François René Chateaubriand
Erzählungen
François René Chateaubriand

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Chateaubriand.

In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts wohnte zu St. Malo in der Bretagne Herr Leprêtre, ein finsterer, mürrischer Charakter, der weder mit dem damaligen Zeitgeist, noch mit seiner Familie auf gutem Fuße stand und sich ersterem zum Trotz in die Erinnerung an die gute alte Zeit feudalistischer Vorrechte und Anmaßungen versenkte. Es mag ihm manchmal recht weh gethan haben, daß er sich versagen mußte, weitere Kreise mit all den Chikanen zu bedenken, die er seiner Familie und seiner frommen, gemüthreichen Frau in desto vollerem Maße zu theil werden ließ. Auch nachdem er infolge Besitzübernahme eines der ausgestorbenen Familie Chateaubriand früher zugehörigen Landguts sich den Namen dieser Familie zugelegt, ward die Laune des Herrn nicht besser; Furcht und Zittern herrschte unter seiner häuslichen Umgebung, und der nachgeborne Sohn, François René, der später als Dichter, Historiker, Philosoph, Publicist, Staatsmann, Minister, Diplomat, Pair und Parteihaupt so berühmt gewordene Vicomte de Chateaubriand, erblickte das Licht dieser Welt 1768 unter sehr ungünstigen Auspiecien. Selbst finster, verschlossen und ungesellig, bemerkte der heranwachsende Knabe es kaum, wie wenig ihm von dem größten Glück der Jugend, der durch eine heitere Umgebung mit Vorbedacht genährten kindlichen Heiterkeit, zugemessen wurde. In die Träume seiner frühesten Kindheit tönte das Geräusch der Wogen des Atlantischen Oceans, mit denen tagsüber der Herr Papa um die Wette brummte, und als die Familie später auf dem Schloß Combourg Wohnung nahm, konnten die dunklen Gänge, in welchen der Schritt des Kindes ein dröhnendes Echo weckte, die geheimnißvollen Wendeltreppen der massiven Thürme, die vielen unheimlichen Winkelchen des alten Nestes den zum Düstern hinneigenden, phantastischen Charakter in seinem einseitigen Wachsthum nur fördern. Da den kleinen François künftighin nur ganz besonders glückliche Umstände, wie z.B. Sterbefälle und dergleichen, bei dem Erbrecht, welches dem Erstgebornen den Löwenantheil zusprach, vorwärts bringen konnten, so wurde er schon bei Zeiten für den geistlichen Stand bestimmt, nicht ohne besonderes Zuthun seiner frommen Mutter, die keinen höhern Wunsch kannte als den, in dem Knaben einst den gottgeweihten Priester zu sehen, und aus dieser gehofften Zukunft des geliebten Sohns den Trost schöpfte, den ihr eine freudenlose, traurige Gegenwart versagte.

Den üblichen Schulunterricht empfing der kleine Chateaubriand in dem Kollegium zu Dol und dann in dem zu Rennes. Hier machten von den Schriften, die ihm in die Hände kamen, die Bekenntnisse des Augustinus und die Dichtungen des alten Horaz den bedeutendsten Eindruck auf seinen empfänglichen Geist. Des lebensfrohen, muntern Heiden Belehrung scheint den Studenten jedoch mehr angemuthet zu haben, denn trotz der Frömmigkeit des heil. Augustin gab er seiner ursprünglichen Absicht, sich dem geistlichen Stand zu widmen, den Abschied und trat mit großen Hoffnungen in die königliche Garde ein. Der trockenen Beschäftigung, sich selbst und die unbehülflichen Rekruten im Kamaschendienst zu üben, ward der junge Unterleutnant, der voll Ehrgeiz und Eigenliebe nach Paris gegangen war, bald überdrüssig. Glücklicherweise hob ihn seine verwandtschaftliche Verbindung mit Malesherbes, dem gefeierten Dichter, über die niederen Regionen, in welche ihn seine militärische Stellung bannte, empor und verschaffte ihm auch in höheren Zirkeln eine freundliche Aufnahme; er ward sogar dem König vorgestellt, freilich ohne von demselben der Anrede und nähern Kenntnisnahme gewürdigt zu werden. Bei dieser Unterstützung ließ es der gefällige Malesherbes übrigens nicht bewenden, sondern gab dem jungen Leutnant auch Gelegenheit, in das Getriebe der Staatsmaschine Einblick zu nehmen. Die politischen Finessen reizten ihn anscheinend nicht, seine Neigung wandte sich vielmehr literarischer Beschäftigung zu: als Schriftsteller wollte er Ruhm erwerben. Der bescheidene Erstling seiner Muse, eine gefühlvolle Idylle, fand wirklich den Beifall hochansehnlicher Leute – Laharpe lobte die Versifikation, und Chamfort meinte, das Ding sei für einen jungen Edelmann nicht übel. Gleichwohl machten diese ersten Lorbeerblätter den Effekt nicht, welchen Chateaubriand davon wünschte; die böse Welt gab nicht weiter darauf Acht. Einen Namen von Klang und Ruf zu gewinnen, mußten andere Versuche gemacht werden, und nach der Legende soll es der besonnene, allem extremen Wesen fremde Malesherbes gewesen sein, der dem jungen Streber ein Ziel zeigte, phantastisch genug, um ihn zu begeistern, großen Ruhm versprechend, wenn die Arbeit glückte. »Suchen Sie den Seeweg nach Asien um das arktische Amerika herum«, soll er ihm gesagt haben, und sofort beschloß der junge Mann, das Feuer seines Ehrgeizes gegen die nordischen Eisblöcke in den Kampf zu führen. Im Frühjahr 1791 schiffte er sich nach Amerika ein und suchte, in Philadelphia angekommen, Washington auf, der den Schwärmer mit Wohlwollen empfing, ihm jedoch die großen Hindernisse nicht verbarg, die sich dem Unternehmen entgegenstellen würden, da er aller Hülfsmittel und aller höhern Protektion entbehre. Schnell gefaßt, erwiderte Chateaubriand, es scheine ihm leichter, den gesuchten Durchgang zu finden, als ein neues Volk zu schaffen; der welterfahrene Washington erkannte seinen Mann und entließ ihn, ohne weitere Einwendungen zu machen, freundlich, wie man einen Don Quijote behandelt, den zu kränken nichts nutzt.

Die Entdeckungsreise wurde angetreten; Fußwanderungen brachten den kühnen Forscher in die Urwälder, und voll der Wunder, mit welchen ihn die neue und doch so alte Welt überraschte, staunend vor der Riesengewalt der Natur, die in den Niagarafällen so unerschöpflich und so sichtbar tobt, verlor er sich in einer verehrenden Betrachtung der Horden, an welche die Civilisation noch keinerlei Feile angelegt. Daß der Mensch, wie er aus der Hand der Schöpfung hervorgeht, ein ziemlich unsauberes Stück Arbeit ist, ein des Zuschnitts sehr bedürftiges Wesen, an welches viel Seife, Fibeln und Schiefertafeln gewandt werden müssen, viel Aerger und gute Worte, ehe man es seinem Schöpfer vorstellen kann, ohne sich selbst dadurch zu blamiren, das übersah Chateaubriand absichtlich. Er hauste in den Wigwams der Indianer, rauchte die Friedenspfeife mit ihnen und fühlte sich wahrscheinlich dem Weltgeist näher, wenn er sich im Kreis der dummpfiffigen Patrone in das Studium ihres Wesens vertiefen konnte. Man schwärmte damals für solche Urzustände (s. Seume's weltbekannten Kanadier, der ja auch zu den »besseren Menschen« gehört), man wollte nicht daran glauben, daß der Egoismus nie schärfer hervortritt als im Kindesalter des Einzelnen wie der Völker, daß der roth angestrichene, mit Adlerfedern besteckte und mit Thierfellen behängte Waldteufel, der bei guter Laune den verirrten Wanderer mit Hummer, Lachs und frischem Bärenschinken füttert, bei schlechter Laune den ersten besten ohne Gewissensskrupel todt schlägt. Die neueste Zeit hat freilich diese Verehrung für Urmenschen abgethan, und was sich dem Schritte der modernen Kultur entgegenstemmt, wird einfach vernichtet. Chateaubriand, traf es gut bei den Indianern und hatte der nordwestlichen Durchfahrt gänzlich vergessen, als ihm eines Tags der Zufall eine zerrissene englische Zeitung in die Hand drückte, welche wundersame Mär enthielt von der Flucht des Königs von Frankreich und den Vorgängen in Varennes. Damit war seinem Ehrgeiz ein neues Ziel gegeben: unverzüglich schiffte er sich nach Europa ein (1792). Paris traf er im Zustand vollkommenster Gährung und sah sich selbst dort bald bedroht, floh deshalb nach Brüssel, wo ihn die »ritterlichen Getreuen« wie einen Saumseligen empfingen, der es nicht verdiene, an der glorreichen Wiederherstellung Frankreichs teilzunehmen. Aus Gnade nur in ein Regiment der Prinzen eingereiht, durfte er den unglücklichen Feldzug von 1792 mitmachen, ward bei Thionville verwundet und kam krank und sehr elend nach England. Die Mildthätigkeit freundlicher Menschen rettete ihn vom Tod, er genas; aber vereinsamt und ohne Fürsprache, mußte er, um sich die nöthigen Subsistenzmittel zu verschaffen, Unterricht im Französischen ertheilen und um kargen Lohn für Buchhändler übersetzen. Ungeachtet seiner bedrängten Lage trat er damals mit seinem »Essai historique« hervor, der die Frucht anstrengender nächtlichen Studien war; er vertrat darin die Ansicht, daß alle Revolutionen das Menschengeschlecht nicht fördern, daß die Opfer, die sie kosten, den Erfolg, den sie haben und haben können, bei weitem überwiegen. Dabei verkündete er aber politische und religiöse Meinungen, die sich für den Emigrirten nicht recht schickten, und die er später bei Gelegenheit einer neuen Ausgabe des Buches widerrief. Aber schon um diese Zeit bereitete sich seine religiöse Umwandlung vor, als ihm der Tod seiner frommen Mutter mit der Bemerkung gemeldet wurde: die Verirrungen des Sohns hätten das Herz der durch die Revolution schwer Betroffenen vollends gebrochen. Bald danach starb auch seine Schwester. »Diese Stimmen«, sagt er, »die aus dem Grab zu mir sprachen, dieser Tod, der mir die Bedeutung des Todes zeigte, erschütterten mein Innerstes, und ich ward ein Christ.«

Im Jahr 1800 nach Frankreich zurückgekehrt, trat Chateaubriand mit dem Roman: »Atala«, der ersten Aeußerung seiner neuen Geistesrichtung, an die Öffentlichkeit und ließ ihr 1802 »Der Geist des Christenthums« folgen; »Atala« bildet darin das 18. Buch. Diese Schrift, eine mit allem Zauber der Beredsamkeit und Dichtung ausgeschmückte Apologie despositiven Christenthums, sollte das Chaos des bewegten Menschenlebens von dem Standpunkt einer religiösen Philosophie aus erläutern und erhellen; sie machte großes Aufsehen und gab dem Autor eine Stelle unter den genanntesten Schriftstellern seines Volks und seiner Zeit. Er hatte sie Bonaparte, dem damaligen Ersten Konsul, gewidmet und in der Zueignung gesagt: »Ich übergebe das Werk dem Schutz dessen, welchen die Vorsehung von lange her bezeichnet hatte zur Erfüllung ihrer wundervollen Absichten«. Der allmächtige Konsul, von dem Wunsch beseelt, zur Erreichung politischer Zwecke das Ansehen der Kirche wieder hergestellt zu sehen, zeigte sich dem neuen Apostel loyaler Lehre gegenüber nicht undankbar. Schon früher hatte Chateaubriand zugleich mit Fontanes und Laharpe das Privilegium zur Herausgabe des streng konservativen Journals »Mercure de France« erhalten; jetzt (1803) wurde er der Gesandtschaft in Rom als Sekretär zugetheilt, wußte sich jedoch in diese Stellung nicht zu finden und verließ infolge von Mißhelligkeiten, die zwischen ihm und dem Kardinal Fesch ausbrachen, Rom ohne höhern Auftrag, um nach Paris zurückzukehren. Dem Ersten Konsul gefiel zwar dieses ungebundene Wesen nicht, doch glaubte er, dem Mann, dessen gewichtigen Beifall er ungern entbehrte, manches nachsehen zu müssen, und ernannte ihn zum Gesandten in Wallis. Auch verschaffte sein mächtiges Wort dem Werk über das Christenthum einen der von ihm gestifteten zehnjährigen Preise des National-Instituts. Das freundliche Verhältnis zwischen dem Despoten und dem Dichter schien fest begründet, als der erstere diesem durch die Hinrichtung des Herzogs von Enghien über seinen wahren Charakter die Augen öffnete. Chateaubriand sah, daß er sich gründlich geirrt, als er Bonaparte für einen jener Menschen nahm, »welche die Gottheit, wenn sie des Strafens müde ist, zum Zeichen der Versöhnung auf die Erde sendet«. Mit einer ihm sehr wohl anstehenden Mannhaftigkeit brach der Dichter seine erst so kurz begonnene politische Laufbahn ab und trat 1806 eine Reise nach dem Orient an, von der er im Mai des folgenden Jahrs zurückkehrte. Er brachte »ein Dutzend Kiesel von Sparta, Argos und Korinth, einen Rosenkranz, ein Fläschchen Wasser aus dem Jordan und etwas Schilfrohr von den Ufern des Nils als Zeugnisse seiner Pilgerfahrt und seines Glaubens« von dieser Reise mit, zugleich aber auch das Koncept zu demjenigen Werk, welches den Höhepunkt seiner Autorschaft bildet, zu dem religiösen Epos: »Die Märtyrer oder der Triumph der christlichen Religion«, dem sich seine religiös-poetische Reisebeschreibung: »Von Paris nach Jerusalem und von Jerusalem nach Paris« anschloß.

In den »Märtyrern« kommen alle seine alten Phantasien, die Träume aus den Wildnissen Amerika's noch einmal hervor, und zu ihnen gesellen sich Reminiscenzen aus der Kirchen- und Ketzergeschichte, aus dem klassischen Alterthum und aus seiner Reise; alles wurde zu einer Verherrlichung des Christenthums verarbeitet, und mit hochpoetischen Schilderungen, an denen das Werk reich ist, verbindet sich viel gehaltloser Bombast und wortreicher Schwulst.

Bis zur Katastrophe von 1814 lebte Chateaubriand in stiller Zurückgezogenheit und allem politischen Treiben fremd. Sein Eigenthumsrecht am »Mercure de France« war ihm aberkannt; dessenungeachtet blieb er ein Bewunderer des kriegerischen Ruhms, den die Siege des Kaisers auf Frankreich häuften.

Der ihn zur Sympathie mit den Unterdrückten hintreibende Instinkt zog ihn trotz aller Verehrung für die Erfolge des Machthabers sehr bald in die Interessen und geheimen Bestrebungen der Bourbons hinein; beim Sturz Napoleons vergaß er vollends sich selbst und seine bisher bewiesene Großherzigkeit und warf in seiner Schrift: »Ueber Bonaparte, die Bourbons und die Nothwendigkeit des Anschlusses an die legitimen Fürsten« »nicht das Schwert des Brennus, sondern den Hohn des Wilden, der sein Schlachtopfer wehrlos an den Pfahl gebunden sieht, in die Wagschale«. Den Mann des Jahrhunderts, der ihm früher als ein Bote der Vorsehung gegolten, traf jetzt ein bitteres Verdammungsurtheil. Der gemäßigte und gemüthliche Liberale entpuppte sich plötzlich als fanatischer Ultraroyalist. »Der Philosoph der Wüste bestrebte sich«, wie Lady Morgan sagt, »nunmehr der Philosoph der Tuilerien zu sein.« Damit ging sein Glücksstern auf. Man belohnte ihn mit dem Gesandtschaftsposten in Stockholm, aber ganz gegen seine Neigung; der entschiedene Legitimist sollte am Hof eines Emporkömmlings, eines Sohns der Revolution, eines Waffengefährten Napoleons weilen und mit Devotion sich seinem Thron nahen! Sicherlich eine fürchterliche Zumuthung für solch einen Schwärmer der Legitimität. Die plötzliche Rückkehr Napoleons von Elba riß ihn aus der Verlegenheit. Er folgte Ludwig XVIII. nach Gent, wurde Minister des Auswärtigen am dortigen Hof und legte als solcher dem König den merkwürdigen Bericht über den Zustand Frankreichs (Mai 1815) vor, welchen Napoleon für so unschädlich oder sogar seiner eigenen Sache so günstig hielt, daß er denselben in Paris verbreiten ließ. Nach der Entscheidungsschlacht bei Waterloo kehrte Chateaubriand mit dem König nach Paris zurück; sein nominelles Portefeuille gab er zwar jetzt ab, wurde aber dafür in die Zahl der Pairs und Räthe des Königs aufgenommen. Von nun an focht er in den vordersten Reihen der Aristokratie, die, ungebessert durch die Stürme und Drangsale der Revolution nach Frankreich zurückgekehrt, die Herstellung des alten feudalistischen Unwesens als Vollendung der Restauration erstrebte. Chateaubriand stimmte eifrig für strenge Maßregeln gegen politische Umtriebe, für Herstellung der alten gerichtlichen Formen und gegen die theilweise Erneuerung der Deputirtenkammer. Bisher war er nur ein Verkündiger des mittelalterlichen Kultus und des mittelalterlichen Ritterwesens, jetzt predigte er auch die Privilegien und das feudalistische Wesen der mittlern Zeit als heilsame Institutionen und ging in seinen Absichten und Plänen weiter, als Ludwig gestatten und verantworten konnte.

Nachdem er im Mai 1816 Mitglied der Akademie geworden, ließ er seine Schrift: »La monarchie selon la Charte« erscheinen und gab darin so unpolitische und unpraktische Vorschläge und Erläuterungen zur Charte, machte so unvorsichtige und ungemessene Zweifel ihr gegenüber geltend, daß der König, welcher bei der Abfassung derselben bedeutend mitgewirkt hatte und darauf eitel war wie ein junger Mensch auf sein erstes Gedicht, dem Ueberlästigen sehr ungnädig wurde und ihn aus der Liste der Staatsminister und Pairs strich. Aber er fand Schutz und Aufnahme bei dem Grafen von Artois und der Herzogin von Angoulême, den Häuptern der Rückschrittspartei, und zum Dank dafür nahm er nun theil an den ultraroyalistischen Bestrebungen der Camarilla, kämpfte zu ihren Gunsten gegen das Ministerium Decazes und erklärte geradezu, Frankreich müsse untergehen, wenn man bei dem bisher verfolgten System beharre. Dadurch sah er sich wirklich wieder zu Gnaden aufgenommen und stieg so hoch in der Gunst des Hofs, daß man ihn 1820 als bevollmächtigten Minister und außerordentlichen Gesandten nach Berlin schickte und nach seiner Rückkehr im folgenden Jahr wieder zum Staatsminister und Geheimen Rath ernannte. 1822 wurde er an Decazes' Stelle Gesandter in London; seines Bleibens war jedoch auch dort nicht, er ging vielmehr bald wieder nach Paris zurück, folgte dem Herzog von Montmorency auf den Kongreß zu Verona und sprach dort so beredt gegen alle revolutionären Bestrebungen, daß er selbst Montmorency, dessen Name das ganze aristokratisch-feudalistische Mittelalter zu umfassen schien, verdrängte. Chateaubriand kam nach Paris zurück, um an des Herzogs Stelle das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zu übernehmen. Auch diese Stellung hatte nicht lange Dauer. Als er Billèle's Gesetzentwurf, die Renten herabzusetzen, in der Pairskammer nicht unterstützte, erhielt er 5. Juni 1824 auf eine sehr unzarte Weise seine Entlassung aus dem Ministerium.

»Sie haben mich«, rief er entrüstet aus, »wie einen Bedienten fortgejagt, der die Uhr des Königs vom Kamin gestohlen.« Der russische Andreasorden und der preußische Schwarze Adlerorden, die er als Beweise der Anerkennung seines loyalen Strebens vom Ausland her erhielt, vermochten ihn nicht zu beruhigen.

Von nun an bekämpfte er alle Maßregeln des neuen Ministeriums mit bitterer, scharfer Kritik und schien ein Unversöhnlicher. Nach Ludwigs XVIII. Tod hatte er schon am 17. September eine meisterhaft geschriebene Flugschrift: »Le roi est mort, vive la roi!« erscheinen lassen, welche ihm Karls X. Gnade zuwandte. Da er trotzdem nicht ins Ministerium kam, beharrte er in seiner oppositionellen Stellung. In seiner Flugschrift: »De l'abolition de la censure« den Satz vertheidigend, daß ohne Preßfreiheit die repräsentative Verfassung nichts tauge, fand er wohl den Beifall aller Wohlgesinnten, griff aber doch damit selbst das an, was er einst aufzurichten sich bemüht. Seine freimüthige »Note sur la Grèce« wirkte für die Sache der Griechen, für welche er auch in der Kammer mit Nachdruck auftrat. Seltsamerweise figurirte nun plötzlich der getreue Kämpe des Absolutismus als der von den Liberalen gepriesene Held des Tags, aber nicht lange; das öffentliche Leben und wohl besonders die Widersprüche, in die er sich verstrickt sah, rieben ihn zuletzt so auf, daß er sich fast gänzlich vom politischen Schauplatz zurückzog und zur Erholung seine seit Jahren zurückgeschobenen poetischen und historischen Studien wieder vornahm.

Trotz der Ungnade, in die Chateaubriand gefallen, wollte man ihn nicht vergessen; unter dem Ministerium Martignac wieder aus seiner Muße herbeigezogen und als Botschafter nach Rom gesandt, hielt er vor Papst und Kardinälen eine glänzende, aber merkwürdig unkatholische Rede, in der er, seiner staunenden Umgebung vergessend, die Fortschritte der Zeit und Civilisation pries. Im August 1829 gab er die Botschafterstelle schon wieder auf und kehrte in das Privatleben zurück, um sich ganz den Bourbons zu widmen, die übrigens gar nichts von ihm wissen wollten.

An der Julirevolution nahm er keinen Antheil, vielmehr sprach er in der Pairskammer mit Begeisterung für die Rechte des Herzogs von Bordeaux; auch konnte er es nicht über sich gewinnen, dem neuen Bürgerkönig den Eid der Treue zu leisten, und trat deshalb, sein jährliches Einkommen von 12000 Franken preis gebend, aus der Pairskammer aus. – Infolge von Entdeckungen, die man bei anderen Legitimisten gemacht haben wollte, kam auch er in den Verdacht, für die vertriebene Königsfamilie zu konspiriren, und wurde 16. Juni 1832 verhaftet, aber schon am 30. d. M. wieder in Freiheit gesetzt. Nicht geringen Antheil an der Erregung dieses Verdachts hatte die literarische Bethätigung seiner Anhänglichkeit an die Herzogin von Bern und ihren Sohn, den Roy ohne Thron.

Jedoch das Unglück verfolgte den verbissenen Champion der Legitimität; zu den vielen Täuschungen, denen er trotz seiner außerordentlichen Begabung bisher verfallen war, gesellte sich eine neue: auch sein Abgott, das Gefäß, welches nach seiner Ansicht die ganze Herrlichkeit gottbegnadeten Fürstentums der künftigen Generation zu übermitteln bestimmt war, dem er mit seinem guten Rath immer beigestanden, dessen Glorificirung er sich so angelegen hatte sein lassen, stieg plötzlich herab aus der ätherischen Höhe und wandelte ganz gewöhnliche Menschenwege.

Karoline Ferdinande Luise, Wittwe des Herzogs von Bern (Karls X, zweiten Sohns), hatte, nach Ermordung ihres Gatten durch einen politischen Fanatiker, am 29. September 1820 den Prinzen Heinrich d'Artois, Herzog von Bordeaux, geboren. Als die Julirevolution von 1830 ihren Schwiegervater zur Flucht nöthigte, folgte sie ihm mit ihren Kindern nach Holyrood und ging in der Absicht, ihren Sohn später als König nach Frankreich zurückzuführen, im Jahr 1831 nach Italien, wo sich bald Anhänger der Bourbons um sie scharten. Die Regierung Louis Philipps glaubte das Staatsruder am sichersten lenken zu können, wenn sie weder den streng Konservativen noch den Radikalen sich anschließe, sondern einen Mittelweg wähle, auf dem dann die Gemäßigten von beiden Seiten sich vereinigen würden. Die leitenden Minister, Casimir Perier an ihrer Spitze, bildeten daher das System der rechten Mitte (Justemilieu) aus und stellten es als Richtschnur ihres Handelns auf. Sie erhielten davon den Namen Doktrinäre und zogen sich den Vorwurf zu, daß ihre Staatsweisheit nicht auf dem wirklichen Leben und der praktischen Anschauung der Zeitverhältnisse, sondern auf selbstgeschaffenen Theorien, auf vorgefaßten Meinungen und Ansichten beruhe. Unter denen, welche den Doktrinarismus bekrittelten, zeigten sich die Legitimisten sehr bald als unternehmende Gegner, besonders im Vertrauen auf die Macht des mit ihnen verbundenen Klerus. Zwar erwies sich die Hoffnung, daß Erfolge schon jetzt herbeizuführen seien, als irrig, und das Aufpflanzen der weißen Fahne in der Kirche St. Roche am Todestag des Herzogs von Bern (15. Febr. 1831) erregte einen heftigen Aufstand, infolge dessen der erzbischöfliche Palast zerstört wurde. Nun erwartete man alles von der getreuen Vendée. Der Zeitpunkt, dort die Erhebung der Fahne Heinrichs V. zu versuchen, wurde für günstig erachtet, und die Herzogin wollte sich selbst dahin begeben, um den kriegerischen Muth des frommen Volks zu ritterlichen Großthaten anzufeuern. Am 29. April 1832 landete sie in Marseille, fand aber ihre Partei leider zu schwach und kam nicht als eine neue Jeanne d'Arc, sondern verkleidet, eine Flüchtige, Schutz suchend nach der Vendée; sie erregte auch einige freilich sehr schnell wieder unterdrückte Aufstände, bestand mannigfache Abenteuer und ward endlich in Nantes, nachdem man sie aus ihrem Versteck im Kamin durch ein angezündetes Feuer herausgetrieben, verhaftet und auf die Citadelle von Blaye gebracht. Die Legitimisten kamen in die größte Aufregung; Chateaubriand gab sofort eine »Denkschrift über die Gefangennehmung der Herzogin von Bern« heraus und gerieth wegen aufrührerischer Tendenzen, die man darin finden wollte, in einen Preßproceß, der mit seiner vollständigen Freisprechung endigte. – Da, als alle bourbonenfreundliche Herzen zitterten aus Furcht darüber, was mit der Mutter ihres zukünftigen Königs werden sollte, erklärte diese, daß sie in zweiter Ehe mit dem neapolitanischen Marchese Lucchesi-Palli vermählt sei und sich guter Hoffnung fühle. Dieses Eingeständnis brachte sie um ihre ganze politische Bedeutung, und die Regierung entließ sie ihrer Haft. Selbst die Enttäuschung konnte Chateaubriand in seiner Anhänglichkeit nicht erschüttern; er that den Ritter ab, wollte nur der teilnehmende Menschenfreund sein und machte sich sogar anheischig, selbst nach Blaye zu kommen und an die Wiege zu treten. Unermüdlich war er in seinen Anstrengungen, die Herzogin mit ihrer Familie auszusöhnen; er reiste nach Prag, um Rang und Würde der nunmehrigen Gräfin Lucchesi zu sichern, und mit diesen »Pilgerfahrten zum Hof der Verbannung« schließt seine politische Thätigkeit. Seitdem widmete er sich hauptsächlich der Ausarbeitung seiner Memoiren, die größtentheils erst nach seinem Tod erschienen, aber schon bei seinen Lebzeiten verkauft waren. Er starb zu Paris 4. Juli 1848.

Goethe charakterisirte ihn als »ein rhetorisch-poetisches Talent, mit Leidenschaft Stoff in der äußern Welt suchend, sich zu religiösen Gefühlen steigernd, eine durchaus physisch-moralische Kraft und auch so in der politischen Welt erscheinend«. – Scherr sagt von ihm, daß er allen Adel und alle Narrheit der Chevalerie in sich vereinigte. – Aus seinen Memoiren ergab sich, wie wenig Talent und Einbildungskraft ausreichen, für den Mangel an Charakter zu entschädigen. Der angebetete Märtyrer und Prophet erscheint darin als ein kalter Nihilist, wenigstens stellt er sich selbst als von Jugend an dem Unglauben und der Blasirtheit verfallen dar. Nur einen Glauben hat er, selbst gegen seine bessere Einsicht, nie verleugnet, den Glauben an die Vortrefflichkeit des mittelalterlichen Feudalstaats, an das Recht des legitimen Königthums und an die Nothwendigkeit einer katholisch-romantischen Religion. Vorkämpfer und oberstes Haupt der Romantik in Frankreich, war er zugleich auch der Hauptvertreter der poetischen Prosa; als solchen lassen ihn die übersetzten drei Stücke: »Atala«, »René« und »Der letzte der Abenceragen« in einem glänzenden Licht erscheinen; sie sind wohl auch die einzigen seiner Werke, die einem weitern Kreis überliefert zu werden verdienen und einen bleibenden Werth haben.


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