Hedwig Dohm
Die Ritter vom Goldenen Kalb
Hedwig Dohm

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Hedwig Dohm

Die Ritter vom Goldenen Kalb

Lustspiel in 1 Akt

(1879)

Eduard Bloch's Theatercorrespondenz Nr. 126

Theater-Buchhändler in Berlin, Brüderstraße 2

Personen:
Besetzung am Königl. Hoftheater in Berlin

Hildegard von Eichstädt: Frl. Keßler

Ilse Müller, ihre Gesellschafterin: Frl. Abich

Herbert von Buch, Gutsbesitzer: Herr Liedke

Baron Friedrich von Werlitz, Diplomat: Herr Vollmer

Victor Taschenberg, Referendar: Herr Fink

Graf Xaver Nicolowitsch: Herr Dehnicke

Ort der Handlung: Wiesbaden

Decoration: Eleganter Salon im Kurhause. Eine Thür nach dem Garten zu steht offen. Bücher und Zeitungen liegen auf den Tischen herum. Auf einem der Tische steht ein Vase mit Blumen


1. Auftritt

Herbert von Buch (sitzt rechts auf einem Lehnstuhl und liest Zeitungen. Die Thür eines Nebenzimmers links öffnet sich und Victor Taschenberg mit einem Rosenbouquet in der Hand tritt ein. Er sieht sich nach allen Seiten hin um.)

Herbert Sie suchen die Baronin?

Victor Ja. Warum geht die Sonne heut so spät auf?

Herbert Frühstückspartie nach der Platte, man wird vor dem Diner nicht zurücksein. Stellen Sie nur die Rosen da ins Wasser, dann bleiben sie frisch.

Victor Meinen Sie? Gut, ich werde sie in's Wasser stellen. Sagt doch schon der Dichter: "So stellt sie in ein Wasserglas." Ich bitte Sie aber, nicht daran zu riechen, nicht die Rosen allein, auch ihr Duft ist meiner Göttin geweiht. Ab durch die Mitte.

Herbert nach der Uhr sehend Eine Verspätung um eine halbe Stunde. Geht an die Gartentür und sieht hinaus. Nichts zu sehen. Ich hasse Unpünktlichkeit.

Graf Xaver erscheint auf der Schwelle des Nebenzimmers rechts, ebenfalls mit einem Bouquet.

2. Auftritt

Herbert. Xaver.

Xaver (sich umsehend) Keine Baroneß? Wo ist Baroneß? Wo in Teufel seinen Namen steckt Baroneß?

Herbert Nimmt ihr Frühstück heut in der Försterei ein, kaum eine Stunde Wegs von hier.

Xaver Kaum? Danke. Diabolisches Einfall. Hitze, Staub – transpiriren gern? ich nicht.

Herbert Ist nichts zu machen.

Xaver Ist zu machen. Bouquet kosten mich dreißig Frank. Was ist Kennzeichen von die wahre Liebe? – Kostspieligkeit von die Geschenke. Aber Zeiten sind theuer. Werde dreißig Frank bei polnischem Engel, bei Fräulein Wanda anlegen. – Wollen Billard mit mir spielen, Sie?

Herbert Ich danke. Xaver nach rechts ab. Ein recht reinliches Geschäft treibe ich hier.

Hildegard tritt durch die Gartenthüre ein, sie hält ein Körbchen mit einer Stickerei in der Hand.

3. Auftritt

Hildegard. Herbert.

Hildegard kurz und hochfahrend. Guten Morgen. Niemand hier?

Herbert ihre Begrüßung ebenso erwidernd. Guten Morgen. Niemand hier.

Er liest weiter, Hildegard nimmt ihre Stickerei vor. Kurze Pause.

Hildegard Graf Xaver nicht nach mir gefragt? Herbert giebt sich den Anschein, die Frage nicht zu hören, sie wiederholt sie lauter. Ich frage, ob Graf Xaver hier war?

Herbert kurz Nein. Kurze Pause.

Hildegard Ob die Partie heut zu Stande kommen wird?

Herbert Zwischen wem?

Hildegard Nach der Platte meine ich.

Herbert Kann sein, kann aber auch nicht sein.

Hildegard geht an einen anderen Tisch; sie verrät Verdruß und Ungeduld in ihren Bewegungen.

Hildegard Unausstehlich.

Herbert Was?

Hildegard Wer – wollen Sie wohl fragen.

Xaver tritt wieder von rechts ein, das Bouquet noch in der Hand haltend.

4. Auftritt

Vorige. Xaver.

Xaver einen Augenblick in der Thür stehenbleibend Habe mich nicht getäuscht. Eben will Kugel von Billard einen Stoß geben, da fällt mein Blick auf Garten und erblicke wen? Engel von Baroneß. Zu Herbert. Warum sagen Sie denn, daß Baroneß Frühstück in der Försterei einnehmen?

Hildegard Wie, Xaver Nicolowitsch, Sie stehen jetzt schon am hellen Vormittag auf? Es giebt keine Cavaliere mehr. Zu welcher Tageszeit ist man jetzt noch, nach diesen neuen Arrangements, vor Ihnen sicher?

Xaver Immer Scherz auf Lippe. Diese Blumen wollen zu Ihren Füßen sterben wie ich – wenn nicht im Herzen Ihriges wohnen kann.

Hildegard Mein Herz ist kein Asyl für obdachlose Gefühle.

Herbert Wenn Sie sibirische Gegenden lieben, hätten Sie es in Rußland bequemer gehabt.

Xaver Immer Scherz auf Lippe. Wenn so grausam bleiben, mache Striche unter Leben, puste aus Lebenslicht.

Hildegard Los weil ich Strich durch Rechnung mache – das wäre zu hart. Apropos, sie sprachen von der Försterei. Ich habe gestern dort köstliche Erdbeeren gegessen. Ich will mehr davon haben. Holen Sie mir, Graf Xaver, ein Körbchen voll dieser Erdbeeren.

Xaver Sowie Sonne hinter Horizont ist.

Hildegard Wie, Sie sind noch hier? und ich habe einen Wunsch ausgesprochen? Was soll das heißen?

Herbert Holen Sie das Körbchen mit Erdbeeren oder Sie erhalten einen Korb ohne Erdbeeren.

Hildegard zu Herbert. Mischen Sie sich nicht immer in die interessantesten Unterhaltungen.

Xaver Wirklich – ich muß?

Hildegard Sie müssen. Ich gebe Ihnen drei Stunden Zeit. Vor Ablauf dieser drei Stunden brauche ich die Erdbeeren nicht, will sie nicht. Adieu, Xaver Nicolowitsch,

Xaver mit verzweifelter Miene ab.

5. Auftritt

Hildegard. Herbert.

Herbert Was hat Ihnen dieses hirnlose Hampelmännchen gethan, daß Sie es zum Sonnenstich verurteilen?

Hildegard Es macht mir Spaß.

Herbert Ach so.

Hildegard Meine Gesellschafterin ist heut auf den unglücklichen Einfall gekommen, eine Frühpromenade zu machen. Es ist zu heiß, um draußen spaziren zu gehen. Unterhalten Sie mich. Die anspruchsloseste Unterhaltung ist immer noch besser als Langeweile, und ich langweile mich hier – zum Sterben. Sie gähnt.

Herbert Gähnt ebenfalls. Ach so – ich auch.

Hildegard Wie können Sie sich erlauben, in Gegenwart einer Dame zu gähnen?

Herbert Verzeihen Sie. Wenn Sie sich hier langweilen, warum sind Sie nach Wiesbaden gekommen?

Hildegard Ich habe es Ihnen ja schon gesagt – um mich zu verheirathen.

Herbert Und anderswo hatten Sie keine Gelegenheit dazu?

Hildegard Nein, denn es ist mir nicht gelungen in zehn Jahren – ja – in zehn Jahren – – warum wundern Sie sich nicht?

Herbert Kein Grund.

Hildegard Ich bin 25 Jahre alt. Sie wundern sich noch nicht?

Herbert Doch – ein wenig. Ich hörte aus glaubwürdiger Quelle, daß Sie bereits am Rande des siebenundzwanzigsten –

Hildegard ihn unterbrechend Als ob es überhaupt glaubwürdige Quellen gäbe.

Herbert Also, Sie wollten sagen, in zehn Jahren sei es Ihnen nicht gelungen –

Hildegard Nicht gelungen, unter dem männlichen Personal der Schöpfung ein einziges Exemplar aufzutreiben, das sich nicht zu meinem Sklaven geschworen hätte, sobald es in Erfahrung brachte, daß ich ein reiches, unabhängiges, elternloses Mädchen sei. Da faßte ich eines Tages den kühnen Entschluß, allein mit meiner Gesellschafterin in die weite Welt zu wandern, um –

Herbert Um –

Hildegard Um einen Gatten zu suchen.

Herbert Und was sagte Ihr trefflicher Onkel dazu, den Sie auf Ihr Gut gelockt unter dem Versprechen, ihm Tochter zu sein?

Hildegard Er sträubte sich anfangs mit Händen und Füßen gegen meine romantische Brautfahrt.

Herbert Und dann?

Hildegard Fügte er sich.

Herbert Und dann?

Hildegard Bestimmte er mich, zunächst in sein Lieblingsbad Wiesbaden zu gehen.

Herbert Und dann empfahl er Sie an mich –

Hildegard Den er seinen jungen Freund nannte. Er meinte, daß Sie mir durch Ihre gesellschaftlichen Verbindungen jede wünschenswerthe Bekanntschaft verschaffen könnten.

Herbert Und er theilte Ihnen zugleich mit, daß Ihr Herz dabei keine Gefahr laufe, da das meinige bereits in Entreprise gegeben sei.

Hildegard Der gute alte Onkel. Ich nehme es ihm nicht übel. Er hält alle Männer für gefährlich. Sogar die.

Herbert Die –

Hildegard Unliebenswürdigen.

HerbertIch danke.

Hildegard Er pries mir Wiesbaden als einen Ort internationaler Menschenausstellung, wo mir die beiden Hemisphären hinreichendes Material für meine Wahlumtriebe – sein Ausdruck – liefern würde.

Herbert Sie sind jetzt seit sechs Wochen hier, warum haben Sie noch nicht gewählt?

Hildegard Warum nicht? Wen soll ich denn heirathen? Etwa den süddeutschen Diplomaten, der in den Mußestunden dichtet und sich für eine höchst glückliche Vereinigung von Talleyrand und Göthe hält? oder den gräflichen Husaren, der sich jeden Tag von Neuem in seine Uniform verleibt, und den Schnitt seiner Nägel und seiner Haare für universelle Angelegenheiten hält? oder den polnischen Schwärmer, der stets Ränder von Abgründen und die Spitzen der steilsten Berge für die geeignetsten Lokalitäten hält, um seinen Liebesgefühlen freien Lauf zu lassen, damit er bei seinen Selbstmordsdrohungen auch gleich den scenischen Apparat bei der Hand habe? oder den nordischen, an Größenwahn leidenden Dichter, der in der Lage ist, das ganze Universum für eine miserable Einrichtung halten zu müssen, da er nicht der Mittelpunkt dieses Etablissements ist? Sie selbst sind außer Frage. Bleibt höchstens noch der Baron Werlitz, und aufrichtig gesagt, der gefällt mir.

Herbert So?

Hildegard Er interessiert mich sehr.

Herbert So?

Hildegard Haben Sie etwas dagegen?

Herbert Nicht das Mindeste

Hildegard Das ist mir lieb. Indessen ich beherzige das Wort des Dichters: "es prüfe, wer sich ewig bindet." Ich will noch ein wenig prüfen. Was sagt die Badegesellschaft über ihn?

Herbert Nur Gutes.

Hildegard Wie? hat diese Gesellschaft einen Tugendanfall, daß sie gut von ihren Nebenmenschen spricht?

Herbert Nicht von allen spricht sie gut.

Hildegard Sie wollen damit andeuten, daß ich zu letzterer Kategorie gehöre.

Herbert Sie haben es errathen.

Hildegard Was sagt man über mich?

Herbert Ich würde, wenn ich spräche, Ihren Zorn auf mich laden.

Hildegard Sie sollen sprechen, ich will es.

Herbert Gut. Die Badegesellschaft sagt: etwas schnell. Sie wären launenhaft, hochfahrend, unduldsam, spottsüchtig, pretentiös, egoistisch, grausam, herzlos, unverständig, faul, herrschsüchtig, theilnamlos, engherzig, lieblos, neidisch, boshaft, schadenfroh und – hält ein.

Hildegard Und?

Herbert Geldstolz – – sagt die Badegesellschaft.

Hildegard Wie? Geldstolz? Mir dichtet man diese Eigenschaft absurder Parvenüs an? Alles andere möchte hingehen – aber geldstolz – ich geldstolz! die ich das Geld verachte? Ja, ich hasse es. Wie motiviert man diese unverschämte Behauptung?

Herbert Lassen sie mich schweigen.

Hildegard Sie sollen reden.

Herbert Ich gehorche. Geldstolz pflegt zu sein, wem bei einer Rundreise in seiner inneren Welt nichts aufstößt, auf das stolz zu sein sich verlohnte –

Hildegard ihn unterbrechend. Ich habe Sie nicht um Ihre Meinung gefragt, ich will wissen, warum die Anderen mich geldstolz nennen.

Herbert Gut. Sie hätten sich einen Thron gebaut, sagt die Badegesellschaft, aus achtkarätigem Golde, und hätten darauf Platz genommen, angethan mit einer souveränen Robe aus Paris, und unter dem Thron stünde in Perlenschrift –die Perlen wären echt – "Ihr sollt keine anderen Götter haben neben mir." Ergo: Sie treiben Selbstvergötterung auf Conto Ihres Geldes – sagt die Badegesellschaft.

Hildegard heftig erregt. Weiter

Herbert Sie haben als Kind viele kostbare Puppen in den Winkel geworfen, zerbrochen, gemißhandelt, und nun, da Sie – lange erwachsen sind, spielen Sie mit lebendigen Puppen und behandeln sie wie Ihre Puppen aus der Kinderzeit. Sind sie zerbrochen, abgenutzt, Sie können sich ja neue kaufen. Mitten in der schönen Civilisation treiben Sie Sklavenhandel. Sie malträtiren Ihre Nebenmenschen – auf Conto ihres Geldes – sagt die Badegesellschaft. Wären Sie arm, Sie würden gerade so höflich, liebenswürdig und geistreich sein wie unsereins. Wären Sie arm, Sie würden selbst einen Russen nicht braten lassen, weil sie frische Erdbeeren essen wollen. Wären Sie arm, Sie hätten sich längst rettungslos in mich verliebt.

Hildegard ironisch. Sagt die Badegesellschaft?

Herbert Sage ich diesmal. Auf Conto Ihres Geldes warten Sie auf einen Unsterblichen, einen Menschen über Lebensgröße, einen Napoleon der Liebe. Armes junges Mädchen, in Ihrem Arnheim haben Sie zugleich mit Ihrem Geld Ihr Herz verschlossen. Wer wird das Schloß sprengen? Sicher kein ehrlicher Mann.

Hildegard Kaum kann ich mich mäßigen, so empörend ist diese Ungerechtigkeit, so unerhört. Von Allem, was sie gesagt haben, ist nur wahr, daß ich ein Dutzend Männer – nein, nicht Männer, sondern Narren, Gecken, und feile Creaturen, schlecht behandle, nein, nicht schlecht, sondern wie sie es verdienen. Der Geldstolz, den Sie mir vorwerfen, ist nichts als ein Schleier, hinter dem ich meine tiefe Erniedrigung verberge.

Herbert Von Erniedrigung sprechen Sie, Sie, die man anbetet?

Hildegard Anbetet – ja – als goldenes Kalb.

Herbert Kalb? Das ist hart, sagen wir Lamm.

Hildegard Hildegard von Eichstädt ist nichts als ein Aushängeschild, höchstens eine Wünschelrute für das "Sesam öffne dich" dieser Ritter vom goldenen Kalb. Die Röthe der Scham steigt mir in's Gesicht, wenn ich an die schamvolle Rolle denke, die zu spielen ich verdammt bin, die Rolle einer Geld-Loreley, die nicht mit dem Klange ihrer Stimme, sondern ihres Goldes die sehnsuchtsvollen Schiffer lockt. Heut erklärt mir einer, daß er sterben muß, wenn ich ihn nicht erhöre. Ich weise ihn ab, aber unter Gewissensbissen, mein Herz ist krank vor Rührung. Acht Tage später lacht er mir am Arm einer Braut, an die er sich als an die Meistbietende losgeschlagen hat, in's Gesicht. Ich tanze heut Abend einen Galopp mit einem Cavalier, den ich zum ersten Mal sehe. Ich bin in schlechtester Laune, ich mißhandle ihn, ich bin dumm, affectiert, boshaft. Am nächsten Morgen erhalte ich einen Brief von ihm: der Zauber meines Verstandes und meines Wesens habe ihn hinweggerissen, und er könne nicht umhin, mir Herz und Hand anzubieten. Tadeln Sie mich, verhöhnen Sie mich, aber glauben Sie mir, ich habe Stunden, wo ich mit der ärmsten Näherin tauschen möchte, wo eine wilde Sehnsucht mich ergreift nach einem wahren Menschen, einem wahren Gefühl, wo ich dem Ersten, Besten um den Hals fallen möchte und ihm in die Seele rufen: Liebe mich! liebe mich! Es war eine die Hand auf's Herz legend. Und noch glühen Flammen hier. Ein Strahl des Glücks, der Liebe und – einhaltend.

Herbert Hildegard!

Hildegard Wie komme ich nur dazu, Ihnen, gerade Ihnen mein Herz zu öffnen? Sie sind wie die Übrigen, alle Männer sind gleich, und ich habe ein Recht, Allen zu mißtrauen.

Herbert Mißtrauen ist die Weisheit der Thoren. Indessen, Sie haben vielleicht Recht. Es ist wahr, Ihre Anbeter sind alle nicht viel werth. Es ist auch undenkbar, daß ein Mann von Ehre und Gesinnung sich jemals um Ihre Gunst bemühen sollte.

Hildegard Wie?

Herbert Ihnen fehlt der Instinkt des Herzens, Ihnen fehlt die Intelligenz, die Spreu vom Weizen zu sondern. Sie behandeln Alle, die sich Ihnen nahen, wie Beutelschneider. Es ist aber nicht Jedermanns Sache, sich als Beutelschneider behandeln zu lassen, und darum setzt sich Ihr Liebeshof aus Schwindlern, Abenteurern und Spekulanten zusammen. Weil ein paar Dutzend Motten, von dem Glanz Ihres Goldes angezogen, Sie umflattern, wären Sie im Stande, selbst den Adler, der die Sonne umkreist, für eine Motte zu halten.

Hildegard nachdenklich. Und kein Mann von Ehre, sagen Sie, könne mich lieben?

Herbert Lieben? vielleicht – um Sie werben, Sie heirathen – nein. Und wenn Sie schön wären wie Venus – Hildegard hält das Taschentuch vor die Augen regen Sie sich nicht auf, Sie sind es nicht – und wenn ich Sie liebte – Sie wissen, ich liebe Sie nicht – nie würden meine Lippen zu einem Geständnis sich öffnen, ich würde mein Geheimnis mit in's Grab nehmen. Eine Frau wie Sie, hochmüthig und mißtrauisch, müßte mir zuerst um den Hals fallen und mir sagen, daß sie mich maßlos liebt – – ich würde dann sehen, was sich thun läßt.

Hildegard Ihr Glück, daß Sie mich nicht lieben. Ah, da kommt ja unser guter Baron Werlitz.

Man sieht Werlitz durch den Garten kommen.

Herbert Werlitz? richtig. Ein schöner Mann, nicht wahr? Jetzt hoffe ich, bin ich der Pflicht Sie zu unterhalten, ledig.

Hildegard läßt, wie unabsichtlich, eine Schleife fallen, die an ihrem Kleid befestigt war. Herbert nimmt sie schnell auf und verbirgt sie unter seinem Rock. Als Hildegard sich umsieht, giebt er sich den Anschein der Gleichgültigkeit und geht, seine Zeitung lesend, in den Hintergrund, wo er während der folgenden Scene sitzen bleibt.

6. Auftritt

Vorige. Werlitz

Hildegard Sie kommen heut spät, Herr von Werlitz?

Werlitz Haben Sie Dank für dieses Wort, meine aller-allergnädigste Baroneß.

Hildegard Ich bin heut wirklich gnädig. Sie treffen mich in allerbester Laune. Wundern Sie sich nur – ja, ich bin in mich gegangen, ich will auf meine alten Tage noch liebenswürdig werden; und von heut an glaube ich jedes Wort, das man zu mir spricht. Ich glaube, daß alle Männer gut, einfach und redlich sind und Sie, Baron, zumeist. Nun belohnen sie aber auch meine Tugend und erzählen Sie mir etwas Hübsches – Neues.

Werlitz Ich kann Ihnen heut mit einer Verlobung aufwarten.

Hildegard Wer mit wem?

Werlitz Graf Hochstedt mit Fräulein – Wanzke.

Hildegard Wie, Graf Hochstedt sagen Sie und Fräulein – Fräulein –

Werlitz Wanzke – Pardon, ich kann nichts dafür.

Hildegard Wie ging das zu?

Werlitz Das ging so zu: Der Graf hatte neuerdings nichts im Besitz als eine kolossale, unbezahlte Hotelrechnung. Seine Lage wurde peinlich. Da entschließt er sich kurz und bittet schriftlich einen Heiratsvermittler in Berlin – unter Beifügung der Kurliste von Wiesbaden – um seinen Rath. Die Antwort des Biedermanns macht ihn discret mit der Thatsache bekannt, daß seit einigen Tagen Fräulein Wanzke mit ihrem Vater, der zugleich Armee-Lieferant ist, in unseren Mauern weilt. Am Abend ist Ball, und während sechs Stunden liegt der Graf – die Schulden drücken ihn zu Boden – zu den Füßen oder vielmehr vor der Nase von Fräulein Wanzke und schwört auf Ehre, daß seine Seele in Brand stehe und bittet sie um den kleinen Feuerwehrdienst der Löschung dieses Seelenbrandes. Statt dessen fängt die Jungfrau sofort selber Feuer und soll noch an demselben Abend ihrem Vater rund heraus erklärt haben: dieser oder keiner. Zur Abschließung des Geschäfts geht der Graf am nächsten Vormittag zum Vater. Hochstedt, Sie wissen, er ist Kavallerie-Offizier, fordert eine jährliche Rente von 50,000 Mark. Der brave Soldatenernährer fällt auf den Rücken vor Schreck. Sein anderer Schwiegersohn – stammelt er am Rande des Schlagflusses – sei auch Offizier und ein Herr von und habe sich mit 20,000 Mark abfinden lassen. Wie der edle Graf jetzt aufbrauste und ihm den Unterschied zwischen einem Infantrie- und Kavallerie-Offizier klar machte, das soll großartig gewesen sein. Er bezeichnete es als ein ganz richtiges Verhältnis, daß er 50,000 haben müsse, wenn der Infantrist mit 20,000 auskäme, indem er den alten Herrn auf den Preisunterschied von einem Paar Lackstiefeln und einem Paar Reitpferden aufmerksam machte. Man einigte sich schließlich auf 40,000 Mark jährlich – exclusive die Schuldenzahlung, und Fräulein – (Er Schluckt die erste Silbe herunter.) –zke sinkt an die Kavallerie-Uniform ihres Grafen. Das ist die wahrheitsgetreue Geschichte dieser Verlobung.

Hildegard Empörend! abscheulich!

Werlitz Ich stimme in Ihren Ruf ein: abscheulich, empörend! Es ist mir unfaßlich, wie ein Mann – er müßte denn bis über die Ohren in Schulden stecken – sich lieblos ins Joch der Ehe schmiegen kann.

Hildegard Sie würden also niemals ein reiches Mädchen heirathen?

Werlitz Da sind Sie im Irrthum, gnädigste Baronin. Die reichen Mädchen haben mir nichts zu Leide gethan, warum sollte ich sie vor den Kopf stoßen? Im Gegentheil, ich würde lieber eine reiche, als eine arme Frau heirathen.

Hildegard Sie sind aufrichtig, mein Herr, fast zu aufrichtig.

Werlitz Mein Gott, es ist doch keine Tugend, ein armes Mädchen zu heirathen. Das kann jeder. Auch ich, wenn ich mich in ein armes Mädchen verliebte, ich würde mich entschließen, standesamtlich mit ihr vorzugehn. Aber wie gesagt, ich würde mich auch entschließen, einem reichen Mädchen meine Hand zu geben.

Hildegard Sie gestehen also, daß Sie eigennützig sind?

Werlitz Keineswegs. Ich für meine Person bin ein halber Diogenes. Etwas Sonnenschein und ein Faß –

Herbert ihn unterbrechend. Rüdesheimer

Werlitz Einzig und allein um der Frau willen, die ich liebe, in ihrem Interesse thäte es mir leid, wenn sie mittellos wäre. Wen schmerzte es nicht, einer geliebten Frau Entbehrungen zuzumuthen! Denken sie, theuerste Baronin, es könnte ein Tag kommen, wo ich meiner Gattin keine Equipage zur Verfügung stellen könnte, und sie müßte in eine Droschke steigen oder auf einer Badereise in einem Hotel zweiten Ranges logiren, oder wenn sie mit mir ausreiten wollte, einen Miethsgaul besteigen. Denken Sie sich, Baronin, Sie säßen auf einem Mietsgaul.

Herbert Oder denken Sie sich, Sie säßen auf gar keinem Gaul.

Werlitz zu Herbert. Müssen Sie immer dreinreden? zu Hildegard. Ich weiß im Voraus, für eine Frau, die ich liebte, würde ich mich in Schulden stürzen, ich würde mich total für sie ruiniren, was immerhin unangenehme Folgen für meine Carriere nach sich ziehen dürfte. Darum wünsche ich, daß sie Geld habe – für sich, nicht für mich.

Hildegard Und wenn man dennoch an Ihrer uneigennützigen Gesinnung zu zweifeln sich erlaubte? Man hat Beispiele von Menschen, bei denen Wort und Gesinnung sich nicht decken.

Werlitz Gnädigste Baronin, wo denken Sie hin? Ich könnte nur eine Frau lieben, die zugleich schön und klug ist. Und eine kluge Frau sollte nicht wissen, daß sie schön ist, sollte nicht wissen, daß sie mit dem Zauber ihrer Erscheinung, dem Glanz ihres Verstandes ein einfaches Männerherz wie das meine so bestricken kann, bestricken muß, daß er ihr Gefangener ist auf Leben und Tod? Männer, die solche Frauen lieben, Frauen, wie Sie z.B., für die giebt es nur eine Gefahr.

Hildegard Welche?

Werlitz Daß diese Frauen kein Herz haben.

Hildegard Frauen ohne Herz – ein guter Titel für eine Novelle. Im Leben glaube ich nicht an Frauen ohne Herz.

Werlitz tritt näher zu ihr heran und spricht halblaut, um von Herbert nicht gehört zu werden. So beweisen Sie, daß Sie Herz haben, schönste und klügste der Frauen, und lächeln Sie nicht, wenn ein anderes Herz, das sich nicht mehr bezwingen kann, sein Geheimniß verräth – und lassen Sie den Unglückseligen nicht glauben, daß er sich in eine Statue verleibt hat. Herbert ist, ohne daß es bemerkt worden ist, in die Nähe der Sprechenden gerückt

Hildegard Man hat Beispiele von Statuen, die lebendig wurden, wenn der Liebende nur das Zauberwort wußte.

Herbert Pygmalion und Galathea, Zauberposse in einem Akt. Wann findet die Aufführung statt?

Hildegard steht ärgerlich auf. Ich will meiner Gesellschafterin entgegen gehen. Ich erlaube Ihnen, Baron Werlitz, mich später in meiner Lieblingslaube – die schattige Epheulaube, Sie kennen sie – aufzusuchen. Die Luft ist dumpf hier in diesem Salon und dann – er ist für alle Welt, (ab.)

7. Auftritt

Herbert. Werlitz.

Werlitz Hildegard nachsehend. Sie ist wirklich reizend.

Herbert Haben Sie Aussichten?

Werlitz Die allerbesten, wenn ich mich auf Frauen verstehe.

Herbert Lieben Sie Fräulein von Eichstädt? Verzeihen Sie die indiscrete Frage, ein besonderes Interesse für Sie knüpft sich daran.

Werlitz Natürlich liebe ich sie.

Herbert Ich meine, mit einer – wirklichen Liebe?

Werlitz Ah, Sie meinen, mit einer sentimentalen Liebe, die langhaarig und altfränkisch, aus tiefliegenden Gefühlen stille Wonnen schöpft und sich von Hintergrund einer Mondscheinlandschaft abhebt? Die über Seufzer, Thränen und schlaflose Nächte verfügt, und im Wappen ein gebrochenes Herz trägt mit der Devise: Dich oder keine. Nein, an dieser Krankheit abnormer Seelenzellen habe ich nie gelitten. Das Zeitalter Darwins hat uns aufgeklärt. Diese perfide Thorheit – um nicht zu sagen Liebe – erscheint mir und allen denen, die ihre Früchte gern vom Baum des Lebens pflücken, höchstens noch zuweilen wie eine Fata Morgana, die einem längst verlassene Herzensgegenden vor die Sinne zaubert – auf einen Moment.

Herbert Sie lieben also Fräulein von Eichstädt nicht?

Werlitz Sie interpretiren falsch. Fräulein von Eichstädt gefällt mir außerordentlich. Sie würde mir ebenso gut gefallen, wenn sie gar kein Vermögen hätte, aber ich würde sie in diesem beklagenswerten Fall nicht heiraten.

Herbert im Spott Ob Ihre Gesinnung wohl ganz frei von Egoismus ist?

Werlitz Durchaus. Es giebt nicht allzu viel Menschen, die so uneigennützig denken wie ich. Die meisten jungen Leute in meiner Lage heirathen, was ihnen in den Weg läuft, wenn es seine Schulden bezahlt. Ich würde – wenigstens nach Präcedenzfällen in meinem Gemüthsleben zu schließen – dessen nicht fähig sein. Herbert zuckt die Achseln Sie zweifeln? ich will den Beweis der Wahrheit antreten. Ich habe einen vortrefflichen Vater, der mit einem anderen ebenso vortrefflichen als reichen Mann, den eine junge, mir unbekannte Dame Vater nennt, befreundet ist, und diese beiden Väter haben beschlossen, aus ihren beiden Kindern – ein Paar zu machen. Und dieses Mädchen – einzige Tochter – ich habe sie ausgeschlagen, oder vielmehr, ich werde sie ausschlagen.

Herbert Sie ist also defekt?

Werlitz Mein Vater, der Stamm, von dem ich, wenn ich mich mit einem Apfel vergleichen soll weit gefallen bin, lügt niemals, und er sagt, daß sie schön, jung und trefflichen Charakters sei.

Herbert Welche Gründe sonst machen Ihnen die Partie unannehmbar? Die Familie etwa?

Werlitz Die Familie allerdings, die ist von einer schreckenerregenden Correctheit. Ich glaube, die ganze Verwandtschaft würde bis ins vierte Glied in Thränen schwimmen, wenn ich in den Verdacht käme, die Gattentreue, und wäre es auch nur durch ein illegitim verschenkte Bouquet, verletzt zu haben. Erlaubte ich mir gar den Luxus einiger Schulden – mich träfe das vorwurfsvolle Auge einer Schwiegermutter, und, aufrichtig gesagt, ich habe eine heftige Antipathie gegen vorwurfsvolle Augen von Schwiegermüttern. Übrigens kann ich Ihnen noch heut, wenn es Sie interessiert, die Photographie der von mir Refüsierten zeigen. Der Brief, der das Bild enthält, ist schon hier, oder muß jeden Augenblick eintreffen. Es wäre vielleicht etwas für Sie.

Herbert Sie wissen ja, ich bin bereits engagiert. Auch werden Sie die Dame nicht refüsiren.

Werlitz Ich verstehe Sie nicht.

Herbert Bester Baron, wir kennen uns lange, sind immer gut Freund gewesen. Warum soll ich Ihnen ein Geheimniß daraus machen, wovon in wenig Stunden ganz Wiesbaden sprechen wird.

Werlitz Sie machen mich neugierig.

Herbert Fräulein von Eichstädt hat eine Reihe höchst trauriger Erfahrungen gemacht, welche sie völlig im Unklaren ließen, wie viele von den Cavalieren, die ihr Herz und Hand antrugen, es nur mit der Hand ehrlich meinten. Eines Tages beschloß sie, dieser unerfreulichen Situation ein Ende zu machen. Als alleinstehende Dame im jugendlichen Alter hatte sie sich natürlich mit einer Gesellschafterin behaftet, und für diesen Dienst ein unglückliches stolzes Geschöpf ausersehen, dessen Vater durch einen Bankerott von großem Reichthum plötzlich in Dürftigkeit gesunken war. Sie ahnen nun wohl schon, was folgt.

Werlitz Nicht im Mindesten.

Herbert Fräulein von Eichstädt überredete die stolze Gesellschafterin mit ihr zu tauschen.

Werlitz Wie?

Herbert Die Baronin steckt unter der Maske der Gesellschafterin, und das von Ihnen adorierte gnädigste Fräulein ist die Gesellschafterin.

Werlitz Sie träumen. Sie phantasiren. Undenkbar. Das ginge über die Grenzen eines erlaubten Scherzes. Sie verlangen nicht, daß ich einen solchen Unsinn glaube. Wer sagt es?

Herbert Ich weiß es aus einer durchaus zuverlässigen Quelle.

Werlitz Man kennt diese Quellen. Kurz und gut, ich lasse mich nicht täuschen. Ich glaube nicht an dieses Gerücht.

Herbert Das verlange ich auch gar nicht. Ich habe meine Pflicht gethan, heirathen Sie meinethalben die Gesellschafterin.

Werlitz Hätte sich Fräulein von Eichstädt eines solchen Betrugs schuldig gemacht, es wäre himmelschreiend! Die ganze Aristokratie von Wiesbaden zu täuschen. – Die kleine Begleiterin ist übrigens ganz reizend.

Herbert an der Gartenthür. Sie kommt eben durch den Park, hierher, wie es scheint. Soll ich Ihnen das Feld räumen?

Werlitz Bleiben Sie. Ich denke, ich bin Diplomat genug, um mit zwanzig Worten aus einem jungen Mädchen die Wahrheit herauszupressen. Es wird auch Sie interessiren.

8. Auftritt

Vorige. Ilse Müller

Ilse sieht sich um. Guten Morgen! Die Baronin ist nicht mehr hier? Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich gestört habe. Will gehen.

Werlitz Eilen Sie nicht so schnell wieder fort, mein Fräulein.

Ilse Dann werde ich bleiben.

Werlitz Fräulein von Eichstädt hat sich nur auf einen Augenblick entfernt und läßt Sie bitten, hier im Salon auf sie zu warten. Auch möchten Sie die Güte haben, hier unter den Garnknäueln, die sich verwickelt haben, etwas Ordnung zu stiften. Er giebt ihr das Körbchen mit der Stickerei. Darf ich Ihnen helfen, Fräulein – habe ich doch Ihren Namen vergessen – Fräulein –

Ilse etwas zögernd Müller.

Werlitz sie scharf fixirend Sie heißen Müller? wirklich Müller?

Ilse sehr verlegen Sie zweifeln? Hat man Ihnen etwa gesagt – was man Ihnen auch sagen mag – glauben Sie nichts. Die Leute reden viel – es ist nicht wahr. Sich zusammenraffend, mit entschiedenem Ton. Warum sollte ich übrigens nicht Müller heißen? Es heißen viele Menschen Müller.

Werlitz Ich dachte mir gleich, daß es nicht wahr sein könne. Sie haben so treue, klare Augen, Sie sind keines Betrugs fähig, wie kämen Sie auch dazu?

Ilse erschrocken. Wie, Herr von Werlitz, einen Betrug nennen Sie es, wenn man seinen Namen wechselt? Und es könnten doch die reinsten Motive – es giebt wirklich Fälle – Sie wissen nicht, Herr Baron – ach, ich weiß nicht, was ich rede; Sie wollen mich in Verlegenheit setzen und – ich heiße doch Müller.

Werlitz der mit Herbert Blicke des Einverständnisses gewechselt hat. Ich habe nur gescherzt, Fräulein Ilse – darf ich Fräulein Ilse sagen? – zu Herbert, leise. Sie hatten recht, ich danke Ihnen.

Ilse Ich möchte jetzt doch lieber die Baronin aufsuchen.

Werlitz Gehen Sie nicht, liebes Fräulein Ilse. Ilse läßt einige Knäule fallen Da fallen auch schon wieder die Knäule, die müssen wir doch erst zur Raison bringen Halblaut, um von Herbert nicht verstanden zu werden, nach dem er sich ab und zu scheu umsieht. Seit Tagen, seit Wochen hoffe ich, ersehne ich den Augenblick, mit Ihnen allein sprechen zu dürfen, aber immer ist diese Eichstädt bei Ihnen.

Ilse Sie haben wirklich auf mich geachtet? Ist das wahr? Ich habe es nicht gemerkt.

Werlitz Seitdem Sie in Wiesbaden sind, habe ich nur Augen für Sie. zu Herbert, leise. Liebster Buch, thun Sie mir den Gefallen und verlassen Sie das lokal, oder ziehen Sie sich wenigstens zurück.

Herbert Sehr gern. Er setzt sich in den Garten, hinter die Glastür, so daß er vom Publikum gesehen werden kann. Wenn die Gartendekoration nicht vorhanden ist, so setzt sich Herbert ganz im Hintergrund in einem Winkel und nimmt eine Zeitung zur Hand.

Ilse Es ist so sonderbar, so ganz seltsam, daß Sie sich für mich interessiren – ich muß lachen – warum? das ist mein Geheimniß, vielleicht erfahren Sie es später einmal. Aber ich freue mich darüber – ich freue mich von Herzen – ach, das hätte ich wohl nicht sagen sollen.

Werlitz für sich. Eine entzückende Naivetät. laut. Sie nehmen Antheil an mir? Hätte ich das ahnen können, ich würde meine Schüchternheit überwunden haben.

Ilse Sie sind schüchtern?

Werlitz Ja.

Ilse Ich habe Sie gleich bemerkt. Als ich Sie zum ersten Male sah – es war auf einem Spaziergang – Sie gesellten sich zu uns und plauderten mit Fräulein von Eichstädt. Ich ließ eine Blume fallen, und wie ich mich bücken will, sie aufzuheben, treten Sie mit ihrem Fuß darauf. Es gab mir einen Stich durchs Herz. Ich war Ihnen böse, und Sie konnten doch nichts dafür.

Werlitz Das konnte ich thun! An welcher Stelle war es, wo liegt die Blume?

Ilse Und als ich Sie zum zweiten Mal sah –

Werlitz Es war bei der Kahnfahrt.

Ilse Nein, am Tage des großen Gewitters, Sie erinnern sich.

Werlitz Gewiß, natürlich.

Ilse Das Wetter hatte uns auf dem Berge überrascht. Ich war etwas zurückgeblieben und stand da, unter Donner und Blitz und zitterte an allen Gliedern vor Furcht. Da kamen Sie vom Thal herauf und jodelten lustig in den Sturm hinein – und all meine Furcht war fort. Und wie Sie mich da stehen sahen, zitternd und naß, da sagten Sie: Ach, die kleine Gesellschafterin.

Werlitz Das sagte ich gewiß nicht, Für sich. Sie ist reizend.

Ilse Sie sagten es, und nahmen meinen Arm, und ich weiß nicht wie es kam, ich zitterte noch immer und hatte doch gar keine Furcht mehr. Und Sie führten mich hinauf, aber Sie waren recht schweigsam. Ich hätte die Worte zählen können, die Sie mit mir gesprochen haben, es wären kaum ein Dutzend herausgekommen.

Werlitz O, ich erinnere mich wohl – aber was ich empfand, raubte mir die Sprache. Es giebt weibliche Wesen, die sind für uns wie Sterne, hoch über uns. Wir denken an sie, wir träumen von ihnen, aber wenn sie vor uns stehen, fürchten wir uns vor ihnen.

Ilse Fürchten – vor mir? Vor mir hat sich noch Niemand gefürchtet.

Werlitz Wir fürchten uns vor ihnen, wenn wir Unrecht gethan haben. Die Reinheit ihrer Seele ist ein Spiegel, in dem wir uns selbst so häßlich erblicken, daß wir erschrecken. Für sich. Weiß Gott, ich rede die Wahrheit.

Ilse Bitte sprechen Sie nicht so – Vor Fräulein von Eichstädt scheinen Sie sich ja auch nicht gefürchtet zu haben. Ich habe wohl bemerkt, wie auffallend Sie ihr den Hof gemacht haben. Daß ich das sage, ist gewiß nicht indiscret. Vielleicht – das kann man ja nicht wissen – steht sie Ihrem Herzen nahe.

Werlitz Ich aber kann es wissen, daß Fräulein von Eichstädt und mein Herz nie zusammen kommen. Wollen Sie wissen, warum ich der Baronin den Hof gemacht habe?

Ilse Wenn Sie es mir sagen wollen.

Werlitz Sehen Sie, Fräulein Ilse, wenn ich an einem fremden Ort ankomme, so erkundige ich mich zuerst, welche Sehens- und Merkwürdigkeiten er aufzuweisen hat. Ich höre dann: Da ist ein Wasserfall, der in Augenschein genommen werden muß, und ich nehme den Wasserfall in Augenschein. Da ist eine Bergspitze, die erklommen werden muß und ich erklimme die Bergspitze. Da ist ein junges Fräulein, der alle Welt den Hof macht und machen muß, und ich mache den jungen Fräulein den Hof. Auf diese Weise erklären sich auf das Unschuldigste und Natürlichste meine Aufmerksamkeiten für Fräulein von Eichstädt.

Ilse Das ist ungerecht, sehr ungerecht. Und doch – fast ist es mir lieb, daß es weiter nichts war. Ich freue mich darüber – Ihretwegen. Ich bin so thöricht – wenn Sie wüßten – Sie sind gut, nicht wahr? Sie sprechen immer die Wahrheit?

Werlitz Mein Fräulein –

Ilse Wissen Sie, was man von Ihnen sagt?

Werlitz Nun?

Ilse Aber es ist etwas Schreckliches.

Werlitz Sprechen Sie frei heraus.

Ilse Sie wollten die Baronin heirathen, weil – zögernd Sie so viel Schulden hätten.

Werlitz O Welt! o Verleumdung!

Ilse Ich habe es nicht geglaubt. Solche Menschen wären ja hassenswert, die sich verkaufen – für Geld. Und ich möchte Sie – nicht gerne hassen.

Werlitz Sie möchten mich nicht hassen, und ich – ich – Für sich. hasse mich selber in diesem Augenblick. Sich ihr nähernd und ihre Hand nehmend. Liebes Fräulein Ilse –

Ilse Was?

Werlitz läßt ihre Hand los und tritt von ihr zurück Nein, ich bringe es nicht über die Lippen..

Ilse So sprechen Sie doch.

Werlitz Möchten Sie – nein, Sie könnten es nicht – es ist unmöglich. Sie könnten niemals einem Menschen von Herzen gut sein – ich müßte Ihnen ja selbst davon abrathen, einem Menschen, der –

Ilse erwartungsvoll. Der –

Werlitz Seien Sie ruhig, es kommt niemals über meine Lippen

Ilse unmuthig Aber warum denn nicht?

Werlitz Denken Sie zuweilen an mich, gütig, mitleidig. Ich heiße Friedrich. Ich werde immer an Sie denken – in Homburg. Dort werde ich meine Kur fortsetzen

Hildegard erscheint an der Thür.

9. Auftritt

Vorige. Hildegard.

Hildegard Hier stecken Sie, Ilse? Ich habe Sie durch den ganzen Garten gesucht.

Ilse verwirrt. Verzeihen Sie, ich stehe zu Befehl.

Werlitz etwas kühl. Lassen Sie das Fräulein noch ein wenig hier. Ich habe so selten das Glück. Ich war eben dabei. Fräulein Ilse in die Geheimnisse der Topographie von Wiesbaden einzuweihen. Ihnen, Fräulein Mül— Fräulein von Eichstädt – wird die Luft hier zu dumpf sein, ich weiß. Sie haben zarte Nerven. Vielleicht erwarten Sie Ihre – Gesellschafterin in der Epheulaube. Für den Fall der Langeweile dürfte ich Ihnen er sucht unter den Büchern auf dem Tisch mit einem guten Buch behilflich sein – hier ist eine alte Chronik von Wiesbaden – interessant, höchst interessant.

Hildegard gereizt. Sie gestatten vielleicht, daß ich hier bleibe und von Ihrer Lokalkenntniß profitire.

Werlitz verlegen. Selbstverständlich. Wollen Sie nicht Platz nehmen? Ich dachte nur, Sie wären vielleicht beschäftigt. zu Ilse. Wie weit waren wir doch gekommen? ach ja. Nehmen wir an, dieser Tisch sei die Ebene und dieses Buch das Gebirge. Wir steigen nun allmählich empor – jetzt sind wir am Fuß des Berges. Das ist der Berg, wo ich Sie, Fräulein Ilse beim Gewitter überraschte. Ich sehe Sie noch immer, wie Sie vor mir standen, bleich, an allen Gliedern zitternd, reizend sahen Sie aus und rührend zugleich. Finden Sie nicht, Fräulein Mül – Fräulein von Eichstädt; daß Fräulein Ilse ein Madonnenköpfchen auf den Schultern trägt?

Hildegard Brauchen Sie einen Vorwand für Ihre Anbetung? zu Ilse Liebe Ilse, ich habe in der Laube mein Buch liegen lassen, haben Sie doch die Güte, es mir zu holen.

Werlitz Ein solcher Auftrag für das gnädige Fräulein – ich bitte, gestatten Sie mir –

Hildegard Lassen Sie Fräulein Müller gehen. Ilse ab.

10. Auftritt

Hildegard. Werlitz.

Hildegard geht gereizt auf Werlitz zu. Leugnen Sie nicht, Herr von Buch hat Ihnen Ihr Benehmen vorgeschrieben, er hat Ihnen geraten, meiner Gesellschafterin den Hof zu machen – mir geringschätzig zu begegnen, um desto sicherer meine Gunst zu gewinnen. Ich dulde ein solches Benehmen nicht.

Werlitz Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie sich täuschen. Sollte ich einen Augenblick meine Ritterpflichten Ihnen gegenüber verletzt haben, so bitte ich um Entschuldigung. Niemand trägt die Schuld daran, als der bestrickende Liebreiz der Dame, die Sie Ihre Gesellschafterin nennen, er verwirrte mich einen Augenblick.

Hildegard Was soll die Komödie? Noch vor wenigen Minuten drängten Sie mir Ihre Huldigungen auf.

Werlitz in immer steigender Verlegenheit Ich möchte es nicht Huldigungen nennen. Was ich für Sie empfand, empfinde ich noch immer: Theilnahme, wahre Freundschaft, inniges Mitgefühl, Sympathie – mit einem Wort: ich achte Sie – wahnsinnig. Ich habe Ihnen noch niemals gesagt – Er hat sich inzwischen Herbert genähert und ruft Herr von Buch, kommen Sie doch näher.

Herbert Sobald ich mit dem Leitartikel fertig bin.

Hildegard ungeduldig Was haben Sie mir niemals gesagt?

Werlitz Daß ich für die Erweiterung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts ein eminentes Interesse hege. Ich gehöre zum Lette-Verein. Ich finde, sie muß erweitert werden, diese Erwerbsfähigkeit – unter allen Umständen – um jeden Preis – sie muß. Ist z.B. die Profession einer Gesellschafterin einer hochgebildeten Dame würdig? nein – sie ist es nicht. Er spricht sehr schnell und eifrig. Warum können Frauen nicht ebenso gut Beamtinnen sein, Professoren, oder in Kliniken Kranke heilen? Es müßte ein Vergnügen sein, sich in einer solchen Klinik heilen zu lassen. Oder wären Sie im Stande, sich für die Telegraphie zu interessiren? Verfügen Sie ganz über mich. Wenn Sie eine Empfehlung brauchen, ich habe reiche und vornehme Verwandte –

Hildegard Sind Sie von Sinnen?

Werlitz zu Herbert, halblaut. Herr von Buch, schnell auf einen Augenblick, man bedarf Ihrer.

Herbert näher tretend, halblaut. Was wollen Sie denn von mir?

Werlitz halblaut Die Unterhaltung stockt. In den Garten hinausgehend, laut. Da kommt Fräulein Ilse mit dem Buch, sie hat schon wieder die Garnknäule fallen lassen, ich will ihr beim Aufwickeln behilflich sein. Ich stehe gleich wieder zu Diensten. Ab

11. Auftritt

Hildegard. Herbert. Dann Victor.

Hildegard Sagen Sie mir, hat der Baron den Verstand verloren?

Herbert Durchaus nicht, er hat eben eine eklatante Verstandesprobe vor Ihnen abgelegt.

Victor tritt schnell und erregt ein.

Victor Sie verzeihen, ich vergaß hier einen Blumenstrauß. Er nimmt das Bouquet Wo ist Fräulein von Eichstädt?

Hildegard Sehen Sie mich nicht?

Victor Verzeihen Sie, ich meinte Fräulein Müller.

Herbert Nur Muth, junger Freund, legen Sie getrost Ihr Blumenopfer am Altar Ihrer Göttin nieder. Ich stehe dafür, sie lächelt heut gnädig auf Sie herab.

Victor O, ich bitte tausendmal um Vergebung, bedaure von Herzen, aber das Schicksal dieser Blumen ruht in der Hand der Gräfin Narischkow. Ich werde aber nicht ermangeln – morgen oder übermorgen – Hildegard schalkhaft drohend. Kleiner Schelm – haben Badegesellschaft an der Nase herumgeführt. Ich weiß alles. Ab.

12. Auftritt

Hildegard. Herbert.

Hildegard Träume ich denn? Geschieht das wirklich? Mir ins Angesicht dieser Schimpf! Ich gehe durch den Garten. Man grüßt mich – aber kühl. Was ist vorgefallen? Sprechen Sie, oder – ich weine vor Zorn.

Herbert Der Schlüssel zu dem Räthsel ist leicht gefunden. Man hat das Gerücht verbreitet, daß Sie eigentlich Fräulein Müller heißen, Ihre Gesellschafterin dagegen als Fräulein von Eichstädt das Licht der Welt erblickte, augenblicklich aber, in der Absicht, Herz und Nieren der Menschen zu prüfen, mit Ihnen getauscht habe. Darum mußte der arme Werlitz plötzlich Mitglied des Lette-Vereins werden. Darum wandert das Bouquet Ihres ehemaligen Anbeters an eine andere Adresse.

Hildegard Unglaublich! Welche Keckheit! Wer hat das gewagt? Ich Fräulein Müller? Haben Sie diese Absurdität geglaubt?

Herbert Gott bewahre. Es thut mir aber leid, daß Sie durch ein solches Mißverständniß um zwei Anbeter und ein Bouquet gekommen sind. Hildegard geht, wie über etwas nachdenkend, auf und ab. Geben Sie mir die Erlaubniß , das Gerücht zu dementiren, und ich gehe jede Wette ein, vor Ablauf einer Stunde ist Ihr Königreich wieder hergestellt. Wieder wird man die Rosengärten für Sie plündern, und alle Abtrünnigen schmachten wieder in den alten Fesseln. Sich zu rächen stehen Ihnen zwei Wege offen. Sie verzeihen großmüthig und verächtlich, oder Sie ecrasiren diese ganze miserable Gesellschaft.

Hildegard schwermüthig. Ich werde Niemand mehr ecrasiren. Als wenn sie einen plötzlichen Entschluß gefaßt habe. Gut – so mag das Schicksal seinen Lauf haben. Diese Heuchelei – sie ist mir zuwider – mag Fräulein von Eichstädt mich von ihrer Schwelle jagen, mag wieder bittere Noth an meine Thür klopfen. Sie sollen die Wahrheit wissen. Ja, Herr von Buch, ich bin die Gesellschafterin – ich heiße Müller. Kurze Pause. Wie? Sie bleiben ruhig, gelassen? warum sind Sie nicht erstaunt?

Herbert Warum soll ich erstaunt sein? Weil Sie Müller heißen? Ich kenne Leute, die heißen Schulze und ich wundere mich auch nicht. Übrigens, wenn ich in die Lage käme, Ihnen Gedichte zu dediciren, ich würde mich vorläufig hüten, sie an die schöne Müllerin zu adressiren.

Hildegard Ich schwöre Ihnen, daß Fräulein Ilse Müller nicht meine Gesellschafterin ist, ich schwöre Ihnen –

Herbert sie unterbrechend. Das genügt. Ich glaube Ihnen. Es ist also wahr. Was man nicht Alles erlebt. Fasching mitten im Sommer. Sie werden übrigens nicht verlangen, Fräulein Hildegard Müller, daß ich Ihnen kondolire. Ich gehöre nun einmal zu den absonderlichen Geschöpfen, bei denen Rang und Reichthum eine höchst untergeordnete Rolle spielen. Ich kann Ihnen dagegen versichern, seitdem ich Ihre wahre Lage kenne, ist meine Theilnahme für Sie um einige Grade gestiegen, und Sie stehen –

Hildegard Ihrem Herzen näher – wollten Sie das sagen?

Herbert Das wollte ich eigentlich nicht sagen. Hildegard seufzt tief. Warum seufzen Sie so schwer?

Hildegard Ach, wenn unter den Vielen, die zu meinen Füßen lagen, mich einer wirklich liebte – nur ein Einziger – und wenn er mir bis dahin gleichgiltig gewesen wäre, ich glaube, ich würde ihn von Stund' an lieben. Wäre er mir aber nicht gleichgiltig gewesen, und er sagte mir jetzt – jetzt, daß er mich liebt – sie hält ein, als erwarte sie eine Antwort.

Herbert Was würden Sie thun?

Hildegard An seinem Herzen weinen – weinen vor Glück und Seligkeit. Sie blickt erwartungsvoll auf Herbert.

Herbert Und er existirt vielleicht, dieser Liebende; wüßte ich nur wo – ich würde –

Hildegard ihn unterbrechend. Aber nein – Niemand liebt mich – Niemand! – Heftig. Warum liebt mich keiner! – Weil sie nur sich selbst lieben, diese – Männer!

Herbert Was Sie sagen, klingt, als sprächen Sie zu einem imaginären Liebhaber: auf der Stelle, Sklave, falle zu meinen Füßen, ich weiß ja doch, Du stirbst aus Liebe zu mir – gestehe Narr! – Sie sollten sich aber nicht zu elegant kleiden, Fräulein Müller, das muß Ihre Mittel übersteigen. – Des Geldes sind Sie ledig, aber Ihr Stolz ist geblieben, und ich glaube, Sie gehören noch immer zu den Frauen, bei denen die Gefühle nur ein rosiges Colorit über einer Schneelandschaft sind, bei denen die Liebe nur eine neue Form der Herrschsucht ist. Sie sind immer noch zu viel Dorn, zu wenig Rose. Unter Herberts Rock ist die Schleife sichtbar geworden, die er in der 5. Scene eingesteckt hatte.

Hildegard Was für eine Schleife haben Sie da? Es ist die meinige – ich verlor sie heut. Warum haben Sie die Schleife eingesteckt?

Herbert Ich that es mit Bedacht. Das Gerücht von ihrer Müllerschaft war schon zu meinen Ohren gedrungen, und ich dachte mir: Fräulein Müller kann nicht alle Tage neue Bänder kaufen – und steckte sie ein. Hildegard die Schleife gebend. Da haben Sie Ihr Band.

Hildegard Sie spotten meiner Armuth. Gehen Sie, gehen Sie wie die Andern, verhöhnen Sie mich, schwärmen Sie für das neue Fräulein von Eichstädt. Ich verlasse diesen Ort, ich reise fort, ich gehe nach Italien. Ich will diese ganze herzlose Gesellschaft nicht wiedersehen.

Herbert Sie gehen nach Italien? Wo kriegen Sie denn das Geld her, Fräulein Müller?

Hildegard Es ist wahr, ich bin arm. Ich muß bleiben. Herbert – kurze Pause.

Herbert Was?

Hildegard Sie sind mein Freund?

Herbert Ja.

Hildegard Und wenn ich Ihnen nun sage – mit sich kämpfend.

Herbert sich ihr schnell nähernd. Was?

Hildegard trotzig. Daß ich Sie hasse – ja hasse.

Herbert Das glaube ich Ihnen nicht. Übrigens kommt da Ihre Principalin.

Hildegard Wer kommt?

Herbert Fräulein von Eichstädt. Wenn weibliche Geister aufeinander platzen, räume ich gern das Feld. Sollten Sie mir im Lauf des Vormittags noch etwas zu sagen haben – einen Widerruf etwa Ihrer eben geäußerten Gefühle – ich bleibe im Garten und rauche mit Herrn von Werlitz eine Cigarre.

An der Gartenthür trifft er mit Ilse, die von Herrn von Werlitz begleitet wird, zusammen; sie grüßen sich und Herbert geht mit Werlitz in den Garten.

13. Auftritt

Hildegard. Ilse.

Ilse in Aufregung. O Hildegard, wie danke ich Ihnen, daß Sie damals meine Bitte erfüllten. Ich bin glücklich. Sie sind auch glücklich, nicht wahr? wer wäre es nicht! Sie riecht an den Blumen in der Vase. Ach, wie die Blumen duften und was für eine reizende Toilette Sie gemacht haben. Ich glaube, ich bin ein Sonntagskind. Ich muß Sie umarmen. Ich bin glücklich. Sagen Sie mir – aber aufrichtig –nicht wahr, ich bin heut hübsch, oder ziemlich hübsch wenigstens – ach – ich möchte schön sein.

HildegardArmes, armes Kind.

Ilse Sie bedauern mich – warum denn? mir wird plötzlich angst. Ist etwas vorgefallen? etwas Trauriges? Sprechen Sie!

Hildegard Ich fürchte, Sie haben sich in den Baron Werlitz verliebt.

Ilse Sollte ich mich wirklich verliebt haben? – Wenn ich's mir recht überlege – ich glaube fast, ein wenig. Ich kann nicht dafür. Er ist wirklich zum Verlieben. Er ist ein schöner, lieber, edler Mensch, finden Sie das nicht auch?

Hildegard Nein, Ilse, ich finde es nicht. Er ist Ihrer nicht werth. Er hat Ihnen den Hof gemacht.

Ilse Ist das Unrecht?

Hildegard Wissen Sie, warum er Ihnen den Hof gemacht hat?

Ilse Warum? Hildegard, glauben Sie wirklich, daß ich Niemandem gefallen kann? Niemandem?

Hildegard Kleine Heuchlerin, das ist es nicht. Die Badegesellschaft hat sich's in den Kopf gesetzt – um eine Leere darin auszufüllen wahrscheinlich – daß wir miteinander getauscht hätten, daß ich die arme Gesellschafterin, Sie das reiche, unabhängige Fräulein von Eichstädt seien.

Ilse lacht. Hahaha, das ist zu komisch.

Hildegard Sie begreifen, daß der schöne, liebe, edle Herr von Werlitz –

Ilse Wie – Sie wollen sagen, seine Aufmerksamkeiten hätten nicht mir, sondern dem reichen Mädchen gegolten? Das glaube ich nicht, ich will es nicht glauben. Ich weiß ja, Hildegard, Sie sind so klug, aber Sie können sich auch einmal täuschen.

Hildegard Dies nicht, meine liebe, kleine Freundin. Sie entrichten heut an den strengen Lehrmeister Erfahrung Ihr erstes bitteres Lehrgeld.

Ilse Es sind ja nicht seine Aufmerksamkeiten, die mein Herz bewegt haben, aber – Hildegard, hat er Sie jemals angeblickt?

Hildegard lächelnd. Ich dächte doch. Ich verlange nicht, daß Sie mir glauben, Sie sollen sich selbst überzeugen. Rufen Sie Herrn von Werlitz hierher.

Ilse hinausrufend. Herr von Werlitz! Herr von Werlitz! Werlitz erscheint mit Herbert an der Thür.

Herbert zu Hildegard. Riefen Sie mich?

Hildegard Bewahre.

Herbert Das ist mir lieb – wegen der Cigarre, die ich zu Ende rauchen möchte. Geht wieder in den Garten ab.

14. Auftritt

Hildegard. Ilse. Werlitz.

Werlitz zu Ilse. Sie riefen mich, gnädiges Fräulein, und nun wenden Sie sich von mir ab? Was ist Ihnen? Sie sind traurig.

Hildegard Ich habe das gnädige Fräulein eben von einem lächerlichen Gerücht in Kenntniß gesetzt, mit dem ein Spaßvogel die Gesellschaft hier düpiert hat. Meine Gesellschafterin fürchtet nun zwar keineswegs, daß dieses Gerücht in irgend einer Beziehung zu Ihrem Benehmen neuesten Datums stehe, aber sie ist bestürzt –

Ilse Ich bin wirklich Ilse Müller, Herr von Werlitz. Nicht wahr, Sie haben keinen Augenblick daran gedacht, daß ich Hildegard heißen könnte oder von Eichstädt? Ich bin eine einfache, richtige Ilse. – Was sagen Sie, Herr von Werlitz?

Werlitz nur mühsam seine Bestürzung verbergend. Sie könnten glauben – ich sollte – Gott bewahre mich – was sagen nicht die Leute alles. – Welcher vernünftige Mann leiht einem Gerücht sein Ohr! Gerüchte – was sind sie anders als wüste Träume einer Gesellschaft, die sich den Magen überladen hat, die an geistiger Unverdaulichkeit leidet. Wer glaubt an Träume? Ich nicht. Halblaut zu Hildegard. Ich bitte Sie, ich beschwöre Sie, wie Sie auch heißen mögen, welche von Ihnen ist Fräulein von Eichstädt? Spielen Sie nicht mit mir.

Hildegard Ich bin's.

Werlitz Gut. Sie sind's Und dennoch – für sich. Welche ist es, welche? Laut in der Absicht sprechend seiner Verwirrung Herr zu werden. Es giebt so sonderbare Mißverständnisse, meine Damen. Ich kannte einen Herrn, zu Hildegard. Sie müssen ihn ja auch gekannt haben – für sich. wäre es doch Ilse.

Hildegard Wen denn?

Werlitz Ja, den Namen habe ich vergessen.

Hildegard Und was passirte diesem Herrn?

Werlitz Das wollte ich Ihnen ja eben erzählen. Sie unterbrechen mich ja fortwährend, nun habe ich den Faden verloren. zu sich. Jammerschade, daß es nicht Ilse ist. er ist an die Thür getreten und winkt heftig Herbert, den das Publicum nicht sieht, herein zu kommen.

Hildegard Also Fräulein Müller hat sie nur interessirt –

Werlitz Hildegard unterbrechend und sie in den Vordergrund ziehend. Ein Wort im Vertrauen Fräulein – Fräulein –

Hildegard von Eichstädt

Werlitz von Eichstädt. Ich hatte einen Auftrag von Herrn von Buch, er ist verliebt in die Kleine.

Hildegard auffahrend Einen Auftrag? Er ist verleibt in meine Gesellschafterin?

Werlitz Ja, so ist es. Ich sollte den Gefühlen des Fräuleins auf den Grund zu kommen suchen, so sagte er. Ich habe mir alle Mühe gegeben – was thut man nicht für einen Freund – und in der That, ich habe gefunden, sie ist ein nettes – Ilse ist näher gekommen und hört die letzten Worte. ein sehr nettes Mädchen – empfehlenswerth, durchaus empfehlenswerth.

Ilse Wie, Herr von Werlitz, ich bin ein nettes Mädchen – habe ich denn recht gehört?

Werlitz Gott bewahre – wie können Sie glauben – Sie sind jeder Hochachtung werth.

Hildegard Es thut mir leid um Sie, Herr von Werlitz. Hätten Sie sich nicht so wankelmüthig und treulos gezeigt, ich hätte Sie geliebt.

Werlitz(schnell, angstvoll.) Noch ist es nicht zu spät.

Ilse Und ich –

Werlitz Und Sie?

Ilse Ich hätte Ihnen – ewige Freundschaft geweiht.

Die Damen müssen so weit von einander stehen, daß die eine nicht zu hören braucht, was Werlitz zu der andern spricht. Werlitz steht in der Mitte zwischen den beiden Damen.

Werlitz zu Hildegard Ich fühle leidenschaftlich für Sie. Hildegard wendet sich ab. Zu Ilse. In der Tiefe meiner Brust – zu Hildegard. Nur Sie – zu Ilse. Nur Sie – er winkt abermals Herbert sehr energisch zu.

Hildegard ergreift Ilse's Hand und tritt mit ihr dicht vor Werlitz So, mein Herr, jetzt sagen Sie uns in's Gesicht, welche Empfindungen für dieses brave Mädchen auf Ilse zeigend. nähren Sie in Ihrer Brust?

Werlitz Ich soll hier – öffentlich –

Ilse Lieben Sie Fräulein Hildegard oder nicht?

Werlitz grenzenlos verwirrt. Wie – ich soll zu einer Dame, die ich verehre, sagen, ich liebe eine andere Dame, die ich nicht verehre – was rede ich da! Sich energisch zusammenraffend. Was Sie mir zumuthen, meine Damen, ist in höchstem Grade unmoralisch. Wissen Sie nicht, daß Diskretion die erste und vornehmlichste Eigenschaft eines Cavaliers ist? Fordern Sie von mir, was Sie wollen: mein Blut, mein Leben, meine Ehre – aber keine Indiskretion. Nur über meine Leiche gelangen Sie zu den Geheimnissen meiner Mannesseele. Was ist das Leben ohne Diskretion? ein gelöstes Räthsel, schal, langweilig. Was ist die Gesellschaft ohne Diskretion? ein entfesselter Hexensabbath. Denken Sie sich in meine Lage. Wenn ich Sie fragen wollte, Baronin, lieben Sie mich?

Hildegard Ja, ich liebe Sie – würde ich antworten.

Werlitz Und – Sie – Fräulein Ilse?

Ilse schalkhaft. Ich – auch –

Werlitz Nun wohlan. So will auch ich die zarte Scheu bei Seite setzen und will gestehen, daß ich liebe, ja – ich liebe – Fräulein Hildegard von Eichstädt. Während dieser Worte vermeidet er die beiden Damen anzusehen. Hier ist mein Herz – es gehört ihr. Hier ist meine Hand, schlagen Sie ein, er betont den Namen stark. Fräulein Hildegard von Eichstädt! Er streckt die Hand aus nach der Seite, wo Ilse Steht, Hildegard ergreift die andere Hand.

Werlitz Sie? wirklich Sie? von seiner Empfindung hingerissen, sich vergessend. So liebe ich also die falsche Hildegard! Erschreckend. Verzeihung, Fräulein von Eichstädt, ich bin in diesem Augenblick unzurechnungsfähig. ich rede die Wahrheit, ich beleidige eine Dame, die ich –

Hildegard ihn unterbrechend Wahnsinnig achte.

Ilse voll innerer freudiger Erregung. Und Sie lieben mich? mich?

Werlitz Warum freuen Sie sich denn? Was nutzt Ihnen meine Liebe! Ich kann Sie ja doch nicht heirathen. Wir haben ja Beide nichts, und zwei Arme sind viel ärmer als einer. Heftig. Warum sind Sie auch so gänzlich mittellos! Ilse wendet sich beleidigt ab. Ich weiß ja, Sie können nichts dafür. Warum habe ich Schulden! ich kann auch nichts dafür.

Hildegard Das wollen wir nicht so schroff hinstellen.

Werlitz Gleichviel. Die ich liebe, ist für mich verloren. Er nimmt seinen Hut. Ich gehe fort, Fräulein Ilse, für immer. Nur einmal, einmal, Ilse, nennen Sie mich Friedrich, als ein Zeichen, daß ich Ihnen nicht gleichgiltig bin. Sie schweigen – so sagen Sie wenigstens: adieu lieber Friedrich – auch nicht? nun denn: adieu Fritz.

Ilse Adieu – Herrn von Werlitz. Da er zögert. So gehen Sie doch.

Werlitz Ja, ich werde gehen – Wissen Sie wohin Sie mich treiben? in meine Verlobung. Ja, ich Unglücklicher verlobe mich. Herbert tritt in den Salon.

Hildegard Wirklich? Sie verloben sich?

Werlitz Ja, mit Fräulein Elisabeth von Schulz. Wenn es Sie interessiren sollte, die Photographie meiner Braut zu sehen – so eben erhielt ich den Brief mit dem theuren Geschenk. Öffnen wir den Brief. Er öffnet den Brief, blickt auf die Photographie, dann auf Ilse und bleibt wie erstarrt stehen.

Hildegard blickt über seine Schulter Aber – Ilse – das ist ja Ihre Photographie!

Ilse Meine Photographie – ja wohl. Geben Sie sie mir zurück, Herr von Werlitz. Sie haben kein Recht mehr darauf. Hildegard, das ist der Cavalier, um dessentwillen ich Sie bat, mich unter dem Titel Ihrer Gesellschafterin mit nach Wiesbaden zu nehmen. Ehe ich den Wunsch meines Vaters, den Baron Werlitz zu heirathen, erfüllte, wollte ich diesen Herrn kennen lernen. Ich habe ihn kennen gelernt, und finde, er ist ein netter, ein sehr netter Mensch, durchaus empfehlenswerth, aber – ich mag ihn nicht.

Hildegard Nun, Herr von Werlitz, was ziehen Sie für Ihren Fall vor? Den Vergleich mit dem Langohr zwischen den Heubündeln oder die Fabel mit dem Hunde?

Werlitz Fräulein von Eichstädt, Sie sind grausam; Fräulein Ilse, ich wende mich an Sie. Wir sind ja alle Sünder.

Ilse Sie aber vorzugsweise.

Werlitz Vergessen Sie nicht: Verziehen ist seliger als verdammen.

Ilse Ich verzichte auf diese Seligkeit. Sie sind unverbesserlich.

Werlitz Auch der Entartete ist der Besserung fähig und ich bin nicht entartet. Es ist wahr, ich habe an meiner Seele Schaden gelitten. Die Liebe eines reinen Weibes aber ist wie die Stimme Gottes, die in das Chaos rief: Es werde Licht. Ilse, seien Sie mein Schutzgeist. Ich heiße Friedrich.

Herbert Er heißt Friedrich, Fräulein Ilse. Erbarmen Sie sich.

Werlitz Retten Sie mich, liebes holdes Mädchen. Er will Ilse's Hand ergreifen, sie wendet sich von ihm ab, stößt an den Tisch, dabei fallen wieder einige Knäule zu Boden, die er aufhebt. Wer soll Ihnen künftig Ihre Garnknäule in Ordnung halten? Indem er ihr die Garnknäule gibt, stoßen sie leicht mit den Köpfen zusammen. Ilse lacht. Er hält ihre Hand fest.

Ilse sich sträubend. Lassen Sie mich los. Adieu –

Werlitz drängend. Lieber – –

Ilse Fritz! Werlitz küßt ihr leidenschaftlich die Hand. Ilse sucht sich von ihm loszumachen. Herr von Buch, Herr von Buch retten Sie mich vor diesem liebenswürdigen Taugenichts.

Herbert Das kann ich nicht. Ich verlasse Wiesbaden. Ich gehe in die Schweiz.

Hildegard zu Herbert. Wie? Sie reisen? in einigen Tagen?

Herbert In einer Stunde. Lassen Sie mich Ihnen ein herzliches Lebewohl sagen. Ilse die Hand reichend. Leben Sie wohl, Fräulein Ilse! Ihr liebliches Wesen hat mich erfreut und erfrischt, ich werde Sie nicht vergessen. Zu Hildegard. Und Ihnen, Fräulein Hildegard, wünsche ich all das Glück, das zu verschmähen Sie stets bereit sind. Leben Sie recht, recht wohl! Er hält ihre Hand fest und sieht ihr forschend in die Augen, dann läßt er sie mit einiger Heftigkeit los, grüßt kalt, und ist im Begriff, das Zimmer zu verlassen.

Hildegard steht einen Augenblick unschlüssig, wie mit sich kämpfend, dann ruft sie Herbert! Er wendet sich um, und geht lebhaft auf sie zu. Sie wirft sich in seine Arme. Nimm mich mit!

Herbert Und Du glaubst, glaubst daß ich Dich liebe? Dich wahrhaftig und maßlos liebe?

Hildegard Ich weiß es. Ich wußte es längst. Verzeih mir.

Indem der Vorhang fällt, erscheint Xaver Nicolowitsch mit einem Körbchen Erdbeeren an der Mittelthür, sich den Schweiß trocknend

Der Vorhang fällt