundert, denn ich dachte, dass das eigentliche Fischen noch nicht begonnen hätte.
»Sardellen? natürlich! – Sehen Sie nicht, wie sie davonspringen? Das sind jene, die aus dem Netz entkommen, bevor es noch vollkommen geschlossen ist – jetzt aber ist es bald beisammen und dann entkommt auch nicht eine mehr.«
Wirklich sahen wir nun einzelne helle Streifen, die silbernen Pfeilen gleich, sich aus dem Wasser hoben, um, einen Augenblick an der Oberfläche dahinschiessend, gleich wieder in demselben zu verschwinden. Es waren Sardellen, die sich flüchteten; immer aber schossen sie gerade auf das Leuchtfeuer der Barke zu. Wäre dort ein zweites Netz gewesen, so würden sie in dasselbe gerathen sein, nachdem sie der ersten Gefahr glücklich entronnen.
Jetzt zeigten sich an der Einfahrt der Bucht zwei andere Barken, die langsam auf uns zukamen. Die Fischer in den drei Barken blickten besorgt auf die neuen Ankömmlinge. Wir erfuhren, dass es sich da um etwas handle, was man im gewöhnlichen Leben eine Gewerbsstörung nennt.
Nicht jeder Platz ist zum Sardellenfang geeignet. Der Schwarm der im offenen Meere ziehenden Sardellen wird durch das weithin sichtbare Leuchtfeuer der Barke zuerst nur angelockt. Sobald die Fischer bemerkt haben, dass die Fische dem Feuer folgen, bewegen sie sich langsam der Küste zu, wo in irgend einer Bucht der sandige, allmälig verlaufende Grund gestattet, das feine Netz darüber hinzuziehen. Denn auf felsigem Boden würde das Netz hängen bleiben und zerreissen. Damit aber die Sardellen das Feuer bemerken, muss die Nacht möglichst finster sein, daher der Fang nur bei Neumond vor sich gehen kann. Ferner dürfen die Fische nicht beunruhigt werden, weil sonst der Schwarm nach allen Richtungen zerstöbe. Da man nun jeden Fleck der Küste genau kennt, an welchem ein Auswerfen der Sacknetze möglich ist, so versammeln sich, um Streitigkeiten zu verhüten, vor jedem Neumonde vom Mai bis September die aus je zwölf bis fünfzehn Mann bestehenden Partien der Fischer bei der politischen Behörde und losen um den Fischplatz für die nächsten mondlosen Nächte.
Das gilt für das Fischen mit Leuchtfeuer und Sacknetz. Andere Fischer aber, die ohne Feuer und nur mit einem senkrecht herabhängenden Streifnetze fischen, pflegen dann dem Leuchtfeuer nachzufahren, wodurch der Zug der Sardellen gehemmt, auch theilweise abgehalten wird, dem leuchtenden Magnet zu folgen. Da gibt es oft böse Worte und nicht selten auch Aergeres als Worte. Denn ein guter Zug mit dem Sacknetze kann genug Sardellen einbringen um tausend Fässchen damit zu füllen und tausend Fässchen entsprechen einem Werthe von mehr als zwölftausend Gulden, so dass der Gewinn eines einzelnen Fischers in einer einzigen Nacht fünfhundert bis tausend Gulden betragen kann. Aber Glück müssen die nächtlichen Meeresarbeiter haben und dürfen durch Streifnetze nicht gestört werden.
Alle Fischer sind fromm, während sie das Handwerk üben. Vom Strande her ertönt das Commando: »In Gottes Namen zieht die erste Leine!« oder: »In Gottes Namens zieht die zweite Leine!« Dann wieder: »Gott geb' es, – sie sind drinnen – zieht beide Leinen!«
Und dabei näherten sich die Barken immer mehr dem Ufer und immer näher kamen die unbeleuchteten Barken mit den räuberischen Streifnetzen. Plötzlich unterbrach ein kleines Intermezzo die Reihen der frommen Commandos. Die Barken mit den Streifnetzen waren in dem Dunkel auf etwa fünfzig Schritte herangekommen, als von den anderen Barken ein wahrer Hagel von Flüchen und Verwünschungen losbrach. Und um die Flüche noch kräftiger zu machen, flogen dicke Prügel von Brennholz, wohl gezielt, hinüber, so dass man sie heftig an den Bord der Fahrzeuge anschlagen hörte. Flüche und hölzerne Wurfgeschosse wurden auch drüben nicht gespart und schon wollten wir uns zurückziehen, um nicht in ein unangenehmes Kreuzfeuer von fliegenden Holzstücken zu kommen, als mit einemmale Alles still wurde. Der kritische Moment war vorüber – das Sacknetz streift den Grund – die Leinen waren völlig angezogen und die drei Barken fuhren völlig zusammen um die Beute aus der Tiefe zu heben. Die Barken mit dem Streifnetze suchten das Weite und wir legten uns mit unserem Boote hart an die Fischerbarken, die mit ihren Längsseiten ein Dreieck bildeten, an dessen einem Winkel das Leuchtfeuer hellauf flammte, die Barken und deren Bemannung mit einem Gluthscheine übergiessend.
Die Seitenwände des Netzes waren über den Bord der drei Barken heraufgezogen und auf der Fläche, die ringsum von den feinen Maschen[153] begrenzt war, war Alles Leben und Bewegung. Es sprudelte und kochte und plätscherte mit einem betäubenden Geräusche, gerade als ob ein heftiger Platzregen auf Steinplatten fiele. Es waren die Sardellen, die endlich – aber zu spät – sich ihrer Verblendung bewusst wurden und nun in wahnsinnigen Sprüngen sich über das Wasser zu heben und zu entkommen suchten.
Die Männer tauchten Handnetze in das Gewühle der zappelnden silberglänzenden Fische und leerten eines nach dem andern in den Boden der Barken. Zwei Barken füllten sich bis hoch hinauf mit den kleinen zarten Geschöpfen, die, schon im Trockenen, noch immer zappelten und sprangen und sich gegen das ungewohnte Element wehrten. Es waren ihrer, wie die Leute mit kundigem Auge schätzten, genug, um gegen zweihundert Fässer damit zu füllen – also ein guter und schöner Zug, der Alle zufriedenstellte. Als der alte Fischer uns einen Korb frischer, noch lebender Sardellen in das Boot hinüberreichte, that er es auch mit einem »Gott sei die Ehre für den heutigen Fang!« aber unterliess es doch nicht, gleich darauf den davonfahrenden Barken mit dem Streifnetze einen kräftigen Fluch nachzusenden über das dunkle, leise athmende Meer.
Römische Machtausdehnung, italienischer Kunstsinn, venezianische Tyrannei, Türkenkriege, kühne Fahrten über das ungemessene Meer, Seeräuber, Erdbeben, Hungersnoth, orientalische Pest und die treibende, ewig drängende und schaffende Kraft des wunderbaren südlichen Klimas, das sind die Elemente, aus denen sich die Chronik dalmatinischen Landes und dalmatinischer Städte zusammensetzt, das die Factoren, die Dalmatien bald aufblühen machten mitten in dem wirren Chaos römischer Kriegszüge und mittelalterlicher Fehden, bald zurückbleiben in dem Wettkampfe der Völker auf der Bahn des Fortschrittes. Gegenwärtig ist Dalmatien weit, sehr weit zurückgeblieben in seiner physischen und moralischen Entwicklung – die Ruinen seiner Städte und die prachtvollen, aber halbzerfallenen Ueberreste seiner römischen und venezianischen Baudenkmale bieten einen beinahe ebenso traurigen Anblick wie die hellen Spitzen seiner entwaldeten Berge.
Was hier von Dalmatien im Allgemeinen gesagt ist, das findet im Besonderen seine Anwendung auf die Stadt und Insel Curzola. Corcyra Nigra hiess die Insel bei den Römern von der dunkeln Farbe, welche die auf den Bergen prangenden Nadelwälder der Insel gaben; – heute könnte man sie beinahe mit demselben Recht »die weisse« nennen, mit welchem sie einst »die schwarze« hiess, denn ihre Wälder sind bis auf wenige kleine Bruchtheile verschwunden, ihre Quellen sind versiegt und mit ihnen der Reichthum, der von Oben kommt. Heute sind die Curzolaner nur mehr auf das Meer angewiesen, das eben das alte geblieben, und man kann ihnen nicht nachsagen, dass sie diese letzte ihrer Hilfsquellen nicht emsig genug benützen.
Am Nordende der Insel erstreckt sich eine winzig kleine Halbinsel beinahe kreisrund in das Meer, nur mittels einer dünnen Landenge mit dem Eiland in Verbindung. Diese Halbinsel bildet einen vollkommen abgerundeten[156] regelmässigen Kegel, der mit alten, bereits halbzerfallenen Palästen bedeckt ist. Eine noch ganz erhaltene, mit Thürmen versehene Mauer umgibt die Stadt – Curzola – und auf dem Gipfel des Hügels steht die alterthümliche, im gothisch-byzantinischen Style erbaute Domkirche, die das Gewirre der engen, den Berg anstrebenden Gässchen krönt. Vom Meere aus gesehen, bietet die Stadt den schönen Anblick, der allen Bauwerken der Venezianer eigen, – von Innen mahnt sie nur gar zu deutlich an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Die Häuser mit den prächtigen, altvenezianischen Portalen und Gesimsen stehen leer – die Stockwerke sind einfach durchgefallen und wenn man durch eines der Fenster in das Innere blickt, so sieht man die hohen, mächtigen Mauern über und über mit wucherndem Epheu bewachsen. Um den Eindruck noch öder zu machen, sind selbst die Thore mit Bruchstücken von Säulen und alten Ziegeln vermauert, so dass man eher einen Friedhof als die Wohnstätte lebender Menschen zu sehen glaubt.
Uebrigens ist die Stadt reinlich und ebenso auch ihre Bewohner. Es steckt noch etwas altrepublikanische Zucht in den Leuten, die seinerzeit gelernt hatten, die Strassen rein zu halten, weil einer der hochgebornen Herren Patrizier durch dieselbe seines Weges kommen konnte, und nett gekleidet zu sein, wenn sie vor dem hohen Rathe zu erscheinen hatten.
Die alten Curzolaner verstanden keinen Spass und hielten etwas darauf, dass ordentliche Gesetze gegeben und auch gehalten wurden. In der Bibliothek des kaiserlichen Real-Gymnasiums wird heute noch das einzig übrige, auf Pergament geschriebene und aus dem Jahre 1214 stammende Exemplar des Statutes aufbewahrt, welches der Freistaat Curzola sich selbst gegeben. Die gesetzlichen Bestimmungen dieses Statuts sind von einem humanen Geiste durchweht, den man im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts wohl vergeblich in irgend einem der heute so hoch civilisirten Länder des übrigen Europas gesucht hätte. Es ist dies ein merkwürdiger Beweis für die Richtigkeit des bekannten Ausspruches, dass Bildung und gute Sitte sich in Spirallinien fortbewegen, des öftern scheinbar zurückschreitend und doch im Ganzen vorwärtsstrebend. Dass heute Dalmatien sich in der Epoche des scheinbaren Rückschrittes befinde, wird kaum Jemand leugnen, der die jetzige Bildungsstufe der Landbevölkerung mit den Bestimmungen vergleicht, die vor bald sechshundert Jahren in dem Statute des Freistaates Curzola enthalten waren. Da heisst es:
»Capitel 11. Von den Richtern, welche schlagen.«
»Und so befehlen und verordnen wir. Wenn einer von den höheren Richtern irgend eine Person auf irgend eine Weise mit der Hand, mit dem Beil, mit einem Eisen, mit dem Schwerte oder mit dem Messer schlägt oder derselben die Kopfhaare ausreisst oder sie irgendwie in beleidigender Weise geschlagen hat, so soll er (der Richter) mit dem Doppelten der Strafe belegt werden, welcher nach den obigen Statuten jede andere Person verfallen wäre. Und von der Strafe soll der Ankläger den vierten Theil haben und drei Viertheile sollen der Gemeinde anheimfallen; dabei soll immer noch dem Geschlagenen sein Recht gewahrt bleiben auf die Entschädigung, die ihm nach den Bestimmungen dieses Statutes für den erlittenen Schaden, die angewendeten Arzneien und den Zeitverlust gebührt.«
»Capitel 18. Von den Schlägen unter Weibern.«
»Und so befehlen und verordnen wir. Wenn die Weiber untereinander sich mit Steinen oder dem Beile schlagen oder Eine die Andere schlagen liesse, so soll Jene, die schuldig befunden wird, sechs Perpera46 verlieren. Und wenn sie nicht zahlen kann, so soll sie im Kerker bleiben, bis sie bezahlt hat. Und wenn die Geschlagene stirbt, so soll Jene, welche geschlagen hat, als Todtschlägerin verurtheilt werden. Und wenn Eine die Andere beschimpft, so sei sie, wenn es durch einen geeigneten Zeugen bewiesen werden kann, um einen Perperum gestraft und die Beschimpfte möge die Hälfte des Strafgeldes erhalten. Und wenn die Geschlagene irgend ein Glied verliert, so möge sie verhört werden und die Thäterin sei nach den Bestimmungen zu strafen, welche in diesem Statute bezüglich des Verlustes von Gliedern festgesetzt wurden.«
Der Handel mit Menschenfleisch, der in dem freien Amerika erst vor wenigen Jahren durch einen blutigen und langwierigen Krieg unterdrückt werden konnte, wurde bereits im Jahre 1418 für Curzola durch den regierenden Rath aufgehoben. Denn am 9. März des genannten Jahres erliess der Rath ein Gesetz, in welchem es heisst: »In demselben Jahrtausend und Jahrhundert (1418) und zwar am 9. des Monats März, wurde vorgeschlagen, beschlossen und verordnet: Wenn von jetzt an irgend Jemand, welchen Standes, Ranges oder Geschlechts immer, sei er ein Curzolaner oder ein in Curzola wohnender Fremder, auf irgend eine Weise[158] Sclavenhandel treibt, oder Briefe verfasst, schreibt, übersetzt oder veranlasst, welche sich auf zu kaufende Sclaven oder Sclavinnen beziehen, oder wenn Jemand zu diesem Zwecke das Gemeindesiegel von Curzola missbraucht – und wenn Einer, der diesem Verbote zuwiderhandelt, dabei betroffen oder dessen angeklagt und durch wenigstens zwei Zeugen überwiesen oder durch das Gerücht dessen beinzichtigt wird, so soll er ohne Nachsicht gehalten sein, hundert Ducaten in Gold zu erlegen, von welchen zwei Theile der Gemeinde von Curzola gehören und gebühren, während einer, nämlich der dritte Theil dem Ankläger gehört und gebührt, der diese Sünde angezeigt hat. Und diese Verordnung und Vorschrift wollen wir, dass sie von heute an für immer gehalten werde, und wenn Einer nicht so viel hätte, um die Strafe zu bezahlen, so geht es um seine Hand …! Und diese Verordnung wurde durch Stimmkugeln angenommen und beschlossen mit 58 gegen genau 3.«
Gesetze gegen den Sclavenhandel werden heute in Curzola nicht mehr häufig übertreten. Die Bevölkerung hat, seitdem die Landwirthschaft so arg daniederliegt, sich auf einen andern nicht minder nützlichen Erwerbszweig geworfen, auf den Schiffsbau. Und da sind es besonders kleine Boote, welche von den Handwerkern Curzolas so elegant und schön, wie kaum irgendwo, gebaut werden. Eines dieser Fahrzeuge, ein Gigg von geradezu feenhaft schönen Dimensionen, das die Schiffsbauer von Curzola im Jahre 1863 dem Kaiser verehrten, gab den Anlass zur Einführung einer der nützlichsten und in Dalmatien doch so seltenen Institutionen.
Der Kaiser, der das Geschenk gnädigst angenommen hatte, liess den Erbauern des Giggs ein Geschenk von 100 Ducaten zukommen. Dieselben fassten aber den practischen Entschluss, das Geld nicht unter sich zu vertheilen, sondern es als Stammcapital eines zu errichtenden Spar- und Vorschussvereins für Schiffbauer zu verwenden. Gedacht, gethan! Die hundert kaiserlichen Ducaten hatten dem Unternehmen Glück gebracht. Die Leute fingen an zu sparen und ihr erspartes Geld in die Gesellschaftscasse zu legen, und heute verfügt der Verein über ein eigenes schönes Capital. Heute findet ein armer Schiffszimmermann, der alt oder bei der Arbeit zum Krüppel geworden, des Lebens dringendsten Unterhalt bei dem Vereine, und Bettler gehören in Curzola zu den seltensten Erscheinungen.
Das haben des Kaisers hundert Ducaten gethan.
Fußnoten:
1 Hieronymus.
2 Giovanni.
3 Maria.
4 Helene.
5 Barbara.
6 Anna.
7 Altvenetianischer Ausdruck, ungefähr so viel als »gnädige Frau«.
8 Josef.
9 Nicolaus.
10 Frau Zanetta bleibt beschuht und gekleidet, rein und sauber im Hause ……*
11 Eine Art Stadtwache.
12 Schnappsack von Schafwolle.
13 Ein süsser Wein, der ausschliesslich auf der Insel Brazza wächst.
14 Johann.
15 Frau oder Herrin.
16 Lorenzo.
17 Abkürzung für Doimo, den Namen des Schutzheiligen von Dalmatien.
18 Ein grosses Küstenfahrzeug.
19 Schiffsjunge.
20 Simeon.
21 Johann Doimo.
22 Kindsmädchen.
23 Glaube oder Vertrauen.
24 Ein wollener Sack, der ein bestimmtes Getreidemass enthält.
25 Eine Art Schnappsack, der, aus selbstgewirkter Schafwolle bestehend, von den Morlaken auf dem Rücken getragen wird.
26 Gevatter Mathias.
27 Ein türkischer, in der Morlakei üblicher Gruss.
28 Gott sei Dank.
29 Ein Mass, etwas grösser als ein Eimer.
30 Johanna – Hannchen.
31 Stephan.
32 Ortsvorsteher.
33 Hausherr.
34 Hausfrau.
35 Herr.
36 Hier!
37 Elias.
38 Mathias.
39 Paul.
40 Bruder.
41 Danke, danke, Herr Prätor.
42 »Guten Tag, Herr!«
43 Ortsvorstand.
44 Magdalena.
45 Eine gleichmässige Vertheilung stört die Einigkeit der Brüder nicht.
46 Eine alte Münze.
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Weitere Anmerkungen zur Transkription
Ein Inhaltsverzeichnis wurde zur besseren Orientierung ergänzt.
Offensichtlich fehlerhafte Zeichensetzung wurde stillschweigend korrigiert.
Die Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.
Die inkonsistente Schreibweise wurde beibehalten, sofern nicht bei den Korrekturen aufgeführt.
Korrekturen:
S. 16: überkommen → übernommen
den modernen Italienern die Unkenntniss der Geografie übernommen
S. 30: Damatiens → Dalmatiens
das langgestreckte Küstenland Dalmatiens
S. 31: Peppo → Beppo
Da stand das Haus des Herrn Beppo
S. 52: starkt → stark
die Umrisse eines stark verwischten Todtenkopfes zeigt
S. 53: donnne → donne
»il carnevaletto delle donne«
S. 54: musss → muss
an welchem die Procession vorüber ziehen muss
S. 54: nnd → und
und hinter allen dämmerigen Oellämpchen
S. 55: ausgestrekten → ausgestreckten
mit wagrecht ausgestreckten Armen gehen muss
S. 56: Aufmerksam → Aufmerksamkeit
sehen mit peinlicher Aufmerksamkeit darauf
S. 58: Damatien → Dalmatien
Erzählt man doch in Dalmatien hierüber
S. 59: Merre → Meere
eiskalten Fluthen in ungestümer Eile dem Meere zujagt
S. 60: seinen → seinem
um seinem Oelbaume nicht zu schaden
S. 65: welchem → welchen
Das sind die Momente, in welchen sie
S. 65: graviätischer → gravitätischer
und notirt mit gravitätischer Miene jedes Fass
S. 65: und und → und
im Hofraume und verzehren ihr Frühstück
S. 74: Tabakliferanten → Tabaklieferanten
Querzüge meines Tabaklieferanten Duje Braidovich
S. 76: österreichichen → österreichischen
auf der österreichischen Seite desselben
S. 77: Grundsäszen → Grundsätzen
von welchen Grundsätzen die Herren Bischöfe Dalmatiens
S. 81: mus → muss
Das Glas Wein muss übrigens ziemlich tief gewesen sein
S. 93: gewähnt → gewöhnt
und wer an derlei Scenen nicht gewöhnt wäre
S. 109: Aehnlishes → Aehnliches
dass Aehnliches, wie ich es jetzt erzählte
S. 110: lagen → langen
der fünf Fuss langen Flinte seines Vaters
S. 112: dieser → diesen
Bei diesen Worten hatte sein Weib
S. 113: zerklüfteteten → zerklüfteten
Vieh auf die zerklüfteten Bergabhänge treiben
S. 114: Glieden → Glieder
und die erstarrten Glieder zu wärmen
S. 114: Harnmbascha → Harambascha
ehe der Harambascha es ihm erzählte
S. 120: die → di
in der Bocca di Cattaro der Fall
S. 126: nnd → und
die Wogen hoben und senkten unsere kleine Barke
S. 132: oh → ob
hat die Luce gefragt, ob der Andre da gewesen
S. 147: erwiederte → erwiderte
der mir aber salbungsvoll erwiederte
S. 152: aher → aber
Andere Fischer aber, die ohne Feuer