Wie er – obwohl ein geborener Bayer – zu diesem polnisch klingenden Namen Herzmannski kam? Ich vermag nur eine Hypothese anzuführen. Seinen richtigen, bürgerlichen Namen hab' ich nie erfahren. Ich weiß nur, daß ihn alle Mitglieder der Familie Sterzenbacher, wie überhaupt alle Menschen, die seine eminenten Eigenschaften kannten, in zärtlichen Augenblicken mit dem Kosenamen ›Manndi‹ riefen – vermutlich, weil er männlichen Geschlechtes war. Und wollte man ihm von aller Zärtlichkeit die zärtlichste erweisen, so nannte man ihn ›Herzmanndi‹.
Und da wäre nun die Hypothese aufzustellen, daß aus diesem zärtlichen Superlativ der polnisch klingende Name ›Herzmannski‹ dadurch entstand, daß der Förster Sterzenbacher, der zwar ein weiches Gemüt, aber einen harten Kropf hatte, den Ausklang mancher Worte mit wunderlichen Zischlauten der Atemnot zu begleiten pflegte. Jeder Satz, den der Förster Sterzenbacher in lebhaftem Eifer von sich gab, endete mit einem eigentümlichen Gezwitscher, das so unnachahmlich war, daß man auf seine künstlerische Wiedergabe verzichten muß. Und daß Herzmannski unter Nachlaß der Taxen den historischen Beinamen ›der Getreue‹ bekam – das verdiente er redlich, und zwar nicht nur durch die wandellose, jeder Legendenbildung entgegenkommende Treue eines sechzehnjährigen Lebens, sondern mehr noch durch die psychischen Motive jenes dramatischen Vorganges, der sich mit Herzmannskis sinkenden Lebenstagen katastrophal verknüpfte. Denn Herzmannski bewährte seine Vasallentreue nahezu bis in den Tod, obwohl er kein japanischer Feldherr war, sondern nur ein oberbayrischer Dackel, geboren im Berchtesgadenerland, am Fuße des Untersberges, im Forsthaus zu Bischofswiesen.
Als selbstverständlich ist anzunehmen, daß Herzmannski auf der reifen Höhe seines Lebens ein Dackel von so stupender Klugheit war, daß, neben ihn gehalten, auch die berühmtesten Dackel der Fliegenden Blätter als Idioten erscheinen müssen. Herzmannski war ein Dackel, dem jeder Weidmann ein ewiges Leben in Kraft und Klugheit hätte wünschen mögen. Doch leider ist es nun einmal so auf dieser unvollkommenen Erde: Auch der schneidigste und klügste Dackel wird alt und schäbig.
Herzmannski war es bereits.
Als er das zwölfte Lebensjahr mit schon etwas stumpf gewordenen Zähnen überschritten hatte, biß ihm ein alter, wütender Dachs den Unterkiefer so gründlich entzwei, daß er nur noch winkelförmig anheilte – wodurch für Herzmannski nicht nur das notwendige Bellen, sondern auch die noch viel notwendigere Ernährung wesentlich erschwert wurde. Und so genoß Herzmannski der Getreue im Forsthaus zu Bischofswiesen seit drei Jahren ein Gnadenbrot, das er nicht mehr beißen konnte. Deshalb verlegte sich dieser gescheiteste aller Dackel auf das Austrinken von rohen Eiern. Bekanntlich sind rohe Eier sehr nahrhaft wegen ihres Stickstoffgehaltes. Aber es war das eine Ernährungsmethode, durch die sich Herzmannski bei allen Bäuerinnen von Bischofswiesen ungemein mißliebig machte. Diese verständnislosen Weibsbilder bezeichneten als unverzeihliches Verbrechen, was Förster Sterzenbacher an seinem Dackel als höchsten Gipfel aller Klugheit rühmte. »Jaaa, Herzmannskerl, ganz recht hast, bist a gscheids Hunderl!«. Die Bäuerinnen aber sagten: »So a Raubersbestie, so an unverschämte!« So sind die Ansichten der Menschen über die gleichen Dinge zuweilen sehr verschieden.
Bei der gespannten Aufmerksamkeit, mit der die Bäuerinnen von Bischofswiesen ihre Hennensteigen zu überwachen begannen, gestaltete sich für Herzmannski die stickstoffhaltige Ernährung immer schwieriger. Er kam von Kräften, und seine Muskulatur und sein Haarwuchs gerieten in eine erbärmliche Verfassung. Doch die wertvollste Qualität seiner tierischen Psyche, seine wandellose Vasallentreue, hielt ungebrochen stand. Kein Tag verging, an dem Herzmannski – wenn Förster Sterzenbacher mit der blanken Büchse und der schwarzen Kropfschlinge auf die Pirsche zog – seinem geliebten Herrn nicht mühsam nachzottelte, so weit die klapperig gewordenen Beine diesen Getreuen noch trugen. Versagte seine letzte Kraft, dann blieb er mit jappender Zunge stehen, guckte traurig seinem Herrn nach und zitterte seelenvoll an allen mageren Gliedern. Auch Förster Sterzenbacher hatte da immer schwere, sein weiches Gemüt bedrückende Momente, wenn er dem trauernden Herzmannski zurufen mußte: »No schau, wann's nimmer geht, so kehr halt um, sei gscheid, ich komm bald wieder heim!«
Die wunderliche Sache, die man ›das Leben‹ nennt, wurde für Herzmannski immer schwerer von Tag zu Tag. Und als er ohne irgendwelches Aufsehen seinen sechzehnten Geburtstag gefeiert hatte, begannen sich bei seiner zunehmenden Greisenhaftigkeit allerlei morose Zustände an ihm zu entwickeln, unter deren Zwang er vollständig jene rühmenswerte Eigenschaft verlor, die ein Terminus technicus der Dackelzüchterei als Stubenreinheit zu bezeichnen pflegt. Eine schmerzlich berührende Erscheinung ist das: Ein reiches, bunt bewegtes Dasein fliegt in Stolz und Rausch und Kraft dahin – und der schwache Greis wird wieder zum Kinde und hat zu seiner Hilfe mancherlei Hantierungen nötig, die ihm von schwachnervigen Naturen nur ungern geleistet werden.
So kam es, daß die Försterin Sterzenbacher eines Morgens erklärte: »Vater, jetzt geht's aber nimmer! Jetzt muß er furt, der Hund! Schau unser Haus an! Dös is ja schon der reine Schweinestall!«
Über dieses kategorische Wort erschrak der Förster Sterzenbacher so sehr, daß er im ersten Augenblick gar nicht reden konnte. Herzmannski war ihm wie ein Stück seines eigenen Lebens. Sechzehn Jahre der Klugheit und Treue – so was reißt man nicht leicht von seinem Herzen los!
Aber schließlich sah es auch der Förster Sterzenbacher ein: Es ging nicht mehr!
Und da wollte er als Mann und Jäger ein tapferes Ende machen. Und solch ein echter, rechter Weidmannstod im grünen, rauschenden Walde! Das ist doch auch was Schönes! Nicht?
An einem leuchtenden Frühlingstage nahm Förster Sterzenbacher, bedrückt und bleich, den freundlich wedelnden Herzmannski mit hinaus in diesen – diesen grünen Wald.
Die beiden kamen nur langsam vom Fleck, Herzmannski wegen seiner schwachen Beine, Herr Sterzenbacher wegen der Atemnot in seinem Kropf, der hinter der schwarzen Schlinge glänzte wie ein Zinnoberbergwerk.
Viel gute Reden – wie der Dichter sagt – begleiteten Herzmannski den Getreuen auf diesem letzten Wege.
Und am Nachmittage kam Förster Sterzenbacher wieder heim ins Forsthaus – mit Herzmannski, dem Getreuen, der schrecklich müde war.
Ein Blick der Verzweiflung war in den Augen des biederen Mannes, als er schnaufend erklärte: »Mutter – da kannst jetzt sagen, was d' magst – dös – dös gute, treue Hundl da – ich hab's halt net firti bracht!«
Die Försterin war keine böse Frau. Doch weil sie nach Herzmannskis unerwarteter Heimkehr in das Vaterhaus gleich wieder reichliche Ursache vorfand, um in nervöse Ungeduld zu geraten – drum wurde sie grob. Der Förster geriet in Zorn und schrie so lange, bis ihm die Luft ausging. Und in diesem notgezwungenen, luftlosen Schweigen passierte dem von Sonne, Sturm und Wetter gebräunten und 107 Kilo schweren Jägersmanne, was ihm seit der Kinderzeit nicht mehr geschehen war – er mußte weinen.
Beim Anblick dieser kostbaren Mannestränen schoß der Försterin das Erbarmen in die Seele. Und in schlafloser Nacht ersann sie einen Rat. Und sagte zu ihrem ebenfalls schlummerlosen Manne: »Du, Vater, jetzt weiß ich dir ebbes! Du brauchst nix tun dabei und mußt dich net aufregen, und im Haus is endlich amal a saubere Ruh! – Da nimmst dir morgen a Wagerl, weißt, und fahrst auf Salzburg eini, in d' Veterinärschul! Da werden s' wohl ebbes wissen, was net gar z'lang dauert und dem guten, treuen Hundl net weh tut!«
Und so geschah es – wie es in Geschichten hohen Stiles zu heißen pflegt.
Am folgenden Morgen bekam Herzmannski der Getreue zum letzten Frühstück eine linde Leberwurst – weil er eine zähe Salami nicht mehr hätte beißen können.
Und der sparsame Förster Sterzenbacher spendierte zehn Mark für einen Einspänner und ließ den getreuen Herzmannski an seiner Seite auf dem Wagenpolster sitzen. Während der ganzen Reise schmachtete Herzmannski verwundert seinen Herrn an, der immerzu das Gesicht nach der anderen Seite drehte.
Das war eine harte Fahrt für den Förster Sterzenbacher. Und dann im schönen Salzburg – da kam eine noch viel härtere Stunde. Um in solcher Kümmernis doch auch ein bisserl Freude zu haben, kaufte sich Förster Sterzenbacher in Salzburg einen neuen, prachtvoll grünen Steyrerhut und steckte seinen wertvollen Gemsbart drauf. Und dann – - aber nein – ich will die Seelenkämpfe dieses braven Weidmannes mit Schweigen übergehen. Und will nur berichten, daß Förster Sterzenbacher mit seinem Einspänner, mit seinem neuen Steyrerhut – und mit einem fürchterlichen Rausch am Abend in Bischofswiesen wieder einrückte. Auch der Kutscher hatte schwer geladen. Nüchtern war nur der alte Schimmel – und Herzmannski der Getreue, der ein bißchen seekrank, sonst aber ganz lebendig wieder mit heimkam.
Förster Sterzenbacher konnte an diesem Abend nichts erzählen.
Erst am anderen Morgen, als er die Salzburger Kümmernisse ausgeschlafen hatte, fand er die Sprache wieder und sagte: »Weißt Mutter, a Strychnin hätten s' ihm geben, dö studierten Schafsköpf! Aber was dös gute Hundl da leiden hätt müssen, dös weiß ich doch als Jäger von die Füchs her! Seit zwölf Jahr hab ich kein Strychninbrocken nimmer ausgworfen, weil mich d' Füchs derbarmt haben, d' Füchs! Und da hätt ich dem guten, treuen Hundl so ebbes antun sollen. Ah na, ah na!«
Die Försterin war rasend – denn die unleugbare Tatsache, daß Herzmannski der Getreue neuerdings das Forsthaus mit den Äußerungen seines Lebens beglückte, hatte siebenundzwanzig Mark gekostet. Sie war der Meinung, daß man das billiger hätte haben können.
Seit einem Menschenalter hatte Förster Sterzenbacher mit seiner Ehegesponsin Notburga friedlich gehaust. Jetzt war es zu Ende mit dieser Eintracht. Im Forsthaus kam es zu fürchterlichen Stürmen – bei denen das ganze Dorf in Mitleidenschaft geriet. 342 Menschen, die sämtlichen Einwohner von Bischofswiesen, erörterten schließlich die spannungsvolle Frage, wie man Herzmannski den Getreuen schmerzlos und am schnellsten aus der Welt verschwinden lassen könnte.
Zur Lösung dieser dunklen Frage fand sich ein Mittelsmann.
Damals lebte zu Bischofswiesen ein Mensch, welcher Schrabenhauser hieß – man merkt es schon gleich am Namen, daß es sich hier um einen Bösewicht handelte – welcher Schrabenhauser hieß und als Salzknappe im königlichen Bergwerk diente. Und dieser Schrabenhauser sagte eines Tages zum ratlosen Förster: »Du, Sterzenbacher, paß auf, ich weiß dir ebbes! Ja, du, da geht's fein gschwind! Und weh tut's gar net! Und eh dös gute Hunderl ebbes merken kann, is alles schon vorbei!«
Mißtrauisch fragte der Förster: »Was wär denn nacher dös?«
Und der Schrabenhauser sagte: »Morgen auf'n Abend komm ich. Und bring's. Und nacher haben wir's gleich.«
Sterzenbacher war weiter nicht neugierig. Er seufzte nur, tief und schwer. Und den ganzen folgenden Tag benahm er sich gegen den freundlich wedelnden Todeskandidaten mit solch einer rührenden Güte, daß Herzmannski den glücklichsten unter den zirka 5913 Tagen seines irdisdien Daseins erlebte. Und dieser glücklichste von seinen Tagen sollte ›sein letzter‹ werden. Eigentlich ein schönes Schicksal!
Es kam ein herrlicher, in Farben glühender, wundervoller Sommerabend.
Aber auch der Schrabenhauser kam.
Beklommen fragte der Förster: »Hast es?«
Und der Schrabenhauser drückte das linke Auge zu und zwinkerte mit dem rechten. Und wollte was sagen.
Doch Sterzenbacher flüsterte: »Sei stad und laß mei' Alte nix merken! Die hat dös gute Hundl allweil so viel mögen! Die wird dem lieben Hundl hart nachtrauern. Und lang!«
Die beiden redeten scheinheilig vom schönen Wetter, traten arglos schwatzend aus dem Hof des Forsthauses auf die Straße hinaus – und Herzmannski zappelte langsam hintendrein.
Der Schrabenhauser sagte: »Zum Bach müssen wir abi, a bißl weit von die Häuser weg!«
Der Förster schwieg. Und ging mit dem Schrabenhauser zum Bach hinunter.
Aber sei es, daß auch in der Tierseele so etwas Ähnliches existiert wie unheilvolle Ahnungen – oder sei es, daß der kluge Herzmannski nicht begriff, zu welchem Zweck sein treugeliebter Herr einen Weg betrat, den er sonst nicht zu gehen pflegte – kurz und gut, Herzmannski blieb erstaunt auf der Straße stehen und wollte nicht folgen. Und Förster Sterzenbacher sagte: »So a Hundl, so a gscheids!« – und hatte nicht das Herz, dieses gute, kluge Hunderl ins Verderben zu locken.
Aber der Schrabenhauser – mit seinem angeborenen Vernichtungsgenie – hatte auch an diese Möglichkeit gedacht, zog aus der Joppentasche eine Käsrinde heraus und ließ Herzmannski an dieser köstlichen Sache schnuppern, immer wieder, bis sie drunten beim Bache waren – alle drei! Und da begann der Schrabenhauser sein geheimnisvolles Werk, indes im Abendschein der Wildbach melancholisch rauschte. Und leis bewegten sich die Weidenstauden – diese unentbehrlichen Gewächse aller Ortlichkeiten, an denen tragische Dinge sich ereignen sollen.
Förster Sterzenbacher drehte wieder das Gesicht auf die Seite und klagte kummervoll: »Dös kann ich net anschaun – so a Hunderl, so a guts – da muß ich noch lang dran denken – was dös für a Hundl gwesen is!«
In seinem Schmerze sprach er bereits von einer vergangenen Zeit – ein bißchen voreilig.
Aber wirklich, er konnte nicht zusehen, wie der Schrabenhauser den liebevoll blickenden Herzmannski mit einem Stricklein festband an einen alten Pfahl, der neben dem gurgelnden Bach im Boden stak.
Und Sterzenbacher, immer mit abgewandtem Gesichte, sprach die schmerzvollen Worte: »Bloß dös Einzige kann mich trösten, daß dös gute Viecherl endlich amal erlöst is von sei'm unsaubern Altersleiden.«
Und während der Förster diese Worte herausstieß, band der Schrabenhauser dem treuen Herzmannski etwas um den Hals. Das war anzusehen wie ein Päcklein Rauchtabak mit einem langen, fadendünnen Schwänzlein. Und dann strich der Schrabenhauser ein Schwefelhölzl an und entzündete vorsichtig die meterlange Brandschnur der Schießbaumwollpatrone, die er aus dem Bergwerk mitgebracht und an Herzmannskis Hals befestigt hatte.
Ein feiner Rauchfaden erhob sich. Und verwundert betrachtete der kluge Herzmannski diese schwer erklärliche Erscheinung.
Der Schrabenhauser sagte: »So!« und faßte den tief bewegten Förster Sterzenbacher an der Joppe. »Jetzt aber gschwind! Mach weiter! Flink! Da wird's gleich krachen!«
»Was? Krachen? Was?« Und Sterzenbacher drehte das Gesicht. Er war des Glaubens gewesen, es handle sich um ein flink und schmerzlos tötendes Medikament. Doch als er jetzt die rauchende Zündschnur sah, da verstand er. Und schrie: »Du Narr! Ah na! So ebbes laß ich dem Hundl net antun!« Und er wollte auch schon mit beiden Fäusten zugreifen, um den mörderischen Funken zu zermalmen.
Viel hätte nicht gefehlt, und Herzmannski wäre durch die treue Liebe seines Herrn abermals gerettet worden zur Freude der Försterin. Doch erschrocken packte der Schrabenhauser den Sterzenbacher am Arm und versuchte ihn mit sich zu reißen. Und kreischte: »Bist narret? Da kunnten mer hin sein alle zwei!« Und weil der Sterzenbacher noch immer stand wie eine Säule, rannte der Schrabenhauser, der als Bergmann die Wirkung der Schießbaumwolle gründlich kannte, für sich allein davon.
Nun fuhr auch dem Sterzenbacher ein heiliger Schreck in die Wadenmuskeln. Er stammelte ein »Mar' und Joseph!« – und fing zu springen an – sehr schnell. Und als Herzmannski der Getreue den 107 Kilo schweren Förster so angstvoll die Beine rühren sah, dachte er vermutlich an irgendeine, seinem geliebten Herrn drohende Gefahr und dachte auch sogleich: ›Da muß ich mit!‹ Er machte einen Sprung. Und überschlug sich beim Widerstand des Pfahles. Und mit den letzten Kräften seines alten Lebens begann Herzmannski zu reißen und zu zerren – bis das morsche Holz zerbrach. Und glückselig aufheulend rannte er mit der glimmenden Schießbaumwolle seinem Herrn nach.
Förster Sterzenbacher – so laut er beim Springen auch keuchte und mit dem Atem rasselte – hörte hinter sich den freudenreichen Spektakel seines immer näher kommenden Hundes. Er drehte im Springen das Gesicht. Und erschrak, daß er kreideblaß wurde. Sogar sein Kopf erbleichte. Und in Zorn und Sorge brüllte er: »Gehst weiter – du Mistviech, du gottverfluchts!« Und um die gute, aber in diesem Augenblicke höchst gefährliche Kreatur zu verscheuchen, raffte er mit beiden Fäusten vom Boden auf, was er da nur erwischen konnte – und warf – und sprang – und bombardierte wieder – und brüllte: »Mistviech, miserabligs!«
Die menschliche Dankbarkeit! Für eines Tieres Treue bis in den Tod!
Aber – wenn man die Sache objektiv betrachtet, kann man dem Förster Sterzenbacher diesen Wandel seiner Gesinnungen nicht verdenken. Man fliegt nicht gern in die Luft – wenn man 107 Kilo schwer ist – auch dann nicht, wenn man weniger wiegt.
Herzmannski, dem sich der Rauch der Zündschnur schon um die Nase schlängelte, hielt verdutzt inmitten seines treuen Rennens inne und betrachtete nachdenklich seinen wie irrsinnig sich gebärdenden Herrn, der faustgroße Steine nach ihm warf und Rasenbrocken und Holzscheite und Zaunlatten und schließlich sogar den schönen in Salzburg neu erstandenen Steyrerhut mit dem kostbarsten aller Gemsbärte.
Herzmannski schüttelte die Ohren. Er begriff die Menschen und die Welt nicht mehr. Und hätte er ahnen können, wie bald er sie möglicherweise schon verlassen sollte – er selbst würde gesagt haben: ›Na also, fort, in Gottsnamen!‹
Doch an Stelle eines philosophischen Gedankens kam in seiner verblüfften Seele nur wieder die unerschütterliche Treue obenauf. Und da fing er von neuem zu rennen an. Immer auf der Fährte seines geliebten Herrn! Und trotz der Morosität seiner vier alten Beine kam er noch flinker vom Fleck als dieser 107 Kilo schwere Mann, der nur zwei Füße zu verschwenden hatte. Förster Sterzenbacher fühlte plötzlich sehr viel Luft in seinem Kropf und konnte springen, wie er noch nie gesprungen war in seinem Leben. Und dennoch hätte Herzmannski der Getreue seinen Herrn eingeholt, wenn nicht plötzlich – als zwischen Sterzenbacher und Herzmannski nur noch wenige Meter Luftraum waren – die hohe Friedhofsmauer dagestanden wäre.
Verzweifelt machte der Förster Sterzenbacher einen Sprung und Purzelbaum – und 107 Kilo bayerischer Forstverwaltung lagen jenseits der rettenden Mauer. Während der roulierende Jägersmann über die kleinen Gräber unschuldiger Kindlein kollerte, dachte er: ›So! Da können s' mich nacher gleich eingraben!‹
Eine fürchterliche Detonation.
Die Berge warfen das Echo mit grollendem Hall zurück. Und von der Friedhofsmauer fielen Mörtelbrocken und große Steine herunter.
Dann tiefe Stille.
Schwer aufatmend, nur langsam den zinnoberroten Kopf und Kropf erhebend, sagte Förster Sterzenbacher noch ein letztesmal: »So a Mistviech, so a miserabligs!«
Dann guckte er vorsichtig über die schadhaft gewordene Friedhofsmauer.
Da draußen war nur ein kesselförmiges Loch im Boden zu sehen. Sonst nichts.
Herzmannski der Getreue war verschwunden, war vermutlich in Atome aufgelöst und mit dem Weltall eins geworden – schnell und völlig schmerzlos – wie es der Schrabenhauser versprochen hatte. Das war der Trost, an den der Förster Sterzenbacher sich klammerte. Und da kam in seiner tragisch erschütterten Seele plötzlich wieder die alte Liebe obenauf – und er sagte in tiefer Wehmut: »So a Hunderl – so a guts!«
Dann ging er, um den grünen Steyrerhut zu suchen. Den fand er – aber – ein großer Dichter sagte: »Fragt mich nur nicht, wie!«
In schwerer Betrübnis – um seiner Grausamkeit willen mit sich selbst im Zwiespalt – trat dieser einsam Gewordene unter dem zerknickten Steyrerhute den Rückweg an.
Er schnaufte schwer und kam langsam vorwärts.
Als Förster Sterzenbacher in der sinkenden Dunkelheit sein trautes Jägerheim erreichte – war Herzmannski schon lang zu Hause.
Wie das zugegangen? Das wurde nie erforscht.
Die seelenvolle Schießbaumwolle hatte augenscheinlich nur gegen die Erde und gegen die Friedhofsmauer geschossen – nicht gegen den treuen Herzmannski, dem die zahlreichen Pferdekräfte des Luftdrucks möglicherweise sogar noch ein Stück des Heimwegs erspart hatten. Weil er so schnell zu Hause war!
Ja! Es gibt Dinge im Leben, für deren Rätsel keine exakte Wissenschaft mehr ausreicht. Da muß man fromm werden und an Wunder glauben.
Und wenn Herzmannski der Getreue nicht inzwischen eines natürlichen Todes verblichen ist, so lebt er – zur namenlosen Freude der Försterin Sterzenbacher – noch heute!