Hermann Eris Busse

Zum silbernen Stern

Eine Grimmelshausen-Erz�hlung

Mit einem autobiographischen Nachwort des Verfassers

 

Verlag von Philipp Reclam jun.
Leipzig

1944

Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7472

Titelblatt

Zum silbernen Stern

Als der Vater in den Hof einritt, huschten die Kinder, die darin herumgetobt hatten, schnell wie der Wind in alle Verstecke, die sich boten, und nur der Hufschlag des m�den, gro�en Rosses klappte auf das rauhe Pflaster.

�Heda, wo seid ihr Kerle wieder? Verdammt noch einmal! Komm einer bei und tu' das Ro� ein!�

Da regte sich nun doch der �lteste Bub aus dem Schopf. Er sah dem Reiter �hnlich wie aus dem Gesicht geschnitten. Er hatte rotes Haar wie er, dasselbe k�hne, schmalgebaute Antlitz, von leuchtend rotem, edel geschwungenem Mund auffallend beherrscht, und nur in den Augen sa� scheue Stille im Gegensatz zu den schie�enden, scharfen Blicken des Reiters.

�Was treibt ihr euch hier herum, habt ihr Zeit dazu? Ich will euch schon zeigen, was zu schaffen ist, wenn's daran fehlt! Los, tu's Ro� ein, reib es ab mit Strau (Stroh), futter's, dann erst tr�nk's, du Herrgottssakramenter!�

Der �belgelaunte schwang sich vom Sattel, blieb eine Weile leicht wankend stehen, zog sich mit heftigem Ruck den Hosenbund hoch und schritt mit klirrenden Sporen und hart auftretend mit seinen hohen, rumpflig zusammengesackten Reiterstiefeln zum Brunnen, wusch die H�nde und das Gesicht, ohne den Schlapphut abzunehmen, und trank danach mit dem Mund unter der R�hre das vor K�lte brennende Wasser hinab.

Vom L�rm herausgerufen, stand die Frau auf der Staffel und schaute ihm zu.

�Gotts Gru�, Kathrin!� knurrte er, indem er sich aufrichtete und an die Staffel ging.

�Ja, Mann�, sagte sie ruhig, �wie kannst du auch das kalte Wasser hinabsaufen in den hitzigen Magen, das Ro� soll's nicht tun, da bist du streng, aber dir schadet's nichts. Dabei kr�chzest bereits seit Wochen mit deinem w�sten Husten herum. Der sitzt schon auf der Lung', du wirst es sehen.�

Der Mann gab keine Antwort. Er stieg die Staffel langsam hinauf und fuhr der Frau leicht mit der Hand �ber das Gesicht, vom Kinn zur Stirn und �ber das leicht gekrauste, sorgsam gek�mmte Haar von lichtem Blond.

�Bin m�d�, seufzte er und warf den Hut auf den Ecktisch bei der Schenke. Kathrin nahm ihn weg und h�ngte ihn an seinen Platz. �Hundsm�d, abgeschunden, dreckig, speckig, fleckig und sonst noch was. Hilf mir von den Schuhen, Frau, und dann Essen her, was der Tisch tr�gt – und Wein!�

Die Frau m�hte sich, die Schaftstiefel von des Mannes F��en zu zerren.

�Die sind, bei Gott, wie angewachsen�, murmelte sie.

�Schon m�glich. Zehn Stunden im Sattel an einem St�ck, nur kurze Rast am Mummelsee, da k�nnt' man auch mit dem Stei� an den Sattel wachsen.�

�Wer war denn da?� fragte er und sah nach Weinkrug und Gl�sern, die auf dem Nachbartisch standen. Vornehmen G�sten wurde so der Wein aufgetragen. Die gew�hnlichen Leute sogen ihn aus dem Krug.

�Eine, die zu dir gewollt hat, so eine aus dem Sauerbrunnen�, sagte Kathrin. Es klang abweisend. Sie trug die Stiefel hinter den Schanktisch.

Der Mann hob aufhorchend den Kopf: �Was hat sie gesagt?�

�Oh, nit viel! Sie hat sich mit neugierigen Augen umgeschaut, hat auch einmal so merkw�rdig hinausgelacht, wie die Schauspielerinnen lachen, die herumziehen, so trillerig. Und dann hat sie mit der Alten, die noch bei ihr war, es ist wohl ihre Magd oder Jungfer gewesen, auf franz�sisch geschw�tzt, hat wohl gemeint, ich verst�nd' es nicht. Dein Name ist oft vorgekommen, und ich hab' daraus geh�rt, da� sie seit langem mit dir bekannt sein mu�. Sonst hab' ich mich nicht viel um sie gek�mmert. Es war mir nicht drum. Ein windiges Weibsst�ck, das in der Wirtschaft hockt und einen verheirateten Mann abwartet, ist mir nicht achtbar. Sonst war kein Mensch da den ganzen Tag�, schlo� sie den Bericht ab.

�Kann's die Hauptm�nnin gewesen sein, die leibhaftige Courasche?� sann Johann Jakob Christoph von Grimmelshausen, �dann gibt's, bei Gott, einen Tanz!�

Er lehnte den Kopf an die Ofenkacheln und schlo� die Augen. Eine Str�hne seines r�tlichen Haares fiel ihm in die hohe Stirn. Er sa�, mit den H�nden den Banktisch haltend, da, wie in Traum versunken.

Mit der Besucherin aus dem Badeort kam eine Zeit in die einfache Wirtsstube �Zum silbernen Stern� zu ihm herein, eine Zeit voll Wildheit und Buntheit, Freiheit und Lust. Ach, wie fern war sie bereits in der Vergangenheit und doch wie unausl�schlich eingebrannt in sein Ged�chtnis, alle Tage gegenw�rtig, nie so hei� und atemraubend nah wie jetzt, hinter den geschlossenen Augen gl�hend, halb lustvoll, halb unwillkommen im Gewissen.

Die Katharina, die Gute, Saubere, hatte gesp�rt, was da in der Stube sa�. Frau Welt in Person, das Mensch Fortuna: geliebte und geha�te, gesuchte und versto�ene Gef�hrtin der Soldaten und Abenteurer.

Katharina stellte ihm die Schnallenschuhe vor die F��e, streifte halb scheu, halb �rgerlich mit der Hand �ber seine Knie und sagte: �Da, die Hausschuh!�

Grimmelshausen schrak auf, blickte sie leer an, fuhr sich verlegen �ber das zerstrubelte Haar und griff nach den Schuhen. Er hob sie ein wenig hoch und pr�fte sie. Pl�tzlich befiel ihn ein Zorn, dem er nicht zu wehren vermochte. Er warf die Schuhe gegen den Schanktisch, da� es w�st krachte. Die Frau machte die K�chent�r auf und sp�hte herein. �Was ist schon wieder los?�

�Schau dir das Gelump von Schuhen an, Alte! Die sind seit einem Jahr nimmer geputzt worden. Und die Sohlen sind durch. Wirf sie auf den Mist, zum Teufel!�

Die Frau seufzte, ging in die Stube, brachte ein Paar gl�nzende Schnallenschuhe heraus und stellte sie vor den Mann.

�Kathrin�, sagte er bes�nftigt, �nimm's nit krumm; aber es wurgst einem halt doch einmal die guten Geister ab, wenn alles und alles, was man anr�hrt und anhat, einen daran gemahnt, wie es den Krebsgang geht. Wei� wohl, da� du nicht schuld bist, du Flei�ige, du Gute; aber wir haben zuviel Kinder und zuviel Schulden. Da tut eine Not der andern weh.�

�Die Kinder sind keine Not, vers�ndig dich nicht, Christoffel!� begehrte die Frau auf.

�Nein, dir sind sie keine. Du k�nntest zehn und nochmal zehn haben, und alle sind sie deine Lieblinge; doch dein Leben ist schwer.�

�Nun ja, deine Gurren im Sauerbrunnen kriegen keine Kinder. Denen ist's nat�rlich leichter. M�cht' freilich nicht mit ihnen tauschen.�

Grimmelshausen lachte: �Nein, nein, Weib, ich m�cht' dich nicht um alles in der Welt gegen irgendeine tauschen. Du bist die Rechte und bleibst sie. Mein gutes Hausbrot. Fragt sich, ob du's nicht h�ttest besser machen und einen ehelichen k�nnen, der ruhiger hauset als ich und der weniger Schatten und Geister in sich umeinanderjagt als ich, einen Fr�mmeren, einen Stilleren, einen Gutm�tigeren.�

Katharina gab keine Antwort. Sie eilte flink und auf leisen Schuhen hin und her zwischen K�che und Ofentisch, um dem redseligen Mann aufzutischen. Das Kind schrie zudem in der Kammer, es mu�te gestillt werden.

�Sagst gar nichts, K�tt? Ist wohl nichts zu sagen zu dem Geschw�tz des alten, abgehausten Kerls. Aber der Ring da, schau, mein Schatz, wie der funkelt, ein Rubin, rot und tief, rein wie Herzblut, wenn ich den anschau, getr�st ich mich. Der alte Grimmelshausen lebt noch, der Haudegen und Draufg�nger, und er ist ein reicher Kerl. Inwendig hat er's. Da funkelt's und gl�ht's und ist, bei Gott, pr�chtig wie der Edelstein da – m��t es nur recht fassen, recht zum Schallen und T�nen bringen k�nnen.

Es m��t' durch Himmel und H�lle gehen.

Es m��t' sein wie eine gro�e M�r, der die M�nner gebannt lauschen, und es m��t' sein doch wie die lebendige Welt, die uns tr�gt und beherrscht – und es m��t' sein wie ein Buch, das in vielen Zungen spricht zu den Seelen und doch von allen verstanden wird. Ein n�tzliches und erbauliches Buch, ein Buch, das lehrt und das die Wahrheit und die L�ge zeichnet, wie sie sind.

Ach, Kathrin, was begreifst du davon, wie l�sterlich grausam und doch wie br�nstig lieb das Leben sein kann. Bei deinen Klosterhutzeln zu Stra�burg, die dir Lesen und Schreiben, Sticken und Beten, Spinnen und Singen beibrachten, ging es leis und behutsam her mit dem Leben. Und da f�llt so eine sanfte Taube dem rei�enden Wolf zu, dem fuchsigen Roth�rling. Manchmal begreif' ich deinen Vater nicht, da� er das zugelassen hat.�

Grimmelshausen lachte trocken vor sich hin. Kathrin jedoch sagte nur: �Du redest aber wieder – da, fang jetzt an mit Essen, segen's dir Gott!� Sie wu�te genau, da� das laute Lachen und Reden des Mannes gef�hrlich war wie ein Gewitter; auch die Kinder wu�ten es und hielten sich fern.

Das J�ngste schrie, da� der Mann es endlich h�rte und fragte: �Kann die Anna Dorothee nicht nach dem Kind schauen?�

�Es hat Hunger, Mann.�

�So hol's her; jetzt kommt kein Gast mehr.�

Katharina gehorchte und setzte sich mit dem Kind neben Christoffel auf die Ofenbank. Der Mann a� langsam und sinnend. Er trank langsam und sinnend aus dem Zinnkrug. Die untergehende Sonne spiegelte sich in den Fenstergl�sern. Ein Strahl traf bisweilen den Rubinring an seiner linken Hand. Das Kind schmatzte leis an der Brust der Mutter. Ein tiefer Abendfrieden schien die Wirtsstube zu beherrschen, seit niemand mehr sprach.

�B�cher m�cht' ich schreiben, Katharina, B�cher, wie sie nie einer noch schrieb in Teutschland�, begann Grimmelshausen nach einer Weile wieder.

�Ist's nit genug, da� du B�cher liest und dar�ber die Arbeit vergi�t?�

�Meiner Lebtag ist es mir die gr��te Freud' gewesen, das B�cherlesen. Warum vergunnst du mir's? Es macht das Gebl�t nicht schwerer, im Gegenteil, es wachsen einem manchmal Fl�gel dabei.�

�Ein M�nch oder ein Magister kann das brauchen, dunkt's mich, aber f�r ein so ruches Tagwerk wie deines ist das doch passend wie die Faust aufs Aug' und nur hochm�tiges Herrengetu. Wir bringen es zu nichts damit, das siehst du doch.�

�Hm, das Herrengetu liegt den Grimmelshausern wohl im Blut�, sagte Christoffel seltsam erregt. Seine Nasenfl�gel bl�hten sich auf, und die Augen, eingesunken in dunkle H�hlen, funkelten. Katharina sah es jetzt erst, da� er den Bart hatte ganz kurz stutzen lassen. War der Mann ihr doch vorhin schon so schmal und fremd im Gesicht vorgekommen! Schnell durchfuhr sie die Erinnerung an die fremde Frau, die am Mittag dagewesen.

�Was schaust du mich so an wie eines von den sieben Weltwundern?�

Sie verzog den Mund im Spott: �Es kommt mir vor, Grimmelshausen, als h�tt' deine Eitelkeit einen Hintergrund. Hast vom Besuch der Stadtmadam amend gewu�t, da� dich der Balbierer so auf jung hat herrichten m�ssen?�

Dem Mann scho� das Blut ins Gesicht. �Du bist verr�ckt, Kathrin, gib acht, da� mir die Hand nit ausrutscht auf dein Spottmaul.�

Er stand auf, trat ans Fenster und schaute eine Weile stumm hinaus. Die Frau trug leis das Kind Marie Walpurga in die Kammer zur�ck. In der Wirtsstube �Zum silbernen Stern� auf der Spitalb�hn zu Gaisbach summten die Fliegen, und eine feiste Ro�muck stie� w�tend gegen die Scheiben. Der Grimmelshausen fing sie, zerdr�ckte sie zwischen den Fingern und brummte: �Sauviech, ekligs!�

Dann ging er hinaus in den Gang und stieg �ber die schmale Treppe in sein Schreibst�bel, eine Kammer voller Erinnerungen, Geister, Gespenster und B�cher. Er rief alle zu sich und begann zu schreiben. Bis in den grauenden Morgen w�hrte sein seltsames Tun.

Die Frau klopfte an den Kammern den Kindern zum Aufstehen und der Magd zur Arbeit in Stall, Hof und Feld, der Mann streckte sich, wie er war, auf die Wandbank, um ein paar Stunden zu schlafen.

 

Als die Sonne stieg, kam das Tal herab viel Ro�getrappel, und mit eins f�llten sich Hof und Scheuer mit Ro� und Wagen, Peitschenknall und Mannsgel�chter, H�scht und Hott, und der Grimmelshausen h�rte hinterm halboffenen Kammerfenster, wo er seinen Strubel zurechtstr�hlte und danach mit �chzen in seine Reiterstiefel fuhr, wie einer die zehnj�hrige Marie Dorothee fragte, die auf der Staffel stand: �Wo isch der Vatter? Schloft er noch?�

Und das helle M�del antwortete: �He, wo wurd er sin, in der Hutt (Haut) bis �wer d' Ohre�, wonach sie mit keckem Gel�chter ins Haus hineinst�rmte. Das kleine Luder hatte es in sich, es neckte gern und lachte den ganzen Tag.

�Die mu�t bald h�ten, Mutter Kathrin�, sagte Grimmelshausen f�r sich und kam dabei in gute Laune, obschon er �bern�chtig war. Und er dachte noch bei sich, w�hrend er die Stiege hinabstauchte, ein wenig vorsichtig, denn die Knie brauchten alle Morgen ein wenig Zeit, bis sie gleichig waren: Die Kinder sind alle recht, soweit ich seh'. Es ist eine gute Rasse beisammen, Schwabenk�pf' vorherrschend; die Henninger sind robuster als die Grimmelshausen, scheint's.

Er betrat zun�chst die Stube hinter dem G�steraum. Eine seltsame Scheu befiel ihn, sich mit den Leuten, die zum Ro�markt wollten, zu befassen. Pl�tzlich umstanden ihn wieder die Bilder der Nacht, die Welt ersch�tterte ihn, die er auf vielen Seiten in so st�rzenden Gedanken geschildert, da� die schreibende Hand ihnen kaum folgen konnte. Er war Soldat gewesen, wieder ein Dragoner, hoch zu Ro�, und in Abenteuer geraten, gesetzlose Taten und Unternehmen hatte sein Held Simplex begangen.

Hatte er sie dereinst begangen, begehen wollen? Der junge S�ldner Grimmelshausen? Weg da, Gespenster! Es ist heller Tag, und in der Stadt ist Ro�markt, und er ist Wirt �Zum silbernen Stern� auf der Spitalb�hn, seinem eigenen Grund und Boden. Die Schauenburger k�nnen ihn – – –

Undank hat er geerntet f�r viel M�h und Dienstwilligkeit in b�sen Zeiten. Er ist, bei Gott, keine Knechtsnatur, sie sollen ihn achten als ihresgleichen, auch wenn die Rechnung in dem Hauptbuch nicht glatt aufging. Es geht durcheinander mit ihm, er ist unausgeschlafen, halb hochm�tig, weil ihm diese Nacht einige Kapitel gelangen. Halb dumpfig in der Vorahnung eines lauten und bunten Tages, hat er Durst und Hunger, und doch keine Lust zum Essen und Trinken. Er steckt voller Pl�ne und Wissen und ekelt sich vor dem Reden und Beraten.

Und so betritt er schlie�lich doch, da er sich nicht in der leeren Kammer nichtsnutzig bergen kann, die Schankstube, wo sie sitzen und stehen, die Bauern und H�ndler vom Gebirg herab, aus dem wilden Renchtal und den Seitenzinken und Geh�ften, und ihren Wein oder Schnaps trinken.

Katharina warf ihm einen forschenden Blick zu. Er hatte sie wieder einmal in der letzten Nacht v�llig vergessen. Sie mu�te nat�rlich denken, das Frauenzimmer aus dem Sauerbrunnen sei schuld. Sie konnte h�llisch eifers�chtig sein, die Gute, und ein wenig nachtr�gerisch.

Die Leute riefen ihm h�ufig zu, und er antwortete und gr��te und scherzte. Ein bitterer Geschmack lag ihm auf der Zunge, er mu�te sich erst daran gew�hnen, da� die Leute im Verkehr mit ihm biederer geworden, seit er nicht mehr gef�rchteter Schaffner bei der Herrschaft war, seit er auch den kurzen Dienst in der neuen Schaffnei auf der Ullenburg aufgegeben hatte. Er kam sich gesunken vor und war doch jetzt eigener Herr auf eigenem Grund! Die Leute jedoch sahen in ihm den Fortgeschickten. Halb lauernd, halb bedauernd begegneten sie ihm danach, so tuend, als w��ten sie von nichts, aber sie lie�en die Achtung beiseite und stellten sich wie seinesgleichen. Es lag ihm f�r gew�hnlich nicht, sich mit allen gemein zu machen, nur in Sonderzeiten gab er seinen hochm�tigen Abstand auf und war dann merkw�rdig wahllos in seinem Umgang und in seinen Gespr�chen. Hinter seinem R�cken sprachen aber nach solchen Stunden die Kumpane vom verr�ckten Schaffner, vom tollen Grimmelshausen, der sie mit L�gengeschichten, Wein und Prahlhansereien �bersch�ttet habe.

Nun, es gab seit dem gro�en Krieg viele Sonderbare im Volk, Gest�rte und Bedr�ngte, Leichtsinnige und Hochm�tige, das war zu verstehen. Doch der Grimmelshausen war ihnen manchmal unheimlich, weil er so viel wu�te und wie mit fremden Zungen zu reden verstand, Sternkundiges kannte und Widerglauben berichtete, von Greueln und Heldentaten redete, als ob er sie selbst begangen h�tte, zumindest aber dabeigewesen w�re. Und danach, mitten in der Tollheit gro�er Reden, konnte er still werden und dann und wann auch weinerlich, gleich einem Kind, das an R�teln leidet. Kurz nachher wieder schnauzen wie ein Herrischer und fuhrwerken wie ein reicher Grundherr von und zu. Adelig war er ja. Das sollte niemand �bersehen. Seit er jedoch Wirt, Bauer und Ro�h�ndler war, kamen sie ihm n�her. Er mu�te ums Allt�gliche k�mpfen wie sie alle, auch wenn er immer noch Ringe an den Fingern trug und bisweilen eine dicke Kette um den Hals.

Die Leute hatten nicht viel Zeit. Bald leerte sich der Hof wieder, Ro� und Wagen zogen weiter, auch der Grimmelshausen ritt mit zwei G�ulen hinunter auf den gro�en Markt in der Stadt. Auf einmal herrschte eine auffallende Stille in der Spitalb�hn, und Katharina mit den Ihren gewann Zeit f�r die alle Tage gleiche Arbeit.

 

Einer der Schauenburgischen Junker strich zu Pferd um den �Silbernen Stern�, stieg dann ab und lie� sich vor dem Haus nieder. Er sah die blonde, immer noch glatte Katharina gern. Doch sie wu�te sich zu wahren. Gegen ihren Hans Christoffel waren alle Mannsleut niedere Gesellen, mochten sie sein, was sie wollten. Er hatte bisweilen eine gute Hand und immer ein starkes, gl�hendes Herz.

Sie schickte dem Junker, der Wein begehrte und wohl glaubte, die Wirtin w�rde ihm den Trunk reichen, die kecke Marie Dorothee hinaus und ging die Stiege hinauf, um die Stube des Mannes zu s�ubern, wo er seine Schreibarbeiten erledigte und wohin er sich zur�ckzog, wenn er �ans Spinnen� kam, wie sie es heimlich bei sich nannte. Sie machte das Fenster auf und tat es ziemlich laut, weil sie den Junker mit der Gro�en sch�kern h�rte.

�Dem ist wom�glich auch das gr�ne Ding nicht zu jung, derlei Herumflanierer kommen auf die s�ndigsten Gedanken�, brummte sie vor sich hin. Der Junker schaute auch sogleich herauf und hob ihr den Becher mit keckem Zuruf entgegen. Sie nickte nur und nahm das Gei�enfell vom Boden, das unterm Tisch lag, an dem Grimmelshausen zu schreiben pflegte, und sch�ttelte es zum Fenster hinaus.

�Flei�ig, flei�ig�, lobte der Junker.

�Wer nit anfangt, wird nit fertig�, gab sie streitig zur�ck.

�Ho, mit deiner Mutter ist aber heut nicht gut Kirschen essen, M�del; sei nur brav, sonst gibt's amend noch F�ng.�

�Oh, wir kommen gut zustreich miteinander�, sagte Marie Dorothee keck.

Der Junker reichte den Becher zur�ck. Er kam sich wohl von beiden Weibsleuten allzu wenig hochgeachtet vor und ritt ohne Gru� weiter.

�Mutter, der war aber rot im Gesicht vor Wut!� rief das M�dchen hinauf

Die ging gar nicht darauf ein.

�Fahr mit dem Annele und dem Burgele in die Sonn', jetzt aber dalli!� rief sie kurz und b�ndig der Marie Dorothee zu.

Das waren die Ullenburger M�dchen. Katharina hatte sie droben wie in einer Verbannung geboren, als Grimmelshausen die Vogtei auf dem neuen Schlo� des Stra�burger Arztes Doktor K�ffer versah. Lang hatte die Herrlichkeit des neuen Dienstes nach dem Krach mit den Schauenburgern nicht gedauert. Vielleicht h�tte es nirgends lang gedauert; denn der Mann war, seit er zu schreiben begonnen hatte, seltsam launisch und hochm�tig geworden. Er wurde schnell heftig und herrisch. Und das ging nun einmal nicht gut, wenn man anderen Herren dienen mu�te.

Es gab auf der Ullenburg auch allzu viel B�cher, und es war ein Kommen und Gehen von gelehrten Herren aus Stra�burg, die alle hochgestochen redeten und in B�chern und Schriften herumbl�tterten, lasen und vorlasen, und der Grimmelshausen wurde fast als ihresgleichen betrachtet, mu�te dabei sein, seinen Senf dazu geben, und er lie� sein Licht leuchten, so da� keines den Schaffner von Gaisbach wiedererkannte, sondern glauben konnte, er sei Gelehrter an der Hochschule und h�tte die ganze Welt bereist samt Himmel und H�lle. Da wurde ihr bange, besonders wenn nach schweren Umtr�nken der Grimmelshausen noch in seinem Bett in das Dunkel des Zimmers phantasierte, als w�re er mitten im Get�mmel einer Schlacht oder als scharmutzierte er in irgendeiner gro�en Gesellschaft mit Herren und Damen, wo er zeigte, wie stolz und gelehrt er die Worte setzen und die S�tze drechseln k�nne. Nein, wie er prahlen konnte, besonders wenn der Ortenauer Wein ihm durch Hirn und Adern brauste! Katharina wurde es unheimlich dabei, und noch jetzt, w�hrend sie beim Aufr�umen an diese Ullenburger N�chte dachte, sch�ttelte es sie vor nachwirkender Aufregung.

Der kleinen Marie Walpurgis war das wohl anzumerken, da� sie in solch schrecklichen N�chten gezeugt, getragen und geboren worden war. Sie steckte voller Gichter und Kr�mpfe, war das unruhigste und zarteste der acht Kinder, die Katharina nun schon auf die Welt gebracht.

Diese Ullenburger Jahre, in denen Hans Christoph manchmal so gl�cklich war – manche Tage waren so voller Lebensfreude und Jugend wie damals, als er junger Freier in Offenburg gewesen –, und dann wieder so schwerm�tig und grobschl�chtig gegen sie und die Kinder, diese Ullenburger Zeit erschien ihr als die schwerste seit ihrer Verm�hlung. Lieber hauste sie nun in der Spitalb�hn, wenigstens auf eigenem Boden, wenigstens in einer Heimat, die auch den Grimmelshausen mit ruhigem Gleichma� umfing und an ihre frei von ihm bestimmte Ordnung band.

Er ging jetzt auch seltener nach Stra�burg. Diese Stadt zog ihn von Zeit zu Zeit seltsam an sich wie ein gef�hrliches Frauenzimmer. Wie selbige, die dagesessen in der Wirtsstub, halb wie eine Kurf�rstin, halb wie eine Landst�rzerin, sch�n gekleidet, aber mit schiefen, ausgelatschten Schuhen und wuscheligem Haar. Ihre langen Ohrringe in den Ohrl�ppchen klirrten bei jeder Bewegung, und Armspangen trug sie, da� man meinte, ein Nagelschmied spengle in der Stub herum, so klirrte und klapperte es von ihren Gelenken. Und wie die einen anguckte beim Reden, fast mitten in die Augen! Die bannte f�rmlich mit dem Blick, das machte doch Frauen schon unsicher, und die M�nner wurden sicher halb verr�ckt, wenn sie das Mensch so durch und durch ansah. Ja, solche gab es halt, noch nicht lang war es her, da� man sie als Hexen verbrannt hatte. Sie bannten wirklich. Und wenn sie einen Mann haben wollten, so kriegten sie ihn. Katharina kam nicht los von diesen argen, qu�lenden Gedanken. Sie verga� dabei aber keinen Augenblick ihre Arbeit.

Der Tisch war bedeckt mit Schreibpapier, Federkielen, dicken B�chern mit verschalten Deckeln: � Theatrum Europaeum� buchstabierte sie.

Was der Mann nicht alles wu�te und studierte! Woher er das hatte? War doch blo� ein Musketier und dann Regimentsschreiber gewesen und mit den Heerz�gen im Land herumgezogen in Unruh und Gefahr. Das flog einen doch nicht an, das wissende Wesen? Sie legte das Buch rasch auf den Platz zur�ck und wischte die Finger an der Sch�rze ab. �Ins Feuer m�cht' man's werfen, all das Druckerzeug!� schimpfte sie vor sich hin. Und dann kreisten ihre Gedanken wieder um die fremde Frau aus dem Sauerbrunnen, die so vertraut nach dem Hans Christoph gefragt hatte.

Und dann barmte das Kind, bis es gesch�nkt wurde, und die anderen Kinder wollten essen. Dann kam das Vieh im Stall dran. Der Magd wurde auf die Finger gesehen, im Garten gej�tet, im Keller gel�ftet, mit einer B�uerin wurde um Flachs gemarktet, pflegte doch die Grimmelshauserin den sch�nsten Flachs im Tal, der weithin begehrt war, besonders von den Herrschaftsfrauen.

 

Als Grimmelshausen gegen Abend mit einem gekauften Ro� und einem umgetauschten heimkam, hatte sie ein gro�es und r�hriges Tagwerk hinter sich gebracht und mu�te nun den Leuten auftischen, die vom Markt zur�ckkehrten und einen Letzten tranken vor dem Heimweg in ihre Heime hinten im Tal und am Wald und sonst noch wo in einer Einsamkeit in Zinken seitab.

Der Grimmelshausen kam heim mit vollen Segeln gleichsam, gl�cklich �ber einen guten Handel und gl�cklich �ber eine gute Botschaft vom Buchdrucker Nagel aus Stra�burg, der ihm einen Mann in N�rnberg wies, der wom�glich den Satyrischen Pilgram drucke und verlege und mit dem er auch f�r k�nftige B�cher etwas ausmachen konnte. Und dann hatte er sich mit Ulrich Bruder, dem Schaffner in Oberkirch, herrlich unterhalten, denn der verstand ihn ein wenig in seinem Streben, und er bestaunte ihn auch ehrlich. Wahre Freunde waren selten, und Grimmelshausen hielt Ulrich Bruder f�r einen echten Freund.

Als er eintrat in die Wirtsstube, �chzten die neuen Dielen laut unter seinem Schritt. Auch r�tzten die Stiefel aus weichem Leder, als st�nde ein Graf darinnen. Katharina sah ihm m�de entgegen, aber als er ihr einen hellen Blick aus seinen gro�en blauen Augen gab und ihr leise zul�chelte mitten aus dem L�rm der angeheiterten Bauern her, da schlug ihr eine warme Lohe ins Gesicht, und ein Gef�hl der gl�cklichen Geborgenheit bewegte ihr Herz. Sie nahm ihm den G�rtel ab mit der Wehr, den Hut und den beengenden Halskragen, verwahrte alles hinter der Krugbank am gewohnten Platz und stellte ihm zuerst seinen Wein hin. Die Bauern, die Knollfinken, mochten warten, dachte sie hochm�tig.

Grimmelshausen blieb eine Weile abseits sitzen, sog am Wein und beobachtete �ber den Krug hinweg die Bauern am langen Tisch. Arme Krauterer allesamt, aber doch war keinem so ganz �ber den Weg zu trauen nach der schlimmen Zeit, den Einheimischen eher, hingegen den Zugeloffenen niemals. Was f�r einen Gesellen hatte sich nur die alte Margret Boos angeheiratet! Gut zwanzig Jahre j�nger war der Kerl und sah aus wie der Teufelsk�che entkommen, blatternarbig, ein�ugig, mit vermessertem Mund, als w�re er in Scherben gest�rzt. Grimmelshausen betrachtete ihn so scharf, da� der andere es merkte. Er hob seinen Krug und rief hin�ber: �Potz Sternewirt, guck gescheiter in den Wein als L�cher in die Luft. Machst amend den Kalender?�

Johann Jakob Christoph lachte auf: �Richtig, ja, einen Kalender mach' ich.� Er erhob sich, packte den Krug und krachte mit weiten Schritten durch das Gastzimmer ein paarmal auf und nieder. Und er begann von seinem neuartigen Jahrweiser zu erz�hlen. Er hatte die Redensart des F�pplers ernst genommen, er schaffte wahrhaftig an einem Kalender, den er den Ewigw�hrenden nennen wollte. Geschichten und Berichte sollte er bringen, Sternzeichen und Tierkreisbilder, Monatstage, Lostage und Heiltage, Ratschl�ge und Braucht�mer, Erinnerungen an Krieg und Frieden, Unwetter, Erdbeben, Mi�geburten und Wunderdinge, Himmelserscheinungen, Verbrechen, Politik und Wissenschaft, Religion und Bibelfr�chte sollten nicht vergessen werden: von allem f�r alle.

Katharina stand hinterm Schanktisch und lauschte mit verkniffenem Mund. Pl�ne hatte der Mann wieder und predigte sie doch buchst�blich den S�uen. Was verstanden diese armen Bauern davon, die kaum ihren Namen schreiben konnten, wenn er ihnen hochtrabend von der Bauernpraktik redete, die er in Druck geben wolle, ihnen zur Lehre und zur Weisung in ein besseres Dasein. Es brachte Katharina fast aus dem H�uschen, da� er so hart hin und her lief und fast die Stirn an den Mittelbalken stie�.

�So setz dich doch wenigstens, Mann!� rief sie ihm endlich zu. �Du machst, bis du dir ein Horn in die Stirn rennst.�

�Hast recht, Kathrin, wie immer�, sagte er gef�gig, �hast es nicht leicht mit mir, aber gib es auf: alte Hund sind schwerlich b�ndig zu machen.�

Er lachte dr�hnend und setzte sich oben an den Tisch zu den Bauern, die ziemlich teilnahmslos in ihren Wein stierten, m�d und stumpf geworden vom Tag. Nur der Narbige, der junge zweite Mann der Thiesenb�uerin Boos, hielt sich straff und aufmerksam. Grimmelshausen sah ihn an. Jetzt erkannte er, da� der Mensch gut aus dem lichten, heilen Auge schaute. Das ergriff ihn sonderbar.

Er trank wortlos dem andern zu wie einem Kameraden. Erinnerte er ihn nicht an den guten Herzbruder, den Mitgesellen in vielen K�mpfen w�hrend des Krieges? Der Hergeloffene gab Bescheid. �F�r den Kalender w��te ich vielleicht manches�, sagte er. �Was mir einf�llt, kann ich Euch ja aufschreiben, Sternenwirt; wenn Ihr's nit brauchen k�nnt', werft's halt weg!�

Grimmelshausen nickte nur und schaute ihn ruhig an.

�Willst schon heim, Thiesenbur?� Der andere hatte sich erhoben und die Kappe tiefer in den Kopf gezogen.

�Ho, seine Alte macht ihm einen Motschkopf, wenn er nicht beizeiten heimkommt�, rief ein blutjunger Bursche �ber den Tisch. Auch der sa�, fremd hereingeraten, ein Schweizer, mit einer alten B�uerin zusammengeschirrt, auf einem sch�nen Hof. Das war eine Notordnung in den abgehausten H�fen seit dem Krieg! Es fehlte an M�nnern f�r die verwitweten Weiber der totgeschundenen und verschollenen Bauern. Da nahmen sie zu sich, wer es mit ihnen und ihrem Hof aufnehmen wollte. Gleich oder ungleich, wer fragte lang, wo Not an Mann ging? Die jungen Fremden machten nat�rlich dem Schaffner der Schauenburger, denen die Bauern zinspflichtig waren, zu schaffen. Sie verstellten sich und taten arm und willig in Demut, obschon sie es faustdick hinter den Ohren hatten. Grimmelshausen lernte sie in seiner Amtszeit kennen. Sie waren mitschuldig, da� er mit der Herrschaft wegen der vertrackten Abrechnungen in Widerstreit geriet und das Amt hingab. Halb warf er es allerdings auch ab wie eine Last.

Der Thiesenbauer k�mmerte sich nicht um den Kecken, er sah mit seinem Einaug den Sternwirt freundlich an und sagte: �Meine B�uerin hat heut nacht einen Buben bekommen, den h�tt' ich mir gern noch bei Tag beschaut, nichts f�r ungut.�

Da kam die Kathrin hinter dem Schanktisch vor und w�nschte dem jungen Vater viel Segen zum Stammhalter und versprach, in den n�chsten Tagen der Thiesenb�uerin am Bettzipfel zu zupfen und nicht ohne Eingebind zu kommen, das solle er nur ausrichten.

�Jesses, so ein altes Reff, die Thiesenb�uerin�, sagte der Kecke sp�ttisch, als der Ein�ugige fort war.

Da hieb der Grimmelshausen aber vor seiner Nase die Faust so auf den Tisch, da� sie in die Luft prallte, dem Jungen fast gegen den Bart, und schrie ihn an: �Halt's Maul, du Hagsaicher; was geht's dich an?�

Vielleicht h�tte es daraufhin noch ein Gerempel gegeben in der Wirtsstube, aber unversehens fuhr die T�r auf, und herein quoll eine lustige Gesellschaft Frauen und M�nner in sch�nen Kleidern, wie man sie in der Stadt sah und vornehmlich bei den Kurg�sten im Sauerbrunnen.

Katharina ri� den Schrank auf, worin die Tischt�cher lagen, nahm behend eine Gebildleinwand heraus, eigener Flachs in einer Stra�burger Weberei fein gesponnen und gewoben und bl�tenwei� gebleicht, und breitete es �ber die blo�e Nu�baumplatte des Herrentisches. In ihrem Eifer merkte sie gar nicht, da� unter den lachenden G�sten die Frau war, die tags zuvor schon mit ihrer Jungfer dagewesen und nach Grimmelshausen gefragt hatte.

Die Bauern machten sich davon, h�flich ging der Sternwirt mit ihnen bis auf die Staffel, sah zu, wie sie ihre R�sser aus dem hinteren Hof holten, war aber mit den Gedanken woanders. Tr�llernd war das geputzte Weibsst�ck unter den neuen G�sten nahe an ihm vorhin vorbeigestreift und hatte ihn funkelnd angesehen: die Hauptm�nnin, bei Gott!

Das war ihm richtig in die Glieder gefahren. Was wollte die? Alte Erinnerungen auffrischen, die er sowieso nicht losbekam? In den Frieden seiner neuen Heimat einbrechen? Katharina beunruhigen? St�ren, verunglimpfen, Mi�trauen s�en, Streit anzetteln? Er war froh, auf die Staffel zu k�nnen, um sich zu fassen.

Mensch, seine Vergangenheit wird keiner los, nie, scho� es ihm durch den Kopf. Doch man kann ihr, haupth�chlings, ein Halt gebieten. Er straffte sich, nahm den Rubinring vom Finger und steckte ihn in die Tasche. Nicht n�tig, da� sie an ein gewisses Unternehmen vor Philippsburg erinnert wurde und jetzt dar�ber anz�glich sprach.

Grimmelshausen ging in die Stube, um die G�ste zu begr��en, die Herren und Damen, von denen man, obschon sie wohlgekleidet gingen und adelig auftraten, nicht immer die P�sse fordern durfte, denn sie hatten wom�glich keine guten aus verwichener Zeit. Im Sauerbrunnen traf sich allerlei Welt, edelb�rtige und verd�chtige. Von au�en sah es auch ein Kluger den einzelnen nicht immer an, woher sie stammten. Grimmelshausen trat ruhig an den Tisch, ohne die �bliche Wirtsdemut, sah �ber die glitzernden Augen der einen hin, als erkennte er sie nicht, und lie� sich von dem Anf�hrer der Gesellschaft, einem Junker aus der Nachbarschaft der Schauenburger, sagen, was sie essen und trinken wollten. Danach ging er f�r eine Weile hinter den Schanktisch, die Herausgabe des Weines scheinbar zu �berwachen, den die Magd aus dem Keller holte. Er sprach laut, gab seine Befehle auch an die Anna Dorothee, die �lteste Tochter, herrenm��ig, ruhig und kalt spielte er sich dabei auf, so da� die Fremden sich ansahen und sich �ber den vornehmen Wirt in dem bescheidenen Gasthaus wunderten.

Die Hauptm�nnin schwieg. Das Blut kam und ging �ber ihr sch�nes, aber von Leidenschaften gezeichnetes Gesicht.

�He, Sternewirt!� schrie der Junker, bereits ein wenig trunken. �Mich dunkt, Ihr h�ttet hier unter uns eine Bekanntschaft zu begr��en.� Er deutete mit langen Fingern auf die Hauptm�nnin.

Grimmelshausen rieb mit einer Zwehle den Weinkrug ab und gab ihn Anna Dorothee, damit sie ihn auf den Herrentisch stelle. Dann schritt er gemach hinterdrein und schaute schon von weitem der Hauptm�nnin straff in die Augen.

�Hat's mir doch wollen so sein, als kennt' ich die Dame; mir f�llt nur nicht Euer rechter Name gleich ein, Courasche hie�t Ihr im Lager, ich war ein junger Lappi damals, als Ihr den Rittmeister verloren hattet und bereits den dritten Mann begl�cktet. Man hat gar viel Frauenzimmer zu Gesicht bekommen in der Kriegszeit, da bleibt oft nur ein Name h�ngen im Ged�chtnis, bei Ihnen der unrechte, Frau Hauptm�nnin – weil er so sonderbar war.�

Er verneigte sich ein wenig. Die Frau dankte hochm�tig. Die Gesellschaft beobachtete l�stern die beiden, die sich nicht verrieten. Die Frau wu�te sofort, der Grimmelshausen w�rde sie nicht schonen, und es war ihr schon genug, da� der Name Courasche gefallen war und der trunkene Junker ihn grinsend vor sich hinbrabbelte.

Katharina hatte alles aufmerksam beobachtet. Es war etwas zwischen den beiden, jedoch benahm sich der Mann stolz und wie im Recht. Bei Gott, das Frauenzimmer war ja sch�n und zauberisch genug, um auf die Mannsleut zu wirken. Der eine, ein alter Geck mit Ringen an jedem Finger und gestr�hltem Gustav-Adolf-Bart, legte seine Linke gespreizt �ber der Hauptm�nnin Hand und tat verliebt mit ihr, und sie lie� es, pl�tzlich hinauslachend, geschehen. Die anderen Weiblein, die dabei waren, sa�en dicht an ihre Kavaliere ger�ckt und schmissen die Augen, da� man Angst bekam, sie m��ten wie Glaskugeln aus den Lidern rollen. Kathrin schickte Anna Dorothee, die halbw�chsig war und deshalb aufpa�te wie ein H�ftlemacher, in die Stube zu den kleinen Kindern, sie sollte mit ihnen das Nachtgebet sprechen und dann selber ins Bett gehen.

�T�t not, bei Gott, da� die Rotznas sich auch so Possen angew�hnt!� brummte sie vor sich hin.

Grimmelshausen ging ab und zu. Katharina sah, da� er unruhig war; sein kleiner Rausch, den er heimgebracht, schien aber verflogen. Er k�mmerte sich nicht mehr um die Gesellschaft, die sang und lachte und dummes Zeug schwatzte, franz�sisch meist, weil das vornehm klang und sie meinten, die Wirtsleute verst�nden nicht alles.

Einmal, als der Grimmelshausen an den Tisch kam, um frischen Wein hinzustellen, sprach ihn die Hauptm�nnin an: �Habt Ihr vor, ein Dichter zu werden? B�cher soll es ja von Euch geben. Wollt Ihr amend Eure Lebensbeichte �ffentlich machen? H�tt's nicht gedacht, da� aus einem gewesenen Kroatenjungen auch nur ein rotziger Musketier w�rde, geschweige denn ein teutscher Dichter. Fallt ja die Leiter hinauf, mein Lieber, da mu� man staunen, falls Eure Schreiberei wirklich auf Eurem Holz gewachsen ist. Ich hab' was anderes munkeln h�ren.�

�Ist alles wahr, was man von Euch munkeln h�rt, vieledle Frau? Scheint, meiner Seel, nur das wahr zu sein, da� Ihr die Leiter hinuntergerutscht seid, wenn Euch einmal doch ein rotziger Musketier nicht zu schad' war, in Eurem Netz sich zu verfangen. Er ist freilich beizeiten durch die Maschen in die Freiheit geschloffen. Aber reden wir nicht von lang schon Verwichenem, j�nger sind wir beide nicht geworden, und ich – ich hab' mein Gl�ck auf festen Grund gebaut. Wer daran r�hrt, dem geb' ich keinen Pardon. Den Grimmelshausen kennt man weitum. Und jetzt ist's neun Uhr. Somit haben wir Feierabend. Nach Schauenburgischer Polizeiordnung, die ich selber gemacht und daher halten mu�, mehr als andere, ist Ausschank verboten. Der Tag war f�r unsereinen lang und schwer genug. Katharina, l�sch die Lichter ab und ruf den Knecht, er soll den Herrschaften bis auf die Stra�e leuchten.�

Die Frau Hauptm�nnin erhob sich schnell, ihre Armketten klirrten, sie war bla� im Gesicht und sah zerfallen aus. Ihre Augen gl�hten den Grimmelshausen an. Im Vorbeirauschen zischte sie: �Das sollst du mir b��en, denk an die Courasche!� Und sie sagte ein paar fremde S�tze, die wie zigeunerisch klangen, ohne Zweifel eine Verw�nschung.

Der Sternenwirt stutzte kurz und brach dann hinter ihr her in unb�ndiges Gel�chter aus. Frau Katharina erschrak. Das Lachen hatte einen unechten Klang, es war ein L�rm aus dem B�sen herauf. Sie bekreuzte sich rasch. Und die heimliche Angst um den Mann, der ihr so oft zum Geheimnis wurde, legte sich abermals auf ihr furchtsames Herz.

Still, fast versch�chtert hatte hinter der erbosten Hauptm�nnin her die Gesellschaft den �Silbernen Stern� verlassen und den Wagen bestiegen.

Das Ehepaar, allein in der Wirtsstube, h�rte ihn fortrollen. Zum erstenmal geschah es, da� G�ste ohne Geleit bis an die Staffel hinunter und ohne guten Heimkehrwunsch den �Silbernen Stern� verlie�en.

�Das war ein Spuk, Kathrin, ein Gespenst aus wilder Zeit. Frag nicht weiter, es vergeht zu Staub. Ein Wahngebild, das betreugt!�

Katharina fragte nichts mehr. Ein Dorn sa� ihr freilich im Fleisch, so da� sie kaum mehr an anderes denken konnte als an die fremde Frau, und was f�r eine Rolle sie wohl dereinst in ihres Mannes Leben gespielt. Eifersucht stach sie, und Neugier pfitzte sie, daher blieb sie in der Nacht, wider ihre Gewohnheit, obschon sie m�d war an Leib und Seele wie immer, wenn der Tag um war, lange Zeit wach, verhielt sich aber m�uschenstill, damit der Mann nichts merkte, der stets erst eine Weile schlaflos im Bett lag und ins Finstere starren mu�te, ehe er den Gedanken den Abschied gab und in die Traumwelt hinausglitt.

Die Frau hatte die Wiege mit dem Kind neben sich, der kleinen Walpurga, die ein zieseriges H�tschele war und oft schrie, aber nachts sofort ruhig wurde, wenn die Mutter sie zu sich an die warme Brust nahm. Jetzt schn�felte das Kind leise und friedlich, die Luft untertags hatte es erm�det, und die Frau hatte ein klein wenig nachgeholfen, indem sie in den Lutscher zum Honig ein paar Tropfen Wein getan. So ein Schlaftr�nklein wirkte gut und schien ihr weniger gef�hrlich als der zerdr�ckte Mohnsamen, den die Bauersfrauen den Kindern gaben, wenn sie tief und lange schlafen sollten, weil die Mutter zur Arbeit mu�te oder ungest�rt ruhen wollte.

Das neugerichtete Haus zeigte noch sehr deutlich an, wann das Wetter sich �nderte, indem es krachte und knackte in Diele und Geb�lk, oder T�ren pl�tzlich mit leisem Seufzen aus den Fallen glitten und sich auftaten wie von Gespensterhand. Der Kalk an den W�nden sprang in feinen Rissen, was auch nicht lautlos geschah; wenn eines schlaflos liegt, vernimmt es ohnehin alle T�ne im Raum deutlicher, und dazu bringt es die Nacht im Dunkel mit sich, da� diese tastenden, st�hnenden, schleifenden und raschelnden Ger�usche etwas Wesenhaftes bekommen, als verursachte sie ein Mensch oder gar ein Gespenst.

Katharina schweifte im Wachen bald von den qu�lenden Gedanken ab und stellte die Ohren nach den Hausger�uschen ein, h�rte den Mann leis atmen, das Kind den Atem lind ausblasen in tiefem Schlummer, vernahm das Schnarchen eines der Buben in der Nebenkammer, achtete auf das Rasseln der Kuhketten im Stall und �rgerte sich �ber die Rattenpfiffe, die sich wohl auf der Miste verst�ndigten oder stritten. Sie vernahm sogar, wie in der Sanduhr auf dem Wandb�nkchen zu H�upten ihres Bettes der Sand rieselte, und es st�rte sie, da� im leisen Nachtwind der Fensterfl�gel leise gahrte und am Vorhang wischte. Im Wald droben riefen die K�uze einander. Von fernher, es mu�te weit weg sein, klang es wie Peitschenknall und Quietschen von R�dern, das konnte eine Salzfuhre sein oder sonst eine Handelskompanie, die sich versp�tet hatte. Die w�rden hoffentlich nicht am abseitigen �Silbernen Stern� haltmachen und sie herausklopfen!

Der Grimmelshausen hatte sich im Bett aufgesetzt und lauschte.

�H�rst auch, da� Fuhrwerke kommen?� fragte Katharina und verriet ihr Wachsein.

�Ja, schlafst denn nicht, Frau? Ja, eine Fuhre kommt oben 'rab. Kann mir nicht denken, was das ist, klingt wie viele Wagen, ein Tro�. Lassen wir uns nicht st�ren! Der Wind tr�gt's weit her heut. Vielleicht fahren sie auch vorbei.

Ein Tro�, wei�t du, Mutter, so ein Tro�weib ist die Madam von heut einmal gewesen. Das ist ihr freilich an der Wiege so wenig gesungen worden wie mir, da� man zum Geringsten geh�rt, was in einem Lager Beine hat, zu den Huren und den Buben. Sie soll adeliger Abkunft sein. Der Sch�nheit nach glaubt es ihr auch jeder. Jetzt ist sie freilich nicht mehr so glatth�rig, und den Titel Frau Hauptm�nnin verdient sie l�ngst nicht mehr. Sie hat vielen M�nnern, ihren rechten Ehem�nnern, ins Grab geschaut und allen H�rner aufgesetzt. Die Wespen fliegen eben immer wieder zum Honig und bleiben elendiglich daran kleben. Sie hat nichts umsonst gegeben und genommen und hat den Kopf voller Streich und das Mundwerk voller Unflat gehabt, daneben auch, wenn sie nur wollte, ein recht anmutig Wesen und gutartiges Herz. Siehst, so herumgeworfene Kriegsknechte wie wir es waren, sind nicht arg w�hlerisch. Erz�hlen l��t sich nicht alles, was man an Possen und an Bosheiten begangen, um so eine Glatth�rige zu gewinnen oder auch nur kurzweilig zu erfreuen. Da ger�t man unversehens untern Galgen und gibt sich die gr��te M�h', nicht auch unversehens hinaufzukommen, so hoch, da� zwischen Erdboden und Fu�sohlen etliche Mannsfu� blanke Luft ist.

Die Wagen kommen gar nicht n�her, Kathrin?�

Kathrin lag still. Der Mann tastete nach ihrem Gesicht und f�hlte, da� es na� von Tr�nen war.

�Um Gottswillen, Frau, du pl�rrst? Ja, da� dein Mann kein Engel war in jungen Jahren und im langen Krieg, das hast du dir doch denken k�nnen!�

Er lachte und schob seinen Arm unter ihren Kopf.

�Du kleiner Narr, wei�t, frag einmal deinen Vater, ob er ein so makelloser Bursch gewesen wie jetzt als Mann.�

�Nein, das glaub' ich auch nicht. Doch folgen ihm nicht die b�sen Schatten von fr�her st�ndig nach wie dir. Er sieht schon so aus, da� das Ungattige sich gar nicht in seine N�he traut, so festgef�gt und so breitschultrig, sauber und frank. Dir lauft die Vergangenheit jedoch nach, dunkt's mich, und nicht das Beste von ihr.�

Grimmelshausen schwieg. Hatte die Frau nicht recht? Auf eine unheimliche Art recht? Ihm lief die Vergangenheit nach, gespenstisch, sinnlich, unabwendlich in Bildern, Gedanken, Gesichten und Begegnungen. Den ehemaligen Wachtmeister-Leutnant behelligte sie kaum, obschon er auch in Feldlagern und Schlachten und Belagerungen allerlei mitgemacht hatte. Der war zu rechter Zeit ernst und pflichttreu als Mann und zu guter Zeit voller witziger Erinnerungen an die Soldatenzeit. Heute schien ihm die Soldatenzeit leicht wie ein Spautz gewesen.

Gesichte, Gespenster, Begegnungen voller Schicksal, die n�herten sich dem guten Schnauzbart nicht. Der hatte ein kr�ftiges Gem�t und seinen tr�stsamen Glauben. Seine knappe Freizeit verbrachte er s�uberlich geteilt vorm Altar und hinterm Wirtstisch. Der forsche Wachtmeister-Leutnant war das Beispiel eines flei�igen, frommen und heiteren Mannes geworden, an dem sich m�nniglich aufrichtete, der mit ihm zusammenkam.

Grimmelshausen schwieg und sann. Katharina neben ihm schlief endlich so tief und fast geheiligt ein, wie nur eines einschlafen kann, das sich K�mmernis vom Herzen geweint.

Aus der Ferne wimmerten immer noch Wagenr�der wie von einem Zug oder einem Tro�; aber es kam nicht n�her. Grimmelshausen gab das Lauschen auf. Vielleicht geisterte es �ber die Gebirgsstra�e herab. Um Mitternacht war allerlei unterwegs, das ungesegnet war. Es fiel ihm sein eigenes Nachtgebet ein, das Lied des Einsiedlers, das er in seinem Buch vom Simplex auf eigene Weise gedichtet, den sch�nen Takt des Liedes �Wie sch�n leucht uns der Morgenstern� im Ohr.

Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall,
la� deine Stimm mit Freudenschall
aufs lieblichste erklingen!
Komm, komm und lob den Sch�pfer dein,
weil andere V�gel schlafend sein
und nicht mehr m�gen singen:
la� dein Stimmlein
laut erschallen,
denn vor allen
kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
– – – – – – –

Und bald danach schliefen alle Grimmelshausen, Vieh, Knecht und Magd im gleichsam schlaftrunken sich bewegenden Haus. Der Mondschein flo� �ber sein Dach wie ein kostbarer Mantel aus Silber gewirkt.

Gegen Morgen wankte ein Zug von Zigeunerwagen vor�ber. Grimmelshausen h�rte es im Halbschlaf, und ihm tr�umte, auf einem Esel ritte dazwischen, geputzt wie eine K�nigin, die Hauptm�nnin, die Courasche. Im Traum streckte er aus der Faust der linken Hand den kleinen und den Zeigefinger, er machte das Abwehrzeichen gegen den b�sen Blick; denn die Courasche starrte mit starren Augen durch die W�nde des �Silbernen Sterns�.

 

Die Tage liefen herum wie im Kreis, so d�nkte es den Hans Christoffel bisweilen, weil die Ungeduld in ihm hauste und es ihm in der eigenen Haut oft zu eng wurde. Es war am besten, er ritt in die Weite. Er zog hinauf in die W�lder, und es war ihm, als habe er in ihrer Einsamkeit drinnen bereits einmal heimisch Bescheid gewu�t, ihre Furcht und ihre Pracht gekannt, das Leben der B�ume und die Art der Tiere, den unterschiedlichen Gesang der V�gel und das wechselnde Lied des Windes. Er fand zu Gott im menschenleeren Wald und zu Geistern, die ihn in abenteuerliche Bezirke dr�ngten, heidnische Welten um ihn stellten und wahnvolle Bilder wie Nebel an ihm vor�bertrieben.

Es st�rte ihn kein Werktag, wenn er durch die fast weglosen W�lder der Schauenburger und anderer Grundherren ritt. Er war der Reiter, der sich nach hohem Ziel sehnte; der Herr, dem alles geh�rte, was sein Auge sah: Land, W�lder, Seen, der Strom in der Ferne, H�fe im Tal und Burgen im Rund, Wild und Weid. Gro�e Tr�ume von Macht und Reichtum wurden zur Wirklichkeit, wenn er durch die W�lder ritt, durch den alten, endlosen Wald auf der hohen Moos.

Kein Wort rief ihn wach, kein Amt, keine Tagfahrt, keine Fuhre. Keine Frau erinnerte ihn an die sorgenvolle Gegenwart und die hohl�ugige Zukunft. Er lebte tief in der Vergangenheit, in der Ungebundenheit seiner jungen Jahre, wo er hart im Soldatsein wurde und viele b�se Erlebnisse, aber auch sch�ne Begegnungen hatte, und er lebte in einem sonderbaren Fieber �ber die abenteuerliche Vergangenheit hinaus, als wandelte vor ihm her sein zweites Leben, das er in einer anderen Ebene neben seiner Wirklichkeit gelebt haben mu�te. Er teilte sich, er wurde doppelg�ngerisch, ja doppellebig. Die h�usliche, liebenswerte Frau Kathrin daheim, des Wachtmeister-Leutnants wohlgeratene Tochter, ahnte so etwas Abgr�ndiges und Beunruhigendes nicht in ihrem Mann.

Manchmal zwar schien sie sein Geheimnis zu sp�ren, doch deutete sie es falsch, wenn sie halb gutherzig, halb mi�trauisch sagte: �Oh, oh, ich wei�, ihr ehemaligen Landsknecht seid mit allen W�sserlein gewaschen, blo� mit keinem sauberen.�

Und er gab aufblitzend dagegen an: �He nein, Kathrin, weil wir uns in allen W�sserlein sauber wuschen, gab es soviel schmutzige. Die Reue ist oft vor unserem Bett gestanden, wenn der Rausch noch im Nachwehen war, aber sie hat uns nit riechen k�nnen und ist davongegangen. Es war nicht m�glich, sie immer im Lager zu haben. Mannszucht kennt keine schlappe Reu. Reue ist eine schlaue Erfindung der Pfaffen. Sie macht sich ihnen meistens bezahlt. Mannszucht hat Hieb und Pfitz, wenn einer sie versteht. Es ist an sich jedoch keine Sache, die man genau setzen kann. Sie h�lt manches im Kriegslauf f�r recht, was sonst f�r schlecht gilt.�

Kathrin sagte: �Du redest und redest, und schlie�lich ist Schwarz wei� und dem Teufel wachsen Engelsfl�gel.�

Sie hatten es oft so miteinander, die beiden Eheleute. Kathrin schalt und keifte zwar nie, doch sie hielt mit dem nicht zur�ck, was ihr an Grimmelshausen ganz und gar nicht gefiel. Es hatte Hand und Fu�, was sie sagte, und Hans Christoph fand sie klug und sicher in ihrem Urteil. Sie ging im Tag auf mit Sinn und Herz, und in der Nacht schlief sie meist traumlos. Sie f�hrte ein irdisches, geheimnisloses Dasein, zuverl�ssig, tagwach, m�tterlich, treu in der Sorge.

Grimmelshausen besch�mte das bisweilen. Wenn er von den W�ldern herabritt, kam es ihm manchmal vor, als h�tte er von leidenschaftlichem Knabenspiel zu sp�t heimgefunden, er, der reife Mann und Vater vieler Kinder.

Das kommt vielleicht doch vom vielen Lesen. Die spanischen Schelmenm�ren, die M�nchsgeschichten, die B�cher der r�mischen Schriftsteller, das Theatrum Europaeum, die Flugschriften der Sittenprediger, die Trakt�tchen und Wundergeschichten, die Enzyklop�dien, all das �berall in Sammlungen und �bersetzungen zug�nglich, befruchtete seine Vorstellungskraft; aber er hatte auch solche Berichte, Erkenntnisse, Wissensdinge selber in sich. Was er von drau�en hereinlas in seine Welt der Gedanken, das n�hrte sie nur, das weckte sie nicht erst. Das Vielwissen machte ihm das Leben nicht leichter, sondern schwerer. Es teilte ihn, es gab ihm doppelte Lasten, und ein immerw�hrendes unruhiges Treiben beherrschte ihn m�chtig wie Ebbe und Flut. Wenn er in seinem Schreibst�bel sa� und die Feder emsig, kaum den Gedanken eilig genug, �bers Papier lief, lebte er sein zweites Leben.

In den W�ldern wurde das Ersonnene, Ausgesponnene lebendig. Am Mummelsee, von dem die Leute im Land so viel Sagen wu�ten, stand er oft und starrte in das moordunkle Wasser. Wie W�nde schlo� der Tannicht sich um die stille Tiefe. Er tauchte hinab in die abenteuerlichsten Gr�nde, in die gef�hrliche, unbegreifliche, qu�lende und doch verlockende Welt des Gegengottes und seiner Gesch�pfe des Unterirdischen.

Manchmal schien es ihm gef�hrlich zu sein, ein Buch an den Tag zu geben, das nicht nur erz�hlte, beschrieb und ausschweifte, sondern spottete, verurteilte und bekannte, das vielleicht, indem es viel Bosheit der Welt berichtete, nicht die Macht besa�, von der Bosheit abzuschrecken, sondern eher das b�se Beispiel in gr��ere �bung zu bringen.

Er hatte ein Buch vor, das wie eine Lebensbeschreibung scheinen sollte, aber nur scheinen. Des Simplizissimus Teutsch abenteuerliches Leben wollte er es nennen. Angst zehrte dann wieder an ihm, es k�nnte so viel Eigenes hineingeraten, da� sein wirkliches Leben hinter dem Scheine hervorleuchten w�rde, ohne da� es abzustreiten w�re. Dennoch plante er leidenschaftlich an diesem Werk. In den weiten W�ldern, auf dem R�cken des Pferdes, oder neben den W�ldern her �ber die alte r�mische Heerstra�e im Wagen fahrend, kam ihm vieles zu, was er in seinem Buch berichten wollte.

Wenn Kathrin in die obere Stube geriet, um den Dielenboden zu putzen, las sie manchmal merkw�rdige Zettel auf mit lateinischen Ausdr�cken, auch derbe deutsche W�rter fand sie, Bauernregeln, Sprichw�rter. Sie konnte leidlich lesen, aber sie sch�ttelte den Kopf und verwunderte sich, da� der Mann daran so viel Freude hatte. Der Magister Witsch, der Regimentssekret�r in Offenburg, der mu�te ja dem Hans Christoffel die Fl�he ins Ohr gesetzt haben. Wer sonst? Als sie den Musketier Grimmelshausen kennen lernte, den Schreibgehilfen des Doktors, da war er ihr nur sehr gescheit und stolz vorgekommen. Ehrenwert und strebsam hatte ihn der Vater genannt. Ihr schien er nicht anders als die anderen Soldaten von guter Art. Freilich hatte er ihr auch wenig gesagt von dem, was ihn erf�llte, weil er dem Weibervolk den Verstand daf�r nicht zutraute.

Mit Witsch hockte er auch in der Freizeit viel beisammen. Und Katharina hatte es einmal erlebt, da� die beiden bei ihrer Base, der Weinwirtin, t�chtig getrunken hatten und dabei in eine feurige Beredsamkeit gerieten, da� sie f�rmlich gl�hten vor Leidenschaft, und danach, �berm�tig geworden, kopf�berw�rts auf den H�nden gehend, durch die Wirtsstube gelaufen waren wie Hexenmeister. Katharina hatte nicht wie die anderen lachen k�nnen �ber die n�rrischen H�nse, sondern einen seltsamen Stich im Herzen versp�rt. Der Grimmelshausen hatte sie nachher mit einem noch von der Hitze roten Gesicht barsch gefragt, warum sie so �maulhenkolisch� herumst�nde. Derlei K�nste m�sse sie bei ihm noch mehrere gew�rtigen und auch gew�hren. Dabei ri� er seine Laute von der Wand, da� der Aufhenker zerfetzte, und sang und spielte ihr ein freches Lagerlied. Sie wandte sich aber mit rollenden Tr�nen ab und rannte in den Gang hinaus. Danach gab er sich reuig alle M�he, sie wieder aufzuheitern und sich von einer fast anmutigen Seite zu zeigen. So ging das hin und her schon in der Brautzeit. Er stie� sie ab und �ngstigte sie, und er lockte sie an und barg sie warm in seiner St�rke. Der Wachtmeister-Leutnant Henninger, ihr ehrenwerter Vater, sah in Grimmelshausen einen flei�igen, klugen und zukunftsreichen Tochtermann, denn die bisweilige Tollheit, die den Gelnh�user befiel, schrieb er dem Rausch zu und der schlimmen Jugend des sonst wohlgeratenen Mannes.

Johannes Witsch indessen sah vielleicht tiefer. Er versenkte mit nahezu liebender Leidenschaft in das wi�begierige Gem�t seines Lehrlings, des Musketiers Grimmelshausen, die Wurzeln seines eigenen Wissens und K�nnens und seiner lebenslustigen Weisheit. Er war ein Els�sser und hatte in Freiburg studiert.

Katharina sah ihn nicht gern in Grimmelshausens N�he. Sie sp�rte genau, da� der Mann stets ver�ndert war, wenn er ein paar Stunden mit Witsch verbracht hatte. Und sie glaubte, alles seltsame Tun, das Schreiben, das B�chermachen, das Briefewechseln mit Herren aus Stra�burg, es r�hre von Witsch her. Sie empfand ihn als Grimmelshausens b�sen Geist, und sie ha�te ihn bisweilen. Hatte der es denn weit gebracht, der Doktor Witsch?

Der Vater Henninger indessen sagte: �Er ist ein flei�iger und kluger Kopf, der Witsch, hab doch nichts gegen ihn, du dumme Gecksnas!�

 

Am Tag nach dem Traum vom Durchzug der gewesenen Hauptm�nnin Libuschka trieb es Grimmelshausen in den Sauerbrunnen. Er wollte wissen, ob sie wirklich abgereist war. Er hatte zudem in Bad Grie�bach zu tun, denn sie hatten im besten Gasthaus von ihm Wein bestellt, und er wollte h�ren, wann er ihn liefern k�nnte.

Es war die Zeit, da es im welschen Bad, wie der Sauerbrunnen allgemein hie�, von Stra�burgern und Franzosen wimmelte. Von �berallher kamen sie zu Ro� und Wagen, mit Sonderpost oder eigenen Gespannen, ja auch zu Fu� zog es manchen heran, der sonst nicht viel in der Tasche hatte, aber im Bad der vornehmen Welt und der freien Lebenslust mancherlei Vorteil f�r sich erhoffte; denn wo sich die Reichen heilen und vergn�gen, zieht es auch die Scheinreichen hin, und wo es Gelegenheit zu gro�em Auftreten gibt, sind die Schauspieler da, aber auch die Kom�dianten und Schmarotzer. So hielt in den beiden Zwillingsb�dern Peterstal und Grie�bach das Leben seinen buntesten Markt ab.

Wenn auch das s�uerliche Heilwasser der unteren und der oberen Quelle durch Baden und Trinken wirklich von allerlei Bresten und �beln des Gebl�ts und der Glieder befreite, so trafen sich beim Bade oder bei der Trinkkur nicht nur Leidende und Abgelebte, sondern daneben viele frische und wohlgeartete Gestalten beiderlei Geschlechts, die zumeist auf eine ziervolle und elegante Art franz�sisch parlierten und oft noch viel zu jung waren, um bereits eine Badereise f�r abgehauste Nerven oder sonstwie besch�digte Leibesbeschaffenheit n�tig zu haben. Es hie�, da� kluge Stra�burgerinnen aus b�rgerlichen Geschlechtern es als Bedingnis in die Ehe forderten, einmal im Jahr ihre Kr�fte und S�fte im Sauerbrunnen zu Grie�bach st�rken zu d�rfen, und es brauchte dann nicht immer in Begleitung des Ehemanns zu sein. Nein, ein Ort unbedingter Tugend oder ein Ort ernster Leidensmienen war der Sauerbrunnen nicht, besonders nicht zur Zeit des Hauptbetriebs. In den stilleren Wochen vor dem Mai oder nach dem September hinkten oder schlichen mehr Kranke und Heilungsuchende durch die gepflegten Wege zu B�dern und Brunnen und Gastst�tten. Das s�uerliche, lebendig sprudelnde Wasser war weithin bekannt als sehr heilsam. M�nche hatten ehedem seine Kr�fte entdeckt und sie verk�ndigt und ausgen�tzt. Danach hatte eines Tages ein Welscher Bauten um die Quellen errichtet und das Gesch�ft damit begonnen.

Der ehemalige Schauenburgische Schaffner, jetzt der freie Wirt und Herr auf der Spitalb�hne, war kein reicher Mann, aber er trat so sicher und kundig auf wie ein Grundherr mit G�tern und Zehntleuten. Wenn er irgendwo hoch zu Ro� erschien, hoben die Bauern und B�rger die K�pfe und gr��ten ehrerbietig. Manche Abergl�ubischen munkelten, er habe den b�sen Blick, und streckten heimlich aus der geschlossenen Faust Zeigefinger und kleinen Finger als Abwehrhorn gegen ihn, um sich vor dem Unheil zu sch�tzen.

�berhaupt gingen viele wispernde Gespr�che �ber ihn um durch die Landschaft. Er war nicht sehr beliebt bei den Dienstleuten der Schauenburger Freiherren und Junker, obschon er sich oft f�r sie verwendet hatte, wenn sie nicht zinsen und zehnten konnten. Er hatte etwas Fremdes an sich, nicht mit Fingern war darauf zu weisen, noch war es in Worten zu sagen. Es lag in seinem Blick, vielleicht auch in seinem Anzug. Er trug sich ein wenig eitel nach der Mode, wie man sie im Sauerbrunnen beobachten konnte, und bisweilen hatte er sogar Ringe in den Ohren, nicht nur an den Fingern. Und wenn er geritten kam, so h�tte ihn selbst der Graf Reinhardt um das sch�ne, edle Ro� beneiden m�ssen.

So ritt er in Grie�bach ein, warf einem Knecht vor dem Gasthaus die Z�gel zu und schritt die Staffel hinauf wie daheim. Die Sporen klirrten, und die Reitstiefel krachten unter seiner Wucht. Er betrat die Gaststube. Da sa�en die Kurg�ste an Tischen mit Linnen gedeckt und mit Blumen geziert und a�en zu Morgen. Grimmelshausens Augen blitzten hurtig �ber die neugierigen Gesichter der Fremden hin, w�hrend er sich ruhig zu dem Schenktisch begab, wo er den Wirt oder die Wirtin zu treffen hoffte. In diesem Gasthaus hatte auch die Hauptm�nnin Quartier genommen. Sie war mit eigenem Wagen und kostbarem Gespann aufgezogen, mit Dienern und M�gden und vielen K�sten voller Kleider und Schmuck. Das hatte er l�ngst erfahren.

W�hrend er durch die Gaststube schritt, befiel ihn ein hitziges, dummes Gef�hl, als ertappte er sich selber auf Abwegen. Lief er etwa der Hauptm�nnin nach? Aus b�sem Gewissen oder aus Neugierde?

Manchmal trieb es ihn so. Er gab sich dar�ber vergebens Rechenschaft. Die Hauptm�nnin war wirklich abgereist, er erfuhr diese M�r von der Wirtin ohne sonderliche M�he. Hals �ber Kopf abgereist, hatte die Frau gesagt.

Da die Wirtsleute sich ihm gegen�ber nicht anders gaben als sonst auch, brauchte er sich keine Sorgen zu machen, die Hauptm�nnin habe ihm Schlimmes nachgesagt, wom�glich Verlogenes, um ihn in der Leute M�uler zu bringen; denn da� ein langes Kriegsleben in jungen Jahren keine Heiligen pflanzte, das hatten die Leute vergessen, sobald der Westf�lische Frieden dem drei�igj�hrigen Totentanz vorl�ufig Halt geboten. Und wem etwas aus der rohen Zeit nachlief wie der Schatten einer unguten Zeit, dem konnte jetzt �ble Nachrede Haus und Hof, wenn nicht gar den Kopf kosten. Ob verlogen oder verdreht oder ob es blanke Wahrheit war, was �ber einen getuschelt wurde, danach fragte das Fl�stergericht nicht viel. Die Ehre ist schnell abgeschnitten. Grimmelshausen hielt scharf auf seinen ehrbaren Namen, besonders seit er in Offenburg gleichsam in Ruhe geraten war, noch ehe der Krieg zu Ende gekommen.

Stufe f�r Stufe hatte er sich heraufgeschafft aus der Ruhelosigkeit, aus der Heimatlosigkeit, und es war kein leichter Weg gewesen f�r einen Tro�buben, �ber einen Dragoner oder Musketier hinaus Regimentssekret�r zu werden und danach Schaffner bei seinem Befehlshaber, als sie beide den Soldatenrock ausgezogen. Nun, er hatte dem Schauenburger und seiner Sippe so recht wie nur m�glich �das Sach� verwaltet. Da� es nicht allen recht schien, war es ein Wunder in der Zeit nach der gro�en Not und Zerst�rung, wo ihm selber die W�nsche nach eigenem Hof und Haus �ber das Verm�gen, ja �ber den harten Willen stiegen, ihm im kleinen, den Herren im gro�en?

Geduld – die lernt sich nur in lauen Zeiten, Krieg macht ungeduldig. Das Blut ist j�her danach.

Grimmelshausen warf sich nichts vor, als da� er zum Bauernschinder nicht tauge. Er war auch zu wenig dem�tig, nach oben zu buckeln. So kam er um die ehrenwerte Schaffnei. Dazu h�tte er auch noch um seinen guten Namen kommen m�gen durch die ehemalige Hauptm�nnin, die zur gro�en S�nderin der wandernden Heerlager wurde. Das ganze Renchtal h�tte von ihm geschw�tzt, und f�r die gute Katharina w�re es eine harte Pr�fung gewesen.

Sonderbar, im Schreibst�bel reizte es ihn, seinen Helden Simplex im werdenden Buch durch alle Untaten und Frechheiten zu ziehen. Es war kein Geheimnis schlimm genug in seiner halb aus eigener Erinnerung, halb aus den Berichten anderer gespeisten Vorstellungswelt, er mu�te es den Simplex erleben lassen, und geriet dabei auch vom Dichter soviel hinein in die verdichtete Gestalt, da� es den Lesern verd�chtig vorkommen mu�te.

Im wirklichen Leben aber, im Alltag, den er mit wichtigen Schritten ausma� wie ein braver, stets f�r das Recht besorgter Mann, mied er das b�se Scheinen und f�rchtete die schlimme Nachrede.

Seine Sehnsucht nach geordnetem Dasein lag ihm im Blut. Die b�rgerlichen Ahnen in Gelnhausen im Spessart, die B�cker und Wirte und Rebbauern, die Besitztum und Ehrenamt liebten, die waren sehr stark in ihm wirksam. Die Adelsahnen beunruhigten ihn mit Ehrgeiz und Hochmut. Er sp�rte das alles genau. Wenn er hinter dem Wein sa� und �ber den Durst trank, geriet er �ber das alles in eine st�rmische Beredsamkeit, sobald ihm jemand zuh�rte. Bei hellen Sinnen h�tte er sich gesch�mt, w�rde er sich so blo�gestellt haben. Man sagt, Kinder und Betrunkene kehren aus sich heraus, was innen ist und sich regt. Und so verriet er, was er sonst bezwang. Verriet das gleichsam doppelt; denn das Schreiben geschah doch auch in einem Au�ersichsein wie im Rausch. Er glaubte sich freilich gut geborgen. Seine B�cher sollten auch nicht mit seinem richtigen Namen gezeichnet werden, falls sie einen Verleger f�nden. Der Nagel in Stra�burg machte nicht vorw�rts, dem sa� die Zunft der Buchdrucker neidisch auf, weil er kein Z�nftiger war. Wenn er einen Verleger f�nde, so sollte kein Mensch wissen, da� der Wirt zum �Silbernen Stern� zu Gaisbach, ehemaliger Schauenburgischer Schaffner, gewesener Regimentssekretarius, Kroatenjunge und rotziger Musketier in den Heerlagern, der Verfasser des Buches sei oder der vielen B�cher, die er noch im Kopf hatte. Geheimnisvoll sollte alles bleiben, er f�rchtete vor allem unangenehme Heimsuchungen durch l�stige Frager und Horcher. Denn mu�te er auch sonst bisweilen fromm sein – im Innern vor seinem Herrgott war er es tief und unbeirrbar –, so ging es in seinem Dichten toll zu, weil es so Wirklichkeit war in der Zeit seines Handelns und Wandelns, weil die Kriegsfanfare eben keine sanfte Hirtenweise blasen konnte, weil das Trummtrumm der Landsknechtstrommeln kein Wiegenlied war, weil die Pest und die Folter nicht wohlgef�llig unter den Menschen w�hlten, sondern b�s und t�dlich, weil die S�nde gern in wilden Lagern lebte, wo der Tod die W�rfel warf, und weil die H�lle nicht grausam und d�ster genug geschildert werden konnte, damit der Himmel Gottes um so reiner strahlte.

Merkw�rdig, das qu�lte den Grimmelshausen bisweilen, da� es so leicht fiel, dem B�sen, dem Grauen Worte und Bilder zu schaffen, da� es dagegen so schwer hielt, f�r das Licht und die Seligkeit des Himmlischen die Sprache und den Glanz zu finden, da� man glaubte hinaufzuschweben. Fallen ist eben nat�rlicher f�r das Menschenwesen als Schweben.

Der Wirt vom �Silbernen Stern� lebte im Alltag wie die anderen Wirte auch. Er trank, zog Wein, er handelte, ging auf seine �cker und betreute seinen Hof, er marktete und werkte, er schrieb f�r Schreibunkundige und machte Bittschriften und Vertr�ge, er schritt, ritt, fuhr �ber Land, ja er tanzte, wo aufgespielt wurde und ihn die Lust ankam. Er war wie die anderen auch. Doch wenn er sich zur�ckzog, wenn ihn der Rappel packte, dann war er ein Einziger.

Die langen Winter kamen ihm zupa�. Oft auch war es still im Wirtshaus, denn es lag nicht an der gro�en Stra�e. Katharina verstand mit den gr��eren Kindern vorteilhaft zu schaffen. Er fiel dann als Arbeitskraft nicht allzusehr aus. Der Gro�e, der �lteste Sohn, glich Christoffel am meisten. Manchmal schaute ihn der Vater sinnend an und sagte bei sich: �So mu� ich einmal ausgesehen haben, und in seinem Alter war ich bereits in der Fremde, im Kriegstrubel!�

Er lehrte fr�h schon diesen Buben Lesen und Schreiben, sonder M�he; der war scharf. Die Kinder lernten �berhaupt leicht, sie hatten den Trieb dazu, auch die M�dchen. Katharina brauchte sie nicht zu ermutigen. Wenn die M�dchen in des Vaters B�chern im Schreibst�bel heimlich st�berten und sie kam dazu, fielen Streiche aus lockerer Hand. Nur die frommen Schriften lie� sie gelten. Von den Buben hoffte sie wohl, einer m�chte Pfarrer werden. Dazu sollten sie gebildet sein. Der �lteste sagte stets, seit Jahren schon: �Ich werde Offizier, keiner kann mir's ausreden. Und reich will ich auch werden�, sagte der schmale, aufgeschossene Junge mit der vornehmen Nase im langen, blassen, leicht rot werdenden Gesicht. Sein Haar bauschte sich �ber der hohen Stirn wie eine goldene Fahne mit r�tlichem Schimmer.

�Das ist in Ehren nicht gerade leicht�, knurrte der Vater, dessen Gl�ck und Elend dieser Wunsch gewesen, seit er erwachsen war.

Katharina sch�ttelte nur den Kopf und dachte, den Hochmut, den haben die Kinder von ihm. Sie wollen hoch hinaus und sind doch rechte Habenichtse.

Katharina sch�tzte nichts, was sie nicht z�hlen konnte. Die anderen, vorab der Mann, der sch�tzte alles, was er nicht hatte. So glaubte sie es.

Nun, das war dem Mann nicht abzustreiten, da� er f�r seine Familie sorgte, so gut er konnte. Katharina hatte ein sch�nes Hauswesen bekommen, ein eigenes Dach �berm Kopf, Land, ja gutes Flachsland, ihr gro�er Stolz gedieh darauf. Sie hatte aber auch eine gesegnete Hand. Blumen gediehen ihr wie ihre Kinder, und ihre Tiere jungten gl�cklich. Es war nicht ihre Schuld, wenn sie zuweilen mit dem Geld in Bedr�ngnis kamen. Vielleicht lag es daran, da� die Familie gro� war, aber mehr noch daran, da� der Mann manchmal einen Rappel bekam und pl�tzlich ausw�rts, im Bad hinten etwa, mehr ausgab, als er danach durch peinliche Sparsamkeit wieder einholen konnte. Er spielte den gro�en Herrn, er fand wom�glich aus einem herrlichen Traum, der ihm auf einsamem Ritt kurzweilig die Zeit versch�nt hatte, nicht gleich den Weg in die Wirklichkeit zur�ck, wenn er einkehrte, wo geschm�ckte Damen und wohlgekleidete Herren beim Imbi� sa�en und es ihm nicht einfiel, in die �Pfennigstube� neben dem Saal zu gehen, wo die einfacheren Leute, die Vor�bergehenden getrennt von den Badeg�sten, ihrem Hunger und Durst den Garaus machten. Auch in Stra�burg rutschte ihm gern das Geld �ppiger aus dem Sack, als es eigentlich durfte.

H�tte er nicht bisweilen so hausen d�rfen, er w�re In der Enge erstickt oder seiner Unruh nachgelaufen, von allem daheim fort. Die Herren zu Stra�burg, die gelehrten und die schreibkundigen, merkten auch sonst, da� der Grimmelshausen ein Besonderer war. L�chelten sie trotzdem manchmal �ber seine gelehrten Umst�nde im Sprechen und Schreiben, weil er ja kein Hochsch�ler gewesen, sondern nur ein Bildungsbeflissener, der sich auch einmal eine Bl��e gab, so achteten sie doch auf seine geistvolle Art, Einf�lle darzustellen und mutig eine Sache des Geistes ins praktische Leben einzubauen wie eine leuchtende Zelle. Er war so gesund im Empfinden und Wollen, und er begriff so tatbegierig das Brauchbare aus den B�chern als Mittel zum Zweck, da� er es unbek�mmert anwandte. Was machte es aus, da� der andere, bei dem er es einmal gelesen, schier vergessen war, er aber, wenn er es neu niederschrieb, einen anderen Ton hineinbrachte, den Ton, der lebendig zum Volk sprach, dem er die B�cher schrieb, den Ton, der die Zeit durchdrang und erweckte. Was machte es aus, da� einige Kritiker sagten, er habe fremde Quellen allzu deutlich in seine eigenen Matten gelenkt? Doch was sie von den alten Schreibern nicht mehr wissen wollten, vom neuen Verk�nder nahmen sie es an wie nie Geh�rtes und Gelesenes. Seine Stimme drang durch.

Zwar hatte die erste Schrift, die vom Satyrischen Pilgram, noch keinen gro�en Widerhall gefunden, und keine Ermutigung kam ihm so zu aus dem Erfolg; aber es war auch noch keine hinrei�ende Neuheit in dem Werk, nur ein starker und wachsamer Gedanke. Er wollte die armen Bauern lehren und st�rken im Werk und im Wissen. Er schrieb im Geist seiner Zeit, verbarg das Deutliche hinter Abenteuerlichem und das Wahre hinter der Maske des Spottes. Es war die Zeit der Per�cken und der �-la-mode-Haltung der Kleider und der Seelen. Er ging dagegen an, um des Deutschen willen. Auch sein Nachbar, der Els�sser Moscherosch, der sich als Dichter und Eiferer Philander von Sittenwald nannte, brauste dagegen an. Als Grimmelshausen sicherer wurde, vorab sicherer im Vertrauen auf sein eigenes K�nnen, lie� er ab vom Vorbild seiner Anreger und Vorl�ufer, deren B�cher er so leidenschaftlich gelesen, ja gefressen hatte, wie die gotischen Engel und Evangelisten Spruchb�nder in sich aufnahmen, und ging ans freie Schaffen.

Wenn er jetzt in seinem Schreibst�bel sa�, damit kein Kind und kein Weib, ja auch kein ratsuchender Bauer oder sich langweilender Gast ihn st�ren konnte, begann er aus dem Vollen zu sch�pfen, m�hsam den heftig wogenden und brausenden Strom seiner Bilder und Gedanken in geordneten Ablauf b�ndigend, und schrieb an seinem gro�en Buch des Simplicius Simplicissimus, der als Knabe von Kroaten gefangen wurde und durch tausend Abenteuer, Gefahren, Mutwilligkeiten, Freuden, L�ste, S�nden und Bu�en als Soldat, Dragoner und Musketier sich bew�hrte, ein Mann wurde, dem nichts Menschliches fremd geblieben, auch die tiefe Schwermut nicht, die den Unb�ndigen bef�llt, wenn er Gott sp�rt und ihn zu begreifen sucht, ihn austastend durch die R�ume und Tr�ume fernster Glaubensformen.

Ach, da� der Wahn betr�gt, das hat wohl der M�nch Guevera geschrieben in abgr�ndiger Erkenntnis der einzigen Best�ndigkeit des Unbest�ndigen in der Welt, aber mit Erfahrung und Grauen hat es der Soldat des Drei�igj�hrigen Krieges, Grimmelshausen, am eigenen Leib versp�rt und es an anderen geschehen sehen. Er hat es im erregten Wesen seiner Gesichte geformt gesehen, beispielhaft, und es in raschen Zeilen niedergeschrieben f�r eine sp�tere Verwendung.

Wenn er diese hingestammelten S�tze �berlas, lang sp�ter einmal, so atmeten sie noch ihre Fieber �ber ihn aus. Ungebrochen wie ein Fakir sog er diese Gesichte in den Worten aufbewahrt wieder in sich und verwandelte sich aus dem Grimmelshausen, dem sonst so vern�nftigen, tagwachen und lebenst�chtigen, lustgierigen und habs�chtigen, bald gro�m�uligen, bald verbissen schweigsamen Wirt zum �Silbernen Stern�, in Simplex, den seltsamen Helden seines gro� geplanten, neuen Buches. Da sollten sie staunen, die Leser und Gelehrten, die schreibkundigen Zeitgenossen! Da sollten sie etwas zu knacken und zu bei�en haben, zu verdauen oder auszuspeien, etwas Einziges, nie Dagewesenes: eine riesige Marktschreierei mit unverw�stlichem Wesen im Innern der Ware; eine Wirklichkeit, die zu wahrhaftig war, um mit der Feder und dem Geist allein erfa�t zu werden, sondern mit Blut durchstr�mt und zwischen Himmel und H�lle gespannt wie die Erde selber mit ihrem Festen und ihren Meeren!

Das alles sollte beschlossen sein in der Lebensbeichte des Simplicissimusbuches. Das wollte der Grimmelshausen so in g�ttlichem Ehrgeiz und in einbildungstiefer Angriffslust.

Es war nichts anderes mit ihm geschehen, so sah es f�r Au�enstehende nachher aus, als da� der Geist des Sch�pferischen einen Soldaten an die Hand nahm, ihn auf einen Berg f�hrte und ihm sagte: Schau um dich, hinter dich und in dich, und dann berichte.

Der Berg aber, welch ein Wunder, kam im Traum zu dem Mann in die Stube, und was er von ihm herab sah, um sich, hinter sich und in sich, war eine gro�e Wirklichkeit. Es war der geistige und menschliche Raum seines Gestalters in seiner Zeit.

So sa� der Wirt im stillen Gemach �ber der Schenke, �ber den K�pfen kartenspielender Bauern und reisender Kaufleute oder kriegsverletzter Landsknechte und schrieb und plante und las und schaute. Er wu�te nicht ganz, was ihn eigentlich trieb und wie es ihn begnadete; aber er wollte viel und errang es. Es kam nicht von ungef�hr. Er wollte wirksam sein �ber die Zeit hinaus und k�mpfte mannesmutig darum.

Manchmal konnte Katharina in Verzweiflung geraten, wenn an Markt- oder Amtstagen die Stube voller G�ste sa�, die nach dem Sternenwirt fragten, w�hrend er sich ins Schreibst�bel eingeschlossen hatte. Sie wu�te, da� es oft ganz gottloses Zeug war, das er niederschrieb. Mit Entsetzen las sie die furchtbaren Auftritte des Bauernschindens, mit Abscheu viele Streiche, die der Simplex machte. oder die mit ihm gemacht wurden, und mit erschauernder Scham die nackten Spiele der Liebe. Er betete nicht, drum war es wohl ein b�ses Werk, das er schrieb, dem Teufel zu Dienst. Was hatte der Mann hinter sich! Es wei� niemand, was hei� ist, der nicht selber beim Ofen gesessen.

Und Furcht befiel sie, wenn sie daran dachte, da� er auch in Wirklichkeit einmal in seiner Jugendzeit, als er mit Horden raubend und pl�ndernd herumgezogen, grausam gewesen sein k�nnte. Sie stellte sich seine Vergangenheit voller R�tsel und Schatten vor. Der Vater lachte, wenn sie ihm davon sprach.

�Kind, denk doch, ein B�sewicht wird doch nicht von heut auf morgen ein braver, zuverl�ssiger Regimentsschreiber und noch weniger ein so ordentlicher Hausvater wie deiner!�

�Woher kommt ihm aber so viel deutliches Wissen um das B�se?�

�Er hat eben scharfe Augen, ist weit herumgekommen, hat sich oft gegen das B�se wehren m�ssen und ist dazu mit einem guten Ged�chtnis gesegnet.�

Wenn der alte ehemalige Wachtmeister-Leutnant von Zabern her�berkam, wo er ein t�chtiger Schaffner und Ratgeber des Bischofs von Stra�burg in Wirtschaftsdingen nach dem Krieg geworden war, so versah er in Renchen, dem Marktflecken in der rechten Rheinebene vor dem Wald, erst seine Amtsgesch�fte; denn der Ort geh�rte zum Bistum Stra�burg. Dann wanderte oder fuhr oder ritt er, wie es sich gerade gab, das Renchtal hinauf, bis er, untertags in manchem Zehnthof und mancher Meierei ankehrend, auch bei Kriegskameraden und Pfarrherren mit Botschaften und Gr��en verweilend, nach Gaisbach kam zu seiner Tochter Katharina. Er war ein beliebter Mann, hochgeachtet und wohlempfangen, wo er einkehrte.

Die Leute meinten, er habe Sehnsucht nach den Enkeln, weil er mit Kindern gern Sp��e machte, aber er hatte auch Verlangen nach dem langen Burschen, dem Tochtermann. Er konnte ihn gut leiden, weil er so kurzweilig war, auch weil er in schwierigen Amtsdingen mit Steuer, G�lt, Zehnt, ja in Rechtsdingen ein gescheites Urteil zu finden wu�te, wo der Alte den Karren verfahren w�hnte. Der gewesene Regimentsschreiber und erfahrene Schaffner einer gro�en unterschiedlichen Herrschaft kannte viele und rasche Wege zu Vorteil und Recht. Ein Richter war an ihm verloren gegangen. Er war gerieben und gerissen, doch verstie� er nie im Raten und Helfen gegen das lautere Recht und Gewissen.

Und beim Wein war er so witzig und so voller Schnaken und Schnurren, da� der Wachtmeister-Leutnant, der doch auch einst dabei gewesen, wo man einander das Wei�e im Auge beschaut hatte, das hei�t, wo Kampfget�mmel getobt hatte, ordentlich jung wurde und hei�lief. Er fand das ges�nder f�r sein dick fliehendes Blut als einen Aderla� beim Feldscher.

 

Obschon Grimmelshausen auch mit den Schauenburgern nach dem Verlust der Schaffnei wieder in ein gutes Verh�ltnis kam, vorab mit seinem ehemaligen Kriegsherrn Reinhardt von Schauenburg, gefiel es ihm nicht mehr recht im Tal. Auch sonst f�hlte er eine Leere in sein Dasein rinnen, vielleicht weil es ihm an Aufgaben fehlte, die in die Allgemeinheit wirkten. Er war immer noch ehrgeizig genug, mehr zu tun und zu gelten als ein einfacher Gastwirt und Rebmann an einer Seitenstra�e des Lebens, und es wurmte ihn manches, das ihm nicht gelungen schien in seinem Tun und Trachten. Mit dem B�cherschreiben gar kam er nicht so rasch zu Ruhm, wie er es erwartet hatte. Zwar schaffte er in allen Stunden, die er sich aus dem Werktag stehlen konnte, und es waren ihm bereits tolle und merkw�rdige St�cke geraten. Er schrieb zuweilen einfach nieder, was ihm an Gedanken und Geschichten einfiel, um es sp�ter in den Roman vom Drei�igj�hrigen Krieg einzubauen.

Da sa�en ein paar Leute in der Wirtschaft, Bauern oder Landstreicher, Theriakkr�mer oder Geschirrh�ndler, und erz�hlten sich Geschichten aus aller Welt, aus allen Zeiten, die sie irgendwo einmal vernommen oder gar selbst erlebt hatten. Es waren die reinsten Wunderm�renkr�mer darunter. Der Sternenwirt sa� dann dabei, lauschte und schaute den Leuten aufmerksam �aufs Maul�. Bauern gab es, die kannten alle Sagen aus der Gegend und alle Hexengeschichten und Teufelspossen. Wie tief steckten sie noch im Aberglauben!

Grimmelshausen lehnte lachend jeden Aberglauben an umgehende Gespenster ab. Sterndeuterei wie Wahrsagen galten ihm als Zigeunerschwindel. Dennoch blieb er diesen unfa�lichen M�chten wider seinen klaren Willen seltsam verfallen. Er nannte sie bei Namen, um sie zu entlarven, um sie zu bannen; aber er wirkte nicht mit �berzeugender Kraft gegen sie. Zumal in seinen Schriften �bten sie ihr Wesen aus, wenngleich er glaubte, er k�nne ihre Unwirklichkeit mit b�sen Tr�umen begr�nden. Er hatte bereits das grausige Kapitel eines Hexentreffens in der Walpurgisnacht zu Faden geschlagen. Nat�rlich wu�te er gut, da� solche Berichte den Lesern wohlgefielen; alles, was mit der Liebe, dem Aberglauben und dem Abenteuer zusammenhing, die deutlichsten Handgreiflichkeiten, die grausamsten Taten, die unglaublichsten Verwandlungen und Behauptungen konnten dem Leser berichtet werden, der, �ber das Buch gebeugt, in sicherer Stube sa�. Je wilder und lebhafter es zuging, um so st�rker wirkte die Schrift. Zwar liebten die Leute zugleich auch neben den derben St�cken die gesch�nten, gestelzten Liebesm�ren und -abenteuer � la mode, wobei Tr�nen der R�hrung vergossen werden konnten, und wo alles gut ausging, so verwickelt sich die Dinge auch anf�nglich anlie�en. Der Sternenwirt kannte sich auch in solcher Kunstfertigkeit aus.

Er wollte, indem er den Spiegel der Wirklichkeit zeigte, die Verzerrung des B�sen in vielen Einzelheiten abschreckend schildern. Um so erl�sender sollte das Gute als Sehnsucht in den Lesern erweckt werden, die sich nachdenklich von den Geschehnissen im Buch des Lebens trennen, um besser zu werden; aber da es ein Buch des Lebens war, das er im �Simplicius� niederschrieb, sprach es zum Lebendigen nicht von der Verg�nglichkeit und dem Wahn des Best�ndigen, sondern von dem waghalsigen Leben der Lust und S�nde, wie es dem bewegten Dasein der Zeit gefiel, und er war damit nicht der einzige, der mit allen zu Gebot stehenden Ausdr�cken ins volle, warme und oft grelle Dasein griff. Er war jedoch der einzige und erste, das wu�te er, und das wollte er, der es als ganzes Buch fa�te in langer, gro�er Erz�hlweise um einen Kerl gesammelt, der zwischen Dichtung und Wahrheit aufwuchs, ein Simpler und ein Hans Jakob Christoffel.

Es war noch nicht lange her, kein Menschenalter lang, da� sie Leute wie ihn als Hexenmeister und Teufelsh�rige verbrannt hatten. Etwas von der abergl�ubischen Furcht dieser entsetzlichen Schaugerichte machte auch ihm noch die Kehle eng und die Stirn kalt unterm Schwei�. Er wu�te um das Besondere in sich, das trieb und dr�ngte und trachtete, geheim zu bleiben und doch sich zu offenbaren. Sah er nicht nach au�en hin aus wie andere auch? Er war ein guter Wirt, ein treuer Vater, ein ehrlicher Ro�- und Weinh�ndler, Makler und Berater.

Dahinter standen jedoch die Stunden eines anderen Lebens, die gebannten, in denen er im Schreibst�bel eine fremde Welt zu sich rief und sie beschrieb wie in kaltem Fieber. Von dieser Leidenschaft konnte er nie mehr lassen. Sie stand �ber der Liebe zu Kathrin und den Kindern, sie stand �ber allem, was er betrieb, um das Dasein zu fristen. So konnte Grimmelshausen ob seinem merkw�rdigen Trieb zum Schreiben ins Gr�beln geraten, ja unterm Albdruck stehen wie ein Gebannter.

Bisweilen stieg dem Sternenwirt ein Rausch zu Kopf, den er sich nicht beim Wein geholt hatte. Er sah sein Leben an seit seiner Eheschlie�ung, und es d�nkte ihn allzu ruhig. Es war in das Tal gem�ndet, das wie eine Sackgasse in den W�ldern endigte. Es war in ein Wirtsdasein gem�ndet, das um kleine M�nzen froh sein mu�te. Es war in eine Heimat geraten, die ihn allzu fest an den Platz schlo�, wo die Familie sa�. Gegen diesen Auslauf seines Lebens wollte ihn manchmal der seltsame aus der gro�en N�chternheit eines Werktages aufgl�hende Rausch widerst�ndig machen. Niemand ahnte, was in ihm vorging, er f�hlte sich unheimlich und bang in diesem Zustand der Unzufriedenheit und der Sehnsucht nach einem weiteren, wirksameren Leben. Er versetzte sich in die Soldatenzeit zur�ck, dachte an seine fr�hen Abenteuer inmitten der Heerlager, nicht an jene fast ruhigen Jahre in Offenburg, wo er auf den Stadtw�llen und in der Amtsstube Regimentsdienste getan. Es hatte zwar auch da noch gef�hrliche Augenblicke gegeben, aber sie bedeuteten ein Kinderspiel gegen die wilden Jahre vorher.

Wenn er seine S�hne ansah, den gro�en, schmalen Franz Christof, der jetzt ins sechzehnte Jahr ging, den Hansfrieder, der zw�lfj�hrig war, den siebenj�hrigen Karl, so suchte er sich selber in ihrem Wesen und Aussehen zu erkennen. Sie waren wild und sannen stets auf Streiche; dennoch betrugen sie sich unter den Augen der Leute seltsam gesittet, schier wie Herrens�hne. Das gefiel ihm, und suchte er sein Heil aus der rauschhaften Verwirrung solcher Stunden im Anblick der S�hne, so war ihm bald geholfen. Es beruhigte ihn, wie gut sie gediehen, und es erf�llte ihn, weil er in ihnen eine bessere Zukunft sah. Sie wuchsen gl�cklicher auf als er, sie hatten eine sehr gute Mutter, denn die Katharina verstand es, sie zu kleiden, zu lenken und zusammenzuhalten.

Zuweilen war sie die reinste Wundert�terin. Grimmelshausen fand dies besonders an Sonntagen, wenn sie mit den Kindern in die Kirche ging. Er stand meist auf der Staffel und schaute ihnen nach. Da zogen sie hin, die Buben und die M�del, alle gut gekleidet, nicht einmal b�urisch, sondern mit st�dtischem Schick, ohne protzig oder �bertrieben zu sein, und Katharina schritt stolz unter ihnen. Ihre weiten R�cke rauschten f�rmlich und wippten anmutig um die Kn�chel, und der Wind wehte ihr unter der Haube das gelockte Blondhaar hervor, da� dem nachschauenden Besitzer von soviel h�uslichem Segen das Herz jung gegen das alternde Gerippe stie�. Da� er es noch mit der Liebe hatte nach so viel Ehejahren, das machte ihm schier hei�; aber die Katharina behielt eben so viel Jugend und Anmut, obschon sie streng arbeiten mu�te, da� sie ihm nie aus dem Sinn kam, auch wenn er einmal die Augen dorthin schweifen lie�, wo ein fremdes Frauenzimmer mit seiner Anmut spinselte. Er hatte viel Liebschaften ehedem erlebt, er wu�te aber, da� Katharina hoch �ber allen stand.

Einmal verwarnte er die Frau heftig, als er sie in seinem Schreibst�bel �berraschte: �Du sollst das nicht lesen, das ist nichts f�r dich!�

Da schaute sie ihn gro� und fast b�se an und sagte mutig in sein zorniges Gesicht: �Was du nicht willst, da� ich es tu, das f�g auch keinem andern zu!�

Er starrte sie erst an, fa�te ihre Worte nicht gleich, dann aber begann er schweigend auf dem Tisch herumzukramen. Endlich meinte er, ohne aufzusehen: �Du, Frau! Ich wollt', ich h�tt' dich zur Mutter gehabt.�

Es kam keine Antwort, denn Katharina hatte l�ngst, leise wie sie war, die Stube verlassen.

Wie oft besch�mt und besiegt sie mich! dachte er, und das Blut scho� ihm vor Scham abermals in die Stirn.

Nach solchen raschen Auftritten war der Mann der Katharina Henninger willig und flei�ig in der Wirtschaft und im Hofwesen. Es gab dann ein paar sehr aufger�umte, h�usliche Tage und N�chte im �Silbernen Stern�.

Die Kinder sp�rten es gut, der Vater war bereit zu allerlei Erf�llungen. Auch erz�hlte er dann gern aus seiner sonderbaren Knabenzeit, und wenn abends die Mutter und die gro�e Anna Dorothee mit der Magd noch am Spinnrad sa�en, so sangen sie. Grimmelshausen wu�te viele Lieder, hatte es auch nicht verlernt, aus der Laute zu begleiten. Dann waren sie froh, wenn keine G�ste kamen, h�chstens Freunde wie der Schaffner Ulrich Bruder aus der Nachbarschaft oder der Stelzfu� Springinsfeld, der ehemalige Trommler, ein Schwob aus Schw�bisch-Gm�nd, welcher eine Zeitlang in Oppenau im Renchtal h�ngengeblieben, der so viel lustige M�rlein aus dem wilden Schwedenkrieg wu�te und auch Gaukeleien kannte mit Spielkarten und M�nzen und W�rfeln.

Diese gl�cklichen Tage w�hrten jedoch nicht lange, und nach ihnen befiel den Grimmelshausen der rauschhafte Zustand besonders, in dem er die Welt doppelt sah, die seine eng und langweilig, allzu wohlgeordnet und bekannt und die andere weit und hoch und voller Strudel und Geheimnisse, die zu ergr�nden waren. Er ging dann fort und kam tagelang nicht zur�ck. Die Frau w�hnte ihn auf dem Handel mit Wein oder Vieh oder Pferden oder in Sachen des Schauenburgers vor Amt und Gericht. Sie fragte nie: Wohin gehst du, und wann kommst du zur�ck? Er liebte es nicht, gefragt zu werden.

Nein, sann sie manchmal vor sich hin, meine Mutter h�tte das nicht ausgehalten. �Wohin gehst du, Vater?� fragte die, wenn der Mann nur in den Schlappen vors Haus ging, und die fragte sogar: �Wann kommst du heim?�, wenn er nur in die Kirche ging. Sie bekam auch stets die richtige Antwort.

Der Vater Henninger, der Soldatenvater der Landschaft, schaute mit offenem Stolz auf seine gutm�tige, beh�bige und doch so willenssichere Frau, mit der er so gut geschirrte. Wollt' Gott, so dachte er oft, da� die Kathrin auch so gut im Geschirr liefe mit dem Grimmelshausen; aber das ging halt nicht immer gut. Die beiden kamen ihm manchmal vor, als h�tten sie es wie Neumodische mit den Nerven. Potz Sturm und Hagel beinand, Nerven! Das gab es doch auch erst seit kurzem im menschlichen Geh�us. Eine Erfindung der �berklugen �rzte, dachte der derbe Wachtmeister-Leutnant.

Jedesmal, wenn er bei den Grimmelshausens einen Wortwechsel der Eheleute erleben mu�te – und sie gerieten nur zu leicht ins Feuer, die Jungen –, beschlo� er, ihnen das n�chste Mal gr�ndlich ins Gewissen zu reden. Er hatte dann doch nicht den rechten Mut dazu, wenn er wieder nach Gaisbach kam. Der Tochtermann lie� sich wohl auch nicht in �sein Sach� reden. Und die Katharina leugnete entweder eine Mi�stimmung ab, oder sie setzte sich sogar f�r den Mann wieder ein. Trotzdem sah der lebenskluge Alte voraus, da� das Dasein in Gaisbach f�r die Familie freudlos wurde, besonders f�r den Mann, und sann auf Abhilfe.

 

Eines Tages kam ein Bote in den �Silbernen Stern�, der Herr von Grimmelshausen solle unverz�glich ins bisch�fliche Amtshaus nach Stra�burg kommen. Katharina nahm die Botschaft entgegen, wunderfitzig, was das zu bedeuten habe. Wahrscheinlich stand in einem Buch von ihm etwas, das der Kirche nicht genehm war. Er schrieb ja ohne �berlegen hin, was ihm in den Strumpf kam, und sie hatte schon lange Angst, es k�nnte ihm einmal �bel ausschlagen. Nun war es wahrscheinlich soweit.

Oder wollten sie ihn wegen des �ltesten fragen, sollte der amend in die Hohe Schule, weil er so gut lernte?

Sie sagte zum Franz Christof, weil er gerade in die Wirtsstube kam: �Du, der Vater mu� schnell nach Stra�burg, zum Bischof, amend wegen dir, wegen der Schule, vielleicht sollst du studieren.�

�Nur das nicht�, knurrte der Bub, �ich will nicht geistlich werden, nur Soldat.� Er schaute sie streng und gl�hend an, ganz wie der Vater, wenn ihm etwas unrecht vorkam.

Sie schwieg bek�mmert und ging aus der Stube.

Der Grimmelshausen kam vom Feld herein, wo er den ganzen Morgen gepfl�gt hatte. Das Pfl�gen �berlie� er nicht gern einem andern, die Arbeit war ihm lieb. Man konnte dabei so tief den Gedanken nachh�ngen, selbst wenn man mit den Zelgen recht aufpassen mu�te.

�Nach Stra�burg soll ich, zum Bischof, so?� sagte er ruhig. �Ja, dann leg mir das gute Zeug heraus, und der Gro�e kann mit. Wir spannen den Wagen an und nehmen den Fuchs davor. Der Gro�e soll sich waschen und str�hlen und den Sonntagsschoben anlegen, aber hurtig, und essen vorher. Es wird nichts gar so Wichtiges sein.�

In der Mittagssonne fuhren sie in scharfem Trab das Tal vor bis in die Gegend von Appenweier und kamen zu ziemlicher Zeit gegen drei Uhr vor dem bisch�flichen Amtsgeb�ude an, woselbst sie gleich zu ihrem Erstaunen vom Vater Henninger und einem hohen W�rdentr�ger empfangen wurden. Nun kam es heraus, da� man den Grimmelshausen zum Schulthei�en der bisch�flichen Marktst�tte Renichen, sp�ter Renchen genannt, ausersehen hatte, falls er sich den vielerlei Aufgaben solchen hohen Amtes gewachsen f�hle, kundig der Gesetze und Schriften, fest im Glauben und in der Treue, ehrlich im Handeln und zielbewu�t im Tun, sauber in der Lebensf�hrung mit der Familie. Daf�r hatte sich der brave Henninger mit Gut, Leib und Leben verb�rgt, er hatte auch die Sache eingef�delt und nahm die Verantwortung gerne auf sich, denn solch ein Amt war das Rechte f�r den Grimmelshausen. Da konnte er in Geltung kommen, da konnte er herrschen und befehlen, da konnte er sich sehen lassen und seine ehrgeizige Kraft an n�tzliche Dinge verwenden.

N�tzlichere Dinge als das B�cherschreiben, dachte der Henninger bei sich.

Dem Grimmelshausen, der seinen Buben im Vorzimmer gelassen hatte, verschlug es schier den Atem!

Stadtschulthei� von Renchen?

Das war ein Wort! Nein, das war ein Amt!

Was w�rde Kathrin sagen?

Endlich noch einmal einen Aufstieg und auch eine Anerkennung seines K�nnens! Er w�rde das Beste daran geben, er w�rde niemand entt�uschen.

Das alles erwog er blitzschnell bei sich, w�hrend er nach au�en hin nicht mehr als ein �So, so, das ist's!� gemurmelt hatte. Er durfte sich nicht so billig dreingeben, man mu�te �berlegsam z�gern.

�Es ist nur ein Vorschlag�, meinte der geistliche Herr vorsichtig.

�Ich w�rde nicht lange �berlegen�, sagte Henninger etwas hastig, �dem Amt bist du doch gewachsen wie kaum einer.�

�Mehr als das�, sagte Grimmelshausen und warf absch�tzig die Hand, �aber ich bin doch recht mit Gaisbach auf eigenem Grund und Boden verwachsen, und die Freiheit ohne Amt ist mir auch wert geworden.�

Er blitzte rasch zu Henninger hin�ber, da� der sogleich Bescheid wu�te. Aha, der Grimmelshausen spielte gut, und er hatte recht. Nur nicht zu billig sein! Nur sich nicht auf ein Angebot st�rzen wie der Hecht auf die Forelle!

��berlegt es Euch, wie wir es uns �berlegten�, sagte der Vertreter des Bischofs und schob die wei�en, kurzen H�nde in die �rmel. Sein Blick hatte eine Weile staunend auf den langen, edel geformten H�nden Grimmelshausens geruht. Etwas wie Neid befiel ihn anscheinend dabei.

Grimmelshausen erhob sich. Er �berragte den W�rdentr�ger wie den Schwiegervater.

�Ich zieh' nicht gern Entschl�sse lang hinaus�, sagte er fest, �wenn mir das Amt angetragen wird, so nehm' ich es in Ehren an, wie mir's in Ehren gegeben wird. Ich warte also nur auf den gn�digen Beschlu�. Ich bin allezeit bereit. Soll es nicht sein, so ist es auch gut.� Damit gr��te er auf das ritterlichste und ging hinaus.

Der Henninger meinte ein wenig kleinlaut zu dem Vertrauten des Bischofs: �Stolz ist er, der Herr von Grimmelshausen, doch auch t�chtig, er wird es in Renchen gut machen, und das ist n�tig.�

�Es ist sogar sehr n�tig�, gab der andere zu.

Mittlerweile eilte der Sternenwirt mit seinem Sohn aus dem Haus, denn er mu�te vor Erregung Luft schnappen. Sie blieben nicht in Stra�burg, wie der Junge es erwartet hatte, sondern lie�en den Fuchs wieder gegen den Rhein traben, holperten �ber die Br�cke, wandten sich nach Legelshurst, fuhren �ber Urloffen, wo Grimmelshausen noch einen Auftrag des Schauenburgers erledigte, und vesperten in Zusenhofen, wo sie zuf�llig den Magister Johannes Witsch trafen, dem Grimmelshausen wie ein gl�cklicher Junge die Botschaft mitteilte. Da h�rte sie auch der Sohn zum erstenmal.

Witsch schlug dem Grimmelshausen vor Freude auf die Schulter, und beide lachten Schollen hinaus und setzten sich fest hinter einen guten Wein, einen roten aus Burgund, und schwatzten lateinisch und deutsch und franz�sisch durcheinander, da� es dem Franz Christof M�he machte, dem Gespr�ch zu folgen. So fr�hlich hatte er den Vater noch nie erlebt, und dabei sah er noch unheimlich aus mit seinen brennend roten Flecken auf den Backenknochen und seinen gl�nzenden Augen. Das Haar klebte ihm schwei�na� an Schl�fen und Stirn, auch sch�ttelte ihn bisweilen ein seltsam lockerer Husten.

�Den Husten solltest du endlich kurieren�, riet der Magister Witsch einmal, �der sitzt denkwohl auf der Lunge.�

�Der Wein ist gut�, lachte der Grimmelshausen, �der kuriert ihn schon.�

Franz Christof hing mit Begeisterung am beredten Mund des Offenburger Ratsherrn Witsch, denn er wu�te vom Vater, was f�r ein studierter Mann der sei, dazu einstmals ein Soldat vom reinsten Wasser. Die beiden begannen von fr�her zu erz�hlen, sie ergingen sich dann in politischen Gespr�chen. Dem Witsch machten die Klauseln des Westf�lischen Friedens immer noch zu schaffen, und er sah eine tr�be Zukunft, f�r die oberrheinischen Lande vorab.

Frankreich w�rde schon seine furchtbaren Gewitter her�bersenden, es packe ihn Furcht und Grauen, dar�ber nachzudenken. In n�chtlichen Tr�umen s�he er immer Br�nde lodern �ber den D�rfern, St�dten und Schl�ssern des Landes, und ihm ahne es, da� sie ihre alten Kriegsknochen noch einmal r�hren m��ten, um das Land zu verteidigen. Es rieche �berall nach Verrat, und er wundere sich, wie wenig wachsam diese wachsende Gefahr von den Deutschen bemerkt w�rde. Es fehle eben an der einheitlichen F�hrung, die Zersplitterung der Kr�fte und Rechte in tausenderlei Herrschaften sei Teufelswerk; denn keine sei allein stark und reich, und alle zusammen seien nichts als ein schwaches Nervenb�ndel voller Eigennutz und Nichtsnutz.

Es sollte endlich einer aufstehen, sagte Grimmelshausen, und sie wegwischen mit einem Schlag. Und er sollte die Besten um sich scharen und das Reich f�hren. Es brauchte kein Kaiser und kein K�nig zu sein.

�Schaut einmal her, Magister, du kannst auch die Ohren aufmachen, Franz Christof, da hab' ich etwas hineingeschrieben, das sollte ins neue Buch. Es trifft den Nagel genau auf den Kopf, den Ihr, Magister, eben ansetztet. Aber so kurzerhand heraus darf man es den Leuten nicht sagen, was nottut. Ich lasse daher einen �bergeschnappten auftreten, einen �hnlichen Burschen hab' ich wirklich einmal kennengelernt in Westfalen, der mu� nun sagen, was notwendig prophezeit werden mu� f�r uns Deutsche. Vom Narren nehmen die gescheitesten Leute lieber die bitteren Wahrheiten an denn vom Gelehrten oder gar von simplen Schreibern, wie ich einer bin. Narren, Propheten, Wahrsager, Kartenschl�gerinnen d�rfen das verdrehteste Zeug f�r wahr ausgeben, ein K�rnlein Glauben bleibt immer h�ngen.

Also h�rt, wie ich es deichselte. Da f�ngt der Simplex als forscher J�ger von Soest gl�cklich einen Heruml�ufer, der nicht recht im Kopf scheint. Er nennt sich Jupiter-Jovem in tollem Wahn, und der spricht vom teutschen Helden, der eines Tages kommen wird.�

Grimmelshausen zog einen Bund Bl�tter aus seiner Tasche, die er stets an einem Schulterriemen zur Seite trug, und bl�tterte, die trockenen Finger netzend, darinnen. Nur ein paar S�tze: �Der Jupiter sagt: Ich will einen teutschen Helden erwecken, der soll alles mit der Sch�rfe des Schwertes vollenden …� Und Grimmelshausen lie� Jupiter weit ausschw�rmen: �Der teutsche Held wird die L�nder einigen, aus allen Gebieten sich zwei der besten Berater ausw�hlen, er wird Fron- und Leibeigenschaft abschaffen, die christlichen Religionsk�mpfe und -spaltungen beseitigen. Er wird das Reich mehren �ber seine Grenzen hinaus, er wird in seiner Mitte eine m�chtige Stadt bauen, er wird dem Teutschen ein Privatleben schaffen, da� der gemeine Mann in Wohlstand und Gl�ck lebe, und er wird Europa einen langen Frieden sichern.� Mehr noch brachte der Jupiter vor, manchmal in verr�ckten �bertreibungen. Doch es leuchtete aus allem, was er sagte, eine wahre Sehnsucht nach der gro�en Zeit im Reich hervor und eine ahnungsvolle Erkenntnis des nichtsnutzigen Friedensschlusses im Ratssaal zu M�nster in Westfalen.

Witsch h�rte still und staunend zu, der Knabe Franz Christof mit vor Spannung gl�hroten Ohren.

Und der Grimmelshausen geriet in leidenschaftliche Lust am Lesen und Bekennen. Solche Zuh�rer hatte er selten.

�Ich hab' auch etwas Besseres noch bereits gefa�t, das die Leute vielleicht nicht so fressen wie Jupiters Tr�ume vom teutschen Helden. Es ist ein geschriebenes Bildnis unseres Landes, wie ich es hundertmal schon von der hohen Moos aus gesehen oder vom Kniebis oder von der Schauenburg hernieder. Es ist mir einmal so eingekommen, ich mu�te es hinschreiben. Mir schien, ein Engel m��te es mir in die Feder gesagt haben, so hat es mir selber gefallen, als ich es nachher viele Male laut und leis mir selber vorlas. So h�rt denn!

Der Simplex sagt: Ich wohnete auf einem hohen Geb�rg, die Moo� genannt, so ein St�ck vom Schwarzwald und �berall mit einem finsteren Tannenwald �berwachsen ist. Von demselben hatte ich ein sch�nes Ansehen gegen Aufgang in das Oppenauer Tal und dessen Nebenzinken; gegen Mittag in das Kinziger Tal und die Grafschaft Geroldseck, allwo dasselbe hohe Schlo� zwischen seinen benachbarten Bergen das Ansehen hat wie der K�nig in einem aufgesetzten Kegelspiel; gegen Niedergang konnte ich das Ober- und Unterelsa� �bersehen, und gegen Mitternacht der Niederen Markgrafschaft Baden zu, den Rheinstrom hinunter, in welcher Gegend die Stadt Stra�burg mit ihrem hohen M�nsterturm gleichsam wie das Herz mitten mit einem Leib beschlossen hervorpranget.�

Dem Witsch scho� das Nasse in die Augen, er schaute den Grimmelshausen, der einstmals sein Sch�ler und danach seinesgleichen als Regimentssecretarius gewesen, wie ein Wunder an und konnte kaum sprechen.

�Du bist ein Dichter, Grimmelshausen, ein wahrer Dichter, Gott beh�t' dich! Du wei�t die Leute zu ersch�ttern, da� sie das Augenwasser bekommen wie alte Weiber, ich sch�me mich dessen nicht. Das ist mehr wert als die beste Predigt, was du geschrieben hast von unserer gro�en Heimat. Es wird noch lang gelesen werden, wenn wir alle l�ngst vermodert sind und niemand mehr recht unser Grab wei�.

Bub, nimm die Kappe ab. Dein Vater lebt l�nger, als ein Leben dauert. Das w�hrt, bis man Asche ist und neues Leben d�ngt; aber der Geist w�hrt l�nger. Er braucht die Verwandlung nicht, er ist lebendig ohne Zerfall und F�ulnis. Er schwebt im Wort, wenn das Wort stark und sch�n in S�tzen wirksam ist und etwas sagt, das �ber dem Allgemeinen steht.

Ich red' und red'. Der Wein ist mir ungewohnt, der starke; aber ich red' die Wahrheit wie ein Narr. Grimmelshausen, Bruder, du hast einen herrlichen Sohn. Er gl�he in deinem Geist!�

Und er umarmte den Alten und den Jungen, der ehrenwerte, stolze Offenburger Ratsherr und Stettemeister. Und der Grimmelshausen l�chelte schweigend. Nach einer Weile sagte er: �Das ist noch lang nicht alles, doch da� mir das so gut geraten ist, macht mir das Gewissen leichter; denn in dem Buch stehen sonst wilde, derbe, l�sterliche Dinge genug, als hab' sie mir der Teufel eingeblasen, und doch – es war so in der Zeit des Krieges. Das wi�t Ihr, Magister Witsch, genau so gut wie ich. Und ich wollt' es mit der Wahrheit halten und will es in allen meinen Schriften, weil auch die grausamste Wahrheit mehr zum Guten f�hrt denn die L�ge aus Furcht, jemand zu kr�nken oder zu bel�stigen oder traurig zu machen. Ich will nicht wirken wie ein Pfaff, der von der H�lle in die Tiefe predigt, weil der Himmel dar�ber dann um so h�her erscheint. Ich will die H�lle auf Erden schon darstellen, damit man immer noch den guten Himmel dar�ber ausgespannt sieht. So ist das.

Auf der Seite, wo geflucht wird, kann freilich nicht zugleich gebetet werden, das w�re eine Entweihung.

Und wo die Entartung Trumpf ist, kann nicht ein Atemzug danach vom Edlen gehandelt werden; aber ich will nach dem Edlen die Sehnsucht wecken, wi�t Ihr, Witsch. Versteht Ihr das? Und ich will – ach, was will der Grimmelshausen nicht alles! Solang w�hrt ja das Leben nicht, da� man alles wollen kann, was aus dem Wahn f�hrt, und da� man alles auf den Weg bringt, was man will.�

Ein Hustenanfall machte den Beredten still; er spie Blut aus.

Der Witsch stand auf, schwankte leicht. Er schaute den Grimmelshausen gro� an. Den hatte etwas gezeichnet im Gesicht. Der Magister wu�te nicht, war es der Geist oder der Tod. Er sp�hte in scharfe Z�ge und dachte: Es wird Zeit, da� der unter andere Leute kommt, vor in die Ebene. Die Einsamkeit tut ihm nicht besonders gut, er verzehrt sich in Gr�beleien.

Dann sagte Witsch, w�hrend der Sternenwirt sich zur Heimkehr r�stete: �Wir werden uns dann oftmals sehen in Renchen. Ich will mehr von deinem Schaffen wissen. Ich glaub', du schaffst dich hinauf. Und amend, wenn der Magister Witsch, dein Lehrer, l�ngst eine Handvoll Staub sein wird und vergessen ist, geht der Grimmelshausen noch um im Land, dem Geist nach und dem Namen.�

Der andere reckte sich. Seine Augen fieberten: �Wenn's so w�re, dann w��t' man auch vom Magister Johannes Witsch, der ihn auf den Weg gesetzt und ihm die Mittel zum Werk gewiesen hat; aber das ist ja eigentlich ein Wahn, in den du mich treibst. Ich bin nicht ohne Hochmut, mu�t du wissen!�

Witsch gab ihm die Hand: �Beh�t' dich Gott, Schulthei�! Gr�� die Frau Katharina. Sie ist mir nicht arg hold. Dennoch liebt' ich sie, als sie noch ein M�del war mit langen Z�pfen. Sag ihr, ich lege meine ganze Ehrerbietung zu F��en der hochedlen Frau Schulthei�in.�

Drau�en schlug er dem Franz Christof leicht aus die Wange und meinte: �Dich m�cht' ich als Sch�ler haben, du wirst recht.�

�Der teutsche Held wollt' ich wohl werden�, sagte der Junge rasch und hei�.

Die M�nner lachten.

Witsch sagte: �Bub, in tausend Jahren gibt es den nur einmal. Das kann einer nicht werden wollen, das ist er schon, ehe er ein W�rtlein sprechen kann.� Er war ernst geworden und forschte dem Jungen in die Augen. Die waren klug und blank, doch ohne Tiefe.

Welche Begegnung, welche Gespr�che, sagte er in sich hinein, als der Grimmelshausen unerwartet rasch die Z�gel anzog und aus dem Hof fuhr, schier ohne rechten Abschied. Der Bub schwang sich geschmeidig auf den bereits fahrenden Wagen und winkte noch einmal, wie um die Unh�flichkeit des Vaters zu mildern, dem Magister zu. Der aber sah es nicht mehr. Er schaute blicklos in sich hinein.

Sie fuhren eine Weile �ber gute Stra�e, dann bogen sie zur Seite auf einen holprigen Weg zwischen Ackern und Wiesen hin.

�Wir m�ssen noch zum Ulrich Bruder�, sagte der Grimmelshausen. Er h�tte gleich heim sollen, das erwog er wohl, doch konnte er es nicht �ber sich bringen, die Botschaft dem Freund nicht sogleich selbst zu offenbaren.

Fast willenlos �berlie� er sich dem unruhigen Zwang zum Umweg �ber die Schaffner des Freundes. Er sann an den Ver�nderungen herum, die die Zukunft bringen w�rde. Er stand bald wieder mit beiden F��en im fordernden Alltag, rechnete und regelte, dachte auch einmal mit straffendem Gef�hl an die Genugtuung, die ihm die neue W�rde im Tal und bei den Schauenburgern verschaffen w�rde, und er begann auf einmal, von sich ausbreitender Heiterkeit erf�llt, vor sich hin zu pfeifen. Das gab dem Bub neben ihm endlich den Mut, mit dem bisher in Schweigen versunkenen Vater zu sprechen.

�Vater, was ist ein Held? Einer, der in der Schlacht siegt, das wei� ich; aber es mu� doch noch etwas dahinter stecken, mein' ich�

�Wie du fragen kannst, Christoffel? Ein Held, ein Held?�

Grimmelshausen verfiel in Nachdenken.

�Schnell ist das gar nicht zu sagen, Bub. Ein Held ist einer, der �berall furchtlos seinen Mann steht.�

�Furcht ist feig.�

�Nicht immer, Bub. Furcht kann auch einen Helden erfassen, doch darf sie ihn nicht abhalten von seiner Pflicht.�

�Ich mein', ein Held f�rchtet sich nicht vor Tod und Teufel.�

�Richtig. Dennoch kann es f�r ihn Furcht geben vor dem Leben.�

�Das versteht nur ihr Alten�, sagte der Bub abwehrend.

�Ein, Held kann Gro�es, Gef�hrliches tun um der Gemeinschaft willen, um seines Volkes willen. Und er fragt nie nach Lohn und Lob.�

�Er mu� waghalsig sein, gelt?�

�Nein, Bub. Ein Waghalsiger ist noch kein Held. Eine k�hne Tat ist noch keine Heldentat. Der Mut allein macht noch keinen Helden. Der Held handelt tapfer und besonnen. Er bew�hrt sich nicht nur einmal, wo es gerade darauf ankommt. Immer und �berall steht er zuv�rderst und f�hrt. Auf seinem Banner steht die Losung: F�r Reinheit und Recht, einer f�r alle. Oft handelt ein Held ganz allein und steht einsam da. Obschon er verkannt wird, bleibt er ein Held, denn er steht da, wo das Gro�e erk�mpft oder verteidigt werden mu�, wo Gefahr ist. Je einsamer er k�mpft und handelt, um so n�her wirkt Gott hinter ihm. Es kann ein Held Heere hinter sich haben und doch einsam sein durch seine Taten.

Ein Held ist ein F�hrer.�

�Wohl, Vater. Doch ein Soldat, der sich durch die Reihen der Feinde k�mpft, ist doch auch ein Held?�

�Ich mein', er ist es erst, wenn es um mehr geht als um sein Leben. Ich mein' darum, da� er dadurch das Leben anderer rettete oder da� er dadurch dem Vaterland einen Dienst tat, indem er sich mit einer Meldung, einer Botschaft, mit einem Wissen durchschlug. Es kommt auf den Auftrag an, den einer erf�llt, nicht auf das eigene selbst�ndige Durchhauen. Erf�llt einer einen Auftrag, es kann ruhig ein Auftrag sein, den er sich selber gegeben um des Vaterlandes willen, um der Heimat willen, um eines Sieges willen, unter Aufbietung aller Kr�fte gegen Not und Tod, so ist er ein Held.�

�Jetzt wei� ich es. Der Held tut mehr als seine Pflicht f�r das Vaterland. Das ist ganz einfach, Vater.�

�Nur da� das Einfachste oft am schwersten ist. – H�ottnoh! Wir sind ja schon beim Ulrich Bruder.�

Vater und Sohn sprangen vom Wagen. Der Wind kam k�hl vom Wald hernieder. Der Herbst stieg mit leisen Nebeln aus den Gr�nden. Franz Christoffel bedeckte sorgsam das Pferd und h�ngte ihm den Hafersack an.

Der Ulrich Bruder stand bereits auf der Staffel und begr��te ruhig die G�ste.

�Bist in der Stadt gewesen, Grimmelshausen? Sch�n, da� du bei mir ankehrst auf die Nacht.�

�Nur kurz, Freund, mit guter Botschaft. Ich konnt' sie nit bei mir behalten. Wie ein altes Marketenderweib mu� ich es ausbabbeln, was mir begegnet ist. Kurzum, w�nsch mir Gl�ck, Herzbruder, zum Schulthei� von Renchen!�

Der Ulrich war nicht so rasch bei der Hand mit Gl�ckw�nschen. Fast entt�uscht sagte er: �Oh, gehst in Pfaffendienst, ist er wohl besser als Herrendienst? Was bleibst du nicht frei und schreibst deine B�cher?�

�Ulrich, es fehlt mir an festen Pflichten, es fehlt mir an einem Umtun, das ich zwingen mu�. Ich brauch' ein Amt, meinetwegen um wichtig zu tun oder wichtig zu sein. Ich brauch's, um brauchbar zu bleiben. Das Schreiben ist mir manchmal unheimlich wie ein Fieber, so herrlich es mich aushebt vom gew�hnlichen Boden.�

Der Grimmelshausen dachte, w�hrend sie ins Haus hineingingen: Ich red' heut zuviel. Mehr als in einem ganzen Monat sonst hab' ich heut schon geredet. Als m��t' ich mich bekennen. Es reute ihn pl�tzlich, nicht gleich heimgefahren zu sein. Doch ging es jetzt so wie oft. Er blieb l�nger h�ngen beim Ulrich Bruder und seinem Edelwein denn je.

Der Franz Christof schlief l�ngst in der Ofenecke.

Die M�nner sprachen von allein, was sie besch�ftigte. Grimmelshausen wurde immer wacher und gro��ugiger. Er lachte viel, gro�m�ulig erz�hlte er M�ren und Witze aus seiner Soldatenzeit. Ein paar Bauern sa�en noch da, die in Bruders Reben geherbstet hatten. Sie h�rten flei�ig zu. Endlich brach er aus, weckte den Buben, ging still hinaus, der Bruder neben ihm. Er sah zum Himmel, der gro� und dunkel sich hochw�lbte. Im Niedergang rollte der Gro�e Wagen zum Himmelsrand.

�Melancholie�, sagte er, �Herzbruder, sie verl��t mich nie ganz; der Wein jedoch ist Heiltrank dagegen, von paracelsischer Wirkung. H�r was Neues:

Weiche, du Meclancholei!
Ich erquick' mich ohne Scheu
Bei dem edlen Gerstensaft,
Der macht mich ganz freudenhaft.

Jetzt aber heim zum Weib! Das wei� noch von nichts. Herzbruder, nenn mich nicht Pfaffendiener. Hier dien' ich, um gebieten zu k�nnen, verleid es mir nicht. Der Bischof? Ich behalte den ›Silbernen Stern‹, verpachte ihn!

Wei�t, was mir immer noch das liebste w�r'? Soldatendienst. Im Feldlager wachen, den Himmel �ber mir, und am Morgen gegen den Feind. Damals war es mir doch oft ein Graus, Soldat zu sein. Seit langem sehe ich es anders an. Ich glaub' auch, Bruder, man wird uns noch einmal brauchen. Rhein�berw�rts braut nichts Gutes f�r uns. Dem Frieden trau' ich nimmer. Gutnacht!�

�Gutnacht mitnander, kommet gut hinteri!�

Der Grimmelshausen sang auf der Heimfahrt mit heller Stimme, und der Bub, v�llig wach geworden, sang mit: Landsknechtslieder, fromme wie wilde, eines um das andere. Und also singend fuhren sie in den Hof zum �Silbernen Stern�. Katharina hatte sie von weitem schon h�ren m�ssen. Sie kam unter die T�re auf die Staffel. Der Knecht war auch noch auf. Er schirrte grinsend aus und verwahrte Ro� und Wagen. Ein wenig verfroren und steif in den Beinen wankten die beiden Stra�burgfahrer die Staffel hinauf.

�Du alter Esel, du�, sagte die Frau leis zum Mann, �mu�t mir den Buben mit einem Rausch heimbringen, wirst auch nie vern�nftig!�

�R�usch haben wir nit, Mutter, nur Freud' bringen wir dir heim, Frau Schulthei�in von Renchen.�

�Schw�tz nit so dumm, Mann! Bub, geh ins Bett! I� nichts mehr! Es kommt doch wieder 'raus, wenn das Bett nachher mit dir im Ringrum fahrt!�

�Ho, Mutter! Ich hab' gar keinen Wein getrunken. Blo� der Vater, wie es sein mu�.�

�Geh ins Bett, Bub, es ist sp�t!�

Er gehorchte kleinlaut.

�Ja, Mutter, liebe Frau, es ist so. Ich soll das Amt antreten. Nun wird es besser mit uns. Wir ziehen nach Renchen. Die Spitalb�hn behalten wir jedoch. Gef�llt es uns einmal nicht mehr vornen, so gehen wir auf eigenen Boden ins Altenteil. Ist ein gutes Gef�hl, wenn man noch etwas im Hintergrund hat, wo man sich daheim f�hlt und Herr ist. Ich hab' mir alles schon ausgedacht. Ist es so nicht recht?�

Katharina lehnte am Ofen und las dem Mann f�rmlich die Worte vom Mund. Er sa� auf der Wandbank bei den Fenstern. Es ging eine Weile, bis sie alles fa�te, dann sprang sie pl�tzlich auf ihn zu und rief: �Christoffel!�

Er nahm sie auf den Scho� wie ein Kind und wiegte sie eine Weile. �Ich wei� ja, du bist eine St�dterin. Du freust dich auf Renchen. Du kannst dann ein seines Fraule vorstellen, die Frau Schulthei�in hinten und vornen. Und deine Mama wird vor Stolz ein Doppelkinn zulegen, und deine T�chter werden nur f�r Grafen feil sein in die Ehe, und deine S�hne werden Offiziere, einer amend gar eines Tages Bischof. Wir werden Glocken stiften und Glasfenster und Kirchenst�hle in das Gotteshaus. Wir werden allesamt ein neues Leben anfangen und die Sorgen vergessen und den �rger und die Dem�tigungen. Und ich werde schaffen f�r die Renchener. Vielleicht auch, da uns das Gl�ck jetzt endlich gefunden hat, tr�gt es sogar meine B�cher zum Erfolg. Wei�t, wo Tauben sind, fliegen Tauben hin, und sollten es nur zu unseren acht Kindern noch zwei oder vier sein, damit du, wenn die Gro�en jetzt fortgehen, noch genug kleine Kinder hast.�

Katharina hielt ihm den Mund zu. So �berm�tig war der Mann seit Jahren nicht mehr mit ihr umgesprungen.

�Du hast doch einen Rausch!�

�Zum Abgew�hnen, K�tt. Wenn ich hochehrenwerter Schulthei� bin, dann darf das nicht mehr vorkommen, wegen des Respektes der Untertanen.�

Sie l�schten Feuer und Licht, schlossen die T�ren und gingen schlafen. Nach seiner Gewohnheit lag der Sternenwirt im schlaferf�llten Haus inmitten des friedlichen Atems der Seinen noch lange wach. Sein ganzes Leben lief ihm in vielen Bildern durch den Kopf. Er verga� kaum etwas. Katharinens Hand lag in der seinen. Einmal dachte er auch an die Hauptm�nnin, und wohin sie ihr Schicksal wohl getrieben habe. Er dachte an den Traum, wie sie vorbeigeritten unter Zigeunern und mit b�sen Blicken die W�nde vom �Silbernen Stern� durchdrungen hatte. Seine Hand zuckte in der Katharinens, so da� sie aus dem Schlaf aufschreckte. Halb im Traum sagte sie: �Du, Christoffel, ich hab' mir einen Spruch von dir heut auswendig gelernt. Im Schreibstubel wehte ihn der Wind vom Tisch und mir gegen das Herz:

Best�ndig schwebet, wen Gott erhebet,
Wer selbsten steigt, wird bald geneigt.

Wir wollen nicht �berm�tig werden. Und nun. schreibst du nur noch Geschichten vom Guten und von Gott, Christoffel.�

Er l�chelte und sagte nichts. Doch zum zweitenmal an diesem Tag befiel ihn die Melancholie; er kehrte das Gesicht ab von Katharina, die schon wieder schlief. Er sah zum Fenster, das sie zu verh�ngen vergessen hatten. Ein gro�er, strahlender Stern stand silbern am morgend�mmernden Himmel.

�Mein Stern�, fragte er hinaus, �gehst du mir auf oder unter, wenn du mir strahlst?

Wenn du mir nur strahlst bis ans Ende!�
Best�ndig schwebet – wen Gott erhebet!

Und noch vor acht Tagen hatte er erkennen wollen: Das Best�ndigste ist die Unbest�ndigkeit im Leben.

Die Ewigkeit nur ruht – in Gott.

Hermann Eris Busse.
Selbstbildnis

Zun�chst will ich von meinem Beruf berichten, alsdann der �Berufung� ein Wort widmen.

Es hat mich gl�cklich genug im Leben getroffen, beides, Beruf und Berufung (soweit ich mich als �berufen� zu f�hlen glaube), in Harmonie vereinigen zu k�nnen, obschon es mich bisweilen ungeduldig machen wollte, da� der Beruf mir wenig Zeit lie� f�r mein �Eigenes�.

Ich gehe h�ufig auf Reisen, manchmal weit weg von daheim, oft aber nur so weit das badische L�ndle reicht, von Konstanz und Pfullendorf bis Wertheim und Boxberg. Mein Beruf als Leiter einer gro�en Vereinigung, des Landesvereins �Badische Heimat�, der Kultur und Kunst im Land am Oberrhein in Zeugnissen sammelt und �ber die Zeiten hinaus schaubar macht, f�hrt mich auch ins fernste Schwarzwalddorf, in die stillste Kleinstadt im Odenwald ebenso wie in die Kulturzentren des langgestreckten Landes zwischen Rhein und Schwarzwald, in die St�dte Konstanz, Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim, um nur einige wahllos zu nennen. Nun, wo unser Raum �ber das andere Ufer des Rheins hinaus sich weitete, zum Wasgenwald hin�ber, ins Elsa�, nach Burgund, hat die bisher nur still ins entrissene Land deutschen Blutes wirkende Arbeit den wirklichen Grund wieder gewonnen. Und die St�dte Stra�burg, Kolmar, Schlettstadt, M�lhausen sind wieder unserem oberrheinischen Kulturgebiet angef�gt wie die andere H�lfte eines kostbaren Ringes. In meinen B�chern klingt �berall das Elsa�erlebnis in seinem tragischen Unterton mit.

Freiburg geh�rt nat�rlich dazu inmitten des alemannischen Gebietes, wo ich am 9. M�rz 1891 geboren wurde als Sohn eines Vaters aus Schlesien, dessen fernere Vorfahren in der Mark, Siedler im fernen Osten, ja einer noch nicht erwiesenen �berlieferung zufolge schwedischer Abkunft gewesen sind. Auch meiner Frau v�terliche Sippe reicht nach Schweden, dies in gerader Linie auf einen F�hnrich aus Gustav Adolfs Heer zur�ck, dessen Wunden von einer braunschweigischen Bauerntochter gepflegt worden waren, so da� er diese Hand der Liebe nie mehr missen wollte; aber unsere beiderseitigen M�tter sind alemannischer Herkunft, die Sippen sitzen heute noch im Bauern- und Rebland der alten Markgrafschaft zwischen Freiburg und Basel. Die Gro�m�tter sind mit der breisgauischen oder mit der markgr�flerischen Schleifenkappe auf dem Scheitel, dem gro�en Mail�nder Seidentuch oder dem zarten Spitzenschal um die Schultern zur Hochzeit und in die Kirche gegangen. Beide waren mit G�tern gesegneten, stolzen Geschlechtern zugeh�rig, und viele schwere Schicksale haben tief in den geistigen und erbt�mlichen Bestand ihrer Sippen eingegriffen, weil eben dieser deutsche S�dwesten bald Kernland, bald Grenzland gewesen.

Geschichte, f�r die in unseren Sippen, bei M�nnern wie bei Frauen, viel Wissen und Teilnahme blieb, zeichnete den Charakter eines ganzen Volkes; es wurde stolz auf Eigenes, beinahe hartn�ckig, treu der Obrigkeit, wenn sie freiz�gig vaterl�ndisch war, aufgetan der bodenst�ndigen Kunst und Wissenschaft, gewissenhaft in frommen Dingen. Abspaltungen weltl�ufiger Geister vom se�haften Leben in der Heimat hat es merkw�rdig viel gegeben. Meine Urgro�eltern sind mehrmals in Amerika gewesen, das Fernweh trieb sie fort, das Heimweh zog sie wieder zur�ck. Und diese Unruhe des s�ddeutschen Blutes w�hlt weiter, wir alle haben einen Spritzer davon und sind vor raschen Entschl�ssen, Fl�chten gleich vollbracht, nicht gefeit. Ich hatte viele Geschwister. Alle haben sie irgendeine k�nstlerische Gabe, eines malt, eines singt, alle sind vorab der Musik, absolut musikalisch, zugetan.

Dies alles spielt in meinem Dichten und Trachten mit. Es sind, wie unser volksdeutscher Dichter am Oberrhein, der unverw�stliche Johann Peter Hebel sagt, die �Sache ehne dra�, die geheimen Kr�fte hinter den gegenw�rtigen M�chten, die Sachen hinter den Dingen, die sich formen wollen und der dichterischen Aussage zustreben. Und weil unsere Sippen gro� und vielf�ltig gegliedert, arm und reich verzweigt, hochbegabt, vergeistigt und wieder schlicht der Scholle zugewandt zum Volksteil in der fruchtbarsten der deutschen Landschaften geworden sind, k�nnen alle B�cher, die hinausgehen, nur von Volk und Landschaft berichten, selbst wenn die Ichform mir unterl�uft, das hei�t sich f�rmlich aufdr�ngt beim Niederschreiben dessen, was wohl schon seit Jahren sich durch Gedanken, Erlebnisse, Ergebnisse, durch Kampftage und stille Seligkeiten kl�rte und zugleich verdichtete, vom Allt�glichen abgel�st, aber nicht den Alltag verachtend oder gar, was noch schlimmer ist, ihn zum Himmel auf Erden mit falschen Farben und verlogener Musikbegleitung uml�gend aus Unf�higkeit und Selbstbetrug. Zu hart ist besser als zu weich, zu bunt freilich auch ges�nder als grau, zu derb ertr�glicher als zu sanft. L�rmen soll der Dichter nicht, aber auch nicht immer fl�stern. Er mu� �ber alle Register, von erhabener Stimme zum ersterbenden L�cheln verf�gen; denn dies spielt der Alltag t�glich durch, wo er es wert ist, verdichtet und durchleuchtet zu werden. Es gibt keine Mehrzahl von Alltag, Alltage gibt es nicht – er ist zahllos, und er war gestern wie er �bermorgen sein wird, einfach und ist zeitlos. So soll in einer Dichtung, im Lied, im Gedicht, in der Erz�hlung, im dichterischen Bericht, dem ernsten Bruder des Unterhaltungsromans, das Bildnis von Volk wohl in seinen einzelnen Gliedern und seinem Einzelgeschehen zeitlos gestaltet sein als Gleichnis, als Beispiel, als Sinnbild.

Das sieht, so gesagt, vielleicht ein wenig verwickelt aus, aber wer das Buch eines Dichters liest, vielleicht die dichterischen Berichte, die man, weil es noch kein anderes Wort daf�r gibt, Roman nennt, des �Bauernadel�, des �Tulipan und die Frauen�, der �Kleinen Frau Welt�, der �Leute von Burgstetten�, des �Hans Fram�, des �Fegfeuers�, des �Heiner und Barbara�, des �Tautr�gers�, des �Erdgeist�, versp�rt, da� sich die Verwicklung des bekennerischen Planes von selber aufl�st.

Ich mu�te hier von mir reden und tue dies nicht aus eitlem Selbstvergn�gen. Ich sch�me mich aber auch gar nicht, von mir zu reden als dem in die lange Kette verwandter Sippen eingeschlossenen Glied, das wei�, ohne die Wissenstr�ger und seelischen Kraftfelder derer, die vor mir kamen und derer, die um mich leben, bin ich nichts, mit ihnen alles: Volk, Mann der Arbeit und – wenn es so bestimmt ist – Dichter �ber die Zeit meiner Erdentage hinaus.

Diese Erdentage haben im Lenz 1891 begonnen im Haus zum alten L�wen am Oberlindenplatz in Freiburg. Sie haben sich durch ein Lehrerexamen, durch Weltkriegsjahre an der westlichen und an der russischen Front hindurchgez�hlt, sind von Musik durcht�nt worden, der ich einmal wesentlicher zu dienen glaubte als der Dichtung. An Lebensgefahren und zerm�rbenden N�ten ist kein Mangel gewesen, davon soll man nicht zuviel reden. Mein Dasein ist infolge eines diesbez�glichen Titels nicht professoral, nein, nicht professional (oh, diese Fremdw�rter!) geworden: Es hat viel Steigung und auch viel – Gef�lle. Sollt' es denn anders sein im Schicksalsreich der Deutschen, bei einem von den vielen, die bisweilen ein Augenblitz der sch�pferischen Gnade trifft?

Allerdings ist mir Hast fremd. Als �Erdger�chler� von volksfernen Kritikern fr�her abgetan, sah ich nie einen anderen Weg vor mir als in Werk und Wesen nach dem Wachstum zu streben, das tiefe Wurzeln in Blut und Erde hat und den Atem in der Welt, der nahen und der fernen Welt.

 

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