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Friedr. Bassermann'sche Verlagsbuchhandlung
Stuttgart
[1966]
Ich habe diese kleine harmlose Sammlung früher und späterer Zeichnungen »Das spannende Buch« genannt, weil die erste Zeichnung so heißt. Hoffentlich haben Sie danach nicht einen Detektivroman erwartet und verlangen entrüstet Umtausch gegen einen Wallace.
Der Titel ist nicht einmal eine Falschmeldung. Das Wesen des Witzes ist Spannung. Wie beim Kriminalroman liegt die Wirkung darin, daß es anders kommt als man erwartet hat und daß man bei dem überraschenden Eintritt der geistigen Detumeszenz Lustgefühle empfindet. Im Roman wird der Leser hunderte von Seiten hindurch bemüht, bis er endlich seine wohlverdiente Entspannung erreicht und beglückt entschlummern kann. Bei mir gibt es dieses Vergnügen auf jeder Seite. Der Mensch soll sich nicht überanstrengen.
Eine andere Enttäuschung wird es Einigen bereiten, daß in diesem Buch nirgends von Politik die Rede ist. Auffallenderweise wollen die Leute stets nur Subjekt, niemals Objekt des Humors sein. Beinahe alle Berufsklassen, die es gibt, haben mir schon manchmal flammende Proteste geschickt, wenn ich ihre Komik dargestellt hatte, Richter, Wursthändler, Zahnärzte usw. Und alle konnten furchtbare Rache an mir nehmen. Mit Schaudern denke ich noch daran, was der gekränkte Zahnarzt mir antat, vom Wursthändler und vom Richter ganz zu schweigen. In allen Ländern ist der Angehörige des Politikerberufes am empfindlichsten, wenn man ihm zumutet, einzusehen, wie komisch er sein kann. Deshalb habe ich mich in diesem Buche von Dingen, die nach Politik duften, ferngehalten. Die Herren, die das Rad der Weltgeschichte drehen möchten, pflegen ihre Wichtigkeit zu überschätzen. Alles Elend der Welt rührt daher, daß sich die Menschen zu wichtig nehmen.
Wenn ich abends beim Verlassen der Trocadero-Bar die letzte Trambahn nicht mehr erreicht habe und eine Stunde weit zu Fuß nach Haus gehen muß, erhebe ich den Blick zum nächtlichen Himmel und erblicke dort einen Stern, von dem aus der Weg nach meiner Wohnung 20 000 Jahre dauern würde. Dann weine ich nicht mehr und nehme mir heiteren Sinnes ein Taxi.
In München kannte ich einen Ägyptologen, der einen großen Teil seines ererbten Vermögens in einer Sammlung ägyptischer Altertümer angelegt hatte. Auch zwei Mumien waren dabei. Der Sammler hatte durch jahrelangen Fleiß das echte Rezept der Mumifizierung wiedergefunden und testamentarisch bestimmt, daß sein Leichnam nach diesem Verfahren einbalsamiert werden sollte. Dann trat ihm zum erstenmal in seinem Leben das Schicksal auf den Fuß. In der Revolution von 1918 drohten die Spartakisten mit Wegnahme der Räume, in denen seine Sammlung aufgestellt war, und Vernichtung all der kostbaren Gegenstände. Nie sah ich einen Menschen so verzweifelt. Er war fest zum Selbstmord entschlossen, wenn das Schlimmste eintreten würde und sagte mir, daß er mich zum Universalerben eingesetzt habe unter der Bedingung, daß ich mich verpflichte für Einbalsamierung seiner irdischen Überreste zu sorgen. Inzwischen war durch die Ereignisse übersehen worden, die Mumien in Ordnung zu halten. Die Feuchtigkeit des Herbstwetters hatte den König Menophis so angegriffen, daß er zu riechen begann. Wir mußten ihn einem Fleischermeister zum Nachräuchern übergeben. Als ich ihn wieder abholen wollte, zeigte es sich, daß er aus dem Rauchfang gestohlen worden war, gleichzeitig mit einigen Ripperln und Schinken. Es herrschte damals große Fleischnot und Menophis hatte längst zu ihrer Linderung gedient.
Schonend teilte ich meinem Freund das Entsetzliche mit. Zu meiner Überraschung brach er in ein brüllendes Gelächter aus. Ich fürchtete, er habe den Verstand verloren. Aber im Gegenteil, mit einem Male war ihm die Unwichtigkeit seines Lebensinhalts klar geworden.
Als wirklich seine Wohnung ausgeräumt und die Sammlung auf den Müll geworfen wurde, lächelte er fröhlich und befreit.
Dann verschlang die Inflation sein Vermögen. Er lächelte immer noch und hat sich später eine neue Existenz als Direktor einer Fleischkonservenfabrik aufgebaut.
Es liegt mir fern, hiermit eine Erklärung über die tieferen Gründe des Humors geben zu wollen. Das bleibt den Philosophen vorbehalten, die der Staat zur Fabrikation von Weltanschauungen pensionsberechtigt angestellt hat.
Ganz rein ist mein Gewissen ja nicht, wenn ich alle Wichtigkeit verdamme. Ich selbst halte die Kunst für wichtig und glaube, daß eine wirklich künstlerische Zeichnung noch lebendig sein wird, wenn ihr Humor längst auf dem Friedhof der alten Witze tot und begraben liegt.
Th. Th. Heine