The Project Gutenberg eBook of Riesele: Geschichte eines kleinen Pferdes This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Riesele: Geschichte eines kleinen Pferdes Author: Nikolaus Schwarzkopf Release date: August 16, 2020 [eBook #62943] Most recently updated: October 18, 2024 Language: German Credits: Produced by Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RIESELE: GESCHICHTE EINES KLEINEN PFERDES *** +------------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Gesperrter Text ist als _gesperrt_ dargestellt, Antiquaschrift | | als ~Antiqua~. | | Eine Liste der Änderungen befindet sich am Ende des Buchs. | +------------------------------------------------------------------+ Schwarzkopf/Riesele [Illustration] Nikolaus Schwarzkopf Riesele Geschichte eines kleinen Pferdes 1920 Georg Müller Verlag München 1. bis 3. Tausend Copyright 1920 by Georg Müller Verlag A. G., München Meinen beiden Buben Friedemann und Klaus I Trudel, die kleine, hochträchtige Stute, zog das mit frischem Gras beladene Wägelchen den tiefgleisigen Weg nach ihrem Stalle hinan, und der Bauer, der mit seinen drei Kindern oben auf dem Grase lag, sagte: „Sie hat nun Feierabend für ein paar Wochen: morgen oder übermorgen wird sie uns ein Füllen schenken!” Die Kinder, zwei Buben und ein Mädchen, hüpften aus Freude darüber von dem Wagen herab, und auch der Vater kletterte herunter, und alle vier sprangen sie an die Radachsen und drückten und schoben, daß Trudel nicht mehr zu ziehen brauchte und vor Freude laut aufwieherte. Aus dem Fenster der Wohnstube, grad überm Stalle, guckte die Bäuerin, die Mutter der Kinder, und rief: „Ist's Zeit für die Trudel, soll ich kommen?” Sie kam auch schon die hohe Steintreppe herabgesprungen, verlor den einen Holzschuh, stieß auch den anderen zur Treppe hinab und riß die Stalltür auf und rannte barfuß in die kleine Scheune, frisches Stroh zu holen. „Nur Geduld!” sprach der Bauer, „so eilt's wohl nicht, Katherin; ihr Weiber seid mir allzu ängstlich besorgt um euer schweren Stunden!” Hühner, dreißig an der Zahl, standen aus dem Sande auf, schüttelten den Staub aus den Federn und sahen neugierig und wie in Ehrfurcht zu der Stute hin, der bunte Hahn krähte einmal, eine Henne kam mit ihren zehn Küchlein aus den Halmen der Wiese, junge Enten, die im Wiesengraben plätscherten, wackelten mühselig an den Weg, und etliche schwere Gänse hüpften flatternd auf den Wagen, das frische Gras zu versuchen. Indessen wurde Trudel von acht rührigen Händen abgeschirrt, das kleine Mädchen legte seine Hand an des Tieres schwabbelige Lippen, und diese folgten dem Händchen in den weitgeöffneten Stall. Bärbel, die Kuh, deren Kalb, weil es ein vernaschtes Ding war, seitabgebunden an seinem Stricke riß, Bärbel, die Kuh, drehte den breiten Kopf nach der Trudel und schob zugleich das Hinterteil mit dem schweren Euter dem blökenden Kinde zu, das heftig einstieß. „Mamme, der Max sauft schon wieder!” rief der rothaarige August der Mutter zu, die mit einem Arm voll Stroh hereinkam in den Stall. „Laß ihn heut noch einmal saufen, den Nimmersatt, morgen ist er nicht mehr der Jüngste im Stall, da wird er sich schämen, so vernascht zu sein!” Sie zerknüllte das widerborstige Stroh und breitete es unter der Trudel aus, und zwei Zicklein hüpften um sie her, indem sie, einen Halm im Mäulchen, die überlangen Hinterbeine nach allen Seiten in der Luft umherwarfen. Auch Sapperlott, der Hasenvater, kam über die sauberen Pflastersteine des Stalles dahergehoppst, indes die alte Häsin hinten in ihrem verdrahteten Geburtskasten hockte und ihre Zitzen einer wimmelnden Kinderschar preisgab. Sapperlott hüpfte mitten hinein ins neue Stroh, die Bäuerin packte ihn im Genick und warf ihn dem kleinen Mädchen, das sich in die Krippe vor die Augen der Trudel gesetzt hatte, in den Schoß. Aber das Kind mochte den Alten nicht und setzte ihn hinter sich in die Krippe, und nun lief er langsam höckernd auf dem Stein zur Bärbel hinüber, die sich nicht um ihn kümmerte. Die Bäuerin putzte an dem Leib der Trudel herum, das Mädchen streichelte die lange Mähne glatt und versuchte, ein Zöpfchen zu flechten, August und Gustav schabten an der Stalltür Dreck von den Runkeln und warfen sie in die Futtermaschine. Mit dem Vater kamen die Hühner, alte und junge, angelockt vom frischen Stroh, und die Enten standen schräg hintereinandergereiht, wie das ihre Art ist, vor der Schwelle und wackten nach ihrem Abendessen. Auch die Sonne guckte in den Stall; sie schob ein Brett Licht, so breit wie die Tür, herein, das an der hinteren Wand sich emporstellte und, da es Abend war, bis an die Decke hinaufreichte, wo ein Schwalbennest klebte. Die Runkeln polterten in dem Kasten. Der Bauer brachte Gras herein, verteilte es an Kuh, Ziegen und Hasen und sagte zu seiner Frau: „Na los jetzt, wenn's Zeit ist, mach das Trinken für die Trudel und nimm Weizenkleie heut abend!” „Eine Mehlsuppe soll sie haben, Vatter!” „Meintwegen, koch ihr eine Mehlsuppe! Los, Buben, 's Federvieh gefüttert!” Die Bäuerin wischte mit der Sackschürze dem Gäulchen über die glänzenden Schenkel, trat aus dem Stall, schlüpfte treppauf in die Holzschuhe und schlappte in die Küche, das Getränk zu kochen. Gustav warf oben von der Treppe herab Gerste und Mais in vollen Händen weithin, und das Federvieh schoß aus allen Winden drauf zu, laut und gierig, und auch der Hahn tat, als könne er nicht genug bekommen, obwohl er doch sonst gern den Anschein erweckte, daß er vom Winde lebe! Drüben aber in den Wiesen erging sich das Schwesterchen, tappte hierhin und dahin, sammelte sich die großsternigen Kuhblumen, die millionenhaft den Abhang überblühten, und das freundlich gelbe Scharbockskraut, dessen Blüten wie kleine Sonnen zerstrahlten. Einen ganzen Arm voll Gelb und Weiß stellte das Kind, das auch Trudel hieß, in sein Eimerchen, ließ an dem fließenden Quellrohr, in dessen Trog ein Entlein schwamm, Wasser ins Eimerchen laufen und hob die zarte Herrlichkeit ans Stallfenster hinauf, daß das junge Füllen, wenn es komme, gleich einen Gruß von ihr habe. Der Nachbar mähte die erste Blust seiner Wiesen vorm Hause ab, ein gelbweißer breiter Weg schob sich in die weißübertupfte Farbenpracht, und seine Kinder zogen aus dem niedergemähten Gras die Blumen heraus, weil sie nicht in die Wiesen treten durften. Trudelchen sprang zu ihnen hin und verkündete, daß heute nacht ein kleines Gäulchen ankommen werde. Die Mutter rief zum Essen, der Vater schloß die untere Stalltür, die Schwalben kamen heim, das Federvieh schlief, die Sonne schlief, die Blütenpracht ward überdunkelt, das Glöcklein des spitzen Kirchturmes bimmelte sich schläfrig, das Gras duftete, ein Kohlweißling flatterte übermüdet vorüber, da setzte sich die Familie ans Abendessen. Und dann sogleich wurden die Kinder ins Bett gesteckt. „Einen Fuchs gibt's!” sagte August leise. „Ein Schimmelchen!” entgegnete Gustav. „Ein Räppele!” lispelte Trudel. „Ruhig! Eingeschlafen!” flötete die Stimme der Mutter aus der Küche. „Wenn's ein Fuchs ist, muß es August heißen!” hub August wieder an. „Gustav muß es heißen ...” „Wenn's ein Fuchs ist?” Trudel kicherte: „Ein Räppele, nun ja, wie heißt's denn dann?” „Räppele!” antwortete Gustav. „Aber wie wird denn das große R gemacht?” „Ruhig! Eingeschlafen!” rief der Vater. Im Kirchtürmlein schlugs langsam zehn; so langsam, daß man darüber ein- und ausschlafen konnte. Dann fing auch das fleißige Lieschen an und schnurrte eilig und abgearbeitet seine zehn herunter. „Ein Schimmel?” flüsterte Gustav. „Ruhig! Eingeschlafen!” rief ebenso heftig Trudel. Und dann lispelte auch sie wieder: „Das große R, August, darf ich zu dir kommen, willst du mir's zeigen?” „Vater kommt!” stieß Gustav hervor und schlief ein. Die Eltern gingen im Nachbarzimmer zu Bett. „Mutter”, rief Trudel, „das große R, wie wird denn das gemacht?” „Schlaf!” sagte der Vater, „die Mutter schläft schon!” Gustav und August schliefen, und der eine schnarchte laut. „Vater”, fing nach einer Weile Trudelchen wieder an, „Vater, wie wird das große R gemacht?” „Ruhig!” antwortete jetzt die Mutter, „der Vater schläft!” Da hatte das Kind etwas anderes zu denken ... und schlief ein. Jenseits vom Wiesentälchen im Birkenschlag sang eine Nachtigall; sie und die Bäuerin wachten in der Nacht, da das Gäulchen zur Welt kam. Als der Bauer des Morgens in den Stall trat, stand das kleine Gäulchen auf den weitgespreizten vier Beinen im Stroh und ließ sich behaglich von seiner Mutter lecken. Ein Räppchen war's, ganz schwarz, und nur auf seiner Stirn war ein weißer Fleck, allerliebst anzusehen und gar gefällig und kleidsam! Die Bäuerin holte ihr Mädchen aus dem Bett, die beiden Buben sprangen in ihren Hemdchen hinterdrein, und das Füllen streckte seinen nassen, großen, eckigen Kopf von dem Halse der Mutter weg, den Kindern entgegen, und das Schwesterchen ließ den Daumen im Mäulchen, ließ den Arm um Ihrer Mutter Halse liegen und blinzelte durch die schweren Lider, als sei es recht von dem Ankömmling enttäuscht. Die Buben tätschelten schon an ihm herum, worüber die Pferdemutter sehr erfreut war und ihre Augen aus dem Duster des Morgens leuchten ließ. Die Mutter nahm des Tierleins Kopf, schob ihn an der Pferdemutter Zitzen, und sogleich begann der kleine Gaulmann wacker zu saugen. Unendlich zärtlich bog die Alte ihren Kopf nach ihrem Jungen herab und zurück, daß die Mähne die Augen verdeckte, leckte, leckte und hob das rechte Hinterbein, daß das Junge recht bequem sein Erdendasein beginne! Dann schob sie den Kopf wieder hochauf, spitzte die Ohren, hälmelte an dem Gras oben in den Raufen und sah wieder zurück, hob mit den schwabbeligen Lippen ein Bündel Heu auf und putzte damit an dem Kleinen. Dieses ließ sich, als es sich vollgesoffen hatte, genau wie die großen Gäule auf die Vorderknie nieder und dann zurückplumpsen ins Stroh, und sogleich legte sich auch die Mutter nebendran und leckte weiter. Die Bauern der Nachbarschaft kamen am selben Morgen, die Bäuerinnen kamen und auch der Herr Pfarrer kam, den Säugling zu sehen. Er kannte Trudel, die Mutter, sehr gut: sie hatte ihn schon oft übers Gebirg gezogen in die Filialorte, wenn Glatteis war, sie hatte ihn schon oft bei Regenwetter vom Bahnhof des Städtchens abgeholt! Was sollte er sie in ihrem Wochenbett nicht einmal heimsuchen? Er war ein sehr großer Mann, der Herr Pfarrer, und als er in die Stalltür trat, mußte er sich bücken. Der Bauer, ängstlich besorgt, der Herr Pfarrer könne trotzdem den Kopf an die Oberschwelle stoßen, legte vertraut, wie er mit ihm war, die Hand auf des Herren Schulter und sagte: „Herr Paschtohr, geben Sie acht, daß Sie Ihren Grind nit anstoßen!” „Schon gut,” entgegnete der Pfarrer und dachte: Grind bräucht er grad nit zu sagen; na, es ist aber mal so auf dem Land, 's ist nit bös gemeint! Der Pfarrer freute sich gern und freute sich über das Tierlein und über die Mutter, doch war es ihm nicht vergönnt, einen Aerger zu verschlucken, als der Bauer den eckigen Kopf des Säuglings überaus zärtlich untern Arm nahm, ihn, den Pfarrer, glücklich wie ein Vater angrinste und sagte: „Gucke Sie doch, Herr Paschtohr, was ein goldiges Köpfle!” „Allerliebst!” antwortete der Pfarrer, aber er dachte bei sich: sein Vieh hat ein Köpfle, ich, sein Pfarrer, hab nur einen Grind! „Segen ist in der Liebe zum Getier, nicht wahr, wie in aller Liebe?” sprach der Bauer, und: „Wie in aller Liebe!” wiederholte der Pfarrer und fügte hinzu: „Und der liebe Gott gesegnet's einem mehr und sichtbarlicher, wenn man sich weniger zu den Menschen wendet und mehr zum Getier und zu den Blumen, zu den Bäumen, selbst zu dem harten Gestein! Hat das etwa keine Ursache, Vetter Klaus?” „Das hat wohl seine Ursache, Herr Pfarrer, wie alles in der Welt, und Sie wissen es wahrlich besser als ich!” „Warum sollte ich es besser wissen, Vetter Klaus? Ich schlage mich im Schatten mit den Menschen herum und mit ihren dunklen Leidenschaften, und Sie, Vetter Klaus, Sie leben und weben im Sonnenlicht, am Herzen der Natur, die noch weit mehr das Quellrohr Gottes ist als wir Menschen, die wir uns in schnöder Ueberschätzung Ebenbilder Gottes nennen!” „Hat sich etwa die Stammutter der Pferde im Paradies vergangen? Hat sie von einem verbotenen Apfel gegessen?” „Vetter Klaus, Vetter Klaus, ich weiß ganz gut, wohinaus er will, ich kenne meine Pfarrkinder nur zu gut; aber wisse er: wenn der liebe Gott den übrigen Geschöpfen keinen verbotenen Baum in den alltäglichen Weg gestellt hat, so wußte er genau, was er tat!” „Sonst wär er nicht Gott!” „Ganz recht, Vetter Klaus, sonst wär er nicht Gott! Aber die Erkenntnis, mit der er uns Menschen ausgestattet hat, -- --” „Die hat er den Tieren, die er mehr liebte und mehr liebt, erspart!” warf der Bauer ein. „Oho! Vetter Klaus!” rief der Pfarrer, jedoch der Bauer fuhr fort: „Sagten Sie nicht selbst schon auf der Sonntagskanzel, daß die Erkenntnis, die den Menschen gegeben sei, daß dieser Knochen, der den Menschen vorgeworfen wurde, eben nichts Halbes und nichts Ganzes ist, eben, daß er ein wirklicher Fluch ist?” „Vetter Klaus: Erkenntnis sei ein Fluch?!” „Ha, ich habe aus Euren Predigten, Herr Paschtohr, schon etwas gelernt: und man macht sich hinterm Pflug so seine eigenen Gedanken!” Er nahm des Füllen Kopf an seine Brust, hob den überaus langen Schweif der Stute hoch und trocknete damit an dem Füllen herum. Der Pfarrer nahm eine Prise, hielt auch dem Bauern die Dose hin und sagte freundlich lächelnd: „Lieber Vetter Klaus, ich habe stets das unverdorbene Urteil des gesunden, unverbildeten Bauernverstandes zu schätzen gewußt und bin gerade deshalb Bauernpfarrer geworden! Lassen Sie mich das so sagen, wie ich es sage: Einst ist in einem Stalle ein Kindlein auf die Welt gekommen, und das war Gott. Es lebte, auch da es schon Mann war, fröhlich wie Ihr in den Tag hinein, fröhlich wie Ihr und die Vögel des Himmels und die Lilien des Feldes und tat sonst nichts, als daß es seinen Mitmenschen vom himmlischen Vater erzählte. Nicht viel anders erzählte es, als wie die Vögel erzählen und die Blumen, das Wasser, das Gras, Dein Vieh und ganz unmittelbar das kleine Füllen, das eben erst seiner Schöpferhand entsprossen.” „Ja, und ich selbst, und wir selbst?” warf der Bauer ein, und der Pfarrer fuhr fort: „Die Menschen freilich sind ohne Gott, haben seine Worte vielfältig umgemünzt zu ihren verbrecherischen Zwecken, verstehen auch die Natur nicht mehr, das Göttliche in der Natur und im eigenen kindlichen Herzen und haben sich immer weiter von Gott entfernt, den sie nunmehr mit ihrem Verstand zu erforschen suchen gleich der Urkraft in der Zelle, anstatt ihn mit ihrem Herzen zu lieben! Immer ärmer, immer unglücklicher! Schier des Teufels!” „Darf ich etwas fragen, Herr Paschtohr?” „Aber freilich”, entgegnete der Pfarrer neugierig und stolz. „Ist Ihnen diese Meinung eben erst in meinem Stall gekommen, will sagen: in einem Stall? Wie sich's gehörte?” „Wie sich's gehörte, sagt Ihr und wollt sagen: daß die echte Erkenntnis im Stall geboren wird, dieses kleine göttliche Kindlein der Menschenseele ... Ja, Vetter Klaus, hier in Deinem Stall!” Der Pfarrer deutete in fröhlich hohem Schwung den Wiesen zu, dem Wäldchen, den Hügelwellen, die leise zu schwingen schienen, der Sonne und den Wolken ... „Sagen Sie es doch so, Herr Paschtohr: in Eurem Paradies, Vetter Klaus!” „Ganz recht: in unserem Paradies, Vetter Klaus!” Trudel, das Mädchen, kam mit fliegenden Haaren und fliegenden Tafelschwämmen den Weg hergesprungen und schrie schon von weitem: „Ich kann's, Vater, ich kann's!” „Was denn, was kannst denn?” „Das große R!” Es ließ seine Bücher fallen, behielt nur die Tafel in den Händen, blieb einen Augenblick stehen und wischte mit dem Zeigefinger gar fürsorglich und rannte dann um so rascher zum Vater. Auf der Tafel stand, von des Lehrers Hand geschrieben, das Wort „Räppchen”, und darunter stand das Wort von Trudels Hand ungelenk nachgemalt. Der Pfarrer ließ sich die Tafel geben und sagte zu dem Bauern: „Sehn Sie doch, Vetter, wie die Menschen von Anbeginn gierig sind nach ihrem Fluch!” „Sie sind es in der Tat: der Teufel hol mir alle seine Schulmeister!” „Und alle seine Pfaffen dazu!” lachte der Pfarrer und ging quer über die gemähte Wiese des Nachbars davon. II Als das Räppchen zum ersten Mal aus dem Stall gehen durfte, rannte es unter den Händen der drei Kinder davon, feuerte aus, wie wenn es toll wäre, und die Hühner stoben auseinander, die Gluck sträubte das Gefieder, die Enten ordneten sich schräg hintereinander und guckten in die Höhe, und nur die Gänse gingen vorgestreckten Halses beherzt auf den Fremdling los, ihn mit ihren sägig bewehrten Schnäbeln zu beißen und zu vertreiben. Jedoch das Räppchen achtete nicht ihrer Waffen, hüpfte weiter und blieb erst stehen, wo kein Huhn und keine Gans mehr stand, und turnte da einmal recht kräftig auf seine Vorderbeine, um mit den dickknochigen Hinterbeinen gehörig auszufeuern und gleichsam die ganze Flatterschar keck zum Kampf herauszufordern. Da es eine Pause machte und um sich guckte, ob vielleicht Gegner auf die Walstatt gefolgt seien, drehte sich der Hahn seitab und krähte einmal ins Birkenwäldchen, als ginge ihn dieser Bramarbas herzlich wenig an. Die Gänse streckten die Schnäbel zusammen und schnatterten, was sie gesehen, und machten sich lustig über den Tollpatsch, und nur die Enten kamen gutmütig, wie sie sind, seitlich am Rande der Wiese entlang auf das Räppchen zugewackelt, sagten aber nichts. Auch die drei Kinder kamen, schnalzten mit den Zungen, hielten die Hände vor und rieben die Daumen auf den Zeigefingern. Das Räppchen blieb stehen, bis die Kinder nur noch einen Schritt entfernt waren, dann warf es sich behend herum und raste davon. Die kleine Trudel begann zu weinen, und aus dem Stall erscholl das klagende Wiehern der anderen Trudel, aber das Räppchen achtete auf nichts und lief immer weiter, ins Dorf hinein. Die Bauern traten in die Türen und sahen ihm nach, die Bäuerinnen kamen mit ihren Kochlöffeln gelaufen, alle Kinder eilten herzu, das Füllen einzufangen. Er, der Säugling, konnte der Meute der Jugend nicht weiter entfliehen und ergab sich schließlich, wieherte und streckte den zahnlosen Mund in die Luft und schweifte das dünne Schwänzchen hin und her, bis es von einer kleinen Hand festgehalten wurde. Die Mähne, die wie ein Besen in die Höhe starrte, ward von Kinderhänden überstreichelt bis tief in den Rücken. Auch die beiden Ohren wurden festgehalten und die zierlichen Hufe, die Lippen, die Mähne, und schier wäre das ganze Kerlchen von Kinderhänden überdeckt worden, hätte das Räppchen nicht durch einen heftigen Ruck sich selber befreien können. Da stand gerade die kleine Trudel vor ihm, und diese Trudel durfte ihm über die Augen fahren und an die weiße Stirn. Mit ihr ging das Räppchen auch wieder heimzu, und die Kinder des Dorfes strömten mit an den Stall und drangen bis in den Stall hinein, und Katherin, die Bäuerin, hatte ihre liebe Not mit ihnen, sie wieder hinaus zu bringen. Als der Bauer mit Bärbel, der Kuh, die den kleinen Pferdewagen an der Stirn hängen hatte, gemächlich, wie es einem Kuhfuhrwerk zukommt, den Weg herauftrottete, saßen noch einige auf der Stallschwelle und betrachteten das kleine Füllen mit seiner Mutter, denn junge Pferde gab's nicht alle Tage, und zudem solch ein kleines war noch nicht gesehen worden im Dorf und nicht im Tal. Der Bauer war beinah böse: er wollte den kleinen Mann so früh nicht auf die Gasse schicken, nun er seinen ersten Ausflug doch gemacht hatte, mäßigte er seinen Groll, da er wußte, wie die gute Mutter dem Drängen der Buben nicht hatte widerstehen können ... Er holte sich das Tierlein heraus in die Sonne, hob zärtlich den einen der zierlichen Hufe und so auch die anderen, und da er nicht erkennen konnte, daß das junge Horn sich allzu sehr abgenutzt hatte, gab er dem Räppchen einen gelinden Stoß auf die schmalen Backen und jagte es in den Stall zur Mutter. Sofort stürzte sich der kleine Ausreißer gegen den Leib der Alten, soff sich voll und ließ sich hinplumpsen, um sogleich einzuschlafen. Sapperlott, der Hasenvater, kam ganz nahe an seinen Hinterhuf herangehopst, als wolle er jetzt schon einmal prüfen, welch tückische Macht ihm den Aufenthalt in dem ruhigen, viel zu ruhigen Stall vielleicht verleiden könne! Er wagte sich sehr nahe an den kleinen, kindlich harmlosen Huf heran, er zog sogar die Oberlippe faltig in die Höhe, er streckte selbst das Zünglein zwischen den spitzen Zähnen hervor, ließ die langen Schnurrhaare über das Horn gleiten und drehte sich schließlich ohne jeden Grund davon weg, um eiligst nach seinem Drahtgitter zu hüpfen. Daselbst, so mochte es scheinen, erzählte er das Ergebnis der Untersuchung seiner Häsin und seiner Jungmannschaft, denn alle krabbelten plötzlich ans Gitter und staunten nach dem winzigen Pferdehuf, der gelb wie ein Fetzen Maibutter neben der dunklen Lende lag. „Keine Gefahr, keine Gefahr!” Die Schwalben flogen eifrig aus und ein; plötzlich erschallte aus dem Nest ein heftiges Gezwitscher und verstummte. Der Hasenvater schien auch jetzt den Seinen etwas zu sagen, denn alle hoben wie auf seinen Wink die Augen von dem harmlosen Hufe weg und hinauf an den Querbalken, wo das Nest klebte. Auch das Räppchen regte den Kopf, als störe ihn das Gezwitscher der jungen Schwalben, oder aber als errege es seine besondere Freude. Am Nachmittag kam Trudel, das Mädchen, aus der Schule und hatte an der Stirn einen großen Kreidefleck, den es wie ein Aschermittwochmal ängstlich hütete. Es stellte sich vor sein Räppchen und sagte: „Guck, das hat mir mein Lehrer gemacht!” Sie trug aber ein Stückchen Kreide in der Hand und machte nun dem Mutterpferd auch eine Blesse, dann Sapperlott, dem Hasenvater, der in der Reife seiner Jahre geduldig standhielt, dann den jungen Geislein, die noch keine Hörner hatten, dann der Stalltür und den zwölf Steinstufen der hohen Treppe, der Haustür, dem Küchentisch und schließlich gar den eisernen Kochhäfen, die in Reih und Glied hochangefüllt mit Kartoffeln auf dem kalten Herde standen. Und über jeden Fleck malte Trudel ein großes R. Als die Mutter aus dem Garten, der hinterm Hause lag, hervorkam, um den Herd zu heizen, sah sie, was ihr Mädchen gemacht hatte, und da sie eine rechte Kindsmutter war, lachte sie über den sinnigen Unsinn und ließ sich selber eine Blesse auf die Stirn malen. Bald qualmten die Kartoffelhäfen, und der Schwarm des Dampfes stieg überm Herde auf, an der dunklen Decke hin, vorüber an der Mückenleimampel, die da pendelte, und hinaus durchs offene Fenster. Es geschah, daß die Buben und alle Buben des Dörfchens mit dem Namen Räppchen nicht mehr zufrieden waren und sich auf einen anderen Namen besannen. Während der Pausen auf dem Schulhof, während man im Badloch zu schwimmen versuchte, plätscherte man eifrig die schönsten Namen übers Wasser hin, und Trudel, das Kind, hatte seine liebe Not! Es wollte sein Gäulchen „Richard” nennen, „Richardele”, aber die Buben spotteten und hörten sie nicht einmal an! Da standen sie wieder beisammen, die Herrn Buben, standen mit ihren Reifen im Stall und waren keine Minute mehr zurückzuhalten, die Gassenbuben! „Na Trudelein,” sagte der eine, „solls Räppchen immer noch Richardele heißen?” und er lachte, und alle Buben lachten mit ihm. „Weißt,” sprach August, „ein schwarzer Gaul kann nicht Richard heißen!” „Warum denn nicht?” fragte sie dagegen, „warum denn nicht?” Und sie nahm ihr Däumchen in den Mund und schmollte. „Und dann, Trudel, das mußt du verstehen, das verstehst du aber noch nicht,” so sagte ein anderer, der an einer gelben Rübe kaute, „Richard ist doch ein Bubenname!” Alle lachten sie frech, und Trudel weinte laut heraus. „Besinn dich halt auf etwas Besseres!” „Wir können das Räppchen doch auch nicht Riese Goliath nennen!” meinte August, und Gustav entgegnete: „Auch Siegfried sollen wir's nicht nennen, da kann sie den großen S nicht machen und kommt wieder gelaufen!” „Doch, ich weiß!” warf Trudel jetzt hin, „Riese Goliath heißen wir's!” „Das sind ja zwei Namen, einer genügt!” „Gut!” entschied Gustav, „nennen wir's Riese!” Sie lachten schon wieder, aber Trudel griff den Namen herzhaft auf und rief ein übers andere Mal: „Riese heißt es, Riesele, Riesele!” „Riesele!” schrien die Buben, „Rieselein, der kleine Gernegroß!” und sie trieben ihre Reifen an und rasten mit dem Namen davon, die Wegspur hinunter. Trudel aber holte am Brunnen eine Handvoll Wasser, trug sie fürsorglich in den Stall, goß sie dem Gäulchen übern Kopf und sagte immerzu: „Riesele, Riesele!” Alle Welt war mit dem Namen einverstanden, und das Füllchen Riesele ward der Freund und Genosse der ganzen Dorfjugend und die stille Freude aller Erwachsenen. Es lief im Dorf umher, auf den Straßen, in den Bauernhöfen, über die Wiesen, selbst über die Felder durfte es laufen, und niemand verwehrte es ihm. Junge Rinder und Kälber, die des Morgens in großen Scharen auf die gemeinsame Weide getrieben wurden, ließen stillschweigend geschehen, daß das Gäulchen sich ihnen anschloß und mitlief, ließen geschehen, daß das Gäulchen, das freilich viel wilder war als die Kälber, die großen Rinder, die schon fast ausgewachsen waren und schon fast eingespannt werden konnten, anrannte und seinen Kopf in ihre Lenden stieß, als wenn es saufen wollte! Die Gänse, die auch allmorgendlich gemeinsam auf die Weide auszogen, die Gänse mußten stets gewärtig sein, daß ihre Unterhaltungen während des Ausmarsches oder während der Heimkehr plötzlich aus einem Hof heraus von dem Riesele gestört wurden. Zwar fürchteten sich die Gänse keineswegs, rannten auch nicht davon, wenn der Wildfang angetrippelt kam, aber da es doch unliebsam war, mitten im Gespräch auseinandergerupft zu werden, so haßten die Gänse das Riesele heimlich, und immer wieder konnte man wahrnehmen, wie einige ihrer beherztesten die Schnäbel hoben, schnatterten, sogar laut krischen und dem Störenfried an die Beine wollten. Auch die Schweine grunzten des Morgens, wenn Rinder und Gänse fort waren auf ihrem gemeinsamen Weideplatz, und der Hirt, ein verlorener Sohn aus Nirgendwo, war ein guter Mensch von Anbeginn und konnte das Riesele recht leiden, weil es ein so sauberes, freundliches Kerlchen war. Zwar die Schweine gewöhnten sich nicht an die Freiheit des Gäulchens, verstanden sie nicht und verziehen sie deshalb auch nicht und stoben immer wieder verscheucht auseinander, wenn sie es nur von ferne trappeln hörten. III Natürlich stürmte es auch in den Schulhof, denn Kinder waren ja seine besten Freunde, und es war ja selber ein Kind! Die dreiunddreißig Schüler der kleinen Dorfschule brauchten den Freund nicht zu fürchten, brauchten auch nicht neidisch zu sein seiner Zartheit und Sauberkeit wegen und hegten keinerlei schlimme Absichten gegen den ausgelassenen Gassenbuben, es sei denn, daß sie ihn für die paar Schulstunden, die sie an Freiheit weniger hatten, doch leise beneideten. Sie hörten das Gäulchen an den Fenstern des Schulsaales vorüberspringen und durften nicht mit hinaus; sie sahen es am Abhang der Schulwiese grasen und durften nicht hinaus; sie hörten aus dem Birkenwäldchen sein tolles Wiehern, und sie durften nicht einmal „Riesele” rufen! Da mußten sie hocken und lesen, rechnen, rechteckige Aecker zeichnen und ausrechnen, was, wenn ein Quadratmeter eine Mark und siebenundzwanzig Pfennig koste, was der ganze Acker wert sei! Anstatt mit dem Riesele drüber hin zu rennen über den Acker! Da mußten sie Quadratwurzeln ausziehen, und niemand wußte, wozu, da doch Quadratwurzeln auf keinem Acker wuchsen, kein Unkraut waren und auch kein Kraut und was also denn eigentlich? Da mußten sie die Preußenkönige kompagnienweise vorreiten können und genau die Spanne Zeit abgrenzen können, die einem jeden von ihnen und ausschließlich diesem ihre militärische Größe verdankt und ausschließlich ihre militärische Größe, weil es offenbar eine andere nicht gibt! Und draußen im Sonnenschein verjubelte das Riesele seine Jugendkraft und durfte anstellen, was es wollte! Aber der Herr Lehrer, obgleich er ein Preußenfreund war, war doch kein Ungerader! War doch so kein ganz Ungerader! Es kam einmal vor, daß das Riesele in seinem Uebermut ins Schulhaus stürmte, über die vier Treppenstufen kletterte und den Hausgang betrappelte. Das hörten Lehrer und Schüler! Da blieb weder Lehrer noch Schüler auf dem Platz: dies Getrommel auf den Steinplatten des Hausganges zertrampelte alle Wissenschaft, weil es ein Stückchen Kinderweisheit war: der Preußenkönig flog in die Ecke, die Quadratwurzel trieb Schößlinge aus dem Acker, dessen Quadratmeter so schrecklich teuer war, ... und der Herr Lehrer sprang vom Pulte auf, schnitt munter, schalkhaft lächelnd mit den beiden heftig ausfahrenden Händen die Unruhe entzwei, daß die Kinder wieder auf die Sitze herabsanken und ging auf den Zehen an die Tür und hob leise die Klinke aus der Nase. Und wahrlich: das Riesele stieß die Tür mit dem Maule auf, daß sie zurückknallte wider den Schrank. Da stand es nun, das Riesele, die buttergelben Vorderhufchen auf der Schulschwelle, und blieb stehen! Kam nicht näher in den Saal, kam nicht in den Saal herein! Alle Kinder standen, standen gar auf den Bänken, hielten dem Gäulchen ihr Brot hin, riefen, kosten, -- allein, es kam nicht näher. Es drehte einmal den Kopf zur Seite, als wolle es den Herrn Lehrer sehen, den es offenbar fürchtete, allein, der Lehrer hielt sich vielleicht aus sicherer Kenntnis elementar fühlender Seelen hinter dem schwarzen Ofen verborgen! Er stieß den Zeigefinger vor, deutete auf das Trudelchen, das Kind solle von seinem Platz aufstehen, hervortreten und das Riesele hereinholen. Aber Trudel getraute sich nicht, und da die Buben wild wurden und jeder das Pferdchen holen wollte, streckte dieses seine Nase weit vor, wie wenn es niesen wolle, nieste wirklich und nahm Reißaus! Die ganze Klasse aber stürmte hinterdrein, und für diesen Tag war die Schule aus. „Ganz recht, Riesele!” sagte der Lehrer, als er sein preußisches Geschichtsbuch ins Pult einschloß, „unsere Weisheit ist keine Einfalt mehr und deshalb keine Weisheit mehr! Wer weise werden will, der muß uns fliehen!” Am nächsten Morgen erzählte der Pfarrer den Kindern von dem kleinen David und dem Riesen Goliath. Er erzählte da, wie der kleine David als Hirtenbub auf den Bergwiesen sich umhertrieb, wie's just eben das Riesele tue, wie er aber doch emsiger gewesen sei als das Riesele, wie er gelernt habe, die Harfe spielen, wie er selber neue Lieder gesungen habe aus seinem Herzen heraus: Lieder, wie sie vor ihm und nach ihm kein Mensch mehr habe singen können, wie er sich zugleich geübt habe, die Schleuder zu führen, um im Falle der Not das Vaterland zu verteidigen, und wie er alsdann später seiner Lieder wegen dem kranken König Saul habe singen dürfen! Wie der König ihn habe liebgewonnen und wie er nicht mehr habe leben können ohne ihn, den Hirtenknaben, wie dann auch wirklich die Feinde gekommen seien, und wie just er, der Hirtenknabe, den mächtigsten der Feinde, ihren Riesen, den Riesen Goliath, eben mit der Schleuder erlegt habe, indem er ihm einen spitzen Stein mitten in die Stirn getrieben habe, so daß der ungeheure Kerl umgefallen sei, um sich zu verbluten! „Ihr Buben!” sprach der Pfarrer, „ich frage euch: ist das nicht eine echte Bubengeschichte? Das ist die schönste Bubengeschichte der Welt! Oder kennt ihr eine schönere?” „Robinson!” rief einer; jedoch der Pfarrherr wehrte ab und antwortete: „Sei mir still mit deinem Robinson, mit deinem unfolgsamen Engländer!” „Joseph!” meinte ein anderer, „Joseph von Aegypten!” „Aha!” sagte darauf der Pfarrer, „und warum denn Joseph?” „Weil er verkauft wurde, weil er ins Gefängnis gesteckt wurde und nachher doch König wurde!” „Gut, er hat gelitten und wurde erhöht!” „David wurde auch erhöht, David wurde auch König!” rief ein Großer dazwischen. „Wurde auch König,” wiederholte der Geistliche, „David wurde auch König, freilich, und was für einer! Aber: welcher von den beiden gefällt dir nun am besten, der aus Aegypten, der zuerst leiden mußte, oder der von den Fluren Bethlehems, der niemals litt und immer siegte und sang und Flöten blies und Harfen schlug?” Die Kinder zischelten; aus den neun Bänken schossen die Finger wie Pfeile gegen des Pfarrers Antlitz, und mitten in dem Gezisch schlug plötzlich ein kleiner Mädchenkopf knallend auf die Bank: das Trudelchen heulte laut auf und schnippste und holte den Schürzzipfel an die nassen Augen. Der Pfarrer trat zu ihm hin, ergriff sein Händchen und sagte: „Was ist los, Trudel? Komm, los! Sag mir's rasch?” Das Kind erhob sich nicht, sondern rief mitten in seine Tränen hinein: „Das Riesele soll David heißen, nein, Joseph, Joseph soll es heißen!” „Na, wie soll's nun eigentlich heißen, Trudel?” Das Kind begann, aus seinen Tränen zu lachen, erhob sich, sah dem Pfarrer über die Maßen vertraut ins Gesicht und sagte: „David!!” „David?” antwortete der Pfarrer, „es soll König werden, ohne daß es zuvor von seinen Brüdern wäre verkauft worden; es soll sich immer nur freuen, ohne daß es gelitten hätte! Ihr Großen dahinten: wie ist's mit König David gewesen: hat er schließlich nicht auch sein Bündelchen zu tragen gehabt?” „Aber er war doch stärker als der Riese, und ich hab's doch nicht gewußt!” heulte Trudel. „Gewußt, gewußt! Trudelein! Du hast's doch selbst getauft! Und getauft ist getauft! Oder willst du dein Gäulchen dreimal taufen lassen, wie's dem Schalk aus Braunschweig geschah, und willst du haben, daß Riesele gleich diesem Schalk ein Taugenichts werde und ein Tagdieb? Sei stille, sei stille!” Trudel, von der Unabänderlichkeit zerschmettert, ließ sich niederfallen und ihr Geschluchz hub stärker an. Da wieherte draußen das Riesele, da knallten auch schon die kleinen Hufe wieder im Hausgang! Die ganze Klasse begann zu schreien vor Freude, der Gustav und der August liefen an die Tür, den kleinen Frechdachs fernzuhalten, hinauszuführen, aber dieser schlüpfte unter ihren Händen durch zum Saal herein und schnurstracks auf das Trudelchen zu, das bei den Kleinsten in der vordersten Bank saß. Diesmal, weil der Pfarrer im Saale war, zögerte das Mädchen nicht. Es schämte sich nicht! Allein es hatte gar nicht Zeit, sich zu schämen, sein kleines, ungestümes Herzchen hüpfte von selbst auf die Bank, nahm das kleine, sechsjährige Körperchen mit in die Höhe, es legte die nackten Arme um des Riesele schwarzen Hals, es küßte das Riesele auf die weiße Blesse und riß es an der in Jugendwuchs strotzenden Mähne mit sich fort, zur Schule hinaus und rief immerzu: „Dävidele, Dävidele!” Der Lehrer, der im Hofe auf- und abging und seinen Aufsatz auswendig lernte, kam eiligst herein, aber die zwei Kleinen waren schon draußen. „Riesele hat einen sehr gesunden Drang nach -- nach -- nach, Herr Pfarrer, nach Weisheit in sich!” meinte der Lehrer, „gestern war es auch hier!” „Es weiß nicht, was es tut!” erwiderte der Pfarrer pfiffig, „ihm soll verziehen werden! ... Uebrigens, wenn das Riesele ein Esel wäre und nicht ein kluges Ding, ein Pferd, man könnte versucht sein, mit der Schrift zu sagen: er kam in sein Eigentum, aber die Seinen ... Nix für ungut, Herr Lehrer, guten Morgen!!” IV Ein Viertelstündchen abseits vom Dorf wohnte der Großbauer Michael, der sieben Pferde und dreiundzwanzig Rinder hatte. Riesele sah einmal vier dieser Gäule an einem mit Steinen beladenen Wagen ziehen, zwei Peitschen knallten über ihnen, die Siele gerrten, Funken stoben aus den Hufeisen, und dies Spiel der Kraft mochte ihm so sehr gefallen, daß es sich den Pferden zugesellte und mit ihnen lief in den großen Hof. Sie konnten es gut leiden, die dicken Gäule, sie drehten allesamt die Köpfe nach ihm, sie ließen es an ihrem Trog Wasser saufen, ja, sie schoben es förmlich zu sich in den Stall, so daß Riesele mit ihnen fressen mußte aus ihren hohen Krippen. Ha, wie fühlte sich das Zwergfüllchen so wohl! Die sieben Kerle standen da in Reih und Glied nebeneinander, Knechte putzten an ihnen herum, daß die vollen Backen zu blinken anfingen, warme Dämpfe stiegen von den breiten Rücken in die Höhe, und die Schweife tanzten nur so! Riesele begann den Schweiß zu lecken, Riesele lief von dem einen zum anderen, Riesele ließ sich von allen liebkosen und streckte den Kopf auch den Knechten zu, die es liebreich tätschelten. Ueberallhin sprang Riesele in dem ungeheuren Stall, schlüpfte gar durch einen schmalen Verschlag hinüber in den Kuhstall, und die sieben Gäule drehten die schweren Köpfe an den dicken Hälsen hinzu nach dem Verschlag, sei es, daß sie selber gern einmal hindurchgeschlüpft wären zu den Kühen, sei es, daß sie das Gäulchen den plumpen Milchkühen nicht gönnten. Dies Kerlchen, -- man war selber einmal so lieblich und klein, man hätte selbst gern solch ein Kind gezeugt, solch ein Kind sein eigen genannt -- dies Kerlchen sprang nun zwischen den Kühen herum, und keine Magd jagte es fort! Sie standen beisammen, die Mägde, und schwatzten. Die Knechte gingen gar hinüber und stellten sich zu ihnen, und der kleine Mann war nicht mehr zu sehen! Ein Hinterbein nur, ein Stück des linken Ohres: die Gäule wurden unruhig, wieherten, rissen an ihren Ketten, schlugen mit den Hinterhufen auf, als sei ein Bienenschwarm über sie hergefallen. Da auf einmal gab's ein Geschrei: „Er wirft mir die Milch um!” Sie stoben auseinander, die Mägde, die Knechte lachten laut auf, ein Eimer kollerte übern Steinboden, und Riesele kam in großen Sätzen durch den Verschlag in den Pferdestall zurück. Ha, wie freuten sich die Gäule! Aber da stand plötzlich ein kleines Mädchen in der Tür, wagte sich nicht näher, rief: „Riesele, Riesele,” und alle Herrlichkeit hatte ein Ende, denn das Riesele wandte sich von den alten Gaulmännern ab und lief zu dem Kind und lief mit dem Kind davon, ohne sich nochmals umgeguckt zu haben. Es kam wieder, das Milchkind! Es kam schon am nächsten Tage wieder! Zwei der Gäule zogen hinterm Haus den Pflug, zwei zerrten die Egge hinterdrein, zwei trabten mit dem leeren Steinwagen den Hügel hinauf, und der siebente, der dickste, hatte eine Fuhre Mist hinter sich hängen und stand noch im Hof, an der Mistkaute. Dieser allein sah das Riesele an sich vorüberspringen, sah es ohne Gruß an sich vorüberspringen, als wenn ein Gaul, der das Unglück hat, Mist ziehen zu müssen, deshalb keiner Achtung würdig wäre! Das eingebildete Aeffchen rannte schnurstracks in den Pferdestall, und da es niemand zu Hause fand, legte es sich ein Weilchen auf den Platz in der Mitte und schlief in dem großen Bette ein, wie alle Kinder es so gerne tun! Es wachte auf, als draußen der Mistwagen den Hof hinausratterte. Eiligst hob es sich auf die Beine, lief hinter dem Wagen drein, kehrte aber, noch bevor es ihn erreicht hatte, um und erblickte die Pflüger und die Egger und rannte nun, so schnell es konnte, hinters Haus, um sich den Pflügern zugesellen zu können. Schräggestellt wie ein Hund, tänzelte es nunmehr vor, neben und hinter den schweißigen Ackergäulen einher über die frischen Schollen wie eine flinke Meise, und seine aufstarrende Mähne bog sich schwer nach beiden Seiten. Die Schimmel, die hinterdrein die Egge zogen, begannen zu traben, der Knecht zerrte die Leine an und schrie unausgesetzt: „hü, hü!”, aber die Schimmel ließen sich nicht halten und eilten voran, wenn auch die Schollen nicht recht zereggt waren. Munter und stolz mit hochaufgestreckten Ohren nickten indessen die Füchse, die vorm Pfluge gingen, ihre Schar durch den harten Boden, wie wenn sie dem Kinde hätten zeigen wollen, was für ehrenfeste Kräfte sie seien, oder wie wenn sie ihm hätten ein gutes Beispiel geben wollen. Kein Blick abseits, kein Schritt abseits, gleichmäßig zerrten die Lederriemen an den Kummeten. Ja, der Knecht, der Soldat gewesen war und Sinn für maschinenhafte Ordnung hatte, gewahrte, daß die Schritte der Füchse, die sonst nach jedem fünften Tritt zum Gleichschritt kamen, eben fortgesetzt gleichmäßig im Takte blieben, und da er diesen Takt von der Kaserne her so sehr liebte, freute er sich über die Maßen wie beim fertigen Parademarsch und sah selber bisweilen wie ein Kompagniechef hinüber zum General, der heute sogar ein ganz junges Prinzlein aus vielleicht höchstem Hause war. Als wieder einmal die Furche zu Ende war, durften die Füchse warten, bis die Schimmel kamen, und nun stellten sich die Schimmel in dem Abstand, der ihnen ihrer Arbeit entsprechend zukam, seitlich von den Füchsen auf, um gleichzeitig und gleichmäßig ans andere Ende des Ackers die Arbeit zu ziehen. Ja, auch die Schimmel hoben nun die Köpfe und stellten die Ohren steil auf! Und wenn ihre Hufe auch nicht den gleichen Schlag bewahren konnten, -- vielleicht weil die Egge ein unordentliches Gezerr verursacht, -- so blieben sie doch, von der Hand des Knechtes gelenkt, in gleichem Abstand und in gleicher Höhe. Riesele aber, wie es da einen einheitlichen Willen erfühlt, hüpft wie ein abgerichteter Zirkusgaul von hinten her zwischen die vier Pferde und marschiert nun wie an der Tete mit fröhlichem Getrippel einher und tollt nicht mehr seitab und tänzelt nicht mehr und bockelt nicht mehr und ist ganz Ordnung und Würde. Jedoch gleich am Ende der Furche, als gewendet wurde, mochte ihm etwas anderes besser gefallen haben, und es lief vom Acker der Arbeit, dem es ein Stückchen Schönheit eigener Art verliehen hatte, davon. Es lief in eine neue Schönheit hinein: ein Weizenfeld stand oben, wo sich der Hügel hinabzu biegt, und Millionen von knallroten Mohnköpfen leuchteten, wie wenn sie als Wolke am blauen Sommerhimmel einhergingen, zwischen den steilen, kurzen Halmen dicht gedrängt, als stünde der Acker in Feuer. Riesele rannte drauf zu. Jedoch, wie es oben war, sah es sein Dörfchen unten, sah alle Schornsteine rauchen, -- kerzengerade ringelten sich feine Rauchsäulen in die heiße Luft -- und dann sah es noch am anderen Abhang eine Schafherde grasen. Der Pferch stand weiter unten im Tal, und die Hütte des Schäfers lehnte an einem Nußbaum. Diese Schafherde gefiel offenbar dem Riesele am besten, es lief deshalb zu ihr hin. Die Schafe hoben die Köpfe von der Erde auf und drehten sie. Der Schäfer pfiff, riß, wie wenn Gott weiß welche Gefahr gedroht hätte, die Schippe hoch, und der Hund stürzte sich heulend Riesele entgegen, so daß dies nichts besseres tun konnte, als eiligst umzukehren zu seinem Mohnfeld. Richtig erschreckt hatte es der garstige Hund: es legte sich um in dem Weizen und schlief fünf Minuten. Es erwachte wieder, blieb aber liegen, hob den schwarzen Kopf aus dem roten Feuer und nieste einmal kräftig in den Tag hinein. Sogleich, wie es geniest hatte, hörte es seine Mutter wiehern. Es duckte sich wieder zwischen die Halme, guckte aber doch nach allen Seiten um sich und sah schließlich den Kopf seiner Mutter oben am Himmelsrande des Hügels aus dem Rot auftauchen, wie er eine Last, die noch nicht zu sehen war, hinter sich hernickte. Die Mutter erschien ganz, die Last erschien: es war der leichte, überdächelte Stuhlwagen, den sie, wer weiß wohin, zu ziehen hatte, vielleicht den Pfarrer abzuholen oder den Gerichtsvollzieher. Riesele blieb liegen und duckte den Kopf. Als aber die Mutter wieder wieherte und nochmals, konnte es sich nicht halten und sprang auf und ihr entgegen. Die Mutter aber war durchaus nicht lieb zu ihm! Sie sah mit einem fernen Blick, der keine Liebkosung heischte, nach ihm hin, und Riesele getraute sich deshalb gar nicht so nahe zu ihr, obwohl es Durst hatte und gern an die Mutterbrust gestürzt wäre! Der Bauer nahm sogar die Peitsche, die am Kummet der Trudel stak, schwang sie hoch und riß dem Riesele die dünne Schmicke über die Ohren, daß es, obwohl die Schmicke nicht traf, sich rasch herumwarf und heimwärts lief. Als es einmal stehen blieb und nach der Mutter umsah, war das Fuhrwerk verschwunden. Im Stall des Großbauern brüllten etliche Kühe, deren Euter zu schwer geworden waren, nach den Mägden. Allein Riesele hörte den Peitschenknall und zog es vor, heimzutrippeln. Es sah sich nicht mehr nach den Gäulen um, nicht mehr nach den kleinen Kindern und selbst am Schulhof, wo gerade Pause war, raste es vorbei und mißachtete des Brotes und der lauten Rufe. Je näher es seinem Stalle kam, um so rascher sprang es, es hörte den Peitschenknall an den Ohren, und vielleicht vermeinte es, die Peitsche schwebe noch über ihm wie ein Engel über Kindern ... es rannte, rannte und sah nicht auf, nicht um, ja, der junge Mund, der schlaff nach unten hing, füllte sich mit schaumigem Geifer, und ein weißer Fetzen troff herab und klatschte auf den gelben Huf. Ein Kind stand da, sah das Riesele den Weg daherrasen; es trug in der Hand einen irdenen Krug mit Milch und erschrak vor solcher Kindeswut im kleinen Gäulchen und konnte nicht ausweichen und blieb stehen mitten auf dem Weg. Jedoch das Riesele konnte heute nicht bei dem Kind verweilen wie sonst, konnte überhaupt nicht achthaben auf ein Kind. Es rannte das Kind an, daß der Milchkrug fiel, daß er zerbrach und daß die Milch sich weithin ergoß. Der Schlag schreckte aber nun das Riesele auf aus seinen Träumen; es drehte sich um, blieb einen Augenblick stehen, kam zaghaft näher an das Kind und besah sich die Milch, die in Rinnseln dahinfloß. Einen Augenblick nur, wohl bis es sich überzeugt hatte, daß es diese Milch doch nicht trinken könne, besah es sich das Unglück; dann drehte es sich wieder, schlug sich überaus leichtfertig mit dem lichten Schwänzchen über die Hinterbacken und ging gemächlich weiter. Ein blütenweißer Gänserich stand da auf einem Bein und schielte zu den Gänsefrauen, die einen Steinwurf entfernt im Sande lagen. Im vergangenen Winter war er der einen Liebster gewesen; offenbar konnte er nicht so rasch vergessen, als er vergessen ward, und er stand da und träumte, und Riesele tappte auf ihn zu, daß er ganz verschreckt die Flügel aufriß und halb flog, halb hoppste und nun, gesammelt, heftig dem Gäulchen nachschimpfte. Die Weiber lachten ihn aus. Die Hühner hockten vorm Stall; sie standen auf, wie Riesele kam, und setzten sich wieder, als hätten sie nur grüßen wollen! Sapperlott saß auf der Schwelle und hoppste langsam zurück. Drei junge Schwalben zwitscherten auf der nach innen aufgedrehten Tür, eifrig wie alte. Riesele legte sich seitab von den Hühnern an das Wässerchen, leckte, erhob sich, ging an den Trog und versuchte mit der Zunge zu lecken wie ein Hund und trank dann regelrecht wie ein erwachsenes Pferd. Aeußerst stolz sahen die großen Augen rings auf das Geziefer herab, das doch meinte, Riesele sei noch ein Brustkind! Das Wasser tat ihm gut; es hätte schier nicht mehr aufhören mögen, zu trinken! Ein Fuhrwerk, mit zwei Kühen bespannt, schob sich in dem tiefgleisigen Weg vorbei; Riesele, das großen Hunger hatte, begann aus irgendeinem Grund, vielleicht aber auch ohne jeden Grund, hinter dem Wagen herzulaufen, bis es die Entenschar daherkommen sah. Der Enterich, dessen Gefieder schillerte, wie wenn er's frisch für einen Feiertag geölt hätte, warf den Kopf rückwärts zur nächsten Ente, sagte: „wack wack”, drehte den eitlen Kopf wieder vor, und eine Ente sagte der anderen dieses Wort, das sicher eine mißliebige Bemerkung gegen Riesele war, denn eine jede zog, nachdem sie gesprochen, den Unterschnabel zurück und lachte auf diese Weise, wie es Enten tun, und wackelte weiter. Riesele schien von diesem verschmitzten Lachen beleidigt zu sein, tappte in die Schar, zerstreute sie und freute sich seiner Tat so sehr, daß es in wilden Sätzen auch die Hühner aus ihrem trägen Brüten aufjagte und wunder meinte, was für ein Held es sei! Denn es turnte wieder an den Wassertrog, tunkte ungestüm den Kopf bis fast zur Hälfte hinein und schüttelte die Wassertropfen nun über die Hühner hin, die schon wieder beisammen saßen. Das schien in der Tat ein Heldenstück, war aber keineswegs ein solches, war Not, nicht Tugend, sofern ein Heldenstück dieser Art überhaupt Tugend sein kann. Riesele war größer und kräftiger als das Federvieh zusamt den Gänsen, aber es war auch jünger! Die Gänse und die Hühner und die Enten hatten sich ihren Lebenskreis schon lange gezogen und waren fertige Leute! Riesele aber fing erst an, sein Leben sich zu zimmern, und es wäre eine schöne Sache, wenn berichtet werden könnte, daß aus diesem Grund das Federvieh, wie es reifen Leuten zukommt, die Quertreibereien des Gäulchens geruhsam über sich hätte ergehen lassen! Man weiß indes: sie wichen der Gewalt! Oft, sehr oft mußten die pflichttreuen Tiere der Gewalt dieses Tollpatsches weichen. Ausgebreitete Hühnerflügel, flatternde Schwänze, das Durcheinander des Entenwacks wirkten jeweils auf das Riesele wie Disteln unter seinem Schwanz, und es geschah nicht selten, daß die Hühner flüchten mußten, sich mühsam aufschwingen mußten auf die Stalltür, auf die Wagenleiter, oder daß sie auf- und davongehen mußten ins Gras, so wild gebärdete sich Riesele! Die armen Enten: sie trugen von ihrer Stammutter her den Drang nach der Ferne im Blut, sie sahen alltäglich ihre wild und frei gebliebenen Schwestern übers Tälchen streichen und ins Röhricht einfallen, wo sie ihren verletzenden Freiheitsruf immerhin lockend erschallen ließen, sie spotteten der zahm, gesinnungstüchtig, eierlegend, aber auch schwerfällig und dick gewordenen Hausenten, und diese, obwohl sie des Dranges nicht ledig waren, konnten ihren plump gewordenen Körper um keinen Preis mehr in die freien Lüfte erheben und hätten's doch so gerne getan. Hätten's doch zu allererst deshalb so gern getan, um diesem Tunichtgut rasch entflattern zu können und nicht mühselig und stets seines Hufs gewärtig, aus der unbestimmten Bahn entwackeln zu müssen! Die armen Enten! Sie haßten das Riesele sehr! Ganz anders verhielt es sich mit den Gänsen! Sie waren neun an der Zahl, sie trugen das Bewußtsein ihrer Stärke in sich, sie konnten das Riesele, wenn wirklich ein Ernstfall entstehen sollte, mit ihren Schnäbeln und mit ihren schweren Flügeln schon dermaßen verhauen, daß es -- der graue Gänserich ist neulich einem Kalb an die Kehle gesprungen -- daß es gerne die Flucht ergreifen würde! Auch das Riesele wußte das! Aber was sollten die großen Gänse Händel suchen, weil die kleinen Enten sich nicht selber verteidigen konnten, ihre Natur ganz und gar vergessen hatten, sich also auch nicht mehr zu retten vermochten, wenn der Feind stärkere Kräfte ins Feld führen konnte, als ihnen zur Verfügung standen! Törichtes Entenvolk! Die Peitsche, jeweils die Peitsche, mußte solchen Zwist schlichten, und darnach vertrug man sich wieder, hielt Freundschaft und fraß aus einer Schüssel. Das Schlimmste aber an all diesen Mißhelligkeiten war, daß die Kinder immer und immer wieder einseitig und urteilslos Partei ergriffen für den, der Hilfe am wenigsten nötig hatte, für Riesele! Aber es muß doch gesagt sein, daß das Geflügel auch wieder seine Freude hatte an dem tollen Vierbein, und daß selbst die Enten sich jeweils mehr über sich selber ärgerten, als über das Riesele! Die Enten, die Hausenten, sind das Opfer ihrer Bequemlichkeit geworden, sie sind's nun einmal, und wissen sich drein zu schicken! Die Geißen im Stall trugen auf der Stirn wie gezückte Schwerter die beiden Hörner und blieben unbehelligt, und ihre Jungen verstanden den Kindskopf Riesele besser als alles Geziefer und tollten mit ihm, wenn es tollen wollte, und legten sich neben es, wenn es schlafen wollte. Es kam oft vor, daß neben, ja dicht an und auf dem tiefschwarzen Füllenrücken ein schneeweißes Geißlein schlief oder gar zwei, und Sapperlott, der Hasenvater, der offenbar einen besonderen Sinn für Farben hatte oder auch für Musik, brachte kein Auge zu und sah und hörte nicht, was um ihn vorging, wenn Schwarz und Weiß in solcher Eintracht beisammenlagen wie ein preußisches Fähnlein. V Noch sprang das Riesele umher ohne Zaum, ohne Zügel, ohne Halfter, pudelnackt, wie Gott es erschaffen hatte. Trudel, das Mädchen, konnte ihm keine Blumen anstecken, und hätte es doch so gerne getan! Gustav und August, wenn sie es striegeln wollten, konnten es nicht festhalten und striegelten es doch so gerne! Die Hufe, die sich gemach vom Staub der Erde grau färbten, sollten gelb bleiben wie Maibutter, aber wer konnte die Hufe des Tages siebenmal bürsten? Wer könnte die Mähne, die zusehends wuchs, des Tages siebenmal strähnen, wer den Schweif, der wie ein Mädchenzopf baumelte, richtig durchkämmen, wie sich's gehörte? Trudel, das Schwesterchen, setzte einmal seine Puppe auf den schmalen Rücken des Riesele, aber das Riesele warf die Puppe von sich, indem es mit den Vorderbeinen sich heftig gegen die Erde stemmte und den Rücken vom Hals bis zum Schwanz wacker schüttelte. Eine Puppe freilich, eine Puppe! Gustav kam zuerst auf den guten Gedanken: August mußte den Kopf Rieseles untern Arm nehmen, mußte ihn festhalten, und Gustav hob das Trudelchen hinauf, ganz hoch hinauf auf den Rücken und probierte vorsichtig, ob das Tierlein auch solche Last tragen könne. Es trug sie! Es fühlte sich offenkundig wohl mit seiner Last, es drehte den Kopf aus Augusts Arm und reckte ihn stolz in die Höhe. Dann machte es gar einen Schritt und noch einen, und da das alles so leicht ging, schoß es ganz plötzlich weiter, und das Trudelchen purzelte aufs Gras herab, stand auch schon wieder und lachte und setzte dem Ausreißer nach quer über die Wiesen, die der zweiten Mahd entgegensahen. „Lauft mir mal schnell zum Sattler miteinander!” rief der Vater von der Treppe herab, „und laßt mir dem Riesele ein Halfter anmessen!” „Los, zum Sattler!” schrien die Buben, „los zum Sattler!” triumphierte das Mädchen, „und ein Sättele, ein Sättele, Vater, darf der Sattler auch ein Sättele machen?” „Sättele, Sättele,” entgegnete der Vater, „was willst du mit einem Sättele? Maidlin gehören nit aufs Sättele! Los, und nix angestellt unterwegs!” Als der Sattler das Maß nahm, sagte er zu Trudel: „Heut kommt das Riesele in die Schul; mach einen Strich in den Kalender!” „Wie lang muß es in der Schule bleiben? Ich muß acht Jahre drin bleiben!” „Acht Jahre?” versetzte der Sattler, „und dann?” „Dann geh ich in die Stadt!” „Du hast's gut vor, Trudel, acht Jahre sind schnell herum! Aber das Riesele muß sein ganzes Leben lang in der Schule bleiben!” „Muß es?” fragte Trudel. Gustav kam herbei und hielt ihr den Mund zu, denn der Polizeidiener stand an der Straßenecke und rief etwas aus. Er rief aus, daß von morgen ab das Betreten der Weinberge verboten sei! Und dann kam er schnurstracks an die Treppe des Sattlers, griff dem Riesele in die Mähne und sagte zu den Kindern: „Höchste Eisenbahn, daß er sein Halfter ankriegt, der Tagdieb, sonst hätt' ich ihn morgen gleich ins Wachtstübchen gesteckt!” „Sonderbare Welt das,” dachte Trudel, und die Buben dachtens auch, „der Sattler will Riesele nicht mehr aus der Schule lassen, der Polizeidiener will's gar ins Kittchen stecken!” Noch am Abend holten die vier das Halfter ab, strippten es Riesele um den Kopf und führten es heim in den Stall, wo der Vater es neben seiner Mutter ankettete, jedoch so kurz, daß es nicht, wie es wollte, stets an der Mutter Zitzen saufen konnte. Von nun an also stand Riesele gleich den Erwachsenen im Stall. Doch jeden Tag durfte es etliche Stunden lang, an einen Pfahl gebunden, auf der Wiese kreisen, eng umzirkt zwar, doch immerhin draußen in einer gewissen Freiheit. Gar oft, -- ach, wer konnte dem lieben Tierlein gegenüber so entsetzlich streng sein? -- durfte es frei umherspringen, wohin es wollte, und durfte seine Bubenstreiche vollbringen, die ihm jedermann schon verzieh, bevor sie begangen waren. Es war indes doch die Zeit gekommen, daß die Hufe des Riesele breiter wurden, sein Magen größer, seine Kraft heftiger, die Zeit, da es von der Gasse genommen werden mußte in das Gehege des Zaunes. Als der Bauer Klaus diesen Hag gegenüber der Wohnstube in die Wiesen schlug, merkte Riesele sicher, was für ein Geschick sich da erfüllen wollte. Trudel, die Mutter, die ohnedies an dem Gassenbuben zu wenig eigene Freude hatte und um so mehr Kummer und Bangen ausstehen mußte, zog auf dem kleinen Wagen selber die Pfähle herbei aus dem Birkenwald. Sie tat es gerne, die Pferdemutter! Denn wenn Riesele jeweils, wie es seine Art war und wie es überhaupt die Gewohnheit aller guten Kinder ist, gerne zur Mutter, die in die Arbeit ging oder von der Arbeit heimkehrte, hinsprang, sich ein paar Küsse zu holen, ein paar Küsse zu verschenken, so konnte jedermann, der ein waches Auge hatte, wahrnehmen, daß diese Liebkosungen nicht nur seltener, sondern, -- und dies war noch ungeheuerlicher, -- daß sie weniger zärtlich wurden! Ja, es kam vor, daß die getreue Mutter auf einen ganzen Tag fort in den Wald mußte, schwer schaffen mußte, und am Morgen nicht einen lieben Blick, nicht ein kurzes „Wiedersehen” bekommen hatte vor lauter „Gasse”, und daß sie alsdann im Schweiße ihres Angesichtes auch nicht mit Wohlbehagen und süßer Hoffnung, wie andere Mütter sie doch stets mit sich tragen können, auf einen frohen Abend rechnen durfte. Solchergestalt kann es nicht wundernehmen, daß Trudel, die Stute, den Augenblick ersehnte, da die Birkenstämme abgeladen wurden, und es nimmt weiterhin durchaus nicht wunder, daß der Gassenbengel wußte, worum sich's drehte, und daß er fortlief in's Weite, recht weit von den Balken des Zuchthauses fort! Mütter wissen ja immer die Erziehungsmaßregeln, die nicht sie über ihre Kinder verhängen, die sie selber seinerzeit als Zwang empfunden haben, ihren Kindern recht eindringlich und nachdrücklich hinzustellen, und etwa zu sagen: „Wart nur, wenn der Vater heimkommt,” oder: „Wart nur, wenn du in die Schule kommst!” Es ist ein Glück, daß sie dabei übersehen, wie sie sich selber vor sich selber bloßstellen ... Da gruben Vater und Buben Löcher aus dem Wiesengrund, zwei Pfähle ragten schon eingerammt gleich ungeheuren drohenden Gerten gegen Riesele auf, die Gänse lachten, die jungen, frechen Hähne flogen oben drauf und versuchten zu krähen, um das Riesele, das Reißaus nahm, zu foppen. Riesele blieb stehen, sah sich um, schleuderte leichtsinnig die Hufe in die Luft und lief fort! Es lief dem Dorfe zu und hörte hinten im Armenhäuschen ein Waldhorn blasen und lief dem Waldhorn nach. Im Armenhaus wohnte der Schweinehirt, der einzige Mensch, der mit dem Riesele noch nicht Freundschaft hatte. Er blies das Waldhorn! Er wohnte da ganz allein für sich, hatte nicht Weib, nicht Kind, kein Tierlein um sich, war aber ein Musiknarr und ein Kinderfreund, wie es nicht viele gibt. Riesele wußte das noch nicht, wußte auch nicht, daß der Musikant der Sauhirt war, und lief dem Liede des Waldhorns nach und streckte den Kopf nach der niedrigen Fensterbank, ohne ihn hineinstrecken zu können. Da sah es den Hirten, den es fürchten mußte, vor einem Spiegel stehen und blasen und sah sein eigen Antlitz in dem Spiegel, der schräg an der kahlen Wand hing. Der etwas verwucherte Mann legte sogleich das blankgeputzte Blasrohr weg, zog den Schubkasten aus dem Tisch und griff hinein und hielt dem Riesele ein Stückchen Zucker hin. Riesele nahm den Zucker vorsichtig zwischen die Lippen und verschluckte ihn alsdann, und sogleich schob ihm der Hirt ein neues Stück ins Maul und dann noch eins und noch eins! Sie liebten sich, diese beiden! Der Freund nahm sein Waldhorn wieder, setzte sich auf die Fensterbank und schmetterte einen strammgefügten Marsch an den Ohren Rieseles vorbei, so daß es dem Tierlein ganz seltsam zumute ward. Ab und zu hoben sich die weißgelben Hufe, bald dieser, bald jener; ab und zu hob sich das vernaschte Maul, ab und zu erschien eben aus dem Maul die Zungenspitze rot wie Himbeereis und verschwand wieder. Als aber das Gäulchen das Maul auf die Fensterbank hob und liegen ließ und die Luft aus den kleinen Nüstern stieß, daß der Staub aufwirbelte, da begannen die Kinder, die um es her standen, zu lachen. Der Hirt merkte sogleich, daß dies Lachen dem Riesele peinlich war, denn er wußte Bescheid in solchen Sachen der entzückten Seele, und er sprang aus dem Fenster und gab dem Gäulchen wieder ein Stück Zucker, und er griff ihm ans neue Halfter, und es folgte ihm. Die Kinder durften nicht mit. Die beiden schritten dem Birkenwäldchen zu, und als sie die letzten Häuser hinter sich hatten und keine Kinder mehr zu sehen waren, da band der Hirt sein Waldhorn dem Riesele an den Hals und sang: Das Schwein, das muß gehütet sein! Der Kastor kann es hüten! Der Kastor muß gehütet sein! Der Cornel kann ihn hüten! Der Cornel muß gehütet sein! Wer kann den Cornel hüten? Ich will mein Schwein behüten fein, Mag seins der Kaiser hüten! Der Kaiser muß behütet sein! Wer mag den Kaiser hüten? Sein lieber Gott behüt ihn fein! Mög mich der meine hüten! Das Liedchen führte die zwei Wanderer bis ans Birkenwäldchen. Sie legten sich nebeneinander nieder, der Hirt steckte dem Riesele dunkelblaue Glockenblumen ins Halfter, setzte das Horn an die Lippen, und das Riesele starrte übers Wiesentälchen hinunter an seinen Heimatstall, wo der Bauer emsig die Balken des Gefängnisses einschlug. Riesele hörte die Axt knallen, und der Hirt, als er das erste Lied geendet hatte, nahm sich den zierlichen Ponykopf an die Brust, streichelte ihn, zerrte an den Ohren, kribbelte an der Blesse herum, strich mit den Fingern durch die Furche, die den Rücken hin die zarten Backen teilte, und schob die Hand quer in den Pferdemund und sagte: „Riesele, ich weiß, was es da unten gibt! Sie werden dich einsperren, wie sie mich eingesperrt haben, und werden's aus demselben Grund tun! Wir sind freier wie sie, wir sind fröhlicher wie sie, und das können sie nicht vertragen! Sie laufen, seitdem sie sich selber aus dem Paradies vertrieben haben, mit Handschellen umher wie Sträflinge, mit Handschellen umher wie Mausfallenhändler, und wo sich die Freiheit regt, da schnallen sie an! Die Unfreien haben das große Wort an sich gerissen, und sie haben es im Laufe der Jahrtausende fertig gebracht, daß alle Menschen unfrei wurden, so unfrei, daß die wahrhaft Freien sich ihrer Freiheit wegen verdächtig vorkommen, sich ihrer schämen, an ihrer Freiheit straucheln, sich ihrer Freiheit fluchen und schließlich sich ihrer Freiheit entäußern! Sich freiwillig der Freiheit entäußern, das tun oft ganz gute Christenmenschen und meinen, das sei der höchste Grad der Freiheit! Doch sag selbst, Bruder Riesele, wenn du jetzt aus freiem Entschluß in deinen Hag stolzierst, so magst du zwar ein guter Christengaul werden, bist aber trotz aller Philosophie kein freies Geschöpf mehr! Und Geschöpf sein, das heißt noch lange nicht, wie sie meinen: unfrei sein! Auch ums Paradies haben die Unfreien, die Umzäunten, einen Zaun erfunden, weil sie Gott nach ihrem Bilde und Gleichnisse formen wollten. Einen Schutzmann machten sie aus ihm, einen Zirkusdirektor, der die Taschen voller Zucker trägt und innen, unterm Faltenrock die allmächtige Peitsche! Nein, nein, Riesele: die wahre Freiheit haben wir in uns, oder aber wir sind schlechter als unsere Tiere! Bleib schön liegen, Riesele, ich bin noch nicht ganz fertig!” Der seltsame Sauhirt, der sicher von sich vermeinte, ein göttlicher Eumäos zu sein, hielt inne mit seiner Rede über die Freiheit und zog den Kopf des Riesele näher an sich, so daß das Tier die entblößte Kehle seiner Hand darbieten mußte. Der Mann spielte mit den Fingern an dieser Kehle, was dem Riesele erst gut gefiel, was es aber doch nicht lange ertragen mochte. Es sprang auf; drei Johanniskäferchen schwirrten grelleuchtend um es her, so dunkel stand der Abend schon vorm Wäldchen, und die grünlichen Signale verwirrten es so sehr, daß es zu laufen begann und nicht wußte, wohin es lief. Dem Hirten pochte das Herz: er hatte das Riesele mitgenommen, jedermann mußte es gesehen haben, er hatte also auch die Verantwortung über das Kind, und schließlich, wenn der Hirte des Hirten bedurft hätte, so hätte die Gemeinde nicht ohne Recht diesen bedürftigen Schweinehirten jener Obhut übergeben können, die er so sehr fürchtete. „Sie dürfen dich nicht wieder zum Verrückten machen, Cornel!” sagte er laut in den Abend, ergriff sein Waldhorn aus dem Grase auf, setzte es an und schmetterte seinen gradlinigen Militärmarsch übers Dorf hin, daß sicher alles, was schon schlief, erwachte, und alles, was noch im Stall hantierte, mit neuer Kraft sich anspornte. Er spielte ja nur, um das Riesele wieder zu sich zu locken, aber das Riesele trabte im Dämmerlicht weiter am Waldrand hin, fraß an den Brombeerhecken, zauselte an herabhängenden Zweigen, und die Glühwürmchen, die aus allen Richtungen aus dem Gras, aus den zerstreuten Heuwellen, aus den weißdurchtupften Rosenhecken aufschossen, -- und der Heugeruch selber und das aufdringliche Gequak der Frösche unten im Wassergraben setzten seinem jungen Herzen so sehr zu, daß es des strammen Marsches nicht mehr achtete und wahllos weiter lief, einerlei, wohin es kam! Ja, das lockende Waldhorn jagte das Riesele eher weiter weg, als daß es lockte. Cornel, der Hirt, hing das Horn um die Schulter und begann, den Weg hinzulaufen, den das Riesele eingeschlagen hatte. Er horchte, er legte das Ohr auf den steinigen Boden, den Huftritt zu erlauschen, er lief wie ein Hund, der eine Spur erschnuppert, allein er sah und hörte das Riesele nicht. Die Sichel des Mondes spitzte überm Waldrand; kleine Wolken rasten gegen ihren Bogen, als wollten sie geschnitten sein wie Gras. Plötzlich erschallte vom Dorf herauf das Feuersignal! Ohne nachzusehen, ob irgendwo eine Flamme oder ein heller Qualm sich zeige, wußte Cornel genau, wem dieses Signal gelte! Es galt zuerst dem Riesele, aber es galt nicht minder auch ihm, dem Cornel! dem Schweinehirten der Gemeinde! Denn sie kannten ihn nicht, sie wollten ihn überhaupt nicht kennen lernen, und sie begnügten sich damit, ihn einen Narren zu nennen! Es galt also, auf dem Damm zu sein, da die Flut stieg! Stimmen erschallten vereinzelt und abgerissen aus dem Dorf herauf, das Signal strömte zwischen dem Wald der Obstbäume, alle Hunde heulten auf, irgendwo in einem Stall krischen ab und zu salvenweise ein paar Gänse, wie wenn sie auch dabei sein müßten, wenn's dem Sauhirt an den Kragen geht! Die Stimmen sammelten sich und verteilten sich wieder, und bald hörte Cornel bekannte Dorfstimmen, die sich den Hohlweg heraufnäherten, und er hatte das Riesele, das er doch verführt, noch nicht in der Hut. Aber da stand es ja plötzlich neben ihm! Stand da wie aus dem Sommerabend geboren, der allhin so viel Liebe gebiert! Da stand es und hielt einen Birkenzweig im Mäulchen, wie wenn nichts geschehen sei! „Hast deinen Hirten aber schön erschreckt, Riesele!” sprach er, „doch gib ihn her, den Oelzweig des Friedens, daß wir uns gemeinsam für den Augenblick unserer Freiheit begeben können, denn sie kommen, die Unfreien! Mit Leuchtfackeln kommen sie, wie zu Jesu Gefangennahme, die Freiheit zu suchen, um sie einzupferchen und sie bei Wasser und Brot fasten zu lassen! Siehst du sie kommen mit den Lederhelmen? Hörst du sie kommen mit den Feueräxten? Sie schlagen, wenn sie's für nötig erachten, das Sommerhaus ihres Gottes in Stücke und schrecken vor diesem ihrem Schreckgespenst auch nicht zurück. Verstummet, ihr Frösche, daß sie euch nicht erschlagen! Verkriecht euch in die Erde, ihr Käfer, der ihr entnommen seid! Nachtigall, schlag nicht heute abend: die Menschen kommen mit ihren Mordgewehren der Schönheit und des Friedens.” Riesele schien solches Gerede gerne anzuhören; es ließ seinen Kopf auf der entblößten Schulter Cornels liegen und ging Schritt für Schritt weiter. „Weißt du, wo das Wachtstübchen ist? Nein, das weißt du nicht! Aber paß gut auf, Riesele: wenn sie deinen Freund hineinstecken werden, so komme manchmal an die Tür! Ich will dir Brot geben von meinem Brot und Wasser, wenn du Durst nach Freiheit hast! Ich weiß, sie sperren mich ein paar Tage ein; aber das ist immer noch besser als das Irrenhaus! Sie dürfen mich einsperren: ich trage das Bewußtsein eines neuen Freundes in der Brust, der so geschickt zuhören kann und meine Lehren versteht! Paß auf! Paß auf! Laß uns niedersetzen!” Cornel setzte sich, und Riesele blieb bei ihm stehen. Zwei Feuerwehrmänner kamen daher, plauderten miteinander, und der eine sagte gerade: „Roma heißt rückwärts gelesen Amor! Amor ist aber, das steht ausführlich in meinem Buche, der Gott der Liebe! Oh, in den großen Städten wird fürchterlich geliebt!” Sie sahen vor lauter Liebe nichts und gingen vorüber. „Fürchterlich geliebt!” rief ihnen Cornel nach, „da habt ihr aber recht!” Sie schreckten zusammen, die verträumten Feuerwehrleute, kamen dann aber gleich beherzt herzu und sagten zugleich: „Da sind sie ja!” „Da sind wir!” erwiderte Cornel und streckte beide Hände vor, als wolle er sie fesseln lassen. „Los, heim! Vor uns hermarschiert!” kommandierten die Wehrleute, und Cornel legte den Arm auf Rieseles Hals, und so traten sie den Heimweg an. „Fürchterlich geliebt ist gut!” fing Cornel an, aber die Wehrleute gaben ihm keine Antwort und redeten von den Dickrüben, die von Hasen zerfressen waren. Der Hirt wandte sich nunmehr wieder an Riesele und sagte laut, daß die Männer es hören konnten: „Weder Zucker, Riesele, -- das wollte ich dir vorhin noch sagen -- weder Zucker gab uns Gott noch Peitsche, sondern Freiheit, Freiheit. Und das ist so gut und so viel als sich selber! Sich selber gab er uns, mitten in den Herzschlag hinein, Riesele! Uns, das will heißen: dem Kaiser, mir, dir, meinen Schweinen und aller Kreatur!” „Und aller Kreatur!” wiederholte der eine Feuerwehrmann. „Und aller Kreatur!” bestärkte Cornel und fuhr fort: „Einheit, Schönheit, Harmonie ringsum in seiner Schöpfung! Nur die Menschen sind ihm mißraten, Riesele! Sie sind entweder zu eng oder zu weit ausgefallen!” „Zu eng!” rief ein Wehrmann, und Cornel antwortete: „Hörst du's, Riesele, der ist zu weit geraten! Zu weit, und er möchte deshalb weiter sein!” „Zu weit!” schrie der andere, und Cornel entgegnete: „Hörst du's, Riesele, der ist zu eng ausgefallen! Zu eng, und er möchte deshalb enger sein! Lüge ist alles! _Eine_ Einheit in der Mannigfaltigkeit: die Lüge; _eine_ Mannigfaltigkeit in der Einheit: die Lüge! Sie sind aber selbst schuld, die Menschen; sie haben die göttliche Freiheit mißverstanden, sie haben ihre natürlichen Begriffe irgendwie verwirrt, sie sagen: deine Freiheit ist die Grenze meiner Freiheit, und nun gehen sie aufeinander los und sagen: ‚Gewalt geht vor Recht, und die Freiheit ist für die Narren!’ Riesele! Hörst du's, Riesele: ich will lieber ein Narr sein, als daß ich unfrei wäre! Du nicht auch, Riesele?” Das große Tor der Wachtstube öffnete sich wie von selbst. „Nun bist du unfrei,” sagte ein Feuerwehrmann, „und bist doch ein Narr!” „Nun bin ich unfrei,” entgegnete Cornel, „und bin doch frei!” Cornel ward hineingestoßen, indes Riesele heimtrottete. VI Von nun an also sah man das Riesele nicht mehr auf den Gassen umhertollen. Es ward eingesperrt! Der Zaun, im Geviert vor der Wohnstube des Bauern errichtet, war aber stets lebendig: Buben hockten drauf, Mädchen selbst erkletterten ihn und ließen die bloßen Füße herabbaumeln, und da er sehr fest aus dicken Balken gezimmert war, konnte manchmal die ganze Dorfjugend auf den Balken Platz finden. Die Buben liefen mit weitausgestreckten Armen sicher wie Seiltänzer drüber hin, und die Erwachsenen lehnten sich an, um wie vertraute Nachbarn das Gäulchen zu beobachten. Es lief da innen am Zaun entlang, biß an den Birkenrinden sich die Lippen blutig und hälmelte spärlich an dem zertretenen Gras des Bodens. Rundum, den Zaun entlang, war bald ein Pfad festgetrampelt, und an den Balken nach der Wohnung zu wuchs auf einen Meter breit kein Halm mehr. Die Unfreiheit schmerzte. Zwar kam niemand vorüber, der nicht dem Riesele ein Stückchen Brot schenkte, ein Klümpchen Zucker, eine Handvoll Klee, aber es gab doch so viele Stunden, da mußte es allein sein und wußte nichts zu tun, als an der Rinde knuppern, als mit den Hufen scharren. Oft legte es sich mitten in sein enges Reich und schlief oder träumte mit offenen Augen in den blauen Himmel. Die Augen, die unendlich groß und unendlich dunkel und unergründlich waren, spiegelten alsdann den Hag, die Wiesenhalme, das ferne Wäldchen wider, als ergingen sich diese Schönheiten in der jungen Tierseele, und Trudel konnte sich an diesem Glanze gar nicht satt sehen. Ach, so oft schlüpfte sie durch das Gehege hinein und legte sich neben den Freund und half ihm träumen und scharren und knuppern, wenn's nötig war. Es geschah aber auch, daß andere Kinder ins Bereich schlüpften, um mit Riesele im Gefängnis herumzutollen, und diese Stunden des Spiels waren dann die wenigen Feststunden, da Riesele sein Elend vergessen konnte. Die Mutter Trudel mochte in sich fühlen, daß ihr Kind schon Verständnis habe für die Arbeit, oder doch, daß nun die Zeit gekommen sei, ihm dieses Verständnis beizubringen, und immer, wenn sie angespannt wurde, zerrte sie an ihren Strängen nach dem Kinde hin, das freilich, seit es eingesperrt war, mehr nach der Mutter umsah als ehedem. Ja, die Mutter wollte sogar nicht mehr ziehen, blieb stehen und ließ sich mit der Peitsche schlagen und stieß klagende Schreie aus und ward bei der erzwungenen Arbeit unruhig und wirr. Der Bauer wußte ja gleich, was sie wollte; aber er vermeinte, das Zwerggäulchen noch ein Weilchen wachsen lassen zu sollen, bevor ihm der Ernst des Lebens könne gezeigt werden. Wahrscheinlich aber ist, daß die Mutterstute -- man weiß, wie Mütter sind -- ihr Kind nicht deshalb bei sich haben wollte, daß es lerne, den Wagen und auch den Pflug zu ziehen, sondern daß sie es nur deshalb bei sich haben wollte, um es eben bei sich zu haben! Der Bauer Klaus ließ also das Gäulchen vorerst noch ein Weilchen in seinem Hag und achtete der flehentlichen Muttersorgen nicht. Der Raps war zudem reif und mußte heimgefahren werden, im Rindenwald, gegenüber vom Birkenwäldchen, kläpperten Eichenschäler seit drei Tagen die jungfrischen Rinden von den Stecken, und: eine Fuhre Rinden nach dem Bahnhof im Nachbarstädtchen bringen, das trug schon etwas ein! Da konnte man einen Schüler nicht ohne weiteres nebenher laufen lassen! Riesele blieb also in seinem Gefängnis und hatte nichts zu tun als auf die Kinder warten, bis die Schule aus war, als an der Rinde zu nagen wie eine Maus, als den Boden zu zertrampeln wie ein Töpferlehrling. Die Leute des Dorfes beachteten Riesele von Tag zu Tag weniger, sei es, daß sie ihm aus irgendeinem Grund feindlich gesinnt waren, sei es, daß sie seiner überdrüssig wurden! Wer brachte noch ein Stück Brot? Wer ein Klümpchen Zucker? Selbst die Kinder des Hauses kamen seltener und liefen lieber den Seifenblasen nach, die sie doch nicht erreichen konnten, denn Seifenblasen schweben in den Himmel! Der Pfarrer, wenn er vorüberging, rieb wie die Kinder mit dem Zeigefinger auf dem Daumen und ging vorüber! Der Lehrer, wenn der vorüberging, blieb wenigstens einen Augenblick stehen, griff herein ins Gefängnis, holte sich den willigen, ach, den der Liebe so sehr bedürftigen Kopf des Riesele, streichelte über die Blesse, streichelte über die warmen Augen, hob mit beiden Händen des Gäulchens volle Lippen auseinander und befühlte die Zähne! Der Bürgermeister, der offenbar eifersüchtig war, weil das Riesele nicht ihm gehörte, guckte immer, wenn er in die Nähe des Hauses geriet, in irgendein Schriftstück, als könne er nur ganz langsam lesen, und ging vorüber ohne Gruß, ohne Blick! Vom Polizeidiener nicht zu reden! Dieser Mensch hatte Humor in sich, hatte wiederholt mit seiner Schelle am Hag ein kleines Konzert zusammengeläutet, hatte wiederholt mit dem Stiel seiner Schelle das Riesele am Bauch gekitzelt: dieser Mensch wollte oder durfte, sicher, weil der Bürgermeister eifersüchtig war, mit Riesele sich nicht mehr abgeben! Nur ein Freund blieb treu, und das war Cornel, der Schweinehirt! Er trieb, seit er aus dem Wachtstübchen wieder entlassen war, allmorgendlich seine Schar Schweine auf einem großen Umweg an Rieseles Hag vorüber, er kam heran, erzählte etwas, was ihn gerade erfüllte, und das Riesele tat sich die Musik seiner Worte, deren tiefen Inhalt es ja nicht erfassen konnte, ins Herz und bewahrte sie getreulich auf für die leeren Stunden des Tages, da es allein sein mußte mit seiner Armut. Oft, wenn es den Freund nicht sah, hörte es die Lieder seines Waldhornes aus den Häusern hinter der Kirche schweben und hatte genug der Freude für ein paar Stunden. Eines Morgens aber sieht der Bauer den Cornel mit seinen Schweinen vorm Haus halten und wird über die Maßen wütend. „Was hältst du hier mit deinen Säuen!” fährt er ihn an, „ist mein Hof etwa ein Weidplatz für deine Säue? Willst du machen, daß du fortkommst, du Faulenzer! Willst du mir auch das Riesele versauen?” Cornel sagte nichts dagegen und trieb seine Herde, die gar nicht groß war, den Weg hinunter, indes Riesele traurig ihm nachsah und seinen Säuen. Die Gänse kamen herein, schritten überaus stolz am Gäulchen vorbei, als wollten sie sagen: jag uns doch fort, wenn du den Mut dazu hast! und sie schlüpften wieder hinaus in die Wiese. Die Enten kamen herein und schritten schnurgerade auf der anderen Seite wieder hinaus. Sie hatten nicht Eile, denn sie brauchten keine Angst zu haben vor dem Riesele, das seine Hörner, wie man so sagt, für Enten schon genügend abgestoßen hatte. Oft, sehr oft, wenn Riesele dalag und träumte, kamen sie unversehens herein, setzten sich zu ihm und steckten die Schnäbel in die Flügel zurück. Auch die Hühner kamen alsdann, die jungen, die schon von ihren Hähnen umworben wurden, scheuten sich nicht, dem Riesele die Haferkörner vor der Nase wegzupicken, und in ihrem Uebermut hüpften sie sogar auf seinen immerhin breit gewordenen Rücken und streckten die Flügel von sich. Aber der alte Hahn ging nicht mit in den Verschlag; war seine Schar drinnen, so flog er auf den obersten Querbalken und blieb wie ein Wächter da sitzen. Trudel, die Mutter, die zwischen Pflicht und Neigung anscheinend nicht recht unterscheiden konnte wie viele Mütter und nicht wußte, was für ihren Liebling gut war, hatte schwere Stunden auszuhalten, weil sie sich bei der Arbeit in ihrer Sehnsucht verzehrte, sich ablenken ließ und obendrein manchen Peitschenhieb verspüren mußte. Das eingesperrte Riesele war doch ihr Kind! Wenn es auch ein Gassenbub gewesen, wenn es auch noch so viel Liebe seiner Mutter verschmäht hatte: es war doch ihr Kind! Jeden Peitschenhieb ertrug Trudel mit einem bestimmten Gefühl, das dem Schmerz ein bißchen Süßigkeit verlieh. Aber diese Tage waren gezählt; Riesele durfte, als die Körnerfrüchte in der Scheune saßen, mit hinaus! Das Wägelchen steht leer vorm Stall, der Bauer spannt die Trudel ein, Trudel, das Mädchen, riegelt das Gefängnis auf, die beiden Buben bringen Halfter und Leine, und nun, da die Mutterstute so zappelig nach dem Riesele hinstarrt, streifen die Buben das Halfter an den kleinen Kopf, schleift der Bauer die Leine ans Halfter, klatscht Trudelchen in die Hände, und wahrhaftig, Riesele wird seiner Mutter an den Zügel geledert! Links an den Ring des eisernen Zaumes wird der Lederriemen eingeschlauft, und -- o Herrlichkeit! -- sonst nichts, sonst bekommt das Kind keine Fessel und keinen Strang und darf also nebenherlaufen wie Menschenkinder an Mutterschürzen. Steil standen die Ohren der Stute, fromm unbeweglich ruhten die Hufe im Sand der Geleise, züchtig hing der überaus lange Schweif nach unten, obgleich die Mücken an den Lenden saßen und soffen. Aufgestiegen, ihr Buben! Trudelchen, voran, neben den Vater gehockt und die Peitsche hinten liegen gelassen! Die Bäuerin stand oben auf der Treppe, stützte die Fäuste in die breiten Hüften und konnte den Mund nicht zusammenhalten vor Freude. Nicht anders als ihr erging es den dreißig Hühnern und dem Herrn Hahn, erging es den Gänsen, den Enten und gar dem Hasenvater, der ausnahmsweise heute Häsinnen um sich herum hatte, unter denen sicherlich etliche seine eigenen Kinder waren. Alle Hühner saßen auf den Balken des Hages und hielten die Köpfe zur Seite geneigt, um besser sehen zu können. Alle Gänse standen am Gartenzaun beisammen, und wenn sie unter sich über ein ganz fernliegendes Thema zu diskutieren schienen, so war das eine bewußte Täuschung: ihre kurzen Blicke zum Gespann, gerade diese ablenkenden Blicke verrieten nur zu deutlich, was in den reduzierten Gänsehirnen vorging! Gänserich, es gilt nicht, wenn du in deinen Federn zu picken vorgibst! Alte Stammutter, es gilt nicht, wenn du dich mit dem Fuß am Halse kratzest, als hättest du einen Wasserfloh! Sie kratzt sich nämlich, -- das muß gesagt sein -- nur, um unauffällig einen Blick zum Riesele werfen zu können! Offen neugierig und ehrlich wie immer glotzten die Enten mit beiden Augen hinter den breiten, biederen Schnäbeln hervor, und ihr Enterich stand ganz nahe bei Rieseles linkem Hinterbein. Überaus zierlich lag von diesem Beinchen weg ein Schatten überm zertretenen Weggras, aber er verkroch sich alsbald in den größeren Schatten, den der Leib der Mutter warf, und dieser große Fleck verschlang den ganzen Schatten Rieseles, so daß nur ein Ohr noch daraus hervorragte. Seht es euch an, das Riesele! Ganz Ordnung, ganz straffes Bewußtsein von Würde und Kraft, steht es da in Erwartung der Dinge, die kommen sollen! Keiner von den kleinen, erdgrauen Hufen, die sonst so unruhig sind, getraut sich, zu mucken, keins der Muskelchen, die sonst in fröhlichem Gezwitscher an ihren Knochen umherzitterten, als hätten sie einen Kitzel im Blut, wagt sich, zu wippen, obgleich sie eben, da die Schnaken kitzelten, doch schon einmal tanzen dürften! Kein Haar an Mähne oder Schweif, kein Ohr, keine Lippe, nicht einmal ein Auge untersteht sich, sich zu bewegen! Ganz Ordnung, ganz Kraft, ganz Würde, ganz Wille zur Wohlerzogenheit und Vollendung! Das Riesele, dessen seelische Regungen verträumt irgendwo umherschweiften, so, als sei dieses Stillestehen schon eine große Tat, schrak heftig zusammen, als der Bauer hinten aus dem Wagen rief: „Hü, voran!” Es war sogleich schon einen Schritt zurück und mußte schon laufen. Es lief, und die Mutter nahm ihren Schritt kürzer; das Riesele aber schoß voraus. Unsanft zerrte die Leine am Halfter. Nach drei Schritten war Riesele wieder zurück, nach drei weiteren wieder voraus. Seine Hinterbeine blieben nicht bei der Mutter; sie wandten seitab, und der Kopf drückte gegen den Kopf der Mutter, die gewaltsam an sich hielt. Ja, es geschah, daß das Riesele an seiner Leine riß, die Hinterbeine nach vorn rennen ließ, so daß die beiden Pferdeköpfe fest aneinander standen, und die Deichsel das Riesele arg bedrohte. Es wäre gern wieder zurückgeturnt an seinen Platz, aber es konnte nicht! Die Mutter durfte nicht ausweichen, weil die Leine dies nicht zuließ (sie selber hätte in diesem Fall fünf gerade sein lassen, wie man so sagt, und wäre dem Drängen des Kindes auf den Kleeacker gefolgt, diese Mutter!) und so blieb sie stehen, und Mutter und Kind sahen sich hilflos an! Der Weg bog auf die breite Landstraße, und das war ein Glück! Es darf nicht verschwiegen werden, daß Riesele zur Seite der Mutter, als nun die breite Landstraße verführerisch genug auch noch in den Schatten des Waldes einbog, allzusehr geneigt war, Bocksprünge zu machen, daß der Bauer Klaus, in der Meinung, diese Tollheiten würden schon bei der zweiten Reise aufhören, allzu nachsichtig war (Gustav dachte ein übers andere Mal für sich: bei seinen Kindern war er nicht so gutmütig!) und daß auch die Mutter, eingedenk der eigenen Jugend dem Gäulchen Freiheiten gestattete, die sie (und der Bauer Klaus und noch viele Kläuse und wohl fast alle) vom Standpunkt ihrer Wohlerzogenheit durchaus nicht mehr Freiheit nennen konnte! Eichenschälholz sollte geholt werden! Es saß in einer Schneise rechtsab von der Straße im frischentblößten Schälwald. Die Schneise war aufgeweicht, und schmutziggelbes Wasser stand in Lachen beisammen, und Wasserschneider, Libellen und Stechmücken umschwirrten den Schmutz. Vereinzelt warfen alte Tannen, riesige Eichen etwas Schatten über'n Weg, und das Riesele scheute vor den Lachen, scheute vor den Libellen, vor den gigantischen Bäumen, selbst vor den Schatten! Die Peitsche schwirrte auf, aber die Peitsche machte die Unruhe noch größer und verschwand wieder. Die Mutterstute begann schließlich auch zu bockeln und kam nicht mehr von der Stelle. „Wart, Bürschele!” sagte der Vater, „du kommst mir wieder einmal mit, Holz holen, bevor du übern Zaun gucken kannst!” Er stieg ab; auch die Kinder stiegen ab, das Riesele ward von der Seite seiner Mutter genommen und neben im Wald an einen Pfahl, der zwei Meter Schälholz hielt, angebunden. Allein mußte es hier zurückbleiben, ganz allein, so sehr die kleine und die große Trudel auch flennen mochten. Das Fuhrwerk schob sich tiefer in den Wald hinein und blieb an der langen, leuchtenden Schälholzreihe halten. Riesele sah und hörte, wie die gelben Prügel aufgeladen wurden, wie selbst das Mädchen eifrig bei der Arbeit war und sich nicht um seinen Freund kümmerte. Es riß an seiner Leine: sie war stark! Sie war stärker als das Riesele, aber der eingerammte Pfahl erbarmte sich und gab nach und fiel schließlich um, so daß der Holzstoß zusammenrutschte. Niemand hörte den Schall! Riesele sieht sich noch einmal um, weiß nicht recht, soll es zu der Mutter laufen und zu ihren Peinigern -- oder soll es heimzu rennen? Es rennt schließlich heimzu und schleift den Eichenprügel, der an seiner Leine hängt, hinter sich her, den Prügel, der sich seiner erbarmt und ihm die Freiheit gegeben hatte. Es lief nicht die Landstraße, die es hergekommen; querfeldein lief es wieder wie ehedem, denn der ausgetretene Weg der Ackergäule und der Ackerkühe widerte sein ursprüngliches Gefühl an, das eigene, wenn möglich: verbotene Wege zu gehen wünschte! Da lag im Schatten eines alleinstehenden Buchengesträuchs Cornel, der Hirt, und seine Schweine grunzten weitaufgelöst im warmen Schlamm, der von blühenden Ginsterbüschen grell durchtupft war. Cornel hatte hinterm Ohr eine Kuckuckslichtnelke stecken und las im Buch der Droste. Wie er das Riesele kommen sieht, stützt er sich auf und sagt: „Na, Riesele, heute merkst du's noch, wie dir der Knüppel zwischen den Beinen herumfällt! Morgen schon wirst du's nicht mehr merken, und übermorgen, -- solltest du ohne deinen Knüppel laufen, wirst du schon schreien: ‚Wo ist mein Knüppel, wo ist mein Knüppel?’ Ade, Riesele, ade! Wenn ich dich von dieser Freiheit befreien könnte, gern tät ich's, Riesele, ach so gern!” Das Riesele trat dicht vor seinen Freund hin; er löste die Leine von dem Eichenholz, band sie fürsorglich am Halfter oben fest und sprach tiefernst: „Was nutzt es dir, Riesele, daß ich dich jetzt ganz fragwürdig frei mache? Deinem Schicksal kannst du nicht entgehen, es sei denn, daß du gleich am Anfang deiner Laufbahn über deinen Knüppel stolperst, das Bein brichst und stirbst! Riesele, Riesele, soll ich dir von deinen Voreltern erzählen, wie die einst so glücklich waren?” Riesele mißachtete der Worte des Freundes und lief, des Prügels ledig, davon. „Will halt nicht wissen, wie seine Voreltern glücklich waren,” sagte Cornel für sich, und zu seinen Schweinen sagte er: „Seht ihn euch an, er läuft dahin im Segen seiner Freiheit!” Als Riesele heimkam, war der Hag verschlossen, die Stalltür zugeklappt, die Scheune verriegelt. Es wußte nicht, was es tun sollte, und da es am liebsten in seinen Hag gegangen wäre, streckte es den Kopf zwischen den Balken hindurch und hob das Bein, konnte aber durchaus nicht hineingelangen in sein Gefängnis. Schließlich starrte es den Weg hin, den es gekommen, und da auch die Gänse nicht zu Hause waren und die Enten nicht, und nur einige Hühner im Sand badelten, lief es unter den Schuppen, wo die kleine, überdächelte Kutsche stand, und legte sich zwischen die Deichseln der Schere, zu dieser auf den Boden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich hier als ein erwachsenes Pferd fühlte, dem man die Kutsche anvertrauen kann, daß es kühne Träume hegte! Träume, wie sie Kindern eigen, die so gerne groß wären und so gerne einen Beruf erfüllten! Die Mücken umschwärmten zwar das Riesele, setzten sich aber nicht auf sein schwarzes Fell, und als die Holzfuhrleute heimkamen, sahen sie das Riesele also liegen und freuten sich sehr. VII Indessen gewöhnte sich Riesele an die Deichsel und durfte schließlich überallhin mit. Eines Tages wollte ein Fremder an den Bahnhof gefahren werden. Der Kutscherbock war zweisitzig; der feine Herr kam, wie er Riesele sah, aus der überdächelten Chaise hervor und setzte sich neben den Bauer Klaus, um das Riesele genau beobachten zu können. Es lief erst züchtig, wie wenn es ziehen würde, neben der Mutter her und nickte gleich ihr mit dem Kopf nach unten, als sei die Last gar nicht so leicht, wie es scheinen mochte! Aber schon gleich auf der Landstraße riß es an seinem Halfter, schob die Hinterbeine seitaus und machte seiner Mutter große Beschwerden. Trudel, die Mutter, ließ sich nicht beirren und vermochte immer wieder durch gütiges Zureden, das den Menschen leider nicht erkennbar ist, den kleinen Burschen in Zucht zu halten. Jedoch nie lange! Trudel selbst begann aufgeregt zu werden, man sah ihr den Angstschaum am Maule stehen. Als das Riesele aber wieder einmal am Halfter zerrte und gar zu bockeln anfing, sagte der Fremde zum Bauern Klaus: „Würden Sie mir einmal Ihre Peitsche und Ihre Leine anvertrauen? Ich will mal meine Kunst probieren!” Er schnalzte ein seltsames Gezisch mit der Zunge, und sogleich stellte Trudel die Ohren aufrecht, und sogleich drehte der Student die großen Augen einmal zurück nach dem Kutscherbock und lenkte die Hinterbeine ein. Die Leine straffte, die Peitschenschmicke flatterte hochauf. „Das ist ein seltenes Feuer, Herr, woher haben Sie es?” fragte der Fremde. „Die Mutter brachte mir der Jude, das Kleine ist ein Gelegenheitskind: der Vater war bei einer Seiltänzergesellschaft!” „Aha! Passen Sie auf!” Der Fremde sprang ab, besah sich der Stute Gebiß, griff ihr an die Muskeln des Vorderbeines und tupfte dann mit dem Zeigefinger auf ein Plätzchen über der Kniescheibe, worauf die Haut, wie wenn eine Mücke dasäße, leicht erzitterte. „Sie ist ein braver Ackergaul, nicht? Sie hat zwar Qualitäten gehabt, ist aber in falsche Hände gekommen und hat's zu nichts gebracht! Wollen mal beim Kleinen sehen!” Er nahm Rieseles Kopf in die Hände, reckte ihn wie einen Rekrutenkopf zu sich in die Höhe, schnitt mit dem Fingernagel hinter den beiden Ohren zwei Halbkreise, und die beiden Ohren schlugen fast aneinander. Er tupfte an den Knien herum, und die beiden Vorderbeine knickten ein, und fast wäre Riesele hingefallen. Der Fremde sah den Bauern lange an, nickte und sagte: „Er ist wohl auch ein toller Bruder, was? Hören Sie, verkaufen Sie mir den Studenten, ich bezahle ihn gut!” „Was soll aus ihm werden, Herr?” entgegnete der Bauer, „er ist ein einfaches Tier, das weder große Kraft noch große Arbeitslust haben wird. Anlagen hat er, ja, aber Anlagen zum Taugenichts, zum Guckindieluft, und da er Sternkundiger wohl nicht werden kann, muß er in stramme Zucht genommen werden für den Wagen!” „Es gibt außer körperlicher Arbeit und außer der hohen Wissenschaft noch andere Dinge in der Welt, mit denen man die Menschen beglücken kann, mit denen man schließlich auch sein Brot verdienen kann, Dinge, die dem grauen Alltag ferne liegen!” „Soll er etwa das lebendige Spielzeug werden verwöhnter Fürstenkinder, soll er Kinderschlachten schlagen helfen auf den umhegten Spielplätzen, vor denen wirkliche Soldaten Wache stehen? Soll er den Kopf senken vor den Herrschaften dieser Erde, wie wenn er ein Sklave wäre gleich den meisten unserer Mitmenschen?” „Die Freiheit, Herr, steckt ihm zu sehr im Blut, als daß er sich hierzu eigne! Er soll, in Freiheit dressiert, ein großer Künstler werden zum Heil der Menschen!” „Ich seh mein Gäulchen meiner Treu schon auf dem Hochseil tanzen! Nein, nein, wollten Sie gar einen Künstler aus ihm machen, gäb ich es erst recht nicht her. Auch in meinem Haus wird mehr gelacht als geweint.” Riesele schritt indes züchtig einher, da die Schmicke der Peitsche über seinen Ohren drohte und nicht verschwinden wollte! Am Bahnhof stieg der Fremde aus, nahm Rieseles Köpfchen zwischen die Hände und sagte zu ihm: „Wir sehen uns wieder!” und zum Bauern sagte er: „Glücklich sein oder glücklich machen: was dünkt Ihnen am schönsten, Herr?” Der Bauer sah dem Fremden in die Augen, wußte nicht, was er sagen sollte, und wiederholte schließlich dieselbe Frage: „Glücklich sein oder glücklich machen? Ja! Ja! Glücklich machen, natürlich! Aber was ist Glück?” „Hahaha!” entgegnete der Fremde, „Sie gehen mir schon wieder zu weit! Zu tief, zu tief in die Erde, zu tief an die Wurzeln! Wir Menschen des Kaiserreichs treiben gern oben auf dem Wasser unserer Zukunft entgegen, leben über der Erde, wo die Blumen blühen und die Vögel singen!” „Verstehen aber die Blumen nicht und die Vögel nicht und haben überhaupt die Wurzeln verloren! Nicht wahr?” „Möglich, Herr, möglich; aber wer die Wurzel nun einmal verloren hat, wie Sie sagen, soll dem für die kurze Zeit, da seine Blüte noch standhält, das Glück versagt sein?” „Das Glück wird ihm versagt sein müssen, denn Glück bedeutet: Wurzel haben! Aber den Schimmer soll man dem Schimmer lassen!” „Den Schimmer soll man dem Schimmer lassen,” wiederholte spöttisch und nachdenklich der staunende Fremde, und fuhr dann fort: „Doch genug der leeren Worte: ich komme nach drei Wochen wieder und werde dann das Riesele abholen! und wie gesagt: Sie werden keinen Schaden haben bei der Sache!” Als der Vater zu Hause erzählte, was ihm begegnet war, öffneten sich die drei kleinen Mäulchen und schlossen sich schier nicht mehr an diesem Abend. Der Vater hatte beim Militär allerhand interessante Stückchen gesehen: der Rittmeister war ein Narr gewesen: Kerle! sagte er oft zur Schwadron, ich bin der Teufel! Ich liebe meine Frau nicht und meine Kinder nicht: wie soll ich etwa euch lieben? Ein vollendeter Narr war der Rittmeister! Dazu ein Pferdenarr, der neunzehn Reitpferde besaß und sie dressieren konnte. Im Walzertakt ritt er an zum Appell; Schottisch auf den Hinterbeinen konnten zwei seiner Gäule flott tanzen! Einmal erschien er mit einem Rappen, dessen Hufe vergoldet waren, zum Appell. „Vergoldet?” rief das Trudelchen, das in der Mutter Schoß lag, „und die Hufeisen, waren die auch von Gold?” „Die waren natürlich auch von Gold!” erwiderte der Vater und erzählte weiter, wie dieser Rittmeister einmal in einem Zirkus ganz plötzlich, ohne daß irgend jemand zuvor davon gewußt hätte, angeritten sei mit einem schneeweißen Hengst, wie er nur einfach rundum geritten sei, und wie die Menge vor Begeisterung geschrien hätte. Alles habe geschrien „Bravo, bravo!” und er, der Vater, habe mit seinen Kameraden zuerst geschrien und zuerst geklatscht, und nachher hätte jeder drei Tage Urlaub bekommen und zwanzig Mark! „Zirkus?” sagte die Mutter, „ja, wenn Riesele in einen Zirkus soll, da weiß ich auch Bescheid! Doch will ich heut abend nichts mehr erzählen, ich heb meine Sach auf bis zum Sonntag! Ja, wenn's Riesele in einen Zirkus soll, da ging ich auch mit!” „Ich auch, ich auch!” versetzten die Buben und knöpften schon die Hosenträger ab, und Trudel, die schon halb geschlafen hatte, rieb sich die Augen und flüsterte: „Ich auch, Mutter, gelt, ich auch?” „Freilich, freilich, wir alle gucken, wenn das Riesele Walzer tanzt, oder auf dem Hochseil läuft, oder wenn es dem König sagt, wie lange er noch zu leben habe!” Nun wurden alle Tage zu Sonntagen, die Buben schnitten sich Degen aus Holz, klebten Papierhelme, gürteten farbige Bänder um den Leib, und das Mädchen tanzte, wo immer sie ging und stand. Die Mär, daß Riesele in den Zirkus komme, wußte bald die ganze Jugend des Dorfes. Hüpfseile, Springreife, goldige Schnüren, Soldatengerät aller Art tauchten auf, und auch die Alten betrachteten das Tierchen mit den Augen ihrer Komödiantentage, wie jeder Mensch sie mit sich durchs Leben trägt. Das ganze Dorf begann inmitten der grauen Kartoffelernte zu leuchten im zukünftigen Glanze des kleinen Riesele, und alle sagten: „Er hat sein Glück gemacht!” „Glücklich sein, ist nicht Glück,” sagte der Bauer Klaus zum Herrn Pfarrer, „glücklich machen, das ist Glück! Oder wie denken Sie über diesen Fall, Herr Paschtohr?” „Da ist nicht viel zu denken, Freund Klaus: wer sein Glück darin findet, daß er glücklich macht, der ist wahrlich ein kleiner Heiland!” Als jedoch die drei Wochen herum waren und der Fremde wieder kam, da wollte niemand das Riesele hergeben. Die ganze Stube war voller Kinder, aber das Riesele stampfte ungestüm in seinem Hag, als wisse es, was geschehen solle, und als wolle es möglichst rasch fort in den Zirkus. Der Fremde zählte zwei lange Reihen dicker Silbermünzen auf den eichenen Tisch, der Vater überzählte sie, indem er mit zwei Fingern auf je zwei tupfte und sie ein bißchen höher schob, und die Mutter hielt die Daumenspitze zwischen den Zähnen. Die Buben liefen hinaus, wie sie das viele Geld sahen, und die Stube leerte sich fast. Trudel trat betrübt zur Mutter, und als die Mutter sie auf den Arm nahm, kollerten dem Kinde die Tränen aus den Augen, und es sagte ganz laut: „Jetzt verkaufen wir das Riesele, wie die Brüder den Joseph verkauft haben um dreißig Silberlinge; da hätten wir das Riesele doch Joseph nennen sollen, wie's noch ganz klein war!” Die Mutter konnte die Tränen auch nicht verbeißen, sie sah den Vater an und sagte: „Dreißig Silberlinge, sind's nicht auch gerade dreißig Silberlinge, dreißig dicke Silberstücke, und dafür hat auch Judas den Herrn verraten!” „Ja, willst du das Riesele behalten?” fragte der Vater. „Die Kinder, die Kinder!” antwortete die Mutter, „da guck hinaus, die Buben führen's fort!” „Was die Buben tun, gilt wohl nicht!” sagte der Fremde, zog seine Börse und legte drei Zehnmarkstückchen zu dem Geld, hob das eine wieder vom Tisch auf, reichte es dem weinenden Trudelchen und sprach: „Hier, Kind, ein Füchschen für dein Räppchen, und das hier gibst du deinen Brüdern! Hier, sieh genau hin, der Mann, der da im Gold abgebildet ist, das ist der Kaiser!” Das Kind betrachtete die Münze und rief zum Fenster hinaus: „Gustav, August, kommt herein, ihr habt goldene Kaiser bekommen!” Sie kamen herein, und das Riesele ging, ohne seiner Mutter Ade gesagt zu haben, von dannen, dem Zirkus des Lebens entgegen, den sich die Menschen eingerichtet haben. VIII Der Fremde also führte das Riesele fort aus dem Paradies, am Buchenwäldchen vorbei in das nahe Städtchen an den Bahnhof, wo Riesele mit seiner Mutter schon einmal gewesen war. Die Kinder kamen wieder gelaufen, weil gerade die Schule aus war, und sie stellten sich ans Gitter des Güterbahnhofes, wo das schwarze Gäulchen auf den Zug warten mußte, und sie winkten ihm, da es in den Bahnwagen trat, und riefen seinen Namen, da sie es nicht mehr sehen konnten! Riesele blieb lange Stunden im Bahnwagen, und als es heraustreten durfte, hing vor seinen Augen ein ungeheures Licht, das langsam an einem Pfahl in die Höhe geleiert wurde. Nun pendelte es hoch oben, und ringsum zuckten kleinere Lichter auf, die Sperre schnurrte zurück, und Riesele schritt hinaus in den Abend und stapfte neben dem Manne her über eine große, flache Wiese, einem unheimlichen Hage zu, zwischen dessen Gebälk unabsehbar Gäule weideten, schwere Kerle, deren Köpfe sich nicht vom Grasboden erhoben. Riesele brauchte nicht in einen dieser Hage; es wurde in einen Stall geführt, der ganz weiß getüncht war. Hier verbrachte es die erste Nacht in der Fremde. Gleich am Morgen kam ein Mann in einem langen, weißen Kittel, der streichelte an dem jungen Körper herum, und dann kamen zwei andere Männer, die legten Riesele aufs Stroh nieder, und dann spürte es einen heftigen Stich in der linken Flanke, daß es ausgeschlagen hätte, wenn's ihm möglich gewesen wäre. Es konnte mit keinem Muskel zucken, so fest hielten die Männer das Riesele, und als sie es freigaben, wollte es sich nicht bewegen, so müde war es geworden. Es lag da, eine weiße Schnur war um seinen Leib gewickelt, und vor seinem Munde stand ein Napf mit Milch, den es aber nicht berührte. Es trank indes gegen Abend doch die Milch, und am nächsten Morgen hatte es sogar Lust, sich auf die Beine zu stellen, stellte sich auch und fraß frischen Klee, und schon am andern Tag kam der Mann im weißen Kittel wieder und wickelte den Verband ab. Riesele war also wieder gesundet von einer Krankheit, die ihm zu Hause hinter seinen Bergen sicher erspart geblieben wäre. Es durfte aus dem Stalle laufen, es durfte die großen Gäule besuchen an deren Hag, es durfte den Kopf hineinstrecken zu den Großen und ward geliebkost wie von seiner Mutter. Eines Tages entdeckte es in einem der letzten Hage ein Füllen, das an der Brust seiner Mutter trank. Dieses Füllen trank noch an der Brust seiner Mutter, obgleich es viel größer war als Riesele. Riesele wollte durchaus nicht etwa mit ihm trinken: es hatte nur seine Freude an dem großen Säufer und dünkte sich sehr erwachsen. Jeden Tag trieb es sich bei Mutter und Kind umher, bis ein Wärter ihm gar die Tür aufmachte und es hineinlaufen ließ. Hier im Schatten einer Mutterliebe verbrachte Riesele die nächsten Wochen seines Lebens, bis der Winter kam. Die Mutter hatte genug Liebe und verschenkte davon an das Riesele, soviel sie konnte, und Riesele wuchs mächtig heran! So sehr es sich aber im Wachsen beeilte: das kleine Mutterkind blieb größer! Es konnte seinen Kopf auf die dritte Querstange des Hages legen, aber Riesele konnte das nicht! Riesele war klein, Riesele war ein Zwerg gegen dieses Füllen, Riesele konnte sich strecken, soviel es wollte, aber es blieb klein. Trotzdem, wenn es auch kleiner war als der Säugling, so war es doch stärker als dieser, und sein Benehmen glich viel eher dem eines gesetzten Burschen. Von Tag zu Tag glänzte Rieseles Haut mehr, seine Haare stellten sich dichter, da der Winter weiß auf den nahen Bergen hockte, die Blesse leuchtete etwas über den Augen, und in den Augen erschien ein seltener Glanz, der alle, die kamen, über die Maßen entzückte. Zugleich schossen die Haare des Schweifes tief hernieder und berührten fast die Hufe, die Mähne zottelte sich in weichen Kräuselwellen am Halse herab und fiel über die Schulterblätter, und die Stirnhaare wuchsen bis zur Blesse und hörten auf zu wachsen! Rieseles Rücken blieb schmal, seine Brust wollte sich nicht breit auseinandertun, entfaltete sich zwar, blieb aber trotzdem schmal und zierlich. Seine Schenkel wulsteten sich nur kaum merklich hervor. Dennoch, obwohl die Muskelstärke nicht so sehr zutage trat wie bei Füllen, die für den Strang geboren sind, machte sich in diesem kleinen Körper ein reges Spiel der zarten Kräfte bemerkbar, das den Kenner und noch mehr den Menschen, der in dem Spiel der Muskeln das Leben sieht und die Schönheit und, was alles dahinter sich versteckt, höchlich entzücken mußte. Wenn die beiden Kinder miteinander spielten, so tolpatschte das größere, das jüngere, hierhin und dahin, ungelenk und steif und stieß bald an den Stangen an und rannte gegen die Mutter, und einmal warf es sogar das Riesele um auf den Grasboden, daß dem Riesele fast die Tränen kamen. Dieses aber bewegte sich ganz anders! Die geringe Last seines Körpers schnellte, von den Vorderbeinen aufgewippt, überaus leicht und zierlich und anmutig den Rücken hernieder in die Hinterbeine, so daß die Vorderbeine sich fröhlich in der Luft ergingen, so daß die lange Zottelmähne umherwirbelte, der Kopf sich aufreckte, sich vor Uebermut schüttelte, so daß die Zähne hervorblitzten und die Ohren in der Luft herumstachen, wie wenn sie Fliegen schlagen wollten! Die geringe Last des Körperchens turnte in die Vorderbeine, daß die Hinterbeine befreit waren, daß die Hinterbeine nach allen Seiten ausfeuern konnten, als seien sie die schlimmsten Pferdebeine der Welt, daß sie aber nur fortgesetzt und immer wieder Löcher in die kalte Herbstluft schlugen. Die Kraft, die sich in dem kleinen Körper regte, war durchaus nicht klein und wollte vertobt sein! Ein Spatz, der sich aufs Geländer des Hages setzte, eine Mücke, die heranflog, das Riesele zu stechen und von seinem Blut zu trinken, ein verspäteter Schmetterling, der irgendwohin flatterte und an Riesele zufällig vorbeikam, sie alle reizten des Riesele junge Kraft wie echte Feinde, und jeweils stürzte sich der kleine Mann auf das harmlose Tierchen los, der große Säugling tat dann auch mit, und wenn der Spatz endlich den Hag verlassen, wenn der Schmetterling sich weiter in die Höhe geschwungen, wenn das Bienlein das Weite gesucht hatte vor solcher Turnierwut, so gerieten die zwei Kleinen sich an die Köpfe und bissen sich gegenseitig in die Hälse, in die Kinnbacken, gar in die Ohren, und sie feuerten aus, trafen sich aber niemals! Der Säugling war ungelenk; sein Körper wartete noch auf größeren Kräftenachschub, war aber schon für diese größeren Kräfte einstweilen eingerichtet und stand oft breitbeinig da wie das hölzerne Pferd der Trojaner, das auch auf allerhand Kraft warten mußte. Riesele dagegen wußte mit sich umzugehen! Es konnte, wenn eine Fliege an seiner Brust saß, den Brustmuskel erzittern lassen und brauchte vor dieser Fliege nicht fortzulaufen wie sein Milchbruder! Es konnte, wenn der Bauch juckte, den Schweif herschwingen, oder es konnte den Kopf so weit zurückbiegen, daß es sich am Bauche schaben konnte, mit den Zähnen beißen konnte, daß es den Vorderhuf oder auch den Hinterhuf heben konnte und dabei nicht achtzugeben brauchte, ob es umfalle, wie der große Kleine! Er war wirklich einmal umgefallen, der Säugling: er wollte es dem Riesele gleichtun, wie es sich am Hinterschenkel biß, er drehte sich da oftmals im Kreise, und der Schenkel drehte sich auch und entlief dem Maule immer wieder im Kreise herum. Blieb endlich das Hintergestell an seinem Platze, so reichte der Hals nicht, d. h. gereicht hätte der Hals schon, aber er war zu steif, als daß er sich genügend gebogen hätte. Da nun in dem zukünftigen Ackergaul offenbar ein Stück Ehrgeiz rumorte, überspannte er den Bogen seines Halses und knackte um. Da lag er nun! Diese Umbiegung, daß der Kopf sich dem Schweife näherte, war seitdem Rieseles liebstes Spiel, und dies Spiel sah sich köstlich an: die dünnen Rippen preßten sich am schwarzen Bäuchlein hervor wie mit dem Silberstift getönt, der Hals erglänzte längs der Rundung, die Mähnenspitzen ergossen sich über den gestreckten Kopf, und der ganze Körper ruhte gefestigt in dieser Stellung wie in Erz gegossen. Da mochte denn der braune Ehrgeiz nicht mehr von den Stangen des Hages weggehen und schabte, ob nicht bald die ersten Zähne kommen wollten! Indessen: es wurde kalt, das ganze Gestüt ward abgebrochen, und Riesele kam in einen Stall. Schon am zweiten Tage erschienen etliche Männer in dem Stall. Sie besahen sich die schweren Gäule, und plötzlich kommt einer der Männer auf Riesele zu und sagt zu den übrigen: „Hier, staunt: brauchen wir denn nicht auch einen Dauphin? Er ist zwar von Haus aus ein Mädchen, aber was verschlägt's?” Er sagte das etwa so, wie ein Theatermann einen jugendlichen Liebhaber sucht oder eine Heldenmutter oder eine komische Alte! Alle kamen zu Riesele her; alle besahen, befühlten, betätschelten Riesele, und Riesele stand da inmitten ihrer Lobpreisungen und spielte mit den Nüstern und spürte die vielen eingehenden Blicke wie Liebkosungen an sich umhergleiten. Seine Blesse ward gestreichelt, seine Ohren wurden gezerrt, seine Augen wurden mit einem kleinen Kerzenlicht beleuchtet, ob sie gesund seien, seine Lippen wurden wiederholt auseinandergenommen, seine Zunge herausgeholt, seine Zähne betickt mit einem blanken Schlüssel! Riesele und mit ihm ein überaus starker Hengst, der auffällig rot gesprenkelt war, diese zwei mußten aus dem Stalle treten und wurden am selben Tage fortgeführt ans Bahnhöfchen. Während der langen Fahrt freundeten sich die beiden Pferde an, und der große Hengst, der seine Nüstern oben am Viehwagen hinausstrecken konnte, was dem kleinen Riesele versagt war, schurfte mit seiner Nase oftmals an Rieseles Hals herum, als wolle er dessen Kopf hinaufziehen an das breite Luftloch. Aber Riesele war doch zu klein! Es legte sich auch einmal nieder, streckte die vier Beine von sich und streckte die Beine unendlich weit aus und wuchs zusehends. Auch den Kopf reckte es von sich, und wenn das garstige Halsband nicht gewesen wäre, das an der Eisenstruktur festgebunden war, so hätte Riesele ein Stündchen oder ein Viertelstündchen geschlafen. Der Fuchs konnte sich nicht legen: er hatte Hufeisen an, die schon recht glatt abgelaufen waren, und so oft er's auch versuchte, glutschte er und schnellte vor Aufregung, vor Angst immer wieder in die Höhe. Ungeheure Schenkel hatte dieser Gaul! Ueber den Knien wulsteten die Muskeln hervor wie Halbkugeln, und dann begann eine Fülle von gestrafftem Fleisch sich hinaufzubiegen, die in ihrer Fuchsröte den dunklern Schweif, der sehr kurz und zerfranst war, fast völlig in sich einbettete. Beinahe etwas zu wenig dick zog der Bauch nach den Vorderbeinen hin, gleichmäßig rund wie eine Walze, und vom rechten Vorderbein her ästelte eine Ader, dick wie ein Bauerndaumen nach oben und unterm Bauche her. Unten erhöhte sich das Rot zu einem überschmutzten Weiß, das sich gegen die Brust ergoß und zwischen den Beinen auf den stets federnden Brustmuskeln sich wieder verlor. Gerade wie Don Quichotes Beinschienen strafften die Muskeln dieser Vorderbeine nach unten, mehr Sehne als Muskel, von keinerlei Fettansatz verhunzt, von keinem warzigen Auswuchs verunstaltet, und die Hufe breiteten sich unter dem schmalen Zehengelenk, das scheinbar schwach aussah wie ein Brückenbogenaufsatz, kurz, straff, gepackt und fast rechtwinkelig zur Erde. Ueberaus zierlich standen diese Hufe da, kaum größer als die des Riesele. Riesele aber hatte seine Freude an des Fuchses Hals! Es konnte und durfte mit seinen Lippen über die blanke Glätte hintasten, es konnte und durfte längshin die Rinne beschnuppern, die sich von der Brust bis an die Backen des Kopfes erstreckte, es konnte und durfte an der kurzen Mähne, die bald nach links, bald nach rechts äußerst zerzauselt herabhing, mit den Lippen, mit den Zähnen, mit der Zunge gar herumschmecken. Riesele merkte bald, wie der große Freund Freude hatte an den kindlichen Schmeicheleien! Es schmarotzte auch an seinem Kopf herum: es biß mit seinen Milchzähnchen an den festen Nüstern, es leckte gar an die Zähne hinein, es schabte mit der Nase seitlich an die sehnigen Backen, wo Aederchen zitterten aus Zorn über die harten Halfterriemen, die da angeschnürt waren. Ha, wenn der Große den Kopf herniederbog, wenn der Hals hinter den Kinnbacken sich einfältelte wie ein Kinderkleid, ha, da boten sich dem Kleinen zwei Lichter dar, links eins, rechts eins, zwei Börnchen lebendigen Wassers, zwei wogende Schalen, in denen Kraft und Uebermut und Liebe und Schönheit fluteten, daß es dem Kinde angst und bange ward und warm ums junge Herz und bockelig vor Freude. Von der Stirn her quirlte ein angeknäulter Haarschopf gegen die Augen, die er aber nicht verdecken konnte, und die aufgespitzten Ohren hatten Mühe, sich aus diesem Quirle zu erheben. Was für eine seltsame Freude war das doch in Rieseles Herz! Aneinandergekoppelt schritten die zwei ungleichen Gesellen quer durch eine große Stadt und beschlossen ihre Wanderung an einem grauen Zelt, das neben anderen größeren Zelten auf einer Wiese stand. Kinder liefen an gelbgestrichenen Wagen umher, lüfteten die Zelttücher und sahen hinein, und Hunde bellten an ihnen herum, bissen aber nicht! Die beiden Freunde mußten ein Weilchen warten, bis sie hinein durften ins Zelt. Sie standen vor einer Reklametafel, die ganz bedeckt war mit buntigen Tieren, mit Pferden, Tigern, Löwen, Elefanten und mit drei ganz kleinen Gäulchen, die Ball miteinander spielten. Sie besahen beide diese Herrlichkeiten! Der Fuchs regte sich nicht; selbst die vielen Kinder, die sich um sie herstellten, ließen ihn nicht aufmerken! Ein kleines Mädchen scheuchte mit seinem dicken Muff nach des Fuchses Kopf, aber der Fuchs verzog keine Miene. Starr hafteten seine Augen an den grellen Farben der Holztafel. Riesele aber konnte die Ruhe nicht bewahren! Sei es, daß die Kinder das kleine Gäulchen verwirrten, da sie ohne jede Scheu seinen Hals streichelten und seinen Rücken, sei es, daß das Kerlchen von dem, was auf der Tafel dargestellt war, ein Ahnen hatte, eine Lust, mit den drei Kleinen zu spielen, eine Ungeduld, hier angekoppelt sich begaffen lassen zu müssen! Eine Sacktür öffnete sich! Riesele ward hineingezogen, der Fuchs kam hinter ihm drein. Warm war's hier, es roch nach Pferden, aber auch nach anderen Tieren! Löwen lagen hinter starken Gittern, ließen die Pranken heraushängen und blinzelten mit den Augen. Ein alter Affe lauste sein Junges. Und weiter hinten erst standen die Pferde! Ein Junges soff an seiner Mutter, etliche ganz kleine Gäulchen lagen wie Geschwister auf einem Häufchen und pflegten der Ruhe. Das Allerkleinste, viel kleiner als Riesele, war weiß und hatte hellrote Flecken am ganzen Körper. Die drei auf dem Häufchen sahen, ohne die Köpfe zu erheben, den Ankömmling an. Dieser verspürte Lust, mit ihnen zu spielen, und strebte nach ihrem Verschlag, mußte aber etwas weiter zurück in dem Stall. Der Fuchs hatte schon seinen Platz bei vielen Gäulen gleicher Größe, doch schien er stärker als alle. Es dauerte nicht lange, so gab's reges Treiben im Stall. Eine Dame brachte den Löwen Fleisch und streichelte sie und nannte den einen Mäuschen, den anderen Herzblatt, den dritten Rapunzel, den vierten Kasimir Edschmid. Burschen kamen, sattelten, äußerst bunt, etliche der großen und alle die kleinen Pferde, und eine Mannsstimme rief irgendwoher: „Dahinten liegt ein Paar Schuhe; wem gehören die denn?” „Sind's weiße?” rief eine blecherne Frauenstimme dazwischen, und die Mannsstimme entgegnete: „Nein, rote!” „Die sind mir!” krischen etliche Weiber, und zwei liefen durch den Stall, die eine mit nackten Beinen, die andere ohne Bluse überm grünen Seidenhemd. „Entree!” ertönte es, eine Peitsche knallte. Die Burschen, die alle schmutzig gekleidet waren, schoben fast alle Pferde nach dem Eingang. Die kleinen hatten grüne Lappen auf den Rücken liegen, die von gelbglänzendem Lederzeug festgehalten wurden. Schellen rasselten an dem Lederzeug! Riesele stand! Riesele streckte den Kopf vor und scharrte mit dem Huf im Mist und riß an seiner Kette. Der Hengst lag und schnaufte. „Entree!” rief eine dunkle, aber hellgestellte Stimme wieder. Man schwang sich in die Sättel! Männer, als Empiresoldaten verkleidet, Frauen als Empiresoldatenmädchen verkleidet, schwangen sich in die Sättel. Lanzen ragten auf, Helme blinkten, Fähnlein hingen züchtig an den bunten Stangen. Zwei rotgefärbte Reiherfedern schnitten quer durch die Lanzenstangen; ganz hinten trippelte das winzige Schimmelchen, nicht größer als solch eine Feder. Nein! Riesele durfte nicht mit! Ein Vorhang hob sich, Trompeten erschollen, der Zug schob ab ins Entree! ... Was zurückkam, jubelte, wieherte, knirschte mit den Zähnen vor Lust; was zurückkam, stand begierig, wieder fort zu dürfen, hinaus, in die Manege, in die Herrlichkeit des großen Lebens, die Herren Menschen zu ergötzen! „Tableau!” schrie hell die dunkle Stimme; die Pferde reckten sich schon. Riesele, der Fuchs, das Füllen und seine Mutter blieben zurück, sonst niemand! Nicht einmal nach dem Vorhang durfte Riesele gehen! Was mochte sich da draußen abspielen?! Auch der Fuchs schlief nicht, sondern sah nach dem Vorhang. Sie kamen schon wieder, die Pferde; sie wurden umtätschelt von den überaus lustig gekleideten Menschen, und eine Dame turnte auf den Rücken ihres Gaules und legte die Wange an den Hals des Tieres und sagte: „Dat war aber mal eine leckere Chose, Schatz!” Sie küßte das Pferd, dessen Augen rundum frohlockten. Riesele sah dies genau. Ein Bursch schlug einem anderen Burschen, der eine dünne, lange Röhre schräg vom Kopf abragen hatte, ins Genick: er purzelte. Auch der erste purzelte, und so kamen sie auseinander, jeder zu dem Pferd, das er zu bedienen hatte! Die Löwen wurden in ihrem Käfig hereingezogen, die Dame, die bei ihnen am Gitter stand, trug einen Lorbeerkranz im Haar. Sie schillerte von glänzenden Steinen wie ein Heckenrosenstrauch im Juniregen. Ganz zuletzt erschien ein niedriggebautes arabisches Vollblut, das trug gesenkten Kopfes einen mächtigen Eichenkranz, der mit goldenen Schleifen durchwirkt war, um den Hals. Ein Mann im Trikot schritt neben ihm, nahm von einem Nagel im Pfosten drei schwere, silberne oder bleierne Ringe und streifte sie sich an die Finger. Ein jeder sang, pfiff oder trillerte vor sich hin; alle Tiere, die draußen waren, sangen, pfiffen, oder trillerten vor sich hin. Was, um des Himmels willen, mochte draußen alles geschehen sein! Riesele sah auf einmal dauernd zu dem Freunde hin, und auch dieser spitzte die Ohren und starrte zu Riesele her, als wünsche auch er Auskunft! Mit einem Schlage jedoch verlöschten die Lichter, Riesele legte sich nieder und schlief ein, in Erwartung der Dinge, die seiner harrten. IX Am nächsten Morgen schon um zehn Uhr begann die Hauptprobe in der Manege, und Riesele sowohl als auch der Fuchs, der Wallenstein genannt ward, durften einmal an den Vorhang treten, um hineinzusehen in die Manege und mußten dann auch wirklich hinein. Sie wurden an einen Zeltpfahl angebunden. Ein Pferd lief dauernd an einer Leine im Kreise herum. Unten im Sand bewegte sich manchmal etwas wie eine dünne Schlange und blieb wieder ruhig. „~Changez!~” rief der Direktor, und der Gaul lief in entgegengesetzter Richtung den Kreis der Manege. Eine Peitsche zuckte auf, warf in eine entfernte Ecke einen Knall und sank wieder in den Sand: diese Schlange war eine unendlich lange Peitsche! „Komm zu mir, Prinz!” sagte der Direktor gutmütig, äußerst gutmütig, und der Bruder kam in die Mitte und wurde liebreich getätschelt. Riesele ward unruhig: es wäre auch gern im Kreise gelaufen, hierhin und dorthin, wie der Herr Direktor es gewünscht hätten, ja, und es wäre auch gern so geliebkost worden! Aber nun rief der Direktor nach anderen Pferden, und sieben an der Zahl surrten aus dem braunsamtnen Vorhang in die Manege. Sieben Pferde, groß das erste, klein das vierte, winzig das letzte, viel, viel kleiner als Riesele. Sie liefen im Kreise, streng der Größe nach hintereinander. „~Changez!~” Sie schnitten mitten im Sand an der Peitsche vorbei und liefen wieder, -- endlos schier wechselten sie die Laufrichtung. Die kleinen Bürschlein konnten ihren Platz nicht finden, da mußte die Peitsche helfen! Aber die Peitsche machte mehr Lärm, als sie wirklich strafte! Sie tippte manchmal einem der Kleinen um die Ohren, um die Füße, und sogleich wußten sie, ihre Plätze wieder zu finden. „Hierher, zu mir!” erschallte plötzlich die Stimme des Direktors, und sogleich bog der Große zur Mitte, und die ganze Familie folgte ihm; da standen alle nebeneinander, Lende an Lende. „Miezi, Miezi, wo steckst du denn?” Das Kleinste tat einen Schritt nach vorn, und im selben Augenblick knallte die Stimme: „~À genoux!~” Alle fielen auf die Knie, mühsam zwar, doch rasch und fast gleichmäßig! Nur Miezi kam nicht herunter. Die Peitschenspitze züngelte herbei; trommelte an den Schienbeinen des kleinen Gäulchens umher, unausgesetzt wie Spechtgehämmer, aber das Kleine konnte nicht herabkommen. Es sank zur Hälfte und strauchelte und sprang wieder auf. Die Peitsche knallte heftig. Die anderen Tiere konnten aber solange nicht auf den Knien liegen und turnten auf. Wieder erschallte die erregte Stimme: „~À genoux!~” Glatt sanken die sechs Tiere, und Miezi blieb unterwegs hocken; die Peitsche trommelte. „~À genoux, à genoux!~” trommelte die Peitsche von weit her, wo der Direktor stand. Sie trommelte wider die Beine, wider die Knie, sie kletterte an Miezi empor, bis an Hals und Augen, sie tickte an seine Ohren! Plötzlich aber flog die Peitsche seitab in den Sand, die sechs größeren Tiere bogen nach dem Ausgang und durften hinterm Vorhang verschwinden, und nur Miezi blieb zurück! Der Direktor bekam eine kurze Lederpeitsche, einen Riemen eigentlich, und trat zu den zwei Neulingen, zu Riesele und seinem Freund, hielt diese Peitsche steil vor deren Augen und sagte: „Die Wünschelrute! Die Wünschelrute der Ordnunk, der Schönheit und alles Glückes!” Er lachte dazu, und seine Augen und sein Mund verschwanden in einem Gemisch von tiefen Falten, die wie in Leder gezogen sein Gesicht zergeißelten. „~À genoux, à genoux, à genoux!~” schrie er, indes er sich Miezi näherte, die unbeweglich stehen blieb, obwohl sie doch lieber fortgelaufen wäre! Er faßte ihren linken Vorderfuß, ihren Unterschenkel, bog ihn mit aller Kraft zur Erde, zog und drückte zugleich das winzige Körperchen nach unten, das willig folgte, wenn auch der Kopf ängstlich sich aufreckte, wie bei einem Kind, das man in den Fluß taucht. Ganz sachte berührte schließlich das zierliche Knie den Sand, und der Dresseur tat seine Hand weg. Jedoch sogleich federte Miezi in die Höhe. Aeußerst in Liebe ließ er die kurze Peitsche an seiner freien Hand herabhängen, streichelte den Unterschenkel wieder, sagte: „Miezerl, Miezerl, Schnuckerl!” und bog und drückte wieder sanft und bestimmt nach unten. Wieder setzte Miezi keinen Widerstand und sank herab, indes ihr Kopf sich aufreckte. „Muß ich den Kadett wieder durch den Kakao schleifen!” knirschte der Direktor. Riesele stand an seinem Balken, straff alle Muskeln angespannt, und rührte sich nicht. Doch als Miezi wieder aufschnellte, zuckte es heftig zusammen wie von einem Schlag erschreckt. Der Fuchs regte sich nicht; er zerrte bisweilen an seiner Leine, um an einer Stuhllehne, die vor ihm stand, zu knuppern. Der Dresseur aber nahm nun die kurze Peitsche in die andere Hand und schlug zweimal auf Miezis Rücken. Wieder schmeichelte er, wieder bog und drückte er den willigen Fuß zum Sande, wieder entfernte er die helfende Hand, und Miezi sprang auf. Wieder zuckte die Peitsche auf, aber diesmal legte sie nicht zwei Schläge auf den Rücken, sondern klatschte an die Seiten, an die empfindlichen Seiten, und das kleine Ding blieb stehen, ohne sich zu regen und ließ sich peitschen, und nur die Haut zuckte erschüttert nach den Hieben. Riesele streckte den Kopf lang vor sich aus und schüttelte ihn. Die Qual in der Manege begann wieder. Diesmal wollte sich das Knie nicht so bereitwillig beugen lassen, schien schon vor der umfassenden Liebkosung der Hand sich wehren zu wollen und gab erst nach, als ein Faustschlag es zwang. Die Augen des Dresseurs hoben sich von unten herauf zu Miezis Augen, und Miezi erkannte vielleicht die vielen Ruten in dem verhaßten Gesicht und streckte das halbgebeugte Knie wieder. Da ließ sich der Dresseur auf seine beiden Knie herab, schlug mit der kurzen Peitsche hinauf gegen Maul, Nase und Ohren, und das Tierchen hob sich auf die Hinterbeine, und seine überaus kindlichen Vorderhufe schwebten über des Dresseurs Schultern wie Trommelschlägel. Dieser zuckte auf, als seien diese Hufe gefährlich für ihn und schleuderte das Körperchen rücklings von sich, so daß es überstürzte und platt auf den Rücken plumpste! Er stand, der Dresseur! Er schwang die kurze Peitsche hochauf, er ließ sie niedersausen auf den sich darbietenden Leib, holte mit dem Fuße aus und schlug den Fuß, der mit schweren Schuhen bekleidet war, dem kleinen Gäulchen in die Rippen, daß der leichte Körper ein Stückchen davonrutschte im Sand. Nochmals bohrte sich dieser Fuß in die Seiten, und der Ruck, den er verursachte, ließ das Tierchen aufspringen auf seine vier Beine. Schaum spritzt von dem Pferdemund gegen den Dresseur, und dieser faßt das dünne Halfter, rafft alles Geriem zusammen in seiner großen Hand, zerrt Miezi etwas zu sich heran, murmelt vor sich hin: „Junk, Junk, du hast keene Ahnunk nisch!” und faßt die Peitsche fester. Sein Mund sprudelt über, indes er zu schlagen beginnt: „Ein Lama biste nisch! Nisch? biste Lama, das speecht? Nee! Nee! Scheeler Minister!” Und dann, da die Hiebe rascher niedersausen, kreischt er unausgesetzt zur Musik der Hiebe: „~À genoux! À genoux! À genoux!~” Man weiß nicht, wer die Laute schreit, ob der Mund des Dresseurs sie klatscht, ob die Peitsche den französischen Laut zischt! Riesele streckte den Kopf steil in die Höhe und schrie. Der Direktor kam daraufhin zu ihm her, ließ unterwegs die Peitsche fallen, holte aus der Rocktasche ein Stück Zucker und hielt es Riesele hin, und indes Riesele das Stück nahm, streichelte er über seinen Hals und sagte: „Recht so, recht so, du wirst einmal besser, nisch?” Und dann legte er seine überschweißte Wange an Rieseles Wange und sagte liebreich: „Dauphäng, Dauphäng!” Miezi rührte sich nicht; Schaum stand vor ihrem Munde. „~À genoux, À genoux!~” trällert der Direktor wieder und kommt näher zu Miezi, hebt die Peitsche auf, bückt sich, erfaßt den Unterschenkel und läßt sich auf ein Knie nieder. „Rudolf herbei!” kreischt er. Aus der Reihe von Burschen, Männern und Mädchen, die da umherstehen und gucken, springt einer in die Manege und wirft die Zigarette von sich. Er trägt eine kurze Peitsche mit sich und stellt sich mit gespreizten Beinen neben seinen Direktor und neben Miezi. „~À genoux!~” schreit dieser wieder, und Miezi hebt gefällig den Huf in die hingehaltene Hand, gibt bereitwillig dem Druck und dem Zug dieser Hand nach und senkt den vorderen Körper zur Erde herab. Jedoch, da das Knie den Sand berührt, zuckt der Kopf auf, und das ganze Körperchen zuckt mit. Rudolf, der Bursche, reißt einen Schlag über diesen Kopf, daß Riesele zusammenzuckt und an seiner Leine zerrt. Umsonst, der Kopf Miezis turnt weiter, aber das Knie ruht fest im Sand, fest in der Hand. Einen Augenblick ruht auch der Kopf, und: „Brav, brav!” ruft der Direktor, „so ist's brav, Miezi!” Ueber des Tierchens Kopf steht ein kleiner, dreispitziger Stahl aus der Hand Rudolfs herab. Berührt fast die Haut zwischen den Ohren! Festgeklemmt zwischen Hände, Peitschen, Stahl und Menschenwillen, steht Miezi und rührt sich nicht mehr. Die Hand des Dresseurs will sich unten vom Schenkel lösen. „Miezerl, Miezerl, liab Dingele, Zuckerle gibt's, Zuckerle! So isch's brav, liabs, so isch es liab!” Miezi aber wird, da die Finger sich lösen, unruhig, der Kopf stößt, stößt in die drei Stahlspitzen, das ganze Körperchen wirft sich auf, der Dresseur fällt um, Rudolf haut mit Fäusten drein, Miezi stürzt über den Dresseur, wird hinweggerissen, rast, den Dreizack in der Stirn, nach dem Ausgang, wo die Knechte stehen, und wird dort aufgefangen und auf Armen zurückgetragen zu seinen Quälern. Rudolf reißt den Stahl aus der Haut und steckt ihn ein, der Direktor hebt die beiden Fäuste über sich, als schleppe er einen Felsen, und geht so auf Miezi los, und in seinem Antlitz schwirren die Lederriemen umher. Ein Strömlein roten Blutes sickert Miezi über die weiße Nase herab. Der Direktor achtet nicht darauf, er streckt die Hände aus, Rudolf reicht ihm die Peitsche, er flüstert für sich: „Immer feste druff! Immer feste druff!” Er sagt laut zu den Umstehenden: „Jibt man ihm seinen Hafer ~pour~ nisch?” Die Sklaven lächeln im Chor: „~Pas du tout!~” und: „Nur die Ruhe kann es machen!” sagt der Dresseur und nähert sich Miezi. Er spreizt die Beine, stößt sich die Fäuste in die Hüften, beugt den Oberkörper gegen Miezi und spuckt ihr ins Gesicht, hebt den Zeigefinger weit übern Kopf, wirft ihn nach dem Ausgang zu und gibt Miezi einen Tritt, daß sie etliche Schritte machen muß, und die Sklaven holen das Tier ab in den Stall. Der Dresseur zieht wieder sein rotes Schnupftuch, wischt sich über die Stirn und geht auf Riesele zu und sagt: „Die kleine Dame, die du eben kennen jelernt hast, meint, sie habe jetzt ihren Willen durchjesetzt, aber sie wird erst morgen erfahren, wie sie sich täuscht! Ich sehe es dir an, du bist von anderem Schrot und Korn. Aber da bist du jerade recht jekommen! Und du Großer: na, wir werden uns ooch noch zu sprechen haben!” Er wandte sich ab: „Wo stecken die Oojuste?” Sie sprangen vor, die Auguste, drei Stück! Der Dresseur schnalzte mit der Zunge, sie warfen ihre leichten Körper zum salto mortale zurück und standen auch schon wieder in Reih und Glied. „Auf die Hände!” schrie der Dresseur. Sie schwangen sich auf die Hände und liefen im Kreise, die lange Peitsche schleifte hinter ihnen drein. „~Changez!~” Sie wechselten die Richtung. „Ab, gut!” Der Direktor wandte sich und schrie: „Dauphäng! Hast du das gesehen? -- Kein Schlag!” Er wandte sich. „Tierschutzverein?” rief er dann, „wer fragt?” Der dickste von den dreien fragte den Direktor: „Sind Sie im Tierschutzverein?” „Sind -- Sie -- im -- Tier -- schutz -- ver -- ein?” äffte der Direktor nach, „wer wird so damlich fragen?” Alle drei schrien sie nun, jeder in seiner Art und mit fröhlichen Bewegungen der Hände, der Augen, der Beine auf ihn ein: „Sind Sie im Tierschutzverein, Mister?” „Aha, natürlich! Natürlich bin ich im Tierschutzverein! Wie könnt ihr fragen? Wißt ihr nisch, daß ich ein Freund des Kronprinzen bin?” „Laß doch den Kronprinzen beiseit!” flötete eine Frauenstimme aus dem Hintergrund, und der Direktor starrte stumm nach der Stimme. „Immer Reklame für den Kronprinzen, der jibt dir en Dreck dafür!” „Iß er etwa nisch Protektor des Tierschutzvereins? -- Iß er wohl!” „Laß ihm doch sein Pläsier!” „Pläsier? Sein Pläsier schaut anders aus!” „Er liebt die Jagd! ... Weißt: von wegen Tierschutzverein! Aber laß ihn aus unsrer Manege, er hat genug mit der seinen! Und zudem: uns Kunstbagage steht wie überhaupt armen Leuten der Patriotismus der Gasse nicht recht zu Mund!” „Gut, nehm ich das Warenhaus des Westens!” „Natürlich, nimm doch das Warenhaus des Westens!” „Also nochmal Aujust: Sind Sie ...” „Sind Sie im Tierschutzverein, Mister?” „Aha, natürlich! Natürlich bin ich im Tierschutzverein! Wie kannst du fragen? Weißt du nisch, daß ich ein Freund des Kaufhauses des ...” „Ja, verehrter Gatte, nur heraus damit: daß ich ein Freund vom Kaufhaus ...” „... also, daß ich ein Freund vom Kaufhaus des Westens ... nein! das paßt nisch, Rosa! Das, das, das paßt nisch!” „Nu, dann nimm ihn, deinen Kollegen, den Kronprinzen, voran also! Nochmals von vorn!” „Gut, gut, also, wir wollen nicht nochmal von vorn anfangen, sonst machts die Madame wieder entzwei! Wenn du sagst, Oojust, daß du Mitglied ... halt: du sagst das überhaupt nisch vom Automobilschutzverein, du springst gleich auf deinen Menschenschutzverein und stellst dich so hin, kuck! Diese Geste!!!” „Gehste mir mit deiner Geste!” krisch die Frauenstimme, „du verdirbst mir mit deiner Kronprinzenmoral das ganze Geschäft! Ab!! Los!! Hol wieder dein Faß, alter Diogenes und deine Laterne, wenn ihr Witze machen wollt! Witze müssen rollen wie Erbsen aus dem Faß, müssen Knallerbsen sein und keinen Pulvergestank verbreiten! Los, ins Faß, alte Erbse, vertrockneter Diogenes!” Der Direktor lachte aufdringlich, als wolle er glauben machen, seine Frau spaße, und dies Gespaß sei eher eine Liebkosung als ein Tadel, und er begann, laut nach seinem Faß zu schreien und klatschte dabei heftig in die Hände ... Das Faß rollte heran, der Dresseur verkroch sich! X Gleich am anderen Tage begannen für Riesele, das nunmehr Dauphin genannt wurde, die Dressuren im Sande der Manege. Dauphin freute sich darauf, war ordentlich stolz, konnte gar nicht abwarten, bis, da er angeseilt in der Hand des Direktors seinen sicheren Halt hatte, bis die lange Peitsche mit ihrem harmlosen Geknall den Befehl, zu marschieren, gab! Eine Kleinigkeit, eine Leichtigkeit, ein Kinderspiel, so im Kreise langsam und sicher zu schreiten, den Kopf ungezwungen hochzuhalten, immer innen an den abgerundeten Bretterkasten der Barriere entlang! Wenn er anders laufen sollte, entgegengesetzt dieser Richtung, ha, so trat der Direktor etwas nach hinten, was man deutlich sah, und die Peitsche, deren Riemen da irgendwo im Sande lag, zuckte leicht auf! „~Changez!~” sprach dann immer der Direktor! Das war nicht mehr mißzuverstehen! Fertig, Dauphin! Abgeseilt, ein Stück Zucker in den Mund, hinaus aus der Schule, in den Stall zurück! Das war der erste Tag! Lang ward die Zeit bis zum nächsten Morgen, und was brachte dieser Morgen? Nichts Neues, nichts Neues! Noch einmal und noch zum Überdrusse oft das alte Spiel mit „~Changez!~” Am dritten Tage sprach der Direktor: „Ist die Kleine fertig? Bringt sie!” Wer kam da zu Dauphin? Die kleine Miezi, die vor drei Wochen so verpeitscht worden war. Sie wurde vor Dauphin gestellt, mußte also ihm gleichsam den Weg weisen, denn Dauphin war schon nicht mehr angeseilt! Sie trippelte gar possierlich vor dem doch größeren Dauphin her und sah nicht nach rechts, nicht nach links ... sie hatte sicher schon oft solch Leithammelspiel getrieben ... und Dauphin brauchte nur hinter ihr dreinzumarschieren. Machte der Direktor nur eine leise Bewegung, so wußte sie gleich, daß er nun „~Changez~” sagen würde, und sie changierte auch schon! Das hätte Dauphin unstreitig so glatt nicht fertiggebracht ohne sie! Aber sie trippelte ihm zu langsam! Er konnte das nicht leiden: wiederholt setzte er den Huf seitab nach vorn, um vielleicht selber an die Tete zu kommen, um wenigstens zu zeigen, daß er hin wolle ... aber immer zuckte die Peitsche auf, und Dauphin blieb gehorsam! Als die Lektion zu Ende war, lief Dauphin vor Freude allein nochmals die Runde, aber der Direktor beachtete es nicht, und als er's endlich doch beachtete, zuckte die Peitsche, und Dauphin konnte nicht schnell genug draußen sein: Gehorsam ist das erste! Am vierten Tage geschah dasselbe wieder, am fünften machte Dauphin sein Lektiönchen ganz allein und bekam zwei Stückchen Zucker. Aber am Abend zu den Vorstellungen durfte er nicht! Zwar riß er an seiner Kette, als er sah, wie seine Kameraden aufgeputzt wurden und hinausgehen durften in den grellen Lichterschein, allein niemand kümmerte sich um ihn. Bald kamen zu den allmorgendlichen Uebungen noch andere Pferde, auch große, ganz große selbst, und auch der Freund Fuchs trabte eines Tages mit Dauphin in die Manege und machte sein „~Changez~” ohne jeden Tadel. Er hieß Wallenstein! Ha, welch eine Wonne für Dauphin, so in der Schar der Großen und Kleinen, inmitten, denn Dauphin war größer als Miezi und kleiner als Wallenstein ... so in der Schar als Jüngster sein Kunststück zeigen zu können, nicht aufzufallen, nicht überzutreten, sich vor allen Dingen nicht vorzudrängen! sein „~Changez~” rechtzeitig, nicht zu früh wie hinten die kleine Miezi und nicht zu spät wie fast alle zu erkennen! Und durch nichts zu verraten, daß man doch der Jüngste war! „Wallenstein und Dauphäng!” schrie dann der Direktor, und die zwei Freunde mußten hinaus, indes die anderen weiterüben durften! Ach, wie bald wurden die Uebungen schwerer! Dauphin sollte erst den linken, dann den rechten Vorderfuß auf die Barriere heben und stehen bleiben und zu den Leuten gucken, die da saßen: Madame, Turnerinnen in nachlässigen Lumpen, Burschen, Sklaven, Männer mit scharfen Scheiteln und gradlinig zugeschnittenen Koteletts! Nonchalant alle mit Zigaretten zwischen den Lippen und lächelnden Publikumsgesichtern! Das war nicht so leicht, wie es sich ansieht! Jedoch: keine Schläge gab's dabei! Aber dann sollten auch die Hinterbeine auf die so schmale Barriere! Dann mußte gegangen werden, gelaufen werden! Links eine Peitsche, rechts eine Peitsche!! Wenn die Stunde vorüber war, wußte Dauphin nie mehr, ob diese Peitschen ihn geschlagen hatten! Wenn diese Stunden vorüber waren, so klopfte jeweils Dauphins Herz, der Schweiß stand ihm in den Haaren, und der Schaum fiel in Schwaden von seinem Munde. Nicht einmal vierzehn Tage dauerte es, da konnte Dauphin auf der Barriere schreiten und laufen, wie die Peitsche es wünschte! Das war aber durchaus kein großes Stück; das konnte Miezi fast im Schlaf. Immerhin mußte es für Dauphin eine bedeutende Leistung sein, denn an einem der nächsten Abende durfte er hinterm braunen Samtvorhang stehen und durch den Spalt hineinsehen in die Menge der fröhlichen Menschen. Ja, als er seinen Kopf einmal recht weit vorstreckte, als der Bursche, der ihn hielt, ihn sogar einen Schritt vortreten ließ, da fingen etliche Kinder, die da in der Nähe saßen, an zu jauchzen und zu toben: „Da Mama, sieh dies kleine Kerlchen, eben kommt's!” Nein, es kam nicht! Am andern Tage aber geschah es, daß dem kleinen Dauphin, bevor der Unterricht begann, ein roter Sattel aufgeschnallt wurde, ein Sättelchen aus rotem Tuch, das von roten Bändern festgehalten wurde. So in diesem Staat durfte es alle seine Fertigkeiten zeigen: Rundlauf mit Changez, Beine auf Barriere und -- sich nicht vor dem Publikum fürchten, Rundlauf auf Barriere! Herrjeh, herrjeh! Und am Abend geschah es wirklich: Dauphin wurde mit den anderen Gäulen geschirrt, bekam etwas auf dem Rücken angeschnallt, das er noch nicht kannte, und mußte am Vorhang freilich recht lange warten, bis alle Leute vom „Tableau” aus der Manege verschwunden waren. Husch, hinaus! Auf die Barriere! Spar' deine Peitsche, Direktorle! „Ah, aah, aaah!” rief die Menge, und Kinder krischen: „Pause!” Dauphin lief rundum und schlüpfte wieder hinter den Vorhang, indes die Leute von ihren Plätzen sich erhoben. Dieses Schild, das die Pause ankündigte, mußte Dauphin von nun an immer hinaustragen. Aber das blieb keineswegs seine Hauptbeschäftigung, deshalb hatte man ihn nicht eigens angekauft, wie man Kräfte für allerhand Dienste braucht! Nein, nein! Dauphin war zu anderen Sachen auserlesen, wußte das offenbar und trug sein Schild so gern hinaus, wie Agnes Sorma mit dem Staubtuch einst an der Fensterbank stand. Es geschah, daß die kleine Miezi wieder ihren schlimmen Tag hatte! Sie lief wie gewöhnlich am Ende der Reihe, die von einer halbgroßen Stute namens Lore geführt wurde. Rief der Direktor: „Komm her!” so hieß es rasch in höchster Ordnung nach der Mitte zu einschwenken und daselbst zu Seiten des Dresseurs zu stehen, bis ein neuer Befehl kam. Dieser neue Befehl hieß gewöhnlich -- wer wüßte das nicht schon! -- „~à genoux!~” Beim ersten Rufen klappte alles sehr gut, und die sieben Tiere standen Schulter an Schulter nebeneinander im verjüngten Maßstab, Dauphin in der Mitte, Miezi am äußeren Ende. „~À genoux!~” knallte der Befehl, und die Peitschenschmicke züngelte vor den vierzehn Knien, bereit, ein jedes und alle zugleich zu stechen. Dauphin, der in diesem Stück fast noch ein Neuling war, fiel zuerst auf die Knie und jubelte um sich her mit den Augen, ob er's vielleicht nicht schon am besten mache? Nacheinander und mit großer Mühe sanken die Genossen, aber die Miezi draußen kam nicht herunter! Die Peitsche trommelte an ihren Unterschenkeln, die Stimme des Direktors stieß wie aus Karnevalstrompeten an Dauphins Ohren vorbei und umher in allen erregten Tonlagen: sie kam nicht nieder, und die Reihe ward unruhig und konnte nicht länger unten bleiben. „Auf! An die Plätze! Die ganze Familie!” donnerte der Dresseur, und sogleich schoß die Führerin nach der Barriere, und die übrigen folgten. Miezi, gänzlich verwirrt, konnte ihren Platz nicht finden, lief neben, außer der Reihe, wollte sich erst vor Dauphin, dann hinter ihm eindrängen, und die Peitsche knallte umher, traf Dauphin, verzögerte seinen eiligen Schritt, und Miezi schob sich vor ihn und raste mit voran. Die Peitsche züngelte nicht mehr, surrte vielmehr von oben herab auf Miezis Kopf, immer heftiger, immer heftiger im rasenden Rundlauf. Miezi feuert nach hinten aus, trifft Dauphin an den Kinnbacken. Dieser hat nicht Zeit, an den Schmerz zu denken, rast weiter in der wirren Runde, stößt gar den Kopf an Miezis Backen, um sie, das unglückliche Kind, aus der Reihe zu bringen, und im selben Augenblick springt ein Bursch herzu, packt Miezi am Halfter und zerrt sie zurück auf ihren Platz. Daselbst aber fängt für Miezi erst recht die Drangsal an. Der Bursche rennt mit und haut unausgesetzt auf das Tierchen drein mit der kurzen Peitsche. Der Führerin vorn an der Tete knirschen die Zähne, Dauphin trägt Schaum am Munde, die lange Peitsche knallt, die kurze klatscht. Soll der tolle Wirbel nicht enden? Kann Miezi überhaupt noch mittollen? Lebt sie noch? Dauphin dreht im Laufen die Augen zu ihr hin, und sogleich schneidet die Peitschenschmicke über seine beiden Ohren. Laut kreischt der Dresseur, was man nicht mehr verstehen kann. Oft zischt das Wort: „So siehste aus!” Plötzlich aber zerreißt Dauphin die Kette; die Peitschen verlassen die arme Miezi und stürzen sich auf Dauphin. Er spitzt nach dem Ausgang, er sieht, wie Miezi nunmehr ohne Tadel ihren Platz innehält und sucht auch den seinen wieder. „So, so, so ist's gut, so ischt's guat!” Des Direktors Stimme flutet in wohligem Wellenschlag durch das Zelt, bald hoch, bald tief, wie ein Lied, ein schmeichelnder Gesang! „Komm her!” heißt es nun wieder. Die Führerin biegt ein, die Schultern reihen sich aneinander: „~À genoux!~” ertönt's jetzt wieder streng und roh. Miezi kommt nicht herunter, und Dauphin hockt auch in halber Senkung und kommt nicht nieder. „Schluß!!”kreischt der Direktor, und seine Stimme zerflattert wie eine Fahne alter Veteranen. „Dauphin und Miezi bleiben! Die andern ab!” Die Gasse am Ausgang öffnet sich, eiligst strömen die fünf Befreiten hinaus. Er wirft die lange Peitsche von sich, der Herr Direktor, der Bursch gibt ihm die kurze. Miezi torkelt; ein Schlag hält sie aufrecht! Auf ihrer Stirn scheint die Wunde aufgebrochen zu sein: ein Strömlein Blut rinnt über die weiße Nase. Der Direktor wendet sich an Dauphin: „Soll ich auch dich durch den Kakao schleifen?” kreischt er. „Soll ich Miezi fortführen?” fragt der Bursche. Der Direktor winkt: fort! „Na, und du, Proletarier, was ist denn dir in den Schädel jestiegen, he, wat?” Dauphin scharrt mit dem linken Vorderfuß, der Lederriemen klatscht darauf: „Hab' ich wat jesagt, he? Willst wohl zeigen, daß du's jutmachen willst, Jünklink! Hast Angst vor Haue, wat?” Aller Augen richten sich auf Dauphin, dem anscheinend kein gutes Stündlein bevorsteht. Ein Bursch zieht die Kappe, nimmt zwei Zigaretten heraus, gibt eine einer Dame und zündet beide an. „Hast nisch ooch eene pour moi?” fragt der Direktor, und der Bursch holt eine dritte aus der Mütze und gibt Feuer. Schweißtropfen hängen in den Lederriemen des Direktorengesichts. Er tut ein paar Züge und wirft die Zigarette von sich, er faßt die kurze Peitsche und spuckt nochmals in die Hände ... Da geschieht ein Wunder! Am Eingang erscheint eine Frau und trägt ein halbjähriges Kind auf den Armen. „Ah! Aaah Aaah!” schreit alles, was da ist in dem Zelt, alles bewegt sich nach dem Kinde hin, und selbst der Direktor läßt die Peitsche sinken, streckt, indes er zu Mutter und Kind geht, die Hand nach dem Burschen, der ihm eine Zigarette gegeben, bekommt eine, zündet sie an und nimmt das Kind auf seinen garstig tätowierten Arm. Trägt's in die Manege, sagt: „Da guck, Jochem, was eine liebes Gäulchen!” Und zu allen rundum sagt er: „Dieser Dauphin gehört meinem Jochem!” worauf der Vater des Kleinen hinterher ruft: „Ich halte Sie beim Wort, Direktor!” „Da guck, da guck! Dauphin, verfluchtes Sauvieh, guck dir den Jochem an!” Er setzt Jochem auf Dauphins Rücken, und der ganze Zirkus ist im siebenten Himmel. Dauphin trabt einher, eine kleine Tänzerin hoppst herbei wie ein Flugzeug, das angekurbelt ist, schwingt sich auf Dauphins schmalen Rücken, nimmt das Kindchen auf den Schoß und reitet so dahin, wirft's in die Luft, fängt's wieder, küßt es, drückt es an sich und jauchzt wie die Menschen hinter den Bergen vor Freiluft und Freude. Wer jauchzt da mit? Wer schweigt da noch? Dauphin, Dauphin, du hättest die Freude der Freiluft schon vergessen? Ha, Dauphin streckt, indes er wacker weiterläuft, den Kopf weit nach vorn und stößt einen Schrei aus, der seltsam klingt wie eine Schalmei aus Weiden, wie ein Hirtenlied auf der „Zeil”. Nur ein Viertelstündchen währt das fröhliche Zwischenspiel, die kleine Tänzerin seilt sich an, klappst Dauphin auf den Schenkel und sagt: „Fort, Kleinzeug, mach' morgen deine Sache besser!” XI Dauphin machte am nächsten Tage seine Sache wieder besser, wie er überhaupt ein gelehriger Schüler war! Allein trotz aller Gelehrigkeit, trotz alles besten Willens geschah es sehr oft, daß Dauphin die große und die kleine Peitsche zu verspüren hatte, und wenn die Menschen, da er seine Errungenschaften ihnen darbot, Freude empfanden an ihm, wenn die Kinder ihn bejubelten mit ihren kleinen Händen, so dachten sie nur selten daran, daß hinter dieser Stellung vielleicht hundert Geißelhiebe staken, daß dieser so überaus lustige Sprung vielleicht tausend Geißelhiebe beansprucht hatte! „Mit Wunden ganz bedecket”, zerschlagen, zerschunden an Leib und Seele kam Dauphin oftmals in die fröhliche Arena, aus den Händen der Häscher, aus dem verruchten Lederriemengesicht des Direktors in die überzuckerte freundliche Miene des Abends angesichts der Menschen, die ergötzt sein wollten! Hundert Stunden höchste Qual für ein Viertelstündchen Menschenbelustigung! Hundert Stunden Erniedrigung für ein Viertelstündchen kleinfrohe Menschenlaune! Trotz aller Qual behielt Dauphin doch den inneren Frieden, die Freude: den Menschen Freude zu bereiten, sei es, daß durch eine überaus glückliche Veranlagung seine Seele all ihre Leiden, die zur Freude der Menschen führen sollten, leicht ertrug und leicht verwand, sei es, daß die göttliche Meinung des Bauern Klaus: glücklich machen heiße glücklich sein! in dieser Seele Dauphins heilsam wirkte! Untrüglich und jedem zugänglich, der Sinn für Seele hat, lebte ein großes Mitleid in Dauphin, eine Lust, Leiden tragen zu helfen, Leiden mindern zu helfen, und es muß gesagt sein, daß die meisten Schläge, die er erhielt, freiwillige Schläge waren, indem er oft und immer wieder die entfesselte Wut des Dresseurs von seinen Kameraden auf sich ablenkte. Es fiel dem Direktor bald auf, daß alle Dressuren, die er mit Dauphin allein vornahm, rasch und bestens sich erledigten, während die Korporationsdressuren, anstatt durch Dauphins Mitwirkung sich zu erleichtern, keineswegs einen Vorteil von ihm hatten. So kam es, daß, als Dauphin die elementarsten Begriffe der Kunst besaß, daß er an einen Zirkus verkauft wurde, der sich einen Solisten seiner Art eher leisten konnte. Als Dauphin abgeholt wurde, lag Frühlingsschnee auf den Zelten, und Burschen gingen mit langen Stangen, an die oben quer ein Brett genagelt war, umher und schüttelten die Schneemassen von den tief hereinhängenden Dachzelten. Dauphin mußte, bevor er abgeführt wurde, sein gesamtes Können vor den Augen des neuen Herrn entfalten, und vor Eifer und Freude brach ihm der Schweiß aus allen Poren. Die Burschen, die ihn liebgewonnen hatten, rieben ihm den Schweiß aus den Haaren, und der neue Herr wunderte sich und fragte, ob Dauphin überhaupt so leicht schwitze? „Keineswegs!” entgegnete der alte Herr, „der Eifer steckt in ihm, es rumort überhaupt allerlei Gutes in dem Kind; er eignet sich zum Steiger, er hat Musike im Bauch, und wenn es gut geht, bringt er's zu was ordentlichem!” Auch Wallenstein, der die Elementarschule erledigt hatte, zog mit Dauphin zusammengekoppelt fort in den größeren Zirkus, der in der Nachbarstadt weilte. Sie fuhren nicht mit der Eisenbahn, sie marschierten zu Fuß der Stadt entgegen, die kaum drei Stunden entfernt lag. An einem Abhang pflügte ein Bauer mit zwei dicken Ackergäulen. Wallenstein ward unruhig, drehte oft den Kopf nach der Feldarbeit und zog leise aber stets an der Koppel, so daß Dauphin gar nicht leicht zu gehen hatte. Was wollte er nur? Er wieherte, daß dem kleinen Dauphin der Speichel an die Nüstern spritzte, er peitschte mit dem Schweif, er trug die Ohren hochgestellt, und endlich geschah etwas: Wallenstein riß so heftig an der Koppel, daß Dauphin nicht widerstehen konnte, vielleicht auch nicht widerstehen wollte, und im Nu feuern die beiden Freunde seitab und rasen über die Aecker den Abhang hinan in hellem Galopp querfeldein. Der zierliche, weißgebleßte Dauphin spürte zwar Schmerzen am Munde, aber was sind denn Schmerzen gegen Freude? eine Wonne, mit dem starken Wallenstein auf- und davonzugehen! Er möchte größer sein, stärker sein, hurra, er möchte den starken Wallenstein selber noch fortreißen können, irgendwohin fort, er möchte Führer sein, Verführer, er möchte den großen Kerl verführen zu allerlei losen Streichen! Die Häscher kamen natürlich! Wallenstein wurde gepeitscht, Dauphin nicht! Dauphin sah großäugig und neidisch zu, wie Wallenstein angesichts der Ackergäule gepeitscht wurde, und blieb verschont! Ordentlich mitleidig sahen die schweren Kerle aus den Augenwinkeln auf Dauphin herab, als sei er der Verführte, als sei er nur mitgezerrt worden und sei schuldlos wie ein Kind. In diesem neuen Leben gefiel es Dauphin besser als früher. Nur selten brauchte er mit den übrigen Pferden zu exerzieren, um so öfter aber und um so länger mußte er vor dem neuen Direktor seine Uebungen machen. Mit großer Leichtigkeit erlernte er alles, was man von ihm verlangte: er stellte sich auf die Hinterbeine, und es dauerte nicht lange, so entwöhnten sich die herabhängenden Vorderbeine, lästig zu zucken, zu schlagen und überängstlich zu tasten nach einer Stütze! Musik begann oft zu erschallen, wenn er so stand, der Direktor fuchtelte graziös mit den Händen in der Luft herum und summte die Melodie mit und sang dazu: „~L'amour est l'enfant du bohême,~ ~Elle n'a jamais, jamais connu de loi!~” Heisa, wenn auch noch die Peitschenspitze an Dauphins Hinterhufen herumzutrommeln anfing, so konnten sich diese Füße nicht mehr halten und trippelten dahin und dorthin und erhaschten bald den Taktschlag der Weise! Da konnte der Herr Direktor getrost seine Peitsche beiseite werfen und näherkommen! Konnte ganz nahekommen, konnte seinen linken Arm über Dauphins rechtes Bein, den rechten unters linke Bein schieben, so daß seine Brust des Pferdchens Brust berührte, und: Kinder! Kinder! habt ihr schon so etwas gesehen? Sie tanzen miteinander, sie tanzen miteinander, der Direktor tanzt mit eurem kleinen Freunde Dauphin! Das vollbrachte Dauphin! Er vollbrachte, was man von ihm verlangte: er zählte die Jahre seines jungen Lebens, und wenn er dabei sieben angab und also log, so war das seine Lüge nicht! Er zählte die Stunden des Tages, die Lebensjahre eines jeden Menschen, der sein Alter nicht mehr zu wissen schien, er holte aus dem Publikum jenen Kerl heraus, der seinen Namen „Dauphin” norddeutsch ausgesprochen hatte „Dauphäng!” Er fand den versteckten Gänsedieb, wo immer auch er sich versteckt haben mochte, er schoß mit dem linken Vorderfuß eine Kanone ab und mehr, er verbeugt sich höchst manierlich vor seiner Königin! Kinder, Kinder, so etwas habt ihr noch nirgends gesehen! Euer Spielzeug daheim hat eine Feder im Bauch, aber Dauphin hat eine Seele! Kein Wunder, daß die Kinder das kleine Gäulchen mit der weißen Blesse so gern hatten! Die Kinder des ganzen Reiches kannten ihn, liebten ihn, träumten von ihm wie vom Weihnachtsbaum! In den Zeitungen lasen sie über ihn, wenn er kam, wenn er gastierte, wenn er ging. An den Plakatsäulen sahen sie ihn in hellen, fröhlichen Farben, und vergaßen ihre Schule und ihren Mittagstisch. Wenn sie mit ihren Eltern im Zirkus saßen, wollten sie nichts anderes sehen als Dauphin. Wenn sie die Ställe besuchen durften, wollten sie nichts anderes sehen als Dauphin. Väter photographierten Dauphin. Ein ganz kleines Kind kam einmal im Stall auf Dauphin zu und sagte: „Ich heiße Tarl Tnöpfle!” So also sprang Dauphin Abend für Abend im Lichte der Arena umher durch den Beifall der von ihm beglückten Menschen, bald in dieser, bald in jener Stadt. XII Den tollsten Abend aber, zugleich den glorreichsten und erkenntnisreichsten, erlebte Dauphin kurz vor Ausbruch des Krieges in jener rheinischen Stadt, die sich wie eine Braut in den liebenden Arm des Flusses schmiegt. Als er seine Kunst so weit beendet hatte, daß er meinte, nun müsse er hinaus aus der feierlichen Arena, da kam der Direktor nochmals auf ihn zu, zog ihm vor allem Volk das goldbetreßte Purpurmantelettchen aus und nahm den weißen Husarenbüschel von seiner Stirn, so daß er schließlich ganz nackt dastand. Vom hohen Thron herab fragte der König laut und mit großer Handbewegung schräg nach oben, daß all seine Ringe aufblitzten: „Was kannst du noch, Freund Dauphin?” Dauphin schüttelte den Kopf. „Sonst kannst du nichts?” fragte schelmisch die sanfte Königin und lächelte und schüttelte das gekrönte Haupt, als wisse sie genau, daß Dauphin noch etwas ganz Besonderes könne, und zu ihrem hohen Gemahl sagte sie hinüber: „Versprachen Sie mir nicht: Dauphin übertreffe seinen Ruf?” Da kam zum Glück der Direktor mit seiner Leiter, und nun fiel es dem kleinen Gäulchen ein, daß es noch etwas könne: Es stieß heftig den Atem durch die Nüstern, sah zu den zwei Buben, die bei einem Offizier saßen, die es schon öfter betrachtet hatte, als spiele es nur für sie, und schritt so seinem Direktor entgegen. Dieser stützt die Leiter auf, und Dauphin hebt den linken Vorderfuß auf die erste Sprosse der Leiter, dann den rechten und steigt so Sprosse um Sprosse hinauf bis zur fünften. Nun wirft er den Kopf hoch, drückt sich ab, steht frei, fest und stabil, ohne den Schwung der Freidressur, auf den Hinterbeinen und marschiert so im raschwechselnden Rhythmus der volldröhnenden Musikkapelle in allen Gangarten durch die Arena hin. (Die Kinder denken an ihr Spielzeug, das eine Feder im Bauch hat!) Der Marsch bricht ab! Dauphin steht wieder auf den vier Beinen. Einen Augenblick nur steht er so da und rennt nun im Kreise herum, toll vor Glück, schießt nacheinander sieben Kanonen ab, auf denen der kaiserliche Adler prangt, und rast durch den Vorhang hinaus. Kommt sofort wieder, läuft schnurstracks auf die beiden Buben zu, biegt kurz ab, als habe er sich geirrt, und kniet plötzlich vor dem Thron des Königs und der Königin nieder. Und nun geschieht's: Die Königin erhebt sich von ihrem Thron! Mit einem blauen Seidentüchlein wischt sie sich über die feuchten Augen, kommt herab zu Dauphin, beugt sich weit vor, daß ihre Gewänder steil von den schmalen Schultern herunterfließen, daß ihre Krone fast wankt, und küßt Dauphin auf die weiße Blesse ... Dauphin hört und sieht nichts mehr, hält die Augen geschlossen und spürt diesen warmen Kuß auf der Stirn. Er reckt geschlossenen Auges den Kopf steil in die Höhe, entblößt die Zähne von den Lippen, läßt den Kopf niedersinken, läßt ihn tief herabsinken und weiß offenbar nicht, was er tun soll. Zwar hört er allerlei Geklopf und Getick, aber er verharrt in seiner Verzückung, und die Menschen klatschen ihm und lächeln sich an vor Glück und Freude über das geküßte Kind. Als Dauphin dann doch die Augen aufschlägt, schleppen Sklaven und Sklavenpferde den Thronsaal, ein werktägiges Balkengerüst, fort, eine Dame hängt am Trapez, und alle Leute sehen nach der Dame! ... Da springt Dauphin auf und davon und schämt sich, weil er es so eilig hat! Der Wärter empfängt ihn draußen, die Menge klatscht wieder, die Kinder rufen nach ihm, aber der Wärter zerrt ihn an den Ohren am großen Spiegel vorbei nach dem Stalle zu. Vor den Ställen stehen fünfundsechzig Pferde beisammen. Mit Ehrfurcht in den Augen sehen sie den kleinen Dauphin kommen, lassen die Köpfe hängen, bewegen sich nicht, heben die Augen und sehen gleich wieder weg. Wallenstein steht auch da; er knappert mit den Zähnen am Randblech eines Wagendaches. Dauphin schiebt sich zu ihm hin. Der Große läßt den Kopf über den Hals des Kleinen sinken, als wolle er das Wunderkind beschützen, und dieses reibt die Stirn an den straffen Lippen Wallensteins: der Kuß der Königin brennt ihn! Der Direktor kommt herzu, gibt Dauphin ein Stück Zucker und sagt: „Heut Nacht darfst du bei Wallenstein schlafen!” Der starke Wallenstein tritt mit dem feinnervigen Künstler Dauphin in sein Stallzelt. Sie fressen aus einer Krippe und legen sich bald zum Schlafe nieder, und Dauphins Köpfchen ruht auf Wallensteins festem Halse. Dauphin kann nicht einschlafen: er spürt den Kuß der Königin auf der Stirn und sieht auch wohl den großen Spiegel vor Augen. Dann schläft er doch ein Weilchen: es ist ihm, als kämen tausend Kinder zu ihm in die Arena, als streichelten sie ihn, als küßten sie ihn alle auf denselben Fleck der Stirn. Er erwacht wieder, schiebt den Kopf nach Wallensteins Ohren und reibt dort hin und her, und Wallenstein schnarcht, hebt den Kopf und läßt ihn wieder sinken und schnarcht weiter. Steif hochauf reckt Dauphin den schlanken Kopf in die stille Nacht der Genossen und läßt die schweren Lippen von den Zähnen weghängen und die breiten weißen Zähnchen aufleuchten. Am Morgen, da Dauphin, allen Schmuckes bar, zur Probe am Spiegel vorübergeht, sieht er auf seiner Stirn sicher zum erstenmal in seinem Leben die weiße Blesse! In dieser Stadt überraschte den zarten Dauphin der garstige Krieg. XIII Eines Abends fehlen bei der Vorstellung die bunten Offiziere, die Menschen reden lauter und kargen mit Beifall. Und mitten in der Nacht, da alles schon schläft, werden plötzlich in allen Zeltställen die Lichter angedreht, alle Pferde werden in die Arena geführt, und Offiziere suchen die stärksten und schönsten aus und stellen sie zu Paaren. Wie Dauphin sieht, daß auch Wallenstein mit ausgemustert ist, läuft er zu ihm hin. Ein Offizier aber schlägt ihm verächtlich auf die Backen, sagt: „Na Kleiner, dich wollen wir hier lassen,” und zerrt ihn weg. Dauphin aber möchte bei Wallenstein bleiben! Und wie die Pferde mit den Offizieren fortziehen, läuft er nochmals zu Wallenstein hin und wird wieder fortgejagt. „Fort zurück, ihr da, in den Stall!” ruft der Direktor, und Dauphin geht in seinen Stall. Die Löwen brüllen in den Käfigen, die Affen kratzen an ihren Holzwänden, auf dem Pflaster der Straße vorm Eingang zum Zirkus tuten und schollern Automobile, und Pferde trappeln in endlosen Prozessionen durch die Nacht. Das Getrappel foltert den kleinen Dauphin. Morgens fand keine Probe statt. Wenn die Sacktür des Stalles sich hob, sah Dauphin den blauen Wohnwagen des Direktors stehen. Künstler fütterten, Künstler halfen das große Zelt abschlagen, Künstlerinnen trugen die Schürzen der Wärter. Wenn Dauphin sich die übriggebliebenen sieben Pferde ansah, ward er traurig: Keiner von ihnen wußte anzugeben, etwa wie alt er sei, wieviel Uhr es sei, keiner konnte auf den Hinterbeinen laufen; es waren simple, halbstarke Reitpferde für Akrobatinnen, Sklavenpferde, Sklaven samt und sonders! Der kleine, überaus hellweiße Schimmel, dessen Fußhaare über die Hufe gekräuselt herabhingen, der äußerst oberflächlich in Kunst und Wissenschaft war, konnte wenigstens durch einen Reif springen! Dauphin war sehr traurig. Was mochte nur los sein? Warum durfte Dauphin nicht dabei sein? Dauphin wurde mit seinen sieben Genossen zu zweimal Vieren zusammengekoppelt und gleich einer Kinderschule ausgeführt. Alle Straßen der Stadt und alle Straßen außer der Stadt waren voller Soldaten; Regimenter marschierten dahin und dorthin und sangen, Automobile, mit dem roten Kreuz geschmückt, rasten, hundert hintereinander, die Hauptstraße hin, Pferde und immer wieder Pferde, mehr Pferde als Menschen! Auf der Brückenrampe sah Dauphin seinen Freund Wallenstein, der mit fünf dicken Gäulen eine riesige Kanone die Rampe hinaufzog. Als Wallenstein Dauphin sah, wieherte er, schlug einen leichten Trab an und zog ganz mörderisch an seinen Strängen. Welch eine Wonne mußte das sein für ihn! Wie gern hätte Dauphin geholfen, mit der Kraft seiner Muskeln die Kanone ziehen, -- er hatte in der Arena schon manche Kanone gezogen --, aber er war an den schäbigen Rest der einstigen Zirkusherrlichkeit gefesselt und konnte sich nicht befreien. Seine Augen wölbten sich und bettelten: „Wallenstein!! Komm, Großer, Starker, hilf, hilf doch deinem kleinen Freunde!” Aber der hatte keine Zeit, und Dauphin mußte zurück, heimzu, hinter seine Sacktür. Täglich wurden die Acht ausgeführt. Die Sieben foppten Dauphin, rissen, wenn er außen ging, die Koppel nach links, daß er mit den Hinterbeinen aus dem Glied treten mußte und vom Wärter einen Schlag bekam. Wenn er innen ging, zerrten sie sich nach den Seiten von ihm weg, daß die Wärter meinen mußten, er, Dauphin, sei der Störenfried, der seine Nachbarn belästige. Ging er im vorderen Glied, so wurde er gekitzelt, ging er im hinteren, so flog ihm irgendein Pferdeschweif über die Augen. Es geschah selbst, daß der oberflächliche Schimmel, nur um dem Wärter darzutun, er sei belästigt worden, aufs Geratewohl nach hinten gegen Dauphin ausfeuerte und zurücksah, und der Wärter, der seine Pferde nicht kannte -- und besonders Dauphin nicht kannte --, sah seitab nach den lauten Dingen der Straße, und hieb ohne weiteres immer auf Dauphin ein. Oh, wenn Wallenstein dabei gewesen wäre! Eines Tages kam ein Offizier mit breiten, roten Streifen an den Beinkleidern. Er hielt eine Zeitung in der Hand und sagte: „Wo ist Dauphin?” Dauphin wurde losgebunden und aus dem Stall geführt, und die sieben Gesellen mußten zurückbleiben. Der Offizier strich ihm über die Ohren und sagte: „Stark genug ist er schon!” „Er hat Qualitäten und steht auf dem Höhepunkt seiner Kraft,” entgegnete der Direktor, und Dauphin, der die Stunde der Befreiung, die Stunde seiner Tauglichkeit ahnte, nickte lebhaft mit dem Kopfe und scharrte mit dem linken Vorderbein, spürte fast den stolzen Husarenbusch, den er seit Wochen nicht mehr getragen, zwischen seinen Ohren schwanken und streckte die Nüstern gegen des Befreiers braunbekleidete Hand. „Wie alt bist du, Dauphin?” fragte der Offizier freundlich, und der Direktor machte sein Geheimzeichen und sprach: „Na, sag's dem Herrn General, wie alt du bist!” Und Dauphin nickte siebenmal mit dem Kopfe. Dann sah er von der Straße her zwei Buben am blauen Wohnwagen vorbei herzulaufen. Die Buben riefen schon von weitem: „Der Dauphin, der Dauphin!” und schwangen die Mützen und kamen herbei, und Dauphin reckte den Kopf längs zu ihnen hin und zeigte seine Zähne. Der eine konnte Dauphin die weiße Blesse streicheln, den anderen mußte der General heben, daß er es auch tun konnte. Der Große zog seine Uhr aus dem Matrosenblüslein, hielt sie Dauphin hin und sagte: „Na, wieviel?” „Können Sie bis zwanzig zählen, Dauphin?” fragte der Kleine. „Geduld, Jungens!” sagte der General, und der Direktor ließ Dauphin bis zwanzig zählen und ließ ihn die Uhr ablesen, und der Große beobachtete genau das Geheimzeichen des Direktors. Dann mußte Dauphin mit den Buben übern Platz laufen, rundum, so schnell er konnte, und dann lief er noch lange allein, da die Buben schon müde waren und auf den im Erdboden steckengebliebenen Zeltpfählen hockten. Der General hob nunmehr die Sacktür, und Dauphin schlüpfte in den Stall. Der General kam, der Direktor, der Wärter und die Buben kamen; aber Dauphin wurde angebunden, und alle gingen wieder fort. Dauernd sah Dauphin nach der Sacktür, und alle seine Gefährten sahen hin und machten große, glotzige Augen wie Kühe. Und siehe, gegen Abend -- Dauphin war ganz allein im Stalle -- schlüpften die Generalsbuben herein, banden sich Dauphin los und stürmten mit ihm, der stets zu tollen Streichen aufgelegt war, übern Platz an den Wohnwagen, und am Wohnwagen hob ein Soldat aus einem zweiräderigen, gelbgestrichenen Kastenwägelchen ein Kummet und schob es Dauphin übern Kopf. In die Schere ward Dauphin eingeschoben, die Buben sprangen auf, der Soldat sprang auf -- Dauphin hatte in der Arena schon allerhand Wagen gezogen und sogar schon Kanonen -- und husch gings übern Platz hin und her und rundum und dann hopp, hopp, übers Pflaster in die Stadt hinein durch alle Straßen hin, an hunderttausend Menschen vorbei und zur Stadt hinaus an den Fluß. Eine Wonne war's, mit eigener Muskelkraft solche Dinge zu vollbringen! Dauphin achtete, ob nicht der weiße Husarenbüschel an seine Ohren wedele, ob nicht seine goldverbrämte Purpurdecke ihn jucke oder sonstwie sich bemerkbar mache. Eine winzige Kaserne war in die Erde gebaut, und nur die Seite, wo Drilchsoldaten Pfeife rauchten, war zu sehen. Ueber dem Portale stand dick in schwarzen Lettern: Fort Großherzog von Hessen! Der größere Preußenbub bog sich zum Soldaten und sagte: „Nach Fort fehlt ein Komma oder ein Ausrufezeichen!” „Oho!” entgegnete der Soldat, „das werd' ich aber Madame sagen, daß du nicht weißt, was ein Fort ist, und daß du gar einen gekrönten Fürsten aus seinem Reich vertreiben willst!” Draußen am Fluß stellten sich die Buben im Wagen auf und nahmen Leine und Peitsche, und der Soldat blieb sitzen. Sie schlugen Dauphin an die Lenden, aber das tat nicht weh! Dauphin lief wie noch nie in seinem Leben, und sein Herz flog vor ihm her. Drüben im Schatten trottelte die verwahrloste Kleinkinderschule. Als Dauphin sie kaum gesehen, war sie schon hinter ihm. Dauphin wieherte laut, was heißen konnte: „Schreit doch, ihr Generalsbuben, lacht doch, schlagt mich doch, tobt euch doch aus an mir, ich bin auf dem Höhepunkt meiner physischen Kraft!” Ein großer Sandplatz schob sich in den Wald hinein zu beiden Seiten der Straße. Ein Flieger stieg hinten auf, ließ Leuchtkugeln rudelweise in die Dämmerung fallen; Kanonen, die auf Wällen standen, richteten ihre Rohre nach ihm, und Kommandos erschallten weithin. Infanteristen gingen, ausgeschwärmt, durch die Gräben über die Straße, rasselten an den Schlössern ihrer Gewehre, und viele verloren, weil sie vor dem rasenden Dauphin förmlich flüchten mußten, in der Eile etliche ihrer Patronenhülsen. Tausend Gäule -- war nicht Wallenstein dabei? -- trabten am Waldrand, indeß Kanoniere, an langen Seilen geschultert, schwere Geschütze durch den Sand zogen. Hinterm Wall aus dem Wald kam heftiges Geknatter, und Dauphins Fußeisen knatterten nicht minder heftig auf der Steinstraße. Plötzlich stand der General da mitten auf der Straße, Dauphins Befreier! Dauphin rannte zu ihm hin und blieb halten. Aus seinen Nüstern stieß sich sein Atem, sein ganzer Körper dampfte, die Adern am Kopf waren fingerdick geschwollen: Das war die Kraft, die in ihm stak, die sich freimachte und ihn so beglückte, so überaus beglückte! Doch plötzlich senken sich die Lider über die jungfrohen Augen und Dauphin bricht zusammen, kugelt auf den Rücken und streckt die vier Beine zum Himmel. Als er daheim im Stall wieder erwachte, fühlte er sich so von allem Physischen befreit, daß seine Seele wie in Gedankenanflügen sich ergehen konnte. Er, Dauphin, gehörte doch gleich Wallenstein unter die Soldaten, in die Menge, in die körperliche Arbeit, zu den Strapazen! Was ist Kunst, und was ist Wissenschaft, was ist selbst der Kuß einer Königin? Dauphin hielt die Augen noch geschlossen, aber er sah mit diesen seinen Augen! Er sah Soldaten schiefgebuckelt um Kanonen rennen, sah einen Berg voller Soldaten! Ein Gebirge war statt mit Bäumen mit Soldaten bewachsen, Soldaten sah er aus dem Erdboden aufwachsen; Pferde schoben sich, wo sonst Wasser hinströmte, unendlich hin, und es war ihm, als sähe er Wallenstein neben sich im Straßengraben liegen, Wallenstein, den mächtigsten von allen. Ja wirklich, Wallenstein reckte die vier Beine zum Himmel auf, und aus seiner Stirn, dort, wo Dauphin von der Königin geküßt worden war, floß rotes Blut. Dauphin hörte deutlich schießen und tat die Augen auf. Der Direktor stand da bei ihm in dem fremden Stall, der Wärter rieb mit Stroh an seinem Leib herum, der General stand da und die Buben mit den Schulranzen, und der Kleine hatte den Daumen im Mund. Dauphin sprang auf, nickte, beschnupperte der Buben fröhliche Haarbüschel und wieherte schon wieder vor Freude. Aber dann wurde er vom Wärter fortgeführt, und es ging nicht etwa auf den Exerzierplatz, sondern wieder zurück am blauen Wagen vorbei, durch die Sacktür in den Stall zu den Sieben. Die Sieben wurden wieder spazieren geführt, und Dauphin blieb daheim. Und Dauphin sah, solange er allein war, nach der Sacktür, ob nicht der General käme, oder der Soldat, oder sonst ein Soldat, und niemand kam. Der Wind wehte an der Sacktür herum, und manchmal sah Dauphin den blauen Wohnwagen stehen. Die Sieben kamen zurück, und am nächsten Tage mußte Dauphin mit ins Freie spazieren, und die Qual begann wieder und dauerte -- der Direktor ließ sich auch nicht mehr sehen -- viele Tage lang. Bis wieder einmal ein Soldat in den Stall kam, der alle Pferde mit Namen kannte und Dauphin besonders liebkoste und alles so tat, wie's ehedem der Direktor getan hatte. Und wie er Dauphin ein Stück Zucker hinhielt, erkannte Dauphin, daß der Soldat niemand anders war als der Direktor selber. Da freute sich Dauphin über die Maßen und riß an seiner Kette. Der geliebte Direktor redet in seltsam langgezogenem, klagendem Tone allerhand mit Dauphin, was Dauphin zwar nicht ganz verstand, was aber dennoch sehr schön und gut war, und zog dann seinen Säbel aus der Scheide und hielt ihn Dauphin an die Augen. Und Dauphin bekam ein bißchen Angst vor dem blanken Stahl, wie Isaak vor seinem Vater Abraham, streckte den Kopf ganz wagrecht vor, hob die Nüstern und beschnupperte, freundlich aus den Augen zu ihm lächelnd, daß der Direktor doch nicht etwa ..., dessen Hand. Der Direktor nahm Dauphins Kopf untern Arm und sagte: „Unser buntgekleidetes Künstlertum ist zu Ende, mein Lieber, und die Kunst schlechthin wird stark angerannt werden! Aber du lieber Himmel, was ist denn auch die Kunst, was sind denn unsere Kunststückchen, was steckt denn dahinter? Du hast es ja durchgemacht unter meiner Peitsche, Dauphin! Ich habe dich gepeinigt, ich habe dir die Lenden verhauen, einmal -- ich weiß das nur zu genau -- da habe ich dich, da du hilflos am Boden lagst und mit dem Erdball nicht spielen wolltest oder nicht spielen konntest vor Müdigkeit, da habe ich dir mit meinen Füßen die Weichen zertreten, nicht anders als wie der Töpfer seinen Ton tritt, auf daß er weich werde und sich der formenden Hand füge! Nicht anders, Dauphin! Die Schmerzen, die du unter meiner Peitsche erduldet hast, das sind so recht die Schmerzen aller Künstler, wenn ich, mich zu entschuldigen, so sagen darf. Ich weiß: auch bei den anderen Künstlern ist es so! Sie gucken zwar mit Verachtung auf unsere Kunst, auf unsere Kunststücke herab, aber sie sollten es nicht einmal tun! Wir leiden, bis wir unsere Bocksprünge richtig vollbringen können, nicht viel weniger als sie, die mehr begnadet sind als wir, aber wir leiden! Und leiden muß versöhnen und muß zu Brüdern machen! Herrjeh, bringt nicht der Dichter gleich uns sein Herz zu Markt, um gleich uns seinen Mitmenschen eine frohe Stunde zu bereiten? Leidet er etwa weniger, als du gelitten hast, Dauphin? Ha, sie sind schlau wie immer, und sagen: was sind körperliche Leiden verglichen mit den Leiden der Seele? Als ob wir keine Seele hätten, Dauphin, als ob du keine Seele hättest! Als ob deine Seele drinnen an der Krippe zurückbleibe wie dein Halfter, das neben am Nagel hängt! Wer wüßt' besser als ich, Dauphin, daß du eine Seele habest! Ich habe sie malträtiert! Ich habe den Geist, der in dir kreist, den heiligen Geist, nicht wahr, Dauphin, den heiligen Geist in dir vergewaltigt, und das muß sich naturgemäß und übernaturgemäß rächen! Nun stehe ich vor dir: der Sklave eines anderen Zirkusdirektors, der mich in seine qualvolle Arena spannt! Laß gut sein, Dauphin, laß gut sein! Oft und immer wieder habe ich mich der Einsicht verschlossen, unsere Verrenkungen, unsere Bocksprünge seien keine Vergewaltigungen der Natur, seien keine Widernatürlichkeiten, die sie doch sind ... Dauphin, die sie doch sind! Geh, frage auch die anderen Künstler, die von der hohen Fakultät, meine ich, ob sie dir nicht recht geben? Ob sie, so frage sie, ob sie nicht lieber das Leben, das sie so glücklich vorzutäuschen vermögen, wirklich und in Wahrheit leben würden, leben würden, anstatt gleich uns die Maske zu tragen, zu gestalten, was sie nicht sind, zu erfreuen, da sie freudlos sind? ... Was soll ich mich länger noch dieser Einsicht verschließen, jetzt, am Ende der buntgekleideten Herrlichkeit, da über uns die Wahrheit hereinbricht, die dem größeren Direktor noch verschleiert zu sein scheint? Menschen soll ich töten gehen! Sieh dir den Stahl an, er soll Menschen töten! Dauphin, Dauphin: wenn das Leben ein Zirkus wäre, so würde ich mir hier und jetzt den Stahl in die Brust stoßen! Liebes Tierchen, leb' wohl! Ich weiß -- so heftig fühle ich es --, ich weiß, daß ich nicht zurückkehren werde aus dieser Narrenarena! Ich fürchte, diejenigen, die den Krieg hätten verhüten können, sind nur Zirkusdirektoren, Dauphin, sind auch nur Zirkusdirektoren und versündigen sich am heiligen Geist! Aber das Leben ist ja kein Zirkus, ist ja kein Zirkus!” Der Direktor küßte Dauphin auf die Blesse und stürzte zum Stall hinaus. Dauphin riß an seiner Kette! Umsonst riß Dauphin an seiner Kette! Den ganzen Tag und die ganze Nacht schurfte Dauphin in seinem Verschlag umher und strebte hinaus, irgendwohin, wo Leben pochte, mochte es Leben sein, welcher Art es wollte. Regentropfen prasselten auf die Zeltdecke des Stalles, unausgesetzt strömte der Regen hernieder. Die Sieben lagen ausgestreckt in ihren Abteilen und schliefen, und Dauphin allein wachte und hörte den Rieselregen an. Neben seiner Krippe tropfte Wasser von der Decke hernieder; die Tropfen zersprühten, da sie aufklatschten, und bespritzten Dauphin. Ihn fror. Nach einigen Stunden aber hörte das Gesumm des Regens auf, und die Sonne schnitt durch das Löchlein der Zeltdecke, sichtbar wirbelte sich feiner Staub in den Sonnenstreifen, und auf dem Rücken eines kleinen Schimmels lag ein greller Lichtfleck. XIV Nach einigen Tagen kam der Direktor wieder als Soldat und hatte einen Herrn bei sich, dem Dauphin auf den ersten Blick ansah, daß er ein gildiger Zirkusmann sei. Er gab Dauphin gleich vertraut ein Stück Zucker, was diesem durchaus nicht schmecken wollte. Und am Abend nahm der neue Direktor Dauphin mit sich in die Eisenbahn, und sie fuhren eine Nacht und einen Tag lang durch unbekannte Gegenden nach Berlin. Wie sie da aus dem Bahnhof heraustreten, auf die Friedrichstraße, schieben sich viele Schwadronen kleiner, magerer Pferdchen, endlos wie die Friedrichstraße, zwischen gaffenden, jubelnden Menschenmassen hin. Sie ziehen schwere und leichte Kanonen und sind vollauf gerüstet, wie einst Wallenstein gerüstet war. Keinem dieser Gäulchen stand Dauphin an Muskelkraft nach! Dauphin riß an seinem Zügel und wollte seinem schmeichlerischen neuen Herrn entlaufen, wollte zu einem der Soldaten hinlaufen und wollte seinen fleißigen Brüdern ziehen helfen. Dauphin schien etwas von der arbeitsreichen, uniformierten Zeit zu ahnen und widersetzte sich auf dem Weg, solange er Russenpferdchen sah, seinem Zirkusdirektor, so sehr er konnte. Dauphin verlor die ungeheure Masse der Pferde nicht mehr aus dem Herzen, und noch in der Nacht zogen sie, sichtbar seinen Augen, von Soldaten geführt, an ihm vorüber. Andern Tages begann wieder die Dressur; er sollte umlernen, Neues lernen wie in seiner Jugend und hatte keinen Sinn dafür, sehnte sich irgendwohin nach den Sielen und sah dauernd die Masse seiner gerüsteten Brüder. Qualvoll waren die ersten Tage bis zur Generalprobe, morgens um zehn Uhr. Dauphin steht, mit feldgrau überzogenem Helm auf dem Kopf und mit feldgrauem Soldatenrock, der am Hals zusammengeknöpft ist, umhangen, mit einem Tornister auf dem Rücken und einem langen Schleifsäbel zur Seite hinterm Vorhang und sieht mit dem linken Auge in die Arena hinüber, wo ein feldgrauer Soldat sitzt, der den Arm in einer weißen Binde trägt. Hinten am großen Spiegel steht eine Dame und zupft ihr steiffaltiges, weitgespreiztes Akrobatenröcklein zurecht. Dauphin schämt sich ordentlich seines Gewandes und sieht erhöht hinter dem Soldaten mit der Armbinde einen zweiten Feldgrauen sitzen, der vor dem einen Auge ein schwarzes Läppchen hat. „Dauphin!” ruft der Direktor, und Dauphin stößt mit dem Maul den Vorhang auseinander und tritt hinaus in die Arena. Herrjeh! Was sieht er da? Ringsum sind alle Plätze mit Soldaten besetzt, einer geht an einer Krücke hinter der Manege hin und sucht seinen Platz, einer sitzt im Fahrstuhl am Eingang, links und rechts vom Eingang sind alle Plätze besetzt mit Männern in langen, weiß und blau gestreiften Kitteln. Soldaten, Soldaten, ringsum Soldaten! Und Dauphin soll Kunststückchen machen? (Daß er sie eigens für die Verwundeten ausnahmsweise gutmachen müßte, fällt ihm seltsamerweise nicht ein). Dauphin rennt aufs Geratewohl zu ihnen hin, stellt die Vorderbeine auf die Manege, streckt seine Zähne vor und stößt einen Schrei in die Luft, der kein Wiehern ist. Sie fassen ihn, die lieben Soldaten! Sie wissen, er ist einer, der zu ihnen gehört! Aber der Direktor kommt mit der Peitsche, und Dauphin muß in die Mitte, um seine Kunststückchen zu machen. Doch er weiß nichts und kann nichts und steht da wie soeben vom Himmel gefallen, ein Träumer, der tumbe klâre, der reine Tor! Die Peitsche, was will die Peitsche? Was will der Direktor mit seinem Zucker? Dauphin läuft am Zucker vorbei, an der Peitsche vorbei, durch ihre Schläge hin an die Manege und wird zurück geholt von maskierten Sklaven. Und Dauphin wird öffentlich planmäßig gepeitscht und mit seinem Helm und seinem Schleifsäbel aus der Arena fortgejagt, hinaus, hinter den Vorhang! Vereinzelt lachen die Soldaten, keiner steht ihm bei: sie kennen ihn halt nicht, ihn, den Dauphin, den von der Königin geküßten Dauphin! Den Soldatenfreund, den Soldatennarren! Nach der Vorstellung wurde Dauphin nochmals angesichts aller Pferde geschlagen und bekam zwei Tage nichts zu fressen. „Bürschken!” sagte der Direktor, „wenn du mir den Sonnabend-Abend verdirbst, bist du gerichtet!” Aber Dauphin freute sich entfernt seiner Schmerzen und sah hinter ihnen eine Beschäftigung winken, irgendwo in den Sielen, die für ihn Wollust war. Der Samstag-Abend kam, und Dauphin sah eine Reihe Offiziere vorn sitzen und wußte wieder nichts und konnte nichts und ward wieder hinausgejagt. Und so geschah es noch zweimal, und dann sagte eines Tages der Direktor: „Wart, Bürschken, du kommst mir zum Militär!” Hätte Dauphin diese Sprache des gehaßten Direktors verstanden, so hätte er sich sogleich auf die Hinterbeine gestellt -- denn das konnte er -- und hätte gelacht wie eine ganze Kompagnie. Und siehe da, Dauphin ward beglückt: am andern Morgen kommen Soldaten, und alle Pferde werden wieder gemustert. Wie die Reihe an Dauphin kommt, sagt der Offizier: „Den da, den zarten Mann, können Sie behalten!” Aber der Direktor entgegnet: „Wat soll ich noch mit ihm machen? Nehmen Sie ihn doch ooch mit, er kann Handlangerdienste tun in der Kaserne. So schwach, wie er ausschaut, ist er nisch!” Und Dauphin durfte bei den Soldaten stehen bleiben und wurde auch sogleich von ihnen abgeführt. Viele Stunden lang durfte Dauphin dann in einem Kasernenhof bei den kriegsverwendungsfähigen Pferden stehen. Dann ging ein Soldat mit ihm an den Bahnhof; sie fuhren wieder viele Stunden, und dann in einer kleinen Stadt eilten sie schnurstracks auf die Kaserne zu. Wie Dauphin die vielen Soldaten auf dem Kasernenhofe exerzieren sah, streckte er, hurra! den Kopf steil hoch, ließ die schwabbeligen Lippen hängen, daß die weißen Zähne zum Himmel aufbissen, und stieß einen Freudenschrei aus, der durchaus kein gewöhnliches Wiehern war. Das Echo dieses Schreies lief zwischen den hohen Bauten hin und her, und tausend Gesichter richteten sich auf Dauphin, den Ankömmling. Er ward nun in einen Stall geführt zu sechs blank gefütterten Reitpferden und bekam zu fressen, indes die Reitpferde ihm zusehen mußten, wie er fraß. Ein Hauptmann kam, klatschte Dauphin auf den Schenkel, der recht feist geworden war, und ging weiter. Ein Soldat schlüpfte an seinem Halse vorbei, band den Apfelschimmel los, führte ihn hinaus, und der Hauptmann setzte sich darauf. So geschah es noch fünfmal, und Dauphin stand allein im Stall und wartete auf den siebenten Hauptmann, auf „seinen” Hauptmann. Er trug offenbar etwas wie einen hellen Schein im Herzen. Ein Mann kam, ein ältlicher Zivilist mit beschmutzter, abgenutzter Dienstmütze, die einmal blau gewesen war. Eine Zigarre hing ihm schwer aus den Lippen und qualmte. Dauphin sah gerade durch die offene Tür über den Kasernenhof, wo, den ganzen Platz zwischen den grünen Linden erfüllend, sechs Kompagnien in Kompagniekolonne aufgestellt waren. Die sechs Pferde standen mit ihren Hauptleuten, hochauf die Ohren, je in der Mitte hintereinander, und Dauphin beobachtete den beschmutzten Zivilisten nicht weiter. Der aber band ihn los und führte ihn hinaus und spannte ihn kurzerhand in ein Wägelchen, das so schmutzig war wie er selber, nahm ihn am Zaume und führte ihn hinter sich her, irgendwohin, zum Tore hinaus. Kinder standen am Tore, arme, zerlumpte Kinder mit guten und schönen Augen. Eins hielt ein rotes Glasstück vors Auge und betrachtete Dauphin. „Ach!” riefen sie, „der Balthasar hat ein neues Gäulchen, und was für eins, Balthasar!” Und sie klatschten Dauphin auf den Schenkel, sprangen aufs Wägelchen, und Dauphin, der schon ganz niedergeschlagen den Kopf hatte hängen lassen, hob ihn wieder und freute sich plötzlich, da er Kinder sah, die ihm gut waren. Er zog sie wacker fürbaß, aber sie hüpften gemach eines nach dem andern von seinem Wagen, einige ließen Pfennige auf die Erde fallen und liefen ans Kasernentor zurück. Balthasar steckte an der alten Zigarre eine neue an und ließ sie zwischen den Lippen auf- und abpendeln. Ins Schlachthaus gings, ins Schlachthaus, mitten hinein ins Schlachthaus! Einen halben Ochsen mußte Dauphin heimziehen, dessen hautloses Bein seitlich aus der braunen Zeltdecke hervorragte. Das Bataillon rückte aus, die Straße her, Dauphin entgegen, mit Pauken und Trompeten! Dauphin versuchte, mit einem Ruck den Kopf steil hochzurecken; die Last hinter ihm aber war zu schwer, und er stieß den Atem krampfhaft durch die schwabbeligen Lippen und zog die Nüstern hoch und die Augenbrauen, um alles genau zu sehen, und ließ den langen Schweif hin und her schwingen. Er gehörte ja auch zu denen da! Wahrscheinlich spürte er zwischen seinen Ohren den Husarenbusch schwanken, den er einst trug. Wie er am ersten Hauptmannspferd vorüberkam, sah er stolz zu ihm auf, gleichsam, als wolle er es kameradschaftlich grüßen. Allein das Hauptmannspferd wandte sofort die Augen, die es im geradeausgestellten Kopf kaum merklich herübergedreht hatte, von Dauphin ab. Und genau so machte es das zweite Pferd und das dritte und das vierte. Zum fünften sah Dauphin selber nicht mehr, ließ den Kopf tief sinken, die Augenlider und die Ohren und den Schweif. Allein in Dauphins Geist strömte ein dämmerndes Gefühl, daß er sich nicht vor diesen Gecken zu schämen brauche: er, Dauphin, der voller Kunst stak und voller Wissenschaft und voller Weisheit, und der von einer Königin geküßt war! Er nickte nach links und nach rechts und wußte schon den Weg ins Kasernentor, wo die vielen Kinder standen. Einige spielten mit Pfennigen, einige hielten Kasernenbrot im Arm; alle aber kamen sie und lachten mit dem Gäulchen und streichelten es. An der Küche wurde der halbe Ochse abgeladen. Köche mit aufgeschürzten Aermeln klatschten ihre roten, fleischigen Hände auf Dauphins Rücken, Hals und Stirn, und Dauphin schob den Kopf wagrecht vor, um diese Hände von sich abzuschütteln. Aber die Köche lachten und liebkosten um so mehr, weil sie meinten, das gefiele dem schwarzen Gäulchen. „Heut raucht aber der Balthasar ein gutes Kraut!” sagte ein Koch. „Das ist,” entgegnete ein anderer, „weil er ein neues Gäulchen hat!” Große, offene Fässer, in denen eine zähflüssige Masse an die Wände klunkerte, wurden ausgeladen. Ein Koch griff in ein Faß, holte etwas heraus und hielt es Dauphin hin, daß er es fresse, aber Dauphin fraß es nicht, obgleich er Hunger hatte, und der Koch warf die Handvoll in die Gosse. Dauphin mußte diese Fässer quer durch die ganze Stadt ziehen in eine Fabrik mit vielen hohen und niedrigen Schornsteinen, wo es fürchterlich stank. Balthasar begann in dem Gestank heftig zu niesen, nieste fünf- oder sechsmal und stieß dabei diese Laute von sich: „E Zigga, e Zigga!” Als sie wieder in der frischen Luft waren, sagte Balthasar etwas zu Dauphin, was diesen höchlich erfreute: „Das Leben ist eine Hühnerleiter!” sagte Balthasar zu Dauphin. Nunmehr zog Dauphin täglich den Fleischwagen, den Spülichtwagen und noch andere Wägelchen durch die volkreiche Stadt. Man kannte ihn nicht in dieser Stadt; niemand kannte ihn! Man blieb wohl einmal stehen, besah sich das schwarze Gäulchen mit der weißen Blesse und ging weiter, und nur die Kinder fanden es der Mühe wert, sich zu verweilen, mit dem kleinen Freunde zu laufen, ihm einen Bissen Brot zu reichen oder ein Stückchen Zucker. Obwohl nirgends mehr an den Mauern, an den Plakatsäulen, in den Schaufenstern Dauphins Bild mit dem Purpurmantelettchen hing, wußten die Kinder doch, daß das kleine Gäulchen kein gewöhnliches Kasernentierchen war, denn sie liefen neben ihm her und beschenkten es mit Zucker und Liebkosungen! O wenn Dauphin frei gewesen wäre! Wenn er ledig seiner Siele, ledig des schweren Kummets gewesen wäre, ledig aller Mühen und Sorgen! Kinder! Kinder! So aber war das Leben eine Qual, so aber wollten die klaren Augen nicht aufblicken in den Tag, der fast stets Nacht war, und sie blieben lieber am Erdboden haften, und die Unterlippe, die sonst so gern und so übermütig an den Freuden der Stunde nippte, hing schlaff nach unten und ward täglich schwerer. Die Hauptmannspferde bekamen bessere Kost als Dauphin, wurden täglich gestriegelt, und ein jedes hatte einen Soldaten zur Bedienung! Dauphin aber stand hinten im Stall, wo kein Fenster war, keine frische Luft und kein Licht, und sein Fressen lag oft tagelang in der Krippe, und wenn Balthasar ein dünnes Getränk brachte, so leerte er die Krippe zuvor nicht aus, und Dauphin fraß fast nichts als Heu. Auf seinem Rumpfe zeichneten sich bald die Rippen deutlich ab, und da das schwarze Fell gänzlich von Staub und Schmutz durchsetzt war, konnte kein Kind Freude haben, das Gäulchen zu streicheln und liebkosend zu tätscheln. Die Mähne, ehedem ein zartwelliges Gekräusel, ein Kindergelock und ein Fähnchen der Fröhlichkeit und des Uebermutes, hing wie ein Bündel Haberstroh übern Hals herab und stak zerschabt in der Fessel des Kummets. Der kotige Zügel griff durch ihre letzten Spitzen, und wenn die Sonne auf diese Mähne schien, sah man Staubwölkchen draus emporwirbeln wie aus einem Sofa. Die Knochen der Hinterbacken stießen sich hervor, und Balthasar hing oft, wenn er schwitzte, seine verschmutzte Mütze dran. Die schweren Eisen der Hufe klapperten, die Rippen schoben sich unter der Haut hin und her. Balthasar redete nie ein Wort mit Dauphin, und Dauphin empfand natürlich auch nie Lust, den mürrischen Alten etwas von seinem Können merken zu lassen. Niemand ahnte von Dauphins Qualitäten! Nicht einmal seinen Namen kannte man. Balthasar nicht, die Hauptleute nicht, die übrigen Wärter nicht! Selbst die Kinder riefen ihn nicht mit seinem Namen. Besaß dieser Arbeitsverwendungsfähige überhaupt noch Namen und irgendwelche Qualität? Konnte dies arme Tierchen im Kehrichtwagen noch etwas anderes als Sklavendienste tun? Es liegt klar auf der Hand, daß Dauphin sehr litt! Seine Leiden, die anfangs rein seelischer Art waren, bogen sich, da er trotz allem unabänderlich gern und sogar freudig schaffte, ins Körperliche um, aber Dauphin mußte immer noch sehr leiden! Oh, wenn Dauphin sich das Leben unter den Soldaten so vorgestellt hätte, wie gern wäre er in seiner Arena geblieben! Er gewahrte nicht einmal, wie seine Gaben schwanden, und das war gut! Einmal kamen fünf ganz junge, kleine Leutnants, aufgetakelt wie frischgewickelte Säuglinge, aus der Regimentskammer gehüpft, streiften weiße Handschuhe an dicke Hände an, hielten Reitpeitschen unter den angepreßten Oberarmen und liefen an Dauphin und an Balthasar vorüber. Da sagte Balthasar wieder einmal etwas. Er nahm sich Dauphins Ohren und sagte: „Sieh, Kleiner, fünf ist gleich eins! Kriegsware! Heut Mittag trinken sie fünfzig Flaschen Sekt, und hernach steigen sie auf die Hühnerleiter, ganz oben hin und fangen an, auf uns herabzukotzen! Wundert's dich, daß wir so dreckig sind? Mich wundert's nicht!” Dauphin freute sich über diese Rede, die er freilich nicht verstand, wieherte und trug den Kopf höher als sonst. Er sah eine Kompagnie, die auf dem Bauche lag und zielte. Ein Feldwebel schrie einen Gemeinen an: „Mensch! Sie wollen Feldwebel werden: werden Sie doch erst einmal Mensch!” Der Angeschrieene hob den Kopf und schrie dagegen: „Feldwebel will ich werden!” An der Wache vorn am Kasernentor hielt Balthasar sein Gäulchen an, weil er mit einem Kollegen etwas zu reden hatte. Zwei Soldaten in Drillichzeug schleppten eine verschlossene eiserne Kiste aus dem Stübchen, das hinter dem Wachtstübchen lag. „Hu, wie stinkts da drinnen!” sprach der eine. „Geld stinkt!” erwiderte der andere. „Auch die Fahnen, die dahinter stehen, stinken, Ambros!” „Alle Signale stinken, Willi, der Mensch aber ist frei!” „Frei ist der Mensch! Gewiß, aber auch er ist aus Dreck gemacht, Ambros!” Zum Glück verstand Dauphin auch dieses Gespräch nicht, aber er reckte doch den Kopf zu den beiden Geldträgern hin, weil er wieder ein bißchen Freude an den Menschen hatte. Balthasars Freundlichkeit versickerte gleich wieder, und des Pferdchens Kopf sank wieder, und seine Augen besahen die Steine, die seine Hufe betreten mußten. Einmal trottete er mit dem Mistwagen im Schatten der Linden rund um den Kasernenhof herum, indes Balthasar bei Soldaten stand, die höchst eifrig Strohsäcke stopften. Viermal trottete Dauphin so hinterm Rücken Balthasars vorbei, und jedesmal hörte er Balthasar nießen und seinen Laut ausstoßen: „E Zigga, e Zigga!” Als er zum fünftenmal vorüberkam, sah er, wie einer der Soldaten dem Balthasar eine Zigarre in den Mund steckte, ein Streichholz am Schenkel anstrich und sagte: „Nun mach' dich mit deinem Räppchen aus unserem kaiserlichen Staub!” Die Soldaten erregten Dauphins Teilnahme fast nicht mehr. Ihr Trommelschlag, ihre Marschmusik, ihre bunten Kleider, ihr Feldgeschrei, das sie zwischen den Mauern ausstießen, nichts erregte Dauphins Aufmerksamkeit. In sich gekehrt, tat er seine Pflicht, und die Erinnerung an glanzvolle Tage verblaßte in seiner Seele. Neigung zu Schlaf zeigte sich. Wenn das Fuhrwerk einmal das Weichbild der Garnison verließ und auf Feldwege kam, begann Dauphin heftig die Luft in die Nasenlöcher zu zerren, der Hals bog sich steil vom Kummet in die Höhe, und es ist wahrscheinlich, daß vor seinem geistigen Auge sich die Bilder seiner frühesten Jugend zeigten, das Glück der Einfachheit im kleinumzirkten Leben hinter den Bergen. Alsdann ging's aber jeweils wieder zur Stadt zurück, in die Kaserne, und die stolze Kurve des Halses sank wieder. Der Koch der dritten Kompagnie, der es gut mit Dauphin meinte, hielt ihm oft eine Handvoll Kartoffeln unter die Nase, aber Dauphin wollte sich nicht gerne öffentlich mit Kartoffeln füttern lassen und biß nur selten an, wenn er nicht gerade ganz großen Hunger hatte, und oft geschah es, daß der Koch ihm die weichen Kartoffeln in die Nüstern stumpfte. Da schreckte Dauphin wie aus Träumen auf, ließ entsetzt die Kartoffeln fallen und sah den Spatzen zu, die sogleich sich drüber hermachten und zwilchten und zankten, bis alles aufgefressen war. Auch die Kinder umjubelten Dauphin immer seltener und schließlich gar nicht mehr. Ja, es kam so weit, daß sie, wenn sie ihn bei seinem Balthasar sahen, zu rufen begannen: „E Zigga! e Zigga!” als ob dieser Laut Dauphins neuer Name gewesen wäre, Dauphins Soldatenname! XV Einmal aber geschah dies: Dauphin trottelte so auf dem Pflaster hin durch den Schatten und hört plötzlich seinen wirklichen Namen rufen: „Dauphin!” Er reißt den Kopf hoch, -- spürt er nicht den Husarenschweif zwischen den Ohren schwanken? --, stößt kümmerlich, aber voller Ungeduld die Luft aus den Lippen und biegt den Kopf zurück und sieht um sich. Wieder ruft jemand: „Dauphin!” Auf einem mit alten Schuhen hoch beladenen Wagen vorm offenen Tor der „Kammer” steht ein Soldat, hält einen Stiefel in der Hand und ruft „Dauphin”. Der Soldat lacht laut und ruft etwas, kommt aber nicht, und Dauphin trottelt weiter, indeß Balthasar zu dem Soldaten zurückguckt und auch weitergeht. Dauphin aber läßt den Kopf nicht mehr sinken und reißt die Augen weit auf und strengt sich an, die Ohren hoch zu halten. Er spürt, wie er mit dem Kopfe heftig nickt, den Husarenbusch wirklich an die Ohren wedeln, er sieht nach den Rippen, die wie Faßreifen um seinen Bauch liegen, und sieht ein goldbordiertes Purpurmantelettchen. Das sieht er ganz gewiß! Und er hört die liebe Stimme seines ersten Direktors. Dauphin bleibt plötzlich stehen. Balthasar guckt zurück, was heißen soll: „Na los!”, aber Dauphin bleibt stehen und nickt mit dem Kopfe heftig auf und ab. „Los!” kreischt Balthasar neben der Zigarre heraus und klatscht in die Hände, wartet einen Augenblick, kommt zurück, nimmt Dauphin am Zügel und will ihn mit sich ziehen. Aber Dauphin hebt keinen Fuß und läßt sich nicht so mir nichts dir nichts fortzerren. Der Soldat auf dem Schuhwagen lacht, sieben Bäume weit entfernt, und wirft einen Stiefel nach Dauphin, der aber nicht trifft, und ruft: „Ganz recht, Schwammbruder, das hast du nicht nötig!” „Wer ist Dauphin?” fragt Balthasar den Soldaten neben der Zigarre heraus und stützt die Fäuste in die Hüften, und der Soldat erzählt allerhand von Dauphin, indeß Dauphin mit dem Kopfe nickt und auch schon mit dem linken Vorderfuße krampfhaft scharrt. „So, so, so!” sagt Balthasar, daß die Zigarre zwischen den Lippen tanzt, und gibt ihm einen gelinden, freundlichen Handschlag auf den Schenkel, worauf Dauphin anzieht und den Kopf sinken läßt und mit seinem Spülicht zum Tor hinausgeht. Balthasar sagt kein Wort und ist still wie immer und hat die Hände auf dem Rücken liegen wie immer. Am Horizonte des tierischen, vom Leide erregten Bewußtseins aber schnitt weiterhin gleich einer Sternschnuppe die Erinnerung an große Tage vorbei. Die Kinder vorm Kasernentor hatten Dauphins wirklichen Namen noch nicht vernommen, und Balthasar schritt wortlos neben Dauphins Kopfe. Niemand hatte seither Dauphin erkannt. Niemand wußte oder ahnte, wen er da eigentlich vor sich hatte. Im Fortnicken berührte Dauphin bisweilen, wie er sonst nie getan, mit seinem Maule des Mannes schmutzigen Aermel; dauernd knapperte er an seinem Zaum herum, der ihm viel zu groß war, den Gott weiß welcher Klepper schon zerkaut hatte! Sie hielten an einem Wirtshaus an, und Balthasar, der noch nie ein Wirtshaus aufgesucht hatte, ließ Dauphin mit seinem Wagen in den Schatten der Gartenbäume treten, die da in Reih und Glied, noch ziemlich jung, aufwuchsen, und trat in das Haus. Nebenan saßen an einem Tisch zwei Arbeiter und vesperten. Dauphin sah in einem von innen verhängten Schaufenster sein Bild und zog den Wagen sogleich hin, um sich näher zu betrachten. Richtig, die Blesse! Die Blesse auf der Stirne leuchtete förmlich aus der dunkeln Scheibe: der Kuß der Königin, die Erinnerung an den glorreichen Tag Dauphins. Und nun begann Dauphin sich wieder zu recken, ward größer, und seine Haut umstraffte die Rippen, und seine Augen füllten sich wie Königslogen in zwei erhabenen Halbkugeln mit jungem Glanz. Er sah sich um: Es machte den Eindruck, als sähe er nach seinem ersten Direktor oder nach der Königin. Er sah, wie Kinder am Zaune des Biergartens gleich Soldaten exerzierten und sangen: „Wer will unter die Soldaten”, und: „Büblein, wirst du ein Rekrut”. Da streckte Dauphin den Kopf wagrecht von sich und wieherte durch die breiten Nüstern und entblößte die Zähne, schüttelte den Kopf in der Längsachse und stieß seinen Freudenschrei aus, den alle hören mußten. Die Kinder hörten das auch, und Dauphin nickte heftig mit dem Kopfe und scharrte mit dem linken Vorderfuß, daß alle Kinder zu ihm hinkamen. Rasend nickte Dauphin mit dem Kopfe und scharrte dann so heftig mit dem linken Vorderfuß, daß der Kies auf- und davonsprühte. Die Kinder kamen auf den richtigen Gedanken und begannen mit Dauphin zu plaudern. „Hast du Hunger?” Dauphin nickte. „Hast du Durst? Dann beiß in die Wurst! Kannst du Bier trinken?” Dauphin konnte alles, jawohl ihr Kinder, warum etwa nicht?! Ein Bübchen lief zu den vespernden Arbeitern, kletterte, so klein war es noch, auf einen Stuhl, wischte mit den Händen in den Bierkringeln herum, die von den Gläsern dalagen, und kam zurück. Es hielt sein bierbefeuchtetes Händchen Dauphin an die Nase, und Dauphin, dem das ungeheuer Spaß machte, -- es war so fröhlich wie früher im Zirkus --, nieste dreimal hintereinander. Hellauf lachten die Kinder. Dauphin spürte deutlich den Husarenbusch zwischen den Ohren. Er sah in den Spiegel, aber den Husarenbusch sah er nicht: der war ihm abgenommen worden, den hatte man ihm soeben abgenommen! Und etwas seitab sah er, als die Arbeiter gerade fortgingen, eine Leiter stehen, die vor der Stalltür ziemlich steil zum Heuschober hinaufgelegt war. Da wußte Dauphin, was nun kommen müsse, denn hinter der Leiter sah seine Seele auch seinen geliebten Direktor stehen: Nun müsse das große, halsbrechende Kunststück kommen, das allen Zuschauern, -- wißt ihr's noch, ihr lauten Kinder? --, den Atem nahm. Er zog sein Wägelchen hin und trat mit dem linken Vorderfuß auf die erste Sprosse der Leiter. Da sahen die Kinder, daß das kluge Pferdchen von seinen Strängen sehr beengt war, und sie spannten es aus. Wie nun Dauphin frei aus den Sielen tritt, wird's ihm ganz leicht zumute. Er hebt die Beine auf die erste und die zweite und dann das linke Vorderbein gar auf die dritte Sprosse. Und wie Dauphin sich gerade abdrücken will, um frei aufrecht zu stehen, kommt der Balthasar aus dem Wirtshaus, und die Kinder zerstieben zwischen den Bäumen hinaus auf die Straße. Da läßt Dauphin die Beine langsam von der Leiter hinab und wird eingespannt, und es geht in die Fabrik mit den hohen und niedrigen Schornsteinen. Ganz fröhlich trottet Dauphin hinter Balthasar drein ... Unterwegs sagt Balthasar wieder einmal etwas zu Dauphin! Er sagt: „Ich weiß genau, was du willst, Zirkusmann: zur Leiter willst du hinauf, zur Hühnerleiter! Willst über mich hinaus und schließlich auch von oben auf mich herabkotzen! Aber ich will dir schon helfen, wenn's auf mich ankommt!” Als sie ins Kasernentor eingebogen waren, schritt Balthasar quer übern Kies, der wie gefrorene Tränen dalag, auf die Kammer zu. Dauphin stellte die Ohren, um vielleicht wieder seinen Namen rufen zu hören, der Hals schweifte steil auf, am linken Vorderbein erzitterte eine Muskel. Gar nicht lange verweilte Balthasar in der Kammer; der Feldwebel kommt mit ihm heraus, und trägt in der Hand eine Peitsche, die anscheinend für schwere Artillerie bestimmt ist, gibt sie Balthasar, und sie treten zu Dauphin her. „Wie ist er sonst im Dienst?” fragt der Feldwebel, und Balthasar entgegnet: „Zirkus, Zirkus! Der Zirkus steckt ihm noch im Kopf!” Jedoch der Feldwebel nimmt dem Alten die Peitsche wieder ab, schlägt ihm leichthin auf die Achsel und sagt: „Wenn's sonst nichts ist: uns allen steckt der Zirkus noch im Kopf, Balzer, los, vertragt euch miteinander! Wir haben halt allerhand Kostgänger!” Sie vertrugen sich noch über zwei Jahre! Ewig dasselbe spielte sich in Dauphins Umgebung ab: Menschen kamen, wurden entmenscht, für den Tod uniformiert, mit dem Tode vielgestaltig ausgestattet, gingen hell bekränzt irgendwohin, den Tod bringen, kamen nicht mehr oder kamen, vom Tode gestreift und gezeichnet, wieder zurück. Menschen fluchten ihres Daseins, wenn sie knirschend auf dem Angesichte lagen und den Kies zwischen den Zähnen zerbissen, um sich vor dem Zuchthaus zu bewahren. Männer fielen und schnellten wieder auf wie an Schnüren aufgereiht, und das Kommando schwirrte über sie her wie Säbelstreiche. Frauen und Kinder standen außen hinter dem Gitter und sahen zu und weinten ob der Erniedrigung. Wenn Dauphin Kinder weinen sah, ließ er den Hals noch tiefer sinken, so daß das weite Kummet fast herabgleitete auf das Tränental. Schaum troff hernieder aus seinem hungrigen Maul. Ein Frühling kam, und die Kinder sangen nicht und spielten nicht Ringelreihen auf den Plätzen! Die Vögel sangen in den Büschen, aber die Platzpatronen auf den Schießständen verschlangen den Vogelruf! Die Blumen blühten an den Rainen, aber die jungen Mädchen kamen nicht, sie zu pflücken! Die Fleischfuhren wurden leichter, die Spülichtfuhren schwerer. Der Gesang der Glocken verstummte, und nur ein jämmerliches Gestammel blieb übrig! Keine Fahne flog mehr über die Dächer, und die Straßen füllten sich mit Krüppeln. Die Schreie erregter Generale tobten um die Stadt, und in allen Häusern weinten Frauen und Kinder! Leichenzüge schlängelten sich in den winkeligen Straßen. Aus den Spülichtfässern zog Balthasar Brotreste und Knochen und aß daran. Ein Sommer kam, und die Leichenzüge begegneten sich an den Portalen der Friedhöfe! Hauptleute schrien Siege aus, aber die Soldaten stimmten nicht mit ein und wandten die Augen zu Boden! Immer noch lagen Männer mit grauen Bärten vor jugendlichen Gecken im Staub und bissen an den Kieseln des Jammertales! Der Sommer kam, und die Ernte blieb im Regen sitzen, weil die Frauen zermürbt waren von der schrecklichen Arbeit und weil die Kühe müde waren von der schrecklichen Arbeit! Eine Kuh schlappte, wo früher zwei Pferde galoppierten. Ein Herbst kam, und Soldaten wurden korporalschaftsweise in das vergitterte Haus geführt, weil sie zu Hause ihre Ernte einbringen wollten anstatt tagelang zu üben, wie man den Herrn Leutnant grüßt! Kinder stürmten ans Rathaus der Stadt und schrien um Brot. Da Soldaten Maschinengewehre herbeibrachten statt Brot, liefen die Kinder wieder heim. Unheimlich mehrten sich die Verstümmelten! Die Soldaten standen beisammen und redeten leise. Balthasar blieb bei ihnen stehen; sie hefteten ihm ihre eisernen Kreuze an! Balthasar ließ sich's gefallen, und als er auf der Brust keinen Platz mehr hatte und auf dem Rücken auch nicht, da zog er Dauphin in die Schar der Soldaten, und sie banden Dauphin ein eisernes Kreuz über die Stirn, daß es gerade in die weiße Blesse hing. Ein Offizier geht vorüber, sieht genau, was da geschieht, schwenkt seitab und nestelt die klingenden Ehrenzeichen von seiner wattierten Brust. Und sogleich rennen bewaffnete Kameraden herzu, umstellen die Schar und führen sie samt Balthasar ins vergitterte Haus. Dem kleinen Dauphin reißt man das Kreuz von der Stirn, tritt ihn in die Seiten und stößt ihn gegen die Mitte des Hofes, wo er hinstürzt in den scharfen Kies. Er erhebt sich wieder von selbst, Blut sickert aus seinen Knien, er trottelt seinem Stalle zu und zieht das Wägelchen an einem Strang hinter sich her. Ein anderer Balthasar kommt zu ihm an den Stall, ein junger, starker Kerl, der statt des rechten Auges eine eingefältelte Narbe in der Höhle hat. Er trägt Balthasars Mütze: er raucht Zigaretten, er fängt gleich am ersten Tage an, Dauphin zu striegeln, putzt die Krippe aus und mistet und schmiert Dauphins Hufe mit Schmalz, das er aus der Küche der Offiziere brachte. Die Herren Feldwebel beginnen auf einmal Dauphin zu kennen, streicheln sein reinliches Fell, rufen ihn Maxel und lassen ihre Kinder auf ihm reiten. Selbst Offiziere kommen im Stall zu Dauphin her; wenn sie mit dem neuen Herrn irgend etwas Wichtiges geredet haben, ziehen sie ihre Handschuhe an und tätscheln seine festlich sauberen Backen und tätscheln auch ohne Handschuhe. Etliche sagen zu dem einäugigen Herrn „Du” und stecken ihre Zigaretten an der seinen an. Da zieht Dauphin eines Tages sein Wägelchen übern Hof, und tausende von Soldaten haben sich hier versammelt, wirr durcheinander, hochgerüstet, und auf den Dächern steigen rote Fahnen in die Höhe, die Soldaten stürmen aufs Wägelchen zu, reißen rote Bänder heraus, rote Fetzen, schwingen sie und stecken sich kleine Rosetten in die Knopflöcher. Dauphin wird vielfach rot bewimpelt, und ein Rosettchen baumelt in der Blesse und in den Zöpfen der glänzenden Mähne. Tische werden aufgestellt, auf die Tische wird ein Tisch geschoben, und der Einäugige steigt hinauf und beginnt mit weithin schallender Stimme, daß zwischen den Mauern ein Echo wach wird, seine Rede zu halten. Als er sagte, der deutsche Kronprinz müsse einem süddeutschen Schuster in Erziehung gegeben werden, da löste sich ein Soldat, der schon oft zu Dauphin hergesehen hatte, aus seiner Umgebung und kam zu ihm. Er legte den Arm um den festlich geschmückten Hals des Tieres und flüsterte ihm in die gespitzten Ohren: „Dauphin, Dauphin! Ist's das Mißgeschick aller Dauphins, daß sie zu Schustern in die Lehre kommen müssen? Auch du bist nach deiner Glanzzeit in rauhe Wirklichkeit verstoßen worden, aber du hast keine Schuld an deinem Geschick!” Hände wurden gen Himmel ausgestreckt, Schreie wuchsen wie Bergzüge hinan, vereinzelt krachten Schüsse gegen die kalten Wolken. Ein Wind hub an; manche Sätze des Redners waren unverstehbar, manche deutlich zu hören: „Als das Bübchen vierzehn Jahre alt war, versprach ihm sein kaiserlicher Papa: wenn du dereinst wirst dreißig sein, darfst du an der Spitze meiner Truppen ~au milieu de mes troupes~ in Paris einziehen!” „Hörst du's, Dauphin? Denkst du an den Kuß der Königin, wie auch du an der Spitze unserer, ach, so fröhlichmachenden Truppe durch die Arena triumphiertest? Keine Menschen mußten unsertwegen sterben, und manche vergrämte Seele hat sich an uns wieder gesund gefreut! Weißt du's noch, Dauphin?” Dauphin stand entzückt da, und der Geist, der aus den Soldaten aufbegehrte, riß den seinen mit sich fort. Er streckte den Kopf hochauf, er entblößte die Zähne, er scharrte mit dem linken Vorderfuß, und die Kiesel schwirrten den Soldaten, die um ihn standen, ins Gesicht. Sie wußten, daß das Gäulchen sich nicht gut anders freuen konnte und ertrugen die Kiesel, und einer reichte ihm ein Stück Zucker hin. Dauphin schüttelte plötzlich den Kopf und nickte mit dem Kopfe, und der Soldat, der ihn vom Zirkus her kannte, besänftigte seine Freude, indem er ihm sachte über die Blesse strich. „Auf Vater und Mutter schießen!” schrie der Redner und wiederholte: „Auf Vater und Mutter schießen!” „Auf Vater und Mutter schießen!” tobte die ganze Versammlung, und Dauphin, in dessen Herz unter allerlei Unrat noch mehr Natur lebte als in vielen Menschenherzen, stellte sich plötzlich, als sei dieses verruchte Wort der Weckruf seiner tiefsten Erlebnisse, all seiner Freuden, all seiner Schmerzen, auf die Hinterbeine und stieß einen klagenden Laut zum Himmel. „Das unvernünftige Tier,” rief der Redner, „seht, seht, es bäumt sich auf angesichts solcher Schändlichkeiten! Die Natur, die Natur bricht über jene herein, weil wir selber jene Unnatur nicht gerichtet haben! Und nun werden wir, weil wir's nicht getan haben, mitgerichtet werden! Seht dem Junker, der uns peitschte, hier in Berlin, in Straßburg, in Köln, in Regensburg und in Stuttgart, seht ihm in die Augen! Was seht ihr da? ... Das Tier!!” „Das Tier!!” krischen die Mannschaften, und das Echo wollte nicht enden. „Nein!” begann der Redner wieder, „nicht das Tier! Nicht das Tier!” „Den Teufel” schrie einer. „Den Teufel!” erwiderten etliche. „Ja, den Teufel! Den Bösen! Das Böse! Den Feind des Guten! Den Feind der Menschheit, den Feind alles Menschlichen! Sie kommen mit dem Mordgewehr zur Taufe! Mit vierzehn Jahren stehen sie als Leutnant auf dem Kasernenhof, den sie zeitlebens nicht mehr verlassen! Menschen dressieren, Menschen schikanieren, drangsalieren, von Kasernengeneration zu Kasernengeneration! Die Peitsche, die Peitsche über das deutsche Volk! Sie wollen Frankreich vernichten, England an Zeppelinen verankern, lichten und im Ozean draußen niederlassen! Kaiser, Könige, Fürsten aller Schattierungen ließen sich von ihnen und von ihren Hohenzollern ihren Glanz und ihre Macht garantieren und verschrieben sich und ihre Landeskinder ihrem Blutwahn! Hohen Zoll zahlten wir ihnen und ihren Hohenzollern! Ihre Namen kann man nicht aussprechen, man zerbricht sich die Zunge! Die meisten endigen auf ow! O W! O weh!! rufe ich aus, o weh!! gutes deutsches Volk! Herrliches Volk des Gemüts, des Herzens, armes, zerschundenes Volk, gekreuzigtes Volk! Und doch wieder: Törichtes Volk! Dummes Volk! Was gingst du nur zu gern in ihre Schützengräben! Der dich so gleich hineinjagte, hat von jeher das Wort verachtet! Diese Diplomaten -- das ist ein echtes Hohenzollernwort -- verdarben uns den Braten! Uns, uns, Männern des Schwertes! Was ließest du dich so leicht betören!” Der Einäugige hielt inne und fuhr dann fort: „Aber Revolution ist Tat!: Auf! Auf, zur Revolution!” Er riß sein Seitengewehr heraus, schwang es in die Luft, deutete nach der Fahne, die auf dem Hauptgebäude flatterte, und schrie: „Schwarz, weiß, rot! Was daran junkerisch ist, schwarz und weiß, das reißt ab! Was übrig bleibt, sei unsere Fahne: Das Rot der wahren Freiheit ... Versteht mich nicht falsch: Das Rot der befreiten Menschenliebe, die Farbe unseres Blutes, des Lebens, des heiligen Geistes, der in Flammen über uns kommen möge! Auf zur Tat! Auf zur befreienden Tat!” Der Einäugige sprang von dem Tisch herab, und nun folgten ihm alle zum Tor hinaus, und auch Dauphin lief mit. Am Kasernentor aber sieht Dauphin Balthasar, und Balthasar zieht das Gäulchen aus dem begeisterten Soldatenknäul und nimmt es wieder zurück in seinen neuen Alltag. Jedoch dieser neue Alltag blieb wie der alte. Was ging Balthasar die Revolution an? Kehricht, Spülicht, ab und zu ein duftendes Pfuhl! Mit Fleisch versehen, mag sich, wer will! Ganze Länder gibt's, die sich nicht wollen revolutionieren lassen: was braucht Balthasar eine Revolution? Dauphin aber, dem die Revolution also nicht bessere Zeiten zu bringen schien, hatte unverhofft Glück! XVI Er stand am Ladenfenster eines Herrenschneiders und träumte in das helle Glas. Weil er letzter Tage schon öfter dagestanden, indeß der Balthasar drinnen im Laden weilte, sah er mehr nach den goldenen Buchstaben des Schneidernamens als nach seiner Blesse. Plötzlich schollern schwerste Räder übers Pflaster der Straße, erschreckt sieht Dauphin um und sieht wuchtige Kanonen daherkommen, von wuchtigen Pferden gezogen. Maskiert sind Pferde und Kanonen, mit Schmutz beschmiert, mit Oelfarben aller Art, und die Kanoniere sitzen oben, und ihre Köpfe hängen tief auf die Knie herab, und auch die Gäule schreiten müde dahin. Wenn ganz einmal einer der Soldaten den Kopf hochträgt und die Augen in die Zuschauer sinken läßt, sieht man unendliche Traurigkeit in diesen Augen, und die Menschen, die da stehen, gehen heim und verwinden die Tränen. In der Ladentür steht Balthasar bei dem Schneidermeister und hat eine dunkle Weste an, die mit weißen Reihfäden allerlustigst durchsprenkelt ist, und über die gelblichen Hemdsärmel hängt das Metermaß. Dauphin hat keine Ruhe mehr. Den Balthasar konnte er kaum erkennen, wollte ihn vielleicht auch nicht recht erkennen, und als er wieder im Laden verschwunden war, zog Dauphin sein Wägelchen an und zog es neben einer gestutzten Abwehrkanone her, die mit vier Füchsen bespannt war. Der Lärm der schweren Geschütze verschlang natürlich das Gekläpper des Wägelchens vollauf, und Balthasar merkte nichts. Als die versunkenen Kanoniere erst weit draußen vor der Stadt den kleinen Abenteurer neben sich entdeckten, stiegen sie ab und banden ihn kurzerhand, ohne zu beachten, wie sehr er widerstrebte, an den nächsten Apfelbaum, der am Wege stand. Sie liefen eiligst ihrem Fuhrwerk, das unterdessen nicht halten konnte, nach und sprangen auf, und Dauphin flehte die, die unausgesetzt an ihm vorüberzogen, um Erbarmen an, daß sie ihn doch seiner Fessel entledigen und mitnehmen sollten. Und weil Soldaten sich auf die Pferdesprache manchmal recht gut verstehen, wenn sie wollen, geschah es, daß einer sich von seinem Protzkasten schwang und Dauphins Fessel löste und auch die Stränge des Wagens loskettete. Just im selben Augenblick, als Dauphin ausreißen wollte in die unsichere Freiheit des Nichtmehrganzjungen, da stand Balthasar hinter ihm und kettete die Stränge wieder ein, drehte das kleine Fuhrwerk stadtwärts, und Dauphin ließ den Kopf wieder hängen, denn er schämte sich vor den großen Gäulen sehr. In die Kaserne ging's! „Noch ein Weilchen Geduld, feiner Herr!” sprach Balthasar zu Hause, „die Hühnerleiter ist zwar schon herumgedreht: was unten war, ist heute oben, aber wir müssen nicht tollkühn sein und uns noch einen Tag gedulden können!” Dieser Tag kam nach drei Tagen! Balthasar trug einen neuen Anzug, einen schwarzen, steifen Hut und einen Spazierstock mit Silberkrücke. Dauphin ward nicht eingespannt, sondern durfte, nur mit dem Halfter bekleidet, an dem ein Lederriemen hing, mitgehen. Sie machten Halt in einer Wirtschaft der Stadt, und Dauphin ward in einen Stall geschoben, wo noch drei große Gäule standen, die vor Hunger stampften. Kaum war Balthasar in der Wirtschaft verschwunden, so kamen zwei Burschen in den Stall, banden eilig den kleinen Dauphin los und führten ihn durch ein Hintertürchen -- Dauphin verstand es wohl, sich zu bücken -- davon. Die drei Burschen liefen querfeldein und kamen nach einer Stunde auf einem großen Platze an, wo anscheinend der ganze Zug, der gestern durch die Stadt sich träg und ermattet hingeschlängelt, aufgelöst sich ausbreitete. Da gab's offenbar etwas Neues! Dauphin reckte den vom Joch befreiten Hals mit glorreichem Schwunge in die Höhe, um nicht übersehen zu werden, denn er war doch daran gewöhnt, geachtet und sogar ausgezeichnet zu sein! Kannte Dauphin nicht einen dieser dicken Kerle da? Hatte er nicht mit einem dieser roten Hengste einst sogar Freundschaft? Er zerrte an seiner Leine, und einer der Füchse legte seinen starken Hals über Dauphins Mähne ... Dauphin wibberte, indeß er so in dieser Liebkosung verharrte, am Heu eines Protzkastens, fraß nicht, hälmelte nur so und war seit langer Zeit wieder einmal durchaus beglückt! Bauern, die Dauphin schon oft neben müden Kühen durch die Stadt hatte schlendern sehen, ergingen sich zwischen den abgeschirrten Pferden, rieben die Hände aneinander und lachten sich an und guckten den starken Gäulen in die aufgerissenen Mäuler. Dauphin hätte sich nicht so von jedermann in den Mund gucken lassen! Seine zwei Begleiter hatten's eilig! Ein Judenbübchen, kaum fünfzehn Jahre alt, kam auf sie zu, klatschte Dauphin auf den Schenkel, trat aber wieder rasch beiseite, als fürchte er sich vor den Zweien. Es legte die eine Hand vorsichtig auf seine Mütze, die sonderbare Wülste hatte, als verhülle sie einen verbeulten Kopf. „Na, willst du nicht anbeißen?” fragte der eine von Dauphins Begleitern, und der andere fügte gleich hinzu: „Kannst ihn billig haben!” „Der Fuchs hier,” antwortete das Judenbübchen, „kostet fünfundsiebzig Mark!” Es zog aus seiner tiefen Innentasche ein Pfund Butter und stülpte die Mütze seines Kopfes und hielt in der Mütze den beiden zehn reinweiße Eier vor die Nasen. Der Knabe sah sogleich, daß sie's zufrieden seien und sagte, indem er ihnen seine Kostbarkeiten überreichte und die Leine ergriff: „Emma heißt sie doch, gelt?” Der eine steckte die Butter in seine Innentasche, der andere kippte am Wagenrad ein Ei auf, und beide sagten sie zugleich: „Emma! Freilich, wie denn sonst!” Auch der andere schlug ein Ei auf, und während der Judenknabe das Gäulchen schon fortführte, flogen die Eierschalen um ihre Ohren, aber sie beide achteten nicht darauf! Sie entfernten sich weiter von der Stadt, überschritten die Brücke, die Dauphin noch nie überschritten hatte, und kamen auf eine Landstraße, die links und rechts mit alten Apfelbäumen bestellt war. An einem Steinhaufen mußte Dauphin stehen bleiben, und der Knabe schwang sich auf seinen Rücken. Heisa! Heisa! Ein Kind auf Dauphins Rücken, draußen in der Freiheit, unter Apfelbäumen, zwischen Aeckern und Wiesen! In leichtem Trab lief er dahin über die Steinstraße, ledig der Siele, ledig der Stadt, ledig des mürrischen Balthasar! Ein Apfel hing allein auf einem Baum: der Knabe stieg ab, warf mit einem Stecken in die Krone, der Stecken blieb hängen, der Apfel fiel, und der Knabe gab den Apfel dem Gäulchen, das auf einmal wieder einen Namen hatte! „Will Emma auch ein Stück Brot?” Jawohl, Emma will auch ein Stück Brot! Aber Emma will auch den Knaben wieder auf ihrem starken Rücken tragen! Am nächsten Steinhaufen blieb Emma wieder stehen, und der Knabe schwang sich wieder bäuchlings auf den schmalen Pferderücken, und der Pferderücken schwebte nur so dahin, einer ungewissen Zukunft entgegen! Die große Glocke der Stadtkirche flutete hinterdrein, und als das Gewoge nicht mehr zu hören war, verzögerte Emma den Schritt! Schweiß stand auf ihrer Haut. Durchs nächste Dorf führte der Knabe sein Tierchen an der Leine, und hinterm Dorf stieg er nicht wieder auf, und der Schweiß verkroch sich wieder. Ein Gebirge hob sich aus der Ebene auf, und in den Fichtenspitzen des Bergkammes schwang sich ein leiser Wind. Die Sonne senkte sich gerade in diese zart bewegte Ruhe, und der Knabe sprach und deutete: „Siehst du, Emma, dort oben hinter diesem Buckel ist unsere Heimat! Gehst du gerne mit? Du sollst es gut bei uns haben! Weißt, wir haben noch richtigen Hafer! Bei uns kannst du dich richtig erholen, da wird dein Wasserbauch verschwinden und die Faßreifen hier, und deine Backen werden sich füllen und deine Augen: zeig mal deine Augen! Aha! das ist eine Kleinigkeit für dich, die werden glänzen wie die Sonne am Berge Garizim! Zu schaffen ist ja nicht viel bei uns: du gehörst übrigens mir, und wenn sie dich einspannen wollen zu Dreckarbeiten, so werd ich auch ein Wörtchen mitzureden haben! Es ist ja richtig: wir haben einen Stall voll Kinder, und die Dienstboten bleiben nicht lang bei uns; aber bist du etwa ein Dienstbote? Nein, Emma, du bist kein Dienstbote! Und unter uns gesagt: Dienstboten sollte es fortan überhaupt nicht mehr geben!” Gänse ergingen sich, Schweine grunzten im Chausseegraben, eine Dreschmaschine brummte irgendwo, und man sah sie nicht. An all diesen Herrlichkeiten raste Emma vorüber, ohne verweilen zu wollen, und der Weg führte, wie sie wünschte, den Berg hinan, der Sonne entgegen! Die Sonne versank vollends, der Weg führte wieder talab, ein Dörflein hockte unten beisammen wie eine Hühnerschar. Im Dorf stand ein neues Haus neben der Kirche, beschattet von der Kirche: das Schulhaus natürlich, und hundert Kinder rasten an die Gitterstäbe, als Emma kam. Aber der Knabe hielt nicht an und eilte, ins Vaterhaus zu kommen, das am Ende der Straße in Fachwerk leuchtete. „Vater, Vater!” rief der Knabe in den Hof, „Hans im Glück ist heimgekehrt! Komm rasch heraus und sieh, was ich dir bringe für die Butter und für die Eier!” Die Mutter erschien, schlug die Hände überm Kopf zusammen, drei kleine Kinder wackelten herzu, vier größere rissen das Hoftor auf und warfen ihre Schulbücher in die Ecke, und dann kam auch der Vater mit dem Federhalter hinterm Ohr, und in das Gejubel der Kinder streckte sich seine sonore, hastige Stimme: „Uebermorgen, Sigmund, ist sie tausend Mark wert unter Brüdern!” Emma stand sehr erregt da, sah sich nach allen Seiten um, musterte besonders die Kinder und freute sich, daß nacheinander alle, und drei auf einmal sich auf ihren Rücken setzten. „Tausend Mark unter Brüdern,” entgegnete Sigmund, „aber Emma wird nicht wieder verkauft! Emma gehört mir!” „Und mir! Und mir!” krischen die Kleinsten durcheinander, und der Vater sagte: „Versteht sich, Sigmund, daß er dir gehört!” „Und wenn du ihn verkaufen solltest: nicht unter tausend Mark, und diese tausend Mark für mich auf die Kasse!” „Versteht sich! Futtergeld abgerechnet!” „Versteht sich!” erwiderte Sigmund und führte sein Gäulchen in den Stall des Vaters. Ein altes, ausgemergeltes Kühlein drehte gar freundlich den Kopf nach Emma und schien ihn nicht mehr wegwenden zu wollen! Sigmund fing an zu putzen und striegelte Emma blitzblank. Diese schüttelte sich einmal der ganzen Länge nach vom Halse bis zum Schweif und schien über die Maßen beglückt zu sein. Am nächsten Morgen wurde das Kühlein geholt, und am Abend kamen zwei Kälber in den Stall. Emma, die den ganzen Tag über mit den Kindern und mit allen Kindern des Dorfes auf den herbstlichen Wiesen umhergetollt war, wie sie's seit ihrer Jugend nicht mehr getan, traf am Abend die beiden Milchkälber neben sich und mußte sehen, wie die acht Kinder sich eher mit diesen Neulingen beschäftigten als mit ihr. Denn die Neulinge waren noch so jugendlich, daß sie ihre Milch nicht aus der Schüssel trinken wollten, und daß sie also aus Flaschen mit Gumminapf trinken mußten. Sie blieben nur eine Nacht im Stall, die Milchkinder, wurden geholt, und Emma war allein. Emma durfte ein Wägelchen ziehen, das kleiner und leichter war als das Kasernenwägelchen. Zum nächsten Dorf gings, an den Bahnhof! Ein Sack Grieß wurde aufgeladen, und diesen Sack zog Emma heim. Es ging am selben Tag nochmals an diesen Bahnhof, und diesmal gab's eine Kiste Zucker und ein Faß Marmelade. Doch siehe! Ein Militärzug rauschte heran, und Sigmund stellte sich an die Sperre, indes Emma an der Straße stehen mußte. Sogleich waren Kinder um sie her. Aber die Kinder blieben nicht lange bei ihr, denn die Straße her kamen etwa zwanzig Soldaten zu vieren im Gleichschritt mit fliegenden Mänteln und pfiffen. Als sie an dem Wägelchen vorüberschritten, löste sich einer aus dem Glied, blieb einen Augenblick stehen und stürzte sich dann mit weitgeöffneten Armen auf das Gäulchen und schrie: „Riesele! Riesele!” Die Kameraden hörten auf zu pfeifen, der Trupp verwirrte auseinander, und der eine Soldat rief unausgesetzt: „Freut euch mit mir, ich habe mein Riesele wiedergefunden, das verloren war!” Alle umstellten sie Riesele, alle grinsten vor fröhlichem Lachen, alle legten die schweren Hände auf Rieseles Rücken! Etliche spannten schon aus, das Kummet flog auf das Marmeladenfaß, und jetzt erst kam Sigmund und schrie und tobte: „Mein Gäulchen, mein Gäulchen! Tausend Mark ist es wert unter Brüdern!” „Die Revolution hebt auch den Hilfsdienst auf, Gustav,” sagte ein Feldwebel, „du nimmst dein Riesele mit heim, wohin es gehört!” „Tausend Mark! Tausend Mark!” schrie Sigmund. Gustav zog seinen Geldbeutel, leerte ihn in die Hand und zählte; er hatte noch vierundzwanzig Mark und siebenzig Pfennige. „Hier hast du die Barschaft eines geschlagenen Soldaten!” Sigmund weinte heftig; Kinder kamen hinzu und viele Erwachsene, und niemand hatte gegen das Wort des Soldaten etwas einzuwenden. Die Soldaten aber zogen alle ihre Geldbeutel, und jeder gab dem Sigmund noch einen Markschein, so daß dieser die Lippen vorwulstete, das Geld einsteckte und sich getrost vor sein Wägelchen spannte und schließlich zu schmunzeln begann. Riesele aber zog mit. Es hatte den Handel still über sich ergehen lassen und wohl dem alten, längst vergessenen, trauten Laute sich hingegeben, ohne der süßen Dinge gedenken zu können, die sich an diesen Namen hefteten. Da es ausgeschirrt wurde, mochten zudem allerlei zukunftsfrohe Bilder das verträumte Herz beschlichen haben, das auch ohne Künstlerschaft stets zu einem Abenteuer bereit war! Der alte Name Riesele aber brauchte nicht lange in dem zerquälten Kinderherzen umherzuirren, bis er sich selber wiederfand, denn die Jugend ist alleweil der ewige Nährboden der Seele. Der Soldatentrupp nahm Riesele in seine Mitte und schob sich weiter die Landstraße hin. Man sang, man pfiff; einer trommelte geräuschvoll ins Land hinein, und Riesele trappte inmitten einer Herrlichkeit, die es noch nicht durchkostet hatte. In den Dörfern kamen Kinder, ritten eine Strecke auf Rieseles Rücken und liefen wieder zurück. Junge Mädchen kamen, hingen sich den Soldaten in die Arme, ließen sich küssen und lachten und sangen mit, hell, wie Kinder singen, und ihre Stimmen drangen Riesele ins Herz, als gehörten sie dorthin! Keines ging, ohne Riesele gestreichelt zu haben, und viele schenkten ihm etwas: ein Stück Zucker, einen Bissen Brot, eine Handvoll Gras, das sie in der Eile neben an den Wiesen abrissen! Eines dieser Mädchen, das besonders übermütig sein mochte, ließ sich sogar auf Rieseles Rücken heben, als wär es selber noch ein Kind und ritt so eine gute Strecke mit. Ehrenpforten taten sich auf, da der Trupp weiter ins Land kam, schwarz gekleidete Bürgermeister standen auf Balkonen und sprachen Gedichte von Schiller, und Riesele nahm alles ruhig und ernst entgegen. Rote Bänder flatterten wieder an seinen Schläfen, und der Hals reckte sich, und die Ohren spitzten fast so hoch als die der Soldaten. Eine alte Frau sah zum Fenster heraus, schlug, da sie die heimkehrenden Soldaten sah, die Arme überm Kopf zusammen und schrie wild hinaus. Indessen wurde noch an diesem Abend der Trupp kleiner und kleiner, und als man sich zum Schlafen anschickte, waren nur noch sieben Mann beisammen und Riesele. Sie schliefen in einem warmen Stall. Sie schliefen auch am nächsten Abend wieder in einem warmen Stall. Am folgenden Tag aber stiegen sie in die Eisenbahn; und nun gings rasch dahin, rechts die Ebenen, links das Gebirge, über einen Fluß, über Bäche, zu den zwiebeligen Kirchtürmen, und man stieg aus an einem Bahnhöfchen, das Riesele schon einmal gesehen hatte. Etliche Soldaten blieben zurück, zwei stiegen aus. Nun wanderten die drei die Bergstraße hinan, wo Riesele alles schon gesehen hatte. Das Birkenwäldchen hob sich in den blauen Himmel, die Wiesen dehnten sich hin, und viele Kühe weideten den letzten Wuchs ab. Am Eingang des Dorfes prangten wie überall grüne Fichtenkränze, Tafeln mit Sprüchen, die noch im Kaiserreich geboren waren, und rote Papierfetzen flatterten hin und her, durchzittert von bangen Hoffnungen um die bessere Zukunft. Ha, eben, wie Riesele den Weg links einbog nach dem Mutterhaus, ging etwas in seiner Seele vor: es blieb stehen! Es hob langsam den Kopf, es pendelte die Ohrenspitzen gegeneinander, es entblößte die Zähne, und nun begann es zu rennen, daß Gustav nur mit Mühe ihm folgen konnte. Auf den Steinstufen der hohen Treppe saß die Familie des Bauern Klaus: er, der Bauer, Katherin, seine Frau, der rothaarige August und Trudel, die ein großes Mädchen geworden war. Sie tranken aus weiten tönernen Schalen ihre Abendmilch und aßen weißes Brot, das dick mit Butter bestrichen war. Als sie erkannten, wer da heimkehrte, liefen sie von der Treppe herab, eine Schale zerklirrte in Scherben, und mitten auf dem Weg fielen sich alle nacheinander um den Hals, und auch Riesele ward geherzt und verstohlen geküßt. Als der Bauer sich überzeugt hatte, daß die beiden Zurückgekehrten unverletzt und gesund vor ihm standen, nahm er seine Frau an der Hand und führte die Seinen heim. XVII In dem Heimathause Rieseles hatte sich nicht viel verändert. Trudel, die Mutter, stand noch im Stall, eine Kuh ihr zur Seite, zwei Ziegen meckerten hinten, ein Hasenvater hoppste an seinen vernachlässigten Jungen vorbei, die Schwalbennester prangten in vergilbendem Rot, auf der Stallschwelle saßen Hühner mit ihrem Hahn, Enten wackelten einher, die Gänse erzählten sich die Neuigkeiten der Zeit, und das fleißige Lieschen schnurrte dünn und abgearbeitet die Stunden aus der Stube herunter in den Stall. Die Mutter Trudel war alt und mager geworden, und es dauerte etliche Tage, bis sie sich ihres Kindes erinnern konnte. Riesele, im ganzen etwas schmächtiger gebaut als die Mutter, strotzte von Jugendkraft, und es kam dem Bauern Klaus gleich am ersten Tag der Gedanke, die alte Trudel irgendwie zu verkaufen und Riesele ihren Dienst versehen zu lassen. Seltsamerweise war die ganze Familie mit diesem Plane gleich einverstanden, und auf der Straße sagten die Leute: „Na Klaus, jetzt wirst du die Alte abschaffen!” Es gab sich Gelegenheit, sie nicht einem Pferdehändler, auch nicht einem Roßschlächter überantworten zu müssen, indem ein Bäuerlein des Dorfes sie um ein Geringes erstand und sie neben sein schwaches Kühlein spannte. Die Hauptarbeit des Jahres war geschafft, als Riesele frischen Mutes in die heimatlichen Siele trat. Am ersten Tag ließ sich Gustav von seinem Bruder August ins Städtchen zu seinem Meister fahren, wo er das Wagnerhandwerk erlernen wollte; und am Abend trabte Riesele nochmals hinunter, den Gustav wieder abzuholen! Jeder Schritt, den Riesele tat, war Freude; jeder Atemzug war Freude! Das Birkenwäldchen drüben, das mächtig in die Höhe geschossen war, goß Freude in Rieseles Seele; das leere Feld goß Freude in seine Seele! Die kahlen Obstbäume, die wie abgearbeitete alte Männer den Hang hinan standen, als mühten sie sich, hinaufzukommen, als wollten sie jederzeit niedersinken auf ihren ausgebreiteten Schattenteppich, sie erfüllten die Seele des Gäulchens mit Freude! Das Wässerlein rieselte nicht größer, nicht kleiner, nicht lauter, nicht leiser inmitten der Wiesen, und war so hell und so klar wie ehemals, ließ sich auf den letzten Grund gucken und verheimlichte nichts von seinem Wesen, und gab bereitwillig und munter schwatzend dem Riesele, wenn dieses über das Brückelchen stapfte, den Schattenriß seines Kopfes wieder. Welch eine Freude tat das Wässerlein in Rieseles Herz, wenn es die weiße Blesse schimmern ließ! Als Riesele am Abend mit dem Wagnergesellen heimkehrte, kamen ihm schon ein paar Kinder entgegen, setzten sich zu den Burschen aufs Wägel, und zu Hause hinter den Fensterscheiben winkte Trudel, das Mädchen, das ein blaues Band im Krönchen seiner Haare trug, und öffnete das Fenster und hörte nicht auf zu singen. Es kam sogar heraus zu Riesele, liebkoste es und sprach: „Aber wo sind deine goldenen Hufe, Riesele, wo sind sie denn geblieben? Ich für mein Teil, wenn ich fortzöge in ein Märchenland wie du, ich käme nicht heim ohne goldene Schuhe!” „Geh du lieber gar nicht fort!” sagte Gustav, „sonst kann es geschehen, daß du barfuß wiederkehrst, denn der Krieg macht Deutschland zum Aschenbrödel der Welt!” Gustav schirrte Riesele ab; am rechten Brustbein hatte das Kummet der Mutter, das dem Riesele zu weit war, eine Wunde aufgeschürft, die Trudel mit essigsaurer Tonerde sofort auswusch. Sie sang dazu das Lied von den drei Lilien, und Riesele spürte keinen Schmerz und trat in seinen Stall und legte sich. Ueber Nacht schneite es ein wenig. Am andren Morgen bekam Riesele vom Sattler ein weiches Unterkummet an, und nun zog es den Wagen in den Fichtenwald. Der Bauer saß oben und klapperte mit der Peitsche in die kalte Morgenluft, und immer fiel der Knall in den weiß beladenen Fichtenwald und kam zurück und traf niemals Rieseles Ohren! Hat Riesele je einen solchen Wald gesehen? Die Stämme stehen zu tausenden im Lot nebeneinander, versinken nach der Tiefe zu im Dunkeln, die saftgrünen Aeste hängen breit herab übern Weg, und ihr Schnee bedroht Mensch und Tier, sich zu nahe an sein Geheimnis zu wagen! Unendlich schier senkt sich der dicht ineinander verwucherte Fichtenwald ins Tal hinab, steigt wieder empor und verliert sich ins Weite. Hie und da bricht eine Schneelast vom Zweig und zerstäubt, denn die Sonne stochert durch die brüchigen Wolken. Als Riesele an einer Lichtung stehen bleibt, wo der Bauer kleine Fichten schlägt, da ballt sich das Düster zusammen und flieht in großen Fetzen über den weißen Hang hinan, und die Sonne greift in langen Strichen durchs Düster zwischen den grünweißen Fichten. Von den Spitzen herab tropft das Schneewasser, schneidet durch das Sonnenlicht und jauchzt tiefblau auf für ein Sekündchen. Was hängt, zittert und quirlt aus seiner Unruhe alle Farben dieser Erde, und entblößt die Schönheit der Sonne und ihre Seele. Rasch sinken die Schneemassen hernieder, die tiefhängenden Schalen heben sich der Sonne entgegen und lassen den Schnee über die Ränder gleiten, und behalten tausend Wassertropfen an den grünen Nadeln, in denen die Sonne ihr Geheimnis millionenfach offenbart. Geblendet von der schillernden Farbenpracht, läßt Riesele hin und wieder die Lider sich über die großen Augen herabwölben und hebt sie sogleich wieder, die Pracht in sich einzutrinken und keinen Tropfen zu verlieren! Der Duft der Fichten mischt sich drein; die frisch umgehauen wurden, strömen ihr aufgeritztes Blut umher, und Riesele saugt diesen würzigen Duft durch die weiten Nüstern in sich ein. Der Wagen ist schwer beladen, ein leichter Dampf schwebt über dem kleinen Pferderücken, als der Bahnhof sichtbar wird! Aber Kinder sind da, Kinder! Sie schreiten neben Riesele drein und rufen: „Weihnachten, Weihnachten!” und es ist, als freue sich auch das Riesele auf Weihnachten, und als freuten sich auch die erschlagenen Fichten ihres frühen Todes, da sie für das Glück der Kinder sterben durften ... Oft und jeden Tag fast mußte Riesele diesen Weg wieder machen und mußte Christbäume an den Bahnhof fahren. Indeß wurde es kälter, und das Wasser, das über den Wiesen stand, ward zu Eis. Die Kinder warfen ihre Schlittschuhe über die Schultern und gingen, die Hände in den Hosentaschen, hinaus und schnallten die Schlittschuhe an und fegten über die glatte Fläche, hielten die Arme seitab und die roten Nasen hochauf. Riesele durfte auch zu den Kindern! Der Bauer Klaus brach das Eis, um es in die Brauerei des Städtchens zu fahren, und Riesele durfte lange neben der Eisfläche stehen und gucken, und die Kinder kamen zu ihm, wärmten ihre Hände an seinem Leib und unter seiner Rückendecke und umstanden das liebe Gäulchen wie die Stadtkinder den Maronimann. Was mußte Riesele nicht alles schaffen in der stillen Winterszeit! War etwa der Herr Doktor aus dem Nachbardorf zu holen: wer anders als Riesele hätte das so eilig besorgen können? Weilte der Herr Amtsrichter im Dorf, und er wollte, nachdem er am Abend noch ein dunkles Geschäft erledigt hatte, samt der schweren Tasche, die das dunkle Geschäft verhüllte, rasch an den Bahnhof gebracht werden: wer anders als Riesele, und wer diskreter als Riesele hätte den Herrn Amtsrichter über den Berg gezogen? Sollte der Herr Pastor ins Gebirg hinauf, und Glatteis klebte an den Steinen, oder der Schnee sauste, vom Nordwind zerpeitscht, hernieder: wer anders als Riesele wäre mit dem Herrn Pastor durch Nacht und Wind gestürmt, zu denen, die es eilig hatten auf dem Weg zu ihrem ewigen Glück? Weihnachten kam und die Neujahrsnacht! In dieser Nacht betrat Cornel, der Schweinehirt, den Stall und setzte sich vor Riesele auf dessen steinerne Krippe und sprach: „Ich will dir Prosit Neujahr sagen, Riesele, alter Freund! Nichts weiß ich von dir aus deiner Zeit der Fremde! Nur eine schlimme Spur von der Menschen Hand trägst du an deiner Seite, die ich erkennen kann: sie haben dir das Geheiligte der Irdischkeit entrissen, um mehr Arbeit von dir, um größere Freude an dir haben zu können. Sie ließen nicht zu, daß du jemals Mutter werdest! Sie, die sich Krone der Schöpfung nennen, treiben Raubbau mit Gottes Angesicht, wo immer sie es antreffen. Zum Glück, ach ja, zum Glück werden sie ja von Tag zu Tag blinder für die Herrlichkeiten der Schöpfung, wie zu des alten Noe Zeiten! Damals kam die gewaltige Sintflut von oben herab über die Menschen! Später, als sie wieder alles vergessen, aber nichts gelernt hatten, da schickte Gott sogar seinen eigenen Sohn herunter, sie zu erlösen von ihren Narreteien und von ihrer Vernichtungswut gegen Gott! Das war doch wohl das letzte Mittel, das gegen sie zur Verfügung stand: Gott selber kam und -- erlöste sie nicht! Riesele, Riesele! Sei froh, daß du kein Mensch bist! Kein Gott könnte dich erlösen! Aber du könntest dich auch nicht selber erlösen, Riesele, wenn du ein Mensch wärst, obwohl du alsdann doch den Ekel an dir und die Sehnsucht nach Erlösung in dir trügest! Siehe, ihr lieber Gott hat sie sich selber überlassen, da er offenbar nicht wußte, was geschehen sollte! Nun, was haben sie getan? Aus sich heraus, aus ihrer famosen Freiheit haben sie eine neue Sintflut geboren, eine Sintglut aus Blut und Eisen! Aber auch diese Flut war nicht schrecklich genug, sie zu bessern, nicht groß genug, sie zu vertilgen, und nun stehen sie, zu Stahl geworden, wieder da und wissen nicht, was jetzt geschehen soll! Frieden! kreischen sie, überdrüssig des Stahles, an allen Ecken und Enden der Welt! Weißt du, Riesele, was das ist: Frieden? Und wann erst wieder Frieden werden wird auf Erden, wann der liebe Gott wieder sichtbarlich -- freilich nicht mehr in Gestalt der Menschen -- auf Erden wandeln wird, wann, wann, Riesele? Ich will es dir sagen, denn ich weiß es: wenn die Zeiten der Menschen abgelaufen sein werden! Dann und nicht eher! Soll ich dir sagen, was mir neulich unser Pastor, den du gut kennst, den du noch aus deiner Jugendzeit kennst, was der zu mir sprach? Er sprach, und er ist ein weiser Mann und hat das Herz auf dem rechten Fleck: „Pfaffen herbei!” hat er gesagt, „Hohenzollernsches Brimborium herbei! Diesem Geschlecht kann die Hölle nicht heiß genug gemacht werden!” So hat er gesagt, aber er irrt gewaltig! ... Er ist keiner von jenen, die er herbeiwünscht, er verwünscht alle Peitschen, die über die Menschheit geschwungen werden: ja, Pfaffen seiner Art ließe ich mir noch gelten, aber er ist gar kein Pfaffe! Einst, Riesele, wollte ich dir erzählen, wie die Menschen sich die Tiere zu Haustieren machten, und ich will es dir jetzt rasch erzählen! Als die Menschen noch so einfach und noch so gut waren wie die Tiere, lebten deine Vorfahren frei und fröhlich draußen in den großen Wiesengärten, die sich endlos über die Erde erstrecken. Sie lebten vereinzelt, zu zweien und in großen Herden, sie fraßen das Gras vom Erdboden, sonnten sich und pflegten der Minne. Sie lebten der Liebe wegen. War im Winter die Erde überschneit, so scharrten sie mit breiten Hufen das Gras bloß und warteten auf bessere Zeiten. Feinde lauerten manchmal auf die Jungen, auf die Mütter, auf die starken Väter. Blutgierige Raubtiere brachen aus den Hecken, aus den Wäldern hervor, sprangen geschickt an ihre Kehlen und soffen ihr Blut. Nicht minder geschickt aber wußten die Pferde sich zu verteidigen. Schon lange, bevor der Feind zur Stelle sein konnte, hörten sie ihn mit den hochgestellten Ohren, sahen sie ihn mit den großklaren Augen im Kreise schleichen, und nun ordneten sie sich eiligst in der Runde, streckten die Köpfe nach innen, daß die bewehrten Hinterbeine nach außen im Kreise standen, und nun, wenn der Feind es wagte, heranzukommen, feuerten diese Hufe gegen ihn aus, daß er kein Plätzchen, keine Lücke fand, anzugreifen. Da kam der Mensch! Erst schleuderte er aus dem Hinterhalt die schwersten Steine in die Herde, dann schoß er Pfeile ab aus weiter Entfernung, das Fleisch der Pferde zu essen, da er ringsum in der Natur nicht genug fand und es den Blutsaugern ähnlich machen wollte. An einem Fluß hing seine Hütte halb im Wasser; sein Feld erstreckte sich den Wald entlang, seine Frauen und seine Kinder wuschelten im Schilfrohr und nahmen den Kiebitzen und den Enten die Eier aus den Nestern und stachen die Fische aus dem Wasser. Mühsam, ja, mühsam warfen sie die Schollen der Erde um, daß neues Korn um so besser wachsen konnte, und sie sahen die starken Pferde in göttlicher Freiheit auf den Wiesen umhertollen und kamen, gedankenreich, wie sie sind, darauf, diese Pferde einzufangen und vor die rohe Pflugschar zu spannen. Mit einem großen Seil mußten sie das erste Pferd eingefangen haben. Es ward an den Pfahl gebunden, es ward mit Rindshautriemen gezügelt, alsdann zog es mit Leichtigkeit den Pflug! Zur Regenzeit stand es unter einem Dach, zur Winterszeit in einem warmen Stall. Gab es dem Menschen seine Kraft, so erhielt es dafür ein reichliches Futter und brauchte besonders im kalten Winter nicht das spärliche Gras aus dem Schnee zu scharren. Durch ein Loch in der Lehmwand seines Stalles sah es seine Kameraden draußen in der Kälte des Winters nach dem spärlichen Grase scharren, indeß es selber seine warme Suppe nicht ganz verzehren konnte. Da kam sein Herr herein, sattelte es, nahm das lange Seil, schwang sich auf des Pferdes Rücken, und nun galoppierten die zwei keck den vielen Kameraden entgegen, mitten in sie hinein, der Mensch schleuderte das Seil und fing sich ein zweites Pferd, das mit heim in den warmen Stall gehen mußte. Möglich, Riesele, daß noch andere Pferde nachkamen, freiwillig ihrer Freiheit sich begaben für das bißchen Wärme, für das bißchen Futter! Wie gesagt, Riesele, Freiheit tauschten sie für die Bedürfnisse des Bauches und für die Bequemlichkeit! Ich für mein Teil und du nicht minder, Riesele, wir wären nicht in die Falle gegangen, wir wären draußen geblieben, denn auch der garstige Winter ist schön, wie alle Natur in jeglichem Zustand schön ist, wie jeder Mensch, der sich natürlich gibt, und das Herz, das hier nicht recht Bescheid weiß, lebt nur halb und weiß nicht, was vollkommene Freude ist! Die Menschen haben die Verbindung verloren mit der großen Natur allhin gleich dem Wasser der Pfütze, das steht, stockt, stinkt und nicht zum Meere kann und des Meeres Pulsschlag verloren hat. Gut, gut, Riesele: das Geschöpf ist in sich gut und will seinem Mitgeschöpf behilflich sein! Aber der Mensch unterjochte die Tiere, erfand die Peitsche, rottete viele gänzlich aus und machte auch den Mitmenschen sich zum Haustier. Das ist die Wurzel alles Elends in der Welt! Die Freiheit wurde ausgerottet, und was da übrig blieb, -- der Pastor hat recht! -- das ist reif für den Schürhaken der Hölle! Wer spielt die größte Rolle in diesem Menschengezücht? Wer? Der Bauch! Ha, sie haben so viele Erfindungen gemacht, sie haben sich mit Leib und Seele der Chemie verschrieben und von der Natur entfernt: wenn die Chemie doch wenigstens ein Kernchen Radium zu präparieren verstünde für den Bauch, für den Magen, für den absoluten Souverän der Menschen, daß ein ganzes Geschlecht davon seine Kräfte beziehen könnte, der Freiheit zu fröhnen und der Minne! Ha, sie überfressen sich und sagen: das ist unmenschlich und tierisch! Sie wollen das Tier im Menschen überwinden, hörst du's, Riesele! sie wollen das Tier im Menschen überwinden und wissen nicht einmal mehr, daß das Tier keusch ist! Diese raffinierten Bösewichter des Weltkriegs wissen überhaupt nichts mehr vom Guten! Wer könnte uns erlösen? Wollen wir's einmal mit dem Gotte in unserer Brust versuchen, der von uns verlangt, daß wir in Minne das Gute tun und sonst gar nichts? Wollen wir's versuchen? Wir zwei, wir wollen uns freiwillig der Gemeinschaft verschreiben und sie erlösen helfen, wenn dies möglich ist! Wir wollen die Verirrten lieben, weil wir Mitleid mit ihnen haben, die Hungrigen speisen, die Kranken besuchen, die Gefangenen erlösen, o Gott, o Gott, Riesele: lieben wollen wir, lieben! Wir wollen helfen, glücklich machen, wir wollen uns freiwillig in Minne unserer Freiheit begeben, Riesele, Apostel der Freiheit werden, daß Gott für unsere armen Mitmenschen in uns wirksam werde!” Es schlug zwölf, als Cornel seine lange Rede beendet hatte, Schüsse krachten im Tal umher, das Geknall vorlauter Feuerfrösche hüpfte zwischen den Revolverschlägen umher, und junge Stimmen riefen das neue Jahr ein, das wie jedes seiner Vorgänger den Menschen das Glück und reichen Segen bringen sollte ... XVIII Als der Frühling kam, erwachte in dem Dorf sogleich die alte Fröhlichkeit wieder. Die Kinder sangen auf den Gassen, sie besuchten Riesele, sie liefen neben ihm drein, sie schenkten ihm Zucker und gutes Brot, denn an solcherlei Dingen fehlte es in dem Gebirgsdörfchen nicht. Sie steckten ihm die ersten Blumen ins Halfter, ganze Ketten von Löwenzahn schoben sie ihm übers Kummet, und sie riefen seinen Namen auf Weg und Steg. Die Burschen suchten in den Wiesen nach den schönsten Blumen, banden Sträuße und stellten sie ihren Liebsten vor die Fenster. Des Abends saßen sie bis tief in die Nacht auf den steinernen Haustreppen bei den Mädchen, erzählten vom verruchten Krieg und boten mitten im Schlachtengeheul ihre liebenden Herzen preis und spielten die Ziehharmonika, die alle Vertraulichkeiten des Herzens so trefflich zu sagen versteht, und sangen jene alten Lieder wieder, die unmittelbar von Herz zu Herz gehen. Die Mädchen kannten schier diese Lieder nicht mehr. Zoten aus Deutschlands eckigem Wasserkopf, Zoten aus Deutschlands fettem Bierherzen hatten sie schon lange vorm Krieg hart bedrängt und verdrängt! Die Küsse, die man zu diesen Zoten gab oder nahm, verwundeten, die Küsse, die man zu den alten Volksliedern gab oder nahm, heilten! In den Scheunen wurde getanzt. Da stand irgendwo ein kleines Geschöpf, konnte zwar nicht mitsingen, konnte auch nicht mittanzen und noch viel weniger mitküssen, stand da und legte sich nicht um und schloß die hellen Augen nicht und hatte das kleine Herz so voll ungestümer Sehnsüchte nach Menschenliebe! Da stand es und riß an seiner Kette, die nicht aus Löwenzahn gefertigt war, und scharrte mit dem linken Vorderfuß und nickte mit dem Kopfe und blieb immer wieder allein! Zwar war es müde von des Tages Last und Arbeit, zwar ging sein Atem schwer, aber die Augen blieben nicht geschlossen, und der Kopf reckte sich immer wieder aus dem Stroh empor. Das Riesele führte also tagsüber den Mist auf die Aecker, kehrte heim, holte den Pflug und die leichte Egge und zog sie auf einer Schleife hinaus. Als es aber vor dem Pfluge eingespannt war und die Schollen aufwerfen sollte, da war seine Kraft zu schwach. Der rothaarige Gustav begann zu fluchen, wie wenn er ein Feldwebel wäre, schnitt sogar neben am Waldrand eine Gerte ab und schlug auf Riesele drein, bis er sich überzeugt hatte, daß sein Räppchen nicht aus böser Absicht den Pflug nicht zog! Der Bauer Klaus holte die alte Trudel, die jeweils den Acker wenn auch mühsam durchpflügt hatte, und spannte Mutter und Tochter nebeneinander, und die Schollen stürzten wacker um. Ha, wie gingen dem Gäulchen die Nüstern auf, als die frische Erde zu duften begann, die den Winter ausstrahlte und den Frühling behielt und neuen Frühling aus der Sonne trank! Wärme und Kraft stiegen aus den Schollen, und die Dohlen kamen von den kahlen Bäumen heruntergeflogen und die zierlichen Bachstelzen, ganze Schwärme von Staren, ein Ungeziefer zu picken oder ein verbummeltes Samenkorn! Dann mußte Riesele mit der Mutter ein Stündchen am Wege stehen, Gustav stapfte mit großen Schritten über die dampfende Erde und streute in mächtigen Bogen den Weizen aus, der im Fallen knisterte und im Auffliegen, als sehne er sich nach dem weichen Schoß, weithin in die gleichmäßig nebeneinandergezeilten Furchen. Riesele fraß neben der Mutter unterdessen das kaum ersproßte Gras des Weges ab, und die Stränge mit dem Sellscheit schleiften hinter ihnen drein. „Famos, Riesele!” rief Cornel, der mit seinen Schweinen vorüberzog. In langen gelben Bändern blühte der Raps, und der Wind warf in breiten Schwaden den würzigen Honigduft herüber, und die Bienen summten drüber her. Der Weizen sproßte, das Korn schoß auf, die Weinstöcke streckten ihre grünen Fähnchen heraus, und alles, was unten wuchs, ward von den kugeligen Apfelbäumen überblüht und von den aufstrebenden Birnbäumen, und der Blütenjubel sprang hügelauf, hügelab im Tal einher, und niemand war, der sich nicht freute! Kaum ein Tag verging, ohne daß Riesele nicht irgendwie geschmückt worden wäre von Trudel oder von den andern Kindern des Dorfes. Einmal flatterte schier eine ganze Woche lang ein lila Bändchen an seinem Halfter, und niemand wußte, wer es angesteckt hatte! O, wenn Riesele Zeit gehabt hätte, wie ehedem mit den Kindern umherzutollen! Aber es mußte schaffen, solange der Tag währte, und schaffen war schließlich auch ein Spiel! Es zog den Wagen hinaus, und auf der Leiter glänzte die scharfe Sense; der Gustav schlug den würzigen Klee um und lud ihn auf, und Riesele zog ihn heim, daß die Kuh, die Geißen, die Hasen und schließlich auch die Gänse und die bequemen Enten etwas zu fressen hatten und das Riesele auch! Es mußte den armen Kindern helfen, seinen Freunden, wo immer es konnte. Sah es, daß ein Kind eine Last Futter auf dem Kopfe heimschleppte, so mußte das Kind seine Last auf des Pferdchens Wagen legen und durfte vielleicht sogar noch selber aufsteigen! Wollten sie, die Kinder, ins Nachbardorf an den Bahnhof, und Riesele hatte dortselbst auch etwas zu besorgen, -- was schon manchmal mitten in der eiligsten Feldarbeit vorkam, -- so hieß es kurzerhand wie beim Militär: aufsitzen! Und wenn die Eisenbahn einmal keine Verspätung hatte, und schon hinterdrein gerannt kam, als hätte der Kommunalverband etwas übrig fürs Zügle, wer war schließlich doch zuerst am Bahnhof? Welch eine Kraft bändigte das kleine Riesele in seinen dünnen Beinchen, wenn's was zu helfen gab! Eines Abends erwachte hinten im Armenhaus auch ein anderes Lied wieder und schwebte in breiten Flügelschlägen übers Dorf hin. Einmal erwacht, wollte dieses Waldhorn wahrlich nicht mehr schlafen gehen und kam jeden Abend und oft unter Tag, wenn Cornel nicht gerade auf den Feldern des Großbauern schaffte. Vielleicht rief dieses Waldhorn ganz frühe Jugenderinnerungen in Riesele wach, vielleicht auch die viel näher liegenden Vorstellungen aus dem buntgekleideten Künstlerleben im Zirkus, aber es nähme durchaus nicht wunder, wenn auch ohne all diese Erinnerungen die empfindsame Pferdeseele in ihrem geruhigen Gleichgewicht beeinträchtigt worden wäre! Lag Riesele im Stall und ruhte sich aus nach des Tages Mühen, so sprang es sogleich auf, wenn Cornels Waldhorn ertönte, so bockelte sein Blut in allen Pulsen, so regten sich alle Muskeln, die draußen in der Welt für irgendein Kunststück zugestutzt worden waren: der linke Vorderfuß scharrte, der Kopf nickte, die Knie versuchten, sich zu beugen, die Hinterbeine strafften sich, als sollten sie die Last des Körpers in sich aufnehmen! Ging Riesele an den Strängen, und das Waldhorn schwebte heran, so fing es an zu tänzeln, mochte die Last noch so schwer sein. Die Ohren stellten sich, die Nüstern weiteten sich und witterten den Tönen nach, der lange Schweif peitschte hin und her, als schwärmten Bremsen an seinen Lenden. Das Kummet begann an dem Halse zu zerren, weil der Hals steil aufragte, das kindliche Spiel der Muskeln trat deutlich aus dem Ebenmaß der Glieder hervor, und die Räder des Wagens schnitten über die Geleise. Dem Bauern Klaus und seinen Kindern konnte dies Gebahren nicht entgehen, und da sie vermuteten, daß Riesele draußen in der Fremde für allerhand Kunststückchen abgerichtet worden sei, so ließen sie ihm diese seine Freude und erfreuten sich selber daran, und wiederholt sagte der Bauer zu allen, die sich darüber aufhielten: „Wir wollen fröhlich miteinander unser schweres Tagwerk vollbringen und unseren Vater preisen, der mit uns ist!” Und Riesele war voll der Lieder seines Freundes Cornel und trug sie mit sich durch sein arbeitsreiches Leben wie die Lieder der Lerchen, die aus dem Himmelsblau über es herabfielen, wie die Lieder der Blumen, die allhin läuteten, der Wälder, der Winde, der Wolken, und seine unentwegte Fröhlichkeit verschenkte Feiertag und Glück, wohin es auch kam, denn es war ja selber ein Lied draußen in dem großen Jubelruf der Natur. * * * * * Die Geschichte ist aus. Der Erzähler sah das Riesele zum erstenmal, als er am ersten Ferientag, noch voll vom Staub der Stadt, mit seiner Frau und seinen Kindern hinter den Bergen aus dem Bahnhof trat. Inmitten einer großen Menschenmenge schwang sich just im selben Augenblick eine buntgekleidete Dame in kurzem weitfaltigem Röckchen auf einen Schimmel, der im Kreise raste, und blieb aufrecht stehen und hielt einen Reif über sich und hoppste auf dem breiten Pferderücken von einem Fuße auf den andern. Seine Buben aber sahen zuerst das schwarze Gäulchen seitab stehen und rannten zu ihm hin und streichelten es. Und auf einmal beginnt die kleine Gesellschaft zu rennen, und das Gäulchen schießt wie toll mitten in die Menge hinein, daß alles vor solcher Wut auseinanderstiebt und Platz macht. Der Erzähler dachte, seine Buben hätten das Tierchen etwa gefoppt, aber das war nicht so. Er hört, wie die bunte Dame einen Schrei ausstößt, herzzerreißend schier, wie Frauen ja schreien können, sieht sie vom Schimmel hüpfen, sieht sie auf das Räppchen losstürmen und sieht sie umarmen und küssen und immer wieder küssen. „Dauphin, Dauphin!” ruft sie, breitet die Arme weit aus, spreizt die Finger und schreit: „Da guck, mein Schatz, Granaten hab' ich gedreht, Granaten! Und du?” Die Leute sind bestürzt und kommen näher hinzu zu diesem seltsamen Wiedersehen, das sie sich alle nicht erklären können. Die Dame aber verlor sich in ihrer Freude oder in ihrem Schmerz gänzlich und sagte, ohne sich um die Menschen zu kümmern: „Mein Bräutigam, Dauphinettele, weißt du, mein König, dein König, er ist der einzige König, der gefallen ist!” Man schwieg ringsum; man sah bestürzt zu der so fröhlich gekleideten Frau und schwieg irgendwie gerührt. Die Frau aber nahm das Gäulchen von seinem Wagen weg, band ihm ein Seil ans Halfter, und siehe da: sogleich beginnt dies, wie wenn's gar nicht anders sein könnte, im Kreise zu trippeln und nickt mit dem Kopf und niest vor Freude. Die Umstehenden, die das Räppchen kannten, jubelten ihm zu, und ein Bursche, dem es offenbar gehörte, kam aus dem Bahnhof gerannt mit einer schweren Rolle Stacheldraht auf den Schultern, ließ den Draht fallen und trat zur Dame in den Kreis, um auch dabei zu sein. „Komm her, mein Schatz!” befahl die Dame, und sogleich kam das Tierchen zu ihr und scharrte auch schon mit dem linken Vorderhuf. „~À genoux!~” schrie sie nun, aber sie schrie es nicht zum zweitenmal, denn sie küßte das Kerlchen schon wieder auf seine weiße Blesse und sagte dann zu ihm und zu dem Bauernburschen: „Geh heim in deinen Sonnenschein, Sonnenschein du! Nimm mich mit, nimm mich mit!” Es geschah, daß der Erzähler und seine Familie, die Buben links und rechts beim kleinen Gaul, mit dem Bauernburschen und mit der bunten Dame gemeinschaftlich den Berg hinanschritten, und daß er mit seiner Familie in den Stall zum Bauern Klaus kam und daselbst ganz oben im Dachstübchen Wohnung nahm bis zum letzten Ferientag. Die Dame hatte es nicht so gut und mußte schon am nächsten Tag mit ihrer Seiltänzertruppe weiterziehn! Riesele schloß rasch Freundschaft mit den beiden Buben und machte sie dem Fräulein Trudel, dem Herrn Gustav, dem Herrn August, sowie allen Dorfkindern ebenso rasch zu Freunden, aber auch allen Erwachsenen und allen Tieren und dem Wald, den Wiesen, dem rauhen Bergwind und der lieben Frau Sonne. Als der Großbauer Michael seine riesigen Erbsenfelder einerntete, stand das ganze Dorf auf den Aeckern, Buben und Mädchen, Männer und Frauen kunterbunt durcheinander, weithin in langen Reihen aufgelöst, und auch der Erzähler befehligte eine Rotte und führte sein Büchlein zwischen den Knöpfen des Rockes gleich dem Herrn Lehrer und gleich dem Herrn Pastor und gleich Cornel, dem geliebten Sauhirten. Hättet sehen sollen, wie hochbeladen das Riesele die Maschensäcke auf seinem Wägelchen liegen hatte! Hättet sehen sollen, wie die Stadtbuben Friedemann und Klaus im Schweiß ihres Angesichtes mit diesem Fuhrwerk unausgesetzt an den Bahnhof eilten und wieder kamen und aufluden! Ach Gott, als die Ferien zu Ende waren, wollte der kleine Klaus das Riesele mitnehmen in die graue Stadt! Der Erzähler aber, der Vater, anstatt das Riesele zu kaufen, setzte sich, wenn er müd vom Dienst war, des Abends hin und schrieb für seine Buben die Geschichte ausführlich nieder, freilich auch für andere Buben und für andere Leute, und im nächsten Jahr, wenn die Ferien beginnen, wird er, wenn's möglich ist, wieder zum Bauern Klaus hinter die Berge gehen, dessen Brot zu genießen, dessen Arbeit zu teilen, dessen Sonne einzuheimsen und manch wackeres Wort. Nikolaus Schwarzkopf Maria vom Rheine Erzählung _Wilhelm Schäfer_ schreibt in den „Rheinlanden”: Ich preise dieses Buch als eine seltene Dichtung. Wenn einmal die Literaturgeschichte den Mut finden wird, auch in unserer grauenvollen Zeit nach Blüten zu suchen, wird diese Erzählung sicherlich einen der reizvollsten Funde darstellen. Ich muß gestehen, ein paarmal dachte ich an den herrlichen „Taugenichts” von Eichendorff, so bilderbunt und romantisch läuft diese Erzählung dahin, die von einem Steinbild an einer rheinischen Kirche ins Mittelalter abschwenkt, um mit dem Schicksal des Steinbildes wieder in der Gegenwart zu schließen. _Hans Benzmann_ in „Das neue Deutschland”: Es gibt Dichtungen, die so fein sind, die so in allem den Leser und seine Seele hinnehmen, ihn so im tiefsten beglücken, daß er nichts anderes über sie sagen mag: Lest alle sie, sie waren mir ein Erlebnis und schenkten mir ein vollkommenes Selbstvergessen, sie werden euch wie mir unvergeßlich sein. Georg Müller Verlag München Nikolaus Schwarzkopf Mathias Grünewald Ein Büchlein für Kinder Gottes Wie der Untertitel sagt: Kein Buch der Kunstwissenschaft oder der Kunstgeschichte, kein „gelehrtes Buch”, kein Buch für den „Kunstkenner”! Ein Buch vom Menschen und für den Menschen, ein Buch von der Seele, ein Buch der tiefinnersten Dinge, der positiven, gottfröhlichen Kindschaft, jenseits aller Konfessionalität. Wer dieses Büchlein gelesen hat, wer den Ueberschwang der göttlichen Malerseele des Meisters Mathias in sich verspürt, nachgefühlt, wer sich warm gelesen an diesen Flammenzeichen der einfachsten Gottesnähe in uns, tief in uns, dem wird der Meister und alle Kunst schlechthin ein neues Zeichen sein, die Schuhe zu lösen an diesem heiligen Ort. Der wird seiner Seele leichter folgen können, wenn sie zurückstrebt ins gelobte Land der Gotteskindschaft und Gottesnähe. Georg Müller Verlag München Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt +----------------------------------------------------------------+ | Anmerkungen zur Transkription | | | | Inkonsistenzen wurden beibehalten, wenn beide Schreibweisen | | gebräuchlich waren, wie: | | | | allzusehr -- allzu sehr | | anderen -- andern | | ging's -- gings | | indes -- indeß | | soll's -- solls | | trottelt -- trottet | | über'n -- übern | | Weideplatz -- Weidplatz | | | | Interpunktion wurde ohne Erwähnung korrigiert. | | Im Text wurden folgende Änderungen vorgenommen: | | | | S. 7 „tiefgeleisigen” in „tiefgleisigen” geändert. | | S. 15 „mirs” in „mir's” geändert. | | S. 36 „wirs” in „wir's” geändert. | | S. 37 „allmorgentlich” in „allmorgendlich” geändert. | | S. 77 „im Schweiße ihres Ansichtes” in „im Schweiße ihres | | Angesichtes” geändert. | | S. 80 „neben aus dem Maul” in „eben aus dem Maul” geändert. | | S. 99 „allmorgentlich” in „allmorgendlich” geändert. | | S. 123 „wenns” in „wenn's” geändert. | | S. 138 „Henst” in „Hengst” geändert. | | S. 153 „auf den Kien” in „auf den Knien” geändert. | | S. 171 „allmorgentlichen” in „allmorgendlichen” geändert. | | S. 182 „hintenher” in „hinterher” geändert. | | S. 233 „nießen, nießte” in „niesen, nieste” geändert. | | S. 240 „nießen” in „niesen” geändert. | | S. 291 „aufgeschurft” in „aufgeschürft” geändert. | | mehrfach „A genoux” in „À genoux” geändert. | | | +----------------------------------------------------------------+ *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RIESELE: GESCHICHTE EINES KLEINEN PFERDES *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. 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