Naturae vero rerum vis atque majestas in omnibus momentis fide caret, si quis modo partes ejus ac non totam complectatur animo. |
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Plin. H. N. lib. 7 c. 1. |
widmet
in tiefer Ehrfurcht und mit herzlichem Dankgefühl
diesen
Entwurf einer physischen Weltbeschreibung
Alexander v. Humboldt.
[Die Seiten dieses neuen Drucks des Kosmos entsprechen genau denen der Original-Ausgabe, so daß jede Anziehung von Seitenzahlen der Original-Ausgabe des Kosmos: in Citaten innerhalb des Werks wie in anderen Schriften, in den Anmerkungen und den Inhalts-Verzeichnissen; gleichmäßig auch für diesen neuen Druck gilt.]
Begrenzung und wissenschaftliche Behandlung einer physischen Weltbeschreibung.
Naturgemälde. Uebersicht der Erscheinungen.
Nähere Zergliederung des Inhalts
A. Anregungemittel zum Naturstudium.
B. Geschichte der physischen Weltanschauung.
Nähere Zergliederung des Inhalts
Specielle Ergebnisse der Beobachtung in dem Gebiete kosmischer Erscheinungen – Einleitung
A. Uranologischer Theil.
α. Astrognosie (Fixsternhimmel).
β. Sonnengebiet.
Nähere Zergliederung des Inhalts
B. Specielle Ergebnisse der Beobachtung in dem Gebiete tellurischer Erscheinungen
oder
aus dem tellurischen Theile der physischen Weltbeschreibung.
Zweiter Abschnitt. Reaction des Inneren der Erde gegen die Oberfläche.
Gasquellen: Salsen, Schlammvulkane, Naphtha-Quellen.
Ich übergebe am späten Abend eines vielbewegten Lebens dem deutschen Publikum ein Werk, dessen Bild in unbestimmten Umrissen mir fast ein halbes Jahrhundert lang vor der Seele schwebte. In manchen Stimmungen habe ich dieses Werk für unausführbar gehalten: und bin, wenn ich es aufgegeben, wieder, vielleicht unvorsichtig, zu demselben zurückgekehrt. Ich widme es meinen Zeitgenossen mit der Schüchternheit, die ein gerechtes Mißtrauen in das Maaß meiner Kräfte mir einflößen muß. Ich suche zu vergessen, daß lange erwartete Schriften gewöhnlich sich minderer Nachsicht zu erfreuen haben.
Wenn durch äußere Lebensverhältnisse und durch einen unwiderstehlichen Drang nach verschiedenartigem Wissen ich veranlaßt worden bin mich mehrere Jahre VI und scheinbar ausschließlich mit einzelnen Disciplinen: mit beschreibender Botanik, mit Geognosie, Chemie, astronomischen Ortsbestimmungen und Erd-Magnetismus als Vorbereitung zu einer großen Reise-Expedition zu beschäftigen; so war doch immer der eigentliche Zweck des Erlernens ein höherer. Was mir den Hauptantrieb gewährte, war das Bestreben die Erscheinungen der körperlichen Dinge in ihrem allgemeinen Zusammenhange, die Natur als ein durch innere Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes aufzufassen. Ich war durch den Umgang mit hochbegabten Männern früh zu der Einsicht gelangt, daß ohne den ernsten Hang nach der Kenntniß des Einzelnen alle große und allgemeine Weltanschauung nur ein Luftgebilde sein könne. Es sind aber die Einzelheiten im Naturwissen ihrem inneren Wesen nach fähig wie durch eine aneignende Kraft sich gegenseitig zu befruchten. Die beschreibende Botanik, nicht mehr in den engen Kreis der Bestimmung von Geschlechtern und Arten festgebannt, führt den Beobachter, welcher ferne Länder und hohe Gebirge durchwandert, zu der Lehre von der geographischen Vertheilung VII der Pflanzen über den Erdboden nach Maaßgabe der Entfernung vom Aequator und der senkrechten Erhöhung des Standortes. Um nun wiederum die verwickelten Ursachen dieser Vertheilung aufzuklären, müssen die Gesetze der Temperatur-Verschiedenheit der Klimate wie der meteorologischen Processe im Luftkreise erspähet werden. So führt den wißbegierigen Beobachter jede Classe von Erscheinungen zu einer anderen, durch welche sie begründet wird oder die von ihr abhängt.
Es ist mir ein Glück geworden, das wenige wissenschaftliche Reisende in gleichem Maaß mit mir getheilt haben: das Glück, nicht bloß Küstenländer, wie auf den Erdumseglungen, sondern das Innere zweier Continente in weiten Räumen und zwar da zu sehen, wo diese Räume die auffallendsten Contraste der alpinischen Tropen-Landschaft von Südamerika mit der öden Steppennatur des nördlichen Asiens darbieten. Solche Unternehmungen mußten, bei der eben geschilderten Richtung meiner Bestrebungen, zu allgemeinen Ansichten aufmuntern, sie mußten den Muth beleben unsre VIII dermalige Kenntniß der siderischen und tellurischen Erscheinungen des Kosmos in ihrem empirischen Zusammenhange in einem einigen Werke abzuhandeln. Der bisher unbestimmt aufgefaßte Begriff einer physischen Erdbeschreibung ging so durch erweiterte Betrachtung, ja, nach einem vielleicht allzu kühnen Plane, durch das Umfassen alles Geschaffenen im Erd- und Himmelsraume in den Begriff einer physischen Weltbeschreibung über.
Bei der reichen Fülle des Materials, welches der ordnende Geist beherrschen soll, ist die Form eines solchen Werkes, wenn es sich irgend eines litterarischen Vorzugs erfreuen soll, von großer Schwierigkeit. Den Naturschilderungen darf nicht der Hauch des Lebens entzogen werden, und doch erzeugt das Aneinanderreihen bloß allgemeiner Resultate einen eben so ermüdenden Eindruck als die Anhäufung zu vieler Einzelheiten der Beobachtung. Ich darf mir nicht schmeicheln so verschiedenartigen Bedürfnissen der Composition genügt; Klippen vermieden zu haben, die ich nur zu bezeichnen verstehe. Eine schwache Hoffnung gründet sich IX auf die besondere Nachsicht, welche das deutsche Publikum einer kleinen Schrift, die ich unter dem Titel Ansichten der Natur gleich nach meiner Rückkunft aus Mexico veröffentlicht, lange Zeit geschenkt hat. Diese Schrift behandelte einzelne Theile des Erdelebens (Pflanzengestaltung, Grasfluren und Wüsten) unter generellen Beziehungen. Sie hat mehr durch das gewirkt, was sie in empfänglichen, mit Phantasie begabten jungen Gemüthern erweckt hat, als durch das, was sie geben konnte. In dem Kosmos, an welchem ich jetzt arbeite, wie in den Ansichten der Natur habe ich zu zeigen gesucht, daß eine gewisse Gründlichkeit in der Behandlung der einzelnen Thatsachen nicht unbedingt Farbenlosigkeit in der Darstellung erheischt.
Da öffentliche Vorträge ein leichtes und entscheidendes Mittel darbieten, um die gute oder schlechte Verkettung einzelner Theile einer Lehre zu prüfen, so habe ich viele Monate lang erst zu Paris in französischer Sprache und später zu Berlin in unserer vaterländischen Sprache fast gleichzeitig in der großen Halle X der Singakademie und in einem der Hörsäle der Universität Vorlesungen über die physische Weltbeschreibung, wie ich die Wissenschaft aufgefaßt, gehalten. Bei freier Rede habe ich in Frankreich und Deutschland nichts über meine Vorträge schriftlich aufgezeichnet. Auch die Hefte, welche durch den Fleiß aufmerksamer Zuhörer entstanden sind, blieben mir unbekannt, und wurden daher bei dem jetzt erscheinenden Buche auf keine Weise benutzt. Die ersten vierzig Seiten des ersten Bandes abgerechnet, ist alles von mir in den Jahren 1843 und 1844 zum ersten Male niedergeschrieben. Wo der jetzige Zustand des Beobachteten und der Meinungen (die zunehmende Fülle des ersteren ruft unwiederbringlich Veränderungen in den letzteren hervor) geschildert werden soll, gewinnt, glaube ich, diese Schilderung an Einheit, an Frische und innerem Leben, wenn sie an eine bestimmte Epoche geknüpft ist. Die Vorlesungen und der Kosmos haben also nichts mit einander gemein als etwa die Reihenfolge der Gegenstände, die sie behandelt. Nur den »einleitenden Betrachtungen« habe ich die Form XI einer Rede gelassen, in die sie theilweise eingeflochten waren.
Den zahlreichen Zuhörern, welche mit so vielem Wohlwollen meinen Vorträgen in dem Universitäts-Gebäude gefolgt sind, ist es vielleicht angenehm, wenn ich als eine Erinnerung an jene längst verfloßne Zeit, zugleich aber auch als ein schwaches Denkmal meiner Dankgefühle hier die Vertheilung der einzeln abgehandelten Materien unter die Gesammtzahl der Vorlesungen (vom 3 November 1827 bis 26 April 1828, in 61 Vorträgen) einschalte: Wesen und Begrenzung der physischen Weltbeschreibung, allgemeines Naturgemälde 5 Vorträge; Geschichte der Weltanschauung 3, Anregungen zum Naturstudium 2, Himmelsräume 16; Gestalt, Dichte, innere Wärme, Magnetismus der Erde und Polarlicht 5; Natur der starren Erdrinde, heiße Quellen, Erdbeben, Vulcanismus 4; Gebirgsarten, Typen der Formationen 2; Gestalt der Erdoberfläche, Gliederung der Continente, Hebung auf Spalten 2; tropfbar-flüssige Umhüllung: Meer 3, elastisch-flüssige Umhüllung, Atmosphäre, Wärme-Vertheilung 10; XII geographische Vertheilung der Organismen im allgemeinen 1; Geographie der Pflanzen 3, Geographie der Thiere 3, Menschenracen 2.
Der erste Band meines Werkes enthält: Einleitende Betrachtungen über die Verschiedenartigkeit des Naturgenusses und die Ergründung der Weltgesetze, Begrenzung und wissenschaftliche Behandlung der physischen Weltbeschreibung; ein allgemeines Naturgemälde als Uebersicht der Erscheinungen im Kosmos. Indem das allgemeine Naturgemälde von den fernsten Nebelflecken und kreisenden Doppelsternen des Weltraums zu den tellurischen Erscheinungen der Geographie der Organismen (Pflanzen, Thiere und Menschenracen) herabsteigt, enthält es schon das, was ich als das Wichtigste und Wesentlichste meines ganzen Unternehmens betrachte: die innere Verkettung des Allgemeinen mit dem Besonderen; den Geist der Behandlung in Auswahl der Erfahrungssätze, in Form und Styl der Composition. Die beiden nachfolgenden Bände sollen die Anregungsmittel zum XIII Naturstudium (durch Belebung von Naturschilderungen, durch Landschaftmalerei und durch Gruppirung exotischer Pflanzengestalten in Treibhäusern); die Geschichte der Weltanschauung, d. h. der allmäligen Auffassung des Begriffs von dem Zusammenwirken der Kräfte in einem Naturganzen; und das Specielle der einzelnen Disciplinen enthalten, deren gegenseitige Verbindung in dem Naturgemälde des ersten Bandes angedeutet worden ist. Ueberall sind die bibliographischen Quellen, gleichsam die Zeugnisse von der Wirklichkeit und dem Werthe der Beobachtungen, da wo es mir nöthig schien sie in Erinnerung zu bringen, von dem Texte getrennt und mit Angabe der Seitenzahl in Anmerkungen an das Ende eines jeden Abschnittes verwiesen. Von meinen eigenen Schriften, in denen ihrer Natur nach die Thatsachen mannigfaltig zerstreut sind, habe ich immer vorzugsweise nur die Original-Ausgaben angeführt, da es hier auf große Genauigkeit numerischer Verhältnisse ankam und ich in Beziehung auf die Sorgfalt der Uebersetzer von großem Mißtrauen erfüllt XIV bin. Wo ich in seltenen Fällen kurze Sätze aus den Schriften meiner Freunde entlehnt habe, ist die Entlehnung durch den Druck selbst zu erkennen. Ich ziehe nach der Art der Alten die Wiederholung derselben Worte jeder willkührlichen Substituirung uneigentlicher oder umschreibender Ausdrücke vor. Von der in einem friedlichen Werke so gefahrvoll zu behandelnden Geschichte der ersten Entdeckungen wie von vielbestrittenen Prioritätsrechten ist in den Anmerkungen selten die Rede. Wenn ich bisweilen des classischen Alterthums und der glücklichen Uebergangs-Periode des durch große geographische Entdeckungen wichtig gewordenen funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts erwähnt habe, so ist es nur geschehen, weil in dem Bereich allgemeiner Ansichten der Natur es dem Menschen ein Bedürfniß ist sich von Zeit zu Zeit dem Kreise streng dogmatisirender moderner Meinungen zu entziehen und sich in das freie, phantasiereiche Gebiet älterer Ahndungen zu versenken.
Man hat es oft eine nicht erfreuliche Betrachtung genannt, daß, indem rein litterarische Geistesproducte XV gewurzelt sind in den Tiefen der Gefühle und der schöpferischen Einbildungskraft, alles, was mit der Empirie, mit Ergründung von Naturerscheinungen und physischer Gesetze zusammenhängt, in wenigen Jahrzehenden, bei zunehmender Schärfe der Instrumente und allmäliger Erweitrung des Horizonts der Beobachtung, eine andere Gestaltung annimmt; ja daß, wie man sich auszudrücken pflegt, veraltete naturwissenschaftliche Schriften als unlesbar der Vergessenheit übergeben sind. Wer von einer ächten Liebe zum Naturstudium und von der erhabenen Würde desselben beseelt ist, kann durch nichts entmuthigt werden, was an eine künftige Vervollkommnung des menschlichen Wissens erinnert. Viele und wichtige Theile dieses Wissens, in den Erscheinungen der Himmelsräume wie in den tellurischen Verhältnissen, haben bereits eine feste, schwer zu erschütternde Grundlage erlangt. In anderen Theilen werden allgemeine Gesetze an die Stelle der particulären treten, neue Kräfte ergründet, für einfach gehaltene Stoffe vermehrt oder zergliedert werden. Ein Versuch, die Natur XVI lebendig und in ihrer erhabenen Größe zu schildern, in dem wellenartig wiederkehrenden Wechsel physischer Veränderlichkeit das Beharrliche aufzuspüren, wird daher auch in späteren Zeiten nicht ganz unbeachtet bleiben.
Potsdam im November 1844.
(Vorgetragen am Tage der Eröffnung der Vorlesungen in der großen Halle der Singakademie zu Berlin. – Mehrere Einschaltungen gehören einer späteren Zeit an.)
Wenn ich es unternehme, nach langer Abwesenheit aus dem deutschen Vaterlande, in freien Unterhaltungen über die Natur die allgemeinen physischen Erscheinungen auf unserem Erdkörper und das Zusammenwirken der Kräfte im Weltall zu entwickeln, so finde ich mich mit einer zwiefachen Besorgniß erfüllt. Einestheils ist der Gegenstand, den ich zu behandeln habe, so unermeßlich und die mir vorgeschriebene Zeit so beschränkt, daß ich fürchten muß in eine encyclopädische Oberflächlichkeit zu verfallen oder, nach Allgemeinheit strebend, durch aphoristische Kürze zu ermüden. Anderentheils hat eine vielbewegte Lebensweise mich wenig an öffentliche Vorträge gewöhnt; und in der Befangenheit meines Gemüths wird es mir nicht immer gelingen mich mit der Bestimmtheit und Klarheit auszudrücken, welche die Größe und die 4 Mannigfaltigkeit des Gegenstandes erheischen. Die Natur aber ist das Reich der Freiheit; und um lebendig die Anschauungen und Gefühle zu schildern, welche ein reiner Natursinn gewährt, sollte auch die Rede stets sich mit der Würde und Freiheit bewegen, welche nur hohe Meisterschaft ihr zu geben vermag.
Wer die Resultate der Naturforschung nicht in ihrem Verhältniß zu einzelnen Stufen der Bildung oder zu den individuellen Bedürfnissen des geselligen Lebens, sondern in ihrer großen Beziehung auf die gesammte Menschheit betrachtet; dem bietet sich, als die erfreulichste Frucht dieser Forschung, der Gewinn dar, durch Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen den Genuß der Natur vermehrt und veredelt zu sehen. Eine solche Veredlung ist aber das Werk der Beobachtung, der Intelligenz und der Zeit, in welcher alle Richtungen der Geisteskräfte sich reflectiren. Wie seit Jahrtausenden das Menschengeschlecht dahin gearbeitet hat, in dem ewig wiederkehrenden Wechsel der Weltgestaltungen das Beharrliche des Gesetzes aufzufinden und so allmälig durch die Macht der Intelligenz den weiten Erdkreis zu erobern, lehrt die Geschichte den, welcher den uralten Stamm unseres Wissens durch die tiefen Schichten der Vorzeit bis zu seinen Wurzeln zu verfolgen weiß. Diese Vorzeit befragen heißt dem geheimnißvollen Gange der Ideen nachspüren, auf welchem dasselbe Bild, das früh dem inneren Sinne als ein harmonisch geordnetes Ganzes, Kosmos, vorschwebte, sich zuletzt wie das Ergebniß langer, mühevoll gesammelter Erfahrungen darstellt.
In diesen beiden Epochen der Weltansicht, dem ersten Erwachen des Bewußtseins der Völker und dem endlichen, 5 gleichzeitigen Anbau aller Zweige der Cultur, spiegeln sich zwei Arten des Genusses ab. Den einen erregt, in dem offenen kindlichen Sinne des Menschen, der Eintritt in die freie Natur und das dunkle Gefühl des Einklangs, welcher in dem ewigen Wechsel ihres stillen Treibens herrscht. Der andere Genuß gehört der vollendeteren Bildung des Geschlechts und dem Reflex dieser Bildung auf das Individuum an: er entspringt aus der Einsicht in die Ordnung des Weltalls und in das Zusammenwirken der physischen Kräfte. So wie der Mensch sich nun Organe schafft, um die Natur zu befragen und den engen Raum seines flüchtigen Daseins zu überschreiten; wie er nicht mehr bloß beobachtet, sondern Erscheinungen unter bestimmten Bedingungen hervorzurufen weiß: wie endlich die Philosophie der Natur, ihrem alten dichterischen Gewande entzogen, den ernsten Charakter einer denkenden Betrachtung des Beobachteten annimmt: treten klare Erkenntniß und Begrenzung an die Stelle dumpfer Ahndungen und unvollständiger Inductionen. Die dogmatischen Ansichten der vorigen Jahrhunderte leben dann nur fort in den Vorurtheilen des Volks und in gewissen Disciplinen, die, in dem Bewußtsein ihrer Schwäche, sich gern in Dunkelheit hüllen. Sie erhalten sich auch als ein lästiges Erbtheil in den Sprachen, die sich durch symbolisirende Kunstwörter und geistlose Formen verunstalten. Nur eine kleine Zahl sinniger Bilder der Phantasie, welche, wie vom Dufte der Urzeit umflossen, auf uns gekommen sind, gewinnen bestimmtere Umrisse und eine erneuerte Gestalt.
Die Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit, Verbindung des Mannigfaltigen in Form 6 und Mischung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte, als ein lebendiges Ganzes. Das wichtigste Resultat des sinnigen physischen Forschens ist daher dieses: in der Mannigfaltigkeit die Einheit zu erkennen; von dem Individuellen alles zu umfassen, was die Entdeckungen der letzteren Zeitalter uns darbieten; die Einzelheiten prüfend zu sondern und doch nicht ihrer Masse zu unterliegen: der erhabenen Bestimmung des Menschen eingedenk, den Geist der Natur zu ergreifen, welcher unter der Decke der Erscheinungen verhüllt liegt. Auf diesem Wege reicht unser Bestreben über die enge Grenze der Sinnenwelt hinaus; und es kann uns gelingen, die Natur begreifend, den rohen Stoff empirischer Anschauung gleichsam durch Ideen zu beherrschen.
Wenn wir zuvörderst über die verschiedenen Stufen des Genusses nachdenken, welchen der Anblick der Natur gewährt; so finden wir, daß die erste unabhängig von der Einsicht in das Wirken der Kräfte, ja fast unabhängig von dem eigenthümlichen Charakter der Gegend ist, die uns umgiebt. Wo in der Ebene, einförmig, gesellige Pflanzen den Boden bedecken und auf grenzenloser Ferne das Auge ruht; wo des Meeres Wellen das Ufer sanft bespülen und durch Ulfen und grünenden Seetang ihren Weg bezeichnen: überall durchdringt uns das Gefühl der freien Natur, ein dumpfes Ahnden ihres »Bestehens nach inneren ewigen Gesetzen«. In solchen Anregungen ruht eine geheimnißvolle Kraft; sie sind erheiternd und lindernd, stärken und erfrischen den ermüdeten Geist, besänftigen oft das Gemüth, wenn es schmerzlich in seinen Tiefen erschüttert oder vom wilden Drange der Leidenschaften bewegt ist. Was ihnen 7 ernstes und feierliches beiwohnt, entspringt aus dem fast bewußtlosen Gefühle höherer Ordnung und innerer Gesetzmäßigkeit der Natur; aus dem Eindruck ewig wiederkehrender Gebilde, wo in dem Besondersten des Organismus das Allgemeine sich spiegelt; aus dem Contraste zwischen dem sittlich Unendlichen und der eigenen Beschränktheit, der wir zu entfliehen streben. In jedem Erdstriche, überall wo die wechselnden Gestalten des Thier- und Pflanzenlebens sich darbieten, auf jeder Stufe intellectueller Bildung sind dem Menschen diese Wohlthaten gewährt.
Ein anderer Naturgenuß, ebenfalls nur das Gefühl ansprechend, ist der, welchen wir, nicht dem bloßen Eintritt in das Freie (wie wir tief bedeutsam in unserer Sprache sagen), sondern dem individuellen Charakter einer Gegend, gleichsam der physiognomischen Gestaltung der Oberfläche unseres Planeten verdanken. Eindrücke solcher Art sind lebendiger, bestimmter und deshalb für besondere Gemüthszustände geeignet. Bald ergreift uns die Größe der Naturmassen im wilden Kampfe der entzweiten Elemente oder, ein Bild des Unbeweglich-Starren, die Oede der unermeßlichen Grasfluren und Steppen, wie in dem gestaltlosen Flachlande der Neuen Welt und des nördlichen Asiens: bald fesselt uns, freundlicheren Bildern hingegeben, der Anblick der bebauten Flur, die erste Ansiedelung des Menschen, von schroffen Felsschichten umringt, am Rande des schäumenden Gießbachs. Denn es ist nicht sowohl die Stärke der Anregung, welche die Stufen des individuellen Naturgenusses bezeichnet, als der bestimmte Kreis von Ideen und Gefühlen, die sie erzeugen und welchen sie Dauer verleihen.
8 Darf ich mich hier der eigenen Erinnerung großer Naturscenen überlassen: so gedenke ich des Oceans, wenn in der Milde tropischer Nächte das Himmelsgewölbe sein planetarisches, nicht funkelndes Sternenlicht über die sanftwogende Wellenfläche ergießt: oder der Waldthäler der Cordilleren, wo mit kräftigem Triebe hohe Palmenstämme das düstere Laubdach durchbrechen und als Säulengänge hervorragen, »ein Wald über dem Walde«Dieser Ausdruck ist einer schönen Waldbeschreibung in Bernardin's de St. Pierre Paul et Virginie entlehnt.; oder des Pics von Teneriffa, wenn horizontale Wolkenschichten den Aschenkegel von der unteren Erdfläche trennen, und plötzlich durch eine Oeffnung, die der aufsteigende Luftstrom bildet, der Blick von dem Rande des Kraters sich auf die weinbekränzten Hügel von Orotava und die Hesperidengärten der Küste hinabsenkt. In diesen Scenen ist es nicht mehr das stille, schaffende Leben der Natur, ihr ruhiges Treiben und Wirken, die uns ansprechen: es ist der individuelle Charakter der Landschaft, ein Zusammenfließen der Umrisse von Wolken, Meer und Küsten im Morgendufte der Inseln; es ist die Schönheit der Pflanzenformen und ihrer Gruppirung. Denn das Ungemessene, ja selbst das Schreckliche in der Natur, alles was unsere Fassungskraft übersteigt, wird in einer romantischen Gegend zur Quelle des Genusses. Die Phantasie übt dann das freie Spiel ihrer Schöpfungen an dem, was von den Sinnen nicht vollständig erreicht werden kann; ihr Wirken nimmt eine andere Richtung bei jedem Wechsel in der Gemüthsstimmung des Beobachters. Getäuscht, glauben wir von der Außenwelt zu empfangen, was wir selbst in diese gelegt haben.
Wenn nach langer Seefahrt, fern von der Heimath, wir zum ersten Male ein Tropenland betreten, erfreut uns, 9 an schroffen Felswänden, der Anblick derselben Gebirgsarten (des Thonschiefers oder des basaltartigen Mandelsteins), die wir auf europäischem Boden verließen und deren Allverbreitung zu beweisen scheint, es habe die alte Erdrinde sich unabhängig von dem äußeren Einfluß der jetzigen Klimate gebildet; aber diese wohlbekannte Erdrinde ist mit den Gestalten einer fremdartigen Flora geschmückt. Da offenbart sich uns, den Bewohnern der nordischen Zone, von ungewohnten Pflanzenformen, von der überwältigenden Größe des tropischen Organismus und einer exotischen Natur umgeben, die wunderbar aneignende Kraft des menschlichen Gemüthes. Wir fühlen uns so mit allem Organischen verwandt, daß, wenn es anfangs auch scheint, als müsse die heimische Landschaft, wie ein heimischer Volksdialekt, uns zutraulicher, und durch den Reiz einer eigenthümlichen Natürlichkeit uns inniger anregen als jene fremde üppige Pflanzenfülle, wir uns doch bald in dem Palmen-Klima der heißen Zone eingebürgert glauben. Durch den geheimnißvollen Zusammenhang aller organischen Gestaltung (und unbewußt liegt in uns das Gefühl der Nothwendigkeit dieses Zusammenhangs) erscheinen unserer Phantasie jene exotischen Formen wie erhöht und veredelt aus denen, die unsere Kindheit umgaben. So leiten dunkle Gefühle und die Verkettung sinnlicher Anschauungen, wie später die Thätigkeit der combinirenden Vernunft, zu der Erkenntniß, welche alle Bildungsstufen der Menschheit durchdringt, daß ein gemeinsames, gesetzliches und darum ewiges Band die ganze lebendige Natur umschlinge.
Es ist ein gewagtes Unternehmen, den Zauber der Sinnenwelt einer Zergliederung seiner Elemente zu unterwerfen. 10 Denn der großartige Charakter einer Gegend ist vorzüglich dadurch bestimmt, daß die eindrucksreichsten Naturerscheinungen gleichzeitig vor die Seele treten, daß eine Fülle von Ideen und Gefühlen gleichzeitig erregt werde. Die Kraft einer solchen über das Gemüth errungenen Herrschaft ist recht eigentlich an die Einheit des Empfundenen, des Nicht-Entfalteten geknüpft. Will man aber aus der objectiven Verschiedenheit der Erscheinungen die Stärke des Totalgefühls erklären, so muß man sondernd in das Reich bestimmter Naturgestalten und wirkender Kräfte hinabsteigen. Den mannigfaltigsten und reichsten Stoff für diese Art der Betrachtungen gewährt die landwirthschaftliche Natur im südlichen Asien oder im Neuen Continent: da, wo hohe Gebirgsmassen den Boden des Luftmeers bilden und wo dieselben vulkanischen Mächte, welche einst die lange Andes-Mauer aus tiefen Erdspalten emporgehoben, jetzt noch ihr Werk zum Schrecken der Anwohner oft erschüttern.
Naturgemälde, nach leitenden Ideen an einander gereihet, sind nicht allein dazu bestimmt unseren Geist angenehm zu beschäftigen: ihre Reihenfolge kann auch die Graduation der Natureindrücke bezeichnen, deren allmälig gesteigerten Intensität wir aus der einförmigen Leere pflanzenloser Ebenen bis zu der üppigen Blüthenfülle der heißen Zone gefolgt sind. Wenn man als ein Spiel der Phantasie den Pilatus auf das SchreckhornDiese Vergleichungen sind nur Annäherungen. Die genaueren Elemente (Höhen über der Meeresfläche) folgen hier: Schnee- oder Riesenkoppe in Schlesien 824 Toisen nach Hallaschka; Rigi 923 T., wenn man die Oberfläche des Vierwaldstädter Sees (Eschmann, Ergebnisse der trigonometrischen Vermessungen in der Schweiz 1840 S. 230) zu 223 T. annimmt; Athos nach Cap. Gauttier 1060 T., Pilatus 1180 T., Aetna 1700,4 T. oder 10874 engl. Fuß nach Cap. Smyth; (zufolge einer Barometer-Messung von Sir John F. W. Herschel, die er mir 1825 schriftlich mitgetheilt, 10876 engl. Fuß oder 1700,7 T.; nach Höhenwinkeln, die Cacciatore in Palermo gemessen, und die terrestrische Strahlenbrechung zu 0,076 angenommen, 10898 engl. Fuß oder 1704 T.); Schreckhorn 2093 T., Jungfrau 2145 T. nach Tralles; Montblanc nach den von Roger discutirten Resultaten 2467 T. (Bibl. Univ. Mai 1828 p. 24–53); nach Carlini, vom Berg Colombier aus 1821 bestimmt, 2460 T.; durch östreichische Ingenieure vom Trelod und Glacier d'Ambin aus 2463 T. (die wirkliche Höhe der schweizer Schneeberge schwankt, wegen der veränderlichen Dicke der Schneedecke, nach Herrn Eschmann um 3½ T.); Chimborazo nach meiner trigonometrischen Messung 3350 T. (Humboldt, Recueil d'Observ. astron. Vol. I. p. LXXIII); Dhawalagiri 4390 T. Alle diese Berghöhen sind in Toisen, zu 6 Pariser Fuß, angegeben. Da zwischen den Bestimmungen von Blake und Webb 70 T. Unterschied sind, so ist hier zu bemerken, daß die Höhenbestimmung des Dhawalagiri (oder weißen Berges, nach den Sanskrit-Wörtern dhawala, weiß, und giri, Berg) nicht auf dieselbe Genauigkeit Anspruch machen kann als die Höhenbestimmung des Iawahir oder Dschawahir (Jawahir: 4027 T. = 24160 Par. Fuß = 25749 engl. Fuß = 7848 Meter), die sich auf eine vollständige trigonometrische Messung gründet (s. Herbert und Hodgson in den Asiat. Res. Vol. XIV. p. 189 und Suppl. to Encycl. Brit. Vol. IV. p. 643). Ich habe an einem anderen Orte (Ann. des Sciences Nat. mars 1825) gezeigt, wie die Messung des Dhawalagiri (4391 T. = 26345 Par. Fuß = 28077 engl. Fuß = 8558 Meter) von mehreren nicht ganz sicher ergründeten Elementen (astronomischen Ortsbestimmungen und Azimuthen) zugleich abhängt (Humboldt, Asie centrale T. III. p. 282). Noch unbegründeter ist die Vermuthung, daß in der Tartaric Chain (im Norden von Tübet, gegen die Gebirgskette Kuen-lün hin) einige Schneegipfel die Höhe von 30000 engl. Fußen (4691 T., fast die doppelte Höhe des Montblanc) oder wenigstens 29000 engl. Fuß (4535 T.) erreichen sollten (Capt. Alexander Gerard's and John Gerard's Journey to Boorendo Pass 1840 Vol. I. p. 143 und 311). Der Chimborazo ist im Texte nur »einer der höchsten Gipfel der Andeskette« genannt, da im Jahr 1827 der kenntnißreiche und talentvolle Reisende, Herr Pentland, auf seiner denkwürdigen Expedition nach dem Oberen Peru (Bolivia) zwei Berge östlich vom See von Titicaca, den Sorata (3948 T. = 23688 Par. Fuß = 7696 Meter) und Illimani (3753 T. = 22518 Par. Fuß = 7315 Meter), gemessen hat, welche die Höhe des Chimborazo (3350 T. = 20100 Par. Fuß = 6530 Meter) weit übersteigen und der Höhe des Dschawahir (4027 T.), des größten aller im Himalaya bisher genau gemessenen Berge, ziemlich nahe kommen. Der Montblanc (2467 T. = 14802 Par. Fuß = 4808 Meter) ist demnach 883 T. niedriger als der Chimborazo, der Chimborazo 598 T. niedriger als der Sorata, der Sorata 79 T. niedriger als der Dschawahir, aber wahrscheinlich 443 T. niedriger als der Dhawalagiri. In dieser Note sind die Berghöhen schon deshalb genauer, und theilweise in verschiedenartigen Maaßen angegeben worden, weil, durch falsche Reductionen dieser Maaße, sich in vielen neueren Karten und Profilen ganz irrige numerische Resultate verzeichnet finden. Nach einer neueren Messung (1838) des Illimani durch Pentland hat der Berg 7275 Meter (3732 T.): ein Unterschied von kaum 21 T. im Vergleich der Messung von 1827., oder unsere Sudetische Schneekoppe auf den Montblanc aufthürmt, so hat man noch nicht eine der größten Höhen der Andeskette, den Chimborazo, die doppelte Höhe des Aetna erreicht: wenn man auf den Chimborazo den Rigi oder den Athos thürmt, so schaffen wir uns ein Bild von dem höchsten Gipfel des 11 Himalaya-Gebirges, dem Dhawalagiri. Obgleich das indische Gebirge in der Größe seiner colossalen, jetzt durch wiederholte Messung wohl bestimmten Massen die Andeskette weit übertrifft, so gewährt ihr Anblick doch nicht die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, welche die Cordilleren von Südamerika charakterisiren. Höhe allein bestimmt nicht den Eindruck der Natur. Die Himalaya-Kette liegt schon weit außerhalb der Grenze tropischer Klimate. Kaum verirrt sich eine PalmeDer Mangel von Palmen und baumartigen Farn in den temperirten Vorgebirgen des Himalaya zeigt sich in Don's Flora Nepalensis (1825), wie in dem lithographirten, so merkwürdigen Catalogus von Wallich's Flora Indica: einem Verzeichniß, welches die ungeheure Zahl von 7683, freilich noch nicht hinlänglich untersuchten und gesonderten, aber fast allein phanerogamischen Himalaya-Species enthält. Von Nepaul (Br. 26°½ – 27°¼) kennen wir bisher nur eine Palmen-Art, Chamaerops Martiana Wall. (Plantae Asiat. T. III. p. 5 t. 211): auf einer Höhe von 5000 Fuß über dem Meere, in dem schattigen Thale Bunipa. Der prachtvolle baumartige Farn Alsophila Brunoniana Wall., von dem das britische Museum einen 45 Fuß langen Stamm seit 1831 besitzt, ist nicht aus Nepaul, sondern aus den Bergen von Silhet: nordöstlich von Calcutta, in Br. 24° 50'. Der Nepaulsche Farn Paranema cyathoïdes Don, einst Sphaeropteris barbata Wall. (Pl. Asiat. T. I. p. 42 t. 48), ist zwar der Cyathea, von der ich in den südamerikanischen Missionen von Caripe eine 30 Fuß hohe Species gesehen habe, nahe verwandt, aber kein eigentlicher Baum. bis in die schönen Thäler der Vorgebirge von Nepaul und Kumaon. Unter dem 28ten und 34ten Grade der Breite, am Abhange des alten Paropamisus, entfaltet die vegetabilische Natur nicht mehr die Fülle baumartiger Farnkräuter und Gräser, großblüthiger Orchideen und Bananen-Gewächse, welche unter den Wendekreisen bis zu den Hochebenen hinaufsteigen. Unter dem Schatten der cederartigen Deodwara-Fichte und großblättriger Eichen bedecken das granitartige Gestein europäische und nord-asiatische Pflanzenformen. Es sind nicht dieselben Arten, aber ähnliche Gebilde: Wachholder, Alpen-Birken, Gentianen, Parnassien und stachlige Ribes-Arten.Ribes nubicola, R. glaciale, R. grossularia. Den Charakter der Himalaya-Vegetation bezeichnen acht Pinus-Arten, trotz eines Ausspruchs der Alten über »das östliche Asien« (Strabo lib. XI p. 510 Cas.), 25 Eichen, 4 Birken, 2 Aeskulus (der, hundert Fuß hohe, wilde Kastanienbaum von Kaschmir wird bis 33° nördl. Breite von einem großen weißen Affen, mit schwarzem Gesichte, bewohnt; Carl von Hügel, Kaschmir 1840 Bd. II. S. 249), 7 Ahorn, 12 Weiden, 14 Rosen, 3 Erdbeer-Arten, 7 Alpenrosen (Rhododendra), deren eine 20 Fuß hoch, und viele andere nordische Gestalten. Unter den Coniferen ist Pinus Deodwara oder Deodara (eigentlich im Sanskrit dêwa-dâru, Götter-Bauholz) dem Pinus Cedrus nahe verwandt. Nahe am ewigen Schnee prangen mit großen Blüthen Gentiana venusta, G. Moorcroftiana, Swertia purpurascens, S. speciosa, Parnassia armata, P. Nubicola, Paeonia Emodi, Tulipa stellata; ja selbst neben den dem indischen Hochgebirge eigenthümlichen Arten europäischer Pflanzengattungen finden sich auch ächt europäische Species: wie Leontodon taraxacum, Prunella vulgaris, Galium Aparine, Thlaspi arvense. Das Heidekraut, dessen schon Saunders in Turner's Reise erwähnt und das man sogar mit Calluna vulgaris verwechselt hat, ist eine Andromeda: ein Factum, das für die Geographie der asiatischen Pflanzen von großer Wichtigkeit ist. Wenn ich mich in dieser Note des unphilosophischen Ausdrucks: europäische Formen oder europäische Arten, wildwachsend in Asien, bediene; so geschieht es als Folge des alten botanischen Sprachgebrauchs, welcher der Idee der räumlichen Verbreitung oder vielmehr der Coexistenz des Organischen die geschichtliche Hypothese einer Einwanderung sehr dogmatisch unterschiebt, ja aus Vorliebe für europäische Cultur die Wanderung von Westen nach Osten voraussetzt. Dem Himalaya fehlen die wechselnden Erscheinungen thätiger Vulkane, welche in der indischen Inselwelt drohend an das innere Leben der Erde mahnen. Auch fängt, wenigstens an seinem südlichen Abhange, wo die feuchtere Luft Hindustans ihren Wassergehalt absetzt, der ewige Schnee meist schon in der Höhe von eilf- bis zwölftausend Fuß an, und setzt so der Entwicklung des organischen Lebens eine frühere Grenze als in den Aequinoctial-Gegenden von Südamerika, wo der Organismus fast zweitausend sechshundert Fuß höher verbreitet ist.Schneegrenze an dem südlichen Abfall der Himalaya-Kette 2030 T. (12180 Fuß) über der Meeresfläche; am nördlichen Abfall, oder vielmehr in den Gipfeln, die sich auf dem tübetanischen (tartarischen) Plateau erheben, 2600 T. (15600 Fuß) in 30°½ bis 32° Breite: wenn unter dem Aequator in der Andeskette von Quito die Schneegrenze 2470 T. (14820 Fuß) hoch liegt. Dies ist das Resultat, welches ich aus der Zusammenstellung vieler Angaben von Webb, Gerard, Herbert und Moorcroft gezogen. S. meine beiden Mémoires sur les Montagnes de l'Inde von 1816 und 1820 in den Annales de Chimie et de Physique T. III. p. 303; T. XIV. p. 6, 22, 50. Die größere Höhe, zu der sich am tübetanischen Abfall die ewige Schneegrenze zurückzieht, ist eine gleichzeitige Folge der Wärmestrahlung der nahen Hochebene, der Heiterkeit des Himmels, der Seltenheit der Schneebildung in sehr kalter und trockener Luft (Humboldt, Asie centrale T. III. p. 281–326). Das Resultat der Schneehöhe auf beiden Abfällen des Himalaya, welches ich als das wahrscheinlichere angegeben, hatte für sich Colebrooke's große Autorität. »Auch ich finde«, schrieb er mir im Junius 1824, »die Höhe des ewigen Schnees nach den Materialien, die ich besitze, an dem südlichen Abfall unter dem Parallelkreis von 31° zu 13000 engl. Fußen (2033 T.). Webb's Messungen würden mir 13500 engl. Fuß (2111 T.), also 500 Fuß mehr als Capitän Hodgson's Beobachtungen, geben. Gerard's Messungen bestätigen vollkommen Ihre Angabe, daß die Schneelinie nördlich höher als südlich liegt.« Erst in diesem Jahre (1840) haben wir endlich durch Herrn Lloyd den Abdruck des gesammelten Tagebuches beider Brüder Gerard erhalten (Narrative of a Journey from Caunpoor to the Boorendo Pass in the Himalaya by Capt. Alexander Gerard and John Gerard, edited by George Lloyd. Vol. I. p. 281, 311, 320, 327 und 341). Vieles über einzelne Localitäten ist zusammengedrängt im Visit to the Shatool, for the purpose of determining the line of perpetual snow on the southern face of the Hímalaya, in Aug. 1822; aber leider verwechseln die Reisenden immer die Höhe, in der sporadisch Schnee fällt, mit dem Maximum der Höhe, zu welcher die Schneelinie über der tübetanischen Hochebene sich erhebt. Cap. Gerard unterscheidet die Gipfel in der Mitte der Hochebene, deren ewige Schneegrenze er zu 18000 bis 19000 engl. F. (2815 bis 2971 T.) bestimmt, und die nördlichen Abfälle der Himalaya-Kette, welche den Durchbruch des Sutledge begrenzen und wo die Hochebene tief durchfurcht ist und also wenig Wärme strahlen kann. Das Dorf Tangno wird nur zu 9300 engl. Fuß oder 1454 T. angegeben, während das Plateau um den heiligen See Manasa 17000 engl. F. oder 2658 T. hoch liegen soll. Bei dem Durchbruch der Kette findet Cap. Gerard den Schnee an dem nördlichen Abfall sogar um 500 engl. F. (78 T.) niedriger als am südlichen, gegen Indien gekehrten Abfall. An letzterem wird die Schneegrenze von ihm zu 15000 engl. Fuß (2346 T.) geschätzt. Die Vegetations-Verhältnisse bieten die auffallendsten Unterschiede zwischen der tübetanischen Hochebene und dem südlichen, indischen Abhange der Himalaya-Kette dar. In letzterem steigt die Feldernte, bei der der Halm aber oft noch grün abgemäht wird, nur zu 1560 T., die obere Waldgrenze mit noch hohen Eichen und Dewadaru-Tannen zu 1870 T., niedere Zwergbirken zu 2030 T. Auf der Hochebene sah Cap. Gerard Weideplätze bis 2660 T.; Cerealien gedeihen bis 2200, ja bis 2900 T., Birken in hohen Stämmen bis 2200 T., kleines Buschwerk, als Brennholz dienend, bis 2660 T., d. i. 200 T. höher als die ewige Schneegrenze unter dem Aequator in Quito. Es ist überaus wünschenswerth, daß von neuem, und zwar von Reisenden, die an allgemeine Ansichten gewöhnt sind, sowohl die mittlere Höhe des tübetanischen Tafellandes, die ich zwischen dem Himalaya und Kuen-lün nur zu 1800 T. annehme, wie auch das Verhältniß der Schneehöhen an dem nördlichen und südlichen Abfalle erforscht werde. Man hat bisher oft Schätzungen mit wirklichen Messungen, die Höhen einzelner über dem Tafellande hervorragender Gipfel mit der umgebenden Ebene verwechselt (vgl. Carl Zimmermann's scharfsinnige hypsometrische Bemerkungen in seiner geographischen Analyse der Karte von Inner-Asien 1841 S. 98). Lord macht auf einen Gegensatz aufmerksam zwischen den Höhen des ewigen Schnees an den beiden Abfällen des Himalaya und der Alpenkette Hindukusch. »Bei der letzteren Kette«, sagt er, »liegt das Tafelland in Süden, und deshalb ist die Schneehöhe am südlichen Abhange größer: umgekehrt als am Himalaya, der von warmen Ebenen in Süden, wie der Hindukusch in Norden, begrenzt ist.« So viel auch noch im einzelnen die hier behandelten hypsometrischen Angaben kritischer Berichtigungen bedürfen, so steht doch die Thatsache fest, daß die wunderbare Gestaltung eines Theils der Erdoberfläche in Inner-Asien dem Menschengeschlechte verleihet: Möglichkeit der Verbreitung, Nahrung, Brennstoffe, und Ansiedelung in einer Höhe über der Meeresfläche, die in fast allen anderen Theilen beider Continente (doch nicht in dem dürren, schneearmen Bolivia, wo Pentland die Schneegrenze unter 16°–17°¾ südlicher Breite im Jahr 1838 in einer Mittelhöhe von 2450 T. fand) ewig mit Eis bedeckt ist. Die mir wahrscheinlichen Unterschiede der nördlichen und südlichen Abhänge der Himalaya-Kette in Hinsicht auf den ewigen Schnee sind auch durch die Barometer-Messungen von Victor Jacquemont, welcher so früh ein unglückliches Opfer seiner edeln und rastlosen Thätigkeit wurde, vollkommen bestätigt worden (s. dessen Correspondance pendant son Voyage dans l'Inde 1833 T. I. p. 291, und Voyage dans l'Inde pendant les années 1828 à 1832, livr. 23, p. 290, 296, 299). »Les neiges perpétuelles«, sagt Jacquemont, »descendent plus bas sur la pente méridionale de l'Himalaya que sur les pentes septentrionales, et leur limite s'élève constamment à mesure que l'on s'éloigne vers le nord de la chaîne qui borde l'Inde. Sur le Col de Kioubrong, à 5581 mètres (2863 t.) de hauteur selon le Capitaine Gerard, je me trouvai encore bien audessous de la limite des neiges perpétuelles, que dans cette partie de l'Himalaya je croirais (wohl viel zu hoch geschätzt!) de 6000 mètres ou 3078 t.« Zu welcher Höhe, sagt der benannte Reisende, man sich auf dem nördlichen Abfall erhebe: immer behält das Klima denselben Charakter, dieselbe Abtheilung der Jahreszeiten wie in den indischen Ebenen. »Das Sommer-Solstitium führt dort dieselben Regengüsse herbei, welche ohne Unterbrechung bis zum Herbst-Aequinoctium dauern. Erst von Kaschmir an, das ich 5350 engl. Fuß« (837 T., also fast wie die Städte Merida und Popayan) »gefunden, beginnt ein neues, ganz verschiedenartiges Klima.« (Jacquemont, Corresp. T. II. p. 58 und 74.) Die Moussons treiben, wie Leopold von Buch scharfsinnig bemerkt, die feuchte und warme Seeluft des indischen Tieflandes nicht über die Vormauer des Himalaya hinaus in das jenseitige tübetanische Gebiet von Ladak und Hlassa. Carl von Hügel schätzt die Höhe des Thales von Kaschmir über der Meeresfläche, nach dem Siedepunkt des Wassers bestimmt, (Bd. II. S. 155 und Journal of the Georgr. Soc. Vol. 6. p. 215) zu 5818 engl. Fuß oder 910 T. In diesem ganz windstillen und fast gewitterlosen Thale, unter 34° 7' Breite, liegt der Schnee vom December bis März mehrere Fuß hoch.
12 Die dem Aequator nahe Gebirgsgegend hat einen anderen, nicht genugsam beachteten Vorzug: es ist der Theil der Oberfläche unseres Planeten, wo im engsten Raume die Mannigfaltigkeit der Natureindrücke ihr Maximum erreicht. In der tiefgefurchten Andeskette von Neu-Granada und Quito ist es dem Menschen gegeben alle Gestalten der Pflanzen und alle Gestirne des Himmels gleichzeitig zu schauen. Ein Blick umfaßt Heliconien, hochgefiederte Palmen, Bambusen, und über diesen Formen der Tropenwelt: Eichenwälder, Mespilus-Arten und Dolden-Gewächse, wie in unserer deutschen Heimath; ein Blick umfaßt das südliche Kreuz, die Magelhanischen Wolken und die leitenden Sterne des Bären, die um den Nordpol kreisen. Dort öffnen der Erde Schooß und beide Hemisphären des Himmels den ganzen Reichthum ihrer Erscheinungen und verschiedenartigen Gebilde; dort sind die Klimate, wie die durch sie bestimmten Pflanzen-Zonen schichtenweise über einander gelagert; dort die Gesetze abnehmender Wärme, dem aufmerksamen Beobachter verständlich, mit ewigen Zügen in die Felsenwände der Andeskette, am Abhange des Gebirges, eingegraben. Um diese Versammlung nicht mit Ideen zu ermüden, die ich versucht habeSiehe im allgemeinen: mein Essai sur la Géographie des Plantes et Tableau physique des Régions équinoxiales 1807 p. 80–88; über die Schwankungen der Temperatur bei Tage und bei Nacht die Pl. 9 meines Atlas géogr. et phys. du Nouveau Continent und die Tabellen meines Werkes de distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium 1817 p. 90–116, den meteorologischen Theil meiner Asie centrale T. III. p. 212–224; endlich die neuere und weit genauere Darstellung der mit der Höhe abnehmenden Temperatur in der Andeskette in Boussingault's mémoires sur la profondeur à laquelle on trouve la couche de température invariable sous les tropiques (Ann. de Chimie et de Physique T. LIII. 1833 p. 225–247). Diese Abhandlung enthält die Bestimmung der Höhe und der mittleren Temperatur von 128 Punkten von der Meeresfläche an bis zum Abhange des Antisana in 2800 T. Höhe, zwischen 27°,5 und 1°,7 Cent. Luftwärme. in einem eigenen Werke über die Geographie der Pflanzen bildlich darzustellen, hebe ich hier nur einige wenige Erinnerungen aus dem »Naturgemälde der Tropengegend« hervor. Was in dem Gefühle umrißlos und duftig, wie Bergluft, verschmilzt, kann von der, nach dem Causalzusammenhang der Erscheinungen grübelnden Vernunft nur in einzelne Elemente zerlegt, als Ausdruck eines individuellen Naturcharakters, begriffen werden. Aber in dem wissenschaftlichen 13 Kreise, wie in den heiteren Kreisen der Landschaft-Dichtung und Landschaftmalerei, gewinnt die Darstellung um so mehr an Klarheit und objectiver Lebendigkeit, als das Einzelne bestimmt aufgefaßt und begrenzt ist.
Sind die tropischen Länder eindrucksreicher für das Gemüth durch Fülle und Ueppigkeit der Natur, so sind sie zugleich auch (und dieser Gesichtspunkt ist der wichtigste in dem Ideengange, den ich hier verfolge) vorzugsweise dazu geeignet, durch einförmige Regelmäßigkeit in den meteorologischen Processen des Luftkreises und in der periodischen Entwicklung des Organismus, durch scharfe Scheidung der Gestalten bei senkrechter Erhebung des Bodens, dem Geiste die gesetzmäßige Ordnung der Himmelsräume, wie abgespiegelt in dem Erdeleben, zu zeigen. Mögen wir einige Augenblicke bei diesem Bilde der Regelmäßigkeit, die selbst an Zahlenverhältnisse geknüpft ist, verweilen!
In den heißen Ebenen, die sich wenig über die Meeresfläche der Südsee erheben, herrscht die Fülle der Pisang-Gewächse, der Cycadeen und Palmen; ihr folgen, von hohen Thalwänden beschattet, baumartige Farnkräuter und, in üppiger Naturkraft, von kühlem Wolkennebel unaufhörlich getränkt und erfrischt, die Cinchonen, welche die lange verkannte, wohlthätige Fieberrinde geben. Wo der hohe Baumwuchs aufhört, blühen, gesellig an einander gedrängt, Aralien, Thibaudien und myrtenblättrige Andromeden. Einen purpurrothen Gürtel bildet die Alpenrose der Cordilleren, die harzreiche Befaria. Dann verschwinden allmälig, in der stürmischen Region der Paramos, die höheren Gesträuche und die großblüthigen Kräuter. Rispen tragende 14 Monocotyledonen bedecken einförmig den Boden: eine unabsehbare Grasflur, gelb leuchtend in der Ferne; hier weiden einsam das Kameel-Schaf und die von den Europäern eingeführten Rinder. Wo die nackten Felsklippen trachytartigen Gesteins sich aus der Rasendecke emporheben, da entwickeln sich, bei mangelnder Dammerde, nur noch Pflanzen niederer Organisation: die Schaar der Flechten, welche der dünne, kohlenstoffarme Luftkreis dürftig ernährt; Parmelien, Lecideen und der vielfarbige Keimstaub der Leprarien. Inseln frisch gefallenen Schnees verhüllen hier die letzten Regungen des Pflanzenlebens, bis, scharf begrenzt, die Zone des ewigen Eises beginnt. Durch die weißen, wahrscheinlich hohlen, glockenförmigen Gipfel streben, doch meist vergebens, die unterirdischen Mächte auszubrechen. Wo es ihnen gelungen ist durch runde, kesselförmige Feuerschlünde oder langgedehnte Spalten mit dem Luftkreise in bleibenden Verkehr zu treten; da stoßen sie, fast nie Laven, aber Kohlensäure, Schwefel-Hydrate und heiße Wasserdämpfe aus.
Ein so erhabenes Schauspiel konnte bei den Bewohnern der Tropenwelt, in dem ersten Andrange roher Naturgefühle, nur Bewunderung und dumpfes Erstaunen erregen. Der innere Zusammenhang großer, periodisch wiederkehrender Erscheinungen, die einfachen Gesetze, nach denen diese Erscheinungen sich zonenweise gruppiren, bieten sich dort allerdings dem Menschen in größerer Klarheit dar; aber bei den Ursachen, welche in vielen Theilen dieses glücklichen Erdstrichs dem localen Entstehen hoher Gesittung entgegentreten, sind die Vortheile eines leichteren Erkennens jener Gesetze (so weit geschichtliche Kunde reicht) unbenutzt geblieben. Gründliche Untersuchungen der neuesten Zeit haben es mehr als zweifelhaft 15 gemacht, daß der eigentliche Ursitz indischer Cultur, einer der herrlichsten Blüthen des Menschengeschlechts, deren südöstlichste Verbreitung Wilhelm von Humboldt in seinem großen WerkeUeber die Kawi-Sprache auf der Insel Java, nebst einer Einleitung über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts von Wilhelm v. Humboldt Bd. I. 1836 S. 5–310. »über die Kawi-Sprache« entwickelt hat, innerhalb der Wendekreise gewesen sei. Airyana Vaedjô, das alte Zendland, lag im Nordwesten des oberen Indus; und nach dem religiösen Zwiespalt, dem Abfall der Iranier vom brahmanischen Institute und ihrer Trennung von den Indern hat bei diesen die ursprünglich gemeinschaftliche Sprache ihre eigenthümliche Gestaltung, wie das bürgerliche Wesen seine Ausbildung im MagadhaUeber den eigentlichen Madhyadêśa s. Lassen's vortreffliche Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 92. Bei den Chinesen ist Mo-kie-thi das südliche Bahar: der Theil, welcher im Süden des Ganges liegt. S. Foe-koue-ki par Chy-Fa-Hian 1836 p. 256. Djambu-dwipa ist ganz Indien, begreift aber auch bisweilen einen der vier buddhistischen Continente. oder Madhya Desa, zwischen der kleinen Vindhya-Kette und dem Himalaya, erlangt.
Tiefere Einsicht in das Wirken der physischen Kräfte hat sich (trotz der Hindernisse, welche, unter höheren Breiten, verwickelte örtliche Störungen in den Naturprocessen des Dunstkreises oder in der klimatischen Verbreitung organischer Gebilde dem Auffinden allgemeiner Gesetze entgegenstellen) doch nur, wenn gleich spät, bei den Volksstämmen gefunden, welche die gemäßigte Zone unserer Hemisphäre bewohnen. Von daher ist diese Einsicht in die Tropen-Region und in die ihr nahen Länder durch Völkerzüge und fremde Ansiedler gebracht worden: eine Verpflanzung wissenschaftlicher Cultur, die auf das intellectuelle Leben und den industriellen Wohlstand der Colonien, wie der Mutterstaaten, gleich wohlthätig eingewirkt hat. Wir berühren hier den Punkt, wo, in dem Contact mit der Sinnenwelt, zu den Anregungen des Gemüthes sich noch ein anderer Genuß gesellt, ein Naturgenuß, der aus Ideen entspringt: da, wo in dem Kampf der streitenden Elemente 16 das Ordnungsmäßige, Gesetzliche nicht bloß geahndet, sondern vernunftmäßig erkannt wird; wo der Mensch, wie der unsterbliche DichterDie Elegie von Schiller, welche zuerst in den Horen 1795 erschien:
sagt:
Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel
Sinnend der Weise, beschleicht forschend den schaffenden Geist;
Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben;
Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Aether dem Strahl;
Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern,
Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht.
»sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht«.
Um diesen Naturgenuß, der aus Ideen entspringt, bis zu seinem ersten Keime zu verfolgen, bedarf es nur eines flüchtigen Blicks auf die Entwickelungsgeschichte der Philosophie der Natur oder der alten Lehre vom Kosmos.
Ein dumpfes, schauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten, von dem geheimnißvollen Bande, welches das Sinnliche und Uebersinnliche verknüpft, ist allerdings (und meine eigenen Reisen haben es bestätigt) selbst wilden Völkern eigen. Die Welt, die sich dem Menschen durch die Sinne offenbart, schmilzt, ihm selbst fast unbewußt, zusammen mit der Welt, welche er, inneren Anklängen folgend, als ein großes Wunderland, in seinem Busen aufbaut. Diese aber ist nicht der reine Abglanz von jener; denn so wenig auch noch das Aeußere von dem Inneren sich loszureißen vermag, so wirkt doch schon unaufhaltsam, bei den rohesten Völkern, die schaffende Phantasie und die symbolisirende Ahndung des Bedeutsamen in den Erscheinungen. Was bei einzelnen mehr begabten Individuen sich als Rudiment einer Naturphilosophie, gleichsam als eine Vernunft-Anschauung darstellt, ist bei ganzen Stämmen das Product instinctiver Empfänglichkeit. Auf diesem Wege, in der Tiefe und Lebendigkeit dumpfer Gefühle, liegt zugleich der erste Antrieb zum Cultus, die Heiligung der erhaltenden wie der zerstörenden Naturkräfte. Wenn nun der Mensch, indem er die verschiedenen Entwicklungsstufen seiner Bildung durchläuft, minder an den Boden gefesselt, 17 sich allmälig zu geistiger Freiheit erhebt, genügt ihm nicht mehr ein dunkles Gefühl, die stille Ahndung von der Einheit aller Naturgewalten. Das zergliedernde und ordnende Denkvermögen tritt in seine Rechte ein; und wie die Bildung des Menschengeschlechts, so wächst gleichmäßig mit ihr, bei dem Anblick der Lebensfülle, welche durch die ganze Schöpfung fließt, der unaufhaltsame Trieb, tiefer in den ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen einzudringen.
Schwer ist es, einem solchem Triebe schnelle und doch sichere Befriedigung zu gewähren. Aus unvollständigen Beobachtungen und noch unvollständigeren Inductionen entstehen irrige Ansichten von dem Wesen der Naturkräfte: Ansichten, die, durch bedeutsame Sprachformen gleichsam verkörpert und erstarrt, sich, wie ein Gemeingut der Phantasie, durch alle Classen einer Nation verbreiten. Neben der wissenschaftlichen Physik bildet sich dann eine andere, ein System ungeprüfter, zum Theil gänzlich mißverstandener Erfahrungs-Kenntnisse. Wenige Einzelheiten umfassend, ist diese Art der Empirik um so anmaßender, als sie keine der Thatsachen kennt, von denen sie erschüttert wird. Sie ist in sich abgeschlossen, unveränderlich in ihren Axiomen, anmaßend wie alles Beschränkte: während die wissenschaftliche Naturkunde, untersuchend und darum zweifelnd, das fest Ergründete von dem bloß Wahrscheinlichen trennt, und sich täglich durch Erweiterung und Berichtigung ihrer Ansichten vervollkommnet.
Eine solche rohe Anhäufung physischer Dogmen, welche ein Jahrhundert dem andern überliefert und aufdringt, wird aber nicht bloß schädlich, weil sie einzelne Irrthümer nährt, weil sie hartnäckig wie das Zeugniß schlecht 18 beobachteter Thatsachen ist; nein, sie hindert auch jede großartige Betrachtung des Weltbaus. Statt den mittleren Zustand zu erforschen, um welchen, bei der scheinbaren Ungebundenheit der Natur, alle Phänomene innerhalb enger Grenzen oscilliren, erkennt sie nur die Ausnahmen von den Gesetzen; sie sucht andere Wunder in den Erscheinungen und Formen als die der geregelten und fortschreitenden Entwickelung. Immer ist sie geneigt die Kette der Naturbegebenheiten zerrissen zu wähnen, in der Gegenwart die Analogie mit der Vergangenheit zu verkennen; und spielend, bald in den fernen Himmelsräumen, bald im Innern des Erdkörpers, die Ursach jener erdichteten Störungen der Weltordnung aufzufinden. Sie führt ab von den Ansichten der vergleichenden Erdkunde, die, wie Carl Ritter's großes und geistreiches Werk bewiesen hat, nur dann Gründlichkeit erlangt, wenn die ganze Masse von Thatsachen, die unter verschiedenen Himmelsstrichen gesammelt worden sind, mit Einem Blicke umfaßt, dem combinirenden Verstande zu Gebote steht.
Es ist ein besonderer Zweck dieser Unterhaltungen über die Natur, einen Theil der Irrthümer, die aus roher und unvollständiger Empirie entsprungen sind und vorzugsweise in den höheren Volksclassen (oft neben einer ausgezeichneten litterarischen Bildung) fortleben, zu berichtigen und so den Genuß der Natur durch tiefere Einsicht in ihr inneres Wesen zu vermehren. Das Bedürfniß eines solchen veredelten Genusses wird allgemein gefühlt; denn ein eigener Charakter unseres Zeitalters spricht sich in dem Bestreben aller gebildeten Stände aus, das Leben durch einen größeren Reichthum von Ideen zu verschönern. Der 19 ehrenvolle Antheil, welchen meinen Vorträgen in zwei Hörsälen dieser Hauptstadt geschenkt wird, zeugt für die Lebendigkeit eines solchen Bestrebens.
Ich kann daher der Besorgniß nicht Raum geben, zu welcher Beschränkung oder eine gewisse sentimentale Trübheit des Gemüths zu leiten scheinen: der Besorgniß, daß, bei jedem Forschen in das innere Wesen der Kräfte, die Natur von ihrem Zauber, von dem Reize des Geheimnißvollen und Erhabenen verliere. Allerdings wirken Kräfte, im eigentlichen Sinne des Worts, nur dann magisch, wie im Dunkel einer geheimnißvollen Macht, wenn ihr Wirken außerhalb des Gebietes allgemein erkannter Naturbedingungen liegt. Der Beobachter, der durch ein Heliometer oder einen prismatischen DoppelspathArago's Ocular-Micrometer, eine glückliche Vervollkommnung von Rochon's micromètre prismatique oder à double réfraction: siehe Note de Mr. Mathieu in Delambre's Hist. de l'Astr. au 18me siècle 1827 p. 651. den Durchmesser der Planeten bestimmt, Jahre lang die Meridianhöhe desselben Sternes mißt, zwischen dichtgedrängten Nebelflecken telescopische Cometen erkennt; fühlt (und es ist ein Glück für den sichern Erfolg dieser Arbeit) seine Phantasie nicht mehr angeregt als der beschreibende Botaniker, so lange er die Kelch-Einschnitte und die Staubfäden einer Blume zählt, und in der Structur eines Laubmooses die einfachen oder doppelten, die freien oder ringförmig verwachsenen Zähne der Saamenkapsel untersucht; aber das Messen und Auffinden numerischer Verhältnisse, die sorgfältigste Beobachtung des Einzelnen bereitet zu der höheren Kenntniß des Naturganzen und der Weltgesetze vor. Dem Physiker, welcher (wie Thomas Young, Arago und Fresnel) die ungleich langen Ströme der durch Interferenz sich vernichtenden oder verstärkenden Lichtwellen mißt; dem Astronomen, der mittelst der raumdurchdringenden 20 Kraft der Fernröhre nach den Monden des Uranus am äußersten Rande unseres Sonnensystems forscht, oder (wie Herschel, South und Struve) aufglimmende Lichtpunkte in farbige Doppelsterne zerlegt; dem eingeweihten Blick des Botanikers, welcher die chara-artig kreisende Bewegung der Saftkügelchen in fast allen vegetabilischen Zellen, die Einheit der Gestaltung, das ist die Verkettung der Formen in Geschlechtern und natürlichen Familien, erkennt: gewähren die Himmelsräume, wie die blüthenreiche Pflanzendecke der Erde, gewiß einen großartigeren Anblick als dem Beobachter, dessen Natursinn noch nicht durch die Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen geschärft ist. Wir können daher dem geistreichen Burke nicht beipflichten, wenn er behauptet, daß »aus der Unwissenheit von den Dingen der Natur allein die Bewunderung und das Gefühl des Erhabenen entstehe«.
Während die gemeine Sinnlichkeit die leuchtenden Gestirne an ein krystallenes Himmelsgewölbe heftet, erweitert der Astronom die räumliche Ferne; er begrenzt unsere Weltengruppe, nur um jenseits andere und andere ungezählte Gruppen (eine aufglimmende Inselflur) zu zeigen. Das Gefühl des Erhabnen, in so fern es aus der einfachen Naturanschauung der Ausdehnung zu entspringen scheint, ist der feierlichen Stimmung des Gemüths verwandt, welche dem Ausdruck des Unendlichen und Freien in den Sphären ideeller Subjectivität, in dem Bereich des Geistigen angehört. Auf dieser Verwandtschaft, dieser Bezüglichkeit der sinnlichen Eindrücke beruht der Zauber des Unbegrenzten: sei es auf dem Ocean und im Luftmeere, wo dieses eine isolirte Bergspitze umgiebt; sei es im Weltraume, 21 in den die nebelauflösende Kraft großer Fernröhre unsere Einbildungskraft tief und ahndungsvoll versenkt.
Einseitige Behandlung der physikalischen Wissenschaften, endloses Anhäufen roher Materialien konnten freilich zu dem, nun fast verjährten Vorurtheile beitragen, als müßte nothwendig wissenschaftliche Erkenntniß das Gefühl erkälten, die schaffende Bildkraft der Phantasie ertödten und so den Naturgenuß stören. Wer in der bewegten Zeit, in der wir leben, noch dieses Vorurtheil nährt; der verkennt, bei dem allgemeinen Fortschreiten menschlicher Bildung, die Freuden einer höheren Intelligenz: einer Geistesrichtung, welche Mannigfaltigkeit in Einheit auflöst und vorzugsweise bei dem Allgemeinen und Höheren verweilt. Um dies Höhere zu genießen, müssen in dem mühsam durchforschten Felde specieller Naturformen und Naturerscheinungen die Einzelheiten zurückgedrängt und von dem selbst, der ihre Wichtigkeit erkannt hat und den sie zu größeren Ansichten geleitet, sorgfältig verhüllt werden.
Zu den Besorgnissen über den Verlust eines freien Naturgenusses unter dem Einfluß denkender Betrachtung oder wissenschaftlicher Erkenntniß gesellen sich auch die, welche aus dem, nicht Allen erreichbaren Maaße dieser Erkenntniß oder dem Umfange derselben geschöpft werden. In dem wundervollen Gewebe des Organismus, in dem ewigen Treiben und Wirken der lebendigen Kräfte führt allerdings jedes tiefere Forschen an den Eingang neuer Labyrinthe. Aber gerade diese Mannigfaltigkeit unbetretener, vielverschlungener Wege erregt auf allen Stufen des Wissens freudiges Erstaunen. Jedes Naturgesetz, das sich dem Beobachter offenbart, läßt auf ein höheres, noch 22 unerkanntes schließen; denn die Natur ist, wie CarusCarus von den Ur-Theilen des Knochen- und Schalen-Gerüstes 1828 § 6. trefflich sagt, und wie das Wort selbst dem Römer und dem Griechen andeutete, »das ewig Wachsende, ewig im Bilden und Entfalten Begriffene«. Der Kreis der organischen Typen erweitert sich, je mehr die Erdräume auf Land- und Seereisen durchsucht, die lebendigen Organismen mit den abgestorbenen verglichen, die Microscope vervollkommnet und verbreitet werden. In der Mannigfaltigkeit und im periodischen Wechsel der Lebensgebilde erneuert sich unablässig das Urgeheimniß aller Gestaltung, ich sollte sagen: das von Göthe so glücklich behandelte Problem der Metamorphose; eine Lösung, die dem Bedürfniß nach einem idealen Zurückführen der Formen auf gewisse Grundtypen entspricht. Mit wachsender Einsicht vermehrt sich das Gefühl von der Unermeßlichkeit des Naturlebens; man erkennt, daß auf der Feste, in der Lufthülle, welche die Feste umgiebt, in den Tiefen des Oceans, wie in den Tiefen des Himmels, dem kühnen wissenschaftlichen ErobererPlut. in vita Alex. Magni cap. 7., auch nach Jahrtausenden, nicht »der Weltraum fehlen wird«.
Allgemeine Ansichten des Geschaffenen (sei es der Materie, zu fernen Himmelskörpern geballt; sei es der uns nahen tellurischen Erscheinungen) sind nicht allein anziehender und erhebender als die speciellen Studien, welche abgesonderte Theile des Naturwissens umfassen: sie empfehlen sich auch vorzugsweise denen, die wenig Muße auf Beschäftigungen dieser Art verwenden können. Die naturbeschreibenden Disciplinen sind meist nur für gewisse Lagen geeignet; sie gewähren nicht dieselbe Freude zu jeder Jahreszeit, in jedem Lande, das wir bewohnen.
23 Der unmittelbaren Anschauung der Naturkörper, die sie erheischen, müssen wir in unserer nördlichen Zone oft lange entbehren; und ist unser Interesse auf eine bestimmte Classe von Gegenständen beschränkt, so gewähren uns selbst die trefflichsten Berichte reisender Naturforscher keinen Genuß, wenn darin gerade solche Gegenstände unberührt bleiben, auf welche unsere Studien gerichtet sind.
Wie die Weltgeschichte, wo es ihr gelingt den wahren ursächlichen Zusammenhang der Begebenheiten darzustellen, viele Räthsel in den Schicksalen der Völker und ihrem intellectuellen, bald gehemmten, bald beschleunigten Fortschreiten löst; so würde auch eine physische Weltbeschreibung, geistreich und mit gründlicher Kenntniß des bereits Entdeckten aufgefaßt, einen Theil der Widersprüche heben, welche die streitenden Naturkräfte in ihrer zusammengesetzten Wirkung dem ersten Anschauen darbieten. Generelle Ansichten erhöhen den Begriff von der Würde und der Größe der Natur; sie wirken läuternd und beruhigend auf den Geist, weil sie gleichsam den Zwiespalt der Elemente durch Auffindung von Gesetzen zu schlichten streben: von Gesetzen, die in dem zarten Gewebe irdischer Stoffe, wie in dem Archipel dichtgedrängter Nebelflecke und in der schauderhaften Leere weltenarmer Wüsten walten. Generelle Ansichten gewöhnen uns jeden Organismus als Theil des Ganzen zu betrachten: in der Pflanze und im Thier minder das Individuum oder die abgeschlossene Art als die mit der Gesammtheit der Bildungen verkettete Naturform zu erkennen; sie erweitern unsere geistige Existenz und setzen uns, auch wenn wir in ländlicher Abgeschiedenheit leben, in Berührung mit dem ganzen Erdkreise. Durch sie erhält die Kunde 24 von dem, was durch Seefahrten nach dem fernen Pole oder auf den neuerlichst fast unter allen Breiten errichteten Stationen über das gleichzeitige Eintreten magnetischer Ungewitter erforscht wird, einen unwiderstehlichen Reiz; ja wir erlangen ein Mittel schnell den Zusammenhang zu errathen, in dem die Resultate neuer Beobachtungen mit den früher erkannten Erscheinungen stehen.
Wer kann, um eines Gegenstandes im Weltraume zu erwähnen, der in den letztverflossenen Jahren die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog, ohne generelle Kenntniß von dem gewöhnlichen Cometenlaufe einsehen, wie folgenreich Encke's Entdeckung sei, nach der ein Comet, welcher in seiner elliptischen Bahn nie aus unserem Planetensysteme heraustritt, die Existenz eines seine Wurfkraft hemmenden Fluidums offenbart? Bei einer sich schnell verbreitenden Halbcultur, welche wissenschaftliche Resultate in das Gebiet der geselligen Unterhaltung, aber entstellt, hinüberzieht, nimmt die alte Besorgniß über ein gefahrdrohendes Zusammentreffen von Weltkörpern oder über kosmische Ursachen in der vermeinten Verschlechterung der Klimate eine veränderte und darum noch trügerischere Gestalt an. Klare Ansicht der Natur, wenn auch nur eine historische, bewahrt vor den Anmaßungen einer dogmatisirenden Phantasie. Sie lehrt, daß der Enckische Comet, der schon in 1200 Tagen seinen Lauf vollendet, wegen der Gestalt und der Lage seiner Bahn, harmlos für die Erdbewohner, harmlos wie der große sechsundsiebenzigjährige Halley'sche Comet von 1759 und 1835 ist; daß ein anderer Comet von kurzer (sechsjähriger) Umlaufszeit, der Biela'sche, allerdings die Erdbahn schneidet, doch nur dann 25 uns nahe kommen kann, wenn seine Sonnennähe in die Zeit des Winter-Solstitiums fällt.
Die Quantität Wärme, welche ein Weltkörper empfängt und deren Vertheilung die großen meteorologischen Processe des Luftkreises bestimmt, wird zugleich durch die lichtentbindende Kraft der Sonne (die Beschaffenheit ihrer Oberfläche) und die relative Lage der Sonne und des Planeten modificirt; aber die periodischen Veränderungen, welche, nach den allgemeinen Gesetzen der Gravitation, die Gestalt der Erdbahn und die Schiefe der Ekliptik (die Neigung der Erdachse gegen die Ebene der Erdbahn) erleiden, sind so langsam und in so enge Grenzen eingeschlossen, daß die Wirkungen kaum nach mehreren tausend Jahren unseren jetzigen wärmemessenden Instrumenten erkennbar sein würden. Kosmische Ursachen der Temperatur-Abnahme, der Wasserverminderung und der Epidemien, deren in neueren Zeiten, wie einst im Mittelalter, Erwähnung geschieht, liegen daher ganz außerhalb des Bereichs unserer wirklichen Erfahrung.
Soll ich andere Beispiele der physischen Astronomie entlehnen, welche ohne generelle Kenntniß des bisher Beobachteten kein Interesse erregen können, so erwähne ich der elliptischen Bewegung mehrerer Tausende von ungleichfarbigen Doppelsternen um einander oder vielmehr um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt; der periodischen Seltenheit der Sonnenflecken; des seit so vielen Jahren regelmäßigen Erscheinens zahlloser Sternschnuppen: die wahrscheinlich planetenartig kreisen und in ihren Bahnen am 12ten oder 13ten November, ja, wie man später erkannt hat, auch gegen das Fest des heiligen Laurentius, am 10ten oder 11ten August, unsere Erdbahn schneiden.
26 Auf ähnliche Weise werden nur generelle Ansichten des Kosmos den Zusammenhang ahnden lassen zwischen der durch Bessel's Scharfblick vollendeten Theorie der Pendelschwingung im luftvollen Raume und der inneren Dichtigkeit, ich könnte sagen der Erstarrungsstufe, unseres Planeten; zwischen der Erzeugung körniger Gebirgsarten in bandartigen Lavaströmen, am Abhange noch jetzt thätiger Vulkane, und den endogenen granit-, porphyr- und serpentinstein-artigen Massen, welche, aus dem Innern der Erde hervorgeschoben, einst die Flözgebirge durchbrochen und mannigfaltig (erhärtend, verkieselnd, dolomitisirend, krystall-erzeugend) auf sie eingewirkt haben; zwischen der Hebung von Inseln und Kegelbergen durch elastische Kräfte und der Hebung ganzer Bergketten und Continente: ein Zusammenhang, der von dem größten Geognosten unserer Zeit, Leopold von Buch, erkannt und durch eine Reihe geistreicher Beobachtungen dargethan worden ist. Solches Emportreiben von körnigen Gebirgsmassen und Flözschichten (wie noch neuerlichst, am Meeresufer von Chili, bei einem Erdbeben, in weiter Erstreckung) läßt die Möglichkeit einsehen, daß Petrefacte von Seemuscheln, welche ich mit Bonpland in 14000 Fuß Höhe, auf dem Rücken der Andeskette, gesammelt, nicht durch eine allgemeine Wasserbedeckung, sondern durch vulkanische Hebungskräfte in diese Lage gekommen sind.
Vulcanismus nenne ich aber im allgemeinsten Sinne des Worts, sei es auf der Erde oder auf ihrem Trabanten, dem Monde, die Reaction, welche das Innere eines Planeten auf seine Rinde ausübt. Wer die Versuche über die mit der Tiefe zunehmende Wärme nicht kennt (Versuche, 27 nach welchen berühmte Physiker vermuthenDie gewöhnlichen Angaben über den Schmelzpunkt sehr schwer schmelzbarer Substanzen sind viel zu hoch. Nach den, immer so genauen Untersuchungen von Mitscherlich ist der Schmelzpunkt des Granits wohl nicht höher als 1300° Cent., daß 5 geographische Meilen unter der Oberfläche eine granitschmelzende Glühhitze herrsche): dem müssen viele neuere Beobachtungen über die Gleichzeitigkeit vulkanischer Ausbrüche, die eine große Länderstrecke trennt, über die Grenzen der Erschütterungskreise bei Erdbeben, über die Beständigkeit der Temperatur heißer Mineralquellen, wie über die Temperatur-Verschiedenheit artesischer Brunnen von ungleicher Tiefe, unverständlich bleiben. Und doch wirft diese Kenntniß der inneren Erdwärme ein dämmerndes Licht auf die Urgeschichte unseres Planeten. Sie zeigt die Möglichkeit einstmaliger allverbreiteter tropischer Klimate, als Folge offener, Wärme ausströmender Klüfte in der neu erhärteten oxydirten Erdrinde. Sie erinnert an einen Zustand, in dem die Wärme des Luftkreises mehr von diesen Ausströmungen, von der Reaction des Innern gegen das Aeußere, als von der Stellung des Planeten gegen einen Centralkörper (die Sonne) bedingt ward.
Mannigfaltige Producte der Tropenwelt, in ihren Grabstätten verborgen, offenbart die kalte Zone dem forschenden Geognosten: Coniferen, aufgerichtete Stämme von Palmenholz, baumartige Farnkräuter, Goniatiten und Fische mit rhomboidalen Schmelzschuppen in dem alten Kohlen-GebirgeDas classische Werk über die Fische der Vorwelt von Ludwig Agassiz: rech. sur les Poissons fossiles 1834 Vol. I. p. 38; Vol. II. p. 3, 28, 34; Addit. p. 6. Das ganze Geschlecht Amblypterus Ag., mit Palaeoniscus (einst Palaeothrissum) nahe verwandt, liegt unterhalb der Jura-Formation vergraben, im alten Steinkohlen-Gebirge. Schuppen, die sich in einzelnen Lagen gleich den Zähnen bilden und mit Schmelz bedeckt sind, aus der Familie der Lepidoiden (Ordnung der Ganoiden), gehören nach den Placoiden zu den ältesten Gestalten vorweltlicher Fische, deren noch lebende Repräsentanten sich in zwei Geschlechtern, Bichir (Nil und Senegal) und Lepidosteus (Ohio), finden.; colossale Gerippe von Crocodilen, langhalsigen Plesiosauren, Schalen von Planuliten und Cycadeen-Stämme im Jura-Kalkstein; Polythalamien und Bryozoen in der Kreide, zum Theil identisch mit noch lebenden Seethieren; Agglomerate fossiler Infusionsthiere, wie sie Ehrenberg's allbelebendes Microscop entdeckt, in mächtigen Schichten von Polirschiefer, Halb-Opal und Kieselguhr; 28 Knochen von Hyänen, Löwen und elephantenartigen Pachydermen in Höhlen zerstreut oder von dem neuesten Schuttlande bedeckt. Bei vollständiger Kenntniß anderer Naturerscheinungen bleiben diese Producte nicht ein Gegenstand der Neugierde und des Erstaunens: sie werden, was unserer Intelligenz würdiger ist, eine Quelle vielseitigen Nachdenkens.
In der Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die ich hier geflissentlich zusammengedrängt habe, bietet sich von selbst die Frage dar: ob generelle Ansichten der Natur zu einer gewissen Deutlichkeit gebracht werden können ohne ein tiefes und ernstes Studium einzelner Disciplinen, sei es der beschreibenden Naturkunde oder der Physik oder der mathematischen Astronomie? Man unterscheide sorgfältig zwischen dem Lehrenden, welcher die Auswahl und die Darstellung der Resultate übernimmt; und dem, der das Dargestellte, als ein Gegebenes, nicht selbst Gesuchtes, empfängt. Für jenen ist die genaueste Kenntniß des Speciellen unbedingt nothwendig; er sollte lange das Gebiet der einzelnen Wissenschaften durchwandert sein, selbst gemessen, beobachtet und experimentirt haben, um sich mit Zuversicht an das Bild eines Naturganzen zu wagen. Der Umfang von Problemen, deren Untersuchung der physischen Weltbeschreibung ein so hohes Interesse gewährt, ist vielleicht nicht ganz zu vollständiger Klarheit zu bringen da, wo specielle Vorkenntnisse fehlen; aber auch ohne Voraussetzung dieser können die meisten Fragen befriedigend erörtert werden. Sollte sich nicht in allen einzelnen Theilen das große Naturgemälde mit scharfen Umrissen darstellen lassen, so wird es doch wahr und anziehend genug sein, 29 um den Geist mit Ideen zu bereichern und die Einbildungskraft lebendig und fruchtbar anzuregen.
Man hat vielleicht mit einigem Rechte wissenschaftlichen Werken unserer Litteratur vorgeworfen, das Allgemeine nicht genugsam von dem Einzelnen, die Uebersicht des bereits Ergründeten nicht von der Herzählung der Mittel zu trennen, durch welche die Resultate erlangt worden sind. Dieser Vorwurf hat sogar den größten DichterGöthe in den Aphorismen über Naturwissenschaft (Werke, kleine Ausgabe von 1833, Bd. L. S. 155). unserer Zeit zu dem humoristischen Ausruf verleitet: »die Deutschen besitzen die Gabe die Wissenschaften unzugänglich zu machen«. Bleibt das Gerüste stehen, so wird uns durch dasselbe der Anblick des Gebäudes entzogen. Wer kann zweifeln, daß das physische Gesetz in der Vertheilung der Continental-Massen, welche gegen Süden hin eine pyramidale Form annehmen, indem sie sich gegen Norden in der Breite ausdehnen (ein Gesetz, welches die Vertheilung der Klimate, die vorherrschende Richtung der Luftströme, das weite Vordringen tropischer Pflanzenformen in die gemäßigte südliche Zone so wesentlich bedingt), auf das klarste erkannt werden kann, ohne die geodätischen Messungen und die astronomischen Ortsbestimmungen der Küsten zu erläutern, durch welche jene Pyramidal-Formen in ihren Dimensionen bestimmt worden sind? Eben so lehrt uns die physische Weltbeschreibung, um wie viel Meilen die Aequatorial-Achse unseres Planeten größer als die Polar-Achse ist; daß die südliche Hemisphäre keine größere Abplattung als die nördliche hat: ohne daß es nöthig ist speciell zu erzählen, wie durch Gradmessungen und Pendel-Versuche die wahre Gestalt der Erde, als eines nicht regelmäßigen, elliptischen Revolutions-Sphäroids, gefunden ist; 30 und wie diese Gestalt in der Bewegung des Mondes, eines Erd-Satelliten, sich abspiegelt.
Unsere Nachbaren jenseits des Rheins besitzen ein unsterbliches Werk, Laplace's Entwickelung des Weltsystems, in welchem die Resultate der tiefsinnigsten mathematisch-astronomischen Untersuchungen verflossener Jahrhunderte, abgesondert von den Einzelheiten der Beweise, vorgetragen werden. Der Bau des Himmels erscheint darin als die einfache Lösung eines großen Problems der Mechanik. Und wohl noch nie ist die Exposition du Système du Monde, ihrer Form wegen, der Ungründlichkeit beschuldigt worden. Die Trennung ungleichartiger Ansichten, des Allgemeinen von dem Besondern, ist nicht bloß zur Klarheit der Erkenntniß nützlich: sie giebt auch der Behandlung der Naturwissenschaft einen erhabenen und ernsten Charakter. Wie von einem höheren Standpunkte, übersieht man auf einmal größere Massen. Wir ergötzen uns, geistig zu fassen, was den sinnlichen Kräften zu entgehen droht. Wenn die glückliche Ausbildung aller Zweige des Naturwissens, der sich die letzten Decennien des verflossenen Jahrhunderts erfreuten, besonders dazu geeignet ist das Studium specieller Theile (der chemischen, physikalischen und naturbeschreibenden Disciplinen) zu erweitern, so wird durch jene Ausbildung in noch höherem Grade der Vortrag allgemeiner Resultate abgekürzt und erleichtert.
Je tiefer man eindringt in das Wesen der Naturkräfte, desto mehr erkennt man den Zusammenhang von Phänomenen, die lange, vereinzelt und oberflächlich betrachtet, jeglicher Anreihung zu widerstreben schienen; desto mehr werden Einfachheit und Gedrängtheit der Darstellung möglich. 31 Es ist ein sicheres Criterium der Menge und des Werthes der Entdeckungen, die in einer Wissenschaft zu erwarten sind, wenn die Thatsachen noch unverkettet, fast ohne Beziehung auf einander dastehen; ja wenn mehrere derselben, und zwar mit gleicher Sorgfalt beobachtete, sich zu widersprechen scheinen. Diese Art der Erwartungen erregt der Zustand der Meteorologie, der neueren Optik und besonders, seit Melloni's und Faraday's herrlichen Arbeiten, der Lehre von der Wärmestrahlung und vom Electro-Magnetismus. Der Kreis glänzender Entdeckungen ist hier noch nicht durchlaufen, ob sich gleich in der Voltaischen Säule schon ein bewundernswürdiger Zusammenhang der electrischen, magnetischen und chemischen Erscheinungen offenbart hat. Wer verbürgt uns, daß auch nur die Zahl der lebendigen, im Weltall wirkenden Kräfte bereits ergründet sei? In meinen Betrachtungen über die wissenschaftliche Behandlung einer allgemeinen Weltbeschreibung ist nicht die Rede von Einheit durch Ableitung aus wenigen, von der Vernunft gegebenen Grundprincipien. Was ich physische Weltbeschreibung nenne (die vergleichende Erd- und Himmelskunde), macht daher keine Ansprüche auf den Rang einer rationellen Wissenschaft der Natur; es ist die denkende Betrachtung der durch Empirie gegebenen Erscheinungen, als eines Naturganzen. In dieser Beschränktheit allein konnte dieselbe, bei der ganz objectiven Richtung meiner Sinnesart, in den Bereich der Bestrebungen treten, welche meine lange wissenschaftliche Laufbahn ausschließlich erfüllt haben. Ich wage mich nicht auf ein Feld, das mir fremd ist und vielleicht von Anderen erfolgreicher bebaut wird. Die Einheit, welche der Vortrag einer 32 physischen Weltbeschreibung, wie ich mir dieselbe begrenze, erreichen kann, ist nur die, welcher sich geschichtliche Darstellungen zu erfreuen haben. Einzelheiten der Wirklichkeit: sei es in der Gestaltung oder Aneinanderreihung der Naturgebilde, sei es in dem Kampfe des Menschen gegen die Naturmächte, oder der Völker gegen die Völker; alles, was dem Felde der Veränderlichkeit und realer Zufälligkeit angehört: können nicht aus Begriffen abgeleitet (construirt) werden. Weltbeschreibung und Weltgeschichte stehen daher auf derselben Stufe der Empirie; aber eine denkende Behandlung beider, eine sinnvolle Anordnung von Naturerscheinungen und von historischen Begebenheiten durchdringen tief mit dem Glauben an eine alte innere Nothwendigkeit, die alles Treiben geistiger und materieller Kräfte, in sich ewig erneuernden, nur periodisch erweiterten oder verengten Kreisen, beherrscht. Sie führen (und diese Nothwendigkeit ist das Wesen der Natur, sie ist die Natur selbst in beiden Sphären ihres Seins, der materiellen und der geistigen) zur Klarheit und Einfachheit der Ansichten, zu Auffindung von Gesetzen, die in der Erfahrungs-Wissenschaft als das letzte Ziel menschlicher Forschung erscheinen.
Das Studium jeglicher neuen Wissenschaft, besonders einer solchen, welche die ungemessenen Schöpfungskreise, den ganzen Weltraum umfaßt, gleicht einer Reise in ferne Länder. Ehe man sie in Gemeinschaft unternimmt, fragt man, ob sie ausführbar sei; man mißt seine eigenen Kräfte, man blickt mißtrauisch auf die Kräfte der Mitreisenden: in der vielleicht ungerechten Besorgniß, sie möchten lästige Zögerung erregen. Die Zeit, in der wir leben, vermindert die Schwierigkeit des Unternehmens. Meine Zuversicht 33 gründet sich auf den glänzenden Zustand der Naturwissenschaften selbst: deren Reichthum nicht mehr die Fülle, sondern die Verkettung des Beobachteten ist. Die allgemeinen Resultate, die jedem gebildeten Verstande Interesse einflößen, haben sich seit dem Ende des 18ten Jahrhunderts wundervoll vermehrt. Die Thatsachen stehen minder vereinzelt da; die Klüfte zwischen den Wesen werden ausgefüllt. Was in einem engeren Gesichtskreise, in unserer Nähe, dem forschenden Geiste lange unerklärlich blieb, wird oft durch Beobachtungen aufgehellt, die auf einer Wanderung in die entlegensten Regionen angestellt worden sind. Pflanzen- und Thier-Gebilde, die lange isolirt erschienen, reihen sich durch neu entdeckte Mittelglieder oder durch Uebergangsformen an einander. Eine allgemeine Verkettung: nicht in einfacher linearer Richtung, sondern in netzartig verschlungenem Gewebe, nach höherer Ausbildung oder Verkümmerung gewisser Organe, nach vielseitigem Schwanken in der relativen Uebermacht der Theile; stellt sich allmälig dem forschenden Natursinn dar. Schichtungs-Verhältnisse von trachytartigem Syenit-Porphyr, von Grünstein und Serpentin, welche im gold- und silberreichen Ungarn, oder im Platin-Lande des Urals, oder tiefer in Asien, im südwestlichen Altai, zweifelhaft blieben; werden durch geognostische Beobachtungen in den Hochebenen von Mexico und Antioquia, in den Flußthälern des Choco unerwartet aufgeklärt. Die Materialien, welche die allgemeine Erdkunde anwendet, sind nicht zufällig aufgehäuft. Unser Zeitalter erkennt, nach der Tendenz, die ihm seinen individuellen Charakter giebt, daß Thatsachen nur dann fruchtbringend werden, wenn der Reisende den dermaligen Zustand und die Bedürfnisse 34der Wissenschaft kennt, deren Gebiet er erweitern will; wenn Ideen, d. h. Einsicht in den Geist der Natur, das Beobachten und Sammeln vernunftmäßig leiten.
Durch diese Richtung des Naturstudiums, durch diesen glücklichen, aber oft auch allzu leicht befriedigten Hang zu allgemeinen Resultaten kann ein beträchtlicher Theil des Naturwissens das Gemeingut der gebildeten Menschheit werden; ein gründliches Wissen erzeugen: nach Inhalt und Form, nach Ernst und Würde des Vortrags ganz von dem verschieden, das man bis zum Ende des letzten Jahrhunderts dem populären Wissen genügsam zu bestimmen pflegte. Wem daher seine Lage es erlaubt sich bisweilen aus den engen Schranken des bürgerlichen Lebens heraus zu retten, erröthend, »daß er lange fremd geblieben der Natur und stumpf über sie hingehe«; der wird in der Abspiegelung des großen und freien Naturlebens einen der edelsten Genüsse finden, welche erhöhte Vernunftthätigkeit dem Menschen gewähren kann. Das Studium der allgemeinen Naturkunde weckt gleichsam Organe in uns, die lange geschlummert haben. Wir treten in einen innigeren Verkehr mit der Außenwelt; bleiben nicht untheilnehmend an dem, was gleichzeitig das industrielle Fortschreiten und die intellectuelle Veredlung der Menschheit bezeichnet.
Je klarer die Einsicht ist, welche wir in den Zusammenhang der Phänomene erlangen, desto leichter machen wir uns auch von dem Irrthume frei, als wären für die Cultur und den Wohlstand der Völker nicht alle Zweige des Naturwissens gleich wichtig: sei es der messende und beschreibende Theil, oder die Untersuchung chemischer Bestandtheile, oder die Ergründung allgemein verbreiteter physischer Kräfte 35 der Materie. In der Beobachtung einer anfangs isolirt stehenden Erscheinung liegt oft der Keim einer großen Entdeckung. Als Galvani die sensible Nervenfaser durch Berührung ungleichartiger Metalle reizte, konnten seine nächsten Zeitgenossen nicht hoffen, daß die Contact-Electricität der Voltaischen Säule uns in den Alkalien silberglänzende, auf dem Wasser schwimmende, leicht entzündliche Metalle offenbaren; daß die Säule selbst das wichtigste Instrument für die zerlegende Chemie, ein Thermoscop und ein Magnet werden würde. Als Huygens die Lichterscheinungen des Doppelspaths zu enträthseln anfing, ahndete man nicht, daß durch den bewunderungswürdigen Scharfsinn eines Physikers unserer ZeitEntdeckungen Arago's vom Jahre 1811. (Delambre, Hist. de l'Astr. au 18me siècle p. 652.) farbige Polarisations-Phänomene dahin leiten würden, mittelst des kleinsten Fragments eines Minerals zu erkennen, ob das Licht der Sonne aus einer festen Masse oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausströme, ob Cometen selbstleuchtend sind oder fremdes Licht wiedergeben.
Gleichmäßige Würdigung aller Theile des Naturstudiums ist aber vorzüglich ein Bedürfniß der gegenwärtigen Zeit, wo der materielle Reichthum und der wachsende Wohlstand der Nationen in einer sorgfältigeren Benutzung von Naturproducten und Naturkräften gegründet sind. Der oberflächlichste Blick auf den Zustand des heutigen Europa's lehrt, daß bei ungleichem Weltkampfe oder dauernder Zögerung nothwendig partielle Verminderung und endlich Vernichtung des National-Reichthums eintreten müsse; denn in dem Lebensgeschick der Staaten ist es wie in der Natur: für die, nach dem sinnvollen Ausspruche Göthe'sGöthe, Aphoristisches über die Natur (Werke Bd. L. S. 4)., »es im Bewegen und Werden kein Bleiben giebt und die ihren 36 Fluch gehängt hat an das Stillestehen.« Nur ernste Belebung chemischer, mathematischer und naturhistorischer Studien wird einem von dieser Seite einbrechenden Uebel entgegentreten. Der Mensch kann auf die Natur nicht einwirken, sich keine ihrer Kräfte aneignen, wenn er nicht die Naturgesetze, nach Maaß- und Zahl-Verhältnissen, kennt. Auch hier liegt die Macht in der volksthümlichen Intelligenz. Sie steigt und sinkt mit dieser. Wissen und Erkennen sind die Freude und die Berechtigung der Menschheit; sie sind Theile des National-Reichthums, oft ein Ersatz für die Güter, welche die Natur in allzu kärglichem Maaße ausgetheilt hat. Diejenigen Völker, welche an der allgemeinen industriellen Thätigkeit, in Anwendung der Mechanik und technischen Chemie, in sorgfältiger Auswahl und Bearbeitung natürlicher Stoffe zurückstehen; bei denen die Achtung einer solchen Thätigkeit nicht alle Classen durchdringt: werden unausbleiblich von ihrem Wohlstande herabsinken. Sie werden es um so mehr, wenn benachbarte Staaten, in denen Wissenschaft und industrielle Künste in regem Wechselverkehr mit einander stehen, wie in erneuerter Jugendkraft vorwärts schreiten.
Die Vorliebe für Belebung des Gewerbfleißes und für die Theile des Naturwissens, welche unmittelbar darauf einwirken (ein charakteristisches Merkmal unseres Zeitalters), kann weder den Forschungen im Gebiete der Philosophie, der Allerthumskunde und der Geschichte nachtheilig werden, noch den allbelebenden Hauch der Phantasie den edlen Werken bildender Künste entziehen. Wo, unter dem Schutze weiser Gesetze und freier Institutionen, alle Blüthen der Cultur sich kräftig entfalten, da wird im friedlichen Wettkampfe kein 37 Bestreben des Geistes dem andern verderblich. Jedes bietet dem Staate eigene, verschiedenartige Früchte dar: die nährenden, welche dem Menschen Unterhalt und Wohlstand gewähren; und die Früchte schaffender Einbildungskraft, welche, dauerhafter als dieser Wohlstand selbst, die rühmliche Kunde der Völker auf die späteste Nachwelt tragen. Die Spartiaten beteten, trotz der Strenge dorischer Sinnesart: »die Götter möchten ihnen das Schöne zu dem Guten verleihen«.Pseudo-Plato, Alcib. II p. 148 ed. Steph.; Plut. Instituta laconica p. 253 ed. Hutten.
Wie in jenen höheren Kreisen der Ideen und Gefühle: in dem Studium der Geschichte, der Philosophie und der Wohlredenheit, so ist auch in allen Theilen des Naturwissens der erste und erhabenste Zweck geistiger Thätigkeit ein innerer: nämlich das Auffinden von Naturgesetzen, die Ergründung ordnungsmäßiger Gliederung in den Gebilden, die Einsicht in den nothwendigen Zusammenhang aller Veränderungen im Weltall. Was von diesem Wissen in das industrielle Leben der Völker überströmt und den Gewerbfleiß erhöht, entspringt aus der glücklichen Verkettung menschlicher Dinge, nach der das Wahre, Erhabene und Schöne mit dem Nützlichen, wie absichtslos, in ewige Wechselwirkung treten. Vervollkommnung des Landbaus durch freie Hände und in Grundstücken von minderem Umfang, Aufblühen der Manufacturen, von einengendem Zunftzwange befreit, Vervielfältigung der Handelsverhältnisse, und ungehindertes Fortschreiten in der geistigen Cultur der Menschheit wie in den bürgerlichen Einrichtungen stehen (das ernste Bild der neuen Weltgeschichte dringt diesen Glauben auch dem Widerstrebendsten auf) in gegenseitigem, dauernd wirksamen Verkehr mit einander.
Ein solcher Einfluß des Naturwissens auf die 38 Wohlfahrt der Nationen und auf den heutigen Zustand von Europa bedurfte hier nur einer flüchtigen Andeutung. Die Laufbahn, welche wir zu vollenden haben, ist so unermeßlich, daß es mir nicht geziemen würde, von dem Hauptziele unseres Bestrebens, der Ansicht des Naturganzen, abschweifend, das Feld geflissentlich zu erweitern. An ferne Wanderungen gewöhnt, habe ich ohnedies vielleicht den Mitreisenden den Weg gebahnter und anmuthiger geschildert, als man ihn finden wird. Das ist die Sitte derer, die gern Andere auf den Gipfel der Berge führen. Sie rühmen die Aussicht, wenn auch ganze Theile der Gegend in Nebel verhüllt bleiben. Sie wissen, daß auch in dieser Verhüllung ein geheimnißvoller Zauber liegt, daß eine duftige Ferne den Eindruck des Sinnlich-Unendlichen hervorruft: ein Bild, das (wie ich schon oben erinnert habe) im Geist und in den Gefühlen sich ernst und ahndungsvoll spiegelt. Auch von dem hohen Standpunkte aus, auf den wir uns zu einer allgemeinen, durch wissenschaftliche Erfahrungen begründeten Weltanschauung erheben, kann nicht allen Anforderungen genügt werden. In dem Naturwissen, dessen gegenwärtigen Zustand ich hier entwickeln soll, liegt noch manches unbegrenzt; vieles (wie sollte ich es, bei dem Umfange einer solchen Arbeit, nicht gern eingestehen!) wird nur darum unklar und unvollständig erscheinen, weil Befangenheit dem Redenden dann doppelt nachtheilig wird, wenn er sich des Gegenstandes in seiner Einzelheit minder mächtig fühlt.
Der Zweck dieses einleitenden Vortrages war nicht sowohl, die Wichtigkeit des Naturwissens zu schildern: welche allgemein anerkannt ist und längst schon jedes Lobes 39 entbehren kann; es lag mir vielmehr ob zu entwickeln, wie, ohne dem gründlichen Studium specieller Disciplinen zu schaden, den naturwissenschaftlichen Bestrebungen ein höherer Standpunkt angewiesen werden kann, von dem aus alle Gebilde und Kräfte sich als ein, durch innere Regung belebtes Naturganzes offenbaren. Nicht ein todtes Aggregat ist die Natur: sie ist »dem begeisterten Forscher (wie Schelling in der trefflichen Rede über die bildenden Künste sich ausdrückt) die heilige, ewig schaffende Urkraft der Welt, die alle Dinge aus sich selbst erzeugt und werkthätig hervorbringt«. Der bisher so unbestimmt aufgefaßte Begriff einer physischen Erdbeschreibung geht durch erweiterte Betrachtung und das Umfassen alles Geschaffenen im Erd- und Himmelsraume in den Begriff einer physischen Weltbeschreibung über. Eine dieser Benennungen ist nach der anderen gebildet. Es ist aber die Weltbeschreibung oder Lehre vom Kosmos, wie ich sie auffasse, nicht etwa ein encyclopädischer Inbegriff der allgemeinsten und wichtigsten Resultate, die man einzelnen naturhistorischen, physikalischen und astronomischen Schriften entlehnt. Solche Resultate werden in der Weltbeschreibung nur als Materialien und in so fern theilweise benutzt, als sie das Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, das gegenseitige sich Hervorrufen und Beschränken der Naturgebilde erläutern. Die räumliche und klimatische Verbreitung organischer Typen (Geographie der Pflanzen und Thiere) ist so verschieden von der beschreibenden Botanik und Zoologie, als die geognostische Kenntniß des Erdkörpers verschieden ist von der Oryctognosie. Eine physische Weltbeschreibung darf daher nicht mit der sogenannten Encyclopädie der Naturwissenschaften (ein weitschichtiger Name für eine schlecht umgrenzte Disciplin) verwechselt werden. In der Lehre vom Kosmos wird das Einzelne nur in seinem Verhältniß zum Ganzen, als Theil der Welterscheinungen betrachtet; und je erhabener der hier bezeichnete Standpunkt ist, desto mehr wird diese Lehre einer eigenthümlichen Behandlung und eines belebenden Vortrags fähig.
Gedanken und Sprache stehen aber in innigem alten Wechselverkehr mit einander. Wenn diese der Darstellung Anmuth und Klarheit verleiht, wenn durch ihre angestammte Bildsamkeit und ihren organischen Bau sie das Unternehmen begünstigt, die Totalität der Natur-Anschauung scharf zu begrenzen; so ergießt sie zugleich, und fast unbemerkt, ihren belebenden Hauch auf die Gedankenfülle selbst. Darum ist das Wort mehr als Zeichen und Form, und sein geheimnißvoller Einfluß offenbart sich am mächtigsten da, wo er dem freien Volkssinn und dem eigenen Boden entsprießt. Stolz auf das Vaterland, dessen intellectuelle Einheit die feste Stütze jeder Kraftäußerung ist, wenden wir froh den Blick auf diese Vorzüge der Heimath. Hochbeglückt dürfen wir den nennen, der bei der lebendigen Darstellung der Phänomene des Weltalls aus den Tiefen einer Sprache schöpfen kann, welche seit Jahrhunderten so mächtig auf alles eingewirkt hat, was durch Erhöhung und ungebundene Anwendung geistiger Kräfte, in dem Gebiete schöpferischer Phantasie, wie in dem der ergründenden Vernunft, die Schicksale der Menschheit bewegt.
In den allgemeinen Betrachtungen, mit denen ich die Prolegomenen zur Weltanschauung eröffnet habe, wurde entwickelt und durch Beispiele zu erläutern gesucht, wie der Naturgenuß, verschiedenartig in seinen inneren Quellen, durch klare Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen und in die Harmonie der belebenden Kräfte erhöht werden könne. Es wird jetzt mein Bestreben sein den Geist und die leitende Idee der nachfolgenden wissenschaftlichen Untersuchungen specieller zu erörtern, das Fremdartige sorgfältig zu scheiden, den Begriff und den Inhalt der Lehre vom Kosmos, wie ich dieselbe aufgefaßt und nach vieljährigen Studien unter mancherlei Zonen bearbeitet, in übersichtlicher Kürze anzugeben. Möge ich mir dabei der Hoffnung schmeicheln dürfen, daß eine solche Erörterung den unvorsichtigen Titel meines Werkes rechtfertigen und ihn von dem Vorwurfe der Anmaßung befreien werde! Die Prolegomenen umfassen in vier Abtheilungen nach der einleitenden Betrachtung über die Ergründung der Weltgesetze:
Je höher der Gesichtspunkt gestellt ist, aus welchem in diesem Werke die Naturerscheinungen betrachtet werden, desto bestimmter muß die zu begründende Wissenschaft umgrenzt und von allen verwandten Disciplinen geschieden werden. Physische Weltbeschreibung ist Betrachtung alles Geschaffenen, alles Seienden im Raume (der Natur-Dinge und Natur-Kräfte) als eines gleichzeitig bestehenden Natur-Ganzen. Sie zerfällt für den Menschen, den Bewohner der Erde, in zwei Hauptabtheilungen: den tellurischen und siderischen (uranologischen) Theil. Um die wissenschaftliche Selbstständigkeit der physischen Weltbeschreibung festzustellen und ihr Verhältniß zu anderen Gebieten: zur eigentlichen Physik oder Naturlehre, zur Naturgeschichte oder speciellen Naturbeschreibung, zur 51 Geognosie und vergleichenden Geographie oder Erdbeschreibung; zu schildern, wollen wir zunächst bei dem tellurischen (irdischen) Theile der physischen Weltbeschreibung verweilen. So wenig als die Geschichte der Philosophie in einer rohen Aneinanderreihung verschiedenartiger philosophischer Meinungen besteht, eben so wenig ist der tellurische Theil der Weltbeschreibung ein encyclopädisches Aggregat der oben genannten Naturwissenschaften. Die Grenzverwirrungen zwischen so innigst verwandten Disciplinen sind um so größer, als seit Jahrhunderten man sich gewöhnt hat Gruppen von Erfahrungs-Kenntnissen mit Namen zu bezeichnen, die bald zu eng, bald zu weit für das Bezeichnete sind; ja im classischen Alterthume, in den Sprachen, denen man sie entlehnte, eine ganz andere Bedeutung als die hatten, welche wir ihnen jetzt beilegen. Die Namen einzelner Naturwissenschaften: der Anthropologie, Physiologie, Naturlehre, Naturgeschichte, Geognosie und Geographie; sind entstanden und allgemein gebräuchlich geworden, bevor man zu einer klaren Einsicht über die Verschiedenartigkeit der Objecte und ihre möglichst strenge Begrenzung, d. i. über den Eintheilungsgrund selbst, gelangt war. In der Sprache einer der gebildetsten Nationen Europa's ist sogar, nach einer tief eingewurzelten Sitte, Physik kaum von der Arzneikunde zu trennen: während daß technische Chemie, Geologie und Astronomie, ganz empirisch behandelt, zu den philosophischen Arbeiten (transactions) einer mit Recht weltberühmten Akademie gezählt werden.
Umtausch alter, zwar unbestimmter, aber allgemein verständlicher Namen gegen neuere ist mehrfach, aber immer mit 52 sehr geringem Erfolge, von denen versucht worden, die sich mit der Classification aller Zweige des menschlichen Wissens beschäftigt haben: von der großen Encyclopädie (Margarita philosophica) des Carthäuser-Mönchs Gregorius ReischDie Margarita philosophica des Priors der Karthause bei Freiburg, Gregorius Reisch, erschien zuerst unter dem Titel Aepitome omnis Philosophiae, alias Margarita philosophica tractans de omni genere scibili. So die Heidelberger Ausgabe von 1486 und die Strasburger von 1504. In der Freiburger desselben Jahres und in den zwölf folgenden Editionen, welche in der kurzen Epoche bis 1535 erschienen, blieb der erste Theil des Titels weg. Das Werk hat einen großen Einfluß auf die Verbreitung mathematischer und physikalischer Kenntnisse im Anfang des 16ten Jahrhunderts ausgeübt; und Chasles, der gelehrte Verfasser des Aperçu historique des méthodes en Géométrie (1837), hat gezeigt, wie wichtig die Reischische Encyclopädie für die Geschichte der Mathematik des Mittelalters ist. Ich habe mich bemüht, durch eine Stelle, die sich in einer einzigen Ausgabe der Margarita philosophica (der von 1513) findet, die wichtigen Verhältnisse des Geographen von St. Dié, Hylacomilus (Martin Waldseemüller), der den Neuen Welttheil zuerst (1507) Amerika genannt hat, zu Amerigo Vespucci, zu dem König Renatus von Jerusalem, Herzog von Lothringen, und zu den berühmten Ausgaben des Ptolemäus von 1513 und 1522 zu entwirren. S. mein Examen critique de la Géographie du Nouveau Continent et des progrès de l'Astronomie nautique aux 15ème et 16ème siècles T. IV. p. 99–125. an bis Baco, von Baco bis d'Alembert und, um der neuesten Zeit zu gedenken, bis zu dem scharfsinnigen Geometer und Physiker AmpèreAmpère, Essai sur la Phil. des Sciences 1834 p. 25; Whewell, Induct. Phil. T. II. p. 277; Park, Pantology p. 87.. Die wenig glückliche Wahl einer gräcisirenden Nomenclatur hat dem Unternehmen vielleicht mehr noch als die zu große dichotomische Zerspaltung und Vervielfältigung der Gruppen geschadet.
Die physische Weltbeschreibung, indem sie die Welt »als Gegenstand des äußeren Sinnes« umfaßt, bedarf allerdings der allgemeinen Physik und der Naturgeschichte als Hülfswissenschaften; aber die Betrachtung der körperlichen Dinge unter der Gestalt eines, durch innere Kräfte bewegten und belebten Naturganzen hat als abgesonderte Wissenschaft einen ganz eigenthümlichen Charakter. Die Physik verweilt bei den allgemeinen Eigenschaften der Materie, sie ist eine Abstraction von den Kraftäußerungen der Stoffe; und schon da, wo sie zuerst begründet wurde, in den acht Büchern der physischen Vorträge des AristotelesAlle Veränderungen im Zustande der Körperwelt werden auf Bewegung reducirt. Aristot. Phys. ausc. III, 1 und 4 p. 200 und 201 Bekker; VIII, 1, 8 und 9 p. 250, 262 und 265; de gener. et corr. II, 10 p. 336; Pseudo-Aristot. de Mundo cap. 6 p. 398., sind alle Erscheinungen der Natur als bewegende Lebensthätigkeit einer allgemeinen Weltkraft geschildert. Der tellurische Theil der physischen Weltbeschreibung, dem ich gern die alte ausdrucksvolle Benennung der physischen Erdbeschreibung lasse, lehrt die Vertheilung des Magnetismus auf unserem Planeten nach Verhältnissen der Intensität und der Richtung; nicht die Gesetze magnetischer Anziehung und Abstoßung oder die Mittel, mächtige electromagnetische Wirkungen bald vorübergehend, bald bleibend hervorzurufen. 53 Die physische Erdbeschreibung schildert in großen Zügen die Gliederung der Continente und die Vertheilung ihrer Massen in beiden Hemisphären: eine Vertheilung, welche auf die Verschiedenheit der Klimate und die wichtigsten meteorologischen Processe des Luftkreises einwirkt; sie faßt den herrschenden Charakter der tellurischen Gebirgszüge auf, wie sie, in gleichlaufenden oder sich rostförmig durchschneidenden Reihen erhoben, verschiedenen Zeitepochen und Bildungs-Systemen angehören; sie untersucht die mittlere Höhe der Continente über der jetzigen Meeresfläche oder die Lage des Schwerpunktes ihres Volums, das Verhältniß der höchsten Gipfel großer Ketten zu ihrem Rücken, zur Meeresnähe oder zur mineralogischen Natur der Gebirgsarten; sie lehrt, wie diese Gebirgsarten thätig und bewegend (durchbrechend), oder leidend und bewegt, unter mannigfaltiger Neigung ihrer Schichten, aufgerichtet und gehoben erscheinen; sie betrachtet die Reihung oder Isolirtheit der Vulkane, die Beziehung ihrer gegenseitigen Kraftäußerung, wie die Grenzen ihrer Erschütterungskreise, die im Lauf der Jahrhunderte sich erweitern oder verengen. Sie lehrt, um auch einige Beispiele aus dem Kampf des Flüssigen mit dem Starren anzuführen, was allen großen Strömen gemeinsam ist in ihrem oberen und unteren Laufe: wie Ströme einer Bifurcation (einer Unabgeschlossenheit des Stromgebietes) in beiden Theilen ihres Laufes fähig sind; wie sie bald colossale Bergketten rechtwinklig durchschneiden, bald ihnen parallel laufen: sei es längs dem nahen Abfall oder in beträchtlicher Ferne, als Folge des Einflusses, den ein gehobenes Bergsystem auf die Oberfläche ganzer Länderstrecken, auf den söhligen Boden der anliegenden Ebene 54 ausgeübt hat. Nur die Hauptresultate der vergleichenden Orographie und Hydrographie gehören in die Wissenschaft, die ich hier umgrenze: nicht Verzeichnisse von Berghöhen, von jetzt thätigen Vulkanen oder von Größen der Stromgebiete; alles dies bleibt, nach meinen Ansichten, der speciellen Länderkunde und den mein Werk erläuternden Noten vorbehalten. Die Aufzählung gleichartiger oder nahe verwandter Naturverhältnisse, die generelle Uebersicht der tellurischen Erscheinungen in ihrer räumlichen Vertheilung oder Beziehung zu den Erdzonen ist nicht zu verwechseln mit der Betrachtung von Einzeldingen der Natur (irdischen Stoffen, belebten Organismen, physischen Hergängen des Erdenlebens): einer Betrachtung, in der die Objecte bloß nach ihren inneren Analogien systematisch geordnet werden.
Specielle Länderbeschreibungen sind allerdings das brauchbarste Material zu einer allgemeinen physischen Geographie; aber die sorgfältigste Aneinanderreihung dieser Länderbeschreibungen würde eben so wenig das charakteristische Bild des tellurischen Naturganzen liefern, als die bloße Aneinanderreihung aller einzelnen Floren des Erdkreises eine Geographie der Pflanzen liefern würde. Es ist das Werk des combinirenden Verstandes, aus den Einzelheiten der organischen Gestaltung (Morphologie, Naturbeschreibung der Pflanzen und Thiere) das Gemeinsame in der klimatischen Vertheilung herauszuheben, die numerischen Gesetze (die fixen Proportionen in der Zahl gewisser Formen oder natürlicher Familien zu der Gesammtzahl der Thiere und Pflanzen höherer Bildung) zu ergründen; anzugeben, in welcher Zone jegliche der Hauptformen ihr Maximum der Artenzahl und der organischen Entwickelung erreicht: ja wie 55 der landschaftliche Eindruck, den die Pflanzendecke unseres Planeten in verschiedenen Abständen vom Aequator auf das Gemüth macht, großentheils von den Gesetzen der Pflanzen-Geographie abhängt.
Die systematisch geordneten Verzeichnisse aller organischen Gestaltungen, die wir ehemals mit dem allzu prunkvollen Namen von Natur-Systemen bezeichneten, bieten eine bewundernswürdige Verkettung nach inneren Beziehungen der Form-Aehnlichkeit (Structur), nach Vorstellungsweisen von allmäliger Entfaltung (Evolution) in Blatt und Kelch, in farbigen Blüthen und Früchten, dar: nicht eine Verkettung nach räumlicher Gruppirung, d. i. nach Erdstrichen, nach der Höhe über der Meeresfläche, nach Temperatur-Einflüssen, welche die ganze Oberfläche des Meeres erleidet. Der höchste Zweck der physischen Erdbeschreibung ist aber, wie schon oben bemerkt worden, Erkenntniß der Einheit in der Vielheit, Erforschung des Gemeinsamen und des inneren Zusammenhanges in den tellurischen Erscheinungen. Wo der Einzelheiten erwähnt wird, geschieht es nur, um die Gesetze der organischen Gliederung mit denen der geographischen Vertheilung in Einklang zu bringen. Die Fülle der lebendigen Gestaltungen erscheint, nach diesem Gesichtspunkte geordnet, mehr nach Erdzonen, nach Verschiedenheit der Krümmung isothermer Linien, als nach der inneren Verwandtschaft, oder nach dem, der ganzen Natur inwohnenden Principe der Steigerung und sich individualisirenden Entfaltung der Organe. Die natürliche Reihenfolge der Pflanzen- und Thierbildungen wird daher hier als etwas Gegebenes, der beschreibenden Botanik und Zoologie 56 Entnommenes betrachtet. So ist es die Aufgabe der physischen Geographie, nachzuspüren, wie auf der Oberfläche der Erde sehr verschiedenartige Formen, bei scheinbarer Zerstreuung der Familien und Gattungen, doch in geheimnißvoller genetischer Beziehung zu einander stehen (Beziehungen des gegenseitigen Ersatzes und Ausschließens); wie die Organismen, ein tellurisches Naturganzes bilden, durch Athmen und leise Verbrennungs-Processe den Luftkreis modificiren und, vom Lichte in ihrem Gedeihen, ja in ihrem Dasein prometheisch bedingt, trotz ihrer geringen Masse, doch auf das ganze äußere Erde-Leben (das Leben der Erdrinde) einwirken.
Die Darstellungsweise, welche ich hier, als der physischen Erdbeschreibung ausschließlich geeignet, schildere, gewinnt an Einfachheit, wenn wir sie auf den uranologischen Theil des Kosmos, auf die physische Beschreibung des Weltraums und der himmlischen Weltkörper, anwenden. Unterscheidet man, wie es der alte Sprachgebrauch thut, wie aber, nach tieferen Natur-Ansichten, einst nicht mehr zu thun erlaubt sein wird, Naturlehre (Physik): die allgemeine Betrachtung der Materie, der Kräfte und der Bewegung; von der Chemie: der Betrachtung der verschiedenen Natur der Stoffe, ihrer stöchiologischen Heterogeneität, ihrer Verbindungen und Mischungs-Veränderungen nach eigenen, nicht durch bloße Massen-Verhältnisse erklärbaren Ziehkräften; so erkennen wir in den tellurischen Räumen physische und chemische Processe zugleich. Neben der Grundkraft der Materie, der Anziehung aus der Ferne (Gravitation), wirken um uns her, auf dem Erdkörper, noch andere Kräfte in unmittelbarer Berührung oder unendlich kleiner Entfernung der materiellen TheileUeber die schon von Newton angeregte Frage von dem Unterschiede der Massen-Anziehung und Molecular-Attraction s. Laplace in der Exposition du Syst. du Monde p. 384 und in dem Supplément au Livre X. de la Mécanique cél. p. 3 und 4. (Kant, metaph. Anfangsgründe der Naturwissenschaft, in seinen sämmtl. Werken 1839 Bd. V. S. 309; Péclet, Physique 1838 T. I. p. 59–63.): Kräfte 57 sogenannter chemischer Verwandtschaft, die, durch Electricität, Wärme und eine Contact-Substanz mannigfach bestimmt, in der unorganischen Natur wie in den belebten Organismen unausgesetzt thätig sind. In den Himmelsräumen bieten bisher sich unserer Wahrnehmung nur physische Processe, Wirkungen der Materie dar, die von der Massen-Vertheilung abhangen, und die sich als den dynamischen Gesetzen der reinen Bewegungslehre unterworfen darstellen lassen. Solche Wirkungen werden als unabhängig von qualitativen Unterschieden (von Heterogeneität oder specifischer Verschiedenheit) der Stoffe betrachtet.
Der Erdbewohner tritt in Verkehr mit der geballten und ungeballt zerstreuten Materie des fernen Weltraumes nur durch die Phänomene des Lichts und den Einfluß der allgemeinen Gravitation (Massen-Anziehung). Die Einwirkungen der Sonne oder des Mondes auf die periodischen Veränderungen des tellurischen Magnetismus sind noch in Dunkel gehüllt. Ueber die qualitative Natur der Stoffe, die in dem Weltall kreisen oder vielleicht denselben erfüllen, haben wir keine unmittelbare Erfahrung, es sei denn durch den Fall der Aërolithen: wenn man nämlich (wie es ihre Richtung und ungeheure Wurfgeschwindigkeit mehr als wahrscheinlich macht) diese erhitzten, sich in Dämpfe einhüllenden Massen für kleine Weltkörper hält, welche, auf ihrem Wege durch die himmlischen Räume, in die Anziehungs-Sphäre unseres Planeten kommen. Das heimische Ansehen ihrer Bestandtheile, ihre mit unseren tellurischen Stoffen ganz gleichartige Natur sind sehr auffallend. Sie können durch Analogie zu Vermuthungen über die Beschaffenheit solcher Planeten führen, die zu Einer Gruppe gehören, 58 unter der Herrschaft Eines Central-Körpers sich durch Niederschläge aus kreisenden Ringen dunstförmiger Materie gebildet haben. Bessel's Pendel-Versuche, die von einer noch unerreichten Genauigkeit zeugen, haben dem Newtonischen Axiom, daß Körper von der verschiedenartigsten Beschaffenheit (Wasser, Gold, Quarz, körniger Kalkstein, Aërolithen-Massen) durch die Anziehung der Erde eine völlig gleiche Beschleunigung der Bewegung erfahren, eine neue Sicherheit verliehen; ja mannigfaltige rein astronomische Resultate: z. B. die fast gleiche Jupitersmasse aus der Einwirkung des Jupiter auf seine Trabanten, auf Encke's Cometen, auf die kleinen Planeten (Vesta, Juno, Ceres und Pallas): lehren, daß überall nur die Quantität der Materie die Ziehkraft derselben bestimmtPoisson in der Conn. des tems pour l'an 1836 p. 64–66; Bessel in Poggend. Annalen der Physik Bd. XXV. S. 417; Encke in den Abhandlungen der Berliner Akademie ans dem J. 1826 S. 257; Mitscherlich, Lehrbuch der Chemie 1837 Bd. I. S. 352..
Diese Ausschließung von allem Wahrnehmbaren der Stoff-Verschiedenheit vereinfacht auf eine merkwürdige Weise die Mechanik des Himmels: sie unterwirft das ungemessene Gebiet des Weltraums der alleinigen Herrschaft der Bewegungslehre; und der astrognostische Theil der physischen Weltbeschreibung schöpft aus der fest begründeten theoretischen Astronomie, wie der tellurische Theil aus der Physik, der Chemie und der organischen Morphologie. Das Gebiet der letztgenannten Disciplinen umfaßt so verwickelte und theilweise den mathematischen Ansichten widerstrebende Erscheinungen, daß der tellurische Theil der Lehre vom Kosmos sich noch nicht derselben Sicherheit und Einfachheit der Behandlung zu erfreuen hat, welche der astronomische möglich macht. In den hier angedeuteten Unterschieden liegt gewissermaßen der Grund, warum in der früheren Zeit griechischer Cultur die pythagoreische 59 Naturphilosophie dem Weltraume mehr als den Erdräumen zugewandt war; warum sie durch Philolaus, und in spätern Nachklängen durch Aristarch von Samos und Seleucus den Erythräer für die wahre Kenntniß unseres Sonnensystems in einem weit höheren Grade fruchtbringend geworden ist, als die ionische Naturphilosophie es der Physik der Erde sein konnte. Gleichgültiger gegen die specifische Natur des Raum-Erfüllenden, gegen die qualitative Verschiedenheit der Stoffe, war der Sinn der italischen Schule mit dorischem Ernste allein auf geregelte Gestaltung, auf Form und Maaß gerichtetVgl. Otfried Müller, Dorier Bd. I. S. 365.: während die ionischen Physiologen bei dem Stoffartigen, seinen geahndeten Umwandlungen und genetischen Verhältnissen vorzugsweise verweilten. Es war dem mächtigen, ächt philosophischen und dabei so praktischen Geiste des Aristoteles vorbehalten, mit gleicher Liebe sich in die Welt der Abstractionen und in die unermeßlich reiche Fülle des Stoffartig-Verschiedenen der organischen Gebilde zu versenken.
Mehrere und sehr vorzügliche Werke über physische Geographie enthalten in der Einleitung einen astronomischen Theil, in dem sie die Erde zuerst in ihrer planetarischen Abhängigkeit, in ihrem Verhältniß zum Sonnensystem betrachten. Dieser Weg ist ganz dem entgegengesetzt, den ich mir vorgezeichnet habe. In einer Weltbeschreibung muß der astrognostische Theil, den Kant die Naturgeschichte des Himmels nannte, nicht dem tellurischen untergeordnet erscheinen. Im Kosmos ist, wie schon der alte Kopernikaner, Aristarch der Samier, sich ausdrückte, die Sonne (mit ihren Gefährten) ein Stern unter den zahllosen Sternen. Eine allgemeine Weltansicht muß also mit den, den 60 Weltraum füllenden, himmlischen Körpern beginnen: gleichsam mit dem Entwurf einer graphischen Darstellung des Universums, einer eigentlichen Weltkarte, wie zuerst mit kühner Hand sie Herschel der Vater gezeichnet hat. Wenn, trotz der Kleinheit unseres Planeten, der tellurische Theil in der Weltbeschreibung den größeren Raum einnimmt und am ausführlichsten behandelt wird, so geschieht dies nur in Beziehung auf die ungleiche Masse des Erkannten, auf die Ungleichheit des empirisch Zugänglichen. Jene Unterordnung des uranologischen Theils finden wir übrigens schon bei dem großen Geographen Bernhard VareniusGeographia generalis in qua affectiones generales telluris explicantur. Die älteste Amsterdamer (Elzevirische) Ausgabe ist von 1650; die zweite (1672) und dritte (1681) wurden zu Cambridge von Newton besorgt. Das überaus wichtige Werk des Varenius ist im eigentlichen Sinne des Worts eine physische Erdbeschreibung. Seit der vortrefflichen Naturbeschreibung des Neuen Continents, die der Jesuit Joseph de Acosta (Historia natural de las Indias 1590) entwarf, waren die tellurischen Phänomene nie in solcher Allgemeinheit aufgefaßt worden. Acosta ist reicher an eigenen Beobachtungen; Varenius umfaßt einen größern Ideenkreis: da ihn sein Aufenthalt in Holland, als dem Mittelpunkt eines großen Welthandels, in Berührung mit vielen wohlunterrichteten Reisenden gesetzt hatte. »Generalis sive universalis Geographia dicitur, quae tellurem in genere considerat atque affectiones explicat, non habita particularium regionum ratione.« Die allgemeine Erdbeschreibung des Varenius (Pars absoluta cap. 1–22) ist in ihrem ganzen Umfange eine vergleichende, wenn gleich der Verfasser das Wort Geographia comparativa (cap. 33–40) in einer viel eingeschränkteren Bedeutung gebraucht. Merkwürdig sind die Aufzählung der Gebirgssysteme und die Betrachtung der Verhältnisse ihrer Richtungen zu der Gestalt der ganzen Continente (p. 66–76 ed. Cantabr. 1681); die Liste der brennenden und ausgebrannten Vulkane; die Zusammenstellung der Resultate über die Vertheilung der Inseln und Inselgruppen (p. 220), über die Tiefe des Oceans in Vergleich mit der Höhe naher Küsten (p. 103), über den gleich hohen Stand der Oberfläche aller offenen Meere (p. 97), über die Strömungen in ihrer Abhängigkeit von den herrschenden Winden, die ungleiche Salzigkeit des Meeres und die Configuration der Küsten (p. 139), die Windrichtungen als Folge der Temperatur-Verschiedenheit u. s. f. Auch die Betrachtungen über die allgemeine Aequinoctial-Strömung von Osten nach Westen als Ursache des, schon am Cap San Augustin anfangenden und zwischen Cuba und Florida ausbrechenden Golfstromes (p. 140) sind vortrefflich. Die Richtungen der Strömung längs der westafrikanischen Küste zwischen dem Grünen Vorgebirge und der Insel Fernando Po im Golf von Guinea werden äußerst genau beschrieben. Die sporadischen Inseln hält Varenius für »gehobenen Meeresgrund«: magna spirituum inclusorum vi, sicut aliquando montes e terra protrusos esse quidam scribunt (p. 215). Die 1681 von Newton veranstaltete Ausgabe (auctior et emendatior) enthält leider keine Zusätze des großen Mannes. Der sphäroidalen Gestalt und Abplattung der Erde geschieht nirgends Erwähnung, obgleich Richer's Pendel-Versuche um 9 Jahre älter als die Ausgabe von Cambridge sind; aber Newton's Principia mathematica Philosophiae naturalis wurden erst im April 1686 der königlichen Societät zu London im Manuscripte mitgetheilt. Es schwebt viel Ungewißheit über das Vaterland des Varenius. Nach Jöcher ward er in England, nach der Biographie Universelle (T. 47. p. 495) in Amsterdam geboren; aus der Zueignung der allgemeinen Geographie an die Bürgermeister dieser Stadt ist aber zu ersehen, daß beide Angaben gleich falsch sind. Varenius sagt ausdrücklich, er habe sich nach Amsterdam geflüchtet, »da seine Vaterstadt im langen Kriege eingeäschert und gänzlich zerstört worden sei«. Diese Worte scheinen das nördliche Deutschland und die Verheerungen des dreißigjährigen Krieges zu bezeichnen. Auch bemerkt Varenius in der Zueignung seiner Descriptio Regni Japoniae (Amst. 1649) an den Senat von Hamburg: daß er seine ersten mathematischen Studien auf dem Hamburger Gymnasium gemacht habe. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß dieser scharfsinnige Geograph ein Deutscher und zwar ein Lüneburger war. (Witten, Mem. Theol. 1685 p. 2142; Zedler, Universal-Lexikon Th. XLVI. 1745 S. 187.) in der Mitte des 17ten Jahrhunderts. Er unterscheidet sehr scharfsinnig allgemeine und specielle Erdbeschreibung; und theilt die erstere wieder in die absolut tellurische und die planetarische ein: je nachdem man betrachtet die Verhältnisse der Erdoberfläche in den verschiedenen Zonen, oder das solarisch-lunare Leben der Erde, die Beziehung unseres Planeten zu Sonne und Mond. Ein bleibender Ruhm für Varenius ist es, daß die Ausführung eines solchen Entwurfes der allgemeinen und vergleichenden Erdkunde Newton's Aufmerksamkeit in einem hohen Grade auf sich gezogen hatte; aber bei dem mangelhaften Zustande der Hülfswissenschaften, aus denen Varenius schöpfte, konnte die Bearbeitung nicht der Größe des Unternehmens entsprechen. Es war unserer Zeit vorbehalten, die vergleichende Erdkunde in ihrem weitesten Umfange, ja in ihrem Reflex auf die Geschichte der Menschheit, auf die Beziehungen der Erdgestaltung zu der Richtung der Völkerzüge und der Fortschritte der Gesittung, meisterhaft bearbeitetCarl Ritter's Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen, oder allgemeine vergleichende Geographie. zu sehen.
Die Aufzählung der vielfachen Strahlen, die sich in 61 dem gesammten Naturwissen wie in einem Brennpunkte vereinigen, kann den Titel des Werks rechtfertigen, das ich, am späten Abend meines Lebens, zu veröffentlichen wage. Dieser Titel ist vielleicht kühner als das Unternehmen selbst: in den Grenzen, die ich mir gesetzt habe. In speciellen Disciplinen hatte ich bisher, so viel als möglich, neue Namen zur Bezeichnung allgemeiner Begriffe vermieden. Wo ich Erweiterungen der Nomenclatur versuchte, waren sie auf die Einzeldinge der Thier- und Pflanzenkunde beschränkt gewesen. Das Wort: physische Weltbeschreibung, dessen ich mich hier bediene, ist dem längst gebräuchlichen: physische Erdbeschreibung nachgebildet. Die Erweiterung des Inhalts, die Schilderung eines Naturganzen von den fernen Nebelflecken an bis zur klimatischen Verbreitung der organischen Gewebe, die unsere Felksklippen färben, machen die Einführung eines neuen Wortes nothwendig. So sehr auch in dem Sprachgebrauch, bei der früheren Beschränktheit menschlicher Ansichten, die Begriffe Erde und Welt sich verschmelzen (ich erinnere an die Ausdrücke: Weltumseglung, Weltkarten, Neue Welt), so ist doch die wissenschaftliche Absonderung von Welt und Erde ein allgemein gefühltes Bedürfniß. Die schönen und richtiger gebildeten Ausdrücke: Weltgebäude, Weltraum, Weltkörper, Weltschöpfung für den Inbegriff und den Ursprung aller Materie, der irdischen, wie der fernsten Gestirne; rechtfertigen diese Absonderung. Um dieselbe bestimmter, ich könnte sagen feierlicher und auf alterthümliche Weise anzudeuten, ist dem Titel meines Werkes das Wort Kosmos vorgesetzt: das ursprünglich, in der Homerischen Zeit, Schmuck und Ordnung bedeutete, später aber zu einem philosophischen 62 Kunstausdrucke, zur wissenschaftlichen Bezeichnung der Wohlgeordnetheit der Welt, ja der ganzen Masse des Raum-Erfüllenden, d. i. des Weltalls selbst, umgeprägt ward.
Bei der Schwierigkeit, in der steten Veränderlichkeit irdischer Erscheinungen das Geregelte oder Gesetzliche zu erkennen, wurde der Geist der Menschen vorzugsweise und früh von der gleichförmigen, harmonischen Bewegung der Himmelskörper angezogen. Nach dem Zeugnisse des Philolaus, dessen ächte Bruchstücke Böckh so geistreich bearbeitet hat, nach dem einstimmigen Zeugniß des ganzen AlterthumsΚόσμος war in der ältesten und eigentlichen Bedeutung wohl nur Schmuck (Männer-, Frauen- oder Pferdeschmuck); bildlich Ordnung, für εὐταξία, und Schmuck der Rede. Daß Pythagoras zuerst das Wort für Weltordnung und Welt gebraucht, wird von den Alten einstimmig versichert. Da er selbst nicht geschrieben, so sind die ältesten Beweisstellen die Bruchstücke des Philolaus (Stob. Eclog. p. 360 und 460 Heeren; Philolaos von Böckh S. 62 und 90). Wir führen nicht mit Näke den Timäus von Locri an, weil seine Aechtheit zu bezweifeln ist. Plutarch (de plac. philos. II, 1) sagt auf das bestimmteste, daß Pythagoras zuerst den Inbegriff des Universums Kosmos nannte wegen der darin herrschenden Ordnung. (Eben so Galen. Hist. phil. p. 429.) Das Wort ging in der neuen Bedeutung aus der philosophischen Schule in die Sprache der Naturdichter und der Prosaiker über. Plato fährt fort die Weltkörper selbst Uranos zu nennen; die Weltordnung ist ihm aber auch Kosmos, und im Timäus (p. 30 B) heißt das Weltall ein mit Seele begabtes Thier (κόσμον ζῶον ἔμψυχον). Vergl. über den von allem Stoff gesonderten weltordnenden Geist Anaxag. Claz. ed. Schaubach p. 111 und Plut. de plac. phil. II, 3. Bei Aristoteles (de Coelo I, 9) ist Kosmos »Welt und Weltordnung«; er wird aber auch betrachtet als räumlich zerfallend in die sublunarische Welt und die höhere, über dem Monde (Meteor. I. 2, 1 und I. 3, 13: p. 339, a und 340, b Bekk.). Die von mir oben im Text citirte Definition des Kosmos aus dem Pseudo-Aristoteles de Mundo cap. 2 (p. 391) lautet also: κόσμος ἐστὶ σύστημα ἐξ οὐρανοῦ καὶ γῆς καὶ τῶν ἐν τούτοις περιεχομένων φύσεων. λέγεται δὲ καὶ ἑτέρως κόσμος ἡ τῶν ὅλων τάξις τε καὶ διακόσμησις, ὑπό ϑεῶν φυλαττομένη. Die meisten Stellen der griechischen Schriftsteller über Kosmos finde ich gesammelt 1) in der Streitschrift von Richard Bentley gegen Charles Boyle (Opuscula philologica 1781 p. 347 und 445, Dissertation upon the Epistles of Phalaris 1817 p. 254) über die historische Existenz des Zaleucus, Gesetzgebers von Locri; 2) in Näke's vortrefflichen Sched. crit. 1812 p. 9–15 und 3) in Theoph. Schmidt ad Cleom. cycl. theor. met. I, 1 (p. IX, 1 und 99). Kosmos wurde in engerer Bedeutung auch in der Mehrzahl (Plut. I, 5) gebraucht: indem entweder jeder Stern (Weltkörper) so genannt wird (Stob. I p. 514; Plut. II, 13); oder in dem unendlichen Weltraume viele einzelne Weltsysteme (Weltinseln) angenommen werden, deren jedes eine Sonne und einen Mond hat (Anaxag. Claz. fragm. p. 89, 93 und 120; Brandis, Gesch. der Griechisch-Römischen Philosophie Th. I. S. 252). Da jede Gruppe dann ein Kosmos wird, so ist das Weltall, τὸ πᾶν, ein höherer Begriff und von Kosmos verschieden (Plut. II, 1). Für Erde wird das letzte Wort erst lange nach der Zeit der Ptolemäer gebraucht. Böckh hat Inschriften zum Lobe des Trajan und Hadrian bekannt gemacht (Corpus Inscr. Graec. T. I. nr. 334 und 1306), in denen κόσμος an die Stelle von οἰκουμένη tritt, ganz wie auch wir oft unter Welt die Erde allein verstehen. Die sonderbare, oben erwähnte Dreitheilung des Weltraumes in Olymp, Kosmos und Uranos (Stob. I. p. 488, Philolaos S. 94–102) bezieht sich auf die verschiedenen Regionen, welche den Heerd des Weltalls, die pythagoreische Ἑστία τοῦ παντός, umgeben. Die innerste Region zwischen Mond und Erde, das Gebiet des Veränderlichen, wird in dem Bruchstücke Uranos genannt. Das mittlere Gebiet, das der unveränderlich wohlgeordnet kreisenden Planeten, heißt nach einer sehr particulären Weltansicht ausschließlich Kosmos. Die äußerste Region, eine feurige, ist der Olymp. »Wenn man«, bemerkt der tiefe Forscher der Sprachverwandtschaften, Bopp, »κόσμος von der Sanskrit-Wurzel śudh, purificari, ableitet, wie schon Pott gethan (etymol. Forschungen Th. I. S. 39 und 252); so hat man in lautlicher Beziehung zu betrachten: 1) daß das griechische κ (in κόσμος) aus dem palatalen s, das Bopp durch ś und Pott durch ç ausdrücken, hervorgegangen ist: wie δέκα, decem, gothisch taihun, aus dem indischen daśan 2) daß das indische dh regelmäßig (vergleichende Gramm. § 99) dem griechischen ϑ entspricht: woraus das Verhältniß von κόσμος (für κόϑμος) zur Skr. Wurzel śudh, wovon auch καϑαρός klar wird. Ein anderer indischer Ausdruck für Welt ist dschagat, was eigentlich das Gehende bedeutet, als Participium von dschagâmi, ich gehe (aus der Wurzel gâ).« In dem inneren Kreise des hellenischen Sprachzusammenhanges knüpft sich nach dem Etym. M. p. 521, 12 κόσμος zunächst an κάζω oder vielmehr καίνυμαι (wovon κεκασμένος oder κεκαδμένος) an. Hiermit verbindet Welcker (eine kretische Col. in Theben S. 23) auch den Namen Κάδμος, wie bei dem Hesychius κάδμος eine kretische Waffenrüstung bedeutet. – Die Römer haben, bei Einführung der philosophischen Kunstsprache der Griechen, ganz wie diese, das, mit κόσμος (Frauenschmuck) ursprünglich gleichbedeutende Wort mundus zur Welt und zum Weltall umgestempelt. Ennius scheint zuerst diese Neuerung gewagt zu haben; er sagt nach einem Fragmente, das uns Macrobius (Sat. VI, 2) in seinem Hader mit Virgil aufbewahrt hat: »Mundus coeli vastus constitit silentio«, wie Cicero: »quem nos lucentem mundum vocamus« (Timaeus s. de univ. cap. 10). Die Sanskrit-Wurzel mand, von der Pott (etym. Forsch. Th. I. S. 240) das lateinische mundus ableitet, vereinigt beide Bedeutungen von glänzen und schmücken. Lôka ist im Sanskrit Welt und Menschen, wie das französische monde, und stammt nach Bopp von lôk, sehen und leuchten, her; auf ähnliche Weise bedeutet das slavische swjet (Grimm, deutsche Gramm. Bd. III. S. 394) Licht und Welt. Das letztgenannte Wort, dessen wir uns heute bedienen: althochdeutsch wëralt, altsächsisch worold, angelsächsisch vëruld; bezeichnet nach Jacob Grimm ursprünglich bloß »den Zeitbegriff, saeculum (Menschenalter), nicht den räumlichen mundus«. Bei den Tuskern war der offene mundus ein umgekehrtes Gewölbe, das seine Kuppel nach unten, gegen die Unterwelt hin, kehrte und dem oberen Himmelsgewölbe nachgebildet war (Otfr. Müller, Etrusker Th. II. S. 96, 98 und 143). Die Welt im engeren tellurischen Sinne erscheint im Gothischen als der vom Meer (marei, meri) umgürtete Erdkreis, als merigard, ein Meergarten. hat Pythagoras zuerst das Wort Kosmos für Weltordnung, Welt und Himmelsraum gebraucht. Aus der philosophischen italischen Schule ist das Wort in die Sprache der Dichter der Natur (Parmenides und Empedocles), später endlich und langsamer in die Prosaiker übergegangen. Daß, nach pythagoreischen Ansichten, dasselbe Wort in der Mehrzahl bisweilen auch auf einzelne Weltkörper (Planeten), die um den Heerd der Welt eine kreisförmige Bahn beschreiben, oder auf Gruppen von Gestirnen (Weltinseln) angewendet wurde; ja daß Philolaus sogar einmal Olymp, Kosmos und Uranos unterscheidet: ist hier nicht zu erörtern. In meinem Entwurfe einer Weltbeschreibung ist Kosmos, wie der allgemeinste Gebrauch in der nachpythagoreischen Zeit es gebietet und wie der unbekannte Verfasser des Buches de Mundo, das lange dem Aristoteles zugeschrieben wurde, das Wort definirt hat, für den Inbegriff von Himmel und Erde, für die ganze Körperwelt genommen. Durch Nachahmungssucht der spät philosophirenden Römer wurde das Wort mundus, welches bei ihnen Schmuck, nicht einmal Ordnung, bezeichnete, 63 zu der Bedeutung von Weltall umgestempelt. Die Einführung eines solchen Kunstausdruckes in die lateinische Sprache, die wörtliche Uebertragung des griechischen Kosmos, in zwiefachem Sinne gebraucht, ist wahrscheinlich dem EnniusUeber den Ennius s. die scharfsinnigen Untersuchungen von Leopold Krahner in dessen Grundlinien zur Geschichte des Verfalls der römischen Staats-Religion 1837 S. 41–45. Wahrscheinlich schöpfte Ennius nicht aus den Epicharmischen Stücken selbst, sondern aus Gedichten, die unter dem Namen des Epicharmus und im Sinne seines Systems geschrieben waren. zuzuschreiben: einem Anhänger der italischen Schule, dem Uebersetzer pythagoreischer Philosopheme des Epicharmus oder eines Nachahmers desselben.
Wie eine physische Weltgeschichte, wenn die Materialien dazu vorhanden wären, im weitesten Sinne des Worts die Veränderungen schildern sollte, welche im Laufe der Zeiten der Kosmos durchwandert hat: von den neuen Sternen an, die am Firmamente urplötzlich aufgelodert, und den Nebelflecken, die sich auflösen oder gegen ihre Mitte verdichten, bis zum feinsten Pflanzengewebe, das die nackte, erkaltete Erdrinde oder ein gehobenes Corallenriff allmälig und fortschreitend bedeckt; so schildert dagegen die physische Weltbeschreibung das Zusammen-Bestehende im Raume, das gleichzeitige Wirken der Naturkräfte und der Gebilde, die das Product dieser Kräfte sind. Das Seiende ist aber, im Begreifen der Natur, nicht von dem Werden absolut zu scheiden; denn nicht das Organische allein ist ununterbrochen im Werden und Untergehen begriffen: das ganze Erdenleben mahnt, in jedem Stadium seiner Existenz, an die früher durchlaufenen Zustände. So enthalten die über einander gelagerten Steinschichten, aus denen der größere Theil der äußeren Erdrinde besteht, die Spuren einer fast gänzlich untergegangenen Schöpfung: sie verkünden eine Reihe von Bildungen, die sich gruppenweise ersetzt haben; sie entfalten dem Blick des Beobachters gleichzeitig im Raume die Faunen und Floren der verflossenen 64 Jahrtausende. In diesem Sinne wären Naturbeschreibung und Naturgeschichte nicht gänzlich von einander zu trennen. Der Geognost kann die Gegenwart nicht ohne die Vergangenheit fassen. Beide durchdringen und verschmelzen sich in dem Naturbilde des Erdkörpers, wie, im weiten Gebiete der Sprachen, der Etymologe in dem dermaligen Zustande grammatischer Formen ihr Werden und progressives Gestalten, ja die ganze sprachbildende Vergangenheit in der Gegenwart abgespiegelt findet. In der materiellen Welt aber ist diese Abspiegelung des Gewesenen um so klarer, als wir analoge Producte unter unseren Augen sich bilden sehen. Unter den Gebirgsarten, um ein Beispiel der Geognosie zu entlehnen, beleben Trachytkegel, Basalt, Bimsstein-Schichten und schlackige Mandelsteine auf eigenthümliche Weise die Landschaft. Sie wirken auf unsere Einbildungskraft wie Erzählungen aus der Vorwelt. Ihre Form ist ihre Geschichte.
Das Sein wird in seinem Umfang und inneren Sein vollständig erst als ein Gewordenes erkannt. Von dieser ursprünglichen Verschmelzung der Begriffe zeugt das classische Alterthum in dem Gebrauche des Worts: Historie bei Griechen und Römern. Wenn auch nicht in der Definition, die Verrius FlaccusGell. Noct. att. V, 18. giebt, so ist doch in den zoologischen Schriften des Aristoteles Historie eine Erzählung von dem Erforschten, dem sinnlich Wahrgenommenen. Die physische Weltbeschreibung des älteren Plinius führt den Titel einer Historia naturalis; in den Briefen des Neffen wird sie edler eine »Geschichte der Natur« genannt. Im classischen Alterthum trennen die frühesten Historiker noch wenig die Länderbeschreibung von der Darstellung der Begebenheiten, deren Schauplatz die beschriebenen Länder gewesen sind. 65 Physische Geographie und Geschichte erscheinen lange anmuthig gemischt, bis das wachsende politische Interesse und ein vielbewegtes Staatsleben das erste Element verdrängten, das nun in eine abgesonderte Disciplin überging.
Die Vielheit der Erscheinungen des Kosmos in der Einheit des Gedankens, in der Form eines rein rationalen Zusammenhanges zu umfassen, kann, meiner Einsicht nach, bei dem jetzigen Zustande unseres empirischen Wissens nicht erlangt werden. Erfahrungs-Wissenschaften sind nie vollendet, die Fülle sinnlicher Wahrnehmungen ist nicht zu erschöpfen; keine Generation wird je sich rühmen können die Totalität der Erscheinungen zu übersehn. Nur da, wo man die Erscheinungen gruppenweise sondert, erkennt man in einzelnen gleichartigen Gruppen das Walten großer und einfacher Naturgesetze. Je mehr die physikalischen Wissenschaften sich ausbilden, desto mehr erweitern sich auch die Kreise dieses Waltens. Glänzende Beweise davon geben die neuerlangten Ansichten der Processe, welche sowohl im festen Erdkörper als in der Atmosphäre von electromagnetischen Kräften, von der strahlenden Wärme oder der Fortpflanzung der Lichtwellen abhangen; glänzende Beweise die Evolutions-Bildungen des Organismus, in denen alles Entstehende vorher angedeutet ist, wo gleichsam aus einerlei Hergang in der Vermehrung und Umwandlung von Zellen das Gewebe der Thier- und Pflanzenwelt entsteht. In der Verallgemeinerung der Gesetze, die anfangs nur engere Kreise, isolirtere Gruppen von Phänomenen zu beherrschen scheinen, giebt es mannigfaltige Abstufungen. Die Herrschaft der erkannten Gesetze gewinnt am Umfang, der ideelle Zusammenhang an Klarheit, so lange die Forschungen auf 66 gleichartige, unter sich verwandte Massen gerichtet sind. Wo aber die dynamischen Ansichten, die sich dazu nur auf bildliche atomistische Voraussetzungen gründen, nicht ausreichen, weil die specifische Natur der Materie und ihre Heterogeneität im Spiel sind; da gerathen wir, nach Einheit des Begreifens strebend, auf Klüfte von noch unergründeter Tiefe. Es offenbart sich dort das Wirken einer eigenen Art von Kräften. Das Gesetzliche numerischer Verhältnisse, welches der Scharfsinn der neueren Chemiker so glücklich und glänzend, doch aber ebenfalls nur unter einem uralten Gewande, in den Symbolen atomistischer Vorstellungsweisen erkannt hat, bleibt bis jetzt isolirt, ununterworfen den Gesetzen aus dem Bereich der reinen Bewegungslehre.
Die Einzelheiten, auf welche sich alle unmittelbare Wahrnehmung beschränkt, können logisch in Classen und Gattungen geordnet werden. Solche Anordnungen führen, wie ich schon oben tadelnd bemerkte, als ein naturbeschreibender Theil, den anmaßenden Titel von Natur-Systemen. Sie erleichtern freilich das Studium der organischen Gebilde und ihrer linearen Verkettung unter einander, aber als Verzeichnisse gewähren sie nur ein formelles Band; sie bringen mehr Einheit in die Darstellung als in die Erkenntniß selbst. Wie es Graduationen giebt in der Verallgemeinerung der Naturgesetze, je nachdem sie größere oder kleinere Gruppen von Erscheinungen, weitere oder engere Kreise organischer Gestaltung und Gliederung umfassen: so giebt es auch Abstufungen im empirischen Forschen. Es beginnt dasselbe von vereinzelten Anschauungen, die man gleichartig sondert und ordnet. Von dem Beobachten wird fortgeschritten zum Experimentiren: zum Hervorrufen der Erscheinungen 67 unter bestimmten Bedingnissen, nach leitenden Hypothesen, d. h. nach dem Vorgefühl von dem inneren Zusammenhange der Natur-Dinge und Natur-Kräfte. Was durch Beobachtung und Experiment erlangt ist, führt, auf Analogien und Induction gegründet, zur Erkenntniß empirischer Gesetze. Das sind die Phasen, gleichsam die Momente, welche der beobachtende Verstand durchläuft und die in der Geschichte des Naturwissens der Völker besondere Epochen bezeichnen.
Zwei Formen der Abstraction beherrschen die ganze Masse der Erkenntniß: quantitative, Verhältniß-Bestimmungen nach Zahl und Größe; und qualitative, stoffartige Beschaffenheiten. Die erstere, zugänglichere Form gehört dem mathematischen, die zweite dem chemischen Wissen an. Um die Erscheinungen dem Calcül zu unterwerfen, wird die Materie aus Atomen (Moleculen) construirt, deren Zahl, Form, Lage und Polarität die Erscheinungen bedingen soll. Die Mythen von imponderablen Stoffen und von eigenen Lebenskräften in jeglichem Organismus verwickeln und trüben die Ansicht der Natur. Unter so verschiedenartigen Bedingnissen und Formen des Erkennens bewegt sich träge die schwere Last unseres angehäuften und jetzt so schnell anwachsenden empirischen Wissens. Die grübelnde Vernunft versucht muthvoll und mit wechselndem Glücke die alten Formen zu zerbrechen, durch welche man den widerstrebenden Stoff, wie durch mechanische Constructionen und Sinnbilder, zu beherrschen gewohnt ist.
Wir sind noch weit von dem Zeitpunkte entfernt, wo es möglich sein könnte alle unsere sinnlichen Anschauungen zur Einheit des Naturbegriffs zu concentriren. Es darf zweifelhaft genannt werden, ob dieser Zeitpunkt je 68 herannahen wird. Die Complication des Problems und die Unermeßlichkeit des Kosmos vereiteln fast die Hoffnung dazu. Wenn uns aber auch das Ganze unerreichbar ist, so bleibt doch die theilweise Lösung des Problems, das Streben nach dem Verstehen der Welterscheinungen, der höchste und ewige Zweck aller Naturforschung. Dem Charakter meiner früheren Schriften, wie der Art meiner Beschäftigungen treu, welche Versuchen, Messungen, Ergründung von Thatsachen gewidmet waren: beschränke ich mich auch in diesem Werke auf eine empirische Betrachtung. Sie ist der alleinige Boden, auf dem ich mich weniger unsicher zu bewegen verstehe. Diese Behandlung einer empirischen Wissenschaft, oder vielmehr eines Aggregats von Kenntnissen, schließt nicht aus die Anordnung des Aufgefundenen nach leitenden Ideen, die Verallgemeinerung des Besonderen, das stete Forschen nach empirischen Naturgesetzen. Ein denkendes Erkennen, ein vernunftmäßiges Begreifen des Universums würden allerdings ein noch erhabneres Ziel darbieten. Ich bin weit davon entfernt Bestrebungen, in denen ich mich nicht versucht habe, darum zu tadeln, weil ihr Erfolg bisher sehr zweifelhaft geblieben ist. Mannigfaltig mißverstanden, und ganz gegen die Absicht und den Rath der tiefsinnigen und mächtigen Denker, welche diese schon dem Alterthum eigenthümlichen Bestrebungen wiederum angeregt: haben naturphilosophische Systeme, eine kurze Zeit über, in unserem Vaterlande, von den ernsten und mit dem materiellen Wohlstande der Staaten so nahe verwandten Studien mathematischer und physikalischer Wissenschaften abzulenken gedroht. Der berauschende Wahn des errungenen Besitzes; eine eigene, abenteuerlich-symbolisirende Sprache; ein 69 Schematismus, enger, als ihn je das Mittelalter der Menschheit angezwängt: haben, in jugendlichem Mißbrauch edler Kräfte, die heiteren und kurzen Saturnalien eines rein ideellen Naturwissens bezeichnet. Ich wiederhole den Ausdruck: Mißbrauch der Kräfte; denn ernste, der Philosophie und der Beobachtung gleichzeitig zugewandte Geister sind jenen Saturnalien fremd geblieben. Der Inbegriff von Erfahrungs-Kenntnissen und eine in allen ihren Theilen ausgebildete Philosophie der Natur (falls eine solche Ausbildung je zu erreichen ist) können nicht in Widerspruch treten, wenn die Philosophie der Natur, ihrem Versprechen gemäß, das vernunftmäßige Begreifen der wirklichen Erscheinungen im Weltall ist. Wo der Widerspruch sich zeigt, liegt die Schuld entweder in der Hohlheit der Speculation oder in der Anmaßung der Empirie, welche mehr durch die Erfahrung erwiesen glaubt, als durch dieselbe begründet ward.
Man mag nun die Natur dem Bereich des Geistigen entgegensetzen, als wäre das Geistige nicht auch in dem Naturganzen enthalten: oder man mag die Natur der Kunst entgegenstellen, letztere in einem höheren Sinne als den Inbegriff aller geistigen Productionskraft der Menschheit betrachtet; so müssen diese Gegensätze doch nicht auf eine solche Trennung des Physischen vom Intellectuellen führen, daß die Physik der Welt zu einer bloßen Anhäufung empirisch gesammelter Einzelheiten herabsinke. Wissenschaft fängt erst an, wo der Geist sich des Stoffes bemächtigt, wo versucht wird die Masse der Erfahrungen einer Vernunft-Erkenntniß zu unterwerfen; sie ist der Geist, zugewandt zu der Natur. Die Außenwelt existirt aber nur 70 für uns, indem wir sie in uns aufnehmen, indem sie sich in uns zu einer Naturanschauung gestaltet. So geheimnißvoll unzertrennlich als Geist und Sprache, der Gedanke und das befruchtende Wort sind: eben so schmilzt, uns selbst gleichsam unbewußt, die Außenwelt mit dem Innersten im Menschen, mit dem Gedanken und der Empfindung zusammen. »Die äußerlichen Erscheinungen werden so«, wie Hegel sich in der Philosophie der Geschichte ausdrückt, »in die innerliche Vorstellung übersetzt«. Die objective Welt, von uns gedacht, in uns reflectirt, wird den ewigen, nothwendigen, alles bedingenden Formen unserer geistigen Existenz unterworfen. Die intellectuelle Thätigkeit übt sich dann an dem durch die sinnliche Wahrnehmung überkommenen Stoffe. Es ist daher schon im Jugendalter der Menschheit, in der einfachsten Betrachtung der Natur, in dem ersten Erkennen und Auffassen eine Anregung zu naturphilosophischen Ansichten. Diese Anregung ist verschieden, mehr oder minder lebhaft, nach der Gemüthsstimmung, der nationalen Individualität und dem Culturzustande der Völker. Eine Geistesarbeit beginnt, sobald, von innerer Nothwendigkeit getrieben, das Denken den Stoff sinnlicher Wahrnehmungen aufnimmt.
Die Geschichte hat uns die vielfach gewagten Versuche aufbewahrt, die Welt der physischen Erscheinungen in ihrer Vielheit zu begreifen; eine einige, das ganze Universum durchdringende, bewegende, entmischende Weltkraft zu erkennen. Diese Versuche steigen in der classischen Vorzeit zu den Physiologien und Urstoff-Lehren der ionischen Schule hinauf: wo bei wenig ausgedehnter Empirie (bei einem dürftigen Material von Thatsachen) das ideelle 71 Bestreben, die Natur-Erklärungen aus reiner Vernunft-Erkenntniß, vorherrschten. Je mehr aber während einer glänzenden Erweiterung aller Naturwissenschaften das Material des sicheren empirischen Wissens anwuchs, desto mehr erkaltete allmälig der Trieb, das Wesen der Erscheinungen und ihre Einheit, als ein Naturganzes, durch Construction der Begriffe aus der Vernunft-Erkenntniß abzuleiten. In der uns nahen Zeit hat der mathematische Theil der Naturphilosophie sich einer großen und herrlichen Ausbildung zu erfreuen gehabt. Die Methoden und das Instrument (die Analyse) sind gleichzeitig vervollkommnet worden. Was so auf vielfachen Wegen durch sinnige Anwendung atomistischer Prämissen, durch allgemeineren und unmittelbareren Contact mit der Natur, durch das Hervorrufen und Ausbilden neuer Organe errungen worden ist; soll: wie im Alterthume, so auch jetzt, ein gemeinsames Gut der Menschheit, der freiesten Bearbeitung der Philosophie in ihren wechselnden Gestaltungen nicht entzogen werden. Bisweilen ist freilich die Unversehrtheit des Stoffes in dieser Bearbeitung einige Gefahr gelaufen; und in dem steten Wechsel ideeller Ansichten ist es wenig zu verwundern, wenn, wie so schön im BrunoSchelling's Bruno über das göttliche und natürliche Princip der Dinge S. 181. gesagt wird, »viele die Philosophie nur meteorischer Erscheinungen fähig halten und daher auch die größeren Formen, in denen sie sich geoffenbart hat, das Schicksal der Cometen bei dem Volke theilen: das sie nicht zu den bleibenden und ewigen Werken der Natur, sondern zu den vergänglichen Erscheinungen feuriger Dünste zählt.«
Mißbrauch oder irrige Richtungen der Geistesarbeit müssen aber nicht zu der, die Intelligenz entehrenden Ansicht führen, als sei die Gedankenwelt, ihrer Natur nach, 72 die Region phantastischer Truggebilde; als sei der so viele Jahrhunderte hindurch gesammelte überreiche Schatz empirischer Anschauung von der Philosophie, wie von einer feindlichen Macht, bedroht. Es geziemt nicht dem Geiste unserer Zeit, jede Verallgemeinerung der Begriffe, jeden, auf Induction und Analogien gegründeten Versuch, tiefer in die Verkettung der Naturerscheinungen einzudringen, als bodenlose Hypothese zu verwerfen; und unter den edeln Anlagen, mit denen die Natur den Menschen ausgestattet hat, bald die nach einem Causalzusammenhang grübelnde Vernunft, bald die regsame, zu allem Entdecken und Schaffen nothwendige und anregende Einbildungskraft zu verdammen.
Wenn der menschliche Geist sich erkühnt die Materie, d. h. die Welt physischer Erscheinungen zu beherrschen; wenn er bei denkender Betrachtung des Seienden die reiche Fülle des Naturlebens, das Walten der freien und der gebundenen Kräfte zu durchdringen strebt: so fühlt er sich zu einer Höhe gehoben, von der herab, bei weit hinschwindendem Horizonte, ihm das Einzelne nur gruppenweise vertheilt, wie umflossen von leichtem Dufte erscheint. Dieser bildliche Ausdruck ist gewählt, um den Standpunkt zu bezeichnen, aus dem wir hier versuchen das Universum zu betrachten und in seinen beiden Sphären, der himmlischen und der irdischen, anschaulich darzustellen. Das Gewagte eines solchen Unternehmens habe ich nicht verkannt. Unter allen Formen der Darstellung, denen diese Blätter gewidmet sind, ist der Entwurf eines allgemeinen Naturgemäldes um so schwieriger, als wir der Entfaltung gestaltenreicher Mannigfaltigkeit nicht unterliegen, und nur bei großen, in der Wirklichkeit oder in dem subjectiven Ideenkreise 80 geschiedenen Massen verweilen sollen. Durch Trennung und Unterordnung der Erscheinungen, durch ahndungsvolles Eindringen in das Spiel dunkel waltender Mächte, durch eine Lebendigkeit des Ausdrucks, in dem die sinnliche Anschauung sich naturwahr spiegelt, können wir versuchen das All (τὸ πᾶν) zu umfassen und zu beschreiben, wie es die Würde des großartigen Wortes Kosmos: als Universum, als Weltordnung, als Schmuck des Geordneten, erheischt. Möge dann die unermeßliche Verschiedenartigkeit der Elemente, die in ein Naturbild sich zusammendrängen, dem harmonischen Eindruck von Ruhe und Einheit nicht schaden, welcher der letzte Zweck einer jeden litterarischen oder rein künstlerischen Composition ist.
Wir beginnen mit den Tiefen des Weltraums und der Region der fernsten Nebelflecke: stufenweise herabsteigend durch die Sternschicht, der unser Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid, seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung; zu der Lebensfülle, welche, vom Lichte angeregt, sich an seiner Oberfläche entfaltet. So umfaßt ein Weltgemälde in wenigen Zügen die ungemessenen Himmelsräume, wie die microscopischen kleinen Organismen des Thier- und Pflanzenreichs, welche unsere stehenden Gewässer und die verwitternde Rinde der Felsen bewohnen. Alles Wahrnehmbare, das ein strenges Studium der Natur nach jeglicher Richtung bis zur jetzigen Zeit erforscht hat, bildet das Material, nach welchem die Darstellung zu entwerfen ist; es enthält in sich das Zeugniß ihrer Wahrheit und Treue. Ein beschreibendes Naturgemälde, wie wir es in diesen Prolegomenen aufstellen, soll aber nicht bloß dem Einzelnen nachspüren; 81 es bedarf nicht zu seiner Vollständigkeit der Aufzählung aller Lebensgestalten, aller Naturdinge und Naturprocesse. Der Tendenz endloser Zersplitterung des Erkannten und Gesammelten widerstrebend, soll der ordnende Denker trachten der Gefahr der empirischen Fülle zu entgehn. Ein ansehnlicher Theil der qualitativen Kräfte der Materie oder, um naturphilosophischer zu reden, ihrer qualitativen Kraftäußerungen ist gewiß noch unentdeckt. Das Auffinden der Einheit in der Totalität bleibt daher schon deshalb unvollständig. Neben der Freude an der errungenen Erkenntniß liegt, wie mit Wehmuth gemischt, in dem aufstrebenden, von der Gegenwart unbefriedigten Geiste die Sehnsucht nach noch nicht aufgeschlossenen, unbekannten Regionen des Wissens. Eine solche Sehnsucht knüpft fester das Band, welches, nach alten, das Innerste der Gedankenwelt beherrschenden Gesetzen, alles Sinnliche an das Unsinnliche kettet; sie belebt den Verkehr zwischen dem, »was das Gemüth von der Welt erfaßt, und dem, was es aus seinen Tiefen zurückgiebt«.
Ist demnach die Natur (Inbegriff der Naturdinge und Naturerscheinungen), ihrem Umfang und Inhalte nach, ein Unendliches; so ist sie auch für die intellectuellen Anlagen der Menschheit ein nicht zu fassendes, und in allgemeiner ursachlicher Erkenntniß von dem Zusammenwirken aller Kräfte ein unauflösbares Problem. Ein solches Bekenntniß geziemt da, wo das Sein und Werden nur der unmittelbaren Forschung unterworfen bleibt, wo man den empirischen Weg und eine strenge inductorische Methode nicht zu verlassen wagt. Wenn aber auch das ewige Streben, die Totalität zu umfassen, unbefriedigt bleibt, so lehrt uns 82 dagegen die Geschichte der Weltanschauung, welche einem anderen Theile dieser Prolegomenen vorbehalten bleibt, wie in dem Lauf der Jahrhunderte die Menschheit zu einer partiellen Einsicht in die relative Abhängigkeit der Erscheinungen allmälig gelangt ist. Meine Pflicht ist es, das gleichzeitig Erkannte nach dem Maaß und in den Schranken der Gegenwart übersichtlich zu schildern. Bei allem Beweglichen und Veränderlichen im Raume sind mittlere Zahlenwerthe der letzte Zweck, ja der Ausdruck physischer Gesetze; sie zeigen uns das Stetige in dem Wechsel und in der Flucht der Erscheinungen; so ist z. B. der Fortschritt der neueren messenden und wägenden Physik vorzugsweise nach Erlangung und Berichtigung der mittleren Werthe gewisser Größen bezeichnet: so treten wiederum, wie einst in der italischen Schule, doch in erweitertem Sinne, die einzigen in unsrer Schrift übrig gebliebenen und weit verbreiteten hieroglyphischen Zeichen, die Zahlen, als Mächte des Kosmos auf.
Den ernsten Forscher erfreut die Einfachheit numerischer Verhältnisse, durch welche die Dimensionen der Himmelsräume, die Größe der Weltkörper und ihre periodische Störungen, die dreifachen Elemente des Erd-Magnetismus, der mittlere Druck des Luftmeeres, und die Menge der Wärme bezeichnet werden, welche die Sonne in jedem Jahre und in jedem Theile des Jahres über die einzelnen Punkte der festen oder flüssigen Oberfläche unsers Planeten ergießt. Unbefriedigter bleibt der Naturdichter, unbefriedigt der Sinn der neugierigen Menge. Beiden erscheint heute die Wissenschaft wie verödet, da sie viele der Fragen mit Zweifel oder gar als unauflöslich zurückweist, die man ehemals beantworten zu 83 können wähnte. In ihrer strengeren Form, in ihrem engeren Gewande ist sie der verführerischen Anmuth beraubt, durch welche früher eine dogmatische und symbolisirende Physik die Vernunft zu täuschen, die Einbildungskraft zu beschäftigen wußte. Lange vor der Entdeckung der Neuen Welt glaubte man, von den canarischen Inseln oder den Azoren aus, Länder im Westen zu sehen. Es waren Trugbilder: nicht durch eine ungewöhnliche Brechung der Lichtstrahlen, nur durch Sehnsucht nach der Ferne, nach dem Jenseitigen erzeugt. Solchen Reiz täuschender Luftgebilde bot die Naturphilosophie der Griechen, die Physik des Mittelalters, und selbst die der späteren Jahrhunderte, in reichem Maaße dar. An der Grenze des beschränkten Wissens, wie von einem hohen Inselufer aus, schweift gern der Blick in ferne Regionen. Der Glaube an das Ungewöhnliche und Wundervolle giebt bestimmte Umrisse jedem Erzeugniß idealer Schöpfung; und das Gebiet der Phantasie, ein Wunderland kosmologischer, geognostischer und magnetischer Träume, wird unaufhaltsam mit dem Gebiete der Wirklichkeit verschmolzen.
Natur, in der vielfachen Deutung des Wortes: bald als Totalität des Seienden und Werdenden, bald als innere, bewegende Kraft, bald als das geheimnißvolle Urbild aller Erscheinungen aufgefaßt; offenbart sich dem einfachen Sinn und Gefühle des Menschen vorzugsweise als etwas Irdisches, ihm näher Verwandtes. Erst in den Lebenskreisen der organischen Bildung erkennen wir recht eigentlich unsere Heimath. Wo der Erde Schooß ihre Blüthen und Früchte entfaltet, wo er die zahllosen Geschlechter der Thiere nährt, da tritt das Bild der Natur lebendiger vor unsre Seele. Es ist zunächst auf das Tellurische beschränkt; der glanzvolle 84 Sternenteppich, die weiten Himmelsräume gehören einem Weltgemälde an, in welchem die Größe der Massen, die Zahl zusammengedrängter Sonnen oder aufdämmernder Lichtnebel unsere Bewunderung und unser Staunen erregen; dem wir uns aber, bei scheinbarer Verödung, bei völligem Mangel an dem unmittelbaren Eindruck eines organischen Lebens, wie entfremdet fühlen. So sind denn auch nach den frühesten physikalischen Ansichten der Menschheit Himmel und Erde, räumlich ein Oben und Unten, von einander getrennt geblieben. Sollte demnach ein Naturbild bloß den Bedürfnissen sinnlicher Anschauung entsprechen, so müßte es mit der Beschreibung des heimischen Bodens beginnen. Es schilderte zuerst den Erdkörper in seiner Größe und Form, in seiner, mit der Tiefe zunehmenden Dichtigkeit und Wärme, in seinen über einander gelagerten, starren und flüssigen Schichten; es schilderte die Scheidung von Meer und Land, das Leben, das in beiden als zelliges Gewebe der Pflanzen und Thiere sich entwickelt; den wogenden, stromreichen Luft-Ocean, von dessen Boden waldgekrönte Bergketten wie Klippen und Untiefen aufsteigen. Nach dieser Schilderung der rein tellurischen Verhältnisse erhöbe sich der Blick zu den Himmelsräumen; die Erde, der uns wohlbekannte Sitz organischer Gestaltungs-Processe, würde nun als Planet betrachtet. Er träte in die Reihe der Weltkörper, die um einen der zahllosen selbstleuchtenden Sterne kreisen. Diese Folge der Ideen bezeichnet den Weg der ersten sinnlichen Anschauungsweise: sie mahnt fast noch an die alte »meerumflossene Erdscheibe«, welche den Himmel trug; sie geht von dem Standort der Wahrnehmung, von dem Bekannten und Nahen zum Unbekannten und Fernen über. Sie entspricht der in 85 mathematischer Hinsicht zu empfehlenden Methode unsrer astronomischen Lehrbücher, welche von den scheinbaren Bewegungen der Himmelskörper zu den wirklichen übergeht.
In einem Werke aber, welches das bereits Erkannte, selbst das, was in dem dermaligen Zustande unseres Wissens für gewiß oder nach verschiedenen Abstufungen für wahrscheinlich gehalten wird, aufzählen; nicht die Beweise liefern soll, welche die erzielten Resultate begründen: ist ein anderer Ideengang vorzuziehen. Hier wird nicht mehr von dem subjectiven Standpunkte, von dem menschlichen Interesse ausgegangen. Das Irdische darf nur als ein Theil des Ganzen, als diesem untergeordnet erscheinen. Die Natur-Ansicht soll allgemein, sie soll groß und frei; nicht durch Motive der Nähe, des gemüthlicheren Antheils, der relativen Nützlichkeit beengt sein. Eine physische Weltbeschreibung, ein Weltgemälde beginnt daher nicht mit dem Tellurischen: sie beginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Aber indem sich die Sphären der Anschauung räumlich verengen, vermehrt sich der individuelle Reichthum des Unterscheidbaren, die Fülle physischer Erscheinungen, die Kenntniß der qualitativen Heterogeneität der Stoffe. Aus den Regionen, in denen wir nur die Herrschaft der Gravitations-Gesetze erkennen, steigen wir dann zu unserem Planeten, zu dem verwickelten Spiel der Kräfte im Erdenleben herab. Die hier geschilderte naturbeschreibende Methode ist der, welche Resultate begründet, entgegengesetzt. Die eine zählt auf, was auf dem anderen Wege erwiesen worden ist.
Durch Organe nimmt der Mensch die Außenwelt in sich auf. Lichterscheinungen verkünden uns das Dasein der Materie in den fernsten Himmelsräumen. Das Auge ist 86 das Organ der Weltanschauung. Die Erfindung des telescopischen Sehens hat seit drittehalb Jahrhunderten den späteren Generationen eine Macht verliehen, deren Grenze noch nicht erreicht ist. Die erste und allgemeinste Betrachtung im Kosmos ist die des Inhalts der Welträume, die Betrachtung der Vertheilung der Materie: des Geschaffenen, wie man gewöhnlich das Seiende und Werdende zu nennen pflegt. Wir sehen die Materie theils zu rotirenden und kreisenden Weltkörpern von sehr verschiedener Dichtigkeit und Größe geballt, theils selbstleuchtend dunstförmig als Lichtnebel zerstreut. Betrachten wir zuerst die Nebelflecke, den in bestimmte Formen geschiedenen Weltdunst, so scheint derselbe in steter Veränderung seines Aggregat-Zustandes begriffen. Er tritt auf, scheinbar in kleinen Dimensionen: als runde oder elliptische Scheibe, einfach oder gepaart, bisweilen durch einen Lichtfaden verbunden; bei größerem Durchmesser ist er vielgestaltet, langgestreckt, oder in mehrere Zweige auslaufend, als Fächer oder scharf begrenzter Ring mit dunklem Inneren. Man glaubt diese Nebelflecke mannigfaltigen, fortschreitenden Gestaltungs-Processen unterworfen, je nachdem sich in ihnen der Weltdunst um einen oder um mehrere Kerne nach Attractions-Gesetzen verdichtet. Fast drittehalbtausend solcher unauflöslichen Nebelflecke, in denen die mächtigsten Fernröhre keine Sterne unterscheiden, sind bereits aufgezählt und in ihrer örtlichen Lage bestimmt worden.
Die genetische Entwickelung, die perpetuirliche Fortbildung, in welcher dieser Theil der Himmelsräume begriffen scheint, hat denkende Beobachter auf die Analogie organischer Erscheinungen geleitet. Wie wir in unsern Wäldern 87 dieselbe Baumart gleichzeitig in allen Stufen des Wachsthums sehen, und aus diesem Anblick, aus dieser Coexistenz den Eindruck fortschreitender Lebens-Entwicklung schöpfen, so erkennen wir auch in dem großen Weltgarten die verschiedensten Stadien allmäliger Sternbildung. Der Proceß der Verdichtung, den Anaximenes und die ganze ionische Schule lehrte, scheint hier gleichsam unter unsern Augen vorzugehen. Dieser Gegenstand des Forschens und Ahndens ist vorzugsweise anziehend für die Einbildungskraft. Was in den Kreisen des Lebens und aller inneren treibenden Kräfte des Weltalls so unaussprechlich fesselt, ist minder noch die Erkenntniß des Seins als die des Werdens: sei dies Werden auch nur (denn vom eigentlichen Schaffen als einer Thathandlung, vom Entstehen, als »Anfang des Seins nach dem Nichtsein«, haben wir weder Begriff noch Erfahrung) ein neuer Zustand des schon materiell Vorhandenen.
Nicht bloß durch Vergleichung der verschiedenen Entwicklungs-Momente, in denen sich die gegen ihr Inneres mehr oder minder verdichteten Nebelflecke zeigen: auch durch unmittelbare auf einander folgende Beobachtungen hat man geglaubt, zuerst in der Andromeda, später im Schiffe Argo und in dem isolirten faserigen Theile des Orion-Nebels wirkliche Gestalt-Veränderungen zu bemerken. Ungleichheit der Lichtstärke in den angewandten Instrumenten, verschiedene Zustände unseres Luftkreises, und andere optische Verhältnisse machen freilich einen Theil der Resultate als wahrhaft historische Ergebnisse zweifelhaft.
Mit den eigentlichen vielgestalteten Nebelflecken, deren einzelne Theile einen ungleichen Glanz haben und 88 die mit abnehmendem Umfang sich vielleicht zuletzt in Sterne concentriren; mit sogenannten planetarischen Nebeln, deren runde, etwas eiförmige Scheiben in allen Theilen eine völlig gleiche milde Intensität des Lichtes zeigen: sind nicht die Nebelsterne zu verwechseln. Hier projiciren sich nicht etwa zufällig Sterne auf fernem nebligem Grunde; nein, die dunstförmige Materie, der Lichtnebel bildet Eine Masse mit dem von ihm umgebenen Gestirn. Bei der oft sehr beträchtlichen Größe ihres scheinbaren Durchmessers und der Ferne, in der sie aufglimmen, müssen beide, die planetarischen Nebelflecke sowohl als die Nebelsterne, ungeheure Dimensionen haben. Neue und scharfsinnige BetrachtungenDie optischen Betrachtungen über den Unterschied, welchen ein einziger leuchtender Punkt oder eine Scheibe von meßbarem Winkel darbieten, in der die Lichtstärke in jedem Abstande dieselbe bleibt, findet man entwickelt in Arago, analyse des travaux de Sir William Herschel (Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1842 p. 410–412 und 441). über den sehr verschiedenen Einfluß der Entfernung auf die Intensität des Lichtes einer Scheibe von meßbarem Durchmesser oder eines einzelnen selbstleuchtenden Punktes machen es nicht unwahrscheinlich, daß die planetarischen Nebelflecke sehr ferne Nebelsterne sind, in denen der Unterschied zwischen dem Centralsterne und der ihn umgebenden Dunsthülle selbst für unser telescopisches Sehen verschwunden ist.
Die prachtvollen Zonen des südlichen Himmels zwischen den Parallelkreisen von 50° und 80° sind besonders reich an Nebelsternen und zusammengedrängten, nicht aufzulösenden Nebelflecken. Von den zwei Magelhanischen Wolken, die um den sternleeren, verödeten Südpol kreisen, erscheint besonders die größere, nach den neuesten Untersuchungen»Die beiden Magelhanischen Wolken, Nubecula major und minor, sind höchst merkwürdige Gegenstände. Die größere Wolke ist eine Zusammenhäufung von Sternen: und besteht aus Sternhaufen von unregelmäßiger Gestalt, aus kugelförmigen Haufen und aus Nebelsternen von verschiedener Größe und Dichtigkeit. Es liegen dazwischen große, nicht in Sterne aufzulösende Nebelflecke, die wahrscheinlich Sternenstaub (star-dust) sind, und selbst mit dem zwanzigfüßigen Telescop nur als eine allgemeine Helligkeit des Gesichtsfeldes erscheinen und einen glänzenden Hintergrund bilden, auf dem andere Gegenstände von sehr auffallender und unbegreiflicher Gestalt zerstreut sind. An keinem anderen Theile des Himmels sind auf einem so kleinen Raume so viele Nebel und Sternhaufen zusammengedrängt wie in dieser Wolke. Die Nubecula minor ist viel weniger schön; sie zeigt mehr unauflösliches, nebliges Licht, und die darin befindlichen Sternhaufen sind geringer an Zahl und schwächer.« (Aus einem Briefe von Sir John Herschel, Feldhuysen am Cap der guten Hoffnung, 13 Jun. 1836.), »als ein wundersames Gemenge von Sternschwärmen, von theils kugelförmigen Haufen von Nebelsternen verschiedener Größe, und von unauflöslichen Nebelflecken, die, eine allgemeine Helligkeit des Gesichtsfeldes hervorbringend, 89 wie den Hintergrund des Bildes darstellen.« Der Anblick dieser Wolken, des lichtstrahlenden Schiffes Argo, der Milchstraße zwischen dem Scorpion, dem Centaur und dem Kreuze, ja die landschaftliche Anmuth des ganzen südlichen Himmels haben mir einen unvergeßlichen Eindruck zurückgelassen. Das Zodiacallicht, das pyramidenförmig aufsteigt (ebenfalls in seinem milden Glanze der ewige Schmuck der Tropennächte), ist entweder ein großer zwischen der Erde und Mars rotirender Nebelring oder, doch mit minderer Wahrscheinlichkeit, die äußerste Schicht der Sonnen-Atmosphäre selbst. Außer diesen Lichtwolken und Nebeln von bestimmter Form verkündigen noch genaue und immer mit einander übereinstimmende Beobachtungen die Existenz und die allgemeine Verbreitung einer wahrscheinlich nicht selbst leuchtenden, unendlich fein zertheilten Materie, welche, Widerstand leistend, in dem Encke'schen und vielleicht auch in dem Biela'schen Cometen durch Verminderung der Excentricität und Verkürzung der Umlaufszeit sich offenbart. Diese hemmende ätherische und kosmische Materie kann als bewegt, trotz ihrer ursprünglichen Tenuität als gravitirend, in der Nähe des großen Sonnenkörpers verdichtet, ja seit Myriaden von Jahren, durch ausströmenden Dunst der Cometenschweife, als vermehrt gedacht werden.
Gehen wir nun von der dunstartigen Materie des unermeßlichen Himmelsraumes (οὐρανοῦ χόρτοςDen schönen Ausdruck χόρτος οὐρανοῦ, welchen Hesychius einem unbekannten Dichter entlehnt, hätte ich oben bei Himmels-Garten angeführt, wenn χόρτος nicht allgemeiner einen eingeschlossenen Platz und so den »Himmels-Raum« bezeichnete. Der Zusammenhang mit dem germanischen Garten (gothisch gards, nach Jacob Grimm von gairdan, eingere) ist aber nicht zu verkennen: so wenig als die Verwandtschaft mit dem slavischen grad, gorod und die von Pott (etymol. Forschungen Th. I. S. 144) bemerkte mit dem lateinischen chors (woher corte, cour) und dem ossetischen khart. Hieran schließt sich ferner das nordische gard, gård (Umzäunung, dann: ein Gehöfte, Landsitz) und das persische gerd, gird: Umkreis, Kreis; dann ein fürstlicher Landsitz, Schloß oder Stadt, wie in alten Ortsnamen in Firdusi's Schabnameh: Siyawakschgird, Darabgird u. a.), wie sie bald formlos zerstreut und unbegrenzt, ein kosmischer Welt-Aether, bald in Nebelflecke verdichtet ist, zu dem geballten, starren Theile des Universums über; so nähern wir uns einer Classe von Erscheinungen, die ausschließlich mit dem Namen der Gestirne oder der Sternenwelt bezeichnet 90 wird. Auch hier sind die Grade der Starrheit oder Dichtigkeit der geballten Materie verschieden. Unser eigenes Sonnensystem bietet alle Stufen mittlerer Dichtigkeit (des Verhältnisses des Volums zur Masse) dar. Wenn man die Planeten von Merkur bis Mars mit der Sonne und mit Jupiter, und dann diese letzteren zwei Gestirne mit dem noch undichteren Saturn vergleicht, so gelangt man, in absteigender Stufenleiter, um an irdische Stoffe zu erinnern, von der Dichtigkeit des Antimon-Metalles zu der des Honigs, des Wassers und des Tannenholzes. In den Cometen, die den zahlreichsten Theil der individualisirten Naturformen unsers Sonnensystems ausmachen, läßt selbst noch der concentrirtere Theil, welchen wir den Kopf oder Kern zu nennen pflegen, das Sternenlicht ungebrochen durch. Die Masse der Cometen erreicht vielleicht nie den fünftausendsten Theil der Erdmasse. So verschiedenartig zeigen sich die Gestaltungs-Processe in dem ursprünglichen und vielleicht fortschreitenden Ballen der Materie. Von dem Allgemeinsten ausgehend, war es vorzugsweise nöthig hier diese Verschiedenartigkeit zu bezeichnen: nicht als ein Mögliches, sondern als ein Wirkliches, im Weltraume Gegebenes.
Was Wright, Kant und Lambert, nach Vernunftschlüssen, von der allgemeinen Anordnung des Weltgebäudes, von der räumlichen Vertheilung der Materie geahndet, ist durch Sir William Herschel auf dem sichreren Wege der Beobachtung und der Messung ergründet worden. Der große, begeisterte und doch so vorsichtig forschende Mann hat zuerst das Senkblei in die Tiefen des Himmels geworfen, um die Grenzen und die Form der abgesonderten 91 Sternschicht zu bestimmen, die wir bewohnen; er hat zuerst gewagt die Verhältnisse der Lage und des Abstandes ferner Nebelflecke zu unserer Sternschicht aufzuklären. Wilhelm Herschel hat (so sagt die schöne Grabschrift zu Upton) die Schranken des Himmels durchbrochen (caelorum perrupit claustra); wie Columbus, ist er vorgedrungen in ein unbekanntes Weltenmeer, Küsten und Inselgruppen erblickend, deren letzte wahre Ortsbestimmung kommenden Jahrhunderten vorbehalten bleibt.
Betrachtungen über die verschiedene Lichtstärke der Sterne und über ihre relative Zahl, d. i. über die numerische Seltenheit oder Anhäufung in gleich großen Feldern der Fernröhre, haben auf die Annahme ungleicher Entfernung und räumlicher Vertheilung in den durch sie gebildeten Schichten geleitet. Solche Annahmen, in so fern sie zu einer Begrenzung der einzelnen Theile des Weltbaus führen sollen, können allerdings nicht denselben Grad mathematischer Gewißheit darbieten, der in allem erreicht wird, was unser Sonnensystem, was das Kreisen der Doppelsterne mit ungleicher Geschwindigkeit um einen gemeinsamen Schwerpunkt, was die scheinbare oder wirkliche Bewegung aller Gestirne betrifft. Man würde geneigt sein die physische Weltbeschreibung, wenn sie von den fernsten Nebelflecken anhebt, mit dem mythischen Theile der Weltgeschichte zu vergleichen. Beide Disciplinen beginnen im Dämmerlichte der Vorzeit, wie des unerreichbaren Raumes; und wo die Wirklichkeit zu entschwinden droht, ist die Phantasie zwiefach angeregt, aus eigener Fülle zu schöpfen und den unbestimmten, wechselnden Gestalten Umriß und Dauer zu geben.
92 Vergleicht man den Weltraum mit einem der inselreichen Meere unseres Planeten, so kann man sich die Materie gruppenweise vertheilt denken: bald in unauflösliche Nebelflecke von verschiedenem Alter, um einen oder um mehrere Kerne verdichtet; bald schon in Sternhaufen oder isolirte Sporaden geballt. Unser Sternhaufen: die Weltinsel, zu der wir gehören, bildet eine linsenförmig abgeplattete, überall abgesonderte Schicht, deren große Axe zu sieben- bis achthundert, die kleine zu hundert und funfzig Siriusweiten geschätzt wird. In der Voraussetzung daß die Parallaxe des Sirius nicht größer ist als die genau bestimmte des glänzendsten Sternes im Centaur (0",9128), durchläuft das Licht eine Siriusweite in drei Jahren: während ans Bessel's vortrefflicher früheren ArbeitFür α Cent. Maclear (Resultate von 1839 und 1840) in den Memoirs of the Astron. Soc. Vol. XII. 1842 p. 370. Wahrscheinlicher mittlerer Fehler 0",0640; für 61 Cygni s. Bessel in Schumacher's Jahrbuch für 1839 S. 47–49 u. in Schum. astr. Nachr. Bd. 17. S. 401 und 402. Mittlerer Fehler 0",0141. Ueber die relativen Entfernungen der Sterne verschiedener Ordnung: wie die dritter Größe wahrscheinlich dreifach entfernter sind, und wie man sich die körperliche Gestaltung der Sternschichten vorstellen solle, finde ich bei Kepler in der Epitome Astronomiae Copernicanae 1618 T. I. lib. 1 p. 34–39 eine merkwürdige Stelle: »Sol hic noster nil aliud est quam una ex fixis, nobis major et clarior visa, quia propior quam fixa. Pone terram stare ad latus, una semidiametro viae lacteae, tunc haec via lactea apparebit circulus parvus, vel ellipsis parva, tota declinans ad latus alterum eritque simul uno intuitu conspicua, quae nunc non potest nisi dimidia conspici quovis momento. Itaque fixarum sphaera non tantum orbe stellarum, sed etiam circulo lactis versus nos deorsum est terminata.« über die Parallaxe des merkwürdigen 61ten Sternes im Schwan (0",3483), dessen beträchtliche eigene Bewegung auf eine große Nähe hätte schließen lassen, folgt, daß von diesem Sterne das Licht zu uns erst in 9¼ Jahren gelangt. Unsere Sternschicht, eine Scheibe von geringer Dicke, ist zu einem Drittel in zwei Arme getheilt; man glaubt, wir stehen dieser Theilung nahe, ja der Gegend des Sirius näher als dem Sternbild des Adlers: fast in der Mitte der körperlichen Ausdehnung der Schicht, ihrer Dicke oder kleinen Axe nach.
Dieser Ort unsres Sonnensystems und die Gestaltung der ganzen Linse sind aus Stern-Aichungen, d. h. aus jenen Sternzählungen geschlossen, deren ich oben bereits erwähnte und die sich auf gleich große Abtheilungen des telescopischen Gesichtsfeldes beziehn. Die zu- und abnehmende Sternmenge mißt die Tiefe der Schicht nach verschiedenen Richtungen hin. So geben die Aichungen die 93 Länge der Visionsradien: gleichsam die jedesmalige Länge des ausgeworfenen Senkbleies, wenn dasselbe den Boden der Sternschicht oder richtiger gesprochen, da hier kein oben und unten ist, die äußere Begrenzung erreichen soll. Das Auge sieht in der Richtung der Längen-Axe, da wo die meisten Sterne hinter einander liegen, die letzteren dicht zusammengedrängt, wie durch einen milchfarbenen Schimmer (Lichtdunst) vereinigt; und an dem scheinbaren Himmelsgewölbe, in einem dasselbe ganz umziehenden Gürtel, perspectivisch dargestellt. Der schmale und in Zweige getheilte Gürtel, von prachtvollem, doch ungleichem und durch dunklere Stellen unterbrochenem Lichtglanze, weicht an der hohlen Sphäre nur um wenige Grade von einem größten Kreise ab, weil wir uns nahe bei der Mitte des ganzen Sternhaufens und fast in der Ebene selbst der Milchstraße befinden. Stände unser Planetensystem fern außerhalb des Sternhaufens, so würde die Milchstraße dem bewaffneten Auge als ein Ring und, in noch größerer Ferne, als ein auflöslicher, scheibenförmiger Nebelfleck erscheinen.
Unter den vielen selbstleuchtenden, ihren Ort verändernden Sonnen (irrthümlich sogenannten Fixsternen), welche unsere Weltinsel bilden, ist unsere Sonne die einzige, die wir als Centralkörper durch wirkliche Beobachtung in dem Verhältniß zu der von ihr unmittelbar abhängigen, um sie kreisenden geballten Materie (in mannigfacher Form von Planeten, Cometen und aërolithenartigen Asteroiden) kennen. In den vielfachen Sternen (Doppelsonnen oder Doppelsternen), so weit sie bisher ergründet sind, herrscht nicht dieselbe planetarische Abhängigkeit der relativen Bewegung und Erleuchtung, welche unser 94 Sonnensystem charakterisirt. Zwei oder mehrere selbstleuchtende Gestirne, deren Planeten und Monde (falls sie vorhanden sind) unsrer jetzigen telescopischen Sehkraft entgehen, kreisen allerdings auch hier um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt; aber dieser Schwerpunkt fällt in einen vielleicht mit ungeballter Materie (Weltdunst) ausgefüllten Raum, während derselbe bei unserer Sonne oft in der innersten Begrenzung eines sichtbaren Centralkörpers enthalten ist. Wenn man Sonne und Erde oder Erde und Mond als Doppelsterne, unser ganzes planetarisches Sonnensystem als eine vielfache Sterngruppe betrachtet, so erstreckt sich die Analogie, welche eine solche Benennung hervorruft, nur auf die, Attractions-Systemen verschiedener Ordnung zukommenden, von den Lichtprocessen und der Art der Erleuchtung ganz unabhängigen Bewegungen.
Bei dieser Verallgemeinerung kosmischer Ansichten, welche dem Entwurf eines Natur- oder Weltgemäldes zukommt, kann das Sonnensystem, zu dem die Erde gehört, in zwiefacher Beziehung betrachtet werden: zunächst in Beziehung auf die verschiedenen Classen individualisirter geballter Materie, auf die Größe, die Gestaltung, die Dichtigkeit und den Abstand der Weltkörper desselben Systems; dann in Beziehung auf andre Theile unseres Sternhaufens, auf die Ortsveränderung der Sonne innerhalb desselben.
Das Sonnensystem, d. h. die um die Sonne kreisende, sehr verschiedentlich geformte Materie, besteht nach unsrer jetzigen Kenntniß aus eilf Hauptplaneten, achtzehn Monden oder Nebenplaneten, und Myriaden von Cometen, deren drei (planetarische) das enge Gebiet der Hauptplaneten nicht verlassen. Mit nicht geringer 95 Wahrscheinlichkeit dürfen wir auch dem Gebiete unserer Sonne, der unmittelbaren Sphäre ihrer Centralkraft, zuzählen: erstens einen rotirenden Ring dunstartiger Materie, vielleicht zwischen der Venus- und Marsbahn gelegen, gewiß die Erdbahn»Si dans les zones abandonnées par l'atmosphère du soleil il s'est trouvé des molécules trop volatiles pour s'unir entre elles ou aux planètes; elles doivent en continuant de circuler autour de cet astre offrir toutes les apparences de la lumière zodiacale, sans opposer de résistance sensible aux divers corps du système planétaire: soit à cause de leur extrême rareté, soit parce que leur mouvement est à fort peu près le même que celui des planètes qu'elles rencontrent.« Laplace, Expos. du Syst. du Monde (éd. 5.) p. 415. überschreitend und uns in Pyramidalform als Zodiacallicht sichtbar; zweitens eine Schaar von sehr kleinen Asteroiden, deren Bahnen unsre Erdbahn schneiden oder ihr sehr nahe kommen, und die Erscheinungen von Aërolithen und fallenden Sternschnuppen darbieten. Umfaßt man die Complication von Gestaltungen, die in so verschiedenen, mehr oder weniger excentrischen Bahnen um die Sonne kreisen; ist man nicht geneigt, mit dem unsterblichen Verfasser der Mécanique céleste die größere Zahl der Cometen für Nebelsterne zu halten, die von einem Centralsysteme zum anderenLaplace a. a. O. p. 396 und 414. schweifen; so muß man bekennen, daß das vorzugsweise so genannte Planetensystem, d. h. die Gruppe der Weltkörper, welche in wenig excentrischen Bahnen sammt ihrem Mondgefolge um die Sonne kreisen, nicht der Masse, aber der Zahl der Individuen nach, einen kleinen Theil des ganzen Systems ausmacht.
Die telescopischen Planeten: Vesta, Juno, Ceres und Pallas, mit ihren unter sich verschlungenen, stark geneigten und mehr excentrischen Bahnen, hat man versucht als eine scheidende Zone räumlicher Abtheilungen in unsrem Planetensysteme, gleichsam als eine mittlere Gruppe zu betrachten. Nach dieser Ansicht bietet die innere Planetengruppe (Merkur, Venus, Erde und Mars) in Vergleich mit der äußeren (Jupiter, Saturn und Uranus) mehrere auffallende ContrasteLittrow, Astronomie Th. II. 1825 S. 107; Mädler, Astr. 1841 S. 212 (Laplace a. a. O. S. 210). dar. Die inneren, sonnennäheren Planeten sind von mäßiger Größe, dichter, ziemlich gleich und 96 langsam rotirend (in fast 24stündiger Umdrehungszeit), minder abgeplattet, und bis auf einen gänzlich mondlos. Die äußeren, sonnenfernen Planeten sind mächtig größer, fünfmal undichter, mehr als zweimal schneller in der Umdrehungszeit um ihre Achse, stärker abgeplattet, und mondreicher im Verhältniß von 17 zu 1, wenn dem Uranus wirklich sechs Satelliten zukommen.
Diese allgemeinen Betrachtungen über gewisse charakteristische Eigenschaften ganzer Gruppen lassen sich aber nicht mit gleichem Rechte auf die einzelnen Planeten jeglicher Gruppe anwenden; nicht auf die Verhältnisse des Abstandes von dem Centralkörper zu der absoluten Größe, zu der Dichtigkeit, zu der Umdrehungszeit, zu der Excentricität, zu der Neigung der Bahnen und Achsen kreisender Weltkörper. Wir kennen bisher keine innere Nothwendigkeit, kein mechanisches Naturgesetz, welches (wie das schöne Gesetz, das die Quadrate der Umlaufszeiten an die Würfel der großen Axen bindet) die eben genannten sechs Elemente der Planetenkörper und der Form ihrer Bahnen von einander oder von den mittleren Entfernungen abhängig machte. Der sonnenfernere Mars ist kleiner als die Erde und Venus, ja unter allen längstbekannten, größeren Planeten dem sonnennahen Merkur in dem Durchmesser am nächsten; Saturn ist kleiner als Jupiter und doch viel größer als Uranus. Die Zone der, im Volum so unbedeutenden, telescopischen Planeten liegt in einer Abstandsreihe, die von der Sonne anhebt, unmittelbar vor Jupiter, dem mächtigsten aller planetarischen Weltkörper; und doch haben mehrere dieser kleinen Asteroiden, deren Scheiben wenig meßbar sind, kaum die Hälfte mehr 97 Oberfläche als Frankreich, Madagascar oder Borneo. So auffallend auch die äußerst geringe Dichtigkeit aller der colossalen Planeten ist, welche der Sonne am fernsten liegen, so läßt sich auch hier keine regelmäßige Folge erkennenKepler über die mit den Abständen von der Sonne zunehmende Dichte und zunehmendes Volum der Planeten, indem der Centralkörper (die Sonne) als der dichteste aller Weltkörper beschrieben wird, in der Epitome Astron. Copern. in VII libros digesta, 1618–1622, p. 420. Auch Leibniz war der Meinung Kepler's und Otto's von Guericke zugethan, daß die Planeten in Verhältniß der Sonnenferne an Volum zunehmen. S. dessen Brief an den Magdeburger Bürgermeister (Mainz 1671) in Leibnitz deutschen Schriften, herausg. von Guhrauer, Th. I. S. 264.. Uranus scheint wieder dichter als Saturn zu sein, selbst wenn man Lamont's kleinere Masse 1/24605 annimmt; und trotz der unbeträchtlichen Dichtigkeits-Verschiedenheit der innersten PlanetengruppeS. für die Zusammenstellung der Massen Encke in Schum. astron. Nachr. 1843 No. 488 S. 114. finden wird doch, zu beiden Seiten der Erde, Venus und Mars undichter als sie selbst. Die Rotationszeit nimmt im ganzen freilich in der Sonnenferne ab; doch ist sie im Mars größer als bei der Erde, im Saturn größer als im Jupiter. Die stärkste Excentricität unter allen Planeten haben die elliptischen Bahnen der Juno, der Pallas und des Merkur; die kleinste Venus und die Erde, zwei unmittelbar auf einander folgende Planeten. Merkur und Venus bieten demnach dieselben Contraste dar, als man in den vier, in ihren Bahnen eng verschlungenen Asteroiden bemerkt. Die unter sich sehr gleichen Excentricitäten der Juno und Pallas sind jede dreimal stärker als die der Ceres und Vesta. Eben so ist es mit der Neigung der Planetenbahnen gegen die Projectionsebene der Ekliptik und mit der Stellung der Umdrehungs-Achsen auf ihren Bahnen: einer Stellung, von welcher mehr noch als von der Excentricität die Verhältnisse des Klima's, der Jahreszeiten und Tageslängen abhangen. Die Planeten, welche die gedehnteste elliptische Bahn zeigen: Juno, Pallas und Merkur, haben auch, aber nicht in demselben Verhältniß, die stärksten Neigungen der Bahnen gegen die Ekliptik. Die der Pallas ist cometenartig, fast 26mal größer als die Neigung des Jupiter: während daß die 98 kleine Vesta, welche der Pallas so nahe ist, den Neigungswinkel der Jupitersbahn kaum sechsmal übertrifft. Die Achsenstellungen der wenigen (4 bis 5) Planeten, deren Rotationsebene wir mit einiger Gewißheit kennen, bieten ebenfalls keine regelmäßige Reihenfolge dar. Nach der Lage der Uranus-Trabanten zu urtheilen, deren zwei (der zweite und vierte) in den neuesten Zeiten mit Sicherheit wieder gesehen worden sind, ist die Achse des äußersten aller Planeten vielleicht kaum 11° gegen seine Bahn geneigt; und Saturn befindet sich mitten zwischen Jupiter, dessen Rotations-Achse fast senkrecht steht, und dem Uranus, in welchem die Achse fast mit der Bahn zusammenfällt.
Die Welt der Gestaltungen wird in dieser Aufzählung räumlicher Verhältnisse geschildert als etwas thatsächliches, als ein Daseiendes in der Natur: nicht als Gegenstand intellectueller Anschauung, innerer, ursachlich ergründeter Verkettung. Das Planetensystem in seinen Verhältnissen von absoluter Größe und relativer Achsenstellung, von Dichtigkeit, Rotationszeit und verschiedenen Graden der Excentricität der Bahnen hat für uns nicht mehr Naturnothwendiges als das Maaß der Vertheilung von Wasser und Land auf unserem Erdkörper, als der Umriß der Continente oder die Höhe der Bergketten. Kein allgemeines Gesetz ist in dieser Hinsicht in den Himmelsräumen oder in den Unebenheiten der Erdrinde aufzufinden. Es sind Thatsachen der Natur, hervorgegangen aus dem Conflict vielfacher, einst unter unbekannten Bedingungen wirkender Kräfte. Zufällig aber erscheint dem Menschen in der Planetenbildung, was er nicht genetisch zu erklären vermag. Haben sich die Planeten aus einzelnen um die 99 Sonne kreisenden Ringen dunstförmiger Stoffe gebildet; so können die verschiedene Dicke, die ungleichförmige Dichtigkeit, die Temperatur und die electromagnetische Spannung dieser Ringe zu den verschiedensten Gestaltungen der geballten Materie, wie das Maaß der Wurfgeschwindigkeit und kleine Abänderungen in der Richtung des Wurfes zu den mannigfaltigsten Formen und Neigungen der elliptischen Bahnen Anlaß gegeben haben. Massen-Anziehungen und Gravitationsgesetze haben gewiß hier, wie in den geognostischen Verhältnissen der Continental-Erhebungen, gewirkt; aber aus der gegenwärtigen Form der Dinge ist nicht auf die ganze Reihe der Zustände zu schließen, welche sie bis zu ihrer Entstehung durchlaufen haben. Selbst das sogenannte Gesetz der Abstände der Planeten von der Sonne: die Progression, aus deren fehlendem Gliede schon Kepler die Existenz eines die Lücke ausfüllenden Planeten zwischen Mars und Jupiter ahndete; ist als numerisch ungenau für die Distanzen zwischen Merkur, Venus und Erde, und, wegen des supponirten ersten Gliedes, als gegen die Begriffe einer Reihe streitend befunden worden.
Die eilf bisher entdeckten, um unsere Sonne kreisenden Hauptplaneten finden sich gewiß von 14, wahrscheinlich von 18 Nebenplaneten (Monden, Satelliten) umgeben. Die Hauptplaneten sind also wiederum Centralkörper für untergeordnete Systeme. Wir erkennen hier in dem Weltbau gleichsam denselben Gestaltungs-Proceß, den uns so oft die Entfaltung des organischen Lebens, bei vielfach zusammengesetzten Thier- und Pflanzengruppen, in der typischen Formwiederholung untergeordneter Sphären zeigt. Die Nebenplaneten oder Monde werden häufiger in der 100 äußeren Region des Planetensystems, jenseits der in sich verschlungenen Bahnen der sogenannten kleinen Planeten. Diesseits sind alle Hauptplaneten mondlos, die einzige Erde abgerechnet: deren Satellit verhältnißmäßig sehr groß ist, da sein Durchmesser den vierten Theil des Erd-Durchmessers ausmacht, während daß der größte aller bekannten Monde, der sechste der Saturnstrabanten, vielleicht 1/17;; und der größte aller Jupiterstrabanten, der dritte, dem Durchmesser nach, nur 1/26 ihres Hauptplaneten oder Centralkörpers sind. Die mondreichsten Planeten findet man unter den fernsten: welche zugleich die größern, die sehr undichten und sehr abgeplatteten sind. Nach den neuesten Messungen von Mädler hat Uranus die stärkste aller planetarischen Abplattungen, 1/9,92. Bei der Erde und ihrem Monde, deren mittlere Entfernung von einander 51800 geographische Meilen beträgt, ist die DifferenzWenn der Halbmesser des Mondes nach Burckhardt's Bestimmung 0,2725 und sein Volum 1/49,09 ist, so ergiebt sich seine Dichtigkeit 0,5596, nahe 5/9. Vergl. auch Wilh. Beer und H. Mädler, der Mond S. 2 und 10, wie Mädler's Astr. S. 157. Der körperliche Inhalt des Mondes ist nach Hansen nahe an 1/54 (nach Mädler 1/49,6) des körperlichen Inhalts der Erde, seine Masse 1/87,73 der Masse der Erde. Bei dem größten aller Jupiterstrabanten, dem dritten, sind die Verhältnisse zum Hauptplaneten im Volum 1/15370, in der Masse 1/11300. Ueber die Abplattung des Uranus s. Schum. astron. Nachr. 1844 No. 493. der Massen und der Durchmesser beider Weltkörper weit geringer, als wir sie sonst bei Haupt- und Nebenplaneten und Körpern verschiedener Ordnung im Sonnensysteme anzutreffen gewohnt sind. Während die Dichtigkeit des Erdtrabanten 5/9 geringer als die der Erde selbst ist; scheint, falls man den Bestimmungen der Größen und Massen hinlänglich trauen darf, unter den Monden, welche den Jupiter begleiten, der zweite dichter als der Hauptplanet zu sein.
Von den 14 Monden, deren Verhältnisse mit einiger Gewißheit ergründet worden sind, bietet das System der sieben Saturnstrabanten die Beispiele des beträchtlichsten Contrastes in der absoluten Größe und in den Abständen von dem Hauptplaneten dar. Der sechste Saturns-Satellit ist wahrscheinlich nicht viel kleiner als Mars, 101 während unser Erdmond genau nur den halben Durchmesser dieses Planeten hat. Am nächsten steht, dem Volum nach, den beiden äußersten (dem sechsten und siebenten) Saturnstrabanten der dritte und hellste unter den Jupitersmonden. Dagegen gehören die durch das 40füßige Telescop im Jahr 1789 von Wilhelm Herschel entdeckten, von John Herschel am Vorgebirge der guten Hoffnung, von Vico zu Rom und von Lamont zu München wiedergesehenen zwei innersten Saturnstrabanten, vielleicht neben den so fernen Uranusmonden, zu den kleinsten und nur unter besonders günstigen Umständen in den mächtigsten Fernröhren sichtbaren Weltkörpern unseres Sonnensystems. Alle Bestimmungen der wahren Durchmesser der Satelliten, ihre Herleitung aus der Messung der scheinbaren Größe kleiner Scheiben sind vielen optischen Schwierigkeiten unterworfen; und die rechnende Astronomie, welche die Bewegungen der Himmelskörper, wie sie sich uns von unserm irdischen Standpunkte aus darstellen werden, numerisch vorherbestimmt, ist allein um Bewegung und Masse, wenig aber um die Volume bekümmert.
Der absolute Abstand eines Mondes von seinem Hauptplaneten ist am größten in dem äußersten oder siebenten Saturnstrabanten. Seine Entfernung vom Saturn beträgt über eine halbe Million geographischer Meilen, zehnmal so viel als die Entfernung unseres Mondes von der Erde. Bei dem Jupiter ist der Abstand des äußersten (vierten) Trabanten nur 260000 Meilen; bei dem Uranus aber, falls der sechste Trabant wirklich vorhanden ist, erreicht er 340000 Meilen. Vergleicht man in jedem dieser untergeordneten Systeme das Volum des Hauptplaneten mit der Entfernung der äußersten Bahn, in welcher sich 102 ein Mond gebildet hat, so erscheinen ganz andere numerische Verhältnisse. In Halbmessern des Hauptplaneten ausgedrückt, sind die Distanzen der letzten Trabanten bei Uranus, Saturn und Jupiter wie 91, 64 und 27. Der äußerste Saturnstrabant erscheint dann nur um ein Geringes (1/15) vom Centrum des Saturn entfernter als unser Mond von der Erde. Der einem Hauptplaneten nächste Trabant ist zweifelsohne der erste oder innerste des Saturn, welcher dazu noch das einzige Beispiel eines Umlaufes von weniger als 24 Stunden darbietet. Seine Entfernung vom Centrum des Hauptplaneten beträgt nach Mädler und Wilhelm Beer, in Halbmessern des Saturn ausgedrückt, 2,47; in Meilen 20022. Der Abstand von der Oberfläche des Hauptplaneten kann daher nur 11870, der Abstand von dem äußersten Rande des Ringes nur 1229 Meilen betragen. Ein Reisender versinnlicht sich gern einen so kleinen Raum, indem er an den Ausspruch eines kühnen Seemannes, Capitän Beechey, erinnert, der erzählt, daß er in drei Jahren 18200 geographische Meilen zurückgelegt habe. Wenn man nicht die absoluten Entfernungen, sondern die Halbmesser der Hauptplaneten zum Maaße anwendet; so findet man, daß selbst der erste oder nächste Jupitersmond, welcher dem Centrum des Planeten 6500 Meilen ferner als der Mond der Erde liegt, von dem Centrum seines Hauptplaneten nur um 6 Jupiters-Halbmesser absteht, während der Erdmond volle 60⅓ Erd-Halbmesser von uns entfernt ist.
In den untergeordneten Systemen der Trabanten oder Nebenplaneten spiegeln sich übrigens, ihrer Beziehung nach, zum Hauptplaneten und unter einander, alle 103 Gravitations-Gesetze ab, welche in dem, die Sonne umkreisenden Hauptplaneten walten. Die 12 Monde des Saturn, Jupiter und der Erde bewegen sich alle, wie die Hauptplaneten, von Westen nach Osten, und in elliptischen Bahnen, die überaus wenig von Kreisbahnen abweichen. Nur der Erdmond und wahrscheinlich der erste und innerste Saturnstrabant (0,068) haben eine Excentricität, welche größer ist als die des Jupiter; bei dem von Bessel so genau beobachteten sechsten Saturnstrabanten (0,029) überwiegt sie die Excentricität der Erde. An der äußersten Grenze des Planetensystems, wo die Centralkraft der Sonne in 19 Erdweiten schon beträchtlich gemindert ist, zeigt das, freilich noch wenig ergründete System der Uranusmonde die auffallendsten Contraste. Statt daß alle anderen Monde, wie die Planetenbahnen, wenig gegen die Ekliptik geneigt sind und sich, die Saturnsringe (gleichsam verschmolzene oder ungetheilte Trabanten) nicht abgerechnet, von Westen nach Osten bewegen; stehen die Uranusmonde fast senkrecht auf der Ekliptik, bewegen sich aber, wie Sir John Herschel durch vieljährige Beobachtungen bestätigt hat, rückläufig von Osten nach Westen. Wenn Haupt- und Nebenplaneten sich durch Zusammenziehung der alten Sonnen- und Planeten-Atmosphären aus rotirenden Dunstringen gebildet haben; so muß in den Dunstringen, die um den Uranus kreisten, es sonderbare, uns unbekannte Verhältnisse der Retardation oder des Gegenstoßes gegeben haben, um genetisch eine solche der Rotation des Centralkörpers entgegengesetzte Richtung der Umlaufsbewegung in dem zweiten und vierten Uranus-Trabanten hervorzurufen.
Bei allen Nebenplaneten ist höchst wahrscheinlich die 104 Rotations-Periode der Periode des Umlaufs um den Hauptplaneten gleich, so daß sie alle immerdar dem letzteren dieselbe Seite zuwenden. Ungleichheiten als Folge kleiner Veränderungen im Umlaufe verursachen indeß Schwankungen von 6 bis 8 Grad (eine scheinbare Libration) sowohl in Länge als in Breite. So sehen wir z. B. nach und nach vom Erdmonde mehr als die Hälfte seiner Oberfläche: bald etwas mehr vom östlichen und nördlichen, bald etwas mehr vom westlichen oder südlichen Mondrande. Durch die LibrationBeer und Mädler a. a. O. § 185 S. 208 und § 347 S. 332; ders. Verf. phys. Kenntniß der himml. Körper S. 4 und 69 Tab. I. werden uns sichtbarer das Ringgebirge Malapert, welches bisweilen den Südpol des Mondes bedeckt, die arctische Landschaft um den Kraterberg Gioja, wie die große graue Ebene nahe dem Endymion, welche in Flächeninhalt das Mare Vaporum übertrifft. Ueberhaupt bleiben 3/7 der Oberfläche gänzlich und, wenn nicht neue, unerwartet störende Mächte eindringen, auf immer unseren Blicken entzogen. Diese kosmischen Verhältnisse mahnen unwillkührlich an fast gleiche in der intellectuellen Welt, an die Ergebnisse des Denkens: wo in dem Gebiete der tiefen Forschung über die dunkele Werkstätte der Natur und die schaffende Urkraft es ebenfalls abgewandte, unerreichbar scheinende Regionen giebt, von denen sich seit Jahrtausenden dem Menschengeschlechte, von Zeit zu Zeit, bald in wahrem, bald in trügerischem Lichte erglimmend, ein schmaler Saum gezeigt hat.
Wir haben bisher betrachtet, als Producte Einer Wurfkraft und durch enge Bande der gegenseitigen Anziehung an einander gefesselt: die Hauptplaneten, ihre Trabanten und die Gewölbsformen concentrischer Ringe, die wenigstens einem der äußersten Planeten zugehören. Es bleibt uns 105 noch übrig unter den um die Sonne in eigenen Bahnen kreisenden und von ihr erleuchteten Weltkörpern die ungezählte Schaar der Cometen zu nennen. Wenn man eine gleichmäßige Vertheilung ihrer Bahnen, die Grenze ihrer Perihelien (Sonnennähen), und die Möglichkeit ihres Unsichtbarbleibens für die Erdbewohner nach den Regeln der Wahrscheinlichkeits-Rechnung abwägt; so findet man eine Zahl von Myriaden, über welche die Einbildungskraft erstaunt. Schon Kepler sagt mit der ihm eigenen Lebendigkeit des Ausdrucks: es gebe in den Welträumen mehr Cometen als Fische in den Tiefen des Oceans. Indeß sind der berechneten Bahnen kaum noch 150: wenn die Zahl der Cometen, über deren Erscheinung und Lauf durch bekannte Sternbilder man mehr oder minder rohe Andeutungen hat, auf sechs- oder siebenhundert geschätzt werden kann. Während die sogenannten classischen Völker des Occidents, Griechen und Römer, wohl bisweilen den Ort angeben, wo ein Comet zuerst am Himmel gesehen ward: nie etwas über seine scheinbare Bahn; so bietet die reiche Litteratur der naturbeobachtenden, alles aufzeichnenden Chinesen umständliche Notizen über die Sternbilder dar, welche jeglicher Comet durchlief. Solche Notizen reichen bis mehr denn fünf Jahrhunderte vor der christlichen Zeitrechnung hinauf, und viele derselben werden noch heuteDie vier ältesten Cometen, deren Bahn hat berechnet werden können, und zwar nach chinesischen Beobachtungen, sind die von 240 (unter Gordian III), 539 (unter Justinian), 565 und 837. Während daß dieser letzte Comet, der nach du Séjour 24 Stunden lang weniger als 500000 Meilen von der Erde entfernt war, Ludwig den Frommen dermaßen erschreckte, daß er durch Stiftung von Klöstern einer drohenden Gefahr zu entgehen hoffte; verfolgten die chinesischen Astronomen ganz wissenschaftlich die Bahn des Gestirns: dessen 60° langer Schweif bald einfach, bald getheilt erschien. Der erste Comet, welcher nach europäischen Beobachtungen allein hat berechnet werden können, ist der von 1456 (der Halley'sche: in der Erscheinung, welche man lange, aber mit Unrecht, für die erste, sicher bestimmte, gehalten hat). Arago im Annuaire pour l'an 1836 p. 204. Vergl. auch unten Anm. 55. von den Astronomen benutzt.
Von allen planetarischen Weltkörpern erfüllen die Cometen, bei der kleinsten Masse (nach einzelnen bisherigen Erfahrungen wahrscheinlich weit unter 1/5000 der Erdmasse), mit ihren oft viele Millionen Meilen langen und weit ausgebreiteten Schweifen den größten Raum. Der lichtreflectirende Dunstkegel, den sie ausstrahlen, ist 106 bisweilen (1680 und 1811) so lang gefunden worden als die Entfernung der Erde von der Sonne: eine Linie, welche zwei Planetenbahnen, die der Venus und des Merkur, schneidet. Es ist selbst wahrscheinlich, daß in den Jahren 1819 und 1823 unsre Atmosphäre mit dem Dunst der Cometenschweife gemischt war.
Die Cometen selbst zeigen so mannigfaltige Gestalten, oft mehr dem Individuum als der Art angehörend, daß die Beschreibung einer dieser reisenden Lichtwolken (so nannten sie schon Xenophanes und Theon von Alexandrien, der Zeitgenosse des Pappus) nur mit Vorsicht auf eine andere angewendet werden kann. Die schwächsten telescopischen Cometen sind meist ohne sichtbaren Schweif, und gleichen den Herschelschen Nebelsternen. Sie bilden rundliche, matt schimmernde Nebel, mit concentrirterem Lichte gegen die Mitte. Das ist der einfachste Typus: aber darum eben so wenig ein rudimentärer Typus als der eines durch Verdampfung erschöpften, alternden Weltkörpers. In den größeren Cometen unterscheidet man den Kopf oder sogenannten Kern, und einen einfachen oder vielfachen Schweif, den die chinesischen Astronomen sehr charakteristisch den Besen (sui) nennen. Der Kern hat der Regel nach keine bestimmte Begrenzung, ob er gleich in seltenen Fällen wie ein Stern erster und zweiter Größe, ja bei den großen Cometen von 1402, 1532, 1577, 1744 und 1843 selbst am Tage bei hellem SonnenscheinArago im Ann. pour 1832 p. 209–211. So wie bei hellem Sonnenschein der Schweif des Cometen von 1402 gesehen wurde, sind auch vom letzten großen Cometen von 1843 Kern und Schweif am 28 Februar in Nordamerika (laut J. G. Clarke zu Portland im Staate Maine) zwischen 1 und 3 Uhr Nachmittags sichtbar gewesen. Man konnte Abstände des sehr dichten Kerns vom Sonnenrande mit vieler Genauigkeit messen. Kern und Schweif erschienen wie ein sehr reines, weißes Gewölk; nur zwischen dem Schweif und dem Kern war eine dunklere Stelle. Silliman's Amer. Journ. of Science and Arts Vol. XLV. 1843 p. 229 (Schum. astr. Nachr. 1843 No. 491 S. 175)., ist leuchtend gesehen worden. Dieser letztere Umstand zeugt demnach bei einzelnen Individuen für eine dichtere, intensiver Licht-Reflexion fähige Masse. Auch erschienen in Herschel's großen Telescopen nur zwei 107 Cometen, der in Sicilien entdeckte von 1807 wie der schöne von 1811, als wohlbegrenzte ScheibenPhilos. Transact. for 1808 P. II. p. 155 und for 1812 P. I. p. 118. Die von Herschel gefundenen Durchmesser der Kerne waren 538 und 428 engl. Meilen. Für die Dimension der Cometen von 1798 und 1805 s. Arago im Annuaire pour 1832 p. 203.: die eine unter einem Winkel von 1", die andere von 0",77: woraus sich der wirkliche Durchmesser von 134 und 107 Meilen ergeben würde. Die minder bestimmt umgrenzten Kerne der Cometen von 1798 und 1805 gaben gar nur 6 bis 7 Meilen Durchmesser. Bei mehreren genau untersuchten Cometen, besonders bei dem eben genannten und so lange gesehenen von 1811, war der Kern und die neblige Hülle, welche ihn umgab, durch einen dunkleren Raum vom Schweife gänzlich getrennt. Die Intensität des Lichtes im Kerne der Cometen ist nicht gleichmäßig bis in das Centrum zunehmend; stark leuchtende Zonen sind mehrfach durch concentrische Nebelhüllen getrennt. Die Schweife haben sich gezeigt bald einfach, bald doppelt: doch dies selten, und (1807 und 1843) von sehr verschiedener Länge der beiden Zweige; einmal sechsfach, 1744 (bei 60° Oeffnung); gerade oder gekrümmt: sei es zu beiden Seiten, nach außen (1811), oder convex gegen die Seite hin (1618), wohin der Comet sich bewegt; auch wohl gar flammenartig geschwungen. Sie sind, wie (nach Eduard Biot) die chinesischen Astronomen schon im Jahr 837 bemerkten, in Europa aber Fracastoro und Peter Apian erst im sechzehnten Jahrhunderte auf eine bestimmtere Weise verkündigten, stets von der Sonne dergestalt abgewandt, daß die verlängerte Achse durch das Centrum der Sonne geht. Man kann die Ausströmungen als conoidische Hüllen von dickerer oder dünnerer Wandung betrachten: eine Ansicht, durch welche sehr auffallende optische Erscheinungen mit Leichtigkeit erklärt werden.
108 Die einzelnen Cometen sind aber nicht bloß ihrer Form nach so charakteristisch verschieden (ohne allen sichtbaren Schweif, oder mit einem von 104° Länge, wie im dritten des Jahres 1618); wir sehen sie auch in schnell auf einander folgenden, veränderlichen Gestaltungs-Processen begriffen. Dieser Formenwechsel ist am genauesten und vortrefflichsten an dem Cometen von 1744 von Heinsius in Petersburg, und an dem Halley'schen Cometen bei seiner letzten Wieder-Erscheinung im Jahr 1835 von Bessel in Königsberg beschrieben worden. An dem der Sonne zugekehrten vorderen Theile des Kerns wurde eine mehr oder minder büschelförmige Ausströmung sichtbar. Die rückwärts gekrümmten Strahlen bildeten einen Theil des Schweifes. »Der Kern des Halley'schen Cometen und seine Ausströmungen gewährten das Ansehen einer brennenden Rakete, deren Schweif durch Zugwind seitwärts abgelenkt wird.« Die vom Kopf ausgehenden Strahlen haben wir, Arago und ich, auf der Pariser Sternwarte in auf einander folgenden Nächten sehr verschiedenartig gestaltetArago, des changemens physiques de la Comète de Halley du 15–23 Oct. 1835 im Annuaire pour 1836 p. 218–221. Die gewöhnlichere Richtung der Ausströmungen war auch zu Nero's Zeiten bemerkt worden: comae radios solis effugiunt; Seneca, Nat. Quaest. VII, 20. gesehn. Der große Königsberger Astronom schloß aus vielfältigen Messungen und theoretischen Betrachtungen: »daß der ausströmende Lichtkegel sich von der Richtung nach der Sonne sowohl rechts als links beträchtlich entfernte: immer aber wieder zu dieser Richtung zurückkehrte, um auf die andere Seite derselben überzugehen; daß der ausströmende Lichtkegel daher, so wie der Körper des Cometen selbst, der ihn ausstößt und erzeugt, eine drehende oder vielmehr eine schwingende Bewegung in der Ebene der Bahn erlitt.« Er findet, »daß die gewöhnliche Anziehungskraft der Sonne, die sie auf schwere Körper ausübt, zur Erklärung solcher 109 Schwingungen nicht hinreiche; und ist der Ansicht, daß dieselben eine Polarkraft offenbaren, welche Einen Halbmesser des Cometen der Sonne zuwendet, den entgegengesetzten von ihr abzuwenden strebt. Die magnetische Polarität, welche die Erde besitze, biete etwas analoges dar; und sollten sich die Gegensätze dieser tellurischen Polarität auf die Sonne beziehen, so könne sich ein Einfluß davon in der Vorrückung der Nachtgleichen zeigen.« Es ist hier nicht der Ort die Gründe näher zu entwickeln, auf welche Erklärungen gestützt worden sind, die den Erscheinungen entsprechen; aber so denkwürdige BeobachtungenBessel in Schum. astr. Nachr. 1836 No. 300–302: S. 188, 192, 197, 200, 202 und 230; derselbe in Schum. Jahrb. für 1837 S. 149–168. William Herschel glaubt auch in seinen Beobachtungen des schönen Cometen von 1811 Beweise der Rotation des Kerns und Schweifes (Philosoph. Transact. for 1812 P. I. p. 140) gefunden zu haben, ebenfalls Dunlop im dritten Cometen von 1825 zu Paramatta., so großartige Ansichten über die wunderbarste Classe aller Weltkörper, die zu unserm Sonnensystem gehören, durften in diesem Entwurf eines allgemeinen Naturgemäldes nicht übergangen werden.
Ohnerachtet der Regel nach die Cometenschweife in der Sonnennähe an Größe und Glanz zunehmen und von dem Centralkörper abgewendet liegen, so hat doch der Comet von 1823 das denkwürdige Beispiel von zwei Schweifen gegeben: deren einer der Sonne zu, der andere von ihr abgewandt war, und die unter einander einen Winkel von 160° bildeten. Eigene Modificationen der Polarität und die ungleichzeitige Vertheilung und Leitung derselben können in diesem seltenen Falle zweierlei, ungehindert fortgesetzte Ausströmungen der nebligen Materie verursacht habenBessel in den astr. Nachr. 1836 No. 302 S. 231 (Schum. Jahrb. 1837 S. 175). Vergl. auch Lehmann über Cometenschweife in Bode's astron. Jahrb. für 1826 S. 168..
In der Naturphilosophie des Aristoteles wird durch solche Ausströmungen die Erscheinung der Cometen mit der Existenz der Milchstraße in eine sonderbare Verbindung gebracht. Die zahllose Menge von Sternen, welche die 110 Milchstraße bilden, geben eine sich selbst entzündende (leuchtende) Masse her. Der Nebelstreif, welcher das Himmelsgewölbe theilt, wird daher von dem Stagiriten wie ein großer Comet betrachtet, der sich unaufhörlich von neuemAristot. Meteor. I. 8, 11–14 und 19–21 (ed. Ideler T. I. p. 32–34); Biese, Philos. des Aristoteles Bd. II. S. 86. Bei dem Einflusse, den Aristoteles auf das ganze Mittelalter ausgeübt hat, ist es unendlich zu bedauern, daß er den großen und der Wahrheit mehr genäherten Ansichten vom Weltbau, welche die älteren Pythagoreer hatten, so abhold war. Er erklärt die Cometen für vergängliche, unserer Atmosphäre zugehörige Meteore in demselben Buche, in welchem er die Meinung der pythagoreischen Schule anführt (Aristot. I. 6, 2), nach der die Cometen Planeten von langem Umlauf sind. Diese Lehre der Pythagoreer, welche nach dem Zeugniß des Apollonius Myndius noch viel älter bei den Chaldäern war, ging zu den, immer nur wiederholenden Römern über. Der Myndier beschreibt die Bahn der Cometen als eine weit in die oberen Himmelsräume abführende. Daher Seneca (Nat. Quaest. VII, 17): Cometes non est species falsa, sed proprium sidus sicut solis et lunae: altiora mundi secat et tunc demum apparet quum in imum cursum sui venit; und (VII, 27): Cometas aeternos esse et sortis ejusdem, cujus caetera (sidera), etiamsi faciem illis non habent similem. Plinius (II, 25) spielt ebenfalls auf den Apollonius Myndius an, wenn er sagt: Sunt qui et haec sidera perpetua esse credant suoque ambitu ire, sed non nisi relicta a sole cerni. erzeugt.
Bedeckungen der Fixsterne durch den sogenannten Kern eines Cometen oder seine nächsten dunstförmigen Hüllen können Licht über die physische Beschaffenheit dieser wunderbaren Weltkörper verbreiten; aber es fehlt an Beobachtungen, welche die sichere UeberzeugungOlbers in den astr. Nachr. 1828 S. 157 und 184; Arago de la constitution physique des comètes im Annuaire pour 1832 p. 203-208. Schon den Alten war es auffallend, daß man durch die Cometen wie durch eine Flamme sehen kann. Das älteste Zeugniß von den durch Cometen gesehenen Sternen ist das des Democritus (Aristot. Meteor. I. 6, 11). Diese Angabe führt Aristoteles zu der nicht unwichtigen Bemerkung, daß er selbst die Bedeckung eines der Sterne der Zwillinge durch Jupiter beobachtete. Seneca erwähnt bestimmt nur der Durchsichtigkeit des Schweifes. »Man sieht«, sagt er, »Sterne durch den Cometen, wie durch ein Gewölk (Nat. Quaest. VII. 18); man sieht aber nicht durch den Körper selbst des Cometen, sondern durch die Strahlen des Schweifes: non in ea parte qua sidus ipsum est spissi et solidi ignis, sed qua rarus splendor occurrit et in crines dispergitur. Per intervalla ignium, non per ipsos, vides« (VII, 26). Der letzte Zusatz ist überflüssig, da man allerdings, wie schon Galilei im Saggiatore (Lettera a Monsignor Cesarini 1619) untersuchte, durch eine Flamme sieht, wenn sie nicht eine zu große Dicke hat. gewähren, daß die Bedeckung vollkommen central gewesen sei: denn, wie wir bereits oben bemerkt, in dem dem Kerne nahe liegenden Theile der Hülle wechseln concentrische Schalen von dichtem und sehr undichtem Dunste. Dagegen ist es keinem Zweifel unterworfen, daß am 29 September 1835, nach Bessel's sorgfältigsten Messungen, das Licht eines Sternes zehnter Größe, der in 7",78 Entfernung von dem Mittelpunkt des Kopfes des Halley'schen Cometen durch einen sehr dichten Nebel durchging, während dieses Durchganges durch alle Theile des Nebels nicht von seiner geradlinigen BewegungBessel in den astron. Nachr. 1836 No. 301 S. 204–206; Struve in den Actes de la Séance publique de l'Acad. de S. Pétersb. 1835, p. 140–143 und astr. Nachr. 1836 No. 303 S. 238. »Für Dorpat stand der Stern in der Conjunction nur 2",2 vom hellsten Punkt des Cometen ab. Der Stern blieb unausgesetzt sichtbar, und ward nicht merklich geschwächt, während der Kern des Cometen vor dem Glanze des kleinen Sterns (9–10ter Größe) zu verlöschen schien.« abgelenkt wurde. Ein solcher Mangel von strahlenbrechender Kraft, wenn er wirklich dem Centrum des Kernes zukommt, macht es schwer den Cometenstoff für eine gasförmige Flüssigkeit zu halten. Ist derselbe alleinige Folge der fast unendlichen Dünnigkeit einer Flüssigkeit? oder besteht der Comet »aus getrennten Theilchen«: ein kosmisches Gewölk bildend, das den durchgehenden Lichtstrahl nicht mehr afficirt als die Wolken unsrer Atmosphäre, welche ebenfalls nicht die Zenith-Distanzen der Gestirne oder der Sonnenränder verändern? Bei dem Vorübergange der Cometen vor einem Sterne ist 111 oft eine mehr oder minder beträchtliche Schwächung ihres Lichts bemerkt worden. Man schreibt sie mit vielem Rechte dem hellen Grunde zu, von dem während der Bedeckung die Sterne sich abzuheben scheinen.
Die wichtigste und entscheidendste Beobachtung, welche über die Natur des Cometenlichtes gemacht worden, verdanken wir Arago's Polarisations-Versuchen. Sein Polariscop belehrt uns über die physische Constitution der Sonne, wie über die der Cometen; das Instrument deutet an, ob ein Lichtstrahl, der aus einer Entfernung von vielen Millionen Meilen zu uns gelangt, directes oder reflectirtes Licht ist, ob im ersten Falle die Lichtquelle ein fester und tropfbar-flüssiger oder ein gasförmiger Körper ist. Es wurden auf der Pariser Sternwarte in demselben Apparat das Licht der Capella und das Licht des großen Cometen von 1819 untersucht. Das letztere zeigte polarisirtes, also zurückgeworfenes Licht: während der Fixstern sich, wie zu vermuthen stand, als eine selbstleuchtende SonneDie ersten Versuche Arago's, die Polarisation auf den Cometen anzuwenden, geschahen am 3 Julius 1819, am Abend der plötzlichen Erscheinung des großen Cometen. Ich war auf der Sternwarte zugegen, und habe mich, wie Mathieu und der jetzt verstorbene Astronom Bouvard, von der Ungleichartigkeit der Lichtstärke im Polariscop, wenn dasselbe Cometenlicht empfing, überzeugt. Bei der Capella, welche dem Cometen nahe und in gleicher Höhe stand, waren die Bilder von gleicher Intensität. Als der Halley'sche Comet erschien, im Jahr 1835, wurde der Apparat so abgeändert, daß er nach der von Arago entdeckten chromatischen Polarisation zwei Bilder von Complementär-Farben (grün und roth) gab. Annales de Chimie T. XIII. p. 108, Annuaire pour 1832 p. 216. »On doit conclure«, sagt Arago, »de l'ensemble de ces observations que la lumière de la comète n'était pas en totalité composée de rayons doués des propriétés de la lumière directe, propre ou assimilée: il s'y trouvait de la lumière réfléchie spéculairement ou polarisée, c'est à-dire venant du soleil. On ne peut assurer d'une manière absolue que les comètes brillent seulement d'un éclat d'emprunt. En effet, en devenant lumineux par eux-mêmes, les corps ne perdent pas pour cela la faculté de réfléchir des lumières étrangères.« erwies. Das Dasein des polarisirten Cometenlichtes verkündigte sich aber nicht bloß durch Ungleichheit der Bilder: es wurde bei der Wieder-Erscheinung des Halley'schen Cometen im Jahr 1835 noch sicherer durch den auffallenderen Contrast der Complementar-Farben, nach der von Arago im Jahr 1811 entdeckten chromatischen Polarisation, begründet. Ob außer diesem reflectirten Sonnenlichte die Cometen nicht auch eigenes Licht haben, bleibt durch jene schönen Versuche noch unentschieden. Auch in eigentlichen Planeten, der Venus z. B., ist eine selbstständige Lichtentwicklung sehr wahrscheinlich.
Die veränderliche Lichtstärke der Cometen ist nicht immer aus der Stellung in ihrer Bahn und aus ihrer 112 Entfernung von der Sonne zu erklären. Sie deutet gewiß bei einzelnen Individuen auf innere Processe der Verdichtung und erhöhten oder geminderten Reflexionsfähigkeit des erborgten Lichtes. Bei dem Cometen von 1618, wie bei dem von dreijährigem Umlauf haben Hevelius und, nach langer Nichtbeachtung des merkwürdigen Phänomens, der talentvolle Astronom Valz in Nismes den Kern in der Sonnennähe verkleinert, in der Sonnenferne vergrößert gefunden. Die Regelmäßigkeit der Veränderung des Volums nach Maaßgabe des Abstandes von der Sonne ist überaus auffallend. Die physische Erklärung der Erscheinung darf wohl nicht in den bei größerer Sonnennähe condensirteren Schichten des Welt-Aethers gesucht werden, da es schwierig ist sich die Dunsthülle des Cometenkerns blasenartig, dem Welt-Aether undurchdringlich vorzustellenArago im Ann. pour 1832 p. 217–220; Sir John Herschel, Astron. § 488..
Die so verschiedenartige Excentricität der elliptischen Cometenbahnen hat in neueren Zeiten (1819) zu einer glänzenden Bereicherung unserer Kenntniß des Sonnensystems geleitet. Encke hat die Existenz eines Cometen von so kurzer Umlaufszeit entdeckt, daß er ganz innerhalb unserer Planetenbahnen bleibt, ja seine größte Sonnenferne schon zwischen der Bahn der kleinen Planeten und der Jupitersbahn erreicht. Seine Excentricität ist demnach 0,845, wenn die der Juno (die größte Excentricität unter allen Planetenbahnen) 0,255 ist. Encke's Comet ist mehrmals, wenn gleich schwierig, (in Europa 1819, in Neu-Holland nach Rümker 1822) dem bloßen Auge sichtbar geworden. Seine Umlaufszeit ist ungefähr von 3⅓ Jahren; aber aus der sorgfältigen Vergleichung der Wiederkehr zum Perihel hat sich die merkwürdige Thatsache ergeben, daß die Umläufe 113 von 1786 bis 1838 sich auf die regelmäßigste Weise von Umlauf zu Umlauf verkürzt haben: nämlich in einem Zeitraum von 52 Jahren um 18/10 Tage. Eine so merkwürdige Erscheinung hat, um nach der sorgfältigsten Beachtung aller planetarischen Störungen Beobachtung und Rechnung in Einklang zu bringen, zu der sehr wahrscheinlichen Annahme einer in den Welträumen verbreiteten, Widerstand leistenden, dunstförmigen Materie geleitet. Die Tangentialkraft wird vermindert, und mit ihr die große Axe der Cometenbahn. Der Werth der Constante des Widerstandes scheint dazu etwas verschieden vor und nach dem Durchgang durch das Perihel: was vielleicht der in der Sonnennähe veränderten Form des kleinen Nebelsternes und der Einwirkung der ungleich dichten Schichten des Welt-Aethers zuzuschreiben istEncke in den astr. Nachr. 1843 No. 489 S. 130–132.. Diese Thatsachen und ihre Ergründung gehören zu den interessantesten Ergebnissen der neueren Sternkunde. Wenn außerdem der Comet von Encke früher den Anstoß gegeben hat die, für alle Störungsrechnungen so wichtige Masse Jupiters einer schärferen Prüfung zu unterwerfen, so hat uns auch sein Lauf später die erste, wiewohl nur genäherte, Bestimmung einer verminderten Merkursmasse verschafft.
Zu dem ersten Cometen von kurzer Umlaufszeit, Encke's Cometen von 3⅓ Jahren, hat sich bald, 1826, ein zweiter, ebenfalls planetarischer, gesellt, dessen Sonnenferne jenseits Jupiters, doch weit diesseits der Saturnbahn liegt. Biela's Comet hat eine Umlaufszeit von 6¾ Jahren. Er ist noch lichtschwächer als der von Encke, und rechtläufig in seiner Bewegung, wie dieser: während der Halley'sche Comet der Richtung aller eigentlichen Planeten 114 entgegen kreist. Er hat das erste sichere Beispiel eines unsere Erdbahn schneidenden Cometen dargeboten. Die Bahn des Biela'schen Cometen ist daher eine Bahn, die Gefahr bringen kann, wenn man jedes außerordentliche, in historischen Zeiten noch nicht erlebte und in seinen Folgen nicht mit Gewißheit zu bestimmende Naturphänomen gefahrbringend nennen soll. Kleine Massen, mit ungeheurer Geschwindigkeit begabt, können allerdings eine beträchtliche Kraft ausüben; aber wenn Laplace erweist, daß dem Cometen von 1770 eine Masse zuzuschreiben ist, die 1/5000 der Masse der Erde noch nicht erreicht, so setzt er sogar im allgemeinen die mittlere Masse der Cometen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit tief unter7/100000 der Erdmasse (ungefähr 1/1200 der Mondmasse) herabLaplace, Expos. du Syst. du Monde p. 216 und 237.. Man muß den Durchgang von Biela's Cometen durch unsere Erdbahn nicht mit einem Zusammentreffen mit der Erde oder seiner Nähe zu derselben verwechseln. Als am 29 October 1832 der Durchgang erfolgte, brauchte die Erde noch einen vollen Monat, um an den Durchschnittspunkt beider Bahnen zu gelangen. Die zwei Cometen von kurzer Umlaufszeit schneiden sich auch unter einander in ihren Bahnen; und man hat mit Recht bemerktLittrow, beschreibende Astr. 1835 S. 274. Ueber den neuerlichst von Herrn Faye auf der Pariser Sternwarte entdeckten inneren Cometen, dessen Excentricität 0,551, perihelische Distanz 1,690 und aphelische Distanz 5,832 sind, s. Schum. astron. Nachr. 1844 No. 495. (Ueber die vermuthete Identität des Cometen von 1766 mit dem dritten Cometen von 1819 s. astr. Nachr. 1833 No. 239; über die Identität des Cometen von 1743 und des vierten Cometen von 1819 s. ebendas. No. 237.), daß bei den vielen Störungen, welche so kleine Weltkörper von den Planeten erleiden, sie möglicherweise, wenn die Begegnung sich um die Mitte des Octobers ereignen sollte, dem Erdbewohner das wunderbare kosmische Schauspiel des Kampfes: d. h. einer wechselseitigen Durchdringung, oder einer Agglutination, oder einer Zerstörung durch erschöpfende Ausströmung, gewähren könnten. Solche Ereignisse, Folgen der Ablenkung durch störende Massen oder sich primitiv kreuzender Bahnen, 115 mag es seit Millionen von Jahren in der Unermeßlichkeit ätherischer Räume viele gegeben haben: – isolirte Begebenheiten, so wenig allgemein wirkend oder weltumgestaltend, als es in den engen irdischen Kreisen der Ausbruch oder Einsturz eines Vulkanes sind.
Ein dritter innerer Comet von kurzer Umlaufszeit ist der im vorigen Jahre (22 November 1843) auf der Pariser Sternwarte von Faye entdeckte. Seine elliptische Bahn kommt der kreisförmigen weit näher als die irgend eines bisher bekannten Cometen. Sie ist eingeschlossen zwischen den Bahnen von Mars und Saturn. Faye's Comet, der nach Goldschmidt noch über die Jupitersbahn hinausgeht, gehört also zu den sehr wenigen, deren Sonnennähe jenseits des Mars gefunden worden ist. Seine Umlaufszeit ist von 729/100 Jahren, und die Form seiner jetzigen Bahn verdankt er vielleicht seiner großen Annäherung an den Jupiter zu Ende des Jahres 1839.
Wenn wir die Cometen in ihren geschlossenen elliptischen Bahnen als Glieder unseres Sonnensystems nach der Länge der großen Axe, nach dem Maaße ihrer Excentricität und der Dauer ihres Umlaufs betrachten, so stehen wahrscheinlich den drei planetarischen Cometen von Encke, Biela und Faye in der Umlaufszeit am nächsten: der von Messier entdeckte Comet von 1766, den Clausen für identisch mit dem dritten Cometen von 1819 hält; und der vierte desselben Jahres, welcher, durch Blanpain entdeckt, aber von Clausen für identisch mit dem Cometen von 1743 gehalten, wie der Lexell'sche, große Veränderungen seiner Bahu durch Nähe und Anziehung des Jupiter erlitten hat. Diese zwei letztgenannten Cometen scheinen ebenfalls eine 116 Umlaufszeit von nur 5 bis 6 Jahren zu haben, und ihre Sonnenfernen fallen in die Gegend der Jupitersbahn. Von 70- bis 76jährigem Umlaufe sind der für Theorie und physische Astronomie so wichtig gewordene Halley'sche Comet: dessen letzte Erscheinung (1835) weniger glänzend war, als man nach den früheren hätte vermuthen dürfen; der Comet von Olbers (6 März 1815), und der im Jahr 1812 von Pons entdeckte, dessen elliptische Bahn von Encke bestimmt ward. Beide letztere sind dem bloßen Auge unsichtbar geblieben. Von dem großen Halley'schen Cometen kennen wir nun schon mit Gewißheit die neunmalige Wiederkehr: da durch Laugier's RechnungenLaugier in den Comptes rendus des séances de l'Acad. des Sc. T. XVI. 1843 p. 1006. neuerlich erwiesen worden ist, daß in der von Eduard Biot gelieferten chinesischen Cometentafel die Bahn des Cometen von 1378 mit der des Halley'schen identisch ist. Die Umlaufszeit des letzteren hat von 1378 bis 1835 geschwankt zwischen 74,91 und 77,58 Jahren: das Mittel war 76,1.
Mit den eben genannten Weltkörpern contrastirt eine Schaar anderer Cometen, welche mehrere tausend Jahre zu ihrem, nur schwer und unsicher zu bestimmenden Umlauf brauchen. So bedarf der schöne Comet von 1811 nach Argelander 3065, der furchtbar große von 1680 nach Encke über 8800 Jahre. Diese Weltkörper entfernen sich also von der Sonne 21- und 44mal weiter als Uranus, d. i. 8400 und 17600 Millionen Meilen. In so ungeheurer Entfernung wirkt noch die Anziehungskraft der Sonne; aber freilich legt der Comet von 1680 in der Sonnennähe 53 Meilen (über zwölfmal hunderttausend Fuß), d. i. dreizehnmal mehr als die Erde: in der Sonnenferne kaum 10 Fuß in der Secunde zurück. Das ist 117 nur dreimal mehr als die Geschwindigkeit des Wassers in unsern trägsten europäischen Flüssen; es ist die halbe Geschwindigkeit, welche ich in einem Arm des Orinoco, dem Cassiquiare, gefunden habe. Unter der zahllosen Menge unberechneter oder nicht aufgefundener Cometen giebt es höchst wahrscheinlich viele, deren große Bahn-Axe die des Cometen von 1680 noch weit übertrifft. Um sich nun einigermaßen durch Zahlen einen Begriff zu machen, ich sage nicht von dem Attractionskreise, sondern von der räumlichen Entfernung eines Fixsternes, einer andern Sonne, von dem Aphelium des Cometen von 1680 (des Weltkörpers unsres Systems, der sich nach unserer jetzigen Kenntniß am weitesten entfernt): muß hier erinnert werden, daß nach den neuesten Parallaxen-Bestimmungen der uns nächste Fixstern noch volle 250mal weiter von unserer Sonne absteht als der Comet in seiner Sonnenferne. Diese beträgt nur 44 Uranusweiten: wenn α des Centauren 11000, und mit noch größerer Sicherheit, nach Bessel, 61 des Schwans 31000 Uranusweiten abstehen.
Nach der Betrachtung der größten Entfernung der Cometen von dem Centralkörper bleibt uns übrig, die Beispiele der bisher gemessenen größten Nähe anzuführen. Den geringsten Abstand eines Cometen von der Erde hat der durch die Störungen, die er von Jupiter erlitten, so berühmt gewordene Lexell-Burkardt'sche Comet von 1770 erreicht. Er stand am 28 Junius nur um sechs Mondfernen von der Erde ab. Derselbe Comet ist zweimal, 1767 und 1779, durch das System der vier Jupitersmonde gegangen, ohne die geringste merkbare Veränderung in ihrer, so wohl ergründeten Bahn hervorzubringen. Acht- 118 bis neunmal näher, als der Lexell'sche Comet der Erde kam, ist aber der große Comet von 1680 in seinem Perihelium der Oberfläche der Sonne gekommen. Er stand am 17 December nur um den sechsten Theil des Sonnendurchmessers ab, d. i. 7/10 einer Mond-Distanz. Perihele, welche die Marsbahn überschreiten, sind wegen Lichtschwäche ferner Cometen für den Erdbewohner überaus selten zu beobachten; und von allen bisher berechneten Cometen ist der von 1729 der einzige, welcher in die Sonnennähe trat mitten zwischen der Pallas- und Jupitersbahn: ja bis jenseits der letzteren beobachtet werden konnte.
Seitdem wissenschaftliche Kenntnisse, einige gründliche neben vielen unklaren Halbkenntnissen in größere Kreise des geselligen Lebens eingedrungen sind, haben die Besorgnisse vor den, wenigstens möglichen Uebeln, mit denen die Cometenwelt uns bedroht, an Gewicht zugenommen. Die Richtung dieser Besorgnisse ist eine bestimmtere geworden. Die Gewißheit, daß es innerhalb der bekannten Planetenbahnen wiederkehrende, unsere Regionen in kurzen Zeitabschnitten heimsuchende Cometen giebt; die beträchtlichen Störungen, welche Jupiter und Saturn den Bahnen hervorbringen: wodurch unschädlich scheinende in gefahrbringende Weltkörper verwandelt werden können; die unsere Erdbahn schneidende Bahn von Biela's Cometen; der kosmische Nebel, der als widerstrebendes, hemmendes Fluidum alle Bahnen zu verengen strebt; die individuelle Verschiedenheit der Cometenkörper, welche beträchtliche Abstufungen in der Quantität der Masse des Kernes vermuthen läßt: ersetzen durch Mannigfaltigkeit der Motive reichlich, was die früheren Jahrhunderte in der vagen Furcht vor brennenden 119 Schwerdtern, vor einem durch Haarsterne zu erregenden allgemeinen Weltbrande zusammenfaßten.
Da die Beruhigungsgründe, welche der Wahrscheinlichkeits-Rechnung entnommen werden, allein auf die denkende Betrachtung, auf den Verstand, nicht auf die dumpfe Stimmung der Gemüther und auf die Einbildungskraft wirken; so hat man der neueren Wissenschaft nicht ganz mit Unrecht vorgeworfen, daß sie Besorgnisse zu zerstören bemüht ist, die sie selbst erregt hat. Es liegt tief in der trüben Natur des Menschen, in einer ernsterfüllten Ansicht der Dinge, daß das Unerwartete, Außerordentliche nur Furcht, nicht Freude oder HoffnungFries, Vorlesungen über die Sternkunde 1833 S. 262–267. Ein nicht glücklicher Beweis von der Existenz heilbringender Cometen findet sich in Seneca, Nat. Quaest. VII, 17 und 21; der Philosoph spricht von dem Cometen, quem nos Neronis principatu laetissimo vidimus et qui cometis detraxit infamiam., erregt. Die Wundergestalt eines großen Cometen, sein matter Nebelschimmer, sein plötzliches Auftreten am Himmelsgewölbe sind unter allen Erdzonen und dem Volkssinne fast immer als eine neue, grauenvolle, der alten Verkettung des Bestehenden feindliche Macht erschienen. Da das Phänomen nur an eine kurze Dauer gebunden ist, so entsteht der Glaube, es müsse sich in den Weltbegebenheiten, den gleichzeitigen oder den nächstfolgenden, abspiegeln. Die Verkettung dieser Weltbegebenheiten bietet dann leicht etwas dar, was man als das verkündete Unheil betrachten kann. Nur in unserer Zeit hat sich seltsamerweise eine andere und heitrere Richtung des Volkssinnes offenbart. Es ist in deutschen Gauen, in den anmuthigen Thälern des Rheins und der Mosel einem jener lange geschmähten Weltkörper etwas Heilbringendes, ein wohlthätiger Einfluß auf das Gedeihen des Weinstocks, zugeschrieben worden. Entgegengesetzte Erfahrungen, an denen es in unserer cometenreichen Zeit nicht mangelt, haben den Glauben an jene meteorologische Mythe, an 120 das Dasein wärmestrahlender Irrsterne nicht erschüttern können.
Ich gehe von den Cometen zu einer andern, noch viel räthselhafteren Classe geballter Materie: zu den kleinsten aller Asteroiden über, welche wir in ihrem fragmentarischen Zustande, und in unserer Atmosphäre angelangt, mit dem Namen der Aërolithen oder Meteorsteine bezeichnen. Wenn ich bei diesen, wie bei den Cometen, länger verweile, und Einzelheiten aufzähle, die einem allgemeinen Naturgemälde fremd bleiben sollten, so ist dies nur mit Absicht geschehen. Der ganz individuellen Charakter-Verschiedenheit der Cometen ist schon früher gedacht worden. Nach dem Wenigen, was wir bis jetzt von ihrer physischen Beschaffenheit wissen, ist es schwer, in einer Darstellung, wie sie hier gefordert wird, von wiederkehrenden, aber mit sehr ungleicher Genauigkeit beobachteten Erscheinungen das Gemeinsame aufzufassen, das Nothwendige von dem Zufälligen zu trennen. Nur die messende und rechnende Astronomie der Cometen hat bewundernswürdige Fortschritte gemacht. Bei diesem Zustande unserer Kenntnisse muß eine wissenschaftliche Betrachtung sich auf die physiognomische Verschiedenheit der Gestaltung in Kern und Schweif, auf die Beispiele großer Annäherung zu andern Weltkörpern, auf die Extreme in dem räumlichen Verhältniß der Bahnen und in der Dauer der Umlaufszeiten beschränken. Naturwahrheit ist bei diesen Erscheinungen wie bei den nächstfolgenden nur durch Schilderung des Einzelnen und durch den lebendigen, anschaulichen Ausdruck der Wirklichkeit zu erreichen.
Sternschnuppen, Feuerkugeln und Meteorsteine sind mit großer Wahrscheinlichkeit als kleine, mit 121 planetarischer Geschwindigkeit sich bewegende Massen zu betrachten, welche im Weltraume nach den Gesetzen der allgemeinen Schwere in Kegelschnitten um die Sonne kreisen. Wenn diese Massen in ihrem Laufe der Erde begegnen und, von ihr angezogen, an den Grenzen unserer Atmosphäre leuchtend werden; so lassen sie öfters mehr oder minder erhitzte, mit einer schwarzen glänzenden Rinde überzogene, steinartige Fragmente herabfallen. Bei aufmerksamer Zergliederung von dem, was in den Epochen, wo Sternschnuppenschwärme periodisch fielen (in Cumana 1799, in Nordamerika 1833 und 1834), beobachtet wurde, bleibt es nicht erlaubt die Feuerkugeln von den Sternschnuppen zu trennen. Beide Phänomene sind oft nicht bloß gleichzeitig und gemischt, sie gehen auch in einander über: man möge die Größe der Scheiben, oder das Funkensprühen, oder die Geschwindigkeiten der Bewegung mit einander vergleichen. Während die platzenden, Rauch ausstoßenden, selbst in der Tropenhelle des TagesEiner meiner Freunde, der an genaue trigonometrische Messungen gewöhnt war, sah in Popayan: einer Stadt, die in 2° 26' nördlicher Breite und in 5520 Fuß Höhe über dem Meere liegt, in der Mittagsstunde, bei hellem Sonnenschein und wolkenlosem Himmel, im Jahr 1788, sein ganzes Zimmer durch eine Feuerkugel erleuchtet. Er stand mit dem Rücken gegen das Fenster; und als er sich umdrehte, war noch ein großer Theil der von der Feuerkugel durchlaufenen Bahn vom hellsten Glanze. – Ich würde mich gern in dem Naturgemälde, statt des widrigen Ausdruckes Sternschnuppe, der ebenfalls ächt deutschen Wörter Sternschuß oder Sternfall (schwed. stjernfall, engl. star-shoot, ital. stella cadente) bedient haben, wenn ich es mir nicht in allen meinen Schriften zum Gesetz gemacht hätte, da, wo etwas Bestimmtes und allgemein Bekanntes zu bezeichnen ist, das Ungewöhnlichere zu vermeiden. Nach der rohen Volksphysik schneuzen und putzen sich die Himmelslichter. In der Waldgegend des Orinoco, an den einsamen Ufern des Cassiguiare, vernahm ich aus dem Munde der Eingebornen in der Mission Vasiva (Relation historique du Voy. aux Régions équinox. T. II. p. 513) noch unangenehmere Benennungen. Sternschnuppen wurden von ihnen Harn der Sterne; und der Thau, welcher perlartig die schönen Blätter der Heliconien bedeckte, Speichel der Sterne genannt. Edeler und erfreulicher offenbart sich die symbolisirende Einbildungskraft in dem litthauischen Mythus von dem Wesen und der Bedeutung der Sternschnuppen. »Die Spinnerinn, werpeja, beginnt den Schicksalsfaden des neugeborenen Kindes am Himmel zu spinnen, und jeder dieser Fäden endet in einen Stern. Naht nun der Tod des Menschen, so reißt sein Faden, und der Stern fällt erbleichend zur Erde nieder.« Jacob Grimm, Deutsche Mythologie 1843 S. 685. alles erleuchtenden Feuerkugeln bisweilen den scheinbaren Durchmesser des Mondes übertreffen; sind dagegen auch Sternschnuppen in zahlloser Menge von solcher Kleinheit gesehen worden, daß sie in der Form fortschreitender Punkte sich nur wie phosphorische LinienNach dem Berichte von Denison Olmsted, Prof. an Yale College zu New-Haven (Connecticut). S. Poggend. Annalen der Physik Bd. XXX. S. 194. Kepler: der »Feuerkugeln und Sternschnuppen aus der Astronomie verbannt, weil es nach ihm Meteore sind, die, aus den Ausdünstungen der Erde entstanden, sich dem hohen Aether beimischen«; drückt sich im ganzen sehr vorsichtig über sie aus. Stellae cadentes, sagt er, sunt materia viscida inflammata. Earum aliquae inter cadendum absumuntur, aliquae verè in terram cadunt, pondere suo tractae. Nec est dissimile vero, quasdam conglobatas esse ex materia foeculentâ, in ipsam auram aetheream immixta: exque aetheris regione, tractu rectilineo, per aërem trajicere, ceu minutos cometas, occultâ causa motus utrorumque. Kepler, Epit. Astron. Copernicanae T. I. p. 80. sichtbar machten. Ob übrigens unter den vielen leuchtenden Körpern, die am Himmel als sternähnliche Funken fortschießen, nicht auch einige ganz verschiedenartiger Natur sind, bleibt bis jetzt unentschieden. Wenn ich gleich nach meiner Rückkunft aus der Aequinoctial-Zone von dem Eindruck befangen war, als sei mir unter den Tropen: in den heißesten Ebenen, wie auf Höhen von zwölf- oder funfzehntausend Fuß, der Fall 122 der Sternschnuppen häufiger, farbiger und mehr von langen glänzenden Lichtbahnen begleitet erschienen wie in der gemäßigten und kalten Zone; so lag der Grund dieses Eindruckes wohl nur in der herrlichen Durchsichtigkeit der Tropen-Atmosphäre selbstRelation historique T. I. p. 80, 213 und 527. Wenn man in den Sternschnuppen, wie in den Cometen, Kopf (Kern) und Schweif unterscheidet, so erkennt man an dem längeren und stärkeren Glanze des Schweifes die größere Durchsichtigkeit der Atmosphäre in der Tropenregion. Die Erscheinung braucht darum dort nicht häufiger zu sein, weil sie uns leichter sichtbar wird und sichtbar bleibt. Die Einwirkung der Beschaffenheit des Dunstkreises zeigt sich bei Sternschnuppen bisweilen auch in unserer gemäßigten Zone in sehr kleinen Entfernungen. Wartmann berichtet, daß in einem November-Phänomen an zwei einander ganz nahe gelegenen Orten, zu Genf und aux Planchettes, der Unterschied der gezählten Meteore wie 1:7 war (Wartmann, mém. sur les étoiles filantes p. 17). Der Schweif der Sternschnuppen, über den Brandes so viele genaue und feine Beobachtungen angestellt hat, ist keinesweges der Fortdauer des Lichtreizes auf der Netzhaut zuzuschreiben. Seine Sichtbarkeit dauert bisweilen eine ganze Minute, in seltenen Fällen länger als das Licht des Kernes der Sternschnuppe; die leuchtende Bahn steht dann meist unbeweglich (Gilb. Ann. Bd. XIV. S. 251). Auch dieser Umstand bezeugt die Analogie zwischen großen Sternschnuppen und Feuerkugeln. Der Admiral Krusenstern sah auf seiner Reise um die Welt den Schweif einer längst verschwundenen Feuerkugel eine Stunde lang leuchten und sich überaus wenig fortbewegen (Reise Th. I. S. 58). Sir Alexander Burnes giebt eine reizende Beschreibung von der Durchsichtigkeit der trocknen, die Liebe zur Astronomie einst so begünstigenden Atmosphäre von Bokhara, das 1200 Fuß über der Meeresfläche und in 39° 43' Breite liegt: »There is a constant serenity in its atmosphere and a clearness in the sky. At night, the stars have uncommon lustre, and the milky way shines gloriously in the firmament. There is also a neverceasing display of the most brilliant meteors, which dart like rockets in the sky: ten or twelve of them are sometimes seen in an hour, assuming every colour: fiery, red, blue, pale and faint. It is a noble country for astronomical science, and great must have been the advantage enjoyed by the famed observatory of Samarcand.« Burnes, Travels into Bokhara Vol. II. (1834) p. 158. Man darf einem einzelnen Reisenden nicht vorwerfen, daß er viel Sternschnuppen schon 10–12 in der Stunde nennt; erst durch sorgfältige auf denselben Gegenstand gerichtete Beobachtungen ist in Europa aufgefunden worden, daß man für den Gesichtskreis einer Person 8 Meteore als Mittelzahl der Stunde zu rechnen habe (Quetelet, Corresp. mathém. et phys. T. IX. 1837 p. 447), während selbst der so fleißig beobachtende Olbers (Schum. Jahrb. für 1838 S. 325) diese Annahme auf 5–6 beschränkte.. Man sieht dort tiefer in den Dunstkreis hinein. Auch Sir Alexander Burnes rühmt in Bokhara, als Folge der Reinheit des Himmels: »das entzückende, immer wiederkehrende Schauspiel der vielen farbigen Sternschnuppen«.
Der Zusammenhang der Meteorsteine mit dem größeren und glänzenderen Phänomen der Feuerkugeln, ja daß jene aus diesen niederfallen und bisweilen 10 bis 15 Fuß tief in die Erde eindringen: ist unter vielen anderen Beispielen durch die wohl beobachteten Aërolithenfälle zu Barbotan im Departement des Landes (24 Juli 1790), zu Siena (16 Juni 1794), zu Weston in Connecticut (14 December 1807) und zu Juvenas im Ardèche-Departement (15 Juni 1821) erwiesen worden. Andere Erscheinungen der Steinfälle sind die, wo die Massen aus einem sich bei heiterem Himmel plötzlich bildenden kleinen, sehr dunkeln Gewölke, unter einem Getöse, das einzelnen Kanonenschüssen gleicht, herabgeschleudert werden. Ganze Landesstrecken finden sich bisweilen durch ein solches fortziehendes Gewölk mit Tausenden von Fragmenten, sehr ungleicher Größe, aber gleicher Beschaffenheit, bedeckt. In seltneren Fällen, wie vor wenigen Monaten bei dem großen Aërolithen, der unter donnerartigem Krachen (16 Sept. 1843) zu Kleinwenden, unweit Mühlhausen, fiel, war der Himmel helle und es entstand kein Gewölk. Die nahe Verwandtschaft zwischen Feuerkugeln und Sternschnuppen zeigt sich auch dadurch, 123 daß die ersten, Meteorsteine zur Erde herabschleudernd, bisweilen (9 Juni 1822 zu Angers) kaum den Durchmesser der kleinen römischen Lichter in unseren Feuerwerken hatten.
Was die formbildende Kraft, was der physische und chemische Proceß in diesen Erscheinungen ist; ob die Theilchen, welche die dichte Masse des Meteorsteins bilden, ursprünglich, wie in dem Cometen, dunstförmig von einander entfernt liegen, und sich erst dann, wenn sie für uns zu leuchten beginnen, innerhalb der flammenden Feuerkugeln zusammenziehen; was in der schwarzen Wolke vorgeht, in der es minutenlang donnert, ehe die Steine herabstürzen; ob auch aus den kleinen Sternschnuppen wirklich etwas Compactes, oder nur ein höherauch-artiger, eisen- und nickelhaltiger MeteorstaubUeber Meteorstaub s. Arago im Annuaire pour 1832 p. 254. Ich habe ganz neuerlich an einem anderen Orte (Asie centrale T. I. p. 408) zu zeigen gesucht, wie die scythische Sage vom heiligen Gold, das glühend vom Himmel fiel und der Besitz der goldenen Horde der Paralaten blieb (Herod. IV, 5–7), wahrscheinlich aus der dunkeln Erinnerung eines Aërolithenfalles entstanden ist. Die Alten fabelten auch (Dio Cassius LXXV, 1259) sonderbar von Silber, das vom Himmel fiel und mit dem man bronzene Münzen zu überziehen versuchte, unter dem Kaiser Severus; doch wurde das metallische Eisen in den Meteorsteinen (Plin. II, 56) erkannt. Der oft vorkommende Ausdruck lapidibus pluit darf übrigens nicht immer auf Aërolithenfälle gedeutet werden. In Liv. XXV, 7 bezieht er sich wohl auf Auswürflinge (Bimsstein, rapilli) des nicht ganz erloschenen Vulkans Mons Albanus, Monte Cavo; s. Heyne, Opuscula acad. T. III. p. 261 und meine Relat hist. T. I. p. 394. In einen anderen Ideenkreis gehört der Kampf des Hercules gegen die Ligyer, auf dem Wege vom Caucasus zu den Hesperiden; es ist ein Versuch, den Ursprung der runden Quarzgeschiebe im ligyschen Steinfelde an der Mündung des Rhodanus: welchen Aristoteles einem Spalten-Auswurf bei einem Erdbeben, Posidonius einem wellenschlagenden Binnenwasser zuschreiben, mythisch zu erklären. In den Aeschyleischen Fragmenten des gelösten Prometheus geht aber alles wie in einem Aërolithenfalle vor: Jupiter zieht ein Gewölk zusammen und läßt »mit runder Steine Regenguß das Land umher bedecken«. Schon Posidonius hat sich erlaubt die geognostische Mythe von Geschieben und Blöcken zu bespötteln. Das ligysche Steinfeld ist übrigens bei den Alten naturgetreu beschrieben. Die Gegend heißt jetzt la Crau. S. Guérin, Mesures barométriques dans les Alpes et Météorologie d'Avignon 1829 chap. XII p. 115. niederfällt: das alles ist bis jetzt in großes Dunkel gehüllt. Wir kennen das räumlich Gemessene: die ungeheure, wundersame, ganz planetarische Geschwindigkeit der Sternschnuppen, der Feuerkugeln und der Meteorsteine; wir kennen das Allgemeine und in dieser Allgemeinheit Einförmige der Erscheinung: nicht den genetischen kosmischen Vorgang, die Folge der Umwandlungen. Kreisen die Meteorsteine schon geballt zu dichtenDas specifische Gewicht der Aërolithen schwankt zwischen 1,9 (Alais) und 4,3 (Tabor). Die gewöhnlichere Dichte ist 3: das Wasser zu 1 gesetzt. Was die in dem Texte angegebenen wirklichen Durchmesser der Feuerkugeln betrifft, so beziehen sich die Zahlen auf die wenigen einigermaßen sicheren Messungen, welche man sammeln kann. Diese Messungen geben für die Feuerkugel von Weston (Connecticut 14 Dec. 1807) nur 500, für die von le Roi beobachtete (10 Juli 1771) etwa 1000, für die von Sir Charles Blagden geschätzte (18 Jan. 1783) an 2600 Fuß im Durchmesser. Brandes (Unterhaltungen Bd. I. S. 42) giebt den Sternschnuppen 80–120 Fuß, mit leuchtenden Schweifen von 3–4 Meilen Länge. Es fehlt aber nicht an optischen Gründen, welche es wahrscheinlich machen, daß die scheinbaren Durchmesser der Feuerkugeln und Sternschnuppen sehr überschätzt worden sind. Mit dem Volum der Ceres (sollte man auch diesem Planeten nur »70 englische Meilen Durchmesser« geben wollen) ist das Volum der Feuerkugeln wohl nicht zu vergleichen. S. die, sonst immer so genaue und vortreffliche Schrift: on the Connexion of the Physical Sciences 1835 p. 411. – Ich gebe hier zur Erläuterung dessen, was S. 124 über den großen, noch nicht wieder aufgefundenen Aërolithen im Flußbette bei Narni gesagt ist, die von Pertz bekannt gemachte Stelle aus dem Chronicon Benedicit, monachi Sancti Andreae in Monte Soracte: einem Documente, das in das zehnte Jahrhundert gehört und in der Bibliothek Chigi zu Rom aufbewahrt wird. Die barbarische Schreibart der Zeit bleibt unverändert. »Anno – 921 – temporibus domini Johannis Decimi pape, in anno pontificatus illius 7. visa sunt signa. Nam iuxta urbem Romam lapides plurimi de coelo cadere visi sunt. In civitate quae vocatur Narnia tam diri ac tetri, ut nihil aliud credatur, quam de infernalibus locis deducti essent. Nam ita ex illis lapidibus unus omnium maximus est, ut decidens in flumen Narnus, ad mensuram unius cubiti super aquas fluminis usque hodie videretur. Nam et ignitae faculae de coelo plurimae omnibus in hac civitate Romani populi visae sunt, ita ut pene terra contingeret. Aliae cadentes etc.« (Pertz, Monum. Germ. hist. Scriptores T. III. p. 715.) Ueber den Aërolithen bei Aegos Potamoi, dessen Fall die Parische Chronik in Ol. 78,1 setzt (Böckh, corp. Inscr. graec. T. II. p. 302, 320 und 340), vergl. Aristot. Meteor. I, 7 (Ideler, Comm. T. I. p. 404–407); Stob. Ecl. phys. I, 25 p. 508, Heeren; Plut. Lys. c. 12; Diog. Laert. II, 10. (S. auch unten die Noten 69, 87, 88 und 89.) Nach einer mongolischen Volkssage soll nahe an den Quellen des gelben Flusses im westlichen China in einer Ebene ein 40 Fuß hohes schwarzes Felsstück vom Himmel gefallen sein; Abel-Rémusat in Ducrotay de Blainville, Journ. de Phys. T. 88. 1819 p. 363. Massen (doch minder dicht als die mittlere Dichtigkeit der Erde), so müssen sie im Innersten der Feuerkugeln, aus deren Höhe und scheinbarem Durchmesser man bei den größeren auf einen wirklichen Durchmesser von 500 bis 2600 Fuß schließen kann, nur einen sehr geringen, von entzündlichen Dämpfen oder Gas-Arten umhüllten Kern bilden. Die größten Meteormassen, die wir bisher kennen: die brasilianische von Bahia und die von Otumpa im Chaco, welche Rubi de Celis beschrieben; haben 7 bis 7½ Fuß Länge. Der in dem ganzen 124 Alterthum so berühmte, schon in der Parischen Marmor-Chronik bezeichnete Meteorstein von Aegos Potamoi (gefallen fast in dem Geburtsjahre des Socrates) wird sogar als von der Größe zweier Mühlsteine und dem Gewicht einer vollen Wagenlast beschrieben. Trotz der vergeblich angewandten Bemühungen des afrikanischen Reisenden Browne, habe ich nicht die Hoffnung aufgegeben, man werde einst diese, so schwer zerstörbare, thracische Meteormasse in einer den Europäern jetzt sehr zugänglichen Gegend (nach 2312 Jahren) wieder auffinden. Der im Anfang des 10ten Jahrhunderts in den Fluß bei Narni gefallene ungeheure Aërolith ragte, wie ein von Pertz aufgefundenes Document bezeugt, eine volle Elle hoch über dem Wasser hervor. Auch ist zu bemerken, daß alle diese Massen alter und neuer Zeit doch eigentlich nur als Hauptfragmente von dem zu betrachten sind, was in der Feuerkugel oder in dem dunkeln Gewölk durch Explosion zertrümmert worden ist. Wenn man die, mathematisch erwiesene, ungeheure Geschwindigkeit erwägt, mit welcher die Meteorsteine von den äußersten Grenzen der Atmosphäre bis zur Erde gelangen, oder als Feuerkugeln auf längerem Wege durch die Atmosphäre und deren dichtere Schichten hinstreichen; so wird es mir mehr als unwahrscheinlich, daß erst in diesem kurzen Zeitraume die metallhaltige Steinmasse mit ihren eingesprengten, vollkommen ausgebildeten Krystallen von Olivin, Labrador und Pyroxen sollte aus dem dunstförmigen Zustande zu einem festen Kerne zusammengeronnen sein.
Was herabfällt, hat übrigens, selbst dann, wenn die innere Zusammensetzung chemisch noch verschieden ist, fast immer den eigenthümlichen Charakter eines Fragments; oft 125 eine prismatoidische oder verschobene Pyramidal-Form, mit breiten, etwas gebogenen Flächen und abgerundeten Ecken. Woher aber diese, von Schreibers zuerst erkannte Form eines abgesonderten Stückes in einem rotirenden planetarischen Körper? Auch hier, wie in der Sphäre des organischen Lebens, ist alles dunkel, was der Entwickelungsgeschichte angehört. Die Meteormassen fangen an zu leuchten und sich zu entzünden in Höhen, die wir fast als luftleer betrachten müssen, oder die nicht 1/100000 Sauerstoff enthalten. Biot's neue Untersuchungen über das wichtige Crepuscular-PhänomenBiot, traité d'Astronomie physique (3me éd.) 1841 T. I. p. 149, 177, 238 und 312. Mein verewigter Freund Poisson suchte die Schwierigkeit einer Annahme der Selbstentzündung der Meteorsteine in einer Höhe, wo die Dichtigkeit der Atmosphäre fast null ist, auf eine eigene Weise zu lösen. »À une distance de la terre où la densité de l'atmosphère est tout-à-fait insensible, il serait difficile d'attribuer, comme on le fait, l'incandescence des aërolithes à un frottement contre les molécules de l'air. Ne pourrait-on pas supposer que le fluide électrique à l'état neutre forme une sorte d'atmosphère, qui s'étend beaucoup au-delà de la masse d'air; qui est soumise à l'attraction de la terre, quoique physiquement impondérable; et qui suit, en conséquence, notre globe dans ses mouvements? Dans cette hypothèse, les corps dont il s'agit, en entrant dans cetta atmosphère impondérable, décomposeraient le fluide neutre, par leur action inégale sur les deux électricités, et ce serait en s'électrisant qu'ils s'échaufferaient et deviendraient incandescents.« (Poisson, rech. sur la Probabilité des jugements 1837 p. VI.) erniedrigen sogar beträchtlich die Linie, welche man, vielleicht etwas gewagt, die Grenze der Atmosphäre zu nennen pflegt; aber Lichtprocesse können ohne Gegenwart des umgebenden Sauerstoffs vorgehen, und Poisson dachte sich die Entzündung der Aërolithen weit jenseits unseres luftförmigen Dunstkreises. Nur das, was der Berechnung und einer geometrischen Messung zu unterwerfen ist, führt uns bei den Meteorsteinen, wie bei den größeren Weltkörpern des Sonnensystems, auf einen festen und sichreren Boden. Obgleich Halley schon die große Feuerkugel von 1686, deren Bewegung der Bewegung der Erde in ihrer Bahn entgegengesetzt warPhilos. Transact. Vol. XXIX. p. 161–163., für ein kosmisches Phänomen erklärte; so ist es doch erst Chladni gewesen, welcher in der größten Allgemeinheit (1794) den Zusammenhang zwischen den Feuerkugeln und den aus der Atmosphäre herabgefallenen Steinen, wie die Bewegung der ersteren im WeltraumeDie erste Ausgabe von Chladni's wichtiger Schrift: über den Ursprung der von Pallas gefundenen und anderen Eisenmassen erschien zwei Monate vor dem Steinregen in Siena und zwei Jahre früher als Lichtenberg's Behauptung im Göttinger Taschenbuche: »daß Steine aus dem allgemeinen Weltraume in unsere Atmosphäre gelangen«. Vergl. auch Olbers Brief an Benzenberg vom 18 Nov. 1837 in des Letzteren Schrift von den Sternschnuppen S. 186., auf das scharfsinnigste erkannt hat. Eine glänzende Bestätigung der Ansicht des kosmischen Ursprungs solcher Erscheinungen hat Denison Olmsted zu New-Haven (Massachusetts) dadurch geliefert, daß er erwiesen hat, 126 wie bei dem so berühmt gewordenen Sternschnuppenschwarme in der Nacht vom 12 zum 13 November 1833, nach dem Zeugniß aller Beobachter, die Feuerkugeln und Sternschnuppen insgesammt von einer und derselben Stelle am Himmelsgewölbe, nahe bei γ Leonis, ausgingen: und von diesem Ausgangspunkte nicht abwichen, obgleich der Stern während der langen Dauer der Beobachtung seine scheinbare Höhe und sein Azimuth veränderte. Eine solche Unabhängigkeit von der Rotation der Erde bewies, daß die leuchtenden Körper von außen, aus dem Weltraume, in unsre Atmosphäre gelangten. Nach Encke's BerechnungEncke in Poggend. Annalen Bd. XXXIII. 1834 S. 213, Arago im Ann. pour 1836 p. 291; zwei Briefe von mir an Benzenberg vom 19 Mai und 22 Oct. 1837 über das muthmaßliche Fortrücken der Knoten in der Bahn periodischer Sternschnuppenströme (Benzenberg, Sternschn. S. 207 und 209). Auch Olbers hat sich später dieser Meinung von der allmäligen Verspätung des November-Phänomens angeschlossen (astron. Nachr. 1838 No. 372 S. 180). Wenn ich zwei von den Arabern aufgezeichnete Sternschnuppenfälle mit der von Boguslawski aufgefundenen Epoche des vierzehnten Jahrhunderts verbinden darf, so ergeben sich mir folgende, mehr oder minder übereinstimmende Elemente der Knotenbewegung:
Im October 902, in der Todesnacht des Königs Ibrahim ben Ahmed, ein großer Sternschnuppenfall, »einem feurigen Regen gleich«. Das Jahr ward deshalb das Jahr der Sterne genannt. (Conde, hist. de la domin. de los Arabes p. 346.) Am 19 Oct. 1202 schwankten die Sterne die ganze Nacht hindurch. »Sie fielen wie Heuschrecken«. (Comptes rendus T. IV. 1837 p. 294 und Frähn im Bull. de l'Acad. de St.-Pétersbourg T. III. p. 308.) Am 21 Oct. a. St. 1366, die sequente post festum XI millia Virginum, ab hora matutina usque ad horam primam visae sunt quasi stellae de caelo cadere continuo, et in tanta multitudine, quod nemo narrara sufficit. Diese merkwürdige Notiz, von der noch weiter unten im Texte die Rede sein wird, hat Herr von Boguslawski der Sohn in Benesse's (de Horowic) de Weitmil oder Weithmül Chronicon Ecclesiae Pragensis p. 389 aufgefunden. Die Chronik steht auch im zweiten Theile der Scriptores rerum Bohemicarum von Pelzel und Dobrowsky 1784 (Schum. astr. Nachr. Dec. 1839). Nacht vom 9–10 Nov. 1787: viele Sternschnuppen von Hemmer im südlichen Deutschlande. besonders in Manheim, beobachtet (Kämtz, Meteorol. Bd. III. S. 237). Nach Mitternacht am 12 Nov. 1799 der ungeheure Sternschnuppenfall in Cumana, den Bonpland und ich beschrieben haben und der in einem großen Theil der Erde beobachtet worden ist (Relat. hist. T. I. p. 519–527). Vom 12–13 Nov. 1822 wurden Sternschnuppen mit Feuerkugeln gemengt in großer Zahl von Klöden in Potsdam gesehen (Gilbert's Ann. Bd. LXXII. S. 219). 13 Nov. 1831 um 4 Uhr Morgens ein großer Sternschnuppenfall gesehen vom Cap. Bérard an der spanischen Küste bei Cartagena del Levante (Annuaire pour 1836 p. 297). In der Nacht vom 12–13 Nov. 1833 das denkwürdige von Denison Olmsted in Nordamerika so vortrefflich beschriebene Phänomen. In der Nacht vom 13–14 Nov. 1834 derselbe Schwarm, aber von etwas geringerer Stärke, in Nordamerika (Poggend. Ann. Bd. XXXIV. S. 129). Am 13 Nov. 1835 wurde von einer sporadisch gefallenen Feuerkugel bei Belley, im Depart. de l'Ain, eine Scheune entzündet (Annuaire pour 1836 p. 296). Im Jahr 1838 zeigte der Strom sich auf das bestimmteste in der Nacht vom 13 zum 14 Nov. (astron. Nachr. 1838 No. 372).
Die Höhe der Sternschnuppen, d. h. des Anfangs und Endes ihrer Sichtbarkeit, ist überaus verschieden, und schwankt zwischen 4 und 35 Meilen. Dies wichtige Resultat und die ungeheure Geschwindigkeit der problematischen Asteroiden sind zuerst von Benzenberg und Brandes durch gleichzeitige Beobachtungen und Parallaxen-Bestimmungen, an den Endpunkten einer Standlinie von 46000 Fuß Länge, gefunden wordenEs ist mir nicht unbekannt, daß von den 62 in Schlesien im Jahr 1823 auf Veranlassung des Prof. Brandes gleichzeitig beobachteten Sternschnuppen einige eine Höhe von 457/10, von 60, ja von 100 Meilen zu erreichen schienen (Brandes, Unterhaltungen für Freunde der Astronomie und Physik Heft I. S. 48); aber Olbers hält wegen Kleinheit der Parallaxen alle Bestimmungen über 30 Meilen Höhe für zweifelhaft.. Die relative Geschwindigkeit der Bewegung ist 4½ bis 9 Meilen in der Secunde, also der der Planeten gleich. Eine solche planetarische GeschwindigkeitDie planetarische Translations-Geschwindigkeit, das Fortrücken in der Bahn, ist bei Merkur 6,6; bei Venus 4,8; bei der Erde 4,1 Meilen in der Secunde., wie auch die oft bemerkte Richtung der Feuerkugel- und Sternschnuppen-Bahnen, der Bewegungs-Richtung der Erde entgegengesetzt, werden als Hauptmomente in der Widerlegung des Ursprungs der Aërolithen aus sogenannten, noch thätigen Mondvulkanen betrachtet. Die Annahme einer mehr oder minder großen vulkanischen Kraft aus einem kleinen, von keinem Luftkreise umgebenen Weltkörper ist aber, ihrer Natur nach, numerisch überaus willkührlich. Es kann die Reaction des Inneren eines Weltkörpers gegen seine Rinde zehn-, ja hundertmal kräftiger gedacht werden als bei unsern jetzigen Erdvulkanen. Auch die Richtung der Massen, welche von einem west-östlich umlaufenden Satelliten ausgeschleudert werden, kann dadurch rückläufig scheinen, daß die Erde in ihrer Bahn später an den Punkt derselben gelangt, den jene Massen berühren. Wenn man indeß den Umfang der Verhältnisse erwägt, die ich schon in diesem Naturgemälde habe aufzählen müssen, um dem Verdacht unbegründeter Behauptungen zu entgehen, so 128 findet man die Hypothese des selenitischen UrsprungesChladni hat aufgefunden, daß ein italiänischer Physiker, Paolo Maria Terzago, 1660, bei Gelegenheit eines Aërolithenfalles zu Mailand, in dem ein Franciscaner-Mönch getödtet wurde, zuerst von der Möglichkeit gesprochen habe, daß die Aërolithen Mondsteine sein könnten. Labant philosophorum mentes, sagt er in seiner Schrift (Musaeum Septalianum, Manfredi Septalae, Patricii Mediolanensis, industrioso labore constructum, Tortona 1664 p. 44), sub horum lapidum ponderibus; ni dicere velimus, lunam terram alteram, sive mundum esse, ex cujus montibus divisa frusta in inferiorem nostrum hunc orbem delabantur. Ohne von dieser Vermuthung etwas zu wissen, wurde Olbers im Jahr 1795 nach dem berühmten Steinfall von Siena (16 Jun. 1794) auf die Untersuchung geleitet, wie groß die anfängliche Wurfkraft sein müsse, wenn vom Monde ausgeworfene Massen bis zur Erde gelangen sollten. Ein solches ballistisches Problem beschäftigte zehn bis zwölf Jahre lang die Geometer Laplace, Biot, Brandes und Poisson. Die damals noch sehr verbreitete, jetzt aufgegebene Meinung von thätigen Vulkanen im luft- und wasserleeren Monde begünstigte im Publikum die Verwechselung von dem, was mathematisch möglich und physikalisch wahrscheinlich, d. h. anderen Hypothesen vorzuziehen sei. Olbers, Brandes und Chladni glaubten »in der relativen Geschwindigkeit von 4 bis 8 Meilen, mit welcher Feuerkugeln und Sternschnuppen in unsere Atmosphäre kommen«, die Widerlegung ihres selenitischen Ursprungs zu finden. Um die Erde zu erreichen, würde nach Olbers, ohne den Widerstand der Luft in Anschlag zu bringen, eine anfängliche Geschwindigkeit von 7780 Fuß in der Secunde (nach Laplace 7377 F., nach Biot 7771 F., nach Poisson 7123 F.) hinlänglich sein. Laplace nennt diese Anfangs-Geschwindigkeit nur 5- bis 6mal größer als diejenige, welche die Kraft unserer Geschütze hervorbringt; aber Olbers hat gezeigt, »daß bei einer solchen anfänglichen Geschwindigkeit von 7500 bis 8000 Fuß in der Secunde die Meteorsteine nur mit der Geschwindigkeit von 35000 Fuß (1,53 geogr. Meilen) an die Oberfläche unserer Erde gelangen würden. Da nun die gemessene Geschwindigkeit der Meteorsteine im Mittel von 5 geographischen Meilen, über 114000 Fuß, in der Secunde ist, so müßte die ursprüngliche Wurfgeschwindigkeit im Monde von fast 110000 Fuß, also 14mal größer sein, als sie Laplace annimmt.« (Olbers in Schum. Jahrb. für 1837 S. 52–58 und in Gehler's neuem physik. Wörterbuche Bd. I. Abth. 3. S. 2129–2136.) Der Mangel des Widerstandes der Luft würde allerdings, wenn vulkanische Kräfte noch jetzt als thätig angenommen werden dürften, der Wurfkraft von Mondvulkanen einen Vorzug vor der Wurfkraft der Erdvulkane geben; aber auch über das Maaß der Kräfte der letzteren fehlt es an allen sicheren Beobachtungen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß dies Maaß sehr überschätzt wird. Ein sehr genauer und messender Beobachter der Aetna-Phänomene, Dr. Peters, hat die größte Geschwindigkeit der aus dem Krater ausgeworfenen Steine nur 1250 Fuß in der Secunde gefunden. Beobachtungen am Pic von Teneriffa 1798 gaben 3000 Fuß. Wenn Laplace auch am Ende seines Werkes (expos. du Syst. du Monde, éd. de 1824 p. 399) von den Aërolithen sehr vorsichtig sagt: »que selon toutes les vraisemblances elles viennent des profondeurs de l'espace céleste«; so sieht man doch an einer andern Stelle (chap. VI. p. 233), daß er, wahrscheinlich mit der ungeheuren planetarischen Geschwindigkeit der Meteorsteine unbekannt, sich zu der selenitischen Hypothese mit einiger Vorliebe hinneigte: aber immer voraussetzte, daß die vom Monde ausgeworfenen Steine »deviennent des satellites de la terre, décrivant autour d'elle une orbite plus ou moins allongée, de sorte qu'ils n'atteignent l'atmosphère de la terre qu'après plusieurs et même un trèsgrand nombre de révolutions.« So wie ein Italiäner in Tortona den Einfall hatte, die Aërolithen kämen aus dem Monde; so hatten griechische Physiker auch den Einfall gehabt, sie kämen aus der Sonne. Einer solchen Meinung erwähnt Diogenes Laertius II, 9 von dem Ursprunge der bei Aegos Potamoi niedergefallenen Masse (s. oben Note 62). Der alles registrirende Plinius (II, 58) wiederholt die Meinung: und bespöttelt sie um so lieber, weil er, mit Früheren (Diog. Laert. II, 3 und 5 p. 99, Hübner), den Anaxagoras beschuldigt, den Aërolithenfall aus der Sonne vorhergesagt zu haben: »celebrant Graeci Anaxagoram Clazomenium Olympiadis septuagesimae octavae secundo anno praedixisse caelestium litterarum scientia, quibus diebus saxum casurum esse e sole, idque factum interdiu in Thraciae parte ad Aegos flumen. – Quod si quis praedictum credat, simul fateatur necesse est, majoris miraculi divinitatem Anaxagorae fuisse, solvique rerum naturae intellectum, et confundi omnia, si aut ipse Sol lapis esse aut unquam lapidem in eo fuisse credatur; decidere tamen crebro non erit dubium.« Auch den Fall des Steines von mäßiger Größe, der im Gymnasium zu Abydus aufbewahrt wird, soll Anaxagoras prophezeit haben. Aërolithenfälle bei hellem Sonnenschein und wenn die Mondscheibe nicht sichtbar war, haben wahrscheinlich auf die Idee der Sonnensteine geführt. Auch war, nach einem der physischen Dogmen des Anaxagoras, die ihn (wie zu unserer Zeit die Geologen) theologischen Verfolgungen aussetzten, die Sonne »eine geschmolzene feurige Masse« (μύδρος διάπυρος). Im Phaëthon des Euripides wurde nach denselben Ansichten des Klazomeniers die Sonne ebenfalls eine »goldene Scholle« genannt: d. h. eine feuerfarbene, hellleuchtende Materie; woraus man aber nicht auf Aërolithen als goldene Sonnensteine (s. oben Note 61) schließen muß. Vergl. Valckenaer, diatribe in Eurip. perd. dram. reliquias 1767 p. 30; Diog. Laert. II, 10. – Wir finden demnach bei den griechischen Physikern vier Hypothesen: einen tellurischen Ursprung der Sternschnuppen von aufsteigenden Dünsten; Steinmassen von Orkanen gehoben, bei Aristoteles (Meteor. lib. I cap. IV, 2-13 und cap. VII, 9); Ursprung aus der Sonne, Ursprung aus den Himmelsräumen als lange unsichtbar gebliebener Himmelskörper. Ueber diese letzte, mit der unsrigen ganz übereinstimmende Meinung des Diogenes von Apollonia s. den Text S. 139 und die Note 88. Merkwürdig ist es, daß man noch in Syrien: wie mich ein gelehrter Orientalist, mein persischer Lehrer, Herr Andrea de Nerciat (jetzt in Smyrna), versichert hat, nach einem alten Volksglauben, in sehr hellen Mondnächten Sternfälle aus der Luft besorgt. Die Alten waren dagegen sehr aufmerksam auf den Fall der Meteormassen bei Mondfinsternissen; s. Plin. XXXVII, 10 p. 164, Solinus cap. 37, Salmas. Exerc. p. 531, und die von Ukert gesammelten Stellen in der Geogr. der Griechen und Römer Th. II. Abth. 1. S. 131 Note 14. Ueber die Unwahrscheinlichkeit, daß die Meteormassen aus metallauflösenden Gas-Arten entstehen, die nach Fusinieri in den höchsten Schichten unserer Atmosphäre gelagert sein sollen und, vorher in ungeheure Räume zerstreut, plötzlich zusammengerinnen; wie über Penetration und Mischbarkeit der Gas-Arten s. meine Relat. hist. T. I. p. 525. der Meteorsteine von einer Mehrzahl von Bedingungen abhängig, deren zufälliges Zusammentreffen allein das bloß Mögliche als ein Wirkliches gestalten kann. Einfacher und anderen Vermuthungen über die Bildung des Sonnensystems analoger scheint die Annahme eines ursprünglichen Daseins kleiner planetarischer Massen im Weltraume.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß ein großer Theil dieser kosmischen Körper die Nähe unseres Dunstkreises unzerstört durchstreichen, um ihre, durch Anziehung der Erdmasse nur in der Excentricität veränderte Bahn um die Sonne fortzusetzen. Man kann glauben, daß dieselben uns nach mehreren Umläufen und vielen Jahren erst wieder sichtbar werden. Die sogenannten aufwärts steigenden Sternschnuppen und Feuerkugeln, welche Chladni nicht glücklich durch Reflexion stark zusammengepreßter Luft zu erklären suchte, erschienen auf den ersten Anblick als die Folge einer räthselhaften, die Körper von der Erde entfernenden Wurfgeschwindigkeit; aber Bessel hat theoretisch erwiesen und durch Feldt's sorgfältige Rechnungen bestätigt gefunden, daß bei dem Mangel an vollkommener Gleichzeitigkeit des beobachteten Verschwindens unter den veröffentlichten Beobachtungen keine vorkomme, welche der Annahme des Aufsteigens eine Wahrscheinlichkeit gäbe, und erlaubte sie als ein Resultat der Beobachtungen anzusehenBessel in Schum. astr. Nachr. 1839 No. 380 und 381, S. 222 und 346. Am Schlusse der Abhandlung findet sich eine Zusammenstellung der Sonnenlängen mit den Epochen des November-Phänomenes seit der ersten Beobachtung in Cumana von 1799.. Ob, wie Olbers glaubt, das Zerspringen von Sternschnuppen und rauchend flammenden, nicht immer geradlinig bewegten Feuerkugeln die Meteore nach Raketenart in die Höhe treiben, und ob es in gewissen Fällen auf die Richtung ihrer Bahn einwirken könne: muß der Gegenstand neuer Beobachtungen werden.
129 Die Sternschnuppen fallen entweder vereinzelt und selten, also sporadisch: oder in Schwärmen zu vielen Tausenden; die letzteren Fälle (arabische Schriftsteller vergleichen sie mit Heuschrecken-Schaaren) sind periodisch und bewegen sich in Strömen von meist paralleler Richtung. Unter den periodischen Schwärmen sind bis jetzt die berühmtesten geworden das sogenannte November-Phänomen (12–14 November), und das des Festes des heil. Laurentius (10 August): dessen »feuriger Thränen« in England schon längst in einem Kirchen-Calender wie in alten TraditionenDr. Thomas Forster (the pocket Encyclop. of Natural Phaenomena 1827 p. 17) berichtet, daß zu Cambridge im Christ Church College ein Manuscript unter dem Titel Ephemerides rerum naturalium aufbewahrt wird, das man einem Mönche im vorigen Jahrhundert zuschreibt. In diesem Manuscript sind bei jedem Tage Naturerscheinungen angedeutet: das erste Blühen der Pflanzen, die Ankunft der Vögel u. s. f. Der 10 August ist durch das Wort meteorodes bezeichnet. Diese Bezeichnung und die Tradition der feurigen Thränen des heil. Laurentius hatten Herrn Forster besonders veranlaßt das August-Phänomen eifrigst zu verfolgen. (Quetelet, Corresp. mathém. Série III. T. I. 1837 p. 433.) als einer wiederkehrenden meteorologischen Begebenheit gedacht wird. Ohnerachtet bereits in der Nacht vom 12–13 November 1823 nach Klöden in Potsdam, und 1832 in ganz Europa: von Portsmouth bis Orenburg am Ural-Flusse, ja selbst in der südlichen Hemisphäre in Ile de France, ein großes Gemisch von Sternschnuppen und Feuerkugeln der verschiedensten Größe gesehen worden war; so leitete doch eigentlich erst der ungeheure Sternschnuppenschwarm, den Olmsted und Palmer in Nordamerika am 12–13 November 1833 beobachteten und in dem an Einem Orte, wie Schneeflocken zusammengedrängt, während neun Stunden wenigstens 240000 fielen, auf die Periodicität der Erscheinung: auf die Idee, daß große Sternschnuppenschwärme an gewisse Tage geknüpft sind. Palmer in New-Haven erinnerte sich des Meteorfalls von 1799, den Ellicot und ich zuerst beschrieben habenHumb. Rel. hist. T. I. p. 519–527; Ellicot in dentransact. of the Amer. Philos. Soc. 1804 Vol. VI. p. 29. Arago sagt vom November-Phänomen: »Ainsi se confirme de plus en plus à nous l'existence d'une zone composée de millions de petits corps dont les orbites rencontrent le plan de l'écliptique vers le point que la terre va occuper tous les ans, du 11 au 13 novembre. C'est un nouveau monde planétaire qui commence à se révéler à nous.« (Annuaire pour l'an 1836 p. 296.); und von dem durch die Zusammenstellung des Beobachteten, welche ich gegeben, erwiesen worden ist, daß er im Neuen Continent gleichzeitig vom Aequator bis zu Neu-Herrnhut in Grönland (Br. 64° 14') zwischen 46° und 82° der Länge 130 gesehen wurde. Man erkannte mit Erstaunen die Identität der Zeitepoche. Der Strom, der am ganzen Himmelsgewölbe am 12–13 November 1833 von Jamaica bis Boston (Br. 40° 21') gesehen wurde, wiederholte sich 1834 in der Nacht vom 13–14 November in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, doch mit etwas geringerer Intensität. In Europa hat sich seine Periodicität seitdem mit großer Regelmäßigkeit bestätigt.
Ein zweiter, eben so regelmäßig eintretender Sternschnuppenschwarm, als das November-Phänomen, ist der des August-Monats, der Strom des heil. Laurentius (14 August). MuschenbroekVergl. Muschenbroek, Introd. ad Phil. Nat. 1762 T. II. p. 1061; Howard, Climate of London Vol. II. p. 23: Beobachtungen vom Jahr 1806, also 7 Jahre nach den frühesten Beobachtungen von Brandes (Benzenberg über Sternschnuppen S. 240–244); August-Beobachtungen von Thomas Forster s. in Quetelet a. a. O. p. 438–453; von Adolph Erman, Boguslawski und Kreil in Schum. Jahrb. für 1838 S. 317–330. Ueber den Anfangspunkt im Perseus am 10 Aug. 1839 s. die genauen Messungen von Bessel und Erman (Schum. astr. Nachr. No. 385 und 428); aber am 10 Aug. 1837 scheint die Bahn nicht rückläufig gewesen zu sein: s. Arago in den Comptes rendus T. V. 1837 p. 183. hatte schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts auf die Häufigkeit der Meteore im August-Monat aufmerksam gemacht; aber ihre periodische sichere Wiederkehr um die Epoche des Laurentius-Festes haben erst Quetelet, Olbers und Benzenberg erwiesen. Man wird mit der Zeit gewiß noch andere periodisch wiederkehrende StrömeAm 25 April 1095 »sahen unzählbare Augen in Frankreich die Sterne so dicht wie Hagel vom Himmel fallen« (ut grando, nisi lucerent, pro densitate putaretur; Baldr. p. 88); und dieses Ereigniß wurde schon vor dem Concilium von Clermont als eine Vorbedeutung der großen Bewegung in der Christenheit betrachtet (Wilken, Gesch. der Kreuzzüge Bd. I. S. 75). Am 22 April 1800 ward ein großer Sternschnuppenfall in Virginien und Massachusetts gesehen; es war »ein Raketenfeuer, das zwei Stunden dauerte«. Arago hat zuerst auf diese traînée d'astéroïdes als eine wiederkehrende aufmerksam gemacht (Annuaire pour 1836 p. 297). Merkwürdig sind auch die Aërolithenfälle im Anfang des Monats December. Für ihre periodische Wiederkehr als Meteorstrom sprechen die alte Beobachtung von Brandes in der Nacht vom 6–7 December 1798 (wo er 2000 Sternschnuppen zählte) und vielleicht der ungeheure Aërolithenfall vom 11 December 1836 in Brasilien am Rio Assu bei dem Dorfe Macao (Brandes, Unterhalt. für Freunde der Physik 1825 Heft 1. S. 65, und Comptes rendus T. V. p. 211). Capocci hat von 1809 bis 1839 zwölf wirkliche Aërolithenfälle zwischen dem 27–29 Nov.; andere am 13 Nov., 10 August und 17 Juli aufgefunden (Comptes rendus T. XI. p. 357). Es ist auffallend, daß in dem Theil der Erdbahn, welcher den Monaten Januar und Februar, vielleicht auch März entspricht, bisher keine periodischen Sternschnuppen- oder Aërolithenströmungen bemerkt worden sind; doch habe ich in der Südsee den 15 März 1803 auffallend viel Sternschnuppen beobachtet, wie auch ein Schwarm derselben in der Stadt Quito kurz vor dem ungeheuren Erdbeben von Riobamba (4 Februar 1797) gesehen ward. Besondere Aufmerksamkeit verdienen demnach bisher die Epochen:
22–25 April, Die Frequenz dieser Strömungen darf, so groß auch die Verschiedenheit ist zwischen isolirten Cometen und mit Asteroiden gefüllten Ringen, nicht in Erstaunen setzen, wenn man der Raumerfüllung des Universums durch Myriaden von Cometen gedenkt.
17 Julius (17–26 Jul.?) (Quet. Corr. 1837 p. 435),
10 August,
12–14 November,
27–29 November,
6–12 December.
So unabhängig sich auch alle bisher beobachtete Erscheinungen von der Polhöhe, der Luft-Temperatur und andern klimatischen Verhältnissen gezeigt haben, so ist doch dabei eine, vielleicht nur zufällig begleitende Erscheinung nicht ganz zu übersehen. Das Nordlicht war von großer Intensität während der prachtvollsten aller dieser Naturbegebenheiten, während der, welche Olmsted (12–13 November 1833) beschrieben hat. Es wurde auch in Bremen 1838 beobachtet, wo aber der periodische Meteorfall minder 131 auffallend als in Richmond bei London war. Ich habe auch in einer andern Schrift der sonderbaren und mir oft mündlich bestätigten Beobachtung des Admirals WrangelFerd. von Wrangel, Reise längs der Nordküste von Sibirien in den Jahren 1820–1824 Th. II. S. 259. – Ueber die 34jährige Wiederkehr des dichteren Schwarms der November-Strömung s. Olbers im Jahrb. für 1837 S. 280. – Man hat mir in Cumana gesagt, daß kurz vor dem furchtbaren Erdbeben von 1766, also wieder 33 Jahre vor dem Sternschnuppenfall vom 11–12 Nov. 1799, ein eben solches Feuerwerk am Himmel gesehen worden sei. Aber das Erdbeben war nicht im Anfang des November, sondern bereits am 21 October 1766. Möchten doch auch Reisende in Quito den Tag ergründen können, an welchem dort der Vulkan von Cayambe eine Stunde lang wie in Sternschnuppen eingehüllt erschien, so daß man den Himmel durch Processionen besänftigen wollte. (Relat. hist. T. I. chap. IV p. 307, chap. X p. 520 und 527.) erwähnt: der an den sibirischen Küsten des Eismeers, während des Nordlichtes, gewisse Regionen des Himmelsgewölbes, die nicht leuchteten, sich stets entzünden und dann fortglühen sah, wenn eine Sternschnuppe sie durchstrich.
Die verschiedenen Meteorströme, jeder aus Myriaden kleiner Weltkörper zusammengesetzt, schneiden wahrscheinlich unsere Erdbahn, wie es der Comet von Biela thut. Die Sternschnuppen-Asteroiden würde man sich nach dieser Ansicht als einen geschlossenen Ring bildend und in demselben einerlei Bahn befolgend vorstellen können. Die sogenannten kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter bieten uns, mit Ausschluß der Pallas, in ihren so engverschlungenen Bahnen ein analoges Verhältniß dar. Ob Veränderungen in den Epochen, zu welchen der Strom uns sichtbar wird, ob Verspätungen der Erscheinungen, auf die ich schon lange aufmerksam gemacht habe, ein regelmäßiges Fortrücken oder Schwanken der Knoten (der Durchschnittspunkte der Erdbahn und der Ringe) andeuten; oder ob bei ungleicher Gruppirung und bei sehr ungleichen Abständen der kleinen Körper von einander die Zone eine so beträchtliche Breite hat, daß die Erde sie erst in mehreren Tagen durchschneiden kann: darüber ist jetzt noch nicht zu entscheiden. Das Mondsystem des Saturn zeigt uns ebenfalls eine Gruppe innigst mit einander verbundener Weltkörper von ungeheurer Breite. In dieser Saturns-Gruppe ist die Bahn des äußersten (siebenten) Mondes von einem so beträchtlichen Durchmesser, daß die Erde in ihrer Bahn um die Sonne einen gleichen Raum 132 erst in drei Tagen zurücklegen würde. Wenn in einem der geschlossenen Ringe, welche wir uns als die Bahnen der periodischen Ströme bezeichnend denken, die Asteroiden dergestalt ungleich vertheilt sind, daß es nur wenige dicht gedrängte und schwarm-erregende Gruppen darin giebt; so begreift man, warum glänzende Phänomene wie die im November 1799 und 1833 überaus selten sind. Der scharfsinnige Olbers war geneigt die Wiederkehr der großen Erscheinung, in der Sternschnuppen mit Feuerkugeln gemengt wie Schneeflocken fielen, erst für den 12–14 November 1867 zu verkündigen.
Bisweilen ist der Strom der November-Asteroiden nur in einem schmalen Erdraume sichtbar geworden. So zeigte er sich z. B. im Jahre 1837 in England in großer Pracht als meteoric shower, während daß ein sehr aufmerksamer und geübter Beobachter zu Braunsberg in Preußen in derselben Nacht, die dort ununterbrochen heiter war, von 7 Uhr Abends bis Sonnenaufgang nur einige wenige, sporadisch fallende Sternschnuppen sah. Bessel schloßAus einem Briefe an mich vom 24 Jan. 1838. Der ungeheure Sternschnuppenschwarm vom November 1799 wurde fast nur in Amerika, von Neu-Herrnhut in Grönland bis zum Aequator, gesehen. Der Schwarm von 1831 und 1832 war nur in Europa, der von 1833 und 1834 nur in den Vereinigten Staaten von Nordamerika sichtbar. daraus: »daß eine wenig ausgedehnte Gruppe des großen mit jenen Körpern gefüllten Ringes in England bis zur Erde gelangt ist, während daß eine östlich gelegene Länderstrecke durch eine verhältnißmäßig leere Gegend des Meteorringes ging.« Erhält die Annahme eines regelmäßigen Fortrückens oder eines durch Perturbationen verursachten Schwankens der Knotenlinie mehr Wahrscheinlichkeit, so gewinnt das Auffinden älterer Beobachtungen ein besonderes Interesse. Die chinesischen Annalen, in denen neben der Erscheinung von Cometen auch große Sternschnuppenschwärme angegeben werden, reichen bis 133 über die Zeiten des Tyrtäus oder des zweiten messenischen Krieges hinaus. Sie beschreiben zwei Ströme im März-Monat, deren einer 687 Jahre älter als unsere christliche Zeitrechnung ist. Eduard Biot hat schon bemerkt, daß unter den 52 Erscheinungen, welche er in den chinesischen Annalen gesammelt, die am häufigsten wiederkehrenden die wären, welche dem 20–22 Julius (a. St.) nahe liegen und daher wohl der, jetzt vorgerückte Strom des heil. Laurentius sein könntenLettre de Mr. Édouard Biot à Mr. Quetelet sur les anciennes apparitions d'étoiles filantes en Chine im Bulletin de l'Acad. de Bruxelles T. X. 1843 Partie 2. p. 8. Ueber die Notiz aus dem Chronicon Ecclesiae Pragensis s. Boguslawski den Sohn in Poggend. Annalen Bd. XLVIII. S. 612. Zu Note 12 ist hinzuzufügen, daß die Bahnen von 4 Cometen (568, 574, 1337 und 1385) ebenfalls nach alleinigen chinesischen Beobachtungen berechnet worden sind. S. John Russell Hind in Schum. astr. Nachr. 1844 No. 498.. Ist der von Boguslawski dem Sohne in Benessii de Horowic Chronicon Ecclesiae Pragensis aufgefundene Sternschnuppenfall vom 21 October 1366 (a. St.) unser jetziges November-Phänomen, aber damals bei hellem Tage gesehen, so lehrt die Fortrückung in 477 Jahren, daß dies Sternschnuppen-System (d. i. sein gemeinschaftlicher Schwerpunkt) eine rückläufige Bahn um die Sonne beschreibt. Es folgt auch aus den hier entwickelten Ansichten, daß, wenn Jahre vergehen, in denen beide bisher erforschte Ströme (der November- und der Laurentius-Strom) in keinem Theile der Erde beobachtet würden; die Ursache davon entweder in der Unterbrechung des Ringes (d. h. in den Lücken, welche die auf einander folgenden Asteroiden-Gruppen lassen) oder, wie Poisson will, in der Einwirkung der größeren Planeten»Il paraît qu'un nombre, qui semble inépuisable, de corps trop petits pour être observés, se meuvent dans le ciel, soit autour du soleil, soit autour des planètes, soit peut-être même autour des satellites. On suppose que quand ces corps sont rencontrés par notre atmosphère, la différence entre leur vitesse et celle de notre planète est assez grande pour que le frottement qu'ils éprouvent contre l'air, les échauffe au point de les rendre incandescents, et quelquefois de les faire éclater. – Si le groupe des étoiles filantes forme un anneau continu autour du soleil, sa vitesse de circulation pourra être très différente de celle de la terre; et ses déplacements dans le ciel, par suite des actions planétaires, pourront encore rendre possible ou impossible, à différentes époques, le phénomène de la rencontre dans le plan de l'écliptique.« Poisson, recherches sur la Probabilité des jugements p. 306–307. auf die Gestalt und Lage des Ringes liegt.
Die festen Massen, welche man bei Nacht aus Feuerkugeln, bei Tage, und meist bei heiterem Himmel, aus einem kleinen dunkeln Gewölk unter vielem Getöse und beträchtlich erhitzt (doch nicht rothglühend) zur Erde fallen sieht, zeigen im ganzen, ihrer äußeren Form, der Beschaffenheit ihrer Rinde und der chemischen Zusammensetzung 134 ihrer Hauptbestandtheile nach, eine unverkennbare Uebereinstimmung. Sie zeigen dieselbe durch alle Jahrhunderte und in den verschiedensten Regionen der Erde, in denen man sie gesammelt hat. Aber eine so auffallende und früh behauptete physiognomische Gleichheit der dichten Meteormassen leidet im einzelnen mancherlei Ausnahmen. Wie verschieden sind die leicht schmiedbaren Eisenmassen von Hradschina im Agramer Comitate; oder die von den Ufern des Sisim in dem Jeniseisker Gouvernement, welche durch Pallas berühmt geworden sind; oder die, welche ich aus MexicoHumboldt, Essai politique sur la Nouv. Espagne (2. édit.) T. III. p. 310. mitgebracht: Massen, die alle 96/100 Eisen enthalten: von den Aërolithen von Siena, deren Eisengehalt kaum 2/100 beträgt; von dem erdigen, in Wasser zerfallenden Meteoriten von Alais (im Dep. du Gard), und von Jonzac und Juvenas: die, ohne metallisches Eisen, ein Gemenge oryctognostisch unterscheidbarer, krystallinisch gesonderter Bestandtheile darbieten! Diese Verschiedenheiten haben auf die Eintheilung der kosmischen Massen in zwei Classen: nickelhaltiges Meteor-Eisen und fein- oder grobkörnige Meteorsteine, geführt. Sehr charakteristisch ist die, nur einige Zehntel einer Linie dicke, oft pechartig glänzende, bisweilen geäderte RindeSchon Plinius (II, 56 und 58) war auf die Farbe der Rinde aufmerksam: colore adusto; auch das lateribus pluisse deutet auf das gebrannte äußere Ansehen der Aërolithen.. Sie hat bisher, so viel ich weiß, nur im Meteorstein von Chantonnay in der Vendée gefehlt, der dagegen, was eben so selten ist, Poren und Blasenräume wie der Meteorstein von Juvenas zeigt. Ueberall ist die schwarze Rinde von der hellgrauen Masse eben so scharf abgeschnitten als der schwarze bleifarbene Ueberzug der weißen GranitblöckeHumb. Rel. hist. T. II. chap. XX p. 299–302, die ich aus den Cataracten des Orinoco mitgebracht und die auch vielen Cataracten anderer Erdtheile (z. B. dem Nil und dem Congo-Flusse) eigen 135 sind. Im stärksten Feuer der Porzellan-Oefen kann man nichts hervorbringen, was der so rein von der unveränderten Grundmasse abgeschiedenen Rinde der Aërolithen ähnlich wäre. Man will zwar hier und da etwas bemerkt haben, was auf das Einkneten von Fragmenten könnte schließen lassen; aber im allgemeinen deuten die Beschaffenheit der Grundmasse, der Mangel von Abplattung durch den Fall, und die nicht sehr beträchtliche Erhitzung bei erster Berührung des eben gefallenen Meteorsteins keinesweges auf das Geschmolzen-Sein des Inneren in dem schnell zurückgelegten Wege von der Grenze der Atmosphäre zur Erde hin.
Die chemischen Elemente, aus denen die Meteormassen bestehen und über welche Berzelius ein so großes Licht verbreitet hat, sind dieselben, welche wir zerstreut in der Erdrinde antreffen: 8 Metalle (Eisen, Nickel, Kobalt, Mangan, Chrom, Kupfer, Arsenik und Zinn), 5 Erdarten: Kali und Natron, Schwefel, Phosphor und Kohle; im ganzen ⅓ aller uns bisher bekannten sogenannten einfachen Stoffe. Trotz dieser Gleichheit der letzten Bestandtheile, in welche unorganische Körper chemisch zersetzt werden, hat das Ansehen der Meteormassen doch durch die Art der Zusammensetzung ihrer Bestandtheile im allgemeinen etwas fremdartiges, den irdischen Gebirgsarten und Felsmassen unähnliches. Das fast in allen eingesprengte gediegene Eisen giebt ihnen einen eigenthümlichen, aber deshalb nicht selenitischen Charakter: denn auch in anderen Welträumen und Weltkörpern, außerhalb des Mondes, kann Wasser ganz fehlen und können Oxydations-Processe selten sein.
136 Die kosmischen Schleimblasen, die organischen nostoc-ähnlichen Massen, welche den Sternschnuppen seit dem Mittelalter zugeschrieben werden, die Schwefelkiese von Sterlitamak (westlich vom Ural-Gebirge), die das Innere von Hagelkörnern sollen gebildet habenGustav Rose, Reise nach dem Ural Bd. II. S. 202.; gehören zu den Mythen der Meteorologie. Nur das feinkörnige Gewebe, nur die Einmengung von Olivin, Augit und LabradorDerselbe in Poggend. Ann. Bd. IV. 1825 S. 173–192; Rammelsberg, 1tes Suppl. zum chem. Handwörterbuche der Mineralogie 1843 S. 102. »Es ist«, sagt der scharfsinnige Olbers, »eine denkwürdige und noch unbeachtete Thatsache, daß man nie fossile Meteorsteine, wie fossile Muscheln, in Secundär- und Tertiär-Formationen gefunden hat. Sollte man daraus schließen können, daß vor der jetzigen letzten Ausbildung der Oberfläche unserer Erde noch keine Meteorsteine auf dieselbe herabgefallen sind, da gegenwärtig nach Schreibers wahrscheinlich in jedem Jahre an 700 Aërolithenfälle statt finden?« (Olbers in Schum. Jahrb. für 1838 S. 329.) Problematische nickelhaltige Massen von gediegenem Eisen sind in Nord-Asien (Goldseifenwerk von Petropawlowsk, 20 Meilen in SO von Kusnezk) in 31 Fuß Tiefe, und neuerlichst in den westlichen Karpathen (Gebirge Magura bei Szlanicz) gefunden worden. Beide sind den Meteorsteinen sehr ähnlich. Vergl. Erman, Archiv für wissenschaftliche Kunde von Rußland Bd. I. S. 315 und Haidinger's Bericht über die Szlaniczer Schürfe in Ungarn. geben einigen Aërolithen (z. B. den dolerit-ähnlichen von Juvenas im Ardèche-Departement), wie Gustav Rose gezeigt hat, ein mehr heimisches Ansehn. Diese enthalten nämlich krystallinische Substanzen, ganz denen unserer Erdrinde gleich; und in der sibirischen Meteor-Eisenmasse von Pallas zeichnet sich der Olivin nur durch Mangel von Nickel aus, der dort durch Zinn-Oxyd ersetzt istBerzelius, Jahresber. XV. S. 217 und 231; Rammelsberg, Handwörterb. Abth. II. S. 25–28.. Da die Meteor-Olivine, wie die unsrer Basalte, 47 bis 49 Hunderttheile Talkerde enthalten und in den Meteorsteinen nach Berzelius meist die Hälfte der erdigen Bestandtheile ausmachen, so muß man nicht über den großen Gehalt an Silicaten von Talkerde in diesen kosmischen Massen erstaunen. Wenn der Aërolith von Juvenas trennbare Krystalle von Augit und Labrador enthält, so wird es durch das numerische Verhältniß der Bestandtheile auf's wenigste wahrscheinlich, daß die Meteormassen von Chateau Renard ein aus Hornblende und Albit bestehender Diorit, die von Blansko und Chantonnay ein Gemenge von Hornblende und Labrador sind. Die Beweise, welche man von den eben berührten oryctognostischen Aehnlichkeiten für einen tellurischen und atmosphärischen Ursprung der Aërolithen hernehmen will, scheinen mir nicht von großer Stärke. Warum sollten, und ich könnte mich auf ein merkwürdiges Gespräch von 137 Newton und Conduit in Kensington berufen»Sir Isaac said, he took all the planets to be composed of the same matter with this earth, viz. earth, water and stones, but variously concocted.« Turner, Collections for the hist. of Grantham, cont. authentic Memoirs of Sir Isaac Newton p. 172., die Stoffe, welche zu Einer Gruppe von Weltkörpern, zu Einem Planetensysteme gehören, nicht großentheils dieselben sein können? warum sollten sie es nicht, wenn man vermuthen darf, daß diese Planeten, wie alle größeren und kleineren geballten um die Sonne kreisenden Massen, sich aus der einigen, einst weit ausgedehnteren Sonnen-Atmosphäre, wie aus dunstförmigen Ringen abgeschieden haben, die anfänglich um den Centralkörper ihren Kreislauf beschrieben? Wir sind, glaube ich, nicht mehr berechtigt Nickel und Eisen, Olivin und Pyroxen (Augit) in den Meteorsteinen ausschließlich irdisch zu nennen: als ich mir erlauben würde deutsche Pflanzen, die ich jenseits des Obi fand, als europäische Arten der nordasiatischen Flora zu bezeichnen. Sind in einer Gruppe von Weltkörpern verschiedenartiger Größe die Elementarstoffe dieselben, warum sollten sie nicht auch, ihrer gegenseitigen Anziehung folgend, sich nach bestimmten Mischungsverhältnissen gestalten können? in der Polarzone des Mars zu weißglänzendem Schnee und Eis; in anderen, kleineren kosmischen Massen zu Gebirgsarten, welche Olivin-, Augit- und Labrador-Krystalle einschließen? Auch in der Region des bloß Muthmaßlichen darf nicht eine ungeregelte, auf alle Induction verzichtende Willkühr der Meinungen herrschen.
Wundersame, nicht durch vulkanische Asche oder Höhenrauch (Moorrauch) erklärbare Verfinsterungen der Sonnenscheibe, während Sterne bei vollem Mittag zu sehen waren (wie die dreitägige Verfinsterung im Jahre 1547 um die Zeit der verhängnißvollen Schlacht bei Mühlberg), wurden von Kepler bald einer materia cometica, bald einem schwarzen 138 Gewölk, das russige Ausdünstungen des Sonnenkörpers erzeugen, zugeschrieben. Kürzere, drei- und sechsstündige Verdunkelungen in den Jahren 1090 und 1203 erklärten Chladni und Schnurrer durch vorbeiziehende Meteormassen. Seitdem die Sternschnuppenströme, nach der Richtung ihrer Bahn, als ein geschlossener Ring betrachtet werden, sind die Epochen jener räthselhaften Himmelserscheinungen in einen merkwürdigen Zusammenhang mit den regelmäßig wiederkehrenden Sternschnuppenschwärmen gesetzt worden. Adolph Erman hat mit vielem Scharfsinn und genauer Zergliederung der bisher gesammelten Thatsachen auf das Zusammentreffen der Conjunction der Sonne sowohl mit den August-Asteroiden (7 Februar) als mit den November-Asteroiden (12 Mai: um die Zeit der im Volksglauben verrufenen kalten Tage Mamertus, Pancratius und Servatius) aufmerksam gemachtAdolph Erman in Poggend. Ann. Bd. XLVIII . 1839 S. 582–601. Früher hatte Biot schon Zweifel gegen die Wahrscheinlichkeit erregt (Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. II. 1836 p. 670.), daß der November-Strom Anfangs Mai wieder erscheinen müsse. Mädler hat die mittlere Temperatur-Erniedrigung in den verrufenen drei Maitagen durch 86jährige Berliner Beobachtungen geprüft (Verhandl. des Vereins zur Beförd. des Gartenbaues 1834 S. 377). und in den Temperaturen vom 11–13 Mai einen Rückschritt von 1°,22: gerade zu einer Zeit gefunden, in welche fast die schnellste Vermehrung der Wärme fällt. Es wäre zu wünschen, daß das Phänomen dieser Temperatur-Erniedrigung, das man geneigt gewesen ist dem Schmelzen der Eismassen im Nordosten von Europa zuzuschreiben, an sehr entlegenen Punkten in Amerika oder in der südlichen Hemisphäre ermittelt würde. Vergl. Bulletin de l'Acad. Imp. de St.-Pétersbourg T. I. 1843 No. 4..
Die griechischen Naturphilosophen: der größeren Zahl nach wenig zum Beobachten geneigt, aber beharrlich und unerschöpflich in der vielfältigsten Deutung des Halb-Wahrgenommenen, haben über Sternschnuppen und Meteorsteine Ansichten hinterlassen, von denen einige mit den jetzt ziemlich allgemein angenommenen von dem kosmischen Vorgange der Erscheinungen auffallend übereinstimmen. »Sternschnuppen«, sagt PlutarchPlut. Vitae par. in Lysando cap. 22. Die Erzählung des Damachos (Daïmachos), nach welcher 70 Tage lang ununterbrochen eine feurige Wolke am Himmel gesehen wurde, die Funken wie Sternschnuppen sprühte und endlich, sich senkend, den Stein von Aegos Potamoi, »welcher nur ein unbedeutender Theil der Wolke war«, niederfallen ließ: ist sehr unwahrscheinlich, weil die Richtung und Geschwindigkeit der Feuerkugel so viele Tage lang der Erde hätte gleich bleiben müssen, was bei der von Halley (Philos. Transact. Vol. XXIX. p. 163) beschriebenen Feuerkugel vom 19 Juli 1686 doch nur Minuten dauerte. Ob übrigens Daïmachos, der Schriftsteller περὶ εὐσεβείας, Eine Person mit dem Daïmachos aus Platäa sei, der von Seleucus nach Indien an den Sohn des Androkottos geschickt wurde und den Strabo (p. 70, Casaub.) »einen Lügenredner« schimpft: bleibt ziemlich ungewiß. Man könnte es nach einer andern Stelle des Plut. (compar. Solonis c. Pop. cap. 4) fast glauben; auf jeden Fall haben wir hier nur die Erzählung eines sehr späten Schriftstellers, der 1½ Jahrhunderte nach dem berühmten Aërolithenfall in Thracien schrieb und dessen Wahrhaftigkeit Plutarch ebenfalls bezweifelt (vergl. oben Note 62). im Leben des Lysander, »sind nach der Meinung einiger Physiker nicht Auswürfe und Abflüsse des ätherischen Feuers, welches in der Luft unmittelbar nach der Entzündung erlösche: noch auch eine Entzündung und Entflammung der Luft, die in der oberen Region sich in Menge aufgelöst habe; sie sind vielmehr ein Fall himmlischer Körper: dergestalt, daß sie 139 durch eine gewisse Nachlassung der Schwungkraft und durch den Wurf einer unregelmäßigen Bewegung herabgeschleudert werden, nicht bloß nach der bewohnten Erde, sondern auch außerhalb in das große Meer: weshalb man sie dann nicht findet.« Noch deutlicher spricht sich Diogenes von ApolloniaStob. ed. Heeren I. 25 p. 508 ; Plut. de plac. Philos. II 13. aus. Nach seiner Ansicht »bewegten sich, zusammen mit den sichtbaren, unsichtbare Sterne, die eben deshalb keine Namen haben. Diese fallen oft auf die Erde herab und erlöschen, wie der bei Aegos Potamoi feurig herabgefallene steinerne Stern.« Der Apolloniate, welcher auch alle übrigen Gestirne (die leuchtenden) für bimssteinartige Körper hält, gründete wahrscheinlich seine Meinung von Sternschnuppen und Meteormassen auf die Lehre des Anaxagoras von Klazomenä, der sich alle Gestirne (alle Körper im Weltraume) »als Felsstücke« dachte, »die der feurige Aether in der Stärke seines Umschwunges von der Erde abgerissen und, entzündet, zu Sternen gemacht habe«. In der ionischen Schule fielen also, nach der Deutung des Diogenes von Apollonia, wie sie uns überliefert worden ist, Aërolithen und Gestirne in eine und dieselbe Classe. Beide sind der ersten Entstehung nach gleich tellurisch: aber nur in dem Sinne, als habe die Erde, als Centralkörper, einstDie merkwürdige Stelle bei Plut. de plac. Philos. II, 13 heißt also: »Anaxagoras lehrt, daß der umgebende Aether feurig sei der Substanz nach; und durch die Stärke des Umschwunges reiße er Felsstücke von der Erde ab, entzünde dieselben und habe sie zu Sternen gemacht.« Einem solchen Umschwunge (Centrifugalkraft) soll der Klazomenier, eine alte Fabel zu einem physischen Dogma benutzend, auch das Herabfallen des Nemäischen Löwen aus dem Monde in den Peloponnes zugeschrieben haben (Aelian. XII, 7; Plut. de facie in orbe Lunae cap. 24; Schol. ex cod. Paris. in Apoll. Argon. lib. I. p. 498 ed. Schäf. T. I. p. 40; Meineke, Annal. Alex. 1843 p. 85). Wir haben demnach hier statt der Mondsteine ein Mondthier! Nach Böckh's scharfsinniger Bemerkung hat der alte Mythus des Nemäischen Mondlöwen einen astronomischen Ursprung und hängt symbolisch in der Chronologie mit den Schaltcyclen des Mondjahres, dem Mondcultus zu Nemea und den dortigen Festspielen zusammen. um sich her alles so gebildet, wie, nach unsern heutigen Ideen, die Planeten eines Systems aus der erweiterten Atmosphäre eines andern Centralkörpers, der Sonne, entstehen. Diese Ansichten sind also nicht mit dem zu verwechseln, was man gemeinhin tellurischen oder atmosphärischen Ursprung der Meteorsteine nennt; oder gar mit der wunderbaren Vermuthung 140 des Aristoteles, nach welcher die ungeheure Masse von Aegos Potamoi durch Sturmwinde gehoben worden sei.
Eine vornehm thuende Zweifelsucht, welche Thatsachen verwirft, ohne sie ergründen zu wollen, ist in einzelnen Fällen fast noch verderblicher als unkritische Leichtgläubigkeit. Beide hindern die Schärfe der Untersuchung. Obgleich seit drittehalbtausend Jahren die Annalen der Völker von Steinfällen erzählen, mehrere Beispiele derselben durch unverwerfliche Augenzeugen außer allem Zweifel gesetzt waren, die Bätylien einen wichtigen Theil des Meteor-Cultus der Alten ausmachten, und die Begleiter von Cortes in Cholula den Aërolithen sahen, welcher auf die nahe Pyramide gefallen war; obgleich Chalifen und mongolische Fürsten sich von frisch gefallenen Meteorsteinen hatten Schwerdter schmieden lassen, ja Menschen durch vom Himmel gefallene Steine erschlagen wurden (ein Frate zu Crema am 4 September 1511, ein anderer Mönch in Mailand 1650, zwei schwedische Matrosen auf einem Schiffe 1674): so ist doch bis auf Chladni, der schon durch die Entdeckung seiner Klangfiguren sich ein unsterbliches Verdienst um die Physik erworben hatte, ein so großes kosmisches Phänomen fast unbeachtet, in seinem innigen Zusammenhange mit dem übrigen Planetensysteme unerkannt geblieben. Wer aber durchdrungen ist von dem Glauben an diesen Zusammenhang: den kann, wenn er für geheimnißvolle Natureindrücke empfänglich ist, nicht etwa bloß die glänzende Erscheinung der Meteorschwärme, wie im November-Phänomen und in der Nacht des heil. Laurentius, sondern auch jeder einsame Sternenschuß mit ernsten Betrachtungen erfüllen. Hier tritt plötzlich Bewegung auf mitten in dem Schauplatz 141 nächtlicher Ruhe. Es belebt und es regt sich auf Augenblicke in dem stillen Glanze des Firmaments. Wo mit mildem Lichte die Spur des fallenden Sternes aufglimmt, versinnlicht sie am Himmelsgewölbe das Bild einer meilenlangen Bahn; die brennenden Asteroiden erinnern uns an das Dasein eines überall stofferfüllten Weltraums. Vergleichen wir das Volum des innersten Saturnstrabanten oder das der Ceres mit dem ungeheuren Volum der Sonne, so verschwinden in unserer Einbildungskraft die Verhältnisse von groß und klein. Schon das Verlöschen plötzlich auflodernder Gestirne in der Cassiopea, im Schwan und im Schlangenträger führt zu der Annahme dunkler Weltkörper. In kleine Massen geballt, kreisen die Sternschnuppen-Asteroiden um die Sonne, durchschneiden cometenartig die Bahnen der leuchtenden großen Planeten und entzünden sich, der Oberfläche unseres Dunstkreises nahe oder in den obersten Schichten desselben.
Mit allen andern Weltkörpern, mit der ganzen Natur jenseits unserer Atmosphäre stehen wir nur im Verkehr mittelst des Lichtes; mittelst der Wärmestrahlen, die kaum vom Lichte zu trennen sindFolgende denkwürdige Stelle: eine der vielen Kepler'schen Inspirationen über Wärmestrahlung der Fixsterne, leises Verbrennen und Lebensprocesse, findet sich in den Paralipom. in Vitell. Astron. pars optica 1604 Propos. XXXII p. 25: »Lucis proprium est calor, sydera omnia calefaciunt. De syderum luce claritatis ratio testatur, calorem universorum in minori esse proportione ad calorem unius solis, quam ut ab homine, cujus est certa caloris mensura, uterque simul percipi et judicari possit. De cincindularum lucula tenuissima negare non potes, quin cum calore sit. Vivunt enim et moventur, hoc autem non sine calefactione perficitur. Sed neque putrescentium lignorum lux suo calore destituitur; nam ipsa putredo quidam lentus ignis est. Inest et stirpibus suus calor.« (Vergl. Kepler, Epit. Astron. Copernicanae 1618 T. I. lib. I p. 35.); und durch die geheimnißvollen Anziehungskräfte, welche ferne Massen nach der Quantität ihrer Körpertheile auf unsern Erdball, auf den Ocean und die Luftschichten ausüben. Eine ganz andere Art des kosmischen, recht eigentlich materiellen Verkehrs erkennen wir im Fall der Sternschnuppen und Meteorsteine, wenn wir sie für planetarische Asteroiden halten. Es sind nicht mehr Körper, die aus der Ferne bloß durch Erregung von Schwingungen leuchtend oder wärmend einwirken, oder durch Anziehung bewegen und bewegt werden: 142 es sind materielle Theile selbst, welche aus dem Weltraume in unsere Atmosphäre gelangen und unserm Erdkörper verbleiben. Wir erhalten durch einen Meteorstein die einzig mögliche Berührung von etwas, das unserm Planeten fremd ist. Gewöhnt, alles Nicht-Tellurische nur durch Messung, durch Rechnung, durch Vernunftschlüsse zu kennen: sind wir erstaunt, zu betasten, zu wiegen, zu zersetzen, was der Außenwelt angehört. So wirkt auf unsere Einbildungskraft eine reflectirende, geistige Belebung der Gefühle: da, wo der gemeine Sinn nur verlöschende Funken am heitern Himmelsgewölbe; wo er im schwarzen Steine, der aus der krachenden Wolke herabstürzt, nur das rohe Product einer wilden Naturkraft sieht.
Wenn die Asteroiden-Schwärme, bei denen wir mit Vorliebe lange verweilt haben, durch ihre geringe Masse und die Mannigfaltigkeit ihrer Bahnen sich gewissermaßen den Cometen anschließen; so unterscheiden sie sich dagegen wesentlich dadurch, daß wir ihre Existenz fast nur in dem Augenblick ihrer Zerstörung kennen lernen: wenn sie, von der Erde gefesselt, leuchtend werden und sich entzünden. Um aber das Ganze von dem zu umfassen, was zu unserm, seit der Entdeckung der kleinen Planeten, der inneren Cometen von kurzem Umlaufe und der Meteor-Asteroiden so complicirt und formenreich erscheinenden Sonnensysteme gehört; bleibt uns der Ring des Thierkreislichtes übrig, dessen wir schon früher mehrmals erwähnt haben. Wer Jahre lang in der Palmen-Zone gelebt hat, dem bleibt eine liebliche Erinnerung von dem milden Glanze, mit dem das Thierkreislicht, pyramidal aufsteigend, einen Theil der immer gleich langen Tropennächte erleuchtet. Ich habe es, und 143 zwar nicht bloß in der dünnen und trockenen Atmosphäre der Andesgipfel auf zwölf- oder vierzehntausend Fuß Höhe, sondern auch in den grenzenlosen Grasfluren (Llanos) von Venezuela, wie am Meeresufer, unter dem ewig heiteren Himmel von Cumana, bisweilen intensiv leuchtender als die Milchstraße im Schützen gesehn. Von einer ganz besondern Schönheit war die Erscheinung, wenn kleines duftiges Gewölk sich auf dem Zodiacallichte projicirte und sich malerisch abhob von dem erleuchteten Hintergrunde. Eine Stelle meines Tagebuches auf der Schifffahrt von Lima nach der westlichen Küste von Mexico gedenkt dieses Luftbildes: »Seit 3 oder 4 Nächten (zwischen 10° und 14° nördlicher Breite) sehe ich das Zodiacallicht in einer Pracht, wie es mir nie noch erschienen ist. In diesem Theile der Südsee ist, auch nach dem Glanze der Gestirne und Nebelflecke zu urtheilen, die Durchsichtigkeit der Atmosphäre wundervoll groß. Vom 14 bis 19 März war sehr regelmäßig, ¾ Stunden nachdem die Sonnenscheibe sich in das Meer getaucht hatte, keine Spur vom Thierkreislichte zu sehen, obgleich es völlig finster war. Eine Stunde nach Sonnenuntergang wurde es auf einmal sichtbar, in großer Pracht zwischen Aldebaran und den Plejaden am 18 März 39° 5' Höhe erreichend. Schmale langgedehnte Wolken erscheinen zerstreuet in lieblichem Blau, tief am Horizont, wie vor einem gelben Teppich. Die oberen spielen von Zeit zu Zeit in bunten Farben. Man glaubt, es sei ein zweiter Untergang der Sonne. Gegen diese Seite des Himmelsgewölbes hin scheint uns dann die Helligkeit der Nacht zuzunehmen, fast wie im ersten Viertel des Mondes. Gegen 10 Uhr war das Zodiacallicht hier in 144 der Südsee gewöhnlich schon sehr schwach, um Mitternacht sah ich nur eine Spur desselben. Wenn es den 16 März am stärksten leuchtete, so ward gegen Osten ein Gegenschein von mildem Lichte sichtbar.« In unserer trüben, sogenannten gemäßigten, nördlichen Zone ist das Thierkreislicht freilich nur im Anfang des Frühlings nach der Abenddämmerung über dem westlichen, am Ende des Herbstes vor der Morgendämmerung über dem östlichen Horizonte deutlich sichtbar.
Es ist schwer zu begreifen, wie eine so auffallende Naturerscheinung erst um die Mitte des 17ten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Physiker und Astronomen auf sich gezogen hat; wie dieselbe den vielbeobachtenden Arabern im alten Bactrien, am Euphrat und im südlichen Spanien hat entgehen können. Fast gleiche Verwunderung erregt die späte Beobachtung der erst von Simon Marius und Huygens beschriebenen Nebelflecke in der Andromeda und im Orion. Die erste ganz deutliche Beschreibung des Zodiacallichts ist in Childrey's Britannia Baconica»There is another thing, which I recommend to the observation of mathematical men: which is, that in February, and for a little before, and a little after that month (as I have observed several years together), about 6 in the evening, when the Twilight hath almost deserted the horizon, you shal see a plainly discernable way of the Twilight striking up toward the Pleiades, and seeming almost to touch them. It is so observed any clear night, but it is best illac nocte. There is no such way to be observed at any other time of the year (that I can perceive), nor any other way at that time to be perceived darting up elsewhere. And I believe it hath been, and will be constantly visible at that time of the year. But what the cause of it in nature should be, I cannot yet imagine, but leave it to further enquiry.«. Childrey, Britannia Baconica 1661 p. 183. Dies ist die erste Ansicht und einfache Beschreibung der Erscheinung (Cassini, découverte de la lumière cèleste qui paroît dans le zodiaque in den Mém. de l'Acad. Roy. des Sc. T. VIII. 1730 p. 276; Mairan, traité phys. de l'Aurore boréale 1754 p. 16). In dem eben angeführten sonderbaren Buche von Childrey finden sich auch schon (p. 91) sehr verständige Angaben über die Epoche des Eintretens der Maxima und Minima in der Vertheilung der Jahreswärme, wie in dem Gange der täglichen Temperatur; Angaben über Verspätung der Extreme des Effects in den meteorologischen Processen. Leider lehrt aber auch (p. 148) der baconisch-philosophirende Kaplan des Lord Henry Somerset (wie Bernardin de St. Pierre), daß die Erde an den Polen zugespitzt sei. Sie war ursprünglich, sagt er, kugelrund, aber die ununterbrochen fortschreitende Zunahme der Eisschichten an beiden Polen verändert die Figur des Erdkörpers; und da das Eis sich aus Wasser bildet, nimmt die Wassermenge überall ab. vom Jahr 1661 enthalten; die erste Beobachtung mag zwei oder drei Jahre früher gemacht worden sein; doch bleibt dem Dominicus Cassini das unbestreitbare Verdienst, zuerst (im Frühjahr 1683) das Phänomen in allen seinen räumlichen Verhältnissen er gründet zu haben. Was er 1668 in Bologna, und zu derselben Zeit der berühmte Reisende Chardin in Persien sahen (die Hof-Astrologen zu Ispahan nannten das von ihnen nie zuvor gesehene Licht nyzek, eine kleine Lanze); war nicht, wie man oft behauptet hatDominicus Cassini (Mém. de l'Acad. des Sc. T. VIII. 1730 p. 188) und Mairan (Aurore bor. p. 16) haben selbst die Behauptung aufgestellt, daß das 1668 in Persien gesehene Phänomen das Zodiacallicht gewesen sei. Delambre (Hist. de l'Astron. moderne T. II. p. 742) schreibt die Entdeckung dieses Lichtes bestimmt dem berühmten Reisenden Chardin zu; aber sowohl im Couronnement de Soliman als in mehreren Stellen seiner Reisebeschreibung (éd. de Langlès T. IV. p. 326, T. X. p. 97) erwähnt Chardin als niazouk (nyzek) oder petite lance nur: »la grande et fameuse comète qui parut presque par toute la terre en 1668 et dont la tête étoit cachée dans l'occident de sorte qu'on ne pouvoit en rien apercevoir sur l'horizon d'Ispahan.« (Atlas du Voyage de Chardin Tab. IV, nach den Beobachtungen in Schiras.) Der Kopf oder Kern dieses Cometen ist aber in Brasilien und in Indien gesehen worden (Pingré, Cométogr. T. II., p. 22). Ueber die Vermuthung der Identität des letzten großen Cometen vom März 1813 mit dem, welchen Cassini für das Zodiacallicht hielt, s. Schum. astr. Nachr. 1843 No. 476 und 480. Im Persischen werden nîzehi âteschîn (feurige Spieße oder Lanzen) auch für die Strahlen der auf- oder untergehenden Sonne gebraucht, wie nayâzik nach Freytag's arabischem Lexicon stellae cadentes bedeutet. Die Vergleichung der Cometen mit Lanzen und Schwerdtern war übrigens besonders dem Mittelalter in allen Sprachen sehr gewöhnlich. Selbst der große Comet, welcher vom April bis Junius 1500 gesehen wurde, heißt bei den italiänischen Schriftstellern der Zeit immer Il Signor Astone (s. mein Examen critique de l'hist. de la Géographie T. V. p. 80). – Die vielfach geäußerten Vermuthungen, daß Descartes (Cassini p. 230, Mairan p. 16) oder gar Kepler (Delambre T. I. p. 601) das Zodiacallicht gekannt hätten, scheinen mir ganz unhaltbar. Descartes (Principes de la Philos. Partie III. art. 136 und 137) spricht auf eine sehr dunkle Weise, wie Cometenschweife entstehen: »par des rayons obliques qui, tombant sur diverses parties des orbes planétaires, viennent des parties latérales à notre oeil par une réfraction extraordinaire«; auch wie Morgens und Abends Cometenschweife »comme une longe poutre« gesehen werden könnten, wenn die Sonne zwischen dem Cometen und der Erde steht. Diese Stelle ist so wenig auf das Zodiacallicht zu deuten als das, was Kepler (Epit. Astron. Copernicanae T. I. p. 57 und T. II. p. 893) von der Existenz einer Sonnen-Atmosphäre (limbus circa solem, coma lucida) sagt, welche in totalen Sonnenfinsternissen hindert, »daß es ganz Nacht werde«. Noch unsicherer oder vielmehr irriger ist die Behauptung, daß die »trabes quas δοκοὺς vocant (Plin. II. 26 und 27) eine Andeutung des zungenförmig aufsteigenden Zodiacallichts seien, wie Cassini (p. 231 art. XXXI) und Mairan (p. 15) vorgeben. Ueberall bei den Alten sind die trabes mit Boliden (ardores et faces) und anderen feurigen Meteoren in Verbindung gesetzt, auch wohl gar mit den langbärtigen Cometen. (Ueber δοκός, δοκίας, δοκίτης s. Schäfer, Schol. Par. ad Apoll. Rhod. 1813 T. II. p. 206; Pseudo-Aristot. de Mundo 2, 9; Comment. Alex., Joh. Philop. et Olymp. in Aristot. Meteor. lib. I. cap. VII, 3 p. 195, Ideler; Seneca, Nat. Quaest. I, 1.), das Thierkreislicht, sondern der ungeheure Schweif eines Cometen, dessen Kopf sich in den Dünsten 145 des Horizonts verbarg, und der selbst der Lage und Erscheinung nach viel ähnliches mit dem großen Cometen von 1843 hatte. Mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit kann man vermuthen, daß das merkwürdige, von der Erde pyramidal aufsteigende Licht, welches man auf der Hochebene von Mexico 1509, vierzig Nächte lang, am östlichen Himmel beobachtete und dessen Erwähnung ich in einem altaztekischen Manuscripte der königl. Pariser Bibliothek, im Codex Telleriano-RemensisHumboldt, Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. II. p. 301. Das seltene Manuscript, welches dem Erzbischof von Rheims, le Tellier, gehört hat, enthält sehr verschiedenartige Auszüge aus einem aztekischen Ritualbuche, aus einem astrologischen Calender und aus historischen Annalen von 1197–1549. Die letztgenannten geben zugleich Naturerscheinungen, Epochen der Erdbeben, Cometen: wie die von 1490 und 1529, und für die mexicanische Chronologie wichtige Sonnenfinsternisse an. In der handschriftlichen Historia de Tlascala von Camargo wird das in Osten bis fast zum Zenith aufsteigende Licht sonderbar genug »funkelnd und wie dick mit Sternen besäet« genannt. Auf vulkanische Ausbrüche des Popocatepetl, der sehr nahe in Südosten liegt, paßt die Beschreibung der vierzigtägigen Erscheinung gar nicht (Prescott, hist. of the Conquest of Mexico Vol. I. p. 284). Neuere Commentatoren haben diese Erscheinung, die Montezuma als eine der ihm Unglück verheißenden ansah, mit der »estrella que humeava (eigentlich: welche sprudelte; mexicanisch choloa, springen und sprudeln) verwechselt. Ueber den Zusammenhang dieses Dampfes mit dem Stern Citlal Choloha (Venus) und dem Sternberge (Citlaltepetl, dem Vulkan von Orizaba) s. meine Monumens T. II. p. 303., aufgefunden habe, das Thierkreislicht war.
Die in Europa von Childrey und Dominicus Cassini entdeckte und doch wohl uralte Erscheinung ist nicht die leuchtende Sonnen-Atmosphäre selbst, da diese nach mechanischen Gesetzen nicht abgeplatteter als im Verhältniß von 2 : 3, und demnach nicht ausgedehnter als bis 9/20 der Merkursweite sein könnte. Eben diese Gesetze bestimmen, daß bei einem rotirenden Weltkörper, über seinem Aequator, die Höhe der äußersten Grenze der Atmosphäre: der Punkt nämlich, wo Schwere und Schwungkraft im Gleichgewicht sind, nur die ist, in welcher ein Satellit gleichzeitig mit der Achsendrehung des Weltkörpers um diesen laufen würdeLaplace, expos. du Syst. du Monde p. 270, Mécanique céleste T. II. p. 159 und 171; Schubert, Astr. Th. III. § 206.. Eine solche Beschränktheit der Sonnen-Atmosphäre in ihrem jetzigen concentrirten Zustande wird besonders auffallend, wenn man den Centralkörper unsers Systems mit dem Kern anderer Nebelsterne vergleicht. Herschel hat mehrere aufgefunden, in denen der Halbmesser des Nebels, welcher den Stern umgiebt, unter einem Winkel von 150" erscheint. Bei der Annahme einer Parallaxe, die nicht ganz 1" erreicht, findet man die äußerste Nebelschicht eines solchen Sternes 150mal weiter von seinem Centrum 146 entfernt, als es die Erde von der Sonne ist. Stände der Nebelstern also an der Stelle unserer Sonne, so würde seine Atmosphäre nicht bloß die Uranusbahn einschließen, sondern sich noch achtmal weiter als diese erstreckenArago im Annuaire du Bur. des Long. pour 1842 p. 408. Vergl. Sir John Herschel's Betrachtungen über Volum und Lichtschwäche der planetarischen Nebelflecke in Mary Somerville, Connexion of the Phys. Sciences 1835 p. 108. Die Meinung, daß die Sonne ein Nebelstern sei, dessen Atmosphäre die Erscheinung des Zodiacallichtes darbietet, ist nicht von Dominicus Cassini, sondern zuerst 1731 von Mairan aufgestellt worden (traité de l'Aurore bor. p. 47 und 263; Arago im Annuaire pour 1842 p. 412). Es war eine Erneuerung Kepler'scher Ansichten..
Unter der eben geschilderten engen Begrenzung der Sonnen-Atmosphäre, ist mit vieler Wahrscheinlichkeit als materielle Ursach des Zodiacallichtes die Existenz eines zwischen der Venus- und Marsbahn frei im Weltraume kreisenden, sehr abgeplatteten RingesSchon Dominicus Cassini nahm, wie später Laplace, Schubert und Poisson, zur Erklärung der Gestalt des Zodiacallichtes die Hypothese eines abgesonderten Ringes an. Er sagt bestimmt: »si les orbites de Mercure et de Vénus étoient visibles (matériellement dans toute l'étendue de leur surface), nous les verrions habituellement de la même figure et dans la même disposition à l'égard du Soleil et aux mêmes tems de l'année que la lumière zodiacale.« (Mém. de l'Acad. des Sc. T. VIII. 1730 p. 218 und Biot in den Comptes rendus T. III. 1836 p. 666.) Cassini glaubte, daß der dunstförmige Ring des Zodiacallichtes aus einer Unzahl kleiner planetenartiger Körper, die um die Sonne kreisen, zusammengesetzt sei. Er war selbst nicht abgeneigt zu glauben, daß der Fall von Feuerkugeln mit dem Durchgang der Erde durch den Zodiacal-Nebel-Ring zusammenhängen könne. Olmsted und vorzüglich Biot (a. a. O. p. 673) haben diesen Zusammenhang mit dem November-Phänomen zu ergründen gesucht: einen Zusammenhang, den Olbers bezweifelt (Schum. Jahrbuch für 1837 S. 281). Ueber die Frage, ob die Ebene des Zodiacallichts mit der Ebene des Sonnen-Aequators vollkommen zusammentrifft, s. Houzeau in Schum. astr. Nachr. 1843 No. 492 S. 190. dunstartiger Materie zu betrachten. Von seinen eigentlichen körperlichen Dimensionen; von seiner VergrößerungSir John Herschel, Astron. § 487. durch Ausströmung der Schweife vieler Myriaden von Cometen, die in die Sonnennähe kommen; von der sonderbaren Veränderlichkeit seiner Ausdehnung, da er bisweilen sich nicht über unsere Erdbahn hinaus zu erstrecken scheint; endlich von seinem muthmaßlichen inneren Zusammenhange mit dem in der Nähe der Sonne mehr condensirten Weltdunste ist wohl für jetzt nichts sicheres zu berichten. Die dunstförmigen Theilchen, aus welchen der Ring besteht und die nach planetarischen Gesetzen um die Sonne circuliren, können entweder selbstleuchtend oder von der Sonne erleuchtet sein. Selbst ein irdischer Nebel (und diese Thatsache ist sehr merkwürdig) hat sich 1743, zur Zeit des Neumondes, mitten in der Nacht so phosphorisch erwiesen, daß man Gegenstände in 600 Fuß EntfernungArago im Annuaire pour 1832 p. 246. Mehrere physikalische Thatsachen scheinen anzudeuten, daß bei einer mechanischen Trennung der Materie in die kleinsten Theilchen, wenn die Masse sehr gering im Verhältniß zur Oberfläche wird, die electrische Spannung sich bis zur Licht- und Wärmestrahlung erhöhen kann. Versuche mit einem großen Hohlspiegel haben bisher nicht entscheidende Beweise von dem Dasein strahlender Wärme im Zodiacallichte gegeben. (Lettre de Mr. Matthiessen à Mr. Arago in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XVI. 1843 p. 687.) deutlich erkennen konnte.
In dem Tropenklima von Südamerika hat mich bisweilen die veränderliche Lichtstärke des Zodiacalscheins in Erstaunen gesetzt. Da ich mehrere Monate lang, an den Flußufern und in den Grasebenen (Llanos), die heiteren Nächte in freier Luft zubrachte, so hatte ich Gelegenheit 147 die Erscheinung mit Sorgfalt zu beobachten. Wenn das Zodiacallicht eben am stärksten gewesen war, so wurde es bisweilen wenige Minuten nachher merklich geschwächt: bis es plötzlich in seinem vollen Glanze wieder auftrat. In einzelnen Fällen glaubte ich, – nicht etwa eine röthliche Färbung, oder eine untere bogenförmige Verdunklung, oder gar ein Funkensprühen, wie es Mairan angiebt –, wohl aber eine Art von Zucken und Flimmern zu bemerken. Gehen dann Processe in dem Dunstringe selbst vor? oder ist es nicht wahrscheinlicher, daß, während ich an den meteorologischen Instrumenten, nahe am Boden in der unteren Luftregion, keine Veränderung der Wärme oder Feuchtigkeit wahrnahm, ja während mir kleine Sterne 5ter und 6ter Größe in gleicher ungeschwächter Lichtstärke zu leuchten schienen: in den obersten Luftschichten Verdichtungen vorgingen, welche die Durchsichtigkeit oder vielmehr die Licht-Reflexion auf eine eigenthümliche, uns unbekannte Weise modificirten? Für die Annahme solcher meteorologischen Ursachen an der Grenze unsres Luftkreises sprechen auch die von dem scharfsichtigen Olbers»Was Sie mir von den Lichtveränderungen im Zodiacallichte und den Ursachen sagen, welchen Sie unter den Tropen solche Veränderungen zuschreiben, hat um so mehr mein Interesse erregt, als ich seit langer Zeit, in jedem Frühjahr, besonders aufmerksam auf jene Erscheinung in unsern nördlichen Breiten gewesen bin. Auch ich habe immer geglaubt, daß das Thierkreislicht rotire; aber ich nahm an, daß es sich mit beträchtlich zunehmender Helligkeit ganz bis zur Sonne erstrecke (gegen Poisson's Aeußerung, die Sie mir mittheilen). Den lichten Kranz, der sich bei totalen Sonnenfinsternissen um die verfinsterte Sonne zeigt, habe ich für diesen glänzendsten Theil des Zodiacallichts gehalten. Ich habe mich überzeugt, daß dieses Licht in einzelnen Jahren sehr verschieden: oft mehrere Jahre hinter einander sehr hell und ausgedehnt; oft auch, in anderen Jahren, gar nicht wahrzunehmen ist. Die erste Spur vom Dasein des Zodiacallichts glaube ich in einem Briefe von Rothmann an Tycho zu bemerken: der diesem meldet, er habe im Frühjahr die Tiefe der Sonne unter dem Horizont, bei Ende der Abenddämmerung, 24° gefunden. Gewiß hat Rothmann das Verschwinden des untergehenden Thierkreislichtes in den Dünsten des Abend-Horizonts mit dem wirklichen Ende der Abenddämmerung verwechselt. Aufwallungen habe ich selbst: vermuthlich wegen der Schwäche, womit in unsern Gegenden das Zodiacallicht erscheint, durchaus nicht bemerken können. Sie haben aber gewiß Recht, wenn Sie dergleichen schnelle Lichtveränderungen himmlischer Gegenstände, die Sie in dem Tropenklima wahrgenommen, unserer Atmosphäre, vorzüglich den hohen Regionen derselben, zuschreiben. Das zeigt sich am deutlichsten in den Schweifen großer Cometen. Oft sieht man, besonders bei dem heitersten Wetter, in diesen Schweifen Pulsationen, welche vom Kopfe des Cometen, als dem niedrigsten Punkte, anfangen, und in 1 oder 2 Secunden den ganzen Schweif durchzittern: wobei sich dann der Schweif schnell um einige Grade zu verlängern und gleich wieder zu verkürzen scheint. Daß diese Aufloderungen, auf die ehemals Robert Hooke und in neueren Zeiten Schröter und Chladni sehr aufmerksam waren, nicht in dem Cometenschweife selbst vorgehen, sondern durch unsre Atmosphäre hervorgebracht sind: wird klar, wenn man bedenkt, daß die einzelnen Theile der (mehrere Millionen Meilen langen) Cometenschweife in sehr verschiedenen Abständen von uns liegen, und daß das Licht von ihnen nur in Zeiträumen zu uns gelangen kann, die um mehrere Minuten von einander verschieden sind. Ob, was Sie am Orinoco: nicht in Intervallen von Secunden, sondern von Minuten gesehen, wirkliche Coruscationen des Thierkreislichtes waren, oder ganz und allein den oberen Schichten unseres Lichtkreises [Luftkreises?] zugehörte: will ich nicht entscheiden. Auch weiß ich mir die so merkwürdigen Erhellungen ganzer Nächte, die anomalen Verstärkungen und Verlängerungen der Dämmerung im Jahr 1831 nicht zu erklären: besonders da man bemerkt haben will, daß der hellste Theil dieser sonderbaren Dämmerungen nicht mit dem Orte der Sonne unter dem Horizonte zusammentraf.« (Aus einem Briefe des Dr. Olbers an mich, Bremen den 26 März 1833.) beobachteten »Aufloderungen und Pulsationen, welche einen ganzen Cometenschweif in wenigen Secunden durchzittern, und bei denen derselbe sich bald um mehrere Grade verlängert, bald darauf wieder verkürzt. Da die einzelnen Theile des, Millionen von Meilen langen Schweifes sehr ungleich von der Erde entfernt sind, so können nach den Gesetzen der Geschwindigkeit und Fortpflanzung des Lichts wirkliche Veränderungen in einem, ungeheure Räume ausfüllenden Weltkörper nicht von uns in so kurzen Intervallen gesehen werden.« Diese Betrachtungen schließen keineswegs die Realität veränderter Ausströmung um die verdichteten 148 Kernhüllen eines Cometen aus; nicht die Realität plötzlich eintretender Aufheiterungen des Zodiacallichts durch innere Molecular-Bewegung, durch vermehrte oder verminderte Licht-Reflexion in dem Weltdunste des Lichtringes: sie sollen nur aufmerksam machen auf den Unterschied von dem, was der Himmelsluft (dem Weltraume selbst) oder den irdischen Luftschichten zugehört, durch die wir sehen. Was an der, ohnedies mannigfaltig bestrittenen, oberen Grenze unserer Atmosphäre vorgeht, ist, wie wohl beobachtete Thatsachen zeigen, keinesweges vollständig zu erklären. Die wundersame Erhellung ganzer Nächte, in denen man in den Breiten von Italien und dem nördlichen Deutschlande im Jahr 1831 kleine Schrift um Mitternacht lesen konnte, steht in klarem Widerspruch mit allem, was wir nach den neuesten und schärfsten Untersuchungen über die Crepuscular-Theorie und über die Höhe der Atmosphäre wissenBiot, traité d'Astron. physique (3me éd.) T. I. 1841 p. 171, 238 und 312.. Von noch unergründeten Bedingungen hangen Lichtphänomene ab, deren Veränderlichkeit in der Dämmerungsgrenze, wie in dem Zodiacallichte uns in Verwunderung setzt.
Wir haben bis hierher betrachtet, was zu unserer Sonne gehört; die Welt der Gestaltungen, welche von ihr regiert wird: Haupt- und Nebenplaneten, Cometen von kurzer und langer Umlaufszeit; meteorförmige Asteroiden, die sporadisch oder in geschlossenen Ringen, wie in Ströme zusammengedrängt sich bewegen; endlich einen leuchtenden Nebelring, welcher der Erdbahn nahe um die Sonne kreist und dem, seiner Lage wegen, der Name des Zodiacallichtes verbleiben kann. Ueberall herrscht das Gesetz der Wiederkehr in den Bewegungen, so verschieden auch das Maaß der Wurfgeschwindigkeit oder die 149 Menge der zusammengeballten materiellen Theile ist; nur die Asteroiden, die aus dem Weltraume in unsern Dunstkreis fallen, werden in der Fortsetzung ihres planetarischen Umschwunges gehemmt und einem größeren Planeten angeeignet. In dem Sonnensystem, dessen Grenzen die anziehende Kraft des Centralkörpers bestimmt, werden Cometen bis zu einer Ferne von 44 Uranusweiten in ihrer elliptischen Laufbahn zur Wiederkehr umgelenkt; ja in diesen Cometen selbst, deren Kern uns, bei der geringen Masse, welche sie enthalten, wie ein hinziehendes kosmisches Gewölk erscheint, fesselt dieser Kern, durch seine Anziehung, noch die äußersten Theile des Schweifes in einer viele Millionen Meilen langen Ausströmung. So sind die Centralkräfte die bildenden, gestaltenden, aber auch die erhaltenden Kräfte eines Systems.
Unsere Sonne kann in Beziehung auf alle wiederkehrenden zu ihr gehörigen, großen und kleinen, dichten und fast nebelartigen Weltkörper als ruhend betrachtet werden: doch um den gemeinschaftlichen Schwerpunkt des ganzen Systemes kreisend: welcher bisweilen in sie selbst fällt, d. h. trotz der veränderlichen Stellung der Planeten bisweilen in ihrem körperlichen Umfange beharrt. Ganz verschieden von dieser Erscheinung ist die translatorische Bewegung der Sonne, die fortschreitende Bewegung des Schwerpunkts des ganzen Sonnensystems im Weltraume. Sie geschieht mit einer solchen SchnelligkeitBessel in Schum. Jahrb. für 1839 S. 51; vielleicht 1 Million Meilen täglich, auf das mindeste in relativer Geschwindigkeit 834000 Meilen: also mehr als die doppelte Umlaufs-Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn um die Sonne., daß, nach Bessel, die relative Bewegung der Sonne und des 61ten Sterns im Schwan nicht minder, in einem Tage, als 834000 geographische Meilen beträgt. Dieser Ortsveränderung des ganzen Sonnensystems würden wir unbewußt bleiben, wenn nicht durch 150 die bewundernswürdige Genauigkeit der jetzigen astronomischen Meßinstrumente und durch die Fortschritte der beobachtenden Astronomie unser Fortrücken an fernen Sternen, wie an Gegenständen eines scheinbar bewegten Ufers, merklich würde. Die eigene Bewegung des 61ten Sterns im Sternbild des Schwans z. B. ist so beträchtlich, daß sie in 700 Jahren schon bis zu einem ganzen Grade wird angewachsen sein.
Das Maaß oder die Quantität solcher Veränderungen am Fixsternhimmel (Veränderungen in der relativen Lage selbstleuchtender Gestirne gegen einander) ist mit mehr Sicherheit zu bestimmen als die Erscheinung selbst genetisch zu deuten. Wenn auch schon abgezogen worden, was dem Vorrücken der Nachtgleichen und der Nutation der Erdachse, als Folge der Einwirkung der Sonne und des Mondes auf die sphäroidische Gestalt der Erde; was der Fortpflanzung, d. i. Abirrung, des Lichtes, und der durch die diametral entgegengesetzte Stellung der Erde in ihrem Umlauf um die Sonne erzeugten Parallaxe zugehört, so ist in der übrig bleibenden jährlichen Bewegung der Fixsterne doch immer noch zugleich enthalten, was die Folge der Translation des ganzen Sonnensystems im Weltraume und die Folge der eigenen wirklichen Bewegung der Sterne ist. Die schwierige numerische Sondrung dieser beiden Elemente der eigenen und der scheinbaren Bewegung hat man durch die sorgfältige Angabe der Richtungen in der Bewegung der einzelnen Sterne und durch die Betrachtung möglich gemacht: daß, wenn alle Sterne in absoluter Ruhe wären, sie sich perspectivisch von dem Punkte entfernen würden, gegen den die Sonne ihren Lauf richtet. Das Endresultat der Untersuchung, welches die Wahrscheinlichkeits-Rechnung bestätigt, 151 ist gewesen, daß beide, unser Sonnensystem und die Sterne, ihren Ort im Weltraum verändern. Nach der vortrefflichen Untersuchung von Argelander, der (in Abo) die von Wilhelm Herschel und Prevost unternommene Arbeit erweitertUeber Bewegung des Sonnensystems nach Bradley, Tobias Mayer, Lambert, Lalande und William Herschel s. Arago im Annuaire pour 1842 p. 388–399; Argelander in Schum. astron. Nachr. No. 363, 364 und 398, und in der Abhandlung von der eigenen Bewegung des Sonnensystems 1837 S. 43 über den Perseus als Centralkörper der ganzen Sternschicht; auch Otto Struve im Bulletin de l'acad. de St.-Pétersb. T. X. 1842 No. 9 p. 137–139. Nach Letzterem wird durch eine spätere Combination für die Richtung der Sonnenbewegung gefunden: 261° 23' A. R., +37° 36' Decl.; und im Mittel aus Argelander's und seiner eigenen Arbeit durch eine Combination von 797 Sternen: 259° 9' A. R., +34° 36' Decl. und ansehnlich vervollkommnet hat, bewegt sich die Sonne gegen das Sternbild des Hercules: und zwar sehr wahrscheinlich nach einem Punkte hin, welcher nach der Combination von 537 Sternen (für das Aequin. von 1792,5) in 257° 49',7 A. R.; +28° 49',7 Decl. liegt. Es bleibt in dieser Classe der Untersuchungen von großer Schwierigkeit, die absolute Bewegung von der relativen zu trennen, und zu bestimmen, was dem Sonnensystem allein zugehört.
Betrachtet man die nicht perspectivischen eigenen Bewegungen der Sterne, so scheinen viele gruppenweise in ihrer Richtung entgegengesetzt; und die bisher gesammelten Thatsachen machen es auf's wenigste nicht nothwendig, anzunehmen, daß alle Theile unserer Sternenschicht oder gar der gesammten Sterneninseln, welche den Weltraum füllen, sich um einen großen, unbekannten, leuchtenden oder dunkeln Centralkörper bewegen. Das Streben nach den letzten und höchsten Grundursachen macht freilich die reflectirende Thätigkeit des Menschen, wie seine Phantasie, zu einer solchen Annahme geneigt. Schon der Stagirite hatte ausgesprochen, daß »alles, was bewegt wird, auf ein Bewegendes zurückführe; und es nur ein unendliches Verschieben der Ursachen wäre, wenn es nicht ein erstes unbeweglich BewegendesAristot. de Coelo III, 2 p. 301 Bekker; Phys. VIII. 5 p. 256. gäbe.«
Die gruppenweise so mannigfaltigen Ortsveränderungen der Gestirne: nicht die parallactischen, der Ortsveränderung des Beobachters unterworfenen, sondern die wirklichen, 152 im Weltraum unausgesetzt fortschreitenden; offenbaren uns auf das unwidersprechlichste, durch eine Classe von Erscheinungen: durch die Bewegung der Doppelsterne, durch das Maaß ihrer langsameren oder schnelleren Bewegung in verschiedenen Theilen ihrer elliptischen Bahnen, das Walten der Gravitations-Gesetze auch jenseits unsers Sonnensystems, in den fernsten Regionen der Schöpfung. Die menschliche Neugier braucht nicht mehr auf diesem Felde in unbestimmten Vermuthungen, in der ungemessenen Ideenwelt der Analogien Befriedigung zu suchen. Sie ist durch die Fortschritte der beobachtenden und rechnenden Astronomie endlich auch hier auf sicheren Boden gelangt. Es ist nicht sowohl die Erstaunen erregende Zahl der bereits aufgefundenen, um einen außer ihnen liegenden Schwerpunkt kreisenden, doppelten und vielfachen Sterne (an 2800 bis zum Jahr 1837): es sind die Erweiterung unsers Wissens von den Grundkräften der ganzen Körperwelt, die Beweise von der allverbreiteten Herrschaft der Massen-Anziehung, welche zu den glänzendsten Entdeckungen unsrer Epoche gehören. Die Umlaufszeit zweifarbiger Doppelsterne bietet die mannigfaltigsten Unterschiede dar; sie erstrecken sich von 43 Jahren: wie in η der Krone, bis zu mehreren Tausenden: wie bei 66 des Wallfisches, 38 der Zwillinge und 100 der Fische. Seit Herschel's Messungen im Jahr 1782 hat in dem dreifachen Systeme von ζ des Krebses der nähere Begleiter nun schon mehr als einen vollen Umlauf zurückgelegt. Durch geschickte Combination der veränderten Distanzen und PositionswinkelSavary in der Connaissance des tems pour l'an 1830 p. 56 und 163; Encke, Berl. astron. Jahrb. für 1832 S. 253 ff.; Arago im Annuaire pour 1834 p. 260–295; John Herschel in den Mem. of the Astron. Soc. Vol. V. p. 171. werden die Elemente der Bahnen gefunden, ja Schlüsse über die absolute Entfernung der Doppelsterne von der Erde und die 153 Vergleichung ihrer Masse mit der Masse der Sonne gezogen. Ob aber hier und in unserm Sonnensystem die Quantität der Materie das alleinige Maaß der anziehenden Kräfte sei; oder ob nicht zugleich specifische, nicht der Masse proportionale Attractionen wirksam sein können, wie Bessel zuerst erwiesen hat: ist eine Frage, deren factische Lösung der späteren Zukunft vorbehalten bleibtBessel, Untersuchung des Theils der planetarischen Störungen, welche aus der Bewegung der Sonne entstehen, in den Abhandl. der Berl. Akad. der Wissensch. auf das J. 1824 (mathem. Classe) S. 2–6. Die Frage war angeregt worden durch Johann Tobias Mayer in den Comment. Soc. Reg. Gotting. 1804–1808 Vol. XVI. p. 31–68..
Wenn wir in der linsenförmigen Sternenschicht, zu der wir gehören, unsre Sonne mit den andern sogenannten Fixsternen, also mit anderen selbstleuchtenden Sonnen, vergleichen; so finden wir wenigstens bei einigen derselben Wege eröffnet, welche annäherungsweise, innerhalb gewisser äußersten Grenzen, zu der Kenntniß ihrer Entfernung, ihres Volums, ihrer Masse, und der Geschwindigkeit der Ortsveränderung leiten können. Nehmen wir die Entfernung des Uranus von der Sonne zu 19 Erdweiten, d. h. zu 19 Abständen der Sonne von der Erde an; so ist der Centralkörper unsres Planetensystems vom Sterne α im Sternbilde des Centauren 11900, von 61 im Sternbilde des Schwans fast 31300, von α im Sternbilde der Leier 41600 Uranusweiten entfernt. Die Vergleichung des Volums der Sonne mit dem Volum der Fixsterne erster Größe ist von einem äußerst unsichern optischen Elemente, dem scheinbaren Durchmesser der Fixsterne, abhängig. Nimmt man nun mit Herschel den scheinbaren Durchmesser des Arcturus auch nur zum zehnten Theil einer Secunde an, so ergiebt sich daraus doch der wirkliche Durchmesser dieses Sterns noch eilfmal größer als der der SonnePhilos. Transact. for 1803, p. 225, Arago im Annuaire pour 1842 p. 375. Will man sich die etwas früher im Texte bezeichnete Entfernung der Fixsterne bequemer versinnlichen, so erinnere man sich, daß, wenn die Erde von der Sonne in einem Fuß Entfernung angenommen wird, Uranus 19 Fuß und Wega der Leier 34½ geographische Meilen von der Sonne entfernt ist.. Die durch Bessel bekannt gewordene Entfernung des 61ten Sterns des Schwans hat annäherungsweise zu der Kenntniß 154 der Menge von körperlichen Theilen geführt, welche derselbe als Doppelstern enthält. Ohnerachtet seit Bradley's Beobachtungen der durchlaufene Theil der scheinbaren Bahn noch nicht groß genug ist, um daraus mit Genauigkeit auf die wahre Bahn und den größten Halbmesser derselben schließen zu können; so ist es doch dem großen Königsberger AstronomenBessel in Schum. Jahrb. für 1839 S. 53. wahrscheinlich geworden, »daß die Masse jenes Doppelsterns nicht beträchtlich kleiner oder größer ist als die Hälfte der Masse unsrer Sonne«. Dies ist das Resultat einer wirklichen Messung. Analogien, welche von der größeren Masse der mondenbegleiteten Planeten unsres Sonnensystems und von der Thatsache hergenommen werden, daß Struve sechsmal mehr Doppelsterne unter den helleren Fixsternen als unter den telescopischen findet, haben andere Astronomen vermuthen lassen, daß die Masse der größeren Zahl der Sternenpaare, im DurchschnittMädler, Astr. S. 476; ders. in Schum. Jahrbuch für 1839 S. 95., die Sonnenmasse übertrifft. Allgemeine Resultate sind hier noch lange nicht zu erlangen. In Bezug auf eigene Bewegung im Weltraume gehört unsere Sonne nach Argelander in die Classe der stark bewegten Fixsterne.
Der Anblick des gestirnten Himmels, die relative Lage der Sterne und Nebelflecke, wie die Vertheilung ihrer Lichtmassen, die landschaftliche Anmuth des ganzen Firmaments, wenn ich mich eines solchen Ausdrucks bedienen darf: hangen im Lauf der Jahrtausende gleichmäßig ab von der eigenen wirklichen Bewegung der Gestirne und Lichtnebel, von der Translation unsres Sonnensystems im Weltraume, von dem einzelnen Auflodern neuer Sterne und dem Verschwinden oder der plötzlich geschwächten Licht-Intensität der älteren; endlich und vorzüglich von den 155 Veränderungen, welche die Erdachse durch die Anziehung der Sonne und des Mondes erleidet. Die schönen Sterne des Centauren und des südlichen Kreuzes werden einst in unseren nördlichen Breiten sichtbar werden, während andere Sterne (Sirius und der Gürtel des Orion) dann niedersinken. Der ruhende Nordpol wird nach und nach durch Sterne des Cepheus (β und α) und des Schwans (δ) bezeichnet werden, bis nach 12000 Jahren Wega der Leier als der prachtvollste aller möglichen Polarsterne erscheinen wird. Diese Angaben versinnlichen uns die Größe von Bewegungen, welche in unendlich kleinen Zeittheilen ununterbrochen, wie eine ewige Weltuhr, fortschreiten. Denken wir uns, als ein Traumbild der Phantasie, die Schärfe unserer Sinne übernatürlich bis zur äußersten Grenze des telescopischen Sehens erhöht: und zusammengedrängt, was durch große Zeitabschnitte getrennt ist; so verschwindet urplötzlich alle Ruhe des räumlichen Seins. Wir finden die zahllosen Fixsterne sich wimmelnd nach verschiedenen Richtungen gruppenweise bewegen; Nebelflecke wie kosmische Gewölke umherziehen, sich verdichten und lösen, die Milchstraße an einzelnen Punkten aufbrechen und ihren Schleier zerreißen; Bewegung eben so in jedem Punkte des Himmelsgewölbes walten wie auf der Oberfläche der Erde in den keimenden, blättertreibenden, Blüthen entfaltenden Organismen der Pflanzendecke. Der berühmte spanische Botaniker Cavanilles hat zuerst den Gedanken gehabt »Gras wachsen« zu sehen, indem er in einem stark vergrößernden Fernrohr den horizontalen Micrometer-Faden bald auf die Spitze des Schößlings einer Bambusa, bald auf die des so schnell sich entwickelnden Blüthenstengels einer amerikanischen Aloe 156 (Agave americana) richtete: genau wie der Astronom den culminirenden Stern auf das Fadenkreuz setzt. In dem Gesammtleben der physischen Natur, der organischen wie der siderischen, sind an Bewegung zugleich das Sein, die Erhaltung und das Werden geknüpft.
Das Aufbrechen der Milchstraße, dessen ich oben erwähnte, bedarf hier noch einer besonderen Erläuterung. Wilhelm Herschel, der sichere und bewundernswürdige Führer in diesen Welträumen, hat durch seine Stern-Aichungen gefunden, daß die telescopische Breite der Milchstraße eine sechs bis sieben Grad größere Ausdehnung hat, als unsre Sternkarten und der dem unbewaffneten Auge sichtbare Sternschimmer verkündigenSir William Herschel in den Philos. Transact. for 1817 P. II. p. 328.. Die zwei glänzenden Knoten, in welchen die beiden Zweige der Zone sich vereinigen: in der Gegend des Cepheus und der Cassiopea, wie um den Scorpion und Schützen, scheinen eine kräftige Anziehung auf die benachbarten Sterne auszuüben; zwischen β und γ des Schwans aber, in der glanzvollsten Region, zieht sich von 330000 Sternen, welche in 5° Breite gefunden werden, die eine Hälfte nach einer Seite, die andere nach der entgegengesetzten hin. Hier vermuthet Herschel den Aufbruch der SchichtArago im Annuaire pour 1842 p. 459.. Die Zahl der unterscheidbaren, durch keinen Nebel unterbrochenen, telescopischen Sterne der Milchstraße wird auf 18 Millionen geschätzt. Um die Größe dieser Zahl, ich sage nicht zu fassen, aber mit etwas analogem zu vergleichen, erinnere ich, daß von erster bis sechster Größe am ganzen Himmel nur etwa 8000 Sterne mit bloßen Augen gesehen werden. In dem unfruchtbaren Erstaunen, das Zahl- und Raumgrößen ohne Beziehung auf die geistige Natur oder das Empfindungsvermögen des157 Menschen erregen, begegnen sich übrigens die Extreme des Räumlichen, die Weltkörper mit dem kleinsten Thierleben. Ein Cubikzoll des Polirschiefers von Bilin enthält, nach Ehrenberg, 40000 Millionen von kieselartigen Panzern der Gallionellen.
Der Milchstraße der Sterne, welcher nach Argelander's scharfsinniger Bemerkung überhaupt die helleren Sterne des Firmaments merkwürdig genähert erscheinen, steht beinahe rechtwinklig eine Milchstraße von Nebelflecken entgegen. Die erstere bildet nach Sir John Herschel's Ansichten einen Ring: einen freistehenden, von der linsenförmigen Sterneninsel etwas fernen Gürtel, ähnlich dem Ring des Saturn. Unser Planetensystem liegt excentrisch, der Gegend des Kreuzes näher als dem diametral gegenüberliegenden Punkte, der CassiopeaSir John Herschel in einem Briefe aus Feldhuysen vom 13 Januar 1836; Nicholl, Archit. of the Heavens 1838 p. 22. (S. auch einzelne Andeutungen von Sir William Herschel über den sternleeren Raum, der uns in großem Abstande von der Milchstraße trennt, in den Philos. Transact. for 1817 P. II. p. 328.). In einem von Messier 1771 entdeckten, aber unvollkommen gesehenen Nebelflecke scheint das Bild unserer Sternschicht und des getheilten Ringes unsrer Milchstraße mit wundervoller Aehnlichkeit gleichsam abgespiegeltSir John Herschel, Astron. § 624; derselbe in den Observations of Nebulae and Clusters of Stars (Philos. Transact. for the year 1833 P. II. p. 479 fig. 25): »we have here a brother System bearing a real physical resemblance and strong analogy of structure of our own.«. Die Milchstraße der Nebelflecke gehört nicht unserer Sternschicht selbst an; sie umgiebt dieselbe, ohne physischen Zusammenhang mit ihr, in großer Entfernung; und zieht sich hin, fast in der Gestalt eines größten Kreises, durch die dichten Nebel der Jungfrau (besonders am nördlichen Flügel), durch das Haupthaar der Berenice, den großen Bären, den Gürtel der Andromeda und den nördlichen Fisch. Sie durchschneidet wahrscheinlich in der Cassiopea die Milchstraße der Sterne: und verbindet ihre sternarmen, durch haufenbildende Kraft verödeten PoleSir William Herschel in den Philos. Transact. for 185 P. I. p. 257; Sir John Herschel, Astr. § 616. (»The nebulous region of the heavens forms a nebulous milky way, composed of distinct nebulae as the other of Stars.« Derselbe in einem Briefe an mich vom März 1829.) da, wo die Sternschicht räumlich die mindere Dicke hat.
158 Es folgt aus diesen Betrachtungen, daß, während unser Sternhaufe in seinen auslaufenden Aesten Spuren großer, im Laufe der Zeit vorgefallener Umbildungen an sich trägt und, durch secundäre Anziehungspunkte, sich aufzulösen und zu zersetzen strebt; derselbe von zwei Ringen: einem sehr fernen, der Nebel, und einem näheren, der Sterne, umgeben wird. Dieser letztere Ring (unsere Milchstraße) ist ein Gemisch von nebellosen Sternen, im Durchschnitte von zehnter bis eilfter GrößeJohn Herschel, Astron. § 585., einzeln aber betrachtet sehr verschiedenartiger Größe, während isolirte Sternhaufen (Sternschwärme) fast immer den Charakter der Gleichartigkeit haben.
Ueberall wo mit mächtigen, raumdurchdringenden Fernröhren das Himmelsgewölbe durchforscht ist, werden Sterne, sei es auch nur telescopische 20ter bis 24ter Ordnung, oder leuchtende Nebel gesehen. Ein Theil dieser Nebel würde wahrscheinlich für noch kräftigere optische Werkzeuge sich in Sterne auflösen. Unsere Netzhaut erhält den Eindruck einzelner oder sehr zusammengedrängter Lichtpunkte: woraus, wie Arago neuerlichst gezeigt hat, ganz verschiedene photometrische Verhältnisse der LichtempfindungArago im Annuaire du Bureau des Longit. pour 1842 p. 282–285, 409–411 und 439–442. entstehen. Der kosmische Nebel: gestaltet oder formlos, allgemein verbreitet, durch Verdichtung Wärme erzeugend; modificirt wahrscheinlich die Durchsichtigkeit des Weltraums, und vermindert die gleichartige Intensität der Helligkeit, welche nach Halley und Olbers entstehen müßte, wenn jeder Punkt des Himmelsgewölbes, der Tiefe nach, von einer endlosen Reihe von Sternen bedeckt wäreOlbers über die Durchsichtigkeit des Weltraums in Bode's astron. Jahrbuch für das J. 1826 S. 110–121.. Die Annahme einer solchen Bedeckung widerspricht der Beobachtung. Diese zeigt große ganz sternleere Regionen, 159 Oeffnungen im Himmel, wie Wilhelm Herschel sie nennt: eine im Scorpion, vier Grad breit, eine andere in der Lende des Schlangenträgers. In der Nähe beider, nahe an ihrem Rande, befinden sich auflösliche Nebelflecke. Der, welcher am westlichen Rande der Oeffnung im Scorpion steht, ist einer der reichsten und zusammengedrängtesten Haufen kleiner Sterne, welche den Himmel zieren. Auch schreibt Herschel der Anziehung und haufenbildenden Kraft dieser Randgruppen»An opening in the heavens«, William Herschel in den Philos. Transact. for 1785 Vol. LXXV. P. I. p. 256. S. le Français Lalande in der Connaiss. des tems pour l'an VIII p. 383; Arago im Annuaire 1842 p. 425. die Oeffnungen selbst als sternleere Regionen zu. »Es sind Theile unserer Sternschicht«, sagt er in der schönen Lebendigkeit seines Styls, »die bereits große Verwüstung von der Zeit erlitten haben«. Wenn man sich die hinter einander liegenden telescopischen Sterne wie einen Sternenteppich denkt, der das ganze scheinbare Himmelsgewölbe bedeckt, so sind, glaube ich, jene sternleeren Stellen des Scorpions und des Schlangenträgers wie Röhren zu betrachten, durch die wir in den fernsten Weltraum blicken. Die Schichten des Teppichs sind unterbrochen: andere Sterne mögen auch da vorliegen, aber sie sind unerreichbar für unsre Werkzeuge. Der Anblick feuriger Meteore hatte die Alten ebenfalls auf die Idee von Spalten und Rissen (chasmata) in der Himmelsdecke geleitet. Diese Spalten wurden aber nur als vorübergehend betrachtet. Statt dunkel zu sein, waren sie erleuchtet und feurig: wegen des hinterliegenden, durchscheinenden, entzündeten AethersAristot. Meteor.II. 5, 1; Seneca, Natur. Quaest. I. 14, 2. »Coelum discessisse« in Cic. de Divin. I, 43.. Derham und selbst Huygens schienen nicht abgeneigt, das milde Licht der Nebelflecke auf eine ähnliche Art zu erklärenArago im Annuaire pour 1842 p. 429..
Wenn man die, im Durchschnitt uns gewiß näheren Sterne erster Größe mit den nebellosen telescopischen, wenn 160 man die Nebelsterne mit ganz unauflöslichen Nebelflecken, z. B. mit dem der Andromeda, oder gar mit den sogenannten planetarischen Nebeln vergleicht; so drängt sich uns bei Betrachtung so verschiedener Ferne, wie in die Schrankenlosigkeit des Raums versenkt, eine Thatsache auf, welche die Welt der Erscheinungen und das, was ihr ursachlich, als Realität, zum Grunde liegt, abhängig von der Fortpflanzung des Lichtes zeigt. Die Geschwindigkeit dieser Fortpflanzung ist nach Struve's neuesten Untersuchungen 41518 geographische Meilen in einer Secunde, also fast eine Million mal größer als die Geschwindigkeit des Schalles. Nach dem, was wir durch die Messungen von Maclear, Bessel und Struve von den Parallaxen und Entfernungen dreier Fixsterne sehr ungleicher Größe (α Centaur, 61 Schwan, α Leier) wissen, bedarf ein Lichtstrahl 3, 9¼ oder 12 Jahre, um von diesen Weltkörpern zu uns zu gelangen. In der kurzen denkwürdigen Periode von 1572 bis 1604, von Cornelius Gemma und Tycho bis Kepler, loderten plötzlich drei neue Sterne auf: in der Cassiopea, im Schwan und am Fuß des Schlangenträgers. Dieselbe Erscheinung, aber mehrfach wiederkehrend, zeigte sich 1670 im Sternbild des Fuchses. In der neuesten Zeit, seit 1837, hat Sir John Herschel am Vorgebirge der guten Hoffnung den Glanz des Sternes η im Schiffe von der zweiten Größe bis zur ersten prachtvoll anwachsen sehenIm December 1837 sah Sir John Herschel den Stern η Argo, der bisher als zweiter Größe und ganz unveränderlich erschienen war, schnell bis zur ersten Größe zunehmen. Im Januar 1838 war die Intensität seines Lichtes schon der von α Cent. gleich. Nach den neuesten Nachrichten fand Maclear im März 1843 den Stern so glänzend als Canopus; ja α Cruc. sah ganz dämmernd neben η Argo aus.. Solche Begebenheiten des Weltraums gehören aber in ihrer historischen Wirklichkeit anderen Zeiten an als denen, in welchen die Lichterscheinung den Erdbewohnern ihren Anfang verkündigt; sie sind wie Stimmen der Vergangenheit, die uns erreichen. 161 Man hat mit Recht gesagt, daß wir mit unsern großen Fernröhren gleichzeitig vordringen in den Raum und in die Zeit. Wir messen jenen durch diese; eine Stunde Weges sind für den Lichtstrahl 148 Millionen Meilen. Während in der Hesiodischen Theogonie die Dimensionen des Weltalls durch den Fall der Körper ausgedrückt werden (»nicht mehr als neun Tage und neun Nächte fällt der eherne Amboß vom Himmel zur Erde herab«); glaubte Herschel der Vater»Hence it follows that the rays of light of the remotest nebulae must have been almost two millions of years on their way; and that consequently, so many years ago, this object must already have had an existence in the sidereal heaven, in order to send out those rays by which we now perceive it.« William Herschel in den Philos. Transact. for 1802 p. 498; John Herschel, Astr. § 590; Arago im Annuaire pour 1842 p. 334, 359 und 382–385., daß das Licht fast zwei Millionen Jahre brauche, um von den fernsten Lichtnebeln, die sein 40füßiger Refractor erreichte, zu uns zu gelangen. Vieles ist also längst verschwunden, ehe es uns sichtbar wird; vieles war anders geordnet. Der Anblick des gestirnten Himmels bietet Ungleichzeitiges dar; und so viel man auch den milde leuchtenden Duft der Nebelflecke oder die dämmernd aufglimmenden Sternhaufen uns näher rücken und die Tausende von Jahren vermindern will, welche als Maaß der Entfernung gelten: immer bleibt es, nach der Kenntniß, die wir von der Geschwindigkeit des Lichts haben, mehr als wahrscheinlich, daß das Licht der fernen Weltkörper das älteste sinnliche Zeugniß von dem Dasein der Materie darbietet. So erhebt sich, auf einfache Prämissen gestützt, der reflectirende Mensch zu ernsten, höheren Ansichten der Naturgebilde, da wo in den tief vom Licht durchströmten Gefilden
»Wie Gras der Nacht Myriaden Welten keimen«Aus dem schönen Sonette meines Bruders: Freiheit und Gesetz (Wilhelm von Humboldt, gesammelte Werke Bd. IV. S. 358 No. 25)..
Aus der Region der himmlischen Gestaltungen, von den Kindern des Uranos, steigen wir nun zu dem engeren Sitz der irdischen Kräfte: zu den Kindern der Gäa, herab. 162 Ein geheimnißvolles Band umschlingt beide Classen der Erscheinungen. Nach der alten Deutung des titanischen MythusOtfried Müller, Prolegomena S. 373. sind die Potenzen des Weltlebens, ist die große Ordnung der Natur an das Zusammenwirken des Himmels und der Erde geknüpft. Gehört schon seinem Ursprunge nach der Erdball, wie jeder der andern Planeten, dem Centralkörper, der Sonne, und ihrer einst in Nebelringe getrennten Atmosphäre an; so besteht auch noch jetzt durch Licht und strahlende Wärme der Verkehr mit dieser nahen Sonne, wie mit allen fernen Sonnen, welche am Firmamente leuchten. Die Verschiedenheit des Maaßes dieser Einwirkungen darf den Physiker nicht abhalten, in einem Naturgemälde an den Zusammenhang und das Walten gemeinsamer, gleichartiger Kräfte zu erinnern. Eine kleine Fraction der tellurischen Wärme gehört dem Weltraume an, in welchem unser Planetensystem fortrückt: und dessen, der eisigen mittleren Polar-Wärme fast gleiche Temperatur, nach Fourier, das Product aller lichtstrahlenden Gestirne ist. Was aber kräftiger das Licht der Sonne im Luftkreise und in den oberen Erdschichten anregt; wie es wärmeerzeugend electrische und magnetische Strömungen veranlaßt, wie es zauberhaft den Lebensfunken in den organischen Gebilden an der Oberfläche der Erde erweckt und wohlthätig nährt: das wird der Gegenstand späterer Betrachtungen sein.
Indem wir uns hier der tellurischen Sphäre der Natur ausschlußweise zuwenden, werfen wir zuerst den Blick auf die Raumverhältnisse des Starren und Flüssigen; auf die Gestalt der Erde, ihre mittlere Dichtigkeit und die partielle Vertheilung dieser Dichtigkeit im Innern des Planeten; auf den Wärmegehalt und die 163 electromagnetische Ladung der Erde. Diese Raumverhältnisse und die der Materie inwohnenden Kräfte führen auf die Reaction des Inneren gegen das Aeußere unseres Erdkörpers; sie führen durch specielle Betrachtung einer allverbreiteten Naturmacht, der unterirdischen Wärme, auf die, nicht immer bloß dynamischen, Erscheinungen des Erdbebens in ungleich ausgedehnten Erschütterungskreisen, auf den Ausbruch heißer Quellen und die mächtigeren Wirkungen vulkanischer Processe. Die von unten erschütterte, bald ruckweise und plötzlich, bald ununterbrochen und darum kaum bemerkbar gehobene Erdrinde verändert, im Lauf der Jahrhunderte, das Höhenverhältniß der Feste zur Oberfläche des Flüssigen, ja die Gestaltung des Meerbodens selbst. Es bilden sich gleichzeitig, seien es temporäre Spalten, seien es permanente Oeffnungen, durch welche das Innere der Erde mit dem Luftkreise in Verbindung tritt. Der unbekannten Tiefe entquollen, fließen geschmolzene Massen in schmalen Strömen längs dem Abhang der Berge hinab, bald ungestüm, bald langsam und sanft bewegt: bis die feurige Erdquelle versiegt und die Lava unter einer Decke, die sie sich selbst gebildet hat, Dämpfe ausstoßend, erstarrt. Neue Felsmassen entstehen dann unter unseren Augen, während daß die älteren, schon gebildeten durch plutonische Kräfte umgewandelt werden: seltener in unmittelbarer Berührung, öfter in wärmestrahlender Nähe. Auch da, wo keine Durchdringung statt findet, werden die krystallinischen Theilchen verschoben und zu einem dichteren Gewebe verbunden. Bildungen ganz anderer Natur bieten die Gewässer dar: Concretionen von Thier- und Pflanzenresten; von erdigen, kalk- und thonartigen Niederschlägen; Aggregate 164 fein zerriebener Gebirgsarten, überdeckt mit Lagen kieselgepanzerter Infusorien und mit knochenhaltigem Schuttlande, dem Sitze urweltlicher Thierformen. Was auf so verschiedenen Wegen sich unter unseren Augen erzeugt und zu Schichten gestaltet; was durch gegenseitigen Druck und vulkanische Kräfte mannigfach gestürzt, gekrümmt oder aufgerichtet wird: führt den denkenden, einfachen Analogien sich hingebenden Beobachter auf die Vergleichung der gegenwärtigen und der längst vergangenen Zeit. Durch Combination der wirklichen Erscheinungen, durch ideale Vergrößerung der Raumverhältnisse wie des Maaßes wirkender Kräfte gelangen wir in das lange ersehnte, dunkel geahndete, erst seit einem halben Jahrhundert festbegründete Reich der Geognosie.
Man hat scharfsinnig bemerkt, »daß wir, trotz des Beschauens durch große Fernröhre, in Hinsicht der anderen Planeten (den Mond etwa abgerechnet) mehr von ihrem Inneren als von ihrem Aeußeren wissen.« Man hat sie gewogen und ihr Volum gemessen; man kennt ihre Masse und ihre Dichte: beide (Dank sei es den Fortschritten der beobachtenden und der rechnenden Astronomie!) mit stets wachsender numerischer Genauigkeit. Ueber ihrer physischen Beschaffenheit schwebt ein tiefes Dunkel. Nur auf unserem Erdkörper setzt uns die unmittelbare Nähe in Contact mit allen Elementen der organischen und anorganischen Schöpfung. Die ganze Fülle der verschiedenartigsten Stoffe bietet in ihrer Mischung und Umbildung, in dem ewig wechselnden Spiel hervorgerufener Kräfte dem Geiste die Nahrung, die Freuden der Erforschung, das unermeßliche Feld der Beobachtung dar, welche der intellectuellen Sphäre der Menschheit, durch Ausbildung und Erstarkung des 165 Denkvermögens, einen Theil ihrer erhabenen Größe verleiht. Die Welt sinnlicher Erscheinungen reflectirt sich in den Tiefen der Ideenwelt; der Reichthum der Natur, die Masse des Unterscheidbaren gehen allmälig in eine Vernunft-Erkenntniß über.
Hier berühre ich wieder einen Vorzug, auf welchen ich schon mehrmals hingewiesen habe: den Vorzug des Wissens, das einen heimathlichen Ursprung hat, dessen Möglichkeit recht eigentlich an unsere irdische Existenz geknüpft ist. Die Himmelsbeschreibung, von den fern schimmernden Nebelsternen (mit deren Sonnen) bis herab zu dem Centralkörper unsres Systemes, fanden wir auf die allgemeinen Begriffe von Volum und Quantität der Materie beschränkt. Keine Lebensregung offenbart sich da unseren Sinnen. Nur nach Aehnlichkeiten, oft nach phantasiereichen Combinationen hat man Vermuthungen über die specifische Natur der Stoffe, über ihre Abwesenheit in diesem oder jenem Weltkörper gewagt. Die Heterogeneität der Materie, ihre chemische Verschiedenheit, die regelmäßigen Gestalten, zu denen ihre Theile sich krystallinisch und körnig an einander reihen; ihr Verhalten zu den eindringenden, abgelenkten oder getheilten Lichtwellen; zur strahlenden, durchgeleiteten oder polarisirten Wärme; zu den glanzvollen oder unsichtbaren, aber darum nicht minder wirksamen Erscheinungen des Electro-Magnetismus: – diesen unermeßlichen, die Weltanschauung erhöhenden Schatz physischer Erkenntniß verdanken wir der Oberfläche des Planeten, den wir bewohnen; mehr noch dem starren als dem flüssigen Theile derselben. Wie diese Erkenntniß der Naturdinge und Naturkräfte, wie die unermeßliche Mannigfaltigkeit objectiver Wahrnehmung die geistige Thätigkeit des 166 Geschlechts und alle Fortschritte seiner Bildung gefördert haben, ist schon oben bemerkt worden. Diese Verhältnisse bedürfen hier eben so wenig einer weiteren Entwicklung als die Verkettung der Ursachen jener materiellen Macht, welche die Beherrschung eines Theils der Elemente einzelnen Völkern verliehen hat.
Wenn es mir oblag auf den Unterschied aufmerksam zu machen, der zwischen der Natur unseres tellurischen Wissens und unserer Kenntniß der Himmelsräume und ihres Inhalts statt findet; so ist es auf der andern Seite auch nöthig, hier die Beschränktheit des Raumes zu bezeichnen, von welchem unsere ganze Kenntniß von der Heterogeneität der Stoffe hergenommen ist. Dieser Raum wird ziemlich uneigentlich die Rinde der Erde genannt; es ist die Dicke der der Oberfläche unseres Planeten nächsten Schichten, welche durch tiefe spaltenartige Thäler oder durch die Arbeit der Menschen (Bohrlöcher und bergmännische Grubenbaue) aufgeschlossen sind. Diese ArbeitenBei den tiefsten Arbeiten der Menschen im Inneren der Erde ist zu unterscheiden zwischen der absoluten Tiefe (unter der Oberfläche der Erde an dem Punkte, wo die Arbeit begonnen ist) und der relativen Tiefe (d. i. der unter dem Spiegel des Meeres). Die größte relative Tiefe, welche die Menschen bisher erreicht haben, ist vielleicht das Bohrloch zu Neu-Salzwerk bei Preußisch Minden; sie betrug im Juni 1844 genau 1873½ Par. Fuß (607m,4); die absolute Tiefe war 2094½ Fuß (680m). Die Temperatur des Wassers im Tiefsten stieg damals auf 32°,7 Cent.: was bei der Annahme von 9°,6 mittlerer Luftwärme eine Wärmezunahme von 1° auf 29m,6 giebt. Der artesische Brunnen von Grenelle bei Paris hat nur 1683 Fuß (547m) absoluter Tiefe. Nach den Berichten des Missionars Imbert aus China wird die Tiefe unserer artesischen Brunnen von der der Feuerbrunnen, Ho-tsing, weit übertroffen: welche man abteuft, um sich Wasserstoffgas zu verschaffen, das zum Salzsieden angewendet wird. In der chinesischen Provinz Szü-tschuan sollen diese Feuerbrunnen sehr gewöhnlich die Tiefe von 1800 bis 2000 Fuß erreichen; ja bei Tseu-lieu-tsing (Ort des Immerfließens) soll ein Ho-tsing, mit dem Seile im J. 1812 gebohrt, 3000 Fuß tief sein (Humboldt, Asie centrale T. II. p. 521 und 525; Annales de l'Association de la Propagation de la Foi 1829 No. 16 p. 369). Die relative Tiefe, welche man zu Monte Massi in Toscana, südlich von Volterra, erreicht hat, beträgt nach Matteucci nur 1175 Fuß (382m). Dem Bohrloch zu Neu-Salzwerk kommt an relativer Tiefe wahrscheinlich sehr nahe das Kohlenbergwerk zu Apendale bei Newcastle under Lyme (Staffordshire). Man arbeitet dort 725 Yards oder 2045 Par. Fuß unter der Oberfläche (Thomas Smith, Miner's Guide 1836 p. 160). Leider ist mir die Höhe der Hängebank über dem Meeresspiegel nicht genau bekannt. Die relative Tiefe der Grube Monk Wearmouth bei Newcastle ist nur 1404 Fuß (Phillips im Philos. Magaz. Vol. V. 1834 p. 446), die der Lütticher Steinkohlen-Grube Espérance zu Seraing nach Herrn Berghauptmann von Dechen 1271 Fuß, die ehemalige der Steinkohlen-Grube Marihaye bei Val St. Lambert im Maasthale nach dem Ingénieur des Mines Herrn Gernaert 1157 Fuß. Die absolut tiefsten Arbeiten, welche die Menschen unternommen haben, sind meist in so hohen Gebirgsebenen oder so hohem Thalboden angesetzt worden, daß dieselben entweder gar nicht das Niveau des Meeres erreicht haben oder zu einer sehr geringen Tiefe unter dieses Niveau gelangt sind. So hatte einst der jetzt unfahrbare Eselsschacht zu Kuttenberg in Böhmen die ungeheure absolute Tiefe von 3545 Fuß (Fr. A. Schmidt, Berggesetze der österr. Mon. Abth. I. Bd. I. S. XXXII). Auch zu St. Daniel und beim Geist am Rörerbühel (Landgericht Kitzbühl) waren im 16ten Jahrhundert die Baue 2916 Fuß tief. Man bewahrt noch die Grubenrisse der Arbeiten am Rörerbühel vom Jahre 1539. (Joseph von Sperges, Tyroler Bergwerksgeschichte S. 121. Vergl. auch Humboldt, Gutachten über Herantreibung des Meißner Stollens in die Freiberger Erzrevier, abgedruckt in Herder über den jetzt begonnenen Erbstollen 1838 S. CXXIV.) Man könnte glauben, daß die Kunde von der außerordentlichen Tiefe des Rörerbühel früh nach England gelangt war; denn in Gilbert de Magnete finde ich die Behauptung, daß der Mensch 2400 bis 3000 Fuß in die Erdrinde gedrungen sei. (»Exigua videtur terrae portio, quae unquam hominibus spectanda emerget aut eruitur: cum profundius in ejus viscera, ultra eflorescentis extremitatis corruptelam, aut propter aquas in magnis fodinis, tanquam per venas scaturientes, aut propter aëris salubrioris ad vitam operariorum sustinendam necessarii defectum, aut propter ingentes sumptus ad tantos labores exantlandos, multasque difficultates, ad profundiores terrae partes penetrare non possumus; adeo ut quadringentas aut [quod rarissime] quingentas orgyas in quibusdam metallis descendisse, stupendus omnibus videatur conatus.« Guilielmi Gilberti, Colcestrensis, de Magnete Physiologia nova. Lond. 1600 p. 40.) Die absoluten Tiefen der Bergwerke im sächsischen Erzgebirge bei Freiberg sind im Thurmhofer Zug 1824 Fuß, im Hohenbirker Zug 1714 Fuß; die relativen Tiefen erreichen nur 626 und 260 Fuß: wenn man, um die Höhe der Hängebänke jedes Schachts über dem Meere zu finden, die Höhe von Freiberg, nach Reich's neuer Bestimmung, zu 1191 Fuß annimmt. Die absolute Tiefe der, auch durch Reichthum berufenen Grubenbaue zu Joachimsthal in Böhmen (Verkreuzung des Jung Häuer Zechen- und Andreas-Ganges) hat volle 1989 Fuß erreicht: so daß, wenn die Hängebank nach des Herrn von Dechen Messungen ungefähr 2250 Fuß über dem Meere liegt, die Grubenbaue dort noch nicht einmal den Meeresspiegel erreicht haben. Am Harz wird auf der Grube Samson zu Andreasberg in 2062 Fuß absoluter Tiefe gebaut. In dem ehemaligen spanischen Amerika kenne ich keine tiefere Grube als die Valenciana bei Guanaxuato (Mexico), wo ich die absolute Tiefe der Planes de San Bernardo 1582 Fuß gefunden habe. Es fehlen aber den Planes noch 5592 Fuß, um den Meeresspiegel zu erreichen. Wenn man die Tiefe der ehemaligen Kuttenberger Grubenbaue (eine Tiefe, welche die Höhe unsers Brockens übertrifft und der des Vesuvs nur um 200 Fuß nachsteht) mit der größten Höhe der von Menschen ausgeführten Gebäude (der Pyramide des Cheops und des Strasburger Münsters) vergleicht, so findet man das Verhältniß von 8 zu 1. Bei den vielen unbestimmten und durch falsche Reduction der Maaße auf den Pariser Fuß verunstalteten Angaben, welche unsre geognostischen Schriften noch immer enthalten, schien es mir wichtig, in dieser Anmerkung alles zusammenzustellen, was ich sicheres über die größten absoluten und relativen Tiefen der Grubenbaue und Bohrlöcher habe auffinden können. Wenn man von Jerusalem östlich gegen das todte Meer hinabsteigt, so genießt man einen Anblick, den, nach unseren jetzigen hypsometrischen Kenntnissen der Oberfläche unsres Planeten, keine andere Erdgegend darbieten kann: man schreitet, indem man sich dem Spalte naht, in welchem der Jordan fließt, an hellem Tage auf Gesteinschichten, die nach Berton's und Rußegger's barometrischem Nivellement 1300 Fuß in senkrechter Tiefe unter dem Spiegel des Mittelmeers liegen (Humboldt, Asie centrale T. II. p. 323). erreichen in senkrechter Tiefe nicht viel mehr als zweitausend Fuß (weniger als 1/11 Meile) unter dem Niveau der Meere, also nur 1/9800 des Erd-Halbmessers. Die krystallinischen Massen, durch noch thätige Vulkane ausgeworfen, meist unsern Gebirgsarten der Oberfläche ähnlich, kommen aus unbestimmbaren, gewiß 60mal größeren, absoluten Tiefen, als die sind, welche die menschlichen Arbeiten erreicht haben. Auch da, wo Steinkohlen-Schichten sich einsenken, um in einer durch genaue Messung bestimmten Entfernung wieder aufzusteigen, kann man die Tiefe der Mulde in Zahlen angeben. Solche Einsenkungen erweisen, daß Steinkohlen-Flöze sammt den vorweltlichen organischen Ueberresten, die sie enthalten (in Belgien z. B.), 167 mehrfachMuldenförmig gekrümmte Schichten, die man sich einsenken und in einer zu messenden Entfernung wieder aufsteigen sieht, geben, wenn sie auch in den tiefsten Punkten nicht durch bergmännische Arbeiten erreicht werden, doch sinnliche Kenntniß von der Beschaffenheit der Erdrinde in großen Abständen von der Oberfläche. Angaben dieser Art gewähren demnach ein großes geognostisches Interesse. Ich verdanke die folgenden dem vortrefflichen Geognosten, Herrn von Dechen. Er schreibt: »Die Tiefe der Steinkohlen-Mulde zu Lüttich am Mont St. Gilles, welche ich gemeinschaftlich mit unserm Freunde Herrn von Oeynhausen zu 3650 Fuß unter der Oberfläche ermittelt habe, liegt, da der Mont St. Gilles gewiß nicht 400 Fuß absolute Höhe hat, an 3250 Fuß unter dem Meeresspiegel; die Steinkohlen-Mulde zu Mons liegt sogar noch volle 1750 Fuß tiefer. Alle diese Tiefen sind aber nur als gering gegen die zu betrachten, welche die Lagerungsverhältnisse der Steinkohlen-Flöze in dem Saar-Revier (Saarbrücken) offenbaren. Ich habe nach wiederholten Aufnahmen gefunden, daß das unterste Kohlenflöz, welches in der Gegend von Duttweiler bekannt ist, bei Bettingen, nordöstlich von Saarlouis, bis 19406 und 20656 Fuß (9/10 geogr. Meile) unter dem Meeresspiegel herabgeht.« Dieses Resultat übertrifft noch um 8000 Fuß die Annahme, welche ich im Texte des Kosmos für eine Mulde devonischer Schichten gegeben habe. Jene Steinkohlen-Flöze liegen also so tief unter dem Niveau des Meeres, als der Chimborazo über demselben sich erhebt: in einer Tiefe, in welcher die Erdwärme an 224° betragen muß. Von den höchsten Gipfeln des Himalaya bis zu jenen Mulden, welche die Vegetation der Vorwelt enthalten, ist demnach ein senkrechter Abstand von 45000 Fuß, d. i. 1/435 des Erd-Halbmessers. fünf- bis sechstausend Fuß unter dem jetzigen Meeresspiegel liegen, ja daß der Bergkalk und die devonischen muldenförmig gekrümmten Schichten wohl die doppelte Tiefe erreichen. Vergleicht man diese unterirdischen Mulden nun mit den Berggipfeln, welche bisher für die höchsten Theile der gehobenen Erdrinde gehalten werden, so erhält man einen Abstand von 37000 Fuß (17/10 Meile), d. i. ungefähr 1/524 des Erd-Halbmessers. Dies wäre in der senkrechten Dimension und räumlichen Aufeinanderlagerung der Gebirgsschichten doch nur der Schauplatz geognostischer Forschung, wenn auch die ganze Oberfläche der Erde die Höhe des Dhawalagiri im Himalaya-Gebirge oder die des Sorata in Bolivia erreichte. Alles, was unter dem Seespiegel tiefer liegt als die oben angeführten Mulden, als die Arbeiten der Menschen, als der vom Senkblei an einzelnen Stellen erreichte Meeresgrund (noch nicht erreicht in 25400 Fuß von James Roß), ist uns eben so unbekannt wie das Innere der anderen Planeten unseres Sonnensystems. Wir kennen ebenfalls nur die Masse der ganzen Erde und ihre mittlere Dichtigkeit, verglichen mit der der oberen, uns allein zugänglichen Schichten. Wo alle Kenntniß chemischer und mineralogischer Naturbeschaffenheit im Inneren des Erdkörpers fehlt, sind wir wieder, wie bei den fernsten um die Sonne kreisenden Weltkörpern, auf bloße Vermuthungen beschränkt. Wir können nichts mit Sicherheit bestimmen über die Tiefe, in welcher die Gebirgsschichten als zäh-erweicht oder geschmolzen-flüssig betrachtet werden sollen; über die Höhlungen, welche elastische Dämpfe füllen; über den Zustand der Flüssigkeiten, wenn sie unter einem ungeheuern Drucke erglühen; über das Gesetz der zunehmenden 168 Dichtigkeit von der Oberfläche der Erde bis zu ihrem Centrum hin.
Die Betrachtung der mit der Tiefe zunehmenden Wärme im Inneren unseres Planeten und der Reaction dieses Innern gegen die Oberfläche hat uns geleitet zu der langen Reihe vulkanischer Erscheinungen. Sie offenbaren sich als Erdbeben, Gas-Ausbrüche, heiße Quellen, Schlamm-Vulkane und Lavaströme aus Eruptions-Kratern; ja die Macht elastischer Kräfte äußert sich auch durch räumliche Veränderung in dem Niveau der Oberfläche. Große Flächen, mannigfaltig gegliederte Continente werden gehoben oder gesenkt, es scheidet sich das Starre von dem Flüssigen; aber der Ocean selbst, von warmen und kalten Strömungen flußartig durchschnitten, gerinnt an beiden Polen und wandelt das Wasser in dichte Felsmassen um: bald geschichtet und feststehend, bald in bewegliche Bänke zertrümmert. Die Grenzen von Meer und Land, vom Flüssigen und Starren wurden mannigfach und oft verändert. Es oscillirten die Ebenen aufwärts und abwärts. Nach der Hebung der Continente traten auf langen Spalten, meist parallel, und dann wahrscheinlich zu einerlei Zeitepochen, Gebirgsketten empor; salzige Lachen und große Binnenwasser, die lange von denselben Geschöpfen bewohnt waren, wurden gewaltsam geschieden. Die fossilen Reste von Muscheln und Zoophyten bezeugen ihren ursprünglichen Zusammenhang. So gelangen wir, der relativen Abhängigkeit der Erscheinungen folgend, von der Betrachtung schaffender, tief im Innern des Erdkörpers waltender Kräfte zu dem, was seine obere Rinde erschüttert und aufbricht, was durch Druck elastischer Dämpfe den geöffneten Spalten als glühender Erdstrom (Lava) entquillt.
169 Dieselben Mächte, welche die Andes- und Himalaya-Kette bis zur Schneeregion gehoben, haben neue Mischungen und neues Gewebe in den Felsmassen erzeugt; umgewandelt die Schichten, welche aus vielbelebten, mit organischen Stoffen geschwängerten Flüssigkeiten sich früher niedergeschlagen. Wir erkennen hier die Reihenfolge der Formationen, nach ihrem Alter geschieden und überlagert, in ihrer Abhängigkeit von den Gestalt-Veränderungen der Oberfläche, von den dynamischen Verhältnissen der hebenden Kräfte, von den chemischen Wirkungen auf Spalten ausbrechender Dämpfe.
Die Form und Gliederung der Continente: d. h. der trocken gelegenen, einer üppigen Entwicklung des vegetabilischen Lebens fähigen Theile der Erdrinde, steht in innigem Verkehr und thätiger Wechselwirkung mit dem alles umgrenzenden Meere. In diesem ist der Organismus fast auf die Thierwelt beschränkt. Das tropfbar-flüssige Element wird wiederum von dem Dunstkreise bedeckt: einem Luft-Ocean, in welchem die Bergketten und Hochebenen der Feste wie Untiefen aufsteigen, mannigfaltige Strömungen und Temperaturwechsel erzeugen, Feuchtigkeit aus der Wolkenregion sammeln, und so in ihrer geneigten Bodenfläche durch strömendes Wasser Bewegung und Leben verbreiten.
Wenn die Geographie der Pflanzen und Thiere von diesen verwickelten Contrasten der Meer- und Ländervertheilung, der Gestaltung der Oberfläche, der Richtung isothermer Linien (Zonen gleicher mittlerer Jahreswärme) abhängt; so sind dagegen die charakteristischen Unterschiede der Menschenstämme und ihre relative numerische Verbreitung über den Erdkörper (der letzte und edelste Gegenstand einer physischen Weltbeschreibung) nicht durch jene 170 Naturverhältnisse allein: sondern zugleich und vorzüglich durch die Fortschritte der Gesittung, der geistigen Ausbildung, der die politische Uebermacht begründenden National-Cultur bedingt. Einige Racen, fest dem Boden anhangend, werden verdrängt und durch gefahrvolle Nähe der gebildeteren ihrem Untergange zugeführt: es bleibt von ihnen kaum eine schwache Spur geschichtlicher Kunde; andere Stämme, der Zahl nach nicht die stärkeren, durchschiffen das flüssige Element. Fast allgegenwärtig durch dieses, haben sie allein, obgleich spät erst, von einem Pole zum anderen, die räumliche, graphische Kenntniß der ganzen Oberfläche unsres Planeten, wenigstens fast aller Küstenländer, erlangt.
So ist denn hier, ehe ich in dem Naturgemälde der tellurischen Sphäre der Erscheinungen das Einzelne berühre, im allgemeinen gezeigt worden: wie, nach der Betrachtung der Gestalt des Erdkörpers, der von ihm perpetuirlich ausgehenden Kraftäußerung des Electro-Magnetismus und der unterirdischen Wärme, die Verhältnisse der Erdoberfläche in horizontaler Ausdehnung und Höhe, der geognostische Typus der Formationen, das Gebiet der Meere (des Tropfbar-Flüssigen) und des Luftkreises, mit seinen meteorologischen Processen, die geographische Verbreitung der Pflanzen und Thiere, endlich die physischen Abstufungen des einigen, überall geistiger Cultur fähigen Menschengeschlechts in Einer und derselben Anschauung vereinigt werden können. Diese Einheit der Anschauung setzt eine Verkettung der Erscheinungen nach ihrem inneren Zusammenhange voraus. Eine bloße tabellarische Aneinanderreihung derselben erfüllt nicht den Zweck, den ich nur vorgesetzt: sie befriedigt nicht das Bedürfniß einer kosmischen Darstellung, welches 171 der Anblick der Natur auf Meer- und Land-Reisen, ein sorgfältiges Studium der Gebilde und Kräfte, der lebendige Eindruck eines Naturganzen unter den verschiedensten Erdstrichen in mir erregt haben. Vieles, das in diesem Versuche so überaus mangelhaft ist, wird bei der beschleunigten Zunahme des Wissens, deren sich alle Theile der physikalischen Wissenschaften erfreuen, vielleicht in naher Zukunft berichtigt und vervollständigt werden. Es liegt ja in dem Entwickelungsgange aller Disciplinen, daß das, was lange isolirt gestanden, sich allgemach verkettet und höheren Gesetzen untergeordnet wird. Ich bezeichne nur den empirischen Weg, auf dem ich und viele mir Gleichgesinnte fortschreiten: erwartungsvoll, daß man uns, wie einst, nach Plato's Ausspruch, Socrates es fordertePlato, Phaedo p. 97 (Aristot. Metaph. p. 985). Vergl. Hegel, Philosophie der Geschichte 1840 S. 16., »die Natur nach der Vernunft auslege«.
Die Schilderung der tellurischen Erscheinungen in ihren Hauptmomenten muß mit der Gestalt und den Raumverhältnissen unsres Planeten beginnen. Auch hier darf man sagen: nicht etwa bloß die mineralogische Beschaffenheit, die krystallinisch körnigen oder die dichten, mit Versteinerungen angefüllten Gebirgsarten; nein, die geometrische Gestalt der Erde selbst bezeugt die Art ihrer Entstehung, sie ist ihre Geschichte. Ein elliptisches Rotations-Sphäroid deutet auf eine einst weiche oder flüssige Masse. Zu den ältesten geognostischen Begebenheiten, allen Verständigen lesbar in dem Buch der Natur niedergeschrieben, gehört die Abplattung, wie auch (um ein anderes uns sehr nahes Beispiel anzuführen) die perpetuirliche Richtung der großen Axe des Mondsphäroids gegen die Erde: d. h. die vermehrte Anhäufung der Materie auf der Mondhälfte, welche wir sehen: eine Anhäufung, die das Verhältniß der 172 Rotation zur Umlaufszeit bestimmt und bis zur ältesten Bildungs-Epoche des Satelliten hinaufreicht. »Die mathematische Figur der Erde ist die mit nicht strömendem Wasser bedeckte Oberfläche derselben«; auf sie beziehen sich alle geodätischen auf den Meeresspiegel reducirten Gradmessungen. Von dieser mathematischen Oberfläche der Erde ist die physische, mit allen Zufälligkeiten und Unebenheiten des Starren, verschiedenBessel, allgemeine Betrachtungen über Gradmessungen nach astronomisch-geodätischen Arbeiten, am Schluß von Bessel und Baeyer, Gradmessung in Ostpreußen S. 427. (Ueber die früher im Text erwähnte Anhäufung der Materie auf der uns zugekehrten Mondhälfte s. Laplace, expos. du Syst. du Monde p. 308.). Die ganze Figur der Erde ist bestimmt, wenn man die Quantität der Abplattung und die Größe des Aequatorial-Durchmessers kennt. Um ein vollständiges Bild der Gestaltung zu erlangen, wären aber Messungen in zwei auf einander senkrechten Richtungen nöthig.
Eilf Gradmessungen (Bestimmungen der Krümmung der Erdoberfläche in verschiedenen Gegenden), von denen neun bloß unserem Jahrhundert angehören, haben uns die Größe des Erdkörpers, den schon PliniusPlin. II, 68; Seneca, Nat. Quaest. Praef. cap. II. El Mundo es poco, (die Erde ist klein und enge), schreibt Columbus aus Jamaica an die Königin Isabella den 7 Julius 1503: nicht etwa nach den philosophischen Ansichten der beiden Römer, sondern weil es ihm vortheilhaft schien zu behaupten, der Weg von Spanien sei nicht lang, wenn man, wie er sagte, »den Orient von Westen her suche«. Vergl. mein Examen crit. de l'hist. de la Géogr. au 15me siècle T. I. p. 83 und T. II. p. 327: wo ich zugleich gezeigt habe, daß die von Delisle, Fréret und Gossellin vertheidigte Meinung, nach welcher die übermäßige Verschiedenheit in den Angaben des Erd-Perimeters bei den Griechen bloß scheinbar sei und auf Verschiedenheit der Stadien beruhe, schon im Jahr 1495 von Jaime Ferrer, in einem Vorschlag über die Bestimmung der päpstlichen Demarcations-Linie, vorgetragen wurde. »einen Punkt im unermeßlichen Weltall« nennt, kennen gelehrt. Wenn dieselben nicht übereinstimmen in der Krümmung verschiedener Meridiane unter gleichen Breitengraden, so spricht eben dieser Umstand für die Genauigkeit der angewandten Instrumente und der Methoden, für die Sicherheit naturgetreuer, partieller Resultate. Der Schluß selbst von der Zunahme der anziehenden Kraft (in der Richtung vom Aequator zu den Polen hin) auf die Figur eines Planeten ist abhängig von der Vertheilung der Dichtigkeit in seinem Inneren. Wenn Newton aus theoretischen Gründen, und wohl auch angeregt durch die von Cassini schon vor 1666 entdeckte Abplattung des JupiterBrewster, life of Sir Isaac Newton 1831 p. 162: »The discovery of the spheroidal form of Jupiter by Cassini had probably directed the attention of Newton to the determination of its cause, and consequently to the investigation of the true figure of the earth.« Cassini kündigte allerdings die Quantität der Abplattung des Jupiter (1/15) erst 1691 an (Mémoires de l'Acad. des Sciences 1666–1699 T. II. p. 108); aber wir wissen durch Lalande (Astron. 3me éd. T. III. p. 335) daß Maraldi einige gedruckte Bogen des von Cassini angefangenen lateinischen Werkes »über die Flecken der Planeten« besaß: aus welchem zu ersehen war, daß Cassini bereits vor 1666, also 21 Jahre vor dem Erscheinen von Newton's Principia, die Abplattung des Jupiter kannte., in seinem unsterblichen Werke Philosophiae Naturalis Principia die Abplattung der 173 Erde bei einer homogenen Masse auf 1/230 bestimmte; so haben dagegen wirkliche Messungen unter dem mächtigen Einflusse der neuen vervollkommneten Analyse erwiesen, daß die Abplattung des Erdsphäroids, in welchem die Dichtigkeit der Schichten als gegen das Centrum hin zunehmend betrachtet wird, sehr nahe 1/300 ist.
Drei Methoden sind angewandt worden, um die Krümmung der Erdoberfläche zu ergründen: es ist dieselbe aus Gradmessungen, aus Pendelschwingungen und aus gewissen Ungleichheiten der Mondsbahn geschlossen. Die erste Methode ist eine unmittelbare geometrisch-astronomische; in den anderen zweien wird aus genau beobachteten Bewegungen auf die Kräfte geschlossen, welche diese Bewegungen erzeugen: und von diesen Kräften auf die Ursache derselben, nämlich auf die Abplattung der Erde. Ich habe hier, in dem allgemeinen Naturgemälde, ausnahmsweise der Anwendung von Methoden erwähnt, weil die Sicherheit derselben lebhaft an die innige Verkettung von Naturphänomenen in Gestalt und Kräften mahnt; und weil diese Anwendung selbst die glückliche Veranlassung geworden ist die Genauigkeit der Instrumente (der raummessenden, der optischen und zeitbestimmenden) zu schärfen, die Fundamente der Astronomie und Mechanik in Hinsicht auf Mondbewegung und auf Erörterung des Widerstandes, den die Pendelschwingungen erleiden, zu vervollkommnen, ja der Analysis eigene und unbetretene Wege zu eröffnen. Die Geschichte der Wissenschaften bietet neben der Untersuchung der Parallaxe der Fixsterne, die zur Aberration und Nutation geführt hat, kein Problem dar, in welchem in gleichem Grade das erlangte Resultat (die Kenntniß der mittleren Abplattung 174 und die Gewißheit, daß die Figur der Erde keine regelmäßige ist) an Wichtigkeit dem nachsteht, was auf dem langen und mühevollen Wege zur Erreichung des Zieles an allgemeiner Ausbildung und Vervollkommnung des mathematischen und astronomischen Wissens gewonnen worden ist. Die Vergleichung von eilf Gradmessungen, unter denen drei außereuropäische: die alte peruanische und zwei ostindische, begriffen sind, hat, nach den strengsten theoretischen Anforderungen von Bessel berechnet, eine Abplattung von 1/299 gegebenNach Bessel's Untersuchung von zehn Gradmessungen, in welcher der von Puissant aufgefundene Fehler in der Berechnung der französischen Gradmessung berücksichtigt wurde (Schumacher, astron. Nachr. 1841 No. 438 S. 116), ist die halbe große Axe des elliptischen Rotations-Sphäroids, dem sich die unregelmäßige Figur der Erde am meisten nähert, 3272077t,14; die halbe kleine Axe 3261139t,33; die Abplattung 1/299,152; die Länge des mittleren Meridiangrades 57013t,109, mit einem Fehler von +2t,8403: woraus folgt die Länge einer geographischen Meile von 3807t, 23. Frühere Combinationen der Gradmessungen schwankten zwischen 1/302 und 1/297: so Walbeck, de forma et magnitudine telluris in demensis arcubus meridiani definiendis, 1/302,78 in 1819; Ed. Schmidt (Lehrbuch der mathem. und phys. Geographie S. V) 1/297,48 in 1829 aus sieben Gradmessungen. Ueber den Einfluß großer Unterschiede der Längen auf die Polar-Abplattung s. Bibliothèque universelle T. XXXIII. p. 181 und T. XXXV. p. 56, auch Connaissance des tems pour l'an 1829 p. 290. – Aus den Mondgleichungen allein fand Laplace zuerst (expos. du Syst. du Monde p. 229) nach den älteren Tafeln von Bürg 1/304,5; später nach den Mondsbeobachtungen von Burckhardt und Bouvard 1/299,1 (Mécanique céleste T. V. p. 13 und 43).. Danach ist der Polar-Halbmesser 10938 Toisen, fast 2⅞ geographische Meilen, kürzer als der Aequatorial-Halbmesser des elliptischen Rotations-Sphäroids. Die Anschwellung unter dem Aequator in Folge der Krümmung der Oberfläche des Sphäroids beträgt also, der Richtung der Schwere nach, etwas mehr als 43/7mal die Höhe des Montblanc, nur 2½mal die wahrscheinliche Höhe des Dhawalagiri-Gipfels in der Himalaya-Kette. Die Mondsgleichungen (Störungen in der Länge und Breite des Mondes) geben nach den letzten Untersuchungen von Laplace fast dasselbe Resultat der Abplattung (1/299) als die Gradmessungen. Aus den Pendel-Versuchen folgt im ganzenDie Pendelschwingungen gaben als allgemeines Resultat der großen Expedition von Sabine (1822 und 1823, vom Aequator bis 80° nördl. Breite) 1/288,7; nach Freycinet, wenn man die Versuchsreihen von Ile de France, Guam und Mowi (Maui) ausschließt, 1/286,2; nach Foster 1/289,5; nach Duperrey 1/266,4; nach Lütke (Partie nautique 1836 p. 232) aus 11 Stationen 1/269. Dagegen folgt aus den Beobachtungen zwischen Formentera und Dünkirchen (Connaiss. des tems pour 1816 p. 330) nach Mathieu 1/298,2, und zwischen Formentera bis Insel Unst nach Biot 1/304. Vergl. Baily, report on Pendulum Experiments in den Memoirs of the Toyal Astron. Society Vol. VII. p. 96; auch Borenius im Bulletin de l'Acad. de St.-Pétersbourg T. I. 1843 p. 25. – Der erste Vorschlag, die Pendellänge zur Maaßbestimmung anzuwenden, und den dritten Theil des Secunden-Pendels (als wäre derselbe überall von gleicher Länge) wie einen pes horarius zum allgemeinen, von allen Völkern immer wiederzufindenden Maaße festzusetzen, findet sich in Huygens Horologium oscillatorium 1873 Prop. 25. Ein solcher Wunsch wurde 1742 in einem öffentlich unter dem Aequator aufgestellten Monumente von Bouguer, La Condamine und Godin auf's neue ausgesprochen. Es heißt in der schönen Marmortafel, die ich noch unversehrt in dem ehemaligen Jesuiter-Collegium in Quito gesehen habe: Penduli simplicis aequinoctialis unius minuti secundi archetypus, mensurae naturalis exemplar, utinam universalis! Aus dem, was La Condamine in seinem Journal du Voyage à l'Équateur 1751 p. 163 von unausgefüllten Stellen in der Inschrift und einem kleinen Hader über die Zahlen mit Bouguer sagt, vermuthete ich, beträchtliche Unterschiede zwischen der Marmortafel und der in Paris bekannt gemachten Inschrift zu finden. Nach mehrmaliger Vergleichung bemerkte ich aber nur zwei ganz unerhebliche: ex arcu graduum 3½ statt ex arcu graduum plus quam trium, und statt 1742 die Jahrzahl 1745. Die letztere Angabe ist sonderbar: da La Condamine im November 1744, Bouguer im Junius desselben Jahres nach Europa zurückkamen, auch Godin Südamerika schon im Julius 1744 verlassen hatte. Die nothwendigste und nützlichste Verbesserung in den Zahlen der Inschrift würde die der astronomischen Länge der Stadt Quito gewesen sein (Humboldt, Receuil d'Observ. astron. T. II. p. 319–354). Nouet's an ägyptischen Monumenten eingegrabene Breiten geben uns ein neueres Beispiel von der Gefahr, welche eine feierliche Perpetuirung falscher oder unvorsichtig berechneter Resultate darbietet. eine weit größere Abplattung (1/288).
Galilei, der während des Gottesdienstes, wahrscheinlich etwas zerstreut, schon als Knabe erkannte, daß durch die Dauer der Schwingungen von Kronleuchtern, welche in ungleicher Höhe hingen, die ganze Höhe eines Kirchengewölbes zu messen sei; hatte freilich nicht geahndet, wie das Pendel einst von Pol zu Pol würde getragen werden, um die Gestalt der Erde zu bestimmen: oder vielmehr um die Ueberzeugung zu geben, daß die ungleiche Dichtigkeit der 175 Erdschichten die Länge des Secunden-Pendels durch verwickelte, aber in großen Länderstrecken sich fast gleichmäßig äußernde Local-Attractionen afficire. Diese geognostischen Beziehungen eines zeitmessenden Instruments; diese Eigenschaft des Pendels, wie ein Senkblei die ungesehene Tiefe zu erspähen, ja in vulkanischen InselnUeber die vermehrte Intensität der Anziehung in vulkanischen Inseln (St. Helena, Ualau, Fernando de Noronha, Ile de France, Guaham, Maui und Galapagos): mit Ausnahme der Insel Rawak, vielleicht (Lütke p. 240) wegen ihrer Nähe zu dem hohen Lande von Neu-Guinea, s. Mathieu in Delambre, Hist. de l'Astronomie au 18me siècle p. 701. oder am Abhange gehobener continentaler BergkettenZahlreiche Beobachtungen zeigen auch mitten in den Continenten große Unregelmäßigkeiten der Pendellängen, die man Local-Anziehungen zuschreibt. (Delambre, Mesure de la Méridienne T. III. p. 548; Biot in den Mém. de l'Académie des Sciences T. VIII. 1829 p. 18 und 23.) Wenn man im südlichen Frankreich und in der Lombardei von Westen nach Osten fortschreitet, so findet man in Bordeaux die geringste Intensität der Schwerkraft; und diese Intensität nimmt schnell zu in den östlicher gelegenen Orten: Figeac, Clermont-Ferrand, Mailand und Padua. Die letzte Stadt bietet das Maximum der Anziehung dar. Der Einfluß des südlichen Abhanges der Alpenkette ist nicht bloß der allgemeinen Größe ihres Volums, sondern, wie Élie de Beaumont (rech. sur les Révol. de la surface du Globe 1830 p. 729) glaubt, am meisten den Melaphyr- und Serpentin-Gesteinen zuzuschreiben, welche die Kette gehoben haben. Am Abhange des Ararat: der, mit dem Caucasus, wie im Schwerpunkte des, aus Europa, Asien und Afrika bestehenden, alten Continents liegt, zeigen Fedorow's so genaue Pendel-Versuche ebenfalls nicht Höhlungen, sondern dichte vulkanische Massen an (Parrot, Reise zum Ararat Th. II. S. 143). In den geodätischen Operationen von Carlini und Plana in der Lombardei haben sich Unterschiede zwischen den unmittelbaren Breiten-Beobachtungen und den Resultaten jener Operationen von 20" bis 47",8 gefunden. (S. die Beispiele von Andrate und Mondovi, Mailand und Padua in den Opérations géodés. et astron. pour la mesure d'un arc du parallèle moyen T. II. p. 347; Effemeridi astron. di Milano 1842 p. 57.) Mailand auf Bern reducirt, wie es aus der französischen Triangulation folgt, hat die Breite von 45° 27' 52", während daß die unmittelbaren astronomischen Beobachtungen die Breite zu 45° 27' 35" geben. Da die Perturbationen sich in der lombardischen Ebene bis Parma weit südlich vom Po erstrecken (Plana, Opérat. géod. T. II. p. 847) so kann man vermuthen, daß selbst in der Bodenbeschaffenheit der Ebne ablenkende Ursachen wirken. Aehnliche Erfahrungen hat Struve in den flächsten Theilen des östlichen Europa's gemacht (Schumacher, astron. Nachrichten 1830 No. 164 S. 399). Ueber den Einfluß von dichten Massen, welche man in einer geringen, der mittleren Höhe der Alpenkette gleichen Tiefe voraussetzt. s. die analytischen Ausdrücke (nach Hossard und Rozet) in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XVIII. 1844 p. 292: welche zu vergleichen sind mit Poisson, traité de Mécanique (2. éd.) T. I. p. 482. Die frühesten Andeutungen von dem Einfluß der Gebirgsarten auf die Schwingungen des Pendels hat übrigens Thomas Young gegeben in den Philosoph. Transactions for 1819 p. 70–96. Bei den Schlüssen von der Pendellänge auf die Erdkrümmung ist wohl die Möglichkeit nicht zu übersehen, daß die Erdrinde kann früher erhärtet gewesen sein, als metallische und dichte basaltische Massen aus der Tiefe durch offene Gangklüfte eingedrungen und der Oberfläche nahe gekommen sind., statt der Höhlungen dichte Massen von Basalt und Melaphyr anzudeuten: erschweren (trotz der bewundernswürdigen Einfachheit der Methode) die Erlangung eines allgemeinen Resultats, die Herleitung der Figur der Erde aus Beobachtung von Pendelschwingungen. Auch in dem astronomischen Theile der Messung eines Breitengrades wirken ablenkend und nachtheilig, doch nicht in gleichem Maaße, Gebirgsketten oder dichtere Schichten des Bodens.
Da die Gestalt der Erde auf die Bewegung anderer Weltkörper, besonders auf die ihres nahen Satelliten, einen mächtigen Einfluß ausübt, so läßt die vervollkommnete Kenntniß der Bewegung des letzteren uns auch wiederum auf die Gestalt der Erde zurückschließen. Demnach hätte, wie Laplace sich sinnig ausdrücktLaplace, expos. du Syst. du Monde p. 231., ein Astronom, »ohne seine Sternwarte zu verlassen, durch Vergleichung der Mondtheorie mit den wirklichen Beobachtungen nicht nur die Gestalt und Größe der Erde, sondern auch ihre Entfernung von der Sonne und vom Monde bestimmen können: Resultate, die erst durch lange und mühevolle Unternehmungen nach den entlegensten Gegenden beider Hemisphären erlangt worden sind.« Die Abplattung, welche aus den Ungleichheiten des Mondes geschlossen wird, gewährt den Vorzug, daß sie, was einzelne Gradmessungen und Pendel-Versuche 176 nicht leisten, eine mittlere, dem ganzen Planeten zukommende ist. Mit der Rotations-Geschwindigkeit verglichen, beweist sie dazu die Zunahme der Dichtigkeit der Erdschichten von der Oberfläche gegen den Mittelpunkt hin: eine Zunahme, welche die Vergleichung der Achsen-Verhältnisse des Jupiter und Saturn mit ihrer Umdrehungszeit auch in diesen beiden großen Planeten offenbart. So berechtigt die Kenntniß äußerer Gestaltung zu Schlüssen über die innere Beschaffenheit der Weltkörper.
Die nördliche und südliche Erdhälfte scheinen unter gleichen Breitengraden ungefähr dieselbe ErdkrümmungLa Caille's Pendel-Messungen am Vorgebirge der guten Hoffnung, die Mathieu mit vieler Sorgfalt berechnet hat (Delambre, Hist. de l'Astr. au 18me siècle p. 479), geben eine Abplattung von 1/284,4; aber nach mehrfachen Vergleichungen der Beobachtungen unter gleichen Breiten in beiden Hemisphären (Neu-Holland und Malouinen verglichen mit Barcelona, Neu-York und Dünkirchen) ist bisher kein Grund vorhanden die mittlere Abplattung der südlichen Halbkugel für größer als die der nördlichen zu halten (Biot in den Mém. de l'Acad. des Sciences T. VIII. 1829 p. 39–41). darzubieten; aber Pendel-Versuche und Gradmessungen geben, wie schon oben bemerkt ist, für einzelne Theile der Oberfläche so verschiedene Resultate, daß man keine regelmäßige Figur angeben kann, welche allen auf diesen Wegen bisher erhaltenen Resultaten genügen würde. Die wirkliche Figur der Erde verhält sich zu einer regelmäßigen, »wie die unebene Oberfläche eines bewegten Wassers sich zu der ebenen Oberfläche eines ruhigen verhält«.
Nachdem die Erde gemessen worden ist, mußte sie gewogen werden. Pendelschwingungen und Bleiloth haben ebenfalls dazu gedient die mittlere Dichtigkeit der Erde zu bestimmen: sei es, daß man in Vereinigung astronomischer und geodätischer Operationen die Ablenkung des Bleiloths von der Verticale in der Nähe eines Berges suchte, oder durch Vergleichung der Pendellänge in der Ebene und auf dem Gipfel einer Anhöhe, oder endlich durch Anwendung einer Drehwage, die man als ein horizontal schwingendes Pendel betrachten kann, die relative Dichtigkeit der nahen Erdschichten maß. Von diesen drei MethodenDie drei Beobachtungs-Methoden geben folgende Resultate: 1) durch Ablenkung des Senkbleis in der Nähe des Berges Shehallien (galisch Thichallin) in Pertshire 4,713 bei Maskelyne, Hutton und Playfair (1774–1776 und 1810) nach einer schon von Newton vorgeschlagenen Methode; 2) durch Pendelschwingung auf Bergen 4,837 (Carlini's Beobachtungen auf dem Mont Cenis verglichen mit Biot's Beobachtungen in Bordeaux, Effemer. astr. di Milano 1824 p. 184); 3) durch die Drehwage von Cavendish, nach einem ursprünglich von Mitchell ersonnenen Apparate, 5,48 (nach Hutton's Revision der Rechnung 5,32; nach der Revision von Eduard Schmidt 5,52: Lehrbuch der math. Geographie Bd. I. S. 487); durch die Drehwage von Reich 5,44. In der Berechnung dieser, mit meisterhafter Genauigkeit von Prof. Reich angestellten Versuche war das ursprüngliche mittlere Resultat 5,43 (mit einem wahrscheinlichen Fehler von nur 0,0233): ein Resultat, das, um die Größe vermehrt, um welche die Schwungkraft der Erde die Schwerkraft vermindert, für die Breite von Freiberg (50° 55') in 5,44 zu verwandeln ist. Die Anwendung von Massen aus Gußeisen statt des Bleies hat keine merkliche, den Beobachtungsfehlern nicht mit vollem Rechte zuzuschreibende Verschiedenheit der Anziehung, keine Spuren magnetischer Wirkungen offenbart (Reich, Versuche über die mittlere Dichtigkeit der Erde 1838 S. 60, 62 und 66). Durch die Annahme einer zu kleinen Abplattung der Erde und durch die unsichere Schätzung der Gesteins-Dichtigkeit der Oberfläche hatte man früher die mittlere Dichtigkeit der Erde ebenfalls, wie in den Versuchen auf und an den Bergen, um 1/6 zu klein gefunden: 4,761 (Laplace, Mécan. cél. T. V. p. 46) oder 4,785 (Eduard Schmidt, Lehrb. der math. Geogr. Bd. I. § 387 und 418). – Ueber die weiter unten (S. 178) angeführte Halley'sche Hypothese von der Erde als Hohlkugel (den Keim Franklin'scher Ideen über das Erdbeben) s. Philos. Transact. for the year 1693 Vol. XVII. p. 563 (on the structure of the internal parts of the Earth and the concave habitated arch of the shell). Halley hält es für des Schöpfers würdiger: »daß der Erdball wie ein Haus von mehreren Stockwerken, von innen und außen bewohnt sei. Für Licht in der Hohlkugel würde auch wohl (p. 576) auf irgend eine Weise gesorgt werden können.« ist die 177 letzte die sicherste, da sie unabhängig von der schwierigen Bestimmung der Dichtigkeit der Mineralien ist, aus welchen das sphärische Segment eines Berges besteht, in dessen Nähe man beobachtet. Sie giebt nach den neuesten Versuchen von Reich 5,44; d. h. sie zeigt, daß die mittlere Dichtigkeit der ganzen Erde so vielmal größer ist als die des reinen Wassers. Da nun nach der Natur der Gebirgsschichten, welche den trockenen, continentalen Theil der Erdoberfläche bilden, die Dichtigkeit dieses Theils kaum 2,7, die Dichtigkeit der trocknen und oceanischen Oberfläche zusammen kaum 1,6 beträgt; so folgt aus jener Angabe, wie sehr die elliptischen, ungleich abgeplatteten Schichten des Inneren durch Druck oder durch Heterogeneität der Stoffe gegen das Centrum zu an Dichtigkeit zunehmen. Hier zeigt sich wieder, daß das Pendel, das senkrechte wie das horizontal schwingende, mit Recht ein geognostisches Instrument genannt worden ist.
Aber die Schlüsse, zu welchen der Gebrauch eines solchen Instruments führt, hat berühmte Physiker, nach Verschiedenheit der Hypothesen, von denen man ausging, zu ganz entgegengesetzten Ansichten über die Naturbeschaffenheit des Inneren des Erdkörpers geleitet. Man hat berechnet, in welchen Tiefen tropfbar-flüssige, ja selbst luftförmige Stoffe durch den eigenen Druck ihrer auf einander gelagerten Schichten die Dichtigkeit der Platina oder selbst des Iridiums übertreffen würden; und um die innerhalb sehr enger Grenzen bekannte Abplattung mit der Annahme einer einfachen, bis ins unendliche compressibeln Substanz in Einklang zu bringen, hat der scharfsinnige Leslie den Kern der Erde als eine Hohlkugel beschrieben, 178 die mit sogenannten »unwägbaren Stoffen von ungeheurer Repulsivkraft« erfüllt wäre. Diese gewagten und willkührlichen Vermuthungen haben in ganz unwissenschaftlichen Kreisen bald noch phantasiereichere Träume hervorgerufen. Die Hohlkugel ist nach und nach mit Pflanzen und Thieren bevölkert worden, über die zwei kleine unterirdisch kreisende Planeten, Pluto und Proserpina, ihr mildes Licht ausgießen. Immer gleiche Wärme herrscht in diesen inneren Erdräumen, und die durch Compression selbstleuchtende Luft könnte wohl die Planeten der Unterwelt entbehrlich machen. Nahe am Nordpol, unter 82° Breite, da wo das Polarlicht ausströmt, ist eine ungeheure Oeffnung, durch die man in die Hohlkugel hinabsteigen kann. Zu einer solchen unterirdischen Expedition sind Sir Humphry Davy und ich vom Capitän Symmes wiederholt und öffentlich aufgefordert worden. So mächtig ist die krankhafte Neigung der Menschen, unbekümmert um das widersprechende Zeugniß wohlbegründeter Thatsachen oder allgemein anerkannter Naturgesetze, ungesehene Räume mit Wundergestalten zu füllen. Schon der berühmte Halley hatte, am Ende des 17ten Jahrhunderts, in seinen magnetischen Speculationen die Erde ausgehöhlt. Ein unterirdisch frei rotirender Kern verursacht durch seine Stellung die tägliche und jährliche Veränderung der magnetischen Abweichung! Was bei dem geistreichen Holberg eine heitere Fiction war, hat man zu unserer Zeit mit langweiligem Ernste in ein wissenschaftliches Gewand zu kleiden versucht.
Die Figur der Erde und der Grad der Starrheit (Dichtigkeit), welchen die Erde erlangt hat, stehen in inniger Verbindung mit den Kräften, die sie beleben: sofern 179 nämlich diese Kräfte nicht von außen her durch die planetarische Stellung gegen einen leuchtenden Centralkörper angeregt oder erweckt sind. Die Abplattung, Folge der auf eine rotirende Masse einwirkenden Schwungkraft, offenbart den früheren Zustand der Flüssigkeit unsres Planeten. Bei dem Erstarren dieser Flüssigkeit, die man geneigt ist als eine dunstförmige, bereits ursprünglich zu einer sehr hohen Temperatur erhitzte anzunehmen, ist eine ungeheure Menge latenter Wärme frei geworden. Fing der Proceß der Erstarrung, wie Fourier will, von der zuerst durch Strahlung gegen den Himmelsraum erkaltenden Oberfläche an, so blieben die dem Mittelpunkt der Erde näheren Theile flüssig und glühend. Da nach langer Ausströmung der Wärme vom Mittelpunkt gegen die Oberfläche sich endlich ein Stabilitäts-Zustand in der Temperatur des Erdkörpers hergestellt hat, so wird angenommen, daß mit zunehmender Tiefe auch die unterirdische Wärme ununterbrochen zunehme. Die Wärme der Wasser, welche den Bohrlöchern (artesischen Brunnen) entquellen, unmittelbare Versuche über die Temperatur des Gesteins in den Bergwerken, vor allem aber die vulkanische Thätigkeit der Erde, d. i. der Erguß geschmolzener Massen aus geöffneten Spalten: bezeugen diese Zunahme auf das unwidersprechlichste für sehr beträchtliche Tiefen der oberen Erdschichten. Nach Schlüssen, die sich freilich nur auf Analogien gründen, wird dieselbe auch mehr als wahrscheinlich weiter gegen das Centrum hin.
Was ein kunstreicher, für diese Classe von UntersuchungenDahin gehören die vortrefflichen analytischen Arbeiten von Fourier, Biot, Laplace, Poisson, Duhamel und Lamé. In seinem Werke théorie mathématique de la Chaleur 1835 p. 3, 428–430, 436 und 521–524 (s. auch den Auszug von la Rive in der Bibliothèque universelle de Genève T. LX. p. 415) hat Poisson eine von Fourier's Ansicht (théorie analytique de la Chaleur) ganz abweichende Hypothese entwickelt. Er läugnet den gegenwärtigen flüssigen Zustand des Kerns der Erde; er glaubt: »daß bei dem Erkalten durch Strahlung gegen das die Erde umgebende Mittel die an der Oberfläche zuerst erstarrten Theile herabgesunken sind; und daß durch einen doppelten, ab- und aufwärts gehenden Strom die große Ungleichheit vermindert worden ist, welche bei einem festen, von der Oberfläche her erkaltenden Körper statt finden würde.« Es scheint dem großen Geometer wahrscheinlicher, daß die Erstarrung in den dem Mittelpunkt näher liegenden Schichten angefangen habe; »das Phänomen der mit der Tiefe zunehmenden Wärme erstrecke sich nicht auf die ganze Erdmasse, und sei bloß eine Folge der Bewegung unsres Planetensystems im Weltraume: dessen einzelne Theile durch Sternenwärme (chaleur stellaire) eine sehr verschiedene Temperatur haben.« Die Wärme der Wasser unserer artesischen Brunnen wäre also, nach Poisson, bloß eine von außen in den Erdkörper eingedrungene Wärme; und man könnte letzteren »als einen Felsblock betrachten, der vom Aequator nach dem Pole geschafft wurde: aber in einer so kurzen Zeit, daß er nicht ganz zu erkalten vermochte. Die Temperatur-Zunahme in diesem Blocke würde sich nicht bis zu den Schichten seiner Mitte erstreckt haben.« Die physikalischen Zweifel, welche man mit Recht gegen diese sonderbare kosmische Ansicht aufgestellt hat (gegen eine Ansicht, welche dem Himmelsraume zuschreibt, was wohl eher dem ersten Uebergange der sich ballenden Materie aus dem gasförmig flüssigen in einen festen Zustand angehört), findet man gesammelt in Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie Bd. XXXIX. S. 93–100. eigens vervollkommneter, analytischer Calcül über die Bewegung der Wärme in homogenen metallischen Sphäroiden gelehrt hat, ist: bei unserer Unkenntniß der Stoffe, 180 aus denen die Erde zusammengesetzt sein kann, bei der Verschiedenheit der Wärme-Capacität und Leitungsfähigkeit auf einander geschichteter Massen, bei den chemischen Umwandlungen, welche feste und flüssige Materien durch einen ungeheuren Druck erleiden; nur sehr vorsichtig auf die wirkliche Naturbeschaffenheit unsres Planeten anzuwenden. Am schwierigsten für unsere Fassungskraft ist die Vorstellung von der Grenzlinie zwischen der flüssigen Masse des Inneren und den schon erhärteten Gebirgsarten der äußeren Erdrinde, von der allmäligen Zunahme der festen Schichten und dem Zustande der Halbflüssigkeit erdiger zäher Stoffe, für welche die bekannten Gesetze der Hydraulik nur unter beträchtlichen Modificationen gelten können. Sonne und Mond, welche das Meer in Ebbe und Fluth bewegen, wirken höchst wahrscheinlich auch bis zu jenen Erdtiefen. Unter dem Gewölbe schon erstarrter Gebirgsarten kann man allerdings periodische Hebungen und Senkungen der geschmolzenen Masse, Ungleichheiten des gegen das Gewölbe ausgeübten Druckes vermuthen. Das Maaß und die Wirkung solcher Oscillation kann aber nur gering sein; und wenn der relative Stand der anziehenden Weltkörper auch hier Springfluthen erregen muß, so ist doch gewiß nicht diesen, sondern mächtigeren inneren Kräften die Erschütterung der Erdoberfläche zuzuschreiben. Es giebt Gruppen von Erscheinungen, deren Existenz es nur darum nützlich ist hervorzuheben, um die Allgemeinheit des Einflusses der Attraction von Sonne und Mond auf das äußere und innere Leben der Erde zu bezeichnen, so wenig wir auch die Größe eines solchen Einflusses numerisch zu bestimmen vermögen.
Nach ziemlich übereinstimmenden Erfahrungen in den 181 artesischen Brunnen nimmt in der oberen Erdrinde die Wärme im Durchschnitt mit einer senkrechten Tiefe von je 92 Pariser Fuß um 1° des hunderttheiligen Thermometers zu. Befolgte diese Zunahme ein arithmetisches Verhältniß, so würde demnach, wie ich bereits obenSiehe oben S. 27, 42 [Anm. 2] und 48 [Anm. 13]. Die Wärme-Zunahme ist gefunden worden in dem Puits de Grenelle zu Paris von 984/10 Fuß (32 mètres), in dem Bohrloch zu Neu-Salzwerk bei Preußisch Minden fast 91 Fuß (29m,6); zu Prégny bei Genf, ohnerachtet dort die obere Oeffnung des Bohrloches 1510 Fuß über dem Meeresspiegel liegt, nach Auguste de la Rive und Marcet, ebenfalls von 91 Fuß (29m,6). Diese Uebereinstimmung der Resultate in einer Methode, welche erst im Jahre 1821 von Arago (Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1835 p. 234) vorgeschlagen wurde, ist sehr auffallend: und von drei Bohrlöchern hergenommen, von 1683 F. (547m), 2094 F. (680m) und 680 F. (221m) absoluter Tiefe. Die zwei Punkte der Erde, in kleiner senkrechter Entfernung unter einander, deren Jahres-Temperaturen wohl am genauesten bestimmt sind, sind wahrscheinlich die Temperatur der äußeren Luft der Sternwarte zu Paris und die Temperatur der Caves de l'Observatoire. Jene ist 10°,822, diese 11°,834: Unterschied 1°,012 auf 86 Fuß (28m) Tiefe (Poisson, théorie math. de la Chaleur p. 415 und 462). Freilich ist in den letzten 17 Jahren, aus noch nicht ganz ausgemittelten Ursachen, wo nicht die Temperatur der Caves de l'Observatoire doch die Anzeige des dort stehenden Thermometers, um 0°,220 gestiegen. Wenn in Bohrlöchern bisweilen das Eindringen von Wassern aus Seitenklüften einige Störung hervorbringt, so sind in Bergwerken andere Verhältnisse erkältender Luftströmung noch schädlicher für die Genauigkeit mit vieler Mühe erforschter Resultate. Das Gesammt-Resultat von Reich's großer Arbeit über die Temperatur der Gruben im sächsischen Erzgebirge ist eine etwas langsame Wärme-Zunahme von 128½ Fuß (41m,84) auf 1° (Reich, Beob. über die Temperatur des Gesteins in verschiedenen Tiefen 1834 S. 134). Doch hat Phillips (Poggend. Ann. Bd. XXXIV. S. 191) in einem Schachte des Kohlenbergwerks von Monk Wearmouth bei Newcastle, wo, wie ich schon oben bemerkt, 1404 Fuß (456m) unter dem Meeresspiegel gearbeitet wird, auch eine Zunahme der Wärme von 996/10 Fuß (32m,4), fast ganz identisch mit Arago's Resultat im Puits de Grenelle, gefunden. angegeben habe, eine Granitschicht in der Tiefe von 52/10 geographischen Meilen (vier bis fünfmal gleich dem höchsten Gipfel des Himalaya-Gebirges) geschmolzen sein.
In dem Erdkörper sind dreierlei Bewegungen der Wärme zu unterscheiden. Die erste ist periodisch und verändert die Temperatur der Erdschichten, indem nach Verschiedenheit des Sonnenstandes und der Jahreszeiten die Wärme von oben nach unten eindringt, oder auf demselben Wege von unten nach oben ausströmt. Die zweite Art der Bewegung ist ebenfalls eine Wirkung der Sonne und von außerordentlicher Langsamkeit. Ein Theil der Wärme, die in den Aequatorial-Gegenden eingedrungen ist, bewegt sich nämlich in dem Inneren der Erdrinde gegen die Pole hin, und ergießt sich an den Polen in den Luftkreis und den fernen Weltraum. Die dritte Art der Bewegung ist die langsamste von allen: sie besteht in der secularen Erkaltung des Erdkörpers: in dem Wenigen, was jetzt noch von der primitiven Wärme des Planeten an die Oberfläche abgegeben wird. Dieser Verlust, den die Centralwärme erleidet, ist in der Epoche der ältesten Erdrevolutionen sehr beträchtlich gewesen, seit den historischen Zeiten aber wird er für unsere Instrumente kaum meßbar. Die Oberfläche der Erde befindet sich demnach zwischen der Glühhitze der unteren Schichten und dem Weltraume, dessen Temperatur wahrscheinlich unter dem Gefrierpunkt des Quecksilbers ist.
Die periodischen Veränderungen der Temperatur, welche 182 an der Oberfläche der Sonnenstand und die meteorologischen Processe hervorrufen, pflanzen sich im Inneren der Erde aber nur bis zu sehr geringen Tiefen fort. Diese Langsamkeit der Wärmeleitung des Bodens schwächt auch im Winter den Wärmeverlust und wird tiefwurzelnden Bäumen günstig. Punkte, welche in verschiedenen Tiefen in einer Verticallinie liegen, erreichen zu sehr verschiedenen Zeiten das Maximum und Minimum der mitgetheilten Temperatur. Je mehr sie sich von der Oberfläche entfernen, desto geringer sind die Unterschiede dieser Extreme. In unseren Breiten der gemäßigten Zone (Br. 48°–52°) liegt die Schicht invariabler Temperatur in 55–60 Fuß Tiefe; schon in der Hälfte dieser Tiefe erreichen die Oscillationen des Thermometers durch Einfluß der Jahreszeiten kaum noch einen halben Grad. Dagegen wird in dem Tropenklima die invariable Schicht schon einen Fuß tief unter der Oberfläche gefunden: und diese Thatsache ist von Boussingault auf eine scharfsinnige Weise zu einer bequemen und, wie er glaubt, sicheren Bestimmung der mittleren Luft-Temperatur des Ortes benutzt wordenBoussingault sur la Profondeur à laquelle se trouve la Couche de Température invariable entre les tropiques, in den Annales de Chimie et de Physique T. LIII. 1833 p. 225–247.. Diese mittlere Luft-Temperatur an einem bestimmten Punkte oder in einer Gruppe nahe gelegener Punkte der Oberfläche ist gewissermaßen das Grundelement der klimatischen und Cultur-Verhältnisse einer Gegend: aber die mittlere Temperatur der ganzen Oberfläche ist von der des Erdkörpers selbst sehr verschieden. Die so oft angeregte Frage: ob jene im Lauf der Jahrhunderte beträchtliche Veränderungen erlitten, ob das Klima eines Landes sich verschlechtert hat, ob nicht etwa gleichzeitig die Winter milder und die Sommer kälter geworden sind? kann nur durch das Thermometer entschieden werden; und die Erfindung dieses 183 Instruments ist kaum drittehalbhundert Jahre, seine verständige Anwendung kaum 120 Jahre alt. Die Natur und Neuheit des Mittels setzt also hier den Forschungen über die Luft-Temperatur sehr enge Grenzen. Ganz anders ist die Lösung des größeren Problems der inneren Wärme des ganzen Erdkörpers. Wie man aus der unveränderten Schwingungsdauer eines Pendels auf die bewahrte Gleichheit seiner Temperatur schließen kann, so belehrt uns die unveränderte Umdrehungs-Geschwindigkeit der Erde über das Maaß der Stabilität ihrer mittleren Temperatur. Diese Einsicht in das Verhältniß der Tageslänge zur Wärme gehört zu den glänzendsten Anwendungen einer langen Kenntniß der Himmelsbewegungen auf den thermischen Zustand unsres Planeten. Die Umdrehungs-Geschwindigkeit der Erde hängt nämlich von ihrem Volum ab. So wie in der durch Strahlung allmälig erkaltenden Masse die Rotations-Achse kürzer würde, müßten mit Abnahme der Temperatur die Umdrehungs-Geschwindigkeit vermehrt und die Tageslänge vermindert werden. Nun ergiebt die Vergleichung der secularen Ungleichheiten in den Bewegungen des Mondes mit den in älteren Zeiten beobachteten Finsternissen, daß seit Hipparchs Zeiten, also seit vollen 2000 Jahren, die Länge des Tages gewiß nicht um den hundertsten Theil einer Secunde abgenommen hat. Es ist demnach innerhalb der äußerstenLaplace, expos. du Syst. du Monde p. 229 und 263, Mécanique cél. T. V. p. 18 und 72. Es ist zu bemerken, daß der Bruch 1/170 eines Centesimal-Grades des Quecksilber-Thermometers, welcher im Texte als Grenze der Stabilität der Erdwärme seit Hipparchs Zeiten angegeben ist, auf der Annahme beruht: daß die Dilatation der Stoffe, aus denen der Erdkörper zusammengesetzt ist, gleich der des Glases sei, d. i. 1/100000 für 1° Wärme. Vergl. über diese Voraussetzung Arago im Annuaire pour 1834 p. 177–190. Grenze dieser Abnahme die mittlere Wärme des Erdkörpers seit 2000 Jahren nicht um 1/170 eines Grades verändert worden.
Diese Unveränderlichkeit der Form setzt auch eine große Unveränderlichkeit in der Vertheilung der Dichtigkeits-Verhältnisse im Inneren des Erdkörpers voraus. Die 184 translatorischen Bewegungen, welche die Ausbrüche der jetzigen Vulkane, das Hervordringen eisenhaltiger Laven, das Ausfüllen vorher leerer Spalten und Höhlungen mit dichten Steinmassen verursachen; sind demnach nur als kleine Oberflächen-Phänomene, als Ereignisse eines Theiles der Erdrinde zu betrachten, welcher der Dimension nach gegen die Größe des Erd-Halbmessers verschwindet.
Die innere Wärme des Planeten habe ich in ihrer Ursach und Vertheilung fast ausschließlich nach dem Resultate der schönen Untersuchungen Fourier's geschildert. Poisson bezweifelt die ununterbrochene Zunahme der Erdwärme von der Oberfläche der Erde zum Centrum. Er glaubt, daß alle Wärme von außen nach innen eingedrungen ist, und daß die Temperatur des Erdkörpers abhängig ist von der sehr hohen oder sehr niedrigen Temperatur der Welträume, durch welche sich das Sonnensystem bewegt hat. Diese Hypothese, von einem der tiefsinnigsten Mathematiker unserer Zeit ersonnen, hat fast nur ihn, wenig die Physiker und Geognosten befriedigt. Was aber auch die Ursache der inneren Wärme unsers Planeten und der begrenzten oder unbegrenzten Zunahme in den tieferen Schichten sein mag: immer führt sie uns in diesem Entwurfe eines allgemeinen Naturgemäldes, durch den inneren Zusammenhang aller primitiven Erscheinungen der Materie, durch das gemeinsame Band, welches die Molecular-Kräfte umschlingt, in das dunkle Gebiet des Magnetismus. Temperatur-Veränderungen bringen magnetische und electrische Ströme hervor. Der tellurische Magnetismus, dessen Hauptcharakter in der dreifachen Aeußerung seiner Kräfte eine ununterbrochene periodische Veränderlichkeit ist, wird entweder der ganzen, 185 ungleich erwärmten Erdmasse selbstWilliam Gilbert von Colchester, den Galilei »bis zum Neid-Erregen groß« nennt, sagt schon: »magnus magnes ipse est globus terrestris«. Er bespöttelt die Magnetberge als Magnetpole des Fracastoro, des großen Zeitgenossen von Christoph Columbus: »rejicienda est vulgaris opinio de montibus magneticis, aut rupe aliqua magnetica, aut polo phantastico a polo mundi distante.« Er nimmt die Abweichung der Magnetnadel auf dem ganzen Erdboden für unveränderlich an (variatio uniuscujusque loci constans est); und erklärt die Krümmungen der isogonischen Linien aus der Gestaltung der Continente und der relativen Lage der Meeresbecken: welche eine schwächere magnetische Ziehkraft ausüben als die über dem Ocean hervorragenden festen Massen. (Gilbert de Magnete, ed. 1633, p. 42, 98, 152 und 155.); oder jenen galvanischen Strömen zugeschrieben, die wir als Electricität in Bewegung, als Electricität in einem in sich selbst zurückkehrenden Kreislaufe betrachtenGauß, allgemeine Theorie des Erdmagnetismus, in den Resultaten aus den Beob. des magnet. Vereins im Jahr 1838 § 41 S. 56.. Der geheimnißvolle Gang der Magnetnadel ist von der Zeit und dem Raume, von dem Sonnenlaufe und der Veränderung des Orts auf der Erdoberfläche gleichmäßig bedingt. Man erkennt an der Nadel, wie an den Schwankungen des Barometers zwischen den Wendekreisen, die Stunde des Tages. Sie wird durch das ferne Nordlicht, durch die Himmelsgluth, welche an einem der Pole farbig ausstrahlt, urplötzlich, doch nur vorübergehend, afficirt. Wenn die ruhige stündliche Bewegung der Nadel durch ein magnetisches Ungewitter gestört ist, so offenbart sich die Perturbation oftmals über Meer und Land, auf Hunderte und Tausende von Meilen im strengsten Sinne des Worts gleichzeitig, oder sie pflanzt sich in kurzen Zeiträumen allmälig in jeglicher Richtung über die Oberfläche der Erde fortEs giebt auch Perturbationen, die sich nicht weit fortpflanzen, mehr local sind, vielleicht einen weniger tiefen Sitz haben. Ein seltenes Beispiel solcher außerordentlichen Störung, welche in den Freiberger Gruben und nicht in Berlin gefühlt wurde, habe ich schon vor vielen Jahren bekannt gemacht (Lettre de Mr. de Humboldt à S. A. R. le Duc de Sussex sur les moyens propres à perfectionner la connaissance du Magnétisme terrestre, in Becquerel's traité expérimental de l'Électricité T. VII. p. 442). Magnetische Ungewitter, die gleichzeitig von Sicilien bis Upsala gefühlt wurden, gelangten nicht von Upsala nach Alten (Gauß und Weber, Resultate des magnet. Vereins 1839 S. 128; Lloyd in den Comptes rendus de l'Académie des Sciences T. XIII. 1843 p. 725 und 827). Unter den vielen in neuerer Zeit aufgefundenen gleichzeitigen und durch große Länderstrecken fortgepflanzten Perturbationen, welche in Sabine's wichtigem Werke (observ. on days of unusual magnetic disturbance 1843) gesammelt sind, ist eine der denkwürdigsten die vom 25 Sept. 1841: welche zu Toronto in Canada, am Vorgebirge der guten Hoffnung, in Prag und theilweise in Van Diemens Land beobachtet wurde. Die englische Sonntagsfeier, nach der es sündhaft ist nach Sonnabend Mitternacht eine Scale abzulesen und große Naturphänomene der Schöpfung in ihrer ganzen Entwicklung zu verfolgen, hat, da das magnetische Ungewitter wegen des Längen-Unterschieds in Van Diemens Land auf einen Sonntag fiel, die Beobachtung desselben unterbrochen! (observ. p. XIV, 78, 85 und 87.). Im ersteren Falle könnte die Gleichzeitigkeit des Ungewitters, wie Jupiterstrabanten, Feuersignale und wohl beachtete Sternschnuppen, innerhalb gewisser Grenzen zur geographischen Längen-Bestimmung dienen. Man erkennt mit Verwunderung, daß die Zuckungen zweier kleinen Magnetnadeln, und wären sie tief in unterirdischen Räumen aufgehangen, die Entfernung messen, welche sie von einander trennt; daß sie lehren, wie weit Kasan östlich von Göttingen oder von den Ufern der Seine liegt. Es giebt auch Gegenden der Erde, wo der Seefahrer, seit vielen Tagen in Nebel gehüllt, ohne Sonne und Sterne, ohne alle Mittel der Zeitbestimmung, durch die Neigungs-Veränderung der Nadel mit Sicherheit wissen kann, ob er sich 186 nördlich oder südlich von einem Hafen befindetDie im Text geschilderte Anwendung der Magnet-Inclination zu Breiten-Bestimmungen längs einer N–S laufenden Küste, die wie die Küste von Chili und Peru einen Theil des Jahres in Nebel (garua) gehüllt ist, habe ich angegeben in Lamétherie's Journal de Physique T. LIX. 1804 p. 449. Diese Anwendung ist in der bezeichneten Localität um so wichtiger, als, bei der heftigen Strömung von Süden nach Norden bis Cabo Pariña, es für die Schifffahrt ein großer Zeitverlust ist, wenn man sich der Küste erst nördlich von dem gesuchten Hafen nähert. In der Südsee habe ich vom Hafen Callao de Lima bis Truxillo, bei einem Breiten-Unterschiede von 3° 57', eine Veränderung an der Magnet-Inclination von 9° Cent.; und von Callao bis Guayaquil, bei einem Breiten-Unterschied von 9° 50', eine Inclinations-Veränderung von 23°,05 gefunden (s. meine Relation historique T. III. p. 622). Von Guarmey (Br. 10° 4' Süd), Huaura (Br. 11° 3') bis Chancay (Br. 11° 32') sind die Neigungen 6°,80; 9°,00 und 10°,35 centes. Eintheilung. Die Ortsbestimmung mittelst der magnetischen Inclination hat da, wo der Schiffscurs die isoklinischen Linien fast senkrecht schneidet, das Merkwürdige, daß sie die einzige ist, welche jeder Zeitbestimmung, und also des Anblicks der Sonne und der anderen Gestirne entbehren kann. Ich habe vor kurzem erst aufgefunden, daß schon am Ende des 16ten Jahrhunderts, also kaum 20 Jahre nach der Erfindung des Inclinatoriums von Robert Norman, in dem großen Werke de Magnete von William Gilbert, Vorschläge die Breite durch die Neigung der Magnetnadel zu bestimmen gemacht worden sind. Gilbert (Physiologia nova de Magnete lib. V. cap. 8 p. 200) rühmt die Methode als anwendbar »aëre caliginoso«. Edward Wright, in der Vorrede, welche er dem großen Werke seines Lehrers beigefügt hat, nennt einen solchen Vorschlag »vieles Goldes werth«. Da er mit Gilbert irrigerweise annahm, daß die isoklinischen Linien mit den geographischen Parallelkreisen, wie der magnetische Aequator mit dem geographischen, zusammenfielen; so bemerkte er nicht, daß die erwähnte Methode eine locale und viel eingeschränktere Anwendung hat., in den er einlaufen soll.
Wenn die plötzlich in ihrem stündlichen Gange gestörte Nadel das Dasein eines magnetischen Ungewitters verkündigt, so bleibt der Sitz der Perturbations-Ursach: ob sie in der Erdrinde selbst oder im oberen Luftkreise zu suchen sei, leider für uns noch unentschieden. Betrachten wir die Erde als einen wirklichen Magnet, so sind wir genöthigt, nach dem Ausspruch des tiefsinnigen Gründers einer allgemeinen Theorie des Erd-Magnetismus, Friedrich Gauß, durchschnittlich wenigstens jedem Theile der Erde, der ein Achtel Cubikmeter, d. i. 37/10 Cubikfuß, groß ist, eine eben so starke Magnetisirung beizulegen, als ein einpfündiger Magnetstab enthältGauß und Weber, Resultate des magnetischen Vereins im J. 1838 § 31 S. 46.. Wenn Eisen und Nickel, wahrscheinlich auch Kobalt (nicht ChromNach Faraday's Behauptung (London and Edinburgh Philosophical Magazine Vol. VII. 1836 p. 178) ist dem reinen Kobalt der Magnetismus ganz abzusprechen. Es ist nur nicht unbekannt, daß andre berühmte Chemiker (Heinrich Rose und Wöhler) diese Behauptung für nicht absolut entscheidend halten. Wenn von zwei mit Sorgfalt gereinigten Kobalt-Massen, welche man beide für nickelfrei hält, sich die eine als ganz unmagnetisch (im ruhenden Magnetismus) zeigt; so scheint mir der Verdacht, daß die andere ihre magnetische Eigenschaft einem Mangel von Reinheit verdanke, doch wahrscheinlich und für Faraday's Ansicht sprechend., wie man lange geglaubt hat), die alleinigen Substanzen sind, welche dauernd magnetisch werden und die Polarität durch eine gewisse Coercitivkraft zurückhalten; so beweisen dagegen die Erscheinungen von Arago's Rotations-Magnetismus und Faraday's inducirten Strömen, daß wahrscheinlich alle tellurischen Stoffe vorübergehend sich magnetisch verhalten können. Nach den Versuchen des ersteren der eben genannten großen Physiker wirken auf die Schwingungen einer Nadel Wasser, EisArago in den Annales de Chimie T. XXXII. p. 214; Brewster, treatise on Magnetism 1837 p. 111; Baumgartner in der Zeitschrift für Phys. und Mathem. Bd. II. S. 419., Glas und Kohle ganz wie Quecksilber in den Rotations-Versuchen. Fast alle Stoffe zeigen sich in einem gewissen Grade magnetisch, wenn sie leitend sind, d. h. von der Electricität durchströmt werden.
So uralt auch bei den westlichen Völkern die Kenntniß der Ziehkraft natürlicher Eisen-Magnete zu sein scheint, so war doch (und diese historisch sehr fest begründete 187 Thatsache ist auffallend genug) die Kenntniß der Richtkraft einer Magnetnadel, ihre Beziehung auf den Erd-Magnetismus nur dem äußersten Osten von Asien, den Chinesen, eigenthümlich. Tausend und mehr Jahre vor unserer Zeitrechnung, zu der dunklen Epoche des Kodros und der Rückkehr der Herakliden nach dem Peloponnes hatten die Chinesen schon magnetische Wagen, auf denen der bewegliche Arm einer Menschengestalt unausgesetzt nach Süden wies, um sicher den Landweg durch die unermeßlichen Grasebenen der Tartarei zu finden; ja im dritten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung, also wenigstens 700 Jahre vor der Einführung des Schiffscompasses in den europäischen Meeren, segelten schon chinesische Fahrzeuge in dem indischen OceanHumboldt, Examen critique de l'hist. de la Géographie T. III. p. 36. nach magnetischer Süd-Weisung. Ich habe in einem anderen Werke gezeigt, welche VorzügeAsie centrale T. I. Introduction p. XXXVII–XLII. Die westlichen Völker, Griechen und Römer, wußten, daß Magnetismus dem Eisen langdauernd mitgetheilt werden kann (»sola haec materia ferri vires a magnete lapide accipit retinetque longo tempore« Plin. XXXIV, 14). Die große Entdeckung der tellurischen Richtkraft hing also allein davon ab, daß man im Occident nicht durch Zufall ein längliches Fragment Magnetstein oder einen magnetisirten Eisenstab, mittelst Holz auf Wasser schwimmend oder an einem Faden hangend, in freier Bewegung beobachtet hatte. dieses Mittel topographischer Orientirung, diese frühe Kenntniß und Anwendung der dem Westen unbekannten Magnetnadel den chinesischen Geographen vor den griechischen und römischen gegeben hat, denen z. B. die wahre Richtung der Apenninen und Pyrenäen stets unbekannt blieb.
Die magnetische Kraft unsres Planeten offenbart sich an seiner Oberfläche in drei Classen von Erscheinungen, deren eine die veränderliche Intensität der Kraft, zwei andere die veränderliche Richtung in der Neigung und in der horizontalen Abweichung vom terrestrischen Meridiane des Orts darbieten. Die Gesammtwirkung nach außen wird also graphisch durch drei Systeme von Linien bezeichnet: die der isodynamischen, isoklinischen und isogonischen (gleicher Kraft, gleicher Neigung und gleicher Abweichung). Der Abstand und die relative Lage 188 dieser stets bewegten, oscillirend fortschreitenden Curven bleiben nicht immer dieselben. Die totale Abweichung (Variation oder Declination der Magnetnadel) verändert sich an gewissen PunktenEin sehr langsames seculares Fortschreiten oder gar eine locale Unveränderlichkeit der Magnet-Declination hebt die Verwirrung auf, welche durch tellurische Einwirkungen in der Quantität des räumlichen Bodenbesitzes da entsteht, wo mit völliger Unbeachtung der Declinations-Correction das Grundeigenthum, zu sehr verschiedenen Zeitepochen, durch bloße Anwendung der Bussole vermessen worden ist. »The whole mass of West-India property«, sagt Sir John Herschel, »has been saved from the bottomless pit of endless litigation by the invariability of the magnetic declination in Jamaica and the surrounding archipelago during the whole of the last century, all surveys of property there having been conducted solely by the compass.« Vergl. Robertson in den Philos. Transact. for 1806 P. II. p. 348 on the permanency of the compass in Jamaica since 1660. In dem Mutterlande (England) hat sich die Magnet-Declination in derselben Zeit um volle 14° verändert. der Erde, z. B. in dem westlichen Theil der Antillen und in Spitzbergen, in einem ganzen Jahrhundert gar nicht oder auf eine bisher kaum bemerkbare Weise. Eben so zeigt sich, daß die isogonischen Curven, wenn sie in ihrer secularen Bewegung von der Oberfläche des Meers auf einen Continent oder eine Insel von beträchtlichem Umfange gerathen, lange auf denselben verweilen und dann im Fortschreiten sich krümmen.
Diese allmälige Umwandlung der Gestaltungen, welche die Translation begleiten und die Gebiete der östlichen und westlichen Abweichung im Laufe der Zeiten so ungleich erweitern, macht es schwer, in den graphischen Darstellungen, welche verschiedenen Jahrhunderten angehören, die Uebergänge und Analogie der Formen aufzufinden. Jeder Zweig einer Curve hat seine Geschichte: aber diese Geschichte steigt bei den westlichen Völkern nirgends höher hinauf als bis zu der denkwürdigen Epoche (13 September 1492), wo der Wieder-Entdecker der Neuen Welt 3° westlich vom Meridian der azorischen Insel Flores eine Linie ohne Abweichung erkannteIch habe an einem andern Orte gezeigt, daß man in den auf uns gekommenen Documenten über die Schifffahrten von Christoph Columbus mit vieler Sicherheit drei Ortsbestimmungen der atlantischen Linie ohne Abweichung für den 13 September 1492, den 21 Mai 1496 und den 16 August 1498 erkennen kann. Die atlantische Curve ohne Abweichung war zu jenen Epochen NO–SW gerichtet. Sie berührte den südamerikanischen Continent etwas östlich vom Cap Codera, während jetzt die Berührung an der Nordküste von Brasilien beobachtet wird (Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. III. p. 44-48). Aus Gilbert's Physiologia nova de Magnete sieht man deutlich (und diese Thatsache ist sehr auffallend), daß im Jahr 1600 die Abweichung noch null in der Gegend der Azoren war lib. IV cap. 1: ganz wie zu Columbus Zeit. Ich glaube in meinem Examen critique (T. III. p. 54) aus Documenten erwiesen zu haben, daß die berühmte Demarcations-Linie, durch welche der Pabst Alexander VI die westliche Hemisphäre zwischen Portugal und Spanien theilte, darum nicht durch die westlichste der Azoren gezogen wurde, weil Columbus eine physische Abtheilung in eine politische zu verwandeln wünschte. Er legte nämlich eine große Wichtigkeit auf die Zone (raya): »auf welcher die Bussole keine Variation mehr zeige; wo Luft und Meer, letzteres mit Tang wiesenartig bedeckt, sich anders gestalten; wo kühle Winde anfangen zu wehen, und (so lehrten es ihn irrige Beobachtungen des Polarsternes) die Gestalt (Sphäricität) der Erde nicht mehr dieselbe sei.«. Ganz Europa hat jetzt, einen kleinen Theil von Rußland abgerechnet, eine westliche Abweichung: während daß am Ende des 17ten Jahrhunderts, erst in London 1657 und dann 1669 in Paris (also trotz der kleinen Entfernung mit einem Unterschiede von 12 Jahren), die Nadel gerade nach dem Nordpol wies. Im östlichen Rußland: im Osten von dem Ausfluß der Wolga, von Saratow, Nischni-Nowgorod und Archangelsk, dringt von Asien her die östliche Abweichung zu 189 uns ein. In dem weit ausgedehnten Gebiete des nördlichen Asiens haben uns zwei vortreffliche Beobachter, Hansteen und Adolph Erman, die wunderbare doppelte Krümmung der Abweichungslinien kennen gelehrt: concav gegen den Pol gerichtet zwischen Obdorsk am Obi und Turuchansk, convex zwischen dem Baikal-See und dem Ochotskischen Meerbusen. In diesem letzteren Theile der Erde, im nordöstlichen Asien, zwischen dem Werchojansker Gebirge, Jakutsk und dem nördlichen Korea, bilden die isogonischen Linien ein merkwürdiges in sich geschlossenes System. Diese eiförmige GestaltungEs ist eine Frage von dem höchsten Interesse für das Problem der physischen Ursachen des tellurischen Magnetismus: ob die beiden ovalen, so wunderbar in sich geschlossenen Systeme isogonischer Linien im Laufe der Jahrhunderte in dieser geschlossenen Form fortrücken, oder sich auflösen und entfalten werden? In dem ostasiatischen Knoten nimmt die Abweichung von außen nach innen zu, im Knoten oder Oval der Südsee findet das Entgegengesetzte statt; ja man kennt gegenwärtig in der ganzen Südsee, östlich vom Meridian von Kamtschatka, keine Linie ohne Abweichung: keine, die unter 2° wäre (Erman in Poggend. Annalen Bd. XXI. S. 129). Doch scheint Cornelius Schouten am Ostertage des Jahres 1616 etwas südöstlich von Nukahiva, bei 15° südl. Breite und 132° westl. Länge, also mitten in dem jetzigen in sich geschlossenen isogonischen Systeme, die Abweichung null gefunden zu haben (Hansteen, Magnetismus der Erde 1819 S. 28). Man muß bei allen diesen Betrachtungen nicht vergessen, daß wir die Richtung der magnetischen Linien in ihrem Fortschreiten nur so verfolgen können, wie sie auf der Erdoberfläche projicirt sind. wiederholt sich regelmäßiger und in einem größeren Umfange in der Südsee, fast im Meridian von Pitcairn und der Inselgruppe der Marquesas, zwischen 20° nördlicher und 45° südlicher Breite. Man könnte geneigt sein eine so sonderbare Configuration in sich geschlossener, fast concentrischer Abweichungslinien für die Wirkung einer Localbeschaffenheit des Erdkörpers zu halten; sollten aber auch diese isolirt scheinenden Systeme sich in dem Lauf der Jahrhunderte fortbewegen, so muß man hier, wie bei allen großen Naturkräften, auf eine allgemeinere Ursach der Erscheinung schließen.
Die stündlichen Veränderungen der Abweichung: von der wahren Zeit abhängig, scheinbar von der Sonne beherrscht, so lange sie über dem Horizonte eines Orts ist, nehmen mit der magnetischen Breite in ihrem angularen Werthe ab. Nahe am Aequator, z. B. auf der Insel Rawak, sind sie kaum drei bis vier Minuten, wenn sie im mittleren Europa 13 bis 14 Minuten betragen. Da nun in der ganzen nördlichen Hemisphäre das Nord-Ende der Nadel im Durchschnitt von 8½ Uhr Morgens bis 1½ 190 Uhr Mittags von Ost gen West, und in derselben Zeit in der südlichen Hemisphäre dasselbe Nord-Ende von West gen Ost fortschreitet; so hat man neuerlichst mit Recht darauf aufmerksam gemachtArago im Annuaire du Bur. des Long. pour 1836 p. 284 und pour 1840 p. 330–338., daß es eine Region der Erde, wahrscheinlich zwischen dem terrestrischen und magnetischen Aequator, geben muß, in welcher keine stündliche Veränderung der Abweichung zu bemerken ist. Diese vierte Curve, die der Nicht-Bewegung oder vielmehr Nicht-Veränderung der stündlichen Abweichung, ist bis jetzt noch nicht aufgefunden worden.
Wie man magnetische Pole die Punkte der Erdoberfläche nennt, wo die horizontale Kraft verschwindet, und diesen Punkten mehr Wichtigkeit zuschreibt, als ihnen eigentlich zukommtGauß, allg. Theorie des Erdmagnetismus § 31.: so wird der magnetische Aequator diejenige Curve genannt, auf welcher die Neigung der Nadel null ist. Die Lage dieser Linie und ihre seculare Gestalt-Veränderung ist in neueren Zeiten ein Gegenstand sorgfältiger Untersuchung gewesen. Nach der vortrefflichen Arbeit Duperrey'sDuperrey de la configuration de l'équateur magnétique in den Annales de Chimie T. XLV. p. 371 und 379 (vergl. auch Morlet in den Mémoires présentés par divers savans à l'Acad. roy. des Sciences T. III. p. 132)., welcher den magnetischen Aequator zwischen den Jahren 1822 und 1825 sechsmal berührt hat, sind die Knoten der beiden Aequatoren: die zwei Punkte, in denen die Linie ohne Neigung den terrestrischen Aequator schneidet und demnach aus einer Hemisphäre in die andere übergeht, so ungleich vertheilt, daß im Jahr 1825 der Knoten bei der Insel St. Thomas an der Westküste von Afrika 188°½ von dem Knoten in der Südsee bei den kleinen Gilberts-Inseln (fast in dem Meridian der Viti-Gruppe) auf dem kürzesten Wege entfernt lag. Ich habe am Anfang dieses Jahrhunderts auf einer Höhe von 11200 Fuß über dem Meere den Punkt (7° 1' südl. Breite 191 und 8° 54' westl. Länge) astronomisch bestimmen können, wo im Inneren des Neuen Continents die Andeskette zwischen Quito und Lima von dem magnetischen Aequator durchkreuzt wird. Von da in Westen verweilt dieser fast durch die ganze Südsee, dem terrestrischen Aequator sich langsam nähernd, in der südlichen Halbkugel. Er geht erst in die nördliche Halbkugel über kurz vor dem indischen Archipelagus, berührt nur die Südspitzen von Asien, und tritt in das afrikanische Festland ein westlich von Socotora, fast in der Meerenge von Bab-el-Mandeb: wo er sich dann am meisten von dem terrestrischen Aequator entfernt. Das unbekannte Land von Inner-Afrika durchschneidend in der Richtung nach Südwest, kehrt der magnetische Aequator in dem Golf von Guinea in die südliche Tropenzone zurück, und entfernt sich vom terrestrischen Aequator so sehr, daß er die brasilianische Küste bei os Ilheos nördlich von Porto Seguro in 15° südl. Breite berührt. Von da an bis zu der Hochebene der Cordilleren, zwischen den Silbergruben von Micuipampa und dem alten Inca-Sitze von Caxamarca, wo ich die Inclination beobachten konnte, durchläuft er ganz Südamerika: das für jetzt unter diesen südlichen Breiten eine magnetische Terra incognita, wie das Innere von Afrika, ist.
Neue von SabineS. die merkwürdige Karte isoklinischer Linien im atlantischen Ocean für die Jahre 1825 und 1837 in Sabine's contributions to terrestrial Magnetism 1840 p. 139. gesammelte Beobachtungen haben uns gelehrt, daß der Knoten der Insel St. Thomas von 1825 bis 1837 bereits 4° von Osten gegen Westen gewandert ist. Es wäre ungemein wichtig zu wissen, ob der entgegengesetzte Pol der Gilberts-Inseln in der Südsee eben so viel gegen Westen sich dem Meridian der Carolinen genähert hat. Die hier gegebene allgemeine Uebersicht muß 192 genügen, um die verschiedenen Systeme nicht ganz paralleler isoklinischer Linien an die große Erscheinung des Gleichgewichts, welche sich im magnetischen Aequator offenbart, zu knüpfen. Für die Ergründung der Gesetze des tellurischen Magnetismus ist es kein geringer Vorzug, daß der magnetische Aequator, dessen oscillirender Gestaltenwechsel und dessen Knotenbewegung, mittelst der veränderten magnetischen Breiten, einen Einfluß(S. 192.) Humboldt über die seculäre Veränderung der magnetischen Inclination, in Poggend. Annalen Bd. XV. S. 322. auf die Neigung der Nadel in den fernsten Weltgegenden ausüben, in seiner ganzen Länge, bis auf 1/5, oceanisch ist und daher, durch ein merkwürdiges Raumverhältniß zwischen Meer und Land, um so zugänglicher wird, als man gegenwärtig im Besitz von Mitteln ist beides, Abweichung und Inclination, während der Schifffahrt mit vieler Genauigkeit zu bestimmen.
Wir haben die Vertheilung des Magnetismus auf der Oberfläche unsers Planeten nach den zwei Formen der Abweichung und der Neigung geschildert. Es bleibt uns die dritte Form, die der Intensität der Kraft, übrig, welche graphisch durch isodynamische Curven (Linien gleicher Intensität) ausgedrückt wird. Die Ergründung und Messung dieser Kraft durch Schwingung einer verticalen oder horizontalen Nadel hat erst seit dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts in ihren tellurischen Beziehungen ein allgemeines und lebhaftes Interesse erregt. Die Messung der horizontalen Kraft ist, besonders durch Anwendung feiner optischer und chronometrischer Hülfsmittel, eines Grades der Genauigkeit fähig geworden, welcher die aller anderen magnetischen Bestimmungen weit übertrifft. Wenn für die unmittelbare Anwendung auf Schifffahrt und Steuerung die isogonischen Linien die wichtigeren sind: so zeigen sich nach den 193 neuesten Ansichten die isodynamischen, vornehmlich die, welche die Horizontal-Kraft bezeichnen, als diejenigen, welche der Theorie des Erd-MagnetismusGauß, Resultate der Beob. des magn. Vereins im Jahr 1838 § 21; Sabine, report on the variations of the magnetic Intensity p. 63. die fruchtbringendsten Elemente darbieten. Am frühesten ist durch Beobachtung die Thatsache erkanntFolgendes ist der historische Hergang der Auffindung des Gesetzes von der (im allgemeinen) mit der magnetischen Breite zunehmenden Intensität der Kräfte. Als ich mich 1798 der Expedition des Capitän Baudin zu einer Erdumseglung anschließen wollte, wurde ich von Borda, der einen warmen Antheil an der Ausführung meiner Entwürfe nahm, aufgefordert, unter verschiedenen Breiten in beiden Hemisphären eine senkrechte Nadel im magnetischen Meridian schwingen zu lassen: um zu ergründen, ob die Intensität der Kräfte dieselbe oder verschieden sei. Auf meiner Reise nach den amerikanischen Tropenländern machte ich diese Untersuchung zu einer der Hauptaufgaben meiner Unternehmung. Ich beobachtete, daß dieselbe Nadel, welche in 10 Minuten zu Paris 245, in der Havana 246, in Mexico 242 Schwingungen vollbrachte: innerhalb derselben Zeit zu San Carlos del Rio Negro (Breite 1° 53' N., Länge 80° 40' W.) 216; auf dem magnetischen Aequator: d. i. der Linie, auf der die Neigung = 0 ist, in Peru (Br. 7° 1' Süd, Länge 80° 54' W.) nur 211, in Lima (Br. 12° 2' S.) wieder 219 Schwingungen zeigte. Ich fand also in den Jahren 1799 bis 1803, daß die Totalkraft, wenn man dieselbe auf dem magnetischen Aequator in der peruanischen Andeskette zwischen Micuipampa und Caxamarca = 1,0000 setzt, in Paris durch 1,3482; in Mexico durch 1,3155; in San Carlos del Rio Negro durch 1,0480; in Lima durch 1,0773 ausgedrückt werde. Als ich in der Sitzung des Pariser Instituts am 26 Frimaire des Jahres XIII in einer Abhandlung, deren mathematischer Theil Herrn Biot zugehört, dies Gesetz der veränderlichen Intensität der tellurischen Magnetkraft entwickelte und durch den numerischen Werth der Beobachtungen in 104 verschiedenen Punkten erwies, wurde die Thatsache als vollkommen neu betrachtet. Erst nach der Lesung dieser Abhandlung, wie Biot in derselben (Lamétherie, Journal de Physique T. LIX. p. 446 note 2) sehr bestimmt sagt und ich in der Relation hist. T. I. p. 262 note 1 wiederholt habe, theilte Herr de Rossel seine sechs früheren, schon 1791–1794 auf Van Diemens Land, Java und Amboina gemachten Schwingungs-Beobachtungen an Biot mit. Aus denselben ergab sich ebenfalls das Gesetz abnehmender Kraft im indischen Archipelagus. Es ist fast zu vermuthen, daß dieser vortreffliche Mann, in seiner eigenen Arbeit, die Regelmäßigkeit der Zu- und Abnahme der Intensität nicht erkannt hatte: da er von diesem, gewiß nicht unwichtigen, physischen Gesetze vor der Lesung meiner Abhandlung unsern gemeinschaftlichen Freunden Laplace, Delambre, Prony und Biot nie etwas gesagt hatte. Erst im Jahr 1808, vier Jahre nach meiner Rückkunft aus Amerika, erschienen die von ihm angestellten Beobachtungen im Voyage d'Entrecasteaux T. II. p. 287, 291, 321, 480 und 644. Bis heute hat man die Gewohnheit beibehalten, in allen magnetischen Intensitäts-Tafeln, welche in Deutschland (Hansteen, Magnet. der Erde 1819 S. 71; Gauß, Beob. des magnet. Vereins 1838 S. 36–39; Erman, physikal. Beob. 1841 S. 529–579), in England (Sabine, report on magnet. Intensity 1838 p. 43–62, contributions to terrestrial Magnetism 1843) und in Frankreich (Becquerel, traité d'Électr. et de Magnét. T. VII. p. 354–367) erschienen sind, die irgend wo auf dem Erdkörper beobachteten Schwingungen auf das Maaß der Kraft zu reduciren, welches ich auf dem magnetischen Aequator im nördlichen Peru gefunden habe: so daß bei dieser willkührlich angenommenen Einheit die Intensität der magnetischen Kraft zu Paris 1,348 gesetzt wird. Noch älter aber als des Admirals Rossel Beobachtungen sind die, welche auf der unglücklichen Expedition von la Pérouse, von dem Aufenthalt in Teneriffa (1785) an bis zur Ankunft in Macao (1787), durch Lamanon angestellt und an die Akademie der Wissenschaften geschickt wurden. Man weiß bestimmt (Becquerel T. VII. p. 320), daß sie schon im Julius 1787 in den Händen Condorcet's waren; sie sind aber trotz aller Bemühungen bis jetzt nicht wieder aufgefunden worden. Von einem sehr wichtigen Briefe Lamanon's an den damaligen perpetuirlichen Secretär der Akademie, den man vergessen in dem Voyage de la Pérouse abzudrucken, besitzt der Capitän Duperrey eine Abschrift. Es heißt darin ausdrücklich: »que la force attractive de l'aimant est moindre dans les tropiques qu'en avançant vers les pôles, et que l'intensité magnétique déduite du nombre des oscillations de l'aiguille de la boussole d'inclinaison change et augmente avec la latitude.« Hätte die Akademie der Wissenschaften vor der damals gehofften Rückkunft des unglücklichen la Pérouse sich berechtigt geglaubt, im Lauf des Jahres 1787 eine Wahrheit zu publiciren, welche nach einander von drei Reisenden, deren keiner den anderen kannte, aufgefunden ward; so wäre die Theorie des tellurischen Magnetismus 18 Jahre früher durch die Kenntniß einer neuen Classe von Erscheinungen erweitert worden. Diese einfache Erzählung der Thatsachen kann vielleicht eine Behauptung rechtfertigen, welche der dritte Band meiner Relation historique (p. 615) enthält: »Les observations sur les variations du magnétisme terrestre auxquelles je me suis livré pendant 32 ans, au moyen d'instrumens comparables entre eux, en Amérique, en Europe et en Asie; embrassent, dans les deux hémisphères, depuis les frontières de la Dzoungarie chinoise jusque vers l'ouest à la Mer du Sud, qui baigne les côtes du Mexique et du Pérou, un espace de 188° de longitude, depuis les 60° de latitude nord jusqu' aux 12° de latitude sud. J'ai regardé la loi du décroissement des forces magnétiques, du pôle à l'équateur, comme le résultat le plus important de mon voyage américain.« Es ist nicht gewiß, aber sehr wahrscheinlich, daß Condorcet den Brief Lamanon's vom Julius 1787 in einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu Paris vorgelesen hat; und eine solche bloße Vorlesung halte ich für eine vollgültige Art der Publication (Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1842 p. 463). Die erste Erkennung des Gesetzes gehört daher unstreitig dem Begleiter la Pérouse's an; aber, lange unbeachtet oder vergessen, hat, wie ich glauben darf, die Kenntniß des Gesetzes der mit der Breite veränderlichen Intensität der magnetischen Erdkraft erst in der Wissenschaft Leben gewonnen durch die Veröffentlichung meiner Beobachtungen von 1798 bis 1804. Der Gegenstand und die Länge dieser Note wird denen nicht auffallend sein, welche mit der neueren Geschichte des Magnetismus und dem durch dieselbe angeregten Zweifel vertraut sind; auch aus eigener Erfahrung wissen, daß man einigen Werth auf das legt, womit man sich fünf Jahre lang ununterbrochen unter den Beschwerden des Tropenklima's und gewagter Gebirgsreisen beschäftigt hat. worden, daß die Intensität der Totalkraft vom Aequator gegen die Pole hin zunimmt.
Die Kenntniß des Maaßes dieser Zunahme und die Ergründung aller numerischen, den ganzen Erdkörper umfassenden Verhältnisse des Intensitäts-Gesetzes verdankt man besonders seit dem Jahre 1819 der rastlosen Thätigkeit von Edward Sabine: welcher, nachdem er am amerikanischen Nordpol, in Grönland, in Spitzbergen, an den Küsten von Guinea und in Brasilien dieselben Nadeln hat schwingen lassen, fortwährend alles sammelt und ordnet, was die Richtung der isodynamischen Linien aufklären kann. Den ersten Entwurf eines isodynamischen Systems, in Zonen getheilt, habe ich selbst für einen kleinen Theil von Südamerika geliefert. Es sind diese Linien nicht den Linien gleicher Neigung parallel; die Intensität der Kraft ist nicht, wie man anfangs geglaubt hat, am schwächsten auf dem magnetischen Aequator, sie ist nicht einmal gleich auf allen Theilen desselben. Wenn man Erman's Beobachtungen im südlichen Theile des atlantischen Oceans, wo eine schwächende Zone sich von Angola über die Insel St. Helena bis an die brasilianische Küste (0,706) hinzieht, mit den neuesten Beobachtungen des großen Seefahrers James Clark Roß vergleicht: so findet man, daß an der Oberfläche unseres Planeten die Kraft gegen den magnetischen Südpol hin: da, wo das Victoria-Land sich vom Cap Crozier gegen den 11600 Fuß hohen, aus dem Eise 194 aufsteigenden Vulkan Erebus verlängert, fast im Verhältniß wie 1 zu 3 zunimmtDas Maximum der Intensität der ganzen Erdoberfläche ist nach den bisher gesammelten Beobachtungen 2,052, das Minimum 0,706. Beide Erscheinungen gehören der südlichen Hemisphäre an: die erste der Br. 73° 47' S. und Länge 169° 30' O.: nahe bei Mount Crozier, in WNW des südlichen Magnetpols: an einem Punkte, wo Capitän James Roß die Inclination der Nadel 87° 11' fand (Sabine, contributions to terrestrial Magnetism 1843 No. 5 p. 231); die zweite, von Erman beobachtete, unter Br. 19° 59' S. und Länge 37° 24' W., an 80 Meilen östlich von der brasilianischen Küste der Provinz Espiritu Santo (Erman, phys. Beob. 1841 S. 570): an einem Punkte, wo die Inclination nur 7° 55' ist. Das genaue Verhältniß der Intensitäten ist also wie 1 zu 2,906. Man hatte lange geglaubt, die stärkste Intensität der magnetischen Erdkraft sei nur zwei und ein halbmal so groß als die schwächste, welche die Oberfläche unsers Planeten zeigt (Sabine, report on magn. Intensity p. 82).. Wenn die Intensität nahe bei dem magnetischen Südpol durch 2,052 ausgedrückt wird (man nimmt noch immer zur Einheit die Intensität, welche ich auf dem magnetischen Aequator im nördlichen Peru gefunden), so fand sie Sabine dem magnetischen Nordpol nahe in Melville's Insel (Br. 74° 27' N.) nur 1,624, während sie in den Vereinigten Staaten bei Neu-York (also fast unter Einer Breite mit Neapel) 1,803 ist.
Durch die glänzenden Entdeckungen von Oersted, Arago und Faraday ist die electrische Ladung des Luftkreises der magnetischen Ladung des Erdkörpers näher gerückt. Wenn durch Oersted aufgefunden worden ist, daß die Electricität in der Umgebung des sie fortleitenden Körpers Magnetismus erregt, so werden dagegen in Faraday's Versuchen durch den freigewordenen Magnetismus electrische Strömungen hervorgerufen. Magnetismus ist eine der vielfachen Formen, unter denen sich die Electricität offenbart. Die uralte dunkle Ahndung von der Identität der electrischen und magnetischen Anziehung ist in unserer Zeit in Erfüllung gegangen. »Wenn das Electrum (der Bernstein)«, sagt PliniusVom Bernstein (succinum, glessum) sagt Plinius XXXVII, 3: »Genera ejus plura. Attritu digitorum accepta caloris anima trahunt in se paleas ac folia arida quae levia sunt, ac ut magnes lapis ferri ramenta quoque.« (Plato in Timaeo p. 80; Martin, études sur le Timée T. UU. p. 343–346; Strabo XV p. 703 Casaub.; Clemens Alex. Strom. II. p. 370: wo sonderbar genug τὸ σούχιον und τὸ ἤλεκτρον unterschieden werden.) Wenn Thales in Aristot. de Anima I, 2 und Hippias in Diog. Laertio I, 24 dem Magnet und dem Bernstein eine Seele zuschreiben, so deutet diese Beseelung nur auf ein bewegendes Princip. im Sinne der ionischen Naturphilosophie des Thales, »durch Reibung und Wärme beseelt wird, so zieht es Bast und dürre Blätter an, ganz wie der Magnetstein das Eisen.« Dieselben Worte finden wir in der Litteratur eines Volks, das den östlichsten Theil von Asien bewohnt, bei dem chinesischen Physiker Kuopho in der Lobrede des Magneten»Der Magnet zieht das Eisen, wie der Bernstein die kleinsten Senfkörner, an. Es ist wie ein Windeshauch, der beide geheimnißvoll durchwehet und pfeilschnell sich mittheilt.« Diese Worte gehören dem Kuopho, einem chinesischen Lobredner des Magnets, Schriftsteller aus dem Anfang des 4ten Jahrhunderts (Klaproth, Lettre à M. A. de Humboldt, sur l'invention de la Boussole, 1834 p. 125).. Nicht ohne Ueberraschung bemerkte ich auch an den waldigen Ufern des Orinoco, bei den Kinderspielen der Wilden, unter Volksstämmen, welche auf 195 der untersten Stufe der Roheit stehen, daß ihnen die Erregung der Electricität durch Reibung bekannt ist. Knaben rieben die trocknen, platten und glänzenden Saamen eines rankenden Schotengewächses (wahrscheinlich einer Negretia) so lange, bis sie Fasern von Baumwolle und Bambusrohr anzogen. Was die nackten kupferbraunen Eingebornen ergötzt, ist geeignet einen tiefen und ernsten Eindruck zu hinterlassen. Welche Kluft trennt nicht das electrische Spiel jener Wilden von der Erfindung eines gewitterentladenden metallischen Leiters, einer viele Stoffe chemisch zersetzenden Säule, eines lichterzeugenden magnetischen Apparats! In solcher Kluft liegen Jahrtausende der geistigen Entwickelungsgeschichte der Menschheit vergraben!
Der ewige Wechsel, die oscillatorische Bewegung, welche man in allen magnetischen Erscheinungen, denen der Neigung, der Abweichung, und der Intensität der Kräfte, wahrnimmt: nach den Stunden des Tages und auch der Nacht, nach den Jahreszeiten und dem Verlauf der ganzen Jahre; läßt sehr verschiedenartige partielle Systeme von electrischen Strömen in der Erdrinde vermuthen. Sind diese Strömungen, wie in Seebeck's Versuchen, thermomagnetisch unmittelbar durch ungleiche Vertheilung der Wärme erregt? oder soll man sie nicht vielmehr als durch den Stand der Sonne, durch die Sonnenwärme inducirt»The phenomena of periodical variations depend manifestly on the action of solar heat, operating probably through the medium of thermoelectric currents induced on the earth's surface. Beyond this rude guess however, nothing is as yet known of the physical cause. It is even still a matter of speculation, whether the solar influence be a principal, or only a subordinate cause in the phenomena of terrestrial magnetism.« (Observ. to be made in the Antarctic Exped. 1840 p. 35.) betrachten? Hat die Rotation des Planeten und das Moment der Geschwindigkeit, welches die einzelnen Zonen nach ihrem Abstande vom Aequator erlangen, Einfluß auf die Vertheilung des Magnetismus? Soll man den Sitz der Strömungen, d. i. der bewegten Electricität, in dem Luftkreise, in den interplanetaren Räumen oder in der Polarität der Sonne und des 196 Mondes suchen? Schon Galilei war in seinem berühmten Dialogo geneigt die parallele Richtung der Erdachse einem magnetischen Anziehungspunkt im Weltraume zuzuschreiben.
Wenn man sich das Innere des Erdkörpers als geschmolzen und einen ungeheuren Druck erleidend, als zu einer Temperatur erhoben denkt, für die wir kein Maaß haben; so muß man wohl auf einen magnetischen Kern der Erde verzichten. Allerdings geht erst bei der Weißglühhitze aller Magnetismus verlorenBarlow in den Philos. Transact. for 1822 P. I. p. 117; Sir David Brewster, treatise on Magnetism p. 129. Lange vor Gilbert und Hooke ward schon in dem chinesischen Werke Ou-thsa-tsou gelehrt, daß die Hitze die Richtkraft der Magnetnadel vermindere (Klaproth, Lettre à M. A. de Humboldt, sur l'invention de la Boussole p. 96).; er äußert sich noch, wenn das Eisen dunkelrothglühend ist; und so verschieden auch die Modificationen sein mögen, welche der Molecular-Zustand und die davon abhängige Coercitivkraft der Stoffe in den Versuchen erzeugen: so bleibt immer noch eine beträchtliche Dicke der Erdschicht über, die man als Sitz der magnetischen Ströme annehmen möchte. Was die alte Erklärung der stündlichen Variationen der Abweichung durch die progressive Erwärmung der Erde im scheinbaren Sonnenlauf von Osten nach Westen anbetrifft, so muß man sich dabei freilich auf die äußerste Oberfläche beschränken: da die in den Erdboden eingesenkten, jetzt an so vielen Orten genau beobachteten Thermometer zeigen, wie langsam die Sonnenwärme selbst auf die geringe Tiefe von einigen Fußen eindringt. Dazu ist der thermische Zustand der Meeresfläche, welche ⅔ des Planeten bedeckt, solchen Erklärungen wenig günstig: wenn von unmittelbarer Einwirkung die Rede ist, nicht von Induction aus der Luft- und Dunsthülle des Planeten.
Auf alle Fragen nach den letzten physischen Ursachen so complicirter Erscheinungen ist in dem jetzigen Zustande 197 unsers Wissens bisher keine befriedigende Antwort zu geben. Nur was in den dreifachen Manifestationen der Erdkraft sich als meßbare Verhältnisse des Raums und der Zeit, als das Gesetzmäßige im Veränderlichen darbietet, hat durch Bestimmung numerischer Mittelwerthe neuerdings die glänzendsten Fortschritte gemacht. Von Toronto in Ober-Canada an bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung und zu Van Diemens Land, von Paris bis Peking ist die Erde seit dem Jahre 1828 mit magnetischen WartenS. die Abhandlung on Terrestrial Magnetism im Quart. Review Vol. LXVI. 1840 p. 271–312. bedeckt worden, in denen ununterbrochen durch gleichzeitige Beobachtungen jede regelmäßige oder unregelmäßige Regung der Erdkraft erspähet wird. Man mißt eine Abnahme von 1/40000 der magnetischen Intensität, man beobachtet zu gewissen Epochen 24 Stunden lang alle 2½ Minuten. Ein großer englischer Astronom und Physiker hat berechnetAls die erste Aufforderung zur Errichtung dieser Warten (eines Netzes von Stationen, die mit gleichartigen Instrumenten versehen sind) von mir ausging, durfte ich nicht die Hoffnung hegen, daß ich selbst noch die Zeit erleben würde, wo durch die vereinte Thätigkeiten trefflicher Physiker und Astronomen, hauptsächlich aber durch die großartige und ausdauernde Unterstützung zweier Regierungen, der russischen und großbritannischen, beide Hemisphären mit magnetischen Häusern gleichsam bedeckt sein würden. Ich hatte in den Jahren 1806 und 1807 zu Berlin mit meinem Freunde und Mitarbeiter, Herrn Oltmanns, besonders zur Zeit der Solstitien und Aequinoctien, 5–6 Tage und eben so viel Nächte ununterbrochen von Stunde zu Stunde, oft von halber zu halber Stunde, den Gang der Nadel beobachtet. Ich hatte mich überzeugt, daß fortlaufende, ununterbrochene Beobachtungen (observatio perpetua) von mehreren Tagen und Nächten den vereinzelten Beobachtungen vieler Monate vorzuziehen seien. Der Apparat: ein Prony'sches magnetisches Fernrohr, in einem Glaskasten an einem Faden ohne Torsion aufgehangen, gab an einem fern aufgestellten, fein getheilten, bei Nacht durch Lampen erleuchteten Signale Winkel von 7 bis 8 Secunden. Magnetische Perturbationen (Ungewitter), die bisweilen in mehreren auf einander folgenden Nächten zu denselben Stunden wiederkehrten, ließen mich schon damals den lebhaften Wunsch äußern, ähnliche Apparate in Westen und Osten von Berlin benutzt zu sehen, um allgemeine tellurische Phänomene von dem zu unterscheiden, was localen Störungen im Innern des ungleich erwärmten Erdkörpers oder in der wolkenbildenden Atmosphäre zugehört. Meine Abreise nach Paris und die lange politische Unruhe im ganzen westlichen Europa hinderten damals die Erfüllung jenes Wunsches. Das Licht, welches (1820) die große Entdeckung Oersted's über den inneren Zusammenhang der Electricität und des Magnetismus verbreitete, erweckte endlich, nach langem Schlummer, ein allgemeines Interesse für den periodischen Wechsel der electromagnetischen Ladung des Erdkörpers. Arago, der mehrere Jahre früher auf der Sternwarte zu Paris, mit einem neuen vortrefflichen Gambey'schen Declinations-Instrumente, die längste ununterbrochene Reihe stündlicher Beobachtungen begonnen hatte, welche wir in Europa besitzen; zeigte durch Vergleichung mit gleichzeitigen Perturbations-Beobachtungen in Kasan, welchen Gewinn man aus correspondirenden Messungen der Abweichung ziehen könne. Als ich nach einem 18jährigen Aufenthalte in Frankreich nach Berlin zurückkehrte, ließ ich im Herbst 1828 ein kleines magnetisches Haus aufführen: nicht bloß, um die 1806 begonnene Arbeit fortzusetzen; sondern hauptsächlich, damit zu verabredeten Stunden gleichzeitig in Berlin, Paris und Freiberg (in einer Teufe von 35 Lachtern unter Tage) beobachtet werden könne. Die Gleichzeitigkeit der Perturbationen und der Parallelismus der Bewegungen für October und December 1829 wurde damals schon graphisch dargestellt (Poggend. Annalen Bd. XIX. S. 357 Tafel I–III). Eine auf Befehl des Kaisers von Rußland im Jahre 1829 unternommene Expedition im nördlichen Asien gab mir bald Gelegenheit meinen Plan in einem größeren Maaßstabe auszudehnen. Es wurde dieser Plan in einer von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften speciell ernannten Commission entwickelt; und unter dem Schutze des Chefs des Bergcorps, Grafen von Cancrin, und der vortrefflichen Leitung des Prof. Kupffer kamen magnetische Stationen von Nicolajeff an durch das ganze nördliche Asien über Catharinenburg, Barnaul und Nertschinsk bis Peking zu Stande. Das Jahr 1832 (Göttingische gelehrte Anzeigen St. 206, S. 2049–58) bezeichnet die große Epoche, in welcher der tiefsinnige Gründer einer allgemeinen Theorie des Erd-Magnetismus, Friedrich Gauß, auf der Göttinger Sternwarte die nach neuen Principien construirten Apparate aufstellte. Das magnetische Observatorium war 1834 vollendet; und in demselben Jahre (Resultate der Beob. des magnetischen Vereins im Jahr 1838 S. 135 und Poggend. Annalen Bd. XXXIII. S. 426) verbreitete Gauß seine Instrumente und Beobachtungs-Methode, an denen der sinnreiche Physiker Wilhelm Weber den lebhaftesten Antheil nahm, über einen großen Theil von Deutschland, Schweden und ganz Italien. In diesem nun von Göttingen wie von einem Centrum ausgehenden magnetischen Vereine wurden seit 1836 vier Jahrestermine von 24stündiger Dauer festgesetzt, welche mit denen der Aequinoctien und Solstitien, die ich befolgt und 1830 vorgeschlagen hatte, nicht übereinstimmten. Bis dahin hatte Großbritannien, im Besitz des größten Welthandels und der ausgedehntesten Schifffahrt, keinen Theil an der Bewegung genommen, welche seit 1828 wichtige Resultate für die ernstere Ergründung des tellurischen Magnetismus zu verheißen anfing. Ich war so glücklich, durch eine öffentliche Aufforderung, die ich von Berlin aus unmittelbar an den damaligen Präsidenten der Königl. Societät zu London, den Herzog von Sussex, im April 1836 richtete (Lettre de Mr. de Humboldt à S. A. R. le Duc de Sussex sur les moyens propres à perfectionner la connaissance du magnétisme terrestre par l'établissement de stations magnétiques et d'observations correspondantes), ein wohlwollendes Interesse für ein Unternehmen zu erregen, dessen Erweiterung längst das Ziel meiner heißesten Wünsche war. Ich drang in dem Briefe an den Herzog von Sussex auf permanente Stationen in Canada, auf St. Helena, dem Vorgebirge der guten Hoffnung, Ile de France, Ceylon und Neu-Holland: welche ich schon fünf Jahre früher als vortheilhaft bezeichnet hatte. Es wurde in dem Schooße der Royal Society ein joint Physical and Meteorological Committee ernannt, welches der Regierung neben den fixed magnetic Observatories in beiden Hemisphären ein equipment of a naval Expedition for magnetic observations in the Antarctic Seas vorschlug. Was die Wissenschaft in dieser Angelegenheit der großen Thätigkeit von Sir John Herschel, Sabine, Airy und Lloyd: wie der mächtigen Unterstützung der 1838 zu Newcastle versammelten British Association for the Advancement of Science verdankt; brauche ich hier nicht zu entwickeln. Im Junius 1839 wurde die magnetische antarctische Expedition unter dem Befehle des Capitäns James Clark Roß beschlossen; und jetzt, da sie ruhmvoll zurückgekehrt ist, genießen wir zwiefache Früchte: die der wichtigsten geographischen Entdeckungen am Südpole, und die gleichzeitiger Beobachtungen in 8 bis 10 magnetischen Stationen., daß die Masse der Beobachtungen, welche zu discutiren sind, in drei Jahren auf 1958000 anwachsen wird. Nie ist eine so großartige, so erfreuliche Anstrengung gezeigt worden, um das Quantitative der Gesetze in einer Naturerscheinung zu ergründen. Man darf daher wohl mit Recht hoffen, daß diese Gesetze, mit denen verglichen, welche im Luftkreise und in noch ferneren Räumen walten, uns allmälig dem Genetischen der magnetischen Erscheinungen selbst näher führen werden. Bis jetzt können wir uns nur rühmen, daß eine größere Zahl möglicher, zur Erklärung führender Wege eröffnet worden sind. In der physischen Lehre vom Erd-Magnetismus, welche mit der rein mathematischen nicht verwechselt werden darf, finden sich, wie in der Lehre von den meteorologischen Processen des Luftkreises, diejenigen vollkommen befriedigt, die in 198 den Erscheinungen bequem alles Factische wegläugnen, was sie nicht nach ihren Ansichten erklären können.
Der tellurische Magnetismus, die electro-dynamischen, von dem geistreichen AmpèreAmpère, statt die innere Erdwärme einem Uebergange der Stoffe aus dem dunstartig-flüssigen in den starren Zustand bei Bildung des Planeten zuzuschreiben, hing der, mir sehr unwahrscheinlichen Meinung an, die Erdwärme sei Folge der fortdauernden chemischen Wirkung eines Kernes von Erd- und alkalischen Metallen gegen die sich oxydirende äußere Rinde. »On ne peut douter«, sagt er in der meisterhaften théorie des phénomènes électrodynamiques (1826 p. 199), »qu'il existe dans l'intérieur du Globe des courants électromagnétiques et que ces courants sont la cause de la chaleur qui lui est propre. Ils naissent d'un noyau métallique central, composé des métaux que Sir Humphry Davy nous a fait connaître, agissant sur la couche oxidée qui entoure le noyau.« gemessenen Kräfte, stehen gleichzeitig in innigem Verkehr mit dem Erd- oder Polar-Lichte, wie mit der inneren und äußeren Wärme des Planeten, dessen Magnet-Pole als Kälte-PoleDer denkwürdige Zusammenhang zwischen der Krümmung der magnetischen Linien und der Krümmung meiner Isothermen ist zuerst von Sir David Brewster aufgefunden worden; s. Transactions of the Royal Society of Edinburgh Vol. IX. 1821 p. 318 und treatise on Magnetism 1837 p. 42, 44, 47 und 268. Dieser berühmte Physiker nimmt in der nördlichen Erdhälfte zwei Kältepole (poles of maximum cold) an: einen amerikanischen (Br. 73°, Länge 102° West, nahe bei Cap Walker) und einen asiatischen (Br. 73°; Länge 78° Ost); daraus entstehen nach ihm zwei Wärme- und zwei Kälte-Meridiane, d. h. Meridiane der größten Wärme und Kälte. Schon im 16ten Jahrhunderte lehrte Acosta (Historia natural de las Indias 1589 lib. I. cap. 17), indem er sich auf die Beobachtungen eines vielerfahrnen portugiesischen Piloten gründete, daß es vier Linien ohne Abweichung gebe. Diese Ansicht scheint durch die Streitigkeiten des Henry Bond (Verfassers der Longitude found 1676) mit Beckborrow auf Halley's Theorie der vier Magnetpole einigen Einfluß gehabt zu haben. S. mein Examen critique de l'hist. de la Géographie T. III. p. 60. betrachtet werden. Wenn HalleyHalley in den Philosophical Transactions Vol. XXIX. (for 1714–1716) No. 341. vor 128 Jahren nur als eine gewagte Vermuthung aussprach, daß das Nordlicht eine magnetische Erscheinung sei, so hat Faraday's glänzende Entdeckung (Lichtentwickelung durch magnetische Kräfte) jene Vermuthung zu einer empirischen Gewißheit erhoben. Es giebt Vorboten des Nordlichtes. Bereits am Morgen vor der nächtlichen Lichterscheinung verkündigt gewöhnlich der unregelmäßige stündliche Gang der Magnetnadel eine Störung des Gleichgewichts in der Vertheilung des Erd-Magnetismus. Wenn diese Störung eine große Stärke erreicht, so wird das Gleichgewicht der Vertheilung durch eine von Lichtentwickelung begleitete Entladung wiederhergestellt. »Das NordlichtDove in Poggendorff's Annalen Bd. XX. S. 341, Bd. XIX. S. 388: »Die Declinationsnadel verhält sich ungefähr wie ein atmosphärisches Electrometer: dessen Divergenz ebenfalls die gesteigerte Spannung der Electricität erzeugt, ehe diese so groß geworden ist, daß der Funken (Blitz) überschlagen kann.« Vergl. auch die scharfsinnigen Betrachtungen des Prof. Kämtz in seinem Lehrbuch der Meteorologie Bd. III. S. 511–519; Sir David Brewster, treatise on Magnetism p. 280. Ueber die magnetischen Eigenschaften des galvanischen Flammen- oder Lichtbogens an einer Bunsen'schen Kohlenzinkbatterie s. Casselmann's Beob. (Marburg 1844) S. 56–62. selbst ist dann nicht als eine äußere Ursache der Störung anzusehen, sondern vielmehr als eine bis zum leuchtenden Phänomen gesteigerte tellurische Thätigkeit: deren eine Seite jenes Leuchten, die andere die Schwingungen der Nadel sind.« Die prachtvolle Erscheinung des farbigen Polarlichtes ist der Act der Entladung, das Ende eines magnetischen Ungewitters: wie in dem electrischen Ungewitter ebenfalls eine Lichtentwickelung, der Blitz, die Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts in der Vertheilung der Electricität bezeichnet. Das electrische Ungewitter ist gewöhnlich auf 199 einen kleinen Raum eingeschränkt, und außerhalb desselben bleibt der Zustand der Luft-Electricität ungeändert. Das magnetische Ungewitter dagegen offenbart seine Wirkung auf den Gang der Nadel über große Theile der Continente; wie Arago zuerst entdeckt hat, fern von dem Orte, wo die Lichtentwickelung sichtbar wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß, wie bei schwer geladenem, drohendem Gewölke und bei oftmaligem Uebergehen der Luft-Electricität in einen entgegengesetzten Zustand es doch nicht immer zur Entladung in Blitzen kommt: so auch magnetische Ungewitter große Störungen des stündlichen Ganges der Nadel in weitem Umkreise hervorrufen können, ohne daß das Gleichgewicht der Vertheilung nothwendig durch Explosion, durch leuchtendes Ueberströmen von einem Pol zum Aequator oder gar von Pol zu Pol erneuert werden müsse.
Wenn man alle Einzelheiten der Erscheinung in ein Bild zusammenfassen will, so sind die Entstehung und der Verlauf eines sich ganz ausbildenden Nordlichtes also zu bezeichnen: Tief am Horizont, ungefähr in der Gegend, wo dieser vom magnetischen Meridian durchschnitten wird, schwärzt sich der vorher heitere Himmel. Es bildet sich wie eine dicke Nebelwand, die allmälig aufsteigt und eine Höhe von 8 bis 10 Graden erreicht. Die Farbe des dunklen Segments geht ins Braune oder Violette über. Sterne sind sichtbar in dieser, wie durch einen dichten Rauch verfinsterten Himmelsgegend. Ein breiter, aber hellleuchtender Lichtbogen, erst weiß, dann gelb, begrenzt das dunkle Segment: da aber der glänzende Bogen später entsteht als das rauchgraue Segment, so kann man nach Argelander letzteres nichtArgelander in dem wichtigen Aufsatze über das Nordlicht, welchen er den Vorträgen, gehalten in der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg, Bd. I. 1834 S. 257–264 einverleibt hat. einem bloßen Contraste mit dem helleren Lichtsaume 200 zuschreiben. Der höchste Punkt des Lichtbogens ist, wo er genau gemessenUeber die Resultate der Beobachtungen von Lottin, Bravais und Siljerström, welche einen Winter in Bosekop an der lapländischen Küste (Br. 70°) zugebracht und in 210 Nächten 160 Nordlichter gesehen haben, s. Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. X. 1840 p. 289 und Martins, Météorologie 1843 p. 453. Vergl. auch Argelander in den Vorträgen, geh. in der Königsberg. Gesellschaft, Bd. I. S. 259. worden ist, gewöhnlich nicht ganz im magnetischen Meridian, sondern 5°–18° abweichend nach der Seite, wohin die Magnet-Declination des Orts sich richtet. Im hohen Norden, dem Magnetpole sehr nahe, erscheint das rauchähnliche Kugelsegment weniger dunkel, bisweilen gar nicht. Dort auch, wo die Horizontal-Kraft am schwächsten ist, sieht man die Mitte des Lichtbogens von dem magnetischen Meridian am weitesten entfernt.
Der Lichtbogen, in stetem Aufwallen und formveränderndem Schwanken, bleibt bisweilen stundenlang stehen, ehe Strahlen und Strahlenbündel aus demselben hervorschießen und bis zum Zenith hinaufsteigen. Je intensiver die Entladungen des Nordlichts sind, desto lebhafter spielen die Farben vom Violetten und bläulich Weißen durch alle Abstufungen bis in das Grüne und Purpurrothe. Auch bei der gewöhnlichen, durch Reibung erregten Electricität ist der Funke erst dann gefärbt, wenn nach großer Spannung die Explosion sehr heftig ist. Die magnetischen Feuersäulen steigen bald aus dem Lichtbogen allein hervor, selbst mit schwarzen, einem dicken Rauche ähnlichen Strahlen gemengt; bald erheben sie sich gleichzeitig an vielen entgegengesetzten Punkten des Horizontes und vereinigen sich in ein zuckendes Flammenmeer, dessen Pracht keine Schilderung erreichen kann, da es in jedem Augenblick seinen leuchtenden Wellen andere und andere Gestaltungen giebt. Die Intensität dieses Lichts ist zu Zeiten so groß, daß Lowenörn (29 Januar 1786) bei hellem Sonnenscheine Schwingungen des Polarlichtes erkannte. Die Bewegung vermehrt die Sichtbarkeit der Erscheinung. Um den Punkt des 201 Himmelsgewölbes, welcher der Richtung der Neigungs-Nadel entspricht, schaaren sich endlich die Strahlen zusammen und bilden die sogenannte Krone des Nordlichts. Sie umgiebt wie den Gipfel eines Himmelszeltes mit einem milderen Glanze und ohne Wallung im ausströmenden Lichte. Nur in seltenen Fällen gelangt die Erscheinung bis zur vollständigen Bildung der Krone: mit derselben hat sie aber stets ihr Ende erreicht. Die Strahlungen werden nun seltener, kürzer und farbenloser. Die Krone und alle Lichtbögen brechen auf. Bald sieht man am ganzen Himmelsgewölbe unregelmäßig zerstreut nur breite, blasse, fast aschgrau leuchtende, unbewegliche Flecke; auch sie verschwinden früher als die Spur des dunklen rauchartigen Segments, das noch tief am Horizonte steht. Es bleibt oft zuletzt von dem ganzen Schauspiel nur ein weißes, zartes Gewölk übrig, an den Rändern gefiedert oder in kleine rundliche Häufchen (als cirrocumulus) mit gleichen Abständen getheilt.
Dieser Zusammenhang des Polarlichtes mit den feinsten Cirrus-Wölkchen verdient eine besondere Aufmerksamkeit, weil er uns die electro-magnetische Lichtentwickelung als Theil eines meteorologischen Processes zeigt. Der tellurische Magnetismus offenbart sich hier in seiner Wirkung auf den Dunstkreis, auf die Condensation der Wasserdämpfe. Was Thienemann, welcher die sogenannten Schäfchen für das Substrat des Nordlichts hält, in Island gesehen, ist in neueren Zeiten von Franklin und Richardson nahe am amerikanischen Nordpole, vom Admiral Wrangel an den sibirischen Küsten des Eismeeres bestätigt worden. Alle bemerkten, »daß das Nordlicht die lebhaftesten Strahlen 202 dann schoß, wenn in der hohen Luftregion Massen des Cirro-Stratus schwebten, und wenn diese so dünn waren, daß ihre Gegenwart nur durch die Entstehung eines Hofes um den Mond erkannt werden konnte.« Die Wolken ordneten sich bisweilen schon bei Tage auf eine ähnliche Art als die Strahlen des Nordlichts, und beunruhigten dann wie diese die Magnetnadel. Nach einem großen nächtlichen Nordlichte erkannte man früh am Morgen dieselben an einander gereihten Wolkenstreifen, welche vorher leuchtend gewesen warenJohn Franklin, narrative of a Journey to the shores of the Polar Sea in the years 1819–1822 p. 552 und 597; Thienemann im Edinburgh Philos. Journal Vol. XX. p. 366; Farquharson a. a. O. Vol. VI. p. 392; Wrangel, phys. Beob. S. 59. Parry sah selbst den großen Nordlichtbogen bei Tage stehen bleiben; Journal of a second Voyage, performed in 1821–1823, p. 156. Etwas ähnliches war am 9 Sept. 1827 in England bemerkt worden. Man unterschied am hellen Mittag einen 20° hohen Lichtbogen und leuchtende, aus ihm aufsteigende Säulen in einem, nach vorhergegangenem Regen klar gewordenen Theile des Himmels. Journal of the Royal Institution of Gr. Britain 1828 Jan. p. 429.. Die scheinbar convergirenden Polar-Zonen (Wolkenstreifen in der Richtung des magnetischen Meridians), welche mich auf meinen Reisen auf der Hochebene von Mexico wie im nördlichen Asien anhaltend beschäftigt haben, gehören wahrscheinlich zu derselben Gruppe der Tages-ErscheinungenIch habe nach der Rückkunft von meiner amerikanischen Reise die aus zarten, wie durch die Wirkung abstoßender Kräfte sehr gleichmäßig unterbrochenen Wolken-Häufchen (cirrocumulus) als Polarstreifen (bandes polaires) beschrieben, weil ihre perspectivischen Convergenz-Punkte meist anfangs in den Magnetpolen liegen, so daß die parallelen Reihen der Schäfchen dem magnetischen Meridiane folgen. Eine Eigenthümlichkeit dieses räthselhaften Phänomens ist das Hin- und Herschwanken, oder zu anderer Zeit das allmälige regelmäßige Fortschreiten des Convergenz-Punktes. Gewöhnlich sind die Streifen nur nach Einer Weltgegend ganz ausgebildet; und in der Bewegung sieht man sie, erst von S nach N, und allmälig von O nach W gerichtet. Veränderten Luftströmen in der obersten Region der Atmosphäre möchte ich das Fortschreiten der Zonen nicht zuschreiben. Sie entstehen bei sehr ruhiger Luft und großer Heiterkeit des Himmels, und sind unter den Tropen viel häufiger als in der gemäßigten und kalten Zone. Ich habe das Phänomen in der Andeskette fast unter dem Aequator in 14000 Fuß Höhe, wie im nördlichen Asien in den Ebenen zu Krasnojarski, südlich von Buchtarminsk, sich so auffallend gleich entwickeln sehen, daß man es als einen weitverbreiteten, von allgemeinen Naturkräften abhängigen Proceß zu betrachten hat. S. die wichtigen Bemerkungen von Kämtz (Vorlesungen über Meteorologie 1840 S. 146), wie die neueren von Martins und Bravais (Météorologie 1843 p. 117). Bei Süd-Polarbanden, aus sehr leichtem Gewölk zusammengesetzt, welche Arago bei Tage den 23 Juni 1844 zu Paris bemerkte, schossen aus einem, von Osten gegen Westen gerichteten Bogen dunkle Strahlen aufwärts. Wir haben schon oben (S. 156 [? eher S. 200]) bei nächtlich leuchtenden Nord-Polarlichtern schwarzer, einem dunkeln Rauch ähnlicher Strahlen erwähnt..
Südlichter sind oft von dem scharfsinnigen und fleißigen Beobachter Dalton in England, Nordlichter in der südlichen Hemisphäre bis 45° Breite (14 Januar 1831) gesehen worden. In nicht sehr seltenen Fällen ist das Gleichgewicht an beiden Polen gleichzeitig gestört. Ich habe bestimmt ergründet, daß bis in die Tropenregion, selbst in Mexico und Peru, Nord-Polarlichter gesehen worden sind. Man muß unterscheiden zwischen der Sphäre gleichzeitiger Sichtbarkeit der Erscheinung und der Erdzone, in welcher die Erscheinung fast jede Nacht gesehen wird. Jeder Beobachter sieht gewiß, wie seinen eigenen Regenbogen, so auch sein eigenes Polarlicht. Ein großer Theil der Erde erzeugt zugleich das ausströmende Lichtphänomen. Man kann viele Nächte angeben, in denen es in England und in Pennsylvanien, in Rom und in Peking gleichzeitig beobachtet 203 wurde. Wenn man behauptet, daß die Polarlichter mit der abnehmenden Breite abnehmen, so muß man die Breite als eine magnetische, durch den Abstand vom Magnetpole gemessene betrachten. In Island, in Grönland, in Terre Neuve, an den Ufern des Sklavensees oder zu Fort Enterprise in Nord-Canada entzünden sie sich zu gewissen Jahreszeiten fast jede Nacht und feiern, wie die Einwohner der Shetland-InselnDas Nordlicht heißt auf den Shetland-Inseln the merry dancers; Kendal im quarterly Journal of Science, new Series Vol. IV. p. 395. es nennen, in zuckenden Strahlen den »lustigen Himmelstanz«. Während in Italien das Nordlicht eine große Seltenheit ist, sieht man es wegen der südlichen Lage des amerikanischen Magnetpols überaus häufig in der Breite von Philadelphia (39° 57'). Aber auch in den Gegenden, welche in dem Neuen Continent und an den sibirischen Küsten sich durch große Frequenz des Phänomens auszeichnen, giebt es so zu sagen besondere Nordlichtstriche: Längenzonen, in denen das Polarlicht vorzüglichSiehe die vortreffliche Arbeit von Muncke in der neuen Ausgabe von Gehler's physik. Wörterbuch Bd. VII. Abth. 1. S. 113–268, besonders S. 158. glänzend und prachtvoll ist. Oertliche Einflüsse sind also nicht zu verkennen. Wrangel sah den Glanz abnehmen, so wie er sich um Nishne-Kolymsk vom Littoral des Eismeers entfernte. Die auf der Nordpol-Expedition gesammelten Erfahrungen scheinen zu beweisen, daß ganz nahe um den Magnetpol die Licht-Entbindung auf das wenigste um nichts stärker und häufiger als in einiger Entfernung davon ist.
Was wir von der Höhe des Polarlichts wissen, gründet sich auf Messungen, die ihrer Natur nach wegen der beständigen Oscillation der Lichterscheinung und daraus entstehender Unsicherheit des parallactischen Winkels nicht viel Vertrauen einflößen können. Die erlangten Resultate schwanken, um nicht veralteter Angaben zu erwähnen, 204 zwischen einigen Meilen und einer Höhe von drei- bis viertausend FußFarquharson im Edinb. Philos. Journal Vol. XVI. p. 304; Philos. Transact. for 1829 p. 113.. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß das Nordlicht zu verschiedenen Zeiten eine sehr verschiedene Entfernung habe. Die neuesten Beobachter sind geneigt das Phänomen nicht an die Grenze der Atmosphäre, sondern in die Wolkenregion selbst zu versetzen; sie glauben sogar, daß die Nordlichtstrahlen durch Winde und Luftströmungen bewegt werden können: wenn wirklich das Lichtphänomen, durch welches uns allein das Dasein einer electro-magnetischen Strömung bemerkbar wird, an materielle Gruppen beweglicher Dunstbläschen gebunden ist oder, besser zu sagen, dieselben durchdringt, von einem Bläschen zum anderen überspringend. Franklin hat am Bärensee ein strahlendes Nordlicht gesehen, von dem er glaubte, daß es die untere Seite der Wolkenschicht erleuchtete: während daß nur 4½ geogr. Meile davon Kendal, welcher die ganze Nacht über die Wache hatte und das Himmelsgewölbe keinen Augenblick aus den Augen verlor, gar keine Lichterscheinung bemerkte. Das neuerdings mehrfach behauptete Niederschießen von Nordlichtstrahlen nahe zur Erde, zwischen dem Beobachter und einem nahen Hügel, bietet, wie beim Blitze und bei dem Fall von Feuerkugeln, eine vielfache Gefahr optischer Täuschung dar.
Ob das magnetische Gewitter, von dem wir so eben ein merkwürdiges Beispiel großer örtlicher Beschränktheit angegeben, mit dem electrischen Gewitter außer dem Lichte auch das Geräusch gemein habe, ist überaus zweifelhaft geworden, da man nicht mehr unbedingt den Erzählungen der Grönlandfahrer und sibirischen Fuchsjäger traut. Die Nordlichter sind schweigsamer geworden, seitdem man 205 sie genauer zu beobachten und zu belauschen versteht. Parry, Franklin und Richardson am Nordpol, Thienemann in Island, Gieseke in Grönland, Loztin und Bravais am Nordcap, Wrangel und Anjou an der Küste des Eismeeres haben zusammen an tausend Nordlichter gesehen, und nie irgend ein Geräusch vernommen. Will man diese negativen Zeugnisse gegen zwei positive von Hearne an der Mündung des Kupferflusses und von Henderson in Island nicht gelten lassen, so muß man in Erinnerung bringen, daß Hood dasselbe Geräusch wie von schnell bewegten Flintenkugeln und von leisem Krachen zwar während eines Nordlichts, aber dann auch am folgenden Tage ohne alles Nordlicht vernahm; man muß nicht vergessen, wie Wrangel und Gieseke zur festen Ueberzeugung gelangten, daß das gehörte Geräusch dem Zusammenziehen des Eises und der Schneekruste, bei einer plötzlichen Erkaltung des Luftkreises, zuzuschreiben sei. Der Glaube an ein knisterndes Geräusch ist nicht in dem Volke, sondern bei gelehrten Reisenden wohl deshalb entstanden, weil man schon in früher Zeit, wegen des Leuchtens der Electricität in luftverdünnten Räumen, das Nordlicht für eine Wirkung atmosphärischer Electricität erklärte: und hörte, was man zu hören wünschte. Neue mit sehr empfindlichen Electrometern angestellte Versuche haben gegen alle Erwartung bisher nur negative Resultate gegeben. Der Zustand der Luft-Electricität ward während der stärksten Nordlichter nicht verändert gefunden.
Dagegen werden alle drei Kraftäußerungen des tellurischen Magnetismus: Abweichung, Inclination und Intensität, zugleich von dem Polarlichte verändert. In einer 206 und derselben Nacht wirkt dasselbe auf das eine Ende der Nadel bald anziehend, bald abstoßend: in verschiedenen Stunden seiner Entwickelung. Die Behauptung, daß nach den von Parry in der Nähe des Magnetpols auf Melville's Insel gesammelten Thatsachen die Nordlichter die Magnetnadel nicht afficirten, sondern vielmehr als eine »beruhigende« Potenz wirkten: ist durch die genauere UntersuchungKämtz, Lehrbuch der Meteorologie Bd. III. S. 498 und 501. von Parry's eigenem Reisejournale und durch die schönen Beobachtungen von Richardson, Hood und Franklin in Nord-Canada, wie zuletzt von Bravais und Lottin in Lapland hinlänglich widerlegt worden. Der Proceß des Nordlichts ist, wie wir schon oben bemerkt, der Act der Wiederherstellung eines gestörten Gleichgewichts. Die Wirkung auf die Nadel ist nach dem Maaß der Stärke in der Explosion verschieden. Sie war in der nächtlichen Winterstation zu Bosekop nur dann unmerklich, wenn die Lichterscheinung sich sehr schwach und tief am Horizont zeigte. Die aufschießenden Strahlen-Cylinder hat man scharfsinnig mit der Flamme verglichen, welche in dem geschlossenen Kreise der Volta'schen Säule zwischen zwei weit von einander entfernten Kohlenspitzen, oder nach Fizeau zwischen einer Silber- und einer Kohlenspitze entsteht, und die von dem Magnete angezogen oder abgestoßen wird. Diese Analogie macht wenigstens die Annahme metallischer Dämpfe im Dunstkreise entbehrlich, welche berühmte Physiker als Substrat des Nordlichts betrachten.
Wenn das leuchtende Phänomen, das wir einem galvanischen Strome, d. h. einer Bewegung der Electricität in einem in sich selbst zurückkehrenden Kreislaufe, zuschreiben, durch den unbestimmten Namen des Polarlichts 207 bezeichnet wird; so ist damit nur die örtliche Richtung angegeben, in welcher am häufigsten, keineswegs immer, der Anfang der Lichtentwickelung gesehen wird. Was diesem Naturphänomen seine größere Wichtigkeit giebt, ist die Thatsache: daß die Erde leuchtend wird; daß ein Planet, außer dem Lichte, welches er von dem Centralkörper, der Sonne, empfängt, sich eines eigenen Lichtprocesses fähig zeigt. Die Intensität des Erdlichts, oder vielmehr die Erhellung, welche dasselbe verbreiten kann, übertrifft bei dem höchsten Glanze farbiger und nach dem Zenith aufsteigender Strahlung um ein weniges das Licht des ersten Mondviertels. Bisweilen (7 Januar 1831) hat man ohne Anstrengung Gedrucktes lesen können. Dieser, in den Polargegenden fast ununterbrochene Lichtproceß der Erde leitet uns durch Analogien auf die denkwürdige Erscheinung, welche die Venus darbietet. Der von der Sonne nicht erleuchtete Theil dieses Planeten leuchtet bisweilen mit einem eigenen phosphorischen Scheine. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Mond, Jupiter und die Cometen außer dem, durch Polariscope erkennbaren, reflectirten Sonnenlichte auch von ihnen selbst hervorgebrachtes Licht ausstrahlen. Ohne der problematischen, aber sehr gewöhnlichen Art des Wetterleuchtens zu erwähnen, in der ein ganzes, tiefstehendes Gewölk viele Minuten lang ununterbrochen flimmernd leuchtet: finden wir in unserm Dunstkreise selbst noch andere Beispiele irdischer Lichterzeugung. Dahin gehören der berühmte bei Nacht leuchtende trockene Nebel der Jahre 1783 und 1831; der stille, von Rozier und Beccaria beobachtete Lichtproceß großer Wolken, ohne alles Flimmern; ja, wie AragoArago über die trocknen Nebel von 1783 und 1831, welche die Nacht erleuchteten, im Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1832 p. 246 und 250; und über sonderbare Lichterscheinungen in Wolken ohne Gewitter s. notices su le Tonnerre im Annuaire pour l'an 1838 p. 279–285. scharfsinnig bemerkt, das schwache 208 diffuse Licht, welches in tief bewölkten, mond- und sternlosen Herbst- und Winternächten, ohne Schnee, unter freiem Himmel unsere Schritte lenket. Wie im Polarlichte, im electro-magnetischen Ungewitter, in hohen Breiten die Fluth des bewegten, oft farbigen Lichtes den Luftkreis durchströmt: so sind in der heißen Zone der Tropen viele tausend Quadratmeilen des Oceans gleichzeitig lichterzeugend. Hier gehört der Zauber des Lichtes den organischen Kräften der Natur an. Lichtschäumend kräuselt sich die überschlagende Welle, Funken sprühet die weite Fläche, und jeder Funke ist die Lebensregung einer unsichtbaren Thierwelt. So mannigfaltig ist der Urquell des irdischen Lichtes. Soll man es sich gar noch verborgen, unentfesselt, in Dämpfen gebunden denken: zur Erklärung der Moser'schen Bilder aus der Ferne? einer Entdeckung, in welcher uns die Wirklichkeit bisher wie ein geheimnißschweres Traumbild erscheint.
So wie die innere Wärme unsers Planeten auf der einen Seite mit der Erregung electro-magnetischer Strömungen und dem Lichtproceß der Erde (einer Folge des Ausbruchs eines magnetischen Ungewitters) zusammenhängt, so offenbart sie sich auch auf der andern Seite als eine Hauptquelle geognostischer Phänomene. Wir betrachten diese in ihrer Verkettung und in ihrem Uebergange von einer bloß dynamischen Erschütterung und von der Hebung ganzer Continente und Gebirgsmassen zu der Erzeugung und zum Erguß von gasförmigen und tropfbaren Flüssigkeiten, von heißem Schlamme, von glühenden und geschmolzenen Erden, die sich als krystallinische Gebirgsarten erhärten. Es ist ein 209 nicht geringer Fortschritt der neueren Geognosie (des mineralogischen Theils der Physik der Erde), die hier bezeichnete Verkettung der Erscheinungen ergründet zu haben. Die Einsicht derselben leitet von den spielenden Hypothesen ab, durch welche man vormals jede Kraftäußerung des alten Erdballs einzeln zu erklären suchte: sie zeigt die Verbindung von dem Hervortreten verschiedenartiger Stoffe mit dem, was nur der räumlichen Veränderung (Erschütterung oder Hebung) angehört; sie reiht Gruppen von Erscheinungen, welche auf den ersten Anblick sich als sehr heterogen darbieten: Thermalquellen, Ausströmungen von Kohlensäure- und Schwefeldämpfen, harmlose Salsen (Schlamm-Ausbrüche) und die furchtbaren Verheerungen feuerspeiender Berge, an einander. In einem großen Naturbilde schmilzt dies alles in den einigen Begriff der Reaction des Inneren eines Planeten gegen seine Rinde und Oberfläche zusammen. So erkennen wir in den Tiefen der Erde, in ihrer mit dem Abstand von der Oberfläche zunehmenden Temperatur gleichzeitig die Keime erschütternder Bewegung, allmäliger Hebung ganzer Continente (wie der Bergketten auf langen Spalten), vulkanischer Ausbrüche und mannigfaltiger Erzeugung von Mineralien und Gebirgsarten. Aber nicht die unorganische Natur allein ist unter dem Einflusse dieser Reaction des Inneren gegen das Aeußere geblieben. Es ist sehr wahrscheinlich, daß in der Urwelt mächtigere Ausströmungen von kohlensaurem Gas, dem Luftkreise beigemengt, den kohle-abscheidenden Proceß des Pflanzenlebens erhöhten, und daß so in waldzerstörenden Revolutionen ein unerschöpfliches Material von Brennstoff (Ligniten und 210 Steinkohlen) in den oberen Erdschichten vergraben wurde. Auch die Schicksale der Menschheit erkennen wir als theilweise abhängig von der Gestaltung der äußeren Erdrinde, von der Richtung der Gebirgszüge und Hochländer, von der Gliederung der gehobenen Continente. Dem forschenden Geiste ist es gegeben, in der Kette der Erscheinungen von Glied zu Glied bis dahin aufzusteigen, wo bei Erstarrung des Planeten, bei dem ersten Uebergange der geballten Materie aus der Dunstform, sich die innere Erdwärme entwickelte, welche nicht der Wirkung der Sonne zugehört.
Um den Causalzusammenhang der geognostischen Erscheinungen übersichtlich zu schildern, beginnen wir mit denen, deren Hauptcharakter dynamisch ist, in Bewegung und räumlicher Veränderung besteht. Erdbeben, Erderschütterungen zeichnen sich aus durch schnell auf einander folgende senkrechte, oder horizontale, oder rotatorische Schwingungen. Bei der nicht unbeträchtlichen Zahl derselben, die ich in beiden Welttheilen, auf dem festen Lande und zur See erlebt, haben die zwei ersten Arten der Bewegung mir sehr oft gleichzeitig geschienen. Die minenartige Explosion, senkrechte Wirkung von unten nach oben, hat sich am auffallendsten bei dem Umsturze der Stadt Riobamba (1797) gezeigt, wo viele Leichname der Einwohner auf den mehrere hundert Fuß hohen Hügel la Cullca, jenseits des Flüßchens von Lican, geschleudert wurden. Die Fortpflanzung geschieht meist in linearer Richtung wellenförmig, mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 7 geographischen Meilen in der Minute; theils in Erschütterungskreisen oder großen Ellipsen, in denen wie aus einem 211 Centrum die Schwingungen sich mit abnehmender Stärke gegen den Umfang fortpflanzen. Es giebt Gegenden, die zu zwei sich schneidenden Erschütterungskreisen gehören. Im nördlichen Asien, in welchem der Vater der GeschichteHerod. IV, 28. Gegen das alte Vorurtheil (Plin. II, 80), daß Aegypten frei von Erdbeben sei, spricht schon der eine wiederhergestellte Coloß des Memnon (Letronne, la statue vocale de Memnon 1833 p. 25–26); aber freilich liegt das Nilthal außerhalb des Erschütterungskreises von Byzanz, dem Archipel und Syrien (Ideler ad Aristot. Meteor. p. 584)., wie später Theophylactus SimocattaSaint-Martin in den gelehrten Noten zu Lebeau, hist. du Bas Empire T. IX. p. 401., die scythischen Länder frei von Erdbeben nannte, habe ich den südlichen metallreichen Theil des Altai-Gebirges unter dem zwiefachen Einflusse der Erschütterungsheerde vom Baikal-See und von den Vulkanen des Himmelsgebirges (Thian-schan) gefundenHumboldt, Asie centrale T. II. p. 110–118. Ueber den Unterschied der Erschütterung der Oberfläche und der darunter liegenden Erdschichten s. Gay-Lussac in den Annales de Chimie et de Physique T. XXII. p. 429.. Wenn die Erschütterungskreise sich durchschneiden, wenn z. B. eine Hochebene zwischen zwei gleichzeitig in Ausbruch begriffenen Vulkanen liegt, so können mehrere Wellensysteme gleichzeitig existiren und, wie in den Flüssigkeiten, sich gegenseitig nicht stören. Selbst Interferenz kann hier, wie bei den sich durchkreuzenden Schallwellen, gedacht werden. Die Größe der fortgepflanzten Erschütterungswellen wird an der Oberfläche der Erde nach dem allgemeinen Gesetze der Mechanik vermehrt, nach welchem bei der Mittheilung der Bewegung in elastischen Körpern die letzte, auf einer Seite frei liegende Schicht sich zu trennen strebt.
Die Erschütterungswellen werden durch Pendel und Sismometer-Becken ziemlich genau in ihrer Richtung und totalen Stärke, keineswegs aber in der inneren Natur ihrer Alternanz und periodischen Intumescenz untersucht. In der Stadt Quito, die am Fuß eines noch thätigen Vulkans (des Rucu-Pichincha) 8950 Fuß über der Meeresfläche liegt, und schöne Kuppeln, hohe Kirchengewölbe und massive Häuser von mehreren Stockwerken aufzuweisen hat; bin ich oft über die Heftigkeit nächtlicher Erdstöße in Verwunderung gerathen, welche so selten Risse 212 in dem Gemäuer verursachen, während in den peruanischen Ebnen viel schwächer scheinende Oscillationen niedrigen Rohrhäusern schaden. Eingeborne, die viele hundert Erdbeben erlebt haben, glauben, daß der Unterschied weniger in der Länge oder Kürze der Wellen, in der Langsamkeit oder Schnelligkeit»Tutissimum est cum vibrat crispante aedificiorum crepitu; et cum intumescit assurgens alternoque motu residet, innoxium et cum concurrentia tecta contrario ictu arietant quoniam alter motus alteri renititur. Undantis inclinatio et fluctus more quaedam volutatio infesta est, aut cum in unam partem totus se motus impellit.« Plin. II, 82. der horizontalen Schwingung, als in der Gleichmäßigkeit der Bewegung in entgegengesetzter Richtung liege. Die kreisenden (rotatorischen) Erschütterungen sind die seltensten, aber am meisten gefahrbringend. Umwenden von Gemäuer ohne Umsturz, Krümmung von vorher parallelen Baumpflanzungen, Verdrehung von Aeckern, die mit verschiedenen Getreidearten bedeckt waren: sind bei dem großen Erdbeben von Riobamba, in der Provinz Quito (4 Februar 1797), wie bei dem von Calabrien (5 Februar – 28 März 1783) beobachtet worden. Mit dem letzteren Phänomen des Verdrehens oder Verschiebens der Aecker und Culturstücke, von welchen gleichsam eines den Platz des andern angenommen, hängt eine translatorische Bewegung oder Durchdringung einzelner Erdschichten zusammen. Als ich den Plan der zerstörten Stadt Riobamba aufnahm, zeigte man mir die Stelle, wo das ganze Hausgeräth einer Wohnung unter den Ruinen einer andern gefunden worden war. Das lockere Erdreich hatte sich wie eine Flüssigkeit in Strömen bewegt: von denen man annehmen muß, daß sie erst niederwärts, dann horizontal und zuletzt wieder aufwärts gerichtet waren. Streitigkeiten über das Eigenthum solcher viele hundert Toisen weit fortgeführten Gegenstände sind von der Audiencia (dem Gerichtshofe) geschlichtet worden.
In Ländern, wo die Erdstöße vergleichungsweise seltener 213 sind (z. B. im südlichen Europa), hat sich nach einer unvollständigen InductionSelbst in Italien hat man angefangen die Unabhängigkeit der Erdstöße von den Witterungs-Verhältnissen, d. h. von dem Anblick des Himmels unmittelbar vor der Erschütterung, einzusehen. Friedrich Hoffmann's numerische Angaben stimmen ganz mit den Erfahrungen des Abbate Scina von Palermo überein; s. des Ersteren hinterlassene Werke Bd. II. S. 366–375. Röthliche Nebel am Tage des Erdbebens, kurz vor demselben, habe ich einige Male selbst beobachtet; ja am 4 Nov. 1799 habe ich zwei heftige Erdstöße in dem Augenblicke eines starken Donnerschlages erlebt (Relation hist. liv. IV chap. 10); der Turiner Physiker Vasalli Eandi hat bei den langdauernden Erdbeben von Pignerol (vom 2 April bis 17 Mai 1808) Volta's Electrometer heftig bewegt gesehen (Journal de Phys. T. LXVII. p. 291). Aber diese Zeichen des Nebels, der veränderten Luft-Electricität, der Windstille dürfen nicht als allgemein bedeutsam, als mit der Erschütterung nothwendig zusammenhangend betrachtet werden: da man in Quito, Peru und Chili, wie in Canada und Italien so viele Erdbeben bei dem reinsten, völlig dunstfreien Himmel, bei dem frischesten Land- und Seewinde beobachtet hat. Wenn aber auch an dem Tage des Erdbebens selbst oder einige Tage vorher kein meteorologisches Zeichen die Erschütterung verkündigt; so ist doch der Einfluß der Jahreszeiten (der Frühjahrs- und Herbst-Aequinoctien), des Eintritts der Regenzeit nach langer Dürre unter den Tropen, und des Wechsels der Moussons, für die der allgemeine Volksglaube spricht, nicht darum ganz wegzuläugnen, weil uns bis jetzt der genetische Zusammenhang meteorologischer Processe mit dem, was in dem Innern der Erdrinde vorgeht, wenig klar ist. Numerische Untersuchungen über die Vertheilung der Erdbeben unter die verschiedenen Jahreszeiten: wie sie von Herrn von Hoff, Peter Merian und Friedrich Hoffmann mit vielem Fleiße angestellt worden sind, sprechen für die Epochen der Tag- und Nachtgleichen. – Auffallend ist es, wie Plinius am Ende seiner phantastischen Erdbeben-Theorie die ganze furchtbare Erscheinung ein unterirdisches Gewitter nennt: nicht sowohl wegen des rollenden Getöses, welches die Erdstöße so oft begleitet; sondern weil die elastischen, durch Spannung erschütternden Kräfte sich in inneren Erdräumen anhäufen, wenn sie in dem Luftkreise fehlen! »Ventos in causa esse non dubium reor. Neque enim unquam intremiscunt terrae, nisi sopito mari caeloque adeo tranquillo, ut volatus avium non pendeant, subtracto omni spiritu qui vehit; nec unquam nisi post ventos conditos, scilicet in venas et cavernas ejus occulto afflatu. Neque aliud est in terra tremor, quam in nube tonitruum; nec hiatus aliud quam cum fulmen erumpit, incluso spiritu luctante et ad libertatem exire nitente.« (Plin. II, 79.) In Seneca (Nat. Quaest. VI. 4–31) liegt übrigens ziemlich vollständig der Keim von allem, was man bis zur neuesten Zeit über die Ursachen der Erdbeben beobachtet und gefabelt hat. der sehr allgemeine Glaube gebildet, daß Windstille, drückende Hitze, ein dunstiger Horizont immer Vorboten der Erscheinung seien. Das Irrthümliche dieses Volksglaubens ist aber nicht bloß durch meine eigene Erfahrung widerlegt: es ist es auch durch das Resultat der Beobachtungen aller derer, welche viele Jahre in Gegenden gelebt haben, wo: wie in Cumana, Quito, Peru und Chili, der Boden häufig und gewaltsam erbebt. Ich habe Erdstöße gefühlt bei heiterer Luft und frischem Ostwinde, wie bei Regen und Donnerwetter. Auch die Regelmäßigkeit der stündlichen Veränderungen in der Abweichung der Magnetnadel und im LuftdruckeBeweise, daß der Gang der stündlichen Barometer-Veränderungen vor und nach den Erdstößen nicht gestört werde, habe ich gegeben in Relat. hist. T. I. p. 311 und 513. blieb zwischen den Wendekreisen an dem Tage der Erdstöße ungestört. Damit stimmen die Beobachtungen überein, welche Adolph Erman in der gemäßigten Zone bei einem Erdbeben in Irkutsk nahe am Baikal-See (8 März 1829) anstellte. Durch den starken Erdstoß von Cumana (4 November 1799) fand ich zwar Abweichung und Intensität der magnetischen Kraft gleich unverändert, aber die Neigung der Nadel war zu meinem Erstaunen um 48' gemindertHumboldt, Rel. hist. T. I. p. 515–517.. Es blieb mir kein Verdacht eines Irrthums; und doch bei so vielen anderen Erdstößen, die ich auf dem Hochlande von Quito und in Lima erlebte, war neben den anderen Elementen des tellurischen Magnetismus auch die Neigung stets unverändert. Wenn im allgemeinen, was tief in dem Erdkörper vorgeht, durch keinen meteorologischen Proceß, durch keinen besonderen Anblick des Himmelsgewölbes vorherverkündigt wird; so ist es dagegen, wie wir bald sehen werden, nicht unwahrscheinlich, 214 daß in gewissen sehr heftigen Erderschütterungen der Atmosphäre etwas mitgetheilt werde, und daß daher diese nicht immer rein dynamisch wirken. Während des langen Erzitterns des Bodens in den piemontesischen Thälern von Pelis und Clusson wurden bei gewitterlosem Himmel die größten Veränderungen in der electrischen Spannung des Luftkreises bemerkt.
Die Stärke des dumpfen Getöses, welches das Erdbeben größtentheils begleitet, wächst keineswegs in gleichem Maaße als die Stärke der Oscillationen. Ich habe genau ergründet, daß der große Stoß im Erdbeben von Riobamba (4 Februar 1797) – einem der furchtbarsten Phänomene der physischen Geschichte unseres Erdkörpers – von gar keinem Getöse begleitet war. Das ungeheure Getöse (el gran ruido), welches unter dem Boden der Städte Quito und Ibarra, nicht aber dem Centrum der Bewegung näher in Tacunga und Hambato, vernommen wurde, entstand 18–20 Minuten nach der eigentlichen Catastrophe. Bei dem berühmten Erdbeben von Lima und Callao (28 October 1746) hörte man das Getöse wie einen unterirdischen Donnerschlag in Truxillo auch erst ¼ Stunde später und ohne Erzittern des Bodens. Eben so wurden lange nach dem großen von Boussingault beschriebenen Erdbeben von Neu-Granada (16 November 1827) im ganzen Cauca-Thale, ohne alle Bewegung, von 30 zu 30 Secunden mit großer Regelmäßigkeit unterirdische Detonationen gehört. Auch die Natur des Getöses ist sehr verschieden: rollend, rasselnd, klirrend wie bewegte Ketten, ja in der Stadt Quito bisweilen abgesetzt wie ein naher Donner; oder hell klingend, als würden Obsidian oder andre verglaste Massen in 215 unterirdischen Höhlungen zerschlagen. Da feste Körper vortreffliche Leiter des Schalles sind, dieser z. B. in gebranntem Thon 10- bis 12mal schneller sich fortpflanzt als in der Luft, so kann das unterirdische Getöse in großer Ferne von dem Orte vernommen werden, wo es verursacht wird. In Caracas, in den Grasfluren von Calabozo und an den Ufern des Rio Apure, welcher in den Orinoco fällt: in einer Landstrecke von 2300 Quadratmeilen, hörte man überall am 30 April 1812, ohne alles Erdbeben, ein ungeheures donnerartiges Getöse, als 158 Meilen davon, in Nordosten, der Vulkan von St. Vincent in den Kleinen Antillen aus seinem Krater einen mächtigen Lavastrom ergoß. Es war also der Entfernung nach, als wenn man einen Ausbruch des Vesuvs im nördlichen Frankreich vernähme. Im Jahr 1744, bei dem großen Ausbruch des Vulkans Cotopaxi, hörte man in Honda am Magdalenenstrome unterirdischen Kanonendonner. Der Krater des Cotopaxi liegt aber nicht bloß 17000 Fuß höher als Honda: beide Punkte sind auch durch die colossalen Gebirgsmassen von Quito, Pasto und Popayan, wie durch zahllose Thäler und Klüfte, in 109 Meilen Entfernung getrennt. Der Schall ward bestimmt nicht durch die Luft, sondern durch die Erde aus großer Tiefe fortgepflanzt. Bei dem heftigen Erdbeben von Neu-Granada (Februar 1835) hörte man unterirdischen Donner gleichzeitig in Popayan, Bogota, Santa Marta und Caracas (hier 7 Stunden lang ohne alle Erschütterung); in Haiti, Jamaica und um den See von Nicaragua.
Diese Schall-Phänomene, wenn sie von gar keinen fühlbaren Erschütterungen (Erdstößen) begleitet sind, lassen 216 einen besonders tiefen Eindruck selbst bei denen, die schon lange einen oft erbebenden Boden bewohnt haben. Man harrt mit Bangigkeit auf das, was nach dem unterirdischen Krachen folgen wird. Das auffallendste, mit nichts vergleichbare Beispiel von ununterbrochenem unterirdischem Getöse, ohne alle Spur von Erdbeben, bietet die Erscheinung dar, welche auf dem mexicanischen Hochlande unter dem Namen des Gebrülles und unterirdischen Donners (bramidos y truenos subterraneos) von GuanaxuatoUeber die bramidos von Guanaxuato s. mein Essai polit. sur la Nouv. Espagne T. I. p. 303. Das unterirdische Getöse, ohne alle bemerkbare Erschütterung in den tiefen Bergwerken und an der Oberfläche (die Stadt Guanaxuato liegt 6420 Fuß über dem Meere), wurde nicht in der nahen Hochebene, sondern bloß in dem gebirgigen Theile der Sierra, von der Cuesta de los Aguilares unweit Marfil bis nördlich von S. Rosa gehört. Nach einzelnen Gegenden der Sierra, 6–7 Meilen nordwestlich von Guanaxuato, jenseits Chichimequillo bei der siedenden Quelle von San José de Comangillas, gelangten die Schallwellen nicht. Wunderbar gewaltsame Maaßregeln wurden vom Magistrat der großen Bergstadt schon den 14 Januar (1784), als der Schrecken über den unterirdischen Donner am größten war, angeordnet. »Jede Flucht einer Familie sollte bei Reichen mit 1000 Piastern, bei Armen mit 2 Monat Gefängniß bestraft werden. Die Miliz sollte die Fliehenden zurückholen.« Am denkwürdigsten ist die Meinung, welche die Obrigkeit (el Cabildo) von ihrem Besser-Wissen hegte. Ich finde in einer der Proclamas den Ausdruck: »die Obrigkeit würde in ihrer Weisheit (en su Sabiduria) schon erkennen, wenn wirkliche Gefahr vorhanden sei, und dann zur Flucht mahnen; für jetzt seien nur Processionen abzuhalten.« Es entstand Hungersnoth, da aus Furcht vor den truenos keine Zufuhr aus der kornreichen Hochebene kam. – Auch die Alten kannten schon Getöse ohne Erdstöße; Aristot. Meteor. II. p. 802, Plin. II, 80. Das sonderbare Getöse, welches vom März 1822 bis September 1824 auf der dalmatischen Insel Meleda (4 Meilen von Ragusa) vernommen wurde und über welches Partsch viel Licht verbreitet hat, war doch bisweilen von Erdstößen begleitet. bekannt ist. Diese berühmte und reiche Bergstadt liegt fern von allen thätigen Vulkanen. Das Getöse dauerte seit Mitternacht des 9 Januar 1784 über einen Monat. Ich habe eine umständliche Beschreibung davon geben können, nach der Aussage vieler Zeugen und nach den Documenten der Municipalität, welche ich benutzen konnte. Es war (vom 13–16 Januar), als lägen unter den Füßen der Einwohner schwere Gewitterwolken, in denen langsam rollender Donner mit kurzen Donnerschlägen abwechselte. Das Getöse verzog sich, wie es gekommen war, mit abnehmender Stärke. Es fand sich auf einen kleinen Raum beschränkt: wenige Meilen davon, in einer basaltreichen Landstrecke, vernahm man es gar nicht. Fast alle Einwohner verließen vor Schrecken die Stadt, in der große Massen Silberbarren angehäuft waren; die muthigeren, an den unterirdischen Donner gewöhnt, kehrten zurück und kämpften mit der Räuberbande, welche sich der Schätze bemächtigt hatte. Weder an der Oberfläche der Erde noch in den 1500 Fuß tiefen Gruben war irgend ein leises Erdbeben bemerkbar. In dem ganzen mexicanischen Hochlande ist nie vorher ein ähnliches Getöse vernommen worden, auch hat in der 217 folgenden Zeit die furchtbare Erscheinung sich nicht wiederholt. So öffnen und schließen sich Klüfte im Inneren der Erde; die Schallwellen gelangen zu uns oder werden in ihrer Fortpflanzung gehindert.
Die Wirkung eines feuerspeienden Berges, so furchtbar malerisch auch das Bild ist, welches sie den Sinnen darbietet, ist doch immer auf einen sehr kleinen Raum eingeschränkt. Ganz anders ist es mit den Erdstößen, die, dem Auge kaum bemerkbar, bisweilen gleichzeitig in tausend Meilen Entfernung ihre Wellen fortpflanzen. Das große Erdbeben, welches am 1 November 1755 Lissabon zerstörte und dessen Wirkungen der große Weltweise Immanuel Kant so trefflich nachgespürt hat: wurde in den Alpen, an den schwedischen Küsten, auf den antillischen Inseln (Antigua, Barbados und Martinique), in den großen Seen von Canada: wie in Thüringen und in dem nördlichen Flachlande von Deutschland, in kleinen Binnenwassern der baltischen Ebenen, empfunden. Ferne Quellen wurden in ihrem Lauf unterbrochen: eine Erscheinung bei Erdstößen, auf die im Alterthume schon Demetrius der Kallatianer aufmerksam gemacht hatte. Die Teplizer Thermen versiegten und kamen, alles überschwemmend, mit vielem Eisen-Ocher gefärbt, zurück. In Cadix erhob sich das Meer zu 60 Fuß Höhe, während in den Kleinen Antillen die, gewöhnlich nur 26 bis 28 Zoll hohe Fluth urplötzlich dintenschwarz 20 Fuß hoch stieg. Man hat berechnet, daß am 1 November 1755 ein Erdraum gleichzeitig erbebte, welcher an Größe viermal die Oberfläche von Europa übertraf. Auch ist noch keine andere Aeußerung einer Kraft bekannt geworden (die mörderischen Erfindungen unsres eignen Geschlechts mit eingerechnet), 218 durch welche in dem kurzen Zeitraum von wenigen Secunden oder Minuten eine größere Zahl von Menschen (sechzigtausend in Sicilien 1693, dreißig- bis vierzigtausend im Erdbeben von Riobamba 1797, vielleicht fünfmal so viel in Kleinasien und Syrien unter Tiber und Justin dem Aelteren um die Jahre 19 und 526) getödtet wurden.
Man hat Beispiele in der Andeskette von Südamerika, daß die Erde mehrere Tage hinter einander ununterbrochen erbebte; Erschütterungen aber, die fast zu jeder Stunde Monate lang gefühlt wurden, kenne ich nur fern von allen Vulkanen: am östlichen Abfall der Alpenkette des Mont Cenis bei Fenestrelles und Pignerol seit April 1808, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zwischen Neu-Madrid und Little PrairieDrake, nat. and statist. view of Cincinnati p. 232–238; Mitchell in den Transactions of the Litt. and Philos. Soc. of New-York Vol. I. p. 281–308. In der piemontesischen Grafschaft Pignerol blieben Wassergläser, die man bis zum Ueberlaufen angefüllt hatte, stundenlang in ununterbrochener Bewegung. (nördlich von Cincinnati) im December 1811 wie den ganzen Winter 1812, im Paschalik von Aleppo in den Monaten August und September 1822. Da der Volksglaube sich nie zu allgemeinen Ansichten erheben kann und daher immer große Erscheinungen localen Erd- und Luft-Processen zuschreibt, so entsteht überall, wo die Erschütterungen lange dauern, die Besorgniß vor dem Ausbrechen eines neuen Vulkans. In einzelnen, seltenen Fällen hat sich allerdings diese Besorgniß begründet gezeigt: so bei plötzlicher Erhebung vulkanischer Eilande; so in der Entstehung des Vulkans von Jorullo (eines neuen Berges von 1580 Fuß Höhe über der alten benachbarten Ebene) am 29 September 1759, nach 90 Tagen Erdbebens und unterirdischen Donners.
Wenn man Nachricht von dem täglichen Zustande der gesammten Erdoberfläche haben könnte, so würde man sich sehr wahrscheinlich davon überzeugen, daß fast immerdar, 219 an irgend einem Punkte, diese Oberfläche erbebt, daß sie ununterbrochen der Reaction des Inneren gegen das Aeußere unterworfen ist. Diese Frequenz und Allverbreitung einer Erscheinung, die wahrscheinlich durch die erhöhte Temperatur der tiefsten geschmolzenen Schichten begründet wird, erklärt ihre Unabhängigkeit von der Natur der Gebirgsarten, in denen sie sich äußert. Selbst in den lockersten Alluvialschichten von Holland, um Middelburg und Vliessingen, sind (23 Februar 1828) Erdstöße empfunden worden. Granit und Glimmerschiefer werden wie Flözkalk und Sandstein, wie Trachyt und Mandelstein erschüttert. Es ist nicht die chemische Natur der Bestandtheile, sondern die mechanische Structur der Gebirgsarten, welche die Fortpflanzung der Bewegung (die Erschütterungswelle) modificirt. Wo letztere längs einer Küste oder an dem Fuß und in der Richtung einer Gebirgskette regelmäßig fortläuft, bemerkt man bisweilen, und dies seit Jahrhunderten, eine Unterbrechung an gewissen Punkten. Die Undulation schreitet in der Tiefe fort, wird aber an jenen Punkten an der Oberfläche nie gefühlt. Die PeruanerIm Spanischen sagt man: rocas que hacen puente. Mit diesem Phänomen der Nicht-Fortpflanzung durch obere Schichten hängt die merkwürdige Erfahrung zusammen, daß im Anfang dieses Jahrhunderts in den tiefen Silberbergwerken zu Marienberg im sächsischen Erzgebirge Erdstöße gefühlt wurden, die man auf der Oberfläche schlechterdings nicht spürte. Die Bergleute fuhren erschrocken aus. Umgekehrt bemerkten (Nov. 1823) die in den Gruben von Falun und Persberg arbeitenden Bergleute nichts von den heftigen Erschütterungen, welche über Tage alle Einwohner in Schrecken setzten. sagen von diesen unbewegten oberen Schichten, »daß sie eine Brücke bilden«. Da die Gebirgsketten auf Spalten erhoben scheinen, so mögen die Wände dieser Höhlungen die Richtung der den Ketten parallelen Undulationen begünstigen; bisweilen durchschneiden aber auch die Erschütterungswellen mehrere Ketten fast senkrecht. So sehen wir sie in Südamerika die Küstenkette von Venezuela und die Sierra Parime gleichzeitig durchbrechen. In Asien haben sich die Erdstöße von Lahore und vom Fuß des Himalaya (22 Januar 1832), queer durch die Kette des Hindu-Kho, bis 220 Badak-schan, bis zum Oberen Oxus, ja bis Bokhara fortgepflanztSir Alex. Burnes, Travels into Bokhara Vol. I. p. 18; und Wathen, mem. on the Usbek state im Journal of the Asiatic Soc. of Bengal Vol. III. p. 337.. Leider erweitern sich auch die Erschütterungskreise in Folge eines einzigen sehr heftigen Erdbebens. Erst seit der Zerstörung von Cumana (14 December 1797) empfindet die, den Kalkhügeln der Festung gegenüberliegende Halbinsel Maniquarez in ihren Glimmerschiefer-Felsen jeden Erdstoß der südlichen Küste. Bei den fast ununterbrochenen Undulationen des Bodens in den Flußthälern des Missisippi, des Arkansas und des Ohio von 1811 bis 1813 war das Fortschreiten von Süden nach Norden sehr auffallend. Es ist, als würden unterirdische Hindernisse allmälig überwunden; und auf dem einmal geöffneten Wege pflanzt sich dann die Wellenbewegung jedesmal fort.
Wenn das Erdbeben dem ersten Anscheine nach ein bloßes dynamisches, räumliches Phänomen der Bewegung zu sein scheint; so erkennt man doch nach sehr wahrhaft bezeugten Erfahrungen, daß es nicht bloß ganze Landstrecken über ihr altes Niveau zu erheben vermag (z. B. Ulla-Bund nach dem Erdbeben von Cutsch im Juni 1819, östlich von dem Delta des Indus; oder längs der Küste von Chili im November 1822): sondern daß auch während der Erdstöße heißes Wasser (bei Catania 1818), heiße Dämpfe (im Missisippi-Thale bei Neu-Madrid 1812), Mofetten (irrespirable Gasarten), den weidenden Heerden in der Andeskette schädlich, Schlamm, schwarzer Rauch, und selbst Flammen (bei Messina 1783, bei Cumana 14 November 1797) ausgestoßen wurden. Während des großen Erdbebens von Lissabon am 1 November 1755 sah man nahe bei der Hauptstadt Flammen und eine Rauchsäule aus einer neugebildeten Spalte des Felsen von Alvidras aufsteigen. Der Rauch 221 war jedesmal um so dicker, als das unterirdische Getöse an Stärke zunahmPhilos. Transact. Vol. XLIX. p. 414.. Bei der Zerstörung von Riobamba im Jahr 1797, wo die Erdstöße von keinem Ausbruch der, sehr nahen Vulkane begleitet waren, wurde die Moya: eine sonderbare, mit Kohle, Augit-Krystallen und Kieselpanzern der Infusionsthiere gemengte Masse, in zahlreichen kleinen fortschreitenden Kegeln aus der Erde hervorgehoben. Der Ausbruch des kohlensauren Gases aus Spalten während des Erdbebens von Neu-Granada (16 November 1827) im Magdalena-Thale verursachte das Ersticken vieler Schlangen, Ratten und anderer in Höhlen lebender Thiere. Auch plötzliche Veränderungen der Witterung, plötzliches Eintreten der Regenzeit zu einer unter den Tropen ungewöhnlichen Epoche sind bisweilen in Quito und Peru auf große Erdbeben gefolgt. Werden gasförmige, aus dem Innern der Erde aufsteigende Flüssigkeiten der Atmosphäre beigemischt? oder sind diese meteorologischen Processe die Wirkung einer durch das Erdbeben gestörten Luft-Electricität? In den Gegenden des tropischen Amerika's, wo bisweilen in zehn Monaten kein Tropfen Regen fällt, halten die Eingebornen sich oft wiederholende Erdstöße, die den niedrigen Rohrhütten keine Gefahr bringen, für glückliche Vorboten der Fruchtbarkeit und der Regenmenge.
Der innere Zusammenhang aller hier geschilderten Erscheinungen ist noch in Dunkel gehüllt. Elastische Flüssigkeiten sind es gewiß, die sowohl das leise, ganz unschädliche, mehrere Tage dauernde Zittern der Erdrinde (wie 1816 zu Scaccia in Sicilien vor der vulkanischen Erhebung der neuen Insel Julia) als die, sich durch Getöse verkündigenden, furchtbareren Explosionen verursachen. Der Heerd 222 des Uebels, der Sitz der bewegenden Kraft liegt tief unter der Erdrinde; wie tief: wissen wir eben so wenig als, welches die chemische Natur so hochgespannter Dämpfe sei. An zwei Kraterrändern gelagert: am Vesuv und auf dem thurmartigen Fels, welcher den ungeheuren Schlund des Pichincha bei Quito überragt: habe ich periodisch und sehr regelmäßig Erdstöße empfunden, jedesmal 20–30 Secunden früher als brennende Schlacken oder Dämpfe ausgestoßen wurden. Die Erschütterung war um so stärker, als die Explosionen später eintraten und also die Dämpfe länger angehäuft blieben. In dieser einfachen, von so vielen Reisenden bestätigten Erfahrung liegt die allgemeine Lösung des Phänomens. Die thätigen Vulkane sind als Schutz- und Sicherheits-Ventile für die nächste Umgegend zu betrachten. Die Gefahr des Erdbebens wächst, wenn die Oeffnungen der Vulkane verstopft, ohne freien Verkehr mit der Atmosphäre sind; doch lehrt der Umsturz von Lissabon, Caracas, Lima, Kaschmir (1554)Ueber die Frequenz der Erdstöße in Kaschmir s. Troyer's Uebersetzung des alten Radjatarangini Vol. II. p. 297 und Reisen von Carl v. Hügel Bd. II. S. 184., und so vieler Städte von Calabrien, Syrien und Kleinasien: daß im ganzen doch nicht in der Nähe noch brennender Vulkane die Kraft der Erdstöße am größten ist.
Wie die gehemmte Thätigkeit der Vulkane auf die Erschütterung des Bodens wirkt, so reagirt diese wiederum auf die vulkanischen Erscheinungen selbst. Eröffnung von Spalten begünstigt das Aufsteigen der Eruptions-Kegel und die Processe, welche in diesen Kegeln in freiem Contact mit dem Luftkreise vorgehen. Eine Rauchsäule, die man Monate lang in Südamerika aus dem Vulkan von Pasto aufsteigen sah, verschwand plötzlich, als 48 Meilen weit in Süden (am 4 Februar 1797) die Provinz Quito 223 das große Erdbeben von Riobamba erlitt. Nachdem lange in ganz Syrien, in den Cycladen und auf Euböa der Boden erbebt hatte, hörten die Erschütterungen plötzlich auf, als sich in der lelantischen Ebene bei Chalcis ein Strom »glühenden Schlammes« (Lava aus einer Spalte) ergoßStrabo lib. I. p. 100 Casaub. Daß der Ausdruck πηλοῦ διαπύρου ποταμόν nicht Koth (Schlamm-Auswurf), sondern Lava andeutet, erhellt deutlich aus Strabo lib VI p. 412. Vergl. Walter über Abnahme der vulkanischen Thätigkeit in historischen Zeiten 1844 S. 25.. Der geistreiche Geograph von Amasea, der uns diese Nachricht aufbewahrt, setzt hinzu: »seitdem die Mündungen des Aetna geöffnet sind, durch welche das Feuer emporbläst, und seitdem Glühmassen und Wasser hervorstürzen können, wird das Land am Meeresstrande nicht mehr so oft erschüttert als zu der Zeit, wo, vor der Trennung Siciliens von Unteritalien, alle Ausgänge in der Oberfläche verstopft waren.«
In dem Erdbeben offenbart sich demnach eine vulkanisch-vermittelnde Macht; aber eine solche Macht, allverbreitet wie die innere Wärme des Planeten, und überall sich selbst verkündend, wird selten und dann nur an einzelnen Punkten bis zu wirklichen Ausbruchs-Phänomenen gesteigert. Die Gangbildung, d. h. die Ausfüllung der Spalten mit krystallinischen, aus dem Inneren hervorquellenden Massen (Basalt, Melaphyr und Grünstein), stört allmälig die freie Communication der Dämpfe. Durch Spannung wirken diese dann auf dreierlei Weise: erschütternd; oder plötzlich, d. i. ruckweise, hebend; oder, wie zuerst in einem großen Theil von Schweden beobachtet worden ist, ununterbrochen, und nur in langen Perioden bemerkbar, das Niveau-Verhältniß von Meer und Land umändernd.
Ehe wir diese große Erscheinung verlassen, die hier nicht sowohl in ihren Einzelheiten als in ihren allgemeinen physikalischen und geognostischen Verhältnissen betrachtet 224 worden ist; müssen wir noch die Ursach des unaussprechlich tiefen und ganz eigenthümlichen Eindrucks berühren, welchen das erste Erdbeben, das wir empfinden, sei es auch von keinem unterirdischen Getöse begleitet, in uns zurückläßt. Ein solcher Eindruck, glaube ich, ist nicht Folge der Erinnerung an die Schreckensbilder der Zerstörung, welche unsrer Einbildungskraft aus Erzählungen historischer Vergangenheit vorschweben. Was uns so wundersam ergreift, ist die Enttäuschung von dem angeborenen Glauben an die Ruhe und Unbeweglichkeit des Starren, der festen Erdschichten. Von früher Kindheit sind wir an den Contrast zwischen dem beweglichen Element des Wassers und der Unbeweglichkeit des Bodens gewöhnt, auf dem wir stehen. Alle Zeugnisse unsrer Sinne haben diesen Glauben befestigt. Wenn nun urplötzlich der Boden erbebt, so tritt geheimnißvoll eine unbekannte Naturmacht als das Starre bewegend, als etwas Handelndes auf. Ein Augenblick vernichtet die Illusion des ganzen früheren Lebens. Enttäuscht sind wir über die Ruhe der Natur; wir fühlen uns in den Bereich zerstörender, unbekannter Kräfte versetzt. Jeder Schall, die leiseste Regung der Lüfte spannt unsre Aufmerksamkeit. Man traut gleichsam dem Boden nicht mehr, auf den man tritt. Das Ungewöhnliche der Erscheinung bringt dieselbe ängstliche Unruhe bei Thieren hervor. Schweine und Hunde sind besonders davon ergriffen. Die Crocodile im Orinoco, sonst so stumm als unsere kleinen Eidechsen, verlassen den erschütterten Boden des Flusses und laufen brüllend dem Walde zu.
Dem Menschen stellt sich das Erdbeben als etwas allgegenwärtiges, unbegrenztes dar. Von einem thätigen 225 Ausbruch.Krater, von einem auf unsere Wohnung gerichteten Lavastrom kann man sich entfernen: bei dem Erdbeben glaubt man sich überall, wohin auch die Flucht gerichtet sei, über dem Heerd des Verderbens. Ein solcher Zustand des Gemüths, aus unserer innersten Natur hervorgerufen, ist aber nicht von langer Dauer. Folgt in einem Lande eine Reihe von schwachen Erdstößen auf einander, so verschwindet bei den Bewohnern fast jegliche Spur der Furcht. An den regenlosen Küsten von Peru kennt man weder Hagel, noch den rollenden Donner und die leuchtenden Explosionen im Luftkreise. Den Wolken-Donner ersetzt dort das unterirdische Getöse, welches die Erdstöße begleitet. Vieljährige Gewohnheit und die sehr verbreitete Meinung, als seien gefahrbringende Erschütterungen nur zwei- oder dreimal in einem Jahrhundert zu befürchten, machen, daß in Lima schwache Oscillationen des Bodens kaum mehr Aufmerksamkeit erregen als ein Hagelwetter in der gemäßigten Zone.
Nachdem wir so die Thätigkeit, gleichsam das innere Leben der Erde in ihrem Wärmegehalt, in ihrer electromagnetischen Spannung, in ihrer Licht-Ausströmung an den Polen, in ihren unregelmäßig wiederkehrenden Erscheinungen der Bewegung übersichtlich betrachtet haben; gelangen wir zu den stoffartigen Productionen (chemischen Veränderungen in der Erdrinde und in der Zusammensetzung des Dunstkreises), welche ebenfalls die Folge planetarischer Lebensthätigkeit sind. Wir sehen aus dem Boden ausströmen: Wasserdämpfe und gasförmige Kohlensäure, meist freiBischof's gehaltvolle Schrift: die Wärmelehre des Innern unsers Erdkörpers 1837. von aller Beimengung von Stickstoff; gekohltes Wasserstoffgas (in der chinesischen Provinz Sse-tschuanUeber die artesischen Feuerbrunnen (Ho-tsing) in China und den alten Gebrauch von tragbarem Gas (in Bambusröhren) bei der Stadt Khiung-tscheu s. Klaproth in meiner Asie centrale T. II. p. 419–530. seit Jahrtausenden, in dem nordamerikanischen Staate von Neu-York 226 im Dorfe Fredonia ganz neuerdings zum Kochen und zur Beleuchtung benutzt); Schwefel-Wasserstoffgas und Schwefeldampf, seltenerBoussingault (Annales de Chimie T. LII. p. 181) bemerkte in den Vulkanen von Neu-Granada gar keine Ausströmung von Hydcrochlor-Säure, während daß Monticelli in der Eruption von 1813 am Vesuv sie in ungeheurer Menge fand. schweflige und Hydrochlor-Säure. Solche Ausströmungen aus Erdspalten bezeichnen nicht bloß die Gebiete noch brennender oder längst erloschener Vulkane: man beobachtet sie auch ausnahmsweise in Gegenden, in denen nicht Trachyt und andere vulkanische Gesteine unbedeckt zu Tage ausstehen. In der Andeskette von Quindiu habe ich Schwefel in einer Höhe von 6410 Fuß über dem Meere sich im Glimmerschiefer aus warmen Schwefeldämpfen niederschlagen gesehenHumboldt, Recueil d'Observ. astronomiques Vol. I. p. 311 (Nivellement barométrique de la Cordillère des Andes No. 206)., während daß dieselbe, einst für uranfänglich gehaltene Gebirgsart in dem Cerro Cuello bei Ticsan (südlich von Quito) ein ungeheures Schwefellager in reinem Quarze zeigt.
Unter allen Luftquellen sind die Exhalationen der Kohlensäure (sogenannte Mofetten) noch heute, der Zahl und Quantität der Production nach, die wichtigsten. Unser deutsches Vaterland lehrt uns, wie in den tief eingeschnittenen Thälern der Eifel, in der Umgebung des Laacher Sees, im Kesselthal von Wehr und in dem westlichen Böhmen, gleichsam in den Brandstätten der Vorwelt, oder in ihrer Nähe, sich die Ausströmungen der Kohlensäure, als letzte Regungen der vulkanischen Thätigkeit, offenbaren. In den früheren Perioden, wo, bei erhöhter Erdwärme und bei der Häufigkeit noch unausgefüllter Erdspalten, die Processe, welche wir hier beschreiben, mächtiger wirkten; wo Kohlensäure und heiße Wasserdämpfe in größeren Massen sich der Atmosphäre beimischten: muß, wie Adolph BrongniartAdolph Brongniart in den Annales des Sciences naturelles T. XV. p. 225. scharfsinnig entwickelt hat, die junge Pflanzenwelt, fast überall und unabhängig von der geographischen Ortsbreite, zu 227 der üppigsten Fülle und Entwickelung ihrer Organe gelangt sein. In den immer warmen, immer feuchten, mit Kohlensäure überschwängerten Luftschichten müssen die Gewächse in solchem Grade Lebenserregung und Ueberfluß an Nahrungsstoff gefunden haben, daß sie das Material zu den Steinkohlen- und Ligniten-Schichten hergeben konnten, welche in schwer zu erschöpfenden Massen die physischen Kräfte und den Wohlstand der Völker begründen. Solche Massen sind vorzugsweise, und wie in Becken vertheilt, gewissen Punkten Europa's eigen. Sie sind angehäuft in den britischen Inseln, in Belgien, in Frankreich, am Niederrhein und in Oberschlesien. In derselben Urzeit allverbreiteter vulkanischer Thätigkeit ist auch dem Schooße der Erde entquollen die ungeheure Menge Kohlenstoffes, welchen die Kalkgebirge in ihrer Zusammensetzung enthalten und welcher, vom Sauerstoff getrennt und in fester Substanz ausgeschieden, ungefähr den achten Theil der räumlichen Mächtigkeit jener Gebirge ausmachen würdeBischof a. a. O. S. 324 Anm. 2.. Was unaufgenommen von den alkalischen Erden dem Luftkreis an Kohlensäure noch beigemengt war, wurde allmälig durch die Vegetation der Vorwelt aufgezehrt: so daß davon der Atmosphäre, wenn sie der Proceß des Pflanzenlebens gereinigt, nur der so überaus geringe Gehalt übrig blieb, welcher der jetzigen Organisation der Thiere unschädlich ist. Auch häufiger ausbrechende schwefelsaure Dämpfe haben in den vielbelebten Binnenwassern der Urwelt den Untergang von Mollusken und Fischgattungen, wie die Bildung der vielgekrümmten, wahrscheinlich oft durch Erdbeben erschütterten Gypsflöze bewirkt.
Unter ganz ähnlichen physischen Verhältnissen steigen aus dem Schooße der Erde hervor: Luftarten, tropfbare 228 Flüssigkeiten, Schlamm und durch den Ausbruch-Kegel der Vulkane, welche selbst nur eine Art intermittirender Quellen sindHumboldt, Asie centr. T. I. p. 43., geschmolzene Erden. Alle diese Stoffe verdanken ihre Temperatur und ihre chemische Naturbeschaffenheit dem Ort ihres Ursprungs. Die mittlere Wärme der Wasserquellen ist geringer als die des Luftkreises an dem Punkte, wo sie ausbrechen, wenn die Wasser von den Höhen herabkommen; ihre Wärme nimmt mit der Tiefe der Erdschichten zu, welche sie bei ihrem Ursprunge berühren. Das numerische Gesetz dieser Zunahme haben wir bereits oben angegeben. Das Gemisch der Wasser, welche aus der Höhe der Berge oder aus der Tiefe der Erde kommen, macht die Lage der IsogeothermenUeber die Theorie der Isogeothermen (Chthonisothermen) s. die scharfsinnigen Arbeiten von Kupffer in Poggend. Ann. Bd. XV. S. 184 und Bd. XXXII. S. 270, im Voyage dans l'Oural p. 382–398 und im Edinb. Journal of Science, new Series Vol. IV. p. 355. Vergl. Kämtz, Lehrb. der Meteor. Bd. II. S. 217, und über das Aufsteigen der Chthonisothermen in Gebirgsgegenden Bischof S. 174–198. (Linien gleicher innerer Erdwärme) schwierig zu bestimmen: wenn nämlich diese Bestimmung aus der Temperatur der ausbrechenden Wasserquellen geschlossen werden soll. So haben es eigene Beobachtungen mich und meine Gefährten in dem nördlichen Asien gelehrt. Die Temperatur der Quellen, welche seit einem halben Jahrhundert ein so viel bearbeiteter Gegenstand der physikalischen Untersuchungen geworden ist, hängt, wie die Höhe des ewigen Schnees, von vielen, sehr verwickelten Ursachen gleichzeitig ab. Sie ist Function der Temperatur der Erdschicht, in der sie entspringen, der Wärme-Capacität des Bodens, der Menge und Temperatur der MeteorwasserLeop. von Buch in Poggend. Ann. Bd. XII. S. 405.: welche letztere selbst wiederum nach der Art ihrer Entstehung von der Luft-Temperatur der unteren Atmosphäre verschiedenUeber die Temperatur der Regentropfen in Cumana, welche bis 22°,3 herabsinkt, wenn die Luft-Temperatur kurz vorher 30°–31° gewesen war und während des Regens 23°,4 zeigte, s. meine Rel. hist. T. II. p. 22. Die Regentropfen verändern, indem sie herabfallen, die Normal-Temperatur ihrer Entstehung, welche von der Höhe der Wolkenschichten und deren Erwärmung an der oberen Fläche durch die Sonnenstrahlen abhängt. Nachdem nämlich die Regentropfen bei ihrer ersten Bildung, wegen der frei werdenden latenten Wärme, eine höhere Temperatur als das umgebende Medium in der obern Atmosphäre angenommen haben, erwärmen sie sich allerdings etwas mehr, indem sich im Fallen und bei dem Durchgange durch niedere, wärmere Luftschichten Wasserdampf auf sie niederschlägt und sie sich so vergrößern (Bischof, Wärmelehre des innern Erdkörpers S. 73); aber diese Erwärmung wird durch Verdampfung compensirt. Erkältung der Atmosphäre durch Regen wird (das abgerechnet, was wahrscheinlich dem electrischen Proceß bei Gewitterregen angehört) durch die Tropfen erregt, die, selbst von niedriger Temperatur wegen des Orts ihrer Entstehung, einen Theil der kalten höheren Luftschichten herabdrängen und, den Boden benetzend, Verdampfung hervorbringen. Dies sind die gewöhnlichen Verhältnisse der Erscheinung. Wenn in seltenen Fällen die Regentropfen wärmer (Humboldt, Rel. hist. T. III. p. 513) als die untere sie umgebende Luft sind, so kann vielleicht die Ursach in oberen warmen Strömungen oder in größerer Erwärmung langgedehnter, wenig dicker Wolken durch Insolation gesucht werden. Wie übrigens das Phänomen der Supplementar-Regenbogen, welche durch Interferenz des Lichtes erklärt werden, mit der Größe der fallenden Regentropfen und ihrer Zunahme zusammenhange; ja wie ein optisches Phänomen, wenn man es genau zu beobachten weiß, uns über einen meteorologischen Proceß nach Verschiedenheit der Zonen belehren kann: hat Arago mit vielem Scharfsinn entwickelt im Annuaire pour 1836 p. 300. ist.
Die sogenannten kalten Quellen können die mittlere Luft-Temperatur nur dann anzeigen, wenn sie, ungemischt mit den aus großer Tiefe aufsteigenden oder von 229 beträchtlichen Berghöhen herabkommenden Wassern, einen sehr langen Weg (in unseren Breiten zwischen vierzig und sechzig Fuß, in der Aequinoctial-Zone nach Boussingault einen FußNach Boussingault's gründlichen Untersuchungen scheint mir kein Zweifel darüber obzuwalten, daß unter den Tropen in sehr geringen Tiefen die Boden-Temperatur im ganzen der mittleren Luft-Temperatur gleich ist. Ich begnüge mich folgende Beispiele hier anzuführen:
Die Zweifel über die Erdwärme zwischen den Wendekreisen, zu denen ich selbst vielleicht durch meine Beobachtungen in der Höhle von Caripe (Cueva del Guacharo) Anlaß gegeben habe (Rel. hist. T. III. p. 191–196), werden durch die Betrachtung gelöst, daß ich die vermuthete mittlere Luft-Temperatur des Klosters Caripe (18°,5) nicht mit der Luft-Temperatur in der Höhle (18°,7), sondern mit der Temperatur des unterirdischen Baches (16°,8) verglichen hatte: ob ich gleich selbst schon ausgesprochen (Rel. hist. T. III. p. 146 und 194), daß zu den Wassern der Höhle sich wohl höhere Bergwasser könnten gemischt haben.
Stationen
in der Tropenzone1 Fuß unter
der Oberfläche
der Erdemittlere
Temperatur
der LuftHöhe über der
Meeresfläche
in Pariser Fuß
Guayaguil
Anserma nuevo
Zupia
Popayan
Quito26°,0
23°,7
21°,5
18°,2
15°,525°,6
23°,8
21°,5
18°,7
15°,50
3231
3770
5564
8969
Heiße Quellen brechen aus den allerverschiedenartigsten Gebirgsarten hervor; ja die heißesten unter den permanenten, die man bisher beobachtet und die ich selbst aufgefunden, zeigen sich fern von allen Vulkanen. Ich führe hier aus meinem Reiseberichte die Aguas calientes de las Trincheras in Südamerika, zwischen Porto Cabello und Nueva Valencia, und die Aguas de Comangillas im mexicanischen Gebiete bei Guanaxuato an; die ersten, aus Granit ausbrechend, hatten 90°,3: die zweiten aus Basalt ausbrechend, 96°,4. Die Tiefe des Heerdes, aus welchem Wasser von dieser Temperatur aufsteigen, ist nach dem, was wir von dem Gesetz der Wärme-Zunahme im Innern der Erde wissen, wahrscheinlich an 6700 Fuß (über ¼ einer geographischen Meile). Wenn die Ursach der Thermalquellen wie der thätigen Vulkane die allverbreitete Erdwärme ist, so wirken die Gebirgsarten nur durch ihre Wärme-Capacität und ihre wärmeleitende Kraft. Die heißesten aller permanenten Quellen (zwischen 95° und 97°) sind merkwürdigerweise die reinsten; die, welche am wenigsten Mineralstoffe aufgelöst enthalten. Ihre Temperatur scheint im ganzen auch minder beständig als die der Quellen zwischen 50° und 74°: 230 deren Unveränderlichkeit in Wärme und Mineralgehalt, in Europa wenigstens, seit den funfzig bis sechzig Jahren, in denen man genaue Thermometer und genaue chemische Analysen angewandt, sich so wunderbar bewährt hat. Boussingault hat gefunden, daß die Therme von las Trincheras seit meiner Reise in 23 Jahren (zwischen 1800 und 1823) von 90°,3 auf 97° gestiegen istBoussingault in den Ann. de Chimie T. LII. p. 181. Die Quelle von Chaudes Aigues in der Auvergne hat nur 80°. Auch ist zu bemerken, daß, während die Aguas calientes de las Trincheras südlich von Portocabello (Venezuela), aus einem in regelmäßige Bänke gespaltenen Granit ausbrechend, fern von allen Vulkanen volle 97° Wärme zeigen, alle Quellen am Abhange der noch thätigen Vulkane (Pasto, Cotopaxi und Tunguragua) nur eine Temperatur von 36°–54° haben.. Diese überaus ruhig fließende Quelle ist also jetzt fast 7° heißer als die intermittirenden Springbrunnen des Geyser und des Strokr, deren Temperatur Krug von Nidda neuerlichst sorgfältiger bestimmt hat. Einen der auffallendsten Beweise von der Entstehung heißer Quellen durch das Herabsinken kalter Meteorwasser in das Innere der Erde und durch Berührung mit einem vulkanischen Heerde hat erst im vorigen Jahrhundert ein vor meiner amerikanischen Reise unbekannter Vulkan, der von Jorullo in Mexico, dargeboten. Als sich derselbe im September 1759 plötzlich als ein Berg von 1580 Fuß über die umliegende Ebene erhob, verschwanden die zwei kleinen Flüsse, Rios de Cuitimba y de San Pedro, und erschienen einige Zeit nachher unter furchtbaren Erdstößen als heiße Quellen. Ich fand im Jahr 1803 ihre Temperatur zu 65°,8.
Die Quellen in Griechenland fließen erweislich noch an denselben Orten wie in dem hellenischen Alterthume. Der Erasinos-Quelle, zwei Stunden Weges südlich von Argos am Abhange des Chaon, erwähnt schon Herodot. Bei Delphi sieht man noch die Kassotis (jetzt Brunnen des heil. Nikolaos), südlich von der Lesche entspringend und unter dem Apollotempel durchfließend; auch die Kastalia am Fuß der Phädriaden und die Pirene bei Akrokorinth, 231 wie die heißen Bäder von Aedepsos auf Euböa, in denen Sulla während des Mithridatischen Krieges badeteDie Kassotis (Brunnen des heil. Nicolaus) und Kastalia-Quellen (Fuß der Phädriaden) in Pausanias X 24, 5 und X 8, 9; die Pirene (Akrokorinth) in Strabo p. 379; die Erasinos-Quelle (Berg Chaon südlich von Argos) in Herod. VI, 67 und Pausan. II 24, 7; die Quellen von Aedepsos (Euböa): von denen einige 31°, andere 62° bis 75° Wärme haben, in Strabo p. 60 und 447, Athenäus II 3, 73; die warmen Quellen von Thermopylä am Fuß des Oeta, zu 65°, in Pausan. X 21, 2. (Alles aus handschriftlichen Nachrichten von dem gelehrten Begleiter Otfried Müller's, Herrn Professor Curtius.). Ich führe gern diese Einzelheiten an, weil sie lebhaft daran erinnern, wie in einem so häufigen und heftigen Erderschütterungen ausgesetzten Lande doch das Innere unsres Planeten in kleinen Verzweigungen offener und Wasser führender Spalten, wenigstens 2000 Jahre lang, seine alte Gestaltung hat bewahren können. Auch die Fontaine jaillissante von Lillers im Departement des Pas de Calais ist bereits im Jahr 1126 erbohrt worden, und seitdem ununterbrochen zu derselben Höhe mit derselben Wassermenge gestiegen; ja der vortreffliche Geograph der caramanischen Küste, Capitän Beaufort, hat dieselbe Flamme, genährt von ausströmendem brennbarem Gas, im Gebiet des Phaselis leuchten sehen, welche PliniusPlin. II, 106; Seneca, Epist. 80 § 3 ed. Ruhkopf. (Beaufort, Survey of the Coast of Karamania 1820 Art. Yanar, bei Deliktasch, dem alten Phaselis, p. 24.) Vergl. auch Ctesias Fragm. cap. 10 p. 250 ed. Bähr: Strabo lib. XIV. p. 665 Casaub. als die Flamme der Chimära in Lycien beschreibt.
Die von Arago 1821 gemachte BeobachtungArago im Annuaire pour 1835 p. 234., daß die tieferen artesischen Brunnen die wärmeren sind, hat zuerst ein großes Licht auf den Ursprung der Thermalquellen und auf die Auffindung des Gesetzes der mit der Tiefe zunehmenden Erdwärme verbreitet. Auffallend ist es und erst in sehr neuer Zeit beachtet, daß schon der heilige PatriciusActa S. Patricii p. 555 ed. Ruinart, T. II. p. 385 Mazochi. Dureau de la Malle hat zuerst auf diese merkwürdige Stelle aufmerksam gemacht in den recherches sur la topographie de Carthage 1835 p. 276. (Vergl. Seneca, Nat. Quaest. II, 24.), wahrscheinlich Bischof von Pertusa, durch die bei Carthago ausbrechenden heißen Quellen am Ende des dritten Jahrhunderts auf eine sehr richtige Ansicht der Erscheinungen geleitet wurde. Als man ihn nach der Ursach der siedenden, dem Erdschooß entquellenden Wasser befragte, antwortete er: »Feuer wird in den Wolken genährt und im Innern der Erde, wie der Aetna sammt einem anderen Berge in der Nähe von Neapel euch lehren. Die 232 unterirdischen Wasser steigen wie durch Heber empor. Die Ursach der heißen Quellen ist diese: die Wasser, welche vom unterirdischen Feuer entfernter sind, zeigen sich kälter; die, welche dem Feuer näher entquellen, bringen, durch dasselbe erwärmt, eine unerträgliche Hitze an die Oberfläche, die wir bewohnen.«
So wie die Erderschütterungen oft von Wasser- und Dampf-Ausbrüchen begleitet sind; so erkennt man in den Salsen oder kleinen Schlammvulkanen einen Uebergang von den wechselnden Erscheinungen, welche die Dampf-Ausbrüche und Thermalquellen darbieten, zu der mächtigen und grausenvollen Thätigkeit Lava speiender Berge. Wenn diese als Quellen geschmolzener Erden vulkanische Gebirgsarten hervorbringen: so erzeugen heiße, mit Kohlensäure und Schwefelgas geschwängerte Quellwasser ununterbrochen, durch Niederschlag, horizontal auf einander gelagerte Schichten von Kalkstein (Travertino); oder bauen conische Hügel auf: wie im nördlichen Afrika (Algerien) und in den Baños von Caxamarca, an dem westlichen Abhange der peruanischen Andeskette. In dem Travertino von Van Diemens Land (unweit Hobarttown) sind nach Charles Darwin Reste einer untergegangenen Vegetation enthalten. Wir deuten hier durch Lava und Travertino (zwei Gebirgsarten, die fortfahren sich unter unseren Augen zu bilden) auf die Hauptgegensätze geognostischer Verhältnisse.
Die Salsen oder Schlammvulkane verdienen mehr Aufmerksamkeit, als die Geognosten ihnen bisher geschenkt haben. Man hat die Größe des Phänomens verkannt, weil von den zwei Zuständen, die es durchläuft, 233 in den Beschreibungen gewöhnlich nur bei dem letzteren: dem friedlicheren Zustande, in dem sie Jahrhunderte lang beharren, verweilt wird. Die Entstehung der Salsen ist durch Erdbeben, unterirdischen Donner, Hebung einer ganzen Länderstrecke und einen hohen, aber auf eine kurze Dauer beschränkten Flammenausbruch bezeichnet. Als auf der Halbinsel Abscheron, am caspischen Meere, östlich von Baku, die Salse von Jokmali sich zu bilden anfing (27 November 1827), loderten die Flammen drei Stunden lang zu einer außerordentlichen Höhe empor; die nachfolgenden 20 Stunden erhoben sie sich kaum 3 Fuß über den schlammauswerfenden Krater. Bei dem Dorfe Baklichli, westlich von Baku, stieg die Feuersäule so hoch, daß man sie in sechs Meilen Entfernung sehen konnte. Große Felsblöcke, der Tiefe entrissen, wurden weit umhergeschleudert. Diese findet man auch um die gegenwärtig so friedlichen Schlammvulkane von Monte Zibio, nahe bei Sassuolo im nördlichen Italien. Der Zustand des zweiten Stadiums hat sich über 1½ Jahrtausende in den von den Alten beschriebenen Salsen von Girgenti (den Macalubi) auf Sicilien erhalten. Dort stehen, nahe an einander gereihet, viele kegelförmige Hügel von 8, 10, ja 30 Fuß Höhe: die veränderlich ist, wie ihre Gestaltung. Aus dem oberen, sehr kleinen und mit Wasser gefüllten Becken fließt, unter periodischer Entwickelung von Gas, lettiger Schlamm in Strömen herab. Dieser Schlamm ist gewöhnlich kalt, bisweilen (auf der Insel Java bei Damak in der Provinz Samarang) von hoher Temperatur. Auch die mit Geräusch ausströmenden Gas-Arten sind verschiedenartig: Wasserstoffgas mit Naphtha gemengt, Kohlensäure und, wie Parrot und ich 234 erwiesen haben (auf der Halbinsel Taman und in den südamerikanischen Volcancitos de Turbaco), fast reines StickgasHumboldt, Rel. hist. T. III. p. 562–567; Asie centrale T. I. p. 43, T. II. p. 505–515; Vue des Cordillères Pl. XLI. Ueber die Macalubi (das arabische makhlub, umgestürzt, das Umgekehrte, von der Wurzel khalaba), und wie »die Erde flüssige Erde ausstößt«, s. Solinus cap. 5: »idem ager Agrigentinus eructat limosas scaturigines, et ut venae fontium sufficiunt rivis subministrandis, ita in hac Siciliae parte solo nunquam deficiente, aeterna rejectatione terram terra evomit.«.
Die Schlammvulkane bieten dem Beobachter, nach dem ersten gewaltsamen Feuerausbruch, der vielleicht in gleichem Maaße nicht einmal allen gemein ist, das Bild einer meist ununterbrochen fortwirkenden, aber schwachen Thätigkeit des inneren Erdkörpers dar. Die Communication mit den tiefen Schichten, in denen eine hohe Temperatur herrscht, wird bald wieder in ihnen verstopft; und die kalten Ausströmungen der Salsen scheinen zu lehren, daß der Sitz des Phänomens im Beharrungszustande nicht sehr weit von der Oberfläche entfernt sein könne. Von ganz anderer Mächtigkeit zeigt sich die Reaction des inneren Erdkörpers auf die äußere Rinde in den eigentlichen Vulkanen oder feuerspeienden Bergen: d. i. in solchen Punkten der Erde, in welchen eine bleibende oder wenigstens von Zeit zu Zeit erneuerte Verbindung mit einem tiefen Heerde sich offenbart. Man muß sorgfältig unterscheiden zwischen mehr oder minder gesteigerten vulkanischen Erscheinungen, als da sind: Erdbeben, heiße Wasser- und Dampfquellen, Schlammvulkane, das Hervortreten von glocken- und domförmigen ungeöffneten Trachytbergen, die Oeffnung dieser Berge oder der emporgehobenen Basaltschichten als Erhebungs-Krater, endliches Aufsteigen eines permanenten Vulkans in dem Erhebungs-Krater selbst oder zwischen den Trümmern seiner ehemaligen Bildung. Zu verschiedenen Zeiten, bei verschiedenen Graden der Thätigkeit und Kraft, stoßen die permanenten Vulkane Wasserdämpfe, Säuren, weitleuchtende Schlacken oder, wenn der Widerstand 235 überwunden werden kann, bandförmig schmale Feuerströme geschmolzener Erden aus.
Als Folge einer großen, aber localen Kraftäußerung im Inneren unsres Planeten heben elastische Dämpfe entweder einzelne Theile der Erdrinde zu domförmigen, ungeöffneten Massen feldspathreichen Trachyts und Dolerits (Puy de Dôme und Chimborazo) empor; oder es werden die gehobenen Schichten durchbrochen, und dergestalt nach außen geneigt, daß auf der entgegengesetzten inneren Seite ein steiler Felsrand entsteht. Dieser Rand wird dann die Umgebung eines Erhebungs-Kraters. Wenn derselbe, was keineswegs immer der Fall ist, von dem Meeresgrunde selbst aufgestiegen ist, so hat er die ganze physiognomische Gestaltung der gehobenen Insel bestimmt. Dies ist die Entstehung der zirkelrunden Form von Palma, die Leopold von Buch so genau und geistreich beschrieben, und von NisyrosS. die interessante kleine Karte der Insel Nisyros in Roß, Reisen auf den griechischen Inseln Bd. II. 1843 S. 69. im ägäischen Meere. Bisweilen ist die eine Hälfte des ringförmigen Randes zerstört, und in dem Busen, den das eingedrungene Meer gebildet, haben gesellige Corallenthiere ihre zelligen Wohnungen aufgebaut. Auch auf den Continenten sind die Erhebungs-Krater oft mit Wasser gefüllt und verschönern auf eine ganz eigenthümliche Weise den Charakter der Landschaft.
Ihre Entstehung ist nicht an eine bestimmte Gebirgsart gebunden; sie brechen aus in Basalt, Trachyt, Leucit-Porphyr (Somma), oder in doleritartigem Gemenge von Augit und Labrador. Daher die so verschiedene Natur und äußere Gestaltung dieser Art der Kraterränder. »Von solchen Umgebungen gehen keine Eruptions-Erscheinungen aus; es ist durch sie kein bleibender Verbindungscanal mit 236 dem Inneren eröffnet, und nur selten findet man in der Nachbarschaft oder im Inneren eines solchen Kraters Spuren von noch wirkender vulkanischer Thätigkeit. Die Kraft, welche eine so bedeutende Wirkung hervorzubringen vermochte, muß sich lange im Inneren gesammelt und verstärkt haben, ehe sie den Widerstand der darauf drückenden Masse überwältigen konnte. Sie reißt bei Entstehung neuer Inseln körnige Gebirgsarten und Conglomerate (Tuffschichten voll Seepflanzen) über die Oberfläche des Meeres empor. Durch den Erhebungs-Krater entweichen die gespannten Dämpfe; eine so große erhobene Masse fällt aber wieder zurück und verschließt sofort die nur für solche Kraftäußerung gebildete Oeffnung. Es entsteht kein VulkanLeopold von Buch, phys. Beschreibung der canarischen Inseln S. 326; derselbe über Erhebungscratere und Vulcane, in Poggend. Ann. Bd. XXXVII. S. 169. Schon Strabo unterscheidet sehr schön da, wo er der Trennung Siciliens von Calabrien erwähnt, die zwiefache Bildung von Inseln. »Einige Inseln«, sagt er (lib. VI p. 258 ed. Casaub.),»sind Bruchstücke des festen Landes; andere sind aus dem Meere, wie noch jetzt sich zuträgt, hervorgegangen. Denn die Hochsee-Inseln (die weit hinaus im Meere liegenden) wurden wahrscheinlich aus der Tiefe emporgehoben, hingegen die an Vorgebirgen liegenden scheinen (vernunftgemäß) dem Festlande abgerissen.«.«
Ein eigentlicher Vulkan entsteht nur da, wo eine bleibende Verbindung des inneren Erdkörpers mit dem Luftkreise errungen ist. In ihm ist die Reaction des Inneren gegen die Oberfläche in langen Epochen dauernd. Sie kann, wie einst beim Vesuv (FisoveOcre Fisove (Mons Vesuvius) in umbrischer Sprache (Lassen, Deutung der Eugubinischen Tafeln, im Rhein. Museum 1832 S. 387); das Wort ocre ist sehr wahrscheinlich ächt umbrisch: und bedeutet, selbst nach Festus, Berg. Aetna würde, wenn nach Voß Αἴτνη ein hellenischer Laut ist und mit αἴϑω und αἴϑινος zusammenhängt, ein Brand- und Glanzberg sein; aber der scharfsinnige Parthey bezweifelt diesen hellenischen Ursprung aus etymologischen Gründen: auch weil der Aetna keinesweges als ein leuchtendes Feuerzeichen für hellenische Schiffer und Wanderer dasteht, wie der rastlos arbeitende Stromboli (Strongyle): den Homer zu bezeichnen scheint (Odyss. XII, 68, 202 und 219), wenn auch die geographische Lage minder bestimmt angegeben ist. Ich vermuthe, daß der Name Aetna sich in der Sprache der Siculer finden würde, wenn man irgend erhebliche Reste derselben besäße. Nach Diodor (V, 6) wurden die Sicaner, d. i. die Eingebornen von Sicilien (Völker, die vor den Siculern die Insel bewohnten), durch Eruptionen des Aetna, welche mehrere Jahre dauerten, gezwungen sich in den westlichen Theil des Landes zu flüchten. Die älteste beschriebene Eruption des Aetna ist die von Pindar und Aeschylus erwähnte unter Hieron Ol. 75, 2. Es ist wahrscheinlich, daß Hesiodus schon verheerende Wirkungen des Aetna vor den griechischen Niederlassungen gekannt habe; doch über den Namen Αἴτνη im Text des Hesiodus bleiben Zweifel, deren ich an einem anderen Orte umständlicher gedacht habe (Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 168).), Jahrhunderte lang unterbrochen sein und dann doch wieder in erneuerter Thätigkeit sich darbieten. Zu Nero's Zeiten war man in Rom schon geneigt den Aetna in die Classe allmälig erlöschender FeuerbergeSeneca, Epist. 79. zu setzen; ja später behauptete AelianAelian, var. hist. VIII, 11. sogar, die Seefahrer fingen an den einsinkenden Gipfel weniger weit vom hohen Meere aus zu sehen. Wo die Zeugen des ersten Ausbruchs, ich möchte sagen, das alte Gerüste sich vollständig erhalten hat: da steigt der Vulkan aus einem Erhebungs-Krater empor; da umgiebt den isolirten Kegelberg circusartig eine hohe Felsmauer: ein Mantel, der aus stark aufgerichteten Schichten besteht. Bisweilen ist von dieser circusartigen Umgebung keine Spur mehr sichtbar: 237 und der Vulkan, nicht immer ein Kegelberg, steigt auch als ein langgedehnter Rücken, wie der Pichincha, an dessen Fuß die Stadt Quito liegt, unmittelbar aus der Hochebene auf.
Wie die Natur der Gebirgsarten: d. h. die Verbindung (Gruppirung) einfacher Mineralien zu Granit, Gneiß und Glimmerschiefer, zu Trachyt, Basalt und Dolerit: unabhängig von den jetzigen Klimaten, unter den verschiedensten Himmelsstrichen dieselbe ist; so sehen wir auch überall in der anorganischen Natur gleiche Gesetze der Gestaltung sich enthüllen: Gesetze, nach welchen die Schichten der Erdrinde sich wechselseitig tragen, gangartig durchbrechen, durch elastische Kräfte sich heben. In den Vulkanen ist dieses Wiederkehren derselben Erscheinungen besonders auffallend. Wo dem Seefahrer nicht mehr die alten Sterne leuchten: auf Inseln ferner Meere, von Palmen und fremdartigen Gewächsen umgeben; sieht er in den Einzelheiten des landschaftlichen Charakters den Vesuv, die domförmigen Gipfel der Auvergne, die Erhebungs-Krater der canarischen und azorischen Inseln, die Ausbruchsspalten von Island wiederkehrend abgespiegelt; ja ein Blick auf den Begleiter unseres Planeten, den Erdmond, verallgemeinert die hier bemerkte Analogie der Gestaltung. In den, mittelst großer Fernröhre entworfenen Karten des luft- und wasserlosen Satelliten erkennt man mächtige Erhebungs-Krater, welche Kegelberge umgeben oder sie auf ihren Ringwällen tragen: unbestreitbare Wirkungen der Reaction des Inneren gegen die Oberfläche des Mondes, begünstigt von dem Einfluß einer geringeren Schwere.
Wenn in vielen Sprachen Vulkane mit Recht feuerspeiende Berge genannt werden, so ist ein solcher Berg 238 darum keinesweges durch eine allmälige Anhäufung von ausfließenden Lavaströmen gebildet; seine Entstehung scheint vielmehr allgemein die Folge eines plötzlichen Emporhebens zäher Massen von Trachyt oder labrador-haltigem Augitgesteine zu sein. Das Maaß der hebenden Kraft offenbart sich in der Höhe der Vulkane; und diese ist so verschieden, daß sie bald die Dimension eines Hügels (Vulkan von Cosima, einer der japanischen Kurilen), bald die eines 18000 Fuß hohen Kegels hat. Es hat mir geschienen, als sei das Höhenverhältniß von großem Einfluß auf die Frequenz der Ausbrüche, als wären diese weit häufiger in den niedrigeren als in den höheren Vulkanen. Ich erinnere an die Reihenfolge: Stromboli (2175 Fuß), der fast täglich donnernde Guacamayo in der Provinz Quixos (ich habe ihn oft in 22 Meilen Entfernung in Chillo bei Quito gehört), der Vesuv (3637 F.), Aetna (10200 F.), Pic von Teneriffa (11424 F.) und Cotopaxi (17892 F.). Ist der Heerd dieser Vulkane in gleicher Tiefe, so gehört eine größere Kraft dazu die geschmolzenen Massen zu einer 6- und 8mal größeren Höhe zu erheben. Während daß der niedrige Stromboli (Strongyle) rastlos arbeitet, wenigstens seit den Zeiten homerischer Sagen, und, ein Leuchtthurm des tyrrhenischen Meeres, den Seefahrern zum leitenden Feuerzeichen wird: sind die höheren Vulkane durch lange Zwischenzeiten von Ruhe charakterisirt. So sehen wir die Eruptionen der meisten Colosse, welche die Andeskette krönen, fast durch ein ganzes Jahrhundert von einander getrennt. Wo man Ausnahmen von diesem Gesetze bemerkt, auf welches ich längst schon aufmerksam gemacht habe, mögen sie in dem Umstande gegründet sein, daß die 239 Verbindungen zwischen dem vulkanischen Heerde und dem Ausbruch-Krater nicht bei allen Vulkanen, die man vergleicht, in gleichem Maaße als permanent frei gedacht werden können. In den niedrigen mag eine Zeit lang der Verbindungscanal verschlossen sein, so daß ihre Ausbrüche seltener werden, ohne daß sie deshalb dem Erlöschen näher sind.
Mit den Betrachtungen über das Verhältniß der absoluten Höhe zur Frequenz der Entflammung des Vulkans, in so fern dieselbe äußerlich sichtbar ist, steht in genauem Zusammenhange der Ort, an welchem die Lava sich ergießt. Bei vielen Vulkanen sind die Ausbrüche aus dem Krater überaus selten; sie geschehen meist, wie am Aetna im sechzehnten Jahrhundert der berühmte Geschichtsschreiber BemboPetri Bembi Opuscula (Aetna Dialogus), Basil. 1556 p. 63: »quicquid in Aetnae matris utero coalescit, nunquam exit ex cratere superiore, quod vel eo incendere gravis materia non queat, vel, quia inferius alia spiramenta sunt, non fit opus. Despumant flammis urgentibus ignei rivi pigro fluxu totas delambentes plagas, et in lapidem indurescunt.« schon als Jüngling bemerkte, aus Seitenspalten: da, wo die Wände des gehobenen Berges durch ihre Gestaltung und Lage am wenigsten Widerstand leisten. Auf diesen Spalten steigen bisweilen Auswurfs-Kegel auf: große, die man fälschlich durch den Namen neuer Vulkane bezeichnet und die an einander gereihet die Richtung einer, bald wieder geschlossenen Spalte bezeichnen; kleine, in Gruppen zusammengedrängt, eine ganze Bodenstrecke bedeckend, glocken- und bienenkorbartig. Zu den letzteren gehören die hornitos de JoruilloS. meine Zeichnung des Vulkans von Jorullo, seiner Hornitos und des gehobenen Malpays in den Vues des Cordillères Pl. XLIII. p. 239., und die Kegel des Vesuv-Ausbruchs im October 1822, des Vulkans von Awatscha nach Postels und des Lavenfeldes bei den Baidaren-Bergen nach Erman, auf der Halbinsel Kamtschatka.
Stehen die Vulkane nicht frei und isolirt in einer Ebene; sind sie, wie in der Doppelkette der Andes von Quito, von einem neun- bis zwölftausend Fuß hohen Tafellande umgeben: so kann dieser Umstand wohl dazu 240 beitragen, daß sie bei den furchtbarsten Ausbrüchen feuriger Schlacken, unter Detonationen, die über hundert Meilen weit vernommen werden, keine Lavaströme erzeugenHumboldt, Essai sur le Géogr. des Plantes et Tableau phys. des Régions équinoxiales 1807 p. 180 und Essai géogn. sur le Gisement des Roches 1823 p. 321. Daß übrigens nicht die Gestaltung, Lage und absolute Höhe der Vulkane die Ursach des völligen Mangels von Lavaströmen bei fortdauernder innerer Thätigkeit sei, lehrt uns der größere Theil der Vulkane von Java (Leop. von Buch, descr. phys. des Iles Canaries p. 419; Reinwardt und Hoffmann in Poggend. Ann. Bd. XII. S. 607). So die Vulkane von Popayan, der Hochebene von los Pastos, und der Andes von Quito: vielleicht unter den letzten den einzigen Vulkan von Antisana ausgenommen.
Die Höhe des Aschenkegels und die Größe und Form des Kraters sind Elemente der Gestaltung, welche vorzugsweise den Vulkanen einen individuellen Charakter geben; aber beide, Aschenkegel und Krater, sind von der Dimension des ganzen Berges völlig unabhängig. Der Vesuv ist mehr als dreimal niedriger als der Pic von Teneriffa: und sein Aschenkegel erhebt sich doch zu ⅓ der ganzen Höhe des Berges, während der Aschenkegel des Pics nur 1/22 derselben beträgt. Bei einem viel höheren Vulkan als dem von Teneriffa, bei dem Rucu-Pichincha, tritt dagegen ein Verhältniß ein, das wiederum dem des Vesuvs näher kommt. Unter allen Vulkanen, die ich in beiden Hemisphären gesehen, ist die Kegelform des Cotopaxi die schönste und regelmäßigste. Ein plötzliches Schmelzen des Schnees auf einem Aschenkegel verkündigt die Nähe des Ausbruchs. Ehe noch Rauch sichtbar wird in den dünnen Luftschichten, die den Gipfel und die Krater-Oeffnung umgeben, sind bisweilen die Wände des Aschenkegels von innen durchglüht: und der ganze Berg bietet dann den grausenvollsten, unheilverkündigenden Anblick der Schwärze dar.
Der Krater, welcher, sehr seltene Fälle ausgenommen, stets den Gipfel der Vulkane einnimmt, bildet ein tiefes, oft zugängliches Kesselthal, dessen Boden beständigen Veränderungen unterworfen ist. Die größere oder geringere 241 Tiefe des Kraters ist bei vielen Vulkanen ebenfalls ein Zeichen des nahen oder fernen Bevorstehens einer Eruption. Es öffnen und schließen sich wechselsweise in dem Kesselthale langgedehnte dampfausströmende Spalten oder kleine rundliche Feuerschlünde, die mit geschmolzenen Massen gefüllt sind. Der Boden steigt und sinkt; in ihm entstehen Schlackenhügel und Auswurfs-Kegel, die sich bisweilen hoch über die Ränder des Kraters erheben, den Vulkanen ganze Jahre lang eine eigenthümliche Physiognomie verleihen, aber urplötzlich während einer neuen Eruption zusammenstürzen und verschwinden. Die Oeffnungen dieser Auswurfs-Kegel, die aus dem Kraterboden aufsteigen, dürfen nicht, wie nur zu oft geschieht, mit dem Krater selbst, der sie einschließt, verwechselt werden. Ist dieser unzugänglich durch ungeheure Tiefe und durch senkrechten Absturz der Ränder nach innen, wie auf dem Vulkan Rucu-Pichincha (14946 Fuß), so blickt man von jenen Rändern auf die Gipfel der Berge hinab, die aus dem theilweise mit Schwefeldampf gefüllten Kesselthal emporragen. Einen wunderbareren und großartigeren Naturanblick habe ich nie genossen. In der Zwischenzeit zweier Eruptionen bietet ein Krater entweder gar kein leuchtendes Phänomen, sondern bloß offene Spalten und aufsteigende Wasserdämpfe dar; oder man findet auf seinem kaum erhitzten Boden Schlackenhügel, denen man sich gefahrlos nähern kann. Sie ergötzen gefahrlos den wandernden Geognosten durch das Auswerfen feurigglühender Massen, die auf den Rand des Schlackenkegels herabfallen und deren Erscheinen kleine, ganz locale Erdstöße regelmäßig vorherverkündigen. Lava ergießt sich bisweilen aus offenen Spalten und kleinen Schlünden in den Krater selbst, ohne den Kraterrand zu durchbrechen und 242 überzufließen. Geschieht aber ein solcher Durchbruch, so fließt die neu-eröffnete Erdquelle meist dergestalt ruhig und auf so bestimmten Wegen, daß das große Kesselthal, welches man Krater nennt, selbst in dieser Eruptions-Epoche besucht werden kann. Ohne eine genaue Darstellung von der Gestaltung, gleichsam dem Normalbau der feuerspeienden Berge können Erscheinungen nicht richtig aufgefaßt werden, die durch phantastische Beschreibungen und durch die Vieldeutigkeit oder vielmehr durch den so unbestimmten Sprachgebrauch der Wörter Krater, Ausbruch-Kegel und Vulkan lange verunstaltet worden sind. Die Ränder des Kraters zeigen sich theilweise weit weniger veränderlich, als man es vermuthen sollte. Saussure's Messungen, mit den meinigen verglichen, haben z. B. am Vesuv das merkwürdige Resultat gegeben, daß in 49 Jahren (1773–1822) der nordwestliche Rand des Vulkans (Rocca del Palo) in seiner Höhe über der Meeresfläche in den Grenzen der Genauigkeit unserer Messungen als fast unverändert betrachtet werden darfS. die Fundamente meiner Messungen verglichen mit denen von Saussure und Graf Minto in den Abhandlungen der Akademie der Wiss. zu Berlin aus den J. 1822 und 1823 S. 30..
Vulkane, welche, wie die der Andeskette, ihren Gipfel hoch über die Grenze des ewigen Schnees erheben, bieten eigenthümliche Erscheinungen dar. Die Schneemassen erregen nicht bloß durch plötzliches Schmelzen während der Eruption furchtbare Ueberschwemmungen, Wasserströme, in denen dampfende Schlacken auf dicken Eismassen schwimmen; sie wirken auch ununterbrochen, während der Vulkan in vollkommener Ruhe ist, durch Infiltration in die Spalten des Trachyt-Gesteins. Höhlungen, welche sich an dem Abhange oder am Fuß der Feuerberge befinden, werden so allmälig in unterirdische Wasserbehälter verwandelt, die 243 mit den Alpenbächen des Hochlandes von Quito durch enge Oeffnungen vielfach communiciren. Die Fische dieser Alpenbäche vermehren sich vorzugsweise im Dunkel der Höhlen; und wenn dann Erdstöße, die allen Eruptionen der Andeskette vorhergehen, die ganze Masse des Vulkans mächtig erschüttern, so öffnen sich auf einmal die unterirdischen Gewölbe: und es entstürzen ihnen gleichzeitig Wasser, Fische und tuffartiger Schlamm. Dies ist die sonderbare Erscheinung, welche der kleine Wels der CyclopenPimelodes Cyclopum s. Humboldt, Recueil d'Observations de Zoologie et d'Anatomie comparée Vol. I. p 21–25., die Preñadilla der Bewohner der Hochebene von Quito, gewährt. Als in der Nacht vom 19 zum 20 Junius 1698 der Gipfel des 18000 Fuß hohen Berges Carguairazo zusammenstürzte, so daß vom Kraterrande nur zwei ungeheure Felshörner stehen blieben; da bedeckten flüssiger Tuff und Unfruchtbarkeit verbreitender Lettenschlamm (lodazales), todte Fische einhüllend, auf fast zwei Quadratmeilen die Felder umher. Eben so wurden, sieben Jahr früher, die Faulfieber in der Gebirgsstadt Ibarra, nördlich von Quito, einem Fisch-Auswurfe des Vulkans Imbaburu zugeschrieben.
Wasser und Schlamm, welche in der Andeskette nicht dem Krater selbst, sondern den Höhlen in der Trachytmasse des Berges entströmen, sind demnach im engeren Sinne des Worts nicht den eigentlichen vulkanischen Phänomenen beizuzählen. Sie stehen nur in mittelbarem Zusammenhange mit der Thätigkeit der Vulkane: fast in demselben Maaße wie der sonderbare meteorologische Proceß, welchen ich in meinen früheren Schriften mit der Benennung vulkanischer Gewitter bezeichnet habe. Der heiße Wasserdampf, welcher während der Eruption aus dem Krater aufsteigt und sich in den Luftkreis ergießt, bildet 244 beim Erkalten ein Gewölk, von dem die, viele tausend Fuß hohe Aschen- und Feuersäule umgeben ist. Eine so plötzliche Condensation der Dämpfe und, wie Gay-Lussac gezeigt hat, die Entstehung einer Wolke von ungeheurer Oberfläche vermehren die electrische Spannung. Blitze fahren schlängelnd aus der Aschensäule hervor, und man unterscheidet dann (wie am Ende des Ausbruchs des Vesuvs in den letzten Tagen des Octobers 1822) deutlichst den rollenden Donner des vulkanischen Gewitters von dem Krachen im Inneren des Vulkans. Die aus der vulkanischen Dampfwolke herabfahrenden Blitze haben einst auf Island (am Vulkan Katlagia 17 October 1755), nach Olassen's Bericht, 11 Pferde und 2 Menschen getödtet.
Nachdem wir so in dem Naturgemälde den Bau und die dynamische Thätigkeit der Vulkane geschildert haben, müssen wir noch einen Blick auf die stoffartige Verschiedenheit ihrer Erzeugnisse werfen. Die unterirdischen Kräfte trennen alte Verbindungen der Stoffe, um neue Verbindungen hervorzubringen; sie bewegen zugleich das Umgewandelte fort, so lange es, in Wärme aufgelöst, noch verschiebbar ist. Das Erstarren des Zähen oder des Beweglich-Flüssigen unter größerem oder geringerem Drucke scheint hauptsächlich den Unterschied der Bildung plutonischer und vulkanischer Gebirgsarten zu bestimmen. Eine Gebirgsart, in schmalen Längenzonen einer vulkanischen Mündung (einem Erde-Quell) entflossen, heißt Lava. Wo mehrere Lavaströme sich begegnen und in ihrem Laufe aufgehalten werden, dehnen sie sich in der Breite aus und füllen große Becken, in welchen sie zu auf einander gelagerten Schichten erstarren. Diese wenigen Sätze enthalten das Allgemeine der productiven Thätigkeit der Vulkane.
245 Gebirgsarten, welche die Vulkane bloß durchbrechen, bleiben oft in den Feuerproducten eingeschlossen. So habe ich feldspathreiche Syenit-Massen in den schwarzen Augit-Laven des mexicanischen Vulkans von Jorullo, als eckige Stücke eingewachsen, gefunden; die Massen von Dolomit und körnigem Kalkstein aber, welche prachtvolle Drusen krystallisirter Fossilien (Vesuviane und Granaten, von Mejonit, Nephelin und Sodalit bedeckt) enthalten, sind nicht Auswürflinge des Vesuvs: »sie gehören vielmehr einer sehr allgemein verbreiteten Formation, Tuffschichten an, welche älter als die Erhebung der Somma und des Vesuvs, wahrscheinlich Erzeugnisse einer submarinischen, tief im Inneren verborgenen, vulkanischen Wirkung sind.«Leop. von Buch in Poggend. Ann. Bd. XXXVII. S. 179. Unter den Producten der jetzigen Vulkane finden sich fünf Metalle: Eisen, Kupfer, Blei, Arsenik, und das von Stromeyer im Krater von Volcano entdeckte Selen. Durch dampfende Fumarolen sublimiren sich Chlor-Eisen, Chlorkupfer, Chlorblei und Chlor-Ammonium; EisenglanzUeber den chemischen Ursprung des Eisenglanzes in vulkanischen Massen s. Mitscherlich in Poggend. Ann. Bd. XV. S. 630. Ueber die Entbindung der Hydrochlor-Säure im Krater s. Gay-Lussac in den Annales de Chimie et de Phys. T. XXII. p. 423. und Kochsalz (das letzte oft in großer Menge) erscheinen als Gangtrümmer in frischgeflossenen Lavaströmen oder auf neuen Spalten der Kraterränder.
Die mineralische Zusammensetzung der Laven ist verschieden nach der Natur des krystallinischen Gesteins, aus welchem der Vulkan besteht; nach der Höhe des Punktes, wo der Ausbruch geschieht (ob am Fuß des Berges oder in der Nähe des Kraters); nach dem Temperatur-Zustande des Inneren. Glasartige vulkanische Bildungen, Obsidian, Perlstein oder Bimsstein fehlen einigen Vulkanen ganz, wenn dieselben bei anderen nur aus dem Krater selbst oder wenigstens aus beträchtlichen Höhen entspringen. Diese 246 wichtigen und verwickelten Verhältnisse können allein durch sehr genaue krystallographische und chemische Untersuchungen ergründet werden. Mein sibirischer Reisebegleiter Gustav Rose, wie später Hermann Abich haben mit vielem Glücke und Scharfsinn angefangen über das dichte Gewebe so verschiedenartiger vulkanischer Felsarten ein helles Licht zu verbreiten.
Von den aufsteigenden Dämpfen ist der größere Theil reiner Wasserdampf. Condensirt, wird derselbe als Quelle z. B. auf der Insel Pantellaria von Ziegenhirten benutzt. Was man, am Morgen des 26 October 1822, aus dem Krater des Vesuvs durch eine Seitenspalte sich ergießen sah und lange für siedendes Wasser hielt, war nach Monticelli's genauer Untersuchung trockne Asche, die wie Triebsand herabschoß; eine durch Reibung zu Staub zerfallene Lava. Das Erscheinen der Asche aber, welche Stunden, ja Tage lang die Luft verfinstert und durch ihren Fall, den Blättern anklebend, den Weingärten und Oelbäumen so verderblich wird; bezeichnet durch ihr säulenförmiges Emporsteigen, von Dämpfen getragen, jedes Ende einer großen Eruption. Das ist die prachtvolle Erscheinung, die am Vesuv schon der jüngere Plinius in dem berühmten Briefe an Cornelius Tacitus mit der Gestalt einer hochgezweigten, aber schattigen Pinie verglichen hat. Was man bei Schlacken-Ausbrüchen als Flammen beschreibt, ist, wie der Lichtglanz der rothen Gluthwolken, die über dem Krater schweben, gewiß nicht brennendem Wasserstoffgas zuzuschreiben. Es sind vielmehr Licht-Reflexe, die von den hochgeschleuderten geschmolzenen Massen ausgehen; theils auch Licht-Reflexe aus der Tiefe, welche die aufsteigenden Dämpfe 247 erleuchten. Was aber die Flammen sein mögen, die man bisweilen während der Thätigkeit von Küsten-Vulkanen oder kurz vor der Hebung eines vulkanischen Eilandes seit Strabo's Zeiten aus dem tiefen Meere hat aufsteigen gesehn, entscheiden wir nicht.
Wenn die Frage aufgeworfen wird: was in den Vulkanen brenne? was die Wärme errege, welche Erden und Metalle schmelzend mischt, ja Lavaströmen von großer DickeS. die schönen Versuche über Abkühlung von Steinmassen in Bischof's Wärmelehre S. 384, 443, 500–512. mehrere Jahre lang eine erhöhte Temperatur giebt? so liegt einer solchen Frage das Vorurtheil zum Grunde, Vulkane müßten nothwendig, wie die Erdbrände der Steinkohlen-Flöze, an das Dasein gewisser feuerernährender Stoffe gebunden sein. Nach den verschiedenen Phasen chemischer Ansichten wurden so bald Erdpech, bald Schwefelkies oder der feuchte Contact von fein zertheiltem Schwefel und Eisen; bald pyrophorartige Substanzen, bald die Metalle der Alkalien und Erden als die Ursach der vulkanischen Erscheinungen in ihrer intensiven Thätigkeit bezeichnet. Der große Chemiker, welchem wir die Kenntniß der brennbarsten metallischen Substanzen verdanken, Sir Humphry Davy, hat in seinem letzten, ein wehmüthiges Gefühl erregenden Werke (Consolation in travcel and last days of a Philosopher) seiner kühnen chemischen Hypothese selbst entsagt. Die große mittlere Dichtigkeit des Erdkörpers (5,44) verglichen mit dem specifischen Gewichte des Kalium (0,865) und Natrium (0,972) oder der Erd-Metalle (1,2); der Mangel von Wasserstoffgas in den luftförmigen Emanationen der Kraterspalten und der nicht erkalteten Lavaströme, viele chemische Betrachtungen endlichS. Berzelius und Wöhler in Poggend. Annalen Bd. I. S. 221 und Bd. XI. S. 146; Gay-Lussac in den Annales de Chimie T. XXII. p. 422; Bischof, reasons against the Chemical Theory of Volcanoes in der englischen Ausgabe seiner Wärmelehre p. 297–309. stehen im Widerspruch mit den früheren Vermuthungen von Davy und Ampère. 248 Entwickelte sich Hydrogen bei dem Ausbruch der Lava: wie groß müßte nicht dessen Masse sein, wenn bei einer sehr niedrigen Lage des Eruptionspunktes die ausfließende Lava, wie in dem denkwürdigen von Mackenzie und Soemund Magnussen beschriebenen Ausbruch am Fuß des Skaptar-Jökul auf Island (11 Junius bis 3 August 1783), viele Quadratmeilen Landes bedeckt, und angedämmt mehrere hundert Fuß Dicke erreicht! Eben solche Schwierigkeiten zeigen sich bei der geringen Menge ausströmenden Stickgases, wenn man das Eindringen der atmosphärischen Luft in den Krater oder, wie man bildlich sich ausdrückt, ein Einathmen des Erdkörpers annimmt. Eine so allgemeine, so tief wirkende, sich im Inneren so weit fortpflanzende Thätigkeit als die der Vulkane kann wohl nicht ihren Urquell in der chemischen Verwandtschaft, in dem Contact einzelner, nur örtlich verbreiteter Stoffe haben. Die neuere Geognosie sucht diesen Urquell lieber in der unter jeglichem Breitengrade mit der Tiefe zunehmenden Temperatur; in der mächtigen inneren Wärme, welche der Planet seinem ersten Erstarren, seiner Bildung im Weltraume, der kugelförmigen Zusammenziehung dunstförmiger, elliptisch kreisender Stoffe verdankt. Neben dem sicheren Wissen steht das Vermuthen und Meinen. Eine philosophische Naturkunde strebt sich über das enge Bedürfniß einer bloßen Naturbeschreibung zu erheben. Sie besteht, wie wir mehrmals erinnert haben, nicht in der sterilen Anhäufung isolirter Thatsachen. Dem neugierig regsamen Geiste des Menschen muß es erlaubt sein aus der Gegenwart in die Vorzeit hinüberzuschweifen; zu ahnden, was noch nicht klar erkannt werden kann; und sich 249 an den alten, unter so vielerlei Formen immer wiederkehrenden Mythen der Geognosie zu ergötzen. Wenn wir Vulkane als unregelmäßig intermittirende Quellen betrachten, die ein flüssiges Gemenge von oxydirten Metallen, Alkalien und Erden ausstoßen; sanft und stille fließen, wo dies Gemenge, durch den mächtigen Druck der Dämpfe gehoben, irgend wo einen Ausgang findet: so erinnern wir uns unwillkührlich an Platons geognostische Phantasien, nach denen die heißen Quellen, wie alle vulkanischen Feuerströme, Ausflüsse des PyriphlegethonNach Platons geognostischen Ansichten, wie sie im Phädon entwickelt sind, spielt der Pyriphlegethon in Hinsicht auf die Thätigkeit der Vulkane ungefähr dieselbe Rolle, welche wir jetzt der mit der Tiefe zunehmenden Erdwärme und dem geschmolzenen Zustande der inneren Erdschichten zuschreiben (Phaedon ed. Ast p. 603 und 607, Annot. p. 808 und 817. »Innerhalb der Erde rings umher sind größere und kleinere Gewölbe. Wasser strömt in Fülle darin, auch viel Feuer und große Feuerströme, und Ströme von feuchtem Schlamm (theils reinerem, theils schmutzigerem), wie in Sicilien die vor dem Feuerstrome sich ergießenden Ströme von Schlamm und der Feuerstrom selbst; von denen denn alle Oerter erfüllt werden, je nachdem jedesmal jeder der Ströme seinen Umlauf nimmt. Der Pyriphlegethon ergießt sich in eine weite, mit einem gewaltigen Feuer brennende Gegend: wo er einen See bildet, größer als unser Meer, siedend von Wasser und Schlamm. Von hier aus bewegt er sich im Kreise herum um die Erde trübe und schlammig.« Dieser Fluß geschmolzener Erde und Schlammes ist so sehr die allgemeine Ursach der vulkanischen Erscheinungen, daß Plato ausdrücklich hinzusetzt: »So ist der Pyriphlegethon beschaffen: von welchem auch die Feuerströme (οἱ ῥύακες), wo auf der Erde sie sich auch finden mögen (ὅπῃ ἂν τύχωσι τῆς γῆς), kleine Theile (abgerissene Stücke) heraufblasen.« Die vulkanischen Schlacken und Lavaströme sind demnach Theile des Pyriphlegethon selbst: Theile jener unterirdischen geschmolzenen, stets wogenden Masse. Daß aber οἱ ῥύακες Lavaströme und nicht, wie Schneider, Passow und Schleiermacher wollen, »feuerspeiende Berge« bedeute; ist aus vielen, theilweise schon von Ukert (Geogr. der Griechen und Römer Th. II, 1. S. 200) gesammelten Stellen sichtbar; ῥύαξ ist das vulkanische Phänomen von seiner bedeutendsten Seite, dem Lavastrom, gefaßt. Daher der Ausdruck: die ῥύακες des Aetna; Aristot. mirab. Ausc., T. II. p. 733 sect. 38 Bekker; Thucyd. III. 116; Theophr. de Lap. 22 p. 427 Schneider; Diod. V, 6 und XIV, 59, wo die merkwürdigen Worte: »viele nahe am Meer unfern dem Aetna gelegenen Orte wurden zu Grunde gerichtet ὑπο τοῦ καλουμένου ῥύακος«; Strabo VI. p. 269, XIII p. 628, und von dem berühmten Glühschlamme der Lelantischen Ebene auf Euböa I p. 58 Casaub.; endlich Appian. de bello civili V, 114. Der Tadel, welchen Aristoteles (Meteor. II 2, 19) über die geognostischen Phantasien im Phädon ausspricht, bezieht sich eigentlich nur auf die Quellen der Flüsse, welche die Oberfläche der Erde durchströmen. Auffallend muß uns die von Plato so bestimmt ausgesprochene Ansicht sein, nach der »feuchte Schlamm-Auswürfe in Sicilien den Glühströmen (Lavaströmen) vorhergehen«. Beobachtungen am Aetna können dazu wohl keine Veranlassung gegeben haben: wenn gleich Rapilli und Asche, während des vulkanisch-electrischen Gewitters am Eruptions-Krater, mit geschmolzenem Schnee und Wasser breiartig gemischt, für ausgeworfenen Schlamm zu halten wären. Wahrscheinlicher ist es wohl, daß bei Plato die feuchten Schlammströme (ὑγροῦ πηλοῦ ποταμοί) eine dunkle Erinnerung der Salsen (Schlammvulkane) von Agrigent sind, die mit großem Getöse Letten auswerfen und deren ich schon oben (Anm. 210) erwähnt habe. Unter den vielen verlorenen Schriften des Theophrast ist in dieser Hinsicht der Verlust des Buches »von dem vulkanischen Strom in Sicilien« (περὶ ῥύακος τοῦ ἐν Σικελίᾳ), dessen Diog. Laert. V, 39 gedenkt, zu beklagen., einer im Inneren des Erdkörpers allgegenwärtigen Ursache, sind.
Die Art der Vertheilung der Vulkane auf der Erdfläche, unabhängig von allen klimatischen Verschiedenheiten, ist sehr scharfsinnig und charakteristisch auf zwei Classen zurückgeführt worden: auf Central- und Reihen-Vulkane: »je nachdem dieselben den Mittelpunkt vieler, fast gleichmäßig nach allen Seiten hin wirkender Ausbrüche bilden; oder in Einer Richtung, wenig von einander entfernt, liegen: gleichsam als Essen auf einer langgedehnten Spalte. Die Reihen-Vulkane sind wiederum zweierlei Art. Entweder erheben sie sich als einzelne Kegel-Inseln von dem Grunde des Meeres, und es läuft ihnen meist zur Seite, in derselben Richtung, ein primitives Gebirge, dessen Fuß sie zu bezeichnen scheinen; oder die Reihen-Vulkane stehen auf dem höchsten Rücken dieser Gebirgsreihe und bilden die Gipfel selbst.«Leopold von Buch, physical. Beschreib. der canarischen Inseln S. 326–407. Ich zweifle, daß man, wie der geistreiche Charles Darwin zu wollen scheint (geological observations on the Volcanic Islands 1844 p. 127), Central-Vulkane im allgemeinen als Reihen-Vulkane von kurzer Ausdehnung aus parallelen Spalten betrachten könne. Schon Friedrich Hoffmann glaubte in der Gruppe der Liparischen Inseln, die er so trefflich beschrieben und in der zwei Eruptions-Spalten sich bei Panaria kreuzen, ein Zwischenglied zwischen den zwei Haupt-Erscheinungsweisen der Vulkane, den von Leopold von Buch erkannten Central- und Reihen-Vulkanen, zu finden (Poggend. Ann. der Physik Bd. XXVI. S. 81–88). Der Pic von Teneriffa z. B. ist ein Central-Vulkan: der Mittelpunkt der vulkanischen Gruppe, von welchem die Ausbrüche von Palma und Lancerote herzuleiten sind. Die lange, mauerartig fortlaufende, bald einfache, bald in zwei und drei parallele 250 Ketten getheilte und dann durch schmale Queerjöcher gegliederte Andeskette bietet vom südlichen Chili bis zur Nordwest-Küste von Amerika die großartigste Erscheinung des Auftretens von Reihen-Vulkanen in einem Festlande dar. In der Andeskette verkündigt sich die Nähe thätiger Vulkane durch das plötzliche Auftreten gewisser Gebirgsarten (Dolerit, Melaphyr, Trachyt, Andesit, Diorit-Porphyr), welche die sogenannten uranfänglichen, wie die schiefrigen und sandsteinartigen Uebergangsschichten und die Flözformationen trennen. Ein solches immer wiederkehrendes Phänomen hatte früh in mir die Ueberzeugung angeregt, daß jene sporadischen Gebirgsarten der Sitz vulkanischer Erscheinungen wären und daß sie die vulkanischen Ausbrüche bedingten. Am Fuß des mächtigen Tunguragua, bei Penipe (an den Ufern des Rio Puela), sah ich zum ersten Male und deutlich einen Glimmerschiefer, der auf Granit ruht, vom vulkanischen Gestein durchbrochen.
Auch die Reihen-Vulkane des Neuen Continents sind theilweise, wo sie nahe liegen, in gegenseitiger Abhängigkeit von einander; ja man sieht seit Jahrhunderten sich die vulkanische Thätigkeit in gewissen Richtungen (in der Provinz Quito von Norden nach SüdenHumboldt, geognost. Beob. über die Vulkane des Hochlandes von Quito, in Poggend. Analen Bd. XXXXIV. S. 194.) allmälig fortbewegen. Der Heerd selbst liegt unter dem ganzen Hochlande dieser Provinz; die einzelnen Verbindungs-Oeffnungen mit der Atmosphäre sind die Berge, welche wir, mit besonderen Namen: als Vulkane von Pichincha, Cotopaxi oder Tunguragua bezeichnen: und die durch ihre Gruppirung, wie durch Höhe und Gestaltung den erhabensten und malerischsten Anblick darbieten, der irgend wo in einer vulkanischen Landschaft auf einem schmalen Raume zu finden ist. Da die äußersten Glieder 251 solcher Gruppen von Reihen-Vulkanen durch unterirdische Communicationen mit einander verbunden sind, wie vielfache Erfahrungen lehren, so erinnert diese Thatsache an Seneca's alten und wahren AusspruchSeneca, indem er sehr treffend von der problematischen Erniedrigung des Aetna spricht, sagt in dem 79ten Briefe: »Potest hoc accidere, non quia montis altitudo desedit, sed quia ignis evanuit et minus vehemens ac largus effertur: ob candem causam, fumo quoque per diem segniore. Neutrum autem incredibile est, nec montem qui devoretur quotidie minui, nec ignem non manere eundem; quia non ipse ex se est, sed in aliqua inferna valle conceptus exaestuat et alibi pascitur: in ipso monte non alimentum habet sed viam.« (Ed. Ruhkopfiana T. III. p. 32.) Die unterirdische Verbindung »durch Hohlgänge« zwischen den Vulkanen von Sicilien, den Liparen, den Pithecusen (Ischia) und dem Vesuv: »von dem man vermuthen darf, er habe ehemals gebrannt und Schlundbecher des Feuers gehabt«; ist von Strabo vollkommen erkannt worden (lib. I p. 247 und 248). Er nennt die ganze Gegend »unterfeurig«., daß »der Feuerberg nur der Weg der tiefer liegenden vulkanischen Kräfte sei«. Auch im mexicanischen Hochlande scheinen die Vulkane (Orizaba, Popocatepetl, Jorullo, Colima), von denen ich nachgewiesenHumboldt, Essai polit. sur la Nouv. Espagne T. II. p. 173–175., daß sie alle in Einer Richtung zwischen 18° 59' und 19° 12' nördl. Breite liegen, eine Queerspalte von Meer zu Meer und eine Abhängigkeit von einander anzudeuten. Der Vulkan von Jorullo ist den 29 September 1759 genau in dieser Richtung, aus derselben Queerspalte ausgebrochen, und zu einer Höhe von 1580 Fuß über der umherliegenden Ebene emporgestiegen. Der Berg gab nur einmal einen Erguß von Lava, genau wie der Epomeo auf Ischia im Jahr 1302.
Wenn aber auch der Jorullo, von jedem thätigen Vulkan zwanzig Meilen entfernt, im eigentlichsten Sinne des Worts ein neuer Berg ist; so darf man ihn doch nicht mit der Erscheinung des Monte Nuovo (19 September 1538) bei Pozzuolo verwechseln, welcher den Erhebungs-Kratern beigezählt wird. Naturgemäßer glaube ich schon ehemals den Ausbruch des neu entstandenen mexicanischen Vulkans mit der vulkanischen Hebung des Hügels von Methone (jetzt Methana) auf der trözenischen Halbinsel verglichen zu haben. Diese, von Strabo und Pausanias beschriebene Hebung hat einen der phantasiereichsten römischen Dichter veranlaßt Ansichten zu entwickeln, welche mit denen der neuern Geognosie auf eine merkwürdige Art übereinstimmen. »Einen Tumulus sieht man bei Trözene, 252 schroff und baumlos: einst eine Ebne, jetzt einen Berg. Die in finstern Höhlen eingeschlossenen Dämpfe suchen vergebens eine Spalte als Ausweg. Da schwillt durch der eingezwängten Dämpfe Kraft der sich dehnende Boden wie eine luftgefüllte Blase empor; er schwillt wie das Fell eines zweigehörnten Bockes. Die Erhebung ist dem Orte geblieben, und der hoch emporragende Hügel hat sich im Laufe der Zeit zu einer nackten Felsmasse erhärtet.« So malerisch und, wie analoge Erscheinungen uns zu glauben berechtigen, zugleich auch so wahr schildert Ovidius die große Naturbegebenheit, die sich zwischen Trözene und Epidaurus, da wo Rußegger noch Trachyt-Durchbrüche gefunden, 282 Jahre vor unserer Zeitrechnung, also 45 Jahre vor der vulkanischen Trennung von Thera (Santorin) und Therasia, ereignete.Ueber den Ausbruch von Methone Ovidius (Metamorph. XV, 296–306):
Diese geognostisch so wichtige Schilderung einer glockenförmigen Hebung auf dem Continent stimmt merkwürdig mit dem überein, was Aristoteles (Meteor. II 8, 17–19) über die Hebung einer Eruptions-Insel berichtet. »Das Erbeben der Erde hört nicht eher auf, als bis jener Wind (ἄνεμος), welcher die Erschütterung verursacht, in der Erdrinde ausgebrochen ist. So ist es vor kurzem zu Heraclea in Pontus geschehen; und vormals auf Hiera, einer der Aeolischen Inseln. In dieser nämlich ist ein Theil der Erde aufgeschwollen und hat sich mit Getöse zu einem Hügel erhoben: so lange, bis der mächtig treibende Hauch (πνεῦμα) einen Ausweg fand, und Funken und Asche ausstieß, welche die nahe Stadt der Liparäer bedeckte und selbst bis zu einigen Städten Italiens gelangte.« In dieser Beschreibung ist das blasenförmige Auftreiben der Erdrinde (ein Stadium, in welchem viele Trachytberge dauernd verbleiben) von dem Ausbruche selbst sehr wohl unterschieden. Auch Strabo (lib. I p. 59 Casaub.) beschreibt das Phänomen von Methone: »bei der Stadt im Hermionischen Busen geschah ein flammender Ausbruch; ein Feuerberg ward emporgehoben: sieben (?) Stadien hoch, am Tage unzugänglich vor Hitze und Schwefelgeruch, aber des Nachts wohlriechend (?); und so erhitzend, daß das Meer siedete fünf Stadien weit und trübe war wohl auf zwanzig Stadien, auch durch abgerissene Felsenstücke verschüttet wurde.« Ueber die jetzige mineralogische Beschaffenheit der Halbinsel Methana s. Fiedler, Reise durch Griechenland Th. I. S. 257–263.
Est prope Pittheam tumulus Troezena sine ullis
Arduus arboribus, quondam planissima campi
Area, nunc tumulus; nam – res horrenda relatu –
Vis fera ventorum, caecis inclusa cavernis,
Exspirare aliqua cupiens, luctataque frustra
Liberiore frui coelo, cum carcere rima
Nulla foret toto nec pervia flatibus esset,
Extentam tumefecit humum; ceu spiritus oris
Tendere vesicam solet, aut direpta bicorni
Terga capro. Tumor ille loci permansit, et alti
Collis habet speciem, longoque induruit aevo.
Unter den Eruptions-Inseln, welche den Reihen-Vulkanen zugehören, ist Santorin die wichtigste. »Sie vereinigt in sich die ganze Geschichte der Erhebungs-Inseln. Seit vollen 2000 Jahren, so weit Geschichte und Tradition reicht, haben die VersucheLeop. von Buch, physic. Beschr. der canar. Inseln S. 356–358, und besonders die französische Uebersetzung dieses trefflichen Werkes S. 402; auch in Poggendorff's Annalen Bd. XXXVII. S. 183. Eine submarine Insel war wieder in der neuesten Zeit im Erscheinen begriffen im Krater von Santorin. Um das Jahr 1810 war diese Insel noch 15 Brassen unter der Oberfläche des Meeres, aber 1830 nur 3–4 Brassen. Sie erhebt sich steil, wie ein großer Zapfen, aus dem Meeresgrund; und die fortdauernde unterirdische Thätigkeit des unterseeischen Kraters offenbart sich auch dadurch, daß, wie bei Methana zu Wromolimni, hier in der östlichen Bucht von Neo-Kammeni schwefelsaure Dämpfe sich dem Meerwasser beimischen. Mit Kupfer beschlagene Schiffe legen sich in der Bucht vor Anker, damit in kurzer Zeit auf natürlichem (d. i. vulkanischem) Wege der Kupferbeschlag gereinigt und wiederum glänzend werde. (Virlet im Bulletin de la Société géologique de France T. III. p. 109; und Fiedler, Reise durch Griechenland Th. II. S. 469 und 584.) der Natur nicht aufgehört, in der Mitte des Erhebungs-Kraters einen Vulkan zu bilden.« Aehnliche insulare Hebungen, und dazu noch fast in regelmäßiger Wiederkehr von 80 oder 90 JahrenErscheinungen der neuen Insel bei der azorischen Insel San Miguel: 11 Jun. 1638, 31 Dec. 1719, 13 Jun. 1811., offenbaren sich bei der Insel San Miguel in der Gruppe der Azoren; doch ist der Meeresgrund hier nicht ganz an denselben Punkten gehoben worden. Die von Capitän Tillard benannte Insel Sabrina ist leider zu einer Zeit erschienen (30 Januar 1811), wo der politische Zustand der seefahrenden Völker im Westen von Europa wissenschaftlichen Instituten nicht erlaubt hat diesem großen Ereigniß die 253 Aufmerksamkeit zu schenken, welche später, in dem Meere von Sicilien (2 Juli 1831), der neuen und bald wieder zertrümmerten Feuerinsel Ferdinandea, zwischen der Kalkstein-Küste von Sciacca und der rein vulkanischen Pantellaria, zu Theil wurde.Prévost im Bulletin de la Société géologique T. II. p. 34; Friedrich Hoffmann, hinterlassene Werke Bd. II. S. 451–456.
Die geographische Vertheilung der Vulkane, welche in historischen Zeiten thätig geblieben sind, hat bei der großen Zahl von Insel- und Küsten-Vulkanen, wie bei den noch immer sich von Zeit zu Zeit, wenn auch nur ephemer, darbietenden Ausbrüchen im Meeresgrunde, früh den Glauben erzeugt: als stehe die vulkanische Thätigkeit in Verbindung mit der Nähe des Meeres, als könne sie ohne dieselbe nicht fortdauern. »Viele Jahrhunderte schon«, sagt Justinus»Accedunt vicini et perpetui Aetnae montis ignes et insularum Aeolidum, veluti ipsis undis alatur incendium; neque enim aliter durare tot seculis tantus ignis potuisset, nisi humoris nutrimentis aleretur.« (Justin. hist. Philipp. IV, 1.) Die vulkanische Theorie, mit welcher hier die physische Beschreibung von Sicilien anhebt, ist sehr verwickelt. Tiefe Lager von Schwefel und Harz; ein sehr dünner, höhlenreicher, leicht zerspaltener Boden; starke Bewegung der Meereswogen, welche, indem sie zusammenschlagen, die Luft (den Wind) mit hinabziehen, um das Feuer anzuschüren: sind die Elemente der Theorie des Trogus. Da er (Plin. XI, 52) als Physiognomiker auch die Gesichtszüge des Menschen deutete, so darf man vermuthen, daß er in seinen vielen, für uns verlorenen Schriften nicht bloß als Historiker auftrat. Die Ansicht, nach welcher Luft in das Innere der Erde hinabgedrängt wird, um dort auf die vulkanische Esse zu wirken, hing übrigens bei den Alten mit Betrachtungen über den Einfluß der verschiedenen Windesrichtung auf die Intensität des Feuers, das im Aetna, in Hiera und Stromboli lodert, zusammen (s. die merkwürdige Stelle des Strabo lib. VI. p. 275 und 276). Die Berginsel Stromboli (Strongyle) galt deshalb für den Sitz des Aeolus, »des Verwalters der Winde«: da die Schiffenden nach der Heftigkeit der vulkanischen Ausbrüche von Stromboli das Wetter vorherverkündigten. Ein solcher Zusammenhang der Ausbrüche eines kleinen Vulkans mit dem Barometerstande und der Windrichtung (Leop. von Buch, descr. phys. des Iles Canaries p. 334; Hoffmann in Poggend. Ann. Bd. XXVI. S. 8) wird noch jetzt allgemein anerkannt: so wenig auch, nach unsrer jetzigen Kenntniß der vulkanischen Erscheinungen, und den so geringen Veränderungen des Luftdruckes, die unsere Winde begleiten, eine genügende Erklärung gegeben werden kann. – Bembo, als Jüngling in Sicilien von geflüchteten Griechen erzogen, erzählt anmuthig seine Wanderungen, und stellt im Aetna Dialogus (in der Mitte des 16ten Jahrhunderts) die Theorie von dem Eindringen des Meerwassers in den Heerd der Vulkane und von der nothwendigen Meeresnähe der letzteren auf. Es wird bei Besteigung des Aetna folgende Frage aufgeworfen: »Explana potius nobis quae petimus, ea incendia unde oriantur et orta quomodo perdurent? In omni tellure nuspiam majores fistulae aut meatus ampliores sunt quam in locis, quae vel mari vicina sunt, vel a mari protinus alluuntur: mare erodit illa facillime pergitque in viscera terrae. Itaque cum in aliena regna sibi viam faciat, ventis etiam facit; ex quo fit, ut loca quaeque maritima maxime terraemotibus subjecta sint, parum mediterranea. Habes quum in sulfuris venas venti furentes inciderint, unde incendia oriantur Aetnae tuae. Vides, quae mare in radicibus habeat, quae sulfurea sit, quae cavernosa, quae a mari aliquando perforata ventos admiserit aestuantes, per quos idonea flammae materies incenderetur.«, oder vielmehr Trogus Pompejus, dem er nachschreibt, »brennen der Aetna und die Aeolischen Inseln; und wie wäre diese lange Dauer möglich, wenn nicht das nahe Meer dem Feuer Nahrung gäbe?« Um die Nothwendigkeit der Meeresnähe zu erklären, hat man selbst in den neueren Zeiten die Hypothese des Eindringens des Meerwassers in den Heerd der Vulkane, d. h. in tiefliegende Erdschichten, aufgestellt. Wenn ich alles zusammenfasse, was ich der eignen Anschauung oder fleißig gesammelten Thatsachen entnehmen kann, so scheint mir in dieser verwickelten Untersuchung alles auf den Fragen zu beruhen: ob die unläugbar große Masse von Wasserdämpfen, welche die Vulkane, selbst im Zustande der Ruhe, aushauchen, dem mit Salzen geschwängerten Meerwasser oder nicht vielmehr den sogenannten süßen Meteorwassern ihren Ursprung verdanken; ob bei verschiedener Tiefe des vulkanischen Heerdes (z. B. bei einer Tiefe von 88000 Fuß, 254 wo die Expansivkraft des Wasserdampfes an 2800 Atmosphären beträgt) die Expansivkraft der erzeugten Dämpfe dem hydrostatischen Drucke des Meeres das Gleichgewicht halten und den freien Zutritt des Meeres zu dem Heerde unter gewissen BedingungenVergl. Gay-Lussac sur les Volcans, in den Annales de Chimie T. XXII. p. 427; und Bischof, Wärmelehre S. 272. Auf Rückwirkungen des vulkanischen Heerdes durch die spannenden Wassersäulen, wenn nämlich die Expansivkraft der Dämpfe den hydrostatischen Druck überwindet, lassen uns die Ausbrüche von Rauch und Wasserdämpfen schließen, die man, zu verschiedenen Zeiten, um Lancerote, Island und die kurilischen Inseln, während der Eruption benachbarter Vulkane, gesehen hat. gestatten könne; ob die vielen metallischen Chlorüren, ja die Entstehung des Kochsalzes in den Kraterspalten, ob die oftmalige Beimischung von Hydrochlor-Säure in den Wasserdämpfen nothwendig auf jenen Zutritt des Meerwassers schließen lassen; ob die Ruhe der Vulkane (die temporäre, oder die endliche und völlige Ruhe) von der Verstopfung der Canäle abhange, welche vorher die Meer- oder Meteorwasser zuführten: oder ob nicht vielmehr der Mangel von Flammen und von ausgehauchtem Hydrogen (das geschwefelte Wasserstoffgas ist mehr den Solfataren als den thätigen Vulkanen eigen) mit der Annahme großer Massen zersetzten Wassers in offenbarem Widerspruch stehe?
Die Erörterung so wichtiger physikalischer Fragen gehört nicht in den Entwurf eines Naturgemäldes. Wir verweilen hier bei der Angabe der Erscheinungen, bei dem Thatsächlichen in der geographischen Vertheilung der noch entzündeten Vulkane. Diese lehrt, daß in der Neuen Welt drei derselben: der Jorullo, der Popocatepetl und der Volcan de la Fragua, 20, 33 und 39 geographische Meilen von der Meeresküste entfernt sind; ja daß in Central-Asien, worauf Abel-RémusatAbel-Rémusat, lettre à Mr. Cordier in den Annales des Mines T. V. p. 137. die Geognosten zuerst aufmerksam gemacht hat, eine große vulkanische Gebirgskette, der Thian-schan (Himmelsgebirge), mit dem lavaspeienden Pe-schan, der Solfatare von Urumtsi und dem noch brennenden Feuerberge (Ho-tscheu) von Tursan, fast in gleicher 255 Entfernung (370–382 Meilen) von dem Littoral des Eismeeres und dem des indischen Oceans liege. Der Abstand des Pe-schan vom caspischen Meere ist auch noch volle 340 Meilen; von den großen Seen Issikul und Balkasch ist er 43 und 52 MeilenHumboldt, Asie centrale T. II. p. 30–33, 38–52, 70–80 und 426–428. Das Dasein thätiger Vulkane in Kordofan, in 135 Meilen Entfernung vom rothen Meere, ist von Rüppeli (Reisen in Nubien 1829 S. 151) neuerdings geläugnet worden.. Merkwürdig scheint dabei, daß sich von den vier großen parallelen Gebirgsketten: dem Altai, dem Thian-schan, dem Kuen-lün und dem Himalaya, welche den asiatischen Continent von Osten nach Westen durchstreichen, nicht die einem Ocean nähere Gebirgskette (der Himalaya), sondern die zwei inneren (der Thian-schan und Kuen-lün), in 400 und 180 Meilen Entfernung vom Meere, feuerspeiend: wie der Aetna und Vesuv, Ammoniak erzeugend: wie die Vulkane von Guatemala gezeigt haben. Die chinesischen Schriftsteller beschreiben auf das unverkennbarste in den Rauch- und Flammenausbrüchen des Pe-schan, welche im ersten und siebenten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung die Umgegend verheerten, 10 Li lange Lavaströme. »Brennende Steinmassen«, sagen sie, »flossen dünn wie geschmolzenes Fett.« Die hier zusammengedrängten, bisher nicht genug beachteten Thatsachen machen es wahrscheinlich, daß Meeresnähe und das Eindringen von Meerwasser in den Heerd der Vulkane nicht unbedingt nothwendig zum Ausbrechen des unterirdischen Feuers sei; und daß das Littoral dieses Ausbrechen wohl nur deshalb befördere, weil es den Rand des tiefen Meerbeckens bildet: welches, von Wasserschichten bedeckt, einen geringeren Widerstand leistet und viele tausend Fuß tiefer liegt als das innere und höhere Festland.
Die jetzt thätigen, durch permanente Krater gleichzeitig mit dem Inneren des Erdkörpers und mit dem Luftkreise 256 communicirenden Vulkane haben sich zu einer so späten Epoche eröffnet, daß damals die obersten Kreideschichten und alle Tertiär-Gebilde schon vorhanden waren. Dies bezeugen die Trachyt-Eruptionen, auch die Basalte, welche oft die Wände der Erhebungs-Krater bilden. Melaphyre reichen bis in die mittleren Tertiärschichten, fangen aber schon an sich zu zeigen unter der Jura-Formation, indem sie den bunten Sandstein durchbrechen.Dufrénoy et Élie de Beaumont, explication de la Carte géologique de la France T. I. p. 89. Mit den jetzt durch Krater thätigen Vulkanen sind die früheren Ergießungen von Granit, Quarz-Porphyr und Euphotide auf offnen, sich bald wieder schließenden Spalten (Gängen) im alten Uebergangs-Gebirge nicht zu verwechseln.
Das Erlöschen der vulkanischen Thätigkeit ist entweder ein nur partielles: so daß in derselben Gebirgskette das unterirdische Feuer einen anderen Ausweg sucht; oder ein totales: wie in der Auvergne; spätere Beispiele liefern, in ganz historischer Zeit: der Vulkan MosychlosSophocl. Philoct. v. 971 und 972. Ueber die muthmaßliche Epoche des Verlöschens des Lemnischen Feuers zur Zeit Alexanders vergl. Buttmann im Museum der Alterthumswissenschaft Bd. I. 1807 S. 295; Dureau de la Malle in Malte-Brun, Annales des Voyages T. IX. 1809 p. 5; Ukert in Bertuch, geogr. Ephemeriden Bd. XXXIX. 1812 S. 361; Rhode, res Lemnicae 1829 p. 8, und Walter über Abnahme der vulkan. Thätigkeit in historischen Zeiten 1844 S. 24. Die von Choiseul veranstaltete hydrographische Aufnahme von Lemnos macht es sehr wahrscheinlich, daß die ausgebrannte Grundfeste des Mosychlos sammt der Insel Chryse, Philoktets wüstem Aufenthalt (Otfried Müller, Minyer S. 300), längst vom Meere verschlungen sind. Felsenriffe und Klippen in Nordosten von Lemnos bezeichnen noch die Stelle, wo das ägäische Meer einst einen dauernd thätigen Vulkan besaß: gleich dem Aetna, dem Vesuv, dem Stromboli und dem Volcano der Liparen. auf der dem Hephästos geweihten Insel, dessen »emporwirbelnde Flammengluth« noch Sophocles kannte; und der Vulkan von Medina, welcher nach Burckhardt noch am 2 November 1276 einen Lavastrom ausstieß. Jedes Stadium der vulkanischen Thätigkeit, von ihrer ersten Regung bis zu ihrem Erlöschen, ist durch eigene Producte charakterisirt: zuerst durch feurige Schlacken, durch Trachyt-, Pyroxen- und Obsidian-Laven in Strömen, durch Rapilli und Tuff-Asche unter Entwickelung vieler, meist reiner Wasserdämpfe; später, als Solfatare, durch Wasserdämpfe, gemischt mit Schwefel-Wasserstoffgas und mit Kohlensäure; endlich bei völligem Erkalten durch kohlensaure Exhalationen allein. Ob die wunderbare Classe von Feuerbergen, die keine Lava, sondern nur furchtbar 257 verheerende heiße WasserströmeVergl. Reinwardt und Hoffmann in Poggendorff's Annalen Bd. XII. S. 607; Leop. von Buch, descr. des Iles Canaries p. 424 und 426. Die lettigen Schlamm-Ausbrüche des Carguairazo, als der Vulkan 1698 zusammenstürzte, die Lodazales von Ignalata, und die Moya von Pelileo sind ähnliche vulkanische Erscheinungen im Hochlande von Quito., angeschwängert mit brennendem Schwefel und zu Pulver zerfallenem Gestein, ausstoßen (z. B. der Galunggung auf Java), einen Normal-Zustand oder nur eine gewisse vorübergehende Modification des vulkanischen Processes offenbaren; bleibt so lange unentschieden, als sie nicht von Geognosten besucht werden, welche zugleich mit den Kenntnissen der neueren Chemie ausgerüstet sind.
Dies ist die allgemeinste Schilderung der Vulkane, eines so wichtigen Theils des Erdenlebens, welche ich hier zu entwerfen versucht habe. Sie gründet sich theilweise auf meine eigenen Beobachtungen, in der Allgemeinheit ihrer Umrisse aber auf die Arbeiten meines vieljährigen Freundes, Leopolds von Buch: des größten Geognosten unseres Zeitalters, welcher zuerst den inneren Zusammenhang der vulkanischen Erscheinungen und ihre gegenseitige Abhängigkeit von einander nach ihren Wirkungen und räumlichen Verhältnissen erkannt hat.
Die Vulcanicität, d. h. die Reaction des Inneren eines Planeten auf seine äußere Rinde und Oberfläche, ist lange Zeit nur als ein isolirtes Phänomen, in der zerstörenden Wirkung ihrer finstern unterirdischen Gewalten betrachtet worden; erst in der neuesten Zeit hat man angefangen, zum größten Vortheil einer auf physikalische Analogien gegründeten Geognosie, die vulkanischen Kräfte als neue Gebirgsarten bildend oder als ältere Gebirgsarten umwandelnd zu betrachten. Hier ist der schon früher angedeutete Punkt, wo eine tiefer ergründete Lehre von der Thätigkeit brennender oder Dämpfe ausströmender Vulkane uns in dem allgemeinen 258 Naturgemälde auf Doppelwegen: einmal zu dem mineralogischen Theile der Geognosie (Lehre vom Gewebe und von der Folge der Erdschichten), dann zu der Gestaltung der über dem Meeresspiegel gehobenen Continente und Inselgruppen (Lehre von der geographischen Form und den Umrissen der Erdtheile) leitet. Die erweiterte Einsicht in eine solche Verkettung von Erscheinungen ist eine Folge der philosophischen Richtung, welche die ernsten Studien der Geognosie so allgemein genommen haben. Größere Ausbildung der Wissenschaften leitet, wie die politische Ausbildung des Menschengeschlechts, zur Einigung dessen, was lange getrennt blieb.
Wenn wir die Gebirgsarten nicht nach Unterschieden der Gestaltung und Reihung in geschichtete und ungeschichtete, schiefrige und massige, normale und abnorme eintheilen: sondern den Erscheinungen der Bildung und Umwandlung nachspüren, welche noch jetzt unter unseren Augen vorgehen; so finden wir einen vierfachen Entstehungs Proceß der Gebirgsarten: 1) Eruptions-Gestein aus dem Innern der Erde: vulkanisch-geschmolzen, oder in weichem, mehr oder minder zähem Zustande plutonisch ausgebrochen; 2) Sediment-Gestein: aus einer Flüssigkeit, in der die kleinsten Theile aufgelöst waren oder schwebten, an der Oberfläche der Erdrinde niedergeschlagen und abgesetzt (der größere Theil der Flöz- und Tertiär-Gruppe); 3) umgewandeltes (metamorphosirtes) Gestein: verändert in seinem inneren Gewebe und seiner Schichtenlage entweder durch Contact und Nähe eines plutonischen oder vulkanischen (endogenenIn einem Profil der Umgegend von Tezcuco, Totonilco und Moran (Atlas géographique et physique Pl. VII), das ich ursprünglich (1803) zu einer nicht erschienenen Pasigrafia geognostica destinada al uso de los Jovenes del Colegio de Mineria de Mexico bestimmte, habe ich 1832 das plutonische und vulkanische Eruptions-Gestein endogen (ein im Inneren erzeugtes), das Sediment- und Flözgestein exogen (ein von außen an der Oberfläche der Erde erzeugtes) genannt. Pasigraphisch wurde das erstere durch einen aufwärts ↑, das zweite durch einen abwärts ↓ gerichteten Pfeil bezeichnet. Diese Bezeichnung gewährt wenigstens den Vortheil, daß die Profile, welche meist horizontal über einander gelagerte Sediment-Formationen darstellen, nicht: wie jetzt nur zu oft geschieht, wenn man Ausbrüche und Durchdringung von Basalt-, Porphyr- oder Syenit-Massen andeuten will, durch von unten aufstrebende, sehr willkührlich geformte Zapfen unmalerisch verunstaltet werden. Die Benennungen, welche ich in dem pasigraphisch-geognostischen Profile vorgeschlagen, waren den Decandollischen (endogen für monocotylische, exogen für dicotylische Pflanzen) nachgebildet; aber Mohl's genauere Pflanzen-Zergliedrung hat erwiesen, daß das Wachsen der Monocotylen von innen und der Dicotylen von außen für den vegetabilischen Organismus im strengen und allgemeinen Sinne des Worts nicht statt finde (Link, elementa philosophiae botanicae T. I. 1837 p. 287; Endlicher und Unger, Grundzüge der Botanik 1843 S. 89; und Jussieu, traité de Botanique T. I. p. 85). Was ich endogen nenne, bezeichnet Lyell in seinen Principles of Geology 1833 Vol. III. p. 374 charakteristisch durch den Ausdruck »netherformed« oder »hypogene rocks«.) Ausbruchs-Gesteins; oder, was wohl häufiger der Fall ist, verändert 259 durch dampfartige Sublimation von StoffenVergl. Leop. von Buch über Dolomit als Gebirgsart 1823 S. 36; und denselben über den Grad der Flüssigkeit, welchen man plutonischen Felsarten bei ihrem Heraustreten zuschreiben soll, wie über Entstehung des Gneuß aus Schiefern durch Einwirkung des Granits und der mit seiner Erhebung verbundenen Stoffe, sowohl in den Abhandl. der Akad. der Wissensch. zu Berlin aus dem Jahre 1842 S. 58 und 63 als in den Jahrb. für wissenschaftliche Kritik 1840 S. 195., welche das heißflüssige Hervortreten gewisser Eruptions-Massen begleitet; 4) Conglomerate, grob- oder feinkörnige Sandsteine, Trümmergesteine, aus mechanisch zertheilten Massen der drei vorigen Gattungen zusammengesetzt.
Die vierfachen Gestein-Bildungen, welche noch gegenwärtig fortschreiten: durch Erguß vulkanischer Massen als schmaler Lavaströme, durch Einwirkung dieser Massen auf früher erhärtete Gesteine, durch mechanische Abscheidung oder chemische Niederschläge aus den mit Kohlensäure geschwängerten tropfbaren Flüssigkeiten, endlich durch Verkittung zertrümmerter, oft ganz ungleichartiger Felsarten; sind Erscheinungen und Bildungsprocesse, die gleichsam nur als ein schwacher Abglanz von dem zu betrachten sein möchten, was bei intensiverer Thätigkeit des Erdenlebens in dem chaotischen Zustande der Urwelt, unter ganz andern Bedingungen des Druckes und einer erhöhten Temperatur, sowohl der ganzen Erdrinde als des mit Dämpfen überfüllten und weit ausgedehnteren Luftkreises, geschehen ist. Wenn jetzt: wo in der festeren Erdrinde vormals offene, mächtige Spalten durch gehobene, gleichsam herausgeschobene Gebirgsketten oder durch gangartig sich eindrängende Eruptions-Gesteine (Granit, Porphyr, Basalt, Melaphyr) mannigfach erfüllt und verstopft sind, auf Flächenräumen so groß als Europa kaum vier Oeffnungen (Vulkane) übrig geblieben sind, durch welche Feuer- und Gestein-Ausbrüche geschehen; so waren vormals in der vielgespaltenen, dünneren, auf- und abwärts wogenden Erdrinde fast überall Communicationswege zwischen dem geschmolznen Inneren und der Atmosphäre vorhanden. Gasartige 260 Ausströmungen, aus sehr ungleichen Tiefen emporsteigend und deshalb chemisch verschiedene Stoffe führend, belebten die plutonischen Bildungs- und Umwandlungs-Processe. Auch die Sediment-Formationen, Niederschläge aus tropfbaren Flüssigkeiten, die wir als Travertino-Schichten bei Rom wie bei Hobarttown in Australien aus kalten und warmen Quell- und Flußwassern sich täglich bilden sehen, geben nur ein schwaches Bild von dem Entstehen der Flözformationen. Unsre Meere, durch Processe, die noch nicht allgemein und genau genug untersucht worden sind, bauen allmälig durch Niederschlag, durch Anschwemmung und Verkittung (sicilische Küsten, Insel Ascension, König-Georgs-Sund in Australien) kleine Kalkstein-Bänke auf, deren Härte freilich an einzelnen Punkten fast der des Marmors von Carrara gleichkommtDarwin, Volcanic Islands 1844 p. 49. u. 154.. An den Küsten der antillischen Inseln enthalten diese Bildungen des jetzigen Oceans Töpfe, Werkzeuge des menschlichen Kunstfleißes, ja (auf Guadeloupe) selbst menschliche Skelette vom Caraiben-Stamme. Die Neger der französischen Colonien bezeichnen diese Formation mit dem Ausdruck Gottesmauerwerk: maçonne-bon-DieuMoreau de Jonnès, hist. phys. des Antilles T. I. p. 136, 138 und 543; Humboldt, Relation historique T. III. p. 367.. Eine kleine Oolithen- (Rogenstein-) Schicht, welche trotz ihrer Neuheit an Jura-Kalkstein erinnert, ist auf der canarischen Insel Lancerote für ein Erzeugniß des Meeres und der Seestürme erkannt worden.Bei Teguiza; Leop. von Buch, canarische Inseln S. 301.
Die zusammengesetzten Gebirgsarten sind bestimmte Associationen gewisser oryctognostisch einfacher Fossilien (Feldspathe, Glimmer, feste Kieselsäure, Augit, Nephelin). Sehr ähnliche, aus denselben Elementen bestehende, aber anders gruppirte Gebirgsarten werden durch vulkanische Processe unter unseren Augen wie in der Vorzeit erzeugt. 261 Die Unabhängigkeit der Gebirgsarten von räumlichen, geographischen Verhältnissen ist so groß, daß, wie wir schon obenSiehe oben S. 9. bemerkt, nördlich und südlich vom Aequator, in den fernesten Zonen, der Geognost über ihr ganz heimisches Ansehen, über die Wiederholung der kleinsten Eigenheiten in der periodischen Reihenfolge silurischer Schichten, in der Wirkung des Contactes mit augitischen Eruptionsmassen erstaunt.
Treten wir nun der Ansicht von vier Entstehungsformen der Gebirgsarten (vier Phasen der Bildungs-Zustände) näher, in welchen sich uns die geschichteten und ungeschichteten Theile der Erdrinde zeigen; so nennen wir in dem endogenen oder Eruptions-Gestein, dem sogenannten massigen und abnormen der neueren Geognosten, als unmittelbare Erzeugnisse unterirdischer Thätigkeit folgende Hauptgruppen:
Granit und Syenit von sehr verschiedenem relativen Alter; doch häufig der Granit neueren Ursprunges, den SyenitBernhard Cotta, Geognosie 1839 S. 273. gangartig durchsetzend: dann also die treibende, hebende Kraft. »Wo der Granit inselförmig als große Masse, als sanft gewölbtes Ellipsoid auftritt: sei es am Harz, oder in Mysore, oder im unteren Peru; da ist er mit in Blöcke zersprengten Schalen bedeckt. Ein solches Felsen-Meer verdankt wahrscheinlich seinen Ursprung einer Zusammenziehung der anfänglich mit großer Ausdehnung aufsteigenden Oberfläche des Granitgewölbes.«Leop. von Buch über Granit und Gneuß in den Abhandl. der Berl. Akad. aus dem J. 1842 S. 60. Auch im nördlichen AsienIn dem mauerartig aufsteigenden und in parallele schmale Bänke getheilten Granit des Kolivaner Sees sind Feldspath und Albit vorherrschend, Titanit-Krystalle selten; Humboldt, Asie centrale T. I. p. 295; Gustav Rose, Reise nach dem Ural Bd. I. S. 524.: in der reizenden, romantischen Umgebung des Kolivan-Sees am nordwestlichen Abhange des Altai, wie am Abfall der Küstenkette von Caracas bei las 262 TrincherasHumboldt, Relation historique T. II. p. 99. habe ich Abtheilung des Granits in Bänken gesehen, die wohl ähnlichen Zusammenziehungen ihren Ursprung verdanken, aber tief in das Innere einzudringen scheinen. Weiter im Süden vom See Kolivan, gegen die Grenze der chinesischen Provinz Ili hin (zwischen Buchtarminsk und dem Flusse Narym), sind die Gestaltungen des ganz ohne Gneiß auftretenden Eruptions-Gesteins auffallender, als ich sie in irgend einem Erdtheile gesehen. Der Granit, an der Oberfläche immer schalig und durch tafelförmige Absonderung charakterisirt, steigt in der Steppe bald in kleinen, kaum 6 bis 8 Fuß hohen, halbkugelförmigen Hügeln; bald in basalt-ähnlichen Kuppen auf, die am Fuße zu zwei entgegengesetzten Seiten wie in schmale mauerförmige Ergießungen ausgehen.S. die Abbildung des Biri-tau, den ich von der Südseite gezeichnet, wo Kirghisen-Zelte standen, in Rose Bd. I. S. 584. – Ueber Granitkugeln mit schalig abgesonderten Stücken s. Humboldt, Rel. hist. T. II. p. 597 und Essai géogn. sur le Gisement des Roches p. 78. In den Cataracten des Orinoco, wie am Fichtelgebirge (Seißen), in Galicien, und zwischen der Südsee und der Hochebene von Mexico (an dem Papagallo) habe ich den Granit in großen abgeplatteten Kugeln gesehen, die wie Basalt sich in concentrisch abgesonderte Stücke spalten. Im Irtysch-Thale zwischen Buchtarminsk und Ust-Kamenogorsk bedeckt der Granit eine Meile lang den Uebergangs-ThonschieferHumboldt, Asie centrale T. I. p. 299–311, und die Zeichnungen in Rose's Reise Bd. I. S. 611: in welchen man die von Leopold von Buch als charakteristisch bezeichnete Krümmung der Granitschalen wiederfindet.; und dringt in denselben von oben in schmalen, vielgetheilten, sich auskeilenden Gängen ein. Ich habe diese Einzelheiten beispielsweise nur deshalb angeführt, um an einer weit verbreiteten Gebirgsart den individuellen Charakter der Eruptions-Gesteine zu bezeichnen. So wie der Granit in Sibirien und im Departement de Finisterre (Ile de Mihau) den Schiefer, so bedeckt er in den Bergen von Oisons (Fermonts) den 263 Jura-Kalkstein, in Sachsen bei Weinböhla den Syenit und mittelst dieses Gesteins die KreideDiese merkwürdige Auslagerung wurde zuerst beschrieben von Weiß in Karsten's Archiv für Bergbau und Hüttenwesen Bd. XVI. 1827 S. 5.. Im Ural bei Mursinsk ist der Granit drusig; und diese Drusen sind, wie bei Spalten und Drusen neuer vulkanischer Erzeugnisse, der plutonische Sitz vieler prachtvollen Krystalle, besonders von Beryllen und Topasen.
Quarz-Porphyre, den Lagerungsverhältnissen nach oft gangförmiger Natur. Die sogenannte Grundmasse ist meist ein feinkörniges Gemenge derselben Elemente, welche als größere eingewachsene Krystalle auftreten. Im granitartigen Porphyr, der sehr arm an Quarz ist, wird die feldspathartige Grundmasse fast körnig blättrig.Dufrénoy et Élie de Beaumont, Géologie de la France T. I. p. 130.
Grünsteine, Diorite, körnige Gemenge von weißem Albit und schwärzlich-grüner Hornblende, zu Diorit-Porphyren gestaltet, wenn eine Grundmasse von dichterem Gewebe vorhanden ist, in der die Krystalle ausgeschieden liegen. Diese Grünsteine: bald rein, bald durch Diallage-Blätter, die sie einschließen (Fichtelgebirge), in Serpentin übergehend, sind bisweilen lagerartig auf den alten Schichtungsklüften des grünen Thonschiefers in diesen eingedrungen; öfters aber durchsetzen sie gangartig das Gestein, oder erscheinen als Grünstein-Kugeln, ganz den Basalt und Porphyr-Kugeln analog.Eine wichtige Rolle spielen diese eingelagerten Diorite bei Steben in dem Nailaer Bergrevier: in einer Gegend, an welche, so lange ich dort im vorigen Jahrhundert mit der Vorrichtung des Grubenbaues beschäftigt war, die frohesten Erinnerungen meines Jugendalters geknüpft sind. Vergl. Friedr. Hoffmann in Poggendorff's Annalen Bd. XVI. S. 558.
Hypersthen-Fels, ein körniges Gemenge von Labrador und Hypersthen.
Euphotid und Serpentin, statt des Diallags bisweilen Augit- und Uralit-Krystalle enthaltend und so einem anderen häufigeren, und ich möchte sagen noch 264 thätigeren Eruptions-Gestein, dem Augit-Porphyr, nahe verwandt.Im südlichen und Baschkiren-Ural: Rose, Reise Bd. II. S. 171.
Melaphyr, Augit-, Uralit- und Oligoklas-Porphyre. Zu letzteren gehört der als Kunstmaterial so berühmte ächte Verde antico.
Basalt mit Olivin und in Säuren gelatinirenden Bestandtheilen, Phonolith (Porphyrschiefer), Trachyt und Dolerit; das zweite dieser Gesteine immer, das erste nur theilweise in dünne Tafeln gespalten: was beiden auf großen Strecken das Ansehen der Schichtung giebt. In der Zusammensetzung und dem innigen Gewebe des Basalts bilden, nach Girard, Mesotyp und Nephelin einen wichtigen Theil. Der Nephelin-Gehalt des Basaltes mahnt den Geognosten an den, mit Granit verwechselten, bisweilen zirkonhaltigen Miascit des Ilmen-Gebirges im UralG. Rose, Reise nach dem Ural Bd. II. S. 47–52. Ueber Identität des Eläoliths und Nephelins (in letzterem ist der Kalkgehalt etwas größer) s. Scheerer in Poggend. Annalen Bd. XLIX. S. 359–381., wie an den von Gumprecht aufgefundenen Pyroxen-Nephelin bei Löbau und Chemnitz.
Zu der zweiten Classe der Entstehungsformen, dem Sediment-Gestein, gehört der größere Theil der Formationen, welche man unter den alten, systematischen, aber nicht gar correcten Benennungen von Uebergangs-, Flöz- oder Secundär- und Tertiär-Formationen begreift. Wenn das Eruptions-Gestein nicht seinen hebenden, und bei gleichzeitigem Erbeben der Erde seinen erschütternden Einfluß auf diese Sedimentbildungen ausgeübt hätte, so würde die Oberfläche unsres Planeten aus gleichförmig horizontal über einander gelagerten Schichten bestehn. Von allen Gebirgszügen entblößt, an deren Abhang im Pflanzenwuchse und in den Abstufungen der Arten sich 265 die Scale verminderter Luftwärme malerisch abspiegelt; nur hier und da durch Erosionsthäler gefurcht, oder durch kleine Anhäufungen von Schuttland, als Wirkung der schwach bewegten süßen Wasser, zu sanften Wellen geunebnet: würden die Continente von Pol zu Pol, unter allen Himmelsstrichen, das traurig einförmige Bild der südamerikanischen Llanos oder der nord-asiatischen Steppen darbieten. Wie in dem größeren Theile von diesen, würden wir das Himmelsgewölbe auf der Ebene ruhen, und die Gestirne aufsteigen sehen, als erhöben sie sich aus dem Schooße des Meeres. Ein solcher Zustand der Dinge kann aber auch in der Vorwelt wohl nie von beträchtlicher Dauer und von räumlicher Allgemeinheit gewesen sein, da die unterirdischen Mächte ihn in allen Natur-Epochen zu verändern strebten.
Sedimentschichten sind niedergeschlagen oder abgesetzt aus tropfbaren Flüssigkeiten, je nachdem die Stoffe vor der Bildung, sei es des Kalksteins, sei es des Thonschiefers, entweder als chemisch aufgelöst oder als schwebend und beigemengt gedacht werden. Auch wenn Erdarten aus kohlengesäuerten Flüssigkeiten sich niederschlagen, ist doch, während der Präcipitation, ihr Niedersinken und ihre Anhäufung in Schichten als ein mechanischer Hergang der Bildung zu betrachten. Diese Ansicht ist von einiger Wichtigkeit bei der Umhüllung organischer Körper in versteinerungsführenden Kalkflözen. Die ältesten Sedimente der Transitions- und Secundär-Formationen haben sich wahrscheinlich aus mehr oder minder heißen Wassern gebildet: zu einer Zeit, wo die Wärme der oberen Erdrinde noch sehr beträchtlich war. In dieser Hinsicht 266 hat gewissermaßen auch bei den Sedimentschichten, besonders bei den ältesten, eine plutonische Einwirkung statt gefunden; aber diese Schichten scheinen schlammartig in schiefriger Structur und unter großem Drucke erhärtet: nicht, wie das dem Inneren entstiegene Gestein (Granit, Porphyr oder Basalt), durch Abkühlung erstarrt zu sein. Als die allmälig minder heißen Urwasser aus der mit Dämpfen und kohlensaurem Gas überschwängerten Atmosphäre das letztere Gas in reichlichem Maaße sich aneignen konnten, wurde die Flüssigkeit geeignet eine größere Masse von Kalkerde aufgelöst zu enthalten.
Die Sedimentschichten, von denen wir hier alle anderen exogenen, rein mechanischen Niederschläge von Sand- oder Trümmergestein trennen, sind:
Schiefer des unteren und oberen Uebergangs-Gebirges, aus den silurischen und devonischen Formationen zusammengesetzt: von den unteren silurischen Schichten an, die man einst cambrisch nannte, bis zu der obersten, an den Bergkalk grenzenden Schicht des alten rothen Sandsteins oder der devonischen Gebilde;
Steinkohlen-Ablagerungen;
Kalksteine, den Uebergangs-Formationen und dem Kohlen-Gebirge eingeschichtet; Zechstein, Muschelkalk, Jura-Formation und Kreide, auch der nicht als Sandstein und Agglomerat auftretende Theil der Tertiär-Gebilde;
Travertino, Süßwasser-Kalkstein, Kieselguhren heißer Quellen; Bildungen, nicht unter dem Druck großer pelagischer Wasserbedeckungen, sondern fast an der Luft in untiefen Sümpfen und Bächen erzeugt;
267 Infusorienlager: eine geognostische Erscheinung, deren große Bedeutung, den Einfluß der organischen Thätigkeit auf die Bildung der Erdfeste bezeichnend, erst in der neuesten Zeit von meinem geistreichen Freunde und Reisegefährten Ehrenberg entdeckt worden ist.
Wenn wir in dieser kurzen, aber übersichtlichen Betrachtung der mineralischen Bestandtheile der Erdrinde auf das einfache Sediment-Gestein nicht unmittelbar die, theilweise ebenfalls sedimentartig aus tropfbaren Flüssigkeiten abgesetzten und im Flöz- und Uebergangs-Gebirge sowohl dem Schiefer als dem Kalkstein mannigfaltig eingelagerten Agglomerate und Sandstein-Bildungen folgen lassen; so geschieht es nur, weil diese, neben den Trümmern des Eruptions- und Sediment-Gesteins, auch Trümmer von Gneiß, Glimmerschiefer und anderen metamorphischen Massen enthalten. Der dunkle Proceß und die Wirkung dieser Umwandelung (Metamorphose) müssen demnach schon die dritte Classe der Entstehungsformen bilden.
Das endogene oder Eruptions-Gestein (Granit, Porphyr und Melaphyr) wirkt, wie mehrmals bemerkt worden ist, nicht bloß dynamisch, erschütternd oder hebend, die Schichten aufrichtend und seitwärts schiebend; sein Hervortreten bewirkt auch Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung der Stoffe wie in der Natur des inneren Gewebes. Es entstehen neue Gebirgsarten: Gneiß und Glimmerschiefer, und körniger Kalkstein (Marmor von Carrara und Paros). Die alten silurischen oder devonischen Transitions-Schiefer, der Belemniten-Kalkstein der Tarantaise, der seetang-haltige graue unscheinbare Macigno (Kreide-Sandstein) der 268 nördlichen Apenninen sind, nach ihrer Umwandlung, in einem neuen, oft glänzenden Gewande schwer zu erkennen. Der Glaube an die Metamorphose hat sich erst befestigen können, seitdem es geglückt ist den einzelnen Phasen der Veränderung schrittweise zu folgen, und durch directe chemische Versuche, bei Verschiedenheit des Schmelzgrades, des Druckes und der Zeit des Erkaltens, den Inductionsschlüssen zu Hülfe zu kommen. Wo nach leitenden IdeenS. die vortrefflichen Arbeiten von Mitscherlich in den Abhandlungen der Berl. Akad. aus den Jahren 1822 und 1823 S. 25–41; und in Poggendorff's Annalen Bd. X. S. 137–152, Bd. XI. S. 323–332, Bd. XLI. S. 213–216 (Gustav Rose über Bildung des Kalkspaths und Aragonits in Poggend. Ann. Bd. XLII. S. 353–366; Haidinger in den Transactions of the Royal Society of Edinburgh 1827 p. 148). das Studium chemischer Verbindungen erweitert wird, kann auch aus den engen Räumen unsrer Laboratorien sich ein helles Licht über das weite Feld der Geognosie, über die große unterirdische, Gestein bildende und Gestein umwandelnde Werkstätte der Natur verbreiten. Der philosophische Forscher entgeht der Täuschung scheinbarer Analogien, einer kleinlichen Ansicht der Naturprocesse, wenn er ununterbrochen die Complication der Bedingungen im Auge hat, welche mit ihrer intensiven, ungemessenen Kraft in der Urwelt die gegenseitige Wirkung einzelner uns wohlbekannten Stoffe modificiren konnten. Die unzersetzten Körper haben gewiß zu allen Zeiten denselben Anziehungskräften gehorcht, und da, wo jetzt Widersprüche sich finden, wird (es ist meine innigste Ueberzeugung) die Chemie meist selbst den nicht in gleichem Maaße erfüllten Bedingungen auf die Spur kommen, welche jene Widersprüche erzeugten.
Genaue, große Gebirgsstrecken umfassende Beobachtungen erweisen, daß das Eruptions-Gestein nicht als eine wilde, gesetzlos wirkende Macht auftritt. In den entferntesten Weltgegenden sieht man oft Granit, Basalt oder das Diorit-Gestein bis in die einzelnsten Kraftäußerungen gleichmäßig auf die Schichten des Tonschiefers und des dichten 269 Kalkes, auf die Quarzkörner des Sandsteins ihre umwandelnde Wirkung ausüben. Wie dieselbe endogene Gebirgsart fast überall dieselbe Art der Thätigkeit übt, so zeigen dagegen verschiedene Gebirgsarten, derselben Classe der endogenen oder Eruptions-Gebilde zugehörig, einen sehr verschiedenen Charakter. Intensive Wärme hat allerdings in allen diesen Erscheinungen gewirkt; aber die Grade der Flüssigkeit (vollkommnerer Verschiebbarkeit der Theile oder zäheren Zusammenhanges) sind im Granit und im Basalt sehr ungleich gewesen: ja in verschiedenen geologischen Epochen (Phasen der Umwandlungen der Erdrinde) sind auch gleichzeitig mit dem Ausbruche von Granit, Basalt, Grünstein-Porphyr oder Serpentin andere und andere im Dampf aufgelöste Stoffe aus dem eröffneten Innern aufgestiegen. Es ist hier der Ort, von neuem daran zu erinnern, daß nach den sinnigen Ansichten der neueren Geognosie die Metamorphose des Gesteins sich nicht auf ein bloßes Contact-Phänomen, auf eine Wirkung der Apposition zweier Gebirgsarten beschränkt, sondern daß sie genetisch alles umfaßt, was das Hervortreten einer bestimmten Eruptions-Masse begleitet hat. Da, wo nicht unmittelbare Berührung statt findet, bringt schon die Nähe einer solchen Masse Modificationen der Erhärtung, der Verkieselung, des Körnig-Werdens, der Krystallbildung hervor.
Alles Eruptions-Gestein dringt zu Gängen verästelt in die Sedimentschichten oder in andere, ebenfalls endogene Massen ein; aber der Unterschied, der sich zwischen plutonischenLyell, Principles of Geology Vol. III. p. 353 und 359. Gebirgsarten (Granit, Porphyr, Serpentin) und den im engeren Sinne vulkanisch genannten (Trachyt, Basalt, Lava) offenbart, ist von besonderer Wichtigkeit. Die 270 Gebirgsarten, welche die dem Erdkörper übrig gebliebene Thätigkeit unsrer jetzigen Vulkane erzeugt, erscheinen in bandartigen Strömen: die da, wo mehrere in Becken zusammenfließen, allerdings ein weit ausgebreitetes Lager bilden können. Basalt-Ausbrüche, wo ihnen tief nachgespürt worden ist, hat man mehrmals in schmale Zapfen endigen sehen. Aus engen Oeffnungen emporgequollen: wie (um nur drei vaterländische Beispiele anzuführen) in der Pflasterkante bei Marksuhl (2 Meilen von Eisenach), in der blauen Kuppe bei Eschwege (Werra-Ufer), und am Druidenstein auf dem Hollerter Zuge (Siegen): durchbricht der Basalt bunten Sandstein und Grauwacken-Schiefer; und breitet sich nach oben zu wie der Hut eines Pilzes in Kuppen aus, die bald gruppenweise in Säulen gespalten, bald dünn geschichtet sind. Nicht so Granit, Syenit, Quarzporphyr, Serpentinfels, und die ganze Reihe ungeschichteter massiger Gebirgsarten, welchen man aus Vorliebe zu einer mythologischen Nomenclatur den Namen der plutonischen gegeben hat. Diese sind, einige Gesteingänge abgerechnet, wohl nicht geschmolzen, sondern nur zäh und erweicht hervorgetreten; nicht aus engen Klüften, sondern aus weiten thalartigen Spalten, aus langgedehnten Schlünden ausgebrochen. Sie sind hervorgeschoben, nicht entflossen; sie zeigen sich nicht in Strömen, lavaartig, sondern als mächtige Massen verbreitet.Die hier gegebene Darstellung der Lagerungsverhältnisse des Granits drückt den allgemeinen oder Hauptcharakter der ganzen Bildung aus. An einzelnen Punkten (s. oben S. 261, und die Beschreibung eines Theils der Narynischen Kette nahe der Grenze des chinesischen Gebiets in Rose, Reise nach dem Ural Bd. I. S. 599) zeigt freilich der Granit Gestaltungen, die vermuthen lassen, daß er bei seinem Ausbruch, wie der Trachyt (Dufrénoy et Élie de Beaumont, description géologique de la France T. I. p. 70) nicht immer denselben Mangel an Flüssigkeit gehabt hat. Da im Texte früher der engen Klüfte Erwähnung geschehen ist, durch welche bisweilen sich die Basalte ergießen, so will ich hier noch an die weiten Spalten erinnern, welche bei den, mit den Basalten nicht zu verwechselnden Melaphyren als Zuführungscanäle gedient haben. S. über eine 450 Fuß breite Spalte, durch welche in den Steinkohlen-Gruben bei Cornbrook in Hoar Edge der Melaphyr aufgestiegen ist, die interessante Darstellung von Murchison, the Silurian System p. 126. In dem Dolerit- und Trachyt-Gestein deuten einige Gruppen auf einen Grad basaltartiger Fluidität; andere, zu mächtigen Glocken und kraterlosen Domen aufgetrieben, scheinen bei ihrem Hervortreten nur erweicht gewesen zu sein. Noch andere Trachyte, wie die der Andeskette, welche ich oft auffallend den silberreichen, und dann quarzlosen 271 Grünstein- und Syenit-Porphyren verwandt gefunden habe, sind gelagert wie Granit und Quarzporphyr.
VersucheSir James Hall in den Edinb. Transact. Vol. V. p. 43, Vol. VI. p. 71; Gregory Watt in den Philos. Transactions of the Royal Society of London for 1804 P. II. p. 279; Dartigues und Fleuriau de Bellevue im Journ. de Phys. T. LX. p. 456; Bischof, Wärmelehre S. 313 und 443. über die Veränderungen, welche das Gewebe und die chemische Beschaffenheit der Gebirgsarten durch Feuer erleiden, haben gelehrt, daß die vulkanischen Massen (Diorit, Augit-Porphyr, Basalt, und Lava vom Aetna) nach Verschiedenheit des Drucks, unter dem sie geschmolzen werden, oder der Dauer ihrer Abkühlung. entweder, bei schnellem Erkalten, ein schwarzes Glas von gleichartigem Bruche; oder, bei langsamer Abkühlung, eine steinichte Masse von körnigem, krystallinischem Gefüge geben. Die Krystalle haben sich dann theils in Höhlungen, theils von der Grundmasse umschlossen gebildet. Dasselbe Material (und diese Betrachtung ist für die Natur des Eruptions-Gesteins oder für die Umwandlungen, welche es erregt, von großer Wichtigkeit) liefert die verschiedenartigsten Bildungen. Kohlensaure Kalkerde, unter starkem Drucke geschmolzen, verliert ihren Gehalt an Kohlensäure nicht; die erkaltete Masse wird körniger Kalkstein, salinischer Marmor. So die Krystallisation auf trocknem Wege; auf nassem Wege entsteht sowohl Kalkspath als Aragonit: ersterer bei einem geringeren, letzterer bei einem höheren Wärmegrade.Gustav Rose in Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XLII. S. 364. Nach Temperatur-Verschiedenheiten ordnen sich anders und anders die fest werdenden Theile in bestimmten Richtungen zur Krystallbildung an einander, ja es verändert sich die Form selbst der KrystalleUeber die Dimorphie des Schwefels in Mitscherlich, Lehrbuch der Chemie § 55–63.. Es giebt dabei, ohne daß ein flüssiger Zustand eintritt, unter gewissen Verhältnissen eine VerschiebbarkeitSiehe über Gyps als einaxigen Krystall, schwefelsaure Bittererde, Zink- und Nickel-Oxyde Mitscherlich in Poggend. Ann. Bd. XI. S. 328. der kleinsten Theile eines Körpers, die sich durch optische Wirkungen äußert. Die Erscheinungen, welche die Entglasung, die 272 Erzeugung des Cement- und Gußstahls, der Uebergang des fasrigen Gewebes des Eisens in körniges durch erhöhte TemperaturCoste, Versuche im Creusot über das brüchig werden des Stabeisens, in Élie de Beaumont, mém. géol. T. II. p. 411., vielleicht selbst durch sehr kleine, aber gleichmäßige und lange fortgesetzte Erschütterungen, darbieten; werfen ebenfalls Licht auf die geologischen Processe der Metamorphose. Wärme kann in krystallisirten Körpern sogar entgegengesetzte Wirkungen gleichzeitig hervorrufen; denn nach Mitscherlich's schönen VersuchenMitscherlich über die Ausdehnung der krystallisirten Körper durch die Wärme in Poggend. Ann. Bd. X. S. 151. ist es eine Thatsache, daß der Kalkspath, ohne seinen Aggregat-Zustand zu ändern, sich in Einer Achsenrichtung ausdehnt, in einer anderen zusammenzieht.
Wenn wir von diesen allgemeinen Betrachtungen zu einzelnen Beispielen übergehn, so sehen wir zuerst den Schiefer durch die Nähe plutonischer Eruptions-Gesteine in blauschwarz glänzenden Dachschiefer umgewandelt. Die Schichtungsklüfte sind dann, was eine spätere Einwirkung andeutetUeber doppelte Schichtungsklüfte s. Élie de Beaumont, Géologie de la France p. 41; Credner, Geognosie Thüringens und des Harzes S. 40; Römer, das Rheinische Uebergangsgebirge 1844 S. 5 und 9., durch ein anderes System von Klüften (Neben-Absonderungen), welche die ersteren fast senkrecht schneiden, unterbrochen. Durch Eindringen von Kieselsäure wird der Thonschiefer von Quarztrümmern durchsetzt, in Wetzschiefer und Kieselschiefer (letzteren bisweilen kohlenstoffhaltig und dann galvanisch nervenreizend) theilweise verändert. Der höchste Grad der VerkieselungMit Zusatz von Thon, Kalkerde und Kali: nicht eine bloße durch Eisen-Oxyd gefärbte Kieselsäure: Rose, Reise Bd. II. S. 187. Ueber die Jaspis-Entstehung durch Diorit-Porphyr, Augitgestein und Hypersthen-Fels s. Rose Bd. II. S. 169, 187 und 192. Vergl. auch Bd. I. S. 427: wo die Porphyrkugeln abgebildet sind, zwischen denen der Jaspis im kalkhaltigen Grauwacken-Gebirge von Bogoslowsk ebenfalls als Folge der plutonischen Einwirkung des Augitgesteins auftritt: Bd. II. S. 545, wie Humboldt, Asie centrale T. I. p. 486. des Schiefers ist aber ein edles Kunstmaterial, der Band-Jaspis: im Ural-Gebirge durch Berührung und Ausbruch des Augit-Porphyrs (Orsk), des Diorit-Porphyrs (Auschkul) oder eines in Kugeln geballten Hypersthen-Gesteins (Bogoslowsk) hervorgebracht; auf der Insel Elba (Monte Serrato) nach Friedrich Hoffmann und im Toscanischen nach Alexander Brongniart durch Contact mit Euphotid und Serpentin.
273 Die Berührung und plutonische Einwirkung des Granits machen (wie wir, Gustav Rose und ich, im Altai, innerhalb der Festung BuchtarminskRose, Reise nach dem Ural Bd. I. S. 586–588. beobachtet haben) den Thonschiefer körnig und lassen ihn in eine granitähnliche Masse (in ein Gemenge von Feldspath und Glimmer, in welchem wieder größere GlimmerblätterFür die vulkanische Entstehung des Glimmers ist es wichtig zu erinnern, daß Glimmer-Krystalle sich finden: im Basalt des böhmischen Mittelgebirges, in der Lava des Vesuvs von 1822 (Monticelli, storia del Vesuvio negli anni 1821 e 1822 § 99); in Thonschiefer-Bruchstücken, die am Hohenfels unweit Gerolstein in der Eifel von schlackigem Basalt umwickelt sind (s. Mitscherlich in Leonhard, Basalt-Gebilde S. 244). Ueber ein Entstehen des Feldspaths im Thonschiefer durch Contact des Porphyrs zwischen Urval und Poïet (Forez) s. Dufrénoy in der Géologie de la France T. I. p. 137. Einem ähnlichen Contact sollen in der Bretagne bei Paimpol (T. I. p. 234) die Schiefer einen mandelsteinartigen und zelligen Charakter verdanken: dessen Ansicht bei einer geognostischen Fußreise mit Professor Knuth in diese interessante Gegend mich sehr in Erstaunen gesetzt hat. liegen) übergehen. »Daß zwischen dem Eismeere und dem finnischen Meerbusen aller Gneiß aus silurischen Schichten der Transitions-Formation durch Einwirkung des Granits entstanden und umgewandelt worden ist, kann jetzt«, wie Leopold von Buch sich ausdrückt, »als eine allen Geognosten geläufige und von den meisten für bewährt angenommene Hypothese gelten. In den Alpen am Gotthard wird Kreide-Mergel ebenfalls durch Granit erst zu Glimmerschiefer, dann zu Gneiß umgewandelt.«Leopold von Buch in den Abhandlungen der Akad. der Wissensch. zu Berlin aus dem J. 1842 S. 63 und in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik Jahrg. 1840 S. 196. Aehnliche Erscheinungen der Gneiß- und Glimmerschiefer-Bildung durch Granit bieten sich dar: in der Oolithen-Gruppe der TarantaiseÉlie de Beaumont in den Annales des Sciences naturelles T. XV. p. 362–372: »En se rapprochant des masses primitives du Mont Rose et des montagnes situées à l'ouest de Coni, on voit les couches secondaires perdre de plus en plus les caractères inhérents à leur mode de dépôt. Souvent alors elles en prennent qui semblent provenir d'une toute autre cause, sans perdre pour cela leur stratification: rappelant par cette disposition la structure physique d'un tison à moitié charbonné, dans lequel on peut suivre les traces des fibres ligneuses, bien au-delà des points qui présentent encore les caractères mutuels du bois.« (Vergl. auch Annales des Sciences naturelles T. XIV. p. 118–122 und H. von Dechen, Geognosie S. 553.) Zu den auffallendsten Beweisen der Umwandlung des Gesteins durch plutonische Einwirkung gehören die Belemniten in den Schiefern von Nuffenen (Alpenthal von Eginen und Gries-Gletscher); wie die Belemniten in sogenanntem uranfänglichen Kalkstein, welche Hr. von Charpentier am westlichen Abhange des Col de Seigne, zwischen der Enclove de Monjovet und der Alpenhütte de la Lanchette, gefunden (Annales de Chimie T. XXIII. p. 262) und mir in Bex im Herbst 1822 gezeigt hat.: wo Belemniten sich in Gesteinen gefunden haben, die selbst schon auf den Namen des Glimmerschiefers Anspruch machen können; in der Schiefergruppe des westlichen Theils der Insel Elba unfern dem Vorgebirge Calamita, und in dem Baireuther FichtelgebirgeHoffmann in Poggend. Annalen Bd. XVI. S. 552. »Schichten von Transitions-Thonschiefer des Fichtelgebirges, die in einer Länge von 4 Meilen verfolgt werden können und nur an beiden Extremen, wo sie mit dem Granite in Berührung kommen, in Gneiß umgewandelt sind. Man verfolgt dort die allmälige Gneißbildung, die innere Entwicklung des Glimmers und der Feldspathmandeln im Thonschiefer, der ja ohnedies fast alle Elemente dieser Substanzen enthält.« zwischen Lomitz und Markleiten.
So wie ein den Alten in großen Massen nicht zugängliches KunstmaterialIn dem, was uns von den Kunstwerken des griechischen und römischen Alterthums übrig geblieben ist, bemerkt man den Mangel von Jaspis-Säulen und großen Gefäßen aus Jaspis: die jetzt allein das Ural-Gebirge liefert. Was man als Jaspis von dem Rhabarber-Berge (Revennaja sopka) im Altai bearbeitet, gehört zu einem gestreiften prachtvollen Porphyr. Der Name Jaspis: aus den semitischen Sprachen übertragen, scheint sich nach den verwirrten Beschreibungen des Theophrastus (de Lap. 23 und 27) und Plinius (XXXVII, 8 und 9), welcher den Jaspis unter den undurchsichtigen Gemmen aufführt, auf Fragmente von Jaspachat und sogenanntem Opal-Jaspis zu beziehen, welche die Alten Jasponyx nannten. Daher glaubt Plinius schon als ein seltenes Beispiel der Größe ein 11zölliges Stück Jaspis ans eigener Ansicht anführen zu müssen: »magnitudinem jaspidis undecim unciarum vidimus, formatamque inde effigiem Neronia thoracatam.« Nach Theophrastus ist der Stein, den er Smaragd nennt und aus dem große Obelisken geschnitten werden, nichts andres als ein unreifer Jaspis., der Jaspis, das Erzeugniß einer vulkanischen Einwirkung des Augit-Porphyrs ist; kann ein anderes, von ihnen so vielfach und glücklich angewandtes Kunstmaterial, der körnige (salinische) Marmor, ebenfalls nur als eine durch Erdwärme und Nähe eines heißen Eruptions-Gesteins veränderte Sedimentschicht betrachtet werden. Genaue Beobachtung der Contact-Phänomene 274 und die merkwürdigen Schmelzversuche von Sir James Hall, die nun schon über ein halbes Jahrhundert alt sind und neben der ernsten Erforschung der Granitgänge am meisten zur frühen Begründung unsrer jetzigen Geognosie beigetragen haben, rechtfertigen eine solche Behauptung. Bisweilen hat das Eruptions-Gestein den dichten Kalk nur in einer gewissen, der Berührung nahen Zone in körnigen Kalkstein verwandelt. So zeigt sich eine partielle Umwandlung (wie ein Halbschatten) in Irland (Belfast), wo Basaltgänge die Kreide durchsetzen; so in dem dichten Flöz-Kalkstein, den ein syenitartiger Granit an der Brücke von Boscampo und in der durch den Grafen Marzari Pencati berühmt gewordenen Cascade von Canzocoli (Tyrol) in theilweis gebogenen SchichtenHumboldt, lettre à Mr. Brochant de Villiers in den Annales de Chimie et de Physique T. XXIII. p. 261; Leop. von Buch, geognost. Briefe über das südliche Tyrol S. 101, 105 und 273. berührt. Eine andere Art der Umwandlung ist die, wo alle Schichten des dichten Kalksteins durch Einwirkung von Granit, Syenit oder Diorit-Porphyr in körnigen Kalkstein umgeändert sindUeber die Umwandlung des dichten Kalksteins in körnigen durch Granit in den Pyrenäen (Montagne de Rancie) s. Dufrénoy in den mémoires géologiques T. II. p. 440, und in den Montagnes de l'Oisans s. Élie de Beaumont, mém. géol. T. II. p. 379–415; durch Diorit- und Pyroxen-Porphyre (Ophite; Élie de Beaumont, Géol. de la France T. I. p. 72) zwischen Tolosa und San Sebastian s. Dufrénoy in den mém. géol. T. II. p. 130; durch Syenit in der Insel Skye: wo in dem veränderten Kalkstein sogar noch Versteinerungen sichtbar geblieben sind, H. von Dechen, Geognosie S. 573. In der Umwandlung der Kreide durch Berührung mit Basalt ist die Verschiebung der kleinsten Theile, bei Entstehung der Krystalle und bei dem Körnig-Werden, um so merkwürdiger, als nach Ehrenberg's scharfsinnigen microscopischen Untersuchungen die Kreidetheilchen vorher gegliederte Ringe bilden. S. Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XXXIX. S. 105, und über die Ringe des aus Auflösungen niedergeschlagenen Aragonits Gustav Rose daselbst Bd. XLII. S. 354..
Es sei hier erlaubt noch speciell des parischen und carrarischen Marmors zu erwähnen, welche für die edelsten Werke der Bildhauerkunst so wichtig geworden sind und unsern geognostischen Sammlungen nur zu lange als Haupttypen uranfänglichen Kalksteins gedient haben. Die Wirkungen des Granits offenbaren sich nämlich theils durch unmittelbare Berührung, wie in den PyrenäenLager körnigen Kalksteins im Granit am Port d'Oo und in Mont de Labourd. S. Charpentier, constitution géologique des Pyrénées p. 144, 146.; theils, wie im Continent von Griechenland und in den Inselreihen des ägäischen Meeres, gleichsam durch die Zwischenschichten von Gneiß oder Glimmerschiefer hindurch. Beides setzt einen gleichzeitigen, aber verschiedenartigen Proceß der Gestein-Umwandlung voraus. In Attica, auf Euböa und im Peloponnes ist bemerkt worden, »daß der Regel 275 nach der dem Glimmerschiefer aufgelagerte Kalkstein um so schöner und krystallinischer ist, als sich der Glimmerschiefer ausgezeichnet reiner, d. h. minder thonhaltig, zeigt«. Diese letzte Gebirgsart, so wie auch Gneißschichten treten an vielen tiefen Punkten von Paros und Antiparos hervor.Leop. von Buch, descr. des Iles Canaries p. 394; Fiedler, Reise durch das Königreich Griechenland Th. II. S. 181, 190 und 516. Wenn nach einer von Origenes erhaltenen Notiz des alten Eleaten Xenophanes von KolophonIch habe der merkwürdigen Stelle in Origenes Philosophumena cap. 14 (Opera ed. Delarne T. I. p. 893) schon an einem anderen Orte erwähnt. Nach dem ganzen Zusammenhange ist es sehr unwahrscheinlich, daß Xenophanes einen Lorbeer-Abdruck (τύπον δάφνης) statt eines Fisch-Abdrucks (τύπον ἀφύης) gemeint habe. Delarne tadelt mit Unrecht die Correction des Jacob Gronovius, welcher den Lorbeer in eine Sardelle umgewandelt hat. Die Fisch-Versteinerung ist doch wahrscheinlicher als das natürliche Silensbild, welches die Steinbrecher aus den parischen Marmorbrüchen (des Berges Marpessos, Servius ad Virg. Aen. VI, 471) wollen herausgespalten haben (Plin. XXXVI. 5)., der sich die ganze Erdrinde als einst vom Meere bedeckt vorstellte, in den Steinbrüchen von Syracus Versteinerungen von Seeproducten und in dem tiefsten der Felsen von Paros der »Abdruck von einem kleinen Fisch« (einer Sardelle) gefunden wurden; so könnte man an das Uebrigbleiben einer dort nicht ganz metamorphosirten Flözschicht glauben. Der, schon vor dem Augusteischen Zeitalter benutzte Marmor von Carrara (Luna), die Hauptquelle des statuarischen Kunstmaterials, so lange die Brüche von Paros nicht wieder eröffnet werden, ist eine durch plutonische Kräfte umgewandelte Schicht desselben Kreide-Sandsteins (macigno), welcher in der inselförmig aufsteigenden Alp Apuana zwischen gneißähnlichem Glimmer und Talkschiefer auftritt.Ueber die geognostischen Verhältnisse der Mondstadt Carrara (Stadt Selene's, Strabo lib. V p. 222) s. Savi, osservazioni sui terreni antichi Toscani in dem nuovo Giornale de' Letterati di Pisa No. 63; und Hoffmann in Karsten's Archiv für Mineralogie Bd. VI. S. 258–263, wie auch dessen geogn. Reise durch Italien S. 244–265. Ob an einzelnen Punkten auch in dem Innern der Erde körniger Kalk gebildet und, gangartig Spalten ausfüllend (Auerbach an der Bergstraße), an die Oberfläche durch Gneiß und SyenitNach der Annahme eines vortrefflichen und sehr erfahrenen Beobachters, Carls von Leonhard; siehe dessen Jahrbuch für Mineralogie 1834 S. 329 und Bernhard Cotta, Geognosie S. 310. emporgedrungen ist, darüber darf ich mir, schon wegen des Mangels eigener Ansicht, kein Urtheil erlauben.
Unter aller Einwirkung eines massigen Eruptions-Gesteins auf dichte Kalkschichten bieten aber, nach Leopolds von Buch scharfsinnigen Beobachtungen, den merkwürdigsten Proceß der Metamorphose die Dolomitmassen, 276 besonders im südlichen Tyrol und in dem italiänischen Abfall der Alpenkette, dar. Eine solche Umwandlung des Kalksteins geht von Klüften aus, welche denselben nach allen Richtungen durchsetzen. Die Höhlungen sind überall mit Rhomboiden von Bitterspath bedeckt; ja das ganze Gebilde, dann ohne Schichtung und ohne Spur der Versteinerungen, die es vorher enthielt, besteht nur aus einer körnigen Anhäufung von Dolomit-Rhomboiden. Talkblätter liegen hier und da vereinzelt in der neu-entstandenen Gebirgsart, Serpentintrümmer durchsetzen sie. Im Fassa-Thale steigt der Dolomit senkrecht in glatten Wänden von blendender Weiße zu mehreren tausend Fuß Höhe empor. Er bildet zugespitzte Kegelberge, die in großer Zahl neben einander stehen, ohne sich zu berühren. Ihre physiognomische Gestaltung erinnert an die lieblich-phantastische Berglandschaft, mit welcher Leonardo da Vinci das Bild der Mona Lisa als Hintergrund schmückte.
Die geognostischen Erscheinungen, welche wir hier schildern, regen die Einbildungskraft wie das Nachdenken an; sie sind das Werk eines Augit-Porphyrs, der hebend, zertrümmernd und umwandelnd einwirkt.Leop. von Buch, geognostische Briefe an Alex. von Humboldt 1824 S. 36 und 82; derselbe in den Annales de Chimie T. XXIII. p. 276 und in den Abhandl. der Berliner Akad. aus den J. 1822 und 1823 S. 83–136; H. von Dechen, Geognosie S. 574–576. Der Proceß der Dolomitisirung wird von dem geistreichen Forscher, der zuerst ihn angedeutet, keinesweges als eine Mittheilung der Talkerde aus dem schwarzen Porphyr, sondern als eine gleichzeitige, das Hervortreten dieses Ausbruchs-Gesteins auf weiten dampferfüllten Spalten begleitende Veränderung betrachtet. Künftigen Forschungen bleibt es übrig zu bestimmen, wie da, wo Dolomit in Schichten zwischen Kalkstein eingelagert ist, ohne Berührung mit endogenem Gesteine die Umwandlung erfolgt ist? wo dann die 277 Zuführungscanäle plutonischer Einwirkung verborgen liegen? Vielleicht ist es auch hier noch nicht nothwendig, zu dem alten römischen Ausspruch seine Zuflucht zu nehmen, nach welchem »vieles Gleiche in der Natur auf ganz verschiedenen Wegen gebildet wird«. Wenn in einem weit ausgedehnten Erdstriche zwei Erscheinungen, das Emportreten von Melaphyr, und die Krystall- und chemische Mischungs-Veränderung eines dichten Kalkgesteins, einander immer begleiten; so darf man wohl da, wo die zweite Erscheinung ohne die erste sichtbar wird, mit einigem Rechte vermuthen, daß der scheinbare Widerspruch in der Nicht-Erfüllung gewisser die verborgene Hauptursach begleitender Bedingungen gegründet ist. Würde man darum die vulkanische Natur, die Feuerflüssigkeit des Basalts in Zweifel ziehen, weil sich einige seltene Fälle gezeigt haben, in denen Basaltgänge: Steinkohlen-Flöze, Sandstein oder Kreideschichten durchsetzend, weder die Kohle wesentlich ihres Brennstoffs beraubt, noch den Sandstein gefrittet und verschlackt, noch die Kreide in körnigen Marmor verwandelt haben? Wo in der dunkeln Region der Gesteinbildung ein Dämmerlicht, eine leitende Spur aufgefunden worden, muß man beide nicht darum gleich undankbar verlassen, weil in den Verhältnissen der Uebergänge und der isolirten Einlagerung zwischen unveränderten Schichten noch manches für jetzt unerklärt bleibt.
Nach der Veränderung des dichten kohlensauren Kalkes in körnigen Kalkstein und in Dolomit muß hier noch einer dritten Umwandlung desselben Gesteins erwähnt werden, welche den in der Urzeit vulkanisch ausgebrochenen schwefelsauren Dämpfen zuzuschreiben ist. Diese Umwandlung des Kalkes 278 in Gyps ist mit dem Eindringen von Steinsalz und Schwefel (letzterem aus schwefelhaltigen Wasserdämpfen niedergeschlagen) verwandt. In der hohen Andeskette von Quindiu, fern von allen Vulkanen, habe ich auf Klüften im Gneiß diesen Niederschlag des Schwefels beobachtet, während Schwefel, Gyps und Steinsalz in Sicilien (Cattolica bei Girgenti) zu den neuesten Secundärschichten (der Kreide-Formation)Hoffmann, geogn. Reise bearbeitet von H. von Dechen S. 113–119, 380–386; Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XXVI. S. 41. gehören. Spalten mit Steinsalz gefüllt, in beträchtlichen, bisweilen einen unerlaubten Handel begünstigenden Massen, habe ich am Vesuv in dem Rande des Kraters selbst gesehen. An beiden Abhängen der Pyrenäen ist der Zusammenhang des Diorit- (und Pyroxen-?) Gesteins mit dem Auftreten der Dolomite, des Gypses und des Steinsalzes nicht zu bezweifeln.Dufrénoy in den mémoires géologiques T. II. p. 145 und 179. Alles verkündigt in den hier geschilderten Erscheinungen die Einwirkung unterirdischer Mächte auf Sedimentschichten des alten Meeres.
Die reinen Quarzlager von ungeheurer Mächtigkeit, welche für die AndesketteHumboldt, Essai géogn. sur le Gisement des Roches p. 93, Asie centrale T. III. p. 532. von Südamerika so charakteristisch sind (ich habe, von Caxamarca gegen Guangamarca hin nach der Südsee herabsteigend, Quarzmassen sieben- bis achttausend Fuß mächtig gefunden), sind von räthselhafter Entstehung; sie ruhen bald auf quarzlosem Porphyr, bald auf Diorit-Gestein. Wurden sie aus Sandstein umgewandelt, wie Élie de Beaumont es von den Quarzschichten am Col de la PoissonnièreElie de Beaumont in den Annales des Sciences Naturelles T. XV. p. 362; Murchison, Silurian System p. 286. (östlich von Briançon) vermuthet? In Brasilien, in den neuerlichst von Clausen so genau untersuchten Diamant-Districten von Minas Geraes und St. Paul, haben plutonische Kräfte aus Dioritgängen bald gewöhnlichen Glimmer, bald Eisenglimmer in dem Quarz-Itacolumit entwickelt. Die Diamanten von Grammagoa 279 sind in Schichten fester Kieselsäure enthalten; bisweilen liegen sie von Glimmerblättchen umhüllt, ganz wie die im Glimmerschiefer entstandenen Granaten. Die nördlichsten aller Diamanten: die seit 1829 unter 58° Breite, am europäischen Abfall des Urals, entdeckten, stehen auch in geognostischen Verhältnissen zum schwarzen kohlenstoffhaltigen DolomitRose, Reise nach dem Ural Bd. I. S. 364 und 367. von Adolfskoi, wie zum Augit-Porphyr, welche durch genaue Beobachtungen noch nicht hinlänglich aufgeklärt sind.
Unter die denkwürdigsten Contact-Phänomene gehört endlich noch die Granatbildung im Thonschiefer bei Berührung mit Basalt und Dolerit-Gestein (Northumberland und Insel Anglesea), wie die Erzeugung einer großen Menge schöner und sehr verschiedenartiger Krystalle (Granat, Vesuvian, Augit und Ceylanit), welche an den Berührungsflächen von Eruptions- und Sediment-Gestein, an der Grenze des Monzon-Syenits mit Dolomit und dichtem Kalkstein sich entwickelnLeop. von Buch, Briefe S. 109–129. Vergl. auch Élie de Beaumont über Contact des Granits mit Juraschichten in den mém. géol. T. II. p. 308.. Auf der Insel Elba haben Serpentinstein-Massen, welche vielleicht nirgends so deutlich als Eruptions-Gebirgsarten erscheinen, in den Klüften eines Kreide-Sandsteins die Sublimation von Eisenglanz und Roth-EisensteinHoffmann, Reise S. 30 und 37. bewirkt. Denselben Eisenglanz sehen wir noch täglich am Kraterrande und in frischen Lavaströmen des Vulkans von Stromboli, des Vesuvs und des Aetna sich aus der Dampfform an den Spaltwänden offner Gänge sublimiren.Ueber den chemischen Hergang eines Bildungsprocesses des Eisenglanzes s. Gay-Lussac in den Annales de Chimie T. XXII. p. 415 und Mitscherlich in Poggend. Ann. Bd. XV. S. 630. Auch in den Höhlungen des Obsidians vom Cerro del Jacal, den ich aus Mexico mitgebracht, haben sich (wahrscheinlich aus Dämpfen) Olivin-Krystalle niedergeschlagen (Gustav Rose in Poggend. Ann. Bd. X. S. 323). Es kommt demnach Olivin vor: in Basalt, in Lava, in Obsidian, in künstlichen Schlacken, in Meteorsteinen, im Syenit von Elfdalen und (als Hyalosiderit) in der Wacke vom Kaiserstuhle. Wie hier durch vulkanische Kräfte sich Gangmassen unter unsern Augen bilden, da wo das Nebengestein schon zu einem Zustande der Starrheit gelangt ist; so haben auf eine ähnliche Weise in den früheren Revolutionen der Erdrinde Gestein- und Erzgänge überall entstehen können, wo die feste, aber 280 noch dünne Rinde des Planeten, öfter durch Erdstöße erschüttert, bei Volum-Veränderung im Erkalten zerklüftet und gespalten, mehrfache Verbindungen mit dem Inneren, mehrfache Auswege für aufsteigende, mit Erd- und Metallstoffen geschwängerte Dämpfe darbot. Die den Sahlbändern parallele, lagenweise Anordnung der Gemengtheile, die regelmäßige Wiederholung gleichnamiger Lagen zu beiden Seiten (im Hangenden und Liegenden des Ganges), ja die drusenförmigen langgedehnten Höhlungen der Mitte bezeugen oft recht unmittelbar den plutonischen Proceß der Sublimation in den Erzgängen. Da die durchsetzenden neueren Ursprungs als die durchsetzten sind, so lehren die Lagerungsverhältnisse des Porphyrs zu den Silbererz-Formationen, daß diese in dem sächsischen Erzgebirge, also in dem wichtigsten und reichsten Erzgebirge Deutschlands, zum wenigsten jünger als die Baumstämme des Steinkohlen-Gebirges und des Rothliegenden sind.Constantin von Beust über die Porphyrgebilde 1835 S. 89–96, desselben Beleuchtung der Werner'schen Gangtheorie 1840 S. 6; C. von Weißenbach, Abbildungen merkwürdiger Gangverhältnisse 1836 Fig. 12. Die bandförmige Structur der Gangmassen ist aber eben so wenig allgemein als die bestimmte Altersfolge der einzelnen Glieder dieser Massen; s. Freiesleben über die sächsischen Erzgänge 1843 S. 10–12.
Alles, was mit unsern geologischen Vermuthungen über die Bildung der Erdrinde und die Umwandlung der Gebirgsarten zusammenhängt, hat ein unerwartetes Licht dadurch gewonnen, daß man den glücklichen GedankenMitscherlich über die künstliche Darstellung der Mineralien, in den Abhandlungen der Akademie der Wiss. zu Berlin aus den Jahren 1822 und 1823 S. 25–41. gehabt hat die Schlackenbildung in unseren Schmelzöfen mit der Entstehung natürlicher Mineralien zu vergleichen, und künstlich diese aus ihren Elementen wiederum zusammenzusetzen. Bei allen diesen Operationen wirken dieselben Verwandtschaften, welche in unsern Laboratorien wie in dem Schooße der Erde die Zusammensetzung chemischer Verbindungen bestimmen. Der wichtigste Theil der einfachen Mineralien, welche sehr allgemein verbreitete plutonische und vulkanische Eruptions-Gesteine, wie die durch sie 281 metamorphosirten Gebirgsarten charakterisiren, sind schon krystallinisch und in vollkommener Gleichheit unter den künstlichen Mineralbildungen aufgefunden worden. Wir unterscheiden die, welche in den Schlacken zufällig entstanden sind, und die, welche absichtlich von den Chemikern hervorgebracht wurden. Zu den ersteren gehören Feldspath, Glimmer, Augit, Olivin, Blende, krystallisirtes Eisen-Oxyd (Eisenglimmer), Magneteisen-Octaeder und metallisches TitanIn Schlacken: Krystalle von Feldspath, von Heine beim Ausblasen eines Kupferrohofens unweit Sangerhausen aufgefunden und von Kersten zerlegt (Poggend. Annalen Bd. XXXIII. S. 337); von Augit in den Schlacken von Sahle (Mitscherlich in den Abhandl. der Akad. zu Berlin aus den J. 1822 und 1823 S. 40), von Olivin (Sefström in Leonhard, Basalt-Gebilde Bd. II. S. 495), von Glimmer in alten Schlacken von Schloß Garpenberg (Mitscherlich in Leonhard a. a. O. S. 506), von Magneteisen in Schlacken von Chatillon sur Seine (Leonhard S. 441), von Eisenglimmer in Töpferthon entstanden (Mitscherlich in Leonhard S. 234).; zu den zweiten: Granat, Idokras, Rubin (dem orientalischen an Härte gleich), Olivin und AugitAbsichtlich hervorgebracht: Idokras und Granat (Mitscherlich in Poggendorf's Annalen der Physik Bd. XXXIII. S. 340), Rubin (Gaudin in den Comptes rendus de l'Académie des Sciences T. IV. 1837 p. 999), Olivin und Augit (Mitscherlich und Berthier in den Annales de Chimie et de Physique T. XXIV. p. 376). Ohnerachtet nach Gustav Rose Augit und Hornblende die größte Uebereinstimmung der Krystallform zeigen und ihre chemische Zusammensetzung auch fast dieselbe ist, so ist doch noch nie Hornblende neben dem Augit in Schlacken beobachtet worden; eben so wenig ist es den Chemikern geglückt Hornblende oder Feldspath absichtlich hervorzubringen (Mitscherlich in Poggend. Annalen Bd. XXXIII. S. 340 und Rose, Reise nach dem Ural Bd. II. S. 358 und 363). Man vergleiche auch Beudant in den Mém. de l'Acad. des Sciences T. VIII. p. 221 und Becquerel's scharfsinnige Versuche in seinem traité de l'Électricité T. I. p. 334, T. III. p. 218, T. V. 1. p. 148 und 185.. Die hier genannten Mineralien bilden die Hauptbestandtheile von Granit, Gneiß und Glimmerschiefer, von Basalt, Dolerit und vielen Porphyren. Die künstliche Erzeugung von Feldspath und Glimmer ist besonders von großer geognostischer Wichtigkeit für die Theorie der Gneißbildung durch Umwandlung des Thonschiefers. Dieser enthält die Bestandtheile des Granits, Kali nicht ausgeschlossenD'Aubuisson im Journal de Physique T. LXVIII. p. 128.. Es wäre demnach, bemerkt mit Recht ein scharfsinniger Geognost, Herr von Dechen, nicht sehr unerwartet, wenn wir an den Wänden eines Schmelzofens, der aus Thonschiefer und Grauwacke aufgeführt ist, einmal ein Gneiß-Fragment sich bilden sähen.
Es bleibt in diesen allgemeinen Betrachtungen über die feste Erdrinde nach Aufzählung von drei Entstehungsformen (dem Eruptions-, Sediment- und metamorphosirten Gestein) noch eine vierte Classe zu nennen übrig, die der Agglomerat-Bildung oder des Trümmergesteins. Dieser Name selbst erinnert an die Zerstörungen, welche die Oberfläche der Erde erlitten; er erinnert aber auch an die Processe der Cämentirung (Verkittung), welche durch 282 Eisen-Oxyd, durch thon- und kalkartige Bindemittel die bald abgerundeten, bald eckig gebliebenen Theile wiederum mit einander verbunden hat. Agglomerate und Trümmergesteine im weitesten Sinne des Worts offenbaren den Charakter einer zwiefachen Entstehungsweise. Die Materialien, welche ihre mechanische Zusammensetzung bilden, sind nicht bloß von den fluthenden Meereswogen oder bewegten süßen Wassern herbeigeführt; es giebt Trümmergesteine, an deren Bildung der Stoß des Wassers keinen Antheil gehabt hat. »Wenn basaltische Inseln oder Trachytberge auf Spalten sich erheben, veranlaßt die Reibung des aufsteigenden Gesteins gegen die Wände der Spalten, daß Basalt und Trachyt sich mit Agglomeraten ihrer eigenen Massen umgeben. In den Sandsteinen vieler Formationen sind die Körner, aus denen sie zusammengesetzt sind, mehr losgerissen durch die Reibung des ausbrechenden (vulkanischen oder plutonischen) Gesteins als zertrümmert durch die Bewegung eines nachbarlichen Meeres. Das Dasein solcher Reibungs-Conglomerate (die in beiden Welttheilen in ungeheuren Massen gefunden werden) bezeugt die Intensität der Kraft, mit welcher die Eruptions-Massen gegen die Erdoberfläche gestoßen sind, als sie aus dem Innern emporgetrieben wurden. Die Wasser bemächtigen sich dann der ihres Zusammenhanges beraubten Körner und verbreiten sie in Lagen auf dem Grunde selbst, den sie überdecken.«Leop. von Buch, geognost. Briefe S. 75–82; wo zugleich gezeigt wird. wie der rothe Sandstein (das Todtliegende des thüringischen Flözgebirges) und das Steinkohlen-Gebilde als Erzeugnisse des aufsteigenden Porphyrs betrachtet werden müssen. Sandstein-Gebilde findet man eingelagert durch alle Schichten von dem unteren silurischen Uebergangs-Gebirge an bis jenseits der Kreide in den Tertiär-Formationen. An den Rändern der unermeßlichen Ebenen des Neuen Welttheils, in und außerhalb der Tropen, sieht man sie mauerartig gleichsam 283 das alte Ufer bezeichnen, an dem die mächtige Wellenbrandung schäumte.
Wenn man einen Blick wagen will auf die geographische Verbreitung der Gebirgsarten und ihre räumlichen Verhältnisse in dem Theile der Erdrinde, welcher unsern Beobachtungen zugänglich ist; so erkennt man, daß der am allgemeinsten verbreitete chemische Stoff die Kieselsäure ist: meist in undurchsichtigem Zustande und mannigfach gefärbt. Nach der festen Kieselsäure herrscht zunächst kohlensaurer Kalk; dann kommen die Verbindungen von Kieselsäure mit Thonerde, Kali und Natron, mit Kalkerde, Magnesia und Eisen-Oxyd. Wenn das, was wir Gebirgsarten nennen, bestimmte Associationen einer kleinen Zahl von Mineralien sind, denen sich, wie parasitisch, einige andere, aber auch nur bestimmte, anschließen: wenn in einem Eruptions-Gestein, dem Granit, die Association von Quarz (Kieselsäure), Feldspath und Glimmer das Wesentliche ist: so gehen diese Mineralien auch vereinzelt oder gepaart durch viele andere Schichten hindurch. Um nur beispielsweise zu zeigen, wie quantitative Verhältnisse ein Feldspath-Gestein von einem anderen, glimmerreichen unterscheiden; erinnere ich daran, daß, wenn, nach Mitscherlich, zum Feldspath dreimal mehr Thonerde und ⅓ mehr Kieselsäure, als demselben eigen ist, hinzugefügt wird, man die Zusammensetzung des Glimmers erhält. In beiden ist Kali enthalten: ein Stoff, dessen Existenz in vielen Gebirgsarten wohl über den Anfang aller Vegetation auf dem Erdkörper hinaufsteigt.
Die Reihenfolge und mit ihr das Alter der Formationen wird durch die gegenseitige Auflagerung der Sedimente, 284 der umgewandelten und der Aggregatschichten; durch die Natur der Gebilde, bis zu welcher die Eruptionsmassen hinaufsteigen; am sichersten aber durch die Anwesenheit organischer Reste und die Verschiedenartigkeit ihres Baues erkannt. Die Anwendung der botanischen und zoologischen Kennzeichen auf die Bestimmung des Alters der Felsmassen: die Chronometrik der Erdrinde, welche Hooke's großer Geist schon ahndete, bezeichnet eine der glänzendsten Epochen der neuen, den semitischen Einflüssen wenigstens auf dem Continent endlich entzogenen Geognosie. Paläontologische Studien haben der Lehre von den starren Gebilden der Erde, wie durch einen belebenden Hauch, Anmuth und Vielseitigkeit verliehen.
Die versteinerungshaltigen Schichten bieten uns, in ihren Grabstätten erhalten, die Floren und die Faunen der verflossenen Jahrtausende dar. Wir steigen aufwärts in die Zeit, indem wir, die räumlichen Lagerungsverhältnisse ergründend, von Schicht zu Schicht abwärts dringen. Ein hingeschwundenes Thier- und Pflanzenleben tritt vor unsere Augen. Weit verbreitete Erdrevolutionen, die Erhebung großer Bergketten, deren relatives Alter wir zu bestimmen vermögen, bezeichnen den Untergang alter Organismen, das Auftreten neuer. Einige wenige der älteren erscheinen noch einige Zeit lang unter den neueren. In der Eingeschränktheit unsres Wissens vom Werden, in der Bildersprache, welche diese Eingeschränktheit verbergen soll, nennen wir neue Schöpfungen die historischen Phänomene des Wechsels in den Organismen, wie in der Bewohnung der Urgewässer und des gehobenen trockenen Bodens. Bald sind diese untergegangenen organischen 285 Gebilde ganz erhalten: vollständig bis in die kleinsten Gewebe, Hüllen und gegliederten Theile; bald hat das laufende Thier, auf feuchtem Thonletten fortschreitend, nur seine Fährte, in den Coprolithen die Reste unverdauter Nahrung hinterlassen. In der unteren Juraschicht (Lias von Lyme Regis) ist die Erhaltung des DintenbeutelsEine Entdeckung von Miß Mary Anning. welche auch die Coprolithen der Fische zuerst aufgefunden hat. Diese und die Excremente des Ichthyosaurus werden in England (z. B. bei Lyme Regis) in solcher Menge gesehen, daß sie nach Buckland's Ausdruck wie Kartoffeln auf dem Boden zerstreut liegen. Vergl. Buckland, Geology considered with reference to Natural Theology Vol. I. p. 188–202 und 305. Ueber Hooke's Hoffnung to raise a chronology aus dem bloßen Studium zerbrochener und versteinerter Muschelschalen, and to state the intervals of the time wherein such or such catastrophes and mutations have happened s. Posth. Works, Lecture Feb. 29, 1688. der Sepia so wunderbar vollkommen, daß dieselbe Materie, welche vor Myriaden von Jahren dem Thiere hat dienen können, um sich vor seinen Feinden zu verbergen, noch die Farbe hergegeben hat, mit der sein Bild entworfen wird. In anderen Schichten ist oft nur der schwache Abdruck einer Muschelschale übrig geblieben; und doch kann diese, von Reisenden aus einem fernen Lande mitgebracht, wenn sie eine LeitmuschelLeop. von Buch in den Abhandlungen der Akad. der Wiss. zu Berlin aus dem J. 1837 S. 64. ist, lehren, welche Gebirgs-Formation sich dort vorfindet, mit welchen anderen organischen Resten sie vergesellschaftet war. Sie erzählt die Geschichte des Landes.
Das zergliedernde Studium des alten Thier- und Pflanzenlebens hat eine zwiefache Richtung. Die eine ist eine rein morphologische, und vorzugsweise der Naturbeschreibung und Physiologie der Organismen zugewandt: sie füllt durch untergegangene Bildungen die Lücken in der Reihe der jetzt noch belebten aus. Die zweite Richtung ist eine geognostische, welche die fossilen Reste in ihrem Verhältniß zu dem Aufeinanderliegen und relativen Alter der Sediment-Formationen betrachtet. Lange ist die erstere die vorherrschende gewesen: und eine zu unvollständige und oberflächliche Vergleichung der Versteinerungen mit den jetzt existirenden Arten hatte auf Irrwege geleitet, deren Spuren noch in den wundersamen Benennungen gewisser Naturkörper zu entdecken sind. Man wollte in allen untergegangenen 286 Arten die lebenden erkennen, wie nach falschen Analogien man im 16ten Jahrhunderte die Thiere des Alten und Neuen Continents mit einander verwechselte. Peter Camper, Sömmering und Blumenbach hatten das Verdienst, durch die wissenschaftliche Anwendung einer feineren vergleichenden Anatomie den osteologischen Theil der Paläontologie (Alterthumskunde des organischen Lebens), so weit derselbe die großen fossilen Wirbelthiere betrifft, zuerst aufzuklären; aber die eigentliche geognostische Ansicht der Versteinerungslehre, die glückliche Verbindung der zoologischen Charaktere mit der Alters- und Auflagerungsfolge der Schichten, verdankt man der großen Arbeit von Georg Cuvier und Alexander Brongniart.
Die ältesten Sediment-Formationen, die des Transitions-Gebirges, bieten in den organischen Resten, welche sie einschließen, ein Gemisch von Bildungen, die auf der Stufenleiter der sich allmälig vervollkommnenden Entwicklung einen sehr verschiedenen Platz einnehmen. Von Pflanzen enthalten sie freilich nur einigen Seetang, Lycopodiaceen, die vielleicht baumartig waren, Equisetaceen und tropische Farren; aber von den thierischen Organismen finden wir sonderbar zusammen: Crustaceen (Trilobiten mit Netzaugen und Calymenen), Brachiopoden (Spirifer, Orthis), die zierlichen Sphäroniten, welche den Crinoiden nahe stehenDerselbe, Gebirgsformationen von Rußland, a. a. O. 1840 S. 24–40., Orthoceratiten aus den Cephalopoden, Stein-Corallen, und mit diesen niedern Organismen schon Fische von wunderbarer Gestalt in oberen silurischen Schichten. Die schwergepanzerte Familie der Cephalaspiden, aus welcher Fragmente der Gattung Pterichthys lange für Trilobiten gehalten wurden, gehören dem devonischen Gebilde (Old Red) 287 ausschließlich an; und zeigen, nach Agassiz, in der Reihe der Fischformen einen so eigenthümlichen Typus als Ichthyosauren und Plesiosauren unter den Reptilien.Agassiz, monographie des Poissons fossiles du Vieux Grès Rouge p. VI und 4. Aus der Gruppe der Ammoniten beginnen die GoniatitenLeop. von Buch in den Abhandl. der Berl. Akad. 1838 S. 149–168; Beyrich, Beitr. zur Kenntniß des Rheinischen Uebergangsgebirges 1837 S. 45. ebenfalls in dem Uebergangskalk und der Grauwacke der devonischen Schichten, ja selbst in den letzten silurischen.
Die Abhängigkeit physiologischer Abstufung von dem Alter der Formationen, welche bisher in der Lagerung der wirbellosen Thiere wenig erkannt worden istAgassiz, recherches sur les Poissons fossiles T. I. Introd. p. XVIII (Davy, Consolations in Travel Dial. III)., offenbart sich auf das regelmäßigste in den Vertebraten oder Wirbelthieren selbst. Die ältesten unter diesen sind, wie wir eben gesehen, die Fische; dann folgen nach der Reihe der Formationen, von den unteren zu den oberen übergehend, Reptilien und Säugethiere. Das erste Reptil (ein Saurier, Monitor nach Cuvier), das schon die Aufmerksamkeit von LeibnitzNach Hermann von Meyer ein Protosaurus. Die Rippe eines Sauriers, die angeblich dem Bergkalk (Kohlen-Kalkstein) von Northumberland angehörte (Herm. von Meyer, Palaeologica S. 299), ist nach Lyell (Geology 1832 Vol. I. p. 148) sehr zweifelhaft. Der Entdecker selbst schreibt sie Alluvialschichten zu, welche den Bergkalk bedecken. anregte, zeigt sich im Kupferschiefer-Flöz des Zechsteins in Thüringen; mit ihm von gleichem Alter, nach Murchison, Paläosaurus und Thecodontosaurus von Bristol. Die Saurier nehmen zu im MuschelkalkF. von Alberti, Monographie des Bunten Sandsteins, Muschelkalks und Keupers 1834 S. 119 und 314., im Keuper und in der Jura-Formation, wo sie ihr Maximum erreichen. Zur Zeit dieser Formation lebten: Plesiosauren mit 30 Wirbel langem Schwanenhalse, der Megalosaurus, ein crocodilartiges Ungeheuer von 45 Fuß Länge und mit Fußknochen wie ein schweres Landsäugethier, 8 Arten großäugiger Ichthyosauren, der Geosaurus oder Sömmering's Lacerta gigantea, endlich 7 scheußlich wunderbare PterodactylenSiehe die scharfsinnigen Betrachtungen von Hermann v. Meyer über die Organisation der fliegenden Saurier in Palaeologica S. 228–252. Auf dem versteinerten Exemplar des Pterodactylus crassirostris, welcher wie der länger berühmte P. longirostris (Ornithocephalus, Sömmering) zu Solenhofen im lithographischen Schiefer der oberen Jura-Formation gefunden worden ist, hat Professor Goldfuß selbst Spuren der Flughäute »mit den Abdrücken der gekrümmten flockigen, hier und da zolllangen Haare des Felles« entdeckt. oder Saurier mit einer Flughaut. In der Kreide nimmt die Zahl der crocodilartigen Saurier schon ab; doch bezeichnen diese Epoche das sogenannte Crocodil von Mastricht (Mososaurus von Conybeare) 288 und das colossale, vielleicht grasfressende Iguanodon. Thiere, die zum jetzigen Geschlechte der Crocodile gehören, hat Cuvier bis in die Tertiär-Formation aufsteigen sehen; ja Scheuchzer's Sündfluth-Mensch (homo diluvii testis), ein großer Salamander, mit dem Axolotl verwandt, welchen ich aus den Seen um Mexico mitgebracht, gehört der neuesten Süßwasser-Formation von Oeningen an.
Das relative Alter der Organismen, durch die Auflagerung der Gebirgsschichten bestimmt, hat zu wichtigen Resultaten über die Verhältnisse geführt, welche zwischen den untergegangenen und noch lebenden Geschlechtern und Arten (letzteren, den Arten, in sehr geringer Zahl) erkannt werden. Alte und neue Beobachtungen erweisen, daß die Floren und Faunen um so verschiedener von den jetzigen Gestalten der Pflanzen und Thiere sind, als die Sediment-Formationen zu den unteren, d. h. älteren, gehören. Die numerischen Verhältnisse, welche diese große, von CuvierCuvier, recherches sur les Ossemens fossiles T. I. p. LII–LVII (vergl. auch die geologische Zeit-Scale in Phillipps, Geology 1837 p. 166–185). zuerst aufgeklärte Wechselerscheinung des organischen Lebens darbietet, haben besonders in den verschiedenen Gruppen der Tertiär-Formation, die eine beträchtliche Masse genau untersuchter Gebilde enthalten, durch die verdienstvolle Arbeit von Deshayes und Lyell zu entscheidenden Ergebnissen geleitet. Agassiz, der von 1700 Arten fossiler Fische Kenntniß genommen, und die Zahl der lebenden Arten, welche beschrieben sind oder in Sammlungen aufbewahrt werden, auf 8000 schätzt, sagt mit Bestimmtheit in seinem Meisterwerke: »daß er mit Ausnahme eines einzigen kleinen, den Thongeoden von Grönland eigenthümlichen, fossilen Fisches, in allen Transitions-, Flöz- und Tertiärschichten kein Thier dieser Classe gefunden habe, das specifisch 289 identisch mit einem jetzt noch lebenden Fische wäre«; er fügt die wichtige Bemerkung hinzu: »daß in den unteren Tertiär-Gebilden, z. B. im Grobkalk und London Clay, ⅓ der fossilen Fische bereits ganz untergegangenen Geschlechtern zugehöre; unter der Kreide sei kein einziges Fischgeschlecht der heutigen Zeit mehr zu finden: und die wunderbare Familie der Sauroiden (Fische mit Schmelzschuppen, die in der Bildung sich fast den Reptilien nähern und von der Kohlen-Formation, in welcher die größten Arten liegen, bis zu der Kreide vereinzelt aufsteigen) verhalte sich zu den beiden Geschlechtern (Lepidosteus und Polypterus), welche die amerikanischen Flüsse und den Nil bevölkern, wie unsre jetzigen Elephanten und Tapire zu den Mastodonten und Anaplotherien der Urwelt.«Agassiz, Poissons fossiles T. I. p. XXX und T. III. p. 1–52; Buckland, Geology Vol. I. p. 273–277.
Kreideschichten aber, welche noch zwei dieser Sauroiden-Fische, und riesenhafte Reptilien, wie eine ganze bereits untergegangene Welt von Corallen und Muscheln darbieten, sind, nach Ehrenberg's schöner Entdeckung, aus microscopischen Polythalamien zusammengesetzt, deren viele noch heute in unseren Meeren, und zwar in mittleren Breiten, in der Nord- und Ostsee, leben. Die erste Gruppe der Tertiär-Formation über der Kreide, eine Gruppe, die man sich gewöhnt hatte durch den Namen: Schichten der Eocän-Periode zu bezeichnen, verdient also eigentlich diesen Namen nicht: »da die Morgendämmerung der mit uns lebenden Natur viel tiefer in die Geschichte der Erde reicht, als man bisher geglaubt hatte.«Ehrenberg über noch jetzt lebende Thierarten der Kreidebildung in den Abhandl. der Berliner Akad. aus dem J. 1839 S. 164.
Wie die Fische, die ältesten aller Wirbelthiere, schon in silurischen Transitionsschichten sich zeigen und dann ununterbrochen durch alle Formationen durchgehn, bis in 290 die Schichten der tertiären Zeit; wie wir die Saurier mit dem Zechstein haben beginnen sehn: so finden sich die ersten Säugethiere (Thylacotherium Prevostii und T. Bucklandi, nach ValenciennesValenciennes in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. VII. 1838 p. 580. mit den Beutelthieren nahe verwandt) in der Jura-Formation (dem Stonesfield-Schiefer), und der erste Vogel in den älteren KreidegebildenIm Weald-Clay; Beudant, Géologie p. 173. Die Ornitholithen nehmen zu im Gyps der Tertiär-Formation (Cuvier, Ossemens fossiles T. III. p. 302–328).. Das sind nach unserm jetzigen Wissen die unteren Grenzen der Fische, der Saurier, der Säugethiere und der Vögel.
Wenn aber auch von den wirbellosen Thieren in den ältesten Formationen Steincorallen und Serpuliten mit sehr ausgebildeten Cephalopoden und Crustaceen gleichzeitig, also die verschiedensten Ordnungen unabgesondert erscheinen, so sind dagegen in vielen einzelnen Gruppen derselben Ordnung sehr bestimmte Gesetze entdeckt worden. Muschel-Versteinerungen derselben Art, Goniatiten, Trilobiten und Nummuliten, bilden ganze Berge. Wo verschiedene Geschlechter gemengt sind, ist nicht bloß oft eine bestimmte Reihenfolge der Organismen nach Verhältniß der Auslagerung der Formationen erkannt worden; man hat auch in den untergeordneten Schichten derselben Formation die Association gewisser Geschlechter und Arten beobachtet. Durch die scharfsinnige Auffindung der Gesetze der Lobenstellung hat Leopold von Buch die Unzahl der Ammoniten in wohl gesonderte Familien getheilt: und erwiesen, wie die Ceratiten dem Muschelkalk, die Widder (Arietes) dem Lias, die Goniatiten dem Transitions-Kalkstein und der Grauwacke angehören.Leop. von Buch in den Abhandl. der Berl. Akad. aus dem J. 1830 S. 135–187. Belemniten haben ihre untere GrenzeQuenstedt, Flözgebirge Würtembergs 1843 S. 135. im Keuper, den der Jura-Kalkstein bedeckt; ihre obere in der Kreide. Die Wasser sind zu denselben Epochen in weit von einander entfernten Weltgegenden durch 291 Schalthiere belebt gewesen, die wenigstens theilweise, wie man heute bestimmt weiß, identisch mit den in Europa fossilen waren. Leopold von Buch hat aus der südlichen Hemisphäre (Vulkan Maypo in Chili) Exogyren und Trigonien, d'Orbigny hat aus dem Himalaya-Gebirge und den indischen Ebnen von Cutsch Ammoniten und Grypheen bezeichnet, der Art nach genau identisch mit denen, welche aus dem alten Jurameer in Deutschland und Frankreich abgesetzt worden sind.
Gebirgsschichten, ausgezeichnet durch bestimmte Arten der Petrefacte oder durch bestimmte Geschiebe, die sie enthalten, bilden einen geognostischen Horizont: nach welchem der forschende Geognost, wo er zweifelhaft bleibt, sich orientiren kann; und dessen Verfolgung sichere Aufschlüsse gewährt über die Identität oder das relative Alter der Formationen, über die periodische Wiederkehr gewisser Schichten, ihren Parallelismus oder ihre gänzliche Suppression (Verkümmerung). Wenn man so den Typus der Sediment-Gebilde in der größten Einfachheit seiner Verallgemeinerung auffassen will, so folgen von unten nach oben:
Im Schuttlande folgen dann die riesenmäßigen Knochen vorweltlicher Säugethiere: Mastodonten, Dinotherium, Missurium, und die Megatheriden, unter denen Owen's faulthierartiger Mylodon 11 Fuß Länge erreicht. Zu diesen vorweltlichen Geschlechtern gesellen sich die fossilen Reste jetzt lebender Thiere: Elephant, Rhinoceros, Ochs, Pferd und Hirsch. Das mit Mastodonten-Knochen überfüllte Feld bei Bogota (Campo de Gigantes), in dem ich sorgfältig graben ließCuvier, Ossemens fossiles 1821 T. I. p. 157, 261 und 264. (Vergl. Humboldt über die Hochebene von Bogota in der Deutschen Vierteljahrs-Schrift 1839 Bd. I. S. 117.), liegt 8200 Fuß über dem Meeresspiegel; und in den Hochebenen von Mexico gehören die gefundenen Gebeine untergegangenen Arten wahrer Elephanten an. So wie die, gewiß zu sehr ungleichen Epochen gehobene Andeskette, enthalten auch die Vorgebirge des Himalaya (die Sewalik-Hügel, welche der Capitän Cautley und Dr. Falconer so eifrig durchsucht haben) neben den zahlreichen Mastodonten, dem Sivatherium und der riesenhaften, 12 Fuß langen und 6 Fuß hohen Landschildkröte der Vorwelt (Colossochelys) Geschlechter unserer Zeit: Elephanten, Rhinoceros und Giraffen; ja, was sehr zu beachten ist: in einer Zone, die heute noch dasselbe tropische Klima genießt, welches man zur Zeit der Mastodonten vermuthen darf.Journal of the Asiatic Society of Bengal 1844 p. 109.
Nachdem wir die anorganischen Bildungsstufen der Erdrinde mit den thierischen Resten verglichen haben, welche in derselben begraben liegen, bleibt uns noch übrig einen 293 anderen Theil der Geschichte des organischen Lebens zu berühren: den der Vegetations-Epochen, der mit der zunehmenden Größe des trocknen Landes und den Modificationen der Atmosphäre wechselnden Floren. Die ältesten Transitionsschichten zeigen, wie schon oben bemerkt, nur zellige Landpflanzen des Meeres. Erst in den devonischen Schichten hat man von Gefäßpflanzen einige kryptogamische Formen (Calamiten und Lycopodiaceen) beobachtet.Beyrich in Karsten's Archiv für Mineralogie Bd. XVIII. 1844 S. 218. Nichts scheint zu beweisen, wie man aus theoretischen Ansichten über Einfachheit der ersten Lebensformen hat annehmen wollen, daß das vegetabilische Leben früher als das animalische auf der alten Erde erwacht sei, daß dieses durch jenes bedingt sei. Selbst die Existenz von Menschenstämmen, welche in die eisige Gegend der nordischen Polarländer zurückgedrängt worden sind und allein von Fischfang und Cetaceen leben, mahnt uns an die Möglichkeit der Entbehrung alles Pflanzenstoffes. Nach den devonischen Schichten und dem Bergkalk erscheint ein Gebilde, dessen botanische Zergliederung in der neuesten Zeit so glänzende Fortschritte gemacht hat.Durch die trefflichen Arbeiten vom Grafen Sternberg, von Adolph Brongniart, Göppert und Lindley. Die Steinkohlen-Formation umfaßt nicht bloß farnartige cryptogamische Gewächse und phanerogamische Monocotylen (Gräser, yucca-artige Liliengewächse und Palmen), sie enthält auch gymnosperme Dicotyledonen (Coniferen und Cycadeen). Fast 400 Arten sind schon aus der Flor der Steinkohlen-Gebilde bekannt. Wir nennen hier nur die baumartigen Calamiten und Lycopodiaceen, schuppige Lepidodendreen, Sigillarien: bis zu 60 Fuß Länge, und bisweilen aufwärts stehend eingewurzelt und ausgezeichnet durch ein doppeltes Gefäßbündel-System; cactus-ähnliche Stigmarien, eine 294 Unzahl von Farnkräutern: theils als Stämme, theils als Wedel, und durch ihre Menge die noch ganz insulare GestaltS. Robert Brown, Botany of Congo p. 42; und den unglücklichen d'Urville in dem Memoire: de la distribution des Fougères sur la surface du globe terrestre. des trockenen Landes andeutend; CycadeenDahin gehören die vom Grafen Sternberg entdeckten und von Corda beschriebenen Cycadeen aus der alten Steinkohlen-Formation zu Radnitz in Böhmen (2 Arten Cycadites und Zamites Cordai; s. Göppert, fossile Cycadeen in den Arbeiten der Schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur im J. 1843 S. 33, 37, 40 und 50). Auch in der oberschlesischen Steinkohlen-Formation zu Königshütte ist eine Cycadee, Pterophyllum gonorrhachis Goepp., gefunden worden., und besonders PalmenLindley, Fossil Flora No. 15 p. 163., in geringer Zahl, Asterophylliten mit quirlförmigen Blättern, den Najaden verwandt, araucarienartige ConiferenFossil Coniferae in Buckland, Geology p. 483–490. Herr Witham hat das große Verdienst, die Existenz der Coniferen in der frühen Vegetation des alten Steinkohlen-Gebildes zuerst erkannt zu haben. Vormals wurden fast alle in dieser Formation vorkommenden Holzstämme als Palmen beschrieben. Die Arten des Geschlechts Araucarites sind aber nicht der Steinkohlen-Formation der britischen Inseln allein eigenthümlich, sie finden sich auch in Oberschlesien. mit schwachen Andeutungen von Jahresringen. Die Verschiedenartigkeit des Charakters einer Vegetation, welche auf den trockengelegten und gehobenen Theilen des alten rothen Sandsteins sich üppig entwickelt hat, von der Pflanzenwelt der jetzigen Zeit erhält sich auch in der späteren Vegetations-Periode bis zu den letzten Schichten der Kreide; aber bei großer Fremdartigkeit der Formen zeigt die Steinkohlen-Flora doch eine sehr auffallende einförmigeAdolph Brongniart, Prodrome d'une hist. des Végétaux fossiles p. 179; Buckland, Geology p. 479; Endlicher und Unger, Grundzüge der Botanik 1843 S. 455. Verbreitung derselben Geschlechter (wenn auch nicht immer derselben Arten) in allen Theilen der damaligen Erdoberfläche: in Neu-Holland, Canada, Grönland und Melville's Insel.
Die Vegetation der Vorwelt bietet vorzugsweise solche Gestalten dar, welche durch gleichzeitige Verwandtschaft mit mehreren Familien der jetzigen Welt daran erinnern, daß mit ihr viele Zwischenglieder organischer Entwickelungsstufen untergegangen sind. So stehen, um nur zwei Beispiele anzuführen, die Arten von Lepidodendron nach Lindley zwischen den Coniferen und den Lycopoditen»By means of Lepidodendron a better passage is established from Flowering to Flowerless Plants than by either Equisetum or Cycas or any other known genus.« Lindley und Hutton, Fossil Flora Vol. II. p. 53., dahingegen die Araucariten und Piniten in der Vereinigung der Gefäßbündel etwas fremdartiges zeigen. Bleibt aber auch unsere Betrachtung allein auf die Jetztwelt beschränkt, so ist die Auffindung von Cycadeen und Zapfenbäumen (Coniferen) in der alten Steinkohlen-Flora neben den Sagenarien und dem Lepidodendron doch von großer Bedeutsamkeit. Die 295 Coniferen haben nämlich nicht bloß Verwandtschaft mit den Cupuliferen und den Betulineen, welchen wir sie in der Braunkohlen-Formation beigesellt sehen: sie haben sie auch mit den Lycopoditen. Die Familie der sagu-artigen Cycadeen nähert sich im äußeren Ansehen den Palmen, während sie im Bau der Blüthen und Saamen wesentlich mit den Coniferen übereinstimmt.Kunth, Anordnung der Pflanzenfamilien in seinem Handb. der Botanik S. 307 und 314. Wo mehrere Steinkohlen-Flöze über einander liegen, sind die Geschlechter und Arten nicht immer gemengt, sondern meist geschlechterweise geordnet: so daß Lycopoditen und gewisse Farnkräuter sich nur in Einem Flöze, und Stigmarien und Sigillarien in einem anderen finden. Um sich von der Ueppigkeit des Pflanzenwuchses der Vorwelt und von der durch Strömungen angehäuften Masse des, gewißDaß Steinkohlen nicht durch Feuer verkohlte Pflanzenfasern sind, sondern sich wahrscheinlich auf nassem Wege, unter Mitwirkung von Schwefelsäure, gebildet haben: beweist auffallend, nach Göppert's scharfsinniger Beobachtung (Karsten, Archiv für Mineralogie Bd. XVIII. S. 530), ein Stück in schwarze Kohle verwandelten Bernsteinbaumes. Die Kohle liegt dicht neben dem ganz unzersetzten Bernstein. Ueber den Antheil, welchen niedrige Gewächse an der Bildung der Kohlenflöze haben können, s. Link in den Abhandl. der Berliner Akademie der Wiss. aus dem J. 1838 S. 38. auf nassem Wege in Kohle verwandelten, vegetabilischen Stoffes einen Begriff zu machen: muß man sich erinnern, daß in dem Saarbrücker Kohlen-Gebirge 120 Kohlenlagen über einander liegen: die vielen schwachen, bis gegen einen Fuß dicken, ungerechnet; daß es Kohlenflöze von 30, ja zu Johnstone (Schottland) und im Creuzot (Burgund) von mehr als 50 Fuß Mächtigkeit giebt: während in der Waldregion unserer gemäßigten Zone die Kohle, welche die Waldbäume eines gegebenen Flächenraumes enthalten, diesen Raum in 100 Jahren im Durchschnitt nur mit einer Schicht von 7 Linien Dicke bedecken würde.S. die genaue Arbeit von Chevandier in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XVIII. 1844 p. 285. Um die 7 Linien dicke Schicht Kohlenstoff mit den Steinkohlen-Flözen zu vergleichen, muß man noch auf den ungeheuren Druck Rücksicht nehmen, welchen diese Flöze von dem darüber liegenden Gestein erleiden und welcher sich meist in der abgeplatteten Gestalt der unterirdischen Baumstämme offenbart. »Die sogenannten hölzernen Berge an dem südlichen Ufer der 1806 von Sirowatskoi entdeckten Insel Neu-Sibirien bestehen nach Hedenström in einer Höhe von 30 Faden aus horizontalen Schichten von Sandstein, die mit bituminösen Baumstämmen abwechseln. Auf dem Gipfel der Berge stehen die Stämme senkrecht. Die Schicht voll Treibholz ist 5 Werste lang sichtbar.« S. Wrangel, Reise längs der Nordküste von Sibirien in den Jahren 1820–1824 Th. I. S. 102. Nahe der Mündung des Missisippi und in den vom Admiral Wrangel beschriebenen sogenannten hölzernen Bergen des sibirischen Eismeeres findet sich noch jetzt eine solche Zahl von Baumstämmen durch Flußverzweigungen und Meeresströme zusammengetrieben, daß die Schichten des Treibholzes an 296 die Vorgänge mahnen können, welche in den Binnenwassern und Inselbuchten der Vorwelt die Erzeugung der Steinkohlen-Ablagerungen veranlaßten. Dazu verdanken diese Ablagerungen gewiß einen beträchtlichen Theil ihres Materials nicht den großen Baumstämmen, sondern kleinen Gräsern, Laubkräutern und niedrigen Cryptogamen.
Die Zusammengesellung von Palmen und Coniferen, die wir bereits in dem Steinkohlen-Gebilde bezeichnet haben, geht fort fast durch alle Formationen bis tief in die Tertiär-Periode. In der jetzigen Welt scheinen sie sich eher zu fliehen. Wir haben uns, wenn gleich mit Unrecht, so gewöhnt alle Coniferen als eine nordische Form zu betrachten: daß ich selbst, von den Küsten der Südsee nach Chilpanzingo und den Hochthälern von Mexico aufsteigend, in Erstaunen gerieth, als ich zwischen der Venta de la Moxonera und dem Alto de los Caxones (3800 Fuß über dem Meeresspiegel) einen ganzen Tag durch einen dichten Wald von Pinus occidentalis ritt, in welchem dieser, der Weimuthsfichte so ähnliche Zapfenbaum einer, mit vielfarbigen Papageien bedeckten FächerpalmeDiese Corypha ist die soyate (aztekisch zoyatl) oder Palma dulce der Eingebornen; s. Humboldt und Bonpland, Synopsis Plant. aequinoct. Orbis Novi T. I. p. 302. Ein tiefer Kenner der amerikanischen Sprachen, Professor Buschmann, bemerkt, daß die Palma soyate auch in Yepes Vocabulario de la Lengua Othomi genannt wird und daß das aztekische Wort zoyatl (Molina, Vocabulario en lengua mexicana y castellana p. 25) sich in Ortsnamen Zoyatitlan und Zoyapanco bei Chiapa wiederfindet. (Corypha dulcis) beigesellt war. Südamerika nährt Eichen, aber keine einzige Pinus-Art; und das erste Mal, als ich wieder die heimische Gestalt einer Tanne sah, erschien sie mir in der entfremdenden Nähe einer Fächerpalme. Auch im nordöstlichsten Ende der Insel CubaBei Baracoa und Cayos de Moa; s. Tagebuch des Admirals vom 25 und 27 November 1492 und Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géogr. du Nouveau Continent T. II. p. 252 und T. III. p. 23. Columbus ist so aufmerksam auf alle Naturgegenstände, daß er schon und zwar zuerst Podocarpus von Pinus unterscheidet. Ich finde, sagt er: »en la tierra aspera del Cibao pinos que no llevan piñas (Tannenzapfen), pero por tal orden compuestos por naturaleza, que (los frutos) parecen azeytunas del Axarafe de Sevilla.« Der große Pflanzenkenner Richard, als er seine treffliche Abhandlung über Cycadeen und Coniferen herausgab, hatte nicht geahndet, daß vor L'Héritier schon am Ende des 15ten Jahrhunderts Podocarpus von den Abietineen durch einen Seefahrer getrennt worden sei.: ebenfalls unter den Tropen, doch kaum über dem Meeresspiegel erhoben, sah auf seiner ersten Entdeckungsreise Christoph Columbus Coniferen und Palmen zusammen wachsen. Der sinnige, alles beachtende Mann merkt es, als eine Sonderbarkeit, in seinem Reisejournale an; und sein Freund Anghiera, 297 der Secretär Ferdinands des Catholischen, sagt mit Verwundrung, »daß in dem neu aufgefundenen Lande man palmeta und pineta beisammen fände«. Es ist für die Geologie von großem Interesse, die jetzige Vertheilung der Pflanzen auf dem Erdboden mit der zu vergleichen, welche die Floren der Vorwelt offenbaren. Die temperirte Zone der wasser- und inselreichen südlichen Hemisphäre, in welcher Tropenformen sich wunderbar unter die Formen kälterer Erdstriche mischen, bietet nach Darwin's schönen, lebensfrischen SchilderungenCharles Darwin, Journal of the Voyage of the Adventure and Beagle 1839 p. 271. die belehrendsten Beispiele für alte und neue, vorweltliche und dermalige Pflanzen-Geographie. Die vorweltliche ist im eigentlichen Sinne des Worts ein Theil der Pflanzengeschichte.
Die Cycadeen, welche der Zahl der Arten nach in der Vorwelt eine weit wichtigere Rolle als in der jetzigen spielten, begleiten die ihnen verwandten Coniferen von dem Steinkohlen-Gebilde aufwärts. Sie fehlen fast gänzlich in der Epoche des bunten Sandsteins, in welcher Coniferen von seltener Bildung (Voltzia, Haidingera, Albertia) üppig wachsen; die Cycadeen erlangen aber ihr Maximum in den Keuperschichten und dem Lias, wo an 20 verschiedene Formen auftreten. In der Kreide herrschen Meerespflanzen und Najaden. Die Cycadeen-Wälder der Jura-Formation sind dann längst erschöpft, und selbst in den älteren Tertiär-Gebilden bleiben sie tief hinter den Coniferen und Palmen zurück.Göppert beschreibt noch drei Cycadeen (Arten von Cycadites und Pterophyllum) aus dem Braunkohlen-Schieferthon von Altsattel und Commotau in Böhmen, vielleicht aus der Eocän-Periode (Göppert in der Anm. 320 angeführten Schrift S. 61).
Die Ligniten oder Braunkohlen-Schichten, die in allen Abtheilungen der Tertiär-Periode vorhanden sind, zeigen in den frühesten kryptogamische Landpflanzen, einige Palmen, viel Coniferen mit deutlichen Jahresringen, und 298 Laubhölzer von mehr oder minder tropischem Charakter. In der mittleren tertiären Periode bemerkt man das völlige Zurücktreten der Palmen und Cycadeen, in der letzten endlich eine große Aehnlichkeit mit der gegenwärtigen Flora. Es erscheinen plötzlich und in Fülle unsere Fichten und Tannen, unsere Cupuliferen, Ahorn und Pappeln. Die Dicotylen-Stämme der Braunkohle zeichnen sich bisweilen durch riesenmäßige Dicke und hohes Alter aus. Bei Bonn wurde ein Stamm gefunden, in dem Nöggerath 792 JahresringeBuckland, Geology p. 509. zählte. Im nördlichen Frankreich bei Yseux (unfern Abbeville) sind im Torfmoor der Somme Eichen von 14 Fuß Durchmesser entdeckt: eine Dicke, die im Alten Continent außerhalb der Wendekreise sehr auffallend ist. Nach Göppert's gründlichen Untersuchungen, welche hoffentlich bald durch Kupfertafeln erläutert erscheinen werden, »kommt aller baltische Bernstein von einer Conifere, die, wie die vorhandenen Reste des Holzes und der Rinde in verschiedenen Alterszuständen beweisen, unserer Weiß- und Rothtanne am nächsten kam, aber eine eigene Art bildete. Der Bernsteinbaum der Vorwelt (Pinites succifer) hatte einen Harzreichthum, welcher mit dem keiner Conifere der Jetztwelt zu vergleichen ist: da nicht bloß in und auf der Rinde, sondern auch im Holze nach dem Verlauf der Markstrahlen: die, wie die Holzzellen, unter dem Microscope noch deutlich zu erkennen sind, wie peripherisch zwischen den Holzringen große Massen Bernsteinharz, bisweilen weißer und gelber Farbe zugleich, abgelagert sind. Unter den im Bernstein eingeschlossenen Vegetabilien finden sich männliche und weibliche Blüthen von heimischem Nadelholz und Cupuliferen; aber deutliche Fragmente von 299 Wachholder und Tannen gemengt, deuten auf eine Vegetation, welche nicht die unsrer Ostseeküsten und der baltischen Ebene ist.«
In dem geologischen Theile des Naturgemäldes sind wir nun die ganze Reihe der Bildungen von dem ältesten Eruptions-Gestein und den ältesten Sedimentbildungen an bis zu dem Schuttlande durchlaufen, auf welchem die großen Felsblöcke liegen, über deren Verbreitungs-Ursache noch lange gestritten werden wird, die wir aber geneigt sind minder tragenden Eisschollen als dem Durchbruch und Herabsturz zurückgehaltener Wassermassen bei Hebung der Gebirgsketten zuzuschreibenLeopold von Buch in den Abhandl. der Akad. der Wiss. zu Berlin aus den J. 1814–1815 S. 161 und in Poggendorff's Annalen Bd. IX. S. 575; Élie de Beaumont in den Annales des Sciences Nat. T. XIX. p. 60.. Das älteste Gebilde der Transitions-Formation, das wir kennen gelernt, sind Schiefer und Grauwacke: welche einige Reste von Seetang einschließen aus dem silurischen, einst cambrischen Meere. Worauf ruhte dies sogenannte älteste Gebilde, wenn Gneiß und Glimmerschiefer nur als umgewandelte Sedimentschichten betrachtet werden müssen? Soll man eine Vermuthung wagen über das, was nicht Gegenstand einer wirklichen geognostischen Beobachtung sein kann? Nach einer indischen Urmythe trägt ein Elephant die Erde; er selbst, damit er nicht falle, wird wiederum von einer Riesen-Schildkröte getragen. Worauf die Schildkröte ruhe, ist den gläubigen Brahminen nicht zu fragen erlaubt. Wir wagen uns hier an ein ähnliches Problem, wenn auch mannigfaltigen Tadels der Lösung gewärtig. Bei der ersten Bildung der Planeten, wie wir sie in dem astronomischen Theile des Naturgemäldes wahrscheinlich gemacht, wurden dunstförmige, um die Sonne circulirende Ringe in 300 Kugeln geballt, die von außen nach innen allmälig erstarrten. Was wir die älteren silurischen Schichten nennen, sind nur obere Theile der festen Erdrinde. Das Eruptions-Gestein, das wir diese durchbrechen und heben sehen, steigt aus uns unzugänglicher Tiefe empor; es existirt demnach schon unter den silurischen Schichten: aus derselben Association von Mineralien zusammengesetzt, die wir als Gebirgsarten, da wo sie durch den Ausbruch uns sichtbar werden, Granit, Augitfels oder Quarzporphyr nennen. Auf Analogien gestützt, dürfen wir annehmen, daß das, was weite Spalten gleichsam gangartig ausfüllt und die Sedimentschichten durchbricht, nur Zweige eines unteren Lagers sind. Aus den größten Tiefen wirken die noch thätigen Vulkane; und nach den seltenen Fragmenten zu urtheilen, die ich in sehr verschiedenen Erdstrichen in den Lavaströmen habe eingeschlossen gefunden, halte auch ich es für mehr als wahrscheinlich, daß ein uranfängliches Granitgestein die UnterlageVergl. Élie de Beaumont, descr. géol. de la France T. I. p. 65; Beudant, Géologie 1844 p. 209. des großen, mit so vielen organischen Resten angefüllten Schichtenbaues sei. Wenn olivinführende Basalte sich erst in der Kreide-Epoche, Trachyte noch später sich zeigen; so gehören die Ausbrüche des Granits dagegen, wie auch die Producte der Metamorphose es lehren, in die Epoche der ältesten Sedimentschichten der Transitions-Formation. Wo die Erkenntniß nicht aus der unmittelbaren Sinnesanschauung erwachsen kann, ist es wohl erlaubt auch nach bloßer Induction, wie nach sorgfältiger Vergleichung der Thatsachen eine Vermuthung aufzustellen, die dem alten Granit einen Theil der bedrohten Rechte und den Ruhm der Uranfänglichkeit wiedergiebt.
301 Die neueren Fortschritte der Geognosie: d. i. die erweiterte Kenntniß von den geognostischen Epochen, welche durch die mineralogische Verschiedenheit der Gebirgs-Formationen, durch die Eigenthümlichkeit und Reihenfolge der Organismen, die sie enthalten, durch die Lagerung (Aufrichtung oder ungestörte Horizontalität der Schichten) charakterisirt werden; leiten uns, dem inneren Causalzusammenhang der Erscheinungen folgend, auf die räumliche Vertheilung der Feste und des Flüssigen: der Continente und der Meere, welche die Oberfläche unsers Planeten bilden. Wir deuten hier auf einen Verbindungspunkt zwischen der erdgeschichtlichen und der geographischen Geognosie, auf die Total-Betrachtung der Gestalt und Gliederung der Continente. Die Umgrenzung des Starren durch das Flüssige, das Areal-Verhältniß des einen zum anderen ist sehr verschieden gewesen in der langen Reihenfolge der geognostischen Epochen: je nachdem Steinkohlen-Schichten sich horizontal an die aufgerichteten Schichten von Bergkalk und altem rothen Sandstein, Lias und Jura sich an das Gestade von Keuper und Muschelkalk, Kreide sich an die Abhänge von Grünsand und Jurakalk sedimentarisch angelehnt haben. Nennt man nun mit Élie de Beaumont Jura- und Kreide-Meere die Wasser, unter denen sich Jurakalk und Kreide schlammartig niederschlagen, so bezeichnen die Umrisse der eben genannten Formationen für zwei Epochen die Grenze zwischen dem noch steinbildenden Oceane und der schon trockengelegten Feste. Man hat den sinnreichen Gedanken gehabt Karten für diesen physischen Theil der alten Geographie zu entwerfen: Karten, die vielleicht sicherer sind als die der 302 Wanderungen der Io oder der homerischen Geographie. Die letzteren stellen Meinungen, mythische Gebilde graphisch dar; die ersteren Thatsachen der positiven Formationslehre.
Das Resultat der Untersuchungen über die Raumverhältnisse des trocknen Areals ist: daß in den frühesten Zeiten, in der silurischen und devonischen Transitions-Epoche, wie in der ersten Flözzeit, über die Trias hinaus, der continentale, mit Landpflanzen bedeckte Boden auf einzelne Inseln beschränkt war; daß diese Inseln sich in späteren Epochen mit einander vereinigten und längs tiefeingeschnittener Meerbusen viele Landseen umschlossen; daß endlich, als die Gebirgsketten der Pyrenäen, der Apenninen, und die Karpathen emporstiegen: also gegen die Zeit der älteren Tertiärschichten, große Continente fast schon in ihrer jetzigen Größe erschienen. In der silurischen Welt, wie in der Epoche der Cycadeen-Fülle und riesenartiger Saurier mochte, von Pol zu Pol, des trocknen Landes wohl weniger sein als zu unsrer Zeit in der Südsee und in dem indischen Meere. Wie diese überwiegende Wassermenge in Gemeinschaft mit anderen Ursachen zur Erhöhung der Temperatur und zu größerer Gleichmäßigkeit der Klimate beigetragen hat, wird später entwickelt werden. Hier muß nur noch in der Betrachtung der allmäligen Vergrößerung (Agglutination) der gehobenen trocknen Erdstriche bemerkt werden, daß kurz vor den Umwälzungen, welche, nach kürzeren oder längeren Pausen, in der Diluvial-Periode den plötzlichen Untergang so vieler riesenartigen Wirbelthiere herbeigeführt haben, ein Theil der jetzigen Continental-Massen doch schon vollkommen von einander getrennt waren. Es herrscht in Südamerika und in den 303 Australländern eine große Aehnlichkeit zwischen den dort lebenden und den untergegangenen Thieren. In Neu-Holland hat man fossile Reste von Känguruh; in Neu-Seeland halbfossile Knochen eines ungeheuren straußartigen Vogels, Owen's Dinornis, entdeckt, welcher nahe mit der jetzigen Apteryx, wenig aber mit dem erst spät untergegangenen Dronte (Dodo) von der Insel Rodriguez verwandt ist.
Die derzeitige Gestaltung der Continente verdankt vielleicht großentheils ihre Hebung über dem umgebenden Wasserspiegel der Eruption der Quarzporphyre: einer Eruption, welche die erste große Landflor, das Material des Steinkohlen-Gebirges, so gewaltsam erschüttert hat. Was wir Flachland der Continente nennen, sind aber nur die breiten Rücken von Hügeln und Gebirgen, deren Fuß in dem Meeresboden liegt. Jedes Flachland ist nach seinen submarinischen Verhältnissen eine Hochebene, deren Unebenheiten durch neue Sediment-Formationen, in horizontaler Lage abgesetzt, wie durch angeschwemmtes Schuttland verdeckt werden.
Unter den allgemeinen Betrachtungen, die in ein Naturgemälde gehören, nimmt den ersten Rang ein die Quantität der über dem Meeresspiegel hervorragenden und gehobenen Feste; dieser Bestimmung des räumlichen Maaßes folgt dann die Betrachtung der individuellen Gestaltung in horizontaler Ausdehnnug (Gliederungs-Verhältnisse) oder in senkrechter Erhebung (hypsometrische Verhältnisse der Gebirgsketten). Unser Planet hat zwei Umhüllungen: eine allgemeine: den Luftkreis, als elastische Flüssigkeit; und eine particuläre, nur local verbreitete, die Feste umgrenzende und dadurch 304 ihre Figur bedingende: das Meer. Beide Umhüllungen des Planeten, Luft und Meer, bilden ein Naturganzes, welches der Erdoberfläche die Verschiedenheit der Klimate giebt: nach Maaßgabe der relativen Ausdehnung von Meer und Land, der Gliederung und Orientirung der Feste, der Richtung und Höhe der Gebirgsketten. Aus dieser Kenntniß der gegenseitigen Einwirkung von Luft, Meer und Land ergiebt sich, daß große meteorologische Phänomene, von geognostischen Betrachtungen getrennt, nicht verstanden werden können. Die Meteorologie, wie die Geographie der Pflanzen und Thiere haben erst begonnen einige Fortschritte zu machen, seitdem man sich von der gegenseitigen Abhängigkeit der zu ergründenden Erscheinungen überzeugt hat. Das Wort Klima bezeichnet allerdings zuerst eine specifische Beschaffenheit des Luftkreises; aber diese Beschaffenheit ist abhängig von dem perpetuirlichen Zusammenwirken einer all- und tiefbewegten, durch Strömungen von ganz entgegengesetzter Temperatur durchfurchten Meeresfläche mit der wärmestrahlenden trocknen Erde: die mannigfaltig gegliedert, erhöht, gefärbt, nackt oder mit Wald und Kräutern bedeckt ist.
In dem jetzigen Zustande der Oberfläche unsers Planeten verhält sich das Areal der Feste zu dem des Flüssigen wie 1 zu 24/5 (nach RigaudTransactions of the Cambridge Philosophical Society Vol. VI. P. 2. 1837 p. 297. Nach Anderen wie 100 : 284. wie 100 : 270). Die Inseln bilden dermalen kaum 1/23 der Continental-Massen. Letztere sind so ungleich vertheilt, daß sie auf der nördlichen Halbkugel dreimal so viel Land darbieten als auf der südlichen. Die südliche Hemisphäre ist also recht eigentlich vorherrschend oceanisch. Von 40° südlicher Breite an gegen den antarctischen Pol hin ist die Erdrinde fast ganz mit 305 Wasser bedeckt. Eben so vorherrschend, und nur von sparsamen Inselgruppen unterbrochen, ist das flüssige Element zwischen der Ostküste der Alten und der Westküste der Neuen Welt. Der gelehrte Hydrograph Fleurieu hat dieses weite Meerbecken mit Recht zum Unterschiede aller anderen Meere den Großen Ocean genannt. Es nimmt derselbe unter den Wendekreisen einen Raum von 145 Längengraden ein. Die südliche und westliche Hemisphäre (westlich vom Meridian von Teneriffa aus gerechnet) sind also die wasserreichsten Regionen der ganzen Erdoberfläche.
Dies sind die Hauptmomente der Betrachtung über die relative Quantität des Festlandes und der Meere: ein Verhältniß, das auf die Vertheilung der Temperatur, den veränderten Luftdruck, die Windesrichtung und den, die Vegetationskraft wesentlich bestimmenden Feuchtigkeits-Gehalt der Atmosphäre so mächtig einwirkt. Wenn man bedenkt, daß fast ¾ der OberflächeIm Mittelalter herrschte die Meinung, daß die Meere nur den siebenten Theil der Erdoberfläche bedeckten: eine Meinung, welche der Cardinal d'Ailly (Imago Mundi cap. 8) auf das apocryphische 4te Buch Esra gründete. Columbus, der seine cosmologischen Kenntnisse immer aus den Werken des Cardinals schöpfte, hatte ein großes Interesse diese Meinung von der Kleinheit der Meere, zu welcher wohl auch der mißverstandene Ausdruck des »Flusses Ocean« beitrug, zu vertheidigen. Vergl. Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géographie T. I. p. 186. des Planeten mit Wasser bedeckt sind, so ist man minder verwundert über den unvollkommenen Zustand der Meteorologie bis zu dem Anfange des jetzigen Jahrhunderts: einer Epoche, in welcher zuerst eine beträchtliche Masse genauer Beobachtungen über die Temperatur des Meeres unter verschiedenen Breiten und in verschiedenen Jahreszeiten erlangt und numerisch mit einander verglichen wurden.
Die horizontale Gestaltung des Festlandes in seinen allgemeinsten Verhältnissen der Ausdehnung ist schon in frühen Zeiten des griechischen Alterthums ein Gegenstand sinnreicher Betrachtungen gewesen. Man suchte das Maximum der Ausdehnung von Westen nach Osten; und Dicäarchus nach dem Zeugniß des Agathemerus fand es in der 306 Breite von Rhodos, in der Richtung von den Säulen des Hercules bis Thinä. Das ist die Linie, welche man den Parallel des Diaphragma des Dicäarchus nannte, und über deren astronomische Richtigkeit der Lage, die ich an einem andern Orte untersucht, man mit Recht erstaunen mußAgathemeros in Hudson, Geographi Graeci minores Vol. II. p. 4. Vergl. Humboldt, Asie centr. T. I. p. 120 und 125.. Strabo, wahrscheinlich durch Eratosthenes geleitet, scheint so überzeugt gewesen zu sein, daß dieser Parallel von 36°, als Maximum der Ausdehnung in der ihm bekannten Welt, einen inneren Grund der Erdgestaltung habe: daß er das Festland, welches er prophetisch in der nördlichen Halbkugel zwischen Iberien und der Küste von Thinä vermuthete, ebenfalls unter diesem Breitengrade verkündigte.Strabo lib. I p. 65 Casaub. Vergl. Humboldt, Examen critique T. I. p. 152.
Wenn, wie wir schon oben bemerkt, auf der einen Halbkugel der Erde (man mag dieselbe durch den Aequator oder durch den Meridian von Teneriffa halbiren) beträchtlich mehr Land sich über den Meeresspiegel erhoben hat als auf der entgegengesetzten; so haben die beiden großen Ländermassen: wahre vom Ocean auf allen Seiten umgebene Inseln, welche wir die östliche und westliche Feste, den alten und neuen Continent nennen, neben dem auffallendsten Contraste der Total Gestaltung oder vielmehr der Orientirung ihrer größten Axen doch im einzelnen manche Aehnlichkeit der Configuration, besonders der räumlichen Beziehungen zwischen den einander gegenüberstehenden Küsten. In der östlichen Feste ist die vorherrschende Richtung, die Lage der langen Axe, von Osten gegen Westen (bestimmter von Südwest gen Nordost); in der westlichen Feste aber von Süden nach Norden, meridianartig (bestimmter von SSO nach NNW). Beide Ländermassen sind im Norden 307 in der Richtung eines Breiten-Parallels (meist in dem von 70°) abgeschnitten; im Süden laufen sie in pyramidale Spitzen aus, meist mit submaritimer Verlängerung in Inseln und Bänken. Dies bezeugen der Archipel der Tierra del Fuego, die Lagullas-Bank südlich vom Vorgebirge der guten Hoffnung, Van Diemens Land: durch die Baß-Straße von Neu-Holland (Australien) getrennt. Das nördliche asiatische Gestade übersteigt im Cap Taimura (78° 16' nach Krusenstern) den obengenannten Parallel, während es von der Mündung des großen Tschukotschja-Flusses an östlich gegen die Berings-Straße hin im östlichsten Vorgebirge Asiens, in Cook's Ostcap, nur 66° 3' nach Beechey erreicht.Vergl. über die mittlere Breite der nord-asiatischen Küste und die wahre Benennung der Vorgebirge Taimura (Cap siewero-wostotschnoi) und Cap Nordost (Schalagskoi mys) Humboldt, Asie centrale T. III. p. 35 und 37. Das nördliche Ufer des Neuen Continents folgt ziemlich genau dem Parallelkreis von 70°: da südlich und nördlich von der Barrow-Straße, von Boothia Felix und Victoria-Land alles Land nur abgesonderte Inseln sind.
Die pyramidale Gestaltung aller südlichen Endspitzen der Continente gehört unter die similitudines physicae in configuratione Mundi, auf welche schon Baco von Verulam im Neuen Organon aufmerksam machte und an die Cook's Begleiter auf der zweiten Weltumsegelung, Reinhold Forster, scharfsinnige Betrachtungen geknüpft hat. Wenn man von dem Meridian von Teneriffa sich gegen Osten wendet, so sieht man die Endspitzen der drei Continente: nämlich die Südspitzen von Afrika (als dem Extrem der ganzen Alten Welt), von Australien und von Südamerika, stufenweise sich dem Südpol mehr nähern. Das, volle 12 Breitengrade lange Neu-Seeland bildet sehr regelmäßig ein Zwischenglied zwischen Australien und 308 Südamerika, ebenfalls mit einer Insel (Neu-Leinster) endigend. Eine merkwürdige Erscheinung ist noch, daß fast ganz unter denselben Meridianen, unter welchen in der Ländermasse des Alten Continents sich die größte Ausdehnung gegen Süden zeigt, auch die nördlichen Gestade am höchsten gegen den Nordpol vordringen. Dies ergiebt sich aus der Vergleichung des Vorgebirges der guten Hoffnung und der Bank Lagullas mit dem europäischen Nordcap, der Halbinsel Malacca mit dem sibirischen Cap Taimura.Eben daselbst T. I. p. 198–200. Auch die Südspitze von Amerika sammt dem Archipelagus, welchen wir das Feuerland nennen, liegt im Meridian des nördlichsten Theils der Baffinsbai und des großen noch unbegrenzten Polarlandes, das vielleicht zu West-Grönland gehört. Ob festes Land die beiden Erdpole umgürtet; oder ob die Pole nur von einem Eismeere umflossen, mit Flözlagen von Eis (erstarrtem Wasser) bedeckt sind: wissen wir nicht. An dem Nordpol ist man bis 82° 55' Breite, an dem Südpol nur bis zu dem Parallel von 78° 10' gelangt.
So wie die großen Ländermassen pyramidal enden, so wiederholt sich diese Gestaltung auch mannigfaltig im kleinen: nicht bloß im indischen Ocean (Halbinseln von Arabien, Hindustan und Malacca); sondern auch, wie schon Eratosthenes und Polybius bemerkten, im Mittelmeer: wo sie die iberische, italische und hellenische mit einander sinnig verglichen habenStrabo lib. II p. 92 und 108 Casaub.. Europa, mit einem Areal fünfmal kleiner als das von Asien, ist gleichsam nur eine westliche vielgegliederte Halbinsel des asiatischen, fast ungegliederten Welttheils; auch beweisen die klimatischen Verhältnisse Europa's, daß es sich zu Asien verhält wie die peninsulare Bretagne zum übrigen FrankreichHumboldt, Asie centrale T. III. p. 25. Ich habe schon früh (1817) in meinem Werke: de distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium auf jene, für Klimatologie und Menschengesittung gleich wichtigen Unterschiede gegliederter und ungegliederter Continente aufmerksam gemacht: »Regiones vel per sinus lunatos in longa cornua porrectae, angulosis littorum recessibus quasi membratim discerptae, vel spatia patentia in immensum, quorum littora nullis incisa angulis ambit sine anfractu Oceanus« (p. 81 und 182). Ueber das Verhältniß der Küstenlängen zum Areal eines Continents (gleichsam das Maaß der Zugänglichkeit des Inneren) s. die Untersuchungen in Berghaus Annalen der Erdkunde Bd. XII. 1835 S. 490 und physikal. Atlas 1839 No. III S. 69.. Wie die Gliederung eines Continents, die höhere Entwicklung seiner Form zugleich auf die Gesittung und den ganzen Culturzustand der Völker wirkt, bemerkt schon StraboStrabo lib. II p. 126 Casaub., indem er unseres kleinen Welttheils »vielgestaltete 309 Form« als einen besondern Vorzug preist. AfrikaVon Afrika sagt schon Plinius (V, 1): »Nec alia pars terrarum pauciores recipit sinus.« Auch die kleine indische Halbinsel diesseits des Ganges bietet als Dreieck eine dritte sehr analoge Form dar. Im griechischen Alterthume herrschten Meinungen von einer regelmäßigen Gestaltung der Festen. Es sollte vier Busen geben: unter denen der persische dem hyrcanischen (d. i. dem caspischen Meere) gegenübergestellt wird (Arrian VII, 16; Plut. in vita Alexandri cap. 44; Dionys. Perieg. v. 48 und 630 pag. 11 und 38 Bernh. Die vier Busen und die Landengen sollen sich sogar, nach den optischen Phantasien des Agesianax, auf der Mondscheibe abspiegeln (Plut. de facie in orbe Lunae p. 921, 19). Ueber die terra quadrifida oder die vier Festlande, deren zwei nördlich und zwei südlich vom Aequator liegen, s. Macrobius, comm. in Somnium Scipionis II, 9. Ich habe diesen Theil der alten Geographie, über welchen viel Verwirrung herrscht, einer neuen und sorgfältigen Prüfung unterworfen im Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 119, 145, 180–185; wie in Asie centr. T. II. p. 172–178. und Südamerika, die ohnedies so viel Aehnlichkeit in ihrer Configuration zeigen, sind unter allen großen Ländermassen diejenigen, welche die einfachste Küstenform haben. Nur das östliche Littoral von Asien bietet, wie von der östlichen MeeresströmungFleurieu im Voyage de Marchand autour du Monde T. IV. p. 38–42. zertrümmert (fractas ex aequore terras), eine mannigfaltige, gestaltenreiche Form dar. Halbinseln und nahe Eilande wechseln dort mit einander vom Aequator an bis 60° Breite.
Unser atlantischer Ocean trägt alle Spuren einer Thalbildung. Es ist als hätten fluthende Wasser den Stoß erst gegen Nordost, dann gegen Nordwest, und dann wiederum nordöstlich gerichtet. Der Parallelismus der Küsten nördlich von 10° südl. Breite an, die vor- und einspringenden Winkel, die Convexität von Brasilien dem Golf von Guinea gegenüber, die Convexität von Afrika unter einerlei Breiten mit dem antillischen Meerbusen sprechen für diese gewagt scheinende Ansicht.Humboldt im Journal de Physique T. LIII. 1799 p. 33 und Rel. hist. T. II. p. 19, T. III. p. 189 und 198. Hier im atlantischen Thale, wie fast überall in der Gestaltung großer Ländermassen, stehen eingeschnittene und inselreiche Ufer den uneingeschnittenen entgegen. Ich habe längst darauf aufmerksam gemacht, wie geognostisch denkwürdig auch die Vergleichung der Westküsten von Afrika und Südamerika in der Tropenzone sei. Die busenförmige Einbeugung des afrikanischen Gestades bei Fernando Po (4°½ nördlicher Breite) wiederholt sich in dem Südsee-Gestade unter 18°¼ südlicher Breite in dem Wendepunkt bei Arica, wo (zwischen dem Valle de Arica und dem Morro de Juan Diaz) die peruanische Küste plötzlich ihre Richtung von Süden nach Norden in eine nordwestliche verwandelt. Diese 310 Veränderung der Richtung erstreckt sich in gleichem Maaße auf die, in zwei Paralleljöcher getheilte, hohe Andeskette: nicht bloß auf die dem LittoralHumboldt in Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XL. S. 171. Ueber die merkwürdige Fjordbildung an dem Südost-Ende von Amerika s. Darwin, Journal (narrative of the Voyages of the Adventure and Beagle Vol III.) 1839 p. 266. Der Parallelismus der beiden Bergketten erhält sich von 5° südlicher bis 5° nördlicher Breite. Die Wendung der Richtung der Küste bei Arica scheint die Folge des veränderten Streichens der Gangkluft (Spalte) zu sein, aus welcher die Cordillera de los Andes aufgestiegen ist. nahe, sondern auch auf die östliche, den frühesten Sitz menschlicher Cultur im südamerikanischen Hochlande, wo das kleine Alpenmeer von Titicaca von den Bergcolossen des Sorata und Illimani begrenzt wird. Weiter gegen Süden, von Valdivia und Chiloe an (40° bis 42° südl. Br.) durch den Archipel de los Chonos bis zum Feuerlande, findet sich die seltene Fjordbildung wiederholt (das Gewirre schmaler, tief eindringender Busen), welche in der nördlichen Hemisphäre die Westküsten von Norwegen und Schottland charakterisirt.
Dies sind die allgemeinsten Betrachtungen über die dermalige Gestaltung der Continente (die Ausdehnung des Festlandes in horizontaler Richtung), wie sie der Anblick der Oberfläche unsres Planeten veranlaßt. Wir haben hier Thatsachen zusammengestellt, Analogien der Form in entfernten Erdstrichen, die wir nicht Gesetze der Form zu nennen wagen. Wenn man an dem Abhange eines noch thätigen Vulkans, z. B. am Vesuv, die nicht ungewöhnliche Erscheinung partieller Hebungen beachtet, in denen kleine Theile des Bodens, vor einem Ausbruch oder während desselben, ihr Niveau um mehrere Fuße bleibend verändern und dachförmige Gräten oder flache Erhöhungen bilden; so erkennt der Wanderer, wie von geringfügigen Zufällen der Kraft-Intensität unterirdischer Dämpfe und der Größe des zu überwindenden Widerstandes es abhangen muß, daß die gehobenen Theile diese oder jene Form und Richtung annehmen. Eben so mögen geringe Störungen des Gleichgewichts im Inneren unsres 311 Planeten die hebenden elastischen Kräfte bestimmt haben mehr gegen die nördliche als gegen die südliche Erdhälfte zu wirken; das Festland in der östlichen Erdhälfte als eine breite zusammenhangende Masse mit der Haupt-Achse fast dem Aequator parallel, in der westlichen, mehr oceanischen Hälfte schmal und meridianartig aufzutreiben.
Ueber den Causalzusammenhang solcher großen Begebenheiten der Länderbildung, der Aehnlichkeit und des Contrastes in der Gestaltung, ist wenig empirisch zu ergründen. Wir erkennen nur das Eine: daß die wirkende Ursach unterirdisch ist: daß die jetzige Länderform nicht auf einmal entstanden, sondern, wie wir schon oben bemerkt, von der Epoche der silurischen Formation (neptunischen Abscheidung) bis zu den Tertiärschichten nach mannigfaltigen oscillirenden Hebungen und Senkungen des Bodens sich allmälig vergrößert hat und aus einzelnen kleineren Continenten zusammengeschmolzen ist. Die dermalige Gestaltung ist das Product zweier Ursachen, die auf einander folgend gewirkt haben: einmal einer unterirdischen Kraftäußerung: deren Maaß und Richtung wir zufällig nennen, weil wir sie nicht zu bestimmen vermögen, weil sie sich für unsern Verstand dem Kreise der Nothwendigkeit entziehen: zweitens der auf der Oberfläche wirkenden Potenzen: unter denen vulkanische Ausbrüche, Erdbeben, Entstehung von Bergketten und Meeresströmungen die Hauptrolle gespielt haben. Wie ganz anders würde der Temperatur-Zustand der Erde, und mit ihm der Zustand der Vegetation, des Ackerbaues und der menschlichen Gesellschaft sein, wenn die Haupt-Achse des Neuen Continents einerlei Richtung mit der des Alten hätte; 312 wenn die Andeskette, statt meridianartig, von Osten nach Westen aufgestiegen wäre; wenn südlich von Europa kein festes, wärmestrahlendes Tropenland (Afrika) läge; wenn das Mittelmeer, das einst mit dem caspischen und rothen Meere zusammenhing und ein so wesentliches Beförderungsmittel der Völkergesittung geworden ist, nicht existirte; wenn sein Boden zu gleicher Höhe mit der lombardischen und cyrenaischen Ebene gehoben worden wäre!
Die Veränderungen des gegenseitigen Höhen-Verhältnisses der flüssigen und starren Theile der Erdoberfläche (Veränderungen, welche zugleich die Umrisse der Continente bestimmen, mehr niedriges Land trocken legen oder dasselbe überfluthen) sind mannigfaltigen, ungleichzeitig wirkenden Ursachen zuzuschreiben. Die mächtigsten sind ohnstreitig gewesen: die Kraft der elastischen Dämpfe, welche das Innere der Erde einschließt; die plötzliche Temperatur-VeränderungDe la Beche, Sections and Views illustrative of Geological Phenomena 1830 Tab. 40; Charles Babbage, observations on the Temple of Serapis at Pozzuoli near Naples and on certain causes which may produce Geological Cycles of great extent 1834. »Eine Sandstein-Schicht von 5 engl. Meilen Dicke wird, wenn sie sich um 100° Fahr. erwärmt, in ihrer Oberfläche um 25 Fuß steigen. Erhitzte Lettenschichten müssen dagegen durch Contraction ein Sinken des Bodens hervorbringen.« Vergl. die Berechnungen für das seculare Steigen von Schweden, unter der Voraussetzung der geringen Zunahme von 3° Réaum. in einer 140000 Fuß dicken, zu Schmelzhitze erwärmten Schicht, in Bischof, Wärmelehre des Innern unsers Erdkörpers S. 303. mächtiger Gebirgsschichten; der ungleiche seculare Wärmeverlust der Erdrinde und des Erdkernes, welcher eine Faltung (Runzelung) der starren Oberfläche bewirkt; örtliche Modificationen der Anziehungskraft»Die (bisher so sicher scheinende) Voraussetzung des Gleichbleibens der Schwere an einem Messungspunkte ist durch die neuen Erfahrungen über die langsame Erhebung großer Theile der Erdoberfläche einigermaßen unsicher geworden.« Bessel über Maaß und Gewicht in Schumacher's Jahrbuch für 1810 S. 134. und durch dieselben hervorgebrachte veränderte Krümmung einer Portion des flüssigen Elements. Daß die Hebung der Continente eine wirkliche Hebung, nicht bloß eine scheinbare, der Gestalt der Oberfläche des Meeres zugehörige sei: scheint, nach einer jetzt allgemein verbreiteten Ansicht der Geognosten, aus der langen Beobachtung zusammenhangender Thatsachen, wie aus der Analogie wichtiger vulkanischer Erscheinungen zu folgen. Auch das Verdienst dieser Ansicht gehört Leopold von Buch, der sie in seiner denkwürdigen, in den Jahren 1806 und 1807 vollbrachten Reise durch Norwegen und 313 SchwedenTh. II. (1810) S. 389. Vergl. Hallströmm in Kongl. Vetenskaps-Academiens Handlingar (Stockh.) 1823 p. 30; Lyell in den Philos. Transact. for 1835 p. 1; Blom (Amtmann in Budskerud), stat. Beschr. von Norwegen 1843 S. 89–116. Wenn, nicht vor Leopolds von Buch Reise nach Scandinavien, sondern vor der Herausgabe dieses Werkes, schon Playfair 1802 in den Illustrations of the Huttonian Theory § 393, und, wie Keilhau (om Landjordens Stigning i Norge in dem nyt Magazin for Naturvidenskaberne) erinnert, vor Playfair der Däne Jessen ebenfalls schon die Vermuthung geäußert hat, daß nicht das Meer sinke, sondern das feste Land von Schweden sich erhebe; so sind diese Aeußerungen unserm großen Geognosten gänzlich unbekannt geblieben und haben keinen Einfluß auf die Fortschritte der physischen Erdbeschreibung ausgeübt. Jessen hat in seinem Werke Kongeriget Norge fremstillet efter dets naturlige og borgerlige Tilstand, Kjöbenh. 1863, die Ursachen der Veränderung des Niveau-Verhältnisses des Meeres zur Höhe der Küsten nach den alten Angaben von Celsius, Kalm und Dalin zu ergründen gesucht. Er äußert verworrene Ideen über die Möglichkeit eines inneren Wachsens und Zunehmens der Steine (des felsigen Bodens), erklärt sich aber zuletzt doch für Erhebung des Landes als Folge von Erdbeben. »Obgleich«, sagt er, »gleich nach dem Erdbeben (bei Egersund) keine solche Erhebung bemerkt worden ist, so könnte doch dadurch anderen Ursachen die Gelegenheit dazu eröffnet worden sein.« aussprach: wodurch sie zuerst in die Wissenschaft eingeführt ward. Während die ganze schwedische und finländische Küste von der Grenze des nördlichen Schonens (Sölvitsborg) über Gefle bis Torneo, und von Torneo bis Abo sich hebt (in einem Jahrhundert bis 4 Fuß), sinkt nach Nilson das südliche SchwedenBerzelius, Jahres-Bericht über die Fortschritte der physischen Wiss. Jahrg. 13. 1834 S. 386–9, Jahrg. 17. 1838 S. 415. Die Inseln Saltholm, Kopenhagen gegenüber, und Bornholm steigen aber sehr wenig; Bornholm kaum 1 Fuß in einem Jahrhundert. S. Forchhammer im Philos. Magazine Series III. Vol. II. p. 309.. Das Maximum der hebenden Kraft scheint im nördlichen Lapland zu liegen. Die Hebung nimmt gegen Süden bis Calmar und Sölvitsborg allmälig ab. Linien des alten Meeres-Niveau's aus vor-historischen Zeiten sind in ganz NorwegenKeilhau im nyt Mag. for Naturvid. 1832 Bd. I. p. 105–254, Bd. II. p. 57; Bravais sur les lignes d'ancien niveau de la Mer 1843 p. 15–40. Vergl. auch Darwin on the Parallel roads of Glen-Roy and Lochaber in den Philos. Transact. for 1839 p. 60. vom Cap Lindesnäs bis zum äußersten Nordcap durch Muschelbänke des jetzigen Meeres bezeichnet, und neuerlichst von Bravais während des langen winterlichen Aufenthalts in Bosekop auf das genaueste gemessen worden. Sie liegen bis 600 Fuß hoch über dem jetzigen mittleren Meeresstande, und erscheinen nach Keilhau und Eugen Robert auch dem Nordcap gegenüber (in NNW) an den Küsten von Spitzbergen. Leopold von Buch, der am frühesten auf die hohe Muschelbank bei Tromsoe (Breite 69° 40') aufmerksam gemacht, hat aber schon gezeigt, daß die älteren Hebungen am nordischen Meere zu einer anderen Classe von Erscheinungen gehören als das sanfte (nicht plötzliche oder ruckweise) Aufsteigen des schwedischen Littorals im bothnischen Meerbusen. Die letztere, durch sichere historische Zeugnisse wohl bewährte Erscheinung darf ebenfalls nicht mit der Niveau-Veränderung des Bodens bei Erdbeben (wie an den Küsten von Chili und Cutsch) verwechselt werden. Sie hat ganz neuerlich zu ähnlichen Beobachtungen in anderen Ländern Veranlassung gegeben. Dem Aufsteigen entspricht bisweilen als Folge der Faltung der Erdschichten ein 314 bemerkbares Sinken: so in West-Grönland (nach Pingel und Graah), in Dalmatien und in Schonen.
Wenn man es für überaus wahrscheinlich hält, daß im Jugendalter unseres Planeten die oscillirenden Bewegungen des Bodens, die Hebung und Senkung der Oberfläche intensiver als jetzt waren: so darf man weniger erstaunt sein im Inneren der Continente selbst noch einzelne Theile der Erdoberfläche zu finden, welche tiefer als der dermalige, überall gleiche Meeresspiegel liegen. Beispiele dieser Art bieten dar die vom General Andréossy beschriebenen Natron-Seen, die kleinen bitteren Seen auf der Landenge von Suez, das caspische Meer, der See Tiberias und vor allem das todte MeerHumboldt, Asie centrale T. II. p. 319–324 und T. III. p. 549–551. Die Depression des todten Meeres ist nach und nach ergründet worden durch die barometrischen Messungen von Graf Bertou, durch die weit sorgfältigeren von Rußegger, und durch die trigonometrische Messung des englischen Schiffs-Lieutenants Symond. Die letzte gab, nach einem Briefe, den Herr Alderson an die geographische Gesellschaft zu London richtete und den mir mein Freund, der Capitän Washington, mitgetheilt, – 1506 Fuß für den Unterschied des Wasserspiegels des todten Meeres und des höchsten Hauses in Jaffa. Herr Alderson glaubte damals (28 Nov. 1841), das todte Meer liege ohngefähr 1314 Fuß unter dem Niveau des mittelländischen Meeres. In einer neueren Mittheilung des Lieutenants Symond (Jameson's Edinb. new Philos. Journal Vol. XXXIV. 1843 p. 178) wird als Endresultat zweier sehr mit einander übereinstimmender trigonometrischen Operationen die Zahl 1231 Fuß (immer Pariser Maaß) angegeben.. Das Niveau der Wasser in den beiden letzten Seen ist 625 und 1230 Fuß niedriger als der Wasserspiegel des mittelländischen Meeres. Wenn man das Schuttland, welches die Steinschichten in so vielen ebenen Gegenden der Erde bedeckt, plötzlich wegnehmen könnte, so würde sich offenbaren, wie viele Theile der felsigen Erdoberfläche auch dermalen tiefer liegen als der jetzige Meeresspiegel. Das periodische, wenn gleich unregelmäßig wechselnde Steigen und Fallen der Wasser des caspischen Meeres, wovon ich selbst in dem nördlichen Theile dieses Beckens deutliche Spuren gesehen, scheint zu beweisenSur la Mobilité du fond de la Mer Caspienne in meiner Asie centr. T. II. p. 283–294. Auf meine Aufforderung hat die kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg 1830 bei Baku auf der Halbinsel Abscheron durch den gelehrten Physiker Lenz feste Marken (Zeichen, den mittleren Wasserstand zu einer bestimmten Epoche angebend) an verschiedenen Punkten eingraben lassen. Auch habe ich 1839 in einem der Nachträge zu der Instruction, welche dem Capitän Roß für die antarctische Expedition ertheilt ward, darauf gedrungen, daß überall an Felsen in der südlichen Hemisphäre, wo sich dazu Gelegenheit fände, Marken, wie in Schweden und am caspischen Meere, eingegraben werden möchten. Wäre dies schon auf den ältesten Reisen von Bougainville und Cook geschehen, so würden wir jetzt wissen: ob die seculare relative Höhenveränderung von Meer und Land ein allgemeines oder nur ein örtliches Naturphänomen sei; ob ein Gesetz der Richtung in den Punkten erkannt werden kann, die gleichzeitig steigen oder sinken., wie die Beobachtungen von Darwin in den Corallen-MeerenUeber das Sinken und Steigen des Bodens der Südsee und die verschiedenen areas of alternate movements s. Darwin's Journal p. 557 und 561–566.: daß, ohne eigentliches Erbeben, der Erdboden noch jetzt derselben sanften und fortschreitenden Oscillationen fähig ist, welche in der Urzeit, als die Dicke der schon erhärteten Erdrinde geringer war, sehr allgemein gewesen sind.
Die Erscheinungen, auf welche wir hier die Aufmerksamkeit heften, mahnen an die Unbeständigkeit der 315 gegenwärtigen Ordnung der Dinge; an die Veränderungen, denen nach langen Zeit-Intervallen der Umriß und die Gestaltung der Continente sehr wahrscheinlich unterworfen sind. Was für die nächsten Menschenalter kaum bemerkbar ist, häuft sich in Perioden an, von deren Länge uns die Bewegung ferner Himmelskörper das Maaß giebt. Seit 8000 Jahren ist vielleicht das östliche Ufer der scandinavischen Halbinsel um 320 Fuß gestiegen; in 12000 Jahren werden, wenn die Bewegung gleichmäßig ist, Theile des Meerbodens, welche dem Ufer der Halbinsel nahe liegen und heute noch mit einer Wasserschicht von beinahe 50 Brassen Dicke bedeckt sind, an die Oberfläche kommen und anfangen trocken zu liegen. Was ist aber die Kürze dieser Zeiten gegen die Länge der geognostischen Perioden, welche die Schichtenfolge der Formationen und die Schaaren untergegangener, ganz verschiedenartiger Organismen uns offenbaren! Wie wir hier nur das Phänomen der Hebung betrachten, so können wir, auf die Analogien beobachteter Thatsachen gestützt, in gleichem Maaße auch die Möglichkeit des Sinkens, der Depression ganzer Landstriche annehmen. Die mittlere Höhe des nicht gebirgigen Theils von Frankreich beträgt noch nicht volle 480 Fuß. Mit älteren geognostischen Perioden verglichen, in denen größere Veränderungen im Innern des Erdkörpers vorgingen, gehört also eben nicht eine sehr lange Zeit dazu, um sich beträchtliche Theile vom nordwestlichen Europa bleibend überschwemmt, in ihren Littoral-Umrissen wesentlich anders gestaltet zu denken, als sie es dermalen sind.
Sinken und Steigen des Festen oder des Flüssigen – in ihrem einseitigen Wirken so entgegengesetzt, daß das 316 Steigen des einen das scheinbare Sinken des andern hervorruft – sind die Ursach aller Gestalt-Veränderungen der Continente. In einem allgemeinen Naturgemälde, bei einer freien, nicht einseitigen Begründung der Erscheinungen in der Natur muß daher wenigstens auch der Möglichkeit einer Wasser-Verminderung, eines wirklichen Sinkens des Meeresspiegels Erwähnung geschehen. Daß bei der ehemaligen erhöhten Temperatur der Erdoberfläche, bei der größeren, wasserverschluckenden Zerklüftung derselben, bei einer ganz anderen Beschaffenheit der Atmosphäre einst große Veränderungen im Niveau der Meere statt gefunden haben, welche von der Zu- oder Abnahme des Tropfbar-Flüssigen auf der Erde abhingen: ist wohl keinem Zweifel unterworfen. In dem dermaligen Zustande unsres Planeten fehlt es aber bisher gänzlich an directen Beweisen für eine reelle, fortdauernde Ab- oder Zunahme des Meeres; es fehlt auch an Beweisen für allmälige Veränderungen der mittleren Barometerhöhe im Niveau der Meere an denselben Beobachtungspunkten. Nach Daussy's und Antonio Nobile's Erfahrungen würde Vermehrung der Barometerhöhe ohnedies von selbst eine Erniedrigung des Wasserspiegels hervorbringen. Da aber der mittlere Druck der Atmosphäre im Niveau des Oceans aus meteorologischen Ursachen der Windesrichtung und Feuchtigkeit nicht unter allen Breiten derselbe ist, so würde das Barometer allein nicht einen sicheren Zeugen der Niveau-Veränderung des Tropfbar-Flüssigen abgeben. Die denkwürdigen Erfahrungen, nach denen im Anfange dieses Jahrhunderts wiederholt einige Häfen des Mittelmeeres viele Stunden lang ganz trocken lagen, scheinen zu beweisen, daß in ihrer Richtung und Stärke 317 veränderte Meeresströmungen, ohne wirkliche Wasser-Vermindrung, ohne eine allgemeine Depression des ganzen Oceans, ein örtliches Zurücktreten des Meeres und ein permanentes Trockenlegen von einem kleinen Theile des Littorals veranlassen können. Bei den Kenntnissen, die wir neuerlichst von diesen verwickelten Erscheinungen erlangt haben, muß man sehr vorsichtig in ihrer Deutung sein: da leicht einem der »alten Elemente«, dem Wasser, zugeschrieben wird, was zwei anderen, der Erde oder der Luft, angehört.
Wie die Gestaltung der Continente, die wir bisher in ihrer horizontalen Ausdehnung geschildert haben, durch äußere Gliederung, d. i. vielfach eingeschnittene Küsten-Umrisse, einen wohlthätigen Einfluß auf das Klima, den Handel und die Fortschritte der Cultur ausübt; so giebt es auch eine Art der inneren Gliederung durch senkrechte Erhebung des Bodens (Bergzüge und Hochebenen), welche nicht minder wichtige Folgen hat. Alles, was auf der Oberfläche des Planeten, dem Wohnsitze des Menschengeschlechts, Abwechselung der Formen und Vielgestaltung (Polymorphie) erzeugt (neben den Bergketten große Seen, Grassteppen, selbst Wüsten, von Waldgegenden küstenartig umgeben): prägt dem Völkerleben einen eigenthümlichen Charakter ein. Schneebedeckte Hochmassen hindern den Verkehr; aber ein Gemisch von niedrigeren abgesonderten GebirgsgliedernHumboldt, Rel. hist. T. III. p. 232–234. Vergl. auch die scharfsinnigen Bemerkungen über Erdgestaltung und Lage der Höhenzüge in Albrechts von Roon Grundzügen der Erd-, Völker- und Staatenkunde Abth. I. 1837 S. 158, 270 und 276. und Tiefländern, wie so glücklich sie das westliche und südliche Europa darbietet, vervielfältigt die meteorologischen Processe, wie die Producte des Pflanzenreichs; es erzeugt auch, weil dann jedem Erdstrich, selbst unter denselben Breitengraden, andre Culturen angehören, Bedürfnisse, deren Befriedigung die Thätigkeit 318 der Einwohner anregt. So haben die furchtbaren Umwälzungen, welche in Folge einer Wirkung des Inneren gegen das Aeußere durch plötzliches Aufrichten eines Theils der oxydirten Erdrinde das Emporsteigen mächtiger Gebirgsketten veranlaßten, dazu gedient, nach Wiederherstellung der Ruhe, nach dem Wieder-Erwachen schlummernder Organismen den Festen beider Erdhälften einen schönen Reichthum individueller Bildungen zu verleihen; ihnen wenigstens dem größeren Theile nach die öde Einförmigkeit zu nehmen, welche verarmend auf die physischen und intellectuellen Kräfte der Menschheit einwirkt.
Jedem SystemeLeop. von Buch über die geognostischen Systeme von Deutschland in seinen geogn. Briefen an Alexander von Humboldt 1824 S. 265–271; Élie de Beaumont, recherches sur les Révolutions de la Surface du Globe 1829 p. 297–307. dieser Bergketten ist nach den großartigen Ansichten von Élie de Beaumont ein relatives Alter angewiesen: so daß das Aufsteigen der Bergkette nothwendig zwischen die Ablagerungszeiten der aufgerichteten und der bis zum Fuß der Berge sich horizontal erstreckenden Schichten fallen muß. Die Faltungen der Erdrinde (Aufrichtungen der Schichten), welche von gleichem geognostischen Alter sind, scheinen sich dazu einer und derselben Richtung anzuschließen. Die Streichungslinie der aufgerichteten Schichten ist nicht immer der Achse der Ketten parallel, sondern durchschneidet bisweilen dieselbe: so daß dann, meiner Ansicht nachHumboldt, Asie centrale T. I. p. 277–283. Siehe auch mein Essai sur le Gisement des Roches 1822 p. 57 und Relat. hist. T. III. p. 244–250., das Phänomen der Aufrichtung der Schichten, die man selbst in der angrenzenden Ebene wiederholt findet, älter sein muß als die Hebung der Kette. Die Hauptrichtung des ganzen Festlandes von Europa (Südwest gen Nordost) ist den großen Erdspalten entgegengesetzt, welche sich (Nordwest gen Südost) von den Mündungen des Rheins und der Elbe durch das adriatische und rothe Meer, wie durch das Bergsystem des Puschti-Koh in Luristan nach 319 dem persischen Meerbusen und dem indischen Ocean hinziehen. Ein solches fast rechtwinkliges Durchkreuzen geodäsischer Linien hat einen mächtigen Einfluß ausgeübt auf die Handelsverhältnisse von Europa mit Asien und dem nordwestlichen Afrika, wie auf den Gang der Civilisation an den vormals glücklicheren Ufern des Mittelmeers.Asie centrale T. I. p. 284–286. Das adriatische Meer folgt auch der Richtung SO–NW.
Wenn mächtige und hohe Gebirgsketten als Zeugen großer Erdrevolutionen, als Grenzscheiden der Klimate, als Wasser-Vertheiler oder als Träger einer anderen Pflanzenwelt unsere Einbildungskraft beschäftigen; so ist es um so nothwendiger, durch eine richtige numerische Schätzung ihres Volums zu zeigen, wie gering im ganzen die Quantität der gehobenen Massen im Vergleich mit dem Areal ganzer Länder ist. Die Masse der Pyrenäen z. B.: einer Kette, von der die mittlere Höhe des Rückens und der Flächeninhalt der Basis, welche sie bedeckt, durch genaue Messungen bekannt sind; würde, auf das Areal von Frankreich gestreut, letzteres Land nur um 108 Fuß erhöhen. Die Masse der östlichen und westlichen Alpenkette würde in ähnlichem Sinne die Höhe des Flachlandes von Europa nur um 20 Fuß vermehren. Durch eine mühevolle ArbeitDe la hauteur moyenne des continents in der Asie centrale T. I. p. 82–90 und 165–189. Die Resultate, welche ich erhalten, sind als Grenz-Zahlen (nombres-limites) zu betrachten. Laplace hat die mittlere Höhe der Continente zu 3078 Fuß, also wenigstens um das Dreifache zu hoch, angeschlagen. Der unsterbliche Geometer (Mécanique céleste T. V. p. 14) ward zu dieser Annahme durch Hypothesen über die mittlere Tiefe des Meeres veranlaßt. Ich habe gezeigt (Asie centr. T. I. p. 93), wie schon die Alexandrinischen Mathematiker nach dem Zeugniß des Plutarchus (in Aemilio Paulo cap. 15) diese Meerestiefe durch die Höhe der Berge bedingt glaubten. Die Höhe des Schwerpunkts des Volums der Continental-Massen ist in dem Lauf der Jahrtausende wahrscheinlich kleinen Veränderungen unterworfen., die aber ihrer Natur nach nur eine obere Grenze: d. i. eine Zahl giebt, welche wohl kleiner, aber nicht größer sein kann, habe ich gefunden, daß der Schwerpunkt des Volums der über dem jetzigen Meeresspiegel gehobenen Länder in Europa und Nordamerika 630 und 702, in Asien und Südamerika 1062 und 1080 Fuß hoch liegt. Diese Schätzungen bezeichnen die Niedrigkeit der nördlichen Regionen; die großen Steppen des Flachlandes von Sibirien werden durch die ungeheure Anschwellung des asiatischen 320 Bodens zwischen den Breitengraden von 28°½ bis 40°: zwischen dem Himalaya, dem nord-tübetischen Kuen-lün und dem Himmelsgebirge, compensirt. Man liest gewissermaßen in den gefundenen Zahlen, wo die plutonischen Mächte des inneren Erdkörpers am stärksten in der Hebung der Continental-Massen gewirkt haben.
Nichts kann uns Sicherheit geben, daß jene plutonischen Mächte im Lauf kommender Jahrhunderte den von Élie de Beaumont bisher aufgezählten Bergsystemen verschiedenen Alters und verschiedener Richtung nicht neue hinzufügen werden. Warum sollte die Erdrinde schon die Eigenschaft sich zu falten verloren haben? Die fast zuletzt hervorgetretenen Gebirgssysteme der Alpen und der Andeskette haben im Montblanc und Monte Rosa, im Sorata, Illimani und Chimborazo Colosse gehoben, welche eben nicht auf eine Abnahme in der Intensität der unterirdischen Kräfte schließen lassen. Alle geognostische Phänomene deuten auf periodische Wechsel von Thätigkeit und Ruhe.Zweiter geologischer Brief von Élie de Beaumont an Alexander von Humboldt in Poggendorff's Annalen Bd. XXV. S. 1–58. Die Ruhe, die wir genießen, ist nur eine scheinbare. Das Erdbeben, welches die Oberfläche unter allen Himmelsstrichen, in jeglicher Art des Gesteins erschüttert: das aufsteigende Schweden, die Entstehung neuer Ausbruchs-Inseln zeugen eben nicht für ein stilles Erdenleben.
Die beiden Umhüllungen der starren Oberfläche unsres Planeten, die tropfbar-flüssige und die luftförmige, bieten, neben den Contrasten, welche aus der großen Verschiedenheit ihres Aggregat- und Elasticitäts-Zustandes entstehen, auch, wegen der Verschiebbarkeit der Theile, durch ihre Strömungen und ihre Temperatur-Verhältnisse mannigfaltige Analogien dar. Die Tiefe des Oceans und des 321 Luftmeeres sind uns beide unbekannt. Im Ocean hat man an einigen Punkten, unter den Tropen, in einer Tiefe von 25300 Fuß (mehr als einer geographischen Meile) noch keinen Grund gefunden; im letzteren, falls es, wie Wollaston will, begrenzt und also wellenschlagend ist, läßt das Phänomen der Dämmerung auf eine wenigstens neunmal größere Tiefe schließen. Das Luftmeer ruht theils auf der festen Erde: deren Bergketten und Hochebenen, wie wir schon oben bemerkt, als grüne, waldbewachsene Untiefen aufsteigen; theils auf dem Ocean: dessen Oberfläche den beweglichen Boden bildet, auf dem die unteren dichteren, wassergetränkten Luftschichten gelagert sind.
Von der Grenze beider, des Luftmeeres und des Oceans, an aufwärts und abwärts sind Luft- und Wasserschichten bestimmten Gesetzen der Wärme-Abnahme unterworfen. In dem Luftmeer ist diese Wärme-Abnahme um vieles langsamer als im Ocean. Das Meer hat unter allen Zonen eine Tendenz die Wärme seiner Oberfläche in den der Luft nächsten Wasserschichten zu bewahren, da die erkalteten Theile als die schwereren hinabsteigen. Eine große Reihe sorgfältiger Temperatur-Beobachtungen lehrt, daß in dem gewöhnlichen und mittleren Zustande seiner Oberfläche der Ocean, vom Aequator an bis 48° nördlicher und südlicher Breite, etwas wärmer ist als die zunächst liegenden Luftschichten.Humboldt, Relation hist. T. III. chap. XXIX p. 514–530. Wegen der mit der Tiefe abnehmenden Temperatur können Fische und andere Bewohner des Meeres, die vielleicht wegen der Natur ihrer Kiemen und Haut-Respiration tiefe Wasser lieben, selbst unter den Wendekreisen nach Willkühr die niedrige Temperatur, das kühle Klima finden, welche ihnen in höheren Breiten unter der gemäßigten und kalten 322 Zone vorzugsweise zusagten. Dieser Umstand, analog der milden, ja selbst kalten Alpenluft auf den Hochebenen der heißen Zone, übt einen wesentlichen Einfluß aus auf die Migration und die geographische Verbreitung vieler Seethiere. Die Tiefe, in der die Fische leben, modificirt durch vermehrten Druck gleichmäßig ihre Haut-Respiration und den Sauer- und Stickstoff-Gehalt der Schwimmblase.
Da süßes und salziges Wasser nicht bei derselben Temperatur das Maximum ihrer Dichtigkeit erreichen und der Salzgehalt des Meeres den Thermometergrad der größten Dichtigkeit herabzieht, so hat man auf den Reisen von Kotzebue und Dupetit-Thouars aus den pelagischen Abgründen Wasser schöpfen können, welche die niedrige Temperatur von 2°,8 und 2°,5 hatten. Diese eisige Temperatur des Meerwassers herrscht auch in der Tiefe der Tropenmeere: und ihre Existenz hat zuerst auf die Kenntniß der unteren Polarströme geleitet, die von den beiden Polen gegen den Aequator hin gerichtet sind. Ohne diese unterseeische Zuströmung würden die Tropenmeere in jenen Abgründen nur diejenige Temperatur haben können, welche dem Maximum der Kälte gleich ist, die örtlich die herabsinkenden Wassertheilchen an der wärmestrahlenden und durch Luft-Contact erkälteten Oberfläche im Tropenklima erlangen. In dem mittelländischen Meere wird, wie Arago scharfsinnig bemerkt, die große Erkältung der unteren Wasserschichten bloß darum nicht gefunden, weil das Eindringen des tiefen Polarstromes in die Straße von Gibraltar, wo an der Oberfläche das atlantische Meer von Westen gen Osten einströmt, durch eine ostwestliche untere 323 Gegenströmung des mittelländischen Meeres in den atlantischen Ocean gehindert wird.
Die, im allgemeinen die Klimate ausgleichende und mildernde tropfbar-flüssige Umhüllung unsers Planeten zeigt da, wo sie nicht von pelagischen Strömen kalter und warmer Wasser durchfurcht wird, fern von den Küsten in der Tropenzone, besonders zwischen 10° nördlicher und 10° südlicher Breite: in Strecken, die Tausende von Quadratmeilen einnehmen, eine bewundernswürdige Gleichheit und Beständigkeit der Temperatur.Siehe die Reihe meiner Beobachtungen in der Südsee von 0° 5' bis 13° 16' nördlicher Breite in Asie centr. T. III. p. 354. Man hat daher mit Recht gesagt»On pourra (par la température de l'Océan sous les tropiques) attaquer avec succès une question capitale restée jusqu'ici indécise, la question de la constance des températures terrestres, sans avoir à s'inquiéter des influences locales naturellement fort circonscrites, provenant du déboisement des plaines et des montagnes, du dessèchement des lacs et des marais. Chaque siècle, en léguant aux siècles futurs quelques chiffres bien faciles à obtenir, leur donnera le moyen peut-être le plus simple, le plus exact et le plus direct de décider si le soleil, aujourd'hui source première, à peu près exclusive de la chaleur de notre globe, change de constitution physique et d'éclat, comme la plupart des étoiles: ou si au contraire cet astre est arrivé à un état permanent.« Arago in den Comptes rendus des séances de l'Acad. des Sciences T. XI. 1840 p. 309., daß eine genaue und lange fortgesetzte Ergründung dieser thermischen Verhältnisse der Tropenmeere uns auf die einfachste Weise über das große, vielfach bestrittene Problem der Constanz der Klimate und der Erdwärme unterrichten könne. Große Revolutionen auf der leuchtenden Sonnenscheibe würden sich demnach, wenn sie von langer Dauer wären, gleichsam in der veränderten mittleren Meereswärme, sicherer noch als in den mittleren Temperaturen der Feste, reflectiren. Die Zonen, in welchen die Maxima der Dichte (des Salzgehalts) und der Temperatur liegen, fallen nicht mit dem Aequator zusammen. Beide Maxima sind von einander getrennt, und die wärmsten Wasser scheinen zwei nicht ganz parallele Banden nördlich und südlich vom geographischen Aequator zu bilden. Das Maximum des Salzgehalts fand Lenz, auf seiner Reise um die Erde, im stillen Meere in 22° nördlicher und 17° südlicher Breite. Wenige Grade südlich von der Linie lag sogar die Zone des geringsten Salzgehaltes. In den Regionen der Windstille kann die Sonnenwärme wenig die Verdunstung befördern, weil eine mit Salzdunst geschwängerte 324 Luftschicht dort unbewegt und unerneuert auf der Oberfläche des Meeres ruht.
Die Oberfläche aller mit einander zusammenhangenden Meere muß im allgemeinen hinsichtlich ihrer mittleren Höhe als vollkommen in Niveau stehend betrachtet werden. Oertliche Ursachen (wahrscheinlich herrschende Winde und Strömungen) haben aber in einzelnen tief-eingeschnittenen Busen, z. B. im rothen Meere, permanente, wenn gleich geringe Verschiedenheiten des Niveau's hervorgebracht. An der Landenge von Suez beträgt der höhere Stand der Wasser über denen des Mittelmeers zu verschiedener Tagesstunde 24 und 30 Fuß. Die Form des Canals (Bab-el-Mandeb), durch welchen die indischen Wasser leichter ein- als ausströmen können, scheint zu dieser merkwürdigen permanenten, schon im Alterthum bekannten Erhöhung der Oberfläche des rothen Meeres mit beizutragen.Humboldt, Asie centr. T. II. p. 321 u. 327. Die vortrefflichen geodätischen Operationen von Coraboeuf und Delcros zeigen längs der Kette der Pyrenäen wie zwischen den Küsten von Nord-Holland und Marseille keine bemerkbare Verschiedenheit der Gleichgewichts-Oberfläche des Oceans und des Mittelmeers.S. die numerischen Resultate a. a. O. T. II. p. 328–333. Durch das geodätische Nivellement, welches auf meine Bitte mein vieljähriger Freund, der General Bolivar, durch Lloyd und Falmarc hat in den Jahren 1828 und 1829 ausführen lassen, ist erwiesen, daß die Südsee höchstens 32/5 Fuß höher als das antillische Meer liegt; so daß zu verschiedenen Stunden der relativen Ebbe- und Flutzeit bald das eine, bald das andere Meer das niedere ist. Wenn man bedenkt, daß in einer Länge von 16 Meilen und bei 933 Einstellungen des gebrauchten Niveau's in eben so vielen Stationen man sich leicht um eine halbe Toise habe irren können, so findet man hier einen neuen Beweis des Gleichgewichts der um das Cap Horn strömenden Wasser (Arago im Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1831 p. 319). Ich hatte durch Barometer-Messungen, die ich in den Jahren 1799 und 1804 anstellte, schon zu erkennen geglaubt, daß, wenn ein Unterschied zwischen dem Niveau der Südsee und des antillischen Meeres vorhanden wäre, derselbe nicht über 3 Meter (9 Fuß 3 Zoll) betragen könne. S. meine Relat. hist. T. III. p. 555–557 und Annales de Chimie T. I. p. 55–64. Die Messungen, welche den hohen Stand der Wasser im Golf von Mexico und in dem nördlichsten Theile des adriatischen Meeres durch Verbindung der trigonometrischen Operationen von Delcros und Choppin mit denen der schweizerischen und östreichischen Ingenieure beweisen sollen, sind vielem Zweifel unterworfen. Es ist trotz der Form des adriatischen Meeres unwahrscheinlich, daß der Wasserspiegel in seinem nördlichsten Theile fast 26 Fuß höher als der Wasserspiegel des Mittelmeers bei Marseille und 23,4 höher als der atlantische Ocean sei. S. meine Asie centr. T. II. p. 332.
Störungen des Gleichgewichts und die dadurch erregte Bewegung der Wasser sind: theils unregelmäßig und vorübergehend vom Winde abhängig, und Wellen erzeugend, die fern von den Küsten im offenen Meere, im Sturm, über 35 Fuß Höhe ansteigen; theils regelmäßig und periodisch durch die Stellung und Anziehung der Sonne und des Monds bewirkt (Ebbe und Fluth); theils permanent, doch in ungleicher Stärke, als pelagische Strömung. Die Erscheinungen der Ebbe und Fluth, über alle Meere verbreitet (außer den 325 kleinen und sehr eingeschlossenen, wo die Fluthwelle kaum oder gar nicht merklich wird), sind durch die Newton'sche Naturlehre vollständig erklärt, d. h. »in den Kreis des Nothwendigen zurückgeführt«. Jede dieser periodisch wiederkehrenden Schwankungen des Meerwassers ist etwas länger als ein halber Tag. Wenn sie im offenen Weltmeer kaum die Höhe von einigen Fußen betragen, so steigen sie als Folge der Configuration der Küsten, die sich der kommenden Fluthwelle entgegensetzen, in St. Malo zu 50, in Acadien zu 65 bis 70 Fuß. »Unter der Voraussetzung, daß die Tiefe des Meeres vergleichungsweise mit dem Halbmesser der Erde nicht bedeutend sei: hat die Analyse des großen Geometers Laplace bewiesen, wie die Stetigkeit des Gleichgewichts des Meeres fordere, daß die Dichte seiner Flüssigkeit kleiner sei als die mittlere Dichte der Erde. In der That ist die letztere, wie wir oben gesehen, fünfmal so groß als die des Wassers. Das hohe Land kann also nie überfluthet werden, und die auf den Gebirgen gefundenen Ueberreste von Seethieren können keinesweges durch ehemals höhere Fluthen (durch die Stellung der Sonne und des Mondes veranlaßt) in diese Lage gekommen sein.«Bessel über Fluth und Ebbe in Schumacher's Jahrbuch für 1838 S. 225. Es ist kein geringes Verdienst der Analyse, die in den unwissenschaftlichen Kreisen des sogenannten bürgerlichen Lebens vornehm verschmäht wird, daß Laplace's vollendete Theorie der Ebbe und Fluth es möglich gemacht hat in unseren astronomischen Ephemeriden die Höhe der bei jedem Neu- und Vollmonde zu erwartenden Springfluthen vorherzuverkündigen und so die Küstenbewohner auf die eintretende, besonders bei der Mondnähe noch vermehrte Gefahr aufmerksam zu machen.
326 Oceanische Strömungen, welche einen so wichtigen Einfluß auf den Verkehr der Nationen und auf die klimatischen Verhältnisse der Küsten ausüben, sind fast gleichzeitig von einer Menge sehr verschiedenartiger, theils großer, theils scheinbar kleiner Ursachen abhängig. Dahin gehören: die um die Erde fortschreitende Erscheinungszeit der Ebbe und Fluth, die Dauer und Stärke der herrschenden Winde, die durch Wärme und Salzgehalt unter verschiedenen Breiten und Tiefen modificirte Dichte und specifische Schwere der WassertheilchenDie relative Dichte der Wassertheilchen hängt (was nicht sorgfältig genug in den Untersuchungen über die Ursach der Strömungen unterschieden wird) gleichzeitig von der Temperatur und der Stärke des Salzgehalts ab. Der unterseeische Strom, welcher die kalten Polarwasser den Aequatorial-Gegenden zuführt, würde einer ganz entgegengesetzten Richtung vom Aequator gegen die Pole folgen, wenn die Verschiedenheit des Salzgehalts allein wirkte. In dieser Hinsicht ist die geographische Vertheilung der Temperatur und der Dichte der Wassertheilchen unter den verschiedenen Breiten- und Längenzonen des Weltmeers von großer Wichtigkeit. Die zahlreichen Beobachtungen von Lenz (Poggendorff's Annalen Bd. XX. 1830 S. 129) und die auf Capitän Beechey's Reise gesammelten (Voyage to the Pacific Vol. II. p. 727) verdienen eine besondere Beachtung. Vergl. auch Humboldt, Relat. hist. T. I. p. 74 und Asie centrale T. II. p. 356., die von Osten nach Westen successiv eintretenden und unter den Tropen so regelmäßigen, stündlichen Variationen des Luftdruckes. Die Strömungen bieten das merkwürdige Schauspiel dar, daß sie von bestimmter Breite in verschiedenen Richtungen das Meer flußartig durchkreuzen, während daß nahe Wasserschichten unbewegt gleichsam das Ufer bilden. Dieser Unterschied der bewegten und ruhenden Theile ist am auffallendsten, wo lange Schichten von fortgeführtem Seetang die Schätzung der Geschwindigkeit der Strömung erleichtern. In den unteren Schichten der Atmosphäre bemerkt man bei Stürmen bisweilen ähnliche Erscheinungen der begrenzten Luftströmung. Mitten im dichten Walde werden die Bäume nur in einem schmalen Längenstreifen umgeworfen.
Die allgemeine Bewegung der Meere zwischen den Wendekreisen von Osten nach Westen (Aequatorial- oder Rotations-Strom genannt) wird als eine Folge der fortschreitenden Fluthzeit und der Passatwinde betrachtet. Sie verändert ihre Richtung durch den Widerstand, welchen sie an den vorliegenden östlichen Küsten der Continente findet. Das neue Resultat, welches Daussy aus der 327 Bewegung aufgefangener, von Reisenden absichtlich ausgeworfener Flaschen geschöpft hat, stimmt bis auf 1/18 mit der Schnelligkeit der Bewegung überein (10 französische milles marins, jedes zu 952 Toisen, alle 24 Stunden), welche ich nach der Vergleichung früherer Erfahrungen gefundenHumboldt, Relat. hist. T. I. p. 64; nouvelles Annales des Voyages 1839 p. 255. hatte. Schon in dem Schiffsjournal seiner dritten Reise (der ersten, in welcher er gleich im Meridian der canarischen Inseln in die Tropengegend zu gelangen suchte) sagt Christoph ColumbusHumboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. III. p. 100. Columbus setzt bald hinzu (Navarrete, coleccion de los Viages y Descubrimientos de los Españoles T. I. p. 260), daß »in dem antillischen Meere die Bewegung am stärksten ist«. In der That nennt jene Region Rennell (investigation of Currents p. 23) »not a current, but a sea in motion«.: »ich halte es für ausgemacht, daß die Meereswasser sich von Osten gen Westen bewegen, wie der Himmel (las aguas van con los cielos)«; d. i. wie die scheinbare Bewegung von Sonne, Mond und allen Gestirnen.
Die schmalen Ströme, wahre oceanische Flüsse, welche die Weltmeere durchstreifen, führen warme Wasser in höhere, oder kalte Wasser in niedere Breiten. Zu der ersten Classe gehört der berühmte, von AnghieraPetrus Martyr de Angleria de rebus Oceanicis et Orbe Novo, Bas. 1523, Dec. III lib. VI p. 57. Vergl. Humboldt, Examen critique T. II. p. 254–257 und T. III. p. 108. und besonders von Sir Humfrey Gilbert bereits im sechzehnten Jahrhundert erkannte atlantische GolfstromHumboldt, Examen crit. T. II. p. 250, Relat. hist. T. I. p. 66-74.: dessen erster Anfang und Impuls südlich vom Vorgebirge der guten Hoffnung zu suchen ist, und der in seinem großen Kreislaufe aus dem Meer der Antillen und dem mexicanischen Meerbusen durch die Bahama-Straße ausmündet; von Süd-Süd-West gen Nord-Nord-Ost gerichtet, sich immer mehr und mehr von dem Littoral der Vereinigten Staaten entfernt und, bei der Bank von Neufundland ostwärts abgelenkt, häufig tropische Saamen (Mimosa scandens, Guilandina bonduc, Dolichos urens) an die Küsten von Irland, von den Hebriden und von Norwegen wirft. Seine nordöstlichste Verlängerung trägt wohlthätig zu der minderen Kälte des 328 Seewassers und des Klima's an dem nördlichsten Cap von Scandinavien bei. Wo der warme Golfstrom sich von der Bank von Neufundland gegen Osten wendet, sendet erHumboldt, Examen crit. T. III. p. 64–109. unweit der Azoren einen Arm gegen Süden. Dort liegt das Sargasso-Meer: die große Fucus-Bank, welche so lebhaft die Einbildungskraft von Christoph Columbus beschäftigte und welche Oviedo die Tang-Wiesen (Praderias de yerva) nennt. Eine Unzahl kleiner Seethiere bewohnen diese ewig grünenden, von lauen Lüften hin und her bewegten Massen von Fucus natans, einer der verbreitetsten unter den geselligen Pflanzen des Meeres.
Das Gegenstück zu diesem, fast ganz der nördlichen Hemisphäre zugehörigen Strom im atlantischen Meeresthale zwischen Afrika, Amerika und Europa bildet eine Strömung in der Südsee, deren niedrige, auch auf das Klima des Littorals bemerkbar einwirkende Temperatur ich im Herbst 1802 zuerst aufgefunden habe. Sie bringt die kalten Wasser der hohen südlichen Breiten an die Küsten von Chili, folgt den Küsten dieses Landes und denen von Peru erst von Süden gegen Norden, dann (von der Bucht bei Arica an) von Süd-Süd-Ost gegen Nord-Nord-West. Mitten in der Tropengegend hat dieser kalte oceanische Strom zu gewissen Jahreszeiten nur 15°,6 (12°½ R.), während daß die ruhenden Wasser außerhalb des Stromes eine Temperatur von 27°,5 und 28°,7 (22–23° R.) zeigen. Wo das Littoral von Südamerika, südlich von Payta, am meisten gegen Westen vorspringt, beugt der Strom sich plötzlich in derselben Richtung von dem Lande ab, von Osten gegen Westen gewandt: so daß man, weiter nach Norden schiffend, von dem kalten Wasser plötzlich in das warme gelangt.
329 Man weiß nicht, wie weit die oceanischen Ströme, warme und kalte, gegen den Meeresboden hin ihre Bewegung fortpflanzen. Die Ablenkung der südafrikanischen Strömung durch die, volle 70–80 Brassen tiefe Lagullas-Bank scheint eine solche Fortpflanzung zu erweisen. Sandbänke und Untiefen, außerhalb der Strömungen gelegen, sind mehrentheils, nach der Entdeckung des edlen Benjamin Franklin, durch die Kälte der Wasser erkennbar, welche auf denselben ruhen. Diese Erniedrigung der Temperatur scheint mir in dem Umstande gegründet, daß durch Fortpflanzung der Bewegung des Meeres tiefe Wasser an den Rändern der Bänke aufsteigen und sich mit den oberen vermischen. Mein verewigter Freund Sir Humphry Davy dagegen schrieb die Erscheinung, von der die Seefahrer oft für die Sicherheit der Schifffahrt praktischen Nutzen ziehen könnten, dem Herabsinken der an der Oberfläche nächtlich erkalteten Wassertheilchen zu. Diese bleiben der Oberfläche näher, weil die Sandbank sie hindert in größere Tiefe herabzusinken. Das Thermometer ist durch Franklin in ein Senkblei umgewandelt. Auf den Untiefen entstehen häufig Nebel, da ihre kälteren Wasser den Dunst aus der Seeluft niederschlagen. Solche Nebel habe ich, im Süden von Jamaica und auch in der Südsee, den Umriß von Bänken scharf und fern erkennbar bezeichnen gesehen. Sie stellen sich dem Auge wie Luftbilder dar, in welchen sich die Gestaltungen des unterseeischen Bodens abspiegeln. Eine noch merkwürdigere Wirkung der wassererkältenden Untiefen ist die, daß sie, fast wie flache Corallen- oder Sandinseln, auch auf die höheren Luftschichten einen bemerkbaren Einfluß ausüben. Fern von allen Küsten, auf dem hohen 330 Meere, bei sehr heiterer Luft: sieht man oft Wolken sich über die Punkte lagern, wo die Untiefen gelegen sind. Man kann dann, wie bei einem hohen Gebirge, bei einem isolirten Pic, ihre Richtung mit dem Compaß aufnehmen.
Aeußerlich minder gestaltenreich als die Oberfläche der Continente, bietet das Weltmeer bei tieferer Ergründung seines Innern vielleicht eine reichere Fülle des organischen Lebens dar, als irgendwo auf dem Erdraume zusammengedrängt ist. Mit Recht bemerkt in dem anmuthigen Journal seiner weiten Seereisen Charles Darwin, daß unsere Wälder nicht so viele Thiere bergen als die niedrige Waldregion des Oceans: wo die am Boden wurzelnden Tang-Gesträuche der Untiefen oder die frei schwimmenden, durch Wellenschlag und Strömung losgerissenen Fucus-Zweige ihr zartes, durch Luftzellen emporgehobenes Laub entfalten. Durch Anwendung des Microscops steigert sich noch mehr, und auf eine bewundernswürdige Weise, der Eindruck der Allbelebtheit des Oceans: das überraschende Bewußtsein, daß überall sich hier Empfindung regt. In Tiefen, welche die Höhe unserer mächtigsten Gebirgsketten übersteigen, ist jede der auf einander gelagerten Wasserschichten mit polygastrischen Seegewürmen, Cyclidien und Ophrydinen belebt. Hier schwärmen, jede Welle in einen Lichtsaum verwandelnd und durch eigene Witterungs-Verhältnisse an die Oberfläche gelockt, die zahllose Schaar kleiner, funkelnd-blitzender Leuchtthiere: Mammarien aus der Ordnung der Acalephen, Crustaceen, Peridinium und kreisende Nereidinen.
Die Fülle dieser kleinen Thiere und des animalischen Stoffes, den ihre schnelle Zerstörung liefert, ist so unermeßlich, daß das ganze Meerwasser für viele größere 331 Seegeschöpfe eine nährende Flüssigkeit wird. Wenn schon der Reichthum an belebten Formen, die Unzahl der verschiedenartigsten microscopischen und doch theilweise sehr ausgebildeten Organismen die Phantasie anmuthig beschäftigt; so wird diese noch auf eine ernstere, ich möchte sagen feierlichere Weise angeregt durch den Anblick des Grenzenlosen und Unermeßlichen, welchen jede Seefahrt darbietet. Wer, zu geistiger Selbstthätigkeit erweckt, sich gern eine eigene Welt im Innern bauet, den erfüllt der Schauplatz des freien, offenen Meeres mit dem erhabenen Bilde des Unendlichen. Sein Auge fesselt vorzugsweise der ferne Horizont: wo unbestimmt wie im Dufte Wasser und Luft an einander grenzen, in den die Gestirne hinabsteigen und aus dem sie sich erneuern vor dem Schiffenden. Zu dem ewigen Spiel dieses Wechsels mischt sich, wie überall bei der menschlichen Freude, ein Hauch wehmüthiger Sehnsucht.
Eigenthümliche Vorliebe für das Meer; dankbare Erinnerung an die Eindrücke, die mir das bewegliche Element, zwischen den Wendekreisen, in friedlicher, nächtlicher Ruhe oder aufgeregt im Kampf der Naturkräfte gelassen: haben allein mich bestimmen können den individuellen Genuß des Anblicks vor dem wohlthätigen Einflusse zu nennen, welchen unbestreitbar der Contact mit dem Weltmeer auf die Ausbildung der Intelligenz und des Charakters vieler Völkerstämme, auf die Vervielfältigung der Bande, die das ganze Menschengeschlecht umschlingen sollen, auf die Möglichkeit zur Kenntniß der Gestaltung des Erdraums zu gelangen, endlich auf die Vervollkommnung der Astronomie und aller mathematischen und physikalischen Wissenschaften ausgeübt hat. Ein Theil dieses Einflusses war anfangs 332 auf das Mittelmeer und die Gestade des südwestlichen Asiens beschränkt; aber von dem sechzehnten Jahrhundert an hat er sich weit verbreitet, und auf Völker erstreckt, die fern vom Meere im Innern der Continente leben. Seitdem ColumbusDie unbekannte Stimme sagte ihm: »maravillosamente Dios hizo sonar tu nombre en la tierra; de los atamientos de la mar Oceana, que estaban cerrados con cadenas tan fuertes, te dió las llaves.« Der Traum des Columbus ist erzählt in dem Briefe an die catholischen Monarchen vom 7 Julius 1503 (Humboldt, Examen critique T. III. p. 234). »den Ocean zu entfesseln gesandt war« (so rief ihm auf seinem Krankenlager, im Traumgesicht am Flusse Belen, eine unbekannte Stimme zu), hat auch der Mensch sich geistig freier in unbekannte Regionen gewagt.
Die zweite, und zwar äußerste und allgemein verbreitete Umhüllung unseres Planeten: das Luftmeer, auf dessen niederem Boden oder Untiefen (Hochebenen und Bergen) wir leben, bietet sechs Classen der Naturerscheinungen dar, welche den innigsten Zusammenhang mit einander zeigen: und aus der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre; aus den Veränderungen der Diaphanität, Polarisation und Färbung; aus denen der Dichtigkeit oder des Druckes, der Temperatur, der Feuchtigkeit und der Electricität entstehen. Enthält die Luft im Sauerstoff das erste Element des physischen Thierlebens, so muß in ihrem Dasein noch eine andere Wohlthat, man möchte sagen höherer Art, bezeichnet werden. Die Luft ist die »Trägerinn des Schalles«: also auch die Trägerinn der Sprache, der Mittheilung der Ideen, der Geselligkeit unter den Völkern. Wäre der Erdball der Atmosphäre beraubt, wie unser Mond, so stellte er sich uns in der Phantasie als eine klanglose Einöde dar.
Das Verhältniß der Stoffe, welche den uns zugänglichen Schichten des Luftkreises angehören, ist seit dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts ein Gegenstand von Untersuchungen gewesen, an denen Gay-Lussac und 333 ich einen thätigen Antheil genommen haben. Erst ganz neuerlich hat durch die vortrefflichen Arbeiten von Dumas und Boussingault auf neuen und sicheren Wegen die chemische Analyse der Atmosphäre einen hohen Grad der Vollkommenheit erreicht. Nach dieser Analyse enthält die trockene Luft im Volum 20,8 Sauerstoff und 79,2 Stickstoff; dazu 2 bis 5 Zehntausendtheile Kohlensäure, eine noch kleinere Quantität von gekohltem WasserstoffBoussingault, recherches sur la composition de l'Atmosphère in den Annales de Chimie et de Physique T. LVII., 1834 p. 171–173; derselbe ebendaselbst T. LXXI. 1839 p. 116. Nach Boussingault und Lewy oscillirte der Kohlensäure-Gehalt des Luftkreises in Audilly, also fern von den Ausdünstungen der Städte, nur zwischen 0,00028 und 0,00031 im Volum., und nach den wichtigen Versuchen von Saussure und Liebig Spuren von Ammoniacal-DämpfenLiebig in seinem wichtigen Werke: die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie 1840 S. 64–72. Ueber Einfluß der Luft-Electricität auf Erzeugung des salpetersauren Ammoniaks, der sich bei Berührung mit Kalk in kohlensauren verwandelt, s. Boussingault, Économie rurale considerée dans ses rapports avec la Chimie et la Météorologie 1844 T. II. p. 247 und 697 (vergl. auch T. I. p. 84)., die den Pflanzen ihre stickstoffhaltige Bestandtheile liefern. Daß der Sauerstoff-Gehalt nach Verschiedenheit der Jahreszeiten oder der örtlichen Lage auf dem Meere und im Inneren eines Continents um eine kleine, aber bemerkbare Menge variire, ist durch einige Beobachtungen von Lewy wahrscheinlich geworden. Man begreift, daß Veränderungen, welche microscopische animalische Organismen in der in dem Wasser aufgelösten Sauerstoff-Menge hervorbringen, Veränderungen in den Luftschichten nach sich ziehen können, die zunächst auf dem Wasser ruhen.Lewy in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XVII. 1843 p. 235–248. In einer Höhe von 8226 Fuß (Faulhorn) war die durch Martins gesammelte Luft nicht sauerstoffärmer als die Luft zu Paris.J. Dumas in den Annales de Chimie 3ème Série T. III. 1841 p. 257.
Die Beimischung des kohlensauren Ammoniaks in der Atmosphäre darf man wahrscheinlich für älter halten als das Dasein der organischen Wesen auf der Oberfläche der Erde. Die Quellen der KohlensäureIn dieser Aufzählung ist des nächtlichen Aushauchens der Kohlensäure durch die Pflanzen, indem sie Sauerstoff einhauchen, nicht gedacht, da diese Vermehrung der Kohlensäure reichlich durch den Respirationsproceß der Pflanzen während des Tages ersetzt wird. Vergl. Boussingault, Écon. rurale T. I. p. 53-68; Liebig, organische Chemie S. 16 und 21. in dem Luftkreise sind überaus mannigfaltig. Wir nennen hier zuerst die Respiration der Thiere, welche den ausgehauchten Kohlenstoff aus der vegetabilischen Nahrung, wie die Vegetabilien aus dem Luftkreise, empfangen; das Innere der Erde in 334 der Gegend ausgebrannter Vulkane und die Thermalquellen; die Zersetzung einer kleinen Beimischung gekohlten Wasserstoffs in der Atmosphäre durch die in der Tropengegend so viel häufigere electrische Entladung der Wolken. Außer den Stoffen, die wir so eben als der Atmosphäre in allen uns zugänglichen Höhen eigenthümlich genannt haben, finden sich noch zufällig, besonders dem Boden nahe, andere ihr beigesellt, welche theilweise als Miasmen und gasförmige Contagien auf die thierische Organisation gefahrbringend wirken. Ihre chemische Natur ist uns bisher nicht durch unmittelbare Zerlegung erwiesen; wir können aber, durch Betrachtung der Verwesungs-Processe, welche perpetuirlich auf der mit Thier- und Pflanzenstoffen bedeckten Oberfläche unseres Planeten vorgehen, wie durch Combinationen und Analogien aus dem Gebiete der Pathologie geleitet, auf das Dasein solcher schädlichen örtlichen Beimischungen schließen. Ammoniacalische und andere stickstoffhaltige Dämpfe, Schwefel-Wasserstoff-Säure, ja Verbindungen, die den vielbasigen (ternären und quaternären) des PflanzenreichsGay-Lussac in den Annales de Chimie T. LIII. p. 120; Payen, mém. sur la composition chimique des Végétaux p. 36 und 42; Liebig, org. Chemie S. 299–345; Boussingault, Écon. rurale T. I. p. 142–153. ähnlich sind: können Miasmen bilden, welche unter mannigfaltiger Gestaltung (keinesweges bloß auf nassem Sumpfboden oder am Meeresstrande, wo er mit faulenden Mollusken oder mit niedrigen Gebüschen von Rhizophora mangle und Avicennien bedeckt ist) Tertiärfieber, ja Typhus erregen. Nebel, welche einen eigenthümlichen Geruch verbreiten, erinnern uns in gewissen Jahreszeiten an jene zufälligen Beimischungen des unteren Luftkreises. Winde und der durch die Erwärmung des Bodens erregte aufsteigende Luftstrom erheben selbst feste, aber in seinen Staub zerfallene Substanzen zu beträchtlicher 335 Höhe. Der die Luft auf einem weiten Areal trübende Staub, der um die capverdischen Inseln niederfällt und auf welchen Darwin mit Recht aufmerksam gemacht hat, enthält nach Ehrenberg's Entdeckung eine Unzahl kieselgepanzerter Infusorien.
Als Hauptzüge eines allgemeinen Naturgemäldes der Atmosphäre erkennen wir: 1) in den Veränderungen des Luftdruckes die regelmäßigen, zwischen den Tropen so leicht bemerkbaren stündlichen Schwankungen: eine Art Ebbe und Fluth der Atmosphäre, welche nicht der Massen-AnziehungBouvard hat im Jahr 1827 durch Anwendung der Formeln, die Laplace kurz vor seinem Tode dem Längen-Bureau übergeben hatte, gefunden, daß der Theil der stündlichen Oscillationen des Luftdruckes, welcher von der Anziehung des Mondes herrührt, das Quecksilber im Barometer zu Paris nicht über 18/1000 eines Millimeters erheben könne: während nach 11jährigen Beobachtungen eben daselbst die mittlere Barometer-Oscillation von 9 Uhr Morgens bis 3 Uhr Nachmittags 9,756 Millimeter, von 3 Uhr Nachmittags bis 9 Uhr Abends 0,373 Millimeter war. S. Mémoires de l'Acad. des Sciences T. VII. 1827 p. 267. des Mondes zugeschrieben werden darf, und nach der geographischen Breite, den Jahreszeiten und der Höhe des Beobachtungsortes über dem Meeresspiegel sehr verschieden ist; 2) in der klimatischen Wärme-Vertheilung die Wirkung der relativen Stellung der durchsichtigen und undurchsichtigen Massen (der flüssigen und festen Oberflächenräume), wie der hypsometrischen Configuration der Continente: Verhältnisse, welche die geographische Lage und Krümmung der Isothermen-Linien (Curven gleicher mittlerer jährlicher Temperatur) in horizontaler oder verticaler Richtung, in der Ebene oder in den über einander gelagerten Luftschichten bestimmen; 3) in der Vertheilung der Luftfeuchtigkeit die Betrachtung der quantitativen Verhältnisse nach Verschiedenheit der festen und der oceanischen Oberfläche, der Entfernung vom Aequator und von dem Niveau des Meeres; die Formen des niedergeschlagenen Wasserdampfes, und den Zusammenhang dieser Niederschläge mit den Veränderungen der Temperatur und der Richtung wie der Folge der Winde; 4) in den Verhältnissen der Luft-Electricität, deren erste Quelle bei heiterem Himmel 336 noch sehr bestritten wird: das Verhältniß der aufsteigenden Dämpfe zur electrischen Ladung und Gestalt der Wolken nach Maaßgabe der Tages- und Jahreszeit, der kalten und warmen Erdzonen, der Tief- und Hochebenen; die Frequenz und Seltenheit der Gewitter, ihre Periodicität und Ausbildung im Sommer und Winter; den Causalzusammenhang der Electricität mit dem so überaus seltenen nächtlichen Hagel, wie mit den von Peltier so scharfsinnig untersuchten Wettersäulen (Wasser- und Sandhosen).
Die stündlichen Schwankungen des Barometers, in welchen dasselbe unter den Tropen zweimal (9 Uhr oder 9¼ Uhr Morgens und 10½ oder 10¾ Uhr Abends) am höchsten und zweimal (um 4 Uhr oder 4¼ Uhr Nachmittags und um 4 Uhr Morgens, also fast in der heißesten und kältesten Stunde, am niedrigsten steht, sind lange der Gegenstand meiner sorgfältigsten, täglichen und nächtlichen Beobachtungen gewesen.Observations faites pour constater la marche des variations horaires du Baromètre sous les Tropiques, in meiner Relation hist. du Voyage aux Régions Équinoxiales T. III. p. 270–313. Ihre Regelmäßigkeit ist so groß, daß man, besonders in den Tagesstunden, die Zeit nach der Höhe der Quecksilbersäule bestimmen kann, ohne sich im Durchschnitt um 15 bis 17 Minuten zu irren. In der heißen Zone des Neuen Continents, an den Küsten, wie auf Höhen von mehr als 12000 Fuß über dem Meere, wo die mittlere Temperatur auf 7° herabsinkt, habe ich die Regelmäßigkeit der Ebbe und Fluth des Luftmeers weder durch Sturm, noch durch Gewitter, Regen und Erdbeben gestört gefunden. Die Größe der täglichen Oscillationen nimmt vom Aequator bis zu 70° nördlicher Breite, unter der wir die sehr genauen von Bravais zu Bosekop gemachten Beobachtungen besitzenBravais in Kaemtz et Martins, Météorologie p. 263. Zu Halle (Br. 51° 29') ist die Größe der Oscillation noch 0,28 Linien. Auf den Bergen in der gemäßigten Zone scheint eine große Menge von Beobachtungen erforderlich zu sein, um zu einem sicheren Resultate über die Wendestunden zu gelangen. Vergl. die Beobachtungen stündlicher Variationen, welche auf dem Faulhorn 1832, 1841 und 1842 gesammelt wurden, in Martins, Météorologie p. 254., von 1,32 Lin. bis 0,18 Lin. ab. Daß dem Pole viel näher der mittlere Barometerstand 337 wirklich um 10 Uhr Morgens geringer sei als um 4 Uhr Nachmittags, so daß die Wendestunden ihren Einfluß mit einander vertauschen, ist aus Parry's Beobachtungen im Hafen Bowen (73° 14') keinesweges zu schließen.
Die mittlere Barometerhöhe ist, wegen des aufsteigenden Luftstroms, unter dem Aequator und überhaupt unter den Wendekreisen etwas geringerHumboldt, essai sur la Géographie des Plantes 1807 p. 90. Derselbe in der Rel. hist. T. III. p. 313, und über den verminderten Luftdruck in der Tropengegend des atlantischen Oceans in Poggend. Annalen der Physik Bd. XXXVII. S. 245–258 und S. 468–486. als in der gemäßigten Zone; sie scheint ihr Maximum im westlichen Europa in den Parallelen von 40° und 45° zu erreichen. Wenn man mit Kämtz diejenigen Orte, welche denselben mittleren Unterschied zwischen den monatlichen Barometer-Extremen darbieten, durch isobarometrische Linien mit einander verbindet, so entstehen dadurch Curven, deren geographische Lage und Krümmungen wichtige Aufschlüsse über den Einfluß der Ländergestaltung und Meerverbreitung auf die Oscillationen der Atmosphäre gewähren. Hindustan mit seinen hohen Bergketten und triangularen Halbinseln, die Ostküste des Neuen Continents, da wo der warme Golfstrom bei Neufundland sich östlich wendet, zeigen größere isobarometrische Schwankungen als die Antillen und das westliche Europa. Die herrschenden Winde üben den hauptsächlichsten Einfluß auf die Verminderung des Luftdrucks aus; dazu nimmt mit derselben, wie wir schon oben erwähnt, nach Daussy, die mittlere Höhe des Meeres zu.Daussy in den Comptes rendus T. III. p. 136.
Da die wichtigsten sowohl, nach Stunden und Jahreszeiten regelmäßig wiederkehrenden, als die zufälligen, oft gewaltsamen und gefahrbringendenDove über die Stürme, in Poggend. Ann. Bd. LII. S. 1. Veränderungen des Luftdrucks, wie alle sogenannten Witterungs-Erscheinungen, ihre Hauptursach in der wärmenden Kraft der Sonnenstrahlen haben; so hat man früh, zum Theil nach 338 Lambert's Vorschlag, die Windrichtungen mit den Barometerständen, den Abwechselungen der Temperatur, der Zu- und Abnahme der Feuchtigkeit verglichen. Tafeln des Luftdrucks bei verschiedenen Winden, mit dem Namen barometrischer Windrosen bezeichnet, gewähren einen tieferen BlickLeopold von Buch, barometrische Windrose, in den Abhandl. der Akad. der Wiss. zu Berlin aus den J. 1818–1819 S. 187. in den Zusammenhang meteorologischer Phänomene. Mit bewundernswürdigem Scharfsinn erkannte Dove in dem Drehungsgesetze der Winde beider Hemisphären, das er aufstellte, die Ursach vieler großartigen Veränderungen (Processe) im Luft-OceanS. Dove, meteorologische Untersuchungen 1837 S. 99–343, und die scharfsinnigen Bemerkungen von Kämtz über das Herabsinken des Westwindes der oberen Luftschichten in höheren Breiten und die allgemeinen Phänomene der Windesrichtung in seinen Vorlesungen über Meteorologie 1840 S. 58–66, 196–200, 327–336, 353–364; Kämtz in Schumacher's Jahrbuch für 1838 S. 291–302. Eine sehr gelungene und lebendige Darstellung meteorologischer Ansichten hat Dove in seiner kleinen Schrift: Witterungsverhältnisse von Berlin 1842 gegeben. Ueber frühe Kenntniß der Seefahrer von der Drehung des Windes vergl. Churruca, Viage al Magallanes 1793 p. 15; und über einen denkwürdigen Ausspruch von Christoph Columbus, den uns sein Sohn Don Fernando Colon in der Vida del Almirante cap. 55 erhalten hat: Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géographie T. IV. p. 253.. Die Temperatur-Differenz zwischen den dem Aequator und den den Polen nahen Gegenden erzeugt zwei entgegengesetzte Strömungen in den oberen Regionen der Atmosphäre und an der Erdoberfläche. Wegen Verschiedenheit der Rotations-Geschwindigkeit der dem Pole oder dem Aequator näher liegenden Punkte wird die vom Pole herströmende Luft östlich, der Aequatorial-Strom aber westlich abgelenkt. Von dem Kampfe dieser beiden Ströme, dem Ort des Herabkommens des höheren, dem abwechselnden Verdrängen des einen durch den anderen hangen die größten Phänomene des Luftdrucks, der Erwärmung und Erkältung der Luftschichten, der wäßrigen Niederschläge, ja, wie Dove genau dargestellt hat, die Bildung der Wolken und ihre Gestaltung ab. Die Wolkenform, eine alles belebende Zierde der Landschaft, wird Verkündigerinn dessen, was in der oberen Luftregion vorgeht: ja bei ruhiger Luft, am heißen Sommerhimmel auch das »projicirte Bild« des wärmestrahlenden Bodens.
Wo dieser Einfluß der Wärmestrahlung durch die relative Stellung großer continentaler und oceanischer Flächen bedingt ist, wie zwischen der Ostküste von Afrika 339 und der Westküste der indischen Halbinsel: mußte diese, sich mit der Declination der Sonne periodisch verändernde Windesrichtung in den indischen MonsunenMonsun (malayisch musim, der hippalus der Griechen) wird abgeleitet von dem arabischen Worte mausim: bestimmte Zeit, Jahreszeit, Zeit der Versammlung der Pilger in Mekka. Das Wort ist auf die Jahreszeit der regelmäßigen Winde übergetragen, welche Namen haben von den Gegenden, aus denen sie wehen; so sagt man Mausim von Aden, Guzerat, Malabar u. s. w. (Lassen, Indische Alterthumskunde Bd. I. 1843 S. 211.) Ueber den Gegensatz der festen oder flüssigen Grundlage der Atmosphäre s. Dove in den Abhandl. der Akad. der Wiss. zu Berlin aus dem J. 1842 S. 239., dem Hippalos der griechischen Seefahrer, am frühesten erkannt und benutzt werden. In einer, gewiß seit Jahrtausenden in Hindustan und China verbreiteten Kenntniß der Monsune, im arabischen östlichen und malayischen westlichen Meere, lag, wie in der noch älteren und allgemeineren Kenntniß der Land- und Seewinde, gleichsam verborgen und eingehüllt der Keim unseres jetzigen, so schnell fortschreitenden, meteorologischen Wissens. Die lange Reihe magnetischer Stationen, welche nun von Moskau bis Peking durch das ganze nördliche Asien gegründet sind, können, da sie auch die Erforschung anderer meteorologischer Verhältnisse zum Zwecke haben, für das Gesetz der Winde von großer Wichtigkeit werden. Die Vergleichung von Beobachtungsorten, die so viele hundert Meilen von einander entfernt liegen, wird entscheiden: ob z. B. ein gleicher Ostwind von der wüsten Hochebene Gobi bis in das Innere von Rußland wehe; oder ob die Richtung des Luftstromes erst mitten in der Stationskette, durch Herabsenkung der Luft aus den höheren Regionen, ihren Anfang genommen hat. Man wird dann im eigentlichsten Sinne lernen, woher der Wind komme. Wenn man das gesuchte Resultat nur auf solche Orte stützen will, in denen die Windesrichtungen länger als 20 Jahre beobachtet worden sind, so erkennt man (nach Wilhelm Mahlmann's neuester und sorgfältiger Berechnung), daß in den mittleren Breiten der gemäßigten Zone in beiden Continenten ein west-süd-westlicher Luftstrom der herrschende ist.
340 Die Einsicht in die Wärme-Vertheilung im Luftkreise hat einigermaßen an Klarheit gewonnen, seitdem man versucht hat die Punkte, in welchen die mittleren Temperaturen des Jahres, des Sommers und des Winters genau ergründet worden sind, durch Linien mit einander zu verbinden. Das System der Isothermen, Isotheren und Isochimenen, welches ich zuerst im Jahr 1817 aufgestellt, kann vielleicht, wenn es durch vereinte Bemühungen der Physiker allmälig vervollkommnet wird, eine der Hauptgrundlagen der vergleichenden Klimatologie abgeben. Auch die Ergründung des Erd-Magnetismus hat eine wissenschaftliche Form erst dadurch erlangt, daß man die zerstreuten partiellen Resultate in Linien gleicher Abweichung, gleicher Neigung und gleicher Kraft-Intensität mit einander graphisch verband.
Der Ausdruck Klima bezeichnet in seinem allgemeinsten Sinne alle Veränderungen in der Atmosphäre, die unsre Organe merklich afficiren: die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Verändrungen des barometrischen Druckes, den ruhigen Luftzustand oder die Wirkungen ungleichnamiger Winde, die Größe der electrischen Spannung, die Reinheit der Atmosphäre oder die Vermengung mit mehr oder minder schädlichen gasförmigen Exhalationen, endlich den Grad habitueller Durchsichtigkeit und Heiterkeit des Himmels: welcher nicht bloß wichtig ist für die vermehrte Wärmestrahlung des Bodens, die organische Entwicklung der Gewächse und die Reifung der Früchte, sondern auch für die Gefühle und ganze Seelenstimmung des Menschen.
Wenn die Oberfläche der Erde aus einer und derselben homogenen flüssigen Masse; oder aus Gesteinschichten 341 zusammengesetzt wäre, welche gleiche Farbe, gleiche Dichtigkeit, gleiche Glätte, gleiches Absorptions-Vermögen für die Sonnenstrahlen besäßen und auf gleiche Weise durch die Atmosphäre gegen den Weltraum ausstrahlten: so würden die Isothermen, Isotheren und Isochimenen sämmtlich dem Aequator parallel laufen. In diesem hypothetischen Zustande der Erdoberfläche wären dann, in gleichen Breiten, Absorptions- und Emissions-Vermögen für Licht und Wärme überall dieselben. Von diesem mittleren, gleichsam primitiven Zustande: welcher weder Strömungen der Wärme im Inneren und in der Hülle des Erdsphäroids, noch die Fortpflanzung der Wärme durch Luftströmungen ausschließt, geht die mathematische Betrachtung der Klimate aus. Alles, was das Absorptions- und Ausstrahlungs-Vermögen an einzelnen Theilen der Oberfläche, die auf gleichen Parallelkreisen liegen, verändert, bringt Inflexionen in den Isothermen hervor. Die Natur dieser Inflexionen, der Winkel, unter welchen die Isothermen, Isotheren oder Isochimenen die Parallelkreise schneiden: die Lage der convexen oder concaven Scheitel in Bezug auf den Pol der gleichnamigen Hemisphäre sind die Wirkung von wärme- oder kälteerregenden Ursachen, die unter verschiedenen geographischen Längen mehr oder minder mächtig auftreten.
Die Fortschritte der Klimatologie sind auf eine merkwürdige Weise dadurch begünstigt worden, daß die europäische Civilisation sich an zwei einander gegenüberstehenden Küsten verbreitet hat, daß sie von unserer westlichen Küste zu einer östlichen jenseits des atlantischen Thales übergegangen ist. Als die Briten, nach den von Island und Grönland ausgegangenen ephemeren Niederlassungen, 342 die ersten bleibenden Ansiedlungen in dem Littoral der Vereinigten Staaten von Nordamerika gründeten; als religiöse Verfolgungen, Fanatismus und Freiheitsliebe die Colonialbevölkerung vergrößerten: mußten die Ansiedler (von Nord-Carolina und Virginien an bis zum St. Lorenz-Strome) über die Winterkälte erstaunen, die sie erlitten, wenn sie dieselbe mit der von Italien, Frankreich und Schottland unter denselben Breitengraden verglichen. Eine solche klimatische Betrachtung, so anregend sie auch hätte sein sollen, trug aber nur dann erst Früchte, als man sie auf numerische Resultate mittlerer Jahreswärme gründen konnte. Vergleicht man zwischen 58° und 30° nördlicher Breite Nain an der Küste von Labrador mit Gothenburg, Halifax mit Bordeaux, Neu-York mit Neapel, San Augustin in Florida mit Cairo; so findet man unter gleichen Breitengraden die Unterschiede der mittleren Jahres-Temperatur zwischen Ost-Amerika und West-Europa, von Norden gegen Süden fortschreitend: 11°,5; 7°,7; 3°,8 und fast 0°. Die allmälige Abnahme der Unterschiede in der gegebenen Reihe von 28 Breitengraden ist auffallend. Noch südlicher, unter den Wendekreisen selbst, sind die Isothermen überall in beiden Welttheilen dem Aequator parallel. Man sieht aus den hier gegebenen Beispielen, daß die in gesellschaftlichen Kreisen so oft wiederholten Fragen: um wie viel Grade Amerika (ohne Ost- und Westküsten zu unterscheiden) kälter als Europa sei? um wie viel die mittleren Jahreswärmen in Canada und den Vereinigten nordamerikanischen Staaten niedriger als unter gleicher Breite in Europa seien? allgemein ausgedrückt, keinen Sinn haben. Der Unterschied ist unter jedem Parallel ein anderer; und ohne specielle 343 Vergleichung der Winter- und Sommer-Temperatur an den gegenüberstehenden Küsten kann man sich von den eigentlichen klimatischen Verhältnissen, in so fern sie auf den Ackerbau, auf die Gewerbe und das Gefühl der Behaglichkeit oder Unbehaglichkeit Einfluß haben, keinen deutlichen Begriff machen.
Bei der Aufzählung der Ursachen, welche Störungen in der Gestalt der Isotherme hervorbringen, unterscheide ich die temperatur-erhöhenden und temperatur-vermindernden Ursachen. Zu der ersten Classe gehören: die Nähe einer Westküste in der gemäßigten Zone; die in Halbinseln zerschnittene Gestaltung eines Continents, seine tiefeintretenden Busen und Binnenmeere; die Orientirung, d. h. das Stellungsverhältniß eines Theils der Feste: entweder zu einem eisfreien Meere, das sich über den Polarkreis hinaus erstreckt, oder zu einer Masse continentalen Landes von beträchtlicher Ausdehnung, welches zwischen denselben Meridianen unter dem Aequator oder wenigstens in einem Theile der tropischen Zone liegt; ferner das Vorherrschen von Süd- und Westwinden an der westlichen Grenze eines Continents in der gemäßigten nördlichen Zone; Gebirgsketten, die gegen Winde aus kälteren Gegenden als Schutzmauern dienen; die Seltenheit von Sümpfen, die im Frühjahr und Anfang des Sommers lange mit Eis belegt bleiben, und der Mangel an Wäldern in einem trockenen Sandboden; endlich die stete Heiterkeit des Himmels in den Sommermonaten: und die Nähe eines pelagischen Stromes, wenn er Wasser von einer höheren Temperatur, als das umliegende Meer besitzt, herbeiführt.
Zu den, die mittlere Jahres-Temperatur verändernden, kälteerregenden Ursachen zähle ich: die Höhe eines 344 Orts über dem Meeresspiegel, ohne daß bedeutende Hochebenen auftreten; die Nähe einer Ostküste in hohen und mittleren Breiten, die massenartige (compacte) Gestaltung eines Continents ohne Küstenkrümmung und Busen, die weite Ausdehnung der Feste nach den Polen hin bis zu der Region des ewigen Eises (ohne daß ein im Winter offen bleibendes Meer dazwischen liegt); eine Position geographischer Länge, in welcher der Aequator und die Tropenregion dem Meere zugehören: d. i. den Mangel eines festen, sich stark erwärmenden, wärmestrahlenden Tropenlandes zwischen denselben Meridianen als die Gegend, deren Klima ergründet werden soll; Gebirgsketten, deren mauerartige Form und Richtung den Zutritt warmer Winde verhindert: oder die Nähe isolirter Gipfel, welche längs ihren Abhängen herabsinkende kalte Luftströme verursachen; ausgedehnte Wälder: welche die Insolation des Bodens hindern, durch Lebensthätigkeit der appendiculären Organe (Blätter) große Verdunstung wäßriger Flüssigkeit hervorbringen, mittelst der Ausdehnung dieser Organe die durch Ausstrahlung sich abkühlende Oberfläche vergrößern, und also dreifach: durch Schattenkühle, Verdunstung und Strahlung, wirken; häufiges Vorkommen von Sümpfen, welche im Norden bis in die Mitte des Sommers eine Art unterirdischer Gletscher in der Ebene bilden; einen nebligen Sommerhimmel, der die Wirkung der Sonnenstrahlen auf ihrem Wege schwächt; endlich einen sehr heiteren Winterhimmel, durch welchen die Wärmestrahlung begünstigt wirdHumboldt, recherches sur les causes des inflexions des Lignes isothermes in der Asie centr. T. III. p. 103–114, 118, 122, 188..
Die gleichzeitige Thätigkeit der störenden (erwärmenden oder erkältenden) Ursachen bestimmt als Total-Effect (besonders durch Verhältnisse der Ausdehnung und 345 Configuration zwischen den undurchsichtigen continentalen und den flüssigen oceanischen Massen) die Inflexionen der auf die Erdoberfläche projicirten Isothermen. Die Perturbationen erzeugen die convexen und concaven Scheitel der isothermen Curven. Es giebt aber störende Ursachen verschiedener Ordnung; jede derselben muß anfangs einzeln betrachtet werden; später, um den Total-Effect auf die Bewegung (Richtung, örtliche Krümmung) der Isothermen-Linie zu ergründen, muß gefunden werden, welche dieser Wirkungen, mit einander verbunden, sich modificiren, vernichten oder aufhäufen (verstärken): wie das bekanntlich bei kleinen Schwingungen geschieht, die sich begegnen und durchkreuzen. So ist der Geist der Methode, der es, wie ich mir schmeichle, einst möglich werden wird unermeßliche Reihen scheinbar isolirt stehender Thatsachen mit einander durch empirische, numerisch ausgedrückte Gesetze zu verbinden und die Nothwendigkeit ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu erweisen.
Da als Gegenwirkung der Passate (der Ostwinde der Tropenzone) in beiden gemäßigten Zonen West- oder West-Süd-West-Winde die herrschenden Luftströmungen sind und da diese für eine Ostküste Land, für eine Westküste Seewinde sind (d. h. über eine Fläche streichen, die wegen ihrer Masse und des Herabsinkens der erkalteten Wassertheilchen keiner großen Erkältung fähig ist); so zeigen sich, wo nicht oceanische Strömungen dem Littorale nahe auf die Temperatur einwirken, die Ostküsten der Continente kälter als die Westküsten. Cook's junger Begleiter auf der zweiten Erdumseglung, der geistreiche Georg Forster, welchem ich die lebhafteste Anregung zu weiten Unternehmungen verdanke, 346 hat zuerst auf eine recht bestimmte Weise auf die Temperatur-Unterschiede der Ost- und Westküsten in beiden Continenten, wie auf die Temperatur-Aehnlichkeit der Westküste von Nordamerika in mittleren Breiten mit dem westlichen Europa aufmerksam gemacht.Georg Forster, kleine Schriften Th. III. 1794 S. 87; Dove in Schumacher's Jahrbuch für 1841 S. 289; Kämtz, Meteorologie Bd. II. S. 41, 43, 67 und 96; Arago in den Comptes rendus de l'Ac. des Sc. T. I. p. 268.
Selbst in nördlichen Breiten geben sehr genaue Beobachtungen einen auffallenden Unterschied zwischen der mittleren Jahres-Temperatur der Ost- und Westküste von Amerika. Diese Temperatur ist zu Nain in Labrador (Br. 57° 10') volle 3°,8 unter dem Gefrierpunkte, während sie an der Nordwest-Küste in Neu-Archangelsk im russischen Amerika (Br. 57° 3') noch 6°,9 über dem Gefrierpunkte ist. An dem ersten Orte erreicht die mittlere Sommer-Temperatur kaum 6°,2, während sie am zweiten noch 13°,8 ist. Peking (39° 54') an der Ostküste von Asien hat eine mittlere Jahres-Temperatur (11°,3), die über 5° geringer ist als die des etwas nördlicher liegenden Neapels. Die mittlere Temperatur des Winters in Peking ist wenigstens 3° unter dem Gefrierpunkt, wenn sie im westlichen Europa, selbst zu Paris (48° 50'), volle 3°,3 über dem Gefrierpunkt erreicht. Peking hat also eine mittlere Winterkälte, die 2°½ größer ist als das 17 Breitengrade nördlichere Kopenhagen.
Wir haben schon oben der Langsamkeit gedacht, mit welcher die große Wassermasse des Oceans den Temperatur-Veränderungen der Atmosphäre folgt, und wie dadurch das Meer temperatur-ausgleichend wirkt. Es mäßigt dasselbe gleichzeitig die Rauheit des Winters und die Hitze des Sommers. Daraus entsteht ein zweiter wichtiger Gegensatz: der zwischen dem Insel- oder Küsten-Klima, 347 welches alle gegliederte, busen- und halbinselreiche Continente genießen; und dem Klima des Inneren großer Massen festen Landes. Dieser merkwürdige Gegensatz ist in seinen mannigfaltigen Erscheinungen, in seinem Einflusse auf die Kraft der Vegetation und das Gedeihen des Ackerbaues, auf die Durchsichtigkeit des Himmels, die Wärmestrahlung der Erdoberfläche und die Höhe der ewigen Schneegrenze zuerst in Leopolds von Buch Werken vollständig entwickelt worden. Im Inneren des asiatischen Continents haben Tobolsk, Barnaul am Obi und Irkutsk Sommer wie in Berlin, Münster und Cherbourg in der Normandie; aber diesen Sommern folgen Winter, in welchen der kälteste Monat die schreckhafte Mittel-Temperatnr von -18° bis -20° hat. In den Sommermonaten sieht man wochenlang das Thermometer auf 30° und 31°. Solche Continental-Klimate sind daher mit Recht von dem, auch in Mathematik und Physik so erfahrenen Buffon excessive genannt worden; und die Einwohner, welche in Ländern der excessiven Klimate leben, scheinen fast verdammt, wie DanteDante, Divina Commedia, Purgatorio canto III. im Purgarorio singt,
a sofferir tormenti daldi e geli.
Ich habe in keinem Erdtheile, selbst nicht auf den canarischen Inseln oder in Spanien oder im südlichen Frankreich, herrlicheres Obst, besonders schönere Weintrauben, gesehen als in Astrachan nahe den Ufern des caspischen Meeres (46° 21'). Bei einer mittleren Temperatur des Jahres von etwa 9° steigt die mittlere Sommerwärme auf 21°,2, wie um Bordeaux: während nicht bloß dort, sondern noch weiter südlich, zu Kislar an der Terek-Mündung (in den 348 Breiten von Avignon und Rimini), das Thermometer im Winter auf -25° und -30° herabsinkt.
Irland, Guernsey und Jersey, die Halbinsel Bretagne, die Küsten der Normandie und des südlichen Englands liefern durch die Milde ihrer Winter, die niedrige Temperatur und den nebelverschleierten Himmel ihrer Sommer den auffallendsten Contrast mit dem Continental-Klima des inneren östlichen Europa's. Im Nordosten Irlands (54° 56'), unter Einer Breite mit Königsberg in Preußen, vegetirt die Myrte üppig wie in Portugal. Der Monat August, welcher in Ungarn 21° erreicht, hat in Dublin (auf derselben Isotherme von 9°½) kaum 16°; die mittlere Winterwärme, die in Ofen zu -2°,4 herabsinkt, ist in Dublin (bei der geringen Jahreswärme von 9°,5) noch 4°,3 über dem Gefrierpunkt: d. i. noch 2° höher als in Mailand, Pavia, Padua und der ganzen Lombardei, wo die mittlere Jahreswärme volle 12°,7 erreicht. Auf den Orkney's-Inseln (Stromneß), keinen halben Grad südlicher als Stockholm, ist der Winter 4°: also wärmer als in Paris, fast so warm als in London. Selbst auf den Färöer-Inseln in 62° Breite gefrieren unter dem begünstigenden Einflusse der Westwinde und des Meeres die Binnenwasser nie. An der lieblichen Küste von Devonshire, wo der Hafen Salcombe wegen seines milden Klima's das Montpellier des Nordens genannt worden ist, hat man Agave mexicana im Freien blühen; Orangen, die an Spalieren gezogen und kaum mit Matten geschützt wurden, Früchte tragen sehen. Dort, wie zu Penzance und Gosport und an der Küste der Normandie zu Cherbourg steigt die mittlere Winter-Temperatur über 5°,5: d. i. nur 1°,3 weniger 349 hoch als die Winter von Montpellier und Florenz.Humboldt sur les Lignes isothermes in den Mémoires de physique et de chimie de la Société d'Arcueil T. III. Paris 1817 p. 143–165; Knight in den Transactions of the Horticultural Society of London Vol. I. p. 32; Watson, remarks on the geographical distribution of British Plants 1835 p. 60; Trevelyan in Jameson's Edinb. new Philos. Journal Vol. 18. 1835 p. 154; Mahlmann in seiner vortrefflichen deutschen Uebersetzung und Bearbeitung meiner Asie centrale Th. II. S. 60. Die hier angedeuteten Verhältnisse zeigen, wie wichtig für die Vegetation, den Ackerbau, die Obstcultur und das Gefühl klimatischer Behaglichkeit die so verschiedene Vertheilung einer und derselben mittleren Jahres-Temperatur unter die verschiedenen Jahreszeiten ist.
Die Linien, welche ich Isochimenen und Isotheren (Linien gleicher Winter- und Sommerwärme) nenne, sind keinesweges den Isothermen (Linien gleicher Jahres-Temperatur) parallel. Wenn da, wo Myrten wild wachsen und die Erde sich im Winter nie bleibend in Schnee einhüllt, die Temperatur des Sommers und Herbstes nur noch (man möchte fast sagen: kaum noch) hinlänglich ist Aepfel zur vollen Reife zu bringen; wenn die Weinrebe, um trinkbaren Wein zu geben, die Inseln und fast alle Küsten (selbst die westlichen) flieht: so liegt der Grund davon keinesweges allein in der geringeren Sommerwärme des Littorals, die unsere im Schatten der Luft ausgesetzten Thermometer anzeigen; er liegt in dem bisher so wenig beachteten und doch in anderen Erscheinungen (der Entzündung eines Gemisches von Chlor und Wasserstoffgas) so wirksamen Unterschiede des directen und zerstreuten Lichtes, bei heiterem oder durch Nebel verschleiertem Himmel. Ich habe seit langerZeit»Haec de temperie aeris, qui terram late circumfundit, ac in quo, longe a solo, instrumenta nostra meteorologica suspensa habemus. Sed alia est caloris vis, quem radii solis nullis nubibus velati, in foliis ipsis et fructibus maturescentibus, magis minusve coloratis, gignunt, quemque, ut egregia demonstrant experimenta amicissimorum Gay-Lussacii et Thenardi de combustione chlori et hydrogenis, ope thermometri metiri nequis. Etenim locis planis et montanis, vento libe spirante, circumfusi aeris temperies eadem esse potest coelo sudo vel nebuloso; ideoque ex observationibus solis thermometricis, nullo adhibito Photometro, haud cognosces, quam ob causam Galliae septentrionalis tractus Armoricanus et Nervicus, versus littora, coelo temperato sed sole raro utentia, Vitem fere non tolerant. Egent enim stirpes non solum caloris stimulo, sed et lucis, quae magis intensa locis excelsis quam planis, duplici modo plantas movet, vi sua tum propria, tum calorem in superficie earum excitante.« (Humboldt de distributione geographica Plantarum 1817 p. 163–164.) die Aufmerksamkeit der Physiker und Pflanzen-Physiologen auf diese Unterschiede, auf die ungemessene örtlich in der belebten Pflanzenzelle durch directes Licht entwickelte Wärme zu leiten gesucht.
Wenn man in der thermischen Scale der CulturartenHumboldt a. a. O. p. 156–161; Meyen in seinem Grundriß der Pflanzengeographie 1836 S. 379–467; Boussingault, Économie ruurale T. II. p. 675. von denen anhebt, die das heißeste Klima erfordern: also von der Vanille, dem Cacao, dem Pisang 350 und der Cocos-Palme zu Ananas, Zuckerrohr, Caffee, fruchttragenden Dattelbäumen, Baumwolle, Citronen, Oelbaum, ächten Kastanien, trinkbarem Weine herabsteigt; so lehrt die genaue geographische Betrachtung der Culturgrenzen gleichzeitig in der Ebene und an dem Abhange der Berge, daß hier andere klimatische Verhältnisse als die mittlere Temperatur des Jahres wirken. Um nur des einzigen Beispiels des Weinbaues zu erwähnen: so erinnere ich, daß, um trinkbarenHier folgt eine die europäische Weincultur erläuternde Tabelle in absteigender Scale, gleichsam die Verschlechterung des Weines nach Maaßgabe der klimatischen Verhältnisse darstellend. S. meine Asie centrale T. III. p. 159. Den Beispielen, welche im Text des Kosmos über die Weincultur bei Bordeaux und Potsdam gegeben worden, sind noch die numerischen Verhältnisse der Rhein- und Maingegenden (Br. 48° 35' – 50° 7') beigefügt. Cherbourg (Normandie) und Irland offenbaren am deutlichsten, wie bei Temperatur-Verhältnissen, welche von denen des innern Landes nach Angabe der im Schatten beobachteten Thermometer wenig verschieden sind, die Pflanze bei heiterem sonnigen oder durch Nebel verschleiertem Himmel reife oder unreife Früchte trägt.
Die große Uebereinstimmung in der Vertheilung der Jahreswärme unter die verschiedenen Jahreszeiten, welche die Angaben vom Rhein- und Mainthale darbieten, zeugt für die Genauigkeit der angewandten meteorologischen Beobachtungen. Als Winter sind, wie in meteorologischen Tabellen am vortheilhaftesten ist, die Monate December, Januar und Februar gerechnet. Die Thermometergrade sind, wie im ganzen Kosmos, in hunderttheiliger Scale. Wenn man die Qualität der Weine in Franken oder den baltischen Ländern mit der mittleren Temperatur der Sommer- und Herbstmonate um Würzburg und Berlin vergleicht, so ist man fast verwundert nur 1° bis 1°,2 Unterschied zu finden; aber die Frühlings-Temperaturen sind um 2° verschieden; und die Blüthezeit der Rebe bei späten Maifrösten, nach einem ebenfalls um 2° kälteren Winter, ist ein eben so wichtiges Element als die Zeit der späten Reife der Traube und die Wirkung des directen, nicht zerstreuten (diffusen) Lichtes bei unverdeckter Sonnenscheibe. Der im Text berührte Unterschied zwischen der wahren oberflächlichen Boden-Temperatur und den Angaben eines im Schatten beobachteten geschützten Thermometers ist von Dove durch funfzehnjährige Resultate aus dem Garten zu Chiswick bei London ergründet worden. (Bericht über die Verhandl. der Berl. Akad. der Wiss. August 1844 S. 285.)
Orte
Breite
Höhe in
Toisen
Jahr
Winter
Früh-
jahrSommer
Herbst
Beobach-
tungs-
jahre
Bordeaux
44°50'
4
13°,9
6°,1
13°,4
21°,7
14°,4
10
Strasburg
48 35
75
9 ,8
1 ,2
10 ,0
18 ,1
10 ,0
35
Heidelberg
49 24
52
9 ,7
1 ,1
10 ,0
17 ,9
9 ,9
20
Manheim
49 29
47
10 ,3
1 ,5
10 ,4
19 ,5
9 ,8
12
Würzburg
49 48
88
10 ,1
1 ,6
10 ,2
18 ,7
9 ,7
27
Frankfurt a. M.
50 7
60
9 ,6
0 ,8
10 ,0
18 ,0
9 ,7
19
Berlin
52 31
16
8 ,6
-0 ,6
8 ,1
17 ,5
8 ,6
22
Cherbourg
kein Wein49 39
0
11 ,2
5 ,2
10 ,4
16 ,5
12 ,5
3
Dublin
53 23
0
9 ,5
4 ,6
8 ,4
15 ,3
9 ,8
13
Wie das milde, jahrzeitengleichere Küsten-Klima der Halbinsel Bretagne sich zum winterkälteren und sommerheißeren Klima der übrigen compacten Ländermasse von 351 Frankreich verhält, so verhält sich gewissermaßen Europa zum großen Festlande von Asien, dessen westliche Halbinsel es bildet. Europa verdankt sein sanfteres Klima der Existenz und Lage von Afrika, das in weiter Ausdehnung, den aufsteigenden Luftstrom begünstigend, einen festen wärmestrahlenden Boden der Tropenregion darbietet, während südlich von Asien die Aequatorial-Gegend meist ganz oceanisch ist; seiner Gliederung und Meeresnähe an der westlichen Küste der alten Feste; dem eisfreien Meere, da, wo es sich gegen Norden ausdehnt. Europa würde demnach kälter werdenVergl. meine Abhandlung über die Haupt-Ursachen der Temperatur-Verschiedenheit auf dem Erdkörper in den Abhandl. der Akad. der Wissensch. zu Berlin aus dem Jahre 1827 S. 311., wenn Afrika, vom Meere überfluthet, unterginge; wenn die mythische Atlantis aufstiege und Europa mit Nordamerika verbände; wenn der wärmende Golfstrom nicht in die nördlichen Meere sich ergösse; oder wenn ein anderes festes Land sich, vulkanisch gehoben, zwischen die scandinavische Halbinsel und Spitzbergen einschöbe. Sieht man in Europa die mittleren Jahres-Temperaturen sinken, indem man unter denselben Parallelkreisen von der atlantischen Küste, von Frankreich aus durch Deutschland, Polen und Rußland gegen die Uralkette, also von Westen nach Osten fortschreitet; so ist die Hauptursach dieses Erkältungs-Phänomens in der nach und nach minder gegliederten, compacteren, an Breite zunehmenden Form des Continents, in der Entfernung des kältemindernden Meeres, wie in dem schwächeren Einflusse der Westwinde zu suchen. Jenseits des Urals werden diese Westwinde schon erkältende Landwinde, wenn sie über weite mit Eis und Schnee bedeckte Länderstrecken fortwehen. Die Kälte des westlichen Sibiriens wird durch solche Verhältnisse der Ländergestaltung und Luftströmung: keineswegesDie sibirische Bodenfläche zwischen Tobolsk, Tomsk und Barnaul vom Altai zum Eismeere liegt nicht so hoch als Manheim und Dresden: ja selbst weit in Osten vom Jenisei liegt Irkutsk (208 Toisen) noch fast ⅓ niedriger als München. aber, wie schon Hippocrates und 352 Trogus Pompejus annahmen und noch berühmte Reisende des 18ten Jahrhunderts fabelten, durch große Höhe des Bodens über dem Meeresspiegel, erzeugt.
Wenn wir von der Temperatur-Verschiedenheit in der Ebene zu den Unebenheiten der polyedrischen Gestalt der Oberfläche unsres Planeten übergehen: so betrachten wir die Gebirge entweder nach ihrem Einfluß auf das Klima der benachbarten Tiefländer; oder nach den Einwirkungen, die sie, in Folge der hypsometrischen Verhältnisse, auf ihre eigenen, oft in Hochebenen erweiterten Gipfel ausüben. Die Gruppirung der Berge in Bergketten theilt die Erdoberfläche in verschiedene Becken; in, oft eng umwallte Rundthäler, circusartige Kessel: die (wie in Griechenland und in einem Theile von Kleinasien) das Klima örtlich in Hinsicht auf Wärme, Feuchtigkeit und Durchsichtigkeit der Luft, auf Häufigkeit der Winde und der Gewitter individualisiren. Diese Umstände haben von je her einen mächtigen Einfluß ausgeübt auf die Natur der Erzeugnisse und die Wahl der Culturen: auf Sitten, Verfassungsformen und Abneigung benachbarter Volksstämme gegen einander. Der Charakter der geographischen Individualität erreicht so zu sagen da sein Maximum, wo die Verschiedenheiten der Bodengestaltung in verticaler und horizontaler Richtung, im Relief und in der Gliederung der Continente die möglich größten sind. Mit solchen Bodenverhältnissen contrastiren die Steppen des nördlichen Asiens, die Grasebenen (Savanen, Llanos und Pampas) des Neuen Continents, die Heideländer (ericeta) Europa's, die Sand- und Steinwüsten von Afrika.
Das Gesetz der mit der Höhe abnehmenden Wärme 353 unter verschiedenen Breiten ist einer der wichtigsten Gegenstände für die Kenntniß meteorologischer Processe, für die Geographie der Pflanzen, die Theorie der irdischen Strahlenbrechung und die verschiedenen Hypothesen, welche sich auf die Bestimmung der Höhe der Atmosphäre beziehen. Bei den vielen Bergreisen, die ich in und außerhalb der Tropen habe unternehmen können, ist die Ergründung dieses Gesetzes ein vorzüglicher Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen.Humboldt, Recueil d'Observations astronomiques Vol. I. p. 126–140; Relation historique T. I. p. 119, 141 und 227; Biot in der Connaissance des tems pour l'an 1841 p. 90–109.
Seitdem man die wahren Verhältnisse der Wärme-Vertheilung auf der Oberfläche der Erde, d. i. die Inflexionen der Isothermen und Isotheren und den ungleichen Abstand derselben von einander, in den verschiedenen östlichen und westlichen Temperatur-Systemen von Asien, Mittel-Europa und Nordamerika, etwas genauer kennt; darf man nicht mehr im allgemeinen die Frage aufwerfen, welcher Bruchtheil der mittleren Jahres- oder Sommerwärme einer Veränderung der geographischen Breite von 1° entspricht, wenn man auf demselben Meridian fortschreitet. In jedem Systeme gleicher Krümmung der Isothermen herrscht ein inniger und nothwendiger Zusammenhang zwischen drei Elementen: der Wärme-Abnahme in senkrechter Richtung von unten nach oben, der Temperatur-Verschiedenheit bei einer Aenderung von 1° in der geographischen Breite, der Gleichheit der mittleren Temperatur einer Bergstation und der Polar-Distanz eines im Meeresspiegel gelegenen Punktes.
In dem ost-amerikanischen Systeme verändert sich die mittlere Jahres-Temperatur von der Küste von Labrador bis Boston jeden Breitengrad um 0°,88, von Boston bis Charleston um 0°,95; von Charleston bis zum 354 Wendekreise des Krebses in Cuba hin wird die Veränderung aber langsamer: sie ist dort nur 0°,66. In der Tropenzone selbst nimmt die Langsamkeit dergestalt zu, daß von der Havana bis Cumana die einem Breitegrade zukommende Variation nur noch 0°,20 beträgt.
Ganz anders ist es in dem System der Isothermen von Mittel-Europa. Zwischen den Parallelen von 38° und 71° finde ich die Temperatur-Abnahme sehr übereinstimmend ½ Grad für einen Breitengrad. Da nun in demselben Mittel-Europa die Abnahme der Wärme 1° in 80 bis 87 Toisen (480 bis 522 Fuß) senkrechter Höhe beträgt, so ergiebt sich hieraus, daß 40–44 Toisen (240–264 Fuß) der Erhebung über dem Meeresspiegel dort einem Breitengrad entsprechen. Die mittlere Jahres-Temperatur des Bernhard-Klosters, das 1278 Toisen (7668 Fuß) hoch, in 45° 50' Breite, liegt, würde sich also in der Ebene bei einer Breite von 75° 50' wiederfinden.
In dem Theil der Andeskette, welcher in die Tropenzone fällt, haben meine bis zu 18000 Fuß Höhe angestellten Beobachtungen die Wärme-Abnahme von 1° auf 96 Toisen (576 Fuß) gegeben; mein Freund Boussingault hat 30 Jahre später als Mittelresultat 90 Toisen (540 Fuß) gefunden. Durch Vergleichung der Orte, welche in den Cordilleren in gleicher Höhe über dem Meere am Abhange selbst oder in weit ausgedehnten Hochebenen liegen, habe ich in den letzteren eine Zunahme der Jahres-Temperatur von 1°½ bis 2°,3 beobachtet. Ohne die nächtliche erkältende Wärmestrahlung würde der Unterschied noch größer sein. Da die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, von den Cacao-Wäldern des Tieflandes bis zum ewigen Schnee, und 355 da die Wärme in der Tropenzone während des ganzen Jahres sich nur sehr wenig ändert; so kann man sich eine ziemlich genaue Vorstellung von den Temperatur-Verhältnissen machen, welchen die Bewohner der großen Städte in der Andeskette ausgesetzt sind, wenn man diese Verhältnisse mit der Temperatur gewisser Monate in den Ebenen von Frankreich und Italien vergleicht. Während daß an den Waldufern des Orinoco täglich eine Wärme herrscht, welche um 4° die des Monats August zu Palermo übertrifft; findet man, indem man die Andeskette ersteigt, zu Popayan (911t) die drei Sommermonate von Marseille, zu Quito (1492t) das Ende des Monats Mai zu Paris, und auf den mit krüppligem Alpengesträuch bewachsenen, aber noch blüthenreichen Paramos (1800t) den Anfang des Monats April zu Paris.
Der scharfsinnige Peter Martyr de Anghiera, einer der Freunde von Christoph Columbus, ist wohl der Erste gewesen, welcher (nach der im October 1510 unternommenen Expedition von Rodrigo Enrique Colmenares) erkannt hat, daß die Schneegrenze immer höher steigt, je mehr man sich dem Aequator nähert. Ich lese in dem schönen Werke de rebus OceanicisAnglerius de rebus Oceanicis Dec. II. lib. 2 Bas. 1533 fol. 29 C. In der Sierra de Santa Marta, deren höchste Gipfel 18000 Fuß Höhe zu übersteigen scheinen (s. meine Relat. hist. T. III. p. 214), heißt noch jetzt eine Spitze Pico de Gaira.: »der Fluß Gaira kommt von einem Berge (in der Sierra Nevada de Santa Marta) herab, welcher nach Aussage der Reisegefährten des Colmenares höher ist als alle bisher entdeckten Berge. Er muß es ohne Zweifel sein, wenn er in einer Zone, die von der Aequinoctiallinie höchstens 10° absteht, den Schnee dauernd behält.« Die untere Grenze des ewigen Schnees in einer gegebenen Breite ist die Sommergrenze der Schneelinie: d. i. das Maximum der Höhe, bis zu 356 welcher sich die Schneelinie im Laufe des ganzen Jahres zurückzieht. Man muß von dieser Höhe drei andere Phänomene unterscheiden: die jährliche Schwankung der Schneegrenze, das Phänomen des sporadischen Schneefalles, und das der Gletscher: welche der gemäßigten und kalten Zone eigenthümlich scheinen, und über welche, nach Saussure's unsterblichem Werke über die Alpen, in diesen letzten Jahren Venetz, Charpentier und mit ruhmwürdiger, gefahrentrotzender Ausdauer Agassiz neues Licht verbreitet haben.
Wir kennen nur die untere, nicht die obere Grenze des ewigen Schnees; denn die Berge der Erde steigen nicht hinauf bis zu der ätherisch-olympischen Höhe: zu den dünnen, trockenen Luftschichten, von welchen man mit Bouguer vermuthen kann, daß sie nicht mehr Dunstbläschen, in Eiskrystalle verwandelt, dem Auge sichtbar darbieten würden. Die untere Schneegrenze ist aber nicht bloß eine Function der geographischen Breite oder der mittleren Jahres-Temperatur: der Aequator, ja selbst die Tropen-Region, ist nicht, wie man lange gelehrt hat, der Ort, an welchem die Schneegrenze ihre größte Erhebung über dem Niveau des Oceans erreicht. Das Phänomen, das wir hier berühren, ist ein sehr zusammengesetztes: im allgemeinen von Verhältnissen der Temperatur, der Feuchtigkeit und der Berggestaltung abhängig. Unterwirft man diese Verhältnisse einer noch specielleren Analyse, wie eine große Menge neuerer MessungenVergl. meine Tafel der Höhe des ewigen Schnees in beiden Hemisphären von 71°¼ nördlicher bis 53° 54' südlicher Breite in der Asie centrale T. III. p. 360. es erlauben, so erkennt man als gleichzeitig bestimmende Ursachen: die Temperatur-Differenz der verschiedenen Jahreszeiten, die Richtung der herrschenden Winde und ihre Berührung mit Meer und Land, den Grad der Trockenheit oder Feuchtigkeit der oberen Luftschichten, die absolute Größe 357 (Dicke) der gefallenen und aufgehäuften Schneemassen, das Verhältniß der Schneegrenze zur Gesammthöhe des Berges, die relative Stellung des letzteren in der Bergkette, die Schroffheit der Abhänge; die Nähe anderer, ebenfalls perpetuirlich mit Schnee bedeckter Gipfel; die Ausdehnung, Lage und Höhe der Ebene, aus welcher der Schneeberg isolirt oder als Theil einer Gruppe (Kette) aufsteigt: und die eine Seeküste oder der innere Theil eines Continents, bewaldet oder eine Grasflur, sandig und dürr und mit nackten Felsplatten bedeckt, oder ein feuchter Moorboden sein kann.
Während daß die Schneegrenze in Südamerika unter dem Aequator eine Höhe erreicht, welche der des Gipfels des Montblanc in der Alpenkette gleich ist: und sie im Hochlande von Mexico gegen den nördlichen Wendekreis hin, in 19° Breite, nach neueren Messungen, sich ohngefähr um 960 Fuß senkt; steigt sie nach Pentland in der südlichen Tropenzone (Br. 14°½–18°): nicht in der östlichen, sondern in der meernahen westlichen Andeskette von Chili, mehr als 2500 Fuß höher als unter dem Aequator unfern Quito, am Chimborazo, am Cotopaxi und am Antisana. Der Dr. Gillies behauptet sogar noch weit südlicher, am Abhange des Vulkans von Peuquenes (Br. 33°), die Schneehöhe bis zwischen 2270 und 2350 Toisen Höhe gefunden zu haben. Die Verdunstung des Schnees bei der Strahlung in einer im Sommer überaus trockenen Luft gegen einen wolkenfreien Himmel ist so mächtig, daß der Vulkan von Aconcagua nordöstlich von Valparaiso (Br. 32°½), welchen die Expedition des Beagle noch um mehr als 1400 Fuß höher als den Chimborazo fand, einst ohne Schnee gesehen wurde.Darwin, Journal of the Voyages of the Adventure and Beagle p. 297. Da der Vulkan von Aconcagua zu der Zeit nicht im Ausbruch begriffen war, so darf man wohl nicht das merkwürdige Phänomen der Schneelosigkeit (wie bisweilen am Cotopaxi) innerer Durchwärmung (dem Ausziehen erhitzter Luft auf Spalten) zuschreiben. (Gillies im Journal of Nat. Science 1830 p. 316.)
358 In der fast gleichen nördlichen Breite (30°¾ bis 31°), am Himalaya, liegt die Schneegrenze am südlichen Abhange ohngefähr in der Höhe (2030 Toisen oder 12180 Fuß), in welcher man sie nach mehrfachen Combinationen und Vergleichungen mit andern Bergketten vermuthen konnte; am nördlichen Abhange aber, unter der Einwirkung des Hochlandes von Tübet, dessen mittlere Erhebung an 1800 Toisen (10800 Fuß) zu sein scheint, liegt die Schneegrenze 2600 Toisen (15600 Fuß) hoch. Diese, in Europa und Indien oft bestrittene Erscheinung, über deren Ursachen ich seit dem Jahre 1820 meine Ansichten in mehreren Schriften entwickelt habeS. mein second Mémoire sur les Montagnes de l'Inde in den Annales de Chimie et de Physique T. XIV. p. 5–55 und Asie centrale T. III. p. 281–327. Während in Indien selbst die gründlichsten und erfahrensten Reisenden: Colebrooke, Webb und Hodgson, Victor Jacquemont, Forbes Royle, Carl von Hügel und Vigne, welche alle den Himalaya aus eigener Anschauung kannten, die größere Höhe der Schneegrenze am tübetischen Abfall bekräftigt hatten; wurde die Thatsache von John Gerard, von dem Geognosten Mac Clelland, Herausgeber des Calcutta Journal, und vom Lieutenant Thomas Hutton (Assistant Surveyor of the Agra division) in Zweifel gestellt. Die Erscheinung meines Werkes über Central-Asien hat den Streit von neuem angefacht. Ein eben angekommenes Stück des ostindischen Jonrnals für Naturgeschichte (Mac Clelland and Griffith, the Calcutta Journal of natural history Vol. IV. 1844 January) enthält aber eine merkwürdige und sehr entscheidende Erklärung über die Schneegrenzen am Himalaya. Herr Batten (Bengal service) schreibt aus dem Lager von Semulka am Cosillah River in der Provinz Kumaon: »Erst spät, aber mit Verwunderung, lese ich die Behauptungen des Herrn Thomas Hutton über die Grenze des ewigen Schnees. Ich bin es der Wissenschaft um so mehr schuldig solchen Behauptungen zu widersprechen, als Herr Mac Clelland so weit geht, von dem Verdienste zu sprechen, welches sich Herr Hutton (Journal of the Asiatic Society of Bengal Vol. IX. Calcutta 1840 p. 575, 578 und 580) dadurch soll erworben haben, daß er einen weit verbreiteten Irrthum aufgedeckt. Es wird sogar irrig behauptet, daß jeder, der das Himalaya-Gebirge durchstrichen ist, Hutton's Zweifel theilen müsse. Ich bin Einer von denen, die den westlichen Theil unsrer mächtigen Gebirgskette am meisten besucht haben. Ich war durch den Borendo-Paß in das Buspa-Thal und das untere Kunawur-Land gekommen, und durch den hohen Rupin-Paß in die Rewaien-Berge von Gurwal zurückgekehrt. Ich drang vor zu den Quellen des Jumna bis Jumnotri, wendete mich von da zu den Ganges-Zuflüssen von Mundakni und Wischnu-Aluknunda nach Kadarnath und dem berühmten Schneegipfel von Nundidevi. Mehrmals wanderte ich über den Niti-Paß nach dem tübetischen Hochlande. Die Ansiedelung von Bhote-Mehals habe ich selbst gestiftet. Mein Wohnsitz mitten im Gebirge hat mich seit sechs Jahren ununterbrochen mit europäischen und eingebornen Reisenden in Verkehr gesetzt: mit solchen, die ich auf das sorgfältigste über den Anblick des Landes habe befragen können. Nach allen auf diese Weise eingesammelten Erfahrungen bin ich zu der Ueberzeugung gelangt, und bereit dieselbe überall zu vertheidigen, daß in dem Himalaya die Grenze des ewigen Schnees an dem nördlichen (tübetischen) Abhange höher liegt als an dem südlichen (indischen) Abhange. Herr Hutton verunstaltet das Problem, indem er Humboldt's allgemeine Ansicht der Erscheinung zu widerlegen glaubt; er ficht gegen ein von ihm selbst geschaffenes Phantasiebild: er sucht zu beweisen, was wir ihm gern zugeben, daß an einzelnen Bergen des Himalaya der Schnee länger auf der nördlichen als auf der südlichen Seite liegen geblieben ist.« (Vergl. auch oben die Note 5 zu Seite 11.) Wenn die mittlere Höhe des tübetischen Hochlandes 1800 Toisen (10800 Fuß) ist, so kann man dasselbe mit dem lieblich fruchtbaren peruanischen Plateau von Caxamarca vergleichen. Es ist nach dieser Ansicht aber noch 1200 Fuß niedriger als die Hochebene von Bolivia um den See von Titicaca und als das Straßenpflaster der Stadt Potosi. Ladak liegt nach Vigne's Messung mittelst der Bestimmung des Siedepunkts 1563 Toisen hoch. Wahrscheinlich ist dies auch die Höhe von Hlassa (Yul-sung): einer Mönchsstadt, welche chinesische Schriftsteller das Reich der Freude nennen und welche mit Weinbergen umgeben ist. Sollten diese nicht in tief eingeschnittenen Thälern liegen?, gewährt mehr als ein bloß physikalisches Interesse; sie hat einen wichtigen Einfluß auf das Leben zahlreicher Volksstämme ausgeübt. Meteorologische Processe des Luftkreises gestatten und entziehen dem Ackerbau oder dem Hirtenleben weite Erdstriche eines Continents.
Da mit der Temperatur die Dampfmenge des Luftkreises zunimmt, so ist dieses, für die ganze organische Schöpfung so wichtige Element nach Stunden des Tages, nach den Jahreszeiten, Breitengraden und Höhen verschieden. Das neuerlichst so allgemein verbreitete Verfahren, durch Anwendung von August's Psychrometer, nach Dalton's und Daniell's Ideen, vermittelst des Unterschiedes des Thaupunkts und der Luftwärme die relative Dampfmenge oder den Feuchtigkeits-Zustand der Atmosphäre zu bestimmen, hat unsere Kenntniß der hygrometrischen Verhältnisse der Erdoberfläche ansehnlich vermehrt. Temperatur, Luftdruck und Windrichtung stehen im innigsten Zusammenhange mit der belebenden Feuchtigkeit der Luftschichten. Diese Belebung ist aber nicht sowohl Folge der unter 359 verschiedenen Zonen aufgelösten Dampfmenge; sondern der Art und Frequenz der Niederschläge als Thau, Nebel, Regen und Schnee, welche den Boden benetzen. Nach der Ermittelung des Drehungsgesetzes von Dove und den Ansichten dieses ausgezeichneten PhysikersVergl. Dove, meteorologische Vergleichung von Nordamerika und Europa, in Schumacher's Jahrbuch für 1841 S. 311, und dessen meteorologische Untersuchungen S. 140. ist in unsrer nördlichen Zone »die Elasticität des Dampfes am größten bei Südwest-Wind, am kleinsten bei Nordost-Wind. Auf der Westseite der Windrose vermindert sie sich, und steigt hingegen auf der Ostseite. Auf der Westseite nämlich verdrängt der kalte, schwere, trockene Luftstrom den warmen, leichten, viel Wasserdampf enthaltenden: während auf der Ostseite dieser durch jenen verdrängt wird. Der Südwest-Strom ist der durchgedrungene Aequatorial-Strom, der Nordost-Strom der allein herrschende Polarstrom.«
Das anmuthig frische Grün vieler Bäume, welches man in solchen Gegenden der Tropenländer bemerkt, wo fünf bis sieben Monate lang kein Gewölk am Himmelsgewölbe aufsteigt, wo bemerkbar kein Thau und Regen fallen; beweist, daß die appendiculären Theile (die Blätter) durch einen eigenen Lebensproceß, welcher vielleicht nicht bloß der einer kälteerregenden Ausstrahlung ist, die Fähigkeit haben Wasser der Luft zu entziehen. Mit den regenlosen, dürren Ebenen von Cumana, Coro und Ceara (Nord-Brasilien) contrastirt die Regenmenge, welche in anderen Tropengegenden fällt: z. B. in der Havana nach einem Durchschnitt von sechsjährigen Beobachtungen von Ramon de la Sagra im Mitteljahre 102 Pariser Zoll, vier bis fünfmal so viel als in Paris und GenfDie mittlere Regenmenge in Paris ist nach Arago von 1805 bis 1822 gewesen: 18 Zoll 9 Linien, in London (von 1812 bis 1827) nach Howard 23 Zoll 4 Linien, in Genf nach einem Mittel von 32 Jahren 28 Zoll 8 Linien. In der Küstengegend von Hindustan ist die Regenmenge 108 bis 120 Zoll, und auf der Insel Cuba fielen 1821 volle 133 Zoll. Vergl. über die Vertheilung der Regenmenge im mittleren Europa nach Jahreszeiten die vortrefflichen Beobachtungen von Gasparin, Schouw und Bravais in der Bibliothèque universelle T. XXXVIII. p. 54 und 264, tableau du Climat de l'Italie p. 76 und Martins Noten zu seiner sehr bereicherten französischen Uebersetzung von Kämtz Vorlesungen über Meteorologie p. 142.. An dem Abhange der Andeskette nimmt mit der Höhe, wie die Temperatur, so auch die RegenmengeNach Boussingault (Économie rurale T. II p. 693) war in Marmato (Breite 5° 27', Höhe 731t und mittlere Temperatur 20°,4) in den Jahren 1833 und 1834 die mittlere Regenmenge 60 Zoll 2 Linien, während in Santa Fé de Bogota (Breite 4° 36', Höhe 1358t und mittlere Temperatur 14°,5) sie nur 37 Zoll 1 Linie betrug. ab. Sie ist von meinem 360 südamerikanischen Reisegefährten Caldas in Santa Fé de Bogota, auf einer Höhe von fast 8200 Fuß, nicht über 37 Zoll: also wenig größer wie an einigen westlichen Küsten von Europa, gefunden worden. Boussingault sah bisweilen in Quito bei einer Temperatur von 12°–13° das Saussure'sche Hygrometer auf 26° zurückgehn. In 6600 Fuß hohen Luftschichten (bei einer Temperatur von 4°) sah Gay-Lussac in seiner großen aërostatischen Ascension an demselben Feuchtigkeitsmesser auch 25°,3. Die größte Trockenheit, die man bisher auf der Erde in den Tiefländern beobachtet hat, ist wohl die, welche wir, Gustav Rose, Ehrenberg und ich, im nördlichen Asien fanden, zwischen den Flußthälern des Irtysch und Obi. In der Steppe Platowskaja, nachdem die Südwest-Winde lange aus dem Inneren des Continents geweht hatten, bei einer Temperatur von 23°,7, fanden wir den Thaupunkt 4°,3 unter dem Gefrierpunkt. Die Luft enthielt nur noch 16/100 Wasserdampf.S. über das Detail dieser Beobachtung meine Asie centrale T. III. p. 85-89 und 567; über den Dampfgehalt im Tieflande vom tropischen Südamerika meine Relat. hist. T. I. p. 242–248, T. II. p. 45 und 164. Gegen die größere Trockenheit der Bergluft, welche aus Saussure's und meinen Hygrometer-Messungen in der hohen Region der Alpen und der Cordilleren zu folgen scheint, haben in diesen letzten Jahren genaue Beobachter, Kämtz, Bravais und Martins, Zweifel erregt. Man verglich die Luftschichten in Zürich und auf dem, freilich nur in Europa hoch zu nennenden Faulhorn.Kämtz, Vorlesungen über Meteorologie S. 117. Die Nässe, durch welche in der Tropen-Region der Paramos (nahe der Gegend, wo Schnee zu fallen beginnt, zwischen 11000 und 12000 Fuß Höhe) einige Arten von großblüthigen, myrtenblättrigen Alpensträuchen fast perpetuirlich getränkt werden, zeugt nicht eigentlich für das Dasein einer großen absoluten Menge des Wasserdunstes in jener Höhe; diese Nässe beweist nur, 361 wie der häufige Nebel auf dem schönen Plateau von Bogota, die Frequenz der Niederschläge. Nebelschichten in solchen Höhen entstehen und verschwinden bei ruhiger Luft mehrmals in einer Stunde. Solcher schnelle Wechsel charakterisirt die Hochebenen und Paramos der Andeskette.
Die Electricität des Luftkreises: man mag sie in den unteren Regionen oder in der hohen Wolkenhülle betrachten, problematisch in ihrem stillen periodischen täglichen Gange wie in den Explosionen des leuchtenden und krachenden Ungewitters; steht in vielfachem Verkehr mit allen Erscheinungen der Wärme-Vertheilung, des Drucks der Atmosphäre und ihrer Störungen, der Hydrometeore, wahrscheinlich auch des Magnetismus der äußersten Erdrinde. Sie wirkt mächtig ein auf die ganze Thier- und Pflanzenwelt: nicht etwa bloß durch meteorologische Processe, durch Niederschläge von Wasserdämpfen, Säuren oder ammoniacalischen Verbindungen, die sie veranlaßt; sondern auch unmittelbar als electrische (nervenreizende oder Saftumlauf befördernde) Kraft. Es ist hier nicht der Ort den Streit über die eigentliche Quelle der Luft-Electricität bei heiterem Himmel zu erneuern: welche bald der Verdampfung unreiner (mit Erden und Salzen geschwängerter) FlüssigkeitenUeber die Bedingungen der Verdampfungs-Electricität bei hoher Temperatur s. Peltier in den Annales de Chimie T. LXXV. p. 330., bald dem Wachsthum der PflanzenPouillet in den Annales de Chimie T. XXXV. p. 405. oder andern chemischen Zersetzungen auf der Oberfläche der Erde, bald der ungleichen Wärme-Vertheilung in den LuftschichtenDe la Rive in seinem vortrefflichen essai historique sur l'Électricité p. 140., bald endlich, nach Peltier's scharfsinnigen UntersuchungenPeltier in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XII. 1841 p. 307; Becquerel, traité de l'Électricité et du Magnétisme T. IV. p. 107., der Einwirkung einer stets negativen Ladung des Erdballs zugeschrieben worden ist. Auf die Resultate beschränkt, welche electrometrische Beobachtungen, besonders die zuerst von Colladon vorgeschlagene sinnreiche Anordnung eines 362 electromagnetischen Apparats, gegeben haben: soll die physische Weltbeschreibung die mit der Höhe und der baumfreien Umgebung der Station unbestreitbar zunehmende Stärke der allgemeinen positiven Luft-ElectricitätDuprez sur l'Électricité de l'air (Bruxelles 1844) p. 56–61., ihre tägliche Ebbe und Fluth (nach Clarke's Dubliner Versuchen in verwickelteren Perioden, als Saussure und ich sie gefunden), die Unterschiede der Jahreszeiten, des Abstandes vom Aequator, der continentalen und oceanischen Oberflächen angeben.
Wenn im ganzen da, wo das Luftmeer einen flüssigen Boden hat, das electrische Gleichgewicht seltener gestört ist als in der Landluft, so ist es um so auffallender, zu sehen, wie in weiten Meeren kleine Inselgruppen auf den Zustand der Atmosphäre einwirken und die Bildung der Gewitter veranlassen. Im Nebel und bei anfangendem Schneefall habe ich in langen Reihen von Versuchen die vorher permanente Glas-Electricität schnell in resinöse übergehen und mehrfach abwechseln sehn: sowohl in den Ebenen der kalten Zone als unter den Tropen in den Paramos der Cordilleren, zwischen 10000 und 14000 Fuß Höhe. Der wechselnde Uebergang war dem ganz gleich, welchen die Electrometer kurz vor und während des Gewitters angeben.Humboldt, Relation historique T. III. p. 318. Ich mache hier nur auf diejenigen meiner Versuche aufmerksam, in denen der 3 Fuß lange metallische Leiter des Saussure'schen Electrometers weder auf- und abwärts bewegt, noch nach Volta's Vorschlag mit brennendem Schwamm armirt war. Denjenigen meiner Leser, welche die jetzt streitigen Punkte der Luft-Electricität genau kennen, wird der Grund dieser Beschränkung verständlich sein. Ueber die Bildung der Gewitter in den Tropen s. meine Relat. hist. T. II. p. 45 und 202–209. Haben die Dunstbläschen sich zu Wolken mit bestimmten Umrissen condensirt, so vermehrt sich nach Maaßgabe der Verdichtung die electrische Spannung der äußeren Hülle oder OberflächeGay-Lussac in den Annales de Chimie et de Physique T. VIII. p. 167. Nach den abweichenden Ansichten von Lamé, Becquerel und Peltier ist über die Ursach der specifischen Vertheilung der Electricität in Wolken, deren einige eine positive oder eine negative Spannung haben, bisher schwer zu entscheiden. Auffallend ist die, zuerst von Tralles aufgefundene, von mir oft in verschiedenen Breiten bestätigte, negative Electricität der Luft, die bei hohen Wasserfällen Zerstäubung der Wassertropfen veranlaßt und in drei- bis vierhundert Fuß Entfernung für sensible Electrometer bemerkbar ist., auf welche die Electricität der einzelnen Dunstbläschen überströmt. Die schiefergrauen Wolken haben, nach Peltier's zu Paris angestellten Versuchen, Harz-; die weißen, rosen- und orangefarbenen Wolken Glas-Electricität. Gewitterwolken umhüllen nicht bloß die höchsten Gipfel der Andeskette (ich selbst habe die verglasenden Wirkungen des 363 Blitzes auf einem der Felsthürme gefunden, welche in einer Höhe von fast 14300 Fuß den Krater des Vulkans von Toluca überragen); auch über dem Tieflande, in der gemäßigten Zone, sind Gewitterwolken in einer verticalen Höhe von 25000 Fuß gemessen wordenArago im Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1838 p. 246.. Bisweilen senkt sich aber die donnernde Wolkenschicht bis zu fünf-, ja zu dreitausend Fuß Abstand über der Ebene herab.
Nach Arago's Untersuchungen, den umfassendsten, welche wir bisher über diesen schwierigen Theil der Meteorologie besitzen, sind die Licht-Entbindungen (Blitze) dreierlei Art: zickzackförmige, scharf an den Rändern begrenzte; Blitze, die das ganze, sich gleichsam öffnende Gewölk erleuchten; Blitze in Form von Feuerkugeln.A. a. O. p. 249–266 (vergl. p. 268–279). Wenn die ersteren beiden Arten kaum 1/1000 der Secunde dauern, so bewegen sich dagegen die globulären Blitze weit langsamer; ihre Erscheinung hat eine Dauer von mehreren Secunden. Bisweilen (und neue Beobachtungen bestätigen das schon von Nicholson und Beccaria beschriebene Phänomen) werden ganz ohne vernehmbaren Donner, ohne Anzeige von Gewitter isolirte Wolken, welche hoch über dem Horizont stehn, ohne Unterbrechung auf lange Zeit leuchtend im Innern und an den Rändern; auch hat man fallende Hagelkörner, Regentropfen und Schneeflocken ohne vorhergegangenen Donner leuchten gesehn. In der geographischen Vertheilung der Gewitter bietet das peruanische Küstenland, in dem es nie blitzt und donnert, den auffallendsten Contrast mit der ganzen übrigen Tropenzone dar: in welcher sich zu gewissen Jahreszeiten fast täglich, 4 bis 5 Stunden nach der Culmination der Sonne, Gewitter bilden. Nach den vielen von Arago gesammelten 364 Zeugnissen der Seefahrer (Scoresby, Parry, Roß, Franklin) ist nicht zu bezweifeln, daß im allgemeinen im hohen Norden zwischen 70° und 75° Breite electrische Explosionen überaus seltenA. a. O. p. 388–391. Der um die Meteorologie des asiatischen Nordens hoch verdiente Akademiker von Baer hat nicht die große Seltenheit der Gewitter in Island und Grönland in Abrede gestellt: er hat nur angezeigt (Bulletin de l'Acad. de St.-Pétersbourg 1839 Mai), daß man auch in Nowaja Semlja und Spitzbergen bisweilen habe donnern gehört. sind.
Der meteorologische Theil des Naturgemäldes, welchen wir hier beschließen, zeigt, daß alle Processe der Licht-Absorption, der Wärme-Entbindung, der Elasticitäts-Veränderung, des hygrometrischen Zustandes und der electrischen Spannung, welche das unermeßliche Luftmeer darbietet: so innig mit einander zusammenhangen, daß jeder einzelne meteorologische Proceß durch alle anderen gleichzeitigen modificirt wird. Diese Mannigfaltigkeit der Störungen, die unwillkührlich an diejenigen erinnern, welche in den Himmelsräumen die nahen und besonders die kleinsten Weltkörper (Trabanten, Cometen, Sternschnuppen) in ihrem Laufe erleiden, erschwert die Deutung der verwickelten meteorologischen Erscheinungen; sie beschränkt und macht größtentheils unmöglich die Vorherbestimmung atmosphärischer Veränderungen: welche für den Garten- und Landbau, für die Schifffahrt, für den Genuß und die Freuden des Lebens so wichtig wäre. Diejenigen, welche den Werth der Meteorologie nicht in die Kenntniß der Phänomene selbst, sondern in jene problematische Vorherbestimmung setzen, sind von der festen Ueberzeugung durchdrungen: daß der Theil der Naturwissenschaft, um den so viele Reisen in ferne Berggegenden unternommen worden sind, die Meteorologie, sich seit Jahrhunderten keiner Fortschritte zu rühmen habe. Das Vertrauen, das sie den Physikern entziehen, schenken sie dem Mondwechsel und gewissen lange berufenen Calendertagen.
365 »Große Abweichungen von der mittleren Temperatur-Vertheilung treten selten local auf, sie sind meist über große Länderstrecken gleichmäßig vertheilt. Die Größe der Abweichung ist an einer bestimmten Stelle ein Maximum und nimmt dann nach den Grenzen hin ab. Werden diese Grenzen überschritten, so findet man starke Abweichungen im entgegengesetzten Sinne. Gleichartige Witterungs-Verhältnisse finden sich häufiger von Süden nach Norden als von Westen nach Osten. Am Ende des Jahres 1829 (als ich meine sibirische Reise vollendete) fiel das Maximum der Kälte nach Berlin, während Nordamerika sich einer ungewöhnlichen Wärme erfreute. Es ist eine ganz willkührliche Annahme, daß auf einen strengen Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter ein kühler Sommer folge.« Die so verschiedenartig entgegengesetzten Witterungs-Verhältnisse neben einander liegender Länder oder zweier kornbauenden Continente bringen eine wohlthätige Ausgleichung in den Preisen vieler Producte des Wein- und Ackerbaues hervor. Man hat mit Recht bemerkt, daß das Barometer allein uns andeute, was in allenKämtz in Schumacher's Jahrbuch für 1838 S. 285. (Ueber Gegensätze der Wärme-Vertheilung in Osten und Westen, Europa und Nordamerika, s. Dove, Repertorium der Physik Bd. III. S. 392–395.) Luftschichten über dem Beobachtungsorte bis zur äußersten Grenze der Atmosphäre in der Veränderung des Druckes vorgeht: während das Thermometer und Psychrometer uns nur über die örtliche Wärme und Feuchtigkeit der unteren, dem Boden nahen Schicht unterrichtet. Die gleichzeitigen thermischen und hygrometrischen Modificationen der oberen Luftregionen ergründen wir, wo unmittelbare Beobachtungen auf Bergen oder aërostatischen Reisen fehlen, nur aus hypothetischen Combinationen, da das Barometer allerdings auch als Thermometer und 366 Feuchtigkeits-Bestimmer dienen kann. Wichtige Witterungs-Veränderungen haben nicht eine örtliche Ursach an dem Beobachtungsorte selbst; sie sind Folgen einer Begebenheit, die in weiter Ferne durch Störung des Gleichgewichts in den Luftströmungen begonnen hat, meist nicht an der Oberfläche der Erde, sondern in den höchsten Regionen: kalte oder warme, trockene oder feuchte Luft herbeiführend, die Durchsichtigkeit der Luft trübend oder aufheiternd, die gethürmte Haufenwolke in zartgefiederten Cirrus umwandelnd. Weil also Unzugänglichkeit der Erscheinungen sich zu der Vervielfältigung und Complication der Störungen gesellt, hat es mir immer geschienen, daß die Meteorologie ihr Heil und ihre Wurzel wohl zuerst in der heißen Zone suchen müsse: in jener glücklichen Region, wo stets dieselben Lüfte wehen, wo Ebbe und Fluth des atmosphärischen Druckes, wo der Gang der Hydrometeore, wo das Eintreten electrischer Explosionen periodisch wiederkehrend sind.
Nachdem wir, den ganzen Umfang des anorganischen Erdenlebens durchlaufend, den Planeten in seiner Gestaltung, seiner inneren Wärme, seiner electro-magnetischen Ladung, seinem Lichtprocesse an den Polen, seiner, Vulcanismus genannten Reaction gegen die starre, mannigfach zusammengesetzte, äußere Rinde, endlich in den Erscheinungen seiner zwiefachen äußeren Hüllen (des Oceans und des Luftmeers) in wenigen Zügen geschildert haben; könnte nach der älteren Behandlung der physischen Erdbeschreibung das Naturbild als vollendet betrachtet werden. Wo aber die Weltansicht zu einem höheren Standpunkte sich zu erheben strebt, würde jenes Naturbild seines anmuthigsten Reizes beraubt erscheinen, 367 wenn es uns nicht zugleich die Sphäre des organischen Lebens in den vielen Abstufungen seiner typischen Entwickelung darböte. Der Begriff der Belebtheit ist so an den Begriff von dem Dasein der treibenden, unablässig wirksamen, entmischend schaffenden Naturkräfte geknüpft, welche in dem Erdkörper sich regen: daß in den ältesten Mythen der Völker diesen Kräften die Erzeugung der Pflanzen und Thiere zugeschrieben, ja der Zustand einer unbelebten Oberfläche unsres Planeten in die chaotische Urzeit kämpfender Elemente hinaufgerückt wurde. In das empirische Gebiet objectiver sinnlicher Betrachtung, in die Schilderung des Gewordenen, des dermaligen Zustandes unsres Planeten, gehören nicht die geheimnißvollen und ungelösten Probleme des Werdens.
Die Weltbeschreibung, nüchtern an die Realität gefesselt, bleibt nicht aus Schüchternheit, sondern nach der Natur ihres Inhaltes und ihrer Begrenzung den dunkeln Anfängen einer Geschichte der OrganismenDie Geschichte der Pflanzen, welche auf eine geistreiche Art und mit wenigen Zügen Endlicher und Unger geschildert haben (Grundzüge der Botanik 1843 S. 449–468), habe ich vor einem halben Jahrhundert in den meiner »unterirdischen Flora« angehängten Aphorismen auf folgende Weise von der Pflanzen-Geographie getrennt: Geognosia naturam animantem et inanimam vel, ut vocabulo minus apto, ex antiquitate saltem haud petito, utar, corpora organica aeque ac inorganica considerat. Sunt enim tria quibus absolvitur capita: Geographia oryctologica quam simpliciter Geognosiam vel Geologiam dicunt, virque acutissimus Wernerus egregie digessit; Geographia zoologica, cujus doctrinae fundamenta Zimmermannus et Treviranus jecerunt; et Geographia plantarum quam aequales nostri diu intactam reliquerunt. Geographia plantarum vincula et cognationem tradit, quibus omnia vegetabilia inter se connexa sint, terrae tractus quos teneant, in aerem atmosphaericum quae sit eorum vis ostendit, saxa atque rupes quibus potissimum algarum primordiis radicibusque destruantur docet, et quo pacto in telluris superficie humus nascatur, commemorat. Est itaque quod differat inter Geognosiam et Physiographiam, historia naturalis perperam nuncupatam, quum Zoognosia, Phytognosia et Oryctognosia, quae quidem omnes in naturae investigatione versantur, non nisi singulorum animalium, plantarum, rerum metallicarum vel (venia sit verbo) fossilium formas, anatomen, vires scrutantur. Historia Telluris, Geognosiae magis quam Physiographiae affinis, nemini adhuc tentata, plantarum animaliumque genera orbem inhabitantia primaevum, migrationes eorum compluriumque interitum, ortum quem montes, valles, saxorum strata et venae metalliferae ducunt, aerem, mutatis temporum vicibus, modo purum, modo vitiatum, terrae superficiem humo plantisque paulatim obtectam, fluminum inundantium impetu denuo nudatam, iterumque siccatam et gramine vestitam commemorat. Igitur Historia zoologica, Historia plantarum et Historia oryctologica, quae non nisi pristinum orbis terrae statum indicant, a Geognosia probe distinguendae.« (Humboldt, Flora Fribergensis subterranea, cui accedunt aphorismi ex Physiologia chemica plantarum, 1793, p. IX–X.) Ueber die sich selbst bestimmenden Bewegungen, von denen weiter unten im Texte die Rede ist, vergl. die merkwürdige Stelle des Aristoteles de Coelo II, 2 p. 284 Bekker, wo der Unterschied der belebten und unbelebten Körper in den inneren oder äußeren Bestimmungssitz der Bewegung gesetzt wird. Von der »ernährenden Pflanzenseele«, sagt der Stagirite, geht keine Bewegung aus, weil die Pflanzen in einem »stillen, nicht zu erweckenden Schlummer liegen« (Aristot. de generat. Animal. V, 1 p. 778 Bekker) und keine Begierden haben, die sie zur Selbstbewegung reizen (Aristot. de somno et vigil. cap. 1 p. 455 Bekker). fremd: wenn das Wort Geschichte hier in seinem gebräuchlichsten Sinne genommen wird. Aber die Weltbeschreibung darf auch daran mahnen, daß in der anorganischen Erdrinde dieselben Grundstoffe vorhanden sind, welche das Gerüste der Thier- und Pflanzen-Organe bilden. Sie lehrt, daß in diesen wie in jener dieselben Kräfte walten, welche Stoffe verbinden und trennen, welche gestalten und flüssig machen in den organischen Geweben: aber Bedingungen unterworfen, die noch unergründet unter der sehr unbestimmten Benennung von Wirkungen der Lebenskräfte nach mehr oder minder glücklich geahndeten Analogien systematisch gruppirt werden. Der naturbeschauenden Stimmung unsers 368 Gemüthes ist es daher ein Bedürfniß, die physischen Erscheinungen auf der Erde bis zu ihrem äußersten Gipfel, bis zur Form-Entwickelung der Vegetabilien und der sich selbst bestimmenden Bewegung im thierischen Organismus zu verfolgen. So schließt sich die Geographie des Organisch-Lebendigen (Geographie der Pflanzen und Thiere) an die Schilderung der anorganischen Naturerscheinungen des Erdkörpers an.
Ohne hier die schwierige Frage zu erörtern über das »sich selbst Bewegende«, d. h. über den Unterschied des vegetabilischen und thierischen Lebens: müssen wir zuerst nur darauf aufmerksam machen, daß, wenn wir von Natur mit microscopischer Sehkraft begabt, wenn die Integumente der Pflanzen vollkommen durchsichtig wären, das Gewächsreich uns nicht den Anblick von Unbeweglichkeit und Ruhe darbieten würde, in welcher es jetzt unseren Sinnen erscheint. Die inneren Theile des Zellenbaues der Organe sind unaufhörlich durch die verschiedenartigsten Strömungen belebt. Es sind: Rotations-Strömungen: auf- und absteigend, sich verzweigend, ihre Richtungen verändernd, durch die Bewegung körnigen Schleims offenbart, in Wasserpflanzen (Najaden, Characeen, Hydrochariden) und in den Haaren phanerogamischer Landpflanzen; eine wimmelnde, von dem großen Botaniker Robert Brown entdeckte Molecular-Bewegung, welche freilich außerhalb der Organe bei jeder äußersten Theilung der Materie ebenfalls bemerkbar wird; die kreisende Strömung der Milchsaft-Kügelchen (Cyclose) in einem System eigener Gefäße; endlich die sonderbaren, sich entrollenden, gegliederten Fadengefäße in den Antheridien der Chara und den Reproductions-Organen der Lebermoose und Tang-Arten, 369 in welchen der, der Wissenschaft zu früh entrissene Meyen ein Analogon der Spermatozoen der animalischen Schöpfung zu erkennen glaubte. Zählen wir zu diesen mannigfaltigen Regungen und Wirbeln noch hinzu, was der Endosmose, den Processen der Ernährung und des Wachsthums, was den inneren Luftströmen zugehört; so haben wir ein Bild von den Kräften, welche, uns fast unbewußt, in dem stillen Pflanzenleben thätig sind.
Seitdem ich in den Ansichten der Natur die Allbelebtheit der Erdoberfläche, die Verbreitung der organischen Formen nach Maaßgabe der Tiefe und Höhe geschildert habe, ist unsere Kenntniß auch in dieser Richtung durch Ehrenberg's glänzende Entdeckungen »über das Verhalten des kleinsten Lebens in dem Weltmeere wie in dem Eise der Polarländer« auf eine überraschende Weise: und zwar nicht durch combinatorische Schlüsse, sondern auf dem Wege genauer Beobachtung, vermehrt worden. Die Lebenssphäre, man möchte sagen der Horizont des Lebens, hat sich vor unseren Augen erweitert. »Es giebt nicht nur ein unsichtbar kleines, microscopisches, ununterbrochen thätiges Leben in der Nähe beider Pole, da wo längst das größere nicht mehr gedeiht; die microscopischen Lebensformen des Südpol-Meeres, auf der antarctischen Reise des Capitän James Roß gesammelt, enthalten sogar einen ganz besonderen Reichthum bisher ganz unbekannter, oft sehr zierlicher Bildungen. Selbst im Rückstande des geschmolzenen, in rundlichen Stücken umherschwimmenden Eises, unter einer Breite von 78° 10', wurden über funfzig Arten kieselschaliger Polygastern, ja Coscinodisken, mit ihren grünen Ovarien: also sicher lebend und gegen die Extreme strenger Kälte glücklich 370 ankämpfend, gefunden. In dem Golf des Erebus wurden mit dem Senkblei in 1242 bis 1620 Fuß Tiefe 68 kieselschalige Polygastern und Phytolitharien, und mit ihnen nur eine einzige kalkschalige Polythalamia, heraufgezogen.«
Die bisher beobachteten oceanischen microscopischen Formen sind in weit überwiegender Menge die kieselschaligen, obgleich die Analyse des Meerwassers die Kieselerde nicht als wesentlichen Bestandtheil zeigt (und dieselbe wohl nur als schwebend gedacht werden kann). Der Ocean ist aber nicht bloß an einzelnen Punkten und in Binnenmeeren, oder den Küsten nahe, mit unsichtbaren, d. h. von nichtbewaffneten Augen ungesehenen Lebens-Atomen dicht bevölkert; man kann auch nach den von Schayer auf seiner Rückreise aus Van Diemens Land geschöpften Wasserproben (südlich vom Vorgebirge der guten Hoffnung in 57° Breite, wie mitten unter den Wendekreisen im atlantischen Meere) für erwiesen annehmen: daß der Ocean in seinem gewöhnlichen Zustande, ohne besondere Färbung, ohne fragmentarisch schwimmende, den Oscillatorien unserer süßen Wasser ähnliche Filze kieselschaliger Fäden der Gattung Chaetoceros, bei klarster Durchsichtigkeit zahlreiche microscopische selbstständige Organismen enthalte. Einige Polygastern von den Cockburn-Inseln, mit Pinguin-Excrementen und Sand gemengt, scheinen über die ganze Erde verbreitet; andere sind beiden Polen gemeinsam.Ehrenberg's Abhandlung über das kleinste Leben im Ocean, gelesen in der Akad. der Wiss. zu Berlin am 9 Mai 1844.
Es herrscht demnach, und die neuesten Beobachtungen bestätigen diese Ansicht, in der ewigen Nacht der oceanischen Tiefen vorzugsweise das Thierleben: während auf den Continenten, des periodischen Reizes der Sonnenstrahlen bedürftig, das Pflanzenleben am meisten verbreitet ist. 371 Der Masse nach überwiegt im allgemeinen der vegetabilische Organismus bei weitem den thierischen auf der Erde. Was ist die Zahl großer Cetaceen und Pachydermen gegen das Volum dichtgedrängter, riesenmäßiger Baumstämme von 8–12 Fuß Durchmesser in dem einzigen Waldraum, welcher die Tropenzone von Südamerika zwischen dem Orinoco, dem Amazonenfluß und dem Rio da Madeira füllt. Wenn auch der Charakter der verschiedenen Erdräume von allen äußeren Erscheinungen zugleich abhängt; wenn Umriß der Gebirge, Physiognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit des Luftkreises den Total-Eindruck bewirken: so ist doch nicht zu läugnen, daß das Hauptbestimmende dieses Eindrucks die Pflanzendecke ist. Dem thierischen Organismus fehlt es an Masse, und die Beweglichkeit der Individuen entzieht sie oft unsern Blicken. Die Pflanzenschöpfung wirkt durch stetige Größe auf unsere Einbildungskraft; ihre Masse bezeichnet ihr Alter, und in den Gewächsen allein sind Alter und Ausdruck der stets sich erneuernden Kraft mit einander gepaart.Humboldt, Ansichten der Natur (2te Ausg. 1826) Bd. II. S. 21. In dem Thierreiche (und auch diese Betrachtung ist das Resultat von Ehrenberg's Entdeckungen) ist es gerade das Leben, das man das kleinste im Raume zu nennen pflegt, welches durch seine Selbsttheilung und rasche VermehrungUeber Vermehrung durch Selbsttheilung des Mutterkörpers und durch Einschieben neuer Substanz s. Ehrenberg von den jetzt lebenden Thierarten der Kreidebildung, in den Abhandl. der Berliner Akad. der Wiss. 1839 S. 94. Die größte zeugende Kraft der Natur ist in den Vorticellen. Schätzungen der möglich raschesten Massenentwicklung finden sich in Ehrenberg's großem Werke: die Infusionsthierchen als vollkommne Organismen 1838 S. XIII., XIX und 244. »Die Milchstraße dieser Organismen geht durch die Gattungen Monas, Vibrio, Bacterium und Bodo.« Die Allbelebtheit der Natur ist so groß, daß kleinere Infusionsthiere parasitisch auf größeren leben, ja daß die ersteren wiederum anderen zum Wohnsitz dienen (S. 194, 211 und 512). die wunderbarsten Massen-Verhältnisse darbietet. Die kleinsten der Infusorien, die Monadinen, erreichen nur einen Durchmesser von 1/3000 einer Linie: und doch bilden die kieselschaligen Organismen in feuchten Gegenden unterirdische belebte Schichten von der Dicke mehrerer Lachter.
Der Eindruck der Allbelebtheit der Natur, anregend 372 und wohlthätig dem fühlenden Menschen, gehört jeder Zone an; am mächtigsten wird er gegen den Aequator hin: in der eigentlichen Zone der Palmen, der Bambusen und der baumartigen Farn, da wo von dem mollusken und corallenreichen Meeresufer der Boden sich bis zur ewigen Schneegrenze erhebt. Die Ortsverhältnisse der Pflanzen und Thiere umfassen fast alle Höhen und Tiefen. Organische Gebilde steigen in das Innere der Erde herab; nicht bloß da, wo durch den Fleiß des Bergmannes große Weitungen entstanden sind: auch in natürlichen Höhlen, die zum ersten Male durch Sprengarbeit geöffnet wurden und in die nur meteorische Tagewasser auf Spalten eindringen konnten, habe ich schneeweiße Stalactiten-Wände mit dem zarten Geflechte einer Usnea bedeckt gefunden. Podurellen dringen in die Eisröhren der Gletscher am Mont Rose, im Grindelwald und dem Oberen Aargletscher; Chionaea araneoides, von Dalman beschrieben, und die microscopische Discerea nivalis (einst Protococcus) leben im Schnee der Polarländer wie in dem unserer hohen Gebirge. Das Rothwerden des alten Schnees war schon dem Aristoteles, wahrscheinlich in den macedonischen Gebirgen, bekannt geworden.Aristot. hist. Animal. V, 19 p. 552 Bekk. Während auf hohen Gipfeln der schweizer Alpen nur Lecideen, Parmelien und Umbilicarien das von Schnee entblößte Gestein farbig, aber sparsam überziehen; blühen noch vereinzelt in der Tropengegend der Andeskette in 14000 und 14400 Fuß Höhe schöne Phanerogamen: das wollige Culcitium rufescens, Sida picchinchensis und Saxifraga Boussingaulti. Heiße Quellen enthalten kleine Insecten (Hydroporus thermalis), Gallionellen, Oscillatorien und Conferven; sie tränken selbst die Wurzelfasern phanerogamischer Gewächse. Wie Erde, 373 Luft und Wasser bei den verschiedensten Temperaturen belebt sind; so ist es auch das Innre der verschiedensten Theile der Thierkörper. Es giebt Blutthiere in den Fröschen wie im Lachse; nach Nordmann sind oft alle Flüssigkeiten der Fischaugen mit einem Saugwurme (Diplostomum) gefüllt: ja in den Kiemen des Bleies lebt das wundersame Doppelthier (Diplozoon paradoxum), welches der ebengenannte Naturforscher entdeckt hat: ein Thier, kreuzförmig verwachsen, mit 2 Köpfen und 2 Schwanzenden versehen.
Wenn auch die Existenz von sogenannten Meteor-Infusorien mehr als zweifelhaft ist, so darf doch die Möglichkeit nicht geläugnet werden, daß, wie Fichten-Blüthenstaub jährlich aus der Atmosphäre herabfällt, auch kleine Infusionsthiere, mit dem Wasserdampf passiv gehoben, eine Zeit lang in den Luftschichten schweben können.Ehrenberg a. a. O. S. XIV, 122 und 493. Zu der raschen Vermehrung der kleinsten Organismen gesellt sich noch bei einigen (Weizen-Aalchen, Räderthieren, Wasserbären oder Tardigraden) die wunderbare Ausdauer des Lebens. Trotz einer 28tägigen Austrocknung im luftleeren Raume durch Chlorkalk und Schwefelsäure, trotz einer Erhitzung von 120° wurde die Wieder-Erweckung aus dem Scheintode beobachtet. Siehe die schönen Versuche des Herrn Doyère im mém. sur les Tardigrades et sur leur propriété de revenir à la vie 1842 p. 119, 120, 131 und 133. Vergl. im allgemeinen über das Wiederaufleben Jahre lang vertrockneter Thiere Ehrenberg S. 492–496. Dieser Umstand ist bei dem uralten Zwiste über eine mutterlose ZeugungMan vergleiche über die vermeinte »primitive Umbildung« der organisirten oder unorganisirten Materie zu Pflanzen und Thieren Ehrenberg in Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XXIV. S. 1–48 und desselben Infusionsthierchen S. 121 und 525 mit Joh. Müller, Physiologie des Menschen (4te Aufl. 1844) Bd. I. S. 8–17. Ueberaus merkwürdig scheint mir, daß Augustinus der Kirchenvater sich in seinen Fragen: wie möglicherweise die Inseln nach der großen Fluth haben auf's neue Pflanzen und Thiere empfangen können, der sogenannten »keim- und mutterlosen Zeugung« (generatio aequivoca, spontanea aut primaria) keinesweges abgeneigt bezeigt. »Haben«, sagt er, »die Engel die Thiere nicht auf abgelegene Inseln gebracht oder etwa jagdlustige Bewohner der Continente, so müssen sie aus der Erde unmittelbar entstanden sein; wobei freilich die Frage entsteht, zu welchem Zwecke allerlei Thiere in der Arche versammelt worden waren.« »Si e terra exortae sunt (bestiae) secundum originem primam, quando dixit Deus: Producat terra animam vivam! multo clarius apparet, non tam reparandorum animalium causa, quam figurandarum variarum gentium (?) propter ecclesiae sacramentum in Arca fuisse omnia genera, si in insulis, quo transire non possent, multa animalia terra produxit.« Augustinus de Civitate Dei lib. XVI cap. 7 (Opera ed. Monach. Ordinis S. Benedicti T. VII. Venet. 1732 p. 422). – Schon 200 Jahre vor dem Bischof von Hippo finden wir in den Auszügen des Trogus Pompeius die generatio primaria mit der frühesten Abtrocknung der Urwelt und der Hochebene von Asien in Verbindung gesetzt, ganz wie in der paradiesischen Terrassen-Theorie des großen Linné und in den Atlantis-Träumen des achtzehnten Jahrhunderts: »Quodsi omnes quondam terrae submersae profundo fuerunt, profecto editissimam quamque partem decurrentibus aquis primum detectam; humillimo autem solo eandem aquam diutissime immoratam, et quanto prior quaeque pars terrarum siccata sit, tanto prius animalia generare coepisse. Porro Scythiam adeo editiorem omnibus terris esse, ut cuncta flumina ibi nata in Maeotim, tum deinde in Ponticum et Aegyptium mare decurrant.« Justinus lib. II cap. 1. Die irrige Meinung, daß das Land der Scythen eine Hochebene bilde, ist so uralt, daß wir sie schon recht deutlich im Hippocrates (de Aëre et Aquis cap. 6 § 96 Coray) ausgedrückt finden. »Scythien«, sagt er, »bildet hohe und nackte Ebenen, die, ohne von Bergen gekrönt zu sein, gegen Norden immer höher und höher ansteigen.« (generatio spontanea) in ernste Betrachtung zu nehmen: um so mehr als Ehrenberg, wie schon oben bemerkt, entdeckt hat, daß der nebelartig die Luft trübende Staubregen, welchem Seefahrer häufig in der Nähe der capverdischen Inseln und bis in 380 Seemeilen Entfernung von der afrikanischen Küste ausgesetzt sind, Reste von 18 Arten kieselschaliger polygastrischer Thierchen enthält.
Die Fülle der Organismen, deren räumliche Vertheilung die Geographie der Pflanzen und Thiere verfolgt, wird entweder nach der Verschiedenheit und relativen Zahl der Bildungstypen, also nach der Gestaltung der vorhandenen Gattungen und Arten; oder nach der Zahl der Individuen betrachtet, welche auf einem gegebenen Flächenraume einer jeden Art zukommt. Bei den Pflanzen wie bei 374 den Thieren ist es ein wichtiger Unterschied ihrer Lebensweise, ob sie isolirt (vereinzelt) oder gesellig lebend gefunden werden. Die Arten, welche ich gesellige PflanzenHumboldt, Aphorismi ex Physiologia chemica plantarum in der Flora Fribergensis subterranea 1793 p. 178. genannt habe, bedecken einförmig große Strecken. Dahin gehören viele Tang-Arten des Meeres, Cladonien und Moose in den öden Flachländern des nördlichen Asiens, Gräser und orgelartig aufstrebende Cacteen, Avicennia und Manglesträucher in der Tropenwelt, Wälder von Coniferen und Birken in den baltischen und sibirischen Ebnen. Diese Art der geographischen Vertheilung bestimmt: neben der individuellen Form der Pflanzengestalt, neben ihrer Größe, Blatt- und Blüthenform, hauptsächlich den physiognomischen CharakterUeber die Physiognomik der Gewächse in Humboldt, Ansichten der Natur Bd. II. S. 1–125. einer Gegend. Das bewegliche Bild des Thierlebens: so mannigfaltig und reizend, so mehr angeeignet es unseren Gefühlen der Zuneigung oder des Abscheues ist; bleibt fast demselben fremd, wirkt wenigstens minder mächtig auf ihn. Die ackerbauenden Völker vermehren künstlich die Herrschaft geselliger Pflanzen, und so an vielen Punkten der gemäßigten und nördlichen Zone den Anblick der Einförmigkeit der Natur; auch bereiten sie den Untergang wildwachsenden Pflanzen und siedeln andere, die dem Menschen auf fernen Wanderungen folgen, absichtslos an. Die üppige Zone der Tropenwelt widersteht kräftiger diesen gewaltsamen Umwandlungen der Schöpfung.
Beobachter, welche in kurzer Zeit große Landstrecken durchzogen, Gebirgsgruppen bestiegen hatten, in denen die Klimate schichtenweise über einander gelagert sind, mußten sich früh angeregt fühlen von einer gesetzmäßigen Vertheilung der Pflanzenformen. Sie sammelten rohe Materialien für eine Wissenschaft, deren Name noch nicht ausgesprochen war. 375 Dieselben Zonen (Regionen) der Gewächse, welche als Jüngling der Cardinal BemboAetna Dialogus. Opuscula Basil. 1556 p. 53–54. Eine schöne Pflanzen-Geographie des Aetna hat in neuerer Zeit Philippi gegeben. S. Linnäa 1832 S. 733. am Abhange des Aetna im sechzehnten Jahrhundert beschrieb, fand Tournefort am Ararat wieder. Er verglich scharfsinnig die Alpenflor mit der Flor der Ebenen unter verschiednen Breiten; er bemerkte zuerst, daß die Erhöhung des Bodens über dem Meeresspiegel auf die Vertheilung der Gewächse wirke, wie die Entfernung vom Pole im Flachlande. Menzel in einer unedirten Flora von Japan sprach zufällig den Namen der Geographie der Pflanzen aus. Dieser Name findet sich wieder in den phantastischen, aber anmuthigen Studien der Natur von Bernardin de St. Pierre. Eine wissenschaftliche Behandlung des Gegenstandes hat erst angefangen, als man die Geographie der Pflanzen mit der Lehre von der Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper in innige Verbindung brachte; als man die Gewächse nach natürlichen Familien ordnen: und so numerisch unterscheiden konnte, welche Formen vom Aequator gegen die Pole ab- oder zunehmen, in welchem Zahlenverhältniß in verschiedenen Erdstrichen jede Familie zu der ganzen daselbst wachsenden Masse der Phanerogamen stehe. Es ist ein glücklicher Umstand meines Lebens gewesen, daß zu der Zeit, in welcher ich mich fast ausschließend mit Botanik beschäftigte, meine Studien, durch den Anblick einer großartigen, klimatisch contrastirten Natur begünstigt, sich auf die eben genannten Gegenstände der Untersuchung richten konnten.
Die geographische Verbreitung der Thierformen, über welche Buffon zuerst allgemeine und großentheils sehr richtige Ansichten aufgestellt, hat in neueren Zeiten aus den 376 Fortschritten der Pflanzen-Geographie mannigfaltigen Nutzen gezogen. Die Krümmungen der Isothermen, besonders die der isochimenen, offenbaren sich in den Grenzen, welche gewisse Pflanzen- und nicht weit wandernde Thierarten gegen die Pole zu, wie gegen den Gipfel schneebedeckter Gebirge, selten übersteigen. Das Elennthier z. B. lebt auf der scandinavischen Halbinsel fast zehn Grad nördlicher als im Innern von Sibirien, wo die Linie gleicher Winterwärme so auffallend concav wird. Pflanzen wandern im Ei. Der Saamen vieler ist mit eigenen Organen zur weiten Luftreise versehen. Einmal angewurzelt, sind sie abhängiger vom Boden und von der Temperatur der Luftschicht, welche sie umgiebt. Thiere erweitern nach Willkühr ihren Verbreitungsbezirk von dem Aequator gegen die Pole hin: da vorzüglich, wo die Isotheren sich wölben und heiße Sommer auf eine strenge Winterkälte folgen. Der Königstiger, von dem ostindischen gar nicht verschieden, streift jeden Sommer im nördlichen Asien bis in die Breite von Berlin und Hamburg, wie Ehrenberg und ich an einem anderen Orte entwickelt haben.Ehrenberg in den Annales des Sciences Naturelles T. XXI. p. 387–412; Humboldt, Asie centrale T. I. p. 339–342, T. III. p. 95–101.
Die Gruppirung oder Association der Gewächsarten, welche wir Floren (Vegetations-Gebiete) zu nennen gewohnt sind, scheint mir, nach dem, was ich von der Erde gesehen, keinesweges das Vorherrschen einzelner Familien so zu offenbaren, daß man berechtigt sein könnte Reiche der Umbellaten, Solidago-Arten, Labiaten oder Scitamineen geographisch aufzustellen. Meine individuelle Ansicht bleibt in diesem Punkte abweichend von der Ansicht mehrerer der ausgezeichnetsten und mir befreundeten Botaniker Deutschlands. Der Charakter der Floren in den 377 Hochländern von Mexico, Neu-Granada und Quito, vom europäischen Rußland und von Nord-Asien liegt, wie ich glaube, nicht in der relativ größeren Zahl der Arten, welche eine oder zwei natürliche Familien bilden; er liegt in den viel complicirteren Verhältnissen des Zusammenlebens vieler Familien und der relativen Zahlenwerthe ihrer Arten. In einem Wiesen- und Steppenlande herrschen allerdings die Gramineen und Cyperaceen, in unsern nördlichen Wäldern die Zapfenbäume, Cupuliferen und Betulineen vor; aber dieses Vorherrschen der Formen ist nur scheinbar, und täuschend wegen des Anblickes, den gesellige Pflanzen gewähren. Der Norden von Europa, und Sibirien in der Zone nördlich vom Altai verdienen wohl nicht mehr den Namen eines Reichs der Gramineen oder der Coniferen als die endlosen Llanos zwischen dem Orinoco und der Bergkette von Caracas oder als die Fichtenwaldungen von Mexico. In dem Zusammenleben der Formen, die sich theilweise ersetzen, in ihrer relativen Menge und Gruppirung liegt der Gesammteindruck von Fülle und Mannigfaltigkeit oder von Armuth und Einförmigkeit der vegetabilischen Natur.
Ich bin in dieser fragmentaren Betrachtung der Erscheinungen des Organismus von den einfachsten ZellenSchleiden über die Entwicklungsweise der Pflanzenzellen, in Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie 1838 S. 137–176; desselben Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik Th. I. S. 191, Th. II. S. 11; Schwann, mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen 1839 S. 45 und 220. Vergl. auch über gleichartige Fortpflanzung Joh. Müller, Physiologie des Menschen 1840 Th. II. S. 614., gleichsam dem ersten Hauche des Lebens, zu höheren und höheren Bildungen aufgestiegen. »Das Zusammenhäufen von Schleimkörnchen zu einem bestimmt geformten Cytoblasten, um den sich blasenförmig eine Membrane als geschlossene Zelle bildet«, ist entweder durch eine schon vorhandene Zelle veranlaßt, so daß Zelle durch Zelle entstehtSchleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik 1842 Th. I. S. 192–197.; oder der Zellenbildungsproceß ist wie bei 378 den sogenannten Gährungspilzen in das Dunkel eines chemischen Vorgangs gehüllt. Die geheimnißvollste Art des Werdens durfte hier nur leise berührt werden. Die Geographie der Organismen (der Pflanzen und Thiere) behandelt die schon entwickelten Keime, ihre Ansiedelung durch willkührliche oder unwillkührliche Wanderung, ihr relatives Verhältniß, ihre Gesammtvertheilung auf dem Erdkörper.
Es würde das allgemeine Naturbild, das ich zu entwerfen strebe, unvollständig bleiben, wenn ich hier nicht auch den Muth hätte das Menschengeschlecht in seinen physischen Abstufungen, in der geographischen Verbreitung seiner gleichzeitig vorhandenen Typen; in dem Einfluß, welchen es von den Kräften der Erde empfangen und wechselseitig, wenn gleich schwächer, auf sie ausgeübt hat: mit wenigen Zügen zu schildern. Abhängig, wenn gleich in minderem Grade als Pflanzen und Thiere, von dem Boden und den meteorologischen Processen des Luftkreises; den Naturgewalten durch Geistesthätigkeit und stufenweise erhöhte Intelligenz, wie durch eine wunderbare, sich allen Klimaten aneignende Biegsamkeit des Organismus leichter entgehend: nimmt das Geschlecht wesentlich Theil an dem ganzen Erdenleben. Durch diese Beziehungen gehört demnach das dunkle und vielbestrittene Problem von der Möglichkeit gemeinsamer Abstammung in den Ideenkreis, welchen die physische Weltbeschreibung umfaßt. Es soll die Untersuchung dieses Problems, wenn ich mich so ausdrücken darf, durch ein edleres und rein menschliches Interesse das letzte Ziel meiner Arbeit bezeichnen. Das unermessene Reich der Sprachen, in deren verschiedenartigem 379 Organismus sich die Geschicke der Völker ahndungsvoll abspiegeln, steht am nächsten dem Gebiet der Stammverwandtschaft; und was selbst kleine Stammverschiedenheiten hervorzurufen vermögen, lehrt uns in der Blüthe geistiger Cultur die hellenische Welt. Die wichtigsten Fragen der Bildungsgeschichte der Menschheit knüpfen sich an die Ideen von Abstammung, Gemeinschaft der Sprache, Unwandelbarkeit in einer ursprünglichen Richtung des Geistes und des Gemüthes.
So lange man nur bei den Extremen in der Variation der Farbe und der Gestaltung verweilte, und sich der Lebhaftigkeit der ersten sinnlichen Eindrücke hingab, konnte man allerdings geneigt werden die Racen nicht als bloße Abarten, sondern als ursprünglich verschiedene Menschenstämme zu betrachten. Die Festigkeit gewisser TypenTacitus unterscheidet in seinen Speculationen über die Bevölkerung von Britannien (Agricola cap. 11) sehr schön, was den klimatischen Einwirkungen der Gegend; was, bei eingewanderten Stämmen, der alten unwandelbaren Kraft eines fortgepflanzten Typus angehören kann: »Britanniam qui mortales initio coluerunt, indigenae an advecti, ut inter barbaros, parum compertum. Habitus corporis varii, atque ex eo argumenta; namque rutilae Caledoniam habitantium comae, magni artus Germanicam originem adseverant. Silurum colorati vultus et torti plerumque crines, et posita contra Hispania, Iberos veteres trajecisse, easque sedes occupasse fidem faciunt; proximi Gallis, et similes sunt: seu durante originis vi; seu, procurrentibus in diversa terris, positio caeli corporibus habitum dedit.« Vergl. über die Ausdauer der Gestaltungstypen in heißen und kalten Erd- und Bergstrichen des Neuen Continents meine Relation historique T. I. p. 498–503, T. II. p. 572–574. mitten unter der feindlichsten Einwirkung äußerer, besonders klimatischer Potenzen schien eine solche Annahme zu begünstigen: so kurz auch die Zeiträume sind, aus denen historische Kunde zu uns gelangt ist. Kräftiger aber sprechen, auch meiner Ansicht nach, für die Einheit des Menschengeschlechts die vielen MittelstufenVergl. über die amerikanische Race im allgemeinen das Prachtwerk: Samuel George Morton, Crania americana 1839 p. 62–86, wie über die von Pentland mitgebrachten Schädel des Hochlandes von Titicaca im Dublin Journal of medical and chemical Science Vol. V. 1834 p. 475; Alcide d'Orbigny, l'homme américain considéré sous ses rapports physiol. et mor. 1839 p. 221. S. auch die an seinen ethnographischen Beobachtungen so reiche Reise in das innere Nord-America von Maximilian Prinz zu Wied 1839. der Hautfarbe und des Schädelbaues, welche die raschen Fortschritte der Länderkenntniß uns in neueren Zeiten dargeboten haben; die Analogie der Abartung in anderen wilden und zahmen Thierclassen; die sicheren Erfahrungen, welche über die Grenzen fruchtbarer Bastard-ErzeugungRudolph Wagner über Blendlinge und Bastarderzeugung in seinen Anmerkungen zu Prichard, Naturgesch. des Menschengeschlechts Th. I. S. 174–188. haben gesammelt werden können. Der größere Theil der Contraste, die man ehemals hatte zu finden geglaubt, ist durch die fleißige Arbeit Tiedemann's über das Hirn der Neger und der Europäer, durch die anatomischen Untersuchungen Vrolik's 380 und Weber's über die Gestalt des Beckens hinweggeräumt. Wenn man die dunkelfarbigen afrikanischen Nationen, über die Prichard's gründliches Werk so viel Licht verbreitet hat, in ihrer Allgemeinheit umfaßt: und sie dazu noch mit den Stämmen des südindischen und westaustralischen Archipels, mit den Papuas und Alfourous (Haraforen, Endamenen) vergleicht; so sieht man deutlich, daß schwarze Hautfarbe, wolliges Haar und negerartige Gesichtszüge keinesweges immer mit einander verbunden sindPrichard Th. I. S. 431, Th. II. S. 363–369.. So lange den westlichen Völkern nur ein kleiner Theil der Erde aufgeschlossen war, mußten einseitige Ansichten sich bilden. Sonnenhitze der Tropenwelt und schwarze Hautfarbe schienen unzertrennlich. »Die Aethiopen«, sang der alte Tragiker Theodectes von PhaselisOnesicritus im Strabo XV p. 690 und 695 Casaub. – Welcker (griechische Tragödien Abth. III. S. 1078) glaubt, die von Strabo citirten Verse des Theodectes seien einer verlornen Tragödie entlehnt, die vielleicht den Titel Memnon führte., »färbt der nahe Sonnengott in seinem Laufe mit des Russes finsterem Glanz; die Sonnengluth kräuselt ihnen dörrend das Haar.« Erst die Heerzüge Alexanders, welche so viele Ideen der physischen Erdbeschreibung anregten, fachten den Streit über den unsicheren Einfluß der Klimate auf die Volksstämme an. »Die Geschlechter der Thiere und Pflanzen«, sagt einer der größten Anatomen unsres Zeitalters, Johannes Müller, in seiner alles umfassenden Physiologie des Menschen, »verändern sich während ihrer Ausbreitung über die Oberfläche der Erde innerhalb der den Arten und Gattungen vorgeschriebenen Grenzen. Sie pflanzen sich als Typen der Variation der Arten organisch fort. Aus dem Zusammenwirken verschiedener sowohl innerer als äußerer, im einzelnen nicht nachweisbarer Bedingungen sind die gegenwärtigen Racen der Thiere hervorgegangen: von welchen sich die auffallendsten Abarten bei denen finden, die der 381 ausgedehntesten Verbreitung auf der Erde fähig sind. Die Menschenracen sind Formen einer einzigen Art, welche sich fruchtbar paaren und durch Zeugung fortpflanzen; sie sind nicht Arten eines Genus: wären sie das letztere, so würden ihre Bastarde unter sich unfruchtbar sein. Ob die gegebenen Menschenracen von mehreren oder Einem Urmenschen abstammen, kann nicht aus der Erfahrung ermittelt werden.«Joh. Müller, Physiologie des Menschen Bd. II. S. 768, 772–774.
Die geographischen Forschungen über den alten Sitz, die sogenannte Wiege des Menschengeschlechts haben in der That einen rein mythischen Charakter. »Wir kennen«, sagt Wilhelm von Humboldt in einer noch ungedruckten Arbeit über die Verschiedenheit der Sprachen und Völker, »geschichtlich oder auch nur durch irgend sichere Ueberlieferung keinen Zeitpunkt, in welchem das Menschengeschlecht nicht in Völkerhaufen getrennt gewesen wäre. Ob dieser Zustand der ursprüngliche war oder erst später entstand, läßt sich daher geschichtlich nicht entscheiden. Einzelne, an sehr verschiedenen Punkten der Erde, ohne irgend sichtbaren Zusammenhang, wiederkehrende Sagen verneinen die erstere Annahme, und lassen das ganze Menschengeschlecht von Einem Menschenpaare abstammen. Die weite Verbreitung dieser Sage hat sie bisweilen für eine Urerinnerung der Menschheit halten lassen. Gerade dieser Umstand aber beweist vielmehr, daß ihr keine Ueberlieferung und nichts geschichtliches zum Grunde lag, sondern nur die Gleichheit der menschlichen Vorstellungsweise zu derselben Erklärung der gleichen Erscheinung führte: wie gewiß viele Mythen, ohne geschichtlichen Zusammenhang, bloß aus der Gleichheit des menschlichen Dichtens und Grübelns 382 entstanden. Jene Sage trägt auch darin ganz das Gepräge menschlicher Erfindung, daß sie die außer aller Erfahrung liegende Erscheinung des ersten Entstehens des Menschengeschlechts auf eine innerhalb heutiger Erfahrung liegende Weise: und so erklären will, wie in Zeiten, wo das ganze Menschengeschlecht schon Jahrtausende hindurch bestanden hatte, eine wüste Insel oder ein abgesondertes Gebirgsthal mag bevölkert worden sein. Vergeblich würde sich das Nachdenken in das Problem jener ersten Entstehung vertieft haben: da der Mensch so an sein Geschlecht und an die Zeit gebunden ist, daß sich ein Einzelner ohne vorhandenes Geschlecht und ohne Vergangenheit gar nicht in menschlichem Dasein fassen läßt. Ob also in dieser, weder auf dem Wege der Gedanken noch der Erfahrung zu entscheidenden Frage wirklich jener angeblich traditionelle Zustand der geschichtliche war, oder ob das Menschengeschlecht von seinem Beginnen an völkerweise den Erdboden bewohnte? darf die Sprachkunde weder aus sich bestimmen noch, die Entscheidung anderswoher nehmend, zum Erklärungsgrunde für sich brauchen wollen.«
Die Gliederung der Menschheit ist nur eine Gliederung in Abarten, die man mit dem, freilich etwas unbestimmten Worte Racen bezeichnet. Wie in dem Gewächsreiche, in der Naturgeschichte der Vögel und Fische die Gruppirung in viele kleine Familien sicherer als die in wenige, große Massen umfassende Abtheilungen ist: so scheint mir auch, bei der Bestimmung der Racen, die Aufstellung kleinerer Völkerfamilien vorzuziehen. Man mag die alte Classification meines Lehrers Blumenbach nach fünf Racen (der caucasischen, mongolischen, amerikanischen, äthiopischen und 383 malayischen) befolgen oder mit Prichard siebenPrichard Th. I. S. 295, Th. III. S. 11. Racen (die iranische, turanische, amerikanische, die der Hottentotten und Buschmänner, der Neger, der Papuas und der Alfourous) annehmen: immer ist keine typische Schärfe, kein durchgeführtes natürliches Princip der Eintheilung in solchen Gruppirungen zu erkennen. Man sondert ab, was gleichsam die Extreme der Gestaltung und Farbe bildet: unbekümmert um die Völkerstämme, welche nicht in jene Classen einzuschalten sind, und welche man bald scythische, bald allophylische Racen hat nennen wollen. Iranisch ist allerdings für die europäischen Völker ein minder schlechter Name als caucasisch; aber im allgemeinen darf man behaupten, daß geographische Benennungen als Ausgangspunkt der Race sehr unbestimmt sind, wenn das Land, welches der Race den Namen geben soll, wie z. B. Turan (Mawerannahr), zu verschiedenen ZeitenDie späte Ankunft türkischer und mongolischer Stämme sowohl am Oxus als in der Kirghisen-Steppe steht der Annahme Niebuhr's, daß die Scythen des Herodot und Hippocrates Mongolen waren, entgegen. Es ist weit wahrscheinlicher, daß die Scythen (Scoloten) zu den indo-germanischen Massa-Geten (Alanen) zu rechnen sind. Die Mongolen, eigentliche Tartaren (der letztere Name ist später fälschlich rein türkischen Stämmen in Rußland und Sibirien gegeben worden), saßen damals weit im Osten von Asien. Vergl. meine Asie centr. T. I. p. 239 und 400, Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 320. Ein ausgezeichneter Sprachforscher, Professor Buschmann, erinnert, daß Firdusi im Schahnameh, in seinen halb mythischen historischen Anfängen, »einer Feste der Alanen« am Meere erwähnt, in welche Selm, der älteste Sohn des Königs Feridun (gewiß ein paar Jahrhunderte vor Cyrus), sich flüchten wollte. Die Kirghisen der sogenannten scythischen Steppe sind ursprünglich ein finnischer Stamm; sie sind jetzt wahrscheinlich in ihren drei Horden das zahlreichste aller wandernden Völker, und lebten schon im sechsten Jahrhundert in der Steppe, in welcher ich sie gesehen. Der Byzantiner Menander (p. 380–382 ed. Nieb.) erzählt ausdrücklich, wie der Chakan der Türken (Thu-khiu) im Jahr 569 dem vom Kaiser Justinus II abgesandten Zemarchus eine Kirghisen-Sklavinn schenkte; er nennt sie eine χερχίς und auch bei Abulgasi (historia Mongolorum et Tatarorum) heißen die Kirghisen Kirkiz. Die Aehnlichkeit der Sitten ist, wo die Natur des Landes den Hauptcharakter der Sitten hervorruft, ein sehr unsicherer Beweis der Stamm-Aehnlichkeit. Das Leben in der Steppe erzeugt bei Türken (Ti, Tukiu), bei Baschkiren (Finnen), bei Kirghisen, bei Torgod und Dsungaren (Mongolen) dieselben Gewohnheiten des nomadischen Lebens, denselben Gebrauch von Filzzelten, die auf Wagen fortgeführt und bei den Viehheerden aufgeschlagen werden. von den verschiedensten Volksstämmen, – indo-germanischen und finnischen, nicht aber mongolischen Ursprungs –, bewohnt worden ist.
Die Sprachen als geistige Schöpfungen der Menschheit, als tief in ihre geistige Entwicklung verschlungen, haben, indem sie eine nationelle Form offenbaren, eine hohe Wichtigkeit für die zu erkennende Aehnlichkeit oder Verschiedenheit der Racen. Sie haben diese Wichtigkeit, weil Gemeinschaft der Abstammung in das geheimnißvolle Labyrinth führt, in welchem die Verknüpfung der physischen (körperlichen) Anlagen mit der geistigen Kraft in tausendfältig verschiedener Gestaltung sich darstellt. Die glänzenden Fortschritte, welche das philosophische Sprachstudium im deutschen Vaterlande seit noch nicht einem halben Jahrhundert gemacht hat, erleichtern die Untersuchungen über den 384 nationellen CharakterWilhelm von Humboldt über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues, in dem großen Werke über die Kawi-Sprache auf der Insel Java Bd. I. S. XXI, XLVIII und CCXIV. der Sprachen: über das, was die Abstammung scheint herbeigeführt zu haben. Wie in allen Gebieten idealer Speculation, steht aber auch hier die Gefahr der Täuschung neben der Hoffnung einer reichen und sicheren Ausbeute.
Positive ethnographische Studien, durch gründliche Kenntniß der Geschichte unterstützt, lehren, daß eine große Vorsicht in dieser Vergleichung der Völker, und der Sprachen, welcher die Völker sich zu einer bestimmten Zeitepoche bedienten, anzuwenden sei. Unterjochung, langes Zusammenleben, Einfluß einer fremden Religion, Vermischung der Stämme, wenn auch oft nur bei geringer Zahl der mächtigeren und gebildeteren Einwanderer, haben ein in beiden Continenten sich gleichmäßig erneuerndes Phänomen hervorgerufen: daß ganz verschiedene Sprachfamilien sich bei einer und derselben Race, daß bei Völkern sehr verschiedener Abstammung sich Idiome desselben Sprachstammes finden. Asiatische Welteroberer haben am mächtigsten auf solche Erscheinungen eingewirkt.
Sprache ist aber ein Theil der Naturkunde des Geistes; und wenn auch die Freiheit, mit welcher der Geist in glücklicher Ungebundenheit die selbstgewählten Richtungen, unter ganz verschiedenartigen physischen Einflüssen, stetig verfolgt, ihn der Erdgewalt mächtig zu entziehen strebt: so wird die Entfesselung doch nie ganz vollbracht. Es bleibt etwas von dem, was den Naturanlagen aus Abstammung, dem Klima, der heiteren Himmelsbläue, oder einer trüben Dampf-Atmosphäre der Inselwelt zugehört. Da nun der Reichthum und die Anmuth des Sprachbaues sich aus dem Gedanken wie aus des Geistes zartester Blüthe entfalten; 385 so wollen wir nicht, daß bei der Innigkeit des Bandes, welches beide Sphären, die physische und die Sphäre der Intelligenz und der Gefühle, mit einander verknüpft, unser Naturbild des freundlichen Lichtes und der Färbung entbehre, welche ihm die, hier freilich nur angedeuteten Betrachtungen über das Verhältniß der Abstammung zur Sprache verleihen können.
Indem wir die Einheit des Menschengeschlechtes behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen AnnahmeDas Unerfreulichste und in späteren Zeiten so oft Wiederholte über die ungleiche Berechtigung der Menschen zur Freiheit und über Sklaverei als eine naturgemäße Einrichtung findet sich leider! sehr systematisch entwickelt in Aristoteles Politica I. 3, 5, 6. von höheren und niederen Menschenracen. Es giebt bildsamere, höher gebildete, durch geistige Cultur veredelte: aber keine edleren Volksstämme. Alle sind gleichmäßig zur Freiheit bestimmt: zur Freiheit, welche in roheren Zuständen dem Einzelnen, in dem Staatenleben bei dem Genuß politischer Institutionen der Gesammtheit als Berechtigung zukommt. »Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist; wenn irgend eine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher mißverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist: so ist es die Idee der Menschlichkeit: das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurtheile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben; und die gesammte Menschheit: ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als Einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung Eines Zweckes, der freien Entwicklung innerlicher Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln. Es ist dies das letzte, äußerste Ziel der Geselligkeit, und zugleich die durch seine Natur selbst in ihn gelegte Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseins. Er sieht den Boden, so weit er sich 386 ausdehnt; den Himmel, so weit, ihm entdeckbar, er von Gestirnen umflammt wird: als innerlich sein, als ihm zur Betrachtung und Wirksamkeit gegeben an. Schon das Kind sehnt sich über die Hügel, über die Seen hinaus, welche seine enge Heimath umschließen; es sehnt sich dann wieder pflanzenartig zurück: denn es ist das Rührende und Schöne im Menschen, daß Sehnsucht nach Erwünschtem und nach Verlorenem ihn immer bewahrt ausschließlich an dem Augenblicke zu haften. So festgewurzelt in der innersten Natur des Menschen, und zugleich geboten durch seine höchsten Bestrebungen, wird jene wohlwollend menschliche Verbindung des ganzen Geschlechts zu einer der großen leitenden Ideen in der Geschichte der Menschheit.«Wilhelm von Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. III. S. 426. Ich füge aus demselben Werke noch folgendes hinzu: »Die stürmenden Eroberungen Alexanders, die staatsklug bedächtigen der Römer, die wild grausamen der Mexicaner, die despotischen Ländervereinigungen der Incas haben in beiden Welten dazu beigetragen das vereinzelte Dasein der Völker aufzuheben und weitere Verbindungen zu stiften. Große und starke Gemüther, ganze Nationen handelten unter der Macht einer Idee, die ihnen in ihrer Reinheit gänzlich fremd war. In der Wahrheit ihrer tiefen Milde sprach sie zuerst, ob es ihr gleich nur langsam Eingang verschaffen konnte, das Christenthum aus. Früher kommen nur einzelne Anklänge vor. Die neuere Zeit hat den Begriff der Civilisation lebendiger aufgefaßt, und das Bedürfniß erregt, Verbindungen der Völker und Cultur weiter zu verbreiten; auch die Selbstsucht gewinnt die Ueberzeugung, daß sie auf diesem Wege weiter gelangt als auf dem gewaltsamer Absonderung. Die Sprache umschlingt mehr, als sonst etwas im Menschen, das ganze Geschlecht. Gerade in ihrer völkertrennenden Eigenschaft vereinigt sie durch das Wechselverständniß fremdartiger Rede die Verschiedenheit der Individualitäten, ohne ihrer Eigenthümlichkeit Eintrag zu thun.« (A. a. O. S. 427.)
Mit diesen Worten, welche ihre Anmuth aus der Tiefe der Gefühle schöpfen, sei es dem Bruder erlaubt die allgemeine Darstellung der Naturerscheinungen im Weltall zu beschließen. Von den fernsten Nebelflecken und von kreisenden Doppelsternen sind wir zu den kleinsten Organismen der thierischen Schöpfung im Meer und Land, und zu den zarten Pflanzenkeimen herabgestiegen, welche die nackte Felsklippe am Abhang eisiger Berggipfel bekleiden. Nach theilweise erkannten Gesetzen konnten hier die Erscheinungen geordnet werden. Gesetze anderer, geheimnißvollerer Art walten in den höchsten Lebenskreisen der organischen Welt: in denen des vielfach gestalteten, mit schaffender Geisteskraft begabten, spracherzeugenden Menschengeschlechts. Ein physisches Naturgemälde bezeichnet die Grenze, wo die Sphäre der Intelligenz beginnt und der ferne Blick sich senkt in eine andere Welt. Es bezeichnet die Grenze und überschreitet sie nicht.
Die Temperatur-Angaben in diesem Werke sind, wo nicht das Gegentheil bestimmt ausgedrückt ist, in Graden des hunderttheiligen Thermometers; die Meilen sind geographische, 15 auf den Aequatorial-Grad. Das Fuß- und Zollmaaß ist das alt-französische, in dem die Toise 6 Pariser Fuß zählt. Die geographischen Längen sind immer von dem Meridian der Pariser Sternwarte an gerechnet.
Paris im März 1845.
Vorrede S. V–XVI.
Einleitende Betrachtungen über die Verschiedenartigkeit des Naturgenusses und die wissenschaftliche Ergründung der Weltgesetze S. 5–40.
Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen als Zweck aller Naturforschung. – Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit. – Verschiedenheit der Stufen des Naturgenusses. – Wirkung des Eintritts in das Freie; Genuß ohne Einsicht in das Wirken der Naturkräfte, ohne Eindruck von dem individuellen Charakter einer Gegend. – Wirkung der physiognomischen Gestaltung der Oberfläche oder des Charakters der Vegetation. Erinnerung an die Waldthäler der Cordilleren und an den Vulkan von Teneriffa. Vorzüge der Gebirgsgegend dem Aequator nahe: wo im engsten Raume die Mannigfaltigkeit der Natureindrücke ihr Maximum erreicht, wo es dem Menschen gegeben ist alle Gestirne des Himmels und alle Gestalten der Pflanzen gleichzeitig zu sehen S. 5–14. – Trieb nach Aufsuchung der Ursachen physischer Erscheinungen. – Irrige Ansichten über das Wesen der Naturkräfte, durch Unvollständigkeit der Beobachtung oder der Induction erzeugt. – Rohe Anhäufung physischer Dogmen, die ein Jahrhundert dem anderen aufdringt. Verbreitung derselben unter die höheren Volksclassen. Neben der wissenschaftlichen Physik besteht eine andere, ein tief eingewurzeltes System ungeprüfter, mißverstandener Erfahrungssätze. 496 – Aufsuchung von Naturgesetzen. Besorgniß, daß die Natur bei dem Forschen in das innere Wesen der Kräfte von ihrem geheimnißvollen Zauber verliert, daß der Naturgenuß durch das Naturwissen nothwendig geschwächt werde. Vorzüge der generellen Ansichten, die der Wissenschaft einen erhabenen und ernsten Charakter verleihen. Mögliche Trennung des Allgemeinen von dem Besonderen. Beispiele aus der Astronomie, den neuen optischen Entdeckungen, der physischen Erdkunde und der Geographie der Pflanzen. Zugänglichkeit des Studiums der physischen Weltbeschreibung. S. 15–35. – Mißverstandenes populäres Wissen und Verwechselung einer Weltbeschreibung mit einer Encyclopädie der Naturwissenschaften. Nothwendigkeit der gleichzeitigen Würdigung aller Theile des Naturstudiums. Einfluß dieses Studiums auf den Nationalreichthum und den Wohlstand der Völker; doch ist sein erster und eigentlicher Zweck ein innerer, der der erhöhten geistigen Thätigkeit. Form der Behandlung in Vortrag und Darstellung; Wechselverkehr zwischen Gedanken und Sprache. S. 36–40.
In den Anmerkungen S. 41–48 (No. 1–18): Vergleichende hypsometrische Angaben; Bergmessungen des Dhawalagiri, Jawahir, Chimborazo, Aetna nach Sir John Herschel, der schweizer Alpen u. s. w. (S. 41. [No. 2]) – Seltenheit der Palmen und Farren im Himalaya (S. 42 [No. 3]). Europäische Pflanzenformen in den indischen Gebirgen (S. 43 [No. 4]). – Nördliche und südliche Grenze des ewigen Schnees am Himalaya; Einfluß der Hochebene von Tübet (S. 44–47 [No. 5]). – Fische der Vorwelt (S. 48 [No. 14]).
Begrenzung und wissenschaftliche Behandlung einer physischen Weltbeschreibung S. 49–72.
Inhalt der Lehre vom Kosmos oder der physischen Weltbeschreibung. Sonderung von anderen, verwandten Disciplinen. S. 49–56. – Der uranologische Theil des Kosmos ist einfacher als der tellurische; die Ausschließung von allem Wahrnehmbaren der Stoff-Verschiedenheit vereinfacht die Mechanik des Himmels. – Ursprung des Wortes Kosmos, Schmuck und Weltordnung. Das Seiende ist im Begreifen der Natur nicht absolut vom Werden zu trennen. Weltgeschichte und Weltbeschreibung. S. 57–64. – Versuche die Vielheit der Erscheinungen im Kosmos in der 497 Einheit des Gedankens, in der Form eines rein rationalen Zusammenhanges zu fassen. – Naturphilosophie ist aller genauen Beobachtung schon im Alterthum vorhergegangen: ein natürliches, bisweilen irre geleitetes Streben der Vernunft. – Zwei Formen der Abstraction beherrschen die ganze Masse der Erkenntniß: quantitative (Verhältniß-Bestimmungen nach Zahl und Größe) und qualitative (stoffartige Beschaffenheiten). – Mittel die Erscheinungen dem Calcül zu unterwerfen. Atome, mechanische Constructions-Methoden; sinnbildliche Vorstellungen; Mythen der imponderablen Stoffe und eigener Lebenskräfte in jeglichem Organismus. – Was durch Beobachtung und Experiment (Hervorrufen der Erscheinungen) erlangt ist, führt durch Analogie und Induction zur Erkenntniß empirischer Gesetze. Allmälige Vereinfachung und Verallgemeinerung derselben. – Anordnung des Aufgefundenen nach leitenden Ideen. Der so viele Jahrhunderte hindurch gesammelte Schatz empirischer Anschauung wird nicht von der Philosophie wie von einer feindlichen Macht bedroht. S. 65–72.
In den Anmerkungen S. 73–78 (No. 19–30): Ueber die allgemeine und vergleichende Erdkunde des Varenius (S. 74 [No. 25]). – Philologische Untersuchung über κόσμος und mundus (S. 76–78 [No. 27]).
Naturgemälde. Uebersicht der Erscheinungen S. 79–386.
Einleitung S. 79–86: Ein beschreibendes Weltgemälde umfaßt das Universum (τὸ πᾶν) in seinen beiden Sphären, der himmlischen und irdischen. – Form und Gang der Darstellung. Es beginnt dieselbe mit den Tiefen des Weltraums, in denen wir nur die Herrschaft der Gravitations-Gesetze erkennen, mit der Region der fernsten Nebelflecke und Doppelsterne; und steigt stufenweise herab durch die Sternschicht, der unser Sonnensystem angehört, zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid: seiner Gestaltung, Temperatur und magnetischen Spannung; zu der organischen Lebensfülle, welche, vom Lichte angeregt, sich an seiner Oberfläche entfaltet. – Partielle Einsicht in die relative Abhängigkeit der Erscheinungen von einander. – Bei allem Beweglichen und Veränderlichen im Raume sind mittlere Zahlenwerthe der letzte Zweck; sie sind der Ausdruck physischer Gesetze, die Mächte des Kosmos. – Das 498 Weltgemälde beginnt nicht mit dem Tellurischen, wie aus einem subjectiven Standpunkte hätte vorgezogen werden können; es beginnt mit dem, was die Himmelsräume erfüllt. Vertheilung der Materie: sie ist theils zu rotirenden und kreisenden Weltkörpern von sehr verschiedener Dichtigkeit und Größe geballt; theils selbstleuchtend, dunstförmig als Lichtnebel zerstreut. Vorläufige Uebersicht der einzelnen Theile des Naturgemäldes, um die Aneinanderreihung der Erscheinungen kenntlich zu machen.
I. Uranologischer Theil des Kosmos S. 86–161.
II. Tellurischer Theil des Kosmos S. 162–386.
- Gestalt der Erde, mittlere Dichtigkeit, Wärmegehalt, electromagnetische Thätigkeit, Lichtprocesse S. 162–208.
- Lebensthätigkeiten des Erdkörpers nach außen – Reaction des Inneren des Planeten gegen seine Rinde und Oberfläche. Unterirdisches Getöse ohne Erschütterungswellen. Erdbeben als dynamisches Phänomen. S. 209–225.
- Stoffartige Productionen, die das Erdbeben oft begleiten. Luft- und Wasserquellen. Salsen und Schlammvulkane. Hebungen des Bodens durch elastische Kräfte. S. 226–234.
- Feuerspeiende Berge. Erhebungs-Krater. Vertheilung der Vulkane auf der Erde. S. 234–257.
- Die vulkanischen Kräfte bilden neue Gebirgsarten und wandeln ältere um. – Geognostische Classification der Gebirgsmassen in vier Gruppen. – Contact-Phänomene. – Versteinerungshaltige Schichten. Ihre Aufrichtung. Fauna und Flora der Vorwelt. Zerstreuung der Felsblöcke. S. 257–300.
- Die geognostischen Epochen, bezeichnet durch die mineralogische Verschiedenheit der Gebirgsarten, haben den Zustand räumlicher Vertheilung der Feste und des Flüssigen, der Continente und der Meere bestimmt. Individuelle Gestaltungen der Feste in horizontaler Ausdehnung und senkrechter Erhebung. – Verhältniß der Areale. Gliederung. Fortgesetzte Faltung der Erdrinde. S. 301–321.
- Umhüllungen der starren Oberfläche des Planeten, tropfbar-flüssige und luftförmige. Wärme-Vertheilung in beiden. – Meer. Ebbe und Fluth. Strömungen und ihre Folgen. S. 321–332.
- Atmosphäre. Chemische Zusammensetzung. Schwankungen 499 der Dichtigkeit. – Gesetz der Windrichtung. Mittlere Wärme. Aufzählung der temperatur-erhöhenden und temperatur-vermindernden Ursachen. Continental- und Insel-Klima. Ost- und Westküsten. – Ursach der Krümmung der Isothermen. – Grenze des ewigen Schnees. – Dampfmenge. – Electricität des Luftkreises. Wolkengestalt. S. 333–366.
- Scheidung des anorganischen Erdenlebens von der Geographie des Organisch-Lebendigen, der Geographie der Pflanzen und Thiere. – Physische Abstufungen des Menschengeschlechts. S. 367–386.
Specielle Zergliederung des Naturgemäldes,
mit Beziehung auf den Inhalt der Anmerkungen.
I. Uranologischer Theil des Kosmos: Text S. 86–161, Anmerkungen S. 387–416 [No. 31–122]:
Inhalt der Welträume. Vielgestaltete Nebelflecke, planetarische Nebel und Nebelsterne. – Landschaftliche Anmuth des südlichen Himmels (Anm. S. 387 [No. 33]). – Vermuthungen über die räumliche Anordnung des Weltgebäudes. Unser Sternhaufen, eine Weltinsel. Stern-Aichungen. – Doppelsterne, um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt kreisend. Entfernung des Sterns 61 im Schwan (S. 92 und 160, Anm. S. 388 [No. 34]). – Attractions-Systeme verschiedener Ordnung. S. 86–94. – Unser Sonnensystem viel complicirter, als man es noch am Ende des verflossenen Jahrhunderts geglaubt. Hauptplaneten mit Neptun, Asträa, Hebe und Iris jetzt 15, Nebenplaneten 18; Myriaden von Cometen, worunter mehrere innere, in die Planetenbahnen eingeschlossene; ein rotirender Ring (das Zodiacallicht), und wahrscheinlich Meteorsteine als kleine Weltkörper. – Die telescopischen Planeten: Vesta, Juno, Ceres, Pallas, Asträa, Hebe und Iris: mit ihren stark geneigten und mehr excentrischen, in einander verschlungenen Bahnen; scheiden, als mittlere Gruppe, die innere Planetengruppe (Merkur, Venus, Erde und Mars) von der äußeren (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun). Contraste dieser Planetengruppen. – Verhältnisse der Abstände von einem Centralkörper. Verschiedenheiten der absoluten Größe, Dichtigkeit, Umdrehungszeit, Excentricität und 500 Neigung der Bahnen. Das sogenannte Gesetz der Abstände der Planeten von ihrer Centralsonne. Mondreichste Planeten. S. 94–99 und Anm. S. 388–389 [No. 35–39]. – Räumliche (absolute und relative) Verhältnisse der Nebenplaneten; größter und kleinster der Monde. Größte Annäherung an einen Hauptplaneten. – Rückläufige Bewegung der Uranusmonde. Libration des Erdtrabanten. S. 99–104 und Anm. S. 389 [No. 40–41]. – Cometen. Kern und Schweif. Mannigfaltige Form und Richtung der Ausströmungen in conoidischen Hüllen mit dickerer und dünnerer Wandung. Mehrfache Schweife, selbst der Sonne zugekehrt. Formenwechsel des Schweifes; vermuthete Rotation desselben. Natur des Lichts. Sogenannte Bedeckungen von Fixsternen durch Cometenkerne. Excentricität der Bahnen und Umlaufszeiten. Größte Entfernung und größte Nähe der Cometen. Durchgang durch das System der Jupitersmonde. – Cometen von kurzer Umlaufszeit, wohl besser innere Cometen genannt (Encke, Biela, Faye). S. 105–119 und Anm. S. 389–393 [No. 42–57]. – Kreisende Aërolithen (Meteorsteine, Feuerkugeln, Sternschuppen). Planetarische Geschwindigkeit. Größe, Form, beobachtete Höhe. Periodische Wiederkehr in Strömen, November-Strom und der des heil. Laurentius. Chemische Zusammensetzung der Meteor-Asteroiden. S. 120–142 und Anm. S. 393–409 [No. 58–90]. – Ring des Thierkreislichts. – Beschränktheit der jetzigen Sonnen-Atmosphäre. S. 142–149 und Anm. S. 409–414[No. 91–100]. – Ortsveränderung des ganzen Sonnensystems S. 149–151 und Anm. S. 414–415 [No. 101–102]. – Das Walten der Gravitations-Gesetze auch jenseits unseres Sonnensystems. – Milchstraße der Sterne und ihr vermuthetes Aufbrechen. Milchstraße von Nebelflecken, rechtwinklig mit der der Sterne. – Umlaufszeiten zweifarbiger Doppelsterne. – Sternenteppich; Oeffnungen im Himmel, in der Sternschicht. – Begebenheiten im Weltraum; Auflodern neuer Sterne. – Fortpflanzung des Lichtes; der Anblick des gestirnten Himmels bietet Ungleichzeitiges dar. S. 151–161 und Anm. S. 415–416 [No. 103–122].
II. Tellurischer Theil des Kosmos S. 162–386 und Anmerkungen S. 416–493 [No. 123–443]:
- Gestalt der Erde. Dichtigkeit, Wärmegehalt, electromagnetische Spannung und Erdlicht. S. 162–208 und Anm. S. 416–442 [No. 123–179]: Ergründung der Abplattung und Krümmung der Erdoberfläche durch Gradmessungen, Pendelschwingungen und gewisse Ungleichheiten der 501 Mondsbahn. – Mittlere Dichtigkeit der Erde.– Erdrinde, wie tief wir sie kennen? S. 162–178 und Anm. S. 416–425 [No. 123–136]. – Dreierlei Bewegung der Wärme des Erdkörpers, sein thermischer Zustand. Gesetz der Zunahme der Wärme mit der Tiefe. S. 178–184 und Anm. S. 425–427 [No. 137–140]. – Magnetismus, Electricität in Bewegung. Periodische Veränderlichkeit des tellurischen Magnetismus. Störung des regelmäßigen Ganges der Magnetnadel. Magnetische Ungewitter; Ausdehnung ihrer Wirkung. Offenbarungen der magnetischen Kraft an der Oberfläche in drei Classen der Erscheinungen; Linien gleicher Kraft (isodynamische), gleicher Neigung (isoklinische) und gleicher Abweichung (isogonische). – Lage der Magnetpole; ihr vermutheter Zusammenhang mit den Kälte-Polen. – Wechsel aller magnetischen Erscheinungen des Erdkörpers. – Errichtung magnetischer Warten seit 1828; ein weitverbreitetes Netz magnetischer Stationen. S. 184–198 und Anm. S. 427–439 [No. 141–166]. – Lichtentwickelung an den Magnetpolen; Erdlicht als Folge electromagnetischer Thätigkeit unseres Planeten. Höhe des Polarlichts. Ob das magnetische Gewitter mit Geräusch verbunden ist? Zusammenhang des Polarlichts (einer electromagnetischen Lichtentwickelung) mit der Erzeugung von Cirrus-Wölkchen. – Andere Beispiele irdischer Lichterzeugung. S. 199–208 und Anm. S. 439–442 [No. 167–179].
- Lebensthätigkeit des Planeten nach außen als Hauptquelle geognostischer Erscheinungen. Verkettung der bloß dynamischen Erschütterung oder Hebung ganzer Theile der Erdrinde mit stoffhaltigem Erguß und Erzeugung von gasförmigen und tropfbaren Flüssigkeiten, von heißem Schlamme, von geschmolzenen Erden, die als Gebirgsarten erhärten. – Vulcanicität in der größten Allgemeinheit des Begriffs ist die Reaction des Inneren eines Planeten gegen seine Oberfläche. – Erdbeben. Umfang der Erschütterungskreise und ihre allmälige Erweiterung. – Ob Zusammenhang mit Veränderungen im tellurischen Magnetismus und Processen des Luftkreises. Getöse, unterirdischer Donner ohne fühlbare Erschütterung. Gebirgsmassen, welche die Fortpflanzung der Erschütterungswelle modificiren. – Hebungen; Ausbrüche von Wasser, heißen Dämpfen, Schlamm, Mofetten, Rauch und Flammen während des Erdbebens. S. 209–225 und Anm. S. 442–445 [No. 180–195].
- Nähere Betrachtung von stoffartigen Productionen als Folge innerer planetarischer Lebensthätigkeit. Es steigen aus dem Schooße 502 der Erde hervor, durch Spalten und Ausbruch-Kegel: Luftarten, tropfbare Flüssigkeiten (rein oder gesäuert), Schlamm und geschmolzene Erden. – Die Vulkane sind eine Art intermittirender Quellen. Temperatur der Thermen; ihre Constanz und Veränderung. – Tiefe des Heerdes. S. 226–232 und Anm. S. 445–448 [No. 196–209]. – Salsen, Schlammvulkane. Wenn feuerspeiende Berge als Quellen geschmolzener Erden vulkanische Gebirgsarten hervorbringen, so erzeugen dagegen Quellwasser durch Niederschlag Kalkstein-Schichten. Fortgesetzte Erzeugung von Sediment-Gestein. S. 232–234 und Anm. S. 448 [No. 210].
- Mannigfaltigkeit der vulkanischen Hebungen. Domförmige ungeöffnete Trachytberge. – Eigentliche Vulkane, die aus Erhebungs-Kratern oder zwischen den Trümmern ihrer ehemaligen Bildung hervortreten. – Permanente Verbindung des inneren Erdkörpers mit dem Luftkreise. Verhältniß gegen gewisse Gebirgsarten. Einfluß der Höhenverhältnisse auf die Frequenz der Ausbrüche. Höhe des Aschenkegels. Eigenthümlichkeiten der Vulkane, welche sich über die Schneegrenze erheben. – Aschen- und Feuersäulen. Vulkanische Gewitter während des Ausbruchs. Mineralische Zusammensetzung der Laven. S. 235–249 und Anm. S. 448–452 [No. 211–225]. – Vertheilung der Vulkane auf der Erdfläche; Central- und Reihen-Vulkane, Insel- und Küsten-Vulkane. Abstand der Vulkane von der Meeresküste. Erlöschen der vulkanischen Kräfte. S. 249–256 und Anm. S. 452–456 [No. 226–239].
- Verhältniß der Vulkane zu der Natur der Gebirgsmassen; die vulkanischen Kräfte bilden neue Gebirgsarten und wandeln ältere um. Ihr Studium leitet auf Doppelwegen zu dem mineralogischen Theile der Geognosie (Lehre vom Gewebe und von der Lage der Erdschichten) und zur Gestaltung der über den Meeresspiegel gehobenen Continente und Inselgruppen (Lehre von der geographischen Form und den Umrissen der Erdtheile). – Classification der Gebirgsarten nach Maaßgabe der Erscheinungen der Bildung und Umwandlung, welche noch jetzt unter unseren Augen vorgehen: Eruptions-Gestein, Sediment-Gestein, umgewandeltes (metamorphosirtes) Gestein, Conglomerate. – Die zusammengesetzten Gebirgsarten sind bestimmte Associationen von oryctognostisch einfachen Fossilien. – Vier Phasen der Bildungs-Zustände: Eruptions-Gestein, endogenes (Granit, Syenit, Porphyre, Grünsteine, Hypersthen-Fels, Euphotid, Melaphyr, Basalt und Phonolith); Sediment-Gestein (silurische 503 Schiefer, Steinkohlen-Ablagerungen, Kalksteine, Travertino, Infusorien-Lager; umgewandeltes Gestein, das neben den Trümmern des Eruptions- und Sediment-Gesteins auch Trümmer von Gneiß, Glimmerschiefer und älteren metamorphischen Massen enthält; Aggregate und Sandstein-Bildungen (Trümmergestein). S. 257–268 und Anm. S. 456–459 [No. 240–258]. – Contact-Phänomene erläutert durch künstliche Nachbildung der Mineralien. Wirkungen des Drucks und der verschiedenen Schnelligkeit der Abkühlung. Entstehung des körnigen (salinischen) Marmors, Verkieselung der Schiefer zu Band-Jaspis, Umwandelung der Kreide-Mergel durch Granit zu Glimmerschiefer; Dolomitisirung, Granitbildung in Thonschiefer bei Berührung mit Basalt und Dolerit-Gestein. – Füllung der Gangmassen von unten. Processe der Cämentirung in den Agglomerat-Bildungen. Reibungs-Conglomerate. S. 269–283 und Anm. S. 459–465 [No. 259–296]. – Relatives Alter der Felsmassen, Chronometrik der Erdrinde. Versteinerungshaltige Schichten. – Relatives Alter der Organismen. Einfachheit der ersten Lebensformen? Abhängigkeit physiologischer Abstufungen von dem Alter der Formationen. – Geognostischer Horizont: dessen sorgfältige Verfolgung sichere Aufschlüsse gewährt über die Identität oder das relative Alter der Formationen, über die periodische Wiederkehr gewisser Schichten, ihren Parallelismus oder ihre gänzliche Suppression (Verkümmerung). – Typus der Sediment-Gebilde in der größten Einfachheit seiner Verallgemeinerung aufgefaßt: silurische und devonische Schichten (die ehemals so genannten Uebergangs-Gebirge); die untere Trias (Bergkalk, Steinkohlen-Gebirge sammt Todtliegendem und Zechstein); die obere Trias (bunter Sandstein, Muschelkalk und Keuper); Jurakalk (Lias und Oolithen); Quadersandstein, untere und obere Kreide: als die letzte der Flözschichten, welche mit dem Bergkalk beginnen; Tertiär-Gebilde in drei Abtheilungen, die durch Grobkalk, Braunkohle und Süd-Apenninen-Gerölle bezeichnet werden. – Faunen und Floren der Vorwelt, ihr Verhältniß zu den jetzigen Organismen. Riesenmäßige Knochen vorweltlicher Säugethiere im oberen Schuttlande. – Vegetation der Vorwelt, Monumente der Pflanzengeschichte. Wo gewisse Pflanzengruppen ihr Maximum erreichen; Cycadeen in den Keuperschichten und der Lias, Coniferen im bunten Sandstein. Ligniten und Braunkohlen-Schichten (Bernsteinbaum). – Ablagerung großer Felsblöcke, Zweifel über ihren Ursprung. S. 284–300 und Anm. S. 465–470 [No. 297–334].
- 504 Die Kenntniß der geognostischen Epochen, des länderbildenden und zertrümmernden Emporsteigens von Bergketten und Hochebenen leitet durch inneren Causalzusammenhang auf die räumliche Vertheilung der Feste und des Flüssigen, auf die Besonderheiten der Naturgestaltung der Erdoberfläche. – Jetziges Areal-Verhältniß des Starren zum Flüssigen sehr verschieden von dem, welches die für den physischen Theil der älteren Geographie entworfenen Karten darlegen. Wichtigkeit der Eruption der Quarzporphyre für die derzeitige Gestaltung der Continental-Massen. – Individuelle Gestaltung in horizontaler Ausdehnung (Gliederungs-Verhältnisse) und in senkrechter Erhebung (hypsometrische Ansichten). – Einfluß der Areal-Verhältnisse von Land und Meer auf Temperatur, Windrichtung, Fülle oder Kargheit organischer Erzeugnisse, auf die Gesammtheit aller meteorologischen Processe. – Orientirung der größten Axen der Continental-Masse. Gliederung, pyramidale Endigung gegen Süden, Reihe der Halbinseln. Thalbildung des atlantischen Oceans. Formen, die sich wiederholen. S. 300–311 und Anm. S. 470–472 [No. 335–347]. – Abgesonderte Gebirgsglieder, Systeme der Bergketten und Mittel ihr relatives Alter zu bestimmen. Versuche den Schwerpunkt des Volums der jetzt über dem Meeresspiegel erhobenen Länder zu bestimmen. Die Hebung der Continente ist noch jetzt in langsamem Fortschreiten, und an einzelnen Punkten durch bemerkbares Sinken compensirt. Alle geognostischen Phänomene deuten auf periodischen Wechsel von Thätigkeit im Inneren unsres Planeten. Wahrscheinlichkeit neuer Faltungen. S. 311–320 und Anm. S. 472–475 [No. 348–361].
- Die starre Oberfläche der Erde hat zweierlei Umhüllungen: tropfbar-flüssige und luftförmige. Contraste und Analogien, welche diese Umhüllungen, das Meer und die Atmosphäre, darbieten in Aggregat- und Electricitäts-Zuständen, Strömungen und Temperatur-Verhältnissen. Tiefen des Oceans und des Luftmeeres, dessen Untiefen unsere Hochländer und Bergketten sind. – Wärmegehalt des Meeres an der Oberfläche in verschiedenen Breiten und in den unteren Schichten. Tendenz des Meeres wegen Verschiebbarkeit der Theile und Veränderung der Dichtigkeit die Wärme seiner Oberfläche in den der Luft nächsten Schichten zu bewahren. Maximum der Dichtigkeit des salzigen Wassers. Lage der Zonen der wärmsten Wasser und der am meisten gesalzenen. Thermischer Einfluß der 505 unteren Polarströme wie der Gegenströme in den Meerengen. S. 320–323 und Anm. S. 475–476 [No. 362–364]. – Allgemeines Niveau der Meere und permanente örtliche Störungen des Gleichgewichts; periodische als Ebbe und Fluth. – Meeresströmungen: Aequatorial- oder Rotations-Strom; der atlantische warme Golfstrom und der ferne Impuls, den er empfängt; der kalte peruanische Strom in dem östlichen Theile des stillen Meeres südlicher Zone. – Temperatur der Untiefen. – Allbelebtheit des Oceans – Einfluß der kleinen submarinen Waldregion am Boden wurzelnder Tang-Gesträuche oder weitverbreiteter schwimmender Fucus-Bänke. S. 324–332 und Anm. S. 476–477 [No. 365–374].
- Die gasförmige Umhüllung unseres Planeten, das Luftmeer. – Chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, Diaphanität, Polarisation, Druck, Temperatur, Feuchtigkeit und electrische Spannung. – Verhältniß des Sauerstoffs zum Stickstoff; Kohlensäure-Gehalt; gekohlter Wasserstoff; Ammoniacal-Dämpfe. Miasmen. – Regelmäßige (stündliche) Veränderungen des Luftdruckes. Mittlere Barometerhöhe am Meere in verschiedenen Erdzonen. Isobarometrische Curven. – Barometrische Windrosen; Drehungsgesetz der Winde und seine Wichtigkeit für die Kenntniß vieler meteorologischen Processe. Land- und Seewinde; Passate und Monsune. S. 332–340 und Anm. S. 477–480 [No. 375–389]. – Klimatische Wärme-Vertheilung im Luftkreise, als Wirkung der relativen Stellung der durchsichtigen und undurchsichtigen Massen (der flüssigen und festen Oberflächenräume) wie der hypsometrischen Configuration der Continente. – Krümmung der Isothermen in horizontaler und verticaler Richtung, in der Ebene und in den über einander gelagerten Luftschichten. Convexe und concave Scheitel der Isothermen. – Mittlere Wärme: der Jahre, der Jahreszeiten, der Monate, der Tage. Aufzählung der Ursachen, welche Störungen in der Gestalt der Isothermen hervorbringen, d. h. ihre Abweichung von der Lage der geographischen Parallele bewirken. – Isochimenen und Isotheren, Linien gleicher Winter- und Sommerwärme. – Temperaturerhöhende und temperaturvermindernde Ursachen. Strahlung der Erdoberfläche nach Maaßgabe ihrer Inclination, Farbe, Dichtigkeit, Dürre und chemischen Composition. – Die Wolkenform, Verkündigerinn dessen, was in der oberen Luft vorgeht, ist am heißen Sommerhimmel das »projicirte Bild« des wärmestrahlenden Bodens. – Contrast zwischen dem Insel- oder Küsten-Klima, 506 dessen alle vielgegliederte, busen- und halbinselreiche Continente genießen, und dem Klima des Inneren großer Ländermassen. Ost- und Westküsten. Unterschiede der südlichen und nördlichen Hemisphäre. – Thermische Scalen der Culturpflanzen: herabsteigend von Vanille, Cacao und Pisang bis zu Citronen, Oelbaum und trinkbarem Wein. Einfluß, welchen diese Scalen auf die geographische Verbreitung der Culturen ausüben. Das günstige Reifen und das Nicht-Reifen der Früchte wird wesentlich bedingt durch die Unterschiede der Wirkung des directen und zerstreuten Lichtes bei heiterem und durch Nebel verschleiertem Himmel. – Allgemeine Angabe der Ursachen, welche dem größeren Theile von Europa, als der westlichen Halbinsel von Asien, ein milderes Klima verschaffen. S. 340–353 und Anm. S. 480–482 [No. 390–399]. – Bestimmung der mittleren Temperatur-Veränderung der Jahres oder Sommerwärme, welche dem Fortschreiten um 1° geographischer Breite entspricht. Gleichheit der mittleren Temperatur einer Bergstation und der Polar-Distanz eines im Meeresspiegel gelegenen Punktes. – Abnahme der Temperatur mit der Höhe. Grenze des ewigen Schnees und Oscillation dieser Grenze. Ursachen der Störung in der Regelmäßigkeit des Phänomens; nördliche und südliche Himalaya-Kette; Bewohnbarkeit der Hochebene von Tübet. S. 354–358 und Anm. S. 482–484 [No. 400–403]. – Dampfmenge des Luftkreises nach Stunden des Tages, nach den Jahreszeiten, Breitengraden und Höhen. Größte Trockenheit der Atmosphäre, beobachtet im nördlichen Asien zwischen den Flußgebieten des Irtysch und Obi. – Thau als Folge der Strahlung. Regenmenge. S. 358–361 und Anm. S. 484–485 [No. 404–408]. – Electricität des Luftkreises und Störung der electrischen Spannung. Geographische Vertheilung der Gewitter. Vorherbestimmung atmosphärischer Veränderungen. Die wichtigsten klimatischen Störungen haben nicht eine örtliche Ursach in dem Beobachtungsorte selbst: sie sind Folge einer Begebenheit, welche in weiter Ferne das Gleichgewicht in den Luftströmungen aufgehoben hat. S. 361–366 und Anm. S. 485–486[No. 409–419].
- Die physische Erdbeschreibung ist nicht auf das elementare, anorganische Erdenleben beschränkt; zu einem höheren Standpunkte erhoben, umfaßt sie die Sphäre des organischen Lebens und der zahllosen Abstufungen seiner typischen Entwickelung. – Thier- und Pflanzenleben. Allbelebtheit der Natur in Meer und Land; microscopische Lebensformen zwischen dem Polar-Eise, wie in 507 den Tiefen des Oceans zwischen den Wendekreisen. Erweiterung des Horizonts des Lebens durch Ehrenberg's Entdeckungen. – Schätzung der Masse (des Volums) der thierischen und vegetabilischen Organismen. S. 366–373 und Anm. S. 486–489 [No. 420–425]. (Die speciellen Temperatur-Verhältnisse der Weincultur S. 481 [No. 396].)– Geographie der Pflanzen und Thiere. Wanderung der Organismen im Ei oder durch eigene bewegungskräftige Organe. Verbreitungssphären in Abhängigkeit klimatischer Verhältnisse. Vegetations-Gebiete und Gruppirung der Thiergeschlechter. Einzeln und gesellig lebende Pflanzen und Thiere. Der Charakter der Floren und Faunen ist nicht sowohl durch das Vorherrschen einzelner Familien unter gewissen Breiten als durch die viel complicirteren Verhältnisse des Zusammenlebens vieler Familien und den relativen Zahlenwerth ihrer Arten bestimmt. Formen natürlicher Familien, welche vom Aequator nach den Polen hin ab- oder zunehmen. Untersuchungen über das Zahlenverhältniß, in welchem in verschiedenen Erdstrichen jede der großen Familien zu der ganzen daselbst wachsenden Masse der Phanerogamen steht. S. 373–378 und Anm. S. 489–490 [No. 426–432]. – Das Menschengeschlecht in seinen physischen Abstufungen und in der geographischen Verbreitung seiner gleichzeitig vorhandenen Typen. Racen, Abarten. Alle Menschenracen sind Formen einer einzigen Art. Einheit des Menschengeschlechts. – Sprachen, als geistige Schöpfungen der Menschheit, Theile der Naturkunde des Geistes, offenbaren eine nationelle Form; aber geschichtliche Ereignisse haben bewirkt, daß bei Völkern sehr verschiedener Abstammung sich Idiome desselben Sprachstammes finden. S. 378–386 und Anm. S. 490–493 [No. 433–443].
Reflex der Außenwelt auf die Einbildungskraft: Dichterische Naturbeschreibung – Landschaftmalerei – Cultur exotischer Gewächse, den physiognomischen Charakter der Pflanzendecke auf der Erdoberfläche bezeichnend.
Wir treten aus dem Kreise der Objecte in den Kreis der Empfindungen. Die Hauptresultate der Beobachtung, wie sie, von der Phantasie entblößt, der reinen Objectivität wissenschaftlicher Naturbeschreibung angehören, sind, eng an einander gereiht, in dem ersten Bande dieses Werks, unter der Form eines Naturgemäldes, aufgestellt worden. Jetzt betrachten wir den Reflex des durch die äußeren Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und die dichterisch gestimmte Einbildungskraft. Es eröffnet sich uns eine innere Welt. Wir durchforschen sie: nicht um in diesem Buche von der Natur zu ergründen, – wie es von der Philosophie der Kunst gefordert wird –, was in der Möglichkeit ästhetischer Wirkungen dem Wesen der Gemüthskräfte und den mannigfaltigen Richtungen geistiger Thätigkeit zukommt; sondern vielmehr um die Quelle lebendiger Anschauung, als Mittel zur Erhöhung eines reinen 4 Naturgefühls, zu schildern; um den Ursachen nachzuspüren, welche, besonders in der neueren Zeit, durch Belebung der Einbildungskraft so mächtig auf die Liebe zum Naturstudium und auf den Hang zu fernen Reisen gewirkt haben.
Die Anregungsmittel sind, wie wir schon früher bemerkt habenKosmos Bd. I. S. 50., von dreierlei Art: ästhetische Behandlung von Naturscenen, in belebten Schilderungen der Thier- und Pflanzenwelt: ein sehr moderner Zweig der Litteratur; Landschaftmalerei, besonders in so fern sie angefangen hat die Physiognomik der Gewächse aufzufassen; mehr verbreitete Cultur von Tropen-Gewächsen und contrastirende Zusammenstellung exotischer Formen. Jedes der hier bezeichneten Anregungsmittel könnte schon seiner historischen Beziehungen wegen der Gegenstand vielumfassender Erörterung werden; aber nach dem Geiste und dem Zweck meiner Schrift scheint es geeigneter nur wenige leitende Ideen zu entwickeln: daran zu erinnern, wie die Naturwelt in verschiedenen Zeitepochen und bei verschiedenen Volksstämmen so ganz anders auf die Gedanken- und Empfindungswelt eingewirkt hat, wie in einem Zustande allgemeiner Cultur das ernste Wissen und die zarteren Anregungen der Phantasie sich gegenseitig zu durchdringen streben. Um die Natur in ihrer ganzen erhabenen Größe zu schildern, darf man nicht bei den äußeren Erscheinungen allein verweilen; die Natur muß auch dargestellt werden, wie sie sich im Inneren des Menschen abspiegelt, wie sie durch diesen Reflex bald das Nebelland physischer Mythen mit anmuthigen Gestalten füllt, bald den edlen Keim darstellender Kunstthätigkeit entfaltet.
Indem wir uns hier auf die einfache Betrachtung der 5 Anregungsmittel zum wissenschaftlichen Naturstudium beschränken, erinnern wir zuerst an die mehrfach sich wiederholende Erfahrung, daß oft sinnliche Eindrücke und zufällig scheinende Umstände in jungen Gemüthern die ganze Richtung eines Menschenlebens bestimmen. Kindliche Freude an der Form von Ländern und eingeschlossenen MeerenDie Formen des Continents von Italien, Sicilien, Griechenland, dem caspischen und rothen Meere. S. meine Relation historique du Voy. aux Régions équinoxiales T. I. p. 208., wie sie auf Karten dargestellt sind; der Hang nach dem Anblick der südlichen Sternbilder, dessen unser Himmelsgewölbe entbehrtDante, Purg. I, 25–28:
; Abbildungen von Palmen und libanotischen Cedern in einer Bilderbibel können den frühesten Trieb nach Reisen in ferne Länder in die Seele pflanzen. Wäre es mir erlaubt eigene Erinnerungen anzurufen; mich selbst zu befragen, was einer unvertilgbaren Sehnsucht nach der Tropengegend den ersten Anstoß gab; so müßte ich nennen: Georg Forster's Schilderungen der Südsee-Inseln; Gemälde von Hodges, die Ganges-Ufer darstellend, im Hause von Warren Hastings zu London; einen colossalen Drachenbaum in einem alten Thurme des botanischen Gartens bei Berlin. Die Gegenstände, welche wir hier beispielsweise aufzählen, gehörten den drei Classen von Anregungsmitteln an, die wir früher bezeichneten: der Naturbeschreibung, wie sie einer begeisterten Anschauung des Erdenlebens entquillt: der darstellenden Kunst als Landschaftmalerei, und der unmittelbaren objectiven Betrachtung charakteristischer Naturformen. Diese Anregungsmittel üben aber ihre Macht nur da aus, wo der Zustand moderner Cultur und ein eigenthümlicher Gang der Geistesentwicklung unter Begünstigung ursprünglicher Anlagen die Gemüther für Natureindrücke empfänglicher gemacht hat.
Goder pareva il ciel di lor fiammelle:
O settentrional vedovo sito,
Poi che privato se' di mirar quelle!
Naturbeschreibung. – Naturgefühl nach Verschiedenheit der Zeiten und der Völkerstämme.
Es ist oftmals ausgesprochen worden, daß die Freude an der Natur, wenn auch dem Alterthume nicht fremd, doch in ihm als Ausdruck des Gefühls sparsamer und minder lebhaft gewesen sei denn in der neueren Zeit. »Wenn man sich«, sagt SchillerSchiller's sämmtliche Werke 1826 Bd. XVIII. S. 231, 473, 480 und 486; Gervinus, neuere Gesch. der poet. National-Litteratur der Deutschen 1840 Th. I. S. 135; Adolph Becker im Charikles Th. I. S. 219. Vergleiche aber damit Eduard Müller über Sophokleische Naturanschauung und die tiefe Naturempfindung der Griechen 1842 S. 10 und 26. in seinen Betrachtungen über die naive und sentimentale Dichtung, »der schönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab; wenn man nachdenkt, wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte; wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Empfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen und welch ein treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind: so muß die Bemerkung befremden, daß man so wenig Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neueren an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben: aber mit nicht mehrerem Herzensantheil, als er es in der Beschreibung eines Gewandes, eines Schildes, einer Rüstung ist. Die Natur scheint mehr seinen Verstand als sein moralisches Gefühl zu interessiren; er hängt nicht mit Innigkeit und süßer Wehmuth an derselben, wie die Neueren.« 7 So viel wahres und vortreffliches auch im einzelnen in diesen Aeußerungen liegt, so können sie doch keinesweges auf das ganze Alterthum ausgedehnt werden. Auch dürfen wir es wohl eine beschränkte Ansicht nennen, unter dem Alterthum, wenn dasselbe der neueren Zeit entgegengesetzt werden soll, immer nur ausschließlich die hellenische und römische Welt zu verstehen. Tiefes Naturgefühl spricht sich in den ältesten Dichtungen der Hebräer und Inder aus: also bei Volksstämmen sehr verschiedener, semitischer und indogermanischer Abkunft.
Wir können auf die Sinnesart der alten Völker nur aus den Aeußerungen der Naturgefühle schließen, welche in den Ueberbleibseln ihrer Litteratur ausgesprochen sind; wir müssen daher diesen Aeußerungen um so sorgfältiger nachspüren und sie um so vorsichtiger beurtheilen, als sie sich unter den großen Formen der lyrischen und epischen Dichtung nur sparsam darbieten. In dem hellenischen Alterthum, in dem Blüthenalter der Menschheit, finden wir allerdings den zartesten Ausdruck tiefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Handlung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen Kunstbildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt.
Beschreibung der Natur in ihrer gestaltenreichen Mannigfaltigkeit, Naturdichtung als ein abgesonderter Zweig der Litteratur war den Griechen völlig fremd. Auch die Landschaft erscheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche Gestalten sich bewegen. Leidenschaften in Thaten ausbrechend fesselten fast allein den 8 Sinn. Ein bewegtes öffentliches Volksleben zog ab von der dumpfen, schwärmerischen Versenkung in das stille Treiben der Natur; ja den physischen Erscheinungen wurde immer eine Beziehung auf die MenschheitSchnaase, Geschichte der bildenden Künste bei den Alten Bd. II. 1843 S. 128–138. beigelegt, sei es in den Verhältnissen der äußeren Gestaltung oder der inneren anregenden Thatkraft. Fast nur solche Beziehungen machten die Naturbetrachtung würdig, unter der sinnigen Form des Gleichnisses, als abgesonderte kleine Gemälde voll objectiver Lebendigkeit in das Gebiet der Dichtung gezogen zu werden.
Zu Delphi wurden Frühlings-PäanePlut. de EI apud Delphos cap. 9. Vergl. über eine Stelle des Apollonius Dyscolus aus Alexandrien (Mirab. Hist. cap. 40) die letzte Schrift von Otfr. Müller: Gesch. der griech. Litteratur Bd. I1. 1845 S. 31. gesungen, wahrscheinlich bestimmt die Freude des Menschen nach der überstandenen Noth des Winters auszudrücken. Eine naturbeschreibende Darstellung des Winters ist den Werken und TagenHesiodi Opera et Dies v. 502–561; Göttling in Hes. Carm. 1831 p. XIX; Ulrici, Gesch. der hellenischen Dichtkunst Th. I. 1835 S. 337; Bernhardy, Grundriß der griech. Litteratur Th. II. S. 176; doch nach dem Ausspruch von Gottfr. Hermann (Opuscula Vol. VI. p. 239) »trägt des Hesiodus malerische Beschreibung des Winters alle Zeichen eines hohen Alterthums«. des Hesiodus (vielleicht von der fremden Hand eines späteren ionischen Rhapsoden?) eingewebt. In edler Einfachheit, aber in nüchtern didactischer Form giebt dies Gedicht Anweisungen zum Feldbau, Erwerbs- und Arbeitsregeln, ethische Mahnungen zu tadellosem Wandel. Es erhebt sich ebenfalls zu mehr lyrischem Schwunge nur, wenn der Sänger das Elend des Menschengeschlechts oder die schöne allegorische Mythe des Epimetheus und der Pandora in ein anthropomorphisches Gewand einhüllt. Auch in der Theogonie des Hesiodus, die aus sehr verschiedenen uralten Elementen zusammengesetzt ist, finden sich mehrfach, z. B. bei Aufzählung der NereidenHes. Theog. v. 233–264. Auch die Nereide Mära (Od. XI, 326; Il. XVIII, 48) soll vielleicht das phosphorische Leuchten der Meeresfläche ausdrücken, wie derselbe Name μαῖρα den funkelnden Hundsstern (Sirius) bezeichnet., Naturschilderungen des neptunischen Reichs unter bedeutsamen Namen mythischer Personen versteckt. Die böotische Sängerschule und überhaupt die ganze alte Dichtkunst wenden sich den Erscheinungen der Außenwelt zu, um sie menschenartig zu personificiren.
9 Ist, wie so eben bemerkt, Naturbeschreibung: sei sie Darstellung des Reichthums und der Ueppigkeit tropischer Vegetation, sei sie lebensfrische Schilderung der Sitten der Thiere, gleichsam nur in der neuesten Zeit ein abgesonderter Zweig der Litteratur geworden: so ist es nicht als habe da, wo so viel Sinnlichkeit athmet, die Empfänglichkeit für das Naturschöne gemangelt;Vergl. Jacobs, Leben und Kunst der Alten Bd. I. Abth. 1. S. VII. als müsse man da, wo die schaffende Kraft der Hellenen in der Poesie und der bildenden Kunst unnachahmliche Meisterwerke erzeugte, den lebensfrischen Ausdruck einer anschauenden Dichternatur vermissen. Was wir, nach dieser Richtung hin, im Gefühl unserer modernen Sinnesart, in jenen Regionen der antiken Welt nur zu sparsam auffinden, bezeugt in seiner Negation weniger den Mangel der Empfänglichkeit als den eines regen Bedürfnisses das Gefühl des Naturschönen durch Worte zu offenbaren. Minder der unbelebten Erscheinungswelt als dem handelnden Leben und der inneren, spontanen Anregung der Gefühle zugewandt: waren die frühesten und auch die edelsten Richtungen des dichterischen Geistes episch und lyrisch. In diesen Kunstformen aber können Naturschilderungen sich nur wie zufällig beigemischt finden. Sie erscheinen nicht als gesonderte Erzeugnisse der Phantasie. Je mehr der Einfluß der alten Welt verhallte, je mehr ihre Blüthen dahinwelkten, ergoß sich die Rhetorik in die beschreibende wie in die belehrende, didactische Poesie. Diese war ernst, großartig und schmucklos in ihrer ältesten philosophischen, halb priesterlichen Form: als Naturgedicht des Empedocles; sie verlor allmälig durch die Rhetorik von ihrer Einfachheit und früheren Würde.
Möge es uns erlaubt sein, um das allgemein Gesagte 10 zu erläutern, hier bei einzelnen Beispielen zu verweilen. Wie der Charakter des Epos es erheischt, finden sich in den Homerischen Gesängen immer nur als Beiwerk die anmuthigsten Scenen des Naturlebens. »Der Hirte freut sich der Windstille der Nacht, des reinen Aethers und des Sternenglanzes am Himmelsgewölbe; er vernimmt aus der Ferne das Toben des plötzlich angeschwollenen, Eichenstämme und trüben Schlamm fortreißenden Waldstroms.«Ilias VIII, 555–559; IV, 452–455; XI, 115–199. Vergl. auch im Eingang der Heerschau die gehäuften, aber lebensvollen Schilderungen der Thierwelt II, 458–475. Mit der großartigen Schilderung der Waldeinsamkeit des Parnassos und seiner dunkeln, dickbelaubten Felsthäler contrastiren die heiter lieblichen Bilder des quellenreichen Pappelhaines in der Phäaken-Insel Scheria, und vor allem das Land der Cyclopen: »wo schwellend von saftreichem, wogendem Grase die Auen den ungepflegten Rebenhügel umgrenzen«.Od. XIX, 431–445; VI, 290; IX, 115–199. Vergl. »des grünenden Haines Umschattung« bei der Felsengrotte der Kalypso: »wo ein Unsterblicher selbst würde bewunderungsvoll weilen und sich herzlich erfreuen des Anblicks«: V, 55–73; die Brandung im Lande der Phäaken V, 400–442; die Gärten des Alcinous VII, 113–130. – Ueber den Frühlings-Dithyrambus des Pindaros s. Böckh, Pindari Opera T. II. P. 2. p. 575–579. Pindaros besingt in einem Frühlings-Dithyrambus, den er zu Athen hat aufführen lassen, »die mit neuen Blüthen bedeckte Erde, wenn in der Argeischen Nemea der sich zuerst entwickelnde Sprößling des Palmbaums dem Seher den anbrechenden, duftenden Frühling verkündigt«; er besingt den Aetna: »die Säule des Himmels, Nährerinn dauernden Schnees«; aber eilend wendet er sich ab von der todten Natur und ihren Schauern, um Hieron von Syracus zu feiern und die siegreichen Kämpfe der Hellenen gegen das mächtige Volk der Perser.
Vergessen wir nicht, daß die griechische Landschaft den eigenthümlichen Reiz einer innigeren Verschmelzung des Starren und Flüssigen: des mit Pflanzen geschmückten oder malerisch felsigen, luftgefärbten Ufers; und des wellenschlagenden, lichtwechselnden, klangvollen Meeres darbietet. Wenn anderen Völkern Meer und Land, das Erd- und Seeleben 11 wie zwei getrennte Sphären der Natur erschienen sind; so ward dagegen den Hellenen: und nicht etwa bloß den Inselbewohnern, sondern auch den Stämmen des südlichen Festlandes, fast überall gleichzeitig der Anblick dessen, was im Contact und durch Wechselwirkung der Elemente dem Naturbilde seinen Reichthum und seine erhabene Größe verleiht. Wie hätten auch jene sinnigen, glücklich gestimmten Völker nicht sollen angeregt werden von der Gestalt waldbekränzter Felsrippen an den tief-eingeschnittenen Ufern des Mittelmeeres, von dem stillen nach Jahreszeit und Tagesstunden wechselnden Verkehr der Erdfläche mit den unteren Schichten des Luftkreises, von der Vertheilung der vegetabilischen Gestalten? Wie sollte in dem Zeitalter, wo die dichterische Stimmung die höchste war, sich nicht jegliche Art lebendiger sinnlicher Regung des Gemüthes in idealische Anschauung auflösen? Der Grieche dachte sich die Pflanzenwelt in mehrfacher mythischer Beziehung mit den Heroen und Göttern. Diese rächten strafend eine Verletzung geheiligter Bäume und Kräuter. Die Einbildungskraft belebte gleichsam die vegetabilischen Gestalten; aber die Formen der Dichtungsarten, auf welche bei der Eigenthümlichkeit griechischer Geistesentwicklung das Alterthum sich beschränkte, gestatteten dem naturbeschreibenden Theile nur eine mäßige Entfaltung.
Einzeln bricht indeß selbst bei den Tragikern mitten in dem Gewühl aufgeregter Leidenschaft und wehmüthiger Gefühle ein tiefer Natursinn in begeisterte Schilderungen der Landschaft aus. Wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht, singt der Chor »den edeln Ruhesitz des glanzvollen Kolonos: wo die melodische Nachtigall gern einkehrt und in helltönenden Lauten klagt«; er singt »die 12 grünende Nacht der Epheu-Gebüsche, die von himmlischem Thau getränkten Narcissen, den goldstrahlenden Kronos und den unvertilgbaren, stets selber sich wiedererzeugenden Oelbaum«.Oed. in Kolonos v. 668–719. Als Beschreibungen der Landschaft, in denen sich ein tiefes Naturgefühl offenbart, muß ich hier noch erwähnen: der Schilderung des Cithäron in Euripides Bacchen v. 1045 (Leake, North. Greece Vol. II. p. 370), wo der Bote aus dem Asoposthale aufsteigt; des Sonnenaufganges im Delphischen Thale bei Euripides, Ion v. 82; des Anblickes der heiligen Delos, mit trüben Farben gemalt: »von Möwen umflattert, von stürmischen Wellen gegeißelt«, bei Kallimachus im Hymnos auf Delos v. 11. Indem Sophocles seinen Geburtsort, den Gau von Kolonos, zu verherrlichen strebt: stellt er die hohe Gestalt des schicksalverfolgten, herumirrenden Königs an die schlummerlosen Gewässer des Kephissos, von heiteren Bildern sanft umgeben. Die Ruhe der Natur vermehrt den Eindruck des Schmerzes, welchen die hehre Gestalt des Erblindeten, das Opfer verhängnißvoller Leidenschaft, hervorruft. Auch EuripidesNach Strabo (lib. VIII pag. 366, Casaub.), wo er den Tragiker wegen einer geographisch unrichtigen Begrenzung von Elis anklagt. Die schöne Stelle des Euripides ist aus dem Kresphontes, und die Beschreibung der Trefflichkeit Messene's stand mit der Exposition der politischen Verhältnisse (der Theilung der Länder unter die Herakliden) in genauer Verbindung. Die Naturschilderung war also auch hier, wie Böckh scharfsinnig bemerkt, an menschliche Verhältnisse geknüpft. gefällt sich in der malerischen Beschreibung von »Messeniens und Lakoniens Triften: die, unter dem ewig milden Himmel, durch tausend Quellenbrunnen genährt, von dem schönen Pamisos durchströmt werden«.
Die bukolische Dichtung, in den Gefilden von Sicilien entstanden und zum Dramatischen volksthümlich hingeneigt, führt mit Recht den Namen einer Uebergangsform. Sie schildert im kleinen Hirten-Epos mehr den Naturmenschen als die Landschaft. So erscheint sie in ihrer anmuthigsten Vollendung, in Theokrit. Ein weiches elegisches Element ist übrigens dem Idyll eigen: gleichsam als wäre es »aus der Sehnsucht nach einem verlorenen Ideal« entstanden, als sei immerdar in der Brust des Menschen dem tiefen Naturgefühl eine gewisse Wehmuth beigemischt.
Wie nun mit dem freien Volksleben die Poesie in Hellas erstarb; wurde diese beschreibend, didactisch, eine Trägerinn des Wissens. Sternkunde, Erdbeschreibung, Jagd und Fischfang treten auf in der alexandrinischen Zeit als Gegenstände der Dichtkunst, oft geziert durch eine sehr vorzügliche metrische Technik. Die Gestalten und Sitten der 13 Thierwelt werden mit Anmuth und oft mit einer Genauigkeit geschildert, daß die neuere classificirende Naturkunde Gattungen und selbst Arten in den Beschreibungen erkennen kann. Es fehlt aber allen diesen Dichtungsarten das innere Leben, eine begeisterte Anschauung der Natur: das, wodurch die Außenwelt dem angeregten Dichter fast unbewußt ein Gegenstand der Phantasie wird. Das Uebermaaß des beschreibenden Elements findet sich in den durch kunstreichen Versbau ausgezeichneten 48 Gesängen der Dionysiaca des Aegyptiers Nonnus. Der Dichter gefällt sich in der Darstellung großer Natur-Umwälzungen: er läßt durch ein vom Blitz entzündetes Waldufer, im Flußbette des Hydaspes, selbst die Fische verbrennen; er lehrt, wie aufsteigende Dämpfe den meteorologischen Proceß des Gewitters und eines electrischen Regens erzeugen. Zur romantischen Poesie hingeneigt, ist Nonnus von Panopolis wundersam ungleich: bald begeistert und anregend, bald langweilig und wortreich.
Mehr Naturgefühl und Zartheit der Empfindung offenbaren sich in einzelnen Theilen der griechischen Blumenlese (Anthologie), welche auf so verschiedenen Wegen und aus verschiedenen Zeiten zu uns gelangt ist. In der anmuthigen Uebersetzung von Jacobs ist alles, was das Thier- und Pflanzenleben betrifft, in eine Abtheilung vereinigt. Es sind kleine Bilder, meist nur Anspielungen auf individuelle Formen. Die Platane, welche »in ihrem Gezweige die mostschwellende Traube ernährt«, und aus Kleinasien über die Insel des Diomedes erst unter Dionysius dem Aelteren bis zu den Ufern des sicilischen Anapus vordrang, wird vielleicht nur zu oft besungen; doch scheint im ganzen der antike Sinn in diesen Liedern und Epigrammen mehr der Thier- als der 14 Pflanzenwelt zugewandt. Eine edle und zugleich etwas größere Composition ist das Frühlings-Idyllium des Meleager von Gadara in Cölesyrien.Meleagri Reliquiae, ed. Manso p. 5. Vergl. Jacobs, Leben und Kunst der Alten Bd. I. Abth. 1. S. XV, Abth. 2. S. 150–190. Das Frühlingsgedicht des Meleager glaubte Zenobetti (Mel. Gadareni in Ver Idyllion 1759 p. 5) um die Mitte des 18ten Jahrhunderts zuerst entdeckt zu haben. S. Brunckii Anal. T. III. p. 105. – Zwei schöne Waldgedichte des Marianos stehen in der Anthol. graeca II, 511 und 512. Mit dem Meleager contrastirt das Lob des Frühlings in den Eclogen des Himerius: eines Sophisten, der unter Julian Lehrer der Rhetorik zu Athen war. Der Styl ist im ganzen kalt und geziert, aber im einzelnen, besonders in der beschreibenden Form, kommt er bisweilen der modernen Weltanschauung sehr nahe. Himerii Sophistae Eclogae et Declamationes, ed. Wernsdorf 1790 (Oratio III, 3–6 und XXI, 5). Man muß sich wundern, daß die herrliche Lage von Constantinopel den Sophisten gar nicht begeistert habe (Orat. VII, 5–7, XVI, 3–8). – Die im Text (S. 13) bezeichneten Stellen des Nonnus finden sich Dionys. ed. Petri Cunaei 1610 lib. II p. 70, VI p. 199, XXIII p. 16 und 619, XXVI p. 594. (Vergl. auch Ouwaroff, Nonnos von Panopolis, der Dichter, 1817 S. 3, 16 und 21.)
Schon des alten Rufes der Gegend wegen muß ich der Schilderung des Waldthales von Tempe erwähnen, welche AelianAeliani Var. Hist. et Fragm. lib. III cap. 1 pag. 139 Kühn. Vergl. A. Buttmann, quaest. de Dicaearcho (Naumb. 1832) p. 32 und Geogr. gr. min. ed. Gail Vol. II. p. 140–145. – Eine merkwürdige Naturliebe, besonders eine Blumenliebhaberei, die William Jones schon mit der der indischen Dichter zusammengestellt hat, bemerkt man bei einem Tragiker, dem Chäremon; s. Welcker, griechische Tragödien Abth. III. S. 1088. wahrscheinlich nach dem Vorbilde des Dicäarchus entworfen hat. Es ist das Ausführlichste, was uns von Naturbeschreibungen aus den griechischen Prosaikern erhalten ist: topographisch freilich, aber doch auch malerisch zugleich; denn das schattige Thal wird belebt durch den pythischen Aufzug (theoria), »welcher vom heiligen Lorbeer die sühnenden Zweige bricht«. In der späten byzantinischen Zeit, seit dem Ende des vierten Jahrhunderts, sehen wir landschaftliche Schilderungen schon häufiger in die Romane der griechischen Prosaiker eingewebt. Durch diese Schilderungen zeichnet sich der Schäferroman des LongusLongi Pastoralia (Daphnis et Chloe, ed. Seiler 1843) lib. I, 9; III, 12 und IV, 1–3; pag. 92, 125 und 137. Vergl. Villemain sur les Romans grecs in seinen Mélanges de Littérature T. II. p. 435–448, wo Longus mit Bernardin de St. Pierre verglichen ist. aus: in welchem aber doch zarte Lebensbilder den Ausdruck der Naturgefühle weit übertreffen.
Es war nicht der Zweck dieser Blätter mehr zu liefern, als was durch specielle Erinnerung an einzelne Kunstformen die allgemeinen Betrachtungen über die dichterische Auffassung der Außenwelt zu erläutern vermag. Ich würde schon den Blüthenkreis des hellenischen Alterthums verlassen: wenn in einem Werke, dem ich gewagt den Namen Kosmos vorzusetzen, mit Stillschweigen die Naturschilderung übergangen werden dürfte, mit der das Pseudo-Aristotelische Buch vom Kosmos (oder von der Weltordnung) anhebt. Es zeigt uns dieselbe »den Erdball mit üppigem Pflanzenwuchse geschmückt, reich bewässert und (als das Preiswürdigste) von denkenden Wesen bewohnt«.Pseudo-Aristot., de Mundi cap. 3, 14–20, pag. 392 Bekker. Die rhetorische Färbung eines 15 so reichen Naturbildes, der concisen und rein wissenschaftlichen Darstellungsweise des Stagiriten völlig unähnlich, ist selbst als eines der vielen Zeichen der Unächtheit jener Schrift über den Kosmos erkannt worden. Mag sie immerhin dem AppulejusS. Aristoteles bei den Römern von Stahr 1834 S. 173–177: Osann, Beiträge zur griech. und röm. Litteraturgeschichte Bd. I. 1835 S. 165–192. Stahr vermuthet (S. 172), wie Heumann, daß der heutige griechische Text eine umgestaltete Uebersetzung des lateinischen Textes des Appulejus sei. Letzterer (de Mundo p. 250 Bip.) sagt bestimmt: »er habe sich in der Abfassung seines Buches an Aristoteles und Theophrast gehalten«. oder dem ChrysippusOsann a. a. O. S. 194–266. oder wem sonst zugehören! Die naturbeschreibende Stelle, die wir als aristotelisch entbehren, wird uns gleichsam durch eine andere ächte ersetzt, welche Cicero uns erhalten hat. Aus einem verlorenen Werke des Aristoteles führt dieser in wörtlicher UebertragungCicero de Natura Deorum II, 37. Eine Stelle, in welcher Sextus Empiricus (adversus Physicos lib. IX, 22 p. 554 Fabr.) eine ähnliche Aeußerung des Aristoteles anführt, verdient um so mehr Aufmerksamkeit, als Sextus kurz vorher (IX, 20) auf einen anderen, für uns ebenfalls verlorenen Text (über Divination und Träume) anspielt. folgendes an: »Wenn es Wesen gäbe, die in den Tiefen der Erde immerfort in Wohnungen lebten, welche mit Statuen und Gemälden und allem dem verziert wären, was die für glücklich Gehaltenen in reicher Fülle besitzen; wenn dann diese Wesen Kunde erhielten von dem Walten und der Macht der Götter, und durch die geöffneten Erdspalten aus jenen verborgenen Sitzen herausträten an die Orte, die wir bewohnen; wenn sie urplötzlich Erde und Meer und das Himmelsgewölbe erblickten, den Umfang der Wolken und die Kraft der Winde erkennten, die Sonne bewunderten in ihrer Größe, Schönheit und lichtausströmenden Wirkung; wenn sie endlich, sobald die einbrechende Nacht die Erde in Finsterniß hüllt, den Sternenhimmel, den lichtwechselnden Mond, den Auf- und Untergang der Gestirne und ihren von Ewigkeit her geordneten unveränderlichen Lauf erblickten: so würden sie wahrlich aussprechen, es gebe Götter und so große Dinge seien ihr Werk.« Man hat mit Recht gesagt, daß diese Worte allein schon hinreichen Cicero's Ausspruch über »den goldenen Strom der Aristotelischen Rede« zu bewähren»Aristoteles flumen orationis aureum fundens«, Cic. Acad. Quaest. II cap. 38. (Vergl. Stahr, Aristotelia Th. II. S. 161 und in desselben Schrift: Aristoteles bei den Römern S. 53.), daß in ihnen etwas von der begeisternden Kraft des Platonischen Genius weht. 16 Ein solcher Beweis für das Dasein himmlischer Mächte aus der Schönheit und unendlichen Größe der Werke der Schöpfung steht in dem Alterthum sehr vereinzelt da.
Was wir, ich sage nicht in der Empfänglichkeit des griechischen Volkes, sondern in den Richtungen seiner litterarischen Productivität vermissen, ist noch sparsamer bei den Römern zu finden. Eine Nation, die nach alter siculischer Sitte dem Feldbau und dem Landleben vorzugsweise zugethan war, hätte zu anderen Hoffnungen berechtigt; aber neben so vielen Anlagen zur praktischen Thätigkeit war der Volkscharakter der Römer in seinem kalten Ernste, in seiner abgemeßnen, nüchternen Verständigkeit, sinnlich weniger erregbar, der alltäglichen Wirklichkeit mehr als einer idealisirenden dichterischen Natur-Anschauung hingegeben. Diese Unterschiede des inneren Lebens der Römer und der griechischen Stämme spiegeln sich ab in der Litteratur als dem geistigen Ausdruck alles Volkssinnes. Zu ihnen gesellt sich noch, trotz der Verwandtschaft in der Abstammung, die anerkannte Verschiedenheit in dem organischen Bau der beiden Sprachen. Der Sprache des alten Latium wird mindere Bildsamkeit, eine beschränktere Wortfügung, »eine mehr realistische Tendenz« als idealische Beweglichkeit zugeschrieben. Dazu konnte im Augusteischen Zeitalter der entfremdende Hang griechischen Vorbildern nachzustreben den Ergießungen heimischer Gemüthlichkeit und eines freien Naturgefühls hinderlich werden; aber, von Vaterlandsliebe getragen, wußten kräftige Geister durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen, wie durch zarte Anmuth der Darstellung jene Hindernisse zu überwinden.
Reichlich mit poetischem Genius ausgestattet ist das 17 begeisterte Naturgedicht des Lucretius. Es umfaßt den ganzen Kosmos; dem Empedocles und Parmenides verwandt, erhöht die archaistische Diction den Ernst der Darstellung. Die Poesie ist hier tief mit der Philosophie verwachsen: ohne deshalb in die »Frostigkeit« der Composition zu verfallen, welche, gegen die phantasiereiche Natur-Ansicht Plato's abstechend, schon von dem Rhetor Menander in dem über die physischen Hymnen gefällten Urtheil so bitter getadelt wird.Menandri rhetoris comment. de Encomiis ex rec. Heeren 1785 sect. I cap. 5 p. 38 und 39. Der strenge Kritiker nennt das didactische Naturgedicht ψυχρότερον, eine frostige Composition, in der die Naturkräfte ihrer Persönlichkeit entkleidet auftreten: Apoll das Licht, Here der Inbegriff der Lufterscheinungen, Zeus die Wärme ist. Auch Plutarch (de aud. poet. p. 27 Steph.) verspottet die sogenannten Naturgedichte, welche nur die Form der Poesie haben. Nach dem Stagiriten (de Poet. cap. 1) ist Empedocles mehr Physiologe als Dichter, er hat mit Homer nichts gemein als das Versmaaß. Mein Bruder hat mit vielem Scharfsinn die auffallenden Analogien und Verschiedenheiten entwickelt, welche aus der Verwachsung metaphysischer Abstractionen mit der Poesie in den alten griechischen Lehrgedichten, in dem des Lucretius und in der Episode Bhagavad-Gita, aus dem indischen Epos Mahabharata»Es mag wunderbar scheinen, die Dichtung, die sich überall an Gestalt, Farbe und Mannigfaltigkeit erfreut, gerade mit den einfachsten und abgezogensten Ideen verbinden zu wollen; aber es ist darum nicht weniger richtig. Dichtung, Wissenschaft, Philosophie, Thatenkunde sind nicht in sich und ihrem Wesen nach gespalten; sie sind eins, wo der Mensch auf seinem Bildungsgange noch eins ist oder sich durch wahrhaft dichterische Stimmung in jene Einheit zurückversetzt.« Wilhelm v. Humboldt, gesammelte Werke Bd. I. S. 98–102 (vergl. auch Bernhardy, röm. Litteratur S. 215–218 und Fried. Schlegel's sämmtliche Werke Bd. I. S. 108–110). Cicero (ad Quint. fratrem II, 11) schrieb freilich, wo nicht mürrisch, doch mit vieler Strenge, dem, von Virgil, Ovid und Quintilian so hochgepriesenen Lucretius mehr Kunst als schöpferisches Talent (ingenium) zu., entstanden sind. Das große physische Weltgemälde des römischen Dichters contrastirt in seiner erkältenden Atomistik und seinen oft wilden geognostischen Träumen mit seiner lebensfrischen Schilderung von dem Uebergange des Menschengeschlechts aus dem Dickicht der Wälder zum Feldbau, zur Beherrschung der Naturkräfte, zur erhöhten Cultur des Geistes und also auch der Sprache, zur bürgerlichen Gesittung.Lucret. lib. V v. 930–1455.
Wenn bei einem Staatsmann, in einem bewegten und vielbeschäftigten Leben, in einem durch politische Leidenschaft aufgeregten Gemüthe, lebendiges Naturgefühl und Liebe zu ländlicher Einsamkeit sich erhalten; so liegt die Quelle davon in den Tiefen eines großen und edlen Charakters. Cicero's eigene Schriften bezeugen die Wahrheit dieser Behauptung. Allerdings ist, wie allgemein bekannt, in dem Buche von den Gesetzen und in dem vom Redner manches dem Phädrus des PlatoPlato, Phaedr. p. 230; Cicero de Leg. I. 5, 15; II. 2, 1–3; II. 3, 6 (vergl. Wagner, Comment. perp. in Cic. de Leg. 1804 p. 6; Cic. de Oratore I. 7, 28 (pag. 15 Ellendt). nachgebildet; das italische Naturbild 18 hat aber darum nichts von seiner Individualität verloren. Plato preist in allgemeinen Zügen den »dunkeln Schatten der hochbelaubten Platane, die Kräuterfülle in vollem Dufte der Blüthen; die Lüfte, welche süß und sommerlich in den Chor der Cicaden wehen«. In Cicero's kleinem Naturbilde ist, wie noch neuerlichst ein sinniger ForscherS. die vortreffliche Schrift von Rudolph Abeken, Rector des Gymnasiums zu Osnabrück, welche unter dem Titel: Cicero in seinen Briefen im Jahr 1835 erschienen ist, S. 431–434. Die wichtige Zugabe über Cicero's Geburtsstätte ist von H. Abeken, dem gelehrten Neffen des Verfassers: ehemals preußischem Gesandtschafts-Prediger in Rom, jetzt theilnehmend an der wichtigen ägyptischen Expedition des Professor Lepsius. Vergl. auch über die Geburtsstätte des Cicero Valery, Voy. hist. en Italie T. III. p. 421. bemerkt hat, alles so dargestellt, wie man es heute noch in der wirklichen Landschaft wiederfindet. Den Liris sehen wir von hohen Pappeln beschattet; man erkennt, wenn man von dem steilen Berge hinter der alten Burg von Arpinum gegen Osten hinabsteigt, den Eichenhain am Bache Fibrenus: wie die Insel, jetzt Isola di Carnello genannt, welche durch die Theilung des Flüßchens entsteht und in die Cicero sich zurückzog, um, wie er sagt, »seinen Meditationen nachzuhangen, zu lesen oder zu schreiben«. Arpiunm am Volscischen Gebirge war des großen Staatsmannes Geburtssitz, und die herrliche Umgebung hat gewiß auf seine Stimmung im Knabenalter gewirkt. Dem Menschen unbewußt, gesellt sich früh, was die umgebende, mehr oder minder anregende Natur in der Seele abspiegelt, zu dem, was tief und frei in den ursprünglichen Anlagen, in den inneren geistigen Kräften gewurzelt ist.
Mitten unter den verhängnißvollen Stürmen des Jahres 708 (nach Erbauung der Stadt) fand Cicero Trost in seinen Villen: abwechselnd in Tusculum, in Arpinum, bei Cumä und Antium. »Nichts ist erfreulicher«, schreibt erCic. Epist. ad Atticum XII, 9 und 15. an Atticus, »als diese Einsamkeit; nichts anmuthiger als dieser Landsitz, als das nahe Ufer und der Blick auf das Meer. – In der Einöde der Insel Astura, an der Mündung des gleichnamigen Flusses, am Ufer des tyrrhenischen 19 Meeres, stört mich kein Mensch; und wenn ich mich früh Morgens in einem dichten und rauhen Wald verborgen halte, verlasse ich denselben vor Abend nicht. Nächst meinem Atticus ist mir nichts so lieb als die Einsamkeit; in ihr pflege ich meinen Verkehr mit den Wissenschaften: doch wird dieser oft durch Thränen unterbrochen. Ich kämpfe (als Vater) dagegen an, so viel ich es vermag; aber noch bin ich solch einem Kampfe nicht gewachsen.« Man hat mehrfach bemerkt, daß in diesen Briefen und in denen des jüngeren Plinius Anklänge moderner Sentimentalität nicht zu verkennen seien. Ich finde darin nur Anklänge tiefer Gemüthlichkeit: die in jedem Zeitalter, bei jedem Volksstamme aus dem schmerzlich beklommenen Busen emporsteigen.
Die Kenntniß der großen Dichterwerke des Virgil, des Horatius und des Tibullus ist mit der allgemeinen Verbreitung der römischen Litteratur so innigst verwebt, daß es überflüssig wäre hier bei einzelnen Zeugnissen des zarten und immer regen Naturgefühls, das einige dieser Werke belebt, zu verweilen. In Virgils National-Epos konnte nach der Natur dieser Dichtung die Beschreibung des Landschaftlichen allerdings nur als Beiwerk erscheinen und einen sehr kleinen Raum einnehmen. Individuelle Auffassung bestimmter LocalitätenDie Stellen des Virgilius, welche Malte-Brun (Annales des Voyages T. III. 1808 p. 235–266) als Localbeschreibungen anführt, beweisen bloß, daß der Dichter die Erzeugnisse der verschiedenen Länder: den Safran des Berges Tmolus, den Weihrauch der Sabäer; die wahren Namen vieler kleinen Flüsse, ja die mephitischen Dämpfe kannte, welche aus einer Höhle in den Apenninen bei Amsanctus aufsteigen. bemerkt man nicht, wohl aber in mildem Farbenton ein inniges Verständniß der Natur. Wo ist das sanfte Spiel der Meereswogen, wo die Ruhe der Nacht glücklicher beschrieben? Wie contrastiren mit diesen heiteren Bildern die kräftigen Darstellungen des einbrechenden Ungewitters im ersten Buche vom Landbau, der Meerfahrt und Landung bei den Strophaden, des Felsensturzes oder des flammensprühenden Aetna's in der Aeneis!Virg. Georg. I, 356–392; III, 349–380; Aen. III, 191–211; IV, 246–251; IV, 522–528; XII, 684–689. 20 Von Ovidius hätten wir als Frucht seines langen Aufenthalts in den Ebenen von Tomi (in Unter-Mösien) eine dichterische Naturbeschreibung der Steppen erwarten können, deren keine aus dem Alterthum auf uns gekommen ist. Der Verbannte sah freilich nicht die Art von Steppen, welche im Sommer mit vier bis sechs Fuß hohen, saftreichen Kräutern dicht bedeckt sind und bei jedem Windeshauch das anmuthige Bild bewegter Blüthenwellen darbieten; der Verbannungsort des Ovidius war ein ödes, sumpfreiches Steppenland: und der gebrochene Geist des unmännlich Klagenden war mit Erinnerungen an die Genüsse der geselligen Welt, an die politischen Ereignisse in Rom, nicht mit der Anschauung der ihn umgebenden scythischen Einöde erfüllt. Als Ersatz hat uns der hochbegabte, jeder lebensfrischen Darstellung so mächtige Dichter: neben den, freilich nur zu oft wiederholten, allgemeinen Schilderungen von Höhlen, Quellen und »stillen Mondnächten«; eine überaus individualisirte, auch geognostisch wichtige Beschreibung des vulkanischen Ausbruchs bei Methone, zwischen Epidaurus und Trözen, gegeben. Es ist dieser Beschreibung schon an einem anderen Orte, in dem NaturgemäldeS. Kosmos Bd. I. S. 252 und 453 [Anm. 230]. (Vergl. als einzelne Naturbilder Ovid. Met. I, 568–576; III, 155–164; III, 407–412; VII, 180–188; XV, 296–306. Trist. lib. I El. 3, 60; lib. 3 El. 4, 49; El. 12, 15. Ex Ponto lib. III ep. 7–9.) Zu den seltenen Beispielen von individuellen Naturbildern, solchen, die sich auf eine bestimmte Landschaft beziehen, gehört, wie Roß zuerst erwiesen, die anmuthige Schilderung einer Quelle am Hymettus, welche mit dem Verse anhebt: Est prope purpureos colles florentis Hymetti... (Ovid. de arte am. III, 687). Der Dichter beschreibt die bei den Alten berühmte, der Aphrodite geheiligte Quelle Kallia, die an der Westseite des sonst sehr wasserarmen Hymettus ausbricht. (S. Roß, Brief an Prof. Vuros in der Griech. medicin. Zeitschrift, Junius 1837.), gedacht. Ovidius zeigt uns, »wie durch der eingezwängten Dämpfe Kraft der Boden gleich einer luftgefüllten Blase, gleich dem Fell des zweigehörnten Bockes anschwillt und sich als ein Hügel erhebt«.
Am meisten ist zu bedauern, daß Tibullus keine große naturbeschreibende Composition von individuellem Charakter hat hinterlassen können. Unter den Dichtern des Augusteischen Zeitalters gehört er zu den wenigen, die: der alexandrinischen Gelehrsamkeit glücklicherweise fremd, der 21 Einsamkeit und dem Landleben ergeben, gefühlvoll und darum einfach, aus eigener Quelle schöpften. ElegienTibullus ed. Voß 1811, Eleg. lib. I. 6, 21–35; lib II. 1, 37–66. müssen freilich als Sittenbilder betrachtet werden, in welchen die Landschaft den Hintergrund bildet; aber die Feldweihe und die 6te Elegie des ersten Buches lehren, was von Horazens und Messala's Freund wäre zu erwarten gewesen.
Lucanus, der Enkel des Rhetors M. Annäus Seneca, ist diesem freilich durch rednerischen Schmuck der Diction nur zu sehr verwandt; doch finden wir bei ihm ein vortreffliches und naturwahres Gemälde von der Zerstörung des DruidenwaldesLucan. Phars. III, 400–452 (Vol. I. p. 374–384 Weber). an dem jetzt baumlosen Gestade von Marseille. Die gefällten Eichenstämme erhalten sich schwebend an einander gelehnt; entblättert lassen sie den ersten Lichtstrahl in das schauervolle, heilige Dunkel dringen. Wer lange in den Wäldern der Neuen Welt gelebt, fühlt, wie lebendig mit wenigen Zügen der Dichter die Ueppigkeit eines Baumwuchses schildert, dessen riesenmäßige Reste noch in einigen Torfmooren von Frankreich begraben liegenS. oben Kosmos Bd. I. S. 298.. In dem didactischen Gedichte Aetna des Lucilius Junior, eines Freundes des L. Annäus Seneca, sind allerdings die Ausbruchs-Erscheinungen eines Vulkans mit Wahrheit geschildert; aber die Auffassung ist ohne Individualität: mit viel minderer, als wir schon obenS. a. a. O. S. 455 [Anm. 234]. Das Gedicht Aetna des Lucilius, sehr wahrscheinlich Theil eines größeren Gedichts über die Naturmerkwürdigkeiten Siciliens, wurde von Wernsdorf dem Cornelius Severus zugeschrieben. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen: das Lob des allgemeinen Naturwissens, als »Früchte des Geistes« betrachtet, v. 270–280; die Lavaströme v. 360–370 und 474–515, die Wasser-Ausbrüche am Fuß des Vulkans (?) v. 395, die Bildung des Bimssteins v. 425 (pag. XVI–XX, 32, 42, 46, 50 und 55 ed. Jacob 1826). an dem Aetna dialogus des jungen Bembo gerühmt haben.
Als endlich die Dichtkunst in ihren großen und edelsten Formen, wie erschöpft, dahinwelkte: seit der zweiten Hälfte des 4ten Jahrhunderts; waren die poetischen Bestrebungen, vom Zauber schöpferischer Phantasie entblößt, auf die nüchternen Realitäten des Wissens und des Beschreibens gerichtet. Eine gewisse rednerische Ausbildung 22 des Styls konnte nicht ersetzen, was an einfachem Naturgefühl und idealisirender Begeisterung abging. Als Erzeugniß dieser unfruchtbaren Zeit, in der das poetische Element nur wie ein zufälliger äußerer Schmuck des Gedankens erscheint, nennen wir das Mosel-Gedicht des Ausonius. Im aquitanischen Gallien geboren, hatte der Dichter dem Feldzuge Valentinians gegen die Alemannen beigewohnt. Die Mosella, in dem alten Trier gedichtet, besingt in einzelnen StellenDecii Magni Ausonii Mosella v. 189–199, pag. 14 und 44 Böcking. Vergl. auch die in naturhistorischer Hinsicht nicht unwichtige, von Valenciennes scharfsinnig benutzte Notiz über die Fische der Mosel v. 85–150 pag. 9–12, ein Gegenstück zu Oppian (Bernhardy, griech. Litt. Th. II. S. 1049). Zu dieser trocken didactischen Dichtungsart, welche sich mit Naturproducten beschäftigte, gehörten auch die nicht auf uns gekommenen Ornithogonia und Theriaca des Aemilius Macer aus Verona, den Werken des Kolophoniers Nicander nachgebildet. Anziehender als des Ausonius Mosella war eine Naturbeschreibung der südlichen Küste von Gallien, welche das Reisegedicht des Claudius Rutilius Numatianus, eines Staatsmannes unter Honorius, enthielt. Durch den Einbruch der Barbaren von Rom vertrieben, kehrte Rutilius nach Gallien auf seine Landgüter zurück. Wir besitzen leider nur ein Fragment des zweiten Buchs, welches nicht weiter als bis zu den Steinbrüchen von Carrara führt. S. Rutilii Claudii Namatiani de Reditu suo (e Roma in Galliam Narbonensem) libri duo; rec. A. W. Zumpt 1840 p. 15, 31 und 219 (mit einer schönen Karte von Kiepert); Wernsdorf, Poetae lat. min. T. V. P. 1. p. 125. nicht ohne Anmuth die schon damals rebenbepflanzten Hügel eines der schönsten Ströme unsres vaterländischen Bodens; aber die nüchterne Topographie des Landes, die Aufzählung der der Mosel zuströmenden Bäche, die Charakteristik der Fischgattungen in Gestalt, Farbe und Sitten sind Hauptgegenstände dieser ganz didactischen Composition.
In den römischen Prosaikern, unter denen wir schon oben einige denkwürdige Stellen des Cicero angeführt haben, sind Naturbeschreibungen eben so selten als in den griechischen. Nur die großen Historiker Julius Cäsar, Livius und Tacitus bieten einzelne Beispiele dar: wo sie veranlaßt sind Schlachtfelder, Uebergänge von Flüssen oder unwegsame Bergpässe zu beschreiben; da, wo sie das Bedürfniß fühlen den Kampf der Menschen mit Naturhindernissen zu schildern. In den Annalen des Tacitus entzücken mich die Beschreibung der unglücklichen Schifffahrt des Germanicus auf der Ems (Amisia) und die großartige geographische Schilderung der Bergketten von Syrien und Palästina.Tac. Ann. II, 23–24; Hist. V, 6. Das einzige Fragment, das uns der Rhetor Seneca (Suasor. I p. 11 Bipont.) aus einem Heldengedichte erhalten hat, in welchem Ovids Freund Pedo Albinovanus die Thaten des Germanicus besang, beschreibt ebenfalls die unglückliche Schifffahrt auf der Ems (Ped. Albinov. Elegiae Amst. 1703 p. 172). Seneca hält diese Schilderung des stürmischen Meeres für malerischer als alles, was die römischen Dichter hervorgebracht haben. Freilich sagt er selbst: latini declamatores in Oceani descriptione non nimis viguerunt: nam aut tumide scripserunt aut curiose. CurtiusCurt. in Alex. Magno VI, 16. (Vergl. Droysen, Gesch. Alexanders des Großen 1833 S. 265.) In dem nur zu rhetorischen Lucius Annaeus Seneca (Quaest. Natur. lib. III c. 27–30 pag. 677–686 ed. Lips. 1741) findet sich die merkwürdige Beschreibung eines der verschiedenen Untergänge des einst reinen, dann sündhaft gewordenen Menschengeschlechts durch eine fast allgemeine Wasserfluth: Cum fatalis dies diluvii venerit.... bis: peracto exitio generis humani exstinctisque pariter feris in quarum homines ingenia transierant.... Vergl. die Schilderung chaotischer Erdrevolutionen im Bhagavata-Purana Buch III cap. 17 (ed. Burnouf T. I. p. 441). hat uns ein schönes Naturbild von einer waldigen Wildniß hinterlassen, die das macedonische Heer westlich von Hekatompylos in dem feuchten Mazenderan 23 durchziehen mußte. Ich würde desselben hier ausführlicher erwähnen, wenn man mit einiger Sicherheit unterscheiden könnte: was ein Schriftsteller, dessen Zeitalter so ungewiß ist, aus seiner lebhaften Phantasie; was er aus historischen Quellen geschöpft hat.
Des großen encyclopädischen Werkes des älteren Plinius, dem an Reichthum des Inhalts kein anderes Werk des Alterthums gleich kommt, wird späterhin, in der Geschichte der Weltanschauung, gedacht werden. Es ist, wie der Neffe (der jüngere Plinius) sich schön ausdrückt, »mannigfach wie die Natur«. Ein Erzeugniß des unwiderstehlichen Hanges zu allumfassendem, oft unfleißigem Sammeln; im Style ungleich: bald einfach und aufzählend, bald gedankenreich, lebendig und rhetorisch geschmückt: ist die Naturgeschichte des älteren Plinius, schon ihrer Form wegen, an individuellen Naturschilderungen arm; aber überall, wo die Anschauung auf ein großartiges Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, auf den wohlgeordneten Kosmos (Naturae majestas) gerichtet ist, kann eine wahre, aus dem Innern quellende Begeisterung nicht verkannt werden. Das Werk hat auf das ganze Mittelalter mächtig nachgewirkt.
Als Beweise des Naturgefühls bei den Römern würden wir gern auch die anmuthig gelegenen Villen auf dem Pincius, bei Tusculum und Tibur, am Vorgebirge Misenum, bei Puteoli und Bajä anführen: wenn sie nicht, wie die des Scaurus und Mäcenas, des Lucullus und des Hadrian, mit Prachtgebäuden überfüllt gewesen wären. Tempel, Theater und Rennbahnen wechselten ab mit Vogelhäusern und Gebäuden der Zucht von Schnecken und Haselmäusen bestimmt. Seinen, allerdings einfacheren Landsitz 24 zu Liternum hatte der ältere Scipio festungsartig mit Thürmen umgeben. Der Name eines Freundes des Augustus (Matius) ist uns aufbewahrt, weil er, Zwang und Unnatur liebend, zuerst die Sitte des Beschneidens der Bäume aufbrachte, um sie nach architectonischen und plastischen Vorbildern kunstmäßig umzuformen. Die Briefe des jüngeren Plinius liefern uns anmuthige Beschreibungen zweierPlin. Epist. II, 17; V, 6; Plin. Hist. Nat. XII, 6; Hirt, Gesch. der Baukunst bei den Alten Bd. II. S. 241, 291 und 376. Die Villa Laurentina des jüngeren Plinius lag bei der jetzigen Torre di Paterno im Küstenthale la Palombara östlich von Ostia; s. Viaggio da Ostia a la Villa di Plinio 1802 p. 9 und Le Laurentin par Haudelcourt 1838 p. 62. Den Ausbruch eines tiefen Naturgefühls enthalten die wenigen Zeilen, welche Plinius vom Laurentinum aus an Minutius Fundanus schrieb: »Mecum tantum et cum libellis loquor. Rectam sinceramque vitam! dulce otium honestumque! O mare, o littus, verum secretumque μουσεῖον! quam multa invenitis, quam multa dictatis!« Hirt hatte die Ueberzeugung, daß, wenn in Italien, im 15ten und 16ten Jahrhundert, die streng geregelte Gartenkunst aufkam, welche man lange die französische genannt und der freien Landschaft-Gärtnerei der Engländer entgegengestellt hat; die Ursach dieser früheren Neigung zu langweilig geregelten Anlagen in dem Wunsch zu suchen sei, nachzuahmen, was der jüngere Plinius in seinen Briefen beschrieben hatte (Geschichte der Baukunst bei den Alten Th. II. S. 366). seiner zahlreichen Villen (Laurentinum und Tuscum). Wenn man auch in beiden der Baulichkeiten, von beschnittenem Buxus umgeben, mehr zusammengedrängt findet, als nach unserm Naturgefühl zu wünschen wäre; so beweisen doch diese Schilderungen, wie die Nachahmung des Thals von Tempe in der tiburtinischen Villa des Hadrian, daß: neben der Liebe zur Kunst, neben der ängstlichsten Sorgfalt für Behaglichkeit durch Stellung der Landhäuser nach Verhältniß zur Sonne und zu vorherrschenden Winden, auch Liebe zu freiem Genuß der Natur den römischen Stadtbewohnern nicht fremd war. Mit Freude setzen wir hinzu, daß dieser Genuß auf den Landgütern des Plinius durch den widrigen Anblick des Sklaven-Elendes minder gestört war. Der reiche Mann war nicht bloß einer der gelehrtesten seiner Zeit: er hatte auch, was im Alterthum wenigstens selten ausgedrückt ist, rein menschliche Gefühle des Mitleids für die unfreien unteren Volksclassen. Auf den Villen des jüngeren Plinius gab es keine Fesseln; der Sklave als Landbauer vererbte frei, was er sich erworben.Plin. Epist. III, 19; VIII, 16.
Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn sie sich am Abend oder am frühen Morgen röthen; von der Schönheit des blauen Gletscher-Eises, von der großartigen Natur der schweizerischen Landschaft ist keine Schilderung aus dem 25 Alterthum auf uns gekommen: und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle diese Reisenden wissen nur über die unfahrbaren, scheußlichen Wege zu klagen; das Romantische der Naturscenen beschäftigte sie nie. Es ist sogar bekannt, daß Julius Cäsar, als er zu seinen Legionen nach Gallien zurückkehrte, die Zeit benutzte, um »während des Ueberganges über die Alpen« eine grammatische Schrift de analogia anzufertigen.Sueton. in Julio Caesare cap. 56. Das verlorene Gedicht des Cäsar (Iter) beschrieb die Reise nach Spanien: als er zu seiner letzten Kriegsthat sein Heer, nach Sueton in 24, nach Strabo und Appian in 27 Tagen zu Lande von Rom nach Corduba führte, weil die Reste der in Afrika geschlagenen Pompejanischen Parthei sich in Spanien wieder gesammelt hatten. Silius Italicus (er starb unter Trajan, wo die Schweiz schon sehr angebaut war) beschreibt die Alpengegend als eine schreckenerregende, vegetationslose EinödeSil. Ital. Punica lib. III v. 477., während er mit Liebe alle Felsenschluchten Italiens und die buschigen Ufer des Liris (Garigliano) besingtA. a. O. lib. IV v. 348, lib VIII v. 399.. Auffallend ist dabei, daß der wundersame Anblick gegliederter Basaltsäulen: wie das mittlere Frankreich, die Rheinufer und die Lombardei sie in vielfältigen Gruppen darbieten; die Römer zu keiner Beschreibung, ja nicht einmal zu einer Erwähnung angeregt hat.
Während die Gefühle abstarben, welche das classische Alterthum belebten und den Geist auf Handlung und Aeußerung menschlicher Thatkraft, nicht auf Zustände und Beschauung der Außenwelt, leiteten; gewann eine neue Sinnesart Raum. Es verbreitete sich allmälig das Christenthum; und wie dieses, selbst wo es als Staatsreligion auftrat, in der großen Angelegenheit der bürgerlichen Freiheit des Menschengeschlechts für die niederen Volksclassen wohlthätig wirkte, so erweiterte es auch den Blick in die freie Natur. Das Auge haftete nicht mehr an den Gestalten der olympischen Götter; der Schöpfer (so lehren es die Kirchenväter in ihrer kunstgerechten, oft dichterisch 26 phantasiereichen Sprache) zeigt sich groß in der todten Natur wie in der lebendigen, im wilden Kampf der Elemente wie im stillen Treiben der organischen Entfaltung. Bei der allmäligen Auflösung der römischen Weltherrschaft verschwinden freilich nach und nach, in den Schriften jener traurigen Zeit, die schöpferische Kraft, die Einfachheit und Reinheit der Diction; sie verschwinden zuerst in den lateinischen Ländern, später auch in dem griechischen Osten. Hang zur Einsamkeit, zu trübem Nachdenken, zu innerer Versenkung des Gemüths wird sichtbar; sie wirkt gleichzeitig auf die Sprache und auf die Färbung des Styls.
Wenn sich auf einmal etwas Neues in den Gefühlen der Menschen zu entwickeln scheint, so kann fast immer ein früher, tiefliegender Keim, wie vereinzelt, aufgespürt werden. Die WeichheitS. über das elegische Gedicht Nicol. Bach in der allg. Schul-Zeitung 1829 Abth. II. No. 134 S. 1097. des Mimnermos hat man oft eine sentimentale Richtung des Gemüthes genannt. Die alte Welt ist nicht schroff von der neueren geschieden; aber Veränderungen in den religiösen Ahndungen der Menschheit, in den zartesten sittlichen Gefühlen, in der speciellen Lebensweise derer, welche Einfluß auf den Ideenkreis der Massen ausüben, machten plötzlich vorherrschend, was früher der Aufmerksamkeit entgehen mußte. Die christliche Richtung des Gemüths war die: aus der Weltordnung und aus der Schönheit der Natur die Größe und die Güte des Schöpfers zu beweisen. Eine solche Richtung, die Verherrlichung der Gottheit aus ihren Werken, veranlaßte den Hang nach Naturbeschreibungen. Die frühesten und ausführlichsten finden wir bei einem Zeitgenossen des Tertullianus und Philostratus, bei einem rhetorischen Sachwalter zu Rom: Minucius Felix, aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts. 27 Man folgt ihm gern im Dämmerlichte an den Strand bei Ostia: den er freilich malerischer und der Gesundheit zuträglicher schildert, als wir ihn jetzt finden. In dem religiösen Gespräch Octavius wird der neue Glaube gegen die Einwürfe eines heidnischen Freundes muthvoll vertheidigt.Minucii Felicis Octavius ex rec. Gron. (Roterod. 1743) cap. 2 und 3 (pag. 12–28), cap. 16–18 (pag. 151–171).
Es ist hier der Ort aus den griechischen Kirchenvätern einige Naturschilderungen fragmentarisch einzuschalten, da sie meinen Lesern gewiß weniger bekannt sind als, was aus der römischen Litteratur uns die altitalische Liebe zum Landleben überliefert hat. Ich beginne mit einem Briefe Basilius des Großen, für den ich lange schon eine besondere Vorliebe hege. Aus Cäsarea in Cappadocien gebürtig, hatte Basilius, nicht viel über dreißig Jahre alt, dem heiteren Leben zu Athen entsagt, auch schon die christlichen Einsiedeleien in Cölesyrien und Ober-Aegypten besucht: als er sich nach Art der vorchristlichen Essener und Therapeuten in eine Wildniß am armenischen Flusse Iris zurückzog. Dort war sein zweiter BruderUeber den Tod des Naucratius um das Jahr 357 s. Basilii Magni Opera omnia ed. Par. 1730 T. III. p. XLV. Die jüdischen Essener führten zwei Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung ein Einsiedlerleben am westlichen Ufer des todten Meeres, in Verkehr mit der Natur. Plinius sagt schön von ihnen (V, 15): »mira gens, socia palmarum«. Die Therapeuten wohnten ursprünglich, und in mehr klösterlicher Gemeinschaft, in einer anmuthigen Gegend am See Möris (Neander, allg. Geschichte der christl. Religion und Kirche Bd. I. Abth. 1. 1842 S. 73 und 103). Naucratius nach fünfjährigem strengen Anachoreten-Leben beim Fischen ertrunken. »Ich glaube endlich«, schreibt er an Gregorius von Nazianz, »das Ende meiner Wanderungen zu finden. Die Hoffnung mich mit Dir zu vereinigen, ich sollte sagen meine süßen Träume (denn mit Recht hat man Hoffnungen Träume des wachenden Menschen genannt), sind unerfüllt geblieben. Gott hat mich einen Ort finden lassen, wie er uns beiden oft in der Einbildungskraft vorgeschwebt. Was diese uns in weiter Ferne gezeigt, sehe ich jetzt vor mir. Ein hoher Berg, mit dichter Waldung bedeckt, ist gegen Norden von frischen, immerfließenden Wassern befeuchtet. Am Fuß des Berges dehnt sich eine weite Ebene hin: 28 fruchtbar durch die Dämpfe, die sie benetzen. Der umgebende Wald, in welchem sich vielartige Bäume zusammendrängen, schließt mich ab wie in eine feste Burg. Die Einöde ist von zwei tiefen Thalschluchten begrenzt. Auf der einen Seite bildet der Fluß, wo er vom Berge schäumend herabstürzt, ein schwer zu überschreitendes Hinderniß; auf der anderen verschließt ein breiter Bergrücken den Eingang. Meine Hütte ist auf dem Gipfel so gelegen, daß ich die weite Ebene überschaue, wie den ganzen Lauf des Iris: welcher schöner und wasserreicher ist als der Strymon bei Amphipolis. Der Fluß meiner Einöde, reißender als irgend einer, den ich kenne, bricht sich an der vorspringenden Felswand und wälzt sich schäumend in den Abgrund: dem Bergwanderer ein anmuthiger, wundervoller Anblick; den Eingeborenen nutzbar zu reichlichem Fischfang. Soll ich Dir beschreiben die befruchtenden Dämpfe, welche aus der (feuchten) Erde; die kühlen Lüfte, welche aus dem (bewegten) Wasserspiegel aufsteigen? soll ich reden von dem lieblichen Gesang der Vögel und der Fülle blühender Kräuter? Was mich vor allem reizt, ist die stille Ruhe der Gegend. Sie wird bisweilen nur von Jägern besucht; denn meine Wildniß nährt Hirsche und Heerden wilder Ziegen, nicht eure Bären und eure Wölfe. Wie möchte ich einen anderen Ort mit diesem vertauschen! Alkmäon, nachdem er die Echinaden gefunden, wollte nicht weiter umherirren.«Basilii M. Epist. XIV p. 93, Ep. CCXXIII p. 339. Ueber den schönen Brief an Gregorius von Nazianz und über die poetische Stimmung des heil. Basilius s. Villemain de l'éloquence chrétienne dans le quatrième siècle in seinen Mélanges historiques et littéraires T. III. p. 320–325. Der Iris, an dessen Ufern die Familie des großen Basilius alten Länderbesitz hatte, entspringt in Armenien, durchströmt die pontischen Landschaften und fließt, mit den Wassern des Lycus gemischt, in das schwarze Meer. Es sprechen sich in dieser einfachen Schilderung der Landschaft und des Waldlebens Gefühle aus, welche sich mit denen der modernen Zeit inniger verschmelzen als alles, was uns aus dem griechischen und römischen Alterthume überkommen ist. Von der einsamen Berghütte, in die Basilius sich 29 zurückgezogen, senkt sich der Blick auf das feuchte Laubdach des tief liegenden Waldes. Der Ruhesitz, nach welchem er und sein Freund Gregorius von NazianzGregorius von Nazianz ließ sich jedoch nicht durch die Beschreibung der Einsiedelei des Basilius am Iris reizen; er zog Arianzus in der Tiberina Regio vor, obgleich sein Freund diesen Ort mürrisch ein unreines βάραϑον nennt. S. Basilii Ep. II p. 70 und die Vita Sancti Basil. p. XLVI und LIX der Ausg. von 1730. so lange sich gesehnt, ist endlich gefunden. Die dichterisch mythische Anspielung am Ende des Briefes erklingt wie eine Stimme, die aus einer anderen, früheren Welt in die christliche herüberschallt.
Auch des Basilius Homilien über das Hexaëmeron zeugen von seinem Naturgefühl. Er beschreibt die Milde der ewig heiteren Nächte in Kleinasien: wo, wie er sich ausdrückt, die Sterne, »die ewigen Blüthen des Himmels«, den Geist des Menschen vom Sichtbaren zum Unsichtbaren erheben.Basilii Homil. in Hexaem. VI, 1 und IV, 6 (Bas. Opp. omnia ed. Jul. Garnier 1839 T. I. p. 54 und 70). Vergl. damit den Ausdruck der tiefsten Schwermuth in dem schönen Gedichte des Gregorius von Nazianz unter der Ueberschrift. »von der Natur des Menschen« (Gregor. Naz. Opp. omnia ed. Par. 1611 T. II. Carm. XIII p. 85). Wenn er in der Sage von der Weltschöpfung die »Schönheit des Meeres« preisen will, so beschreibt er den Anblick der grenzenlosen Fläche in ihren verschiedenen, wechselnden Zuständen: »wie sie, vom Hauch der Lüfte sanft bewegt, vielfarbig, bald weißes, bald blaues, bald röthliches Licht zurückwirft; wie sie die Küste liebkost in ihren friedlichen Spielen.« Dieselbe sentimental-schwermüthige, der Natur zugewandte Stimmung finden wir bei Gregorius von Nyssa, dem Bruder des Großen Basilius. »Wenn ich«, ruft er aus, »jeden Felsenrücken, jeden Thalgrund, jede Ebene mit neu-entsprossenem Grase bedeckt sehe: dann den mannigfaltigen Schmuck der Bäume, und zu meinen Füßen die Lilien, doppelt von der Natur ausgestattet mit Wohlgeruch und mit Farbenreiz; wenn ich in der Ferne sehe das Meer, zu dem hin die wandelnde Wolke führt: so wird mein Gemüth von Schwermuth ergriffen, die nicht ohne Wonne ist. Verschwinden dann im Herbste die Früchte, fallen die Blätter, starren die Aeste des Baumes ihres Schmuckes beraubt; so versenken wir 30 uns (bei dem ewig und regelmäßig wiederkehrenden Wechsel) in den Einklang der Wunderkräfte der Natur. Wer diese mit dem sinnigen Auge der Seele durchschaut, fühlt des Menschen Kleinheit bei der Größe des Weltalls.«Die im Texte citirte Stelle des Gregorius von Nyssa ist aus einzelnen hier wörtlich übersetzten Fragmenten zusammengetragen. Es finden sich dieselben in S. Gregorii Nysseni Opp. ed. Par. 1615 T. I. p. 49 C, p. 589 D, p. 210 C, p. 780 C; T. II. p. 860 B, p. 619 B, p. 619 D, p. 324 D. »Sei milde gegen die Regungen der Schwermuth«, sagt Thalassius in Denksprüchen, welche von seinen Zeitgenossen bewundert wurden (Biblioth. Patrum ed. Par. 1624 T. II. p. 1180 C).
Leitete eine solche Verherrlichung Gottes in liebevoller Anschauung der Natur die christlichen Griechen zu dichterischen Naturschilderungen; so waren sie dabei auch immer, in den früheren Zeiten des neuen Glaubens, nach der Eigenthümlichkeit ihrer Sinnesart, voll Verachtung aller Werke der menschlichen Kunst. Chrysostomus sagt in unzähligen Stellen: »Siehst du schimmernde Gebäude, will dich der Anblick der Säulengänge verführen; so betrachte schnell das Himmelsgewölbe und die freien Felder, in welchen die Heerden am Ufer der Seen weiden. Wer verachtet nicht alle Schöpfungen der Kunst, wenn er in der Stille des Herzens früh die aufgehende Sonne bewundert, indem sie ihr goldenes (krokosgelbes) Licht über den Erdkreis gießt; wenn er, an einer Quelle im tiefen Grase oder unter dem dunkeln Schatten dichtbelaubter Bäume ruhend, sein Auge weidet an der weiten dämmernd hinschwindenden Ferne.«S. Joannis Chrysostomi Opp. omnia Par. 1838 (8°) T. IX. p. 687 A, T. II. p. 821 A und 851 E, T. I. p. 79. Vergl. auch Joannis Philoponi in cap. I Geneseos de creatione Mundi libri septem, Viennae Austr. 1630 p. 192, 236 und 272; wie auch Georgii Pisidae Mundi opificium ed. 1596 v. 367–375, 560, 933 und 1248. Die Werke des Basilius und des Gregorius von Nazianz hatten schon früh, seitdem ich anfing Naturschilderungen zu sammeln, meine Aufmerksamkeit gefesselt; aber alle angeführten trefflichen Uebersetzungen von Gregorius von Nyssa, Chrysostomus und Thalassius verdanke ich meinem vieljährigen, mir immer so hülfreichen Collegen und Freunde, Herrn Hase, Mitglied des Instituts und Conservator der Königl. Bibliothek zu Paris. Antiochien war damals von Einsiedeleien umgeben, und in einer derselben lebte Chrysostomus. Es war als hätte die Beredsamkeit am Quell der Natur, in den damals waldigen Berggegenden von Syrien und Kleinasien ihr Element, die Freiheit, wiedergefunden.
Als aber in den späteren, aller Geistescultur feindlichen Zeiten das Christenthum sich unter germanische und celtische Volksstämme verbreitete, die vormals, dem Naturdienst ergeben, in rohen Symbolen die erhaltenden und zerstörenden Mächte verehrten; wurden allmälig der nahe Umgang mit der Natur und das Aufspüren ihrer Kräfte, als zur 31 Zauberei anregend, verdächtigt. Dieser Umgang schien eben so gefahrbringend wie dem Tertullian, dem Clemens von Alexandrien und fast allen älteren Kirchenvätern die Pflege der plastischen Künste. In dem zwölften und dreizehnten Jahrhunderte untersagten Kirchenversammlungen zu Tours (1163) und zu Paris (1209) den Mönchen das sündhafte Lesen physikalischer Schriften.Ueber das Concilium Turonense unter Pabst Alexander III s. Ziegelbauer, hist. Rei litter. ordinis S. Benedicti T. II. p. 248 ed. 1754; über das Concilium zu Paris von 1209 und die Bulle Gregors IX vom Jahr 1231 s. Jourdain, recherches crit. sur les traductions d'Aristote 1819 p. 204–206. Es war das Lesen der physikalischen Bücher des Aristoteles mit strengen Strafen belegt worden. In dem Concilium Lateranense von 1139 (Sacror. Concil. nova Collectio ed. Ven. 1776 T. XXI. p. 528) wurde den Mönchen bloß die Ausübung der Medicin untersagt. Vergl. die gelehrte und anmuthige Schrift des jungen Wolfgang von Göthe: der Mensch und die elementarische Natur 1844 S. 10. Erst durch Albert den Großen und Roger Bacon wurden die Geistesfesseln muthvoll gebrochen, wurde die »Natur entsündigt« und in ihre alten Rechte eingesetzt.
Wir haben bisher die Contraste geschildert, welche bei Griechen und Römern, in zwei so nahe mit einander verwandten Litteraturen, sich nach Verschiedenheit der Zeitepochen offenbarten. Aber nicht die Zeit allein: d. h. die Weltbegebenheiten, welche Regierungsform, Sitten und religiöse Anschauungen unaufhaltsam umwandeln, bringen diese Contraste in der Gefühlsweise hervor; noch auffallender sind die, welche die Stammverschiedenheit der Menschen und ihre geistigen Anlagen erzeugen. Wie ganz anders zeigen sich uns Lebendigkeit des Naturgefühls und dichterische Färbung der Naturschilderungen bei den Hellenen, den Germanen des Nordens, den semitischen Stämmen, den Persern und Indern. Es ist eine vielfach geäußerte Meinung, daß bei den nordischen Völkern die Freude an der Natur, eine alte Sehnsucht nach den anmuthigen Gefilden von Italien und Griechenland, nach der wundervollen Ueppigkeit der Tropen-Vegetation hauptsächlich einer langen winterlichen Entbehrung alles Naturgenusses zuzuschreiben sei. Wir läugnen nicht, daß die Sehnsucht nach dem Palmen-Klima abnimmt, je nachdem man sich dem mittäglichen Frankreich 32 oder der iberischen Halbinsel nähert; aber der jetzt so allgemein gebrauchte, auch ethnologisch richtige Name indogermanischer Stämme sollte allein schon daran erinnern, daß man jenen Einflüssen des nordischen Winters nicht eine zu allgemeine Wirksamkeit zuschreiben müsse. Die überreiche dichterische Litteratur der Inder lehrt, daß zwischen den Wendekreisen und denselben nahe, südlich von der Himalaya-Kette, immer grüne und immer blüthenreiche Wälder die Einbildungskraft der ost-arischen Völker von je her lebhaft anregten; daß diese Völker sich zur naturbeschreibenden Poesie mehr noch hingeneigt fühlten als die im unwirthbaren Norden bis Island verbreiteten ächt germanischen Stämme. Eine Entbehrung oder wenigstens eine gewisse Unterbrechung des Naturgenusses ist aber auch den beglückteren Klimaten des südlichen Asiens eigen. Die Jahreszeiten sind schroff von einander geschieden, durch Wechsel von allbefruchtendem Regen und staubig verödender Dürre. In Persien (der westarischen Hochebene) dringt die pflanzenleere Wüste mannigfach busenförmig in die gesegnetsten Fruchtländer ein. Waldung bildet oft in Mittel- und Vorder-Asien das Ufer der weitgedehnten inneren Steppenmeere. So gewähren dem Bewohner jener heißen Klimate die räumlichen Verhältnisse des Bodens in horizontaler Richtung denselben Contrast der Oede und des Pflanzenreichthums als in senkrechter Richtung die schneebedeckten Bergketten von Indien und Afghanistan. Großartige Contraste der Jahreszeiten, der Vegetation und der Höhe sind aber überall, wo eine lebendige Natur-Anschauung mit der ganzen Cultur und den religiösen Ahndungen eines Volksstammes verwebt ist, die anregenden Elemente dichterischer Phantasie.
33 Freude an der Natur, dem beschaulichen Hang der germanischen Nationen eigenthümlich, spricht sich in einem hohen Grade in den frühesten Gedichten des Mittelalters aus. Die ritterliche Poesie der Minnesänger in der hohenstaufischen Zeit giebt zahlreiche Beweise dafür. So mannigfaltige historische Berührungspunkte auch diese Poesie mit der romanischen der Provenzalen hat, ist doch das ächt germanische Princip nie daran verkannt worden. Ein inniges, alles durchdringendes Naturgefühl leuchtet aus den germanischen Sitten und allen Einrichtungen des Lebens, ja aus dem Hange zur Freiheit hervor.Fried. Schlegel über nordische Dichtkunst in seinen sämmtlichen Werken Bd. X. S. 71 und 90. Aus der sehr frühen Zeit Carls des Großen ist noch die dichterische Schilderung des waldigen, wieseneinschließenden Thiergartens bei Aachen anzuführen in dem Leben des großen Kaisers von Angilbertus, Abt von St. Riquier (s. Pertz, Monum. Germaniae historica T. II. pag. 393–403). Viel in höfischen Kreisen lebend, ja oft aus ihnen entsprossen, blieben die wandernden Minnesänger mit der Natur in beständigem Verkehr. Es erhielt sich frisch in ihnen eine idyllische, oft elegische Gemüthsstimmung. Um das zu würdigen, was eine solche Stimmung hervorgebracht, wende ich mich zu den Forschungen der tiefsten Kenner unseres deutschen Mittelalters, zu meinen edeln Freunden Jacob und Wilhelm Grimm. »Die vaterländischen Dichter jener Epoche«, sagt der Letztere, »haben sich nirgends einer abgesonderten Naturschilderung hingegeben: einer solchen, die kein anderes Ziel hat als, den Eindruck der Landschaft auf das Gemüth mit glänzenden Farben darzustellen. Der Sinn für die Natur fehlte den altdeutschen Meistern gewiß nicht; aber sie hinterließen uns keine andre Aeußerung dieses Sinnes als die, welche der Zusammenhang mit geschichtlichen Vorfällen oder mit den Empfindungen erlaubte, die in lyrische Gedichte ausströmten. Um mit dem Volks-Epos, den ältesten und werthvollsten Denkmälern, zu beginnen: so findet sich weder in den Nibelungen noch in der GudrunS. die Vergleichung beider Epen, der Nibelungen (die Rache der Chriemhild schildernd, der Gemahlinn des hörnernen Siegfried) und der Gudrun (der Tochter Königs Hetel), in Gervinus Gesch. der deutschen Litt. Bd. I. S. 354–381. die 34 Schilderung einer Naturscene: selbst da, wo dazu Veranlassung war. Bei der sonst umständlichen Beschreibung der Jagd, auf welcher Siegfried ermordet wird, geschieht nur Erwähnung der blumenreichen Heide und des kühlen Brunnens unter der Linde. In der Gudrun, die eine gewisse feinere Ausbildung zeigt, bricht der Sinn für die Natur etwas mehr durch. Als die Königstochter mit ihren Gefährten, zu niedrigem Sklavendienst gezwungen, die Gewänder ihrer grausamen Gebieter an das Ufer des Meeres trägt, wird die Zeit bezeichnet, wo der Winter sich eben gelöst und der Wettgesang der Vögel beginnt. Noch fallen Schnee und Regen herab, und das Haar der Jungfrauen wird vom rauhen Märzwinde gepeitscht. Als Gudrun, ihre Befreier erwartend, das Lager verläßt und nun das Meer beim Aufgang des Morgensterns zu schimmern beginnt, unterscheidet sie die dunkeln Helme und die Schilde der Freunde. Es sind wenige Worte, welche dies andeuten: aber sie geben ein anschauliches Bild, bestimmt, die Spannung vor einem wichtigen geschichtlichen Ereigniß zu vermehren. Nicht anders macht es Homer, wenn er die Cyclopen-Insel schildert und die geordneten Gärten des Alcinous; er will anschaulich machen die üppige Fülle der Wildniß, in der die riesigen Ungeheuer leben, und den prächtigen Wohnsitz eines mächtigen Königs. Beide Dichter gehen nicht darauf aus eine für sich bestehende Naturschilderung zu entwerfen.«
»Dem schlichten Volks-Epos stehen die inhaltreichen Erzählungen der ritterlichen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts entgegen: die eine bewußte Kunst übten und unter welchen sich Hartmann von Aue, Wolfram von 35 Eschenbach und Gottfried von StrasburgUeber die romantische Schilderung der Höhle der Liebenden im Tristan des Gottfried von Strasburg s. Gervinus a. a. O. Bd. I. S. 450. im Beginn des Jahrhunderts so sehr hervorheben, daß man sie die großen und classischen nennen kann. Aus ihren umfangreichen Werken würde man Beweise genug von tiefem Gefühl für die Natur, wie es zumal in Gleichnissen ausbricht, sammeln können; aber der Gedanke an unabhängige Naturschilderungen war auch ihnen fremd. Sie hemmten nicht den Fortschritt der Handlung, um bei der Betrachtung des ruhigen Lebens der Natur stille zu stehn. Wie verschieden davon sind die neueren dichterischen Compositionen! Bernardin de St. Pierre braucht die Ereignisse nur als Rahmen für sein Gemälde. Die lyrischen Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, zumal wenn sie die Minne besingen (was sie nicht immer thun), reden oft genug von dem milden Mai, dem Gesang der Nachtigall, dem Thau, welcher an den Blüthen der Heide glänzt: aber immer nur in Beziehung der Gefühle, die sich darin abspiegeln sollen. Um traurende Stimmungen zu bezeichnen, wird der falben Blätter, der verstummenden Vögel, der in Schnee vergrabenen Saaten gedacht. Dieselben Gedanken, freilich schön und sehr verschiedenartig ausgedrückt, kehren unablässig wieder. Der seelenvolle Walther von der Vogelweide und der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach, von dem wir leider nur wenige lyrische Gesänge besitzen, sind hier als glänzende Beispiele aufzuführen.«
»Die Frage: ob der Contact mit dem südlichen Italien, oder durch die Kreuzzüge mit Kleinasien, Syrien und Palästina die deutsche Dichtkunst nicht mit neuen Naturbildern bereichert habe? kann im allgemeinen nur verneint werden. Man bemerkt nicht, daß die Bekanntschaft mit dem Orient 36 dem Minnegesang eine andere Richtung gegeben habe. Die Kreuzfahrer kamen wenig in nahe Verbindung mit den Sarazenen; ja sie lebten selbst mit anderen Völkern, die für dieselbe Sache kämpften, in großer Spannung. Einer der ältesten lyrischen Dichter war Friedrich von Hausen. Er kam in dem Heere Barbarossa's um. Seine Lieder enthalten vielfache Beziehungen auf die Kreuzfahrt, aber sie drücken nur religiöse Ansichten aus oder den Schmerz sich von der Geliebten getrennt zu sehen. Von dem Lande fanden er und alle, die an den Kreuzzügen Theil nahmen: wie Reinmar der Alte, Rubin, Neidhart und Ulrich von Lichtenstein, nicht Veranlassung etwas zu sagen. Reinmar kam als Pilgrim nach Syrien: wie es scheint, im Gefolge Herzogs Leopolds VI von Oestreich. Er klagt, daß die Gedanken an die Heimath ihn nicht loslassen, und ihn von Gott abziehen. Die Dattelpalme wird hier einige Male genannt, wo der Palmenzweige gedacht ist, welche fromme Pilger auf der Schulter tragen sollen. Ich erinnere mich auch nicht, daß die herrliche Natur Italiens die Phantasie der Minnesänger angeregt habe, welche die Alpen überstiegen. Walther von der Vogelweide, der weit umhergezogen, hatte nur den Po gesehn; aber FreidankVridankes Bescheidenheit von Wilhelm Grimm 1834 S. L. und CXXVIII. Das ganze Urtheil über das deutsche Volks-Epos und über den Minnegesang (im Text von S. 33 bis S. 36) habe ich einem Briefe von Wilhelm Grimm an mich (Oct. 1845) entlehnt. Aus einem sehr alten angelsächsischen Gedichte über die Namen der Runen, welches Hickes zuerst bekannt gemacht und das eine gewisse Verwandtschaft mit eddischen Liedern hat, schalte ich hier noch eine recht charakteristische Beschreibung der Birke ein: »Beorc ist in Aesten schön; an den Spitzen rauscht sie lieblich bewachsen mit Blättern, von den Lüften bewegt.« Einfach und edel ist die Begrüßung des Tages: »Tag ist des Herren Bote, theuer dem Menschen, herrliches Licht Gottes, Freude und Zuversicht Reichen und Armen, allen gedeihlich.« Vergl. Wilhelm Grimm über deutsche Runen 1821 S. 94, 225 und 234. war in Rom. Er bemerkt bloß, daß in den Palästen derer, welche sonst dort herrschten, Gras wachse.«
Das deutsche Thier-Epos, welches nicht mit der Thierfabel des Orients verwechselt werden darf, ist aus einem Zusammenleben mit der Thierwelt entstanden, ohne die Absicht zu haben diese darzustellen. Das Thier-Epos, welches Jacob Grimm in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Reinhart Fuchs so meisterhaft behandelt, bezeugt eine innige 37 Freude an der Natur. Die nicht an den Boden gefesselten, mit Stimme begabten, leidenschaftlich aufgeregten Thiere contrastiren mit dem Stillleben der schweigsamen Pflanzen. Sie sind ein immerdar thätiges, die Landschaft belebendes Princip. »Die alte Poesie betrachtet das Naturleben gern mit menschlichem Auge; sie leiht den Thieren und bisweilen selbst den Pflanzen Sinn und Empfindungen des Menschen, indem sie phantasiereich und kindlich alles Wahrgenommene in Gestalt und Trieben zu deuten weiß. Kräuter und Blumen sind von Göttern und Helden gepflückt und gebraucht worden, sie führen dann nach ihnen den Namen. Man fühlt, daß wie ein alter Waldgeruch uns aus dem deutschen Thiergedicht anwehe.«Jacob Grimm in Reinhart Fuchs 1834 S. CCXCIV. (Vergl. auch Christian Lassen in seiner Indischen Alterthumskunde Bd. I. 1843 S. 296.)
An die Denkmäler germanischer Naturdichtung hätte man vormals geneigt sein können Reste celtisch-irischer Dichtung anzuschließen, die ein halbes Jahrhundert lang unter dem Namen Ossians wie Nebelgestalten von Volk zu Volk gewandelt sind; aber der Zauber ist verschwunden, seitdem des talentvollen Macpherson's litterarisches Benehmen durch die Herausgabe des von ihm geschmiedeten galischen Urtextes (einer Rückübertragung des englischen Werkes) vollkommen aufgedeckt worden ist. Es giebt alt-irische Fingal-Lieder, unter dem Namen der Finnianischen aufgezeichnet, aus christlicher Zeit, vielleicht nicht einmal bis zu der des achten Jahrhunderts hinaufreichend, aber diese Volksgesänge enthalten wenig von den sentimentalen Naturschilderungen, welche den Macpherson'schen Gedichten einen besonderen Reiz geben.Die Unächtheit der Lieder Ossian's und des Macpherson'schen Ossian's insbesondere, von Talvj (1840), der geistreichen Uebersetzerinn der serbischen Volkspoesien. Die erste Publication des Ossian von Macpherson ist von 1760. Die Finnianischen Lieder ertönen allerdings in den schottischen Hochlanden wie in Irland, aber sie sind nach O'Reilly und Drummond von Irland aus dahin übergetragen.
Wir haben schon oben bemerkt, daß, wenn sentimental-romantische Anregungen der Gefühle dem indogermanischen 38 Menschenstamme des nördlichen Europa's in einem hohen Grade eigenthümlich sind, man diese Erscheinung nicht allein als Folge des Klima's, d. h. der durch lange Entbehrung gesteigerten Sehnsucht, betrachten darf. Wir haben erinnert, wie die indische und persische Litteratur, unter der Gluth des südlichen Himmels entwickelt, die reizendsten Schilderungen liefert sowohl der organischen als der todten elementarischen Natur: des Ueberganges der Dürre zum tropischen Regen, der Erscheinung des ersten Gewölkes im tiefen Blau der reinen Lüfte, wenn die langersehnten etesischen Winde in dem gefiederten Laube der Palmengipfel allmälig zu rauschen beginnen.
Es ist hier der Ort etwas tiefer in das Gebiet der indischen Naturschilderung einzudringen. »Denken wir uns«, sagt Lassen in seiner vortrefflichen indischen AlterthumskundeLassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 412–415., »einen Theil des arischen Stammes aus seinem Ursitz, dem Nordwestlande, nach Indien eingewandert, so fand sich derselbe dort von einer ganz neuen, wundervoll reichen Natur umgeben. Die Milde des Klima's, die Fruchtbarkeit des Bodens, seine freigebige Fülle an herrlichen Gaben mußten dem neuen Leben eine heitere Farbe mittheilen. Bei den ursprünglichen herrlichen Anlagen des arischen Volkes, bei dem Besitze einer höheren Ausstattung des Geistes: in der alles Erhabene und Große, das von den Indern ausgeführt ist, wie in einem Keime wurzelt; erzeugte früh die Anschauung der Außenwelt ein tiefes Nachdenken über die Kräfte der Natur: ein Nachdenken, welches die Grundlage der contemplativen Richtung ist, die wir innigst mit der ältesten Poesie der Inder verwebt finden. Ein so allbeherrschender Eindruck, welchen die Natur auf das 39 Bewußtsein des Volkes gemacht, bethätigt sich am deutlichsten in seiner religiösen Grundansicht, in der Erkenntniß des Göttlichen in der Natur. Die sorgenlose Leichtigkeit des äußeren Daseins kam einer contemplativen Richtung fördernd entgegen. Wer konnte sich ungestörter und inniger der Betrachtung hingeben; nachsinnen über das irdische Leben, den Zustand des Menschen nach dem Tode, über das Wesen des Göttlichen: als die indischen Büßer, die waldbewohnenden BrahmanenUeber die indischen Waldeinsiedler, Vanaprasthen (sylvicolae) und Sramanen (ein Name, der in Sarmanen und Garmanen verstümmelt wurde), s. Lassen de nominibus quibus veteribus appellantur Indorum philosophi im Rhein. Museum für Philologie 1833 S. 178–180. Wilhelm Grimm findet eine indische Färbung in der Waldbeschreibung, die der Pfaffe Lambrecht vor 1200 Jahren in seinem Alexanderliede giebt: das zunächst nach einem französischen Vorbilde gedichtet ist. Der Held kommt in einen wunderbaren Wald, wo aus großen Blumen übernatürliche, mit allen Reizen ausgeschmückte Mädchen hervorwuchsen. Er verweilte so lange bei ihnen, bis Blumen und Mädchen wieder hinwelkten. (Vergl. Gervinus Bd. I. S. 282 und Maßmann, Denkmäler deutscher Spr. und Lit. Bd. I. S. 16.) Das sind die Mädchen aus Edrisi's östlichster Zauberinsel Vacvac, die ein Ausfuhr-Artikel sind und in der lateinischen Uebertragung des Masudi Chothbeddin vasvakienses heißen. (Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. 53)? deren alte Schulen eine der eigenthümlichsten Erscheinungen des indischen Lebens bilden und auf die geistige Entwickelung des ganzen Stammes einen wesentlichen Einfluß ausgeübt haben.«
Soll ich hier, wie ich, von meinem Bruder und anderen Sanskritkundigen geleitet, in meinen öffentlichen Vorlesungen gethan, einzeln an das erinnern, was ein lebendiges und häufig ausbrechendes Naturgefühl in die beschreibenden Theile der indischen Poesie eingewebt hat; so beginne ich mit den Veden, dem ersten und heiligsten Denkmale der Cultur ost-arischer Völker. Ihr Hauptgegenstand ist die Verehrung der Natur. Reizende Schilderungen der Morgenröthe und des Anblicks der »goldhändigen« Sonne enthalten die Hymnen des Rigveda. Die großen Heldengedichte Ramayana und Mahabharata sind jünger als die Veden, älter als die Puranen. In den epischen Schöpfungen ist ihrem Wesen nach die Verherrlichung der Natur an die Sage geknüpft. Wenn in den Veden sich selten örtlich die Scene angeben läßt, welche die heiligen Weisen begeisterte, so sind dagegen in den Heldengedichten die Naturschilderungen meist individuell und an bestimmte Localitäten gebunden: daher, was hauptsächlich Leben giebt, aus 40 selbstempfangenen Eindrücken geschöpft. Von reicher Färbung ist die Reise Rama's von Ayodhya nach der Residenzstadt Dschanaka's, sein Leben im Urwalde, das Bild von dem Einsiedlerleben der Panduiden.
Der Name Kalidasa's ist vielfach und früh unter den westlichen Völkern gefeiert worden. Der große Dichter glänzte an dem hochgebildeten Hofe des Vikramaditya, also gleichzeitig mit Virgil und Horaz. Die englischen und deutschen Uebersetzungen der Sakuntala haben die Bewunderung angeregt, welche dem Kalidasa in so reichem Maaße gezollt worden ist.Kalidasa, am Hofe des Vikramaditya, lebte ungefähr 56 Jahr vor unsrer Zeitrechnung. Das Alter der beiden großen Heldengedichte, des Ramayana und Mahabharata, reicht sehr wahrscheinlich weit über die Erscheinung Buddha's, d. i. weit über die Mitte des sechsten Jahrhunderts vor Chr., hinauf (Burnouf, Bhagavata-Purana T. I. p. XCI und CXVIII; Lassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 356 und 492). Georg Forster hat durch die Uebersetzung der Sakuntala, d. i. durch die geschmackvolle Verdeutschung einer englischen Uebertragung von William Jones (1791), viel zu dem Enthusiasmus beigetragen, welcher damals zuerst für indische Dichtkunst in unserm Vaterlande ausbrach. Ich erinnere gern an zwei schöne Distichen Göthe's, die 1792 erschienen:
Die neueste deutsche Uebersetzung des indischen Drama's, nach den wichtigen von Brockhaus aufgefundenen Urtexten, ist die von Otto Böhtlingk (Bonn 1812).
Willst du die Blüthe des frühen, die Früchte des späteren Jahres;
Willst du, was reizt und entzückt, willst du, was sättigt und nährt;
Willst du den Himmel, die Erde mit einem Namen begreifen:
Nenn' ich, Sakontala, Dich, und so ist alles gesagt.
Von den Ost-Ariern, den brahmanischen Indern, und der entschiedenen Richtung ihres Sinnes auf die malerische Schönheit der NaturUm das Wenige zu vervollständigen, was in dem Texte der indischen Litteratur entlehnt ist, und um (wie früher bei der griechischen und römischen Litteratur geschehen ist) die Quellen einzeln angeben zu können, schalte ich hier, nach den freundlichen handschriftlichen Mittheilungen eines ausgezeichneten und philosophischen Kenners der indischen Dichtungen, Herrn Theodor Goldstücker, allgemeinere Betrachtungen über das indische Naturgefühl ein:
»Unter allen Einflüssen, welche die geistige Entwickelung des indischen Volkes erfahren, scheint mir derjenige der erste und wichtigste, welchen die reiche Natur des Landes auf das Volk ausgeübt hat. Das tiefste Naturgefühl ist zu allen Zeiten der Grundzug des indischen Geistes gewesen. Drei Epochen lassen sich mit Bezug auf die Weise angeben, in welcher sich dieses Naturgefühl offenbart hat. Jede derselben hat ihren bestimmten, im Leben und in der Tendenz des Volkes tiefbegründeten Charakter. Daher können wenige Beispiele hinreichen, um die fast dreitausendjährige Thätigkeit der indischen Phantasie zu bezeichnen. Die erste Epoche des Ausdrucks eines regen Naturgefühls offenbaren die Vedas. Aus dem Rigveda führen wir an die einfach erhabenen Schilderungen der Morgenröthe (Rigveda-Sanhitâ ed. Rosen 1838 hymn. XLVI p. 88, hymn. XLVIII p. 92, hymn. XCII p. 184, hymn. CXIII p. 233; vergl. auch Höfer, ind. Gedichte 1841 Lese 1. S. 3) und der »goldhändigen« Sonne (s. a. a. O. hymn. XXII p. 31, hymn. XXXV p. 65). Die Verehrung der Natur war hier, wie bei anderen Völkern, der Beginn des Glaubens; sie hat aber in den Vedas die besondere Bestimmtheit, daß der Mensch sie stets in ihrem tiefsten Zusammenhange mit seinem eigenen äußern und inneren Leben auffaßt. – Sehr verschieden ist die zweite Epoche. In ihr wird eine populäre Mythologie geschaffen; sie hat den Zweck die Sagen der Vedas für das der Urzeit schon entfremdete Bewußtsein faßlicher auszubilden und mit historischen Ereignissen, die in das Reich der Mythe erhoben werden, zu verweben. Es fallen in diese zweite Epoche die beiden großen Heldengedichte Ramayana und Mahabharata: von denen das letztere, jüngere, noch den Nebenzweck hat die Brahmanen-Caste unter den vieren, welche die Verfassung des alten Indiens constituiren, zu der einflußreichsten zu machen. Darum ist das Ramayana auch schöner, an Naturgefühl reicher: es ist auf dem Boden der Poesie geblieben, und nicht genöthigt gewesen Elemente, die diesem fremd, ja fast widersprechend sind, aufzunehmen. In beiden Dichtungen ist die Natur nicht mehr, wie in den Vedas, das ganze Gemälde, sondern nur ein Theil desselben. Zwei Punkte unterscheiden die Auffassung der Natur in dieser Epoche der Heldengedichte wesentlich von derjenigen, welche die Vedas darthun: des Abstandes in der Form nicht zu gedenken, welcher die Sprache der Verehrung von der Sprache der Erzählung trennt. Der eine Punkt ist die Localisirung der Naturschilderung (z. B. im Ramayana nach Wilhelm von Schlegel das erste Buch oder Balakanda und das zweite Buch oder Ayodhyakanda; s. auch über den Unterschied der genannten beiden großen Epen Lassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 482); der andere Punkt, mit dem ersten nahe verbunden, betrifft den Inhalt, um den sich das Naturgefühl bereichert hat. Die Sage und zumal die historische brachte es mit sich, daß Beschreibung bestimmter Oertlichkeiten an die Stelle allgemeiner Naturschilderung trat. Die Schöpfer der großen epischen Dichterformen: sei es Valmiki, der die Thaten Rama's besingt; seien es die Verfasser des Mahabharata, welche die Tradition unter dem Gesammtnamen Vyasa zusammenfaßt: alle zeigen sich beim Erzählen wie vom Naturgefühl überwältigt. Die Reise Rama's von Ayodhya nach der Residenzstadt Dschanaka's, sein Leben im Walde, sein Aufbruch nach Lanka (Ceylon): wo der wilde Ravana, der Räuber seiner Gattinn Sita, haust; bieten, wie das Einsiedlerleben der Panduiden, dem begeisterten Dichter Gelegenheit dar dem ursprünglichen Triebe des indischen Gemüthes zu folgen und an die Erzählung der Heldenthaten Bilder einer reichen Natur zu knüpfen (Ramayana ed. Schlegel lib. I cap. 26 v. 13–15, lib. II. cap. 56 v. 6–11; vergl. Nalus ed. Bopp 1832 Ges. XII v. 1–10). Ein anderer Punkt, in welchem sich in Hinsicht auf das Naturgefühl diese zweite Epoche von der der Vedas unterscheidet, betrifft den reicheren Inhalt der Poesie selbst. Dieser ist nicht mehr, wie dort, die Erscheinung der himmlischen Mächte; er umfaßt vielmehr die ganze Natur: den Himmelsraum und die Erde, die Welt der Pflanzen und Thiere in ihrer üppigen Fülle und in ihrem Einfluß auf das Gemüth des Menschen. – In der dritten Epoche der poetischen Litteratur Indiens (wenn wir die Puranen ausnehmen, welche die Aufgabe haben das religiöse Element im Geiste der Secten fortzubilden) übt die Natur die alleinige Herrschaft, aber der beschreibende Theil der Dichtkunst ist auf eine gelehrtere und örtliche Beobachtung gegründet. Um einige der großen Gedichte zu nennen, welche zu dieser Epoche gehören, erwähnen wir hier des Bhattikavya, d. i. des Gedichts von Bhatti: das gleich dem Ramayana die Thaten des Rama zum Gegenstande hat und in welchem erhabene Schilderungen des Waldlebens während einer Verbannung, des Meeres und seiner lieblichen Gestade wie des Morgenanbruchs in Lanka auf einander folgen (Bhattikavya. ed. Calc. P. I. Ges. VII p. 432, Ges. X p. 715, Ges. XI p. 814; vergl. auch Schütz, Prof. zu Bielefeld, fünf Gesänge des Bhatti-Kâvya 1837 S. 1–18); des Sisupalabadha von Magha mit einer anmuthigen Beschreibung der Tageszeiten; des Naischada-tscharita von Sri Harscha: wo aber in der Geschichte des Nalus und der Damayanti der Ausdruck des Naturgefühls in das Maaßlose übergeht. Mit diesem Maaßlosen contrastirt die edle Einfachheit des Ramayana: wenn z. B. Visvamitra seinen Zögling an die Ufer des Sona führt (Sisupalabadha ed. Calc. p. 298 und 372, vergl. Schütz a. a. O. S. 25–28; Naischada-tscharita ed. Calc. P. I. c. 77–129; Ramayana ed. Schlegel lib. I cap. 35 v. 15–18). Kalidasa, der gefeierte Dichter der Sakuntala, ist Meister in der Darstellung des Einflusses, welchen die Natur auf das Gemüth der Liebenden ausübt. Die Waldscene, die er in dem Drama Vikrama und Urvasi geschaffen, gehört zu den schönsten dichterischen Erzeugnissen, welche je eine Zeit hervorgebracht (Vikramorvasi ed. Calc. 1830 p. 71; Uebersetzung in Wilson's select specimens of the Theatre of the Hindus Calc. 1827 Vol. II. p. 63). In dem Gedichte der Jahreszeiten, besonders der Regenzeit und des Frühlings (Ritusanhâra ed. Bohlen 1840 p. 11–18 und 37–45, Uebersetzung von Bohlen S. 80–88 und S. 107–114), wie in dem Wolkenboten (alles Schöpfungen des Kalidasa) ist der Einfluß der Natur auf die Gefühle des Menschen wieder der Hauptgegenstand der Composition. Der Wolkenbote (Meghaduta): den Wilson und Gildemeister edirt, auch Wilson und Chézy übersetzt haben, schildert die Trauer eines Verbannten auf dem Berge Ramagiri. In der Sehnsucht nach der Geliebten, von welcher er getrennt ist, bittet er eine vorüberziehende Wolke, sie möge Nachricht von seinem Schmerze geben. Er bezeichnet der Wolke den Weg, welchen sie nehmen soll, und schildert die Landschaft, wie sie sich in einem tief aufgeregten Gemüthe abspiegelt. Unter den Schätzen, welche die indische Poesie in dieser dritten Periode dem Naturgefühl des Volkes verdankt, gebührt dem Gitagovinda des Dschayadeva (Rückert in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. I. 1837 S. 129–173; Gitagovinda Jayadevae poetae indici drama lyricum ed. Chr. Lassen 1836) die rühmlichste Erwähnung. Wir besitzen von diesem Gedichte, einem der anmuthigsten und schwierigsten der ganzen Litteratur, Rückert's meisterhafte rhythmische Uebersetzung; es giebt dieselbe mit bewundernswürdiger Treue den Geist des Originals und eine Natur-Auffassung wieder, deren Innigkeit alle Theile der großen Composition belebt.«
Auch die Schilderung der Landschaft unterbricht nur selten die Erzählung in dem National-Epos oder geschichtlichen Heldenbuche des Firdusi. Besonders anmuthig und von localer Wahrheit, die Milde des Klima's und Kraft der Vegetation beschreibend, scheint mir das Lob des Küstenlandes Mazenderan im Munde eines wandernden Sängers. Der König Kei Kawus wird durch dies Lob zu einem Zuge 43 nach dem caspischen Meere und zu einer neuen Eroberung angereizt.S. le Livre des Rois publié par Jules Mohl T. I. 1838 p. 487. Die Frühlingsgedichte von Enweri, Dschelal-eddin Rumi, Adhad und des halb-indischen Feisi (der zweite gilt für den größten mystischen Dichter des Orients) athmen ein frisches Leben, da wo der kleinliche Drang nach spielenden Gleichnissen den Genuß nicht unbehaglich stört.Vergl. in Jos. von Hammer, Gesch. der schönen Redekünste Persiens 1818: S. 96 Ewhadeddin Enweri aus dem 12ten Jahrhundert, in dessen Gedichte an Schedschai man eine denkwürdige Anspielung auf die gegenseitige Attraction der Himmelskörper entdeckt hat; S. 183 Dschelaleddin Rumi den Mystiker; S. 259 Dschelaleddin Adhad und S. 403 Feisi, welcher als Vertheidiger der Brahma-Religion an Akbars Hofe auftrat und in dessen Ghaselen eine indische Zartheit der Gefühle wehen soll. Sadi im Bostan und Gulistan (Frucht- und Rosengarten), Hafiz, dessen fröhliche Lebensphilosophie man mit der des Horaz verglichen hat, bezeichnen, wie Joseph von Hammer in seinem großen Werke über die Geschichte der persischen Dichtung sich ausdrückt, der erste ein Zeitalter der Sittenlehre, der zweite als Minnesänger den höchsten Schwung der Lyrik; aber Schwulst und Ziererei verunstalten oft die Schilderung der Natur»Die Nacht bricht ein, wenn die Tintenflasche des Himmels umgestürzt ist«; dichtet geschmacklos Chodschah Abdullah Wassaf: der aber das Verdienst hat die große Sternwarte von Meragba mit ihrem hohen Gnomon zuerst beschrieben zu haben. Hilali aus Asterabad läßt »die Mondscheibe vor Hitze glühen«, und hält so den Thau für »den Schweiß des Mondes« (Jos. von Hammer S. 247 und 371).. Der Lieblingsgegenstand der persischen Dichtung, »die Liebe der Nachtigall und der Rose«, kehrt immer ermüdend wieder, und in den conventionellen Künsteleien der Blumensprache erstirbt im Morgenlande das innere Naturgefühl.
Wenn wir von dem iranischen Hochlande durch Turan (im Zend Tûirja)Tûirja oder Turan sind Benennungen unentdeckter Herleitung. Doch hat Burnouf (Yaçna T. I. p. 427–430) scharfsinnig an die bei Strabo (lib. XI p. 517 Cas.) genannte bactrische Satrapie Turiua oder Turiva erinnert. Du Theil und Groskurd (letzterer Th. II. S. 410) wollen aber Tapyria lesen. nordwärts in die Europa und Asien scheidende Uralkette übergehn, so gelangen wir zu dem Ursitze des finnischen Stammes; denn der Ural ist ein alt-finnisches, wie der Altai ein alt-türkisches Land. Bei den finnischen Stämmen nun, die sich weit in Westen auf europäischem Boden in der Niederung angesiedelt, hat aus dem Munde der Karelier und der Landleute von Olonez Elias Lönnrot eine große Zahl finnischer Lieder gesammelt, in denen nach dem Ausdruck von Jacob GrimmUeber ein finnisches Epos von Jacob Grimm 1845 S. 5. »ein reges sinniges Naturgefühl waltet, wie es fast nur in indischen Dichtungen angetroffen wird«. Ein altes Epos 44 von fast dreitausend Versen dreht sich um den Kampf zwischen Finnen und Lappen und um die Schicksale eines göttlichen Helden, der Vaino genannt wird. Es enthält das Epos eine anmuthvolle Beschreibung des finnischen Landlebens: besonders da, wo die Frau des Eisenschmidts Ilmarinen ihre Heerden in die Wälder sendet und Gebete zum Schutze der Thiere spricht. Wenige Völkerstämme bieten in ihrer Geistesbildung und in der Richtung ihrer Gefühle: wie sie durch entartende Knechtschaft, oder kriegerische Wildheit, oder ausdauerndes Streben nach politischer Freiheit bestimmt worden ist, mannigfaltigere und wundersamere Abstufungen dar als der finnische Stamm in seinen sprachverwandten Unterabtheilungen. Wir erinnern an jene, jetzt so friedlichen Landleute, bei denen das Epos aufgefunden worden; an die lange mit Mongolen verwechselten weltstürmenden Hunnen, und an ein großes und edles Volk: die Magyaren.
Bei der Betrachtung dessen, was in der Lebendigkeit des Naturgefühls und der Form seiner Aeußerungen von der Verschiedenheit der Racen, von dem eigenthümlichen Einflusse der Gestaltung des Bodens, von der Staatsverfassung und der religiösen Stimmung abzuhangen scheint: bleibt uns übrig einen Blick auf die Völker Asiens zu werfen, welche mit den arischen oder indogermanischen Stämmen, den Indern und Persern, am meisten contrastiren. Die semitischen oder aramäischen Nationen zeigen uns in den ältesten und ehrwürdigsten Denkmälern ihrer dichterischen Gemüthsart und schaffenden Phantasie Beweise eines tiefen Naturgefühls. Der Ausdruck desselben offenbart sich großartig und belebend in Hirtensagen, in Tempel- und Chorgesängen, 45 in dem Glanz der lyrischen Poesie unter David, in der Seher- und Prophetenschule: deren hohe Begeisterung, der Vergangenheit fast entfremdet, ahndungsvoll auf die Zukunft gerichtet ist.
Die hebräische Dichtungsweise bietet den Bewohnern des Abendlandes bei ihrer inneren, erhabnen Größe noch den besonderen Reiz, daß sie mit den localen Glaubens-Erinnerungen der Anhänger von drei weitverbreiteten Religionen: der mosaischen, christlichen und mohammedanischen, vielfach verwebt ist. Durch Missionen, welche der Handelsgeist und die Eroberungssucht schifffahrender Nationen begünstigen, sind geographische Namen und Naturschilderungen des Morgenlandes, wie sie die Schriften des alten Bundes uns aufbewahrt, tief in die Wälder der Neuen Welt und in die Inseln der Südsee eingedrungen.
Es ist ein charakteristisches Kennzeichen der Naturpoesie der Hebräer, daß, als Reflex des Monotheismus, sie stets das Ganze des Weltalls in seiner Einheit umfaßt: sowohl das Erdenleben als die leuchtenden Himmelsräume. Sie weilt seltener bei dem Einzelnen der Erscheinung, sondern erfreut sich der Anschauung großer Massen. Die Natur wird nicht geschildert als ein für sich Bestehendes, durch eigene Schönheit Verherrlichtes; dem hebräischen Sänger erscheint sie immer in Beziehung auf eine höher waltende geistige Macht. Die Natur ist ihm ein Geschaffenes, Angeordnetes, der lebendige Ausdruck der Allgegenwart Gottes in den Werken der Sinnenwelt. Deshalb ist die lyrische Dichtung der Hebräer schon ihrem Inhalte nach großartig und von feierlichem Ernst: sie ist trübe und sehnsuchtsvoll, wenn sie die irdischen Zustände der Menschheit 46 berührt. Bemerkenswerth ist auch noch, daß diese Poesie trotz ihrer Größe, selbst im Schwunge der höchsten, durch den Zauber der Musik hervorgerufenen Begeisterung, fast nie maaßlos wie die indische Dichtung wird. Der reinen Anschauung des Göttlichen hingegeben, sinnbildlich in der Sprache, aber klar und einfach in dem Gedanken: gefällt sie sich in Gleichnissen, die fast rhythmisch, immer dieselben, wiederkehren.
Als Naturbeschreibungen sind die Schriften des alten Bundes eine treue Abspiegelung der Beschaffenheit des Landes, in welchem das Volk sich bewegte: der Abwechslung von Oede, Fruchtbarkeit und libanotischer Waldbedeckung, die der Boden von Palästina darbietet. Sie schildern die Verhältnisse des Klima's in geregelter Zeitfolge, die Sitten der Hirtenvölker und deren angestammte Abneigung gegen den Feldbau. Die epischen oder historischen Darstellungen sind von naiver Einfachheit, fast noch schmuckloser als Herodot, naturwahr: wie, bei so geringer Umwandlung der Sitten und aller Verhältnisse des Nomadenlebens, die neueren Reisenden einstimmig es bezeugen. Geschmückter aber und ein reiches Naturleben entfaltend ist die Lyrik der Hebräer. Man möchte sagen, daß in dem einzigen 104ten Psalm das Bild des ganzen Kosmos dargelegt ist: »Der Herr, mit Licht umhüllet, hat den Himmel wie einen Teppich aufgespannt. Er hat den Erdball auf sich selbst gegründet, daß er in Ewigkeit nicht wanke. Die Gewässer quellen von den Bergen herab in die Thäler; zu den Orten, die ihnen beschieden: daß sie nie überschreiten die ihnen gesetzten Grenzen, aber tränken alles Wild des Feldes. Der Lüfte Vögel singen unter dem Laube 47 hervor. Saftvoll stehen des Ewigen Bäume; Libanons Cedern, die der Herr selbst gepflanzt: daß sich das Federwild dort niste, und auf Tannen sein Gehäus der Habicht baue.« Es wird beschrieben »das Weltmeer, in dem es wimmelt von Leben ohne Zahl. Da wandeln die Schiffe, und es regt sich das Ungeheuer, das Du schufest darin zu scherzen.« Es wird »die Saat der Felder, durch Menschenarbeit bestellt, der fröhliche Weinbau und die Pflege der Oelgärten« geschildert.. Die Himmelskörper geben diesem Naturbilde seine Vollendung. »Der Herr schuf den Mond, die Zeiten einzutheilen; die Sonne, die das Ziel kennt ihrer Bahn. Es wird Nacht: da schwärmt Gewild umher. Nach Raube brüllen junge Löwen und verlangen Speise von Gott. Erscheint die Sonne, so heben sie sich davon und lagern sich in ihre Höhlen; dann geht der Mensch zu seiner Arbeit, zu seinem Tagewerk bis Abend.« Man erstaunt, in einer lyrischen Dichtung von so geringem Umfange, mit wenigen großen Zügen, das Universum, Himmel und Erde geschildert zu sehen. Dem bewegten Elementarleben der Natur ist hier des Menschen stilles, mühevolles Treiben vom Aufgang der Sonne bis zum Schluß des Tagewerks am Abend entgegengestellt. Dieser Contrast, diese Allgemeinheit der Auffassung in der Wechselwirkung der Erscheinungen, dieser Rückblick auf die allgegenwärtige unsichtbare Macht, welche »die Erde verjüngen« oder in Staub zertrümmern kann, begründen das Feierliche einer minder lebenswarmen und gemüthlichen als erhaben poetischen Dichtung.
Aehnliche Ansichten des Kosmos kehren mehrmalsIch bin in den Psalmen der trefflichen Uebertragung von Moses Mendelssohn (s. dessen gesammelte Schriften Bd. VI. S. 220, 238 und 280) gefolgt. Edle Nachklänge der alt-hebräischen Poesie finden sich noch im eilften Jahrhundert in den Hymnen des spanischen Synagogen-Dichters Salomo ben Jehudah Gabirol, die eine dichterische Umschreibung des pseudo-Aristotelischen Buches von der Welt darbieten. S. Michael Sachs, die religiöse Poesie der Juden in Spanien 1845 S. 7, 217 und 229. Auch die dem Naturleben entnommenen Züge in Mose ben Jakob ben Esra sind voll Kraft und Größe (S. 69, 77 und 285). wieder (Psalm 65, 7–14 und 74, 15–17): am vollendetsten 48 vielleicht in dem 37ten Capitel des alten, wenn auch nicht vor-mosaischen Buches Hiob. Die meteorologischen Processe, welche in der Wolkendecke vorgehen: die Formbildung und Auflösung der Dünste bei verschiedener Windrichtung, ihr Farbenspiel, die Erzeugung des Hagels und des rollenden Donners, werden mit individueller Anschaulichkeit beschrieben; auch viele Fragen vorgelegt, die unsre heutige Physik in wissenschaftlicheren Ausdrücken zu formuliren, aber nicht befriedigend zu lösen vermag. Das Buch Hiob wird allgemein für die vollendetste Dichtung gehalten, welche die hebräische Poesie hervorgebracht hat. Es ist so malerisch in der Darstellung einzelner Erscheinungen als kunstreich in der Anlage der ganzen didactischen Composition. In allen modernen Sprachen, in welche das Buch Hiob übertragen worden ist, lassen seine Naturbilder des Orients einen tiefen Eindruck. »Der Herr wandelt auf des Meeres Höhen, auf dem Rücken der vom Sturm aufgethürmten Wellen. – Die Morgenröthe erfaßt der Erde Saumen und gestaltet mannigfach die Wolkenhülle, wie des Menschen Hand den bildsamen Thon.« – Es werden die Sitten der Thiere geschildert: des Waldesels und der Rosse, des Büffels, des Nilpferds und der Crocodile, des Adlers und des Straußen. – Wir sehen »den reinen Aether in der Schwüle des Südwindes wie einen gegossenen Spiegel über die dürstende Wüste hingedehnt.«Die Stellen aus dem Buche Hiob habe ich der Uebersetzung und Auslegung von Umbreit (1824) S. XXIX–XLII und 290–314 entlehnt. (Vergl. über das Ganze Gesenius, Geschichte der hebr. Sprache und Schrift S. 33 und Jobi antiquissimi carminis hebr. natura atque virtutes ed. Ilgen p. 28.) Die längste und am meisten charakteristische Thierbeschreibung im Hiob (XL v. 25–XLI v. 26) ist die des Crocodils; und doch ist gerade in dieser (Umbreit S. XLI und 308) einer der Beweise enthalten, daß der Verfasser des Buchs Hiob aus Palästina selbst gebürtig war. Da Nilpferde und Crocodile ehemals im ganzen Nil-Delta gefunden wurden, so darf man sich nicht wundern, daß die Kenntniß von so seltsam gestalteten Thieren sich bis in das nahe Palästina verbreitet hatte. Wo die Natur kärglich ihre Gaben spendet, schärft sie den Sinn des Menschen: daß er auf jeden Wechsel im bewegten Luftkreise wie in den Wolkenschichten lauscht, daß er in der Einsamkeit der starren Wüste wie in der des wellenschlagenden Oceans jedem Wechsel der Erscheinungen bis zu seinen Vorboten nachspürt. Das Klima ist besonders 49 in dem dürren und felsigen Theile von Palästina geeignet solche Beobachtungen anzuregen. Auch an Mannigfaltigkeit der Form fehlt es der dichterischen Litteratur der Hebräer nicht. Während von Josua bis Samuel die Poesie eine kriegerische Begeisterung athmet, bietet das kleine Buch der ährenlesenden Ruth ein Naturgemälde dar von der naivesten Einfachheit und von unaussprechlichem Reize. GötheGöthe im Commentar zum westöstlichen Divan S. 8. in der Epoche seines Enthusiasmus für das Morgenland nennt es »das lieblichste, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist«.
Selbst in den neueren Zeiten, in den ersten Denkmalen der Litteratur der Araber, bemerkt man einen schwachen Abglanz der großartigen Natur-Anschauung, welche dem semitischen Stamme so früh eigenthümlich war. Ich erinnere an die malerische Schildrung des beduinischen Wüstenlebens, die der Grammatiker Asmai an den großen Namen Antars geknüpft und mit anderen vor-mohammedanischen Sagen ritterlicher Thaten zu einem großen Werke verschmolzen hat. Die Hauptperson dieser romantischen Novelle ist derselbe Antar aus dem Stamme Abs, Sohn des fürstlichen Häuptlings Scheddad und einer schwarzen Sklavinn, dessen Verse unter den in der Kaaba aufgehangenen Preisgedichten (moallakât) bewahrt werden. Der gelehrte englische Uebersetzer Terrick Hamilton hat selbst schon auf die biblischen Anklänge des Styls im Antar aufmerksam gemacht.Antar, a bedoueen Romance, transl. from the arabic by Terrick Hamilton Vol. I. p. XXVI; Hammer in den Wiener Jahrbüchern der Litteratur Bd. VI. 1819 S. 229; Rosenmüller in den Charakteren der vornehmsten Dichter aller Nationen Bd. V. (1798) S. 251. Den Sohn der Wüste läßt Asmai nach Constantinopel reisen: wodurch ein malerischer Gegensatz von griechischer Cultur und nomadischer Roheit herbeigeführt wird. Daß in der frühesten arabischen Dichtung die Naturschilderung des Bodens nur einen sehr geringen Raum 50 einnimmt, darf nach der Bemerkung eines berühmten Kenners dieses Zweiges der Litteratur, meines Freundes Freytag zu Bonn, um so weniger Wunder nehmen, als die Hauptgegenstände der Dichtung Erzählungen von Waffenthaten, Lob der Gastfreundschaft und der Liebestreue sind; als fast kein einziger der Sänger aus dem glücklichen Arabien stammte. Eine traurige Einförmigkeit von Grasfluren und staubbedeckte Einöden konnten nur in eigenthümlichen seltneren Stimmungen das Naturgefühl beleben.
Wo dem Boden der Schmuck der Wälder fehlt, beschäftigen, wie wir bereits früher bemerkt, die Lufterscheinungen: Sturm, Gewitter und langersehnter Regen, um so mehr die Einbildungskraft. Ich erinnere vorzugsweise hier, um naturwahre Bilder dieser Art den arabischen Dichtern zu entlehnen, an Antar's Moallakat: welches die vom Regen befruchtete, vom Schwarm summender Insecten besuchte Flur beschreibtAntara cum schol. Zouzenii ed. Menil 1816 v. 15.; an die herrlichen und dazu noch örtlichen Schilderungen des Gewitters von Amru'l Kais und im 7ten Buche der berühmten HamasaAmrulkeisi Moallakat ed. E. G. Hengstenberg 1823; Hamasa ed. Freytag P. I. 1828 lib. VII p. 785. Vergl. auch das poetische Werk: Amrilkais, der Dichter und König, übersetzt von Fr. Rückert 1843 S. 29 und 62: wo zweimal die südlichen Regenschauer überaus naturwahr geschildert sind. Der königliche Dichter besuchte, mehrere Jahre vor der Geburt Mohammeds, den Hof des Kaisers Justinian, um Hülfe gegen seine Feinde zu erbitten. S. le Diwan d'Amro'lkaïs, accomp. d'une traduction par le Bon Mac Guckin de Slane 1837 p. 111.; endlich an das Anschwellen des Euphrat, wenn der Strom Schilfmassen und Baumstämme in seinen Fluthen fortrollt, im Nabegha DhobyaniNabeghah Dhobyani in Silvestre de Sacy, Chrestom. arabe 1806 T. III. p. 47. Vergl. über die früheste arabische Litteratur im allgemeinen Weil, die poet. Litteratur der Araber vor Mohammed 1837 S. 15 und 90, wie auch Freytag's Darstellung der arabischen Verskunst 1830 S. 372–392. Eine herrliche und vollständige Uebertragung der arabischen Naturpoesie aus der Hamasa haben wir von unserem großen Dichter Friedrich Rückert bald zu erwarten.. Das achte Buch der Hamasa, welches »Reise und Schläfrigkeit« überschrieben ist, mußte natürlich meine besondere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Ich wurde bald belehrt, daß die SchläfrigkeitHamasae carmina ed. Freytag P. I. 1828 p. 788. Es ist hier vollendet, heißt es ausdrücklich p. 796, »das Capitel der Reise und der Schläfrigkeit«. sich nur auf das erste Fragment des Buches bezieht: und auch in diesem um so verzeihlicher ist, als sie einer Nachtreise auf dem Kameel zugeschrieben wird.
Ich habe in diesem Abschnitt fragmentarisch zu entwickeln gesucht, wie die Außenwelt, d. h. der Anblick der 51 belebten und unbelebten Natur, zu verschiedenen Zeitepochen und bei verschiedenen Volksstämmen ungleichartig auf die Gedanken- und Empfindungswelt eingewirkt hat. Aus der Geschichte der Litteratur wurde das aufgehoben, was die lebendige Aeußerung des Naturgefühls charakterisirt. Es kam dabei, wie in meinem ganzen Werke vom Kosmos, nicht auf Vollständigkeit: sondern nur auf Allgemeinheit der Ansicht, auf die Auswahl solcher Beispiele an, in denen sich die Eigenthümlichkeiten der Zeiten und der Menschenracen offenbaren. Ich habe die Griechen und Römer geschildert bis zu dem allmäligen Absterben der Gefühle, die dem classischen Alterthume in den Abendlanden einen unverlöschbaren Glanz gegeben; ich habe in den Schriften der christlichen Kirchenväter dem schönen Ausdruck des Naturgefühls nachgespürt, den in stiller Rührung das Einsiedlerleben erzeugte. Bei Betrachtung der indogermanischen Völker (ich nehme die Benennung hier in dem engeren Sinne des Worts) sind wir übergegangen von den Dichtungen der Deutschen im Mittelalter zu denen der hochgebildeten alten Ost-Arier (Inder) und der minder begabten West-Arier, der Bewohner des alten Iran. Nach einem flüchtigen Blicke auf die celtischen (galischen) Gesänge und ein neu-entdecktes finnisches Epos, habe ich das reiche Naturleben geschildert, das in einem Zweige des semitischen (aramäischen) Stammes: in den erhabenen Gedichten der Hebräer und in denen der Araber, athmet. So haben wir die Erscheinungswelt abgespiegelt gesehen in der Phantasie der Völker im Norden und Südosten von Europa, in Vorder-Asien, in den persischen Hochebenen und dem indischen Tropenlande. Um die Natur in ihrer ganzen Größe zu 52 umfassen, glaubte ich sie nach zweierlei Ansichten: einmal objectiv, als thatsächliche Erscheinung, und dann in den Gefühlen der Menschheit reflectirt, darstellen zu müssen.
Nach dem Hinschwinden aramäischer, griechischer und römischer Herrlichkeit, ich könnte sagen nach dem Untergange der alten Welt: zeigt uns der große und begeisterte Schöpfer einer neuen, Dante Alighieri, von Zeit zu Zeit das tiefste Gefühl des irdischen Naturlebens. Er entzieht sich dann den Leidenschaften, wie dem Subjectiven seines weiten Ideenkreises, einer ahndungsschweren Mystik. Die Zeitepoche, in der er lebte, folgt unmittelbar der, in welcher diesseits der Alpen der schwäbische Minnegesang, den wir oben geschildert, zu verhallen anfing. Unnachahmlich malt Dante am Ende des ersten Gesanges des PurgatorioDante, Purgatorio canto I v. 115:
Vergl. die Uebertragung des, als Dichter und Maler vielbegabten August Kopisch 1842 S. 399–401. Ich habe nichts aus den Canzonen der Vita nuova entlehnt, weil die Gleichnisse und Bilder, die sie enthalten, nicht in den reinen Naturkreis irdischer Erscheinungen gehören.
den Morgenduft und das zitternde Licht des sanft bewegten fernen Meeresspiegels (il tremolar de la marina); im fünften Gesange den Wolkenbruch und das Anschwellen der Flüsse, wobei nach der Schlacht von Campaldino der Leichnam des Buonconte da Montefeltro in den Arno versankPurg. canto V v. 109–127:
L'alba vinceva l'ora mattutina,
Che fuggia innanzi, sì che di lontano
Conobbi il tremolar della marina ....
. Der Eingang in den dichten Hain des irdischen Paradieses erinnert den Dichter an den Pinienwald bei Ravenna, »la pineta in sul lito di Chiassi«Purg. canto XXVIII v. 1–24.: wo in den Wipfeln der Frühgesang der Vögel erschallt. Mit der örtlichen Wahrheit dieses Naturbildes contrastirt im himmlischen Paradiese der Lichtstrom, aus welchem FunkenParad. canto XXX v. 61–69:
Ben sai come nell' aer si raccoglie
Quell' umido vapor, che in acqua riede,
Tosto che sale, dove'l freddo il coglie ....
E vidi lume in forma di riviera
Fulvido di fulgore intra duo rive,
Dipinte di mirabil primavera.
Di tal fiumana uscian faville vive,
E d'ogni parte si mettean ne' fiori,
Quasi rubin, che oro circonscrive.
Poi, come inebriate dagli odori,
Riprofondavan se nel miro gurge,
E s' una entrava, un' altra n'uscia fuori.
Um noch auf italiänischem Boden zu verweilen, aber dem frostigen Schäferromane fremd zu bleiben, nenne ich hier, nach dem Dante: Petrarca's Trauer-Sonett: den Eindruck schildernd, welchen das anmuthige Thal von Vaucluse ihm ohne Laura, seit ihrem Hinsterben, gemacht; die kleineren Dichtungen des Bojardo, des Freundes des Hercules von Este; und die späteren Stanzen der Vittoria Colonna.Ich erinnere an das Sonett des Bojardo: Ombrosa selva, che il mio duolo ascolti ... und an die herrlichen Stanzen der Vittoria Colonna, welche anheben:
Eine schöne und sehr individuelle Naturbeschreibung des Landsitzes des Fracastoro am Hügel von Incassi (Mons Caphius) bei Verona giebt dieser, als Arzt, Mathematiker und Dichter ausgezeichnete Mann in seinem »Naugerius de poetica dialogus«. (Hieron. Fracastorii Opp. 1591 p.I. p. 321–326). Vergl. auch in einem seiner Lehrgedichte lib. II v. 208–219 (Opp. p. 636) die anmuthige Stelle über die Cultur des Citrus in Italien. Mit Verwunderung vermisse ich dagegen allen Ausdruck von Naturgefühl in den Briefen des Petrarca: sei es, daß er 1345, also drei Jahre vor dem Tode der Laura, von Vaucluse aus den Mont Ventoux zu besteigen versucht und sehnsuchtsvoll hofft in sein Vaterland hinüberzublicken, oder daß er die Rheinufer bis Cöln, oder den Golf von Bajä besucht. Er lebte mehr in den classischen Erinnerungen an Cicero und die römischen Dichter oder in den begeisternden Anregungen seiner ascetischen Schwermuth, als in der ihn umgebenden Natur (s. Petrarchae Epist. de Rebus familiaribus lib. IV, 1; V, 3 und 4: pag. 119, 156 und 161 ed. Lugdun. 1601). Nur die Beschreibung eines großen Sturmes, den Petrarca in Neapel 1343 beobachtete (lib. V, 5 p. 165), ist überaus malerisch.
Quando miro la terra ornata e bella,
Di mille vaghi ed odorati fiori ....
Als nun die classische Litteratur allgemeiner wieder aufblühte durch den plötzlichen Verkehr mit dem politisch tief gesunkenen Griechenlande, finden wir unter den Prosaikern das erste Beispiel reizender Naturbeschreibungen bei dem kunstliebenden Cardinal Bembo, Raphaels Rathgeber und Freunde. Seine kleine Jugendschrift »Aetna dialogus giebt uns ein lebendiges Bild der geographischen Vertheilung der Gewächse an dem Abhange des Gebirges, von Siciliens kornreichen Fluren bis zu dem schneebedeckten Rande des Kraters. Das vollendete Werk des reiferen Alters, die Historiae Venetae, charakterisiren auf eine noch mehr malerische Weise das Klima und die Vegetation des Neuen Continents.
Alles war damals dazu geeignet den Geist gleichzeitig mit den großen Bildern des plötzlich erweiterten Weltraums und der Erhöhung menschlicher Kräfte zu erfüllen. Wie, in dem Alterthume, der macedonische Zug nach dem Paropamisus und den waldreichen Flußthälern von Vorder-Indien, 54 durch den Anblick einer reich geschmückten exotischen Natur, Eindrücke zurückließ, deren Lebendigkeit sich nach Jahrhunderten noch, in den Werken hochbegabter Schriftsteller, offenbart; so wirkte zum zweiten Male, und selbst in einem höheren Maaßstabe als die Kreuzzüge, auf die westlichen Völker die Entdeckung von Amerika. Die Tropenwelt mit der ganzen Ueppigkeit ihrer Vegetation in der Ebene, mit allen Abstufungen des Organismus am Abhange der Cordilleren, mit allen Anklängen nördlicher Klimate in den bewohnten Hochebenen von Mexico, Neu-Granada und Quito wurde nun zuerst den Europäern eröffnet. Die Phantasie, ohne deren Anregung kein wahrhaft großes Werk der Menschheit gedeihen kann, gab den Naturschilderungen von Columbus und Vespucci einen eigenthümlichen Reiz. Den Letzteren charakterisirt in der Beschreibung der brasilischen Küste eine genaue Bekanntschaft mit den Dichtern alter und neuer Zeit; jenen in der Beschreibung des milden Himmels von Paria und der (wie er wähnt) dem östlichen Paradiese entströmenden Wassermenge des Orinoco eine ernste religiöse Stimmung. Bei zunehmendem Alter, beim Ankämpfen gegen ungerechte Verfolgung ging diese Stimmung in Trübsinn und schwärmerische Begeisterung über.
In den heroischen Zeiten der portugiesischen und castilianischen Volksstämme führte nicht Golddurst allein (wie man aus Unkunde des damaligen Volkslebens behauptet hat), sondern allgemeine Aufregung zu den Wagnissen ferner Reisen. Die Namen Haiti, Cubagua und Darien wirkten, im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, auf die Einbildungskraft der Menschen wie in den neueren Zeiten die, seit Anson und Cook gefeierten Namen von Tinian 55 und Otaheiti. Wenn damals die Kunde weit entlegener Länder die Jugend aus der spanischen Halbinsel, aus Flandern, Mailand und Süddeutschland unter die siegreichen Fahnen des großen Kaisers auf den Rücken der Andeskette oder in die heißen Fluren von Uraba und Coro lockte: so gewann unter dem milden Einflusse späterer Gesittung, bei gleichmäßigerer Eröffnung aller Theile des Erdraums, jenes unruhige Sehnen nach der Ferne andere Motive und eine andere Richtung. Leidenschaftliche Liebe zum Naturstudium, welche hauptsächlich vom Norden ausging, entflammte die Gemüther. Intellectuelle Größe der Ansichten wurde der materiellen Erweiterung des Wissens beigesellt: und die dichterisch sentimentale Stimmung des Zeitalters individualisirte sich, seit dem Ende des verflossenen Jahrhunderts, in litterarischen Werken, deren Formen der Vorzeit unbekannt waren.
Werfen wir noch einmal den Blick zurück in die Zeit der großen Entdeckungen, welche jene moderne Stimmung vorbereiteten, so müssen wir vor allem der Naturschilderungen gedenken, die wir von Columbus selbst besitzen. Erst seit kurzem kennen wir sein eigenes Schiffsjournal; seine Briefe an den Schatzmeister Sanchez, an die Amme des Infanten Don Juan, Frau Juana de la Torre, und an die Königinn Isabella. Ich habe schon an einem anderen Orte, in den kritischen Untersuchungen über die Geschichte der Geographie des 15ten und 16ten JahrhundertsHumboldt, Examen critique de l'histoire de la Géographie du Nouveau Continent T. III. p. 227–248., zu zeigen gesucht, mit welchem tiefen Naturgefühle der große Entdecker begabt war; wie er das Erdenleben und den neuen Himmel, die sich seinem Blicke offenbarten (viage nuevo al nuevo cielo y mundo que fasta entonces estaba en occulto), mit einer Schönheit und 56 Einfachheit des Ausdrucks beschrieb, die nur diejenigen ganz zu schätzen vermögen, welche mit der alten Kraft der Sprache jener Zeit vertraut sind.
Die physiognomische Gestaltung der Pflanzen; das undurchdringliche Dickicht der Wälder: »in denen man kaum unterscheiden kann, welche Blüthen und Blätter jedem Stamme zugehören«; die wilde Ueppigkeit des krautbedeckten Bodens der feuchten Ufer; die rosenfarbigen Flamingos, welche fischend schon am frühen Morgen die Mündung der Flüsse beleben: beschäftigen den alten Seemann, als er längs den Küsten von Cuba, zwischen den kleinen lucayischen Inseln und den, auch von mir besuchten Jardinillos hinfuhr. Jedes neu entdeckte Land scheint ihm noch schöner als das früher beschriebene: er beklagt, nicht Worte zu finden, um die süßen Eindrücke wiederzugeben, die er empfangen. Mit der Kräuterkunde völlig unbekannt, wenn gleich durch Einfluß arabischer und jüdischer Aerzte sich damals schon einige oberflächliche Kenntniß der Gewächse in Spanien verbreitet hatte: treibt das einfache Naturgefühl den Entdecker an, alles fremdartige einzeln aufzufassen. Er unterscheidet in Cuba schon sieben oder acht verschiedene Palmenarten, die schöner und höher als die Dattelpalme sind (variedades de palmas superiores a las nuestras en su belleza y altura): er meldet seinem geistreichen Freunde Anghiera, daß er in derselben Ebene Tannen und Palmen zusammengruppirt, palmeta und pineta wundervoll gemengt gesehen; er betrachtet die Vegetation mit solchem Scharfblick, daß er zuerst bemerkt, es gebe im Cibao auf den Bergen Pinien, deren Früchte nicht Tannenzapfen sind, sondern Beeren wie die Oliven des Axarafe de Sevilla. Columbus 57 hat also schon, wie ich bereits obenA. a. O. p. 303–304 (Carta del Almirante a los Reyes escrita den Jamaica a 7 de Julio 1503); Humboldt, Examen crit. T. III. p. 231–236. erinnert, das Geschlecht Podocarpus von der Familie der Abietineen getrennt.
»Die Anmuth dieses neuen Landes«, sagt der Entdecker, »steht hoch über der der campiña de Cordoba. Alle Bäume glänzen von immer grünem Laube und sind ewig mit Früchten beladen. Auf dem Boden stehen die Kräuter hoch und blühend. Die Lüfte sind lau wie im April in Castilien; es singt die Nachtigall süßer, als man es beschreiben kann. Bei Nacht singen wieder süß andere, kleinere Vögel; auch höre ich unseren Grashüpfer und die Frösche. Einmal kam ich in eine tief eingeschlossene Hafenbucht und sah, was kein Auge gesehen: hohes Gebirge, von dem lieblich die Wasser (lindas aguas) herabströmen. Das Gebirge war bedeckt mit Tannen und anderen vielfach gestalteten, mit schönen Blüthen geschmückten Bäumen. Den Strom hinaufsteuernd, der in die Bucht mündete, war ich erstaunt über die kühlen Schatten, die krystallklaren Wasser und die Zahl der Singvögel. Es war mir als möchte ich so einen Ort nie verlassen, als könnten tausend Zungen dies alles nicht wiedergeben, als weigere sich die verzauberte Hand es niederzuschreiben (para hacer relacion a los Reyes de las cosas que vian no bastáran mil lenguas a referillo, ni la mano para lo escribir, que le parecia questaba encantado).«S. oben Kosmos Bd. I. S. 296 und 469 [Anm. 329].
Wir lernen hier aus dem Tagebuche eines litterarisch ganz ungebildeten Seemannes, welche Macht die Schönheit der Natur in ihrer individuellen Gestaltung auf ein empfängliches Gemüth auszuüben vermag. Gefühle veredeln die Sprache; denn die Prosa des Admirals ist: besonders da wo er, bereits 67 Jahre alt, auf der vierten Reise seinen großartigen WundertraumTagebuch des Columbus auf der ersten Reise (29 Oct. 1492, 25–29 Nov., 7–16 Dec., 21 Dec.); auch sein Brief an Doña Maria de Guzman, ama del Principe D. Juan, Dec. 1500; in Navarrete, coleccion de los Viagres que hiciéron por mar los Españoles T. I. p. 43, 65–72, 82, 92, 100 und 266. an der Küste von Veragna 58 erzählt, wenn auch nicht beredter, doch anregender als der allegorische Schäferroman des Boccaccio und die zwei Arcadien von Sannazaro und Sidney, als Garcilasso's Salicio y Nemoroso oder die Diana des Jorge de Montemayor. Das elegisch idyllische Element war leider! nur zu lange vorherrschend in der italiänischen und in der spanischen Litteratur. Es bedurfte des lebensfrischen Bildes, in dem Cervantes die Abenteuer des Ritters aus der Mancha darstellte, um die Galatea desselben Schriftstellers zu verdunkeln. Der Hirtenroman, so sehr ihn auch bei den eben genannten großen Dichtern Schönheit der Sprache und Zartheit der Empfindungen veredelten, bleibt seiner Natur nach, wie die allegorischen Verstandeskünsteleien des Mittelalters, frostig und ermüdend. Individualität des Beobachteten führt allein zur Naturwahrheit in der Darstellung: auch hat man in den herrlichsten beschreibenden StanzenTasso canto XVI Stanze 9–16. des befreiten Jerusalem Eindrücke von der malerischen Umgebung des Dichters, Erinnerungen an die anmuthige Landschaft von Sorrent zu erkennen geglaubt.
Jene individuelle Naturwahrheit, die aus eigner Anschauung entspringt, glänzt im reichsten Maaße in dem großen National-Epos der portugiesischen Litteratur. Es weht wie ein indischer Blüthenduft durch das ganze unter dem Tropen-Himmel (in der Felsgrotte bei Macao und in den Molukken) geschriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegel's zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens »an Farbe und Fülle der Phantasie den Ariost bei weitem übertreffen«S. Friedrich Schlegel's sämmtl. Werke Bd. II. S. 96; und über den, freilich störenden Dualismus der Mythik, das Gemisch der alten Fabel mit christlichen Anschauungen Bd. X. S. 54. Camoens hat in den, nicht genug beachteten Stanzen 82–84 diesen mythischen Dualismus zu rechtfertigen versucht. Tethys gesteht auf eine fast naive Weise, doch in dem herrlichsten Schwunge der Poesie: »daß sie selbst, wie Saturn, Jupiter und aller Götter Schaar, eitle Fabeleien sind, die blinder Wahn den Sterblichen gebar; sie dienen bloß, dem Liede Reiz zu geben. A Sancta Providencia que em Jupiter aqui se repesenta ...«; aber als Naturbeobachter darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden 59 nie die Begeisterung des Dichters, der Schmuck der Rede und die süßen Laute der Schwermuth der Genauigkeit in der Darstellung physischer Erscheinungen hinderlich werden. Sie haben vielmehr: wie dies immer der Fall ist, wenn die Kunst aus ungetrübter Quelle schöpft, den belebenden Eindruck der Größe und Wahrheit der Naturbilder erhöht. Unnachahmlich sind in Camoens die Schilderungen des ewigen Verkehrs zwischen Luft und Meer, zwischen der vielfach gestalteten Wolkendecke, ihren meteorologischen Processen und den verschiedenen Zuständen der Oberfläche des Oceans. Er zeigt uns diese Oberfläche, bald wenn milde Winde sie kräuseln und die kurzen Wellen im Spiel des zurückgeworfenen Lichtstrahls funkelnd leuchten, bald wenn Coelho's und Paul de Gama's Schiffe in einem furchtbaren Sturme gegen die tief aufgeregten Elemente ankämpfen.Os Lusiadas de Camões canto I est. 19, canto VI est. 71–82. S. auch das Gleichniß in der schönen Beschreibung des Sturmes, welcher in einem Walde wüthet: canto I est. 35. Camoens ist im eigentlichsten Sinne des Worts ein großer Seemaler. Als Kriegsmann hatte er gefochten an dem Fuße des Atlas im marokkanischen Gebiete, im rothen Meere und im persischen Meerbusen; zweimal hatte er das Cap umschifft und, mit tiefem Naturgefühl begabt, 16 Jahre lang an dem indischen und chinesischen Gestade alle Phänomene des Weltmeers belauscht. Er beschreibt das electrische St. Elmsfeuer (Castor und Pollux der alten griechischen Seefahrer): »das lebende LichtDas Elmsfeuer: »o lume vivo, que a maritima gente tem por santo, em tempo de tormenta ...« canto V est. 18. Eine Flamme, Helena des griechischen Seevolks, bringt Unglück (Plin. II. 37); zwei Flammen, Castor und Pollux: mit Geräusch erscheinend, »als flatterten Vögel«, sind heilsame Zeichen (Stob. Eclog. phys. I p. 514; Seneca, Nat. Quaest. I, 1. Ueber den hohen Grad eigenthümlicher Anschaulichkeit in den Naturbeschreibungen des Camoens s. die große Pariser Edition von 1818 in der Vida de Camões von Dom Joze Maria de Souza p. CII., dem Seevolke heilig«; er beschreibt die gefahrdrohende Trombe in ihrer allmäligen Entwickelung: »wie der Dunst, aus seinem Duft gewoben, sich im Kreise dreht, ein dünnes Rohr herabläßt und die Fluth dürstend aufpumpt; wie er, wenn das schwarze Gewölk sich satt gesogen, den Fuß des Trichters zurückzieht und, zum Himmel fliegend, auf der Flucht als süßes Wasser den Wogen 60 wiedergiebt, was die Trombe ihnen brausend entzogen.«Die Wasserhose (Wettersäule) canto V est. 19–22 ist zu vergleichen mit der, ebenfalls sehr dichterischen und naturwahren Beschreibung des Lucretius VI, 423–442. Ueber das süße Wasser, welches gegen Ende des Phänomens scheinbar aus dem oberen Theil der Wasserhose herabstürzt, s. Ogden on Water Spouts (nach Beobachtungen auf einer im Jahr 1820 gemachten Reise von der Havana nach Norfolk), in Silliman's Amer. Journal of Science Vol. XXIX. 1836 p. 265–260. Die Schriftgelehrten, sagt der Dichter (und er sagt es fast auch zum Spott der jetzigen Zeit), die Schriftgelehrten mögen versuchen »der Welt verborgene Wunderdinge zu erklären: da, vom Geist allein und von der Wissenschaft geleitet, sie so gern für falsch ausgeben, was man aus dem Munde des Schiffers hört, dem einziger Leiter die Erfahrung ist.«
Das naturbeschreibende Talent des begeisterten Dichters weilt aber nicht bloß bei den einzelnen Erscheinungen; es glänzt auch da, wo es große Massen auf einmal umfaßt. Der dritte Gesang schildert mit wenigen Zügen die Gestaltung von EuropaCanto III est. 7–21. Ich befolge immer den Text des Camoens der Editio princeps von 1572, welche die vortreffliche und splendide Ausgabe des Dom Joze Maria de Souza-Botelho (Paris 1818) uns wiedergegeben hat. In den deutschen Citaten bin ich meist der Uebertragung Donner's (1833) gefolgt. Der Hauptzweck der Lusiaden des Camoens war die Verherrlichung seiner Nation. Es wäre ein Monument, eines solchen dichterischen Ruhmes und einer solchen Nation würdig, wenn, nach dem edlen Beispiele der Säle von Schiller und Göthe im großherzoglichen Schlosse zu Weimar, in Lissabon selbst die zwölf grandiosen Compositionen meines hingeschiedenen geistreichen Freundes Gérard, welche Souza's Ausgabe schmücken, in recht beträchtlichen Dimensionen als Fresken an wohl beleuchteten Wänden ausgeführt würden. Das Traumgesicht des Königs Dom Manoel, in welchem ihm die Flüsse Indus und Ganges erscheinen, der Gigant Adamastor über dem Vorgebirge der guten Hoffnung schwebend (»Eu sou aquelle occulto e grande Cabo, A quem chamais vós outros Tormentorio«), der Mord der Ignes de Castro und die liebliche Ilha de Venus würden von der herrlichsten Wirkung sein. vom kältesten Norden an bis »zum Lusitanen-Reiche und zu der Meerenge, wo Hercules sein letztes Werk gethan«. Ueberall wird auf die Sitten und den Culturzustand der Völker angespielt, welche den vielgegliederten Welttheil bewohnen. Von den Preußen, Moscoviten und den Stämmen, »que o Rheno frio lava«, eilt er zu den herrlichen Auen von Hellas: »que creastes os peitos eloquentes, e os juizos de alta phaneasia«. Im zehnten Gesange erweitert sich der Blick. Tethys führt den Gama auf einen hohen Berg, um ihm die Geheimnisse des Weltbaues (machina do mundo) und der Planeten Lauf (nach Ptolemäischen Ansichten) zu enthüllen.Canto X est. 79–90. Camoens nennt wie Vespucci die dem Südpol nächste Himmelsgegend sternenarm: canto V est. 14; auch kennt er das Eis der südlichen Meere: canto V est. 27. Es ist ein Traumgesicht im Styl des Dante; und da die Erde das Centrum des Bewegten bildet, so wird zuletzt bei Beschreibung des Erdglobus die ganze Kenntniß der damals erforschten Länder und ihrer Erzeugnisse dargelegt.Canto X est. 91–141. Es gilt hier nicht mehr Europa allein zu schildern, wie früher im dritten Gesange: alle Erdtheile werden durchmustert; selbst 61 das Land des heiligen Kreuzes (Brasilien) und die Küsten werden genannt, die Magelhan entdeckte: »durch die That, aber nicht durch die Treue ein Sohn Lusitaniens«.
Wenn ich vorher den Camoens vorzugsweise als Seemaler rühmte, so war es, um anzudeuten, daß das Erdeleben ihn minder lebhaft angezogen hat. Schon Sismondi bemerkt mit Recht, daß das ganze Gedicht keine Spur von etwas Anschaulichem über die tropische Vegetation und ihre physiognomische Gestaltung enthält. Nur die Arome und nützlichen Handelsproducte werden bezeichnet. Die Episode der ZauberinselCanto IX est. 51–63. (Vergl. Ludwig Kriegk, Schriften zur allgemeinen Erdkunde 1840 S. 338.) Die ganze Insel Ilha de Venus ist eine allegorische Mythe: wie est. 89 ausdrücklich angedeutet wird. Nur der Anfang der Erzählung des Traumes von Dom Manoel schildert eine indische Berg- und Waldgegend, canto IV est. 70. bietet freilich das reizendste Gemälde einer Landschaft dar; aber die Pflanzendecke ist gebildet, wie eine Ilha de Venus es erfordert, von »Myrten, dem Citrus-Baume, duftenden Limonen und Granaten«: alle dem Klima des südlichen Europa's angeeignet. Bei dem größten der damaligen Seefahrer, Christoph Columbus, finden wir mehr Freude an den Küstenwäldern, mehr Aufmerksamkeit auf die Formen des Gewächsreiches; aber Columbus schreibt ein Reisejournal und verzeichnet in diesem die lebendigen Eindrücke jedes Tages, während das Epos des Camoens die Großthaten der Portugiesen verherrlicht. Pflanzennamen den Sprachen der Eingebornen zu entlehnen und sie in die Beschreibung einer Landschaft einzuflechten, in der, wie vor einem Hintergrund, die Handelnden sich bewegen: konnte den an harmonische Klänge gewöhnten Dichter wenig reizen.
Neben der ritterlichen Gestalt des Camoens hat man oft die eben so romantische eines spanischen Kriegers aufgestellt, der unter dem großen Kaiser in Peru und Chili diente und unter jenen fernen Himmelsstrichen die Thaten 62 besang, an denen er rühmlichst Theil genommen. In dem ganzen Epos der Araucana des Don Alonso de Ercilla hat die unmittelbare Anschauung, der Anblick mit ewigem Schnee bedeckter Vulkane, heißer Waldthäler und weit in das Land eindringender Meeresarme fast nichts hervorgebracht, was man darstellend nennen könnte. Das übermäßige Lob, welches Cervantes, bei Gelegenheit der geistreich satirischen Bücherschau des Quixote, dem Ercilla gespendet hat, ist wohl nur durch leidenschaftliche Rivalität zwischen der spanischen und italiänischen Poesie hervorgerufen worden. Man möchte fast sagen, es habe Voltaire'n und viele neuere Kritiker irre geführt. Die Araucana ist allerdings ein Werk, welches ein edles Nationalgefühl durchdringt; die Schilderung der Sitten eines wilden Volksstammes, der im Kampf für die Freiheit des Vaterlandes erliegt, ist darin nicht ohne Leben: aber die Diction des Ercilla ist schleppend, mit Eigennamen überhäuft, ohne alle Spur dichterischer Begeistrung.Aus Vorliebe für die alte spanische Litteratur und für den reizenden Himmelsstrich, in welchem die Arazcaba des Alonso de Ercilla y Zuñiga gedichtet wurde, habe ich gewissenhaft das, leider 42000 Verse lange Epos zweimal ganz gelesen: einmal in Peru, das andere Mal neuerlichst in Paris: als ich zur Vergleichung mit dem Ercilla durch die Güte eines gelehrten Reisenden, Herrn Ternaux Compans, ein sehr seltenes, 1596 in Lima gedrucktes Buch, die neunzehn Gesänge des Arauco domando, compuesto por el Licenciado Pedro de Oña, natural de los Infantes de Engol en Chile, erhielt. Von dem Epos des Ercilla: in dem Voltaire eine »Ilias«, Sismondi eine »Zeitung in Reimen« zu sehen glauben, sind die ersten funfzehn Gesänge zwischen 1555 und 1563 gedichtet und schon 1569 erschienen; die letzten wurden erst 1590 gedruckt, nur sechs Jahre vor dem elenden Gedichte von Pedro de Oña: das denselben Titel führt als eines der dramatischen Meisterwerke des Lope de Vega, in welchem aber der Cacique Caupolican wieder die Hauptrolle spielt. Ercilla ist naiv und treuherzig: besonders in den Theilen seiner Composition, die er im Felde, aus Mangel an Papier, auf Baumrinde und Thierfelle schrieb. Die Schilderung seiner Dürftigkeit und des Undanks, welchen auch er an König Philipps Hofe erfuhr, ist überaus rührend, besonders am Schluß des 37ten Gesanges:
»Die Blüthenzeit meines Lebens ist dahin; ich werde, spät belehrt, dem Irdischen entsagen, weinen und nicht mehr singen.« Die Naturbeschreibungen (der Garten des Zauberers, der Sturm, den Eponamon erregt, die Schilderung des Meeres; P. I. p. 80, 135 und 173, P. II. p. 130 und 161 in der Ausgabe von 1733) entbehren alles Naturgefühls; die geographischen Wortregister (canto XXVII) sind so gehäuft, daß in einer Ottave 27 Eigennamen unmittelbar auf einander folgen. Die Parte II der Araucana ist nicht von Ercilla, sondern eine Fortsetzung in 20 cantos von Diego de Santistevan Osorio, den 37 cantos des Ercilla folgend und diesen angeheftet.
»Climas passè, mudè constelaciones,
Golfos inavegables navegando,
Estendiendo, Señor, Vuestra Corona
Hasta la austral frigida zona ...«
Diese Begeisterung findet sich in mehreren Strophen des Romancero caballerescoIm Romancero de Romances caballerescos é historicos, ordenado por D. Agustin Duran P. I. p. 189 und P. II. 237 erinnere ich an die schönen Strophen: Yba declinando el dia – Su curso y ligeras horas ... und an die Flucht des Königs Rodrigo, welche beginnt:
; in der religiösen Melancholie des Fray Luis de Leon: z. B. in seiner »heiteren Nacht«, wenn er die ewigen Lichter (resplandores eternales) des gestirnten Himmels besingtFray Luis de Leon, Obras proprias y traducciones dedicadas á Don Pedro Portocarrero 1681 p. 120: Noche serena. Ein tiefes Naturgefühl offenbart sich bisweilen auch in den alten mystischen Poesien der Spanier (Fray Luis de Granada, Santa Teresa de Jesus, Malon de Chaide); aber die Naturbilder sind meist nur die Hülle, in der ideale religiöse Anschauungen symbolisirt sind.; und in den großen Schöpfungen des Calderon. »Als sich die Comödie der Spanier bis zu einer hohen Vollendung ausgearbeitet hatte«, sagt der tiefste Forscher aller dramatischen Litteratur, mein edler Freund Ludwig Tieck, »finden wir oft beim Calderon und bei seinen Zeitgenossen, in romanzen- und canzonartigen Sylbenmaaßen, blendend schöne Schilderungen vom Meere, von Gebirgen, Gärten und waldigen Thälern: doch fast 63 immer mit allegorischen Beziehungen, und mit einem künstlichen Glanz übergossen: der uns nicht sowohl die freie Luft der Natur, die Wahrheit des Gebirges, die Schatten der Thäler fühlen läßt; als daß in harmonischen, wohlklingenden Versen eine geistvolle Beschreibung gegeben wird, die mit kleinen Nüancen immer wiederkehrt. In dem Schauspiel das Leben ein Traum (la vida es sueño) läßt Calderon den Prinzen Sigismund das Unglück seiner Gefangenschaft in anmuthigen Gegensätzen mit der Freiheit der ganzen organischen Natur beklagen. Es werden geschildert die Sitten der Vögel, »die im weiten Himmelsraume sich in raschen Flügen regen«: die Fische, »welche, kaum aus Laich und Schlamm entsprossen, schon das weite Meer suchen: dessen Unendlichkeit ihnen bei ihren kecken Zügen nicht zu genügen scheint. Selbst dem Bache, der im Ringelgange zwischen Blüthen hingleitet, gewährt die Flur einen freien Pfad.« Und ich, ruft Sigismund verzweiflungsvoll aus, der mehr Leben hat, soll bei freierem Geiste mich in mindre Freiheit fügen! Auf ähnliche Weise: aber auch oft durch Antithesen, witzige Gleichnisse und Künsteleien aus Gongora's Schule verunstaltet, spricht im standhaften Prinzen Don Fernando zum Könige von Fez.Calderon im standhaften Prinzen über Annäherung der spanischen Flotte Act I Scene 1, und über das Königthum des Gewildes in den Wäldern Act III Scene 2. Wir erinneren an diese einzelnen Beispiele, weil sie zeigen, wie in der dramatischen Dichtung: die es vornehmlich mit Begebenheiten, Leidenschaften und Charakteren zu thun hat, »die Beschreibungen nur Abbildungen des Gemüths, der Stimmung der handelnden Personen werden. Shakespeare, der in dem Drang seiner bewegten Handlung fast nie Zeit und Gelegenheit hat sich auf Naturschilderungen geflissentlich einzulassen, malt durch Vorfälle, 64 Andeutungen und Gemüthsbewegung der Handelnden Landschaft und Natur: daß wir sie vor uns zu sehen glauben und in ihr zu leben scheinen. So leben wir in der Sommernacht im Walde, sehen wir in den letzten Scenen des Kaufmanns von Venedig den Mondschein, welcher eine warme Sommernacht erhellt, ohne daß beide geschildert werden. Eine wirkliche Naturbeschreibung ist aber die der Dover-Klippe im König Lear, wo der sich wahnsinnig stellende Edgar seinem blinden Vater Gloster, auf der Ebene gehend, vorbildet, sie erstiegen die Klippe. Schwindelerregend ist die Schilderung des Blicks in die Tiefe von oben hinab.«Was in dem Texte, im Urtheil über Calderon und Shakespeare, von Anführungszeichen begleitet ist, habe ich aus einem ungedruckten an mich gerichteten Briefe von Ludwig Tieck entlehnt.
Quando las pintadas aves
Mudas estan y la tierra
Atenta escucha los rios ...
Wenn in Shakespeare innere Lebendigkeit der Gefühle und großartige Einfachheit der Sprache die Anschaulichkeit und den individuellen Natur-Ausdruck so wundervoll beleben: so ist in Milton's erhabener Dichtung des verlornen Paradieses, dem Wesen einer solchen Composition nach, das Beschreibende mehr prachtvoll als darstellend. Der ganze Reichthum der Phantasie und der Sprache ist auf die Schilderung der blühenden Natur des Paradieses ausgegossen; aber hier wie in Thomson's lieblichem Lehrgedichte der Jahreszeiten hat die Schilderung der Vegetation nur in allgemeinen, unbestimmteren Umrissen entworfen werden können. Nach dem Urtheile tiefer Kenner der indischen Dichtkunst individualisirt zwar Kalidasa's ähnliches indisches Gedicht, Ritusanhara, das weit über anderthalbtausend Jahre älter ist, die kräftige Tropennatur mit größerer Lebendigkeit; es entbehrt aber der Anmuth, welche in Thomson aus der den höheren Breiten eignen vielfacheren Scheidung der Jahreszeiten, aus den Uebergängen des obstreichen Herbstes 65 zum Winter und des Winters zum wiederbelebenden Frühling, aus der Schilderung des arbeitsamen oder heiteren Treibens der Menschen in jedem Theile des Jahres entspringt.
Gehen wir zu der uns näheren Zeit über, so bemerken wir, daß seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sich vorzugsweise die darstellende Prosa in eigenthümlicher Kraft entwickelt hat. Wenn auch bei dem nach allen Seiten hin erweiterten Naturstudium die Masse des Erkannten übermäßig angewachsen ist, so hat sie darum doch nicht bei den Wenigen, die einer hohen Begeisterung fähig sind, die intellectuelle Anschauung unter dem materiellen Gewichte des Wissens erdrückt. Diese intellectuelle Anschauung (das Werk dichterischer Spontaneität) hat vielmehr selbst an Umfang und an Erhabenheit des Gegenstandes zugenommen, seitdem die Blicke tiefer in den Bau der Gebirge (der geschichteten Grabstätte untergegangener Organisationen), in die geographische Verbreitung der Thiere und Pflanzen, in die Verwandtschaft der Menschenstämme eingedrungen sind. So haben zuerst, durch Anregung der Einbildungskraft, mächtig auf die Belebung des Naturgefühls, den Contact mit der Natur und den davon unzertrennlichen Trieb zu fernen Reisen gewirkt: in Frankreich Jean Jacques Rousseau, Buffon, Bernardin de St. Pierre und, um hier ausnahmsweise einen noch lebenden Schriftsteller zu nennen, mein vieljähriger Freund August von Chateaubriand; in den britischen Inseln der geistreiche Playfair; in Deutschland Cook's Begleiter auf seiner zweiten Weltumseglung, der beredte und dabei jeder Verallgemeinerung der Natur-Ansicht glücklich zugewandte Georg Forster.
Es muß diesen Blättern fremd bleiben, zu untersuchen: 66 was jeden dieser Schriftsteller charakterisirt, was in ihren überall verbreiteten Werken den Schilderungen der Landschaft Reiz und Anmuth verleiht, was die Eindrücke stört, die sie hervorrufen wollten; aber einem Reisenden, welcher sein Wissen hauptsächlich der unmittelbaren Anschauung der Welt verdankt, wird es erlaubt sein hier einige zerstreute Betrachtungen über einen jüngeren und im ganzen wenig bearbeiteten Theil der Litteratur einzuschalten. Buffon: großartig und ernst; Planetenbau, Organisation, Licht und magnetische Kraft gleichzeitig umfassend; in physikalischen Untersuchungen weit gründlicher, als es seine Zeitgenossen wähnten: ist, wenn er von den Sitten der Thiere zu der Beschreibung des Landschaftlichen übergeht, in kunstreichem Periodenbau, mehr rhetorisch pomphaft als individualisirend wahr, mehr zur Empfänglichkeit des Erhabenen stimmend als das Gemüth durch anschauliche Schilderung des wirklichen Naturlebens, gleichsam durch Anklang der Gegenwart, ergreifend. Man fühlt, selbst in den mit Recht bewunderten Versuchen dieser Art, daß er Mittel-Europa nie verließ, daß ihm die eigene Ansicht der Tropenwelt fehlt, die er zu beschreiben glaubt. Was wir aber besonders in den Werken dieses großen Schriftstellers vermissen, ist die harmonische Verknüpfung der Darstellung der Natur mit dem Ausdruck der angeregten Empfindung; es fehlt fast alles, was der geheimnißvollen Analogie zwischen den Gemüthsbewegungen und den Erscheinungen der Sinnenwelt entquillt.
Größere Tiefe der Gefühle und ein frischerer Lebensgeist athmen in Jean Jacques Rousseau, in Bernardin de St. Pierre und in Chateaubriand. Wenn ich hier der hinreißenden Beredsamkeit des Ersten, der malerischen 67 Scenen von Clarens und Meillerie am Leman-See erwähne; so ist es, weil in den Hauptwerken des, wenig gelehrten, aber eifrigen Pflanzensammlers (sie sind um zwanzig Jahre älter als Buffon's phantasiereiche WeltepochenDies ist die Zeitfolge, nach welcher die Werke erschienen sind: Jean Jacques Rousseau 1759 (Nouvelle Héloise), Buffon 1778 (Époques de la Nature, aber die Histoire Naturelle schon 1749–1767); Bernardin de St.-Pierre: Études de la Nature 1784, Paul et Virginie 1788, Chaumière indienne 1791; Georg Forster: Reise nach der Südsee 1777, kleine Schriften 1794. Mehr als ein halbes Jahrhundert vor dem Erscheinen der Nouvelle Héloise hatte schon Madame de Sévigné in ihren anmuthigen Briefen die Lebendigkeit eines Naturgefühls offenbart, das in dem großen Zeitalter von Ludwig XIV sich so selten aussprach. Vergl. die herrlichen Naturschilderungen in den Briefen vom 20 April, 31 Mai, 15 August, 16 September und 6 November 1671; vom 23 October und 28 December 1689 (Aubenas, hist. de Madame de Sévigné 1842 p. 201 und 427. – Wenn ich später im Texte (S. 68) des alten deutschen Dichters Paul Flemming erwähnt habe, der von 1633 bis 1639 Adam Olearius auf seiner moscovitischen und persischen Reise begleitete, so ist es, weil nach dem gewichtigen Ausspruche meines Freundes Varnhagen von Ense (biographische Denkm. Bd. IV. S. 4, 75 und 129) »der Charakter von Flemming's Dichtungen eine gesunde und frische Kraft ist«, weil seine Naturbilder zart und voll Leben sind.) die Begeisterung sich hauptsächlich in der innersten Eigenthümlichkeit der Sprache offenbart: ja in der Prosa eben so überströmend ausbricht als in Klopstock's, Schiller's, Göthe's und Byron's unsterblichen Dichtungen. Auch da, wo nichts beabsichtigt wird, was unmittelbar an das Studium der Natur geknüpft ist, kann doch unsere Liebe zu diesem Studium durch den Zauber einer poetischen Darstellung des Naturlebens: sei es auch in den engsten, uns wohlbekannten Erdräumen, erhöht werden.
Indem wir zu den Prosaikern wieder zurückkehren, verweilen wir gern bei der kleinen Schöpfung, welcher Bernardin de St. Pierre den schöneren Theil seines litterarischen Ruhmes verdankt. Paul und Virginia, ein Werk, wie es kaum eine andere Litteratur aufzuweisen hat, ist das einfache Naturbild einer Insel mitten im tropischen Meere: wo, bald von der Milde des Himmels beschirmt, bald von dem mächtigen Kampf der Elemente bedroht, zwei anmuthvolle Gestalten in der wilden Pflanzenfülle des Waldes sich malerisch wie von einem blüthenreichen Teppich abheben. Hier und in der Chaumière indienne, ja selbst in den Études de la Nature, welche leider durch abenteuerliche Theorien und physikalische Irrthümer verunstaltet werden: sind der Anblick des Meeres, die Gruppirung der Wolken, das Rauschen der Lüfte in den Bambus-Gebüschen, das Wogen der hohen Palmengipfel mit unnachahmlicher Wahrheit geschildert. Bernardin de St. Pierre's Meisterwerk Paul und Virginia hat 68 mich in die Zone begleitet, der es seine Entstehung verdankt. Viele Jahre lang ist es von mir und meinem theuren Begleiter und Freunde Bonpland gelesen worden; dort nun (man verzeihe den Anruf an das eigene Gefühl) in dem stillen Glanze des südlichen Himmels, oder wenn in der Regenzeit, am Ufer des Orinoco, der Blitz krachend den Wald erleuchtete, wurden wir beide von der bewundernswürdigen Wahrheit durchdrungen, mit der in jener kleinen Schrift die mächtige Tropennatur in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit dargestellt ist. Ein solches Auffassen des Einzelnen, ohne dem Eindruck des Allgemeinen zu schaden, ohne dem zu behandelnden äußeren Stoffe die freie innere Belebung dichterischer Phantasie zu rauben, charakterisirt in einem noch höheren Grade den geistreichen und gefühlvollen Verfasser von Attala, René, der Märtyrer und der Reise nach Griechenland und Palästina. In seinen Schöpfungen sind alle Contraste der Landschaft in den verschiedenartigsten Erdstrichen mit wundervoller Anschaulichkeit zusammengedrängt. Die ernste Größe historischer Erinnerungen konnte allein den Eindrücken einer schnellen Reise Tiefe und Ruhe verleihen.
In unserm deutschen Vaterlande hat sich das Naturgefühl wie in der italiänischen und spanischen Litteratur nur zu lange in der Kunstform des Idylls, des Schäferromans und des Lehrgedichts offenbart. Auf diesem Wege wandelten oft der persische Reisende Paul Flemming, Brockes, der gefühlvolle Ewald von Kleist, Hagedorn, Salomon Geßner und einer der größten Naturforscher aller Zeiten: Haller, dessen locale Schilderungen wenigstens bestimmtere Umrisse und eine mehr objective Wahrheit des Colorits darbieten. Das elegisch-idyllische Element beherrschte damals eine schwermüthige 69 Landschaftspoesie; und die Dürftigkeit des Inhalts konnte, selbst in Voß, dem edeln und tiefen Kenner des classischen Alterthums, nicht durch eine höhere und glückliche Ausbildung der Sprache verhüllt werden. Erst als das Studium der Erdräume an Tiefe und Mannigfaltigkeit gewann, als die Naturwissenschaften sich nicht mehr auf tabellarische Aufzählungen seltsamer Erzeugnisse beschränkten, sondern sich zu den großartigen Ansichten einer vergleichenden Länderkunde erhoben: konnte jene Ausbildung der Sprache zu lebensfrischen Bildern ferner Zonen benutzt werden.
Die älteren Reisenden des Mittelalters: wie John Mandeville (1353), Hans Schiltberger aus München (1425) und Bernhard von Breytenbach (1486), erfreuen uns noch heute durch eine liebenswürdige Naivetät, durch ihre Freiheit der Rede: durch die Sicherheit, mit welcher sie vor einem Publikum auf treten, das ganz unvorbereitet, und darum um so neugieriger und leichtgläubiger anhört, weil es sich noch nicht schämen gelernt hat ergötzt oder gar erstaunt zu scheinen. Das Interesse der Reisen war damals fast ganz dramatisch, ja die nothwendige und dazu so leichte Einmischung des Wunderbaren gab ihnen beinahe eine epische Färbung. Die Sitten der Völker werden minder beschrieben, als sie sich durch den Contact des Reisenden mit den Eingeborenen anschaulich machen. Die Vegetation bleibt namenlos und unbeachtet, wenn nicht hier und da einer sehr angenehmen oder seltsam gestalteten Frucht oder einer außerordentlichen Dimension von Stamm und Blättern gedacht wird. Unter den Thieren werden zunächst die menschenähnlichen, dann die reißenden, gefahrbringenden mit besondrer Vorliebe beschrieben. Die Zeitgenossen des Reisenden glaubten noch 70 an alle Gefahren, die in solchen Klimaten Wenige unter ihnen getheilt; ja die Langsamkeit der Schifffahrt und der Mangel an Verbindungsmitteln ließ die indischen Länder (so nannte man die ganze Tropenzone) wie in einer unabsehbaren Ferne erscheinen. ColumbusBrief des Admirals aus Jamaica vom 7 Julius 1503: »El mundo es poco; digo que el mundo no es tan grande como dice el vulgo.« (Navarrete, coleccion de Viages esp. T. I. p. 300.) hatte noch nicht das Recht gehabt der Königinn Isabella zu schreiben: »die Erde ist nicht gar groß, viel kleiner denn das Volk es wähnt«.
In Hinsicht auf Composition hatten demnach die vergessenen Reisen des Mittelalters, die wir hier schildern, bei aller Dürftigkeit des Materials viele Vorzüge vor unseren meisten neueren Reisen. Sie hatten die Einheit, welche jedes Kunstwerk erfordert; alles war an eine Handlung geknüpft, alles der Reisebegebenheit selbst untergeordnet. Das Interesse entstand aus der einfachen, lebendigen, meist für glaubwürdig gehaltenen Erzählung überwundener Schwierigkeiten. Christliche Reisende: unbekannt mit dem, was Araber, spanische Juden und buddhistische Missionare vor ihnen gethan, rühmten sich alles zuerst gesehen und beschrieben zu haben. Bei der Dunkelheit, in welche der Orient und Inner-Asien gehüllt erschienen, vermehrte die Ferne selbst die Größe einzelner Gestalten. Eine solche Einheit der Composition fehlt meist den neueren Reisen: besonders denen, welche wissenschaftliche Zwecke verfolgen. Die Handlung steht dann den Beobachtungen nach, sie verschwindet in der Fülle derselben. Nur mühselige, wenn gleich wenig belehrende Bergbesteigungen und vor allem kühne Seefahrten, eigentliche Entdeckungsreisen in wenig erforschten Meeren oder der Aufenthalt in der schauervollen Oede der beeisten Polarzone gewähren ein dramatisches Interesse, wie die Möglichkeit einer individualisirenden Darstellung. Die Einsamkeit 71 der Umgebung und die hülflose Abgeschiedenheit der Seefahrer isoliren dann das Bild und wirken um so anregender auf die Einbildungskraft.
Wenn es nun nach den vorliegenden Betrachtungen unläugbar ist, daß in den neueren Reisebeschreibungen das Element der Handlung in den Hintergrund tritt, daß sie der größeren Zahl nach nur ein Mittel geworden sind Natur- und Sitten-Beobachtungen der Zeitfolge nach an einander zu ketten; so bieten sie dagegen für diese theilweise Entfärbung einen vollen Ersatz durch den Reichthum des Beobachteten, die Größe der Weltansicht und das rühmliche Bestreben die Eigenthümlichkeit jeder vaterländischen Sprache zu anschaulichen Darstellungen zu benutzen. Was die neuere Cultur uns gebracht: ist die unausgesetzt fortschreitende Erweiterung unseres Gesichtskreises, die wachsende Fülle von Ideen und Gefühlen, die thätige Wechselwirkung beider. Ohne den heimathlichen Boden zu verlassen, sollen wir nicht bloß erfahren können, wie die Erdrinde in den entferntesten Zonen gestaltet ist, welche Thier- und Pflanzenformen sie beleben; es soll uns auch ein Bild verschafft werden, das wenigstens einen Theil der Eindrücke lebendig wiedergiebt, welche der Mensch in jeglicher Zone von der Außenwelt empfängt. Dieser Anforderung zu genügen, diesem Bedürfniß einer Art geistiger Freuden, welche das Alterthum nicht kannte, arbeitet die neuere Zeit; die Arbeit gelingt, weil sie das gemeinsame Werk aller gebildeten Nationen ist, weil die Vervollkommnung der Bewegungsmittel auf Meer und Land die Welt zugänglicher, ihre einzelnen Theile in der weitesten Ferne vergleichbarer macht.
Ich habe hier die Richtung zu bezeichnen versucht, in 72 welcher das Darstellungsvermögen des Beobachters, die Belebung des naturbeschreibenden Elements und die Vervielfältigung der Ansichten auf dem unermeßlichen Schauplatze schaffender und zerstörender Kräfte als Anregungs- und Erweiterungsmittel des wissenschaftlichen Naturstudiums auftreten können. Der Schriftsteller, welcher in unsrer vaterländischen Litteratur nach meinem Gefühle am kräftigsten und am gelungensten den Weg zu dieser Richtung eröffnet hat, ist mein berühmter Lehrer und Freund Georg Forster gewesen. Durch ihn begann eine neue Aera wissenschaftlicher Reisen, deren Zweck vergleichende Völker- und Länderkunde ist. Mit einem feinen ästhetischen Gefühle begabt; in sich bewahrend die lebensfrischen Bilder, welche auf Tahiti und anderen, damals glücklicheren Eilanden der Südsee seine Phantasie (wie neuerlichst wieder die von Charles DarwinS. Journal and Remarks by Charles Darwin 1832–1836 im Narrative of the Voyages of the Adventure and Beagle Vol. III p. 479–490: wo eine überaus schöne Schilderung von Tahiti gegeben ist.) erfüllt hatten: schilderte Georg Forster zuerst mit Anmuth die wechselnden Vegetations-Stufen, die klimatischen Verhältnisse, die Nahrungsstoffe in Beziehung auf die Gesittung der Menschen nach Verschiedenheit ihrer ursprünglichen Wohnsitze und ihrer Abstammung. Alles, was der Ansicht einer erotischen Natur Wahrheit, Individualität und Anschaulichkeit gewähren kann, findet sich in seinen Werken vereint. Nicht etwa bloß in seiner trefflichen Beschreibung der zweiten Reise des Capitän Cook, mehr noch in den kleinen Schriften liegt der Keim zu vielem Großen, das die spätere Zeit zur Reife gebracht hat.Ueber die Verdienste Georg Forster's als Menschen und als Schriftstellers s. Gervinus, Gesch. der poet. National-Litteratur der Deutschen Th. V. S. 390–392. Aber auch dieses so edle, gefühlreiche, immer hoffende Leben durfte kein glückliches sein!
Hat man die Naturschilderungen, deren sich die neuere Zeit: vorzüglich in der deutschen, französischen, englischen 73 und nordamerikanischen Litteratur, erfreut, mit den Benennungen »beschreibender Poesie und Landschaftsdichtung« tadelnd belegt; so bezeichnen diese Benennungen wohl nur den Mißbrauch, welcher vermeintlichen Grenz-Erweiterungen des Kunstgebietes schuld gegeben wird. Dichterische Beschreibungen von Natur-Erzeugnissen, wie sie am Ende einer langen und rühmlichen Laufbahn Delille geliefert, sind bei allem Aufwande verfeinerter Sprachkunst und Metrik keinesweges als Naturdichtungen im höheren Sinne des Worts zu betrachten. Sie bleiben der Begeisterung und also dem poetischen Boden fremd, sind nüchtern und kalt: wie alles, was nur durch äußere Zierde glänzt. Wenn demnach die sogenannte »beschreibende Poesie« als eine eigene, für sich bestehende Form der Dichtung mit Recht getadelt worden ist, so trifft eine solche Mißbilligung gewiß nicht ein ernstes Bestreben die Resultate der neueren inhaltreicheren Weltbetrachtung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Wortes, anschaulich zu machen. Sollte ein Mittel unangewandt bleiben, durch welches uns das belebte Bild einer fernen, von Andern durchwanderten Zone, ja ein Theil des Genusses verschafft werden kann, den die unmittelbare Natur-Anschauung gewährt? Die Araber sagenFreytag's Darstellung der arabischen Verskunst 1830 S. 402. figürlich und sinnig, die beste Beschreibung sei die, »in welcher das Ohr zum Auge umgewandelt wird«. Es gehört in die Leiden der Gegenwart, daß ein unseliger Hang zu inhaltloser poetischer Prosa, zu der Leere sogenannter gemüthlicher Ergüsse, gleichzeitig in vielen Ländern, verdienstvolle Reisende und naturhistorische Schriftsteller ergriffen hat. Verirrungen dieser Art sind um so unerfreulicher, wenn der Styl aus Mangel litterarischer Ausbildung, vorzüglich aber aus Abwesenheit 74 aller inneren Anregung in rhetorische Schwülstigkeit und trübe Sentimentalität ausartet.
Naturbeschreibungen, wiederhole ich hier, können scharf umgrenzt und wissenschaftlich genau sein, ohne daß ihnen darum der belebende Hauch der Einbildungskraft entzogen bleibt. Das Dichterische muß aus dem geahndeten Zusammenhange des Sinnlichen mit dem Intellectuellen, aus dem Gefühl der Allverbreitung, der gegenseitigen Begrenzung und der Einheit des Naturlebens hervorgehen. Je erhabener die Gegenstände sind, desto sorgfältiger muß der äußere Schmuck der Rede vermieden werden. Die eigentliche Wirkung eines Naturgemäldes ist in seiner Composition begründet; jede geflissentliche Anregung von Seiten dessen, der es aufstellt, kann nur störend sein. Wer, mit den großen Werken des Alterthums vertraut, in sicherem Besitze des Reichthums seiner Sprache, einfach und individualisirend wiederzugeben weiß, was er durch eigene Anschauung empfangen, wird den Eindruck nicht verfehlen; er wird es um so weniger, als er, die äußere, ihn umgebende Natur und nicht seine eigene Stimmung schildernd, die Freiheit des Gefühls in Anderen unbeschränkt läßt.
Aber nicht die lebendige Beschreibung jener reich geschmückten Länder der Aequinoctial-Zone allein, in welcher Intensität des Lichts und feuchte Wärme die Entwicklung aller organischen Keime beschleunigen und erhöhen, hat in unseren Tagen dem gesammten Naturstudium einen mächtigen Reiz verschafft. Der geheime Zauber, durch den ein tiefer Blick in das organische Leben anregend wirkt, ist nicht auf die Tropenwelt allein beschränkt. Jeder Erdstrich bietet die Wunder fortschreitender Gestaltung und Gliederung, 75 nach wiederkehrenden oder leise abweichenden Typen, dar. Allverbreitet ist das furchtbare Reich der Naturmächte, welche den uralten Zwist der Elemente in der wolkenschweren Himmelsdecke wie in dem zarten Gewebe der belebten Stoffe zu bindender Eintracht lösen. Darum können alle Theile des weiten Schöpfungskreises, vom Aequator bis zur kalten Zone, überall wo der Frühling eine Knospe entfaltet, sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. Zu einem solchen Glauben ist unser deutsches Vaterland vor allem berechtigt. Wo ist das südlichere Volk, welches uns nicht den großen Meister der Dichtung beneiden sollte, dessen Werke alle ein tiefes Gefühl der Natur durchdringt: in den Leiden des jungen Werthers wie in den Erinnerungen an Italien, in der Metamorphose der Gewächse wie in seinen vermischten Gedichten? Wer hat beredter seine Zeitgenossen angeregt »des Weltalls heilige Räthsel zu lösen«: das Bündniß zu erneuern, welches im Jugendalter der Menschheit Philosophie, Physik und Dichtung mit Einem Bande umschlang? wer hat mächtiger hingezogen in das ihm geistig heimische Land, wo
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht? |
Landschaftmalerei in ihrem Einfluß auf die Belebung des Naturstudiums. – Graphische Darstellung der Physiognomik der Gewächse. – Charakteristik ihrer Gestaltung unter verschiedenen Zonen.
Wie eine lebensfrische Naturbeschreibung, so ist auch die Landschaftmalerei geeignet die Liebe zum Naturstudium zu erhöhen. Beide zeigen uns die Außenwelt in ihrer ganzen gestaltenreichen Mannigfaltigkeit; beide sind fähig, nach dem Grade eines mehr oder minder glücklichen Gelingens in Auffassung der Natur, das Sinnliche an das Unsinnliche anzuknüpfen. Das Streben nach einer solchen Verknüpfung bezeichnet das letzte und erhabenste Ziel der darstellenden Künste. Diese Blätter sind durch den wissenschaftlichen Gegenstand, dem sie gewidmet sind, auf eine andere Ansicht beschränkt: es kann hier der Landschaftmalerei nur in der Beziehung gedacht werden, als sie den physiognomischen Charakter der verschiedenen Erdräume anschaulich macht, die Sehnsucht nach fernen Reisen vermehrt, und auf eine eben so lehrreiche als anmuthige Weise zum Verkehr mit der freien Natur anreizt.
In dem Alterthum, welches wir vorzugsweise das classische nennen, bei den Griechen und Römern, war nach der besonderen Geistesrichtung dieser Völker die Landschaftmalerei eben so wenig als die dichterische Schilderung einer Gegend ein für sich bestehendes Object der 77 Kunst. Beide wurden nur als Beiwerk behandelt. Anderen Zwecken untergeordnet, diente die Landschaftmalerei lange nur als Hintergrund historischer Compositionen oder als zufälliges Ornament in Wandgemälden. Auf eine ähnliche Weise versinnlichte der epische Dichter durch eine malerische Beschreibung der Landschaft – ich könnte wieder sagen des Hintergrundes, vor dem die handelnden Personen sich bewegen – das Local eines geschichtlichen Vorganges. Die Kunstgeschichte lehrt, wie allmälig das Beiwerk zur Hauptsache der Darstellung wurde; wie die Landschaftmalerei, von der historischen gesondert, als eine eigene Gattung auftrat; wie die menschlichen Gestalten bald nur als Staffage einer Berg- und Waldgegend, eines Seestrandes oder einer Gartenanlage gedient haben. Die Trennung zweier Gattungen, der Geschichts- und Landschaftmalerei, ist so, den allgemeinen Fortschritt der Kunst auf verschiedenen Bildungsstufen begünstigend, allmälig vorbereitet worden; und man hat mit Recht bemerkt, daß, wenn überhaupt bei den Alten die Malerei der Plastik untergeordnet blieb, insbesondere das Gefühl für die landschaftliche Schönheit, welche der Pinsel wiedergeben soll, kein antikes, sondern ein modernes Gefühl ist.
Graphische Andeutung von der Eigenthümlichkeit einer Gegend mußte sich allerdings schon in den ältesten Gemälden der Griechen finden: wenn, um einzelne Beispiele anzuführen, nach Herodot'sHerodot IV, 88. Berichte Mandrokles von Samos für den großen Perserkönig den Uebergang des Heeres über den Bosporus darstellen ließ, oder wenn PolygnotEin Theil der Werke des Polygnot und des Mikon (das Gemälde der Schlacht von Marathon in der Pökile zu Athen) wurde nach dem Zeugnisse des Himerius noch am Ende des vierten Jahrhunderts (nach dem Anfange unsrer Zeitrechnung) gesehen; diese Werke waren damals also gegen 850 Jahre alt (Letronne, lettres sur la Peinture historique murale 1835 p. 202 und 453). in der Lesche zu Delphi den Untergang von Troja malte. Unter den Bildern, die der ältere Philostrat beschreibt, wird sogar 78 eine Landschaft erwähnt, in der man Rauch aus dem Gipfel eines Vulkans aufsteigen und Lavaströme sich in das nahe Meer ergießen sah. In dieser sehr verwickelten Composition einer Ansicht von sieben Inseln glauben die neuesten CommentatorenPhilostratorum Imagines ed. Jacobs und Welcker 1825 p. 79 und 485. Beide gelehrte Herausgeber vertheidigen gegen ältere Verdächtigung die Wahrhaftigkeit der Gemälde-Beschreibung in der alten neapolitanischen Pinacothek (Jacobs p. XVII und XLVI, Welcker p. LV und LXVI). Otfried Müller vermuthet, daß Philostrats Gemälde der Inseln (II, 17) wie die der Sumpfgegend (I, 9), des Bosporus und der Fischer (I, 12 und 13) in der Darstellung viel Aehnlichkeit mit der Mosaik von Palestrina hatten. Auch Plato erwähnt im Eingange des Critias (p. 107) der Landschaftsmalerei: wie sie Berge, Flüsse und Waldungen darstellt. sogar die Darstellung einer wirklichen Gegend, die kleine Aeolische oder Liparische Vulkan-Gruppe, nördlich von Sicilien, zu erkennen. Die perspectivische Bühnenmalerei, durch welche die Aufführung der Meisterwerke des Aeschylus und Sophocles verherrlicht worden war, erweiterte allmälig diesen Theil des KunstgebietesVorzüglich durch Agatharchus oder wenigstens nach dessen Vorschrift: Aristot. Poet. IV, 16; Vitruv. lib. V. cap. 7, lib. VII in praef. (ed. Alois. Marinius 1836 T. I. p. 292, T. II. p. 56); vergl. Letronne a. a. O. p. 271–280., indem sie das Bedürfniß einer täuschenden Nachahmung lebloser Gegenstände (von Baulichkeiten, Wald und Felsen) vermehrte.
Von der Bühne, durch die Vervollkommnung der Scenographie, ging die Landschaftmalerei bei den Griechen und den nachahmenden Römern in die durch Säulen gezierten Hallen über: wo lange Wandflächen erst mit eingeschränkten NaturscenenObjecte der rhopographia: s. Welcker ad Philostr. Imag. p. 397., bald aber mit großen Prospecten von Städten, Seeufern und weiten Triften bedeckt wurden, auf denen Viehheerden weidenVitruv. lib. VII cap. 5 (T. II. p. 91).. Solche anmuthige Wandverzierungen hatte in dem Augusteischen Zeitalter, nicht erfunden, aber allgemein beliebt gemachtHirt, Gesch. der bildenden Künste bei den Alten 1833 S. 332. Letronne p. 262 und 468. und durch die Staffage kleiner Figuren erheitertLudius qui primus (?) instituit amoenissimam parietum picturam: Plin. XXXV, 10. Die topiaria opera des Plinius und varietates topiorum des Vitruvius waren kleine landschaftliche Decorations-Gemälde. – Die im Text citirte Stelle des Kalidasa steht in Sakuntala Act VI (Böhtlingk's Uebers. 1842 S. 90). der römische Maler Ludius. Fast zu derselben Zeit und wohl noch ein halbes Jahrhundert früher finden wir schon bei den Indern in der glänzenden Epoche des Vikramaditya der Landschaftmalerei als einer sehr geübten Kunst erwähnt. In dem reizenden Drama Sakuntala wird dem König Duschmanta das Bild seiner Geliebten gezeigt. Er ist nicht zufrieden damit, denn er will: »daß die Malerinn die Plätze abbilde, welche der Freundinn besonders lieb sind: den Malini-Fluß mit einer 79 Sandbank, auf der die rothen Flamingos stehen; eine Hügelkette, welche sich an den Himalaya anlehnt, und Gazellen auf dieser Hügelkette gelagert«. Das sind Anforderungen nicht geringer Art; sie deuten wenigstens auf den Glauben an die Ausführbarkeit einer verwickelten Composition.
Seit den Cäsaren trat die Landschaftmalerei zu Rom als eine eigene abgesonderte Kunst auf; aber nach dem vielen, was uns die Ausgrabungen von Herculaneum, Pompeji und Stabiä zeigen, waren diese Naturbilder oft nur landkartenähnliche Uebersichten der Gegend: wieder mehr Darstellung von Hafenstädten, Villen und Kunstgärten als der freien Natur zugewandt. Den Griechen und Römern schien fast allein das gemächlich Bewohnbare anziehend in der Landschaft: nicht das, was wir wild und romantisch nennen. Die Nachahmung konnte genau sein, so weit eine oft störende Sorglosigkeit in der Perspective und ein Streben nach conventioneller Anordnung es erlaubten; ja die arabeskenartigen Compositionen, denen der strenge Vitruvius abhold war, vereinigten, rhythmisch wiederkehrend und genialisch aufgefaßt, Thier- und Pflanzengestalten; aber, um mich eines Ausspruchs von Otfried Müller zu bedienenOtfried Müller, Archäologie der Kunst 1830 S. 609. – Da früher im Texte des Kosmos der in Pompeji und Herculaneum aufgefundenen Malereien gedacht worden ist, als einer Kunst, die der freien Natur wenig zugewandt war, so muß ich hier doch einige wenige Ausnahmen bezeichnen, welche durchaus als Landschaften im modernen Sinne des Worts gelten können. S. Pitture d'Ercolano Vol. II. Tab. 45, Vol. III. Tab. 53 und, als Hintergrund in reizenden historischen Compositionen, Vol. IV. Tab. 61, 62 und 63. Ich erwähne nicht der merkwürdigen Darstellung in den Monumenti dell' Instituto di Corrispondenza archeologica Vol. III. Tab. 9: deren antike Aechtheit schon von einem scharfsinnigen Archäologen, Raoul-Rochette, bezweifelt worden ist., »der ahndungsvolle Dämmerschein des Geistes, mit welchem die Landschaft uns anspricht, erschien den Alten nach ihrer Gemüthsrichtung jeder künstlerischen Ausbildung unfähig: ihre Landschaften waren mehr scherzhaft als mit Ernst und Gefühl entworfen.«
Wir haben die Analogie des Entwickelungsganges bezeichnet, auf dem im classischen Alterthume zwei Mittel die Natur anschaulich darzustellen, durch die Sprache (das begeisterte Wort) und durch graphische Nachbildungen, 80 allmälig zu einiger Selbstständigkeit gelangt sind. Was uns die, neuerlichst so glücklich fortgesetzten Ausgrabungen in Pompeji von antiker Landschaftmalerei in der Manier des Ludius zeigen, gehört höchst wahrscheinlich einer einzigen und zwar sehr kurzen ZeitepocheGegen die Behauptung von du Theil (Voyage en Italie par l'Abbé Barthélemy p. 284), daß Pompeji noch mit Glanz unter Hadrian bestanden und erst am Ende des fünften Jahrhunderts völlig zerstört worden sei, s. Adolph von Hoff, Geschichte der Veränderungen der Erdoberfläche Th. II. 1824 S. 195–199. von Nero bis Titus an; denn die Stadt war 16 Jahre vor dem berühmten Ausbruch des Vesuvs schon einmal durch Erdbeben gänzlich zerstört worden.
Die spätere christliche Malerei blieb nach ihrem Kunstcharakter, von Constantin dem Großen an bis zu dem Anfange des Mittelalters, der ächt griechischen und römischen nahe verwandt. Es offenbart uns dieselbe einen Schatz von alten Erinnerungen sowohl in den MiniaturenS. Waagen, Kunstwerke und Künstler in England und Paris Th. III. 1839 S. 195–201, und besonders S. 217–224: wo das berühmte Psalterium der Pariser Bibliothek (aus dem 10ten Jahrhundert) beschrieben wird: welches beweist, wie lange in Constantinopel sich »die antike Auffassungsweise« erhalten hat. – Den freundschaftlichen und leitenden Mittheilungen dieses tiefen Kunstkenners (des Professor Waagen, Directors der Gemälde-Gallerie in meiner Vaterstadt) habe ich zur Zeit meiner öffentlichen Vorträge im Jahr 1828 interessante Notizen über die Kunstgeschichte nach der römischen Kaiserzeit verdankt. Was ich später über die allmälige Entwickelung der Landschaftmalerei aufgeschrieben, theilte ich im Winter 1835 dem berühmten, leider uns so früh entrissenen Verfasser der italienischen Forschungen, Freiherrn von Rumohr in Dresden, mit. Ich erhielt von dem edel mittheilenden Manne eine große Zahl historischer Erläuterungen: die er mir sogar, wenn es nach der Form meines Werkes geschehen könnte, vollständig zu veröffentlichen erlaubte., welche prachtvolle und wohlerhaltene Manuscripte zieren, wie in den seltneren Mosaiken derselben Epochen. Rumohr gedenkt eines Psalmen-Manuscripts in der Barberina zu Rom, wo in einer Miniatur »David die Harfe schlägt, von einem anmuthigen Haine umgeben, aus dessen Gezweige Nymphen hervorlauschen. Diese Personification deutet auf die antike Wurzel des ganzen Bildes.« Seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts, wo Italien verarmt und politisch zerrüttet war, bewahrte vorzugsweise die byzantinische Kunst im östlichen Reiche den Nachklang und die schwer verlöschenden Typen einer besseren Zeit. Solche Denkmäler bilden den Uebergang zu den Schöpfungen des späteren Mittelalters, nachdem die Liebe zu der Ausschmückung der Manuscripte sich aus dem griechischen Orient nach den Abendländern und dem Norden: in die fränkische Monarchie, unter den Angelsachsen und in die Niederlande, verbreitet hatte. Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit für die Geschichte 81 der neueren Kunst, »daß die berühmten Brüder Hubert und Johann van Eyck dem Wesentlichen nach aus einer Schule der Miniaturmaler hervorgegangen sind, welche seit der zweiten Hälfte des 14ten Jahrhunderts in Flandern eine so große Vollkommenheit erlangt hatte.«Waagen a. a. O. Th. I. 1837 S. 59, Th. III. 1839 S. 352–359.
Sorgfältige Ausbildung des Landschaftlichen findet sich nämlich zuerst in den historischen Bildern dieser Brüder van Eyck. Beide haben nie Italien gesehen; aber der jüngere Bruder Johann genoß den Anblick einer südeuropäischen Vegetation, als er im Jahr 1428 die Gesandtschaft begleitete, welche der Herzog von Burgund Philipp der Gute wegen seiner Bewerbung um die Tochter König Johanns I von Portugal nach Lissabon schickte. Wir besitzen hier in dem Museum zu Berlin die Flügel des herrlichen Bildes, welches die eben genannten Künstler, die eigentlichen Begründer der großen niederländischen Malerschule, für die Cathedralkirche zu Gent angefertigt hatten. Auf den Flügeln, welche die heiligen Einsiedler und Pilger darstellen, hat Johann van Eyck die Landschaft durch Orangenbäume, Dattelpalmen und Cypressen geschmückt: welche äußerst naturgetreu über andere dunkele Massen einen ernsten, erhabenen Charakter verbreiten. Man fühlt bei dem Anblick des Bildes, daß der Maler selbst den Eindruck einer Vegetation empfangen hat, die von lauen Lüften umweht ist.
Bei dem Meisterwerke der Gebrüder van Eyck stehen wir noch in der ersten Hälfte des 15ten Jahrhunderts, als die vervollkommnete Oelmalerei eben erst angefangen hatte die Malerei in Tempera zu verdrängen und doch schon eine hohe technische Vollendung erlangt hatte. Das Streben nach einer lebendigen Darstellung der Naturformen war 82 erweckt; und will man die allmälige Verbreitung eines sich erhöhenden Naturgefühls verfolgen, so muß man erinnern, wie Antonello di Messina, ein Schüler der Brüder van Eyck, den Hang zu landschaftlicher Auffassung nach Venedig verpflanzte, und wie die Bilder der van Eyck'schen Schule selbst in Florenz auf den Domenico Ghirlandajo und andere Meister in ähnlichem Sinne eingewirkt haben»Im Belvedere des Vatican malte schon Pinturicchio Landschaften als selbstständige Verzierung: sie waren reich und componirt. Er hat auf Raphael eingewirkt: in dessen Bildern viele landschaftliche Seltsamkeiten nicht von Perugino abzuleiten sind. Bei Pinturicchio und bei dessen Freunden finden sich auch schon die sonderbaren spitzigen Bergformen, welche Sie früher in Ihren Vorlesungen geneigt waren von den, durch Leopold von Buch so berühmt gewordenen, tyroler Dolomitkegeln abzuleiten, die auf reisende Künstler bei dem steten Verkehr zwischen Italien und Deutschland könnten Eindruck gemacht haben. Ich glaube vielmehr, daß diese Kegelformen auf den frühesten italiänischen Landschaften entweder sehr alte conventionelle Uebertragungen sind aus Berg-Andeutungen in antiken Reliefs und musivischen Arbeiten, oder daß sie als ungeschickt verkürzte Ansichten des Soracte und ähnlicher isolirter Gebirge in der Campagna di Roma betrachtet werden müssen.« (Aus einem Briefe von Carl Friedrich von Rumohr an mich im October 1832.) – Um die Kegel und Spitzberge näher zu bezeichnen, von denen hier die Rede ist, erinnere ich an die phantastische Landschaft, welche in Leonardo da Vinci's allgemein bewundertem Bilde der Mona Lisa (Gemahlinn des Francesco del Giocondo) den Hintergrund bildet. – Unter denen, welche in der niederländischen Schule die Landschaft vorzugsweise als eine eigene Gattung ausgebildet haben, sind noch Patenier's Nachfolger Herry de Bles, wegen seines Thier-Monogramms Civetta genannt, und später die Brüder Matthäus und Paul Bril zu erwähnen: die bei ihrem Aufenthalte in Rom große Neigung zu diesem abgesonderten Zweige der Kunst erweckten. In Deutschland behandelte Albrecht Altdorfer, Dürer's Schüler, die Landschaftmalerei noch etwas früher und mit größerem Erfolge als Patenier.. Die Bestrebungen dieser Zeit waren auf eine sorgsame, aber meist ängstliche Nachahmung der Natur gerichtet. Frei und großartig aufgefaßt erscheint diese erst in den Meisterwerken des Tizian, dem auch hier Giorgione zum Vorbild gedient. Ich habe das Glück gehabt viele Jahre lang im Pariser Museum das Gemälde des Tizian bewundern zu können, welches den Tod des von einem Albigenser im Walde überfallenen Petrus MartyrGemalt für die Kirche San Giovanni e Paolo zu Venedig. in Gegenwart eines anderen Dominicaner-Mönches darstellt. Die Form der Waldbäume und ihre Belaubung, die bergige blaue Ferne, die Abtönung und Beleuchtung des Ganzen lassen einen feierlichen Eindruck von Ernst und Größe, von einer Tiefe der Empfindungen, welche die überaus einfache landschaftliche Composition durchdringt. So lebendig war das Naturgefühl des Tizian, daß er nicht etwa bloß in Bildnissen schöner Frauen, wie in dem Hintergrunde der üppigen Gestalt der Dresdner Venus, sondern auch in den Bildnissen strengerer Auffassung, z. B. in dem des Dichters Pietro Aretino: sei es der Landschaft, sei es dem Himmel einen der individuellen Darstellung entsprechenden Charakter gab. Einem solchen Charakter der Erhabenheit blieben treu in der Bologneser Schule Annibal Carracci und Domenichino.
War aber die große Kunst-Epoche der Historienmalerei 83 das cinquecento, so ist die Epoche der größten Landschafter das 17te Jahrhundert. Bei dem immer mehr erkannten und sorgsamer beobachteten Reichthum der Natur konnte das Kunstgefühl sich über eine größere Mannigfaltigkeit von Gegenständen verbreiten; auch vermehrte sich zugleich die Vollkommenheit der technischen Darstellungsmittel. Beziehungen auf die Stimmung des Gemüths wurden inniger: und durch sie erhöhte sich der zarte und milde Ausdruck des Naturschönen, wie der Glaube an die Macht, mit welcher die Sinnenwelt uns anregen kann. Wenn diese Anregung, dem erhabenen Zwecke aller Kunst gemäß, die wirklichen Gegenstände in ein Object der Phantasie verwandelt, wenn sie harmonisch in unserm Inneren den Eindruck der Ruhe erzeugt: so ist der Genuß nicht ohne Rührung; sie ergreift das Herz, so oft wir in die Tiefen der Natur oder der Menschheit blicken.Wilhelm von Humboldt, gesammelte Werke Bd. IV. S. 37. Vergl. auch über die verschiedenen Stadien des Naturlebens und die durch die Landschaft hervorgerufenen Gemüthsstimmungen Carus in seinen geistreichen Briefen über die Landschaftsmalerei 1831 S. 45. In ein Jahrhundert finden wir zusammengedrängt Claude Lorrain, den idyllischen Maler des Lichts und der duftigen Ferne, Ruysdael's dunkele Waldmassen und sein drohendes Gewölk, die heroischen Baumgestalten von Gaspard und Nicolaus Poussin; die naturwahren Darstellungen von Everdingen, Hobbema und Cuyp.Das große Jahrhundert der Landschaftmalerei vereinigte: Johann Breughel 1569–1625, Rubens 1577–1640, Domenichino 1581–1641, Philippe de Champaigne 1602–1674, Nicolas Poussin 1594–1655, Gaspard Poussin (Dughet) 1613–1675, Claude Lorrain 1600–1682, Albert Cuyp 1606–1672, Jan Both 1610–1650, Salvator Rosa 1615–1673, Everdingen 1621–1675, Nicolaus Berghem 1624–1683, Swanevelt 1620–1690, Ruysdael 1635–1681, Minderhoot Hobbema, Jan Wynants, Adriaan van de Velde 1639–1672, Carl Dujardin 1644–1687.
In dieser glücklichen Entwicklungsperiode der Kunst ahmte man geistreich nach, was die Vegetation des Nordens von Europa, was das südliche Italien und die iberische Halbinsel darboten. Man schmückte die Landschaft mit Orangen und Lorbeerbäumen, mit Pinien und Dattelpalmen. Die letzten (das einzige Glied dieser herrlichen Familie, das man außer der kleinen, ursprünglich europäischen Strandpalme, Chamaerops, durch eigenen Anblick kannte) wurden meist conventionell mit schlangenartig schuppigem Stamme 84 dargestellt;Wunderbar phantastische Darstellungen der Dattelpalme, die in der Mitte der Laubkrone einen Knopf haben, zeigt mir ein altes Bild von Cima da Conegliano aus der Schule des Bellino (Dresdner Gallerie 1835 No. 40). sie dienten lange zum Repräsentanten der ganzen Tropen-Vegetation, wie Pinus pinea nach einem noch sehr verbreiteten Glauben die Vegetation Italiens ausschließlich charakterisiren soll. Die Umrisse hoher Gebirgsketten wurden wenig studirt; ja Schneegipfel, welche sich über grüne Alpenwiesen erheben, wurden damals noch von Naturforschern und Landschaftmalern für unerreichbar gehalten. Die Physiognomik der Felsmassen reizte fast nur da zu einer genaueren Nachbildung an, wo der Gießbach sich schäumend und furchend eine Bahn gebrochen hat. Auch hier ist wieder die Vielseitigkeit eines freien, sich in die ganze Natur versenkenden, künstlerischen Geistes zu bezeichnen. Ein Geschichtsmaler, derselbe Rubens, der in seinen großen Jagdstücken das wilde Treiben der Waldthiere mit unnachahmlicher Lebendigkeit geschildert hat, faßte beinahe gleichzeitig die Gestaltung des Erdreichs in der dürren, gänzlich öden, felsigen Hochebene des Escorials mit seltenem Glücke landschaftlich auf.A. a. O. No. 917.
Die Darstellung individueller Naturformen, den Theil der Kunst berührend, welcher der eigentliche Gegenstand dieser Blätter ist, konnte an Mannigfaltigkeit und Genauigkeit erst dann zunehmen, als der geographische Gesichtskreis erweitert, das Reisen in ferne Klimate erleichtert und der Sinn für die relative Schönheit und Gliederung der vegetabilischen Gestalten, wie sie in Gruppen natürlicher Familien vertheilt sind, angeregt wurden. Die Entdeckungen von Columbus, Vasco de Gama und Alvarez Cabral in Mittel-Amerika, Süd-Asien und Brasilien; der ausgebreitete Specerei- und Droguen-Handel der Spanier, Portugiesen, Italiäner und Niederländer; die Gründung botanischer, 85 aber noch nicht mit eigentlichen Treibhäusern versehener Gärten in Pisa, Padua und Bologna zwischen 1544 und 1568 machten die Maler allerdings mit vielen wunderbaren Formen exotischer Producte, selbst mit denen der Tropenwelt, bekannt. Einzelne Früchte, Blüthen und Zweige wurden von Johann Breughel, dessen Ruhm schon am Ende des 16ten Jahrhunderts begann, mit anmuthiger Naturtreue dargestellt; aber es fehlte bis kurz vor der Mitte des 17ten Jahrhunderts an Landschaften, welche den individuellen Charakter der heißen Zone, von dem Künstler selbst an Ort und Stelle aufgefaßt, wiedergeben konnten. Das erste Verdienst einer solchen Darstellung gehört wahrscheinlich, wie mich Waagen belehrt, dem niederländischen Maler Franz Post aus Harlem, der den Prinzen Moritz von Nassau nach Brasilien begleitete: wo dieser, mit den Erzeugnissen der Tropenwelt lebhaft beschäftigte Fürst in den Jahren 1637 bis 1644 holländischer Statthalter in den eroberten portugiesischen Besitzungen war. Post machte viele Jahre lang Studien nach der Natur am Vorgebirge San Augustin, in der Bucht Aller Heiligen, an den Ufern des Rio San Francisco und am unteren Laufe des Amazonenstroms.Franz Post oder Poost war zu Harlem 1620 geboren. Er starb daselbst 1680. Sein Bruder begleitete ebenfalls den Grafen Moritz von Nassau als Architect. Von den Gemälden waren einige, die Ufer des Amazonenstroms darstellend, in der Bildergallerie von Schleisheim zu sehen; andere sind in Berlin, Hannover und Prag. Die radirten Blätter (in Barläus, Reise des Prinzen Moritz von Nassau und in der königlichen Sammlung der Kupferstiche zu Berlin) zeugen von schönem Naturgefühl in Auffassung der Küstenform, der Beschaffenheit des Bodens und der Vegetation. Sie stellen dar: Musaceen, Cactus, Palmen, Ficus-Arten mit den bekannten bretterartigen Auswüchsen am Fuß des Stammes, Rhizophora und baumartige Gräser. Die malerische brasilianische Reise endigt (Blatt LV) sonderbar genug mit einem deutschen Kiefernwalde, der das Schloß Dillenburg umgiebt. – Die früher im Texte (S. 85) gemachte Bemerkung über den Einfluß, den die Gründung botanischer Gärten in Oberitalien gegen die Mitte des 16ten Jahrhunderts auf die physiognomische Kenntniß tropischer Pflanzengestaltung kann ausgeübt haben, veranlaßt mich in dieser Note an die wohlbegründete Thatsache zu erinnern, daß der für die Belebung der aristotelischen Philosophie und der Naturkunde gleich verdiente Albertus Magnus im 13ten Jahrhunderte im Dominicaner-Kloster zu Cöln wahrscheinlich ein warmes Treibhaus besaß. Der berühmte, schon wegen seiner Sprechmaschine der Zauberkunst verdächtigte Mann gab nämlich am 6 Januar 1249 dem römischen Könige Wilhelm von Holland bei seiner Durchreise ein Fest in einem weiten Raume des Klostergartens, in dem er bei angenehmer Wärme Fruchtbäume und blühende Gewächse den Winter hindurch unterhielt. Die Erzählung dieses Gastmahls, ins Wunderbare übertrieben, findet sich in der Chronica Joannis de Beka aus der Mitte des 14ten Jahrhunderts. (Beka et Heda de Episcopis Ultrajectinis recogn. ab Arn. Buchelio 1643 p. 79; Jourdain, recherches critiques sur l'âge des traductions d'Aristote 1819 p. 331; Buhle, Gesch. der Philosophie Th. V S. 296.) Obgleich die Alten, wie einzelne Beispiele aus den Pompejanischen Ausgrabungen lehren, Glasscheiben in Gebäuden anwendeten, so ist bisher doch wohl nichts aufgefunden worden, was in der antiken Kunstgärtnerei den Gebrauch von erwärmten Glas- und Treibhäusern bezeugte. Die Wärmeleitung der caldaria in Bädern hätte auf Anlegung solcher Treibereien und der Gewächshäuser leiten können, aber bei der Kürze des griechischen und italiänischen Winters wurde das Bedürfniß der künstlichen Wärme im Gartenbau weniger gefühlt. Die Adonisgärten (κῆποι Ἀδώνιδος), für den Sinn des Adonisfestes so bezeichnend, waren nach Böckh »Pflanzungen in kleinen Töpfen: die ohne Zweifel den Garten darstellen sollten, in welchem Aphrodite sich zum Adonis gesellte: dem Symbol der schnell hinwelkenden Jugendblüthe, des üppigen Wachsthums und des Vergehens. Die Adonien waren also ein Trauerfest der Weiber: eines jener Feste, durch welche das Alterthum die hinsterbende Natur betrauerte. Wie wir von Treibhauspflanzen reden im Gegensatze des Naturwüchsigen, so haben die Alten oft sprichwörtlich das Wort Adonisgarten gebraucht, um damit schnell Emporgesprossenes, aber nicht zu tüchtiger Reife und Dauer Gediehenes zu bezeichnen. Die Pflanzen: nicht vielfarbige Blumen, nur Lattich, Fenchel, Gerste und Weizen, wurden mit emsiger Pflege zu schnellem Wachsthum gebracht; auch nicht im Winter, sondern im vollen Sommer, und in einer Zeit von acht Tagen.« Creuzer (Symbolik und Mythologie Th. II. 1841 S. 427, 430, 479 und 481) glaubt indeß, daß zur Beschleunigung des Wachsthums der Pflanzen in den Adonisgärtchen »starke natürliche, und auch wohl künstliche Wärme im Zimmer angewendet wurde«. – Der Klostergarten des Dominicaner-Klosters in Cöln erinnert übrigens an ein grönländisches oder isländisches Kloster des heil. Thomas, dessen immer schneeloser Garten durch natürliche heiße Quellen erwärmt war: wie die fratelli Zeni in ihren, freilich der geographischen Oertlichkeit nach sehr problematischen Reisen (1388–1404) berichten. (Vergl. Zurla, Viaggiatori Veneziani T. II. p. 63–69 und Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II p. 127.) – In unseren botanischen Gärten scheint die Anlage eigentlicher Treibhäuser viel neuer zu sein, als man gewöhnlich glaubt. Reife Ananas wurden erst am Ende des 17ten Jahrhunderts erzielt (Beckmann, Geschichte der Erfindungen Bd. IV. S. 287); ja Linné behauptet sogar in der Musa Cliffortiana florens Hartecampi, daß man Pisang in Europa zum ersten Male zu Wien im Garten des Prinzen Eugen 1731 habe blühen sehen. Diese Studien wurden von ihm selbst theils als Gemälde ausgeführt, theils mit vielem Geiste radirt. Zu derselben Zeit gehören die in Dänemark (in einer Gallerie des schönen Schlosses Frederiksborg) aufbewahrten, sehr ausgezeichneten großen Oelbilder des Malers Eckhout, der 1641 sich ebenfalls mit Prinz Moritz von Nassau an der brasilianischen Küste befand. Palmen, Melonenbäume, Bananen und Heliconien sind überaus charakteristisch abgebildet: auch die Gestalten der Eingeborenen, buntgefiederte Vögel und kleine Quadrupeden.
86 Solchen Beispielen physiognomischer Naturdarstellung sind bis zu Cook's zweiter Weltumseglung wenige begabte Künstler gefolgt. Was Hodges für die westlichen Inseln der Südsee, was unser verewigter Landsmann Ferdinand Bauer für Neu-Holland und Van Diemens Land geleistet: haben in den neuesten Zeiten in viel größerem Style und mit höherer Meisterschaft für die amerikanische Tropenwelt Moritz Rugendas, der Graf Clarac, Ferdinand Bellermann und Eduard Hildebrandt; für viele andere Theile der Erde Heinrich von Kittlitz, der Begleiter des russischen Admirals Lütke auf seiner Weltumseglung, gethan.Diese Ansichten der Tropen-Vegetation, welche die Physiognomik der Gewächse charakterisiren, bilden in dem Königl. Museum zu Berlin (Abtheilung der Miniaturen, Handzeichnungen und Kupferstiche) einen Kunstschatz, der seiner Eigenthümlichkeit und malerischen Mannigfaltigkeit nach bisher mit keiner anderen Sammlung verglichen werden kann. Des Freiherrn von Kittlitz edirte Blätter führen den Titel: Vegetations-Ansichten der Küstenländer und Inseln des stillen Oceans, aufgenommen 1827–1829 auf der Entdeckungsreise der kais. russ. Corvette Senjäwin (Siegen 1844). Von einer großen Naturwahrheit zeugen auch die Zeichnungen von Carl Bodmer, welche, meisterhaft gestochen, eine Zierde des großen Reisewerkes des Prinzen Maximi1ian zu Wied in das Innere von Nordamerika sind.
Wer, empfänglich für die Naturschönheit von Berg-, Fluß- und Waldgegenden, die heiße Zone selbst durchwandert ist: wer Ueppigkeit und Mannigfaltigkeit der Vegetation nicht etwa bloß an den bebauten Küsten, sondern am Abhange der schneebedeckten Andes, des Himalaya und des mysorischen Nilgherry-Gebirges, oder in den Urwäldern des Flußnetzes zwischen dem Orinoco und Amazonenstrom gesehen hat: der allein kann fühlen, welch ein unabsehbares Feld der Landschaftmalerei zwischen den Wendekreisen beider Continente oder in der Inselwelt von Sumatra, Borneo und der Philippinen zu eröffnen ist: wie das, was man bisher geistreiches und treffliches geleistet, nicht mit der Größe der Naturschätze verglichen werden kann, deren einst noch die Kunst sich zu bemächtigen vermag. Warum sollte unsere Hoffnung nicht gegründet sein, daß die Landschaftmalerei zu einer neuen, nie gesehenen Herrlichkeit erblühen werde: wenn hochbegabte Künstler öfter die engen Grenzen des Mittelmeers überschreiten können; wenn es ihnen gegeben sein wird, fern von der Küste, 87 mit der ursprünglichen Frische eines reinen jugendlichen Gemüthes, die vielgestaltete Natur in den feuchten Gebirgsthälern der Tropenwelt lebendig aufzufassen?
Jene herrlichen Regionen sind bisher meist nur von Reisenden besucht worden, denen Mangel an früher Kunstbildung und anderweitige wissenschaftliche Beschäftigung wenig Gelegenheit gaben sich als Landschaftmaler zu vervollkommnen. Die Wenigsten von ihnen wußten bei dem botanischen Interesse, welches die individuelle Form der Blüthen und Blätter erregte, den Total-Eindruck der tropischen Zone aufzufassen. Oft wurden die Künstler, welche große auf Kosten des Staats ausgerüstete Expeditionen begleiten sollten, wie durch Zufall gewählt: und dann unvorbereiteter befunden, als es eine solche Bestimmung erheischt. Das Ende der Reise nahete dann heran, wenn die Talentvolleren unter ihnen, durch den langen Anblick großer Naturscenen und durch häufige Versuche der Nachbildung, eben angefangen hatten eine gewisse technische Meisterschaft zu erlangen. Auch sind die sogenannten Weltumseglungen wenig geeignet den Künstler in ein eigentliches Waldland oder zu dem oberen Laufe großer Flüsse, und auf den Gipfel innerer Gebirgsketten zu führen.
Skizzen, in Angesicht der Naturscenen gemalt, können allein dazu leiten den Charakter ferner Weltgegenden, nach der Rückkehr, in ausgeführten Landschaften wiederzugeben; sie werden es um so vollkommner thun, als neben denselben der begeisterte Künstler zugleich eine große Zahl einzelner Studien von Baumgipfeln, wohlbelaubten, blüthenreichen, fruchtbehangenen Zweigen, von umgestürzten Stämmen, die mit Pothos und Orchideen bedeckt sind, von 88 Felsen, Uferstücken und Theilen des Waldbodens nach der Natur in freier Luft gezeichnet oder gemalt hat. Der Besitz solcher, in recht bestimmten Umrissen entworfenen Studien kann dem Heimkehrenden alle mißleitende Hülfe von Treibhaus-Gewächsen und sogenannten botanischen Abbildungen entbehrlich machen.
Eine große Weltbegebenheit: die Unabhängigkeit des spanischen und portugiesischen Amerika's von europäischer Herrschaft; die zunehmende Cultur in Indien, Neu-Holland, den Sandwich-Inseln und den südlichen Colonien von Afrika werden unausbleiblich, nicht der Meteorologie und beschreibenden Naturkunde allein, sondern auch der Landschaftmalerei einen neuen, großartigen Charakter und einen Schwung geben, den sie ohne diese Localverhältnisse nicht erreichen würden. In Südamerika liegen volkreiche Städte fast bis zu 13000 Fuß Höhe über der Meeresfläche. Von da hinab bieten sich dem Auge alle klimatischen Abstufungen der Pflanzenformen dar. Wie viel ist nicht von malerischen Studien der Natur zu erwarten, wenn, nach geendigtem Bürgerzwiste und hergestellten freien Verfassungen, endlich einmal Kunstsinn in jenen Hochländern erwacht!
Alles, was sich auf den Ausdruck der Leidenschaften, auf die Schönheit menschlicher Form bezieht, hat in der temperirten nördlichen Zone, unter dem griechischen und hesperischen Himmel, seine höchste Vollendung erreichen können; aus den Tiefen seines Gemüths wie aus der sinnlichen Anschauung des eigenen Geschlechts ruft, schöpferisch frei und nachbildend zugleich, der Künstler die Typen historischer Darstellungen hervor. Die Landschaftmalerei, welche eben so wenig bloß nachahmend ist, hat ein mehr materielles 89 Substratum, ein mehr irdisches Treiben. Sie bedarf einer großen Masse und Mannigfaltigkeit unmittelbar sinnlicher Anschauung, die das Gemüth in sich aufnehmen und, durch eigene Kraft befruchtet, den Sinnen wie ein freies Kunstwerk wiedergeben soll. Der große Styl der heroischen Landschaft ist das Ergebniß einer tiefen Natur-Auffassung und jenes inneren geistigen Processes.
Allerdings ist die Natur in jedem Winkel der Erde ein Abglanz des Ganzen. Die Gestalten des Organismus wiederholen sich in anderen und anderen Verbindungen. Auch der eisige Norden erfreut sich Monate lang der krautbedeckten Erde, großblüthiger Alpenpflanzen und milder Himmelsbläue. Nur mit den einfacheren Gestalten der heimischen Floren vertraut, darum aber nicht ohne Tiefe des Gefühls und Fülle schöpferischer Einbildungskraft, hat bisher unter uns die Landschaftmalerei ihr anmuthiges Werk vollbracht. Bei dem Vaterländischen und dem Eingebürgerten des Pflanzenreichs verweilend, hat sie einen engeren Kreis durchlaufen; aber auch in diesem fanden hochbegabte Künstler: die Carracci, Gaspard Poussin, Claude Lorrain und Ruysdael, Raum genug, um durch Wechsel der Baumgestalten und der Beleuchtung die glücklichsten und mannigfaltigsten Schöpfungen zauberisch hervorzurufen. Was die Kunst noch zu erwarten hat und worauf ich hindeuten mußte, um an den alten Bund des Naturwissens mit der Poesie und dem Kunstgefühl zu erinnern, wird den Ruhm jener Meisterwerke nicht schmälern; denn, wie wir schon oben bemerkt, in der Landschaftmalerei und in jedem anderen Zweige der Kunst ist zu unterscheiden zwischen dem, was beschränkterer Art die sinnliche Anschauung und die unmittelbare Beobachtung erzeugt, 90 und dem, was Unbegrenztes aus der Tiefe der Empfindung und der Stärke idealisirender Geisteskraft aufsteigt. Das Großartige, was dieser schöpferischen Geisteskraft die Landschaftmalerei, als eine mehr oder minder begeisterte Naturdichtung, verdankt (ich erinnere hier an die Stufenfolge der Baumformen von Ruysdael und Everdingen durch Claude Lorrain bis zu Poussin und Hannibal Carracci hinauf); ist, wie der mit Phantasie begabte Mensch, etwas nicht an den Boden gefesseltes. Bei den großen Meistern der Kunst ist die örtliche Beschränkung nicht zu spüren; aber Erweiterung des sinnlichen Horizonts, Bekanntschaft mit edleren und größeren Naturformen, mit der üppigen Lebensfülle der Tropenwelt gewähren den Vortheil, daß sie nicht bloß auf die Bereicherung des materiellen Substrats der Landschaftmalerei, sondern auch dahin wirken, bei minder begabten Künstlern die Empfindung lebendiger anzuregen und so die schaffende Kraft zu erhöhen.
Sei es mir erlaubt hier an die Betrachtungen zu erinnern, welche ich fast vor einem halben Jahrhunderte in einer wenig gelesenen Abhandlung: Ideen zu einer Physiognomik der GewächseHumboldt, Ansichten der Natur 2te Ausg. 1826 Bd. I. S. 7, 16, 21, 36 und 42. Vergl. auch zwei sehr lehrreiche Schriften: Friedrich von Martius, Physiognomie des Pflanzenreiches in Brasilien 1824 und M. von Olfers, allgemeine Uebersicht von Brasilien in Feldner's Reisen 1828 Th. I. S. 18–23. mitgetheilt habe; Betrachtungen, die in dem innigsten Zusammenhange mit den eben behandelten Gegenständen stehen. Wer die Natur mit einem Blicke zu umfassen und von Local-Phänomenen zu abstrahiren weiß, der erkennt, wie mit Zunahme der belebenden Wärme von den Polen zum Aequator hin sich auch allmälig die organische Kraft und die Lebensfülle vermehren. Der Zauber der Natur nimmt in einem geringeren Maaße noch vom nördlichen Europa nach den schönen Küstenländern des Mittelmeeres als von der iberischen Halbinsel, 91 von Süd-Italien und Griechenland gegen die Tropenwelt zu. Ungleich ist der Teppich gewebt, den die blüthenreiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet: dichter, wo die Sonne höher an dem dunkel-reinen oder von lichtem Gewölk umflorten Himmel emporsteigt; lockerer gegen den trüben Norden hin: wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe tödtet, bald die reifende Frucht erhascht. Wenn in der kalten Zone die Baumrinde mit dürren Flechten oder mit Laubmoosen bedeckt ist: so beleben, in der Zone der Palmen und der feingegefiederten baumartigen Farren, Cymbidium und duftende Vanille den Stamm der Anacardien und riesenmäßiger Ficus-Arten. Das frische Grün der Dracontien und der tief eingeschnittenen Pothosblätter contrastirt mit den vielfarbigen Blüthen der Orchideen; rankende Bauhinien, Passifloren und gelbblühende Banisterien umschlingen, weit und hoch durch die Lüfte steigend, den Stamm der Waldbäume; zarte Blumen entfalten sich aus den Wurzeln der Theobromen wie aus der dichten und rauhen Rinde der Crescentien und der Gustavia. Bei dieser Fülle von Blüthen und Blättern, bei diesem üppigen Wuchse und der Verwirrung rankender Gewächse wird es oft dem Naturforscher schwer zu erkennen, welchem Stamme Blüthen und Blätter zugehören; ja ein einzelner Baum, mit Paullinien, Bignonien und Dendrobium geschmückt, bietet eine Fülle von Pflanzen dar, die, von einander getrennt, einen beträchtlichen Flächenraum bedecken würden.
Aber jedem Erdstrich sind eigene Schönheiten vorbehalten: den Tropen Mannigfaltigkeit und erhabene Größe der Pflanzengestalten, dem Norden der Anblick der Wiesen 92 und das periodische, langersehnte Wieder-Erwachen der Natur beim ersten Wehen milder Frühlingslüfte. So wie in den Musaceen (Pisang-Gewächsen) die höchste Ausdehnung, so ist in den Casuarinen und in den Nadelhölzern die höchste Zusammenziehung der Blattgefäße. Tannen, Thuja und Cypressen bilden eine nordische Form, welche in den ebenen Gegenden der Tropen sehr selten ist. Ihr ewig frisches Grün erheitert die öde Winterlandschaft; es verkündet gleichsam den nordischen Völkern, daß, wenn Schnee und Eis den Boden bedecken, das innere Leben der Pflanzen wie das prometheische Feuer nie auf unserem Planeten erlischt.
Jede Vegetations-Zone hat außer den ihr eigenen Vorzügen auch ihren eigenthümlichen Charakter, ruft andere Eindrücke in uns hervor. Wer fühlt sich nicht, um an uns nahe vaterländische Pflanzenformen zu erinnern, anders gestimmt in dem dunklen Schatten der Buchen, auf Hügeln, die mit einzelnen Tannen bekränzt sind, und auf der weiten Grasflur, wo der Wind in dem zitternden Laube der Birken säuselt? So wie man an einzelnen organischen Wesen eine bestimmte Physiognomie erkennt, wie beschreibende Botanik und Zoologie im engeren Sinne des Worts Zergliederung der Thier- und Pflanzenformen sind: so giebt es auch eine gewisse Naturphysiognomie, welche jedem Himmelsstriche ausschließlich zukommt. Was der Künstler mit den Ausdrücken: Schweizernatur, italiänischer Himmel bezeichnet, gründet sich auf das dunkle Gefühl eines localen Naturcharakters. Himmelsbläue, Wolkengestaltung, Duft, der auf der Ferne ruht, Saftfülle der Kräuter, Glanz des Laubes, Umriß der Berge sind die Elemente, welche den Total-Eindruck einer Gegend bestimmen. Diesen aufzufassen 93 und anschaulich wiederzugeben ist die Aufgabe der Landschaftmalerei. Dem Künstler ist es verliehen die Gruppen zu zergliedern: und unter seiner Hand löst sich (wenn ich den figürlichen Ausdruck wagen darf) das große Zauberbild der Natur, gleich den geschriebenen Werken der Menschen, in wenige einfache Züge auf.
Aber auch in dem jetzigen unvollkommenen Zustande bildlicher Darstellungen der Landschaft, die unsere Reiseberichte als Kupfer begleiten, ja nur zu oft verunstalten, haben sie doch nicht wenig zur physiognomischen Kenntniß ferner Zonen, zu dem Hange nach Reisen in die Tropenwelt und zu thätigerem Naturstudium beigetragen. Die Vervollkommnung der Landschaftmalerei in großen Dimensionen (als Decorations-Malerei, als Panorama, Diorama und Neorama) hat in neueren Zeiten zugleich die Allgemeinheit und die Stärke des Eindrucks vermehrt. Was Vitruvius und der Aegyptier Julius Pollux als »ländliche (satyrische) Verzierungen der Bühne« schildern; was in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, durch Serlio's Coulissen-Einrichtungen, die Sinnestäuschung vermehrte: kann jetzt, seit Prevost's und Daguerre's Meisterwerken, in Parker'schen Rundgemälden, die Wanderung durch verschiedenartige Klimate fast ersetzen. Die Rundgemälde leisten mehr als die Bühnentechnik, weil der Beschauer, wie in einen magischen Kreis gebannt und aller störenden Realität entzogen, sich von der fremden Natur selbst umgeben wähnt. Sie lassen Erinnerungen zurück, die nach Jahren sich vor der Seele mit den wirklich gesehenen Naturscenen wundersam täuschend vermengen. Bisher sind Panoramen: welche nur wirken, wenn sie einen großen 94 Durchmesser haben, mehr auf Ansichten von Städten und bewohnten Gegenden als auf solche Scenen angewendet worden, in denen die Natur in wilder Ueppigkeit und Lebensfülle prangt. Physiognomische Studien, an den schroffen Berggehängen des Himalaya und der Cordilleren oder in dem Inneren der indischen und südamerikanischen Flußwelt entworfen: ja durch Lichtbilder berichtigt, in denen nicht das Laubdach, aber die Form der Riesenstämme und der charakteristischen Verzweigung sich unübertrefflich darstellt; würden einen magischen Effect hervorbringen.
Alle diese Mittel, deren Aufzählung recht wesentlich in ein Buch vom Kosmos gehört, sind vorzüglich geeignet die Liebe zum Naturstudium zu erhöhen: ja die Kenntniß und das Gefühl von der erhabenen Größe der Schöpfung würden kräftig vermehrt werden, wenn man in großen Städten neben den Museen, und wie diese dem Volke frei geöffnet, eine Zahl von Rundgebäuden aufführte, welche wechselnd Landschaften aus verschiedenen geographischen Breiten und aus verschiedenen Höhezonen darstellten. Der Begriff eines Naturganzen, das Gefühl der Einheit und des harmonischen Einklanges im Kosmos werden um so lebendiger unter den Menschen, als sich die Mittel vervielfältigen die Gesammtheit der Naturerscheinungen zu anschaulichen Bildern zu gestalten.
Cultur von Tropengewächsen. – Contrastirende Zusammenstellung von Pflanzengestalten – Eindruck des physiognomischen Charakters der Vegetation, so weit Pflanzungen diesen Eindruck hervorbringen können.
Die Wirkung der Landschaftmalerei ist, trotz der Vervielfältigung ihrer Erzeugnisse durch Kupferstiche und durch die neueste Vervollkommnung der Lithographie, doch beschränkter und minder anregend als der Eindruck, welchen der unmittelbare Anblick exotischer Pflanzengruppen in Gewächshäusern und freien Anlagen auf die für Naturschönheit empfänglichen Gemüther macht. Ich habe mich schon früher auf meine eigene Jugenderfahrung berufen; ich habe daran erinnert, wie der Anblick eines colossalen Drachenbaums und einer Fächerpalme in einem alten Thurme des botanischen Gartens bei Berlin den ersten Keim unwiderstehlicher Sehnsucht nach fernen Reisen in mich gelegt hatte. Wer ernst in seinen Erinnerungen zu dem hinaufsteigen kann, was den ersten Anlaß zu einer ganzen Lebensbestimmung gab, wird diese Macht sinnlicher Eindrücke nicht verkennen.
Ich unterscheide hier den pittoresken Eindruck der Pflanzengestaltung von den Hülfsmitteln des anschaulichen botanischen Studiums; ich unterscheide Pflanzengruppen, die durch Größe und Masse sich auszeichnen (an einander gedrängte Gruppen von Pisang und Heliconien, abwechselnd 96 mit Corypha-Palmen, Araucarien und Mimosaceen; moosbedeckte Stämme, aus denen Dracontien, feinlaubige Farnkräuter und blüthenreiche Orchideen hervorsprossen), von der Fülle einzeln stehender niederer Kräuter, welche familienweise in Reihen zum Unterricht in der beschreibenden und systematischen Botanik cultivirt werden. Dort ist die Betrachtung vorzugsweise geleitet auf die üppige Entwickelung der Vegetation in Cecropien, Carolineen und leichtgefiederten Bambusen; auf die malerische Zusammenstellung großer und edler Formen, wie sie den oberen Orinoco oder die von Martius und Eduard Pöppig so naturwahr beschriebenen Waldufer des Amazonenflusses und des Huallaga schmücken; auf die Eindrücke, welche das Gemüth mit Sehnsucht nach den Ländern erfüllen, in denen der Strom des Lebens reicher fließt und deren Herrlichkeit unsere Gewächshäuser (einst Krankenanstalten für halbbelebte gährende Pflanzenstoffe) in schwachem, doch freudigem Abglanze darbieten.
Der Landschaftmalerei ist es allerdings gegeben ein reicheres, vollständigeres Naturbild zu liefern, als die künstlichste Gruppirung cultivirter Gewächse es zu thun vermag. Die Landschaftmalerei gebietet zauberisch über Masse und Form. Fast unbeschränkt im Raume, verfolgt sie den Saum des Waldes bis in den Duft der Ferne; sie stürzt den Bergstrom herab von Klippe zu Klippe, und er gießt das tiefe Blau des tropischen Himmels über die Gipfel der Palmen wie über die wogende, den Horizont begrenzende Grasflur. Die Beleuchtung und die Färbung, welche das Licht des dünnverschleierten oder reinen Himmels unter den Wendekreisen über alle irdischen Gegenstände 97 verbreitet, giebt der Landschaftmalerei, wenn es dem Pinsel gelingt diesen milden Licht-Effect nachzuahmen, eine eigenthümliche, geheimnißvolle Macht. Bei tiefer Kenntniß von dem Wesen des griechischen Trauerspiels hat man sinnig den Zauber des Chors in seiner allvermittelnden Wirkungsweise mit dem Himmel in der Landschaft verglichen.Wilhelm von Humboldt in seinem Briefwechsel mit Schiller 1830 S. 470.
Die Vervielfältigung der Mittel, welche der Malerei zu Gebote steht, um die Phantasie anzuregen und die großartigsten Erscheinungen von Meer und Land gleichsam auf einen kleinen Raum zu concentriren, ist unseren Pflanzungen und Gartenanlagen versagt; aber wo in diesen der Total-Eindruck des Landschaftlichen geringer ist, entschädigen sie im einzelnen durch die Herrschaft, welche überall die Wirklichkeit über die Sinne ausübt. Wenn man in dem Palmenhause von Loddiges oder in dem der Pfaueninsel bei Potsdam (einem Denkmal von dem einfachen Naturgefühl unseres edlen, hingeschiedenen Monarchen) von dem hohen Altane bei heller Mittagssonne auf die Fülle schilf- und baumartiger Palmen herabblickt, so ist man auf Augenblicke über die Oertlichkeit, in der man sich befindet, vollkommen getäuscht. Man glaubt unter dem Tropenklima selbst, von dem Gipfel eines Hügels herab, ein kleines Palmengebüsch zu sehen. Man entbehrt freilich den Anblick der tiefen Himmelsbläue, den Eindruck einer größeren Intensität des Lichtes; dennoch ist die Einbildungskraft hier noch thätiger, die Illusion größer als bei dem vollkommensten Gemälde. Man knüpft an jede Pflanzenform die Wunder einer fernen Welt; man vernimmt das Rauschen der fächerartigen Blätter, man sieht ihre wechselnd schwindende Erleuchtung, wenn, von kleinen Luftströmen sanft bewegt, die Palmengipfel 98 wogend einander berühren. So groß ist der Reiz, den die Wirklichkeit gewähren kann, wenn auch die Erinnerung an die künstliche Treibhaus-Pflege wiederum störend einwirkt. Vollkommenes Gedeihen und Freiheit sind unzertrennliche Ideen auch in der Natur; und für den eifrigen, vielgereisten Botaniker haben die getrockneten Pflanzen eines Herbariums, wenn sie auf den Cordilleren von Südamerika oder in den Ebenen Indiens gesammelt wurden, oft mehr Werth als der Anblick derselben Pflanzenart, wenn sie einem europäischen Gewächshause entnommen ist. Die Cultur verwischt etwas von dem ursprünglichen Naturcharakter: sie stört in der gefesselten Organisation die freie Entwickelung der Theile.
Die physiognomische Gestaltung der Gewächse und ihre contrastirende Zusammenstellung ist aber nicht bloß ein Gegenstand des Naturstudiums oder ein Anregungsmittel zu demselben; die Aufmerksamkeit, welche man der Pflanzen-Physiognomik schenkt, ist auch von großer Wichtigkeit für die Landschaft-Gärtnerei, d. h. für die Kunst eine Garten-Landschaft zu componiren. Ich widerstehe der Versuchung, in dieses, freilich sehr nahe gelegene Feld überzuschweifen: und begnüge mich hier nur in Erinnerung zu bringen, daß, wie wir bereits in dem Anfange dieser Abhandlung Gelegenheit fanden die häufigeren Ausbrüche eines tiefen Naturgefühls bei den semitischen, indischen und iranischen Völkern zu preisen, so uns auch die Geschichte die frühesten Park-Anlagen im mittleren und südlichen Asien zeige. Semiramis hatte am Fuß des Berges Bagistanos Gärten anlegen lassen, welche Diodor beschreibtDiodor II, 13. Er giebt aber dem berühmten Garten der Semiramis nur 12 Stadien im Umkreise. Die Paßgegend des Bagistanos heißt noch der Bogen oder Umfang des Gartens, Tauk-i bostan. (Droysen, Gesch. Alexanders des Großen 1833 S. 553). und deren Ruf Alexander, auf seinem Zuge von Kelonä nach den Nysäischen 99 Pferdeweiden, veranlaßte sich von dem geraden Wege zu entfernen. Die Park-Anlagen der persischen Könige waren mit Cypressen geschmückt, deren obeliskenartige Gestalt an Feuerflammen erinnerte und die deshalb nach der Erscheinung des Zerduscht (Zoroaster) zuerst von Guschtasp um das Heiligthum der Feuertempel gepflanzt wurden. So leitete die Baumform selbst auf die Mythe von dem Ursprunge der Cypresse aus dem Paradiese.Im Schahnameh des Firdusi heißt es: »Eine schlanke Cypresse, dem Paradiese entsprossen, pflanzte Zerduscht vor die Thür des Feuertempels (zu Kischmer in Chorasan). Geschrieben hatte er auf diese hohe Cypresse: Guschtasp habe angenommen den guten Glauben; ein Zeuge ward somit der schlanke Baum; so verbreitet Gott die Gerechtigkeit. Als viele Jahre darüber verflossen waren, entfaltete sich die hohe Cypresse und ward so groß, daß des Jägers Fangschnur ihren Umfang nicht befaßte. Als ihren Gipfel vielfaches Gezweige umgab, umschloß er sie mit einem Palast von reinem Golde . . . . und ließ ausbreiten in der Welt: wo auf Erden giebt es eine Cypresse wie die von Kischmer? Aus dem Paradiese sandte sie mir Gott und sprach: neige dich von dort zum Paradiese.« (Als der Chalif Motewekkil die den Magiern heilige Cypresse abhauen ließ, gab man ihr ein Alter von 1450 Jahren.) Vergl. Vullers, Fragmente über die Religion des Zoroaster 1831 S. 71 und 114; Ritter, Erdkunde Th. VI, 1. S. 242. Die ursprüngliche Heimath der Cypresse (arab. Ararholz, persisch serw kohi) scheinen die Gebirge von Busih westlich von Herat zu sein; s. Edrisi, Géogr. trad. par Jaubert 1836 T. I. p. 464. Die asiatischen irdischen Paradiese (παράδεισοι) hatten schon früh einen Ruf in den westlichen Ländern;Achill. Tat. I. 25; Longus, Past. IV. p. 108 Schäfer. »Gesenius (Thes. linguae hebr. T. II. p. 1124) stellt sehr richtig die Ansicht auf, daß das Wort Paradies ursprünglich der altpersischen Sprache angehört habe; in der neupersischen Sprache ist sein Gebrauch verloren gegangen. Firdusi (obgleich sein Name selbst daher genommen) bedient sich gewöhnlich nur des Wortes behischt; aber für den altpersischen Ursprung zeugen sehr ausdrücklich Pollux im Onomast. IX, 3 und Xenophon, Oecon. 4, 13 und 21; Anab. I. 2, 7 und I. 4, 10; Cyrop. I. 4, 5. Als Lustgarten oder Garten ist wahrscheinlich aus dem Persischen das Wort in das Hebräische (pardês Cant. 4, 13; Nehem. 2, 8 und Eccl. 2, 5), Arabische (firdaus, Plur. farâdîsu; vergl. Alcoran 23, 11 und Luc. 23, 43), Syrische und Armenische (partês: s. Ciakciak, Dizionario armeno 1837 p. 1194 und Schröder, Thes. ling. armen. 1711 praef. p. 56) übergegangen. Die Ableitung des persischen Wortes aus dem Sanskrit (pradê’sa oder paradê’sa: Bezirk, Gegend oder Ausland), welche Benfey (Griech. Wurzellexikon Bd. I. 1839 S. 138), Bohlen und Gesenius auch schon anführen, trifft der Form nach vollkommen, der Bedeutung nach aber wenig zu.« – Buschmann. ja der Baumdienst steigt bei den Iraniern bis zu den Vorschriften des Hom, des im Zend-Avesta angerufenen Verkünders des alten Gesetzes, hinauf. Man kennt aus Herodot die Freude, welche Xerxes noch an der großen Platane in Lydien hatteHerodot VII, 31 (zwischen Kallatebus und Sardes).: die er mit goldenem Schmuck beschenkte und der er in der Person eines der »zehntausend Unsterblichen« einen eigenen Wächter gab. Die uralte Verehrung der Bäume hing, wegen des erquickenden und feuchten Schattens eines Laubdaches, mit dem Dienste der heiligen Quellen zusammen.
In einen solchen Kreis des ursprünglichen Naturdienstes gehören bei den hellenischen Völkern der Ruf des wundergroßen Palmbaums auf Delos wie der einer alten Platane in Arcadien. Die Buddhisten auf Ceylon verehren den colossalen indischen Feigenbaum (Banyane) von Anurahdepura. Es soll derselbe aus Zweigen des Urstammes entsprossen sein, unter welchem Buddha, als Bewohner des alten Magadha, in Seligkeit (Selbstverlöschung, nirwâna) versunken war.Ritter, Erdkunde Th. IV, 2. S. 237, 251 und 681; Lassen, Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 260. Wie einzelne Bäume wegen ihrer schönen Gestalt ein Gegenstand der Heiligung waren, so wurden es Gruppen von Bäumen als Haine der Götter. Pausanias ist voll des Lobes von einem Haine des Apollotempels zu Grynion in AeolisPausanias I. 21, 9. Vergl. auch Arboretum sacrum in Meursii Opp. ex recensione Joannis Lami Vol. X. (Florent. 1753) p. 777–844., 100 der Hain von Kolonos wird in dem berühmten Chore des Sophocles gefeiert.
Wie nun das Naturgefühl sich in der Auswahl und sorgfältigen Pflege geheiligter Gegenstände des Pflanzenreichs aussprach, so offenbarte es sich noch lebendiger und mannigfaltiger in den Gartenanlagen früh cultivirter ostasiatischer Völker. In dem fernsten Theile des alten Continents scheinen die chinesischen Gärten sich am meisten dem genähert zu haben, was wir jetzt englische Parks zu nennen pflegen. Unter der siegreichen Dynastie der Han hatten freie Gartenanlagen so viele Meilen im Umfange, daß der Ackerbau durch sie gefährdetNotice historique sur les Jardins des Chinois in den Mémoires concernant les Chinois T. VIII p. 309. und das Volk zum Aufruhr angeregt wurde. »Was sucht man«, sagt ein alter chinesischer Schriftsteller, Lieu-tscheu, »in der Freude an einem Lustgarten? In allen Jahrhunderten ist man darin übereingekommen, daß die Pflanzung den Menschen für alles Anmuthige entschädigen soll, was ihm die Entfernung von dem Leben in der freien Natur, seinem eigentlichen und liebsten Aufenthalte, entzieht. Die Kunst den Garten anzulegen besteht also in dem Bestreben Heiterkeit (der Aussicht), Ueppigkeit des Wachsthums, Schatten, Einsamkeit und Ruhe so zu vereinigen, daß durch den ländlichen Anblick die Sinne getäuscht werden. Die Mannigfaltigkeit, welche der Hauptvorzug der freien Landschaft ist, muß also gesucht werden in der Auswahl des Bodens, in dem Wechsel von Hügelketten und Thalschluchten, von Bächen und Seen, die mit Wasserpflanzen bedeckt sind. Alle Symmetrie ist ermüdend; Ueberdruß und Langeweile werden in Gärten erzeugt, in welchen jede Anlage Zwang und Kunst verräth.A. a. O. p. 318–320. Eine Beschreibung, welche uns Sir George 101 Staunton von dem großen kaiserlichen Garten von Zhe-holSir George Staunton, account of the Embassy of the Earl of Macartney to China Vol. II. p. 245., nördlich von der chinesischen Mauer, gegeben hat, entspricht jenen Vorschriften des Lieu-tscheu: Vorschriften, denen einer unserer geistreichen Zeitgenossen, der Schöpfer des anmuthigen Parks von MuskauFürst von Pückler-Muskau, Andeutungen über Landschaftsgärtnerei 1834; vergl. damit seine malerischen Beschreibungen der alten und neuen englischen Parks wie die der ägyptischen Gärten von Schubra., seinen Beifall nicht versagen wird.
In dem großen beschreibenden Gedichte, in welchem der Kaiser Kien-long um die Mitte des verflossenen Jahrhunderts die ehemalige mandschuische Residenzstadt Mukden und die Gräber seiner Vorfahren verherrlichen wollte, spricht sich ebenfalls die innigste Liebe zu einer freien, durch die Kunst nur sehr theilweise verschönerten Natur aus. Der poetische Herrscher weiß in gestaltender Anschaulichkeit zu verschmelzen die heiteren Bilder von der üppigen Frische der Wiesen, von waldbekränzten Hügeln und friedlichen Menschenwohnungen mit dem ernsten Bilde der Grabstätte seiner Ahnherrn. Die Opfer, welche er diesen bringt, nach den von Confucius vorgeschriebenen Riten, die fromme Erinnerung an die hingeschiedenen Monarchen und Krieger sind der eigentliche Zweck dieser merkwürdigen Dichtung. Eine lange Aufzählung der wildwachsenden Pflanzen, wie der Thiere, welche die Gegend beleben, ist, wie alles didactische, ermüdend; aber das Verweben des sinnlichen Eindrucks von der Landschaft, die gleichsam nur als Hintergrund des Gemäldes dient, mit erhabenen Objecten der Ideenwelt, mit der Erfüllung religiöser Pflichten, mit Erwähnung großer geschichtlicher Ereignisse giebt der ganzen Composition einen eigenthümlichen Charakter. Die bei dem chinesischen Volke so tief eingewurzelte Heiligung der Berge führt Kien-long zu sorgfältigen Schilderungen der Physiognomik der unbelebten Natur, für welche die Griechen und Römer keinen 102 Sinn hatten. Auch die Gestaltung der einzelnen Bäume, die Art ihrer Verzweigung, die Richtung der Aeste, die Form ihres Laubes werden mit besonderer Vorliebe behandelt.Éloge de la Ville de Moukden, poëme composé par l'empereur Kien-long, traduit par le P. Amiot 1770 p. 18, 22–25, 37, 63–68, 73–87, 104 und 120.
Wenn ich der, leider! zu langsam unter uns verschwindenden Abneigung gegen die chinesische Litteratur nicht nachgebe und bei den Natur-Ansichten eines Zeitgenossen Friedrichs des Großen nur zu lange verweilt bin, so ist es hier um so mehr meine Pflicht sieben und ein halbes Jahrhundert weiter hinaufzusteigen und an das Gartengedicht des See-ma-kuang, eines berühmten Staatsmannes, zu erinnern. Die Anlagen, welche das Gedicht beschreibt, sind freilich theilweise voller Baulichkeiten, nach Art der alten italischen Villen; aber der Minister besingt auch eine Einsiedelei, die zwischen Felsen liegt und von hohen Tannen umgeben ist. Er lobt die freie Aussicht auf den breiten, vielbeschifften Strom Kiang; er fürchtet selbst die Freunde nicht, wenn sie kommen, ihm ihre Gedichte vorzulesen, weil sie auch die seinigen anhören.Mémoires concernant les Chinois T. II. p. 643–650. See-ma-kuang schrieb um das Jahr 1086: als in Deutschland die Poesie, in den Händen einer rohen Geistlichkeit, nicht einmal in der vaterländischen Sprache auftrat.
Damals, und vielleicht ein halbes Jahrtausend früher, waren die Bewohner von China, Hinter-Indien und Japan schon mit einer großen Mannigfaltigkeit von Pflanzenformen bekannt. Der innige Zusammenhang, welcher sich zwischen den buddhistischen Mönchsanstalten erhielt, übte auch in diesem Punkte seinen Einfluß aus. Tempel, Klöster und Begräbnißplätze wurden von Gartenanlagen umgeben, welche mit ausländischen Bäumen und einem Teppich vielfarbiger, vielgestalteter Blumen geschmückt waren. Indische Pflanzen wurden früh schon nach China, Korea und Nipon 103 verbreitet. Siebold, dessen Schriften einen weitumfassenden Ueberblick aller japanischen Verhältnisse liefern, hat zuerst auf die Ursach einer Vermischung der Floren entlegener buddhistischer Länder aufmerksam gemacht.Ph. Fr. von Siebold, kruidkundige Naamlijst van japansche en chineesche Planten 1844 p. 4. Welch ein Abstand, wenn man die Mannigfaltigkeit der in Ost-Asien seit so vielen Jahrhunderten cultivirten Pflanzenformen mit dem Material vergleicht, das Columella in seinem nüchternen Gedichte de cultu hortorum (v. 95–105, 174–176, 255–271, 295–306) aufzählt und auf welches zu Athen die berühmtesten Kranzwinderinnen beschränkt waren. Erst unter den Ptolemäern scheint in Aegypten, besonders in Alexandrien, das Bestreben nach Mannigfaltigkeit und Winter-Cultur bei den Kunstgärtnern größer geworden zu sein. (Vergl. Athen. V p. 196.)
Der Reichthum von charakteristischen Pflanzenformen, welche unsere Zeit der wissenschaftlichen Beobachtung wie der Landschaftmalerei darbietet, muß lebhaft anreizen den Quellen nachzuspüren, welche uns diese Erkenntniß und diesen Naturgenuß bereiten. Die Aufzählung dieser Quellen bleibt der nächstfolgenden Abtheilung dieses Werkes, der Geschichte der Weltanschauung, vorbehalten. Hier kam es darauf an in dem Reflex der Außenwelt auf das Innere des Menschen, auf seine geistige Thätigkeit und seine Empfindungsweise die Anregungsmittel zu schildern, welche bei fortschreitender Cultur so mächtig auf die Belebung des Naturstudiums eingewirkt haben. Die urtiefe Kraft der Organisation fesselt, trotz einer gewissen Freiwilligkeit im Entfalten einzelner Theile, alle thierische und vegetabilische Gestaltung an feste, ewig wiederkehrende Typen; sie bestimmt in jeder Zone den ihr eingeprägten, eigenthümlichen Charakter, d. i. die Physiognomik der Natur. Deshalb gehört es unter die schönsten Früchte europäischer Völkerbildung, daß es dem Menschen möglich geworden sich fast überall, wo ihn schmerzliche Entbehrung bedroht, durch Cultur und Gruppirung exotischer Gewächse, durch den Zauber der Landschaftmalerei und durch die Kraft des begeisterten Wortes einen Theil des Naturgenusses zu verschaffen, den auf fernen, oft gefahrvollen Reisen durch das Innere der Continente die wirkliche Anschauung gewährt.
Hauptmomente der allmäligen Entwickelung und Erweiterung des Begriffs vom Kosmos, als einem Naturganzen.
Die Geschichte der physischen Weltanschauung ist die Geschichte der Erkenntniß eines Naturganzen, die Darstellung des Strebens der Menschheit das Zusammenwirken der Kräfte in dem Erd- und Himmelsraume zu begreifen; sie bezeichnet demnach die Epochen des Fortschrittes in der Verallgemeinerung der Ansichten, sie ist ein Theil der Geschichte unserer Gedankenwelt: in so fern dieser Theil sich auf die Gegenstände sinnlicher Erscheinung, auf die Gestaltung der geballten Materie und die ihr inwohnenden Kräfte bezieht.
In dem ersten Theile dieses Werkes, in dem Abschnitt über die Begrenzung und wissenschaftliche Behandlung einer physischen Weltbeschreibung, glaube ich deutlich entwickelt zu haben, wie die einzelnen Naturwissenschaften sich zur Weltbeschreibung, d. h. zur Lehre vom Kosmos (vom Weltganzen), verhalten; wie diese Lehre aus jenen Disciplinen nur die Materialien zu ihrer wissenschaftlichen Begründung schöpfe.Kosmos Bd. I. S. 50–57. Die Geschichte der Erkenntniß des Weltganzen, zu welcher ich hier die leitenden Ideen darlege und welche ich der Kürze wegen bald Geschichte des 136 Kosmos, bald Geschichte der physischen Weltanschauung nenne, darf also nicht verwechselt werden mit der Geschichte der Naturwissenschaften, wie sie mehrere unserer vorzüglichsten Lehrbücher der Physik oder die der Morphologie der Pflanzen und Thiere liefern.
Um Rechenschaft von der Bedeutung dessen zu geben, was hier unter den Gesichtspunkt einzelner historischer Momente zusammenzustellen ist, scheint es am geeignetsten beispielsweise aufzuführen, was nach dem Zweck dieser Blätter behandelt oder ausgeschlossen werden muß. In die Geschichte des Naturganzen gehören die Entdeckungen des zusammengesetzten Microscops, des Fernrohrs und der farbigen Polarisation: weil sie Mittel verschafft haben das, was allen Organismen gemeinsam ist, aufzufinden; in die fernsten Himmelsräume zu dringen und das erborgte, reflectirte Licht von dem selbstleuchtender Körper zu unterscheiden: d. i. zu bestimmen, ob das Sonnenlicht aus einer festen Masse oder aus einer gasförmigen Umhüllung ausstrahle. Die Aufzählung der Versuche aber, welche seit Huygens allmälig auf Arago's Entdeckung der farbigen Polarisation geleitet haben, werden der Geschichte der Optik vorbehalten. Eben so verbleibt der Geschichte der Phytognosie oder Botanik die Entwickelung der Grundsätze, nach denen die Masse vielgestalteter Gewächse sich in Familien an einander reihen läßt: während die Geographie der Pflanzen, oder die Einsicht in die örtliche und klimatische Vertheilung der Vegetation über den ganzen Erdkörper, über die Feste und das algenreiche Becken der Meere, einen wichtigen Abschnitt in der Geschichte der physischen Weltanschauung ausmacht.
Die denkende Betrachtung dessen, was die Menschen 137 zur Einsicht eines Naturganzen geführt hat, ist eben so wenig die ganze Culturgeschichte der Menschheit, als sie, wie wir eben erinnert haben, eine Geschichte der Naturwissenschaften genannt werden kann. Allerdings ist die Einsicht in den Zusammenhang der lebendigen Kräfte des Weltalls als die edelste Frucht der menschlichen Cultur, als das Streben nach dem höchsten Gipfel, welchen die Vervollkommnung und Ausbildung der Intelligenz erreichen kann, zu betrachten; aber das, wovon wir hier Andeutungen geben, ist nur ein Theil der Culturgeschichte selbst. Diese umfaßt gleichzeitig, was den Fortschritt der einzelnen Völker nach allen Richtungen erhöhter Geistesbildung und Sittlichkeit bezeichnet. Wir gewinnen nach einem eingeschränkteren physikalischen Gesichtspunkte der Geschichte des menschlichen Wissens nur eine Seite ab: wir heften vorzugsweise den Blick auf das Verhältniß des allmälig Ergründeten zum Naturganzen; wir beharren minder bei der Erweiterung der einzelnen Disciplinen als bei Resultaten, welche einer Verallgemeinerung fähig sind oder kräftige materielle Hülfsmittel zu genauerer Beobachtung der Natur in verschiedenen Zeitaltern geliefert haben.
Vor allem müssen sorgfältig ein frühes Ahnden und ein wirkliches Wissen scharf von einander getrennt werden. Mit der zunehmenden Cultur des Menschengeschlechts geht von dem ersten vieles in das zweite über, und ein solcher Uebergang verdunkelt die Geschichte der Erfindungen. Eine sinnige, ideelle Verknüpfung des früher Ergründeten leitet oft fast unbewußt das Ahndungsvermögen und erhöht dasselbe wie durch eine begeistigende Kraft. Wie manches ist bei Indern und Griechen, wie manches im Mittelalter über den 138 Zusammenhang von Naturerscheinungen ausgesprochen worden: erst unerwiesen und mit dem Unbegründetsten vermengt, aber in späterer Zeit auf sichere Erfahrung gestützt und dann wissenschaftlich erkannt! Die ahndende Phantasie: die allbelebende Thätigkeit des Geistes, welche in Plato, in Columbus, in Kepler gewirkt hat, darf nicht angeklagt werden, als habe sie in dem Gebiet der Wissenschaft nichts geschaffen, als müsse sie nothwendig ihrem Wesen nach von der Ergründung des Wirklichen abziehen.
Da wir die Geschichte der physischen Weltanschauung als die Geschichte der Erkenntniß eines Naturganzen, gleichsam als die Geschichte des Gedankens von der Einheit in den Erscheinungen und von dem Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, definirt haben; so kann die Behandlungsweise dieser Geschichte nur in der Aufzählung dessen bestehen, wodurch der Begriff von der Einheit der Erscheinungen sich ällmälig ausgebildet hat. Wir unterscheiden in dieser Hinsicht: 1) das selbstständige Streben der Vernunft nach Erkenntniß von Naturgesetzen, also eine denkende Betrachtung der Naturerscheinungen; 2) die Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; 3) die Erfindung neuer Mittel sinnlicher Wahrnehmung: gleichsam die Erfindung neuer Organe, welche den Menschen mit den irdischen Gegenständen wie mit den fernsten Welträumen in näheren Verkehr bringen, welche die Beobachtung schärfen und vervielfältigen. Dieser dreifache Gesichtspunkt muß uns leiten, wenn wir die Haupt-Epochen (Hauptmomente) bestimmen, welche die Geschichte der Lehre vom Kosmos zu durchlaufen hat. Um das Gesagte zu erläutern, wollen wir 139 hier wiederum solche Beispiele anführen, die die Verschiedenheit der Mittel charakterisiren, durch welche die Menschheit allmälig zum intellectuellen Besitz von einem großen Theile der Welt gelangt ist: Beispiele von erweiterter Naturkenntniß, von großen Begebenheiten und von der Erfindung neuer Organe.
Die Kenntniß der Natur, als älteste Physik der Hellenen, war mehr aus inneren Anschauungen, aus der Tiefe des Gemüths als aus der Wahrnehmung der Erscheinungen geschöpft. Die Naturphilosophie der ionischen Physiologen ist auf den Urgrund des Entstehens, auf den Formenwechsel eines einigen Grundstoffes gerichtet; in der mathematischen Symbolik der Pythagoreer, in ihren Betrachtungen über Zahl und Gestalt offenbart sich dagegen eine Philosophie des Maaßes und der Harmonie. Indem die dorisch-italische Schule überall numerische Elemente sucht, hat sie von dieser Seite, durch eine gewisse Vorliebe für die Zahlenverhältnisse, die sie im Raum und in der Zeit erkennt, gleichsam den Grund zur späteren Ausbildung unserer Erfahrungswissenschaften gelegt. Die Geschichte der Weltanschauung, wie ich sie auffasse, bezeichnet nicht sowohl die oft wiederkehrenden Schwankungen zwischen Wahrheit und Irrthum als die Hauptmomente der allmäligen Annäherung an die Wahrheit, an die richtige Ansicht der irdischen Kräfte und des Planetensystems. Sie zeigt uns, wie die Pythagoreer, nach dem Berichte des Philolaus aus Croton, die fortschreitende Bewegung der nicht rotirenden Erde, ihren Kreislauf um den Weltheerd (das Centralfeuer, Hestia) lehrten: wenn Plato und Aristoteles sich die Erde weder als 140 rotirend noch fortschreitend, sondern als unbeweglich im Mittelpunkt schwebend vorstellten. Hicetas von Syracus, der mindestens älter als Theophrast ist, Heraclides Ponticus und Ecphantus kannten die Achsendrehung der Erde; aber nur Aristarch von Samos und besonders Seleucus der Babylonier, anderthalb Jahrhunderte nach Alexander, wußten, daß die Erde nicht bloß rotire, sondern sich zugleich auch um die Sonne, als das Centrum des ganzen Planetensystems, bewege. Kehrte auch in den dunkeln Zeiten des Mittelalters durch christlichen Fanatismus und den herrschend bleibenden Einfluß des ptolemäischen Systemes der Glaube an die Unbeweglichkeit der Erde zurück, wurde auch ihre Gestalt bei dem alexandrinischen Cosmas Indicopleustes wieder die Scheibe des Thales; so hatte dagegen ein deutscher Cardinal, Nicolaus de Cuß, zuerst die Geistesfreiheit und den Muth, fast hundert Jahre vor Copernicus, unserem Planeten zugleich wieder die Achsendrehung und die fortschreitende Bewegung zuzuschreiben. Nach Copernicus war Tycho's Lehre allerdings ein Rückschritt, aber ein Rückschritt von kurzer Dauer. Sobald eine große Masse genauer Beobachtungen, zu der Tycho selbst reichlich beigetragen, angesammelt war, konnte die richtige Ansicht des Weltbaues nicht auf lange verdrängt bleiben. Wir haben hier gezeigt, wie die Periode der Schwankungen vorzüglich die der Ahndungen und naturphilosophischen Phantasien gewesen ist.
Nach der vervollkommneten Kenntniß der Natur, als einer gleichzeitigen Folge unmittelbarer Beobachtung und ideeller Combinationen, haben wir oben der Aufzählung großer Begebenheiten gedacht: d. i. solcher, durch welche der Horizont der Weltanschauung räumlich erweitert wurde. Zu diesen Begebenheiten 141 gehören Völkerwanderungen, Schifffahrt und Heerzüge. Sie haben von der natürlichen Beschaffenheit der Erdoberfläche (Gestaltung der Continente, Richtung der Gebirgsjoche, relativen Anschwellung der Hochebenen) Kunde verschafft, ja in weiten Länderstrecken Material zur Ergründung allgemeiner Naturgesetze dargeboten. Es bedarf bei diesen historischen Betrachtungen nicht der Darstellung eines zusammenhangenden Gewebes von Begebenheiten. Für die Geschichte der Erkenntniß des Naturganzen ist es hinlänglich in jeder Epoche nur an solche Begebenheiten zu erinnern, welche einen entschiedenen Einfluß auf die geistigen Bestrebungen der Menschheit und auf eine erweiterte Weltansicht auszuüben vermochten. In dieser Hinsicht sind von großer Wichtigkeit gewesen für die Völker, die um das Becken des Mittelmeeres angesiedelt waren, die Fahrt des Coläus von Samos jenseits der Hercules-Säulen, der Zug Alexanders nach Vorder-Indien, die Weltherrschaft der Römer, die Verbreitung arabischer Cultur, die Entdeckung des Neuen Continents. Wir verweilen nicht sowohl bei der Erzählung von etwas Geschehenem als bei der Bezeichnung der Wirkung, welche das Geschehene, d. i. die Begebenheit: sei sie eine Entdeckungsreise, oder das Herrschend-Werden einer hochausgebildeten, litteraturreichen Sprache, oder die plötzlich verbreitete Kenntniß der indo-afrikanischen Monsune; auf die Entwickelung der Idee des Kosmos ausgeübt hat.
Wenn ich bei der Aufzählung so heterogener Anregungen schon beispielsweise der Sprachen erwähne, so will ich hier im allgemeinen auf ihre unermeßliche Wichtigkeit in zwei ganz verschiedenen Richtungen aufmerksam machen. Die Sprachen wirken einzeln durch große Verbreitung als Communications-Mittel zwischen weit von einander getrennten 142 Volkerstämmen; sie wirken, mit einander verglichen, durch die erlangte Einsicht in ihren inneren Organismus und ihre Verwandtschaftsgrade, auf das tiefere Studium der Geschichte der Menschheit. Die griechische Sprache und die mit derselben so innigst verknüpfte Nationalität der Griechen (das Griechenleben) haben eine zauberische Gewalt geübt über alle fremde von ihnen berührte Völker.Niebuhr, röm. Geschichte Th. I. S. 69; Droysen, Gesch. der Bildung des hellenistischen Staatensystems 1843 S. 31–34, 567–573; Fried. Cramer de studiis quae veteres ad aliarum gentium contulerint linguas 1844 p. 2–13. Die griechische Sprache erscheint in Inner-Asien durch den Einfluß des bactrischen Reiches als eine Trägerinn des Wissens: das ein volles Jahrtausend später, mit indischem Wissen gemischt, durch die Araber in den äußersten Westen von Europa zurückgebracht wird. Die alt-indische und die malayische Sprache haben in der Inselwelt des südöstlichen Asiens wie an der Ostküste von Afrika und auf Madagascar den Handel und den Völkerverkehr befördert: ja wahrscheinlich, durch die Nachrichten von den indischen Handelsstationen der Banianen, das kühne Unternehmen von Vasco de Gama veranlaßt. Herrschend gewordene Sprachen, die leider den verdrängten Idiomen einen frühen Untergang bereiten, haben wie das Christenthum und wie der Buddhismus wohlthätig zur Einigung der Menschheit beigetragen.
Verglichen unter einander und als Objecte der Naturkunde des Geistes betrachtet, nach der Analogie ihres inneren Baues in Familien gesondert, sind die Sprachen (und dieses ist eines der glänzendsten Ergebnisse der Studien neuerer Zeit, der letztverflossenen sechzig bis siebzig Jahre) eine reiche Quelle des historischen Wissens geworden. Eben weil sie das Product der geistigen Kraft des Menschen sind, führen sie uns mittelst der Grundzüge ihres Organismus in eine dunkle Ferne: in eine solche, zu welcher 143 keine Tradition hinaufreicht. Das vergleichende Sprachstudium zeigt, wie durch große Länderstrecken getrennte Völkerstämme mit einander verwandt und aus einem gemeinschaftlichen Ursitze ausgezogen sind; es offenbart den Weg und die Richtung alter Wanderungen; es erkennt, den Entwickelungsmomenten nachspürend, in der mehr oder minder veränderten Sprachgestaltung, in der Permanenz gewisser Formen oder in der bereits fortgeschrittenen Zertrümmerung und Auflösung des Formensystems, welcher Volksstamm der einst im gemeinsamen Wohnsitze üblichen, gemeinsamen Sprache näher geblieben ist. Zu dieser Art der Untersuchungen über die ersten alterthümlichen Sprachzustände, in denen das Menschengeschlecht im eigentlichsten Sinne des Worts als ein lebendiges Naturganzes betrachtet wird, giebt die lange Kette der indogermanischen Sprachen, vom Ganges bis zum iberischen West-Ende von Europa, von Sicilien bis zum Nordcap, vielfachen Anlaß. Dieselbe historische Sprachvergleichung leitet auch auf das Vaterland gewisser Erzeugnisse, welche seit den ältesten Zeiten wichtige Gegenstände des Tauschhandels gewesen sind. Die Sanskritnamen ächt indischer Producte: die von Reiß, Baumwolle, Narde und Zucker, finden wir in die griechische und theilweise sogar in die semitischen Sprachen übergegangen.Im Sanskrit Reiß vrîhi, Baumwolle karpâsa, Zucker ’sarkara Narde nanartha; s. Lassen, Indische Alterthumskunde Bd. I. 1843 S. 245, 250, 270, 289 und 538. Ueber ’sarkara und kanda, wovon unser Zuckerkand, s. meine Prolegomena de distributione geographica Plantarum 1817 p. 211: »Confudisse videntur veteres saccharum verum cum Tebaschiro Bambusae, tum quia utraque in arundinibus inveniuntur, tum etiam quia vox sanscradana scharkara, quae hodie (ut pers. schakar et hindost. schukur) pro saccharo nostro adhibetur, observante Boppio, ex auctoritate Amarasinhae, proprie nil dulce (madu) significat, sed quicquid lapidosum et arenaceum est, ac vel calculum vesicae. Verisimile igitur, vocem scharkara initio dumtaxat tebaschirum (saccar mombu) indicasse, posterius in saccharum nostrum humilioris arundinis (ikschu, kandekschu, kanda) ex similitudine aspectus translatam esse. Vox Bambusae ex mambu derivatur; ex kanda nostratium voces candis, zuckerkand. In tebaschiro agnoscitur Persarum schir, h. e. lac, sanscr. kschiram.« Der Sanskrit-Name für tabaschir ist (Lassen Bd. I. S. 271–274) tvakkschîrâ: Rindemilch, Milch aus der Rinde(tvatsch). Vergl. auch Pott, Kurdische Studien in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. VII. S. 163–166; wie die meisterhafte Abhandlung von Carl Ritter in seiner Erdkunde von Asien Bd. VI, 2. S. 232–237.
Nach den hier angedeuteten und durch Beispiele erläuterten Betrachtungen erscheint die vergleichende Sprachkunde als ein wichtiges rationelles Hülfsmittel, um durch wissenschaftliche, ächt philologische Untersuchungen zu einer Verallgemeinerung der Ansichten über die Verwandtschaft des Menschengeschlechts und seine muthmaßlich von mehreren Punkten ausgehenden Verbreitungsstrahlen zu gelangen. Die rationellen 144 Hülfsmittel der sich allmälig entwickelnden Lehre vom Kosmos sind demnach sehr verschiedener Art: Erforschung des Sprachbaues, Entzifferung alter Schriftzüge und historischer Monumente in Hieroglyphen und Keilschrift; Vervollkommnung der Mathematik: besonders des mächtigen, Erdgestalt, Meeresfluth und Himmelsräume beherrschenden, analytischen Calculs. Zu diesen Hülfsmitteln gesellen sich endlich die materiellen Erfindungen: welche uns gleichsam neue Organe schaffen, die Schärfe der Sinne erhöhen, ja den Menschen in einen näheren Verkehr mit den irdischen Kräften wie mit den fernen Welträumen setzen. Um hier nur diejenigen Instrumente zu erwähnen, welche große Epochen der Culturgeschichte bezeichnen, nennen wir das Fernrohr und dessen leider zu späte Verbindung mit Meßinstrumenten; das zusammengesetzte Microscop: welches uns Mittel verschafft den Entwickelungszuständen des Organischen (»der gestaltenden Thätigkeit als dem Grunde des Werdens«, wie Aristoteles schön sagt) zu folgen; die Boussole und die verschiedenen Vorrichtungen zur Ergründung des Erd-Magnetismus, den Gebrauch des Pendels zum Zeitmaaße, das Barometer, den Wärmemesser, hygrometrische und electrometrische Apparate, das Polariscop in Anwendung auf farbige Polarisations-Phänomene im Licht der Gestirne oder im erleuchteten Luftkreise.
Die Geschichte der physischen Weltanschauung: gegründet, wie wir eben entwickelt haben, auf denkende Betrachtung der Naturerscheinungen, auf eine Verkettung großer Begebenheiten, auf Erfindungen, welche den Kreis sinnlicher Wahrnehmung erweitern; soll aber hier in ihren Hauptzügen nur fragmentarisch und übersichtlich dargestellt werden. Ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß die Kürze dieser 145 Darstellung den Leser in den Stand setzen könne den Geist, in welchem ein so schwer zu begrenzendes Bild einst auszuführen wäre, leichter zu erfassen. Hier wie in dem Naturgemälde, welches der erste Band des Kosmos enthält, wird nicht nach Vollständigkeit in Aufzählung von Einzelheiten, sondern nach der klaren Entwickelung von leitenden Ideen getrachtet: solchen, welche einige der Wege bezeichnen, die der Physiker als Geschichtsforscher durchlaufen kann. Die Kenntniß von dem Zusammenhang der Begebenheiten und ihren Causalverhältnissen wird als ein Gegebenes vorausgesetzt; die Begebenheiten brauchen nicht erzählt zu werden: es genügt sie zu nennen und den Einfluß zu bestimmen, den sie auf die allmälig anwachsende Erkenntniß eines Naturganzen ausgeübt haben. Vollständigkeit, ich glaube es wiederholen zu müssen, ist hier weder zu erreichen noch als das Ziel eines solchen Unternehmens zu betrachten. Indem ich dies ausspreche, um meinem Werke vom Kosmos den eigenthümlichen Charakter zu bewahren, der dasselbe allein ausführbar macht: werde ich mich freilich von neuem dem Tadel derer aussetzen, welche weniger bei dem verweilen, was ein Buch enthält, als bei dem, was nach ihrer individuellen Ansicht darin gefunden werden sollte. In den älteren Theilen der Geschichte bin ich geflissentlich weit umständlicher als in den neueren gewesen. Wo die Quellen sparsamer fließen, ist die Combination schwieriger, und die aufgestellten Meinungen bedürfen dann der Anführung nicht allgemein bekannter Zeugnisse. Auch Ungleichmäßigkeit in der Behandlung der Materien habe ich nur da frei gestattet, wo es darauf ankam durch Aufzählung von Einzelheiten dem Vortrag ein belebenderes Interesse zu geben.
Wie die Erkenntniß eines Weltganzen mit intuitiver 146 Ahndung und wenigen wirklichen Beobachtungen über isolirte Naturgebiete begonnen hat, so glauben wir auch in der geschichtlichen Darstellung der Weltanschauung von einem eingeschränkten Erdraume ausgehen zu müssen. Wir wählen das Meerbecken, um welches diejenigen Völker sich bewegt haben, auf deren Wissen unsere abendländische Cultur (die einzige fast ununterbrochen fortgeschrittene) zunächst gegründet ist. Man kann die Hauptströme bezeichnen, welche die Elemente der Bildung und der erweiterten Natur-Ansichten dem westlichen Europa zugeführt haben; aber bei der Vielfachheit dieser Ströme ist nicht ein einiger Urquell zu nennen. Tiefe Einsicht in die Kräfte der Natur, Erkenntniß der Natur-Einheit gehört nicht einem sogenannten Urvolke an: für welches, nach dem Wechsel historischer Ansichten, bald ein semitischer Stamm im nord-chaldäischen ArpaxadEwald, Geschichte des Volkes Israel Bd. I. 1843 S. 332–334; Lassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 528. Vergl. Rödiger in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. III. S. 4 über Chaldäer und Kurden: welche letztere Strabo Kyrtier nennt. (Arrahpachitis des Ptolemäus), bald der Stamm der Inder und Iranier im alten ZendlandeBordj der Wassernabel des Ormuzd: ungefähr da, wo das Himmelsgebirge (Thian-schan) an seinem westlichen Ende an den Bolor (Belurtagh) gangartig anschaart oder vielmehr diesen unter dem Namen der Asferah-Kette durchsetzt: nördlich von dem Hochlande Pamer (Upa-Mêru, Land über dem Meru). Vergl. Burnouf, commentaire sur le Yaçna T. I. p. 239 und Addit. p. CLXXXV mit Humboldt, Asie centrale T. I. p. 163; T. II. p. 16, 377 und 390. am Quellgebiet des Oxus und Jaxartes ausgegeben wurden. Die Geschichte, so weit sie durch menschliche Zeugnisse begründet ist, kennt kein Urvolk, keinen einigen ersten Sitz der Cultur: keine Urphysik, oder Naturweisheit, deren Glanz durch die sündige Barbarei späterer Jahrhunderte verdunkelt worden wäre. Der Geschichtsforscher durchbricht die vielen über einander gelagerten Nebelschichten symbolisirender Mythen, um auf den festen Boden zu gelangen, wo sich die ersten Keime menschlicher Gesittung nach natürlichen Gesetzen entwickelt haben. Im grauen Alterthume, gleichsam am äußersten Horizont des wahrhaft historischen Wissens, erblicken wir schon gleichzeitig mehrere leuchtende Punkte, Centra der Cultur, die gegen einander strahlen: so Aegypten, auf das wenigste 147 fünftausend Jahre vor unserer ZeitrechnungChronologische Angaben für Aegypten: »3900 Jahre vor Chr. Menes (auf das wenigste, und wahrscheinlich ziemlich genau), 3430 Anfang der 4ten Dynastie (die Pyramidenbauer Chephren-Schafra, Cheops-Chufu und Mykerinos oder Menkera): 2200 Einfall der Hyksos unter der 12ten Dynastie: welcher Amenemha III, der Erbauer des ursprünglichen Labyrinths, zugehört. Vor Menes (3900 vor Chr.) ist doch wenigstens noch ein Jahrtausend für das allmälige Wachsthum jener, zum mindesten 3430 Jahre vor unserer Zeitrechnung ganz fertigen, ja zum Theil schon erstarrten Cultur zu vermuthen: wahrscheinlich noch weit mehr.« (Lepsius in mehreren Briefen an mich vom März 1846, also nach der Rückkunft von seiner ruhmvollen Expedition.) Vergl. auch Bunsens Betrachtungen »über die Anfänge unserer sogenannten Weltgeschichte: welche streng genommen nur die der neueren Menschheit oder, wenn es von jenen Anfängen eine Geschichte geben sollte, die neuere Geschichte unsers Geschlechts ist«, in dem geistreichen und gelehrten Werke: Aegyptens Stelle in der Weltgeschichte 1845, erstes Buch S. 11–13. – Das historische Bewußtsein und die geregelte Chronologie der Chinesen steigen bis 2400, ja selbst 2700 Jahre vor unserer Zeitrechnung, weit über Ju bis zu Hoang-ty, hinauf. Viele litterarische Monumente sind aus dem 13ten Jahrhundert; und im 12ten Jahrhundert vor Chr. wurde laut dem Tscheu-li die Länge des Solstitial-Schattens bereits mit solcher Genauigkeit von Tschen-kung in der südlich vom gelben Flusse erbauten Stadt Lo-yang gemessen, daß Laplace diese Länge ganz mit der Theorie von der Veränderung der Schiefe der Ekliptik, welche erst am Ende des letzten Jahrhunderts aufgestellt worden ist, übereinstimmend gefunden hat. Jeder Verdacht einer Erdichtung der Angabe durch Zurückrechnen fällt also von selbst weg. S. Édouard Biot sur la Constitution politique de la Chinea au 12me siècle avant notre ère (1845) p. 3 und 9. Die Erbauung von Tyrus und des uralten Tempels des Melkarth (des tyrischen Hercules) soll nach der Erzählung, die Herodot (II, 44) von den Priestern empfing, 2760 Jahre vor unserer Zeitrechnung hinaufreichen; vergl. auch Heeren, Ideen über Politik und Verkehr der Völker Th. I, 2. 1824 S. 12. Simplicius schätzt nach einer Ueberlieferung des Porphyrius das Alter der babylonischen Sternbeobachtungen, die dem Aristoteles bekannt waren, auf 1903 Jahre vor Alexander dem Großen, und Ideler, der so gründliche und vorsichtige Forscher der Chronologie, hat diese Angabe keinesweges unglaublich gefunden; vergl. sein Handbuch der Chronologie Bd. I. S. 207, die Abhandlungen der Berliner Akad. aus dem J. 1814 S. 217 und Böckh, metrol. Untersuchungen über die Maße des Alterthums 1838 S. 36. – Ob man in Indien mehr als 1200 Jahre vor Chr. selbst nach der Chronik von Kaschmir (Radjatarangini, trad. par Troyer) einen historischen Boden findet, während Megasthenes (Indica, ed. Schwanbeck 1846 p. 50) von Manu bis Kandragupta für 153 Könige der Dynastie von Magadha 60 bis 64 Jahrhunderte rechnet und der Astronom Aryabhatta den Anfang der Zeitrechnung auf 3102 vor Chr. bestimmt: bleibt noch in Dunkel gehüllt (Lassen, Ind. Alterthumsk. Bd. I. S. 473, 505, 507 und 510). – Um den Zahlen, welche in dieser Anmerkung zusammengestellt sind, eine höhere Bedeutung für die Culturgeschichte der Menschheit zu geben, ist es nicht überflüssig hier zu erinnern: daß bei den Griechen die Zerstörung von Troja 1184, Homer 1000 oder 950; Kadmus der Milesier, der erste Geschichtsschreiber unter den Griechen, 524 Jahre vor unserer Zeitrechnung gesetzt werden. Diese Zusammenstellung der Epochen lehrt, wie ungleich, früh oder spät, bei den bildungsfähigsten Völkern das Bedürfniß einer genauen Aufzeichnung von Ereignissen und Unternehmungen erwacht ist; sie erinnert unwillkührlich an den Ausspruch, welchen Plato im Timäus den Priestern von Sais in den Mund legt: »O Solon, Solon! ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder; nirgends ist in Hellas ein Greis. Eure Seelen sind stets jugendlich; ihr habt in ihnen keine Kunde des Alterthums, keinen alten Glauben, keine durch die Zeit ergraute Wissenschaft.«; Babylon, Ninive, Kaschmir, Iran: und China seit der ersten Colonie, die vom nordöstlichen Abfall des Kuen-lün her in das untere Flußthal des Hoangho eingewandert war. Diese Centralpunkte erinnern unwillkührlich an die größeren unter den funkelnden Sternen des Firmaments, an die ewigen Sonnen der Himmelsräume: von denen wir wohl die Stärke des Glanzes, nicht aber, einige wenigeVergl. Kosmos Bd. I. S. 92 und 160. ausgenommen, die relative Entfernung von unserem Planeten kennen.
Eine dem ersten Menschenstamme geoffenbarte Urphysik, eine durch Cultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker gehört einer Sphäre des Wissens oder vielmehr des Glaubens an, welche dem Gegenstande dieses Werkes fremd bleibt. Wir finden einen solchen Glauben indeß schon tief in der ältesten indischen Lehre Krischna'sWilhelm von Humboldt über eine Episode des Maha-Bharata in dessen gesammelten Werken Bd. I. S. 73. gewurzelt. »Die Wahrheit soll ursprünglich in den Menschen gelegt, aber allmälig eingeschläfert und vergessen worden sein: die Erkenntniß kehrt wie eine Erinnerung zurück.« Wir lassen es gern unentschieden, ob die Volksstämme, die wir gegenwärtig Wilde nennen, alle im Zustande ursprünglich natürlicher Roheit sind: ob nicht viele unter ihnen, wie der Bau ihrer Sprachen es oft vermuthen läßt, verwilderte Stämme, gleichsam zerstreute Trümmer aus den Schiffbrüchen einer früh untergegangenen Cultur sind. Ein naher Umgang mit diesen sogenannten Naturmenschen lehrt nichts von dem, was die Liebe zum Wunderbaren von einer gewissen Ueberlegenheit roher Völker in der Kenntniß der Erdkräfte gefabelt hat. Allerdings steigt ein dumpfes, schauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten in dem Busen des Wilden auf: aber ein solches Gefühl hat 148 nichts mit den Versuchen gemein den Zusammenhang der Erscheinungen unter Ideen zu fassen. Wahrhaft kosmische Ansichten sind erst Folge der Beobachtung und ideeller Combination, Folge eines lange dauernden Contacts der Menschheit mit der Außenwelt: auch sind sie nicht das Werk eines einzigen Volkes: sie sind die Frucht gegenseitiger Mittheilung; eines, wo nicht allgemeinen, doch großen Völkerverkehrs.
Wie in den Betrachtungen über den Reflex der Außenwelt auf die Einbildungskraft wir, im Eingange dieses Bandes, aus der allgemeinen Litteraturgeschichte das ausgehoben haben, was sich auf den Ausdruck eines lebendigen Naturgefühls bezieht; so wird in der Geschichte der Weltanschauung aus der allgemeinen Culturgeschichte dasjenige ausgesondert, was die Fortschritte in der Erkenntniß eines Naturganzen bezeichnet. Beide, nicht willkührlich, sondern nach bestimmten Grundsätzen abgesonderte Theile haben wieder unter einander dieselben Beziehungen als die Disciplinen, welchen sie entlehnt sind. Die Geschichte der Cultur der Menschheit schließt in sich die Geschichte der Grundkräfte des menschlichen Geistes: und also auch der Werke, in denen nach verschiedenen Richtungen diese Grundkräfte in Litteratur und Kunst sich offenbart haben. Auf gleiche Weise erkennen wir in der Tiefe und Lebendigkeit des Naturgefühls, die wir nach dem Unterschiede der Zeiten und der Völkerstämme geschildert, wirksame Anregungsmittel zu sorgfältigerer Beachtung der Erscheinungen, zu ernster Ergründung ihres kosmischen Zusammenhanges.
Eben weil nun so mannigfaltig die Ströme sind, welche die Elemente des erweiterten Naturwissens getragen und im Laufe der Zeiten ungleich über den Erdboden verbreitet 149 haben; ist es, wie wir bereits oben bemerkt, am geeignetsten, in der Geschichte der Weltansicht von Einer Völkergruppe und zwar von der auszugehen, in der unsere jetzige wissenschaftliche Cultur und die des ganzen europäischen Abendlandes ursprünglich gewurzelt sind. Die Geistesbildung der Griechen und Römer ist allerdings ihrem Anfange nach eine sehr neue zu nennen, in Vergleich mit der Cultur der Aegypter, Chinesen und Inder; aber was ihnen von außen, von dem Orient und von Süden her, zugeströmt ist: hat sich mit dem, was sie selbst hervorgebracht und verarbeitet, trotz des ewigen Wechsels der Weltbegebenheiten und des fremdartigen Gemisches eindringender Völkermassen, ununterbrochen auf europäischem Boden fortgepflanzt. In den Regionen, wo man vor Jahrtausenden vieles früher gewußt, ist entweder eine alles verdunkelnde Barbarei wiederum eingetreten; oder neben der Erhaltung alter Gesittung und fester, complicirter Staatseinrichtungen (wie in China) ist doch der Fortschritt in Wissenschaft und gewerblichen Kunstfertigkeiten überaus geringe: noch geringer der Antheil an dem Weltverkehr gewesen, ohne den allgemeine Ansichten sich nie bilden können. Europäische Culturvölker und die von ihnen abstammenden, in andere Continente übergegangenen sind durch eine riesenmäßige Erweiterung ihrer Schifffahrt in den fernsten Meeren, an den fernsten Küsten gleichsam allgegenwärtig geworden. Was sie nicht besitzen, können sie bedrohen. In ihrem fast ununterbrochen vererbten Wissen, in ihrer lang vererbten wissenschaftlichen Nomenclatur liegen, wie Marksteine der Geschichte der Menschheit, Erinnerungen an die mannigfaltigen Wege, auf denen wichtige Erfindungen oder wenigstens der Keim zu denselben den Völkern Europa's zugeströmt 150 sind: aus dem östlichsten Asien die Kenntniß von der Richtkraft und Abweichung eines frei sich bewegenden Magnetstabes, aus Phönicien und Aegypten chemische Bereitungen (Glas, thierische und vegetabilische Färbestoffe, Metall-Oxyde), aus Indien allgemeiner Gebrauch der Position zur Bestimmung des erhöhten Werthes weniger Zählzeichen.
Seitdem die Civilisation ihre ältesten Ursitze innerhalb der Tropen oder in der subtropischen Zone verlassen, hat sie sich bleibend in dem Welttheile angesiedelt, dessen nördlichste Regionen weniger kalt als unter gleicher Breite die von Asien und Amerika sind. Das Festland von Europa ist eine westliche Halbinsel von Asien; und wie es eine größere, die allgemeine Gesittung begünstigende Milde seines Klima's diesem Umstande und seiner mannigfaltigen, vielgegliederten, schon von Strabo gerühmten Form, seiner Stellung gegen das in der Aequatorial-Zone weit ausgedehnte Afrika, so wie den vorherrschenden, über den breiten Ocean hinstreichenden und deshalb im Winter warmen Westwinden verdankt: habe ich bereits früher entwickelt.Kosmos Bd. I. S. 309 und 351, Asie centrale T. III. p. 24 und 143. Die physische Beschaffenheit von Europa hat der Verbreitung der Cultur weniger Hindernisse entgegengestellt, als ihr in Asien und Afrika gesetzt waren: da, wo weitausgedehnte Reihen von Parallelketten, Hochebenen und Sandmeeren als schwer zu überwindende Völkerscheiden auftreten. Wir beginnen demnach hier, bei der Aufzählung der Hauptmomente in der Geschichte der physischen Weltbetrachtung, mit einem Erdwinkel, der durch seine räumlichen Verhältnisse und seine Weltstellung den wechselnden Völkerverkehr und die Erweiterung kosmischer Ansichten, welche Folge dieses Verkehres ist, am meisten begünstigt hat.
Das Mittelmeer als Ausgangspunkt für die Darstellung der Verhältnisse, welche die allmälige Erweiterung der Idee des Kosmos begründet haben. – Anreihung dieser Darstellung an die früheste Cultur der Hellenen. – Versuche ferner Schifffahrt gegen Nordost (Argonauten), gegen Süden (Ophir), gegen Westen (Coläus von Samos).
Ganz in dem Sinne einer großen Weltansicht schildert Plato im Phädon die Enge des Mittelmeeres.Plato, Phädon pag. 109 B (vergl. Herod. II, 21). Auch Kleomedes vertiefte die Erdfläche in der Mitte, um das Mittelmeer zu fassen (Voß, krit. Blätter Bd. II. 1828 S. 144 und 150). »Wir«, sagt er, »die wir vom Phasis bis zu den Säulen des Hercules wohnen, haben inne nur einen kleinen Theil der Erde: in dem wir uns, wie um einen Sumpf Ameisen oder Frösche, um das (innere) Meer angesiedelt haben.« Und dieses enge Becken, an dessen Rande ägyptische, phönicische und hellenische Völker zu einem hohen Glanze der Cultur erblühten, ist der Ausgangspunkt der wichtigsten Weltbegebenheiten, der Colonisirung großer Länderstrecken von Afrika und Asien, der nautischen Unternehmungen gewesen, durch welche eine ganze westliche Erdhälfte enthüllt worden ist.
Das Mittelmeer zeigt noch in seiner jetzigen Gestaltung die Spuren einer ehemaligen Unterabtheilung in drei geschlossene, an einander grenzende, kleinere Becken.Ich habe diese Idee zuerst entwickelt in meiner Rel. historique du Voyage aux Régions équinoxiales T. III. p. 236 und in dem Examen crit. de l'hist. de la Géogr. au 15me siècle T. I. p. 36–38. Vergl. auch Otfried Müller in den Göttingischen gelehrten Anzeigen aus dem J. 1838 Bd. I. S. 375. Das westlichste Bassin, welches ich im allgemeinen das tyrrhenische nenne, begreift nach Strabo das iberische, ligustische und sardoische Meer. Das Syrten-Bassin östlich von Sicilien begreift das ausonische oder sikelische, das libysche und ionische Meer. Der südliche und südwestliche Theil des ägäischen Meeres hieß das cretische, saronische und myrtoische. Die merkwürdige Stelle Aristot. de Mundo cap. 3 (pag. 393 Bekk.) bezieht sich bloß auf die Busenform der Küsten des Mittelmeers und ihre Wirkung auf den einströmenden Ocean. Das 152 ägäische ist südlich begrenzt durch die Bogenlinie, welche, von der carischen Küste Kleinasiens an, die Inseln Rhodus, Creta und Cerigo bilden, und die sich an den Peloponnes anschließt unfern des Vorgebirges Malea. Westlicher folgt das ionische Meer; das Syrten-Bassin, in dem Malta liegt. Die Westspitze von Sicilien nähert sich dort auf 12 geographische Meilen der Küste von Afrika. Die plötzliche, aber kurzdauernde Erscheinung der gehobenen Feuerinsel Ferdinandea (1831) südwestlich von den Kalkstein-Felsen von Sciacca mahnt an einen Versuch der NaturKosmos Bd. I. S. 253 und 454 [Anm. 234]. das Syrten-Bassin zwischen Cap Grantola, der von Capitän Smyth untersuchten Adventure-Bank, Pantellaria und dem afrikanischen Cap Bon wiederum zu schließen und so von dem westlichsten, dritten Bassin, dem tyrrhenischen, zu trennen. Letzteres empfängt durch die Hercules-Säulen den von Westen her einbrechenden Ocean und umschließt Sardinien, die Balearen und die kleine vulkanische Gruppe der spanischen Colmubraten.
Diese Form des dreimal verengten Mittelmeeres hat einen großen Einfluß auf die früheste Beschränkung und spätere Erweiterung phönicischer und griechischer Entdeckungsreisen gehabt. Die letzteren blieben lange auf das ägäische und auf das Syrtenmeer beschränkt. Zu der homerischen Zeit war das continentale Italien noch ein »unbekanntes Land«. Die Phocäer eröffneten das tyrrhenische Bassin westlich von Sicilien; Tartessusfahrer gelangten zu den Säulen des Hercules. Man darf nicht vergessen, daß Carthago an der Grenze des tyrrhenischen und Syrten-Beckens gegründet ward. Die physische Gestaltung der Küsten wirkte auf den Gang der Begebenheiten, auf die Richtung nautischer 153 Unternehmungen, auf den Wechsel der Meeresherrschaft; die letzte wirkte wiederum auf die Erweiterung des Ideenkreises.
Das nördliche Gestade des inneren oder Mittelmeeres hat den, schon von Eratosthenes nach Strabo bemerkten Vorzug: reicher geformt, »vielgestalteter«, mehr gegliedert zu sein als das südliche libysche. Dort treten drei HalbinselnHumboldt, Asie centrale T. I. p. 67. Die beiden merkwürdigen Stellen des Strabo sind folgende: (lib. II pag. 109) »Eratosthenes nennt drei, Polybius fünf Landspitzen, in die sich Europa verläuft. Der Erstere nennt die gegen die Säulen sich erstreckende, auf welcher Iberia; die gegen den sikelischen Sund, auf welcher Italia liegt; dann folgt die dritte (Halbinsel) gegen Malea, welche alle Völker zwischen dem Adrias, dem Euxinos und dem Tanais umfaßt.« (Lib. II pag. 126): »Wir beginnen mit Europa, weil es vielgestaltig und für Veredlung der Menschen und Bürger der gedeihlichste Welttheil ist. Er ist ganz bewohnbar außer wenigen vor Kälte unbewohnten Landen um den Tanais.« hervor. die iberische, italische und hellenische, welche, mannigfach busenförmig eingeschnitten, mit den nahen Inseln und den gegenüberliegenden Küsten Meer- und Landengen bilden. Solche Gestaltungen des Continents und der: theils abgerissenen, theils vulkanisch, reihenweise wie auf weit fortlaufenden Spalten, gehobenen Inseln haben früh zu geognostischen Ansichten über Durchbrüche, Erdrevolutionen und Ergießungen der angeschwollenen höheren Meere in die tiefer stehenden geführt. Der Pontus, die Dardanellen, die Straße von Gades und das inselreiche Mittelmeer waren ganz dazu geeignet die Ansichten eines solchen Schleusensystems hervorzurufen. Der orphische Argonautiker, wahrscheinlich aus christlicher Zeit, hat alte Sagen eingewebt; er singt von der Zertrümmerung des alten Lyktonien in einzelne Inseln: wie »Poseidon, der Finstergelockte, dem Vater Kronion zürnend, schlug auf Lyktonien mit dem goldenen Dreizack«. Aehnliche Phantasien, die freilich oft aus einer unvollkommenen Kenntniß räumlicher Verhältnisse entstanden sein konnten, waren in der eruditionsreichen, allem Alterthümlichen zugewandten, alexandrinischen Schule ausgesponnen worden. Ob die Mythe der zertrümmerten Atlantis ein ferner und westlicher Reflex der Mythe von Lyktonien ist, wie ich an einem andern Ort wahrscheinlich zu machen glaubte; oder ob nach 154 Otfried Müller »der Untergang von Lyktonien (Leukonia) auf die samothracische Sage von einer jene Gegend umgestaltenden großen Fluth hindeute«Ukert, Geogr. der Griechen und Römer Th. I. Abth. 2. S. 345–348 und Th. II. Abth. 1. S. 194; Johannes von Müller, Werke Bd. I. S. 38: Humboldt, Examen critique T. I. p. 112 und 171; Otfried Müller, Minyer S. 64 und derselbe in der, übrigens nur zu wohlwollenden Kritik meiner Behandlung der mythischen Geographie der Griechen (Gött. gelehrte Anzeigen 1838 Bd. I. S. 372 und 383). Ich habe mich im allgemeinen also ausgesprochen: »En soulevant des questions qui offriraient déjà de l'importance dans l'intérêt des études philologiques, je n'ai pu gagner sur moi de passer entièrement sous silence ce qui appartient moins à la description du monde réel qu'au cycle de la Géographie mythique. Il en est de l'espace comme du tems: on ne saurait traiter l'histoire sous un point de vue philosophique, en ensevelissant dans un oubli absolu les tems héroïques. Les mythes des peuples, mêlés à l'histoire et à la géographie, ne sont pas en entier du domaine du monde idéal. Si le vague est un de leurs traits distinctifs, si le symbole y couvre la réalité d'un voile plus ou moins épais, les mythes intimement liés entre eux, n'en révèlent pas moins la souche antique des premiers aperçus de cosmographie et de physique. Les faits de l'histoire et de la géographie primitives ne sont pas seulement d'ingénieuses fictions, les opinions qu'on s'est formées sur le monde réel, s'y reflètent.« Der große mir befreundete Alterthumsforscher, dessen früher Verlust auf griechischem, von ihm so tief und mannigfach ergründetem Boden allgemein betrauert worden ist, glaubt dagegen: »daß wirklichen Erfahrungen, welche durch Wundersucht und Leichtgläubigkeit eine fabelhafte Gestalt erhielten (wie man sich besonders die phönicischen Schiffersagen vorstellt), keinesweges der Hauptantheil an der poetischen Gestaltung der Erde, die in der griechischen Poesie hervortritt, zuzuschreiben sei! die eigentlichen Wurzeln dieser Gebilde lägen in gewissen ideellen Voraussetzungen und Forderungen des Gefühls, auf welche eine wirkliche Länderkunde erst allmälig einzuwirken beginne: woraus dann oft die interessante Erscheinung hervorgehe, daß rein subjective Schöpfungen einer von gewissen Ideen geleiteten Phantasie fast unmerklich in wirkliche Länder und wohlbekannte Gegenstände der wissenschaftlichen Geographie übergehen. Nach diesen Betrachtungen könne man schließen, daß alle mythischen oder in mythische Formen ausgeprägten Phantasiegemälde in ihrem eigentlichen Grunde einer idealen Welt angehören und mit der wirklichen Erweiterung der Erdkunde oder der Schifffahrt außerhalb der Säulen des Hercules ursprünglich nichts zu thun haben.« Die von mir in dem französischen Werke geäußerte Meinung stimmte mit den früheren Ansichten von Otfried Müller mehr überein, da er in den Prolegomenen zu einer wissenschaftlichen Mythologie S. 68 und 109 sehr bestimmt sagte: »daß in mythischen Erzählungen Geschehenes und Gedachtes, Reelles und Ideelles meist eng mit einander verbunden sind«. (Vergl. auch über die Atlantis und Lyktonien Martin, études sur le Timée de Platon T. I. p. 293–326.): braucht hier nicht entschieden zu werden.
Was aber, wie schon oft bemerkt worden, die geographische Lage des Mittelmeers vor allem wohlthätig in ihrem Einfluß auf den Völkerverkehr und die fortschreitende Erweiterung des Weltbewußtseins gemacht hat, ist die Nähe des in der kleinasiatischen Halbinsel vortretenden östlichen Continents; die Fülle der Inseln des ägäischen Meeres: welche eine Brücke für die übergehende Cultur gewesen sindNaxos von Ernst Curtius (1846) S. 11; Droysen, Geschichte der Bildung des hellenistischen Staatensystems (1843) S. 4–9.; die Furche zwischen Arabien, Aegypten und Abyssinien, durch die der große indische Ocean unter der Benennung des arabischen Meerbusens oder des rothen Meeres eindringt, getrennt durch eine schmale Erdenge von dem Nil-Delta und der südöstlichen Küste des inneren Meeres. Durch alle diese räumlichen Verhältnisse offenbarte sich in der anwachsenden Macht der Phönicier und später in der der Hellenen, in der schnellen Erweiterung des Ideenkreises der Völker der Einfluß des Meeres, als des verbindenden Elementes. Die Cultur war in ihren früheren Sitzen in Aegypten, am Euphrat und Tigris, in der indischen Pentapotamia und in China an reiche Stromlandschaften gefesselt gewesen; nicht so in Phönicien und Hellas. In dem bewegten Leben des Griechenthums, vorzüglich im ionischen Stamme, fand der frühe Drang nach seemännischen Unternehmungen eine reiche Befriedigung in den merkwürdigen Formen des mittelländischen Meerbeckens, in seiner relativen Stellung zu dem Ocean im Süden und Westen.
Die Existenz des arabischen Meerbusens, als Folge des 155 Einbruchs des indischen Oceans durch die Meerenge Bab-el-Mandeb, gehört zu der Reihe großer physischer Erscheinungen, welche uns erst die neuere Geognosie hat offenbaren können. Der europäische Continent nämlich ist in seiner Haupt-Axe von Nordost gegen Südwest gerichtet; aber fast rechtwinklig mit dieser Richtung findet sich ein System von Spalten, die theils zum Eindringen der Meereswasser, theils zu Hebung paralleler Gebirgsjoche Anlaß gegeben haben. Ein solches inverses Streichen von Südost gegen Nordwest zeigen (vom indischen Ocean bis zum Ausfluß der Elbe im nördlichen Deutschland) das rothe Meer in dem südlichen Theile der Spalte, zu beiden Seiten von vulkanischen Gebirgsarten umgeben, der persische Meerbusen mit dem Tieflande des Doppelstromes Euphrat und Tigris, die Zagros-Kette in Luristan, die Ketten von Hellas und den nahen Inselreihen des Archipels, das adriatische Meer und die dalmatischen Kalk-Alpen. Die KreuzungLeopold von Buch über die geognostischen Systeme von Deutschland S. XI; Humboldt, Asie centrale T. I. p. 284–286. der beiden Systeme geodätischer Linien (NO–SW und SO–NW): die ihre Ursach gewiß in Erschütterungs-Richtungen des Inneren unseres Erdkörpers gehabt haben und von denen ich die Spalten SO–NW für neueren Ursprungs halte, hat den wichtigsten Einfluß auf die Schicksale der Menschheit und die Erleichterung des Völkerverkehrs gehabt. Die relative Lage und die, nach der Abweichung der Sonne in verschiedenen Jahreszeiten so ungleiche Erwärmung von Ost-Afrika, Arabien und der Halbinsel von Vorder-Indien erzeugen eine regelmäßige Abwechselung von Luftströmen (MonsunKosmos Bd. I. S. 479 [Anm. 389].), welche die Schifffahrt nach der Myrrhifera Regio der Adramiten in Süd-Arabien, nach dem persischen Meerbusen, Indien und Ceylon dadurch begünstigten, daß 156 in der Jahreszeit (April und Mai bis October), wo Nordwinde auf dem rothen Meere wehen, der Südwest-Monsun von Ost-Afrika bis zur Küste Malabar herrscht, während der dem Rückweg günstige Nordost-Monsun (October bis April) zusammentrifft mit der Periode der Südwinde zwischen der Meerenge Bab-el-Mandeb und dem Isthmus von Suez.
Nachdem wir nun, in diesem Entwurf einer Geschichte der physischen Weltanschauung, den Schauplatz geschildert haben, auf dem von so verschiedenen Seiten fremde Elemente der Cultur- und Länderkenntniß dem Griechenvolke zugeführt werden konnten, bezeichnen wir hier zuerst diejenigen der das Mittelmeer umwohnenden Völker, welche sich einer alten und ausgezeichneten Bildung erfreuten: die Aegypter, die Phönicier sammt ihren nord- und westafrikanischen Colonien, und die Etrusker. Einwanderung und Handelsverkehr haben am mächtigsten gewirkt. Je mehr sich in der neuesten Zeit durch Entdeckung von Monumenten und Inschriften, wie durch philosophischere Sprachforschung unser historischer Gesichtskreis erweitert hat: desto mannigfältiger erscheint der Einfluß, welcher in der frühesten Zeit auch vom Euphrat her, aus Lycien und durch die mit den thracischen Stämmen verwandten Phrygier auf die Griechen ausgeübt wurde.
In dem Nilthale, das eine so große Rolle in der Geschichte der Menschheit spielt, »gehen sichere Königsschilder« (ich folge den neuesten Forschungen von LepsiusAlles, was sich auf ägyptische Chronologie und Geschichte bezieht und (S. 156–159) durch Anführungszeichen im Texte unterschieden ist, gründet sich auf handschriftliche Mittheilungen meines Freundes, des Professor Lepsius, vom Monat März 1846. und dem Resultate seiner wichtigen, das ganze Alterthum aufklärenden Expedition) »bis in den Anfang der vierten Manethonischen Dynastie: welche die Erbauer der großen 157 Pyramiden von Giseh (Chephren oder Schafra, Cheops-Chufu und Menkera oder Mencheres) in sich schließt. Diese Dynastie beginnt mehr als 34 Jahrhunderte vor unsrer christlichen Zeitrechnung, 23 Jahrhunderte vor der dorischen Einwanderung der Herakliden in den Peloponnes.Ich setze die dorische Einwanderung in den Peloponnes mit Otfried Müller (Dorier Abth. II. S. 436) 328 Jahre vor der ersten Olympiade. Die großen Stein-Pyramiden von Dahschur, etwas südlich von Giseh und Sakara, hält Lepsius für Werke der dritten Dynastie. Auf den Blöcken derselben finden sich Steinmetz-Inschriften, aber bis jetzt keine Königsnamen. Die letzte Dynastie des alten Reichs, das mit dem Einfall der Hyksos endigte, wohl 1200 Jahre vor Homer, war die 12te Manethonische: welcher Amenemha III angehörte, der Erbauer des ursprünglichen Labyrinths, der den Möris-See künstlich schuf durch Ausgrabung und mächtige Erddämme in Norden und Westen. Nach der Vertreibung der Hyksos beginnt das neue Reich mit der 18ten Dynastie (1600 Jahre vor Chr.). Der große Ramses-Miamen (Ramses II) war der zweite Herrscher der 19ten Dynastie. Seine Siege, durch Abbildungen in Stein verewigt, wurden dem Germanicus von den Priestern in Theben erklärt.Tac. Annal. II, 59. In dem Papyrus von Sallier (campagnes de Sésostris) fand Champollion den Namen der Javanen oder Jouni und den der Luki (Jonier und Lycier?). Vergl. Bunsen, Aegypten Buch I. S. 60. Herodot kennt ihn unter dem Namen Sesostris: wahrscheinlich durch eine Verwechselung mit dem fast eben so kriegerischen und mächtigen Eroberer Seti (Setos), welcher der Vater Ramses II war.«
Wir haben geglaubt hier bei diesen Einzelheiten der Zeitrechnung verweilen zu müssen, um da, wo für uns fester Geschichtsboden ist, das relative Alter großer Begebenheiten in Aegypten, Phönicien und Griechenland annäherungsweise bestimmen zu können. Wie wir vorher das Mittelmeer nach seinen räumlichen Verhältnissen mit wenigen 158 Zügen geschildert, so mußten wir jetzt auch an die Jahrtausende erinnern, um welche die menschliche Cultur im Nilthal der von Hellas vorangegangen ist. Ohne diese simultanen Beziehungen von Raum und Zeit können wir, nach der inneren Natur der Gedankenwelt, uns kein klares und befriedigendes Geschichtsbild entwerfen.
Die Cultur im Nilthale: früh durch geistiges Bedürfniß, durch eine sonderbare physische Beschaffenheit des Landes, durch priesterliche und politische Einrichtungen erweckt und unfrei gemodelt, hat, wie überall auf dem Erdboden, zum Contact mit fremden Völkern, zu fernen Heerzügen und Ansiedelungen angeregt. Was aber Geschichte und Denkmäler uns darüber aufbewahrt haben, bezeugt vorübergehende Eroberungen auf dem Landwege und wenig ausgedehnte eigene Schifffahrt. Ein so altes und mächtiges Culturvolk scheint weniger dauernd nach außen gewirkt zu haben als andere vielbewegte, kleinere Volksstämme. Die lange Arbeit seiner Nationalbildung, mehr den Massen als den Individuen gedeihlich, ist wie räumlich abgeschieden und deshalb für die Erweiterung kosmischer Ansichten wahrscheinlich unfruchtbarer geblieben. Ramses-Miamen (von 1388 bis 1322 vor Chr., also volle 600 Jahre vor der ersten Olympiade des Koröbus) unternahm weite Heerzüge: nach Herodot »in Aethiopien (wo seine südlichsten Bauwerke Lepsius am Berg Barkal fand), durch das palästinische Syrien, von Kleinasien nach Europa übersetzend: zu den Scythen, Thraciern; endlich nach Kolchis und an den Phasis-Strom, wo von seinen Soldaten des Herumziehens müde Ansiedler zurückblieben. Auch habe Ramses zuerst, sagten die Priester, mit langen Schiffen die Küstenbewohner 159 längs dem erythräischen Meere sich unterworfen, bis er endlich im Weiterschiffen in ein Meer kam, das vor Seichtigkeit nicht mehr schiffbar war.«Herod. II, 102 und 103; Diod. Sic. I, 55 und 56. Von den Denksäulen (Stelen), die Ramses-Miamen als Siegeszeichen in den durchzogenen Landen setzte, nennt Herodot (II, 106) ausdrücklich drei: »eine im palästinischen Syrien, zwei in Jonien: wo man aus dem Ephesischen nach Phocäa und von Sardes nach Smyrna geht.« Ein Felsen-Relief, welches den Namen des Ramses mehrmals darbietet, ist in Syrien am Lycus, unsern Beirut (Berytus), aufgefunden: so wie ein anderes, roheres, im Thal Karabel bei Nymphio, nach Lepsius auf dem Wege aus dem Ephesischen nach Phocäa. (Lepsius in den Ann. dell' Inst. archeol. Vol. X. 1838 p. 12 und desselben Brief aus Smyrna vom December 1845 in der archäologischen Zeitung Mai 1846 No. 41 S. 271–280; Kiepert in derselben Zeitung 1843 No. 3 S. 35). Ob der große Eroberer, wie Heeren glaubt (Gesch. der Staaten des Alterthums 1828 S. 76), bis Persien und Vorder-Indien vorgedrungen sei: »weil damals das westliche Asien noch kein großes Reich enthielt« (die Erbauung des assyrischen Ninive wird erst 1230 vor Chr. gesetzt); werden bei jetzt so schnell fortschreitenden Entdeckungen die Archäologen und phonetische Sprachforscher einst entscheiden. Strabo (lib. XVI pag. 760) nennt eine Denksäule des Sesostris nahe bei der Meerenge Deire, jetzt Bab-el-Mandeb genannt. Es ist übrigens auch sehr wahrscheinlich, daß schon im alten Reiche über 900 Jahre vor Ramses-Miamen ähnliche Heerzüge ägyptischer Könige nach Asien statt gefunden haben. Unter dem, zur 19ten Dynastie gehörigen Pharao Setos II, dem zweiten Nachfolger des großen Ramses-Miamen, zog Moses aus Aegypten aus: nach den Untersuchungen von Lepsius ungefähr 1300 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Diodor sagt bestimmt, daß Sesoosis (der große Ramses) in Indien bis über den Ganges ging, auch Gefangene aus Babylon zurückführte. »Die einzige sichere Thatsache in Bezug auf die eigene altägyptische Schifffahrt ist die, daß seit den frühesten Zeiten die Aegypter nicht bloß den Nil, sondern auch den arabischen Meerbusen befuhren. Die berühmten Kupferminen bei Wadi Magara auf der Sinai-Halbinsel wurden bereits unter der 4ten Dynastie, unter Cheops-Chufu, bebaut. Bis zur 6ten Dynastie gehen die Inschriften von Hamamat an der Kossêr-Straße, welche das Nilthal mit der westlichen Küste des rothen Meeres verband. Der Canal von Suez wurde unter Ramses dem Großen zu bauen versuchtNach Aristoteles, Strabo und Plinius: nicht nach Herodot; s. Letronne in der Revue des deux Mondes 1841 T. XXVII. p. 219, und Droysen, Bildung des hellenistischen Staatensystems S. 735., zunächst wohl wegen des Verkehrs mit dem arabischen Kupferlande.« Größere nautische Unternehmungen, wie selbst die so oft bestrittene, mir gar nicht unwahrscheinlicheZu den wichtigen der Umschiffung von Libyen günstigen Meinungen von Rennell, Heeren und Sprengel muß man jetzt auch die eines überaus gründlichen Philologen, Etienne Quatremère, zählen (s. Mém. de l'acad. des Inscriptions T: XV. P. 2. 1845 p. 380–388). Das überzeugendste Argument für die Wahrheit des Berichts von Herod. IV, 42 scheint mir die dem Herodot unglaublich vorkommende Bemerkung, »daß die Seefahrer bei dem Umschiffen Libyens (von Osten nach Westen segelnd) die Sonne zur Rechten bekommen hatten«. Im Mittelmeere sah man, ebenfalls von Osten nach Westen (von Tyrus nach Gadeira) schiffend, die Sonne um Mittag nur zur Linken. Uebrigens muß auch vor Neku II (Necho) schon in Aegypten eine ältere Kenntniß von der Möglichkeit einer ungehinderten Umschiffung Libyens vorhanden gewesen sein: da Herodot den Neku bestimmt den Phöniciern befehlen läßt, »sie sollten den Rückweg nach Aegypten durch die Säulen des Hercules nehmen«. Sonderbar ist es immer, daß Strabo (lib. II pag. 98): der so weitläuftig die versuchte Umschiffung des Eudoxus von Cyzicus unter der Kleopatra discutirt, und auch der Trümmer des Schiffes aus Gadeira erwähnt, welches an der äthiopischen (östlichen) Küste gefunden war, zwar die vorgegebenen wirklichen Umschiffungen für eine Bergäische Fabel erklärt (lib. II pag. 100), aber die Möglichkeit der Umschiffung keinesweges läugnet (lib. I p. 38); und daß er behauptet, es sei östlich und westlich des noch Unumschifften nur wenig (lib. I p. 4). Strabo hing gar nicht der wundersamen Isthmus-Hypothese des Hipparch und Marinus Tyrius an, nach der das östliche Afrika sich an das Südost-Ende von Asien anschließt und das indische Meer zu einem Mittelmeer macht (Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. 139–142, 145, 161 und 229; T. II. p. 370–373). Strabo citirt Herodot, nennt aber den Namen Neko's nicht: dessen Expedition er mit der von Darius veranstalteten Umschiffung von Süd-Persien und ganz Arabien verwechselt (Herod. IV, 44). Gossellin hat sogar allzu kühn die Lesart Darius in Neko verwandeln wollen. Ein Gegenstück zu dem Pferdekopf des Schiffes von Gadeira, welchen Eudoxus in Aegypten auf einem Marktplatze gezeigt haben soll, sind die Trümmer eines Schiffes aus dem rothen Meere, das nach der Erzählung eines sehr glaubwürdigen arabischen Geschichtsschreibers (Masudi in dem Moridj-al-dzeheb, Quatremère p. 389; und Reinaud, relation des voyages dans l'Inde 1845 T. I. p. XVI und T. II. p. 46) an die Küste von Creta durch westliche Strömungen gelangt ist. Umseglung von Afrika unter Neku II (611–595 vor Chr.) wurden phönicischen Schiffen anvertraut. Fast um dieselbe Zeit: etwas früher, unter Neku's Vater Psammitich (Psemetek), und etwas später nach geendigtem Bürgerkriege unter Amasis (Aahmes), legten griechische Miethstruppen und ihre Ansiedelung in Naucratis den Grund zu bleibendem auswärtigem Handelsverkehr, zur Aufnahme fremder Elemente, zu dem allmäligen Eindringen des Hellenismus in Nieder-Aegypten. Es war ein Keim geistiger Freiheit, größerer Unabhängigkeit von localisirenden Einflüssen; ein Keim, der sich in der Periode einer neuen Weltgestaltung durch die macedonische Eroberung schnell und 160 kräftig entwickelte. Die Eröffnung der ägyptischen Häfen unter Psammitich bezeichnet eine um so wichtigere Epoche, als bis dahin das Land wenigstens an seiner nördlichen Küste sich seit langer Zeit, wie jetzt noch Japan, gegen Fremde völlig abgeschlossen hielt.Diod. lib I cap. 67, 10; Herod. II, 154, 178 und 182. Ueber die Wahrscheinlichkeit eines Verkehrs zwischen Aegypten und Griechenland vor Psammitich s. die scharfsichtigen Beobachtungen von Ludwig Roß in Hellenika Bd. I. 1846 S. V und X. »In den nächsten Zeiten vor Psammitich (sagt er) war in beiden Ländern eine Epoche innerer Zerrüttung, die nothwendig eine Beschränkung und theilweise Unterbrechung des Verkehrs herbeiführen mußte.«
In der Aufzählung der nichthellenischen Culturvölker, welche das Becken des Mittelmeers, den ältesten Sitz und Ausgangspunkt unseres Wissens, umwohnen, reihen wir hier an die Aegypter die Phönicier an. Diese sind als die thätigsten Vermittler der Völkerverbindung vom indischen Meere bis in den Westen und Norden des allen Continents zu betrachten. Eingeschränkt in manchen Sphären geistiger Bildung, den schönen Künsten mehr als den mechanischen entfremdet, nicht großartig-schöpferisch wie die sinnigeren Bewohner des Nilthals: haben die Phönicier doch als ein kühnes, allbewegtes Handelsvolk, vorzüglich durch Ausführung von Colonien, deren eine an politischer Macht die Mutterstadt weit übertraf, früher als alle anderen Stämme des Mittelmeers auf den Umlauf der Ideen, auf die Bereicherung und Vielseitigkeit der Weltansichten gewirkt. Der phönicische Volksstamm hatte babylonisches Maaß und GewichtBöckh, metrologische Untersuchungen über Gewichte, Münzfuße und Maße des Alterthums in ihrem Zusammenhang 1838 S. 12 und 273.: auch, wenigstens seit der persischen Herrschaft, geprägte metallische Münze als Tauschmittel: das – sonderbar genug – den politisch, ja künstlerisch so ausgebildeten Aegyptern fehlte. Wodurch aber die Phönicier fast am meisten zu der Cultur der Nationen beitrugen, mit denen sie in Contact traten, war die räumliche Verallgemeinerung und Mittheilung der Buchstabenschrift, deren sie sich schon längst selbst bedienten. Wenn auch die ganze Sagengeschichte einer angeblichen Colonie des Kadmus in Böotien in mythisches Dunkel gehüllt bleibt, 161 so ist es darum nicht minder gewiß, daß die Hellenen die Buchstabenschrift, welche sie lange phönicische Zeichen nannten, durch den Handelsverkehr der Ionier mit den Phöniciern erhielten.S. die Stellen gesammelt in Otfried Müller, Minyer S. 115 und Dorier Abth. I. S. 129; Franz, elementa Epigraphices graecae 1840 p. 13, 32 und 34. Nach den Ansichten, die sich seit Champollion's großer Entdeckung immer mehr über die früheren Zustände alphabetischer Schrift-Entwickelung verbreiten, ist die phönicische wie die ganze semitische Zeichenschrift als ein aus der Bilderschrift allerdings ursprünglich ausgegangenes Laut-Alphabet zu betrachten: d. h. als ein solches, in welchem die ideelle Bedeutung der Bildzeichen völlig unbeachtet bleibt und letztere nur phonetisch, als Lautzeichen, behandelt werden. Ein solches Laut-Alphabet, seiner Natur und Grundform nach ein Sylben-Alphabet, war geeignet alle Bedürfnisse graphischer Darstellung von dem Lautsysteme einer Sprache zu befriedigen. »Als die semitische Schrift«, sagt Lepsius in seiner Abhandlung über die Alphabete, »nach Europa zu indogermanischen Völkern überging, die durchgängig eine weit höhere Tendenz zu strenger Sonderung der Vocale und Consonanten zeigen und hierzu durch die weit höhere Bedeutung des Vocalismus in ihren Sprachen geleitet werden mußten, nahm man überaus wichtige und einflußreiche Veränderungen mit diesen Sylben-Alphabeten vor.«Lepsius in seiner Abhandlung über die Anordnung und Verwandtschaft des Semitischen, Indischen, Alt-Persischen, Alt-Aegyptischen und Aethiopischen Alphabets 1836 S. 23–28 und 57; Gesenius, scripturae Phoeniciae monumenta 1837 p. 17. Das Streben die Syllabität aufzuheben fand bei den Hellenen seine volle Befriedigung. So verschaffte die Uebertragung der phönicischen Zeichen fast allen Küstenländern des Mittelmeers, ja selbst der Nordwest-Küste von Afrika, nicht bloß Erleichterung in dem materiellen Handelsverkehr und ein gemeinsames Band, das viele Culturvölker umschlang: nein die Buchstabenschrift, durch ihre graphische Biegsamkeit verallgemeinert, war zu etwas höherem berufen. Sie wurde 162 die Trägerinn des Edelsten, was in den beiden großen Sphären: der Intelligenz und der Gefühle, des forschenden Sinnes und der schaffenden Einbildungskraft, das Volk der Hellenen errungen und als eine unvergängliche Wohlthat der spätesten Nachwelt vererbt hat.
Die Phönicier haben aber nicht bloß vermittelnd und anregend die Elemente der Weltanschauung vermehrt; sie haben auch erfinderisch und selbstthätig nach einzelnen Richtungen hin den Kreis des Wissens erweitert. Ein industrieller Wohlstand, der auf eine ausgebreitete Schifffahrt und auf den Fabrikfleiß von Sidon in weißen und gefärbten Glaswaaren, in Geweben und Purpurfärberei gegründet war, führte hier wie überall zu Fortschritten in dem mathematischen und chemischen Wissen, vorzüglich aber in den technischen Künsten. »Die Sidonier«, sagt Strabo, »werden geschildert als strebsame Forscher sowohl in der Sternkunde als in der Zahlenlehre, wobei sie ausgingen von der Rechenkunst und Nachtschifffahrt: denn beides ist dem Handel und dem Schiffsverkehr unentbehrlich.«Strabo lib. XVI pag. 757. Um den Erdraum zu messen, der durch phönicische Schifffahrt und phönicischen Caravanenhandel zuerst eröffnet wurde, nennen wir die Ansiedelung im Pontus an der bithynischen Küste (Pronectus und Bithynium): wahrscheinlich in sehr früher Zeit; den Besuch der Cycladen und mehrerer Inseln des ägäischen Meeres zur Zeit des homerischen Sängers, das silberreiche südliche Spanien (Tartessus und Gades), das nördliche Afrika westlich von der kleinen Syrte (Utica, Hadrumetum und Carthago), die Zinn-Die Bestimmung des Zinnlandes (Britannien, die Scilly-Inseln) ist leichter als die der Bernsteinküste; denn daß die altgriechische Benennung κασσίτερος, schon in den homerischen Zeiten verbreitet, von einem zinnreichen Berge Cassius im südwestlichen Spanien herzuleiten sei, welchen der dieser Gegend sehr kundige Avienus zwischen Gaddir und die Mündung eines kleinen südlichen Iberus versetzt (Ukert, Geogr. der Griechen und Römer Th. II. Abth. I. S. 479), ist mir sehr unwahrscheinlich. Kassiteros ist das altindische Sanskritwort kastîra. Zinn (isländ., dän., engl. tin; schwed. tenn) heißt in der malayischen und javanischen Sprache timah: eine Laut-Aehnlichkeit, welche fast an die des altgermanischen glessum (Name für den durchsichtigen Bernstein) mit unserem Worte Glas erinnert. Die Benennungen von Waaren und Handelsartikeln (s. oben S. 143 und Anm 586) gehen von einem Volke zum anderen in die verschiedensten Sprachfamilien über. Durch den Verkehr, welchen die Phönicier von ihren Factoreien in dem persischen Meerbusen aus mit der Ostküste von Indien trieben, hat das Sanskritwort kastîra: welches ein so nützliches hinter-indisches Product bezeichnete und sich unter den alt-aramäischen Idiomen noch jetzt im Arabischen als kasdir findet, den Griechen bekannt werden können, ehe selbst Albion und die britannischen Cassiteriden besucht wurden. (Aug. Wilh. von Schlegel in der Indischen Bibliothek Bd. II. S. 393; Benfey, Indien S. 307; Pott, etymol. Forschungen Th. II. S. 414; Lassen, Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 239.) Eine Benennung wird oft ein geschichtliches Denkmal; und die etymologisirende zergliedernde Sprachforschung, von Unkundigen verspottet, trägt ihre Früchte. Den Alten war auch das Zinn, eines der seltensten Metalle auf unserem Erdkörper, im Lande der Artabrer und der Callaeci auf dem nordwestlichsten iberischen Continente bekannt (Strabo lib. III p. 147, Plin. XXXIV cap. 16): also in einer größeren Nähe für die Seefahrt auf dem Mittelmeer als die Cassiteriden (Oestrymnides des Avienus). Als ich vor meiner Einschiffung nach den canarischen Inseln im Jahr 1799 in Galicien war, wurde noch daselbst im Granitgebirge ein sehr ärmlicher Bergbau getrieben (s. meine Relation hist. T. I. p. 51 und 53). Dies Vorkommen des Zinnes ist von einiger geognostischen Wichtigkeit wegen des ehemaligen Zusammenhanges von Galicien, der Halbinsel Bretagne und Cornwall. und Bernsteinländer des Nordens von Europa; zwei HandelsfactoreienEtienne Quatremère a. a. O. p. 363–370. im persischen Meerbusen (Tylos und Aradus, die Baharein-Inseln).
163 Der Bernsteinhandel: welcher wahrscheinlich zuerst nach den westlichen cimbrischen KüstenDie schon früh geäußerte Meinung (Heinzens neues Kielisches Magazin Th. II. 1787 S. 339; Sprengel, Gesch. der geogr. Entdeckungen 1792 S. 51: Voß, krit. Blätter Bd. II. S. 392–403), daß der Bernstein zuerst nur von der westlichen cimbrischen Küste durch Schiffahrt und vorzüglich durch inneren Tauschhandel auf Landwegen an das Mittelmeer gelangt sei, gewinnt immer mehr Anklang. Die gründlichste und scharfsinnigste Untersuchung dieses Gegenstandes enthält Ukert's Abhandlung über das Elektrum in der Zeitschrift für die Alterthumswissenschaft 1838 No. 52–55 S. 425–452 (vergl. damit seine Geographie der Griechen und Römer Th. II. Abth 2. 1832 S. 26–36: Th. III, 1. 1843 S. 86, 175, 182, 320 und 349). Die Massilier, welche Heeren unter Pytheas, nach den Phöniciern, bis in die Ostsee vordringen läßt, überschritten wohl kaum die Mündungen der Weser und Elbe. Die Bernstein-Insel Glessaria (auch Austrania genannt) setzt Plinius (IV, 16) bestimmt westlich vom Vorgebirge der Cimbern in das germanische Meer: und der Zusammenhang mit der Expedition des Germanicus lehrt genugsam, daß nicht eine Insel der Ostsee gemeint sei. Die großen Wirkungen der Ebbe und Fluth in den aestuariis, welche Bernstein auswerfen: wo nach Servius Ausdruck »mare vicissim tum accedit, tum recedit« passen ebenfalls nur auf die Küstengegend zwischen dem Helder und der cimbrischen Halbinsel: und nicht auf die Ostsee, in der des Timäus Insel Baltia (Plin. XXXVII, 2) liegen mag. Abalus, eine Tagereise von einem aestuarium entfernt, kann daher nicht die kurische Nehrung sein. Vergl. auch über die Fahrt des Pytheas nach der westlichen Küste von Jütland und den Bernsteinhandel längs dem ganzen Littoral von Skagen bis zu den Niederlanden Werlauff, Bidrag til den nordiske Ravhandels Historie (Kopenh. 1835). Nicht Plinius, sondern erst Tacitus kennt das glessum der Ostsee-Küsten im Lande der Aestyer (Aestuorum gentium) und der Veneder: von welchen der große Sprachforscher Schaffarik (slawische Alterthümer Th. I. S. 151–165) ungewiß ist, ob sie Slaven oder Germanen waren. Die lebhaftere unmittelbare Verbindung mit der samländischen Ostsee-Küste und mit den Aestyern mittelst des Landweges durch Pannonien über Carnuntum, den ein römischer Ritter unter Nero einschlug, scheint mir in die spätere Periode der römischen Cäsaren zu fallen (Voigt, Gesch. Preußens Bd. I. S. 85). Von den Verbindungen zwischen der preußischen Küste und den griechischen Colonien am schwarzen Meere zeugen schöne, wahrscheinlich vor Olymp. 85 geprägte Münzen, die man in den neuesten Zeiten im Netze-District gefunden hat (Levezow in den Abhandl. der Berl. Akad. der Wiss. aus dem J. 1833 S. 181–224). Zu verschiedenen Zeiten ist wohl auch aus sehr verschiedenen Gegenden das an die Küsten angeschwemmte oder gegrabene (Plin. XXXVII cap. 2) Electron, der Sonnenstein der uralten Eridanus-Mythe, auf See- und Landwegen dem Süden zugeströmt. Der »an zwei Orten in Scythien gegrabene Bernstein war theilweise sehr dunkel gefärbt«. Allerdings wird noch heute bei Kaltschedansk unfern Kamensk am Ural Bernstein gesammelt; wir haben Fragmente davon, in Braunkohle eingehüllt, in Katharinenburg erhalten (G. Rose, Reise nach dem Ural Bd. I. S. 481 und Sir Roderick Murchison in der Geology of Russia Vol. I. p. 366). Das den Bernstein oft umschließende fossile Holz hatte früh auch die Aufmerksamkeit der Alten auf sich gezogen. Das damals so kostbare Harz wurde bald der Schwarzpappel (nach dem Chier Scymnus v. 396 pag. 367, Letronne), bald einem Baume aus dem Cedern- oder Fichtengeschlechte (nach Mithridates in Plin. XXXVII cap. 2 und 3) zugeschrieben. Die neuesten vortrefflichen Untersuchungen des Prof. Göppert zu Breslau haben gelehrt, daß die Ahndung des römischen Sammlers die richtigere war. Vergl. über den fossilen Bernsteinbaum (Pinites succinifer) einer untergegangenen Pflanzenwelt Kosmos Bd. I. S. 298 und Berendt, organische Reste im Bernstein Bd. I. Abth. 1. 1845 S. 89. und dann später nach der Ostsee, dem Lande der Aestyer, gerichtet war, verdankt der Kühnheit und der Ausdauer phönicischer Küstenfahrer seinen ersten Ursprung. Er bietet uns in seiner nachmaligen Ausdehnung für die Geschichte der Weltanschauung ein merkwürdiges Beispiel von dem Einflusse dar, den die Liebe zu einem einzigen fernen Erzeugniß auf die Eröffnung eines inneren Völkerverkehrs und auf die Kenntniß großer Länderstrecken haben kann. So wie die phocäischen Massilier das britische Zinn queer durch Gallien bis an den Rhodanus führten, so gelangte der Bernstein (electrum) von Volk zu Volk durch Germanien und das Gebiet der Kelten an beiden Abhängen der Alpen zum Padus, durch Pannonien an den Borysthenes. Dieser Landhandel setzte so zuerst die Küsten des nördlichen Oceans in Verbindung mit dem adriatischen Meerbusen und dem Pontus.
Von Carthago und wahrscheinlich von den 200 Jahre früher gegründeten Ansiedelungen Tartessus und Gades aus haben die Phönicier einen wichtigen Theil der Nordwest-Küste von Afrika erforscht, weit jenseits des Cap Bojador: wenn auch der Chretes des Hanno wohl weder der Chremetes der Meteorologie des Aristoteles, noch unser Gambia istS. über den Chremetes Aristot. Meteor. lib. I p. 350 Bekk.) und über die südlichsten Punkte, deren Hanno in seinem Schiffsjournal Erwähnung thut, meine Rel. hist. T. I. p. 172 und Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 39, 180 und 288; T. III. p. 135. (Gossellin, recherches sur la Géogr. systém. des anciens T. I. p. 94 und 98; Ukert Th. I, 1. S. 61–66.). Dort lagen die vielen Städte der Tyrier: deren Zahl Strabo bis zu 300 erhöht und die von den Pharusiern und NigritenStrabo lib. XVII p. 826. Die Zerstörung phönicischer Colonien durch Nigriten (lib. II pag. 131) scheint auf eine sehr südliche Lage zu deuten: mehr vielleicht als die Crocodile und Elephanten, welche Hanno nennt: da beide bestimmt ehemals nördlich von der Wüste Sahara in Maurusien und im ganzen westlichen Atlaslande gefunden wurden, wie Strabo lib. XVII p. 827, Aelian de Nat. Anim. VII, 2, Plin. V, 1 und viele Vorfälle der Kriege zwischen Rom und Carthago beweisen. (Vergl. über diesen wichtigen Gegenstand der Geographie der Thiere Cuvier, Ossemens fossiles 2. éd. T. I. p. 74 und Quatremère a. a. O. S. 391–394.) zerstört wurden. Unter ihnen war Cerne (Dicuil's Gaulea nach Letronne) die Hauptstation der Schiffe wie der Hauptstapelplatz der colonisirten Küste. Die canarischen Inseln und die Azoren, welche letzteren des Columbus Sohn Don Fernando für die von den 164 Carthagern aufgefundenen Cassiteriden hielt, sind gegen Westen; die Orcaden, Färöer-Inseln und Island sind gegen Norden gleichsam vermittelnde Stationen geworden, um nach dem Neuen Continent überzugehen. Sie bezeichnen die zwei Wege, auf denen zuerst der europäische Theil des Menschengeschlechts mit dem von Nord- und Mittel-Amerika bekannt geworden ist. Diese Betrachtung giebt der Frage: ob und wie früh die Phönicier des Mutterlandes oder die der iberischen und afrikanischen Pflanzstädte (Gadeira, Carthago, Cerne) Porto Santo, Madera und die canarischen Inseln gekannt haben? eine große, ich möchte sagen eine weltgeschichtliche Wichtigkeit. In einer langen Verkettung von Begebenheiten spürt man gern dem ersten Kettengliede nach. Wahrscheinlich sind seit der phönicischen Gründung von Tartessus und Utica bis zur Entdeckung von Amerika auf dem nördlichen Wege: d. i. bis zu Erich Rauda's Uebergang nach Grönland, dem bald Seefahrten bis Nord-Carolina folgten, volle 2000 Jahre; auf dem südwestlichen Wege: welchen Christoph Columbus einschlug, indem er nahe bei dem altphönicischen Gadeira auslief, 2500 Jahre verflossen.
Wenn wir nun nach dem Bedürfniß der Verallgemeinerung der Ideen, welche diesem Werke obliegt, die Auffindung einer Inselgruppe, die nur 42 geographische Meilen von der afrikanischen Küste entfernt ist, als das erste Glied einer langen Reihe gleichmäßig gerichteter Bestrebungen betrachten; so ist hier nicht von einer aus dem Innern des Gemüthes erzeugten Dichtung: von dem Elysion, den Inseln der Seligen die Rede, welche an den Grenzen der Erde im Oceanus von der nahe untergehenden Sonnenscheibe erwärmt werden. In der weitesten Ferne dachte 165 man sich alle Anmuth des Lebens, die kostbarsten ErzeugnisseHerodot III. 106. der Erde. Das ideale Land, die geographische Mythe des Elysion, ward weiter gegen Westen geschoben, über die Säulen des Hercules hinaus, je nachdem die Kenntniß des Mittelmeers bei den Hellenen sich erweiterte. Die wirkliche Weltkunde, die frühesten Entdeckungen der Phönicier, über deren Epoche keine bestimmte Nachricht zu uns gekommen ist, haben wahrscheinlich nicht zu jener Mythe von seligen Inseln Veranlassung gegeben; es ist die Mythe erst nachher gedeutet worden. Die geographische Entdeckung hat nur ein Phantasie-Gebilde verkörpert, ihm gleichsam zum Substrat gedient.
Wo spätere Schriftsteller (wie ein unbekannter Compilator der dem Aristoteles zugeschriebenen Sammlung wunderbarer Erzählungen, welcher den Timäus benutzte, oder noch ausführlicher Diodor von Sicilien) der anmuthigen Inseln erwähnen, die man für die canarischen halten kann, wird großer Stürme gedacht, welche die zufällige Entdeckung veranlaßt haben. Phönicische und carthagische Schiffe, heißt es, »welche nach den (damals schon vorhandenen) Niederlassungen an der Küste Libyens segelten) wurden in das Meer hinausgetrieben. Die Begebenheit soll sich in der frühen Zeit der tyrrhenischen Seeherrschaft, in der des Streites zwischen den tyrrhenischen Pelasgern und den Phöniciern, zugetragen haben. Statius Sebosus und der numidische König Juba nannten zuerst die einzelnen Inseln: aber leider nicht mit punischen Namen, wenn auch gewiß nach Notizen, die aus punischen Büchern geschöpft waren. Weil Sertorius, aus Hispanien vertrieben, nach Verlust seiner Flotte sich mit den Seinen »nach einer Gruppe von nur zwei atlantischen Inseln, 10000 Stadien im Westen vom Ausflusse des Bätis«, retten wollte; so hat man 166 vermuthet, Plutarch habe die beiden Inseln Porto Santo und Madera gemeintIch habe diesen oft bestrittenen Gegenstand wie die Stellen des Diodor (V, 19 und 20) und Pseudo-Aristoteles (Mirab. Auscult. cap. 85 pag. 172 Bekk.) an einem anderen Orte umständlich behandelt (Examen crit. T. I. p. 130–139, T. II. p. 148 und 169, T. III. p. 137–140). Die Compilation der Mirab. Auscult. scheint älter als das Ende des ersten punischen Krieges, da sie (cap. 105 pag. 211) Sardinien unter der Botmäßigkeit der Carthager schildert. Merkwürdig ist auch, daß die waldreiche Insel, deren dieses Werk erwähnt, als unbewohnt (also von Guanschen unbevölkert) beschrieben wird. Guanschen (Guanches) bewohnen die ganze Gruppe der canarischen Inseln: aber in der That nicht die Insel Madera: auf welcher weder Johann Gonzalves und Tristan Vaz 1519, noch der frühere Robert Masham mit Anna Dorset (falls ihre Robinsonade geschichtlich sicher ist) Einwohner fanden. Heeren bezieht die Beschreibung des Diodor auf Madera allein, doch in dem mit punischen Schriften so vertrauten Festus Avienus (v. 164) glaubt er die häufigen vulkanischen Erderschütterungen des Pics von Teneriffa (Ideen über Politik und Handel Th. II. Abth. 1. 1826 S. 106) erkennen zu dürfen. Dem geographischen Zusammenhange nach scheint mir in der Darstellung des Avienus (Examen critique T. III. p. 138) eine nördlichere Gegend, vielleicht selbst im kronischen Meere, gemeint zu sein. Der punischen Quellen, die Juba benutzte, erwähnt auch Ammianus Marcellinus XXII, 15. Ueber die Wahrscheinlichkeit des semitischen Ursprungs der Benennung der canarischen Inseln (der Hunde-Inseln des lateinisch etymologisirenden Plinius!) s. Credner, die biblische Vorstellung vom Paradiese in Illgen's Zeitschr. für die historische Theologie Bd. VI. 1836 S. 166–186. Am gründlichsten und litterarisch vollständigsten ist neuerlichst alles, was von den ältesten Zeiten bis zum Mittelalter über die canarischen Inseln geschrieben worden ist, zusammengestellt worden in einer Arbeit von Joaquim José da Costa de Macedo unter dem Titel: Memoria em que se pretende provar que os Arabes não con hecerão as Canarias antes dos Portuguezes, 1844. Wenn neben den Sagen die Geschichte schweigt, in so fern sie auf sichere und bestimmt ausgedrückte Zeugnisse gegründet ist, so bleiben nur verschiedene Abstufungen der Wahrscheinlichkeit übrig: ein absolutes Abläugnen alles Thatsächlichen in der Weltgeschichte, wo die Zeugnisse unbestimmter sind, scheint mir aber keine glückliche Anwendung der philologischen und historischen Kritik zu sein. Die vielen uns aus dem Alterthum überkommenen Angaben und eine genaue Erwähnung der räumlichen Verhältnisse, besonders der großen Nähe von alten unbestreitbaren Ansiedlungen der afrikanischen Küste, lassen mich glauben an eine Kenntniß der canarischen Inselgruppe bei den Phöniciern, Carthagern, Griechen und Römern, vielleicht selbst bei den Etruskern., welche Plinius nicht undeutlich als Purpurariae bezeichne. Die heftige Meeresströmung, welche jenseits der Hercules-Säulen von Nordwesten gegen Südost gerichtet ist, konnte allerdings die Küstenfahrer lange hindern die vom Continent entferntesten Inseln, von denen nur die kleinere (Porto Santo) im 15ten Jahrhundert bevölkert gefunden ward, zu entdecken. Der Gipfel des großen Vulkans von Teneriffa hat, wegen der Erdkrümmung, auch bei einer starken Strahlenbrechung von den phönicischen Schiffern, die an der Continental-Küste hinschifften, nicht gesehen werden können; wohl aber nach meinen Untersuchungen von den mäßigen Anhöhen, welche das Cap Bojador umgebenVergl. die Berechnungen in meiner Rel. hist. T. I. p. 140 und 187. Der Pic von Teneriffa ist 2° 49' im Bogen von dem nächsten Punkte der afrikanischen Küste entfernt. Bei einer Annahme mittlerer Strahlenbrechung von 0,08 kann der Gipfel des Pics folglich von einer Höhe von 202 Toisen gesehen werden, also von den Montañas negras unfern des Vorgebirges Bojador. In dieser Rechnung ist der Pic zu 1904t über der Meeresfläche angenommen. Neuerlichst haben ihn trigonometrisch Capitän Vidal 1940, die Herren Coupvent und Dumoulin barometrisch 1900t hoch gefunden (d'Urville, Voyage au Pôle Sud, Hist. T. I. 1842 p. 31 und 32). Aber Lancerote mit einem 300t hohen Vulkan, la Corona (Leop. von Buch, canarische Inseln S. 104) und Fortaventura liegen der Küste viel näher als Teneriffa: die erste dieser Inseln in 1° 15', die zweite in 1° 2' Entfernung.: besonders bei Feuerausbrüchen und durch den Reflex eines hohen über dem Vulkan stehenden Gewölkes. Behauptet man doch in Griechenland in neueren Zeiten Ausbrüche des Aetna vom Gebirge Taygetos aus gesehen zu haben.Roß hat der Behauptung nur als einer Sage erwähnt, in Hellenika Bd. I. S. XI. Sollte die Beobachtung nicht auf einer bloßen Täuschung beruht haben? Wenn man die Höhe des Aetna über dem Meere zu 1704 Toisen (Br. 37° 45', Länge 12° 41' von Paris), die des Beobachtungsortes auf dem Taygetos am Elias-Berge zu 1236 Toisen (Br. 36° 57', Länge 20° 1') und die Entfernung beider 88 geogr. Meilen annimmt; so ergeben sich für die Höhe des Punktes, von welchem der Lichtstrahl über dem Aetna aufging, um auf dem Taygetos gesehen zu werden, volle 7612 Toisen, also 4½ mal die Höhe des Aetna. Könnte man dagegen, bemerkt mein Freund, Herr Professor Encke, den Reflex einer zwischen dem Aetna und Taygetos stehenden reflectirenden Fläche: d. i. den Reflex eines Gewölks annehmen, das 46 Meilen vom Aetna und 42 Meilen vom Taygetos entfernt wäre, so brauchte die Höhe der reflectirenden Fläche über dem Meeresspiegel nur 286 Toisen zu sein.
In der Aufzählung der Elemente einer erweiterten Erdkenntniß, welche früh den Griechen aus anderen Theilen des mittelländischen Meerbeckens zuströmten, sind wir bisher den Phöniciern und Carthagern in ihrem Verkehr mit den nördlichen Zinn- und Bernsteinländern wie in ihren der Tropengegend nahen Ansiedelungen an der Westküste von Afrika gefolgt. Es bleibt uns übrig an eine Schifffahrt gegen Süden zu erinnern, welche die Phönicier tausend geographische Meilen östlich von Cerne und Hanno's Westhorne weit über den Wendekreis in das prasodische und indische Meer führte. Mag auch Zweifel über die Localisirung der Namen von fernen Goldländern (Ophir und Supara) übrig bleiben, mögen diese Goldländer die Westküste der indischen 167 Halbinsel oder die Ostküste von Afrika sein: immer ist es gewiß, daß derselbe regsame, alles vermittelnde, früh mit Buchstabenschrift ausgerüstete semitische Menschenstamm von den Cassiteriden an bis südlich von der Straße Bab-el-Mandeb tief innerhalb der Tropen-Region in Contact mit den Erzeugnissen der verschiedenartigsten Klimate trat. Tyrische Wimpel wehten zugleich in Britannien und im indischen Ocean. Die Phönicier hatten Handelsniederlassungen in dem nördlichsten Theile des arabischen Meerbusens in den Häfen von Elath und Ezion-Geber, wie im persischen Meerbusen zu Aradus und Tylos: wo nach Strabo Tempel standen, im Styl der Architectur denen am Mittelmeer ähnlichStrabo lib. XVI p. 767 Casaub. Nach Polybius sollte man vom Gebirge Aimon den Pontus und das adriatische Meer sehen können: was schon Strabo (lib VII p. 313) bespöttelt. (Vergl. Scymnus p. 93.). Auch der Caravanenhandel, welchen die Phönicier trieben, um Gewürze und Weihrauch zu holen, war über Palmyra nach dem glücklichen Arabien und dem chaldäischen oder nabatäischen Gerrha am westlichen oder arabischen Gestade des persischen Meerbusens gerichtet.
Von Ezion-Geber aus gingen die Hiram-Salomonischen Expeditionen, gemeinschaftliche Unternehmungen der Tyrier und Israeliten, durch die Meerenge Bab-el-Mandeb nach Ophir (Opheir, Sophir, Sophara; das sanskritische SuparaUeber die Synonymie von Ophir s. mein Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 42. Ptolemäus hat lib. VI cap. 7 p. 156 ein Sapphara, Metropolis von Arabien; und lib. VII cap. 1 p. 168 Supara im Golf von Camboya (Barigazenus sinus, nach Hesychius), »eine an Gold reiche Gegend«! Supara bedeutet indisch Schönufer. (Lassen, diss. de Taprobane p. 18 und Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 107; Keil, Professor in Dorpat, über die Hiram-Salomonische Schifffahrt nach Ophir und Tarsis S. 40–45.) des Ptolemäus). Der prachtliebende Salomo ließ eine Flotte am Schilfmeere bauen, Hiram gab ihm seekundige phönicische Schiffsleute und auch tyrische Schiffe, TarschischfahrerOb Tarsisschiffe Weltmeerschiffe sind? ob sie, was Michaelis bestreitet, vom phönicischen Tarsus in Cilicien ihren Namen haben? S. Keil S. 7, 15–22 und 71–84.. Die Waaren, welche aus Ophir zurückgebracht wurden, waren Gold, Silber, Sandelholz (algummim), Edelgesteine, Elfenbein, Affen (kophim) und Pfauen (thukkiim). Die Namen für diese Waaren sind nicht hebräisch, sondern indisch.Gesenius, thesaurus linguae hebr. T. I. p. 141 und derselbe in der Encykl. von Ersch und Gruber Sect. III. Th. IV. S. 401; Lassen, Ind. Alterthumsk. Bd. I. S. 538: Reinaud, relation des Voyages faits par les Arabes dans l'Inde et en Chine T. I, 1845 p. XXVIII. Der gelehrte Quatremère, der Ophir in einer ganz neuerlich erschienenen Abhandlung (Mém. de l'Acad. des Inscriptions T. XV. P. 2. 1845 p. 349–402) wieder wie Heeren für die östliche Küste von Afrika hält, erklärt das Wort thukkiim (thukkiyyim) nicht durch Pfau, sondern durch Papagai oder Perlhuhn (p. 375). Ueber Sokotora vergl. Bohlen, das alte Indien Th. II. S. 139 mit Benfey, Indien S. 30–32. Sofala wird von Edrisi (in Amédée Jaubert's Uebersetzung T. I. p. 67) und später nach Gama's Entdeckungsreise von den Portugiesen (Barros Dec. I. liv. X cap. 1 [P. 2] p. 375; Külb, Geschichte der Entdeckungsreisen Th. I. 1841 S. 236) als ein goldreiches Land beschrieben. Ich habe an einem anderen Orte darauf aufmerksam gemacht, daß Edrisi in der Mitte des 12ten Jahrhunderts von der Anwendung des Quecksilbers in den Goldwäschen der Neger dieser Gegend als einer längst eingeführten Amalgamations-Methode spricht. Wenn man der häufigen Verwechselung von r und l gedenkt, so findet sich der Name des ost-afrikanischen Sofala vollkommen wieder in der Form Sophara, welche für das Salomonisch-Hiramsche Ophir in der Uebertragung der Septuaginta neben mehreren anderen Formen vorkommt. Auch Ptolemäus kennt, wie wir schon oben (Anm. 622) erwähnt, ein Sapphara in Arabien (Ritter, Asien Bd. VIII, 1. 1846 S. 252) und ein Supara in Indien. Auf nahe oder gegenüberstehende Küsten hatte, wie wir noch heute ähnliche Verhältnisse in dem spanisch und englisch redenden Amerika wiederfinden, das Mutterland seine eigenen bedeutsamen Sanskrit-Namen reflectirt. Das Gebiet des Ophirhandels konnte also nach meiner Ansicht eben so erweitert werden, wie eine phönicische Tartessusfahrt Cyrene und Carthago, Gadeira und Cerne: und eine Cassiteridenfahrt zugleich die Artabrer, Britannien und die cimbrische Ostküste berühren konnte. Auffallend ist es immer, daß Weihrauch, Gewürze, Seide und baumwollene Zeuge nicht unter den Ophirwaaren neben Elfenbein, Affen und Pfauen genannt werden. Die letzten sind ausschließlich indisch: wenn sie auch wegen ihrer allmäligen Verbreitung gegen Westen von den Griechen oft medische und persische Vögel genannt worden sind, ja die Samier sogar wegen der im Heiligthum der Here von Priestern genährten Pfauen sie für ursprünglich samisch hielten. Aus einer Stelle des Eustathius (Comm. in Iliad. T. IV. p. 225 ed. Lips. 1827) über die Heiligkeit der Pfauen in Libyen hat man mit Unrecht schließen wollen, daß der ταώς auch Afrika angehöre. Nach den scharfsinnigen Untersuchungen von Gesenius, Benfey und Lassen ist es 168 überaus wahrscheinlich, daß die durch ihre Colonien am persischen Meerbusen und ihren Verkehr mit den Gerrhäern der periodisch wehenden Monsune früh kundigen Phönicier die westliche Küste der indischen Halbinsel besuchten. Christoph Columbus war sogar überzeugt, daß Ophir (Salomo's Eldorado) und der Berg Sopora ein Theil von Ost-Asien, von der Chersonesus aurea des Ptolemäus sei.S. Columbus über Ophir und el Monte Sopora, »den Salomo's Flotte erst in drei Jahren erreichen konnte«, in Navarrete, Viages y Descubrimientos que hiciéron los Españoles T. I. p. 103. An einem anderen Orte sagt der große Entdecker, immer in der Hoffnung Ophir zu erreichen: »Die Herrlichkeit und Macht des Goldes von Ophir sind unbeschreiblich. Wer es besitzt, thut, was er will, in dieser Welt; ja es glückt ihm sogar die Seelen aus dem Fegefeuer in das Paradies zu ziehen (llega à que echa las animas al paraiso).« Carta del Almirante escrita en la Jamaica 1503 (Navarrete T. I. p. 309). – Vergl. mein Examen critique T. I. p. 70 und 109, T. II. p. 38–44, und über die eigentliche Dauer der Tarschischfahrt Keil S. 106. Wenn es schwierig scheint sich Vorder-Indien als eine ergiebige Quelle des Goldes zu denken; so glaube ich, daß man: nicht etwa an die »goldsuchenden Ameisen« oder an Ktesias unverkennbare Beschreibung eines Hüttenwerkes, in welchem aber nach seinem Vorgeben Gold und Eisen zugleich geschmolzen wurdeCtesiae Cnidii Operum reliquiae ed. Felix Baehr 1824 cap. 4 und 12 p. 248, 271 und 300. Aber die aus einheimischen Quellen gesammelten und deshalb gar nicht so verwerflichen Nachrichten des Arztes am persischen Hofe beziehen sich auf Gegenden im Norden von Indien: und aus diesen müßte das Gold der Daradas auf vielen Umwegen nach Abhira, nach der Indus-Mündung und der Malabar-Küste gelangt sein; vergl. meine Asie centrale T. I. p. 157 und Lassen, Ind. Alterthumsk. Bd. I. S. 5. Sollte die wundersame Angabe des Ktesias von einer indischen Quelle, in deren Grunde man Eisen und zwar sehr schmiedbares fände, wenn das flüssige Gold abgelaufen ist, sich nicht auf die mißverstandene Erzählung von einem Hüttenwerke gründen? Man hielt das geschmolzene Eisen seiner Farbe wegen für Gold: und wenn nun die gelbe Farbe beim Erkalten verschwunden war, fand man die schwarze Eisenmasse darunter., sondern nur an die Verhältnisse der geographischen Nähe des südlichen Arabiens, der von indischen Ansiedlern bebauten Insel des Dioscorides (Diu Zokotora der Neueren, Verstümmelung des sanskritischen Dvipa Sukhatara), und an die goldführende ostafrikanische Küste von Sofala zu erinnern braucht. Arabien und die eben genannte Insel, südöstlich von der Meerenge Bab-el-Mandeb, waren für den phönicisch-jüdischen Handelsverkehr gleichsam vermittelnde Elemente zwischen der indischen Halbinsel und Ost-Afrika. In diesem hatten sich seit den ältesten Zeiten Inder wie auf einer ihrem Vaterlande gegenüberstehenden Küste niedergelassen, und die Ophirfahrer konnten in dem Bassin des erythräisch-indischen Meeres andere Quellen des Goldes als Indien selbst finden.
Nicht so vermittelnd als der phönicische Stamm, auch den geographischen Gesichtskreis weniger erweiternd, und früh schon unter dem griechischen Einflusse eines seewärts einbrechenden Stromes pelasgischer Tyrrhener: zeigt sich 169 uns das düstre, strenge Volk der Tusker. Es trieb einen nicht unbeträchtlichen Landhandel durch das nördliche Italien über die Alpen: da, wo eine heilige StraßeAristot. Mirab. Auscult. cap. 86 und 111, pag. 175 und 225 Bekker. von allen umwohnenden Stämmen geschützt wurde, nach fernen Bernsteinländern. Fast auf demselben Wege scheint das tuscische Urvolk der Rasener aus Rhätien an den Padus und weiter südlich gelangt zu sein. Am wichtigsten ist für uns nach dem Standpunkte, den wir hier einnehmen, um immer das Allgemeinste und Dauerndste zu erfassen, der Einfluß, welchen das Gemeinwesen Etruriens auf die ältesten römischen Staatseinrichtungen und so auf das ganze römische Leben ausgeübt hat. Man darf sagen, daß ein solcher Reflex (in so fern er durch das Römerthum die Bildung der Menschheit gefördert oder wenigstens auf Jahrhunderte eigenthümlich gestempelt hat) in seinen abgeleiteten und entfernten Aeußerungen politisch noch heute fortwirkt.Die Etrusker von Otfried Müller Abth. II. S. 350; Niebuhr, römische Geschichte Th. II. S. 380.
Ein eigenthümlicher, hier besonders zu bezeichnender Charakterzug des tuscischen Stammes war die Neigung zu einem innigen Verkehr mit gewissen Naturerscheinungen. Die Divination (das Geschäft der ritterlichen Priestercaste) veranlaßte eine tägliche Beobachtung der meteorologischen Processe des Luftkreises. Die Blitzschauer (Fulguratoren) beschäftigten sich mit Erforschung der Richtung der Blitze, dem »Herabziehen« und dem »Abwenden« derselben.Wenn man ehemals in Deutschland dem Pater Angelo Cortenovis nachfabelte, daß das von Varro beschriebene, mit einem ehernen Hut und ehernen herabhangenden Ketten gezierte Grabmal des Helden von Clusium, Lars Porsena, ein atmosphärischer Electricitäts-Sammler oder ein Blitzableitungs-Apparat (wie nach Michaelis die metallenen Spitzen auf dem Salomonischen Tempel) gewesen sei; so geschah dies zu einer Zeit, in der man den alten Völkern gern die Reste einer geoffenbarten, bald aber wieder verdunkelten Urphysik zuschrieb. Ueber den nicht schwer aufzufindenden Verkehr zwischen Blitz und leitenden Metallen scheint mir noch immer die wichtigste Notiz die des Ktesias (Indica cap. 4 pag. 169 ed. Lion, pag. 248 ed. Baehr) zu sein. »Er habe«, heißt es, »zwei eiserne Schwerdter besessen, Geschenke des Königs (Artaxerxes Mnemon) und dessen Mutter (Parysatis): Schwerdter, welche, in die Erde gepflanzt, Gewölk, Hagel und Blitzstrahlen abwendeten. Er habe die Wirkung selbst gesehen, da der König zweimal vor seinen Augen das Experiment gemacht.« – Die genaue Aufmerksamkeit der Tusker auf die meteorischen Processe des Luftkreises, auf alles, was von der gewöhnlichen Naturerscheinung abwich, macht es gewiß beklagenswerth, daß von den Fulgural-Büchern nichts auf uns gekommen ist. Die Epochen der Erscheinung großer Cometen, des Falls von Meteorsteinen und Sternschnuppenschwärmen waren gewiß darin eben so aufgezeichnet als in den von Eduard Biot benutzten älteren chinesischen Annalen. Creuzer (Symbolik und Mythologie der alten Völker Th. III. 1842 S. 659) hat zu zeigen gesucht, wie die Naturbeschaffenheit von Etrurien auf die eigenthümliche Geistesrichtung der Bewohner wirken konnte. Ein Hervorlocken der Blitze, welches dem Prometheus zugeschrieben wird, erinnert an das sonderbare vorgebliche Herabziehen der Blitze durch die Fulguratoren. Es bestand aber diese Operation in einem bloßen Herabbeschwören: und mag wohl nicht wirksamer gewesen sein als der abgehäutete Eselskopf, durch den nach tuscischen Religionsgebräuchen man sich vor einem Ungewitter schützen konnte. Sie unterschieden sorgfältig Blitze aus der hohen Wolkenregion von denen, welche Saturn, ein ErdgottOttfr. Müller, Etrusker Abth. II. S. 162–178. Nach der, sehr verwickelten, etruscischen Augural-Theorie unterschied man die sanft erinnernden Blitze: welche Jupiter aus eigener Machtvollkommenheit sendet, von den heftigeren electrischen Zuchtmitteln: die Jupiter constitutionsmäßig nur nach vorhergehender Berathung aller zwölf Götter senden durfte (Seneca, Nat. Quaest. II, 41)., von unten aufsteigen läßt und die man saturnische Erdblitze nannte: ein Unterschied, welchen die neuere Physik wieder einer besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt hat. So 170 entstanden officielle Verzeichnisse täglicher Gewitter-Beobachtungen.Joh. Lydus de Ostentis ed. Hase pag. 18 in praefat. Auch die von den Tuskern geübte Kunst des Wasserspürens (aquaelicium) und Quellen-Hervorlockens setzte bei den Aquilegen eine aufmerksame Erforschung natürlicher Merkmale der Schichtung des Gesteins und der Unebenheiten des Bodens voraus. Diodor preist deshalb die Tusker als forschende Naturkundige. Wir wollen zu diesem Lobe hinzusetzen, daß die vornehme und mächtige Priestercaste von Tarquinii das seltene Beispiel einer Begünstigung des physikalischen Wissens dargeboten hat.
Wir haben, ehe wir zu den Hellenen: zu dem hochbegabten Stamme übergehen, in dessen Cultur die unsrige am tiefsten wurzelt und aus dessen Ueberlieferungen wir einen wichtigen Theil aller früheren Völkerkunde und Weltansicht schöpfen, die alten Sitze der Menschenbildung in Aegypten, Phönicien und Etrurien genannt. Wir haben das Becken des Mittelmeers in seiner eigenthümlichen Gestaltung und Weltstellung, in dem Einfluß dieser Verhältnisse auf den Handelsverkehr mit der Westküste von Afrika, mit dem hohen Norden, mit dem arabisch-indischen Meere betrachtet. An keinem Punkte der Erde ist mehr Wechsel der Macht und unter geistigem Einfluß mehr Wechsel eines bewegten Lebens gewesen. Die Bewegung hat sich durch Griechen und Römer, besonders seitdem letztere die phönicisch-carthagische Macht gebrochen, weit und dauernd fortgepflanzt. Dazu ist das, was wir den Anfang der Geschichte nennen, nur das Selbstbewußtsein später Generationen. Es ist ein Vorzug unserer Zeit, daß durch glänzende Fortschritte in der allgemeinen und vergleichenden Sprachkunde, durch das sorgfältigere Aufsuchen der Monumente und die 171 sichrere Deutung derselben sich der Blick des Geschichtsforschers täglich erweitert, daß schichtweise sich ein höheres Alterthum unseren Augen zu offenbaren beginnt. Neben den Culturvölkern des Mittelmeers, die wir oben angeführt, zeigen noch manche andere Stämme Spuren alter Bildung: in Vorder-Asien die Phrygier und Lycier, im äußersten Westen die Turduler und TurdetanerStrabo lib, III pag. 139 Casaub. Vergl. Wilhelm von Humboldt über die Urbewohner Hispaniens 1821 S. 123 und 131–136. Mit der Entzifferung des iberischen Alphabets hat sich neuerlichst Herr de Saulcy glücklich beschäftigt, wie der scharfsinnige Entdecker der Keilschrift Grotefend mit den Phrygiern und Sir Charles Fellows mit den Lyciern. (Vergl. Roß, Hellenika 1846 Bd. I. S. XVI.). Von diesen sagt Strabo: »sie sind die gebildetsten aller Iberer, bedienen sich der Schreibkunst und haben Schriftbücher alter Denkzeit, auch Gedichte und Gesetze in Versmaaß, denen sie ein Alter von sechstausend Jahren beilegen.« Ich habe bei diesem einzelnen Beispiele verweilt, um daran zu erinnern, wie vieles von einer alten Cultur selbst bei europäischen Nationen für uns spurlos verschwunden ist, wie die Geschichte der frühesten Weltanschauung auf einen engen Kreis beschränkt bleibt.
Ueber den 48ten Breitengrad hinaus, nördlich vom asowschen und caspischen Meere: zwischen dem Don, der nahen Wolga und dem Jaik, wo dieser dem goldreichen südlichen Ural entquillt, sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen. Auch betrachtet Herodot wie schon Pherecydes von Syros das ganze nördliche scythische Asien (Sibirien) als zum sarmatischen Europa gehörig,Herod. IV, 42 (Schweighäuser ad Herod. T. V. p. 204). Vergl. Humboldt, Asie cnetrale T. I. p. 54 und 577. ja als Europa selbst. Gegen Süden ist unser Erdtheil von Asien scharf getrennt; aber die weit vorgestreckte kleinasiatische Halbinsel wie der formreiche Archipelagus des ägäischen Meeres (gleichsam eine Völkerbrücke zwischen zwei Welttheilen) haben den Menschenstämmen, den Sprachen und der Gesittung leichten Uebergang gewährt. Vorder-Asien ist seit der frühesten Zeit die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker gewesen, wie der 172 Nordwesten von Hellas die Heerstraße vordringender illyrischer Stämme war. Die ägäische Inselwelt, welche theilweise nach einander phönicischer, persischer und griechischer Herrschaft unterlag, war das vermittelnde Glied zwischen dem Griechenthum und dem fernen Orient.
Als das phrygische Reich dem lydischen und dieses dem Perserreiche einverleibt wurde, erweiterte der Contact den Ideenkreis der asiatischen und europäischen Griechen. Die persische Weltherrschaft erstreckte sich durch die kriegerischen Unternehmungen des Cambyses und Darius Hystaspis von Cyrene und dem Nil bis in die Fruchtländer des Euphrats und des Indus. Ein Grieche, Scylax von Karyanda, wurde gebraucht, den Lauf des Indus von dem damaligen Gebiete von Kaschmir (KaspapyrusUeber die wahrscheinlichste Etymologie von Kaspapyrus des Hecatäus (Fragm. ed. Klausen No. 179 v. 94) und Kaspatyrus des Herodot (III, 102 und IV, 44) s. meine Asie centrale T. I. p. 101–104.) bis zu seiner Mündung zu erforschen. Der Verkehr der Griechen mit Aegypten (mit Naucratis und dem pelusischen Nilarme) war schon lebhaft vor der persischen Eroberung, er war es unter Psammitich und Amasis.Psemetek und Achmes, s. oben Kosmos Bd. II. S. 159. Die hier geschilderten Verhältnisse entzogen viele Griechen dem heimischen Boden: nicht etwa bloß bei Stiftung von fernen Colonien, deren wir später erwähnen werden, sondern um als Söldner den Kern fremder Heere zu bilden: in CarthagoDroysen, Geschichte der Bildung des hellenistischen Staatensystems 1843 S. 23., Aegypten, Babylon, Persien und dem bactrischen Oxus-Lande.
Ein tieferer Blick in die Individualität und volksthümliche Gestaltung der verschiedenen griechischen Stämme hat gezeigt, daß, wenn bei den Doriern und theilweise bei den Aeoliern eine ernste, fast innungsartige Abgeschlossenheit herrscht, dem heiteren ionischen Stamme dagegen ein durch Forschbegier und Thatkraft unaufhaltsam angeregtes, nach innen und außen bewegtes Leben zuzuschreiben ist. Von 173 objectiver Sinnesart geleitet, durch Dichtung und Kunst phantasiereich verschönert: hat das ionische Leben überall, wo es in den Pflanzstädten verbreitet war, die wohlthätigen Keime fortschreitender Bildung ausgestreut.
War dem Charakter der griechischen LandschaftKosmos Bd. II. S. 10. der eigenthümliche Reiz einer innigen Verschmelzung des Festen und Flüssigen gegeben; so mußte die Gliederung der Länderform, welche diese Verschmelzung begründet, auch früh die Griechen zu Schifffahrt, zu thätigem Handelsverkehr und zu der Berührung mit Fremden anreizen. Auf die Seeherrschaft der Creter und Rhodier folgten die, freilich anfangs auf Menschenraub und Plünderung gerichteten Expeditionen der Samier, Phocäer, Taphier und Thesproten. Die Hesiodische Abneigung gegen das Seeleben bezeugt wohl nur eine individuelle Ansicht oder die schüchterne Unkunde in der Nautik bei anfangender Gesittung im Festlande von Hellas. Dagegen haben die ältesten Sagengeschichten und Mythen Bezug auf weite Wanderungen, auf eine weite Schifffahrt: eben als erfreue sich die jugendliche Phantasie des Menschengeschlechts an dem Contraste zwischen den idealen Schöpfungen und einer beschränkten Wirklichkeit; so die Züge des Dionysus und Hercules (Melkarth im Tempel zu Gadeira), die Wanderung der IoVölcker, mythische Geographie der Griechen und Römer Th. I. 1832 S. 1–10; Klausen über die Wanderungen der Io und des Herakles in Niebuhr's und Brandis rheinischem Museum für Philologie, Geschichte und griech. Philosophie Jahrg. III. 1829 S. 293–323., des oft wieder erstandenen Aristeas, des hyperboreischen Wundermannes Abaris, in dessen leitendem PfeileIn der Mythe des Abaris (Herod. IV, 36) fährt der Wundermann nicht auf einem Pfeile durch die Luft: sondern er trägt den Pfeil, »den ihm Pythagoras gab (Jambl. de vita Pythag. XXIX p. 194 Kießling), damit er ihm nützlich werde in allen Hindernissen auf einer langen Irrfahrt«; Creuzer, Symbolik Th. II. 1841 S. 660–664. Ueber den mehrmals verschwundenen und wieder-erschienenen Arimaspen-Sänger Aristeas von Proconnesus s. Herod. IV, 13–15. man einen Compaß zu erkennen gewähnt hat. In solchen Wanderungen spiegeln sich gegenseitig Begebenheiten und alte Weltansichten; ja die fortschreitende Veränderlichkeit der letzteren wirkt auf das Mythisch-Geschichtliche zurück. In den Irrfahrten der von Troja zurückkehrenden Helden ließ Aristonikus den 174 Menelaus selbst Afrika mehr denn 500 Jahre vor Neko umschiffenStrabo lib. I pag. 38 Casaub. und von Gadeira nach Indien segeln..
In der Periode, die wir hier behandeln, in dem Griechenthum vor dem macedonischen Feldzuge nach Asien, giebt es drei Begebenheiten, welche einen vorzüglichen Einfluß auf den erweiterten Gesichtskreis hellenischer Weltanschauung gehabt haben. Diese Begebenheiten sind die Versuche aus dem Becken des Mittelmeeres gegen Osten und Westen vorzudringen, und die Gründung zahlreicher Colonien von der Hercules-Straße bis zum nordöstlichsten Pontus: Colonien, welche ihrer politischen Verfassung nach vielgestalteter und den Fortschritten geistiger Bildung günstiger waren als die der Phönicier und der Carthager im ägäischen Meere, in Sicilien, Iberien, an der Nord- und Westküste von Afrika.
Das Vordringen gegen Osten ungefähr zwölf Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung, 150 Jahre nach Ramses Miamen (Sesostris) wird, als geschichtliche Begebenheit betrachtet, der Zug der Argonauten nach Kolchis genannt. Die wirkliche, aber mythisch eingekleidete, d. h. in der Darstellung mit Idealem, Innerlich-Erzeugtem gemischte Begebenheit ist ihrem einfachen Sinne nach die Erfüllung eines nationalen Bestrebens den unwirthbaren Pontus zu eröffnen. Die Prometheus-Sage und die Entfesselung des feuerzündenden Titanen am Caucasus auf der östlichen Wanderung des Hercules, das Aufsteigen der Io aus dem Thal des HybritesWahrscheinlich das Thal des Don oder des Kuban; vergl. meine Asie centrale T. II. p. 164. – Pherecydes sagt ausdrücklich (fragm. 37 ex Schol. Apollon. II, 1214), der Caucasus habe gebrannt und Typhon sei deshalb nach Italien geflüchtet: eine Notiz, aus welcher Klausen (a. a. O. S. 298) das ideale Verhältniß des Feuerzünders (πυρκαεύς) Prometheus zum Brandberge erklärt. Wenn auch die, neuerlichst von Abich so gründlich erspähte, geognostische Beschaffenheit des Caucasus und sein Zusammenhang mit dem vulkanischen innerasiatischen Thian-schan (Himmelsgebirge), den ich an einem andern Orte glaube nachgewiesen zu haben (Asie centrale T. II. p. 55–59), es keinesweges unwahrscheinlich machen, daß sich in den ältesten Sagen des Menschengeschlechts Erinnerungen an große vulkanische Erscheinungen hätten erhalten können; so ist doch wohl eher anzunehmen, daß etymologische Wagnisse die Griechen auf die Hypothese des Brennens geleitet haben. Ueber die Sanskrit-Etymologien von Graucasus (Glanzberg?) s. Bohlen's und Burnouf's Aeußerungen in meiner Asie centrale T. I. p. 109. nach dem Caucasus, die Mythe von Phrixus und Helle bezeichnen alle dieselbe Richtung des Weges: die Bestrebung in den euxinischen Pontus vorzudringen, in welchen früh schon sich phönicische Schiffer gewagt hatten.
175 Vor der dorischen und äolischen Wanderung war das böotische Orchomenos, nahe dem nördlichsten Ende des Sees Kopais, ein durch Handelsverkehr reicher Seestaat der Minyer. Die Argofahrt aber begann in Iolkos, dem Hauptsitz der thessalischen Minyer am pagasetischen Meerbusen. Zu verschiedenen Zeiten mannigfach umgestaltet, hat sich das Local der Sage, als Ziel- und Endpunkt des UnternehmensOtfr. Müller, Minyer S. 247, 254 und 274. Homer kannte nicht den Phasis, nicht Kolchis, nicht die Hercules-Säulen; aber der Phasis wird schon von Hesiodus genannt. Die mythischen Sagen über die Rückkehr der Argonauten durch den Phasis in den östlichen Ocean und den durch die vorgebliche Bifurcation des Ister oder durch den gedoppelten, von vulkanischen Erderschütterungen gebildeten Tritonsee (Asie centr. T. I. p. 179, T. III. p. 135–137; Otfr. Müller, Minyer S. 357) sind von besonderer Wichtigkeit für die Kenntniß der frühesten Ansichten über die Gestaltung der Continente. Geographische Phantasien von Peisandros, Timagetus und dem Rhodier Apollonius haben sich übrigens bis in das späte Mittelalter fortgepflanzt; sie sind bald verwirrende, abschreckende Hindernisse, bald Anreizung zu wirklichen Entdeckungen geworden. Diese Rückwirkung des Alterthums auf die späteren Zeiten, in denen man sich fast mehr von Meinungen als von wirklichen Beobachtungen leiten ließ, wurde leider bisher in der Geschichte der Geographie nicht hinlänglich beachtet. Es ist der Zweck der Anmerkungen zum Kosmos: nicht etwa bloß bibliographische Quellen aus verschiedenen Litteraturen zur Erläuterung dessen darzubieten, was im Texte behauptet wird: ich habe in diesen Anmerkungen, die eine freiere Bewegung gestatten, auch einen reichhaltigen Stoff des Nachdenkens niederlegen wollen, so wie ich ihn aus der Erfahrung und aus langen litterarischen Studien habe schöpfen können., statt des unbestimmten Fernlandes Aea, an die Mündung des Phasis (Rion) und an Kolchis, einen Sitz älterer Cultur, gebunden. Die Seefahrten der Milesier und ihre zahlreichen Pflanzstädte am Pontus verschafften eine genauere Kenntniß von der Ost- und Nordgrenze des Meeres. Sie gaben dem geographischen Theile der Mythe bestimmtere Umrisse. Eine wichtige Reihe neuer Ansichten bot sich gleichzeitig dar. Von dem nahen caspischen Meere kannte man lange nur das westliche Gestade: noch Hecatäus hält dies westliche GestadeHecataei fragm. ed. Klausen p. 39, 92, 98 und 119. S. auch meine Untersuchungen über die Geschichte der Geographie des caspischen Meeres von Herodot bis zu den Arabern El-Istachri, Edrisi und Ibn-el-Bardi; über den Aral-See, die Bifurcation des Oxus und den Araxes in der Asie centr. T. II. p. 162–297. für das des kreisenden östlichen Weltmeeres selbst. Erst der ehrwürdige Vater der Geschichte lehrte (was nach ihm sechs Jahrhunderte lang, bis Ptolemäus, wiederum bestritten ward), daß das caspische Meer ein von allen Seiten geschlossenes Becken sei.
Auch der Völkerkunde ward in dem nordöstlichen Winkel des schwarzen Meeres ein weites Feld eröffnet. Man erstaunte über die Vielzüngigkeit der StämmeCramer de studiis quae veteres ad aliarum gentium contulerint linguas 1844 p. 8 und 17. Die alten Kolcher scheinen identisch gewesen zu sein mit dem Stamme der Lazen (Lazi, gentes Colchorum: Plin. VI, 4; die Λαζοί der byzantinischen Schriftsteller); s. Vater (Professor in Casan), der Argonautenzug aus den Quellen dargestellt, 1845 Heft I. S. 24; Heft II. S. 45, 57 und 103. Im Caucasus erklingen noch die Namen: Alanen (Alanethi für das Alanenland), Ossi und Aß. Nach den mit philosophischem Sprachsinn in den Thälern des Caucasus begonnenen Arbeiten von Georg Rosen enthält die Sprache der Lazen Reste des alten kolchischen Idioms. Der iberische und grusische Sprachstamm begreift: Lazisch, Georgisch, Suanisch und Mingrelisch; alle zur Familie der indogermanischen Sprachen gehörig. Die der Osseten steht dem Gothischen näher als das Litthauische., und das Bedürfniß geschickter Dolmetscher (der ersten Hülfsmittel und roher Werkzeuge vergleichender Sprachkunde) wurde hier lebhaft gefühlt. Tauschhandel leitete von dem, übermäßig groß geglaubten, mäotischen Busen durch die Steppe, in welcher jetzt die mittlere Kirghisen-Horde weidet, durch eine Kette scythisch-scolotischer Völkerschaften (ich 176 halte sie für indogermanischenUeber die Verwandtschaft der Scythen (Scoloten oder Sacae), Alanen, Gothen, Massa-Geten und Yueti der chinesischen Geschichtsschreiber s. Klaproth in dem Commentar zu dem Voyage du Comte Potocki T. I. p. 129, wie auch meine Asie centrale T. I. p. 400, T. II. p. 252. Procopius sagt selbst ganz bestimmt (de bello gothico IV, 5, ed. Bonn. 1833 Vol. II. pag. 476), daß die Gothen ehemals Scythen genannt wurden. Die Identität der Geten und Gothen hat Jacob Grimm in seiner neuesten Abhandlung über Jornandes 1846 S. 21 erwiesen. Die Behauptung Niebuhr's (s. dessen Untersuchungen über die Geten und Sarmaten in seinen kleinen histor. und philologischen Schriften, 1te Samml. 1828 S. 362, 364 und 395), daß die Scythen Herodots zur Familie der mongolischen Völkerschaften gehören, hat um so weniger Wahrscheinlichkeit, als diese Völkerschaften unter dem Joche theils der Chinesen, theils der Hakas oder Kirghisen (Χερχίς des Menander) im Anfang des 13ten Jahrhunderts noch weit im Osten von Asien um den Baikal-See wohnten. Herodot unterscheidet dazu die kahlköpfigen Argippäer (IV, 23) von den Scythen; und sind die ersteren »plattnasig«, so haben sie dabei auch »ein langes Kinn«: was nach meiner eigenen Erfahrung keinesweges ein physiognomisches Kennzeichen der Kalmücken oder anderer mongolischer Stämme ist: eher wohl ein Kennzeichen der blonden (germanisirenden?) Usün und Tingling, welchen die chinesischen Geschichtsschreiber »lange Pferdegesichter« zutheilen. Ursprungs), von den Argippäern und Issedonen zu den goldreichen ArimaspenUeber die Wohnsitze der Arimaspen und den Goldverkehr im nordwestlichen Asien zu Herodots Zeiten s. Asie centrale T. I. pag. 389–407. an den nördlichen Abfall des Altai. Hier ist das alte Reich der Greife, der Sitz des meteorologischen Mythus»Les Hyperboréens sont un mythe météorologique. Le vent des montagnes (B'Oreas) sort des Monts Rhipéens. Au-delà de ces monts, doit régner un air calme, un climat heureux, comme sur les sommets alpins, dans la partie qui dépasse les nuages. Ce sont là les premiers aperçus d'une physique qui explique la distribution de la chaleur et la différence des climats par des causes locales, par la direction des vents qui dominent, par la proximité du soleil, par l'action d'un principe humide ou salin. La conséquence de ces idées systématiques était une certaine indépendance qu'on supposait entre les climats et la latitude des lieux: aussi le mythe des Hyperboréens, lié par son origine au culte dorien et primitivement boréal d'Apollon, a pu se déplacer du nord vers l'ouest, en suivant Hercule dans ses courses aux sources de l'Ister, à l'île d'Erythia et aux Jardins des Hespérides. Les Rhipes ou Monts Rhipéens sont aussi un nom significatif météorologique. Ce sont les montagnes de l'impulsion ou du souffle glacé (ῥιπή), celles d'où se déchaînent les tempêtes boréales.« Asie centr. T. I. pag. 392 und 403. der Hyperboreer, welcher mit Hercules weit nach Westen gewandert ist.
Man darf vermuthen, daß der oben bezeichnete, in unseren Tagen durch die sibirischen Goldwäschen wieder so berühmt gewordene Theil des nördlichen Asiens, wie das viele bei den Massageten (von gothischem Stamme) zu Herodots Zeiten angehäufte Gold, eine durch den Verkehr mit dem Pontus eröffnete wichtige Quelle des Reichthums und des Luxus für die Hellenen geworden ist. Ich setze diese Quelle zwischen den 53ten und 55ten Breitengrad. Die Region des Goldsandes aber, von welcher die im Mahabharata und in des Megasthenes Fragmenten genannten Daradas (Darder oder Derder) den Reisenden Nachricht gaben und an welche wegen des zufälligen Doppelsinnes von ThiernamenIm Hindustani bezeichnet (wie schon Wilford bemerkt) von zwei Wörtern, die verwechselt werden könnten, das eine, tschiûntâ, eine große schwarze Ameisenart (woher das Diminutiv tschiûntî, tschîntî: die kleine, gewöhnliche Ameise); das andre, tschîtâ ein geflecktes Pantherthier, den kleinen Jagdleoparden (Felis jubata, Schreb.). Das letzte Wort ist das Sanskrit-Wort tschitra, buntfarbig, gefleckt: wie der bengalische Name für das Thier (tschitâbâgh und tschitibâgh: von bâgh, sanskr. wyâghra, Tiger) beweist (Buschmann.) – Im Mahabharata (II, 1860) ist neuerlichst eine Stelle aufgefunden worden, in der von dem Ameisengolde die Rede ist. »Wilso invenit (Journ. of the Asiat. Soc. Vol. VII. 1843 p. 143) mentionem fieri etiam in Indicis litteris bestiarum aurum effodientium, quas, quum terram effodiant, eodem nomine (pipilica) atque formicas Indi nuncupant.« Vergl. Schwanbeck in Megasth. Indicis 1846 p. 73. Auffallend ist es mir gewesen zu sehen, daß in basaltreichen Gegenden des mexicanischen Hochlandes die Ameisen glänzende Körner von Hyalit zusammentragen, die ich mir aus Ameisenhaufen sammeln konnte. die oft wiederholte Fabel der Riesen-Ameisen geknüpft worden ist, gehört südlicheren Breiten von 35° oder 37° zu. Sie fällt, nach zweierlei Combinationen, entweder in das tübetische Hochland östlich von der Bolor-Kette zwischen den Himalaya und Kuen-lün, westlich von Iskardo; oder nördlich vom Kuen-lün gegen die Wüste Gobi hin, welche der immer so genau beobachtende chinesische Reisende Hiuen-thsang (aus dem Anfang des 7ten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung) ebenfalls als goldreich beschreibt. Wie viel zugänglicher mußte dem Verkehr der milesischen Colonien an der nordöstlichen Küste des Pontus der nördliche Goldreichthum der Arimaspen und 177 Massageten sein. Es schien mir geeignet in der Geschichte der Weltanschauung hier alles das zu berühren, was als eine wichtige, spät noch wirkende Folge der Eröffnung des Pontus und des ersten Vordringens der Griechen nach Osten betrachtet werden darf.
Die große alles umgestaltende Begebenheit der dorischen Wanderung und der Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes fällt ungefähr anderthalb Jahrhunderte nach der halb mythischen Argonautenfahrt, d. h. nach der Eröffnung des Pontus für die griechische Schifffahrt und den Handelsverkehr. Diese Wanderung hat gleichzeitig mit der Gründung neuer Staaten und neuer Verfassungen den ersten Anlaß zu dem System der Anlegung von Pflanzstädten gegeben: einem Colonial-System, das eine wichtige Lebensperiode des hellenischen Volkes bezeichnet und am einflußreichsten für die auf intellectuelle Cultur gegründete Erweiterung der Weltansicht geworden ist. Die engere Verkettung von Europa und Asien ist recht eigentlich durch Ausführung von Colonien begründet worden. Es bildeten dieselben eine Kette von Sinope, Dioscurias und dem taurischen Panticapäum an bis Saguntum und Cyrene, das von der regenlosen Thera gestiftet worden war.
Kein Volk der alten Welt hat zahlreichere und in der Mehrzahl mächtigere Pflanzstädte dargeboten als die Hellenen. Von der Ausführung der ältesten äolischen Colonien, unter denen Mytilene und Smyrna glänzten, bis zu der Gründung von Syracus, Croton und Cyrene sind aber auch vier bis fünf Jahrhunderte verflossen. Die Inder und Malayen haben nur schwache Ansiedelungen an der Ostküste von Afrika, in Zokotora (Dioscorides) und im südlichen asiatischen Archipel 178 versucht. Bei den Phöniciern hat sich zwar ein sehr ausgebildetes Colonial-System auf noch größere Räume als das griechische ausgedehnt: indem dasselbe, doch mit sehr großer Unterbrechung der Stationen, sich vom persischen Meerbusen bis Cerne an der Westküste von Afrika erstreckte. Kein Mutterland hat je eine Colonie geschaffen, welche in dem Grade mächtig erobernd und handelnd zugleich gewesen ist, als es Carthago war. Aber Carthago stand trotz seiner Größe in geistiger Cultur und artistischer Bildsamkeit tief unter dem, was in den griechischen Pflanzstädten so herrlich und dauernd unter den edelsten Kunstformen erblühte.
Vergessen wir nicht, daß gleichzeitig viele volkreiche griechische Städte in Kleinasien, im ägäischen Meere, in Unteritalien und Sicilien glänzten; daß, wie Carthago, so auch die Pflanzstädte Miletus und Massilia andere Pflanzstädte gründeten; daß Syracus auf dem Gipfel seiner Macht gegen Athen und die Heere von Hannibal und Hamilkar kämpfte, daß Milet nach Tyrus und Carthago lange Zeit die erste Handelsstadt der Welt war. Indem sich durch die Thatkraft eines, in seinem Inneren oft erschütterten Volkes ein so reich bewegtes Leben nach außen entfaltete, wurden, bei zunehmendem Wohlstande, durch die Verpflanzung einheimischer Cultur überall neue Keime der geistigen National-Entwickelung hervorgerufen. Das Band gemeinsamer Sprache und Heiligthümer umfaßte die fernesten Glieder. Durch diese trat das kleine hellenische Mutterland in die weiten Lebenskreise anderer Völker. Fremde Elemente wurden aufgenommen, ohne dem Griechenthum etwas von seinem großen und selbstständigen Charakter zu entziehen. Der Einfluß eines Contacts mit dem Orient und, über 179 hundert Jahre vor dem Einfall des Cambyses, mit dem noch nicht persisch gewordenen Aegypten war ohnedies seiner Natur nach dauernder als der Einfluß so viel bestrittener, in tiefes Dunkel gehüllter Niederlassungen des Cecrops aus Sais, des Kadmus aus Phönicien und des Danaus aus Chemmis.
Was die griechischen Colonien von allen anderen, besonders von den starren phönicischen, unterschied und in den ganzen Organismus ihres Gemeinwesens eingriff, entsprang aus der Individualität und uralten Verschiedenheit der Stämme, in welche die Nation sich theilte. Es war in den Colonien wie im ganzen Hellenismus ein Gemisch von bindenden und trennenden Kräften. Diese Gegensätze erzeugten Mannigfaltigkeit in der Ideenrichtung und den Gefühlen, Verschiedenheiten in Dichtungsweise und melischer Kunst; sie erzeugten überall die reiche Lebensfülle, in welcher sich das scheinbar Feindliche, nach höherer Weltordnung, zu mildernder Eintracht löste.
Waren auch Milet, Ephesus und Kolophon ionisch; Cos, Rhodus und Halikarnaß dorisch; Croton und Sybaris achäisch: so übte doch mitten in dieser Vielseitigkeit der Cultur, ja da, wo in Unteritalien Pflanzstädte verschiedener Volksstämme neben einander lagen, die Macht der homerischen Gesänge, die Macht des begeisterten, tiefempfundenen Wortes ihren allvermittelnden Zauber aus. Bei fest gewurzelten Contrasten in den Sitten und in den Staatsverfassungen, bei dem wechselnden Schwanken der letzteren erhielt sich das Griechenthum ungetheilt. Ein weites durch die einzelnen Stämme errungenes Reich der Ideen und Kunsttypen wurde als das Eigenthum der gesammten Nation betrachtet.
180 Es bleibt mir übrig in diesem Abschnitt noch des dritten Punktes zu erwähnen, den wir oben als vorzüglich einflußreich auf die Geschichte der Weltansichten neben der Eröffnung des Pontus und der Stiftung der Colonien am Rande des inneren Meerbeckens bezeichnet haben. Die Gründung von Tartessus und Gades, wo ein Tempel dem wandernden Gotte Melkarth (einem Sohne des Bal) geheiligt war; die Pflanzstadt Utica, älter als Carthago: erinnern daran, daß die Phönicier schon viele Jahrhunderte lang durch den freien Ocean schifften, als den Hellenen noch die Straße, welche PindarBei Strabo lib. III p. 172. (Böckh, Pind. fragm. v. 155) – Die Fahrt des Coläus von Samos fällt nach Otfr. Müller (Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie) in Ol. 31, nach Letronne's Untersuchung (essai sur les idées cosmographiques qui se rattachent au nom d'Atlas p. 9) in Ol. 35, 1 oder in das Jahr 640. Die Epoche ist von der Gründung von Cyrene, welche Otfr. Müller (Minyer S. 344, Prolegomena S. 63) zwischen Ol. 35 und 37 setzt, abhängig: weil man zur Zeit des Coläus (Herod. IV, 152) von Thera noch nicht den Weg nach Libyen kannte. – Zumpt setzt die Gründung von Carthago 878, die von Gades 1100 vor Chr. die Gadeirische Pforte nennt, verschlossen war. So wie die Milesier in Osten durch den geöffneten PontusNach Art der Alten (Strabo lib. II p. 126) rechne ich den ganzen Pontus sammt der Mäotis, wie geognostische und physikalische Ansichten es erheischen, zu dem gemeinsamen Becken des großen Inneren Meeres. Verbindungen stifteten, durch welche der Landhandel mit dem europäischen und asiatischen Norden und in viel späteren Zeiten mit dem Oxus und Indus belebt wurde, so suchten unter den Hellenen die SamierHerod. IV, 152. und PhocäerHerod. I, 163: wo den Phocäern sogar die Entdeckung von Tartessus zugeschrieben wird; aber die Handelsunternehmung der Phocäer war nach Ukert (Geogr. der Griechen und Römer Th. I, 1. S. 40) 70 Jahre später als Coläus von Samos. zuerst aus dem Becken des Mittelmeers gegen Westen vorzudringen.
Coläus von Samos wollte nach Aegypten schiffen, wo zu dieser Zeit der, vielleicht nur erneuerte Verkehr mit den Griechen unter Psammitichus begonnen hatte. Er wurde durch Oststürme nach der Insel Platea und von da (Herodot fügt bedeutsam hinzu: »nicht ohne göttliche Schickung«) durch die Meerenge in den Ocean getrieben. Nicht bloß der Zufall eines unerwarteten Handelsgewinnstes in dem iberischen Tartessus: sondern die räumliche Entdeckung, der Eintritt in eine unbekannte, nur mythisch geahndete Welt gab der Begebenheit Größe und Ruf, so weit im Mittelmeer die griechische Zunge verständlich war. Hier, jenseits der Säulen des Hercules (früher Säulen des Briareus, 181 des Aegäon und Kronos genannt), an dem westlichen Erdrande, auf dem Wege zum Elysium und zu den Hesperiden: sah man zuerst die Urwasser des kreisenden OkeanosNach einem Fragmente des Phavorinus sind die Wörter ὠκεανός (und also auch ὠγήν) keinesweges griechisch, sondern von den Barbaren entlehnt (Spohn de Nicephor. Blemm. duobus opusculis 1818 p. 23). Mein Bruder glaubte, daß sie mit den Sanskrit-Wurzeln ogha und ogh zusammenhangen. (S. Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 33 und 182., in welchem damals noch der Ursprung aller Flüsse gesucht ward.
Am Phasis war der Schiffer wieder an eine den Pontus begrenzende Küste gelangt, jenseits deren er sich einen Sonnenteich fabeln durfte; südlich von Gadeira und Tartessus ruhte frei der Blick auf dem Unbegrenzten. Dieser Umstand hat anderthalb Jahrtausende lang der Pforte des inneren Meeres eine eigene Wichtigkeit gegeben. Immerfort nach dem Jenseitigen strebend, haben seefahrende Völker: haben hinter einander Phönicier, Hellenen, Araber, Catalanen, Mayorcaner, Franzosen aus Dieppe und la Rochelle, Genueser, Venetianer, Portugiesen und Spanier Versuche gemacht in dem atlantischen Oceane (er galt lange für ein schlammerfülltes, seichtes, nebliges Dunkelmeer, Mare tenebrosum) vorzudringen: bis gleichsam stationsweise jene südlichen Nationen, von den canarischen Inseln und den Azoren aus, endlich den Neuen Continent erreichten, welchen aber Normannen schon früher und auf anderem Wege erreicht hatten.
Während Alexander den fernen Osten eröffnete, leiteten schon Betrachtungen über die Gestalt der Erde den großen StagiritenAristot. de Coelo II, 14 (pag. 298,b Bekk.), Meteor. II, 5 (pag. 362 Bekk.); vergl. mein Examen critique T. I. p. 125–130. Seneca wagt zu sagen (Nat. Quaest. in praefat. 11): »contemnet curiosus spectator domicilii (terrae) angustias. Quantum enim est quod ab ultimis littoribus Hispaniae usque ad Indos jacet? Paucissimorum dierum spatium, si navem suus ventus implevit.« (Examen crit. T. I. p. 158.) auf die Idee der Nähe von Indien zu den Säulen des Hercules; ja Strabo ahndete sogar, »daß in der nördlichen Hemisphäre: vielleicht in dem Parallelkreise, welcher durch die Säulen, die Insel Rhodus und Thinä geht, zwischen den Küsten des westlichen Europa's und des östlichen Asiens mehrere andere bewohnbare LändermassenStrabo lib. I pag. 65 und 118 Casaub. (Examen crit. T. I. p. 152). liegen könnten.« Die Angabe einer 182 solchen Oertlichkeit in der fortgesetzten Längen-Axe des Mittelmeeres hing mit einer großartigen, im Alterthum sehr verbreiteten Erdansicht des Eratosthenes zusammen, nach welcher der ganze alte Continent in seiner weitesten Ausdehnung von Westen nach Osten, ungefähr im Parallel von 36°, eine wenig unterbrochene Hebungslinie darbietet.Im Diaphragma (der Erdscheidungslinie) des Dicäarchus läuft die Hebung durch den Taurus, die Ketten des Demavend und Hindu-Kho, den nord-tübetischen Kuen-lün und das mit ewigem Schnee bedeckte Wolkengebirge der chinesischen Provinzen Sse-tschuan und Kuang-si. S. meine orographischen Untersuchungen über diese Hebungslinie in der Asie centrale T. II. p. 413 und 438.
Aber die Expedition des Coläus von Samos bezeichnet nicht bloß eine Epoche, in welcher sich den griechischen Stämmen und den Nationen, auf die ihre Civilisation vererbt wurde, neue Aussicht zu fernen nautischen Unternehmungen entfaltete: sie erweiterte auch unmittelbar den Kreis der Ideen. Ein großes Naturphänomen, das im periodischen Anschwellen des Meeres den Verkehr der Erde mit dem Mond und der Sonne sichtbar macht, fesselte nun zuerst dauernd die Aufmerksamkeit. In den afrikanischen Syrten hatte das Phänomen den Griechen unregelmäßiger geschienen, es war ihnen sogar bisweilen gefahrbringend gewesen. Posidonius beobachtete Ebbe und Fluth zu Ilipa und Gadeira, und verglich seine Beobachtungen mit dem, was ihm dort über den Einfluß des Mondes die erfahrneren PhönicierStrabo lib. III pag. 173 (Examen crit. T. III. p. 98). mittheilen konnten.
Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen. – Umgestaltung der Weltverhältnisse. – Verschmelzung des Westens mit dem Osten. – Das Griechenthum befördert die Völkervermischung vom Nil bis zum Euphrat, dem Jaxartes und Indus. – Plötzliche Erweiterung der Weltansicht durch eigene Beobachtung der Natur wie durch den Verkehr mit altcultivirten, gewerbtreibenden Völkern.
In dem Entwickelungsgange der Menschengeschichte, so fern dieselbe eine innigere Verbindung der europäischen Abendländer mit dem südwestlichen Asien, dem Nilthale und Libyen darstellt, bezeichnen die Heerzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen, der Untergang der Perserherrschaft, der beginnende Verkehr mit Vorder-Indien, die Einwirkung des, 116 Jahre dauernden, griechisch-bactrischen Reichs eine der wichtigsten Epochen des gemeinsamen Völkerlebens. War die Sphäre der Entwickelung fast maaßlos dem Raume nach, so gewann sie dazu noch an intensiver moralischer Größe durch das unablässige Streben des Eroberers nach Vermischung aller Stämme, nach einer Welteinheit unter dem begeistigenden Einflusse des HellenismusDroysen, Gesch. Alexanders des Großen S. 544; derselbe in der Gesch. der Bildung des hellenistischen Staatensystems S. 23–34, 588–592, 748–755.. Die Gründung so vieler neuer Städte an Punkten, deren Auswahl höhere Zwecke andeutet, die Anordnung und Gliederung eines selbstständigen Gemeinwesens zur Verwaltung dieser Städte, die zarte Schonung 184 der Nationalgewohnheiten und des einheimischen Cultus: – alles bezeugt, daß der Plan zu einem großen organischen Ganzen gelegt war. Was vielleicht ursprünglich diesem Plane nicht angehörte, hat sich, wie es immer in dem Drange vielumfassender Weltbegebenheiten der Fall ist, später aus der Natur der Verhältnisse von selbst entwickelt. Erinnert man sich nun, daß von der Schlacht am Granicus bis zu dem zerstörenden Einbruch der Saker und Tocharer in Bactrien nur 52 Olympiaden verflossen sind, so bewundert man die Ausdauer und die zauberisch vermittelnde Macht der von Westen eingeführten hellenischen Bildung. Dem Wissen der Araber, der Neuperser und Inder beigemengt, hat diese Bildung ihre Wirksamkeit bis in das Mittelalter ausgeübt: so daß es oft zweifelhaft bleibt, was der griechischen Litteratur, was unvermischt dem Erfindungsgeiste jener asiatischen Völker ursprünglich zugehört.
Das Princip der Einigung und Einheit oder vielmehr das Gefühl von dem wohlthätigen politischen Einflusse dieses Princips lag, wie alle seine Staatseinrichtungen beweisen, tief in dem Gemüth des kühnen Eroberers. Selbst auf Griechenland angewandt, war es ihm von seinem großen Lehrer schon früh eingeprägt worden. In der Politik des AristotelesAristot. Polit. VII, 7 pag. 1327. Bekker (vergl. auch III, 16 und die merkwürdige Stelle des Eratosthenes bei Strabo lib. I p. 66 und 97 Casaub.). lesen wir: »den asiatischen Völkern fehlt es nicht an Thätigkeit des Geistes und Kunstgeschicklichkeit, doch muthlos leben sie in Unterwürfigkeit und Knechtschaft: während die Hellenen, kräftig und regsam, in Freiheit lebend und deshalb gut verwaltet, wären sie zu einem Staate vereinigt, alle Barbaren beherrschen könnten.« So schrieb der Stagirite bei seinem zweiten Aufenthalte in AthenStahr, Aristotelia Th. II. S. 114., ehe noch Alexander 185 über den Granicus ging. Die Grundsätze des Lehrers, so »widernatürlich diesem auch das unumschränkte Königthum (die παμβασιλεία) erschien«, haben zweifelsohne einen lebendigeren Eindruck auf den Eroberer gemacht als die phantasiereichen Berichte des Ktesias über Indien, denen August Wilhelm von Schlegel und vor ihm schon Sainte-Croix eine so große Wirkung zuschreibenSainte-Croix, examen critique des historiens d'Alexandre p. 731 (Schlegel. Ind. Bibliothek Bd. I. S. 150)..
In dem vorhergehenden Abschnitte haben wir das Meer als ein vermittelndes, völkerverbindendes Element; die durch Phönicier und Carthager, Tyrrhener und Tusker erweiterte Schifffahrt in wenigen Zügen geschildert. Wir haben gezeigt, wie, durch zahlreiche Colonien in ihrer Seemacht verstärkt, die Griechen gegen Osten und Westen, durch die Argonauten von Jolkos und durch den Samier Coläus, aus dem Becken des Mittelmeers vorzudringen gestrebt; wie gegen Süden die Salomon-Hiramschen Expeditionen, in Ophirfahrten, durch das rothe Meer ferne Goldländer besuchten. Der zweite Abschnitt führt uns vorzugsweise in das Innere eines großen Continents auf Wegen, die dem Landhandel und der Fluß-Schifffahrt geöffnet werden. In den kurzen Zeitraum von zwölf Jahren fallen der Zeitfolge nach: die Feldzüge in Vorder-Asien und Syrien mit den Schlachten am Granicus und in den Strandpässen von Issus, die Einnahme von Tyrus und die leichte Besitznahme Aegyptens; der babylonisch-persische Feldzug: als bei Arbela (in der Ebene von Gaugamela) die Weltherrschaft der Achämeniden vernichtet wurde; die Expedition nach Bactrien und Sogdiana zwischen dem Hindu-Kho und dem Jaxartes (Syr), endlich das kühne Vordringen in das Fünfstromland (Pentapotamia) von 186 Vorder-Indien. Fast überall hat Alexander hellenische Ansiedelungen gegründet und in der ungeheuren Länderstrecke vom Ammonstempel in der libyschen Oase und von Alexandria am westlichen Nil-Delta bis zum nördlichen Alexandria am Jaxartes (dem jetzigen Khodjend in Fergana) griechische Sitten verbreitet.
Die Erweiterung des Ideenkreises, – und dies ist der Standpunkt, aus welchem hier des Macedoniers Unternehmen und die längere Dauer des bactrischen Reiches betrachtet werden müssen –, war begründet: in der Größe des Raumes; in der Verschiedenheit der Klimate von Cyropolis am Jaxartes (unter der Breite von Tiflis und Rom) bis zu dem östlichen Indus-Delta bei Tira unter dem Wendekreise des Krebses. Rechnen wir dazu die wunderbar wechselnde Gestaltung des Bodens: von üppigen Fruchtländern, Wüsten und Schneebergen mannigfaltig durchzogen; die Neuheit und riesenhafte Größe der Erzeugnisse des Thier- und Pflanzenreichs, den Anblick und die geographische Vertheilung ungleich gefärbter Menschenracen; den lebendigen Contact mit theilweise vielbegabten, uralt cultivirten Völkern des Orients; mit ihren religiösen Mythen, ihren Philosophemen, ihrem astronomischen Wissen und ihren sterndeutenden Phantasien. In keiner anderen Zeitepoche (die, achtzehn und ein halbes Jahrhundert später erfolgende Begebenheit der Entdeckung und Aufschließung des tropischen Amerika's ausgenommen) ist auf einmal einem Theile des Menschengeschlechts eine reichere Fülle neuer Natur-Ansichten, ein größeres Material zur Begründung der physischen Erdkenntniß und des vergleichenden ethnologischen Studiums dargeboten worden. Für die Lebhaftigkeit des Eindrucks, welchen eine solche 187 Bereicherung der Ansichten hervorgebracht, zeugt die ganze abendländische Litteratur; es zeugen selbst dafür, wie bei allem, was unsere Einbildungskraft in Beschreibung erhabener Naturscenen anspricht, die Zweifel, welche bei den griechischen und in der Folge bei den römischen Schriftstellern die Berichte des Megasthenes, Nearchus, Aristobulus und anderer Begleiter Alexanders erregt haben. Diese Berichterstatter: der Färbung und dem Einfluß ihres Zeitalters unterworfen, Thatsachen und individuelle Meinungen eng mit einander verwebend, haben das wechselnde Schicksal aller Reisenden, die Oscillation zwischen anfänglichem bitteren Tadel und später, mildernder Rechtfertigung, erfahren. Die letztere ist in unseren Tagen um so häufiger eingetreten: als tiefes Sprachstudium des Sanskrit, als allgemeinere Kenntniß einheimischer geographischer Namen, als bactrische Münzen in den Topen aufgefunden, und vor allem eine lebendige Ansicht des Landes und seiner organischen Erzeugnisse der Kritik Elemente verschafft haben, die dem vielverdammenden Eratosthenes, dem Strabo und Plinius bei ihrem so einseitigen Wissen unbekannt blieben.Vergl. Schwanbeck de fide Megastenis et pretio in seiner Ausgabe dieses Schriftstellers p. 59–77. Megasthenes besuchte oft Palibothra, den Hof des Königs von Magadha. Er war tief in die Chronologie der Inder eingeweiht: und berichtet, »wie in der verflossenen Vorzeit das All dreimal zur Freiheit gekommen sei, wie drei Weltalter abgelaufen und zu seiner Zeit das vierte begonnen war« (Lassen, Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 510). Die Hesiodische Lehre von vier Weltaltern: an vier elementarische Weltzerstörungen geknüpft, die zusammen eine Zeit von 18028 Jahren ausfüllen, findet sich auch bei den Mexicanern (Humboldt, Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. II. p. 119–129). – Einen denkwürdigen Beweis für die Genauigkeit des Megasthenes hat in neuerer Zeit das Studium des Rigveda und des Mahabharata verschafft. Man vergleiche, was Megasthenes »über das Land der langlebenden Seligen im höchsten Norden von Indien, über das Land Uttara-Kuru (wahrscheinlich nördlich von Kaschmir gegen den Belurtagh hin) berichtet: das er nach seinen griechischen Ansichten an das tausendjährige Leben der Hyperboreer anschließt.« (Lassen in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. II. S. 62.) Damit hängt eine Sage in dem nur zu lange verschmähten Ktesias von einem heiligen Orte in der nördlichen Wüste zusammen (Ind. cap. 8, ed. Baehr pag. 249 und 285). Den Martichoras, welchen Aristoteles (hist. de Animal. II, 3 § 10, T. I pag. 51 Schneider) nennt; die Greifen: welche halb Adler, halb Löwen sind; das von Aelian erwähnte Kartazonon, einen einhörnigen wilden Esel: hat Ktesias als wirkliche Thiere aufgeführt: nicht als eigene Erdichtung, sondern weil er, wie schon Heeren und Cuvier bemerkt haben, an persischen Monumenten abgebildete symbolisirte Thiergestalten für Nachahmung noch im fernen Indien lebender Unthiere hielt. Die genaue Identificirung des Martichoras mit persepolitanischen Symbolen hat aber nach des scharfsinnigen Guigniaut Bemerkung (Creuzer, Religions de l'Antiquité; notes et éclaircissements p. 720) viele Schwierigkeit.
Wenn man nach Unterschieden der Längengrade die Erstreckung des ganzen Mittelmeeres mit der Entfernung von Westen nach Osten vergleicht, welche Kleinasien von den Ufern des Hyphasis (Beas), von den Altären der Rückkehr trennt; so erkennt man, daß die Erdkunde der Hellenen in wenigen Jahren um das Zwiefache vermehrt wurde. Um nun näher zu bezeichnen, was ich ein, durch Alexanders Heerzüge und Städtegründung so reichlich vermehrtes Material der physischen Geographie und Naturkunde genannt habe, erinnere ich zuerst an die neu 188 eingesammelten Erfahrungen über die besondere Gestaltung der Erdoberfläche. In den durchzogenen Ländern contrastiren Tiefländer (pflanzenleere Wüsten oder Salzsteppen: wie nördlich von der Asferah-Kette, einer Fortsetzung des Thian-schan; und vier große angebaute Stromgebiete: des Euphrat, Indus, Oxus und Jaxartes) mit Schneegebirgen von fast 19000 Fuß Höhe. Der Hindu-Kho oder indische Kaukasus der Macedonier, eine Fortsetzung des nord-tübetischen Kuen-lün, westlich von der durchsetzenden Meridiankette des Bolor, ist in seiner Erstreckung gegen Herat hin in zwei große, das Kafiristan begrenzende Ketten getheilt;Ich habe diese verwickelten orographischen Verhältnisse erläutert in meiner Asie centrale T. II. p. 429–434. die südlichere dieser Ketten ist die mächtigere. Alexander gelangte durch das noch 8000 Fuß hohe Plateau von Bamian, in dem man die Höhle des Prometheus zu sehen wähnteLassen in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenl. Bd. I. S. 230., auf den Kamm des Kohibaba: um über Kabura, längs dem Choes, etwas nördlich vom jetzigen Attok, über den Indus zu setzen. Vergleichung des niedrigeren Taurus, an den die Griechen gewöhnt waren, mit dem ewigen Schnee des Hindu-Kho, welcher bei Bamian nach Burnes erst in 12200 Fuß Höhe beginnt, muß Veranlassung gegeben haben hier in einem colossaleren Maaßstabe das Uebereinanderliegen der Klimate und Pflanzenzonen zu erkennen. In regsamen Gemüthern wirkt bleibend und tiefer, was die elementare Natur dem Menschen unmittelbar vor den Sinnen entfaltet. Strabo beschreibt anschaulich den Uebergang über das Bergland der Paropanisaden wo das Heer mit Mühe sich durch den Schnee einen Weg bahnte und wo alle Baum-Vegetation aufhört.Das Land zwischen Bamian und Ghori. S. Carl Zimmermann's vortreffliches orographisches Uebersichtsblatt von Afghanistan 1842. (Vergl. Strabo lib. XV pag. 725, Diod. Sicul. XVII, 82; Menn, Meletem. hist. 1839 p. 25 und 31, Ritter über Alexanders Feldzug am Indischen Kaukasus in den Abhandl. der Berl. Akad. aus dem J. 1829 S. 150; Droysen, Bildung des hellenist. Staatensystems S. 614.) Ich schreibe Paropanisus, wie alle guten Codices des Ptolemäus haben, und nicht Paropamisus. Die Gründe habe ich entwickelt in der Asie centrale T. I. p. 114–118 (vergl. auch Lassen zur Gesch. der Griechischen und Indoskythischen Könige S. 128).
Was von indischen Erzeugnissen und Kunstproducten durch ältere Handelsverbindungen oder aus den Berichten 189 des Ktesias von Cnidus, der 17 Jahre lang als Leibarzt des Artaxerxes Mnemon am persischen Hoflager lebte, unvollkommen, ja fast nur dem Namen nach gekannt war; davon wurde jetzt in dem Abendlande durch die macedonischen Ansiedelungen eine sichrere Kunde verbreitet. Es gehören dahin: die bewässerten Reißfelder, von deren Cultur Aristobulus besondere Nachricht gegeben; die Baumwollenstaude, wie die feinen Gewebe und das PapierStrabo lib. XV pag. 717 Casaub. zu welchen jene Staude den Stoff lieferte; Gewürze und Opium; Wein aus Reiß und aus dem Saft der Palme, deren Sanskrit-Name tala uns bei Arrian erhalten istTala, als Name der Palme Borassus flabelliformis (sehr charakteristisch von Amarasinha ein König der Gräser genannt), bei Arrian, Ind. VII, 3.; Zucker aus ZuckerrohrDas Wort tabaschir wird auf das sanskritische tvak-kschîrâ (Rindenmilch) zurückgeführt; s. oben S. 401 Anm. 586. Ich habe schon 1817 in den geschichtlichen Beilagen zu meinem Werke de distributione geographica Plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium p. 215 darauf aufmerksam gemacht, daß neben dem Tabaschir der Bambusa die Begleiter Alexanders (Strabo lib. XV pag. 693, Peripl. maris Erythr. p. 9) auch den wahren Rohrzucker der Inder hatten kennen gelernt. Moses von Chorene, welcher in der Mitte des 5ten Jahrhunderts lebte, hat zuerst (Geogr. ed. Whiston 1736 p. 364) die Bereitung des Zuckers aus dem Safte des Saccarum officinarum in der Provinz Chorasan umständlich beschrieben.: freilich oft in griechischen und römischen Schriftstellern mit dem Tabaschir des Bambusrohres verwechselt; Wolle von großen Bombax-BäumenStrabo lib. XV pag. 694., Shawls aus tübetischer Ziegenwolle, seidene (serische) GewebeRitter, Erdkunde von Asien Bd. V, 1. S. 437; Bd. VI, 1. S. 698; Lassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 317–323. Die Stelle in Aristot. hist. de Animal. V, 17 (T. I. pag. 209 ed. Schneider) von dem Gespinnste einer großen gehörnten Raupe bezieht sich auf die Insel Cos.; Oel aus weißem Sesamum (sanskr. tila), Rosenöl und andere Wohlgerüche; Lack (sanskr. lâkschâ, in der Vulgärsprache lakkha)So λάκκος χρωμάτινος im Peripl. maris Erythr. p. 5 (Lassen S. 316).; und endlich der gehärtete indische Wetzstahl.
Neben der materiellen Kenntniß dieser Producte: welche bald ein Gegenstand des großen Welthandels wurden und von welchen die SeleucidenPlin. Hist. Nat. XVI, 32. (Ueber Einführung seltener asiatischer Pflanzen in Aegypten durch die Lagiden s. Plin. XII, 14 und 17.) mehrere nach Arabien verpflanzten, verschaffte der Anblick einer so reich geschmückten subtropischen Natur den Hellenen noch geistige Genüsse anderer Art. Große und niegesehene Thier- und Pflanzengestalten erfüllten die Einbildungskraft mit anregenden Bildern. Schriftsteller, deren nüchtern-wissenschaftliche Schreibart sonst aller Begeisterung fremd bleibt, werden dichterisch, wenn sie beschreiben die Sitten der Elephanten: die »Höhe der Bäume: deren Gipfel mit einem Pfeile nicht erreicht werden kann, deren Blätter größer als die Schilde des 190 Fußvolks sind«: die Bambusa: ein leichtgefiedertes, baumartiges Gras, »dessen einzelne Knoten (internodia) als vielrudrige Kähne dienen«; den durch seine Zweige wurzelnden indischen Feigenbaum: dessen Stamm bis 28 Fuß Durchmesser erreicht und der, wie Onesikritus sehr naturwahr sich ausdrückt, »ein Laubdach bildet gleich einem vielsäuligen Zelte«. Der hohen baumartigen Farren, nach meinem Gefühl des größten Schmuckes der Tropenländer, erwähnen indeß Alexanders Gefährten nieHumboldt de distributione geogr. Plantarum p. 178.; wohl aber der herrlichen fächerartigen Schirmpalmen wie des zarten, ewig frischen Grünes angepflanzter Pisang-GebüscheIch habe seit dem Jahre 1827 oft mit Lassen über die merkwürdige Stelle des Plinius XII, 6 correspondirt: »Major alia (arbor) pomo et suavitate praecellentior, quo sapientes Indorum vivunt. Folium alas avium imitatur, longitudine trium cubitorum, latitudine duûm. Fructum cortice mittit, admirabilem succi dulcedine ut uno quaternos satiet. Arbori nomen palae, pomo arienae.« Folgendes ist das Resultat der Untersuchung meines gelehrten Freundes: »Amarasinha stellt die Musa (Banane, Pisang) an die Spitze aller nahrhaften Pflanzen. Unter den vielen Sanskrit-Namen, die er anführt, finden sich: varanabuscha, bhanuphala (Sonnenfrucht) und moko, woraus das arabische mauza. Phala (pala) heißt Frucht im allgemeinen und ist also nur aus Mißverständniß für den Namen der Pflanze gehalten worden. Varana kommt ohne buscha nicht im Sanskrit als Name der Musa vor, die Abkürzung mag aber der Volkssprache angehört haben; varana wäre griechisch οὐαρενα, was gewiß von ariena nicht sehr entfernt ist.« Vergl. Lassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 262: mein Essai politique sur la Nouv. Espagne T. II. 1827 p. 382, Relation hist. T. I. p. 491. Den chemischen Zusammenhang des nahrhaften Amylum mit dem Zuckerstoff haben Prosper Alpinus und Abd-Allatif gleichsam geahndet, indem sie die Entstehung der Musa aus der Insertion des Zuckerrohrs oder der süßen Dattelfrucht in die Wurzel der Colocasia zu erklären suchten. (Abd-Allatif, relation de l'Égypte, trad. par Silvestre de Sacy p. 28 und 105.).
Die Kunde eines großen Theils des Erdbodens wurde nun erst wahrhaft eröffnet. Die Welt der Objecte trat mit überwiegender Gewalt dem subjectiven Schaffen gegenüber: und indem, durch Alexanders Eroberungen, griechische Sprache und Litteratur sich fruchtbringend verbreiteten, waren gleichzeitig die wissenschaftliche Beobachtung und die systematische Bearbeitung des gesammten Wissens durch Aristoteles Lehre und Vorbild dem Geiste klar geworden.Vergl. über diese Epoche Wilhelm von Humboldt in seinem Werke über die Kawi-Sprache und die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues Bd. I. S. CCL und CCLIV; Droysen, Gesch. Alexanders des Gr. S. 547, und hellenist. Staatensystem S. 24. Wir bezeichnen hier ein glückliches Zusammentreffen günstiger Verhältnisse; denn gerade in der Epoche, in der sich plötzlich ein so ungeheurer Vorrath von neuem Stoffe der menschlichen Erkenntniß darbot, war durch die Richtung, welche der Stagirite gleichzeitig dem empirischen Forschen nach Thatsachen im Gebiete der Natur, der Versenkung in alle Tiefen der Speculation und der Ausbildung einer alles scharf umgrenzenden wissenschaftlichen Sprache gegeben hatte, die geistige Verarbeitung des Stoffes erleichtert und vervielfältigt worden. So bleibt Aristoteles, wie Dante sich schön ausdrückt, auf Jahrtausende noch: il maestro di color che sannoDante, Inf. IV, 130..
191 Der Glaube an eine unmittelbare Bereicherung des Aristotelischen zoologischen Wissens durch die Heerzüge des Macedoniers ist jedoch durch ernste neuere Untersuchungen, wo nicht gänzlich verschwunden, doch wenigstens sehr schwankend geworden. Die elende Compilation eines Lebens des Stagiriten, welche lange dem Ammonius, Sohn des Hermias, zugeschrieben ward, hatte unter vielen historischen Irrthümern auch den verbreitetVergl. Cuvier's Behauptungen in der Biographie universelle T. II. 1811 p. 458 (leider! auch wieder in der Ausgabe von 1843 T. II. p. 219) mit Stahr's Aristotelia Th. I. S. 15 und 108., daß der Philosoph seinen Zögling wenigstens bis an die Ufer des Nils begleitet habeCuvier hat, als er das Leben des Aristoteles bearbeitete, an diese Begleitung nach Aegypten geglaubt: »von woher der Stagirite alle Materialien zu der historia Animalium nach Athen erst Ol. 112, 2 sollte zurückgebracht haben«. Später (1830) hat der große Naturforscher diese Meinung aufgegeben: weil er nach näherer Untersuchung bemerkte, »daß die Beschreibungen der ägyptischen Thiere nicht nach dem Leben, sondern nach Notizen des Herodot entworfen wären«. (Vergl. Cuvier, Histoire des Sciences naturelles, publiée par Magdeleine de Saint-Agy T. I. 1841 p. 136.). Das große Werk über die Thiere scheint um sehr weniges neuer als die Meteorologica; und diese fallen nach inneren KennzeichenZu diesen inneren Kennzeichen gehören: die Angabe von der vollkommenen Abgeschlossenheit (Isolirtheit) des caspischen Meeres; die von dem großen unter dem Archonten Nicomachus erschienenen Cometen, Ol. 109, 4 nach Corsini: der nicht mit dem, welchen Herr von Boguslawski neuerlichst den Cometen des Aristoteles (unter dem Archonten Asteus, Ol. 101, 4; Aristot. Meteor. lib. I cap. 6, 10, Vol. I. pag. 395 Ideler; identisch mit Cometen von 1695 und 1843?) genannt hat, zu verwechseln ist: die Erwähnung der Zerstörung des Tempels zu Ephesus, wie die eines in 50 Jahren zweimal gesehenen Mondregenbogens. (Vergl. Schneider ad Aristot. hist. de Animalibus T. I. p. XL, XLII, CIII und CXX; Ideler ad Aristot. Meteor. Vol. I. p. X; Humboldt, Asie centr. T. II. p. 168.) Daß die Thiergeschichte später geschrieben als die Meteorologica, erkennt man auch daraus, daß in diesen bereits auf jene als auf einen Gegenstand hingedeutet wird, der bald folgen soll (Meteor. I. 1, 3 und IV. 12, 13). in die 106te, am spätesten in die 111te Olympiade: also entweder 14 Jahre früher als Aristoteles an den Hof des Philippus kam, oder auf das höchste 3 Jahre vor dem Uebergange über den Granicus. Gegen diese Ansicht einer frühen Vollendung der neun Bücher Aristotelischer Thiergeschichte werden nun freilich einzelne Angaben als widerstreitend angeführt. Dahin gehört die genaue Kenntniß, welche Aristoteles von dem Elephanten, dem bärtigen Pferd-Hirsche (hippelaphos), dem bactrischen zweibuckligen Kameele, dem Hippardion, das man für den Jagdtiger (Guepard) hält, und von dem indischen Büffel zu haben scheint: welcher letzte erst zur Zeit der Kreuzzüge in Europa eingeführt wurde. Es ist aber zu bemerken, daß gerade der Geburtsort jenes merkwürdig großen Hirsches mit der Pferdemähne, den Diard und Duvaucel aus dem östlichen Indien an Cuvier geschickt haben und welchem dieser sogar den Namen Cervus Aristotelis gegeben hat, nach des Stagiriten eigener Angabe nicht die von Alexander durchzogene indische Pentapotamia 192 ist, sondern Arachosien: eine Landschaft westlich von Kandahar, die mit Gedrosien eine altpersische Satrapie ausmachte.Die im Texte genannten fünf Thiere: und unter ihnen vorzüglich den Hippelaphus (Pferd-Hirsch mit langer Mähne), das Hippardion, das bactrische Kameel und den Büffel, führt Cuvier als Beweise der späteren Abfassung der Historia Animalium des Aristoteles an (Hist. des Sciences nat. T. I. p. 154). Cuvier unterscheidet in dem 4ten Bande seiner vortrefflichen recherches sur les Ossemens fossiles 1823 p. 40–43 und p. 502 zwischen zwei gemähnten Hirschen Asiens, die er Cervus hippelaphus und Cervus Aristotelis nennt. Anfangs hielt er den ersteren, von welchem er ein lebendiges Exemplar in London gesehen und von welchem Diard ihm Felle und Geweihe aus Sumatra geschickt hatte, für den hippelaphos des Aristoteles aus Arachosien (hist. de Animal. II, 2 § 3 und 4, T. I. pag. 43–44 Schneider); später schien ihm ein von Duvaucel aus Bengalen gesandter Hirschkopf, der Zeichnung des ganzen großen Thieres nach, noch mehr mit der Beschreibung des Stagiriten vom Hippelaphus übereinzustimmen. Letzterer: einheimisch in dem bengalischen Gebirge Sylhet, in Nepaul und östlich vom Indus, erhielt nun den Namen Cervus Aristotelis. Wenn in demselben Capitel, in welchem Aristoteles von gemähnten Thieren im allgemeinen redet, neben dem Pferd-Hirsch (Equicervus) auch der indische Guepard oder Jagdtiger (Felis jubata) bezeichnet sein soll: so ist, wie Schneider (T. III. p. 66) will, die Lesart πάρδιον der τὸ ἱππάρδιον vorzuziehen. Die letztere Lesart würde am besten, wie auch Pallas (Spicileg. zool. fasc. I. p. 4) meint, auf die Giraffe zu deuten sein. – Hätte Aristoteles den Guepard selbst gesehen und nicht bloß beschreiben hören, wie würde er die nicht retractilen Klauen in einem katzenartigen Thiere unerwähnt gelassen haben! Eben so ist es auffallend, daß der immer so genaue Aristoteles, wenn er wirklich (wie August Wilhelm von Schlegel behauptet) »nahe bei seiner Wohnung zu Athen eine Menagerie gehabt und einen von den bei Arbela erbeuteten Elephanten selbst zergliedert« hätte, die kleine Oeffnung neben den Schläfen, in welcher besonders zur Brunstzeit des Elephanten eine starkriechende Flüssigkeit abgesondert wird und auf welche die indischen Dichter so oft anspielen, nicht beschrieben habe (Schlegel's Indische Bibliothek Bd. I. S. 163–166). Ich erinnere an diesen kleinlich scheinenden Umstand hier besonders deshalb. weil uns die eben genannte Drüsenöffnung zunächst aus Berichten des Megasthenes (Strabo lib. XV pag. 704 und 705 Casaub.) bekannt war, und doch gewiß Niemand darum diesem eine anatomische Kenntniß zuschreiben wird. Ich finde in den verschiedenen zoologischen Werken des Aristoteles, welche auf uns gekommen sind, nichts, was auf Selbstbeobachtung an Elephanten oder gar auf Zergliederung derselben zu schließen nöthigte. Indeß ist die Möglichkeit, daß die historia Animalium, wenn sie auch am wahrscheinlichsten schon vor dem kleinasiatischen Feldzuge Alexanders vollendet war, doch, wie Stahr will (Aristotelia Th. II. S. 98), bis zu dem Lebensende des Verfassers (Ol. 114, 3: also drei Jahre nach dem Tode des großen Eroberers) durch Zusätze habe vervollständigt werden können, keinesweges zu läugnen: es fehlt aber an directen Zeugnissen dafür. Alles, was wir von dem Briefwechsel des Aristoteles besitzen, ist unächt (Stahr Th. I. S. 194–208, Th. II. S. 169–234); und Schneider sagt mit großer Zuversicht (hist. de Animal. T. I. p. XL): »hoc enim tanquam certissimum sumere mihi licebit, scriptas comitum Alexandri notitias post mortem demum regis fuisse vulgatas.« Sollten nicht die, der Mehrzahl nach so kurzen Nachrichten über die Gestalt und die Sitten der oben genannten Thiere dem Aristoteles, ganz unabhängig von dem macedonischen Heerzuge, aus Persien und dem weltverkehrenden Babylon überliefert worden sein? Bei gänzlicher Unbekanntschaft mit der Bereitung des AlkoholsIch habe an einem anderen Orte gezeigt, daß, wenn auch die Zerlegung des geschwefelten Quecksilbers durch Destillation schon im Dioscorides (Mat. medica V, 110 p. 667 Saracen.) beschrieben ist, doch die erste Beschreibung der Destillation einer Flüssigkeit (bei künstlicher Versüßung des Seewassers) sich in dem Commentar des Alexander von Aphrodisias zu dem Buche de Meteorol. des Aristoteles findet; s. mein Examen critique de l'hist. de la Géographie T. II. p. 308–316 und Joannis (Philoponi) Grammatici in libr. de generat. et Alexandri Aphrod. in Meteorol. Comm. Venet. 1527 p. 97, b. Alexander aus Aphrodisias in Carien, der gelehrte Commentator der Meteorologica des Aristoteles, lebte unter Septimius Severus und Caracalla; und wenn bei ihm auch chemische Apparate χυ[μ]ικὰ ὄργανα heißen, so beweist doch wohl eine Stelle des Plutarch (de Iside et Osir. cap. 33), daß das Wort Chemie, von den Griechen auf die ägyptische Kunst angewandt, nicht von χέω abzuleiten ist (Hoefer, histoire de la Chimie T. I. p. 91, 195 und 219; T. II. p. 109). konnten ohnedies nur Felle und Knochen, nicht aber weiche, der Zergliederung fähige Theile, aus dem fernen Asien nach Griechenland geschickt werden. So wahrscheinlich es übrigens auch ist, daß Aristoteles zur Förderung seiner physikalischen und naturbeschreibenden Studien, zur Herbeischaffung eines ungeheuren zoologischen Materials aus dem gesammten Griechenland und aus den griechischen Meeren: ja zur Gründung der für seine Zeit einzigen Büchersammlung, die an Theophrast und später an Neleus von Skepsis überging, von Philippus und Alexander die freigebigste Unterstützung erhalten habe; so sind doch wohl die Geschenke von achthundert Talenten und die »Beköstigung so vieler tausend Sammler, Aufseher von Fischteichen und Vogelhüter« nur für späte UebertreibungenVergl. Sainte-Croix, examen des historiens d'Alexandre 1810 p. 207 und Cuvier, hist. des Sciences nat. T. I. p. 137 mit Schneider ad Aristot. de hist. Animal. T. I. p. XLII–XLVI und Stahr, Aristotelia Th. I. S. 116–118. Wenn demnach die Sendungen aus Aegypten und Inner-Asien sehr unwahrscheinlich sind, so bezeugen dagegen die neuesten Arbeiten unseres großen Anatomen Johannes Müller, mit welcher wundervollen Feinheit Aristoteles Fische der griechischen Meere zergliederte. S. über die Adhärenz des Eies mit dem Uterus in einer der beiden im Mittelmeer lebenden Arten der Gattung Mustelus, die im Fötus-Zustande eine Placenta des Dottersacks besitzt, welche mit der Uterin-Placenta der Mutter zusammenhängt, die gelehrte Abhandlung von Johannes Müller und seine Untersuchungen über den γαλεὸς λεῖος des Aristoteles in den Abhandl. der Berliner Akademie aus dem J. 1840 S. 192–197. (Vergl. Aristot. hist. Anim. VI, 10 und de gener. Anim. II, 3.) Eben so zeugen für die feinsten anatomischen Selbstarbeiten des Stagiriten die Unterscheidung und ausführliche Zergliederung der Tintenfisch-Arten, die Beschreibung der Zähne in den Schnecken und der Organe anderer Gasteropoden. (Vergl. hist. Anim. IV, 1 und 4 mit Lebert in Müller's Archiv der Physiologie 1846 S. 463 und 467.) Auf die Gestalt der Schneckenzähne habe ich selbst schon 1797 die neueren Naturforscher aufmerksam gemacht; s. meine Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser Bd. I. S. 261. und mißverstandene Traditionen des Plinius, Athenäus und Aelian zu halten.
Die macedonische Expedition, welche einen großen und schönen Theil der Erde dem Einflusse eines einzigen und dazu eines so hochgebildeten Volkes eröffnete, kann demnach im eigentlichsten Sinne des Worts als eine wissenschaftliche Expedition betrachtet werden; ja als die erste, in der ein Eroberer sich mit Gelehrten aus allen Fächern des Wissens: mit Naturforschern, Landmessern, 193 Geschichtsschreibern, Philosophen und Künstlern, umgeben hatte. Aristoteles wirkte aber nicht bloß durch das, was er selbst hervorgebracht; er wirkte auch durch die geistreichen Männer seiner Schule, welche den Feldzug begleiteten. Unter diesen glänzte vor allen des Stagiriten naher Verwandter, Callisthenes aus Olynth, der schon vor dem Heerzuge botanische Werke und eine feine anatomische Untersuchung über das Gesichtsorgan geliefert hatte. Durch die ernste Strenge seiner Sitten und die ungemessene Freiheit seiner Rede ward er dem, schon von seiner edeln und hohen Sinnesart herabgesunkenen Fürsten, wie dessen Schmeichlern, verhaßt. Callisthenes zog unerschrocken die Freiheit dem Leben vor: und als man ihn zu Bactra in die Verschwörung des Hermolaus und der Edelknaben schuldlos verwickelte, ward er die unglückliche Veranlassung zu der Erbitterung Alexanders gegen seinen früheren Lehrer. Theophrast, des Olynthiers gemüthlicher Freund und Mitschüler, hatte den Biedersinn ihn nach seinem Sturze öffentlich zu vertheidigen; von Aristoteles wissen wir nur, daß er ihn vor seiner Abreise zur Vorsicht gemahnt und, durch den langen Aufenthalt bei Philipp von Macedonien des Hoflebens, wie es scheint, sehr kundig, ihm gerathen habe: »mit dem König so wenig als möglich, und wenn es sein müßte, immer beifällig zu reden«.Valer. Maxim. VII, 2: »ut cum Rege aut rarissime aut quam jucundissime loqueretur.«
Von auserwählten Männern aus der Schule des Stagiriten unterstützt, hatte Callisthenes, als ein schon in Griechenland mit der Natur vertrauter Philosoph, in den neu aufgeschlossenen weiteren Erdkreisen die Forschungen seiner Mitarbeiter zu höheren Ansichten geleitet. Nicht die Pflanzenfülle und das mächtige Thierreich, nicht die Gestaltung des Bodens 194 oder die Periodicität des Anschwellens der großen Flüsse konnten allein die Aufmerksamkeit fesseln; der Mensch und seine Geschlechter in ihren mannigfaltigen Abstufungen der Färbung und Gesittung mußten nach dem eigenen Ausspruche des AristotelesAristot. Polit. I, 8 und Eth. ad Eudemum VII, 14. als »der Mittelpunkt und Zweck der gesammten Schöpfung erscheinen: als komme der Gedanke des göttlichen Denkens hienieden erst in ihm zum Bewußtsein«. Aus dem Wenigen, was uns von den Berichten des im Alterthum so getadelten Onesikritus übrig ist, ersehen wir, wie sehr man in der macedonischen Expedition, weit zum Sonnenaufgang gelangend, verwundert war, zwar die von Herodot genannten dunkelfarbigen, den Aethiopen ähnlichen, indischen Stämme: aber nicht die afrikanischen kraushaarigen Neger zu finden;Strabo lib. XV pag. 690 und 695 (Herod. III, 101). man beachtete scharf den Einfluß der Atmosphäre auf Färbung, die verschiedene Wirkung der trockenen und feuchten Wärme. In der frühesten homerischen Zeit und noch lange nach den Homeriden wurde die Abhängigkeit der Luftwärme von den Breitengraden, von den Polar-Abständen, vollkommen verkannt; Osten und Westen bestimmten damals die ganze thermische Meteorologie der Hellenen. Die nach dem Aufgang gelegenen Erdstriche wurden für »sonnennäher, für Sonnenländer« gehalten. »Der Gott färbt in seinem Laufe mit des Russes finsterem Glanze die Haut des Menschen und kräuselt ihm dörrend das Haar.«So Theodectes von Phaselis; s. oben Kosmos Bd. I. S. 380 und 491 [Anm. 437]. Alles Nördliche wurde mehr dem Westen, alles Südliche dem Osten zugeschrieben; vergl. Völcker über Homerische Geographie und Weltkunde S. 43 und 87. Das Unbestimmte des Wortes Indien: schon damals an Ideen der Lage, der Menschenfärbung und kostbarer Erzeugnisse geknüpft, trug zur Verbreitung solcher meteorologischen Hypothesen bei; denn Indien hießen gleichzeitig West-Arabien, das Land zwischen Ceylon und dem Ausfluß des Indus, das troglodytische Aethiopien, und das afrikanische Myrrhen- und Zimmtland südlich vom Vorgebirge der Arome (Humboldt, Examen crit. T. II. p. 35).
Alexanders Heerzüge gaben zuerst Veranlassung, in einem großen Maaßstabe die, besonders in Aegypten zusammenströmenden, afrikanischen Menschenracen mit den arischen Geschlechtern jenseits des Tigris und den altindischen, sehr dunkel gefärbten, aber nicht kraushaarigen 195 Urvölkern zu vergleichen. Die Gliederung der Menschheit in Abarten; ihre Vertheilung auf dem Erdboden: mehr als Folge geschichtlicher Ereignisse als des langdauernden klimatischen Einflusses da, wo die Typen einmal festgesetzt sind; der scheinbare Widerspruch zwischen Färbung und Wohnort mußten denkende Beobachter auf das lebhafteste anregen. Noch findet sich im Inneren des großen indischen Landes ein weites Gebiet, das von sehr dunkel, fast schwarz gefärbten, von den später eingedrungenen helleren arischen Stämmen gänzlich verschiedenen Ureinwohnern bevölkert ist. Dahin gehören unter den Vindhya-Völkern die Gonda, die Bhilla in den Waldgebirgen von Malava und Guzerat, wie die Kola von Orissa. Der scharfsinnige Lassen hält es für wahrscheinlich, daß zu Herodots Zeit die schwarze asiatische Race, dessen »Aethiopier vom Aufgang der Sonne«: den libyschen wohl in der Hautfarbe, aber nicht in der Beschaffenheit des Haares ähnlich, viel weiter als jetzt gegen Nordwesten verbreitet waren.Lassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 369, 372–375, 379 und 389; Ritter, Asien Bd. IV, 1. S. 446. Eben so dehnten im alten ägyptischen Reiche die eigentlichen wollhaarigen, oft besiegten Negerstämme ihre Wohnsitze weit in das nördliche Nubien aus.Die geographische Verbreitung der Menschenracen kann so wenig als die der Pflanzen und Thiere in ganzen Continenten nach Breitengraden bestimmt werden. Das Axiom, welches Ptolemäus (Geogr. lib. I cap. 9) aufstellt: daß es nördlich vom Parallel von Agisymba keine Elephanten, kein Rhinoceros und keine Neger gebe, ist völlig unbegründet (Examen critique T. I. p. 39). Die Lehre von dem allgemeinen Einfluß des Bodens und der Klimate auf die intellectuellen Anlagen und die Gesittung der Menschheit blieb der alexandrinischen Schule des Ammonius Sakkas eigenthümlich, besonders dem Longinus. S. Proclus, comment. in Tim. p. 50.
Zu der Bereicherung des Ideenkreises, welche aus dem Anblick vieler neuen physischen Erscheinungen, wie aus dem Contact mit verschiedenen Volksstämmen und ihrer contrastirenden Civilisation entsprang, gesellten sich leider! nicht die Früchte ethnologischer Sprachvergleichung: in so fern dieselbe philosophisch, abhängig von den Grundverhältnissen des GedankensS. Georg Curtius, die Sprachvergleichung in ihrem Verhältniß zur classischen Philologie 1845 S. 5–7 und dessen Bildung der Tempora und Modi 1846 S. 3–9. (Vergl. auch Pott's Artikel indogermanischer Sprachstamm in der allgem. Encyklopädie von Ersch und Gruber Sect. II. Th. XVIII. S. 1–112.) Untersuchungen über die Sprache im allgemeinen, in so fern sie die Grundverhältnisse des Gedankens berührt, finden sich aber schon bei Aristoteles: da, wo er den Zusammenhang der Kategorien mit grammatischen Verhältnissen entwickelt. S. die lichtvolle Darstellung dieser Vergleichung in Adolf Trendelenburg's histor. Beiträgen zur Philosophie 1846 Th. I. S. 23–32., oder bloß historisch ist. Diese Art der Untersuchung war dem sogenannten classischen Alterthume fremd. Dagegen lieferte Alexanders 196 Expedition den Hellenen wissenschaftliche Materialien, welche den lange aufgehäuften Schätzen früher cultivirter Völker entnommen werden konnten. Ich erinnere hier vorzugsweise daran, daß mit der Kenntniß der Erde und ihrer Erzeugnisse durch die Bekanntschaft mit Babylon, nach neueren und gründlichen Untersuchungen, auch die Kenntniß des Himmels ansehnlich vermehrt wurde. Allerdings war durch die Eroberung des Cyrus der Glanz des astronomischen Priester-Collegiums in der orientalischen Weltstadt bereits tief gesunken. Die Treppen-Pyramide des Belus (zugleich Tempel, Grab und eine, die nächtlichen Stunden verkündende Sternwarte) war von Xerxes der Zerstörung preis gegeben; das Monument lag zur Zeit des macedonischen Heerzuges bereits in Trümmern. Aber eben weil die geschlossene Priestercaste sich bereits aufgelöst, ja der astronomischen Schulen sich eine große ZahlDie Schulen der Orchener und Borsipener, Strabo lib. XVI p. 739. In dieser Stelle werden in Verbindung mit den chaldäischen Astronomen vier chaldäische Mathematiker namentlich aufgeführt; dieser Umstand ist historisch um so wichtiger, da Ptolemäus, als wären die Beobachtungen in Babylon immer nur collegialisch angestellt worden (Ideler, Handbuch der Chronologie Bd. I. 1825 S. 198), die Sternbeobachter stets durch den Gesammtnamen Χαλδαῖοι bezeichnet. gebildet hatte, war es dem Callisthenes möglich geworden (wie Simplicius behauptet, auf Rath des Aristoteles) Sternbeobachtungen aus einer sehr langen Periode von Jahren (Porphyrius sagt: für eine Periode von 1903 Jahren vor Alexanders Einzug in Babylon, Ol. 112, 2) nach Griechenland zu senden. Die ältesten chaldäischen Beobachtungen, deren das Almagest erwähnt (wahrscheinlich die ältesten, welche Ptolemäus zu seinen Zwecken tauglich fand), gehen aber freilich nur bis 721 Jahre vor unserer Zeitrechnung, d. h. bis zu dem ersten messenischen Kriege. Gewiß ist es, »daß die Chaldäer die mittleren Bewegungen des Mondes mit einer Genauigkeit kannten, welche die griechischen Astronomen veranlaßte sich derselben zur Begründung der Mondstheorie zu bedienen.«Ideler a. a. O. Bd. I. S. 202, 206 und 218. Wenn man den Zweifel gegen den Glauben an die von Callisthenes aus Babylon nach Griechenland gesandten astronomischen Beobachtungen darauf gründet (Delambre, Histoire de l'Astronomie ancienne T. I. p. 308), »daß keine Spur von diesen Beobachtungen der chaldäischen Priestercaste sich in den Schriften des Aristoteles finde«; so vergißt man, daß Aristoteles (de Coelo lib. II cap. 12) gerade da, wo er von einer von ihm selbst beobachteten Bedeckung des Mars vom Monde spricht, ausdrücklich hinzufügt: »eben dergleichen vieljährige an den übrigen Planeten gemachte Beobachtungen haben die Aegypter und die Babylonier angestellt, von denen viele zu unserer Kunde gelangt sind.« Ueber den wahrscheinlichen Gebrauch astronomischer Tafeln bei den Chaldäern s. Chasles in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XXIII. 1835 p. 852–854. Auch ihre Planeten-Beobachtungen, 197 zu denen sie eine uralte Liebe der Astrologie anregte, scheinen sie zur wirk1ichen Construction astronomischer Tafeln benutzt zu haben.
Wie viel von den frühesten pythagoreischen Ansichten über die wahre Beschaffenheit des Himmelsgebäudes, über den Planetenlauf und die nach Apollonius MyndiusSeneca, Nat. Quaest. VII, 17. in langer geregelter Bahn wiederkehrenden Cometen den Chaldäern zugehört, ist hier nicht der Ort zu entwickeln. Strabo nennt den »Mathematiker Seleucus« einen Babylonier und unterscheidet ihnVergl. Strabo lib. XVI p. 739 mit lib. III p. 174. so von dem Erythräer, der die Meeresfluth maß. Es genügt zu bemerken, daß auch der griechische Thierkreis höchst wahrscheinlich »von der Dodecatemoria der Chaldäer entlehnt ist, und daß derselbe nach Letronne's wichtigen UntersuchungenDiese Untersuchungen sind vom Jahr 1824 (s. Guigniaut, Religions de l'Antiquité, ouvr. trad. de l'allem. de F. Creuzer T. I. P. 2. p. 928). Spätere Aufsätze von Letronne sind die im Journal des Savants 1839 p. 338 und 492 wie auch die Analyse critique des représentations zodiacales en Égypte 1846 p. 15 und 34. (Vergl. damit Ideler über den Ursprung des Thierkreises in den Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem J. 1838 S. 21.) nicht höher als bis zum Anfang des sechsten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung hinaufsteigt«.
Was der Contact der Hellenen mit den Völkern indischen Ursprungs in der Epoche der macedonischen Heerzüge unmittelbar hervorgerufen, ist in Dunkel gehüllt. Von wissenschaftlicher Seite konnte wahrscheinlich wenig gewonnen werden, weil Alexander in dem Fünfstromlande (in dem Pantschanada), nachdem er das Reich des Porus zwischen dem cederreichenDie herrlichen Waldungen von Cedrus deodvara (Kosmos Bd. I. S. 43 [Anm. 4]): am häufigsten zwischen acht- und eilftausend Fuß, am oberen Hydaspes (Behut), der den Wallersee in dem Alpenthale von Kaschmir durchströmt, haben das Material zu Nearchs Flotte hergegeben (Burnes, Travels Vol. I. p. 59). Der Stamm dieser Ceder hat nach der Beobachtung des, leider der Wissenschaft (durch den Tod auf einem Schlachtfelde) entrissenen Dr. Hoffmeister, des Begleiters des Prinzen Waldemar von Preußen, oft bis 40 Fuß Umfang. Hydaspes (Jelum) und dem Acesines (Tschinab) durchzogen, nur bis zum Hyphasis vorgedrungen war: doch bis zu dem Punkte, wo dieser Fluß bereits die Wasser des Satadru (Hesidrus bei Plinius) empfangen hat. Mißmuth seiner Kriegsvölker und Besorgniß vor einem allgemeinen Aufstande in den persischen und syrischen Provinzen zwangen den Helden, der gegen Osten bis zum Ganges vordringen wollte, zur großen 198 Catastrophe der Rückkehr. Die Länder, welche die Macedonier durchstreiften, waren der Wohnsitz wenig cultivirter Stämme. In dem Zwischenlande zwischen dem Satadru und der Yamuna (dem Indus- und Ganges-Gebiete) bildet ein unbedeutender Fluß, die heilige Sarasvati, eine uralte classische Grenze zwischen den reinen, würdigen, frommen Brahma-Anbetern in Osten und den unreinen, nicht in Casten getheilten, königslosen Stämmen in Westen.Lassen in der Pentapotamia indica p. 25, 29, 57–62 und 77; auch in der Indischen Alterthumskunde Bd. I. S. 91. Zwischen der Sarasvati, im Nordwesten von Delhi, und der felsenreichen Drischadvali liegt nach Manu's Gesetzbuch Brahmavarta, ein von den Göttern selbst priesterlich eingerichteter Bezirk des Brahma; dagegen ist im weiteren Sinne des Worts Aryavarta (das Land der Würdigen, Arier) in der alten indischen Geographie das ganze Gebiet östlich vom Indus zwischen dem Himalaya und der Vindhya-Kette: von welcher an südlich die alte nicht-arische Urbevölkerung begann. Madhya-Desa, das Land der Mitte, dessen ich oben (Kosmos Bd. I. S. 15) erwähnte, war nur ein Theil von Aryavarta. (Vergl. meine Asie centrale T. I. p. 204 und Lassen, Ind. Alterthumsk. Bd. I. S. 5, 10 und 93.) Die antiken indischen Freistaaten, die Gebiete der Königslosen (von den orthodoxen östlichen Dichtern verdammt), lagen zwischen dem Hydraotes und Hyphasis, d. i. zwischen dem jetzigen Ravi und dem Beas. Demnach gelangte Alexander nicht bis zu dem eigentlichen Sitze höherer indischer Cultur. Erst Seleucus Nicator, der Gründer des großen Seleuciden-Reiches, drang von Babylon aus gegen den Ganges vor und knüpfte durch die mehrfachen Gesandtschaften des Megasthenes nach PataliputraMegasthenes, Indica ed. Schwanbeck 1846 S. 17. politische Verbindungen mit dem mächtigen Sandracottus (Tschandraguptas).
Auf diese Weise erst entstand ein lebhafter und dauernder Contact mit dem civilisirtesten Theile von Madhya-Desa (dem Land der Mitte). Zwar gab es auch im Pendschab (in der Pentapotamia) einsiedlerisch lebende gelehrte Brachmanen. Wir wissen aber nicht, ob das herrliche indische Zahlensystem, in dem die wenigen Zeichen ihren Werth durch bloße Stellung (Position) erlangen, jenen Brachmanen und Gymnosophisten bekannt war, ob (wie wohl zu vermuthen steht) damals schon im cultivirtesten Theile des indischen Landes der Stellenwerth erfunden war. Welch eine Revolution würde die Welt in der schnelleren Entwickelung und erleichterten Anwendung mathematischer Kenntnisse erfahren haben, wenn der, Alexanders Heer begleitende Brachmane Sphines (im Heere Kalanos genannt), wenn später zu Augusts Zeiten der Brachmane 199 Bargosa, ehe sie beide freiwillig den Scheiterhaufen zu Susa und Athen bestiegen, den Griechen das indische Zahlensystem auf eine Weise hätten mittheilen können, durch die dasselbe zu einem allgemeinen Gebrauche gelangt wäre. Die scharfsinnigen und vielumfassenden Untersuchungen von Chasles haben allerdings gelehrt, daß die sogenannte Methode des pythagorischen Abacus oder Algorismus, wie sie sich in der Geometrie des Boethius beschrieben findet, mit dem indischen Zahlensysteme des Stellenwerthes fast identisch sei; aber jene Methode, lange unfruchtbar bei Griechen und Römern, hat erst im Mittelalter eine allgemeine Verbreitung gewonnen: besonders als das Nullzeichen an die Stelle des leeren Faches trat. Die wohlthätigen Erfindungen bedürfen oft Jahrhunderte, um anerkannt und vervollständigt zu werden.
Zunahme der Weltanschauung unter den Ptolemäern. – Museum im Serapeum. – Eigenthümlicher Charakter der wissenschaftlichen Richtung in dieser Zeitepoche. – Encyclopädische Gelehrsamkeit. – Verallgemeinerung der Natur-Ansichten in den Erd- und Himmelsräumen.
Nach der Auflösung des macedonischen Weltreichs, das Gebiete dreier Continente umfaßte, entwickelten sich, doch in sehr verschiedener Gestaltung, die Keime, welche das vermittelnde, völkerverbindende Regierungssystem des großen Macedoniers in einen fruchtbaren Boden gelegt hatte. Je mehr die nationale Abgeschlossenheit der hellenischen Denkart dahinschwand, je mehr ihre schöpferische begeisternde Kraft an Tiefe und Stärke verlor: desto gewinnreicher waren durch Belebung und Erweiterung des Völkerverkehrs, wie durch rationelle Verallgemeinerung der Natur-Ansichten, die Fortschritte in der Kenntniß des Zusammenhangs der Erscheinungen. Im syrischen Reiche, bei den Attaliden von Pergamum, unter den Seleuciden und Ptolemäern wurden sie überall und fast gleichzeitig von ausgezeichneten Herrschern begünstigt. Das griechische Aegypten hatte den Vorzug politischer Einheit; es hatte auch den einer geographischen Weltstellung, die durch den Einbruch des arabischen Meerbusens von Bab-el-Mandeb bis Suez und Akaba (in der Erschütterungs-Richtung SSO–NNW) den 201 Verkehr auf dem indischen Ocean dem Verkehr an den Küsten des Mittelmeers auf wenige Meilen nahe bringt.S. oben Kosmos Bd. II. S. 155.
Das Reich der Seleuciden genoß nicht diese Vortheile des Seehandels, wie sie Form und Gliederung der Ländermassen den Lagiden darboten; seine Stellung war gefährdeter: von den Zersplitterungen bedroht, welche die verschiedenartige Nationalität der Satrapien erzeugte. Der Verkehr im Seleuciden-Reiche war überdies mehr ein innerer, an Stromgebiete oder an Caravanenstraßen gefesselt: die allen hindernden Naturgewalten von schneebedeckten Gebirgsketten, Hochebenen und Wüsten trotzten. Der große Waarenzug, in welchem die Seide das kostbarste Product war, ging aus Inner-Asien von der Hochebene der Serer nördlich von Uttara-Kuru, über den steinernen ThurmVergl. meine geographischen Untersuchungen in der Asie centrale T. I. p. 145 und 151–157, T. II. p. 179. (wahrscheinlich einen befestigten Caravanserai) südlich von den Quellen des Jaxartes nach dem Oxus-Thale zum caspischen und schwarzen Meere. Dagegen war der Hauptverkehr des Lagiden-Reiches, so lebhaft auch die Fluß-Schifffahrt auf dem Nil und die Communication zwischen den Nil-Ufern und den Kunststraßen längs dem Gestade des rothen Meeres sein mochte, doch im eigentlichsten Verstande des Wortes der Seehandel. Nach Alexanders großen Ansichten sollten, in Westen und Osten, das neugegründete ägyptische Alexandria und das uralte Babylon die beiden Hauptstädte des macedonischen Weltreichs werden; doch Babylon hat diesen Hoffnungen später nie entsprochen: und die Blüthe der, von Seleucus Nicator am unteren Tigris erbauten, durch CanälePlin. VI, 26? mit dem Euphrat verbundenen Seleucia trug dazu bei den völligen Verfall von Babylon zu veranlassen.
202 Drei große Regenten: die ersten drei Ptolemäer, deren Regierung ein ganzes Jahrhundert ausfüllt, haben, durch ihre Liebe für die Wissenschaften, durch die glänzendsten Anstalten zur Beförderung geistiger Bildung und durch ununterbrochenes Streben nach Erweiterung des Seehandels, der Natur- und Länderkenntniß einen Zuwachs verschafft, wie derselbe bis dahin noch von keinem Volke errungen worden war. Dieser Schatz ächt wissenschaftlicher Cultur ging von den in Aegypten angesiedelten Hellenen zu den Römern über. Schon unter Ptolemäus Philadelphus, kaum ein halbes Jahrhundert nach dem Tode Alexanders (selbst eher als der erste punische Krieg den aristocratischen Freistaat der Carthager erschütterte), war Alexandria der größte Handelsplatz der Welt. Ueber Alexandria ging der nächste und bequemste Weg von dem Becken des Mittelmeers nach dem südöstlichen Afrika, nach Arabien und Indien. Die Lagiden haben die Straße des Weltverkehrs, welche die Natur durch die Richtung des arabischen Meerbusens gleichsam vorgezeichnetDroysen, Gesch. des hellenistischen Staatensystems S. 749., mit beispiellosem Erfolge benutzt: eine Straße, die ihr Recht in vollem Maaße erst dann wird wieder gelten lassen, wenn die Verwilderung des morgenländischen Lebens und die störende Eifersucht der abendländischen Mächte gleichzeitig abnehmen. Selbst als Aegypten eine römische Provinz wurde, blieb es der Sitz eines unermeßlichen Reichthums, da der wachsende Luxus von Rom unter den Cäsaren auf das Nilland zurückwirkte und die Mittel seiner Befriedigung hauptsächlich in dem Weltverkehr von Alexandria fand.
Die wichtige Erweiterung der Natur- und Länderkenntniß unter den Lagiden war gegründet auf den Caravanenhandel in dem Inneren von Afrika über Cyrene und 203 die Oasen, auf die Eroberungen in Aethiopien und dem glücklichen Arabien unter Ptolemäus Evergetes, auf den Seehandel mit der ganzen westlichen Halbinsel Indiens vom Meerbusen von Barygaza (Guzerat und Cambay) an längs den Küsten von Canara und Malabar (Malayavara, Gebiet von Malaya) bis zu den brahmanischen Heiligthümern des Vorgebirges Comorin (Kumari)Vergl. Lassen, Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 107, 153 und 158. und der großen Insel Ceylon (Lanka im Ramayana; Taprobane, ein von den Zeitgenossen Alexanders verstümmelter»Verstümmelt aus Tâmbapannî. Diese Paliform lautet im Sanskrit Tâmraparnî; die griechische Form Taprobane giebt halb die sanskritische (Tâmbra, Tapro), halb die Paliform wieder.« (Lassen a. a. O. S. 201; vergl. Lassen, diss. de Taprobane insula p. 19) Auch die Lakediven (lakke statt lakscha und dive statt dwîpa, einhundert-tausend Inseln) waren wie die Malediven (Malayadiba, d. i. Inseln von Malabar) den alexandrinischen Seeleuten bekannt. einheimischer Name). Schon Nearchs mühevolle, fünf Monate dauernde Beschiffung der Küsten von Gedrosien und Caramanien (zwischen Pattala an der Mündung des Indus und dem Ausfluß des Euphrat) hatte wesentlich zu den Fortschritten der Nautik beigetragen.
Die Kenntniß der Monsun-Winde, welche die Schifffahrt zwischen der Ostküste von Afrika und der Nord- und Westküste von Indien so wirksam begünstigen, fehlte Alexanders Gefährten nicht. Nachdem, um den Indus dem Weltverkehr zu eröffnen, der Macedonier in einer zehn Monate langen Fahrt den Fluß zwischen Nicäa am Hydaspes und Pattala untersucht hatte, eilte Nearch im Anfang des Octobers (Ol. 113, 3) von der Mündung des Indus bei Stura abzusegeln: weil er wußte, daß seine Seefahrt bis zum persischen Meerbusen von dem Nordost- und Ost-Monsun, längs der in einem Parallelkreise laufenden Küste, begünstigt werden würde. Die Ergründung eines so merkwürdigen localen Gesetzes der Windrichtung gab den Piloten später den Muth, von Ocelis an der Straße Bab-el-Mandeb geradezu durch das hohe Meer nach dem großen malabarischen Stapelplatze Muziris (südlich von Mangalor) zu schiffen: wo durch inneren 204 Verkehr auch die Waaren der östlichen Küste der indischen Halbinsel, ja selbst das Gold der fernen Chryse (Borneo?) zusammenflossen. Die Ehre dies neue System der indischen Schifffahrt zuerst in Anwendung gebracht zu haben wird einem übrigens unbekannten Seemanne Hippalus zugeschrieben, dessen ZeitalterHippalus soll erst unter Claudius gelebt haben; aber die Angabe ist unwahrscheinlich: wenn auch unter den ersten Lagiden ein großer Theil der indischen Erzeugnisse nur auf arabischen Märkten gekauft wurden. Uebrigens wurde der Südwest-Monsun selbst Hippalus genannt, wie auch ein Theil des erythräischen oder indischen Oceans das Meer des Hippalus hieß. Letronne im Journal des Savans 1818 p. 405; Reinaud, relation des Voyages dans l'Inde T. I. p. XXX. zweifelhaft ist.
In die Geschichte der Weltanschauung gehört die Aufzählung aller Mittel, durch welche die Völker sich genähert, große Theile des Erdkreises zugänglicher geworden, die Erkenntniß-Sphären der Menschheit erweitert worden sind. Unter diesen Mitteln ist eines der großartigsten gewesen die materielle Eröffnung einer Wasserstraße vom rothen zum mittelländischen Meere vermittelst des Nils. Wo zwei kaum zusammenhangende Continental-Massen die tiefsten maritimen Einschnitte darbieten, hatte: wenn auch nicht der große Sesostris (Ramses-Miamen), welchem Aristoteles und Strabo es zuschreiben, doch Necho (Neku) die Ausgrabung eines Canals begonnen; aber, durch priesterliche Orakelsprüche geschreckt, wiederum aufgegeben. Herodot sah und beschrieb einen vollendeten, der etwas oberhalb Bubastus in den Nil einmündete, ein Werk des Achämeniden Darius Hystaspis. Wieder in Verfall gerathen, ward endlich dieser Canal von Ptolemäus Philadelphus so vollkommen hergestellt, daß er: wenn auch nicht, trotz seiner künstlichen Schleusen-Einrichtung, zu jeder Jahreszeit schiffbar: doch bis zu der Römer-Herrschaft: bis Marc-Aurel, vielleicht bis Septimius Severus, also über vier und ein halbes Jahrhundert, den äthiopischen, arabischen und indischen Handel belebte. Zu denselben Zwecken des Völkerverkehrs durch das rothe Meer wurde der Hafenbau in Myos Hormos und Berenice sorgsam 205 betrieben und durch eine herrliche Kunststraße mit Coptos in Verbindung gesetzt.S. die Untersuchungen von Letronne über den Canalbau zwischen dem Nil und dem rothen Meere von Neku bis zum Chalifen Omar, durch einen Zeitraum von mehr als 1300 Jahren, in der Revue des deux Mondes T. XXVII. 1841 p. 215–235. Vergl. auch Letronne de la civilisation égyptienne depuis Psammitichus jusqu'à la conquête d'Alexandre 1845 p. 16–19.
Allen diesen Anstalten und Unternehmungen der Lagiden, den mercantilen wie den wissenschaftlichen, lag ein unaufhaltsames Streben nach dem Ganzen und Fernen: die Idee des Anknüpfens und der vermittelnden Einigung, des Umfassens großer Massen von Verhältnissen und Anschauungen zum Grunde. Eine so fruchtbringende Richtung der hellenischen Gedankenwelt, lange im Stillen vorbereitet, war durch Alexanders Heerzüge, durch seinen Versuch den Westen mit dem Osten zu verschmelzen zu einer großartigen Manifestation gelangt. Sie charakterisirt in ihrer Erweiterung unter den Lagiden die Epoche, deren Bild ich hier entwerfe; sie darf als ein wichtiger Fortschritt zur Erkenntniß eines Weltganzen betrachtet werden.
In so fern nun zu dieser wachsenden Erkenntniß Reichthum und Fülle der Anschauungen erforderlich sind: konnte der Verkehr Aegyptens mit fernen Ländern, konnten wissenschaftliche Untersuchungsreisen in Aethiopien auf Kosten der RegierungMeteorologische Speculationen über die fernen Ursachen des Anschwellens des Nils veranlaßten einen Theil dieser Reisen: weil Philadelphus, wie Strabo sich ausdrückt (lib. XVII p. 789 und 790), »wegen Wißbegier und Körperschwäche immer neue Zerstreuungen und Ergötzlichkeiten suchte«., ferne Strauß- und ElephantenjagdenZwei Jäger-Inschriften, »von denen die eine vorzugsweise an die Elephantenjagden des Ptolemäus Philadelphus erinnert«, hat Lepsius auf seiner ägyptischen Reise an den Colossen von Abusimbel (Ibsambul) gefunden und copirt. (Vergl. über diesen Gegenstand Strabo lib. XVI p. 769 und 770; Aelian de nat. Animal. III, 34 und VII, 3; Athenäus V p. 196.) Wenn gleich indisches Elfenbein nach dem Periplus maris Erythraei ein Ausfuhr-Artikel von Barygaza war, so wurde doch nach dem Berichte des Cosmas Elfenbein auch aus Aethiopien nach der westlichen Halbinsel von Indien exportirt. Die Elephanten haben sich seit dem Alterthume, auch im östlichen Afrika, mehr nach Süden zurückgezogen. Nach dem Zeugnisse des Polybius (V, 84) trieb da, wo in der Schlacht afrikanische und indische Elephanten einander gegenüber standen, der Anblick, der Geruch und das Geschrei der größeren und stärkeren indischen Elephanten die afrikanischen in die Flucht. Der letzteren sind wohl nie als Kriegs-Elephanten so viele aufgestellt worden als in den asiatischen Feldzügen: wo Kandragupta 9000, der mächtige König der Prasier 6000, ja selbst Akbar noch eben so viel versammelt hielten (Lassen, Ind. Alterthumskunde Bd. I. S. 305–367)., Menagerien wilder und seltener Thiere in den »Königshäusern vom Bruchium« anregend zum Studium der NaturgeschichteAthen. XIV p. 654; vergl. Parthey, das Alexandrinische Museum, eine Preisschrift, S. 55 und 171. wirken und den Anforderungen des empirischen Wissens genügen; aber der eigenthümliche Charakter der ptolemäischen Epoche wie der ganzen alexandrinischen Schule, die ihre besondere Richtung bis in das dritte und vierte Jahrhundert behielt, offenbarte sich auf einem anderen Wege: minder im Selbstbeobachten des Einzelnen als in dem mühevollen Zusammenfassen des Vorhandenen; in der Anordnung, Vergleichung und geistigen Befruchtung 206 des längst Gesammelten. Nachdem, so viele Jahrhunderte hindurch, bis zum mächtigen Auftreten des Aristoteles, die Naturerscheinungen, jeder scharfen Beobachtung entzogen, in ihrer Deutung der alleinigen Herrschaft der Ideen, ja der Willkühr dumpfer Ahndungen und wandelbarer Hypothesen anheim gefallen waren; offenbarte sich jetzt eine höhere Achtung für das empirische Wissen. Man untersuchte und sichtete, was man besaß. Die Naturphilosophie, minder kühn in ihren Speculationen und phantastischen Gebilden, trat endlich der forschenden Empirie näher auf dem sicheren Wege der Induction. Ein mühevolles Streben nach Anhäufung des Stoffes hatte eine gewisse Polymathie nothwendig gemacht: und wenn auch das vielseitige Wissen in den Arbeiten ausgezeichneter Denker wohlthätige Früchte darbot: so zeigte sich dasselbe doch, bei der hingesunkenen Schöpfungskraft der Hellenen, nur zu oft von Geistlosigkeit und nüchterner Erudition begleitet. Auch haben Mangel an Pflege der Form wie an Lebendigkeit und Anmuth der Diction dazu beigetragen die alexandrinische Gelehrsamkeit strengen Urtheilen der Nachwelt auszusetzen.
Es ist diesen Blättern vorbehalten hauptsächlich das hervorzuheben, was die Epoche der Ptolemäer durch das Zusammenwirken äußerer Verhältnisse, durch Stiftung und planmäßige Ausstattung zweier großer Anstalten (des alexandrinischen Museums und zweier Büchersammlungen im BruchiumDie Bibliothek im Bruchium war die ältere: welche bei dem Brande der Flotte unter Julius Cäsar zerstört wurde. Die Bibliothek in Rhakotis machte einen Theil des Serapeums aus, wo sie mit dem Museum verbunden war. Die Büchersammlung von Pergamus wurde durch die Freigebigkeit des Antonius der Bibliothek in Rhakotis einverleibt. und in Rhakotis), durch die collegialische Annäherung so vieler Gelehrten, die ein praktischer Sinn belebte, geleistet hat. Das encyclopädische Wissen erleichterte die Vergleichung des Beobachteten, die Verallgemeinerung von Natur-Ansichten. Das große wissenschaftliche 207 Institut, welches den ersten beiden Lagiden seinen Ursprung verdankte, hat unter vielen Vorzügen lange auch den behauptet, daß seine Mitglieder frei nach ganz verschiedenen RichtungenVacherot, histoire critique de l'École d'Alexandrie 1846 T. I. p. V und 103. Daß das Institut von Alexandria, wie alle akademischen Corporationen: neben dem Vortrefflichen, was aus dem Zusammenwirken der Kräfte und der Anschaffung materieller Hülfsmittel entsteht, auch einschränkend und beherrschend wirkte, wurde schon im Alterthume mannigfaltig bezeugt. Ehe noch die einst so glänzende Stadt der traurige Sitz christlich-theologischer Streitigkeiten wurde, bestellte Hadrian seinen Lehrer Vestinus zum Hohenpriester von Alexandria (zu einer Art von Cultus-Minister) und zugleich zum Vorsteher des Museums (zum Präsidenten der Akademie). Letronne, recherches pour servir à l'histoire de l'Égypte pendant la domination des Grecs et des Romains 1823 p. 251 arbeiteten und dabei doch, in einem fremden Lande angesiedelt und von vielerlei Volksstämmen umgeben, das Charakteristische hellenischer Sinnesart, hellenischen Scharfsinnes bewahrten.
Wenige Beispiele mögen, nach dem Geiste und der Form dieser historischen Darstellung, genügen, um zu beweisen, wie in der Erd- und Himmelskunde unter dem schützenden Einfluß der Ptolemäer Erfahrung und Beobachtung sich als die wahren Quellen der Erkenntniß Geltung verschafften, wie in der Richtung des alexandrinischen Zeitalters neben dem stoffanhäufenden Sammelfleiße doch immer eine glückliche Verallgemeinerung der Ansichten sich offenbarte. Hatten auch die verschiedenen griechischen Philosophenschulen, nach Nieder-Aegypten verpflanzt, in ihrer orientalischen Ausartung, zu vielen mythischen Deutungen über die Natur der Dinge Anlaß gegeben; so blieb doch im Museum den platonischen LehrenFries, Geschichte der Philosophie Bd. II. S. 5 und dessen Lehrbuch der Naturlehre Th. I. S. 42. Vergl. auch die Betrachtungen über den Einfluß, welchen Plato auf die Begründung der Erfahrungswissenschaften durch Anwendung der Mathematik ausgeübt hat, in Brandis Geschichte der Griechisch-Römischen Philosophie Th. II. Abth. 1. S. 276. als sicherste Stütze das mathematische Wissen. Die Fortschritte dieses Wissens umfaßten fast gleichzeitig reine Mathematik, Mechanik und Astronomie. In Plato's hoher Achtung für mathematische Gedankenentwicklung wie in den alle Organismen umfassenden morphologischen Ansichten des Stagiriten lagen gleichsam die Keime aller späteren Fortschritte der Naturwissenschaft. Sie wurden der Leitstern, welcher den menschlichen Geist durch die Verirrungen der Schwärmerei finsterer Jahrhunderte sicher hindurchgeleitet, sie haben die gesunde wissenschaftliche Geisteskraft nicht ersterben lassen.
208 Der Mathematiker und Astronom Eratosthenes von Cyrene, der berühmteste in der Reihe der alexandrinischen Bibliothekare, benutzte die Schätze, welche ihm geöffnet standen, um sie zu einer systematischen Universal-Geographie zu verarbeiten. Er reinigte die Erdbeschreibung von den mythischen Sagen. Selbst mit Chronologie und Geschichte beschäftigt, trennte er doch die Erdbeschreibung von den geschichtlichen Einmischungen, welche dieselbe früher nicht ohne Anmuth belebten. Einen befriedigenden Ersatz lieferten mathematische Betrachtungen über die gegliederte Form und Ausdehnung der Continente; geognostische Vermuthungen über den Zusammenhang der Bergketten, die Wirkung der Strömungen und die vormalige Wasserbedeckung von Ländern, welche jetzt noch alle Spuren des trockenen Meeresbodens an sich tragen. Der oceanischen Schleusen-Theorie des Strato von Lampsacus günstig, leitete der Glaube an das einstige Anschwellen des Pontus, an den Durchbruch der Dardanellen und die dadurch veranlaßte Eröffnung der Hercules-Säulen den alexandrinischen Bibliothekar auf die wichtige Untersuchung des Problems von der Gleichheit des Niveau's aller äußeren die Continente umfließenden MeereUeber die physischen und geognostischen Meinungen des Eratosthenes s. Strabo lib. I p. 49-56, lib. II p. 108.. Wie glücklich er in Verallgemeinerung der Ansichten war, bezeugt ferner seine Behauptung, daß der ganze Continent von Asien in dem Parallel von Rhodus (in dem Diaphragma des Dicäarchus) von einer zusammenhangenden, west-östlich streichenden Bergkette durchschnitten sei.Strabo lib. XI p. 519; Agathem. in Hudson, Geogr. graeci min. Vol. II p. 4. Ueber die Richtigkeit der großartigen orographischen Ansichten des Eratosthenes s. meine Asie centrale T. I. p. 104–150, 198, 208–227, 413–415; T. II. p. 367 und 414–435, und Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 152–154. Ich habe die Gradmessung des Eratosthenes mit Vorsicht die erste hellenische genannt, da eine uralte chaldäische Bestimmung der Größe des Grades nach Kameelschritten nicht unwahrscheinlich ist. S. Chasles, recherches sur l'Astronomie indienne et chaldéenne in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XXIII. 1846 p. 851.
Ein reger Wunsch nach Allgemeinheit der Ansichten, Folge der geistigen Bewegung jener Zeit, veranlaßte auch die erste (hellenische) Gradmessung zwischen Syene und 209 Alexandrien: d. i. den Versuch des Eratosthenes den Umfang der Erde annäherungsweise zu bestimmen. Es ist nicht das erlangte Resultat, auf unvollkommene Angaben von Bematisten gegründet, welches unser Interesse erregt; es ist das Streben sich von dem engen Raume des heimathlichen Landes zu der Kenntniß der Größe des Erdballs zu erheben.
Ein ähnliches Streben nach Verallgemeinerung der Ansichten bezeichnet in dem Zeitalter der Ptolemäer die glänzenden Fortschritte einer wissenschaftlichen Kenntniß der Himmelsräume. Ich erinnere hier an die Bestimmung der Fixstern-Oerter der frühesten alexandrinischen Astronomen Aristyllus und Timochares; an Aristarch von Samos, den Zeitgenossen des Kleanthes: welcher, mit alt-pythagoreischen Ansichten vertraut, die räumliche Construction des ganzen Weltgebäudes zu ergründen wagte, den unermeßlichen Abstand des Fixsternhimmels von unserem kleinen Planetensysteme zuerst erkannte, ja die zwiefache Bewegung der Erde um ihre Achse und fortschreitend um die Centralsonne muthmaßte; an den Seleucus aus Erythrä (oder aus BabylonMir scheint die letztere Benennung die richtigere, da Strabo lib. XVI p. 739 einen »Seleucus von Seleucia unter mehreren sehr ehrenwerthen Männern als einen sternkundigen Chaldäer« aufführt. Hier ist wahrscheinlich Seleucia am Tigris gemeint, eine blühende Handelsstadt. Sonderbar ist es freilich, daß derselbe Strabo einen Seleucus als genauen Beobachter der Ebbe und Fluth ebenfalls einen Babylonier (lib. I p. 6) und später wieder (lib. III p. 174), vielleicht aus Nachlässigkeit, einen Erythräer nennt. (Vergl. Stobäus, Eclog. phys. p. 440.)): der ein Jahrhundert später die, noch wenig Anklang findende (kopernicanische) Meinung des Samiers zu begründen suchte; an Hipparch, den Schöpfer der wissenschaftlichen Astronomie, den größten selbstbeobachtenden Astronomen des ganzen Alterthums. Hipparch war unter den Griechen der eigentliche Urheber astronomischer TafelnIdeler, Handbuch der Chronologie Bd. I. S. 212 und 329., der Entdecker des Vorrückens der Nachtgleichen. Seine eigenen Fixstern-Beobachtungen (zu Rhodus, nicht zu Alexandria, angestellt), als er sie mit denen des Timochares und Aristyllus verglichen, leiteten ihn (wahrscheinlich ohneDelambre, Histoire de l'Astronomie ancienne T. I. p. 290. das Auflodern eines neuen 210 Sternes) zu dieser großen Entdeckung, auf welche eine langfortgesetzte Beobachtung des Frühaufgangs des Sirius die Aegypter allerdings sollte geführt haben können.Böckh hat in seinem Philolaos S. 118 untersucht, ob die Pythagoreer schon früh aus ägyptischen Quellen die Präcession unter der Benennung: Bewegung des Fixsternhimmels gekannt haben. Letronne (observations sur les représentations zodiacales qui nous restent de l'Antiquité 1824 p. 62) und Ideler (Handbuch der Chronol. Bd. I. S. 192) vindiciren aber diese Entdeckung ausschließlich dem Hipparch.
Ein eigenthümlicher Charakterzug der Hipparchischen Bestrebungen ist noch der gewesen, Erscheinungen in den Himmelsräumen zu geographischen Ortsbestimmungen zu benutzen. Eine solche Verbindung der Erd- und Himmelskunde, der Reflex der einen auf die andere, belebte wie durch einigende Vermittelung die große Idee des Kosmos. Die Construction einer neuen Weltkarte des Hipparchus, auf die des Eratosthenes gegründet, beruht, wo die Anwendung astronomischer Beobachtungen möglich war, auf Mondfinsternissen und Schattenmessungen für die geographischen Längen und Breiten. Die hydraulische Uhr des Ktesibius, eine Vervollkommnung der früheren Klepsydren, konnte genauere Zeitmessungen verschaffen: während für Bestimmungen im Raume vom alten Gnomon und den Skaphen an bis zu der Erfindung von Astrolabien, von Solstitial-Armillen und Diopter-Linealen den alexandrinischen Astronomen allmälig bessere Winkelmesser dargeboten wurden. So gelangte stufenweise der Mensch wie durch neue Organe zu einer genaueren Kenntniß der Bewegungen im Planetensysteme. Nur die Kenntniß von der absoluten Größe, Gestaltung. Masse und physischen Beschaffenheit der Weltkörper machte Jahrtausende lang keine Fortschritte.
Nicht allein mehrere selbstbeobachtende Astronomen des alexandrinischen Museums waren ausgezeichnete Geometer, das Zeitalter der Ptolemäer war überhaupt die glänzendste Epoche der Bearbeitung des mathematischen Wissens. Es 211 erscheinen in demselben Jahrhundert Euclides, der Schöpfer der Mathematik als Wissenschaft, Apollonius von Perga und Archimedes, der Aegypten besuchte und durch Conon mit der alexandrinischen Schule zusammenhing. Der lange Weg, welcher von der sogenannten geometrischen Analysis des Plato und den Menächmeischen DreigestaltenIdeler über Eudoxus S. 23. bis zu dem Zeitalter von Kepler und Tycho, Euler und Clairaut, d'Alembert und Laplace führt, bezeichnet eine Reihe mathematischer Entdeckungen, ohne welche die Gesetze der Bewegung der Weltkörper und ihre gegenseitigen Verhältnisse in den Himmelsräumen dem Menschengeschlechte nicht offenbart worden wären. Wie das Fernrohr, ein sinnliches näherndes, raumdurchdringendes Hülfsmittel: hat die Mathematik durch Ideenverknüpfung in jene fernen Himmelsregionen geführt, von einem Theil derselben sicheren Besitz genommen; ja bei Anwendung aller Elemente, die der Standpunkt der heutigen Astronomie gestattet, hat in unseren, für Erweiterung des Wissens glücklichen Tagen das geistige Auge einen WeltkörperDer von le Verrier entdeckte Planet. gesehen, ihm seinen Himmelsort, seine Bahn und seine Masse angewiesen: ehe noch ein Fernrohr auf ihn gerichtet war!
Römische Weltherrschaft. – Einfluß eines großen Staatsverbandes auf die kosmischen Ansichten. – Fortschritte der Erdkunde durch Landhandel. – Strabo und Ptolemäus. – Anfänge der mathematischen Optik und des chemischen Wissens. – Versuch einer physischen Weltbeschreibung durch Plinius. – Die Entstehung des Christenthums erzeugt und begünstigt das Gefühl von der Einheit des Menschengeschlechtes.
Wenn man die geistigen Fortschritte der Menschheit und die allmälige Erweiterung kosmischer Ansichten verfolgt, so tritt die Periode der römischen Weltherrschaft als einer der wichtigsten Zeitpunkte hervor. Alle die fruchtbaren Erdstriche, welche das Becken des Mittelmeers umgeben, finden wir nun zum ersten Male in einem engen Staatsverbande vereinigt. Große Ländermassen haben sich ihm besonders in Osten angeschlossen.
Es ist hier der Ort auf's neue daran zu erinnern,Vergl. oben Kosmos Bd. II. S. 141, 146, 149 und 170. wie das Bild, das ich mich bestrebe als Geschichte der Weltanschauung in allgemeinen Zügen zu entwerfen, eben durch das Auftreten eines solchen Staatsverbandes eine objective Einheit der Darstellung empfängt. Unsere Civilisation, d. i. die geistige Entwickelung aller Völker des ganzen europäischen Continents, kann man als gewurzelt betrachten in der der Anwohner des mittelländischen Meerbeckens, und 213 zunächst in der Civilisation der Griechen und Römer. Was wir vielleicht nur zu ausschließlich classische Litteratur nennen, erhielt diese Bezeichnung durch die Kenntniß von dem Ursprunge unseres frühesten Wissens, von der ersten Anregung zu solchen Ideenkreisen und Gefühlen, die mit der Vermenschlichung und Geisteserhebung eines VolksstammesWilhelm von Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. XXXVII. am innigsten verwandt sind. Es wird in dieser Betrachtungsweise keinesweges für unwichtig erklärt, was dem großen Strome griechischer und römischer Cultur auf mannigfaltigen, noch nicht genugsam ergründeten Wanderungswegen aus dem Nilthale und aus Phönicien, vom Euphrat her oder aus Indien zugeführt worden ist; aber auch diese fremdartigen Elemente verdanken wir zuerst dem Griechenthume und den von Etruskern und Griechen umgebenen Römern. Wie spät erst haben die großen Denkmäler älterer Culturvölker unmittelbar durchforscht, gedeutet, nach ihrem relativen Alter geordnet werden können! wie spät sind Hieroglyphen und Keilschriften gelesen worden: vor denen Jahrtausende lang Heerschaaren und Caravanen vorbeigezogen waren, ohne etwas von ihrem Inhalte zu ahnden!
Das Becken des Mittelmeeres ist allerdings in seinen beiden vielgegliederten, nördlichen Halbinseln der Ausgangspunkt rationeller und politischer Bildung für diejenigen Nationen gewesen, welche jetzt den, wir hoffen, unvergänglichen, täglich sich mehrenden Schatz wissenschaftlicher Kenntnisse und schöpferischer Kunstthätigkeiten besitzen; welche Gesittung und mit ihr erst Knechtschaft und dann unwillkührlich Freiheit über eine andere Erdhälfte verbreiten: aber es bleiben doch auch in unserer Erdhälfte, wie durch die Gunst des Schicksals, 214 wieder Einheit und Mannigfaltigkeit anmuthig mit einander gepaart. Die Elemente, die aufgenommen wurden, waren so verschieden als ihre Aneignung und Transformation nach den grell contrastirenden Eigenthümlichkeiten und den individuellen Gemüthsrichtungen der einzelnen Völkerracen von Europa. Selbst jenseits des Oceans bewahren Colonien und Ansiedelungen, die mächtige freie Staaten geworden sind oder hoffentlich einst sich organisch dazu ausbilden werden, den Reflex dieser Contraste.
Der römische Staat in der Form einer Monarchie unter den Cäsaren ist, nach seinem FlächeninhalteDer Flächeninhalt des römischen Reichs unter August ist nach der Umgrenzung, welche Heeren in seiner Geschichte der Staaten des Alterthums S. 403–470 annimmt, von Professor Berghaus, dem Verfasser des vortrefflichen physikalischen Atlasses, zu etwas mehr als 100000 geographischen Quadratmeilen berechnet worden: ohngefähr ¼ mehr als die Zahl (1600000 square miles), die Gibbon in der History of the decline of the Roman Empire Vol. I. chapt. 1 p. 39, aber freilich selbst als überaus zweifelhaft, angiebt. betrachtet, an absoluter Größe allerdings von der chinesischen Weltherrschaft unter der Dynastie der Thsin und der östlichen Han (30 Jahre vor bis 116 Jahre nach unserer Zeitrechnung), von der Weltherrschaft der Mongolen unter Dschingischan und dem jetzigen Areal des russischen, europäisch-asiatischen Kaiserreichs übertroffen worden; aber: die einzige spanische Monarchie, so lange sie über den Neuen Continent ausgebreitet war, ausgenommen, ist nie eine größere Masse durch Klima, Fruchtbarkeit und Weltstellung begünstigter Erdstriche unter einem Scepter verbunden gewesen denn in dem römischen Reiche von Octavian bis Constantin.
Von dem westlichen Ende Europa's bis zum Euphrat, von Britannien und einem Theile Caledoniens bis Gätulien und zur Grenze des wüsten Libyens bot sich nicht bloß die größte Mannigfaltigkeit von Bodengestaltung, organischen Erzeugnissen und physischen Erscheinungen dar; auch das Menschengeschlecht zeigte sich dort in allen Abstufungen seiner Cultur und Verwilderung, im Besitze alten 215 Wissens und lang geübter Künste, wie im ersten Dämmerlichte des intellectuellen Erwachens. Ferne Expeditionen in Norden und Süden: nach den Bernsteinküsten, und unter Aelius Gallius und Balbus nach Arabien und zu den Garamanten wurden mit ungleichem Glücke ausgeführt. Vermessungen des ganzen Reichs wurden durch griechische Geometer (Zenodoxus und Polycletus) schon unter Augustus begonnen, auch Itinerarien und Special-Topographien angefertigt (was freilich im chinesischen Reiche viele Jahrhunderte früher geschah), um sie unter die einzelnen Statthalter der Provinzen zu vertheilenVeget. de re mil. III, 6.. Es waren die ersten statistischen Arbeiten, welche Europa aufzuweisen hat. Römerstraßen, in Milien getheilt, durchschnitten viele ausgedehnte Präfecturen; ja Hadrian besuchte, doch nicht ohne Unterbrechung, in einer eilfjährigen Reise sein Weltreich von der iberischen Halbinsel an bis Judäa, Aegypten und Mauretanien. So war ein großer der römischen Herrschaft unterworfener Theil der Welt aufgeschlossen und wegsam gemacht: pervius orbis, wie mit minderem Rechte von dem ganzen Erdkreise der ChorAct. II v. 371: in der vielberufenen Weissagung, welche schon seit Columbus dem Sohne auf die Entdeckung von Amerika gedeutet wurde. in der Medea des Seneca weissagt.
Bei dem Genusse eines langen Friedens hätte man vielleicht erwarten sollen, daß die Vereinigung so ausgedehnter, unter den verschiedenartigsten Klimaten gelegener Länder zu einer Monarchie; daß die Leichtigkeit, mit der Staatsbeamte mit einem zahlreichen Gefolge vielseitig gebildeter Männer die Provinzen durchreisten, nicht bloß der Erdbeschreibung, sondern der gesammten Naturkunde und den höheren Ansichten über den Zusammenhang der Erscheinungen auf eine außerordentliche Weise förderlich gewesen 216 sein würde: aber so hochgespannte Erwartungen sind nicht in Erfüllung gegangen. In dieser langen Periode der ungetheilten römischen Weltherrschaft, in fast vier Jahrhunderten, erhoben sich als Beobachter der Natur nur Dioscorides der Cilicier und Galenus von Pergamus. Der Erstere, die Zahl der beschriebenen Pflanzenarten ansehnlich vermehrend, steht tief unter dem philosophisch combinirenden Theophrast: während durch Feinheit der Zergliederung und den Umfang physiologischer Entdeckungen Galenus, welcher seine Beobachtungen auf mehrere Thiergattungen ausgedehnt hat, »sehr nahe neben Aristoteles und meist über ihn gestellt werden kann«. Dieses Urtheil hat CuvierCuvier, Hist. des Sciences naturelles T. I. p. 312–328. gefällt.
Neben Dioscorides und Galenus glänzt nur noch ein dritter großer Name, der des Ptolemäus. Wir nennen ihn hier nicht als astronomischen Systematiker oder als Geographen; sondern als experimentirenden, die Strahlenbrechung messenden Physiker, als ersten Gründer eines wichtigen Theils der Optik. Seine ganz unbezweifelbaren Rechte sind erst spät erkannt worden.Liber Ptholemei de opticis sive aspectibus: das seltene Manuscript der königlichen Pariser Bibliothek No. 7310, welches ich bei Gelegenheit der Auffindung einer denkwürdigen Stelle über die Strahlenbrechung im Sextus Empiricus (adversus Astrologos lib. V p. 351 Fabr.) untersucht habe. Die Auszüge, die ich aus dem Pariser Manuscripte 1811: also vor Delambre und Venturi, gegeben, stehen in der Einleitung meines Recueil d'Observations astronomiques Vol. I. p. LXV–LXX. Das griechische Original ist uns nicht erhalten, sondern nur eine lateinische Uebersetzung zweier arabischen Manuscripte der Optik des Ptolemäus. Der lateinische Uebersetzer nennt sich Amiracus Eugenius, Siculus. Vergl. Venturi, comment. sopra la storia e le teorie dell' Ottica (Bologna 1814) p. 227; Delambre, Hist. de l'Astronomie ancienne (1716) T. I. p. LI und T. II. p. 410–432. So wichtig auch die Fortschritte in der Sphäre des organischen Lebens und in den allgemeinen Ansichten der vergleichenden Zootomie waren: müssen doch hier in einer Periode, welche der der Araber um ein halbes Jahrtausend vorhergeht, physische Experimente über den Gang der Lichtstrahlen unsere Aufmerksamkeit besonders fesseln. Es ist wie der erste Schritt in einer neugeöffneten Laufbahn, in dem Streben nach einer mathematischen Physik.
Die ausgezeichneten Männer, welche wir so eben genannt als wissenschaftlichen Glanz über die Kaiserzeit verbreitend (der tiefsinnige, aber noch symbollose, arithmetische 217 Algebrist DiophantusLetronne beweist aus der Begebenheit des fanatisch-christlichen Mordes der Tochter des Theon von Alexandrien, daß das so viel bestrittene Zeitalter des Diophantus doch nicht nach dem Jahre 389 fallen kann (sur l'origine grecque des Zodiaques prétendus égyptiens 1837 p. 26). gehört einer späteren Zeit an), sind alle griechischen Stammes. Bei dem Zwiespalt der Bildung, den die römische Weltherrschaft darbietet, blieb dem älteren, glücklicher organisirten Culturvolke, den Hellenen, die Palme: aber es zerstreuten sich nach dem allmäligen Untergange der ägyptisch-alexandrinischen Schule die geschwächten Lichtpunkte des Wissens und des rationellen Forschens: sie erscheinen erst später wieder in Griechenland und Kleinasien. Wie in allen unumschränkten Monarchien, welche bei einem ungeheuren Umfange aus den heterogensten Elementen zusammengesetzt sind: war das Streben der Regierung hauptsächlich darauf gerichtet durch militärischen Zwang und durch die innere Rivalität einer vielfach getheilten Administration die drohende Zerstückelung des Länderverbandes abzuwenden, durch Wechsel von Strenge und Milde den Familienzwist im Hause der Cäsaren zu verdecken; unter edeln Herrschern den Völkern die Ruhe zu geben, welche der ungehinderte, still ertragene Despotismus periodenweise gewähren kann.
Das Erringen der römischen Weltherrschaft ist allerdings ein Werk gewesen der Größe des römischen Charakters, einer lang bewährten Sittenstrenge, einer ausschließlichen, mit hohem Selbstgefühl gepaarten Vaterlandsliebe. Nachdem aber die Weltherrschaft errungen war, fanden sich nach dem unvermeidlichen Einflusse der hervorgerufenen Verhältnisse jene herrlichen Eigenschaften allmälig geschwächt und umgewandelt. Mit dem Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen. Es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität der Menschen, die zwei Hauptstützen freier Verfassungen. 218 Die ewige Stadt war das Centrum eines zu großen Kreises geworden. Es fehlte der Geist, der einen so vieltheiligen Staatskörper hätte dauernd beseelen können. Das Christenthum wurde Staatsreligion, als das Reich bereits tief erschüttert und die Milde der neuen Lehre durch den dogmatischen Zwist der Partheien in ihren wohlthätigen Wirkungen gestört war. Auch begann schon damals »der lästige Kampf des Wissens und des Glaubens«, welcher unter mancherlei Gestaltung, der Forschung hinderlich, durch alle Jahrhunderte fortgesetzt wird.
Wenn aber auch seinem Umfange und seiner durch den Umfang bedingten Verfassung nach das römische Kaiserreich, ganz im Gegensatz des partiellen selbstständigen Lebens der kleinen hellenischen Republiken, die schaffende geistige Kraft der Menschheit nicht zu beleben und zu stärken vermochte: so bot es dagegen andere eigenthümliche Vortheile dar, die hier zu bezeichnen sind. Es entstand ein großer Reichthum von Ideen als Folge der Erfahrung und vielseitiger Beobachtung. Die Welt der Objecte wurde ansehnlich vergrößert, und so für spätere Zeiten einer denkenden Betrachtung der Naturerscheinungen vorgearbeitet. Der Völkerverkehr wurde durch die Römerherrschaft belebt, die römische Sprache verbreitet über den ganzen Occident und einen Theil des nördlichen Afrika's. Im Orient blieb das Griechenthum heimisch, nachdem das bactrische Reich schon längst unter Mithridates I (dreizehn Jahre vor dem Einfall der Sacen oder Scythen) zerstört war.
Der Ausdehnung, d. h. der geographischen Verbreitung nach, gewann, selbst ehe der Sitz des Reichs nach Byzanz verlegt wurde, die römische Sprache über die 219 griechische. Dieses Eindringen zweier hochbegabter, an litterarischen Denkmalen reicher Idiome wurde ein Mittel der größeren Verschmelzung und Einigung der Volksstämme: ein Mittel zugleich die Gesittung und Bildungsfähigkeit zu vermehren, »den Menschen (wie PliniusDiese Wohlthat der Gesittung (der Anregung zu menschlichen Gefühlen) durch Verbreitung einer Sprache ist in dem Lobe Italiens von Plinius schön bezeichnet: »omnium terrarum alumna eadem et parens, numine Deûm electa, quae sparsa congregaret imperia ritusque molliret, et tot populorum discordes ferasque linguas sermonis commercio contraheret, colloquia, et humanitatem homini daret, breviterque una cunctarum gentium in toto orbe patria fieret.« (Plin. Hist. Nat. III, 5.) sagt) menschlich zu machen und ihm ein gemeinsames Vaterland zu geben«. So viel Verachtung auch im ganzen der Sprache der Barbaren (der stummen, ἄγλωσσοι nach Pollux) zugewandt war: gab es doch einzelne Beispiele, daß in Rom, nach dem Vorbilde der Lagiden, die Uebertragung eines litterarischen Werkes aus dem Punischen in das Lateinische befördert wurde. Die Schrift des Mago vom Ackerbau ist bekanntlich auf Befehl des römischen Senats übersetzt worden.
Wenn das Weltreich der Römer im Westen des alten Continents, wenigstens an der nördlichen Küste des Mittelmeeres, schon das heilige Vorgebirge, also das äußerste Ende erreicht hatte; so erstreckte es sich in Osten selbst unter Trajan, der den Tigris beschiffte, doch nur bis zum Meridian des persischen Meerbusens. Nach dieser Seite hin war in der Periode, welche wir schildern, der Fortschritt des Völkerverkehrs, des für die Erdkunde wichtigen Landhandels am größten. Nach dem Sturze des griechisch-bactrischen Reiches begünstigte dazu die aufblühende Macht der Arsaciden den Verkehr mit den Serern: doch war derselbe nur ein mittelbarer: indem der unmittelbare Contact der Römer mit Inner-Asien durch den lebhaften Zwischenhandel der Parther gestört wurde. Bewegungen, die aus dem fernsten China ausgingen, veränderten stürmisch schnell, wenn auch nicht auf eine lange Dauer, den 220 politischen Zustand der ungeheuren Länderstrecke, welche sich zwischen dem vulkanischen Himmelsgebirge (Thian-schan) und der Kette des nördlichen Tübet (dem Kuen-lün) hinzieht. Eine chinesische Kriegsmacht bedrängte die Hiungnu, machte zinsbar die kleinen Reiche von Khotan und Kaschgar, und trug ihre siegreichen Waffen bis an die östliche Küste des caspischen Meeres. Das ist die große Expedition des Feldherrn Pantschab unter dem Kaiser Mingti aus der Dynastie der Han. Sie fällt in die Zeiten des Vespasian und Domitianus. Chinesische Schriftsteller schreiben sogar dem kühnen und glücklichen Feldherrn einen großartigeren Plan zu; sie behaupten, er habe das Reich der Römer (Tathsin) angreifen wollen, aber die Perser hätten ihn abgemahnt.Klaproth, Tableaux historiques de l'Asie 1826 p. 65–67. So entstanden Verbindungen zwischen den Küsten des stillen Meeres, dem Schensi und jenem Oxus-Gebiete, in welchem von früher Zeit her ein lebhafter Handel mit dem schwarzen Meere getrieben wurde.
Die Richtung der großen Völkerfluthen in Asien war von Osten nach Westen, in dem Neuen Continente von Norden gegen Süden. Anderthalb Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung, fast zur Zeit der Zerstörung von Korinth und Carthago, gab der Anfall der Hiungnu (eines türkischen Stammes, den Deguignes und Johannes Müller mit den finnischen Hunnen verwechseln) auf die blonde und blauäugige, wahrscheinlich indogermanische RaceZu dieser blonden, blauäugigen indogermanischen, gothischen oder arischen Race des östlichsten Asiens gehören die Usün, Tingling, Hutis und großen Yueten. Die letzten werden von den chinesischen Schriftstellern ein tübetischer Nomadenstamm genannt, der schon 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung zwischen dem oberen Lauf des Huangho und dem Schneegebirge Nanschan eingewandert war. Ich erinnere hier an diese Abkunft, da die Serer (Plin. VI, 22) ebenfalls rutilis comis et caeruleis oculis beschrieben werden (vergl. Ukert, Geogr. der Griechen und Römer Th. III. Abth. 2, 1845 S. 275). Die Kenntniß dieser blonden Racen, welche in dem östlichsten Theil von Asien auftreten und den ersten Anstoß zur sogenannten großen Völkerwanderung gaben, haben wir den Nachforschungen von Abel-Rémusat und Klaproth zu verdanken; sie gehören zu den glänzenden geschichtlichen Entdeckungen unseres Zeitalters. der Yueti (Geten?) und Usün, nahe an der chinesischen Mauer, den ersten Anstoß zu der Völkerwanderung: welche die Grenzen von Europa erst um ein halbes Jahrtausend später berührte. So hat sich langsam die Völkerwelle vom oberen Flußthal des Huangho nach Westen bis zum Don und zur 221 Donau fortgepflanzt; und Bewegungen nach entgegengesetzten Richtungen haben in dem nördlichen Gebiete des alten Continents einen Theil des Menschengeschlechts mit dem anderen zuerst in feindlichen, später in commerciellen, friedlichen Contact gebracht. So werden große Volksströmungen, fortschreitend wie die Strömungen des Oceans zwischen ruhenden, unbewegten Massen, Begebenheiten von kosmischer Bedeutung.
Unter der Regierung des Kaisers Claudius kam die Gesandtschaft des Rachias aus Ceylon über Aegypten nach Rom. Unter dem Marcus Aurelius Antoninus (bei den Geschichtsschreibern der Dynastie der Han An-tun genannt) erschienen römische Legaten am chinesischen Hofe. Sie waren zu Wasser über Tunkin gekommen. Wir bezeichnen hier die ersten Spuren eines ausgebreiteten Verkehrs des Römerreiches mit China und Indien schon deshalb, weil höchst wahrscheinlich durch diesen Verkehr in beide Länder, ohngefähr in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, die Kenntniß der griechischen Sphäre, des griechischen Thierkreises und der astrologischen Planetenwoche verbreitet worden ist.Letronne in den observations critiques et archélogiques sur les représentations zodiacales de l'Antiquité 1824 p. 99, wie auch in seiner neueren Schrift sur l'origine grecque des Zodiaques prétendus égyptiens 1837 p. 27. Die großen indischen Mathematiker Warahamihira, Brahmagupta und vielleicht selbst Aryabhatta sind neuer als die Periode, die wir hier schildern;Der gründliche Colebrooke setzt Warahamihira in das fünfte, Brahmagupta an das Ende des sechsten Jahrhunderts, und Arvabhatta ziemlich unbestimmt zwischen 200 und 400 unserer Zeitrechnung. (Vergl. Holtzmann über den griechischen Ursprung des indischen Thierkreises 1841 S. 23.) aber was früher schon auf ganz einsamen, abgesonderten Wegen in Indien entdeckt war und diesem altgebildeten Volke ursprünglich zugehört, kann auch vor Diophantus durch den unter den Lagiden und Cäsaren so ausgebreiteten Welthandel theilweise in den Occident eingedrungen sein. Es soll hier nicht unternommen werden abzusondern, was jedem Völkerstamme und jeder Zeitepoche eigenthümlich ist; es ist genug, 222 an die Wege zu erinnern, die dem Ideenverkehr geöffnet waren.
Wie vielfach diese Wege und alle Fortschritte des allgemeinen Verkehrs geworden waren, bezeugen am lebhaftesten die Riesenwerke des Strabo und Ptolemäus. Der geistreiche Geograph von Amasea hat nicht die Hipparchische Genauigkeit des Meßbaren und die Ansichten mathematischer Erdkunde des Ptolemäus; aber an Mannigfaltigkeit des Stoffes, an Großartigkeit des entworfenen Planes übertrifft sein Werk alle geographischen Arbeiten des Alterthums. Strabo hatte, wie er sich dessen gern rühmt, einen beträchtlichen Theil des Römerreichs mit eigenen Augen gesehen: »von Armenien bis an die tyrrhenischen Küsten, vom Euxinus bis an die Grenzen Aethiopiens«. Nachdem er als Fortsetzung des Polybius 43 Geschichtsbücher vollendet, hatte er in seinem drei-und-achtzigsten LebensjahreUeber die Gründe, welche nach dem Zeugniß unseres Textes des Strabo den so überaus späten Beginn der Ausarbeitung beweisen, s. Groskurd's deutsche Uebersetzung Th. I. (1831) S. XVII. den Muth die Redaction seines geographischen Werkes zu beginnen. Er erinnert, »daß zu seiner Zeit die Herrschaft der Römer und Parther die Welt eröffnet haben: mehr noch als Alexanders Heerzüge, auf die Eratosthenes sich stützen konnte«. Der indische Handel war nicht mehr in den Händen der Araber; Strabo staunte in Aegypten über die vermehrte Zahl der Schiffe, die von Myos Hormos unmittelbar nach Indien segelnStrabo lib. I p. 14, lib. II p. 118, lib. XVI p. 781, lib. XVII p. 798 und 815.. Ja seine Einbildungskraft führte ihn weiter über Indien hinaus an die östliche Küste von Asien. Da, wo nach ihm in dem Parallel der Hercules-Säulen und der Insel Rhodos eine zusammenhangende Gebirgskette (Fortsetzung des Taurus) den alten Continent in seiner größten Breite durchzieht, ahndet er die Existenz eines anderen Festlandes zwischen dem westlichen 223 Europa und Asien. »Es ist sehr wohl möglich«, sagt erVergl. die beiden Stellen des Strabo lib. I p. 65 und lib. II p. 118 (Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géographie T. I. p. 152–154). In der wichtigen neuen Ausgabe des Strabo von Gustav Kramer (1844) Th. I. p. 100 wird für »Kreis von Thinä Kreis von Athen gelesen: als wäre Thinä erst im Pseudo-Arrian, im Periplus mari Rubri genannt worden.« Diesen Periplus setzt Dodwell unter M. Aurelius und Lucius Verus, während derselbe nach Letronne erst unter Septimius Severus und Caracalla verfaßt wurde. Obgleich fünf Stellen des Strabo nach allen Handschriften Thinae haben: so entscheiden doch lib. II p. 79, 86, 87 und vor allen 82, wo selbst Eratosthenes genannt ist, für den Parallelkreis von Athen und Rhodus. Man verwechselte beide, da die alten Geographen die Halbinsel von Attica zu weit gegen Süden vorstreckten. Auch müßte es auffallend scheinen, wäre die gewöhnliche Lesart Θινῶν κύκλος die richtigere, daß nach einem so wenig bekannten Orte der Sinen (Tsin) ein eigener Parallelkreis, das Diaphragma des Dicäarchus, benannt worden sei. Indeß setzt Cosmas Indicopleustes sein Tzinitza (Thina) ebenfalls in Verbindung mit der Gebirgskette, welche Persien und die romanischen Länder, wie die ganze bewohnte Welt in zwei Theile theilt; er fügt sogar die Bemerkung hinzu (und diese Worte sind sehr merkwürdig): nach dem Glauben der indischen Philosophen oder Brachmanen. Vergl. Cosmas in Montfancon, Collect. nova Patrum T. II. p. 137 und meine Asie centrale T. I. p. XXIII, 120–129 und 194–203, T. II. p. 413. Der Pseudo-Arrian, Agathemeros nach den gelehrten Untersuchungen von Professor Franz, und Cosmas schreiben bestimmt der Metropolis der Sinen eine sehr nördliche Breite, ohngefähr im Parallel von Rhodos und Athen, zu: während Ptolemäus, durch Schiffernachrichten (Geogr. I, 17) verführt, nur ein Thinä 3 Grade südlich vom Aequator kennt. Ich vermuthe, daß Thinä bloß im allgemeinen ein sinesisches Emporium, einen Hafen im Lande Tsin, bezeichnet und daß daher ein Thinä (Tzinitza) nördlich und ein anderes südlich vom Aequator habe genannt werden können., »daß in demselben gemäßigten Erdgürtel nahe an dem Parallelkreise von Thinä (oder Athen?), welcher durch das atlantische Meer geht, außer der von uns bewohnten Welt noch eine andere oder selbst mehrere liegen: mit Menschen bevölkert, die von uns verschieden sind.« Es muß Wunder nehmen, daß dieser Ausspruch nicht die Aufmerksamkeit der spanischen Schriftsteller auf sich gezogen hat, welche am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts überall in den Classikern Spuren einer Kenntniß des neuen Welttheils zu finden glaubten.
»Wie bei allen Kunstwerken«, sagt Strabo schön, »die etwas großes darstellen sollen, es nicht vorzüglich auf die Vollendung einzelner Theile ankommt«, so wolle er »in seinem Riesenwerke« auch vor allem den Blick auf die Gestaltung des Ganzen heften. Dieser Hang nach Verallgemeinerung der Ideen hat ihn nicht abgehalten gleichzeitig eine große Zahl trefflicher physikalischer, besonders geognostischer ResultateStrabo lib. I p. 49–60, lib. II p. 95 und 97, lib. VI p. 277, lib. XVII p. 830. Ueber Hebung der Inseln und des Festlandes s. besonders lib. I p. 51, 54 und 59. Schon der alte Eleate Xenophanes lehrte, durch die Fülle fossiler Seeproducte fern von den Küsten geleitet. »daß der jetzt trockene Erdboden aus dem Meere gehoben sei« (Origen. Philosophumena cap. 4). Appulejus sammelte zur Zeit der Antonine Versteinerungen auf den gätulischen (mauretanischen) Gebirgen und schrieb sie der Deucalionischen Fluth zu: welche er sich demnach eben so allgemein dachte als die Hebräer die Noachidische und die mexicanischen Azteken die Fluth des Coxcox. Die Behauptungen Beckmann's und Cuvier's (Gesch. der Erfindungen Bd. II. S. 370 und Hist. des Sciences nat. T. I. p. 350), daß Appulejus eine Naturaliensammlung gehabt, hat Prof. Franz durch sehr sorgfältige Untersuchung widerlegt. aufzustellen. Er behandelt wie Posidonius und Polybius den Einfluß der schneller oder langsamer auf einander folgenden Durchgänge der Sonne durch den Zenith auf das Maximum der Luftwärme unter dem Wendekreise oder dem Aequator; die mannigfaltigen Ursachen der Veränderungen, welche die Erdfläche erlitten; den Durchbruch ursprünglich abgeschlossener Seen; das allgemeine, schon von Archimedes anerkannte Niveau der Meere; die Strömungen derselben; die Eruption unterseeischer Vulkane, Muschel-Versteinerungen und Fisch-Abdrücke; ja, was am meisten unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil es der Kern der neueren Geognosie geworden ist: die periodischen 224 Oscillationen der Erdrinde. Strabo sagt ausdrücklich, daß die veränderten Grenzen zwischen Meer und Land mehr der Hebung und Senkung des Bodens als den kleinlichen Anschwemmungen zuzuschreiben seien: »daß nicht bloß einzelne Felsmassen oder kleine und große Inseln, sondern ganze Continente können emporgehoben werden«. Wie Herodot, ist Strabo auch auf die Abstammung der Völker und die Racen-Verschiedenheit des Menschen aufmerksam: welchen er merkwürdig genug »ein Land- und Luftthier« nennt, das »vieles Lichtes bedürftig« istStrabo lib. XVII p. 810.. Die ethnologische Absonderung der Stämme finden wir am schärfsten aufgefaßt in den Commentaren des Julius Cäsar wie in des Tacitus herrlicher Lobrede auf den Agricola.
Leider ist Strabo's großes, an Thatsachen so reichhaltiges Werk, dessen kosmische Ansichten wir hier zusammenstellen, in dem römischen Alterthume bis in das fünfte Jahrhundert fast unbekannt, selbst von dem vielsammelnden Plinius unbenutzt geblieben. Es hat erst am Ende des Mittelalters auf die Richtung der Ideen gewirkt: aber in minderem Maaße als die mehr mathematische, den physikalischen Ansichten fast ganz entfremdete, tabellarisch-nüchterne Geographie des Claudius Ptolemäus. Letztere ist bis in das sechzehnte Jahrhundert der Leitfaden aller Reisenden gewesen. Was man entdeckte, glaubte man fast immer in ihr unter anderen Benennungen zu erkennen. Wie die Naturhistoriker lange neu aufgefundene Pflanzen und Thiere den classischen Verzeichnissen des Linnäus anschlossen; so erschienen auch die frühesten Karten des Neuen Continents in dem Atlas des Ptolemäus, welchen Agathodämon zu derselben Zeit anfertigte, als im fernsten Asien 225 bei den hochgebildeten Chinesen schon die westlichen Provinzen des ReichsCarl Ritter's Asien Th. V S. 560. in vier-und-vierzig Abtheilungen verzeichnet waren. Die Universal-Geographie des Ptolemäus hat allerdings den Vorzug uns die ganze alte Welt sowohl graphisch (in Umrissen) als numerisch (in sogenannten Ortsbestimmungen nach Längen, Polhöhen und Tagesdauer) darzustellen; aber so oft auch in derselben der Vorzug astronomischer Resultate vor den Angaben der Weglängen zu Wasser und zu Lande ausgesprochen wird, ist doch leider in jenen unsicheren Ortsbestimmungen (über 2500 an der Zahl) nicht zu erkennen, auf welche Art von Fundamenten sie gegründet sind, welche relative Wahrscheinlichkeit nach den damaligen Itinerarien ihnen zugeschrieben werden könne. Die völlige Unkenntniß der Nordweisung der Magnetnadel, d. i. der Nichtgebrauch der Boussole, welche schon 1250 Jahre vor Ptolemäus neben einem Wegmesser in der Construction der magnetischen Wagen des chinesischen Kaisers Tsching-wang angebracht war, machte bei Griechen und Römern die ausführlichsten Itinerarien wegen Mangels der Sicherheit in den RichtungenS. die auffallendsten Beispiele falscher Orientirungen von Bergketten bei Griechen und Römern zusammengestellt in der Einleitung zu meiner Asie centrale T. I. p. XXXVII bis XL. Ueber die Ungewißheit der numerischen Fundamente von Ptolemäus Ortsbestimmungen finden sich die befriedigendsten speciellen Untersuchungen in einer Abhandlung von Ukert im Rheinischen Museum für Philologie Jahrg. VI. 1838 S. 314 bis 324. (in dem Winkel mit dem Meridian) höchst ungewiß.
Je mehr man in der neuesten Zeit mit den indischen Sprachen und der altpersischen (dem Zend) bekannt geworden ist, desto mehr hat man erstaunen müssen, wie ein großer Theil der geographischen Nomenclatur des Ptolemäus als geschichtliches Denkmal von den Handelsverbindungen zwischen dem Occident und den fernsten Regionen von Süd- und Mittel-Asien zu betrachten ist.Beispiele von Zend- und Sanskrit-Wörtern, die uns in der Geographie des Ptolemäus erhalten sind, s. in Lassen, diss. de Taprobane insula p. 6, 9 und 17; in Burnouf's Comment. sur le Yaçna T. I. p. XCIII–CXX und CLXXXI–CLXXXV, in meinem Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 45–49. In seltenen Fällen giebt Ptolemäus den Sanskrit-Namen und dessen Bedeutung zugleich, wie für die Insel Java als eine Gersteninsel: Ἰαβαδίον, ὃ σημαίνει κριϑῆς νῆσος; Ptol. VII, 2 (Wilhelm von Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. 60–63). Noch heute wird nach Buschmann in den hauptsächlichsten indischen Sprachen (dem Hindustani, Bengali und Nepal; in der mahrattischen, guzeratischen und cingalesischen Sprache) wie im Persischen und Malayischen die zweizeilige Gerste, Hordeum distichon: yava, dschav oder dschau, im Orissa yaa genannt (vergl. die indischen Bibel-Uebersetzungen in der Stelle Joh. VI, 9 und 13; und Ainslie, Materia medica of Hindoostan, Madras 1813, p. 217). Für eine der wichtigsten Folgen solcher Handelsverbindungen darf auch die richtige Ansicht der völligen Abgeschlossenheit des 226 caspischen Meeres gelten: eine Ansicht, welche die Ptolemäische Erdkunde nach fünfhundertjährigem Irrthume wiederherstellte. Herodot und Aristoteles (der Letztere schrieb seine Meteorologica glücklicherweise vor den asiatischen Feldzügen Alexanders) hatten diese Abgeschlossenheit gekannt. Die Olbiopoliten, aus deren Munde der Vater der Geschichte seine Nachrichten schöpfte, waren vertraut mit der nördlichen Küste des caspischen Meers zwischen der Kuma, der Wolga (Rha) und dem Jaik (Ural). Nichts konnte dort bei ihnen die Idee eines Ausflusses nach dem Eismeere anregen. Ganz andere Ursachen der Täuschung boten sich dem Heere Alexanders dar, welches über Hekatompylos (Damaghan) in die feuchten Waldungen des Mazenderan herabstieg und das caspische Meer bei Zadrakarta, etwas westlich von dem jetzigen Asterabad, sich endlos gegen Norden hindehnen sah. Dieser Anblick erzeugte, wie Plutarch in dem Leben Alexanders erzählt, zuerst die Vermuthung, das gesehene Meer sei ein Busen des Pontus.S. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II. p. 147–188. Die macedonische Expedition, im ganzen wohlthätig für die Fortschritte der Erdkunde, führte zu einzelnen Irrthümern, die sich lange erhalten haben. Der Tanais wurde mit dem Jaxartes (Herodots Araxes), der Caucasus mit dem Paropanisus (Hindu-Kho) verwechselt. Ptolemäus konnte durch seinen Aufenthalt in Alexandrien sichere Nachrichten aus den Ländern, welche das caspische Meer zunächst umgrenzen (aus Albanien, Atropatene und Hyrcanien), wie von den Zügen der Aorser haben, deren Kameele indische und babylonische Waaren zum Don und zum schwarzen Meere führtenStrabo lib. XI p. 506.. Wenn er, gegen Herodots richtigere Kenntniß, die große Axe des caspischen Binnenmeeres von Westen gegen Osten gerichtet 227 glaubte, so verführte ihn vielleicht eine dunkle Kenntniß der ehemaligen großen Ausdehnung des scythischen Golfes (Karabogas) und der Existenz des Aral-Sees: dessen erste bestimmte Andeutung wir bei einem byzantinischen Schriftsteller, dem MenanderMenander de legationibus Barbarorum ad Romanos et Romanorum ad gentes, e rec. Bekkeri et Niebuhr. 1829, p. 300, 619, 623 und 628., welcher den Agathias fortsetzte, finden.
Es ist zu beklagen, daß Ptolemäus, der das caspische Meer wiederum geschlossen, nachdem es durch die Hypothese von vier Meerbusen und selbst nach Reflexen in der MondscheibePlutarch de facie in orbe Lunae p. 921, 19 (vergl. mein Examen crit. T. I. p. 145 und 191). Die Hypothese des Agesianax, nach welcher die Mondflecken, in denen Plutarch (p. 935, 4) eine eigene Art (vulkanischer?) Lichtberge zu sehen glaubte, bloß abgespiegelte Erdländer und Erdmeere mit ihren Isthmen sind, habe ich selbst bei einigen sehr gebildeten Persern wiedergefunden. »Was man uns«, sagten sie, »durch Fernröhre auf der Mondfläche zeigt, sind zurückgeworfene Bilder unseres Landes.« lange für geöffnet gehalten wurde, nicht die Mythe von dem unbekannten Südlande aufgegeben hat, welches das Vorgebirge Prasum mit Cattigara und Thinä, Sinarum metropolis, also Ost-Afrika mit dem Lande der Tsin (China), verbinden sollte. Diese Mythe, welche den indischen Ocean zu einem Binnenmeer macht, wurzelt in Ansichten, die von Marinus aus Tyrus zu Hipparch und Seleucus dem Babylonier, ja selbst bis zum Aristoteles hinaufsteigen.Ptolem. lib. IV cap. 9, lib. VII cap. 3 und 5. Vergl. Letronne im Journal des Savans 1831 p. 476–480 und 545–555; Humboldt, Examen crit. T. I. p. 144, 161 und 329, T. II. p. 370–373. Es muß in diesen kosmischen Schilderungen fortschreitender Weltansicht genügen durch einige wenige Beispiele daran erinnert zu haben, wie durch lange Schwankungen im Erkennen und Wissen das schon halb Erkannte oft wieder verdunkelt wird. Je mehr durch Erweiterung der Schifffahrt und des Landhandels man glauben durfte das Ganze der Erdgestaltung zu begreifen: desto mehr versuchte, besonders im alexandrinischen Zeitalter, unter den Lagiden und der römischen Weltherrschaft, die nie schlummernde Einbildungskraft der Hellenen in sinnreichen Combinationen alte Ahndungen mit neuem wirklichen Wissen zu verschmelzen und die kaum entworfene Erdkarte vorschnell zu vollenden.
228 Wir haben bereits oben beiläufig daran erinnert, wie Claudius Ptolemäus durch seine Optik, welche uns die Araber, wenn gleich sehr unvollständig, erhalten haben, der Gründer eines Theils der mathematischen Physik geworden ist: eines Theils, der freilich nach Theon von AlexandrienDelambre, Hist. de l'Astronomie ancienne T. I. p. LIV, T. II. p. 551. Theon erwähnt nie der Optik des Ptolemäus, ob er gleich zwei volle Jahrhunderte nach ihm lebte. in Hinsicht auf die Strahlenbrechung schon in der Catoptrik des Archimedes berührt worden war. Es ist ein wichtiger Fortschritt, wenn physische Erscheinungen, statt bloß beobachtet und mit einander verglichen zu werden: wovon wir denkwürdige Beispiele in dem griechischen Alterthume in den inhaltreichen pseudo-aristotelischen Problemen, in dem römischen Alterthume bei Seneca vorfinden, willkührlich unter veränderten Bedingungen hervorgerufenOft ist es in der Physik der Alten schwer zu entscheiden, ob ein Resultat Folge einer hervorgerufenen Erscheinung oder einer zufällig beobachteten ist. Wo Aristoteles (de Coele IV, 4) von der Schwere der Luft handelt, was freilich Ideler zu läugnen scheint (Meteorologia veterum Graecorum et Romanorum p. 23), sagt er bestimmt: »ein aufgeblasener Schlauch ist schwerer als ein leerer«. Der Versuch muß mit verdichteter Luft gemacht worden sein, falls er wirklich unternommen wurde. und gemessen werden. Dieses Hervorrufen und Messen charakterisirt die Untersuchungen des Ptolemäus über die Brechung der Lichtstrahlen bei ihrem Durchgange durch Mittel ungleicher Dichtigkeit. Ptolemäus leitet die Strahlen von der Luft in Wasser und in Glas, wie von Wasser in Glas unter verschiedenen Einfallswinkeln. Die Resultate solcher physischen Experimente werden von ihm in Tabellen zusammengestellt. Diese Messung einer absichtlich hervorgerufenen physischen Erscheinung, eines Naturprocesses, der nicht auf Bewegung von Lichtwellen reducirt ist (AristotelesAristot. de Anima II, 7; Biese, die Philosophie des Aristoteles Bd. II. S. 147. nahm beim Lichte eine Bewegung des Mittels zwischen dem Auge und dem Gesehenen an), steht ganz isolirt in dem Zeitraume, den wir hier behandeln. Es bietet derselbe in der Erforschung der elementaren Natur nur noch einige wenige chemische Arbeiten (Experimente) des Dioscorides dar und, wie ich an einem anderen Orte entwickelt habe, die technische Kunst des Auffangens übergetriebener tropfbarer FlüssigkeitenJoannis (Philoponi) Grammatici in libr. de generat. und Alexandri Aphrodis. in Meteorol. Comment. (Vent. 1527) p. 97, b. Vergl. mein Examen crit. T. II. p. 306–312. in 229 ächten Destillir-Apparaten. Da Chemie erst dann beginnt, wenn der Mensch sich mineralische Säuren, als mächtige Mittel der Lösung und Entfesselung der Stoffe, verschaffen kann, so ist die von Alexander aus Aphrodisias unter Caracalla beschriebene Destillation des Seewassers einer großen Beachtung werth. Sie bezeichnet den Weg, auf welchem man allmälig zur Kenntniß der Heterogeneität der Stoffe, ihrer chemischen Zusammensetzung und gegenseitigen Anziehungskraft gelangt ist.
In der organischen Naturkunde ist neben dem Anatomen Marinus, dem Affen-Zergliederer Rufus von Ephesus, welcher Empfindungs- und Bewegungs-Nerven unterschied, und dem alle verdunkelnden Galenus von Pergamus kein anderer Name zu nennen. Die Thiergeschichte des Aelianus aus Präneste, das Fischgedicht des Ciliciers Oppianus enthalten zerstreute Notizen, nicht Thatsachen auf eigene Forschung gegründet. Es ist kaum zu begreifen, wie die UnzahlDer numidische Metellus ließ 142 Elephanten im Circus tödten. In den Spielen, welche Pompejus gab, erschienen 600 Löwen und 406 Panther. August hatte den Volksfesten 3500 reißende Thiere geopfert: und ein zärtlicher Gatte klagt, daß er den Todestag seiner Gattinn nicht durch ein blutiges Gladiatorengefecht zu Verona feiern könne, »weil widrige Winde die in Afrika gekauften Panther im Hafen zurückhalten«. (Plin. Epist. VI, 34.) seltener Thiere, welche vier Jahrhunderte lang im römischen Circus gemordet wurden (Elephanten, Rhinoceros, Nilpferde, Elennthiere, Löwen, Tiger, Panther, Crocodile und Strauße), für die vergleichende Anatomie so völlig unbenutzt blieben. Des Verdienstes des Dioscorides um die gesammte Pflanzenkunde ist schon oben gedacht worden; er hat einen mächtigen, langdauernden Einfluß auf die Botanik und pharmaceutische Chemie der Araber ausgeübt. Der botanische Garten des über hundert Jahre erreichenden Arztes Antonius Castor zu Rom, vielleicht den botanischen Gärten des Theophrast und Mithridates nachgebildet, hat den Wissenschaften wahrscheinlich nicht mehr genützt als die Sammlung fossiler Knochen des Kaisers Augustus oder die 230 Naturaliensammlung, die man aus sehr schwachen Gründen dem geistreichen Appulejus von Madaura zugeschrieben hat.Vergl. oben Anm. 736. Doch hat Appulejus, wie Cuvier erinnert (Hist. des Sciences naturelles T. I. p. 287), die knochenartigen Haken im zweiten und dritten Magen der Aplysien (Seehasen) zuerst genau beschrieben.
Am Schluß der Darstellung dessen, was zu der Zeit römischer Weltherrschaft in Erweiterung des kosmischen Wissens geleistet worden ist, muß noch des großartigen Unternehmens einer Weltbeschreibung gedacht werden, welche Cajus Plinius Secundus in 37 Büchern zu umfassen strebte. Im ganzen Alterthume ist nichts ähnliches versucht worden; und wenn das Werk auch während seiner Ausführung in eine Art von Encyclopädie der Natur und Kunst ausartete (der Verfasser, in der Zueignung an den Titus, scheuet sich selbst nicht den damals edleren griechischen Ausdruck ἐγκυκλοπαιδεία, gleichsam den »Inbegriff und Vollkreis allgemeiner Bildungswissenschaften«, auf sein Werk anzuwenden): so ist doch nicht zu läugnen, daß trotz des Mangels eines inneren Zusammenhanges der Theile das Ganze den Entwurf einer physischen Weltbeschreibung darbietet.
Die Historia naturalis des Plinius: in der tabellarischen Uebersicht, welche jetzt das sogenannte erste Buch bildet, Historiae Mundi; in einem Briefe des Neffen an seinen Freund Macer schöner Naturae Historia genannt, begreift Himmel und Erde zugleich: die Lage und den Lauf der Weltkörper, die meteorologischen Processe des Luftkreises, die Oberflächen-Gestaltung der Erde; alles tellurische, von der Pflanzendecke und den Weich-Gewürmen des Oceans an bis hinauf zu dem Menschengeschlechte. Dieses ist betrachtet nach Verschiedenheit seiner geistigen Anlagen wie in der Verherrlichung derselben zu den edelsten Blüthen der bildenden Künste. Ich nenne die Elemente 231 des allgemeinen Naturwissens, welche in dem großen Werke fast ungeordnet vertheilt liegen. »Der Weg, den ich wandeln werde«, sagt Plinius mit edler Zuversicht zu sich selbst, »ist unbetreten (non trita auctoribus via); Keiner unter uns, Keiner unter den Griechen hat unternommen, Einer, das Ganze (der Natur) zu behandeln (nemo apud Graecos qui unus omnia tractaverit). Wenn mein Unternehmen mir nicht gelingt, so ist es doch etwas schönes und glänzendes (pulchrum atque magnificum) dergleichen versucht zu haben.«
Es schwebte dem geistreichen Manne ein einziges großes Bild vor; aber, durch Einzelheiten zerstreut, bei mangelnder lebendiger Selbstanschauung der Natur, hat er dies Bild nicht festzuhalten gewußt. Die Ausführung ist unvollkommen geblieben: nicht etwa bloß wegen der Flüchtigkeit und oftmaligen Unkenntniß der zu behandelnden Gegenstände (wir urtheilen nach den excerpirten Werken, welche uns noch heute zugänglich sind) als wegen der Fehler in der Anordnung. Man erkennt in dem Verfasser einen vielbeschäftigten vornehmen Mann, der sich gern seiner Schlaflosigkeit und nächtlichen Arbeit rühmte, aber als Statthalter in Spanien und Oberaufseher der Flotte in Unteritalien gewiß nur zu oft seinen wenig gebildeten Untergebenen das lockere Gewebe einer endlosen Compilation anvertraute. Dies Streben nach Compilation: d. h. nach mühevollem Sammeln einzelner Beobachtungen und Thatsachen, wie sie das damalige Wissen liefern konnte, ist an sich keinesweges zu tadeln; das unvollkommene Gelingen des Unternehmens lag in der Unfähigkeit den eingesammelten Stoff zu beherrschen, das Naturbeschreibende höheren, allgemeineren Ansichten 232 unterzuordnen, den Gesichtspunkt einer vergleichenden Naturkunde festzuhalten. Die Keime zu solchen höheren, nicht bloß orographischen, sondern wahrhaft geognostischen Ansichten liegen in Eratosthenes und Strabo; der Erstere wird ein einziges Mal, der Zweite nie benutzt. Aus der anatomischen Thiergeschichte des Aristoteles hat Plinius weder die auf die Hauptverschiedenheit der inneren Organisation gegründete Eintheilung in große Thierclassen, noch den Sinn für die allein sichere Inductions-Methode in Verallgemeinerung der Resultate zu schöpfen gewußt.
Mit pantheistischen Betrachtungen anhebend, steigt Plinius aus den Himmelsräumen zum Irdischen herab. Wie er die Nothwendigkeit anerkennt der Natur Kräfte und Herrlichkeit (naturae vis atque majestas) als ein großes und zusammenwirkendes Ganzes darzustellen (ich erinnere an das Motto auf dem Titel meiner Schrift), so unterscheidet er auch, im Eingange des 3ten Buches, generelle und specielle Erdkunde: aber dieser Unterschied wird bald wieder vernachlässigt, wenn er sich in die dürre Nomenclatur von Ländern, Bergen und Flüssen versenkt. Den größeren Theil der Bücher VIII–XXVII, XXXIII und XXXIV, XXXVI und XXXVII füllen Verzeichnisse aus den drei Reichen der Natur aus. Der jüngere Plinius charakterisirt in einem seiner Briefe die Arbeit des Oheims sehr richtig als ein »inhaltschweres und gelehrtes Werk, das nicht minder mannigfaltig als die Natur selbst ist (opus diffusum, eruditum, nec minus varium quam ipsa natura)«. Manches, das dem Plinius zum Vorwurf gemacht worden ist, als wäre es eine unnöthige und zu fremdartige Einmischung, bin ich geneigt hier lobend hervorzuheben. Es 233 scheint mir besonders erfreulich, daß er so oft und immer mit Vorliebe an den Einfluß erinnert, welchen die Natur auf die Gesittung und geistige Entwickelung der Menschheit ausgeübt hat. Nur die Anknüpfungspunkte sind selten glücklich gewählt (VII, 24–47; XXV, 2; XXVI, 1; XXXV, 2; XXXVI, 2–4; XXXVII, 1). Die Natur der Mineral- und Pflanzenstoffe z. B. führt zu einem Fragment aus der Geschichte der bildenden Künste: einem Fragmente, das für den heutigen Stand unseres Wissens freilich wichtiger geworden ist als fast alles, was wir von beschreibender Naturgeschichte aus dem Werke schöpfen können.
Der Styl des Plinius hat mehr Geist und Leben als eigentliche Größe; er ist selten malerisch bezeichnend. Man fühlt, daß der Verfasser seine Eindrücke nicht aus der freien Natur, so viel er auch diese unter sehr verschiedenen Himmelsstrichen genossen, sondern aus Büchern geschöpft hat. Eine ernste, trübe Färbung ist über das Ganze ausgegossen. In diese sentimentale Stimmung ist Bitterkeit gemischt, so oft die Zustände des Menschengeschlechts und seine Bestimmung berührt werden. Fast wie in Cicero»Est enim animorum ingeniorumque naturale quoddam quasi pabulum consideratio contemplatioque naturae. Erigimur, elatiores fieri videmur, humana despicimus; cogitantesque supera atque coelestia haec nostra, ut exigua et minima, contemnimus.« Cic. Acad. II, 41., doch in minderer Einfachheit der Diction, wird dann als aufrichtend und tröstlich geschildert der Blick in das große Weltganze der Natur.
Der Schluß der Historia naturalis des Plinius: des größten römischen Denkmals, welches der Litteratur des Mittelalters vererbt wurde, ist in dem ächten Geiste einer Weltbeschreibung abgefaßt. Er enthält, wie wir ihn erst seit 1831 kennenPlin. XXXVII, 13 (ed. Sillig T. V. 1836 p. 320). Alle früheren Ausgaben endigten bei den Worten Hispaniam, quacunque ambitur mari. Der Schluß des Werks ist 1831 in einem Bamberger Codex von Hrn. Ludwig v. Jan (Professor zu Schweinfurt) entdeckt worden., einen Blick auf die vergleichende Naturgeschichte der Länder in verschiedenen Zonen, das Lob des südlichen Europa's zwischen den natürlichen 234 Grenzen des Mittelmeeres und der Alpenkette, das Lob des hesperischen Himmels: »wo Mäßigung und sanfte Milde des Klima's (ein Dogma der ältesten Pythagoreer) früh die Entwilderung der Menschheit beschleunigt« hätten.
Der Einfluß der Römerherrschaft als ein fortwirkend einigendes und verschmelzendes Element hat in einer Geschichte der Weltanschauung um so ausführlicher und kräftiger bezeichnet werden dürfen, als dieser Einfluß: selbst zu einer Zeit, wo die Einigung lockerer gemacht, ja durch den Sturm einbrechender Barbaren zerstört wurde, bis in seine entfernten Folgen erkannt werden kann. Noch singt Claudian: der zu einer trüben und späten Zeit, unter Theodosius dem Großen und dessen Söhnen, im Verfall der Litteratur mit neuer dichterischer Productivität auftritt, freilich nur zu lobend, von der Herrschaft der RömerClaudian. in secundum consulatum Stilichonis v. 150–155.:
Haec est, in gremium victos quae sola recepit, Humanumque genus communi nomine fovit, Matris, non dominae, ritu; civesque vocavit Quos domuit, nexuque pio longinqua revinxit. Hujus pacificis debemus moribus omnes Quod veluti patriis regionibus utitur hospes..... |
Aeußere Mittel des Zwanges, kunstreiche Staatsverfassungen, eine lange Gewohnheit der Knechtschaft konnten freilich einigen, sie konnten das vereinzelte Dasein der Völker aufheben; aber das Gefühl von der Gemeinschaft und Einheit des ganzen Menschengeschlechts, von der gleichen Berechtigung aller Theile desselben hat einen edleren Ursprung. Es ist in den inneren Antrieben des Gemüths und religiöser Ueberzeugungen gegründet. Das Christenthum hat hauptsächlich dazu beigetragen den Begriff der Einheit des 235 Menschengeschlechts hervorzurufen; es hat dadurch auf die »Vermenschlichung« der Völker in ihren Sitten und Einrichtungen wohlthätig gewirkt. Tief mit den frühesten christlichen Dogmen verwebt, hat der Begriff der Humanität sich aber nur langsam Geltung verschaffen können: da zu der Zeit, als der neue Glaube aus politischen Motiven in Byzanz zur Staatsreligion erhoben wurde, die Anhänger desselben bereits in elenden Partheistreit verwickelt, der ferne Verkehr der Völker gehemmt und die Fundamente des Reichs mannigfach durch äußere Angriffe erschüttert waren. Selbst die persönliche Freiheit ganzer Menschenclassen hat lange in den christlichen Staaten, bei geistlichen Grundbesitzern und Corporationen, keinen Schutz gefunden.
Solche unnatürlichen Hemmungen, und viele andere, welche dem geistigen Fortschreiten der Menschheit wie der Veredlung des gesellschaftlichen Zustandes im Wege stehen, werden allmälig verschwinden. Das Princip der individuellen und der politischen Freiheit ist in der unvertilgbaren Ueberzeugung gewurzelt von der gleichen Berechtigung des einigen Menschengeschlechts. So tritt dieses, wie schon an einem andern OrteKosmos Bd. I. S. 385 und 492 [Anm. 442], Bd. II. S. 25. (Vergl. auch Wilhelm von Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. XXXVIII.) gesagt worden ist, »als Ein großer verbrüderter Stamm, als ein zur Erreichung Eines Zweckes (der freien Entwickelung innerlicher Kraft) bestehendes Ganzes« auf. Diese Betrachtung der Humanität, des bald gehemmten, bald mächtig fortschreitenden Strebens nach derselben (keinesweges die Erfindung einer neueren Zeit!) gehört durch die Allgemeinheit ihrer Richtung recht eigentlich zu dem, was das kosmische Leben erhöht und begeistigt. In der Schilderung einer großen welthistorischen Epoche: der der Herrschaft der Römer, ihrer Gesetzgebung 236 und der Entstehung des Christenthums, mußte vor allem daran erinnert werden, wie dieselbe die Ansichten des Menschengeschlechts erweitert und einen milden, langdauernden, wenn gleich langsam wirkenden Einfluß auf Intelligenz und Gesittung ausgeübt hat.
Einfall der Araber. – Geistige Bildsamkeit dieses Theils des semitischen Volksstammes. – Einfluß eines fremdartigen Elements auf den Entwickelungsgang europäischer Cultur. – Eigenthümlichkeit des Nationalcharakters der Araber. – Hang zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften. – Arzneimittellehre und Chemie. – Erweiterung der physischen Erdkunde im Innern der Continente, der Astronomie und der mathematischen Wissenschaften.
Wir haben in dem Entwurf einer Geschichte der physischen Weltanschauung, d. h. in der Darstellung der sich allmälig entwickelnden Erkenntniß von einem Weltganzen, bereits vier Hauptmomente aufgezählt. Es sind: die Versuche aus dem Becken des Mittelmeeres gegen Osten nach dem Pontus und Phasis, gegen Süden nach Ophir und den tropischen Goldländern, gegen Westen durch die Hercules-Säulen in den »alles umströmenden Oceanus« vorzudringen; der macedonische Feldzug unter Alexander dem Großen, das Zeitalter der Lagiden und die römische Weltherrschaft. Wir lassen nun folgen den mächtigen Einfluß, welchen die Araber, ein fremdartiges Element europäischer Civilisation, und sechs bis sieben Jahrhunderte später die maritimen Entdeckungen der Portugiesen und Spanier auf das allgemeine physische und mathematische Naturwissen, auf Kenntniß der Erd- und Himmelsräume, 238 ihrer meßbaren Gestaltung, der Heterogeneität der Stoffe und der ihnen inwohnenden Kräfte ausgeübt haben. Die Entdeckung und Durchforschung des Neuen Continents, seiner vulkanreichen Cordilleren, seiner Hochebenen, in denen gleichsam die Klimate über einander gelagert sind, seiner in 120 Breitengraden entfalteten Pflanzendecke bezeichnet unstreitig die Periode, wo dem menschlichen Geiste in dem kürzesten Zeitraum die größte Fülle neuer physischer Wahrnehmungen dargeboten wurde.
Von da an ist die Erweiterung des kosmischen Wissens nicht an einzelne politische, räumlich wirkende Begebenheiten zu knüpfen. Die Intelligenz bringt fortan Großes hervor aus eigener Kraft, nicht durch einzelne äußere Ereignisse vorzugsweise angeregt. Sie wirkt in vielen Richtungen gleichzeitig; schafft durch neue Gedankenverbindung sich neue Organe, um das zarte Gewebe des Thier- und Pflanzenbaues als Substrat des Lebens, wie die weiten Himmelsräume zu durchspähen. So erscheint das ganze siebzehnte Jahrhundert: glänzend eröffnet durch die große Erfindung des Fernrohrs, wie durch die nächsten Früchte dieser Erfindung: von Galilei's Entdeckung der Jupiterstrabanten, der sichelförmigen Gestalt der Venusscheibe und der Sonnenflecken an bis zu Isaac Newton's Gravitations-Theorie; als die wichtigste Epoche einer neugeschaffenen physischen Astronomie. Es zeigt sich hier noch einmal, durch Einheit der Bestrebungen in der Beobachtung des Himmels und der mathematischen Forschung hervorgerufen, ein scharf bezeichneter Abschnitt in dem großen, von nun an ununterbrochen fortlaufenden Processe intellectueller Entwickelung.
Unseren Zeiten näher wird das Herausheben einzelner 239 Momente um so schwieriger, als die menschliche Thätigkeit sich vielseitiger bewegt und als mit einer neuen Ordnung in den geselligen und staatlichen Verhältnissen auch ein engeres Band alle wissenschaftlichen Richtungen umschließt. In den einzelnen Disciplinen, deren Entwickelung eine Geschichte der physischen Wissenschaften darstellt: in der Chemie und der beschreibenden Botanik, ist es möglich bis in die neueste Zeit Perioden zu isoliren, in denen die Fortschritte am größten waren oder plötzlich neue Ansichten herrschend wurden; aber in der Geschichte der Weltanschauung, welche ihrem Wesen nach der Geschichte der einzelnen Disciplinen nur das entlehnen soll, was am unmittelbarsten sich auf die Erweiterung des Begriffs vom Kosmos als einem Naturganzen bezieht, wird das Anknüpfen an bestimmte Epochen schon darum gefahrvoll und unthunlich, weil das, was wir eben einen intellectuellen Entwickelungsproceß nannten, ein ununterbrochenes gleichzeitiges Fortschreiten in allen Sphären des kosmischen Wissens voraussetzt. An dem wichtigen Scheidepunkte angelangt, wo nach dem Untergange der römischen Weltherrschaft ein neues, fremdartiges Element der Bildung sich offenbart, wo unser Continent dasselbe zum ersten Male unmittelbar aus einem Tropenlande empfängt: schien es mir nützlich einen allgemeinen, übersichtlichen Blick auf den Weg zu werfen, welcher noch zu durchlaufen übrig ist.
Die Araber, ein semitischer Urstamm, verscheuchen theilweise die Barbarei, welche das von Völkerstürmen erschütterte Europa bereits seit zwei Jahrhunderten bedeckt hat. Sie führen zurück zu den ewigen Quellen griechischer Philosophie; sie tragen nicht bloß dazu bei die 240 wissenschaftliche Cultur zu erhalten: sie erweitern sie und eröffnen der Naturforschung neue Wege. In unserm Continent begann die Erschütterung erst, als unter Valentinian I die Hunnen (finnischen, nicht mongolischen Ursprungs) in dem letzten Viertel des vierten Jahrhunderts über den Don vordrangen und die Alanen, später mit diesen die Ostgothen bedrängten. Fern im östlichen Asien war der Strom wandernder Völker in Bewegung gesetzt mehrere Jahrhunderte früher, als unsere Zeitrechnung beginnt. Den ersten Anstoß zur Bewegung gab, wie wir schon früher erinnert, der Anfall der Hiungnu (eines türkischen Stammes) auf das blonde und blauäugige, vielleicht indogermanische Volk der Usün: die, an die Yueti (Geten?) grenzend, im oberen Flußthal des Huangho im nordwestlichen China wohnten. Der verheerende Völkerstrom, fortgepflanzt von der, gegen die Hiungnu (214 vor Chr.) errichteten großen Mauer bis in das westlichste Europa, bewegte sich durch Mittel-Asien, nördlich von der Kette des Himmelsgebirges. Kein Religionseifer beseelte diese asiatischen Horden, ehe sie Europa berührten; ja man hat bestimmt erwiesen, daß die Mongolen noch nicht BuddhistenWenn Carl Martell, wie man oft gesagt, durch seinen Sieg bei Tours das mittlere Europa gegen den einbrechenden Islam geschützt hat, so kann man nicht mit gleichem Rechte behaupten, daß der Rückzug der Mongolen nach der Schlacht bei Liegnitz den Buddhismus gehindert habe bis an die Elbe und den Rhein vorzudringen. Die Mongolenschlacht in der Ebene von Wahlstatt bei Liegnitz, in welcher Herzog Heinrich der Fromme heldenmüthig fiel, ward am 9 April 1244 geliefert: vier Jahre nachdem unter Batu, dem Enkel Dschingischans, das Kaptschak und Rußland den asiatischen Horden dienstbar wurden. Die erste Einführung des Buddhismus unter den Mongolen fällt aber in das Jahr 1247: als fern im Osten zu Leang-tscheu, in der chinesischen Provinz Schensi, der kranke mongolische Prinz Godan den Sakya Pandita, einen tübetanischen Erzpriester, zu sich berief, um sich von ihm heilen und bekehren zu lassen (Klaproth in einem handschriftlichen Fragmente über die Verbreitung des Buddhismus im östlichen und nördlichen Asien). Dazu haben die Mongolen sich nie mit der Bekehrung der überwundenen Völker beschäftigt. waren, als sie siegreich bis nach Polen und Schlesien vordrangen. Ganz andere Verhältnisse gaben dem kriegerischen Ausbruch eines südlichen Volkes, der Araber, einen eigenthümlichen Charakter.
In dem wenig gegliedertenKosmos Bd. I S. 308 und 471 [Anm. 342]. Continent von Asien dehnt sich, ausgezeichnet durch seine Form, als ein merkwürdig abgesondertes Glied, die arabische Halbinsel zwischen dem rothen Meere und dem persischen Meerbusen, zwischen dem Euphrat und dem syrisch-mittelländischen Meere hin. Es ist die westlichste der drei Halbinseln von Süd-Asien, 241 und ihre Nähe zu Aegypten und einem europäischen Meeresbecken bietet ihr große Vortheile sowohl der politischen Weltstellung als des Handels dar. In dem mittleren Theile der arabischen Halbinsel lebte das Volk des Hedschaz: ein edler, kräftiger Menschenstamm; unwissend, aber nicht roh, phantasiereich und doch der sorgfältigen Beobachtung aller Vorgänge in der freien Natur (an dem ewig heiteren Himmelsgewölbe und auf der Erdfläche) ergeben. Nachdem dies Volk, Jahrtausende lang fast ohne Berührung mit der übrigen Welt, größtentheils nomadisch umhergezogen, brach es plötzlich aus, bildete sich durch geistigen Contact mit den Bewohnern alter Cultursitze, bekehrte und herrschte von den Hercules-Säulen bis zum Indus: bis zu dem Punkt, wo die Bolor-Kette den Hindu-Kho durchschneidet. Schon seit der Mitte des neunten Jahrhunderts unterhielt es Handelsverkehr gleichzeitig mit den Nordländern Europa's und Madagascar, mit Ost-Afrika, Indien und China; es verbreitete Sprache, Münze und indische Zahlen: gründete einen mächtigen, langdauernden, durch religiösen Glauben zusammengehaltenen Länderverband. Oft bei diesen Zügen wurden große Provinzen nur vorübergehend durchstreift. Der schwärmende Haufe, von den Eingeborenen bedroht, lagerte sich (so sagt die einheimische Naturdichtung) »wie Wolkengruppen, die bald der Wind zerstreut«. Eine lebensreichere Erscheinung hat keine andere Völkerbewegung dargeboten, und die dem Islam scheinbar inwohnende geistbedrückende Kraft hat sich im ganzen minder thätig und hemmend unter der arabischen Herrschaft als bei den türkischen Stämmen gezeigt. Religiöse Verfolgung war hier wie überall (auch unter christlichen Völkern) mehr 242 Wirkung eines schrankenlosen dogmatisirenden DespotismusDaher der Contrast zwischen den tyrannischen Maaßregeln des Motewekkil, zehnten Chalifen aus dem Hause der Abbassiden, gegen Juden und Christen (Joseph von Hammer über die Länderverwaltung unter dem Chalifate 1835 S. 27, 85 und 117) und der milden Toleranz unter weiseren Herrschern in Spanien (Conde, hist. de la dominacion de los Arabes en España T. I. 1820 p. 67. Auch ist zu erinnern, daß Omar nach der Einnahme von Jerusalem jeden Ritus des christlichen Gottesdienstes erlaubte und mit dem Patriarchen einen den Christen günstigen Vertrag abschloß (Fundgruben des Orients Bd. V. S. 68). als Wirkung der ursprünglichen Glaubenslehre, der religiösen Anschauung der Nation. Die Strenge des Korans ist vorzugsweise gegen Abgötterei und den Götzendienst aramäischer Stämme gerichtet.
Da das Leben der Völker außer den inneren geistigen Anlagen durch viele äußere Bedingnisse des Bodens, des Klima's und der Meeresnähe bestimmt wird, so muß hier zuvörderst an die ungleichartige Gestaltung der arabischen Halbinsel erinnert werden. Wenn auch der erste Impuls zu den großen Veränderungen, welche die Araber in drei Continenten hervorgebracht haben, von dem ismaelitischen Hedschaz ausging und seine hauptsächlichste Kraft einem einsamen Hirtenstamme verdankte, so ist doch der übrige Theil der Halbinsel an seinen Küsten seit Tausenden von Jahren nicht von dem übrigen Weltverkehr abgeschnitten geblieben. Um den Zusammenhang und die Möglichkeit großer und seltsamer Ereignisse einzusehen, muß man zu den Ursachen aufsteigen, welche dieselben allmälig vorbereitet haben.
Gegen Südwesten, am erythräischen Meere, liegt das schöne Land der Joctaniden»Ein starker Zweig der Hebräer war, der Sage nach, lange vor Abraham unter dem Namen Jokthan (Qachthan) in das südliche Arabien hinabgewandert und hatte dort blühende Reiche gegründet.« (Ewald, Geschichte des Volkes Israel Bd. I. S. 337 und 450.), Yemen: fruchtbar und ackerbauend, der alte Cultursitz von Saba. Es erzeugt Weihrauch (lebonah der Hebräer, vielleicht Boswellia thurifera Colebr.)Der Baum, welcher den arabischen, seit der urältesten Zeit berühmten Weihrauch von Hadhramaut giebt (auf der Insel Socotora fehlt derselbe ganz), ist noch von keinem Botaniker, selbst nicht von dem mühsam forschenden Ehrenberg, aufgefunden und bestimmt worden. In Ostindien findet sich ein ähnliches Product, vorzüglich in Bundelkhund, mit welchem von Bombay aus ein beträchtlicher Handel nach China getrieben wird. Dieser indische Weihrauch wird nach Colebrooke (Asiatic Researches Vol. IX p. 377) von einer durch Roxburgh bekannt gewordenen Pflanze: Boswellia thurifera oder serrata, aus der Familie der Burseraceen von Kunth, gewonnen. Da wegen der ältesten Handelsverbindungen zwischen den Küsten von Süd-Arabien und des westlichen Indiens (Gildemeister, Scriptorum Arabum loci de rebus Indicis p. 35) man in Zweifel ziehen konnte, ob der λίβανος des Theophrastus (das thus der Römer) ursprünglich der arabischen Halbinsel zugehört habe: so ist Lassen's Bemerkung sehr wichtig (Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 286), daß der Weihrauch im Amara-Koscha selbst »yâwana, javanisch, d. h. arabisch, genannt«: demnach als ein aus Arabien nach Indien gebrachtes Erzeugniß aufgeführt wird. »Turuschka' pindaka' sihlô (drei Benennungen des Weihrauchs) yâwanô«: heißt es im Amara-Koscha (Amarakocha publ. par A. Loiseleur Deslongchamps P. I. 1839 p. 156). Auch Dioscorides unterscheidet den arabischen von dem indischen Weihrauch. Carl Ritter in seiner vortrefflichen Monographie der Weihrauch-Arten (Asien Bd. VIII. Abth. 1. S. 356–372) bemerkt sehr richtig, dieselbe Pflanzenart (Boswellia thurifera) könne wegen der Aehnlichkeit des Klima's wohl ihre Verbreitungssphäre von Indien durch das südliche Persien nach Arabien ausdehnen. Der amerikanische Weihrauch (Olibanum americanum unserer Pharmacopöen) kommt von Icica gujanensis Aubl. und Icica tacamahaca: die wir, Bonpland und ich, häufig in den großen Gras-Ebenen (Llanos) von Calabozo in Südamerika gefunden haben. Icica ist wie Boswellia aus der Familie der Burseraceen. Die Rothtanne (Pinus abies Linn.) erzeugt den gemeinen Weihrauch unserer Kirchen. – Die Pflanze, welche die Myrrhe trägt und welche Bruce glaubte gesehen zu haben (Ainslie, Materia medica of Hindoostan, Madras 1813, p. 29), ist bei el-Gisan in Arabien von Ehrenberg entdeckt und nach den von ihm gesammelten Exemplaren durch Nees von Esenbeck unter dem Namen Balsamodendron myrrha beschrieben worden. Man hielt lange fälschlich Balsamodendron Koraf Kunth., eine Amyris von Forskål, für den Baum der ächten Myrrhe., Myrrhe (eine Amyris-Art, von Ehrenberg zuerst genau beschrieben) und den sogenannten Mekka-Balsam (Balsamodendron gileadense, Kunth): Gegenstände eines wichtigen Handels der Nachbarvölker; verführt zu den Aegyptern, Persern und Indern wie zu den Griechen und Römern. Auf diese Erzeugnisse gründet sich die geographische Benennung des »glücklichen Arabiens«, welche 243 wir zuerst bei Diodor und Strabo finden. Im Südosten der Halbinsel, am persischen Meerbusen, lag Gerrha, den phönicischen Niederlassungen von Aradus und Tylus gegenüber, ein wichtiger Stapelplatz des Verkehrs mit indischen Waaren. Wenn gleich fast das ganze Innere des arabischen Landes eine baumlose Sandwüste zu nennen ist, so findet sich doch in Oman (zwischen Jailan und Batna) eine ganze Reihe wohl cultivirter, durch unterirdische Canäle bewässerter Oasen; ja der Thätigkeit des verdienstvollen Reisenden WellstedWellsted, Travels in Arabia 1838 Vol. I. p. 272–289. verdanken wir die Kenntniß dreier Gebirgsketten, deren höchster, waldbedeckter Gipfel, Dschebel Akhdar, sich bis sechstausend Fuß Höhe über dem Meeresspiegel bei Maskat erhebt. Auch in dem Berglande von Yemen östlich von Loheia und in der Küstenkette von Hedschaz, in Asyr, wie östlich von Mekka bei Tayef, befinden sich Hochebenen, deren perpetuirlich niedrige Temperatur schon dem Geographen Edrisi bekannt warJomard, études géogr. et hist. sur l'Arabie 1839 p. 14 und 32..
Dieselbe Mannigfaltigkeit der Gebirgslandschaft charakterisirt die Halbinsel Sinai, das Kupferland der Aegypter des alten Reiches (vor der Hyksos-Zeit), und die Felsthäler von Petra. Der phönicischen Handelsniederlassungen an dem nördlichsten Theile des rothen Meeres und der Hiram-Salomonischen Ophirfahrt, die von Ezion-Geber ausging, habe ich bereits an einem anderen OrteKosmos Bd. II. S. 167. erwähnt. Arabien und die von indischen Ansiedlern bewohnte nahe Insel Socotora (die Insel des Dioscorides) waren Mittelglieder des Welthandels nach Indien und der Ostküste von Afrika. Die Producte dieser Länder wurden gemeinhin mit denen von Hadhramaut und Yemen verwechselt. »Aus Saba werden sie kommen« (die Dromedare von Midian), 244 singt der Prophet Jesaias, »werden Gold und Weihrauch bringen.«Jesaias LX, 6. Petra war der Stapelplatz kostbarer Waaren, für Tyrus und Sidon bestimmt; ein Hauptsitz des einst so mächtigen Handelsvolks der Nabatäer, denen der sprachgelehrte Quatremère als ursprünglichen Wohnsitz die Gerrhäer-Gebirge am unteren Euphrat anweist. Dieser nördliche Theil von Arabien ist vorzugsweise durch die Nähe von Aegypten, durch die Verbreitung arabischer Stämme in dem syrisch-palästinischen Grenzgebirge und den Euphratländern, wie durch die berühmte Caravanenstraße von Damascus über Emesa und Tadmor (Palmyra) nach Babylon in belebendem Contact mit anderen Culturstaaten gewesen. Mohammed selbst, entsprossen aus einem vornehmen, aber verarmten Geschlecht des Koreischiten-Stammes, hatte, ehe er als inspirirter Prophet und Reformator auftrat, in Handelsgeschäften die Waarenmesse von Bosra an der syrischen Grenze, die in Hadhramaut, dem Weihrauchlande, und am meisten die zwanzigtägige von Okadh bei Mekka besucht: wo Dichter, meist Beduinen, sich alljährlich zu lyrischen Kampfspielen versammelten. Wir berühren diese Einzelheiten des Verkehrs und seiner Veranlassungen, um ein lebendigeres Bild von dem zu geben, was vorbereitend auf eine Weltveränderung wirkte.
Die Verbreitung der arabischen Bevölkerung gegen Norden erinnert zunächst an zwei Begebenheiten: deren nähere Verhältnisse freilich noch in Dunkel gehüllt sind, welche aber doch dafür zeugen, daß schon Jahrtausende vor Mohammed die Bewohner der Halbinsel sich durch Ausfälle nach Westen und Osten, gegen Aegypten und den Euphrat hin, in die großen Welthändel gemischt hatten. Die semitische 245 oder aramäische Abstammung der Hyksos, welche unter der zwölften Dynastie, 2200 Jahre vor unserer Zeitrechnung, dem alten Reiche ein Ende machten, wird jetzt fast allgemein von Geschichtsforschern angenommen. Auch Manetho sagt: »Einige behaupten, daß diese Hirten Araber waren«. In anderen Quellen werden sie Phönicier genannt: ein Name, der im Alterthume auf die Bewohner des Jordanthales und auf alle arabischen Stämme ausgedehnt wird. Der scharfsinnige Ewald gedenkt besonders der Amalekiter (Amalekäer): welche ursprünglich in Yemen wohnten, dann über Mekka und Medina sich nach Canaan und Syrien verbreiteten, und in arabischen Urkunden als zu Josephs Zeit über Aegypten herrschend genannt werdenEwald, Gesch. des Volkes Israel Bd. I. S. 300 und 450; Bunsen, Aegypten-Buch III.. S. 10 und 32. Auf uralte Völkerwanderungen gegen Westen deuten die Sagen von Persern und Medern im nördlichen Afrika. Sie sind an die vielgestaltete Mythe von Hercules und dem phönicischen Melkarth geknüpft worden. (Vergl. Sallust. bellum Jugurth. cap. 18, aus punischen Schriften des Hiempsal geschöpft; Plin. V, 8.) Strabo nennt die Maurusier (Bewohner von Mauretanien) gar »mit Hercules gekommene Inder«.. Auffallend ist es immer, wie die nomadischen Stämme der Hyksos das mächtige, wohleingerichtete alte Reich der Aegypter haben überwältigen können. Freier gesinnte Menschen traten glücklich gegen die an lange Knechtschaft gewöhnten auf; und doch waren die siegreichen arabischen Einwanderer damals nicht, wie in neuerer Zeit, durch religiöse Begeisterung aufgeregt. Aus Furcht vor den Assyrern (Stämmen von Arpachschad) gründeten die Hyksos den Waffenplatz und die Feste Avaris am östlichen Nilarme. Vielleicht deutet dieser Umstand auf nachdringende Kriegsschaaren, auf eine große gegen Westen gerichtete Völkerwanderung. Eine zweite, wohl um tausend Jahre spätere Begebenheit ist die, welche DiodorDiod. Sic. lib. II cap. 2 und 3. dem Ktesias nacherzählt. Ariäus, ein mächtiger Himyariten-Fürst, wird Bundesgenosse des Ninus am Tigris, schlägt mit ihm die Babylonier und kehrt mit reicher Beute beladen in seine Heimath, das südliche Arabien, zurück.Ctesiae Cnidii Operum reliquiae ed. Baehr: fragmenta Assyriaca p. 421, und Carl Müller in Dindorf's Ausgabe des Herodot (Par. 1844) p. 13–15.
246 War im ganzen das freie Hirtenleben das herrschende im Hedschaz, war es das Leben einer großen und kräftigen Volkszahl: so wurden doch auch dort die Städte Medina und Mekka (letztere mit ihrem uralten räthselhaften Tempelheiligthum, der Kaaba) als ansehnliche, von fremden Nationen besuchte Orte bezeichnet. In Gegenden, welche den Küsten oder den Caravanenstraßen, die wie Flußthäler wirken, nahe lagen, herrschte wohl nirgends die völlige rohe Wildheit, welche die Abgeschlossenheit erzeugt. Schon GibbonGibbon, Hist. of the decline and fall of the Roman Empire Vol. IX. chapt. 50 p. 200 (Leips. 1829)., der die menschlichen Zustände immer so klar auffaßt, erinnert daran, wie in der arabischen Halbinsel das Nomadenleben sich wesentlich von dem unterscheidet, welches Herodot und Hippocrates in dem sogenannten Scythenlande beschreiben: weil in diesem kein Theil des Hirtenvolkes sich je in Städten angesiedelt hat, während auf der großen arabischen Halbinsel das Landvolk noch jetzt mit den Städtebewohnern verkehrt, die es von gleicher ursprünglicher Abkunft mit sich selbst hält. In der Kirghisen-Steppe: einem Theile der Ebenen, welche die alten Scythen (Scoloten und Sacer) bewohnten, hat es auf einem Raume, der an Flächeninhalt Deutschland übertrifftHumboldt, Asie centr. T. II. p. 128., seit Jahrtausenden nie eine Stadt gegeben; und doch überstieg, zur Zeit meiner sibirischen Reise, die Zahl der Zelte (Yurten oder Kibitken) in den drei Wanderhorden noch 400000: was ein Nomadenvolk von zwei Millionen andeutet. Wie sehr solche Contraste der größeren oder minderen Abgeschlossenheit des Hirtenlebens (selbst wenn man gleiche innere Anlagen voraussetzen will) auf die geistige Bildsamkeit wirken, bedarf hier keiner umständlicheren Entwicklung.
Bei dem edeln, von der Natur begünstigten Stamme 247 der Araber machen gleichzeitig die inneren Anlagen zu geistiger Bildsamkeit, die von uns angedeuteten Verhältnisse der natürlichen Beschaffenheit des Landes und der alte Handelsverkehr der Küsten mit hochcultivirten Nachbarstaaten erklärlich, wie der Einbruch nach Syrien und Persien und später der Besitz von Aegypten so schnell Liebe zu den Wissenschaften und Hang zu eigener Forschung in den Siegern erwecken konnten. In den wundersamen Bestimmungen der Weltordnung lag es, daß die christliche Secte der Nestorianer, welche einen sehr wichtigen Einfluß auf die räumliche Verbreitung der Kenntnisse ausgeübt hat, auch den Arabern, ehe diese nach dem vielgelehrten und streitsüchtigen Alexandrien kamen, nützlich wurde; ja daß der christliche Nestorianismus unter dem Schutze des bewaffneten Islam tief in das östliche Asien dringen konnte. Die Araber wurden nämlich mit der griechischen Litteratur erst durch die SyrerJourdain, recherches critiques sur l'âge des traductions d'Aristote 1819 p. 81 und 87., einen ihnen verwandten semitischen Stamm, bekannt: während die Syrer selbst, kaum anderthalb Jahrhunderte früher, die Kenntniß der griechischen Litteratur erst durch die verketzerten Nestorianer empfangen hatten. Aerzte, die in den Lehranstalten der Griechen und auf der berühmten von den nestorianischen Christen zu Edessa in Mesopotamien gestifteten medicinischen Schule gebildet waren, lebten schon zu Mohammeds Zeiten, mit diesem und mit Abu-Bekr befreundet, in Mekka.
Die Schule von Edessa, ein Vorbild der Benedictiner-Schulen von Monte-Cassino und Salerno, erweckte die naturwissenschaftliche Untersuchung der Heilstoffe aus dem Mineral und Pflanzenreiche. Als durch christlichen Fanatismus unter Zeno dem Isaurier sie aufgelöst wurde, 248 zerstreuten sich die Nestorianer nach Persien: wo sie bald eine politische Wichtigkeit erlangten und ein neues, vielbesuchtes medicinisches Institut zu Dschondisapur in Khusistan stifteten. Es gelang ihnen ihre Kenntnisse und ihren Glauben gegen die Mitte des siebenten Jahrhunderts bis nach China unter der Dynastie der Thang zu verbreiten, 572 Jahre nachdem der Buddhismus dort aus Indien eingedrungen war.
Der Saamen abendländischer Cultur, in Persien durch gelehrte Mönche und durch die von Justinian verfolgten Philosophen der letzten platonischen Schule von Athen ausgestreuet, hatte einen wohlthätigen Einfluß auf die Araber während ihrer ersten asiatischen Feldzüge ausgeübt. So schwach auch die Kenntnisse der nestorianischen Priester mögen gewesen sein, konnten sie doch, ihrer eigenthümlichen medicinisch-pharmaceutischen Richtung nach, anregend auf einen Menschenstamm wirken, der lange im Genuß der freien Natur gelebt und einen frischeren Sinn für jede Art der Natur-Anschauung bewahrte als die griechischen und italischen Städtebewohner. Was der Epoche der Araber die kosmische Wichtigkeit giebt, die wir hier hervorheben müssen, hängt großentheils mit dem eben bezeichneten Zuge ihres Nationalcharakters zusammen. Die Araber sind, wir wiederholen es, als die eigentlichen Gründer der physischen Wissenschaften zu betrachten: in der Bedeutung des Worts, welche wir ihm jetzt zu geben gewohnt sind.
Allerdings ist in der Gedankenwelt, bei der inneren Verkettung alles Gedachten, ein absoluter Anfang schwer an einen bestimmten Zeitabschnitt zu knüpfen. Einzelne Lichtpunkte des Wissens, wie der Processe, durch die das 249 Wissen erlangt werden kann, zeigen sich frühe zerstreut. Wie weit ist nicht Dioscorides, welcher Quecksilber aus dem Zinnober übertrieb, vom arabischen Chemiker Dscheber, wie weit ist Ptolemäus als Optiker von Alhazen getrennt! aber die Gründung der physischen Disciplinen, der Naturwissenschaften selbst, hebt da erst an, wo auf neu geöffneten Wegen zugleich von Vielen, wenn auch mit ungleichem Erfolge, fortgeschritten wird. Nach der bloßen Naturbeschauung, nach dem Beobachten der Erscheinungen, die sich in den irdischen und himmlischen Räumen zufällig dem Auge darbieten, kommt das Erforschen, das Aufsuchen des Vorhandenen, das Messen von Größe und Dauer der Bewegung. Die früheste Epoche einer solchen, doch aber meist auf das Organische beschränkten Naturforschung ist die des Aristoteles gewesen. Es bleibt eine dritte und höhere Stufe übrig in der fortschreitenden Kenntniß physischer Erscheinungen, die Ergründung der Naturkräfte: die des Werdens, bei dem diese Kräfte wirken; die der Stoffe selbst, die entfesselt werden, um neue Verbindungen einzugehen. Das Mittel, welches zu dieser Entfesselung führt, ist das willkührliche Hervorrufen von Erscheinungen, das Experimentiren.
Auf diese letzte, in dem Alterthum fast ganz unbetretene Stufe haben sich vorzugsweise im großen die Araber erhoben. Sie gehörten einem Lande an, das ganz des Palmen- und zur größeren Hälfte des Tropen-Klima's genießt (der Wendekreis des Krebses durchschneidet die Halbinsel ungefähr von Maskat nach Mekka hin): also einer Weltgegend, in der bei erhöhter Lebenskraft der Organe das Pflanzenreich eine Fülle von Aromen, von balsamischen Säften, dem 250 Menschen wohlthätigen oder gefahrdrohenden Stoffen liefert. Früh mußte daher die Aufmerksamkeit des Volkes auf die Erzeugnisse des heimischen Bodens und der durch Handel erreichbaren malabarischen, ceylanischen und ost-afrikanischen Küsten gerichtet sein. In diesen Theilen der heißen Zone »individualisiren« sich die organischen Gestalten in den kleinsten Erdräumen. Jeder derselben bietet eigenthümliche Erzeugnisse dar und vervielfältigt durch stete Anregung zum Beobachten den Verkehr des Menschen mit der Natur. Es kam darauf an so kostbare, der Medicin, den Gewerben, dem Luxus der Tempel und Palläste wichtige Waaren sorgfältig von einander zu unterscheiden und ihrem, oft mit gewinnsüchtiger List verheimlichten Vaterlande nachzuspüren. Ausgehend von dem Stapelplatze Gerrha am persischen Meerbusen und aus dem Weihrauch-Districte von Yemen, durchstrichen zahlreiche Caravanenstraßen das ganze Innere der arabischen Halbinsel bis Phönicien und Syrien: und die Namen jener kräftigen Naturproducte, wie das Interesse für dieselben, wurden überall verbreitet.
Die Arzneimittellehre, gegründet von Dioscorides in der alexandrinischen Schule, ist ihrer wissenschaftlichen Ausbildung nach eine Schöpfung der Araber: denen jedoch eine reiche Quelle der Belehrung und die älteste von allen, die der indischen Aerzte, schon früher geöffnet warUeber die Kenntnisse, welche die Araber aus der Arzneimittellehre der Inder geschöpft haben, s. die wichtigen Untersuchungen von Wilson im Oriental Magazine of Calcutta 1823 Febr. und März und von Royle in seinem essay on the antiquity of Hindoo Medicine 1837 p. 56–59, 64–66, 73 und 92. Vergl. ein Verzeichniß pharmaceutischer arabischer Schriften, die aus dem Indischen übersetzt sind, in Ainslie (Ausgabe von Madras) p. 289.. Die chemische Apothekerkunst ist von den Arabern geschaffen worden; und die ersten obrigkeitlichen Vorschriften über Bereitung der Arzneimittel, die jetzt so genannten Dispensatorien, sind von ihnen ausgegangen. Sie wurden später von der Salernitanischen Schule durch das südliche Europa verbreitet. Pharmacie und Materia medica, die ersten Bedürfnisse der 251 praktischen Heilkunst, leiteten nach zwei Richtungen gleichzeitig zum Studium der Botanik und zu dem der Chemie. Aus den engen Kreisen der Nützlichkeit und einseitiger Anwendung gelangte die Pflanzenkunde allmälig in ein weiteres und freieres Feld; sie erforschte die Structur des organischen Gewebes, die Verbindung der Structur mit den Kräften, die Gesetze, nach welchen die Pflanzenformen familienweise auftreten und sich geographisch nach Verschiedenheit der Klimate und Höhen über den Erdboden vertheilen.
Seit den asiatischen Eroberungen, für deren Erhaltung später Bagdad ein Centralpunkt der Macht und der Cultur wurde, bewegten sich die Araber in dem kurzen Zeitraume von 70 Jahren über Aegypten, Cyrene und Carthago durch das ganze nördliche Afrika bis zu der fernsten iberischen Halbinsel. Der geringe Bildungszustand des Volkes und seiner Heerführer konnte allerdings jeglichen Ausbruch wilder Roheit vermuthen lassen; aber die Mythe von Verbrennung der alexandrinischen Bibliothek durch Amru (das sechsmonatliche Heizen von 4000 Badstuben) beruht auf dem alleinigen Zeugniß von zwei Schriftstellern, welche 580 Jahre später lebten, als die Begebenheit sich soll zugetragen haben.Gibbon Vol. IX. chapt. 51 p. 392; Heeren, Gesch. des Studiums der classischen Litteratur Bd. I. 1797 S. 44 und 72; Sacy, Abd-Allatif p. 240; Parthey, das Alexandrinische Museum 1838 S. 106. Wie in friedlicheren Zeiten, doch ohne daß die geistige Cultur der ganzen Volksmasse einen freien Aufschwung hätte gewinnen können: in der glanzvollen Epoche von Al-Mansur, Harun Al-Raschid, Mamun und Motasem, die Höfe der Fürsten und die öffentlichen wissenschaftlichen Institute eine große Zahl der ausgezeichnetsten Männer vereinigen konnten; bedarf hier keiner besonderen Entwicklung. Es gilt nicht in diesen Blättern 252 eine Charakteristik der so ausgedehnten und in ihrer Mannigfaltigkeit so ungleichartigen arabischen Litteratur zu geben; oder zu unterscheiden: was in den verborgenen Tiefen der Organisation eines Menschenstammes und der Naturentfaltung seiner Anlagen, was in äußeren Anregungen und zufälligen Bedingnissen gegründet ist. Die Lösung dieser wichtigen Aufgabe gehört einer anderen Sphäre der Ideen an. Unsere historische Betrachtungen sind auf eine fragmentarische Herzählung dessen beschränkt, was in mathematischen, astronomischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen das Volk der Araber zur allgemeineren Weltanschauung beigetragen hat.
Alchymie, Zauberkunst und mystische Phantasien, durch scholastische Dialectik jeder dichterischen Anmuth entblößt, verunreinigen freilich auch hier, wie überall im Mittelalter, die wahren Resultate der Erforschung; aber unablässig selbstarbeitend, mühevoll durch Uebersetzungen sich die Früchte früher gebildeter Generationen aneignend: haben die Araber die Natur-Ansichten erweitert und vieles Eigene geschaffen. Man hat mit Recht auf den großen UnterschiedHeinrich Ritter, Geschichte der christlichen Philosophie Th. III. 1844 S. 669–676. der Cultur-Verhältnisse aufmerksam gemacht zwischen den einwandernden germanischen und den arabischen Stämmen. Jene bildeten sich erst nach der Einwanderung aus; diese brachten mit sich schon aus der Heimath nicht bloß ihre Religion: auch eine hochausgebildete Sprache, und die zarten Blüthen einer Poesie, welche nicht ganz ohne Einfluß auf die Provenzalen und die Minnesänger geblieben ist.
Die Araber besaßen merkwürdige Eigenschaften, um aneignend und vermittelnd zu wirken vom Euphrat bis zum Guadalaquivir und bis zu dem Süden von Mittel-Afrika. Sie 253 besaßen eine beispiellose weltgeschichtliche Beweglichkeit; eine Neigung, von dem abstoßenden israelitischen Castengeiste entfernt, sich mit den besiegten Völkern zu verschmelzen und doch trotz des ewigen Bodenwechsels ihrem Nationalcharakter und den traditionellen Erinnerungen an die ursprüngliche Heimath nicht zu entsagen. Beispiele von größeren Landreisen einzelner Individuen: nicht immer des Handels wegen, sondern um Kenntnisse einzusammeln, hat kein anderer Volksstamm aufzuweisen; selbst die buddhistischen Priester aus Tübet und China, selbst Marco Polo und die christlichen Missionare, welche zu den Mongolen-Fürsten gesandt wurden, haben sich nur in engeren Räumen bewegt. Durch die vielen Verbindungen der Araber mit Indien und China (schon am Ende des 7ten JahrhundertsReinaud in drei neueren Schriften: welche beweisen, wie viel neben den chinesischen Quellen noch aus den arabischen und persischen zu schöpfen ist: Fragments arabes et persans inédits relatifs à l'inde, antérieurement au XIe siècle de l'ère chrétienne, 1845 p. XX–XXXIII; relation des Voyages faits par les Arabes et les Persans dans l'Inde et à la Chine dans le IXe siècle de notre ère, 1845 T. I. p. XLVI; Mémoire géographique et historique sur l'Inde d'après les écrivains Arabes, Persans et Chinois, antérieurement au milieu du onzième siècle de l'ère chrétienne, 1846 p. 6. Die zweite Schrift des gelehrten Orientalisten Herrn Reinaud ist eine neue Bearbeitung der vom Abbé Renaudot so unvollständig herausgegebenen anciennes relations des Indes et de la Chine de deux voyageurs Mahométans (1718). Die arabische Handschrift enthält nur Einen Reisebericht: den des Kaufmanns Soleiman, welcher sich auf dem persischen Meerbusen im Jahr 851 einschiffte. Diesem Berichte ist angehängt, was Abu-Zeyd-Hassan aus Syraf im Farsistan, welcher nie nach Indien oder China gereist war, von anderen unterrichteten Kaufleuten erfahren hatte. unter dem Chalifat der Ommajaden wurden die Eroberungen bis nach Kaschgar, Kabul und dem Pendschab ausgedehnt) gelangten wichtige Theile des asiatischen Wissens nach Europa. Die scharfsinnigen Forschungen von Reinaud haben gelehrt, wie viel aus arabischen Quellen für die Kenntniß von Indien zu schöpfen ist. Der Einfall der Mongolen in China störte zwar den Verkehr über den OxusReinaud et Favé du feu grégeois 1845 p. 200.; aber die Mongolen selbst wurden bald ein vermittelndes Glied für die Araber: welche durch eigene Anschauung und mühevolles Forschen von den Küsten des stillen Meeres bis zu denen West-Afrika's, von den Pyrenäen bis zu des Scherifs Edrisi Sumpflande des Wangarah in Inner-Afrika die Erdkunde aufgeklärt haben. Die Geographie des Ptolemäus wurde nach Frähn schon auf Befehl des Chalifen Mamun zwischen 813 und 833 in das Arabische übersetzt; und es ist sogar nicht unwahrscheinlich, daß bei der Uebersetzung 254 einige nicht auf uns gekommene Fragmente des Marinus Tyrius benutzt werden konntenUkert über Marinus Tyrius und Ptolemäus, die Geographen, im Rheinischen Museum für Philologie 1839 S. 329–332; Gildemeister de rebus Indicis Pars I. 1838 p. 120; Humboldt, Asie centrale T. II. p. 191..
Von der langen Reihe vorzüglicher Geographen, welche die arabische Litteratur uns liefert, ist es genug die äußersten Glieder, El-IstachriDie Oriental Geography von Ebn-Haukal, welche Sir William Ouseley im Jahr 1800 zu London herausgegeben hat, ist die des Abu-Ishak el-Istachri und, wie Frähn erwiesen (Ibn Fozlan p. IX, XXII und p. 256–263), ein halbes Jahrhundert älter als Ebn-Haukal. Die Karten, welche das Buch der Klimate vom Jahr 920 begleiten und von denen die Bibliothek zu Gotha eine schöne Handschrift besitzt, sind mir sehr nützlich bei meinen Arbeiten über das caspische Meer und den Aral-See geworden (Asie centrale T. II. p. 192–196). Wir besitzen vom Istachri seit kurzem eine Ausgabe und eine deutsche Uebersetzung (Liber climatum. Ad similitudinem dcodicis Gothani delineandum cur. J. H. Moeller Goth. 1839. – Das Buch der Länder. Aus dem Arab. übers. von A. D. Mordtmann. Hamb. 1845). und Alhassan (Johannes Leo, den Afrikaner), zu nennen. Eine größere Bereicherung hat die Erdkunde nie auf einmal vor den Entdeckungen der Portugiesen und Spanier erhalten. Schon funfzig Jahre nach dem Tode des Propheten waren die Araber bis an die äußerste westliche Küste von Afrika, bis an den Hafen Asfi, gelangt. Ob später, als die unter dem Namen der Almagrurin bekannten Abenteurer das Mare tenebrosum beschifften, die Inseln der Guanschen von arabischen Schiffen besucht worden sind, wie mir lange wahrscheinlich war, ist neuerdings wieder in Zweifel gezogen worden.Vergl. Joaquim José da Costa de Macedo, Memoria em que se pretende provar que os Arabes não con hecerão as Canarias antes dos Portuguezes (Lisboa 1833) p. 86–99, 205–227 mit Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II. p. 137–141. Die große Masse arabischer Münzen, die man in den Ostsee-Ländern und im hohen Norden von Scandinavien vergraben findet, ist nicht der eigenen Schifffahrt, sondern dem weit verbreiteten inneren Handelsverkehr der Araber zuzuschreiben.Leopold von Ledebur über die in den Baltischen Ländern gefundenen Zeugnisse eines Handels-Verkehrs mit dem Orient zur Zeit der Arabischen Weltherrschaft (1840) S. 8 und 75.
Die Erdkunde blieb nicht auf die Darstellung räumlicher Verhältnisse, auf Breiten- und Längen-BestimmungenDie Längen-Bestimmungen, welche Abul-Hassan Ali aus Marokko, Astronom des 13ten Jahrhunderts, seinem Werke über die astronomischen Instrumente der Araber einverleibt hat, sind alle nach dem ersten Meridian von Arin gerechnet. Herr Sédillot der Sohn richtete zuerst die Aufmerksamkeit der Geographen auf diesen Meridian. Es hat derselbe ebenfalls ein Gegenstand meiner sorgfältigen Untersuchungen werden müssen, da Christoph Columbus: wie immer, von der Imago Mundi des Cardinals d'Ailly geleitet, in seinen Phantasien über die Ungleichartigkeit der Erdgestalt in der östlichen und westlichen Hemisphäre einer Isla de Arin erwähnt: »centro de el hemispherio del qual habla Toloméo y quès debaxo la linea equinoxial entre el Sino Arabico y aquel de Persia.« (Vergl. J. J. Sédillot, traité des Instruments astronomiques des Arabes, publ. par L. Am. Sédillot, T. I. 1834 p. 312–318, T. II. 1835 Préface mit Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. III. p. 64 und Asie centrale T. III. p. 593–596: wo die Angaben stehen, welche ich in der Mappa Mundi des Alliacus von 1410, in den Alphonsinischen Tafeln von 1483 und in Madrignano's Itinerarium Portugallensium von 1508 aufgefunden habe.) Sonderbar ist es, daß Edrisi nichts von Khobbet Arin (Cancadora, eigentlich Kankder) zu wissen scheint. Sédillot der Sohn (mémoire sur les systèmes géographiques des Grecs et des Arabes 1842 p. 20–25) setzt den Meridian von Arin in die Gruppe der Azoren: während der gelehrte Commentator des Abulfeda, Herr Reinaud (mémoire sur l'Inde antérieurement au XIe siècle de l'ère chrétienne, d'après les écrivains Arabes et Persans, p. 20–24), annimmt: »daß Arin aus Verwechslung mit azyn, ozein und Odjein, dem Namen eines alten Cultursitzes (nach Burnouf Udjijayani) in Malva, Ὀζήνη des Ptolemäus, entstanden ist. Dies Ozene liege im Meridian von Lanka, und in späterer Zeit sei Arin für eine Insel an der Küste Zanguebar gehalten worden: vielleicht Ἔσσυνον des Ptolemäus.« Vergl. auch Am. Sédillot, mém. sur les Instr. astron. des Arabes 1841 p. 75., wie sie Abul-Hassan vervielfältigt hat, auf Beschreibung von Flußgebieten und Bergketten beschränkt; sie leitete vielmehr das mit der Natur so befreundete Volk auf die organischen Erzeugnisse des Bodens, besonders auf die der Pflanzenwelt. Der Abscheu, welchen die Bekenner des Islams vor anatomischen Untersuchungen hatten, hinderte sie an allen Fortschritten in der Thiergeschichte. Sie begnügten sich für diese mit dem, was sie aus Uebersetzungen des AristotelesDer Chalif Al-Mamun ließ viele kostbare griechische Handschriften in Constantinopel, Armenien, Syrien und Aegypten aufkaufen und unmittelbar aus dem Griechischen in das Arabische übertragen: da früher die arabischen Uebersetzungen sich lange auf syrische Uebersetzungen gründeten (Jourdain, recherches critiques sur l'âge et sur l'orogine des traductions latines d'Aristote 1819 p. 85, 88 und 226). Durch Al-Mamun's Bemühungen wurde daher manches gerettet, was ohne die Araber ganz für uns verloren gegangen wäre. Einen ähnlichen Dienst haben, wie Neumann in München zuerst gezeigt, armenische Uebersetzungen geleistet. Leider läßt eine Notiz des Geschichtsschreibers Geuzi aus Bagdad, die der berühmte Geograph Leo Africanus in einer Schrift de viris inter Arabes illustribus uns erhalten hat, vermuthen, daß zu Bagdad selbst manche griechische Originale, die man für unbrauchbar hielt, verbrannt worden sind; aber die Stelle bezieht sich wohl nicht auf wichtige schon übersetzte Handschriften. Sie ist mehrfacher Erklärung fähig: wie Bernhardy (Grundriß der Griech. Litteratur Th. I. S. 489) gegen Heeren's Geschichte der classischen Litteratur (Bd. I. S. 135) gezeigt hat. – Die arabischen Uebersetzungen haben allerdings oft zu den lateinischen des Aristoteles gedient (z. B. der 8 Bücher der Physik und der Geschichte der Thiere), doch ist der größere und bessere Theil der lateinischen Uebertragungen unmittelbar aus dem Griechischen gemacht (Jourdain, rech. crit. sur l'âge des traductions d'Aristote p. 230–236). Diese zwiefache Quelle erkennt man auch in dem denkwürdigen Briefe angegeben, mit welchem Kaiser Friedrich II von Hohenstaufen im Jahr 1232 seinen Universitäten, besonders der zu Bologna, Uebersetzungen des Aristoteles sandte und anempfahl. Dieser Brief enthält den Ausdruck erhabener Gesinnungen; er beweist, daß es nicht die Liebe zur Naturgeschichte allein war, welche Friedrich II den Werth der Philosopheme, »compilationes varias quae ab Aristotele aliisque philosophis sub graecis arabicisque vocabulis antiquitus editae sunt«, schätzen lehrte. »Wir haben von frühester Jugend an der Wissenschaft nachgestrebt, wenn gleich die Sorgen der Regierung uns von ihr abgezogen haben; wir verwendeten unsere Zeit mit freudigem Ernste zum Lesen trefflicher Werke, damit die Seele sich aufhelle und kräftige durch Erwerbungen, ohne welche das Leben des Menschen der Regel und der Freiheit entbehrt (ut animae clarius vigeat instrumentum in acquisitione scientiae, sine qua mortalium vita non regitur liberaliter). Libros ipsos tamquam praemium amici Caesaris gratulanter accipite, et ipsos antiquis philosophorum operibus, qui vocis vestrae ministerio reviviscunt, aggregantes in auditorio vestro......« (Vergl. Jourdain p. 169–178 und Friedrichs von Raumer vortreffliche Geschichte der Hohenstaufen Bd. III. 1841 S. 413.) Die Araber sind vermittelnd zwischen dem alten und neuen Wissen aufgetreten. Ohne sie und ihre Uebersetzungslust wäre den folgenden Jahrhunderten ein großer Theil von dem verloren gegangen, was die griechische Welt geschaffen oder sich angeeignet hatte. Nach dieser Ansicht haben die hier berührten, scheinbar bloß linguistischen Verhältnisse ein allgemeines kosmisches Interesse. und Galenus sich aneignen konnten; 255 doch ist die Thiergeschichte des Avicenna, welche die königliche Bibliothek zu ParisVon der Uebersetzung der Aristotelischen historia Animalium durch Michael Scotus und von einer ähnlichen Arbeit des Avicenna (Handschrift der Pariser Bibliothek No. 6493) handeln Jourdain, traductions d'Aristote p. 135–138 und Schneider, Adnot. ad Aristotelis de Animalibus hist. lib. IX cap. 15. besitzt, von der des Aristoteles verschieden. Als Botaniker ist Ibn-Baithar aus MalagaUeber Ibn-Baithar s. Sprengel, Gesch. der Arzneykunde Th. II. (1823) S. 468 und Royle on the antiquity of Hindoo Medicine p. 28. Eine deutsche Uebersetzung des Ibn-Baithar besitzen wir (seit 1840) unter dem Titel: Große Zusammenstellung über die Kräfte der bekannten einfachen Heil- und Nahrungsmittel. Aus dem Arab. übers. von J. v. Sontheimer. 2 Bände. zu nennen: den man wegen seiner Reisen in Griechenland, Persien, Indien und Aegypten auch als ein Beispiel von dem Streben ansehen kann durch eigene Beobachtungen die Erzeugnisse verschiedener Zonen des Morgen- und Abendlandes mit einander zu vergleichen. Der Ausgangspunkt aller dieser Bestrebungen war aber immer die Arzneimittelkunde: durch welche die Araber die christlichen Schulen lange beherrschten und zu deren Ausbildung Ibn-Sina (Avicenna), aus Afschena bei Bochara gebürtig, Ibn-Roschd (Averroes) aus Cordova, der jüngere Serapion aus Syrien, und Mesue aus Maridin am Euphrat alles benutzten, was der arabische Caravanen- und Seehandel darbieten konnten. Ich nenne geflissentlich weit von einander entfernte Geburtsörter berühmter arabischer Gelehrten, weil diese Geburtsörter recht lebhaft daran erinnern, wie das Naturwissen sich durch die eigenthümliche Geistesrichtung des Stammes über einen großen Erdraum erstreckte, wie durch gleichzeitige Thätigkeit sich der Kreis der Ansichten erweitert hatte.
In diesen Kreis wurde auch das Wissen eines älteren Culturvolkes, das der Inder, gezogen: da unter dem Chalifate von Harun Al-Raschid mehrere wichtige Werke, wahrscheinlich die unter den halb fabelhaften Namen des Tscharaka und SusrutaRoyle p. 35–65. Susruta, Sohn des Visvamitra, wird nach Wilson für einen Zeitgenossen des Rama ausgegeben. Von seinem Werke haben wir eine Sanskrit-Ausgabe (The Su’sruta, or system of medicine, taught by Dhanwantari, and composed by his disciple Su’sruta. Ed. by Sri Madhusúdana Gupta. Vol. I. II. Calcutta 1835, 1836) und eine lateinische Uebersetzung: Su’srutas, Áyurvédas. Id est Medicinae systema, a venerabili D'Hanvantare demonstratum, a Su'sruta discipulo compositum. Nunc pr. ex Sanskrĭta in Latinum sermonem vertit Franc. Hessler. Erlangae 1844, 1847; 2 Bände. bekannten, aus dem Sanskrit in das Arabische übersetzt wurden. Avicenna: ein vielumfassender Geist, den man oft mit Albert dem Großen verglichen, giebt in seiner Materia medica selbst einen 256 recht auffallenden Beweis dieses Einflusses indischer Litteratur. Er kennt, wie der gelehrte Royle bemerkt, die Deodvara-Ceder»Deiudar (deodar) aus dem Geschlechte des abhel (juniperus; auch indische Tanne: welche eine eigene Milch, syr deiudar (flüssigen Terpentin), giebt«; sagt Avicenna. der schneebedeckten, gewiß im 11ten Jahrhundert von keinem Araber besuchten Himalaya-Alpen unter ihrem wahren Sanskrit-Namen und hält sie für einen hohen Wachholder-Baum, eine Juniperus-Art, welche zu Terpentinöl benutzt wird. Die Söhne von Averroes lebten am Hofe des großen Hohenstaufen, Friedrichs II, der einen Theil seiner naturhistorischen Kenntniß indischer Thiere und Pflanzen dem Verkehr mit arabischen Gelehrten und sprachkundigen spanischen JudenSpanische Juden aus Cordova brachten die Lehren des Avicenna nach Montpellier und trugen am meisten zur Stiftung dieser berühmten medicinischen Schule bei: die, nach arabischen Mustern gebildet, schon in das 12te Jahrhundert fällt. (Cuvier, Hist. des Sciences naturelles T. I. p. 387) verdankte. Der Chalife Abdurrahman I legte selbst einen botanischen Garten bei Cordova anUeber die Gartenanlagen in dem Palast von Rißafah, welchen Abdurrahman Ibn-Moawijeh erbaute, s. history of the Mohammedan dynasties in Spain, extracted from Ahmed Ibn Mohammed Al-Makkarí by Pascual de Gayangos Gol. I. 1840 p. 209–211. »En su Huerta plantó el Rey Abdurrahman una palma que era entonces (756) unica, y de ella procediéron todas las que hay en España. La vista del arbol acrecentaba mas que templaba su melancolia.« (Antonio Conde, hist. de la dominacion de los Arabes en España T. I. p. 169.) und ließ durch eigene Reisende in Syrien und andern asiatischen Ländern seltene Sämereien sammeln. Er pflanzte bei dem Pallaste der Rißafah die erste Dattelpalme: die er in einem Gedichte voll schwermüthiger Sehnsucht nach seiner Heimath Damascus besang.
Der wichtigste Einfluß aber, den die Araber auf das allgemeine Naturwissen ausgeübt haben, ist der gewesen, welcher auf die Fortschritte der Chemie gerichtet war. Mit den Arabern fing gleichsam ein neues Zeitalter für diese Wissenschaft an. Allerdings waren bei ihnen alchymistische und neuplatonische Phantasien mit der Chemie eben so verschwistert wie Astrologie mit der Sternkunde. Die Bedürfnisse der Pharmacie und die gleich dringenden der technischen Künste leiteten zu Entdeckungen, welche von den alchymistisch-metallurgischen Bestrebungen bald absichtlich, bald durch glückliche Zufälle begünstigt wurden. Die Arbeiten von Geber oder vielmehr Djaber (Abu-Mußah Dschafar al-Sufi) und die viel späteren des Razes 257 (Abu-Bekr Arrasi) sind von den wichtigsten Folgen gewesen. Die Bereitung von Schwefel- und SalpetersäureDie Bereitung der Salpetersäure und des Königswassers von Diaber (eigentlich Abu-Mußah Dschafar) ist über 500 Jahre älter als Albert der Große und Raymund Lullus, ja fast 700 Jahre älter als der Erfurter Mönch Basilius Valentinus. Doch wurde lange diesen Dreien die Epoche machende Entdeckung jener zerlegenden (aufschließenden) Säuren zugeschrieben., von Königswasser, Quecksilber-Präparaten und anderen Metall-Oxyden, die Kenntniß des alkoholischenUeber die Vorschrift des Razes zur Weingährung von Amylum und Zucker und zur Destillation des Alkohols s. Hoefer, hist. de la Chimie T. I. p. 325. Wenn auch Alexander von Aphrodisias (Joannis Philoponi Grammatici in libr. de generatione et interitu Comm. Venet. 1527 p. 97) eigentlich nur die Destillation des Seewassers umständlich beschreibt, so erinnert er doch schon daran, daß auch Wein destillirt werden könne. Diese Behauptung ist um so merkwürdiger, als Aristoteles die irrige Meinung vorträgt, durch natürliche Verdunstung steige aus dem Wein nur süßes Wasser auf (Meteorol. II, 3 p. 358 Bekker), wie aus dem Salzwasser des Meeres. Gährungsprocesses bezeichnen diese Epoche. Die erste wissenschaftliche Begründung und die Fortschritte der Chemie sind für die Geschichte der Weltanschauung um so wichtiger, als nun zuerst die Heterogenität der Stoffe und die Natur von Kräften erkannt wurden, die sich nicht durch Bewegung sichtbar verkündigen und neben der pythagoreisch-platonischen »Vollkommenheit« der Form auch der Mischung Geltung verschafften. Unterschiede der Form und Mischung sind aber die Elemente unseres ganzen Wissens von der Materie: die Abstractionen, unter denen wir glauben das allbewegte Weltganze zu erfassen, messend und zersetzend zugleich.
Was die arabischen Chemiker mögen aus ihrer Bekanntschaft mit der indischen Litteratur (den Schriften über das RasayanaDie Chemie der Inder, die alchymistischen Künste umfassend, heißt rasâyana (rasa: Saft, Flüssiges, auch Quecksilber; und âyana, Gang) und bildet nach Wilson die siebente Abtheilung des Âyur-Veda der Wissenschaft des Lebens oder der Lebensverlängerung (Royle, Hindoo Medicine p. 39–48). Die Inder kennen seit der ältesten Zeit (Royle p. 131) die Anwendung der Beizen bei der Calico- oder Kattun-Druckerei: einer ägyptischen Kunst, die man bei Plinius lib. XXXV cap. 11 no. 150 auf das deutlichste beschrieben findet. Der Name Chemie für Scheidekunst bezeichnet wörtlich ägyptische Kunst, Kunst des schwarzen Landes; denn schon Plutarch wußte (de Iside et Osir. cap. 33), »daß die Aegypter ihr Land wegen der schwarzen Erde Χημία nannten«. Die Inschrift von Rosette hat Chmi. Das Wort Chemie, auf Scheidekunst angewandt, finde ich zuerst in dem Decrete des Diocletian »gegen die alten Schriften der Aegypter, welche von der Chemie des Goldes und Silbers handeln (περὶ χημίας ἀργύρου καὶ χρυσοῦ)«: vergl. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie et de l'Astronomie nautique T. II. p. 314.), aus den uralten technischen Künsten der Aegypter, aus den neuen alchymistischen Vorschriften des Pseudo-Democritus und des Sophisten Synesius, oder gar aus chinesischen Quellen durch Vermittelung der Mongolen geschöpft haben: ist für jetzt schwer zu entscheiden. Nach den neuesten sehr sorgfältigen Untersuchungen eines berühmten Orientalisten, Herrn Reinaud, darf wenigstens die Erfindung des SchießpulversReinaud et Favé du feu grégeois, des feux de guerre des des origines de la poudre à canon, in ihrer histoire de l'Artillerie T. I. 1845 pag. 89–97, 201 und 211; Piobert, traité d'Artillerie 1836 p. 25; Beckmann, Technologie S. 342. und dessen Anwendung zur Fortschleuderung von hohlen Projectilen nicht den Arabern zugeschrieben werden. Hassan Al-Rammah, welcher zwischen 1285 und 1295 schrieb, kannte diese Anwendung nicht: während daß bereits im zwölften Jahrhundert, also fast 200 Jahre vor Berthold Schwarz, im Rammelsberge 258 am Harz eine Art Schießpulver zur Sprengung des Gesteins gebraucht wurde. Auch die Erfindung eines Luft-Thermometers wird nach einer Angabe des Sanctorius dem Avicenna zugeschrieben: aber diese Angabe ist sehr dunkel: und es verflossen noch sechs volle Jahrhunderte, bis Galilei, Cornelius Drebbel und die Academia del Cimento durch die Begründung einer genauen Wärmemessung ein großartiges Mittel verschafften in eine Welt unbekannter Erscheinungen einzudringen: den kosmischen Zusammenhang von Wirkungen im Luftkreise, in den über einander gelagerten Meeresschichten und in dem Inneren der Erde zu begreifen: Erscheinungen, deren Regelmäßigkeit und Periodicität Erstaunen erregt. Unter den Fortschritten, welche die Physik den Arabern verdankt, darf man nur Alhazen's Arbeit über die Strahlenbrechung, vielleicht theilweise der Optik des Ptolemäus entlehnt, und die Kenntniß und erste Anwendung des Pendels als ZeitmessersLaplace, précis de l'Hist. de l'Astronomie 1821 p. 60 und Am. Sédillot, mémoire sur les Instrum. astr. des Arabes 1841 p. 44. Auch Thomas Young (lectures on Natural Philsophy and the Mechanical Arts 1807 Vol. I. p. 191) zweifelt nicht daran, daß Ebn-Junis am Ende des zehnten Jahrhunderts das Pendel zur Zeitbestimmung angewandt hat; aber die Verbindung des Pendels mit Räderwerk schreibt er erst dem Sanctorius (1612, also 44 Jahre vor Huygens) zu. Von der überaus künstlichen Uhr, die unter den Geschenken sich befand, welche Harun Al-Raschid oder vielmehr der Chalif Abdallah aus Persien dem Kaiser Carl dem Großen zwei Jahrhunderte früher (807) nach Aachen schickte, sagt Eginhard bestimmt, daß sie durch Wasser bewegt wurde (Horologium ex aurichalco arte mechanica mirifice compositum, in quo duodecim horarum cursus ad clepsidram vertebatur); Einhardi Annales in Pertz Monumenta Germaniae historica, Scriptorum T. I. 1826 p. 195. Vergl. H. Mutius de Germanorum origine, gestis etc. Chronic. lib. VIII p. 57 in Pistorii Germanicorum scriptorum T. II. Francof. 1584; Bouquet. recueil des Historiens des Gaules T. V. p. 333 und 354. Die Stunden wurden angegeben durch das tönende Herabfallen kleiner Kugeln, wie durch das Hervortreten von kleinen Reitern aus eben so vielen sich öffnenden Thüren. Die Art, wie das Wasser in solchen Uhren wirkte, mag wohl bei Chaldäern, welche »die Zeit wogen« (durch das Gewicht der Flüssigkeit bestimmten), bei Griechen und Indern in den Klepsydren sehr verschieden gewesen sein; denn des Ktesibius hydraulisches Uhrwerk (unter Ptolemäus Evergetes II), welches das ganze Jahr hindurch zu Alexandria die bürgerlichen Stunden angab, kommt nach Ideler (Handbuch der Chronologie 1825 Bd. I. S. 231) nie unter der gemeinen Benennung κλεψύδρα vor. Nach Vitruvs Beschreibung (lib. IX cap. 4) war es eine wirkliche astronomische Uhr: ein horologium ex aqua, eine sehr zusammengesetzte machina hydraulica, durch gezähnte Räder (versatilis tympani denticuli aequales alius alium impellentes) wirkend. Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß die Araber: mit dem bekannt, was unter der römischen Weltherrschaft sich von verbesserten mechanischen Vorrichtungen verbreitet hatte, eine hydraulische Uhr mit Räderwerk (tympana quae nonnulli rotas appellant, Graeci autem περίτροχα: Vitruv. X, 4) zu Stande gebracht haben. Doch äußert noch Leibnitz (Annales Imperii occidentis Brunsvicenses ed. Pertz T. I. 1843 p. 247) seine Verwunderung über die Construction der Uhr des Harun Al-Raschid. (Abd-Allatif, trad. par Silvestre de Sacy p. 578) – Viel merkwürdiger ist aber das Kunstwerk gewesen, welches der Sultan von Aegypten 1232 dem Kaiser Friedrich II schickte. Es war ein großes Zelt, in dem Sonne und Mond, durch künstliche Vorrichtungen bewegt, auf- und untergingen und in richtigen Zwischenräumen die Stunden des Tags und der Nacht zeigten. In den Annales Godefridi monachi S. Pantaleonis apud Coloniam Agrippinam heißt es: »tentorium, in quo imagines Solis et Lunae artificialiter motae cursum suum certis et debitis spaciis peragrant et horas diei et noctis infallibiliter indicant« (Freheri rerum Germanicarum Scriptores T. I. Argentor. 1717 p. 398). Der Mönch Godefridus: oder wer sonst in der, vielleicht von mehreren Verfassern herrührenden und für das Kloster St. Pantaleon in Cöln eingerichteten Chronik (s. Böhmer, Fontes rerum Germanicarum Bd. 4. 1845 S. XXXIV––XXXVII) diese Jahre behandelt hat, lebte zur Zeit des großen Kaisers Friedrichs II selbst. Der Kaiser ließ das Kunstwerk, dessen Werth auf 20000 Mark angegeben wurde, in Venusium bei anderen Schätzen bewahren (Fried. von Raumer, Gesch. der Hohenstaufen Bd. III. S. 430). Daß, wie oft behauptet wird, das ganze Zelt sich wie das Himmelsgewölbe bewegt habe, ist mir sehr unwahrscheinlich. In der Chronica Monasterii Hirsaugiensis, die Trithemius herausgegeben, ist die Stelle der Annales Godefridi fast nur wiederholt (Joh. Trithemii Opera historica P. II. Francof. 1601 p. 180), ohne daß man über die mechanische Vorrichtung belehrt würde. Reinaud sagt, die Bewegung sei gewesen »par des ressorts cachés« (extraits des Historiens Arabes relatifs aux guerres des Croisades 1829 p. 435). durch den großen Astronomen Ebn-Junis erwähnen.
Wenn auch die Reinheit und dabei so selten gestörte Durchsichtigkeit des arabischen Himmels das Volk bereits in dem Zustand der frühesten Uncultur in seiner Heimath auf die Bewegung der Gestirne besonders aufmerksam gemacht hatte (neben dem Sterndienst des Jupiter unter den Lachmiten finden wir, bei dem Stamm der Asediten, selbst die Heiligung eines sonnennahen, seltener sichtbaren Planeten, des Merkur), so ist die so ausgezeichnete wissenschaftliche Thätigkeit der gebildeten Araber in allen Theilen der praktischen Astronomie doch wohl mehr chaldäischen und indischen Einflüssen zuzuschreiben. Zustände der Atmosphäre begünstigen nur, was durch geistige Anlagen und den 259 Verkehr mit gebildeteren Nachbarvölkern bei hochbegabten Stämmen hervorgerufen wird. Wie viele regenlose Gegenden des tropischen Amerika's (Cumana, Coro, Payta) haben eine noch durchsichtigere Luft als Aegypten, Arabien und Bochara! Das tropische Klima, die ewige Heiterkeit des in Sternen und Nebelflecken prangenden Himmelsgewölbes wirken überall auf das Gemüth: doch folgenreich: d. h. zu Ideen führend, zur Arbeit des Menschengeistes in Entwickelung mathematischer Gedanken, regen sie nur da an, wo andere, vom Klima ganz unabhängige, innere und äußere Antriebe einen Völkerstamm bewegen: wo z. B. die genaue Zeiteintheilung zur Befriedigung religiöser oder agronomischer Bedürfnisse eine Nothwendigkeit des geselligen Zustandes wird. Bei rechnenden Handelsvölkern (Phöniciern); bei construirenden, baulustigen, feldmessenden Nationen (Chaldäern und Aegyptern) werden früh empirische Regeln der Arithmetik und der Geometrie aufgefunden: aber alles dies kann nur die Entstehung mathematischer und astronomischer Wissenschaft vorbereiten. Erst bei höherer Cultur wird gesetzliche Regelmäßigkeit der Veränderungen am Himmel in den irdischen Erscheinungen wie reflectirt erkannt; auch in letzteren, laut dem Ausspruch unseres großen Dichters, nach dem »ruhenden Pole« geforscht. Die Ueberzeugung von dem Gesetzmäßigen in der Planeten-Bewegung hat unter allen Klimaten am meisten dazu beigetragen: in dem wogenden Luftmeere, in den Oscillationen des Oceans, in dem periodischen Gange der Magnetnadel, in der Vertheilung des Organismus auf der Erdfläche Gesetz und Ordnung zu suchen.
Die Araber erhielten indische PlanetentafelnUeber die indischen Tafeln, welche Alphazari und Alkoresmi ins Arabische übersetzt haben, s. Chasles, recherches sur l'Astronomie indienne in den Comptes rendus des séances de l'Acad. des Sciences T. XXIII. 1846 p. 846–850. Die Substitution der Sinus für die Bögen, welche man gewöhnlich dem Albategnius im Anfang des zehnten Jahrhunderts zuschreibt, gehört ursprünglich auch den Indern; Sinus-Tafeln finden sich schon in dem Surya-Siddhanta. schon 260 am Ende des achten Jahrhunderts. Wir haben bereits oben erinnert, daß der Susruta, der uralte Inbegriff aller medicinischen Kenntnisse der Inder, von Gelehrten übersetzt wurde, welche zu dem Hofe des Chalifen Harun Al-Raschid gehörten: ein Beweis, wie sehr die Sanskrit-Litteratur früh Eingang gefunden hatte. Der arabische Mathematiker Albyruni ging selbst nach Indien, um dort Astronomie zu studiren. Seine Schriften, die erst neuerlichst zugänglich geworden sind, beweisen, wie genau er das Land, die Traditionen und das vielumfassende Wissen der Inder kannte.Reinaud, fragments arabes relatifs à l'Inde p. XII–XVII, 96–126 und besonders 135–160. Albyruni's eigentlicher Name war Abul-Ryhan. Er war gebürtig aus Byrun im Indus-Thale, war ein Freund des Avicenna und lebte mit ihm in der arabischen Akademie, die sich im Charezm gebildet hatte. Sein Aufenthalt in Indien wie die Abfassung seiner Geschichte von Indien (târîkhi-Hind), aus welcher Reinaud die merkwürdigsten Bruchstücke bekannt gemacht hat, fallen in die Jahre 1030–1032.
Aber die arabischen Astronomen: so viel sie den früher civilisirten Völkern, vorzüglich den indischen und alexandrinischen Schulen, verdankten, haben doch auch, bei ihrem eigenthümlichen praktischen Sinne: durch die große Zahl und die Richtung ihrer Beobachtungen, durch die Vervollkommnung der winkelmessenden Instrumente, durch das eifrigste Bestreben die älteren Tafeln bei sorgfältiger Vergleichung mit dem Himmel zu verbessern, das Gebiet der Astronomie ansehnlich erweitert. In dem siebenten Buche von dem Almagest des Abul-Wefa hat Sédillot die wichtige Störung der Länge des Mondes erkannt: welche in den Syzygien und Quadraturen verschwindet, ihren größten Werth in den Octanten hat und bisher unter dem Namen der Variation lange für Tycho's Entdeckung gehalten wurde.Sédillot, matériaux pour servir à l'histoire comparée des sciences mathématiques chez les Grecs et les Orientaux T. I. p. 50–89; derselbe in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. II. 1836 p. 202, T. XVII. 1843 p. 163–173, T. XX. 1845 p. 1308. Gegen diese Meinung behauptet Herr Biot, daß die schöne Entdeckung des Tycho dem Abul-Wefa keinesweges gehöre: daß dieser nicht die variation, sondern nur den zweiten Theil der évection gekannt habe; s. Journal des Savants 1843 p. 513–532, 609–626, 719–737; 1845 p. 146–166, und Comptes rendus T. XX. 1845 p. 1319–1323. Die Beobachtungen von Ebu-Junis in Cairo sind für die Störungen und secularen Bahn-Aenderungen der beiden größten Planeten, Jupiter und Saturn, besonders wichtig geworden.Laplace, expos. du Système du Monde note V p. 407. Eine Gradmessung, welche der Chalif Al-Mamun in der großen Ebene von Sindschar zwischen Tadmor und Rakka durch Beobachter ausführen ließ, deren 261 Namen uns Ebu-Junis erhalten hat, ist minder wichtig durch ihr Resultat als durch das Zeugniß geworden, das sie uns von der wissenschaftlichen Bildung des arabischen Menschenstammes gewährt.
Als der Abglanz einer solchen Bildung müssen betrachtet werden: im Westen, im christlichen Spanien, der astronomische Congreß zu Toledo unter Alfons von Castilien: auf dem der Rabbiner Isaac Ebn-Sid-Hazan die Hauptrolle spielte; im fernen Osten die von Ilschan Holagu, dem Enkel des Weltstürmers Dschingischan, auf einem Berge bei Meragha mit vielen Instrumenten ausgerüstete Sternwarte, in welcher Naßir-Eddin aus Tus in Chorasan seine Beobachtungen anstellte. Diese Einzelheiten verdienen in der Geschichte der Weltanschauung in so fern Erwähnung, als sie lebhaft daran erinnern, wie die Erscheinung der Araber vermittelnd in weiten Räumen auf Verbreitung des Wissens und Anhäufung der numerischen Resultate gewirkt hat: Resultate, die in der großen Epoche von Kepler und Tycho wesentlich zur Begründung der theoretischen Sternkunde und einer richtigen Ansicht von den Bewegungen im Himmelsraume beigetragen haben. Das Licht, welches in dem von tartarischen Völkern bewohnten Asien angezündet war, verbreitete sich im 15ten Jahrhundert weiter in Westen bis Samarkand: wo der Timuride Ulugh Beig neben der Sternwarte ein Gymnasium nach Art des alexandrinischen Museums stiftete und einen Sternencatalog anfertigen ließ, der sich ganz auf neue und eigene Beobachtungen gründeteUeber die Sternwarte von Meragha s. Delambre, Histoire de l'Astronomie du moyen âge p. 198–203 und Am. Sédillot, mém. sur les Instr. arabes 1841 p. 201–205, wo der Gnomon mit cirkelrunder Oeffnung beschrieben wird; über das Eigenthümliche des Sterncatalogs von Ulugh Beig s. J. J. Sédillot, traité des Instruments astronomiques des Arabes 1834 p. 4..
Nach dem Lobe, welches hier dem Naturwissen der Araber in beiden Sphären, der Erdräume und des Himmels, gezollt worden ist, haben wir auch an das zu erinnern, 262 was sie, am den einsamen Wegen der Gedankenentwickelung, dem Schatze des reinen mathematischen Wissens hinzufügten. Nach den neuesten Arbeiten, welche in England, Frankreich und DeutschlandColebrooke, Algebra with Arithmetic and Mensuration, from the Sanscrit of Brahmegupta and Bhascara, Lond. 1817; Chasles, aperçu historique sur l'origine et le développement des méthodes en Géométrie 1837 p. 416–592; Nesselmann, Versuch einer kritischen Geschichte der Algebra Th. I. S. 30–61, 273–276, 302–306. über die Geschichte der Mathematik unternommen worden sind, ist die Algebra der Araber »wie aus zwei lange von einander unabhängig fließenden Strömen, einem indischen und einem griechischen, ursprünglich entstanden«. Das Compendium der Algebra, welches auf Befehl des Chalifen Al-Mamun der arabische Mathematiker Mohammed Ben-Musa (der Chorawezmier) verfaßte, gründet sich, wie mein so früh dahingeschiedener gelehrter Freund Friedrich Rosen erwiesen hatAlgebra of Mohammed ben Musa, edited and translated by F. Rosen, 1831 p. VIII, 72 und 196–199. Auch nach China verbreiteten sich gegen das Jahr 720 die mathematischen Kenntnisse der Inder: aber zu einer Zeit, wo schon viele Araber in Canton und in anderen chinesischen Städten angesiedelt waren; Reinaud, relation des Voyages faits par les Arabes dans l'Inde et à la Chine T. I. p. XIV, T. II. p. 36., nicht auf Diophantus, sondern auf indisches Wissen; ja schon unter Almansor am Ende des achten Jahrhunderts waren indische Astronomen an den glänzenden Hof der Abbassiden berufen. Diophantus wurde nach Casiri und Colebrooke erst gegen das Ende des zehnten Jahrhunderts von Abul-Wefa Buzjani ins Arabische übersetzt. Was bei den alten indischen Algebristen soll vermißt werden, die von Satz zu Satz fortschreitende Begründung des Erlangten, hatten die Araber der alexandrinischen Schule zu verdanken. Ein so schönes von ihnen vermehrtes Erbtheil ging im zwölften Jahrhunderte durch Johannes Hispalensis und Gerhard von Cremona in die europäische Litteratur des Mittelalters über.Chasles, histoire de l'Algèbre in den Comptes rendus T. XIII. 1841 p. 497–524, 601–626; vergl. auch Libri eben daselbst p. 559–563. »In den algebraischen Werken der Inder findet sich die allgemeine Lösung der unbestimmten Gleichungen des ersten Grades und eine weiter ausgebildete Behandlung derer des zweiten als in den auf uns gekommenen Schriften der Alexandriner; es unterliegt daher keinem Zweifel, daß, wären die Werke der Inder zwei Jahrhunderte früher und nicht erst in 263 unseren Tagen den Europäern bekannt geworden, sie auf die Entwickelung der modernen Analysis fordernd hätten einwirken müssen.«
Auf demselben Wege und durch dieselben Verhältnisse, welche den Arabern die Kenntniß der indischen Algebra zuführten, erhielten diese auch in Persien und am Euphrat die indischen Zahlzeichen im neunten Jahrhundert. Perser waren damals als Zollbediente am Indus angestellt, und der Gebrauch der indischen Zahlen hatte sich allgemein in die Zollämter der Araber im nördlichen Afrika (den Küsten von Sicilien gegenüber) verpflanzt. Dennoch machen die wichtigen und überaus gründlichen historischen Untersuchungen, zu welchen ein ausgezeichneter Mathematiker, Herr Chasles, durch seine richtige Interpretation der sogenannten pythagorischen Tafel in der Geometrie des Boethius veranlaßt worden istChasles, aperçu historique des méthodes en Géométrie 1837 p. 464–472; derselbe in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. VIII. 1839 p. 78, T. IX. 1839 p. 449, T. XVI. 1843 p. 156–173 und 218–246, T. XVII. 1843 p. 143–154., es mehr als wahrscheinlich, daß die Christen im Abendlande selbst früher als die Araber mit den indischen Zahlen vertraut waren und daß sie unter dem Namen des Systems des Abacus den Gebrauch der neun Ziffern nach ihrem Stellenwerthe kannten.
Es ist hier nicht der Ort diesen Gegenstand, welcher mich schon früher (1819 und 1829) in zwei, der Académie des Inscriptions zu Paris und der Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorgelegten Abhandlungen beschäftigt hatHumboldt über die bei verschiedenen Völkern üblichen Systeme von Zahlzeichen und über den Ursprung des Stellenwerthes in den indischen Zahlen, in Crelle's Jonrnal für die reine und angewandte Mathematik Bd. IV. (1829) S. 205–231: vergl. auch mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. IV. p. 275. »In der einfachen Herzählung der verschiedenen Methoden, welche Völker, denen die indische Positions-Arithmetik unbekannt war, angewandt haben, um die multipla der Fundamental-Gruppen auszudrücken, liegt, glaube ich, die Erklärung von der allmäligen Entstehung des indischen Systems. Wenn man die Zahl 3568 perpendicular oder horizontal durch Hülfe von Indicatoren ausdrückt, welche den verschiedenen Abtheilungen des Abacus entsprechen (also
so erkennt man leicht, daß die Gruppenzeichen (M, C . . .) weggelassen werden können. Unsere indischen Zahlen sind aber nichts anderes als jene Indicatoren; sie sind Multiplicatoren der verschiedenen Gruppen. An diese alleinige Bezeichnung durch Indicatoren erinnert auch der alt-asiatische Suanpan (die Rechenmaschine, welche die Mongolen in Rußland eingeführt haben) mit auf einander folgenden Reihen von Schnüren der Tausende, Hunderte, Zehner und Einheiten. Diese Schnüre würden bei dem eben angeführten numerischen Beispiele 3, 5, 6 und 8 Kugeln darbieten. Im Suanpan ist kein Gruppenzeichen sichtbar; die Gruppenzeichen sind die Stellen selbst, und diese Stellen (Schnüre) werden mit Einheiten (3, 5, 6 und 8), als Multiplicatoren oder Indicatoren, angefüllt. Auf beiden Wegen, dem der figurativen (schreibenden) und dem der palpablen (betastenden) Arithmetik, gelangt man demnach zur Position: zum Stellenwerth, zum einfachen Gebrauch von neun Zahlen. Ist die Schnur leer, so bleibt die Stelle im Schreiben offen; fehlt eine Gruppe (ein Glied der Progression), so wird graphisch die Leere durch die Hieroglyphen der Leere (sûnya, sifron, tzüphra) ausgefüllt. In der Methode des Eutocius finde ich bei der Gruppe der Myriaden die erste Spur des für den Orient so wichtigen Exponential- oder vielmehr Indications-Systems unter den Grieche. Mα, Mβ, Mγ bezeichnen 10000, 20000, 30000. Was hier bei den Myriaden allein angewandt wird: geht bei den Chinesen und den Japanesen, die ihre Cultur von den Chinesen erst 200 Jahre vor unserer Zeitrechnung erhielten, durch alle multipla der Gruppen hindurch. Im Gobar, der arabischen Staubschrift, welche von meinem verewigten Freunde und Lehrer Silvestre de Sacy in einem Manuscript aus der Bibliothek der alten Abtei St. Germain des Prés entdeckt worden ist, sind die Gruppenzeichen Punkte, also Nullen; denn in Indien, Tübet und Persien sind Nullen und Punkte identisch. Man schreibt im Gobar 3. statt 30, 4.. statt 400, 6·.· statt 6000. Die indischen Zahlen und die Kenntniß des Stellenwerths muß neuer sein als die Trennung der Inder und der Arier: denn das Zendvolk bediente sich der unbehülflichen Pehlwi-Zahlen. Für eine successive Vervollkommnung der Zahlenbezeichnung in Indien scheinen mir besonders die Tamul-Ziffern zu sprechen: welche durch neun Zeichen der Einheiten und durch besondere Gruppenzeichen für 10, 100 und 1000 alle Werthe mittelst links zugefügter Multiplicatoren ausdrücken. Für eine solche allmälige Vervollkommnung sprechen auch die sonderbaren ἀριϑμοὶ ἰνδικοί in einem vom Prof. Brandis in der Pariser Bibliothek aufgefundenen und mir gütigst zur Bekanntmachung mitgetheilten Scholion des Mönches Neophytos. Die neun Ziffern des Neophytos sind, außer der 4, ganz den jetzigen persischen ähnlich; aber diese neun Einheiten werden 10fach, 100fach, 1000fach dadurch erhöht, daß man ein oder zwei oder drei Nullzeichen darüber schreibt: gleichsam wie Denken wir uns statt der Null bloß Punkte, so haben wir die arabische Staubschrift, Gobar. So wie nach der oftmaligen Aeußerung meines Bruders, Wilhelms von Humboldt, das Sanskrit sehr unbestimmt durch die Benennungen indische und alt-indische Sprache bezeichnet wird, da es auf der indischen Halbinsel mehrere sehr alte, vom Sanskrit gar nicht abstammende Sprachen giebt; so ist auch der Ausdruck: indische, altindische Ziffern im allgemeinen sehr unbestimmt; und eine solche Unbestimmtheit bezieht sich sowohl auf die Gestaltung der Zahlzeichen als auf den Geist der Methoden: der sich ausspricht bald durch bloße Beifügung (Juxtaposition), bald durch Coefficienten und Indicatoren, bald durch eigentlichen Stellenwerth. Selbst die Existenz eines Nullzeichens ist, wie das Scholion des Neophytos beweist, in indischen Ziffern noch kein nothwendiges Bedingniß des einfachen Stellenwerthes. Die tamulsprechenden Inder haben von ihrem Alphabet scheinbar abweichende Zahlzeichen, von denen die 2 und die 8 eine schwache Aehnlichkeit mit den Devanagari-Ziffern von 2 und 5 haben (Rob. Anderson, rudiments of Tamul grammar 1821 p. 135; und doch beweist eine genaue Vergleichung, daß die tamulischen Ziffern von der alphabetischen Tamulschrift abgeleitet sind. Noch verschiedener von den Devanagari-Zahlen sind nach Carey die cingalesischen. In diesen nun und in den tamulischen findet man keinen Stellenwerth und kein Nullzeichen, sondern Hieroglyphen für die Gruppen von Zehnern, Hunderten und Tausenden. Die Cingalesen operiren wie die Römer durch Juxtaposition, die Tamulen durch Coefficienten. Das wirkliche Nullzeichen als etwas fehlendes wendet Ptolemäus sowohl im Almagest als in seiner Geographie in der abwärts steigenden Scala für fehlende Grade und Minuten an. Das Nullzeichen ist demnach im Occident weit älter als der Einbruch der Araber.« (S. meine oben angeführte und in Crelle's mathematischem Journale abgedruckte Abhandlung S. 215, 219, 223 und 227.)
3
M5
C6
X8
I),
o
2
für zwanzig,
o
24
für vierundzwanzig, also durch Juxtaposition;
oo
5
für fünfhundert,
oo
36
für dreihundert und sechs
Wie nun die Algebra der Araber durch das, was dies morgenländische Volk von Griechen und Indern aufgenommen und selbst geschaffen, trotz einer großen Dürftigkeit in der symbolischen Bezeichnung, wohlthätig auf die glänzende Periode der italiänischen Mathematiker des Mittelalters gewirkt hat; so bleibt auch den Arabern das Verdienst, von Bagdad bis Cordova durch ihre Schriften und ihren ausgebreiteten Handelsverkehr den Gebrauch des indischen Zahlensystems beschleunigt zu haben. Beide Wirkungen, die gleichzeitige Verbreitung der Wissenschaft und der numerischen Zeichen mit Stellenwerth, haben verschiedenartig, aber mächtig, die Fortschritte des mathematischen Theils des Naturwissens befördert: den Zugang zu entlegenen Regionen in der Astronomie, in der Optik, in der physischen Erdkunde, in der Wärmelehre, in der Theorie des Magnetismus erleichtert: welche ohne jene Hülfsmittel uneröffnet geblieben wären.
Man hat mehrmals in der Völkergeschichte die Frag aufgeworfen, welche Folge die Weltbegebenheiten würden 265 gehabt haben, wenn Carthago Rom besiegt und das europäische Abendland beherrscht hätte? »Man kann mit gleichem Rechte fragen«, sagt Wilhelm von HumboldtWilh. von Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. CCLXII. Vergl. auch die treffliche Schilderung der Araber in Herder's Ideen zur Gesch. der Menschheit Buch XIX, 4 und 5., »in welchem Zustande sich unsere heutige Cultur befinden würde, wenn die Araber, wie sie es eine lange Zeit hindurch waren, im alleinigen Besitz der Wissenschaft geblieben wären und sich über das Abendland dauernd verbreitet hätten? Ein weniger günstiger Erfolg scheint mir in beiden Fällen nicht zweifelhaft. Derselben Ursache, welche die römische Weltherrschaft hervorbrachte: dem römischen Geist und Charakter, nicht äußeren mehr zufälligen Schicksalen, verdanken wir den Einfluß der Römer auf unsere bürgerlichen Einrichtungen, auf unsere Gesetze, Sprache und Cultur. Durch diesen wohlthätigen Einfluß und durch innere Stammverwandtschaft wurden wir für griechischen Geist und griechische Sprache empfänglich: da die Araber vorzugsweise nur an den wissenschaftlichen Resultaten griechischer Forschung (den naturbeschreibenden, physischen, astronomischen, rein mathematischen) hingen.« Die Araber haben, bei sorgsamer Bewahrung der reinsten heimischen Mundart und des Scharfsinnes ihrer bildlichen Reden, dem Ausdruck der Gefühle und edeln Weisheitssprüchen allerdings die Anmuth dichterischer Färbung zu geben gewußt; aber sie würden, nach dem zu urtheilen, was sie unter den Abbassiden waren, auch auf der Grundlage desselben Alterthums, mit dem wir sie vertraut finden, wohl nie vermocht haben die Werke erhabener Dichtung und bildend-schaffenden Kunstsinnes ins Leben zu rufen, deren sich in harmonischer Verschmelzung die Blüthezeit unserer europäischen Cultur zu rühmen hat.
Zeit der oceanischen Entdeckungen. – Eröffnung der westlichen Hemisphäre. – Begebenheiten und Erweiterung wissenschaftlicher Kenntnisse, welche die oceanischen Entdeckungen vorbereitet haben. – Columbus, Sebastian Cabot und Gama. – Amerika und das stille Meer. – Cabrillo, Sebastian Vizcalno, Mendaña und Quiros. – Die reichste Fülle des Materials zur Begründung der physischen Erdbeschreibung wird den westlichen Völkern Europa's dargeboten.
Das funfzehnte Jahrhundert gehört zu den seltenen Zeitepochen, in denen alle Geistesbestrebungen einen bestimmten und gemeinsamen Charakter andeuten, die unabänderliche Bewegung nach einem vorgesteckten Ziele offenbaren. Die Einheit dieses Strebens, der Erfolg, welcher es gekrönt, die handelnde Thatkraft ganzer Völkermassen geben dem Zeitalter des Columbus, des Sebastian Cabot und Gama Größe und dauernden Glanz. In der Mitte von zwei verschiedenen Bildungsstufen der Menschheit, ist das funfzehnte Jahrhundert gleichsam eine Uebergangs-Epoche, welche beiden, dem Mittelalter und dem Anfang der neueren Zeit, angehört. Es ist die Epoche der größten Entdeckungen im Raume: solcher, die fast alle Breitengrade und alle Höhen der Erdoberfläche umfassen. Wenn dieselbe für die Bewohner Europa's die Werke der Schöpfung verdoppelt hat, 267 so bot sie zugleich der Intelligenz neue und mächtige Anregungsmittel zur Vervollkommnung der Naturwissenschaften in ihren physischen und mathematischen Theilen dar.Vergl. Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. VIII und XIX.
Wie in Alexanders Heerzügen, aber mit noch überwältigenderer Macht, drängte sich jetzt die Welt der Objecte, in den Einzelformen des Wahrnehmbaren wie in dem Zusammenwirken lebendiger Kräfte, dem combinirenden Geiste auf. Die zerstreuenden Bilder sinnlicher Anschauung wurden, trotz ihrer Fülle und Verschiedenartigkeit, allmälig zu einem concreten Ganzen verschmolzen, die irdische Natur in ihrer Allgemeinheit aufgefaßt: eine Frucht wirklicher Beobachtung: nicht nach bloßen Ahndungen, die in wechselnden Gestalten der Phantasie vorschweben. Auch das Himmelsgewölbe entfaltete dem noch immer unbewaffneten Auge neue Gebiete, nie gesehene Sternbilder, einzeln kreisende Nebelwolken. Zu keiner anderen Zeit (wir haben es bereits oben bemerkt) ist einem Theile des Menschengeschlechts ein größerer Reichthum von Thatsachen, ein größeres Material zur Begründung der vergleichenden physischen Erdbeschreibung dargeboten worden. Niemals haben aber auch Entdeckungen im Raume, in der materiellen Welt: durch Erweiterung des Gesichtskreises, durch Vervielfältigung der Erzeugnisse und Tauschmittel, durch Colonien von einem Umfange, wie man sie nie gekannt, außerordentlichere Veränderungen in den Sitten, in den Zuständen langer Knechtschaft eines Theils der Menschheit und ihres späten Erwachens zu politischer Freiheit hervorgerufen.
Was in jedem einzelnen Zeitpunkte des Völkerlebens einen wichtigen Fortschritt der Intelligenz bezeichnet, hat seine tiefen Wurzeln in der Reihe vorhergehender 268 Jahrhunderte. Es liegt nicht in der Bestimmung des menschlichen Geschlechts, eine Verfinsterung zu erleiden, die gleichmäßig das ganze Geschlecht ergriffe. Ein erhaltendes Princip nährt den ewigen Lebensproceß der fortschreitenden Vernunft. Die Epoche des Columbus erlangte nur deshalb so schnell die Erfüllung ihrer Bestimmungen, weil befruchtende Keime von einer Reihe hochbegabter Männer ausgestreuet worden waren, die wie ein Lichtstreifen durch das ganze Mittelalter, durch finstere Jahrhunderte hindurchgeht. Ein einziges derselben, das dreizehnte, zeigt uns Roger Baco, Nicolaus Scotus, Albert den Großen, Vincentius von Beauvais. Die erweckte Geistesthätigkeit trug bald ihre Früchte in Erweiterung der Erdkunde. Als Diego Ribero im Jahr 1525 von dem geographisch-astronomischen Congreß zurückkam, welcher an der Puente de Caya nahe bei Yelves zur Schlichtung der Streitigkeiten über die Grenze zweier Weltreiche, der portugiesischen und spanischen Monarchie, gehalten wurde: waren schon die Umrisse des Neuen Continents von dem Feuerlande bis an die Küsten von Labrador verzeichnet. Auf der westlichen Seite, Asien gegenüber, waren die Fortschritte natürlich langsamer. Doch war Rodriguez Cabrillo 1543 schon nördlicher als Monterey vorgedrungen; und wenn auch dieser große und kühne Seefahrer seinen Tod in dem Canal von Santa Barbara bei Neu-Californien fand, so führte der Steuermann der Expedition, Bartholomäus Ferrelo, doch die Expedition bis 43° der Breite, wo Vancouver's Vorgebirge Orford liegt. Die wetteifernde Thätigkeit der Spanier, Engländer und Portugiesen, auf einen und denselben Gegenstand gerichtet, war damals so groß, daß ein halbes 269 Jahrhundert genügte, um die äußere Gestaltung der Ländermasse in der westlichen Halbkugel, d. h. die Hauptrichtung ihrer Küsten, zu bestimmen.
Wenn die Bekanntschaft der Völker Europa's mit dem westlichen Theile des Erdballes der Hauptgegenstand ist, welchem wir diesen Abschnitt widmen und um welchen sich als folgenreichste Begebenheit so viele Verhältnisse der richtigeren und großartigeren Weltansicht gruppiren, so muß die unbestreitbar erste Entdeckung von Amerika in seinen nördlichen Theilen durch die Normänner von der Wieder-Auffindung desselben Continents in seinen tropischen Theilen streng geschieden werden. Als noch das Chalifat in Bagdad unter den Abbassiden blühete, wie in Persien die der Poesie so günstige Herrschaft der Samaniden, wurde Amerika um das Jahr 1000 von Leif, dem Sohne Erik's des Rothen, vom Norden her bis zu 41°½ nördlicher Breite entdeckt.Gesehen wurden Theile von Amerika, aber nicht betreten, schon 14 Jahre vor Leif Eireksson: auf der Schifffahrt, die Bjarne Herjulfsson von Grönland gegen Süden im Jahr 986 unternahm. Dieser sah zuerst das Land in der Insel Nantucket, einen Grad südlich von Boston; dann in Neu-Schottland, und zuletzt in Neufundland: das später Litla Helluland, nie aber Winland genannt wurde. Der Busen, welcher Neufundland von dem Ausfluß des großen Laurentius-Stromes trennt, hieß bei den Normännern, die auf Island und Grönland angesiedelt waren, Marklands-Busen. S. Caroli Christiani Rafn Antiquitates Americanae 1845 p. 4, 421, 423 und 463. Der erste, aber zufällige Anstoß zu dieser Begebenheit kam aus Norwegen. Naddod war in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts, da er nach den schon früher von den Irländern besuchten Färöern hatte schiffen wollen, durch Sturm nach Island verschlagen. Die erste normännische Ansiedelung daselbst geschah (875) durch Ingolf. Grönland: die östliche Halbinsel einer Ländermasse, welche überall durch Meereswasser vom eigentlichen Amerika getrennt erscheint, wurde früh gesehenGunnbjörn wurde nach den von ihm benannten Gunnbjörns-Scheeren, die Capitän Graab neuerlichst wieder-entdeckt hat, im Jahre 876 oder 877 verschlagen: er hat zuerst die Ostküste von Grönland gesehen, ohne dort zu landen. (Rafn, Antiquit. Amer. p. 11, 93 und 304.), aber erst hundert Jahre nachher (983) von Island aus bevölkert. Die Colonisirung von Island, welches Naddod zuerst Schneeland, Snjoland, genannt hatte, führte nun über Grönland in südwestlicher Richtung nach dem Neuen Continent.
Die Färöer und Island muß man als 270 Zwischenstationen, als Anfangspunkte zu Unternehmungen nach dem amerikanischen Scandinavien betrachten. Auf ähnliche Weise hatte die Niederlassung zu Carthago den Tyriern zur Erreichung der Meerenge von Gadeira und des Hafens Tartessus gedient: eben so führte Tartessus dies unternehmende Volk von Station zu Station nach Cerne, dem Gauleon (der Schiffsinsel) der Carthager.Kosmos Bd II. S. 163.
Trotz der Nähe der gegenüberliegenden Küste von Labrador (Helluland it mikla) vergingen doch 125 Jahre von der ersten Ansiedelung der Normänner auf Island bis zu Leif's großer Entdeckung von Amerika. So gering waren die Mittel, welche zur Förderung der Schifffahrt in diesen abgelegenen öden Erdwinkel von einem edeln, kräftigen, aber armen Menschenstamme angewandt werden konnten. Die Küstenstrecke Winland, so wegen der von einem Deutschen, Tyrker, dort aufgefundenen wilden Weintrauben genannt, reizte durch Fruchtbarkeit des Bodens und Milde des Klima's in Vergleich mit Island und Grönland. Durch Leif mit dem Namen des guten Winlands (Vinland it goda) bezeichnet, begriff es das Littoral zwischen Boston und Neu-York: also Theile der jetzigen Staaten Massachusetts, Rhode-Island und Connecticut, zwischen den Breitenparallelen von Cività vecchia und Terracina; denen aber hier doch nur die mittlerenDiese amerikanischen Jahres-Temperaturen der östlichen Küste unter den Parallelen von 42° 25' und 41° 15' entsprechen in Europa den Breiten von Berlin und Paris: also Orten, die 8° bis 10° nördlicher liegen. Dazu ist auf der Ostküste von Nordamerika die Abnahme der Jahres-Temperatur von niederen zu höheren Breiten so schnell, daß in dem Breiten-Unterschiede von Boston und Philadelphia, welcher 2° 41' beträgt, 1° Breite in der Jahres-Temperatur eine Wärme-Abnahme von fast 2° des hunderttheiligen Thermometers hervorbringt: während in dem System der isothermen Linien von Europa die Abnahme der Jahres-Temperatur nach meinen Untersuchungen (Asie centrale T. III. p. 227) für denselben Abstand kaum einen halben Grad ausmacht. Jahres-Temperaturen von 8°,8 und 11°,2 entsprechen. Das war die Haupt-Ansiedelung der Normänner. Die Colonisten hatten oft mit dem recht kriegerischen Stamme der Esquimaux, welcher damals unter dem Namen der Skrälinger viel südlicher verbreitet war, zu kämpfen. Der erste grönländische Bischof, Erik Upsi, ein Isländer, unternahm 1121 eine christliche Missionsfahrt nach Winland; und 271 der Name des colonisirten Landes ist sogar in alten National-Gesängen bei den Eingeborenen der Färöer aufgefunden worden.S. Carmen Faeröicum, im quo Vinlandiae mentio fit (Rafn, Antiquit. Amer. p. 320 und 332).
Von der Thätigkeit und dem kühnen Unternehmungsgeiste der isländischen und grönländischen Abenteurer zeugt der Umstand, daß, nachdem sie sich im Süden bis unter 41°½ Breite angesiedelt, sie an der Ostküste der Baffinsbai unter der Breite von 72° 55' auf einer der Weiber-InselnDer Runenstein war auf dem höchsten Punkte der Insel Kingiktorsoak gesetzt: »an dem Samstage vor dem Siegestage«, d. i. vor dem 21 April: einem heidnischen Hauptfeste der alten Scandinavier, das bei der Annahme des Christenthums in ein christliches Fest verwandelt wurde; Rafn, Antiquit. Amer. p. 347–355. Ueber die Zweifel an den Runenzahlen, welche Brynjulfsen, Mohnike und Klaproth geäußert, s. mein Examen crit. T. II. p. 97–101; doch halten Brynjulfsen und Graah nach anderen Kennzeichen das wichtige Monument der Woman's Islands (wie die zu Igalikko und Egegeit, Br. 60° 51' und 60° 0', gefundenen Runenschriften und die Ruinen von Gebäuden bei Upernavik, Br. 72° 50') bestimmt für dem 11ten und 12ten Jahrhundert angehörig., nordwestlich von der jetzt nördlichsten dänischen Colonie Upernavick, drei Grenzsäulen aufrichteten. Der Runenstein, welchen man im Herbst des Jahres 1824 aufgefunden, enthält nach Rask und Finn Magnusen die Jahrzahl 1135. Von dieser östlichen Küste der Baffinsbai aus besuchten die Ansiedler des Fischfangs wegen sehr regelmäßig den Lancaster-Sund und einen Theil der Barrow-Straße, und zwar mehr denn sechs Jahrhunderte vor den kühnen Unternehmungen von Parry und Roß. Die Localität des Fischfanges ist sehr bestimmt beschrieben, und grönländische Priester aus dem Bisthum Gardar leiteten (1266) die erste Entdeckungsfahrt. Man nannte diese nordwestliche Sommerstation die Kroksfjardar-Heide. Es geschieht schon Erwähnung des angeschwemmten (gewiß sibirischen ) Treibholzes, welches man dort sammelte; der vielen Wallfische, Phoken, Wallrosse und Seebären.Rafn, Antiquit. Amer. p. 20, 274 und 415–418 (Wilhelmi über Island, Hvitramannaland, Grönland und Vinland S. 117–121). – Nach einer sehr alten Saga wurde auch 1194 die nördlichste Ostküste von Grönland unter der Benennung Svalbard in einer Gegend besucht, die dem Scoresby-Lande entspricht: nahe dem Punkte, wo mein Freund, der damalige Capitän Sabine, seine Pendel-Beobachtungen gemacht und wo ich (73° 16') ein sehr unfreundliches Vorgebirge besitze: Rafn, Amtiquit. Amer. p. 303 und aperçu de l'ancienne Géographie des régions arctiques de l'Amérique 1847 p. 6.
Ueber den Verkehr des hohen europäischen Nordens, wie über den der Grönländer und Isländer mit dem eigentlichen amerikanischen Continent reichen sichere Nachrichten nur bis in die Mitte des 14ten Jahrhunderts. Noch im Jahr 1347 wurde von Grönland aus ein Schiff nach Markland (Neu-Schottland) gesandt, um Bauholz und andere 272 Bedürfnisse einzusammeln. Auf der Rückreise von Markland wurde das Schiff vom Sturme verschlagen und mußte in Straumfjörd im Westen von Island landen. Dies ist die letzte Nachricht von dem normännischen Amerika, welche uns altscandinavische Quellenschriften aufbewahrt haben.Wilhelmi a. a. O. S. 226; Rafn, Antiquit. Amer. p. 264 und 453. Die Niederlassungen auf der Westküste von Grönland, welche sich bis zur Mitte des 14ten Jahrhunderts eines sehr blühenden Zustandes erfreuten, fanden allmälig ihren Untergang durch die verderbliche Einwirkung von Handelsmonopolen, durch die Einfälle der Esquimaux (Skrälinger); durch den schwarzen Tod: welcher nach Hecker besonders während der Jahre 1347 bis 1351 den Norden entvölkerte; auch durch den Anfall einer feindlichen Flotte, deren Ausgangspunkt unbekannt geblieben ist. Heutiges Tages glaubt man nicht mehr an die meteorologische Mythe von einer plötzlichen Veränderung des Klima's; von der Bildung eines Eisdammes, welcher die gänzliche Trennung der in Grönland angesiedelten Colonien von ihrem Mutterlande auf einmal soll zur Folge gehabt haben. Da diese Colonien sich nur in der gemäßigten Gegend der Westküste von Grönland befunden haben, so kann ein Bischof von Skalholt nicht im Jahr 1540 auf der Ostküste jenseits der Eismauer »Schäfer gesehen haben, welche ihre Heerden weideten«. Die Anhäufung der Eismassen an der, Island gegenüberliegenden, östlichen Küste hängt von der Gestaltung des Landes, der Nachbarschaft einer der Richtung der Küste parallelen, mit Gletschern versehenen Bergkette und der Richtung des Meeresstromes ab. Dieser Zustand der Dinge schreibt sich nicht von dem Schlusse des 14ten Jahrhunderts oder dem Anfang des 15ten her. Er ist, wie Sir John Barrow sehr richtig entwickelt hat, vielen zufälligen Veränderungen, besonders in den Jahren 1815–1817, ausgesetzt gewesen. (S. Barrow,Voyages of discovery within the Arctic Regions 1846 p. 2–6.) – Pabst Nicolaus V hat noch 1448 einen grönländischen Bischof ernannt.
Wir sind bisher sorgfältig auf historischem Boden geblieben. Durch die kritischen, nicht genug zu lobenden Bemühungen von Christian Rafn und der königlichen Gesellschaft für nordische Alterthumskunde in Kopenhagen sind die Sagas und Urkunden über die Fahrten der Normänner nach Helluland (Neufundland), nach Markland (der Mündung des St. Lorenz-Flusses mit Nova Scotia) und nach Winland (Massachusetts) einzeln abgedruckt und befriedigend commentirt worden.Hauptquellen sind die geschichtlichen Erzählungen von Erik dem Rothen, Thorfinn Karlsefne und Snorre Thorbrandsson: wahrscheinlich in Grönland selbst und schon im 12ten Jahrhundert niedergeschrieben, zum Theil von Abkömmlingen in Winland geborener Ansiedler: Rafn, Antiquit. Amer. p. VII, XIV und XVI. Die Sorgfalt, mit welcher die Geschlechtstafeln gehalten sind, war so groß, daß man die des Thorfinn Karlsefne, dessen Sohn Snorre Thorbrandsson in Amerika geboren war, von 1007 bis zu 1811 herabgeführt hat. Die Länge der Fahrt, die Richtung, in der man gesegelt, die Zeit des Aufganges und Unterganges der Sonne sind genau angegeben.
Geringere Gewißheit gewähren noch die Spuren, die man von einer früheren irischen Entdeckung von Amerika, vor dem Jahre 1000, glaubt gefunden zu haben. Die Skrälinger erzählten den in Winland angesiedelten Normännern: weiter in Süden jenseit der Chesapeak-Bai wohnten »weiße Menschen, die in langen weißen Kleidern einhergingen, Stangen, an welche Tücher geheftet seien, vor sich her trügen und mit lauter Stimme riefen.« Diese Erzählung wurde von den christlichen Normännern auf Processionen gedeutet, in denen man Fahnen trug und sang. In den ältesten Sagas, in den geschichtlichen Erzählungen von Thorfinn Karlsefne und dem isländischen Landnama-Buche sind diese südlichen Küsten zwischen Virginien und Florida durch den Namen des Weißmännerlandes 273 bezeichnet. Sie werden darin bestimmt Groß-Irland (Irland it mikla) genannt, und es wird behauptet, sie seien von den Iren bevölkert worden. Nach Zeugnissen, die bis 1064 hinaufreichen, wurde, ehe noch Leif Winland entdeckte, wahrscheinlich schon um das Jahr 982, Ari Marsson, aus dem mächtigen isländischen Geschlechte Ulf's des Schielers, auf einer Fahrt von Island gegen Süden durch Sturm an die Küste des Weißmännerlandes verschlagen: in demselben als Christ getauft und, da man ihm nicht erlaubte sich zu entfernen, dort von Männern aus den Orkney-Inseln und Island erkannt.Hvitramannaland, das Land der weißen Männer. Vergl. die Urkunden in Rafn, Antiquit. Amer. p. 203–206, 211, 446–451: und Wilhelmi über Iskand, Hvitramannaland u. s. w. S. 75–81.
Die Meinung einiger nordischen Alterthumsforscher ist nun, daß, da in den ältesten isländischen Documenten die ersten Bewohner der Insel »über das Meer gekommene Westmänner« genannt werden (Ankömmlinge, die sich in Papyli an der Südost-Küste und auf dem nahe gelegenen kleinen Papar-Eilande niedergelassen), Island zuerst nicht unmittelbar von Europa: sondern von Virginien und Carolina her, d. i. aus Groß-Irland (dem amerikanischen Weißmännerlande), von nach Amerika früh verpflanzten Iren bevölkert worden sei. Die wichtige Schrift des irländischen Mönches Dicuil, De Mensura Orbis Terrae, welche um das Jahr 825 verfaßt wurde, also 38 Jahre früher als die Normänner durch Naddod Kenntniß von Island erhielten, bestätigt aber nicht diese Meinung.
Im Norden von Europa haben christliche Anachoreten, im Inneren Asiens fromme Buddhisten-Mönche unzugängliche Gegenden zu erforschen und der Civilisation zu eröffnen gewußt. Das emsige Bestreben religiöse Dogmen zu verbreiten hat bald kriegerischen Unternehmungen, bald friedlichen 274 Ideen und Handelsverbindungen den Weg gebahnt. Der den Religionssystemen von Indien, Palästina und Arabien so eigenthümliche, dem Indifferentismus der polytheistischen Griechen und Römer durchaus fremde Eifer hat die Fortschritte der Erdkunde in der ersten Hälfte des Mittelalters belebt. Letronne, der Commentator des Dicuil, hat auf eine scharfsinnige Weise dargethan, daß, seitdem die irländischen Missionare von den Normännern aus den Färöer-Inseln verdrängt waren, sie um das Jahr 795 Island zu besuchen anfingen. Die Normänner, als sie Island betraten, fanden daselbst irländische Bücher, Meßglocken und andere Gegenstände, welche frühere Ankömmlinge, die Papar genannt werden, dort zurückgelassen hatten. Diese Papae (Väter) aber sind die Clerici des Dicuil.Letronne, recherches géogr. et crit. sur le livre de Mensura Orbis Terrae, composé en Irlande par Dicuil 1814 p. 129–146. Vergl. mein Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 87–91. Gehörten nun, wie man nach seinem Zeugniß vermuthen muß, jene Gegenstände irländischen Mönchen, die aus den Färöer-Inseln kamen; so fragt sich, warum die Mönche (Papar) nach einheimischen Sagen Westmänner, Vestmenn, »von Westen über das Meer gekommene (komnir til vestan um haf)« genannt wurden? Ueber die Schifffahrt des galischen Häuptlings Madoc, Sohnes des Owen Guineth, nach einem großen westlichen Lande im Jahr 1170 und den Zusammenhang dieser Begebenheit mit dem Groß-Irland der isländischen Sagas ist bis jetzt alles in tiefes Dunkel gehüllt. Auch verschwindet nach und nach die Race der Celto-Amerikaner, welche leichtgläubige Reisende in mehreren Theilen der Vereinigten Staaten wollten gefunden haben; sie verschwindet, seitdem eine ernste, auf grammatische Formen und organischen Bau, nicht auf zufällige Laut-Aehnlichkeiten, gegründete Sprachvergleichung eingeführt ist.Was schon seit Ralegh's Zeiten über rein celtisch sprechende Eingeborene von Virginien gefabelt worden ist: wie man dort den galischen Gruß hao, hui, iach zu hören geglaubt: wie Owen Chapelain 1669 sich aus den Händen der Tuscaroras, welche ihn scalpiren wollten, rettete, »weil er sie in seiner galischen Muttersprache anredete«: habe ich in einer Beilage zu dem neunten Buche meiner Reise zusammengetragen (Relation historique T. III. 1825 p. 149). Diese Tuscaroren in Nord-Carolina sind aber, wie man jetzt bestimmt nach Sprachuntersuchungen weiß, ein Iroquesen-Stamm; s. Albert Gallatin, synopsis of the Indian tribes in der Archaeologia Americana Vol. II. (1836) p. 23 und 57. Eine beträchtliche Sammlung von Tuscarora-Wörtern giebt Catlin: einer der vortrefflichsten Sittenbeobachter, welche je unter den amerikanischen Eingeborenen gelebt. Er ist aber doch geneigt die weißliche, oft blauäugige Nation der Tuscaroren für ein Mischvolk von alten Wälschen und amerikanischen Ureinwohnern zu halten. S. seine Letters and Notes on the manners, customs, and conditions of the North American Indians 1841 Vol. I. p. 207, Vol. II. p. 259 und 262–265. Eine andere Sammlung von Tuscarora-Wörtern findet sich in den handschriftlichen Spracharbeiten meines Bruders auf der königl. Bibliothek zu Berlin. »Comme la structure des idiomes américains paraît singulièrement bizarre aux différens peuples qui parlent les langues modernes de l'Europe occidentale et se laissent facilement tromper par de fortuites analogies de quelques sons, les théologiens ont cru généralement y voir de l'hébreu, les colons espagnols du basque, les colons anglais ou français du gallois, de l'irlandais ou du bas-breton. – – – J'ai rencontré un jour, sur les côtes du Pérou, un officier de la marine espagnole et un baleinier anglais, dont l'un prétendait avoir entendu parler basque à Tahiti, et l'autre gale-irlandais aux îles Sandwich.« Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales, Relat. hist. T. III. 1825 p. 160. Wenn aber auch bisher kein Zusammenhang der Sprachen erwiesen worden ist, so will ich doch auf keine Weise in Abrede stellen, daß die Basken und die Völker celtischen Ursprungs von Irland und Wales, welche früh an den entlegensten Küsten mit Fischfang beschäftigt waren, im nördlichen Theile des atlantischen Meeres beständige Nebenbuhler der Scandinavier gewesen, ja daß auf den Färöer-Inseln und Island die Irländer den Scandinaviern zuvorgekommen sind. Es ist sehr zu wünschen, daß in unseren Tagen: wo eine gesunde Kritik zwar strenge geübt wird, aber keinen verschmähenden Charakter annimmt, die alten Untersuchungen von Powel und Richard Hakluyt (Voyages and Navigations Vol. III. p. 4) in England und Irland selbst wieder aufgenommen werden mögen. Ist es gegründet, daß Madoc's Irrfahrt 15 Jahre vor der Entdeckung durch Columbus in dem Gedichte des wälschen Sängers Mereditho verherrlicht wurde? Ich theile nicht den wegwerfenden Sinn, mit welchem nur zu oft Volksüberlieferungen verdunkelt werden: ich lebe vielmehr der festen Ueberzeugung, daß mit mehr Emsigkeit und mehr Ausdauer viele der geschichtlichen Probleme, welche sich auf die Seefahrten im frühesten Mittelalter; auf die auffallende Uebereinstimmung in religiösen Ueberlieferungen, Zeiteintheilung und Werken der Kunst in Amerika und dem östlichen Asien; auf die Wanderungen der mexicanischen Völker; auf jene alten Mittelpunkte aufdämmernder Civilisation in Aztlan, Quivira und der oberen Luisiana, so wie in den Hochebenen von Cundinamarca und Peru beziehen: eines Tages durch Entdeckungen von Thatsachen werden aufgehellt werden, die uns bisher gänzlich unbekannt geblieben sind. S. mein Examen crit. de l'hist. de la Géogr. du Nouveau Continent T. II. p. 142–149.
275 Daß diese erste Entdeckung von Amerika in oder vor dem 11ten Jahrhundert nichts großes und bleibendes zu Erweiterung der physischen Weltanschauung schaffen konnte, wie es das Wieder-Auffinden desselben Continents durch Columbus am Ende des 15ten Jahrhunderts hervorbrachte, ergiebt sich aus dem Zustande der Uncultur des Volksstammes, welcher die erste Entdeckung machte, und aus der Natur der Gegenden, auf welche dieselbe beschränkt blieb. Durch keine wissenschaftliche Kenntniß waren die Scandinavier vorbereitet, um, über die Befriedigung des nächsten Bedürfnisses hinaus, die Länder, in denen sie sich angesiedelt, zu durchforschen. Als das eigentliche Mutterland jener neuen Colonien waren Grönland und Island zu betrachten: Regionen, in denen der Mensch alle Beschwerden eines unwirthbaren Klima's zu bekämpfen hatte. Der wunderbar organisirte isländische Freistaat erhielt allerdings seine Selbstständigkeit viertehalbhundert Jahre lang, bis die bürgerliche Freiheit unterging und das Land sich dem norwegischen König Hakon VI unterwarf. Die Blüthe der isländischen Litteratur: die Geschichtsschreibung, die Aufsammlung der Sagas und der Edda-Lieder, bezeichnen das 12te und 13te Jahrhundert.
Es ist eine merkwürdige Erscheinung in der Culturgeschichte der Völker, den Nationalschatz der ältesten Ueberlieferungen des europäischen Nordens, durch Unruhen in der Heimath gefährdet und nach Island übergetragen, dort sorgsam gepflegt und für die Nachwelt gerettet zu sehen. Diese Rettung, die entfernte Folge von Ingolf's erster Ansiedelung auf Island (875), ist eine wichtige Begebenheit in den Kreisen der Dichtung und schaffender Einbildungskraft 276 in der formlosen Nebelwelt scandinavischer Mythen und sinnbildlicher Cosmogonien geworden. Nur das Naturwissen gewann keine Erweiterung. Reisende Isländer besuchten allerdings die Lehranstalten Deutschlands und Italiens; aber die Entdeckungen der Grönländer im Süden, der geringe Verkehr mit Winland, dessen Vegetation keinen merkwürdig eigenthümlichen physiognomischen Charakter darbot, zogen Ansiedler und Seefahrer so wenig von ihrem ganz europäischen Interesse ab, daß sich unter den Culturvölkern des südlichen Europa's keine Nachricht von jenen neu-angesiedelten Ländern verbreitete. Ja in Island selbst scheint eine solche Nachricht nicht einmal zu den Ohren des großen genuesischen Seefahrers gelangt zu sein. Island und Grönland waren nämlich damals schon über zwei Jahrhunderte von einander getrennt: da Grönland 1261 seine republicanische Verfassung verloren hatte und ihm, als Krongut Norwegens, aller Verkehr mit Fremden und auch mit Island förmlich untersagt wurde. Christoph Columbus erzählt in seiner so selten gewordenen Schrift »über die fünf bewohnbaren Erdzonen«, daß er im Monat Februar 1477 Island besuchte: »wo damals das Meer nicht mit Eis bedeckt warWährend dieser Umstand des mangelnden Eises im Februar 1477 als ein Beweis angeführt wurde, daß die Insel Thyle des Columbus nicht Island sein könne, hat Finn Magnusen aus alten Urkunden aufgefunden, daß bis zum März 1477 das nördliche Island keinen Schnee hatte und daß im Februar desselben Jahres die südliche Küste frei von Eis war; Examen crit. T. I. p. 105, T. V. p. 213. Sehr merkwürdig ist, daß Columbus in demselben tratado de las cinco zonas habitables einer südlicheren Insel Frislanda erwähnt: ein Name, welcher in den, meist für fabelhaft gehaltenen Reisen der Gebrüder Zeni (1388–1404) eine große Rolle spielt, aber auf den Karten von Andrea Bianco (1436) wie auf der des Fra Mauro (1457–1470) fehlt. (Vergl. Examen crit. T. II. p. 114–126) Columbus kann die Reisen der fratelli Zeni nicht gekannt haben, da sie der venetianischen Familie selbst bis zum Jahre 1558 unbekannt blieben: in welchem Marcolini, 52 Jahre nach dem Tode des großen Admirals, sie zuerst herausgab. Woher kommt des Admirals Bekanntschaft mit dem Namen Frislanda? und das von vielen Kaufleuten von Bristol besucht wurde«. Hätte er dort von der alten Colonisation eines gegenüberliegenden ausgedehnten zusammenhangenden Landstriches: von Helluland it mikla, Markland und dem »guten Winland« reden hören; hätte er diese Kenntniß eines nahen Continents mit den Projecten in Verbindung gesetzt, welche ihn schon seit 1470 und 1473 beschäftigten: so würde in dem berühmten, erst 1517 beendigten Processe über das Verdienst der ersten Entdeckung 277 um so mehr von der Reise nach Thyle (Island) die Rede gewesen sein, als der argwöhnische Fiscal selbst einer Seekarte (mappamundo) erwähnt, die Martin Alonso Pinzon in Rom gesehen hatte und auf der der Neue Continent soll abgebildet gewesen sein. Wenn Columbus ein Land hätte aufsuchen wollen, von dem er in Island Kenntniß erhalten, so würde er gewiß nicht auf seiner ersten Entdeckungsreise von den canarischen Inseln aus in südwestlicher Richtung gesteuert haben. Zwischen Bergen und Grönland gab es aber noch Handelsverbindungen bis 1484, also bis sieben Jahre nach des Columbus Reise nach Island.
Ganz verschieden von der ersten Entdeckung des Neuen Continents im 11ten Jahrhundert ist durch ihre weltgeschichtliche Folgen, durch ihren Einfluß auf die Erweiterung physischer Weltanschauung die Wieder-Auffindung dieses Continents durch Christoph Columbus, die Entdeckung der Tropenländer von Amerika geworden. Wenn auch der Seefahrer, welcher am Ende des 15ten Jahrhunderts das große Unternehmen leitete, keinesweges die Absicht hatte einen neuen Welttheil zu entdecken; wenn es auch entschieden ist, daß Columbus und Amerigo Vespucci in der festen UeberzeugungS. die Beweise. die ich aus sicheren Documenten gesammelt habe, für Columbus im Examen crit. T. IV. p. 233; für Vespucci T. V. p. 182–185. Columbus war dergestalt mit der Idee erfüllt, daß Cuba Theil des Continents von Asien, ja das südliche Khatai (die Provinz Mango) sei, daß er am 12 Junius 1494 die ganze Mannschaft seines Geschwaders (etwa 80 Matrosen) schwören ließ: »sie seien davon überzeugt, man könne von Cuba nach Spanien zu Lande gehen (que esta tierra de Cuba fuese la tierra firme al comienzo de las Indias y fin á quien en estas partes quisiere venir de España por tierra)«; wer von denen, »welche es jetzt beschwören, einst das Gegentheil zu behaupten wagte, würde den Meineid mit 100 Hieben und dem Ausreißen der Zunge zu büßen haben.« (S. Informacion del escribano publico Fernando Perez de Luna in Navarrete, Viages y descubrimientos de los Españoles T. II. p. 143–149.) Als Columbus auf der ersten Expedition sich der Insel Cuba nähert, glaubt er sich gegenüber den chinesischen Handelsplätzen Zaitun und Quinsay (Y es cierto dice el Almirante questa es la tierra firme, y que estoy, dice él, ante Zayto y Guinsay). »Er will die Briefe der catholischen Monarchen an den großen Mongolen-Chan (Gran Can) in Khatai abgeben: und wenn er so den ihm gegebenen Auftrag erfüllt, sogleich nach Spanien (aber zur See) zurückkehren. Später sendet er einen getauften Juden, Luis de Torres, ans Land, weil dieser Hebräisch, Chaldäisch und etwas Arabisch versteht«: was in den asiatischen Handelsstädten gebräuchliche Sprachen sind. (S. das Reisejournal des Columbus von 1492 in Navarrete, Viages y descubrim. T. I. p. 37, 44 und 46.) Noch 1533 behauptet der Astronom Schoner, daß die ganze sogenannte Neue Welt ein Theil von Asien (superioris Indiae) ist und daß die von Cortes eroberte Stadt Mexico (Temistitan) nichts anderes sei als die chinesische, von Marco Polo so übermäßig gerühmte Handelsstadt Quinsay. (S. Joannis Schoneri Carlostadii Opusculum geographicum, Norimb. 1533, Pars II. cap. 1–20). gestorben sind, sie hätten bloß Theile des östlichen Asiens berührt: so hat die Expedition doch ganz den Charakter der Ausführung eines nach wissenschaftlichen Combinationen entworfenen Planes gehabt. Es wurde sicher geschifft nach Westen: durch die Pforte, welche die Tyrier und Coläus von Samos geöffnet, durch das »unermeßliche Dunkelmeer« (mare tenebrosum) der arabischen Geographen. Man strebte nach einem Ziele, dessen Abstand man zu kennen glaubte. Die Schiffer wurden nicht zufällig verschlagen: 278 wie Naddod und Gardar nach Island; wie Gunnbjörn, der Sohn von Ulf Kraka, nach Grönland. Auch wurde der Entdecker nicht durch Zwischenstationen geleitet. Der große Nürnberger Cosmograph Martin Behaim, welcher den Portugiesen Diego Cam auf seinen wichtigen Expeditionen nach der Westküste von Afrika begleitet hatte, lebte vier Jahre, von 1486 bis 1490, auf den Azoren; und nicht von diesen Inseln aus, welche zwischen den iberischen Küsten und der Küste Pennsylvaniens in 3/5 Entfernung von der letzteren liegen, wurde Amerika entdeckt. Das Vorsätzliche der That ist dichterisch schön in den Stanzen des Tasso gefeiert. Er singt von dem, was Hercules nicht wagte:
Non osò di tentar l'alto Oceano: Segnò le mete, e'n troppo brevi chiostri L'ardir ristrinse dell' ingegno umano – – Tempo verrà che fian d'Ercole i segni Favola vile ai naviganti industri – – Un uom della Liguria avrà ardimento All' incognito corso esporsi in prima – – |
Tasso XV st. 25, 30 und 31. |
Und doch weiß von diesem »uom della Liguria der große portugiesische Geschichtsschreiber Johann BarrosDa Asia de João de Barros e de Diogo de Couto Dec. I. lib. II cap. 11 (Parte I. Lisboa 1778 p. 250)., dessen erste Decade 1552 erschienen ist, nicht mehr zu sagen, als daß er ein eitler phantastischer Schwätzer gewesen sei (homem fallador, e glorioso em mostrar suas habilidades, e mais fantastico, e de imaginações com sua Ilha Cypango). So hat durch alle Jahrhunderte, durch alle Abstufungen der errungenen Civilisation hindurch Nationalhaß den Glanz ruhmvoller Namen zu verdunkeln gestrebt.
Die Entdeckung der Tropenländer von Amerika durch Christoph Columbus, Alonso de Hojeda und Alvarez Cabral 279 kann in der Geschichte der Weltanschauung nicht als eine isolirte Begebenheit betrachtet werden. Ihr Einfluß auf die Erweiterung des physischen Wissens und auf die Bereicherung der Ideenwelt im allgemeinen wird nur dann richtig aufgefaßt, wenn man einen flüchtigen Blick auf diejenigen Jahrhunderte wirft, welche das Zeitalter der großen nautischen Unternehmungen von dem der Blüthe wissenschaftlicher Cultur unter den Arabern trennen. Was der Aera des Columbus ihren eigenthümlichen Charakter gab: den eines ununterbrochenen und gelingenden Strebens nach Entdeckungen im Raume, nach erweiterter Erdkenntniß, wurde langsam und auf vielfachen Wegen vorbereitet. Es wurde es durch eine kleine Zahl kühner Männer, welche früher auftraten und gleichzeitig zu allgemeiner Freiheit des Selbstdenkens wie zum Erforschen einzelner Naturerscheinungen anregten; durch den Einfluß, welchen auf die tiefsten Quellen des geistigen Lebens ausübte die in Italien erneuerte Bekanntschaft mit den Werken der griechischen Litteratur und die Erfindung einer Kunst, die dem Gedanken Flügel und lange Dauer verlieh: durch die erweiterte Kenntniß des östlichen Asiens, welche Mönchsgesandtschaften an die Mongolen-Fürsten und reisende Kaufleute unter die weltverkehrenden Nationen des südwestlichen Europa's verbreiteten: unter solche, denen ein kürzerer Weg nach den Gewürzländern ein Gegenstand der eifrigsten Wünsche war. Zu den hier genannten Anregungsmitteln gesellten sich noch, was die Befriedigung jener Wünsche gegen das Ende des funfzehnten Jahrhunderts am meisten erleichterte: die Fortschritte der Schifffahrtskunde, die allmälige Vervollkommnung der nautischen Instrumente, der magnetischen wie der astronomisch messenden, endlich die 280 Anwendung gewisser Methoden zur Ortsbestimmung des Schiffes und der allgemeinere Gebrauch der Sonnen- und Mond-Ephemeriden des Regiomontanus.
Ohne, was diesen Blättern fremd bleiben muß, auf das Einzelne in der Geschichte der Wissenschaften einzugehen, nennen wir nur unter den Menschen, welche die Epoche von Columbus und Gama vorbereitet haben, drei große Namen: Albertus Magnus, Roger Baco und Vincenz von Beauvais. Sie sind hier der Zeitfolge nach aufgeführt; denn der wichtigere, mehrumfassende, geistreichere ist Roger Baco: ein Franciscaner-Mönch aus Ilchester, der sich zu Oxford und Paris für die Wissenschaften ausbildete. Alle drei sind ihrem Zeitalter vorangeeilt und haben mächtig auf dasselbe eingewirkt. In den langen, meist unfruchtbaren Kämpfen dialectischer Speculationen und des logischen Dogmatismus einer Philosophie, die man mit dem unbestimmten, vieldeutigen Namen der scholastischen belegt hat, läßt sich der wohlthätige Einfluß, man könnte sagen die Nachwirkung der Araber nicht verkennen. Die Eigenthümlichkeit ihres Nationalcharakters, die wir im vorigen Abschnitte geschildert, ihr Hang zum Verkehr mit der Natur hatte den neu übersetzten Schriften des Aristoteles eine Verbreitung verschafft, welche mit der Vorliebe und der Begründung der Erfahrungswissenschaften auf das innigste zusammenhing. Bis an das Ende des 12ten und den Anfang des 13ten Jahrhunderts herrschten mißverstandene Lehren der platonischen Philosophie in den Schulen. Schon die KirchenväterJourdain, rech. crit. sur les traductions d'Aristote p. 230, 234 und 421–423; Letronne des opinions cosmographiques des Pères de l'Église, rapprochées des doctrines philosophiques de la Grèce, in der Revue des deux Mondes 1834 T. I. p. 632. glaubten in derselben die Vorbilder zu ihren eigenen religiösen Anschauungen zu finden. Viele der symbolisirenden physikalischen Phantasien des Timäus wurden 281 mit Begeisterung aufgenommen; und durch christliche Autorität lebten wieder verworrene Ideen über den Kosmos auf, deren Nichtigkeit die mathematische Schule der Alexandriner längst erwiesen hatte. So pflanzten sich von Augustinus an bis Alcuin, Johannes Scotus und Bernhard von Chartres tief in das Mittelalter hinab, unter wechselnden Formen, die Herrschaft des Platonismus oder richtiger zu sagen neuplatonische Anklänge fort.Friedrich von Raumer über die Philosophie des dreizehnten Jahrhunderts, in seinem hist. Taschenbuche 1840 S. 468. Ueber die Neigung zum Platonismus im Mittelalter und den Kampf der Schulen s. Heinrich Ritter, Gesch. der christl. Philosophie Th. II. S. 159, Th. III. S. 131–160 und 381–417.
Als nun, diese verdrängend, die aristotelische Philosophie den entschiedensten Einfluß auf die Bewegungen des Geistes gewann, war es in zwei Richtungen zugleich: in den Forschungen der speculativen Philosophie und in der philosophischen Bearbeitung des empirischen Naturwissens. Die erste dieser Richtungen, wenn sie auch dem Gegenstande meiner Schrift entfernter zu liegen scheint, darf hier schon deshalb nicht unberührt bleiben, weil sie mitten in der Zeit dialectischer Scholastik einige edle, hochbegabte Männer zum freien Selbstdenken in den verschiedenartigsten Gebieten des Wissens antrieb. Eine großartige physische Weltanschauung bedarf nicht bloß der reichen Fülle der Beobachtungen, als Substrats der Verallgemeinerung der Ideen; sie bedarf auch der vorbereitenden Kräftigung der Gemüther, um in den ewigen Kämpfen zwischen Wissen und Glauben nicht vor den drohenden Gestalten zurückzuschrecken, die bis in die neuere Zeit an den Eingängen zu gewissen Regionen der Erfahrungswissenschaft auftreten und diese Eingänge zu versperren trachten. Man darf nicht trennen, was in dem Entwickelungsgange der Menschheit gleichmäßig belebt hat das Gefühl der Berechtigung zur intellectuellen Freiheit und das lange unbefriedigte Streben 282 nach Entdeckungen in fernen Räumen. Jene freien Selbstdenker bildeten eine Reihe, welche im Mittelalter mit Duns Scotus, Wilhelm von Occam und Nicolaus von Cusa anhebt und durch Ramus, Campanella und Giordano Bruno bis zu Descartes leitet.Cousin, cours de l'hist. de la Philosophie T. I. 1829 p. 360 und 389–436; fragmens de Philosophie Cartésienne p. 8–12 und 403. Vergl. auch die neue geistreiche Schrift von Christian Bartholmèß: Jordano Bruno 1847 T. I. p. 308, T. II. p. 409–416.
Die unübersteiglich scheinende »Kluft zwischen dem Denken und dem Sein, die Beziehungen zwischen der erkennenden Seele und dem erkannten Gegenstande« trennten die Dialectiker in jene zwei berühmten Schulen der Realisten und Nominalisten. Des fast vergessenen Kampfes dieser mittelalterlichen Schulen muß hier gedacht werden, weil er einen wesentlichen Einfluß auf die endliche Begründung der Erfahrungswissenschaften ausgeübt hat. Die Nominalisten, welche den allgemeinen Begriffen nur ein subjectives Dasein in dem menschlichen Vorstellungsvermögen zugestanden, wurden nach vielen Schwankungen zuletzt im 14ten und 15ten Jahrhundert die siegreiche Parthei. Bei ihrer größeren Abneigung vor leeren Abstractionen drangen sie zuerst auf die Nothwendigkeit der Erfahrung, auf die Vermehrung der sinnlichen Grundlage der Erkenntniß. Eine solche Richtung wirkte wenigstens mittelbar auf die Bearbeitung des empirischen Naturwissens; aber auch schon da, wo sich nur noch realistische Ansichten geltend machten, hatte die Bekanntschaft mit der Litteratur der Araber Liebe zum Naturwissen, in glücklichem Kampfe mit der alles absorbirenden Theologie, verbreitet. So sehen wir in den verschiedenen Perioden des Mittelalters, dem man vielleicht eine zu große Charakter-Einheit zuzuschreiben gewohnt ist, auf ganz verschiedenen Wegen: auf rein ideellen und empirischen, das große Werk der Entdeckungen im Erdraume und die 283 Möglichkeit ihrer glücklichen Benutzung zur Erweiterung des kosmischen Ideenkreises sich allmälig vorbereiten.
Unter den gelehrten Arabern war das Naturwissen eng an Arzneikunde und Philosophie, im christlichen Mittelalter war es neben der Philosophie an die theologische Dogmatik geknüpft. Die letztere, ihrer Natur nach zur Alleinherrschaft strebend, bedrängte die empirische Forschung in den Gebieten der Physik, der organischen Morphologie und der, meist mit Astrologie verschwisterten Sternkunde. Das von den Arabern und jüdischen RabbinernJourdain sur les trad. d'Aristote p. 236; Michael Sachs, die religiöse Poesie der Juden in Spanien 1845 S. 180–200. überkommene Studium des allumfassenden Aristoteles hatte aber die Richtung nach einer philosophischen Verschmelzung aller Disciplinen hervorgerufen; daher galten Ibn-Sina (Avicenna) und Ibn-Roschd (Averroes), Albertus Magnus und Roger Bacon für die Repräsentanten des ganzen menschlichen Wissens ihrer Zeit. Der Ruhm, welcher im Mittelalter ihre Namen umstrahlte, läßt sich diesem allgemein verbreiteten Glauben beimessen.
Albert der Große, aus dem Geschlechte der Grafen von Bollstädt, muß auch als Selbstbeobachter in dem Gebiete der zerlegenden Chemie genannt werden. Seine Hoffnungen waren freilich auf die Umwandlung der Metalle gerichtet; aber, um sie zu erfüllen, vervollkommnete er nicht bloß die praktischen Handgriffe in Behandlung der Erze, er vermehrte auch die Einsicht in die allgemeine Wirkungsart der chemischen Naturkräfte. Ueber den organischen Bau und die Pflanzen-Physiologie enthalten seine Werke einzelne überaus scharfsinnige Bemerkungen. Er kannte den Schlaf der Pflanzen, das periodische sich Oeffnen und Schließen der Blumen, die Verminderung des Saftes durch 284 Verdunstung aus der Oberhaut der Blätter, den Einfluß der Theilung der Gefäßbündel auf die Ausschnitte des Blattrandes. Er commentirte alle physikalischen Schriften des Stagiriten, doch die Thiergeschichte nur nach der lateinischen Uebersetzung des Michael Scotus aus dem Arabischen.Das größere Verdienst in Bearbeitung der Thiergeschichte gehört dem Kaiser Friedrich II. Man verdankt ihm wichtige eigene Beobachtungen über die innere Structur der Vögel. (S. Schneider in reliqua librorum Friderici II. imperatoris de arte venandi cum avibus T. I. 1788 in der Vorrede.) Auch Cuvier nennt den Hohenstaufen den »ersten selbstarbeitenden Zoologen des scholastischen Mittelalters«. – Ueber Alberts des Großen richtige Ansicht von der Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper unter verschiedenen Breiten und nach Verschiedenheit der Jahreszeiten s. dessen liber cosmographicus de natura locorum, Argent. 1515, fol. 14, b und 23, a (Examen crit. T. I. p. 54–58). Bei eigenen Beobachtungen zeigt sich aber doch leider in Albertus Magnus oft die Unkritik seines Zeitalters. Er glaubt zu wissen: daß »sich Roggen auf gutem Boden in Weizen verwandelt, daß aus einem abgeholzten Buchenwalde durch Fäulniß ein Birkenwald entsteht; daß aus Eichenzweigen, die man in die Erde steckt, Weinreben entstehen.« (Vergl. auch Ernst Meyer über die Botanik des 13ten Jahrhunderts in der Linnaea Bd. X. 1836 S. 719.) Ein Werk Alberts des Großen, welches den Titel führt: Liber cosmographicus de natura locorum, ist eine Art physischer Geographie. Ich habe darin Betrachtungen aufgefunden über die gleichzeitige Abhängigkeit der Klimate von der Breite und der Höhe des Orts, wie über die Wirkung des verschiedenen Einfallswinkels der Sonnenstrahlen auf Erwärmung des Bodens, die mich sehr überrascht haben. Daß Albert von Dante gefeiert worden ist, verdankt er vielleicht nicht so sehr sich selbst als seinem geliebten Schüler, dem heiligen Thomas von Aquino, welchen er 1245 von Cöln nach Paris und 1248 nach Deutschland zurückführte;
Questi, che m'è a destra più vicino, Frate e maestro fummi; ed esso Alberto E' di Cologna, ed io Thomas d' Aquino. |
Il Paradiso X, 97–99. |
In dem, was unmittelbar auf die Erweiterung der Naturwissenschaften gewirkt hat, auf ihre Begründung durch Mathematik und durch das Hervorrufen von Erscheinungen auf dem Wege des Experiments, ist Alberts von Bollstädt Zeitgenosse Roger Bacon die wichtigste Erscheinung des Mittelalters gewesen. Beide Männer füllen fast das ganze dreizehnte Jahrhundert aus; aber dem Roger Bacon gehört der Ruhm, daß der Einfluß, welchen er auf die Form und Behandlung des Naturstudiums ausgeübt hat, wohlthätiger und 285 dauernd wirksamer gewesen ist als das, was man ihm von eigenen Erfindungen mit mehr oder minderem Rechte zugeschrieben hat. Zum Selbstdenken erweckend, rügte er streng den blinden Autoritätsglauben der Schule: doch, weit davon entfernt sich nicht um das zu kümmern, was das griechische Alterthum erforscht, pries er gleichzeitig gründliche SprachkundeSo viele Stellen des Opus majus sprechen für die Achtung, welche Roger Bacon dem griechischen Alterthum zollte: daß man, wie schon Jourdain (p. 429) bemerkt hat, den in einem Briefe an den Pabst Clemens IV geäußerten Wunsch: »die Bücher des Aristoteles zu verbrennen, um die Verbreitung der Irrthümer unter den Schülern zu verhindern«, nur auf die schlechten lateinischen Uebersetzungen aus dem Arabischen deuten kann., Anwendung der Mathematik und die Scientia experimentalis: der er einen eigenen Abschnitt des Opus majus gewidmet hat»Scientia experimentalis a vulgo studentium penitus ignorata: duo tamen sunt modi cognoscendi, scilicet per argumentum et experientiam (der ideelle Weg und der des Experiments). Sine experientia nihil sufficienter sciri potest, Argumentum concludit, sed non certificat, neque removet dubitationem, ut quiescat animus in intuitu veritatis, nisi eam inveniat via experientiae.« (Opus majus Pars VI cap. 1.) Ich habe alle Stellen, welche sich auf die physischen Kenntnisse und Erfindungsvorschläge des Roger Bacon beziehen, zusammengetragen im Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 295–299. Vergl. auch Whewell, the Philosophy of the inductive Sciences Vol. II. p. 323–337.. Von Einem Pabste (Clemens IV) geschützt und begünstigt, von zwei anderen (Nicolaus III und IV der Magie beschuldigt und eingekerkert: hatte er die wechselnden Schicksale der großen Geister aller Zeiten. Er kannte die Optik des PtolemäusS. Kosmos Bd. II. S. 228. Ich finde die Optik des Ptolemäus citirt im Opus majus (ed. Jebb, Lond. 1733) p. 79. 288 und 404. Daß die aus Alhazen geschöpfte Kenntniß von der vergrößernden Kraft von Kugelsegmenten den Bacon wirklich veranlaßt habe Brillen (Augengläser) zu construiren, wird mit Recht geläugnet (Wilde, Geschichte der Optik Th. I. S. 92–96); die Erfindung soll schon 1299 bekannt gewesen sein oder dem Florentiner Salvino degli Armati gehören: welcher 1317 in der Kirche Santa Maria Maggiore zu Florenz begraben wurde. Wenn Roger Bacon, der das Opus majus 1267 vollendete, von Instrumenten spricht, durch welche kleine Buchstaben groß erscheinen, utiles senibus habentibus oculos debiles; so beweisen seine Worte und die thatsächlich irrigen Betrachtungen, die er hinzufügt, daß er nicht selbst ausgeführt haben kann, was ihm als etwas mögliches dunkel vor der Seele schwebte. und das Almagest. Da er den Hipparch immer, wie die Araber, Abraxis nennt, so darf man schließen, daß auch er sich nur einer aus dem Arabischen herstammenden lateinischen Uebersetzung bediente. Neben Bacon's chemischen Versuchen über brennbare explodirende Mischungen sind seine theoretisch optischen Arbeiten über die Perspective und die Lage des Brennpunktes bei Hohlspiegeln am wichtigsten. Sein gedankenvolles Großes Werk enthält Vorschläge und Entwürfe zu möglicher Ausführung, nicht deutliche Spuren gelungener optischer Erfindungen. Tiefe des mathematischen Wissens ist ihm nicht zuzuschreiben. Was ihn charakterisirt, ist vielmehr eine gewisse Lebhaftigkeit der Phantasie: deren ungemessene Aufregung bei den Mönchen des Mittelalters in ihren naturphilosophischen Richtungen durch den Eindruck so vieler unerklärter, großer Naturerscheinungen wie durch langes angstvolles Spähen nach Lösung geheimnißvoller Probleme krankhaft erhöht wurde.
286 Die durch das Kostspielige des Abschreibens vermehrte Schwierigkeit, vor Erfindung des Bücherdrucks eine große Zahl einzelner Handschriften zu sammeln, erzeugte im Mittelalter, als der Ideenkreis sich seit dem 13ten Jahrhunderte wieder zu erweitern anfing, eine große Vorliebe für encyclopädische Werke. Diese verdienen hier eine besondere Beachtung, weil sie zu Verallgemeinerung der Ansichten führten. Es erschienen, meist auf einander gegründet, die zwanzig Bücher de rerum natura von Thomas Cantipratensis, Professor in Löwen (1230); der Naturspiegel (Speculum naturale), welchen Vincenz von Beauvais (Bellovacensis) für den heiligen Ludwig und dessen Gemahlinn Margarethe von Provence schrieb (1250); das Buch der Natur von Conrad von Meygenberg, Priester zu Regensburg (1349); und das Weltbild (Imago Mundi) des Cardinals Petrus de Alliaco, Bischofs von Cambray (1410). Diese Encyclopädien waren die Vorläufer der großen Margarita philosophica des Pater Reisch: deren erste Ausgabe 1486 erschien und welche ein halbes Jahrhundert lang die Verbreitung des Wissens auf eine merkwürdige Weise befördert hat. Bei dem Weltbilde (der Weltbeschreibung) des Cardinals Alliacus (Pierre d'Ailly ) müssen wir hier noch besonders verweilen. Ich habe an einem anderen Orte erwiesen, daß das Buch Imago Mundi mehr Einfluß auf die Entdeckung von Amerika als der Briefwechsel mit dem gelehrten Florentiner Toscanelli ausgeübt hat.S. mein Examen crit. T. I. p. 61, 64–70, 96–108; T. II. p. 349: »Il existe aussi de Pierre d'Ailly, que Don Fernando Colon nomme toujours Pedro de Helico, cinq mémoires de Concordantia astronomiae cum theologia. Ils rappellent quelques essais très-modernes de Géologie hébraïsante publiés 400 ans après le Cardinal.« Alles, was Christoph Columbus von den griechischen und römischen Schriftstellern wußte: alle Stellen des Aristoteles, des Strabo und des Seneca über die Nähe des östlichen Asiens zu den Hercules-Säulen, welche, wie 287 der Sohn Don Fernando sagt, den Vater hauptsächlich anregten die indischen Länder zu entdecken (autoridad de los escritores para mover al Almirante á descubrir las Indias); schöpfte der Admiral aus den Schriften des Cardinals. Er hatte sie bei sich auf seinen Reisen; denn in einem Briefe, den er im Monat October 1498 von der Insel Haiti an die spanischen Monarchen schrieb, übersetzt er wörtlich eine Stelle aus des Alliacus Abhandlung de quantitate terrae habitabilis, welche ihm den tiefsten Eindruck gemacht hatte. Er wußte wahrscheinlich nicht, daß Alliacus auch von seiner Seite ein anderes, früheres Buch, das Opus majus des Roger Bacon, wörtlich ausgeschrieben hatte.Vergl. den Brief von Columbus (Navarrete, Viages y descubr. T. I. p. 244) mit der Imago Mundi des Cardinal d'Ailly cap. 8 und Roger Bacon's Opus majus p. 183. Sonderbares Zeitalter, in welchem ein Gemisch von Zeugnissen des Aristoteles und Averroes (Avenryz), des Esra und Seneca über die geringe Ausdehnung der Meere in Vergleich mit der der Continental-Massen den Monarchen die Ueberzeugung von der Sicherheit eines kostspieligen Unternehmens geben konnte!
Wir haben erinnert, wie mit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts sich eine entschiedene Vorliebe zum Studium der Kräfte der Natur. auch eine fortschreitend philosophischere Richtung in der Form dieses Studiums, in seiner wissenschaftlichen Begründung durch Experimente, zeigte. Es bleibt uns übrig in wenigen Zügen den Einfluß zu schildern, welchen die Erweckung der classischen Litteratur seit dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts auf die tiefsten Quellen des geistigen Lebens der Völker, und also auch auf eine allgemeine Weltanschauung ausgeübt hat. Die Individualität einzelner hochbegabter Männer hatte dazu beigetragen den Reichthum der Ideenwelt zu vermehren. 288 Die Empfänglichkeit für eine freiere Ausbildung des Geistes war vorhanden, als, durch viele zufällig scheinende Verhältnisse begünstigt, die griechische Litteratur, in ihren alten Wohnsitzen bedrängt, eine sichere Stelle in den Abendländern gewann. Die classischen Studien der Araber waren allem fremd geblieben, was der begeisterten Sprache angehört. Sie waren auf eine sehr geringe Anzahl von Schriftstellern des Alterthums beschränkt: nach der entschiedenen Vorliebe des Volkes für das Naturstudium vorzugsweise auf die physischen Bücher des Aristoteles, auf das Almagest des Ptolemäus, die Botanik und Chemie des Dioscorides, die cosmologischen Phantasien des Plato. Die aristotelische Dialectik wurde bei den Arabern mit der Physik, wie in den früheren Zeiten des christlichen Mittelalters mit der Theologie verschwistert. Man entlehnte den Alten, was man zu speciellen Anwendungen benutzen konnte; aber man war weit entfernt den Geist des Griechenthums im ganzen zu erfassen, in den organischen Bau der Sprache einzudringen, sich der dichterischen Schöpfungen zu erfreuen, den wundervollen Reichthum in dem Gebiet der Redekunst und der Geschichtsschreibung zu ergründen.
Fast zwei Jahrhunderte vor Petrarca und Boccaccio hatten allerdings schon Johann von Salisbury und der platonisirende Abälard wohlthätig auf die Bekanntschaft mit einigen Werken des classischen Alterthums gewirkt. Beide hatten Sinn für die Anmuth von Schriften, in denen Freiheit und Maaß, Natur und Geist sich stets mit einander verschwistert finden; aber der Einfluß des in ihnen angeregten ästhetischen Gefühls schwand spurlos dahin. Der eigentliche Ruhm, den geflüchteten griechischen Musen in 289 Italien einen bleibenden Wohnsitz vorbereitet, an der Wiederherstellung der classischen Litteratur am kräftigsten gearbeitet zu haben, gebührt zwei innigst befreundeten Dichtern: Petrarca und Boccaccio. Ein Mönch aus Calabrien, Barlaam, der lange in Griechenland in der Gunst des Kaisers Andronicus gelebt hatteHeeren, Gesch. der classischen Litteratur Bd. I. S. 284–290., unterrichtete beide. Mit ihnen fing die sorgfältige Sammlung römischer und griechischer Handschriften an. Selbst der historische Sinn für Sprachvergleichung war bei PetrarcaKlaproth, mémoires relatifs à l'Asie T. III. p. 113. erwacht, dessen philologischer Scharfsinn wie nach einer allgemeineren Weltanschauung strebte. Wichtige Beförderer der griechischen Studien waren Emanuel Chrysoloras, welcher als griechischer Gesandter nach Italien und England (1391) geschickt wurde, der Cardinal Bessarion aus Trapezunt, Gemistus Pletho und der Athener Demetrius Chalcondylas, dem man die erste gedruckte Ausgabe des Homer verdanktDie florentiner Ausgabe des Homer von 1488; aber das erste gedruckte griechische Buch war die Grammatik des Constantin Lascaris von 1476.. Alle diese griechischen Einwanderungen geschahen vor der verhängnißvollen Einnahme von Constantinopel (29 Mai 1453); nur Constantin Lascaris, dessen Vorfahren dort einst auf dem Throne gesessen, kam später nach Italien. Die kostbare Sammlung griechischer Handschriften, die er mitbrachte, ist in die selten benutzte Bibliothek des EscorialsVillemain, Mélanges historiques et littéraires T. II. p. 135. verschlagen. Das erste griechische Buch wurde nur 14 Jahre vor der Entdeckung von Amerika gedruckt: wenn gleich die Erfindung der Buchdruckerkunst selbst, wahrscheinlich gleichzeitig und ganz selbstständigDas Resultat der Untersuchungen des Bibliothekars Ludwig Wachler zu Breslau (s. dessen Geschichte der Litteratur 1833 Th. I. S. 12–23). Der Druck ohne bewegliche Lettern geht auch in China nicht über den Anfang des zehnten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung hinauf. Die 4 ersten Bücher des Confucius wurden nach Klaproth in der Provinz Szütschuen zwischen 890 und 925 gedruckt, und die Beschreibung der technischen Manipulation der chinesischen Druckerei hätten die Abendländer schon 1310 in Raschid-eddin's persischer Geschichte der Herrscher von Khatai lesen können. Nach dem neuesten Resultate der wichtigen Forschungen von Stanislas Julien hatte aber in China selbst ein Eisenschmidt zwischen den Jahren 1041 und 1048, also fast 400 Jahre vor Guttenberg, bewegliche Typen von gebranntem Thone angewandt. Das ist die Erfindung des Pi-sching, die aber ohne Anwendung blieb. von Guttenberg in Strasburg und Mainz, von Lorenz Jansson Koster in Harlem gemacht, zwischen 1436 und 1439 fällt: also in die glückliche Epoche der ersten Einwanderung der gelehrten Griechen in Italien.
Zwei Jahrhunderte früher als alle Quellen der 290 griechischen Litteratur dem Abendlande eröffnet wurden, 25 Jahre vor der Geburt des Dante, einer der großen Epochen in der Culturgeschichte des südlichen Europa's: ereigneten sich im inneren Asien wie im östlichen Afrika Begebenheiten, welche bei dem erweiterten Handelsverkehr die Umschiffung von Afrika und die Expedition des Columbus beschleunigten. Die Heerzüge der Mongolen, in 26 Jahren von Peking und der chinesischen Mauer bis Krakau und Liegnitz, erschreckten die Christenheit. Eine Zahl rüstiger Mönche wurden als Bekehrer und Diplomaten ausgesandt: Johann de Plano Carpini und Nicolas Ascelin an Batu Chan, Ruisbroeck (Rubruquis) an Mangu Chan nach Karakorum. Von diesen reisenden Missionaren hat uns der zuletzt genannte feine und wichtige Bemerkungen über die räumliche Vertheilung der Sprach- und Völkerstämme in der Mitte des 13ten Jahrhunderts aufbewahrt. Er erkannte zuerst, daß die Hunnen, die Baschkiren (Einwohner von Paskatir, Baschgird des Ibn-Fozlan) und die Ungarn finnische (uralische) Stämme sind: er fand noch gothische Stämme, die ihre Sprache beibehalten, in den festen Schlössern der KrimS. die Beweise in meinem Examen crit. T. II. p. 316–320. Josafat Barbaro (1436) und Ghislin von Busbeck (1555) fanden noch zwischen Tana (Asow), Caffa und dem Erdil (der Wolga) Alanen und deutsch redende gothische Stämme (Ramusio delle Navigationi et Viaggi Vol. II. p. 92, b und 98, a). Roger Bacon nennt Rubruquis immer nur frater Willielmus, quem dominus Rex Franciae misit ad Tartaros.. Rubruquis machte die beiden mächtigen seefahrenden Nationen Italiens, die Venetianer und Genueser, lüstern nach den unermeßlichen Reichthümern des östlichen Asiens. Er kennt, ohne den großen Handelsort zu nennen, »die silbernen Mauern und goldenen Thürme« von Quinsay: dem heutigen Hangtschenfu, welches 25 Jahre später durch den größten Landreisenden aller Jahrhunderte, Marco PoloDas große und herrliche Werk des Marco Polo (il Milione di Messer Marco Polo), wie wir es in der correcten Ausgabe des Grafen Baldelli besitzen, wird fälschlich eine Reise genannt; es ist größtentheils ein beschreibendes, man möchte sagen statistisches Werk: in welchem schwer zu unterscheiden ist, was der Reisende selbst gesehen, was er von Anderen erfahren oder aus topographischen Beschreibungen, an denen die chinesische Litteratur so reich ist und die ihm durch seinen persischen Dolmetscher zugänglich werden konnten, geschöpft habe. Die auffallende Aehnlichkeit des Reiseberichts von Hinen-thsang, dem buddhistischen Pilger des siebenten Jahrhunderts, mit dem, was Marco Polo von dem Pamir-Hochlande 1277 erfahren, hatte früh meine ganze Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Der der asiatischen Sprachkunde leider so früh entzogene Jacquet, der sich, wie Klaproth und ich, lange mit dem venetianischen Reisenden beschäftigt hatte, schrieb mir kurz vor seinem Tode: »Je suis frappé comme Vous de la forme de rédaction littéraire du Milione. Le fond appartient sans doute à l'observation directe et personnelle du voyageur, mais il a probablement employé des documents qui lui ont été communiqués soit officiellement, soit en particulier. Bien des choses paraissent avoir été empruntées à des livres chinois et mongols, bien que ces influences sur la composition du Milione soient difficiles à reconnaître dans les traductions successives sur lesquelles Polo aura fondé ses extraits.« Eben so sehr als die neueren Reisenden sich nur zu gern mit ihrer Person beschäftigen, ist dagegen Marco Polo bemüht seine eigenen Beobachtungen mit den ihm mitgetheilten officiellen Angaben: deren er, als Gouverneur der Stadt Yangui, viele haben konnte, zu vermengen. (S. meine Asie centrale T. II. p. 395) Die compilirende Methode des berühmten Reisenden macht auch begreiflich, daß er im Gefängniß in Genua 1295 wie im Angesicht vorliegender Documente seinem mitgefangenen Freunde Messer Rustigielo aus Pisa sein Buch dictiren konnte. (Vergl. Marsden, travels of Marco Polo d. XXXIII.), so berühmt geworden ist. Wahrheit und naiver Irrthum finden sich sonderbar in Rubruquis, dessen Reisenachrichten uns Roger Bacon aufbewahrt, vermischt. Nahe bei dem Khatai, »das 291 vom östlichen Meere begrenzt ist«, beschreibt er ein glückliches Land, »in welchem fremde Männer und Frauen, so wie sie eingewandert sind, zu altern aufhören«Purchas, Pilgrimes Part III. chapt. 28 und 56 (p. 23 und 34).. Leichtgläubiger noch als der Brabanter Mönch, aber deshalb auch weit mehr gelesen, war der englische Ritter John Mandeville. Er beschreibt Indien und China, Ceylon und Sumatra. Der Umfang und die individuelle Form seiner Beschreibungen haben (wie die Itinerarien von Balducci Pegoletti und die Reise des Ruy Gonzalez de Clavijo) nicht wenig dazu beigetragen den Hang zu einem großen Weltverkehr zu beleben.
Man hat oft und mit sonderbarer Bestimmtheit behauptet, das vortreffliche Werk des wahrheitsliebenden Marco Polo, besonders die Kenntniß, welche dasselbe über die chinesischen Häfen und den indischen Archipelagus verbreitete, habe einen großen Einfluß auf Columbus ausgeübt, ja dieser sei sogar im Besitz eines Exemplars von Marco Polo auf seiner ersten Entdeckungsreise gewesen.Navarrete, coleccion de los Viages y Descubrimientos que hiciéron por mar los Españoles T. I. p. 261; Washington Irving, history of the life and voyages of Christopher Columbus 1828 Vol. IV. p. 297. Ich habe bewiesen, daß Christoph Columbus und sein Sohn Fernando wohl des Aeneas Sylvius (Pabsts Pius II) Geographie von Asien, aber nie Marco Polo und Mandeville nennen. Was sie von Quinsay, Zaitun, Mango und Zipangu wissen: kann aus dem berühmten Briefe des Toscanelli von 1474 über die Leichtigkeit das östliche Asien von Spanien aus zu erreichen, aus den Erzählungen des Nicolo de' Conti, welcher 25 Jahre lang Indien und das südliche China durchreist war, genommen sein, ohne unmittelbare Bekanntschaft mit den Capiteln 68 und 77 des 2ten Buchs des Marco Polo. Die älteste gedruckte Ausgabe seiner Reise ist eine, dem Columbus und Toscanelli gewiß gleich 292 unverständlich gebliebene, deutsche Uebersetzung von 1477. Daß Columbus zwischen den Jahren 1471 und 1492, in denen er sich mit seinem Projecte, »den Osten durch den Westen zu suchen (buscar el levante por el poniente, pasar á donde nacen las especerias, navegando al occidente)«, beschäftigte, ein Manuscript des venetianischen Reisenden gesehen haben könne: darf als Möglichkeit freilich nicht geläugnet werdenExamen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 63 und T. II. p. 350; Marsden, travels of Marco Polo p. LVII, LXX und LXXV. Während des Lebens des Columbus erschienen gedruckt die erste deutsche Nürnberger Uebersetzung von 1477 (das puch des edeln Ritters un landtfarers Marcho Polo), die erste lateinische Uebersetzung von 1490, die ersten italiänischen und portugiesischen Uebersetzungen von 1496 und 1502.; aber warum würde er sich in dem Briefe an die Monarchen aus Jamaica vom 7 Junius 1503, wo er die Küste von Veragua als einen Theil des asiatischen Ciguare nahe beim Ganges beschreibt und Pferde mit goldenem Geschirr zu sehen hofft, nicht lieber des Zipangu von Marco Polo als des Papa Pio erinnert haben?
Wenn die diplomatischen Missionen der Mönche und wohlgeleitete mercantilische Landreisen zu einer Zeit, wo die Weltherrschaft der Mongolen vom stillen Meere bis an die Wolga das Innere von Asien zugänglich machte, den großen seefahrenden Nationen eine Kenntniß von Khatai und Zipangu (China und Japan) verschafften; so bahnte die Sendung des Pedro de Covilham und Alonso de Payva (1487), welche König Johann II veranstaltete, um den »afrikanischen Priester Johannes« aufzusuchen, den Weg: wenn auch nicht für Bartholomäus Diaz, doch für Vasco de Gama. Vertrauend den Nachrichten, welche in Calicut, Goa und Aden wie in Sofala an der Ostküste Afrika's von indischen und arabischen Piloten eingezogen wurden: ließ Covilham den König Johann II durch zwei Juden aus Cairo wissen, daß, wenn die Portugiesen ihre Entdeckungsreisen an der Westküste gegen Süden weiter fortsetzten, sie an die Endspitze von Afrika gelangen würden: von wo aus die 293 Schifffahrt nach der Mond-Insel (Magastar des Polo), nach Zanzibar und dem goldreichen Sofala überaus leicht wäre. Ehe aber diese Nachrichten nach Lissabon gelangten, wußte man dort längst, daß Bartholomäus Diaz das Vorgebirge der guten Hoffnung (Cabo tormentoso) nicht bloß entdeckt, sondern (wenn auch nur auf eine kleine Strecke) umschifft hatte.Barros Dec. O. liv. III cap. 4 p. 190 sagt ausdrücklich: daß »Bartholomeu Diaz, e os de sua companhia per causa dos perigos, e tormentas, que em o dobrar delle passáram, lhe puzeram nome Tormentoso.« Das Verdienst der ersten Umschiffung gehört also nicht dem Vasco de Gama, wie man gewöhnlich angiebt. Diaz war am Vorgebirge im Mai 1487: also fast zu derselben Zeit als Pedro de Covilham und Alonso de Payva von Barcelona aus ihre Expedition antraten. Schon im December 1487 brachte Diaz selbst die Nachricht seiner wichtigen Entdeckung nach Portugal. Durch Aegypten, Abyssinien und Arabien konnten sich übrigens sehr früh im Mittelalter Nachrichten von den indischen und arabischen Handelsstationen an der afrikanischen Ostküste und von der Configuration der Südspitze des Continents nach Venedig verbreitet haben. Die triangulare Gestalt von Afrika ist in der That schon auf dem Planisphärium des SanutoDas Planisphärium des Sanuto, der sich selbst »Marinus Sanuto dictus Torxellus de Veneciis« nennt, gehört zu dem Werke Secreta fidelium Crucis. »Marinus prêcha adroitement une croisade dans l'intérêt du commerce, voulant détruire la prospérité de l'Égypte et diriger toutes les marchandises de l'Inde par Bagdad, Bassora et Tauris (Tebriz) à Kaffa, Tana (Azow), et aux côtes asiatiques de la Méditerranée. Contemporain et compatriote de Polo, dont il n'a pas connu le Milione, Sanuto s'élève à de grandes vues de politique commerciale. C'est le Raynal du moyen-âge, moins l'incrédulité d'un abbé philosophe du 18me siècle.« (Examen crit. T. I. p. 231 und 333–348.) Das Vorgebirge der guten Hoffnung heißt Capo du Diab auf der Karte des Fra Mauro, welche zwischen 1457 und 1459 zusammengetragen wurde; s. die gelehrte Schrift des Cardinals Zurla: il Mappamondo di Fra Mauro Camaldolese 1806 § 54. von 1306, in dem genuesischen Portulano della Mediceo-Laurenziana von 1351, welchen der Graf Baldelli aufgefunden, und auf der Weltkarte von Fra Mauro deutlich abgebildet. Die Geschichte der Weltanschauung bezeichnet, ohne dabei zu verweilen, die Epochen, in denen die Hauptgestaltung der großen Continental-Massen zuerst erkannt wurde.
Indem die sich allmälig entwickelnde Kenntniß der Raumverhältnisse dazu anregte auf Abkürzungen von Seewegen zu denken, wuchsen auch schnell die Mittel, durch Anwendung der Mathematik und Astronomie, durch Erfindung neuer Meßinstrumente und geschicktere Benutzung der magnetischen Kräfte die praktische Nautik zu vervollkommnen. Die Benutzung der Nord- und Südweisung des Magnets, d. i. den Gebrauch des Seecompasses, verdankt Europa sehr wahrscheinlich den Arabern und diese verdanken sie wiederum den Chinesen. In einem chinesischen Werke (in dem historischen Szuki des Szumathsian, eines 294 Schriftstellers aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung) wird der magnetischen Wagen erwähnt, welche der Kaiser Tschingwang aus der alten Dynastie der Tscheu über 900 Jahre früher den Gesandten von Tunkin und Cochinchina geschenkt hatte, damit sie ihren Landweg zur Rückkehr nicht verfehlen möchten. Im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, unter der Dynastie der Han, wird in Hintschin's Wörterbuche Schuewen die Art beschrieben, wie man durch methodisches Streichen einem Eisenstabe die Eigenschaft giebt sich mit dem einen Ende gegen Süden zu richten. Wegen der gewöhnlichsten Richtung der dasigen Schifffahrt wird immer vorzugsweise die Südweisung erwähnt. Hundert Jahre später, unter der Dynastie der Tsin, benutzen dieselbe schon chinesische Schiffe, um ihre Fahrt auf offenem Meere sicher zu leiten. Durch diese Schiffe hatte die Kenntniß der Boussole sich nach Indien und von da nach der Ostküste von Afrika verbreitet. Die arabischen Benennungen zohron und aphron (für Süd und Nord)Avron oder avr (aur) ist ein seltneres Wort für Nord statt des gewöhnlichen schemâl; das arabische zohron oder zohr, von welchem Klaproth irrthümlich das spanische sur und portugiesische sul (das mit unserm Süd ohne Zweifel ein ächt germanisches Wort ist) abzuleiten sucht, paßt nicht eigentlich zu der Benennung der Weltgegend: es bedeutet nur die Zeit des hohen Mittages; Süden heißt dschenûb. Ueber die frühe Kenntniß der Chinesen von der Südweisung der Magnetnadel s. Klaproth's wichtige Untersuchungen in der Lettre à M. A. de Humboldt, sur l'invention de la Boussole 1834 p. 41, 45, 50, 66, 79 und 90; und die schon 1805 erschienene Schrift von Azuni aus Nizza: dissertation sur l'origine de la Boussole p. 35 und 65–68. Navarrete in seinem discurso historico sobre los progresos del Arte de Navegar en España 1802 p. 28 erinnert an eine merkwürdige Stelle in den spanischen Leyes de las Partidas (II, tit. IX ley 28) aus der Mitte des 13ten Jahrhunderts: »die Nadel, welche den Schiffer in der finsteren Nacht leitet und ihm bei gutem wie bei bösem Wetter zeigt, wohin er sich richten soll, ist die Vermittlerinn (medianera) zwischen dem Magnetsteine (la piedra) und dem Nordsterne . . . .« S. die Stelle in las siete Partidas del sabio Rey Don Alonso el IX (nach gewöhnlicher Zählung el X), Madrid 1829 T. I. p. 473., welche Vincenz von Beauvais in seinem Naturspiegel den beiden Enden der Magnetnadel giebt, bezeugen (wie die vielen arabischen Sternnamen, deren wir uns heute noch bedienen), auf welchem Wege und durch wen das Abendland belehrt wurde. In dem christlichen Europa ist von dem Gebrauch der Nadel, als von einem ganz bekannten Gegenstande, zuerst in einem politisch-satirischen Gedichte la Bible des Guyot von Provins 1190 und in der Beschreibung von Palästina des Bischofs von Ptolemais Jacob von Vitry zwischen 1204 und 1215 geredet worden. Auch Dante (Parad. XII, 29) erwähnt in einem Gleichniß der Nadel (ago), »die nach dem Sterne weist«.
295 Dem Flavio Gioja aus Positano, unweit des schönen und durch seine weit verbreiteten Seegesetze so berühmten Amalfi, hat man lange die Erfindung des Seecompasses zugeschrieben; vielleicht war von demselben (1302) irgend eine Vervollkommnung in der Vorrichtung angegeben worden. Eine viel frühere Benutzung des Compasses in den europäischen Gewässern als im Anfang des 14ten Jahrhunderts beweist auch eine nautische Schrift des Raymundus Lullus aus Majorca: des sonderbaren geistreichen, excentrischen Mannes, dessen Doctrinen Giordano Bruno schon als Knaben begeistertenJordano Bruno par Christian Bartholomèss 1847 T. II. p. 181–187. und der zugleich philosophischer Systematiker, Scheidekünstler, christlicher Bekehrer und Schifffahrtskundiger war. In seinem Buche Fenix de las maravillas del orbe, das im Jahr 1286 verfaßt ist, sagt Lullus, daß die Seefahrer seiner Zeit sich der »Meßinstrumente, der Seekarten und der Magnetnadel« bedienten.»Tenian los mareantes instrumento, carta, compas y aguja.« Salazar, discurso sobre los progresos de la Hydrigrafia en España 1809 p. 7. Die frühen Schifffahrten der Catalanen nach der Nordküste von Schottland und nach der Westküste des tropischen Afrika's (Don Jayme Ferrer gelangte im Monat August 1346 an den Ausfluß des Rio de Ouro), die Entdeckung der Azoren (Bracir-Inseln der Weltkarte von Picigano 1367) durch die Normänner erinnern uns, daß lange vor Columbus man den freien westlichen Ocean durchschiffte. Was unter der Römerherrschaft im indischen Meere zwischen Ocelis und der malabarischen Küste bloß im Vertrauen auf die Regelmäßigkeit der WindesrichtungenKosmos Bd. II. S. 203. ausgeführt wurde, geschah jetzt unter Leitung der Magnetnadel.
Die Anwendung der Astronomie auf die Schifffahrtskunde war vorbereitet durch den Einfluß, welchen vom 13ten zum 15ten Jahrhundert in Italien Andalone del Nero und 296 der Berichtiger der Alphonsinischen Himmelstafeln Johann Bianchini: in Deutschland Nicolaus von CusaUeber Cusa (Nicolaus von Cuß, eigentlich von Cues an der Mosel) s. oben Kosmos Bd. II. S. 140 und Clemens Abhandlung über Giordano Bruno und Nicolaus de Cusa S. 97: wo ein wichtiges, erst vor drei Jahren aufgefundenes Bruchstück von Cusa's eigener Hand, eine dreifache Bewegung der Erde betreffend, mitgetheilt wird. (Vergl. auch Chasles, aperçu sur l'origine des méthodes en Géométrie 1837 p. 529.), Georg von Peurbach und Regiomontanus ausübten. Astrolabien zur Bestimmung der Zeit und der geographischen Breite durch Meridianhöhen, anwendbar auf einem immer bewegten Elemente, erhielten allmälige Vervollkommnung: sie erhielten sie von dem Astrolabium der Piloten von Majorca an, welches Raymund LullusNavarrete, disertacion histórica sobre la parte que tuviéron los Españoles en las guerras de Ultramar ó de las Cruzadas 1816 p. 100 und Examen crit. T. I. p. 274–277. Dem Lehrer des Regiomontanus, Georg von Peuerbach, wird eine wichtige Verbesserung der Beobachtung durch den Gebrauch des Bleiloths zugeschrieben. Letzteres wurde aber längst von den Arabern angewandt: wie die im 13ten Jahrhundert abgefaßte Beschreibung der astronomischen Instrumente von Abul-Hassan Ali lehrt; Sédillot, traité des Instruments astronomiques des Arabes 1835 p. 379, 1841 p. 205. in dem Jahre 1295 in seiner Arte de navegar beschreibt, bis zu dem, das Martin Behaim 1484 zu Lissabon zu Stande brachte und das vielleicht nur eine Vereinfachung des Meteoroscops seines Freundes Regiomontanus war. Als der Infant Heinrich der Seefahrer (Herzog von Viseo) in Sagres eine Piloten-Akademie stiftete, wurde Maestro Jayme aus Majorca zum Director derselben ernannt. Martin Behaim hatte den Auftrag vom König Johann II von Portugal, Tafeln für die Abweichung der Sonne zu berechnen und die Piloten zu lehren »nach Sonnen- und Sternhöhen zu schiffen«. Ob man schon am Ende des 15ten Jahrhunderts die Vorrichtung der Logleine gekannt habe, um neben der durch den Compaß bestimmten Richtung auch die Länge des zurückgelegten Weges zu schätzen, kann nicht entschieden werden; doch ist gewiß, daß Pigafetta, Magellan's Begleiter, von dem Log (la catena a poppa) wie von einem längst bekannten Mittel spricht den zurückgelegten Weg zu messen.Es ist in allen Schriften über die Schifffahrtskunde, die ich untersucht, die irrige Meinung verbreitet, als sei das Log zur Messung des zurückgelegten Weges nicht früher angewandt worden als seit dem Ende des 16ten oder im Anfang des 17ten Jahrhunderts. In der Encyclopaedia britannica (7th edit. von 1842) Vol. XIII. p. 416 heißt es noch: »the author of the device for measuring the ship's way is not known and no mention of it occurs till the year 1607 in an East India voyage published by Purchas.« Dieses Jahr ist auch in allen früheren und späteren Wörterbüchern (Gehler Bd. VI. 1831 S. 450) als äußerste Grenze angeführt worden. Nur Navarrete in der disertacion sobre los progresos del Arte de Navegar 1802 setzt den Gebrauch der Loglinie auf englischen Schiffen in das Jahr 1577 (Duflot de Mofras, notice biographique sur Mendoza et Navarrete 1845 p. 64); später, an einem anderen Orte (coleccion de los Viages de los Españoles T. IV. 1837 p. 97), behauptet er: »zu Magellan's Zeiten sei die Schnelligkeit des Schiffes nur á ojo (nach dem Augenmaaße) geschätzt worden, bis erst im 16ten Jahrhunderte die corredera (das Log) erfunden wurde«. Die Messung der »gesegelten Distanz« durch Auswerfen der Loglinie ist, wenn auch das Mittel an sich unvollkommen genannt werden muß, doch von so großer Wichtigkeit für die Kenntniß der Schnelligkeit und Richtung oceanischer Strömungen geworden, daß ich sie zu einem Gegenstande sorgfältiger Untersuchungen habe machen müssen. Ich theile hier die Hauptresultate mit, die in dem noch nicht erschienenen 6ten Bande meines Examen critique de l'histoire de la Géogr. et des progrès de l'Astronomie nautique enthalten sind. Die Römer hatten zur Zeit der Republik auf ihren Schiffen Wegmesser, die in 4 Fuß hohen, mit Schaufeln versehenen Rädern an dem äußern Schiffsborde bestanden: ganz wie bei unseren Dampfschiffen und wie bei der Vorrichtung zur Bewegung von Fahrzeugen, welche Blasco de Garay 1543 zu Barcelona dem Kaiser Carl V angeboten hatte (Arago, Annuaire du Bur. des Long. 1829 p. 152). Der altrömische Wegmesser (»ratio a majoribus tradita, qua in via rheda sedentes vel mari navigantes scire possumus quot millia numero itineris fecerimus«) ist umständlich von Vitruvius (lib. X cap. 14), dessen Augusteisches Zeitalter freilich neuerlichst von C. Schultz und Osann sehr erschüttert worden ist, beschrieben. Durch drei in einander greifende gezähnte Räder und das Herabfallen kleiner runder Steinchen aus einem Radgehäuse (loculamentum), das nur ein einziges Loch hat, ward die Zahl der Umgänge der äußeren Räder, welche in das Meer tauchten, und die Zahl der zurückgelegten Meilen in einer Tagereise angegeben. Ob diese Hodometer im mittelländischen Meere viel gebraucht worden sind, »da sie Nutzen und auch Vergnügen« gewähren konnten, sagt Vitruvius nicht. In der Lebensbeschreibung des Kaisers Pertinax von Julius Capitolinus wird des verkauften Nachlasses des Kaisers Commodus erwähnt (cap. 8; in Hist. Augustae Script. ed. Ludg. Bat. 1671 T. I. p. 554): in welchem sich ein Reisewagen, mit einer ähnlichen Hodometereinrichtung versehen, befand. Die Räder gaben zugleich »das Maaß des zurückgelegten Weges und die Dauer der Reise«, in Stunden, an. Einen viel vollkommneren, ebenfalls zu Wasser und zu Lande gebrauchten Wegmesser hat Hero von Alexandrien, der Schüler des Ktesibius, in seiner, griechisch noch unedirten Schrift über die Dioptern beschrieben (s. Venturi, comment. sopra la storia dell' Ottica, Bologna 1814 T. I. p. 134–139). In der Litteratur des ganzen Mittelalters findet sich wohl nichts über den Gegenstand, den wir hier behandeln, bis man zu der Epoche der vielen, kurz nach einander verfaßten oder in Druck erschienenen Lehrbücher der Nautik von Antonio Pigafetta (trattato di Navigazione, wahrscheinlich vor 1530), Francisco Falero (1535: Bruder des Astronomen Ruy Falero, der den Magellan auf seiner Reise um die Welt begleiten sollte und ein regimiento para observar la longitud en la mar hinterließ), Pedro de Medina aus Sevilla (arte de navegar 1545), Martin Cortes aus Bujalaroz (breve compendio de la esfera y de la arte de navegar 1551) und Andres Garcia de Cespedes (regimiento de Navegacion y Hidrografia 1606) gelangt. Aus fast allen diesen, zum Theil jetzt sehr seltenen Werken, wie aus der Suma de Geografia, welche Martin Fernandez de Enciso 1519 herausgab, erkennt man deutlichst, daß die »gesegelte Distanz« auf spanischen und portugiesischen Schiffen nicht durch irgend unmittelbare Messung. sondern nur durch Schätzung nach dem Augenmaaße und nach gewissen numerisch festgesetzten Grundsätzen zu bestimmen gelehrt wird. Medina sagt (libro III cap. 11 und 12): »um den Curs des Schiffes in der Länge des durchlaufenen Raumes zu kennen, muß der Pilot nach Stunden (d. h. durch die Sanduhr, ampolleta, geleitet) in seinem Register aufzeichnen, wie viel das Schiff zurückgelegt; er muß deshalb wissen, daß das meiste, was er in einer Stunde fortschreitet, vier Meilen sind; bei schwächerem Winde drei, auch nur zwei . . . .« Cespedes (Regimiento p. 99 und 156) nennt dies Verfahren wie Medina echa punto por fantasia. Diese fantasia hängt allerdings, wenn man großen Irrthum vermeiden will, wie Enciso richtig bemerkt, von der Kenntniß ab, welche der Pilot von der Qualität seines Schiffes hat; aber im ganzen wird jeder, der lange auf dem Meere war, doch meist mit Verwunderung bemerkt haben, wie übereinstimmend die bloße Schätzung der Geschwindigkeit des Schiffes, bei nicht sehr hohem Wellenschlage, mit dem später erhaltenen Resultate des ausgeworfenen Logs ist. Einige spanische Piloten nennen die alte, freilich gewagte Methode bloßer Schätzung (cuenta de estima), gewiß sehr ungerecht sarcastisch: la corredera de los Holandeses, corredera de los perezosos. In dem Schiffsjournale des Christoph Columbus wird oft des Streites gedacht mit Alonso Pinzon über die Länge des zurückgelegten Weges seit der Abfahrt von Palos. Die gebrauchten Sanduhren, ampolletas, liefen in einer halben Stunde ab, so daß der Zeitraum von Tag und Nacht zu 48 ampolletas gerechnet wurde. Es heißt in jenem wichtigen Schiffsjournale des Columbus (z. B. den 22 Januar 1493): »andaba 8 millas por hora hasta pasadas 5 ampolletas, y 3 antes que comenzase la guardia, que eran 8 ampolletas« (Navarrete T. I. p. 143). Das Log, la corredera, wird nie genannt. Soll man annehmen, Columbus habe es gekannt, benutzt und als ein schon sehr gewöhnliches Mittel nicht zu nennen nöthig erachtet: wie Marco Polo nicht des Thees und der chinesischen Mauer erwähnt hat? Eine solche Annahme scheint mir schon deshalb sehr unwahrscheinlich, weil in den Vorschlägen, welche der Pilot Don Jayme Ferrer 1495 einreicht, um die Lage der päbstlichen Demarcations-Linie genau zu ergründen, es auf die Bestimmung der »gesegelten Distanz« ankommt, und doch nur das übereinstimmende Urtheil (juicio) von 20 sehr erfahrenen Seeleuten angerufen wird (que apunten en su carta de 6 en 6 horas el camino que la nao fará segun su juicio). Hätte das Log angewandt werden sollen, so würde Ferrer gewiß vorgeschrieben haben, wie oft es ausgeworfen werden sollte. Die erste Anwendung des Loggens finde ich in einer Stelle von Pigafetta's Reisejournal der Magellanischen Weltumseglung, das lange in der Ambrosianischen Bibliothek in Mailand unter den Handschriften vergraben lag. Es heißt darin im Januar 1521, als Magellan schon in die Südsee gelangt war: »secondo la misura che facevamo del viaggio colla catena a poppa, noi percorrevamo da 60 in 70 leghe al giorno« (Amoretti, primo Viaggio intorno al Globo terracqueo, ossia Navigazione fatta dal Cavaliere Antonio Pigafetta sulla squadra del Cap. Magaglianes, 1800, p. 46). Was kann diese Vorrichtung der Kette am Hintertheil des Schiffes (catena a poppa): »deren wir uns auf der ganzen Reise bedienten, um den Weg zu messen«, anders gewesen sein als eine unserem Log ähnliche Einrichtung? Der aufgewickelten, in Knoten getheilten Loglinie, des Logbrettes oder Logschiffes und des Halb-Minuten- oder Logglases geschieht keine besondere Erwähnung; aber dieses Stillschweigen kann nicht verwundern, wenn von einer längst bekannten Sache geredet wird. Auch in dem Theile des trattato di Navigazione des Cavaliere Pigafetta, den Amoretti im Auszuge geliefert hat (freilich nur von 10 Seiten), wird die catena della poppa nicht wieder genannt.
Der Einfluß der arabischen Civilisation, der astronomischen Schulen von Cordova, Sevilla und Granada auf das Seewesen in Spanien und Portugal ist nicht zu übersehen. Man ahmte für das Seewesen im kleinen die großen Instrumente der Schulen von Bagdad und Cairo nach. 297 Auch die Namen gingen über. Der des Astrolabon, welches Martin Behaim an den großen Mast befestigte, gehört ursprünglich dem Hipparch. Als Vasco de Gama an der Ostküste von Afrika landete, fand er, daß die indischen Piloten in Melinde den Gebrauch der Astrolabien und Ballestillen kannten.Barros Dec. I. liv. IV p. 320. So war durch Mittheilung bei zunehmendem Weltverkehr wie durch eigene Erfindungsgabe und gegenseitige Befruchtung des mathematischen und astronomischen Wissens alles vorbereitet, um die Entdeckung des tropischen Amerika's, die schnelle Bestimmung seiner Gestaltung, die Schifffahrt um die Südspitze von Afrika nach Indien, und die erste Weltumseglung: d. h. alles, was großes und ruhmwürdiges für die erweiterte Kenntniß des Erdraumes in dreißig Jahren (von 1492 bis 1522) geschehen ist, zu erleichtern. Auch der Sinn der Menschen war geschärfter, um die grenzenlose Fülle neuer Erscheinungen in sich aufzunehmen, zu verarbeiten und durch Vergleichung für allgemeine und höhere Weltansichten zu benutzen.
Von den Elementen dieser höheren Weltansichten: solcher, die zu der Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen auf dem Erdkörper leiten konnten, genügt es hier nur die vorzüglicheren zu berühren. Wenn man sich ernsthaft mit den Originalwerken der frühesten Geschichtsschreiber der Conquista beschäftigt, so erstaunt man, oft schon den Keim wichtiger physischer Wahrheiten in den spanischen Schriftstellern des 16ten Jahrhunderts zu entdecken. Bei dem Anblick eines Festlandes, welches in den weiten Einöden des Oceans von allen anderen Gebieten der Schöpfung getrennt erschien, bot sich sowohl der angeregten Neugierde der ersten Reisenden als denen, welche 298 ihre Erzählungen sammelten, ein großer Theil der wichtigen Fragen dar, die uns noch heute beschäftigen: Fragen über die Einheit des Menschengeschlechts und dessen Abweichungen von einer gemeinsamen Urgestaltung; über die Wanderungen der Völker und die Verschwisterung von Sprachen, welche in ihren Wurzelwörtern oft größere Verschiedenheit als in den Flexionen oder grammatischen Formen offenbaren: über die Möglichkeit der Wanderung von Pflanzen und Thierarten, über die Ursache der Passatwinde und der constanten Meeresströmungen, über die regelmäßige Wärme-Abnahme an dem Abhange der Cordilleren und in der Tiefe des Oceans in über einander gelagerten Wasserschichten, über die gegenseitige Einwirkung der in Ketten auftretenden Vulkane und den Einfluß derselben auf die Frequenz der Erdbeben und die Ausdehnung der Erschütterungskreise. Die Grundlage von dem, was man heute physikalische Erdbeschreibung nennt, ist, die mathematischen Betrachtungen abgerechnet, in des Jesuiten Joseph Acosta Historia natural y moral de las Indias wie in dem, kaum 20 Jahre nach dem Tode des Columbus erschienenen Werke von Gonzalo Hernandez de Oviedo enthalten. In keinem anderen Zeitpunkte seit dem Entstehen des gesellschaftlichen Zustandes war der Ideenkreis in Bezug auf die Außenwelt und die räumlichen Verhältnisse so plötzlich und auf eine so wunderbare Weise erweitert, das Bedürfniß lebhafter gefühlt worden die Natur unter verschiedenen Breitengraden und in verschiedenen Höhen über der Meeresfläche zu beobachten; die Mittel zu vervielfältigen, durch welche sie befragt werden kann.
Man möchte sich vielleicht, wie ich schon an einem 299 anderen OrteExamen crit. T. I. p. 3–6 und 290. bemerkt habe, zu der Annahme verleiten lassen, daß der Werth so großer Entdeckungen, die sich gegenseitig hervorriefen, der Werth dieser zwiefachen Eroberungen in der physischen und in der intellectuellen Welt erst in unseren Tagen anerkannt worden ist, seitdem die Culturgeschichte des Menschengeschlechts sich einer philosophischen Behandlung erfreut. Eine solche Annahme wird durch die Zeitgenossen des Columbus widerlegt. Die talentvollsten unter ihnen ahndeten den Einfluß, welchen die Begebenheiten der letzten Jahre des funfzehnten Jahrhunderts auf die Menschheit ausüben würden. »Jeder Tag«, schreibt Peter Martyr von AnghieraVergl. Opus Epistolarum Petri Martyris Anglerii Mediolanensis 1670 ep. CXXX und CLII. »Prae laetitia prosiliisse te, vixque à lachrymis prae gaudio temperasse, quando literas adspexisti meas, quibus de Antipodum Orbe, latenti hactenus, te certiorem feci, mi suavissime Pomponi, insinuasti. Ex tuis ipse literis colligo, quid senseris. Sensisti autem, tantique rem fecisti, quanti virum summa doctrina insignitum decuit. quis namque cibus sublimibus praestari potest ingeniis isto suavior? quod condimentum gratius? à me facio conjecturam. Beari sentio spiritus meos, quando accitos alloquor prudentes aliquos ex his qui ab ea redeunt provincia (Hispaniola insula).« Der Ausdruck Christophorus quidam Colonus erinnert, ich sage nicht an das zu oft und mit Unrecht citirte nescio quis Plutarchus des Aulus Gellius (Noct. Atticae XI, 16), aber wohl an das quodam Cornelio scribente in dem Antwortsschreiben des Königs Theodorich an den Fürsten der Aestyer, welcher aus der Germania cap. 45 des Tacitus über den wahren Ursprung des Bernsteins belehrt werden sollte. in seinen Briefen aus den Jahren 1493 und 1494, »bringt uns neue Wunder aus einer Neuen Welt; von jenen Antipoden des Westens, die ein gewisser Genueser (Christophorus quidam, vir Ligur) aufgefunden hat. Von unseren Monarchen, Ferdinand und Isabella, ausgesandt, hatte er mit Mühe drei Schiffe erlangen können: weil man für fabelhaft hielt, was er sagte. Unser Freund Pomponius Lätus (einer der ausgezeichnetsten Beförderer der classischen Litteratur und wegen seiner religiösen Meinungen zu Rom verfolgt) hat sich kaum der Freudenthränen enthalten können, als ich ihm die erste Nachricht von einem so unverhofften Ereignisse mittheilte.« Anghiera, dem wir diese Worte entlehnen, war ein geistreicher Staatsmann an dem Hofe Ferdinands des Catholischen und Carls V: einmal Gesandter in Aegypten; persönlicher Freund von Columbus, Amerigo Vespucci, Sebastian Cabot und Cortes. Sein langer Lebenslauf umfaßt die Entdeckung der westlichsten azorischen Insel, Corvo; die Expeditionen von Diaz, Columbus, Gama und Magellan. 300 Der Papst Leo X las seiner Schwester und den Cardinälen »bis in die tiefe Nacht« die Oceanica des Anghiera vor. »Spanien«, sagt dieser, »möchte ich von jetzt an nicht wieder verlassen, weil ich hier an der Quelle der Nachrichten aus den neu entdeckten Ländern stehe und als Geschichtsschreiber so großer Begebenheiten hoffen darf meinem Namen einigen Ruhm bei der Nachwelt zu verschaffen.«Opus Epistol. No. CCCCXXXVII und DLXII. Auch der begeisterte Wundermann Hieronymus Cardanus, Phantastiker und doch scharfsinniger Mathematiker zugleich, macht in seinen physischen Problemen darauf aufmerksam, was die Erdkunde den Thatsachen verdanke, zu deren Beobachtung ein einziger Mann geleitet habe! Cardani Opera ed. Lugdun. 1663 T. II. Probl. p. 630 und 659: »at nunc quibus te laudibus afferam, Christophore Columbi, non familiae tantum, non Genuensis urbis, non Italiae Provinciae, non Europae partis orbis solum sed humani generis decus.« Wenn ich die Probleme des Cardanus mit denen aus der späten Schule des Stagiriten verglichen habe, so ist bei der Verworrenheit und Schwäche der physischen Erklärungen, welche in beiden Sammlungen fast gleichmäßig herrscht, mir doch augenscheinlich und für die Epoche einer so plötzlich erweiterten Erdkunde charakteristisch geworden, daß bei Cardanus der größere Theil der Probleme sich auf die vergleichende Meteorologie bezieht. Ich erinnere an die Betrachtungen über das warme Inselklima von England im Contrast mit dem Winter in Mailand, über die Abhängigkeit des Hagels von electrischen Explosionen, über die Ursach und Richtung der Meeresströmungen; über das Maximum der atmosphärischen Wärme und Kälte, das erst nach jedem der beiden Solstitien eintritt; über die Höhe der Schneeregion unter den Tropen; über die Temperatur, welche durch die Wärmestrahlung der Sonne und aller Sterne zugleich bedingt wird; über die größere Lichtstärke des südlichen Himmels u. s. w. »Kälte ist bloß Abwesenheit der Wärme. Licht und Wärme sind nur dem Namen nach verschieden, und in sich unzertrennlich.« (Cardani Opp. T. I. de vita propria p. 40; T. II. Probl. p. 621, 630–632, 653 und 713; T. III. de subtilitate p. 417. So lebhaft wurde von den Zeitgenossen gefühlt, was glänzend in den spätesten Erinnerungen aller Jahrhunderte leben wird.
Columbus, indem er das westlich von dem Meridian der azorischen Inseln noch ganz unerforschte Meer durchschiffte und zur Ortsbestimmung das neu vervollkommnete Astrolabium anwandte, suchte das östliche Asien auf dem Wege gegen Westen nicht als ein Abenteurer; er suchte es nach einem festen vorgefaßten Plane. Er hatte allerdings die Seekarte am Bord, welche ihm der florentiner Arzt und Astronom Paolo Toscanelli 1477 geschickt hatte und welche 53 Jahre nach seinem Tode noch Bartholomäus de las Casas besaß. Nach der handschriftlichen Geschichte des Letzteren, die ich untersucht, war dies auch die Carta de marearS. mein Examen crit. T. I. p. 210–249. Nach der handschriftlichen Historia general de las Indias lib. I cap. 12 war »la carta de marear, que Maestro Paulo Fiscio (Toscanelli) envió á Colon« in den Händen von Bartholomé de las Casas, als er sein Werk schrieb. Das Schiffsjournal des Columbus, von dem wir einen Auszug besitzen (Navarrete T. I. p. 13), stimmt nicht ganz mit der Erzählung überein, welche ich in der Handschrift des Las Casas finde, deren gütige Mittheilung ich Herrn Ternaux-Compans verdanke. Das Schiffsjournal sagt: »Iba hablando el Almirante (martes 25 de Setiembre 1492) con Martin Alonso Pinzon, capitan de la otra carabela Pinta, sobre una carta que le habia enviado tres dias hacia á la carabela, donde segun parece tenia pintadas el Almirante ciertas islas por aquella mar....« Dagegen steht in der Handschrift des Las Casas lib. I cap. 12: »La carta de marear que embió (Toscanelli al Almirante) yo que esta historia escrivo la tengo en mi poder. Creo que todo su viage sobre esta carta fundó«; lib. I cap. 38: »asi fué que el martes 25 de Setiembre llegase Martin Alonso Pinzon con su caravela Pinta á hablar con Christobal Colon sobre una carta de marear que Christobal Colon le avia embiado... Esta carta es la que le embió Paulo Fisico el Florentin, la qual yo tengo en mi poder con otras cosas del Almirante y escrituras de su misma mano que traxéron á mi poder. En ella le pintó muchas islas...« Soll man annehmen, der Admiral habe in die Karte des Toscanelli die zu erwartenden Inseln hineingezeichnet? oder soll tenia pintadas bloß sagen: »der Admiral hatte eine Karte, auf der gemalt waren . . . .«?, welche der Admiral am 25 September 1492 dem Martin Alonso Pinzon zeigte und auf der mehrere vorliegende Inseln eingezeichnet waren. Wäre indeß Columbus der Karte seines Rathgebers Toscanelli allein gefolgt, so würde er einen nördlicheren Curs und zwar im Parallelkreise von Lissabon gehalten haben; er steuerte dagegen, in der Hoffnung Zipangu (Japan) schneller zu erreichen, die Hälfte des Weges in der Breite der canarischen Insel Gomera: und später in Breite abnehmend, befand er sich am 7 October 1492 unter 25°½. Unruhig darüber die Küsten von Zipangu 301 nicht zu entdecken, die er nach seiner Schiffsrechnung schon 216 Seemeilen östlicher hatte finden sollen: gab er nach langem Streite dem Befehlshaber der Caravele Pinta, dem eben genannten Martin Alonso Pinzon (einem der drei reichen, einflußvollen, ihm feindlichen Brüder), nach und steuerte gegen Südwest. Diese Veränderung der Richtung führte am 12 October zur Entdeckung von Guanahani.
Wir müssen hier bei einer Betrachtung verweilen, die eine wundersame Verkettung kleiner Begebenheiten und den nicht zu verkennenden Einfluß einer solchen Verkettung auf große Weltschicksale offenbart. Der verdienstvolle Washington Irving hat mit Recht behauptet, daß, wenn Columbus, dem Rathe des Martin Alonso Pinzon widerstehend, fortgefahren hätte gegen Westen zu segeln, er in den warmen Golfstrom gerathen wäre und nach Florida und von dort vielleicht nach dem Cap Hatteras und Virginien würde geführt worden sein: ein Umstand von unermeßlicher Wichtigkeit, da er den jetzigen Vereinigten Staaten von Nordamerika statt einer spät angelangten protestantisch-englischen Bevölkerung eine catholisch-spanische hätte geben können. »Es ist mir«, sagte Pinzon zu dem Admiral, »wie eine Eingebung (el corazon me da), daß wir anders steuern müssen.« Auch behauptete er deshalb in dem berühmten Processe, der (1513–1515) gegen die Erben des Columbus geführt wurde, daß die Entdeckung von Amerika ihm allein gehöre. Die Eingebung aber und, »was das Herz ihm sagte«, verdankte Pinzon, wie in demselben Proceß ein alter Matrose aus Moguer erzählt, dem Flug einer Schaar von Papageien, die er Abends hatte gegen Südwesten fliegen sehen, um, wie er vermuthen konnte, in einem Gebüsch am 302 Lande zu schlafen. Niemals hat der Flug der Vögel gewichtigere Folgen gehabt. Man könnte sagen, er habe entschieden über die ersten Ansiedelungen im Neuen Continent, über die ursprüngliche Vertheilung romanischer und germanischer Menschenracen.Navarrete, Documentos No. 69, in T. II. der Viages y descubr. p. 565–571; Examen crit. T. I. p. 234–249 und 252, T. III. p. 148–165 und 224. Ueber den bestrittenen ersten Landungspunkt in Westindien s. T. III. p. 186–222. Die so berühmt gewordene, im Jahr 1832 während der Cholera-Epidemie von Walckenaer und mir erkannte Weltkarte des Juan de la Cosa, welche 6 Jahre vor dem Tode des Columbus entworfen ist, hat ein neues Licht über diese Streitfrage verbreitet.
Der Gang großer Begebenheiten ist wie die Folge der Naturerscheinungen an ewige Gesetze gefesselt, deren wir nur wenige vollständig erkennen. Die Flotte, welche König Emanuel von Portugal auf dem Wege, den Gama entdeckt, unter dem Befehle des Pedro Alvarez Cabral nach Ostindien schickte, wurde unvermuthet am 22 April 1500 an die Küste von Brasilien verschlagen. Bei dem Eifer, welchen die Portugiesen seit der Unternehmung des Diaz (1487) für die Umschiffung des Vorgebirges der guten Hoffnung zeigten, hätte es nicht an einer Wiederholung von Zufällen fehlen können, denen ähnlich, welche oceanische Strömungen auf Cabral's Schiffe ausgeübt haben. Die afrikanischen Entdeckungen würden demnach die Entdeckung von Amerika südlich vom Aequator veranlaßt haben. So durfte Robertson sagen, es habe in den Schicksalen der Menschheit gelegen, daß vor dem Ende des 15ten Jahrhunderts der Neue Continent den europäischen Seefahrern bekannt würde.
Unter den Charakter-Eigenschaften von Christoph Columbus müssen besonders der durchdringende Blick und der Scharfsinn hervorgehoben werden, womit er: ohne gelehrte Bildung, ohne physikalische und naturhistorische Kenntnisse, die Erscheinungen der Außenwelt erfaßt und combinirt. Bei seiner Ankunft »in einer neuen Welt und unter einem neuen Himmel«Ueber das naturbeschreibende, oft dichterische Talent des Columbus s. oben Kosmos Bd: II. S. 55–57. beachtet er aufmerksam die Form der Ländermassen, die Physiognomik der Vegetation, die Sitten der Thiere, die 303 Vertheilung der Wärme und die Variationen des Erd-Magnetismus. Während der alte Seemann sich bestrebt die Specereien Indiens und den Rhabarber (ruibarba) aufzufinden, der durch die arabischen und jüdischen Aerzte, durch Rubruquis und die italiänischen Reisenden schon eine so große Berühmtheit erlangt hatte, untersuchte er auf das genaueste Wurzeln und Früchte und Blattbildung der Pflanzen. Indem hier an den Einfluß erinnert werden soll, welchen die große Epoche der Seefahrten auf die Erweiterung der Natur-Ansichten ausgeübt, wird die Schilderung an Lebendigkeit gewinnen, wenn sie an die Individualität eines großen Mannes geknüpft ist. In seinem Reisejournal und in seinen Berichten, die erst 1825 bis 1829 veröffentlicht worden sind, findet man bereits fast alle Gegenstände berührt, auf welche sich in der letzten Hälfte des 15ten und im ganzen 16ten Jahrhundert die wissenschaftliche Thätigkeit gerichtet hat.
Was die Geographie der westlichen Hemisphäre gleichsam durch Eroberungen im Raume von der Epoche an gewonnen hat, wo der Infant Dom Henrique der Seefahrer (auf seinem Landgute Terça naval an der schönen Bai von Sagres) seine ersten Entdeckungspläne entwarf, bis zu den Südsee-Expeditionen von Gaetano und Cabrillo, bedarf nur einer allgemeinen Erinnerung. Die kühnen Unternehmungen der Portugiesen, der Spanier und Engländer bezeugen, daß sich auf einmal wie ein neuer Sinn für das Große und Unbegrenzte erschlossen hatte. Die Fortschritte der Nautik und die Anwendung astronomischer Methoden zur Correction der Schiffsrechnung begünstigten jene Bestrebungen: welche dem Zeitalter einen 304 eigenthümlichen Charakter gaben, das Erdbild vervollständigten, den Weltzusammenhang dem Menschen offenbarten. Die Entdeckung des festen Landes des tropischen Amerika's (1 August 1498) war 17 Monate später als Cabot's Beschiffung der labradorischen Küste von Nordamerika. Columbus sah zuerst die Tierra firme von Südamerika: nicht, wie man bisher geglaubt, in der Gebirgsküste von Paria, sondern in dem Delta des Orinoco östlich vom Caño Macareo.S. die Resultate meiner Untersuchung in der Relation historique du Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent T. II. p. 702 und im Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. 309. Sebastian CabotBiddle, memoir of Sebastian Cabot 1831 p. 52–61; Examen crit. T. IV. p. 231. landete schon am 24 Junius 1497 an der Küste von Labrador zwischen 56° und 58° Breite. Daß diese unwirthbare Gegend ein halbes Jahrtausend früher von dem Isländer Leif Erikson besucht worden war, ist schon oben entwickelt worden.
Columbus legte bei seiner dritten Reise mehr Werth auf die Perlen der Inseln Margarita und Cubagna als auf die Entdeckung der Tierra firme: da er bis zu seinem Tode fest überzeugt war schon im November 1492 auf der ersten Reise in Cuba einen Theil des festen Landes von Asien berührt zu habenEs heißt in einer wenig beachteten Stelle des Tagebuchs von Columbus vom 1 Nov. 1492: »ich habe (in Cuba) gegenüber und nahe Zayto y Guinsay (Zaitun et Quinsay, Marco Polo II, 77) del Gran Can..« (Navarrete, Viages y descubrim. de los Españoles T. I. p. 46 und oben S. 462 Anm. 818.) Die Krümmung gegen Süden, welche Columbus auf der zweiten Reise in dem westlichsten Theile des Landes Cuba bemerkte, hat einen wichtigen Einfluß auf die Entdeckung von Südamerika, auf die des Orinoco-Delta und des Vorgebirges Paria, ausgeübt: wie ich an einem anderen Orte gezeigt; s. Examen crit. T. IV. p. 246–250. »Putat (Colonus)«, schreibt Anghiera (Epist. CLXVIII, ed. Amst. 1670 p. 96), »regiones has (Pariae) esse Cubae contiguas et adhaerentes: ita quod utraeque sint Indiae Gangetidis continens ipsum......«. Von diesem Theile würde er (wie sein Sohn Don Fernando und sein Freund, der Cura de los Palacios, erzählen), wenn er Lebensmittel genug gehabt hätte, »die Schifffahrt gegen Westen fortsetzend, entweder zu Wasser über Ceylon (Taprobane) und rodeando toda la tierra de lso Negros, oder zu Lande über Jerusalem und Jaffa nach SpanienS. die wichtige Handschrift des Andres Bernaldez, Cura de la Villa de los Palacios (historia de los Reyes Catholicos cap. 123). Diese Geschichte begreift die Jahre 1488 bis 1513. Bernaldez hatte 1496 den Columbus, als er von der zweiten Reise zurückkam, in sein Haus aufgenommen. Ich habe durch die besondere Güte des Herrn Ternaux-Compans, dem die Geschichte der Conquista viele wichtige Aufklärungen verdankt, zu Paris im December des Jahres 1838 diese Handschrift: welche im Besitz meines berühmten Freundes, des Historiographen Don Juan Bautista Muñoz, gewesen ist, frei benutzen können. Vergl. Fern. Colon, Vidad del Almirante cap. 56.) zurückgekehrt sein.« Solche Projecte nährte der Admiral bereits 1494: also vier Jahre vor Vasco de Gama, und eine Weltumseglung träumend 27 Jahre vor Magellan und Sebastian de Elcano. Die Vorbereitungen zur zweiten Reise des Cabot, auf welcher dieser bis 67°½ nördlicher Breite zwischen Eisschollen vordrang und eine nordwestliche 305 Durchfahrt zum Chatai (China) suchte, ließen ihn »für spätere Zeiten an eine Fahrt nach dem Nordpol (à lo del polo arctico)« denkenExamen crit. T. III. p. 244–248.. Je mehr man nach und nach erkannte, daß das Entdeckte von dem Labrador an bis zum Vorgebirge Paria und: wie die berühmte, spät erkannte Karte von Juan de la Cosa (1500) beweist, bis jenseits des Aequators weit in die südliche Halbkugel einen zusammenhangenden Erdstrich bildete; desto heißer wurde der Wunsch nach einer Durchfahrt im Süden oder im Norden. Nächst der Wieder-Auffindung des Festlandes von Amerika und der Ueberzeugung von der meridianartigen Ausdehnung des Neuen Continents von der Hudsonsbai bis zu dem von Garcia Jofre de LoaysaDas Cap Horn wurde auf der Expedition des Comendador Garcia de Loaysa, welche, der des Magellan folgend, nach den Molukken bestimmt war, im Februar 1526 von Francisco de Hoces entdeckt. Indeß Loaysa durch die Magellanische Straße segelte, hatte sich Hoces mit seiner Caravele San Lesmes von der Flotille getrennt und war bis 55° südlicher Breite verschlagen worden. »Dijéron los del buque que les parecia que era alli acabamiento de tierra«; Navarrete, Viages de los Españoles T. V. p. 28 und 404–488. Fleurieu behauptet, Hoces habe nur das Cabo del buen Successo westlich von der Staaten-Insel gesehen. Gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts war bereits wieder eine so sonderbare Ungewißheit über die Gestaltung des Landes verbreitet, daß der Sänger der Araucana glauben konnte (Canto I oct. 9), die Magellanische Meerenge habe sich durch ein Erdbeben und durch Hebung des Seebodens geschlossen: wogegen Acosta (Historia natural y moral de las Indias lib. III cap. 10) das Feuerland für den Anfang seines großen südlichen Polarlandes hielt. (Vergl. auch Kosmos Bd. II. S. 62 und 124 Anm. 539.) entdeckten Cap Horn ist die erlangte Kenntniß der Südsee: eines Meeres, das die westlichen Küsten von Amerika bespült, das wichtigste kosmische Ereigniß der großen Zeitepoche, welche wir hier schildern.
Zehn Jahre ehe Balboa die Südsee (25 Sept. 1513) von der Höhe der Sierra de Quarequa auf der Landenge von Panama erblickte, hatte bereits Columbus, als er die östliche Küste von Veragua beschiffte, bestimmt erfahren, daß westlich von diesem Lande ein Meer liege, »welches in weniger als neun Tagesfahrten nach der Chersonesus aurea des Ptolemäus und der Mündung des Ganges führe«. In derselben Carta rarissima, welche die schöne und so poetische Erzählung eines Traumes enthält, sagt der Admiral, daß »die sich gegenüberliegenden Küsten von Veragua bei dem Rio de Belen sich in ihrer Lage gegenseitig verhalten wie Tortosa nahe am Mittelmeer und Fuenterrabia in Biscaya, wie Venedig und Pisa«. Der Große Ocean (die Südsee) 306 erschien damals nur noch wie eine Fortsetzung des Sinus magnus (μέγας κόλπος) des Ptolemäus, dem der goldene Chersones vorlag: während sein östliches Ufer Cattigara und das Land der Sinen (Thinen) bilden sollte. Hipparchs phantastische Hypothese, nach welcher diese östliche Küste des Großen Busens sich an den gegen Morgen weit vorgestreckten Theil des afrikanischen ContinentsOb die Isthmen-Hypothese, nach welcher das ost-afrikanische Vorgebirge Prasum sich an die ost-asiatische Landzunge von Thinä anschließt, auf Marinus Tyrius, oder auf Hipparch, oder auf den Babylonier Seleucus, oder nicht vielmehr auf den Aristoteles de Coelo (II, 14) zurückgeführt werden soll: habe ich umständlich an einer anderen Stelle erörtert (Examen crit. T. I. p. 144, 161 und 329; T. II. p. 370–372). anschloß und so aus dem indischen Meere ein gesperrtes Binnenmeer machte, war glücklicherweise im Mittelalter, trotz der Anhänglichkeit an die Aussprüche des Ptolemäus, wenig beachtet worden: sie würde gewiß auf die Richtung großer nautischer Unternehmungen einen nachtheiligen Einfluß ausgeübt haben.
Die Entdeckung und Beschiffung der Südsee bezeichnen für die Erkenntniß großer kosmischer Verhältnisse eine um so wichtigere Epoche, als durch dieselben zuerst und also vor kaum viertehalbhundert Jahren nicht bloß die Gestaltung der Westküste des Neuen und der Ostküste des Alten Continents bestimmt wurde: sondern weil auch, was meteorologisch noch weit folgereicher wurde, die numerische Größen-Vergleichung der Areale des Festen und Flüssigen auf der Oberfläche unseres Planeten nun endlich von den irrigsten Ansichten befreit zu werden anfing. Durch die Größe dieser Areale, durch die relative Vertheilung des Festen und Flüssigen werden aber der Feuchtigkeits-Gehalt der Atmosphäre, der wechselnde Luftdruck, die Vegetationskraft der Pflanzendecke, die größere oder geringere Verbreitung gewisser Thiergeschlechter und so viele andere allgemeine Erscheinungen und physische Processe mächtig bedingt. Der größere Flächenraum, welcher dem Flüssigen, als dem das Feste bedeckenden 307 Elemente, eingeräumt ist (im Verhältniß von 24/5 zu 1): vermindert allerdings das bewohnbare Feld für die Ansiedelung des Menschengeschlechts, die nährende Fläche für den größeren Theil der Säugethiere, Vögel und Reptilien: er ist aber nach den jetzt herrschenden Gesetzen des Organismus ein nothwendiges Bedingniß der Erhaltung, eine wohlthätige Natureinrichtung für alles, was die Continente belebt.
Als am Ende des 15ten Jahrhunderts der lebhafte Drang nach dem kürzesten Wege entstanden war, der zu den asiatischen Gewürzländern führen konnte: als fast gleichzeitig in zwei geistreichen Männern Italiens, in dem Seefahrer Christoph Columbus und dem Arzte und AstronomenPaolo Toscanelli war als Astronom so ausgezeichnet, daß Behaim's Lehrer Regiomontanus ihm 1463 sein gegen den Cardinal Nicolaus de Cusa gerichtetes Werk de Quadratura Circuli zueignete. Er construirte den großen Gnomon in der Kirche Santa Maria Novella zu Florenz und starb 1482 in einem Alter von 85 Jahren: ohne die Freude gehabt zu haben die Entdeckung des Vorgebirges der guten Hoffnung durch Diaz und die des tropischen Theils des Neuen Continents durch Columbus zu erleben. Paul Toscanelli, die Idee aufkeimte den Orient durch eine Schifffahrt gegen Westen zu erreichen: war die Meinung herrschend, welche Ptolemäus im Almagest aufgestellt, daß der Alte Continent von der westlichen Küste der iberischen Halbinsel bis zu dem Meridian der östlichsten Sinen einen Raum von 180 Aequatorial-Graden ausfülle: d. i. seiner Erstreckung nach von Westen nach Osten die ganze Hälfte des Erdsphäroids. Columbus, durch eine lange Reihe falscher Schlüsse verleitet, erweiterte diesen Raum auf 240°: die erwünschte asiatische Ostküste schien ihm bis in den Meridian von San Diego in Neu-Californien vorzutreten. Columbus hoffte demnach, daß er nur 120 Meridiangrade würde zu durchschiffen haben: statt der 231°, um welche z. B. die reiche sinesische Handelsstadt Quinsay westlich von der Endspitze der iberischen Halbinsel wirklich gelegen ist. Auf eine noch sonderbarere, seine Entwürfe begünstigende Weise verminderte Toscanelli in seinem Briefwechsel mit dem Admiral 308 das Gebiet des flüssigen Elements. Das Wassergebiet sollte von Portugal bis China auf 52° Meridian-Unterschied eingeschränkt werden: so daß, ganz wie nach dem alten Ausspruche des Propheten Esdras, 6/7 der Erde trocken lägen. Columbus zeigte sich dieser Annahme in späteren Jahren (in einem Briefe, den er an die Königinn Isabella von Haiti aus gleich nach vollbrachter dritter Reise richtete) um so geneigter, als dieselbe von dem Manne, welcher für ihn die höchste Autorität war, von dem Cardinal d'Ailly, in seinem Weltgemälde (Imago Mundi) vertheidigtDa der Alte Continent von dem westlichen Ende der iberischen Halbinsel bis zur Küste von China fast 130° Meridian-Unterschied zählt, so bleiben ohngefähr 230° für den Raum übrig, den Columbus würde zu durchschiffen gehabt haben, wenn er wollte bis Cathai (China); weniger, wenn er nur wollte bis Zipangi (Japan) gelangen. Der hier von mir bezeichnete Meridian-Unterschied von 230° gründet sich auf die Lage des portugiesischen Vorgebirges St. Vincent (long. 11° 20' westlich von Paris) und des weit vortretenden chinesischen Ufers bei dem ehemals so berühmten, von Columbus und Toscanelli oft genannten Hafen Quinsay (Breite 30° 28', Länge 117° 47' östlich von Paris). Synonyme für Quinsay in der Provinz Tschekiang sind Kanfu, Hangtschenfu, Kingszu. Der asiatische östliche Welthandel war im 13ten Jahrhundert getheilt zwischen Quinsay und Zaitun (Pinghai oder Tseuthung): welches der Insel Formosa (damals Tungfan) gegenüber unter 25° 5' nördlicher Breite lag (s. Klaproth, Tableaux hist. de l'Asie p. 227). Der Abstand des Vorgebirges St. Vincent von Zipangi (Niphon) ist 22 Längengrade geringer wie von Quinsay, also statt 230° 53' ohngefähr nur 209°. Auffallend ist es, daß die ältesten Angaben, die des Eratosthenes und Strabo (lib. I p. 64), dem oben gegebenen Resultate von 129° für den Meridian-Unterschied der οἰκουμένη durch zufällige Compensationen bis auf 10° nahe kommen. Strabo sagt gerade an der Stelle, wo er der möglichen Existenz von zwei großen bewohnbaren Festländern in der nördlichen Erdhälfte gedenkt, daß unsere οἰκουμένη im Parallel von Thinä (Athen: s. oben Kosmos Bd. II. S. 223) mehr als ⅓ des ganzen Erdumkreises ausmacht. Marinus Tyrius: durch die Dauer der Schifffahrt von Myos Hormos nach Indien, durch die irrig angenommene Richtung der größeren Axe des caspischen Meeres von Westen nach Osten und die Ueberschätzung der Länge des Landweges zu den Serern verleitet; gab dem Alten Continent statt 129° volle 225°. Die chinesische Küste wurde dadurch bis zu den Sandwich-Inseln vorgerückt. Columbus zieht dies Resultat natürlich dem des Ptolemäus vor, nach welchem Quinsay nur in den östlichen Theil des Archipels der Carolinen fallen würde. Ptolemäus setzt nämlich im Almagest (II, 1) die Küste der Sinae auf 180°, in der Geographie (lib. I cap. 12) auf 177°¼. Da Columbus die Schifffahrt von Iberien zu den Sinen auf 120°, Toscanelli gar nur auf 52° anschlägt; so konnte beiden, wenn sie die Länge des Mittelmeers zu ohngefähr 40° schätzten, das so gewagt scheinende Unternehmen allerdings ein brevissimo camino heißen. Auch Martin Behaim setzt auf seinem Weltapfel: dem berühmten Globus, welchen er 1492 vollendete und welcher noch im Behaim'schen Hause zu Nürnberg aufbewahrt wird, die Küste von China (den Thron des Königs von Mango, Cambalu und Cathay) nur 100° westlich von den Azoren: d. i., da Behaim 4 Jahre in Fayal lebte und wahrscheinlich von diesem Punkte den Abstand rechnet, wieder nur 119° 40' westlich vom Vorgebirge St. Vincent. Columbus wird wahrscheinlich Behaim in Lissabon gekannt haben, wo beide von 1480 bis 1484 sich aufhielten. (S. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. II. p. 357–369.) Die vielen ganz unrichtigen Zahlen, welche man in allen Schriften über die Entdeckung von Amerika und die damals vermuthete Ausdehnung des östlichen Asiens findet, haben mich veranlaßt die Meinungen des Mittelalters genauer mit denen des classischen Alterthums zu vergleichen. worden war.
Erst sechs Jahre nachdem Balboa: ein Schwerdt in der Hand, bis zum Knie in die Fluthen tretend, für Castilien Besitz von der Südsee zu nehmen glaubte: zwei Jahre nachdem sein Haupt in dem Aufruhr gegen den tyrannischen Pedrarias DavilaVon weißen Menschen ist in einem Canot zuerst beschifft der östlichste Theil des stillen Meeres, als Alonso Martin de Don Benito, der den Meerhorizont mit Vasco Nuñez de Balboa am 25 Sept. 1513 auf der kleinen Bergkette von Quarequa gesehen, einige Tage darauf am Isthmus zu dem Golfo de San Miguel herabstieg, ehe Balboa die abenteuerliche Ceremonie der Besitznahme ausführte. Schon sieben Monate früher, im Januar 1513, meldete Balboa seinem Hofe, daß das südliche Meer, von welchem er die Eingeborenen reden hörte, sehr leicht zu beschiffen wäre: »mar muy mansa y que nunca anda brava como la mar de nuestra banda« (de las Antillas). Der Name Oceano Pacifico wurde indeß, wie Pigafetta erzählt, der Mar del Sur (des Balboa) erst von Magellan gegeben. Schon ehe Magellan's Expedition zu Stande kam (10 August 1519), hatte die spanische Regierung, der es nicht an sorgsamer Thätigkeit fehlte, im November 1514, gleichzeitig dem Pedrarias Davila, Gouverneur der Provinz Castilla del Oro (der nordwestlichsten von Südamerika), und dem großen Seemann Juan Diaz de Solis geheime Befehle ertheilt: dem Ersteren, 4 Caravelen im Golfo de San Miguel bauen zu lassen, »um Entdeckungen in der neu-entdeckten Südsee zu machen«; dem zweiten, von der östlichen Küste Amerika's aus eine Oeffnung, abertura de la tierra, zu finden, um in den Rücken (à espaldas) des neuen Landes, d. i. in den meerumflossenen westlichen Theil der Castilla del Oro, zu gelangen. Die Expedition des Solis (Oct. 1515 bis Aug. 1516) führte weit gegen Süden und zur Entdeckung des Rio de la Plata, welcher lange Rio de Solis genannt wurde. (Vergl. über diese wenig bekannte erste Entdeckung des stillen Meeres Petrus Martyr, Epist. DXL p. 296 mit den Documenten von 1513–4515 in Navarrete T. III. p. 134 und 357; auch mein Examen crit. T. I. p. 320 und 350.) durch Henkers Hand gefallen war: erschien Magellan (27 November 1520) in der Südsee, durchschiffte den weiten Ocean von Südost nach Nordwest in einer Strecke von mehr als drittehalbtausend geographischen Meilen; und sah, durch ein sonderbares Geschick, ehe er die Marianen (seine Islas de los Ladrones oder de las Velas Latinas) und die Philippinen entdeckte, kein anderes Land als zwei kleine unbewohnte Inseln (die Unglücklichen, Desventuradas): von denen, wenn man seinem Journale und seiner Schiffsrechnung trauen könnte, die eine östlich von den Niedrigen Inseln (Low Islands), die andere etwas südwestlich vom Archipel des Mendaña liegtS. über die geographische Lage der zwei Unglücklichen Inseln (San Pablo lat. 16°¼ Süd, long. 135°¾ westlich von Paris; Isla de Tiburones lat. 10°¾ Süd, long. 145°) das Examen crit. T. I. p. 286 und Navarrete T. IV. p. LIX, 52, 218 und 267. – Zu so ruhmvollen Wappen-Ausschmückungen, als wir im Texte für die Nachkommen des Sebastian de Elcano erwähnt haben (der Weltkugel mit der Inschrift: Primus circumdedisti me), gab die große Zeit der Entdeckungen im Raume mehrfache Veranlassung. Das Wappen, welches dem Columbus, »um seine Person bei der Nachwelt zu verherrlichen, para sublimarlo«, schon den 20 Mai 1493 gegeben wurde, enthält die erste Karte von Amerika: eine Inselreihe, die einem Golf vorliegt. (Oviedo, Hist. general de las Indias, ed. de 1547, lib. II cap. 7 fol. 10,a; Navarrete T. II. p. 37, Exam. crit. T. IV. p. 236.) Kaiser Carl V gab dem Diego de Ordaz, der sich rühmte den Vulkan von Orizaba erstiegen zu haben, das Bild dieses Kegelberges; dem Geschichtsschreiber Oviedo, welcher 34 Jahre (von 1513–1547) ununterbrochen im tropischen Amerika lebte, die vier schönen Sterne des südlichen Kreuzes zu Wappenschildern (Oviedo lib. II cap. 11 fol. 16,b).. Sebastian de Elcano vollendete nach Magellan's Ermordung auf der Insel Zebu die erste Weltumseglung in der Nao Victoria; und erhielt zum Wappen einen Erdglobus, 309 mit der ruhmvollen Inschrift: Primus circumdedisti me. Er lief erst im September 1522 in den Hafen von San Lucar ein: und noch war kein volles Jahr vergangen, so drang schon Kaiser Carl, von Cosmographen belehrt, in einem Briefe an Hernan Cortes auf die Entdeckung einer Durchfahrt, »die den Weg nach den Gewürzländern um ⅔ verkürzen würde«. Die Expedition des Alvaro de Saavedra wird aus einem Hafen der Provinz Zacatula an der Westküste von Mexico nach den Molukken geschickt. Hernan Cortes correspondirt (1527) von der neu eroberten mexicanischen Hauptstadt Tenochtitlan aus »mit den Königen von Zebu und Tidor in der asiatischen Inselwelt«. So schnell vergrößerte sich räumlich die Weltansicht und mit ihr die Lebhaftigkeit des Weltverkehrs!
Später ging der Eroberer von Neu-Spanien selbst auf Entdeckungen in der Südsee und durch die Südsee auf die einer nord-östlichen Durchfahrt aus. Man konnte sich nicht an die Idee gewöhnen, daß das Festland undurchbrochen sich von so hohen Breiten der südlichen bis zu hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre meridianartig ausdehne. Als von den Küsten Californiens her das Gerücht von dem Untergange der Expedition des Cortes verbreitet wurde, ließ die Gemahlinn des Helden, Juana de Zuñiga, die schöne Tochter des Grafen von Aguilar, zwei Schiffe ausrüsten, um sichere Nachricht einzuholen.S. mein Essai polit. sur le royaume de la Nouvelle-Espagne T. II. (1827) p. 259 und Prescott, history of the Conquest of Mexico (New York 1843) Vol. III. p. 271 und 336. Californien wurde, was man im 17ten Jahrhundert wieder vergaß, schon vor 1541 für eine dürre, waldlose Halbinsel erkannt. Aus den uns jetzt bekannten Berichten von Balboa, Pedrarias Davila und Hernan Cortes leuchtet übrigens hervor, daß man damals in der Südsee, als in einem Theile des indischen Oceans, 310 gruppenweise »an Gold, Edelsteinen, Gewürzen und Perlen reiche Inseln« zu entdecken hoffte. Die aufgeregte Phantasie trieb zu großen Unternehmungen an: wie denn die Kühnheit dieser im Gelingen und Nicht-Gelingen auf die Phantasie zurückwirkte und sie mächtiger entflammte. So vereinigte sich vieles in dieser wunderbaren Zeit der Conquista (Zeit der Anstrengung, der Gewaltthätigkeit und des Entdeckungsschwindels auf Meer und Land), das, trotz des gänzlichen Mangels politischer Freiheit, die individuelle Ausbildung der Charaktere begünstigte und Einzelnen höher begabten manches Edle erringen half, was nur den Tiefen des Gemüthes entquillt. Man irrt, wenn man die Conquistadores allein von Goldgeiz oder gar von religiösem Fanatismus geleitet glaubt. Gefahren erhöhen immer die Poesie des Lebens; dazu gab das mächtige Zeitalter, das wir hier in seinem Einflusse auf die Entwickelung kosmischer Ideen schildern, allen Unternehmungen, wie den Natureindrücken, welche ferne Reisen darbieten, einen Reiz, der unserem gelehrten Zeitalter in den jetzt so vielfach aufgeschlossenen Erdräumen zu mangeln beginnt: den Reiz der Neuheit und staunenerregender Ueberraschung. Nicht eine Erdhälfte, sondern fast ⅔ der Erdkugel waren damals noch eine neue und unerforschte Welt: ungesehen wie die eine abgewandte Mondhälfte, welche nach den waltenden Gravitations-Gesetzen dem Blick der Erdbewohner für immer entzogen bleibt. Unserem tiefer forschenden und in Ideenreichthum fortgeschrittenen Zeitalter ist ein Ersatz geworden für die Abnahme jener Ueberraschung, welche die Neuheit großer, massenhaft imponirender Naturerscheinungen einst hervorrief: ein Ersatz, freilich nicht für 311 den großen Haufen, sondern lange noch für die kleine Zahl der mit dem Zustand der Wissenschaften vertrauten Physiker. Ihn gewährt die zunehmende Einsicht in das stille Treiben der Kräfte der Natur: sei es in dem Electro-Magnetismus oder in der Polarisation des Lichtes, in dem Einfluß diathermaner Substanzen oder in den physiologischen Erscheinungen lebendiger Organismen; – eine sich enthüllende Wunderwelt, an deren Eingang wir kaum gelangt sind!
Noch in der ersten Hälfte des 16ten Jahrhunderts wurden die Sandwich-Inseln, das Land der Papuas und einige Theile von Neu-Holland entdeckt.Gaetano entdeckte eine der Sandwich-Inseln 1542. Ueber die Schifffahrt des Don Jorge de Menezes (1526) und des Alvaro de Saavedra (1528) nach den Ilhas de Papua s. Barros da Asia Dec. IV. liv. I cap. 16 und Navarrete T. V. p. 125. Die im britischen Museum aufbewahrte und von dem gelehrten Dalrymple untersuchte Hydrographie von Joh. Rotz (1542) enthält Umrisse von Neu-Holland: wie auch die Kartensammlung von Jean Valard aus Dieppe (1552), deren erste Kenntniß wir Herrn Coquebert Monbret verdanken. Diese Entdeckungen bereiteten vor zu denen von Cabrillo, Sebastian Vizcaino, MendañaNach dem Tode von Mendaña übernahm in der Südsee seine durch persönlichen Muth und große Geistesgaben ausgezeichnete Frau Doña Isabela Baretos den Befehl der Expedition: welche erst 1596 endigte (Essai sur la Nouv. Esp. T. IV. p. 111). – Quiros führte auf seinen Schiffen die Entsalzung des Seewassers im großen ein, und sein Beispiel wurde mehrfach befolgt (Navarrete T. I. p. LIII). Die ganze Operation war, wie ich an einem anderen Orte durch das Zeugniß des Alexander von Aphrodisias erwiesen, schon im dritten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung bekannt, wenn auch wohl nicht auf Schiffen benutzt. und Quiros: dessen Sagittaria Tahiti, dessen Archipelago del Espiritu Santo die Neuen Hebriden von Cook sind. Quiros war von dem kühnen Seefahrer begleitet, welcher später der Torres-Straße seinen Namen gab. Die Südsee erschien nun nicht mehr, wie dem Magellan, eine Einöde; sie erschien durch Inseln belebt: die aber freilich aus Mangel genauer astronomischer Ortsbestimmungen, wie schlecht gewurzelt, auf den Karten hin und her schwankten. Die Südsee blieb auch lange der alleinige Schauplatz von den Unternehmungen der Spanier und Portugiesen. Die wichtige südindisch-malayische Inselwelt: von Ptolemäus, Cosmas und Polo dunkel beschrieben, entfaltete sich in bestimmteren Umrissen, seitdem Albuquerque (1511) sich in Malacca festsetzte und Anton Abreu schiffte. Es ist das besondere Verdienst des classischen portugiesischen Geschichtsschreibers Barros, eines Zeitgenossen von Magellan und Camoens, die Eigenthümlichkeit des physischen und ethnischen Charakters der 312 Inselwelt so lebendig erkannt zu haben, daß er zuerst das australische Polynesien als einen fünften Erdtheil abzusondern vorschlug. Erst als die holländische Macht in den Molukken die herrschende wurde, fing Australien an aus dem Dunkel herauszutreten und sich für den Geographen zu gestalten.S. das vortreffliche Werk von Professor Meinicke in Prenzlau: das Festland Australien, eine geogr. Monographie, 1837 Th. I. S. 2–10. Es begann nun die große Epoche von Abel Tasman. Wir liefern hier nicht die Geschichte der einzelnen geographischen Entdeckungen; wir erinnern bloß an die Haupt-Ereignisse, durch welche in kurzer Zeit und in enger Verkettung: folgend dem plötzlich erwachten Streben nach allem Weiten, Unbekannten und Fernen, zwei Dritttheile der Erdoberfläche erschlossen wurden.
Einer solchen erweiterten Kenntniß von Land- und Meeresräumen entsprach auch die erweiterte Einsicht in das Wesen und die Gesetze der Naturkräfte, in die Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper, in den Reichthum der Organismen und die Grenzen ihrer Verbreitung. Die Fortschritte, welche am Schlusse des, wissenschaftlich zu gering geachteten Mittelalters die einzelnen Disciplinen gemacht hatten, beschleunigten das Auffassen und die sinnige Vergleichung einer maaßlosen Fülle physischer Erscheinungen, die auf einmal der Beobachtung dargeboten wurden. Die Eindrücke waren um so tiefer, zur Ergründung von kosmischen Gesetzen um so anregender, als die westlichen Völker Europa's vor der Mitte des 16ten Jahrhunderts den Neuen Continent bereits in den verschiedensten Breitengraden beider Hemisphären, wenigstens den Küsten nahe, durchforscht hatten; als sie hier zuerst in der eigentlichen Aequatorial-Gegend festen Fuß gefaßt, und als durch die dortige sonderbare Höhengestaltung der Erdoberfläche auf engen Räumen die 313 auffallendsten Contraste der vegetabilischen Organisation und der Klimate sich ihren Blicken dargestellt hatten. Wenn ich mich hier wieder veranlaßt finde die begeistigenden Vorzüge der Gebirgsländer in der Aequinoctial-Zone besonders hervorzuheben, so kann mich der schon mehrfach wiederholte Ausspruch rechtfertigen, daß es den Bewohnern dieser Länder allein verliehen ist alle Gestirne der Himmelsräume wie fast alle Familien-Gestaltungen der Pflanzenwelt zu schauen; aber schauen ist nicht beobachten, d. h. vergleichend combiniren.
Wenn sich auch in Columbus, wie ich in einem anderen Werke glaube bewiesen zu haben: bei völligem Mangel naturhistorischer Vorkenntnisse, bloß durch den Contact mit großen Naturphänomenen, der Sinn für genaue Beobachtung auf mannigfaltige Weise entwickelte; so darf man keinesweges eine ähnliche Entwickelung in der rohen und kriegerischen Masse der Conquistadoren voraussetzen. Was Europa unbestreitbar durch die Entdeckung von Amerika als Bereicherung seines naturhistorischen und physikalischen Wissens über die Constitution des Luftkreises und seine Wirkungen auf die menschliche Organisation, über die Vertheilung der Klimate am Abhange der Cordilleren, über die Höhe des ewigen Schnees nach Maaßgabe der verschiedenen Breitengrade in beiden Hemisphären, über die Reihenfolge der Vulkane, die Begrenzung der Erschütterungskreise bei Erdbeben, die Gesetze des Magnetismus, die Richtung der Meeresströme, die Abstufungen neuer Thier- und Pflanzenformen allmälig erlangt hat: verdankt es einer anderen, friedsameren Classe von Reisenden: einer geringen Zahl ausgezeichneter Männer unter den Municipal-Beamten, 314 Geistlichen und Aerzten. Diese konnten, in alt-indischen Städten wohnend, deren einige zwölftausend Fuß hoch über dem Meere liegen, mit eigenen Augen beobachten, während eines langen Aufenthaltes das von Anderen Gesehene prüfen und combiniren; Naturproducte sammeln, beschreiben und ihren europäischen Freunden zusenden. Es genügt hier Gomara, Oviedo, Acosta und Hernandez zu nennen. Einige Naturproducte (Früchte und Thierfelle) hatte Columbus bereits von seiner ersten Entdeckungsreise heimgebracht. In einem Briefe aus Segovia (August 1494) fordert die Königinn Isabella den Admiral auf in seinem Einsammeln fortzufahren. Sie begehrt von ihm besonders »alle Strand- und Waldvögel von Ländern, die ein anderes Klima und andere Jahreszeiten haben«. Man hat bisher wenig darauf geachtet, daß von derselben Westküste Afrika's, von der Hanno fast 2000 Jahre früher »gegerbte Felle wilder Frauen« (der großen Gorilla-Affen) mitbrachte, um sie in einem Tempel aufzuhängen: Martin Behaim's Freund Cadamosto schwarzes, 1½ Palmen langes Elephantenhaar für den Infanten Heinrich den Seefahrer sammelte. Hernandez: Leibarzt Philipps II und von diesem Monarchen nach Mexico gesandt, um alle vegetabilischen und zoologischen Merkwürdigkeiten des Landes in herrlichen Abbildungen darstellen zu lassen, konnte seine Sammlungen durch die Copie mehrerer sehr sorgfältig ausgeführter naturhistorischer Gemälde bereichern, welche auf Befehl eines Königs von Tezcuco, NezahualcoyotlDieser König starb zur Zeit des mexicanischen Königes Axayacatl, welcher von 1464 bis 1477 regierte. Ein Abkömmling des Nezahualcoyotl, eines Dichter-Königs, war der gelehrte einheimische Geschichtsschreiber Fernando de Alva Ixtlilxochitl, dessen handschriftliche Chronik der Chichimequen ich 1803 im Pallaste des Vicekönigs von Mexico gesehen und die Herr Prescott so glücklich benutzt hat (Conquest of Mexico Vol. I. p. 61, 173 und 206; Vol. III. p. 112). Der aztekische Name des Geschichtsschreibers Fernando de Alva bedeutet Vanillen-Gesicht. Herr Ternaux-Compans hat 1840 eine französische Uebersetzung des Manuscripts in Paris drucken lassen. – Die Nachricht über die langen Elephantenhaare, welche Cadamosto sammelte, findet sich in Ramusio Vol. I. p. 109 und in Grynäus cap. 43 p. 33., (ein halbes Jahrhundert vor Ankunft der Spanier) angefertigt worden waren. Auch benutzte Hernandez eine Zusammenstellung von Medicinalpflanzen, die er in dem berühmten altmexicanischen Garten von Huaxtepec noch vegetirend 315 gefunden. Wegen eines nahen neu angelegten spanischen KrankenhausesClavigero, Storia antica del Messico (Cesena 1780) T. II. p. 153. Es ist nach den übereinstimmenden Zeugnissen von Hernan Cortes in seinen Berichten an Kaiser Carl V, von Bernal Diaz, Gomara, Oviedo und Hernandez keinem Zweifel unterworfen, daß zur Zeit der Eroberung von Montezuma's Reich in keinem Theile von Europa Menagerien und botanische Gärten (Sammlungen lebender Thiere und Pflanzen) entstanden waren, die man mit denen von Huaxtepec, Chapoltepec, Iztapalapan und Tezcuco hätte vergleichen können. (Prescott Vol. I. p. 178, Vol. II. p. 66 und 117–121, Vol. III. p. 42. – Ueber die im Text erwähnte früheste Beachtung der fossilen Knochen in den amerikanischen Giganten-Feldern s. Garcilaso lib. IX cap. 9, Acosta lib. IV cap. 30 und Hernandez (ed. von 1556) T. I. cap. 32 p. 105. hatten die Conquistadoren jenen Garten nicht verwüstet. Fast gleichzeitig sammelte man und beschrieb, was später für die Theorie der successiven Hebung der Gebirgsketten so wichtig wurde, fossile Mastodonten-Knochen auf den Hochebenen von Mexico, Neu-Granada und Peru. Die Benennungen: Giganten-Knochen und Giganten-Felder (Campos de Gigantes) bezeugen das Phantastische der ersten Deutungen.
Was in dieser vielbewegten Zeit auch wesentlich zur Erweiterung der Weltansichten beitrug, war der unmittelbare Contact einer zahlreichen europäischen Menschenmasse mit der freien und dabei großartigen exotischen Natur in den Ebenen und Gebirgsländern von Amerika, wie auch (als Folge der Schifffahrt von Vasco de Gama) an den östlichen Küsten von Afrika und Südindien. Hier legte schon im Anfange des 16ten Jahrhunderts ein portugiesischer Arzt, Garcia de Orta: da wo jetzt Bombay liegt, unter dem Schutze des edlen Martin Alfonso de Sousa, einen botanischen Garten an, in welchem er die Arzneigewächse der Umgegend cultivirte. Die Muse des Camoens hat ihm ein patriotisches Lob gespendet. Der Trieb zum Selbstbeobachten war nun überall erwacht: während die cosmographischen Schriften des Mittelalters minder das Resultat eigener Anschauung gewesen sind als Compilationen, welche die Meinungen des classischen Alterthums einförmig wiedergaben. Zwei der größten Männer des 16ten Jahrhunderts, Conrad Gesner und Andreas Cäsalpinus, haben in Zoologie und Botanik einen neuen Weg rühmlichst vorgezeichnet.
316 Um anschaulicher den frühen Einfluß zu bezeichnen, welchen die oceanischen Entdeckungen auf die erweiterte Sphäre des physischen und astronomisch-nautischen Wissens ausgeübt haben, will ich, am Schluß dieser Schilderung, auf einige Lichtpunkte aufmerksam machen, die wir bereits in den Berichten des Columbus aufglimmen sehen. Ihr erster schwacher Glanz verdient um so sorgfältiger beachtet zu werden, als sie die Keime allgemeiner kosmischer Ansichten enthalten. Ich übergehe die Beweise von Resultaten, welche ich hier aufstelle, weil ich dieselben in einer anderen Schrift: »Kritische Untersuchungen über die historische Entwickelung der geographischen Kenntnisse von der Neuen Welt und der nautischen Astronomie in dem 15ten und 16ten Jahrhundert«, ausführlich gegeben habe. Um aber dem Verdacht zu entgehen, daß ich die Ansichten der neueren Physik den Beobachtungen des Columbus unterlege, fange ich ausnahmsweise damit an aus einem Briefe, den der Admiral im Monat October 1498 aus Haiti geschrieben, einige Zeilen wörtlich zu übersetzen. Es heißt in diesem Briefe: »Jedesmal wenn ich von Spanien nach Indien segle, finde ich, sobald ich hundert Seemeilen nach Westen von den Azoren gelange, eine außerordentliche Veränderung in der Bewegung der himmlischen Körper, in der Temperatur der Luft und in der Beschaffenheit des Meeres. Ich habe diese Veränderungen mit besonderer Sorgfalt beobachtet: und erkannt, daß die Seecompasse (agujas de marear), deren Declination bisher in Nordosten war, sich nun nach Nordwesten hinüberbewegten; und wenn ich diesen Strich (raya), wie den Rücken eines Hügels (como quien traspone una cuesta), überschritten hatte, fand ich 317 die See mit einer solchen Masse von Tang, gleich kleinen Tannenzweigen, die Pistacien-Früchte tragen, bedeckt, daß wir glauben mußten, die Schiffe würden aus Mangel von Wasser auf eine Untiefe auflaufen. Vor dem eben bezeichneten Striche aber war keine Spur von solchem Seekraute zu sehen. Auch wird auf der Grenzscheide (hundert Meilen westlich von den Azoren) auf einmal das Meer still und ruhig, fast nie von einem Winde bewegt. Als ich von den canarischen Inseln bis zum Parallel von Sierra Leone herabkam, hatte ich eine furchtbare Hitze zu ertragen; sobald wir aber uns jenseits der oben erwähnten raya (in Westen des Meridians der azorischen Inselgruppe) befanden, veränderte sich das Klima: die Luft wurde gemäßigt, und die Frische nahm zu, je weiter wir vorwärts kamen.«
Diese Stelle, welche durch mehrere andere in den Schriften des Columbus erläutert wird, enthält Ansichten der physischen Erdkunde; Bemerkungen über den Einfluß der geographischen Länge auf die Abweichung der Magnetnadel, über die Inflexion der isothermen Linien zwischen den Westküsten des Alten und den Ostküsten des Neuen Continents, über die Lage der großen Sargasso-Bank in dem Becken des atlantischen Meeres, und die Beziehungen, in welchen dieser Meeresstrich zu dem über ihm liegenden Theile der Atmosphäre steht. Irrige BeobachtungenObservations de Christophe Colomb sur le passage de la Polaire par le méridien in meiner Relation hist. T. I. p. 506 und im Examen crit. T. III. p. 17–20, 44–51 und 56–61. (Vergl. auch Navarrete im Reisejournal des Columbus vom 16–30 September 1492 p. 9, 15 und 254.) der Bewegung des Polarsternes in der Nähe der azorischen Inseln hatten Columbus schon auf der ersten Reise, bei der Schwäche seiner mathematischen Kenntnisse, zu dem Glauben an eine Unregelmäßigkeit in der Kugelgestalt der Erde verführt. In der westlichen Hemisphäre ist nach ihm »die Erde 318 angeschwollener: die Schiffe gelangen allmälig in größere Nähe des Himmels, wenn sie an den Meeresstrich (raya) kommen, wo die Magnetnadel nach dem wahren Norden weist: eine solche Erhöhung (cuesta) ist die Ursach der kühleren Temperatur.« Der feierliche Empfang des Admirals in Barcelona war im April 1493: und schon am 4 Mai desselben Jahres wird jene berühmte Bulle, welche die Demarcations-LinieUeber die sonderbaren Verschiedenheiten der Bula de concesion á los Reyes Catholicos de las Indias descubiertas y que se descubrieren vom 3 Mai 1493 und der Bula de Alexandro VI sobre la particion del Oceano vom 4 Mai 1493 (erläutert in der Bula de extension vom 25 Sept. 1493) s. Examen crit. T. III. p. 52–54. Sehr verschieden von dieser Demarcations-Linie ist die in der Capitulacion de la particion del Mar Oceano entre los Reyes Catholicos y Don Juan Rey de Portugal vom 7 Junius 1494 bestimmte Scheidungslinie, 370 leguas (zu 17½ auf einen Aequatorial-Grad) westlich von den capverdischen Inseln. (Vergl. Navarrete, coleccion de los Viages y Descubr. de los Esp. T. II. p. 28–35, 116–143 und 404; T. IV. p. 55 und 252.) Die letztgenannte, welche zu dem Verkauf der Molukken (de el Maluco) an Portugal 1529 für die Summe von 350000 Goldducaten geführt hat, stand in keiner Beziehung mit magnetischen und meteorologischen Phantasien. Die päbstlichen Demarcations-Linien verdienen aber darum hier eine genauere Anführung, weil sie, wie im Texte erwähnt ist, einen großen Einfluß auf die Bestrebungen nach Vervollkommnung der nautischen Astronomie und besonders der Längen-Methoden ausgeübt haben. Recht merkwürdig ist es auch, daß die Capitulacion vom 7 Jun. 1494 schon das erste Beispiel von der festen Bezeichnung eines Meridians durch in Felsen eingegrabene Marken oder errichtete Thürme giebt. Es wird befohlen: »que se haga alguna señal ó torre« überall, wo der Grenz-Meridian von Pol zu Pol in der östlichen oder westlichen Halbkugel eine Insel oder einen Continent durchschneidet. In den Continenten soll die raya, von Distanz zu Distanz, durch eine Reihe solcher Zeichen oder Thürme kenntlich gemacht werden: was allerdings kein kleines Unternehmen gewesen wäre. zwischen dem spanischen und portugiesischen Besitzrechte in einer Entfernung von 100 Meilen westlich von den Azoren »auf ewige Zeiten« feststellt, vom Pabste Alexander VI unterzeichnet. Wenn man dazu erwägt, daß Columbus gleich nach seiner Rückkehr von der ersten Entdeckungsreise die Absicht hatte selbst nach Rom zu gehen: um, wie er sagt, »dem Pabste über alles, was er entdeckt, Bericht abzustatten«; wenn man der Wichtigkeit gedenkt, welche die Zeitgenossen des Columbus auf die Auffindung der magnetischen Curve ohne Abweichung legten: so kann man wohl eine von mir zuerst aufgestellte historische Behauptung gerecht fertigt finden, die Behauptung, daß der Admiral in dem Augenblicke der höchsten Hofgunst daran gearbeitet hat »die physische Abgrenzungslinie in eine politische verwandeln zu lassen«.
Der Einfluß, welchen die Entdeckung von Amerika und die damit zusammenhangenden oceanischen Unternehmungen so schnell auf das gesammte physikalische und astronomische Wissen ausgeübt haben, wird am lebendigsten fühlbar gemacht, wenn man an die frühesten Eindrücke der Zeitgenossen und an den weiten Umfang wissenschaftlicher Bestrebungen erinnert, von denen der wichtigere Theil in die erste Hälfte des 16ten Jahrhunderts fällt. Christoph Columbus hat nicht 319 allein das unbestreitbare Verdienst zuerst eine Linie ohne magnetische Abweichung entdeckt: sondern auch, durch seine Betrachtungen über die fortschreitende Zunahme der westlichen Abweichung, indem er sich von jener Linie entfernte, das Studium des Erd-Magnetismus in Europa zuerst angeregt zu haben. Daß meist überall die Endspitzen einer sich frei bewegenden Magnetnadel nicht genau nach dem geographischen Nord- und Südpol hinweisen: würde zwar in dem mittelländischen Meere und an allen Orten, wo im zwölften Jahrhunderte die Abweichung über 8 bis 10 Grade betrug, auch bei einer großen Unvollkommenheit der Instrumente leicht mehrfach erkannt worden sein. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß die Araber oder die Kreuzfahrer, die mit dem Orient von 1096 bis 1270 in Berührung standen, indem sie den Gebrauch der chinesischen und indischen Seecompasse verbreiteten, zugleich auch damals schon auf die Nordost- und Nordwest-Weisung in verschiedenen Weltgegenden wie auf eine längst erkannte Erscheinung aufmerksam machten. Wir wissen nämlich bestimmt aus dem chinesischen Penthsaoyan, welches unter der Dynastie der SongSehr bemerkenswerth scheint mir zu sein, daß der früheste classische Schriftsteller über den Erd-Magnetismus, William Gilbert, bei welchem man nicht die geringste Kenntniß der chinesischen Litteratur vermuthen kann, doch den Seecompaß für eine chinesische Erfindung hält, die Marco Polo nach Europa gebracht habe: »Illa quidem pyxide nihil unquam humanis excogitatum artibus humano generi profuisse magis, constat. Scientia nauticae pyxidulae traducta videtur in Italiam per Paulum Venetum, qui circa annum MCCLX apud Chinas artem pyxidis didicit.« (Guilielmi Gilberti Colcestrensis, Medici Londinensis, de Magnete Physiologia nova, Lond. 1600 p. 4.) Die Einführung durch Marco Polo: dessen Reisen in die Jahre 1271–1295 fallen; der also nach Italien zurückkehrte, als Guyot de Provins in seinem Gedichte des Seecompasses, wie Jacques de Vitry und Dante, als eines längst bekannten Instrumentes gedacht hatten: ist durch nichts begründet. Ehe Marco Polo abreiste, schon in der Mitte des 13ten Jahrhunderts, bedienten sich Catalanen und Basken des Seecompasses. (S. Raymundus Lullus in der Abhandlung de contemplatione, die 1272 geschrieben ist.) zwischen 1111 und 1117 geschrieben ist, daß man damals die Quantität der westlichen Abweichung längst zu messen verstand. Was dem Columbus gehört, ist nicht die erste Beobachtung der Existenz der Abweichung (letztere findet sich z. B. schon auf der Karte von Andrea Bianco 1436 angegeben), sondern die Bemerkung, welche er am 13 September 1492 machte: »daß 2°½ östlich von der Insel Corvo die magnetische Variation sich verändert, daß sie von NO nach NW überging«.
Diese Entdeckung einer magnetischen Linie ohne 320 Abweichung bezeichnet einen denkwürdigen Zeitpunkt in der nautischen Astronomie. Sie wird, mit gerechtem Lobe, von Oviedo, las Casas und Herrera gefeiert. Wenn man dieselbe mit Livio Sanuto dem berühmten Seemann Sebastian Cabot zuschreibt, so vergißt man, daß dessen erste, auf Kosten einiger Kaufleute von Bristol unternommene und durch die Berührung des Festlandes von Amerika gekrönte Reise um fünf Jahre später fällt als die erste Expedition des Columbus. Dieser aber hat nicht bloß das Verdienst gehabt im atlantischen Oceane eine Gegend aufgefunden zu haben, in welcher damals der magnetische Meridian mit dem geographischen zusammenfiel; er machte zugleich auch die sinnreiche Bemerkung, daß die magnetische Abweichung mit dazu dienen könne den Ort des Schiffes in Hinsicht auf dessen Länge zu bestimmen. In dem Journal der zweiten Reise (April 1496) sehen wir den Admiral sich wirklich nach der beobachteten Abweichung orientiren. Die Schwierigkeiten, welche dieser Längen-Methode besonders da entgegenstehen, wo die magnetischen Abweichungs-Curven sich so beträchtlich krümmen, daß sie nicht der Richtung der Meridiane, sondern in großen Strecken der der Parallele folgen; waren freilich damals noch unbekannt. Magnetische und astronomische Methoden wurden ängstlich gesucht, um auf Land und Meer die Punkte zu bestimmen, welche von der ideal aufgestellten Demarcations-Linie durchschnitten werden. Die Wissenschaft und der unvollkommene Zustand aller am dem Meere zu brauchender, raum- und zeitmessender Instrumente waren 1493 der praktischen Lösung einer so schwierigen Aufgabe noch nicht gewachsen. Unter diesen Verhältnissen leistete Pabst Alexander VI, indem er den Uebermuth hatte eine Erdhälfte unter zwei 321 mächtige Reiche zu theilen: ohne es zu wissen, gleichzeitig wesentliche Dienste der astronomischen Nautik und der physikalischen Lehre vom Erd-Magnetismus. Auch wurden die Seemächte von da an mit einer Unzahl unausführbarer Vorschläge bedrängt. Sebastian Cabot (so berichtet sein Freund Richard Eden) rühmte sich noch auf seinem Sterbebette, daß ihm »durch göttliche Offenbarung eine untrügliche Methode mitgetheilt worden sei die geographische Länge zu finden«. Diese Offenbarung war der feste Glaube an die mit den Meridianen sich regelmäßig und schnell verändernde magnetische Abweichung. Der Cosmograph Alonso de Santa Cruz, einer der Lehrer des Kaisers Carls V, unternahm es die erste allgemeine Variations-KarteDas Zeugniß über den sterbenden Sebastian Cabot s. in der, mit vieler historischer Kritik abgefaßten Schrift von Biddle, memoir of Seb. Cabot p. 222. »Man kennt«, sagt Biddle, »mit Genauigkeit weder das Todesjahr noch den Begräbnißort des großen Seefahrers, der Großbritannien fast einen Continent geschenkt und ohne den (wie ohne Sir Walter Ralegh) vielleicht die englische Sprache nicht von vielen Millionen der Bewohner Amerika's gesprochen würde.« – Ueber die Materialien, nach denen die Variations-Karte des Alonso de Santa Cruz construirt war, wie über die Variations-Compasse, deren Vorrichtung schon zugleich erlaubte Sonnenhöhen zu nehmen: s. Navarrete, noticia biografica del Cosmografo Alonso de Santa Cruz p. 3–8. Der erste Variations-Compaß war schon vor 1525 von einem kunstreichen Apotheker aus Sevilla, Felipe Guillen, zu Stande gebracht. Das Bestreben die Richtung der magnetischen Declinations-Curven genauer kennen zu lernen war so groß, daß 1585 Juan Jayme mit Francisco Gali bloß deshalb von Manila nach Acapulco schiffte, um ein von ihm erfundenes Declinations-Instrument in der Südsee zu prüfen. S. mein Essai polit. sur la Nouv. Espagne T. IV. p. 110. zu entwerfen: schon um das Jahr 1530, also anderthalb Jahrhunderte vor Halley, freilich nach sehr unvollständigen Beobachtungen.
Von dem Fortschreiten, d. h. der Bewegung der magnetischen Linien, deren Kenntniß man gewöhnlich dem Gassendi zuschreibt, hatte selbst William Gilbert noch keine Ahndung: während früher Acosta, »durch portugiesische Seefahrer unterrichtet«, auf dem ganzen Erdboden vier Linien ohne Abweichung annahmAcosta, Hist. natural de las Indias lib. I cap. 17. Diese vier magnetischen Linien ohne Abweichung haben Halley durch die Streitigkeiten zwischen Henry Bond und Beckborrow auf die Theorie von vier magnetischen Polen geführt.. Kaum war in England durch Robert Norman 1576 die Inclinations-Boussole erfunden, so rühmte sich Gilbert, mittelst dieses Instruments in dunkler, sternloser Nacht (aëre caliginoso) den Ort des Schiffes zu bestimmenGilbert de Magnete Physiologia nova lib. V cap. 8 pag. 200.. Ich habe, auf eigene Beobachtungen in der Südsee gestützt, gleich nach meiner Rückkehr nach Europa gezeigt, wie unter gewissen Localverhältnissen, z. B. an den Küsten von Peru in der Jahreszeit der beständigen Nebel (garua), aus der Inclination die Breite mit einer 322 für die Bedürfnisse der Schifffahrt hinreichenden Genauigkeit bestimmt werden kann. Es ist hier bei diesen Einzelheiten in der Absicht verweilt worden, um an der gründlichen Betrachtung eines wichtigen kosmischen Gegenstandes zu zeigen wie (wenn man die Messung der Intensität der magnetischen Kraft und der stündlichen Veränderungen der Declination abrechnet) im 16ten Jahrhundert schon alles zur Sprache kam, was die Physiker noch heute beschäftigt. Auf der merkwürdigen Karte von Amerika, welche der römischen Ausgabe der Geographie des Ptolemäus vom Jahre 1508 beigefügt ist, findet sich nördlich von Gruentlant (Grönland), das als ein Theil von Asien dargestellt wird, der magnetische Pol als ein Inselberg verzeichnet. Martin Cortes in dem breve Compendio de la Sphera (1545) und Livio Sanuto in der Geographia di Tolomeo (1588) setzen ihn südlicher. Letzterer nährte schon das, leider! noch bis in die neuere Zeit verbreitete Vorurtheil, daß, »wenn man so glücklich wäre den magnetischen Pol (il calamitico) selbst zu erreichen, man dort alcun miracoloso stupendo effetto erleben würde.«
In dem Gebiete der Wärme-Vertheilung und Meteorologie war schon am Ende des 15ten und in dem Anfange des 16ten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit gerichtet auf die mit westlicher geographischer Länge abnehmende WärmeIn der gemäßigten und kalten Zone ist diese Krümmung der Isothermen zwischen den westlichen Küsten von Europa und den östlichen Küsten von Nordamerika allerdings allgemein, aber im Inneren der Tropenzone laufen die Isothermen dem Aequator fast parallel: und in den raschen Schlüssen, zu denen sich Columbus verleitet sieht, blieben unbeachtet die Unterschiede des See- und Landklima's wie der Ost- und Westküsten, der Einfluß der Breite, und der Winde, die über Afrika wegwehen. (Vergl. die merkwürdigen Betrachtungen über die Klimate, welche in der Vida del Almirante cap. 66 zusammengestellt sind.) Die frühe Ahndung des Columbus von der Krümmung der Isothermen im atlantischen Ocean war wohl begründet, wenn man sie auf die außertropische (gemäßigte und kalte) Zone beschränkt. (auf die Krümmung der isothermen Linien), auf das von Bacon von Verulam verallgemeinerte Drehungsgesetz der WindeEine Beobachtung von Columbus (Vida del Almirante cap. 55, Examen crit. T. IV. p. 253, Kosmos Bd. I. S. 479 [Anm. 388])., auf die Abnahme der Luftfeuchtigkeit und Regenmenge durch Zerstörung der WaldungenDer Admiral, sagt Fernando Colon (Vida del Alm. cap. 58), schrieb dem Umfang und der Dichtigkeit der Wälder, welche die Rücken der Berge bedeckten, die vielen erfrischenden, die Luft abkühlenden Regengüsse zu, denen er ausgesetzt war, so lange er längs der Küste von Jamaica hinsegelte. Er bemerkt bei dieser Gelegenheit in seinem Schiffsjournale: daß »vormals die Wassermenge eben so groß war auf Madeira, auf den canarischen und azorischen Inseln; aber daß seit der Zeit, wo man die Bäume abgehauen hat, welche Schatten verbreiteten, die Regen daselbst viel seltener geworden sind.« Diese Warnung ist drei und ein halbes Jahrhundert fast unbeachtet geblieben., auf die mit der zunehmenden Höhe über dem Meeresspiegel sich vermindernde Temperatur und auf die untere Grenze des ewigen Schnees. 323 Daß diese Grenze Function der geographischen Breite ist, wurde zuerst von Petrus Martyr Anghiera 1510 erkannt. Alonso de Hojeda und Amerigo Vespucci hatten die Schneeberge von Santa Marta (Tierras nevadas de Citarma) bereits 1500 gesehen, Rodrigo Bastidas und Juan de la Cosa untersuchten sie mehr in der Nähe 1501: aber erst nach den Nachrichten, welche der Pilot Juan Vespucci, Neffe des Amerigo, seinem Beschützer und Freunde Anghiera über die Expedition des Colmenares mittheilte, bekam die an dem Gebirgsufer des antillischen Meeres sichtbare tropische Schneeregion eine große, man möchte sagen eine kosmische Bedeutung. Die untere Schneegrenze wurde nun mit allgemeinen Verhältnissen der Wärme-Abnahme und der Verschiedenheit der Klimate in Verbindung gesetzt. Herodot in seinen Untersuchungen über das Steigen des Nils hatte (II, 22) die Existenz der Schneeberge südlich vom Wendekreise des Krebses gänzlich geläugnet. Alexanders Heerzüge führten die Griechen zwar zu den Nevados des Hindu-Kho (ὄρη ἀγάννιφα): aber diese liegen zwischen 34° und 36° nördlicher Breite. Die einzige, von Physikern sehr unbeachtete, Angabe von »Schnee in der Aequatorial-Zone«, die ich vor der Entdeckung von Amerika und vor dem Jahre 1500 kenne, ist in der berühmten Inschrift von Adulis enthalten, welche von Niebuhr für jünger als Juba und August gehalten wurde. Die gewonnene Erkenntniß der Abhängigkeit der unteren Schneegrenze von dem Polar-Abstande des OrtsKosmos Bd. I. S. 355 und 482 [Anm. 400], Examen crit. T. IV. p. 294, Asie centrale T. III. p. 235. Die Inschrift von Adulis, fast anderthalbtausend Jahre älter als Anghiera, spricht von »abyssinischem Schnee, in den man bis an die Knie versinkt«., die erste Einsicht in das Gesetz der senkrecht abnehmenden Wärme und die dadurch bedingte Senkung einer ohngefähr gleich kalten oberen Luftschicht vom Aequator gegen die Pole hin bezeichnen einen nicht 324 unwichtigen Zeitpunkt in der Geschichte unseres physikalischen Wissens.
Begünstigten dieses Wissen zufällige, ihrem Ursprunge nach ganz unwissenschaftliche Beobachtungen in den plötzlich erweiterten Naturkreisen; so blieb dagegen dem Zeitalter, das wir schildern, eine andere Begünstigung: die einer rein scientifischen Anregung, durch das Mißgeschick sonderbarer Verhältnisse entzogen. Der größte Physiker des funfzehnten Jahrhunderts, welcher mit ausgezeichneten mathematischen Kenntnissen den bewundernswürdigsten Tiefblick in die Natur verband, Leonardo da Vinci, war der Zeitgenosse des Columbus; er starb drei Jahre nach ihm. Die Meteorologie hatte den ruhmgekrönten Künstler eben so viel als die Hydraulik und Optik beschäftigt. Er wirkte bei seinem Leben durch die großen Werke der Malerei, welche er schuf, und durch seine begeisterte Rede: nicht durch Schriften. Wären die physischen Ansichten des Leonardo da Vinci nicht in seinen Manuscripten vergraben geblieben, so würde das Feld der Beobachtung, welches die neue Welt darbot, schon vor der großen Epoche von Galilei, Pascal und Huygens in vielen Theilen wissenschaftlich bearbeitet worden sein. Wie Francis Bacon und ein volles Jahrhundert vor diesem, hielt er die Induction für die einzige sichere Methode in der Naturwissenschaft; dobbiamo cominciare dall' esperienza, e per mezzo di questa scoprirne la ragioneLeonardo da Vinci sagt von diesem Verfahren sehr schön: questo è il methodo da osservarsi nella ricerca de' fenomeni della natura. S. Venturi, essai sur les ouvrages physico-mathématiques de Léonard de Vinci 1797 p. 31; Amoretti, memorie storiche sù la vita di Lionardo da Vinci, Milano 1804 p. 143 (in seiner Ausgabe des trattato della Pittura, T. XXXIII. der Classici Italiani); Whewell, Philos. of the inductive Sciences 1840 Vol. II. p. 368–370; Brewster, life of Newton p. 332. Die meisten physikalischen Arbeiten des Leonardo da Vinci sind von 1498..
So wie nun, selbst bei dem Mangel messender Instrumente, klimatische Verhältnisse in den tropischen Gebirgsländern: durch Vertheilung der Wärme, Extreme der Lufttrockenheit und Frequenz electrischer Explosionen, in den Schriften über die ersten Landreisen häufig besprochen wurden; 325 so faßten auch sehr früh die Seefahrer richtige Ansichten von der Direction und Schnelligkeit von Strömungen, die, Flüssen von sehr veränderlicher Breite vergleichbar, den atlantischen Ocean durchsetzen. Der eigentliche Aequatorial-Strom, die Bewegung der Wasser zwischen den Wendekreisen, ist zuerst von Columbus beschrieben worden. Es drückt sich derselbe darüber auf das bestimmteste und in großer Allgemeinheit in seiner dritten Reise aus. »Die Wasser bewegen sich con los cielos (wie das Himmelsgewölbe) von Osten nach Westen.« Selbst die Richtung einzeln schwimmender Massen von SeetangWie groß die Aufmerksamkeit auf Naturerscheinungen von früher Zeit an bei den Seeleuten gewesen ist, erkennt man auch in den ältesten spanischen Berichten. Diego de Lepe z. B. fand 1499 (wie ein Zeugniß in dem fiscalischen Processe gegen die Erben von Christoph Columbus es uns lehrt) mittelst eines mit Klappen-Ventilen versehenen Gefäßes, welches sich erst am Meeresboden öffnete, daß weit von der Mündung des Orinoco eine 6 Faden dicke Schicht süßen Wassers das Salzwasser bedeckt (Navarrete, Viages y descubrim. T. III. p. 549). Columbus schöpfte im Süden der Insel Cuba milchweißes Seewasser (»weiß, als wäre Mehl hineingestreut«), um es in Flaschen mit nach Spanien zu nehmen (Vida del Almirante p. 56). Ich war der Längen-Bestimmungen wegen an denselben Punkten: und es hat mich Wunder genommen, daß dem alten erfahrenen Admiral die auf Untiefen so gewöhnliche trübe, milchweiße Farbe des Seewassers eine neue, unerwartete Erscheinung habe sein können. – Was den Golfstrom selbst betrifft, der als ein wichtiges kosmisches Phänomen zu betrachten ist; so waren die Wirkungen desselben schon lange vor der Entdeckung von Amerika auf den azorischen und canarischen Inseln durch Anschwemmung von Bambusrohr, Pinus-Stämmen und sonderbar gestalteten Leichnamen aus den Antillen: ja selbst durch die unwillkührliche Landung von fremden Menschen in Canots, »die nie untergehen können«, vielfach beobachtet worden. Man schrieb dieselben aber damals allein der Stärke von Weststürmen zu (Vida del Almirante cap. 8; Herrera Dec. I. lib. I cap. 2, lib. IX cap. 12): ohne noch die von der Richtung der Winde ganz unabhängige Bewegung der Wasser, die, gleichsam rückwirkende Inflexion des pelagischen Stromes gegen Osten und Südosten; d. h. den Impuls zu erkennen, welcher alljährlich tropische Früchte der Antillen den irischen und norwegischen Küsten zuführt. Vergl. das Memoire des Sir Humphrey Gilbert »über die Möglichkeit einer nordwestlichen Durchfahrt nach dem Cathay« in Hakluyt, Navigations and Voyages Vol. III. p. 14, Herrera Dec. I. lib. IX cap. 12 und Examen crit. T. II. p. 247–257, T. III. p. 99–108. bekräftigten diesen Glauben. Eine kleine Pfanne von leichtem Eisenblech, welche er in den Händen der Eingebornen der Insel Guadalupe fand, leitete Columbus auf die Vermuthung, daß sie europäischen Ursprungs und aus den Trümmern eines gescheiterten Schiffes entlehnt sein konnte, welche die Aequatorial-Strömung von den iberischen Küsten nach den amerikanischen geführt hätte. In seinen geognostischen Phantasien hielt er die Existenz der Inselreihe der kleinen Antillen wie die eigenthümliche Gestaltung der großen, d. i. die Uebereinstimmung der Richtung ihrer Küsten mit der der Breiten-Parallele, für die lange Wirkung der ost-westlichen Meeresbewegung zwischen den Wendekreisen.
Als auf seiner vierten und letzten Reise der Admiral die nord-südliche Richtung der Küsten des Continents vom Vorgebirge Gracias á Dios bis zur Laguna de Chiriqui erkannte, fühlte er die Wirkungen der heftigen Strömung, welche nach N und NNW treibt und eine Folge des Stoßes des ost-westlichen Aequatorial-Stromes gegen die dammartig vorliegende Küste ist. Anghiera überlebte den 326 Columbus lange genug, um die Ablenkung der atlantischen Gewässer in ihrem ganzen Zusammenhange aufzufassen, um den Wirbel in dem Golf von Mexico und die Fortpflanzung der Bewegung bis zu der Tierra de los Bacallaos (Neufundland) und der Mündung des St. Lorenzflusses zu erkennen. Ich habe an einem anderen Orte umständlich entwickelt, wie viel die Expedition des Ponce de Leon im Jahr 1512 zur genaueren Feststellung der Ideen beigetragen hat; und daß man in einer von Sir Humphrey Gilbert zwischen 1567 und 1576 geschriebenen Abhandlung die Bewegung der Gewässer des atlantischen Meeres von dem Vorgebirge der guten Hoffnung bis zur Bank von Neufundland nach Ansichten behandelt findet, welche mit denen meines vortrefflichen dahingeschiedenen Freundes, des Major Rennell, fast ganz übereinstimmen.
Mit der Kenntniß der Strömungen verbreitete sich auch die der großen Bänke von Seetang (Fucus natans): der oceanischen Wiesen, welche das merkwürdige Schauspiel der Zusammenhäufung einer geselligen Pflanze auf einem Raume darbieten, dessen Flächeninhalt fast siebenmal den von Frankreich übertrifft. Die große Fucus-Bank, das eigentliche Mar de Sargasso, breitet sich aus zwischen 19° und 34° nördlicher Breite. Ihre Haupt-Axe liegt ohngefähr sieben Grad westlich von der Insel Corvo. Die kleine Fucus-Bank fällt dagegen in den Raum zwischen den Bermuden und den Bahama-Inseln. Winde und partielle Strömungen wirken nach Verschiedenheit der Jahre auf die Lage und den Umfang dieser atlantischen Tangwiesen: deren erste Beschreibung wir dem Columbus verdanken. Kein anderes Meer beider 327 Hemisphären zeigt in ähnlicher Größe diese Gruppirung geselliger Pflanzen.Examen crit. T. III. p. 26 und 66–99; Kosmos Bd. I. S. 328 und 330.
Aber die wichtige Zeitepoche der Entdeckungen im Erdraume, die plötzliche Eröffnung einer unbekannten Erdhälfte hat auch die Ansicht der Welträume oder, wie ich mich bestimmter ausdrücken sollte, des scheinbaren Himmelsgewölbes erweitert. Weil der Mensch, nach einem schönen Ausdruck des elegischen Garcilaso de la Vega, in der Wanderung nach fernen Ländern (unter verschiedenen Breitengraden) »Land und Gestirne« gleichzeitig sich ändern siehtAlonso de Ercilla hat in der Araucana die Stelle des Garcilaso nachgeahmt: Climas passè, mudè constelaciones; s. Kosmos Bd. II. S. 121 Anm. 525.; so mußte das Vordringen zum Aequator an beiden Küsten von Afrika und bis über die Südspitze des Neuen Continents den Seefahrern und Landreisenden jetzt länger und öfter das prachtvolle Schauspiel der südlichen Sternbilder vorführen, als es zu den Zeiten des Hiram und der Ptolemäer, zu der der römischen Weltherrschaft und des arabischen Handelsverkehrs im rothen Meere oder in dem indischen Ocean zwischen der Straße Bab-el-Mandeb und der westlichen Halbinsel Indiens geschehen konnte. Amerigo Vespucci in seinen Briefen, Vicente Yañez Pinzon, Pigafetta, der Magellan's und Elcano's Begleiter war: haben, wie Andrea Corsali auf der Fahrt nach Cochin in Ostindien, in dem Anfange des 16ten Jahrhunderts die ersten und lebendigsten Anschauungen des südlichen Himmels (jenseits der Füße des Centauren und des herrlichen Sternbildes des Schiffes Argo) geliefert. Amerigo: litterarisch gelehrter, aber auch ruhmrediger als die anderen, preist nicht ohne Anmuth die Lichtfülle, die malerische Gruppirung und den fremdartigen Anblick von Gestirnen, die um den sternarmen Südpol kreisen. Er behauptet in seinem Briefe 328 an Pierfrancesco de' Medici, daß er sich auf seiner dritten Seefahrt sorgfältig mit den südlichen Constellationen beschäftigt, den Polar-Abstand der hauptsächlichsten gemessen und sie gezeichnet habe. Was er davon mittheilt, läßt freilich den Verlust jener Messungen leicht verschmerzen.
Die räthselhaften schwarzen Flecke (Kohlensäcke) finde ich zuerst von Anghiera im Jahr 1510 beschrieben. Sie waren schon 1199 von den Begleitern des Vicente Yañez Pinzon bemerkt worden auf der Expedition, die von Palos auslief und Besitz von dem brasilianischen Cap San Augustin nahm.Petr. Mart. Ocean. Dec. I. lib. IX p. 96, Examen crit. T. IV. p. 221 und 317. Der Canopo fosco(Canopus niger) des Amerigo ist wahrscheinlich auch einer der coalbags. Der scharfsinnige Acosta vergleicht sie mit dem verfinsterten Theile der Mondscheibe (in partieller Finsterniß) und scheint sie einer Leerheit im Himmelsraume, einer Abwesenheit von Sternen zuzuschreiben. Rigaud hat gezeigt, wie ein berühmter Astronom die Kohlensäcke: von denen Acosta bestimmt sagt, daß sie in Peru (nicht in Europa) sichtbar sind und wie andere Sterne sich um den Südpol bewegen, für die erste Angabe von Sonnenflecken gehalten hat.Acosta, Hist. natural de las Indias lib. I cap. 2; Rigaud, account of Harriot's astron. papers 1833 p. 37. Die Kenntniß der beiden Magellanischen Wolken wird mit Unrecht dem Pigafetta zugeschrieben. Ich finde, daß Anghiera, gestützt auf die Beobachtungen portugiesischer Seefahrer, dieser Wolken schon 8 Jahre vor der Beendigung der Magellanischen Weltumschiffung erwähnt. Er vergleicht ihren milden Glanz mit dem der Milchstraße. Der Scharfsichtigkeit der Araber scheint aber die große Wolke nicht entgangen zu sein. Sie ist sehr wahrscheinlich der weiße Ochse, el Bakar, ihres südlichen Himmels: d. h. der weiße Flecken, von dem der Astronom Abdurrahman Sofi sagt, daß man ihn 329 nicht in Bagdad, nicht im nördlichen Arabien, wohl aber im Tehama und in dem Parallel der Meerenge Bab-el-Mandeb sehen kann. Griechen und Römer sind denselben Weg unter den Lagiden und später gewandert: und haben nichts bemerkt oder wenigstens in auf uns gekommenen Schriften nichts aufgezeichnet über eine Lichtwolke, welche doch unter 11° bis 12° nördlicher Breite zu der Zeit des Ptolemäus sich 3°, zu der des Abdurrahman im Jahr 1000 zu mehr als 4 Graden über den Horizont erhob.Pigafetta, primo Viaggio intorno al Globo terracqueo, pubbl. da C. Amoretti 1800 p. 46; Ramusio Vol. I. p. 355, c; Petr. Mart. Ocean. Dec. III. lib. I p. 217. (Nach den Begebenheiten, die Anghiera Dec. II. lib. X p. 204 und Dec. III. lib. X p. 232 anführt, muß die Stelle der Oceanica des Anghiera, welche von den Magellanischen Wolken handelt, zwischen 1514 und 1516 geschrieben worden sein.) Andrea Corsali (Ramusio Vol. I. p. 177) beschreibt auch in einem Briefe an Giuliano de' Medici die kreisförmige translatorische Bewegung von »du enugolette di ragionevol grandezza«. Der Stern, den er zwischen Nubecula major und minor abbildet, scheint mir β Hydrae; Examen crit. T. V. p. 234–238. – Ueber Petrus Theodori von Emden und Houtman, den Schüler des Mathematikers Plancius, s. einen historischen Aufsatz von Olbers in Schumacher's Jahrbuch für 1840 S. 249. Jetzt kann die Meridianhöhe der Mitte der Nubecula major bei Aden 5° erreichen. Wenn Seefahrer die Magellanischen Wolken gewöhnlich erst in weit südlicheren Breiten, dem Aequator nahe oder gar südlich von demselben, deutlich erkennen, so liegt der Grund davon wohl in der Beschaffenheit der Atmosphäre und den weißes Licht reflectirenden Dünsten am Horizont. Im südlichen Arabien muß im Innern des Landes die dunkle Bläue des Himmelsgewölbes und die große Trockenheit der Luft das Erkennen der Magellanischen Wolken begünstigen. Beispiele von der Sichtbarkeit von Cometenschweifen am hellen Tage zwischen den Wendekreisen und in sehr südlichen Breiten sprechen dafür.
Die Einreihung der dem antarctischen Pole nahen Gestirne in neue Sternbilder gehört dem 17ten Jahrhundert an. Was die holländischen Seefahrer Petrus Theodori von Emden und Friedrich Houtman, der (1596–1599) ein Gefangener des Königs von Bantam und Atschin auf Java und Sumatra war, mit unvollkommenen Instrumenten beobachteten, wurde in die Himmelskarten von Hondius, Bleauw (Jasonius Caesius) und Bayer eingetragen.
330 Der an zusammengedrängten Nebelflecken und Sternschwärmen so reichen Zone des südlichen Himmels zwischen den Parallelkreisen von 50° und 80° giebt die ungleichmäßigere Vertheilung der Lichtmassen einen eigenthümlichen, man möchte sagen landschaftlichen Charakter; einen Reiz, der aus der Gruppirung der Sterne erster und zweiter Größe und ihrer Trennung durch Regionen hervorgeht, welche dem bloßen Auge verödet und glanzlos erscheinen. Diese sonderbaren Contraste, die mehrfach in ihrem Laufe heller auflodernde Milchstraße, die isolirt kreisenden, abgerundeten Magellanischen Lichtwolken und die Kohlensäcke, von denen der größere einer schönen Constellation so nahe liegt, vermehren die Mannigfaltigkeit des Naturbildes; sie fesseln die Aufmerksamkeit empfänglicher Beschauer an einzelne Regionen in der äußersten Hälfte des südlichen Himmelsgewölbes. Eine dieser Regionen ist seit dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts durch besondere, zum Theil religiöse Beziehungen sowohl christlichen Seefahrern in den tropischen und südlicheren Meeren wie christlichen Missionaren in beiden Indien wichtig geworden: es ist die des südlichen Kreuzes. Die vier Hauptsterne, welche es bilden, werden im Almagest, also in den Epochen des Hadrian und Antonius des Frommen, den Hinterfüßen des Sternbildes des CentaurenVergleiche die Untersuchungen von Delambre und Encke mit Ideler, Ursprung der Sternnamen S. XLIX, 263 und 277; auch mein Examen crit. T. IV. p. 319–324, T. V. p. 17–19, 30 und 230–234. beigezählt. Es darf fast Wunder nehmen, da die Gestaltung des Kreuzes so auffallend ist und sich merkwürdig absondernd individualisirt: wie in dem großen und kleinen Wagen (den Bären), im Scorpion, in der Cassiopea, im Adler, im Delphin: daß jene vier Sterne nicht früher von dem mächtigen alten Sternbilde des Centauren getrennt worden sind; es muß es um so mehr, als 331 der Perser Kazwini und andere mohammedanische Astronomen aus dem Delphin und Drachen eigene Kreuze mit Mühe zusammensetzten. Ob höfische Schmeichelei alexandrinischer Gelehrten, welche den Canopus in ein Ptolemäon umgewandelt, auch die Gestirne unseres jetzigen südlichen Kreuzes, zur Verherrlichung des Augustus, »an einen, in Italien nie sichtbaren Caesaris thronon«Plin. II, 70; Ideler. Sternnamen S. 260 und 295. geheftet hatte; bleibt ziemlich ungewiß. Zur Zeit des Claudius Ptolemäus erreichte der schöne Stern am Fuß des südlichen Kreuzes bei seinem Durchgang durch den Meridian in Alexandrien noch 6° 10' Höhe, während er jetzt daselbst mehrere Grade unter dem Horizonte culminirt. Um gegenwärtig (1847) α Crucis in 6° 10' Höhe zu sehen, müßte man mit Rücksicht auf Strahlenbrechung sich 10° südlich von Alexandrien, in 21° 43' nördlicher Breite, befinden. Auch die christlichen Einsiedler in der Thebaide können im vierten Jahrhundert das Kreuz noch in 10° Höhe gesehen haben. Ich zweifle indeß, daß von ihnen seine Benennung herrühre; denn Dante in der berühmten Stelle des Purgatorio:
Io mi volsi a man destra, e posi mente All' altro polo, e vidi quattro stelle Non viste mai fuor ch' alla prima gente |
und Amerigo Vespucci: welcher dieser Stelle in seiner dritten Reise bei dem Anblick des gestirnten südlichen Himmels zuerst gedachte, ja sich rühmte »die vier nur von dem ersten Menschenpaar gesehenen Sterne nun selbst zu schauen«, kennen die Benennung des Südkreuzes noch nicht. Amerigo sagt ganz einfach: die vier Sterne bilden eine rhomboidale 332 Figur, una mandorla; und diese Bemerkung ist vom Jahr 1501. Je mehr die Seereisen auf den durch Gama und Magellan eröffneten Wegen sich um das Vorgebirge der guten Hoffnung und durch die Südsee vervielfältigten und christliche Missionare in den neu entdeckten Tropenländern Amerika's vordrangen, desto mehr nahm der Ruf jenes Sternbildes zu. Ich finde es zuerst als ein Wunderkreuz (croce maravigliosa), »herrlicher als alle Constellationen des ganzen Himmels«, von dem Florentiner Andrea Corsali (1517), später(1520) auch von Pigafetta genannt. Der belesenere Florentiner rühmt Dante's prophetischen Geist: als hätte der große Dichter nicht eben so viel Erudition wie Schöpfungsgabe besessen, als hätte er nicht arabische Sterngloben gesehen und mit vielen orientalischen Reisenden aus Pisa verkehrt.Ich habe an einem anderen Orte die Zweifel, welche mehrere berühmte Commentatoren des Dante in neueren Zeiten über die quattro stelle geäußert, zu lösen gesucht. Um das Problem in seinem ganzen Umfang zu fassen, muß die Stelle Io mi volsi.... (Purgat. I v. 22–24) mit den anderen Stellen: Purg. I v. 37, VIII v. 85–93, XXIX v. 121, XXX v. 97, XXXI v. 106 und Inf. XXVI v. 117 und 127 verglichen werden. Der Mailänder Astronom de Cesaris hielt die drei facelle (Di che'l polo di quà tutto quanto arde und welche untergehen, wenn die vier Sterne des Kreuzes aufgehen) für Canopus, Achernar und Fomahaut. Ich habe versucht die Schwierigkeiten durch die nachfolgenden Betrachtungen zu lösen: »Le mysticisme philosophique et religieux qui pénètre et vivifie l'immense composition du Dante, assigne à tous les objets, à côté de leur existence réelle ou matérielle, une existence idéale. C'est comme deux mondes, dont l'un est le reflet de l'autre. Le groupe des quatre étoiles représente, dans l'ordre moral, les vertus cardinales: la prudence, la justice, la force et la tempérance; elles méritent pour cela le nom de »saintes lumières, luci sante«. Les trois étoiles »qui éclairent le pôle«, représentent les vertus théologales: la foi, l'espérance et la charité. Les premiers de ces êtres nous révèlent eux-mêmes leur double nature; ils chantent: »Ici nous sommes des nymphes, dans le ciel nous sommes des étoiles; Noi sem qui Ninfe, e nel ciel semo stelle.« Dans la Terre de la vérité, le Paradis terrestre, sept nymphes se trouvent réunies: »In cerchio le facevan di se claustro le sette Ninfe.« C'est la réunion des vertus cardinales et théologales. Sous ces formes mystiques, les objets réels du firmament, éloignés les uns des autres, d'après les lois éternelles de la Mêcanique céleste, se reconnaissent à peine. Le monde idéal est une libre création de l'âme, le produit de l'inspiration poétique.« (Examen crit. T. IV. p. 324–332.) Daß in den spanischen Niederlassungen im tropischen Amerika die ersten Ansiedler sich gern, wie noch jetzt, der verschiedentlich geneigten oder senkrechten Stellung des südlichen Kreuzes als einer Himmelsuhr bedienten, bemerkt schon Acosta in seiner Historia natural y moral de las Indias.Acosta lib I cap. 5. Vergl. meine Relation historique T. I. p. 209. Da die Sterne α und γ des südlichen Kreuzes fast einerlei Geradaufsteigung haben, so erscheint das Kreuz senkrecht, wenn es durch den Meridian geht; aber die Eingeborenen vergessen nur zu oft, daß diese Himmelsuhr jeden Tag um 3' 56" voreilt. – Alle Berechnungen über das Sichtbar-Sein südlicher Sterne in nördlichen Breiten verdanke ich den freundschaftlichen Mittheilungen des Herrn Dr. Galle, der zuerst den Planeten von le Verrier am Himmel aufgefunden. »Die Unsicherheit der Berechnung, nach welcher der Stern α des südlichen Kreuzes, mit Rücksicht auf Refraction, für 52° 25' nördlicher Breite um das Jahr 2900 vor der christlichen Zeitrechnung anfing unsichtbar zu werden, kann vielleicht mehr als 100 Jahre betragen; und würde sich auch bei strengster Berechnungsform nicht ganz beseitigen lassen, da die eigene Bewegung der Fixsterne für so lange Zeiträume wohl nicht gleichförmig ist. Die eigene Bewegung von α Crucis beträgt etwa ⅓ Secunde jährlich, meist im Sinne der Rectascension. Von der durch Vernachlässigung derselben erzeugten Unsicherheit steht zu erwarten, daß sie die obige Zeitgrenze nicht übersteige.«
Durch das Vorrücken der Nachtgleichen verändert sich an jedem Punkte der Erde der Anblick des gestirnten Himmels. Das alte Menschengeschlecht hat im hohen Norden prachtvolle südliche Sternbilder aufsteigen sehen: welche, lange unsichtbar, erst nach Jahrtausenden wiederkehren werden. Canopus war schon zur Zeit des Columbus zu Toledo (Br. 39° 54') voll 1° 20' unter dem Horizont; jetzt erhebt er sich noch fast eben so viel über den Horizont von Cadix. Für Berlin und die nördlichen Breiten überhaupt sind die Sterne des südlichen Kreuzes, wie α und β 333 des Centauren, mehr und mehr im Entfernen begriffen, während sich die Magellanischen Wolken unseren Breiten langsam nähern. Canopus ist in dem verflossenen Jahrtausend in seiner größten nördlichen Annäherung gewesen: und geht jetzt, doch überaus langsam wegen seiner Nähe am Südpol der Ekliptik, immer mehr südlich. Das Kreuz fing in 52°½ nördlicher Breite an unsichtbar zu werden 2900 Jahre vor unserer Zeitrechnung: da dieses Sternbild, nach Galle, sich vorher auf mehr als 10° Höhe hatte erheben können. Als es an dem Horizont unserer baltischen Länder verschwand, stand in Aegypten schon ein halbes Jahrtausend die große Pyramide des Cheops. Das Hirtenvolk der Hyksos machte seinen Einfall 700 Jahre später. Die Vorzeit tritt uns scheinbar näher, wenn man ihr Maaß an denkwürdige Ereignisse knüpft.
Gleichzeitig mit der Erweiterung einer mehr beschaulichen als wissenschaftlichen Kenntniß der Himmelsräume waren die Fortschritte in der nautischen Astronomie, d. h. in der Vervollkommnung der Methoden den Ort des Schiffes (seine geographische Breite und Länge) zu bestimmen. Alles, was in dem Laufe der Zeiten diese Fortschritte der Schifffahrtskunde hat begünstigen können: der Compaß und die sichrere Ergründung der magnetischen Abweichung, die Messung der Geschwindigkeit durch die sorgfältigere Vorrichtung des Logs wie den Gebrauch der Chronometer und Mond-Abstände, die bessere Construction der Fahrzeuge, die Ersetzung der Kräfte des Windes durch eine andere Kraft, vor allem aber die geschickte Anwendung der Astronomie auf die Schiffsrechnung: darf als kräftige Mittel betrachtet werden zur Erschließung der gesammten Erdräume, 334 zur beschleunigten Belebung des Weltverkehrs, zur Ergründung kosmischer Verhältnisse. Diesen Standpunkt auffassend, erinnern wir hier von neuem daran, wie schon in der Mitte des 13ten Jahrhunderts in der Marine der Catalanen und der Insel Majorca »nautische Instrumente üblich waren, um die Zeit durch Sternhöhen zu finden«; und wie das von Raymundus Lullus in seiner Arte de Navegar beschriebene Astrolabium fast zweihundert Jahre älter ist als das des Martin Behaim. Die Wichtigkeit der astronomischen Methoden wurde in Portugal so lebhaft anerkannt, daß gegen das Jahr 1484 Behaim zum Präsidenten einer »Junta de Mathematicos« ernannt wurde, welche Tafeln der Declination der Sonne berechnen und, wie Barros sagtBarros da Asia Dec. I. liv. IV cap. 2 (1778) p. 282., die Piloten lehren sollte die maneira de navegar per altura do Sol. Von dieser Schifffahrt »nach den Meridianhöhen der Sonne« wurde damals schon scharf die Schifffahrt por la altura del Este-OesteNavarrete, coleccion de los Viages y Descubrimientos que hiciéron por mar los Españoles T. IV. p. XXXII (in der Noticia biografica de Fernando de Magallanes)., d. h. durch Längen-Bestimmungen, unterschieden.
Das Bedürfniß die Lage der päbstlichen Demarcations-Linie, und so in dem neu entdeckten Brasilien und den südindischen Inseln die Grenze zwischen dem rechtmäßigen Besitze der portugiesischen und spanischen Krone aufzufinden vermehrte, wie wir schon oben bemerkt, den Drang nach praktischen Längen-Methoden. Man fühlte, wie selten die alte unvollkommene hipparchische Methode der Mondfinsternisse anzuwenden sei; und der Gebrauch der Mond-Distanzen wurde schon 1514 von dem Nürnberger Astronomen Johann Werner, und bald nachher von Orontius Finäus und Gemma Frisius anempfohlen. Leider mußte aber diese Methode lange unanwendbar bleiben: bis, nach den vielen 335 vergeblichen Versuchen mit den Instrumenten von Peter Apianus (Bienewitz) und Alonso de Santa Cruz, durch Newton's Scharfsinn (1700) der Spiegel-Sextant erfunden und durch Hadley (1731) unter die Seefahrer verbreitet wurde.
Der Einfluß der arabischen Astronomen wirkte von Spanien aus auch auf die Fortschritte der nautischen Astronomie. Man versuchte freilich zur Längen-Bestimmung vieles, das nicht gelang; und die Schuld des Nicht-Gelingens wurde seltener auf die Unvollkommenheit der Beobachtung als auf Druckfehler in den astronomischen Ephemeriden des Regiomontanus geschoben, deren man sich bediente. Die Portugiesen verdächtigten sogar die Ergebnisse der astronomischen Angaben der Spanier, deren Tafeln aus politischen Gründen verfälscht sein sollten.Barros Dec. III. Parte 2. 1777 p. 650 und 658–662. Das auf einmal erwachte Bedürfniß nach den Hülfsmitteln, welche die nautische Astronomie wenigstens theoretisch verhieß, spricht sich besonders lebhaft aus in den Reiseberichten des Columbus, Amerigo Vespucci, Pigafetta und Andres de San Martin: des berühmten Piloten der Magellanischen Expedition, der die Längen-Methoden des Ruy Falero besaß. Oppositionen der Planeten, Sternbedeckungen, Höhen-Differenzen zwischen dem Monde und Jupiter, Veränderungen der Declination des Mondes wurden mit mehr oder wenigerem Erfolge versucht. Wir besitzen Conjunctions-Beobachtungen von Columbus in der Nacht des 13 Januar 1493 aus Haiti. Die Nothwendigkeit einen eigenen, wohlunterrichteten Astronomen jeder großen Expedition beizugeben wurde so allgemein gefühlt, daß die Königinn Isabella dem Columbus am 5 Sept. 1493 schreibt: »ob er gleich in seinem Unternehmen 336 bewiesen habe, daß er mehr wisse als irgend ein sterblicher Mensch (que ninguno de los nacidos), so rathe sie ihm doch den Fray Antonio de Marchena, als einen gelehrten und fügsamen Sternkundigen, mit sich zu nehmen«. Columbus sagt in der Beschreibung seiner vierten Reise: »Es giebt nur Eine untrügliche Schiffsrechnung, die der Astronomen. Wer diese versteht, kann zufrieden sein. Was sie gewährt, gleicht einer vision profetica.Die Königinn schreibt an Columbus: »Nosotros mismos, y no otro alguno, habemos visto algo del libro que nos dejástes (ein Reisejournal, in dem der mißtrauische Seemann alle numerischen Angaben von Breitengraden und Distanzen weggelassen hatte): quanto mas en esto platicamos y vemos, conocemos cuan gran cosa ha seido este negocio vuestro y que habeis sabido en ello mas que nunca se pensó que pudiera saber ninguno de los nacidos. Nos parece que seria bien que llevásedes con vos un buen Estrologo, y nos parescia que seria bueno para esto Fray Antonio de Marchena, porque es buen Estrologo y siempre nos pareció que se conformaba con vuestro parecer.« Ueber diesen Marchena: der identisch ist mit Fray Juan Perez, dem Guardian des Klosters de la Rabida, in welchem Columbus in seiner Armuth 1484 die Mönche »für sein Kind um Brodt und Wasser ansprach«, s. Navarrete T. II. p. 110, T. III. p. 597 und 603 (Muñoz, Hist. del Nuevo Mundo lib. IV § 24). – Die astronomischen Ephemeriden nennt Columbus eine vision profetica in einem Briefe an die Christianissimos Monarcas aus Jamaica vom 7 Jul. 1503 (Navarrete T. I. p. 306). – Der portugiesische Astronom Ruy Falero: aus Cubilla gebürtig, von Carl V 1519 zugleich mit Magellan zum Caballero de la Orden de Santiago ernannt, spielte eine wichtige Rolle in den Zurüstungen zu Magellan's Weltumseglung. Er hatte eine eigene Abhandlung über die Längen-Bestimmungen für Magellan angefertigt, von welcher der große Geschichtsschreiber Barros einige Capitel handschriftlich besaß (Examen crit. T. I. p. 276 und 302, T. IV p. 315): wahrscheinlich dieselbe, welche 1535 in Sevilla bei Johann Cromberger gedruckt worden ist. Navarrete (obra póstuma sobre la Hist. de la Nautica y de las ciencias matematicas 1846 p. 147) hat das Buch selbst in Spanien nicht auffinden können. Ueber die vier Längen-Methoden, die Falero durch Eingebung seines Demonio familiar besaß, s. Herrera Dec. II. lib. II cap. 19 und Navarrete T. V. p. LXXVII. Später machte der Cosmograph Alonso de Santa Cruz: derselbe, welcher (wie der Apotheker aus Sevilla, Felipe Guillen, 1525) die Länge durch die Variation der Magnetnadel zu bestimmen versuchte, unausführbare Vorschläge, zu demselben Zweck durch Uebertragung der Zeit zu gelangen; aber seine Chronometer waren Sand- und Wasseruhren, Räderwerke durch Gewichte bewegt: ja selbst »in Oel getränkte Dochte«, die in sehr gleicher Zeitdauer abbrannten! – Pigafetta (Transunto del Trattato di Navigazione p. 219) empfiehlt Mondhöhen im Meridian. Von den Lunar-Längenmethoden sagt Amerigo Vespucci sehr naiv und wahr: der Vortheil, welchen sie gewähren, entspringe aus dem corso più leggier de la luna (Canovai, Viaggi p. 57). Unsere unwissenden Piloten, wenn sie viele Tage die Küste aus den Augen verloren haben, wissen nicht, wo sie sind. Sie würden die Länder nicht wiederfinden, die ich entdeckt. Zum Schiffen gehört Compas y arte, die Bussole und das Wissen, die Kunst der Astronomen.«
Ich habe diese charakteristischen Einzelheiten erwähnt, weil sie anschaulicher machen, wie die nautische Sternkunde, das mächtige Werkzeug der Sicherung der Schifffahrt und durch diese Sicherung das Mittel der erleichterten Zugänglichkeit zu allen Erdräumen, in dem hier geschilderten Zeitabschnitt die erste Entwickelung empfing; wie in der allgemeinen Bewegung der Geister früh die Möglichkeit von Methoden erkannt wurde, die erst nach Vervollkommnung der Uhren, der winkelmessenden Instrumente und der Sonnen- und Mondtafeln von ausgebreiteter praktischer Anwendung sein konnten. Wenn der Charakter eines Jahrhunderts »die Offenbarung des menschlichen Geistes in einer bestimmten Zeitepoche« ist, so hat das Jahrhundert des Columbus und der großen nautischen Entdeckungen, indem es auf eine unerwartete Weise die Objecte des Wissens und der Anschauungen vermehrte, auch den folgenden Jahrhunderten einen neuen und höheren Schwung gegeben. Es 337 ist die Eigenthümlichkeit wichtiger Entdeckungen, daß sie zugleich den Kreis der Eroberungen und die Aussicht in das Gebiet, das noch zu erobern übrig bleibt, erweitern. Schwache Geister glauben in jeder Epoche wohlgefällig, daß die Menschheit auf den Culminationspunkt intellectueller Fortschritte gelangt sei; sie vergessen, daß durch die innige Verkettung aller Naturerscheinungen, in dem Maaße als man vorschreitet, das zu durchlaufende Feld eine größere Ausdehnung gewinnt: daß es von einem Gesichtskreise begrenzt ist, der unaufhörlich vor dem Forscher zurückweicht.
Wo hat die Geschichte der Völker eine Epoche aufzuweisen, der gleich, in welcher die folgenreichsten Ereignisse: die Entdeckung und erste Colonisation von Amerika, die Schifffahrt nach Ostindien um das Vorgebirge der guten Hoffnung und Magellan's erste Erdumseglung: mit der höchsten Blüthe der Kunst, mit dem Erringen geistiger, religiöser Freiheit und der plötzlichen Erweiterung der Erd- und Himmelskunde zusammentrafen? Eine solche Epoche verdankt einen sehr geringen Theil ihrer Größe der Ferne, in der sie uns erscheint: dem Umstand, daß sie ungetrübt von der störenden Wirklichkeit der Gegenwart nur in der geschichtlichen Erinnerung auftritt. Wie in allen irdischen Dingen, ist auch hier des Glückes Glanz mit tiefem Weh verschwistert gewesen. Die Fortschritte des kosmischen Wissens wurden durch alle Gewaltthätigkeiten und Gräuel erkauft, welche die sogenannten civilisirenden Eroberer über den Erdball verbreiten. Es ist aber eine unverständig vermessene Kühnheit, in der unterbrochenen Entwickelungsgeschichte der Menschheit über das Abwägen von Glück und Unglück dogmatisch zu entscheiden. Es geziemt dem Menschen nicht, Weltbegebenheiten 338 zu richten, welche, in dem Schooße der Zeit langsam vorbereitet, nur theilweise dem Jahrhundert zugehören, in das wir sie versetzen.
Die erste Entdeckung des mittleren und südlichen Theils der Vereinigten Staaten von Nordamerika durch die Scandinavier ist fast gleichzeitig mit der Erscheinung und dem geheimnißvollen Auftreten von Manco Capac in dem Hochlande von Peru, sie ist 200 Jahre älter als die Ankunft der Azteken im Thale von Mexico. Die Gründung der Hauptstadt (Tenochtitlan) fällt um volle 325 Jahre später. Hätten diese normännischen Colonisationen langedauernde Folgen gehabt, wären sie von einem mächtigen, politisch einigen Mutterlande genährt und beschützt worden: so würden die vordringenden germanischen Stämme viele unstäte JägerhordenDie amerikanische Menschenrace, eine und dieselbe von 65° nördlicher bis 55° südlicher Breite, ging vom Jagdleben nicht durch die Stufe des Hirtenlebens zum Ackerbau über. Dieser Umstand ist um so merkwürdiger, als der Bison, von welchem ungeheure Heerden umherschwärmen, der Zähmung fähig ist und viel Milch giebt. Wenig beachtet ist die Nachricht, die man in Gomara (Historia gen. de las Indias cap. 214) liest und nach der im Nordwesten von Mexico unter 40° Breite noch im 16ten Jahrhunderte ein Volksstamm lebte, dessen größter Reichthum in Heerden gezähmter Bisons (bueyes con una giba) bestand. Von diesen Thieren erhielten die Eingeborenen Stoff zur Bekleidung, Speise und Trank, wahrscheinlich Blut (Prescott, Conquest of Mexico Vol. III. p. 416); denn die Abneigung gegen Milch, oder wenigstens der Nicht-Gebrauch derselben, scheint, vor der Ankunft der Europäer, allen Eingeborenen des Neuen Continents mit den Bewohnern von China und Cochinchina gemein gewesen zu sein. Allerdings gab es von je her in dem gebirgigen Theile von Quito, Peru und Chili Heerden zahmer Lamas. Diese Heerden waren aber der Reichthum von Völkern, welche angesiedelt sich mit der Cultur des Bodens beschäftigten; in den Cordilleren von Südamerika fand man keine Hirtenvölker, kein Hirtenleben. Was sind die »gezähmten Hirsche« bei der Punta de S. Helena, deren ich Erwähnung finde in Herrera Dec. II. lib. X cap. 6 (T. I. p. 471, ed. Amberes 1728)? Diese Hirsche sollen Milch und Käse gegeben haben: ciervos que dan leche y queso y se crian en casa! Aus welcher Quelle ist diese Notiz geschöpft? Sie kann aus keiner Verwechselung mit den geweih- und hornlosen Lamas der kalten Bergregion entstanden sein: von denen Garcilaso (Comment. reales P. I. lib. V cap. 2, p. 133) behauptet, daß sie in Peru, besonders auf der Hochebene des Callao, zum Pflügen gebraucht wurden. (Vergl. auch Pedro de Cieça de Leon, Chronica del Peru, Sevilla 1553, cap. 110 p. 264.) Diese Anwendung scheint wohl nur eine seltene Ausnahme, eine Localsitte gewesen zu sein. Denn im allgemeinen war der amerikanische Menschenstamm durch Mangel von Hausthieren charakterisirt: was auf das Familienleben tief einwirkte. noch da umherziehend gefunden haben, wo die spanischen Eroberer ansässige Ackerbauer fanden.
Die Zeiten der Conquista, das Ende des funfzehnten und den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts, bezeichnet ein wundersames Zusammentreffen großer Ereignisse in dem politischen und sittlichen Leben der Völker von Europa. In demselben Monat, in welchem Hernan Cortes nach der Schlacht von Otumba gegen Mexico anzog, um es zu belagern, verbrannte Martin Luther die päbstliche Bulle zu Wittenberg und begründete die Reform, welche dem Geiste Freiheit und Fortschritte auf fast unversuchten Bahnen verhieß.Ueber die Hoffnung, welche Luther bei der Ausführung seines großen freisinnigen Werkes zuerst vorzugsweise auf die jüngere Generation, auf die Jugend Deutschlands setzte, s. die merkwürdigen Aeußerungen in einem Briefe vom Monat Junius 1518 (Neander de Vicelio p. 7). Früher noch traten, wie aus ihren Gräbern, die herrlichsten Gebilde der alten hellenischen Kunst hervor: der Laocoon, der Torso, der Apoll von Belvedere und die mediceische Venus. Es blüheten in Italien Michelangelo, Leonardo da Vinci, Titian und Raphael; in unserem 339 deutschen Vaterlande Holbein und Albrecht Dürer. Die Weltordnung war von Copernicus aufgefunden, wenn auch nicht öffentlich verkündigt, in dem Todesjahr von Christoph Columbus: vierzehn Jahre nach der Entdeckung des Neuen Continents.
Die Wichtigkeit dieser Entdeckung und der ersten Ansiedelung der Europäer berührt auch andere Sphären als die, welcher diese Blätter vorzugsweise gewidmet sind; sie gehört jenen intellectuellen und moralischen Wirkungen an, welche die plötzliche Vergrößerung der Gesammtmasse der Ideen auf die Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes ausgeübt hat. Wir erinnern daran, wie seit jenem großen Zeitpunkte ein neues, regsameres Leben des Geistes und der Gefühle, wie muthige Wünsche und schwer enttäuschte Hoffnungen allmälig sämmtliche Classen der bürgerlichen Gesellschaft durchdrungen haben; wie die geringe Bevölkerung einer Hälfte der Erdkugel, besonders an den Europa gegenüberliegenden Küsten, die Niederlassung von Colonien begünstigen konnte, welche ihre Ausdehnung und ihre Lage zu unabhängigen, in der Wahl ihrer freien Regierungsform unbeschränkten Staaten umwandelte: wie endlich die religiöse Reform, ein Vorspiel großer politischer Umwälzungen, die verschiedenen Phasen ihrer Entwickelung unter einem Himmelsstrich durchlaufen mußte, welcher der Zufluchtsort aller Glaubensmeinungen und der verschiedenartigsten Ansichten von göttlichen Dingen geworden war. Die Kühnheit des genuesischen Seefahrers ist das erste Glied in der unermeßlichen Kette dieser verhängnißvollen Begebenheiten. Zufall, nicht Betrug und RänkeIch habe an einem anderen Orte gezeigt, wie die Kenntniß der Epoche, in welcher Vespucci zum königlichen Ober-Piloten ernannt wurde, allein schon die, zuerst von dem Astronomen Schoner in Nürnberg 1533 ersonnene Anklage widerlegt: daß Vespucci die Worte Terra di Amerigo listig in die von ihm umgeänderten Küstenkarten eingeschrieben habe. Die hohe Achtung, welche der spanische Hof den hydrographischen und astronomischen Kenntnissen des Amerigo Vespucci schenkte, leuchtet deutlich hervor aus den Vorschriften (Real titulo con extensas facultades), die ihm gegeben wurden, als man ihn am 22 März 1508 zum Piloto mayor ernannte (Navarrete T. III. p. 297–302). Er wird an die Spitze eines wahren Deposito hydrografico gestellt und soll für die Casa de Contratacion in Sevilla, den Centralpunkt aller oceanischen Unternehmungen, eine allgemeine Küstenbeschreibung und ein Positions-Verzeichniß (Padron general) anfertigen, in dem jährlich alles neu Entdeckte nachzutragen wäre. Aber schon 1507 ist der Name Americi terra von einem Manne, dessen Existenz dem Vespucci gewiß unbekannt geblieben war: von dem Geographen Waldseemüller (Martinus Hylacomylus) aus Freiburg im Breisgau, dem Vorsteher einer Druckerei zu St. Dié in Lothringen, in einer kleinen Weltbeschreibung: Cosmographiae Introductio, insuper quatuor Americi Vespucii Navigationes (impr. in oppido S. Deodati 1507), für den Neuen Continent vorgeschlagen worden. Ringmann, Professor der Cosmographie in Basel (bekannter unter dem Namen Philesius), Hylacomylus und der Pater Gregorius Reisch, Herausgeber der Margarita philosophica: waren genaue Freunde. In der letzten Schrift findet sich eine Abhandlung des Hylacomylus über Architectur und Perspective von 1509 (Examen crit. T. IV. p. 112). Laurentius Phrisius in Metz, ein Freund des Hylacomylus und wie dieser von dem mit Vespucci in Briefwechsel stehenden Herzog Renatus von Lothringen beschützt, nennt den Hylacomylus einen Verstorbenen in der Strasburger Ausgabe des Ptolemäus von 1522. Die in dieser Ausgabe enthaltene, von Hylacomylus gezeichnete Karte des Neuen Continents bietet zum ersten Male in den Ausgaben der Geographie des Ptolemäus den Namen America dar. Nach meinen Untersuchungen war indeß schon zwei Jahre früher eine Weltkarte von Petrus Apianus erschienen: welche einmal des Camers Ausgabe des Solinus, ein zweites Mal der Vadianischen Ausgabe des Mela beigefügt ist und, wie neuere chinesische Karten, den Isthmus von Panama durchbrochen darstellt (Examen crit. T. IV. p. 99–124, T. V. p. 168–176). Sehr mit Unrecht hat man ehemals die jetzt in Weimar befindliche Karte aus der Ebner'schen Bibliothek zu Nürnberg von 1527 und die davon verschiedene, von Güssefeld gestochene, des Diego Ribero von 1529 für die ältesten Karten des Neuen Continents gehalten (a. a. O. T. II. p. 184, T. III p. 191). Vespucci hatte mit Juan de la Cosa: dessen, volle sechs Jahre vor des Columbus Tode, 1500 im Puerto de Santa Maria gezeichnete Karte ich zuerst bekannt gemacht habe, in der Expedition von Alonso de Hoyeda 1499 die Küsten von Südamerika besucht, ein Jahr nach Christoph Columbus dritter Reise. Vespucci hätte gar keinen Zweck haben können eine Reise vom Jahre 1497 zu fingiren, da er sowohl als Columbus bis an ihren Tod fest überzeugt gewesen sind nur Theile des östlichen Asiens berührt zu haben. (Vergl. den Brief des Columbus an den Pabst Alexander VI vom Februar 1502 und einen anderen an die Königinn Isabella vom Julius 1503 in Navarrete T. I. p. 304, T. II. p. 280, wie Vespucci's Brief an Pier Francesco de' Medici in Bandini, Vita e Lettere di Amerigo Vespucci p. 66 und 83.) Pedro de Ledesma, Pilot des Columbus auf der dritten Reise, sagt noch 1513 in dem Processe gegen die Erben, »daß man Paria für einen Theil von Asien halte, la tierra firme que di-t cese que es de Asia«; Navarrete T. III. p. 539. Die oft gebrauchten Periphrasen Mondo nuovo, alter Orbis, Colonus novi orbis repertor stehen damit nicht in Widerspruch, da sie nur auf nie vorher gesehene Gegenden deuten und eben so von Strabo, Mela, Tertullian, Isidor von Sevilla und Cadamosto gebraucht werden (Examen crit. T. I. p. 118, T. V. p. 182–184). Noch mehr als 20 Jahre nach dem Tode von Vespucci, der 1512 erfolgte, ja bis zu den Verläumdungen von Schoner im Opus geographicum 1533 und von Servet in der Lyoner Ausgabe der Geographie des Ptolemäus von 1535 findet man keine Klage gegen den florentiner Seefahrer. Christoph Columbus nennt ihn ein Jahr vor seinem Tode einen Mann »von dem unbescholtensten Charakter (mucho hombre de bien), alles Vertrauens würdig, immer geneigt ihm nützlich zu sein« (Carta à mi muy caro fijo D. Diego in Navarrete T. I. p. 351). Eben so wohlwollend für Vespucci sind Fernando Colon: welcher das Leben seines Vaters erst gegen 1535, vier Jahre vor seinem Tode, in Sevilla abfaßte und mit Juan Vespucci, dem Neffen des Amerigo, 1524 der astronomischen Junta zu Badajoz und den Verhandlungen über den Besitz der Molukken beiwohnte; Petrus Martyr de Anghiera, der persönliche Freund des Admirals, dessen Briefwechsel bis 1525 reicht; Oviedo: der alles aufsucht, was den Ruf des Columbus vermindern kann; Ramusio und der große Geschichtsschreiber Guicciardini. Wenn Amerigo absichtlich die Zeitepochen seiner Reisen hätte verfälschen wollen, so würde er sie mit einander in Uebereinstimmung gebracht haben, nicht die erste Reise 5 Monate nach dem Antritt der zweiten geendigt haben. Die Zahlenverwirrungen in den vielen Uebersetzungen seiner Reisen sind nicht ihm zuzuschreiben, da er keinen dieser Berichte selbst herausgegeben. Solche Zahlenverwechselungen waren übrigens in den Druckschriften des 16ten Jahrhunderts sehr gewöhnlich. Oviedo hatte als Edelknabe der Königinn der Audienz beigewohnt, in welcher Ferdinand und Isabella 1493 den Admiral nach seiner ersten Entdeckungsreise in Barcelona pomphaft empfingen. Er hat dreimal drucken lassen, daß die Audienz im Jahr 1496 statt fand, ja sogar daß Amerika 1491 entdeckt wurde. Gomara läßt dasselbe, nicht mit Ziffern, sondern mit Worten drucken und setzt die Entdeckung der Tierra firme von Amerika in 1497, also genau in das für den Ruf des Amerigo Vespucci so verhängnißvolle Jahr (Examen crit. T. V. p. 196–202). Für das ganz schuldlose Benehmen des Florentiners: der nie dem Neuen Continente seinen Namen beizulegen versucht hat, aber durch seine Ruhmredigkeit in den Berichten an den Gonfaloniere Piero Soderini, an Pierfrancesco de' Medici und an Herzog Renatus II von Lothringen das Unglück gehabt hat die Aufmerksamkeit der Nachwelt mehr auf sich zu ziehen, als er es verdiente; spricht am meisten der Proceß, welchen der Fiscal in den Jahren 1508 bis 1527 gegen die Erben von Christoph Columbus führte, um ihnen die Privilegien und Rechte zu entziehen, die dem Admiral bereits 1492 von der Krone verliehen waren. Amerigo trat in Staatsdienst als Piloto mayor in demselben Jahr als der Proceß begann. Er lebte noch vier Jahre lang in Sevilla während der Führung des Processes, in welchem entschieden werden sollte, welche Theile des Neuen Continents von Columbus zuerst berührt worden wären. Die elendesten Gerüchte fanden Gehör und dienten dem Fiscal zur Anklage. Man suchte Zeugen in Santo Domingo und allen spanischen Häfen: in Moguer, Palos und Sevilla, gleichsam unter den Augen von Amerigo Vespucci und seines Neffen Juan. Der Mundus Novus, gedruckt bei Johann Otmar zu Augsburg 1504, Raccolta di Vicenza (Mondo Novo e paesi novamente retrovati da Alberico Vespuzio Fiorentino) von Alessandro Zorzi 1507, gewöhnlich dem Fracanzio di Montalboddo zugeschrieben, die Quatuor Navigationes von Martin Waldseemüller (Hylacomylus) waren schon erschienen; seit 1520 gab es Weltkarten, auf denen der Name America, welchen Hylacomylus 1507 vorgeschlagen und Joachim Vadianus 1512 in einem Briefe aus Wien an Rudolph Agricola belobt hatte, eingeschrieben war: und doch wurde der Mann, welchem in Deutschland, in Frankreich und Italien weit verbreitete Schriften eine Reise nach der Tierra firme von Paria im Jahre 1497 zuschrieben, von dem Fiscal in dem bereits 1508 begonnenen und 19 Jahre lang fortgeführten Processe weder persönlich citirt, noch als Vorgänger und Widersacher des Columbus genannt. Warum würde nicht nach dem Tode des Amerigo Vespucci (22 Febr. 1512 in Sevilla) sein Neffe Juan Vespucci: wie es mit Martin Alonso und Vicente Yañez Pinzon, mit Juan de la Cosa und Alonso de Hojeda geschah, berufen worden sein, um zu bezeugen, daß die Küste von Paria: die nicht als »festes Land von Asien«, sondern wegen der nahen und einträglichen Perlenfischerei einen so großen Werth hatte, bereits vor Columbus, d. h. vor dem 1 August 1498, von Amerigo berührt worden sei? Diese Nicht-Benutzung des wichtigsten Zeugnisses bleibt unerklärbar, wenn Amerigo Vespucci sich je gerühmt hätte eine Entdeckungsreise 1497 gemacht zu haben, wenn man damals auf die verworrenen Zeitangaben und Druckfehler der Quatuor Navigationes irgend einen ernsten Werth gelegt hätte. Das große, noch ungedruckte Werk eines Freundes des Columbus, Fray Bartholomé de las Casas (die Historia general de las Indias), ist, wie wir sehr bestimmt wissen, in den einzelnen Theilen zu sehr verschiedenen Epochen geschrieben. Es wurde erst 15 Jahre nach dem Tode des Amerigo, 1527, begonnen und 1559 vollendet: sieben Jahre vor dem, im 92ten Lebensjahr erfolgten Tode des greisen Verfassers. Lob und bitterer Tadel sind darin wunderbar gemischt. Man sieht den Haß und den Verdacht des Betruges zunehmen, je mehr der Ruf des florentinischen Seefahrers sich verbreitet. In der Vorrede (Prologo), die zuerst geschrieben worden ist, heißt es: »Amerigo erzählt, was er in zwei Reisen nach unseren Indien unternommen; doch scheint er manche Umstände verschwiegen zu haben: sei es geflissentlich (à saviendas) oder weil er sie nicht beachtete. Deshalb haben ihm Einige zugeschrieben, was Anderen gehört: denen es nicht entzogen werden sollte.« Eben so gemäßigt ist noch das Urtheil lib. I cap. 140: »Hier muß ich des Unrechts erwähnen, welches Amerigo scheint dem Admiral gethan zu haben oder vielleicht die, welche seine Quatuor Navigationes drucken ließen (ó los que imprimiéron). Es wird ihm allein, ohne Andere zu nennen, die Entdeckung des Festlandes zugeschrieben. Auf Karten soll er den Namen America gesetzt und so gegen den Admiral sündlich gefehlt haben. Da Amerigo sprachgewandt war und zierlich zu schreiben wußte (era latino y eloquente), so hat er sich für den Anführer der Expedition des Hojeda in dem Briefe an den König Renatus ausgegeben. Er war jedoch nur einer der Steuerleute, wenn gleich erfahren im Seewesen und gelehrt in der Cosmographie (hombre entendido en las cosas de la mar y docto en Cosmographia) . . . . . In der Welt ist verbreitet worden, er sei der Erste gewesen am festen Lande. Hat er dies mit Absicht verbreitet, so ist es große Bosheit; und war auch keine wirkliche Absicht da, so sieht es doch danach aus (clara pareze la falsedad: y si fué de industria hecha, maldad grande fué; y ya que no lo fuese, al menos parezelo) . . . . . Amerigo soll im Jahr 7 (1497) abgereist sein: eine Angabe, die freilich nur ein Schreibversehen zu sein scheint, nicht eine böswillige (pareze aver avido yerro de pendola y no malicia), weil er nach 18 Monaten will zurückgekommen sein. Die fremden Schriftsteller nennen das Land America. Es sollte Columba heißen.« Diese Stelle zeigt deutlich, daß Casas bis dahin den Amerigo selbst nicht beschuldigt den Namen America in Umlauf gebracht zu haben. Er sagt: »an tomado los escriptores extrangeros de nombrar la nuestra Tierra firme America, como si Americo solo y no otro con él y antes que todos la oviera descubierto.« In lib. I cap. 164–169 und lib. II cap. 2 bricht aber der ganze Haß auf einmal aus. Es wird nichts mehr einem bloßen Versehen in der Zahlenangabe der Jahre oder der Vorliebe der Fremden für Amerigo zugeschrieben: alles ist absichtsvoller Betrug, dessen Amerigo selbst sich schuldig gemacht (de industria lo hizo.... persistió en el engaño... de falsedad està claramente convencido). Bartholomé de las Casas bemüht sich noch an beiden Stellen dem Amerigo speciell nachzuweisen, daß er in seinen Berichten die Reihenfolge der Ereignisse der zwei ersten Reisen verfälscht: manches der ersten Reise zugetheilt habe, was auf der zweiten geschehen; und umgekehrt. Auffallend genug ist mir, daß der Ankläger nicht gefühlt zu haben scheint, wie sehr das Gewicht seiner Anklage dadurch vermindert wird, daß er von der entgegengesetzten Meinung und von der Gleichgültigkeit dessen spricht, der das lebhafteste Interesse hatte den Amerigo Vespucci anzugreifen, wenn er ihn für schuldig und seinem Vater feindlich gehalten hätte. »Ich muß mich wundern«, sagt las Casas (cap. 164), »daß Hernando Colon: ein Mann von großer Einsicht, der, wie ich es bestimmt weiß, die Reiseberichte des Amerigo in Händen hatte, gar nicht darin Betrug und Ungerechtigkeit gegen den Admiral bemerkt hat.« – Da ich vor wenigen Monaten von neuem Gelegenheit gehabt das seltene Manuscript von Bartholomé de las Casas zu untersuchen, so habe ich über einen so wichtigen und bisher so unvollständig behandelten historischen Gegenstand in dieser langen Anmerkung dasjenige einschalten wollen, was ich im Jahr 1839 in meinem Examen critique T. V. p. 178–217 noch nicht benutzt hatte. Die Ueberzeugung, welche ich damals äußerte (p. 217 und 224), ist unerschüttert geblieben: »Quand la dénomination d'un grand continent, généralement adoptée et consacrée par l'usage de plusieurs siècles, se présente comme un monument de l'injustice des hommes, il est naturel d'attribuer d'abord la cause de cette injustice à celui qui semblait le plus intéressé à la commettre. L'étude des documens a prouvé qu'aucun fait certain n'appuie cette supposition, et que le nom d'Amérique a pris naissance dans un pays éloigné (en France et en Allemagne), par un concours d'incidens qui paraissent écarter jusqu'an soupçon d'une influence de la part de Vespuce. C'est là que s'arrête la critique historique. Le champ sans bornes des causes inconnues, ou des combinaisons morales possibles, n'est pas du domaine de l'histoire positive. Un homme qui pendant une longue carrière a joui de l'estime des plus illustres de ses contemporains, s'est élevé, par ses connaissances en astronomie nautique, distinguées pour le temps où il vivait, à un emploi honorable. Le concours de circonstances fortuites lui a donné une célébrité dont le poids, pendant trois siècles, a pesé sur sa mémoire, en fournissant des motifs pour avilir son caractère. Une telle position est bien rare dans l'histoire des infortunes humaines: c'est l'exemple d'une flétrissure morale croissant avec l'illustration du nom. Il valait la peine de scruter ce qui, dans ce mélange de succès et d'adversités, appartient au navigateur même, aux hazards de la rédaction précipitée des ses écrits, ou à de maladroits et dangereux amis.« Copernicus selbst hat zu diesem gefahrbringenden Ruhme beigetragen; auch er schreibt die Entdeckung des Neuen Welttheils dem Vespucci zu. Indem er über das »centrum gravitatis und centrum magnitudinis« des Festlandes discutirt, fügt er hinzu: »Magis id erit clarum, si addantur insulae aetate nostra sub Hispaniarum Lusitaniaeque Principibus repertae, et praesertim America ab inventore denominata navium praefecto, quam, ob incompertam ejus adhuc magnitudinem, alterum orbem terrarum putant.« (Nicolai Copernici de Revolutionibus orbium coelestium Libri sex 1543 p. 2, a.), haben dem Festland von Amerika den Namen des Columbus entzogen. Durch Handelsverkehr 340 und Vervollkommnung der Schifffahrt seit einem halben Jahrhundert Europa näher gebracht: hat der Neue Welttheil einen wichtigen Einfluß auf die politischen InstitutionenVergl. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. III. p. 154–158 und 225–227., auf die Ideen und Neigungen der Völker ausgeübt, welche in Osten das, scheinbar immer enger werdende Thal des atlantischen Oceans begrenzen.
Große Entdeckungen in den Himmelsräumen durch Anwendung des Fernrohrs. – Haupt-Epoche der Sternkunde und Mathematik von Galilei und Kepler bis Newton und Leibnitz. – Gesetze der Planeten-Bewegung und allgemeine Gravitations-Theorie.
Indem wir uns bestreben die am meisten gesonderten Perioden und Entwickelungsstufen kosmischer Anschauung aufzuzählen, haben wir zuletzt die Periode geschildert, in welcher den Culturvölkern der einen Erdhälfte die andere bekannt geworden ist. Auf das Zeitalter der größten Entdeckungen im Raume an der Oberfläche unsers Planeten folgt unmittelbar die Besitznahme eines beträchtlichen Theils der Himmelsräume durch das Fernrohr. Die Anwendung eines neugeschaffenen Organes, eines Werkzeuges von raumdurchdringender Kraft ruft eine neue Welt von Ideen hervor. Es beginnt ein glänzendes Zeitalter der Astronomie und der Mathematik; für die letztere beginnt die lange Reihe tiefsinniger Forscher, welche zu dem »alles umgestaltenden« Leonhard Euler führt: dessen Geburtsjahr (1707) dem Todesjahre von Jacob Bernoulli so nahe liegt.
Wenige Namen können genügen, um an die Riesenschritte zu erinnern, welche der menschliche Geist vorzugsweise in Entwickelung mathematischer Gedanken: durch eigne 342 innere Kraft, nicht durch äußere Begebenheiten angeregt, im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts gemacht hat. Die Gesetze des Falles der Körper und der Planeten-Bewegung werden erkannt. Der Druck der Luft, die Fortpflanzung des Lichts, seine Brechung und Polarisation werden erforscht. Die mathematische Naturlehre wird geschaffen und auf feste Grundpfeiler gestützt. Die Erfindung der Infinitesimal-Rechnung bezeichnet den Schluß des Jahrhunderts; und dadurch erstarkt: hat die menschliche Intelligenz sich in den folgenden hundert-und-funfzig Jahren mit Glück an die Lösung von Problemen wagen können, welche die Störungen der Weltkörper, die Polarisation und Interferenz der Lichtwellen, die strahlende Wärme, die electro-magnetischen in sich zurückkehrenden Ströme, die schwingenden Saiten und Flächen, die Capillar-Anziehung enger Röhren, und so viele andere Naturerscheinungen darbieten.
Die Arbeit in der Gedankenwelt geht nun ununterbrochen und sich gegenseitig unterstützend fort. Keiner der früheren Keime wird erstickt. Es nehmen gleichzeitig zu die Fülle des zu verarbeitenden Materials, die Strenge der Methoden und die Vervollkommnung der Werkzeuge. Wir beschränken uns hier hauptsächlich auf das einige siebzehnte Jahrhundert: das Zeitalter von Kepler, Galilei und Bacon; von Tycho, Descartes und Huygens; von Fermat, Newton und Leibnitz. Die Leistungen dieser Männer sind so allgemein bekannt, daß es nur leiser Andeutungen bedarf, um das herauszuheben, wodurch sie in Erweiterung kosmischer Ansichten glänzen.
Wir haben schon früherVergl. Kosmos Bd. I. S. 86. gezeigt, wie dem Auge, dem Organ sinnlicher Weltanschauung, durch die Erfindung des 343 telescopischen Sehens eine Macht verliehen wurde, deren Grenze noch lange nicht erreicht ist, die aber schon in ihrem ersten schwachen Anfange, bei einer kaum 32maligen Linear-Vergrößerung»Die Fernröhre, welche Galilei selbst construirte, und andere, deren er sich bediente, um die Jupiterstrabanten, die Phasen der Venus und die Sonnenflecken zu beobachten, hatten stufenweise 4-, 7- und 32malige Linear-Vergrößerung: nie eine größere.« Arago im Annuaire du Bureau des Long. pour l'an 1842 p. 268. der Fernröhre, in die bis dahin uneröffneten Tiefen des Weltraums drang. Die genaue Kenntniß vieler Himmelskörper, welche zu unserem Sonnensystem gehören; die ewigen Gesetze, nach denen sie in ihren Bahnen kreisen: die vervollkommnete Einsicht in den wahren Weltbau sind das Charakteristische der Epoche, welche wir hier zu schildern versuchen. Was diese Epoche hervorgebracht, bestimmt gleichsam die Hauptumrisse von dem großen Naturbilde des Kosmos; es fügt den neu erkannten Inhalt der Himmelsräume, wenigstens in einer Planetengruppe sinnig geordnet, dem früher durchforschten Inhalt der tellurischen Räume hinzu. Nach allgemeinen Ansichten strebend, begnügen wir uns, hier nur die wichtigsten Objecte der astronomischen Arbeiten des 17ten Jahrhunderts zu nennen. Wir weisen zugleich auf den Einfluß hin, welchen diese auf eine kräftige Anregung zu großen und unerwarteten mathematischen Entdeckungen wie zu der mehr umfassenden, erhabneren Anschauung des Weltganzen ausgeübt haben.
Es ist bereits früher erwähnt worden, wie das Zeitalter von Columbus, Gama und Magellan: das der nautischen Unternehmungen, verhängnißvoll mit großen Ereignissen: mit dem Erwachen religiöser Denkfreiheit, mit der Entwickelung eines edleren Kunstsinnes und der Verbreitung des copernicanischen Weltsystems, zusammentraf. Nicolaus Copernicus (in zwei noch vorhandenen Briefen nennt er sich Koppernik) hatte bereits sein 21tes Lebensjahr 344 erreicht und beobachtete mit dem Astronomen Albert Brudzewski zu Krakau, als Columbus Amerika entdeckte. Kaum ein Jahr nach dem Tode des Entdeckers: nach einem sechsjährigen Aufenthalte in Padua, Bologna und Rom, finden wir ihn, wieder in Krakau, mit gänzlicher Umwandlung der astronomischen Weltansicht beschäftigt. Durch die Gunst seines Oheims, des Bischofs von Ermland Lucas Waißelrode von AllenWestphal in der, dem großen Königsberger Astronomen Bessel gewidmeten Biographie des Copernicus 1822 S. 33 nennt, wie Gassendi, den Bischof von Ermland Lucas Watzelrodt von Allen. Nach Erläuterungen, die ich ganz neuerlich dem gelehrten Geschichtsschreiber von Preußen, dem geh. Archiv-Director Voigt, verdanke, »wird die Familie der Mutter des Copernicus in Urkunden: Weiselrodt, Weißelrot, Weisebrodt, am gewöhnlichsten Waißelrode genannt. Die Mutter war unbezweifelt deutschen Stammes; und das Geschlecht der Waißelrode: ursprünglich von dem Geschlechte derer von Allen, das seit dem Anfange des 15ten Jahrhunderts in Thorn blühte, verschieden, hat, wahrscheinlich durch Adoption oder wegen naher Verwandtschaftsverhältnisse, den Namenszusatz von Allen angenommen.« Sniadecki und Czynski (Kopernik et ses travaux 1847 p. 26) nennen die Mutter des großen Copernicus Barbara Wasselrode: welche der Vater, dessen Familie sie aus Böhmen herleiten, 1461 zu Thorn geheirathet habe. Den Namen des Astronomen, welchen Gassendi als Tornacus Borussus bezeichnet, schreiben Westphal und Czynski Köpernik, Krzyzanowski Kopirnig. In einem Briefe des ermländischen Bischofs Martin Cromer aus Heilsberg vom 21 Nov. 1580 heißt es: »Cum Jo. (Nicolaus) Copernicus vivens ornamento fuerit atque etiam nunc post fata sit, non solum huic Ecclesiae, verum etiam toti Prussiae patriae suae, iniquum esse puto, eum post obitum carere honore sepulchri sive monumenti.«, 1510 zum Domherrn in Frauenburg ernannt, arbeitete er dort noch dreiunddreißig Jahre lang an der Vollendung seines Werkes de Revolutionibus orbium coelestium. Das erste gedruckte Exemplar wurde ihm gebracht, als, an Körper und Geist gelähmt, er sich schon zum Tode bereitete. Er sah es, berührte es auch, aber sein Sinn war nicht mehr auf das Zeitliche gerichtet; er starb nicht, wie Gassendi in dem Leben des Copernicus erzählt, wenige StundenSo Gassendi in Nicolai Copernici vita, angehängt seiner Lebensbeschreibung des Tycho (Tychonis Brahei vita) 1655, Hagae-Comitum, p. 320: eodem die et horis non multis priusquam animam efflaret. Nur Schubert in seiner Astronomie Th. I. S. 115 und Robert Small in dem sehr lehrreichen account of the astron. discoveries of Kepler 1804 p. 92 behaupten, daß Copernicus »wenige Tage nach dem Erscheinen seines Werkes« verschieden sei. Dies ist auch die Meinung des Archiv-Directors Voigt zu Königsberg: weil in einem Briefe, den der ermländische Domherr Georg Donner kurz nach dem Tode des Copernicus an den Herzog von Preußen schrieb, gesagt wird: »der achtbare und würdige Doctor Nicolaus Koppernick habe sein Werk kurz vor den Tagen seines letzten Abschiedes von diesem Elend, gleichsam als einen süßen Schwanengesang, ausgehen lassen.« Nach der gewöhnlichen Annahme (Westphal, Nikolaus Kopernikus 1822 S. 73 und 82) war das Werk 1507 begonnen und 1530 schon so weit vollendet, daß späterhin nur wenige Verbesserungen angebracht wurden. Durch einen Brief des Cardinals Schonberg, aus Rom vom November 1536, wird die Herausgabe beeilt. Der Cardinal will durch Theodor von Reden das Manuscript abschreiben und sich schicken lassen. Daß die ganze Bearbeitung des Buchs sich bis in das quartum novennium verzögert habe, sagt Copernicus selbst in der Zueignung an Pabst Paul III. Wenn man nun bedenkt, wie viel Zeit zum Druck einer 400 Seiten langen Schrift erforderlich war und daß der große Mann schon im Mai 1543 starb, so ist zu vermuthen, daß die Zueignung nicht im zuletzt genannten Jahre geschrieben ist: woraus dann für den Anfang der Bearbeitung sich uns (36 Jahre zurückrechnend) nicht ein späteres, sondern ein früheres Jahr als 1507 ergiebt. – Daß die zu Frauenburg dem Copernicus allgemein zugeschriebene Wasserleitung nach seinen Entwürfen ausgeführt worden sei, bezweifelt Prof. Voigt. Er findet, daß erst 1571 zwischen dem Domcapitel und dem »kunstreichen Meister Valentin Zendel, Rohrmeister in Breslau«, ein Contract geschlossen wurde, um das Wasser zu Frauenburg aus dem Mühlgraben in die Wohnungen der Domherren zu leiten. Von einer früher vorhandenen Wasserleitung ist keine Rede. Die jetzige ist also erst 28 Jahre nach dem Tode des Copernicus entstanden., sondern mehrere Tage nachher, am 24 Mai 1543. Zwei Jahre früher war aber schon ein wichtiger Theil seiner Lehre durch den Brief eines seiner eifrigsten Schüler und Anhänger, Joachim Rhäticus, an Johann Schoner, Professor zu Nürnberg, durch den Druck bekannt geworden. Doch ist es nicht die Verbreitung des copernicanischen Systems, die erneuerte Lehre von einer Centralsonne (von der täglichen und jährlichen Bewegung der Erde) gewesen, welche etwas mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem ersten Erscheinen zu den glänzenden Entdeckungen in den Himmelsräumen geführt hat, die den Anfang des 17ten Jahrhunderts bezeichnen. Diese Entdeckungen sind die Folge einer zufällig gemachten Erfindung, des Fernrohrs, gewesen. Sie haben die Lehre des Copernicus vervollkommnet und erweitert. Durch die Resultate 345 der physischen Astronomie (durch das aufgefundene Satelliten-System des Jupiter und die Phasen der Venus) bekräftigt und erweitert, haben die Grundansichten des Copernicus der theoretischen Astronomie Wege vorgezeichnet, die zu sicherem Ziele führen mußten; ja zur Lösung von Problemen anregten, welche die Vervollkommnung des analytischen Calcüls nothwendig machten. So wie Georg Peurbach und Regiomontanus (Johann Müller aus Königsberg in Franken) wohlthätig einwirken auf Copernicus und seine Schüler Rhäticus, Reinhold und Möstlin; so wirken diese, wenn gleich der Zeit nach getrennter, auf die Arbeiten von Kepler, Galilei und Newton. Dies ist die ideelle Verkettung zwischen dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert; und man kann die erweiterte astronomische Weltansicht in diesem nicht schildern, ohne die Anregungen zu berühren, welche aus jenem überströmen.
Es ist eine irrige und leider! noch in neuerer ZeitDelambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. I. p. 140. sehr verbreitete Meinung, daß Copernicus aus Furchtsamkeit und in der Besorgniß priesterlicher Verfolgung die planetarische Bewegung der Erde und die Stellung der Sonne im Centrum des ganzen Planetensystems als eine bloße Hypothese vorgetragen habe: welche den astronomischen Zweck erfülle die Bahn der Himmelskörper bequem der Rechnung zu unterwerfen, »aber weder wahr noch auch nur wahrscheinlich zu sein brauche«. Allerdings liest man diese seltsamen Worte»Neque enim necesse est, eas hypotheses esse veras, imo ne verisimiules quodem; sed sufficit hoc unum, si calculum observationibus congruentem exhibeant«: sagt der Vorbericht des Osiander. »Der Bischof von Culm: Tidemann Gise, aus Danzig gebürtig, welcher Jahre lang den Copernicus wegen der Herausgabe seines Werkes bedrängte, erhielt endlich das Manuscript mit dem Auftrage, es ganz nach seiner freien Wahl zum Druck zu befördern. Er schickte dasselbe zuerst an den Rhäticus, Professor in Wittenberg, der kurz vorher lange bei seinem Lehrer in Frauenburg gelebt hatte. Rhäticus hielt Nürnberg geeigneter für die Herausgabe und trug die Besorgung des Druckes dem dortigen Professor Schoner und dem Andreas Osiander auf.« (Gassendi, Vita Copernici p. 319) Die Lobsprüche, welche am Ende des Vorberichts dem Werke des Copernicus ertheilt werden, hätten auch schon, ohne das ausdrückliche Zeugniß des Gassendi, darauf führen müssen, daß der Vorbericht von fremder Hand sei. Auch auf dem Titel der ersten Ausgabe, der von Nürnberg von 1543, hat Osiander den in allem, was Copernicus selbst geschrieben, sorgfältig vermiedenen Ausdruck: motus stellarum novis insuper ac admirabilibus hypothesibus ornati neben dem überaus unzarten Zusatze: »igitur, studiose lector, eme, lege, fruere« angebracht. In der zweiten, Baseler Ausgabe von 1566: die ich sehr sorgfältig mit der ersten, Nürnberger, verglichen, ist auf dem Titel des Buchs nicht mehr der »bewundernswürdigen Hypothesen« gedacht; aber Osiander's Praefatiuncula de hypothesibus hujus operis, wie Gassendi den eingeschobenen Vorbericht nennt, ist beibehalten. Daß übrigens Osiander, ohne sich zu nennen, selbst hat darauf hinweisen wollen, die Praefatiuncula sei von fremder Hand; erhellt auch daraus, daß er die Dedication an Paul III als Praefatio authoris bezeichnet. Die erste Ausgabe hat nur 196 Blätter, die zweite 213 wegen der angefügten Narratio prima des Astronomen Georg Joachim Rhäticus, eines erzählenden an Schoner gerichteten Briefes: der, wie ich im Texte bemerkt, bereits 1541 durch den Mathematiker Gassarus in Basel zum Druck befördert, der gelehrten Welt die erste genauere Kenntniß des copernicanischen Systemes gab. Rhäticus hatte 1539 seine Professur in Wittenberg niedergelegt, um zu Frauenburg selbst des Copernicus Unterricht zu genießen. (Vergl. über diese Verhältnisse Gassendi p. 310–319.) Die Erläuterung von dem, was sich Osiander aus Furchtsamkeit zuzusetzen bewogen fand, giebt Gassendi: »Andraeas porro Osiander fuit, qui non modo operarum inspector (der Besorger des Druckes) fuit, sed Praefatiunculam quoque ad lectorem (tacito licet nomine) de Hypothesibus operis adhibuit. Ejus in ea consilium fuit, ut, tametsi Copernicus Motum Terrae habuisset, non solum pro Hypothesi, sed pro vero etiam placito; ipse tamen ad rem, ob illos, qui heinc offenderentur, leniendam, excusatum eum faceret, quasi talem Motum non pro dogmate, sed pro Hypothesi mera assumpsisset.« in dem anonymen Vorbericht, mit dem des Copernicus Werk anhebt und der de Hypothesibus hujus operis überschrieben ist; sie enthalten aber Aeußerungen, welche, dem Copernicus ganz fremd, in geradem Widerspruch mit seiner Zueignung an den Pabst Paul III 346 stehen. Der Verfasser des Vorberichts ist, wie Gassendi in seinem Leben des großen Mannes auf das bestimmteste sagt, ein damals in Nürnberg lebender Mathematiker, Andreas Osiander: der mit Schoner den Druck des Buches de Revolutionibus besorgte und, ob er gleich keines biblischen Scrupels ausdrücklich Erwähnung thut, es doch für rathsam hielt die neuen Ansichten eine Hypothese und nicht, wie Copernicus, eine erwiesene Wahrheit zu nennen.
Der Gründer unseres jetzigen Weltsystems (die wichtigsten Theile desselben, die großartigsten Züge des Weltgemäldes gehören allerdings ihm) war durch seinen Muth und die Zuversicht, mit welcher er auftrat, fast noch ausgezeichneter als durch sein Wissen. Er verdiente in hohem Grade das schöne Lob, das ihm Kepler giebt, wenn er ihn in der Einleitung zu den Rudolphinischen Tafeln »den Mann freien Geistes« nennt; »vir fuit maximo ingeno et, quod in hoc exercitio (in der Bekämpfung der Vorurtheile) magni momenti est, animo liber.« Da, wo Copernicus in der Zueignung an den Pabst die Entstehung seines Werkes schildert, steht er nicht an, die auch unter den Theologen allgemein verbreitete Meinung von der Unbeweglichkeit und der Centralstellung der Erde ein »absurdes acroama« zu nennen und die Stupidität derer anzugreifen, welche einem so irrigen Glauben anhingen. »Wenn etwa leere Schwätzer (ματαιολόγοι), alles mathematischen Wissens unkundig, sich doch ein Urtheil über sein Werk anmaßen wollten durch absichtliche Verdrehung irgend einer Stelle der heiligen Schrift (propter aliquem locum scripturae male ad suum propositum detortum), so werde er einen solchen verwegenen Angriff verachten! Es sei ja 347 weltbekannt, daß der berühmte Lactantius, den man freilich nicht zu den Mathematikern zählen könne, recht kindisch (pueriliter) von der Gestalt der Erde gesprochen und diejenigen verhöhnt habe, welche sie für kugelförmig halten. Ueber mathematische Gegenstände dürfe man nur für Mathematiker schreiben. Um zu beweisen, daß er, von der Richtigkeit seiner Resultate tief durchdrungen, kein Urtheil zu scheuen habe, wende er sich aus einem fernen Erdwinkel an das Oberhaupt der Kirche: auf daß es ihn vor dem Biß der Verläumder schütze, da die Kirche selbst von seinen Untersuchungen über die Jahreslänge und Mondbewegungen Vortheil ziehen werde.« Astrologie und Calender-Verbesserung verschafften der Sternkunde lange allein Schutz bei der weltlichen und geistlichen Macht, wie Chemie und Botanik zuerst nur der Arzneimittellehre dienten.
Die kräftige, aus der innersten Ueberzeugung hervorbrechende, freie Sprache des Copernicus widerlegt hinlänglich die alte Behauptung: er habe das System, das seinen unsterblichen Namen führt, als eine dem rechnenden Astronomen bequeme Hypothese; als eine solche, die wohl auch unbegründet sein könne, vorgetragen. »Durch keine andere Anordnung«, sagt er begeistert, »habe ich eine so bewundernswürdige Symmetrie des Universums, eine so harmonische Verbindung der Bahnen finden können, als da ich die Weltleuchte (lucernam mundi), die Sonne, die ganze Familie kreisender Gestirne lenkend (circumagentem gubernans astrorum familiam), wie in die Mitte des schönen Naturtempels auf einen königlichen Thron gesetzt.»Quis enim in hoc pulcherrimo templo lampadem hanc in alio vel meliori loco poneret, quam unde totum simul possit illuminare? Siquidem non inepte quidam lucernam mundi, alii mentem, alii rectorem vocant. Trimegistus visibilem Deum, Sophoclis Electra intuentem omnia. Ita profecto tanquam in solio regali Sol residens circumagentem gubernat Astrorum familiam: Tellus quoque minime fraudatur lunari ministerio, sed ut Aristoteles de animalibus ait, maximam Luna cum terra habet. Concipit interea a Sole terra et impregnatur annuo partu. Invenimus igitur sub hac ordinatione admirandam mundi symmetriam ac certum harmoniae nexum motus et magnitudinis orbium: qualis alio modo reperiri non potest.« (Nicol. Copernicus de Revol. orbium coelestium lib. I cap. 10 p. 9,b) In dieser Stelle, welche nicht ohne dichterische Anmuth und Erhabenheit des Ausdrucks ist, erkennt man, wie bei allen Astronomen des 17ten Jahrhunderts, Spuren eines langen und schönen Verkehrs mit dem classischen Alterthume. Copernicus hatte im Andenken: Cic. Somn. Scip. cap. 4, Plin. II, 4 und Mercur. Trismeg. lib. V (ed. Cracov. 1586 pag. 195 und 201). Die Anspielung auf die Electra des Sophocles ist dunkel, da die Sonne nie ausdrücklich darin allsehend genannt wird: wie sonst in der Ilias und der Odyssee, auch in den Choephoren des Aeschylus (v. 980), die Copernicus wohl nicht Electra würde genannt haben. Nach Böckh's Vermuthung ist die Anspielung wohl einem Gedächtnißfehler zuzuschreiben und Folge einer dunklen Erinnerung an Vers 869 des Oedipus in Kolonos des Sophocles. Sonderbarerweise ist ganz neuerlich in einer sonst lehrreichen Schrift (Czynski, Copernik et ses travaux 1847 p. 102) die Electra des Tragikers mit electrischen Strömungen verwechselt worden. Man liest als Uebersetzung der oben angeführten Stelle des Copernicus: »Si on prend le soleil pour le flambeau de l'Univers, pour son âme, pour son guide, si Trimegiste le nomme un Dieu, si Sophocle le croit une puissance électrique qui anime et contemple l'ensemble de la création......« Auch die Idee von der allgemeinen Schwere oder Anziehung (appetentia quaedam naturalis partibus indita) gegen den 348 Welt-Mittelpunkt (centrum mundi), die Sonne, aus der Schwerkraft in kugelförmigen Körpern geschlossen, scheint dem großen Manne vorgeschwebt zu haben: wie eine denkwürdige Stelle»Pluribus ergo existentibus centris, de centro quoque mundi non temere quis dubitabit, an videlicet fuerit istud gravitatis terrenae, an aliud. Equidem existimo, gravitatem non aliud esse, quam appetentiam quandam naturalem partibus inditam a divina providentia opificis universorum, ut in unitatem integritatemque suam sese conferant in formam globi coëuntes. Quam affectionem credibile est etiam Soli, Lunae, caeterisque errantium fulgoribus inesse, ut ejus efficacia in ea qua se repraesentant rotunditate permaneant, quae nihilominus multis modis suos efficiunt circuitus. Si igitur et terra faciat alios, utpote secundum centrum (mundi), necesse erit eos esse qui similiter extrinsecus in multis apparent, in quibus invenimus annuum circuitum. – Ipse denique Sol medium mundi putabitur possidere, quae omnia ratio ordinis, quo illa sibi invicem succedunt, et mundi totius harmonia nos docet, si modo rem ipsam ambobus (ut ajunt) oculis inspiciamus.« Copern. de Revol. orb. coel. lib. I cap. 9 p. 7,b. des 9ten Capitels im ersten Buche der Revolutionen beweist.
Wenn wir die verschiedenen Entwickelungsstufen kosmischer Anschauungen durchlaufen, so sehen wir in den frühesten Zeiten Ahndungen von Massen-Anziehung und Centrifugalkräften. Jacobi in seinen, leider noch handschriftlichen Untersuchungen über das mathematische Wissen der Griechen verweilt mit Recht bei der »tiefen Naturbetrachtung des Anaxagoras: von dem wir nicht ohne Staunen vernehmen, daß der MondPlut. de facie in orbe Lunae pag. 923 C. (Vergl. Ideler, Meteorologia veterum Graecorum et Romanorum 1832 p. 6) In der Stelle des Plutarch wird Anaxagoras nicht genannt; daß dieser aber dieselbe Theorie »vom Fall beim Nachlassen des Umschwunges« auf alle (steinerne) Himmelskörper anwendet, lehren Diog. Laert. II, 12 und die vielen Stellen, welche ich oben (Kosmos Bd. I. S. 139, 397 [Anm. 62], 401 [Anm. 69] und Anm. 89) gesammelt. Vergl. auch Aristot. de Coelo II, 1 pag. 284,a Bekker, und eine merkwürdige Stelle des Simplicius pag. 491,b, in den Scholien nach der Ausgabe der Berliner Akademie: wo des »Nicht-Herabfallens der himmlischen Körper« gedacht wird, »wenn der Umschwung die Oberhand habe über die eigene Fallkraft oder den Zug nach unten«. An diese Ideen, welche übrigens theilweise dem Empedocles und Democritus wie dem Anaxagoras zugehören, knüpft sich das von Simplicius (l. c.) angeführte Beispiel: »daß das Wasser in einer Phiole nicht ausgegossen wird beim Umschwung derselben, wenn der Umschwung schneller ist als die Bewegung des Wassers nach unten, τῆς ἐπὶ τὸ κάτω τοῦ ὕδατος φορᾶς.«, wenn seine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder.« Von ähnlichen Aeußerungen des Klazomeniers und des Diogenes von Apollonia über »Nachlassung im Umschwunge« habe ich bei Gelegenheit der Aërolithenfälle schon früher gehandelt.Kosmos Bd. I. S. 139 und 408 [Anm. 89]. (Vergl. Letronne des opinions cosmographiques des Pères de l'Église in der Revue des deux Mondes 1834 T. I. p. 621.) Von der Ziehkraft, welche das Centrum der Erde ausübt gegen alle schwere Massen, die man von demselben trennt, hatte allerdings Plato einen klareren Begriff als Aristoteles: der zwar, wie Hipparch, die Beschleunigung der Körper im Fall kannte, ohne jedoch ihren Grund richtig aufzufassen. Im Plato und bei Democritus wird die Anziehung auf die Affinität, das Streben gleichartiger elementarer Stoffe beschränkt.S. die Beweisstellen zu allem, was sich im Alterthum auf Anziehung, Schwere und Fall der Körper bezieht, mit großem Fleiß und mit Scharfsinn gesammelt in Th. Henri Martin, études sur le Timée de Platon 1841 T. II. p. 272–280 und 341. Nur der Alexandriner Johannes Philoponus: ein Schüler des Ammonius Hermeae, wahrscheinlich erst aus dem 6ten Jahrhundert, schreibt die Bewegung der Weltkörper einem primitiven Stoße zu, und verbindet mit dieser Idee die des Falles: des Strebens aller schweren und leichten Stoffe gegen die 349 Erde.Joh. Philoponus de creatione mundi lib. I cap. 12. Was Copernicus ahndete, Kepler aber in seinem herrlichen Werke de Stella Martis deutlicher aussprach, dort selbstEr gab später die richtige Meinung auf (Brewster, Martyrs of Science 1846 p. 211); aber daß dem Centralkörper des Planetensystems, der Sonne, eine Kraft inwohne, welche die Bewegungen der Planeten beherrsche; daß diese Sonnenkraft entweder wie das Quadrat der Entfernungen oder in geradem Verhältniß abnehme: äußert schon Kepler in der 1618 vollendeten Harmonia Mundi. auf die Ebbe und Fluth des Oceans anwandte: findet man neu belebt und reich befruchtet (1666 und 1674) durch den Scharfsinn des geistreichen Robert Hooke. Nach solchen Vorbereitungen bot Newton's Lehre von der Gravitation das großartige Mittel dar die ganze physische Astronomie in eine Mechanik des Himmels zu verwandeln.Kosmos Bd. I. S. 30 und 58.
Copernicus kannte, wie man nicht bloß aus der Zueignung an den Pabst, sondern in mehreren Stellen des Werkes selbst sieht, ziemlich vollständig die Vorstellungen der Alten vom Weltbau. Er nennt indeß aus der vor-hipparchischen Zeit nur Hicetas aus Syracus: den er immer als Nicetas aufführt, Philolaus den Pythagoreer, den Timäus des Plato, Ecphantus, Heraklides den Pontiker und den großen Geometer Apollonius von Perga. Von den beiden seinem Systeme am nächsten stehenden Mathematikern, dem Aristarch von Samos und Seleucus dem BabylonierA. a. O. Bd. II. S. 139 und 209. Die zerstreuten Stellen, welche sich in dem Werke des Copernicus auf die vor-hipparchischen Systeme des Weltbaues beziehen, sind außer der Zueignung folgende: lib. I cap. 5 und 10, lib. V cap. 1 und 3 (ed. princ. 1543 p. 3,b; 7,b; 8,b; 133,b; 141,a und b; 179,a und 181,b). Ueberall zeigt Copernicus eine Vorliebe und sehr genaue Bekanntschaft mit den Pythagoreern oder, um vorsichtiger mich auszudrücken, mit dem, was den ältesten unter ihnen zugeschrieben wurde. So kennt er z. B., wie der Eingang der Zueignung beweist, den Brief des Lysis an den Hipparchus: welcher allerdings bezeugt, daß die geheimnißliebende italische Schule, »wie es anfangs auch des Copernicus Vorsatz war«, nur Freunden ihre Meinungen mittheilen wollte. Das Zeitalter des Lysis ist ziemlich unsicher; er wird bald ein unmittelbarer Schüler des Pythagoras genannt, bald und sicherer ein Lehrer des Epaminondas (Böckh, Philolaos S. 8–15). Der Brief des Lysis an Hipparch: einen alten Pythagoreer, der die Geheimnisse des Bundes veröffentlicht hatte, ist, wie so viele ähnliche Schriften, in späten Zeiten geschmiedet worden. Copernicus hat ihn wahrscheinlich aus der Sammlung des Aldus Manutius, Epistolae diversorum philosophorum (Romae 1494), oder aus einer lateinischen Uebersetzung des Cardinals Bessarion (Venet. 1516) gekannt. Auch in dem Verbot der Copernicanischen Schrift de Revolutionibus, in dem berühmten Decret der Congregazione dell' Indice vom 5 März 1616, wird das neue Weltsystem ausdrücklich als »falsa illa doctrina Pythagorica, Divinae Scripturae omnino adversans« bezeichnet. Die wichtige Stelle über Aristarch von Samos, von welcher ich im Text geredet, steht im Arenarius pag. 449 der Pariser Ausgabe des Archimedes von 1615 von David Rivaltus. Die editio princeps aber ist die Baseler von 1544 apud Io. Hervagium. Die Stelle im Arenarius sagt sehr bestimmt: »Aristarch habe die Astronomen widerlegt, welche sich die Erde unbewegt in der Mitte des Weltbaues denken. Die Sonne bezeichne diese Mitte: sie sei unbeweglich wie die anderen Sterne, während die Erde um die Sonne kreise.« In dem Werk des Copernicus ist Aristarch zweimal, p. 69,b und 79,a, ohne alle Beziehung auf sein System genannt. – Ideler fragt (Wolf's und Buttmann's Museum der Alterthums-Wissenschaft Bd. II. 1808 S. 452), ob Copernicus die Schrift de docta ignorantia des Nicolaus von Cusa gekannt habe? Die erste Pariser Ausgabe der Werke ist allerdings von 1514, und der Ausdruck: jam nobis manifestum est terram in veritate moveri hätte aus dem Munde eines platonisirenden Cardinals auf den Domherrn von Frauenburg einigen Eindruck machen sollen (Whewell, Philosophy of the inductive Sciences Vol. II. p. 343); aber ein Bruchstück von Cusa's Hand, das durch Clemens ganz neuerlich 1843 in der Bibliothek des Hospitals zu Cues aufgefunden worden ist, beweist genugsam, so wie auch die Schrift de venatione sapientiae cap. 28, daß Cusa sich die Erde nicht um die Sonne, sondern mit dieser zugleich, aber langsamer, »um die immerfort wechselnden Pole der Welt« bewegt dachte. (Clemens in Giordano Bruno und Nicol. von Cusa 1847 S. 97–100.), erwähnt er den ersteren ohne alle Bezeichnung und den zweiten gar nicht. Man hat oft behauptet, er habe die Meinung des Aristarch von Samos von der Centralsonne und der planetarischen Erde darum nicht gekannt, weil der Arenarius und alle Werke des Archimedes erst ein Jahr nach seinem Tode, ein volles Jahrhundert nach Erfindung der Buchdruckerkunst, erschienen seien; aber man vergißt, daß Copernicus in der Zueignung an den Pabst Paul III eine lange Stelle über Philolaus, Ecphantus und Heraklides vom Pontus aus des Plutarchus Werke über die Meinungen der Philosophen (III, 13) 350 citirt und daß er in demselben (II, 24) hätte lesen können, wie Aristarch von Samos die Sonne den Fixsternen beigezählt habe. Was unter allen Meinungen der Alten den tiefsten Einfluß auf die Richtung und allmälige Entwickelung seiner Ideen ausgeübt haben könnte, sind nach Gassendi's Behauptung eine Stelle in dem encyclopädischen, in halb barbarischer Sprache abgefaßten Werke des Martianus Mineus Capella und das Weltsystem des Apollonius von Perga. Nach der Vorstellungsart des Martianus Mineus aus Madaura: die mit zu großer ZuversichtS. die gründliche Behandlung dieses Gegenstandes in Martin, études sur Timée T. II. p. 111 (Cosmographie des Égyptiens) und p. 129–133 (Antécédents du Système de Copernic). Die Behauptung dieses gelehrten Philologen, nach welcher das ursprüngliche System des Pythagoras selbst von dem des Philolaus verschieden ist und die Erde unbewegt in die Mitte gesetzt haben soll, scheint mir nicht ganz überzeugend (T. II. p. 103 und 107). Ueber die auffallende Behauptung Gassendi's von dem tychonischen Systeme des Apollonius von Perga, deren ich oben im Texte Erwähnung gethan, will ich hier mich bestimmter erklären. Es heißt in den Biographien des Gassendi: »Magnam imprimis rationem habuit Copernicus duarum opinionum affinium, quarum unam Martiano Capellae, alteram Apollonio Pergaeo attribuit. – Apollonius Solem delegit, circa quem, ut centrum, non modo Mercurius et Venus, verum etiam Mars, Jupiter, Saturnus suas obirent periodos, dum Sol interim, uti et Luna, circa Terram, ut circa centrum, quod foret etiam Affixarum mundique centrum, moverentur; quae deinceps quoque opinio Tychonis propemodum fuit. Rationem autem magnam harum opinionum Copernicus habuit, quod utraque eximie Mercurii ac Veneris circuitiones repraesentaret, eximieque causam retrogradationum, directionum, stationum in iis apparentium exprimeret; et posterior (Pergaei) eadem quoque in tribus Planetis superioribus praestaret.« (Gassendi, Tychonis Brahei vita p. 296.) Mein Freund, der Astronom Galle, von dem ich Belehrung gewünscht, findet, wie ich, nichts, was Gassendi's so bestimmte Behauptung rechtfertigen könnte. »In den Stellen«, schreibt er, »die Sie mir in des Ptolemäus Almagest (im Eingang von Buch XII) und in dem Werke des Copernicus lib. V cap. 3 pag. 141,a, cap. 35 pag. 179,a und b, cap. 36 pag. 181,b bezeichnen, ist nur von der Erklärung der Rückgänge und Stillstände der Planeten die Rede: wodurch zwar auf des Apollonius Annahme von der Umdrehung der Planeten um die Sonne hingewiesen wird (so wie auch Copernicus selbst der Annahme des Stillstandes der Erde ausdrücklich erwähnt); woher aber dieser, was er von Apollonius voraussetzt, geschöpft habe, ist nicht zu bestimmen. Es wird deshalb nur auf eine späte Autorität ein dem tychonischen gleiches System des Apollonius von Perga vermuthet werden können: obgleich ich eine deutliche Darlegung dieses Systems auch bei Copernicus nicht erwähnt noch aus älteren Stellen citirt gefunden habe. Sollte bloß lib. XII des Almagest die Quelle sein, wonach dem Apollonius die vollständige tychonische Ansicht beigemessen wird; so ist zu glauben, daß Gassendi in seinen Voraussetzungen zu weit gegangen ist und daß es sich damit eben so verhalte wie mit den Phasen des Merkur und der Venus, die Copernicus (lib. I cap. 10 pag. 7,b und 8,a) zur Sprache gebracht, ohne sie bestimmt auf sein System angewendet zu haben. Aehnlich hat vielleicht Apollonius die Erklärung der Rückgänge der Planeten unter der Annahme einer Umdrehung um die Sonne mathematisch behandelt, ohne etwas bestimmtes und allgemeines über die Wahrheit dieser Annahme hinzuzufügen. Der Unterschied des von Gassendi beschriebenen apollonischen Systems von dem des Tycho würde übrigens nur der sein, daß dieser auch noch die Ungleichheiten in den Bewegungen erklärt. Die Bemerkung von Robert Small: daß die Idee, welche dem tychonischen Systeme zum Grunde liegt, keinesweges fremd dem Geiste des Copernicus gewesen sei, sondern ihm vielmehr als ein Durchgangspunkt für sein eigenes System gedient habe; scheint mir wohlbegründet.« bald den Aegyptern, bald den Chaldäern zugeschrieben wird, ruht die Erde unbeweglich im Mittelpunkte, aber die Sonne wird, als kreisender Planet, von zwei Satelliten (Merkur und Venus) umgeben. Eine solche Ansicht des Weltgebäudes konnte freilich zu der der Centralkräfte der Sonne vorbereiten. Nichts rechtfertigt aber: weder in dem Almagest und überhaupt in den Schriften der Alten, noch in dem Werke des Copernicus de Revolutionibus, die von Gassendi so bestimmt ausgesprochene Behauptung über die vollkommene Aehnlichkeit des tychonischen Systems mit dem, welches man dem Apollonius von Perga zuschreiben will. Von der Verwechselung des copernicanischen Systems mit dem des Pythagoreers Philolaus: in welchem die nicht rotirende Erde (die Antichthon oder Gegenerde ist nicht ein eigener Planet, sondern die entgegengesetzte Halbkugel unseres Planeten) wie die Sonne selbst sich um den Weltheerd, das Centralfeuer, die Lebensflamme des ganzen Planetensystems, bewegt; kann nach Böckh's vollendeten Untersuchungen ferner keine Rede sein.
Die wissenschaftliche Revolution, deren Urheber Nicolaus Copernicus war, hat das seltene Glück gehabt (eine 351 kurze rückschreitende Bewegung der tychonischen Hypothese abgerechnet) ununterbrochen zum Ziele, zur Entdeckung des wahren Weltbaues zu führen. Die reiche Fülle genauer Beobachtungen, welche der eifernde Gegner selbst, Tycho de Brahe, lieferte; begründete die Entdeckung der ewigen Gesetze planetarischer Bewegung, die Kepler's Namen einen unsterblichen Ruhm bereiteten und: von Newton gedeutet, theoretisch als nothwendig erwiesen, in das Lichtreich des Gedankens, eines denkenden Erkennens der Natur, übertragen wurden. Man hatSchubert, Astronomie Th. I. S. 124. Eine überaus gelungene und vollständige tabellarische Uebersicht aller astronomischen Anschauungen des Weltbaues von den frühesten Zeiten der Menschheit bis zu Newton's Gravitations-System (Inductive Table of Astronomy) hat Whewell gegeben in der Philosophy of the inductive Sciences Vol. II. p. 282. mit Scharfsinn, aber vielleicht mit zu schwacher Bezeichnung des freien, selbstständig die Gravitations-Theorie schaffenden Geistes gesagt: »Kepler schrieb ein Gesetzbuch, Newton den Geist der Gesetze«.
Die sinnbildlichen dichterischen Mythen pythagorischer und platonischer Weltgemälde: wandelbarPlato ist philolaisch im Phädrus: im Timäus dagegen ganz dem System der unbewegten im Centrum ruhenden Erde, das man später hipparchisch und ptolemäisch genannt hat, zugethan. (Böckh de Platonico systemate coelestium globorum et de vera indole astronomiae Philolaicae p. XXVI–XXXII; derselbe im Philolaos S. 104–108. Vergl. auch Fries, Geschichte der Philosophie Bd. I. S. 325–347 mit Martin, études sur Timée T. II. p. 64–92.) Das astronomische Traumbild, in welches der Weltbau am Ende des Buchs von der Republik gehüllt ist, erinnert zugleich an das eingeschachtelte Sphärensystem der Planeten und den Einklang der Töne »als Stimmen der mit umschwingenden Sirenen«. (S. über Entdeckung des wahren Weltsystems die schöne, vielumfassende Schrift von Apelt: Epochen der Geschichte der Menschheit Bd. I. 1845 S. 205–305 und 379–445.) wie die Phantasie, die sie erzeugt, fanden theilweise noch ihren Reflex in Kepler; sie erwärmten und erheiterten sein oft getrübtes Gemüth: aber sie lenkten nicht ab von der ernsten Bahn, die er verfolgte und an deren ZielKepler, Harmonices Mundi libri quinque 1619 p. 189. »Am 8 März 1618 kam Kepler nach vielen vergeblichen Versuchen auf den Gedanken die Quadrate der Umlaufszeiten der Planeten mit den Würfeln der mittleren Entfernungen zu vergleichen, allein er verrechnete sich und verwarf diesen Gedanken wieder. Am 15 Mai 1618 kam er auf den Gedanken zurück und rechnete richtig. Das dritte Kepler'sche Gesetz war nun entdeckt.« Diese Entdeckung und die damit verwandten fallen gerade in die unglückliche Epoche, in welcher der, von früher Kindheit an den härtesten Schlägen des Schicksals ausgesetzte Mann daran arbeitet seine 70jährige Mutter, die der Giftmischung, Thränenlosigkeit und Zauberei angeklagt ist, in einem 6 Jahre dauernden Hexenprocesse von der Folter und dem Scheiterhaufen zu retten. Der Verdacht ward dadurch verstärkt, daß ihr eigener Sohn, der bösartige Zinngießer Christoph Kepler, die Mutter anklagte; und daß diese bei einer Tante erzogen war, welche zu Weil als Hexe verbrannt wurde. S. eine überaus interessante, im Auslande wenig bekannt gewordene und nach neu aufgefundenen Manuscripten abgefaßte Schrift des Freiherrn von Breitschwert: Johann Keppler's Leben und Wirken 1831 S. 12, 97–147 und 196. Nach derselben Schrift ward Kepler, der sich in deutschen Briefen immer Keppler unterzeichnet, nicht den 21 Dec. 1571 in der Reichsstadt Weil, wie man gewöhnlich annimmt, sondern den 27 Dec. 1571 in dem würtembergischen Dorfe Magstatt geboren. Von Copernicus ist es ungewiß, ob er am 19 Jan. 1472, oder am 19 Febr. 1473, wie Möstlin will, oder (nach Czynski) den 12 Februar desselben Jahres geboren ist. Des Columbus Geburtsjahr schwankte lange um 19 Jahre. Ramusio setzt es in 1430; Bernaldez, der Freund des Entdeckers, in 1436; der berühmte Geschichtsschreiber Muñoz in das Jahr 1446. er gelangte zwölf Jahre vor seinem Tode in der denkwürdigen Nacht des 15 Mai 1618. Copernicus hatte durch die tägliche Rotation der Erde um ihre Achse eine genügende Erklärung der scheinbaren Umwälzung des Fixsternhimmels und durch die jährliche Bewegung um die Sonne eine eben so vollkommene Auflösung der auffallendsten Bewegungen der Planeten (Stationen und Rückgänge) gegeben und so den wahren Grund der sogenannten zweiten Ungleichheit der Planeten gefunden. Die erste Ungleichheit, die ungleichförmige Bewegung der Planeten in ihren Bahnen, ließ er unerklärt. Getreu dem uralten pythagorischen 352 Principe von der den Kreisbewegungen inwohnenden Vollkommenheit: bedurfte Copernicus noch zu seinem Weltenbau excentrischer, im Mittelpunkt leerer Kreise, auch einiger Epicykeln des Apollonius von Perga. So kühn der Weg war, den man eingeschlagen, konnte man doch nicht auf einmal sich von allen früheren Ansichten befreien.
Der gleiche Abstand, in welchem die Sterne von einander bleiben, indem das ganze Himmelsgewölbe sich von Osten nach Westen bewegt, hatte zu der Vorstellung eines Firmaments: einer soliden krystallenen Sphäre geführt, an welche sich Anaximenes (vielleicht nicht viel jünger als Pythagoras) die Sterne wie NägelPlut. de plac. Philos. II, 14; Aristot. Meteorol. XI, 8, de Coelo II, 8. Ueber die Sphären-Theorie im allgemeinen und insbesondere über die rückwirkenden Sphären des Aristoteles s. Ideler's Vorlesung über Eudoxus 1828 S. 49–60. angeheftet dachte. Geminus der Rhodier, gleichzeitig mit Cicero, bezweifelt, daß die Sternbilder in einer Fläche liegen; einige liegen nach ihm höher, andere tiefer. Die Vorstellung vom Fixsternhimmel wurde auf die Planeten übergetragen; und so entstand die Theorie der excentrischen in einander geschachtelten Sphären des Eudoxus, Menächmus und des Aristoteles, der die rückwirkenden Sphären erfand. Die Theorie der Epicykeln: eine Construction, welche sich der Darstellung und Berechnung der planetarischen Bewegungen leichter anpaßte, verdrängte nach einem Jahrhundert durch den Scharfsinn des Apollonius die starren Sphären. Ob man, wie Ideler glaubt, erst nach Errichtung des alexandrinischen Museums angefangen habe »eine freie Bewegung der Planeten im Weltraume für möglich zu halten«; ob man sich allgemein früher sowohl die eingeschachtelten durchsichtigen Sphären (nach Eudoxus 27, nach Aristoteles 55) als die Epicykeln, die Hipparch und Ptolemäus dem Mittelalter überlieferten, nicht als fest, von materieller Dichte, 353 sondern nur als ideelle Anschauungen dachte: darüber enthalte ich mich hier aller historischen Entscheidung, so sehr ich auch der »bloß ideellen Anschauung« zugethan bin. Gewisser ist es, daß in der Mitte des 16ten Jahrhunderts, da die Theorie der 77 homocentrischen Sphären des gelehrten Polyhistors Girolamo Fracastoro Beifall fand und da später die Gegner des Copernicus alle Mittel aufsuchten das ptolemäische System aufrecht zu halten, die, besonders von den Kirchenvätern begünstigte Vorstellung von der Existenz solider Sphären, Kreise und Epicykeln noch weit verbreitet war. Tycho de Brahe rühmt sich ausdrücklich des Verdienstes, durch seine Betrachtungen über die Cometenbahnen zuerst die Unmöglichkeit solider Sphären erwiesen, das künstliche Gerüste derselben zertrümmert zu haben. Er füllte den freien Himmelsraum mit Luft; und glaubte sogar, das widerstehende Mittel könne, von den kreisenden Weltkörpern erschüttert, Töne erzeugen. Diese erneuerte pythagorische Ton-Mythe glaubte der wenig poetische Rothmann widerlegen zu müssen.
Die große Entdeckung Kepler's, daß alle Planeten sich in Ellipsen um die Sonne bewegen und daß die Sonne in dem einen Brennpunkt dieser Ellipsen liegt, hat endlich das ursprüngliche copernicanische System von den excentrischen Kreisen und von allen Epicykeln befreit.Eine bessere Einsicht in die freie Bewegung der Körper, in die Unabhängigkeit der einmal gegebenen Richtung der Erdachse von der rotatorischen und fortschreitenden Bewegung der Erdkugel in ihrer Bahn hat das ursprüngliche System des Copernicus auch von der Annahme einer Declinations-Bewegung oder sogenannten dritten Bewegung der Erde (de Revolut. orb. coel. lib. I cap. 11, triplex motus telluris) befreit. Der Parallelismus der Erdachse erhält sich im jährlichen Umlauf um die Sonne, nach dem Gesetz der Trägheit, ohne Anwendung eines berichtigenden Epicykels. Der planetarische Weltbau erschien nun objectiv, gleichsam architectonisch, in seiner einfachen Größe; aber das Spiel und der Zusammenhang der inneren, treibenden und erhaltenden Kräfte wurden erst von Isaac Newton enthüllt. Wie man oft schon in der Geschichte der allmäligen Entwickelung des menschlichen Wissens bemerkt hat: daß wichtige, aber scheinbar zufällige Entdeckungen, wie das Auftreten großer Geister 354 sich in einen kurzen Zeitraum zusammendrängen; so sehen wir diese Erscheinung auf die auffallendste Weise in dem ersten Decennium des 17ten Jahrhunderts wiederholt. Tycho, der Gründer der neueren messenden Astronomie, Kepler, Galilei und Bacon von Verulam sind Zeitgenossen. Alle, außer Tycho, haben in reifen Jahren noch die Arbeiten von Descartes und Fermat erlebt. Die Grundzüge von Bacon's Instauratio Magna erschienen in englischer Sprache schon 1605, funfzehn Jahre vor dem Novum Organon. Die Erfindung des Fernrohrs und die größten Entdeckungen der physischen Astronomie (Jupiterstrabanten, Sonnenflecken, Phasen der Venus, Wundergestalt des Saturn) fallen zwischen die Jahre 1609 und 1612. Kepler's Speculationen über die elliptischeDelambre, Hist. de l'Astronomie ancienne T. II. p. 381. Marsbahn beginnen 1601 und geben Anlaß zu der acht Jahre darauf vollendeten Astronomia nova seu Physica coelestis. »Durch das Studium der Bahn des Planeten Mars«, schreibt Kepler, »müssen wir zu den Geheimnissen der Astronomie gelangen oder wir bleiben in derselben auf immer unwissend. Es ist mir durch hartnäckig fortgesetzte Arbeit gelungen die Ungleichheiten der Bewegung des Mars Einem Naturgesetz zu unterwerfen.« Die Verallgemeinerung desselben Gedankens hat Kepler zu den großen Wahrheiten und kosmischen Ahndungen geführt, die der phantasiereiche Mann zehn Jahre später in seiner Weltharmonie (Harmonices Mundi libri quinque) dargelegt. »Ich glaube«, sagt Kepler schön in einem Briefe an den dänischen Astronomen Longomontanus, »daß Astronomie und Physik so genau mit einander verknüpft sind, daß keine ohne die andere vervollkommnet werden kann.« Auch erschienen die Früchte seiner Arbeiten über die Structur 355 des Auges und die Theorie des Sehens 1604 in den Paralipomenen zum Vitellion, die DioptrikS. Sir David Brewster's Urtheil über Kepler's optische Arbeiten in the Martyrs of Science 1846 p. 179–182 (vergl. Wilde, Gesch. der Optik 1838 Th. I. S. 182–210). Wenn das Gesetz der Brechung der Lichtstrahlen dem Leidener Professor Willebrord Snellius (1626) gehört, der es in seinen Papieren vergraben hinterließ, so ist dagegen die Publication des Gesetzes unter einer trigonometrischen Form zuerst durch Descartes geschehen. S. Brewster im North-British Review Vol. VII. p. 207; Wilde, Gesch. der Optik Th. I. S. 227. selbst schon 1611. So verbreitete sich das Wissen über die wichtigsten Gegenstände der Erscheinungswelt in den himmlischen Räumen wie über die Art, durch Erfindung neuer Organe, diese Gegenstände zu erfassen, in dem kurzen Zeitraume der ersten 10 bis 12 Jahre eines, mit Galilei und Kepler anbrechenden, mit Newton und Leibnitz endenden Jahrhunderts.
Die zufällige Erfindung der raumdurchdringenden Kraft der Fernröhre wurde zuerst in Holland, wahrscheinlich schon in den letzten Monaten des Jahres 1608, bekannt. Nach den neuesten archivarischen UntersuchungenVergl. zwei vortreffliche Abhandlungen über die Erfindung des Fernrohrs von Prof. Moll aus Utrecht im Journal of the Royal Institution 1831 Vol. I. p. 319 und von Wilde zu Berlin in seiner Geschichte der Optik 1838 Th. I. S. 138–172. Das in holländischer Sprache abgefaßte Werk von Moll führt den Titel: geschiedkundig Onderzoek naar de eerste Uitfinders der Vernkykers, uit de Aantekeningen van wyle den Hoogl. van Swinden zamengesteld door G. Moll. (Amsterdam 1831.) Olbers hat einen Auszug aus dieser interessanten Schrift mitgetheilt in Schumacher's Jahrbuch für 1843 S. 56–65. Die optischen Instrumente, welche Jansen dem Prinzen Moritz von Nassau und dem Erzherzog Albert lieferte (letzterer schenkte das seinige an Cornelius Drebbel), waren, wie aus dem Briefe des Gesandten Boreel erhellt, der als Kind oft in des Brillenmachers Jansen Hause gewesen war und die Instrumente später im Laden sah, Microscope von 18 Zoll Länge: »durch welche kleine Gegenstände, wenn man von oben hineinsah, wunderbar vergrößert wurden«. Die Verwechselung der Microscope und Telescope verdunkelt die Geschichte der Erfindungen beider Werkzeuge. Der eben erwähnte Brief von Boreel (aus Paris 1655) macht es, trotz der Autorität von Tiraboschi, unwahrscheinlich, daß die erste Erfindung des zusammengesetzten Microscops Galilei gehöre. Vergl. über diese dunkle Geschichte optischer Erfindungen Vincenzio Antinori in den saggi di Naturali Esperienze fatte nell' Accademia del Cimento 1841 p. 22–26. Huygens, dessen Geburtsjahr kaum 25 Jahre nach der muthmaßlichen Erfindungs-Epoche des Fernrohrs fällt, wagt schon nicht mit Gewißheit über den Namen des ersten Erfinders zu entscheiden (Opera reliqua 1728 Vol. II. p. 125). Nach den archivarischen Forschungen von van Swinden und Moll besaß nicht nur Lippershey schon den 2 Oct. 1608 von ihm selbst angefertigte Fernröhre; sondern der französische Gesandte im Haag, Präsident Jeannin, schrieb auch schon den 28 Dec. desselben Jahres an Sully: »daß er mit dem Middelburger Brillenmacher über ein Fernrohr unterhandle, welches er dem König Heinrich IV schicken wolle.« Simon Marius (Mayer aus Gunzenhausen, der Mit-Entdecker der Jupitersmonde) erzählt sogar, daß seinem Freunde Fuchs von Bimbach, geheimem Rath des Markgrafen von Ansbach, bereits im Herbste 1608 in Frankfurt am Main von einem Belgier ein Fernrohr angeboten worden sei. Zu London fabricirte man Fernröhre im Februar 1610, also ein Jahr später als Galilei das seinige zu Stande brachte (Rigaud on Harriot's papers 1833 p. 23, 26 und 46). Man nannte sie anfangs Cylinder. Porta, der Erfinder der Camera obscura, hat: wie früher Fracastoro, der Zeitgenosse von Columbus, Copernicus und Cardanus, bloß von der Möglichkeit gesprochen durch auf einander gelegte convexe und concave Gläser (duo specilla ocularia alterum alteri superposita) »alles größer und näher zu sehen«; aber die Erfindung des Fernrohrs kann man ihnen nicht zuschreiben. (Tiraboschi, storia della Letter. ital. T. XI. p. 467; Wilde, Gesch. der Optik Th. I. S. 121.) Brillen waren in Harlem seit dem Anfang des 14ten Jahrhunderts bekannt, und eine Grabschrift in der Kirche Maria Maggiore zu Florenz nennt als Erfinder (inventore degli occhiali) den 1317 gestorbenen Salvino degli Armati. Einzelne, wie es scheint, sichere Angaben über den Gebrauch der Brillen durch Greise hat man selbst von 1299 und 1305. Die Stellen von Roger Bacon beziehen sich auf die vergrößernde Kraft gläserner Kugelsegmente. S. Wilde, Gesch. der Optik Th. I. S. 93 bis 96 und oben S. 464 Anm. 827. können Ansprüche auf diese große Erfindung machen: Hans Lippershey, gebürtig aus Wesel, Brillenmacher zu Middelburg; Jacob Adriaansz mit dem Beinamen Metius, der auch Brennspiegel von Eis verfertigt haben soll; und Zacharias Jansen. Der Erste wird in dem wichtigen Briefe des holländischen Gesandten Boreel an den Arzt Borelli, Verfasser der Abhandlung de vero telescopii inventore (1655), immer Laprey genannt. Wenn man die Priorität nach den Zeitepochen bestimmen will, in denen den Generalstaaten Anträge gemacht wurden, so gehört dem Hans Lippershey der Vorrang. Er bietet der Regierung drei Instrumente an, »mit denen man in die Ferne sieht«, am 2 October 1608. Des Metius Anerbieten ist erst vom 17 October desselben Jahres, aber er sagt ausdrücklich in der Bittschrift: »daß er durch Fleiß und Nachdenken schon seit zwei Jahren solche Instrumente construirt habe«. Zacharias Jansen (wie Lippershey Brillenmacher zu Middelburg) 356 erfand in Gemeinschaft mit seinem Vater Hans Jansen gegen das Ende des 16ten Jahrhunderts (wahrscheinlich nach 1590) das zusammengesetzte Microscop, dessen Ocular ein Zerstreuungsglas ist; aber erst 1610, wie der Gesandte Boreel es bezeugt, das Fernrohr: welches er und seine Freunde zwar auf ferne irdische, aber nicht auf himmlische Gegenstände richteten. Der Einfluß, welchen das Microscop auf die tiefere Kenntniß alles Organischen in Gestaltung und Bewegung der Theile, das Fernrohr auf die plötzliche Erschließung der Welträume ausgeübt haben, ist so unermeßlich gewesen, daß die Geschichte der Entdeckung hier umständlicher berührt werden mußte.
Als die Nachricht von der in Holland gemachten Erfindung des telescopischen Sehens im Mai 1609 sich nach Venedig verbreitete, wo Galilei zufällig anwesend war, errieth dieser das Wesentliche der Construction eines Fernrohrs und brachte sogleich das seinige in Padua zu Stande.Eben so soll der oben genannte Arzt und markgräflich ansbachische Mathematicus Simon Marius schon 1608, nach der von Fuchs von Bimbach erhaltenen Beschreibung von der Wirkung eines holländischen Fernrohrs, sich selbst eines construirt haben. – Ueber Galilei's früheste Beobachtung der Gebirgslandschaften des Mondes, deren ich im Texte erwähnt, vergl. Nelli, Vita di Galilei Vol. I. p. 200–206; Galilei, Opere 1744 T. II. p. 60, 403 und (Lettera al Padre Cristoforo Grienberger, in materia delle Montusità della Luna) p. 409–424. Galilei findet einige kreisrunde, von Bergen überall umgebene Landschaften im Monde, der Gestaltung von Böhmen ähnlich. »Eundem facit aspectum Lunae locus quidam, ac faceret in terris regio consimilis Boemiae, si montibus altissimis, inque peripheriam perfecti circuli dispositis occluderetur undique.« (T. II. p. 8.) Die Bergmessungen geschahen nach der Methode der Lichttangenten. Galilei maß, wie später noch Hevelius that, den Abstand des Berggipfels von der Erleuchtungs-Grenze in dem Augenblick, wo die Berggipfel zuerst von den Sonnenstrahlen getroffen werden. Von der Länge der Bergschatten finde ich keine Beobachtung. Er fand die Erhöhungen incirca miglia quattro hoch, und viele höher als unsere Berge auf der Erde. Die Vergleichung ist sonderbar, da nach Riccioli man damals so übertriebene Meinungen von unseren Berggipfeln hatte und einer der vornehmsten, d. h. früh berufensten, der Pic von Teneriffa, erst 1724 mit einiger Genauigkeit trigonometrisch von Fenillée gemessen wurde. An die Existenz von vielen Seen und einer Atmosphäre des Mondes glaubte Galilei auch, wie alle Beobachter bis zum Ende des 18ten Jahrhunderts. Er richtete dasselbe zuerst auf die Gebirgslandschaften des Mondes, deren höchste Punkte er zu messen lehrt: während er, wie Leonardo da Vinci und Möstlin, das aschfarbene Licht des Mondes dem von der Erde auf den Mond reflectirten Sonnenlichte zuschrieb; er durchforschte mit schwacher Vergrößerung die Gruppe der Plejaden, den Sternhaufen der Krippe im Krebse, die Milchstraße und die Sterngruppe im Kopf des Orion. Dann folgten schnell hinter einander die großen Entdeckungen der vier Trabanten des Jupiter, der zwei Handhaben des Saturn (seine undeutlich gesehene, nicht erkannte Ring-Umgebung), der Sonnenflecken und der sichelförmigen Gestalt der Venus.
Die Monde des Jupiter, die ersten aller durch das 357 Fernrohr aufgefundenen Nebenplaneten, wurden, wie es scheint, fast zugleich, und ganz unabhängigerweise, am 29 December 1609 von Simon Marius zu Ansbach und am 7 Januar 1610 von Galilei zu Padua entdeckt. In der Publication dieser Entdeckung kam Galilei durch den Nuncius Sidereus (1610) dem Mundus Jovialis (1614) des Simon Marius zuvor.(S. 357.) Ich finde hier Veranlassung wiederum (s. Kosmos Bd. I. S. 434 [Anm 159]) an den von Arago ausgesprochenen Grundsatz zu erinnern: »Il n'y a qu'une manière rationnelle et juste d'écrire l'histoire des sciences, c'est de s'appuyer exclusivement sur des publications ayant date certaine; hors de là tout est confusion et obscurité.« – Die so sonderbar verspätete Erscheinung des Fränkischen Kalenders oder der Practica (1612) und des, astronomisch wichtigen Mundus Jovialis anno 1609 detectus ope perspicilli Belgici (Febr. 1614) konnte allerdings zu dem Verdachte Anlaß geben, Marius habe aus dem Nuncius Sidereus des Galilei, dessen Zueignung vom März 1610 ist, oder gar aus früheren brieflichen Mittheilungen geschöpft. Auch nennt ihn Galilei: gereizt durch den noch nicht vergessenen Proceß über den Proportional-Zirkel gegen Balthasar Capra, einen Schüler des Marius, usurpatore del Sistema di Giove; ja Galilei wirft sogar dem ketzerisch protestantischen Astronomen aus Gunzenhausen vor, daß seine frühere Beobachtung auf einer Calender-Verwechselung beruhe. »Tace il Mario di far cauto il lettore, come essendo egli separato della Chiesa nostra, ne avendo acettato l'emendatione gregoriana, il giorno 7 di gennaio del 1610 di noi cattolici (der Tag, an welchem Galilei die Satelliten entdeckte), è l'istesso, che il dì 28 di decembre del 1609 di loro eretici, e questa è tutta la precedenza delle sue finte osservationi.« (Venturi, Memorie e Lettere di Galileo Galilei 1818 P. I. p. 279 und Delambre, Hist. de l'Astr. mod. T. I. p. 696). Nach einem Briefe, den Galilei 1614 an die Academia dei Lincei richtete, wollte derselbe seine Klage gegen Marius etwas unphilosophisch an den Marchese di Brandeburgo richten. Im ganzen blieb indeß Galilei wohlwollend gesinnt für die deutschen Astronomen. »Gli ingegni singolari, che in gran numero fioriscono nell' Alemagna, mi hanno lungo tempo tenuto in desiderio di vederla«; schreibt er im März 1611 (Opere T. II. p. 44). Auffallend ist es mir immer gewesen, daß, wenn Kepler in einem Gespräche mit Marius scherzhaft als Taufzeuge jener mythologischen Benennungen, Io und Callisto, aufgeführt wird: derselbe weder in seinem in Prag (April 1610) erschienenen Commentar zum Nuncius Sidereus nuper ad mortales a Galileo missus, noch in seinen Briefen an Galilei oder an den Kaiser Rudolph (Herbst 1610) seines Landsmannes Marius Erwähnung thut, sondern überall von »der glorreichen Entdeckung der mediceischen Gestirne durch Galilei« spricht. Indem er seine eigenen Satelliten-Beobachtungen vom 4–9 Sept. 1610 veröffentlicht, giebt er einer kleinen zu Frankfurt 1611 erschienenen Schrift den Titel: Kepleri Narratio de observatis a se quatuor Jovis satellitibus erronibus quos Galilaeus Mathematicus Florentinus jure inventionis Medicea Sidera nuncupavit. Ein Brief aus Prag (25 Oct. 1610), an Galilei gerichtet, endigt mit den Worten: »neminem habeas, quem metuas aemulum.« Vergl. Venturi P. I. p. 100, 117, 139, 144 und 149. Durch einen Irrthum verleitet und nach einer sehr unsorgfältigen Durchsicht aller zu Petworth, dem Landsitze von Lord Egremont, aufbewahrten kostbaren Handschriften: hat Baron von Zach behauptet, daß der ausgezeichnete Astronom und virginische Reisende Thomas Harriot gleichzeitig mit Galilei und vielleicht selbst früher die Jupiterstrabanten entdeckt habe. Eine sorgfältigere von Rigaud angestellte Untersuchung von Harriot's Manuscripten hat gelehrt, daß seine Beobachtungen nicht am 16 Januar, sondern erst am 17 October 1610 anfangen, 9 Monate nach Galilei und Marius. (Vergl. Zach, Correspondance astronomique, géogr. etc. Vol. VII. p. 105; Rigaud, account of Harriot's astron. papers Oxf. 1833 p. 37; Brewster, Martyrs of Science 1846 p. 32.) Die frühesten Original-Beobachtungen der Jupiterstrabanten, die Galilei und sein Schüler Renieri angestellt haben, sind erst vor zwei Jahren aufgefunden worden. Dieser hatte den Jupiterstrabanten den Namen Sidera Brandenburgica zugedacht; Galilei schlug die Namen Sidera Cosmica oder Medicea vor, von denen in Florenz der letztere am Hofe mehr Beifall fand. Die collectiven Namen genügten aber nicht dem schmeichlerischen Sinne. Statt die Monde, wie wir jetzt thun, durch Zahlen zu bezeichnen, nannte sie Marius: Io, Europa, Ganymed und Callisto; durch Galilei's Nomenclatur traten an die Stelle dieser mythologischen Wesen die Familiennamen des mediceischen Herrscherhauses: Catharina, Maria, Cosimo der ältere und Cosimo der jüngere.
Die Bekanntschaft mit dem Satelliten-System des Jupiter und die mit den Phasen der Venus haben den wesentlichsten Einfluß auf die Befestigung und Verbreitung des copernicanischen Systemes gehabt. Die kleine Jupiterswelt (Mundus Jovialis) bot dem geistigen Blicke ein vollkommenes Bild des großen Planeten- und Sonnensystems dar. Man erkannte, daß die Nebenplaneten den von Kepler entdeckten Gesetzen gehorchen; am frühesten, daß die Quadrate der Umlaufszeiten sich verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernungen der Satelliten vom Hauptplaneten. Deshalb ruft Kepler, in der Harmonice Mundi, in dem festen Vertrauen und der Sicherheit, welche »einem deutschen Manne« die philosophische Freimüthigkeit einflößt, den 358 Stimmführenden jenseits der Alpen zu: »achtzig JahreEs sollte heißen 73 Jahre: denn das Verbot des copernicanischen Systems durch die Congregation des Index war vom 5 März 1616. sind verflossen, in denen des Copernicus Lehre von der Bewegung der Erde und von der Ruhe der Sonne ungehindert gelesen wurde, weil man für erlaubt hielt über natürliche Dinge zu disputiren und die Werke Gottes zu beleuchten; und jetzt da neue Documente zum Beweis der Lehre aufgefunden sind: Documente, welche den (geistlichen) Richtern unbekannt waren, wird die Verbreitung des wahren Systems vom Weltbau bei Euch verpönt!« Diese Verpönung, Folge des alten Kampfes der Naturwissenschaft mit der Kirche, hatte schon früh Kepler selbst in dem protestantischen Deutschland erfahren.Frhr. von Breitschwert, Keppler's Leben S. 36.
Für die Geschichte der Astronomie, ja für die Schicksale ihrer BegründungSir John Herschel, Astron. § 465., bezeichnet die Entdeckung der Jupiterstrabanten eine ewig denkwürdige Epoche. Die Verfinsterungen der Trabanten, ihr Eintritt in den Schatten Jupiters haben auf die Geschwindigkeit des Lichts (1675) und durch die Kenntniß dieser Geschwindigkeit zur Erklärung der Aberrations-Ellipse der Fixsterne (1727) geleitet, in der sich gleichsam am Himmelsgewölbe die große Bahn der Erde in ihrem jährlichen Laufe um die Sonne abspiegelt. Man hat diese Entdeckungen Römer's und Bradley's mit Recht »den Schlußstein des copernicanischen Systems«, den sinnlichen Beweis von der translatorischen Bewegung der Erde genannt.
Auch die Wichtigkeit, welche die Verfinsterungen der Jupiterstrabanten für die geographischen Längen-Bestimmungen auf dem festen Lande darbieten, wurde von Galilei früh (Sept. 1612) erkannt. Er schlug diese Längen-Methode erst dem spanischen Hofe (1616), später den Generalstaaten 359 von Holland, und zwar für das Seewesen, vorGalilei, Opere T. II. (Longitudine per via de' Pianeti Medicei) p. 435–506; Nelli, Vita p. 656–688; Venturi, Memorie e Lettere di G. Galilei P. I. p. 177. Schon 1612, also kaum zwei Jahre nach der Entdeckung der Jupiterstrabanten, rühmte sich Galilei, wohl etwas voreilig, die Tafeln dieser Nebenplaneten »mit der Sicherheit einer Zeitminute« vollendet zu haben. Eine lange diplomatische Correspondenz begann, ohne zum Ziel zu führen, mit dem spanischen Gesandten 1616, mit dem holländischen 1636. Die Fernröhre sollten 40- bis 50malige Vergrößerung haben. Um die Satelliten auf dem schwankenden Schiffe leichter zu finden und besser (wie er wähnte) im Felde zu behalten, erfand er 1617 (Nelli Vol. II. p. 663) das Binocular-Telescop: das gewöhnlich dem, in optischen Dingen sehr erfahrenen und nach Fernröhren von 4000maliger Vergrößerung strebenden Capuciner Schyrleus de Rheita zugeschrieben wird. Galilei machte Versuche mit seinem binoculo (auch von ihm celatone oder testiera genannt) im Hafen von Livorno bei heftigem, das Schiff stark bewegendem Winde. Auch ließ er im Arsenal zu Pisa an einer Vorrichtung arbeiten, in welcher der Beobachter der Trabanten dadurch »vor allen Schwankungen« geschützt werden sollte, daß er in einer Art Kahn säße, der in einem anderen, mit Wasser oder Oel gefüllten Kahne frei schwämme. (Lettera al Picchena de' 22 Marzo 1617: Nelli, Vita Vol. I. p. 281; Galilei, Opere T. II. p. 473: lettera a Lorenzo Realio del 5 Giugno 1637) Sehr merkwürdig ist der Beweis der Vorzüge, welche Galilei (Opere T. II. p. 454) seiner Methode im Seedienste vor der Methode der Monddistanzen von Morin zuschreibt.: wenig bekannt, wie es scheint, mit den unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche die praktische Anwendung der Methode auf dem vielbewegten Elemente findet. Er wollte mit hundert von ihm anzufertigenden Fernröhren selbst nach Spanien gehen oder seinen Sohn Vicenzio dahin schicken. Er verlangt als Belohnung »una Croce di S. Jago« und ein Jahrgehalt von 4000 Scudi; eine geringe Summe, sagt er, da man ihm anfangs im Hause des Cardinals Borgia zu 6000 Ducaten Renten Hoffnung gemacht.
Auf die Entdeckung der Nebenplaneten des Jupiter folgte bald die Beobachtung der sogenannten Dreigestaltung des Saturn, planeta tergeminus. Schon im November 1610 meldete Galilei an Kepler, daß »der Saturn aus drei Sternen bestehe, die sich gegenseitig berühren«. In dieser Beobachtung lag der Keim zur Entdeckung des Saturnringes. Hevelius beschrieb (1656) das Veränderliche dieser Gestaltung, die ungleiche Oeffnung der Ansen (Henkel) und ihr zuweilen eintreffendes gänzliches Verschwinden. Das Verdienst alle Erscheinungen des einigen Saturnringes wissenschaftlich erklärt zu haben gehört aber (1655) dem scharfsinnigen Huygens: der nach der mißtrauischen Sitte der Zeit seine Entdeckung, wie Galilei, in ein Anagramm und zwar von 88 Buchstaben einhüllte. Erst Dominicus Cassini sah den schwarzen Streifen am Ringe und erkannte (1684), daß er sich (wenigstens) in zwei concentrische Ringe theile. Ich fasse zusammen, was Ein Jahrhundert über die wunderbarste, ungeahndetste aller Gestaltungen in den himmlischen Räumen gelehrt hat: über eine Gestaltung, die auf scharfsinnige Vermuthungen über 360 die ursprüngliche Bildung von Neben- und Hauptplaneten hat leiten können.
Die Sonnenflecken sind zuerst durch Fernröhre von Johann Fabricius, dem Ostfriesen, und von Galilei (man behauptet: zu Padua oder Venedig) beobachtet worden; in der Veröffentlichung der Entdeckung ist unbestreitbar Fabricius (Junius 1611) dem Galilei (erster Brief an den Bürgermeister Marcus Welser vom 4 Mai 1612) um ein Jahr zuvorgekommen. Die ersten Beobachtungen des Fabricius sind nach Arago's sorgfältiger UntersuchungArago im Annuaire für 1842 p. 460–476 (découvertes des taches Solaires et de la rotation du Soleil). Brewster (Martyrs of Sciences p. 36 und 39) setzt die erste Beobachtung Galilei's in den Oct. oder Nov. 1610. Vergl. Nelli, Vita Vol. I. p. 324–384; Galilei, Opere T. I. p. LIX, T. II. p. 85–200, T. IV. p. 53. Ueber Harriot's Beobachtungen s. Rigaud p. 32 und 38. Dem Jesuiten Scheiner, der von Gratz nach Rom berufen wurde, hat man Schuld gegeben, daß er, um sich wegen des litterarischen Streits über die Entdeckung der Sonnenflecken an Galilei zu rächen, dem Pabst Urban VIII durch einen anderen Jesuiten, Grassi, habe einflüstern lassen: er, der Pabst, sei in den berühmten Dialoghi delle Scienze Nuove in der Person des albern unwissenden Simplicio aufgeführt. (Nelli Vol. II. p. 515.) vom März 1611, nach Sir David Brewster sogar von dem Ende des Jahres 1610: wenn Christoph Scheiner die seinigen selbst nur bis April 1611 zurückführt und wahrscheinlich sich erst im October desselben Jahres ernsthaft mit den Sonnenflecken beschäftigte. Ueber Galilei besitzen wir nur sehr dunkle und von einander abweichende Angaben. Wahrscheinlich erkannte er die Sonnenflecken im April 1611; denn er zeigte sie öffentlich zu Rom im Garten des Cardinals Bandini am Quirinal im April und Mai desselben Jahres. Harriot, welchem Baron Zach die Entdeckung der Sonnenflecken (am 16 Januar 1610!) zuschreibt, sah allerdings schon drei derselben den 8 Dec. 1610 und bildete ihre Lage in einem Register der Beobachtungen ab; er wußte aber nicht, daß er Sonnenflecken gesehen: so wenig als Flamsteed am 23 Dec. 1690 oder Tobias Mayer am 25 Sept. 1756 den Uranus als Planeten erkannten, als er durch ihr Fernrohr ging. Harriot erkennt die Sonnenflecken erst den 1 Dec. 1611, also 5 Monate nachdem Fabricius die Entdeckung veröffentlicht hatte. Galilei bemerkt schon, daß die Sonnenflecken: »von denen viele größer als das mittelländische 361 Meer, ja als Afrika und Asien sind«, eine bestimmte Zone auf der Sonnenscheibe einnehmen. Er sieht bisweilen denselben Flecken wiederkehren: er ist überzeugt, daß sie zu dem Sonnenkörper selbst gehören. Die Unterschiede der Dimensionen im Centrum der Sonne und bei dem Verschwinden am Rande fesseln besonders seine Aufmerksamkeit; doch finde ich in dem merkwürdigen zweiten Briefe an Marcus Welser (vom 14 Aug. 1612) nichts, das sich auf eine beobachtete Ungleichheit des aschfarbenen Randes zu beiden Seiten des schwarzen Kernes am Sonnenrande (Alexander Wilson's schöne Bemerkung von 1773!) deuten ließe. Von dem Canonicus Tarde (1620) und von Malapertus (1633) wurden alle Verdunkelungen der Sonne kleinen um dieselbe circulirenden, lichtraubenden Weltkörpern zugeschrieben, den bourbonischen und österreichischenDelambre, Hist. de l'Astronomie moderne T. I. p. 690. Gestirnen (Borbonia und Austriaca Sidera). Fabricius erkannte, wie Galilei, daß die Flecken dem SonnenkörperIn Galilei's Briefe an den Principe Cesi (25 Mai 1612) ist dieselbe Meinung ausgedrückt; Venturi P. I. p. 172. selbst angehören; auch er sah früher gesehene verschwinden und dann wiederkehren; solche Erscheinungen lehrten ihn die Rotation der Sonne, die Kepler schon vor Entdeckung der Sonnenflecken geahndet hat. Die genauesten Bestimmungen (1630) der Rotations-Dauer sind aber von dem fleißigen Scheiner. Wenn in der neuesten Zeit das stärkste Licht, welches die Menschen bisher hervorgebracht, das Drummond'sche Erglühen des Kalkes, auf die Sonnenscheibe projicirt, tintenartig schwarz erschienen ist; so darf es nicht Wunder nehmen, daß Galilei, der zweifelsohne die großen Sonnenfackeln zuerst beschrieben hat, das Licht des Kernes der Sonnenflecken für intensiver hielt als das des Vollmondes oder der Luft nahe um die Sonnenscheibe.S. geistreiche Betrachtungen Arago's über diesen Gegenstand im Annuaire pour l'an 1842 p. 481–488. (Der Versuche mit dem Drummond'schen auf die Sonnenscheibe projicirten Lichte erwähnt Sir John Herschel in der Astron. § 334.) Phantasien über die 362 mehrfachen Luft-, Wolken- und Lichthüllen, welche den (schwarzen) erdhaften Kern der Sonne umgeben, finden sich schon in den Schriften des Cardinals Nicolaus von Cusa aus der Mitte des 15ten Jahrhunderts.Giordano Bruno und Nic. von Cusa verglichen von J. Clemens 1847 S. 101. – Ueber die Lichtgestalten der Venus s. Galilei, Opere T. II. p. 53 und Nelli, Vita Vol. I. p. 213–215.
Um den Cyclus der bewundernswürdigen Entdeckungen zu schließen, welcher kaum zwei Jahre umfaßt und in welchem des großen, unsterblichen Florentiners Name vorleuchtet, muß ich noch der Lichtgestalten der Venus erwähnen. Schon im Februar 1610 sah Galilei den Planeten sichelförmig: und verbarg (11 Dec. 1610), nach einer Sitte, deren wir bereits oben erwähnt, die wichtige Entdeckung in ein Anagramm, dessen Kepler in der Vorrede zu seiner Dioptrik gedenkt. Auch von der wechselnden Lichtgestalt des Mars glaubt er etwas trotz der schwachen Vergrößerung seiner Fernröhre zu erkennen, wie er in einem Briefe an Benedetto Castelli (30 Dec. 1610) sagt. Die Entdeckung der mondartigen Sichelgestalt der Venus war der Triumph des copernicanischen Systems. Dem Urheber dieses Systems konnte gewiß die Nothwendigkeit der Existenz der Phasen nicht entgehen; er discutirt umständlich in dem 10ten Capitel des ersten Buchs die Zweifel, welche in Hinsicht der Lichtgestalten die neueren Anhänger platonischer Meinungen gegen den ptolemäischen Weltbau erheben. Bei der Entwickelung seines eigenen Systems spricht er sich aber nicht besonders über die Phasen der Venus aus, wie Thomas Smith es in seiner Optik behauptet.
Die Erweiterungen des kosmischen Wissens, deren Schilderung leider! nicht ganz von dem unheimlichen Hader über Prioritätsrecht der Entdeckungen zu trennen ist, fanden, wie alles, was die physische Astronomie berührt, 363 einen um so allgemeineren Anklang, als die Erfindung der Fernröhre (1608) in eine Zeit fiel, in welcher: 36, 8 und 4 Jahre zuvor, große Himmelsbegebenheiten (das plötzliche Erscheinen und Verlöschen dreier neuer Sterne: in der Cassiopea 1572, im Schwan 1600 und am Fuß des Ophiuchus 1604) das Zusammenlaufen von erstaunten Volksmassen erregt hatten. Alle diese Sterne waren heller als Sterne erster Größe, und der von Kepler beobachtete im Schwan blieb 21 Jahre leuchtend am Himmelsgewölbe die ganze Periode der Galilei'schen Entdeckungen hindurch. Drei und ein halbes Jahrhundert sind nun fast verflossen, und kein neuer Stern erster oder zweiter Größe ist seitdem erschienen; denn die merkwürdige Himmelsbegebenheit, deren Zeuge Sir John Herschel (1837) in der südlichen HalbkugelVergl. Kosmos Bd. I. S. 160 und 416 [Anm. 120]. war, ist die übergroße Zunahme der Licht-Intensität eines längst gesehenen Sternes zweiter Größe (η Argo), den man bisher nicht als veränderlich gekannt. Wie mächtig das Erscheinen neuer Sterne zwischen 1572 und 1604 die Neugierde gefesselt, den Antheil an astronomischen Entdeckungen vermehrt, ja zu phantasiereichen Combinationen angeregt hat: lehren Kepler's Schriften; lehrt alles, was wir erfahren, wenn dem bloßen Auge sichtbare Cometen auftreten. Auch irdische Naturbegebenheiten: wie Erdbeben in Gegenden, wo dieselben sehr selten gespürt worden sind, Ausbrüche lang ruhender Vulkane, das Geräusch der Aërolithen, die unsere Atmosphäre durchstreichen und sich in derselben erhitzen; beleben auf eine gewisse Zeit von neuem das Interesse für Probleme, die dem Volke noch ungelöster als den dogmatisirenden Physikern erscheinen.
Wenn ich in diesen Betrachtungen über den Einfluß 364 der unmittelbaren Sinnesanschauung Kepler vorzugsweise genannt habe, so war es, um daran zu erinnern: wie sich in diesem großen, herrlich begabten und wunderbaren Manne jener Hang zu phantasiereichen Combinationen mit einem ausgezeichneten Beobachtungstalente und einer ernsten, strengen Inductionsmethode: mit einer muthigen, fast beispiellosen Beharrlichkeit im Rechnen: mit einem mathematischen Tiefsinne vereinigt fand, der, in der Stereometria doliorum offenbart, auf Fermat und durch diesen auf die Erfindung der Rechnung des Unendlichen einen glücklichen Einfluß ausgeübt hat.Laplace sagt von Kepler's Theorie der Ausmessung der Fässer (Stereometria doliorum 1615), »welche wie die Sandrechnung des Archimedes über einen geringen Gegenstand erhabene Ideen entwickelt«: »Kepler présente dans cet ouvrage des vues sur l'infini qui ont influé sur la révolution que la Géométrie a éprouvée à la fin du 17me siècle; et Fermat, que l'on doit regarder comme le véritable inventeur du calcul différentiel, a fondé sur elles sa belle méthode de maximis et minimis.« (Précis de l'hist. de l'Astronomie 1821 p. 95.) Ueber den geometrischen Scharfsinn, welchen Kepler in den fünf Büchern seiner Weltharmonie offenbart, s. Chasles, aperçu hist. des Méthodes en Géometrie 1837 p. 482–487. Ein solcher GeistSir David Brewster sagt sehr schön in dem account of Kepler's Method of investigating Truth: »The influence of imagination as an instrument of research has been much overlooked by those who have ventured to give laws to philosophy. This faculty is of greatest value in physical inquiries. If we use it as a guide and confide in its indications, it will infallibly deceive us; but if we employ it as an auxiliary, it will afford us the most invaluable aid.« (Martyrs of Science p. 215) war recht vorzugsweise vor allen dazu geeignet, durch den Reichthum und die Beweglichkeit seiner Ideen, ja durch die Wagnisse cosmologischer Ahndungen Leben um sich her zu verbreiten; die Bewegung zu vermehren, welche das siebzehnte Jahrhundert unaufhaltsam seinem erhabenen Ziele erweiterter Weltanschauung zuführte.
Die vielen dem Auge sichtbaren Cometen von 1577 an bis zu der Erscheinung des Halley'schen Cometen 1607 (acht an der Zahl) und das bereits oben erwähnte Erscheinen von drei neuen Sternen fast in derselben Periode regten zu Speculationen über die Entstehung dieser Weltkörper aus einem die Himmelsräume füllenden kosmischen Nebel und Weltdunste an. Kepler glaubte, wie Tycho, daß die neuen Sterne sich aus diesem Weltdunste zusammengeballt und daß sie sich in ihn wieder auflösen.Arago im Annuaire 1842 p. 434 (de la transformation des Nébuleuses et de la matière diffuse en étoiles). Vergl. Kosmos Bd. I. S. 148 und 158. Auch die Cometen: denen er, vor der thatsächlichen Ergründung der elliptischen Bahn der Planeten, eine geradlinige, nicht in sich wiederkehrende und geschlossene Bahn zuschrieb, ließ er (1608) in seinem neuen und seltsamen Discurse 365 über die Haarsterne »aus himmlischer Luft« entstehen. Er setzte sogar nach uralten Phantasien über die mutterlose Erzeugung hinzu: daß Cometen entstehen, »wie aus jeder Erde ein Kraut auch ohne Saamen wachse und wie aus dem Salzwasser Fische durch generatio spontanea erzeugt werden.«
Glücklicher in anderen kosmischen Ahndungen, wagte Kepler folgende Sätze aufzustellen: alle Fixsterne sind Sonnen wie die unsrige, von Planetensystemen umgeben; unsere Sonne ist in eine Atmosphäre gehüllt, die sich als eine weiße Lichtkrone in den totalen Sonnenfinsternissen offenbart; unsere Sonne liegt in der großen Welteninsel so, daß sie das Centrum des zusammengedrängten Sternenringes der MilchstraßeVergl. die Ideen von Sir John Herschel über die Lage unseres Planetensystems im Kosmos Bd. I. S. 157 und 415 [Anm. 112–113]; auch Struve, études d'Astronomie stellaire 1847 p. 4. bildet; sie selbst: deren Flecken damals noch nicht entdeckt waren, alle Planeten und alle Fixsterne haben eine Rotation um ihre Achsen; um Saturn (und um Mars) wird man Trabanten, wie die von Galilei um den Jupiter aufgefundenen, entdecken: in dem viel zu großen AbstandApelt sagt (Epochen der Geschichte der Menschheit Bd. I. 1845 S. 223): »Das merkwürdige Gesetz der Abstände, das gewöhnlich den Namen von Bode (oder von Titius) führt, ist die Entdeckung Kepler's: der es zuerst durch vieljährigen anhaltenden Fleiß aus den Beobachtungen des Tycho de Brahe herausrechnete.« S. Harmonices Mundi libri quinque cap. 3. Vergl. auch Cournot in seinen Zusätzen zu Sir John Herschel, traité d'Astronomie 1834 § 434 p. 324 und Fries, Vorlesungen über die Sternkunde 1813 S. 325 (Gesetz der Abstände in den Nebenplaneten). Die Stellen des Plato, des Plinius, des Censorinus und des Achilles Tatius in den Prolegomenen zum Aratus sind sorgfältig gesammelt in Fries, Geschichte der Philosophie Bd. I. 1837 S. 146–150; in Martin, études sur le Timée T. II. p. 38; in Brandis, Geschichte der Griechisch-Römischen Philosophie Th. II. Abth. 1. 1844 S. 364. zwischen Mars und Jupiter, wo wir jetzt 7 Asteroiden kennen, (wie zwischen Venus und Merkur) bewegen sich, ihrer Kleinheit wegen dem bloßen Auge unsichtbare Planeten. Ahndungsvolle Aussprüche dieser Art, ein glückliches Errathen von dem, was großentheils später aufgefunden wurde, erregten ein allgemeines Interesse: während daß keiner von Kepler's Zeitgenossen, Galilei selbst nicht ausgenommen, der Entdeckung der drei Gesetze mit gerechtem Ruhme erwähnt, welche seit Newton und der Erscheinung der Gravitations-Theorie Kepler's Namen auf ewig verherrlichenDelambre, Hist. de l'Astronomie moderne T. I. p. 360.. Kosmische Betrachtungen: selbst die, welche nicht auf Beobachtungen, sondern auf schwache Analogien gegründet sind, 366 fesselten damals, wie oft noch jetzt, die Aufmerksamkeit mehr als die wichtigsten Ergebnisse der rechnenden Astronomie.
Nachdem ich die wichtigen Entdeckungen geschildert, die in einem so kleinen Cyclus von Jahren die Kenntniß der Welträume erweitert haben, muß ich noch der Fortschritte in der physischen Astronomie gedenken, durch welche sich die zweite Hälfte des großen Jahrhunderts auszeichnet. Die Vervollkommnung der Fernröhre veranlaßte die Auffindung der Saturnstrabanten. Huygens entdeckte zuerst (25 März 1655) den sechsten durch ein von ihm selbst geschliffenes Objectiv, 45 Jahre nach der Entdeckung der Jupiterstrabanten. Nach dem Vorurtheil, welches er mit mehreren Astronomen seiner Zeit theilte, daß die Zahl der Nebenplaneten die der Hauptplaneten nicht übertreffen könneArago im Annuaire für 1842 p. 560–564 (Kosmos Bd. I. S. 102)., bemühte er sich nicht andere Saturnsmonde zu entdecken. Vier derselben, Sidera Lodovicea: d. i. den 7ten äußersten, mit großer Licht-Abwechselung (1671), den 5ten (1672), den 4ten und 3ten, durch Campani'sche Objective von 100–136 Fuß Focallänge (1684): fand Dominicus Cassini; die zwei innersten, den 1ten und 2ten, mehr als ein Jahrhundert später (1788 und 1789) durch sein Riesentelescop Wilhelm Herschel. Der letztgenannte Saturnmond bietet die merkwürdige Erscheinung eines Umlaufs um den Hauptplaneten von weniger als einem Tage dar.
Bald nach Huygens Entdeckung eines Saturnstrabanten beobachtete Childrey (1658–1661) das Thierkreislicht: dessen räumliche Verhältnisse aber erst Dominicus Cassini (1683) bestimmt hat. Der Letztere hielt dasselbe nicht für einen Theil der Sonnen-Atmosphäre, sondern wie Schubert, Laplace und Poisson für einen abgesondert 367 kreisenden Nebelring.Vergl. Kosmos Bd. I. S. 142–148 und 412 [Anm. 96]. Nächst der erwiesenen Existenz von Nebenplaneten und von dem freien und dazu concentrisch getheilten Saturnsringe gehört unstreitig die muthmaßliche, wahrscheinliche Existenz des dunstartigen Thierkreisringes zu den großartigsten Erweiterungen der Ansicht des, früher so einfach scheinenden Planetensystems. In unseren Tagen haben die in einander geschlungenen Bahnen der kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter, die inneren Cometen: deren ersten Encke als solchen erwiesen, und die an bestimmte Tage geknüpften Sternschnuppenschwärme (wenn man sie anders als kleine, mit planetarischer Geschwindigkeit sich bewegende, kosmische Massen betrachten darf) jene Weltansichten wie mit neuen Objecten der Betrachtung in wundersamer Mannigfaltigkeit bereichert.
Auch die Ideen über den Inhalt der Welträume jenseits des äußersten Planetenkreises und jenseits aller Cometenbahnen, über die Vertheilung der Materie (des Geschaffenen, wie man das Seiende und Werdende zu nennen pflegt) wurden in dem Zeitalter von Kepler und Galilei großartig erweitert. In derselben Periode, in welcher (1572–1604) drei neue Sterne erster Größe in der Cassiopea, im Schwan und im Schlangenträger aufloderten, bemerkten David Fabricius, Pfarrer zu Ostell in Ostfriesland (Vater des Entdeckers der Sonnenflecken), (1596) und Johann Bayer zu Augsburg (1603) am Halse des Wallfisches einen wieder verschwindenden Stern: dessen veränderlichen Lichtwechsel aber, wie Arago in einer für die Geschichte astronomischer Entdeckungen wichtigen AbhandlungAnnuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1842 p. 312–353 (Étoiles changeantes ou périodiques). Noch im 17ten Jahrhundert wurden als veränderlich erkannt, außer Mira Ceti (Holwarda 1638): α Hydrae (Montanari 1672), β Persei oder Algol, und χ Cygni (Kirch 1686). – Ueber das, was Galilei Nebelflecke nennt, s. dessen Opere T. II. p. 14 und Nelli, Vita Vol. II. p. 208. Huygens bezeichnet im Systema Saturnium den Nebel im Schwerdt des Orion auf das deutlichste, indem er im allgemeinen von dem Nebelflecke sagt: »cui certe simile aliud nusquam apud reliquas fixas potui animadvertere. Nam ceterae nebulosae olim existimatae atque ipsa via lactea, perspicillis inspectae, nullas nebulas habere comperiuntur, neque aliud esse quam plurium stellarum congeries et frequentia.« Es geht aus dieser Stelle hervor, daß der von Marius zuerst beschriebene Nebel in der Andromeda von Huygens (wie früher von Galilei) nicht aufmerksam betrachtet worden war. gezeigt hat, erst Johann Phocylides Holwarda, Professor in 368 Franeker, (1638 und 1639) erkannt hat. Das Phänomen zeigte sich nicht isolirt. Noch in der letzten Hälfte des 17ten Jahrhunderts wurden periodisch veränderliche Sterne im Medusenhaupte, in der Wasserschlange und im Schwane entdeckt. Wie genaue Beobachtungen des Lichtwechsels des Algol unmittelbar zur Bestimmung der Geschwindigkeit des Lichts dieses Sternes führen können, ist in der eben angeführten Abhandlung von 1842 mit vielem Scharfsinn gezeigt worden.
Der Gebrauch des Fernrohrs reizte nun auch zu der ernsteren Beobachtung einer Classe von Erscheinungen, von denen einige wenige auch dem unbewaffneten Auge nicht entgehen konnten. Simon Marius beschrieb (1612) den Nebelfleck der Andromeda, Huygens entwarf (1656) das Bild von dem am Schwerdt des Orion. Beide Nebel konnten als Typen dienen von einer verschiedenartig, mehr oder weniger fortgeschrittenen Verdichtung der dunstförmigen kosmischen Materie. Indem Marius den Nebelfleck der Andromeda mit »einem Kerzenlichte« vergleicht, »das man durch einen halb durchsichtigen Körper betrachtet: bezeichnet er durch diese Vergleichung sehr passend den Unterschied zwischen den Nebelflecken überhaupt und den von Galilei untersuchten Sternhaufen und Sternschwärmen, den Plejaden und der Krippe im Krebse. Schon im Anfange des 16ten Jahrhunderts hatten spanische und portugiesische Seefahrer, ohne den Vortheil des telescopischen Sehens, die beiden Magellanischen um den Südpol kreisenden Lichtwolken bewundert: deren eine, wie schon oben bemerkt, der weiße Fleck oder Ochse des persischen Astronomen Abdurrahman Sufi (aus der Mitte des zehnten Jahrhunderts) 369 ist. Galilei gebraucht im Nuncius Sidereus die Benennungen Stellae nebulosae und Nebulosae eigentlich für Sternschwärme, die (wie er sich ausdrückt) als areolae sparsim per aethera subfulgent. Da er den, dem bloßen Auge sichtbaren, aber für die stärksten Vergrößerungen bisher sternlosen Nebelfleck der Andromeda keiner besonderen Aufmerksamkeit gewürdigt hat; so hält er allen Schein des Nebels, alle seine Nebulosae, wie die Milchstraße selbst, für Lichtmassen sehr zusammengedrängter Sterne. Er unterscheidet nicht Nebel und Stern, wie Huygens im Nebelfleck des Orion thut. Das sind die schwachen Anfänge der großen Arbeiten über die Nebelflecke, welche die ersten Astronomen unserer Zeit in beiden Hemisphären rühmlichst beschäftigt haben.
Wenn auch das siebzehnte Jahrhundert in seinem Anfang der plötzlichen Erweiterung der Kenntniß der Himmelsräume durch Galilei und Kepler, an seinem Ende den Fortschritten des reinen mathematischen Wissens durch Newton und Leibnitz seinen Hauptglanz verdankt; so hat doch zugleich auch der größte Theil der physikalischen Probleme, welche uns gegenwärtig beschäftigen, in jenem Jahrhundert eine wohlthätige und befruchtende Pflege erfahren. Um der Geschichte der Weltanschauung nichts von ihrem eigenthümlichen Charakter zu rauben, beschränke ich mich, nur die Arbeiten zu erwähnen, welche unmittelbar einen wesentlichen Einfluß auf allgemeine, d. h. kosmische Natur-Ansichten ausgeübt haben. Für die Processe des Lichts, der Wärme und des Magnetismus nennen wir zuerst Huygens, Galilei und Gilbert. Als Huygens mit der doppelten Brechung des Lichts im isländischen Krystall, d. h. 370 mit der Zerspaltung in zwei Lichtstrahlen, beschäftigt war, entdeckte er (1678) auch die Art der Polarisation des Lichtes, welche seinen Namen führt. Der Entdeckung dieser vereinzelten Erscheinung, welche erst 1690, also fünf Jahre vor seinem Tode, veröffentlicht wurde, sind die großen Entdeckungen von Malus, Arago und Fresnel, von BrewsterUeber das von Brewster aufgefundene wichtige Gesetz des Zusammenhanges zwischen dem Winkel der vollständigen Polarisation und dem Brechungsvermögen der Körper s. Philosophical Transactions of the Roayl Society for the year 1815 p. 125–159. und Biot erst nach mehr als einem Jahrhunderte gefolgt! Malus fand (1808) die Polarisation durch Zurückwerfung von spiegelnden Flächen, Arago (1811) die farbige Polarisation. Eine Wunderwelt mannigfach modificirter, mit neuen Eigenschaften begabter Lichtwellen ward nun eröffnet. Ein Lichtstrahl, der viele Millionen Meilen weit aus den fernsten Himmelsräumen zu unserem Auge gelangt, verkündigt in Arago's Polariscop gleichsam von selbst, ob er reflectirt oder gebrochen sei; ob er von einem festen, oder tropfbar flüssigen, oder gasförmigen Körper emanirt;S. Kosmos Bd. I. S. 35 und 48 [Anm. 16]. er verkündigt sogar den Grad seiner Intensität. Auf diesem Wege, der uns zu dem siebzehnten Jahrhundert durch Huygens zurückführt, werden wir über die Constitution des Sonnenkörpers und seiner Hüllen, über das reflectirte oder eigene Licht der Cometenschweife und des Thierkreislichtes, über die optischen Eigenschaften unserer Atmosphäre und die Lage von vier neutralen Punkten der PolarisationSir David Brewster in Berghaus und Johnson, Physical Atlas 1847 Part VII. p. 5 (Polarization of the Atmosphere). unterrichtet: welche Arago, Babinet und Brewster entdeckt haben. So schafft sich der Mensch Organe, die, mit Scharfsinn angewandt, neue Weltansichten eröffnen.
Neben der Polarisation des Lichtes ist noch der auffallendsten aller optischen Erscheinungen, der Interferenz, zu erwähnen: von welcher ebenfalls im 17ten Jahrhundert schon schwache Spuren ohne Verständniß der ursächlichen 371 BedingungenUeber Grimaldi und über Hooke's Versuch das Polarisiren der Seifenblasen durch Interferenz der Lichtstrahlen zu erklären s. Arago im Annuaire pour 1831 p. 164 (Brewster, Life of Newton p. 53). von Grimaldi (1665) und Hooke beobachtet worden waren. Die Auffindung dieser Bedingungen; die klare Erkenntniß der Gesetze, nach denen (unpolarisirte) Lichtstrahlen sich zerstören und Finsterniß hervorbringen, wenn sie aus einer und derselben Quelle mit verschiedener Länge des Weges kommen: verdankt die neuere Zeit dem glücklichen Scharfblicke von Thomas Young. Die Gesetze der Interferenz des polarisirten Lichtes haben Arago und Fresnel (1816) entdeckt. Die von Huygens und Hooke angeregte, von Leonhard Euler vertheidigte Undulations-Theorie fand endlich festen und sicheren Grund.
War die letzte Hälfte des 17ten Jahrhunderts durch die erlangte Einsicht in die Natur der doppelten Strahlenbrechung für die Erweiterung des optischen Wissens wichtig geworden, so hat sie einen weit höheren Glanz noch durch Newton's Experimental-Arbeiten und durch Olaus Römer's Entdeckung (1675) der meßbaren Geschwindigkeit des Lichts gewonnen. Ein halbes Jahrhundert später (1728) hat diese Entdeckung Bradley in den Stand gesetzt die von ihm aufgefundene Veränderung des scheinbaren Orts der Sterne als eine Folge der Bewegung der Erde in ihrer Bahn verbunden mit der Fortpflanzung des Lichts zu betrachten. Newton's herrliches Werk, seine Optik, erschien (1704) aus persönlichen Gründen erst zwei Jahre nach Hooke's Tode, in englischer Sprache; es wird aber versichert, daß der große Mann schon vor den Jahren 1666 und 1667 im BesitzBrewster, the life of Sir Isaac Newton p. 17. Für die Erfindung des method of fluxions: nach der officiellen Erklärung des Comité's der königl. Societät zu London vom 24 April 1712 »one and the same with the differential method, excepting the name and mode of notation«, wird das Jahr 1665 angenommen. Ueber den ganzen unheimlichen Prioritätsstreit mit Leibnitz, welchem (wundersam genug!) sogar Anschuldigungen gegen Newton's Rechtgläubigkeit eingemischt waren, s. Brewster p. 189–218. – Daß in dem weißen Lichte alle Farben enthalten sind, behaupteten schon de la Chambre in seinem Werke: la Lumière (Paris 1657); und Isaac Vossius, welcher später Canonicus in Windsor wurde, in einer merkwürdigen Schrift, deren Mittheilung ich vor zwei Jahren in Paris Herrn Arago verdankte: de Lucis natura et proprietate (Amstelod. 1662). Von dieser Schrift handeln Brandes in der neuen Bearbeitung von Gehler's physikalischem Wörterbuch Bd. IV (1827) S. 43 und sehr umständlich Wilde in seiner Gesch. der Optik Th. I. (1838) S. 223, 228 und 317. Als Grundstoff aller Farbe betrachtet aber Isaac Vossius den Schwefel, welcher nach ihm allen Körpern beigemischt ist (cap. 25 p. 60). – In Vossii responsum ad objecta Joh. de Bruyn, Professoris Trajectini, et Petri Petiti 1663 heißt es pag. 69: »Nec lumen ullum est absque calore, nec calor ullus absque lumine. Lux, sonus, anima(!), odor, vis magnetica, quamvis incorporea, sunt tamen aliquid.« (De Lucis nat. cap. 13 p. 29.) des Hauptsächlichsten seiner optischen Anschauungen, seiner Gravitations-Theorie und der Differential-Rechnung (method of fluxions) gewesen sei.
Um das gemeinsame Band nicht aufzulösen, welches 372 die allgemeinen primitiven Erscheinungen der Materie umschlingt, lassen wir hier auf die aphoristische Erwähnung der optischen Entdeckungen von Huygens, Grimaldi und Newton die Betrachtungen über Erd-Magnetismus und Wärme des Luftkreises folgen: in so fern beide Lehren im Laufe des Jahrhunderts begründet worden sind, dessen Schilderung wir hier unternommen haben. Das geistreichste und wichtigste Werk über die magnetischen und electrischen Kräfte, William Gilbert's Physiologia nova de Magnete, erschien in dem Jahre 1600. Ich habe Gelegenheit gehabt desselben schon mehrmals zu gedenken.Kosmos Bd. I. S. 427 [Anm. 141] und 429 [Anm. 144], Bd. II. S. 482 Anm. 875. Der von Galilei wegen seines Scharfsinnes so bewunderte MannUm so ungerechter gegen Gilbert war Bacon von Verulam: dessen allgemeine, im ganzen freie und methodische Ansichten von einem leider! selbst für seine Zeit recht geringen Wissen in Mathematik und Physik begleitet waren. »Bacon showed his inferior aptitude for physical research in rejecting the Copernican doctrine, which William Gilbert adopted.« Whewell, Philos. of ther inductive Sciences Vol. II. p. 378. ahndet vieles von dem, was wir jetzt wissen. Er hält Magnetisums und Electricität für zwei Emanationen der einigen aller Materie inwohnenden Grundkraft. Er behandelt daher beide zugleich. Solche dunkle auf Analogien gegründete Ahndungen über die Wirkung des heracleischen Magnetsteins auf das Eisen, und die Ziehkraft des, wie Plinius sagt, durch Wärme und Reibung beseelten Amber gegen dürre Spreu gehören allen Zeiten, ja allen Volksstämmen, der ionischen Naturphilosophie wie den chinesischen(S. 372.) Kosmos Bd. I. S. 194, und 435 Anm. 161 und 162. Physikern an. Dem William Gilbert ist die Erde selbst ein Magnet; und die Curven gleicher Abweichung und Neigung hangen in ihren Inflexionen von der Massenvertheilung oder Gestaltung der Continente, von der Form und Ausdehnung der tiefen dazwischen liegenden oceanischen Becken ab. Die periodische Veränderlichkeit, welche die drei Hauptformen der magnetischen Erscheinungen (die isoklinischen, isogonischen und isodynamischen) charakterisirt, ist mit diesem starren System der Kraft- und 373 Massenvertheilung schwer zu vereinigen, wenn man sich nicht die Ziehkraft der materiellen Theile durch ebenfalls periodische Temperatur-Veränderungen im Innern des Erdkörpers modificirt vorstellt.
In Gilbert's Theorie wird bloß, wie bei der Gravitation, die Quantität der materiellen Theile geschätzt, ohne auf die specifische Heterogeneität der Stoffe zu achten. Dieser Umstand hat seinem Werke, zu Galilei's und Kepler's Zeit, einen Charakter kosmischer Größe gegeben. Durch die unerwartete Entdeckung des Rotations-Magnetismus von Arago (1825) ist factisch bewiesen worden, daß alle Arten der Materie des Magnetismus fähig sind; die neuesten Arbeiten von Faraday über die diamagnetischen Substanzen bestätigen: unter besonderen Bedingnissen der Meridian- oder Aequatorial-Richtung, des festen, flüssigen oder gasförmig-unwirksamen Zustandes der Körper, jenes wichtige Resultat. Gilbert hatte einen so klaren Begriff von der Mittheilung der tellurischen Magnetkraft, daß er bereits den magnetischen Zustand von Eisenstangen am Kreuz alter KirchthürmeDie ersten Beobachtungen der Art waren (1590) an dem Thurm der Augustiner-Kirche zu Mantua angestellt. Grimaldi und Gassendi kannten ähnliche Beispiele: immer in geographischen Breitengraden, wo die Inclination der Magnetnadel sehr beträchtlich ist. – Ueber die ersten Messungen der magnetischen Intensität durch die Oscillation einer Nadel vergl. meine Relation hist. T. I. p. 260–264 und Kosmos Bd. I. S. 432–434 [Anm. 159]. dieser Einwirkung der Erde zuschrieb.
Die zunehmende Thätigkeit der Schifffahrt bis zu den höchsten Breiten und die Vervollkommnung der magnetischen Instrumente: denen sich schon seit 1576 die von Robert Norman aus Ratcliffe construirte Neigungs-Nadel (das Inclinatorium) beigesellt hatte, verallgemeinerten erst im Lauf des 17ten Jahrhunderts die Kenntniß von dem periodischen Fortschreiten eines Theils der magnetischen Curven, der Linien ohne Abweichung. Die Lage des magnetischen Aequators, den man lange mit dem 374 geographischen identisch glaubte, blieb ununtersucht. Inclinations-Beobachtungen wurden nur in einigen Hauptstädten des westlichen und südlichen Europa's angestellt; und die ebenfalls in Raum und Zeit veränderliche Intensität der magnetischen Erdkraft ist zwar von Graham zu London (1723) durch die Oscillationen einer Magnetnadel zu messen versucht worden, aber nach dem resultatlosen Unternehmen von Borda auf seiner letzten Reise nach den canarischen Inseln (1776) ist es erst Lamanon (1785) in la Pérouse's Expedition geglückt die Intensität in verschiedenen Erdzonen mit einander zu vergleichen.
Auf eine große Masse schon vorhandener Declinations-Beobachtungen von sehr ungleichem Werthe (Beobachtungen von Baffin, Hudson, James Hall und Schouten) gestützt, entwarf Edmund Halley 1683 seine Theorie von vier magnetischen Polen oder Convergenz-Punkten und von der periodischen Bewegung der magnetischen Linie ohne Abweichung. Um diese Theorie zu prüfen und mit Hülfe neuer und genauerer Beobachtungen zu vervollkommnen, ließ die englische Regierung ihn drei Reisen (1698–1702) in dem atlantischen Ocean auf einem Schiffe machen, das er selbst befehligte. Er gelangte auf einer dieser Seefahrten bis zu 52° südlicher Breite. Dies Unternehmen hat Epoche in der Geschichte des tellurischen Magnetismus gemacht. Eine allgemeine Variations-Karte: in der die Punkte, an welchen die Seefahrer die Abweichung von gleicher Größe gefunden hatten, durch krumme Linien verbunden sind, war die Frucht derselben. Nie vorher, glaube ich, hatte ein Gouvernement eine See-Expedition zu einem Zwecke angeordnet, von dessen Erreichung die praktische Nautik sich 375 zwar viel versprechen durfte, der aber doch recht eigentlich ein wissenschaftlicher, physiko-mathematischer genannt zu werden verdiente.
Da von einem aufmerksamen Forscher keine Erscheinung isolirt ergründet werden kann, ohne in ihrem Verhältniß zu einer anderen betrachtet zu werden; so wagte auch schon Halley, von seinen Reisen zurückgekehrt, die Vermuthung, daß das Nordlicht eine magnetische Erscheinung sei. Ich habe in dem allgemeinen Naturgemälde bemerkt, daß Faraday's glänzende Entdeckung (Lichtentwickelung durch magnetische Kräfte) jene 1714 ausgesprochene Hypothese zu einer empirischen Gewißheit erhoben hat.
Sollen aber die Gesetze des Erd-Magnetismus gründlich, d. h. in dem großen Cyclus des periodischen räumlichen Fortschreitens aller drei Arten von magnetischen Curven, erforscht werden, so ist es nicht genug den täglichen regelmäßigen oder gestörten Gang der Nadel in den magnetischen Stationen zu beobachten, die seit 1828 angefangen haben einen beträchtlichen Theil der Erdoberfläche in nördlichen und südlichen Breiten zu bedeckenKosmos Bd. I. S. 436–439 Anm. 166.; es müßte auch viermal in jedem Jahrhundert eine Expedition von drei Schiffen ausgesandt werden, welche möglichst gleichzeitig den Zustand des Magnetismus der Erde, so weit er sich auf ihrer mit Wasser bedeckten Oberfläche für uns meßbar offenbart, zu untersuchen hätten. Der magnetische Aequator: d. h. die Curve, auf welcher die Neigung null ist, müßte nicht bloß aus der geographischen Ortslänge ihrer Knoten (der Intersection mit dem geographischen Aequator) geschlossen werden; sondern, den Curs des Schiffes nach den Inclinations-Angaben perpetuirlich abändernd, müßte man 376 den dermaligen magnetischen Aequator nie verlassen. Land-Expeditionen wären mit diesem Unternehmen zu verbinden: um da, wo eine Ländermasse nicht ganz durchstrichen werden kann, genau zu bestimmen, an welchen Punkten des Littorals die magnetischen Curven (besonders die Linien ohne Abweichung) eintreten. Eine vorzügliche Aufmerksamkeit möchten in ihrer Bewegung und allmäligen Auflösung zwei isolirte geschlossene Systeme von eiförmiger Gestaltung mit fast concentrischen Abweichungs-Curven, im östlichen Asien und in der Südsee im Meridian der Marquesas-InselgruppeA. a. O. Bd. I. S. 189., verdienen. Seitdem die ruhmvolle antarctische Expedition von Sir James Clark Roß (1839–1843), mit vortrefflichen Instrumenten ausgerüstet, ein großes Licht über die südliche Erdhälfte bis zum Polar-Abstand verbreitet und empirisch den magnetischen Südpol bestimmt hat; seitdem es dem großen Mathematiker unseres Zeitalters, meinem verehrten Freunde Friedrich Gauß, gelungen ist die erste allgemeine Theorie des Erd-Magnetismus aufzustellen: darf man, bei so vielfachem Bedürfniß der Wissenschaft und der Schifffahrt, die Hoffnung nicht aufgeben, daß dieser so oft schon von mir angeregte Plan dereinst ausgeführt werde. Möge das Jahr 1850 als die erste normale Epoche bezeichnet werden können, in der die Materialien zu einer magnetischen Weltkarte gesammelt werden sollen! mögen permanente wissenschaftliche Institute (Akademien) es sich zum Gesetz machen, von 25 zu 25 Jahren ein die Fortschritte der Nautik begünstigendes Gouvernement an die Wichtigkeit des Unternehmens zu erinnern, dessen großer kosmischer Werth an eine lange Wiederholung geknüpft ist.
Die Erfindung wärmemessender Instrumente (Galilei's 377 ThermoscopeUeber die ältesten Thermometer s. Nelli, Vita e Commercio letterario di Galilei (Losanna 1793) Vol. I. p. 68–94; Opere di Galilei (Padova 1744) T. I. p. LV; Libri, histoire des Sciences mathématiques en Italie T. IV. (1841) p. 185–197. Als Zeugnisse für die ersten vergleichenden Temperatur-Beobachtungen können gelten die Briefe von Gianfrancesco Sagredo und Benedetto Castelli von 1613, 1616 und 1633 in Venturi, Memorie e Lettere inedite di Galilei P. I. 1818 p. 20. von 1593 und 1602 waren gleichzeitig von den Veränderungen der Temperatur und des äußeren Luftdruckes abhängig) regte zuerst den Gedanken an, durch eine Reihe zusammenhangender Beobachtungen, der Zeitfolge nach, die Modificationen des Luftkreises zu ergründen. Wir erfahren aus dem Diario der Academia del Cimento, welche in der kurzen Dauer ihrer Wirksamkeit einen so glücklichen Einfluß auf die Liebe zu planmäßigem Experimentiren ausgeübt hat, daß mit Alkohol-Thermometern, den unsrigen ähnlich, in vielen Stationen: zu Florenz im Kloster degli Angeli, in den Ebenen der Lombardei und den Gebirgen um Pistoja, ja in der Hochebene von Innsbruck, bereits seit 1641, fünfmal täglich Temperatur-Beobachtungen angestellt wurden.Vincenzio Antinori in den saggi di Naturali Esperienze fatte nell' Accademia del Cimento 1841 p. 30–44. Der Großherzog Ferdinand II beauftragte mit dieser Arbeit die Mönche mehrerer Klöster in seinen Staaten.S. über Bestimmung der Scale des Thermometers der Academia del Cimento und über die, 16 Jahre lang, von einem Schüler des Galilei, dem Pater Raineri, fortgesetzten meteorologischen Beobachtungen Libri in den Annales de Chimie et de Physique T. XLV. 1830 p. 354, und eine spätere ähnliche Arbeit von Schouw in seinem tableau du Climat et de la Végétation de l'Italie 1839 p. 99–106. Auch die Temperatur der Mineralquellen wurde damals bestimmt: was zu vielen Fragen über die Erd-Temperatur Veranlassung gab. Da alle Naturerscheinungen, alle Veränderungen der irdischen Materie mit Modificationen der Wärme, des Lichtes und der Electricität, der ruhenden oder der in Strömen bewegten, zusammenhangen: zugleich die Phänomene der Wärme, auf Ausdehnung wirkend, der sinnlichen Wahrnehmung am zugänglichsten sind; so mußte, wie ich schon an einem anderen Orte erinnert habe, die Erfindung und Vervollkommnung von Wärmemessern eine große Epoche unter den Fortschritten des allgemeinen Naturwissens bezeichnen. Das Gebiet der Anwendung des Thermometers und der rationellen Folgerungen, die aus seinen Anzeigen gezogen werden können, ist so unermeßlich als das Gebiet 378 der Naturkräfte selbst, welche in dem Luftmeer, auf der Feste oder in den über einander gelagerten Schichten des Oceans, in den unorganischen Stoffen wie in den chemischen Lebensprocessen der organischen walten.
Auch die Wirkungen der strahlenden Wärme sind mehr als ein Jahrhundert vor Scheele's großen Arbeiten, von den florentiner Mitgliedern der Academia del Cimento, durch merkwürdige Versuche mit Hohlspiegeln, gegen welche nicht leuchtende erhitzte Körper und Eismassen bis zu 500 Pfund Gewicht wirklich und scheinbar strahlten, ergründet worden.Antinori, saggi dell' Accad. del Cim. 1841 p. 114 und in den Aggiunte am Ende des Buchs p. LXXVI. Mariotte am Ende des 17ten Jahrhunderts untersuchte die Verhältnisse der strahlenden Wärme bei ihrem Durchgange durch Glastafeln. Es mußte dieser vereinzelten Experimente hier gedacht werden, da in späterer Zeit die Lehre von der Wärmestrahlung ein großes Licht über Erkaltung des Bodens, die Entstehung des Thaues und viele allgemeine klimatische Modificationen verbreitet, ja durch Melloni's bewundernswürdigen Scharfsinn zu der contrastirenden Diathermanie des Steinsalzes und Alauns geführt hat.
Den Untersuchungen über die nach Maaßgabe der geographischen Breite, der Jahreszeiten und der Erhebung des Bodens veränderte Wärme des Luftkreises gesellten sich bald andere bei über den wechselnden Druck und die Dunstmenge der Atmosphäre; über die so oft beobachtete periodische Folge, d. h. das Drehungsgesetz, der Winde. Galilei's richtige Ansichten vom Luftdrucke hatten Torricelli ein Jahr nach dem Tode seines großen Lehrers auf die Construction des Barometers geleitet. Daß die Quecksilbersäule in der Torricelli'schen Röhre minder niedrig am Fuß eines Thurmes oder eines Berges als auf deren Höhe stehe, bemerkte, wie 379 es scheint, zuerst in Pisa Claudio BeriguardiAntinori p. 29.; und fünf Jahre später in Frankreich, auf Pascal's Aufforderung, des Letzteren Schwager Perrier, da er den Puy de Dôme (840 Fuß höher als der Vesuv) bestieg. Die Idee das Barometer zu Höhenmessungen anzuwenden bot sich nun wie von selbst dar; vielleicht ward sie in Pascal durch einen Brief von DescartesRen. Cartesii Epistolae Amstel. 1682 P: III. Ep. 67. geweckt. Wie viel das Barometer: als hypsometrisches Werkzeug auf die Bestimmung der partiellen Oberflächen-Gestalt der Erde, als meteorologisches Werkzeug auf Ergründung des Einflusses der Luftströme angewandt, zur Erweiterung der physikalischen Erdbeschreibung und der Witterungslehre beigetragen habe; erheischt hier keine besondere Erörterung. Die Theorie der eben erwähnten Luftströme ist in ihren festen Grundpfeilern ebenfalls vor dem Schluß des 17ten Jahrhunderts erkannt worden. Bacon hat das Verdienst (1664) gehabt, in seiner berühmten historia naturalis et experimentalis de ventisBacon's Works by Shaw 1733 Col. III. p. 441. (S. Kosmos Bd. I. S. 338 und 479 Anm. 388.) die Richtung der Winde in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur und den Hydrometeoren zu betrachten; aber, die Richtigkeit des copernicanischen Systems unmathematisch läugnend, fabelte er von der Möglichkeit, »daß unsere Atmosphäre sich auf gleiche Weise als der Himmel täglich um die Erde drehen und so den tropischen Ostwind veranlassen könne«.
Hooke's allumfassendes Genie verbreitete auch hier wieder Gesetzmäßigkeit und Licht.Hooke's posthumous Works p. 364. (Vergl. meine Relat. historique T. I. p. 199.) Hooke nahm aber leider! wie Galilei eine Geschwindigkeits-Verschiedenheit zwischen der Rotation der Erde und der Atmosphäre an: s. post. Works p. 88 und 363. Er erkannte den Einfluß der Rotation der Erde, wie die oberen und unteren Strömungen warmer und kalter Luft: vom Aequator zu den Polen, und von diesen zum Aequator zurückkehrend. Galilei hatte in seinem letzten Dialogo allerdings auch die Passatwinde 380 als Folge der Rotation der Erde betrachtet; aber das Zurückbleiben der Lufttheile innerhalb der Tropen gegen die Rotations-Geschwindigkeit der Erde schrieb er einer dunstlosen Reinheit der Luft zwischen den Wendekreisen zu.Wenn auch gleich in Galilei's Ansicht über die Ursach der Passate von einem Zurückbleiben der Lufttheile die Rede ist, so darf sie doch nicht, wie neuerdings geschehen, mit der Ansicht von Hooke und Hadley verwechselt werden. »Dicevamo pur' ora«, läßt Galilei im Dialogo quarto (Opere T. IV. p. 311) den Salviati sagen, »che l'aria, come corpo tenue, e fluido, e non saldamente congiunto alla terra, pareva, che non avesse necessità d'obbedire al suo moto, se non in quanto l'asprezza della superficie terrestre ne rapisce, e seco porta una parte a se contigua, che di non molto intervallo sopravanza le maggiori altezze delle montagne; la qual porzion d'aria tanto meno dovrà esser renitente alla conversion terrestre, quanto che ella è ripiena di vapori, fumi, ed esalazioni, materie tutte participanti delle qualità terrene: e per conseguenza atte nate per lor natura (?) a i medesimi movimenti. Ma dove mancassero le cause del moto, cioè dove la superficie del globo avesse grandi spazii piani, e meno vi fusse della mistione de i vapori terreni, quivi cesserebbe in parte la causa, per la quale l'aria ambiente dovesse totalmente obbedire al rapimento della conversion terrestre; si che in tali luoghi, mentre che la terra si volge verso Oriente, si dovrebbe sentir continuamente un vento, che ci ferisse, spirando da Levante verso Ponente; e tale spiramento dovrebbe farsi più sensibile, dove la vertigine del globo fusse più veloce: il che sarebbe ne i luoghi più remoti da i Poli, e vicini al cerchio massimo della diurna conversione. L'esperienza applaude molto a questo filosofico discorso, poichè ne gli ampi mari sottoposti alla Zona torrida, dove anco l'evaporazioni terrestri mancano (?), si sente una perpetua aura muovere da Oriente....« Hooke's richtigere Ansicht ist spät erst im 18ten Jahrhundert von Halley wiederum aufgenommen und in Hinsicht auf die Wirkung der jedem Parallelkreise zugehörigen Umdrehungs-Geschwindigkeit umständlicher und befriedigend erläutert worden. Halley, durch seinen langen Aufenthalt in der heißen Zone dazu veranlaßt, hatte früher (1686) eine treffliche empirische Arbeit über die geographische Verbreitung der Passate (trade-winds und monsoons) geliefert. Es ist zu verwundern, daß er in seinen magnetischen Expeditionen des für die gesammte Meteorologie so wichtigen Drehungsgesetzes der Winde gar nicht erwähnt, da es doch durch Bacon und Johann Christian Sturm aus Hippolstein (nach BrewsterBrewster im Edinburgh Journal of Science Vol. II. 1825 p. 145. Sturm hat das Differential-Thermometer beschrieben in dem kleinen Werke: Collegium experimentale curiosum (Nürnb. 1676 p. 49). Ueber das Baconische Gesetz der Winddrehung, das Dove erst auf beide Zonen ausgedehnt und in seinem inneren Zusammenhange mit den Ursachen aller Luftströmungen erkannt hat, s. die ausführliche Abhandlung von Muncke in der neuen Bearb. von Gehler's physikal. Wörterbuch Bd. X. S. 2003–2019 und 2030–2035. den eigentlichen Erfinder des Differential-Thermometers) in allgemeinen Zügen erkannt war.
In dem glänzenden Zeitalter der Gründung einer mathematischen Naturphilosophie fehlte es auch nicht an Versuchen die Luftfeuchtigkeit in ihrem Zusammenhange mit den Veränderungen der Temperatur und der Windesrichtung zu erforschen. Die Academia del Cimento hatte den glücklichen Gedanken die Dampfmenge durch Verdunstung und Niederschlag zu bestimmen. Das älteste florentiner Hygrometer war demnach ein Condensations-Hygrometer: ein Apparat, in welchem die Menge des niedergeschlagenen ablaufenden Wassers durch Abwägen bestimmt wurde.Antinori p. 45 und in den saggi selbst p. 17–19. Diesem Condensations-Hygrometer: das durch Benutzung der Ideen von le Roy in unseren Tagen 381 zu den genauen psychrometrischen Methoden von Dalton, Daniell und August allmälig geleitet hat; gesellten sich, schon nach Leonardo's da Vinci VorgangeVenturi, essai sur les ouvrages physico-mathématiques de Léonard de Vinci 1797 p. 28., Absorptions-Hygrometer aus Substanzen des Thier- und Pflanzenreiches von Santori (1625), Torricelli (1646) und Molineux bei. Darmsaiten und Grannen von Gräsern wurden fast gleichzeitig angewandt. Solche Instrumente, welche sich auf die Absorption der in der Atmosphäre enthaltenen Wasserdämpfe durch organische Stoffe gründeten, waren mit Zeigern und kleinen Gegengewichten versehen, der Construction nach den Saussure'schen und Deluc'schen Haar- und Fischbein-Hygrometern sehr ähnlich; aber es fehlte bei den Instrumenten des 17ten Jahrhunderts die zur Vergleichung und zum Verständniß der Resultate so nothwendige und endlich durch Regnault erreichte Bestimmung fester Punkte der Trockenheit und Nässe, minder die Empfindlichkeit bei langer Dauer der angewandten hygrometrischen Substanzen. PictetBibliothèque Universelle de Genève T. XXVII. 1824 p. 120. fand in einem Saussure'schen Hygrometer befriedigend empfindlich das Haar einer Guanschen-Mumie von Teneriffa, die vielleicht an tausend Jahre alt war.
Der electrische Proceß ward als Wirkung einer eigenen, wenn gleich der magnetischen verwandten, Naturkraft von William Gilbert erkannt. Das Buch, in welchem diese Ansicht zuerst ausgesprochen: ja die Worte electrische Kraft, electrische Ausflüsse, electrische Anziehung zuerstGilbert de Magnete lib. II cap. 2–4 p. 46–71. Schon in der Interpretation der gebrauchten Nomenclatur heißt es: Electrica quae attrahit eadem ratione ut electrum; versorium non magneticum ex quovis metallo, inserviens electricis experimentis. Im Texte selbst findet man: magneticè ut ita dicam, vel electricè attrahere (vim illam electricam nobis placet appellare...) (p. 52); effluvia electrica, attractiones electricae. Der abstracte Ausdruck electricitas findet sich nicht, so wenig als das barbarische Wort magnetismus des 18ten Jahrhunderts. Ueber die schon im Timäus des Plato p. 80c angedeutete Ableitung von ἤλεκτρον: »dem Zieher und Zugsteine«, von ἔλξις und ἔλκειν, und den wahrscheinlichen Uebergang durch ein härteres ἔλκτρον, s. Buttmann, Mythologus Bd. II. (1829) S. 357. Unter den von Gilbert aufgestellten theoretischen Sätzen (die nicht immer mit gleicher Klarheit ausgedrückt sind) wähle ich aus: »Cum duo sint corporum genera, quae manifestis sensibus nostris motionibus corpora allicere videntur, Electrica et Magnetica; Electrica naturalibus ab humore effluviis; Magnetica formalibus efficientiis, seu potius primariis vigoribus, incitationes faciunt. – Facile est hominibus ingenio acutis, absque experimentis, et usu rerum labi, et errare. Substantiae proprietates aut familiaritates sunt generales nimis, nec tamen verae designatae causae, atque, ut ita dicam, verba quaedam sonant, re ipsâ nihil in specie ostendunt. Neque ista succini credita attractio, a singulari aliquâ proprietate substantiae, aut familiaritate assurgit: cum in pluribus aliis corporibus eundem effectum, majori industria invenimus, et omnia etiam corpora, cujusmodicunque proprietatis, ab omnibus illis alliciuntur.« (De Magnete p. 50, 51, 60 und 65.) Gilbert's vorzüglichere Arbeiten scheinen zwischen 1590 und 1600 zu fallen. Whewell weist ihm mit Recht eine wichtige Stelle unter denen an, die er »practical Reformers der positiven Wissenschaften« nennt. Gilbert war Leibarzt der Königinn Elisabeth und Jacobs I, und starb schon 1603. Nach seinem Tode erschien ein zweites Werk: de Mundo nostro Sublunari Philosophia nova. gebraucht sind, ist die oft genannte im Jahr 1600 erschienene Physiologie vom Magnete und von dem Erdkörper als einem großen Magnet (de magno magnete tellure). »Die Fähigkeit«, sagt Gilbert, »gerieben, leichte Stoffe, welcher Natur sie auch seien, anzuziehen ist 382 nicht dem Bernstein allein eigen: der ein verdickter Erdsaft ist, welchen die Meereswogen aufwühlen und in dem fliegende Insecten, Ameisen und Gewürme wie in ewigen Gräbern (aeternis sepulchris) eingekerkert liegen. Die Ziehkraft gehört einer ganzen Classe von sehr verschiedenen Substanzen an: wie Glas, Schwefel, Siegellack und allen Harzen, dem Bergkrystall und allen Edelsteinen, dem Alaun und dem Steinsalze.« Die Stärke der erregten Electricität mißt Gilbert an einer nicht eisernen kleinen Nadel, die sich auf einem Stifte frei bewegt (versorium electricum): ganz dem Apparate ähnlich, dessen sich Hauy und Brewster bei Prüfung der Electricität geriebener und erwärmter Mineralien bedienten. »Die Reibung«, sagt Gilbert weiter, »bringt stärkere Wirkungen hervor bei trockner als bei feuchter Luft; das Reiben mit seidenen Tüchern ist am vortheilhaftesten befunden. Die Erdkugel wird wie durch eine electrische Kraft (?) zusammengehalten (globus telluris per se electrice congregatur et cohaeret); denn das electrische Streben geht auf bindende Anhäufung aus (motus electricus est motus coacervationis materiae).« In diesen dunkeln Axiomen liegt ausgedrückt die Ansicht einer tellurischen Electricität: die Aeußerung einer Kraft, welche, wie der Magnetismus, der Materie als solcher angehört. Von Abstoßung, von Unterschied zwischen Isolatoren und Leitern ist noch keine Rede.
Mehr als bloße Anziehungs-Erscheinungen beobachtete zuerst der sinnige Erfinder der Luftpumpe, Otto von Guericke. In seinen Versuchen mit einem geriebenen Schwefelkuchen erkannte er Phänomene der Abstoßung und solche, die später auf die Gesetze der Wirkungskreise und Vertheilung der Electricität geleitet haben. Er hörte das erste Geräusch, 383 sah das erste Licht in selbsthervorgerufener Electricität. In einem Versuche, welchen Newton 1675 anstellte, zeigten sich die ersten Spuren der electrischen Ladung an einer geriebenen Glasplatte.Brewster, Life of Newton p. 307. Wir haben hier bloß nach den ersten Keimen des electrischen Wissens geforscht: das in seiner großen, sonderbar verspäteten Entwickelung nicht bloß einer der wichtigsten Theile der Meteorologie geworden ist: sondern auch, seitdem man gelernt, daß der Magnetismus eine der vielfachen Formen ist, unter denen die Electricität sich offenbart, so vieles von dem inneren Treiben der Erdkräfte aufgehellt hat.
Wenn gleich schon Wall (1708), Stephan Gray (1734) und Nollet die Identität der Reibungs-Electricität und des Blitzes vermutheten, so wurde die empirische Gewißheit doch erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch die glücklichen Bestrebungen des edeln Benjamin Franklin erlangt. Von dem Zeitpunkte an trat der electrische Proceß aus dem Gebiet der speculativen Physik in das Gebiet kosmischer Natur-Anschauung, aus dem Studirzimmer in das Freie. Die Lehre von der Electricität hat, wie die Optik und wie der Magnetismus, lange Epochen überaus schwacher Entwickelung gehabt: bis in den eben genannten drei Disciplinen die Arbeiten von Franklin und Volta, Thomas Young und Malus, Oersted und Faraday die Zeitgenossen zu einer bewundernswürdigen Thätigkeit anregten. An solchen Wechsel von Schlummer und plötzlich erweckter Thätigkeit ist der Fortschritt des menschlichen Wissens geknüpft.
Sind aber auch, wie wir eben entwickelt, durch die Erfindung geeigneter, obgleich noch sehr unvollkommener, physikalischer Werkzeuge und durch den Scharfblick von Galilei, Torricelli und der Mitglieder der Academia del 384 Cimento die Temperatur-Verhältnisse, der wechselnde Luftdruck und die Dunstmenge der Atmosphäre ein Gegenstand unmittelbarer Forschung geworden; so ist dagegen alles, was die chemische Zusammensetzung des Luftkreises betrifft, in Dunkel gehüllt geblieben. Allerdings sind die Grundlagen der pneumatischen Chemie durch Johann Baptist van Helmont und Jean Rey in der ersten: durch Hooke, Mayow, Boyle und den dogmatisirenden Becher in der letzten Hälfte des 17ten Jahrhunderts gelegt worden; aber so auffallend auch die richtige Auffassung einzelner und wichtiger Erscheinungen ist, fehlte doch die Einsicht in ihren Zusammenhang. Der alte Glaube an die elementarische Einfachheit der, auf Verbrennung, Oxydation der Metalle und das Athmen wirkenden Luft war ein schwer zu überwindendes Hinderniß.
Die entzündlichen oder lichtverlöschenden Gas-Arten in Höhlen und Bergwerken (die spirutus letales des Plinius), das Entweichen dieser Gas-Arten in Form von Bläschen in Sümpfen und Mineralquellen: also Grubenwetter und Brunnengeister, hatten schon die Aufmerksamkeit des Erfurter Benedictiners Basilius Valentinus (wahrscheinlich aus dem Ende des 15ten Jahrhunderts) und des Libavius (1612), eines Bewunderers des Paracelsus, gefesselt. Man verglich, was man in alchymistischen Laboratorien zufällig bemerkte, mit dem, was man in den großen Werkstätten der Natur, besonders im Inneren der Erde, bereitet sah. Bergbau auf erzführenden Lagerstätten (vorzüglich auf schwefelkieshaltigen, die sich durch Oxydation und Contact-Electricität erwärmen) führte zu Ahndungen über den chemischen Verkehr zwischen Metall, Säure und zutretender äußerer Luft. Schon Paracelsus, dessen Schwärmereien in die Epoche 385 der ersten Eroberung von Amerika fallen, bemerkte die Gas-Entwickelung während der Auflösung von Eisen in Schwefelsäure. Van Helmont, welcher sich zuerst des Wortes Gase bedient hat, unterscheidet dieselben von der atmosphärischen Luft, und wegen ihrer Nicht-Condensirbarkeit auch von den Dämpfen. Die Wolken sind ihm Dämpfe, sie werden zu Gas bei sehr heiterem Himmel »durch Kälte und den Einfluß der Gestirne«. Gas kann nur zu Wasser werden, wenn es vorher wiederum in Dampf verwandelt ist. Das sind Ansichten über den meteorologischen Proceß aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts. Van Helmont kennt noch nicht das einfache Mittel sein Gas sylvestre (unter diesem Namen begriff er alle unentzündbaren, die Flamme und das Athmen nicht unterhaltenden, von der reinen atmosphärischen Luft verschiedenen Gase) aufzufangen und abzusondern; doch ließ er ein Licht unter einem durch Wasser abgesperrten Gefäße brennen: und bemerkte, als die Flamme erlosch, das Eindringen des Wassers und die Abnahme des Luftvolums. Auch durch Gewichtsbestimmungen, die wir schon bei Cardanus finden, suchte van Helmont zu beweisen, daß sich alle feste Theile der Vegetabilien aus Wasser bilden.
Die mittelalterlichen alchymistischen Meinungen von der Zusammensetzung der Metalle, von ihrer glanzzerstörenden Verbrennung (Einäscherung, Vererdung und Verkalkung) unter Zutritt der Luft regten an zu erforschen, was diesen Proceß begleite, welche Veränderung die sich verkalkenden oder vererdenden Metalle und die mit ihnen in Contact tretende Luft erleiden. Schon Cardanus hatte (1553) die Gewichtszunahme bei der Oxydation des 386 Bleies wahrgenommen und sie, ganz im Sinne der Mythe vom Phlogiston, einer entweichenden, leichtmachenden »himmlischen Feuermaterie« zugeschrieben: aber erst achtzig Jahre später sprach Jean Rey: ein überaus geschickter Experimentator zu Bergerac, der mit größerer Genauigkeit die Gewichtszunahme der Metallkalke des Bleies, des Zinnes und des Antimons erforscht hatte, das wichtige Resultat aus, die Gewichtszunahme sei dem Zutritt der Luft an den Metallkalk zuzuschreiben. »Je responds et soustiens glorieusement, sagte erRey spricht eigentlich nur von dem Zutritt der Luft an die Oxyde; er erkennt nicht, daß die Oxyde selbst (die man damals vererdete Metalle nannte) eine bloße Verbindung von Metall und Luft sind. Die Luft macht nach ihm »den Metallkalk schwerer: wie Sand an Gewicht zunimmt, wenn sich Wasser daran hängt«. Der Metallkalk ist dabei einer Sättigung mit Luft fähig. »L'air espaissi s'attache à la chaux, ainsi le poids augmente du commencement jusquà la fin: mais quand tout en est affublé, elle n'en sçauroit prendre d'avantage. Ne continuez plus vostre calcination soubs cet espoir, vous perdriez vostre peine.« Rey's Werk enthält demnach die erste Annäherung zu der besseren Erklärung einer Erscheinung, deren vollkommnes Verständniß später auf das ganze System der Chemie reformirend eingewirkt hat. S. Kopp, Geschichte der Chemie Th. III. S. 131–133. (Vergl. auch in derselben Th. I. S. 116–127 und Th. III. S. 119–138, wie S. 175–195.), que ce surcroît de poids vient de l'air qui dans le vase a esté espessi.«
Man war nun auf den Weg gerathen, der zur Chemie unserer Tage und durch sie zur Kenntniß eines großen kosmischen Phänomens, des Verkehrs zwischen dem Sauerstoff der Atmosphäre und dem Pflanzenleben, führen sollte. Die Gedankenverbindung aber, die sich ausgezeichneten Männern darbot, war zunächst von sonderbar complicirter Natur. Gegen das Ende des 17ten Jahrhunderts trat: dunkel bei Hooke in seiner Micrographia (1665), ausgebildeter bei Mayow (1669) und bei Willis (1671), ein Glaube an salpetrige Partikel (spiritus nitro-aëreus, pabulum nitrosum) auf, welche, mit den im Salpeter fixirten identisch, in der Luft enthalten und das Bedingende in den Verbrennungs-Processen sein sollten. »Es wurde behauptet, das Erlöschen der Flamme im geschlossenen Raume finde nicht deshalb statt, weil die vorhandene Luft mit Dämpfen aus dem brennenden Körper übersättigt werde, sondern das Erlöschen sei eine Folge der gänzlichen Absorption des ursprünglich in der Luft enthaltenen salpetrigen spiritus nitro-aëreus.« Das plötzliche Beleben der Gluth, wenn schmelzender 387 (Sauerstoffgas ausstoßender) Salpeter auf Kohle gestreuet wird, und das sogenannte Auswittern des Salpeters an Thonwänden im Contact mit der Atmosphäre scheinen diese Meinung gleichzeitig begünstigt zu haben. Die salpetrigen Partikeln der Luft bedingen, nach Mayow, das Athmen der Thiere: dessen Folge die Hervorbringung thierischer Wärme und Entschwärzung des Blutes ist; sie bedingen alle Verbrennungsprocesse und die Verkalkung der Metalle: sie spielen ohngefähr die Rolle des Sauerstoffs in der antiphlogistischen Chemie. Der vorsichtig zweifelnde Robert Boyle erkannte zwar, daß die Anwesenheit eines gewissen Bestandtheils der atmosphärischen Luft zum Verbrennungsprocesse nothwendig sei: aber er blieb ungewiß über die salpetrige Natur desselben.
Der Sauerstoff war für Hooke und Mayow ein ideeller Gegenstand, eine Fiction der Gedankenwelt. Als Gas sah den Sauerstoff zuerst der scharfsinnige Chemiker und Pflanzen-Physiolog Hales aus dem Blei, das er zu Mennige verkalkte, bei starker Hitze in großer Menge (1727) entweichen. Er sah das Entweichen, ohne die Natur der Luftart zu untersuchen oder das lebhafte Brennen der Flamme in derselben zu bemerken. Hales ahndete nicht die Wichtigkeit der Substanz, die er bereitet hatte. Die lebhafte Lichtentwickelung brennender Körper im Sauerstoffgas und die Eigenschaften desselben wurden: – wie Viele behaupten, ganz unabhängigPriestley's letzte Klage über das, »was Lavoisier sich soll zugeeignet haben«, erschallt in seiner kleinen Schrift: the doctrine of Phlogiston established (1800) p. 43., von Priestley (1772–1774), von Scheele (1774 und 1775), und von Lavoisier und Trudaine (1775) entdeckt.
Die Anfänge der pneumatischen Chemie sind in diesen Blättern, ihrem historischen Zusammenhange nach, berührt worden, weil sie, wie die schwachen Anfänge des 388 electrischen Wissens, das vorbereitet haben, was das folgende Jahrhundert an großen Ansichten über die Constitution des Luftkreises und dessen meteorologische Veränderungen hat offenbaren können. Die Idee specifisch verschiedener Gas-Arten wurde im siebzehnten Jahrhundert denen, welche diese Gas-Arten erzeugten, nie völlig klar. Man fing wieder an, den Unterschied zwischen der atmosphärischen Luft und den irrespirabeln, lichtverlöschenden oder entzündlichen Gas-Arten der Einmengung von gewissen Dünsten ausschließlich zuzuschreiben. Black und Cavendish erwiesen erst 1766, daß Kohlensäure (fixe Luft) und Wasserstoffgas (brennbare Luft) specifisch verschiedene luftförmige Flüssigkeiten sind. So lange hatte der uralte Glaube an die elementare Einfachheit des Luftkreises jeden Fortschritt des Wissens gelähmt. Die endliche Ergründung der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre (die feinste Bestimmung ihrer quantitativen Verhältnisse durch die schönen Arbeiten von Boussingault und Dumas) ist einer der Glanzpunkte der neueren Meteorologie.
Die hier fragmentarisch geschilderte Erweiterung des physikalischen und chemischen Wissens konnte nicht ohne Einfluß bleiben auf die früheste Ausbildung der Geognosie. Ein großer Theil der geognostischen Fragen, mit deren Lösung sich unser Zeitalter beschäftigt, wurden durch einen Mann von den umfassendsten Kenntnissen: den großen dänischen Anatomen Nicolaus Steno (Stenson), welchen der Großherzog von Toscana Ferdinand II in seine Dienste berief; durch einen anderen (englischen) Arzt, Martin Lister, und den »würdigen NebenbuhlerJohn Herschel, discourse on the study of Natural Philosophy p. 116. Newton's«, Robert Hooke, angeregt. Von Stenos Verdiensten um die Positions- oder Lagerungs-Geognosie habe ich umständlicher in 389 einem anderen WerkeHumboldt, Essai géognostique sur le Gisement des Roches dans les deux hémisphères 1823 p. 38. gehandelt. Allerdings hatten schon Leonardo da Vinci gegen das Ende des 15ten Jahrhunderts (wahrscheinlich indem er in der Lombardei Canäle anlegte, welche Schuttland und Tertiärschichten durchschnitten), Fracastoro (1517) bei Gelegenheit zufällig entblößter fischreicher Gesteinschichten im Monte Bolca bei Verona, und Bernard Palissy bei seinen Nachforschungen über die Springbrunnen (1563) das Dasein einer untergegangenen oceanischen Thierwelt in ihren hinterlassenen Spuren erkannt. Leonardo, wie im Vorgefühl einer philosophischeren Eintheilung thierischer Gestaltung, nennt die Conchylien »animali che hanno l'ossa di fuori«. Steno, in seinem Werke »über das in den Gesteinen Enthaltene« (de Solido intra Solidum naturaliter contento), unterscheidet (1669) »Gesteinschichten (uranfängliche?), die sich früher erhärtet haben, als es Pflanzen und Thiere gab, und daher nie organische Reste enthalten: von Sedimentschichten (turbidi maris sedimenta sibi invicem imposita), welche unter einander abwechseln und jene bedecken. Alle versteinerungshaltigen Niederschlagsschichten waren ursprünglich horizontal gelagert. Ihre Neigung (Fallen) ist entstanden theils durch den Ausbruch unterirdischer Dämpfe, welche die Centralwärme (ignis in medio terrae) erzeugt, theils durch das Nachgeben von schwach unterstützenden unteren Schichten.Steno de Solido intra Solidum naturaliter contento 1669 p. 2, 17, 28, 63 und 69 (fig. 20–25). Die Thäler sind die Folge der Umstürzung.«
Steno's Theorie der Thalformen ist die von Deluc: während Leonardo da VinciVenturi, essai sur les ouvrages physico-mathématiques de Léonard de Vinci 1797 § 5 no. 124., wie Cuvier, die Thäler durch ablaufende Fluthen einfurchen läßt. In der geognostischen Beschaffenheit des Bodens von Toscana erkennt Steno Umwälzungen, welche sechs großen Natur-Epochen 390 zugeschrieben werden müssen (sex sunt distinctae Etruriae facies, ex praesenti facie Etruriae collectae). Sechsmal nämlich ist periodisch das Meer eingebrochen und hat sich, erst nach langem Verbleiben im Innern des Landes, in seine alten Grenzen zurückgezogen. Alle Petrefacte gehören aber nicht dem Meere an; Steno unterscheidet die pelagischen von den Süßwasser-Petrefacten. Scilla (1670) gab Abbildungen von den Versteinerungen von Calabrien und Malta. Unter den letzteren hat unser großer Zergliederer und Zoologe Johannes Müller die älteste Abbildung der Zähne des riesenhaften Hydrarchus (Zeuglodon cetoides von Owen) von Alabama, eines Säugethiers aus der großen Ordnung der Cetaceen, entdeckt:Agostino Scilla, la vana Speculazione disingannata dal senso, Nap. 1670 tab. XII fig. 1. – Vergl. Joh. Müller, Bericht über die von Herrn Koch in Alabama gesammelten fossilen Knochenreste seines Hydrarchus (des Basilosaurus von Harlan 1835, des Zeuglodon von Owen 1839, des Squalodon von Grateloup 1840, des Dorudon von Gibbes 1845), gelesen in der Kön. Akad. der Wiss. zu Berlin April–Juni 1847. Diese kostbaren im Staat Alabama (Washington-County und unfern Clarksville) gesammelten Reste des vorweltlichen Thieres sind durch die Munificenz unseres Königs seit 1847 Eigenthum des zoologischen Museums zu Berlin. Außer Alabama und Süd-Carolina wurden Theile des Hydrarchus in Europa zu Leognan bei Bordeaux, unweit Linz an der Donau und 1670 auf Malta entdeckt. Zähne, deren Krone wie bei den Seehunden gestaltet ist.
Lister stellte schon (1678) die wichtige Behauptung auf, daß jede Gebirgsart durch eigene Fossilien charakterisirt ist; und daß »die Arten von Murex, Tellina und Trochus, welche in den Steinbrüchen von Northamptonshire vorkommen, zwar denen der heutigen Meere ähnlich, aber, genauer untersucht, von diesen verschieden gefunden werden.« Es seien, sagt er, specifisch andere.Martin Lister in den Philos. Transact. Vol. VI. 1671 Numb. 76 p. 2283. Die strengen Beweise von der Richtigkeit so großartiger Ahndungen konnten freilich, bei dem unvollkommenen Zustande der beschreibenden Morphologie, nicht gegeben werden. Wir bezeichnen ein früh aufdämmerndes, bald wieder ersticktes Licht vor den herrlichen paläontologischen Arbeiten von Cuvier und Alexander Brongniart, welche der Geognosie der Sediment-Formationen eine neue Gestaltung gegeben haben.S. eine lichtvolle Entwickelung der früheren Fortschritte des paläontologischen Studiums in Whewell, history of the inductive Sciences 1837 Vol. III. p. 507–545. Lister, aufmerksam auf die regelmäßige Reihenfolge der Schichten in England, fühlte zuerst das Bedürfniß geognostischer Karten. Wenn 391 gleich diese Erscheinungen und ihr Zusammenhang mit alten Ueberfluthungen (einer einmaligen oder mehrfachen) das Interesse fesselten und, Glauben und Wissen mit einander vermengend, die sogenannten Systeme von Ray, Woodward, Burnet und Whiston in England erzeugten; so blieb doch, bei gänzlichem Mangel mineralogischer Unterscheidung in den Bestandtheilen zusammengesetzter Gebirgsarten, alles, was das krystallinische und massige Eruptions-Gestein und seine Umwandlung betrifft, unbearbeitet. Trotz der Annahme einer Centralwärme des Erdkörpers wurden Erdbeben, heiße Quellen und vulkanische Ausbrüche nicht als Folgen der Reaction des Planeten gegen seine äußere Rinde angesehen, sondern kleinlichen Local-Ursachen: z. B. der Selbstentzündung von Schwefelkies-Lagern, zugeschrieben. Spielende Versuche von Lemery (1700) sind leider! von langdauerndem Einfluß auf vulkanische Theorien geblieben, wenn gleich die letzteren durch die phantasiereiche Protogaea von Leibnitz (1680) zu allgemeineren Ansichten hätten erhoben werden können.
Die Protogaea, bisweilen dichterischer als die vielen jetzt eben bekannt gewordenen metrischen Versuche desselben PhilosophenLeibnizens geschichtliche Aufsätze und Gedichte, herausgegeben von Pertz 1847 (in den gesammelten Werken: Geschichte Bd. IV). Ueber den ersten Entwurf der Protogaea von 1691 und die nachmaligen Umarbeitungen s. Tellkampf, Jahresbericht der Bürgerschule zu Hannover 1847 S. 1–32., lehrt »die Verschlackung der cavernösen, glühenden, einst selbstständig leuchtenden Erdrinde; die allmälige Abkühlung der in Dämpfe gehüllten wärmestrahlenden Oberfläche, den Niederschlag und die Verdichtung der allmälig erkalteten Dampf-Atmosphäre zu Wasser, das Sinken des Meeresspiegels durch Eindringen der Wasser in die inneren Erdhöhlen; endlich den Einsturz dieser Höhlen, welche das Fallen der Schichten (ihre Neigung gegen den Horizont) veranlaßt.« Der physische Theil dieses wilden Phantasiebildes bietet einige Züge dar, welche den Anhängern 392 der neuen, nach allen Richtungen mehr ausgebildeten Geognosie nicht verwerflich scheinen werden. Dahin gehören die Bewegung der Wärme im Inneren des Erdkörpers und die Abkühlung mittelst der Ausstrahlung durch die Oberfläche, die Existenz einer Dampf-Atmosphäre; der Druck, welchen diese Dämpfe während der Consolidirung der Schichten auf letztere ausüben; der doppelte Ursprung der Massen, als geschmolzen und erstarrt oder aus den Gewässern niedergeschlagen. Von dem typischen Charakter und dem mineralogischen Unterschiede der Gebirgsarten: d. h. der in den entferntesten Gegenden wiederkehrenden Associationen gewisser, meist krystallisirter Substanzen, ist in der Protogaea so wenig die Rede wie in Hooke's geognostischen Ansichten. Auch bei diesem haben die physischen Speculationen über die Wirkung unterirdischer Kräfte im Erdbeben, in der plötzlichen Hebung des Meeresbodens und der Küstenländer, in der Entstehung von Inseln und Bergen die Oberhand. Die Natur der organischen Ueberreste der Vorwelt leitete ihn sogar auf die Vermuthung, daß die gemäßigte Zone früher die Wärme des tropischen Klima's müsse genossen haben.
Es bleibt noch übrig der größten aller geognostischen Erscheinungen zu gedenken: der mathematischen Gestalt der Erde, in welcher die Zustände der Urzeit sich erkennbar abspiegeln, die Flüssigkeit der rotirenden Masse und ihre Erhärtung als Erdsphäroid. In seinen Hauptzügen, freilich nicht genau in den numerischen Angaben des Verhältnisses zwischen der Polar- und Aequatorial-Achse, wurde das Bild der Erdgestaltung am Ende des 17ten Jahrhunderts entworfen. Picard's Gradmessung, mit von ihm selbst vervollkommneten Meßinstrumenten (1670) ausgeführt, ist um so wichtiger gewesen, als sie zuerst Newton veranlaßte seine schon 393 1666 aufgefundene und später vernachlässigte Gravitations-Theorie wiederum mit erneuertem Eifer aufzunehmen; weil sie dem tiefsinnigen und glücklichen Forscher die Mittel zu beweisen darbot, wie die Anziehung der Erde den, durch die Schwungkraft umgetriebenen Mond in seiner Bahn erhalte. Die viel früherKosmos Bd. I. S. 172. erkannte Abplattung des Jupiter hatte, wie man glaubt, Newton angeregt über die Ursach einer solchen von der Sphäricität abweichenden Erscheinung nachzudenken. Den Versuchen über die wahre Länge des Secunden-Pendels zu Cayenne von Richer (1673) und an der westlichen afrikanischen Küste von Varin waren andereDelambre, Hist. de l'Astronomie mod. T. II. p. 601., weniger entscheidende zu London, Lyon und Bologna in 7° Breiten-Unterschied vorhergegangen. Die Abnahme der Schwere vom Pol zum Aequator, welche lange noch selbst Picard geläugnet, wurde nun allgemein angenommen. Newton erkannte die Polar-Abplattung der Erde und ihre sphäroidische Gestalt als eine Folge der Rotation; er wagte sogar unter der Voraussetzung einer homogenen Masse das Maaß dieser Erd-Abplattung numerisch zu bestimmen. Es blieb den verglichenen Gradmessungen des 18ten und 19ten Jahrhunderts unter dem Aequator, dem Nordpol nahe und in den gemäßigten Zonen beider Halbkugeln, der südlichen und nördlichen, vorbehalten, dieses Maaß der mittleren Abplattung und so die wahre Figur der Erde genau zu erörtern. Die Existenz der Abplattung selbst verkündigt, wie schon in dem Naturgemälde bemerktKosmos Bd. I. S. 171. Den Prioritätsstreit über die Abplattung in Hinsicht auf eine von Huygens in der Pariser Akademie 1669 vorgelesene Abhandlung hat zuerst Delambre aufgeklärt in seiner Hist. de l'Astr. mod. T. I. p. LII und T. II. p. 558. Richer's Rückkunft nach Europa fiel allerdings schon in das Jahr 1673, aber sein Werk wurde erst 1679 gedruckt; und da Huygens Paris 1682 verließ, so hat er das Additamentum zu der sehr verspätet publicirten Abhandlung von 1669 erst dann geschrieben, als er schon die Resultate von Richer's Pendel-Versuchen und von Newton's großem Werke: Philosophiae Naturalis Principia mathematica vor Augen hatte. worden ist, was man die älteste aller geognostischen Begebenheiten nennen kann: den Zustand der allgemeinen Flüssigkeit eines Planeten, seine frühere und spätere Erhärtung.
Wir haben die Schilderung des großen Zeitalters von 394 Galilei und Kepler, Newton und Leibnitz mit den Entdeckungen in den Himmelsräumen durch das neuerfundene Fernrohr begonnen. Wir endigen mit der Erdgestaltung, wie sie aus theoretischen Schlüssen erkannt worden ist. »Newton erhob sich zu der Erklärung des Weltsystems, weil es ihm glückte die Kraft zu findenBessel in Schuhmacher's Jahrbuch für 1843 S. 32., von deren Wirkung die Kepler'schen Gesetze die nothwendige Folge sind: und welche den Erscheinungen entsprechen mußte, indem diese Gesetze ihnen entsprachen und sie vorherverkündigten.« Die Auffindung einer solchen Kraft, deren Dasein Newton in seinem unsterblichen Werke der Principien (einer allgemeinen Naturlehre) entwickelt hat, ist fast gleichzeitig gewesen mit den durch die Infinitesimal-Rechnung eröffneten Wegen zu neuen mathematischen Entdeckungen. Die Geistesarbeit zeigt sich in ihrer erhabensten Größe da, wo sie, statt äußerer materieller Mittel zu bedürfen, ihren Glanz allein von dem erhält, was der mathematischen Gedankenentwickelung, der reinen Abstraction entquillt. Es wohnet inne ein fesselnder, von dem ganzen Alterthum gefeierter ZauberWilhelms von Humboldt gesammelte Werke Bd. I. S. 11. in der Anschauung mathematischer Wahrheiten, der ewigen Verhältnisse der Zeit und des Raumes, wie sie sich in Tönen und Zahlen und Linien offenbaren. Die Vervollkommnung eines geistigen Werkzeuges der Forschung, der Analysis, hat die gegenseitige Befruchtung der Ideen, welche eben so wichtig als der Reichthum ihrer Erzeugung ist, mächtig befördert. Sie hat der physischen Weltanschauung in ihrer irdischen und himmlischen Sphäre (in den periodischen Schwankungen der Oberfläche des Weltmeeres, wie in den wechselnden Störungen der Planeten) neue Gebiete von ungemessenem Umfange eröffnet.
Rückblick auf die Reihenfolge der durchlaufenen Perioden. – Einfluß äußerer Ereignisse auf die sich entwickelnde Erkenntniß des Weltganzen. – Vielseitigkeit und innigere Verkettung der wissenschaftlichen Bestrebungen in der neuesten Zeit. – Die Geschichte der physischen Wissenschaften schmilzt allmälig mit der Geschichte des Kosmos zusammen.
Ich nähere mich dem Ende eines vielgewagten, inhaltschweren Unternehmens. Mehr als zwei Jahrtausende sind durchlaufen worden: von den frühen Zuständen der Cultur unter den Völkern, die das Becken des Mittelmeeres und die fruchtbaren Stromgebiete des westlichen Asiens umwohnten, bis zu dem Anfange des letztverflossenen Jahrhunderts: also bis zu einer Zeit, in der Ansichten und Gefühle sich schon mit den unsrigen verschmelzen. Ich habe in sieben scharf von einander geschiedenen Abtheilungen, gleichsam in der Reihenfolge von eben so viel einzelnen Gemälden, die Geschichte der physischen Weltanschauung, d. h. die Geschichte der sich allmälig entwickelnden Erkenntniß des Weltganzen, darzustellen geglaubt. Ob es einigermaßen gelungen ist die Masse des angehäuften Stoffes zu beherrschen, den Charakter der Haupt-Epochen aufzufassen, die Wege zu bezeichnen, auf denen Ideen und Gesittung zugeführt worden sind: darf, in gerechtem Mißtrauen der ihm übrig gebliebenen Kräfte, der nicht entscheiden, dem mit Klarheit nur in 396 allgemeinen Zügen der Entwurf zu einem so großen Unternehmen vor der Seele schwebte.
Ich habe bereits in dem Eingange zu der arabischen Epoche, als ich den mächtigen Einfluß zu schildern begann, den ein der europäischen Civilisation eingemischtes fremdartiges Element ausgeübt, die Grenze angegeben, über welche hinaus die Geschichte des Kosmos mit der der physischen Wissenschaften zusammenfällt. Die geschichtliche Erkenntniß der allmäligen Erweiterung des Naturwissens in beiden Sphären, der Erd- und Himmelskunde, ist nach meiner Ansicht an bestimmte Perioden, an gewisse räumlich und intellectuell wirkende Ereignisse gebunden, die jenen Perioden Eigenthümlichkeit und Färbung verleihen. Solche Ereignisse waren die Unternehmungen, welche in den Pontus führten und jenseits des Phasis ein anderes Seeufer ahnden ließen; die Expeditionen nach tropischen Gold und Weihrauchländern; die Durchschiffung der westlichen Meerenge: oder Eröffnung der großen maritimen Völkerstraße, auf der in langen Zeitabständen Cerne und die Hesperiden, die nördlichen Zinn- und Bernstein-Inseln, die vulkanischen Azoren und der Neue Continent des Columbus, südlich von den alten scandinavischen Ansiedelungen, entdeckt wurden. Auf die Bewegungen, welche aus dem Becken des Mittelmeeres und dem nördlichsten Ende des nahen arabischen Meerbusens ausgingen, auf die Pontus- und Ophirfahrten, folgen in meiner historischen Schilderung die Heerzüge des Macedoniers und sein Versuch den Westen mit dem Osten zu verschmelzen; die Wirkungen des indischen Seehandels und der alexandrinischen Institute unter den Lagiden, die Weltherrschaft der Römer unter den Cäsaren; der folgenreiche Hang der Araber 397 zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften, zu astronomischem, mathematischem und praktisch-chemischem Wissen. Mit der Besitznahme einer ganzen Erdhälfte, welche verhüllt lag; mit den größten Entdeckungen im Raume, welche je den Menschen geglückt: ist für mich die Reihe der Ereignisse und Begebenheiten geschlossen, welche plötzlich den Horizont der Ideen erweitert, zum Erforschen von physischen Gesetzen angeregt, das Streben nach dem endlichen Erfassen des Weltganzen belebt haben. Die Intelligenz bringt fortan, wie wir schon oben angedeutet, Großes ohne Anregung durch Begebenheiten, als Wirkung eigener innerer Kraft, gleichzeitig nach allen Richtungen hervor.
Unter den Werkzeugen, gleichsam neuen Organen, die der Mensch sich geschaffen und welche das sinnliche Wahrnehmungsvermögen erhöhen, hat eines jedoch wie ein plötzliches Ereigniß gewirkt. Durch die raumdurchdringende Eigenschaft des Fernrohrs wird, fast wie auf einmal, ein beträchtlicher Theil des Himmels erforscht, die Zahl der erkannten Weltkörper vermehrt, ihre Gestaltung und Bahn zu bestimmen versucht. Die Menschheit gelangt jetzt erst in den Besitz der »himmlischen Sphäre« des Kosmos. Ein siebenter Abschnitt der Geschichte der Weltanschauung konnte auf die Wichtigkeit dieser Besitznahme und auf die Einheit der Bestrebungen gegründet werden, welche der Gebrauch des Fernrohrs hervorrief. Vergleichen wir mit der Erfindung dieses optischen Werkzeuges eine andere große Erfindung und zwar der neueren Zeit, die der Volta'schen Säule: wie den Einfluß, welchen dieselbe auf die scharfsinnige electro-chemische Theorie, auf die Darstellung der Alkali- und Erd-Metalle und auf die 398 lange ersehnte Entdeckung des Electro-Magnetismus ausgeübt; so gelangen wir an eine Verkettung nach Willkühr hervorzurufender Erscheinungen, welche nach vielen Seiten tief in die Erkenntniß des Waltens der Naturkräfte eingreift, aber mehr einen Abschnitt in der Geschichte der physischen Disciplinen als unmittelbar in der Geschichte der kosmischen Anschauungen bildet. Eben diese vielseitige Verknüpfung alles jetzigen Wissens erschwert die Absonderung und Umgrenzung des Einzelnen. Den Electro-Magnetismus haben wir ja neuerlichst selbst auf die Richtung des polarisirten Lichtstrahls wirken sehen, Modificationen hervorbringend wie chemische Mischungen. Wo durch die Geistesarbeit des Jahrhunderts alles im Werden begriffen scheint, ist es eben so gefahrvoll, in den intellectuellen Proceß einzugreifen und das unaufhaltsam Fortschreitende wie am Ziele angelangt zu schildern als, bei dem Bewußtsein eigener Beschränktheit sich über die relative Wichtigkeit ruhmvoller Bestrebungen der Mitlebenden oder Nächst-Hingeschiedenen auszusprechen.
In den historischen Betrachtungen habe ich fast überall bei Angabe der frühen Keime des Naturwissens den Grad der Entwickelung bezeichnet, zu dem sie in der neuesten Zeit gelangt sind. Der dritte und letzte Theil meines Werkes liefert zur Erläuterung des allgemeinen Naturgemäldes die Ergebnisse der Beobachtung, auf welche der jetzige Zustand wissenschaftlicher Meinungen hauptsächlich gegründet ist. Vieles, das man nach anderen Ansichten der Composition eines Buches von der Natur, als die meinigen sind, hier vermissen kann, wird dort seinen Platz finden. Durch den Glanz neuer Entdeckungen angeregt, 399 mit Hoffnungen genährt, deren Täuschung oft spät erst eintritt: wähnt jedes Zeitalter dem Culminationspunkte im Erkennen und Verstehen der Natur nahe gelangt zu sein. Ich bezweifle, daß bei ernstem Nachdenken ein solcher Glaube den Genuß der Gegenwart wahrhaft erhöhe. Belebender und der Idee von der großen Bestimmung unseres Geschlechtes angemessener ist die Ueberzeugung, daß der eroberte Besitz nur ein sehr unbeträchtlicher Theil von dem ist, was bei fortschreitender Thätigkeit und gemeinsamer Ausbildung die freie Menschheit in den kommenden Jahrhunderten erringen wird. Jedes Erforschte ist nur eine Stufe zu etwas Höherem in dem verhängnißvollen Laufe der Dinge.
Was die Fortschritte der Erkenntniß in dem neunzehnten Jahrhundert besonders befördert und den Hauptcharakter der Zeit gebildet hat: ist das allgemeine und erfolgreiche Bemühen den Blick nicht auf das Neu-Errungene zu beschränken, sondern alles früher Berührte nach Maaß und Gewicht streng zu prüfen, das bloß aus Analogien Geschlossene von dem Gewissen zu sondern: und so einer und derselben strengen kritischen Methode alle Theile des Wissens: physikalische Astronomie, Studium der irdischen Naturkräfte, Geologie und Alterthumskunde, zu unterwerfen. Die Allgemeinheit eines solchen kritischen Verfahrens hat besonders dazu beigetragen die jedesmaligen Grenzen der einzelnen Wissenschaften kenntlich zu machen: ja die Schwäche gewisser Disciplinen aufzudecken, in denen unbegründete Meinungen als Thatsachen, symbolisirende Mythen unter alten Firmen als ernste Theorien auftreten. Unbestimmtheit der Sprache, Uebertragung der Nomenclatur aus einer Wissenschaft in die andere haben zu irrigen Ansichten, zu täuschenden 400 Analogien geführt. Die Zoologie ist lange in ihren Fortschritten dadurch gefährdet worden, daß man in den unteren Thierclassen alle Lebensthätigkeiten an gleichgestaltete Organe wie in den höchsten Thierclassen gebunden glaubte. Noch mehr ist die Kenntniß von der Entwickelungsgeschichte der Pflanzen in den sogenannten cryptogamischen Cormophyten (den Laub- und Lebermoosen, Farren, Lycopodiaceen) oder in den noch niedrigeren Thallophyten (Algen, Flechten, Pilzen) dadurch verdunkelt worden, daß man überall Analogien aus der geschlechtlichen Fortpflanzung des ThierreichsSchleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik Th. I. 1845 S. 152, Th. II. S. 76; Knuth, Lehrbuch der Botanik Th. I. (1847) S. 91–100 und 505. zu finden glaubte.
Wenn die Kunst innerhalb des Zauberkreises der Einbildungskraft, recht eigentlich innerhalb des Gemüthes liegt, so beruhet dagegen die Erweiterung des Wissens vorzugsweise auf dem Contact mit der Außenwelt. Dieser wird bei zunehmendem Völkerverkehr mannigfaltiger und inniger zugleich. Das Erschaffen neuer Organe (Werkzeuge der Beobachtung) vermehrt die geistige, oft auch die physische Macht des Menschen. Schneller als das Licht trägt in die weiteste Ferne Gedanken und Willen der geschlossene electrische Strom. Kräfte, deren stilles Treiben in der elementarischen Natur, wie in den zarten Zellen organischer Gewebe, jetzt noch unseren Sinnen entgeht, werden: erkannt, benutzt, zu höherer Thätigkeit erweckt, einst in die unabsehbare Reihe der Mittel treten, welche der Beherrschung einzelner Naturgebiete und der lebendigeren Erkenntniß des Weltganzen näher führen.
Einleitung.
Zu dem Ziele hinstrebend, welches ich mir nach dem Maaß meiner Kräfte und dem jetzigen Zustande der Wissenschaften als erreichbar gedacht, habe ich in zwei schon erschienenen Bänden des Kosmos die Natur unter einem zwiefachen Gesichtspunkte betrachtet. Ich habe sie darzustellen versucht zuerst in der reinen Objectivität äußerer Erscheinung; dann in dem Reflex eines, durch die Sinne empfangenen Bildes auf das Innere des Menschen, auf seinen Ideenkreis und seine Gefühle.
Die Außenwelt der Erscheinungen ist unter der wissenschaftlichen Form eines allgemeinen Naturgemäldes in ihren zwei großen Sphären, der uranologischen und der tellurischen, geschildert worden. Es beginnt dasselbe mit den Sternen, die in den fernsten Theilen des Weltraumes zwischen Nebelflecken aufglimmen; und steigt durch unser Planetensystem bis zur irdischen Pflanzendecke und zu den kleinsten, oft von der Luft getragenen, dem unbewaffneten Auge 4 verborgenen Organismen herab. Um das Dasein eines gemeinsamen Bandes, welches die ganze Körperwelt umschlingt; um das Walten ewiger Gesetze und den ursachlichen Zusammenhang ganzer Gruppen von Erscheinungen, so weit derselbe bisher erkannt worden ist, anschaulicher hervortreten zu lassen: mußte die Anhäufung vereinzelter Thatsachen vermieden werden. Eine solche Vorsicht schien besonders da erforderlich, wo sich in der tellurischen Sphäre des Kosmos, neben den dynamischen Wirkungen bewegender Kräfte, der mächtige Einfluß specifischer Stoff-Verschiedenheit offenbart. In der siderischen oder uranologischen Sphäre des Kosmos sind für das, was der Beobachtung erreichbar wird, die Probleme, ihrem Wesen nach, von bewundernswürdiger Einfachheit; fähig, nach der Theorie der Bewegung, durch die anziehenden Kräfte der Materie und die Quantität ihrer Masse einer strengen Rechnung zu unterliegen. Sind wir, wie ich glaube, berechtigt die kreisenden Meteor-Asteroiden für Theile unseres Planetensystems zu halten; so setzen diese allein uns, durch ihren Fall auf den Erdkörper, in ContactKosmos Bd. I. S. 56–59 und 141. mit erkennbar ungleichartigen Stoffen des Weltraumes. Ich bezeichne hier die Ursach, weshalb die irdischen Erscheinungen bisher einer mathematischen Gedankenentwickelung minder glücklich und minder allgemein unterworfen worden sind als die, sich gegenseitig störenden und wieder ausgleichenden Bewegungen der Weltkörper, in denen für unsere Wahrnehmung nur die Grundkraft gleichartiger Materie waltet.
Mein Bestreben war darauf gerichtet, in dem Naturgemälde der Erde durch eine bedeutsame Anreihung der Erscheinungen ihren ursachlichen Zusammenhang ahnden 5 zu lassen. Es wurde der Erdkörper geschildert in seiner Gestaltung, seiner mittleren Dichtigkeit, den Abstufungen seines mit der Tiefe zunehmenden Wärmegehalts, seiner electro-magnetischen Strömungen und polarischen Lichtprocesse. Die Reaction des Inneren des Planeten auf seine äußere Rinde bedingt den Inbegriff vulkanischer Thätigkeit, die mehr oder minder geschlossenen Kreise von Erschütterungswellen und ihre, nicht immer bloß dynamischen Wirkungen; die Ausbrüche von Gas, von heißen Wasserquellen und Schlamm. Als die höchste Kraftäußerung der inneren Erdmächte ist die Erhebung feuerspeiender Berge zu betrachten. Wir haben so die Central- und Reihen-Vulkane geschildert: wie sie nicht bloß zerstören, sondern Stoffartiges erzeugen, und unter unseren Augen, meist periodisch, fortfahren Gebirgsarten (Eruptions-Gestein) zu bilden; wir haben gezeigt, wie, im Contraste mit dieser Bildung, Sediment-Gesteine sich ebenfalls noch aus Flüssigkeiten niederschlagen, in denen ihre kleinsten Theile aufgelöst oder schwebend enthalten waren. Eine solche Vergleichung des Werdenden, sich als Festes Gestaltenden mit dem längst als Schichten der Erdrinde Erstarrten leitet auf die Unterscheidung geognostischer Epochen; auf eine sichere Bestimmung der Zeitfolge der Formationen, welche die untergegangenen Geschlechter von Thieren und Pflanzen, die Fauna und Flora der Vorwelt, in chronologisch erkennbaren Lebensreihen umhüllen. Entstehung, Umwandlung und Hebung der Erdschichten bedingen epochenweise wechselnd alle Besonderheiten der Naturgestaltung der Erdoberfläche; sie bedingen die räumliche Vertheilung des Festen und Flüssigen, die Ausdehnung und Gliederung der Continental-Massen in horizontaler und senkrechter Richtung. 6 Von diesen Verhältnissen hangen ab die thermischen Zustände der Meeresströme, die meteorologischen Processe in der luftförmigen Umhüllung des Erdkörpers, die typische und geographische Verbreitung der Organismen. Eine solche Erinnerung an die Aneinanderreihung der tellurischen Erscheinungen, wie sie das Naturgemälde dargeboten hat, genügt, wie ich glaube, um zu beweisen, daß durch die bloße Zusammenstellung großer und verwickelt scheinender Resultate der Beobachtung die Einsicht in ihren Causalzusammenhang gefördert wird. Die Deutung der Natur ist aber wesentlich geschwächt, wenn man durch zu große Anhäufung einzelner Thatsachen der Naturschilderung ihre belebende Wärme entzieht.
So wenig nun in einer, mit Sorgfalt entworfenen, objectiven Darstellung der Erscheinungswelt Vollständigkeit bei Aufzählung der Einzelnheiten beabsichtigt worden ist, eben so wenig hat dieselbe erreicht werden sollen in der Schilderung des Reflexes der äußeren Natur auf das Innere des Menschen. Hier waren die Grenzen noch enger zu ziehen. Das ungemessene Gebiet der Gedankenwelt, befruchtet seit Jahrtausenden durch die treibenden Kräfte geistiger Thätigkeit, zeigt uns in den verschiedenen Menschenracen und auf verschiedenen Stufen der Bildung bald eine heitere, bald eine trübe Stimmung des GemüthsA. a. O. Bd. I. S. 6–8, Bd. II. S. 10–12 und 92.; bald zarte Erregbarkeit und bald dumpfe Unempfindlichkeit für das Schöne. Es wird der Sinn des Menschen zuerst auf die Heiligung von Naturkräften und gewisser Gegenstände der Körperwelt geleitet; später folgt er religiösen Anregungen höherer, rein geistiger Art.A. a. O. Bd. II. S. 26–31 und 44–49. Der innere Reflex der äußeren Natur wirkt dabei mannigfaltig auf den geheimnißvollen Proceß der 7 SprachenbildungA. a. O. Bd. I. S. 383–386, Bd. II. S. 141–144., in welchem zugleich ursprüngliche körperliche Anlagen und Eindrücke der umgebenden Natur als mächtige mitbestimmende Elemente auftreten. Die Menschheit verarbeitet in sich den Stoff, welchen die Sinne ihr darbieten. Die Erzeugnisse einer solchen Geistesarbeit gehören eben so wesentlich zum Bereich des Kosmos als die Erscheinungen, die sich im Inneren abspiegeln.
Da ein reflectirtes Naturbild unter dem Einfluß aufgeregter schöpferischer Einbildungskraft sich nicht rein und treu erhalten kann; so entsteht neben dem, was wir die wirkliche oder äußere Welt nennen, eine ideale und innere Welt: voll phantastischer, zum Theil symbolischer Mythen; belebt durch fabelhafte Thiergestalten, deren einzelne Glieder den Organismen der jetzigen Schöpfung oder gar den erhaltenen Resten untergegangener GeschlechterM. von Olfers, Ueberreste vorweltlicher Riesenthiere in Beziehung auf ostasiatische Sagen, in den Abh. der Berl. Akad. 1839 S. 51. Ueber die Meinung des Empedocles von der Ursach des Unterganges der ältesten Thierformen s. Hegel's Geschichte der Philosophie Bd. II. S. 344. entlehnt sind. Auch Wunderblumen und Wunderbäume entsprießen dem mythischen Boden: wie nach den Edda-Liedern die riesige Esche, der Weltbaum Yggdrasil, dessen Aeste über den Himmel emporstreben, während eine seiner dreifachen Wurzeln bis in die »rauschenden Kesselbrunnen« der Unterwelt reichtVergl. über den Weltbaum Yggdrasil und den rauschenden (tobenden) Kesselbrunnen Hvergelmir die Deutsche Mythologie von Jacob Grimm 1844 S. 530 und 756; wie Mallet, Northern Antiquities 1847 p. 410, 489 und 492.. So ist das Nebelland physischer Mythen, nach Verschiedenheit der Volksstämme und der Klimate, mit anmuthigen oder mit grauenvollen Gestalten gefüllt. Jahrhunderte lang werden sie durch die Ideenkreise später Generationen vererbt.
Wenn die Arbeit, die ich geliefert, nicht genugsam dem Titel entspricht, den ich oft selbst als gewagt und unvorsichtig gewählt bezeichnet habe; so muß der Tadel der Unvollständigkeit besonders den Theil dieser Arbeit treffen, welcher das geistige Leben im Kosmos, die in die Gedanken- 8 und Gefühlswelt reflectirte äußere Natur, berührt. Ich habe mich in diesem Theile vorzugsweise begnügt bei den Gegenständen zu verweilen, welche in mir der Richtung lang genährter Studien näher liegen: bei den Aeußerungen des mehr oder minder lebhaften Naturgefühls im classischen Alterthum und in der neueren Zeit; bei den Fragmenten dichterischer Naturbeschreibung, auf deren Färbung die Individualität des Volkscharakters und die religiöse, monotheistische Ansicht des Geschaffenen einen so wesentlichen Einfluß ausgeübt haben; bei dem anmuthigen Zauber der Landschaftmalerei; bei der Geschichte der physischen Weltanschauung: d. i. bei der Geschichte der in dem Laufe von zwei Jahrtausenden stufenweise entwickelten Erkenntniß des Weltganzen, der Einheit in den Erscheinungen.
Bei einem so vielumfassenden, seinem Zwecke nach zugleich wissenschaftlichen und die Natur lebendig darstellenden Werke darf ein erster, unvollkommener Versuch der Ausführung nur darauf Anspruch machen, daß er mehr durch das wirke, was er anregt, als durch das, was er zu geben vermag. Ein Buch von der Natur, seines erhabenen Titels würdig, wird dann erst erscheinen, wenn die Naturwissenschaften, trotz ihrer ursprünglichen Unvollendbarkeit, durch Fortbildung und Erweiterung einen höheren Standpunkt erreicht haben: und wenn so beide Sphären des einigen Kosmos (die äußere, durch die Sinne wahrnehmbare: wie die innere, reflectirte, geistige Welt) gleichmäßig an lichtvoller Klarheit gewinnen.
Ich glaube hiermit hinlänglich die Ursachen berührt zu haben, welche mich bestimmen mußten dem allgemeinen Naturgemälde keine größere Ausdehnung zu geben. Dem 9 dritten und letzten Bande des Kosmos ist es vorbehalten vieles des Fehlenden zu ergänzen, und die Ergebnisse der Beobachtung darzulegen, auf welche der jetzige Zustand wissenschaftlicher Meinungen vorzugsweise gegründet ist. Die Anordnung dieser Ergebnisse wird hier wieder die sein, welcher ich nach den früher ausgesprochenen Grundsätzen in dem Naturgemälde gefolgt bin. Ehe ich jedoch zu den Einzelheiten übergehe, welche die speciellen Disciplinen begründen, darf es mir erlaubt sein noch einige allgemeine erläuternde Betrachtungen voranzuschicken. Das unerwartete Wohlwollen, welches meinem Unternehmen bei dem Publikum in weiten Kreisen, in- und außerhalb des Vaterlandes, geschenkt worden ist, läßt mich doppelt das Bedürfniß fühlen mich noch einmal auf das bestimmteste über den Grundgedanken des ganzen Werkes und über Anforderungen auszusprechen, die ich schon darum nicht zu erfüllen versucht habe, weil ihre Erfüllung nach meiner individuellen Ansicht unseres empirischen Wissens nicht von mir beabsichtigt werden konnte. An diese rechtfertigenden Betrachtungen reihen sich wie von selbst historische Erinnerungen an die früheren Versuche den Weltgedanken aufzufinden, der alle Erscheinungen in ihrem Causalzusammenhange auf ein einiges Princip reduciren solle.
Das GrundprincipKosmos Bd. I. S. 30–33 und 62–70. meines Werkes über den Kosmos, wie ich dasselbe vor mehr als zwanzig Jahren in den französischen und deutschen zu Paris und Berlin gehaltenen Vorlesungen entwickelt habe, ist in dem Streben enthalten: die Welterscheinungen als ein Naturganzes aufzufassen; zu zeigen, wie in einzelnen Gruppen dieser Erscheinungen die ihnen gemeinsamen Bedingnisse, d. i. das Walten großer Gesetze, erkannt worden sind; wie man von den Gesetzen 10 zu der Erforschung ihres ursachlichen Zusammenhanges aufsteigt. Ein solcher Drang nach dem Verstehen des Weltplans, d. h. der Naturordnung, beginnt mit Verallgemeinerung des Besondren: mit Erkenntniß der Bedingungen, unter denen die physischen Veränderungen sich gleichmäßig wiederkehrend offenbaren; er leitet zu der denkenden Betrachtung dessen, was die Empirie uns darbietet: nicht aber »zu einer Weltansicht durch Speculation und alleinige Gedankenentwickelung, nicht zu einer absoluten Einheitslehre in Absonderung von der Erfahrung«. Wir sind, ich wiederhole es hier, weit von dem Zeitpunkt entfernt, wo man es für möglich halten konnte alle unsere sinnlichen Anschauungen zur Einheit des Naturbegriffs zu concentriren. Der sichere Weg ist ein volles Jahrhundert vor Francis Bacon schon von Leonardo da Vinci vorgeschlagen und mit wenigen Worten bezeichnet worden: cominciare dall' esperienza e per mezzo di questa scoprirne la ragioneA. a. O. Bd. II. S. 484 [Anm. 883].. In vielen Gruppen der Erscheinungen müssen wir uns freilich noch mit dem Auffinden von empirischen Gesetzen begnügen; aber das höchste, seltener erreichte Ziel aller Naturforschung ist das Erspähen des Causal-ZusammenhangesIn den einleitenden Betrachtungen zum Kosmos Bd. I. S. 32 hätte nicht im allgemeinen gesagt werden sollen, daß »in den Erfahrungswissenschaften die Auffindung von Gesetzen als das letzte Ziel menschlicher Forschung erscheine«. Die Beschränkung: »in vielen Gruppen der Erscheinungen« wäre nothwendig gewesen. Die Vorsicht, mit welcher ich mich im zweiten Bande (S. 351 und 394) über das Verhältniß von Newton zu Kepler ausgedrückt habe, kann, glaube ich, keinen Zweifel darüber lassen, daß ich das Auffinden von Naturgesetzen und ihre Deutung, d. h. die Erklärung der Phänomene, nicht mit einander verwechsle. Ich sage von Kepler: »Eine reiche Fülle genauer Beobachtungen, von Tycho de Brahe geliefert, begründete die Entdeckung der ewigen Gesetze planetarischer Bewegung, die Kepler's Namen einen unsterblichen Ruhm bereiteten und: von Newton gedeutet, theoretisch als nothwendig erwiesen, in das Lichtreich des Gedankens (eines denkenden Erkennens der Natur) übertragen wurden«; von Newton: »Wir endigen mit der Erdgestaltung, wie sie aus theoretischen Schlüssen erkannt worden ist. Newton erhob sich zu der Erklärung des Weltsystems, weil es ihm glückte die Kraft zu finden, von deren Wirkung die Kepler'schen Gesetze die nothwendige Folge sind.« Vergl. über diesen Gegenstand (on laws and causes) die vortrefflichen Bemerkungen in Sir John Herschel's Address for the fifteenth meeting of the British Association at Cambridge 1845 p. XLII, und Edinb. Review Vol. 87. 1848 p. 180–183. selbst. Die befriedigendste Deutlichkeit und Evidenz herrschen da, wo es möglich wird das Gesetzliche auf mathematisch bestimmbare Erklärungsgründe zurückzuführen. Die physische Weltbeschreibung ist nur in einzelnen Theilen eine Welt-Erklärung. Beide Ausdrücke sind noch nicht als identisch zu betrachten. Was der Geistesarbeit, deren Schranken hier bezeichnet werden, großes und feierliches inwohnt, ist das frohe Bewußtsein des Strebens nach dem Unendlichen: nach dem Erfassen dessen, was in ungemessener, 11 unerschöpflicher Fülle das Seinde, das Werdende, das Geschaffene uns offenbart.
Ein solches durch alle Jahrhunderte wirksames Streben mußte oft und unter mannigfaltigen Formen zu der Täuschung verführen, das Ziel erreicht, das Princip gefunden zu haben, aus dem alles Veränderliche der Körperwelt, der Inbegriff aller sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen erklärt werden könne. Nachdem lange Zeit hindurch, gemäß der ersten Grundanschauung des hellenischen Volksgeistes, in den gestaltenden, umwandelnden oder zerstörenden Naturkräften das Walten geistiger Mächte in menschlicher Form verehrtIn der denkwürdigen Stelle (Metaph. XII, 8 pag. 1074 Bekker), in welcher Aristoteles von »den Trümmern einer früher einmal gefundenen und dann wieder verlorenen Weisheit« spricht, heißt es sehr bedeutungsvoll und frei von der Verehrung der Naturkräfte und menschenähnlicher Götter: »vieles ist mythisch hinzugefügt, zur Ueberredung der Menge, wie auch der Gesetze und anderer nützlicher Zwecke wegen.« worden war; entwickelte sich in den physiologischen Phantasien der ionischen Schule der Keim einer wissenschaftlichen Naturbetrachtung. Der Urgrund des Entstehens der Dinge, der Urgrund aller Erscheinungen ward, nach zwei RichtungenDie wichtige Verschiedenheit dieser naturphilosophischen Richtungen, τρόποι, ist klar angedeutet in Aristot. Phys. auscult. I, 4 pag. 187 Bekker. (Vergl. Brandis im Rhein. Museum für Philologie Jahrg. III. S. 105.), aus der Annahme concreter, stoffartiger Principien, sogenannter Natur-Elemente: oder aus Processen der Verdünnung und Verdichtung; bald nach mechanischen, bald nach dynamischen Ansichten, abgeleitet. Die, vielleicht ursprünglich indische Hypothese von vier oder fünf stoffartig verschiedenen Elementen ist von dem Lehrgedichte des Empedocles an bis in die spätesten Zeiten allen Naturphilosophemen beigemengt geblieben: ein uraltes Zeugniß und Denkmal für das Bedürfniß des Menschen, nicht bloß in den Kräften, sondern auch in qualitativer Wesenheit der Stoffe nach einer Verallgemeinerung und Vereinfachung der Begriffe zu streben.
In der späteren Entwickelung der ionischen Physiologie erhob sich Anaxagoras von Klazomenä von der Annahme bloß bewegender Kräfte der Materie zu der Idee eines von aller Materie gesonderten, ihre gleichartigen kleinsten 12 Theile entmischenden Geistes. Die weltordnende Vernunft (νοῦς) beherrscht die continuirlich fortschreitende Weltbildung, den Urquell aller Bewegung und so auch aller physischen Erscheinungen. Durch die Annahme eines centrifugalen UmschwungesKosmos Bd. I. S. 139 und 408 Anm. 89, Bd. II. S. 348 und 501 Anm. 910. Eine merkwürdige Stelle des Simplicius p. 491, b setzt die Centripetalkraft deutlichst dem Umschwunge, der Centrifugalkraft, entgegen. Sie gedenkt des »Nicht-Herabfallens der himmlischen Körper, wenn der Umschwung die Oberhand hat über die eigene Fallkraft, den Zug nach unten«. Deshalb wird bei Plutarch de facie in orbe Lunae p. 923 der nicht zur Erde fallende Mond mit »dem Stein in der Schleuder« verglichen. Ueber die eigentliche Bedeutung der περιχώρησις des Anaxagoras vgl. Schaubach in Anaxag. Clazom. Fragm. 1827 p. 107–109.: dessen Nachlassen, wie wir schon oben erwähnt, den Fall der Meteorsteine bewirkt; erklärt Anaxagoras den scheinbaren (ost-westlichen) himmlischen Kreislauf. Diese Hypothese bezeichnet den Ausgangspunkt von Wirbel-Theorien, welche mehr denn zweitausend Jahre später durch Descartes, Huygens und Hooke eine große kosmische Wichtigkeit erhielten. Ob des Klazomeniers weltordnender Geist die Gottheit selbst oder pantheistisch nur ein geistiges Princip alles Naturlebens bezeichnetSchaubach a. a. O. p. 151–156 und 185–189. Für von dem Geiste, νοῦς, beseelt werden auch die Pflanzen gehalten; Aristot. de Plant. I, 1 p. 815 Bekker., bleibt diesem Werke fremd.
In einem grellen Contraste mit den beiden Abtheilungen der ionischen Schule steht die, das Universum ebenfalls umfassende, mathematische Symbolik der Pythagoreer. Der Blick bleibt einseitig geheftet in der Welt sinnlich wahrnehmbarer Naturerscheinungen auf das Gesetzliche in der Gestaltung (den fünf Grundformen); auf die Begriffe von Zahlen, Maaß, Harmonie und Gegensätzen. Die Dinge spiegeln sich in den Zahlen: welche gleichsam eine »nachahmende Darstellung« (μίμησις) von ihnen sind. Die grenzenlose Wiederholbarkeit und Erhöhung der Zahlen ist der Charakter des Ewigen, der Unendlichkeit der Natur. Das Wesen der Dinge kann als Zahlenverhältnisse, ihre Veränderungen und Umbildungen können als Zahlen-Combinationen erkannt werden. Auch Plato's Physik enthält Versuche alle Wesenheit der Stoffe im Weltall und ihrer Verwandlungsstufen auf körperliche Formen und diese auf die 13 einfachsten (triangularen) Flächen-FigurenVergl. über diesen Theil der mathematischen Physik des Plato: Böckh de platonico syst. caelestium globorum 1810 et 1811; Martin, études sur le Timée T. II. p. 234–242 und Brandis in der Geschichte der Griechisch-Römischen Philosophie Th. II. Abth. 1. 1844 S. 375. zurückzuführen. Was aber die letzten Principien (gleichsam die Elemente der Elemente) sind, sagt Plato in bescheidenem Mißmuth, »weiß Gott allein, und wer von ihm geliebt wird unter den Menschen.« Eine solche mathematische Behandlung physischer Erscheinungen, die Ausbildung der Atomistik, die Philosophie des Maaßes und der Harmonie, hat noch spät auf die Entwickelung der Naturwissenschaften eingewirkt; auch phantasiereiche Entdecker auf Abwege geführt, welche die Geschichte der physischen Weltanschauung bezeichnet. »Es wohnt ein fesselnder, von dem ganzen Alterthume gefeierter Zauber den einfachen Verhältnissen der Zeit und des Raumes inne: wie sie sich in Tönen, in Zahlen und Linien offenbaren.«Kosmos Bd. II S. 520 Anm. 987. Vergl. Gruppe über die Fragmente des Archytas 1840 S. 33.
Die Idee der Weltordnung und Weltregierung tritt geläutert und erhaben in den Schriften des Aristoteles hervor. Alle Erscheinungen der Natur werden in den physischen Vorträgen (Auscultationes physicae) als bewegende Lebensthätigkeiten einer allgemeinen Weltkraft geschildert. Von dem »unbewegten Beweger der Welt« hängt der Himmel und die NaturAristot. Polit. VII, 4 p. 1326 und Metaph. XII, 7 pag. 1072, 10 Bekk. und XII, 10 pag. 1074, 5. Das Pseudo-Aristotelische Buch de Mundo, welches Osann dem Chrysippus zuschreibt (Kosmos Bd. II. S. 14 und 106 [Anm. 461]), enthält ebenfalls (cap. 6 p. 397) eine sehr beredte Stelle über den Weltordner und Welterhalter. (die tellurische Sphäre der Erscheinungen) ab. Der »Anordner«, und der letzte Grund aller sinnlichen Veränderungen muß als ein Nicht-Sinnliches, von aller Materie Getrenntes betrachtet werden.Die Beweisstellen sind gesammelt in Ritter, Gesch. der Philosophie Th. III. S. 185–191. Die Einheit in den verschiednen Kraftäußerungen der Stoffe wird zum Hauptprincipe erhoben, und diese Kraftäußerungen selbst werden stets auf Bewegungen reducirt. So finden wir in dem Buche von der SeeleVergl. Aristot. de Anima II, 7 pag. 419. In dieser Stelle ist die Analogie mit dem Schalle auf das deutlichste ausgedrückt; aber in anderen Schriften hat Aristoteles seine Theorie des Sehens mannigfach modificirt. So heißt es de Insomniis cap. 2 p. 459 Bekker: »Es ist offenbar, daß das Sehen, wie ein Leiden, so auch eine Thätigkeit ist; und daß das Gesicht nicht allein von der Luft (dem Mittel) etwas erleidet, sondern auch in das Mittel einwirkt.« Zum Beweise wird angeführt, daß ein neuer, sehr reiner Metallspiegel unter gewissen Umständen, durch den darauf geworfenen Blick einer Frau, schwer zu vertilgende Nebelflecken erhält. (Vergl. damit Martin, études sur le Timée de Platon T. II. p. 149–163.) schon den Keim der Undulations-Theorie des Lichtes. Die Empfindung des Sehens erfolgt durch eine Erschütterung, 14 eine Bewegung des Mittels zwischen dem Gesicht und dem gesehenen Gegenstande: nicht durch Ausflüsse aus dem Gegenstande oder dem Auge. Mit dem Sehen wird das Hören verglichen: da der Schall ebenfalls eine Folge der Lufterschütterung ist.
Aristoteles, indem er lehrt, durch die Thätigkeit der denkenden Vernunft in dem Besondern der wahrnehmbaren Einzelheiten das Allgemeine zu erforschen, umfaßt immer das Ganze der Natur, und den inneren Zusammenhang nicht bloß der Kräfte, sondern auch der organischen Gestalten. In dem Buche über die Theile (Organe) der Thiere spricht er deutlich seinen Glauben an die Stufenleiter der Wesen aus, in der sie von niederen zu höheren Formen aufsteigen. Die Natur geht in ununterbrochenem, fortschreitendem Entwickelungsgange von dem Unbelebten (Elementarischen) durch die Pflanzen zu den Thieren über: zunächst »zu dem, was zwar noch kein eigentliches Thier, aber so nahe mit diesem verwandt ist, daß es sich im ganzen wenig von ihm unterscheidet.«Aristot. de partibus Animal. lib. IV cap. 5 pag. 681 lin. 12 Bekker. In dem Uebergange der Bildungen »sind die Mittelstufen fast unmerklich.«Aristot. hist. Animal. lib. IX cap. 1 pag. 588 lin. 10–24 Bekker. Wenn im Thierreiche unter den Repräsentanten der vier Elemente auf unserer Erde einige fehlen: z. B. die, welche das Element des reinsten Feuers darstellen, so können vielleicht diese Mittelstufen im Monde vorkommen (Biese, die Philos. des Aristoteles Bd. II. S. 186). Sonderbar genug, daß der Stagirite in einem anderen Planeten sucht, was wir als Mittelglieder der Kette in den untergegangenen Formen von Thier- und Pflanzenarten finden! Das große Problem des Kosmos ist dem Stagiriten die Einheit der Natur. »In ihr«, sagt erAristot. Metaphys. lib. XIII cap. 3 p. 1090 lin. 20 Bekker. mit sonderbarer Lebendigkeit des Ausdrucks, »ist nichts zusammenhangslos Eingeschobenes wie in einer schlechten Tragödie.«
Das naturphilosophische Streben alle Erscheinungen des einigen Kosmos Einem Erklärungs-Principe unterzuordnen ist in allen physikalischen Schriften des tiefsinnigen Weltweisen und genauen Naturbeobachters nicht zu verkennen; aber der mangelhafte Zustand des Wissens, die Unbekanntschaft mit der Methode des Experimentirens, d. h. 15 des Hervorrufens der Erscheinungen unter bestimmten Bedingnissen, hinderte selbst kleine Gruppen physischer Processe in ihrem Causalzusammenhange zu erfassen. Alles wurde reducirt auf die immer wiederkehrenden Gegensätze von Kälte und Wärme, Feuchtigkeit und Dürre, primitiver Dichtigkeit und Dünne; ja auf ein Bewirken von Veränderungen in der Körperwelt durch eine Art innerer Entzweiung (Antiperistase), welche an unsere jetzigen Hypothesen der entgegengesetzten Polarität, an die hervorgerufenen Contraste von + und – erinnert.Die ἀντιπερίστασις des Aristoteles spielt besonders eine große Rolle in allen Erklärungen meteorologischer Processe; so in den Werken: de generatione et interitu lib. II cap. 3 p. 330, den Meteorologicis lib. I cap. 12 und lib. III cap. 3 p. 372, und den Problemen (lib. XIV cap. 3, lib. VIII no. 9 p. 888 und lib. XIV no. 3 p. 909): die wenigstens nach aristotelischen Grundsätzen abgefaßt sind. In der alten Polaritäts-Hypothese κατ' ἀντιπερίστασιν ziehen sich aber gleichartige Zustände an und ungleichartige (+ und –) stoßen sich entgegengesetzt ab (vergl. Ideler, Meteorol. veterum Graec. et Rom. 1832 p. 10). Die entgegengesetzten Zustände, statt sich bindend zu vernichten, erhöhen vielmehr die Spannung. Das ψυχρὸν steigert das ϑερμόν: so wie umgekehrt »die umgebende Wärme bei der Hagelbildung, indem das Gewölk sich in wärmere Luftschichten senkt, den kalten Körper noch kälter macht«. Aristoteles erklärt durch seinen antiperistatischen Proceß, durch Wärme-Polarität, was die neuere Physik durch Leitung, Strahlung, Verdampfung, Veränderung der Wärme-Capacität zu erklären weiß. S. die scharfsinnigen Betrachtungen von Paul Erman in den Abhandl. der Berliner Akademie auf das Jahr 1825 S. 128. Die vermeinten Lösungen der Probleme geben dann die Thatsachen selbst verhüllt wieder, und der sonst überall so mächtig concise Styl des Stagiriten geht in der Erklärung meteorologischer oder optischer Processe oft in selbstgefällige Breite und etwas hellenische Vielredenheit über. Da der Aristotelische Sinn wenig auf Stoff-Verschiedenheit, vielmehr ganz auf Bewegung gerichtet ist; so tritt die Grundidee, alle tellurischen Naturerscheinungen dem Impuls der Himmelsbewegung, dem Umschwung der Himmelssphäre zuzuschreiben, wiederholt hervor: geahndet, mit Vorliebe gepflegt»Durch die Bewegung der Himmelssphäre wird alles Veränderliche in den Naturkörpern, werden alle irdische Erscheinungen hervorgerufen.« Aristot. Meteorol. I, 2 p. 339 und de gener. et corrupt. II, 10 p. 336., aber nicht in absoluter Schärfe und Bestimmtheit dargestellt.
Der Impuls, welchen ich hier bezeichne, deutet nur die Mittheilung der Bewegung als den Grund aller irdischen Erscheinungen an. Pantheistische Ansichten sind ausgeschlossen. Die Gottheit ist die höchste »ordnende Einheit: welche sich in allen Kreisen der gesammten Welt offenbart, jedem einzelnen Naturwesen die Bestimmung verleiht, als absolute Macht alles zusammenhält.«Aristot. de Coelo lib. I cap. 9 pag. 279, lib. II cap. 3 pag. 286, lib. II cap. 13 pag. 292 Bekker (vergl. Biese Bd. I. S. 352–357). Der Zweckbegriff und die teleologischen Ansichten werden nicht auf die untergeordneten Naturprocesse: die der anorganischen, 16 elementarischen Natur, angewandt; sondern vorzugsweise auf die höheren OrganisationenAristot. Phys. auscult. lib. II cap. 8 pag. 199, de Anima lib. III cap. 12 pag. 434, de Animal. generat. lib. V cap. 1 pag. 778 Bekker. der Thier- und Pflanzenwelt. Auffallend ist es, daß in diesen Lehren die Gottheit sich gleichsam einer Anzahl von Astralgeistern bedient, welche (wie der Massenvertheilung und der Perturbationen kundig) die Planeten in den ewigen Bahnen zu erhalten wissen.Aristot. Meteorol. XII, 8 p. 1074, zu welcher Stelle eine denkwürdige Erläuterung im Commentar des Alexander Aphrodisiensis enthalten ist. Die Gestirne sind nicht seelenlose Körper, sie sind vielmehr als handelnde und lebendige Wesen zu betrachten (Aristot. de Coelo lib. II cap. 12 p. 292). Sie sind das Göttlichere unter dem Erscheinenden, τὰ ϑειότερα τῶν φανερῶν (Aristot. de Coelo lib. I cap. 9 p. 278 und lib. II cap. 1 p. 284. In der kleinen Pseudo-Aristotelischen Schrift de Mundo, in welcher oft eine religiöse Stimmung vorherrscht (von der erhaltenden Allmacht Gottes cap. 6 pag. 400), wird der hohe Aether auch göttlich genannt (cap. 2 pag. 392). Was der phantasiereiche Kepler im Mysterium cosmographicum (cap. 20 p. 71) »bewegende Geister, animae motrices« nennt: ist die verworrene Idee einer Kraft (virtus), welche in der Sonne (anima mundi) ihren Hauptsitz hat, nach den Gesetzen des Lichts in der Entfernung abnimmt und die Planeten in elliptischen Bahnen umtreibt. (Vergl. Apelt, Epochen der Gesch. der Menschheit Bd. I. S. 274.) Die Gestirne offenbaren dabei das Bild der Göttlichkeit in der sinnlichen Welt. Des kleinen, Pseudo-Aristotelischen, gewiß stoischen Buches vom Kosmos ist hier, trotz seines Namens, nicht Erwähnung geschehen. Es stellt zwar, naturbeschreibend und oft mit rhetorischer Lebendigkeit und Färbung, zugleich Himmel und Erde, die Strömungen des Meeres und des Luftkreises dar; aber es offenbart keine Tendenz die Erscheinungen des Kosmos auf allgemeine physikalische, d. h. in den Eigenschaften der Materie gegründete, Principien zurückzuführen.
Ich habe länger bei der glänzendsten Epoche der Naturansichten des Alterthums verweilt, um den frühesten Versuchen der Verallgemeinerung die Versuche der neueren Zeit gegenüberzustellen. In der Gedankenbewegung der Jahrhunderte, welche in Hinsicht auf die Erweiterung kosmischer Anschauungen in einem anderen Theile dieses BuchesKosmos Bd. II. S. 280–291. geschildert worden ist, zeichnen sich das Ende des dreizehnten und der Anfang des vierzehnten Jahrhunderts aus; aber das Opus majus von Roger Bacon, der Naturspiegel des Vincenz von Beauvais, die physische Geographie (Liber cosmographicus) von Albert dem Großen, das Weltgemälde (Imago Mundi) des Cardinals Petrus de Alliaco (Pierre d'Ailly) sind Werke, welche, so mächtig sie auch auf Zeitgenossen gewirkt haben, durch 17 ihren Inhalt nicht dem Titel entsprechen, den sie führen. Unter den italiänischen Gegnern der Aristotelischen Physik wird Bernardino Telesio aus Cosenza als der Gründer einer rationellen Naturwissenschaft bezeichnet. Alle Erscheinungen der sich passiv verhaltenden Materie werden von ihm als Wirkungen zweier unkörperlichen Principien (Thätigkeiten, Kräfte), von Wärme und Kälte, betrachtet. Auch das ganze organische Leben, die »beseelten« Pflanzen und Thiere, sind das Product jener ewig entzweiten Kräfte: von denen vorzugsweise die eine, die Wärme, der himmlischen; die andere, die Kälte, der irdischen Sphäre zugehört.
Mit noch ungezügelterer Phantasie, aber auch mit tiefem Forschungsgeiste begabt, versucht Giordano Bruno aus Nola in drei WerkenVergl. die scharfsinnige und gelehrte Bearbeitung der Werke des Philosophen von Nola in der Schrift: Jordano Bruno par Christian Bartholmèss T. II. 1847 p. 129, 149 und 201.: De la Causa, Principio e Uno; Contemplationi circa lo Infinito, Universo e Mondi inumerabili; und De Minimo et Maximo; das Weltganze zu umfassen. In der Naturphilosophie des Telesio, eines Zeitgenossen des Copernicus, erkennt man wenigstens das Bestreben die Veränderungen der Materie auf zwei ihrer Grundkräfte zu reduciren: »welche zwar als von außen wirkend gedacht werden«, doch ähnlich sind den Grundkräften der Anziehung und Abstoßung in der dynamischen Naturlehre von Boscowich und Kant. Die kosmischen Ansichten des Nolaners sind rein metaphysisch; sie suchen nicht die Ursachen der sinnlichen Erscheinungen in der Materie selbst: sondern berühren »die Unendlichkeit des mit selbstleuchtenden Welten gefüllten Raumes, die Beseeltheit dieser Welten; die Beziehungen der höchsten Intelligenz, Gottes, zu dem Universum.« Mit geringem mathematischen Wissen ausgerüstet, war Giordano Bruno doch bis zu seinem 18 furchtbaren MartertodeVerbrannt zu Rom am 17 Februar 1600, nach der Sentenz: ut quam clementissime et citra sanguinis effusionem puniretur. Bruno war 6 Jahre unter den Bleidächern in Venedig, zwei Jahre in der Inquisition zu Rom gefangen gewesen. Als das Todesurtheil ihm verkündigt ward, sagte der nichtgebeugte Mann die schönen, muthigen Worte: majori forsitan cum timore sententiam in me fertis quam ego accipam. Aus Italien flüchtig (1580): lehrte er in Genf, in Lyon, Toulouse, Paris, Oxford, Marburg, Wittenberg (das er Deutschlands Athen nennt), Prag, Helmstedt, wo er 1589 die wissenschaftliche Ausbildung des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel vollendete (Bartholmèß T. I. p. 167–178), und seit 1592 in Padua. ein enthusiastischer Bewunderer von Copernicus, Tycho und Kepler. Zeitgenosse des Galilei, erlebte er nicht die Erfindung des Fernrohrs von Hans Lippershey und Zacharias Jansen: und also auch nicht die Entdeckung der »kleinen Jupiterswelt«, der Venus-Phasen und der Nebelflecke. Mit kühner Zuversicht auf das, was er nennt lume interno, ragione naturale, altezza dell' intelleto: überließ er sich glücklichen Ahndungen über die Bewegung der Fixsterne, die planetenartige Natur der Cometen und die von der Kugelform abweichende Gestalt der Erde.Bartholmèß T. II. p. 219, 232 und 370. Ueber die große Himmelsbegebenheit des plötzlich (1572) in der Cassiopea auflodernden neuen Sternes hat Bruno die einzelnen Beobachtungen sorgfältig zusammengestellt. Seine naturphilosophischen Beziehungen zu zweien seiner calabresischen Landsleute, Bernardino Telesio und Thomas Campanella, wie zu dem platonisirenden Cardinal Nicolaus Krebs aus Cusa (s. Kosmos Bd. II. S. 503 [Anm. 916]) sind in neueren Zeiten vielfach geprüft worden. Auch das griechische Alterthum ist voll von solchen uranologischen Verheißungen, die später erfüllt wurden.
In der Gedankenentwickelung über kosmische Verhältnisse, deren Hauptformen und Haupt-Epochen hier aufgezählt werden, war Kepler, volle 78 Jahre vor dem Erscheinen von Newton's unsterblichem Werke der Principia Philosophiae Naturalis, einer mathematischen Anwendung der Gravitations-Lehre am nächsten. Wenn der Eklektiker Simplicius bloß im allgemeinen den Grundsatz aussprach: »das Nicht-Herabfallen der himmlischen Körper werde dadurch bewirkt, daß der Umschwung (die Centrifugalkraft) die Oberhand habe über die eigene Fallkraft, den Zug nach unten«; wenn Johannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeä, die Bewegung der Weltkörper »einem primitiven Stoße und dem fortgesetzten Streben zum Falle« zuschrieb; wenn, wie wir schon früher bemerkt, Copernicus nur den allgemeinen Begriff der Gravitation, wie sie in der Sonne als dem Centrum der Planetenwelt, in der Erde und dem Monde wirke, mit den denkwürdigen Worten bezeichnet: gravitatem non aliud esse quam appetentiam 19 quandam naturalem partibus inditam a divina providentia opificis universorum, ut in unitatem integritatemque suam sese conferant, in formam globi coeuntes: so finden wir bei Kepler in der Einleitung zu dem Buche de Stella Martis»Si duo lapides in aliquo loco Mundi collocarentur propinqui invicem, extra orbem virtutis tertii cognati corporis; illi lapides ad similitudinem duorum Magneticorum corporum coirent loco intermedio, quilibet accedens ad alterum tanto intervallo, quanta est alterius moles in comparatione. Si luna et terra non retinerentur vi animali(!) aut alia aliqua aequipollente, quaelibet in suo circuitu, Terra adscenderet ad Lunam quinquagesima quarta parte intervalli, Luna descenderet ad Terram quinquaginta tribus circiter partibus intervalli; ibi jungerentur, posito tamen quod substantia utriusque sit unius et ejusdem densitatis.« Kepler, Astronomia nova, seu Physica coelestis de Motibus Stellae Martis 1609 Introd. fol. V. Ueber die älteren Ansichten von der Gravitation s. Kosmos Bd. II. S. 348, 501 [Anm. 910] und 502 [Anm. 914]. zuerst numerische Angaben von den Anziehungskräften, welche nach Verhältniß ihrer Massen Erde und Mond gegen einander ausüben. Er führt bestimmt Ebbe und Fluth»Si Terra cessaret attrahere ad se aquas suas, aquae marinae omnes elevarentur et in corpus Lunae influerent. Orbis virtutis tractoriae, quae est in Luna, porrigitur usque ad terras, et prolectat aquas quacunque in verticem loci incidit sub Zonam torridam, quippe in occursum suum quacunque in verticem loci incidit, insensibiliter in maribus inclusis, sensibiliter ibi ubi sunt latissimi alvei Oceani propinqui, aquisque spaciosa reciprocationis libertas.« (Kepler l. c.). »Undas a Luna trahi ut ferrum a Magnete....« Kepleri Harmonices Mundi libri quinque 1619 lib. IV cap. 7 p. 162. Dieselbe Schrift, welche so viel herrliches darbietet, ja die Begründung des wichtigen dritten Gesetzes (nach dem die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten sich verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernungen): wird durch die muthwilligsten Phantasiespiele über die Respiration, die Nahrung und die Wärme des Erdthieres; über des Thieres Seele, sein Gedächtniß (memoria animae Terrae), ja seine schaffende Einbildungskraft (animae Telluris imaginatio) verunstaltet. Der große Mann hielt so fest an diesen Träumereien, daß er mit dem mystischen Verfasser des Macrocosmos, Robert Fludd aus Oxford (der an der Erfindung des Thermometers Theil haben soll), über das Prioritätsrecht der Ansichten vom Erdthiere ernsthaft haderte (Harm. Mundi p. 252). – Massen-Anziehung wird in Kepler's Schriften oft mit magnetischer Anziehung verwechselt. »Corpus Solis esse magneticum. Virtutem, quae Planetas movet, residere in corpore Solis.« (Stella Martis Pars III cap. 32 und 34.) Jedem Planeten wurde eine Magnet-Achse zugeschrieben, welche stets nach einer und derselben Weltgegend gerichtet ist. (Apelt, Joh. Keppler's astron. Weltansicht 1849 S. 73.) als einen Beweis an, daß die anziehende Kraft des Mondes (virtus tractoria) sich bis zur Erde erstrecke; ja daß diese Kraft, »ähnlich der, welche der Magnet auf das Eisen ausübt«, die Erde des Wassers berauben würde, wenn diese aufhörte dasselbe anzuziehen. Leider gab der große Mann zehn Jahre später, 1619: vielleicht aus Nachgiebigkeit gegen Galilei, welcher Ebbe und Fluth der Rotation der Erde zuschrieb, die richtige Erklärung auf, um in der Harmonice Mundi den Erdkörper als ein lebendiges Unthier zu schildern, dessen wallfischartige Respiration, in periodischem, von der Sonnenzeit abhängigen Schlaf und Erwachen, das Anschwellen und Sinken des Oceans verursacht. Bei dem mathematischen, schon von Laplace anerkannten Tiefsinne, welcher aus einer von Kepler's Schriften hervorleuchtetVergl. Kosmos Bd. II. S. 364 und 512 Anm. 938., ist zu bedauern, daß der Entdecker von den drei großen Gesetzen aller planetarischen Bewegung nicht auf dem Wege fortgeschritten ist, zu welchem ihn seine Ansichten über die Massen-Anziehung der Weltkörper geleitet hatten.
Mit einer größeren Mannigfaltigkeit von Naturkenntnissen als Kepler begabt und Gründer vieler Theile einer mathematischen Physik, unternahm Descartes in einem Werke, das er Traité du Monde, auch Summa Philosophiae 20 nannte, die ganze Welt der Erscheinungen: die himmlische Sphäre und alles, was er von der belebten und unbelebten irdischen Natur wußte, zu umfassen. Der Organismus der Thiere, besonders der des Menschen, für welchen er eilf Jahre langLa Vie de Mr. Des-Cartes (par Baillet) 1691 P. I. p. 197 und Oeuvres de Descartes publiées par Victor Cousin T. I. 1824 p. 101. sehr ernste anatomische Studien gemacht, sollte das Werk beschließen. In der Correspondenz mit dem Pater Mersenne findet man häufige Klagen über das langsame Fortschreiten der Arbeit und über die Schwierigkeit so viele Materien an einander zu reihen. Der Kosmos, den Descartes immer seine Welt (son Monde) nannte, sollte endlich am Schlusse des Jahres 1633 dem Druck übergeben werden: als das Gerücht von der Verurtheilung Galilei's in der Inquisition zu Rom, welches erst vier Monate später, im October 1633, durch Gassendi und Bonillaud verbreitet wurde, alles rückgängig machte und die Nachwelt eines großen, mit so viel Mühe und Sorgfalt vollendeten Werkes beraubte. Die Motive der Nicht-Herausgabe des Kosmos waren Liebe zu friedlicher Ruhe im einsamen Aufenthalte zu Deventer, wie die fromme Besorgniß unehrerbietig gegen die Decrete des heiligen Stuhles wider die planetarische Bewegung der Erde zu sein.Lettres de Descartes au P. Mersenne du 19 Nov. 1633 et du 5 Janvier 1634 (Baillet P. I. p. 244–247). Erst 1664, also vierzehn Jahre nach dem Tode des Philosophen, wurden einige Fragmente unter dem sonderbaren Titel: Le Monde ou Traité de la Lumière gedruckt.Die lateinische Uebersetzung führt den Titel: Mundus sive Dissertatio de Lumine ut et de aliis Sensuum Objectis primariis. S. R. Descartes, Opuscula posthuma physica et mathematica Amst. 1704. Die drei Capitel, welche vom Lichte handeln, bilden doch kaum ein Viertel des Ganzen. Dagegen wurden die Abschnitte, welche ursprünglich zu dem Kosmos des Descartes gehörten: und Betrachtungen über die Bewegung und Sonnenferne der Planeten, über den Erd-Magnetismus, die Ebbe und Fluth, das Erdbeben und die Vulkane enthalten; in den 21 dritten und vierten Theil des berühmten Werkes Principes de la Philosophie versetzt.
Der Kosmotheoros von Huygens, der erst nach seinem Tode erschienen ist, verdient, trotz seines bedeutungsvollen Namens, in dieser Aufzählung kosmologischer Versuche kaum genannt zu werden. Es sind Träume und Ahndungen eines großen Mannes über die Pflanzen- und Thierwelt auf den fernsten Weltkörpern, besonders über die dort abgeänderte Gestalt des Menschengeschlechts. Man glaubt Kepler's Somnium astronomicum oder Kircher's ecstatische Reise zu lesen. Da Huygens schon, ganz wie die Astronomen unserer Zeit, dem Monde alles Wasser»Lunam aquis carere et aëre: Marium similitudinem in Luna nullam reperio. Nam regiones planas quae montosis multo obscuriores sunt, quasque vulgo pro maribus haberi video et oceanorum nominibus insigniri, in his ipsis, longiore telescopio inspectis, cavitates exiguas inesse comperio rotundas, umbris intus cadentibus; quod maris superficiei convenire nequit: tum ipsi campi illi latiores non prorsus aequabilem superficiem praeferunt, cum diligentius eas intuemur. Quodcirca maria esse non possunt, sed materia constare debent minus candicante, quam quae est partibus asperioribus, in quibus rursus quaedam viridiori lumine caeteras praecellunt.« Hugenii Cosmotheoros ed. alt. 1699 lib. II p. 114. Auf dem Jupiter vermuthet aber Huygens viel Sturm und Regen, denn: ventorum flatus ex illa nubium Jovialium mutabili facie cognoscitur (lib. I p. 69). Die Träume von Huygens über die Bewohner ferner Planeten, eines strengen Mathematikers eben nicht würdig, sind leider von Immanuel Kant in seinem vortrefflichen Werke: allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels 1755 (S. 173–192) erneuert worden. und alle Luft versagte, so ist er über die Existenz des Mondmenschen noch verlegener als über die Bewohner der »dunst- und wolkenreichen« ferneren Planeten.
Dem unsterblichen Verfasser des Werkes Philosophiae Naturalis Principia mathematica gelang es, den ganzen uranologischen Theil des Kosmos durch die Annahme einer einigen, alles beherrschenden Grundkraft der Bewegung in dem Causal-Zusammenhange seiner Erscheinungen zu erfassen. Newton zuerst hat die physische Astronomie zu der Lösung eines großen Problems der Mechanik, zu einer mathematischen Wissenschaft erhoben. Die Quantität der Materie in jeglichem Weltkörper giebt das Maaß seiner anziehenden Kraft: einer Kraft, die in umgekehrtem Verhältniß des Quadrats der Entfernung wirkt und die Größe der Störungen bestimmt, welche nicht bloß die Planeten, sondern alle Gestirne der Himmelsräume auf einander ausüben. Aber das Newtonische, durch Einfachheit und Allgemeinheit so bewundernswürdige Theorem der Gravitation 22 ist in seiner kosmischen Anwendung nicht auf die uranologische Sphäre beschränkt, es beherrscht auch die tellurischen Erscheinungen in zum Theil noch unerforschten Richtungen: es giebt den Schlüssel zu periodischen Bewegungen im Ocean und in der AtmosphäreLaplace (des oscillations de l'atmosphère, du flux solaire et lunaire) in der Mécanique céleste livre IV und in der exposition du Syst. du Monde 1824 p. 291–296.; zu der Lösung von Problemen der Capillarität, der Endosmose, vieler chemischer, electro-magnetischer und organischer Processe. Newton»Adjicere jam licet de spiritu quodam subtilissimo corpora crassa pervadente et in iisdem latente, cujus vi et actionibus particulae corporum ad minimas distantias se mutuo attrahunt et contiguae factae cohaerent.«. Newton, Principia Phil. Nat. (ed. Le Seur et Jacquier 1760) Schol. gen. T. III. p. 676. Vergl. auch Newton, Opticks (ed. 1718) Query 31 p. 305 und 353, 367 und 372. (Laplace, Syst. du Monde p. 384; Kosmos Bd. I. S. 56 und 74 [Anm. 23].) selbst unterschied schon die Massen-Anziehung, wie sie sich in den Bewegungen aller Weltkörper und in den Phänomenen der Ebbe und Fluth äußert, von der Molecular-Anziehung, die in unendlich kleiner Entfernung und bei der innigsten Berührung wirksam wird.
Auf diese Weise zeigt sich unter allen Versuchen, das Veränderliche in der Sinnenwelt auf ein einziges Grundprincip zurückzuführen, die Lehre von der Gravitation als der umfassendste und kosmisch vielverheißendste. Allerdings lassen sich, trotz der glänzenden Fortschritte, welche in neueren Zeiten in der Stöchiometrie (in der Rechenkunst mit chemischen Elementen und in den Volum-Verhältnissen der gemengten Gas-Arten) gemacht sind, noch nicht alle physikalischen Theorien der Stofflehre auf mathematisch bestimmbare Erklärungsgründe zurückführen. Empirische Gesetze sind aufgefunden, und nach den weitverbreiteten Ansichten der Atomistik oder Corpuscular-Philosophie ist manches der Mathematik zugänglicher geworden; aber bei der grenzenlosen Heterogeneität der Stoffe und den mannigfaltigen Aggregations-Zuständen der sogenannten Massentheilchen sind die Beweise jener empirischen Gesetze noch keinesweges aus der Theorie der Contact-Anziehung mit der Gewißheit zu entwickeln, welche die Begründung von Kepler's drei großen 23 empirischen Gesetzen aus der Theorie der Massen-Anziehung oder Gravitation darbietet.
Zu derselben Zeit aber, in der Newton schon erkannt hatte, daß alle Bewegungen der Weltkörper Folgen einer und derselben Kraft seien, hielt er die Gravitation selbst nicht, wie Kant, für eine Grundkraft der Materie»Hactenus phaenomena caelorum et maris nostri per vim gravitatis exposui, sed causam gravitatis nondum assignavi. Oritur utique haec vis a causa aliqua, quae penetrat ad usque centra solis et planetarum, sine virtutis diminutione; quaeque agit non pro quantitate superficierum particularum, in quas agit (ut solent causae mechanicae), sed pro quantitate materiae solidae. – Rationem harum gravitatis proprietatum ex phaenomenis nondum potui deducere et hypotheses non fingo. Satis est quod gravitas revera existat et agat secundum leges a nobis expositas.« Newton, Principia Phil. Nat. p. 676. – »To tell us that every species of things is endow'd with an occult specifick quality by which it acts and produces manifest effects, is to tell us nothing: but to derive two or three general principles of motion from phaenomena, and afterwards to tell us how the properties and actions of all corporeal things follow from those manifest principles, would be a very great step in Philosophy, though the causes of those principles were not yet discovered: and therefore I scruple not to propose the principles of motion and leave their causes to be found out.« Newton, Opticks p. 377. Früher, Query 31 p. 351, heißt es: »Bodies act one upon another by the attraction of gravity, magnetism and electricity, and it is not improbable that there may be more attractive powers than these. How these attractions may be performed, I do not here consider. What I call attraction, may be performed by impulse or by some other means unknown to me. I use that word here to signify only in general any force by which bodies tend towards one another, whatsoever be the cause.«; sondern entweder für abgeleitet von einer, ihm noch unbekannten, höheren Kraft: oder für Folge eines »Umschwunges des Aethers, welcher den Weltraum erfüllt, und in den Zwischenräumen der Massentheilchen dünner ist, nach außen aber an Dichtigkeit zunimmt.« Die letztere Ansicht ist umständlich in einem Briefe an Robert Boyle»I suppose the rarer aether within bodies and the denser without them.« Operum Newtoni Tomus IV. (ed. 1782 Sam. Horsley) p. 386, mit Anwendung auf die Erklärung der von Grimaldi entdeckten Diffraction oder Lichtbeugung. Am Schlusse des Briefes von Newton an Robert Boyle vom Febr. 1678 p. 394 heißt es: »I shall set down one conjecture more which came into my mind: it is about the cause of gravity......« Auch die Correspondenz mit Oldenburg vom December 1675 beweist, daß der große Mann damals den Aether-Hypothesen nicht abgeneigt war. Nach diesen sollte der Stoß des materiellen Lichtes den Aether in Schwingung setzen; die Schwingungen des Aethers allein, welcher Verwandtschaft mit einem Nerven-Fluidum hat, erzeugten nicht das Licht. S. über den Streit mit Hooke Horsley's Ausgabe T. IV. p. 378–380. (vom 28 Febr. 1678) entwickelt, welcher mit den Worten endigt: »ich suche in dem Aether die Ursach der Gravitation«. Acht Jahre später, wie man aus einem Schreiben an Halley ersieht, gab Newton diese Hypothese des dünneren und dichteren Aethers gänzlich auf.Brewster, life of Sir Isaac Newton p. 303–305. Besonders auffallend ist es, daß er neun Jahre vor seinem Tode, 1717, in der so überaus kurzen Vorrede zu der zweiten Auflage seiner Optik es für nöthig hielt bestimmt zu erklären, daß er die Gravitation keinesweges für eine Grundkraft der Materie (essential property of bodies) halteDie Erklärung, not to take gravity for an essential property of bodies, welche Newton im second Advertisement giebt, contrastirt mit den Attractions- und Repulsions-Kräften, welche er allen Massentheilchen (molécules) zuschreibt, um nach der Emissions-Theorie die Phänomene der Brechung und Zurückwerfung der Lichtstrahlen von spiegelnden Flächen »vor der wirklichen Berührung« zu erklären. (Newton, Opticks Book II Prop. 8 p. 241 und Brewster a. a. O. p. 301.) Nach Kant (s. die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft 1800 S. 28) kann die Existenz der Materie nicht gedacht werden ohne diese Kräfte der Anziehung und Abstoßung. Alle physischen Erscheinungen sind deshalb nach ihm wie nach dem früheren Goodwin Knight (Philos. Transact. 1748 p. 264) auf den Conflict der zwei Grundkräfte zurückzuführen. In den atomistischen Systemen, die Kant's dynamischen Ansichten diametral entgegengesetzt sind, wurde nach einer Annahme, welche besonders durch Lavoisier sich weit verbreitete, die Anziehungskraft den discreten starren Grundkörperchen (molécules), aus denen alle Körper bestehen sollen; die Abstoßungskraft aber den Wärmestoff-Atmosphären, welche die Grundkörperchen umgeben, zugeschrieben. In dieser Hypothese, welche den sogenannten Wärmestoff als eine stetig ausgedehnte Materie betrachtet, werden demnach zweierlei Materien, d. i. zweierlei Elementarstoffe, wie in der Mythe von zwei Aether-Arten (Newton, Opt. Query 28 p. 339), angenommen. Man fragt dann, was wiederum jene Wärme-Materie ausdehnt? Betrachtungen über die Dichtigkeit der molécules in Vergleich mit der Dichtigkeit ihrer Aggregate (der ganzen Körper) leiten nach atomistischen Hypothesen zu dem Resultate: daß der Abstand der Grundkörperchen von einander weit größer als ihr Durchmesser ist.: während Gilbert schon 1600 den Magnetismus für eine aller Materie inwohnende Kraft ansah. So schwankend war der tiefsinnigste, immer der Erfahrung zugewandte Denker, Newton selbst, über die »letzte mechanische Ursach« aller Bewegung.
Es ist allerdings eine glänzende, des menschlichen Geistes würdige Aufgabe, die ganze Naturlehre von den Gesetzen der Schwere an bis zu dem Bildungstriebe in den belebten Körpern als ein organisches Ganzes aufzustellen; aber der 24 unvollkommene Zustand so vieler Theile unseres Naturwissens setzt der Lösung jener Aufgabe unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Die Unvollendbarkeit aller Empirie, die Unbegrenztheit der Beobachtungssphäre macht die Aufgabe, das Veränderliche der Materie aus den Kräften der Materie selbst zu erklären, zu einer unbestimmten. Das Wahrgenommene erschöpft bei weitem nicht das Wahrnehmbare. Wenn wir, um nur an die Fortschritte der uns näheren Zeit zu erinnern, das unvollkommene Naturwissen von Gilbert, Robert Boyle und Hales mit dem jetzigen vergleichen, wir dazu der mit jedem Jahrzehend zunehmenden Schnelligkeit des Fortschrittes gedenken; so erfassen wir die periodischen, endlosen Umwandelungen, welche allen physikalischen Wissenschaften noch bevorstehen. Neue Stoffe und neue Kräfte werden entdeckt werden. Wenn auch viele Naturprocesse: wie die des Lichts, der Wärme und des Electro-Magnetismus, auf Bewegung (Schwingungen) reducirt, einer mathematischen Gedankenentwickelung zugänglich geworden sind; so bleiben übrig die oft erwähnten, vielleicht unbezwingbaren Aufgaben von der Ursach chemischer Stoff-Verschiedenheit: wie von der scheinbar allen Gesetzen entzogenen Reihung in der Größe, der Dichtigkeit, Achsenstellung und Bahn-Excentricität der Planeten; in der Zahl und dem Abstande ihrer Satelliten, in der Gestalt der Continente und der Stellung ihrer höchsten Bergketten. Die hier beispielsweise genannten räumlichen Verhältnisse können bisher nur als etwas thatsächlich in der Natur Daseiendes betrachtet werden. Sind die Ursachen und die Verkettung dieser Verhältnisse noch nicht ergründet, so nenne ich sie darum aber nicht zufällig. Sie sind das Resultat von Begebenheiten in den Himmelsräumen bei Bildung 25 unseres Planetensystems, von geognostischen Vorgängen bei der Erhebung der äußersten Erdschichten als Continente und Gebirgsketten. Unsere Kenntniß von der Urzeit der physikalischen Weltgeschichte reicht nicht hoch genug hinauf, um das jetzt Daseiende als etwas Werdendes zu schildern.Kosmos Bd. I. S. 98–102.
Wo demnach der Causal-Zusammenhang der Erscheinungen noch nicht hat vollständig erkannt werden können, ist die Lehre vom Kosmos oder die physische Weltbeschreibung nicht eine abgesonderte Disciplin aus dem Gebiet der Naturwissenschaften. Sie umfaßt vielmehr dieses ganze Gebiet, die Phänomene beider Sphären, der himmlischen und der tellurischen; aber sie umfaßt sie unter dem einigen Gesichtspunkte des Strebens nach der Erkenntniß eines Weltganzen.A. a. O. Bd. I. S. 39 und 50–56. Wie »bei der Darstellung des Geschehenen in der moralischen und politischen Sphäre der GeschichtsforscherWilhelm von Humboldt, gesammelte Werke Bd. I. S. 23. nach menschlicher Ansicht den Plan der Weltregierung nicht unmittelbar erspähen, sondern nur an den Ideen erahnden kann, durch die sie sich offenbaren«; so durchdringt auch den Naturforscher bei der Darstellung der kosmischen Verhältnisse ein inniges Bewußtsein, daß die Zahl der welttreibenden, der gestaltenden und schaffenden Kräfte keinesweges durch das erschöpft ist, was sich bisher aus der unmittelbaren Beobachtung und Zergliederung der Erscheinungen ergeben hat.
A. Anregungsmittel zum Naturstudium.
I. Dichterische Naturbeschreibung. Die Hauptresultate der Beobachtung, wie sie der reinen Objectivität wissenschaftlicher Naturbeschreibung angehören, sind in dem Naturgemälde aufgestellt worden; jetzt betrachten wir den Reflex des durch die äußeren 523 Sinne empfangenen Bildes auf das Gefühl und die dichterisch gestimmte Einbildungskraft. – Sinnesart der Griechen und Römer. Ueber den Vorwurf, als wäre in beiden das Naturgefühl minder lebhaft gewesen. Nur die Aeußerungen des Naturgefühls sind seltener: weil in den großen Formen der lyrischen und epischen Dichtung das Naturbeschreibende bloß als Beiwerk auftritt und in der alten hellenischen Kunstbildung sich alles gleichsam im Kreise der Menschheit bewegt. – Frühlings-Päane, Homer, Hesiodus. Tragiker: Fragment aus einem verlorenen Werke des Aristoteles. Bukolische Dichtung. Nonnus, Anthologie. – Eigenthümlichkeit der griechischen Landschaft. S. 6–16 und Anm. S. 104–105 [No. 447–454]. – Römer; Lucretius, Virgil, Ovidius, Lucanus, Lucilius Junior. Spätere Zeit, wo das poetische Element nur als zufälliger Schmuck des Gedankens erscheint; Moselgedicht des Ausonius. Römische Prosaiker; Cicero in seinen Briefen, Tacitus, Plinius. Beschreibung römischer Villen. S. 16–25 und Anm. S. 105–110 [No. 455–483]. – Veränderungen der Sinnesart und der Darstellung der Gefühle, welche die Verbreitung des Christenthums und das Einsiedlerleben hervorbringen. Minucius Felix im Octavius. Stellen aus den Kirchenvätern; Basilius der Große in der Wildniß am armenischen Flusse Iris, Gregorius von Nyssa, Chrysostomus. Sentimental-schwermüthige Stimmung. S. 25–31 und Anm. S. 110–112 [No. 484–493]. – Einfluß der Racen-Verschiedenheit, welche sich in der Färbung der Naturschilderungen offenbart bei Hellenen, italischen Stämmen, Germanen des Nordens, semitischen Völkern, Persern und Indern. Die überreiche poetische Litteratur der drei letzten Racen lehrt, daß einer langen winterlichen Entbehrung des Naturgenusses wohl nicht allein die Lebendigkeit des Naturgefühls bei den nordischen germanischen Stämmen zuzuschreiben ist. – Ritterliche Poesie der Minnesänger und deutsches Thier-Epos nach Jacob und Wilhelm Grimm. Celtisch-irische Naturdichtungen. S. 31–38 und Anm. S. 112–113 [No. 494–501]. – Ost- und westarische Völker (Inder und Perser). Ramayana und Mahabharata; Sakuntala und Kalidasa's Wolkenbote. Persische Litteratur im iranischen Hochlande, nicht über die Zeit der Sassaniden hinaufsteigend. S. 38–43 und Anm. S. 113–118 [No. 502–509]. (Ein Fragment von Theodor Goldstücker.) – Finnisches Epos und Lieder, aus dem Munde der Karelier gesammelt von Elias Lönnrot, S. 43–44. – Aramäische Nationen; Naturpoesie der Hebräer, in der 524 sich der Monotheismus spiegelt, S. 44–49 und Anm. S. 119 [No. 513–515].– Alte arabische Litteratur; Schilderung des beduinischen Wüstenlebens in Antar, Naturbeschreibung des Amru'l Kais S. 49–52 und Anm. S. 119–120[No. 516–520]. – Nach dem Hinschwinden aramäischer, griechischer und römischer Herrlichkeit erscheint Dante Alighieri, dessen poetische Schöpfung von Zeit zu Zeit das tiefste Gefühl des irdischen Naturlebens athmet. Petrarca, Bojardo und Vittoria Colonna. Aetna dialogus und malerische Schilderung des üppigen Pflanzenlebens der Neuen Welt in den Historiae Venetae des Bembo. Christoph Columbus. S. 52–58 und Anm. S. 120–122 [No. 521–530]. – Die Lusiaden des Camoens. S. 58–61 und Anm. S. 122–123 [No. 531–538]. – Spanische Poesie; die Araucana des Don Alonso de Ercilla, Fray Luis de Leon, und Calderon nach Ludwig Tieck. – Shakespeare, Milton, Thomson. S. 61–64 und Anm. S. 123–125 [No. 539–543]. – Französische Prosaiker: Rousseau, Buffon, Bernardin de St. Pierre und Chateaubriand S. 64–68 und Anm. S. 125 [No. 544]. – Rückblick auf die Darstellung der älteren Reisenden des Mittelalters: John Mandeville, Hans Schiltberger und Bernhard von Breitenbach; Contrast mit den neueren Reisenden. Cook's Begleiter Georg Forster. S. 68–72 und Anm. S. 126 [No. 545–547]. – Der gerechte Tadel der »beschreibenden Poesie« als eigener, für sich bestehender Form der Dichtung trifft nicht das Bestreben ein Bild der durchwanderten Zonen aufzustellen, die Resultate unmittelbarer Naturanschauung durch die Sprache, d. h. durch die Kraft des bezeichnenden Worts, zu versinnlichen. Alle Theile des weiten Schöpfungskreises vom Aequator bis zu der kalten Zone können sich einer begeisternden Kraft auf das Gemüth erfreuen. S. 72–75.
II. Landschaftmalerei in ihrem Einfluß auf die Belebung des Naturstudiums. – In dem classischen Alterthum war nach der besonderen Geistesrichtung der Völker die Landschaftmalerei eben so wenig als die dichterische Schilderung einer Gegend ein für sich bestehendes Object der Kunst. Der ältere Philostrat. Scenographie. Ludius. – Spuren der Landschaftmalerei bei den Indern in der glänzenden Epoche des Vikramaditya. – Herculanum und Pompeji. – Christliche Malerei von Constantin dem Großen bis zum Anfang des Mittelalters. Miniaturen der Manuscripte. S. 76–80 und Anm. S. 126–128 [No. 549–559]. – Ausbildung des Landschaftlichen in den historischen Bildern der Gebrüder van Eyck. Das 17te Jahrhundert 525 als die glänzende Epoche der Landschaftmalerei (Claude Lorrain, Ruysdael, Gaspard und Nicolaus Poussin, Everdingen, Hobbema und Cuyp). – Späteres Streben nach Naturwahrheit der Vegetations-Formen. Darstellung der Tropen-Vegetation. Franz Post, Begleiter des Prinzen Moritz von Nassau. Eckhout. Bedürfniß physiognomischer Naturdarstellung. – Eine große, kaum vollbrachte Weltbegebenheit: die Unabhängigkeit und Gründung gesetzlicher Freiheit im spanischen und portugiesischen Amerika (wo in der Andeskette zwischen den Wendekreisen volkreiche Städte bis zu 13000 Fuß Höhe über der Meeresfläche liegen); die zunehmende Cultur von Indien, Neu-Holland, der Sandwich-Inseln und Süd-Afrika's werden einst nicht bloß der Meteorologie und beschreibenden Naturkunde, sondern auch der Landschaftmalerei, dem graphischen Ausdruck der Naturphysiognomie, einen neuen Schwung und großartigen Charakter geben. – Wichtigkeit der Benutzung Parker'scher Rundgemälde. – Der Begriff eines Naturganzen, das Gefühl der harmonischen Einheit im Kosmos wird um so lebendiger unter den Menschen werden, als sich die Mittel vervielfältigen die Gesammtheit der Naturerscheinungen zu anschaulichen Bildern zu gestalten. S. 81–94 und Anm. S. 128–132 [No. 560–569].
III. Cultur exotischer Gewächse; Eindruck der Physiognomik der Gewächse, so weit Pflanzungen diesen Eindruck hervorbringen können. – Landschaft-Gärtnerei. Früheste Park-Anlagen im mittleren und südlichen Asien, heilige Bäume und Haine der Götter. S. 95–100 und Anm. S. 132–133 [No. 570–577]. – Gartenanlagen ostasiatischer Völker. Chinesische Gärten unter der siegreichen Dynastie der Han. Gartengedicht eines chinesischen Staatsmannes, See-ma-kuang, aus dem Ende des 11ten Jahrhunderts. Vorschriften des Lieu-tscheu. Naturbeschreibendes Gedicht des Kaisers Kien-long. – Einfluß des Zusammenhanges buddhistischer Mönchsanstalten auf die Verbreitung schöner, charakteristischer Pflanzenformen. S. 100–103 und Anm. S. 133–134[No. 578–583].
B. Geschichte der physischen Weltanschauung.
Einleitung. Die Geschichte der Erkenntniß des Weltganzen ist von der Geschichte der Naturwissenschaften, wie sie unsere Lehrbücher der Physik und der Morphologie der Pflanzen und Thiere liefern, 526 ganz verschieden. Sie ist gleichsam die Geschichte des Gedankens von der Einheit in den Erscheinungen und von dem Zusammenwirken der Kräfte im Weltall. – Behandlungsweise der Geschichte des Kosmos: a) selbstständiges Streben der Vernunft nach Naturgesetzen; b) Weltbegebenheiten, welche plötzlich den Horizont der Beobachtung erweitert haben; c) Erfindung neuer Mittel sinnlicher Wahrnehmung. – Sprachen. Verbreitungsstrahlen der Cultur. Sogenannte Urphysik und durch Cultur verdunkelte Naturweisheit wilder Völker. S. 135–150 und Anm. S. 401–404 [No. 584–592].
Hauptmomente einer Geschichte der physischen Weltanschauung.
I. Das Becken des Mittelmeers als Ausgang der Versuche die Idee des Kosmos zu erweitern. – Unterabtheilungen der Gestaltung des Beckens. Wichtigkeit der Bildung des arabischen Meerbusens. Kreuzung zweier geognostischen Hebungssysteme NO–SW und SSO–NNW. Wichtigkeit der letzteren Spaltungsrichtung für den Weltverkehr. – Alte Cultur der das Mittelmeer umwohnenden Völker. – Nilthal, altes und neues Reich der Aegypter. – Phönicier, ein vermittelnder Stamm, verbreiten Buchstabenschrift (phönicische Zeichen), Münze als Tauschmittel und das ursprünglich babylonische Maaß und Gewicht. Zahlenlehre, Rechenkunst. Nachtschifffahrt. West-afrikanische Colonien. S. 151–166 und Anm. S. 404–414 [No. 593–620]. – Hiram-Salomonische Expeditionen nach den Goldländern Ophir und Supara S. 166–168 und Anm. S. 414–416 [No. 621–626]. – Pelasgische Tyrrhener und Tusker (Rasener). Eigenthümliche Neigung des tuscischen Stammes zu einem innigen Verkehr mit den Naturkräften; Fulguratoren und Aquilegen. S. 168–170 und Anm. S. 417–418 [No. 627–631]. – Andere sehr alte Culturvölker, die das Mittelmeer umwohnen. Spuren der Bildung im Osten unter Phrygiern und Lycern, im Westen unter Turdulern und Turdetanern. – Anfänge der hellenischen Macht. Vorder-Asien die große Heerstraße von Osten her einwandernder Völker; die ägäische Inselwelt das vermittelnde Glied zwischen dem Griechenthum und dem fernen Orient. Ueber den 48ten Breitengrad hinaus sind Europa und Asien durch flache Steppenländer wie in einander verflossen; auch betrachten Pherecydes von Syros und Herodot das ganze nördliche 527 scythische Asien als zum sarmatischen Europa gehörig. – Seemacht, dorisches und ionisches Leben in die Pflanzstädte übergetragen. – Vordringen gegen Osten nach dem Pontus und Kolchis, erste Kenntniß der westlichen Gestade des caspischen Meeres: nach Hecatäus mit dem kreisenden östlichen Weltmeer verwechselt. Tauschhandel durch die Kette scythisch-scolotischer Stämme mit den Argippäern, Issedonen und goldreichen Arimaspen. Meteorologischer Mythus der Hyperboreer. – Gegen Westen Oeffnung der gadeirischen Pforte, die lange den Hellenen verschlossen war. Schifffahrt des Coläus von Samos. Blick in das Unbegrenzte, unausgesetztes Streben nach dem Jenseitigen: genaue Kenntniß eines großen Naturphänomens, des periodischen Anschwellens des Meeres. S. 171–182 und Anm. S. 418–423 [No. 632–657].
II. Feldzüge der Macedonier unter Alexander dem Großen und langer Einfluß des bactrischen Reichs. – In keiner anderen Zeitepoche (die, achtzehn und ein halbes Jahrhundert später erfolgte Begebenheit der Entdeckung und Aufschließung des tropischen Amerika's ausgenommen) ist auf einmal einem Theile des Menschengeschlechts eine reichere Fülle neuer Naturansichten, ein größeres Material zur Begründung des kosmischen Wissens und des vergleichenden ethnologischen Studiums dargeboten worden. – Die Benutzung dieses Materials, die geistige Verarbeitung des Stoffes wird erleichtert und in ihrem Werthe erhöht durch die vorbereitende Richtung, welche der Stagirite dem empirischen Forschen der philosophischen Speculation und einer alles scharf umgrenzenden wissenschaftlichen Sprache gegeben hatte. – Die macedonische Expedition war im eigensten Sinne des Worts eine wissenschaftliche Expedition. Callisthenes von Olynth, Schüler des Aristoteles und Freund des Theophrast. – Mit der Kenntniß der Erde und ihrer Erzeugnisse wurde durch die Bekanntschaft mit Babylon und mit den Beobachtungen der schon aufgelösten chaldäischen Priestercaste auch die Kenntniß des Himmels ansehnlich vermehrt. S. 183–199 und Anm. S. 423–430 [No. 658–697].
III. Zunahme der Weltanschauung unter den Ptolemäern. – Das griechische Aegypten hatte den Vorzug politischer Einheit; und seine geographische Weltstellung, der Einbruch des arabischen Meerbusens brachte den gewinnreichen Verkehr auf dem indischen Ocean dem Verkehr an den südöstlichen Küsten des Mittelmeers um wenige Meilen nahe. – Das Seleuciden-Reich genoß 528 nicht die Vortheile des Seehandels, war oft erschüttert durch die verschiedenartige Nationalität der Satrapien. Lebhafter Handel auf Strömen und Caravanenstraßen mit den Hochebenen der Serer nördlich von Uttara-Kuru und dem Oxus-Thale. – Kenntniß der Monsun-Windes. Wieder-Eröffnung des Canals zur Verbindung des rothen Meeres mit dem Nil oberhalb Bubastus; Geschichte dieser Wasserstraße. – Wissenschaftliche Institute unter dem Schutz der Lagiden; alexandrinisches Museum und zwei Büchersammlungen, im Bruchium und in Rhakotis. Eigenthümliche Richtung der Studien. Neben dem stoffanhäufenden Sammelfleiße offenbart sich eine glückliche Verallgemeinerung der Ansichten. – Eratosthenes von Cyrene. Erster hellenischer Versuch einer Gradmessung zwischen Syene und Alexandrien auf unvollkommene Angaben der Bematisten gegründet. Gleichzeitige Fortschritte des Wissens in reiner Mathematik, Mechanik und Astronomie. Aristyllus und Timocharis. Ansichten des Weltgebäudes von dem Samier Aristarch und Seleucus dem Babylonier oder aus Erythrä. Hipparch der Schöpfer der wissenschaftlichen Astronomie und der größte selbstbeobachtende Astronom des ganzen Alterthums. Euclides, Apollonius von Perga und Archimedes. S. 200–211 und Anm. S. 433–436 [No. 698–719].
IV. Einfluß der römischen Weltherrschaft, eines großen Staatsverbandes auf die Erweiterung der kosmischen Ansichten. – Bei der Mannigfaltigkeit der Bodengestaltung und Verschiedenartigkeit der organischen Erzeugnisse, bei den fernen Expeditionen nach den Bernsteinküsten und unter Aelius Gallus nach Arabien, bei dem Genusse eines langen Friedens hätte die Monarchie der Cäsaren in fast vier Jahrhunderten das Naturwissen lebhafter fördern können; aber mit dem römischen Nationalgeiste erlosch die volksthümliche Beweglichkeit der Einzelnen, es verschwanden Oeffentlichkeit und Bewahrung der Individualität: die zwei Hauptstützen freier, das Geistige belebender Verfassungen. – In dieser langen Periode erhoben sich als Beobachter der Natur nur Dioscorides der Cilicier und Galenus von Pergamus. Die ersten Schritte in einem wichtigen Theile der mathematischen Physik, in der selbst auf Experimente gegründeten Optik, that Claudius Ptolemäus. – Materielle Vortheile der Ausdehnung des Landhandels nach Inner-Asien und der Schifffahrt von Myos Hormos nach Indien. – Unter Vespasian und Domitian, zur Zeit der Dynastie der Han, dringt 529 eine chinesische Kriegsmacht bis an die Ostküste des caspischen Meeres. Die Richtung der Völkerfluthen in Asien geht von Osten nach Westen, wie sie im Neuen Continent von Norden nach Süden geht. Die asiatische Völkerwanderung beginnt mit dem Anfall der Hiungnu, eines türkischen Stammes, auf die blonde, blauäugige, vielleicht indogermanische Race der Yneti und Usün nahe an der chinesischen Mauer, schon anderthalb Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung. – Unter Marcus Aurelius werden römische Gesandte über Tunkin an den chinesischen Hof geschickt. Kaiser Claudius empfing schon die Botschaft des Rachias aus Ceylon. Die großen indischen Mathematiker Warahamihira, Brahmagupta und vielleicht selbst Aryabhatta sind neuer als diese Perioden: aber was früher auf ganz einsamen, abgesonderten Wegen in Indien entdeckt worden ist, kann auch vor Diophantus durch den unter den Lagiden und Cäsaren so ausgebreiteten Welthandel theilweise in den Occident eingedrungen sein. – Den Reflex dieses Welthandels offenbaren die geographischen Riesenwerke des Strabo und Ptolemäus. Die geographische Nomenclatur des Letzteren ist in neuerer Zeit durch gründliches Studium der indischen Sprachen und des west-iranischen Zeno als ein geschichtliches Denkmal jener fernen Handelsverbindungen erkannt worden. – Großartiges Unternehmen einer Weltbeschreibung durch Plinius: Charakteristik seiner Encyclopädie der Natur und Kunst. – Hat in der Geschichte der Weltanschauung der langdauernde Einfluß der Römerherrschaft sich als ein fortwirkend einigendes und verschmelzendes Element erwiesen, so hat doch erst die Verbreitung des Christenthums, als der neue Glaube aus politischen Motiven in Byzanz gewaltsam zur Staatsreligion erhoben wurde, dazu beigetragen den Begriff der Einheit des Menschengeschlechts hervorzurufen und ihm mitten unter dem elenden Streite der Religionspartheien allmälig Geltung zu verschaffen. S. 212–236 und Anm. S. 436–442 [No. 720–755].
V. Einbruch des arabischen Volksstammes. Wirkung eines fremdartigen Elements auf den Entwickelungsgang europäischer Cultur. – Die Araber, ein bildsamer semitischer Urstamm, verscheuchen theilweise die Barbarei, welche das von Völkerstürmen erschütterte Europa seit zwei Jahrhunderten bedeckt hat; sie erhalten nicht bloß die alte Cultur, sie erweitern sie und eröffnen der Naturforschung neue Wege. – Naturgestalt der arabischen Halbinsel. 530 Erzeugnisse von Hadhramaut, Yemen und Oman. Gebirgsketten von Dschebel Akhdar und Asyr. Gerrha alter Stapelplatz des Verkehrs mit indischen Waaren, den phönicischen Niederlassungen von Aradus und Tylus gegenüber. – Der nördliche Theil der Halbinsel ist vorzugsweise durch die Nähe von Aegypten, durch die Verbreitung arabischer Stämme in dem syrisch-palästinischen Grenzgebirge und den Euphratländern in belebendem Contact mit anderen Culturstaaten gewesen. – Heimische vorbereitende Cultur. Altes Eingreifen in die Welthändel: Ausfälle nach Westen und Osten; Hyksos und der Himyariten-Fürst Ariäus, Bundesgenosse des Ninus am Tigris. – Eigenthümlicher Charakter des arabischen Nomadenlebens neben Caravanenstraßen und volkreichen Städten. S. 237–246 und Anm. S. 442–445 [No. 756–769]. – Einfluß der Nestorianer, der Syrer und der medicinisch-pharmaceutischen Schule von Edessa. – Hang zum Verkehr mit der Natur und ihren Kräften. Die Araber werden die eigentlichen Gründer der physischen und chemischen Wissenschaften. Arzneimittellehre. – Wissenschaftliche Institute in der glanzvollen Epoche von Al-Mansur, Harun Al-Raschid, Mamun und Motasem. Wissenschaftlicher Verkehr mit Indien. Benutzung des Tscharaka und Susruta wie der alten technischen Künste der Aegypter. Botanischer Garten bei Cordova unter dem poetischen Chalifen Abdurrahman. S. 247–258 und Anm. S. 445–451 [No. 770–791]. – Astronomische Bestrebungen durch eigene Beobachtung und Vervollkommnung der Instrumente. Ebn-Junis Anwendung des Pendels als Zeitmessers. Arbeit des Alhazen über die Strahlenbrechung. Indische Planetentafeln. Störung der Länge des Mondes von Abul-Wefa erkannt. Astronomischer Congreß zu Toledo, zu welchem Alfons von Castilien Rabbiner und Araber berief. Sternwarte zu Meragha und späte Wirkung derselben auf den Timuriden Ulugh Beig zu Samarkand. Gradmessung in der Ebene zwischen Tadmor und Rakka. – Die Algebra der Araber aus zwei lange von einander unabhängig fließenden Strömen, einem indischen und einem griechischen, entstanden. Mohammed Ben-Musa, der Chowarezmier. Diophantus, erst gegen das Ende des 10ten Jahrhunderts von Abul-Wefa Buzjani ins Arabische übersetzt. – Auf demselben Wege, welcher den Arabern die Kenntniß der indischen Algebra zuführte, erhielten diese in Persien und am Euphrat auch die indischen Zahlzeichen und den sinnreichen Kunstgriff der Position, d. h. den Gebrauch des Stellenwerthes. 531 Sie verpflanzten diesen Gebrauch in die Zollämter im nördlichen Afrika, den Küsten von Sicilien gegenüber. Wahrscheinlichkeit, daß die Christen im Abendlande früher als die Araber mit den indischen Zahlen vertraut waren und daß sie unter dem Namen des Systems des Abacus den Gebrauch der neun Ziffern nach ihrem Stellenwerthe kannten. Die Position tritt schon im Suanpan von Inner-Asien wie im tuscischen Abacus hervor. – Ob eine dauernde Weltherrschaft der Araber bei ihrer fast ausschließlichen Vorliebe für die wissenschaftlichen (naturbeschreibenden, physischen und astronomischen) Resultate griechischer Forschung einer allgemeinen und freien Geistescultur und dem bildend schaffenden Kunstsinne hätte förderlich sein können? S. 258–265 und Anm. S. 451–457 [No. 792–803].
VI. Zeit der großen oceanischen Entdeckungen; Amerika und das stille Meer. – Begebenheiten und Erweiterung wissenschaftlicher Kenntnisse, welche die Entdeckungen im Raume vorbereitet haben. – Eben weil die Bekanntschaft der Völker Europa's mit dem westlichen Theile des Erdballs der Hauptgegenstand dieses Abschnittes ist, muß die unbestreitbare erste Entdeckung von Amerika in seiner nördlichen und gemäßigten Zone durch die Normänner ganz von der Wieder-Auffindung desselben Continents in den tropischen Theilen geschieden werden. – Als noch das Chalifat von Bagdad unter den Abbassiden blühte, wurde Amerika von Leif, dem Sohne Erik's des Rothen, bis zu 41°½ nördl. Breite aufgefunden. Die Färöer und das durch Naddod zufällig entdeckte Island sind als Zwischenstationen, als Anfangspunkte zu den Unternehmungen nach dem amerikanischen Scandinavien zu betrachten. Auch die Ostküste von Grönland im Scoresby-Lande (Svalbord), die Ostküste der Baffinsbai bis 72° 55' und der Eingang des Lancaster-Sunds und der Barrow-Straße wurden besucht. – Frühere? irische Entdeckungen. Das Weißmännerland zwischen Virginien und Florida. Ob vor Naddod und vor Ingolf's Colonisirung von Island diese Insel von Iren (Westmännern aus dem amerikanischen Groß-Irland) oder von den durch Normänner aus den Färöern verjagten irländischen Missionaren (Papar, den Clericis des Dicuil) zuerst bewohnt worden ist? – Der Nationalschatz der ältesten Ueberlieferungen des europäischen Nordens, durch Unruhen in der Heimath gefährdet, wurde nach Island übergetragen, das viertehalbhundert Jahre einer freien bürgerlichen Verfassung genoß, und dort für die 532 Nachwelt gerettet. Wir kennen die Handelsverbindung zwischen Grönland und Neu-Schottland (dem amerikanischen Markland) bis 1347; aber da Grönland schon 1261 seine republicanische Verfassung verloren hatte und ihm, als Krongut Norwegens, aller Verkehr mit Fremden und also auch mit Island verboten war, so nimmt es weniger Wunder, daß Columbus, als er im Februar 1477 Island besuchte, keine Kunde von dem westlich gelegenen Neuen Continent erhielt. Zwischen dem norwegischen Hafen Bergen und Grönland gab es aber Handelsverkehr noch bis 1484. S. 266–277 und Anm. S. 457–462 [No. 804–827]. – Weltgeschichtlich ganz verschieden von dem isolirten, folgenlosen Ereigniß der ersten normännischen Entdeckung des Neuen Continents ist seine Wieder-Auffindung in dem tropischen Theile durch Christoph Columbus gewesen: wenn gleich dieser Seefahrer, nur einen kürzeren Weg nach Ost-Asien suchend, weder je die Absicht hatte einen neuen Welttheil aufzufinden noch, wie ebenfalls Amerigo Vespucci, bis zu seinem Tode glaubte andere als ostasiatische Küsten berührt zu haben. – Der Einfluß, den die nautischen Entdeckungen am Ende des 15ten und im Anfang des 16ten Jahrhunderts auf die Bereicherung der Ideenwelt ausgeübt haben, wird erst verständlich, wenn man einen Blick auf diejenigen Jahrhunderte wirft, welche Columbus von der Blüthe wissenschaftlicher Cultur unter den Arabern trennen. – Was der Aera des Columbus ihren eigenthümlichen Charakter gab, den eines ununterbrochenen und gelingenden Strebens nach erweiterter Erdkenntniß, war: das Auftreten einer kleinen Zahl kühner Männer (Albertus Magnus, Roger Bacon, Duns Scotus, Wilhelm von Occam), die zum freien Selbstdenken und zum Erforschen einzelner Naturerscheinungen anregten; die erneuerte Bekanntschaft mit den Werken der griechischen Litteratur, die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Mönchsgesandtschaften an die Mongolen-Fürsten und die mercantilischen Reisen nach Ost-Asien und Südindien (Marco Polo, Mandeville, Nicolo de' Conti), die Vervollkommnung der Schifffahrtskunde; der Gebrauch des Seecompasses oder die Kenntniß von der Nord- und Südweisung des Magnets, welche man durch die Araber den Chinesen verdankt. S. 277–298 und Anm. S. 462–472 [No. 828–849]. – Frühe Schifffahrten der Catalanen nach der Westküste des tropischen Afrika's, Entdeckung der Azoren, Weltkarte des Picigano von 1367. Verhältniß des Columbus zu Toscanelli und Martin Alonso Pinzon. Spät erkannte Karte von Juan de la Cosa. 533 – Südsee und ihre Inseln. S. 299–315 und Anm. S. 473–481 [No. 850–872]. – Entdeckung der magnetischen Curve ohne Abweichung im atlantischen Ocean. Bemerkte Inflexion der Isothermen hundert Seemeilen in Westen der Azoren. Eine physische Abgrenzungs-Linie wird in eine politische verwandelt; Demarcations-Linie des Pabstes Alexanders VI vom 4 Mai 1493. – Kenntniß der Wärme-Vertheilung; die Grenze des ewigen Schnees wird als Function der geographischen Breite erkannt. Bewegung der Gewässer im atlantischen Meeresthale. Große Tang-Wiesen. S. 316–327 und Anm. S. 481–485 [No. 873–885]. – Erweiterte Ansicht der Welträume: Bekanntschaft mit den Gestirnen des südlichen Himmels; mehr beschauliche als wissenschaftliche Kenntniß. – Vervollkommnung der Methode den Ort des Schiffes zu bestimmen: das politische Bedürfniß die Lage der päbstlichen Demarcations-Linie festzusetzen vermehrt den Drang nach praktischen Längen-Methoden. – Die Entdeckung und erste Colonisation von Amerika, die Schifffahrt nach Ostindien um das Vorgebirge der guten Hoffnung treffen zusammen mit der höchsten Blüthe der Kunst, mit dem Erringen eines Theils der geistigen Freiheit durch die religiöse Reform, als Vorspiel großer politischer Umwälzungen. Die Kühnheit des genuesischen Seefahrers ist das erste Glied in der unermeßlichen Kette verhängnißvoller Begebenheiten. Zufall, nicht Betrug und Ränke von Amerigo Vespucci, haben dem Festland von Amerika den Namen des Columbus entzogen. – Einfluß des Neuen Welttheils auf die politischen Institutionen, auf die Ideen und Neigungen der Völker im Alten Continent. S. 327–340 und Anm. S. 485–496 [No. 886–901].
VII. Zeit der großen Entdeckungen in den Himmelsräumen durch Anwendung des Fernrohrs: Vorbereitung dieser Entdeckungen durch richtigere Ansicht des Weltbaues. – Nicolaus Copernicus beobachtete schon mit dem Astronomen Brudzewski zu Krakau, als Columbus Amerika entdeckte. Ideelle Verkettung des 16ten und 17ten Jahrhunderts durch Peurbach und Regiomontanus. Copernicus hat sein Weltsystem nie als Hypothese, sondern als unumstößliche Wahrheit aufgestellt. S. 341–353 und Anm. S. 496–506 [No. 902–921]. – Kepler und die empirischen von ihm entdeckten Gesetze der Planetenbahnen S. 353–355 und Anm. S. 506 [No. 922–923] (auch S. 363–365 und Anm. S. 512–513 [No. 937–943]). – Erfindung des Fernrohrs; Hans Lippershey, Jacob Adriaansz (Metius), Zacharias Jansen. 534 Erste Früchte des telescopischen Sehens: Gebirgslandschaften des Mondes; Sternschwärme und Milchstraße, die vier Trabanten des Jupiter; Dreigestaltung des Saturn, sichelförmige Gestalt der Venus; Sonnenflecken und Rotations-Dauer der Sonne. – Für die Schicksale der Astronomie und die Schicksale ihrer Begründung bezeichnet die Entdeckung der kleinen Jupiterswelt eine denkwürdige Epoche. Die Jupitersmonde veranlassen die Entdeckung der Geschwindigkeit des Lichts, und die Erkenntniß dieser Geschwindigkeit führt zu Erklärung der Aberrations-Ellipse der Fixsterne, d. i. zu dem sinnlichen Beweise von der translatorischen Bewegung der Erde. – Den Entdeckungen von Galilei, Simon Marius und Johann Fabricius folgte das Auffinden der Saturnstrabanten durch Huygens und Cassini, des Thierkreislichtes als eines kreisenden abgesonderten Nebelringes durch Childrey, des veränderlichen Lichtwechsels von Fixsternen durch David Fabricius, Johann Bayer und Holwarda. Sternloser Nebelfleck der Andromeda von Simon Marius beschrieben. S. 355–369 und Anm. S. 507–514 [No. 924–946]. – Wenn auch das siebzehnte Jahrhundert in seinem Anfang der plötzlichen Erweiterung der Kenntnisse der Himmelsräume durch Galilei und Kepler, an seinem Ende den Fortschritten des reinen mathematischen Wissens durch Newton und Leibnitz seinen Hauptglanz verdankt, so hat doch auch in dieser großen Zeit der wichtigste Theil der physikalischen Probleme in den Processen des Lichts, der Wärme und des Magnetismus eine befruchtende Pflege erfahren. Doppelte Strahlenbrechung und Polarisation; Spuren von der Kenntniß der Interferenz bei Grimaldi und Hooke. William Gilbert trennt den Magnetismus von der Electricität. Kenntniß von dem periodischen Fortschreiten der Linien ohne Abweichung. Halley's frühe Vermuthung, daß das Polarlicht (das Leuchten der Erde) eine magnetische Erscheinung sei. Galilei's Thermoscope und Benutzung derselben zu einer Reihe regelmäßiger täglicher Beobachtungen auf Stationen verschiedener Höhe. Untersuchungen über die strahlende Wärme. Torricelli's Röhre und Höhenmessungen durch den Stand des Quecksilbers in derselben. Kenntniß der Luftströme und des Einflusses der Rotation der Erde auf dieselben. Drehungsgesetz der Winde, von Bacon geahndet. Glücklicher, aber kurzer Einfluß der Academia del Cimento auf die Gründung der mathematischen Naturphilosophie auf dem Wege des Experiments. – Versuche die Luftfeuchtigkeit zu messen; 535 Condensations-Hygrometer. – Electrischer Proceß, tellurische Electricität; Otto von Guericke sieht das erste Licht in selbsthervorgerufener Electricität. – Anfänge der pneumatischen Chemie; beobachtete Gewichtszunahme bei Oxydation der Metalle; Cardanus und Jean Rey, Hooke und Mayow. Ideen über einen Grundstoff des Luftkreises (spiritus nitro-aëreus), welcher an die sich verkalkenden Metalle tritt, für alle Verbrennungs-Processe und das Athmen der Thiere nothwendig ist. – Einfluß des physikalischen und chemischen Wissens auf die Ausbildung der Geognosie (Nicolaus Steno, Scilla, Lister); Hebung des Meeresbodens und der Küstenländer. In der größten aller geognostischen Erscheinungen, in der mathematischen Gestalt der Erde, spiegeln sich erkennbar die Zustände der Urzeit ab: d. h. die primitive Flüssigkeit der rotirenden Masse und ihre Erhärtung als Erdsphäroid. Gradmessungen und Pendel-Versuche in verschiedenen Breiten. Polar-Abplattung. Die Erdgestaltung wird von Newton aus theoretischen Gründen erkannt: und so die Kraft aufgefunden, von deren Wirkung die Kepler'schen Gesetze eine nothwendige Folge sind. Die Auffindung einer solchen Kraft. deren Dasein in Newton's unsterblichem Werke der Principien entwickelt wird, ist fast gleichzeitig mit den durch die Infinitesimal-Rechnung eröffneten Wegen zu neuen mathematischen Entdeckungen gewesen. S. 369–394 und Anm. S. 514– 520 [No. 947–987].
VIII. Vielseitigkeit und innigere Verkettung der wissenschaftlichen Bestrebungen in der neuesten Zeit. – Rückblick auf die Hauptmomente in der Geschichte der Weltanschauung, die an große Begebenheiten geknüpft sind. – Die Vielseitigkeit der Verknüpfung alles jetzigen Wissens erschwert die Absonderung und Umgrenzung des Einzelnen. – Die Intelligenz bringt fortan Großes, fast ohne Anregung von außen, durch eigene innere Kraft nach allen Richtungen hervor. Die Geschichte der physischen Wissenschaften schmilzt so allmälig mit der Geschichte von der Idee eines Naturganzen zusammen. S. 395–400 und Anm. S. 520 [No. 988].
35 A.
Ergebnisse der Beobachtung
aus dem
uranologischen Theile
der physischen Weltbeschreibung.
Wir beginnen wieder mit den Tiefen des Weltraumes und den fernen Sporaden der Sternschwärme, welche dem telescopischen Sehen als schwach aufglimmende Nebelflecke erscheinen. Stufenweise steigen wir herab zu den um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt kreisenden, oft zweifarbigen Doppelsternen; zu den näheren Sternschichten, deren eine unser Planetensystem zu umschließen scheint; durch dieses Planetensystem zu dem luft- und meerumflossenen Erdsphäroid, das wir bewohnen. Es ist schon in dem Eingange des allgemeinen NaturgemäldesKosmos Bd. I. S. 80 und 84. angedeutet worden, daß dieser Ideengang dem eigentlichen Charakter eines Werkes über den Kosmos allein angemessen ist: da hier nicht, den Bedürfnissen unmittelbarer sinnlicher Anschauung entsprechend, von dem heimischen, durch organische Kräfte auf seiner Oberfläche belebten, irdischen Wohnsitze begonnen und von den scheinbaren Bewegungen der Weltkörper zu den wirklichen übergegangen werden kann..
36 Das uranologische Gebiet, dem tellurischen entgegengesetzt, zerfällt bequem in zwei Abtheilungen: von denen die eine die Astrognosie oder den Fixsternhimmel, die andere unser Sonnen- und Planetensystem umfaßt. Wie unvollkommen und ungenügend eine solche Nomenclatur, die Bezeichnung solcher Abtheilungen ist, braucht hier nicht wiederholt entwickelt zu werden. Es sind in den Naturwissenschaften Namen eingeführt worden, ehe man die Verschiedenartigkeit der Objecte und ihre strengere Begrenzung hinlänglich kannte.A. a. O. S. 51. Das Wichtigste bleibt die Verkettung der Ideen und die Anreihung, nach der die Objecte behandelt werden sollen. Neuerungen in den Namen der Gruppen, Ablenkung vielgebrauchter Namen von ihrer bisherigen Bedeutung wirken entfremdend und zugleich Verwirrung erregend.
Nichts ist ruhend im Weltraum; auch die Fixsterne sind es nicht: wie zuerst HalleyHalley in den Philos. Transact. for 1717 Vol. XXX. p. 736. an Sirius, Arcturus und Aldebaran darzuthun versuchte, und die neuere Zeit unwidersprechlich bei vielen erwiesen hat. Der helle Stern im Ochsenhüter Arcturus hat in den 2100 Jahren (seit Aristyllus und Hipparch), die er beobachtet wird, um drittehalb Vollmond-Breiten seinen Ort verändert gegen die benachbarten schwächeren Sterne. Encke bemerkt, »daß der Stern μ in der Cassiopeja um 3½, der Stern 61 des Schwans um 6 Vollmond-Breiten von ihrer Stelle gerückt erschienen sein würden, wenn die alten Beobachtungen genau genug gewesen wären, um es anzuzeigen«. Schlüsse, auf Analogien 37 gegründet, berechtigen zu der Vermuthung, daß überall fortschreitende und auch wohl rotirende Bewegung ist. Der Name Fixstern leitet auf irrige Voraussetzungen: man mag ihn in seiner ersten Deutung bei den Griechen auf das Eingeheftet-Sein in den krystallenen Himmel; oder nach späterer, mehr römischer Deutung auf das Feste, Ruhende beziehen. Eine dieser Ideen mußte zu der anderen führen. Im griechischen Alterthum, wenigstens hinaufreichend bis Anaximenes aus der ionischen Schule oder bis zu dem Pythagoreer Alcmäon, wurden alle Gestirne eingetheilt in wandelnde (ἄστρα πλανώμενα oder πλανητά) und in nicht wandelnde, feste Sterne (ἀπλανεῖς ἀστέρες oder ἀπλανῆ ἄστρα).Pseudo-Plut. de plac. Philos. II, 15–16; Stob. eclog. phys. p. 582, Plato im Tim. p. 40. Neben dieser allgemein gebrauchten Benennung der Fixsterne, welche Macrobius im Somnium Scipionis durch Sphaera aplanes latinisirtMacrob. somnium Scip. I, 9–10; stellae inerrantes bei Cicero de natura deorum III, 20., findet sich bei Aristoteles mehrfach (als wolle er einen neuen terminus technicus durchführen) für Fixsterne der Name eingehefteter Gestirne, ἐνδεδεμένα ἄστρα statt ἀπλανῆ.Die Hauptstelle für den technischen Ausdruck ἐνδεδεμένα ἄστρα ist Aristot. de Coelo II, 8 p. 289 lin. 34, p. 290 lin. 19 Bekker. Es hatte diese Veränderung der Nomenclatur schon früher bei meinen Untersuchungen über die Optik des Ptolemäus und seine Versuche über die Strahlenbrechung meine Aufmerksamkeit lebhaft auf sich gezogen. Herr Professor Franz, dessen philologische Gelehrsamkeit ich oft und gern benutze, erinnert, daß auch Ptolemäus (Syntax. VII, 1) von den Fixsternen sagt: ὥσπερ προσπεφυκότες, wie angeheftet. Ueber den Ausdruck σφαῖρα ἀπλανής orbis inerrans bemerkt Ptolemäus tadelnd: »in so fern die Sterne ihre Abstände stets zu einander bewahren, können wir sie mit Recht ἀπλανεῖς nennen; in so fern aber die ganze Sphäre, in welcher sie gleichsam angewachsen ihren Lauf vollenden, eine eigenthümliche Bewegung hat: ist die Benennung ἀπλανὴς für die Sphäre wenig passend.« Aus dieser Wortform sind entstanden: bei Cicero sidera infixa coelo; bei Plinius stellas, quas putamus affixas; bei Manilius astra fixa, ganz wie unsere Fixsterne.Cicero de natura deorum I, 13, Plin. II, 6 und 24; Manilius II, 35. Die Idee des Eingeheftet-Seins leitete auf den Nebenbegriff der Unbeweglichkeit, des fest an einer Stelle Bleibens; und so wurde das ganze Mittelalter hindurch, in lateinischen Uebersetzungen, die ursprüngliche Bedeutung des Worts infixum oder affixum sidus nach und nach verdrängt, und die Idee der Unbeweglichkeit allein festgehalten. Den Anstoß dazu finden wir schon in der sehr rhetorischen Stelle des Seneca (Nat. Quaest. VII, 24) über die Möglichkeit neue Planeten zu entdecken: »credis 38 autem in hoc maximo et pulcherrimo corpore inter innumerabiles stellas, quae noctem decore vario distinguunt, quae aera minime vacuum et inertem esse patiuntur, quinque solas esse, quibus exercere se liceat; ceteras stare, fixum et immobilem populum? Dies stille, unbewegliche Volk ist nirgends zu finden.
Um die Hauptresultate wirklicher Beobachtung und die Schlüsse oder Vermuthungen, zu welchen diese Beobachtungen führen, bequem in Gruppen zu vertheilen, sondere ich in der astrognostischen Sphäre der Weltbeschreibung von einander ab:
Der Weltraum, und Vermuthungen über das, was den Weltraum zwischen den Gestirnen zu erfüllen scheint.
Man ist geneigt die physische Weltbeschreibung, wenn sie von dem anhebt, was die fernsten Himmelsräume zwischen den geballten Weltkörpern ausfüllt und unseren Organen unerreichbar bleibt, mit den mythischen Anfängen der Weltgeschichte zu vergleichen. In der unendlichen Zeit wie im unendlichen Raume erscheint alles in ungewissem, oft täuschendem Dämmerlichte. Die Phantasie ist dann zwiefach angeregt, aus eigener Fülle zu schöpfen und den unbestimmten, wechselnden Gestalten Umriß und Dauer zu geben.Kosmos Bd. I. S. 91. (Vergl. die vortrefflichen Betrachtungen von Encke über die Anordnung des Sternsystems 1844 S. 7.) Ein solches Geständniß kann genügen, denke ich, um vor dem Vorwurf zu bewahren, das, was durch unmittelbare Beobachtung oder Messung zu einer mathematischen Gewißheit erhoben worden, mit dem zu vermischen, was auf sehr unvollständige Inductionen gegründet ist. Wilde Träume gehören in die Romantik der physischen Astronomie. Ein durch wissenschaftliche Arbeiten geübter Sinn verweilt aber gern bei solchen Fragen, welche, in genauem Zusammenhange mit dem dermaligen Zustande unseres Wissens, wie mit den Hoffnungen, welche dieser Zustand erregt, schon von den ausgezeichnetsten Astronomen unserer Zeit einer ernsten Erörterung werth gehalten worden sind.
Durch den Einfluß der Gravitation oder allgemeinen Schwere, durch Licht und strahlende WärmeKosmos Bd. I. S. 162. stehen wir, wie man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen kann, in 40 Verkehr nicht bloß mit unserer Sonne, sondern auch mit allen anderen leuchtenden Sonnen des Firmaments. Die wichtige Entdeckung von dem Widerstande, welchen ein, den Weltraum füllendes Fluidum einem Cometen von fünfjähriger Umlaufszeit meßbar entgegensetzt, hat sich durch die genaue Uebereinstimmung der numerischen Verhältnisse vollständig bewährt. Auf Analogien gegründete Schlüsse können einen Theil der weiten Kluft ausfüllen, welche die sicheren Resultate einer mathematischen Naturphilosophie von den Ahndungen trennt, die auf die äußersten, und darum sehr nebeligen und öden Grenzen aller wissenschaftlichen Gedankenentwickelung gerichtet sind.
Aus der Unendlichkeit des Weltraums, die freilich von Aristoteles bezweifelt wardAristot. de Coelo I, 7 p. 276 Bekker., folgt seine Unermeßlichkeit. Nur einzelne Theile sind meßbar geworden; und die, alle unsere Fassungskraft überschreitenden Resultate der Messung werden gern von denen zusammengestellt, welche an großen Zahlen eine kindliche Freude haben, ja wohl gar wähnen durch staunen- und schreckenerregende Bilder physischer Größe den Eindruck der Erhabenheit astronomischer Studien vorzugsweise zu erhöhen. Die Entfernung des 61ten Sterns des Schwans von der Sonne ist 657000 Halbmesser der Erdbahn; und das Licht braucht etwas über 10 Jahre, um diese Entfernung zu durchlaufen: während es in 8' 17",78 von der Sonne zur Erde gelangt. Sir John Herschel vermuthet nach einer sinnreichen Combination photometrischer SchätzungenSir John Herschel, outlines of Astronomy 1849 § 803 p. 541., daß Sterne des großen Ringes der Milchstraße, die er im 20füßigen Telescop aufglimmen sah, wären es neu entstandene leuchtende Weltkörper, an 2000 Jahre gebraucht haben würden, um uns den ersten Lichtstrahl 41 zuzusenden. Alle Versuche solche numerischen Verhältnisse anschaulich zu machen scheitern entweder an der Größe der Einheit, wodurch sie gemessen werden sollen, oder an der Größe der Zahl aus den Wiederholungen dieser Einheit. Bessel sagte sehr wahrBessel in Schumacher's Jahrbuch für 1839 S. 50.: daß »die Entfernung, welche das Licht in einem Jahre durchläuft, nicht anschaulicher für uns ist als die Entfernung, die es in zehn Jahren zurücklegt. Dazu verfehlt ihren Zweck jede Bemühung eine Größe zu versinnlichen, welche alle auf der Erde zugänglichen weit überschreitet.« Die unsere Fassungskraft bedrängende Macht der Zahlen bietet sich uns in den kleinsten Organismen des Thierlebens wie in der Milchstraße der selbstleuchtenden Sonnen dar, die wir Fixsterne nennen. Welche Masse von Polythalamien schließt nicht nach Ehrenberg eine dünne Kreideschicht ein! Von der microscopischen Galionella distans enthält ein Cubikzoll nach diesem großen Naturforscher in der 40 Fuß hohen Bergkuppe des Bilmer Polirschiefers 41000 Millionen Einzelthiere. Von Galionella ferruginea enthält der Cubikzoll über 1 Billion 750000 Millionen Individuen.Ehrenberg in den Abhandl. der Berl. Akad. 1838 S. 59, in den Infusionsthieren S. 170. Solche Schätzungen erinnern an den Arenarius (ψαμμίτης) des Archimedes; an die Sandkörner, welche den Weltraum ausfüllen könnten. Mahnen am Sternenhimmel die Eindrücke von nicht auszusprechenden Zahlen und räumlicher Größe, von Dauer und langen Zeitperioden den Menschen an seine Kleinheit, an seine physische Schwäche, an das Ephemere seiner Existenz; so erhebt ihn freudig und kräftigend wieder das Bewußtsein, durch Anwendung und glückliche Selbstentwickelung der Intelligenz schon so Vieles und so Wichtiges von der Gesetzmäßigkeit der Natur, von der siderischen Weltordnung erforscht zu haben.
42 Wenn die Welträume, welche die Gestirne von einander trennen, nicht leerSchon Aristoteles (Phys. auscult. IV, 6 bis 10 pag. 213–217 Bekker) beweist gegen Leucipp und Democrit, daß es in der Welt keinen nicht erfüllten Raum, kein Leeres giebt., sondern mit irgend einer Materie gefüllt sind: wie nicht bloß die Fortpflanzung des Lichtes, sondern auch eine besondere Art seiner Schwächung, das auf die Umlaufszeit des Enckischen Cometen wirkende widerstehende (hemmende) Mittel, und die Verdunstung zahlreicher und mächtiger Cometenschweife zu beweisen scheinen; so müssen wir aus Vorsicht gleich hier in Erinnerung bringen, daß unter den unbestimmten jetzt gebrauchten Benennungen: Himmelsluft, kosmische (nicht selbstleuchtende) Materie, und Welt-Aether, die letzte, uns aus dem frühesten süd- und west-asiatischen Alterthume überkommen, im Lauf der Jahrhunderte nicht ganz dieselben Ideen bezeichnet hat. Bei den indischen Naturphilosophen gehört der Aether (âkâ’sa) zum Fünfthum (pantschatâ); d. h. er ist eins von den fünf Elementen: ein Fluidum unendlicher Feinheit, welches das Universum, das ganze Weltall, durchdringt: sowohl der Anreger des Lebens als das Fortpflanzungsmittel des Schalles.Âkâ’sa ist nach Wilson's Sanskrit-Wörterbuch: the subtle and aetherial fluid, supposed to till and pervade the Universe, and to be the peculiar vehicle of life and sound. Das Wort âkâ’sa (leuchtend, glänzend) kommt von der Wurzel kâ’s, leuchten, in Verbindung mit der Präposition â. Das Fünfthum aller Elemente heißt pantschatâ oder pantschatra; und der Todte wird sonderbar genug erlangtes Fünfthum habend (prâpta-pantschatra), d. i. in die fünf Elemente aufgelöst, genannt. So im Text des Amarakoscha, Amarasinha's Wörterbuchs.« (Bopp.) – Von den fünf Elementen handelt Colebrooke's vortreffliche Abhandlung über die Sânkhya-Philosophie in den Transact. of the Asiat. Soc. Vol. I. Lond. 1827 p. 31. Auch Strabo erwähnt schon nach Megasthenes (XV § 59 pag. 713 Cas.) des alles gestaltenden fünften Elements der Inder, ohne es jedoch zu nennen. Etymologisch bedeutet akâ’sa nach Bopp »leuchtend, glänzend, und steht demnach in seiner Grundbedeutung dem Aether der Griechen so nahe, als leuchten dem brennen steht.«
Dieser Aether (αἰϑήρ) war nach den Dogmen der ionischen Naturphilosophie, nach Anaxagoras und Empedocles, von der eigentlichen, gröberen (dichteren), mit Dünsten gefüllten Luft (ἀήρ), die den Erdkreis umgiebt »und vielleicht bis zum Monde reicht«, ganz verschieden. Er war »feuriger Natur: eine reine Feuerluft; hellstrahlendEmpedocles v. 216 nennt den Aether παμφανόων, hellstrahlend, also selbstleuchtend., von großer Feinheit (Dünne) und ewiger Heiterkeit.« Mit dieser Definition stimmt vollkommen die etymologische Ableitung von 43 brennen (αἴϑειν): die später sonderbar genug als Vorliebe für mechanische Ansichten, wegen des beständigen Umschwunges und Kreislaufes, von Plato und Aristoteles wortspielend in eine andere (ἀεὶ ϑεῖν) umgewandelt wurde.Plato, Cratyl. 410 B, wo ἀειϑεὴρ vorkommt. Aristot. de Coelo I, 3 pag. 270 Bekk. gegen Anaxagoras; αἰϑέρα προσωνόμασαν τὸν ἀνωτάτω τόπον, ἀπὸ τοῦ ϑεῖν ἀεὶ τὸν αἴδιον χρόνον ϑέμενοι τὴν ἐπωνυμίαν αὐτῷ. Ἀναξαγόρας δε κατακέχρηται τῷ ὀνόματι τούτῳ οὐ καλῶς· ὀνομάζει γὰρ αἰϑέρα ἀντὶ πυρός. Umständlicher heißt es in Aristot. Meteor. I, 3 pag. 339 lin. 21–34 Bekk.: »Der sogenannte Aether hat eine uralte Benennung, welche Anaxagoras mit dem Feuer zu identificiren scheint: denn die obere Region sei voll Feuer; und jener hielt es mit dieser Region so, daß er sie für Aether ansah; darin hat er auch Recht. Denn den ewig im Lauf begriffenen Körper scheinen die Alten für etwas von Natur Göttliches angesehen und deshalb Aether genannt zu haben: als eine Substanz, welche bei uns nichts vergleichbares hat. Diejenigen aber, welche den umgebenden Raum, nicht bloß die darin sich bewegenden Körper, für Feuer und, was zwischen Erde und den Gestirnen ist, für Luft halten: würden von diesem kindischen Wahn wohl ablassen, wenn sie die Resultate der neueren Forschungen der Mathematiker genau betrachten wollten.« (Eben diese Etymologie des Wortes vom schnellen Umlaufe wiederholt der aristotelische oder stoische Verfasser des Buches de Mundo cap. 2 pag. 392 Bekker.) Professor Franz hat mit Recht bemerkt: »daß das Wortspiel von dem im ewigen Lauf begriffenen Körper (σῶμα ἀεὶ ϑέον) und vom Göttlichen (ϑεῖον), dessen die Meteorologica erwähnen, auffallend bezeichnend sei für die griechische Phantasie, und ein Zeugniß mehr gebe für die so wenig glückliche Behandlung der Etymologik bei den Alten.« – Prof. Buschmann macht auf ein Sanskritwort âschtra für Aether, Luftkreis aufmerksam, das dem griechischen αἰϑὴρ sehr ähnlich sieht und schon von Bans Kennedy mit ihm zusammengestellt worden ist (s. dessen researches into the origin and affinity of the principal languages of Asia and Europe 1828 p. 279); es läßt sich auch für dieses Wort eine Wurzel (as, asch) anführen, welcher von den Indern die Bedeutung von glänzen, leuchten beigelegt wird. Der Begriff der Feinheit und Dünne des hohen Aethers scheint nicht etwa Folge der Kenntniß reiner, von schweren Erddünsten mehr befreiter Bergluft, oder gar der mit der Höhe abnehmenden Dichte der Luftschichten gewesen zu sein. In so fern die Elemente der Alten weniger Stoff-Verschiedenheiten oder gar Einfachheit (Unzerlegbarkeit) von Stoffen als Zustände der Materie ausdrücken, wurzelt der Begriff des hohen Aethers (der feurigen Himmelsluft) in dem ersten und normalen Gegensatze von schwer und leicht, von unten und oben, von Erde und Feuer. Zwischen diesen Extremen liegen zwei mittlere Elementar-Zustände: Wasser, der schweren Erde; Luft, dem leichten Feuer näher.Aristot. de Coele IV, 1 und 3–4 pag. 308 und 311–312 Bekker. Wenn der Stagirite dem Aether den Namen eines fünften Elements versagt, was freilich Ritter (Geschichte der Philosophie Th. III. S. 259) und Martin (études sur le Timée de Platon T. II. p. 150) läugnen; so ist es nur, weil nach ihm dem Aether, als Zustand der Materie, ein Gegensatz fehlt. (Vergl. Biese, Philosophie des Aristoteles Bd. II. S. 66.) Bei den Pythagoreern ward der Aether als ein fünftes Element durch den fünften der regelmäßigen Körper, das aus 12 Pentagonen zusammengesetzte Dodecaëder, vorgestellt (Martin T. II. p. 245–250).
Der Aether des Empedocles hat als ein den Weltraum füllendes Mittel nur durch Feinheit und Dünne Analogie mit dem Aether, durch dessen Transversal-Schwingungen die neuere Physik die Fortpflanzung des Lichtes und alle Eigenschaften desselben (doppelte Brechung, Polarisation, Interferenz) so glücklich nach rein mathematischer Gedankenentwickelung erklärt. In der Naturphilosophie des Aristoteles wird dazu noch gelehrt, daß der ätherische Stoff alle lebendigen Organismen der Erde, Pflanzen und Thiere, durchdringe; daß er in ihnen das Princip der Lebenswärme, ja der Keim eines seelischen Principes werde, welches unvermischt mit dem Körper die Menschen zur Selbstthätigkeit anfache.Siehe die Beweisstellen gesammelt bei Biese Bd. II. S. 93. Diese Phantasien ziehen den Aether aus dem höheren Weltraum 44 in die irdische Sphäre herab; sie zeigen ihn als eine überaus feine, den Luftkreis und starre Körper continuirlich durchdringende Substanz: ganz wie den schwingenden Licht-Aether bei Huygens, Hooke und den jetzigen Physikern. Was aber zunächst beide Hypothesen des Aethers, die ältere ionische und die neuere, von einander unterscheidet: ist die ursprüngliche, wenn auch von Aristoteles nicht ganz getheilte, Annahme des Selbstleuchtens. Die hohe Feuerluft des Empedocles wird ausdrücklich hellstrahlend (παμφανόων) genannt; und bei gewissen Erscheinungen von den Erdbewohnern durch Spalten und Risse (χάσματα), die in dem Firmamente sich bilden, in Feuerglanz gesehen.Kosmos Bd. I. S. 159 und 416 Anm. 118.
Bei dem jetzt so vielfach erforschten innigen Verkehr zwischen Licht, Wärme, Electricität und Magnetismus wird es für wahrscheinlich gehalten, daß, wie die Transversal-Schwingungen des den Weltraum erfüllenden Aethers die Erscheinungen des Lichts erzeugen, die thermischen und electromagnetischen Erscheinungen auf analogen Bewegungsarten (Strömungen) beruhen. Große Entdeckungen über diese Gegenstände bleiben der Zukunft vorbehalten. Das Licht und die, von diesem unzertrennliche, strahlende Wärme sind für die nicht selbstleuchtenden Weltkörper, für die Oberfläche unseres Planeten eine Hauptursach aller Bewegung und alles organischen Lebens.Vergl. die schöne Stelle über den Einfluß der Sonnenstrahlen in John Herschel, outlines of Astr. p. 237: »By the vivifying action of the sun's rays vegetables are enabled to draw support from inorganic matter and become, in their turn, the support of animals and of man, and the sources of those great deposits of dynamical efficiency which are laid up for human use in our coal strata. By them the waters of the sea are made to circulate in vapour through the air, and irrigate the land, producing springs and rivers. By them are produced all disturbances of the chemical equilibrium of the elements of nature, which, by a series of compositions and decompositions, give rise to new products, and originate a transfer of materials....... Selbst fern von der Oberfläche, im Inneren der Erdrinde, ruft die eindringende Wärme electro-magnetische Strömungen hervor: welche auf Stoff-Verbindungen und Stoff-Zersetzungen, auf alle gestaltende Thätigkeit im Mineralreiche, auf die Störung des Gleichgewichts in der Atmosphäre, wie auf die Functionen vegetabilischer und animalischer 45 Organismen ihren anregenden Einfluß ausüben. Wenn in Strömungen bewegte Electricität magnetische Kräfte entwickelt, wenn nach einer früheren Hypothese von Sir William HerschelPhilos. Transact. for 1795 Vol. LXXXV. p. 318; John Herschel, outlines of Astronomy p. 238; Kosmos Bd. I. S. 195 und 436 Anm. 163. die Sonne selbst sich in dem Zustande »eines perpetuirlichen Nordlichts« (ich würde sagen eines electro-magnetischen Gewitters) befände; so wäre es nicht ungeeignet, zu vermuthen, daß auch in dem Weltraume das durch Aetherschwingungen fortgepflanzte Sonnenlicht von electro-magnetischen Strömungen begleitet sei.
Seitdem diese Stelle des Kosmos, in welcher »ein mit Sicherheit sich offenbarender Einfluß der Sonnenstellung auf den Erd-Magnetismus« bezweifelt wird, gedruckt worden ist, haben die neuen und trefflichen Arbeiten von Faraday einen solchen Einfluß erwiesen. Lange Reihen magnetischer Beobachtungen in entgegengesetzten Hemisphären (z. B. Toronto in Canada und Hobarttown auf Van Diemens Land) zeigen, daß der Erd-Magnetismus einer jährlichen Variation unterliegt, welche von der relativen Stellung der Sonne und Erde abhängt.
Unmittelbare Beobachtung der periodischen Veränderung in der Declination, Inclination und Intensität hat freilich bisher in dem Erd-Magnetismus bei den verschiedenen Stellungen der Sonne [s. nebenstehenden Zusatz] oder des uns nahen Mondes keinen Einfluß mit Sicherheit offenbart. Die magnetische Polarität der Erde zeigt nicht Gegensätze, welche sich auf die Sonne beziehen und welche die Vorrückung der Nachtgleichen bemerkbarBessel in Schumacher's astron. Nachr. Bd. III. 1836 No. 300 S. 201. afficirt. Nur die merkwürdige drehende oder schwingende Bewegung des ausströmenden Lichtkegels des Halley'schen Cometen, welche Bessel vom 12 zum 22 October 1835 beobachtete und zu deuten versuchte, hatte diesen großen Astronomen von dem Dasein einer Polarkraft: »von der Wirkung einer Kraft überzeugt, welche von der Gravitation oder gewöhnlichen anziehenden Kraft der Sonne bedeutend verschieden sei: weil diejenigen Theile des Cometen, welche den Schweif bilden, die Wirkung einer abstoßenden Kraft des SonnenkörpersBessel a. a. O. S. 186–192 und 229. erfahren.« Auch der prachtvolle Comet von 1744, den Heinsius beschrieben, hatte bei meinem verewigten Freunde zu ähnlichen Vermuthungen Anlaß gegeben.
Für minder problematisch als die electro-magnetischen 46 Phänomene im Weltraum werden die Wirkungen der strahlenden Wärme gehalten. Die Temperatur des Weltraums ist nach Fourier und Poisson das Resultat der Wärmestrahlung der Sonne und aller Gestirne, vermindert durch die Absorption, welche die Wärme erleidet, indem sie den »mit Aether« gefüllten Raum durchläuft.Fourier, théorie analytique de la Chaleur 1822 p. IX (Annales de Chimie et de Physique T. III. 1816 p. 350, T. IV. 1817 p. 128, T. VI. 1817 p. 259, T. XIII. 1820 p. 418). – Numerische Schätzungen des Verlustes, welchen durch Absorption die Sternen-Wärme (chaleur stellaire) im Aether des Weltraumes erleidet, versucht Poisson, théorie mathématique de la Chaleur § 196 p. 436, § 200 p. 447 und § 228 p. 521. Dieser Sternenwärme geschieht schon bei den Alten (bei Griechen und RömernUeber die wärmende Kraft der Sterne s. Aristot. Meteor. I, 3 pag. 340 lin. 28; und Seneca über die Höhe der Schichten des Luftkreises, welche das Minimum der Wärme haben, in Nat. Quaest. II, 10: »superiora enim aëris calorem vicinorum siderum sentiunt...«) mehrfach Erwähnung: nicht bloß weil nach einer allgemein herrschenden Voraussetzung die Gestirne der Region des feurigen Aethers angehören; sondern weil sie selbst feuriger NaturPlut. de plac. Philos. II, 13., ja nach der Lehre des Aristarch von Samos Fixsterne und Sonne Einer Natur sind. In der neuesten Zeit ist durch die zwei großen französischen Mathematiker, welche wir eben genannt, das Interesse für die ohngefähre Bestimmung der Temperatur der Welträume um so lebhafter angeregt worden, als man endlich eingesehen hat, wie wichtig diese Bestimmung wegen Wärmestrahlung der Erdoberfläche gegen das Himmelsgewölbe für alle thermischen Verhältnisse, ja man darf sagen für die ganze Bewohnbarkeit unseres Planeten ist. Nach der analytischen Theorie der Wärme von Fourier ist die Temperatur des Weltraums (des espaces planétaires ou célestes) etwas unter der mittleren Temperatur der Pole: vielleicht selbst noch unter dem größten Kältegrade, welchen man bisher in den Polargegenden beobachtet hat. Fourier schätzt sie demnach auf -50° bis -60° Cent. (40° bis 48° Réaum. unter dem Gefrierpunkte). Der Eispol (pôle glacial), Punkt der größten Kälte, fällt eben so wenig mit dem Erdpole zusammen als der Wärme-Aequator (équateur thermal), der die wärmsten Punkte aller Meridiane verbindet, mit dem 47 geographischen Aequator. Der nördliche Erdpol ist, aus der allmäligen Abnahme der Mittel-Temperaturen geschlossen, nach Arago -25°: wenn das Maximum der im Januar 1834 im Fort Reliance (Br.62° 46') von Capitän Back gemessenen Kälte -56°,6 (-45°,3 Réaum.) war.Arago sur la température du Pôle et des espaces célestes im Annuaire du Bureau des Long. pour 1825 p. 189 und pour 1834 p. 192; Saigey, Physique du Globe 1832 p. 60–78. Swanberg findet aus Discussionen über die Strahlenbrechung für die Temperatur des Weltraums -50°,3 (Berzelius, Jahresbericht für 1830 S. 54); Arago aus Polar-Beobachtungen -56°,7; Péclet -60°; Saigey durch die Wärme-Abnahme in der Atmosphäre aus 367 meiner Beobachtungen in der Andeskette und in Mexico -65°, durch Thermometer-Messungen am Montblanc und bei der aërostatischen Reise von Gay-Lussac -77°; Sir John Herschel (Edinburgh Review Vol. 87 1848 p. 223) -132° F., also -91° Cent. Wie Poisson, da die Mittel-Temperatur von Melville-Insel (Br. 74° 47') schon -18°,7 ist, für den Weltraum aus rein theoretischen Gründen, nach denen der Weltraum wärmer als die äußere Grenze der Atmosphäre sein soll (§ 227 p. 520), nur -13°, und dagegen Pouillet nach actinometrischen Versuchen (Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. VII. 1838 p. 25–65), gar -142° finden; muß Wunder nehmen und in diesen interessanten Speculationen das Vertrauen zu den bisher eingeschlagenen Wegen mindern. Die niedrigste uns bekannte Temperatur, welche man bisher auf der Erde überhaupt wahrgenommen hat, ist wohl die zu Jakutsk (Br. 62° 2') am 21 Januar 1838 von Neveroff beobachtete. Der in allen seinen Arbeiten so genaue Middendorff hatte die Instrumente des Beobachters mit den seinigen verglichen. Neveroff fand die Kälte des genannten Tages -60° Cent. (-48° R.)
Zu den vielen Gründen der Unsicherheit eines numerischen Resultats für den thermischen Zustand des Weltraums gehört auch der, daß man bisher nicht vermag das Mittel aus den Temperatur-Angaben der Eispole beider Hemisphären zu ziehen: da wir mit der Meteorologie des Südpols, welche die mittleren Jahres-Temperaturen entscheiden soll, noch so wenig bekannt sind. Die Behauptung Poisson's: daß wegen der ungleichen Vertheilung der wärmestrahlenden Sterne die verschiedenen Regionen des Weltraums eine sehr verschiedene Temperatur haben, und daß der Erdkörper während der Bewegung des ganzen Sonnensystems, warme und kalte Regionen durchwandernd, von außen seine innere Wärme erhalten habePoisson, théorie mathématique de la Chaleur p. 438. Nach ihm hat die Erhärtung der Erdschichten von dem Centrum angefangen, und ist von diesem zur Oberfläche allmälig fortgeschritten; § 193 p. 429. (Vergl. auch Kosmos Bd. I. S. 184); hat für mich eine sehr geringe physikalische Wahrscheinlichkeit.
Ob der Temperatur-Zustand des Weltraumes, ob die Klimate der einzelnen Regionen desselben in dem Lauf der Jahrtausende großen Veränderungen ausgesetzt sind, hängt vorzüglich von der Lösung eines von Sir William Herschel 48 lebhaft angeregten Problemes ab: sind die Nebelflecke fortschreitenden Gestaltungs-Processen unterworfen, indem sich in ihnen der Weltdunst um einen oder um mehrere Kerne, nach Attractions-Gesetzen, verdichtet? Durch eine solche Verdichtung des kosmischen Nebels nämlich muß, wie bei jedem Uebergange des Gasförmigen und Flüssigen zum Starren, Wärme entbunden werden.Kosmos Bd. I. S. 86 und 149. Wenn nach den neuesten Ansichten, nach den wichtigen Beobachtungen von Lord Rosse und Bond, es wahrscheinlich wird, daß alle Nebelflecke: selbst die, welche durch die größte Kraft der optischen Instrumente noch nicht ganz aufgelöst wurden, dicht zusammengedrängte Sternschwärme sind; so wird der Glaube an diese perpetuirlich anwachsende Wärme-Erzeugung allerdings etwas erschüttert. Aber auch kleine starre Weltkörper, die in Fernröhren als unterscheidbare leuchtende Punkte aufglimmen, können zugleich ihre Dichte verändern, indem sie sich zu größeren Massen verbinden; ja viele Erscheinungen, welche unser eigenes Planetensystem darbietet, leiten zu der Annahme, daß die Planeten aus einem dunstförmigen Zustande erstarrt sind, daß ihre innere Wärme dem Gestaltungs-Processe der geballten Materie ihren Ursprung verdankt.
Es muß auf den ersten Anblick gewagt erscheinen, eine so grausenvoll niedrige Temperatur des Weltraums, welche zwischen dem Gefrierpunkt des Quecksilbers und dem des Weingeistes liegt, den bewohnbaren Klimaten des Erdkörpers, dem Pflanzen- und Thierleben, wenn auch nur mittelbar, wohlthätig zu nennen; aber um die Richtigkeit des Ausdrucks zu begründen, braucht man nur an die Wirkung der Wärme-Ausstrahlung zu denken. Unsere durch den Sonnenkörper erwärmte Erdoberfläche und der Luftkreis 49 selbst bis zu seinen obersten Schichten strahlen frei gegen den Himmelsraum. Der Wärmeverlust, den sie erleiden, entsteht aus dem thermischen Unterschiede des Himmelsraums und der Luftschichten, aus der Schwäche der Gegenstrahlung. Wie ungeheuer»Were no atmosphere, a thermometer, freely exposed (at sunset) to the heating influence of the earth's radiation, and the cooling power of its own into space, would indicate a medium temperature between that of the celestial spaces (-132° Fahr. = -91° Cent.) and that of the earth's surface below it (82° F. = 27°,7 Cent. at the equator; -3°,5 F. = –19°,5 Cent. in the Polar Sea). Under the equator, then, it would stand, on the average, at -25° F. = -31°,9 Cent.; and in the Polar Sea at -68° F. = -55°,5 Cent. The presence of the atmosphere tends to prevent the thermometer so exposed from attaining these extreme low temperatures: first, by imparting heat by conduction; secondly by impeding radiation outwards.«. Sir John Herschel im Edinburgh Review Vol. 87. 1848 p. 223. – »Si la chaleur des espaces planétaires n'existait point, notre atmosphère éprouverait un refroidissement, dont on ne peut fixer la limite. Probablement la vie des plantes et des animaux serait impossible à la surface du globe ou reléguée dans une étroite zone de cette surface.«. Saigey, Physique du Globe p. 77. würde dieser Verlust sein, wenn der Weltraum, statt der Wärme, welche wir durch -60° eines Quecksilber-Thermometers nach Centesimal-Graden bezeichnen, eine viel niedrigere, z. B. -800°, oder gar eine mehrere tausendmal geringere Temperatur hätte!
Es bleibt uns übrig noch zwei Betrachtungen über das Dasein eines den Weltraum füllenden Fluidums zu entwickeln: von denen die eine, schwächer begründete, auf eine beschränkte Durchsichtigkeit des Weltraumes; die andere, auf unmittelbare Beobachtung gestützt und numerische Resultate liefernd, sich auf die regelmäßig verkürzte Umlaufszeit des Enckischen Cometen bezieht. Olbers in Bremen und, wie Struve bemerkt, achtzig Jahre früher Loys de Cheseaux in GenfTraité de la Comète de 1743, avec une Addition sur la force de la Lumière et sa Propagation dans l'éther, et sur la distance des étoiles fixes; par Loys de Cheseaux (1744). Ueber die Durchsichtigkeit des Weltraums von Olbers in Bode's Jahrbuch für 1826 S. 110–121; Struve, études d'Astronomie stellaire 1847 p. 83–93 und Note 95. Vergl. auch Sir John Herschel, outlines of Astr. § 798 und Kosmos Bd. I. S. 158. machten auf das Dilemma aufmerksam: es müsse, da man sich in dem unendlichen Weltraume keinen Punkt denken könne, der nicht einen Fixstern, d. i. eine Sonne, darböte, entweder das ganze Himmelsgewölbe, wenn das Licht vollständig ungeschwächt zu uns gelangte, so leuchtend als unsere Sonne erscheinen; oder, wenn dem nicht so sei, eine Lichtschwächung im Durchgang durch den Weltraum angenommen werden, eine Abnahme der Licht-Intensität in stärkerem Maaße als in dem umgekehrten Verhältniß des Quadrats der Entfernung. Indem wir nun einen solchen den ganzen Himmel fast gleichförmig bedeckenden Lichtglanz, dessen auch HalleyHalley on the infinity of the Sphere of Fix'd Stars in den Philos. Transact. Vol. XXXI. for the Year 1720 p. 22–26. nach einer von ihm verworfenen Hypothese gedenkt, nicht 50 bemerken; so muß, nach Cheseaux, Olbers und Struve, der Weltraum keine vollkommene und absolute Durchsichtigkeit haben. Resultate, die Sir William Herschel aus Stern-AichungenKosmos Bd. I. S. 92. und aus sinnreichen Untersuchungen über die raumdurchdringende Kraft seiner großen Fernröhre gezogen, scheinen zu begründen: daß, wenn das Licht des Sirius auf seinem Wege zu uns durch ein gasförmiges oder ätherisches Fluidum auch nur um 1/800 geschwächt würde; diese Annahme, welche das Maaß der Dichtigkeit eines lichtschwächenden Fluidums gäbe, schon hinreichen könnte die Erscheinungen, wie sie sich darbieten, zu erklären. Unter den Zweifeln, welche der berühmte Verfasser der neuen outlines of Astronomy gegen Olbers und Struve aufstellt, ist einer der wichtigsten, daß sein zwanzigfüßiges Telescop in dem größten Theile der Milchstraße, in beiden Hemisphären, ihm die kleinsten Sterne auf schwarzem Grunde projicirt»Throughout by far the larger portion of the extent of the Milky Way in both hemispheres, the general blackness of the ground of the heavens, on which its stars are projected, etc...... In those regions where that zone is clearly resolved into stars well separated and seen projected on a black ground, and where we look out beyond them into space.....« Sir John Herschel, outlines p. 537 und 539. zeigt.
Einen besseren und, wie schon oben gesagt, durch unmittelbare Beobachtung begründeten Beweis von dem Dasein eines widerstandleistenden, hemmenden FluidumsKosmos Bd. I. S. 89, 113 und 392 Anm. 53; Laplace, essai philosophique sur les Probabilités 1825 p. 133; Arago im Annuaire du Bureau des Long. pour 1832 p. 188, pour 1836 p. 216; John Herschel, outlines of Astr. § 577. liefern der Enckische Comet und die scharfsinnigen, so wichtigen Schlußfolgen, auf welche derselbe meinen Freund geleitet hat. Das hemmende Mittel muß aber von dem alles durchdringenden Lichtäther verschieden gedacht werden: weil dasselbe nur Widerstand leisten kann, indem es das Starre nicht durchdringt. Die Beobachtungen erfordern zur Erklärung der verminderten Umlaufszeit (der verminderten großen Axe der Ellipse) eine Tangentialkraft, und die Annahme des widerstehenden Fluidums gewährt diese am directesten.Die schwingende Bewegung der Ausströmungen am Kopf einiger Cometen, wie dieselbe an dem Cometen von 1744 und durch Bessel am Halley'schen Cometen zwischen dem 12 und 22 October 1835 beobachtet worden ist (Schumacher, astron. Nachr. No. 300–302 S. 185–232), »kann bei einzelnen Individuen dieser Classe von Weltkörpern allerdings auf die translatorische Bewegung und Rotation Einfluß haben: ja auf Polarkräfte schließen lassen (S. 201 und 229), welche von der gewöhnlichen anziehenden Kraft der Sonne verschieden sind«; aber die schon seit 63 Jahren so regelmäßig sich offenbarende Beschleunigung der 3⅓jährigen Umlaufszeit des Enckischen Cometen darf doch wohl nicht als von einer Summe zufälliger Ausströmungen abhängig gedacht werden. Vergl. über diesen kosmisch wichtigen Gegenstand Bessel in Schum. astron. Nachr. No. 289 S. 6 und No. 310 S. 345–350 mit Encke's Abhandlung über die Hypothese des widerstehenden Mittels in Schum. No. 305 S. 265–274. Die größte Wirkung äußert sich in den nächsten 25 Tagen vor dem Durchgange des Cometen durch das Perihel, 51 und in den 25 Tagen, welche auf den Durchgang folgen. Der Werth der Constante ist also etwas verschieden, weil nahe am Sonnenkörper die so dünnen, aber doch gravitirenden Schichten des hemmenden Fluidums dichter sind. OlbersOlbers in Schumacher's astron. Nachr. No. 268 S. 58. behauptete, daß das Fluidum nicht in Ruhe sein könne, sondern rechtläufig um die Sonne rotire; und deshalb müsse der Widerstand gegen rückläufige Cometen, wie der Halley'sche, ganz anders sein als gegen den rechtläufigen Enckischen Cometen. Die Perturbations-Rechnungen bei Cometen von langem Umlaufe und die Verschiedenheit der Massen und Größen der Cometen verwickeln die Resultate, und verhüllen, was einzelnen Kräften zuzuschreiben sein könnte.
Die dunstartige Materie, welche den Ring des Thierkreislichtes bildet, ist, wie Sir John HerschelOutl. of Astr. § 556 und 597. sich ausdrückt, vielleicht nur der dichtere Theil des cometen-hemmenden Fluidums selbst. Wenn auch schon erwiesen wäre, daß alle Nebelflecke nur undeutlich gesehene, zusammengedrängte Sternschwärme sind; so steht doch wohl die Thatsache fest, daß eine Unzahl von Cometen durch das Verdunsten ihrer bis 14 Millionen Meilen langen Schweife den Weltraum mit Materie erfüllen. Arago hat aus optischen Gründen sinnreich gezeigt»En assimilant la matière très rare qui remplit les espaces célestes, quant à ses propriétés réfringentes, aux gas terrestres, la densité de cette matière ne saurait dépasser une certaine limite, dont les observations des étoiles changeantes, p. e. celles d'Algol ou de β de Persée, peuvent assigner la valeur.« Arago im Annuaire pour 1842 p. 336–345., wie die veränderlichen Sterne, welche immer weißes Licht und in ihren periodischen Phasen nie eine Färbung zeigen, ein Mittel darbieten könnten die obere Grenze der Dichtigkeit zu bestimmen, welche dem Welt-Aether zuzuschreiben ist, wenn man denselben in seinem Brechungsvermögen den gasförmigen irdischen Flüssigkeiten gleich setzt.
Mit der Frage von der Existenz eines ätherischen Fluidums, welches die Welträume füllt, hängt auch die, von 52 WollastonWollaston in den Philos. Transact. for 1822 p. 89; Sir John Herschel, outl. § 34 und 36. so lebhaft angeregte, über die Begrenzung der Atmosphäre zusammen: eine Begrenzung, welche in der Höhe statt finden muß, wo die specifische Elasticität der Luft mit der Schwere ins Gleichgewicht kommt. Faraday's scharfsinnige Versuche über die Grenze einer Quecksilber-Atmosphäre (über die Höhe, welche an Goldblättchen niedergeschlagene Quecksilberdämpfe in luftvollem Raume kaum zu erreichen scheinen) haben der Annahme einer bestimmten Oberfläche des Luftkreises, »gleich der Oberfläche der Meere«, ein größeres Gewicht gegeben. Kann aus dem Weltraum sich etwas gasartiges unserem Luftkreise beimischen und meteorologische Veränderungen hervorbringen? NewtonNewton, Princ. mathem. T. III. (1760) p. 671. »Vapores, qui ex sole et stellis fixis et caudis cometarum oriuntur, incidere possunt in atmosphaeras planetarum.....« hat die Frage meist bejahend berührt. Wenn man Sternschnuppen und Meteorsteine für planetarische Asteroiden hält, so darf man wohl die Vermuthung wagen: daß mit den Strömen des sogenannten November-PhänomensKosmos Bd. I. S. 129 und 141., wo 1799, 1833 und 1834 Myriaden von Sternschnuppen das Himmelsgewölbe durchkreuzten, ja Nordlicht-Erscheinungen gleichzeitig beobachtet wurden, der Luftkreis etwas aus dem Weltraum empfangen hat, das ihm fremd war und electro-magnetische Processe anregen konnte.
Natürliches und telescopisches Sehen. – Funkeln der Gestirne. – Geschwindigkeit des Lichtes. – Ergebnisse aus der Photometrie.
Dem Auge, Organ der Weltanschauung, ist erst seit drittehalb Jahrhunderten, durch künstliche, telescopische Steigerung seiner Sehkraft, das großartigste Hülfsmittel zur Kenntniß des Inhalts der Welträume; zur Erforschung der Gestaltung, physischen Beschaffenheit und Massen der Planeten sammt ihren Monden geworden. Das erste Fernrohr wurde 1608, sieben Jahre nach dem Tode des großen Beobachters Tycho, construirt. Schon waren nach einander durch das Fernrohr die Jupiterstrabanten, die Sonnenflecken, die sichelförmige Gestalt der Venus, der Saturnsring als Dreigestaltung eines Planeten, telescopische Sternschwärme und der Nebelfleck der AndromedaKosmos Bd. II. S. 355–373 und 507–515 [Anm. 925–955]. entdeckt: als sich erst 1634 dem um die Längen-Beobachtungen so verdienten französischen Astronomen Morin der Gedanke darbot, ein Fernrohr an die Alhidade eines Meßinstruments zu befestigen und den Arcturus bei Tage aufzusuchen.Delambre, Hist. de l'Astronomie moderne T. II. p. 255, 269 und 272. Morin sagt selbst in seiner 1634 erschienenen Scientia longitudinum: »applicatio tubi optici ad alhidadam pro stellis fixis prompte et accurate mensurandis a me excogitata est.« Picard bediente sich noch bis 1667 keines Fernrohrs am Mauer-Quadranten; und Hevelius, als ihn Halley 1679 in Danzig besuchte und die Genauigkeit seiner Höhenmessungen bewunderte (Baily, Catalogue of stars p. 38), beobachtete durch vervollkommnete Spaltöffnungen. Die Vervollkommnung der Theilung des Bogens würde ihren Hauptzweck, größere Schärfe der Beobachtung, gänzlich oder doch großentheils verfehlt haben, wenn man nicht optische Werkzeuge mit astronomischen Instrumenten in Verbindung gebracht, die Schärfe des Erkennens mit der des Messens in Verhältniß gesetzt hätte. Die Micrometer-Vorrichtung von seinen Fäden, im Brennpunkt des Fernrohrs 61 ausgespannt, welche der Anwendung des letzteren erst ihren eigentlichen und zwar einen unschätzbaren Werth gab, wurde noch sechs Jahre später, erst 1640, von dem jungen, talentvollen GascoigneDer unglückliche, lang verkannte Gascoigne fand, kaum 23 Jahr alt, den Tod in der Schlacht bei Marston Moor, die Cromwell den königlichen Truppen lieferte (s. Derham in den Philos. Transact. Vol. XXX. for 1717–1719 p. 603–610). Ihm gehört, was man lange Picard und Auzout zugeschrieben und was der beobachtenden Astronomie, deren Hauptgegenstand es ist Orte am Himmelsgewölbe zu bestimmen, einen vorher unerreichten Aufschwung gegeben hat. erfunden.
Umfaßt, wie ich eben erinnert habe, das telescopische Sehen, Erkennen und Messen nur 240 Jahre unseres astronomischen Wissens; so zählen wir: ohne der Chaldäer, der Aegypter und der Chinesen zu gedenken, bloß von Timochares und Aristyllus anKosmos Bd. II. S. 209. bis zu den Entdeckungen von Galilei, mehr als neunzehn Jahrhunderte, in denen Lage und Lauf der Gestirne mit unbewaffnetem Auge beobachtet worden ist. Bei den vielen Störungen, welche in dieser langen Periode, unter den Völkern, die das Becken des Mittelmeers umwohnen, der Fortschritt der Cultur und die Erweiterung des Ideenkreises erlitten hat: muß man über das erstaunen, was Hipparch und Ptolemäus von dem Zurückweichen der Aequinoctial-Punkte, den verwickelten Bewegungen der Planeten, den zwei vornehmsten Ungleichheiten des Mondes und von den Sternörtern; was Copernicus von dem wahren Weltsysteme, Tycho von der Vervollkommnung der practischen Astronomie und ihren Methoden vor Erfindung des telescopischen Sehens erkannt haben. Lange Röhren: deren sehr wahrscheinlich sich schon die Alten, mit Gewißheit die arabischen Astronomen bedienten, zum Absehen an Dioptern oder Spaltöffnungen; konnten allerdings die Schärfe der Beobachtung etwas vermehren. Abul-Hassan spricht sehr bestimmt von der Röhre, an deren Extremitäten die Ocular- und Objectiv-Dioptern befestigt waren; auch wurde diese Vorrichtung auf der, von Hulagu gegründeten Sternwarte zu 62 Meragha benutzt. Wenn das Sehen durch Röhren die Aufsuchung von Sternen in der Abenddämmerung erleichterte, wenn die Sterne dem bloßen Auge durch die Röhre früher sichtbar wurden als ohne dieselbe; so liegt, wie schon Arago bemerkt hat, die Ursach darin, daß die Röhre einen großen Theil des störenden diffusen Lichts (die rayons perturbateurs) der Luftschichten abhält, welche zwischen dem an die Röhre angedrückten Auge und dem Sterne liegen. Eben so hindert die Röhre auch bei Nacht den Seiten-Eindruck des schwachen Lichtes, welches die Lufttheilchen von den gesammten Sternen des Firmaments empfangen. Die Intensität des Lichtbildes und die Größe des Sternes nehmen scheinbar zu. Nach einer viel emendirten und viel bestrittenen Stelle des Strabo, in welcher des Sehens durch Röhren Erwähnung geschieht, wird ausdrücklich »der erweiterten Gestalt der Gestirne«, irrig genug als Wirkung der StrahlenbrechungDie Stelle, in welcher Strabo (lib. III p. 138 Casaub.) die Ansicht des Posidonius zu widerlegen sucht, lautet nach den Handschriften also: »Das Bild der Sonne vergrößere sich auf den Meeren, eben so wohl beim Aufgang als beim Untergang, weil da in größerem Maaße die Ausdünstungen aus dem feuchten Element aufsteigen; denn das Auge, wenn es durch die Ausdünstungen sehe, empfange, wie wenn es durch Röhren sieht, gebrochen die Bilder in erweiterter Gestalt; und dasselbe geschehe, wenn es durch eine trockne und dünne Wolke Sonne und Mond im Untergehen sehe: in welchem Falle denn auch das Gestirn röthlich erscheine.« Man hat diese Stelle noch ganz neuerdings für corrumpirt gehalten (Kramer in Strabonis Geogr. 1844 Vol. I. p. 211) und statt δι' αὐλῶν: δι' ὑάλων (durch Glaskugeln) lesen wollen (Schneider, Eclog. phys. Vol. II. p. 273). Die vergrößernde Kraft der hohlen gläsernen, mit Wasser gefüllten Kugeln (Seneca I, 6) war den Alten allerdings so bekannt als die Wirkungen der Brenngläser oder Brennkrystalle (Aristoph. Nub. v. 765) und des Neronischen Smaragds (Plin. XXXVII, 5); aber zu astronomischen Meßinstrumenten konnten jene Kugeln gewiß nicht dienen. (Vergl. Kosmos Bd. II. S. 464 Note 827.) Sonnenhöhen, durch dünne, lichte Wolken oder durch vulkanische Dämpfe genommen, zeigen keine Spur vom Einfluß der Refraction (Humboldt, Recueil d'Observ. astr. Vol. I. p. 123). Obrist Baeyer hat bei vorbeiziehenden Nebelstreifen, ja bei geflissentlich erregten Dämpfen keine Angular-Veränderung des Heliotrop-Lichts gefunden und also Arago's Versuche völlig bestätigt. Peters in Pulkowa, indem er Gruppen von Sternhöhen, bei heiterem Himmel und durch lichte Wolken gemessen, vergleicht, findet keinen Unterschied, der 0",017 erreicht. S. dessen recherches sur la Parallaxe des étoiles 1848 p. 80 und 140–143; Struve, études stellaires p. 98. – Ueber die Anwendung der Röhren beim Absehen in den arabischen Instrumenten s. Jourdain sur l'Observatoire de Meragah p. 27 und A. Sédillot, mém. sur les Instruments astronomiques des Arabes 1841 p. 198. Arabische Astronomen haben auch das Verdienst, zuerst große Gnomonen mit kleiner circularer Oeffnung eingeführt zu haben. In dem colossalen Sextanten von Abu Mohammed al-Chokandi erhielt der von 5 zu 5 Minuten eingetheilte Bogen das Bild der Sonne selbst. »À midi les rayons du Soleil passaient par une ouverture pratiquée dans la voûte de l'Observatoire qui couvrait l'instrument, suivaient le tuyau et formaient sur la concavité du Sextant une image circulaire, dont le centre donnait, sur l'arc gradué, le complément de la hauteur du soleil. Cet instrument ne diffère de notre Mural qu'en ce qu'il était garni d'un simple tuyau au lieu d'une lunette.« Sédillot p. 37, 202 und 205. Die durchlöcherten Abseher (Dioptern, pinnulae) wurden bei den Griechen und Arabern zu Bestimmung des Mond-Durchmessers dergestalt gebraucht, daß die circulare Oeffnung in der beweglichen Objectiv-Diopter größer als die der fest stehenden Ocular-Diopter war; und erstere so lange verschoben ward, bis die Mondscheibe, durch die Ocular-Oeffnung gesehen, die Objectiv-Oeffnung ausfüllte. Delambre, Hist. de l'Astr. du moyen âge p. 201 und Sédillot p. 198. Die Abseher mit runden oder Spalt-Oeffnungen des Archimedes, welcher sich der Schatten-Richtung von zwei kleinen, an derselben Alhidade befestigten Cylinder bediente, scheinen eine erst von Hipparch eingeführte Vorrichtung zu sein (Bailly, Hist. de l'Astr. moderne 2de éd. 1785 T. I. p. 480). Vergl. auch: Theon Alexandrin. Bas. 1538 p. 257 und 262; les Hypotyposes de Proclus Diadochus, ed. Halma 1820 p. 107 und 110; und Ptolem. Almag. ed. Halma T. I. Par. 1813 p. LVII., gedacht.
Licht, aus welcher Quelle es kommen mag: aus der Sonne, als Sonnenlicht, oder von den Planeten reflectirt, aus den Fixsternen, aus faulem Holze, oder als Product der Lebensthätigkeit der Leuchtwürmer; zeigt dieselben Brechungs-Verhältnisse.Nach Arago; s. Moigno, Répertoire d'Optique moderne 1847 p. 153. Aber die prismatischen Farbenbilder (Spectra) aus verschiedenen Lichtquellen (aus der Sonne und Fixsternen) zeigen eine Verschiedenheit der Lage in den dunkeln Linien (raies du spectre), welche Wollaston 1808 zuerst entdeckt und deren Lage Fraunhofer 12 Jahre später mit so großer Genauigkeit bestimmt hat. Wenn dieser schon 600 dunkele Linien (eigentliche Lücken, Unterbrechungen, fehlende Theile des Farbenbildes) zählte, so stieg in der Arbeit von Sir David Brewster (1833) die Zahl der 63 Linien bei den schönen Versuchen mit Stickstoff-Oxyd auf mehr als 2000. Man hatte bemerkt, daß zu gewissen Jahreszeiten bestimmte Linien im Farbenbilde fehlten; aber Brewster hat gezeigt, daß die Erscheinung Folge der verschiedenen Sonnenhöhe und der verschiedenen Absorption der Lichtstrahlen beim Durchgang durch die Atmosphäre ist. In den Farbenbildern, welche das zurückgeworfene Licht des Mondes, der Venus, des Mars und der Wolken giebt, erkennt man, wie wohl zu vermuthen stand, alle Eigenthümlichkeiten des Sonnenspectrums. Dagegen sind die dunkeln Linien des Spectrums des Sirius von denen des Castor oder anderer Fixsterne verschieden. Castor zeigt selbst andere Linien als Pollux und Procyon. Amici hat diese, schon von Fraunhofer angedeuteten Unterschiede bestätigt, und scharfsinnig darauf aufmerksam gemacht, daß bei Fixsternen von jetzt gleichem, völlig weißen Lichte die dunklen Linien nicht dieselben sind. Es bleibt hier noch ein weites und wichtiges Feld künftigen Untersuchungen geöffnetVergl. über das Verhalten der dunkeln Streifen des Sonnenbildes im Daguerreotype die Comptes rendus des séances de l'Académie des Sciences T. XIV. 1842 p. 902 bis 904 und T. XVI. 1843 p. 402–407., um das sicher Aufgefundene von dem mehr Zufälligen, von der absorbirenden Wirkung der Luftschichten, zu trennen.
Einer anderen Erscheinung ist hier zu erwähnen, in welcher die specifische Eigenthümlichkeit der Lichtquelle einen mächtigen Einfluß äußert. Das Licht glühender fester Körper und das Licht des electrischen Funkens zeigen große Mannigfaltigkeit in der Zahl und Lage der dunkeln Wollaston'schen Linien. Nach den merkwürdigen Versuchen von Wheatstone mit Drehspiegeln soll auch das Licht der Reibungs-Electricität eine mindestens im Verhältniß von 3 zu 2 (das ist um volle 20980 geographische Meilen in Einer Zeitsecunde) größere Geschwindigkeit haben als das Sonnenlicht.
64 Das neue Leben, von dem alle Theile der Optik durchdrungen worden sind, als zufällig das von den Fenstern des Palais du Luxembourg zurückstrahlende Licht der untergehenden Sonne den scharfsinnigen Malus (1808) zu seiner wichtigen EntdeckungKosmos Bd. II. S. 370. der Polarisation leitete; hat: durch die tiefer ergründeten Erscheinungen der doppelten Brechung, der gewöhnlichen (Huygenschen) und der farbigen Polarisation, der Interferenz und der Diffraction, dem Forscher unerwartete Mittel dargeboten: directes und reflectirtes Licht zu unterscheidenFür die wichtige Unterscheidung des eigenen und reflectirten Lichtes kann hier als Beispiel angeführt werden Arago's Untersuchung des Cometenlichts. Durch Anwendung der von ihm 1811 entdeckten chromatischen Polarisation bewies die Erzeugung von Complementär-Farben, roth und grün, daß in dem Lichte des Halley'schen Cometen (1835) reflectirtes Sonnenlicht enthalten sei. Den früheren Versuchen, mittelst gleicher und ungleicher Intensität der Bilder im Polariscop das eigene Licht der Capella mit dem des plötzlich (Anfang Juli 1819) aus den Sonnenstrahlen heraustretenden glanzvollen Cometen zu vergleichen, habe ich selbst beigewohnt. (Annuaire du Bureau des Long. pour 1836 p. 232, Kosmos Bd. I. S. 111 und 392 [Anm. 51], Bessel in Schumacher's Jahrbuch für 1837 S. 169.), in die Constitution des Sonnenkörpers und seiner leuchtenden HüllenLettre de M. Arago à M. Alexandre de Humboldt 1840 p. 37: »À l'aide d'un polariscope de mon invention, je reconnus (avant 1820), que la lumière de tous les corps terrestres incandescents, solides ou liquides, est de la lumière naturelle, tant qu'elle émane du corps sous des incidences perpendiculaires. La lumière, au contraire, qui sort de la surface incandescente sous un angle aigu, offre des marques manifestes de polarisation. Je ne m'arrête pas à te rappeler ici, comment je déduisis de ce fait la conséquence curieuse que la lumière ne s'engendre pas seulement à la surface des corps; qu'une portion naît dans leur substance même, cette substance fût-elle du platine. J'ai seulement besoin de dire qu'en répétant la même série d'épreuves et avec les mêmes instruments sur la lumière que lance une substance gazeuse enflammée, on ne lui trouve, sous quelque inclinaison que ce soit, aucun des caractères de la lumière polarisée; que la lumière des gaz, prise à la sortie de la surface enflammée, est de la lumière naturelle: ce qui n'empêche pas qu'elle ne se polarise ensuite complètement si on la soumet à des réflexions ou à des réfractions convenables. De là une méthode très simple pour découvrir à 40 millions de lieues de distance la nature du Soleil. La lumière provenant du bord de cet astre, la lumière émanée de la matière solaire sous un angle aigu, et nous arrivant sans avoir éprouvé en route des réflexions ou des réfractions sensibles, offre-t-elle des traces de polarisation: le Soleil est un corps solide ou liquide. S'il n'y a, au contraire, aucun indice de polarisation dans la lumière du bord, la partie incandescente du Soleil est gazeuse. C'est par cet enchaînement méthodique d'observations qu'on peut arriver à des notions exactes sur la constitution physique du Soleil.« (Ueber die Umhüllungen der Sonne s. Arago im Annuaire pour 1846 p. 464.) Alle umständlichen optischen Erörterungen, die ich den gedruckten oder handschriftlichen Abhandlungen meines Freundes entlehne, gebe ich mit seinen eigenen Worten wieder, um Mißdeutungen zu vermeiden, welche bei dem Zurückübersetzen in die französische Sprache oder in viele andere Sprachen, in denen der Kosmos erscheint, durch das Schwankende der wissenschaftlichen Terminologie entstehen könnten. einzudringen, den Druck und den kleinsten Wassergehalt der Luftschichten zu messen, den Meeresboden und seine Klippen mittelst einer Turmalin-PlatteSur l'effet d'une lame de tourmaline taillée parallèlement aux arêtes du prisme, servant, lorsqu'elle est convenablement située, à eliminer en totalité les rayons réfléchis par la surface de la mer et mêlés à la lumière provenant de l'écueil. S. Arago, Instructions de la Bonite in dem Annuaire pour 1836 p. 339–343. zu erspähen, ja nach Newton's Vorgange die chemischeDe la possibilité de déterminer les pouvoirs réfringents des corps d'après leur composition chimique (angewandt auf das Verhältniß des Sauerstoffs zum Stickstoff in der atmosphärischen Luft, auf den Wasserstoff-Gehalt im Ammoniak und im Wasser, auf die Kohlensäure, den Alkohol und den Diamant) s. Biot et Arago, mémoire sur les affinités des corps pour la lumière, März 1806; auch Mémoires mathém. et phys. de l'Institut T. VII. p. 327–346 und mein mémoire sur les réfractions astronomiques dans la zone torride in dem Recueil d'Observ. astron. Vol. I. p. 115 und 122. Beschaffenheit (Mischung) mehrerer SubstanzenExpériences de Mr. Arago sur la puissance réfractive des corps diaphanes (de l'air sec et de l'air humide) par le déplacement des franges in Moigno, Répertoire d'Optique mod. 1847 p. 159–162. mit ihren optischen Wirkungen zu vergleichen. Es ist hinlänglich die Namen Airy, Arago, Biot, Brewster, Cauchy, Faraday, Fresnel, John Herschel, Lloyd, Malus, Neumann, Plateau, Seebeck . . . . zu nennen: um eine Reihe glänzender Entdeckungen und die glücklichsten Anwendungen des neu Entdeckten dem wissenschaftlichen Leser ins Gedächtniß zu rufen. Die großen und genialen Arbeiten von Thomas Young haben diese wichtigen Bestrebungen mehr als vorbereitet. Arago's Polariscop und die beobachtete Stellung farbiger Diffractions-Fransen (Folgen der Interferenz) sind vielfach gebrauchte Hülfsmittel der Erforschung geworden. Die Meteorologie hat auf dem neu gebahnten Wege nicht minder gewonnen als die physische Astronomie.
So verschieden auch die Sehkraft unter den Menschen ist, giebt es doch auch hier für das unbewaffnete Auge 65 eine gewisse Mittelstufe organischer Fähigkeit, die bei dem älteren Geschlechte (bei Griechen und Römern) dieselbe wie heut zu Tage war. Die Plejaden geben den Beweis dafür, daß vor mehreren tausend Jahren wie jetzt Sterne, welche die Astronomen 7ter Größe nennen, dem bloßen Auge bei mittlerer Sehkraft unsichtbar blieben. Die Plejadengruppe besteht: aus einem Stern 3ter Größe, Alcyone; aus zweien 4ter, Electra und Atlas; dreien 5ter: Merope, Maja und Taygeta; zweien 6ter bis 7ter, Plejone und Celaeno; einem 7ter bis 8ter, Asterope; und vielen sehr kleinen telescopischen Sternen. Ich bediene mich der jetzigen Benennung und Reihung: denn bei den Alten wurden dieselben Namen theilweise anderen Sternen beigelegt. Nur die erstgenannten sechs Sterne 3ter, 4ter und 5ter Größe wurden mit Leichtigkeit gesehen.Um die Behauptung des Aratus, daß in den Plejaden nur sechs Sterne sichtbar sind, zu widerlegen, sagt Hipparch ad Arati Phaen. I pag. 190 in Uranologio Petavii): »Dem Aratus ist ein Stern entgangen. Denn wenn man in einer heiteren und mondlosen Nacht sein Auge auf die Constellation scharf heftet, so erscheinen in derselben sieben Sterne: daher es wundersam scheinen kann, daß Attalus bei seiner Beschreibung der Plejaden ihm (dem Aratus) auch dieses Versehen hat durchgehen lassen, als sei dessen Angabe in der Ordnung.« Merope wird in den dem Eratosthenes zugeschriebenen Catasterismen (XXIII) die unsichtbare, παναφανής, genannt. Ueber einen muthmaßlichen Zusammenhang des Namens der Verschleierten (Tochter des Atlas) mit geographischen Mythen in der Meropis des Theopompus, wie mit dem großen saturnischen Continent des Plutarch und der Atlantis s. mein Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. I. p. 170. Vergl. auch Ideler, Untersuchungen über den Ursprung und die Bedeutung der Sternnamen 1809 S. 145; und in Hinsicht astronomischer Ortsbestimmung Mädler, Untersuch. über die Fixstern-Systeme Th. II. 1848 S. 36 und 166, wie Baily in den Mem. of the Astr. Soc. Vol. XIII. p. 33. Quae septem dici, sex tamen esse solent; sagt Ovidius (Fast. IV, 170). Man hielt eine der Atlas-Töchter, Merope: die einzige, die sich mit einem Sterblichen vermählt, für schaamvoll verhüllt, auch wohl für ganz verschwunden. Sie ist wahrscheinlich der Stern fast 7ter Größe, welchen wir Celaeno nennen; denn Hipparch im Commentar zu Aratus bemerkt, daß bei heiterer mondleerer Nacht man wirklich sieben Sterne erkenne. Man sah dann Celaeno; denn Plejone, bei gleicher Helligkeit, steht dem Atlas, einem Stern 4ter Größe, zu nahe.
Der kleine Stern Alcor, unser Reuterchen, welcher nach Triesnecker in 11' 48" Entfernung von Mizar im Schwanz des großen Bären steht, ist nach Argelander 5ter Größe, aber durch die Strahlen von Mizar überglänzt. Er wurde von den Arabern Saidak, der Prüfer, genannt: 66 weil, wie der persische Astronom KazwiniIdeler, Sternnamen S. 19 und 25. – »On observe, sagt Arago, »qu'une lumière forte fait disparaître une lumière faible placée dans le voisinage. Quelle peut en être la cause? II est possible physiologiquement que l'ébranlement communiqué à la rétine par la lumière forte s'étend an delà des points que la lumière forte a frappés, et que cet ébranlement secondaire absorbe et neutralise en quelque sorte l'ébranlement provenant de la seconde et faible lumière. Mais sans entrer dans ces causes physiologiques, il y a une cause directe qu'on peut indiquer pour la disparition de la faible lumière: c'est que les rayons provenant de la grande n'ont pas seulement formé une image nette sur la rétine, mais se sont dispersés aussi sur toutes les parties de cet organe à cause des imperfections de transparence de la cornée. – Les rayons du corps plus brillant a en traversant la cornée se comportent comme en traversant un corps légèrement dépoli. Une partie de ces rayons réfractés régulièrement forme l'image même de a, l'autre partie dispersée éclaire la totalité de la rétine. C'est donc sur ce fond lumineux que se projette l'image de l'objet voisin b. Cette dernière image doit donc ou disparaître ou être affaiblie. De jour deux causes contribuent à l'affaiblissement des étoiles. L'une de ces causes c'est l'image distincte de cette portion de l'atmosphère comprise dans la direction de l'étoile (de la portion aérienne placée entre l'oeil et l'étoile) et sur laquelle l'image de l'étoile vient de se peindre; l'autre cause c'est la lumière diffuse provenant de la dispersion que les défauts de la cornée impriment aux rayons émanants de tous les points de l'atmosphère visible. De nuit les couches atmosphériques interposées entre l'oeil et l'étoile vers laquelle on vise, n'agissent pas; chaque étoile du firmament forme une image plus nette, mais une partie de leur lumière se trouve dispersée à cause du manque de diaphanité de la cornée. Le même raisonnement s'applique à une deuxième, troisième..... millième étoile. La rétine se trouve donc éclairée en totalité par une lumière diffuse, proportionnelle au nombre de ces étoiles et à leur éclat. On conçoit par-là que cette somme de lumière diffuse affaiblisse ou fasse entièrement disparaître l'image de l'étoile vers laquelle on dirige la vue. (Arago, handschriftliche Aufsätze vom Jahr 1847.) sagt, »man an ihm die Sehkraft zu prüfen pflegte«. Ich habe Alcor mit unbewaffnetem Auge, trotz der niedrigen Stellung des großen Bären unter den Tropen, jeden Abend an der regenlosen Küste von Cumana und auf den 12000 Fuß hohen Ebenen der Cordilleren in großer Deutlichkeit: nur selten und ungewisser in Europa und in den trockenen Luftschichten der nord-asiatischen Steppen erkannt. Die Grenze, innerhalb deren es dem unbewaffneten Auge nicht mehr möglich ist zwei sich sehr nahe stehende Objecte am Himmel von einander zu trennen, hängt, wie Mädler sehr richtig bemerkt, von dem relativen Glanze der Sterne ab. Die beiden mit α Capricorni bezeichneten Sterne 3ter und 4ter Größe werden in gegenseitiger Entfernung von 6½ Minute ohne Mühe als getrennt erkannt. Galle glaubt noch bei sehr heiterer Luft ε und 5 Lyrae in 3½ Minute Distanz mit bloßem Auge zu sondern, weil beide 4ter Größe sind.
Das Ueberglänzen durch die Strahlen des nahen Planeten ist auch die Hauptursach, warum die Jupiterstrabanten: welche aber nicht alle, wie man oft behauptet, einen Lichtglanz von Sternen 5ter Größe haben, dem unbewaffneten Auge unsichtbar bleiben. Nach neueren Schätzungen und Vergleichung meines Freundes, des Dr. Galle, mit nahe stehenden Sternen ist der dritte Trabant, der hellste, vielleicht 5ter bis 6ter Größe: während die anderen bei wechselnder Helligkeit 6ter bis 7ter Größe sind. Nur einzelne Beispiele werden angeführt, wo Personen von außerordentlicher Scharfsichtigkeit: d. h. solche, welche mit bloßen Augen schwächere Sterne als die 6ter Größe deutlich erkennen, einzelne Jupiterstrabanten ohne Fernrohr gesehen 67 haben. Die Angular-Entfernung des dritten, überaus hellen Trabanten ist vom Centrum des Planeten 4' 42"; die des vierten, welcher nur 1/6 kleiner als der größte ist, 8' 16": und alle Jupitersmonde haben, wie Arago behauptetArago im Annuaire pour 1842 p. 284 und in den Comptes rendus T. XV. 1842 p. 750 (Schum. astr. Nachr. No. 702). »In Bezug auf Ihre Vermuthungen über die Sichtbarkeit der Jupiterstrabanten«, schreibt mir Herr Dr. Galle, »habe ich einige Schätzungen der Größe angestellt: jedoch gegen mein eigenes Erwarten gefunden, daß dieselben nicht 5ter Größe, sondern höchstens 6ter oder nur 7ter Größe sind. Bloß der hellste, dritte Trabant zeigte sich einem benachbarten Sterne 6ter Größe (den ich in einiger Entfernung vom Jupiter nur eben mit unbewaffnetem Auge erkennen konnte) etwa gleich: so daß, mit Rücksicht auf den Schein des Jupiter, dieser Trabant vielleicht 5ter bis 6ter Größe geschätzt werden könnte, wenn er isolirt stände. Der 4te Trabant befand sich in seiner größten Elongation; ich konnte ihn aber nur 7ter Größe schätzen. Die Strahlen des Jupiter würden die Sichtbarkeit dieses Trabanten nicht hindern, wenn derselbe heller wäre. Nach Vergleichungen des Aldebaran mit dem benachbarten, deutlich als doppelt erkennbaren Stern ϑ Tauri (mit 5½ Minute Distanz) schätze ich für ein gewöhnliches Auge die Strahlung des Jupiters auf mindestens 5 bis 6 Minuten.« Diese Schätzungen stimmen mit denen von Arago überein; dieser glaubt sogar, daß die falschen Strahlen bei einigen Personen das Doppelte betragen. Die mittleren Entfernungen der 4 Trabanten vom Centrum des Hauptplaneten sind bekanntlich 1'51", 2'57", 4'42" und 8'16". »Si nous supposons que l'image de Jupiter, dans certains yeux exceptionnels, s'épanouisse seulement par des rayons d'une ou deux minutes d'amplitude, il ne semblera pas impossible que les satellites soient de tems en tems aperçus, sans avoir besoin de recourir à l'artifice de l'amplification. Pour vérifier cette conjecture, j'ai fait construire une petite lunette dans laquelle l'objectif et l'oculaire ont à peu près le même foyer, et qui dès lors ne grossit point. Cette lunette ne détruit pas entièrement les rayons divergents, mais elle en réduit considérablement la longueur. Cela a suffi pour qu'un Satellite convenablement écarté de la planète, soit devenu visible. Le fait a été constaté par tous les jeunes astronomes de l'Observatoire.« Arago in den Comptes rendus T. XV. (1842) p. 751. – Als ein merkwürdiges Beispiel der Scharfsichtigkeit und großen Sensibilität der Netzhaut einzelner Individuen, welche mit unbewaffnetem Auge Jupiterstrabanten sehen, kann ein 1837 in Breslau verstorbener Schneidermeister Schön angeführt werden, über den mir der gelehrte und thätige Director der dortigen Sternwarte, Herr von Boguslawski, interessante Mittheilungen gemacht hat. »Nachdem man sich mehrfach seit 1820 durch ernste Prüfung überzeugt hatte, daß in heiteren, mondlosen Nächten Schön die Stellung von Jupiterstrabanten, selbst von mehreren zugleich, richtig angab: und man ihm von den Ausstrahlungen und Sternschwänzen sprach, die Andere zu hindern schienen ein Gleiches zu thun; äußerte Schön seine Verwunderung über jene hindernden Ausstrahlungen. Aus den lebhaft geführten Debatten zwischen ihm und den Umstehenden über die Schwierigkeit des Sehens der Trabanten mit bloßem Auge mußte der Schluß gezogen werden, dem Schön seien Planeten und Fixsterne immer frei von Strahlen, wie leuchtende Punkte, erschienen. Am besten sah er den dritten Trabanten: auch wohl den ersten, wenn er gerade in der größten Digression war; nie aber sah er den zweiten und vierten allein. Bei nicht ganz günstiger Luft erschienen ihm die Trabanten bloß als schwache Lichtstreifen. Kleine Fixsterne: vielleicht wegen des funkelnden, minder ruhigen Lichtes, verwechselte er bei den Versuchen nie mit Trabanten. Einige Jahre vor seinem Tode klagte mir Schön, daß seine alternden Augen nicht mehr bis zu den Jupitersmonden reichten, und daß sie jetzt auch bei heiterer Luft ihm einzeln nur ihre Stelle als lichte schwache Striche bezeichneten.« Die eben erwähnten Versuche stimmen ganz mit dem, was längst über die relative Helligkeit der Jupiterstrabanten bekannt ist; denn Helligkeit und Qualität des Lichtes wirken bei Individuen von so großer Vollkommenheit und Sensibilität des Organs wahrscheinlich mehr als Abstand vom Hauptplaneten. Schön sah nie den 2ten und 4ten Trabanten. Jener ist der kleinste von allen; dieser nach dem 3ten allerdings der größte und fernste, aber periodisch von dunkler Färbung und gewöhnlich der lichtschwächste unter den Trabanten. Von dem 3ten und 1ten, die am besten und häufigsten mit unbewaffnetem Auge gesehen wurden: ist jener, der größte aller, in der Regel der hellste, und von sehr entschieden gelber Farbe; dieser, der 1te, übertrifft bisweilen in der Intensität seines hellgelben Lichtes den Glanz des 3ten und viel größeren. (Mädler, Astron. 1846 S. 231–234 und 439.) Wie durch eigene Brechungs-Verhältnisse im Sehorgan entfernte leuchtende Punkte als lichte Streifen erscheinen können, zeigen Sturm und Airy in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XX. 1845 p. 764–766., zuweilen auf gleicher Oberfläche ein intensiveres Licht als der Planet; zuweilen erscheinen sie dagegen auf dem Jupiter als graue Flecken, wie neuere Beobachtungen gelehrt haben. Die überdeckenden Strahlen und Schwänze, welche unserem Auge als von den Planeten und Fixsternen ausgehend erscheinen, und seit den frühesten Zeiten der Menschheit in bildlichen Darstellungen, besonders bei den Aegyptern, die glänzenden Himmelskörper bezeichnen (Hassenfratz erklärt sie für Brennlinien, intersections de deux caustiques, auf der Krystallinse), haben mindestens 5 bis 6 Minuten Länge.
»Das Bild der Sterne, die wir mit bloßen Augen sehen, ist durch divergirende Strahlen vergrößert; es nimmt durch diese Ausdehnung auf der Netzhaut einen größeren Raum ein, als wenn es in einem einzelnen Punkte concentrirt wäre.« Der Nerveneindruck ist schwächer. Ein sehr dichter Sternschwarm, in welchem die einzelnen Sterne alle kaum 7ter Größe sind, kann dagegen dem unbewaffneten Auge sichtbar werden, weil die Bilder der vielen einzelnen Sterne sich auf der Netzhaut über einander legen und daher jeder sensible Punkt derselben, wie bei einem concentrirten Bilde, verstärkt angeregt wird.«»L'image épanouie d'une étoile de 7ème grandeur n'ébranle pas suffisamment la rétine: elle n'y fait pas naître une sensation appréciable de lumière. Si l'image n'était point épanouie (par des rayons divergents), la sensation aurait plus de force, et l'étoile se verrait. La première classe d'étoiles invisibles à l'oeil nu ne serait plus alors la septième: pour la trouver, il faudrait peut-être descendre alors jusqu'à la 12e. Considérons un groupe d'étoiles de 7e grandeur tellement rapprochées les unes des autres que les intervalles échappent nécessairement à l'oeil. Si la vision avait de la netteté, si l'image de chaque étoile était très petite et bien terminée, l'observateur apercevrait un champ de lumière dont chaque point aurait l'éclat concentré d'une étoile de 7e grandeur. L'éclat concentré d'une étoile de 7e grandeur suffit à la vision à l'oeil nu. Le groupe serait donc visible à l'oeil nu. Dilatons maintenant sur la rétine l'image de chaque étoile du groupe; remplaçons chaque point de l'ancienne image générale par un petit cercle: ces cercles empiéteront les uns sur les autres, et les divers points de la rétine se trouveront éclairés par de la lumière venant simultanément de plusieurs étoiles. Pour peu qu'on y réfléchisse, il restera évident qu'excepté sur les bords de l'image générale, l'aire lumineuse ainsi éclairée a précisément, à cause de la superposition des cercles, la même intensité que dans le cas où chaque étoile n'éclaire qu'un seul point an fond de l'oeil; mais si chacun de ces points reçoit une lumière égale en intensité à la lumière concentrée d'une étoile de 7e grandeur, il est clair que l'épanouissement des images individuelles des étoiles contiguës ne doit pas empêcher la visibilité de l'ensemble. Les instruments télescopiques ont, quoiqu'à un beaucoup moindre degré, le défaut de donner aussi aux étoiles un diamètre sensible et factice. Avec ces instruments, comme à l'oeil nu, on doit donc apercevoir des groupes, composés d'étoiles inférieures en intensité à celles que les mêmes lunettes ou télescopes feraient apercevoir isolément. Arago im Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1842 p. 284.
Fernröhre und Telescope geben leider, wenn gleich in einem weit geringeren Grade, den Sternen einen unwahren, facticen Durchmesser. Nach den schönen Untersuchungen von William HerschelSir William Herschel in den Philos. Transact. for 1803 Vol. 93. p. 225 und for 1805 Vol. 95. p. 184. Vergl. Arago im Annuaire pour 1842 p. 360–374. nehmen aber diese Durchmesser ab mit zunehmender Stärke der Vergrößerung. Der 68 scharfsinnige Beobachter schätzte den scheinbaren Durchmesser von Wega der Leier bei der ungeheuren Vergrößerung von 6500 mal noch zu 0",36. Bei terrestrischen Gegenständen bestimmt außer der Beleuchtung auch die Form des Gegenstandes die Größe des kleinsten Sehwinkels für das unbewaffnete Auge. Schon Adams hat sehr richtig bemerkt, daß eine dünne lange Stange viel weiter sichtbar ist als ein Quadrat, dessen Seite dem Durchmesser derselben gleich ist. Einen Strick sieht man weiter als einen Punkt, auch wenn beide gleichen Durchmesser haben. Arago hat durch Winkelmessung der von der Pariser Sternwarte aus sichtbaren fernen Blitzableiter den Einfluß der Gestaltung (des Umrisses der Bilder) vielfältigen Messungen unterworfen. In der Bestimmung des kleinstmöglichen optischen Sehwinkels, unter welchem irdische Objecte dem bloßen Auge erkenntlich sind, ist man seit Robert Hooke, der noch streng eine volle Minute festsetzte, bis Tobias Mayer, welcher 34" für einen schwarzen Fleck auf weißem Papiere forderte, ja bis zu Leeuwenhoek's Spinnfäden (unter einem Winkel von 4",7 bei sehr gewöhnlicher Sehkraft sichtbar), immer vermindernd fortgeschritten. In den neuesten, sehr genauen Versuchen Hueck's über das Problem von der Bewegung der Krystallinse wurden weiße Striche auf schwarzem Grunde unter einem Winkel von 1",2; ein Spinnenfaden bei 0",6; ein feiner glänzender Drath bei kaum 0",2 gesehen. Das Problem ist gar nicht im allgemeinen numerisch zu lösen: da alles von den Bedingungen der Gestalt der Objecte, ihrer Erleuchtung; ihres Contrastes mit dem Hintergrunde, von dem sie sich abheben; der Bewegung oder Ruhe und der Natur der Luftschichten, in denen man sich befindet, abhängt.
69 Einen lebhaften Eindruck machte es nur einst, als auf einem reizenden Landsitze des Marques de Selvalegre, zu Chillo (unfern Quito): wo man den langgestreckten Rücken des Vulkans Pichincha in einer, trigonometrisch gemessenen, horizontalen Entfernung von 85000 Pariser Fuß vor sich ausgestreckt sieht; die Indianer, welche neben mir standen, meinen Reisebegleiter Bonpland, der eben allein in einer Expedition nach dem Vulkan begriffen war, als einen weißen, sich vor schwarzen basaltischen Felswänden fortbewegenden Punkt früher erkannten, als wir ihn in den aufgestellten Fernröhren auffanden. Auch mir und dem unglücklichen Sohn des Marques, Carlos Montufar (später im Bürgerkriege hingeopfert), wurde bald das weiße sich bewegende Bild bei unbewaffnetem Auge sichtbar. Bonpland war in einen weißen baumwollenen Mantel (den landesüblichen Poncho) gehüllt. Bei der Annahme der Schulterbreite von 3 bis 5 Fuß: da der Mantel bald fest anlag, bald weit zu flattern schien, und bei der bekannten Entfernung ergaben sich 7" bis 12" für den Winkel, unter welchem der bewegte Gegenstand deutlich gesehen wurde. Weiße Objecte auf schwarzem Grund werden nach Hueck's wiederholten Versuchen weiter gesehen als schwarze Objecte auf weißem Grunde. Der Lichtstrahl kam bei heiterem Wetter, durch dünne Luftschichten von 14412 Fuß Höhe über der Meeresfläche, zu unserer Station in Chillo, das selbst noch 8046 Fuß hoch liegt. Die ansteigende Entfernung war 85596 Fuß oder 37/10 geographische Meilen; der Stand von Barometer und Thermometer in beiden Stationen sehr verschieden: oben wahrscheinlich 194 Lin. und 8° C., unten nach genauer Beobachtung 250,2 Lin. und 18°,7 C. Das 70 Gaußische, für unsere deutschen trigonometrischen Messungen so wichtig gewordene Heliotrop-Licht wurde, vom Brocken aus auf den Hohenhagen reflectirt, dort mit bloßem Auge in einer Entfernung von 213000 Par. Fuß (mehr als 9 geogr. Meilen) gesehen: oft an Punkten, in welchen die scheinbare Breite eines dreizölligen Spiegels nur 0",43 betrug.
Die Absorption der Lichtstrahlen, welche von dem irdischen Gegenstande ausgehen und in ungleichen Entfernungen durch dichtere oder dünnere, mit Wasserdunst mehr oder minder geschwängerte Luftschichten zu dem unbewaffneten Auge gelangen; der hindernde Intensitätsgrad des diffusen Lichtes, welches die Lufttheilchen ausstrahlen, und viele noch nicht ganz aufgeklärte meteorologische Processe modificiren die Sichtbarkeit ferner Gegenstände. Ein Unterschied der Lichtstärke von 1/60 ist nach alten Versuchen des immer so genauen Bouguer zur Sichtbarkeit nöthig. Man sieht, wie er sich ausdrückt, nur auf negative Weise wenig lichtstrahlende Berggipfel, die sich als dunkle Massen von dem Himmelsgewölbe abheben. Man sieht sie bloß durch die Differenz der Dicke der Luftschichten, welche sich bis zu dem Objecte oder bis zum äußersten Horizont erstrecken. Dagegen werden auf positive Weise stark leuchtende Gegenstände: wie Schneeberge, weiße Kalkfelsen und Bimsstein-Kegel, gesehen. Die Entfernung, in welcher auf dem Meere hohe Berggipfel erkannt werden können, ist nicht ohne Interesse für die praktische Nautik, wenn genaue astronomische Ortsbestimmungen für die Lage des Schiffes fehlen. Ich habe diesen Gegenstand an einem anderen OrteHumboldt, Relation hist. du Voyage aux Régions équinox. T. I. p. 92–97 und Bouguer, traité d'Optique p. 360 und 365. (Vergl. auch Cap. Beechey im Manual of scientific Enquiry for the use of the R. Navy 1849 p. 71.) bei Gelegenheit der Sichtbarkeit des Pics von Teneriffa umständlich behandelt.
71 Das Sehen der Sterne bei Tage mit bloßem Auge in den Schächten der Bergwerke und auf sehr hohen Gebirgen ist seit früher Jugend ein Gegenstand meiner Nachforschung gewesen. Es war mir nicht unbekannt, daß schon AristotelesDie von Buffon erwähnte Stelle des Aristoteles findet sich in einem Buche, wo man sie am wenigsten gesucht hätte: in dem de generat. Animal. V, 1 p. 780 Bekker. Sie lautet genau übersetzt folgendermaßen: »Scharf sehen heißt einerseits vermögen fern zu sehen, andererseits die Unterschiede des Gesehenen genau erkennen. Beides ist nicht zugleich bei denselben (Individuen) der Fall. Denn derjenige, welcher sich die Hand über die Augen hält oder durch eine Röhre sieht, ist nicht mehr und nicht weniger im Stande die Unterschiede der Farben zu ergründen, wird aber wohl die Gegenstände in größerer Entfernung sehen. So kommt es ja auch vor, daß die, welche in Erdgewölben und Cisternen sich befinden, von da aus bisweilen Sterne sehen.« Ὀρύγματα und besonders φρέατα sind unterirdische Cisternen oder Quellgemächer: welche in Griechenland, wie als Augenzeuge Prof. Franz bemerkt, durch einen senkrechten Schacht mit Luft und Licht in Verbindung gesetzt sind und sich nach unten wie der Hals einer Flasche erweitern. Plinius (lib. 2 cap. 14) sagt: »Altitudo cogit minores videri stellas; affixas caelo Solis fulgor interdiu non cerni, quum aeque ac noctu luceant: idque manifestum fiat defectu Solis et praealtis puteis.« Cleomedes (Cycl. Theor. pag. 83 Bake) spricht nicht von bei Tage gesehenen Sternen, behauptet aber: »daß die Sonne, aus tiefen Cisternen betrachtet, größer erscheine wegen der Dunkelheit und feuchten Luft«. behaupte, Sterne werden bisweilen aus Erdgewölben und Cisternen wie durch Röhren gesehen. Auch Plinius erwähnt dieser Sage: und erinnert dabei an die Sterne, die man bei Sonnenfinsternissen deutlichst am Himmelsgewölbe erkenne. Ich habe in Folge meines Berufs als praktischer Bergmann mehrere Jahre lang einen großen Theil des Tages in den Gruben zugebracht und durch tiefe Schächte das Himmelsgewölbe im Zenith betrachtet, aber nie einen Stern gesehen; auch in mexicanischen, peruanischen und sibirischen Bergwerken nie ein Individuum aufgefunden, das vom Sternsehen bei Tage hätte reden hören: obgleich unter so verschiedenen Breitengraden, unter denen ich in beiden Hemisphären unter der Erde war, sich doch Zenithal-Sterne genug hätten vortheilhaft dem Auge darbieten können. Bei diesen ganz negativen Erfahrungen ist mir um so auffallender das sehr glaubwürdige Zeugniß eines berühmten Optikers gewesen, der in früher Jugend Sterne bei hellem Tage durch einen Rauchfang erblickte.»We have ourselves heard it stated by a celebrated Optician, that the earliest circumstance which drew his attention to astronomy, was the regular appearanee, at a certain hour, for several successive days, of a considerable star, through the shaft of a chimney.« John Herschel, outlines of Astr. § 61. Die Rauchfangkehrer, bei denen ich nachgeforscht, berichten bloß, aber ziemlich gleichförmig: »daß sie bei Tage nie Sterne gesehen, daß aber bei Nacht ihnen aus tiefen Röhren die Himmelsdecke ganz nahe und die Sterne wie vergrößert schienen.« Ich enthalte mich aller Betrachtung über den Zusammenhang beider Illusionen. Erscheinungen, deren Sichtbarkeit von dem zufälligen Zusammentreffen begünstigender Umstände abhängt, müssen nicht darum geläugnet werden, weil sie so selten sind.
Dieser Grundsatz findet, glaube ich, seine Anwendung auch auf das von dem immer so gründlichen Saussure behauptete Sehen der Sterne mit bloßen Augen bei hellem Tage am Abfall des Montblanc, auf der Höhe von 11970 Fuß. »Quelques-uns des guides m'ont assuré«, 72 sagt der berühmte Alpenforscher, »avoir vu des étoiles en plein jour; pour moi je n'y songeois pas, en sorte que je n'ai point été le témoin de ce phénomène; mais l'assertion uniforme des guides ne me laisse aucun doute sur la réalité.Saussure, Voyage dans les Alpes (Neuchatel 1779. 4°) T. IV. § 2007 p. 199. Il faut d'ailleurs être entièrement à l'ombre, et avoir même au-dessus de la tête une masse d'ombre d'une épaisseur considérable, sans quoi l'air trop fortement éclairé fait évanouir la foible clarté des étoiles.« Die Bedingungen sind also fast ganz dieselben, welche die Cisternen der Alten und der eben erwähnte Rauchfang dargeboten haben. Ich finde diese merkwürdige Behauptung (vom Morgen des 2 August 1787) in keiner anderen Reise durch die schweizer Gebirge wiederholt. Zwei kenntnißvolle, vortreffliche Beobachter, die Gebrüder Hermann und Adolph Schlagintweit, welche neuerlichst die östlichen Alpen bis zum Gipfel des Großglockners (12213 Fuß) durchforscht haben, konnten nie Sterne bei Tage sehen, noch haben sie die Sage unter den Hirten und Gemsjägern gefunden. Ich habe mehrere Jahre in den Cordilleren von Mexico, Quito und Peru zugebracht und bin so oft mit Bonpland bei heiterem Wetter auf Höhen von mehr als vierzehn- oder funfzehn-tausend Fuß gewesen, und nie habe ich oder später mein Freund Boussingault Sterne am Tage erkennen können: obgleich die Himmelsbläue so tief und dunkel war, daß sie an demselben Cyanometer von Paul in Genf, an welchem Saussure auf dem Montblanc 39° ablas, von mir unter den Tropen (zwischen 16000 und 18000 Fuß Höhe) im Zenith auf 46° geschätzt wurde.Humboldt, essai sur la Géographie des Plantes p. 103. Vergl. auch mein Voyage aux Régions équinoxiales T. I. p. 143 und 148. Unter dem herrlichen, ätherreinen Himmel von Cumana, in der Ebene des Littorals, habe ich aber mehrmals und leicht, nach Beobachtung von 73 Trabanten-Verfinsterungen, Jupiter mit bloßen Augen wieder aufgefunden und deutlichst gesehen, wenn die Sonnenscheibe schon 18° bis 20° über dem Horizont stand.
Die sonderbare Erscheinung des Sternschwankens ist ganz neuerlich (20 Januar 1851) Abends zwischen 7 und 8 Uhr am Sirius, der nahe am Horizont stand, auch in Trier von sehr glaubwürdigen Zeugen beobachtet worden. S. den Brief des Oberlehrers der Mathematik Herrn Flesch in Jahn's Unterhaltungen für Freunde der Astronomie.
Es ist hier der Ort wenigstens beiläufig einer anderen optischen Erscheinung zu erwähnen, die ich, auf allen meinen Bergbesteigungen, nur Einmal: und zwar vor dem Aufgang der Sonne, den 22 Junius 1799 am Abhange des Pics von Teneriffa, beobachtete. Im Malpays, ohngefähr in einer Höhe von 10700 Fuß über dem Meere, sah ich mit unbewaffnetem Auge tief stehende Sterne in einer wunderbar schwankenden Bewegung. (S. nebenstehenden Zusatz) Leuchtende Punkte stiegen aufwärts, bewegten sich seitwärts und fielen an die vorige Stelle zurück. Das Phänomen dauerte nur 7 bis 8 Minuten, und hörte auf lange vor dem Erscheinen der Sonnenscheibe am Meerhorizont. Dieselbe Bewegung war in einem Fernrohr sichtbar; und es blieb kein Zweifel, daß es die Sterne selbst waren, die sich bewegten.Humboldt in Franz von Zach's monatlicher Correspondenz zur Erd- und Himmels-Kunde Bd. I. 1800 S. 396; derselbe im Voy. aux Régions équin. T. I. p. 125: »On croyoit voir de petites fusées lancées dans l'air. Des points lumineux, élevés de 7 à 8 degrés, paroissoient d'abord se mouvoir dans le sens vertical, mais puis se convertir en une véritable oscillation horizontale. Ces points lumineux étoient des images de plusieurs étoiles agrandies (en apparence) par les vapeurs et revenant au même point d'où elles étoient parties.« Gehörte diese Ortsveränderung zu der so viel bestrittenen lateralen Strahlenbrechung? Bietet die wellenförmige Undulation der aufgehenden Sonnenscheibe, so gering sie auch durch Messung gefunden wird, in der lateralen Veränderung des bewegten Sonnenrandes einige Analogie dar? Nahe dem Horizont wird ohnedies jene Bewegung scheinbar vergrößert. Fast nach einem halben Jahrhundert ist dieselbe Erscheinung des Sternschwankens: und genau an demselben Orte im Malpays, wieder vor Sonnenaufgang, von einem unterrichteten und sehr aufmerksamen Beobachter, dem Prinzen Adalbert von Preußen, zugleich mit bloßen Augen und im Fernrohr beobachtet worden! Ich fand die Beobachtung in seinem handschriftlichen Tagebuche; er hatte sie eingetragen, ohne, vor 74 seiner Rückkunft von dem Amazonenstrome, erfahren zu haben, daß ich etwas ganz ähnliches gesehen.Prinz Adalbert von Preußen, aus meinem Tagebuche 1847 S. 213. Hängt die von mir beschriebene Erscheinung vielleicht mit der zusammen, welche Carlini beim Durchgange des Polarsterns und bei dessen Oscillationen von 10–12 Secunden in dem stark vergrößernden Mailänder Mittags-Fernrohr beobachtet hat? (S. Zach, Correspondance astronomique et géogr. Vol. II. 1819 p. 84.) Brandes (Gehler's umgearb. physikal. Wörterb. Bd. IV. S. 549) will sie auf Luftspiegelung (mirage) zurückführen. Auch das sternartige Heliotrop-Licht sah ein vortrefflicher und geübter Beobachter, Obrist Baeyer, oft in horizontalem Hin- und Herschwanken. Auf dem Rücken der Andeskette oder bei der häufigen Luftspiegelung (Kimmung, mirage) in den heißen Ebenen (Llanos) von Südamerika habe ich, trotz der so verschiedenartigen Mischung ungleich erwärmter Luftschichten, keine Spur lateraler Refraction je finden können. Da der Pic von Teneriffa uns so nahe ist und oft von wissenschaftlichen, mit Instrumenten versehenen Reisenden kurz vor Sonnenaufgang besucht wird, so darf man hoffen, daß die hier von mir erneuerte Aufforderung zur Beobachtung des Sternschwankens nicht wieder ganz verhallen werde.
Ich habe bereits darauf aufmerksam gemacht, wie lange vor der großen Epoche der Erfindung des telescopischen Sehens und seiner Anwendung auf Beobachtung des Himmels, also vor den denkwürdigen Jahren 1608 und 1610, ein überaus wichtiger Theil der Astronomie unseres Planetensystems bereits begründet war. Den ererbten Schatz des griechischen und arabischen Wissens haben Georg Purbach, Regiomontanus (Johann Müller) und Bernhard Walther in Nürnberg durch mühevolle, sorgfältige Arbeiten vermehrt. Auf ihr Bestreben folgt eine kühne und großartige Gedankenentwickelung, das System des Copernicus; es folgen der Reichthum genauer Beobachtungen des Tycho, der combinirende Scharfsinn und der beharrliche Rechnungstrieb von Kepler. Zwei große Männer, Kepler und Galilei, stehen an dem wichtigsten Wendepunkt, den die Geschichte der messenden Sternkunde darbietet; beide bezeichnen die Epoche, wo das Beobachten mit unbewaffnetem Auge, doch mit sehr verbesserten Meßinstrumenten, sich von dem telescopischen 75 Sehen scheidet. Galilei war damals schon 44, Kepler 37 Jahre alt; Tycho, der genaueste messende Astronom dieser großen Zeit, seit sieben Jahren todt. Ich habe schon früher (Kosmos Bd. II. S. 365) erwähnt, daß Kepler's drei Gesetze, die seinen Namen auf ewig verherrlicht haben, von keinem seiner Zeitgenossen, Galilei selbst nicht ausgenommen, mit Lob erwähnt worden sind. Auf rein empirischem Wege entdeckt, aber für das Ganze der Wissenschaft folgereicher als die vereinzelte Entdeckung ungesehener Weltkörper: gehören sie ganz der Zeit des natürlichen Sehens, der Tychonischen Zeit, ja den Tychonischen Beobachtungen selbst an: wenn auch der Druck der Astronomia nova, seu Physica coelestis de motibus Stellae Martis erst 1609 vollendet; und gar das dritte Gesetz, nach welchem sich die Quadrate der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten wie die Würfel der mittleren Entfernung, erst in der Harmonice Mundi 1619 entwickelt wurde.
Der Uebergang des natürlichen zum telescopischen Sehen, welcher das erste Zehnttheil des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnet und für die Astronomie (die Kenntniß des Weltraumes) noch wichtiger wurde, als es für die Kenntniß der irdischen Räume das Jahr 1492 gewesen war, hat nicht bloß den Blick in die Schöpfung endlos erweitert; er hat auch, neben der Bereicherung des menschlichen Ideenkreises, durch Darlegung neuer und verwickelter Probleme das mathematische Wissen zu einem bisher nie erreichten Glanze erhoben. So wirkt die Stärkung sinnlicher Organe auf die Gedankenwelt, auf die Stärkung intellectueller Kraft, auf die Veredlung der Menschheit. Dem Fernrohr allein verdanken wir in kaum drittehalb 76 Jahrhunderten die Kenntniß von 13 neuen Planeten, von 4 Trabanten-Systemen (4 Monden des Jupiter, 8 des Saturn, 4, vielleicht 6 des Uranus, 1 des Neptun), von den Sonnenflecken und Sonnenfackeln, den Phasen der Venus, der Gestalt und Höhe der Mondberge, den winterlichen Polarzonen des Mars, den Streifen des Jupiter und Saturn, den Ringen des letzteren, den inneren (planetarischen) Cometen von kurzer Umlaufszeit: und von so vielen anderen Erscheinungen, die ebenfalls dem bloßen Auge entgehen. Wenn unser Sonnensystem, das so lange auf 6 Planeten und einen Mond beschränkt schien, auf die eben geschilderte Weise in 240 Jahren bereichert worden ist, so hat der sogenannte Fixsternhimmel schichtenweise eine noch viel unerwartetere Erweiterung gewonnen. Tausende von Nebelflecken, Sternhaufen und Doppelsternen sind aufgezählt. Die veränderliche Stellung der Doppelsterne, welche um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt kreisen, hat, wie die eigene Bewegung aller Fixsterne, erwiesen, daß Gravitations-Kräfte in jenen fernen Welträumen wie in unseren engen planetarischen, sich wechselseitig störenden Kreisen walten. Seitdem Morin und Gascoigne (freilich erst 25 bis 30 Jahre nach Erfindung des Fernrohrs) optische Vorrichtungen mit Meßinstrumenten verbanden, haben feinere Bestimmungen der Ortsveränderung in den Gestirnen erreicht werden können. Auf diesem Wege ist es möglich geworden mit größter Schärfe die jedesmalige Position eines Weltkörpers, die Aberrations-Ellipsen der Fixsterne und ihre Parallaxen, die gegenseitigen Abstände der Doppelsterne von wenigen Zehenttheilen einer Bogen-Secunde zu messen. Die astronomische Kenntniß des Sonnensystems erweiterte sich allmälig zu der eines Weltsystems.
77 Wir wissen, daß Galilei seine Entdeckungen der Jupitersmonde mit siebenmaliger Vergrößerung machte, und nie eine stärkere als zweiunddreißigmalige anwenden konnte. Einhundert und siebzig Jahre später sehen wir Sir William Herschel bei seinen Untersuchungen über die Größe des scheinbaren Durchmessers von Arcturus (im Nebel 0",2) und Wega in der Leier Vergrößerungen benutzen von 6500 mal. Seit der Mitte des 17ten Jahrhunderts wetteiferte man in dem Bestreben nach langen Fernröhren. Christian Huygens entdeckte zwar 1655 den ersten Saturnstrabanten, Titan (den 6ten im Abstande von dem Centrum des Planeten), nur noch mit einem zwölffüßigen Fernrohr; er wandte später auf den Himmel längere bis 122 Fuß an; aber die drei Objective von 123, 170 und 210 Fuß Brennweite, welche die Royal Society von London besitzt und welche von Constantin Huygens, dem Bruder des großen Astronomen, verfertigt wurden, sind von letzterem, wie er ausdrücklich sagtDas ausgezeichnete künstlerische Verdienst von Constantin Huygens, welcher Secretär des Königs Wilhelms III war, ist erst neuerdings in das gehörige Licht gesetzt worden: durch Uylenbroek in der Oratio de fratribus Christiano atque Constantino Hugenio, artis dioptricae cultoribus, 1838; und von dem gelehrten Director der Leidener Sternwarte, Prof. Kaiser, in Schumacher's astron. Nachr. No. 592 S. 246., nur auf terrestrische Gegenstände geprüft worden. Auzout, der schon 1663 Riesenfernröhre ohne Röhre, also ohne feste (starre) Verbindung zwischen dem Objectiv und dem Ocular, construirte, vollendete ein Objectiv, das bei 300 Fuß Focallänge eine 600malige Vergrößerung ertrug.Arago im Annuaire pour 1844 p. 381. Den nützlichsten Gebrauch von solchen, an Masten befestigten Objectiven machte Dominicus Cassini zwischen den Jahren 1671 und 1684 bei den auf einander folgenden Entdeckungen des 8ten, 5ten, 4ten und 3ten Saturnstrabanten. Er bediente sich der Objective, die Borelli, Campani und Hartsoeker geschliffen hatten. Die letzteren waren von 250 Fuß Brennweite. Die von Campani, welche des größten Rufes unter der Regierung Ludwigs XIV 78 genossen, habe ich bei meinem vieljährigen Aufenthalte auf der Pariser Sternwarte mehrmals in Händen gehabt. Wenn man an die geringe Lichtstärke der Saturnstrabanten und an die Schwierigkeit solcher nur durch Stricke bewegten Vorrichtungen»Nous avons placé ces grands verres«, sagt Dominique Cassini, »tantôt sur un grand mât, tantôt sur la tour de bois venue de Marly; enfin nous les avons mis dans un tuyau monté sur un support en forme d'échelle à trois faces, ce qui a eu (dans la découverte des Satellites de Saturne) le succès que nous en avions espéré.« Delambre, Hist. de l'Astr. moderne T. II. p. 785. Die übermäßigen Längen der optischen Werkzeuge erinnern an die arabischen Meßinstrumente: Quadranten von 180 Fuß Radius, in deren eingetheilten Bogen das Sonnenbild durch eine kleine runde Oeffnung gnomonisch einfiel. Ein solcher Quadrant stand zu Samarkand: wahrscheinlich dem früher construirten Sextanten von 57 Fuß Höhe des Al-Chokandi nachgebildet. Vergl. Sédillot, Prolégomènes des Tables d'Oloug Beigh 1847 p. LVII und CXXIX. denkt, so kann man nicht genug bewundern die Geschicklichkeit, den Muth und die Ausdauer des Beobachters.
Die Vortheile, welche man damals allein glaubte durch riesenmäßige Längen erreichen zu können, leiteten, wie es so oft geschieht, große Geister zu excentrischen Hoffnungen. Auzout glaubte Hooke widerlegen zu müssen, der, um Thiere im Monde zu sehen, Fernröhre von einer Länge von 10000 Fuß, also fast von der Länge einer halben geographischen Meile, vorgeschlagen haben soll.Delambre, Hist. de l'Astr. mod. T. II. p. 594. Früher schon hatte der mystische, aber in optischen Dingen sehr erfahrene Capuciner-Mönch Schyrle von Rheita in seinem Oculus Enoch et Eliae (Antv. 1645) von der nahen Möglichkeit gesprochen sich 4000malige Vergrößerungen der Fernröhre zu schaffen, um genaue Bergkarten des Mondes zu liefern. Vergl. oben Kosmos Bd. II. S. 511 Note 931. Das Gefühl der praktischen Unbequemlichkeit von optischen Instrumenten mit mehr als hundertfüßiger Focallänge verschaffte allmälig durch Newton (nach dem Vorgange von Mersenne und James Gregory von Aberdeen) den kürzeren Reflexions-Instrumenten besonders in England Eingang. Bradley's und Pound's sorgfältige Vergleichung von 5füßigen Hadley'schen Spiegeltelescopen mit dem Refractor von Constantin Huygens, der 123 Fuß Brennweite hatte und dessen wir oben erwähnten, fiel ganz zum Vortheil der ersteren aus. Short's kostbare Reflectoren wurden nun überall verbreitet, bis John Dollond's glückliche praktische Lösung des Problems vom Achromatismus (1759), durch Leonhard Euler und Klingenstierna angeregt, den Refractoren wieder ein großes Uebergewicht verschaffte. Die, wie es scheint, unbestreitbaren Prioritätsrechte des geheimnißvollen Chester More Hall aus Essex (1729) wurden dem Publikum 79 erst bekannt, als dem John Dollond das Patent für seine achromatischen Fernröhre verliehen wurde.Edinb. Encyclopedia Vol. XX. p. 479.
Der hier bezeichnete Sieg der Refractions-Instrumente war aber von nicht langer Dauer. Neue Oscillationen der Meinung wurden schon, 18 bis 20 Jahre nach der Bekanntmachung von John Dollond's Erfindung des Achromatismus mittelst Verbindung von Kron- und Flintglas, durch die gerechte Bewunderung angeregt, welche man in- und außerhalb Englands den unsterblichen Arbeiten eines Deutschen, William Herschel, zollte. Der Construction seiner zahlreichen 7füßigen und 20füßigen Telescope, auf welche Vergrößerungen von 2200 bis 6000 mal glücklich angewandt werden konnten, folgte die Construction seines 40füßigen Reflectors. Durch diesen wurden im August und September 1789 die beiden innersten Saturnstrabanten: der 2te (Enceladus); und bald darauf der erste, dem Ringe am nächsten liegende, Mimas, entdeckt. Die Entdeckung des Planeten Uranus (1781) gehört dem 7füßigen Telescop von Herschel; die so lichtschwachen Uranus-Trabanten sah er (1787) zuerst im 20füßigen Instrumente, zur front-view eingerichtet.Struve, études d'Astr. stellaire 1847 note 49 p. 24. Ich habe in dem Texte die Benennungen Herschel'scher Spiegeltelescope von 40, 20 und 7 englischen Fußen beibehalten, wenn ich auch sonst überall französisches Maaß anwende; ich thue dies hier nicht bloß, weil diese Benennungen bequemer sind, sondern hauptsächlich, weil sie durch die großen Arbeiten des Vaters und des Sohnes in England und zu Feldhausen am Vorgebirge der guten Hoffnung eine historische Weihe erhalten haben. Eine bis dahin noch nie erreichte Vollkommenheit, welche der große Mann seinen Spiegeltelescopen zu geben wußte, in denen das Licht nur einmal reflectirt wird, hat, bei einer ununterbrochenen Arbeit von mehr als 40 Jahren, zur wichtigsten Erweiterung aller Theile der physischen Astronomie, in den Planetenkreisen wie in der Welt der Nebelflecke und der Doppelsterne, geführt.
Auf eine lange Herrschaft der Reflectoren folgte wieder in dem ersten Fünftel des 19ten Jahrhunderts ein erfolgreicher Wetteifer in Anfertigung von achromatischen 80 Refractoren und Heliometern, die durch Uhrwerke parallactisch bewegt werden. Zu Objectiven von außerordentlichen Größen lieferten in Deutschland das Münchner Institut von Utzschneider und Fraunhofer, später von Merz und Mahler; in der Schweiz und Frankreich (für Lerebours und Cauchois) die Werkstätte von Guinand und Bontems ein homogenes, streifenloses Flintglas. Es genügt für den Zweck dieser historischen Uebersicht, hier beispielsweise zu nennen die unter Fraunhofer's Leitung gearbeiteten großen Refractoren der Dorpater und Berliner Sternwarte von 9 Pariser Zoll freier Oeffnung bei einer Focalweite von 13⅓ Fuß; die Refractoren von Merz und Mahler auf den Sternwarten von Pulkowa und Cambridge in den Vereinigten Staaten von NordamerikaSchumacher's astron. Nachrichten No. 371 und 611. Cauchois und Lerebours haben auch Objective von mehr als 12½ Pariser Zoll und 23½ Fuß Focalweite geliefert., beide mit Objectiven von 14 Pariser Zoll und 21 Fuß Brennweite versehen. Das Heliometer der Königsberger Sternwarte, lange Zeit das größte, hat 6 Zoll Oeffnung und ist durch Bessel's unvergeßliche Arbeiten berühmt geworden. Die lichtvollen und kurzen dialytischen Refractoren, welche Plösl in Wien zuerst ausführte und deren Vortheile Rogers in England fast gleichzeitig erkannt hatte, verdienen in großen Dimensionen construirt zu werden.
In derselben Zeitepoche, deren Bestrebungen ich hier berühre, weil sie auf die Erweiterung kosmischer Ansichten einen so wesentlichen Einfluß ausgeübt, blieben die mechanischen Fortschritte in Vervollkommnung der messenden Instrumente (Zenith-Sectoren, Meridiankreise, Micrometer) gegen die optischen Fortschritte und die des Zeitmaaßes nicht zurück. Unter so vielen ausgezeichneten Namen der neueren Zeit erwähnen wir hier nur für 81 Meßinstrumente: die von Ramsden, Troughton, Fortin, Reichenbach, Gambey, Ertel, Steinheil, Repsold, Pistor, Oertling . . . . .; für Chronometer und astronomische Pendeluhren: Mudge, Arnold, Emery, Earnshaw, Breguet, Jürgensen, Kessels, Winnerl, Tiede . . . . . In den schönen Arbeiten, welche wir William und John Herschel, South, Struve, Bessel und Dawes über Abstände und periodische Bewegung der Doppelsterne verdanken, offenbart sich vorzugsweise jene Gleichzeitigkeit der Vervollkommnung in scharfem Sehen und Messen. Struve's Classification der Doppelsterne liefert von denen, deren Abstand unter 1" ist, gegen 100; von denen, die zwischen 1" und 2" fallen, 336: alle mehrfach gemessen.Struve, Stellarum duplicium et multiplicium Mensurae micrometricae p. 2–41.
Seit wenigen Jahren haben zwei Männer, welche jedem industriellen Gewerbe fern stehen, der Earl of Rosse in Parsonstown (12 Meilen westlich von Dublin) und Herr Lassell zu Starfield bei Liverpool, aus edler Begeisterung für die Sternkunde, mit der aufopferndsten Freigebigkeit und unter eigener unmittelbaren Leitung, zwei Reflectoren zu Stande gebracht, welche auf's höchste die Erwartung der Astronomen spannen.Herr Airy hat neuerlichst die Fabrications-Methoden beider Telescope vergleichend beschrieben: den Guß der Spiegel und die Metallmischung, die Vorrichtung zum Poliren, die Mittel der Aufstellung; monthly Notices of the Astr. Soc. Vol. IX. 1849 p. 110–121. Von dem Effect des sechsfüßigen Metallspiegels des Lord Rosse heißt es dort (p. 120): »The Astronomer Royal (Mr. Airy) alluded to the impression made by the enormous light of the telescope: partly by the modifications produced in the appearances of nebulae already figured, partly by the great number of stars seen even at a distance from the Milky Way, and partly from the prodigious brilliancy of Saturn. The account given by another astronomer of the appearance of Jupiter was, that it resembled a coachlamp in the telescope; and this well expresses the blaze of light which is seen in the instrument.« Vergl. auch Sir John Herschel, outl. of Astr. § 870: »The sublimity of the spectacle afforded by the magnificent reflecting telescope constructed by Lord Rosse of some of the larger globular clusters of nebulae is declared by all, who have witnessed it, to be such as no words can express. This telescope has resolved or rendered resolvable multitudes of nebulae which had resisted all inferior powers.«. Mit dem Telescope von Lassell, das nur 2 Fuß Oeffnung und 20 Fuß Brennweite hat, sind schon ein Trabant des Neptun und ein achter Trabant des Saturn entdeckt worden; auch wurden zwei Uranus-Trabanten wieder aufgefunden. Das neue Riesentelescop von Lord Rosse hat 5 Fuß 7 Zoll 7 Linien (6 engl. Fuß) Oeffnung und 4.6 Fuß 11 Zoll (50 engl. Fuß) Länge. Es steht im Meridian zwischen zwei Mauern, die von jeder Seite 12 Fuß von dem Tubus entfernt und 45 bis 52 Fuß hoch sind. Viele Nebelflecke, welche bisher 82 kein Instrument auflösen konnte, sind durch dieses herrliche Telescop in Sternschwärme aufgelöst; die Gestalt anderer Nebelflecke ist in ihren wahren Umrissen nun zum ersten Mal erkannt worden. Eine wundersame Helligkeit (Lichtmasse) wird von dem Spiegel ausgegossen.
Morin, der mit Gascoigne (vor Picard und Auzout) zuerst das Fernrohr mit Meßinstrumenten verband, fiel gegen 1638 auf den Gedanken Gestirne bei hellem Tage telescopisch zu beobachten. »Nicht Tycho's große Arbeit über die Position der Fixsterne: indem dieser 1582, also 28 Jahre vor Erfindung der Fernröhre, Venus bei Tage mit der Sonne und bei Nacht mit den Sternen verglich; sondern«, sagt Morin selbstDelambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. II. p. 225., »der einfache Gedanke, daß, wie Venus, so auch Arcturus und andere Fixsterne, wenn man sie einmal vor Sonnenaufgang im Felde des Fernrohrs hat, nach Sonnenaufgang am Himmelsgewölbe verfolgt werden können: habe ihn zu einer Entdeckung geführt, welche für die Längen-Bestimmungen auf dem Meere wichtig werden möge. Niemand habe vor ihm die Fixsterne in Angesicht der Sonne auffinden können.« Seit der Aufstellung großer Mittags-Fernröhre durch Römer (1691) wurden Tagesbeobachtungen der Gestirne häufig und fruchtbar, ja bisweilen selbst auf Messung von Doppelsternen mit Nutzen angewandt. Struve bemerktStruve, Mensurae micrometr. p. XLIV., er habe in dem Dorpater Refractor mit Anwendung einer Vergrößerung von 320 mal die kleinsten Abstände überaus schwacher Doppelsterne bestimmt: bei so hellem Crepuscularlichte, daß man um Mitternacht bequem lesen konnte. Der Polarstern hat in nur 18" Entfernung einen Begleiter 9ter Größe; im Dorpater Refractor 83 haben Struve und Wrangel diesen Begleiter bei Tage gesehenSchumacher's Jahrbuch für 1839 S. 100., eben so einmal Encke und Argelander.
Die Ursach der mächtigen Wirkung der Fernröhre zu einer Zeit, wo durch vielfache Reflexion das diffuse Licht»La lumière atmosphérique diffuse ne peut s'expliquer par le reflet des rayons solaires sur la surface de séparation des couches de différentes densités dont on suppose l'atmosphère composée. En effet supposons le Soleil placé à l'horizon, les surfaces de séparation dans la direction du zénith seraient horizontales, par conséquent la réflexion serait horizontale aussi et nous ne verrions aucune lumière au zénith. Dans la supposition des couches aucun rayon ne nous arriverait par voie d'une première réflexion. Ce ne seraient que les réflexions multiples qui pourraient agir. Donc pour expliquer la lumière diffuse, il faut se figurer l'atmosphère composée de molécules (sphériques par exemple) dont chacune donne une image du soleil à peu près comme les boules de verre que nous plaçons dans nos jardins. L'air pur est bleu, parce que d'après Newton les molécules de l'air ont l'épaisseur qui convient à la réflexion des rayons bleus. Il est donc naturel que les petites images du soleil que de tous côtés réfléchissent les molécules sphériques de l'air et qui sont la lumière diffuse, aient une teinte bleue; mais ce bleu n'est pas du bleu pur, c'est un blanc dans lequel le bleu prédomine. Lorsque le ciel n'est pas dans toute sa pureté et que l'air est mêlé de vapeurs visibles, la lumière diffuse reçoit beaucoup de blanc. Comme la lune est jaune, le bleu de l'air pendant la nuit est un peu verdâtre, c'est-à-dire mélangé de bleu et de jaune.« (Arago, Handschrift von 1847.) der Atmosphäre hinderlich ist, hat mancherlei Zweifel erregt. Als optisches Problem interessirte sie auf das lebhafteste den der Wissenschaft so früh entrissenen Bessel. In seinem langen Briefwechsel mit mir kam er oft darauf zurück, und bekannte, keine ihn ganz befriedigende Lösung finden zu können. Ich darf auf den Dank meiner Leser rechnen, wenn ich in einer AnmerkungD'un des effets des Lunettes sur la visibilité des étoiles. (Lettre de Mr. Arago à Mr. de Humboldt, en décembre 1847.)
»L'oeil n'est doué que d'une sensibilité circonscrite, bornée. Quand la lumière qui frappe la rétine, n'a pas assez d'intensité, l'oeil ne sent rien. C'est par un manque d'intensité que beaucoup d'étoiles, même dans les nuits les plus profondes, échappent à nos observations. Les lunettes ont pour effet, quant aux étoiles, d'augmenter l'intensité de l'image. Le faisceau cylindrique de rayons parallèles venant d'une étoile, qui s'appuie sur la surface de la lentille objective et qui a cette surface circulaire pour base, se trouve considérablement resserré à la sortie de la lentille oculaire. Le diamètre du premier cylindre est au diamètre du second, comme la distance focale de l'objectif est à la distance focale de l'oculaire, ou bien comme le diamètre de l'objectif est au diamètre de la portion d'oculaire, qu'occupe le faisceau émergent. Les intensités de lumière dans les deux cylindres en question (dans les deux cylindres incident et émergent) doivent être entr' elles comme les étendues superficielles des bases. Ainsi la lumière émergente sera plus condensée, plus intense, que la lumière naturelle tombant sur l'objectif, dans le rapport de la surface de cet objectif à la surface circulaire de la base du faisceau émergent. Le faisceau émergent, quand la lunette grossit, étant plus étroit que le faisceau cylindrique qui tombe sur l'objectif, il est évident que la pupille, quelle que soit son ouverture, recueillera plus de rayons par l'intermédiaire de la lunette que sans elle. La lunette augmentera donc toujours l'intensité de la lumière des étoiles.« »Le cas le plus favorable, quant à l'effet des lunettes, est évidemment celui où l'oeil reçoit la totalité du faisceau émergent, le cas où ce faisceau a moins de diamètre que la pupille. Alors toute la lumière que l'objectif rembrasse, concourt, par l'entremise du télescope, à la formation de l'image. À l'oeil nu, au contraire, une portion seule de cette même lumière est mise à profit: c'est la petite portion que la surface de la pupille découpe dans le faisceau incident naturel. L'intensité de l'image télescopique d'une étoile est donc à l'intensité de l'image à l'oeil nu, comme la surface de l'objectif est à celle de la pupille.« »Ce qui précède, est relatif à la visibilité d'un seul point, d'une seule étoile. Venons à l'observation d'un objet ayant des dimensions angulaires sensibles, à l'observation d'une planète. Dans les cas les plus favorables, c'est-à-dire lorsque la pupille reçoit la totalité du pinceau émergent, l'intensité de l'image de chaque point de la planète se calculera par la proportion que nous venons de donner. La quantité totale de lumière concourant à former l'ensemble de l'image à l'oeil nu, sera donc aussi à la quantité totale de lumière qui forme l'image de la planète à l'aide d'une lunette, comme la surface de la pupille est à la surface de l'objectif. Les intensités comparatives, non plus de points isolés, mais des deux images d'une planète, qui se forment sur la rétine à l'oeil nu, et par l'intermédiaire d'une lunette, doivent évidemment diminuer proportionnellement aux étendues superficielles de ces deux images. Les dimensions linéaires des deux images sont entr' elles comme le diamètre de l'objectif est au diamètre du faisceau émergent. Le nombre de fois que la surface de l'image amplifiée surpasse la surface de l'image à l'oeil nu, s'obtiendra donc en divisant le carré du diamètre de l'objectif par le carré du diametre du faisceau émergent, ou bien la surface de l'objectif par la surface de la base circulaire du faisceau émergent.« »Nous avons déjà obtenu le rapport des quantités totales de lumière qui engendrent les deux images d'une planète, en divisant la surface de l'objectif par la surface de la pupille. Ce nombre est plus petit que le quotient auquel on arrive en divisant la surface de l'objectif par la surface du faisceau émergent. Il en résulte, quant aux planètes: qu'une lunette fait moins gagner en intensité de lumière, qu'elle ne fait perdre en agrandissant la surface des images sur la rétine; l'intensité de ces images doit donc aller continuellement en s'affaiblissant à mesure que le pouvoir amplificatif de la lunette ou du télescope s'accroît.« »L'atmosphère peut être considérée comme une planète à dimensions indéfinies. La portion qu'on en verra dans une lunette, subira donc aussi la loi d'affaiblissement que nous venons d'indiquer. Le rapport entre l'intensité de la lumière d'une planète et le champ de lumière atmosphérique à travers lequel on la verra, sera le même à l'oeil nu et dans les lunettes de tous les grossissements, de toutes les dimensions. Les lunettes, sous le rapport de l'intensité, ne favorisent donc pas la visibilité des planètes.« »Il n'en est point ainsi des étoiles. L'intensité de l'image d'une étoile est plus forte avec une lunette qu'à l'oeil nu; an contraire, le champ de la vision, uniformément éclairé dans les deux cas par la lumière atmosphérique, est plus clair à l'oeil nu que dans la lunette. Il y a donc deux raisons, sans sortir des considérations d'intensité, pour que dans une lunette l'image de l'étoile prédomine sur celle de l'atmosphère, notablement plus qu'à l'oeil nu.« »Cette prédominance doit aller graduellement en augmentant avec le grossissement. En effet, abstraction faite de certaine augmentation du diamètre de l'étoile, conséquence de divers effets de diffraction ou d'interférence, abstraction faite aussi d'une plus forte réflexion que la lumière subit sur les surfaces plus obliques des oculaires de très courts foyers, l'intensité de la lumière de l'étoile est constante tant que l'ouverture de l'objectif ne varie pas. Comme on l'a vu, la clarté du champ de la lunette, au contraire, diminue sans cesse à mesure que le pouvoir amplificatif s'accroît. Donc, toutes autres circonstances restant égales, une étoile sera d'autant plus visible, sa prédominance sur la lumière du champ du télescope sera d'autant plus tranchée qu'on fera usage d'un grossissement plus fort.« (Arago, Handschrift von 1847). – Ich füge noch hinzu aus dem Annuaire du Bureau des Long. pour 1846 (notices scientif. par Mr. Arago) p. 381: »L'expérience a montré que, pour le commun des hommes, deux espaces éclairés et contigus ne se distinguent pas l'un de l'autre, à moins que leurs intensités comparatives ne présentent, au minimum, une différence de 1/60. Quand une lunette est tournée vers le firmament, son champ semble uniformément éclairé: c'est qu'alors il existe, dans un plan passant par le foyer et perpendiculaire à l'axe de l'objectif, une image indéfinie de la région atmosphérique vers laquelle la lunette est dirigée. Supposons qu'un astre, c'est-à-dire un objet situé bien au delà de l'atmosphère, se trouve dans la direction de la lunette: son image ne sera visible qu'autant qu'elle augmentera de 1/60, au moins, l'intensité de la portion de l'image focale indéfinie de l'atmosphère, sur laquelle sa propre image limitée ira se placer. Sans cela, le champ visuel continuera à paraître partout de la même intensité.«
Unter dem reinen Tropenhimmel, in der trockensten Jahreszeit, habe ich oft mit der schwachen Vergrößerung von 95 mal in einem Fernrohr von Dollond die blasse Jupitersscheibe auffinden können, wenn die Sonne schon 15° bis 18° hoch stand. Lichtschwäche des Jupiter und Saturn, bei Tage im großen Berliner Refractor gesehen und contrastirend mit dem ebenfalls reflectirten Lichte der der Sonne näheren Planeten, Venus und Merkur, hat mehrmals Dr. Galle überrascht. Jupiters-Bedeckungen sind mit starken Fernröhren bisweilen bei Tage (von Flaugergues 1792, von Struve 1820) beobachtet worden. Argelander sah (7 Dec. 1849) in einem 5füßigen Fraunhofer eine Viertelstunde nach Sonnenaufgang zu Bonn sehr deutlich 3 Jupiterstrabanten. Den 4ten konnte er nicht erkennen. Noch später sah der Gehülfe Herr Schmidt den Austritt sämmtlicher Trabanten, auch des 4ten, aus dem dunkeln Mondrande in dem 8füßigen Fernrohre des Heliometers. Die Bestimmung der Grenzen der telescopischen Sichtbarkeit kleiner Sterne bei Tageshelle unter verschiedenen Klimaten und auf verschiedenen Höhen über der Meeresfläche hat gleichzeitig ein optisches und ein meteorologisches Interesse.
Zu den merkwürdigen und in ihren Ursachen viel 85 bestrittenen Erscheinungen im natürlichen wie im telescopischen Sehen gehört das nächtliche Funkeln (das Blinken, die Scintillation) der Sterne. Zweierlei ist nach Arago's UntersuchungenDie früheste Bekanntmachung von Arago's Erklärung der Scintillation geschah in dem Anhange zum 4ten Buche meines Voyage aux Régions équinoxiales T. I. p. 623. Ich freue mich, mit den hier folgenden Erläuterungen, welche ich aus den oben (Anm. 1087) angegebenen Gründen wieder in dem Original-Texte abdrucken lasse, den Abschnitt über das natürliche und telescopische Sehen bereichern zu können:
Des causes de la Scintillation des étoiles. »Ce qu'il y a de plus remarquable dans le phénomène de la scintillation, c'est le changement de couleur. Ce changement est beaucoup plus fréquent que l'observation ordinaire l'indique. En effet, en agitant la lunette, on transforme l'image dans une ligne ou un cercle, et tous les points de cette ligne ou de ce cercle paraissent de couleurs différentes. C'est la résultante de la superposition de toutes ces images que l'on voit, lorsqu'on laisse la lunette immobile. Les rayons qui se réunissent au foyer d'une lentille, vibrent d'accord ou en désaccord, s'ajoutent ou se détruisent, suivant que les couches qu'ils ont traversées, ont telle ou telle réfringence. L'ensemble des rayons rouges peut se détruire seul, si ceux de droite et de gauche et ceux de haut et de bas ont traversé des milieux inégalement réfringents. Nous avons dit seul, parce que la différence de réfringence qui correspond à la destruction du rayon rouge, n'est pas la même que celle qui amène la destruction du rayon vert, et réciproquement. Maintenant si des rayons rouges sont détruits, ce qui reste, sera le blanc moins le rouge, c'est-à-dire du vert. Si le vert an contraire est détruit par interférence, l'image sera du blanc moins le vert, c'est-à-dire du rouge. Pour expliquer pourquoi les planètes à grand diamètre ne scintillent pas ou très peu, il faut se rappeler que le disque peut être considéré comme une aggrégation d'étoiles ou de petits points qui scintillent isolément; mais les images de différentes couleurs que chacun de ces points pris isolément donnerait, empiétant les unes sur les autres, formeraient du blanc. Lorsqu'on place un diaphragme ou un bouchon percé d'un trou sur l'objectif d'une lunette, les étoiles acquièrent un disque entouré d'une série d'anneaux lumineux. Si l'on enfonce l'oculaire, le disque de l'étoile augmente de diamètre, et il se produit dans son centre un trou obscur; si on l'enfonce davantage, un point lumineux se substitue au point noir. Un nouvel enfoncement donne naissance à un centre noir, etc. Prenons la lunette lorsque le centre de l'image est noir, et visons à une étoile qui ne scintille pas: le centre restera noir, comme il l'était auparavant. Si au contraire on dirige la lunette à une étoile qui scintille, on verra le centre de l'image lumineux et obscur par intermittence. Dans la position où le centre de l'image est occupé par un point lumineux, on verra ce point disparaître et renaître successivement. Cette disparition ou réapparition du point central est la preuve directe de l'interférence variable des rayons. Pour bien concevoir l'absence de lumière au centre de ces images dilatées, il faut se rappeler que les rayons régulièrement réfractés par l'objectif ne se réunissent et ne peuvent par conséquent interférer qu'au foyer: par conséquent les images dilatées que ces rayons peuvent produire, resteraient toujours pleines (sans trou). Si dans une certaine position de l'oculaire un trou se présente au centre de l'image, c'est que les rayons régulièrement réfractés interfèrent avec des rayons diffractés sur les bords du diaphragme circulaire. Le phénomène n'est pas constant, parce que les rayons qui interfèrent dans un certain moment, n'interfèrent pas un instant après, lorsqu'ils ont traversé des couches atmosphériques dont le pouvoir réfringent a varié. On trouve dans cette expérience la preuve manifeste du rôle que joue dans le phénomène de la scintillation l'inégale réfrangibilité des couches atmosphériques traversées par les rayons dont le faisceau est très étroit.« »Il résulte de ces considérations que l'explication des scintillations ne peut être rattachée qu'aux phénomènes des interférences lumineuses. Les rayons des étoiles, après avoir traversé une atmosphère où il existe des couches inégalement chaudes, inégalement denses, inégalement humides, vont se réunir au foyer d'une lentille, pour y former des images d'intensité et de couleurs perpétuellement changeantes, c'est-à-dire des images telles que la scintillation les présente. Il y a aussi scintillation hors du foyer des lunettes. Les explications proposées par Galilei, Scaliger, Kepler, Descartes, Hooke, Huygens, Newton et John Michell, que j'ai examinées dans un mémoire présenté à l'Institut en 1840 (Comptes rendus T. X. p. 83), sont inadmissibles. Thomas Young, auquel nous devons les premières lois des interférences, a cru inexplicable le phénomène de la scintillation. La fausseté de l'ancienne explication par des vapeurs qui voltigent et déplacent, est dejà prouvée par la circonstance que nous voyons la scintillation des yeux, ce qui supposerait un déplacement d'une minute. Les ondulations du bord du Soleil sont de 4" à 5" et peut-être des pièces qui manquent, donc encore effet de l'interférence des rayons.« (Auszüge aus Handschriften von Arago 1847.)
Die Stärke der Scintillation ist unter den Fixsternen selbst auffallend verschieden; nicht von der Höhe ihres Standes und von ihrer scheinbaren Größe allein abhängig: sondern, wie es scheint, von der Natur ihres eigenen Lichtprocesses. Einige, z. B. Wega, zittern weniger als Arctur und Procyon. Der Mangel der Scintillation bei den Planeten mit größeren Scheiben ist der Compensation und ausgleichenden Farbenvermischung zuzuschreiben, welche die einzelnen Punkte der Scheibe geben. Es wird die Scheibe wie ein Aggregat von Sternen betrachtet, welche das fehlende, durch Interferenz vernichtete Licht gegenseitig ersetzen und die farbigen Strahlen zu weißem Lichte wiederum vereinigen. Bei Jupiter und Saturn bemerkt man deshalb am seltensten Spuren der Scintillation; wohl aber bei Merkur und Venus: da der scheinbare Durchmesser der Scheiben in den letztgenannten zwei Planeten bis 4",4 und 9",5 herabsinkt. Auch bei Mars kann zur Zeit der Conjunction sich der Durchmesser bis 3",3 vermindern. In den heiteren, kalten Winternächten der gemäßigten Zone vermehrt die Scintillation den prachtvollen Eindruck des gestirnten Himmels auch durch den Umstand, daß, indem wir Sterne 6ter bis 7ter Größe bald hier, bald dort aufglimmen sehen, wir, getäuscht, mehr leuchtende Punkte vermuthen und zu 87 erkennen glauben, als das unbewaffnete Auge wirklich unterscheidet. Daher das populäre Erstaunen über die wenigen Tausende von Sternen, welche genaue Sterncataloge als den bloßen Augen sichtbar angeben. Daß das zitternde Licht die Fixsterne von den Planeten unterscheide, war von früher Zeit den griechischen Astronomen bekannt; aber Aristoteles: nach der Ausströmungs- und Tangential-Theorie des Sehens, der er anhängt, schreibt das Zittern und Funkeln der Fixsterne, sonderbar genug, einer bloßen Anstrengung des Auges zu. »Die eingehefteten Sterne« (die Fixsterne), sagt erAristot. de Coelo II, 8 p. 290 Bekker., »funkeln, die Planeten nicht: denn die Planeten sind nahe, so daß das Gesicht im Stande ist sie zu erreichen; bei den feststehenden aber (πρὸς δὲ τοὺς μένοντας) geräth das Auge wegen der Entfernung und Anstrengung in eine zitternde Bewegung.«
Zu Galilei's Zeiten, zwischen 1572 und 1604: in einer Epoche großer Himmelsbegebenheiten, da drei neue SterneKosmos Bd. II. S. 363. von mehr Glanz als Sterne erster Größe plötzlich erschienen und einer derselben im Schwan 21 Jahre leuchtend blieb, zog das Funkeln als das muthmaßliche Criterium eines nicht planetarischen Weltkörpers Kepler's Aufmerksamkeit besonders auf sich. Der damalige Zustand der Optik verhinderte freilich den um diese Wissenschaft so hoch verdienten Astronomen sich über die gewöhnlichen Ideen von bewegten Dünsten zu erheben.Causae scintillationis in Kepler de Stella nova in pede Serpentarii 1606 cap. 18 p. 92–97.. Auch unter den neu erschienenen Sternen, deren die chinesischen Annalen nach der großen Sammlung von Ma-tuan-lin erwähnen, wird bisweilen des sehr starken Funkelns gedacht.
Zwischen den Wendekreisen und ihnen nahe giebt bei gleichmäßigerer Mischung der Luftschichten die große Schwäche 88 oder völlige Abwesenheit der Scintillation der Fixsterne, 12 bis 15 Grade über dem Horizont, dem Himmelsgewölbe einen eigenthümlichen Charakter von Ruhe und milderem Lichte. Ich habe in mehreren meiner Naturschilderungen der Tropenwelt dieses Charakters erwähnt: der auch schon dem Beobachtungsgeiste von La Condamine und Bouguer in den peruanischen Ebenen, wie dem von GarcinLettre de Mr. Garcin, Dr. en Méd., à Mr. de Réaumur in der Hist. de l'Académie Royale des Sciences Année 1743 p. 28–32. in Arabien, Indien und an den Küsten des persischen Meerbusens (bei Bender Abassi) nicht entgangen war.
Da der Anblick des gestirnten Himmels in der Jahreszeit perpetuirlich heiterer, ganz wolkenfreier Tropennächte für mich einen besonderen Reiz hatte, so bin ich bemüht gewesen in meinen Tagebüchern stets die Höhen über dem Horizonte aufzuzeichnen, in der das Funkeln der Sterne bei verschiedenen Hygrometerständen aufhörte. Cumana und der regenlose Theil des peruanischen Littorals der Südsee, wenn in letzterem die Zeit der Garua (des Nebels) noch nicht eingetreten war, eigneten sich vorzüglich zu solchen Beobachtungen. Nach Mittelzahlen scheinen die größeren Fixsterne meist nur unter 10° oder 12° Höhe über dem Horizont zu scintilliren. In größeren Höhen gießen sie aus ein milderes, planetarisches Licht. Am sichersten wird der Unterschied erkannt, wenn man dieselben Fixsterne in ihrem allmäligen Aufsteigen oder Niedersinken verfolgt und dabei die Höhenwinkel mißt oder (bei bekannter Ortsbreite und Zeit) berechnet. In einzelnen gleich heiteren und gleich windlosen Nächten erstreckte sich die Region des Funkelns bis 20°, ja bis 25° Höhe; doch war zwischen diesen Verschiedenheiten der Höhe oder der Stärke der Scintillation und den Hygrometer- und Thermometerständen, welche in der 89 unteren, uns allein zugänglichen Region der Luft beobachtet wurden, fast nie ein Zusammenhang zu entdecken. Ich sah in auf einander folgenden Nächten nach beträchtlicher Scintillation 60° bis 70° hoher Gestirne, bei 85° des Saussure'schen Haar-Hygrometers, die Scintillation bis 15° Höhe über dem Horizont völlig aufhören: und dabei doch die Luftfeuchtigkeit so ansehnlich vermehrt, daß das Hygrometer bis 93° fortschritt. Es ist nicht die Quantität der Wasserdämpfe, welche die Atmosphäre aufgelöst erhält; es ist die ungleiche Vertheilung der Dämpfe in den über einander liegenden Schichten und die, in den unteren Regionen nicht bemerkbaren, oberen Strömungen kalter und warmer Luft, welche das verwickelte Ausgleichungsspiel der Interferenz der Lichtstrahlen modificiren. Auch bei sehr dünnem gelbrothem Nebel, der kurz vor Erdstößen den Himmel färbte, vermehrte sich auffallend das Funkeln hochstehender Gestirne. Alle diese Bemerkungen beziehen sich auf die völlig heitere, wolken- und regenlose Jahreszeit der tropischen Zone 10° bis 12° nördlich und südlich vom Aequator. Die Lichtphänomene, welche beim Eintritt der Regenzeit während des Durchgangs der Sonne durch den Zenith erscheinen, hangen von sehr allgemein und kräftig, ja fast stürmisch wirkenden Ursachen ab. Die plötzliche Schwächung des Nordost-Passates, und die Unterbrechung regelmäßiger oberer Strömungen vom Aequator zu den Polen und unterer Strömungen von den Polen zum Aequator erzeugen Wolkenbildungen, täglich zu bestimmter Zeit wiederkehrende Gewitter und Regengüsse. Ich habe mehrere Jahre hinter einander bemerkt, wie an den Orten, an denen das Funkeln der Fixsterne überhaupt etwas seltenes ist, der Eintritt 90 der Regenzeit viele Tage im voraus sich durch das zitternde Licht der Gestirne in großer Höhe über dem Horizont verkündigt. Wetterleuchten, einzelne Blitze am fernen Horizont ohne sichtbares Gewölk oder in schmalen, senkrecht aufsteigenden Wolkensäulen sind dann begleitende Erscheinungen. Ich habe diese charakteristischen Vorgänge, die physiognomischen Veränderungen der Himmelsluft, in mehreren meiner Schriften zu schildern versucht.S. Voyage aux Régions équin. T. I. p. 511 und 512, T. II. p. 202–208; auch meine Ansichten der Natur, dritte Ausg. Bd. I. S. 29 und 225. »En Arabie«, sagt Garcin, »de même qu'à Bender-Abassi, port fameux du Golfe Persique, l'air est parfaitement serein presque toute l'année. Le printemps, l'été et l'automne se passent, sans qu'on y voie la moindre rosée. Dans ces mêmes temps tout le monde couche dehors sur le haut des maisons. Quand on est ainsi couché, il n'est pas possible d'exprimer le plaisir qu'on prend à contempler la beauté du ciel, l'éclat des étoiles. C'est une lumière pure, ferme et éclatante, sans étincellement. Ce n'est qu'au milieu de l'hiver que la Scintillation, quoique très faible, s'y fait apercevoir.« Garcin in der Hist. de l'Acad. des Sc. 1743 p. 30.
Ueber die Geschwindigkeit des Lichtes, über die Wahrscheinlichkeit, daß dasselbe eine gewisse Zeit zu seiner Fortpflanzung brauche, findet sich die älteste Ansicht bei Bacon von Verulam in dem zweiten Buche des Novum Organum. Er spricht von der Zeit, deren ein Lichtstrahl bedarf, die ungeheure Strecke des Weltraums zu durchlaufen; er wirft schon die Frage auf: ob die Sterne noch vorhanden sind, die wir gleichzeitig funkeln sehen?Von den Täuschungen sprechend, welche die Geschwindigkeiten des Schalles und des Lichts veranlassen, sagt Bacon: »atque hoc cum similibus nobis quandoque dubitationem peperit plane monstrosam; videlicet, utrum coeli sereni et stellati facies ad idem tempus cernatur, quando vere existit, an potius aliquanto post; et utrum non sit (quatenus ad visum coelestium) non minus tempus verum et tempus visum, quam locus verus et locus visus, qui notatur ab astronomis in parallaxibus. Adeo incredibile nobis videbatur, species sive radios corporum coelestium, per tam immensa spatia milliarium, subito deferri posse ad visum; sed potius debere eas in tempore aliquo notabili delabi. Verum illa dubitatio (quoad majus aliquod intervallum temporis inter tempus verum et visum) postea plane evanuit, reputantibus nobis.....« The Works of Francis Bacon Vol. I. Lond. 1740 (Novum Organum) p. 371. Er nimmt dann, ganz nach Art der Alten, eine eben geäußerte wahre Ansicht wieder zurück. – Vergl. Somerville, the Connexion of the Physical Sciences p. 36 und Kosmos Bd. I. S. 161. Man erstaunt diese glückliche Ahndung in einem Werke zu finden, dessen geistreicher Verfasser in mathematischem, astronomischem und physikalischem Wissen tief unter dem seiner Zeitgenossen stand. Gemessen wurden die Geschwindigkeit des reflectirten Sonnenlichtes durch Römer (November 1675) mittelst der Vergleichung von Verfinsterungs-Epochen der Jupiterstrabanten; die Geschwindigkeit des directen Lichtes der Fixsterne mittelst Bradley's großer Entdeckung der Aberration (Herbst 1727): des sinnlichen Beweises von der translatorischen Bewegung der Erde, d. i. von der Wahrheit des copernicanischen Systemes. In der neuesten Zeit ist eine dritte Methode der Messung durch Arago vorgeschlagen worden, die der Lichterscheinungen eines veränderlichen Sternes, z. B. des Algol im Perseus.S. Arago's Entwickelung seiner Methode im Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1842 p. 337–343. »L'observation attentive des phases d'Algol à six mois d'intervalle servira à déterminer directement la vitesse de la lumière de cette étoile. Près du maximum et du minimum le changement d'intensité s'opère lentement; il est au contraire rapide à certaines époques intermédiaires entre celles qui correspondent aux deux états extrêmes, quand Algol, soit en diminuant, soit en augmentant d'éclat, passe par la troisième grandeur.« Zu diesen 91 astronomischen Methoden gesellt sich noch eine terrestrische Messung, welche mit Scharfsinn und Glück ganz neuerlich Herr Fizeau in der Nähe von Paris ausgeführt hat. Sie erinnert an einen frühen, zu keinem Resultate leitenden Versuch von Galilei mit zwei gegenseitig zu verdeckenden Laternen.
Aus Römer's ersten Beobachtungen der Jupiterstrabanten schätzten Horrebow und du Hamel den Lichtweg in Zeit von der Sonne zur Erde bei mittlerer Entfernung erst 14' 7", dann 11'; Cassini 14' 10"; NewtonNewton, Opticks 2d Ed. (Lond. 1718) p. 325: light moves from the Sun to us 7 or 8 minutes of time«. Newton vergleicht die Geschwindigkeit des Schalles (1140 feet in 1") mit der des Lichtes. Wenn er für die letztere, nach Beobachtungen von Verfinsterungen der Jupiterstrabanten (der Tod des großen Mannes fällt ohngefähr ein halbes Jahr vor Bradley's Entdeckung der Aberration), von der Sonne zur Erde 7' 30" rechnet, bei der Annahme von einem Abstand von 70 Millionen englischer Meilen; so durchläuft das Licht in jeder Zeitsecunde 1555555/9 engl. Meilen. Die Reduction dieser Meilen auf geographische (15=1°) ist Schwankungen unterworfen, je nachdem man die Gestalt der Erde verschieden annimmt. Nach Encke's genauen Annahmen im Jahrbuch für 1852 gehen (wenn nach Dove 1 engl. Meile = 5280 engl. Fuß = 4954,206 Pariser Fuß) 69,1637 engl. Meilen auf einen Aequatorial-Grad. Für Newton's Angabe folgt demnach eine Lichtgeschwindigkeit von 33736 geogr. Meilen. Newton hat aber die Sonnen-Parallaxe zu 12" angenommen. Ist diese, wie sie Encke's Berechnung des Venus-Durchganges gegeben hat, 8",57116; so wird damit die Entfernung größer, und man erhält für die Lichtgeschwindigkeit (bei 7½ Minuten) 47232 geogr. Meilen für eine Zeitsecunde: also zu viel, statt vorher zu wenig. Es ist gewiß sehr merkwürdig, und von Delambre (Hist. de l'Astronomie moderne T. II. p. 653) nicht bemerkt worden, daß Newton: während die Angaben des Lichtweges in dem Halbmesser der Erdbahn seit Römer's Entdeckung 1675 bis zum Anfang des 18ten Jahrhunderts, übertrieben hoch, zwischen 11' und 14' 10" schwankten; vielleicht auf neuere englische Beobachtungen des ersten Trabanten gestützt, der Wahrheit (dem jetzt angenommenen Struvischen Resultate) ohngefähr bis auf 47" nahe kam. Die älteste Abhandlung, in welcher Römer, Picard's Schüler, der Akademie seine Entdeckung vortrug, war vom 22 Nov. 1675. Er fand durch 40 Aus- und Eintritte der Jupiterstrabanten, »un retardement de lumière de 22 minutes par l'intervalle qui est le double de celui qu'il y a d'ici au Soleil« (Mémoires de l'Acad. de 1666–1699 T. X. 1730 p. 400). Cassini bestritt nicht die Thatsache der Verlangsamung; aber er bestritt das angegebene Zeitmaaß: weil (was sehr irrig ist) verschiedene Trabanten andere Resultate darböten. Du Hamel, der Secretär der Pariser Akademie (Regiae scientiarum Academiae Historia 1698 p. 145), giebt, 17 Jahre nachdem Römer Paris verlassen hatte, und doch ihn bezeichnend, 10 bis 11 Minuten an; aber wir wissen durch Peter Horrebow (Basis Astronomiae sive Triduum Roemerianum 1735 p. 122–129), daß Römer, als er 1704, also 6 Jahre vor seinem Tode, ein eigenes Werk über die Geschwindigkeit des Lichtes herausgeben wollte, bei dem Resultate von 11' fest beharrte: eben so Huygens (tract. de Lumine cap. 1 p. 7). Ganz anders verfährt Cassini; er findet für den ersten Trabanten 7' 5", für den zweiten 14' 12", und legt für seine Jupiterstafeln zum Grunde 14' 10" pro peragrando diametri semissi. Der Irrthum war also im Zunehmen. (Vergl. Horrebow, Triduum p. 129; Cassini, Hypothèses et Satellites de Jupiter in den Mém. de l'acad. 1666–1699 T. VIII. p. 435 und 475; Delambre, Hist. de l'Astr. mod. T. II. p. 751 und 782; du Hamel, Physica p. 435), was recht auffallend ist, der Wahrheit weit näher 7' 30". DelambreDelambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. II. p. 653. fand, indem er bloß unter den Beobachtungen seiner Zeit die des ersten Trabanten in Rechnung nahm, 8' 13",2. Mit vielem Rechte hat Encke bemerkt, wie wichtig es wäre: in der sicheren Hoffnung, bei der jetzigen Vollkommenheit der Fernröhre übereinstimmendere Resultate zu erlangen, eine eigene Arbeit über die Verfinsterungen der Jupitertrabanten zur Ableitung der Lichtgeschwindigkeit zu unternehmen.
Aus Bradley's, von Rigaud in Oxford wieder aufgefundenen Aberrations-Beobachtungen folgen nach der Untersuchung von Dr. BuschReduction of Bradley's observations at Kew and Wansted 1836 p. 22; Schumacher's astr. Nachr. Bd. XIII. 1836 No. 309. (Vergl. miscellaneous Works and Correspondence of the Rev. James Bradley, by Prof. Rigaud, Oxford 1832.) – Ueber die bisherigen Erklärungsversuche der Aberration nach der Undulations-Theorie des Lichts s. Doppler in den Abhandl. der Kön. böhmischen Gesellschaft der Wiss. 5te Folge Bd. III. S. 745–765. Ungemein merkwürdig ist für die Geschichte großer astronomischer Entdeckungen, daß Picard mehr als ein halbes Jahrhundert vor Bradley's eigentlicher Entdeckung und Erklärung der Ursach der Aberration, wahrscheinlich seit 1667, eine wiederkehrende Bewegung des Polarsternes von ohngefähr 20" bemerkt, welche »weder Wirkung der Parallaxe noch der Refraction sein könne und in entgegengesetzten Jahreszeiten sehr regelmäßig sei« (Delambre, Hist. de l'Astr. moderne T. II. p. 616). Picard war auf dem Wege die Geschwindigkeit des directen Lichts früher zu entdecken, als sein Schüler Römer die Geschwindigkeit des reflectirten Lichtes bekannt machte. in Königsberg für den Lichtweg von der Sonne zur Erde 8' 12",14; die Geschwindigkeit des Sternlichts 41994 geogr. Meilen in der Secunde, und die Aberrations-Constante 20",2116; aber nach neueren, achtzehn-monatlichen Aberrations-Beobachtungen von Struve am großen Passage-Instrument von PulkowaSchum. astr. Nachr. Bd. XXI. 1844 No. 484; Struve, études d'Astr. stellaire p. 103 und 107 (vergl. Kosmos Bd. I. S. 160). Wenn in dem Annuaire pour 1842 p. 287 die Geschwindigkeit des Lichts in der Secunde zu 308000 Kilometern oder 77000 lieues (also jede zu 4000 Metern) geschätzt wird, so steht diese Angabe der neuen Struvischen am nächsten. Sie giebt 41507 geogr. Meilen, die der Pulkowaer Sternwarte 41549. Ueber den Unterschied der Aberration des Polarsternes und seines Begleiters, und Struve's eigene neuere Zweifel s. Mädler, Astronomie 1849 S. 393. Ein noch größeres Resultat für den Lichtweg von der Sonne zur Erde giebt William Richardson: nämlich 8' 19",28: wozu die Geschwindigkeit von 41422 geogr. Meilen gehört. (Mem. of the Astron. Soc. Vol. IV. P. 1 p. 68.) muß die erste dieser Zahlen ansehnlich vergrößert werden. Das Resultat dieser großen Arbeit war: 8' 17",78; woraus bei der Aberrations-Constante von 20",4451 mit Encke's Verbesserung der Sonnen-Parallaxe im J. 1835 und der im 92 astronomischen Jahrbuch für 1852 von ihm angegebenen Werthe des Erd-Halbmessers die Lichtgeschwindigkeit von 41549 geogr. Meilen folgt. Der wahrscheinliche Fehler in der Geschwindigkeit soll kaum noch 2 geogr. Meilen betragen. Dies Struvische Resultat ist von dem Delambrischen (8' 13",2), das von Bessel in den Tab. Regiomont. und bisher in dem Berliner astronomischen Jahrbuche angewandt worden ist, für die Zeit, welche der Lichtstrahl von der Sonne zur Erde braucht, um 1/110 verschieden. Als völlig abgeschlossen ist die Discussion des Gegenstandes noch nicht zu betrachten. Die früher gehegte Vermuthung, daß die Lichtgeschwindigkeit des Polarsterns in Verhältniß von 133 zu 134 schwächer sei als die seines Begleiters, ist aber vielem Zweifel unterworfen geblieben.
Ein durch seine Kenntnisse wie durch seine große Feinheit im Experimentiren ausgezeichneter Physiker, Herr Fizeau, hat durch sinnreich construirte Vorrichtungen: in denen künstliches, sternartiges Licht von Sauerstoff und Wasserstoff durch einen Spiegel in 8633 Meter (26575 Par. Fuß) Entfernung, zwischen Suresne und la Butte Montmartre, an den Punkt zurückgesandt wird, von dem es ausgegangen; eine terrestrische Messung der Lichtgeschwindigkeit vollbracht. Eine mit 720 Zähnen versehene Scheibe, welche 12,6 Umläufe in der Secunde machte, verdeckte abwechselnd den Lichtstrahl oder ließ ihn frei durch zwischen den Zähnen des Randes. Aus der Angabe eines Zählers (compteur) glaubte man schließen zu können, daß das künstliche Licht 17266 Meter, d. i. den doppelten Weg zwischen den Stationen, in 1/18000 einer Zeitsecunde zurücklegte: woraus sich eine Geschwindigkeit von 310788 Kilometern oder (da 1 geogr. 93 Meile 7419 Meter ist) von 41882 geogr. Meilen in der SecundeFizeau giebt sein Resultat in lieues an, deren 25 auf einen Aequatorial-Grad gehen und welche demnach 4452 Meter haben; zu 70000 solcher lieues in der Secunde. Ueber frühere Versuche von Fizeau s. Comptes rendus T. XXIX. 1849 p. 92. In Moigno's Répert. d'Optique moderne P. III. p. 1162 ist das Resultat zu 70843 lieues (25=1°) angegeben: also 42506 geogr. Meilen, dem Resultat von Bradley nach Busch am nächsten. ergiebt. Dies Resultat käme demnach dem von Delambre (41903 Meilen) aus den Jupiterstrabanten geschlossenen am nächsten.
Directe Beobachtungen und sinnreiche Betrachtungen über die Abwesenheit aller Färbung während des Lichtwechsels der veränderlichen Sterne, auf die ich später zurückkommen werde, haben Arago zu dem Resultate geführt: daß nach der Undulations-Theorie die Lichtstrahlen, welche verschiedene Farbe, und also sehr verschiedenartige Länge und Schnelligkeit der Transversal-Schwingungen haben, sich in den himmlischen Räumen mit gleicher Geschwindigkeit bewegen. Deshalb ist aber doch im Inneren der verschiedenen Körper, durch welche die farbigen Strahlen gehen, ihre Fortpflanzungs-Geschwindigkeit und Brechung verschieden.»D'après la théorie mathématique dans le système des ondes, les rayons de différentes couleurs, les rayons dont les ondulations sont inégales, doivent néanmoins se propager dans l'Éther avec la même vitesse. II n'y a pas de différence à cet égard entre la propagation des ondes sonores, lesquelles se propagent dans l'air avec la même rapidité. Cette égalité de propagation des ondes sonores est bien établie expérimentalement par la similitude d'effet que produit une musique donnée à toutes distances du lieu où l'on l'exécute. La principale difficulté, je dirai l'unique difficulté qu'on eût élevée contre le système des ondes, consistait donc à expliquer, comment la vitesse de propagation des rayons de différentes couleurs dans des corps différents pouvait être dissemblable et servir à rendre compte de l'inégalité de réfraction de ces rayons ou de la dispersion. On a montré récemment que cette difficulté n'est pas insurmontable; qu'on peut constituer l'Éther dans les corps inégalement denses de manière que des rayons à ondulations dissemblables s'y propagent avec des vitesses inégales: reste à déterminer, si les conceptions des géomètres à cet égard sont conformes à la nature des choses. Voici les amplitudes des ondulations déduites expérimentalement d'une série de faits relatifs aux interférences:
La vitesse de transmission des rayons de différentes couleurs dans les espaces célestes est la même dans le système des ondes et tout à fait indépendante de l'étendue ou de la vitesse des ondulations.« Arago, Handschr. von 1849. Vergl. auch Annuaire pour 1842 p. 333–336. – Die Länge der Lichtwelle des Aethers und die Geschwindigkeit der Schwingungen bestimmen den Charakter der Farbenstrahlen. Zum Violett, dem am meisten refrangibeln Strahle, gehören 662; zum Roth, dem am wenigsten refrangibeln Strahle, (bei größter Wellenlänge) nur 451 Billionen Schwingungen in der Secunde.
mm
violet
...
0,000423
jaune
...
0,000551
rouge
...
0,000620.
Vergleicht man die Geschwindigkeit des Sonnen-, Sternen- und irdischen Lichtes, welche auch in den Brechungswinkeln des Prisma sich alle auf ganz gleiche Weise 94 verhalten, mit der Geschwindigkeit des Lichtes der Reibungs-Electricität, so wird man geneigt nach den von Wheatstone mit bewundernswürdigem Scharfsinn angeordneten Versuchen die letztere auf das mindeste für schneller im Verhältniß wie 3 zu 2 zu halten. Nach dem schwächsten Resultate des Wheatstonischen optischen Dreh-Apparats legt das electrische Licht in der Secunde 288000 englische Meilen zurück oder (1 Statut-Meile, deren 69,12 auf den Grad gehen, zu 4954 Par. Fuß gerechnet) mehr als 62500 geographische Meilen.Wheatstone in den Philos. Transact. of the Royal Soc. for 1834 p. 589 und 591. Aus den in dieser Abhandlung beschriebenen Versuchen scheint zu folgen, daß das menschliche Auge fähig ist Lichterscheinungen zu empfinden (p. 591), »deren Dauer auf ein Millionen-Theilchen einer Secunde eingeschränkt ist«. Ueber die im Texte erwähnte Hypothese, nach welcher das Sonnenlicht unserem Polarlicht analog ist, s. Sir John Herschel, results of Astron. Observ. at the Cape of Good Hope 1847 p. 351. Der scharfsinnigen Anwendung eines durch Breguet vervollkommneten Wheatstonischen Drehungs-Apparats, um zwischen der Emissions- und Undulations-Theorie zu entscheiden: da nach der ersteren das Licht schneller, nach der zweiten langsamer durch Wasser als durch Luft geht, hat Arago schon in den Comptes rendus T. VII. 1838 p. 956 erwähnt. (Vergl. Comptes rendus T. XXX. 1850 p. 489–495 und 556.) Rechnet man nun mit Struve für Sternenlicht in den Aberrations-Beobachtungen 41549, so erhält man den oben angegebenen Unterschied von 20951 geogr. Meilen als größere Schnelligkeit der Electricität.
Diese Angabe widerspricht scheinbar der schon von William Herschel aufgestellten Ansicht, nach der das Sonnen- und Fixsternlicht vielleicht die Wirkung eines electro-magnetischen Processes, ein perpetuirliches Nordlicht sein soll. Ich sage scheinbar; denn es ist wohl nicht die Möglichkeit zu bestreiten, daß es in den leuchtenden Weltkörpern mehrere, sehr verschiedenartige, magneto-electrische Processe geben könne, in denen das Erzeugniß des Processes, das Licht, eine verschiedenartige Fortpflanzungs-Geschwindigkeit besäße. Zu dieser Vermuthung gesellt sich die Unsicherheit des numerischen Resultats in den Wheatstonischen Versuchen. Ihr Urheber selbst hält dasselbe für »nicht hinlänglich begründet und neuer Bestätigung bedürftig«, um befriedigend mit den Aberrations- und Satelliten-Beobachtungen verglichen zu werden.
Neuere Versuche, welche Walker in den Vereinigten Staaten von Nordamerika über die 95 Fortpflanzungs-Geschwindigkeit der Electricität bei Gelegenheit seiner telegraphischen Längen-Bestimmungen von Washington, Philadelphia, Neu-York und Cambridge machte, haben die Aufmerksamkeit der Physiker lebhaft auf sich gezogen. Nach Steinheil's Beschreibung dieser Versuche war die astronomische Uhr des Observatoriums in Philadelphia mit dem Schreib-Apparate von Morse auf der Telegraphenlinie in solche Verbindung gesetzt, daß sich auf den endlosen Papierstreifen des Apparats der Gang dieser Uhr durch Punkte selbst aufzeichnete. Der electrische Telegraph trägt jedes dieser Uhrzeichen augenblicklich nach den anderen Stationen, und giebt denselben durch ähnliche Punkte auf ihren fortrückenden Papierstreifen die Zeit von Philadelphia. Auf diese Weise können willkührliche Zeichen oder der Moment des Durchganges eines Sternes in gleicher Art von dem Beobachter der Station eingetragen werden, indem er bloß mit dem Finger drückend eine Klappe berührt. »Der wesentliche Vortheil dieser amerikanischen Methode besteht«, wie Steinheil sich ausdrückt, »darin, daß sie die Zeitbestimmung unabhängig von der Verbindung der beiden Sinne, – Gesicht und Gehör –, gemacht hat: indem der Uhrgang sich selbst notirt und der Moment des Sterndurchganges (nach Walker's Behauptung bis auf den mittleren Fehler von dem 70ten Theil einer Secunde) bezeichnet wird. Eine constante Differenz der verglichenen Uhrzeichen von Philadelphia und Cambridge entspringt aus der Zeit, die der electrische Strom braucht, um zweimal den Schließungskreis zwischen beiden Stationen zu durchlaufen.«
Messungen, welche auf Leitungswegen von 1050 englischen oder 242 geographischen Meilen Länge angestellt 96 wurden, gaben aus 18 Bedingungs-Gleichungen die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit des hydrogalvanischen Stromes nur zu 18700 englischen oder 4060 geographischen MeilenSteinheil in Schumacher's astr. Nachr. No. 679 (1849) S. 97–100; Walker in den Proceedings of the American Philosophical Society Vol. V. p. 128. (Vergl. ältere Vorschläge von Pouillet in den Comptes rendus T. XIX. p. 1386.) Noch neuere sinnreiche Versuche von Mitchel, Director der Sternwarte von Cincinnati (Gould's Astron. Journal dec. 1849 p. 3: on the velocity of the electr. wave), und von Fizeau und Gounelle zu Paris (April 1850) entfernen sich zugleich von Wheatstone's und Walker's Resultaten. Auffallende Unterschiede von Leitung durch Eisen und Kupfer zeigen die Versuche in den Comptes rendus T. XXX. 1850 p. 439., d. h. funfzehnmal langsamer als der electrische Strom in Wheatstone's Drehscheiben. Da in den merkwürdigen Versuchen von Walker nicht zwei Drähte angewandt wurden, sondern die Hälfte der Leitung, wie man sich auszudrücken pflegt, durch den feuchten Erdboden geschah; so könnte hier die Vermuthung gerechtfertigt scheinen, daß die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit der Electricität sowohl von der Natur als der DimensionS. Poggendorff in seinen Annalen Bd. LXXIII. 1848 S. 337 und Pouillet in Comptes rendus T. XXX. p. 501. des Mediums abhängig ist. Schlechte Leiter in der Voltaischen Kette erwärmen sich stärker als gute Leiter, und die electrischen Entladungen sind nach den neuesten Versuchen von RießRieß in Poggend. Ann. Bd. 78. S. 433. – Ueber die Nichtleitung des zwischenliegenden Erdreichs s. die wichtigen Versuche von Guillemin sur le courant dans une pile isolée et sans communication entre les póles in den Comptes rendus T. XXIX. 1849 p. 521. »Quand on remplace un fil par la terre dans les télégraphes électriques, la terre sert plutôt de réservoir commun que de moyen d'union entre les deux extrémités du fil.« ein sehr verschiedenartig complicirtes Phänomen. Die jetzt herrschenden Ansichten über das, was man »Verbindung durch Erdreich« zu nennen pflegt, sind der Ansicht von linearer Molecular-Leitung zwischen den beiden Drath-Enden und der Vermuthung von Leitungs-Hindernissen, von Anhäufung und Durchbruch in einem Strome entgegen: da das, was einst als Zwischenleitung in der Erde betrachtet wurde, einer Ausgleichung (Wiederherstellung) der electrischen Spannung allein angehören soll.
Wenn es gleich nach den jetzigen Grenzen der Genauigkeit in dieser Art von Beobachtungen wahrscheinlich ist, daß die Aberrations-Constante und demnach die Lichtgeschwindigkeit aller Fixsterne dieselbe ist; so ist doch auch mehrmals der Möglichkeit gedacht worden, daß es leuchtende Weltkörper gebe, deren Licht deshalb nicht bis zu uns gelangt, weil bei ihrer ungeheuren Masse die Gravitation 97 die Lichttheilchen zur Umkehr nöthigt. Die Emissions-Theorie giebt solchen Phantasien eine wissenschaftliche Form.(S. 97.) Mädler, Astr. S. 380. Laplace nach Moigno, Répertoire d'Optique moderne 1847 T. I. p. 72: »Selon la théorie de l'émission on croit pouvoir démontrer que si le diamètre d'une étoile fixe serait 250 fois plus grand que celui du soleil, sa densité restant la même, l'attraction exercée à sa surface détruirait la quantité de mouvement de la molécule lumineuse émise, de sorte qu'elle serait invisible à de grandes distances.« Wenn man dem Arcturus mit William Herschel einen scheinbaren Durchmesser von 0",1 zuschreibt, so folgt aus dieser Annahme, daß der wirkliche Durchmesser dieses Sterns nur 11mal größer ist als der unserer Sonne (Kosmos Bd. I. S. 153 und 415 [Anm. 106]). Nach der obigen Betrachtung über eine der Ursachen des Nichtleuchtens würde bei sehr verschiedenen Dimensionen der Weltkörper die Lichtgeschwindigkeit verschieden sein müssen: was bisher durch die Beobachtung keinesweges bestätigt ist. (Arago in den Comptes rendus T. VIII. 1839 p. 326: »les expériences sur l'égale déviation prismatique des étoiles vers lesquelles la terre marche ou dont elle s'éloigne, rend compte de l'égalité de vitesse apparente des rayons de toutes les étoiles.«) Ich erwähne hier derselben nur deshalb, weil später gewisser Eigenthümlichkeiten der Bewegung, welche dem Procyon zugeschrieben wurden und auf eine Störung durch dunkle Weltkörper zu leiten schienen, Erwähnung geschehen muß. Es ist der Zweck dieses Theils meines Werkes, das zu berühren, was zur Zeit seiner Ausarbeitung und seines Erscheinens die Wissenschaft nach verschiedenen Richtungen bewegt hat und so den individuellen Charakter einer Epoche in der siderischen wie in der tellurischen Sphäre bezeichnet.
Die photometrischen oder Helligkeits-Verhältnisse selbstleuchtender Gestirne, welche den Weltraum erfüllen, sind seit mehr als zweitausend Jahren ein Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung und Schätzung gewesen. Die Beschreibung des gestirnten Himmels umfaßte nicht bloß die Ortsbestimmungen, die Messung des Abstandes der leuchtenden Weltkörper von einander und von den Kreisen, welche sich auf den scheinbaren Sonnenlauf und die tägliche Bewegung des Himmelsgewölbes beziehen; sie berührte auch zugleich die relative Lichtstärke der Gestirne. Die Aufmerksamkeit der Menschen ist gewiß am frühesten auf den letzten Gegenstand geheftet gewesen; einzelne Sterne haben Namen erhalten, ehe man sie sich als mit anderen in Gruppen und Bildern verbunden dachte. Unter den wilden kleinen Völkerschaften, welche die dichten Waldgegenden des Oberen Orinoco und Atabapo bewohnen: an Orten, wo der undurchdringliche Baumwuchs mich gewöhnlich zwang zu Breiten-Bestimmungen nur hoch culminirende Sterne zu beobachten; fand ich oft bei einzelnen Individuen, besonders bei Greisen, 98 Benennungen für Canopus, Achernar, die Füße des Centauren und α des südlichen Kreuzes. Hätte das Verzeichniß der Sternbilder, welches wir unter dem Namen der Catasterismen des Eratosthenes besitzen, das hohe Alter, das man ihm so lange zugeschrieben (zwischen Autolycus von Pitane und Timocharis, also fast anderthalb Jahrhunderte vor Hipparch); so besäßen wir in der Astronomie der Griechen eine Grenze für die Zeit, wo die Fixsterne noch nicht nach relativen Größen gereihet waren. Es wird in den Catasterismen bei der Aufzählung der Gestirne, welche jedem einzelnen Sternbilde zukommen, oft der Zahl der in ihnen leuchtendsten und größten: oder der dunkeln, wenig erkennbaren, gedacht;Eratosthenes, Catasterismi ed. Schaubach 1795 und Eratosthenica ed. Ged. Bernhardy 1822 p. 110 bis 116. Die Beschreibung unterscheidet unter den Sternen λαμπροὺς (μεγάλους) und ἀμαυροὺς (cap. 2, 11, 41). Eben so Ptolemäus; bei ihm beziehen sich οἱ ἀμόρφωτοι nur auf die Sterne, welche nicht förmlich zu einem Sternbilde gehören. aber keiner relativen Beziehung der Angaben von einem Sternbilde zum anderen. Die Catasterismen sind nach Bernhardy, Baehr und Letronne mehr als zwei Jahrhunderte neuer als der Catalog des Hipparchus: eine unfleißige Compilation; ein Excerpt aus dem, dem Julius Hyginus zugeschriebenen Poeticum astronomicum, wenn nicht aus dem Gedichte ErmhV des alten Eratosthenes. Jener Catalog des Hipparchus, welchen wir in der Form besitzen, die ihm im Almagest gegeben ist, enthält die erste und wichtige Bestimmung der Größenclassen (Helligkeits-Abstufungen) von 1022 Sternen: also ohngefähr von 1/5 aller am ganzen Himmel mit bloßen Augen sichtbaren Sterne zwischen 1ter und 6ter Größe, letztere mit eingeschlossen. Ob die Schätzungen von Hipparchus allein herrühren, ob sie nicht vielmehr theilweise den Beobachtungen des Timocharis oder Aristyllus angehören, welche von Hipparchus so oft benutzt wurden: bleibt ungewiß.
99 Diese Arbeit ist die wichtige Grundlage gewesen, auf welcher die Araber und das ganze Mittelalter fortgebauet; ja die bis in das 19te Jahrhundert übergegangene Gewohnheit, die Zahl der Sterne erster Größe auf 15 zu beschränken (Mädler zählt deren 18, Rüncker nach sorgfältigerer Erforschung des südlichen Himmels über 20), stammt aus der Classification des Almagest am Schluß der Sterntafel des achten Buches her. Ptolemäus, auf das natürliche Sehen angewiesen, nannte dunkle Sterne alle, welche schwächer als seine 6te Classe leuchten; von dieser Classe führt er sonderbarerweise nur 49 auf, fast gleichartig unter beide Hemisphären vertheilt. Erinnert man sich, daß das Verzeichniß ohngefähr den fünften Theil aller dem bloßen Auge sichtbaren Fixsterne aufführt, so hätte dasselbe, nach Argelander's Untersuchungen, 640 Sterne 6ter Größe geben sollen. Die Nebelsterne (νεφελοειδεῖς) des Ptolemäus und der Catasterismen des Pseudo-Eratosthenes sind meist kleine SternschwärmePtol. Almag. ed. Halma T. II. p. 40 und in Eratosth. Catast. cap. 22 p. 18: ἡ δὲ κεφαλὴ καὶ ἡ ἄρπη ἄναπτος ὁρᾶται, διὰ δὲ νεφελώδους συστροφῆς δοκεῖ τισιν ὁρᾶσϑαι. Eben so Geminus, Phaenom. (ed. Hilderico 1590) p. 46., welche bei der reineren Luft des südlichen Himmels als Nebelflecke erscheinen. Ich gründe diese Vermuthung besonders auf die Angabe eines Nebels an der rechten Hand des Perseus. Galilei, der so wenig als die griechischen und arabischen Astronomen den dem bloßen Auge sichtbaren Nebelfleck der Andromeda kannte, sagt im Nuncius sidereus selbst, daß stellae nebulosae nichts anderes sind als Sternhaufen, die wie areolae sparsim per aethera fulgent.Kosmos Bd. II. S. 369 und 514 (Anm. 946). Das Wort Größenordnung (τῶν μεγάλων τάξις), obgleich auf den Glanz beschränkt, hat doch schon im 9ten Jahrhunderte zu Hypothesen über die Durchmesser der Sterne verschiedener Helligkeit geführtMuhamedis Alfragani Chronologica et Astronomica elementa 1590 cap. XXIV p. 118.: als hinge die Intensität des Lichts nicht zugleich von der Entfernung, 100 dem Volum, der Masse und der eigenthümlichen, den Lichtproceß begünstigenden, Beschaffenheit der Oberfläche eines Weltkörpers ab.
Zur Zeit der mongolischen Obergewalt, als im 15ten Jahrhundert unter dem Timuriden Ulugh Beig die Astronomie in Samarkand in größter Blüthe war, erhielten photometrische Bestimmungen dadurch einen Zuwachs, daß jede der 6 Classen der hipparchischen und ptolemäischen Sterngrößen in 3 Unterabtheilungen getheilt wurde; man unterschied kleine, mittlere und große Sterne der zweiten Größe: was an die Versuche zehntheiliger Abstufungen von Struve und Argelander erinnertEinige Handschriften des Almagest deuten auch auf solche Unterabtheilungen oder Zwischenclassen hin, da sie den Größen-Bestimmungen die Wörter μείζων oder ἐλάσσων zufügen (Cod. Paris. No. 2389). Tycho drückte diese Mehrung und Minderung durch Punkte aus.. In den Tafeln von Ulugh Beig wird dieser photometrische Fortschritt, die genauere Bestimmung der Lichthelligkeiten, dem Abdurrahman Sufi zugeschrieben, welcher ein eigenes Werk »von der Kenntniß der Fixen« herausgegeben hatte und zuerst der einen (Magellanischen) Lichtwolke unter dem Namen des Weißen Ochsen erwähnte. Seit der Einführung des telescopischen Sehens und seiner allmäligen Vervollkommnung wurden die Schätzungen der Licht-Abstufung weit über die 6te Classe ausgedehnt. Das Bedürfniß, die im Schwan und im Ophiuchus neu erschienenen Sterne (der erstere blieb 21 Jahre lang leuchtend) in der Zunahme und Abnahme ihres Lichtes mit dem Glanze anderer Sterne zu vergleichen, reizte zu photometrischen Betrachtungen. Die sogenannten dunklen Sterne des Ptolemäus (unter der 6ten Größe) erhielten numerische Benennungen relativer Licht-Intensität. »Astronomen«, sagt Sir John Herschel, »welche an den Gebrauch mächtiger, raumdurchdringender Fernröhre gewöhnt sind, verfolgen abwärts die Reihung 101 der Lichtschwäche von der 8ten bis zur 16ten Größe.«Sir John Herschel, outl. of Astr. p. 520–527. Aber bei so schwachem Lichtglanze sind die Benennungen der Größenclassen theilweise sehr unbestimmt: da Struve bisweilen zur 12ten bis 13ten Größe zählt, was John Herschel 18ter bis 20ter nennt.
Es ist hier nicht der Ort die sehr ungleichartigen Methoden zu prüfen, welche in anderthalb Jahrhunderten: von Auzout und Huygens bis Bouguer und Lambert; von William Herschel, Rumford und Wollaston bis Steinheil und John Herschel; zu Lichtmessungen angewandt worden sind. Es genügt nach dem Zweck dieses Werkes die Methoden übersichtlich zu nennen. Sie waren: Vergleichung mit den Schatten künstlicher Lichter, in Zahl und Entfernung verschieden; Diaphragmen; Plangläser von verschiedener Dicke und Farbe; künstliche Sterne, durch Reflex auf Glaskugeln gebildet; Nebeneinander-Stellung von zwei siebenfüßigen Telescopen, bei denen man fast in einer Secunde von einem zum anderen gelangen konnte; Reflexions-Instrumente, in welchen man zwei zu vergleichende Sterne zugleich sieht: nachdem das Fernrohr vorher so gestellt worden ist, daß der unmittelbar gesehene Stern zwei Bilder von gleicher Intensität gegeben hatDas ist die Anwendung des Spiegelsextanten zur Bestimmung der Lichtstärke der Sterne, dessen ich mich mehr noch als der Diaphragmen, die mir Borda empfohlen hatte, unter den Tropen bedient habe. Ich begann die Arbeit unter dem schönen Himmel von Cumana und setzte sie später in der südlichen Hemisphäre, unter weniger günstigen Verhältnissen, auf der Hochebene der Andes und an dem Südsee-Ufer bei Guayaquil bis 1803 fort. Ich hatte mir eine willkührliche Scale gebildet, in der ich Sirius als den glänzendsten aller Fixsterne = 100 setzte; die Sterne 1ter Größe zwischen 100 und 80, die 2ter Größe zwischen 80 und 60, die 3ter Größe zwischen 60 und 45, die 4ter zwischen 45 und 30, die 5ter zwischen 30 und 20. Ich musterte besonders die Sternbilder des Schiffes und des Kranichs, in denen ich seit La Caille's Zeit Veränderungen zu finden glaubte. Mir schien, nach sorgfältigen Combinationen der Schätzung und andere Sterne als Mittelstufen benutzend, Sirius so viel lichtstärker als Canopus, wie α Centauri lichtstärker ist als Achernar. Meine Zahlen können wegen der oben erwähnten Classification keinesweges unmittelbar mit denen verglichen werden, welche Sir John Herschel schon seit 1838 bekannt gemacht hat. (S. mein Recueil d'Observ. astr. Vol. I. p. LXXI und Relat. hist. du Voy. aux Régions équin. T. I. p. 518 und 624; auch Lettre de Mr. de Humboldt à Mr. Schumacher en Févr. 1839, in den astr. Nachr. No. 374.) In diesem Briefe heißt es: Mr. Arago, qui possède des moyens photométriques entièrement différents de ceux qui ont été publiés jusqu'ici, m'avait rassuré sur la partie des erreurs qui pouvaient provenir du changement d'inclinaison d'un miroir entamé sur la face intérieure. Il blâme d'ailleurs le principe de ma méthode et le regarde comme peu susceptible de perfectionnement, non seulement à cause de la différence des angles entre l'étoile vue directement et celle qui est amenée par réflexion, mais surtout parce que le résultat de la mesure d'intensité dépend de la partie de l'oeil qui se trouve en face de l'oculaire. Il y a erreur lorsque la pupille n'est pas très exactement à la hauteur de la limite inférieure de la portion non entamée du petit miroir.«; Apparate mit einem vor dem Objectiv angebrachten Spiegel und mit Objectiv-Blendungen, deren Drehung auf einem Ringe gemessen wird; Fernröhre mit getheilten Objectiven, deren jede Hälfte das Sternlicht durch ein Prisma erhält; AstrometerVergl. Steinheil, Elemente der Helligkeits-Messungen am Sternenhimmel München 1836 (Schum. astr. Nachr. No. 609) und John Herschel, results of Astronomical Observations made during the years 1834–1838, at the Cape of Good Hope (Lond. 1847), p. 353–357. Mit dem Photometer von Steinheil hat Seidel 1846 die Licht-Quantitäten mehrerer Sterne erster Größe, welche in unseren nördlichen Breiten in hinreichender Höhe erscheinen, zu bestimmen versucht. Er setzt Wega = 1, und findet dann: Sirius 5,13; Rigel, dessen Glanz im Zunehmen sein soll, 1,30; Arcturus 0,84; Capella 0.83; Procyon 0,71; Spica 0,49; Atair 0,40; Aldebaran 0,36; Deneb 0,35; Regulus 0,34; Pollux 0,30. Beteigeuze fehlt, weil er veränderlich ist: wie sich besonders zwischen 1836 und 1839 (outlines p. 523) gezeigt hat., in welchen ein Prisma das Bild des Mondes oder des Jupiter reflectirt, und durch eine Linse in verschiedenen Entfernungen das Bild zu einem lichtvolleren oder lichtschwächeren Stern concentrirt wird. Der geistreiche Astronom, welcher in der 102 neuesten Zeit in beiden Hemisphären sich am eifrigsten mit der numerischen Bestimmung der Lichtstärke beschäftigt hat, Sir John Herschel, gesteht doch nach vollbrachter Arbeit selbst, daß die praktische Anwendung genauer photometrischer Methoden noch immer als »ein Desideratum der Astronomie« betrachtet werden müsse, daß »die Lichtmessung in der Kindheit liege«. Das zunehmende Interesse für die veränderlichen Sterne, und eine neue Himmelsbegebenheit: die außerordentliche Lichtzunahme eines Sternes im Schiffe Argo im Jahre 1837, haben das Bedürfniß sicherer Lichtbestimmungen jetzt mehr als je fühlen lassen.
Es ist wesentlich zu unterscheiden zwischen der bloßen Reihung der Gestirne nach ihrem Glanze, ohne numerische Schätzungen der Intensität des Lichtes (eine solche Reihung enthält Sir John Herschel's wissenschaftliches Handbuch für Seefahrer); und zwischen Classificationen mit zugefügten Zahlen, welche die Intensität unter der Form sogenannter Größen-Verhältnisse oder durch die gewagteren Angaben der Quantitäten des ausgestrahlten Lichtes ausdrücken.Vergl. für die numerischen Fundamente photometrischer Resultate 4 Tafeln von Sir John Herschel in den Cap-Beobachtungen a) p. 341, b) p. 367–371, c) p. 440 und d) in den outlines of Astr. p. 522–525 und 645–646. Für eine bloße Reihung ohne Zahlen s. das Manual of scientific Enquiry prepared for the use of the Navy 1849 p. 12. Um die bisher übliche conventionelle Sprache (die alte Classen-Eintheilung nach Größen) zu vervollkommnen, ist in den outlines of Astronomy p. 645 der vulgar Scale of Magnitudes, die am Ende dieses Abschnittes mit Verbindung der nördlichen und südlichen Sterne eingeschaltet werden soll, eine Scale of photometric Magnitudes beigefügt: bloß durch Addition von 0,41; wie in der Capreise p. 370 umständlicher erklärt wird. Die erste Zahlenreihe: auf Schätzungen mit dem bloßen Auge gegründet, aber durch sinnreiche Bearbeitung des StoffesArgelander, Durchmusterung des nördl. Himmels zwischen 45° und 80° Decl. 1846 S. XXIV–XXVI; Sir John Herschel, Astr. Observ. at the Cape of Good Hope p. 327, 340 und 365. vervollkommnet, verdient unter den approximativen Methoden in dem gegenwärtigen so unvollkommenen Zustande der photometrischen Apparate wahrscheinlich den Vorzug: so sehr auch bei ihr durch die Individualität des Beobachters, die Heiterkeit der Luft, die verschiedene Höhe weit von einander entfernter und nur vermöge vieler Mittelglieder zu vergleichender Sterne, vor allem aber durch die ungleiche Färbung des Lichtes die Genauigkeit der Schätzungen gefährdet wird. Sehr glänzende Sterne erster Größe: 103 Sirius und Canopus, α Centauri und Achernar, Deneb und Wega; sind schon, bei weißem Lichte, weit schwieriger durch Schätzung des bloßen Auges mit einander zu vergleichen als schwächere Sterne unter der 6ten und 7ten Größe. Die Schwierigkeit der Vergleichung nimmt bei Sternen sehr intensiven Lichtes aber noch zu, wenn gelbe Sterne: Procyon, Capella oder Atair, mit röthlichen: wie Aldebaran, Arctur und Beteigeuze, verglichen werden sollen.A. a. O. p. 304 und outl. p. 522.
Mittelst einer photometrischen Vergleichung des Mondes mit dem Doppelsterne α Centauri des südlichen Himmels, dem dritten aller Sterne an Lichtstärke, hat Sir John Herschel es versucht das Verhältniß zwischen der Intensität des Sonnenlichts und dem Lichte eines Sternes 1ter Größe zu bestimmen; es wurde dadurch (wie früher durch Wollaston) ein Wunsch erfüllt, den John MichellPhilos. Transact. Vol. LVII. for the year 1767 p. 234. schon 1767 ausgesprochen hatte. Nach dem Mittel aus 11 Messungen, mit einem prismatischen Apparate veranstaltet, fand Sir John Herschel den Vollmond 27408mal heller als α Centauri. Nun ist nach WollastonWollaston in den Philos. Transact. for 1829 p. 27, Herschel's outlines p. 553. Wollaston's Vergleichung des Sonnen- und Mondlichts ist von 1799 und auf Schatten von Kerzenlicht gegründet, während daß in den Versuchen mit Sirius 1826 und 1827 von einer Glaskugel reflectirte Bilder angewandt wurden. Die früheren Angaben der Intensität der Sonne in Verhältniß zum Monde weichen sehr von dem hier gegebenen Resultate ab. Sie waren bei Michell und Euler aus theoretischen Gründen 450000 und 374000, bei Bouguer nach Messungen von Schatten der Kerzenlichte gar nur 300000. Lambert will, daß Venus in ihrer größten Lichtstärke 3000mal schwächer als der Vollmond sei. Nach Steinheil müßte die Sonne 3286500mal weiter entfernt werden, als sie es jetzt ist, um dem Erdbewohner wie Arctur zu erscheinen (Struve, Stellarum compositarum Mensurae micrometricae p. CLXIII); und Arctur hat nach John Herschel für uns nur die halbe Lichtstärke von Canopus (Herschel, Observ. at the Cape p. 34). Alle diese Intensitäts-Verhältnisse: besonders die wichtige Vergleichung der Lichtstärke von Sonne, Vollmond und dem nach Stellung zur reflectirenden Erde so verschiedenen, aschfarbigen Lichte unseres Trabanten; verdienen eine endliche, viel ernstere Untersuchung. die Sonne 801072mal lichtstärker als der Vollmond; es folgt also daraus, daß das Licht, welches uns die Sonne zusendet, sich zu dem Lichte, das wir von α Centauriempfangen, ohngefähr verhält wie 22000 Millionen zu 1. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, wenn man nach seiner Parallaxe die Entfernung des Sternes in Anschlag bringt, daß dessen innere (absolute) Leuchtkraft die unserer Sonne 23/10 mal übersteigt. Die Helligkeit von Sirius hat Wollaston 20000 Millionen Male schwächer gefunden als die der Sonne. Nach dem, was man jetzt von der Parallaxe des Sirius zu wissen glaubt (0",230), überträfe aber seine wirkliche (absolute) Lichtstärke die der Sonne 104 63mal.Outlines of Astronomy p. 553, Astronomical Observ. at the Cape of Good Hope p. 363. Unsere Sonne gehörte also durch die Intensität ihrer Lichtprocesse zu den schwachen Fixsternen. Sir John Herschel schätzt die Lichtstärke des Sirius gleich dem Lichte von fast zweihundert Sternen 6ter Größe. Da es nach Analogie der schon eingesammelten Erfahrungen sehr wahrscheinlich ist, daß alle Weltkörper, wenn auch nur in sehr langen und ungemessenen Perioden, veränderlich sind im Raume wie in der Lichtstärke; so erscheint, bei der Abhängigkeit alles organischen Lebens von der Temperatur und Lichtstärke der Sonne, die Vervollkommnung der Photometrie wie ein großer und ernster Zweck wissenschaftlicher Untersuchung. Diese Vervollkommnung allein kann die Möglichkeit darbieten künftigen Geschlechtern numerische Bestimmungen zu hinterlassen über den Lichtzustand des Firmaments. Viele geognostische Erscheinungen, welche sich beziehen auf die thermische Geschichte unseres Luftkreises, auf ehemalige Verbreitung von Pflanzen- und Thierarten, werden dadurch erläutert werden. Auch waren solche Betrachtungen schon vor mehr als einem halben Jahrhunderte dem großen Forscher William Herschel nicht entgangen: welcher, ehe noch der enge Zusammenhang von Electricität und Magnetismus entdeckt war, die ewig leuchtenden Wolkenhüllen des Sonnenkörpers mit dem Polarlichte des Erdballes verglich.William Herschel on the Nature of the Sun and Fixed Stars in den Philos. Transact. for 1795 p. 62 und on the Changes that happen to the Fixed Stars in den Philos. Transact. for 1796 p. 186. Vergl. auch Sir John Herschel, Observ. at the Cape p. 350–352.
Das vielversprechendste Mittel directer Messung der Lichtstärke hat Arago in dem Complementar-Zustande der durch Transmission und Reflexion gesehenen Farbenringe erkannt. Ich gebe in einer AnmerkungExtrait d'une Lettre de Mr. Arago à Mr. de Humboldt (mai 1850).
a) Mesures photométriques. »Il n'existe pas de Photomètre proprement dit, c'est-à-dire d'instrument donnant l'intensité d'une lumière isolée; le Photomètre de Leslie, à l'aide duquel il avait en l'audace de vouloir comparer la lumière de la lune à la lumière du soleil, par des actions calorifiques, est complètement défectueux. J'ai prouvé, en effet, que ce prétendu Photomètre monte quand on l'expose à la lumière du soleil, qu'il descend sous l'action de la lumière du feu ordinaire, et qu'il reste complètement stationnaire lorsqu'il reçoit la lumière d'une lampe d'Argand. Tout ce qu'on a pu faire jusqu'ici, c'est de comparer entr'elles deux lumières en présence, et cette comparaison n'est même à l'abri de toute objection que lorsqu'on ramène ces deux lumières à l'égalité par un affaiblissement graduel de la lumière la plus forte. C'est comme criterium de cette égalité que j'ai employé les anneaux colorés. Si on place l'une sur l'autre deux lentilles d'un long foyer, il se forme autour de leur point de contact des anneaux colorés tant par voie de réflexion que par voie de transmission. Les anneaux réfléchis sont complémentaires en couleur des anneaux transmis; ces deux séries d'anneaux se neutralisent mutuellement quand les deux lumières qui les forment et qui arrivent simultanément sur les deux lentilles, sont égales entr'elles.« »Dans le cas contraire on voit des traces ou d'anneaux réfléchis ou d'anneaux transmis, suivant que la lumière qui forme les premiers, est plus forte ou plus faible que la lumière à laquelle on doit les seconds. C'est dans ce sens seulement que les anneaux colorés jouent un rôle dans les mesures de la lumière auxquelles je me suis livré.« b) Cyanomètre. »Mon cyanomètre est une extension de mon polariscope. Ce dernier instrument, comme tu sais, se compose d'un tube fermé à l'une de ses extrémités par une plaque de cristal de roche perpendiculaire à l'axe, de 5 millimètres d'épaisseur: et d'un prisme doué de la double réfraction, placé du côte de l'oeil. Parmi les couleurs variées que donne cet appareil, lorsque de la lumière polarisée le traverse, et qu'on fait tourner le prisme sur lui-même, se trouve par un heureux hasard la nuance du bleu de ciel. Cette couleur bleue fort affaiblie, c'est-à-dire très mélangée de blanc lorsque la lumière est presque neutre, augmente d'intensité – progressivement à mesure que les rayons qui pénètrent dans l'instrument, renferment une plus grande proportion de rayons polarisés.« »Supposons donc que le polariscope soit dirigé sur une feuille de papier blanc; qu'entre cette feuille et la lame de cristal de roche il existe une pile de plaques de verre susceptible de changer d'inclinaison, ce qui rendra la lumière éclairante du papier plus ou moins polarisée la couleur bleue fournie par l'instrument va en augmentant avec l'inclinaison de la pile, et l'on s'arrête lorsque cette couleur paraît la même que celle de la région de l'atmosphère dont on veut déterminer la teinte cyanométrique, et qu'on regarde à l'oeil nu immédiatement à côté de l'instrument. La mesure de cette teinte est donnée par l'inclinaison de la pile. Si cette dernière partie de l'instrument se compose du même nombre de plaques et d'une même espèce de verre, les observations faites dans divers lieux seront parfaitement comparables entr'elles.«
105 Die sogenannten Größen-Verhältnisse der Fixsterne, welche jetzt unsere Cataloge und Sternkarten angeben, führen zum Theil als gleichzeitig auf, was bei den kosmischen Lichtveränderungen sehr verschiedenen Zeiten zugehört. Ein sicheres Kennzeichen solcher Lichtveränderungen ist aber nicht immer, wie lange angenommen worden ist, die Reihenfolge der Buchstaben, welche in der seit dem Anfang des 17ten Jahrhunderts so viel gebrauchten Uranometria Bayeri den Sternen beigefügt sind. Argelander hat glücklich erwiesen, daß man von dem alphabetischen Vorrange nicht auf die relative Helligkeit schließen kann, und daß Bayer in der Wahl der Buchstaben sich von der Gestalt und Richtung der Sternbilder habe leiten lassen.Argelander de fide Uranometriae Bayeri 1842 p. 14–23. »In eadem classe littera prior majorem splendorem nullo modo indicat« (§ 9). Durch Bayer ist demnach gar nicht erwiesen, daß Castor 1603 lichtstärker gewesen sei als Pollux.
136 Photometrische Reihung der Fixsterne.
Ich beschließe diesen zweiten Abschnitt mit einer Tafel, welche den outlines of Astronomy von Sir John Herschel pag. 645 und 646 entnommen ist. Ich verdanke die Zusammenstellung und lichtvolle Erläuterung derselben meinem gelehrten Freunde, Herrn Dr. Galle, und lasse einen Auszug seines an mich gerichteten Briefes (März 1850) hier folgen:
»Die Zahlen der photometric scale in den outlines of Astronomy sind Rechnungs-Resultate aus der vulgar scale, mittelst durchgängiger Addition von 0,41 erhalten. Zu diesen genaueren Größen-Bestimmungen der Sterne ist der Verf. durch beobachtete Reihenfolgen (sequences) ihrer Helligkeit und Verbindung dieser Beobachtungen mit den durchschnittlichen gewöhnlichen Größen-Angaben gelangt (Capreise p. 304–352), wobei insbesondere die Angaben des Catalogs der Astronomical Society vom Jahre 1827 zu Grunde gelegt sind (p. 305). Die eigentlichen photometrischen Messungen mehrerer Sterne mittelst des Astrometers (Capreise p. 353 flgd.) sind bei dieser Tafel nicht unmittelbar benutzt: sondern haben nur im allgemeinen gedient, um zu sehen, wie die gewöhnliche Scale (1, 2, 3te . . . Größe) sich zu den wirklichen Licht-Quantitäten der einzelnen Sterne verhält. Dabei hat sich denn das allerdings merkwürdige Resultat gefunden, daß unsere gewöhnlichen Sterngrößen (1, 2, 3 . . .) ungefähr so abnehmen, wie wenn man einen Stern erster Größe nach und nach in die Entfernungen 1, 2, 3 . . . brächte: wodurch seine Helligkeit nach photometrischem Gesetz die Werthe 1, 1/4, 1/9, 1/16 . . . erlangen würde(Capreise p. 371, 372; outlines p. 521, 522); um aber die Uebereinstimmung noch größer zu machen, sind unsere bisherigen Sterngrößen nur um etwa eine halbe Größe (genauer 0,41) zu erhöhen: so daß ein Stern 2,00ter Größe künftig 2,41ter Größe genannt wird, ein Stern 137 2,5ter Größe künftig 2,91ter Größe u. s. w. Sir John Herschel schlägt daher diese »photometrische« (erhöhte) Scale zur Annahme vor (Capreise p. 372, outl. p. 522): welchem Vorschlage man wohl nur beistimmen kann. Denn einestheils ist der Unterschied von der gewöhnlichen Scale kaum merklich (would hardly be felt, Capreise p. 372); anderntheils kann die Tafel outlines p. 645 flgd. bis zur vierten Größe hinab als Grundlage bereits dienen; und die Größen-Bestimmung der Sterne nach dieser Regel – daß nämlich die Helligkeiten der Sterne 1, 2, 3, 4ter . . . Größe sich genau wie 1, 1/4, 1/9, 1/16 . . . verhalten sollen: was sie näherungsweise schon jetzt thun – ist demnach zum Theil bereits ausführbar. Als Normalstern erster Größe für die photometric scale und als Einheit der Lichtmenge wendet Sir John Herschel α Centauri an (outl. p. 523, Capreise p. 372). Wenn man demnach die photometrische Größe eines Sterns quadrirt, hat man das umgekehrte Verhältniß seiner Lichtmenge zu der von α Centauri. So z. B. hat κ Orionis die photometrische Größe 3, enthält daher 1/9 so viel Licht als α Centauri. Zugleich würde die Zahl 3 anzeigen, daß κ Orionis 3mal weiter von uns entfernt ist als α Centauri, wenn beide Sterne gleich große und gleich helle Körper sind. Bei der Wahl eines anderen Sterns, z. B. des 4fach helleren Sirius, als Einheit der die Entfernungen andeutenden photometrischen Größen würde sich die erwähnte Gesetzmäßigkeit nicht so einfach erkennen lassen. Auch ist es nicht ohne Interesse, daß von α Centauri die Entfernung mit Wahrscheinlichkeit bekannt und daß dieselbe von den bis jetzt untersuchten die kleinste ist. – Die mindere Zweckmäßigkeit anderer Scalen als der photometrischen (welche nach den Quadraten fortschreitet: 1, 1/4, 1/9, 1/16 . . .) behandelt der Verfasser in den outlines p. 521. Er erwähnt daselbst geometrische Progressionen: z. B. 1, 1/2, 1/4, 1/8 . . . oder 1, 1/3, 1/9, 1/27 . . . . Nach Art einer arithmetischen Progression schreiten die von Ihnen in den Beobachtungen unter dem Aequator während Ihrer amerikanischen Expedition gewählten Abstufungen fort (Recueil d'Observ. astron. Vol. I. p. LXXI und Schumacher, astron. Nachr. No. 374). Alle diese Scalen schließen sich der vulgar scale weniger an als die photometrische (quadratische) Progression. – In der beigefügten Tafel sind die 190 Sterne der outlines, ohne Rücksicht auf südliche oder nördliche Declination, nur nach den Größen geordnet.«
Verzeichniß von 190 Sternen erster bis dritter Größe, nach den Bestimmungen von Sir John Herschel geordnet, und mit genauerer Angabe sowohl der gewöhnlichen Größe als der von demselben vorgeschlagenen Eintheilung nach photometrischer Größe.
Sterne erster Größe | ||||||||
Stern | gew. | phot. | Stern | gew. | phot. | |||
Sirius η Argus (Var.) Canopus α Centauri Arcturus Rigel Capella α Lyrae Procyon |
0,08 — 0,29 0,59 0,77 0,82 1,0: 1,0: 1,0: |
0,49 — 0,70 1,00 1,18 1,23 1,4: 1,4: 1,4: |
α Orionis α Eridani Aldebaran β Centauri α Crucis Antares α Aquilae Spica |
1,0: 1,09 1,1: 1,17 1,2 1,2 1,28 1,38 |
1,43 1,50 1,5: 1,58 1,6 1,6 1,69 1,79 |
|||
Sterne zweiter Größe | ||||||||
Stern | gew. | phot. | Stern | gew. | phot. | |||
Formalhaut β Crucis Pollux Regulus α Gruis γ Crucis ε Orionis ε Canis λ Scorpii α Cygni Castor ε Ursae (Var.) α Ursae (Var.) ζ Orionis β Argus α Persei γ Argus ε Argus η Ursae (Var.) γ Orionis |
1,54 1,57 1,6: 1,6: 1,66 1,73 1,84 1,86 1,87 1,90 1,94 1,95 1,96 2,01 2,03 2,07 2,08 2,18 2,18 2,18 |
1,95 1,98 2,0: 2,0: 2,07 2,14 2,25 2,27 2,28 2,31 2,35 2,36 2,37 2,42 2,44 2,48 2,49 2,59 2,59 2,59 |
α Triang. austr. ε Sagittarii β Tauri Polaris ϑ Scorpii α Hydrae δ Canis α Pavonis γ Leonis β Gruis α Arietis σ Sagittarii δ Argus ζ Ursae β Andromedae β Ceti λ Argus β Aurigae γ Andromedae |
2,23 2,26 2,28 2,28 2,29 2,30 2,32 2,33 2,34 2,36 2,40 2,41 2,42 2,43 2,45 2,46 2,46 2,48 2,50 |
2,64 2,67 2,69 2,69 2,70 2,71 2,73 2,74 2,75 2,77 2,81 2.82 2,83 2,84 2,86 2,87 2,87 2,89 2,91 |
|||
Sterne dritter Größe | ||||||||
Stern | gew. | phot. | Stern | gew. | phot. | |||
γ Cassiopeiae α Andromedae ϑ Centauri α Cassiopeiae β Canis κ Orionis γ Geminorum δ Orionis Algol (Var.) ε Pegasi γ Draconis β Leonis α Ophiuchi β Cassiopeiae γ Cygni α Pegasi β Pegasi γ Centauri α Coronae γ Ursae ε Scorpii ζ Argus β Ursae α Phoenicis ι Argus ε Bootis α Lupi ε Centauri η Canis β Aquarii δ Scorpii ε Cygni η Ophiuchi γ Corvi α Cephei η Centauri α Serpentis δ Leonis κ Argus β Corvi β Scorpii ζ Centauri ζ Ophiuchi α Aquarii π Argus γ Aquilae δ Cassiopeiae δ Centauri α Leporis δ Ophiuchi ζ Sagittarii η Bootis η Draconis π Ophiuchi β Draconis β Librae γ Virginis μ Argus β Arietis γ Pegasi δ Sagittarii α Librae λ Sagittarii β Lupi ε Virginis? α Columbae ϑ Aurigae |
2,52 2 54 2,54 2,57 2,58 2,59 2,59 2,61 2,62 2,62 2,62 2,63 2,63 2,63 2,63 2,65 2,65 2,68 2,69 2,71 2,71 2,72 2,77 2,78 2,80 2,80 2,82 2,82 2,85 2,85 2,86 2,88 2 89 2,90 2,90 2,91 2,92 2,94 2,94 2,95 2,96 2,96 2,97 2,97 2,98 2,98 2,99 2,99 3,00 3,00 3,01 3,01 3,02 3,05 3,06 3,07 3,08 3,08 3,09 3,11 3,11 3,12 3,13 3,14 3,14 3,15 3,17 |
2,93 2,95 2,95 2,98 2,99 3,00 3,00 3,02 3,03 3,03 3,03 3,04 3,04 3,04 3,04 3,06 3,06 3,09 3,10 3,12 3,12 3,13 3,18 3.19 3,21 3,21 3,23 3,23 3,26 3,26 3,27 3,29 3,30 3,31 3,31 3,32 3,33 3,35 3,35 3,36 3,37 3,37 3,38 3,38 3,39 3,39 3,40 3,40 3,41 3,41 3,42 3,42 3,43 3,46 3,47 3,48 3,49 3,49 3,50 3,52 3,52 3,53 3,54 3,55 3,55 3,56 3,58 |
β Herculis ι Centauri δ Capricorni δ Corvi α Can. ven. β Ophiuchi δ Cygni ε Persei η Tauri? β Eridani ϑ Argus β Hydri ζ Persei ζ Herculis ε Corvi ι Aurigae γ Urs. min. η Pegasi β Arae α Toucani β Capricorni ρ Argus ζ Aquilae β Cygni γ Persei μ Ursae β Triang. bor. π Scorpii β Leporis γ Lupi δ Persei φ Ursae ε Aurigae (Var.) υ Scorpii ι Orionis γ Lyncis ζ Draconis α Arae π Sagittarii π Herculis β Can. min.? ζ Tauri δ Draconis μ Geminorum γ Bootis ε Geminorum α Muscae α Hydri? τ Scorpii δ Herculis δ Geminorum q Orionis β Cephei ϑ Ursae ζ Hydrae γ Hydrae β Triang. austr. ι Ursae η Aurigae γ Lyrae η Geminorum γ Cephei κ Ursae ε Cassiopeiae ϑ Aquilae σ Scorpii τ Argus |
3,18 3,20 3,20 3,22 3,22 3,23 3,24 3,26 3,26 3,26 3,26 3,27 3,27 3,28 3,28 3,29 3,30 3,31 3,31 3,32 3,32 3,32 3,32 3,33 3,34 3,35 3,35 3,35 3,35 3,36 3,36 3,36 3,37 3,37 3,37 3,39 3,40 3,40 3,40 3,41 3,41 3,42 3,42 3,42 3,43 3,43 3,43 3,44 3,44 3,44 3,44 3,45 3,45 3,45 3,45 3,46 3,46 3,46 3,46 3,47 3,48 3,48 3,49 3,49 3 50 3,50 3.50 |
3,59 3,61 3,61 3,63 3,63 3,64 3,65 3,67 3,67 3,67 3,67 3,68 3,68 3.69 3,69 3,70 3,71 3,72 3,72 3,73 3,73 3,73 3,73 3,74 3,75 3,76 3,76 3,76 3,76 3,77 3,77 3,77 3,78 3,78 3,78 3,80 3,81 3,81 3,81 3,82 3,82 3,83 3,83 3,83 3,84 3,84 3,84 3 85 3,85 3,85 3,85 3,86 3,86 3,86 3.86 3,87 3,87 3,87 3,87 3,88 3,89 3,89 3,90 3,90 3,91 3,91 3,91 |
142 »Noch könnte auch folgende kleine Tafel der Lichtmenge von 17 Sternen erster Größe (wie solche aus den photometrischen Größen folgt) von einigem Interesse sein:
Sirius η Argus Canopus α Centauri Arcturus Rigel Capella α Lyrae Procyon α Orionis α Eridani Aldebaran β Centauri α Crucis Antares α Aquilae Spica |
4.165 — 2,041 1,000 0,718 0,661 0,510 0,510 0,510 0,489 0,444 0,444 0,401 0,391 0,391 0,350 0,312 |
so wie die Lichtmenge derjenigen Sterne, die genau erster, zweiter, . . . sechster Größe sind:
Größe nach der gew. Scale | Lichtmenge | |
1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 6,00 |
0,500 0,172 0,086 0,051 0,034 0,024 |
wobei die Lichtmenge von α Centauri durchgängig die Einheit bildet.«
Zahl, Vertheilung und Farbe der Fixsterne. – Sternhaufen (Sternschwärme). – Milchstraße, mit wenigen Nebelflecken gemengt.
Es ist schon in dem ersten Abschnitt dieser fragmentarischen Astrognosie an eine zuerst von Olbers angeregte BetrachtungKosmos Bd. III. S. 49 und 58, Anm. 1066 und 1067. erinnert worden. Wenn das ganze Himmelsgewölbe mit hinter einander liegenden, zahllosen Sternschichten, wie mit einem allverbreiteten Sternteppich, bedeckt wäre; so würde bei ungeschwächtem Lichte im Durchgange durch den Weltraum die Sonne nur durch ihre Flecke, der Mond als eine dunklere Scheibe, aber kein einzelnes Sternbild der allgemeinen Helligkeit wegen erkennbar sein. An einen in Hinsicht auf die Ursach der Erscheinung ganz entgegengesetzten, aber dem menschlichen Wissen gleich nachtheiligen Zustand des Himmelsgewölbes bin ich vorzugsweise in der peruanischen Ebene zwischen der Südsee-Küste und der Andeskette lebhaft erinnert worden. Ein dichter Nebel bedeckt dort mehrere Monate lang das Firmament. Man nennt diese Jahreszeit .el tiempo de la garua. Kein Planet, keiner der schönsten Sterne der südlichen Hemisphäre: nicht Canopus oder das Kreuz oder die Füße des Centauren, sind sichtbar. Man erräth oft kaum den Ort des Mondes. Ist zufällig bei Tage einmal der Umriß der Sonnenscheibe zu erkennen, so erscheint dieselbe 144 strahlenlos wie durch gefärbte Blendgläser gesehen: gewöhnlich gelbroth, bisweilen weiß, am seltensten blaugrün. Der Schiffer, von den kalten Südströmungen des Meeres getrieben, verkennt dann die Küste: und segelt, aller Breiten-Beobachtungen entbehrend, bei den Häfen vorüber, in welche er einlaufen soll. Eine Inclinations-Nadel alleinA. a. O. Bd. I. S. 185 und 428 Anm. 144. könnte ihn, bei der dortigen Richtung der magnetischen Curven, vor Irrthum bewahren: wie ich an einem anderen Orte gezeigt habe.
Bouguer und sein Mitarbeiter Don Jorge Juan haben lange vor mir über »Peru's unastronomischen Himmel« Klage geführt. Eine ernstere Betrachtung knüpft sich noch an diese lichtraubende, jeder electrischen Entladung unfähige, blitz- und donnerlose Dunstschicht an, über welche frei und unbewölkt die Cordilleren ihre Hochebenen und schneebedeckten Gipfel erheben. Nach dem, was uns die neuere Geologie über die alte Geschichte unseres Luftkreises vermuthen läßt, muß sein primitiver Zustand in Mischung und Dichte dem Durchgange des Lichts nicht günstig gewesen sein. Wenn man nun der vielfachen Processe gedenkt, welche in der Urwelt die Scheidung des Festen, des Flüssigen und Gasförmigen um die Erdrinde mögen bewirkt haben; so kann man sich nicht des Gedankens erwehren, wie nahe die Menschheit der Gefahr gewesen ist, von einer undurchsichtigeren, manchen Gruppen der Vegetation wenig hinderlichen, aber die ganze Sternendecke verhüllenden Atmosphäre umgeben zu sein. Alle Kenntniß des Weltbaues wäre dann dem Forschungsgeiste entzogen geblieben. Außer uns schiene nichts Geschaffenes vorhanden zu sein als vielleicht Mond und Sonne. Wie ein isolirtes Dreigestirn, würden scheinbar Sonne, Mond und 145 Erde allein den Weltraum füllen. Eines großartigen, ja des erhabensten Theils seiner Ideen über den Kosmos beraubt, würde der Mensch aller der Anregungen entbehren, die ihn zur Lösung wichtiger Probleme seit Jahrtausenden unablässig geleitet und einen so wohlthätigen Einfluß auf die glänzendsten Fortschritte in den höheren Kreisen mathematischer Gedankenentwickelung ausgeübt haben. Ehe zur Aufzählung dessen übergegangen wird, was bereits errungen worden ist; gedenkt man gern der Gefahr, der die geistige Ausbildung unseres Geschlechts entgangen ist, der physischen Hindernisse, welche dieselbe unabwendbar hätten beschränken können.
In der Betrachtung der Zahl der Weltkörper, welche die Himmelsräume füllen, sind drei Fragen zu unterscheiden: wie viel Fixsterne werden mit bloßen Augen gesehen? wie viele von diesen sind allmälig mit ihren Ortsbestimmungen (nach Länge und Breite, oder nach ihrer geraden Aufsteigung und Abweichung) in Verzeichnisse gebracht? welches ist die Zahl der Sterne von erster bis neunter und zehnter Größe, die durch Fernröhre am ganzen Himmel gesehen werden? Diese drei Fragen können, nach dem jetzt vorliegenden Material der Beobachtung, wenigstens annäherungsweise beantwortet werden. Anderer Art sind die bloßen Vermuthungen, welche, auf Stern-Aichungen einzelner Theile der Milchstraße gegründet, die theoretische Lösung der Frage berühren: wie viel Sterne würden durch Herschel's 20-füßiges Telescop am ganzen Himmel unterschieden werden? das Sternenlicht mit eingerechnet, von dem man glaubtOn the space-penetrating power of telescopes in Sir John Herschel, outlines of Astr. § 803., »daß es 2000 Jahre braucht, um zu uns zu gelangen«.
Die numerischen Angaben, welche ich über diesen Gegenstand hier veröffentliche, gehören besonders in den 146 Endresultaten meinem verehrten Freunde Argelander, Director der Sternwarte zu Bonn. Ich habe den Verfasser der »Durchmusterung des nördlichen Himmels« aufgefordert die bisherigen Ergebnisse der Sterncataloge von neuem aufmerksam zu prüfen. Die Sichtbarkeit der Sterne mit bloßen Augen erregt in der letzten Classe bei organischer Verschiedenheit der individuellen Schätzungen mancherlei Ungewißheit, weil Sterne 6 . 7ter Größe sich unter die 6ter Größe gemengt finden. Als Mittelzahl erhält man, durch vielfache Combinationen, 5000 bis 5800 für die dem unbewaffneten Auge am ganzen Himmel sichtbaren Sterne. Die Vertheilung der Fixsterne nach Verschiedenheit der Größen bestimmt ArgelanderIch kann nicht versuchen in Eine Anmerkung alle Gründe zusammenzudrängen, auf welche sich Argelander's Ansichten stützen. Es wird hinlänglich sein aus seinen freundschaftlichen Briefen an mich hier folgendes mitzutheilen: »Sie haben in früheren Jahren (1843) den Hauptmann Schwinck aufgefordert, nach Maaßgabe der auf seine Mappa coelestis aufgetragenen Sterne die Zahl derer zu schätzen, welche 1ter bis 7ter Größe (letztere eingeschlossen) das ganze Himmelsgewölbe zu enthalten scheint. Er findet von -30° bis +90° nördlicher Abweichung 12148 Sterne; folglich, in der Voraussetzung, daß die Anhäufung vom 30° südlicher Abweichung bis zum Südpol dieselbe sei, am ganzen Firmament 16200 Sterne von den eben genannten Größen. Diese Schätzung scheint auch mir der Wahrheit sehr nahe zu kommen. Es ist bekannt, daß, wenn man nur die ganze Masse betrachtet, jede folgende Classe ungefähr dreimal so viel Sterne enthält als die vorhergehende (Struve. Catalogus Stellarum duplicium p. XXXIV; Argelander, Bonner Zonen S. XXVI). Nun habe ich nördlich von dem Aequator in meiner Uranometrie 1441 Sterne 6m: woraus für den ganzen Himmel etwa 3000 folgen würden; hierin sind aber die Sterne 6 . 7m nicht einbegriffen: welche man, wenn nur ganze Classen gezählt werden, noch zu der 6ten Classe rechnen müßte. Ich glaube, daß man diese zu 1000 annehmen könne: so daß man 4000 Sterne 6m hätte; und also nach der obigen Regel 12000 Sterne 7m, oder 18000 Sterne von 1m bis 7m incl. Etwas näher komme ich durch andere Betrachtungen über die Zahl der Sterne 7m, welche ich in meinen Zonen verzeichnet habe: nämlich 2251 (pag. XXVI), bei Berücksichtigung der darunter doppelt oder mehrfach beobachteten und der wahrscheinlich übersehenen. Ich finde auf diesem Wege zwischen 45° und 80° nördlicher Decl. 2340 Sterne 7m, und daraus für den ganzen Himmel gegen 17000 Sterne. – Struve giebt in der description de l'Observatoire de Poulkova p. 268 die Zahl der Sterne bis 7m in der von ihm durchmusterten Himmelsgegend (von -15° zu +90°) zu 13400 an, woraus für den ganzen Himmel 21300 folgen würden. Nach der Einleitung zu Weiße's Catal. e zonis Regiomontanis ded. p. XXXII findet Struve in dem Gürtel von -15° bis +15° nach einer Wahrscheinlichkeits-Rechnung 3903 Sterne 1m – 7m, also am ganzen Himmel 15050. Die Zahl ist geringer, weil Bessel die helleren Sterne um fast eine halbe Größe geringer schätzte als ich. Es ist hier nur ein Mittelwerth zu erhalten, und dieser würde also wohl 18000 von 1m – 7m incl. sein. Sir John Herschel spricht in der Stelle der outlines of Astronomy p. 521, an die Sie mich erinnern, nur von bereits eingetragenen Sternen: »the whole number of stars already registered down to the seventh magnitude, inclusive, amounting to from 12000 to 15000.« Was die schwächeren Sterne 8m und 9m betrifft, so findet Struve in dem oben bezeichneten Gürtel von -15° bis +15°: Sterne 8ter Größe 10557, Sterne 9ter Größe 37739; folglich für den ganzen Himmel 40800 Sterne 8m und 145800 Sterne 9m. Wir hätten also nach Struve von 1ter bis 9ter Größe incl. 15100 + 40800 + 145800 = 201700 Sterne. Diese Zahlen hat Struve gefunden, indem er diejenigen Zonen oder Theile von Zonen, welche dieselben Himmelsgegenden umfaßten, sorgfältig verglich, und aus der Zahl der in denselben gemeinschaftlichen und der in jeder verschiedenen Sterne nach der Wahrscheinlichkeits-Rechnung auf die Zahl der wirklich vorhandenen Sterne schloß. Da hierbei eine große Zahl von Sternen concurrirt hat, so verdient diese Rechnung sehr viel Vertrauen. – Bessel hat in seinen sämmtlichen Zonen zwischen -15° und +45°, nach Abzug der doppelt oder mehrfach beobachteten und der Sterne 9 . 10m, etwa 61000 verschiedene Sterne 1m bis 9m incl. verzeichnet: woraus, mit Berücksichtigung der nach der Wahrscheinlichkeit übersehenen, etwa 101500 der genannten Größen in diesem Theile des Himmels folgen würden. Meine Zonen enthalten zwischen -45° und +80° etwa 22000 verschiedene Sterne (Durchmusterung des nördl. Himmels S. XXV); davon müssen aber etwa 3000 von 9 . 10m abgezogen werden: bleiben 19000. Meine Zonen sind etwas reicher als die Bessel'schen, und ich glaube daher in ihren Grenzen (-45° und +80°) überhaupt nicht mehr als 28500 wirklich existirende Sterne annehmen zu können: so daß wir also 130000 Sterne bis zu 9m incl. zwischen -15° und +80° hätten. Dies ist aber 0,62181 des ganzen Himmels; und wir fänden bei gleichmäßiger Vertheilung am ganzen Firmament 209000 Sterne, also wieder nahe dieselbe Zahl wie nach Struve: vielleicht selbst eine nicht unbedeutend größere, da Struve die Sterne 9 . 10mzu den Sternen 9m gerechnet hat. – Die Zahlen, die wir nach meiner Ansicht für den ganzen Himmel annehmen können, wären also: 1m 20, 2m 65, 3m 190, 4m 425, 5m 1100, 6m 3200, 7m 13000, 8m 40000, 9m 142000; zusammen von 1ter bis 9ter Größe incl. 200000 Sterne. – Wenn Sie mir einwerfen, daß Lalande (Hist. céleste p. IV) die Zahl der von ihm beobachteten mit bloßen Augen sichtbaren Sterne zu 6000 angiebt; so bemerke ich hierauf, daß darunter sehr viele doppelt und mehrfach beobachtete vorkommen: und daß man nach Weglassung dieser zu der Zahl von nur ungefähr 3800 Sternen in dem zwischen -26° 30' und +90° liegenden Theile des Himmels, welchen Lalande's Beobachtungen umfassen, gelangt. Da dieses 0,72310 des ganzen Himmels ist, so würden sich für diesen wieder 5255 mit bloßen Augen sichtbare Sterne ergeben. Eine Durchmusterung der aus sehr heterogenen Elementen zusammengesetzten Uranographie von Bode (17240 Sterne) giebt nach Abzug der Nebelflecke und kleineren Sterne, so wie der zu 6ter Größe erhobenen Sterne 6 . 7ter Größe nicht über 5600 von 1m bis 6m incl. Eine ähnliche Schätzung nach den von La Caille zwischen dem Südpol und dem Wendekreise des Steinbocks verzeichneten Sterne 1m bis 6m reducirt sich für den ganzen Himmel, in zwei Grenzen von 3960 und 5900, wieder auf die Ihnen früher gegebenen mittleren Resultate. Sie sehen, daß ich mich gern bestrebt habe Ihren Wunsch einer gründlicheren Untersuchung der Zahlen zu erfüllen. Ich darf hinzufügen, daß Herr Oberlehrer Heis in Aachen seit mehreren Jahren mit einer überaus sorgfältigen Umarbeitung meiner Uranometrie beschäftigt ist. Nach dem, was von dieser Arbeit bereits vollendet worden, und nach den beträchtlichen Vermehrungen meiner Uranometrie, welche ein mit schärferem Sehorgan begabter Beobachter erlangt hat, finde ich für die nördliche Halbkugel des Himmels 2836 Sterne 1m bis 6m incl.; also, bei der Voraussetzung gleicher Vertheilung, für das ganze Firmament wieder 5672 dem schärfsten unbewaffneten Auge sichtbare Sterne.« (Aus Handschriften von Prof. Argelander, März 1850.), bis zur 9ten Größe hinabsteigend, ohngefähr in folgendem Verhältniß:
1te Gr. 20 |
2te Gr. 65 |
3te Gr. 190 |
4te Gr. 425 |
5te Gr. 1100 |
6te Gr. 3200 |
7te Gr. 13000 |
8te Gr. 40000 |
9te Gr. 142000 |
Die Zahl der dem unbewaffneten Auge deutlich erkennbaren Sternenmenge (über dem Horizont von Berlin 4022, über dem von Alexandrien 4638) scheint auf den ersten Blick auffallend gering.Schubert rechnet Sterne bis zur 6ten Größe am ganzen Himmel 7000 (fast wie ich ehemals im Kosmos Bd. I. S. 156) und für den Horizont von Paris über 5000; in der ganzen Sphäre bis zur 9ten Größe 70000 (Astronomie Th. III. S. 54). Alle diese Angaben sind beträchtlich zu hoch. Argelander findet von 1m bis 8m nur 58000. Wenn man den mittleren Mond-Halbmesser zu 15' 33",5 annimmt, so bedecken 195291 Vollmond-Flächen den ganzen Himmel. Bei der Annahme gleichmäßiger Vertheilung und der runden Zahl von 200000 Sternen aus den Classen 1ter bis 9ter Größe findet man demnach ohngefähr einen dieser Sterne für eine Vollmond-Fläche. Eben dies Resultat erklärt aber auch, wie unter einer bestimmten Breite der Mond nicht häufiger dem bloßen Auge sichtbare Sterne bedeckt. Wollte man die 147 Vorausberechnung der Sternbedeckungen bis zur 9ten Größe ausdehnen, so würde durchschnittlich nach Galle alle 44' 30" eine Sternbedeckung eintreffen; denn in dieser Zeit bestreicht der Mond jedesmal eine neue Fläche am Himmel, die seiner eigenen Fläche gleich ist. Sonderbar, daß Plinius: der gewiß Hipparchs Sternverzeichniß kannte, und der es ein kühnes Unternehmen nennt, »daß Hipparch der Nachwelt den Himmel wie zur Erbschaft hinterlassen wollte«, an dem schönen italischen Himmel nur erst 1600 sichtbare Sterne zählte!»Patrocinatur vastitas caeli, immensa discreta altitudine in duo atque septuaginta signa. Haec sunt rerum et animantium effigies, in quas digessere caelum periti. In his quidem mille sexcentas adnotavere stellas, insignes videlicet effectu visuve . . . .« Plin. II, 41. – »Hipparchus nunquam satis laudatus, ut quo nemo magis approbaverit cognationem cum homine siderum animasque nostras parcem esse caeli, novam stellam et aliam in aevo suo genitam deprehendit, ejusque motu, qua die fulsit, ad dubitationem est adductus, anne hoc saepius fieret moverenturque et eae quas putamus affixas; itemque ausus rem etiam Deo improbam, adnumerare posteris stellas ac sidera ad nomen expungere, organis excogitatis, per quae singularum loca atque magnitudines signaret, ut facile discerni posset ex eo, nonmodo an obirent nascerenturve, sed an omnino aliqua transirent moverenturve, item an crescerent minuerenturque, caelo in hereditate cunctis relicto, si quisquam qui cretionem eam caperet inventus esset.« Plin. II, 26. Er war jedoch in dieser Schätzung schon tief zu den Sternen fünfter Größe herabgestiegen, während ein halbes Jahrhundert später Ptolemäus nur 1025 Sterne bis zu der 6ten Classe verzeichnete.
Seitdem man die Fixsterne nicht mehr bloß nach den Sternbildern aufzählte, denen sie angehörten: sondern sie nach ihren Beziehungen auf die großen Kreise des Aequators oder der Ekliptik, also nach Ortsbestimmungen, in Verzeichnisse eingetragen hat; ist der Zuwachs dieser Verzeichnisse wie ihre Genauigkeit von den Fortschritten der Wissenschaft und der Vervollkommnung der Instrumente abhängig gewesen. Von Timocharis und Aristyllus (283 vor Chr.) ist kein Sterncatalog auf uns gekommen; aber wenn sie auch, wie Hipparch in seinem, im siebenten Buche des Almagest (cap. 3 pag. 15 Halma) citirten Fragmente »über die Jahreslänge« sich ausdrückt, ihre Beobachtungen sehr roh (πάνυ ὀλοσχερῶς) anstellten: so kann doch kein Zweifel sein, daß beide die Abweichung vieler Sterne bestimmten und daß diese Bestimmungen der Fixstern-Tafel Hipparchs um fast anderthalb Jahrhunderte vorhergingen. Hipparch soll bekanntlich (wir haben aber für diese Thatsache das alleinige 148 Zeugniß des Plinius) durch die Erscheinung eines neuen Sternes zu Ortsbestimmungen und Durchmusterung des ganzen Firmaments angeregt worden sein. Ein solches Zeugniß ist mehrmals für den Nachhall einer spät erdichteten Sage erklärtDelambre, Hist. de l'Astr. ancienne T. I. p. 290 und Hist. de l'Astr. moderne T. II. p. 186. worden. Es muß allerdings auffallen, daß Ptolemäus derselben gar nicht erwähnt; aber unläugbar ist es doch, daß die plötzliche Erscheinung eines hellleuchtenden Sternes in der Cassiopeja (November 1572) Tycho zu seiner großen Catalogisirung der Sterne veranlaßte. Nach einer scharfsinnigen Vermuthung von Sir John HerschelOutlines § 831; Édouard Biot sur les étoiles extraordinaires observées en Chine, in der Connaissance des temps pour 1846. könnte ein 134 Jahre vor unserer Zeitrechnung im Monat Julius (laut den chinesischen Annalen unter der Regierung von Wou-ti aus der Han-Dynastie) im Scorpion erschienener neuer Stern wohl der sein, dessen Plinius erwähnt hat. Seine Erscheinung fällt gerade 6 Jahre vor die Epoche, zu der (nach Ideler's Untersuchungen) Hipparch sein Sternverzeichniß anfertigte. Der den Wissenschaften so früh entrissene Eduard Biot hat diese Himmelsbegebenheit in der berühmten Sammlung des Ma-tuan-lin aufgefunden, welche alle Erscheinungen der Cometen und sonderbaren Sterne zwischen den Jahren 613 vor Chr. und 1222 nach Chr. enthält.
Das dreitheilige Lehrgedicht des AratusAratus hat das seltene Geschick gehabt, fast zugleich von Ovidius (Amor. I, 15) und vom Apostel Paulus zu Athen, in einer ernsteren, gegen die Epikuräer und Stoiker gerichteten Rede, gepriesen zu werden. Paulus (Apostelgeschichte cap. 17 v. 28) nennt zwar nicht den Namen selbst, erwähnt aber unverkennbar eines Verses aus dem Aratus (Phaen. v. 5) über die innige Gemeinschaft des Sterblichen mit der Gottheit.: dem wir die einzige Schrift des Hipparch verdanken, welche auf uns gekommen ist, fällt ohngefähr in die Zeit des Eratosthenes, des Timocharis und Aristyllus. Der astronomische, nicht meteorologische Theil des Gedichts gründet sich auf die Himmelsbeschreibung des cnidischen Eudoxus. Die Sterntafel des Hipparch selbst ist uns leider nicht erhalten; sie machte nach IdelerIdeler, Untersuchungen über den Ursprung der Sternnamen S. XXX–XXXV. Von den Jahren unserer Zeitrechnung, an welche die Beobachtungen des Aristyllus wie die Sterntafeln des Hipparchus (128, nicht 140, vor Chr.) und Ptolemäus (138 nach Chr.) zu knüpfen sind, handelt auch Baily in den Memoirs of the Astron. Soc. Vol. XIII. 1743 p. 12 und 15. wahrscheinlich den wesentlichsten Bestandtheil seines von Suidas citirten Werkes über die 149 Anordnung des Fixsternhimmels und die Gestirne aus, und enthielt 1080 Positionen für das Jahr 128 vor unserer Zeitrechnung. In Hipparch's Commentar zum Aratus sind alle Positionen, wahrscheinlich mehr durch die Aequatorial-Armille als durch das Astrolabium bestimmt, auf den Aequator nach Rectascension und Abweichung bezogen; in dem Sternverzeichniß des Ptolemäus, das man ganz dem Hipparchus nachgebildet glaubt und das mit 5 sogenannten Nebeln 1025 Sterne enthält, sind sie an die EkliptikVergl. Delambre, Hist. de l'Astr. anc. T. I. p. 184, T. II. p. 260. Die Behauptung, daß, wenn auch Hipparch immer die Sterne nach ihrer Geradaufsteigung und Declination bezeichnet habe, doch sein Sterncatalog wie der des Ptolemäus nach Längen und Breiten geordnet gewesen sei; hat wenig Wahrscheinlichkeit, und steht im Widerspruch mit Almagest Buch VII cap. 4, wo die Beziehungen auf die Ekliptik als etwas neues, die Kenntniß der Bewegung der Fixsterne um die Pole der Ekliptik erleichterndes dargestellt werden. Die Sterntafel mit beigesetzten Längen, welche Petrus Victorius in einem mediceischen Codex gefunden und mit dem Leben des Aratus zu Florenz 1567 herausgegeben, wird von diesem allerdings dem Hipparch zugeschrieben: aber ohne Beweis. Sie scheint eine bloße Abschrift des Ptolemäischen Verzeichnisses aus einer alten Handschrift des Almagest, mit Vernachlässigung aller Breiten. Da Ptolemäus eine unvollkommene Kenntniß von der Quantität des Zurückweichens der Aequinoctial- und Solstitial-Punkte hatte (Almag. VII cap. 2 p. 13 Halma) und dieselbe ohngefähr um 28/100 zu langsam annahm, so stellt sein Verzeichniß (Ideler a. a. O. S. XXXIV), das er für den Anfang der Regierung Antonius bestimmte, die Oerter der Sterne für eine viel frühere Epoche (für das Jahr 63 nach Chr.) dar. (Vergl. auch über die Erleichterung der Reduction neuerer Stern-Positionen auf Hipparchs Zeit Betrachtungen und erleichternde Tafeln von Encke in Schumacher's astron. Nachr. No. 608 S. 113–126.) Die frühere Epoche, für die das Ptolemäische Sternverzeichniß, seinem Verfasser unbewußt, das Firmament darstellt, fällt übrigens sehr wahrscheinlich mit der Epoche zusammen, in welche man die Catasterismen des Pseudo-Eratosthenes versetzen kann: welche, wie ich schon an einem anderen Orte bemerkt habe, später als der Augusteische Hygin sind, aus ihm geschöpft scheinen und dem Gedichte Hermes des ächten Eratosthenes fremd bleiben (Eratosthenica, composuit God. Bernhardy 1822 p. 114, 116 und 129). Diese Catasterismen des Pseudo-Eratosthenes enthalten übrigens kaum 700 einzelne Sterne unter die mythischen Constellationen vertheilt. nach Angaben von Längen und Breiten geknüpft. Wenn man die Zahl der Fixsterne des Hipparch-Ptolemäischen Verzeichnisses (Almagest ed. Halma T. II. p. 83):
1te Gr. 15 |
2te Gr. 45 |
3te Gr. 208 |
4te Gr. 474 |
5te Gr. 217 |
6te Gr. 49 |
mit den oben gegebenen Zahlen von Argelander vergleicht, so zeigt sich neben der zu erwartenden Vernachlässigung von Sternen 5ter und 6ter Größe ein sonderbarer Reichthum in den Classen 3ter und 4ter. Die Unbestimmtheit in den Schätzungen der Lichtstärke in älterer und neuerer Zeit macht freilich jede unmittelbare Vergleichung unsicher.
Wenn das sogenannte Ptolemäische Fixstern-Verzeichniß nur den 4ten Theil der in Rhodus und Alexandrien dem bloßen Auge sichtbaren Sterne enthält, und wegen der fehlerhaften Präcessions-Reduction Positionen darbietet, als wären sie im Jahr 63 unserer Zeitrechnung bestimmt; so haben wir in den unmittelbar folgenden 16 Jahrhunderten nur drei für ihre Zeit vollständige und originelle Sterncataloge: den des Ulugh Beg (1437), des 150 Tycho (1600) und des Hevelius (1660). Mitten unter den Verheerungen des Krieges und wilder Staatsumwälzungen gelangte in kurzen Zwischenräumen der Ruhe von der Mitte des 9ten bis zu der des 15ten Jahrhunderts, unter Arabern, Persern und Mongolen: von Al-Mamun, dem Sohn des großen Harun Al-Raschid, bis zu dem Timuriden Mohammed Taraghi Ulugh Beg, dem Sohne von Schah Rokh, die beobachtende Sternkunde zu einem nie gesehenen Flor. Die astronomischen Tafeln von Ebn-Junis (1007), zur Ehre des fatimitischen Chalifen Aziz Ben-Hakem Biamrilla die Hakemitischen genannt, bezeugen, wie die ilkhanischen TafelnKosmos Bd. II. S. 260 und 253. Von den ilkhanischen Tafeln besitzt die Pariser Bibliothek ein Manuscript von der Hand des Sohnes von Naßir-Eddin. Sie führen ihren Namen von dem Titel Ilkhan, welchen die in Persien herrschenden tartarischen Fürsten angenommen hatten. Reinaud, Introd. de la Géogr. d'Aboulféda 1848 p. CXXXIX. des Naßir-Eddin Tusi, des Erbauers der großen Sternwarte von Meragha unweit Tauris (1259), die fortgeschrittene Kenntniß der Planeten-Bewegungen, die Vervollkommnung der Meßinstrumente und die Vervielfältigung genauerer, von den Ptolemäischen abweichender Methoden. Neben der Klepsydra wurden nun auch schon Pendel-OscillationenSédillot fils, Prolégomènes des Tables astr. d'Oloug-Beg 1847 p. CXXXIV note 2; Delambre, Hist. de l'Astr. du moyen âge p. 8. als Zeitmaaß gebraucht.
Die Araber haben das große Verdienst gehabt zu zeigen, wie durch Vergleichung der Tafeln mit den Beobachtungen jene allmälig verbessert werden können. Der Sterncatalog von Ulugh Beig, ursprünglich persisch geschrieben, ist: einen Theil der südlichen, unter 39° 52' Breite (?) nicht sichtbarenIn meinen Untersuchungen über den relativen Werth der astronomischen Ortsbestimmungen von Inner-Asien (Asie centrale T. III. p. 581–596) habe ich nach den verschiedenen arabischen und persischen Handschriften der Pariser Bibliothek die Breiten von Samarkand und Bokhara angegeben. Ich habe wahrscheinlich gemacht, daß die erstere größer als 39° 52' ist, während die meisten und besseren Handschriften von Ulugh Beig 39° 37', ja das Kitab al-athual von Alfares und der Kanun des Albyruni 40° haben. Ich glaube von neuem darauf aufmerksam machen zu müssen, wie wichtig es für die Geographie und für die Geschichte der Astronomie wäre endlich einmal die Position von Samarkand in Länge und Breite durch eine neue und glaubwürdige Beobachtung bestimmen zu lassen. Die Breite von Bokhara kennen wir durch Stern-Culminationen aus der Reise von Burnes. Sie gaben 39° 43' 41". Die Fehler der zwei schönen persischen und arabischen Handschriften (No. 164 und 2460) der Pariser Bibliothek sind also nur 7–8 Minuten; aber der immer in seinen Combinationen so glückliche Major Rennell hatte sich für Bokhara um 19' geirrt. (Humboldt, Asie centrale T. III. p. 592 und Sédillot in den Prolégomènes d'Oloug-Beg p. CXXIII–CXXV.), Ptolemäischen Sterne abgerechnet, im Gymnasium zu Samarkand nach Original-Beobachtungen angefertigt. Er enthält ebenfalls nur erst 1019 Stern-Positionen: die auf das Jahr 1437 reducirt sind. Ein späterer Commentar liefert 300 Sterne mehr, welche Abu-Bekri Altizini 1533 beobachtete. So gelangen wir durch 151 Araber, Perser und Mongolen bis zu der großen Zeit des Copernicus, fast bis zu der von Tycho.
Die erweiterte Schifffahrt in den Meeren zwischen den Wendekreisen und in großen südlichen Breiten hat seit dem Anfang des 16ten Jahrhunderts auf die allmälig erweiterte Kenntniß des Firmaments mächtig, doch in geringerem Maaße wie die ein Jahrhundert spätere Anwendung der Fernröhre, gewirkt. Beide Mittel eröffneten neue, unbekannte Welträume. Was von der Pracht des südlichen Himmels zuerst von Amerigo Vespucci, dann von Magellan's und Elcano's Begleiter Pigafetta verbreitet wurde; wie die schwarzen Flecken (Kohlensäcke) von Vicente Yañez Pinzon und Acosta, wie die Magellanischen Wolken von Anghiera und Andrea Corsali beschrieben wurden: habe ich bereits an einem anderen Orte entwickelt.Kosmos Bd. II. S. 327–332 und 485 Anm. 888–891; Humboldt, Examen crit. de l'histoire de la Géogr. T. IV. p. 321–336, T. V. p. 226–238. Die beschauende Astronomie ging auch hier der messenden voraus. Der Reichthum des Firmaments dem, wie allgemein bekannt, sternarmen Südpol nahe wurde dergestalt übertrieben, daß der geniale Polyhistor Cardanus dort 10000 helle Sterne angiebt, die von Vespucci mit bloßen Augen gesehen worden wären.Cardani Paralipomenon lib. VIII cap. 10 (Operum T. IX ed. Lugd. 1663 p. 508). Erst Friedrich Houtman und Petrus Theodori von Emden (der nach Olbers mit Dircksz Keyser Eine Person war) traten als ernste Beobachter auf. Sie maßen Sternabstände auf Java und Sumatra; und die südlichsten Sterne wurden nun in die Himmelskarten von Bartsch, Hondius und Bayer, wie durch Kepler's Fleiß in den Rudolphinischen Sterncatalog von Tycho eingetragen.
Kaum ein halbes Jahrhundert nach Magellan's Erdumseglung beginnt Tycho's bewundernswürdige Arbeit über die Position der Fixsterne: an Genauigkeit alles übertreffend, 152 was die praktische Astronomie bisher geleistet hatte, selbst die fleißigen Fixstern-Beobachtungen des Landgrafen Wilhelms IV zu Cassel. Tycho's Catalog, von Kepler bearbeitet und herausgegeben, enthält doch wieder nur 1000 Sterne: worunter höchstens ¼ sechster Größe. Dieses Verzeichniß und das weniger gebrauchte des Hevelius, mit 1564 Ortsbestimmungen für das Jahr 1660, sind die letzten, welche (wegen der eigensinnigen Abneigung des Danziger Astronomen gegen die Anwendung der Fernröhre zu Messungen) mit dem unbewaffneten Auge hergestellt wurden.
Diese Verbindung des Fernrohrs mit den Meßinstrumenten, das telescopische Sehen und Messen, bot endlich die Möglichkeit von Ortsbestimmung der Sterne unter der 6ten Größe (besonders zwischen der 7ten und 12ten) dar. Die Astronomen wurden nun erst dem eigentlichen Besitz der Fixsternwelt näher gebracht. Zählungen und Ortsbestimmungen der schwächeren, telescopischen Sterne haben aber nicht etwa bloß den Vortheil gewährt, durch Erweiterung des Horizonts der Beobachtung mehr von dem Inhalt des Weltraumes erkennbar zu machen; sie haben auch, was noch wichtiger ist, mittelbar einen wesentlichen Einfluß auf die Kenntniß des Weltgebäudes und seiner Gestaltung, auf die Entdeckung neuer Planeten, auf die schnellere Bestimmung ihrer Bahnen ausgeübt. Als Wilhelm Herschel den glücklichen Gedanken hatte gleichsam das Senkblei in die Tiefen des Himmels zu werfen und in seinen Stern-AichungenKosmos Bd. I. S. 90–93. die Sterne zu zählen, welche nach verschiedenen Abständen von der Milchstraße durch das Gesichtsfeld seines großen Telescopes gingen; wurde das Gesetz der mit der Nähe der Milchstraße zunehmenden Sternenmenge 153 aufgefunden: und mit diesem Gesetz die Idee angeregt von der Existenz großer concentrischer, mit Millionen von Sternen erfüllter Ringe, welche die mehrfach getheilte Galaxis bilden. Die Kenntniß von der Zahl und gegenseitigen Lage der schwächsten Sterne erleichtert, wie Galle's schnelle und glückliche Auffindung des Neptun und die mehrerer der sogenannten kleinen Planeten bezeugen, die Entdeckung der planetarischen, ihren Ort wie zwischen festen Ufern verändernden Weltkörper. Ein anderer Umstand läßt noch deutlicher die Wichtigkeit sehr vollständiger Sternverzeichnisse erkennen. Ist der neue Planet einmal am Himmelsgewölbe entdeckt, so beschleunigt seine zweite Entdeckung in einem älteren Positions-Catalog die schwierige Berechnung der Bahn. Ein jetzt vermißter, aber als einst beobachtet verzeichneter Stern gewährt oft mehr, als, bei der Langsamkeit der Bewegung, viele folgende Jahre der sorgfältigsten Messungen würden darbieten können. So sind für Uranus der Stern No. 964 im Catalog von Tobias Mayer, für Neptun der Stern No. 26266 im Catalog von LalandeBaily, Catalog of those Stars in the Histoire céleste of Jérôme Delalande, for which tables of reduction to the epoch 1800 have been published by Prof. Schumacher, 1847 p. 1195. Ueber das, was man der Vollkommenheit der Sterncataloge verdankt, s. die Betrachtungen von Sir John Herschel im Cat. of the British Assoc. 1845 p. 4 § 10. Vergl. auch über vermißte Sterne Schumacher, astr. Nachr. No. 624 und Bode, Jahrb. für 1817 S. 249. von großer Wichtigkeit gewesen. Uranus ist, ehe man ihn als Planeten erkannte, wie man jetzt weiß, 21mal beobachtet worden: 1mal, wie eben gesagt, von Tobias Mayer; 7mal von Flamsteed, 1mal von Bradley und 12mal von le Monnier. Man kann sagen, daß die zunehmende Hoffnung künftiger Entdeckungen planetarischer Körper theils auf die Vollkommenheit der jetzigen Fernröhre (Hebe war bei der Entdeckung im Juli 1847 ein Stern 8.9ter Größe, dagegen im Mai 1849 nur 11ter Größe), theils und vielleicht mehr noch auf Vollständigkeit der Sternverzeichnisse und die Sorgfalt der Beobachter gegründet sei.
154 Seit dem Zeitpunkte, wo Morin und Gascoigne Fernröhre mit den messenden Instrumenten verbinden lehrten, war der erste Sterncatalog, welcher erschien, der der südlichen Sterne von Halley. Er war die Frucht eines kurzen Aufenthalts auf St. Helena in den Jahren 1677 und 1678; und enthielt, sonderbar genug, doch keine Bestimmung unter der 6ten Größe.Memoirs of the Royal Astronomical Society Vol. XIII. 1843 p. 33 und 168. Früher hatte allerdings schon Flamsteed die Arbeit seines großen Sternatlas unternommen, aber das Werk dieses berühmten Mannes erschien erst 1712. Ihm folgten: die Beobachtungen von Bradley (1750 bis 1762), welche auf die Entdeckung der Aberration und Nutation leiteten und von unserem Bessel durch seine Fundamenta Astronomiae (1818) gleichsam verherrlicht wurden;Bessel, Fundamenta Astronomiae pro anno 1755, deducta ex observationibus viri incomparabilis James Bradley in Specula astronomica Grenovicensi, 1818. (Vergl. auch Bessel, Tabulae Regiomontanae reductionum observationum astronomicarum ab anno 1750 usque ad annum 1850 computatae, 1830.) die Sterncataloge von La Caille, Tobias Mayer, Cagnoli, Piazzi, Zach, Pond, Taylor, Groombridge, Argelander, Airy, Brisbane und Rümker.
Wir verweilen hier nur bei den Arbeiten, welche größere MassenIch dränge hier in Eine Note die numerischen Angaben aus den Sternverzeichnissen zusammen, die minder große Massen, eine kleinere Zahl von Positionen enthalten. Es folgen die Namen der Beobachter mit Beisatz der Zahl der Ortsbestimmungen: La Caille (er beobachtete kaum 10 Monate 1751 und 1752, mit nur 8maliger Vergrößerung), 9766 südliche Sterne bis 7m incl., reducirt auf das J. 1750 von Henderson; Tobias Mayer 998 Sterne für 1756; Flamsteed ursprünglich 2866, aber durch Baily's Sorgfalt mit 564 vermehrt (Mem. of the Astr. Soc. Vol. IV. p. 129–164); Bradley 3222, von Bessel auf das J. 1755 reducirt; Pond 1112; Piazzi 7646 Sterne, für 1800; Groombridge 4243, meist Circumpolar-Sterne, für 1810; Sir Thomas Brisbane und Rümker 7385 in den J. 1822–1828 in Neu-Holland beobachtete südliche Sterne; Airy 2156 Sterne, auf das J. 1845 reducirt; Rümker 12000, am Hamburger Horizont; Argelander (Cat. von Abo) 560; Taylor (Madras) 11015. Der British Association Catalogue of Stars, 1845 unter Baily's Aufsicht bearbeitet, enthält 8377 Sterne von Größe 1 bis 7½. Für die südlichsten Sterne besitzen wir noch die reichen Verzeichnisse von Henderson, Fallows, Maclear und Johnson auf St. Helena. und einen wichtigen Theil dessen liefern, was von Sternen 7ter bis 10ter Größe die Himmelsräume füllt. Der Catalog, welcher unter dem Namen von Jérôme de Lalande bekannt ist, sich aber allein auf Beobachtungen zwischen den Jahren 1789 und 1800 von seinem Neffen le Français de Lalande und von Burckhardt gründet, hat spät erst eine große Anerkennung erfahren. Er enthält nach der sorgfältigen Bearbeitung (1847), welche man Francis Baily und der British Association for the Advancement of Science verdankt, 47390 Sterne: von denen viele 9ter und etwas unter der 9ten Größe sind. Harding, der Entdecker der Juno, hat über 50000 Sterne in 27 Blätter eingetragen. Die große Arbeit der Zonen-Beobachtung von Bessel, welche 155 75000 Beobachtungen umfaßt (in den Jahren 1825 bis 1833 zwischen -15° und +45° Abweichung), ist mit rühmlichster Sorgfalt von Argelander 1841 bis 1844 zu Bonn bis +80° Abw. fortgesetzt worden. Aus den Bessel'schen Zonen von -15° bis +15° Abw. hat auf Veranstaltung der Akademie zu St. Petersburg Weiße zu Krakau 31895 Sterne, unter denen allein 19738 von der 9ten Größe sind, auf das Jahr 1825 reducirt.Weiße, Positiones mediae stellarum fixarum in Zonis Regiomontanis a Besselio inter -15° et +15° decl. observatarum ad annum 1825 reductae (1846), mit einer wichtigen Vorrede von Struve. Argelander's »Durchmusterung des nördlichen Himmels von +45° bis +80° Abw.« enthält an 22000 wohlbestimmte Sternörter.
Des großen Werks der Sternkarten der Berliner Akademie glaube ich nicht würdiger erwähnen zu können, als indem ich über die Veranlassung dieses Unternehmens aus der gehaltvollen Gedächtnißrede auf Bessel Encke's eigene Worte hier einschalte: »An die Vervollständigung der Cataloge knüpft sich die Hoffnung, alle beweglichen Himmelskörper, die wegen ihrer Lichtschwäche dem Auge kaum unmittelbar die Veränderung ihres Ortes merklich werden lassen, durch sorgfältige Vergleichung der als feste Punkte verzeichneten Sterne mit dem jedesmaligen Anblick des Himmels, aufzufinden und auf diesem Wege die Kenntniß unseres Sonnensystems zu vollenden. So wie der vortreffliche Hardingische Atlas ein vervollständigtes Bild des gestirnten Himmels ist; wie Lalande's Histoire céleste, als Grundlage betrachtet, dieses Bild zu geben vermochte: so entwarf Bessel 1824, nachdem der erste Hauptabschnitt seiner Zonen-Beobachtungen vollendet war, den Plan, auf diese eine noch speciellere Darstellung des gestirnten Himmels zu gründen: die nicht bloß das Beobachtete wiedergeben, 156 sondern mit Consequenz die Vollständigkeit erreichen sollte, welche jede neue Erscheinung unmittelbar wahrnehmen lassen würde. Die Sternkarten der Berliner Akademie der Wissenschaften, nach Bessel's Plane entworfen, haben, wenn sie auch noch nicht den ersten vorgesetzten Cyclus abschließen konnten, doch schon den Zweck der Auffindung der neuen Planeten auf das glänzendste erreicht: da sie hauptsächlich, wenn auch nicht ganz allein, bis jetzt (1850) sieben neue Planeten haben auffinden lassen.«(S. 156.) Encke, Gedächtnißrede auf Bessels S. 13. Von den 24 Blättern, welche den Theil des Himmels darstellen sollen, der sich 15° zu beiden Seiten des Aequators erstreckt, hat unsere Akademie bisher 16 herausgegeben. Sie enthalten möglichst alle Sterne bis zur 9ten und theilweise bis zur 10ten Größe.
Die ohngefähren Schätzungen, die man über die Zahl der Sterne gewagt, welche mit den jetzigen großen raumdurchdringenden Fernröhren am ganzen Himmel dem Menschen sichtbar sein konnten, mögen hier auch ihren Platz finden. Struve nimmt für das Herschel'sche 20füßige Spiegeltelescop, das bei den berühmten Stern-Aichungen (gauges, sweeps) angewandt wurde, mit 180maliger Vergrößerung: für die Zonen, welche zu beiden Seiten des Aequators 30° nördlich und südlich liegen, 5800000; für den ganzen Himmel 20374000 an. In einem noch mächtigeren Instrumente, in dem 40füßigen Spiegeltelescop, hielt Sir William Herschel in der Milchstraße allein 18 Millionen für sichtbar.(S. 156.) Vergl. Struve, études d'Astr. stellaire 1847 p. 66 und 72, Kosmos Bd. I. S. 156 und Mädler, Astronomie 4te Aufl. 1849 S. 417.
Nach einer sorgfältigeren Betrachtung der nach Ortsbestimmung in Catalogen aufgeführten, sowohl dem unbewaffneten Auge sichtbaren als bloß telescopischen Fixsterne 157 wenden wir uns nun zu der Vertheilung und Gruppirung derselben an der Himmelsdecke. Wir haben gesehen, wie bei der geringen und so überaus langsamen (scheinbaren und wirklichen) Ortsveränderung der einzelnen: theils durch die Präcession und den ungleichen Einfluß des Fortschreitens unseres Sonnensystems, theils durch die ihnen eigene Bewegung, sie als feste Marksteine im unermeßlichen Weltraum zu betrachten sind; als solche, welche alles zwischen ihnen mit größerer Schnelligkeit oder in anderen Richtungen Bewegte, also den telescopischen Cometen und Planeten Zugehörige, der aufmerksamen Beobachtung offenbaren. Das erste und Haupt-Interesse beim Anblick des Firmaments ist schon wegen der Vielheit und überwiegenden Masse der Weltkörper, die den Weltraum füllen, auf die Fixsterne gerichtet; von ihnen geht in Bewunderung des Firmaments die stärkere sinnliche Anregung aus. Die Bahn der Wandelsterne spricht mehr die grübelnde Vernunft an: der sie, den Entwickelungsgang astronomischer Gedankenverbindung beschleunigend, verwickelte Probleme darbietet.
Aus der Vielheit der an dem Himmelsgewölbe scheinbar, wie durch Zufall, vermengten großen und kleinen Gestirne sondern die rohesten Menschenstämme (wie mehrere jetzt sorgfältiger untersuchte Sprachen der sogenannten wilden Völker bezeugen) einzelne und fast überall dieselben Gruppen aus: in welchen helle Sterne durch ihre Nähe zu einander, durch ihre gegenseitige Stellung oder eine gewisse Isolirtheit den Blick auf sich ziehen. Solche Gruppen erregen die dunkle Ahndung von einer Beziehung der Theile auf einander; sie erhalten, als Ganze betrachtet, einzelne Namen, die: von Stamm zu Stamm verschieden, meist von organischen 158 Erd-Erzeugnissen hergenommen, die öden, stillen Räume phantastisch beleben. So sind früh abgesondert worden das Siebengestirn (die Gluckhenne), die sieben Sterne des Großen Wagens (der Kleine Wagen später, und nur wegen der wiederholten Form), der Gürtel des Orion (Jacobsstab), Cassiopeja, der Schwan, der Scorpion, das südliche Kreuz (wegen des auffallenden Wechsels der Richtung vor und nach der Culmination), die südliche Krone, die Füße des Centauren (gleichsam die Zwillinge des südlichen Himmels) u. s. f.
Wo Steppen, Grasfluren oder Sandwüsten einen weiten Horizont darbieten, wird der mit den Jahreszeiten oder den Bedürfnissen des Hirtenlebens und Feldbaues wechselnde Auf- und Untergang der Constellationen ein Gegenstand fleißiger Beachtung und allmälig auch symbolisirender Ideenverbindung. Die beschauende, nicht messende Astronomie fängt nun an sich mehr zu entwickeln. Außer der täglichen, allen Himmelskörpern gemeinschaftlichen, Bewegung von Morgen gegen Abend wird bald erkannt, daß die Sonne eine eigene, weit langsamere, in entgegengesetzter Richtung habe. Die Sterne, die nach ihrem Untergange am Abendhimmel stehen, sinken mit jedem Tage tiefer zu ihr hinab und verlieren sich endlich ganz in ihre Strahlen während der Dämmerung; dagegen entfernen sich von der Sonne diejenigen Sterne, welche vor ihrem Aufgange am Morgenhimmel glänzen. Bei dem stets wechselnden Schauspiel des gestirnten Himmels zeigen sich immer andere und andere Constellationen. Mit einiger Aufmerksamkeit wird leicht erkannt, daß es dieselben sind, welche zuvor im Westen unsichtbar geworden waren; daß ohngefähr 159 nach einem halben Jahre diejenigen Sterne, welche sich vorher in der Nähe der Sonne gezeigt hatten, ihr gegenüber stehen: untergehend bei ihrem Aufgange, aufgehend bei ihrem Untergange. Von Hesiod bis Eudoxus, von Eudoxus bis Aratus und Hipparch ist die Litteratur der Hellenen voll Anspielungen auf das Verschwinden der Sterne in den Sonnenstrahlen (den heliacischen oder Spätuntergang) wie auf das Sichtbar-Werden in der Morgendämmerung (den heliacischen oder Frühaufgang). Die genaue Beobachtung dieser Erscheinungen bot die frühesten Elemente der Zeitkunde dar: Elemente, nüchtern in Zahlen ausgedrückt; während gleichzeitig die Mythologie, bei heiterer oder düsterer Stimmung des Volkssinnes, fortfuhr mit unumschränkter Willkühr in den hohen Himmelsräumen zu walten.
Die primitive griechische Sphäre (ich folge hier wieder, wie in der Geschichte der physischen WeltanschauungKosmos Bd. II. S. 197 und 432 Anm. 694., den Untersuchungen meines so früh dahingeschiedenen, geistreichen Freundes Letronne), die griechische Sphäre hat sich nach und nach mit Sternbildern gefüllt, ohne daß man sich dieselben anfangs in irgend einer Beziehung zu der Ekliptik dachte. So kennen schon Homer und Hesiodus verschiedene Sterngruppen und einzelne Sterne mit Namen bezeichnet: jener die Bärinn (»die sonst der Himmelswagen genannt wird – und die allein niemals in Okeanos Bad sich hinabtaucht«), den Bootes und den Hund des Orion; dieser den Sirius und den Arctur; beide die Plejaden, die Hyaden und den Orion.Ideler, Untersuch. über die Sternnamen S. XI, 47, 139, 144 und 243; Letronne sur l'origine du Zodiaque grec 1840 p. 25. Wenn Homer zweimal sagt, daß die Constellation der Bärinn allein sich nie in das Meer taucht; so folgt daraus bloß, 160 daß zu seiner Zeit noch nicht in der griechischen Sphäre die Sternbilder des Drachen, des Cepheus und des Kleinen Bären, welche auch nicht untergehen, vorhanden waren. Es wird keinesweges die Kenntniß von der Existenz der einzelnen Sterne, welche jene drei Catasterismen bilden, geläugnet; nur ihre Reihung in Bilder. Eine lange, oft mißverstandene Stelle des Strabo (lib. I pag. 3 Casaub.) über Homer Il. XVIII, 485–489 beweist vorzugsweise, was hier wichtig ist, die allmälige Aufnahme von Bildern in die griechische Sphäre. »Mit Unrecht«, sagt Strabo, »beschuldigt man Homer der Unwissenheit, als habe er nur Eine Bärinn statt zweier gekannt. Vermuthlich war die andere noch nicht versternt; sondern erst seitdem die Phönicier dieses Sternbild bezeichneten und zur Seefahrt benutzten, kam es auch zu den Hellenen.« Alle Scholien zum Homer, Hygin und Diogenes aus Laerte schreiben die Einführung dem Thales zu. Der Pseudo-Eratosthenes hat den Kleinen Bären Φοινίκη (gleichsam das phönicische Leitgestirn) genannt. Hundert Jahre später (Ol. 71) bereicherte Cleostratus von Tenedos die Sphäre mit dem Schützen: τοξότης, und dem Widder: κριός.
In diese Epoche erst, die der Gewaltherrschaft der Pisistratiden, fällt nach Letronne die Einführung des Thierkreises in die alte griechische Sphäre. Eudemus aus Rhodos, einer der ausgezeichnetsten Schüler des Stagiriten, Verfasser einer »Geschichte der Astronomie«, schreibt die Einführung des Thierkreis-Gürtels (ἡ τοῦ ζωδιακοῦ διάζωσις, auch ζωΐδιος κύκλος) dem Oenopides von Chios, einem Zeitgenossen des Anaxagoras, zu.Letronne a. a. O. p. 25 und Carteron, analye des recherches de Mr. Letronne sur les représentations zodiacales 1843 p. 119. »Il est tres douteux qu' Eudoxe (Ol. 103) ait jamais employé le mot ζωδιακός. On le trouve pour la premiere fois dans Euclide et dans le Commentaire d'Hipparque sur Aratus (Ol. 160). Le nom d'écliptique, ἐκλειπτικός, est aussi fort récent.« (Vergl. Martin im Commentar zu Theonis Smyrnaei Platonici liber de Astronomia 1849 p. 50 und 60. Die Idee von der Beziehung der Planeten und Fixsterne auf die Sonnenbahn, 161 die Eintheilung der Ekliptik in zwölf gleiche Theile (Dodecatomerie) sind alt-chaldäisch: und höchst wahrscheinlich den Griechen aus Chaldäa selbst und nicht aus dem Nilthale, am frühesten im Anfang des 5ten oder im 6ten Jahrhunderte vor unserer ZeitrechnungLetronne, orig du Zod. p. 25 und analyse crit. des représ. zod. 1846 p. 15. Auch Ideler und Lepsius halten für wahrscheinlich, »daß zwar die Kenntniß des chaldäischen Thierkreises sowohl der Eintheilung als den Namen nach bereits im 7ten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zu den Griechen gelangt, die Aufnahme aber der einzelnen Zodiacal-Bilder in die griechische astronomische Litteratur erst später und allmälig erfolgt sei.« (Lepsius, Chronologie der Aegypter 1849 S. 65 und 124.) Ideler ist geneigt zu glauben, daß die Orientalen für die Dodecatomerie Namen ohne Sternbilder hatten; Lepsius hält es für die natürlichste Annahme: »daß die Griechen zu einer Zeit, wo ihre Sphäre größtentheils leer war, auch die chaldäischen Sternbilder, nach welchen die 12 Abtheilungen genannt waren, den ihrigen zugefügt haben.« Könnte man aber nicht bei dieser Voraussetzung fragen: warum die Griechen anfangs nur 11 Zeichen hatten, warum nicht alle 12 der chaldäischen Dodecatomerie? Hätten sie 12 Bilder überkommen, so würden sie doch wohl nicht eines weggeschnitten haben, um es später wieder zuzufügen., überkommen. Die Griechen schnitten nur aus den in ihrer primitiven Sphäre schon früher verzeichneten Sternbildern diejenigen aus, welche der Ekliptik am nächsten lagen und als Thierkreis-Bilder gebraucht werden konnten. Wäre mehr als der Begriff und die Zahl der Abtheilungen (Dodecatomerie) eines Thierkreises, wäre der Thierkreis selbst mit seinen Bildern einem fremden Volke von den Griechen entlehnt worden: so würden diese nicht ursprünglich sich mit 11 Bildern begnügt, nicht den Scorpion zu zwei Abtheilungen angewandt; nicht Zodiacal-Bilder erfunden haben, deren einige: wie Stier, Löwe, Fische und Jungfrau, mit ihren Umrissen 35° bis 48°; andere: wie Krebs, Widder und Steinbock, nur 19° bis 23° einnehmen; welche unbequem nördlich und südlich um die Ekliptik schwanken: bald weit getrennt; bald: wie Stier und Widder, Wassermann und Steinbock, eng gedrängt und fast in einander eingreifend. Diese Verhältnisse bezeugen, daß man früher gebildete Catasterismen zu Zodiacal-Zeichen stempelte.
Das Zeichen der Wage wurde nach Letronne's Vermuthung zu Hipparchs Zeiten, vielleicht durch ihn selbst, eingeführt. Eudoxus, Archimedes, Autolycus, und selbst Hipparch: in dem wenigen, was wir von ihm besitzen (eine einzige, wahrscheinlich von einem Copisten verfälschte StelleUeber die im Text erwähnte, von einem Copisten eingeschobene Stelle des Hipparch s. Letronne, orig. du Zod. 1840 p. 20. Schon 1812, als ich auch noch der Meinung von einer sehr alten Bekanntschaft der Griechen mit dem Zeichen der Wage zugethan war, habe ich in einer sorgfältigen Arbeit, die ich über alle Stellen des griechischen und römischen Alterthums geliefert, in welchen der Name der Wage als Zodiacal-Zeichens vorkommt, auf jene Stelle bei Hipparch (Comment. in Aratum lib. III cap. 2), in welcher von dem ϑηρίον die Rede ist, das der Centaur (an dem Vorderfuß) hält, wie auf die merkwürdige Stelle des Ptolemäus lib. IX cap. 7 (Halma T. II. p. 170) hingewiesen. In der letzteren wird die südliche Wage mit dem Beisatz κατὰ Χαλδαίους genannt und den Scorpions-Scheeren entgegengesetzt in einer Beobachtung, die gewiß nicht in Babylon, sondern von den in Syrien und Alexandrien zerstreuten astrologischen Chaldäern gemacht war. (Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. II. p. 380.) Buttmann wollte, was wenig wahrscheinlich ist, daß die χηλαὶ ursprünglich die beiden Schalen der Wage bedeutet hätten und später durch ein Mißverständniß in die Scheeren eines Scorpions umgewandelt wurden. (Vergl. Ideler, Untersuchungen über die astronomischen Beobachtungen der Alten S. 374 und über die Sternnamen S. 174–177 mit Carteron, recherches de Mr. Letronne p. 113.) Auffallend bleibt es mir immer, bei der Analogie zwischen vielen Namen der 27 Mondhäuser und der Dodecatomerie des Thierkreises, daß unter den gewiß sehr alten indischen Nakschatras (Mondhäusern) sich ebenfalls das Zeichen der Wage befindet (Vues des Cord. T. II. p. 6–12). abgerechnet); erwähnen ihrer nie. Das neue Zeichen kommt erst bei Geminus und Varro, kaum ein halbes 162 Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, vor; und da der Hang zur Astrologie bald mächtig in die römische Volkssitte einbrach, von August bis Antonin, so erhielten auch diejenigen Sternbilder, »die am himmlischen Sonnenwege lagen«, eine erhöhte, phantastische Wichtigkeit. Der ersten Hälfte dieses Zeitraums römischer Weltherrschaft gehören die ägyptischen Thierkreis-Bilder in Dendera, Esne, dem Propylon von Panopolis und einiger Mumiendeckel an: wie Visconti und Testa schon zu einer Epoche behauptet haben, wo noch nicht alle Materialien für die Entscheidung der Frage gesammelt waren, und wilde Hypothesen herrschten über die Bedeutung jenes symbolischen Zodiacal-Zeichens und dessen Abhängigkeit von der Präcession der Nachtgleichen. Das hohe Alter, welches August Wilhelm von Schlegel den in Indien gefundenen Thierkreisen nach Stellen aus Manu's Gesetzbuch, aus Valmiki's Ramayana und ans Amarasinha's Wörterbuch beilegen wollte, ist nach Adolph Holtzmann's scharfsinnigen Untersuchungen sehr zweifelhaft geworden.Vergl. A. W. von Schlegel über Sternbilder des Thierkreises im alten Indien in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. I. Heft 3. 1837 und seine commentatio de Zodiaci antiquitate et origine 1839 mit Adolph Holtzmann über den griechischen Ursprung des indischen Thierkreises 1841 S. 9, 16 und 23. »Die aus dem Amarakoscha und Ramayana angeführten Stellen«, heißt es in der letztgenannten Schrift, »sind von unzweifelhafter Auslegung: sie sprechen in den deutlichsten Ausdrücken vom Thierkreise selbst; aber wenn die Werke, in denen sie enthalten, früher verfaßt sind, als die Kunde des griechischen Thierkreises nach Indien gelangen konnte: so ist genau zu untersuchen, ob jene Stellen nicht jüngere Zusätze sind.«
Die durch den Lauf der Jahrhunderte so zufällig entstandene, künstliche Gruppirung der Sterne zu Bildern, ihre oft unbequeme Größe und schwankenden Umrisse; die verworrene Bezeichnung der einzelnen Sterne in den Constellationen, mit Erschöpfung mehrerer Alphabete: wie in dem Schiffe Argo; das geschmacklose Vermischen mythischer Personen mit der nüchternen Prosa von physikalischen Instrumenten, chemischen Oefen und Pendeluhren am südlichen Himmel haben mehrmals zu Vorschlägen geleitet über neue, ganz bildlose Eintheilungen des Himmelsgewölbes. Für die südliche Hemisphäre: wo Scorpion, 163 Schütze, Centaur, das Schiff und der Eridanus allein einen alten dichterischen Besitz haben, schien das Unternehmen weniger gewagt.Vergl. Buttmann im Berliner astron. Jahrbuche für 1822 S. 93, Obers über die neueren Sternbilder in Schumacher's Jahrbuch für 1840 S. 238–251 und Sir John Herschel, revision and re-arrangement of the Constellations, with special reference to those of the Southern Hemisphere, in den Memoirs of the Astr. Soc. Vol. XII. p. 201-224 (mit einer sehr genauen Vertheilung der südlichen Sterne 1ter bis 4ter Größe). Bei Gelegenheit der förmlichen Unterhandlungen Lalande's mit Bode über die Einführung seiner Hauskatze und eines Erndtehüters (Messier!) klagt Olbers darüber, daß, »um für Friedrichs-Ehre am Himmel Raum zu finden, die Andromeda ihren rechten Arm an eine andere Stelle legen mußte, als derselbe seit 3000 Jahren eingenommen hatte.«
Der Fixsternhimmel (orbis inerrans des Appulejus), der uneigentliche Ausdruck Fixsterne (astra fixa des Manilius) erinnern, wie wir schon oben in der Einleitung zur AstrognosieKosmos Bd. III. S. 37 und 53 [Anm. 1040]. bemerkt, an die Verbindung, ja Verwechselung der Begriffe von Einheftung und absoluter Unbeweglichkeit (Fixität). Wenn Aristoteles die nicht wandernden Weltkörper (ἀπλανῆ ἄστρα) eingeheftete (ἐνδεδεμένα), wenn Ptolemäus sie angewachsene (προσπεφυκότες) nennt, so beziehen sich zunächst diese Benennungen auf die Vorstellung des Anaximenes von der krystallartigen Sphäre. Die scheinbare Bewegung aller Fixsterne von Osten nach Westen, während daß ihr Abstand unter einander sich gleich blieb, hatte diese Hypothese erzeugt. »Die Fixsterne (ἀπλανῆ ἄστρα) gehören der oberen, von uns entfernteren Region: in der sie wie Nägel an den Krystallhimmel angeheftet sind; die Planeten (πλανώμενα oder πλανητά), welche eine entgegengesetzte Bewegung haben, gehören der unteren, näheren Region an.«Nach Democritus und seinem Schüler Metrodorus, Stob. eclog. phys. pag. 582. Wenn bei Manilius schon in der frühesten Zeit der Cäsaren stella fixa für infixa oder affixa gesagt wurde, so läßt sich annehmen, daß die Schule in Rom anfangs doch nur der ursprünglichen Bedeutung des Angeheftet-Seins anhing; aber da das Wort fixus auch die Bedeutung der Unbeweglichkeit einschloß, ja für synonym mit immotus und immobilis genommen werden konnte: so war es leicht, daß der Volksglaube oder vielmehr der Sprachgebrauch allmälig an eine stella fixa vorzugsweise die Idee der Unbeweglichkeit 164 knüpfte, ohne der festen Sphäre zu gedenken, an die sie geheftet ist. So durfte Seneca die Fixsternwelt fixum et immobilem populum nennen.
Wenn wir auch nach Stobäus und dem Sammler der »Ansichten der Philosophen« die Benennung Krystallhimmel bis zur frühen Zeit des Anaximenes hinaufführen; so finden wir doch die Idee, welche der Benennung zum Grunde liegt, erst schärfer bei Empedocles entwickelt. Den Fixsternhimmel hält dieser für eine feste Masse, welche aus dem durch Feuer krystallartig starr gewordenen Aether gebildet wurde.Plut. de plac. Phil. II, 11; Diog. Laert. VIII, 77; Achilles Tat. ad Arat. cap. 5: Εμπ., κρυσταλλώδη τοῦτον (τὸν οὐρανὸν) εἰναί φησιν, ἐκ τοῦ παγετώδους συλλεγέντα; eben so findet sich nur der Ausdruck krystallartig bei Diog. Laert. VIII, 77 und Galenus, hist. phil. 12 (Sturz, Empedocles Agrigent. T. I. p. 321). Lactantius de opificio Dei c. 17: »an, si mihi quispiam dixerit aeneum esse coelum, aut vitreum, aut, ut Empedocles ait, aërem glaciatum, statimne assentiar, quia coelum ex quia materia sit, ignorem?« Für dies coelum vitreum giebt es kein auf uns gekommenes frühes hellenisches Zeugniß; denn nur Ein Himmelskörper, die Sonne, wird von Philolaus ein glasartiger Körper genannt, welcher die Strahlen vom Centralfeuer empfängt und uns zuwirft. (Die oben im Text bezeichnete Ansicht des Empedocles von Reflexion des Sonnenlichts durch den hagelartig geronnenen Mondkörper ist von Plutarch erwähnt apud Euseb. Praep. Evangel. I, p. 24 D und de facie in orbe Lunae cap. 5.) Wenn in Homer und Pindar der Uranos χάλκεος und σιδήρεος heißt: so bezieht sich der Ausdruck, wie in dem ehernen Herzen und in der ehernen Stimme, nur auf das Feste, Dauernde, Unvergängliche (Völcker über Homerische Geographie 1830 S. 5). Das Wort κρύσταλλος, auf den eisartig durchsichtigen Bergkrystall angewandt, findet sich wohl zuerst vor Plinius bei Dionysius Periegetes 781, Aelian. XV, 8 und bei Strabo XV pag. 717, Casaub. Die Meinung, daß die Idee des krystallenen Himmels als Eisgewölbe (aër glaciatus des Lactantius) mit der den Alten durch Bergreisen und den Anblick von Schneebergen wohlbekannten Wärme-Abnahme der Luftschichten von unten nach oben entstanden sei, wird dadurch widerlegt, daß man sich über der Grenze des eigentlichen Luftkreises den feurigen Aether und die Sterne an sich als warm dachte (Aristot. Meteorol. T, 3; de Coelo II, 7 p. 289). Bei Erwähnung der Himmelstöne (Aristot. de Coelo II p. 290): welche »nach den Pythagoreern die Menschen darum nicht vernehmen, weil sie continuirlich sind, und Töne nur vernommen werden, wenn sie durch Stillschweigen unterbrochen sind«; behauptet Aristoteles sonderbar genug, daß die Bewegung der Sphären Wärme in der unter ihnen liegenden Luft erzeugt, ohne sich selbst zu erhitzen. Ihre Schwingungen bringen Wärme, keine Töne hervor. »Die Bewegung der Fixstern-Sphäre ist die schnellste (Aristot. de Coelo II, 10 p. 291); während diese Sphäre und die an sie gehefteten Körper im Kreise sich herumschwingen, wird immer der zunächst unten liegende Raum durch die Sphären-Bewegung in Hitze gebracht, und es erzeugt sich die bis zur Erdoberfläche herab verbreitete Wärme« (Meteorol. I, 3 p. 340). Auffallend ist es mir immer gewesen, daß der Stagirite stets das Wort Krystallhimmel vermeidet, da der Ausdruck: angeheftete Sterne, ἐνδεδεμένα ἄστρα, dessen er sich bedient, doch auf den allgemeinen Begriff fester Sphären hindeutet, ohne aber die Art der Materie zu specificiren. Cicero selbst läßt sich über diese auch nicht vernehmen, aber in seinem Commentator Macrobius (in Cic. somnium Scipionis I c. 20 pag. 99 ed. Bip.) findet man Spuren freierer Ideen über die mit der Höhe abnehmende Wärme. Nach ihm sind die äußersten Zonen des Himmels von ewiger Kälte heimgesucht. »Ita enim non solum terram sed ipsum quoque coelum, quod vere mundus vocatur, temperari a sole certissimum est, ut extremitates ejus, quae a via solis longissime recesserunt, omni careant beneficio caloris et una frigoris perpetuitate torpescant.« Diese extremitates coeli, in welche der Bischof von Hippo (Augustinus, ed. Antv. 1700, I. p. 102 und III. p. 99) eine Region eiskalter Wasser, dem obersten und darum kältesten aller Planeten, Saturn, nahe, verlegte, sind immer noch der eigentliche Luftkreis; denn höher über dieser äußersten Grenze liegt erst, nach einer etwas früheren Aussage des Macrobius (I cap. 19 pag. 93) der feurige Aether: welcher, räthselhaft genug, jener ewigen Kälte nicht hinderlich ist. »Stellae, supra coelum locatae, in ipso purissimo aethere sunt, in quo omne, quidquid est, lux naturalis et sua est (der Sitz selbstleuchtender Gestirne), quae tota cum igne suo ita sphaerae solis incumbit, ut coeli zonae, quae procul a sole sunt, perpetuo frigore oppressae sint.« Wenn ich hier den physikalischen und meteorologischen Ideenzusammenhang bei Griechen und Römern so umständlich entwickle, so geschieht es nur, weil diese Gegenstände außer den Arbeiten von Ukert, Henri Martin und dem vortrefflichen Fragmente der Meteorologia veterum von Julius Ideler bisher so unvollständig und meist ungründlich behandelt worden sind. Der Mond ist ihm ein durch die Kraft des Feuers hagelartig geronnener Körper, welcher sein Licht von der Sonne erhält. Der ursprüngliche Begriff des Durchsichtigen, Geronnenen, Erstarrten würde nach der Physik der AltenDaß das Feuer die Kraft habe erstarren zu machen (Aristot. Probl. XIV, 11), daß die Eisbildung selbst durch Wärme befördert wird: sind tief eingewurzelte Meinungen in der Physik der Alten, die auf einer spielenden Theorie der Gegensätze (antiperistasis), auf dunklen Begriffen der Polarität (auf einem Hervorrufen entgegengesetzter Qualitäten oder Zustände) beruhen (Kosmos Bd. III. S. 15 und 29 [Anm. 1010]). Hagel entsteht in um so größerer Masse, als die Luftschichten erwärmter sind (Aristot. Meteor. I, 12). Beim Winter-Fischfang an der Küste des Pontus wird warmes Wasser angewandt, damit in der Nähe des eingepflanzten Rohres das Eis sich vermehre (Alex. Aphrodis. fol. 86 und Plut. de primo frigido cap. 12). und ihren Begriffen vom Festwerden des Flüssigen nicht unmittelbar auf Kälte und Eis führen; aber die Verwandtschaft von κρύσταλλος mit κρύος und κρυσταίνω, wie die Vergleichung mit den durchscheinendsten aller Körper, veranlaßten die bestimmteren Behauptungen, daß das Himmelsgewölbe aus Eis oder aus Glas bestehe. So finden wir bei Lactantius: coelum aërem glaciatum esse, und vitreum coelum. Empedocles hat gewiß noch nicht an phönicisches Glas, wohl aber an Luft gedacht, die durch feurigen Aether in einen durchsichtigen festen Körper zusammengeronnen ist. Die Idee des Durchsichtigen war in der Vergleichung mit dem Eise, κρύσταλλος, das Vorherrschende; man dachte nicht an Ursprung des Eises durch Kälte, sondern zunächst nur an ein durchsichtiges Verdichtetes. Wenn der Dichter das Wort Krystall selbst brauchte, so bedient sich die Prose (wie die in der 165 1188ten Anmerkung angeführte Stelle des Achilles Tatius, des Commentators von Aratus, bezeugt) nur des Ausdrucks: krystall-ähnlich, κρυσταλλοειδής. Eben so bedeutet πάγος (von πήγνυσϑαι, fest werden) ein Stück Eis: wobei bloß die Verdichtung in Betracht gezogen wird.
Durch die Kirchenväter: welche spielend 7 bis 10, wie Zwiebelhäute über einander gelagerte, gläserne Himmelsschichten annahmen, ist diese Ansicht des krystallenen Gewölbes in das Mittelalter übergegangen; ja sie hat sich selbst in einigen Klöstern des südlichen Europa's erhalten: wo zu meinem Erstaunen ein ehrwürdiger Kirchenfürst mir, nach dem so viel Aufsehen erregenden Aërolithenfall bei Aigle, die Meinung äußerte: was wir mit einer vitrificirten Rinde bedeckte Meteorsteine nennten, wären nicht Theile des gefallenen Steines selbst, sondern ein Stück des durch den Stein zerschlagenen krystallenen Himmels. Kepler, zuerst durch die Betrachtung über die alle Planetenbahnen durchschneidenden Cometen veranlaßt, hat sich schon drittehalb Jahrhunderte früher gerühmtKepler sagt ausdrücklich in Stella Martis fol. 9: solidos orbes rejeci; in der Stella nova 1606 cap. 2 p. 8: planetae in puro aethere, perinde atque aves in aëre, cursus suops conficiunt. (Vergl. auch p. 122.) Früher war er aber der Meinung von einem festen, eisigen Himmelsgewölbe (orbis ex aqua factus gelu concreta propter solis absentiam) zugethan (Kepler, Epit. Astr. Copern. I, 2 p. 51). Schon volle 2000 Jahre vor Kepler behauptete Empedocles, daß die Fixsterne am Krystallhimmel angeheftet, »die Planeten aber frei und losgelassen seien (τοὺς δὲ πλανήτας ἀνεῖσϑαι). (Plut. plac. Phil. II, 13; Emped. I p. 335 Sturz; Euseb. Praep. evang. XV, 30, Col. 1688 p. 839.) Wie nach Plato im Timäus (nicht nach Aristoteles) die an feste Sphären gehefteten Fixsterne einzeln rotirend gedacht werden sollen, ist schwer zu begreifen (Tim. p. 40 B). die 77 homocentrischen Sphären des berühmten Girolamo Fracastoro, wie alle älteren rückwirkenden Epicykeln zerstört zu haben. Wie so große Geister als Eudoxus, Menächmus, Aristoteles und Apollonius von Pergä sich die Möglichkeit des Mechanismus und der Bewegung starrer, in einander greifender, die Planeten führender Sphären gedacht haben; ob sie diese Systeme von Ringen nur als ideale Anschauungen, als Fictionen der Gedankenwelt betrachteten, nach denen schwierige Probleme des Planetenlaufs erklärt und annähernd berechnet werden könnten: sind Fragen, welche ich schon an einem anderen OrteKosmos Bd. II. S. 352 und 506 [Anm. 921]. berührt habe und 166 welche für die Geschichte der Astronomie, wenn sie Entwickelungsperioden zu unterscheiden strebt, nicht ohne Wichtigkeit sind.
Ehe wir von der uralten, aber künstlichen, Zodiacal-Gruppirung der Fixsterne, wie man sich dieselben an feste Sphären angeheftet dachte, zu ihrer natürlichen, reellen Gruppirung und den schon erkannten Gesetzen relativer Vertheilung übergehen; müssen wir noch bei einigen sinnlichen Erscheinungen der einzelnen Weltkörper: ihren überdeckenden Strahlen, ihren scheinbaren, unwahren Durchmessern und der Verschiedenheit ihrer Farbe, verweilen. Von dem Einfluß der sogenannten Sternschwänze, welche der Zahl, Lage und Länge nach bei jedem Individuum verschieden sind, habe ich schon bei den Betrachtungen über die Unsichtbarkeit der JupitersmondeKosmos Bd. III. S. 67 und 113 [Anm. 1093]. gehandelt. Das undeutliche Sehen (la vue indistincte) hat vielfache organische Ursachen: welche von der Aberration der Sphäricität des Auges, von der Diffraction an den Rändern der Pupille oder an den Wimpern, und von der sich mehr oder weniger weit aus einem gereizten Punkte fortpflanzenden Irritabilität der Netzhaut abhangen.»Les principales causes de la vue indistincte sont: aberration de sphéricité de l'oeil, diffraction sur les bords de la pupille, communication d'irritabilité à des points voisins sur la rétine. La vue confuse est celle où le foyer ne tombe pas exactement sur la rétine, mais tombe an devant ou derrière la rétine. Les queues des étoiles sont l'effet de la vision indistincte autant qu'elle dépend de la constitution du cristallin. D'après un très ancien mémoire de Hassenfratz (1809) »les queues au nombre de 4 ou 8 qu'offrent les étoiles ou une bougie vue à 25 mètres de distance, sont les caustiques du cristallin formées par l'intersection des rayons réfractés.« Ces caustiques se mouvent à mesure que nous inclinons la tête. – La propriété de la lunette de terminer l'image fait qu'elle concentre dans un petit espace la lumière qui sans cela en aurait occupé un plus grand. Cela est vrai pour les étoiles fixes et pour les disques des planètes. La lumière des étoiles qui n'ont pas de disques réels, conserve la même intensité, quel que soit le grossissement. Le fond de l'air duquel se détache l'étoile dans la lunette, devient plus noir par le grossissement, qui dilate les molécules de l'air qu'embrasse le champ de la lunette. Les planètes à vrais disques deviennent elles-mêmes plus pâles par cet effet de dilatation. – Quand la peinture focale est nette, quand les rayons partis d'un point de l'objet se sont concentrés en un seul point dans l'image, l'oculaire donne des résultats satisfaisants. Si au contraire les rayons émanés d'un point ne se réunissent pas au foyer en un seul point, s'ils y forment un petit cercle, les images de deux points contigus de l'objet empiètent nécessairement l'une sur l'autre; leurs rayons se confondent. Cette confusion la lentille oculaire ne saurait la faire disparaître. L'office qu'elle remplit exclusivement, c'est de grossir; elle grossit tout ce qui est dans l'image, les défauts comme le reste. Les étoiles n'ayant pas de diamètres angulaires sensibles, ceux qu'elles conservent toujours, tiennent pour la plus grande partie au manque de perfection des instrumens (à la courbure moins régulière donnée aux deux faces de la lentille objective) et à quelques défauts et aberrations de notre oeil. Plus une étoile semble petite, tout étant égal quant au diamètre de l'objectif, au grossissement employé et à l'éclat de l'étoile observée: et plus la lunette a de perfection. Or le meilleur moyen de juger si les étoiles sont très petites, si des points sont représentés au foyer par de simples points, c'est évidemment de viser à des étoiles excessivement rapprochées entr'elles et de voir si dans les étoiles doubles connues les images se confondent, si elles empiètent l'une sur l'autre, ou bien si on les aperçoit bien nettement séparées.« (Arago, Handschr. von 1834 und 1847.) Ich sehe sehr regelmäßig acht Strahlen unter Winkeln von 45° bei Sternen 1ter bis 3ter Größe. Da nach Hassenfratz diese Strahlungen sich auf der Krystallinse kreuzende Brennlinien (caustiques) sind, so bewegen sie sich, je nachdem man den Kopf nach einer oder der anderen Seite neigt.Hassenfratz sur les rayons divergens des Étoiles in Delamétherie, Journal de Physique T. LXIX. 1809 p. 324. Einige meiner astronomischen Freunde sehen nach oben hin 3, höchstens 4 Strahlen, und nach unten gar keine. Merkwürdig hat es mir immer geschienen, daß die alten Aegypter den Sternen regelmäßig nur 5 Strahlen (also um je 72° 167 entfernt) geben, so daß dies Sternzeichen nach Horapollo hieroglyphisch die Zahl 5 bedeuten sollHora pollinis Niloi Hieroglyphica ed. Conr. Leemans 1835 cap. 13 p. 20. Der gelehrte Herausgeber (Leemans) erinnert aber gegen Jomard (Descr. de l'Égypte T. VII. p. 423), daß der Stern als Zahlzeichen 5 bisher auf den Monumenten und Papyrusrollen noch nicht gefunden worden ist. (Horap. p. 194.).
Die Sternschwänze verschwinden, wenn man das Bild der strahlenden Sterne (ich habe oft Canopus wie Sirius auf diese Weise beobachtet) durch ein sehr kleines mit einer Nadel in eine Karte gemachtes Loch empfängt. Eben so ist es bei dem telescopischen Sehen mit starker Vergrößerung: in welchem die Gestirne entweder als leuchtende Punkte von intensiverem Lichte oder auch wohl als überaus kleine Scheiben sich darstellen. Wenn gleich das schwächere Funkeln der Fixsterne unter den Wendekreisen einen gewissen Eindruck der Ruhe gewährt, so würde mir doch, bei unbewaffnetem Auge, eine völlige Abwesenheit aller Sternstrahlung das Himmelsgewölbe zu veröden scheinen. Sinnliche Täuschung, undeutliches Sehen vermehren vielleicht die Pracht der leuchtenden Himmelsdecke. Arago hat schon längst die Frage aufgeworfen: warum trotz der großen Lichtstärke der Fixsterne erster Größe man nicht diese, und doch den äußersten Rand der MondscheibeAuf spanischen Schiffen in der Südsee habe ich bei Matrosen den Glauben gefunden, daß man vor dem ersten Viertel das Alter des Mondes bestimmen könne, wenn man die Mondscheibe durch ein seidenes Gewebe betrachte und die Vervielfältigung der Bilder zähle; – ein Phänomen der Diffraction durch seine Spalten. am Horizonte beim Aufgehen erblicke?
Die vollkommensten optischen Werkzeuge, die stärksten Vergrößerungen geben den Fixsternen falsche Durchmesser (spurious disks, diamètres factices): welche nach Sir John Herschel's BemerkungOutliners § 816. Arago hat den falschen Durchmesser des Aldebaran im Fernrohr von 4" bis 15" wachsen machen, indem er das Objectiv verengte. »bei gleicher Vergrößerung um so kleiner werden, als die Oeffnung des Fernrohrs wächst«. Verfinsterungen der Sterne durch die Mondscheibe beweisen, wie Ein- und Austritt dergestalt augenblicklich sind, daß keine Fraction einer Zeitsecunde für die Dauer erkannt werden kann. Das oft beobachtete Phänomen des sogenannten Klebens des eintretenden Sternes auf der Mondscheibe 168 ist ein Phänomen der Lichtbeugung, welches in keinem Zusammenhange mit der Frage über die Sterndurchmesser steht. Wir haben schon an einem anderen Orte erinnert, daß Sir William Herschel bei einer Vergrößerung von 6500mal den Durchmesser von Wega noch 0",36 fand. Das Bild des Arcturus wurde in einem dichten Nebel so verkleinert, daß die Scheibe noch unter 0",2 war. Auffallend ist es, wie wegen der Täuschung, welche die Sternstrahlung erregt, vor der Erfindung des telescopischen Sehens Kepler und Tycho dem Sirius Durchmesser von 4' und 2' 20" zuschrieben.Delambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. I. p. 193; Arago, Annuaire 1842 p. 366. Die abwechselnd lichten und dunkeln Ringe, welche die kleinen falschen Sternscheiben bei Vergrößerungen von zwei- bis dreihundertmal umgeben und die bei Anwendung von Diaphragmen verschiedener Gestalt irisiren, sind gleichzeitig die Folgen der Interferenz und der Diffraction: wie Arago's und Airy's Beobachtungen lehren. Die kleinsten Gegenstände, welche telescopisch noch deutlich als leuchtende Punkte gesehen werden (doppelte Doppelsterne, wie ε der Leier; der 5te und 6te Stern, den Struve im Jahr 1826 und Sir John Herschel im Jahr 1832 im Trapezium des großen Nebelfleckes des Orion entdeckt haben»Minute and very close companions, the severest tests which can be applied to a telescope«; outlines § 837. Vergl. auch Sir John Herschel, Capreise p. 29 und Arago im Annuaire pour 1834 p. 302–305. Unter den planetarischen Weltkörpern können zur Prüfung der Lichtstärke eines stark vergrößernden optischen Instruments dienen: der 1te und 4te, von Lassell und Otto Struve 1847 wieder gesehene Uranus-Trabant; die beiden innersten und der 7te Saturnstrabant (Mimas, Enceladus und Bond's Hyperion); der von Lassell aufgefundene Neptunsmond. Das Eindringen in die Tiefen der Himmelsräume veranlaßt Bacon in einer beredten Stelle zum Lobe Galilei's, dem er irrigerweise die Erfindung der Fernröhre zuschreibt, diese mit Schiffen zu vergleichen, welche die Menschen in einen unbekannten Ocean leiten, »ut propiora exercere possint cum coelestibus commercia«; Works of Francis Bacon 1740 Vol. I. Novum Organon p. 361., welches der vierfache Stern ϑ des Orion bildet), können zur Prüfung der Vollkommenheit und Lichtfülle optischer Instrumente, der Refractoren wie der Reflectoren, angewandt werden.
Eine Farbenverschiedenheit des eigenthümlichen Lichtes der Fixsterne wie des reflectirten Lichtes der Planeten ist von früher Zeit an erkannt; aber die Kenntniß dieses merkwürdigen Phänomens ist erst durch das telescopische Sehen, besonders seitdem man sich lebhaft mit den 169 Doppelsternen beschäftigt hat, wundersam erweitert worden. Es ist hier nicht von dem Farbenwechsel die Rede, welcher, wie schon oben erinnert worden ist, das Funkeln auch in den weißesten Gestirnen begleitet; noch weniger von der vorübergehenden, meist röthlichen Färbung, welche nahe am Horizont wegen der Beschaffenheit des Mediums (der Luftschichten, durch die wir sehen) das Sternlicht erleidet: sondern von dem weißen oder farbigen Sternlichte, das als Folge eigenthümlicher Lichtprocesse und der ungleichen Constitution seiner Oberfläche jeder Weltkörper ausstrahlt. Die griechischen Astronomen kennen bloß rothe Sterne: während die neueren an der gestirnten Himmelsdecke, in den vom Licht durchströmten Gefilden, wie in den Blumenkronen der Phanerogamen und den Metall-Oxyden, fast alle Abstufungen des prismatischen Farbenbildes zwischen den Extremen der Brechbarkeit, den rothen und violetten Strahlen, telescopisch aufgefunden haben. Ptolemäus nennt in seinem Fixstern-Catalog 6 Sterne ὑπόκιῤῥοι feuerröthlich»Der Ausdruck ὑπόκιῤῥος, dessen sich Ptolemäus in seinem Catalog für die 6 von ihm genannten Sterne gleichförmig bedient, bezeichnet einen geringen Grad des Ueberganges von feuergelb in feuerroth; er bedeutet also, genau zu sprechen, feuerröthlich. Den übrigen Fixsternen scheint er im allgemeinen (Almag. VIII, 3 ed. Halma . II. p. 94) das Prädicat ξανϑός, feuergelb, zu geben. Κιῤῥος ist nach Galenus (Methodus medendi 12) ein blasses Feuerroth, das in Gelb spielt. Gellius vergleicht das Wort mit melinus: was nach Servius so viel bedeutet als gilvus und fulvus. Da Sirius von Seneca (Nat. Quaest. I, 1) röther als Mars genannt wird, und derselbe zu den Sternen gehört, welche im Almagest ὑπόκιῤῥοι genannt werden, so bleibt kein Zweifel, daß das Wort das Vorherrschen oder wenigstens einen gewissen Antheil rother Strahlen andeutet. Die Behauptung, daß das Beiwort ποικίλος, welches Aratus v. 327 dem Sirius beilegt, von Cicero durch rutilus übersetzt worden sei, ist irrig. Cicero sagt allerdings v. 348:
allein rutilo cum lumine ist nicht Übersetzung des ποικίλος, sondern ein Zusatz des freien Uebersetzers.« (Aus Briefen des Herrn Professor Franz an mich.) »Si en substituant rutilus«, sagt Arago (Annuaire 1842 p. 351) »au terme grec d'Aratus, l'orateur romain renonce à dessein à la fidélité, il faut supposer que lui-même avait reconnu les propriétés rutilantes de la lumière de Sirius.«
Namque pedes subter rutilo eum lumine claret
Fervidus ille Canis stellarum luce refulgens;
Der Wunsch, welchen ich lebhaft geäußert: der historischen Epoche, in welche das Verschwinden der Röthe des Sirius fällt, mit mehr Sicherheit auf die Spur zu kommen, ist theilweise durch den rühmlichen Fleiß eines jungen Gelehrten, der eine treffliche Kenntniß orientalischer Sprachen mit ausgezeichnetem mathematischen Wissen verbindet, Dr. Wöpcke, erfüllt worden. Der Uebersetzer und Commentator der wichtigen Algebra des Omar Alkhayyami schreibt mir (aus Paris, im August 1851): »Ich habe in Bezug auf Ihre im astronomischen Bande des Kosmos enthaltene Aufforderung die 4 hier befindlichen Manuscripte der Uranographie des Abdurrahman Al-Sufi nachgesehen; und gefunden, daß darin α Bootis, α Tauri, α Scorpii und α Orionis sämmtlich ausdrücklich roth genannt werden: Sirius dagegen nicht. Vielmehr lautet die auf diesen bezügliche Stelle in allen 4 Manuscripten übereinstimmend so: »der erste unter den Sternen desselben (des Großen Hundes) ist der große, glänzende an seinem Munde, welcher auf dem Astrolabium verzeichnet ist und Al-je-maanijah genannt wird.«« – Wird aus dieser Untersuchung und aus dem, was ich aus Alfragani angeführt, nicht wahrscheinlich, daß der Farbenwechsel zwischen Ptolemäus und die Araber fällt?
Von den 6 oben aufgezählten Sternen haben 5 noch zu unserer Zeit ein rothes oder röthliches Licht. Pollux wird noch als röthlich, aber Castor als grünlich aufgeführt.Mädler, Astronomie 1849 S. 391. Sirius gewährt demnach das einzige Beispiel einer historisch erwiesenen Veränderung der Farbe, denn er hat gegenwärtig ein vollkommen weißes Licht. Eine große NaturrevolutionSir John Herschel im Edinb. Review Vol. 87 1848 p. 189 und in Schum. astr. Nachr. 1839 No. 372: »It seems much more likely that in Sirius a red colour should be the effect of a medium interfered, than that in the short space of 2000 years so vast a body should have actually undergone such a material change in its physical constitution. It may be supposed the existence of some sort of cosmical cloudiness, subject to internal movements, depending on causes of which we are ignorant.« (Vergleiche Arago im Annuaire pour 1842 p. 350–353.) muß allerdings auf der Oberfläche oder in der 170 Photosphäre eines solchen Fixsternes (einer fernen Sonne, wie schon Aristarch von Samos die Fixsterne würde genannt haben) vorgegangen sein, um den Proceß zu stören, vermöge dessen die weniger brechbaren rothen Strahlen durch Entziehung (Absorption) anderer Complementar-Strahlen (sei es in der Photosphäre des Sternes selbst, sei es in wandernden kosmischen Gewölken) vorherrschend wurden. Es wäre zu wünschen, da dieser Gegenstand bei den großen Fortschritten der neueren Optik ein lebhaftes Interesse auf sich gezogen hat, daß man die Epoche einer solchen Naturbegebenheit, des Verschwindens der Röthung des Sirius, durch Bestimmung gewisser Zeitgrenzen, auffinden könne. Zu Tycho's Zeit hatte Sirius gewiß schon weißes Licht; denn als man mit Verwunderung den neuen in der Cassiopeja 1572 erschienenen blendend weißen Stern im Monat März 1573 sich röthen und im Januar 1574 wieder weiß werden sah, wurde der rothe Stern mit Mars und Aldebaran, aber nicht mit Sirius verglichen. Vielleicht möchte es Sédillot oder anderen mit der arabischen und persischen Astronomie vertrauten Philologen [s. nebenstehenden Zusatz] glücken in den Zeitabständen von El-Batani (Albategnius) und El-Fergani (Alfraganus) bis Abdurrahman Sufi und Ebn-Junis (von 880 bis 1007), von Ebn-Junis bis Naßir-Eddin und Ulugh Beg (von 1007 bis 1437) irgend ein Zeugniß für die damalige Farbe des Sirius aufzufinden. El-Fergani (eigentlich Mohammed Ebn-Kethir El-Fergani), welcher schon in der Mitte des 10ten Jahrhunderts zu Rakka (Aracte) am Euphrat beobachtete, nennt als rothe Sterne (stellae ruffae sagt die alte lateinische Uebersetzung von 1590) wohl den Aldebaran und, räthselhaft 171 genugIn Muhamedis Alfragani Chronologica et astronomica elementa, ed. Jacobus Chistmannus 1590, cap. 22 p. 97 heißt es: »stella ruffa in Tauro Aldebaran; stella ruffa in Geminis quae appellatur Hajok, hoc est Capra«. Alhajoc, Aijuk sind aber im arabisch-lateinischen Almagest die gewöhnlichen Namen der Capella im Fuhrmann. Argelander bemerkt dazu mit Recht: daß Ptolemäus in dem ächten, durch Styl und alte Zeugnisse bewährten, astrologischen Werke (τετράβιβλος σύνταξις) nach Aehnlichkeit der Farbe Planeten an Sterne knüpft und so Capella mit Martis stella, quae urit sicut congruit igneo ipsius colori, mit Aurigae stella verbindet. (Vergl. Ptol. quadripart. construct. libri IV, Basil. 1551 p. 383.) Auch Riccioli (Almagestum novum ed. 1650 T. I. Pars 1. lib. VI cap. 2 p. 394) rechnet Capella neben Antares, Aldebaran und Arcturus zu den rothen Sternen. [S. den obigen Zusatz.], die jetzt gelbe, kaum röthlich gelbe Capella; nicht aber den Sirius. Allerdings würde es auffallend sein, wäre Sirius zu seiner Zeit schon nicht mehr roth gewesen, daß El-Fergani, der überall dem Ptolemäus folgt, die Farbenveränderung in einem so berühmten Stern nicht sollte bezeichnet haben. Negative Gründe sind allerdings selten beweisend; und auch bei Beteigeuze (α Orionis), der jetzt noch roth ist wie zu des Ptolemäus Zeiten, erwähnt El-Fergani in derselben Stelle der Farbe nicht.
Es ist längst anerkannt, daß unter allen hell leuchtenden Fixsternen des Himmels Sirius in chronologischer Hinsicht, wie in seiner historischen Anknüpfung an die früheste Entwickelung menschlicher Cultur im Nilthale, die erste und wichtigste Stelle einnimmt. Die Sothis-Periode und der heliacische Aufgang der Sothis (Sirius), über die Biot eine vortreffliche Arbeit geliefert hat, verlegt nach den neuesten Untersuchungen von LepsiusS. die Chronologie der Aegypter von Richard Lepsius Bd. I. 1849 S. 190–195 und 213. Die vollständige Einrichtung des ägyptischen Calenders wird in die früheste Epoche des Jahres 3285 vor unserer Zeitrechnung: d. i. ohngefähr anderthalb Jahrhunderte nach der Erbauung der großen Pyramide des Cheops-Chufu, und 940 Jahre vor der gewöhnlichen Angabe der Sündfluth, gesetzt (vergl. Kosmos Bd. II. S. 402 [Anm. 589]). In der Berechnung über den Umstand, daß die von Oberst Vyse gemessene Inclination des unterirdischen, in das Innere der Pyramide führenden, engen Ganges sehr nahe dem Winkel von 26° 15' entspricht, welchen zu den Zeiten des Cheops (Chufu) der den Pol bezeichnende Stern α des Drachen in der unteren Culmination zu Gizeh erreichte; ist die Epoche des Pyramidenbaues nicht, wie nach Lepsius im Kosmos, zu 3430, sondern (outlines of Astr. § 319) zu 3970 vor Chr. angenommen. Dieser Unterschied von 540 Jahren widerstreitet um so weniger der Annahme, daß α Drac. für den Polarstern galt, als derselbe im Jahr 3970 noch 3° 44' vom Pole abstand. die vollständige Einrichtung des ägyptischen Calenders in jene uralte Epoche von fast 33 Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung: »in welcher nicht nur die Sommer-Sonnenwende und folglich der Anfang des Nil-Anschwellens auf den Tag des ersten Wassermonats (auf den ersten Pachon) fiel, sondern auch der heliacische Aufgang der Sothis«. Die neuesten, bisher unveröffentlichten, etymologischen Versuche über Sothis und Sirius aus dem Koptischen, dem Zend, Sanskrit und Griechischen werde ich in eine NoteAus freundschaftlichen Briefen des Prof. Lepsius (Februar 1850) habe ich folgendes geschöpft: »Der ägyptische Name des Sirius ist Sothis, als ein weibliches Gestirn bezeichnet; daher griechisch ἡ Σῶϑις identificirt mit der Göttinn Sote (hieroglyphisch öfters Sit) und im Tempel des großen Ramses in Theben mit Isis-Sothis (Lepsius, Chronol. der Aegypter Bd. I. S. 119 und 136). Die Bedeutung der Wurzel findet sich im Koptischen: und zwar mit einer zahlreichen Wortfamilie verwandt, deren Glieder scheinbar weit aus einander gehen, sich aber folgendermaßen ordnen lassen. Durch dreifache Uebertragung der Verbal-Bedeutung erhält man aus der Urbedeutung auswerfen, projicere (sagittam, telum): erst säen, seminare; dann extendere, ausdehnen, ausbreiten (gesponnene Fäden); endlich, was hier am wichtigsten ist, Licht ausstrahlen und glänzen (von Sternen und Feuer). Auf diese Reihe der Begriffe lassen sich die Namen der Gottheiten Satis (die Schützinn), Sothis (die Strahlende) und Seth (der Feurige) zurückführen. Hieroglyphisch lassen sich nachweisen: sit oder seti, der Pfeil wie auch der Strahl; seta, spinnen; setu, ausgestreute Körner. Sothis ist vorzugsweise das hellstrahlende, die Jahreszeiten und Zeitperioden regelnde Gestirn. Der kleine, immer gelb dargestellte Triangel, der ein symbolisches Zeichen der Sothis ist, wird, vielfach wiederholt und an einander gereihet (in dreifachen Reihen, von der Sonnenscheibe abwärts ausgehend), zur Bezeichnung der strahlenden Sonne benutzt! Seth ist der Feuergott, der sengende: im Gegensatz der wärmenden, befruchtenden Nilfluth, der die Saaten tränkenden weiblichen Gottheit Satis. Diese ist die Göttinn der Cataracten: weil mit dem Erscheinen der Sothis am Himmel zur Zeit der Sommerwende das Anschwellen des Nils begann. Bei Vettius Valens wird der Stern selbst Σὴϑ statt Sothis genannt; keineswegs aber kann man, wie Ideler gethan hat (Handbuch der Chronologie Bd. I. S. 126), dem Namen oder der Sache nach auch Toth mit Seth oder Sothis identificiren.« (Lepsius Bd. I. S. 136.)
Diesen Betrachtungen aus der ägyptischen Urzeit lasse ich die hellenischen, Zend- und Sanskrit-Etymologien folgen: »Σείρ, die Sonne«, sagt Professor Franz, »ist ein altes Stammwort, nur mundartlich verschieden von ϑερ, ϑέρος, die Hitze, der Sommer: wobei die Veränderung des Vocallautes wie in τεῖρος und τέρος oder τέρας hervortritt. Zum Beweis der Richtigkeit der angegebenen Verhältnisse der Stammwörter σεὶρ und ϑερ, ϑέρος dient nicht nur die Anwendung von ϑερείτατος bei Aratus v. 149 (Ideler, Sternnamen S. 241); sondern auch der spätere Gebrauch der aus σεὶρ abgeleiteten Formen σειρὸς, σείριος, σειρινός, heiß, brennend. Es ist nämlich bezeichnend, daß σειρὰ oder σειρινὰ ἱμάτια eben so gesagt wird wie ϑερινὰ ἱμάτια leichte Sommerkleider. Ausgebreiteter aber sollte die Anwendung der Form σείριος werden, sie bildete das Beiwort aller Gestirne, welche Einfluß auf die Sommerhitze haben: daher nach der Ueberlieferung des Dichters Archilochus die Sonne σείριος ἀστὴρ hieß und Ibycus die Gestirne überhaupt σείρια, die leuchtenden, nennt. Daß in den Worten des Archilochus: πολλοὺς μὲν αὐτοῦ σείριος καταυανεῖ ὀξὺς ἐλλάμπων die Sonne wirklich gemeint ist, läßt sich nicht bezweifeln. Nach Hesychius und Suidas bedeutet allerdings Σείριος Sonne und Hundsstern zugleich; aber daß die Stelle des Hesiodus (Opera et Dies v. 417) wie Tzetzes und Proclus wollen, sich auf die Sonne und nicht auf den Hundsstern beziehe, ist mir eben so gewiß als dem neuen Herausgeber des Theon aus Smyrna, Herrn Martin. Von dem Adjectivum σείριος, welches sich als epitheton perpetuum des Hundssternes selbst festgesetzt hat, kommt das Verbum σειριᾷν, das durch funkeln übersetzt werden kann. Aratus v. 331 sagt vom Sirius: ὀξέα σειριάει, er funkelt scharf. Eine ganz andere Etymologie hat das allein stehende Wort Σειρήν, die Sirene; und Ihre Vermuthung, daß es wohl nur eine zufällige Klang-Aehnlichkeit mit dem Leuchtstern Sirius habe, ist vollkommen begründet. Ganz irrig ist die Meinung derer, welche nach Theon Smyrnäus (liber de Astronomia 1850 p. 202) Σειρὴν von σειριάζειν (einer übrigens auch unbeglaubigten Form für σειριᾷν) ableiten. Während daß in σείριος die Bewegung der Hitze und des Leuchtens zum Ausdruck kommt, liegt dem Worte Σειρὴν eine Wurzel zum Grunde, welche den fließenden Ton des Naturphänomens darstellt. Es ist mir nämlich wahrscheinlich, daß Σειρὴν mit εἴρειν (Plato, Cratyl. 389 D τὸ γὰρ εἴρειν λέγειν ἐστί) zusammenhängt, dessen ursprünglich scharfer Hauch in den Zischlaut überging.« (Aus Briefen des Prof. Franz an mich, Januar 1850.) Das griechische Σείρ, die Sonne, laßt sich nach Bopp »leicht mit dem Sanskritworte svar vermitteln. das freilich nicht die Sonne, sondern den Himmel (als etwas glänzendes) bedeutet. Die gewöhnliche Sanskrit-Benennung der Sonne ist sûrya, eine Zusammenziehung von svârya, das nicht vorkommt. Die Wurzel svar bedeutet im allgemeinen glänzen, leuchten. Die zendische Benennung der Sonne ist hvare, mit h für s. Das griechische ϑερ, ϑέρος und ϑερμὸς kommt von dem Sanskritworte gharma (Nom. gharmas) Wärme, Hitze, her.« Der scharfsinnige Herausgeber des Rigveda, Max Müller, bemerkt, daß »der indische astronomische Name des Hundssternes vorzugsweise lubdhaka ist, welches Jäger bedeutet: eine Bezeichnung, die, wenn man an den nahen Orion denkt, auf eine uralte gemeinschaftliche arische Anschauung dieser Sterngruppe hinzuweisen scheint.« Er ist übrigens am meisten geneigt »Σείριος von dem vedischen Worte sira (davon ein Adjectivum sairya) und der Wurzel sri, gehen, wandeln, abzuleiten: so daß die Sonne und der hellste der Sterne, Sirius, ursprünglich Wandelstern hießen.« (Vergl. auch Pott, etymologische Forschungen 1833 S. 130.)
172 Entschieden weiß sind gegenwärtig, außer Sirius: Wega, Deneb, Regulus und Spica; auch unter den kleinen Doppelsternen zählt Struve an 300 auf, in denen beide Sterne weiß sind.Struve, Stellarum compositarum Mensurae micrometricae 1837 p. LXXIV und LXXXIII. Gelbes und gelbliches Licht haben Procyon, Atair, der Polarstern und besonders β des Kleinen Bären. Von rothen und röthlichen großen Sternen haben wir schon Beteigeuze, Arcturus, Aldebaran, Antares und Pollux genannt. Rümker findet γ Crucis von schöner rother Farbe; und mein vieljähriger Freund, Capitän Bérard, ein vortrefflicher Beobachter, schrieb aus Madagascar 1847, daß er seit einigen Jahren auch α Crucis sich röthen sehe. Der durch Sir John Herschel's Beobachtungen berühmt gewordene Stern im Schiffe, η Argûs, dessen ich bald umständlicher erwähnen werde, verändert nicht bloß seine Lichtstärke, er verändert auch seine Farbe. Im Jahre 1843 fand in Calcutta Herr Mackay diesen Stern an Farbe dem Arcturus gleich, also röthlich gelbSir John Herschel, Capreise p. 34.; aber in Briefen aus Santiago de Chile vom Februar 1850 nennt ihn Lieutenant Gilliß von dunklerer Farbe als Mars. Sir John Herschel giebt am Schluß seiner Capreise ein Verzeichniß von 76 rubinfarbigen (ruby coloured) kleinen Sternen 7ter bis 9ter Größe. Einige erscheinen im Fernrohr wie Blutstropfen. Auch die Mehrzahl der veränderlichen Sterne wird als roth und röthlich beschrieben.Mädler, Astronomie S. 436. Ausnahmen machen: Algol am Kopf der Medusa, β Lyrae, ε Aurigae . . .; die ein rein weißes Licht haben. Mira Ceti, deren periodischer Lichtwechsel am frühesten erkanntKosmos Bd. II. S. 367 und 513 Anm. 946. worden ist, hat ein stark röthliches Licht; aber die Veränderlichkeit von Algol, β Lyrae . . . beweist, daß die rothe Farbe nicht eine nothwendige Bedingung der Lichtveränderung 173 sei: wie denn auch mehrere rothe Sterne nicht zu den veränderlichen gehören. Die lichtschwächsten Sterne, in denen noch Farben zu unterscheiden sind, gehören nach Struve in die 9te und 10te Größe. Der blauen Sterne hat zuerstArago, Annuaire pour 1842 p. 348. Mariotte 1686 in seinem traité des couleurs gedacht. Bläulich ist η der Leier. Ein kleiner Sternhaufen von 3½ Minute Durchmesser am südlichen Himmel besteht nach Dunlop bloß aus blauen Sternchen. Unter den Doppelsternen giebt es viele, in welchen der Hauptstern weiß und der Begleiter blau ist; einige, in denen Hauptstern und Begleiter beide ein blaues LichtStruve, Stellae compos. p. LXXXII. haben (so δ Serp. und 59 Androm.. Bisweilen sind, wie in dem, von Lacaille für einen Nebelfleck gehaltenen Sternschwarm bei κ des südlichen Kreuzes, über hundert vielfarbige (rothe, grüne, blaue und blaugrüne) Sternchen so zusammengedrängt, daß sie wie polychrome Edelgesteine (like a superb piece of fancy jewellerySir John Herschel, Capreise p. 17 und 102 (Nebulae and Clusters No. 3435).) in großen Fernröhren erscheinen.
Die Alten glaubten in der Stellung gewisser Sterne erster Größe eine merkwürdige symmetrische Anordnung zu erkennen. So war ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise auf die sogenannten vier königlichen Gestirne, welche sich in der Sphäre gegenüber stehen: auf Aldebaran und Antares, Regulus und Fomalhaut, gerichtet. Wir finden dieser regelmäßigen Anordnung, die ich schon an einem anderen OrteHumboldt, Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. II. p. 55. behandelt, ausführlich bei einem späten römischen Schriftsteller, aus der constantinischen Zeit, dem Julius Firmicus MaternusJulii Firmici Materni Astron. libri VIII, Basil. 1551, lib. VI cap. 1 p. 150., erwähnt. Die Rectascensional-Unterschiede der königlichen Sterne, stellae regalers, sind: 11h 57' und 12h 49'. Die Wichtigkeit, welche man diesem Gegenstande beilegte, ist wahrscheinlich auf 174 Ueberlieferungen aus dem Orient gegründet, welche unter den Cäsaren mit einer großen Vorliebe zur Astrologie in das römische Reich eindrangen. Eine dunkle Stelle des Hiob (9, 9), in welcher »den Kammern des Südens« der Schenkel, d. i. das Nordgestirn des Großen Bären (der berühmte Stierschenkel auf den astronomischen Darstellungen von Dendera und in dem ägyptischen Todtenbuche) entgegengesetzt wurde, scheint ebenfalls durch 4 Sternbilder die 4 Himmelsgegenden bezeichnen zu wollen.Lepsius, Chronol. der Aegypter Bd. I. S. 143. »Im hebräischen Texte werden genannt: Asch, der Riese (Orion?), das Vielgestirn (die Plejaden, Gemut?) und die Kammern des Südens. Die Siebzig übersetzen: ὁ ποιῶν Πλειάδα καὶ Ἕσπερον καὶ Ἀρκτοῦρον καὶ ταμεῖα νότου.
Wenn dem Alterthum, ja dem späten Mittelalter ein großer und schöner Theil des südlichen Himmels jenseits der Gestirne von 53° südlicher Abweichung verhüllt geblieben war, so wurde die Kenntniß des Südhimmels ohngefähr hundert Jahre vor der Erfindung und Anwendung des Fernrohrs allmälig vervollständigt. Zur Zeit des Ptolemäus sah man am Horizont von Alexandrien: den Altar; die Füße des Centaur; das südliche Kreuz, zum Centaur gerechnet oder auch wohlIdeler, Sternnamen S. 295. zu Ehren des Augustus (nach Plinius) Caesaris Thronus genannt; endlich Canopus (Canobus) im Schiffe, den der Scholiast zum GermanicusMatrianus Capella verwandelt das Ptolemaeon in Ptolemaeus; beide Namen waren von den Schmeichlern am ägyptischen Königshofe ersonnen. Amerigo Vespucci glaubt drei Canopen gesehen zu haben, deren einer ganz dunkel (fosco) war; »Canopus ingens et niger«, sagt die lateinische Uebersetzung: gewiß einer der schwarzen Kohlensäcke (Humboldt. Examen crit. de la Géogr. T. V. p. 227–229). In den oben angeführten elem. Chronol. et Astron. von El-Fergaui (p. 100) wird erzählt, daß die christlichen Pilgrime den Sohel der Araber (Canopus) den Stern der heil. Catharina zu nennen pflegen: weil sie die Freude haben ihn zu sehen und als Leitstern zu bewundern, wenn sie von Gaza nach dem Berg Sinai wandern. In einer schönen Episode des ältesten Heldengedichts der indischen Vorzeit, des Ramayana, werden die dem Südpol näheren Gestirne aus einem sonderbaren Grunde für neuer geschaffen erklärt denn die nördlicheren. Als nämlich die von Nordwesten in die Ganges-Länder eingewanderten brahmanischen Indier von dem 30ten Grade nördl. Breite an weiter in die Tropenländer vordrangen und dort die Urbewohner unterjochten, sahen sie, gegen Ceylon vorschreitend, ihnen unbekannte Gestirne am Horizonte aufsteigen. Nach alter Sitte vereinigten sie dieselben zu neuen Sternbildern. Eine kühne Dichtung ließ die später erblickten Gestirne später erschaffen werden durch die Wunderkraft des Visvamitra. Dieser bedrohte »die alten Götter, mit seiner sternreicheren südlichen Hemisphäre die nördliche zu überbieten.« (A. W. von Schlegel in der Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Bd. I. S. 240.) Wenn in dieser indischen Mythe das Erstaunen wandernder Völker über den Anblick neuer Himmelsgefilde sinnig bezeichnet wird (der berühmte spanische Dichter Garcilaso de la Vega sagt von den Reisenden: sie wechseln [gleichzeitig] Land und Sterne, mudan de pays y de estrellas); so wird man lebhaft an den Eindruck erinnert, welchen an einem bestimmten Punkte der Erde das Erscheinen (Aufsteigen am Horizont) bisher ungesehener großer Sterne: wie der in den Füßen des Centauren, im südlichen Kreuze, im Eridanus oder im Schiffe, und das völlige Verschwinden der lange heimathlichen auch in den rohesten Völkern erweckt haben muß. Die Fixsterne kommen zu uns und entfernen sich wieder durch das Vorrücken der Nachtgleichen. Wir haben an einem anderen Orte daran erinnert, daß das südliche Kreuz in unseren baltischen Ländern bereits 7° hoch am Horizonte leuchtete 2900 Jahre vor unserer Zeitrechnung: also zu einer Zeit, wo die großen Pyramiden Aegyptens schon ein halbes Jahrtausend standen (vergl. Kosmos Bd. I. S. 155, Bd. II. S. 333). »Canopus kann dagegen nie in Berlin sichtbar gewesen sein, da seine Distanz vom Südpol der Ekliptik nur 14° beträgt. Sie müßte 1° mehr betragen, um nur die Grenze der Sichtbarken für unseren Horizont zu erreichen.« das Ptolemaeon nennt. Im Catalog des Almagest ist auch der Stern erster Größe, der letzte im Flusse Eridanus (arabisch achir el-nahr) Achernar, aufgeführt: ob er gleich 9° unter dem Horizont war. Eine Nachricht von der Existenz dieses Sternes war also dem Ptolemäus aus südlicheren Schifffahrten im rothen Meere oder zwischen Ocelis und dem malabarischen Stapelplatze MuzirisKosmos Bd. II. S. 203. zugeführt worden. Die Vervollkommnung der Nautik führte längs der westlichen afrikanischen Küste allerdings schon 175 1484 Diego Cam in Begleitung von Martin Behaim, 1487 Bartholomäus Diaz, 1497 Gama auf der Fahrt nach Ostindien weit über den Aequator hinaus und in die antarctischen Gewässer bis 35° südlicher Breite; aber die erste specielle Beachtung der großen Gestirne und Nebelflecke, die Beschreibung der Magellanischen Wolken und der Kohlensäcke, ja der Ruf von den »Wundern des im Mittelmeere nicht gesehenen Himmels«, gehört der Epoche von Vicente Yañez Pinzon, Amerigo Vespucci und Andrea Corsali zwischen 1500 und 1515 an. Sternabstände am südlichen Himmel wurden am Ende des 16ten Jahrhunderts und im Anfang des 17ten gemessen.Olbers in Schumacher's Jahrbuch für 1840 S. 249 und Kosmos Bd. III. S. 151.
In der Vertheilung der Fixsterne an dem Himmelsgewölbe hat man erst angefangen gewisse Gesetze relativer Verdichtung zu erkennen, seitdem William Herschel im Jahr 1785 auf den glücklichen Gedanken verfiel die Zahl der Sterne in demselben Gesichtsfelde von 15' Durchmesser in seinem 20füßigen Spiegeltelescop in verschiedenen Höhen und Richtungen zu schätzen. Dieser mühevollen Methode der Aichungen (franz. jauges, engl. process of gauging the heavens, star-gauges) ist in diesem Werke schon mehrmals gedacht worden. Das Gesichtsfeld umfaßte jedesmal nur 1/833000 des ganzen Himmels; und solche Aichungen über die ganze Sphäre würden, nach einer Bemerkung von Struve, an 83 JahreÉtudes d'Astr. stellaire note 74 p. 31. dauern. Man muß bei den Untersuchungen über die partielle Vertheilung der Gestirne besonders die Größenclasse, zu der sie photometrisch gehören, in Anschlag bringen. Wenn man bei den hellen Sternen der ersten 3 oder 4 Größenclassen stehen bleibt: so findet man diese im ganzen ziemlich gleichförmigOutlines of Astronomy § 785. vertheilt, 176 doch örtlich in der südlichen Hemisphäre von ε des Orion bis α des Kreuzes vorzugsweise in eine prachtvolle Zone in der Richtung eines größten Kreises zusammengedrängt. Das so verschiedene Urtheil, welches von Reisenden über die relative Schönheit des südlichen und nördlichen Himmels gefällt wird, hängt, wie ich glaube, oft nur von dem Umstande ab, daß einige der Beobachter die südlichen Regionen zu einer Zeit besucht haben, in welcher der schönste Theil der Constellationen bei Tage culminirt. Durch die Aichungen beider Herschel an dem nördlichen und südlichen Himmelsgewölbe ergiebt sich, daß die Fixsterne von der 5ten und 6ten Ordnung herab bis unter die 10te und 15te Größe (besonders also die telescopischen) an Dichtigkeit regelmäßig zunehmen, je nachdem man sich den Ringen der Milchstraße (ὁ γαλαξίας κύκλος) nähert; daß es demnach Pole des Stern-Reichthums und Pole der Stern-Armuth giebt, letztere rechtwinklig der Haupt-Achse der Milchstraße. Die Dichte des Sternlichts ist am kleinsten in den Polen des galactischen Kreises; sie nimmt aber zu, erst langsam und dann schneller und schneller, von allen Seiten mit der galactischen Polar-Distanz.
Durch eine scharfsinnige und sorgfältige Behandlung der Resultate der vorhandenen Aichungen findet Struve, daß, im Mittel, im Inneren der Milchstraße 29,4mal (fast 30mal) so viel Sterne liegen als in den Regionen, welche die Pole der Milchstraße umgeben. Bei nördlichen galactischen Polar-Distanzen von 0°, 30°, 60°, 75° und 90° sind die Verhältnißzahlen der Sterne in einem Felde des Telescops von 15' Durchmesser: 4,15; 6,52; 17,68; 30,30 und 122,00. In der Vergleichung beider Zonen 177 findet sich trotz großer Aehnlichkeit in dem Gesetze der Zunahme des Stern-Reichthums doch wieder ein absolutes Uebergewicht der SternmengeA. a. O. p. 795 und 796; Struve, études d'Astronomie stellaire p. 66–73 (auch note 75). auf Seiten des schöneren südlichen Himmels.
Als ich im Jahr 1843 den Ingenieur-Hauptmann Schwinck freundschaftlich aufforderte mir die Vertheilung der 12148 Sterne (1m bis 7m inclus.), welche er auf Bessel's Anregung in seine Mappa coelestis eingetragen, nach Rectascensions-Verschiedenheit mitzutheilen, fand er in 4 Gruppen:
Rectasc. | von | 50° | – | 140° | Zahl | der | Sterne | 3147 |
" | " | 140° | – | 230° | " | " | " | 2627 |
" | " | 230° | – | 320° | " | " | " | 3523 |
" | " | 320° | – | 50° | " | " | " | 2851 |
Diese Gruppen stimmen mit den noch genaueren Resultaten der études stellaires überein, nach denen von Sternen 1m bis 9m die Maxima in Rectasc. in 6h 40' und 18h 40', die Minima in 1h 30' und 13h 30' fallen.Struve p. 59. Schwinck findet in seinen Karten RA. 0°–90° Sterne 2858, RA. 90°–180° Sterne 3011, RA. 180°–270° Sterne 2688, RA. 270°–360° Sterne 3591: Summe 12148 Sterne bis 7m.
Unter der zahllosen Menge von Sternen, welche an dem Himmel glänzen, sind wesentlich von einander zu unterscheiden, in Hinsicht auf die muthmaßliche Gestaltung des Weltbaues und auf die Lage oder Tiefe der Schichten geballter Materie: die einzeln, sporadisch zerstreuten Fixsterne; und diejenigen, welche man in abgesonderte, selbstständige Gruppen zusammengedrängt findet. Die letzteren sind Sternhaufen oder Sternschwärme, die oft viele Tausende von telescopischen Sternen in erkennbarer Beziehung zu einander enthalten und die dem unbewaffneten Auge bisweilen als runde Nebel, cometenartig leuchtend, 178 erscheinen. Das sind die nebligen Sterne des EratosthenesS. über den Nebelkreis in der rechten Hand (bei dem Schwerdtgriff) des Perseus Eratosth. Catasterismi cap. 22 p. 51 Schaubach. und Ptolemäus, die nebulosae der Alfonsinischen Tafeln von 1252 und die des Galilei, welche (wie es im Nuncius sidereus heißt) sicut areolae sparsim per aethera subfulgent.
Die Sternhaufen selbst liegen entweder wiederum vereinzelt am Himmel; oder eng und ungleich, wie schichtenweise, zusammengedrängt, in der Milchstraße und den beiden Magellanischen Wolken. Der größte und gewiß für die Configuration der Milchstraßen-Ringe bedeutsamste Reichthum von runden Sternhaufen (globular clusters) findet sich in einer Region des südlichen HimmelsJohn Herschel, Capreise § 105 p. 136. zwischen der Corona australis, dem Schützen, dem Schwanz des Scorpions und dem Altar (RA. 16h 45–19h). Aber nicht alle Sternhaufen in oder nahe der Milchstraße sind rund und kugelförmig; es giebt dort auch mehrere von unregelmäßigen Umrissen, wenig reich an Sternen und mit einem nicht sehr dichten Centrum. In vielen runden Sterngruppen sind die Sterne von gleicher Größe, in anderen sind sie sehr ungleich. In einigen seltenen Fällen zeigen sie einen schönen röthlichen CentralsternOutlines § 864–869 pag. 591–596; Mädler, Astronomie S. 764. (RA. 2h 10', N. Decl. 56° 21'). Wie solche Weltinseln mit allen darin wimmelnden Sonnen frei und ungestört rotiren können, ist ein schwieriges Problem der Dynamik. Nebelflecke und Sternhaufen: wenn auch von den ersteren jetzt sehr allgemein angenommen wird, daß sie ebenfalls aus sehr kleinen, aber noch ferneren Sternen bestehen; scheinen doch in ihrer örtlichen Vertheilung verschiedenen Gesetzen unterworfen. Die Erkenntniß dieser Gesetze wird vorzugsweise die Ahndungen über das, was man kühn den Himmelsbau 179 zu nennen pflegt, modificiren. Auch ist die Beobachtung sehr merkwürdig, daß runde Nebelflecke sich bei gleicher Oeffnung und Vergrößerung des Fernrohrs leichter in Sternhaufen auflösen als ovale.Capreise § 29 p. 19.
Von den wie in sich abgeschlossenen Systemen der Sternhaufen und Sternschwärme begnügen wir uns hier zu nennen:
die Plejaden, gewiß den rohesten Völkern am frühesten bekannt: das Schifffahrts-Gestirn, Pleias ἀπὸ τοῦ πλεῖν: wie der alte Scholiast des Aratus wohl richtiger etymologisirt als neuere Schriftsteller, die den Namen von der Fülle, von πλέος, herleiten: die Schifffahrt des Mittelmeers dauerte vom Mai bis Anfang November, vom Frühaufgange bis zum Frühuntergang der Plejaden;
die Krippe im Krebs: nach Plinius nubecula quam Praesepia vocant inter Asellos, ein νεφέλιον des Pseudo-Eratosthenes;
den Sternhaufen am Schwerdt-Handgriff des Perseus, von den griechischen Astronomen oft genannt;
das Haupthaar der Berenice: wie die drei vorigen dem bloßen Auge sichtbar;
Sternhaufen in der Nähe des Arcturus (No. 1663), telescopisch; RA. 13h 34' 12", N. Decl. 29° 14'; mehr als tausend Sternchen 10–12ter Größe;
Sternhaufen zwischen η und ζ Herculis: in hellen Nächten dem bloßen Auge sichtbar; im Fernrohr ein prachtvoller Gegenstand (No. 1968), mit sonderbar strahlförmig auslaufendem Rande; RA. 16h 35' 37", N. Decl. 36° 47'; von Halley 1714 zuerst beschrieben;
Sternhaufen bei ω des Centauren: von Halley schon 1677 beschrieben, dem bloßen Auge erscheinend wie ein cometenartiger runder Flecken, fast leuchtend als ein Stern 4m–5m; in mächtigen Fernröhren erscheint er aus zahllosen Sternchen 13ter bis 15ter Größe zusammengesetzt, welche sich gegen die Mitte verdichten; RA. 13h 16' 38", südl. Decl. 46° 35'; in Sir John Herschel's Catalog der Sternhaufen des südlichen Himmels 180 No. 3504, im Durchmesser 15' (Capreise p. 21 und 105, outl. of Astro. p. 595);
Sternhaufen bei κ des südlichen Kreuzes (No. 3435): zusammengesetzt aus vielfarbigen Sternchen 12–16ter Größe, welche auf eine Area von 1/48 eines Quadratgrades vertheilt sind; nach Lacaille ein Nebelstern: aber durch Sir John Herschel so vollständig aufgelöst, daß gar kein Nebel übrig blieb; der Centralstern gesättigt roth (Capreise p. 17 und 102 Pl. I fig. 2);
Sternhaufen 47 Toucani Bode; No. 2322 des Catalogs von Sir John Herschel, eines der merkwürdigsten Objecte des südlichen Himmels. Es hat dasselbe auch mich einige Nächte cometenartig getäuscht, als ich zuerst nach Peru kam und es unter 12° südlicher Breite sich höher über den Horizont erheben sah. Die Sichtbarkeit für das unbewaffnete Auge ist um so größer, als der Sternhaufen des Toucan, von 15' bis 20' Durchmesser, zwar der kleinen Magellanischen Wolke nahe, aber auf einer ganz sternleeren Stelle steht. Er ist im Inneren blaß rosenroth, concentrisch mit einem weißen Rande umgeben, aus Sternchen (14m bis 16m) und zwar von gleicher Größe zusammengesetzt, alle Kennzeichen der Kugelform körperlich darbietend.»A stupendous object, a most magnificent globular cluster«, sagt Sir John Herschel, »completely insulated, upon a ground of the sky perfectly black throughout the whole breadth of the sweep.« (Capreise p. 18 und 51, Pl. III fig. 1; outlines of Astronomy § 895 p. 615.
Sternhaufen am Gürtel der Andromeda bei ω dieser Constellation. Die Auflösung des berühmten Nebelflecks der Andromeda in Sternchen, von denen über 1500 erkannt worden sind, gehört zu den merkwürdigsten Entdeckungen in der beschauenden Astronomie unserer Zeit. Sie ist das Verdienst von George BondBond in den Memoirs of the American Academy of Arts and Sciences, new series Vol. III. p. 75., Gehülfen an der Sternwarte zu Cambridge in den Vereinigten Staaten (März 1848); und zeugt zugleich für die vortreffliche Lichtstärke des dort aufgestellten, mit einem Objectiv von 14 Pariser Zoll Durchmesser versehenen Refractors, da selbst ein Reflector von 18 Zoll Durchmesser des Spiegels »noch keine Spur von der Anwesenheit eines Sternes ahnden läßt«.Outlines § 874 p. 601. Vielleicht ist der Sternhaufen in der Andromeda schon am Ende des zehnten Jahrhunderts als ein Nebel von ovaler Form aufgeführt worden; sicherer ist es aber, daß Simon Marius (Mayer aus Guntzenhausen: derselbe, der auch den Farbenwechsel bei der Scintillation bemerkteDelambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. I. p. 697.) ihn 181 am 15 Dec. 1612 als einen neuen, von Tycho nicht genannten, sternlosen, wundersamen Weltkörper erkannt und zuerst umständlich beschrieben hat. Ein halbes Jahrhundert später beschäftigte sich Boulliau, der Verfasser der Astronomia philolaica, mit demselben Gegenstande. Was diesem Sternhaufen, der 2°½ Länge und über 1° Breite hat, einen besonderen Charakter giebt, sind die zwei merkwürdigen, unter sich und der Längen-Axe parallelen, sehr schmalen schwarzen Streifen, welche rißartig das Ganze nach Bond's Untersuchung durchsetzen. Diese Gestaltung erinnert lebhaft an den sonderbaren Längenriß in einem unaufgelösten Nebel der südlichen Hemisphäre, No. 3501, welchen Sir John Herschel beschrieben und abgebildet hat (Capreise p. 20 und 105 Pl. IV fig. 2).
Ich habe dieser Auswahl merkwürdiger Sternhaufen: trotz der wichtigen Entdeckungen, welche wir dem Lord Rosse und seinem Riesen-Reflector zu verdanken haben, den großen Nebel im Gürtel des Orion noch nicht beigefügt, da es mir geeigneter zu sein scheint von den in demselben bereits aufgelösten Theilen in dem Abschnitt von den Nebelflecken zu handeln.
Die größte Anhäufung von Sternhaufen, keinesweges von Nebelflecken, findet sich in der MilchstraßeDie erste und einzige ganz vollständige Beschreibung der Milchstraße in beiden Hemisphären verdanken wir Sir John Herschel in der Capreise (results of Astronomical Observations made during the years 1834–1838, at the Cape of Good Hope) § 316–335 und noch neuer in den outlines of Astr. § 787–799. In dem ganzen Abschnitt des Kosmos, welcher der Richtung, der Verzweigung und dem so verschiedenartigen Inhalte der Milchstraße gewidmet ist, bin ich allein dem obengenannten Astronomen und Physiker gefolgt. (Vergl. auch Struve, études d'Astr. stellaire p. 35–79; Mädler, Astr. 1849 § 213; Kosmos Bd. I. S. 109, 156 und 319.) Es bedarf hier wohl kaum der Bemerkung, daß, um nicht dem Sicheren Unsicheres beizumengen, ich in der Beschreibung der Milchstraße nichts von dem benutzt habe, was ich, mit lichtschwachen Instrumenten ausgerüstet, über das so ungleichartige Licht der ganzen Zone während meines langen Aufenthalts in der südlichen Hemisphäre in Tagebüchern niedergeschrieben hatte. (Galaxias, dem Himmels-FlusseDie Vergleichung der getheilten Milchstraße mit einem Himmelsflusse hat die Araber veranlaßt Theile der Constellation des Schützen, dessen Bogen in eine sternreiche Region derselben fällt, das zur Tränke gehende Vieh zu nennen: ja den so wenig des Wassers bedürftigen Strauß darin zu finden. (Ideler, Untersuchung über den Ursprung und die Bedeutung der Sternnamen S. 78, 183 und 187; Niebuhr, Beschreibung von Arabien S. 112.) der Araber), welche fast einen größten Kreis der Sphäre bildet und gegen den Aequator unter einem Winkel von 63° geneigt ist. Die Pole der Milchstraße liegen: RA. 12h 47', nördl. Decl. 27° und RA. 0h 47', südliche Decl. 27°; also als Nordpol nahe dem Haupthaar der Berenice, als Südpol zwischen Phönix und Wallfisch. Wenn alle planetarischen örtlichen Verhältnisse auf die Ekliptik: auf den größten Kreis, in welchem die Ebene der Sonnenbahn die Sphäre durchschneidet, bezogen werden; so finden gleich bequem viele örtliche Beziehungen der Fixsterne (z. B. 182 die ihrer Anhäufung oder Gruppirung) auf den fast größten Kreis der Milchstraße statt. In diesem Sinne ist dieselbe für die siderische Welt, was die Ekliptik vorzugsweise für die Planetenwelt unseres Sonnensystems ist. Die Milchstraße schneidet den Aequator im Einhorn zwischen Procyon und Sirius: RA. 6h 54' (für 1800), und in der linken Hand des Antinous: RA. 19h 15'. Die Milchstraße theilt demnach die Himmelssphäre in zwei etwas ungleiche Hälften, deren Areale sich ohngefähr wie 8 : 9 verhalten. In der kleineren Hälfte liegt der Frühlingspunkt. Die Breite der Milchstraße ist in ihrem Laufe sehr veränderlich.Outlines p 529; Schubert, Astronomie Th. III. S. 71. Wo sie am schmalsten und zugleich mit am glänzendsten ist: zwischen dem Vordertheil des Schiffes und dem Kreuze, dem Südpol am nächsten, hat sie kaum 3 bis 4 Grad Breite; an anderen Punkten 16°, und getheilt zwischen dem Schlangenträger und AntinousStruve, études d'Astr. stellaire p. 41. bis 22°. William Herschel hat bemerkt, daß, nach seinen Stern-Aichungen zu urtheilen, die Milchstraße in vielen Regionen eine 6 bis 7 Grad größere Breite hat, als es uns der dem unbewaffneten Auge sichtbare Sternschimmer verkündigt.Kosmos Bd. I. S. 156 und 415 Anm. 109.
Der Milchweiße der ganzen Zone hatte schon Huygens, welcher im Jahr 1656 seinen 23füßigen Refractor auf die Milchstraße richtete, den unauflöslichen Nebel abgesprochen. Sorgfältigere Anwendung von Spiegeltelescopen der größten Dimension und Lichtstärke hat später noch sicherer erwiesen, was schon Democritus und Manilius vom alten Wege des Phaethon vermutheten, daß der milchige Lichtschimmer allein den zusammengedrängten kleinen Sternschichten, nicht aber den sparsam eingemengten 183 Nebelflecken zuzuschreiben sei. Dieser Lichtschimmer ist derselbe an Punkten, wo alles sich vollkommen in Sterne auflöst: und zwar in Sterne, die sich auf einen schwarzen, ganz dunstfreien Grund projiciren.»Stars standing on a clear black ground (Capreise p. 391). This remarkable belt (the milky way, when examined through powerful telescopes) is found (wonderful to relate!) to consist entirely of stars scattered by millions, like glittering dust, on the black ground of the general heavens.« (Outlines p. 182, 537 und 539.) Es ist im allgemeinen ein merkwürdiger Charakter der Milchstraße, daß kugelförmige Sternhaufen (globular clusters) und Nebelflecke von regelmäßiger ovaler Form in derselben gleich selten sind»Globular clusters, except in one region of small extent (between 16h 45' and 19h in RA.), and nebulae of regular elliptic forms are comparatively rare in the Milky Way, and are found congregated in the greatest abundance in a part of the heavens the most remote possible from that circle.« Outlines p. 614 Schon Huygens war seit 1656 auf den Mangel alles Nebels und aller Nebelflecke in der Milchstraße aufmerksam. In derselben Stelle, in welcher er die erste Entdeckung und Abbildung des großen Nebelfleckes in dem Gürtel des Orion durch einen 28füßigen Refractor (1656) erwähnt, sagt er (wie ich schon oben im 2ten Bande des Kosmos S. 514 [Anm. 946] bemerkt): viam lacteam perspicillis inspectam nullas habere nebulas; die Milchstraße sei wie alles, was man für Nebelsterne halte, ein großer Sternhaufen. Die Stelle ist abgedruckt in Huigenii Opera varia 1724 p. 540.: während beide in sehr großer Entfernung von der Milchstraße sich angehäuft finden; ja in den Magellanischen Wolken isolirte Sterne, kugelförmige Sternhaufen in allen Zuständen der Verdichtung, und Nebelflecke von bestimmt ovaler und von ganz unregelmäßiger Form mit einander gemengt sind. Eine merkwürdige Ausnahme von dieser Seltenheit kugelförmiger Sternhaufen in der Milchstraße bildet eine Region derselben zwischen RA. 16h 45' und 18h 44': zwischen dem Altar, der südlichen Krone, dem Kopf und Leibe des Schützen, und dem Schwanz des Scorpions. Zwischen ε und ϑ des letzteren liegt selbst einer der an dem südlichen Himmel so überaus seltenen ringförmigen Nebel.Capreise § 105, 107 und 328. Ueber den Nebelring No. 3686 s. p. 114. In dem Gesichtsfelde mächtiger Telescope (und man muß sich erinnern, daß nach Schätzungen von Sir William Herschel ein 20füßiges Instrument 900, ein 40füßiges 2800 Siriusweiten eindringt) erscheint die Milchstraße eben so verschiedenartig in ihrem sideralen Inhalte, als sie sich unregelmäßig und unbestimmt in ihren Umrissen und Grenzen dem unbewaffneten Auge darstellt. Wenn in einigen Strichen sie über weite Räume die größte Einförmigkeit des Lichts und der scheinbaren Größe der Sterne darbietet, so folgen in anderen Strichen die glänzendsten Fleckchen eng zusammengedrängter 184 Lichtpunkte, durch dunklere»Intervals absolutely dark and completely void of any star of the smallest telescopic magnitude.« Outlines p. 536., sternarme Zwischenräume körnig oder gar netzförmig unterbrochen; ja in einigen dieser Zwischenräume, ganz im Inneren der Galaxis, ist auch nicht der kleinste Stern (18m oder 20m) zu entdecken. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß man dort durch die ganze Sternschicht der Milchstraße wirklich durchsehe. Wenn Stern-Aichungen eben erst im telescopischen Gesichtsfelde (von 15' Durchmesser) nur 40 bis 50 Sterne als Mittelzahl gegeben haben, so folgen bald daneben Gesichtsfelder mit 400 bis 500. Sterne von höherer Ordnung treten oft im feinsten Sternendunste auf, während alle mittleren Ordnungen fehlen. Was wir Sterne der niedrigsten Ordnung nennen, mögen uns nicht immer nur wegen ihres ungeheuren Abstandes als solche erscheinen, sondern auch weil sie wirklich von geringerem Volum und geringerer Lichtentwickelung sind.
Um die Contraste der reicheren oder ärmeren Anhäufung von Sternen, des größten oder minderen Glanzes aufzufassen, muß man Regionen bezeichnen, die sehr weit von einander entfernt liegen. Das Maximum der Anhäufung und der herrlichste Glanz findet sich zwischen dem Vordertheil des Schiffes und dem Schützen; oder, genauer gesprochen, zwischen dem Altar, dem Schwanz des Scorpions, der Hand und dem Bogen des Schützen, und dem rechten Fuß des Schlangenträgers. »Keine Gegend der ganzen Himmelsdecke gewährt mehr Mannigfaltigkeit und Pracht durch Fülle und Art der Gruppirung.«»No region of the heavens is fuller of objects, beautiful and remarkable in themselves, and rendered still more so by their mode of association and by the peculiar features assumed by the Miiky Way, which are without a parallel in any other part of its course.« (Capreise p. 386.) Dieser so lebendige Ausspruch von Sir John Herschel stimmt ganz mit den Eindrücken überein, die ich selbst empfangen. Cap. Jacob (Bombay Engineers) sagt von der Licht-Intensität der Milchstraße in der Nähe des südlichen Kreuzes mit treffender Wahrheit: »such is the general blaze of starlight near the Cross from that part of the sky, that a person is immediately made aware of its having risen above the horizon, though he should not be at the time looking at the heavens, by the increase of general illumination of the atmosphere, resembling the effect of the young moon.« S. Piazzi Smyth on the Orbit of α Cent. in den Transact. of the Royal Soc. of Edinburgh Vol. XVI. p. 445. Dieser südlichen Region kommt im Maximum am nächsten an unserem nördlichen Himmel die anmuthige und sternreiche Gegend im Adler und Schwan, wo die Milchstraße sich 185 theilt. So wie die größte Schmalheit unter den Fuß des Kreuzes fällt, ist dagegen die Region des Minimums des Glanzes (der Verödung der Milchstraße) in der Gegend des Einhorns wie in der des Perseus.
Die Pracht der Milchstraße in der südlichen Hemisphäre wird noch durch den Umstand vermehrt, daß zwischen dem durch seine Veränderlichkeit so berühmt gewordenen Stern η Argûs und α Crucis unter den Parallelen von 59 und 60 Grad südlicher Breite, die merkwürdige Zone sehr großer und wahrscheinlich uns sehr naher Gestirne: zu welcher die Constellationen des Orion und des Großen Hundes, des Scorpions, des Centauren und des Kreuzes gehören; die Milchstraße unter einem Winkel von 20° schneidet. Ein größter Kreis, der durch ε Orionis und den Fuß des Kreuzes gelegt wird, bezeichnet die Richtung dieser merkwürdigen Zone. Die, man möchte sagen malerisch-landschaftliche Wirkung der Milchstraße wird in beiden Hemisphären durch ihre mehrfache Theilung erhöht. Sie bleibt ohngefähr 2/5 ihres Zuges hindurch ungetheilt. In der großen Bifurcation trennen sich nach Sir John Herschel die Zweige bei α CentauriOutlines § 789 und 791, Capreise § 325.: nicht bei β Cent., wie unsere Sternkarten angeben, oder beim Altar, wie Ptolemäus willAlmagest lib. VIII cap. 2 (T. II., p. 84und 90 Halma). Die Beschreibung des Ptolemäus ist in einzelnen Theilen vortrefflich, besonders verglichen mit der Behandlung der Milchstraße in Aristot. Meteorol. lib. I p. 29 und 34 nach Ideler's Ausgabe.; sie kommen wieder zusammen im Schwan.
Um den ganzen Verlauf und die Richtung der Milchstraße mit ihren Nebenzweigen im allgemeinen übersehen zu können, geben wir hier in gedrängter Kürze eine Uebersicht, die nach der Folge der Rectascensionen geordnet ist. Durch γ und ε Cassiopejae hindurchgehend, sendet die Milchstraße südlich einen Zweig nach ε Persei, welcher sich gegen die Plejaden und Hyaden verliert. Der Hauptstrom, hier 186 sehr schwach, geht über die Hoedi (Böckchen) im Fuhrmann, die Füße der Zwillinge, die Hörner des Taurus, das Sommer-Solstitium der Ekliptik und die Keule des Orion nach 6h 54' RA. (für 1800), den Aequator an dem Halse des Einhorns schneidend. Von hier an nimmt die Helligkeit beträchtlich zu. Am Hintertheil des Schiffes geht ein Zweig südlich ab bis γ Argûs, wo derselbe plötzlich abbricht. Der Hauptstrom setzt fort bis 33° südl. Decl., wo er, fächerförmig zertheilt (20° breit), ebenfalls abbricht: so daß in der Linie von nach λ Argûs sich eine weite Lücke in der Milchstraße zeigt. In ähnlicher Ausbreitung beginnt letztere nachher wieder, verengt sich aber an den Hinterfüßen des Centauren und vor dem Eintritte in das südliche Kreuz, wo sie ihren schmalsten Streifen von nur 3° oder 4° Breite bildet. Bald darauf dehnt sich der Lichtweg wieder zu einer hellen und breiten Masse aus, die β Centauri wie α und β Crucis einschließt und in deren Mitte der schwarze birnförmige Kohlensack liegt, dessen ich im 7ten Abschnitt näher erwähnen werde. In dieser merkwürdigen Region, etwas unterhalb des Kohlensackes, ist die Milchstraße dem Südpol am nächsten.
Bei α Centauri tritt die schon oben berührte Haupttheilung ein: eine Bifurcation, welche sich nach den älteren Ansichten bis zu dem Sternbild des Schwanes erhält. Zuerst, von α Centauri aus gerechnet, geht ein schmaler Zweig nördlich nach dem Wolf hinwärts, wo er sich verliert; dann zeigt sich eine Theilung beim Winkelmaaß (bei γ Normae). Der nördliche Zweig bildet unregelmäßige Formen bis in die Gegend des Fußes des Schlangenträgers, wo er ganz verschwindet; der südlichste Zweig wird jetzt der 187 Hauptstrom, und geht durch den Altar und den Schwanz des Scorpions nach dem Bogen des Schützen, wo er in 276° Länge die Ekliptik durchschneidet. Weiter hin erkennt man ihn aber in unterbrochener, fleckiger Gestalt: fortlaufend durch den Adler, den Pfeil und den Fuchs bis zum Schwan. Hier beginnt eine sehr unregelmäßige Gegend: wo zwischen ε, α und γ Cygni eine breite, dunkle Leere sich zeigt, die Sir John HerschelOutlines p. 531. Auch zwischen a und γ der Cassiopea ist ein auffallend dunkler Flecken dem Contraste der leuchtenden Umgebung zugeschrieben; s. Struve, études stellaires note 58. mit dem Kohlensack im südlichen Kreuze vergleicht und die wie ein Centrum bildet, von welchem drei partielle Ströme ausgehen. Einer derselben, von größerer Lichtstärke, kann gleichsam rückwärts über β Cygni und s Aquilae verfolgt werden: jedoch ohne sich mit dem bereits oben erwähnten, bis zum Fuß des Ophiuchus gehenden, Zweige zu vereinigen. Ein beträchtlicher Ansatz der Milchstraße dehnt sich außerdem noch vom Kopfe des Cepheus, also in der Nähe der Cassiopea, von welcher Constellation an wir die Schilderung der Milchstraße begonnen haben, nach dem Kleinen Bären und dem Nordpol hin aus.
Bei den außerordentlichen Fortschritten, welche durch Anwendung großer Telescope allmälig die Kenntniß von dem Stern-Inhalte und der Verschiedenheit der Licht-Concentration in einzelnen Theilen der Milchstraße gemacht hat, sind an die Stelle bloß optischer Projections-Ansichten mehr physische Gestaltungs-Ansichten getreten. Thomas WrightEinen Auszug aus dem so seltenen Werke des Thomas Wright von Durham (Theory of the Universe, London 1750) hat Morgan gegeben in dem Philos. Magazine Ser. III. No. 32 p. 241. Thomas Wright, auf dessen Bestrebungen Kant's und William Herschel's sinnreiche Speculationen über die Gestaltung unserer Sternschicht die Aufmerksamkeit der Astronomen seit dem Anfang dieses Jahrhunderts so bleibend geheftet haben, beobachtete selbst nur mit einem Reflector von 1 Fuß Focallänge. von Durham, Kant, Lambert und zuerst auch William Herschel waren geneigt die Gestalt der Milchstraße und die scheinbare Anhäufung der Sterne in derselben als eine Folge der abgeplatteten Gestalt und ungleichen Dimensionen der Weltinsel (Sternschicht) zu betrachten, in welche unser Sonnensystem eingeschlossen ist. 188 Die Hypothese von der gleichen Größe und gleichartigen Vertheilung der Fixsterne ist neuerdings vielseitig erschüttert worden. Der kühne und geistreiche Erforscher des Himmels, William Herschel, hat sich in seinen letzten ArbeitenPfaff in Will. Herschel's sämmtl. Schriften Bd. I. (1826) S. 78–81; Struve, études stell. p. 35–44. für die Annahme eines Ringes von Sternen entschieden, die er in seiner schönen Abhandlung vom Jahre 1784 bestritt. Die neuesten Beobachtungen haben die Hypothese von einem System von einander abstehender concentrischer Ringe begünstigt. Die Dicke dieser Sternringe scheint sehr ungleich; und die einzelnen Schichten, deren vereinten, stärkeren oder schwächeren, Lichtglanz wir empfangen, liegen gewiß in sehr verschiedenen Höhen, d. h. in verschiedenen Entfernungen von uns: aber die relative Helligkeit der einzelnen Sterne, die wir von 10ter bis 16ter Größe schätzen, kann nicht in der Art als maaßgebend für die Entfernung betrachtet werden, daß man befriedigend den Radius der Abstandssphäre numerischEncke in Schumacher's astr. Nachr. No. 622 (1847) S. 341–346. daraus bestimmen könnte.
In vielen Gegenden der Milchstraße genügt die raumdurchdringende Kraft der Instrumente ganze Sternwolken aufzulösen und die einzelnen Lichtpunkte auf die dunkle, sternlose Himmelsluft projicirt zu sehen. Wir blicken dann wirklich durch wie ins Freie. »It leads us«, sagt Sir John Herschel, »irresistibly to the conclusion, that in these regions we see fairly through the starry stratum.«Outlines p. 536. Auf der nächstfolgenden Seite heißt es über denselben Gegenstand: »In such cases it is equally impossible not to perceive that we are looking through a sheet of stars of no great thickness compared with the distance which separates them from us.« In anderen Gegenden sieht man wie durch Oeffnungen und Spalten, sei es auf ferne Weltinseln oder weit auslaufende Zweige des Ring-Systems; in noch anderen ist die Milchstraße bisher unergründlich (fathomless, insondable) geblieben, selbst für das 40füßige Telescop.Struve, études stell. p. 63. Bisweilen erreichen die größten Fernröhre einen solchen Raum der Himmelsluft, in welchem das Dasein einer in weiter Ferne aufglimmenden Sternschicht sich nur durch ein »getüpfeltes, gleichsam lichtgeflecktes« Ansehen verkündigt (by an uniform dotting or stippling of the field of view). S. in der Capreise p. 390 den Abschnitt: »on some indications of very remote telescopic branches of the Milky Way, or of an independent sidereal System, or Systems, bearing a resemblance to such branches.« 189 Untersuchungen über die ungleichartige Licht-Intensität der Milchstraße wie über die Größenordnungen der Sterne, welche von den Polen der Milchstraße zu ihr selbst hin an Menge regelmäßig zunehmen (die Zunahme wird vorzugsweise 30° auf jeder Seite der Milchstraße in Sternen unterhalb der 11ten GrößeCapreise § 314, also in 16/17 aller Sterne, bemerkt), haben den neuesten Erforscher der südlichen Himmelssphäre zu merkwürdigen Ansichten und wahrscheinlichen Resultaten über die Gestalt des galactischen Ring-Systems und über das geleitet, was man kühn die Stelle der Sonne in der Weltinsel nennt, welcher jenes Ring System angehört. Der Standort, den man der Sonne anweist, ist excentrisch: vermuthlich da, wo eine Nebenschicht sich von dem Hauptringe abzweigtSir William Herschel in den Philos. Transact. for 1785 p. 21; Sir John Herschel, Capreise § 293. (Vergl. auch Struve, descr. de l'Observatoire de Poulkova 1845 p. 267–271) in einer der verödeteren Regionen, die dem südlichen Kreuze näher liegt als dem entgegengesetzten Knoten der Milchstraße»I think«, sagt Sir John Herschel, »it is impossible to view this splendid zone from α Centauri to the Cross without an impression amounting almost to conviction, that the milky way is not a mere stratum, but annular; or at least that our system is placed within one of the poorer or almost vacant parts of its general mass, and that eccentrically, so as to be much nearer to the region about the Cross than to that diametrically opposite to it.« (Mary Somerville on the Connexion of the Physical Sciences 1846 p. 419.). »Die Tiefe, zu der unser Sonnensystem in das Stern-Stratum, welches die Milchstraße bildet, eingetaucht liegt, soll dazu (von der südlichen Grenz-Oberfläche an gerechnet) dem Abstande oder Lichtwege von Sternen der 9ten und 10ten, nicht der 11ten Größe gleich sein.«Capreise § 315. Wo, der eigenthümlichen Natur gewisser Probleme nach, Messungen und unmittelbare sinnliche Wahrnehmungen fehlen: ruht nur wie ein Dämmerlicht auf Resultaten, zu welchen, ahndungsvoll getrieben, die geistige Anschauung sich erhebt.
Neu erschienene und verschwundene Sterne. – Veränderliche Sterne in gemessenen, wiederkehrenden Perioden. – Intensitäts-Veränderungen des Lichtes in Gestirnen, bei denen die Periodicität noch unerforscht ist.
Neue Sterne. – Das Erscheinen vorher nicht gesehener Sterne an der Himmelsdecke, besonders wenn es ein plötzliches Erscheinen von stark funkelnden Sternen erster Größe ist, hat von je her als eine Begebenheit in den Welträumen Erstaunen erregt. Es ist dies Erstaunen um so größer, als eine solche Naturbegebenheit: ein auf einmal Sichtbar-Werden dessen, was vorher sich unserem Blicke entzog, aber deshalb doch als vorhanden gedacht wird, zu den allerseltensten Erscheinungen gehört. In den drei Jahrhunderten von 1500 bis 1800 sind 42 den Bewohnern der nördlichen Hemisphäre mit unbewaffnetem Auge sichtbare Cometen erschienen, also im Durchschnitt in hundert Jahren vierzehn, während für dieselben drei Jahrhunderte nur 8 neue Sterne beobachtet wurden. Die Seltenheit der letzteren wird noch auffallender, wenn man größere Perioden umfaßt. Von der in der Geschichte der Astronomie wichtigen Epoche der Vollendung der Alphonsinischen Tafeln an bis zum Zeitalter von William Herschel, von 1252 bis 1800, zählt man der sichtbaren Cometen ohngefähr 63, der neuen Sterne wieder nur 9; 216 also für die Zeit, in welcher man in europäischen Culturländern auf eine ziemlich genaue Aufzählung rechnen kann, ergiebt sich das Verhältniß der neuen Sterne zu den ebenfalls mit bloßen Augen sichtbaren Cometen wie 1 zu 7. Wir werden bald zeigen, daß, wenn man die nach den Verzeichnissen des Ma-tuan-lin in China beobachteten neu erschienenen Sterne sorgfältig von den sich schweiflos bewegenden Cometen trennt und bis anderthalb Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung hinaufsteigt, in fast 2000 Jahren in allem kaum 20 bis 22 solcher Erscheinungen mit einiger Sicherheit aufgeführt werden können.
Ehe wir zu allgemeinen Betrachtungen übergehen, scheint es mir am geeignetsten, durch die Erzählung eines Augenzeugen, und bei einem einzelnen Beispiele verweilend, die Lebendigkeit des Eindrucks zu schildern, welchen der Anblick eines neuen Sternes hervorbringt. Als ich, sagt Tycho Brahe, von meinen Reisen in Deutschland nach den dänischen Inseln zurückkehrte, verweilte ich (ut aulicae vitae fastidium lenirem) in dem anmuthig gelegenen ehemaligen Kloster Herritzwadt bei meinem Onkel Steno Bille, und hatte die Gewohnheit erst am Abend mein chemisches Laboratorium zu verlassen. Da ich nun im Freien nach gewohnter Weise den Blick auf das mir wohlbekannte Himmelsgewölbe richtete, sah ich mit nicht zu beschreibendem Erstaunen nahe am Zenith in der Cassiopea einen strahlenden Fixstern von nie gesehener Größe. In der Aufregung glaubte ich meinen Sinnen nicht trauen zu können. Um mich zu überzeugen, daß es keine Täuschung sei, und um das Zeugniß Anderer einzusammeln, holte ich meine Arbeiter aus dem Laboratorium und befragte alle vorbeifahrenden 217 Landleute, ob sie den plötzlich auflodernden Stern eben so sähen als ich. Später habe ich erfahren, daß in Deutschland Fuhrleute und »anderes gemeines Volk« die Astronomen erst auf die große Erscheinung am Himmel aufmerksam machten: »was dann (wie bei den nicht vorher angekündigten Cometen) die gewohnten Schmähungen auf gelehrte Männer erneuerte«.
»Den neuen Stern«, fährt Tycho fort, »fand ich ohne Schweif, von keinem Nebel umgeben, allen anderen Fixsternen völlig gleich, nur noch stärker funkelnd als Sterne erster Größe. Sein Lichtglanz übertraf den des Sirius, der Leier und des Jupiter. Man konnte ihn nur der Helligkeit der Venus gleich setzen, wenn sie der Erde am nächsten steht (wo dann nur ihr vierter Theil erleuchtet ist). Menschen, die mit scharfen Augen begabt sind, erkannten bei heiterer Luft den neuen Stern bei Tage selbst in der Mittagsstunde. Zur Nachtzeit, bei bedecktem Himmel, wenn alle anderen Sterne verschleiert waren, wurde er mehrmals durch Wolken von mäßiger Dicke (nubes non admodum densas) gesehen. Abstände von anderen nahen Sternen der Cassiopea, die ich im ganzen folgenden Jahre mit vieler Sorgfalt maß, überzeugten mich von seiner völligen Unbeweglichkeit. Bereits im December 1572 fing die Lichtstärke an abzunehmen, der Stern wurde dem Jupiter gleich; im Januar 1573 war er minder hell als Jupiter. Fortgesetzte photometrische Schätzungen gaben: für Februar und März Gleichheit mit Sternen erster Ordnung (stellarum affixarum primi honoris; denn Tycho scheint den Ausdruck des Manilius, stellae fixae, nie gebrauchen zu wollen); für April und Mai Lichtglanz von Sternen 2ter, für 218 Julius und August 3ter, für October und November 4ter Größe. Gegen den Monat November war der neue Stern nicht heller als der 11te im unteren Theil der Stuhllehne der Cassiopea. Der Uebergang zur 5ten und 6ten Größe fand vom December 1573 bis Februar 1574 statt. Im folgenden Monat verschwand der neue Stern, nachdem er 17 Monate lang geleuchtet, spurlos für das bloße Auge.« (Das Fernrohr wurde erst 37 Jahre später erfunden.)
Der allmälige Verlust der Leuchtkraft des Sternes war dazu überaus regelmäßig, ohne (wie bei η Argûs, einem freilich nicht neu zu nennenden Sterne, in unseren Tagen der Fall ist) durch mehrmalige Perioden des Wieder-Aufloderns, durch eine Wiedervermehrung der Lichtstärke, unterbrochen zu werden. Wie die Helligkeit, so veränderte sich auch die Farbe: was später zu vielen irrigen Schlüssen über die Geschwindigkeit farbiger Strahlen auf ihrem Wege durch die Welträume Anlaß gegeben hat. Bei seinem ersten Erscheinen, so lange er den Lichtglanz der Venus und des Jupiter hatte, war er 2 Monate lang weiß; dann ging er durch die gelbe Farbe in die rothe über. Im Frühjahr 1573 vergleicht ihn Tycho mit Mars, dann findet er ihn fast mit der rechten Schulter des Orion (mit Beteigeuze) vergleichbar. Am meisten glich seine Farbe der rothen Färbung des Aldebaran. Im Frühjahr 1573, besonders im Mai, kehrte die weißliche Farbe zurück (albedinem quandam sublividam induebat, qualis Saturni stellae subesse videtur). So blieb er im Januar 1574 fünfter Größe und weiß, doch mit einer mehr getrübten Weiße und im Verhältniß zur Lichtschwäche auffallend stark funkelnd, bis zum allmäligen völligen Verschwinden im Monat März 1574.
219 Die Umständlichkeit dieser AngabenDe admiranda Nova Stella anno 1572 exorta, in Tychonis Brahe Astronomiae instauratae progymnasmata 1603 p. 298–304 und 578. Ich bin in dem Texte ganz der Erzählung gefolgt, welche Tycho selbst giebt. Der sehr unwichtigen, aber in vielen astronomischen Schriften wiederholten Behauptung, daß Tycho zuerst durch einen Zusammenlauf von Landvolk auf die Erscheinung des neuen Sterns aufmerksam gemacht wurde, durfte daher hier nicht gedacht werden. beweist schon den Einfluß, welchen das Naturphänomen in einer für die Astronomie so glänzenden Epoche auf Anregung der wichtigsten Fragen ausüben mußte. Da (trotz der oben geschilderten allgemeinen Seltenheit der neuen Sterne) Erscheinungen derselben Art sich, zufällig in den kurzen Zeitraum von 32 Jahren zusammengedrängt, für europäische Astronomen dreimal wiederholten, so wurde die Anregung um so lebhafter. Man erkannte mehr und mehr die Wichtigkeit der Sterncataloge, um der Neuheit des auflodernden Gestirns gewiß zu sein; man discutirte die PeriodicitätCardanus in seinem Streite mit Tycho stieg bis zu dem Stern der Magier hinauf: welcher mit dem Stern von 1572 identisch sein sollte. Ideler glaubt nach seinen Conjunctions-Berechnungen des Saturn mit dem Jupiter und nach gleichen Vermuthungen, die Kepler bei dem Erscheinen des neuen Sterns im Schlangenträger von 1604 ausgesprochen: daß der Stern der Weisen aus dem Morgenlande, wegen der häufigen Verwechselung von ἀστὴρ und ἄστρον, nicht ein einzelner großer Stern, sondern eine merkwürdige Gestirn-Stellung, die große Annäherung zweier hellglänzenden Planeten zu weniger als einer Mondbreite, gewesen sei. (Vergl. Tychonis Progymnasmata p. 324–330 mit Ideler, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie Bd. II. S. 399–407.) (das Wiedererscheinen nach vielen Jahrhunderten): ja Tycho stellte kühn eine Theorie über die Bildungs- und Gestaltungs-Processe der Sterne aus kosmischem Nebel auf, welche viel Analogie mit der des großen William Herschel hat. Er glaubt, daß der dunstförmige, in seiner Verdichtung leuchtende Himmelsstoff sich zu Fixsternen balle: Caeli materiam tenuissimam, ubique nostro visui et Planetarum circuitibus perviam, in unum globum condensatam, stellam effingere. Dieser überall verbreitete Himmelsstoff habe schon eine gewisse Verdichtung in der Milchstraße, die in einem milden Silberlichte aufdämmere. Deshalb stehe der neue Stern, wie die, welche in den Jahren 945 und 1264 aufloderten, am Rande der Milchstraße selbst (quo factum est quod nova stella in ipso Galaxiae margine constiterit); man glaube sogar noch die Stelle (die Oeffnung, hiatus) zu erkennen, wo der neblige Himmelsstoff der Milchstraße entzogen worden sei.Progymn. p. 324–330. Tycho gründet sich in seiner Theorie der neuen Sternbildung aus dem kosmischen Nebel der Milchstraße auch auf die merkwürdigen Stellen des Aristoteles über den Verkehr der Cometenschweife (der dunstförmigen Ausstrahlungen der Cometenkerne) mit dem Galaxias, deren ich schon oben erwähnte (Kosmos Bd. I. S. 109 und 390 Anm. 48). Alles dies erinnert an den Uebergang des kosmischen Nebels in Sternschwärme, an die haufenbildende Kraft, an die Concentration zu einem Centralkern; an die 220 Hypothesen über die stufenweise Entwickelung des Starren aus dem dunstförmig Flüssigen, welche im Anfange des 19ten Jahrhunderts zur Geltung kamen, jetzt aber, nach ewig wechselnden Schwankungen in der Gedankenwelt, vielfach neuem Zweifel unterworfen werden.
Zu den neu erschienenen kurzzeitigen Sternen (temporary stars) kann man mit ungleicher Gewißheit folgende rechnen, die ich nach den Epochen des ersten Aufloderns geordnet habe:
- 134 vor Chr. im Scorpion,
- 123 nach Chr. im Ophiuchus,
- 173 im Centaur,
- 369?
- 386 im Schützen,
- 389 im Adler,
- 393 im Scorpion,
- 827 ? im Scorpion,
- 945 zwischen Cepheus und Cassiopea,
- 1012 im Widder,
- 1203 im Scorpion,
- 1230 im Ophiuchus,
- 1264 zwischen Cepheus und Cassiopea,
- 1572 in der Cassiopea,
- 1578,
- 1584 im Scorpion,
- 1600 im Schwan,
- 1604 im Ophiuchus,
- 1609,
- 1670 im Fuchs,
- 1848 im Ophiuchus.
221 Erläuterungen:
- Erste Erscheinung, Julius 134 vor dem Anfang unserer Zeitrechnung: aus chinesischen Verzeichnissen des Ma-tuan-lin, deren Bearbeitung wir dem Sprachgelehrten Eduard Biot verdanken (Connaissance des temps pour l'an 1846 p. 61); zwischen β und ρ des Scorpions. Unter den außerordentlichen, fremdartig aussehenden Gestirnen dieser Verzeichnisse, welche auch Gast-Sterne (étoiles hôtes, ke-sing, gleichsam Fremdlinge von sonderbarer Physiognomie) genannt und von den mit Schweifen versehenen Cometen durch die Beobachter selbst gesondert worden sind, finden sich allerdings unbewegliche neue Sterne mit einigen ungeschwänzten fortschreitenden Cometen vermischt: aber in der Angabe der Bewegung (Ke-sing von 1092, 1181 und 1458) und in der Nicht-Angabe der Bewegung, wie in dem gelegentlichen Zusatz: »der Ke-sing löste sich auf« (und verschwand), liegt ein wichtiges, wenn gleich nicht untrügliches Criterium. Auch ist wohl hier an das so schwache, nie funkelnde, mildstrahlende Licht des Kopfs aller geschweiften und ungeschweiften Cometen zu erinnern, während die Licht-Intensität der chinesischen sogenannten außerordentlichen (fremdartigen) Sterne mit der der Venus verglichen wird: was auf die Cometennatur überhaupt und insbesondere auf die der ungeschweiften Cometen gar nicht paßt. Der unter der alten Dynastie Han (134 vor Chr.) erschienene Stern könnte, wie Sir John Herschel bemerkt, der neue Stern des Hipparch sein, welcher nach der Aussage des Plinius ihn zu seinem Sternverzeichniß veranlaßt haben soll. Delambre nennt die Angabe zweimal eine Fabel, »une historiette« (Hist. de l'Astr. anc. T. I. p. 290 und Hist. de l'Astr. mod. T. I. p. 186). Da nach des Ptolemäus ausdrücklicher Aussage (Almag. VII, 2 p. 13 Halma) Hipparchs Verzeichniß an das Jahr 128 vor unserer Zeitrechnung geknüpft ist und Hipparch (wie ich schon an einem anderen Orte gesagt) in Rhodos und vielleicht auch in Alexandrien zwischen den J. 162 und 127 vor Chr. beobachtete, so steht der Conjectur nichts entgegen; es ist sehr denkbar, daß der große Astronom von Nicäa viel früher beobachtete, ehe er auf den Vorsatz geleitet wurde einen wirklichen Catalog anzufertigen. Des Plinius Ausdruck »suo aevo genita« bezieht sich auf die ganze Lebenszeit. Als der Tychonische Stern 222 1572 erschien, wurde viel über die Frage gestritten, ob Hipparchs Stern zu den neuen Sternen oder zu den Cometen ohne Schweif gerechnet werden sollte. Tycho war der ersten Meinung (Progymn. p. 319–325). Die Worte »ejusque motu ad dubitationem adductus« könnten allerdings auf einen schwach oder ungeschweiften Cometen leiten, aber die rhetorische Sprache des Plinius erlaubt jegliche Unbestimmtheit des Ausdrucks.
- Eine chinesische Angabe: im December 123 nach dem Anfang unserer Zeitrechnung, zwischen α Herc. und α Ophiuchi; Ed. Biot aus Ma-tuan-lin. (Auch unter Hadrian um das Jahr 130 soll ein neuer Stern erschienen sein.)
- Ein sonderbarer, sehr großer Stern: wieder aus dem Ma-tuan-lin, wie die nächstfolgenden drei. Es erschien derselbe am 10 Dec. 173 zwischen α und β des Centauren, und verschwand nach acht Monaten, als er nach einander die fünf Farben gezeigt. Eduard Biot sagt in seiner Uebersetzung successivement. Ein solcher Ausdruck würde fast auf eine Reihe von Färbungen wie im oben beschriebenen Tychonischen neuen Sterne leiten; aber Sir John Herschel hält ihn richtiger für die Bezeichnung eines farbigen Funkelns (outlines p. 540): wie Arago einen fast ähnlichen Ausdruck Kepler's, für den neuen Stern (1604) im Schlangenträger gebraucht, auf gleiche Weise deutet (Annuaire pour 1842 p. 347).
- Dauer des Leuchtens vom März bis August im Jahr 369.
- Zwischen λ und φ des Schützen. Im chinesischen Verzeichniß ist diesesmal noch ausdrücklich bemerkt, »wo der Stern verblieb (d. h. ohne Bewegung) von April bis Julius 386«.
- Ein neuer Stern nahe bei α des Adlers, auflodernd mit der Helligkeit der Venus zur Zeit des Kaisers Honorius, im Jahr 389: wie Cuspinianus, der ihn selbst gesehen, erzählt. Er verschwand spurlos drei Wochen später.Andere Angaben setzen die Erscheinung in die Jahre 388 oder 398; Jacques Cassini, élémens d'Astronomie 1740 (Étoiles nouvelles) p. 59.
- März 393, wieder im Scorpion und zwar im Schwanze dieses Gestirns; aus Ma-tuan-lin's Verzeichniß.
- Das Jahr 827 ist zweifelhaft; sicherer ist die Epoche der ersten Hälfte des 9ten Jahrhunderts, in welcher unter der Regierung des Chalifen Al-Mamun die beiden berühmten arabischen Astronomen Haly und Giafar Ben-Mohammed Albumazar zu Babylon einen neuen Stern beobachteten, »dessen Licht dem des Mondes in seinen Vierteln geglichen« haben soll! Diese 223 Naturbegebenheit fand wieder statt im Scorpion. Der Stern verschwand schon nach einem Zeitraum von vier Monaten.
- Die Erscheinung dieses Sternes, welcher unter dem Kaiser Otto dem Großen im Jahr 945 aufgestrahlt sein soll, wie die des Sternes von 1264, beruhen auf dem alleinigen Zeugniß des böhmischen Astronomen Cyprianus Leovitius: der seine Nachrichten aus einer handschriftlichen Chronik geschöpft zu haben versichert und der darauf aufmerksam macht, daß beide Erscheinungen (in den J. 945 und 1264) zwischen den Constellationen des Cepheus und der Cassiopea, der Milchstraße ganz nahe, eben da statt gefunden haben, wo 1572 der Tychonische Stern erschien. Tycho (Progymn. p. 331 und 709) vertheidigt die Glaubwürdigkeit des Cyprianus Leovitius gegen Pontanus und Camerarius, welche eine Verwechselung mit langgeschweiften Cometen vermutheten.
- Nach dem Zeugniß des Mönchs von St. Gallen Hepidannus (der im J. 1088 starb und dessen Annalen vom Jahre 709 bis 1044 nach Chr. gehen) wurde 1012 am südlichsten Himmel im Zeichen des Widders vom Ende des Monats Mai an drei Monate lang ein neuer Stern von ungewöhnlicher Größe und einem Glanze, der die Augen blendete (oculos verberans), gesehen. Er schien auf wunderbare Weise bald größer, bald kleiner; zuweilen sah man ihn auch gar nicht. »Nova stella apparuit insolitae magnitudinis, aspectu fulgurans, et oculos verberans non sine terrore. Quae mirum in modum aliquando contractior, aliquando diffusior, etiam extinguebatur interdum. Visa est autem per tres menses in intimis finibus Austri, ultra omnia signa quae videntur in coelo.« (S. Hepidanni Annales breves in Duchesne, Historiae Francorum Scriptores T. III. 1641 p. 477; vergl. auch Schnurrer, Chronik der Seuchen Th. I. S. 201.) Der, von Duchesne und Goldast benutzten Handschrift, welche die Erscheinung unter das Jahr 1012 stellt, hat jedoch die neuere historische Kritik eine andere Handschrift vorgezogen, welche viele Abweichungen in den Jahrzahlen gegen jene, namentlich um 6 Jahre rückwärts, zeigt. Sie setzt die Erscheinung des Sternes in das J. 1006 (s. Annales Sangallenses majores in Pertz, Monumenta Germaniae historica, Scriptorum T. I 1826 p. 81). Auch die Autorschaft des Hepidannus ist durch die neuen Forschungen zweifelhaft geworden. Jenes 224 sonderbare Phänomen der Veränderlichkeit nennt Chladni den Brand und die Zerstörung eines Fixsternes. Hind (Notices of the Astron. Soc. Vol. VIII. 1848 p. 156) vermuthet, daß der Stern des Hepidannus identisch sei mit einem neuen Stern, welchen Ma-tuan-lin als in China im Februar 1011 im Schützen zwischen σ und φ gesehen verzeichnet. Aber dann müßte sich Ma-tuan-lin nicht bloß in dem Jahr, sondern auch in der Angabe der Constellation geirrt haben, in welcher der Stern erschien.
- Ende Julius 1203 im Schwanz des Scorpions. Nach dem chinesischen Verzeichniß »ein neuer Stern von weiß-bläulicher Farbe ohne allen leuchtenden Nebel, dem Saturn ähnlich«. (Eduard Biot in der Connaissance des temps pour 1846 p. 68.)
- Wieder eine chinesische Beobachtung aus Ma-tuan-lin: dessen astronomische Verzeichnisse, mit genauer Angabe der Position der Cometen und Fixsterne, bis 613 Jahre vor Chr., also bis zu den Zeiten des Thales und der Expedition des Coläus von Samos, hinaufsteigen. Der neue Stern erschien Mitte Decembers 1230 zwischen Ophiuchus und der Schlange. Er löste sich auf Ende März 1231.
- Es ist der Stern, dessen Erscheinung der böhmische Astronom Cyprianus Leovitius gedenkt (s. oben bei dem 9ten Sterne im Jahr 945). Zu derselben Zeit (Julius 1264) erschien ein großer Comet, dessen Schweif den halben Himmel einnahm und welcher eben deshalb nicht mit einem zwischen Cepheus und Cassiopea neu auflodernden Sterne hat verwechselt werden können.
- Der Tychonische Stern vom 11 November 1572 im Thronsessel der Cassiopea; RA. 3° 26', Decl. 63° 3' (für 1800).
- Februar 1578, aus Ma-tuan-lin. Die Constellation ist nicht angegeben; aber die Intensität des Lichts und die Strahlung müssen außerordentlich gewesen sein, da das chinesische Verzeichniß den Beisatz darbietet: »ein Stern groß wie die Sonne«!
- Am 1 Julius 1584, unweit π des Scorpions; eine chinesische Beobachtung.
- Der Stern 34 Cygni nach Bayer. Wilhelm Janson, der ausgezeichnete Geograph, welcher eine Zeit lang mit Tycho beobachtet hatte, heftete zuerst seine Aufmerksamkeit auf den neuen Stern in der Brust des Schwans am Anfange des Halses, wie eine Inschrift seines Sternglobus bezeugt. Kepler, durch Reisen und Mangel von Instrumenten nach Tycho's Tode gehindert, fing 225 erst zwei Jahre später an ihn zu beobachten, ja er erhielt erst damals (was um so mehr Verwunderung erregt, als der Stern 3ter Größe war) Nachricht von seiner Existenz. »Cum mense Majo anni 1602«, sagt er, »primum litteris monerer de novo Cygni phaenomeno....« (Kepler de Stella nova tertii honoris in Cygno 1606, angehängt dem Werke de Stella nova in Serpent., p. 152, 154, 164 und 167.) In Kepler's Abhandlung wird nirgends gesagt (wie man in neueren Schriften oft angeführt findet), daß der Stern im Schwan bei seinem ersten Erscheinen 1ter Größe gewesen sei. Kepler nennt ihn sogar parva Cygni stella und bezeichnet ihn überall als 3ter Ordnung. Er bestimmt seine Position in RA. 300° 46' Decl. 36° 52' (also für 1800: RA. 302° 36', Decl. +37° 27'). Der Stern nahm an Helligkeit besonders seit 1619 ab und verschwand 1621. Dominique Cassini (s. Jacques Cassini, élémens d'Astr. p. 69) sah ihn wiederum zu 3ter Größe gelangen 1655 und dann verschwinden; Hevel beobachtete ihn wieder im November 1665: anfangs sehr klein, dann größer, doch ohne je die 3te Größe wieder zu erreichen. Zwischen 1677 und 1682 war er schon nur noch 6ter Größe, und als solcher blieb er am Himmel. Sir John Herschel führt ihn auf in der Liste der veränderlichen Sterne, nicht so Argelander.
- Nächst dem Stern in der Cassiopea von 1572 ist der berühmteste geworden der neue Stern des Schlangenträgers von 1604 (RA. 259° 42' und südl. Decl. 21° 15' für 1800). An jeden derselben knüpft sich ein großer Name. Der Stern im rechten Fuß des Schlangenträgers wurde zuerst nicht von Kepler selbst, sondern von seinem Schüler, dem Böhmen Johann Brunowski, am 10 October 1604: »größer als alle Sterne erster Ordnung, größer als Jupiter und Saturn, doch weniger groß als Venus«; gesehen. Herlicius will ihn schon am 27 September beobachtet haben. Seine Helligkeit stand der des Tychonischen Sternes von 1572 nach, auch wurde er nicht wie dieser bei Tage erkannt; seine Scintillation war aber um vieles stärker und erregte besonders das Erstaunen aller Beobachter. Da das Funkeln immer mit Farbenzerstreuung verbunden ist, so wird viel von seinem farbigen, stets wechselnden Lichte gesprochen. Arago (Annuaire pour 1834 p. 299–301 und Ann. pour 1842 p. 345–347) hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß der Kepler'sche Stern keinesweges, wie 226 der Tychonische, nach langen Zwischenräumen eine andere: gelbe, rothe und dann wieder weiße, Färbung annahm. Kepler sagt bestimmt, daß sein Stern, sobald er sich über die Erddünste erhob, weiß war. Wenn er von den Farben der Iris spricht, so ist es, um das farbige Funkeln deutlich zu machen: »exemplo adamantis multanguli, qui Solis radios inter convertendum ad spectantium oculos variabili fulgore revibraret, colores Iridis (stella nova in Ophiucho) successive vibratu continuo reciprocabat.« (De nova Stella Serpent. p. 5 und 125.) Im Anfang des Januars 1605 war der Stern noch heller als Antares, aber von geringerer Lichtstärke als Arcturus. Ende März desselben Jahres wird er als 3ter Größe beschrieben. Die Nähe der Sonne hinderte alle Beobachtungen 4 Monate lang. Zwischen Februar und März 1606 verschwand er spurlos. Die ungenauen Beobachtungen über die »großen Positions-Veränderungen des neuen Sterns« von Scipio Claramontius und dem Geographen Blaeu (Blaew) verdienen, wie schon Jacques Cassini (élémens d'Astronomie p. 65) bemerkt, kaum einer Erwähnung, da sie durch Kepler's sichrere Arbeit widerlegt sind. Die chinesischen Verzeichnisse von Ma-tuan-lin führen eine Erscheinung an, die mit dem Auflodern des neuen Sterns im Schlangenträger der Zeit und der Position nach einige Aehnlichkeit zeigt. Am 30 Sept. 1604 sah man in China unfern π des Scorpions einen rothgelben (»kugelgroßen«?) Stern. Er leuchtete in Südwest bis November desselben Jahres, wo er unsichtbar wurde. Er erschien wieder den 14 Jan. 1605 in Südost, verdunkelte sich aber ein wenig im März 1606. (Connaissance des temps pour 1846 p. 59) Die Oertlichkeit π des Scorpions kann leicht mit dem Fuß des Schlangenträgers verwechselt werden; aber die Ausdrücke Südwest und Südost, das Wiedererscheinen, und der Umstand, daß kein endliches völliges Verschwinden angekündigt wird, lassen Zweifel über die Identität.
- Auch ein neuer Stern von ansehnlicher Größe, in Südwest gesehen, aus Ma-tuan-lin. Es fehlen alle nähere Bestimmungen.
- Der vom Carthäuser Anthelme am 20 Junius des Jahres 1670 am Kopfe des Fuchses (RA. 294° 27' Dec. 26° 47') ziemlich nahe bei β des Schwans entdeckte neue Stern. Er war bei seinem ersten Aufstrahlen nicht 1ter sondern nur 3ter Größe, und sank am 10 August schon bis zur 5ten Größe herab. Er verschwand 227 nach 3 Monaten, zeigte sich aber wieder den 17 März 1671 und war in 4ter Größe. Dominique Cassini beobachtete ihn fleißig im April 1671 und fand seine Helligkeit sehr veränderlich. Der neue Stern sollte ohngefähr nach 10 Monaten zu demselben Glanze zurückkehren, aber man suchte ihn vergebens im Februar 1672. Er erschien erst den 29 März desselben Jahres, doch nur in 6ter Größe, und wurde seitdem nie wieder gesehen. (Jacques Cassini, élémens d'Astr. p. 69–71) Diese Erscheinungen trieben Dominique Cassini zum Aufsuchen vorher (von ihm!) nicht gesehener Sterne an. Er behauptet deren 14 aufgefunden zu haben, und zwar 4ter, 5ter und 6ter Größe (8 in der Cassiopea, 2 im Eridanus und 4 nahe dem Nordpole). Bei dem Mangel der Angaben einzelner Oertlichkeiten können sie: da sie ohnedies, wie die zwischen 1694 und 1709 von Maraldi aufgefundenen, mehr als zweifelhaft sind, hier nicht aufgeführt werden. (Jacques Cassini, élém. d'Astron. p. 73–77; Delambre, Hist. de l'Astr. mod. T. II. p. 780.)
- Seit dem Erscheinen des neuen Sternes im Fuchse vergingen 178 Jahre, ohne daß ein ähnliches Phänomen sich dargeboten hätte: obgleich in diesem langen Zeitraume der Himmel am sorgfältigsten durchmustert wurde, bei fleißigerem Gebrauch von Fernröhren und bei Vergleichung mit genaueren Sterncatalogen. Erst am 28 April 1848 machte Hind auf der Privat-Sternwarte von Bishop (South Villa, Regent's Park) die wichtige Entdeckung eines neuen, röthlich gelben Sternes 5ter Größe in dem Schlangenträger: RA. 16h 50' 59", südl. Decl. 12° 39' 16" für 1848. Bei keinem anderen neu erschienenen Stern ist die Neuheit der Erscheinung und die Unveränderlichkeit seiner Position mit mehr Genauigkeit erwiesen worden. Er ist jetzt (1850) kaum 11m, und nach Lichtenberger's fleißiger Beobachtung wahrscheinlich dem Verschwinden nahe. (Notices of the Astr. Soc. Vol. VIII. p. 146 und 155–158.)
Die vorliegende Zusammenstellung der seit 2000 Jahren neu erschienenen und wieder verschwundenen Sterne ist vielleicht etwas vollständiger als die, welche bisher gegeben worden sind. Sie berechtigt zu einigen allgemeinen Betrachtungen. Man unterscheidet dreierlei: neue Sterne, die plötzlich aufstrahlen und in mehr oder weniger langer 228 Zeit verschwinden; Sterne, deren Helle einer periodischen, schon jetzt bestimmbaren Veränderlichkeit unterliegt; und Sterne, die, wie η Argûs, auf einmal einen ungewöhnlich wachsenden und unbestimmt wechselnden Lichtglanz zeigen. Alle drei Erscheinungen sind wahrscheinlich ihrer inneren Natur nach nahe mit einander verwandt. Der neue Stern im Schwan (1600), welcher nach dem völligen Verschwinden (freilich für das unbewaffnete Auge) wieder erschien und ein Stern 6ter Größe verblieb, leitet uns auf die Verwandtschaft der beiden ersten Arten von Himmelserscheinungen. Den berühmten Tychonischen Stern in der Cassiopea (1572) glaubte man schon in der Zeit, als er noch leuchtete, für identisch mit den neuen Sternen von 945 und 1264 halten zu dürfen. Die dreihundertjährige Periode, welche Goodricke vermuthete (die partiellen Abstände der, numerisch vielleicht nicht sehr sicheren Erscheinungen sind 319 und 308 Jahre!), wurde von Keill und Pigott auf 150 Jahre reducirt. AragoArago, Annuaire pour 1842 p. 332. hat gezeigt, wie unwahrscheinlich es sei, daß Tycho's Stern (1572) unter die Zahl der periodisch veränderlichen gehöre. Nichts scheint bisher zu berechtigen alle neu erschienenen Sterne für veränderlich, und zwar in langen, uns wegen ihrer Länge unbekannt gebliebenen Perioden, zu halten. Ist z. B. das Selbstleuchten aller Sonnen des Firmaments Folge eines electro-magnetischen Processes in ihren Photosphären; so kann man sich (ohne locale und temporäre Verdichtungen der Himmelsluft oder ein Dazwischentreten sogenannter kosmischer Gewölke anzunehmen) diesen Lichtproceß als mannigfaltig verschieden: einmalig oder periodisch, regelmäßig oder unregelmäßig wiederkehrend, denken. Die electrischen 229 Lichtprocesse unseres Erdkörpers, als Gewitter im Luftkreise oder als Polar-Ausströmungen sich darstellend, zeigen neben vieler unregelmäßig scheinenden Veränderlichkeit doch oft ebenfalls eine gewisse von Jahreszeiten und Tagesstunden abhängige Periodicität. Dieselbe ist sogar oft mehrere Tage hinter einander, bei ganz heiterer Luft, in der Bildung kleines Gewölks an bestimmten Stellen des Himmels bemerkbar: wie die oft vereitelten Culminations-Beobachtungen von Sternen beweisen.
Eine besondere und zu beachtende Eigenthümlichkeit scheint nur der Umstand zu sein, daß fast alle mit einer ungeheuren Lichtstärke, als Sterne erster Größe und selbst stärker funkelnd wie diese, auflodern und daß man sie, wenigstens für das bloße Auge, nicht allmälig an Helligkeit zunehmen sieht. KeplerKepler de Stella nova in pede Serp. p. 3. war auf dieses Criterium so aufmerksam, daß er das eitle Vorgeben des Antonius Laurentinus Politianus, den Stern im Schlangenträger (1604) früher als Brunowski gesehen zu haben, auch dadurch widerlegte, daß Laurentinus sagt: »apparuit nova Stella parva, et postea de die in diem crescendo apparuit lumine non multo inferior Venere, superior Jove.« Fast ausnahmsweise erkennt man nur 3 Sterne, die nicht in erster Größe aufstrahlten: nämlich die Sterne 3ter Ordnung im Schwan (1600) und im Fuchse (1670), und Hind's neuen Stern 5ter Ordnung im Schlangenträger (1848).
Es ist sehr zu bedauern, daß seit Erfindung des Fernrohrs, wie schon oben bemerkt, in dem langen Zeitraume von 178 Jahren, nur 2 neue Sterne gesehen wurden: während daß bisweilen die Erscheinungen sich so 230 zusammendrängten, daß am Ende des 4ten Jahrhunderts in 24 Jahren 4, im 13ten Jahrhundert in 61 Jahren 3; am Ende des 16ten und im Anfang des 17ten Jahrhunderts, in der Tycho-Kepler'schen Periode, in 37 Jahren 6 beobachtet wurden. Ich nehme in diesen Zahlenverhältnissen immer Rücksicht auf die chinesischen Beobachtungen außerordentlicher Sterne, deren größerer Theil nach dem Ausspruch der ausgezeichnetsten Astronomen Vertrauen verdient. Warum unter den in Europa gesehenen Sternen vielleicht der Kepler'sche im Schlangenträger (1604), nicht aber der Tychonische in der Cassiopea (1572) in Ma-tuan-lin's Verzeichnissen aufgeführt ist, weiß ich eben so wenig einzeln zu erklären, als warum im 16ten Jahrhundert z. B. über die große in China gesehene Lichterscheinung vom Februar 1578 von europäischen Beobachtern nichts berichtet wird. Der Unterschied der Länge (114°) könnte nur in wenigen Fällen die Unsichtbarkeit erklären. Wer je mit ähnlichen Untersuchungen beschäftigt gewesen ist, weiß, daß das Nicht-Anführen von politischen oder Natur-Begebenheiten, auf der Erde und am Himmel, nicht immer ein Beweis der Nicht-Existenz solcher Begebenheiten ist; und wenn man die drei verschiedenen chinesischen im Ma-tuan-lin enthaltenen Sternverzeichnisse mit einander vergleicht, so findet man auch Cometen (z. B. die von 1385 und 1495) in dem einen Verzeichniß aufgeführt, welche in dem anderen fehlen.
Schon ältere Astronomen: Tycho und Kepler, haben, wie neuere: Sir John Herschel und Hind, darauf aufmerksam gemacht, daß bei weitem die Mehrzahl aller in Europa und China beschriebenen neuen Sterne (ich finde 4/5) 231 sich in der Nähe der Milchstraße oder in dieser selbst gezeigt haben. Ist, was den ringförmigen Sternschichten der Milchstraße ein so mildes Nebellicht giebt, wie mehr als wahrscheinlich ist, ein bloßes Aggregat telescopischer Sternchen; so fällt Tycho's oben erwähnte Hypothese von der Bildung neu auflodernder Fixsterne aus sich ballendem verdichteten dunstförmigen Himmelsstoff über den Haufen. Was in gedrängten Sternschichten und Sternschwärmen, falls sie um gewisse centrale Kerne rotiren, die Anziehungskräfte vermögen, ist hier nicht zu bestimmen und gehört in den mythischen Theil der Astrognosie. Unter 21 in der vorstehenden Liste aufgeführten neu erschienenen Sternen sind 5 (134, 393, 827, 1203, 1584) im Scorpion, 3 in der Cassiopea und dem Cepheus (945, 1264, 1572), 4 im Schlangenträger (123, 1230, 1604, 1848) aufgestrahlt; aber auch sehr fern von der Milchstraße ist einmal (1012) im Widder ein neuer Stern gesehen worden (der Stern des Mönchs von St. Gallen). Kepler selbst, der den von Fabricius 1596 am Halse des Wallfisches als auflodernd beschriebenen und im October desselben Jahres für ihn verschwundenen Stern für einen neuen hielt, giebt diese Position ebenfalls für einen Gegengrund an (Kepler de Stella nova Serp. p. 112). Darf man aus der Frequenz des Aufloderns in denselben Constellationen folgern, daß in gewissen Richtungen des Weltraums: z. B. in denen, in welchen wir die Sterne des Scorpions und der Cassiopea sehen, die Bedingungen des Aufstrahlens durch örtliche Verhältnisse besonders begünstigt werden? Liegen nach diesen Richtungen hin vorzugsweise solche Gestirne, welche zu explosiven, kurzzeitigen Lichtprocessen geeignet sind?
232 Die Dauer des Leuchtens neuer Sterne ist die kürzeste gewesen in den Jahren 389, 827 und 1012. In dem ersten der genannten Jahre war sie 3 Wochen; in dem zweiten 4, in dem dritten 3 Monate. Dagegen hat des Tycho Stern in der Cassiopea 17 Monate lang geleuchtet, Kepler's Stern im Schwan (1600) volle 21 Jahre bis zu seinem Verschwinden. Er erschien wieder 1655: und zwar, wie beim ersten Auflodern, in 3terGröße; um bis zu 6ter zu schwinden, ohne nach Argelander's Beobachtungen in die Classe periodisch veränderlicher Sterne zu treten.
Verschwundene Sterne. – Die Beachtung und Aufzählung der sogenannten verschwundenen Sterne ist von Wichtigkeit für das Aufsuchen der großen Zahl kleiner Planeten, die wahrscheinlicherweise zu unserem Sonnensystem gehören; aber trotz der Genauigkeit der neuen Positions-Verzeichnisse telescopischer Fixsterne und der neuen Sternkarten ist die Ueberzeugung der Gewißheit, daß ein Stern an dem Himmel wirklich seit einer bestimmten Epoche verschwunden ist, doch nur bei großer Sorgfalt zu erlangen. Beobachtungs-, Reductions- und DruckfehlerS. über Beispiele von nicht verschwundenen Sternen Argelander in Schumacher's astronom. Nachr. No. 624 S. 371. Um auch eines Beispiels aus dem Alterthum zu gedenken, ist hier zu erinnern, wie die Nachlässigkeit, mit der Aratus sein poetisches Sternverzeichniß angefertigt hat, zu der oft erneuerten Frage führte: ob Wega der Leier ein neuer oder in langen Perioden veränderlicher Stern sei. Aratus sagt nämlich, die Constellation der Leier habe nur kleine Sterne. Auffallend ist es allerdings, daß Hipparch in dem Commentar diesen Irrthum nicht bezeichnet, da er doch den Aratus wegen seiner Angaben von der relativen Lichtstärke der Sterne der Cassiopea und des Schlangenträgers tadelt. Alles dieses ist aber nur zufällig und nichts beweisend; denn da Aratus auch dem Schwane nur Sterne »von mittlerem Glanze« zuschreibt, so widerlegt Hipparch (I, 14) ausdrücklich diesen Irrthum: und setzt hinzu, daß der helle Stern am Schwanze (Deneb) an Lichtstärke der Leier (Wega) wenig nachstehe. Ptolemäus setzt Wega unter die Sterne erster Ordnung, und in den Catasterismen des Eratosthenes (cap. 25) wird Wega λευκὸν καὶ λαμπρὸν genannt. Würde man bei den vielen Ungenauigkeiten eines, die Sterne nicht selbst beobachtenden Dichters der Behauptung Glauben beimessen wollen, daß Wega der Leier (Fidicula des Plinius XVIII, 25) erst zwischen den Jahren 272 und 127 vor unserer Zeitrechnung, zwischen Aratus und Hipparch, ein Stern erster Größe geworden sei? entstellen oft die besten Cataloge. Das Verschwinden der Weltkörper an den Orten, wo man sie ehemals bestimmt gesehen, kann so gut die Folge eigener Bewegung als eine solche Schwächung des Lichtprocesses auf der Oberfläche oder in der Photosphäre sein, daß die Lichtwellen unser Sehorgan nicht mehr hinlänglich anregen. Was wir nicht mehr sehen, ist darum nicht untergegangen. Die Idee der Zerstörung, des Ausbrennens von unsichtbar werdenden Sternen gehört der Tychonischen Zeit an. Auch Plinius fragt in der schönen Stelle über Hipparch: »stellae an 233 obirent nascerenturve«. Der ewige scheinbare Weltwechsel des Werdens und Vergehens ist nicht Vernichtung, sondern Uebergang der Stoffe in neue Formen; in Mischungen, die neue Processe bedingen. Dunkele Weltkörper können durch einen erneuerten Lichtproceß plötzlich wieder ausstrahlen.
Periodisch veränderliche Sterne. – Da an der Himmelsdecke sich alles bewegt, alles dem Raum und der Zeit nach veränderlich ist, so wird man durch Analogien zu der Vermuthung geleitet: daß, wie die Fixsterne insgesammt eine ihnen eigenthümliche, nicht etwa bloß scheinbare, Bewegung haben, eben so allgemein die Oberfläche oder die leuchtende Atmosphäre derselben Veränderungen erleiden, welche bei der größeren Zahl dieser Weltkörper in überaus langen und daher ungemessenen, vielleicht unbestimmbaren, Perioden wiederkehren; bei wenigen, ohne periodisch zu sein, wie durch eine plötzliche Revolution, auf bald längere, bald kürzere Zeit eintreten. Die letztere Classe von Erscheinungen, von der in unseren Tagen ein großer Stern im Schiffe ein merkwürdiges Beispiel darbietet, wird hier, wo nur von veränderlichen Sternen in schon erforschten und gemessenen Perioden die Rede ist, nicht behandelt. Es ist wichtig drei große siderale Naturphänomene, deren Zusammenhang noch nicht erkannt worden ist, von einander zu trennen: nämlich veränderliche Sterne von bekannter Periodicität, Auflodern von sogenannten neuen Sternen, und plötzliche Lichtveränderungen von längst bekannten, vormals in gleichförmiger Intensität leuchtenden Fixsternen. Wir verweilen zuerst ausschließlich bei der ersten Form der Veränderlichkeit: wovon das am frühesten genau beobachtete Beispiel 234 (1638) durch Mira Ceti, einen Stern am Halse des Wallfisches, dargeboten ward. Der ostfriesische Pfarrer David Fabricius, der Vater des Entdeckers der Sonnenflecken, hatte allerdings schon 1596 den Stern am 13 August als einen 3ter Größe beobachtet und im October desselben Jahres verschwinden sehen. Den alternirend wiederkehrenden Lichtwechsel, die periodische Veränderlichkeit entdeckte erst 42 Jahre später ein Professor von Franeker, Johann Phocylides Holwarda. Dieser Entdeckung folgte in demselben Jahrhundert noch die zweier andrer veränderlicher Sterne: β Persei (1669), von Montanari; und χ Cygni (1687), von Kirch beschrieben.
Unregelmäßigkeiten, welche man in den Perioden bemerkte, und die vermehrte Zahl der Sterne derselben Classe haben seit dem Anfang des 19ten Jahrhunderts das Interesse für diese so complicirte Gruppe von Erscheinungen auf das lebhafteste angeregt. Bei der Schwierigkeit des Gegenstandes und bei meinem Streben, in diesem Werke die numerischen Elemente der Veränderlichkeit, als die wichtigste Frucht aller Beobachtung, so darlegen zu können, wie sie in dem dermaligen Zustande der Wissenschaft erforscht sind: habe ich die freundliche Hülfe des Astronomen in Anspruch genommen, welcher sich unter unseren Zeitgenossen mit der angestrengtesten Thätigkeit und dem glänzendsten Erfolge dem Studium der periodisch veränderlichen Sterne gewidmet hat. Die Zweifel und Fragen, zu denen mich meine eigene Arbeit veranlaßte, habe ich meinem gütigen Freunde Argelander, Director der Sternwarte zu Bonn, vertrauensvoll vorgelegt; und seinen handschriftlichen Mitheilungen allein verdanke ich, was hier folgt und 235 großentheils auf anderen Wegen noch nicht veröffentlicht worden ist.
Die Mehrzahl der veränderlichen Sterne ist allerdings roth oder röthlich, keinesweges aber sind es alle. So z. B. haben ein weißes Licht, außer β Persei (Algol am Medusenhaupte), auch β Lyrae und ε Aurigae. Etwas gelblich ist η Aquilae und in noch geringerem Grade ζ Geminorum. Die ältere Behauptung, daß einige veränderliche Sterne, besonders Mira Ceti, beim Abnehmen röther seien als beim Zunehmen der Helligkeit: scheint ungegründet. Ob in dem Doppelstern α Herculis: in welchem der große Stern von Sir William Herschel roth, von Struve gelb, der Begleiter dunkelblau genannt wird; dieser kleine Begleiter, zu 5m bis 7m geschätzt, selbst auch veränderlich ist: scheint sehr problematisch. StruveVergl. Mädler, Astron. S. 438 Note 12 mit Struve, Stellarum compos. Mensurae miocrom. p. 97 und 98 Stern 2140. »Ich glaube«, sagt Argelander, »daß es sehr schwierig ist in einem lichtstarken Fernrohr die Helligkeit so überaus verschiedener Sterne, als es die beiden Componenten von α Herculis sind, richtig zu schätzen. Meine Erfahrung ist entscheidend gegen die Veränderlichkeit des Begleiters: da ich α Herculis bei vielfachen Tagesbeobachtungen in den Fernröhren der Meridiankreise zu Abo, Helsingfors und Bonn, nie einfach gesehen habe; was doch wohl der Fall gewesen sein würde, wenn der Begleiter im Minimum 7ter Größe wäre. Ich halte diesen constant für 5m oder 5.6m.« selbst sagt auch nur: suspicor minorem esse variabilem. Veränderlichkeit ist keinesweges an die rothe Farbe gebunden. Es giebt viele rothe Sterne, zum Theil sehr rothe, wie Arcturus und Aldebaran, an denen noch keine Veränderlichkeit bisher wahrgenommen worden ist. Dieselbe ist auch mehr als zweifelhaft in einem Stern des Cepheus (No. 7582 des Catalogs der britischen Association), welchen wegen seiner außerordentlichen Röthe William Herschel 1782 den Granatstern genannt hat.
Die Zahl der periodisch veränderlichen Sterne ist schon deshalb schwierig anzugeben, weil die bereits ermittelten Perioden von sehr ungleicher Unsicherheit sind. Die zwei veränderlichen Sterne des Pegasus, so wie α Hydrae, ε Aurigae, α Cassiopeae haben nicht die Sicherheit von Mira Ceti, Algol und δ Cephei. Bei der Aufzählung in einer 236 Tabelle kommt es also darauf an, mit welchem Grade der Gewißheit man sich begnügen wolle. Argelander zählt, wie in seiner am Ende dieser Untersuchung abgedruckten Uebersichtstafel zu ersehen ist, der befriedigend bestimmten Perioden nur 24 auf.Mädler's Tafel (Astron. S. 435) enthält mit sehr verschiedenen numerischen Elementen 18 Sterne; Sir John Herschel zählt mit den in den Noten berührten über 45 auf (outlines § 819–826).
Wie das Phänomen der Veränderlichkeit sich bei rothen und einigen weißen Sternen findet, so bieten es auch Sterne von den verschiedensten Größenordnungen dar: z. B. ein Stern 1m, α Orionis; 2m: Mira Ceti, α Hydrae, α Cassiopeae, β Pegasi; 2.3m β Persei; 3.4m η Aquilae und ν Lyrae. Es giebt aber zugleich auch, und in weit größerer Menge, veränderliche Sterne 6m bis 9m: wie die variabiles Coronae, Virginis, Cancri und Aquarii. Der Stern χ im Schwan hat ebenfalls im Maximum sehr große Schwankungen.
Daß die Perioden der veränderlichen Sterne sehr unregelmäßig sind, war längst bekannt; aber daß diese Veränderlichkeit in ihrer scheinbaren Unregelmäßigkeit bestimmten Gesetzen unterworfen ist, hat Argelander zuerst ergründet. Er hofft es in einer eigenen, größeren Abhandlung umständlicher erweisen zu können. Bei χ Cygni hält er jetzt zwei Perturbationen in der Periode: die eine von 100, die andere von 8½ Einzel-Perioden, für wahrscheinlicher als eine von 108. Ob solche Störungen in Veränderungen des Lichtprocesses, welcher in der Atmosphäre des Sterns vorgeht, gegründet sind; oder in der Umlaufszeit eines um die Fixsternsonne χ Cygni kreisenden, auf die Gestalt jener Photosphäre durch Anziehung wirkenden Planeten: bleibt freilich noch ungewiß. Die größten Unregelmäßigkeiten in der Veränderung der Intensität bietet sicherlich variabilis Scuti 237 (des Sobieski'schen Schildes) dar: da dieser Stern bisweilen von 5.4m bis zu 9m herabsinkt, ja nach Pigott am Ende des vorigen Jahrhunderts einmal ganz verschwunden sein soll. Zu anderen Zeiten sind seine Schwankungen in der Helligkeit nur zwischen 6.5m und 6m gewesen. Im Maximum hat χ Cygni zwischen 6.7m und 4m, Mira zwischen 4m und 2.1n geschwankt. Dagegen zeigt δ Cephei eine außerordentliche, ja von allen Veränderlichen die größte Regelmäßigkeit in der Länge der Perioden: wie 87 zwischen dem 10 October 1840 und 8 Januar 1848 und noch später beobachtete Minima erwiesen haben. Bei ε Aurigae geht die von einem unermüdlichen Beobachter, Herrn Heis in Aachen, aufgefundene Veränderung der LichthelleArgelander in Schumacher's astr. Nachr. Bd. XXVI. (1848) No. 624 S. 369. nur von 3.4m bis 4.5m.
Große Unterschiede der Helligkeit im Maximum zeigt Mira Ceti. Im Jahr 1779 z. B. war (6 Nov.) Mira nur wenig schwächer als Aldebaran gewesen, gar nicht selten heller als Sterne 2m: während dieser veränderliche Stern zu anderen Zeiten nicht die Intensität (4m) von δ Ceti erreichte. Seine mittlere Helligkeit ist gleich der von γ Ceti (3m). Wenn man die Helligkeit der schwächsten dem unbewaffneten Auge sichtbaren Sterne mit 0, die des Aldebaran mit 50 bezeichnet, so hat Mira in ihrem Maximum zwischen 20 und 47 geschwankt. Ihre wahrscheinliche Helligkeit ist durch 30 auszudrücken; sie bleibt öfter unter dieser Grenze, als sie dieselbe übersteigt. Die Uebersteigungen sind aber, wenn sie eintreten, dem Grade nach bedeutender. Eine entschiedene Periode dieser Oscillationen ist noch nicht entdeckt, aber es giebt Andeutungen von einer 40jährigen und einer 160jährigen Periode.
238 Die Dauer der Periode der Lichtveränderung variirt nach Verschiedenheit der Sterne wie 1:250. Die kürzeste Periode bietet unstreitig β Persei dar, von 68 Stunden 49 Minuten; wenn sich nicht die des Polaris von weniger als 2 Tagen bestätigen sollte. Auf β Persei folgen zunächst δ Cephei (5 T. 8 St. 49 Min.), η Aquilae (7 T. 4 St. 14 Min.) und ζ Geminorum (10 T. 3 St. 35 Min.). Die längste Dauer der Lichtveränderung haben: 30 Hydrae Hevelii von 495 Tagen, χ Cygni von 406 T., variabilis Aquarii von 388 T., Serpentis S von 367 Tagen und Mira Ceti von 332 T. Bei mehreren Veränderlichen ist es ganz entschieden, daß sie geschwinder zu- als abnehmen; am auffallendsten zeigt sich diese Erscheinung bei δ Cephei. Andere brauchen gleiche Zeit zum Zu- und Abnehmen (z. B. β Lyrae). Bisweilen erkennt man sogar in diesem Verhältniß eine Verschiedenheit bei denselben Sternen, aber in verschiedenen Epochen ihrer Lichtprocesse. Mira Ceti nimmt in der Regel (wie δ Cephei) rascher zu als ab; doch ist bei Mira auch schon das Entgegengesetzte beobachtet worden.
Was Perioden von Perioden betrifft; so zeigen sich solche mit Bestimmtheit bei Algol, bei Mira Ceti, bei β Lyrae und mit vieler Wahrscheinlichkeit bei χ Cygni. Die Abnahme der Periode von Algol ist jetzt unbezweifelt. Goodricke hat dieselbe nicht gefunden; wohl aber Argelander, als er im Jahr 1842 über 100 sichere Beobachtungen vergleichen konnte, von denen die äußersten über 58 Jahre (7600 Perioden umfassend) von einander entfernt waren (Schumacher's astron. Nachr. No. 472 und 624). Die Abnahme der Dauer wird immer bemerkbarer.»Wenn ich«, sagt Argelander, »das kleinste Licht des Algol 1800 Januar 1 um 18 St. 1 Min. mittlerer Pariser Zeit für die 0 Epoche annehme, so erhalte ich die Dauer der Perioden für:
In dieser Tabelle haben die Zahlen folgende Bedeutung: nennt man die Epoche des Minimums 1, Januar 1800 null, die nächst vorhergehende -1, die nächst folgende +1 u. s. w.; so war die Dauer zwischen dem -1987 und -1986 genau 2 T. 20 St. 48 Min. 59,416 Sec., die Dauer zwischen +5441 und +5442 aber 2 T. 20 St. 48 Min. 55,182 Sec.: jenes entspricht dem Jahre 1784, dieses dem Jahre 1842. Die hinter den ± Zeichen stehenden Zahlen sind die wahrscheinlichen Fehler. Daß die Abnahme immer rascher wird, zeigen sowohl die letzte Zahl als alle meine Beobachtungen seit 1847.« »1751 Sept. 9,76 + 331,3363 T. + 10,5 T. * Sin. (360°/11*E+86°23') + 18,2 T. * Sin. (45°/11*E+231°42') + 33,9 T. * Sin. (45°/22*E+170°19') + 65,3 T. * Sin. (15°/11*E+6°37'): wo E die Anzahl der seit 1751 Sept. 9 eingetretenen Maxima bedeutet und die Coefficienten in Tagen gegeben sind. Für das jetzt laufende Jahr folgt daraus das Maximum: 1751 Sept. 9,76 + 36115,65 T. + 8,44 T. - 12,24 T. + 18,59 T. + 27,34 T. = 1850 Sept. 8,54. Was am meisten für diese Formel zu sprechen scheint, ist der Umstand, daß mit ihr auch die Beobachtung des Maximums von 1596 (Kosmos Bd. II. S. 367) dargestellt wird, die bei jeder Annahme einer gleichförmigen Periode um mehr als 100 Tage abweicht. Doch scheint das Gesetz der Lichtveränderung dieses Sternes so complicirt zu sein, daß in einzelnen Fällen, z. B. für das sehr genau beobachtete Maximum des Jahres 1810, die Formel noch viele Tage (fast 25) abgewichen ist.«
-1987
. .
2 T. 20 St. 48 M.
. .
59s,416
. . .
±0s,316
-1406
58s,737
±0s,094
-825
58s,393
±0s,175
+751
58s,454
±0s,039
+2328
58s,193
±0s,096
+3885
57s,971
±0s,045
+5441
55s,182
±0s,348
Das doppelte Maximum und Minimum von β Lyrae in jeder fast 13tägigen Periode hat schon der Entdecker Goodricke (1784) sehr richtig erkannt; es ist aber durch die neuesten Beobachtungen noch mehr außer ZweifelVergl. Argelander's Schrift zur Säcularfeier der Königsberger Universität unter dem Titel: de Stella β Lyrae variabili 1844. gesetzt worden. Merkwürdig ist es, daß der Stern in beiden Maximis dieselbe Helligkeit erlangt; aber in dem Haupt-Minimum wird er um eine halbe Größe schwächer als in dem anderen. Seit der Entdeckung der Veränderlichkeit von β Lyrae ist die Periode in der Periode wahrscheinlich immer länger geworden. Anfangs war die Veränderlichkeit rascher, dann wurde sie allmälig langsamer, und diese Zunahme der Langsamkeit fand ihre Grenze zwischen den Jahren 1840 und 1844. In dieser Zeit blieb die Dauer ohngefähr dieselbe, jetzt ist sie bestimmt wieder im Abnehmen begriffen. Etwas ähnliches wie das doppelte Maximum von β Lyrae zeigt sich bei δ Cephei; es ist in so fern eine Hinneigung zu einem zweiten Maximum, als die Lichtabnahme nicht gleichförmig fortschreitet: sondern, nachdem sie anfangs ziemlich rasch gewesen ist, nach einiger Zeit ein Stillstand oder wenigstens eine sehr unbedeutende Abnahme in der Helligkeit eintritt, bis die Abnahme auf einmal wieder rascher wird. Es ist als wenn bei einigen 240 Sternen das Licht gehindert werde sich völlig zu einem zweiten Maximum zu erheben. In χ Cygni walten sehr wahrscheinlich, wie (S. 236) gesagt, zwei Perioden der Veränderlichkeit: eine größere von 100 und eine kleinere von 8½ Einzel-Perioden.
Die Frage, ob im ganzen mehr Regelmäßigkeit bei veränderlichen Sternen von sehr kurzen als von sehr langen Perioden herrsche, ist schwer zu beantworten. Die Abweichungen von einer gleichförmigen Periode können nur relativ genommen werden, d. h. in Theilen dieser Periode selbst. Um bei langen Perioden zu beginnen, müssen χ Cygni, Mira Ceti und 30 Hydrae zuerst betrachtet werden. Bei χ Cygni gehen die Abweichungen von der Periode (406,0634 T.), welche in der Voraussetzung einer gleichförmigen Veränderlichkeit am wahrscheinlichsten ist, bis auf 39,4 T. Wenn auch von diesen ein Theil den Beobachtungsfehlern zugeschrieben wird, so bleiben gewiß noch 29 bis 30 Tage, d. i. 1/14 der ganzen Periode. Bei Mira CetiZu den frühesten ernsten Bestrebungen, die mittlere Dauer der Veränderlichkeits-Periode von Mira Ceti zu ergründen, gehört die Arbeit von Jacques Cassini, élémens d'Astronomie 1740 p. 66–69., in einer Periode von 331,340 T., gehen die Abweichungen auf 55,5 T.; sie gehen so weit, selbst wenn man die Beobachtung von David Fabricius unberücksichtigt läßt. Beschränkt man die Schätzung wegen der Beobachtungsfehler auf 40 Tage; so erhält man ⅛, also im Vergleich mit χ Cygni eine fast doppelt große Abweichung. Bei 30 Hydrae, welche eine Periode von 495 Tagen hat, ist dieselbe gewiß noch größer, vielleicht 1/5. Die veränderlichen Sterne mit sehr kurzen Perioden sind erst seit wenigen Jahren (seit 1840 und noch später) anhaltend und mit gehöriger Genauigkeit beobachtet worden: so daß, auf sie angewandt, das hier behandelte Problem noch schwerer zu lösen ist. Es scheinen jedoch nach den bisherigen Erfahrungen weniger große 241 Abweichungen sich darzubieten. Bei η Aquilae (Periode 7 T. 4 St.) sind sie nur auf 1/16 oder 1/17 der ganzen Periode, bei β Lyrae (Periode 12 T. 21 St.) auf 1/27 oder 1/30 gestiegen; aber diese Untersuchung ist bisher noch vielen Ungewißheiten unterworfen bei Vergleichung kurzer und langer Perioden. Von β Lyrae sind 1700 bis 1800 Perioden beobachtet, von Mira Ceti 279, von χ Cygni nur 145.
Die angeregte Frage: ob Sterne, die lange in regelmäßigen Perioden sich veränderlich gezeigt haben, aufhören es zu sein, scheint verneint werden zu müssen. So wie es unter den fortwährend veränderlichen Sternen solche giebt, welche zuweilen eine sehr starke, zuweilen eine sehr schwache Veränderlichkeit zeigen (z. B. variabilis Scuti); so scheint es auch andere zu geben, deren Veränderlichkeit zu gewissen Zeiten so gering ist, daß wir sie mit unseren beschränkten Mitteln nicht wahrzunehmen vermögen. Dahin gehört var. Coronae bor. (No. 5236 im Catalog der British Association), von Pigott als veränderlich erkannt und eine Zeit lang beobachtet. Im Winter 1795/6 ward der Stern völlig unsichtbar; später erschien er wieder, und seine Lichtveränderungen wurden von Koch beobachtet. Harding und Westphal fanden seine Helligkeit 1817 fast ganz constant, bis 1824 wieder Olbers seinen Lichtwechsel beobachten konnte. Die Constanz trat nun wieder ein und wurde vom August 1843 bis September 1845 von Argelander ergründet. Ende September fing eine neue Abnahme an. Im October war der Stern im Cometensucher nicht mehr sichtbar, erschien wieder im Februar 1846, und erreichte Anfangs Juni seine gewöhnliche 6te Größe. Er hat sie seitdem behalten: wenn man kleine und nicht sehr 242 sichere Schwankungen abrechnet. Zu dieser räthselhaften Classe von Sternen gehört auch variabilis Aquarii und vielleicht Janson's und Kepler's Stern im Schwan von 1600, dessen wir bereits unter den neu erschienenen Sternen gedacht haben.
243 Tabelle über die veränderlichen Sterne
von Fr. Argelander
No. | Bezeichnung des Sterns |
Dauer der Periode |
Helligkeit im |
Name des Entdeckers und Zeit der Entdeckung |
|||
Maximum | Minim. | ||||||
T. | St. | Min. | Größe | Größe | |||
1 | ο Ceti | 331 | 20 | — | 4 bis 2.1 | 0 | Holwarda |
2 | β Persei | 2 | 20 | 49 | 2.3 | 4 | Montanari |
3 | γ Cygni | 406 | 1 | 30 | 6.7 bis 4 | 0 | Gottfr. Kirch |
4 | 30 Hydrae Hev. | 495 | — | — | 5 bis 4 | 0 | Maraldi |
5 | Leonis R, 420 M. | 312 | 18 | — | 5 | 0 | Koch |
6 | η Aquilae | 7 | 4 | 14 | 3.4 | 5.4 | E. Pigott |
7 | β Lyrae | 12 | 21 | 45 | 3.4 | 4.5 | Goodricke |
8 | δ Cephei | 5 | 8 | 49 | 4.3 | 5.4 | Goodricke |
9 | α Herculis | 66 | 8 | — | 3 | 3.4 | Wilh. Herschel |
10 | Coronae R | 323 | — | — | 6 | 0 | E. Pigott |
11 | Scuti R | 71 | 17 | — | 6.5 bis 5.4 | 9 bis 6 | E. Pigott |
12 | Virginis R | 145 | 21 | — | 7 bis 6.7 | 0 | Harding |
13 | Aquarii R | 388 | 13 | — | 9 bis 6.7 | 0 | Harding |
14 | Serpentis R | 359 | — | — | 6.7 | 0 | Harding |
15 | Serpentis S | 367 | 5 | — | 8 bis 7.8 | 0 | Harding |
16 | Cancri R | 380 | — | — | 7 | 0 | Schwerd |
17 | α Cassiopeae | 79 | 3 | — | 2 | 3.2 | Birt |
18 | α Orionis | 196 | 0 | — | 1 | 1.2 | John Herschel |
19 | α Hydrae | 55 | — | — | 2 | 2.3 | John Herschel |
20 | ε Aurigae | ? | 3.4 | 4.5 | Heis | ||
21 | ζ Geminorum | 10 | 3 | 35 | 4.3 | 5.4 | Schmidt |
22 | β Pegasi | 40 | 23 | — | 2 | 2.3 | Schmidt |
23 | Pegasi R | 350 | — | — | 8 | 0 | Hind |
24 | Cancri S | ? | 7.8 | 0 | Hind |
244 Bemerkungen.
Die 0 in der Columne für das Minimum bedeutet, daß der Stern zur Zeit desselben schwächer als 10ter Größe ist. Um die kleineren veränderlichen Sterne, die meistens weder Namen noch sonstige Bezeichnungen haben, einfach und bequem angeben zu können, habe ich mir erlaubt ihnen Buchstaben beizulegen: und zwar, da die griechischen und kleinen lateinischen zum großen Theile schon von Bayer gebraucht worden sind, die des großen Alphabets.
Außer den in der Tabelle aufgeführten giebt es fast noch eben so viele Sterne, die der Veränderlichkeit verdächtig sind, indem sie von verschiedenen Beobachtern mit verschiedenen Größen angeführt werden. Da diese Schätzungen aber nur gelegentliche und nicht mit großer Schärfe ausgeführt waren, auch verschiedene Astronomen verschiedene Grundsätze beim Schätzen der Größen haben; so scheint es sicherer solche Fälle nicht zu berücksichtigen, bis derselbe Beobachter zu verschiedenen Zeiten entschiedene Veränderlichkeit gefunden hat. Bei allen in der Tafel angegebenen ist dies der Fall; und ihr periodischer Lichtwechsel ist sicher, auch wo die Periode selbst noch nicht hat bestimmt werden können. Die angegebenen Perioden beruhen zum größten Theil auf eigenen Untersuchungen sämmtlicher bekannt gewordener älterer und meiner über 10 Jahre umfassenden noch ungedruckten Beobachtungen. Ausnahmen werden in den folgenden Notizen über die einzelnen Sterne angegeben werden.
In diesen gelten die Positionen für 1850 und sind in gerader Aufsteigung und Abweichung ausgedrückt. Der oft gebrauchte Ausdruck Stufe bedeutet einen Unterschied in der Helligkeit, welcher sich noch sicher mit bloßen Augen erkennen läßt, oder für die mit unbewaffnetem Auge unsichtbaren Sterne durch einen Fraunhofer'schen Cometensucher von 24 Zoll Brennweite. Für die helleren Sterne über 6ter Größe beträgt eine Stufe ungefähr den 10ten Theil des Unterschiedes, um welchen die auf einander folgenden Größenclassen von einander verschieden sind; für die kleineren Sterne sind die gebräuchlichen Größenclassen bedeutend enger.
1) ο Ceti: AR. 32° 57', Dec1. -3° 40'; auch wegen seines wunderbaren Lichtwechsels, der an diesem Sterne zuerst wahrgenommen wurde, Mira genannt. Schon in der zweiten Hälfte des 17ten Jahrhunderts erkannte man die Periodicität dieses Sterns, und Boulliaud bestimmte die Dauer der Periode auf 333 Tage; 245 indeß fand man auch zugleich, daß diese Dauer bald länger, bald kürzer sei: so wie daß der Stern in seinem größten Lichte bald heller, bald schwächer erscheine. Dies hat nun die Folgezeit vollkommen bestätigt. Ob der Stern jemals ganz unsichtbar wird, ist noch nicht entschieden; man hat ihn zuweilen 11ter oder 12ter Größe zur Zeit des Minimums gesehn, zu anderen Zeiten mit 3- und 4füßigen Fernröhren nicht sehen können. So viel ist gewiß, daß er eine lange Zeit schwächer als 10ter Größe ist. Es sind aber überhaupt über dies Stadium nur wenige Beobachtungen vorbanden; die meisten beginnen erst, wenn er als 6ter Größe dem bloßen Auge sich zu zeigen anfängt. Von diesem Zeitpunkte nimmt der Stern nun anfangs rasch, dann langsamer, zuletzt kaum merklich an Helligkeit zu; dann wieder, erst langsam, nachher rascher, ab. Im Mittel dauert die Zeit der Lichtzunahme von der 6ten Größe an 50, die der Lichtabnahme bis zur genannten Helligkeit 69 Tage: so daß der Stern also ungefähr 4 Monate mit bloßen Augen sichtbar ist. Allein dies ist nur die mittlere Dauer der Sichtbarkeit; zuweilen hat sie sich auf 5 Monate gesteigert, während sie zu anderen Zeiten nur 3 Monate gewesen ist. Eben so ist auch die Dauer der Licht-Zu- und Abnahme großen Schwankungen unterworfen, und jene zuweilen langsamer als diese: wie im Jahre 1840, wo der Stern 62 Tage brauchte, um bis zur größten Helligkeit zu kommen, und in 49 Tagen von dieser bis zur Unsichtbarkeit mit bloßen Augen herabsank. Die kürzeste beobachtete Dauer des Wachsens fand im Jahre 1679 mit 30 Tagen statt; die längste, von 67 Tagen, ward im Jahre 1709 beobachtet. Die Lichtabnahme dauerte am längsten im Jahre 1839, nämlich 91 Tage; am kürzesten im Jahre 1660, nämlich nur 52 Tage. Zuweilen verändert der Stern zur Zeit seiner größten Helligkeit diese einen Monat lang kaum merklich, zu andern Zeiten läßt sich schon nach wenigen Tagen eine Veränderung deutlich wahrnehmen. Bei einigen Erscheinungen hat man, nachdem der Stern einige Wochen an Helligkeit abgenommen hatte, während mehrerer Tage einen Stillstand oder wenigstens eine kaum merkliche Lichtabnahme wahrgenommen: so im Jahre 1678 und 1847.
Die Helligkeit im Maximum ist, wie schon erwähnt, auch keinesweges immer dieselbe. Bezeichnet man die Helligkeit der schwächsten mit bloßen Augen sichtbaren Sterne mit 0, die des Aldebaran (α im Stier), eines Sterns 1ter Größe, mit 50: so hat 246 die Helligkeit von Mira im Maximum zwischen 20 und 47 geschwankt, d. h. zwischen der Helligkeit der Sterne 4ter und 1ter bis 2ter Größe; die mittlere Helligkeit ist 28 oder die des Sterns γ Ceti. Aber fast noch unregelmäßiger hat sich die Dauer der Periode gezeigt; im Mittel beträgt dieselbe 331 Tage 20 Stunden, ihre Schwankungen aber steigen bis auf einen Monat: denn die kürzeste von Einem Maximum bis zum nächsten verflossene Zeit war nur 306 Tage, die längste dagegen 367 Tage. Und noch auffallender werden diese Unregelmäßigkeiten, wenn man die einzelnen Erscheinungen des größten Lichtes selbst mit denjenigen vergleicht, welche statt finden sollten, wenn man diese Maxima unter Annahme einer gleichförmigen Periode berechnet. Die Unterschiede zwischen Rechnung und Beobachtung steigen dann auf 50 Tage; und zwar zeigt es sich, daß diese Unterschiede mehrere Jahre hinter einander nahe von derselben Größe und nach derselben Seite hin sind. Dies deutet offenbar auf eine Störung in den Lichterscheinungen hin, welche eine sehr lange Periode hat. Die genauere Rechnung hat aber erwiesen, daß man mit Einer Störung nicht ausreicht, sondern mehrere annehmen muß, die freilich aus derselben Ursache herrühren können: und zwar eine, die nach 11; eine 2te, die nach 88; eine 3te, die nach 176; und eine 4te, die erst nach 264 Einzel-Perioden wiederkehrt. Danach entsteht die S. 260 Anm. 1266 angeführte Sinus-Formel: mit welcher nun die einzelnen Maxima sehr nahe stimmen, obgleich immer noch Abweichungen vorhanden sind, die sich durch Beobachtungsfehler nicht erklären lassen.
2) β Persei, Algol; AR. 44° 36', Dec1. +40° 22'. Obgleich Geminiano Montanari schon im Jahre 1667 die Veränderlichkeit dieses Sterns bemerkt und Maraldi sie gleichfalls beobachtet hatte, fand doch erst Goodricke im Jahre 1782 die Regelmäßigkeit derselben. Der Grund hiervon ist wohl darin zu suchen, daß der Stern nicht wie die meisten übrigen veränderlichen allmälig an Helligkeit ab- und zunimmt, sondern während 2 Tagen 13 Stunden in der gleichen 2.3ten Größe glänzt, und nur 7 bis 8 Stunden lang sich in geringerer zeigt: wobei er bis zur 4ten Größe herabsinkt. Die Ab- und Zunahme der Helligkeit ist nicht ganz regelmäßig, sondern geht in der Nähe des Minimums rascher vor sich: woher sich auch der Zeitpunkt der geringsten Helligkeit auf 10 bis 15 Min. genau bestimmen läßt. Merkwürdig ist dabei, daß der Stern, 247 nachdem er gegen eine Stunde an Licht zugenommen hat, etwa eben so lange fast in derselben Helligkeit bleibt, und dann erst wieder merklich wächst. Die Dauer der Periode wurde bisher für vollkommen gleichförmig gehalten; und Wurm konnte, indem er sie zu 2 Tagen 21 St. 48 Min. 58½ Sec. annahm, alle Beobachtungen gut darstellen. Eine genauere Berechnung, bei der ein fast doppelt so großer Zeitraum benutzt werden konnte, als der Wurm zu Gebote gestanden, hat aber gezeigt, daß die Periode allmälig kürzer wird. Sie war im Jahre 1784 2 T. 20 St. 48 Min. 59,4 Sec. und im Jahre 1842 nur 2 T. 20 St. 48 Min. 55,2 Sec. Aus den neuesten Beobachtungen wird es außerdem sehr wahrscheinlich, daß auch diese Abnahme der Periode jetzt schneller vor sich geht als früher: so daß also auch bei diesem Sterne mit der Zeit eine Sinus-Formel für die Störung der Periode sich ergeben wird. Diese gegenwärtige Verkürzung der Periode würde sich übrigens erklären lassen, wenn wir annehmen, daß Algol sich uns jedes Jahr etwa 500 Meilen mehr nähert, oder sich um so viel weniger von uns entfernt wie das vorhergehende: indem dann das Licht um so viel früher jedes Jahr zu uns gelangen muß, als die Abnahme der Periode fordert, nämlich ungefähr 12 Tausendtheile einer Secunde. Ist dies der wahre Grund, so muß natürlich mit der Zeit eine Sinus-Formel sich ergeben.
3) χ Cygni: AR. 296° 12', Dec1. +32° 32'. Auch dieser Stern zeigt nahe dieselben Unregelmäßigkeiten wie Mira; die Abweichungen der beobachteten Maxima von den mit einer gleichförmigen Periode berechneten gehen bis auf 40 Tage, werden aber sehr verringert durch Einführung einer Störung von 8½ Einzel-Perioden und einer anderen von 100 solcher Perioden. Im Maximum erreicht der Stern im Mittel die Helligkeit von schwach 5ter Größe, oder eine hellere Stufe als der Stern 17 Cygni. Die Schwankungen sind aber auch hier sehr bedeutend, und sind von 13 Stufen unter der mittleren bis 10 Stufen über derselben beobachtet worden. Wenn der Stern jenes schwächste Maximum hatte, war er dem bloßen Auge ganz unsichtbar: wogegen er im Jahre 1847 volle 97 Tage ohne Fernglas gesehen werden konnte; seine mittlere Sichtbarkeit ist 52 Tage: wovon er im Mittel 20 Tage im Zunehmen und 32 im Abnehmen ist.
4) 30 Hydrae Hevelii: AR. 200° 23', Decl. -22° 30'. 248 Von diesem Sterne, der wegen seiner Lage am Himmel nur kurze Zeit jedes Jahr zu sehen ist, läßt sich nur sagen, das sowohl seine Periode als auch seine Helligkeit im Maximum sehr großen Unregelmäßigkeiten unterworfen sind.
5) Leonis R = 420 Mayeri; AR. 144° 52', Decl. +12° 7'. Dieser Stern ist häufig mit den nahe bei ihm stehenden Sternen 18 und 19 Leonis verwechselt und deshalb sehr wenig beobachtet worden; indeß doch hinlänglich, um zu zeigen, daß die Periode ziemlich unregelmäßig ist. Auch scheint die Helligkeit im Maximum um einige Stufen zu schwanken.
6) η Aquilae, auch η Antinoi genannt; AR. 296° 12', Decl. +0° 37'. Die Periode dieses Sterns ist ziemlich gleichförmig 7 T. 4 St. 13 Min. 53 Sec.; aber doch zeigen die Beobachtungen, daß auch in ihr nach längeren Zeiträumen kleine Schwankungen vorkommen: die jedoch nur auf etwa 20 Secunden gehn. Der Lichtwechsel selbst geht so regelmäßig vor sich, daß bis jetzt noch keine Abweichungen sichtbar geworden sind, die nicht durch Beobachtungsfehler sich erklären ließen. Im Minimum ist der Stern eine Stufe schwächer als ι Aquilae; er nimmt dann erst langsam, darauf rascher, zuletzt wieder langsamer zu: und erreicht 2 T. 9 St. nach dem Minimum seine größte Helligkeit: in der er fast 3 Stufen heller wird als β, aber noch 2 Stufen schwächer bleibt als δ Aquilae. Vom Maximum sinkt die Helligkeit nicht so regelmäßig herab: indem sie, wenn der Stern die Helligkeit von β erreicht hat (1 T. 10 St. nach dem Maximum), sich langsamer verändert als vorher und nachher.
7) β Lyrae: AR. 281° 8', Decl. +33° 11'; ein merkwürdiger Stern dadurch, daß er zwei Maxima und zwei Minima hat. Wenn er im kleinsten Lichte, ⅓ Stufe schwächer als ζ Lyrae gewesen ist; steigt er in 3 T. 5 St. bis zu seinem ersten Maximum, in welchem er ¾ Stufen schwächer bleibt als γ Lyrae. Darauf sinkt er in 3 T. 3 St. zu seinem zweiten Maximum herab, in welchem seine Helligkeit die von ζ um 5 Stufen übertrifft. Nach weiteren 3 T. 2 St. erreicht er im zweiten Maximum wieder die Helligkeit des ersten, und sinkt nun in 3 T. 12 St. wieder zur geringsten Helligkeit hinab: so daß er in 12 T. 21 St. 46 Min. 40 Sec. seinen ganzen Lichtwechsel durchläuft. Diese Dauer der Periode gilt aber nur für die Jahre 1810 bis 1844; früher ist sie kürzer gewesen: im Jahre 1784 um 2½ Stunde, 1817 und 1818 um mehr 249 als eine Stunde; und jetzt zeigt sich deutlich wieder eine Verkürzung derselben. Es ist also nicht zweifelhaft, daß auch bei diesem Sterne die Störung der Periode sich durch eine Sinus-Formel wird ausdrücken lassen.
8) δ Cephei: AR. 335° 54', Dec1. +57° 39'; zeigt von allen bekannten Sternen in jeder Hinsicht die größte Regelmäßigkeit. Die Periode von 5 T. 8 St. 47 Min. 39½ Sec. stellt alle Beobachtungen von 1784 bis jetzt innerhalb der Beobachtungsfehler dar; und durch solche können auch die kleinen Verschiedenheiten erklärt werden, welche sich in dem Gange des Lichtwechsels zeigen. Der Stern ist im Minimum ¾ Stufen heller als ε, im Maximum gleich dem Sterne ι desselben Sternbildes; er braucht 1 T. 15 St., um von jenem zu diesem zu steigen: dagegen mehr als das Doppelte dieser Zeit, nämlich 3 T. 18 St., um wieder zum Minimum zurückzukommen; von dieser letzteren Zeit verändert er sich aber 8 Stunden lang fast gar nicht und einen ganzen Tag lang nur ganz unbedeutend.
9) α Herculis: AR. 256° 57', Decl. +14° 34'; ein sehr rother Doppelstern, dessen Lichtwechsel in jeder Hinsicht sehr unregelmäßig ist. Oft verändert er sein Licht Monate lang fast gar nicht, zu anderen Zeiten ist er im Maximum um 5 Stufen heller als im Minimum; daher ist auch die Periode noch sehr unsicher. Der Entdecker hatte sie zu 63 Tagen angenommen; ich anfänglich zu 95, bis eine sorgfältige Berechnung meiner sämmtlichen Beobachtungen während 7 Jahren mir jetzt die im Texte angesetzte Periode gegeben hat. Heis glaubt die Beobachtungen durch eine Periode von 184,9 Tagen mit 2 Maximis und 2 Minimis darstellen zu können.
10) Coronae R: AR. 235° 36', Decl. +28° 37'. Der Stern ist nur zeitweise veränderlich: die angegebene Periode ist von Koch berechnet worden aus seinen eigenen Beobachtungen, die leider verloren gegangen sind.
11) Scuti R: AR. 279° 52', Decl. -5° 51'. Die Helligkeits-Schwankungen dieses Sterns bewegen sich zuweilen nur innerhalb weniger Stufen, während er zu anderen Zeiten von der 5ten bis zur 9ten Größe hinabsinkt. Er ist noch zu wenig beobachtet worden, um zu entscheiden, ob in diesen Abwechselungen eine bestimmte Regel herrscht. Eben so ist auch die Dauer der Periode bedeutenden Schwankungen unterworfen.
250 12) Virginis R: AR. 187° 43', Decl. +7° 49'. Er hält seine Periode und Helligkeit im Maximum mit ziemlicher Regelmäßigkeit ein: doch kommen Abweichungen vor, die mir zu groß scheinen, um sie allein Beobachtungsfehlern zuschreiben zu können.
13) Aquarii R: AR. 354° 11', Decl. -16° 6'.
14) Serpentis R: AR. 235° 57', Decl. +15° 36'.
15) Serpentis S: AR. 228° 40', Decl. +14° 52'.
16) Cancri R: AR. 122° 6', Decl. +12° 9'.
Ueber diese vier Sterne, die nur höchst dürftig beobachtet sind, läßt sich wenig mehr sagen, als die Tabelle giebt.
17). α Cassiopeae: AR. 8° 0', Decl. +55° 43'. Der Stern ist sehr schwierig zu beobachten; der Unterschied zwischen Maximum und Minimum beträgt nur wenige Stufen, und ist außerdem eben so variabel als die Dauer der Periode. Aus diesem Umstande sind die sehr verschiedenen Angaben für dieselbe zu erklären. Die angegebene, welche die Beobachtungen von 1782 bis 1849 genügend darstellt, scheint mir die wahrscheinlichste zu sein.
18) α Orionis: AR. 86° 46', Decl. +7° 22' Auch dieses Sterns Lichtwechsel beträgt vom Minimum zum Maximum nur 4 Stufen; er nimmt während 91½ Tagen zu an Helligkeit, während 104½ ab: und zwar vom 20ten bis 70ten Tage nach dem Maximum ganz unmerklich. Zeitweise ist seine Veränderlichkeit noch geringer und kaum zu bemerken. Er ist sehr roth.
19) α Hydrae: AR. 140° 3', Decl. -8° 1'; ist von allen veränderlichen am schwierigsten zu beobachten, und die Periode noch ganz unsicher. Sir John Herschel giebt sie zu 29 bis 30 Tagen an.
20) ε Aurigae: AR. 72° 48', Dec1. +43° 36'. Der Lichtwechsel dieses Sterns ist entweder sehr unregelmäßig, oder es finden während einer Periode von mehreren Jahren mehrere Maxima und Minima statt: was erst nach Verlauf vieler Jahre wird entschieden werden können.
21) ζ Geminorum: AR. 103° 48', Dec1. +20° 47'. Dieser Stern hat bis jetzt einen ganz regelmäßigen Verlauf des Lichtwechsels gezeigt. Im Minimum hält seine Helligkeit die Mitte zwischen ω und υ desselben Sternbildes, im Maximum erreicht sie die von λ nicht völlig; der Stern braucht 4 T. 21 St. zum Hellerwerden und 5 T. 6 St. zum Abnehmen.
22) β Pegasi: AR. 344° 7', Decl. +27° 16'. Die Periode ist 251 schon ziemlich gut bestimmt, über den Gang des Lichtwechsels läßt sich aber noch nichts sagen.
23) Pegasi R: AR. 344° 47', Decl. +9° 43'.
24) Cancri S: AR, 128° 50', Decl. +19° 34'.
Ueber beide Sterne ist noch nichts zu sagen.
Bonn, im August 1850. Fr. Argelander.
Veränderung des Sternlichtes in unerforschter Periodicität. – Bei der wissenschaftlichen Ergründung wichtiger Naturerscheinungen im Kosmos, sei es in der tellurischen oder in der siderischen Sphäre, gebietet die Vorsicht, nicht allzu früh mit einander zu verketten, was noch in seinen nächsten Ursachen in Dunkel gehüllt ist. Deshalb unterscheiden wir gern: neu erschienene und wieder gänzlich verschwundene Sterne (in der Cassiopea 1572), neu erschienene und nicht wieder verschwundene (im Schwan 1600), veränderliche mit erforschten Perioden (Mira Ceti, Algol); Sterne, deren Licht-Intensität sich verändert, ohne daß in diesem Wechsel bisher eine Periodicität entdeckt worden ist (η Argûs). Es ist keineswegs unwahrscheinlich, aber auch nicht nothwendig, daß diese vier Arten der ErscheinungenNewton (Philos. Nat. Principia mathem. ed. Le Seur et Jacquier 1760 T. III. p. 671) unterscheidet nur zwei Arten dieser siderischen Erscheinungen: »Stellae fixae quae per vices apparent et evanescunt quaeque paulatim crescunt, videntur revolvendo partem lucidam et partem obscuram per vices ostendere.« Diese Erklärung des Lichtwechsels hatte schon früher Riccioli vorgetragen. Ueber die Vorsicht, mit welcher Periodicität vorausgesetzt werden muß, s. die wichtigen Betrachtungen von Sir John Herschel in der Capreise § 261. ganz ähnliche Ursachen in der Photosphäre jener fernen Sonnen oder in der Natur ihrer Oberfläche haben.
Wie wir die Schilderung der neuen Sterne mit der ausgezeichnetsten dieser Classe von Himmelsbegebenheiten, mit der plötzlichen Erscheinung des Sterns von Tycho, begonnen haben; so beginnen wir, von denselben Gründen geleitet, die Darstellung der Veränderung des Sternlichts bei unerforschter Periodicität mit den noch heut zu Tage fortgehenden unperiodischen Helligkeits-Schwankungen von η Argûs. Dieser Stern liegt in der großen und 252 prachtvollen Constellation des Schiffes, der »Freude des südlichen Himmels«. Schon Halley, als er 1677 von seiner Reise nach der Insel St. Helena zurückkehrte, äußerte viele Zweifel über den Lichtwechsel der Sterne des Schiffes Argo, besonders am Schilde des Vordertheils und am Verdeck (ἀσπιδίσκη und κατάστρωμα), deren relative Größenordnung Ptolemäus angegeben hatteDelambre, Hist. de l'Astr. ancienne T. II. p. 280 und Hist. de l'Astr. au 18ème siècle p. 119.; aber bei der Ungewißheit der Stern-Positionen der Alten, bei den vielen Varianten der Handschriften des Almagest und den unsicheren Schätzungen der Lichtstärke konnten diese Zweifel zu keinen Resultaten führen. Halley hatte η Argûs 1677 4ter, Lacaille 1751 bereits 2ter Größe gefunden. Der Stern ging wieder zu seiner früheren schwächeren Intensität zurück: denn Burchell fand ihn während seines Aufenthalts im südlichen Afrika (1811 bis 1815) von der 4ten Größe. Fallows und Brisbane sahen ihn 1822 bis 1826 2m; Burchell, der sich damals (Febr. 1827) zu S. Paulo in Brasilien befand, 1m, ganz dem α Crucis gleich. Nach einem Jahre ging der Stern wieder zu 2m zurück. So fand ihn Burchell in der brasilianischen Stadt Goyaz am 29 Febr. 1828, so führen ihn Johnson und Taylor von 1829 bis 1833 in ihren Verzeichnissen auf. Auch Sir John Herschel schätzte ihn am Vorgebirge der guten Hoffnung von 1834 bis 1837 zwischen 2m und 1m.
Als nämlich am 16 December 1837 dieser berühmte Astronom eben sich zu photometrischen Messungen von einer Unzahl telescopischer Sterne 11m bis 16m rüstete, welche den herrlichen Nebelfleck um η Argûs füllen, erstaunte er diesen oft vorher beobachteten Stern zu einer solchen Intensität des Lichtes angewachsen zu finden, daß er fast dem 253 Glanze von α Centauri gleich kam und alle andere Sterne erster Größe außer Canopus und Sirius an Glanz übertraf. Am 2 Januar 1838 hatte er dieses Mal das Maximum seiner Helligkeit erreicht. Er wurde bald schwächer als Arcturus, übertraf aber Mitte Aprils 1838 noch Aldebaran. Bis März 1843 erhielt er sich in der Abnahme, doch immer als Stern 1m; dann, besonders im April 1843, nahm wieder das Licht so zu, daß nach den Beobachtungen von Mackay in Calcutta und Maclear am Cap η Argûs glänzender als Canopus, ja fast dem Sirius gleich wurde.Vergl. Sir John Herschel in der Capreise § 71–78 und outlines of Astronomy § 830 (Kosmos Bd. I. S. 160 und 416 [Anm. 120]). Diese hier bezeichnete Licht-Intensität hat der Stern fast noch bis zu dem Anfang des laufenden Jahres behalten. Ein ausgezeichneter Beobachter, Lieutenant Gilliß, der die astronomische Expedition befehligt, welche die Regierung der Vereinigten Staaten an die Küste von Chili geschickt hat, schreibt von Santiago im Februar 1850: »η Argûs mit seinem gelblich rothen Lichte, welches dunkler als das des Mars ist, kommt jetzt dem Canopus an Glanz am nächsten, und ist heller als das vereinigte Licht von α Centauri.«Brief des Astronomen der Sternwarte zu Washington Lieut. Gilliß an Dr. Flügel, Consul der Verein. Staaten von Nordamerika zu Leipzig, (Handschrift). Die 8 Monate lang dauernde, ungetrübte Reinheit und Durchsichtigkeit der Atmosphäre in Santiago de Chile ist so groß, daß Lieut. Gilliß in dem ersten in Amerika construirten großen Fernrohr von 6½ Zoll Oeffnung (construirt von Henry Fitz in Neu-York und William Young in Philadelphia) den 6ten Stern im Trapezium des Orion deutlich erkannte. Seit der Erscheinung im Schlangenträger 1604 ist kein Fixstern zu einer solchen Lichtstärke und in einer langen Dauer von nun schon 7 Jahren aufgestrahlt. In den 173 Jahren (von 1677 bis 1850), in welchen wir Nachricht von der Größenordnung des schönen Sterns im Schiffe haben, hat derselbe in der Vermehrung und Verminderung seiner Intensität 8 bis 9 Oscillationen gehabt. Es ist, als ein Antriebsmittel zur dauernden Aufmerksamkeit der Astronomen auf das Phänomen einer großen, aber unperiodischen Veränderlichkeit von η Argûs, ein glücklicher Zufall gewesen, daß die Erscheinung in die Epoche 254 der rühmlichen fünfjährigen Cap-Expedition von Sir John Herschel gefallen ist.
Bei mehreren anderen, sowohl isolirten Fixsternen als von Struve beobachteten Doppelsternen (Stellarum compos. Mensurae microm. p. LXXI–LXXIII) sind ähnliche, noch nicht periodisch erkannte Lichtveränderungen bemerkt worden. Die Beispiele, die wir uns hier anzuführen begnügen, sind auf wirkliche, von demselben Astronomen zu verschiedenen Zeiten angestellte photometrische Schätzungen und Messungen gegründet: keinesweges aber auf die Buchstabenreihen in Bayer's Uranometrie. Argelander hat in der Abhandlung de fide Uranometriae Bayerianae 1842 p. 15 sehr überzeugend erwiesen, daß Bayer gar nicht den Grundsatz befolgt die hellen Sterne mit den früheren Buchstaben zu bezeichnen: sondern im Gegentheil in derselben Größenclasse die Buchstaben in Reihenfolge der Lage so vertheilte, daß er gewöhnlich vom Kopf der Figur in jeglichem Sternbilde zu den Füßen überging. Die Buchstabenreihe in Bayer's Uranometrie hat lange den Glauben an die Lichtveränderungen verbreitet von α Aquilae, von Castor der Zwillinge und Alphard der Wasserschlange.
Struve (1838) und Sir John Herschel sahen Capella an Licht zunehmen. Der Letztere findet die Capella jetzt um vieles heller als Wega, da er sie vorher immer für schwächer annahm.Sir John Herschel, Capreise p. 334, 350 note 1 und 440. (Ueber ältere Beobachtungen von Capella und Wega s. William Herschel in den Philos. Transact. 1797 p. 307, 1799 p. 121 und in Bode's Jahrbuch für 1810 S. 148.) Argelander hegt dagegen vielen Zweifel über die Veränderlichkeit der Capella und der Bärensterne. Eben so auch Galle und Heis in jetziger Vergleichung von Capella und Wega. Der Letztere findet Wega um 5 bis 6 Stufen, also mehr als eine halbe Größenclasse, schwächer.
Die Veränderungen in dem Lichte einiger Sterne in 255 den Constellationen des Großen und Kleinen Bären verdienen besondere Aufmerksamkeit. »Der Stern η Urase majoris«, sagt Sir John Herschel, »ist jetzt gewiß unter den 7 hellen Sternen des Großen Bären der vorleuchtendste, wenn 1837 noch ε unbestreitbar den ersten Rang einnahm.« Diese Bemerkung hat mich veranlaßt Herrn Heis, der sich so warm und umsichtig mit der Veränderlichkeit des Sternlichts beschäftigt, zu befragen. »Aus dem Mittel der 1842 bis 1850 zu Aachen von mir angestellten Beobachtungen«, schreibt Herr Heis, »ergab sich die Reihenfolge: 1) ε Ursae maj. oder Alioth, 2) α oder Dubhe, 3) η oder Benetnasch, 4) ζ oder Mizar, 5) β, 6) γ, 7) δ. In den Helligkeits-Unterschieden dieser 7 Sterne sind sich nahe gleich ε, α und η: so daß ein nicht ganz reiner Zustand der Luft die Reihenfolge unsicher machen kann; ζ ist entschieden schwächer als die drei genannten. Die beiden Sterne β und γ, beide merklich schwächer als ζ, sind unter einander fast gleich; δ endlich, in älteren Karten von gleicher Größe mit β und γ angegeben, ist um mehr als eine Größenordnung schwächer als diese Sterne. Veränderlich ist bestimmt ε. Obgleich der Stern in der Regel heller als α ist, so habe ich ihn doch in 3 Jahren 5mal entschieden schwächer als α gesehen. Auch β Ursae maj. halte ich für veränderlich, ohne bestimmte Perioden angeben zu können. Sir John Herschel fand in den Jahren 1840 und 1841 β Ursae maj. viel heller als den Polarstern, während daß schon im Mai 1846 das Entgegengesetzte von ihm beobachtet wurde. Er vermuthet Veränderlichkeit in β.Capreise § 259 No. 260. Ich habe seit 1843 der Regel nach Polaris schwächer als β Ursae maj. gefunden, aber von October 1843 bis Julius 256 1849 wurde nach meinen Verzeichnissen Polaris zu 14 Malen größer als β gesehen. Daß wenigstens die Farbe des letztgenannten Sterns nicht immer gleich röthlich ist, davon habe ich mich häufig zu überzeugen Gelegenheit gehabt; sie ist zuweilen mehr oder weniger gelb, zuweilen recht entschieden roth.«Heis in handschr. Notizen vom Mai 1850. Vgl. auch Capreise p. 325 und P. von Boguslawski, Uranus für 1848 p. 186. (Die behauptete Veränderlichkeit von η, α und δ Ursae maj. ist auch bestätigt in outlines p. 559.) Ueber die Reihenfolge der Sterne, welche vermöge ihrer Nähe nach und nach den Nordpol bezeichnen werden: bis, nach 12000 Jahren, Wega der Leier, der prachtvollste aller möglichen Polarsterne, die Stelle einnehmen wird; s. Mädler, Astronomie S. 432. Alle mühevolle Arbeiten über die relative Helligkeit der Gestirne werden dann erst an Sicherheit gewinnen, wenn die Reihung nach bloßer Schätzung endlich einmal durch Messungs-Methoden, welche auf die Fortschritte der neueren OptikKosmos Bd. III. S. 134 [Anm. 1153]. gegründet sind, ersetzt werden kann. Die Möglichkeit ein solches Ziel zu erreichen darf von Astronomen und Physikern nicht bezweifelt werden.
Bei der wahrscheinlich großen physischen Aehnlichkeit der Lichtprocesse in allen selbstleuchtenden Gestirnen (in dem Centralkörper unseres Planetensystems und den fernen Sonnen oder Fixsternen) hat man längst mit Recht darauf hingewiesenWilliam Herschel on the Changes that happen to the Fixed Stars, in den Philos. Transact. for 1796 p. 186; Sir John Herschel in der Capreise p. 350 bis 352 wie auch in Mary Somerville's vortrefflicher Schrift: Connexion of the Physical Sciences 1846 p. 407., wie bedentungs- und ahndungsvoll der periodische oder unperiodische Lichtwechsel der Sterne ist für die Klimatologie im allgemeinen, für die Geschichte des Luftkreises: d. i. für die wechselnde Wärmemenge, welche unser Planet im Lauf der Jahrtausende von der Ausstrahlung der Sonne empfangen hat; für den Zustand des organischen Lebens und dessen Entwickelungsformen unter verschiedenen Breitengraden. Der veränderliche Stern am Halse des Wallfisches (Mira Ceti) geht von der 2ten Größe bis zur 11ten, ja bis zum Verschwinden herab; wir haben eben gesehen, daß η des Schiffes Argo von der 4ten Größe bis zur 1ten: und unter den Sternen dieser Ordnung bis zum Glanz von Canopus, fast bis zu dem 257 von Sirius sich erhoben hat. Wenn je auch nur ein sehr geringer Theil der hier geschilderten Veränderungen in der Intensität der Licht- und Wärmestrahlung nach ab- oder aufsteigender Scala unsere Sonne angewandelt hat (und warum sollte sie von anderen Sonnen verschieden sein?); so kann eine solche Anwandlung, eine solche Schwächung oder Belebung der Lichtprocesse doch mächtigere, ja furchtbarere Folgen für unseren Planeten gehabt haben, als zur Erklärung aller geognostischen Verhältnisse und alter Erdrevolutionen erforderlich sind. William Herschel und Laplace haben zuerst diese Betrachtungen angeregt. Wenn ich hier bei denselben länger verweilt bin, so ist es nicht darum geschehen, weil ich in ihnen ausschließlich die Lösung der großen Probleme der Wärme-Veränderung auf unserem Erdkörper suche. Auch die primitive hohe Temperatur des Planeten, in seiner Bildung und der Verdichtung der sich ballenden Materie gegründet; die Wärmestrahlung der tiefen Erdschichten durch offene Klüfte und unausgefüllte Gangspalten, die Verstärkung electrischer Ströme, eine sehr verschiedene Vertheilung von Meer und Land konnten in den frühesten Epochen des Erdelebens die Wärme-Vertheilung unabhängig machen von der Breite, d. h. von der Stellung gegen einen Centralkörper. Kosmische Betrachtungen dürfen sich nicht einseitig auf astrognostische Verhältnisse beschränken.
Eigene Bewegung der Fixsterne. – Problematische Existenz dunkler Weltkörper. – Parallaxe. – Gemessene Entfernung einiger Fixsterne. – Zweifel über die Annahme eines Centralkörpers für den ganzen Fixsternhimmel.
Neben den Veränderungen der Lichtstärke zeigt der Fixsternhimmel, als solcher und im Widerspruch mit seiner Benennung, auch Veränderungen durch die perpetuirlich fortschreitende Bewegung der einzelnen Fixsterne. Es ist schon früher daran erinnert worden, wie, ohne daß dadurch im allgemeinen das Gleichgewicht der Sternsysteme gestört werde, sich kein fester Punkt am ganzen Himmel befindet; wie von den hellen Sternen, welche die ältesten unter den griechischen Astronomen beobachtet haben, keiner seinen Platz im Weltraume unverändert behauptet hat. Die Ortsveränderung ist in zweitausend Jahren bei Arctur, bei μ der Cassiopea und bei einem Doppelstern im Schwan durch Anhäufung der jährlichen eigenen Bewegung auf 2½, 3½ und 6 Vollmond-Breiten angewachsen. Nach dreitausend Jahren werden etwa 20 Fixsterne ihren Ort um 1° und mehr verändert haben.Encke, Betrachtungen über die Anordnung des Sternsystems 1844 S. 12 (Kosmos Bd. III. S. 36); Mädler, Astronomie S. 445. Da nun die gemessenen eigenen Bewegungen der Fixsterne von 1/20 bis 7,°7 Secunden steigen (also im Verhältniß von wenigstens 1 : 154 verschieden sind), so bleiben auch der relative Abstand der Fixsterne unter einander und die Configuration der 264 Constellationen in langen Perioden nicht dieselben. Das südliche Kreuz wird in der Gestalt, welche jetzt dies Sternbild zeigt, nicht immer am Himmel glänzen: da die 4 Sterne, welche es bilden, mit ungleicher Geschwindigkeit eines verschiedenen Weges wandeln. Wie viele Jahrtausende bis zur völligen Auflösung verfließen werden, ist nicht zu berechnen. In den Raumverhältnissen und in der Zeitdauer giebt es kein absolutes Großes und Kleines.
Will man unter einem allgemeinen Gesichtspunkt zusammenfassen, was an dem Himmel sich verändert und was im Lauf der Jahrhunderte den physiognomischen Charakter der Himmelsdecke, den Anblick des Firmaments an einem bestimmten Orte, modificirt; so muß man aufzählen als wirksame Ursachen solcher Veränderung: 1) das Vorrücken der Nachtgleichen und das Wanken der Erdachse: durch deren gemeinsame Wirkung neue Sterne am Horizont aufsteigen, andere unsichtbar werden; 2) die periodische und unperiodische Veränderung der Lichtstärke vieler Fixsterne; 3) das Auflodern neuer Sterne, von denen einige wenige am Himmel verblieben sind; 4) das Kreisen telescopischer Doppelsterne um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Zwischen diesen sich langsam und ungleich in Lichtstärke und Position verändernden sogenannten Fixsternen vollenden ihren schnelleren Lauf 20 Hauptplaneten, von denen fünf zusammen 20 Satelliten darbieten. Es bewegen sich also außer den ungezählten, gewiß auch rotirenden Fixsternen 40 bis jetzt (October 1850) aufgefundene planetarische Körper. Zur Zeit des Copernicus und des großen Vervollkommners der Beobachtungskunst Tycho waren nur 7 bekannt. Fast 200 berechnete Cometen: deren 5 von 265 kurzem Umlauf und innere, d. h. zwischen den Bahnen der Hauptplaneten eingeschlossene, sind; hätten hier ebenfalls noch als planetarische Körper aufgeführt werden können. Sie beleben während ihres meist kurzen Erscheinens, wenn sie dem bloßen Auge sichtbar werden, nächst den eigentlichen Planeten und den neuen als Sterne erster Größe plötzlich auflodernden Weltkörpern, am anziehendsten das an sich schon reiche Bild des gestirnten Himmels: ich hätte fast gesagt dessen landschaftlichen Eindruck.
Die Kenntniß der eigenen Bewegung der Fixsterne hängt geschichtlich ganz mit den Fortschritten zusammen, welche die Beobachtungskunst durch Vervollkommnung der Werkzeuge und der Methoden gemacht hat. Das Auffinden dieser Bewegung wurde erst möglich, als man das Fernrohr mit getheilten Instrumenten verband; als von der Sicherheit einer Bogen-Minute, die zuerst mit großer Anstrengung Tycho auf der Insel Hveen seinen Beobachtungen zu geben vermochte, man allmälig zur Sicherheit von einer Secunde und von Theilen dieser Secunde herabstieg: oder durch eine lange Reihe von Jahren getrennte Resultate mit einander vergleichen konnte. Eine solche Vergleichung stellte Halley mit den Positionen des Sirius, Arcturus und Aldebaran an: wie sie Ptolemäus in seinen Hipparchischen Catalogus, also vor 1844 Jahren, eingetragen hatte. Er glaubte sich durch dieselbe berechtigt (1717) eine eigene Bewegung in den eben genannten drei Fixsternen zu verkündigen.Halley in den Philos. Transact. for 1717–1719 Vol. XXX. p. 736. Die Betrachtung bezog sich aber bloß auf die Variationen in der Breite; Jacques Cassini fügte zuerst Variationen in der Länge hinzu (Arago im Annuaire pour 1842 p. 387). Die große und verdiente Achtung, welche selbst noch lange nach den Beobachtungen von Flamsteed und Bradley den im Triduum von Römer enthaltenen Rectascensionen gespendet wurde, regte Tobias 266 Mayer (1756), Maskelyne (1770) und Piazzi (1800) an, Römer's Beobachtungen mit den späteren zu vergleichen.Delambre, Hist. de l'Astr. moderne T. II. p. 658; derselbe in der Hist. de l'Astr. au 18ème siècle p. 448. Die eigene Bewegung der Sterne wurde dergestalt schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts in ihrer Allgemeinheit anerkannt; aber die genaueren und numerischen Bestimmungen dieser Classe von Erscheinungen verdankte man erst 1783 der großen Arbeit von William Herschel, auf Flamsteed's BeobachtungenPhilos. Transact. Vol. LXXIII. p. 138. gegründet, wie in noch weit höherem Grade Bessel's und Argelander's glücklicher Vergleichung von Bradley's Stern-Positionen für 1755 mit den neueren Catalogen.
Die Entdeckung der eigenen Bewegung der Fixsterne hat für die physische Astronomie eine um so höhere Wichtigkeit, als dieselbe zu der Kenntniß der Bewegung unseres eigenen Sonnensystems durch die sternerfüllten Welträume, ja zu der genauen Kenntniß der Richtung dieser Bewegung geleitet hat. Wir würden nie irgend etwas von dieser Thatsache erfahren haben, wenn die eigene fortschreitende Bewegung der Fixsterne so gering wäre, daß sie allen unseren Messungen entginge. Das eifrige Bestreben, diese Bewegung in Quantität und Richtung, die Parallaxe der Fixsterne und ihre Entfernung zu ergründen, hat am meisten dazu beigetragen, durch Vervollkommnung der mit den optischen Instrumenten verbundenen Bogentheilungen und der micrometrischen Hülfsmittel, die Beobachtungskunst auf den Punkt zu erheben, zu dem sie sich: bei scharfsinniger Benutzung von großen Meridiankreisen, Refractoren und Heliometern (vorzugsweise seit dem Jahre 1830), emporgeschwungen hat.
Die Quantität der gemessenen eigenen Bewegung 267 wechselt, wie wir schon im Eingange dieses Abschnitts bemerkt, von dem 20ten Theil einer Secunde bis zu fast 8". Die leuchtenderen Sterne haben großentheils dabei schwächere Bewegung als Sterne 5ter bis 6ter und 7ter Größe.Bessel im Jahrbuch von Schumacher für 1839 S. 38; Arago, Annuaire pour 1842 p. 389. Die 7 Sterne, welche eine ungewöhnlich große eigene Bewegung offenbart haben, sind: Arcturus 1m (2",25), α Centauri 1m (3",58)S. über α Centauri Henderson und Maclear in den Memoirs of the Astron. Soc. Vol. XI. p. 611 und Piazzi Smyth in den Edinb. Transact. Vol. XVI. p. 447. Die Eigenbewegung des Arcturus, 2",25 (Baily in denselben Memoirs Vol. V. p. 165), kann, als die eines sehr hellen Sternes, im Vergleich mit Aldebaran: 0",185 (Mädler, Centralsonne S. 11), und α Lyrae: 0",400, groß genannt werden. Unter den Sternen erster Größe macht α Centauri mit der sehr starken Eigenbewegung 3",58 eine sehr merkwürdige Ausnahme. Die eigene Bewegung des Doppelstern-Systems des Schwans beträgt nach Bessel (Schumacher's astron. Nachr. Bd. XVI. S. 93) 5",123., μ Cassiopeae 6m (3",74), der Doppelstern δ des Eridanus 5.4m (4",08); der Doppelstern 61 des Schwans 5.6m (5",123), von Bessel 1812 durch Vergleichung mit Bradley's Beobachtungen erkannt; ein Stern auf der Grenze der JagdhundeSchumacher's astron. Nachr. No. 455. und des Großen Bären, No. 1830 des Catalogs der Circumpolarsterne von Groombridge, 7m (nach Argelander 6",974); ε Indi (7",74) nach d'ArrestA. a. O. No. 618 S. 276. D'Arrest gründet das Resultat auf Vergleichungen von Lacaille (1750) mit Brisbane (1825) und von Brisbane mit Taylor (1835). Der Stern 2151 Puppis des Schiffes hat Eigenbewegung 7",871 und ist 6m (Maclear in Mädler's Untersuchungen über die Fixstern-Systeme Th. II. S. 5)., 2151 Puppis des Schiffes 6m (7",871). Das arithmetische MittelSchum. astron. Nachr. No. 661 S. 201. der einzelnen Eigenbewegungen der Fixsterne aus allen Zonen, in welche Mädler die Himmelskugel getheilt hat, würde kaum 0",102 übersteigen.
Eine wichtige Untersuchung über die »Veränderlichkeit der eigenen Bewegungen von Procyon und Sirius« hat Bessel, dem größten Astronomen unserer Zeit, im Jahr 1844, also kurz vor dem Beginnen seiner tödtlichen, schmerzhaften Krankheit, die Ueberzeugung aufgedrängt: »daß Sterne, deren veränderliche Bewegungen in den vervollkommnetsten Instrumenten bemerkbar werden, Theile von Systemen sind, welche, vergleichungsweise mit den großen Entfernungen der Sterne von einander, auf kleine Räume beschränkt sind.« Dieser Glaube an die Existenz von Doppelsternen, deren einer ohne Licht ist, war in Bessel, wie meine lange Correspondenz mit ihm bezeugt, so fest, daß sie: bei dem großen Interesse, welches ohnedies jede 268 Erweiterung der Kenntniß von der physischen Beschaffenheit des Fixsternhimmels erregt, die allgemeinste Aufmerksamkeit auf sich zog. »Der anziehende Körper«, sagt der berühmte Beobachter, »muß entweder dem Fixsterne, welcher die merkliche Veränderung zeigt, oder der Sonne sehr nahe sein. Da nun aber ein anziehender Körper von beträchtlicher Masse in sehr kleiner Entfernung von der Sonne sich in den Bewegungen unseres Planetensystems nicht verrathen hat, so wird man auf seine sehr kleine Entfernung von einem Sterne, als auf die einzig statthafte Erklärung der im Laufe eines Jahrhunderts merklich werdenden Veränderung in der eigenen Bewegung des letzteren, zurückgewiesen.«A. a. O. No. 514–516. In einem Briefe an mich (Juli 1844) heißt es (ich hatte scherzend einige Besorgniß über die Gespensterwelt der dunklen Gestirne geäußert): »Allerdings beharre ich in dem Glauben, daß Procyon und Sirius wahre Doppelsterne sind, bestehend aus einem sichtbaren und einem unsichtbaren Sterne. Es ist kein Grund vorhanden das Leuchten für eine wesentliche Eigenschaft der Körper zu halten. Daß zahllose Sterne sichtbar sind, beweist offenbar nichts gegen das Dasein eben so zahlloser unsichtbarer. Die physische Schwierigkeit, die einer Veränderlichkeit in der eigenen Bewegung, wird befriedigend durch die Hypothese dunkler Sterne beseitigt. Man kann die einfache Voraussetzung nicht tadeln, daß eine Veränderung der Geschwindigkeit nur in Folge einer Kraft statt findet und daß die Kräfte nach den Newtonischen Gesetzen wirken.«
Ein Jahr nach Bessel's Tode hat Fuß auf Struve's Veranlassung die Untersuchung über die Anomalien von 269 Procyon und Sirius, theils durch neue Beobachtungen am Ertel'schen Meridian-Fernrohr zu Pulkowa, theils durch Reductionen und Vergleichung mit dem früher Beobachteten, erneuert. Das Resultat ist nach der Meinung von Struve und FußStruve, études d'Astronomie stellaire, Texte p. 47, Notes p. 26 und 51–57; Sir John Herschel, outlines of Astronomy § 859 und 860. gegen die Bessel'sche Behauptung ausgefallen. Eine große Arbeit, die Peters in Königsberg eben vollendet hat, rechtfertigt die Bessel'schen Behauptungen; wie eine ähnliche von Schubert, dem Calculator am nordamerikanischen Nautical Almanac.
Der Glaube an die Existenz nicht leuchtender Sterne war schon im griechischen Alterthume und besonders in der frühesten christlichen Zeit verbreitet. Man nahm an, daß »zwischen den feurigen Sternen, die sich von den Dünsten nähren, sich noch einige andere erdartige Körper bewegen, welche uns unsichtbar bleiben«Origenes in Gronov. Thesaur. T. X. p. 271.. Das völlige Verlöschen der neuen Sterne, besonders der von Tycho und Kepler so sorgfältig beobachteten in der Cassiopea und im Schlangenträger, schien dieser Meinung eine festere Stütze zu geben. Weil damals vermuthet wurde, der erste dieser Sterne sei schon zweimal vorher und zwar in Abständen von ohngefähr 300 Jahren aufgelodert, so konnte die Idee der Vernichtung und völligen Auflösung keinen Beifall finden. Der unsterbliche Verfasser der Mécanique céleste gründet seine Ueberzeugung von dem Dasein nicht leuchtender Massen im Weltall auf dieselben Erscheinungen von 1572 und 1604. »Ces astres devenus invisibles après avoir surpassé l'éclat de Jupiter même, n'ont point changé de place durant leur apparition. (Der Lichtproceß hat bloß in ihnen aufgehört.) Il existe donc dans l'espace céleste des corps opaques aussi considérables et peut-être en aussi grands 270 nombres que les étoiles.«Laplace, expos. du Syst. du Monde 1842 p. 395. Lambert zeigt in den kosmologischen Briefen eine auffallende Neigung zur Annahme großer dunkler Weltkörper. Eben so sagt Mädler in den Untersuchungen über die Fixstern-SystemeMädler, Untersuch. über die Fixstern-Systeme Th. II. (1848) S. 3 und dessen Astronomie S. 416.: »Ein dunkler Körper könnte Centralkörper sein; er könnte wie unsere Sonne in unmittelbarer Nähe nur von dunklen Körpern, wie unsere Planeten sind, umgeben sein. Die von Bessel angedeuteten Bewegungen von Sirius und Procyon nöthigen (?) sogar zu der Annahme, daß es Fälle giebt, wo leuchtende Körper die Satelliten dunkler Massen bilden.« Es ist schon früher erinnert worden, daß solche Massen von einigen Anhängern der Emanations-Theorie für zugleich unsichtbar und doch lichtstrahlend gehalten werden: unsichtbar, wenn sie von so ungeheuren Dimensionen sind, daß die ausgesandten Lichtstrahlen (Licht-Moleculen), durch Anziehungskräfte zurückgehalten, eine gewisse Grenze nicht überschreiten können.Vergl. Kosmos Bd. III. S. 96 und 130 [Anm. 1137]; Laplace in Zach's allgem. geogr. Ephemeriden Bd. IV. S. 1; Mädler, Astronomie S. 393. Giebt es, wie es wohl annehmbar ist, dunkle, unsichtbare Körper in den Welträumen: solche, in welchen der Proceß lichterzeugender Schwingungen nicht statt findet; so müssen diese dunklen Körper nicht in den Umfang unseres Planeten- und Cometen-Systems fallen oder doch nur von sehr geringer Masse sein, weil ihr Dasein sich uns nicht durch bemerkbare Störungen offenbart.
Die Untersuchung der Bewegung der Fixsterne in Quantität und Richtung (der wahren ihnen eigenen Bewegung wie der bloß scheinbaren, durch Veränderung des Orts der Beobachtung in der durchlaufenen Erdbahn hervorgebrachten), die Bestimmung der Entfernung der Fixsterne von der Sonne durch Ergründung ihrer Parallaxen, die Vermuthungen über den Ort im Weltraum, nach dem hin unser Planetensystem sich 271 bewegt: sind drei Aufgaben der Astronomie, welche durch die Hülfsmittel der Beobachtung, deren man sich zu ihrer theilweisen Lösung glücklich bedient hat, in naher Verbindung mit einander stehen. Jede Vervollkommnung der Instrumente und der Methoden, die man zur Förderung einer dieser schwierigen und verwickelten Arbeiten angewandt hat, ist für die andere ersprießlich geworden. Ich ziehe vor mit den Parallaxen und der Bestimmung des Abstandes einiger Fixsterne zu beginnen, um das zu vervollständigen, was sich vorzugsweise auf unsere jetzige Kenntniß der isolirt stehenden Fixsterne bezieht.
Schon Galilei hat in dem Anfang des 17ten Jahrhunderts die Idee angeregt den, »gewiß überaus ungleichen, Abstand der Fixsterne von dem Sonnensysteme zu messen«; ja schon zuerst mit großem Scharfsinn das Mittel angegeben die Parallaxe aufzufinden: nicht durch die Bestimmung der Entfernung eines Sternes vom Scheitelpunkte oder dem Pole, sondern »durch sorgfältige Vergleichung eines Sternes mit einem anderen, sehr nahe stehenden«. Es ist in sehr allgemeinen Ausdrücken die Angabe des micrometrischen Mittels, dessen sich später William Herschel (1781), Struve und Bessel bedient haben. »Perchè io non credo«, sagt GalileiOpere di Galileo Galilei Vol. XII. Milano 1811 p. 206. Diese denkwürdige Stelle, welche die Möglichkeit und das Project einer Messung ausdrückt, ist von Arago aufgefunden worden; s. Annuaire pour 1842 p. 382. in dem dritten Gespräche (Giornata terza), »che tutte le stelle siano sparse in una sferica superficie egualmente distanti da un centro; ma stimo, che le loro lontananze da noi siano talmente varie, che alcune ve ne possano esser 2 e 3 volte più remote di alcune altre; talchè quando si trovasse col Telescopio qualche picciolissima stella vicinissima ad alcuna delle maggiori, e che però quella fusse altissima, potrebbe accadere, che 272 qualche sensibil mutazione succedesse tra di loro.« Mit dem copernicanischen Weltsysteme war dazu noch gleichsam die Forderung gegeben, durch Messungen numerisch den Wechsel der Richtung nachzuweisen, welchen die halbjährige Ortsveränderung der Erde in ihrer Bahn um die Sonne in der Lage der Fixsterne hervorbringen müsse. Da die von Kepler so glücklich benutzten Tychonischen Winkel-Bestimmungen, wenn sie gleich bereits (wie schon einmal bemerkt) die Sicherheit von einer Bogen-Minute erreichten, noch keine parallactische Veränderung in der scheinbaren Position der Fixsterne zu erkennen gaben; so diente den Copernicanern lange als Rechtfertigung der beruhigende Glaube, daß der Durchmesser der Erdbahn (41⅓ Millionen geogr. Meilen) zu gering sei in Verhältniß der übergroßen Entfernung der Fixsterne.
Die Hoffnung der Bemerkbarkeit einer Parallaxe mußte demnach als abhängig erkannt werden von der Vervollkommnung der Seh- und Meßinstrumente und von der Möglichkeit sehr kleine Winkel mit Sicherheit zu bestimmen. So lange man nur einer Minute gewiß war, bezeugte die nicht bemerkte Parallaxe nur, daß die Fixsterne über 3438 Erdweiten (Halbmesser der Erdbahn, Abstand der Erde von der Sonne) entfernt sein müssen.Bessel in Schumacher's Jahrbuch für 1839 S. 5 und 11. Diese untere Grenze der Entfernungen stieg bei der Sicherheit einer Secunde in den Beobachtungen des großen Astronomen James Bradley bis 206265; sie stieg in der glänzenden Epoche Fraunhofer'scher Instrumente (bei unmittelbarer Messung von ohngefähr dem 10ten Theil einer Bogen-Secunde) bis 2062648 Erdweiten. Die Bestrebungen und so scharfsinnig ausgedachten Zenithal-Vorrichtungen von 273 Newton's großem Zeitgenossen Robert Hooke (1669) führten nicht zum bezweckten Ziele. Picard, Horrebow, welcher Römer's gerettete Beobachtungen bearbeitete, und Flamsteed glaubten Parallaxen von mehreren Secunden gefunden zu haben, weil sie die eigenen Bewegungen der Sterne mit den wahren parallactischen Veränderungen verwechselten. Dagegen war der scharfsinnige John Michell (Philos. Transact. 1767 Vol. LVII. p. 234–264) der Meinung, daß die Parallaxen der nächsten Fixsterne geringer als 0",02 sein müßten und dabei nur »durch 12000malige Vergrößerung erkennbar« werden könnten. Bei der sehr verbreiteten Meinung, daß der vorzügliche Glanz eines Sterns immer eine geringere Entfernung andeuten müsse, wurden Sterne erster Größe: Wega, Aldebaran, Sirius und Procyon, der Gegenstand nicht glücklicher Beobachtungen von Calandrelli und dem verdienstvollen Piazzi (1805). Sie sind denen beizuzählen, welche (1815) Brinkley in Dublin veröffentlichte und die 10 Jahre später von Pond und besonders von Airy widerlegt wurden. Eine sichere, befriedigende Kenntniß von Parallaxen beginnt erst, auf micrometrische Abstands-Messungen gegründet, zwischen den Jahren 1832 und 1838.
Obgleich PetersStruve, Astronomie stellaire p. 104. in seiner wichtigen Arbeit über die Entfernung der Fixsterne (1846) die Zahl der schon aufgefundenen Parallaxen zu 33 angiebt, so beschränken wir uns hier auf die Angabe von 9, die ein größeres, doch aber sehr ungleiches Vertrauen verdienen und die wir nach dem ohngefähren Alter ihrer Bestimmungen aufführen:
Den ersten Platz verdient der durch Bessel so berühmt gewordene 61te Stern im Sternbilde des Schwans. Der Königsberger Astronom hat schon 1812 die große eigene 274 Bewegung, aber erst 1838 die Parallaxe dieses Doppelsternes (unter 6ter Größe) durch Anwendung des Heliometers bestimmt. Meine Freunde Arago und Mathieu machten vom August 1812 bis November 1813 eine Reihe zahlreicher Beobachtungen, indem sie zur Auffindung der Parallaxe die Entfernung des Sterns 61 Cygni vom Scheitelpunkt maßen. Sie gelangten durch ihre Arbeit zu der sehr richtigen Vermuthung, daß die Parallaxe jenes Fixsterns geringer als eine halbe Secunde sei.Arago in der Connaissance des tems pour 1834 p. 281: »Nous observâmes avec beaucoup de soin, Mr. Mathieu et moi, pendant le mois d'août 1812 et pendant le mois de novembre suivant, la hauteur angulaire de l'étoile audessus de l'horizon de Paris. Cette hauteur, à la seconde époque, ne surpasse la hauteur angulaire à la première que de 0",66. Une parallaxe absolue d'une seule seconde aurait nécessairement amené entre ces deux hauteurs une différence de 1",2. Nos observations n'indiquent donc pas que le rayon de l'orbite terrestre, que 39 millions de lieues soient vus de la 61e du Cygne sous un angle de plus d'une demi-seconde. Mais une base vue perpendiculairement soutend un angle d'une demi-seconde quand on en est éloigné de 412 mille fois sa longueur. Donc la 61e du Cygne est au moins à une distance de la Terre égale à 412 mille fois 39 millions de lieues.« Noch in den Jahren 1815 und 1816 war Bessel, wie er sich selbst ausdrückt, »zu keinem annehmbaren Resultate« gekommenBessel veröffentlichte in Schum. Jahrb. für 1839 S. 39–49 und in den astron. Nachr. No. 366 das Resultat 0",3136 als eine erste Annäherung. Sein schließliches späteres Resultat war 0",3483 (astr. Nachr. No. 402 in Bd. XVII. S. 274). Peters fand durch eigene Beobachtung fast identisch 0",3490 (Struve, Astr. stell. p. 99). Die Aenderung, welche nach Bessel's Tode Prof. Peters mit der Bessel'schen Berechnung der durch das Königsberger Heliometer erhaltenen Winkelmessungen gemacht hat, beruht darauf, daß Bessel (astr. Nachr. Bd. XVII. S. 267) versprach den Einfluß der Temperatur auf die Resultate des Heliometers einer nochmaligen Untersuchung zu unterwerfen. Das hat er allerdings auch theilweise in dem 1ten Bande seiner astronomischen Untersuchungen gethan, er hat aber die Temperatur-Correction nicht auf Parallaxen-Beobachtungen angewandt. Diese Anwendung ist von Peters (Ergänzungsheft zu den astr. Nachr. 1849 S. 56) geschehen, und dieser ausgezeichnete Astronom findet durch die Temperatur-Correctionen 0",3744 statt 0",3483.. Erst die Beobachtungen von August 1837 bis October 1838 führten ihn durch Benutzung des 1829 aufgestellten großen Heliometers zu der Parallaxe von 0",3483: der ein Abstand von 592200 Erdweiten und ein Lichtweg von 9¼ Jahren entsprechen. Peters bestätigte (1842) diese Angabe, indem er 0",3490 fand, aber später das Bessel'sche Resultat durch Wärme-Correction in 0",3744 umwandelte.Diese 0",3744 geben nach Argelander: Abstand des Doppelsterns 61 Cygni von der Sonne 550900 mittlere Abstände der Erde von der Sonne oder 11394000 Millionen Meilen: eine Distanz, die das Licht in 3177 mittleren Tagen durchläuft. Durch die 3 auf einander folgenden Angaben der Bessel'schen Parallaxen: 0",3136; 0",3483 und 0",3744, ist uns (scheinbar) der berühmte Doppelstern allmälig näher gekommen, in Lichtwegen von 10, 9¼ und 87/10 Jahren.
Die Parallaxe des schönsten Doppelsternes am südlichen Himmel, α Centauri ist durch Beobachtungen am Vorgebirge der guten Hoffnung von Henderson 1832, von Maclear 1839 zu 0",9128 bestimmt worden.Sir John Herschel, outlines of Astronomy p. 545 und 551. Mädler (Astronomie S. 425) giebt für α Cent. statt 0",9128 die Parallaxe 0",9213. Er ist demnach der nächste aller bisher gemessenen Fixsterne, dreimal näher als 61 Cygni.
Die Parallaxe von α Lyrae ist lange der Gegenstand der Beobachtungen von Struve gewesen. Die früheren Beobachtungen (1836) gabenStruve, Stell. compos. Mens. microm. p. CLXIX–CLXXII. Airy hält die Parallaxe von α Lyrae, welche Peters schon bis 0",1 vermindert hat, für noch kleiner: d. h. für zu gering, um für unsere jetzigen Instrumente meßbar zu sein. (Mem. of the Royal Astr. Soc. Vol. X. p. 270.) zwischen 0",07 und 0",18: spätere 0",2613 und einen Abstand von 771400 Erdweiten mit einem Lichtweg von 12 Jahren;Struve über Micrometer-Messungen im großen Refractor der Dorpater Sternwarte (Oct. 1839) in Schumacher 's astron. Nachrichten No. 396 S. 178. aber Peters hat den Abstand dieses hellleuchtenden Sternes noch viel 275 größer gefunden, da er die Parallaxe nur zu 0",103 angiebt. Dieses Resultat contrastirt mit einem anderen Stern 1m (α Centauri) und einem 6m (61 Cygni).
Die Parallaxe des Polarsterns ist von Peters nach vielen Vergleichungen in den Jahren 1818 bis 1838 zu 0",106 bestimmt worden: und um so befriedigender, als sich aus denselben Vergleichungen die Aberration 20",455 ergiebt.Peters in Struve, Astr. stellaire p. 100.
Die Parallaxe von Arcturus ist nach Peters 0",127 (Rümker's frühere Beobachtungen am Hamburger Meridiankreise hatten sie um vieles größer gegeben). Die Parallaxe eines anderen Sternes erster Größe, Capella, ist noch geringer: nach Peters 0",046.
Der Stern 1830 des Catalogus von Groombridge, welcher nach Argelander unter allen bisher am Firmament beobachteten Sternen die größte eigene Bewegung zeigte, hat eine Parallaxe von 0",226: nach 48 von Peters in den Jahren 1842 und 1843 sehr genau beobachteten Zenithal-Distanzen. Faye hatte sie 5mal größer (1",08) geglaubt, größer als die Parallaxe von Centauri.A. a. O. p. 101.
Fixsterne | Parallaxen | wahrschein- liche Fehler |
Namen der Beobachter |
α Centauri | 0",913 | 0",070 | Henderson und Maclear |
61 Cygni | 0",3744 | 0",020 | Bessel |
Sirius | 0",230 | Henderson | |
1830 Groombridge | 0",226 | 0",141 | Peters |
ι Ursae maj. | 0",133 | 0",106 | Peters |
Arcturus | 0",127 | 0",073 | Peters |
α Lyrae | 0",207 | 0",038 | Peters |
Polaris | 0",106 | 0",012 | Peters |
Capella | 0",046 | 0",200 | Peters |
276 Die bisher erlangten Resultate ergeben gar nicht im allgemeinen, daß die hellsten Sterne zugleich die uns näheren sind. Wenn auch die Parallaxe von α Centauri die größte aller bis jetzt bekannten ist, so haben dagegen Wega der Leier, Arcturus und besonders Capella eine 3- bis 8mal kleinere Parallaxe als ein Stern 6ter Größe im Schwan. Auch die zwei Sterne, welche nach 2151 Puppis und ε Indi die schnellste eigene Bewegung zeigen: der eben genannte Stern des Schwans (Bewegung von 5",123 im Jahr) und No. 1830 von Groombridge, den man in Frankreich »Argelander's Stern« nennt (Bewegung 6",974); sind der Sonne 3- und 4mal so fern als α Centauri mit der eigenen Bewegung von 3",58. Volum, Masse, Intensität des Lichtprocesses, eigene BewegungVergl. über das Verhältniß der Größe eigener Bewegung zur Nähe der hellleuchtendsten Sterne Struve, Stellarum composit. Mensurae micrometricae p. CLXIV. und Abstand von unserem Sonnensystem stehen gewiß in mannigfaltig verwickeltem Verhältnisse zu einander. Wenn es daher auch im allgemeinen wahrscheinlich sein mag, daß die hellsten Sterne die näheren sind; so kann es doch im einzelnen sehr entfernte kleine Sterne geben, deren Photosphäre und Oberfläche nach der Natur ihrer physischen Beschaffenheit einen sehr intensiven Lichtproceß unterhalten. Sterne, die wir ihres Glanzes wegen zur ersten Ordnung rechnen, können uns daher entfernter liegen als Sterne 4ter bis 6ter Größe. Steigen wir von der Betrachtung der großen Sternenschicht, von welcher unser Sonnensystem ein Theil ist, zu dem untergeordneten Particular-Systeme unserer Planetenwelt oder zu dem noch tieferen der Saturns- und Jupitersmonde stufenweise herab; so sehen wir auch die Centralkörper von Massen umgeben, in denen die Reihenfolge der Größe und der Intensität des reflectirten Lichtes von den Abständen gar nicht abzuhangen scheint. Die 277 unmittelbare Verbindung, in welcher unsere noch so schwache Kenntniß der Parallaxen mit der Kenntniß der ganzen Gestaltung des Weltbaues steht, giebt den Betrachtungen, welche sich auf die Entfernung der Fixsterne beziehen, einen eigenen Reiz.
In der gedrängten Darlegung der Methode, durch die Geschwindigkeit des Lichts die Parallaxe von Doppelsternen zu finden, sollte es heißen: Die Zeit, welche zwischen den Zeitpunkten verfließt, wo der planetarische Nebenstern der Erde am nächsten ist und wo er ihr am fernsten steht, ist immer länger, wenn er von der größten Nähe zur größten Entfernung übergeht: als die umgekehrte, wenn er aus der größten Entfernung zur größten Nähe zurückkehrt.
Der menschliche Scharfsinn hat zu dieser Classe von Untersuchungen Hülfsmittel erdacht, welche von den gewöhnlichen ganz verschieden sind und, auf die Geschwindigkeit des Lichts gegründet, hier eine kurze Erwähnung verdienen. Der den physikalischen Wissenschaften so früh entrissene Savary hat gezeigt, wie die Aberration des Lichts bei Doppelsternen zur Bestimmung der Parallaxe benutzt werden könne. Wenn nämlich die Ebene der Bahn, welche der Nebenstern um den Centralkörper beschreibt, nicht auf der Gesichtslinie von der Erde zu dem Doppelstern senkrecht steht, sondern nahe in diese Gesichtslinie selbst fällt; so wird der Nebenstern in seinem Laufe ebenfalls nahe eine gerade Linie zu beschreiben scheinen, und die Punkte der der Erde zugekehrten Hälfte seiner Bahn werden alle dem Beobachter näher liegen als die entsprechenden Punkte der zweiten, von der Erde abgewandten Hälfte. Eine solche Theilung in zwei Hälften bringt nur für den Beobachter (nicht in der Wirklichkeit) eine ungleiche Geschwindigkeit hervor, in welcher der Nebenstern in seiner Bahn sich von ihm entfernt oder sich ihm nähert. Ist nun der Halbmesser jener Bahn so groß, daß das Licht mehrere Tage oder Wochen gebraucht, um ihn zu durchlaufen (s. nebenstehenden Zusatz); so wird die Zeit der halben Revolution in der abgewandten, entfernteren Seite größer ausfallen als die Zeit in der dem Beobachter zugekehrten Seite. Die Summe beider 278 ungleichen Zahlen der Dauer bleibt der wahren Umlaufszeit gleich; denn die von der Geschwindigkeit des Lichts verursachten Ungleichheiten heben sich gegenseitig auf. Aus diesen Verhältnissen der Dauer nun lassen sich, nach Savary's sinnreicher Methode, wenn Tage und Theile der Tage in ein Längenmaaß verwandelt werden (3589 Millionen geogr. Meilen durchläuft das Licht in 24 Stunden), die absolute Größe des Halbmessers der Bahn: und durch die einfache Bestimmung des Winkels, unter welchem der Halbmesser sich dem Beobachter darbietet, die Entfernung des Centralkörpers und seine Parallaxe ableiten.Savary in der Connaissance des tems pour 1830 p. 56–69 und p. 163–171 und Struve a. a. O. p. CLXIV.
Wie die Bestimmung der Parallaxe uns über die Abstände einer geringen Zahl von Fixsternen und über die ihnen anzuweisende Stelle im Weltraume belehrt; so leitet die Kenntniß des Maaßes und der Richtung eigener Bewegung, d. h. der Veränderungen, welche die relative Lage selbstleuchtender Gestirne erfährt, auf zwei von einander abhängige Probleme: die der Bewegung des SonnensystemsKosmos Bd. I. S. 150 und 414 [Anm. 102]. und der Lage des Schwerpunkts des ganzen Fixsternhimmels. Was sich bisher nur sehr unvollständig auf Zahlenverhältnisse zurückführen läßt, ist schon deshalb nicht geeignet den ursachlichen Zusammenhang mit Klarheit zu offenbaren. Von den beiden eben genannten Problemen hat nur das erste, besonders nach Argelander's trefflichen Untersuchungen, mit einem gewissen Grade befriedigender Bestimmtheit gelöst werden können; das zweite, mit vielem Scharfsinn von Mädler behandelt, entbehrt, bei dem Spiel so vieler sich ausgleichender Kräfte, nach dem eigenen Geständniß dieses AstronomenMädler, Astronomie S. 414. in der unternommenen Lösung, »aller Evidenz eines vollständigen, wissenschaftlich genügenden Beweises«.
279 Wenn sorgfältig abgezogen wird, was dem Vorrücken der Nachtgleichen, Nutation der Erdachse, der Abirrung des Lichts und einer durch den Umlauf um die Sonne erzeugten parallactischen Veränderung angehört; so ist in der übrig bleibenden jährlichen Bewegung der Fixsterne noch immer zugleich das enthalten, was die Folge der Translation des ganzen Sonnensystems im Weltraume und die Folge der wirklichen Eigenbewegung der Fixsterne ist. In der herrlichen Arbeit Bradley's über die Nutation, in seiner großen Abhandlung vom Jahre 1748, findet sich die erste Ahndung der Translation des Sonnensystems und gewissermaßen auch die Angabe der vorzüglichsten Beobachtungs-Methode. »Wenn man erkennt«, heißt es dortArago hat (Annuaire pour 1842 p. 383) zuerst auf diese merkwürdige Stelle Bradley's aufmerksam gemacht. Vergl. in demselben Annuaire den Abschnitt über die Translation des ganzen Sonnensystems p. 389–399., »daß unser Planetensystem seinen Ort verändert im absoluten Raume, so kann daraus in der Zeitfolge eine scheinbare Variation in der Angular-Distanz der Fixsterne sich ergeben. Da nun in diesem Falle die Position der uns näheren Gestirne mehr als die der entfernteren betheiligt ist; so werden die relativen Stellungen beider Classen von Gestirnen zu einander verändert scheinen, obgleich eigentlich alle unbewegt geblieben sind. Wenn dagegen unser Sonnensystem in Ruhe ist und einige Sterne sich wirklich bewegen, so werden sich auch ihre scheinbaren Positionen verändern: und zwar um so mehr, als die Bewegungen schneller sind, als die Sterne in einer günstigen Lage und in kleinerer Entfernung von der Erde sich befinden. Die Veränderung der relativen Position kann von einer so großen Zahl von Ursachen abhangen, daß vielleicht viele Jahrhunderte hingehen werden, ehe man das Gesetzliche erkennen wird.«
280 Nachdem seit Bradley bald die bloße Möglichkeit, bald die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit der Bewegung des Sonnensystems in den Schriften von Tobias Mayer, Lambert und Lalande erörtert worden war, hatte William Herschel das Verdienst zuerst die Meinung durch wirkliche Beobachtung (1783, 1805 und 1806) zu befestigen. Er fand, was durch viele spätere und genauere Arbeiten bestätigt und näher begrenzt worden ist: daß unser Sonnensystem sich nach einem Punkte hinbewegt, welcher nahe dem Sternbild des Hercules liegt, in RA. 260° 44' und nördlicher Decl. 26° 16' (auf 1800 reducirt). Argelander fand (aus Vergleichung von 319 Sternen und mit Beachtung von Lundahl's Untersuchungen) für 1800: RA. 257° 54',1, Decl. +28° 49',2; für 1850: RA. 258° 23',5, Decl. +28° 45',6; Otto Struve (aus 392 Sternen) für 1800: RA. 261° 26',9, Decl. +37° 35',5; für 1850: RA. 261° 52',6, Decl. 37° 33',0. Nach GaußNach einem Briefe an mich, s. Schumacher's astron. Nachrichten No. 622 S. 348. fällt die gesuchte Stelle in ein Viereck, dessen Endpunkte sind: RA. 258° 40', Decl. 30° 40'; 258° 42' +30° 57', 259° 13' +31° 9', 260° 4' 30° 32'. Es blieb noch übrig zu versuchen, welches Resultat man erhalten würde, wenn man allein solche Sterne der südlichen Hemisphäre anwendete, die in Europa nie über den Horizont kommen. Dieser Untersuchung hat Galloway einen besonderen Fleiß gewidmet. Er hat sehr neue Bestimmungen (1830) von Johnson auf St. Helena und von Henderson am Vorgebirge der guten Hoffnung mit alten Bestimmungen von Lacaille und Bradley (1750 und 1757) verglichen. Das ResultatGalloway on the Motion of the Solar System, in den Philos. Transact. 1847 p. 98. ist gewesen (für 1790) RA. 260° 0', Decl. 34° 23'; also für 1800 und 1850: 260° 5' 34° 22' 281 und 260° 33' +34° 20'. Diese Uebereinstimmung mit den Resultaten aus den nördlichen Sternen ist überaus befriedigend.
Ist demnach die Richtung der fortschreitenden Bewegung unseres Sonnensystems innerhalb mäßiger Grenzen bestimmt worden, so entsteht sehr natürlich die Frage: ob die Fixsternwelt, gruppenweise vertheilt, nur aus neben einander bestehenden Partial-Systemen zusammengesetzt sei; oder ob eine allgemeine Beziehung, ein Kreisen aller selbstleuchtenden Himmelskörper (Sonnen) um einen, entweder mit Masse ausgefüllten oder leeren, unausgefüllten Schwerpunkt gedacht werden müsse. Wir treten hier in das Gebiet bloßer Vermuthungen: solcher, denen man zwar eine wissenschaftliche Form geben kann; die aber keinesweges, bei der Unvollständigkeit des vorliegenden Materials von Beobachtungen und Analogien, zu der Evidenz führen können, deren sich andere Theile der Astronomie erfreuen. Einer gründlichen mathematischen Behandlung solcher schwer lösbaren Probleme steht besonders entgegen unsere Unkenntniß der Eigenbewegung einer grenzenlosen Menge sehr kleiner Sterne (10m–14m): welche vornehmlich in dem so wichtigen Theile der Sternschicht, der wir angehören, in den Ringen der Milchstraße, zwischen hellleuchtenden zerstreut erscheinen. Die Betrachtung unserer Planetenkreise: in welchen man von den kleinen Partial-Systemen der Monde des Jupiter, des Saturn und des Uranus zu dem höheren, dem allgemeinen Sonnensysteme, aufsteigt; hat leicht zu dem Glauben verleitet: daß man sich die Fixsterne auf eine analoge Weise, in viele einzelne Gruppen getheilt und durch 282 weite Zwischenräume geschieden, wiederum (in höherer Beziehung solcher Gruppen gegen einander) der überwiegenden Anziehungskraft eines großen Centralkörpers (einer einigen Weltsonne) unterworfen denken könne.Von dem Werth und Unwerth solcher Ansichten handelt Argelander in der Schrift: über die eigene Bewegung des Sonnensystems, hergeleitet aus der eigenen Bewegung der Sterne, 1837 S. 39. Die hier berührte, auf die Analogie unseres Sonnensystems gestützte Schlußfolge ist aber durch die bisher beobachteten Thatsachen widerlegt. In den vielfachen Sternen kreisen zwei oder mehrere selbstleuchtende Gestirne (Sonnen) nicht um einander, sondern um einen weit außer ihnen liegenden Schwerpunkt. Allerdings findet in unserem Planetensysteme in so fern etwas ähnliches statt, als die Planeten sich auch nicht eigentlich um den Mittelpunkt des Sonnenkörpers selbst, sondern um den gemeinschaftlichen Schwerpunkt aller Massen des Systems bewegen. Dieser gemeinsame Schwerpunkt aber fällt, nach der relativen Stellung der großen Planeten Jupiter und Saturn, bald in den körperlichen Umfang der Sonne, bald (und dieser Fall tritt häufiger ein) außerhalb dieses Umfanges.Vergl. Kosmos Bd. I. S. 149 (Mädler, Astronomie S. 400). Der Schwerpunkt, welcher in den Doppelsternen leer ist, ist demnach im Sonnensysteme bald leer, bald mit Materie erfüllt. Was man über die Möglichkeit der Annahme eines dunkeln Centralkörpers im Schwerpunkt der Doppelsterne: oder ursprünglich dunkler, aber schwach durch fremdes Licht erleuchteter, um sie kreisender Planeten ausgesprochen; gehört in das vielfach erweiterte Reich der mythischen Hypothesen.
Ernster und einer gründlichen Untersuchung würdiger ist die Betrachtung: daß, unter der Voraussetzung einer Kreisbewegung sowohl für unser ganzes, seinen Ort veränderndes Sonnensystem als für alle Eigenbewegungen der so verschieden entfernten Fixsterne, das Centrum 283 der Kreisbewegungen 90° von dem Punkte entfernt liegen müsseArgelander a. a. O. S. 42; Mädler, Centralsonne S. 9 und Astronomie S. 403., nach welchem unser Sonnensystem sich hinbewegt. In dieser Ideenverbindung wird die Lage der mit starker oder sehr schwacher Eigenbewegung begabten Sterne von großem Moment. Argelander hat mit Vorsicht und dem ihm eigenen Scharfsinn den Grad der Wahrscheinlichkeit geprüft, mit der man in unserer Sternschicht ein allgemeines Centrum der Attraction in der Constellation des PerseusArgelander a. a. O. S. 43 und in Schumacher's astron. Nachr. No. 566. Nicht durch numerische Untersuchungen geleitet, sondern nach phantasiereichen Ahndungen hatten früh schon, Kant den Sirius, Lambert den Nebelfleck im Gürtel des Orion für den Centralkörper unserer Sternenschicht erklärt. Struve, Astronomie stellaire p. 17 no. 19. suchen könne. Mädler, die Annahme der Existenz eines zugleich an Masse überwiegenden und den allgemeinen Schwerpunkt ausfüllenden Centralkörpers verwerfend, sucht den Schwerpunkt allein in der Plejaden-Gruppe und zwar in der Mitte dieser Gruppe, in oder naheMädler, Astr. S. 380, 400, 407 und 414; dessen Centralsonne 1846 S. 44–47; dessen Untersuchungen über die Fixstern-Systeme Th. II. 1848 S. 183–185. (Alcyone liegt RA. 54° 30', Decl. 23° 36' für das Jahr 1840.) Wäre die Parallaxe der Alcyone wirklich 0",0065; so würde ihre Entfernung 31½ Millionen Halbmesser der Erdbahn betragen: sie also 50mal entfernter von uns sein, als nach Bessel's ältester Bestimmung der Abstand des Doppelsterns 61 Cygni ist. Das Licht, welches in 8' 18",2 von der Sonne zur Erde kommt, würde dann 500 Jahre von der Alcyone zur Erde brauchen. Die Phantasie der Griechen gefiel sich in wilden Schätzungen von Fallhöhen. In des Hesiodus Theogonia v. 722–725 heißt es vom Sturz der Titanen in den Tartarus: »wenn neun Tag' und Nächte dereinst ein eherner Amboß fiele vom Himmel herab, am zehenten käm' er zur Erde . . . . .« Der Fallhöhe in 777600 Zeitsecunden entsprechen für den Amboß 77356 geogr. Meilen (mit Rücksicht auf die, in planetarischen Entfernungen starke Abnahme der Anziehungskraft der Erde nach Galle's Berechnung), also das 1½fache der Entfernung des Mondes von der Erde. Aber nach Ilias I, 592 fiel Hephästos schon in Einem Tage aus Lemnos herab, »und athmete nur noch ein wenig«. Die Länge der vom Olymp zur Erde herabhangenden Kette, an der alle Götter versuchen sollen den Zeus herabzuziehen (Ilias VIII, 18), bleibt unbestimmt; es ist nicht ein Bild der Himmelshöhe, sondern der Stärke und Allmacht Jupiters. dem hellen Stern η Tauri (Alcyone). Es ist hier nicht der Ort die Wahrscheinlichkeit oder nicht hinlängliche BegründungVergl. die Zweifel von Peters in Schumacher's astron. Nachr. 1849 S. 661 und Sir John Herschel outl. of Astr. p. 589: »In the present defective state of our knowledge respecting the proper motion of the smaller stars, we cannot but regard all attempts of the kind as to a certain extent premature, though by no means to be discouraged as forerunners of something more decisive.« einer solchen Hypothese zu erörtern. Dem so ausgezeichnet thätigen Director der Sternwarte zu Dorpat bleibt das Verdienst, bei seiner mühevollen Arbeit die Position und Eigenbewegung von mehr als 800 Fixsternen geprüft: und zugleich Untersuchungen angeregt zu haben, welche, wenn sie auch nicht sicher zur Lösung des großen Problems selbst führen, doch geeignet sind Licht über verwandte Gegenstände der physischen Astronomie zu verbreiten.
Die vielfachen oder Doppelsterne. – Ihre Zahl und ihr gegenseitiger Abstand. – Umlaufszeit von zwei Sonnen um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt.
Wenn man in den Betrachtungen über die Fixstern-Systeme von den geahndeten allgemeineren, höheren, zu den speciellen, niederen, herabsteigt; so gewinnt man einen festeren, zur unmittelbaren Beobachtung mehr geeigneten Boden. In den vielfachen Sternen, zu denen die binären oder Doppelsterne gehören, sind mehrere selbstleuchtende Weltkörper (Sonnen) durch gegenseitige Anziehung mit einander verbunden, und diese Anziehung ruft nothwendig Bewegungen in geschlossenen krummen Linien hervor. Ehe man durch wirkliche Beobachtung den Umlauf der DoppelsterneVergl. Kosmos Bd. I. S. 152–154 und 414 [Anm. 104]. (Struve über Doppelsterne nach Dorpater Micrometer-Messungen von 1824 bis 1837 S. 11.) erkannte, waren solche Bewegungen in geschlossenen Curven nur in unserem planetenreichen Sonnensystem bekannt. Auf diese scheinbare Analogie wurden voreilig Schlüsse gegründet, die lange auf Irrwege leiten mußten. Da man mit dem Namen Doppelstern jedes Sternpaar bezeichnete, in welchem eine sehr große Nähe dem unbewaffneten Auge die Trennung der beiden Sterne nicht gestattet (wie in Castor, α Lyrae, β Orionis, α Centauri); so mußte diese Benennung sehr natürlich zwei Classen von Sternpaaren begreifen: solche, die durch ihre zufällige 290 Stellung in Beziehung auf den Standpunkt des Beobachters einander genähert scheinen, aber ganz verschiedenen Abständen und Sternschichten zugehören; und solche, welche, einander näher gerückt, in gegenseitiger Abhängigkeit oder Attraction und Wechselwirkung zu einander stehen und demnach ein eigenes, partielles Sternsystem bilden. Die ersteren nennt man nach nun schon langer Gewohnheit optische, die zweite Classe physische Doppelsterne. Bei sehr großer Entfernung und bei Langsamkeit der elliptischen Bewegung können mehrere der letzteren mit den ersteren verwechselt werden. Alcor: mit dem die arabischen Astronomen sich viel beschäftigt haben, weil der kleine Stern bei sehr reiner Luft und scharfen Gesichtsorganen dem bloßen Auge sichtbar wird, bildet (um hier an einen sehr bekannten Gegenstand zu erinnern) mit ζ im Schwanz des Großen Bären im weitesten Sinne des Worts eine solche optische Verbindung ohne nähere physische Abhängigkeit. Von Schwierigkeit des Trennens, welche dem unbewaffneten Auge darbieten die sehr ungleiche Licht-Intensität nahe gelegener Sterne, der Einfluß der Ueberstrahlung und der Sternschwänze, wie die organischen Fehler, die das undeutliche Sehen hervorbringen; habe ich schon oben im 2ten und 3ten Abschnitte gehandelt.Kosmos Bd. III. S. 64–67, 110–113 [Anm. 1082–1085] und 166–168. Als merkwürdige Beispiele von der Schärfe der Sehorgane ist noch anzuführen, daß Kepler's Lehrer Möstlin mit bloßen Augen 14, und schon einige der Alten 9 Sterne in dem Siebengestirn mit bloßen Augen erkannten. (Mädler, Untersuchungen über die Fixstern-Systeme Th. II. S. 36.)
Galilei, ohne die Doppelsterne zu einem besonderen Gegenstande seiner telescopischen Beobachtungen zu machen (woran ihn auch die große Schwäche seiner Vergrößerungen würde gehindert haben), erwähnt in einer berühmten, schon von Arago bezeichneten Stelle der Giornata terza seiner Gespräche den Gebrauch, welchen die Astronomen von optischen Doppelsternen (quando si trovasse nel telescopio 291 qualche picciolissima stella, vicinissima ad alcuna delle maggiori) zur Auffindung einer Fixstern-Parallaxe machen könnten.Kosmos Bd. III. S. 271. Auch Dr. Gregory von Edinburg empfiehlt 1675 (also 33 Jahre nach Galilei's Hinscheiden) dieselbe parallactische Methode; vergl. Thomas Birch, the history of the Royal Society Vol. III. 1757 p. 225. Bradley (1748) spielt auf diese Methode an am Ende der berühmten Abhandlung über die Nutation. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren in den Sternverzeichnissen kaum 20 Doppelsterne aufgeführt: wenn man diejenigen ausschließt, welche weiter als 32" von einander abstehen; jetzt, hundert Jahre später, sind (Dank sei es hauptsächlich den großen Arbeiten von Sir William Herschel, Sir John Herschel und Struve!) in beiden Hemisphären an 6000 aufgefunden. Zu den ältestenMädler, Astronomie S. 477. beschriebenen Doppelsternen gehören: ζ Ursae maj. (7 Sept. 1700 von Gottfried Kirch), α Centauri (1709 von Feuillée), γ Virginis (1718), α Geminorum (1719), 61 Cygni (1753, wie die beiden vorigen, von Bradley nach Distanz und Richtungswinkel beobachtet), p Ophiuchi, ζ Cancri...... Es vermehrten sich allmälig die aufgezählten Doppelsterne: von Flamsteed an, der sich eines Micrometers bediente, bis zum Sterncatalog von Tobias Mayer, welcher 1756 erschien. Zwei scharfsinnig ahndende und combinirende Denker, Lambert (»Photometria« 1760; »kosmologische Briefe über die Einrichtung des Weltbaues« 1761) und John Michell (1767), beobachteten nicht selbst Doppelsterne, verbreiteten aber zuerst richtige Ansichten über die Attractions-Beziehungen der Sterne in partiellen binären Systemen. Lambert wagte wie Kepler die Vermuthung, daß die fernen Sonnen (Fixsterne) wie die unsrige von dunkeln Weltkörpern, Planeten und Cometen, umgeben seien; von den einander nahe stehenden Fixsternen aber glaubteArago im Annuaire pour 1842 p. 400. er, so sehr er auch sonst zur Annahme dunkler Centralkörper geneigt scheint, »daß sie in einer nicht zu langen Zeit eine Revolution um ihren gemeinschaftlichen 292 Schwerpunkt vollendeten«. MichellAn Inquiry into the probable Parallax and Magnitude of the fixed Stars, from the quantity of Light which they afford us, and the particular circumstances of their situation, by the Rev. John Michell; in den Philos. Transact. Vol. LVII. p. 234–261., der von Kant's und Lambert's Ideen keine Kenntniß hatte, wandte zuerst und mit Scharfsinn die Wahrscheinlichkeits-Rechnung auf enge Sterngruppen: besonders auf vielfache Sterne, binäre und quaternäre, an; er zeigte, wie 500000 gegen 1 zu wetten sei, daß die Zusammenstellung von 6 Hauptsternen der Plejaden nicht vom Zufalle herrühre, daß vielmehr ihre Gruppirung in einer inneren Beziehung der Sterne gegen einander gegründet sein müsse. Er ist der Existenz von leuchtenden Sternen, die sich um einander bewegen, so gewiß, daß er diese partiellen Sternsysteme zu sinnreicher Lösung einiger astronomischen Aufgaben anzuwenden vorschlägt.John Michell a. a. O. p. 238: »If it should hereafter be found, that any of the stars have others revolving about them (for no satellites by a borrowed light could possibly be visible), we should then have the means of discovering......« Er läugnet in der ganzen Discussion, daß einer der zwei kreisenden Sterne ein dunkler, fremdes Licht reflectirender Planet sein könne, weil beide uns trotz der Ferne sichtbar werden. Er vergleicht die Dichtigkeit beider, von denen er den größeren den Central star nennt, mit der Dichtigkeit unserer Sonne: und bezieht das Wort Satellit nur auf die Idee des Kreisens, auf die einer wechselseitigen Bewegung; er spricht von der »greatest apparent elongation of those stars, that revolved about the others as satellites.«. Ferner heißt es p. 243 und 249: »We may conclude with the highest probability (the odds against the contrary opinion being many million millions to one) that stars form a kind of system by mutual gravitation. It is highly probable in particular, and next to a certainty in general, that such double stars as appear to consist of two or more stars placed near together, are under the influence of some general law, such perhaps as gravity.....« (Vergl. auch Arago im Annuaire 1834 p. 308, Ann. 1842 p. 400.) Den numerischen Resultaten der Wahrscheinlichkeits-Rechnung, welche Michell angiebt, muß man einzeln keine große Sicherheit zuschreiben: da die Voraussetzungen, daß es 230 Sterne am ganzen Himmel gebe, welche an Lichtstärke dem β Capricorni, und 1500, welche der Lichtstärke der 6 größeren Plejaden gleich seien, keine Richtigkeit haben. Die geistreiche cosmologische Abhandlung von John Michell endigt mit dem sehr gewagten Versuch einer Erklärung des Funkelns der Fixsterne durch eine Art von »Pulsation in materiellen Licht-Ausstößen«: einer nicht glücklicheren als die, welche Simon Marius, einer der Entdecker der Jupiterstrabanten (Kosmos Bd. II. S. 357 und 509 [Anm. 927]), am Ende seines Mundus Jovialis (1614) gegeben hatte. Michell hat aber das Verdienst, darauf aufmerksam gemacht zu haben (p. 263), daß das Funkeln immer mit Farbenveränderung verbunden ist: »besides their brightness there is in the twinkling of the fixed stars a change of colour.« (S. Kosmos Bd. III. S. 122 [Anm. 1117].)
Der Manheimer Astronom Christian Mayer hat das große Verdienst, auf dem sicheren Wege wirklicher Beobachtungen die Doppelsterne zuerst (1778) zu einem besonderen Ziele seiner Bestrebungen erhoben zu haben. Die unglücklich gewählte Benennung von Fixstern-Trabanten und die Beziehungen, welche er zwischen Sternen zu erkennen glaubte, die von Arcturus 2°½ bis 2° 55' abstehen, setzten ihn bitteren Angriffen seiner Zeitgenossen, und unter diesen dem Tadel des großen und scharfsinnigen Mathematikers Nicolaus Fuß, aus. Das Sichtbar-Werden dunkler planetarischer Körper in reflectirtem Lichte war bei so ungeheurer Entfernung allerdings unwahrscheinlich. Man achtete nicht auf die Resultate sorgfältig angestellter Beobachtungen, weil man die systematische Erklärung der Erscheinungen verwarf; und doch hatte Christian Mayer in einer Vertheidigungsschrift gegen den Pater Maximilian Hell, Director der kaiserlichen Sternwarte zu Wien, ausdrücklich erklärt: »daß die kleinen Sterne, welche den großen so nahe 293 stehen, entweder erleuchtete, an sich dunkle Planeten; oder daß beide Weltkörper, der Hauptstern und sein Begleiter, zwei um einander kreisende, selbstleuchtende Sonnen seien.« Das Wichtige von Christian Mayer's Arbeit ist lange nach seinem Tode von Struve und Mädler dankbar und öffentlich anerkannt worden. In seinen beiden Abhandlungen: Vertheidigung neuer Beobachtungen von Fixsterntrabanten (1778) und Diss. de novis in coelo sidereo phaenomenis (1779), sind 80 von ihm beobachtete Sternpaare beschrieben, unter denen 67 einen geringeren Abstand als 32" haben. Die meisten derselben sind von Christian Mayer neu entdeckt durch das vortreffliche achtfüßige Fernrohr des Manheimer Mauer-Quadranten; »manche gehören noch jetzt zu den schwierigsten Objecten, welche nur kräftige Instrumente darzustellen vermögen: wie ρ und 71 Herculis, ε 5 Lyrae und ω Piscium.« Mayer maß freilich nur am Meridian-Instrumente (wie man aber noch lange nach ihm gethan) Abstände in Rectascension und Declination; und wies aus seinen wie aus den Beobachtungen früherer Astronomen Positions-Veränderungen nach, von deren numerischem Werthe er irrigerweise nicht abzog, was (in einzelnen Fällen) der eigenen Bewegung der Sterne angehörte.Struve im recueil des actes de la Séance publique de l'Acad. Imp. des Sciences de St. Pétersbourg, le 29 déc. 1832, p. 48–50; Mädler, Astr. S. 478.
Diesen schwachen, aber denkwürdigen Anfängen folgte Wilhelm Herschel's Riesenarbeit über die vielfachen Sterne. Sie umfaßt eine lange Periode von mehr als 25 Jahren. Denn wenn auch das erste Verzeichniß von Herschel's Doppelsternen vier Jahre später als Christian Mayer's Abhandlung über denselben Gegenstand veröffentlicht wurde; so reichen des Ersteren Beobachtungen doch bis 1779: ja, 294 wenn man die Untersuchungen über das Trapezium im großen Nebelfleck des Orion hinzurechnet, bis 1776 hinauf. Fast alles, was wir heute von der vielfältigen Gestaltung der Doppelsterne wissen, wurzelt ursprünglich in Sir William Herschel's Arbeit. Er hat in den Catalogen von 1782, 1783 und 1804 nicht bloß 846, meist allein von ihm entdeckte, in Position und Distanz bestimmte Doppelsterne aufgestelltPhilos. Transact. for the year 1782 p. 40–126, for 1783 p. 112–124, for 1804 p. 87. Ueber die Begründung dieser von William Herschel beobachteten 846 Doppelsterne vergl. Mädler in Schumacher's Jahrbuch für 1839 S. 59 und desselben Untersuchungen über die Fixstern-Systeme Th. I. 1847 S. 7.; sondern, was weit wichtiger als die Vermehrung der Anzahl ist, er hat seinen Scharfsinn und Beobachtungsgeist auch schon an allem dem geübt, was sich auf die Bahn, die vermuthete Umlaufszeit, auf Helligkeit, Farben-Contrast, und Classification nach Größe der gegenseitigen Abstände bezieht. Phantasiereich und doch immer mit großer Vorsicht fortschreitend, sprach er sich erst im Jahr 1794, indem er optische und physische Doppelsterne unterschied, vorläufig über die Natur der Beziehung des größeren Sterns zu seinem kleineren Begleiter aus. Den ganzen Zusammenhang der Erscheinungen entwickelte er erst neun Jahre später in dem 93ten Bande der Philosophical Transactions. Es wurde nun der Begriff von partiellen Sternsystemen festgesetzt, in denen mehrere Sonnen um ihren gemeinschaftlichen Schwerpunkt kreisen. Das mächtige Walten von Anziehungskräften, das in unserem Sonnensystem sich bis zum Neptun in 30 Erdweiten (622 Millionen geogr. Meilen) erstreckt, ja durch Anziehung der Sonne den großen Cometen von 1680 in der Entfernung von 28 Neptunsweiten (d. i. von 853 Erdweiten oder 17700 Millionen geogr. Meilen) zum Umkehren zwingt; offenbart sich auch in der Bewegung des Doppelsterns 61 des Schwans: welcher 18240 Neptunsweiten (550900 295 Erdweiten oder 11394000 Millionen geogr. Meilen), bei einer Parallaxe von 0",3744, von der Sonne entfernt ist. Wenn aber auch Sir William Herschel die Ursachen und den allgemeinen Zusammenhang der Erscheinungen in großer Klarheit erkannte; so waren doch in dem ersten Jahrzehent des 19ten Jahrhunderts die Positionswinkel, welche sich aus den eigenen Beobachtungen und aus den nicht sorgfältig genug benutzten älteren Sterncatalogen ergaben, an zu kurze und allzu nahe Epochen gebunden, als daß die einzelnen numerischen Verhältnisse der Umlaufszeiten oder Bahn-Elemente eine volle Sicherheit gewähren könnten. Sir John Herschel erinnert selbst an die so unsicheren Angaben der Umlaufszeiten von α Geminorum (334 Jahre statt nach MädlerMädler a. a. O. Th. I. S. 255. Man hat für Castor: 2 alte Beobachtungen von Bradley 1719 und 1759 (die erste gemeinschaftlich mit Pond, die zweite mit Maskelyne), 2 von Herschel dem Vater von 1779 und 1803. Für die Umlaufszeit von γ Virginis s. Mädler, Fixstern-Systeme Th. II. 1848 S. 234–240. 520), von γ Virginis (708 statt 169); und von γ Leonis (1424 des großen Catalogs von Struve): einem prachtvollen Sternpaar, goldfarben und röthlich grün (1200 Jahre).
Nach William Herschel haben mit bewundernswürdiger Thätigkeit, und durch vervollkommnete Instrumente (besonders durch Micrometer-Apparate) unterstützt, die eigentlichen specielleren Grundlagen eines so wichtigen Zweiges der Astronomie Struve der Vater (1813–1842) und Sir John Herschel (1819–1838) gelegt. Struve veröffentlichte sein erstes Dorpater Verzeichniß von Doppelsternen (796 an der Zahl) im Jahre 1820. Demselben folgte ein zweites 1824 mit 3112 Doppelsternen bis 9ter Größe in Abständen unterhalb 32", von welchen nur etwa 1/6 früher gesehen worden war. Um diese Arbeit zu vollbringen, wurden im großen Refractor von Fraunhofer an 120000 Fixsterne untersucht. Struve's drittes Verzeichniß vielfacher 296 Sterne ist von 1837 und bildet das wichtige Werk: Stellarum compositarum Mensurae micrometricae.Struve, Mensurae microm. p. XL und p. 234–248. Es sind im ganzen 2641 + 146, also 2787 beobachtete Sternpaare (Mädler in Schum. Jahrbuch 1839 S. 64). Es enthält, da mehrere, unsicher beobachtete Objecte mit Sorgfalt ausgeschlossen wurden, 2787 Doppelsterne..
Diese Zahl ist wiederum durch Sir John Herschel's Beharrlichkeit während seines vierjährigen, für die genaueste topographische Kenntniß des südlichen Himmels Epoche machenden Aufenthalts in Feldhausen am Vorgebirge der guten Hoffnung mit mehr als 2100, bis auf wenige Ausnahmen bisher unbeobachteten Doppelsternen bereichert worden.Sir John Herschel, Astron. Observ. at the Cape of Good Hope (Capreise) p. 165–303. Alle diese afrikanischen Beobachtungen sind durch ein 20füßiges Spiegeltelescop gemacht, auf 1830 reducirt, und angereiht den 6 Catalogen, welche, 3346 Doppelsterne enthaltend, Sir John Herschel der Astronomical Society zu London für den 6ten und 9ten Theil ihrer reichhaltigen Memoirs übergeben hat.A. a. O. p. 167 und 242. In diesen europäischen Verzeichnissen sind die 380 Doppelsterne aufgeführt, welche der eben genannte berühmte Astronom 1825 gemeinschaftlich mit Sir James South beobachtet hatte.
Wir sehen in dieser historischen Entwickelung, wie die Wissenschaft in einem halben Jahrhundert allmälig zu dem Schatz gründlicher Kenntniß von partiellen, besonders binären Systemen im Weltraum gelangt ist. Die Zahl der Doppelsterne (optische und physische zusammengenommen) kann gegenwärtig mit einiger Sicherheit auf 6000 geschätzt werden: wenn eingeschlossen sind die von Bessel durch das herrliche Fraunhofer'sche Heliometer beobachteten; die von ArgelanderArgelander: indem er eine große Zahl von Fixsternen zur sorgfältigsten Ergründung eigener Bewegung untersuchte. S. dessen Schrift: DLX Stellarum fixarum positiones mediae ineunte anno 1830, ex observ. Aboae habitis (Helsingforsiae 1825 [recte: 1835]). Auf 600 schlägt Mädler (Astr. S. 625) die Zahl der zu Pulkowa seit 1837 in der Nord-Hemisphäre des Himmels neu entdeckten vielfachen Sterne an. zu Åbo (1827–1835), von Encke und Galle zu Berlin (1836 und 1839), von Preuß und Otto Struve in Pulkowa (seit dem Catalogus von 1837), von Mädler 297 in Dorpat und Mitchell in Cincinnati (Ohio) mit einem 17füßigen Münchner Refractor beobachteten. Wie viele von jenen 6000, für das bewaffnete Auge nahe an einander gerückten Sternen in unmittelbarer Attractions-Beziehung mit einander stehen, eigene Systeme bilden und sich in geschlossenen Bahnen bewegen, d. h. sogenannte physische (kreisende) Doppelsterne sind; ist eine wichtige, aber schwer zu beantwortende Frage. Der kreisenden Begleiter werden allmälig immer mehr entdeckt. Außerordentliche Langsamkeit der Bewegung oder die Richtung der für unser Auge projicirten Bahnfläche, in welcher der sich bewegende Stern eine der Beobachtung ungünstige Position einnimmt, lassen uns lange physische Doppelsterne den optischen, nur genähert scheinenden, beizählen. Aber nicht bloß deutlich erkannte, meßbare Bewegung ist ein Criterium; schon die von Argelander und Bessel bei einer beträchtlichen Zahl von Sternpaaren erwiesene, ganz gleiche Eigenbewegung im großen Weltraume (ein gemeinschaftliches Fortschreiten, wie das unseres ganzen Sonnengebietes: also der Erde und des Mondes, des Jupiter, des Saturn, des Uranus, des Neptun, mit ihren Trabanten) zeugt für den Zusammenhang der Hauptsterne und ihrer Begleiter, für das Verhältniß in abgeschlossenen, partiellen Systemen. Mädler hat die interessante Bemerkung gemacht: daß, während bis 1836 man unter 2640 catalogisirten Doppelsternen nur 58 Sternpaare erkannte, in denen eine Stellungsverschiedenheit mit Gewißheit beobachtet wurde, und 105, in welchen dieselbe nur für mehr oder minder wahrscheinlich gehalten werden konnte; gegenwärtig das Verhältniß der physischen Doppelsterne zu den optischen so verändert sei 298 zum Vortheil der ersteren, daß unter 6000 Sternpaaren man nach einer 1849 veröffentlichten Tabelle schon siebentehalb hundertDie Zahl der Fixsterne, an denen man mit Gewißheit Eigenbewegung bemerkt hat, während man sie bei alle vermuthen kann, ist um ein geringes größer als die der Sternpaare, bei welchen Stellungsverschiedenheit beobachtet worden ist; Mädler, Astr. S. 394, 490 und 520–540. Ergebnisse der Anwendung der Wahrscheinlichkeits-Rechnung auf diese Verhältnisse, je nachdem die gegenseitigen Abstände in den Sternpaaren 0" bis 1", 2" bis 8", oder 16" bis 32" sind; giebt Struve in Mens. microm. p. XCIV. Abstände, welche kleiner als 0",8 sind, werden geschätzt; und Versuche mit sehr nahen künstlichen Doppelsternen haben dem Beobachter die Hoffnung bestätigt, daß diese Schätzungen meist bis 0",1 sicher sind. Struve über Doppelsterne nach Dorpater Beobachtungen S. 29. kennt, in denen sich eine gegenseitige Positions-Veränderung nachweisen läßt. Das ältere Verhältniß gab 1/16, das neueste bereits 1/9 für die durch beobachtete Bewegung des Hauptsterns und den Begleiter sich als physische Doppelsterne offenbarenden Weltkörper.
Ueber die verhältnißmäßige räumliche Vertheilung der binären Sternsysteme: nicht bloß in den Himmelsräumen, sondern auch nur an dem scheinbaren Himmelsgewölbe, ist numerisch noch wenig ergründet. In der Richtung gewisser Sternbilder (der Andromeda, des Bootes, des Großen Bären, des Luchses und des Orions) sind in der nördlichen Hemisphäre die Doppelsterne am häufigsten. Für die südliche Hemisphäre macht Sir John Herschel das unerwartete Resultat bekannt, »daß in dem extratropicalen Theile dieser Hemisphäre die Zahl der vielfachen Sterne um vieles geringer ist als in dem correspondirenden nördlichen Theile«. Und doch sind jene anmuthigen südlichen Regionen mit einem lichtvollen 20füßigen Spiegeltelescope, das Sterne 8ter Größe bis in Abständen von ¾ Secunden trennte, unter den günstigsten atmosphärischen Verhältnissen von dem geübtesten Beobachter durchforscht worden.John Herschel, Capreise p. 166.
Eine überaus merkwürdige Eigenthümlichkeit der vielfachen Sterne ist das Vorkommen contrastirender Farben unter denselben. Aus 600 helleren Doppelsternen sind in Beziehung auf Farbe von Struve in seinem großen 1837 erschienenen WerkeStruve, Mensurae microm. p. LXXVII–LXXXIV. folgende Resultate gezogen worden: Bei 375 Sternpaaren waren beide Theile, der Hauptstern 299 und der Begleiter, von derselben und gleich intensiver Farbe. In 101 war nur ein Unterschied der gleichnamigen Farbe zu erkennen. Der Sternpaare mit ganz verschiedenartigen Farben waren 120, oder 1/5 des Ganzen: während die Einfarbigkeit des Hauptsterns und des Begleiters sich auf 4/5 der ganzen, sorgfältig untersuchten Masse erstreckte. Fast in der Hälfte jener 600 Doppelsterne waren Hauptstern und Begleiter weiß. Unter den verschiedenfarbigen sind Zusammensetzungen von Gelb und Blau (wie in ι Cancri), und Rothgelb und Grün (wie im ternären γ AndromedaeJohn Herschel, outlines of Astr. p. 579.) sehr häufig.
Arago hat zuerst (1825) darauf aufmerksam gemacht, daß die Verschiedenartigkeit der Farbe in dem binären Systeme hauptsächlich oder wenigstens in sehr vielen Fällen sich auf Complementar-Farben (auf die sich zu WeißZwei Gläser, welche Complementar-Farben darstellen, dienen dazu, wenn man dieselben auf einander legt, weiße Sonnenbilder zu geben. Mein Freund hat sich, während meines langen Aufenthalts auf der Pariser Sternwarte, dieses Mittels mit vielem Vortheil statt der Blendgläser bei Beobachtung von Sonnenfinsternissen und Sonnenflecken bedient. Man wählt: Roth mit Grün, Gelb mit Blau, Grün mit Violett. »Lorsqu' une lumière forte se trouve auprès d'une lumière faible, la dernière prend la teinte complémentaire de la première. C'est là le contraste: mais comme le rouge n'est presque jamais pur, on peut tout aussi bien dire que le rouge est complémentaire du bleu. Les couleurs voisines du Spectre solaire se substituent.«. (Arago, Handschrift von 1847.) ergänzenden, sogenannten subjectiven) bezieht. Es ist eine bekannte optische Erscheinung, daß ein schwaches weißes Licht grün erscheint, wenn ein starkes (intensives) rothes Licht genähert wird; das weiße Licht wird blau, wenn das stärkere umgebende Licht gelblich ist. Arago hat aber mit Vorsicht daran erinnert, daß, wenn auch bisweilen die grüne oder blaue Färbung des Begleiters eine Folge des Contrastes ist, man doch im ganzen keinesweges das reelle Dasein grüner oder blauer Sterne läugnen könne.Arago in der Connaissance des tems pour l'an 1828 p. 299–300; in dem Annuaire pour 1834 p. 246–250, pour 1842 p. 347–350. »Les exceptions que je cite, prouvent que j'avais bien raison, en 1825, de n'introduire la notion physique du contraste dans la question des étoiles doubles qu'avec la plus grande réserve. Le bleu est la couleur réelle de certaines étoiles. Il résulte des observations recueillies jusqu' ici que le firmament est non seulement parsemé de soleils rouges et jaunes, comme le savaient les anciens, mais encore de soleils bleus et verts. C'est au temps et à des observations futures à nous apprendre si les étoiles vertes ou bleues ne sont pas des soleils déjà en voie de décroissance; si les différentes nuances de ces astres n'indiquent pas que la combustion s'y opère à différens degrés; si la teinte, avec excès des rayons les plus réfrangibles, que présente souvent la petite étoile, ne tiendrait pas à la force absorbante d'une atmosphère que développerait l'action de l'étoile, ordinairement beaucoup plus brillante, qu'elle accompagne.« Arago im Annuaire pour 1834 p. 295–301.) Er giebt Beispiele, in denen ein hellleuchtender weißer Stern (1527 Leonis, 1768 Can. ven.) von einem kleinen blauen Stern begleitet ist; wo in einem Sternpaar (δ Serp.) beide, der Hauptstern und sein Begleiter, blau sind;Struve (über Doppelsterne nach Dorpater Beobachtungen 1837 S. 33–36 und Mensurae microm. p. LXXXIII) zählt 63 Sternpaare auf, in denen beide Sterne blau oder bläulich sind und bei denen also die Farbe nicht Folge des Contrastes sein kann. Wenn man gezwungen ist die Farben-Angaben desselben Sternpaares von verschiedenen Beobachtern mit einander zu vergleichen; so wird es besonders auffallend, wie oft der Begleiter eines rothen oder gelbrothen Hauptsternes von Einem Beobachter blau, von anderen grün genannt worden ist. er schlägt vor, um zu untersuchen, ob die contrastirende Färbung nur subjectiv sei, den Hauptstern im 300 Fernrohr (sobald der Abstand es erlaubt) durch einen Faden oder ein Diaphragma zu verdecken. Gewöhnlich ist nur der kleinere Stern der blaue; anders ist es aber im Sternpaar 23 Orionis (696 des Cat. von Struve p. LXXX); in diesem ist der Hauptstern bläulich, der Begleiter rein weiß. Sind oftmals in den vielfachen Sternen die verschiedenfarbigen Sonnen von, uns unsichtbaren Planeten umgeben; so müssen letztere, verschiedenartig erleuchtet, ihre weißen, blauen, rothen und grünen Tage haben.Arago im Annuaire pour 1834 p. 302.
So wenig, wie wir schon obenKosmos Bd. III. S. 168–172. gezeigt haben, die periodische Veränderlichkeit der Sterne nothwendig an die rothe oder röthliche Farbe derselben gebunden ist, eben so wenig ist Färbung im allgemeinen oder eine contrastirende Verschiedenheit der Farbentöne zwischen dem Hauptstern und dem Begleiter den vielfachen Sternen eigenthümlich. Zustände, weil wir sie häufig hervorgerufen finden, sind darum nicht die allgemein nothwendigen Bedingungen der Erscheinungen: sei es des periodischen Lichtwechsels, sei es des Kreisens in partiellen Systemen um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt. Eine sorgfältige Untersuchung der hellen Doppelsterne (Farbe ist noch bei Sternen 9ter Größe zu bestimmen) lehrt, daß außer dem reinen Weiß auch alle Farben des Sonnenspectrums in den Doppelsternen gefunden werden; daß aber der Hauptstern, wenn er nicht weiß ist, sich im allgemeinen dem rothen Extrem (dem der weniger refrangiblen Strahlen) nähert, der Begleiter dem violetten Extrem (der Grenze der am meisten refrangiblen Strahlen). Die röthlichen Sterne sind doppelt so häufig als die blauen und bläulichen, die weißen sind ohngefähr 2½mal so zahlreich als die rothen und 301 röthlichen. Merkwürdig ist es auch, daß gewöhnlich ein großer Unterschied der Farbe mit einem bedeutenden Unterschied in der Helligkeit verbunden ist. In zwei Sternpaaren, die wegen ihrer großen Helligkeit in starken Fernröhren bequem bei Tage gemessen werden können: in ζ Bootis und γ Leonis besteht das erstere Paar aus 2 weißen Sternen 3m und 4m, das letztere aus einem Hauptstern 2m und einem Begleiter von 3m,5. Man nennt diesen den schönsten Doppelstern des nördlichen Himmels, während daß α Centauri»This superb double star (α Cent.) is beyond all comparison the most striking object of the kind in the heavens, and consists of two individuals, both of a high ruddy or orange colour, though that of the smaller is of a somewhat more sombre and brownish cast.« Sir John Herschel, Capreise p. 300. Nach den schönen Beobachtungen von Capitän Jacob (Bombay Engineers, in den Jahren 1846–1848) ist aber der Hauptstern 1m, der Begleiter 2m,5 bis 3m geschätzt; Transactions of the Royal Society of Edinburgh Vol. XVI. 1849 p. 451. und α Crucis am südlichen Himmel alle anderen Doppelsterne an Glanz übertreffen. Wie in ζ Bootis, bemerkt man in α Centauri und γ Virginis die seltene Zusammenstellung zweier großer Sterne von wenig ungleicher Lichtstärke.
Ueber das Veränderliche der Helligkeit in vielfachen Sternen, besonders über Veränderlichkeit der Begleiter, herrscht noch nicht einstimmige Gewißheit. Wir haben schon oben mehrmalsKosmos Bd. III. S. 235, 249 und 259 [Anm. 1269]. der etwas unregelmäßigen Veränderlichkeit des Glanzes vom gelbrothen Hauptstern α Herculis erwähnt. Auch der von Struve (1831–1833) beobachtete Wechsel der Helligkeit der nahe gleichen und gelblichen Sterne (3m), des Doppelsternes γ Virginis und Anon. 2718, deutet vielleicht auf eine sehr langsame Achsendrehung beider Sonnen.Struve über Doppelsterne nach Dorpater Beobachtungen S. 33. Ob in Doppelsternen je eine wirkliche Farbenveränderung vorgegangen sei (γ Leonis und γ Delphini?); ob in ihnen weißes Licht farbig wird, wie umgekehrt im isolirten Sirius farbiges Licht weiß geworden ist: bleibt noch unentschieden;A. a. O. S. 36. und wenn die bestrittenen Unterschiede sich nur auf schwache Farbentöne beziehen, so ist auf die organische Individualität der Beobachter und, 302 wo nicht Refractoren angewandt werden, auf den oft röthenden Einfluß der Metallspiegel in den Telescopen Rücksicht zu nehmen.
Unter den mehrfachen Systemen finden sich: dreifache (ξ Librae, ζ Cancri, 12 Lyncis, 11 Monoc.); vierfache (102 und 2681 des Struvischen Catalogs, α Andromedae, ε Lyrae); eine sechsfache Verbindung in ϑ Orionis, dem berühmten Trapezium des großen Orion-Nebels: wahrscheinlich einem einigen physischen Attractions-System, weil die 5 kleineren Sterne (6m,3; 7m; 8m; 11m,3 und 12m) der Eigenbewegung des Hauptsternes (4m,7) folgen. Veränderung in der gegenseitigen Stellung ist aber bisher nicht bemerkt worden.Mädler, Astronomie S. 517; John Herschel, outlines of Astronomy p. 568. In 2 dreifachen Sternpaaren, ξ Librae und ζ Cancri, ist die Umlaufs-Bewegung beider Begleiter mit großer Sicherheit erkannt worden. Das letztere Paar besteht aus 3 an Helligkeit wenig verschiedenen Sternen 3ter Größe, und der nähere Begleiter scheint eine 10fach schnellere Bewegung als der entferntere zu haben.
Die Zahl der Doppelsterne, deren Bahn-Elemente sich haben berechnen lassen, wird gegenwärtig zu 14 bis 16 angegeben.Vergl. Mädler, Untersuchungen über die Fixstern-Systeme Th. I. S. 225–275, Th. II. S. 235–240; derselbe in der Astronomie S. 541; John Herschel, outl. of Astr. p. 573. Unter diesen hat ζ Herculis seit der Zeit der ersten Entdeckung schon zweimal seinen Umlauf vollendet, und während desselben (1802 und 1831) das Phänomen der scheinbaren Bedeckung eines Fixsterns durch einen anderen Fixstern dargeboten. Die frühesten Messungen und Berechnungen der Doppelstern-Bahnen verdankt man dem Fleiße von Savary (ξ Ursae maj.), Encke (70 Ophiuchi) und Sir John Herschel; ihnen sind später Bessel, Struve, Mädler, Hind, Smith und Capitän Jacob gefolgt. Savary's und Encke's Methoden fordern 4 vollständige, hinreichend weit von 303 einander entfernte Beobachtungen. Die kürzesten Umlaufs-Perioden sind von 30, 42, 58 und 77 Jahren: also zwischen den planetarischen Umlaufszeiten des Saturn und Uranus; die längsten, mit einiger Sicherheit bestimmten, übersteigen 500 Jahre: d. i. sie sind ohngefähr gleich dem dreimaligen Umlauf von le Verrier's Neptun. Die Excentricität der elliptischen Doppelstern-Bahnen ist nach dem, was man bis jetzt erforscht hat, überaus beträchtlich: meist cometenartig von 0,62 (σ Coronae) bis 0,95 (α Centauri) anwachsend. Der am wenigsten excentrische innere Comet, der von Faye, hat die Excentricität 0,55: eine geringere als die Bahn der eben genannten zwei Doppelsterne. Auffallend geringere Excentricitäten bieten η Coronae (0,29) und Castor (0,22 oder 0,24) nach Mädler's und Hind's Berechnungen dar. In diesen Doppelsternen werden von den beiden Sonnen Ellipsen beschrieben, welche denen zweier der kleinen Hauptplaneten unseres Sonnensystems (den Bahnen der Pallas: 0,24; und Juno: 0,25) nahe kommen.
Wenn man mit Encke in einem binären System einen der beiden Sterne, den helleren, als ruhend betrachtet und demnach die Bewegung des Begleiters auf diesen bezieht; so ergiebt sich aus dem bisher Beobachteten, daß der Begleiter um den Hauptstern einen Kegelschnitt beschreibt, in dessen Brennpunkt sich der letztere befindet: eine Ellipse, in welcher der Radius vector des umlaufenden Weltkörpers in gleichen Zeiten gleiche Flächenräume zurücklegt. Genaue Messungen von Positionswinkeln und Abständen, zu Bahn-Bestimmungen geeignet, haben schon bei einer beträchtlichen Zahl von Doppelsternen gezeigt, daß der Begleiter sich um den als ruhend betrachteten Hauptstern, von denselben 304 Gravitations-Kräften getrieben, bewegt, welche in unserem Sonnensystem walten. Diese feste, kaum erst seit einem Viertel-Jahrhundert errungene Ueberzeugung bezeichnet eine der großen Epochen in der Entwickelungsgeschichte des höheren kosmischen Naturwissens. Weltkörper, denen man nach altem Brauche den Namen der Fixsterne erhalten hat, ob sie gleich weder an die Himmelsdecke angeheftet noch unbewegt sind, hat man sich gegenseitig bedecken gesehen. Die Kenntniß von der Existenz partieller Systeme in sich selbst gegründeter Bewegung erweitert um so mehr den Blick, als diese Bewegungen wieder allgemeineren, die Himmelsräume belebenden, untergeordnet sind.
305 Bahn-Elemente von Doppelsternen.
(Siehe den unten angefügten Zusatz)
Name | halbe große Axe |
Exzentri- cität |
Umlaufszeit in Jahren |
Berechner |
1) ξ Ursae maj. | 3",857 | 0,4164 | 58,262 | Savary 1830 |
3",278 | 0,3777 | 60,720 | John Herschel Tabelle v. 1849 |
|
2",295 | 0,4037 | 61,300 | Mädler 1847 |
|
2) p Ophiuchi | 4",328 | 0,4300 | 73,862 | Encke 1832 |
3) ζ Herculis | 1",208 | 0,4320 | 30,22 | Mädler 1847 |
4) Castor | 8",086 | 0,7582 | 252,66 | John Herschel Tabelle v. 1849 |
5",692 | 0,2194 | 519,77 | Mädler 1847 |
|
6",300 | 0,2405 | 632,27 | Hind 1849 |
|
5) γ Virginis | 3",580 | 0,8795 | 182,12 | John Herschel Tabelle v. 1849 |
3",863 | 0,8806 | 169,44 | Mädler 1847 |
|
6) α Centauri | 15",500 | 0,9500 | 77,00 | Cap. Jacob 1848 |
Zusatz.
In der französischen Uebersetzung des astronomischen Bandes des Kosmos, welche zu meiner Freude wieder Herr H. Faye übernommen, hat dieser gelehrte Astronom die Abtheilung von den Doppelsternen sehr bereichert. Ich hatte mit Unrecht die wichtigen Arbeiten des Herrn Yvon Villarceau, welche schon im Laufe des Jahres 1849 in dem Institute verlesen waren, zu benutzen versäumt (s. Connaissance des temps pour l'an 1852 p. 3–128). Ich entlehne hier aus einer Tabelle der Bahn-Elemente von 8 Doppelsternen des Herrn Faye die 4 ersten Sterne, welche er für die am sichersten berechneten hält:
Bahn-Elemente von Doppelsternen.
Name und Größe
der
Doppelsternehalbe
große
AxeExcen-
tricitätUmlaufzeit
in
JahrenNamen
der
Berechnerξ Ursae ma-
joris
(4. und 5. Gr.)3",857
3,278
2,295
2,4390,4164
0,3777
0,4037
0,431558,262
60,720
61,300
61,576
Savary 1830 J. Herschel 1849 Mädler 1847 Y. Villarceau 1848 ρ Ophiuchi
(4. und 6. Gr.)4",328
4,966
4,8 . .0,4300
0,4445
0,478173,862
92,338
92, . . .
Encke 1832 Y. Villarceau 1849 Mädler 1849 ζ Herculis
(3. u. 6,5. Gr.)1",208
1,2540,4320
0,448230,22
36,357
Mädler 1847 Y. Villarceau 1847 η Coronae
(5,5 u. 6. Gr.)0",902
1,012
1,1110,2891
0,4744
0,469542,50
42,501
66,257
Mädler 1847 Y. Villarceau 1847 ders., 2te Lösung Das Problem der Umlaufszeit von η Coronae giebt zwei Solutionen: von 42,5 und 66,3 Jahren; aber die neuesten Beobachtungen von Otto Struve geben dem zweiten Resultat den Vorzug. Herr Yvon Villarceau findet für die halbe große Axe, Excentricität und Umlaufszeit in Jahren:
γ Virginis 3",446 0,8699 153,787 ζ Cancri 0",934 0,3662 59,590 α Centauri 12",128 0,7187 78,486 Die Bedeckung eines Fixsterns durch einen anderen, welche ζ Herculis dargeboten hat, habe ich (S. 302) scheinbar genannt. Herr Faye zeigt, daß sie eine Folge der facticen Durchmesser der Sterne (Kosmos Bd. III. S. 67 und 167) in unseren Fernröhren ist. – Die Parallaxe von 1830 Groombridge, welche ich S. 275 dieses Bandes 0",226 angegeben, ist gefunden von Schlüter und Wichmann zu 0",182; von Otto Struve zu 0",034.
Die Nebelflecke. – Ob alle nur ferne und sehr dichte Sternhaufen sind? – Die beiden Magellanischen Wolken, in denen sich Nebelflecke mit vielen Sternschwärmen zusammengedrängt finden. – Die sogenannten schwarzen Flecken oder Kohlensäcke am südlichen Himmelsgewölbe.
Unter den uns sichtbaren, den Himmelsraum erfüllenden Weltkörpern giebt es neben denen, welche mit Sternlicht glänzen (selbstleuchtenden oder bloß planetarisch erleuchteten; isolirt stehenden, oder vielfach gepaarten und um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt kreisenden Sternen) auch Massen mit milderem, mattem Nebelschimmer.Kosmos Bd. I. S. 86–91, 93 und 158; Bd. II. S. 369; Bd. III. S. 47–51, 178, 219 und 231. Bald als scharf begrenzte, scheibenförmige Lichtwölkchen auftretend, bald unförmlich und vielgestaltet über große Räume ergossen: scheinen diese auf den ersten Blick dem bewaffneten Auge ganz von den Weltkörpern verschieden, welche wir in den letzten vier Abschnitten der Astrognosie umständlich behandelt haben. Wie man geneigt ist aus der beobachteten, bisher unerklärten, BewegungKosmos Bd. III. S. 267–269. gesehener Weltkörper auf die Existenz ungesehener zu schließen; so haben Erfahrungen über die Auflöslichkeit einer beträchtlichen Zahl von Nebelflecken in der neuesten Zeit zu Schlußfolgen über die Nicht-Existenz aller Nebelflecke, ja alles kosmischen Nebels im Weltraume geleitet. Mögen jene wohlbegrenzten Nebelflecke eine selbstleuchtende dunstartige 312 Materie; oder ferne, eng zusammengedrängte, rundliche Sternhaufen sein: immer bleiben sie für die Kenntniß der Anordnung des Weltgebäudes, dessen, was die Himmelsräume ausfüllt, von großer Wichtigkeit.
Die Zahl der örtlich in Rectascension und Declination bestimmten übersteigt schon 3600. Einige der unförmlich ausgedehnten haben die Breite von acht Mond-Durchmessern. Nach William Herschel's älterer Schätzung (1811) bedecken die Nebelflecke wenigstens 1/270 des ganzen sichtbaren Firmaments. Durch Riesenfernröhre gesehen, führt ihre Betrachtung in Regionen, aus denen der Lichtstrahl nach nicht ganz unwahrscheinlicher Annahme Millionen von Jahren braucht, um zu uns zu gelangen: auf Abstände, zu deren Ausmessung die Dimensionen unserer näheren Fixsternschicht (Siriusweiten oder berechnete Entfernungen von den Doppelsternen des Schwans und des Centauren) kaum ausreichen. Sind die Nebelflecke elliptische oder kugelförmige Sterngruppen, so erinnern sie, durch ihre Conglomeration selbst, an ein räthselhaftes Spiel von Gravitations-Kräften, denen sie gehorchen. Sind es Dunstmassen mit einem oder mehreren Nebelkernen, so mahnen die verschiedenen Grade ihrer Verdichtung an die Möglichkeit eines Processes allmäliger Sternbildung aus ungeballter Materie. Kein anderes kosmisches Gebilde, kein anderer Gegenstand der mehr beschauenden als messenden Astronomie ist in gleichem Maaße geeignet die Einbildungskraft zu beschäftigen: nicht etwa bloß als symbolisirendes Bild räumlicher Unendlichkeit, sondern weil die Erforschung verschiedener Zustände des Seins und ihre geahndete Verknüpfung in zeitlicher Reihenfolge uns Einsicht in das WerdenKosmos Bd. I. S. 87. zu offenbaren verheißt.
313 Die historische Entwicklung unserer gegenwärtigen Kenntniß von den Nebelflecken lehrt, daß hier, wie fast überall in der Geschichte des Naturwissens, dieselben entgegengesetzten Meinungen, welche jetzt noch zahlreiche Anhänger haben, vor langer Zeit, doch mit schwächeren Gründen, vertheidigt wurden. Seit dem allgemeinen Gebrauch des Fernrohrs sehen wir Galilei, Dominicus Cassini und den scharfsinnigen John Michell alle Nebelflecke als ferne Sternhaufen betrachten: während Halley, Derham, Lacaille, Kant und Lambert die Existenz sternloser Nebelmassen behaupteten. Kepler (wie vor der Anwendung des telescopischen Sehens Tycho de Brahe) war ein eifriger Anhänger der Theorie der Sternbildung aus kosmischem Nebel, aus verdichtetem, zusammengeballtem Himmelsdunste. Er glaubte: »caeli materiam tenuissimam (der Nebel, welcher in der Milchstraße mit mildem Sternlicht leuchte), in unum globum condensatam, stellam effingere«; er gründete seine Meinung nicht auf den Verdichtungs-Proceß, der in begrenzten rundlichen Nebelflecken vorgehe (diese waren ihm unbekannt), sondern auf das plötzliche Auflodern neuer Sterne am Rande der Milchstraße.
Wie die Geschichte der Doppelsterne, so beginnt auch die der Nebelflecke: wenn man das Hauptaugenmerk auf die Zahl der aufgefundenen Objecte, auf die Gründlichkeit ihrer telescopischen Untersuchung und die Verallgemeinerung der Ansichten richtet, mit William Herschel. Bis zu ihm (Messier's verdienstvolle Bemühungen eingerechnet) waren in beiden Hemisphären nur 120 unaufgelöste Nebelflecke der Position nach bekannt; und im Jahr 1786 veröffentlichte bereits der große Astronom von Slough ein erstes Verzeichniß, das deren 1000 enthielt. Schon früher habe ich in diesem Werke 314 umständlich erinnert, daß, was vom Hipparchus und Geminus, in den Catasterismen des Pseudo-Eratosthenes und im Almagest des Ptolemäus Nebelsterne (νεφελοειδεῖς) genannt wird, Sternhaufen sind, welche dem unbewaffneten Auge in Nebelschimmer erscheinen.Kosmos Bd. III. S. 99, 131 (Anm. 1139), 178 und 210 (Anm. 1225). Dieselbe Benennung, als Nebulosae latinisirt, ist in der Mitte des 13ten Jahrhunderts in die Alphonsinischen Tafeln übergegangen: wahrscheinlich durch den überwiegenden Einfluß des jüdischen Astronomen Isaac Aben Sid Hassan, Vorstehers der reichen Synagoge zu Toledo. Gedruckt erschienen die Alphonsinischen Tafeln erst 1483, und zwar zu Venedig.
Die erste Angabe eines wundersamen Aggregats von zahllosen wirklichen Nebelflecken, mit Sternschwärmen vermischt, finden wir bei einem arabischen Astronomen aus der Mitte des zehnten Jahrhunderts, bei Abdurrahman Sufi aus dem persischen Irak. Der weiße Ochse, den er tief unter Canopus in milchigem Lichte glänzen sah, war zweifelsohne die Große Magellanische Wolke: welche bei einer scheinbaren Breite von fast 12 Mond-Durchmessern einen Himmelsraum von 42 Quadratgraden bedeckt, und deren europäische Reisende erst im Anfang des 16ten Jahrhunderts Erwähnung thun, wenn gleich schon zweihundert Jahre früher Normänner an der Westküste von Afrika bis Sierra Leone (8½° nördl. Br.) gelangt warenVor der Expedition von Alvaro Becerra. Die Portugiesen drangen 1471 bis südlich vom Aequator vor. S. Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géogr. du Nouveau Continent T. I. p. 290–292. Aber auch in Ost-Afrika wurde unter den Lagiden der Handelsweg durch den indischen Ocean, begünstigt durch den Südwest-Monsun (Hippalus), von Ocelis an der Straße Bab-el-Mandeb nach dem malabarischen Stapelplatze Muziris und Ceylon benutzt (Kosmos Bd. II. S. 203 und 433 Anm. 704). Auf allen hier genannten Seefahrten waren die Magellanischen Wolken gesehen, aber nicht beschrieben worden.. Eine Nebelmasse von so großem Umfange, dem unbewaffneten Auge vollkommen sichtbar, hätte doch früher die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen.Sir John Herschel, Capreise § 132.
Der erste isolirte Nebelfleck, welcher als völlig sternlos und als ein Gegenstand eigener Art durch ein Fernrohr erkannt und beachtet wurde, war der, ebenfalls dem bloßen 315 Auge sichtbare Nebelfleck bei ν der Andromeda. Simon Marius (Mayer ans Gunzenhausen in Franken): früher Musiker, dann Hof-Mathematicus eines Markgrafen von Culmbach; derselbe, welcher die Jupiterstrabanten neun TageKosmos Bd. II. S. 357 u. 509 (Anm. 926). Galilei, welcher den Unterschied der Entdeckungs-Tage (29 Dec. 1609 und 7 Jan. 1610) dem Calender-Unterschied zuzuschreiben sucht, behauptet deshalb die Jupiterssatelliten einen Tag früher als Marius gesehen zu haben; er geht in seinem Zorne gegen die »bugia del impostore eretico Guntzenhusano« so weit zu erklären: »che molto probabilmente il Eretico Simon Mario non ha osservato giammai i Pianeti Medicei«. (S. Opere di Galileo Galilei, Padova 1744, T. II. p. 235–237 und Nelli, Vita e commercio letterario di Galilei 1793 Vol. I. p. 240–246.) Sehr friedsam und bescheiden hatte sich doch der Eretico selbst über das Maaß seines Verdienstes in der Entdeckung ausgedrückt. »Ich behaupte bloß«, sagt Simon Marius in der Vorrede zum Mundus Jovialis: »haec sidera (Brandenburgica) a nullo mortalium mihi ulla ratione commonstrata, sed propria indagine sub ipsissimum fere tempus, vel aliquanto citius quo Galilaeus in Italia ea primum vidit, a me in Germania adinventa et observata fuisse. Merito igitur Galilaeo tribuitur et manet laus primae inventionis horum siderum apud Italos. An autem inter meos Germanos quispiam ante me ea invenerit et viderit, hactenus intelligere non potui.« früher als Galilei gesehen: hat auch das Verdienst die erste und zwar eine sehr genaue Beschreibung eines Nebelfleckes gegeben zu haben. In der Vorrede seines Mundus JovialisMundus Jovialis anno 1609 detectus ope perspicilli Belgici (Noribergae 1614). erzählt er, daß »am 15 December 1612 er einen Fixstern aufgefunden habe von einem Ansehen, wie ihm nie einer vorgekommen sei. Er stehe nahe bei dem 3ten und nördlichen Sterne im Gürtel der Andromeda; mit unbewaffnetem Auge gesehen, schiene er ihm ein bloßes Wölkchen, in dem Fernrohr finde er aber gar nichts sternartiges darin: wodurch sich diese Erscheinung von den Nebelsternen des Krebses und anderen nebligen Haufen unterscheide. Man erkenne nur einen weißlichen Schein, der heller im Centrum, schwächer gegen die Ränder hin sei. Bei einer Breite von ¼ Grad gleiche das Ganze einem in großer Ferne gesehenen Lichte, das (in einer Laterne) durch (halb durchsichtige) Scheiben von Horn gesehen werde (similis fere splendor apparet, si a longinquo candela ardens per cornu pellucidum de noctu cernatur).« Simon Marius fragt sich, ob dieser sonderbare Stern ein neu entstandener sei? er will nicht entscheiden: findet es aber recht auffallend, daß Tycho, welcher alle Sterne des Gürtels der Andromeda aufgezählt habe, nichts von dieser Nebulosa gesagt. In dem Mundus Jovialis, der erst 1614 erschien, ist also (wie ich schon an einem anderen OrteKosmos Bd. II. S. 368. bemerkt habe) der Unterschied zwischen einem für die damaligen telescopischen Kräfte unauflöslichen Nebelfleck und einem Sternhaufen (engl. cluster, franz. amas d'étoiles) ausgesprochen, welchem die gegenseitige 316 Annäherung vieler, dem bloßen Auge unsichtbaren, kleinen Sterne einen Nebelschein giebt. Trotz der großen Vervollkommnung optischer Werkzeuge ist fast drittehalb Jahrhunderte lang der Nebel der Andromeda, wie bei seiner Entdeckung, für vollkommen sternenleer gehalten worden: bis vor zwei Jahren jenseits des atlantischen Oceans von George Bond zu Cambridge (V. St.) 1500 kleine Sterne within the limits of the nebula erkannt worden sind. Ich habe, trotz des unaufgelösten Kerns, nicht angestanden ihn unter den Sternhaufen aufzuführen.Kosmos Bd. III. S. 180.
Es ist wohl nur einem sonderbaren Zufall zuzuschreiben, daß Galilei: der sich schon vor 1610, als der Sydereus Nuntius erschien, mehrfach mit der Constellation des Orion beschäftigte; später in seinem Saggiatore, da er längst die Entdeckung des sternlosen Nebels in der Andromeda aus dem Mundus Jovialis kennen konnte, keines anderen Nebels am Firmamente gedenkt als solcher, welche sich selbst in seinen schwachen optischen Instrumenten in Sternhaufen auflösten. Was er Nebulose del Orione e del Presepe nennt, sind ihm nichts als »Anhäufungen (coacervazioni) zahlloser kleiner Sterne«.»Galilei notò che le Nebulose di Orione null' altro erano che mucchi e coacervazioni d' innumerabili Stelle.«. Nelli, Vita di Galilei Vol. I p. 208. Er bildet ab nach einander unter den täuschenden Namen Nebulosae Capitis, Cinguli et Ensis Orionis Sternhaufen, in denen er sich freut in einem Raum von 1 oder 2 Graden 400 bisher unaufgezählte Sterne aufgefunden zu haben. Von unaufgelöstem Nebel ist bei ihm nie die Rede. Wie hat der große Nebelfleck im Schwerdte seiner Aufmerksamkeit entgehen, wie dieselbe nicht fesseln können? Aber wenn auch der geistreiche Forscher wahrscheinlich nie den unförmlichen Orions-Nebel oder die rundliche Scheibe eines sogenannten unauflöslichen Nebels gesehen hat, so waren doch seine allgemeinen Betrachtungen»In primo integram Orionis Constellationem pingere decreveram; vero, ab ingenti stellarum copia, temporis vero inopia obrutus, aggressionem hanc in aliam occasionem distuli. – Cum non tantum in Galaxia lacteus ille candor veluti albicantis nubis spectetur, sed complures consimilis coloris areolae sparsim per aethera subfulgeant, si in illarum quamlibet Specillum convertas, Stellarum constipatarum coetum offendes. Amplius (quod magis mirabile) Stellae, ab Astronomis singulis in hanc usque diem Nebulosae appellatae, Stellarum mirum in modum consitarum greges sunt: ex quarum radiorum commixtione, dum unaquaque ob exilitalem, seu maximam a nobis remotionem, oculorum aciem fugit, candor ille consurgit, qui densior pars caeli, Stellarum aut Solis radios retorquere valens, hucusque creditus est.« Opere di Galileo Galilei, Padova 1744, T. II. p. 14–15; Sydereus Nuncius p. 13, 15 (no. 19–21) und 35 (no. 56). über die innere Natur der 317 Nebelflecke denen sehr ähnlich, zu welchen gegenwärtig der größere Theil der Astronomen geneigt ist. So wenig als Galilei, hat auch Hevel in Danzig: ein ausgezeichneter, aber dem telescopischen Sehen beim Catalogisiren der Sterne wenig holderVergl. Kosmos Bd. III. S. 106 [Anm. 1079]. Ich erinnere auch an die Vignette, welche die Einleitung von Hevelii Firmamentum Sobescianum 1687 beschließt und auf der man drei Genien sieht, von welchen zwei am Hevel'schen Sextanten beobachten. Dem dritten Genius, der ein Fernrohr zuträgt und es anzubieten scheint, antworten die Beobachtenden: praestat nudo oculo! Beobachter, des großen Orions-Nebels in seinen Schriften erwähnt. Sein Sternverzeichniß enthält überhaupt kaum 16 in Position bestimmte Nebelflecke.
Endlich im Jahr 1656 entdeckteHuygens, Systema Saturnium in seinen Opera varia, Lugd. Bat. 1724, T. II. p. 523 und 593. Huygens den durch Ausdehnung, Gestalt, die Zahl und die Berühmtheit seiner späteren Erforscher so wichtig gewordenen Nebelfleck im Schwerdt des Orion: und veranlaßte Picard sich fleißig (1676) mit demselben zu beschäftigen. Die ersten Nebelflecke der in Europa nicht sichtbaren Regionen des südlichen Himmels bestimmte, aber in überaus geringer Zahl, bei seinem Aufenthalte auf St. Helena (1677) Edmund Halley. Die lebhafte Vorliebe, welche der große Cassini (Johann Dominicus) für alle Theile der beschauenden Astronomie hatte, leitete ihn gegen das Ende des 17ten Jahrhunderts auf die sorgfältigere Erforschung der Nebel der Andromeda und des Orion. Er glaubte seit Huygens Veränderungen in dem letzteren, »ja Sterne in dem erstern erkannt zu haben, die man nicht mit schwachen Fernröhren sieht«. Man hat Gründe die Behauptung der Gestalt-Veränderung für eine Täuschung zu halten, nicht ganz die Existenz von Sternen in dem Nebel der Andromeda seit den merkwürdigen Beobachtungen von George Bond. Cassini ahndete dazu aus theoretischen Gründen eine solche Auflösung: da er, in directem Widerspruch mit Halley und Derham, alle Nebelflecke für sehr ferne Sternschwärme hielt.»Dans les deux nébuleuses d'Andromède et d'Orion«, sagt Dominicus Cassini, »j'ai vu des étoiles qu'on n'aperçoit pas avec des lunettes communes. Nous ne savons pas si l'on ne pourroit pas avoir des lunettes assez grandes pour que toute la nébulosité pût se résoudre en de plus petites étoiles, comme il arrive à celles du Cancer et du Sagittaire.«. Delambre, Hist. de l'Astr. moderne T. II. p. 700 und 744. Der matte, milde Lichtschimmer in der Andromeda, meint er, sei allerdings dem des Zodiacallichtes analog; aber auch dieses sei aus einer Unzahl dicht 318 zusammengedrängter kleiner planetarischer Körper zusammengesetzt.Kosmos Bd. I. S. 412 Anm. 96. Lacaille's Aufenthalt in der südlichen Hemisphäre (am Vorgebirge der guten Hoffnung, auf Ile de France und Bourbon, 1750 bis 1752) vermehrte so ansehnlich die Zahl der Nebelflecke, daß Struve mit Recht bemerkt, man habe durch dieses Reisenden Bemühungen damals mehr von der Nebelwelt des südlichen Firmaments als von der in Europa sichtbaren gewußt. Lacaille hat übrigens mit Glück versucht die Nebelflecke nach ihrer scheinbaren Gestaltung in Classen zu vertheilen; auch unternahm er zuerst, doch mit wenigem Erfolge, die schwierige Analyse des so heterogenen Inhalts der beiden Magellanischen Wolken (Nubecula major et minor). Wenn man von den anderen 42 isolirten Nebelflecken, welche Lacaille an dem südlichen Himmel beobachtete, 14 vollkommen, und selbst mit schwacher Vergrößerung, zu wahren Sternhaufen aufgelöste abzieht; so bleibt nur die Zahl von 28 übrig: während, mit mächtigeren Instrumenten wie mit größerer Uebung und Beobachtungsgabe ausgerüstet, es Sir John Herschel glückte unter derselben Zone, die Clusters ebenfalls ungerechnet, an 1500 Nebelflecke zu entdecken.
Entblößt von eigener Anschauung und Erfahrung, phantasirten, nach sehr ähnlichen Richtungen hinstrebend, ohne ursprünglichUeber Ideen-Gemeinschaft und Ideen-Verschiedenheit von Lambert und Kant wie über die Zeiten ihrer Publicationen s. Struve, études d'Astr. stellaire p. 11, 13 und 21; notes 7, 15 und 33. Kant's »allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels« erschien anonym und dem Großen König zugeeignet 1755; Lambert's »Photometria«, wie schon oben bemerkt worden ist, 1760, seine »Sammlung kosmologischer Briefe über die Einrichtung des Weltbaues« 1761. von einander zu wissen: Lambert (seit 1749), Kant (seit 1755) mit bewundernswürdigem Scharfsinn über Nebelflecke, abgesonderte Milchstraßen und sporadische, in den Himmelsräumen vereinzelte Nebel- und Sterninseln. Beide waren der Dunst-Theorie (nebular hypothesis) und einer perpetuirlichen Fortbildung in den Himmelsräumen, ja den Ideen der Stern-Erzeugung aus kosmischem Nebel zugethan. Der vielgereiste le Gentil (1760–1769) belebte lange vor seinen 319 Reisen und den verfehlten Venus-Durchgängen das Studium der Nebelflecke durch eigene Beobachtung über die Constellationen der Andromeda, des Schützen und des Orion. Er bediente sich eines der im Besitze der Pariser Sternwarte befindlichen Objective von Campani, welches 34 Fuß Focallänge hat. Ganz den Ideen von Halley und Lacaille, Kant und Lambert widerstrebend: erklärte der geistreiche John Michell wieder (wie Galilei und Dominicus Cassini) alle Nebel für Sternhaufen, Aggregate von sehr kleinen oder sehr fernen telescopischen Sternen, deren Dasein bei Vervollkommnung der Instrumente gewiß einst würde erwiesen werden.»Those Nebulae«, sagt John Michell 1767 (Philos. Transact. Vol. LVII. for 1767 p. 251), »in which we can discover either none, or only a few stars even with the assistance of the best telescopes, are probably systems, that are still more distant than the rest.« Einen reichen Zuwachs: verglichen mit den langsamen Fortschritten, welche wir bisher geschildert, erhielt die Kenntniß der Nebelflecke durch den beharrlichen Fleiß von Messier. Sein Catalogus von 1771 enthielt, wenn man die älteren, von Lacaille und Méchain entdeckten Nebel abzieht, 66 bis dahin ungesehene. Es gelang seiner Anstrengung, auf dem ärmlich ausgerüsteten Observatoire de la Marine (Hôtel de Clugny) die Zahl der damals in beiden Hemisphären aufgezählten Nebelflecke zu verdoppeln.Messier in den Mém. de l'Académie des Sciences 1771 p. 435 und in der Connoiss. des temps pour 1783 et 1784. Das ganze Verzeichniß enthält 103 Objecte.
Auf diese schwachen Anfänge folgte die glänzende Epoche der Entdeckungen von William Herschel und seinem Sohne. Der Erstere begann schon 1779 eine regelmäßige Musterung des nebelreichen Himmels durch einen siebenfüßigen Reflector. Im Jahr 1787 war sein 40füßiges Riesentelescop vollendet; und in drei CatalogenPhilos. Transact. Vol. LXXVI., LXXIX. und XCII.: welche 1786, 1789 und 1802 erschienen, lieferte er die Positionen von 2500 Nebeln und Sternhaufen. Bis 1785, ja fast bis 1791, scheint der große Beobachter mehr geneigt gewesen zu sein: wie Michell, Cassini und jetzt Lord Rosse, die ihm unauflöslichen Nebelflecke für sehr entfernt liegende Sternhaufen zu halten; aber eine längere 320 Beschäftigung mit dem Gegenstande zwischen 1799 und 1802 leitete ihn, wie einst Halley und Lacaille, auf die Dunst-Theorie; ja, wie Tycho und Kepler, auf die Theorie der Sternbildung durch allmälige Verdichtung des kosmischen Nebels. Beide Ansichten sind indeß nicht nothwendig»The nebular hypothesis, as it has been termed, and the theory of siderial aggregation stand in fact quite independent of each other.«. Sir John Herschel, outlines of Astronomy § 872 p. 599. mit einander verbunden. Die von Sir William Herschel beobachteten Nebel und Sternhaufen hat sein Sohn, Sir John, von 1825 bis 1833 einer neuen Musterung unterworfen; er hat die älteren Verzeichnisse durch 500 neue Gegenstände bereichert, und in den Philosophical Transactions for 1833 (p. 365–481) einen vollständigen Catalogus von 2307 Nebulae and Clusters of stars veröffentlicht. Diese große Arbeit enthält alles, was in dem mittleren Europa am Himmel aufgefunden war; und schon in den unmittelbar folgenden 5 Jahren (1834 bis 1838) sehen wir Sir John Herschel am Vorgebirge der guten Hoffnung, mit einem 20füßigen Reflector ausgerüstet, den ganzen dort sichtbaren Himmel durchforschen, und zu jenen 2307 Nebeln und Sternhaufen ein Verzeichniß von 1708 Positionen hinzufügen!Die Zahlen, welche ich hier gebe, sind die aufgezählter Objecte von No. 1 bis 2307 im europäischen, nördlichen Catalog von 1833 und die von No. 2308 bis 4015 im afrikanischen, südlichen Catalog (Capreise p. 51–128). Von Dunlop's Catalogus südlicher Nebel und Sternhaufen (629 an der Zahl; zu Paramatta beobachtet durch einen 9füßigen, mit einem Spiegel von 9 Zoll Durchmesser versehenen ReflectorJames Dunlop in den Philosophical Transactions for 1828 p. 113–151. von 1825 bis1827) ist nur ⅓in Sir John Herschel's Arbeit übergegangen.
Eine dritte große Epoche in der Kenntniß jener räthselhaften Weltkörper hat mit der Construction des bewundernswürdigen funfzigfüßigen TelescopsVergl. Kosmos Bd. III. S. 81 und 117 (Anm. 1111). des Earl of Rosse zu Parsonstown begonnen. Alles, was, in dem langen Schwanken der Meinungen, auf den verschiedenen Entwickelungsstufen kosmischer Anschauung zur Sprache gekommen war: wurde nun in dem Streit über die Nebel-Hypothese und die 321 behauptete Nothwendigkeit sie gänzlich aufzugeben der Gegenstand lebhafter Discussionen. Aus den Berichten ausgezeichneter und mit den Nebelflecken lange vertrauter Astronomen, die ich habe sammeln können, erhellt, daß von einer großen Zahl der aus dem Catalogus von 1833 wie zufällig unter allen Classen ausgewählten, für unauflöslich gehaltenen Objecte fast alle (der Director der Sternwarte von Armagh, Dr. Robinson, giebt deren über 40 an) vollständig aufgelöst wurden.An account of the Earl of Rosse's great Telescope p. 14–17: wo die Liste der im März 1845 von Dr. Robinson und Sir James South aufgelösten Nebel gegeben wird. »Dr. Robinson could not leave this part of his subject without calling attention to the fact, that no real nebula seemed to exist among so many of these objects chosen without any bias: all appeared to be clusters of stars, and every additional one which shall be resolved will be an additional argument against the existence of any such.«. Schumacher, astr. Nachr. No. 536. – In der Notice sur les grands Télescopes de Lord Oxmantown, aujourd'hui Earl of Rosse (Bibliothèque universelle de Genève T. LVII. 1845 p. 342–357) heißt es: »Sir James South rappelle que jamais il n'a vu de représentations sidérales aussi magnifiques que celles que lui offrait l'instrument de Parsonstown; qu'une bonne partie des nébuleuses se présentaient comme des amas ou groupes d'étoiles, tandis que quelques autres, à ses yeux du moins, n'offraient aucune apparence de résolution en étoiles.« Auf gleiche Weise drückt sich Sir John Herschel, sowohl in der Eröffnungsrede der Versammlung der British Association zu Cambridge 1845 als in den outlines of Astronomy 1849, aus. »Der Reflector von Lord Rosse«, sagt er, »hat aufgelöst oder als auflösbar gezeigt eine beträchtliche Anzahl (multitudes) von Nebeln, welche der raumdurchdringenden Kraft der schwächeren optischen Instrumente widerstanden hatten. Wenn es gleich Nebelflecke giebt, welche jenes mächtige Telescop von sechs englischen Fußen Oeffnung nur als Nebel, ohne alle Anzeige der Auflösung, darstellt; so kann man doch nach Schlüssen, die auf Analogien gegründet sind, vermuthen, daß in der Wirklichkeit kein Unterschied zwischen Nebeln und Sternhaufen vorhanden sei.«Report of the fifteenth Meeting of the British Association, held at Cambridge in June 1845, p. XXXVI und outlines of Astr. p. 597 und 598. »By far the major part«, sagt Sir John Herschel, »probably at least nine tenths of the nebulous contents of the heavens consist of nebulae of spherical or elliptical forms, presenting every variety of elongation and central condensation. Of these a great number have been resolved into distant stars (by the Reflector of the Earl of Rosse), and a vast multitude more have been found to present that mottled appearance, which renders it almost a matter of certainty that an increase of optical power would show them to be similarly composed. A not unnatural or unfair induction would therefore seem to be, that those which resist such resolution, do so only in consequence of the smallness and closeness of the stars of which they consist: that, in short, they are only optically and not physically nebulous. – Although nebulae do exist which even in this powerful telescope (of Lord Rosse) appear as nebulae, without any sign of resolution, it may very reasonably be doubted whether there be really any essential physical distinction between nebulae and clusters of stars.«
Der Urheber des mächtigen optischen Apparates von Parsonstown: stets das Resultat wirklicher Beobachtungen von dem trennend, zu dem nur gegründete Hoffnung vorhanden ist, drückt sich selbst mit großer Vorsicht über den Orions-Nebel in einem Briefe an Professor Nichol zu GlasgowDr. Nichol, Professor der Astronomie zu Glasgow, hat diesen, aus Castle Parsonstown datirten Brief in seinen thoughts of some important points relating to the System of the World 1846 p. 55 bekannt gemacht: »In accordance with my promise of communicating to you the result of our examination of Orion, I think, I may safely say, that there can be little, if any doubt as to the resolvability of the Nebula. Since you left us, there was not a single night when, in absence of the moon, the air was fine enough to admit of our using more than half the magnifying power the speculum bears: still we could plainly see that all about the trapezium is a mass of stars; the rest of the nebula also abounding with stars and exhibiting the characteristics of resolvability strongly marked.« aus (19 März 1846). »Nach unserer Untersuchung des berühmten Nebelfleckes«, sagt er, »kann ich mit Gewißheit aussprechen, daß, wenn anders irgend einer, nur ein geringer Zweifel über die Auflösbarkeit bleibt. Wir konnten wegen der Luftbeschaffenheit 322 nur die Hälfte der Vergrößerung anwenden, welche der Spiegel zu ertragen im Stande ist; und doch sahen wir, daß alles um das Trapezium umher eine Masse von Sternen bildet. Der übrige Theil des Nebels ist ebenfalls reich an Sternen und trägt ganz den Charakter der Auflösbarkeit.« Auch später noch (1848) soll Lord Rosse nie eine schon erlangte völlige Auflösung des Orions-Nebels, sondern immer nur die nahe Hoffnung dazu, die gegründete Wahrscheinlichkeit den noch übrigen Nebel in Sterne aufzulösen, verkündet haben.
Wenn man trennt, in der neuerlichst so lebhaft angeregten Frage über die Nicht-Existenz einer selbstleuchtenden, dunstförmigen Materie im Weltall, was der Beobachtung und was inductiven Schlußformen angehört; so lehrt eine sehr einfache Betrachtung, daß durch wachsende Vervollkommnung der telescopischen Sehkraft allerdings die Zahl der Nebel beträchtlich vermindert, aber keinesweges durch diese Verminderung erschöpft werden könne. Unter Anwendung von Fernröhren wachsender Stärke wird jedes nachfolgende auflösen, was das vorhergehende unaufgelöst gelassen hat; zugleich aber auch wenigstensVergl. Edinb. Review Vol. 87, 1848 p. 186. theilweise, wegen seiner zunehmenden raumdurchdringenden Kraft, die aufgelösten Nebel durch neue, vorher unerreichte, ersetzen. Auflösung des Alten und Entdeckung des Neuen, welches wieder eine Zunahme von optischer Stärke erheischt: würden demnach in endloser Reihe auf einander folgen. Sollte dem nicht so sein: so muß man sich nach meinem Bedünken entweder den gefüllten Weltraum begrenzt; oder die Weltinseln, zu deren einer wir gehören, dermaßen von einander entfernt denken, daß keines der noch zu erfindenden Fernröhre zu dem gegenüberliegenden Ufer hinüberreicht: und daß 323 unsere letzten (äußersten) Nebel sich in Sternhaufen auflösen, welche sich wie Sterne der Milchstraße »auf schwarzen, ganz dunstfreien Grund projiciren«Kosmos Bd. III. S. 183 und 212 (Anm. 1239).. Ist aber wohl ein solcher Zustand des Weltbaues und zugleich der Vervollkommnung optischer Werkzeuge wahrscheinlich, bei dem am ganzen Firmament kein unaufgelöster Nebelfleck mehr aufzufinden wäre?
Die hypothetische Annahme eines selbstleuchtenden Fluidums, das, scharf begrenzt, in runden oder ovalen Nebelflecken auftritt; muß nicht verwechselt werden mit der ebenfalls hypothetischen Annahme eines nicht leuchtenden, den Weltraum füllenden, durch seine Wellenbewegung Licht, strahlende Wärme und Electro-Magnetismus erzeugenden Aethers.Kosmos Bd. III. S. 44. Die Ausströmungen der Cometenkerne, als Schweife oft ungeheure Räume einnehmend, verstreuen ihren uns unbekannten Stoff zwischen die Planetenbahnen des Sonnensystems, welche sie durchschneiden. Getrennt von dem leitenden Kerne, hört aber der Stoff auf uns bemerkbar zu leuchten. Schon Newton hielt für möglich, daß »vapores ex Sole et Stellis fixis et caudis Cometarum« sich der Erd-Atmosphäre beimischen könnten.Newton, Philosophiae Naturalis Principia mathematica 1760 T. III. p. 671. In dem dunstartigen kreisenden, abgeplatteten Ringe des Zodiacalscheins hat noch kein Fernrohr etwas sternartiges entdeckt. Ob die Theilchen, aus welchen dieser Ring besteht und welche nach dynamischen Bedingungen von Einigen als um sich selbst rotirend, von Anderen als bloß um die Sonne kreisend gedacht werden, erleuchtet oder, wie mancher irdische NebelKosmos Bd. I. S. 146., selbstleuchtend sind: bleibt unentschieden. Dominicus Cassini glaubte, daß sie kleine planetenartige KörperKosmos Bd. I. S. 412 (Anm. 96). seien. Es ist wie ein Bedürfniß des sinnlichen Menschen, in allem Flüssigen discreteSir John Herschel, Capreise § 109–111. Molecular-Theile zu suchen, gleich den vollen oder hohlen Wolkenbläschen; und die Gradationen der 324 Dichtigkeits-Abnahme in unserem Planetensysteme von Merkur bis Saturn und Neptun (von 1,12 bis 0,14: die Erde = 1 gesetzt) führen zu den Cometen, durch deren äußere Kernschichten noch ein schwacher Stern sichtbar wird; ja sie führen allmälig zu discreten, aber so undichten Theilen, daß ihre Starrheit in großen oder kleinen Dimensionen fast nur durch Begrenztheit charakterisirt werden könnte. Es sind gerade solche Betrachtungen über die Beschaffenheit des scheinbar dunstförmigen Thierkreislichtes, welche Cassini lange vor Entdeckung der sogenannten Kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter und vor den Muthmaßungen über Meteor-Asteroiden auf die Idee geleitet hatten, daß es Weltkörper von allen Dimensionen und allen Arten der Dichtigkeit gebe. Wir berühren hier fast unwillkührlich den alten naturphilosophischen Streit über das primitiv Flüssige und das aus discreten Molecular-Theilen Zusammengesetzte: was freilich deshalb der mathematischen Behandlung zugänglicher ist. Um so schneller kehren wir zu dem rein Objectiven der Erscheinung zurück.
In der Zahl von 3926 (2451 + 1475) Positionen, welche zugehören: a) dem Theil des Firmaments, welcher in Slough sichtbar ist und welchen wir hier der Kürze wegen den nördlichen Himmel nennen wollen (nach drei Verzeichnissen von Sir William Herschel von 1786 bis 1802 und der oben erwähnten großen Musterung des Sohnes in den Philos. Transact. von 1833); und b) dem Theile des südlichen Himmels, welcher am Vorgebirge der guten Hoffnung sichtbar ist, nach den afrikanischen Catalogen von Sir John Herschel: finden sich Nebelflecke und Sternhaufen (Nebulae and Clusters of stars) unter einander gemengt. So innig auch diese Gegenstände ihrer Natur nach mit einander verwandt sein mögen, 325 habe ich sie doch, um einen bestimmten Zeitpunkt des schon Erkannten zu bezeichnen, in der Auszählung von einander gesondert. Ich findeDie Fundamente dieser Aufzählung erheischen hier eine Erläuterung. Die drei Cataloge von Herschel dem Vater enthalten 2500 Objecte, nämlich 2303 Nebel und 197 Sternhaufen (Mädler, Astr. S. 448). In der späteren, weit genaueren Musterung des Sohnes (Observations of Nebulae and Clusters of stars made at Slough with a twenty-feet Reflector between the years 1825 and 1833, in den Philosophical Transactions of the Royal Society of London for the year 1833 p. 365–481) wurden diese Zahlen verändert. Ohngefähr 1800 Objecte waren identisch mit denen der drei früheren Cataloge; drei- bis vierhundert aber wurden vorläufig ausgeschlossen, und mehr als fünfhundert neu entdeckte in Rectascension und Declination bestimmt (Struve, Astr. stellaire p. 48). Das nördliche Verzeichniß enthält 152 Sternhaufen, folglich 2307 - 152 = 2155 Nebelflecke: aber unter den Nummern des südlichen Catalogs sind (Capreise p. 3 § 6 und 7) von 4015 - 2307 = 1708 Objecten, unter denen sich 236 Sternhaufen finden, 233 abzuziehen (nämlich 89 + 135 + 9; s. Capreise p. 3 § 6–7 und p. 128) als zum nördlichen Verzeichniß gehörig, beobachtet von Sir William und Sir John Herschel in Slough und von Messier in Paris. Es bleiben also für die Cap-Beobachtungen übrig: 1708 - 233 = 1475 Nebel und Sternhaufen, oder 1239 Nebelflecke allein. Zu den 2307 Objecten des nördlichen Catalogus von Slough sind dagegen zuzurechnen 135 + 9 = 144. Es wird daher dieses nördliche Verzeichniß anwachsen zu 2451 Objecten: in denen, nach Abzug von 152 Clusters, 2299 Nebelflecke enthalten sind; welche Zahlen sich indeß nicht auf eine strenge Abgrenzung nach der Polhöhe von Slough beziehen. Wenn in der Topographie des Firmaments beider Hemisphären numerische Verhältnisse angegeben werden müssen; so glaubt der Verfasser auch in solchen Zahlen, die allerdings ihrer Natur wegen nach Verschiedenheit der Zeitepochen und den Fortschritten in der Beobachtung veränderlich sind, nicht unsorgfältig sein zu dürfen. Der »Entwurf zu einem Kosmos« soll streben den an eine bestimmte Epoche gebundenen Zustand des Wissens zu schildern. in dem nördlichen Catalog: der Nebelflecke 2299, der Sternhaufen 152; im südlichen oder Cap-Catalog: der Nebelflecke 1239, der Sternhaufen 236. Es ergiebt sich demnach für die Nebelflecke, welche in jenen Verzeichnissen, als noch nicht in Sternhaufen aufgelöst, angegeben werden, am ganzen Firmament die Zahl von 3538. Es kann dieselbe wohl bis 4000 vermehrt werden: wenn man in Betrachtung zieht drei- bis vierhundert von Herschel dem Vater gesehene»There are between 300 and 400 Nebulae of Sir William Herschel's Catalogue still unobserved by me, for the most part very faint objects....«; heißt es in den Cap-Beobachtungen p. 134. und nicht wieder bestimmte; wie die von Dunlop in Paramatta mit einem neunzölligen Newton'schen Reflector beobachteten 629, von denen Sir John Herschel nur 206 seinem Verzeichniß angeeignet hat.A. a. O. § 7. (Vergl. Dunlop's Catalogue of Nebulae and Clusters of the Southern Hemisphere in den Philos. Transact. for 1828 p. 114–146.) Ein ähnliches Resultat haben neuerlichst auch Bond und Mädler veröffentlicht. Die Zahl der Nebelflecke scheint sich also zu der der Doppelsterne in dem jetzigen Zustande der Wissenschaft ohngefähr wie 2 : 3 zu verhalten; aber man darf nicht vergessen, daß unter der Benennung von Doppelsternen die bloß optischen mit begriffen sind, und daß man bisher nur erst in dem neunten, vielleicht gar nur im achten Theile Positions-Veränderungen erkannt hat.Kosmos Bd. III. S. 297.
Die oben gefundenen Zahlen: 2299 Nebelflecke neben 152 Sternhaufen in dem nördlichen, und nur 1239 Nebelflecke neben 236 Sternhaufen in dem südlichen Verzeichnisse, zeigen, bei der geringeren Anzahl von Nebelflecken in der südlichen Hemisphäre, dort ein Uebergewicht von Sternhaufen. Nimmt man an, daß alle Nebelflecke ihrer wahrscheinlichen Beschaffenheit nach auflösbar: nur fernere Sternhaufen, oder aus kleineren und weniger gedrängten, selbstleuchtenden 326 Himmelskörpern zusammengesetzte Sterngruppen sind; so bezeichnet dieser scheinbare Contrast, auf dessen Wichtigkeit schon Sir John Herschel um so mehr aufmerksam gemacht hatCapreise § 105–107., als von ihm in beiden Hemisphären Reflectoren von gleicher Stärke angewandt worden sind, auf das wenigste eine auffallende Verschiedenheit in der Natur und Weltstellung der Nebel: d. h. in Hinsicht der Richtungen, nach denen hin sie sich den Erdbewohnern am nördlichen oder südlichen Firmamente darbieten.
Dem eben genannten großen Beobachter verdanken wir auch die erste genaue Kenntniß und kosmische Uebersicht von der Vertheilung der Nebel und Sterngruppen an der ganzen Himmelsdecke. Er hat: um ihre Lage, ihre relative locale Anhäufung, die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit ihrer Folge nach gewissen Gruppirungen und Zügen zu ergründen, viertehalbtausend Gegenstände graphisch in Fächer eingetragen, deren Seiten in der Declination 3°, in der Rectascension 15' messen. Die größte Anhäufung von Nebelflecken des ganzen Firmaments findet sich in der nördlichen Hemisphäre. Es ist dieselbe verbreitet: durch die beiden Löwen; den Körper, den Schweif und die Hinterfüße des Großen Bären; die Nase der Giraffe, den Schwanz des Drachen, die beiden Jagdhunde, das Haupthaar der Berenice (wo der Nordpol der MilchstraßeIn der großen Ausgabe [nicht der vorliegenden] des Kosmos Bd. III. S. 181 Zeile 6 von unten sind durch einen Druckfehler die Wörter Südpol und Nordpol mit einander verwechselt. liegt), den rechten Fuß des Bootes; und vor allem das Haupt, die Flügel und die Schulter der Jungfrau. Diese Zone, welche man die Nebel-Region der Jungfrau genannt hat, enthält, wie wir schon oben erwähnt haben, in einem Raume»In this Region of Virgo, occupying about one-eighth of the whole surface of the sphere, one-third of the entire nebulous contents of the heavens are congregated.« Outline p. 596., welcher den achten Theil der Oberfläche der ganzen Himmelssphäre ausfüllt, ⅓ von der gesammten Nebelwelt. Sie überschreitet wenig den Aequator; nur 327 von dem südlichen Flügel der Jungfrau dehnt sie sich aus bis zur Extremität der Großen Wasserschlange und zum Kopf des Centauren, ohne dessen Füße und das südliche Kreuz zu erreichen. Eine geringere Anhäufung von Nebeln an dem nördlichen Himmel ist die, welche sich weiter als die vorige in die südliche Hemisphäre erstreckt. Sir John Herschel nennt sie die Nebel-Region der Fische. Sie bildet eine Zone: von der Andromeda, die sie fast ganz erfüllt, gegen Brust und Flügel des Pegasus, gegen das Band, welches die Fische verbindet, den südlichen Pol der Milchstraße und Fomalhaut hin. Einen auffallenden Contrast mit diesen Anhäufungen macht der öde, nebelarme Raum um Perseus, Widder, Stier, Kopf und oberen Leib des Orion; um Fuhrmann, Hercules, Adler und das ganze Sternbild der Leier.Ueber diese barren region s. Capreise § 101 p. 135. Wenn man aus der in dem Werte über die Cap-Beobachtungen mitgetheilten Uebersicht aller Nebelflecke und Sternhaufen des nördlichen Catalogs (von Slough), nach einzelnen Stunden der Rectascension vertheilt, 6 Gruppen von je 4 Stunden zusammenzieht, so erhält man:
RA. | 0h | – | 4h | . . . . | 311 |
4 | – | 8 | . . . . | 179 | |
8 | – | 12 | . . . . | 606 | |
12 | – | 16 | . . . . | 850 | |
16 | – | 20 | . . . . | 121 | |
20 | – | 0 | . . . . | 239. |
In der sorgfältigeren Scheidung nach nördlicher und südlicher Declination findet man, daß in den 6 Stunden Rectascension von 9h – 15h in der nördlichen Hemisphäre allein 1111 Nebelflecke und Sternhaufen zusammengehäuft sindIch gründe mich in diesen numerischen Angaben auf Summirung derjenigen Zahlen, welche die Projection des nördlichen Himmels (Capreise Pl. XI darbietet., nämlich:
328 von | 9h | – | 10h | . . . . | 90 |
10 | – | 11 | . . . . | 150 | |
11 | – | 12 | . . . . | 251 | |
12 | – | 13 | . . . . | 309 | |
13 | – | 14 | . . . . | 181 | |
14 | – | 15 | . . . . | 130 |
Das eigentliche nördliche Maximum liegt also zwischen 12h und 13h, dem nördlichen Pole der Milchstraße sehr nahe. Weiter hin zwischen 15h und 16h gegen den Hercules zu ist die Verminderung so plötzlich, daß auf die Zahl 130 unmittelbar 40 folgt.
In der südlichen Hemisphäre ist nicht bloß eine geringere Anzahl von Nebelflecken, sondern auch eine weit gleichförmigere Vertheilung erkannt worden. Nebelleere Räume wechseln dort häufig mit sporadischen Nebeln; eine eigentliche locale Anhäufung, und zwar eine noch gedrängtere als in der Nebel-Region der Jungfrau am nördlichen Himmel, findet man nur in der Großen Magellanischen Wolke: welche allein an 300 Nebelflecke enthält. Die Gegend zunächst den Polen ist in beiden Hemisphären nebelarm, und bis 15° Polar-Distanz ist sie um den südlichen Pol im Verhältniß von 7 zu 4 noch ärmer als um den nördlichen Pol. Der jetzige Nordpol hat einen kleinen Nebelfleck, welcher nur 5 Minuten von ihm entfernt liegt; ein ähnlicher, den Sir John Herschel mit Recht »Nebula Polarissima Australis« nennt (No. 3176 seines Cap-Catalogs; RA. 9h 27' 56", N.P.D. 179° 34' 14"), steht noch 25 Minuten vom Südpole ab. Diese Stern-Oedigkeit des Südpols, der Mangel eines dem unbewaffneten Auge sichtbaren Polarsterns war schon der Gegenstand bitterer Klagen von Amerigo Vespucci 329 und Vicente Yañez Pinzon, als sie am Ende des 15ten Jahrhunderts weit über den Aequator bis zum Vorgebirge San Augustin vordrangen; und als der Erstere sogar die irrige Meinung aussprach, daß die schöne Stelle des Dante: »Io mi volsi a man destra e posi mente.....«, wie die vier Sterne »non viste mai fuor ch'alla prima gente«, sich auf antarctische Polarsterne bezögen.Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. IV. p. 319. – In der langen Reihe von Seefahrten, welche die Portugiesen unter dem Einfluß des Infanten Don Henrique längs der Westküste von Afrika unternahmen, um bis zum Aequator vorzudringen, war der Venetianer Cadamosto (eigentlich genannt Alvise da Ca da Mosto), als er sich mit Antoniotto Usodimare an der Mündung des Senegal 1454 vereinigt hatte, zuerst mit der Lage und Aufsuchung eines Süd-Polarsterns beschäftigt gewesen. »Da ich«, sagt er, »noch den Nord-Polarstern sehe (er befand sich ohngefähr in 13° nördlicher Breite), so kann ich nicht den südlichen selbst sehen; aber die Constellation, welche ich gegen Süden erblicke, ist der Carro del ostro (der Wagen des Südens).« (Aloysii Cadam. Navig. cap. 43 p. 32; Ramusio, delle Navigationi et Viaggi Vol. I. p. 107.) Sollte er sich aus einigen großen Sternen des Schiffes einen Wagen gebildet haben? Die Idee, daß beide Pole jeder einen Wagen hätten, scheint damals so verbreitet gewesen zu sein, daß in dem Itinerarium Portugallense 1508 fol. 23, b und in Grynäus, Novus Orbis 1532 p. 58 eine ganz dem Kleinen Bär ähnliche Constellation als von Cadamosto gesehen abgebildet wurde: während Ramusio (Navigationi Vol. I. p. 107) und die neue Collecção para a hist. e geogr. das Nações Ultramarinas (T. II. Lisboa 1812 p. 57 cap. 39) statt dessen eben so willkührlich das südliche Kreuz abbilden (Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. V. p. 236). Weil man im Mittelalter: wahrscheinlich um die zwei Tänzer, χορευταί, des Hygin (Poet. astron. III, 1), d. i. die Ludentes des Scholiasten zum Germanicus oder Custodes des Vegetius, im Kleinen Wagen zu ersetzen, die Sterne β und γ des Kleinen Bären wegen ihres Kreisens um den nahen Nordpol zu Wächtern dieses Pols (le due Guardie, the Guards) bestellt hatte; und da diese Benennung, wie der Gebrauch der Wächter zu Bestimmung der Polhöhe (Pedro de Medina, Arte de Navegar 1545 libro V cap. 4–7 p. 183–195), bei den europäischen Piloten aller Nationen in den nördlichen Meeren weit verbreitet war: so führten Trugschlüsse der Analogie ebenfalls dahin, daß man am südlichen Horizont zu erkennen glaubte, was man lange vorher gesucht. Erst als Amerigo Vespucci auf seiner zweiten Reise (Mai 1499 bis Sept. 1500) und Vicente Yañez Pinzon (beide Reisen sind vielleicht eine und dieselbe) in der südlichen Hemisphäre bis zum Cap San Augustin gelangten, beschäftigten sie sich fleißig, aber vergebens, mit dem Aufsuchen eines sichtbaren Sterns in der unmittelbaren Nähe des Südpols. (Bandini, Vita e Lettere di Amerigo Vespucci 1745 p. 70; Anghiera, Oceanica 1510 Dec. I. lib. 9 p. 96; Humboldt, Examen crit. T. IV. p. 205, 319 und 325.) Der Südpol lag damals in der Constellation des Octanten: so daß β der Kleinen Wasserschlange, wenn man die Reduction nach dem Catalogus von Brisbane macht, noch volle 80° 5' südliche Declination hatte. »Indem ich mit den Wundern des südlichen Himmels beschäftigt war und umsonst einen Süd-Polarstern suchte«, sagt Vespucci in dem Briefe an Pietro Francesco de' Medici, »erinnerte ich mich der Worte (de un detto) unseres Dante, als er im 1ten Capitel des Purgatorio fingirt aus einer Hemisphäre in die andere überzugehen, den antarctischen Pol beschreiben will und singt: Io mi volsi a man destra..... Mein Glaube ist, daß in diesen Versen der Dichter durch seine vier Sterne (non viste mai fuor ch'alla prima gente) den Pol des anderen Firmaments hat bezeichnen wollen. Ich bin um so gewisser, daß dem so sei, als ich in der That vier Sterne sah, die zusammen eine mandorla bildeten und eine geringe (?) Bewegung haben.« Vespucci meint das südliche Kreuz, la croce maravigliosa des Andrea Corsali (Brief aus Cochin vom 6 Januar 1515 in Ramusio Vol. I. p. 177), dessen Namen er noch nicht kannte, das später allen Piloten (wie am Nordpole β und γ des Kleinen Bären) zur Aufsuchung des Südpols (Mém. de l'Acad. des Sc. 1666–1699 T. VII. Part. 2. Paris 1729 p. 58) und zu Breiten-Bestimmungen (Pedro de Medina, Arte de Navegar 1545 libro V cap. 11 p. 204) diente. Vergl. meine Untersuchung der berühmten Stelle des Dante in dem Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. IV. p. 319–334. Eben da habe ich auch daran erinnert, daß α des südlichen Kreuzes, mit welchem in neuerer Zeit Dunlop (1826) und Rümker (1836) sich in Paramatta beschäftigt haben, zu den Sternen gehört, deren Vielfachheit am frühesten 1681 und 1687 von den Jesuiten Fontaney, Noël und Richaud erkannt worden ist. (Hist. de l'Acad. depuis 1686–1699 T. VII, 2. Par. 1729 p. 206; Lettres édifiantes, Recueil VII. 1703 p. 79.) Ein so frühes Erkennen von binären Systemen, lange vor dem von ζ Ursae maj. (Kosmos Bd. III. S. 291), ist um so merkwürdiger, als 70 Jahre darauf Lacaille α Crucis nicht als Doppelstern beschreibt: vielleicht weil (wie Rümker vermuthet) damals der Hauptstern und der Begleiter in allzu kleiner Entfernung von einander standen. (Vergl. Sir John Herschel, Capreise § 183–185.) Fast zugleich mit der Doppeltheit von α Crucis wurde von Richaud auch die von α Centauri entdeckt: und zwar 19 Jahre vor Feuillée's Reise, welchem Henderson diese Entdeckung irrig zuschrieb. Richaud bemerkt: »daß zur Zeit des Cometen von 1689 die beiden Sterne, welche den Doppelstern α Crucis bilden, beträchtlich von einander abstanden; daß aber in einem 12füßigen Refractor die beiden Theile von α Centauri zwar deutlichst zu erkennen waren, sich aber fast zu berühren schienen.«
Wir haben bisher die Nebel in Hinsicht auf ihre Zahl und ihre Vertheilung an der Himmelsdecke, an dem, was wir das Firmament nennen, betrachtet: eine scheinbare Vertheilung, welche man nicht mit der wirklichen in den Welträumen verwechseln muß. Von dieser Untersuchung gehen wir nun zu der wundersamen Verschiedenheit ihrer individuellen Gestaltung über. Diese ist bald regelmäßig (kugelförmig, elliptisch in verschiedenen Graden, ringförmig, planetarisch, oder gleich einer Photosphäre einen Stern umgebend); bald unregelmäßig, und so schwer zu classificiren wie die geballten Wassernebel unseres Luftkreises, die Wolken. Als Normal-GestaltCapreise § 44 und 104. der Nebelflecke am Firmament wird die elliptische (sphäroidische) genannt: die, bei derselben Stärke des Fernrohrs, wenn sie in die kugelförmige übergeht, sich am leichtesten in einen Sternhaufen verwandelt; wenn sie dagegen sehr abgeplattet, nach einer Dimension verlängert und scheibenförmig erscheint, um so schwererKosmos Bd. III. S. 179 und 211 [Anm. 1229]. Doch ist es, wie wir schon oben bei den Sternhaufen bemerkt haben (a. a. O. S. 180), Herrn Bond in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, durch die außerordentliche raumdurchdringende Kraft seines Refractors, geglückt den sehr länglich gestreckten, elliptischen Nebel der Andromeda, welcher nach Bouillaud schon vor Simon Marius 985 und 1428 beschrieben wurde und einen röthlichen Schimmer hat, gänzlich aufzulösen. In der Nachbarschaft dieses berühmten Nebelfleckes befindet sich der noch unaufgelöste, aber in Gestaltung sehr ähnliche, welchen meine, in hohem Alter dahingeschiedene, allgemein verehrte Freundinn, Miß Carolina Herschel, am 27 August 1783 entdeckte (Philos. Transact. 1833 No. 61 des Verzeichnisses der Nebelflecke, fig. 52). auflöslich wird. Allmälige Uebergänge der Gestalten vom Runden zum länglich Elliptischen und Pfriemförmigen (Philos. Transact. 1833 p. 494 Pl. IX fig. 19–24) sind mehrfach am Himmel aufzufinden. Die Verdichtung des milchigen Nebels ist stets gegen ein Centrum, bisweilen selbst nach mehreren Centralpunkten (Kernen) 330 zugleich gerichtet. Nur in der Abtheilung der runden oder ovalen Nebel kennt man Doppelnebel: bei denen, da keine relative Bewegung unter den Individuen bemerkbar wird (weil sie fehlt oder außerordentlich langsam ist), das Criterium mangelt, durch welches eine gegenseitige Beziehung zu einander erwiesen werden kann, wie bei Sonderung der physischen von den bloß optischen Doppelsternen. (Abbildungen von Doppelnebeln findet man in den Philos. Transact. for the year 1833 fig, 68–71. Vergl. auch Herschel, outlines of Astr. § 878 Observ. at the Cape of Good Hope § 120.)
Ringförmige Nebel gehören zu den seltensten Erscheinungen. Man kennt deren in der nördlichen Hemisphäre jetzt nach Lord Rosse sieben. Der berühmteste der Nebelringe liegt zwischen β und γ Lyrae (No. 57 Messier, No. 3023 des Catalogs von Sir John Herschel): und ist 1779 von Darquier in Toulouse entdeckt, als der von Bode aufgefundene Comet in seine Nähe kam. Er ist fast von der scheinbaren Größe der Jupitersscheibe, und elliptisch im Verhältniß seiner Durchmesser wie 4 zu 5. Das Innere des Ringes ist keinesweges schwarz, sondern etwas erleuchtet. Schon Sir William Herschel hatte einige Sterne im Ringe erkannt, Lord Rosse und Bond haben ihn ganz aufgelöst.Annular Nebula: Capreise §. 53, outlines of Astr. p. 602; Nébuleuse perforée: Arago im Annuaire pour 1842 p. 423; Bond in Schum. astr. Nachr. No. 611. Vollkommen schwarz in der Höhlung des Ringes sind dagegen die schönen Nebelringe der südlichen Hemisphäre No. 3680 und 3686. Der letztere ist dazu nicht elliptisch, sondern vollkommen rund;Capreise p. 114 Pl. VI fig. 3 und 4; vergl. auch No. 2072 in den Philos. Transact. for 1833 p. 466. Lord Rosse's Abbildungen des Ringnebels in der Leier und der sonderbaren Crab-Nebula s. in Nichol's thoughts on the System of the World p. 21 Pl. IV und p. 22 Pl. I fig. 5. alle sind wahrscheinlich ringförmige Sternhaufen. Mit der zunehmenden Mächtigkeit optischer Mittel erscheinen übrigens im allgemeinen sowohl elliptische als ringförmige Nebelflecke in ihren Umrissen weniger abgeschlossen. In dem Riesenfernrohr des Lord Rosse zeigt sich sogar 331 der Ring der Leier wie eine einfache Ellipse mit sonderbar divergirenden, fadenförmigen Nebel-Ansätzen. Besonders auffallend ist die Umformung eines für schwächere Fernröhre einfach elliptischen Nebelfleckes in Lord Rosse's Krebs-Nebel (Crab-Nebula).
Weniger selten als Ringnebel, aber doch nach Sir John Herschel nur 25 an Zahl, von denen fast ¾ in der südlichen Hemisphäre liegen, sind die sogenannten planetarischen Nebelflecke: welche zuerst Herschel der Vater entdeckt hat und welche zu den wundersamsten Erscheinungen des Himmels gehören. Sie haben die auffallendste Aehnlichkeit mit Planetenscheiben. Der größere Theil ist rund oder etwas oval; bald scharf begrenzt, bald verwaschen und dunstig an den Rändern. Die Scheiben vieler haben ein sehr gleichförmiges Licht, andere sind wie gesprenkelt oder schwach gefleckt (mottled or of a peculiar texture, as if curdled). Man sieht nie Spuren einer Verdichtung gegen das Centrum. Fünf planetarische Nebelflecke hat Lord Rosse als Ringnebel erkannt, mit 1 oder 2 Centralsternen. Der größte planetarische Nebelfleck liegt im Großen Bären (unfern β Ursae maj.) und wurde von Méchain 1781 entdeckt. Der Durchmesser der ScheibeBetrachtet man den planetarischen Nebelfleck im Großen Bären als eine Sphäre von 2' 40" scheinbaren Durchmessers »und nimmt die Entfernung derselben gleich der bekannten von 61 Cygni; so erhält man einen wirklichen Durchmesser der Sphäre, der 7mal größer wäre als die Bahn, welche Neptun beschreibt.« Outlines § 876. ist 2' 40". Der planetarische Nebel im südlichen Kreuz (No. 3365, Capreise p. 100) hat bei einer Scheibe von kaum 12" Durchmesser doch die Helligkeit eines Sterns 6.7ter Größe. Sein Licht ist indigoblau; und eine solche bei Nebelflecken merkwürdige Färbung findet sich auch bei drei anderen Gegenständen derselben Form, in denen jedoch das Blau eine geringere Intensität hat.Outlines p. 603, Capreise § 47. Ein orangenrother Stern 8m ist in der Nähe von No. 3365; aber der planetarische Nebel bleibt auch dann tief indigblau, wenn der rothe Stern nicht im Felde des Telescops ist. Die Färbung ist also nicht Folge des Contrastes. Die blaue Färbung einiger planetarischen Nebel spricht gar nicht gegen die Möglichkeit, daß sie aus kleinen Sternen zusammengesetzt seien; 332 denn wir kennen blaue Sterne nicht bloß in beiden Theilen eines Doppelsternpaars: sondern auch ganz blaue Sternhaufen, oder solche, die mit rothen und gelben Sternchen vermischt sind.Kosmos Bd. III. S. 173, 299 und 309 [Anm. 1337]. Der Begleiter und der Hauptstern sind blau oder bläulich in mehr als 63 Doppelsternen. Indigblaue Sternchen sind eingemengt in den prachtvollen, vielfarbigen Sternhaufen No. 3435 des Cap-Catalogs (Dunlop's Cat. No. 301). Ein ganzer einförmig blauer Sternhaufen steht am südlichen Himmel (No. 573 von Dunlop, No. 3770 von John Herschel). Es hat derselbe 3½ Minuten im Durchmesser, mit Ausläufern von 8 Minuten Länge: die Sternchen sind 14ter und 16ter Größe. (Capreise § 119.)
Die Frage: ob die planetarischen Nebelflecke sehr ferne Nebelsterne sind, in denen der Unterschied zwischen einem erleuchtenden Centralsterne und der ihn umgebenden Dunsthülle für unser telescopisches Sehen verschwindet; habe ich schon in dem Anfange des Naturgemäldes berührt.Kosmos Bd. I. S. 88 und 387 [Anm. 32]. Vergl. outlines of Astronomy § 877. Möchte durch Lord Rosse's Riesentelescop doch endlich die Natur so wunderbarer planetarischer Dunstscheiben erforscht werden! Wenn es schon so schwierig ist sich von den verwickelten dynamischen Bedingungen einen klaren Begriff zu machen, unter denen in einem kugelrunden oder sphäroidisch abgeplatteten Sternhaufen die rotirenden, zusammengedrängten und gegen das Centrum hin specifisch dichteren Sonnen (Fixsterne) ein System des Gleichgewichts bildenUeber die Verwickelung der dynamischen Verhältnisse bei den partiellen Attractionen im Inneren eines kugelrunden Sternhaufens, welcher für schwache Telescope als ein runder, gegen das Centrum dichterer Nebelfleck erscheint, s. Sir John Herschel in: outl. of Astr. § 866 und 872, Capreise § 44 und 111–113, Philos. Transact. for 1833 p. 501, Address of the President in dem Report of the 15th meeting of the British Association 1845 p. XXXVII.; so nimmt diese Schwierigkeit noch mehr in denjenigen kreisrunden, wohlumgrenzten, planetarischen Nebelscheiben zu, welche eine ganz gleichförmige, im Centrum gar nicht verstärkte Helligkeit zeigen. Ein solcher Zustand ist mit der Kugelform (mit dem Aggregat-Zustande vieler tausend Sternchen) weniger als mit der Idee einer gasförmigen Photosphäre zu vereinigen: die man in unserer Sonne mit einer dünnen, undurchsichtigen oder doch sehr schwach erleuchteten Dunstschicht bedeckt glaubt. Scheint das Licht in der planetarischen Nebelscheibe nur darum so gleichförmig verbreitet, weil wegen großer Ferne der Unterschied zwischen Centrum und Rand verschwindet?
Die vierte und letzte Formgattung der regelmäßigen Nebel sind William Herschel's Nebelsterne Nebulous Stars: d. i. wirkliche Sterne, mit einem milchigen Nebel umgeben, 333 welcher sehr wahrscheinlich in Beziehung zu dem Centralsterne steht und von diesem abhängt. Ob der Nebel, welcher nach Lord Rosse und Dr. Stoney bei einigen ganz ringförmig erscheint (Philos. Transact. for 1850 Pl. XXXVIII fig. 15 und 16) selbstleuchtend ist und eine Photosphäre wie bei unserer Sonne bildet; ob er (was wohl weniger wahrscheinlich) von der Centralsonne bloß erleuchtet wird: darüber herrschen sehr verschiedenartige Meinungen. Derham und gewissermaßen auch Lacaille, welcher am Vorgebirge der guten Hoffnung viele Nebelsterne aufgefunden, glaubten, daß die Sterne weit vor den Nebeln ständen und sich auf diese projicirten. Mairan scheint zuerst (1731) die Ansicht ausgesprochen zu haben, daß die Nebelsterne von einer Licht-Atmosphäre umgeben seien, die ihnen angehöre.Mairan, traité de l'Aurore boréale p. 263 (Arago im Annuaire pour 1842 p. 403–413). Man findet selbst größere Sterne (z. B. 7ter Größe, wie in No. 675 des Cat. von 1833), deren Photosphäre einen Durchmesser von 2 bis 3 Minuten hat.Andere Beispiele von Nebelsternen sind nur 8m bis 9m: wie No. 311 und 450 des Catalogs von 1833 fig. 1, mit Photosphären von 1' 30" (outlines of Astr. § 879).
Eine Classe von Nebelflecken, welche von der bisher beschriebenen, sogenannten regelmäßigen und immer wenigstens schwach begrenzten gänzlich abweicht, sind die großen Nebelmassen von unregelmäßiger Gestaltung. Sie zeichnen sich durch die verschiedenartigsten unsymmetrischen Formen mit unbestimmten Umrissen und verwaschenen Rändern aus. Es sind räthselhafte Naturerscheinungen sui generis, die hauptsächlich zu den Meinungen von der Existenz kosmischen Gewölkes und selbstleuchtender Nebel, welche in den Himmelsräumen zerstreut und dem Substratum des Thierkreislichtes ähnlich seien, Anlaß gegeben haben. Einen auffallenden Contrast bieten solche irreguläre Nebel dar, die mehrere Quadratgrade des Himmelsgewölbes bedecken: mit der kleinsten aller regulären, isolirten und ovalen Nebelscheiben, 334 welche die Lichtstärke eines telescopischen Sterns 14ter Größe hat, und zwischen dem Altar und dem Paradiesvogel in der südlichen Hemisphäre liegt.Capreise p. 117 No. 3727, Pl. VI fig. 16. Nicht zwei von den unsymmetrischen, diffusen Nebelmassen gleichen einander;Merkwürdige Formen der unregelmäßigen Nebel sind: die omega-artige (Capreise Pl. II fig. 1 No. 2008; auch untersucht und beschrieben von Lamont und einem hoffnungsvollen, der Wissenschaft zu früh entrissenen, nordamerikanischen Astronomen, Mr. Mason, in den Mem. of the Amer. Philos. Soc. Vol. VII. p.177); ein Nebel mit 6 bis 8 Kernen (Capreise P. 19 Pl. III fig. 4): die cometenartigen, büschelförmigen, in denen die Nebelstrahlen bisweilen wie von einem Stern 9m ausgehen (Pl. VI fig. 18 No. 2534 und 3688); ein Silhouetten-Profil, büstenartig (Pl. IV fig. 4 No. 3075); eine Spaltöffnung, die einen fadenförmigen Nebel einschließt (No. 3501 Pl. IV fig. 2). Outlines of Astronomy § 883, Capreise § 121. aber, setzt nach vieljähriger Beobachtung Sir John Herschel hinzu, »was man in allen erkennt und was ihnen einen ganz eigenthümlichen Charakter giebt: ist, daß alle in oder sehr nahe den Rändern der Milchstraße liegen, ja als Ausläufer von ihr betrachtet werden können«. Dagegen sind die regelmäßig gestalteten, meist wohlumgrenzten, kleinen Nebelflecke theils über den ganzen Himmel zerstreut, theils zusammengedrängt fern von der Milchstraße in eigenen Regionen: in der nördlichen Hemisphäre in den Regionen der Jungfrau und der Fische. Sehr entfernt von dem sichtbaren Rande der Milchstraße (volle 15 °) liegt allerdings die große irreguläre Nebelmasse im Schwerdt des Orion; doch aber gehört auch sie vielleicht der Verlängerung des Zweiges der Milchstraße an, welcher von α und ε des Perseus sich gegen Aldebaran und die Hyaden zu verlieren scheint und dessen wir schon oben (Kosmos Bd. III. S. 185) erwähnt haben. Die schönsten Sterne, welche der Constellation des Orion ihre alte Berühmtheit gegeben, werden ohnedies zu der Zone sehr großer und wahrscheinlich uns naher Gestirne gerechnet, deren verlängerte Richtung ein durch ε Orionis und α Crucis gelegter größter Kreis in der südlichen Milchstraße bezeichnet.Kosmos Bd. III. S. 185; outlines § 785.
Eine früher weit verbreiteteKosmos Bd. I. S. 157 und 415 (Anm. 113); Sir John Herschel, erste Ausgabe des Handbuchs der Astronomie (a treatise on Astronomy 1833, in Lardner's Cabinet Cyclopaedia) § 616; Littrow, theoretische Astronomie 1834 Th. II. § 234. Meinung von einer Milchstraße der Nebelflecke, welche die Milchstraße der Sterne ohngefähr rechtwinklig schneide, ist durch neuere und genauere Beobachtungen über Verbreitung der symmetrischen Nebelflecke am Himmelsgewölbe keineswegesS. Edinb. Review Jan. 1848 p. 187 und Capreise § 96 und 107. »A zone of nebulae«, sagt Sir John Herschel, »encircling the heavens, has so many interruptions and is so faintly marked out through by far the greater part of the circumference, that its existence as such can be hardly more than suspected.« bestätigt worden. 335 Es giebt allerdings, wie eben erinnert worden ist, sehr große Anhäufungen an dem nördlichen Pole der Milchstraße, auch eine ansehnliche Fülle bei den Fischen am südlichen Pole; aber eine Zone, welche diese Pole mit einander verbände und durch Nebelflecke bezeichnet würde, kann der vielen Unterbrechungen wegen nicht als ein größter Zirkel aufgefunden werden. William Herschel hatte 1784, am Schlusse der ersten Abhandlung über den Bau des Himmels, diese Ansicht auch nur mit der, den Zweifel nicht ausschließenden Vorsicht entwickelt, welche eines solchen Forschers würdig war.
Von den unregelmäßigen oder vielmehr unsymmetrischen Nebeln sind einige (im Schwerdt des Orion, bei η Argûs im Schützen und im Schwan) merkwürdig durch ihre außerordentliche Größe, andere (No. 27 und 51 des Verzeichnisses von Messier) durch ihre besondere Gestalt.
Was den großen Nebelfleck im Schwerdte des Orion betrifft: so ist schon früher bemerkt worden, daß Galilei, der sich so viel mit den Sternen zwischen dem Gürtel und dem Schwerdt des Orion beschäftigt»Es ist wohl kein Zweifel«, schreibt Dr. Galle, »daß in der Zeichnung (Opere di Galilei, Padova 1744, T. II. p. 14 No. 20), welche Sie mir mittheilen, auch der Gürtel des Orion und das Schwerdt mit enthalten sind, folglich auch der Stern ϑ; aber bei der augenfälligen Ungenauigkeit der Abbildung sind die drei kleinen Sterne am Schwerdte, deren mittelster ϑ ist und die (für das unbewaffnete Auge) wie in gerader Linie stehen, schwer herauszufinden. Ich vermuthe, daß Sie den Stern ι richtig bezeichnet haben, und daß der helle Stern rechts daneben oder der Stern unmittelbar darüber ϑ ist.« Galilei sagt ausdrücklich: »in primo integram Orionis Constellationem pingere decreveram: verum, ab ingenti stellarum copia, temporis vero inopia obrutus, aggressionem hanc in aliam occasionem distuli.« Die Beschäftigung Galilei's mit der Constellation des Orion ist um so merkwürdiger, als 400 Sterne, die er zwischen dem Gürtel und dem Schwerdte auf 10 Quadratgraden zu zählen glaubte (Nelli, Vita di Galilei Vol. I. p. 208), spät noch Lambert (cosmolog. Briefe 1760 S. 155) zu der unrichtigen Schätzung von 1650000 Sternen am ganzen Firmament (Struve, Astronomie stellaire p. 14 und note 16) verleiteten., ja eine Karte dieser Gegend entworfen hat, nie desselben erwähnt. Was er Nebulosa Orionis nennt und neben Nebulosa Praesepe abbildet, erklärt er ausdrücklich für eine Anhäufung kleiner Sterne (stellarum constipatarum) im Kopfe des Orion. In der Zeichnung, die in dem Sidereus Nuncius § 20 von dem Gürtel bis zum Anfang des rechten Schenkels (α Orionis) reicht, erkenne ich über dem Stern ι den vielfachen Stern ϑ. Die Vergrößerungen, welche Galilei anwandte, erhoben sich von der achtmaligen nur zur dreißigmaligen. Da der Nebel im Schwerdte nicht isolirt steht, sondern in unvollkommenen Fernröhren oder bei trüber Luft eine Art Hof um den Stern ϑ 336 bildet, so möchte dem großen Florentiner Beobachter deshalb seine individuelle Existenz und seine Gestaltung entgangen sein. Es war derselbe ohnedies wenig zur Annahme von Nebeln geneigt.Kosmos Bd. II. S. 369. Erst 14 Jahre nach Galilei's Tode, im Jahr 1656, entdeckte Huygens den großen Orions-Nebel: er gab eine rohe Abbildung desselben in dem Systema Saturnium, das 1659 erschien. »Als ich«, sagt der große Mann, »durch einen Refractor von 23 Fuß Focallänge die veränderlichen Streifen des Jupiter, einen dunklen Centralgürtel im Mars und einige schwache Phasen des Planeten beobachtete; ist mir in den Fixsternen eine Erscheinung vorgekommen, welche meines Wissens bisher noch von Niemand beobachtet worden ist und nur durch solche große Fernröhre genau erkannt werden kann, als ich anwende. Im Schwerdt des Orions werden von den Astronomen drei Sterne aufgezählt, die sehr nahe an einander liegen. Als ich nun zufällig im Jahr 1656 den mittleren dieser Sterne durch mein Fernrohr betrachtete, zeigten sich mir statt eines einzelnen Sternes zwölf, was (bei Fernröhren) allerdings nichts seltenes ist. Von diesen waren (wieder) drei fast einander berührend, und andere vier leuchteten wie durch einen Nebel: so daß der Raum um sie her, gestaltet, wie er in der beigefügten Figur gezeichnet ist, viel heller erschien als der übrige Himmel. Dieser war gerade sehr heiter und zeigte sich ganz schwarz; es war daher die Erscheinung, als gebe es hier eine Oeffnung (hiatus), eine Unterbrechung. Alles dies sah ich bis auf den heutigen Tag, mehrmals und in derselben Gestalt unverändert: also, daß dies Wunderwesen, was es auch sein möge, dort seinen Sitz wahrscheinlich für immer hat. Etwas ähnliches habe ich bei den übrigen Fixsternen nie gesehen.« (Der 337 54 Jahre früher von Simon Marius beschriebene Nebelfleck der Andromeda war ihm also unbekannt oder hatte ihm wenig Interesse erregt.) »Was man sonst für Nebel hielt«, setzt Huygens hinzu, »selbst die Milchstraße, durch Fernröhre betrachtet: zeigen nichts nebelartiges, und sind nichts anderes als eine in Haufen zusammengedrängte Vielzahl von Sternen.«»Ex his autem tres illae pene inter se contiguae stellae, cumque his aliae quatuor, velut trans nebulam lucebant: ita ut spatium circa ipsas, qua forma hic conspicitur, multo illustrius appareret reliquo omni caelo; quod cum apprime serenum esset ac cerneretur nigerrimum, velut hiatu quodam interruptum videbatur, per quem in plagam magis lucidam esset prospectus. Idem vero in hanc usque diem nihil immutata facie saepius atque eodem loco conspexi; adeo ut perpetuam illic sedem habere credibile sit hoc quidquid est portenti: cui certe simile aliud nusquam apud reliquas fixas potui animadvertere. Nam caeterae nebulosae olim existimatae, atque ipsa via lactea, perspicillo inspectae, nullas nebulas habere comperiuntur, neque aliud esse quam plurium stellarum congeries et frequentia.« Christiani Hugenii Opera varia Lugd. Bat. 1724 p. 540–541. Die Vergrößerung, welche Huygens in seinem 23füßigen Refractor anwandte, schätzte er selbst nur hundertfach (p. 538). Sind die quatuor stellae trans nebulam lucentes die Sterne des Trapez? Die kleine, sehr rohe Zeichnung (Tab. XLVII fig. 4, phenomenon in Orione novum) stellt nur eine Gruppe von 3 Sternen dar: allerdings neben einem Einschnitte, welchen man für den Sinus magnus halten möchte. Vielleicht sind nur die 3 Sterne im Trapez, welche 4ter bis 7ter Größe sind, verzeichnet. Auch rühmt Dominicus Cassini, daß der vierte Stern erst von ihm gesehen worden sei. Die Lebhaftigkeit dieser ersten Beschreibung zeugt von der Frische und Größe des Eindrucks; aber welch ein Abstand von dieser ersten Abbildung aus der Mitte des 17ten Jahrhunderts und den, etwas weniger unvollkommenen von Picard, le Gentil und Messier bis zu den herrlichen Zeichnungen von Sir John Herschel (1837) und William Cranch Bond (1848), dem Director der Sternwarte zu Cambridge in den V. St. von Nordamerika!William Cranch Bond in den Transactions of the American Academy of Arts and Sciences, new Series Vol. III. p. 87–96.
Der erste unter den zwei zuletzt genannten Astronomen hat den großen VorzugCapreise § 54–69 Pl. VIII; outlines of Astr. § 837 und 885 Pl. IV fig. 1. gehabt den Orions-Nebel seit 1834 am Vorgebirge der guten Hoffnung in einer Höhe von 60° und mit einem zwanzigfüßigen Reflector zu beobachten und seine frühereSir John Herschel in den Memoirs of the Astron. Soc. Vol. II. 1824 p. 487–495, Pl. VII und VIII. Die letzte Abbildung giebt die Nomenclatur der einzelnen Regionen des von so vielen Astronomen durchforschten Orions-Nebels. Abbildung von 1824–1826 noch zu vervollkommnen. In der Nähe von ϑ Orionis wurde die Position von 150 Sternen, meist 15ter bis 18ter Größe, bestimmt. Das berühmte Trapez, das nicht von Nebel umgeben ist, wird von vier Sternen 4m, 6m, 7m und 8m gebildet. Der 4te Stern ward (1666?) von Dominicus Cassini in BolognaDelambre, Hist. de l'Astr. moderne T. II. p. 700. Cassini rechnete die Erscheinung dieses vierten Sternes (»aggiunta della quarta stella alle tre contigue) zu den Veränderungen, welche der Orions-Nebel in seiner Zeit erlitten habe. entdeckt, der 5te (γ' im Jahr 1826 von Struve; der 6te, welcher 13ter Größe ist (α'), im Jahr 1832 von Sir John Herschel. Der Director der Sternwarte des Collegio romano, de Vico, hat angekündigt, im Anfange des Jahres 1839 durch seinen großen Refractor von Cauchoix innerhalb des Trapezes selbst noch drei andere Sterne aufgefunden zu haben. Sie sind 338 von Herschel dem Sohne und von William Bond nicht gesehen worden. Der Theil des Nebels, welcher dem fast unnebligen Trapez am nächsten liegt und gleichsam den vorderen Theil des Kopfes, über dem Rachen, die Regio Huygeniana, bildet; ist fleckig, von körniger Textur, und durch das Riesentelescop des Earl of Rosse wie in dem großen Refractor von Cambridge in den Vereinigten Staaten von Nordamerika in Sternhaufen aufgelöst»It is remarkable that within the area of the trapezium no nebula exists. The brighter portion of the nebula immediately adjacent to the trapezium, forming the square front of the head, is shown with the 18inch reflector broken up into masses, whose mottled and curdling light evidently indicates by a sort of granular texture its consisting of stars; and when examined under the great light of Lord Rosse's reflector or the exquisite defining power of the great achromatic at Cambridge, U. S., is evidently perceived to consist of clustering stars. There can therefore be little doubt as to the whole consisting of stars, too minute to be discerned individually even with the powerful aids, but which become visible as points of light when closely adjacent in the more crowded parts.« (Outlines p. 609.). William C. Bond, der einen 23füßigen, mit einem 14zölligen Objectiv versehenen Refractor anwandte, sagt: »there is a great diminution of light in the interior of the Trapezium, but no suspicion of a star« (Mem. of the Amer. Acad., new Series Vol. III. p. 93).. Unter den genauen neuen Beobachtern haben auch Lamont in München, Cooper und Lassell in England viele Positionen kleiner Sterne bestimmt; der Erste hat eine 1200malige Vergrößerung angewandt. Von Veränderungen in dem relativen Glanze und den Umrissen des großen Orions-Nebels glaubte Sir William Herschel sich durch Vergleichung seiner eigenen, mit denselben Instrumenten angestellten Beobachtungen von 1783–1811 überzeugt zu haben.Philos. Transact. for the year 1811 Vol. CI. p. 324. Bouillaud und le Gentil hatten eben dies vom Nebel der Andromeda behauptet. Die gründlichen Untersuchungen von Herschel dem Sohne machen diese, für erwiesen gehaltenen, kosmischen Veränderungen auf das wenigste überaus zweifelhaft.
Großer Nebelfleck um ηArgûs. – Es liegt derselbe in der, durch ihren prachtvollen Lichtglanz so ausgezeichneten Region der Milchstraße, welche sich von den Füßen des Centauren durch das südliche Kreuz nach dem mittleren Theile des Schiffes hinzieht. Das Licht, welches diese Region ausgießt, ist so außerordentlich, daß ein genauer, in der Tropenwelt von Indien heimischer Beobachter, der Capitän Jacob, ganz mit meiner vierjährigen Erfahrung übereinstimmend, bemerkt: man werde, ohne die Augen auf den Himmel zu richten, durch eine plötzliche Zunahme der Erleuchtung an den Aufgang des Kreuzes und der dasselbe begleitenden Zone erinnert.»Such is the general blaze from that part of the sky«, sagt der Capitän Jacob (Bombay Engineers) zu Punah, »that a person is immediately made aware of its having risen above the horizon, though he should not be at the time looking at the heavens, by the increase of general illumination of the atmosphere, resembling the effect of the young moon.« Transact. of the Royal Soc. of Edinburgh Vol. XVI. 1849 Part 4. p. 445. 339 Der Nebelfleck, in dessen Mitte der durch seine Intensitäts-Veränderungen so berühmt gewordeneKosmos Bd. III. S. 251–254. Stern η Argûs liegt, bedeckt über 4/7 eines Quadratgrades der Himmelsdecke. Der Nebel selbst, in viele unförmliche Massen vertheilt, die von ungleicher Lichtstärke sind, zeigt nirgends das gesprenkelte, körnige Ansehen, welches die Auflösung ahnden läßt. Er umschließt ein sonderbar geformtes, leeres, mit einem sehr schwachen Lichtschein bedecktes, ausgeschweiftes Lemniscat-Oval. Eine schöne Abbildung der ganzen Erscheinung, die Frucht von zweimonatlichen Messungen, findet sich in den Cap-Beobachtungen von Sir John Herschel.Capreise § 70–90 Pl. IX, outlines of Astronomy § 887 Pl. IV fig. 2. Dieser hat in dem Nebelfleck von η Argûs nicht weniger als 1216 Positionen von Sternen, meist 14m bis 16m, bestimmt. Die Reihenfolge derselben erstreckt sich noch weit außerhalb des Nebels in die Milchstraße hinein, wo sie sich auf den schwärzesten Himmelsgrund projiciren und von ihm abheben. Sie stehen daher wohl in keiner Beziehung zu dem Nebel selbst und liegen wahrscheinlich weit vor ihm. Die ganze benachbarte Gegend der Milchstraße ist übrigens so reich an Sternen (nicht Sternhaufen), daß zwischen RA. 9h 50' und 11h 34' durch den telescopischen Aich-Proceß (star-gauges) für einen jeden mittleren Quadratgrad 3138 Sterne gefunden worden sind. Diese Sternmenge steigt sogar bis 5093 in den Aichungen (sweeps) für RA. 11h 24'; das sind für einen Quadratgrad Himmelsgewölbe mehr Sterne, als dem unbewaffneten Auge am Horizont von Paris oder Alexandrien Sterne 1ter bis 6ter Größe sichtbar werden.Kosmos Bd. II. S. 146.
Der Nebelfleck im Schützen. – Er ist von beträchtlicher Größe, wie aus vier einzelnen Massen zusammengesetzt (RA. 17h 53', N.P.D. 114° 21'), deren eine 340 wiederum dreitheilig ist. Alle sind durch nebelfreie Stellen unterbrochen, und das Ganze war schon von Messier unvollkommen gesehen.Capreise § 24 Pl. I fig. 1, No. 3721 des Catalogs; outl. of Astronomy § 888.
Die Nebelflecke im Schwan: – mehrere irreguläre Massen, von denen eine einen sehr schmalen, getheilten Strang bildet, welcher durch den Doppelstern η Cygni geht. Den Zusammenhang der so ungleichen Nebelmassen durch ein sonderbares zellenartiges Gewebe hat zuerst Mason erkannt.Nebel im Schwan, theilweise RA. 20° 49', N. P. D. 58° 27' (outlines p. 891). Vergl. Catalog von 1833 No. 2092, Pl. XI fig. 34.
Der Nebelfleck im Fuchse: – von Messier unvollkommen gesehen, No. 27 seines Verzeichnisses; aufgefunden bei Gelegenheit der Beobachtung des Bode'schen Cometen von 1779. Die genaue Bestimmung der Position (RA. 19° 52', N.P.D. 67° 43') und die erste Abbildung sind von Sir John Herschel. Es erhielt der Nebelfleck, der eine nicht unregelmäßige Gestalt hat, zuerst den Namen Dumb-bell, bei Anwendung eines Reflectors mit 18zölliger Oeffnung (Philos. Transact. for 1833 No. 2060 fig. 26; outlines § 881). Die Aehnlichkeit mit den Dumb-bells (eisernen, bleigefüllten, lederüberzogenen Kolben, zu beiden Seiten kugelförmig endigend, deren man sich in England zur Stärkung der Muskeln gymnastisch bedient) ist in einem Reflector von Lord RosseVergl. die Abbildungen Pl. II fig. 2 mit Pl. V in den: thoughts on some important points relating to the System of the World 1846 (von Dr. Nichol, s. oben S. 358 [Anm. 1356]) p. 22. »Lord Rosse describes and figures this Nebula as resolved into numerous stars with intermixed nebula«, sagt Sir John Herschel in den outlines of Astronomy p. 607. mit dreifüßiger Oeffnung verschwunden (s. dessen wichtige neueste Abbildung, Philos. Transact. for 1850 Pl. XXXVIII fig. 17). Die Auflösung in zahlreiche Sterne gelang ebenfalls, aber die Sterne blieben mit Nebel gemischt.
Der Spiral-Nebelfleck im nördl. Jagdhunde. – Er wurde von Messier aufgefunden am 13 October 1773 (bei Gelegenheit des von ihm entdeckten Cometen) am linken Ohre des Asterion, sehr nahe bei η (Benetnasch) am Schwanz des Großen Bären (No. 51 Messier, und No. 1622 des 341 großen Verzeichnisses in den Philos. Transact. 1833 p. 496 fig. 25); eine der merkwürdigsten Erscheinungen am Firmamente, sowohl wegen der wundersamen Gestaltung des Nebels: als wegen der unerwarteten, formumwandelnden Wirkung, welche der 6füßige Spiegel des Lord Rosse auf ihn ausgeübt hat. In dem 18zölligen Spiegeltelescop von Sir John Herschel zeigte sich der Nebelfleck kugelrund, von einem weit abstehenden Ringe umgeben: so daß er gleichsam ein Bild unserer Sternschicht und ihres Milchstraßen-Ringes darstellte.Kosmos Bd. I. S. 157 und 415 Anm. 111: wo der Nebelfleck No. 1622 a brother-system genannt ist. Das große Telescop von Parsonstown verwandelte aber im Frühjahr 1845 das Ganze in ein schneckenartig gewundenes Tau, in eine leuchtende Spira: deren Windungen uneben erscheinen und an beiden Extremen, im Centrum und auswärts, in dichte, körnige, kugelrunde Knoten auslaufen. Dr. Nichol hat eine Abbildung dieses Gegenstandes (dieselbe, welche Lord Rosse der Gelehrten-Versammlung in Cambridge 1845 vorlegte) bekannt gemacht.Report of the 15th meeting of the British Association for the advancement of Science, Notices p. 4; Nichol, thoughts p. 23 (vergl. Pl. II fig. 1 mit Pl. VI). In den outlines § 882 heißt es: »the whole, if not clearly resolved into stars, has a resolvable character, which evidently indicates its composition.« Die vollkommenste ist aber die von Mr. Johnstone Stoney, Philos. Transact. 1850 Part 1. Pl. XXXV fig. 1. Ganz ähnliche Spiralform haben No. 99 Messier, mit einem einzigen Central-Nucleus, und andere nördliche Nebel.
Es bleibt noch übrig ausführlicher, als es in dem allgemeinen NaturgemäldeKosmos Bd. I. S. 88 und 387 (Anm. 33). hat geschehen können, von einem Gegenstande zu reden, welcher in der Welt der Gestaltungen, die das gesammte Firmament darbietet, einzig ist, ja, wenn ich mich so ausdrücken darf, die landschaftliche Anmuth der südlichen Himmelsgefilde erhöht. Die beiden Magellanischen Wolken: welche wahrscheinlich zuerst von portugiesischen, dann von holländischen und dänischen Piloten Cap-Wolken genannt wurdenLacaille in den Mém. de l'Acad. des Sc. Année 1755 p. 195. Es ist eine schädliche Verwirrung der Terminologie, wie Horner und Littrow, auch die Kohlensäcke Magellanische Flecken oder Cap-Wolken zu nennen., fesseln, wie ich aus eigener 342 Erfahrung weiß, durch ihren Lichtglanz, ihre sie individualisirende Isolirtheit, ihr gemeinsames Kreisen um den Südpol, doch in ungleichen Abständen, auf das lebhafteste die Aufmerksamkeit des Reisenden. Daß diejenige Benennung, welche sich auf Magellan's Weltumseglung bezieht, nicht die ältere sei: wird durch die ausdrückliche Erwähnung und Beschreibung der kreisenden Lichtwolken von dem Florentiner Andrea Corsali in der Reise nach Cochin und von dem Secretär Ferdinands des Catholischen, Petrus Martyr de Anghiera, in seinem Werke de rebus Oceanicis et Orbe novo (Dec. I lib. IX p. 96) widerlegt.Kosmos Bd. II. S. 329 und 485 (Anm. 889). Die hier bezeichneten Angaben sind beide vom Jahr 1515: während Pigafetta, der Begleiter Magellan's, in seinem Reisejournale der nebbiette nicht eher als im Januar 1521 gedenkt, wo das Schiff Victoria aus der patagonischen Meerenge in die Südsee gelangte. Der sehr alte Name Cap-Wolken ist übrigens nicht durch die Nähe der, noch südlicheren Constellation des Tafelberges entstanden, da letztere erst von Lacaille eingeführt worden ist. Die Benennung könnte eher eine Beziehung haben auf den wirklichen Tafelberg und auf die, lange von den Seeleuten gefürchtete, sturmverkündende Erscheinung einer kleinen Wolke auf seinem Gipfel. Wir werden bald sehen, daß die beiden Nubeculae: in der südlichen Hemisphäre lange bemerkt, aber namenlos geblieben, mit Ausdehnung der Schifffahrt und zunehmender Belebtheit gewisser Handelsstraßen Benennungen erhielten, welche durch diese Handelsstraßen selbst veranlaßt wurden.
Die frequente Beschiffung des indischen Meeres, welches das östliche Afrika bespült, hat am frühesten, besonders seit der Zeit der Lagiden und der Monsun-Fahrten, Seefahrer 343 mit den dem antarctischen Pole nahen Gestirnen bekannt gemacht. Bei den Arabern findet man, wie bereits oben erwähnt worden ist, schon in der Mitte des zehnten Jahrhunderts einen Namen für die größere der Magellanischen Wolken. Sie ist, wie Ideler aufgefunden, identisch mit dem (weißen) Ochsen, el-bakar, des berühmten Astronomen, Derwisch Abdurrahman Sufi aus Raï, einer Stadt des persischen Irak. Es sagt derselbe in der Anleitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels, die er am Hofe der Sultane aus der Dynastie der Buyiden anfertigte: »unter den Füßen des Suhel (es ist hier ausdrücklich der Suhel des Ptolemäus, also Canopus, gemeint: wenn gleich die arabischen Astronomen auch mehrere andere große Sterne des Schiffes, el-sefina, Suhel nannten) steht ein weißer Fleck, den man weder in Irak (in der Gegend von Bagdad) noch in Nedschd (Nedjed), dem nördlicheren und gebirgigeren Arabien, sieht: wohl aber in der südlichen Tehama zwischen Mekka und der Spitze von Yemen, längs der Küste des rothen Meeres.«Ideler, Untersuchungen über den Ursprung und die Bedeutung der Sternnamen 1809 S. XLIX und 262. Der Name Abdurrahman Sufi ist von Ulugh Beg abgekürzt aus: Abdurrahman Ebn-Omar Ebn-Mohammed Ebn-Sahl Abu'l-Hassan el-Sufi el-Razi. Ulugh Beg: der, wie Naßir-eddin, die Ptolemäischen Stern-Positionen durch eigene Beobachtungen (1437) verbesserte, gesteht, aus der Arbeit des Abdurrahman Sufi 27 Positionen südlicher, in Samarkand nicht sichtbarer Sterne entlehnt zu haben. Die relative Position des weißen Ochsen zum Canopus ist hier für das unbewaffnete Auge genau genug angegeben; denn die Rectascension von Canopus ist 6h 20', und der östliche Rand der Großen Magellanischen Wolke hat die Rectascension 6h 0'. Die Sichtbarkeit der Nubecula major in nördlichen Breiten hat durch die Präcession seit dem 10ten Jahrhunderte sich nicht erheblich ändern können, indem dieselbe in den nächst verflossenen Jahrtausenden das Maximum ihrer Entfernung vom Norden erreichte. Wenn man die neue Ortsbestimmung der Großen Wolke von Sir John Herschel annimmt, so findet man, daß zur Zeit von Abdurrahman Sufi der Gegenstand bis 17° nördlicher Breite vollständig sichtbar war; gegenwärtig 344 ist er es ohngefähr bis 18°. Die südlichen Wolken konnten also gesehen werden im ganzen südwestlichen Arabien, in dem Weihrauch-Lande von Hadhramaut, wie in Yemen, dem alten Cultursitze von Saba und der früh eingewanderten Joctaniden. Die südlichste Spitze von Arabien bei Aden, an der Straße von Bab-el-Mandeb, hat 12° 45', Loheia erst 15° 44' nördlicher Breite. Die Entstehung vieler arabischer Ansiedlungen an der Ostküste von Afrika zwischen den Wendekreisen, nördlich und südlich vom Aequator, trug natürlich auch zur specielleren Kenntniß der südlichen Gestirne bei.
Gebildetere europäische (vor allen catalanische und portugiesische) Piloten besuchten zuerst die Westküste Afrika's jenseits der Linie. Unbezweifelte Documente: die Weltkarte von Marino Sanuto Torsello ans dem Jahre 1306, das genuesische Portulano Mediceo (1351), das Planisferio de la Palatina (1417) und das Mappamondo di Fra Mauro Camaldolese (zwischen 1457 und 1459); beweisen, wie schon 178 Jahre vor der sogenannten ersten Entdeckung des Cabo tormentoso (Vorgebirge der guten Hoffnung), durch Bartholomäus Diaz im Monat Mai 1487, die triangulare Configuration der Süd-Extremität des afrikanischen Continents bekannt war.Vergl. meine geographischen Untersuchungen über die Entdeckung der Südspitze von Afrika, und über die Behauptungen des Cardinals Zurla und Grafen Baldelli, im Examen crit. de l'hist. de la Géogr. aux 15ème et 16ème siècles T. I. p. 229–348. Die Entdeckung des Vorgebirges der guten Hoffnung: welches Martin Behaim Terra Fragosa, nicht Cabo tormentoso, nennt, geschah, sonderbar genug, als Diaz von Osten kam, aus der Bai von Algoa (südl. Br. 33° 47', über 7° 18' östlich von der Tafelbai); Lichtenstein im vaterländischen Museum, Hamburg 1810 S. 372–389. Die mit Gama's Expedition schnell zunehmende Wichtigkeit eines solchen Handelsweges ist wegen des gemeinsamen Zieles aller westafrikanischen Reisen die Veranlassung gewesen, daß den beiden südlichen Nebelwolken die Benennung Cap-Wolken von den Piloten, als sonderbarer, auf Capreisen gesehener Himmelserscheinungen, beigelegt wurde.
An der Ostküste von Amerika haben die fortgesetzten Bestrebungen, bis jenseits des Aequators, ja bis an die Südspitze des Continents, vorzudringen: von der Expedition des Alonso 345 de Hojeda, welchen Amerigo Vespucci begleitete (1499), bis zu der Expedition von Magellan mit Sebastian del Cano (1521) und von Garcia de LoaysaDie wichtige, nicht genug beachtete Entdeckung der Südspitze des Neuen Continents unter 55° südl. Breite (Urdaneta's Tagebuch bezeichnet die Entdeckung sehr charakteristisch durch die Worte: acabamiento de tierra, das Aufhören des Landes) gehört dem Francisco de Hoces, welcher eines der Schiffe der Expedition von Loaysa 1525 befehligte. Er sah wahrscheinlich einen Theil des Feuerlandes westlich von der Staaten-Insel; denn das Cap Horn liegt nach Fitz Roy 55° 58' 41". Vergl. Navarrete, Viages y descubrim. de los Españoles T. V. p. 28 und 404. mit Francisco de Hoces (1525); die Aufmerksamkeit der Seefahrer ununterbrochen auf die südlichen Gestirne gerichtet. Nach den Tagebüchern, die wir besitzen, und nach den historischen Zeugnissen von Anghiera ist dies vorzugsweise geschehen bei der Reise von Amerigo Vespucci und Vincente Yañez Pinzon, auf welcher das Vorgebirge San Augustin (8° 20' südl. Br.) entdeckt wurde. Vespucci rühmt sich drei Canopen (einen dunklen, Canopo fosco, und zwei Canopi risplendenti) gesehen zu haben. Nach einem Versuche, welchen Ideler, der scharfsinnige Verfasser der Werke über die Sternnamen und die Chronologie, gemacht hat, Vespucci's sehr verworrene Beschreibung des südlichen Himmels in dem Briefe an Lorenzo Pierfrancesco de' Medici, von der Parthei der Popolani, zu erläutern: gebrauchte jener das Wort Canopus auf eine eben so unbestimmte Weise als die arabischen Astronomen das Wort Suhel. Ideler erweist: »der Canopo fosco nella via lattea sei nichts anderes als der schwarze Flecken oder Große Kohlensack im südlichen Kreuze gewesen; und die Position von drei Sternen, in denen man α, β und γ der Kleinen Wasserschlange (Hydrus) zu erkennen glaubt, mache es höchst wahrscheinlich, daß der Canopo risplendente di notabile grandezza (von beträchtlichem Umfange) die Nubecula major, wie der zweite risplendente die Nubecula minor sei.«Humboldt, Examen crit. T. IV. p. 205, 295–229 und 235 (Ideler, Sternnamen S. 316). Es bleibt immer sehr auffallend, daß Vespucci diese am Firmament neu gesehenen Gegenstände nicht, wie alle anderen Beobachter beim ersten Anblicke gethan, mit Wolken verglichen habe. Man sollte glauben, eine solche Vergleichung biete sich unwiderstehlich dar. Petrus Martyr Anghiera, der 346 mit allen Entdeckern persönlich bekannt war und dessen Briefe unter dem lebendigen Eindrucke ihrer Erzählungen geschrieben sind, schildert unverkennbar den milden, aber ungleichen Lichtglanz der Nubeculae. Er sagt: »Assecuti sunt Portugallenses alterius poli gradum quinquagesimum amplius, ubi punctum (polum?) circumeuntes quasdam nubeculas licet intueri, veluti in lactea via sparsos fulgores per universi coeli globum intra ejus spatii latitudinem.«Petrus Martyr Angl., Oceanica Dec. III lib. 1 p. 217. Ich kann aus den numerischen Angaben Dec. II lib. 10 p. 204 und Dec. III lib. 10 p. 232 erweisen, daß der Theil der Oceanica, in welchem der Magellanischen Wolken gedacht wird, zwischen 1514 und 1516, also unmittelbar nach der Expedition von Juan Diaz de Solis nach dem Rio de la Plata (damals Rio de Solis, una mar dulce), geschrieben ist. Die Breiten-Angabe ist sehr übertrieben. Der glänzende Ruf und die lange Dauer der Magellanischen Weltumseglung (vom August 1519 bis September 1522), der lange Aufenthalt einer zahlreichen Mannschaft unter dem südlichen Himmel verdunkelte die Erinnerung an alles früher beobachtete: und der Name Magellanischer Wolken verbreitete sich unter den schifffahrenden Nationen des Mittelmeeres.
Wir haben hier in einem einzelnen Beispiele gezeigt, wie die Erweiterung des geographischen Horizonts gegen Süden der beschauenden Astronomie ein neues Feld geöffnet hat. Den Piloten boten sich unter dem neuen Himmel besonders vier Gegenstände der Neugier dar: das Aufsuchen eines südlichen Polarsterns; die Gestalt des südlichen Kreuzes: das senkrechte Stellung hat, wenn es durch den Meridian des Beobachtungsortes geht; die Kohlensäcke und die kreisenden Lichtwolken. Wir lernen aus der in viele Sprachen übersetzten Anweisung zur Schifffahrt (Arte de Navegar, lib. V cap. 11) von Pedro de Medina, zuerst herausgegeben 1545, daß schon in der ersten Hälfte des 16ten Jahrhunderts Meridianhöhen des Cruzero zu Bestimmung der Breite angewandt wurden. Auf das bloße Beschauen folgte also schnell das Messen. Die erste Arbeit über Stern-Positionen nahe am antarctischen Pole wurde durch Abstände von bekannten Tychonischen 347 Sternen der Rudolphinischen Tafeln erlangt; sie gehört, wie ich schon früher bemerkt habeKosmos Bd. II. S. 329, Bd. III. S. 151 und 175., dem Petrus Theodori aus Emden und dem Friedrich Houtman aus Holland, welcher um das Jahr 1594 in den indischen Meeren schiffte, an. Die Resultate ihrer Messungen wurden bald in die Sterncataloge und Himmelsgloben von Blaeuw (1601), Bayer (1603) und Paul Merula (1605) aufgenommen. Das sind die schwachen Anfänge zur Ergründung der Topographie des südlichen Himmels vor Halley (1677); vor den verdienstvollen astronomischen Bestrebungen der Jesuiten Jean de Fontaney, Richaud und Noël. Es bezeichnen in innigem Zusammenhange die Geschichte der Astronomie und die Geschichte der Erdkunde jene denkwürdigen Epochen, in denen (kaum erst seit drittehalbhundert Jahren) das kosmische Bild des Firmaments wie das Bild von den Umrissen der Continente vervollständigt werden konnten.
Die Magellanischen Wolken: von welchen die größere 42, die kleine 10 Quadratgrade des Himmelsgewölbes bedeckt, lassen dem bloßen Auge allerdings auf den ersten Anblick denselben Eindruck, welchen zwei glänzende Theile der Milchstraße von gleicher Größe machen würden, wenn sie isolirt ständen. Bei hellem Mondschein verschwindet indeß die kleine Wolke gänzlich, die große verliert nur beträchtlich von ihrem Lichte. Die Abbildung, welche Sir John Herschel gegeben hat, ist vortrefflich und stimmt genau mit meinen lebhaftesten peruanischen Erinnerungen überein. Der angestrengten Arbeit dieses Beobachters im Jahr 1837 am Vorgebirge der guten Hoffnung verdanktKosmos Bd. I. S. 88 und 387 (Anm. 32). Vergl. Capreise p. 143–164; die beiden Magellanischen Wolken, wie sie dem bloßen Auge erscheinen, Pl. VII; telescopische Analyse der Nubecula major Pl. X; der Nebelfleck des Dorado besonders dargestellt Pl. II fig. 4 (§ 20–23). Outlines § 892–896, Pl. V fig. 1, und James Dunlop in den Philos. Transact. for 1828 Part 1. p. 147–151. – So irrig waren die Ansichten der ersten Beobachter, daß der, von Dominicus Cassini sehr geschätzte Jesuit Fontaney, welchem man viele werthvolle astronomische Beobachtungen aus Indien und China verdankt, noch 1685 schreibt: »Le grand et le petit Nuages sont deux choses singulières. Ils ne paroissent aucunement un amas d'étoiles comme Praesepe Cancri, ni même une lueur sombre, comme la Nébuleuse d'Andromède. On n'y voit presque rien avec de très grandes lunettes, quoique sans ce secours on les voye fort blancs, particulièrement le grand Nuage.« Lettre du Père de Fontaney au Père de la Chaize, Confesseur du Roi, in den Lettres édifiantes Recueil VII. 1703 p. 78; und Hist. de l'Acad. des Sciences depuis 1686–1699 (T. II. Paris 1733) p. 19. – Ich bin im Texte bei der Beschreibung der Magellanischen Wolken allein der Arbeit von Sir John Herschel gefolgt. die Astronomie die erste genaue Analyse eines so wunderbaren Aggregats der verschiedenartigsten Elemente. Er fand einzelne zerstreute Sterne 348 in großer Zahl; Sternschwärme und kugelförmige Sternhaufen: ovale reguläre und irreguläre Nebelflecke, mehr zusammengedrängt als in der Nebelzone der Jungfrau und des Haupthaars der Berenice. Die Nubeculae sind also eben wegen dieses complicirten Aggregat-Zustandes weder (wie nur zu oft geschehen) als außerordentlich große Nebelflecke, noch als sogenannte abgesonderte Theile der Milchstraße zu betrachten. In dieser gehören runde Sternhaufen und besonders ovale Nebelflecke zu den seltneren ErscheinungenKosmos Bd. III. S. 183 und 212 (Anm. 1240).: eine kleine Zone abgerechnet, welche zwischen dem Altar und dem Schwanz des Scorpions liegt.
Die Magellanischen Wolken hangen weder unter einander noch mit der Milchstraße durch einen erkennbaren Nebelduft zusammen. Die kleine liegt, außer der Nähe des Sternhaufens im ToucanA. a. O. S. 180 und 211 (Anm. 1230)., in einer Art von Sternwüste: die große in einem minder öden Himmelsraume. Der letzteren Bau und innere Gestaltung ist so verwickelt, daß in derselben Massen (wie No. 2878 des Herschel'schen Verzeichnisses) gefunden werden, welche den Aggregat-Zustand und das Bild der ganzen Wolke genau wiederholen. Des verdienstvollen Horner's Vermuthung, als seien die Wolken einst Theile der Milchstraße gewesen, in der man gleichsam ihre vormaligen Stellen erkenne; ist eine Mythe: und eben so ungegründet als die Behauptung, daß in ihnen seit Lacaille's Zeiten eine Fortbewegung, eine Veränderung der Position zu bemerken sei. Diese Position ist wegen Unbestimmtheit der Ränder in Fernröhren von kleinerer Oeffnung früher unrichtig angegeben worden; ja Sir John Herschel erwähnt, daß auf allen Himmelsgloben und Sternkarten die Kleine Wolke fast um eine Stunde in Rectascension falsch eingetragen wird. Nach ihm 349 liegt Nubecula minor zwischen den Meridianen von 0h 28' und 1h 15', N.P.D. 162° und 165°; Nubecula major RA. 4h 40'–6h 0' und N.P.D. 156°–162°. Von Sternen, Nebelflecken und Clusters hat er in der letzteren nicht weniger als 919, in der ersteren 244 nach Geradaufsteigung und Abweichung verzeichnet. Um die drei Classen von Gegenständen zu trennen, habe ich in dem Verzeichniß gezählt:
in Nub. major | 582 | Sterne, | 291 | Nebelflecke, | 46 | Sternhaufen |
in Nub. minor | 200 | " | 37 | " | 7 | " |
Die geringere Zahl der Nebel in der Kleinen Wolke ist auffallend. Das Verhältniß derselben zu den Nebeln der Großen Wolke ist wie 1 : 8, während das Verhältniß der isolirten Sterne sich ohngefähr wie 1 : 3 ergiebt. Diese verzeichneten Sterne, fast 800 an der Zahl, sind meistentheils 7ter und 8ter Größe, einige 9ter bis 10ter. Mitten in der Großen Wolke liegt ein schon von Lacaille erwähnter Nebelfleck, 30 Doradûs Bode (No. 2941 von John Herschel); von einer Gestalt, welcher keine andere am Himmel gleich kommen soll. Es nimmt dieser Nebelfleck kaum 1/500 der Area der ganzen Wolke ein; und doch hat Sir John Herschel die Position von 105 Sternen 14ter bis 16ter Größe in diesem Raume bestimmt: Sternen, die sich auf den ganz unaufgelösten, gleichförmig schimmernden, nicht scheckigen Nebel projiciren.Vergl. Capreise § 20–23 und 133, die schöne Abbildung Pl. II fig. 4 und ein Special-Kärtchen auf der graphischen Analyse Pl. X, wie outlines § 896 Pl. V fig. 1.
Den Magellanischen Lichtwolken gegenüber kreisen um den Südpol in größerem Abstande die Schwarzen Flecken: welche früh, am Ende des 15ten und im Anfang des 16ten Jahrhunderts, die Aufmerksamkeit portugiesischer und spanischer Piloten auf sich gezogen haben. Sie sind wahrscheinlich, wie schon gesagt, unter den drei Canopen, deren Amerigo 350 Vespucci in seiner dritten Reise erwähnt, der Canopo fosco. Die erste sichere Andeutung der Flecken finde ich in der 1ten Decade von Anghiera's Werke de rebus Oceanicis (Dec. I lib. IX, ed. 1533 p. 20, b). »Interrogati a me nautae qui Vicentium Agnem Pinzonum fuerant comitati (1499), an antarcticum viderint polum: stellam se nullam huic arcticae similem, quae discerni circa punctum (polum?) possit, cognovisse inquiunt. Stellarum tamen aliam, ajunt, se prospexisse faciem densamque quandam ab horizonte vaporosam caliginem, quae oculos fere obtenebraret.« Das Wort stella wird hier wie ein himmlisches Gebilde genommen; und die Erzählenden mögen sich freilich wohl nicht sehr deutlich über eine caligo, welche die Augen verfinstert, ausgedrückt haben. Befriedigender spricht Pater Joseph Acosta aus Medina del Campo über die Schwarzen Flecken und die Ursach dieser Erscheinung. Er vergleicht sie in seiner historia natural de las Indias (lib. I cap. 2) in Hinsicht auf Farbe und Gestalt mit dem verfinsterten Theile der Mondscheibe. »So wie die Milchstraße«, sagt er, »glänzender ist, weil sie aus dichterer Himmels-Materie besteht, und deshalb mehr Licht ausstrahlt; so sind die schwarzen Flecken, die man in Europa nicht sieht, ganz ohne Licht, weil sie eine Region des Himmels bilden, welche leer, d. h. aus sehr undichter und durchsichtiger Materie zusammengesetzt, ist.« Wenn ein berühmter Astronom in dieser Beschreibung die Sonnenflecken erkannt hatKosmos Bd. II. S. 328 und 485 (Anm. 888).; so ist dies nicht minder sonderbar, als daß der Missionar Richaud (1689) Acosta's manchas negras für die Magellanischen Lichtwolken hält.Mémoires de l'Acad. des Sc. depuis 1666 jusqu'à 1699 T. VII. Partie 2. (Paris 1729) p. 206.
Richaud spricht übrigens, wie die ältesten Piloten, von Kohlensäcken im Plural; er nennt deren zwei: den großen 351 im Kreuz und einen anderen in der Karls-Eiche; der letztere wird in andren Beschreibungen gar wieder in zwei, von einander getrennte Flecken getheilt. Diese beschreiben Feuillée, in den ersten Jahren des 18ten Jahrhunderts, und Horner (in einem Briefe von 1804 aus Brasilien, an Olbers gerichtet) als unbestimmter und an den Rändern verwaschen.Brief an Olbers von St. Catharina (Jan. 1804) in Zach's monatl. Correspondenz zur Beförd. der Erd- und Himmelskunde Bd. X. S. 240. (Vergl. über Feuillée's Beobachtung und rohe Abbildung des Schwarzen Fleckens im südlichen Kreuze Zach a. a. O. Bd. XV. 1807 S. 388–391.) Ich habe während meines Aufenthalts in Peru von den Coal-bags der Karls-Eiche nie etwas befriedigendes auffinden können; und da ich geneigt war es der zu tiefen Stellung der Constellation zuzuschreiben, so wandte ich mich um Belehrung an Sir John Herschel und den Director der Hamburger Sternwarte, Herrn Rümker, welche in viel südlicheren Breiten als ich gewesen sind. Beide haben, trotz ihrer Bemühung, ebenfalls nichts aufgefunden, was in Bestimmtheit der Umrisse und Tiefe der Schwärze mit dem Coal-sack im Kreuze verglichen werden könnte. Sir John glaubt, daß man nicht von einer Mehrheit von Kohlensäcken reden müsse: wenn man nicht jede, auch nicht umgrenzte, dunklere Himmelsstelle (wie zwischen α Centauri und β und γ TrianguliCapreise Pl. XIII., zwischen η und ϑ Argûs; und besonders am nördlichen Himmel den leeren Raum in der Milchstraße zwischen ε, α und γ CygniOutlines of Astronomy p. 531. dafür wolle gelten lassen.
Der dem unbewaffneten Auge auffallendste und am längsten bekannte Schwarze Flecken des südlichen Kreuzes liegt zur östlichen Seite dieser Constellation und hat eine birnförmige Gestalt, bei 8° Länge und 5° Breite. In diesem großen Raume befinden sich ein sichtbarer Stern 6ter bis 7ter Größe, dazu eine große Menge telescopischer Sterne 11ter bis 13ter Größe. Eine kleine Gruppe von 40 Sternen liegt ziemlich in der Mitte.Capreise p. 384, No. 3407 des Verzeichnisses der Nebel und Sternhaufen. (Vergl. Dunlop in den Philos. Transact. for 1828 p. 149 und No. 272 seines Catalogs.) Sternleerheit und Contrast neben dem 352 prachtvollen Lichtglanze umher werden als Ursachen der merkwürdigen Schwärze dieses Raumes angegeben. Diese letztere Meinung hat sich seit La Caille»Cette apparence d'un noir foncé dans la partie orientale de la Croix du sud, qui frappe la vue de tous ceux qui regardent le ciel austral, est causée par la vivacité de la blancheur de la voie lactée qui renferme l'espace noir et l'entoure de tous côtés.« La Caille in den Mémoires de l'Académie des Sciences Année 1755 (Par. 1761) p. 199. allgemein erhalten. Sie ist vorzüglich durch die Stern-Aichungen (gauges and sweeps) um den Raum, wo die Milchstraße wie von einem schwarzen Gewölk bedeckt erscheint, bekräftigt. In dem coal-bag gaben die Aichungen (in gleicher Größe des Gesichtsfeldes) 7 bis 9 telescopische Sterne (nie völlige Leerheit, blank fields) wenn an den Rändern 120 bis 200 Sterne gezählt wurden. So lange ich in der südlichen Tropengegend war: unter dem sinnlichen Eindruck der Himmelsdecke, die mich so lebhaft beschäftigte, schien mir, wohl mit Unrecht, die Erklärung durch den Contrast nicht befriedigend. William Herschel's Betrachtungen über ganz sternleere Räume im Scorpion und im Schlangenträger, die er Oeffnungen in dem Himmel (Openings in the heavens) nennt, leiteten mich auf die Idee: daß in solchen Regionen die hinter einander liegenden Sternschichten dünner oder gar unterbrochen seien, daß unsere optischen Instrumente die letzten Schichten nicht erreichen, »daß wir wie durch Röhren in den fernsten Weltraum blicken«. Ich habe dieser Oeffnungen schon an einem Orte gedachtBd. I. S. 159 und 415 (Anm. 117)., und die Wirkungen der Perspective auf solche Unterbrechungen in den Sternschichten sind neuerlichst wieder ein Gegenstand ernster Betrachtung geworden»When we see«, sagt Sir John Herschel, »in the Coal-sack (near α Crucis) a sharply defined oval space free from stars, it would seem much less probable that a conical or tubular hollow traverses the whole of a starry stratum, continuously extended from the eye outwards, than that a distant mass of comparatively moderate thickness should be simply perforated from side to side.....« Outlines § 792 p. 532..
Die äußersten und fernsten Schichten selbstleuchtender Weltkörper, der Abstand der Nebelflecke, alles, was wir in dem letzten der sieben siderischen oder astrognostischen Abschnitte dieses Werkes zusammengedrängt haben: erfüllen die Einbildungskraft und den ahndenden Sinn des Menschen mit Bildern von Zeit und Raum, welche seine Fassungskraft übersteigen. 353 So bewundernswürdig die Vervollkommnungen der optischen Werkzeuge seit kaum sechzig Jahren gewesen sind: so ist man doch zugleich mit den Schwierigkeiten ihrer Construction genug vertraut geworden, um sich über die ungemessenen Fortschritte dieser Vervollkommnung nicht so kühnen, ja ausschweifenden Erwartungen hinzugeben, als die waren, welche den geistreichen Hooke in den Jahren 1663 bis 1665 ernsthaft beschäftigtenLettre de Mr. Hooke à Mr. Auzout in den Mémoires de l'Académie des Sc. 1666–1699 T. VII. Partie 2. p. 30 und 73.. Mäßigung in den Erwartungen wird auch hier sicherer zum Ziele führen. Jedes der auf einander folgenden Menschengeschlechter hat sich des Größten und Erhabensten zu erfreuen gehabt, was es auf der Stufe, zu welcher die Kunst sich erhoben, als die Frucht freier Intelligenz erringen konnte. Ohne in bestimmten Zahlen auszusprechen, wie weit die den Weltraum durchdringende telescopische Kraft bereits reiche, ohne diesen Zahlen viel Glauben zu schenken: mahnt uns doch schon die Kenntniß von der Geschwindigkeit des Lichts, daß das Aufglimmen des fernsten Gestirns, der lichterzeugende Proceß auf seiner Oberfläche »das älteste sinnliche ZengnißKosmos Bd. I. S. 161. von der Existenz der Materie ist«.
Planeten und ihre Monde, Cometen, Ring des Thierkreislichtes und Schwärme von Meteor-Asteroiden.
Wenn wir in dem uranologischen Theile der physischen Weltbeschreibung von dem Fixsternhimmel zu unserem Sonnen- und Planetensystem herabsteigen, so gehen wir von dem Großen und Universellen zu dem relativ Kleinen und Besonderen über. Das Gebiet der Sonne ist das Gebiet eines einzelnen Fixsternes unter den Millionen derer, welche uns das Fernrohr an dem Firmamente offenbart; es ist der beschränkte Raum, in welchem sehr verschiedenartige Weltkörper, der unmittelbaren Anziehung eines Centralkörpers gehorchend, in engeren oder weiteren Bahnen um diesen kreisen: sei es einzeln; oder wiederum von anderen ihnen ähnlichen, umgeben. Unter den Sternen, deren Anordnung wir in dem siderischen Theile der Uranologie zu behandeln versucht haben, zeigt allerdings auch eine Classe jener Millionen telescopischer Fixsterne, die Classe der Doppelsterne, particuläre: binäre oder vielfältiger zusammengesetzte, Systeme; aber trotz der Analogie ihrer treibenden Kräfte sind sie doch, ihrer Naturbeschaffenheit nach, von unserem Sonnensysteme verschieden. In ihnen bewegen sich selbstleuchtende Fixsterne um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt, der mit sichtbarer Materie nicht erfüllt ist; in dem 372 Sonnensysteme kreisen dunkle Weltkörper um einen selbstleuchtenden Körper oder, um bestimmter zu reden, um einen gemeinsamen Schwerpunkt, welcher zu verschiedenen Zeiten innerhalb des Centralkörpers oder außerhalb desselben liegt. »Die große Ellipse, welche die Erde um die Sonne beschreibt, spiegelt sich ab in einer kleinen, ganz ähnlichen, in welcher der Mittelpunkt der Sonne um den gemeinschaftlichen Schwerpunkt der Erde und Sonne herumgeht.« Ob die planetarischen Körper, zu denen die inneren wie die äußeren Cometen gerechnet werden müssen, außer dem Lichte, welches ihnen der Centralkörper giebt, nicht auch theilweise etwas eigenes Licht zu erzeugen fähig sind: bedarf hier, bei so allgemeinen Andeutungen, noch keiner besonderen Erwähnung.
Von der Existenz dunkler planetarischer Körper, welche um andere Fixsterne kreisen, haben wir bisher keine directen Beweise. Die Schwäche des reflectirten Lichtes würde solche Planeten, die schon (lange vor Lambert) Kepler um jeden Fixstern vermuthete, hindern uns je sichtbar zu werden. Wenn der nächste Fixstern, α Centauri, 226000 Erdweiten oder 7523 Neptunsweiten; ein sich sehr weit entfernender Comet, der von 1680, welchem man (freilich nach sehr unsicheren Fundamenten) einen Umlauf von 8800 Jahren zuschreibt, in. Aphel 28 Neptunsweiten von unserem Sonnenkörper absteht: so ist die Entfernung des Fixsterns α Centauri noch 270mal größer als unser Sonnengebiet bis zum Aphel jenes fernsten Cometen. Wir sehen das reflectirte Licht des Neptun in 30 Erdweiten. Würden, in künftig zu construirenden, mächtigeren Telescopen, noch drei folgende, hinter einander stehende, Planeten erkannt, etwa in der Ferne von 100 Erdweiten: so ist dies noch nicht der 8te Theil der Entfernung 373 bis zum Aphel des genannten Cometen; noch nicht der 2200ste TheilVergl. oben: wo ich nach Uranusweiten, als dem damaligen Maaß der Begrenzung des Planetensystems, rechnete, Kosmos Bd. I. S. 116, 153 und 415 (Anm. 106). Wenn man den Abstand des Neptuns von der Sonne zu 30,04 Erdweiten annimmt, so ist die Entfernung des α Centauri von der Sonne noch 7523 Neptunsweiten, die Parallaxe angenommen zu 0",9128 (Kosmos Bd. III. S. 274): und doch ist die Entfernung von 61 Cygni schon fast zwei und ein halbmal, die des Sirius (bei einer Parallaxe von 0",230) viermal größer als die von α Centauri. (Eine Neptunsweite ist ohngefähr 621 Millionen geographischer Meilen, deren nach Hansen 396½ Millionen auf den Abstand des Uranus von der Sonne gehen; eine Siriusweite beträgt nach Galle, bei Henderson's Parallaxe, 896800 Halbmesser der Erdbahn = 18547000 Millionen geogr. Meilen: eine Entfernung, die einem Lichtwege von 14 Jahren entspricht.) Das Aphel des Cometen von 1680 ist 44 Uranusweiten, also 28 Neptunsweiten, von der Sonne entfernt. Nach diesen Annahmen ist der Sonnen-Abstand des Sternes α Centauri fast 270mal größer als jenes Aphel, welches wir hier als das Minimum der sehr gewagten Schätzung von dem halben Durchmesser des Sonnengebiets betrachten (Kosmos Bd. III. S. 294). Die Angabe solcher numerischen Verhältnisse gewährt, bei geringer Anschaulichkeit, doch wenigstens den Vortheil, daß die Annahme eines sehr großen räumlichen Grundmaaßes zu Resultaten führt, die in kleineren Zahlen ausgedrückt werden können. der Entfernung, in welcher wir das reflectirte Licht eines etwa um α Centauri kreisenden Trabanten telescopisch empfangen sollten. Ist aber überhaupt die Annahme von Fixstern-Trabanten so unbedingt nothwendig? Wenn wir einen Blick werfen auf die niederen Particular-Systeme innerhalb unseres großen Planetensystems; so finden wir, trotz der Analogien, welche die von vielen Trabanten umkreisten Planeten darbieten können, auch andere Planeten: Merkur, Venus, Mars, die gar keinen Trabanten haben. Abstrahiren wir von dem bloß Möglichen und beschränken uns auf das wirklich Erforschte, so werden wir lebhaft von der Idee durchdrungen: daß das Sonnensystem, besonders in der großen Zusammensetzung, welche die letzten Jahrzehende uns enthüllt haben, das reichste Bild gewährt von den, leicht zu erkennenden, unmittelbaren Beziehungen vieler Weltkörper zu einem einzigen.
Der beschränktere Raum des Planetensystems gewährt gerade wegen dieser Beschränktheit für Sicherheit und Evidenz der Resultate in der messenden und rechnenden Astronomie unbestreitbare Vorzüge vor den Ergebnissen aus der Betrachtung des Fixsternhimmels. Vieles von diesen gehört nur der beschauenden Astronomie in dem Gebiete der Sternschwärme und Nebelgruppen: wie in der, auf so unsicheren Fundamenten beruhenden, photometrischen Reihung der Gestirne an. Der sicherste und glänzendste Theil der Astrognosie ist die, in unserer Zeit so überaus vervollkommnete und vermehrte Bestimmung der Positionen in RA. und Decl.: sei es von einzelnen Fixsternen; oder von Doppelsternen, Sternhaufen und Nebelflecken. Auch bieten schwierig, aber in höherem oder 374 niederem Grade genau meßbare Verhältnisse dar: die eigene Bewegung der Sterne; die Elemente, nach denen ihre Parallaxe ergründet wird; die telescopischen Stern-Aichungen, welche auf die räumliche Vertheilung der Weltkörper leiten; die Perioden von veränderlichen Sternen und der langsame Umlauf der Doppelsterne. Was seiner Natur nach sich der eigentlichen Messung entzieht: wie die relative Lage und Gestaltung von Sternschichten oder Ringen von Sternen, die Anordnung des Weltbaues, die Wirkungen gewaltsam umändernder NaturgewaltenUeber das Auflodern neuer Sterne und ihr Verschwinden s. Kosmos Bd. III. S. 215–233. im Auflodern oder Verlöschen sogenannter neuer Sterne; regt um so tiefer und lebendiger an, als es das anmuthige Nebelland der Phantasie berührt.
Wir enthalten uns vorsätzlich in den nächstfolgenden Blättern aller Betrachtungen über die Verbindung unseres Sonnensystems mit den Systemen der anderen Fixsterne; wir kommen nicht wieder zurück auf die Fragen von der Unterordnung und Gliederung der Systeme, die, man möchte sagen, aus intellectuellen Bedürfnissen sich uns aufdrängen; auf die Frage: ob unser Centralkörper, die Sonne, nicht selbst in planetarischer Abhängigkeit zu einem höheren Systeme stehe: vielleicht gar nicht einmal als Hauptplanet, sondern nur der Trabant eines Planeten, wie unsere Jupitersmonde. Beschränkt auf den mehr heimischen Boden, auf das Sonnengebiet, haben wir uns des Vorzugs zu erfreuen, daß: mit Ausnahme dessen, was sich auf die Deutung des Oberflächen-Ansehens oder gasförmiger Umhüllungen der kreisenden Weltkörper, den einfachen oder getheilten Schweif der Cometen, auf den Ring des Zodiacallichts oder das räthselhafte Erscheinen der Meteor-Asteroiden bezieht; fast alle Resultate der Beobachtung einer Zurückführung auf Zahlenverhältnisse fähig sind, 375 alle sich als Folgerung aus streng zu prüfenden Voraussetzungen darbieten. Nicht die Prüfung dieser Voraussetzungen selbst gehört in den Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, sondern die methodische Zusammenstellung numerischer Resultate. Sie sind das wichtige Erbtheil, welches, immerdar wachsend, ein Jahrhundert dem anderen überträgt. Eine Tabelle, die Zahlen-Elemente der Planeten (mittlere Entfernung von der Sonne, siderische Umlaufszeit, Excentricität der Bahn, Neigung gegen die Ekliptik, Durchmesser, Masse und Dichtigkeit) umfassend, bietet jetzt in einem überkleinen Raume den Stand der geistigen Errungenschaft des Zeitalters dar. Man versetze sich einen Augenblick in das Alterthum zurück; man denke sich Philolaus den Pythagoreer, Lehrer des Plato, den Aristarch von Samos oder Hipparchus im Besitze eines solchen mit Zahlen gefüllten Blattes, oder einer graphischen Darstellung der Planetenbahnen, wie sie unsere abgekürztesten Lehrbücher darstellen: so läßt sich das bewundernde Erstaunen dieser Männer, Heroen des früheren, beschränkten Wissens, nur mit dem vergleichen, welches sich des Eratosthenes, des Strabo, des Claudius Ptolemäus bemächtigen würde, wenn diesen eine unserer Weltkarten (Mercator's Projection) von wenigen Zollen Höhe und Breite vorgelegt werden könnte.
Die Wiederkehr der Cometen in geschlossenen elliptischen Bahnen bezeichnet als Folge der Anziehungskraft des Centralkörpers die Grenze des Sonnengebiets. Da man aber ungewiß bleibt, ob nicht einst noch Cometen erscheinen werden, deren große Axe länger gefunden wird als die der schon erschienenen und berechneten Cometen; so geben diese in ihrem Aphel nur die Grenze, bis zu welcher das Sonnengebiet zum wenigsten reicht. Das Sonnengebiet wird demnach charakterisirt durch 376 die sichtbaren und meßbaren Folgen eigener einwirkender Centralkräfte, durch die Weltkörper (Planeten und Cometen), welche in geschlossenen Bahnen um die Sonne kreisen und durch enge Bande an sie gefesselt bleiben. Die Anziehung, welche die Sonne jenseits dieser wiederkehrenden Weltkörper auf andere Sonnen (Fixsterne) in weiteren Räumen ausübt, gehört nicht in die Betrachtungen, die uns hier beschäftigen.
Das Sonnengebiet umfaßt nach dem Zustand unserer Kenntnisse am Schluß des halben neunzehnten Jahrhunderts, und wenn man die Planeten nach Abständen von dem Centralkörper ordnet:
22 Hauptplaneten (Merkur, Venus, Erde, Mars; Flora, Victoria, Vesta, Iris, Metis, Hebe, Parthenope, Irene, Asträa, Egeria, Juno, Ceres, Pallas, Hygiea; Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun)
21 Trabanten (einen der Erde, 4 des Jupiter, 8 des Saturn, 6 des Uranus, 2 des Neptun);
197 Cometen, deren Bahn berechnet ist; darunter 6 innere: d. h. solche, deren Aphel von der äußersten Planetenbahn, der des Neptun, umschlossen ist; sodann mit vieler Wahrscheinlichkeit:
den Ring des Thierkreislichtes, vielleicht zwischen der Venus- und Marsbahn liegend; und nach der Meinung vieler Beobachter:
die Schwärme der Meteor-Asteroiden, welche die Erdbahn vorzugsweise in gewissen Punkten schneiden.
Bei der Aufzählung der 22 Hauptplaneten, von welchen nur 6 bis zum 13 März 1781 bekannt waren, sind die 14 Kleinen Planeten (bisweilen auch Coplaneten und 377 Asteroiden genannt, und in unter einander verschlungenen Bahnen zwischen Mars und Jupiter liegend) durch weiteren Druck von den 8 größeren Planeten unterschieden worden.
In der neueren Geschichte planetarischer Entdeckungen sind Haupt-Epochen gewesen: das Auffinden des Uranus, als des ersten Planeten jenseits der Saturnsbahn, von William Herschel zu Bath am 13 März 1781 erkannt durch Scheibenform und Bewegung; das Auffinden der Ceres, des ersten der Kleinen Planeten, am 1 Januar 1801 durch Piazzi zu Palermo; die Erkennung des ersten inneren Cometen durch Encke zu Gotha im August 1819; und die Verkündigung der Existenz des Neptun vermittelst planetarischer Störungs-Berechnungen durch le Verrier zu Paris im August 1846, wie die Entdeckung des Neptun durch Galle zu Berlin am 23 September 1846. Jede dieser wichtigen Entdeckungen hat nicht bloß die unmittelbare Erweiterung und Bereicherung unseres Sonnensystems zur Folge gehabt, sie hat auch zu zahlreichen ähnlichen Entdeckungen veranlaßt: zur Kenntniß von 5 andren inneren Cometen (durch Biela, Faye, de Vico, Brorsen und d'Arrest zwischen 1826 und 1851); wie von 13 Kleinen Planeten: unter denen von 1801 bis 1807 drei (Pallas, Juno und Vesta) und, nach einer Unterbrechung von vollen 38 Jahren, seit Hencke's glücklicher und auch beabsichtigter Entdeckung der Asträa am 8 December 1845, in schneller Folge durch Hencke, Hind, Graham und de Gasparis von 1845 bis Mitte 1851 neun aufgefunden worden sind. Die Aufmerksamkeit auf die Cometenwelt ist so gestiegen, daß in den letzten 11 Jahren die Bahnen von 33 neu entdeckten Cometen berechnet wurden: also nahe eben so viel als in den 40 vorhergehenden Jahren dieses Jahrhunderts.
Die Sonne, als Centralkörper.
Die Weltleuchte (lucerna Mundi), welche in der Mitte thront, wie CopernicusIch habe schon früher (Kosmos Bd. II. S. 347 und 499 Anm. 908) die dem somnium Scipionis nachgeahmte Stelle aus dem 10ten Cap. des ersten Buchs de Revolutionibus abdrucken lassen. die Sonne nennt, ist das allbelebende, pulsirende Herz des Universums nach Theon dem Smyrnäer»Die Sonne sei das Herz des Universums«; aus Theonis Smyrnaei Platonici liber de Astronomia ed. H. Martin 1849 p. 182 und 298: τῆς ἐμψυχίας μέσον το περὶ τὸν ἥλιον, οἱονεὶ καρδίαν ὄντα τοῦ παντός, ὅϑεν φέρουσιν αὐτοῦ καὶ τὴν ψυχὴν ἀρξαμένην διὰ παντὸς ἥκειν τοῦ σώματος τετραμένην ἀπὸ τῶν περάτων. (Diese neue Ausgabe ist merkwürdig, weil sie peripatetische Meinungen des Adrastus und viele platonische des Dercyllides vervollständigt.); sie ist der Urquell des Lichtes und der strahlenden Wärme, der Erreger vieler irdischen electro-magnetischen Processe: ja des größeren Theils der organischen Lebensthätigkeit, besonders der vegetabilischen, auf unserem Planeten. Die Sonne bringt, wenn man ihre Kraftäußerungen in der größten Verallgemeinerung bezeichnen will, Veränderungen auf der Oberfläche der Erde hervor: theils durch Massen-Attraction, wie in der Ebbe und Fluth des Oceans, wenn man von der ganzen Wirkung den Theil abzieht, welche der Lunar-Anziehung gehört; theils durch licht- und wärmeerregende Wallungen (Transversal-Schwingungen) des Aethers, wie in der befruchtenden Vermischung der Luft- und Wasserhüllen des Planeten (bei dem Contact der Atmosphäre mit dem verdunstenden flüssigen Elemente im Meere, in Landseen und Flüssen). Sie wirkt in den durch Wärme-Unterschiede erregten atmosphärischen und oceanischen Strömungen: deren letztere seit Jahrtausenden fortfahren (doch in schwächerem Grade) Geröll-Schichten aufzuhäufen oder entblößend mit sich fortzureißen, und so die Oberfläche des angeschwemmten Landes umzuwandeln; sie wirkt in der Erzeugung 379 und Unterhaltung der electro-magnetischen Thätigkeit der Erdrinde und der des Sauerstoff-Gehaltes der Atmosphäre: bald still und sanft chemische Ziehkräfte erzeugend, und das organische Leben mannigfach in der Endosmose der Zellen-Wandung, in dem Gewebe der Muskel- und Nervenfaser bestimmend; bald Lichtprocesse im Luftkreise (farbig flammendes Polarlicht, Donnerwetter, Orkane und Meersäulen) hervorrufend.
Haben wir hier versucht die solaren Einflüsse, in so fern sie sich nicht auf die Achsenstellung und Bahn unseres Weltkörpers beziehen, in Ein Gemälde zusammenzudrängen; so ist es, um durch Darstellung des Zusammenhanges großer und auf den ersten Blick heterogen scheinender Phänomene recht überzeugend zur Anschauung zu bringen: wie die physische Natur in dem Buche vom Kosmos als ein durch innere, oft sich ausgleichende Kräfte bewegtes und belebtes Ganzes zu schildern sei. Aber die Lichtwellen wirken nicht bloß zersetzend und wieder bindend auf die Körperwelt; sie rufen nicht bloß hervor aus der Erde die zarten Keime der Pflanzen, erzeugen den Grünstoff (Chlorophyll) in den Blättern und färben duftende Blüthen; sie wiederholen nicht bloß tausend- und aber tausendfach reflectirte Bilder der Sonne, im anmuthigen Spiel der Welle wie im bewegten Grashalm der Wiese: das Himmelslicht in den verschiedenen Abstufungen seiner Intensität und Dauer steht auch in geheimnißvollem Verkehr mit dem Inneren des Menschen, mit seiner geistigen Erregbarkeit, mit der trüben oder heiteren Stimmung des Gemüths: Caeli tristitiam discutit Sol et humani nubila animi serenat (Plin. Hist. Nat. II, 6).
Bei jedem der zu beschreibenden Weltkörper lasse ich die numerischen Angaben dem vorangehen, was hier, mit 380 Ausnahme der Erde, von ihrer physischen Beschaffenheit wird beizubringen sein. Die Anordnung der Resultate in Zahlen ist ohngefähr dieselbe wie in der vortrefflichen »Uebersicht des Sonnensystems« von HansenHansen in Schumacher's Jahrbuch für 1837 S. 65–141., doch mit numerischen Veränderungen und Zusätzen: da seit dem Jahre 1837, in dem Hansen schrieb, eilf Planeten und drei Trabanten entdeckt worden sind.
Die mittlere Entfernung des Centrums der Sonne von der Erde ist nach Encke's nachträglicher Correction der Sonnen-Parallaxe (Abhandl. der Berl. Akad. 1835 S. 309) 20682000 geogr. Meilen: deren 15 auf einen Grad des Erd-Aequators gehen, und deren jede nach Bessel's Untersuchung von zehn Gradmessungen (Kosmos Bd. I. S. 421 [Anm. 130]) genau 3807,23 Toisen oder 2284338/100 Pariser Fuß zählt.
Das Licht braucht, um von der Sonne auf die Erde zu gelangen, d. i. um den Halbmesser der Erdbahn zu durchlaufen, nach den Aberrations-Beobachtungen von Struve 8' 17",78 (Kosmos Bd. III. S. 91 und 127 Anm. 1129): weshalb der wahre Ort der Sonne dem scheinbaren um 20",445 voraus ist.
Der scheinbare Durchmesser der Sonne in der mittleren Entfernung derselben von der Erde ist 32' 1",8: also nur 54",8 größer als die Mondscheibe in mittlerer Entfernung von uns. Im Perihel, wenn wir im Winter der Sonne am nächsten sind, hat sich der scheinbare Sonnen-Durchmesser vergrößert bis 32' 34",6; im Aphel, wenn wir im Sommer von der Sonne am fernsten sind, ist der scheinbare Sonnen-Durchmesser verkleinert bis 31' 30",1.
Der wahre Durchmesser der Sonne ist 192700 geographische Meilen, oder mehr denn 112mal größer als der Durchmesser der Erde.
381 Die Sonnenmasse ist nach Encke's Berechnung der Pendelformel von Sabine das 359551fache der Erdmasse oder das 355499fache von Erde und Mond zusammen (vierte Abh. über den Cometen von Pons in den Schriften der Berl. Akad. 1842 S. 5); demnach ist die Dichtigkeit der Sonne nur ohngefähr ¼ (genauer 0,252) der Dichtigkeit der Erde.
Die Sonne hat an 600mal mehr Volum und nach Galle 738mal mehr Masse als alle Planeten zusammengenommen. Um gewissermaßen ein sinnliches Bild von der Größe des Sonnenkörpers zu entwerfen, hat man daran erinnert: daß, wenn man sich die Sonnenkugel ganz ausgehöhlt und die Erde im Centrum denkt, noch Raum für die Mondbahn sein würde, wenn auch die halbe Axe der Mondbahn um mehr als 40000 geographische Meilen verlängert würde.
Die Sonne dreht sich in 25½ Tagen um ihre Achse. Der Aequator ist um 7°½ gegen die Ekliptik geneigt. Nach Laugier's sehr sorgfältigen Beobachtungen (Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XV. 1842 p. 941) ist die Rotations-Zeit 2534/100 Tage (oder 25T 8St 9M) und die Neigung des Aequators 7° 9'.
Die Vermuthungen, zu denen die neuere Astronomie allmälig über die physische Beschaffenheit der Oberfläche der Sonne gelangt ist, gründen sich auf lange und sorgfältige Beobachtung der Veränderungen, welche in der selbstleuchtenden Scheibe vorgehen. Die Reihenfolge und der Zusammenhang dieser Veränderungen (der Entstehung der Sonnenflecken, des Verhältnisses der Kernflecke von tiefer Schwärze zu den sie umgebenden aschgrauen Höfen oder Penumbren) hat auf die Annahme geleitet: daß der Sonnenkörper selbst fast ganz 382 dunkel, aber in einer großen Entfernung von einer Lichthülle umgeben sei; daß in der Lichthülle durch Strömungen von unten nach oben trichterförmige Oeffnungen entstehen, und daß der schwarze Kern der Flecken ein Theil des dunklen Sonnenkörpers selbst sei, welcher durch jene Oeffnung sichtbar werde. Um diese Erklärung, die wir hier nur vorläufig in größter Allgemeinheit geben, für das Einzelne der Erscheinungen auf der Sonnen-Oberfläche befriedigender zu machen, werden in dem gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft drei Umhüllungen der dunklen Sonnenkugel angenommen: zunächst eine innere, wolkenartige Dunsthülle; darüber die Lichthülle (Photosphäre); und über dieser (wie besonders die totale Sonnenfinsterniß vom 8 Juli 1842 erwiesen zu haben scheint) eine äußere Wolkenhülle, dunkel oder doch nur wenig erleuchtet.»D'après l'état actuel de nos connaissances astronomiques le Soleil se compose: 1° d'un globe central à peu près obscur; 2° d'une immense couche de nuages qui est suspendue à une certaine distance de ce globe et l'enveloppe de toutes parts; 3° d'une photosphère; en d'autres termes d'une sphère resplendissante qui enveloppe la couche nuageuse, comme celle-ci, à son tour, enveloppe le noyau obscur. L'éclipse totale du 8 juillet 1842 nous a mis sur la trace d'une troisième enveloppe, située audessus de la photosphère et formée de nuages obscurs ou faiblement lumineux. – Ce sont les nuages de la troisième enveloppe solaire, situés en apparence, pendant l'éclipse totale, sur le contour de l'astre ou un peu en dehors, qui ont donné lieu à ces singulières proéminences rougeâtres qui en 1842 ont si vivement excité l'attention du monde savant.« Arago in dem Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1846 p. 464 und 471. Auch Sir John Herschel in seinen 1849 erschienenen outlines of Astronomy p. 234 § 395 nimmt an: »above the luminous surface of the Sun and the region, in which the spots reside, the existence of a gaseous atmosphere having a somewhat imperfect transparency.«
Wie glückliche Ahndungen und Spiele der Phantasie (das griechische Alterthum ist voll von solchen, spät erfüllten Träumen), lange vor aller wirklichen Beobachtung, bisweilen den Keim richtiger Ansichten enthalten: so finden wir schon in der Mitte des 15ten Jahrhunderts in den Schriften des Cardinals Nicolaus von Cusa, im 2ten Buche de ignorantia, deutlich die Meinung ausgedrückt: daß der Sonnenkörper für sich nur »ein erdhafter Kern sei, der von einem Lichtkreise wie von einer feinen Hülle umgeben werde; daß in der Mitte (zwischen dem dunklen Kern und der Lichthülle?) sich ein Gemisch von wasserhaltigen Wolken und klarer Luft, gleich unserem Dunstkreise, befinde; daß das Vermögen ein die Vegetation auf der Erde belebendes Licht auszustrahlen nicht dem erdigen Kern des Sonnenkörpers, sondern der Lichthülle, welche mit demselben verbunden ist, 383 zugehöre. Diese, in der Geschichte der Astronomie bisher so wenig beachtete Ansicht der physischen Beschaffenheit des Sonnenkörpers hat vielEs kommt zuerst darauf an die Stellen, auf welche ich mich im Texte beziehe und durch eine lehrreiche Schrift von Clemens (Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa 1847 S. 101) aufmerksam geworden bin, in der Original-Sprache zu geben. Der Cardinal Nicolaus von Cusa (der Familienname war Khrypffs, d. i. Krebs), gebürtig aus Cues an der Mosel, sagt in dem 12ten Capitel des zweiten Buches von dem zu seiner Zeit so berühmten Tractate de docta Ignorantia (Nicolai de Cusa Opera ed. Basil. 1565 p. 39): »neque color nigredinis est argumentum vilitatis Terrae; nam in Sole si quis esset, non appareret illa claritas quae nobis: considerato enim corpore Solis, tunc habet quandam quasi terram centraliorem, et quandam luciditatem quasi ignilem circumferentialem, et in medio quasi aqueam nubem et aërem clariorem, quemadmodum terra ista sua elementa.« Daneben steht: Paradoxa und Hypni; das letzte Wort soll also hier gewiß Träumereien (ἐνύπνια), etwas Gewagtes bezeichnen. – In der langen Schrift: exercitationes ex Sermonibus Cardinalis (Opera p. 579) finde ich wieder in einem Gleichniß: »Sicut in Sole considerari potest natura corporalis, et illa de se non est magnae virtutis (trotz der Massen-Anziehung oder Gravitation!) et non potest virtutem suam aliis corporibus communicare, quia non est radiosa. Et alia natura lucida illi unita, ita quod Sol ex unione utriusque naturae habet virtutem, quae sufficit huic sensibili mundo, ad vitam innovandam in vegetabilibus et animalibus, in elementis et mineralibus per suam influentiam radiosam. Sic de Christo, qui est Sol justitiae.....« Dr. Clemens glaubt, dies alles sei mehr als glückliche Ahndung. Es scheint ihm »schlechterdings unmöglich, daß ohne eine ziemlich genaue Beobachtung der Sonnenflecken, sowohl der dunklen Stellen in denselben als der Halbschatten, Cusa sich an den angeführten Orten (considerato corpore Solis; in Sole considerari potest....) auf die Erfahrung hätte berufen können.« Er vermuthet: »daß der Scharfblick des Philosophen der neuesten Wissenschaft in ihren Ergebnissen vorgegriffen, und daß auf seine Ansichten Entdeckungen eingewirkt haben mögen, die erst Späteren zugeschrieben zu werden pflegen.« Es ist allerdings nicht bloß möglich, sondern sogar recht wahrscheinlich, daß in Gegenden, wo die Sonne mehrere Monate verschleiert ist, wie während der garua im Littoral von Peru, selbst ungebildete Völker mit bloßen Augen Sonnenflecken gesehen haben; aber daß sie dieselben beachtet, beim Sonnendienst in ihre religiösen Mythen verflochten hätten: davon hat noch kein Reisender Kunde geben können. Die bloße und so seltene Erscheinung eines Sonnenfleckens: mit unbewaffnetem Auge in der niedrig stehenden oder dünn verschleierten: dann weißen, rothen, vielleicht grünlichen Sonnenscheibe gesehen, würde selbst geübte Denker wohl nie auf die Vermuthung mehrerer Umhüllungen des dunklen Sonnenkörpers geführt haben. Wenn der Cardinal Cusa etwas von Sonnenflecken gewußt hätte, würde er gewiß nicht unterlassen haben bei den vielen Vergleichungen physischer und geistiger Dinge, zu denen er nur allzu geneigt ist, der maculae Solis zu erwähnen. Man erinnere sich nur des Aufsehens und bitteren Streites, welche im Anfang des 17ten Jahrhunderts, gleich nach Erfindung des Fernrohrs, die Entdeckungen von Joh. Fabricius und Galilei erregten. An die dunkel ausgedrückten astronomischen Vorstellungen des Cardinals: der 1464, also neun Jahre eher starb, als Copernicus geboren war, habe ich schon früher (Kosmos Bd. II. S. 503 Anm. 916) erinnert. – Die merkwürdige Stelle: jam nobis manifestum est Terram in veritate moveri, steht in lib. II cap. 12 de docta Ignorantia. Nach Cusa ist in jedem Theile des Himmelsraumes alles bewegt; wir finden keinen Stern, der nicht einen Kreis beschriebe. »Terra non potest esse fixa, sed movetur ut aliae stellae.« Die Erde kreist aber nicht um die Sonne, sondern Erde und Sonne kreisen »um die ewig wechselnden Pole des Universums«. Cusa ist also kein Copernicaner: wie dies erst das so glücklich von Dr. Clemens im Hospital zu Cues aufgefundene, von des Cardinals eigener Hand 1444 geschriebene Bruchstück erweist. Aehnlichkeit mit den jetzt herrschenden Meinungen.
Die Sonnenflecken selbst, wie ich früher in den Geschichts-Epochen der physischen WeltanschauungKosmos Bd. II. S. 360–362 und 511–512 Anm. 932–936. entwickelt habe, sind nicht von Galilei, Scheiner oder Harriot: sondern von Johann Fabricius, dem Ostfriesen, zuerst gesehen und in gedruckten Schriften beschrieben worden. Sowohl der Entdecker als auch Galilei, wie dessen Brief an den Principe Cesi (vom 25 Mai 1612) beweist, wußten, daß die Flecken dem Sonnenkörper selbst angehören; aber 10 und 20 Jahre später behaupteten fast zugleich ein Canonicus von Sarlat, Jean Tarde, und ein belgischer Jesuit, daß die Sonnenflecken Durchgänge kleiner Planeten wären. Der Eine nannte sie Sidera Borbonia, der Andere Sidera Austriaca.»Borbonia Sidera, id est planetae qui Solis lumina circumvolitant motu proprio et regulari, falso hactenus ab helioscopis Maculae Solis nuncupati, ex novis observationibus Joannis Tarde 1620.« – »Austriaca Sidera heliocyclica astronomicis hypothesibus illigata opera Caroli Malapertii Belgae Montensis e Societate Jesu 1633.« Die letztere Schrift hat wenigstens das Verdienst Beobachtungen von einer Reihe von Sonnenflecken zwischen 1618 und 1626 zu geben. Es sind aber dieselben Jahre, für welche Scheiner zu Rom eigene Beobachtungen in seiner Rosa Ursina veröffentlichte. Der Canonicus Tarde glaubt schon darum an Durchgänge kleiner Planeten, weil das Weltauge, »l'oeil du Monde, ne peut avoir des ophthalmies«! Es muß mit Recht Wunder nehmen, daß 20 Jahre nach Tarde und seinen borbonischen Trabanten der um die Beobachtungskunst so verdiente Gascoigne (Kosmos Bd. III. S. 76) noch die Sonnenflecken einer Conjunction vieler um den Sonnenkörper in großer Nähe kreisender, fast durchscheinender, planetarischer Körper zuschrieb. Mehrere derselben, gleichsam über einander gelegt, sollten schwarze Schattenbilder verursachen. (Philos. Transact. Vol. XXVII. 1710–1712 p. 282–290, aus einem Briefe von William Crabtrie vom August 1640.) Scheiner bediente sich zuerst bei Sonnen-Beobachtungen der: schon 70 Jahre früher von Apian (Bienewitz) im Astronomicum Caesareum vorgeschlagenen, auch von belgischen Piloten längst gebrauchten, blauen und grünen BlendgläserArago sur les moyens d'observer les taches solaires, im Annuaire pour l'an 1842 p. 476–479. (Delambre, Histoire de l'Astronomie du moyen âge p. 394, wie Hist. de l'Astr. moderne T. I. p. 681.), deren Nicht-Gebrauch viel zu Galilei's Erblindung beigetragen hat.
Die bestimmteste Aeußerung über die Nothwendigkeit der Annahme einer dunklen Sonnenkugel, welche von einer Lichthülle (Photosphäre) umgeben sei, finde ich: durch wirkliche Beobachtung, nach Entdeckung der Sonnenflecken, hervorgerufen, zuerst bei dem großen Dominicus CassiniMémoires pour servir à l'Histoire des Sciences par Mr. le Comte de Cassini 1810 p. 242; Delambre, Hist. de l'Astr. mod. T. II. p. 694. Obgleich Cassini schon 1671 und la Hire 1700 den Sonnenkörper für dunkel erklärt hatten, fährt man fort in schätzbaren astronomischen Lehrbüchern die erste Idee dieser Hypothese dem verdienstvollen Lalande zuzuschreiben. Lalande, in der Ausgabe seiner Astronomie von 1792 T. III. § 3240, wie in der ersten von 1764 T. II. § 2515, bleibt bloß der alten Meinung von la Hire getreu, der Meinung: que les taches sonst les éminences de la masse solide et opaque du Soleil, recouverte communément (en entier) par le fluide igné. Zwischen 1769 und 1774 hat Alexander Wilson die erste richtige Ansicht einer trichterförmigen Oeffnung in der Photosphäre gehabt. etwa um das Jahr 1671. Nach ihm ist die Sonnenscheibe, die wir sehen, »ein Licht-Ocean, welcher den festen und dunkelen Kern der Sonne umgiebt; gewaltsame Bewegungen (Aufwallungen), die in der Lichthülle vorgehen, lassen uns von Zeit zu Zeit 384 die Berggipfel jenes lichtlosen Sonnenkörpers sehen. Das sind die schwarzen Kerne im Centrum der Sonnenflecken.« Die aschfarbenen Höfe (Penumbren), von welchen die Kerne umgeben sind, blieben damals noch unerklärt.
Eine sinnreiche und seitdem vielfach bestätigte Beobachtung, welche Alexander Wilson, der Astronom von Glasgow, an einem großen Sonnenflecken den 22 Nov. 1769 machte, leitete ihn auf die Erklärung der Höfe. Wilson entdeckte, daß, so wie ein Flecken sich gegen den Sonnenrand hinbewegt, die Penumbra nach der gegen das Centrum der Sonne gekehrten Seite in Vergleich mit der entgegengesetzten Seite allmälig schmaler und schmaler wird. Der Beobachter schloß sehr richtigAlexander Wilson, observ. on the Solar Spots in den Philos. Transact. Vol. LXIV. 1774 Part 1. p. 6–13, Tab. I. »I found that the Umbra, which before was equally broad all round the nucleus, appeared much contracted on that part which lay towards the centre of the disc, whilst the other parts of it remained nearly of the former dimensions. I perceived that the shady zone or umbra, which surrounded the nucleus, might be nothing else but the shelving sides of the luminous matter of the sun.« Vergl. auch Arago im Annuaire pour 1842 p. 506. aus diesen Dimensions-Verhältnissen im Jahr 1774, daß der Kern des Fleckens (der durch die trichterförmige Excavation in der Lichthülle sichtbar werdende Theil des dunklen Sonnenkörpers) tiefer liege als die Penumbra, und daß diese von den abhängigen Seitenwänden des Trichters gebildet werde. Diese Erklärungsweise beantwortete aber noch nicht die Frage, warum die Höfe am lichtesten nahe bei dem Kernflecken sind?
In seinen »Gedanken über die Natur der Sonne und die Entstehung ihrer Flecken« entwickelte, ohne Wilson's frühere Abhandlung zu kennen, unser Berliner Astronom Bode mit der ihm eigenthümlichen populären Klarheit ganz ähnliche Ideen. Er hat dazu das Verdienst gehabt die Erklärung der Penumbra dadurch zu erleichtern, daß er, fast wie in den Ahndungen des Cardinals Nicolaus von Cusa, zwischen der Photosphäre und dem dunklen Sonnenkörper noch eine wolkige Dunstschicht annahm. Diese Hypothese von zwei Schichten führt zu folgenden Schlüssen: Entsteht in weniger häufigen 385 Fällen in der Photosphäre allein eine Oeffnung und nicht zugleich in der trüben unteren, von der Photosphäre sparsam erleuchteten Dunstschicht; so reflectirt diese ein sehr gemäßigtes Licht gegen den Erdbewohner: und es entsteht eine graue Penumbra, ein bloßer Hof ohne Kern. Erstreckt sich aber, bei stürmischen meteorologischen Processen an der Oberfläche des Sonnenkörpers, die Oeffnung durch beide Schichten (durch die Licht- und die Wolkenhülle) zugleich; so erscheint in der aschfarbigen Penumbra ein Kernflecken: »welcher mehr oder weniger Schwärze zeigt, je nachdem die Oeffnung in der Oberfläche des Sonnenkörpers sandiges oder felsiges Erdreich, oder Meere trifft«.Bode in den Beschäftigungen der Berlinischen Gesellschaft Naturforschender Freunde Bd. II. 1776 S. 237–241 und 249. Der Hof, welcher den Kern umgiebt, ist wieder ein Theil der äußeren Oberfläche der Dunstschicht; und da diese wegen der Trichterform der ganzen Excavation weniger geöffnet ist als die Photosphäre: so erklärt der Weg der Lichtstrahlen, welche, zu beiden Seiten, an den Rändern der unterbrochenen Hüllen hinstreifen und zu dem Auge des Beobachters gelangen, die von Wilson zuerst aufgefundene Verschiedenheit in den gegenüberstehenden Breiten der Penumbra, je nachdem der Kernflecken sich von dem Centrum der Sonnenscheibe entfernt. Wenn, wie Laugier mehrmals bemerkt hat, sich der Hof über den schwarzen Kernflecken selbst hinzieht und dieser gänzlich verschwindet; so ist die Ursach davon die, daß nicht die Photosphäre, aber wohl die Dunstschicht unter derselben ihre Oeffnung geschlossen hat.
Ein Sonnenflecken, der im Jahr 1779 mit bloßen Augen sichtbar war, leitete glücklicherweise William Herschel's gleich geniale Beobachtungs- und Combinationsgabe auf den Gegenstand, welcher uns hier beschäftigt. Wir besitzen die Resultate seiner großen Arbeit, die das Einzelnste in einer sehr bestimmten, 386 von ihm festgesetzten Nomenclatur behandelt, in zwei Jahrgängen der Philosophical Transactions von 1795 und 1801. Wie gewöhnlich, geht der große Mann auch hier wieder seinen eigenen Weg; er nennt bloß einmal Alexander Wilson. Das Allgemeine der Ansicht ist identisch mit der von Bode, seine Construction der Sichtbarkeit und Dimensionen des Kernes und der Penumbra (Philos. Transact. 1801 p. 270 und 318, Tab. XVIII fig. 2) gründet sich auf die Annahme einer Oeffnung in zwei Umhüllungen; aber zwischen der Dunsthülle und dem dunklen Sonnenkörper setzt er noch (p. 302) eine helle Luft-Atmosphäre (clear and transparent), in welcher die dunklen oder wenigstens nur durch Reflex schwach erleuchteten Wolken etwa 70 bis 80 geogr. Meilen hoch hangen. Eigentlich scheint William Herschel geneigt auch die Photosphäre nur als eine Schicht unzusammenhangender phosphorischer Wolken von sehr rauher (ungleicher) Oberfläche zu betrachten. »Ein elastisches Fluidum unbekannter Natur scheint ihm aus der Rinde oder von der Oberfläche des dunklen Sonnenkörpers aufzusteigen: und in den höchsten Regionen bei einer schwachen Wirkung nur kleine Lichtporen; bei heftiger, stürmischer Wirkung große Oeffnungen und mit ihnen Kernflecken, die von Höfen (shallows) umgeben sind, zu erzeugen.
Die: selten runden, fast immer eingerissen eckigen, durch einspringende Winkel charakterisirten, schwarzen Kernflecken sind oft von Höfen umgeben, welche dieselbe Figur in vergrößertem Maaßstabe wiederholen. Es ist kein Uebergang der Farbe des Kernfleckens in den Hof; oder des Hofes, welcher bisweilen fasrig ist, in die Photosphäre bemerkbar. Capocci und ein sehr fleißiger Beobachter, Pastorff (zu Buchholz in der 387 Mark), haben die eckigen Formen der Kerne sehr genau abgebildet (Schum. astr. Nachr. No. 115 S. 316, No. 133 S. 291 und No. 144 S. 471). William Herschel und Schwabe sahen die Kernflecken durch glänzende Lichtadern, ja wie durch Lichtbrücken (luminous bridges) getheilt; Phänomene wolkenartiger Natur aus der zweiten, die Höfe erzeugenden Schicht. Solche sonderbaren Gestaltungen, wahrscheinlich Folgen aufsteigender Ströme; die tumultuarischen Entstehungen von Flecken, Sonnenfackeln, Furchen und hervorragenden Streifen (Kämmen von Lichtwellen) deuten nach dem Astronomen von Slough auf starke Licht-Entbindung; dagegen deutet nach ihm »Abwesenheit von Sonnenflecken und der sie begleitenden Erscheinungen auf Schwäche der Combustion, und daher minder wohlthätige Wirkung auf die Temperatur unseres Planeten und das Gedeihen der Vegetation.« Durch diese Ahndungen wurde William Herschel zu dem Versuche geleitet, die Abwesenheit von Sonnenflecken in den Jahren 1676–1684 (nach Flamsteed), von 1686–1688 (nach Dominicus Cassini), von 1695–1700, von 1795–1800 mit den Kornpreisen und den Klagen über schlechte Erndten zu vergleichen.William Herschel in den Philosophical Transactions of the Royal Society for 1801 Part 2. p. 310–316. Leider! wird es aber immer an der Kenntniß numerischer Elemente fehlen, auf welche sich auch nur eine muthmaßliche Lösung eines solchen Problems gründen könnte: nicht etwa bloß, wie der immer so umsichtige Astronom selbst bemerkt, weil die Kornpreise in einem Theile von Europa nicht den Maaßstab für den Vegetations-Zustand des ganzen Continents abgeben können; sondern vorzüglich weil aus der Verminderung der mittleren Jahres-Temperatur, sollte sie auch ganz Europa umfassen, sich keinesweges auf eine geringere Quantität Wärme schließen läßt, welche in demselben 388 Jahre der Erdkörper von der Sonne empfangen hat. Aus Dove's Untersuchungen über die nicht periodischen Temperatur-Aenderungen ergiebt sich, daß Witterungs-Gegensätze stets seitlich (zwischen fast gleichen Breitenkreisen) neben einander liegen. Unser Continent und der gemäßigte Theil von Nordamerika bilden in der Regel solch einen Gegensatz. Wenn wir hier strenge Winter erleiden, so sind sie dort milde, und umgekehrt: – Compensationen in der räumlichen Wärme-Vertheilung, welche da, wo nahe oceanische Verbindungen statt finden, wegen des unbestreitbaren Einflusses der mittleren Quantität der Sommerwärme auf den Vegetations-Cyclus und demnach auf das Gedeihen der Cerealien, von den wohlthätigsten Folgen für die Menschheit sind.
Wie William Herschel der Thätigkeit des Centralkörpers: dem Processe, dessen Folgen die Sonnenflecken sind, eine Zunahme der Wärme auf dem Erdkörper zuschrieb; so hatte fast drittehalb Jahrhunderte früher Batista Baliani in einem Briefe an Galilei die Sonnenflecken als erkältende Potenzen geschildertEin officielles Zusammenstellen von Korntheurung und vielmonatlicher Verdunkelung der Sonnenscheibe wird in den historischen Fragmenten des älteren Cato erwähnt. Luminis caligo und defectus Solis deutet bei römischen Schriftstellern, z. B. in Erzählungen über die lange Verbleichung der Sonne nach dem Tode des Cäsar, keinesweges immer auf eine Sonnenfinsterniß. So findet sich bei Aulus Gellius in Noct. Att. II, 28: »Verba Catonis in Originum quarto haec sunt: non libet scribere, quod in tabula apud Pontificem maximum est, quotiens anona cara, quotiens lunae an solis lumini caligo, aut quid obstiterit.«. Diesem Resultate würde sich auch nähern der Versuch, welchen der fleißige Astronom GautierGautier, recherches relatives à l'influence que le nombre des taches solaires exerce sur les températures terrestres in der Bibliothèque Universelle de Genève, nouv. Série T. LI. 1844 p. 327–335. in Genf gemacht hatte, vier Perioden von vielen und wenigen Flecken auf der Sonnenscheibe (von 1827–1843) mit den mittleren Temperaturen zu vergleichen, welche 33 europäische und 29 amerikanische Stationen ähnlicher Breiten darboten. Es offenbaren in dieser Vergleichung sich wieder, durch positive und negative Unterschiede ausgedrückt, die Gegensätze der einander gegenüberstehenden atlantischen Küsten. Die Endresultate geben aber für die erkältende Kraft, die hier den Sonnenflecken zugeschrieben wird, kaum 0°,42 Cent.: welche selbst für die bezeichneten Localitäten den Fehlern der Beobachtung und der 389 Windrichtungen eben so gut als den Sonnenflecken zuzuschreiben sein können.
Es bleibt uns übrig noch von einer dritten Umhüllung der Sonne zu reden, deren wir schon oben erwähnt. Sie ist die äußerste von allen, bedeckt die Photosphäre (die selbstleuchtende Lichthülle), und ist wolkig und unvollkommen durchscheinend. Merkwürdige Phänomene: röthliche, berg- oder flammenartige Gestalten, welche während der totalen Sonnenfinsterniß vom 8 Juli 1842: wenn auch nicht zum ersten Male, doch viel deutlicher, und gleichzeitig von mehreren der geübtesten Beobachter gesehen wurden; haben zu der Annahme einer solchen dritten Hülle geführt. Arago hat mit großem Scharfsinn, nach gründlicher Prüfung der einzelnen Beobachtungen, in einer eigenen AbhandlungArago im Annuaire pour 1846 p. 271–438. die Motive aufgezählt, welche diese Annahme nothwendig machen. Er hat gleichzeitig erwiesen, daß seit 1706 in totalen oder ringförmigen Sonnenfinsternissen bereits 8mal ähnliche rothe randartige Hervorragungen beschrieben worden sind.A. a. O. p. 440–447. Am 8 Juli 1842 sah man, als die scheinbar größere Mondscheibe die Sonne ganz bedeckte, nicht bloß einen weißlichenDas ist der weißliche Schein, welcher auch in der Sonnenfinsterniß vom 15 Mai 1836 gesehen ward und von welchem schon damals der große Königsberger Astronom sehr richtig sagte: »daß, als die Mondscheibe die Sonne ganz verdeckte, noch ein leuchtender Ring der Sonnen-Atmosphäre übrig blieb«. (Bessel in Schumacher's astron. Nachrichten No. 320.) Schein als Krone oder leuchtenden Kranz die Mondscheibe umgeben; man sah auch, wie auf ihrem Rande wurzelnd, zwei oder drei Erhöhungen: welche einige der Beobachter mit röthlichen, zackigen Bergen; andere mit gerötheten Eismassen; noch andere mit unbeweglichen, gezahnten, rothen Flammen verglichen. Arago, Laugier und Mauvais in Perpignan, Petit in Montpellier, Airy auf der Superga, Schumacher in Wien und viele andere Astronomen stimmten in den Hauptzügen der Endresultate, trotz der großen Verschiedenheit der angewandten Fernröhre, vollkommen mit einander überein. Die Erhöhungen 390 erschienen nicht immer gleichzeitig; an einigen Orten werden sie sogar mit dem unbewaffneten Auge erkannt. Die Schätzung der Höhenwinkel fiel allerdings verschieden aus; die sicherste ist wohl die von Petit, dem Director der Sternwarte zu Toulouse. Sie war 1' 45"; und würde, wenn die Erhabenheiten wirkliche Sonnenberge wären, Höhen von 10000 geogr. Meilen geben: das ist fast siebenmal der Durchmesser der Erde, während dieser nur 112mal im Durchmesser der Sonne enthalten ist. Die Gesammtheit der discutirten Erscheinungen hat zu der sehr wahrscheinlichen Hypothese geführt: daß jene rothen Gestalten Aufwallungen in der dritten Hülle sind; Wolkenmassen, welche die Photosphäre erleuchtet»Si nous examinions de plus près l'explication d'après laquelle les protubérances rougeâtres seraient assimilées à des nuages (de la troisième enveloppe), nous ne trouverions aucun principe de physique qui nous empêchât d'admettre que des masses nuageuses de 25 à 30000 lieues de long flottent dans l'atmosphère du Soleil; que ces masses, comme certains nuages de l'atmosphère terrestre, ont des contours arrêtés, qu'elles affectent, çà et là, des formes très tourmentées, même des formes en surplomb; que la lumière solaire (la photosphère) les colore en rouge. – Si cette troisième enveloppe existe, elle donnera peut-être la clef de quelques-unes des grandes et déplorables anomalies que l'on remarque dans le cours des saisons.« Arago im Annuaire pour 1846 p. 460 und 467. und färbt. Arago, indem er diese Hypothese aufstellt, äußert zugleich die Vermuthung, daß das tiefe Dunkel des blauen Himmels: welches ich selbst auf den höchsten Cordilleren mit den, freilich noch bis jetzt so unvollkommenen Instrumenten gemessen, bequem Gelegenheit darbieten könne jene bergartigen Wolken des äußersten Dunstkreises der Sonne häufig zu beobachten.»Tout ce qui affaiblira sensiblement l'intensité éclairante de la portion de l'atmosphère terrestre qui paraît entourer et toucher le contour circulaire du Soleil, pourra contribuer à rendre les proéminences rougeâtres visibles. Il est donc permis d'espérer qu'un astronome exercé, établi au sommet d'une très haute montagne, pourrait y observer régulièrement les nuages de la troisième enveloppe solaire, situés, en apparence, sur le contour de l'astre ou un peu en dehors; déterminer ce qu'ils ont de permanent et de variable, noter les périodes de disparition et de réapparition....« Arago a. a. O. p. 471.
Wenn man die Zone betrachtet, in welcher die Sonnenflecken am gewöhnlichsten gefunden werden (es beschreiben dieselben bloß am 8 Juni und 9 December gerade, und dazu unter sich und dem Sonnen-Aequator parallele, nicht concav oder convex gekrümmte Linien auf der Sonnenscheibe); so ist es gleich charakteristisch, daß sie selten in der Aequatorial-Gegend von 3° nördlicher bis 3° südlicher Breite gesehen werden, ja in der Polargegend gänzlich fehlen. Sie sind im ganzen am häufigsten zwischen 11° und 15° nördlich vom Aequator; und überhaupt in der nördlichen Hemisphäre häufiger oder, wie Sömmering will, dort ferner vom Aequator zu sehen 391 als in der südlichen Hemisphäre (outlines § 393, Capreise p. 493). Schon Galilei bestimmte als äußerste Grenzen nördlicher und südlicher heliocentrischer Breite 29°. Sir John Herschel erweitert diese Grenzen bis 35°; eben so Schwabe (Schum. astr. Nachr. No. 473). Einzelne Flecken hat Laugier (Comptes rendus T. XV. p. 944) bis 41°, Schwabe bis 50° aufgefunden. Zu den größten Seltenheiten gehört ein Flecken, welchen la Hire unter 70° nördl. Breite beschreibt.
Die eben entwickelte Vertheilung der Flecken auf der Sonnenscheibe, ihre Seltenheit unter dem Aequator selbst und in der Polargegend, ihre Reihung parallel dem Aequator haben Sir John Herschel zu der Vermuthung veranlaßt: daß Hindernisse, welche die dritte, dunstförmige, äußerste Umhüllung an einigen Punkten der Entweichung der Wärme entgegensetzen kann, Strömungen in der Sonnen-Atmosphäre von den Polen zum Aequator erzeugen: denen ähnlich, welche auf der Erde, wegen der Geschwindigkeits-Verschiedenheit unter jedem der Parallelkreise, die Ursach der Passatwinde und der Windstillen nahe am Aequator sind. Einzelne Flecken zeigen sich so permanent, daß sie, wie der große von 1779, sechs volle Monate lang immer wiederkehren. Schwabe hat dieselbe Gruppe 1840 achtmal verfolgen können. Ein schwarzer Kernflecken, welcher in der, von mir so viel benutzten Capreise von Sir John Herschel abgebildet ist, wurde durch genaue Messung so groß gefunden, daß, wenn unser ganzer Erdball durch die Oeffnung der Photosphäre wäre geworfen worden, noch auf jeder Seite ein freier Raum von mehr als 230 geogr. Meilen übrig geblieben wäre. Sömmering macht darauf aufmerksam, daß es an der Sonne gewisse Meridian-Streifen giebt, 392 in denen er viele Jahre lang nie einen Sonnenflecken hat entstehen sehen (Thilo de Solis maculis a Soemmeringio observatis 1828 p. 22). Die so verschiedenen Angaben der Umlaufszeit der Sonne sind keinesweges der Ungenauigkeit der Beobachtung allein zuzuschreiben; sie rühren von der Eigenschaft einiger Flecken her, selbst ihren Ort auf der Scheibe zu verändern. Laugier hat diesem Gegenstand eine specielle Untersuchung gewidmet: und Flecken beobachtet, welche einzeln Rotationen von 24T,28 und 26T,46 geben würden. Unsere Kenntniß von der wirklichen Rotationszeit der Sonne kann daher nur als das Mittel aus einer großen Zahl von beobachteten Flecken gelten, welche durch Permanenz der Gestaltung und durch Unveränderlichkeit des Abstandes von anderen, gleichzeitigen Flecken Sicherheit gewähren.
Obgleich für den, welcher unbewaffneten Auges mit Absicht die Sonnenscheibe durchspäht, viel öfter deutlich Sonnenflecken erkennbar werden, als man gewöhnlich glaubt; so findet man doch bei sorgfältiger Prüfung zwischen den Anfängen des 9ten und des 17ten Jahrhunderts kaum zwei bis drei Erscheinungen aufgezeichnet, welchen man Vertrauen schenken kann. Ich rechne dahin: aus den, zuerst einem Astronomen aus dem Benedictiner-Orden, später dem Eginhard zugeschriebenen Annalen der fränkischen Könige, den sogenannten achttägigen Aufenthalt des Merkur in der Sonnenscheibe im Jahr 807; den 91 Tage dauernden Durchgang der Venus durch die Sonne unter dem Chalifen Al-Motaßem im Jahr 840; die Signa in Sole im Jahr 1096 nach Staindelii Chronicon. Die Epochen von räthselhaften geschichtlichen Verdunkelungen der Sonne oder, wie man sich genauer ausdrücken sollte, von mehr oder weniger lange dauernder Verminderung 393 der Tageshelle, haben mich seit Jahren, als meteorologische oder vielleicht kosmische Erscheinungen, zu speciellen UntersuchungenWenn es auch nicht zu läugnen ist, daß bei Griechen und Römern einzelne Individuen mit bloßem Auge große Sonnenflecken gesehen haben mögen; so scheint es doch gewiß, daß solche vereinzelte Beobachtungen nie griechische und römische Schriftsteller in den auf uns gekommenen Werken veranlaßt haben der Erscheinung zu erwähnen. Die Stellen des Theophrast de Signis IV, des Aratus Diosemea v. 90–92 und Proclus Paraphr. II, 14, in welchen Ideler, der Sohn (Meteorol. Veterum p. 201 und Commentar zu Aristot. Meteorol. T. I. p. 374), Bezeichnung von Sonnenflecken zu finden glaubte, besagen bloß: daß die Sonnenscheibe, die gutes Wetter bedeute, keine Verschiedenheit auf ihrer Oberfläche, nichts bezeichnendes (μηδέ τι σῆμα φέροι), sondern völlige Gleichartigkeit zeige. Das σῆμα, die scheckige Oberfläche, wird dazu ausdrücklich leichtem Gewölk, dem atmosphärischen Dunstkreise (der Scholiast des Aratus sagt: der Dicke der Luft) zugeschrieben; daher ist auch immer von Morgen- und Abendsonne die Rede: weil deren Scheiben, unabhängig von allen wirklichen Sonnenflecken, als Diaphanometer, noch gegenwärtig den Ackerbauer wie den Seemann, nach einem alten, nicht zu verachtenden Glauben, über nahe bevorstehende Wetterveränderungen belehren. Die Sonnenscheibe am Horizont giebt Aufschlüsse über den Zustand der unteren, der Erdoberfläche näheren Luftschichten. – Von den im Text bezeichneten, dem unbewaffneten Auge sichtbaren Sonnenflecken, welche man in den Jahren 807 und 840 fälschlich für Durchgänge des Merkur und der Venus gehalten hat, ist der erstere aufgeführt in der großen historischen Sammlung von Justus Reuberus, veteres Scriptores (1726), und zwar in der Abtheilung: Annales Regum Francorum Pipini, Karoli Magni et Ludovici a quodam ejus aetatis Astronomo, Ludovici regis domestico, conscripti, p. 58. Für den Verfasser dieser Annalen wurde zuerst ein Benedictiner-Mönch (p. 28), später und mit Recht der berühmte Eginhard (Einhard, Carls des Großen Geheimschreiber) gehalten; s. Annales Einhardi in Pertz, Monumenta Germaniae historica, Script. T. I,. p. 194. Die Stelle heißt: »DCCCVII. stella Mercurii XVI kal. April. visa est in Sole qualis parva macula nigra, paululum superius medio centro ejusdem sideris, quae a nobis octo dies conspicata est; sed quando primum intravit vel exivit, nubibus impedientibus, minime notare potuimus.« – Den von den arabischen Astronomen erwähnten sogenannten Durchgang der Venus führt Simon Assemanus in der Einleitung zum Globus caelestis Cufico-Arabicus Veliterni Musei Borgiani 1790 p. XXXVIII auf: »Anno Hegyrae 225 regnante Almootasemo Chalifa visa est in Sole prope medium nigra quaedam macula, idque feria tertia die decima nona Mensis Regebi.....« Man hielt sie für den Planeten Venus, und glaubte dieselbe macula nigra (also wohl mit Unterbrechungen von 12–13 Tagen?) 91 Tage lang gesehen zu haben. Bald darauf sei Motaßem gestorben. – Von den geschichtlichen (der populären Tradition entnommenen) Nachrichten über plötzlich eintretende Abnahme der Tageshelle will ich aus den vielen von mir gesammelten Thatsachen hier folgende 17 Beispiele anführen:
veranlaßt. Da große Züge von Sonnenflecken (Hevelius beobachtete dergleichen am 20 Juli 1643, welche den dritten Theil der Scheibe bedeckten) immer von vielen Sonnenfackeln begleitet sind, so bin ich wenig geneigt jene Verdunkelungen: bei denen zum Theil Sterne, wie in totalen Sonnenfinsternissen, sichtbar wurden, den Kernflecken zuzuschreiben.
45
vor Chr. Geb.: bei dem Tode des Julius Cäsar, nach welchem ein ganzes Jahr lang die Sonne bleich und minder wärmend war: weshalb die Luft dick, kalt und trübe blieb und die Früchte nicht gediehen; Plutarch in Jul. Caes. cap. 87, Dio Cass. XLIV, Virg. Georg. I, 466.
33
nach Chr. Geb.: Todesjahr des Erlösers. »Von der sechsten Stunde an ward eine Finsterniß über das ganze Land bis zu der neunten Stunde« (Ev. Matthäi Cap. 27 v. 45). Nach dem Ev. Lucä Cap. 23 v. 45 »verlor die Sonne ihren Schein«. Eusebius führt zur Erklärung und Bestätigung eine Sonnenfinsterniß der 202ten Olympiade an, deren ein Chronikenschreiber, Phlegon von Tralles, erwähnt hatte (Ideler, Handbuch der mathem. Chronologie Bd. II. S. 417). Wurm hat aber gezeigt, daß die dieser Olympiade zugehörige und in ganz Kleinasien sichtbare Sonnenfinsterniß schon am 24 Nov. des Jahres 29 nach Chr. Geb. statt hatte. Der Todestag fiel mit dem jüdischen Passahmahle zusammen (Ideler Bd. I. S. 515–520), am 14 Nisan; und das Passah wurde immer zur Zeit des Vollmondes gefeiert. Die Sonne kann daher nicht durch den Mond 3 Stunden lang verfinstert worden sein. Der Jesuit Scheiner glaubte die Abnahme des Lichts einem Zuge großer Sonnenflecken zuschreiben zu dürfen.
358
am 22 Aug. zweistündige Verfinsterung vor dem furchtbaren Erdbeben von Nicomedia, das auch viele andere Städte in Macedonien und am Pontus zerstörte. Die Dunkelheit dauerte 2 bis 3 Stunden: nec contigua vel adposita cernebantur. Ammian. Marcell. XVII, 7.
360:
In allen östlichen Provinzen des römischen Reichs (per Eoos tractus) war caligo a primo aurorae exortu adusque meridiem, Ammian. Marcell. XX, 3; aber Sterne leuchteten: also wohl weder Aschenregen noch, bei der langen Dauer des Phänomens, Wirkung einer totalen Sonnenfinsterniß, der es der Geschichtsschreiber beimißt. »Cum lux coelestis operiretur, e mundi conspectu penitus luce abrepta, defecisse diutius solem pavidae mentes hominum aestimabant: primo attenuatum in lunae corniculantis effigiem, deinde in speciem auctum semenstrem, posteaque in integrum restitutum. Quod alias non evenit ita perspicue, nisi cum post inaequales cursus intermenstruum lunae ad idem revocatur.« Die Beschreibung ist ganz die einer wirklichen Sonnenfinsterniß; aber die Dauer und caligo in allen östlichen Provinzen?
409,
als Alarich vor Rom erschien: Verdunkelung so, daß Sterne bei Tage gesehen wurden; Schnurrer, Chronik der Seuchen Th. I. S. 113.
536:
»Justinianus I Caesar imperavit annos triginta octo (527–565). Anno imperii nono deliquium lucis passus est Sol, quod annum integrum et duos amplius menses duravit, adeo ut parum admodum de luce ipsius appareret; dixeruntque homines Soli aliquid accidisse, quod nunquam ab eo recederet.« Gregorius Abu'l-Faragius, supplementum historiae Dynastiarum, ed. Edw. Pocock 1663 p. 94. Ein Phänomen, dem von 1783 sehr ähnlich: für das man wohl einen Namen (Höhenrauch), aber in vielen Fallen keine befriedigende Erklärung hat.
567:
»Justinus II annos 13 imperavit (565–578). Anno imperii ipsius secundo apparuit in coelo ignis flammans juxta polum arcticum qui annum integrum permansit; obtexeruntque tenebrae mundum ab hora diei nona noctem usque, adeo ut nemo quicquam videret; deciditque ex aëre quoddam pulveri minuto et cineri simile.« Abu'l-Farag. l. c. p. 95. Erst ein Jahr lang wie ein perpetuirlicher Nordschein (ein magnetisches Gewitter), dann Finsterniß und fallender Passatstaub?
626,
wieder nach Abu'l-Faragius (hist. Dynastiarum p. 94 und 99), acht Monate lang die halbe Sonnenscheibe verfinstert geblieben.
733:
ein Jahr nachdem die Araber durch die Schlacht bei Tours über die Pyrenäen zurückgedrängt worden, ward die Sonne am 19 August auf eine schreckenerregende Weise verdunkelt; Schnurrer, Chronik der Seuchen Th. I. S. 164.
807
ein Sonnenfleck, welchen man für den Merkur hielt; Reuber, vet. Script. p. 58: s. oben S. 412 [diese Anmerkung].
840
vom 28 Mai bis 26 August (Assemani rechnet auffallenderweise Mai 839) der sogenannte Durchgang der Venus durch die Sonnenscheibe; s. oben S. 392 und 413 [diese Anmerkung]. (Der Chalif Al-Motaßem regierte von 834 bis 841, wo Harun el-Watek, der neunte Chalif, ihm folgte.)
934:
In der schätzbaren Historia de Portugal von Faria y Sousa 1730 p. 147 finde ich: »(En Portugal) se viò sin luz la tierra por dos meses. Avia el Sol perdido su resplandor.« Dann öffnete sich der Himmel por fractura mit vielen Blitzen, und man hatte plötzlich den vollen Sonnenschein. 1091 am 21 September eine Verdunkelung der Sonne, welche 3 Stunden dauerte; nach der Verdunkelung blieb der Sonnenscheibe eine eigene Färbung. »Fuit eclipsis Solis 11. Kal. Octob. fere tres horas: Sol circa meridiem dire nigrescebat.« Martin Crusius, Annales Svevici, Francof. 1494 T. I. p. 279; Schnurrer Th. I. S. 219.
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am 3 März Sonnenflecken, mit unbewaffnetem Auge erkannt: »Signum in sole apparuit V. Non. Marcii feria secunda incipientis quadragesimae.« Joh. Staindelii, presbyteri Pataviensis, Chronicon generale, in Oefelii rerum Boicarum Scriptores T. I. 1763 p. 485
1206
am letzten Tage des Februars nach Joaquin de Villalba (epidemiologia española Madr. 1803 T. I. p. 30) vollkommene Dunkelheit während 6 Stunden: »el dia ultimo del mes de Febrero hubo un eclipse de sol que duró seis horas con tanta obscuridad como si fuera media noche. Siguiéron á este fenomeno abundantes y continuas lluvias.« – Ein fast ähnliches Phänomen wird für Junius 1191 angeführt von Schnurrer Th. I. S. 258 und 265.
1241
fünf Monate nach der Mongolenschlacht bei Liegnitz: »obscuratus est Sol (in quibusdam locis?), et factae sunt tenebrae, ita ut stellae viderentur in coelo, circa festum S. Michaelis hora nona.« Chronicon Claustro-Neoburgense (von Kloster-Neuburg bei Wien, die Jahre 218 nach Chr. bis 1348 enthaltend) in Pez, Scriptores rerum Austriacarum, Lips. 1721, T. I. p. 458.
1547
den 23, 24 und 25 April: also einen Tag vor und einen Tag nach der Schlacht bei Mühlberg, in welcher der Churfürst Johann Friedrich gefangen wurde. Kepler sagt in Paralipom. ad Vitellium, quibus Astronomiae pars optica traditur, 1604 p. 259: »refert Gemma, pater et filius, anno 1547 ante conflictum Caroli V cum Saxoniae Duce Solem per tres dies ceu sanguine perfusum comparuisse, ut etiam stellae pleraeque in meridie conspicerentur.« (Eben so Kepler de Stella nova in Serpantario p. 113) Ueber die Ursach ist er sehr zweifelhaft: »Solis lumen ob causas quasdam sublimes hebetari.... vielleicht habe gewirkt materia cometica latius sparsa. Die Ursach könne nicht in unserer Atmosphäre gelegen haben, da man Sterne am Mittag gesehen.« Schnurrer (Chronik der Seuchen Th. II. S. 93) will trotz der Sterne, daß es Höhenrauch gewesen sei, weil Kaiser Carl V vor der Schlacht sich beklagte: »semper se nebulae densitate infestari, quoties sibi cum hoste pugnandum sit« (Lambert. Hortens. de bello german. lib. VI p. 182)
Die Abnahmen des Tageslichts, von welchen die Annalisten Kunde geben, können, glaube ich, schon ihrer vielstündigen Dauer wegen (nach du Séjour's Berechnung ist die längste mögliche Dauer einer totalen Verfinsterung der Sonne für den Aequator 7' 58", für die Breite von Paris nur 6' 10"), möglicherweise in drei ganz verschiedenen Ursachen gegründet sein: 1) in dem gestörten Proceß der Licht-Entbindung, gleichsam in einer minderen Intensität der Photosphäre; 2) in Hindernissen (größerer und dichterer Wolkenbildung), welche die äußerste, opake Dunsthülle: die, welche die Photosphäre umgiebt, der Licht- und Wärmestrahlung der Sonne entgegensetzt; 3) in der Verunreinigung unserer Atmosphäre: wie durch verdunkelnden, meist organischen, Passatstaub; durch Tintenregen oder mehrtägigen, von Macgowan beschriebenen, chinesischen Sandregen. Die zweite und dritte der genannten Ursachen erfordern keine Schwächung des, vielleicht electro-magnetischen Lichtprocesses (des perpetuirlichen PolarlichtesSchon Horrebow (Clavis Astronomiae, in s. Operum mathematico-physicorum T. I. Havn. 1740 p. 317) bedient sich desselben Ausdrucks. Das Sonnenlicht ist nach ihm »ein perpetuirlich im Sonnen-Dunstkreise vorgehendes Nordlicht, durch thätige magnetische Kräfte hervorgebracht« (s. Hanow in Joh. Dan. Titius, gemeinnützige Abhandlungen über natürliche Dinge 1768 S. 102).) in der Sonnen-Atmosphäre; die letzte Ursach schließt aber das Sichtbar-Werden von Sternen am Mittag aus, von dem so oft bei jenen räthselhaften, nicht umständlich genug beschriebenen Verfinsterungen die Rede ist.
394 Aber nicht bloß die Existenz der dritten und äußersten Umhüllung der Sonne, sondern die Vermuthungen über die ganze physische Constitution des Centralkörpers unseres Planetensystems werden bekräftigt durch Arago's Entdeckung der chromatischen Polarisation. »Ein Lichtstrahl, der viele Millionen Meilen weit aus den fernsten Himmelsräumen zu unserem Auge gelangt, verkündigt im Polariscop gleichsam von selbst, ob er reflectirt oder gebrochen sei; ob er von einem festen, von einem tropfbar-flüssigen oder von einem gasförmigen Körper emanirt: er verkündigt sogar den Grad seiner Intensität.« (Kosmos Bd. I. S. 35, Bd. II. S. 370.) Es ist wesentlich zu unterscheiden zwischen dem natürlichen Lichte: wie es unmittelbar (direct) der Sonne, den Fixsternen oder Gasflammen entströmt und durch Reflexion von einer Glasplatte unter einem Winkel von 35° 25' polarisirt wird; und zwischen dem polarisirten Lichte, das als solches gewisse Substanzen (glühende, sowohl feste als tropfbar-flüssige Körper) von selbst ausstrahlen. Das polarisirte Licht, welches die eben genannten Classen von Körpern geben, kommt sehr wahrscheinlich aus ihrem Inneren. Indem es aus einem dichteren Körper in die dünnen umgebenden Luftschichten tritt, wird es an der Oberfläche gebrochen; und bei diesem Vorgange kehrt ein Theil des gebrochenen Strahls nach dem Inneren zurück und wird durch Reflexion polarisirtes Licht, während der andere Theil die Eigenschaften des durch Refraction polarisirten Lichtes darbietet. Das chromatische Polariscop unterscheidet beide durch die entgegengesetzte Stellung der farbigen Complementar-Bilder. Mittelst sorgfältiger Versuche, die über das Jahr 1820 hinausreichen, hat Arago erwiesen, daß ein glühender fester Körper (z. B. eine rothglühende eiserne Kugel) 395 oder ein leuchtendes geschmolzenes, fließendes Metall in Strahlen, die in perpendicularer Richtung ausströmen, bloß natürliches Licht geben: während die Lichtstrahlen, welche unter sehr kleinen Winkeln von den Rändern zu unserem Auge gelangen, polarisirt sind. Wurde nun dasselbe optische Werkzeug, durch welches man beide Lichtarten scharf von einander unterscheidet, das Polariscop, auf Gasflammen angewendet; so war keine Polarisation zu entdecken, sollten auch die Lichtstrahlen unter noch so kleinen Winkeln emaniren. Wenn gleich selbst in den gasförmigen Körpern das Licht im Inneren erzeugt wird: so scheint doch bei der so geringen Dichtigkeit der Gas-Schichten weder der längere Weg die sehr obliquen Lichtstrahlen an Zahl und Stärke zu schwächen; noch der Austritt an der Oberfläche, der Uebergang in ein anderes Medium, Polarisation durch Refraction zu erzeugen. Da nun die Sonne ebenfalls keine Spur von Polarisation zeigt, wenn man das Licht, welches in sehr obliquer Richtung unter bedeutend kleinen Winkeln von den Rändern ausströmt, im Polariscop untersucht; so folgt aus dieser wichtigen Vergleichung, daß das, was in der Sonne leuchtet, nicht aus dem festen Sonnenkörper, nicht aus etwas tropfbar-flüssigem, sondern aus einer gasförmigen selbstleuchtenden Umhüllung kommt. Wir haben hier eine materielle physische Analyse der Photosphäre.
Dasselbe Instrument hat aber auch zu dem Schlusse geführt, daß die Intensität des Lichtes in dem Centrum der Sonnenscheibe nicht größer als die der Ränder ist. Wenn die zwei complementaren Farbenbilder der Sonne, das rothe und blaue, so über einander geschoben werden, daß der Rand des einen Bildes auf das Centrum des anderen fällt; so entsteht ein vollkommenes Weiß. Wäre die Intensität des Lichts in 396 den verschiedenen Theilen der Sonnenscheibe nicht dieselbe, wäre z. B. das Centrum der Sonne leuchtender als der Rand; so würde, bei dem theilweisen Decken der Bilder, in dem gemeinschaftlichen Segmente des blauen und rothen Discus nicht ein reines Weiß, sondern ein blasses Roth erscheinen: weil die blauen Strahlen nur vermögend wären einen Theil der häufigeren rothen Strahlen zu neutralisiren. Erinnern wir uns nun wieder, daß in der gasförmigen Photosphäre der Sonne: ganz im Gegensatz mit dem, was in festen oder tropfbar-flüssigen Körpern vorgeht, die Kleinheit der Winkel, unter welchen die Lichtstrahlen emaniren, nicht ihre Zahl an den Rändern vermindert; so würde, da derselbe Visionswinkel an den Rändern eine größere Menge leuchtender Punkte umfaßt als in der Mitte der Scheibe, nicht auf die Compensation zu rechnen sein, welche, wäre die Sonne eine leuchtende eiserne Kugel, also ein fester Körper, an den Rändern zwischen den entgegengesetzten Wirkungen der Kleinheit des Strahlungswinkels und des Umfassens einer größeren Zahl von Lichtpunkten unter demselben Visionswinkel statt fände. Die selbstleuchtende gasförmige Umhüllung, d. i. die uns sichtbare Sonnenscheibe, müßte sich also im Widerspruch mit den Anzeigen des Polariscops, welches den Rand und die Mitte von gleicher Intensität gefunden, leuchtender in dem Centrum als an dem Rande darstellen. Daß dem nicht so ist: wird der äußersten, trüben Dunsthülle zugeschrieben, welche die Photosphäre umgiebt, und das Licht vom Centrum minder dämpft als die auf langem Wege die Dunsthülle durchschneidenden Lichtstrahlen der Ränder.Arago in den Mémoires des sciences mathém. et phys. de l'Institut de France, Année 1811 Partie 1. p. 118; Mathieu in Delambre, Hist. de l'Astr. au 18ème siècle p. 351 und 652; Fourier, éloge de William Herschel in den Mém de l'Institut T. VI. Année 1823 (Par. 1827) p. LXXII. Es ist ebenfalls merkwürdig, und beweisend für eine große Gleichartigkeit in der Natur des Lichts, aus dem Centrum und aus dem Rande der Sonnenscheibe emanirend: daß nach einem sinnreichen Versuch von Forbes, während einer Sonnenfinsterniß im Jahr 1836, ein aus alleinigen Randstrahlen gebildetes Spectrum in Hinsicht auf Zahl und Lage der dunkeln Linien oder Streifen, die es durchlaufen, ganz identisch mit dem war, welches aus der Gesammtheit des Sonnenlichts entspringt. Wenn im Sonnenlicht Strahlen von gewisser Brechbarkeit fehlen, so sind sie also wohl nicht, wie Sir David Brewster vermuthet, in der Sonnen-Atmosphäre selbst verloren gegangen: weil die Strahlen des Randes, eine viel dickere Schicht durchschneidend, dieselben dunkeln Linien hervorbringen. (Forbes in den Comptes rendus T. II. 1836 p. 576.) Ich stelle am Ende dieser Note alles zusammen, was ich im Jahr 1847 aus Arago's Handschriften gesammelt:
»Des phénomènes de la Polarisation colorée donnent la certitude que le bord du soleil a la même intensité de lumière que le centre car en plaçant dans le Polariscope un segment du bord sur un segment du centre, j'obtiens (comme effet complémentaire du rouge et du bleu) un blanc pur. Dans un corps solide (dans une boule de fer chauffée an rouge) le même angle de vision embrasse une plus grande étendue au bord qu'au centre, selon la proportion du Cosinus de l'angle: mais dans la même proportion aussi le plus grand nombre de points matériels émettent une lumière plus faible en raison de leur obliquité. Le rapport de l'angle est naturellement le même pour une sphère gazeuse; mais l'obliquité ne produisant pas dans les gaz le même effet de diminution que dans les corps solides, le bord de la sphère gazeuse serait plus lumineux que le centre. Ce que nous appelons le disque lumineux du Soleil, est la Photosphère gazeuse, comme je l'ai prouvé par le manque absolu de traces de polarisation sur le bord du disque. Pour expliquer donc l'égalité d'intensité du bord et du centre indiquée par le Polariscope, il faut admettre une enveloppe extérieure qui diminue (éteint) moins la lumière qui vient du centre que les rayons qui viennent sur le long trajet du bord à l'oeil. Cette enveloppe extérieure forme la couronne blanchâtre dans les éclipses totales du Soleil. – La lumière qui émane des corps solides et liquides incandescens, est partiellement polarisée quand les rayons observés forment, avec la surface de sortie, un angle d'un petit nombre de degrés; mais il n'y a aucune trace sensible de polarisation lorsqu'on regarde de la même manière dans le Polariscope des gaz enflammés. Cette expérience démontre que la lumière solaire ne sort pas d'une masse solide ou liquide incandescente. La lumière ne s'engendre pas uniquement à la surface des corps; une portion naît dans leur substance même, cette substance fût-elle du platine. Ce n'est donc pas la décomposition de l'oxygène ambiant qui donne la lumière. L'émission de lumière polarisée par le fer liquide est un effet de réfraction au passage vers un moyen d'une moindre densité. Partout où il y a réfraction, il y a production d'un peu de lumière polarisée. Les gaz n'en donnent pas, parce que leurs couches n'ont pas assez de densité. – La lune suivie pendant le cours d'une lunaison entière offre des effets de polarisation, excepté à l'époque de la pleine lune et des jours qui en approchent beaucoup. La lumière solaire trouve, surtout dans les premiers et derniers quartiers, à la surface inégale (montagneuse) de notre Satellite des inclinaisons de plans convenables pour produire la polarisation par réflexion.«
Die Vergleichung des Sonnenlichts mit den zwei intensivsten künstlichen Lichtern, welche man bisher auf der Erde hat hervorbringen können, giebt, nach dem noch so unvollkommenen Zustande der Photometrie, folgende numerische Resultate: In den scharfsinnigen Versuchen von Fizeau und Foucault war Drummond's Licht (hervorgebracht durch die Flamme der Oxyhydrogen-Lampe, auf Kreide gerichtet) zu dem der Sonnenscheibe wie 1 zu 146. Der leuchtende Strom, welcher in Davy's Experiment zwischen zwei Kohlenspitzen mittelst einer Bunsen'schen Säule erzeugt wird, verhielt sich bei 46 kleineren Platten zum Sonnenlichte wie 1 zu 4,2; bei Anwendung sehr großer Platten aber wie 1 zu 2,5; er war also noch nicht dreimal schwächer als Sonnenlicht.Fizeau und Foucault, recherches sur l'intensité de la lumière émise par le charbon dans l'expérience de Davy in den Comptes rendus T. XVIII. 1844 p. 753. – »The most intensely ignited solids (ignited quicklime in Lieutenant Drummond's oxyhydrogen lamp) appear only as black spots on the disc of the Sun when held between it and the eye.« Outl. p. 236 (Kosmos Bd. II. S. 361). Wenn man heute noch nicht ohne Erstaunen vernimmt, daß Drummond's blendendes Licht, auf die Sonnenscheibe projicirt, einen schwarzen Flecken bildet; so erfreut man sich zwiefach der Genialität, mit der Galilei, schon 1612: durch eine Reihe von SchlüssenVergl. Arago's Commentar zu Galilei's Briefen an Marcus Welser, wie dessen optische Erläuterungen über den Einfluß des diffusen reflectirten Sonnenlichts der Luftschichten, welches die im Felde eines Fernrohrs am Himmelsgewölbe gesehenen Gegenstände wie mit einem Lichtschleier bedeckt: im Annuaire du Bureau des Longit. pour 1842 p. 482–487. über die Kleinheit der Entfernung von der Sonne, in welcher die Scheibe der Venus am Himmelsgewölbe nicht 398 mehr dem bloßen Auge sichtbar ist, zu dem Resultate gelangt war, daß der schwärzeste Kern der Sonnenflecken leuchtender sei als die hellsten Theile des Vollmondes.
William Herschel schätzte (die Intensität des ganzen Sonnenlichts zu 1000 gesetzt) die Höfe oder Penumbren der Sonnenflecken im Mittel zu 469 und den schwarzen Kernfleck selbst zu 7. Nach dieser, wohl nur sehr muthmaßlichen Angabe besäße, da man die Sonne nach Bouguer für 300000mal lichtstärker als den Vollmond hält, ein schwarzer Kernfleck noch über 2000mal mehr Licht als der Vollmond. Der Grad der Erleuchtung der von uns gesehenen Kernflecken: d. i. des an sich dunklen Körpers der Sonne, erleuchtet durch Reflex von den Wänden der geöffneten Photosphäre, von der inneren, die Penumbren erzeugenden Dunsthülle, und durch das Licht der irdischen Luftschichten, durch die wir sehen; hat sich auch auf eine merkwürdige Weise bei einigen Durchgängen des Merkur offenbart. Mit dem Planeten verglichen, welcher uns alsdann die schwarze Nachtseite zuwendet, erschienen die nahen, dunkelsten Kernflecken in einem lichten Braungrau.Mädler, Astronomie S. 81. Ein vortrefflicher Beobachter, Hofrath Schwabe in Dessau, ist bei dem Merkur-Durchgange vom 5ten Mai 1832 auf diesen Unterschied der Schwärze zwischen Planet und Kernflecken besonders aufmerksam gewesen. Mir selbst ist leider bei dem Durchgang vom 9 November 1802, welchen ich in Peru beobachtete, da ich zu anhaltend mit Abständen von den Fäden beschäftigt war, die Vergleichung entgangen: obgleich die Merkurscheibe die nahen dunklen Sonnenflecken fast berührte. Daß die Sonnenflecken bemerkbar weniger Wärme ausstrahlen als die fleckenlosen Theile der Sonnenscheibe, ist schon 1815 in Amerika von dem Prof. Henry zu Princeton durch seine 399 Versuche erwiesen worden. Das Bild der Sonne und eines großen Sonnenfleckens wurden auf einen Schirm projicirt und die Wärme-Unterschiede mittelst eines thermo-electrischen Apparats gemessen.Philosophical Magazine Ser. III. Vol. 28. p. 230 und Poggendorff's Annalen Bd. 68. S. 101.
Sei es, daß die Wärmestrahlen sich von den Lichtstrahlen durch andere Längen der Transversal-Schwingungen des Aethers unterscheiden; oder, mit den Lichtstrahlen identisch, nur in einer gewissen Geschwindigkeit von Schwingungen, welche sehr hohe Temperaturen erzeugt, in unseren Organen die Lichtempfindung hervorbringen: so kann die Sonne doch, als Hauptquelle des Lichts und der Wärme, auf unserem Planeten: besonders in dessen gasartiger Umhüllung, im Luftkreise, magnetische Kräfte hervorrufen und beleben. Die frühe Kenntniß thermo-electrischer Erscheinungen in krystallisirten Körpern (Turmalin, Boracit, Topas) und Oersted's große Entdeckung (1820), nach welcher jeder von Electricität durchströmte Leiter während der Dauer des electrischen Stromes bestimmte Einwirkung auf die Magnetnadel hat; offenbarten factisch den Verkehr zwischen Wärme, Electricität und Magnetismus. Auf die Idee solcher Verwandtschaft gestützt, stellte der geistreiche Ampère, der allen Magnetismus electrischen Strömungen zuschrieb, welche in einer senkrecht auf die Achsen der Magnete gerichteten Ebene liegen, die Hypothese auf: daß der Erd-Magnetismus (die magnetische Ladung des Erdkörpers) durch electrische Strömungen erzeugt werde, welche den Planeten von Ost nach West umfließen; ja daß die stündlichen Variationen der magnetischen Declination deshalb Folge der mit dem Sonnenstand wechselnden Wärme, als des Erregers der Strömungen, sei. Die thermo-magnetischen Versuche von Seebeck, in welchen Temperatur-Differenzen in 400 den Verbindungsstellen eines Kreises (von Wismuth und Kupfer oder anderen heterogenen Metallen) eine Ableitung der Magnetnadel verursachen, bestätigten Ampère's Ansichten.
Eine neue, wiederum glänzende Entdeckung Faraday's, deren nähere Erörterung fast mit dem Druck dieser Blätter zusammenfällt, wirft ein unerwartetes Licht über diesen wichtigen Gegenstand. Während frühere Arbeiten dieses großen Physikers lehrten, daß alle Gas-Arten diamagnetisch: d. h. sich ost-westlich stellend, wie Bismuth und Phosphor, seien, das Sauerstoffgas aber am schwächsten; wurde durch seine letzte Arbeit, deren Anfang bis 1847 hinaufreicht, erwiesen: daß Sauerstoffgas allein unter allen Gas-Arten sich wie Eisen, d. h. in nord-südlicher Achsenstellung, verhalte; ja daß das Sauerstoffgas durch Verdünnung und Erhöhung der Temperatur von seiner paramagnetischen Kraft verliere. Da die diamagnetische Thätigkeit der anderen Bestandtheile der Atmosphäre, des Stickgases und der Kohlensäure, weder durch ihre Ausdehnung noch durch Temperatur-Erhöhung modificirt wird; so ist nur die Hülle von Sauerstoff in Betrachtung zu ziehen, welche den ganzen Erdball »gleichsam wie eine große Kuppel von dünnem Eisenblech umgiebt und von ihm Magnetismus empfängt«. Die Hälfte der Kuppel, welche der Sonne zugekehrt ist, wird weniger paramagnetisch sein als die entgegengesetzte; und da diese Hälften durch Rotation und Revolution um die Sonne sich immerfort in ihren Grenzen räumlich verändern, so ist Faraday geneigt aus diesen thermischen Verhältnissen einen Theil der Variationen des tellurischen Magnetismus auf der Oberfläche herzuleiten. Die durch Experimente begründete Assimilation einer einzigen Gas-Art, des Sauerstoffs, mit dem Eisen ist eine wichtige EntdeckungFaraday über atmosphärischen Magnetismus, in den exper. researches on Electricity, Twenty-Fifth and Twenty-Sixth Series (Philos. Transact. for 1851 Part 1.) § 2274, 2780, 2881, 2892–2968; und für das Historische der Untersuchung § 2847. unserer 401 Zeit; sie ist um so wichtiger, als der Sauerstoff wahrscheinlich fast die Hälfte aller ponderablen Stoffe in den uns zugänglichen Theilen der Erde bildet. Ohne die Annahme magnetischer Pole in dem Sonnenkörper oder eigener magnetischer Kräfte in den Sonnenstrahlen kann der Centralkörper als ein mächtiger Wärmequell magnetische Thätigkeit auf unserem Planeten erregen.
Die Versuche, welche man gemacht hat, durch vieljährige, an einzelnen Orten angestellte, meteorologische Beobachtungen zu erweisen, daß eine Seite der Sonne (z. B. die, welche am 1 Januar 1846 der Erde zugewandt war) eine stärkere wärmende Kraft als die entgegengesetzte besitzeVergl. Nervander aus Helsingfors im Bulletin de la classe physico-mathématique de l'Académie des Sc. de St.-Pétersbourg T. III. 1845 p. 30–32, und Buys-Ballot aus Utrecht in Poggend. Annalen der Physik Bd. 68. 1846 S. 205–213.; haben eben so wenig zu sichern Resultaten geführt als die sogenannten Beweise der Abnahme des Sonnen-Durchmessers, geschlossen aus den älteren Greenwicher Beobachtungen von Maskelyne. Fester begründet aber scheint die vom Hofrath Schwabe in Dessau auf bestimmte Zahlenverhältnisse reducirte Periodicität der Sonnenflecken. Keiner der jetzt lebenden Astronomen, die mit vortrefflichen Instrumenten ausgerüstet sind, hat diesem Gegenstand eine so anhaltende Aufmerksamkeit widmen können. Während des langen Zeitraums von 24 Jahren hat Schwabe oft über 300 Tage im Jahre die Sonnenscheibe durchforscht. Da seine Beobachtungen der Sonnenflecken von 1844 bis 1850 noch nicht veröffentlicht waren, so habe ich von seiner Freundschaft erlangt, daß er mir dieselben mitgetheilt: und zugleich auf eine Zahl von Fragen geantwortet hat, die ich ihm vorgelegt. Ich schließe den Abschnitt von der physischen Constitution unseres Centralkörpers mit dem, womit jener Beobachter den astronomischen Theil meines Buches hat bereichern wollen.
»Die in der nachfolgenden Tabelle enthaltenen Zahlen 402 lassen wohl keinen Zweifel übrig, daß wenigstens vom Jahre 1826 bis 1850 eine Periode der Sonnenflecken von ohngefähr 10 Jahren in der Art statt gefunden hat: daß ihr Maximum in die Jahre 1828, 1837 und 1848; ihr Minimum in die Jahre 1833 und 1843 gefallen ist. Ich habe keine Gelegenheit gehabt (sagt Schwabe) ältere Beobachtungen in einer fortlaufenden Reihe kennen zu lernen, stimme aber gern der Meinung bei, daß diese Periode selbst wieder veränderlich sein könne.«Was den handschriftlichen Mittheilungen von Schwabe entnommen ist von S. 402 bis 404, habe ich durch Anführungszeichen unterschieden. Nur die Beobachtungen der Jahre 1826 bis 1843 waren schon in Schumacher's astronomischen Nachrichten No. 495 (Bd. XXI. 1844) S. 235 veröffentlicht.
Jahr | Gruppen | fleckenfreie Tage |
Beobachtungs- tage |
||||||||
1826 1827 1828 1829 1830 1831 1832 1833 1834 1835 1836 1837 1838 1839 1840 1841 1842 1843 1844 1845 1846 1847 1848 1849 1850 |
118 161 225 199 190 149 84 33 51 173 272 333 282 162 152 102 68 34 52 114 157 257 330 238 186 |
22 2 0 0 1 3 49 139 120 18 0 0 0 0 3 15 64 149 111 29 1 0 0 0 2 |
277 273 282 244 217 239 270 267 273 244 200 168 202 205 263 283 307 312 321 332 314 276 278 285 308 |
403 »Große, mit unbewaffnetem Auge sichtbare Sonnenflecken beobachtete ich fast in allen den Jahren, in welchen das Minimum nicht statt fand; die größten erschienen 1828, 1829, 1831, 1836, 1837, 1838, 1839, 1847, 1848. Große Sonnenflecken nenne ich aber diejenigen, welche einen Durchmesser von mehr als 50" haben. Diese fangen dann erst an dem unbewaffneten, scharfsichtigen Auge sichtbar zu werden.«
»Unbezweifelt stehen die Sonnenflecken in genauer Beziehung zu der Fackelbildung; ich sehe häufig sowohl nach dem Verschwinden der Flecken an demselben Orte Fackeln oder Narben entstehen, als auch in den Fackeln neue Sonnenflecken sich entwickeln. Jeder Flecken ist mit mehr oder weniger starkem Lichtgewölk umgeben. Ich glaube nicht, daß die Sonnenflecken irgend einen Einfluß auf die Temperatur des Jahres haben. Ich notire täglich dreimal den Barometer- und Thermometerstand; die hieraus jährlich gezogenen Mittelzahlen lassen bisher keinen bemerkbaren Zusammenhang ahnden zwischen Klima und Zahl der Flecken. Wenn sich aber auch in einzelnen Fällen scheinbar ein solcher Zusammenhang zeigte, so würde derselbe doch nur dann erst von Wichtigkeit werden, wenn die Resultate aus vielen anderen Theilen der Erde damit übereinstimmten. Sollten die Sonnenflecken irgend einen geringen Einfluß auf unsere Atmosphäre haben, so würde meine Tabelle vielleicht eher darauf hindeuten, daß die fleckenreichen Jahre weniger heitere Tage zählten als die fleckenarmen. (Schumacher's astron. Nachr. No. 638 S. 221.)«
»William Herschel nannte die helleren Lichtstreifen, welche sich nur gegen den Sonnenrand hin zeigen, Fackeln; Narben aber die aderartigen Stellen, welche bloß gegen die Mitte der Sonnenscheibe hin sichtbar werden (astr. Nachr. 404 No. 350 S. 243). Ich glaube mich überzeugt zu haben, daß Fackeln und Narben aus demselben geballten Lichtgewölk herrühren: welches am Sonnenrande lichtvoller hervortritt; in der Mitte der Sonnenscheibe aber, weniger hell als die Oberfläche, in der Form von Narben erscheint. Ich ziehe vor, alle helleren Stellen auf der Sonne Lichtgewölk zu nennen, und dasselbe nach seiner Gestaltung in geballtes und aderförmiges einzutheilen. Dieses Lichtgewölk ist auf der Sonne unregelmäßig vertheilt, und giebt bisweilen der Scheibe bei seinem stärkeren Hervortreten ein marmorirtes Ansehen. Dasselbe ist oft am ganzen Sonnenrande, ja zuweilen bis zu den Polen, deutlich sichtbar; jedoch immer am kräftigsten in den eigentlichen beiden Fleckenzonen: selbst in Epochen, wo diese keine Flecken haben. Alsdann erinnern beide helle Fleckenzonen der Sonne lebhaft an die Streifen des Jupiter.«
»Furchen sind die zwischen dem aderförmigen Lichtgewölk befindlichen matteren Stellen der allgemeinen Sonnen-Oberfläche: welche stets ein chagrin-artiges, griessandiges Ansehen hat; d. h. an Sand erinnert, der aus gleich großen Körnern besteht. Auf dieser chagrin-artigen Oberfläche sieht man zuweilen außerordentlich kleine mattgraue (nicht schwarze) Punkte (Poren), die wiederum mit äußerst feinen dunklen Aederchen durchzogen sind (astr. Nachr. No. 473 S. 286). Solche Poren bilden, wenn sie in Massen vorhanden sind, graue, nebelartige Stellen: ja die Höfe der Sonnenflecken. In diesen sieht man Poren und schwarze Punkte meist strahlenförmig sich vom Kern aus zum Umfange des Hofes verbreiten: woraus die so oft ganz übereinstimmende Gestalt des Hofes mit der des Kernes entsteht.«
405 Die Bedeutung und der Zusammenhang so wechselnder Erscheinungen werden sich dann erst dem forschenden Physiker in ihrer ganzen Wichtigkeit darbieten, wenn einst unter der vielmonatlichen Heiterkeit des Tropenhimmels mit Hülfe mechanischer Uhrbewegung und photographischer Apparate eine ununterbrochene Reihe von DarstellungenSir John Herschel, Capreise p. 434. der Sonnenflecken erlangt werden kann. Die in den gasförmigen Umhüllungen des dunklen Sonnenkörpers vorgehenden meteorologischen Processe bewirken die Erscheinungen, welche wir Sonnenflecken und geballte Lichtwolken nennen. Wahrscheinlich sind auch dort, wie in der Meteorologie unseres Planeten, die Störungen von so mannigfaltiger und verwickelter Art, in so allgemeinen und örtlichen Ursachen gegründet, daß nur durch eine lange und nach Vollständigkeit strebende Beobachtung ein Theil der noch dunkeln Probleme gelöst werden kann.
Die Planeten.
Allgemeine vergleichende Betrachtungen über eine ganze Classe von Weltkörpern sollen hier der Beschreibung der einzelnen Weltkörper vorangehen. Es beziehen sich diese Betrachtungen auf die 22 Hauptplaneten und 21 Monde (Trabanten oder Nebenplaneten), welche bis jetzt entdeckt worden sind: nicht auf die planetarischen Weltkörper überhaupt, unter denen die Cometen von berechneten Bahnen schon zehnmal zahlreicher sind. Die Planeten haben im ganzen eine schwache Scintillation, weil sie von reflectirtem Sonnenlichte leuchten und ihr planetarisches Licht aus Scheiben emanirt (Kosmos Bd. III. S. 86). In dem aschfarbenen Lichte des Mondes, wie in dem rothen Lichte seiner verfinsterten Scheibe, welches besonders intensiv zwischen den Wendekreisen gesehen wird, erleidet das Sonnenlicht für den Beobachter auf der Erde eine zweimalige Aenderung seiner Richtung. Daß die Erde und andere Planeten, wie zumal einige merkwürdige Erscheinungen auf dem der Sonne nicht zugekehrten Theile der Venus beweisen, auch einer eigenen, schwachen Lichtentwickelung fähig seien; ist schon an einem anderen OrteKosmos Bd. I. S. 207 und 442 Anm. 179. erinnert worden.
Wir betrachten die Planeten nach ihrer Zahl, nach der Zeitfolge ihrer Entdeckung, nach ihrem Volum, unter 421 sich oder mit ihren Abständen von der Sonne verglichen; nach ihren relativen Dichtigkeiten, Massen, Rotations-Zeiten, Excentricitäten, Achsen-Neigungen, und charakteristischer Verschiedenheit diesseits und jenseits der Zone der Kleinen Planeten. Bei diesen Gegenständen vergleichender Betrachtung ist es der Natur dieses Werkes angemessen einen besonderen Fleiß auf die Auswahl der numerischen Verhältnisse zu verwenden, welche zu der Epoche, in der diese Blätter erscheinen, für die genauesten, d. h. für die Resultate der neuesten und sichersten Forschungen, gehalten werden.
a. Hauptplaneten.
1. Zahl und Epoche der Entdeckung. – Von den sieben Weltkörpern, welche seit dem höchsten Alterthume durch ihre stets veränderte relative Entfernung unter einander von den, gleiche Stellung und gleiche Abstände scheinbar bewahrenden, funkelnden Sternen des Fixsternhimmels (Orbis inerrans) unterschieden worden sind, zeigen sich nur fünf: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, sternartig, quinque stellae errantes. Die Sonne und der Mond blieben, da sie große Scheiben bilden: auch wegen der größeren Wichtigkeit, die man in Folge religiöserGesenius in der Hallischen Litteratur-Zeitung 1822 No. 101 und 102 (Ergänzungsbl. S. 801–812). Bei den Chaldäern waren Sonne und Mond die 2 Hauptgottheiten, den 5 Planeten standen nur Genien vor. Mythen an sie knüpfte, gleichsam von den übrigen abgesondert. So kannten nach Diodor (II, 30) die Chaldäer nur 5 Planeten; auch Plato, wo er im Timäus nur einmal der Planeten erwähnt, sagt ausdrücklich: »um die im Centrum des Kosmos ruhende Erde bewegen sich der Mond, die Sonne und fünf andere Sterne, welchen der Name Planeten beigelegt wird; das Ganze also in 7 Umgängen.«Plato im Timäus p. 38 Steph. Eben so werden in der alten pythagorischen 422 Vorstellung vom Himmelsgebäude nach Philolaus unter den 10 göttlichen Körpern, welche um das Centralfeuer (den Weltheerd, ἑστία) kreisen, »unmittelbar unter dem Fixsternhimmel« die fünf Planeten genanntBöckh de Platonico systemate coelestium globorum et de vera indole astronomiae Philolaicae p. XVII und derselbe im Philolaos 1819 S. 99.; ihnen folgten dann Sonne, Mond, Erde und die ἀντίχϑων (die Gegenerde). Selbst Ptolemäus redet immer nur noch von 5 Planeten. Die Aufzählung der Reihen von 7 Planeten: wie sie Julius Firmicus unter die Decane vertheiltJul. Firmicus Maternus, Astron. libri VIII (ed. Pruckner, Vasil. 1551) lib. II cap. 4; aus der Zeit Constantins des Großen., wie sie der von mir an einem anderen OrteHumboldt, Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. II. p. 42–49. Ich habe schon damals, 1812, auf die Analogien des Thierkreises von Bianchini mit dem von Dendera aufmerksam gemacht. Vergl. Letronne, observations critiques sur les repésentations zodiacales p. 97 und Lepsius, Chronologie der Aegypter 1849 S. 80. untersuchte Thierkreis des Bianchini (wahrscheinlich aus dem dritten Jahrhundert nach Chr.) darstellt und sie ägyptische Monumente aus den Zeiten der Cäsaren enthalten; gehört nicht der alten Astronomie, sondern den späteren Epochen an, in welchen die astrologischen Träumereien sich überall verbreitet hattenLetronne sur l'origine du Zodiaque grec p. 29, Lepsius a. a. O. S. 83. Letronne bestreitet schon wegen der Zahl 7 den alt-chaldäischen Ursprung der Planetenwoche.. Daß der Mond in die Reihe der 7 Planeten gesetzt ward, muß uns nicht wundern, da von den Alten, wenn man eine denkwürdige Attractions-Ansicht des Anaxagoras (Kosmos Bd. II. S. 348 und 501 Anm. 910) ausnimmt, fast nie seiner näheren Abhängigkeit von der Erde gedacht wird. Dagegen sind nach einer Meinung über den Weltbau, welche VitruviusVitruv de Archit. IX, 4 (ed. Rode 1800 p. 209). Weder Vitruvius noch Martianus Capella geben die Aegypter als Urheber eines Systems an, nach welchem Merkur und Venus Satelliten der planetarischen Sonne sind. Bei dem Ersteren heißt es: »Mercurii autem et Veneris stellae circum Solis radios, Solem ipsum, uti centrum, itineribus coronantes, regressus retrorsum et retardationes faciunt.« und Martianus CapellaMartianus Mineus Felix Capella de nuptiis philos. et Mercurii lib. VIII, ed. Grotii 1599 p. 289: »Nam Venus Mercuriusque licet ortus occasusque quotidianos ostendant, tamen eorum circuli Terras omnino non ambiunt, sed circa Solem laxiore ambitu circulantur. Denique circulorum suorum centron in Sole constituunt, ita ut supra ipsum aliquando....« Da diese Stelle überschrieben ist: Quod Tellus non sit centrum omnibus planetis; so konnte sie freilich, wie Gassendi behauptet, Einfluß auf die ersten Ansichten des Copernicus ausüben: mehr als die dem großen Geometer Apollonius von Perga zugeschriebenen Stellen. Doch sagt Copernicus auch nur: »minime comtemnendum arbitror, quod Martianus Capella scripsit, existimans quod Venus et Mercurius circumerrant Solem in medio existentem.« Vergl. Kosmos Bd. II. S. 350 und 503 Anm. 917. anführen, ohne ihren Urheber zu nennen, Merkur und Venus, die wir untere Planeten nennen, Satelliten der, selbst um die Erde kreisenden Sonne. Ein solches System ist mit eben so wenig Grund ein ägyptischesHenri Martin in seinem Commentar zum Timäus (études sur le Timée de Platon T. II. p. 129–133) scheint mir sehr glücklich die Stelle des Macrobius über die ratio Chaldaeorum, welche den vortrefflichen Ideler (in Wolff's und Buttmann's Museum der Alterthums-Wissenschaft Bd. II. S. 443 und in seiner Abhandlung über Eudoxus S. 48) irre geführt hat, erläutert zu haben. Macrobius (in somn. Scipionis lib. I cap. 19, lib. II cap. 3; ed. 1694 pag. 64 und 90) weiß nichts von dem Systeme des Vitruvius und Martianus Capella, nach welchem Merkur und Venus Trabanten der Sonne sind, die sich aber selbst wie die anderen Planeten um die fest im Centrum stehende Erde bewegt. Er zählt bloß die Unterschiede auf in der Reihenfolge der Bahnen von Sonne, Venus, Merkur und Mond nach den Annahmen des Cicero. »Ciceroni«, sagt er, Archimedes et Chaldaeorum ratio consentit, Plato Aegyptios secutus est.«. Wenn Cicero in der beredten Schilderung des ganzen Planetensystems (somn. Scip. cap. 4) ausruft: »hunc (Solem) ut comites consequuntur Veneris alter, alter Mercurii cursus«; so deutet er nur auf die Nähe der Kreise der Sonne und jener 2 unteren Planeten, nachdem er vorher die 3 cursus des Saturn, Jupiter und Mars aufgezählt hatte: alle kreisend um die unbewegliche Erde. Die Kreisbahn eines Nebenplaneten kann nicht die Kreisbahn eines Hauptplaneten umschließen, und doch sagt Macrobius bestimmt: »Aegyptiorum ratio talis est: circulus, per quem Sol discurrit, a Mercurii circulo ut inferior ambitur, illum quoque superior circulus Veneris includit.« Es sind alles sich parallel bleibende, einander gegenseitig umfangende Bahnen. zu nennen als mit den Ptolemäischen Epicykeln oder der Tychonischen Weltansicht zu verwechseln.
Die Namen, durch welche die sternartigen 5 Planeten bei den alten Völkern bezeichnet wurden, sind zweierlei Art: Götternamen; oder bedeutsame beschreibende, von physischen Eigenschaften hergenommene. Was ursprünglich davon 423 den Chaldäern oder den Aegyptern angehöre, ist nach den Quellen, die bisher haben benutzt werden können, um so schwerer zu entscheiden: als die griechischen Schriftsteller uns nicht die ursprünglichen, bei anderen Völkern gebräuchlichen Namen, sondern nur in das Griechische übertragene, nach der Individualität ihrer Ansichten gemodelte Aequivalente darbieten. Was die Aegypter früher als die Chaldäer besessen, ob diese bloß als begabte SchülerLepsius, Chronologie der Aegypter Th. I. S. 207. der Ersteren auftreten: berührt die wichtigen, aber dunklen Probleme der ersten Gesittung des Menschengeschlechts, der Anfänge wissenschaftlicher Gedankenentwickelung am Nil oder am Euphrat. Man kennt die ägyptischen Benennungen der 36 Decane; aber die ägyptischen Namen der Planeten sind uns, bis auf einen oder zwei, nicht erhalten.Der bei Vettius Valens und Cedrenus verstümmelte Name des Planeten Mars soll mit Wahrscheinlichkeit dem Namen Hertosch entsprechen, wie Seb dem Saturn. A. a. O. S. 90 und 93.
Auffallend ist es, daß Plato und Aristoteles sich nur der göttlichen Namen für die Planeten, die auch Diodor nennt, bedienen: während später z. B. in dem dem Aristoteles fälschlich zugeschriebenen Buche de Mundo schon ein Gemisch von beiden Arten der Benennungen, der göttlichen und der beschreibenden (expressiven), sich findet: φαίνων für Saturn, στίλβων für Merkur, πυρόεις für Mars.Die auffallendsten Unterschiede finden sich, wenn man vergleicht Aristot. Metaphys. XII cap. 8 pag. 1073 Bekker mit Pseudo-Aristot. de Mundo cap. 2 pag. 392. In dem letzteren Werke erscheinen schon die Planetennamen Phaethon, Pyrois, Hercules, Stilbon und Juno: was auf die Zeiten des Apulejus und der Antonine hindeutet, wo chaldäische Astrologie bereits über das ganze römische Reich verbreitet war und Benennungen verschiedener Völker mit einander gemengt waren (vergl. Kosmos Bd. II. S. 15 und 106 Anm. 461). Daß die Chaldäer zuerst die Planeten nach ihren babylonischen Göttern genannt haben und daß diese göttlichen Planetennamen so zu den Griechen übergegangen sind, spricht bestimmt aus Diodor von Sicilien. Ideler (Eudoxus S. 48) schreibt dagegen diese Benennungen den Aegyptern zu, und gründet sich auf die alte Existenz einer siebentägigen Planetenwoche am Nil (Handbuch der Chronologie Bd. I. S. 180): eine Hypothese, die Lepsius vollkommen widerlegt hat (Chronol. der Aeg. Th. I. S. 131). Ich will hier aus dem Eratosthenes, aus dem Verfasser der Epinomis (Philippus Opuntius?), aus Geminus, Plinius, Theon dem Smyrnäer, Cleomedes, Achilles Tatius, Julius Firmicus und Simplicius die Synonymie der fünf ältesten Planeten zusammentragen, wie sie uns hauptsächlich durch Vorliebe zu astrologischen Träumereien erhalten worden sind:
Saturn: φαίνων, Nemesis, auch eine Sonne genannt von 5 Autoren (Theon Smyrn. p. 87 und 165 Martin); Jupiter: φαέϑων, Osiris; Mars: πυρόεις, Hercules; Venus: ἐωσφόρος, φωσφόρος, Lucifer; ἕσπερος, Vesper; Juno, Isis; Merkur: στίλβων, Apollo. Achilles Tatius (isag. in Phaenom. Arati cap. 17) findet es befremdend, daß »Aegypter wie Griechen den lichtschwächsten der Planeten (wohl nur weil er Heil bringt) den Glänzenden nennen.« Nach Diodor bezieht sich der Name darauf, »daß Saturn der die Zukunft am meisten und klarsten verkündigende Planet war«. (Letronne sur l'origine du Zodiaque grec p. 33 und im Journal des Savants 1836 p. 17; vergl. auch Carteron, analyse de recherches zodiacales p. 97.) Benennungen, die von einem Volke zum anderen als Aequivalente übergehen, hangen allerdings oft ihrem Ursprunge nach von nicht zu ergründenden Zufälligkeiten ab; doch ist hier wohl zu bemerken, daß sprachlich φαίνειν ein bloßes Scheinen: also ein matteres Leuchten mit continuirlichem, gleichmäßigem Lichte, ausdrückt; während στίλβειν ein unterbrochenes, lebhafter glänzendes, funkelnderes Licht voraussetzt. Die beschreibenden Benennungen: φαίνων für den entfernteren Saturn, στίλβων für den uns näheren Planeten Merkur, scheinen um so passender, als ich schon früher (Kosmos Bd. III. S. 84) daran erinnert habe, wie bei Tage im großen Refractor von Fraunhofer Saturn und Jupiter lichtschwach erscheinen in Vergleich mit dem funkelnden Merkur. Es ist daher, wie Prof. Franz bemerkt, eine Folge zunehmenden Glanzes angedeutet von Saturn (φαίνων) bis zu Jupiter, dem leuchtenden Lenker des Lichtwagens (φαέϑων), bis zum farbig glühenden Mars (πυρόεις), bis zu der Venus (φωσφόρος) und dem Merkur (στίλβων). Die mir bekannte indische Benennung des langsam Wandelnden (’sanaistschara) für Saturn hat mich veranlaßt meinen berühmten Freund Bopp zu befragen, ob überhaupt auch in den indischen Planetennamen, wie bei den Griechen und wahrscheinlich den Chaldäern, zwischen Götternamen und beschreibenden Namen zu unterscheiden sei. Ich theile hier mit, was ich diesem großen Sprachforscher verdanke, lasse aber die Planeten nach ihren wirklichen Abständen von der Sonne wie in der obigen Tabelle (beginnend vom größten Abstande) folgen, nicht wie sie im Amarakoscha (bei Colebrooke p. 17 und 18) gereiht sind. Es giebt nach Sanskrit-Benennung in der That unter 5 Namen 3 beschreibende: Saturn, Mars und Venus. »Saturn: ’sanaistschara, von ’sanais, langsam, und tschara, gehend; auch ’sauri: eine Benennung des Wischnu (herstammend als Patronymicum von ’sûra, Großvater des Krischna), und ’sani. Der Planetenname ’sani-vâra für dies Saturni ist wurzelhaft verwandt mit dem Adverbium ’sanais, langsam. Die Benennungen der Wochentage nach Planeten scheint aber Amarasinha nicht zu kennen. Sie sind wohl späterer Einführung.« »Jupiter: Vrihaspati; oder nach älterer, vedischer Schreibart, der Lassen folgt, Brihaspati: Herr des Wachsens; eine vedische Gottheit: von vrih (brih), wachsen, und pati, Herr.« »Mars: angaraka (von angara, brennende Kohle); auch lohitânga, der Rothkörper: von lôhita, roth, und anga, Körper.« »Venus: ein männlicher Planet, der ’sukra heißt, d. i. der glänzende. Eine andere Benennung dieses Planeten ist daitya guru: Lehrer, guru, der Titanen, Daityas.« »Merkur: Budha, nicht zu verwechseln als Planetenname mit dem Religionsstifter Buddha; auch Rauhinêya, Sohn der Nymphe Rohinî, Gemahlinn des Mondes (soma): weshalb der Planet bisweilen saumya heißt, ein Patronymicum vom Sanskrit-Worte Mond. Die sprachliche Wurzel von budha, dem Planetennamen, und buddha, dem Heiligen, ist budh, wissen. Daß Wuotan (Wotan, Odin) im Zusammenhang mit Budha stehe, ist mir unwahrscheinlich. Die Vermuthung gründet sich wohl hauptsächlich auf die äußerliche Form-Aehnlichkeit und auf die Uebereinstimmung der Benennung des Wochentages, dies Mercurii, mit dem altsächsischen Wodanes dag und dem indischen Budha-vâra, d. i. Budha's Tag. Vâra bedeutet ursprünglich Mal: z. B. in bahuvârân, vielmal; später kommt es am Ende eines Compositums in der Bedeutung Tag vor. Den germanischen Wuotan leitet Jacob Grimm (Deutsche Mythologie S. 120) von dem Verbum watan, vuot (unserm waten) ab, welches bedeutet: meare, transmeare, cum impetu ferri, und buchstäblich dem lateinischen vadere entspreche. Wuotan, Odinn ist nach Jacob Grimm das allmächtige, alldurchdringende Wesen: qui omnia permeat, wie Lucan vom Jupiter sagt.« Vergl. über den indischen Namen des Wochentages, über Budha und Buddha und die Wochentage überhaupt die Bemerkungen meines Bruders in seiner Schrift: über die Verbindungen zwischen Java und Indien (Kawi-Sprache Bd. I. S. 187–190). Es ist hier der Ort auch der Planetenstunden und der Planetentage in der kleinen siebentägigen Periode (Woche) zu erwähnen: über deren Alter und Verbreitung unter ferne Völker erst in der neuesten Zeit richtigere Ansichten aufgestellt worden sind. Die Aegypter haben ursprünglich: wie Lepsius (Chronologie der Aeg. S. 132) erwiesen und Denkmäler bezeugen, welche bis in die ältesten Zeiten der großen Pyramidenbaue hinaufreichen, keine siebentägige: sondern zehntägige, der Woche ähnliche, kleine Perioden gehabt. Drei solcher Decaden bildeten einen der 12 Monate des Sonnenjahres. Wenn wir bei Dio Cassius (lib. XXXVII cap. 18) lesen: »daß der Gebrauch die Tage nach den sieben Planeten zu benennen zuerst bei den Aegyptern aufgekommen sei, und sich vor nicht gar langer Zeit von ihnen zu allen übrigen Völkern verbreitet habe: namentlich zu den Römern, bei denen er nun schon ganz einheimisch sei«; so muß man nicht vergessen, daß dieser Schriftsteller in der späten Zeit des Alexander Severus lebte, und es seit dem ersten Einbruche der orientalischen Astrologie unter den Cäsaren und bei dem frühen großen Verkehr so vieler Volksstämme in Alexandrien die Sitte des Abendlandes wurde, alles alt scheinende ägyptisch zu nennen. Am ursprünglichsten und verbreitetsten ist ohne Zweifel die siebentägige Woche bei den semitischen Völkern gewesen: nicht bloß bei den Hebräern, sondern selbst unter den arabischen Nomaden lange vor Mohammed. Ich habe einem gelehrten Forscher des semitischen Alterthums, dem orientalischen Reisenden, Prof. Tischendorf zu Leipzig, die Fragen vorgelegt: ob in den Schriften des Alten Bundes sich außer dem Sabbath Namen für die einzelnen Wochentage (andere als der 2te und 3te Tag des schebua) finden? ob nicht irgend wo im Neuen Testamente zu einer Zeit, wo fremde Bewohner von Palästina gewiß schon planetarische Astrologie trieben, eine Planeten-Benennung für einen Tag der 7tägigen Periode vorkomme? Die Antwort war: »Es fehlen nicht nur im Alten und Neuen Testamente alle Spuren für Wochentags-Benennung nach Planeten, sie fehlen auch in Mischna und Talmud. Man sagte auch nicht: der 2te oder 3te Tag des schebua, und zählte gewöhnlich die Tage des Monats; nannte auch den Tag vor dem Sabbath den 6ten Tag, ohne weiteren Zusatz. Das Wort Sabbath wurde auch geradezu auf die Woche übertragen (Ideler, Handb. der Chronol. Bd. I. S. 480); daher auch im Talmud für die einzelnen Wochentage: erster, zweiter, dritter des Sabbaths steht. Das Wort ἑβδομάς für schebua hat das N. T. nicht. Der Talmud, der freilich vom 2ten bis in das 5te Jahrhundert seiner Redaction nach reicht, hat beschreibende hebräische Namen für einzelne Planeten, für die glänzende Venus und den rothen Mars. Darunter ist besonders merkwürdig der Name Sabbatai (eigentlich Sabbath-Stern) für Saturn: wie unter den pharisäischen Sternnamen, welche Epiphanius aufzählt, für den Planeten Saturn der Name Hochab Sabbath gebraucht wird. Ist dies nicht von Einfluß darauf gewesen, daß der Sabbathtag zum Saturntage wurde, Saturni sacra dies des Tibull (Eleg. I, 3, 18)? Eine andere Stelle, des Tacitus (Hist. V, 4), erweitert den Kreis dieser Beziehungen auf Saturn als Planet und als eine traditionell-historische Person.« Vergl. auch Fürst, Kultur- und Litteraturgeschichte der Juden in Asien, 1849 S. 40. Die verschiedenen Lichtgestalten des Mondes haben gewiß früher die Aufmerksamkeit von Jäger- und Hirtenvölkern auf sich gezogen als astrologische Phantasien. Es ist daher wohl mit Ideler anzunehmen, daß die Woche aus der Länge synodischer Monate entstanden ist, deren vierter Theil im Mittel 7⅜ Tage beträgt; daß dagegen Beziehungen auf die Planetenreihen (die Folge ihrer Abstände von einander) sammt den Planetenstunden und -Tagen einer ganz andern Periode fortgeschrittener, theoretisirender Cultur angehören. Ueber die Benennung der einzelnen Wochentage nach Planeten und über die Reihung und Folge der Planeten: Saturn, nach dem ältesten und am meisten verbreiteten Glauben (Geminus, elem. Astr. p. 4; Cicero, somn. Scip. cap. 4; Firmicus II, 4) zwischen der Fixstern-Sphäre und der fest stehenden Erde, als Centralkörper, sind drei Meinungen aufgestellt worden: eine entnommen aus musikalischen Intervallen; eine andere aus der astrologischen Benennung der Planetenstunden; eine dritte aus der Vertheilung von je drei Decanen, oder drei Planeten, welche die Herren (domini) dieser Decane sind, unter die 12 Zeichen des Thierkreises. Die beiden ersten Hypothesen finden sich in der merkwürdigen Stelle des Dio Cassius, in welcher er erläutern will (lib. XXXVII cap. 17), warum die Juden den Tag des Saturn (unseren Sonnabend) nach ihrem Gesetze feiern. »Wenn man«, sagt er, »das musikalische Intervall, welches διὰ τεσσάρων, die Quarte, genannt wird, auf die 7 Planeten nach ihren Umlaufszeiten anwendet: und dem Saturn, dem äußersten von allen, die erste Stelle anweist; so trifft man zunächst auf den vierten (die Sonne), dann auf den siebenten (den Mond): und erhält so die Planeten in der Ordnung, wie sie als Namen der Wochentage auf einander folgen.« (Den Commentar zu dieser Stelle liefert Vincent, sur les Manuscrits grecs relatifs à la Musique 1847 p. 138; vergl. auch Lobeck, Aglaophamus, in Orph. p. 941–946.) Die zweite Erklärung des Dio Cassius ist von der periodischen Reihe der Planetenstunden hergenommen. »Wenn man«, setzt er hinzu, »die Stunden des Tages und der Nacht von der ersten (Tagesstunde) zu zählen beginnt; diese dem Saturn, die folgende dem Jupiter, die dritte dem Mars, die vierte der Sonne, die fünfte der Venus, die sechste dem Merkur, die siebente dem Monde beilegt: nach der Ordnung, welche die Aegypter den Planeten anweisen, und immer wieder von vorn anfängt; so wird man, wenn man alle 24 Stunden durchgegangen ist, finden, daß die erste des folgenden Tages auf die Sonne, die erste des dritten auf den Mond: kurz die erste eines jeden Tages auf den Planeten trifft, nach welchem der Tag benannt wird.« Eben so nennt Paulus Alexandrinus, ein astronomischer Mathematiker des vierten Jahrhunderts, den Regenten jedes Wochentages denjenigen Planeten, dessen Name auf die erste Tagesstunde fällt. Diese Erklärungsweise von den Benennungen der Wochentage ist bisher sehr allgemein für die richtigere angesehen worden; aber Letronne: gestützt auf den im Louvre aufbewahrten, lange vernachlässigten Thierkreis des Bianchini, auf welchen ich selbst im Jahr 1812 die Archäologen wegen der merkwürdigen Verbindung eines griechischen und kirgisisch-tartarischen Thierkreises wiederum aufmerksam gemacht habe, hält eine dritte Erklärungsart, die Vertheilung von je drei Planeten auf ein Zeichen des Thierkreises, für die entsprechendste (Letronne, observ. crit. et archéol. sur l'objet des représentations zodiacales 1824 p. 97–99). Diese Planeten-Vertheilung unter die 36 Decane der Dodekatomerie ist ganz die, welche Julius Firmicus Maternus (II, 4) als »Signorum decani eorumque domini« beschreibt. Wenn man in jedem Zeichen den Planeten sondert, welcher der erste der drei ist, so erhält man die Folge der Planetentage in der Woche. (Jungfrau: Sonne, Venus, Merkur; Wage: Mond, Saturn, Jupiter; Scorpion: Mars, Sonne, Venus; Schütze: Merkur . . . . können hier als Beispiel dienen für die 4 ersten Wochentage: dies Solis, Lunae, Martis, Mercurii). Da nach Diodor die Chaldäer ursprünglich nur 5 Planeten (die sternartigen), nicht 7 zählten: so scheinen alle hier ausgeführte Combinationen, in denen mehr als 5 Planeten periodische Reihen bilden, wohl nicht eines altchaldäischen, sondern vielmehr sehr späten astrologischen Ursprungs zu sein (Letronne sur l'origine du Zodiaque grec 1840 p. 29). Ueber die Concordanz der Reihung der Planeten als Wochentage mit ihrer Reihung und Vertheilung unter die Decane in dem Thierkreis von Bianchini wird es vielleicht einigen Lesern willkommen sein hier noch eine ganz kurze Erläuterung zu finden. Wenn man in der im Alterthum geltenden Planeten-Ordnung jedem Weltkörper einen Buchstaben giebt (Saturn a, Jupiter b, Mars c, Sonne d, Venus e, Merkur f, Mond g), und aus diesen 7 Gliedern die periodische Reihe a b c d e f g, a b c d... bildet; so erhält man 1) durch Ueberspringung von zwei Gliedern, bei der Vertheilung unter die Decane, deren jeder 3 Planeten umfaßt (von welchen der erste jeglichen Zeichens im Thierkreise dem Wochentage seinen Namen giebt), die neue periodische Reihe a d g c f b e, a d g c..... das ist: dies Saturni, Solis, Lunae, Martis u. s. f.; 2) dieselbe neue Reihe a d g c.... durch die von Dio Cassius angegebene Methode der 24 Planetenstunden, nach welcher die auf einander folgenden Wochentage ihren Namen von dem Planeten entlehnen. welcher die erste Tagesstunde beherrscht: so daß man also abwechselnd ein Glied der periodischen, 7gliedrigen Planetenreihe zu nehmen und 23 Glieder zu überspringen hat. Nun ist es bei einer periodischen Reihe gleichgültig, ob man eine gewisse Anzahl von Gliedern, oder diese Anzahl um irgend ein Multiplum der Gliederzahl der Periode (hier 7) vermehrt, überspringt. Ein Ueberspringen von 23 (= 3 · 7 + 2) Gliedern in der zweiten Methode, der der Planetenstunden, führt also zu demselben Resultate als die erste Methode der Decane, in welcher nur zwei Glieder übersprungen wurden. Es ist schon oben (Anm. 1493) auf die merkwürdige Aehnlichkeit zwischen dem vierten Wochentage, dies Mercurii, dem indischen Budha-vâra und dem altsächsischen Wodânes-dag (Jacob Grimm, Deutsche Mythologie 1844 Bd. I. S. 114) hingewiesen worden. Die von William Jones behauptete Identität des Religionsstifters Buddha und des in nordischen Heldensagen wie in der nordischen Culturgeschichte berühmten Geschlechts von Odin oder Wuotan und Wotan wird vielleicht noch mehr an Interesse gewinnen, wenn man sich des Namens Wotan: einer halb mythischen, halb historischen Person, in einem Theil des Neuen Continents erinnert, über die ich viele Notizen in meinem Werke über Monumente und Mythen der Eingebornen von Amerika (Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique T. I. p. 208 und 382–384, T. II. p. 356) zusammengetragen habe. Dieser amerikanische Wotan ist nach den Traditionen der Eingeborenen von Chiapa und Soconusco Enkel des Mannes, welcher bei der großen Ueberschwemmung sich in einem Nachen rettete und das Menschengeschlecht erneuerte; er ließ große Bauwerke aufführen: während welcher (wie bei der mexicanischen Pyramide von Cholula) Sprachenverwirrung, Kampf und Zerstreuung der Volksstämme erfolgten. Sein Name ging auch (wie der Odins-Name im germanischen Norden) in das Calenderwesen der Eingeborenen von Chiapa über. Nach ihm wurde eine der fünftägigen Perioden genannt, deren 4 den Monat der Chiapaneken wie der Azteken bildeten. Während bei den Azteken die Namen und Zeichen der Tage von Thieren und Pflanzen hergenommen waren, bezeichneten die Eingeborenen von Chiapa (eigentlich Teochiapan) die Monatstage durch die Namen von 20 Anführern, welche, aus dem Norden kommend, sie so weit südlich geführt hatten. Die 4 heldenmüthigsten: Wotan oder Wodan, Lambat, Been und Chinax, eröffneten die kleinen Perioden fünftägiger Wochen, wie bei den Azteken die Symbole der vier Elemente. Wotan und die anderen Heerführer waren unstreitig aus dem Stamme der im siebenten Jahrhunderte einbrechenden Tolteken. Ixtlilxochitl (sein christlicher Name war Fernando de Alva), der erste Geschichtsschreiber seines (des aztekischen) Volkes, sagt bestimmt in den Handschriften, die er schon im Anfange des 16ten Jahrhunderts anfertigte, daß die Provinz Teochiapan und ganz Guatemala von einer Küste zur anderen von Tolteken bevölkert wurden; ja im Anfang der spanischen Eroberung lebte noch im Dorfe Teopixca eine Familie, welche sich rühmte von Wotan abzustammen. Der Bischof von Chiapa, Francisco Nuñez de la Vega, der in Guatemala einem Provincial-Concilium vorstand, hat in seinem Preambulo de las Constituciones diocesanas viel über die amerikanische Wotans-Sage gesammelt. Ob die Sage von dem ersten scandinavischen Odin (Odinn, Othinus) oder Wuotan, welcher von den Ufern des Don eingewandert sein soll, eine historische Grundlage habe, ist ebenfalls noch sehr unentschieden (Jacob Grimm, Deutsche Mythologie Bd. I S. 120–150). Die Identität des amerikanischen und scandinavischen Wotan, freilich nicht auf bloße Klangähnlichkeit gegründet, ist noch eben so zweifelhaft als die Identität von Wuotan (Odinn) und Buddha oder die der Namen des indischen Religionsstifters und des Planeten Budha. Die Existenz einer siebentägigen peruanischen Woche, welche so oft als eine semitische Aehnlichkeit der Zeiteintheilung in beiden Continenten angeführt wird, beruht: wie schon der Pater Acosta (Hist. natural y moral de las Indias 1591 lib VI cap. 3), der bald nach der spanischen Eroberung Peru besuchte, bewiesen hat, auf einem bloßen Irrthum; und der Inca Garcilaso de la Vega berichtigt selbst seine frühere Angabe (Parte I. lib. II cap. 35), indem er deutlich sagt: daß in jedem der Monate, die nach dem Monde gerechnet wurden, 3 Festtage waren; und daß das Volk 8 Tage arbeiten solle, um am 9ten auszuruhen (P. I. lib. VI cap. 23). Die sogenannten peruanischen Wochen waren also von 9 Tagen. (S. meine Vues des Cordillères T. I. p. 341–343)
Wenn dem Saturn, dem äußersten der damals bekannten Planeten, sonderbar genug: wie Stellen aus dem Commentar des Simplicius (p. 122) zum 8ten Aristotelischen Buche ^de Coelo, aus Hygin, Diodor und Theon dem Smyrnäer beweisen, die Benennung Sonne beigelegt ward; so war es gewiß nur seine Lage und die Länge seines Umlaufes, was ihn zum Herrscher der anderen Planeten erhob. Die beschreibenden Benennungen, so alt und chaldäisch sie zum Theil auch sein mögen, fanden sich bei griechischen und römischen Schriftstellern, doch erst recht häufig 424 in der Zeit der Cäsaren. Ihre Verbreitung hängt mit dem Einfluß der Astrologie zusammen. Die Planetenzeichen sind, wenn man die Scheibe der Sonne und die Mondsichel auf ägyptischen Monumenten abrechnet, sehr neuen Ursprungs; nach Letronne's UntersuchungenVergl. Letronne sur l'amulette de Jules César et les Signes planétaires in der Revue archéologique Année III. 1846 p. 261. Salmasius sah in dem ältesten Planetenzeichen des Jupiter den Anfangsbuchstaben von Ζεύς, in dem des Mars eine Abkürzung des Beinamens ϑούριος. Die Sonnenscheibe wurde als Zeichen durch einen schief und triangular ausströmenden Strahlenbündel fast unkenntlich gemacht. Da die Erde, das philolaisch-pythagorische System etwa abgerechnet, nicht den Planeten beigezählt wurde, so hält Letronne das Planetenzeichen der Erde »für später als Copernicus in Gebrauch gekommen«. – Die merkwürdige Stelle des Olympiodorus über die Weihung der Metalle an einzelne Planeten ist dem Proclus entlehnt und von Böckh aufgefunden worden (sie steht nach der Baseler Ausgabe p. 14, in der von Schneider p. 30). Vergl. für Olympiodorus: Aristot. Meteorol. ed.. Ideler T. II. p. 163. Auch das Scholion zum Pindar (Isthm.), in welchem die Metalle mit den Planeten verglichen werden, gehört der neuplatonischen Schule an; Lobeck, Aglaophamus, in Orph. T. II. p. 936. Planetenzeichen sind nach derselben Verwandtschaft der Ideen nach und nach Metallzeichen, ja einzeln (wie Mercurius für Quecksilber, argentum vivum und hydrargyrus des Plinius) Metallnamen geworden. In der kostbaren griechischen Manuscripten-Sammlung der Pariser Bibliothek befinden sich über die kabalistische sogenannte heilige Kunst zwei Handschriften: deren eine (No. 2250), ohne Planetenzeichen, die den Planeten geweihten Metalle aufführt; die andere aber (No. 2329), der Schrift nach aus dem 15ten Jahrhundert, (eine Art chemisches Wörterbuch) Namen der Metalle mit einer geringen Anzahl von Planetenzeichen verbindet (Höfer, histoire de la Chimie T. I. p. 250). In der Pariser Handschrift No. 2250 wird das Quecksilber dem Merkur, das Silber dem Monde zugeschrieben: wenn umgekehrt in No. 2329 dem Monde das Quecksilber und dem Jupiter das Zinn angehört. Letzteres Metall hat Olympiodorus dem Merkur beigelegt. So schwankend waren die mystischen Beziehungen der Weltkörper zu den Metallkräften.
Jupiter,
Mars,
Sonne,
Venus,
Merkur und
Mond,
Wenn sich die Zahl der sichtbaren Planeten nach der frühesten Einschränkung der Benennung auf 5, später mit Hinzufügung der großen Scheiben der Sonne und des Mondes auf 7 belief; so herrschten doch auch schon im Alterthum Vermuthungen, daß außer diesen sichtbaren Planeten noch andere, lichtschwächere, ungesehene, vorhanden wären. Diese Meinung wird von Simplicius als eine aristotelische bezeichnet. »Es sei wahrscheinlich, daß solche dunkle Weltkörper, die sich um 425 das gemeinsame Centrum bewegten, bisweilen Mondfinsternisse so gut als die Erde veranlassen.« Artemidorus aus Ephesus, den Strabo oft als Geographen anführt, glaubte an unzählige solcher dunkeln kreisenden Weltkörper. Das alte ideale Wesen, die Gegenerde (ἀντίχϑων) der Pythagoreer, gehört aber nicht in den Kreis dieser Ahndungen. Erde und Gegenerde haben eine parallele, concentrische Bewegung; und die Gegenerde: ersonnen, um der sich planetarisch in 24 Stunden um das Centralfeuer bewegenden Erde die Rotations-Bewegung zu ersparen, ist wohl nur die entgegengesetzte Halbkugel, die Antipoden-Hälfte unseres Planeten.Böckh im Philolaos S. 102 und 117.
Wenn man von den jetzt bekannten 43 Haupt- und Nebenplaneten, dem Sechsfachen von den dem Alterthum bekannten planetarischen Weltkörpern, chronologisch, nach der Zeitfolge ihrer Entdeckung, die 36 Gegenstände absondert, welche seit der Erfindung der Fernröhre erkannt worden sind; so erhält man für das 17te Jahrhundert neun, für das 18te Jahrhundert wieder neun, für das halbe 19te Jahrhundert achtzehn neu entdeckte.
Zeitfolge der planetarischen Entdeckungen
(Haupt und Nebenplaneten) seit der Erfindung des
Fernrohrs im Jahr 1608.
A. Das siebzehnte Jahrhundert:
vier Jupiterstrabanten: Simon Marius zu Ansbach 29 Dec. 1609, Galilei 7 Jan. 1610 zu Padua
Dreigestaltung des Saturn: Galilei Nov. 1610; Hevelius, Ansicht von 2 Seitenstäben 1656; Huygens, endliche Erkenntniß der wahren Gestalt des Ringes 17 Dec. 1657
der 6te Saturnstrabant (Titan): Huygens 25 März 1655
der 8te Saturnstrabant (der äußerste, Japetus): Domin. Cassini Oct. 1671
426 der 5te Saturnstrabant (Rhea): Cassini 23 Dec. 1672
der 3te und 4te Saturnstrabant (Tethys und Dione): Cassini Ende März 1684
B. Das achtzehnte Jahrhundert:
Uranus: William Herschel 13 März 1781 zu Bath
der 2te und 4te Uranustrabant: Will. Herschel 11 Jan. 1787
der 1te Saturnstrabant (Mimas): Will. Herschel 28 Aug. 1789
der 2te Saturnstrabant (Enceladus): Will. Herschel 17 Sept. 1789
der 1te Uranustrabant: Will. Herschel 18 Jan. 1790
der 5te Uranustrabant: Will. Herschel 9 Febr. 1790
der 6te Uranustrabant: Will. Herschel 28 Febr. 1794
der 3te Uranustrabant: Will. Herschel 26 März 1794
C. Das neunzehnte Jahrhundert:
Ceres*: Piazzi zu Palermo 1 Januar 1801
Pallas*: Olbers zu Bremen 28 März 1802
Juno*: Harding zu Lilienthal 1 Sept. 1804
Vesta*: Olbers zu Bremen 29 März 1807
(38 Jahre lang keine planetarische Entdeckung)
Asträa*: Hencke zu Driesen 8 Dec. 1845
Neptun: Galle zu Berlin 23 Sept. 1846
der 1te Neptunstrabant: W. Lassell zu Starfield bei Liverpool, Nov. 1846; Bond zu Cambridge (V. St.)
Hebe*: Hencke zu Driesen 1 Juli 1847
Iris*: Hind zu London 13 Aug. 1847
Flora*: Hind zu London 18 Oct. 1847
Metis*: Graham zu Markree-Castle 25 April 1848
der 7te Saturnstrabant (Hyperion): Bond in Cambridge (V. St.) 16–19 Sept. 1848, Lassell zu Liverpool 19–20 Sept. 1848
Hygiea*: de Gasparis zu Neapel 12 April 1849
Parthenope*: de Gasparis zu Neapel 11 Mai 1850
der 2te Neptunstrabant: Lassell zu Liverpool 14 Aug. 1850
Victoria*: Hind zu London 13 Sept. 1850
Egeria*: de Gasparis zu Neapel 2 Nov. 1850
Irene*: Hind zu London 19 Mai 1851 und de Gasparis zu Neapel 23 Mai 1851.
Es sind in dieser chronologischen UebersichtIn der Geschichte der Entdeckungen muß man die Epoche, in der eine Entdeckung gemacht wurde, von der ersten Veröffentlichung derselben unterscheiden. Durch Nichtachtung dieses Unterschiedes sind verschiedene und irrige Zahlen in astronomische Handbücher übergegangen. So z. B. hat Huygens den 6ten Saturnstrabanten, Titan, am 25 März 1655 entdeckt (Hugenii Opera varia 1724 p. 523) und die Entdeckung erst am 5 März 1656 (Systema Saturnium 1659 p. 2) veröffentlicht. Huygens, welcher seit dem Monat März 1655 sich ununterbrochen mit dem Saturn beschäftigte, genoß schon der vollen unzweifelhaften Ansicht des offenen Ringes am 17 December 1657 (Syst. Sat. p. 21), publicirte aber seine wissenschaftliche Erklärung aller Erscheinungen (Galilei hatte an jeder Seite des Planeten nur zwei abstehende, kreisrunde Scheiben zu sehen geglaubt) erst im Jahr 1659. die Hauptplaneten von den Nebenplaneten oder Trabanten 427 (Satelliten) durch größere Lettern unterschieden. Ein Sternchen ist der Classe von Hauptplaneten beigefügt, welche eine eigene und sehr ausgedehnte Gruppe, gleichsam einen Ring von 33 Millionen geographischer Meilen Breite, zwischen Mars und Jupiter bilden; und gewöhnlich Kleine Planeten, auch wohl: telescopische, Coplaneten, Asteroiden oder Planetoiden, genannt werden. Von diesen sind 4 in den ersten sieben Jahren dieses Jahrhunderts und 10 in den letztverflossenen sechs Jahren aufgefunden worden: was minder der Vorzüglichkeit der Fernröhre als dem Fleiß und Geschick der Suchenden, wie besonders den verbesserten und mit Fixsternen 9ter und 10ter Größe bereicherten Sternkarten zuzuschreiben ist. Man erkennt jetzt leichter das Bewegte zwischen dem Unbewegten (s. oben S. 155). Die Zahl der Hauptplaneten ist genau verdoppelt, seitdem der erste Band des Kosmos erschienenKosmos Bd. I. S. 95. Vergl. auch Encke in Schumacher's astronomischen Nachrichten Bd. XXVI. 1848 No. 622 S. 347. ist. So überschnell ist die Folge der Entdeckungen gewesen, die Erweiterung und Vervollkommnung der Topographie des Planetensystems.
2. Vertheilung der Planeten in zwei Gruppen. – Wenn man in dem Sonnengebiete die Region der Kleinen Planeten zwischen den Bahnen des Mars und des Jupiter, doch der ersteren im ganzen mehr genähert, als eine scheidende Zone räumlicher Abtheilung betrachtet, gleichsam als eine mittlere Gruppe; so bieten, wie schon früher bemerkt worden ist, die der Sonne näheren, inneren Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) manche Aehnlichkeiten unter sich und Contraste mit den äußeren, der Sonne ferneren, jenseits der scheidenden Zone gelegenen Planeten (Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun) dar. Die mittlere dieser drei Gruppen füllt kaum die Hälfte des Abstandes der Marsbahn von der Jupitersbahn aus. In dem Raume 428 zwischen den zwei großen Hauptplaneten Mars und Jupiter ist der dem Mars nähere Theil bisher am reichsten gefüllt; denn wenn man in der Zone, welche die Asteroiden einnehmen, die äußersten, Flora und Hygiea, in Betrachtung zieht: so findet man, daß Jupiter mehr denn dreimal weiter von Hygiea absteht als Flora vom Mars. Diese mittlere Planetengruppe hat den abweichendsten Charakter: durch ihre in einander verschlungenen, stark geneigten und excentrischen Bahnen; durch die beträchtliche Kleinheit ihrer Planeten. Die Neigung der Bahnen gegen die Ekliptik steigt bei Juno auf 13° 3', bei Hebe auf 14° 47', bei Egeria auf 16° 33', bei Pallas gar auf 34° 37': während sie in derselben mittleren Gruppe bei Asträa bis 5° 19', bei Parthenope bis 4° 37', bei Hygiea bis 3° 47' herabsinkt. Die sämmtlichen Bahnen der Kleinen Planeten mit Neigungen geringer als 7° sind, vom Großen zum Kleinen übergehend, die von Flora, Metis, Iris, Asträa, Parthenope und Hygiea. Keine dieser Bahn-Neigungen erreicht indeß an Kleinheit die von Venus, Saturn, Mars, Neptun, Jupiter und Uranus. Die Excentricitäten übertreffen theilweise noch die des Merkur (0,206); denn Juno, Pallas, Iris und Victoria haben 0,255; 0,239; 0,232 und 0,218: während Ceres (0,076), Egeria (0,086) und Vesta (0,089) weniger excentrische Bahnen haben als Mars (0,093), ohne jedoch die übrigen Planeten (Jupiter, Saturn, Uranus) in der angenäherteren Kreisförmigkeit zu erreichen. Der Durchmesser der telescopischen Planeten ist fast unmeßbar klein; und nach Beobachtungen von Lamont in München und Mädler im Dorpater Refractor ist es wahrscheinlich, daß der größte der Kleinen Planeten auf's höchste 145 geogr. Meilen im Durchmesser hat: das ist 1/5 des Merkur und 1/12 der Erde.
429 Nennen wir die 4 der Sonne näheren Planeten, zwischen dem Ringe der Asteroiden (der Kleinen Planeten) und dem Centralkörper gelegen, innere Planeten; so zeigen sie sich alle von mäßiger Größe, dichter, ziemlich gleich und dabei langsam um ihre Achsen rotirend (in fast 24stündiger Umdrehungszeit), minder abgeplattet und bis auf einen (die Erde) gänzlich mondlos. Dagegen sind die 4 äußeren, sonnenferneren Planeten, die zwischen dem Ringe der Asteroiden und den uns unbekannten Extremen des Sonnengebiets gelegenen: Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun; mächtig größer, 5mal undichter, mehr als 2mal schneller in der Rotation um die Achse, stärker abgeplattet, und mondreicher im Verhältniß von 20 zu 1. Die inneren Planeten sind alle kleiner als die Erde (Merkur und Mars 2/5- und ½mal kleiner im Durchmesser), die äußeren Planeten sind dagegen 4,2 bis 11,2mal größer als die Erde. Die Dichtigkeit der Erde = 1 gesetzt, sind die Dichtigkeiten der Venus und des Mars bis auf weniger als 1/10 damit übereinstimmend; auch die Dichtigkeit des Merkur (nach Encke's aufgefundener Merkurs-Masse) ist nur wenig größer. Dagegen übersteigt keiner der äußeren Planeten die Dichtigkeit ¼; Saturn ist sogar nur 1/7, fast nur halb so undicht als die übrigen äußeren Planeten und als die Sonne. Die äußeren Planeten bieten dazu das einzige Phänomen des ganzen Sonnensystems, das Wunder eines seinen Hauptplaneten frei umschwebenden festen Ringes, dar; auch Atmosphären, welche durch die Eigenthümlichkeit ihrer Verdickungen sich unserem Auge als veränderliche, ja im Saturn bisweilen als unterbrochene Streifen darstellen.
Obgleich bei der wichtigen Vertheilung der Planeten in zwei Gruppen von inneren und äußeren Planeten generelle 430 Eigenschaften der absoluten Größe, der Dichtigkeit, der Abplattung, der Geschwindigkeit in der Rotation, der Mondlosigkeit sich als abhängig von den Abständen, d. i. von ihren halben großen Bahn-Axen, zeigen; so ist diese Abhängigkeit in jeder einzelnen dieser Gruppen keinesweges zu behaupten. Wir kennen bisher, wie ich schon früher bemerkt, keine innere Nothwendigkeit, kein mechanisches Naturgesetz, das (wie das schöne Gesetz, welches die Quadrate der Umlaufszeiten an die Würfel der großen Axen bindet) die eben genannten Elemente für die Reihenfolge der einzelnen planetarischen Weltkörper jeder Gruppe in ihrer Abhängigkeit von den Abständen darstellte. Wenn auch der der Sonne nächste Planet, Merkur, der dichteste, ja 6- oder 8mal dichter als einzelne der äußeren Planeten: Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, ist; so zeigt sich doch die Reihenfolge bei Venus, Erde und Mars: oder bei Jupiter, Saturn und Uranus als sehr unregelmäßig. Die absoluten Größen sehen wir, wohl im allgemeinen, wie schon Kepler bemerkt (Harmonice Mundi V, 4 p. 194; Kosmos Bd. I. S. 389 [Anm. 38]), aber nicht einzeln betrachtet, mit den Abständen wachsen. Mars ist kleiner als die Erde, Uranus kleiner als Saturn, Saturn kleiner als Jupiter; und dieser folgt unmittelbar auf eine Schaar von Planeten, welche wegen ihrer Kleinheit fast unmeßbar sind. Die Rotationszeit nimmt im allgemeinen freilich mit der Sonnenferne zu; aber sie ist bei Mars wieder langsamer als bei der Erde, bei Saturn langsamer als bei Jupiter.
Die Welt der Gestaltungen, ich wiederhole es, kann in der Aufzählung räumlicher Verhältnisse nur geschildert werden als etwas Thatsächliches, als etwas Daseiendes (Wirkliches) in der Natur; nicht als Gegenstand intellectueller Schlußfolge, 431 schon erkannter ursachlicher Verkettung. Kein allgemeines Gesetz ist hier für die Himmelsräume aufgefunden, so wenig als für die Erdräume in der Lage der Culminationspunkte der Bergketten oder in der Gestaltung der einzelnen Umrisse der Continente. Es sind Thatsachen der Natur, hervorgegangen aus dem Conflict vielfacher, unter uns unbekannt gebliebenen Bedingungen wirkender Wurf- und Anziehungskräfte. Wir treten hier mit gespannter und unbefriedigter Neugier in das dunkle Gebiet des Werdens. Es handelt sich hier, im eigentlichsten Sinne des so oft gemißbrauchten Wortes, um Weltbegebenheiten, um kosmische Vorgänge in für uns unmeßbaren Zeiträumen. Haben sich die Planeten aus kreisenden Ringen dunstförmiger Stoffe gebildet: so muß die Materie, als sie sich nach dem Vorherrschen einzelner Attractionspunkte zu ballen begann, eine unabsehbare Reihe von Zuständen durchlaufen sein, um bald einfache, bald verschlungene Bahnen; Planeten von so verschiedener Größe, Abplattung und Dichte, mondlose und mondreiche: ja in einen festen Ring verschmolzene Satelliten zu bilden. Die gegenwärtige Form der Dinge und die genaue numerische Bestimmung ihrer Verhältnisse hat uns bisher nicht zur Kenntniß der durchlaufenen Zustände führen können, nicht zu klarer Einsicht in die Bedingungen, unter denen sie entstanden sind. Diese Bedingungen dürfen aber darum nicht zufällig heißen: wie dem Menschen alles heißt, was er noch nicht genetisch zu erklären vermag.
3. Absolute und scheinbare Größe; Gestaltung. – Der Durchmesser des größten aller Planeten, Jupiters, ist 30mal so groß als der Durchmesser des kleinsten der sicher bestimmten Planeten, Merkurs; fast 11mal so groß als der Durchmesser der Erde. Beinahe in demselben Verhältniß steht 432 Jupiter zur Sonne. Die Durchmesser beider sind nahe wie 1 zu 10. Man hat vielleicht irrig behauptet, der Größen-Abstand der Meteorsteine, die man geneigt ist für kleine planetarische Körper zu halten, zur Vesta: welche nach einer Messung von Mädler 66 geogr. Meilen im Durchmesser, also 80 Meilen weniger hat wie Pallas nach Lamont; sei nicht bedeutender als der Größen-Abstand der Vesta zur Sonne. Nach diesem Verhältnisse müßte es Meteorsteine von 517 Fußen im Durchmesser geben. Feuerkugeln haben, so lange sie scheibenartig erscheinen, allerdings bis 2600 Fuß Durchmesser.
Die Abhängigkeit der Abplattung von der Umdrehungs-Geschwindigkeit zeigt sich am auffallendsten in der Vergleichung der Erde als eines Planeten der inneren Gruppe (Rot. 23h 56', Abpl. 1/299) mit den äußeren Planeten Jupiter (Rot. 9h 55'; Abpl. nach Arago 1/17, nach John Herschel 1/15) und Saturn (Rot. 10h 29', Abpl. 1/10). Aber Mars, dessen Rotation sogar noch 41 Minuten langsamer ist als die Rotation der Erde, hat, wenn man auch ein viel schwächeres Resultat als das von William Herschel annimmt, doch immer sehr wahrscheinlich eine viel größere Abplattung. Liegt der Grund dieser Anomalie, in so fern die Oberflächen-Gestalt des elliptischen Sphäroids der Umdrehungs-Geschwindigkeit entsprechen soll, in der Verschiedenheit des Gesetzes der zunehmenden Dichtigkeiten auf einander liegender Schichten gegen das Centrum hin? oder in dem Umstand, daß die flüssige Oberfläche einiger Planeten früher erhärtet ist, als sie die ihrer Rotations-Geschwindigkeit zugehörige Figur haben annehmen können? Von der Gestaltung der Abplattung unseres Planeten hangen, wie die theoretische Astronomie beweist, die wichtigen Erscheinungen des Zurückweichens der Aequinoctial-Punkte 433 oder des scheinbaren Vorrückens der Gestirne (Präcession), die der Nutation (Schwankung der Erdachse) und der Veränderung der Schiefe der Ekliptik ab.
Die absolute Größe der Planeten und ihre Entfernung von der Erde bestimmen ihren scheinbaren Durchmesser. Der absoluten (wahren) Größe nach haben wir die Planeten, von den kleineren zu den größeren übergehend, also zu reihen:
die in ihren Bahnen verschlungenen, Kleinen Planeten, deren größte Pallas und Vesta zu sein scheinen;
Merkur,
Mars,
Venus,
Erde,
*
Neptun,
Uranus,
Saturn,
Jupiter.
In der mittleren Entfernung von der Erde hat Jupiter einen scheinbaren Aequatorial-Durchmesser von 38",4: wenn derselbe bei der, der Erde an Größe ohngefähr gleichen Venus, ebenfalls in mittlerer Entfernung, nur 16",9; bei Mars 5",8 ist. In der unteren Conjunction wächst aber der scheinbare Durchmesser der Scheibe der Venus bis 62", wenn der des Jupiter in der Opposition nur eine Vergrößerung bis 46" erreicht. Es ist hier nothwendig zu erinnern, daß der Ort in der Bahn der Venus, an welchem sie uns im hellsten Lichte erscheint, zwischen ihre untere Conjunction und ihre größte Digression von der Sonne fällt, weil da die schmale Lichtsichel wegen der größten Nähe zu der Erde das intensiveste 434 Licht giebt. Im Mittel erscheint Venus am herrlichsten leuchtend, ja in Abwesenheit der Sonne Schatten werfend, wenn sie 40° östlich oder westlich von der Sonne entfernt ist; dann beträgt ihr scheinbarer Durchmesser nur an 40" und die größte Breite der beleuchteten Phase kaum 10".
Scheinbarer Durchmesser von 7 Planeten:
Merkur | in | mittlerer | Entfernung | 6",7 | (oscillirt von 4",4 bis 12") |
Venus | " | " | " | 16",9 | (oscillirt von 9",5 bis 62") |
Mars | " | " | " | 5",8 | (oscillirt von 3",3 bis 23") |
Jupiter | " | " | " | 38",4 | (oscillirt von 30" bis 46") |
Saturn | " | " | " | 17",1 | (oscillirt von 15" bis 20") |
Uranus | " | " | " | 3",9 | |
Neptun | " | " | " | 2",7 |
Das Volumen der Planeten im Verhältniß zur Erde ist bei
Merkur | wie | 1 | : | 16,7 |
Venus | " | 1 | : | 1,05 |
Erde | " | 1 | : | 1 |
Mars | " | 1 | : | 7,14 |
Jupiter | " | 1414 | : | 1 |
Saturn | " | 735 | : | 1 |
Uranus | " | 82 | : | 1 |
Neptun | " | 108 | : | 1 |
während das Volum der Sonne zu dem der Erde = 1407124 : 1 ist. Kleine Aenderungen der Messungen des Durchmessers vergrößern die Angaben der Volumina im Verhältniß des Cubus.
Die ihren Ort verändernden, den Anblick des gestirnten Himmels anmuthig belebenden Planeten wirken gleichzeitig auf uns durch die Größe ihrer Scheiben und ihre Nähe; durch Farbe des Lichts; durch Scintillation, die einigen Planeten in 435 gewissen Lagen nicht ganz fremd ist; durch die Eigenthümlichkeit, mit der ihre verschiedenartigen Oberflächen das Sonnenlicht reflectiren. Ob eine schwache Lichtentwickelung in den Planeten selbst die Intensität und Beschaffenheit ihres Lichts modificire, ist ein noch zu lösendes Problem.
4. Reihung der Planeten und ihre Abstände von der Sonne. – Um das bisher entdeckte Planetensystem als ein Ganzes zu umfassen und in seinen mittleren Abständen von dem Centralkörper, der Sonne, darzustellen, liefern wir die nachfolgende Tabelle: in welcher, wie es immer in der Astronomie gebräuchlich gewesen, die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne (20682000 geogr. Meilen) zur Einheit angenommen ist. Wir fügen später bei den einzelnen Planeten die größten und kleinsten Entfernungen von der Sonne im Aphel und Perihel hinzu: je nachdem der Planet in der Ellipse, deren Brennpunkt die Sonne einnimmt, sich in demjenigen Endpunkte der großen Axe (Apsidenlinie) befindet, welcher dem Brennpunkte am fernsten oder am nächsten ist. Unter der mittleren Entfernung von der Sonne, von welcher hier allein die Rede ist, wird das Mittel aus der größten und kleinsten Entfernung, oder die halbe große Axe der Planetenbahn, verstanden. Auch ist zu bemerken, daß die numerischen Data hier wie bisher, und so auch im Folgenden, größtentheils aus Hansen's sorgfältiger Zusammenstellung der Planeten-Elemente in Schumacher's Jahrbuch für 1837 entnommen sind. Wo die Data sich auf Zeit beziehen, gelten sie bei den älteren und größeren Planeten für das Jahr 1800; bei Neptun aber für 1851, mit Benutzung des Berliner astronomischen Jahrbuchs von 1853. Die weiter unten folgende 436 Zusammenstellung der Kleinen Planeten, deren Mittheilung ich der Freundschaft des Dr. Galle verdanke, bezieht sich durchgängig auf neuere Epochen.
Abstände der Planeten von der Sonne:
Merkur | 0,38709 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Venus | 0,72333 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Erde | 1,00000 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mars | 1,52369 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Jupiter | 5,20277 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Saturn | 9,53885 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Uranus | 19,18239 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Neptun | 30,03628 |
Die einfache Beobachtung der sich von Saturn und Jupiter bis Mars und Venus schnell vermindernden Umlaufszeiten hatte: bei der Annahme, daß die Planeten an bewegliche Sphären geheftet seien, sehr früh auf Ahndungen über die Abstände dieser Sphären von einander geführt. Da unter den Griechen vor Aristarch von Samos und der Errichtung des alexandrinischen Museums von methodisch angestellten 437 Beobachtungen und Messungen keine Spur zu finden ist; so entstand eine große Verschiedenheit in den Hypothesen über die Reihung der Planeten und ihre relativen Abstände: sei es, wie nach dem am meisten herrschenden Systeme, über die Abstände von der im Centrum ruhenden Erde; oder, wie bei den Pythagoreern, über die Abstände von dem Heerd des Weltalls, der Hestia. Man schwankte besonders in der Stellung der Sonne, d. h. in ihrer relativen Lage gegen die unteren Planeten und den Mond.Böckh de Platonico syst. p. XXIV und im Philolaos S. 100. Die Planetenfolge, welche, wie wir eben gesehen (Anm. 1494), zu der Benennung der Wochentage nach Planeten-Göttern Anlaß gegeben hat: die des Geminus, wird bestimmt von Ptolemäus (Almag. XI cap. 1) die älteste genannt. Er tadelt die Motive, nach denen »die Neueren Venus und Merkur jenseit der Sonne gesetzt haben«. Die Pythagoreer, denen Zahl die Quelle der Erkenntniß, die Wesenheit der Dinge war, wandten ihre Zahlentheorie, die alles verschmelzende Lehre der Zahlverhältnisse auf die geometrische Betrachtung der früh erkannten 5 regelmäßigen Körper, auf die musikalischen Intervalle der Töne, welche die Accorde bestimmen und verschiedene Klanggeschlechter bilden, ja auf den Weltenbau selbst an: ahndend, daß die bewegten, gleichsam schwingenden, Klangwellen erregenden Planeten nach den harmonischen Verhältnissen ihrer räumlichen Intervalle eine Sphärenmusik hervorrufen müßten. »Diese Musik«, setzten sie hinzu, »würde dem menschlichen Ohre vernehmbar sein, wenn sie nicht, eben darum weil sie perpetuirlich ist und weil der Mensch von Kindheit auf daran gewöhnt ist, überhört würde.«Die Pythagoreer behaupteten, um die Wirklichkeit der durch den Sphären-Umschwung hervorgebrachten Töne zu rechtfertigen: man höre nur da, wo sich Abwechselung von Laut und Schweigen finde. Aristot. de Coelo II, 9 pag. 290 no. 24–30 Bekker. Auch durch Betäubung wurde das Nicht-Hören der Sphärenmusik entschuldigt; Cicero de rep. VI, 18. Aristoteles selbst nennt die pythagorische Tonmythe artig und geistreich (κομψῶς καὶ περιττῶς), aber unwahr (l. c. no. 12–15). Der harmonische Theil der pythagorischen Zahlenlehre schloß sich so der figürlichen Darstellung des Kosmos an, ganz im Sinne des Platonischen Timäus; denn »die Kosmogonie ist dem Plato das Werk der von der Harmonie zu Stande gebrachten Vereinigung entgegengesetzter Urgründe«.Böckh im Philolaos S. 90. Er versucht sogar in einem anmuthigen Bilde die Welttöne zu versinnlichen, indem er auf jede der Planetensphären eine Sirene setzt, die, von den ernsten Töchtern der Nothwendigkeit, 438 den drei Mören, unterstützt, die ewige Umkreisung der Weltspindel fördern.Plato de republica X p. 617. Er schätzt die Planeten-Abstände nach zwei ganz verschiedenen Progressionen: einer durch Verdoppelung, der anderen durch Verdreifachung: woraus die Reihe 1.2.3.4.9.8.27 entsteht. Es ist dieselbe Reihe, welche man im Timäus findet: da, wo von der arithmetischen Theilung der Weltseele (p. 35 Steph.), welche der Demiurgus vornimmt, gehandelt wird. Plato hat nämlich die beiden geometrischen Progressionen 1.2.4.8 und 1.3.9.27 zusammen betrachtet, und so abwechselnd jede nächstfolgende Zahl aus einer der zwei Reihen genommen: woraus die oben angeführte Folge 1.2.3.4.9..... entsteht. Vergl. Böckh in den Studien von Daub und Creuzer Bd. III. S. 34–43; Martin, études sur le Timée T. I. p. 384 und T. II. p. 64. (Vergl. auch Prevost sur l'âme d'après Platon in den Mémoires de l'Acad. de Berlin pour 1802 p. 90 und 97; denselben in der Bibliothèque britannique, sciences et arts T. XXXVII. 1808 p. 153) Eine solche Darstellung der Sirenen, an deren Stelle bisweilen als Himmelssängerinnen die Musen treten, ist uns in antiken Kunstdenkmälern, besonders in geschnittenen Steinen, mehrfach erhalten. Im christlichen Alterthume, wie im ganzen Mittelalter, von Basilius dem Großen an bis Thomas von Aquino und Petrus Alliacus, wird der Harmonie der Sphären noch immer, doch meist tadelnd, gedacht.S. die scharfsinnige Schrift des Prof. Ferdinand Piper: von der Harmonie der Sphären 1850 S. 12–18. Das vermeintliche Verhältniß von 7 Vocalen der altägyptischen Sprache zu den 7 Planeten; und Gustav Seyffarth's, schon durch Zoega's und Tölken's Untersuchungen widerlegte Auffassung von astrologischen vocalreichen Hymnen ägyptischer Priester: nach Stellen des Pseudo-Demetrius Phalereus (vielleicht Demetrius aus Alexandrien), einem Epigramme des Eusebius und einem gnostischen Manuscripte in Leiden, ist von Ideler dem Sohne (Hermapion 1841 Pars I. p. 196–214) umständlich und mit kritischer Gelehrsamkeit behandelt worden. (Vergl. auch Lobeck, Aglaophamus T. II. p. 932.)
Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts erwachten in dem phantasiereichen Kepler wieder alle pythagorischen und platonischen Weltansichten, gleichzeitig die geometrischen wie die musikalischen. Kepler baute, nach seinen naturphilosophischen Phantasien, das Planetensystem erst in dem Mysterium cosmographicum nach der Norm der 5 regulären Körper, welche zwischen die Planetensphären gelegt werden können, dann in der Harmonice Mundi nach den Intervallen der Töne auf.Ueber die allmälige Entwickelung der musikalischen Ideen von Kepler s. Apelt's Commentar der Harmonices Mundi in seiner Schrift: Johann Keppler's Weltansicht 1849 S. 76–116. (Vergl. auch Delambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. I. p. 352–360.) Von der Gesetzlichkeit in den relativen Abständen der Planeten überzeugt, glaubte er das Problem durch eine glückliche Combination seiner früheren und späteren Ansichten gelöst zu haben. Auffallend genug ist es, daß Tycho de Brahe, den wir sonst immer so streng an die wirkliche Beobachtung gefesselt finden, schon vor Kepler die von Rothmann bestrittene Meinung geäußert hatte, daß die kreisenden Weltkörper die Himmelsluft (was wir jetzt das widerstehende Mittel nennen) zu erschüttern vermöchten, um Töne zu erzeugen.Kosmos Bd. II. S. 353. Die Analogien der Tonverhältnisse mit den Abständen der Planeten, denen Kepler so lange und so mühsam nachspürte, blieben aber, wie mir scheint, bei dem geistreichen Forscher ganz in dem Bereich der Abstractionen. Er freut 439 sich, zu größerer Verherrlichung des Schöpfers, in den räumlichen Verhältnissen des Kosmos musikalische Zahlenverhältnisse entdeckt zu haben; er läßt, wie in dichterischer Begeisterung, »Venus zusammen mit der Erde in der Sonnenferne Dur, in der Sonnennähe Moll spielen: ja der höchste Ton des Jupiter und der der Venus müssen im Moll-Accord zusammentreffen«. Trotz aller dieser so häufig gebrauchten, und doch nur symbolisirenden, Ausdrücke sagt Kepler bestimmt: »jam soni in coelo nulli existunt, nec tam turbulentus est motus, ut ex attritu aurae coelestis eliciatur stridor.« (Harmonice Mundi lib. V cap. 4.) Der dünnen und heiteren Weltluft (aura coelestis) wird hier also wieder gedacht.
Die vergleichende Betrachtung der Planeten-Intervalle mit den regelmäßigen Körpern, welche diese Intervalle ausfüllen müssen, hatte Kepler ermuthigt seine Hypothesen selbst bis auf die Fixsternwelt auszudehnen.Tycho hatte die krystallenen Sphären, in welche die Planeten eingeheftet sind, vernichtet. Kepler lobt das Unternehmen; aber er beharrt doch bei der Vorstellung, daß die Fixstern-Sphäre eine feste Kugelschale von 2 deutschen Meilen Dicke sei, an der 12 Fixsterne erster Größe glänzen, die alle in gleicher Weite von uns stehen und eine eigene Beziehung zu den Ecken eines Icosaëders haben. Die Fixsterne lumina sua ab intus emittunt; auch die Planeten hielt er lange für selbstleuchtend, bis ihn Galilei eines Besseren belehrte! Wenn er auch, wie mehrere unter den Alten und Giordano Bruno, alle Fixsterne für Sonnen wie die unsrige hielt; so war er doch der Meinung, die er erwogen, daß alle Fixsterne von Planeten umgeben seien, nicht so zugethan, als ich früher (Kosmos Bd. II. S. 365) behauptet habe. Vergl. Apelt a. a. O. S. 21–24. Was bei der Auffindung der Ceres und der anderen sogenannten Kleinen Planeten an die pythagorischen Combinationen Kepler's zuerst wieder lebhaft erinnert hat, ist dessen, fast vergessene Aeußerung gewesen über die wahrscheinliche Existenz eines noch ungesehenen Planeten in der großen planetenlosen Kluft zwischen Mars und Jupiter. (»Motus semper distantiam pone sequi videtur; atque ubi magnus hiatus erat inter orbes, erat et inter motus.«) »Ich bin kühner geworden«, sagt er in der Einleitung zum Mysterium cosmographicum, »und setze zwischen Jupiter und Mars einen neuen Planeten, wie auch (eine Behauptung, die weniger glücklich war und lange unbeachtet blieb)Erst im Jahr 1821 hat Delambre in der Hist. de l'Astr. mod. T. I. p. 314: in seinen astronomisch, aber nicht astrologisch, vollständigen Auszügen aus Kepler's sämmtlichen Werken p. 314–615, auf den Planeten aufmerksam gemacht, den Kepler zwischen Merkur und Venus vermuthete. »On n'a fait aucune attention à cette supposition de Kepler, quand on a formé des projets de découvrir la planète qui (selon une autre de ses prédictions) devait circuler entre Mars et Jupiter.« einen anderen Planeten zwischen Venus und Merkur; man hat wahrscheinlich beide ihrer außerordentlichen Kleinheit 440 wegen nicht gesehen.«Die merkwürdige Stelle über eine auszufüllende Kluft (hiatus) zwischen Mars und Jupiter findet sich in Kepler's Prodromus Dissertationum cosmographicarum, continens Mysterium cosmographicum de admirabili proportione orbium coelestium, 1596 p. 7: »Cum igitur hac non succederet, alia via, mirum quam audaci, tentavi aditum. Inter Jovem et Martem interposui novum Planetam, itemque alium inter Venerem et Mercurium, quos duos forte ob exilitatem non videamus, iisque sua tempora periodica ascripsi. Sic enim existimabam me aliquam aequalitatem proportionum effecturum, quae proportiones inter binos versus Solem ordine minuerentur, versus fixas augescerent: ut propior est Terra Veneri in quantitate orbis terrestris, quam Mars Terrae, in quantitate orbis Martis. Verum hoc pacto neque unius planetae interpositio sufficiebat ingenti hiatui Jovem inter et Martem, manebat enim major Jovis ad illum novum proportio, quam est Saturni ad Jovem... Rursum alio modo exploravi...« Kepler war 25 Jahr alt, da er dies schrieb. Man sieht, wie sein beweglicher Geist Hypothesen aufstellte und schnell wieder verließ, um sie mit anderen zu vertauschen. Immer blieb ihm ein hoffnungsvolles Vertrauen, selbst da Zahlengesetze zu entdecken, wo unter den mannigfaltigsten Störungen der Attractionskräfte (Störungen, deren Combination, wie so viel in des Natur Geschehenes und Gestaltetes, wegen Unbekanntschaft mit den begleitenden Bedingungen incalculabel ist) die Materie sich in Planetenkugeln geballt hat, kreisend: bald einzeln, in einfachen, unter einander fast parallelen; bald gruppenweise, in wunderbar verschlungenen Bahnen. Später fand Kepler, daß er dieser neuen Planeten für sein Sonnensystem nach den Eigenschaften der 5 regelmäßigen Körper nicht bedürfe; es komme nur darauf an, den Abständen der alten Planeten eine kleine Gewalt anzuthun. (»Non reperies novos et incognitos Planetas, ut paulo antea, interpositos, non ea mihi probatur audacia; sed illos veteres parum admodum luxatos.« Myst. cosmogr. p. 10.) Die geistigen Richtungen Kepler's waren den Pythagorischen und noch mehr den im Timäus ausgesprochenen Platonischen so analog, daß, so wie Plato (Cratyl. p. 409) in den sieben Planetensphären neben der Verschiedenheit der Töne auch die der Farben fand, Kepler ebenfalls (Astron. opt. cap. 6 pag. 261) eigene Versuche anstellte, um an einer verschieden erleuchteten Tafel die Farben der Planeten nachzuahmen. War doch der große, in seinen Vernunftschlüssen immer so strenge Newton ebenfalls noch geneigt, wie schon Prevost (Mém. de l'Acad. de Berlin pour 1802 p. 77 und 93) bemerkt, die Dimension der 7 Farben des Spectrums auf die diatonische Scale zu reduciren.Newtoni Opuscula mathematica, philosophica et philologica 1744 T. II. Opusc. XVIII. p. 246: »chordam musice divisam potius adhibui, non tantum quod cum phaenomenis (lucis) optime convenit, sed quod fortasse aliquid circa colorum harmonias (quarum pictores non penitus ignari sunt), sonorum concordantiis fortasse analogas, involvat. Quemadmodum verisimilius videbitur animadvertenti affinitatem, quae est inter extimam Purpuram (Violarum colorem) ac Rubedinem, Colorum extremitates, qualis inter octavae terminos (qui pro unisonis quodammodo haberi possunt) reperitur....« Vergl. auch Prevost in den Mém. de l'Acad. de Berlin pour 1802 p. 77 und 93.
Die Hypothese von noch unbekannten Gliedern der Planetenreihe des Sonnensystems erinnert an die Meinung des hellenischen Alterthums: daß es weit mehr als 5 Planeten gebe; dies sei ja nur die Zahl der beobachteten, viele andere aber blieben ungesehen wegen der Schwäche ihres Lichtes und ihrer Stellung. Ein solcher Ausspruch ward besonders dem Artemidor aus Ephesus zugeschrieben.Seneca, Nat. Quaest. VII, 13: »non has tantum stellas quinque discurrere, sed solas observatas esse: ceterum innumerabiles ferri per occultum.« Ein anderer alt-hellenischer, vielleicht selbst ägyptischer Glaube scheint der gewesen zu sein: »daß die Himmelskörper, welche wir jetzt sehen, nicht alle von je her zugleich sichtbar waren«. Mit 441 einem solchen physischen oder vielmehr historischen Mythus hängt die sonderbare Form des Lobes eines hohen Alters zusammen, das einige Volksstämme sich selbst beilegten. So nannten sich Proselenen die vorhellenischen pelasgischen Bewohner Arkadiens: weil sie sich rühmten früher in ihr Land gekommen zu sein, als der Mond die Erde begleitete. Vorhellenisch und vormondlich waren synonym. Das Erscheinen eines Gestirns wurde als eine Himmelsbegebenheit geschildert, wie die Deucalionische Fluth eine Erdbegebenheit war. Apulejus (Apologia Vol. II. p. 494 ed. Oudendorp; Kosmos Bd. II. S. 439 Anm. 736) dehnte die Fluth bis auf die gätulischen Gebirge des nördlichen Afrika's aus. Bei Apollonius Rhodius, der nach alexandrinischer Sitte gern alten Mustern nachahmte, heißt es von der frühen Ansiedelung der Aegypter im Nilthale: »noch kreisten nicht am Himmel die Gestirne alle; noch waren die Danaer nicht erschienen, nicht das Deucalionische Geschlecht.«Da mich die Erklärungen, welche von dem Ursprunge der im Alterthum so weit verbreiteten astronomischen Mythe der Proselenen Heyne (de Arcadibus luna antiquioribus, in Opus. acad. Vol. II. p. 332) gegeben hat, nicht befriedigen konnten; so war es mir eine große Freude, von meinem scharfsinnigen philologischen Freunde, Professor Johannes Franz, durch einfache Ideen-Combination, eine neue und sehr glückliche Lösung des vielbehandelten Problems zu erhalten. Es hängt diese Lösung weder mit den Calender-Einrichtungen der Arkader noch mit ihrem Mond-Cultus zusammen. Ich beschränke mich hier auf den Auszug einer unedirten, mehr umfassenden Arbeit. In einem Werke, in welchem ich mir zum Gesetz gemacht habe, recht oft die Gesammtheit unsres jetzigen Wissens an das Wissen des Alterthums, ja an wirkliche oder wenigstens von Vielen geglaubte Traditionen anzuknüpfen, wird diese Erläuterung einem Theil meiner Leser nicht unwillkommen sein.
»Wir beginnen mit einigen Hauptstellen, die bei den Alten von den Proselenen handeln. Stephanus von Byzanz (v. Ἀρκάς) nennt den Logographen Hippys aus Rhegium, einen Zeitgenossen von Darius und Xerxes, als den Ersten, der die Arkader προσελήνους genannt habe. Die Scholiasten ad Apollon. Thod. IV, 264 und ad Aristoph. Nub. 397 sagen übereinstimmend: Das hohe Alterthum der Arkader erhellet am meisten daraus, daß sie προσέληνοι hießen. Sie scheinen vor dem Monde da gewesen zu sein, wie denn auch Eudoxus und Theodorus sagen; Letzterer fügt hinzu, es sei kurz vor dem Kampfe des Hercules der Mond erschienen. In der Staatsverfassung der Tegeaten meldet Aristoteles: die Barbaren, welche Arkadien bewohnten, seien von den späteren Arkadern vertrieben worden, ehe der Mond erschien; darum sie auch προσέληνοι genannt worden. Andere sagen, Endymion habe die Umläufe des Mondes entdeckt; da er aber ein Arkader war, seien die Arkader nach ihm προσέληνοι genannt worden. Tadelnd spricht sich Lucian (astrolog. 26) aus. Nach ihm sagen aus Unverstand und aus Thorheit die Arkader, sie seien früher da gewesen als der Mond. In Schol. ad Aeschyl. Prom. 436 wird bemerkt: προσελούμενον heiße ὑβριζόμενον; woher denn auch die Arkader προσέληνοι genannt werden, weil sie übermüthig sind. Die Stellen des Ovidius über das vormondliche Dasein der Arkader sind allgemein bekannt. – In neuester Zeit ist sogar der Gedanke aufgetaucht: das ganze Alterthum habe sich von der Form προσέληνοι täuschen lassen; das Wort (eigentlich προέλληνοι) bedeute bloß vorhellenisch, da allerdings Arkadien ein pelasgisches Land sei.« »Wenn nun nachgewiesen werden kann«, fährt Professor Franz fort, »daß ein anderes Volk seine Abstammung mit einem anderen Gestirn in Verbindung brachte, so wird man der Mühe überhoben zu täuschenden Etymologien seine Zuflucht zu nehmen. Diese Art des Nachweises ist aber in bester Form vorhanden. Der gelehrte Rhetor Menander (um das Jahr 270 nach Chr.) sagt wörtlich in seiner Schrift de encomiis (sect. II cap. 3 ed. Heeren), wie folgt: Als drittes Moment für das Loben des Gegenstandes gilt die Zeit; dies ist bei allem Aeltesten der Fall: wenn wir aussagen von einer Stadt oder von einem Lande, sie seien angebauet worden vor dem und dem Gestirn, oder mit den Gestirnen, vor der Ueberschwemmung oder nach der Ueberschwemmung; wie die Athener behaupten, sie seien mit der Sonne entstanden, die Arkader vor dem Monde, die Delpher gleich nach der Ueberschwemmung: denn dies sind Absätze und gleichsam Anfangspunkte in der Zeit.« »Also Delphi, dessen Zusammenhang mit der Deucalionischen Fluth auch sonst bezeugt ist (Pausan. X, 6), wird von Arkadien, Arkadien wird von Athen übertroffen. Ganz übereinstimmend hiermit drückt sich der, ältere Muster nachahmende Apollonius Rhodius IV, 261 aus, wo er sagt, Aegypten sei vor allen anderen Ländern bewohnt gewesen: »noch nicht kreisten am Himmel die Gestirne alle; noch waren die Danaer nicht da, nicht das Deucalionische Geschlecht; vorhanden waren nur die Arkader: die, von denen es heißt, daß sie vor dem Monde lebten, Eicheln essend auf den Bergen.« Eben so sagt Nonnus XLI von dem syrischen Beroë, es sei vor der Sonne bewohnt gewesen.« »Eine solche Gewohnheit, aus Momenten der Welt-Construction Zeitbestimmungen zu entnehmen, ist ein Kind der Anschauungs-Periode, in welcher alle Gebilde noch mehr Lebendigkeit haben: und gehört zunächst der genealogischen Local-Poesie an. So ist es selbst nicht unwahrscheinlich, daß die durch einen arkadischen Dichter besungene Sage von dem Gigantenkampf in Arkadien, auf welche sich die oben angeführten Worte des alten Theodorus beziehen (den Einige für einen Samothracier halten und dessen Werk sehr umfangreich gewesen sein muß), Veranlassung zur Verbreitung des Epithetons προσέληνοι für die Arkader gegeben habe.« Ueber den Doppelnamen: »Arkades Pelasgoi« und den Gegensatz einer älteren und jüngeren Bevölkerung Arkadiens vergl. die vortreffliche Schrift: »der Peloponnesos« von Ernst Curtius 1851 S. 160 und 180. Auch im Neuen Continent finden wir, wie ich an einem anderen Orte gezeigt (s. meine Kleinen Schriften Bd. I. S. 115), auf der Hochebene von Bogota den Völkerstamm der Muyscas oder Mozcas, welcher in seinen historischen Mythen sich eines proselenischen Alters rühmte. Die Entstehung des Mondes hängt mit der Sage von einer großen Fluth zusammen, welche ein Weib, das den Wundermann Botschika begleitete, durch ihre Zauberkünste veranlaßt hatte. Botschika verjagte das Weib (Huythaca oder Schia genannt). Sie verließ die Erde und wurde der Mond: »welcher bis dahin den Muyscas noch nie geleuchtet hatte«. Botschika, des Menschengeschlechts sich erbarmend, öffnete mit starker Hand eine steile Felswand bei Canoas, wo der Rio de Funzha sich jetzt im berufenen Wasserfall des Tequendama herabstürzt. Das mit Wasser gefüllte Thalbecken wurde dadurch trocken gelegt; – ein geognostischer Roman, der sich oft wiederholt: z. B. im geschlossenen Alpenthal von Kaschmir, wo der mächtige Entwässerer Kasyapa heißt.
Ich schließe diese Betrachtungen über die Abstände und räumliche Reihung der Planeten mit einem Gesetz, welches eben nicht diesen Namen verdient: und das Lalande und Delambre ein Zahlenspiel, Andere ein mnemonisches Hülfsmittel nennen. Es hat dasselbe unseren verdienstvollen Bode viel beschäftigt, besonders zu der Zeit, als Piazzi die Ceres auffand: eine Entdeckung, die jedoch keinesweges durch jenes sogenannte Gesetz, sondern eher durch einen Druckfehler in Wollaston's Sternverzeichniß veranlaßt wurde. Wollte man die Entdeckung als die Erfüllung einer Voraussagung betrachten; so muß man nicht vergessen, daß letztere, wie wir 442 schon oben erinnert haben, bis zu Kepler hinaufreicht, also mehr denn 1½ Jahrhunderte über Titius und Bode hinaus. Obgleich der Berliner Astronom in der 2ten Auflage seiner populären und überaus nützlichen »Anleitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels« bereits sehr bestimmt erklärt hatte, »daß er das Gesetz der Abstände einer in Wittenberg durch Prof. Titius veranstalteten Uebersetzung von Bonnet's contemplation de la Nature entlehne«; so hat dasselbe doch meist seinen Namen und selten den von Titius geführt. In einer Note, welche der Letztere dem Capitel über das Weltgebäude hinzufügte,Karl Bonnet, Betrachtung über die Natur, übersetzt von Titius, 2te Auflage 1772 S. 7 Note 2 (die erste Auflage war von 1766). In Bonnet's Urschrift ist ein solches Gesetz der Abstände gar nicht berührt. (Vergl. auch Bode, Anleitung zur Kenntniß des gestirnten Himmels, 2te Aufl. 1772 S. 462.) heißt es: »Wenn man die Abstände der Planeten untersucht, so findet man, daß fast alle in der Proportion von einander entfernt sind, wie ihre körperlichen Größen zunehmen. Gebet der Distanz von der Sonne bis zum Saturn 100 Theile; so ist Merkur 4 solcher Theile von der Sonne entfernt, Venus 4 + 3 = 7 derselben, die Erde 4 + 6 = 10, Mars 4 + 12 = 16. Aber von Mars bis zu Jupiter kommt eine Abweichung von dieser so genauen (!) Progression vor. Vom Mars folgt ein Raum von 4 + 24 = 28 solcher Theile, darin weder ein Hauptplanet noch ein Nebenplanet zur Zeit gesehen wird. Und der Bauherr sollte diesen Raum leer gelassen haben? Es ist nicht zu zweifeln, daß dieser Raum den bisher noch unentdeckten Trabanten des Mars zugehöre; oder daß vielleicht auch Jupiter noch Trabanten um sich habe, die bisher durch kein Fernrohr gesehen sind. Von dem uns (in seiner Erfüllung) unbekannten Raum erhebt sich Jupiters Wirkungskreis in 4 + 48 = 52. Dann folgt Saturn in 4 + 96 = 100 Theilen – ein bewundernswürdiges Verhältniß.« – Titius war also geneigt den Raum zwischen Mars und Jupiter nicht mit 443 einem, sondern mit mehreren Weltkörpern, wie es wirklich der Fall ist, auszufüllen; aber er vermuthete, daß dieselben eher Neben- als Hauptplaneten wären.
Wie der Uebersetzer und Commentator von Bonnet zu der Zahl 4 für die Merkurbahn gelangte, ist nirgends ausgesprochen. Er wählte sie vielleicht nur, um für den damals entferntesten Planeten Saturn, dessen Entfernung 9,5: also nahe = 10,0 ist, genau 100 zu haben; in Verbindung mit den leicht theilbaren Zahlen 96, 48, 24 u. s. f. Daß er die Reihenfolge bei den näheren Planeten beginnend aufgestellt habe, ist minder wahrscheinlich. Eine hinreichende Uebereinstimmung des, nicht von der Sonne, sondern vom Merkur anhebenden Gesetzes der Verdoppelung mit den wahren Planeten-Abständen konnte schon im vorigen Jahrhundert nicht behauptet werden, da letztere damals genau genug für diesen Zweck bekannt waren. In der Wirklichkeit nähern sich allerdings der Verdoppelung sehr die Abstände zwischen Jupiter, Saturn und Uranus; indeß hat sich seit der Entdeckung des Neptun, welcher dem Uranus viel zu nahe steht, das Mangelhafte der Progression in einer augenfälligen Weise zu erkennen gegeben.Da, nach Titius: den Abstand von der Sonne zum Saturn, damals dem äußersten Planeten, = 100 gesetzt, die einzelnen Abstände sein sollen:
nach der sogenannten Progression: 4, 4+3, 4+6, 4+12, 4+24, 4+48; so ergeben sich, wenn man die Entfernung des Saturn von der Sonne zu 197,3 Millionen geographischer Meilen anschlägt, in demselben Meilenmaaße von der Sonne:
Merkur
Venus
Erde
Mars
Kl. Plan.
Jupiter
4/100
7/100
10/100
16/100
28/100
52/100
Abstände nach Titius
in geogr. Meilenwirkliche Abstände
in geogr. Meilen
Merkur
7,9
Millionen
Venus
13,8
"
Erde
19,7
"
Mars
31,5
"
Kl. Plan.
55,2
"
Jupiter
102,6
"
Saturn
197,3
"
Uranus
386,7
"
Neptun
765,5
"
8,0
Millionen
15,0
"
20,7
"
31,5
"
55,2
"
107,5
"
197,3
"
396,7
"
621,2
"
Was man das Gesetz des Vicarius Wurm aus Leonberg nennt und bisweilen von dem Titius-Bode'schen Gesetze unterscheidet, ist eine bloße Correction, welche Wurm bei der Entfernung des Merkur von der Sonne und bei der Differenz der Merkur- und Venus-Abstände angebracht hat. Er setzt, der Wahrheit sich mehr nähernd, den ersteren zu 387, den zweiten zu 680, den Erd-Abstand zu 1000.Wurm in Bode's astron. Jahrbuch für das J. 1790 S. 168 und Bode: von dem neuen zwischen Mars und Jupiter entdeckten achten Hauptplaneten des Sonnensystems 1802 S. 45. Mit der numerischen Correction von Wurm heißt die Reihe nach Entfernungen von der Sonne:
Damit man den Grad der Genauigkeit dieser Resultate prüfen könne, folgen in der nächsten Tafel noch einmal die wirklichen mittleren Abstände der Planeten, wie man sie jetzt anerkennt, mit Beifügung der Zahlen, welche Kepler nach den Tychonischen Beobachtungen vor drittehalbhundert Jahren für die wahren hielt. Ich entlehne letztere der Schrift Newton's de Mundi Systemate (Opuscula math., philos. et philol. 1744 T. II. p. 11):
Merkur
387 Theile
Venus
387 +
293 =
680
Erde
387 +
2.293 =
973
Mars
387 +
4.293 =
1559
Kl. Plan.
387 +
8.293 =
2731
Jupiter
387 +
16.293 =
5075
Saturn
387 +
32.293 =
9763
Uranus
387 +
64.293 =
19139
Neptun
387 +
128.293 =
37891
Gauß hat schon bei Gelegenheit der Entdeckung der Pallas durch Olbers in einem Briefe an Zach (Oct. 1802) das sogenannte Gesetz 444 der Abstände treffend gerichtet. »Das von Titius angegebene«, sagt er, »trifft bei den meisten Planeten, gegen die Natur aller Wahrheiten, die den Namen Gesetz verdienen, nur ganz beiläufig, und: was man noch nicht einmal bemerkt zu haben scheint, beim Merkur gar nicht zu. Es ist einleuchtend, daß die Reihe: 4, 4+3, 4+6, 4+12, 4+24, 4+48, 4+96, 4+192, womit die Abstände übereinstimmen sollten, gar nicht einmal eine continuirliche Reihe ist. Das Glied, welches vor 4+3 hergeht, muß ja nicht 4, d. i. 4+0: sondern 4+1½ sein. Also zwischen 4 und 4+3 sollten noch unendlich viele liegen; oder, wie Wurm es ausdrückt, für n=1 kommt aus 4+2n-2.3 nicht 4, sondern 5½. Es ist übrigens gar nicht zu tadeln, wenn man dergleichen ungefähre Uebereinstimmungen in der Natur aufsucht. Die größten Männer aller Zeiten haben solchem lusus ingenii nachgehangen.«
Planeten
wirkliche
AbständeResultate
von Kepler
Merkur
0,38709
0,38806
Venus
0,72333
0,72400
Erde
1,00000
1,00000
Mars
1,52369
1,52350
Juno
2,66870
. . . . . .
Jupiter
5,20277
5,19650
Saturn
9,53885
9,51000
Uranus
19,18239
. . . . . .
Neptun
30,03628
. . . . . .
5. Massen der Planeten. – Sie sind durch Satelliten, wo solche vorhanden sind, durch gegenseitige Störungen der Hauptplaneten unter einander oder durch Einwirkung eines Cometen von kurzem Umlauf ergründet worden. So wurde von Encke 1841 durch Störungen, welche sein Comet erleidet, die bis dahin unbekannte Masse des Merkur bestimmt. Für Venus bietet derselbe Comet für die Folge Aussicht der Massen-Verbesserung dar. Auf Jupiter werden die Störungen der Vesta angewandt. Die Masse der Sonne als Einheit genommen, sind (nach Encke, vierte Abhandlung über den Cometen von Pons in den Schriften der Berliner Akademie der Wissenschaften für 1842 S. 5):
445 Merkur | 1/4865751 |
Venus | 1/401839 |
Erde | 1/359551 |
(Erde und Mond zusammen | 1/355499) |
Mars | 1/2680337 |
Jupiter mit seinen Trabanten | 1/1047,879 |
Saturn | 1/3501,6 |
Uranus | 1/24605 |
Neptun | 1/14446 |
Noch größer, jedoch der Wahrheit bemerkenswerth nahe: 1/9322, ist die Masse, welche le Verrier vor der wirklichen Auffindung des Neptun durch Galle mit Hülfe seiner scharfsinnigen Berechnungen ermittelte. Die Reihung der Hauptplaneten, die Kleinen ungerechnet, ist demnach bei zunehmender Masse folgende:
Merkur, Mars, Venus, Erde, Uranus, Neptun, Saturn, Jupiter;
also, wie auch in Volum und Dichte, ganz verschieden von der Reihenfolge der Abstände vom Centralkörper.
6. Dichtigkeit der Planeten. – Die vorher erwähnten Volumina und Massen anwendend, erhält man für die Dichtigkeiten der Planeten (je nachdem man die des Erdkörpers oder die des Wassers gleich 1 setzt) folgende numerische Verhältnisse:
446 Planeten | Verhältniß zum Erdkörper |
Verhältniß zur Dichtigkeit des Wassers |
Merkur Venus Erde Mars Jupiter Saturn Uranus Neptun |
1,234 0,940 1,000 0,958 0,243 0,140 0,178 0,230 |
6,71 5,11 5,44 5,21 1,32 0,76 0,97 1,25 |
In der Vergleichung der planetarischen Dichtigkeiten mit Wasser dient zur Grundlage die Dichtigkeit des Erdkörpers. Reich's Versuche mit der Drehwage haben in Freiberg 5,4383 gegeben: sehr gleich den analogen Versuchen von Cavendish, welche nach der genaueren Berechnung von Francis Baily 5,448 gaben. Aus Baily's eigenen Versuchen folgte das Resultat 5,660. Man erkennt in der obigen Tabelle, daß Merkur nach Encke's Massen-Bestimmung den anderen Planeten von mittlerer Größe ziemlich nahe steht.
Die vorstehende Tabelle der Dichtigkeiten erinnert lebhaft an die mehrmals von mir berührte Eintheilung der Planeten in zwei Gruppen, welche durch die Zone der Kleinen Planeten von einander getrennt werden. Die Unterschiede der Dichtigkeit, welche Mars, Venus, die Erde und selbst Merkur darbieten: sind sehr gering; fast eben so sind unter sich ähnlich, aber 4- bis 7mal undichter als die vorige Gruppe, die sonnenferneren Planeten Jupiter, Neptun, Uranus und Saturn. Die Dichtigkeit der Sonne (0,252, die der Erde = 1,000 gesetzt: also im Verhältniß zum Wasser 1,37) ist 447 um weniges größer als die Dichtigkeiten des Jupiter und Neptun. Der zunehmenden Dichte nach müssen demnach Planeten und SonneDie Sonne: welche Kepler, wahrscheinlich aus Enthusiasmus für die divina inventa seines mit Recht berühmten Zeitgenossen William Gilbert, für magnetisch hielt, und deren Rotation in derselben Richtung wie die Planeten er behauptete, ehe noch die Sonnenflecken entdeckt waren; die Sonne erklärt Kepler im Comment. de motibus Stellae Martis (cap. 23) und in Astronomiae pars optica (cap. 6) für »den dichtesten aller Weltkörper: weil er die übrigen alle, die zu seinem Systeme gehören, bewegt.« folgendermaßen gereihet werden:
Saturn, Uranus, Neptun, Jupiter, Sonne, Venus, Mars, Erde, Merkur.
Obgleich die dichtesten Planeten, im ganzen genommen, die der Sonne näheren sind; so ist doch, wenn man die Planeten einzeln betrachtet, ihre Dichtigkeit keinesweges den Abständen proportional: wie Newton anzunehmen geneigt warNewton de Mundi Systemate in Opusculis T. II. p. 17: »Corpora Veneris et Mercurii majore Solis calore magis concocta et coagulata sunt. Planetae ulteriores, defectu caloris, carent substantiis illis metallicis et mineris ponderosis quibus Terra referta est. Densiora corpora quae Soli propiora: ea ratione constabit optime pondera Planetarum omnium esse inter se ut vires.«.
7. Siderische Umlaufszeit und Achsendrehung. – Wir begnügen uns hier die siderischen oder wahren Umlaufszeiten der Planeten in Beziehung auf die Fixsterne oder einen festen Punkt des Himmels anzugeben. In der Zeit einer solchen Revolution legt ein Planet volle 360 Grade um die Sonne zurück. Die siderischen Revolutionen (Umläufe) sind sehr von den tropischen und synodischen zu unterscheiden: deren erstere sich auf die Rückkehr zur Frühlings-Nachtgleiche, letztere sich auf den Zeitunterschied zwischen zwei nächsten Conjunctionen oder Oppositionen beziehen.
Planeten | siderische Umlaufszeiten |
Rotation | ||||
Merkur | 87T | ,96928 | – | |||
Venus | 224 | ,70078 | – | |||
Erde | 365 | ,25637 | 0T | 23h | 56' | 4" |
Mars | 686 | ,97964 | 1T | 0h | 37' | 20" |
Jupiter | 4332 | ,58480 | 0T | 9h | 55' | 27" |
Saturn | 10759 | ,21981 | 0T | 10h | 29' | 17" |
Uranus | 30686 | ,82051 | – | |||
Neptun | 60126 | ,7 | – |
448 In einer anderen, mehr übersichtlichen Form sind die wahren Umlaufszeiten:
Merkur | 87T | 23h | 15' | 46" | |
Venus | 224T | 16h | 49' | 7" | |
Erde | 365T | 6h | 9' | 10" | ,7496: |
woraus gefolgert wird die tropische Umlaufszeit oder die Länge des Sonnenjahres zu 365T,24222 oder 365T 5h 48' 47",8091; die Länge des Sonnenjahres wird wegen des Vorrückens der Nachtgleichen in 100 Jahren um 0",595 kürzer
Mars | 1 | Jahr | 321T | 17h | 30' | 41" |
Jupiter | 11 | Jahre | 314T | 20h | 2 | 7" |
Saturn | 29 | Jahre | 166T | 23h | 16 | 32" |
Uranus | 84 | Jahre | 5T | 19h | 41 | 36" |
Neptun | 164 | Jahre | 225T | 17h | . |
Die Rotation ist bei den sehr großen äußeren Planeten, welche zugleich eine lange Umlaufszeit haben, am schnellsten; bei den kleineren inneren, der Sonne näheren, langsamer. Die Umlaufszeit der Asteroiden zwischen Mars und Jupiter ist sehr verschieden und wird bei der Herzählung der einzelnen Planeten erwähnt werden. Es ist hier hinlänglich ein vergleichendes Resultat anzuführen, und zu bemerken, daß unter den Kleinen Planeten sich die längste Umlaufszeit findet bei Hygiea, die kürzeste bei Flora.
8. Neigung der Planetenbahnen und Rotations-Achsen. – Nächst den Massen der Planeten gehören die Neigung und Excentricität ihrer Bahnen zu den wichtigsten Elementen, von welchen die Störungen abhangen. Die Vergleichung derselben in der Reihenfolge der inneren, kleinen mittleren, und äußeren Planeten (von Merkur bis Mars, von Flora bis Hygiea, von Jupiter bis Neptun) 449 bietet mannigfaltige Aehnlichkeiten und Contraste dar, welche zu Betrachtungen über die Bildung dieser Weltkörper und ihre an lange Zeitperioden geknüpften Veränderungen leiten. Die in so verschiedenen elliptischen Bahnen kreisenden Planeten liegen auch alle in verschiednen Ebenen; sie werden, um eine numerische Vergleichung möglich zu machen, auf eine feste oder nach einem gegebenen Gesetze bewegliche Fundamental-Ebene bezogen. Als eine solche gilt am bequemsten die Ekliptik (die Bahn, welche die Erde wirklich durchläuft) oder der Aequator des Erdsphäroids. Wir fügen zu derselben Tabelle die Neigungen der Rotations-Achsen der Planeten gegen ihre eigene Bahn hinzu, so weit dieselben mit einiger Sicherheit ergründet sind:
Planeten | Neigung der Planetenbahnen gegen die Ekliptik |
Neigung der Planetenbahnen gegen den Erd-Aequator |
Neigung der Ach- sen der Planeten gegen ihre Bahnen |
|||||||||
Merkur | 7° | 0' | 5" | ,9 | 28° | 45' | 8" | – | ||||
Venus | 3° | 23' | 28" | ,5 | 24° | 33' | 21" | – | ||||
Erde | 0° | 0' | 0" | 23° | 27' | 54" | ,8 | 66° | 32' | |||
Mars | 1° | 51' | 6" | ,2 | 24° | 44' | 24" | 61° | 18' | |||
Jupiter | 1° | 18' | 51" | ,6 | 23° | 18' | 28" | 86° | 54' | |||
Saturn | 2° | 29' | 35" | ,9 | 22° | 38' | 44" | – | ||||
Uranus | 0° | 46' | 28" | ,0 | 23° | 41' | 24" | – | ||||
Neptun | 1° | 47' | 22° | 21' | – |
Die Kleinen Planeten sind hier ausgelassen, weil sie weiter unten als eine eigene, abgeschlossene Gruppe behandelt werden. Wenn man den sonnennahen Merkur ausnimmt, dessen Bahnneigung gegen die Ekliptik (7° 0' 5",9) der des Sonnen-Aequators (7° 30') sehr nahe kommt, so sieht man die Neigung der anderen sieben Planetenbahnen zwischen 0°¾ und 450 3½ Grad oscilliren. In der Stellung der Rotations-Achsen gegen die eigene Bahn ist es Jupiter, welcher sich dem Extreme der Perpendicularität am meisten nähert. Im Uranus dagegen fällt, nach der Neigung der Trabanten-Bahnen zu schließen, die Rotations-Achse fast mit der Ebene der Bahn des Planeten zusammen.
Da von der Größe der Neigung der Erdachse gegen die Ebene der Erdbahn, also von der Schiefe der Ekliptik (d. h. von dem Winkel, welchen die scheinbare Sonnenbahn in ihrem Durchschnittspunkte mit dem Aequator macht), die Vertheilung und Dauer der Jahreszeiten, die Sonnenhöhen unter verschiedenen Breiten und die Länge des Tages abhangen; so ist dieses Element von der äußersten Wichtigkeit für die astronomischen Klimate: d. h. für die Temperatur der Erde, in so fern dieselbe Function der erreichten Mittagshöhen der Sonne und der Dauer ihres Verweilens über dem Horizonte ist. Bei einer großen Schiefe der Ekliptik, oder wenn gar der Erd-Aequator auf der Erdbahn senkrecht stände, würde jeder Ort einmal im Jahr, selbst unter den Polen, die Sonne im Zenith, und längere oder kürzere Zeit nicht aufgehen sehen. Die Unterschiede von Sommer und Winter würden unter jeder Breite (wie die Tagesdauer) das Maximum des Gegensatzes erreichen. Die Klimate würden in jede Gegend der Erde im höchsten Grade zu denen gehören, welch man extreme nennt und die eine unabsehbar verwickelte Reihe schnell wechselnder Luftströmungen nur wenig zu mäßigen vermöchte. Wäre im umgekehrten Fall die Schiefe der Ekliptik null, fiele der Erd-Aequator mit der Ekliptik zusammen; so hörten an jedem Orte die Unterschiede der Jahreszeiten und Tageslängen auf, weil die Sonne sich 451 ununterbrochen scheinbar im Aequator bewegen würde. Die Bewohner des Pols würden nie aufhören sie am Horizonte zu sehen. »Die mittlere Jahres-Temperatur eines jeden Punktes der Erdoberfläche würde auch die eines jeden einzelnen Tages sein.«Mädler, Astronomie § 193. Man hat diesen Zustand den eines ewigen Frühlings genannt, doch wohl nur wegen der allgemein gleichen Länge der Tage und Nächte. Ein großer Theil der Gegenden, welche wir jetzt die gemäßigte Zone nennen, würden, da der Pflanzenwuchs jeder anregenden Sonnenwärme entbehren müßte, in das fast immer gleiche, eben nicht erfreuliche Frühlings-Klima versetzt sein, von welchem ich unter dem Aequator in der Andeskette, der ewigen Schneegrenze nahe, auf den öden Bergebenen (ParamosHumboldt de distributione geographica Plantarum p. 104 (Ansichten der Natur Bd. I. S. 131–133).) zwischen 10000 und 12000 Fuß, viel gelitten. Die Tages-Temperatur der Luft oscillirt dort immerdar zwischen 4°½ und 9° Réaumur.
Das griechische Alterthum ist viel mit der Schiefe der Ekliptik beschäftigt gewesen: mit rohen Messungen, mit Muthmaßungen über ihre Veränderlichkeit, und dem Einfluß der Neigung der Erdachse auf Klimate und Ueppigkeit der organischen Entwickelung. Diese Speculationen gehörten vorzüglich dem Anaxagoras, der pythagorischen Schule und dem Oenopides von Chios an. Die Stellen, welche uns darüber aufklären sollen, sind dürftig und unbestimmt; doch geben sie zu erkennen, daß man sich die Entwickelung des organischen Lebens und die Entstehung der Thiere als gleichzeitig mit der Epoche dachte, in welcher die Erdachse sich zu neigen anfing: was auch die Bewohnbarkeit des Planeten in einzelnen Zonen veränderte. Nach Plutarch de plac. Philos. II, 8 glaubte Anaxagoras: »daß die Welt, nachdem sie entstanden und lebende Wesen aus ihrem Schooße hervorgebracht, sich von selbst 452 gegen die Mittagsseite geneigt habe.« In derselben Beziehung sagt Diogenes Laertius II, 9 von dem Klazomenier: »die Sterne hatten sich anfangs in kuppelartiger Lage fortgeschwungen, so daß der jedesmal erscheinende Pol scheitelrecht über der Erde stand; später aber hatten sie die schiefe Richtung angenommen.« Die Entstehung der Schiefe der Ekliptik dachte man sich wie eine kosmische Begebenheit. Von einer fortschreitenden späteren Veränderung war keine Rede.
Die Schilderung der beiden extremen, also entgegengesetzten Zustände, denen sich die Planeten Uranus und Jupiter am meisten nähern, sind dazu geeignet an die Veränderungen zu erinnern, welche die zunehmende oder abnehmende Schiefe der Ekliptik in den meteorologischen Verhältnissen unseres Planeten und in der Entwickelung der organischen Lebensformen hervorbringen würde, wenn diese Zu- oder Abnahme nicht in sehr enge Grenzen eingeschlossen wären. Die Kenntniß dieser Grenzen: Gegenstand der großen Arbeiten von Leonhard Euler, Lagrange und Laplace, kann für die neuere Zeit eine der glänzendsten Errungenschaften der theoretischen Astronomie und der vervollkommneten höheren Analysis genannt werden. Diese Grenzen sind so enge, daß Laplace (expos. du Système du Monde, éd. 1824 p. 303) die Behauptung aufstellte, die Schiefe der Ekliptik oscillire nach beiden Seiten nur 1°½ um ihre mittlere Lage. Nach dieser AngabeL'étendue entière de cette variation serait d'environ 12 degrés, mais l'action du Soleil et de la Lune l'a réduit à peu près à trois degrés (centésimaux).« Laplace, exposition du Système du Monde p. 303. würde uns die Tropenzone (der Wendekreis des Krebses: als ihr nördlichster, äußerster Saum) nur um eben so viel näher kommen. Es wäre also, wenn man die Wirkung so vieler anderer meteorologischer Perturbationen ausschließt, als würde Berlin von seiner jetzigen isothermen Linie allmälig auf die von Prag versetzt. Die 453 Erhöhung der mittleren Jahres-Temperatur würde kaum mehr als einen Grad des hunderttheiligen Thermometers betragen.Ich habe an einem anderen Orte, durch Vergleichung zahlreicher mittlerer Jahres-Temperaturen, gezeigt, daß in Europa vom Nordcap bis Palermo dem Unterschied eines geographischen Breitengrades sehr nahe 0°,5 des hunderttheiligen Thermometers, in dem westlichen Temperatur-Systeme von Amerika aber (zwischen Boston und Charlestown) 0°,9 entsprechen; Asie centrale T. III. p. 229. Biot nimmt zwar auch nur enge Grenzen in der alternirenden Veränderung der Schiefe der Ekliptik an, hält es aber für rathsamer sie nicht an bestimmte Zahlen zu fesseln. »La diminution lente et séculaire de l'obliquité de l'écliptique«, sagt er, »offre des états alternatifs qui produisent une oscillation éternelle, comprise entre des limites fixes. La théorie n'a pas encore pu parvenir à déterminer ces limites; mais d'après la constitution du système planétaire, elle a démontré qu'elles existent et qu'elles sont très peu étendues. Ainsi, à ne considérer que le seul effet des causes constantes qui agissent actuellement sur le système du monde, on peut affirmer que le plan de l'écliptique n'a jamais coincidé et ne coincidera jamais avec le plan de l'équateur: phénomène qui, s'il arrivait, produirait sur la terre le (prétendu!) printemps perpétuel.« Biot, traité d'Astronomie physique, 3ème éd. 1847 T. IV. p. 91.
Während die von Bradley entdeckte Nutation der Erdachse bloß von der Einwirkung der Sonne und des Erd-Satelliten auf die abgeplattete Gestalt unseres Planeten abhängt, ist das Zunehmen und Abnehmen der Schiefe der Ekliptik die Folge der veränderlichen Stellung aller Planeten. Gegenwärtig sind diese so vertheilt, daß ihre Gesammtwirkung auf die Erdbahn eine Verminderung der Schiefe der Ekliptik hervorbringt. Letztere beträgt jetzt nach Bessel jährlich 0",457. Nach dem Verlauf von vielen tausend Jahren wird die Lage der Planetenbahnen und ihrer Knoten (Durchschnittspunkte auf der Ekliptik) so verschieden sein, daß 454 das Vorwärtsgehen der Aequinoctien in ein Rückwärtsgehen und demnach in eine Zunahme der Schiefe der Ekliptik wird verwandelt sein. Die Theorie lehrt, daß diese Zu- und Abnahme Perioden von sehr ungleicher Dauer ausfüllt. Die ältesten astronomischen Beobachtungen, welche uns mit genauen numerischen Angaben erhalten sind, reichen bis in das Jahr 1104 vor Christus hinauf und bezeugten das hohe Alter chinesischer Civilisation. Litterarische Monumente sind kaum hundert Jahre jünger, und eine geregelte historische Zeitrechnung reicht (nach Eduard Biot) bis 2700 Jahre vor Christus hinauf.Kosmos Bd. II. S. 402 Anm. 589. Unter der Regentschaft des Tscheu-kung, Bruders des Wu-wang, wurden an einem 8füßigen Gnomon in der Stadt Lo-jang südlich vom gelben Flusse (die Stadt heißt jetzt Ho-nan-fu, in der Provinz Ho-nan) in einer Breite von 34° 46' die MittagsschattenLaplace, expos. du Système du Monde (5ème éd.) p. 303, 345, 403, 406 und 408; derselbe in der Connaissance des tems pour 1811 p. 386; Biot, traité élém. d'Astr. physique T. I. p. 61, T. IV, p. 90–99 und 614–623. in zwei Solstitien gemessen. Sie gaben die Schiefe der Ekliptik zu 23° 54': also um 27' größer, als sie 1850 war. Die Beobachtungen von Pytheas und Eratosthenes zu Marseille und Alexandrien sind sechs und sieben Jahrhunderte jünger. Wir besitzen 4 Resultate über die Schiefe der Ekliptik vor unserer Zeitrechnung, und 7 nach derselben bis zu Ulugh Beg's Beobachtungen auf der Sternwarte zu Samarkand. Die Theorie von Laplace stimmt auf eine bewundernswürdige Weise, bald in plus, bald in minus, mit den Beobachtungen für einen Zeitraum von fast 3000 Jahren überein. Die uns überkommene Kenntniß von Tscheu-kung's Messung der Schattenlängen ist um so glücklicher, als die Schrift, welche ihrer erwähnt, man weiß nicht aus welcher Ursach, der großen vom Kaiser Schi-hoang-ti aus der Tsin-Dynastie im Jahr 246 vor Chr. anbefohlenen fanatischen Bücher-Zerstörung entgangen ist. Da der Anfang der 4ten ägyptischen 455 Dynastie mit den pyramidenbauenden Königen Chufu, Schafra und Menkera nach den Untersuchungen von Lepsius 23 Jahrhunderte vor der Solstitial-Beobachtung zu Lo-jang fällt, so ist bei der hohen Bildungsstufe des ägyptischen Volkes und seiner frühen Calender-Einrichtung es wohl sehr wahrscheinlich, daß auch damals schon Schattenlängen im Nilthal gemessen wurden; Kenntniß davon ist aber nicht auf uns gekommen. Selbst die Peruaner: obgleich weniger fortgeschritten in der Vervollkommnung des Calenderwesens und der Einschaltungen, als es die Mexicaner und die Muyscas (Bergbewohner von Neu-Granada) waren, hatten Gnomonen, von einem, auf sehr ebener Grundfläche eingezeichneten Kreise umgeben. Es standen dieselben sowohl im Inneren des großen Sonnentempels zu Cuzco als an vielen anderen Orten des Reichs; ja der Gnomon zu Quito, fast unter dem Aequator gelegen und bei den Aequinoctial-Festen mit Blumen bekränzt, wurde in größerer Ehre als die anderen gehalten.Garcilaso, Comment. Reales Parte I. lib. II cap. 22–26; Prescott, hist. of the Conquest of Peru Vol. I. p. 126. Die Mexicaner hatten unter ihren 20 hieroglyphischen Tageszeichen ein besonderes geehrtes: ollin-tonatiuh, das der 4 Sonnenbewegungen, genannt, welches dem großen, alle 52 = 4 × 13 Jahre erneuerten Cyclus vorstand und sich auf den hieroglyphisch durch Fußstapfen ausgedrückten Weg der Sonne, die Solstitien und Aequinoctien durchschneidend, bezog. In dem schön gemalten aztekischen Manuscripte, das vormals in der Villa des Cardinals Borgia zu Veletri aufbewahrt ward und aus dem ich viel wichtiges entlehnt, befindet sich das merkwürdige astrologische Zeichen eines Kreuzes: dessen beigeschriebene Tageszeichen die Durchgänge der Sonne durch den Zenith der Stadt Mexico (Tenochtitlan), den Aequator und die Solstitial-Punkte vollständig bezeichnen würden, wenn die den Tageszeichen wegen der periodischen Reihen beigefügten Punkte (runde Scheiben) in allen drei Durchgängen der Sonne gleich vollzählig wären. (Humboldt, Vues des Cordillères Pl. XXXVII No. 8; p. 164, 189 und 237.) Der der Sternbeobachtung leidenschaftlich ergebene König von Tezcuco, Nezahualpilli (ein Fastenkind genannt, weil der Vater lange vor der Geburt des erwünschten Sohnes fastete), hatte ein Gebäude errichtet, das Torquemada etwas kühn eine Sternwarte nennt und dessen Trümmer er noch sah (Monarquia Indiana lib. II cap. 64) In der Raccolta di Mendoza sehen wir einen Priester dargestellt (Vue des Cord. Pl. LVIII No. 8 p. 289) welcher die Sterne beobachtet: was durch eine punctirte Linie ausgedrückt ist, die vom beobachteten Stern zu seinem Auge geht.
9. Excentricität der Planetenbahnen. – Die Form der elliptischen Bahnen ist bestimmt durch die größere oder geringere Entfernung der beiden Brennpunkte vom Mittelpunkt der Ellipse. Diese Entfernung oder Excentricität der Planetenbahnen variirt, in Theilen der halben großen Axe der Bahnen ausgedrückt, von 0,006 (also der Kreisform sehr nahe) in Venus und von 0,076 in Ceres bis 0,205 in Merkur und 0,255 in Juno. Auf die am wenigsten excentrischen Bahnen der Venus und des Neptun folgen am nächsten: die Erde, deren Excentricität sich jetzt vermindert und zwar um 0,00004299 in 100 Jahren, während die kleine Axe sich vergrößert; Uranus, Jupiter, Saturn, Ceres, Egeria, Vesta und Mars. Die am meisten excentrischen Bahnen sind die der 456 Juno (0,255), Pallas (0,239), Iris (0,232), Victoria (0,217), des Merkur (0,205) und der Hebe (0,202). Die Excentricitäten sind bei einigen Planeten im Wachsen: wie bei Merkur, Mars und Jupiter; bei anderen im Abnehmen: wie bei Venus, der Erde, Saturn und Uranus. Die nachfolgende Tabelle giebt die Excentricitäten der Großen Planeten nach Hansen für das Jahr 1800. Die Excentricitäten der 14 Kleinen Planeten sollen später nebst anderen Elementen ihrer Bahnen für die Mitte des 19ten Jahrhunderts geliefert werden.
Merkur | 0,2056163 | |
Venus | 0,0068618 | |
Erde | 0,0167922 | |
Mars | 0,0932168 | |
Jupiter | 0,0481621 | |
Saturn | 0,0561505 | |
Uranus | 0,0466108 | |
Neptun | 0,00871946 |
Die Bewegung der großen Axe (Apsidenlinie) der Planetenbahnen, durch welche der Ort der Sonnennähe (des Perihels) verändert wird, ist eine Bewegung, die ohne Ende, der Zeit proportional, nach Einer Richtung fortschreitet. Sie ist eine Veränderung in der Position der Apsidenlinie, welche ihren Cyclus erst in mehr als hunderttausend Jahren vollendet; und wesentlich von den Veränderungen zu unterscheiden, welche die Gestalt der Bahnen, ihre Ellipticität, erleidet. Es ist die Frage aufgeworfen worden: ob der wachsende Werth dieser Elemente in der Folge von Jahrtausenden die Temperatur der Erde in Hinsicht auf Quantität und Vertheilung nach Tages- und Jahreszeiten beträchtlich modificiren könne? ob in diesen astronomischen, nach ewigen Gesetzen 457 regelmäßig fortwirkenden Ursachen nicht ein Theil der Lösung des großen geologischen Problems der Vergrabung tropischer Pflanzen- und Thierformen in der jetzt kalten Zone gefunden werden könne? Dieselben mathematischen Gedankenverbindungen, welche zu den Besorgnissen über Position der Apsiden, über Form der elliptischen Planetenbahnen (je nachdem diese sich der Kreisform oder einer cometenartigen Excentricität nähern), über Neigung der Planeten-Achsen, Veränderung der Schiefe der Ekliptik, Einfluß der Präcession auf die Jahreslänge anregen; gewähren in ihrer höheren analytischen Entwickelung auch kosmische Motive der Beruhigung. Die großen Axen und die Massen sind constant. Periodische Wiederkehr hindert ein maaßloses Anwachsen gewisser Perturbationen. Die schon an sich so mäßigen Excentricitäten der mächtigsten zwei Planeten, des Jupiter und des Saturn, sind durch eine gegenseitige und dazu noch ausgleichende Wirkung wechselsweise im Zu- und Abnehmen begriffen: wie auch in bestimmte, meist enge Grenzen eingeschlossen.
Durch die Veränderung der Position der ApsidenlinieJohn Herschel on the astronomical Causes which may influence Geological Phaenomena, in den Transact. of the geolog. Soc. of London 2d Ser. Vol. III. P. 1. p. 298; derselbe in seinem treatise of Astronomy 1833 (Cabinet Cyclo. Vol. XLIII.) § 315. fällt allmälig der Punkt, in welchem die Erde der Sonne am nächsten ist, in ganz entgegengesetzte Jahreszeiten. Wenn gegenwärtig das Perihel in die ersten Tage des Jänners: wie die Sonnenferne (Aphel) sechs Monate später, in die ersten Tage des Julius, fällt; so kann durch das Fortschreiten (die Drehung) der Apsidenlinie oder großen Axe der Erdbahn das Maximum des Abstandes im Winter, das Minimum im Sommer eintreten: so daß im Januar die Erde der Sonne um 700000 geographische Meilen (d. i. ohngefähr 1/30 des mittleren Abstandes der Erde von der Sonne) ferner stehen würde als im Sommer. Auf den ersten Anblick möchte man 458 also glauben, daß das Eintreten der Sonnennähe in eine entgegengesetzte Jahreszeit (statt des Winters, wie jetzt der Fall ist, in den Sommer), große klimatische Veränderungen hervorbringen müsse; aber in der gemachten Voraussetzung wird die Sonne nicht mehr sieben Tage länger in der nördlichen Halbkugel verweilen; nicht mehr, wie jetzt, den Theil der Ekliptik vom Herbst-Aequinoctium bis zum Frühlings-Aequinoctium in einer Zeit durchlaufen, welche um eine Woche kürzer ist als diejenige, während welcher sie die andere Hälfte ihrer Bahn, vom Frühlings- zum Herbst-Aequinoctium, zurücklegt. Der Temperatur-Unterschied (und wir verweilen hier bloß bei den astronomischen Klimaten, mit Ausschluß aller physischen Betrachtungen über das Verhältniß des Festen zum Flüssigen auf der vielgestalteten Erdoberfläche), der Temperatur-Unterschied, welcher die befürchtete Folge der Drehung der Apsidenlinie sein soll, wird meist dadurch im ganzen verschwindenArago im Annuaire pour 1834 p. 199., daß der Punkt, in welchem unser Planet der Sonne am nächsten steht, immer zugleich der ist, durch den der Planet sich am schnellsten bewegt. Das schöne, zuerst von Lambert»Il s'ensuit (du théorème dû à Lambert) que la quantité de chaleur envoyée par le Soleil à la Terre est la même en allant de l'équinoxe du printems à l'équinoxe d'automne qu'en revenant de celui-ci au premier. Le tems plus long que le Soleil emploie dans le premier trajet, est exactement compensé par son éloignement aussi plus grand; et les quantités de chaleur qu'il envoie à la Terre, sont les mêmes pendant qu'il se trouve dans l'un ou l'autre hémisphère, boréal ou austral.« Poisson sur la stabilité du système planétaire in der Connaissance des tems pour 1836 p. 54. aufgestellte Theorem: nach dem die Wärmemenge, welche die Erde in jedwedem Theile des Jahres von der Sonne empfängt, dem Winkel proportional ist, den in derselben Zeitdauer der radius vector der Sonne beschreibt; enthält gewissermaßen die beruhigende Auflösung des oben bezeichneten Problems.
Wie die veränderte Richtung der Apsidenlinie wenig Einfluß auf die Temperatur des Erdkörpers ausüben kann; so sind auch, nach Arago und PoissonArago a. a. O. p. 200–204. L'excentricité«, sagt Poisson (a. a. O. p. 38 und 52), »ayant toujours été et devant toujours demeurer très petite, l'influence des variations séculaires de la quantité de chaleur solaire reçue par la Terre sur la température moyenne paraît aussi devoir être très limitée. – On ne saurait admettre que l'excentricité de la Terre, qui est actuellement environ un soixantième, ait jamais été ou devienne jamais un quart, comme celle de Junon ou de Pallas.«, die Grenzen der wahrscheinlichen Veränderungen der elliptischen Form der Erdbahn so eng beschränkt, daß sie die Klimate der einzelnen Zonen 459 nur mäßig und dazu in langen Perioden sehr allmälig modificiren würden. Ist auch die Analyse, welche diese Grenze genau bestimmt, noch nicht ganz vollendet, so geht aus derselben doch wenigstens so viel hervor, daß die Excentricität der Erde nie in die der Juno, der Pallas und der Victoria übergehen werde.
10. Lichtstärke der Sonne auf den Planeten. – Wenn man die Lichtstärke auf der Erde = 1 setzt, so findet man für
Merkur | 6,674 | |
Venus | 1,911 | |
Mars | 0,431 | |
Pallas | 0,130 | |
Jupiter | 0,036 | |
Saturn | 0,011 | |
Uranus | 0,003 | |
Neptun | 0,001 |
Als Folge sehr großer Excentricität haben Licht-Intensität:
Merkur | in dem | Perihel | 10,58; | im | Aphel | 4,59 |
Mars | " | " | 0,52; | " | " | 0,36 |
Juno | " | " | 0,25; | " | " | 0,09 |
während die Erde bei der geringen Excentricität ihrer Bahn im Perihel 1,034; im Aphel 0,967 hat. Wenn das Sonnenlicht auf Merkur 7mal intensiver als auf der Erde ist, so muß es auf Uranus 368mal schwächer sein. Der Wärme-Verhältnisse ist hier schon darum nicht Erwähnung geschehen, weil sie, als ein complicirtes Phänomen, von der besonderen Beschaffenheit der Planeten-Atmosphären, ihrer Höhe, ihrer Existenz oder Nicht-Existenz abhängig sind. Ich erinnere nur hier an die Vermuthungen von Sir John Herschel über die 460 Temperatur der Mond-Oberfläche, »welche vielleicht den Siedepunkt des Wassers ansehnlich übertrifft«.Outlines of Astronomy § 432.
b. Nebenplaneten.
Die allgemeinen vergleichenden Betrachtungen über die Nebenplaneten sind mit einiger Vollständigkeit schon im Naturgemälde (Kosmos Bd. I. S. 99–104) geliefert worden. Damals (März 1845) waren nur 11 Haupt- und 18 Nebenplaneten bekannt. Von den Asteroiden, sogenannten telescopischen oder Kleinen Planeten waren bloß erst vier: Ceres, Pallas, Juno und Vesta, entdeckt. Gegenwärtig (August 1851) übertrifft die Zahl der Hauptplaneten die der Trabanten. Wir kennen von den ersteren 22, von den letzteren 21. Nach einer 38jährigen Unterbrechung planetarischer Entdeckungen, von 1807 bis December 1845, begann mit der Asträa von Hencke eine lange Folge von 10 neuentdeckten Kleinen Planeten. Von diesen hat Hencke zu Driesen zwei (Asträa und Hebe), Hind in London vier (Iris, Flora, Victoria und Irene), Graham zu Markree-Castle einen (Metis) und de Gasparis zu Neapel drei (Hygiea, Parthenope und Egeria) zuerst erkannt. Der äußerste aller Großen Planeten: der von le Verrier in Paris verkündigte, von Galle zu Berlin aufgefundene Neptun, folgte nach 10 Monaten der Asträa. Die Entdeckungen häufen sich jetzt mit solcher Schnelligkeit, daß die Topographie des Sonnengebietes nach Ablauf weniger Jahre eben so veraltet erscheint als statistische Länderbeschreibungen.
Von den jetzt bekannten 21 Satelliten gehören: einer der Erde, 4 dem Jupiter, 8 dem Saturn (der letztentdeckte unter diesen 8 ist dem Abstand nach der 7te, Hyperion; 461 zugleich in zwei Welttheilen von Bond und Lassell entdeckt), 6 dem Uranus (von denen besonders der zweite und vierte am sichersten bestimmt sind), 2 dem Neptun.
Die um Hauptplaneten kreisenden Satelliten sind untergeordnete Systeme, in welchen die Hauptplaneten als Centralkörper auftreten: eigene Gebiete von sehr verschiedenen Dimensionen bildend, in denen sich im kleinen das große Sonnengebiet gleichsam wiederholt. Nach unseren Kenntnissen hat das Gebiet des Jupiter im Durchmesser 520000, das des Saturn 1050000 geogr. Meilen. Diese Analogien zwischen den untergeordneten Systemen und dem Sonnensysteme haben zu Galilei's Zeiten, in denen der Ausdruck einer kleinen Jupiterswelt (Mundus Jovialis) oft gebraucht wurde, viel zur schnelleren und allgemeineren Verbreitung des copernicanischen Weltsystems beigetragen. Sie mahnen an Wiederholung von Form und Stellung, welche das organische Naturleben in untergeordneten Sphären ebenfalls oft darbietet.
Die Vertheilung der Satelliten im Sonnengebiete ist so ungleich, daß, wenn im ganzen die mondlosen Hauptplaneten sich wie 3 zu 5 zu den von Monden begleiteten verhalten; die letzteren alle bis auf einen einzigen, die Erde, zu der äußeren planetarischen Gruppe, jenseits des Ringes der mit einander verschlungenen Asteroiden, gehören. Der einzige Satellit, welcher sich in der Gruppe der inneren Planeten zwischen der Sonne und den Asteroiden gebildet hat, der Erdmond, ist auffallend groß im Verhältniß seines Durchmessers zu dem seines Hauptplaneten. Dieses Verhältniß ist 1/3,8: da doch der größte aller Saturnstrabanten (der 6te, Titan) vielleicht nur 1/15,5 und der größte der Jupiterstrabanten, der 3te, 1/25,8 des Durchmessers ihres Hauptplaneten sind. Man muß 462 diese Betrachtung einer relativen Größe sehr von der der absoluten Größe unterscheiden. Der, relativ so große Erdmond (454 Meilen im Durchm.) ist absolut kleiner als alle vier Jupiterstrabanten (von 776, 664, 529 und 475 Meilen). Der 6te Saturnstrabant ist sehr wenig von der Größe des Mars (892 Meilen) verschieden.A. a. O. § 548. Wenn das Problem der telescopischen Sichtbarkeit von dem Durchmesser allein abhinge: und nicht gleichzeitig durch die Nähe der Scheibe des Hauptplaneten, durch die große Entfernung und die Beschaffenheit der lichtreflectirenden Oberfläche bedingt wäre; so würde man für die kleinsten der Nebenplaneten den 1ten und 2ten der Saturnstrabanten (Mimas und Enceladus) und die beiden mehrfach gesehenen Uranustrabanten zu halten haben; vorsichtiger ist es aber sie bloß als die kleinsten Lichtpunkte zu bezeichnen. Gewisser scheint es bis jetzt, daß unter den Kleinen Planeten überhaupt die kleinsten aller planetarischen Weltkörper (Haupt- und Nebenplaneten) zu suchen sind.S. Mädler's Versuch den Durchmesser der Vesta (66 geogr. Meilen?) bei 1000maliger Vergrößerung zu bestimmen: in seiner Astronomie S. 218.
Die Dichtigkeit der Satelliten ist keinesweges immer geringer als die ihres Hauptplaneten, wie dies der Fall ist beim Erdmonde (dessen Dichtigkeit nur 0,619 von der unserer Erde ist) und bei dem 4ten Jupiterstrabanten. Der dichteste dieser Trabanten-Gruppe, der 2te, ist auch dichter als Jupiter selbst: während der 3te und größte gleiche Dichtigkeit mit dem Hauptplaneten zu haben scheint. Auch die Massen nehmen gar nicht mit dem Abstande zu. Sind die Planeten aus kreisenden Ringen entstanden; so müssen eigene, uns vielleicht ewig unbekannt bleibende Ursachen größere und kleinere, dichtere oder undichtere Anhäufungen um einen Kern veranlaßt haben.
Die Bahnen der Nebenplaneten, die zu einer Gruppe gehören, haben sehr verschiedene Excentricitäten. Im 463 Jupiters-Systeme sind die Bahnen der Trabanten 1 und 2 fast kreisförmig, während die Excentricitäten der Trabanten 3 und 4 auf 0,0013 und 0,0072 steigen. Im Saturns-Systeme ist die Bahn des dem Hauptplaneten nächsten Trabanten (Mimas) schon beträchtlich excentrischer als die Bahnen von Enceladus und des von Bessel so genau bestimmten Titan: welcher zuerst entdeckt wurde und der größte ist. Die Excentricität dieses 6ten Trabanten des Saturn ist nur 0,02922. Nach allen diesen Angaben, die zu den sichreren gehören, ist Mimas allein mehr excentrisch als der Erdmond (0,05484); letzterer hat die Eigenheit, daß seine Bahn um die Erde unter allen Satelliten die stärkste Excentricität im Vergleich mit der des Hauptplaneten zeigt. Mimas (0,068) kreist um Saturn (0,056), aber unser Mond (0,054) um die Erde, deren Excentricität nur 0,016 ist. Ueber die Abstände der Trabanten von den Hauptplaneten vergl. Kosmos Bd. I. S. 102. Die Entfernung des dem Saturn nächsten Trabanten (Mimas) wird gegenwärtig nicht mehr zu 20022 geogr. Meilen, sondern zu 25600 angeschlagen: woraus sich ein Abstand von dem Ringe des Saturn, diesen zu 6047 Meilen Breite und den Abstand des Ringes von der Oberfläche des Planeten zu 4594 Meilen gerechnet, von etwas über 7000 Meilen ergiebt.In der früheren Angabe (Kosmos Bd. I. S. 102) war der Aequatorial-Halbmesser des Saturn zum Grunde gelegt. Auch in der Lage der Satelliten-Bahnen zeigen sich merkwürdige Anomalien neben einer gewissen Uebereinstimmung in dem Systeme des Jupiter, dessen Satelliten sich sehr nahe alle in der Ebene des Aequators des Hauptplaneten bewegen. In der Gruppe der Saturnstrabanten kreisen 7 meist in der Ebene des Ringes: während der äußerste 8te, Japetus, 12° 14' gegen die Ring-Ebene geneigt ist.
In diesen allgemeinen Betrachtungen über die Planetenkreise im Weltall sind wir von dem höheren, wahrscheinlich nicht 464 höchstenVergl. Kosmos Bd. III. S. 281., Systeme: von dem der Sonne, zu den untergeordneten Partial-Systemen des Jupiter, des Saturn, des Uranus, des Neptun herabgestiegen. Wie dem denkenden und zugleich phantasirenden Menschen ein Streben nach Verallgemeinerung der Ansichten angeboren ist, wie ihm ein unbefriedigtes kosmisches Ahnden in der translatorischen BewegungIch habe im Naturgemälde von der translatorischen Bewegung der Sonne umständlich gehandelt Kosmos Bd. I. S. 149–151 (vergl. auch Bd. III. S. 266). unsres Sonnensystemes durch den Weltraum die Idee einer höheren Beziehung und Unterordnung darzubieten scheint; so ist auch der Möglichkeit gedacht worden, daß die Trabanten des Jupiter wieder Centralkörper für andere secundäre, wegen ihrer Kleinheit nicht gesehene Weltkörper sein könnten. Dann wären den einzelnen Gliedern der Partial-Systeme, deren Hauptsitz die Gruppe der äußeren Hauptplaneten ist, andere, ähnliche Partial-Systeme untergeordnet. Form-Wiederholungen in wiederkehrender Gliederung gefallen allerdings, auch als selbstgeschaffene Gebilde, dem ordnenden Geiste; aber jeder ernsteren Forschung bleibt es geboten den idealen Kosmos nicht mit dem wirklichen, das Mögliche nicht mit dem durch sichere Beobachtung Ergründeten zu vermengen.
Es ist, wie ich schon mehrmals erinnert, der besondere Zweck einer physischen Weltbeschreibung, alle wichtigen, in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts genau ergründeten, numerischen Resultate in dem siderischen wie in dem tellurischen Gebiete der Erscheinungen zusammenzustellen. Das Gestaltete und Bewegte wird hier als ein Geschaffenes, Daseiendes, Gemessenes geschildert. Die Gründe, auf welchen die erlangten numerischen Resultate beruhen; die cosmogonischen Vermuthungen, welche seit Jahrtausenden nach den wechselnden Zuständen des mechanischen und physikalischen Wissens über das Werden entstanden sind: gehören im strengeren Sinne des Worts nicht in den Bereich dieser empirischen Untersuchungen. (Kosmos Bd. I. S. 29–31, 63 und 87.)
Sonne.
Was sowohl die Dimensionen als die dermaligen Ansichten über die physische Beschaffenheit des Centralkörpers betrifft, ist schon oben (Kosmos Bd. III. S. 378–405) angegeben worden. Es bleibt hier nur übrig, nach den neuesten Beobachtungen noch einiges über die rothen Gestalten und 489 rothen Wolkenmassen hinzuzufügen, deren S. 389 besondere Erwähnung geschah. Die wichtigen Erscheinungen, welche die totale Sonnenfinsterniß vom 28 Juli 1851 im östlichen Europa dargeboten, haben die, schon von Arago 1842 angeregte Meinung: daß die rothen, berg- oder wolkenartigen Hervorragungen am Rande der verfinsterten Sonne zu der gasartigen äußersten Umhüllung des Centralkörpers gehörenKosmos Bd. III. S. 389 und 411 Anm. 1466 und 1467., noch mehr bekräftigt. Es sind diese Hervorragungen von dem westlichen Mondrande aufgedeckt worden, je nachdem in seiner Bewegung der Mond gegen Osten fortgerückt ist (Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1842 p. 457); dagegen sind sie wieder verschwunden, wenn sie an der entgegenstehenden Seite durch den östlichen Mondrand verdeckt wurden.
Die Intensität des Lichts jener Rand-Erhebungen ist abermals so beträchtlich gewesen, daß man sie durch dünne Wolken verschleiert in Fernröhren, ja selbst mit bloßen Augen innerhalb der Corona hat erkennen können.
Die Gestalt der, meist rubin- oder pfirsichrothen Erhebungen hat sich (bei einigen derselben) während der Total-Finsterniß sichtbar schnell verändert; eine dieser Erhebungen ist an ihrem Gipfel gekrümmt erschienen: und hat, wie eine oben umgebogene Rauchsäule, vielen Beobachtern in der Nähe der Spitze ein frei schwebendes, abgesondertes GewölkVergl. die Beobachtungen des schwedischen Mathematikers Bigerus Vassenius zu Gothenburg während der totalen Sonnenfinsterniß des 2 Mai 1733, und den Commentar dazu von Arago im Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1846 p. 441 und 462. Dr. Galle, welcher am 28 Juli 1851 zu Frauenburg beobachtete, sah »das frei schwebende Wölkchen durch drei oder noch mehr Fasern mit der hakenförmigen (gekrümmten) Gibbosität verbunden«. gezeigt. Die Höhe dieser Hervorragungen wurde meist 1' bis 2' geschätzt; an einem Punkte soll sie mehr betragen haben. Außer diesen zapfenartigen Erhebungen, deren man drei bis fünf gezählt, wurden auch carminrothe, langgestreckte, bandartige, wie auf dem Mondrande anliegende, oft gezähnte, niedrige Streifen gesehen.Vergl., was ein sehr geübter Beobachter, der Schiffscapitän Bérard, am 8 Juli 1842 in Toulon beobachtete. »Il vit une bande rouge très mince, dentelée irrégulièrement«; a. a. O. p. 416.
490 Man hat wieder deutlichst, besonders beim Austritt, den Theil des Mondrandes erkennen können, welcher sich nichtDieser Umriß des Mondes, während der totalen Sonnenfinsterniß am 8 Juli 1842 von 4 Beobachtern genau erkannt, war vorher bei ähnlichen Sonnenfinsternissen noch nie beschrieben worden. Die Möglichkeit des Sehens von einem äußeren Mond-Umrisse scheint abhängig von dem Lichte, welches die dritte, äußerste Umhüllung der Sonne und der Lichtring (die Strahlenkrone) geben. »La lune se projette en partie sur l'atmosphère du Soleil. Dans la portion de la lunette où l'image de la lune se forme, il n'y a que la lumière provenant de l'atmosphère terrestre. La lune ne fournit rien de sensible et, semblable à un écran, elle arrête tout ce qui provient de plus loin et lui correspond. En dehors de cette image, et précisément à partir de son bord, le champ est éclairé à la fois par la lumière de l'atmosphère terrestre et par la lumière de l'atmosphère solaire. Supposons que ces deux lumières réunies forment un total plus fort de 1/60 que la lumière atmosphérique terrestre, et, dès ce moment, le bord de la lune sera visible. Ce genre de vision peut prendre le nom de vision négative c'est en effet par une moindre intensité de la portion du champ de la lunette où existe l'image de la lune, que le contour de cette image est aperçu. Si l'image était plus intense que le reste du champ, la vision serait positive.« Arago a. a. O. p. 384. (Vergl. auch über diesen Gegenstand Kosmos Bd. III S. 70 und 114 Anm. 1096.) auf die Sonnenscheibe projicirte.
Eine Gruppe von Sonnenflecken war sichtbar, doch einige Minuten von dem Sonnenrande entfernt: da, wo die größte hakenförmige rothe Gibbosität entstand. Gegenüber, unweit der matten östlichen Hervorragung, war ebenfalls nahe am Rande ein Sonnenflecken. Diese trichterförmigen Vertiefungen können wegen des erwähnten Abstandes wohl nicht das Material zur rothen gasartigen Exhalation hergegeben haben; aber weil bei starker Vergrößerung die ganze Oberfläche der Sonne sichtbar Poren zeigt, so ist doch wohl die Vermuthung am wahrscheinlichsten: daß dieselbe Dampf- und Gas-Emanation, welche, von dem Sonnenkörper aufsteigend, die TrichterKosmos Bd. III. S. 383–386. bildet, durch diese, welche uns als Sonnenflecken erscheinen, oder durch kleinere Poren sich ergießt und, erleuchtet, unserem Auge rothe, vielgestaltete Dampfsäulen und Wolken in der dritten Sonnen-Umhüllung darbietet.
Merkur.
Wenn man sich erinnert, wie viel seit den frühesten Zeiten die AegypterLepsius, Chronologie der Aegypter Th. I. S. 92–96. sich mit dem Merkur (Set – Horus) und die Inder mit ihrem BudhaKosmos Bd. III. S. 469 Anm. 1493. beschäftigt haben; wie unter dem heiteren Himmel von West-Arabien der Sterndienst in dem Stamme der AseditenA. a. O. Bd. II. S. 258. ausschließlich auf den Merkur gerichtet war; ja wie Ptolemäus im 9ten Buche des Almagest 14 Beobachtungen dieses Planeten benutzen konnte, die bis 261 Jahre vor unserer Zeitrechnung hinaufreichen und theilweise den ChaldäernLalande in den Mémoires de l'Académie des Sciences pour 1766 p. 498; Delambre, Histoire de l'Astronomie ancienne T. II. p. 320. gehören: so ist man allerdings verwundert, daß Copernicus, welcher das siebzigste Jahr erreicht 491 hat, sich auf seinem Sterbebette beklagte, so viel er sich bemühet, den Merkur nie gesehen zu haben. Doch bezeichneten die GriechenKosmos Bd. III. S. 468 [Anm. 1493]. mit Recht diesen Planeten wegen seines bisweilen so intensiven Lichts mit dem Namen des stark funkelnden (στίλβων). Er bietet Phasen (wechselnde Lichtgestalten) dar wie Venus, und erscheint uns auch wie diese als Morgen- und Abendstern.
Merkur ist in seiner mittleren Entfernung wenig über 8 Millionen geographischer Meilen von der Sonne entfernt, genau 0,3870938 Theile des mittleren Abstandes der Erde von der Sonne. Wegen der starken Excentricität seiner Bahn (0,2056163) wird die Entfernung des Merkur von der Sonne im Perihel 6¼, im Aphel 10 Millionen Meilen. Er vollführt seinen Umlauf um die Sonne in 87 mittleren Erdentagen und 23St 15' 46". Durch die, wenig sichere Beobachtung der Gestalt von dem südlichen Horn der Sichel und durch Auffindung eines dunkeln Streifens, welcher gegen Osten am schwärzesten war, haben Schröter und Harding die Rotation zu 24St 5' geschätzt.
Nach Bessel's Bestimmungen bei Gelegenheit des Merkur-Durchganges vom 5 Mai 1832 beträgt der wahre Durchmesser 671 geographische MeilenBei dem Merkur-Durchgange vom 4 Mai 1832 fanden Mädler und Wilhelm Beer (Beiträge zur phys. Kenntniß der himmlischen Körper 1841 S. 145) den Durchmesser des Merkur 583 Meilen; aber in der Ausgabe der Astronomie von 1849 hat Mädler das Bessel'sche Resultat vorgezogen., d. i. 0,391 Theile des Erd-Durchmessers.
Die Masse des Merkur war von Lagrange nach sehr gewagten Voraussetzungen über die Reciprocität des Verhältnisses der Dichtigkeiten und Abstände bestimmt worden. Durch den Enckischen Cometen von kurzer Umlaufszeit wurde zuerst ein Mittel gegeben dieses wichtige Element zu verbessern. Die Masse des Planeten wird von Encke als 1/4865751 der Sonnenmasse oder etwa 1/13,7 der Erdmasse gesetzt. Laplace 492 gabLaplace, exposition du Syst. du Monde 1824 p. 209. Der berühmte Verfasser gesteht aber selbst, daß zur Bestimmung der Merkurmasse er sich gegründet habe auf die »hypothèse très précaire qui suppose les densités de Mercure et de la Terre réciproques à leur moyenne distance du Soleil.« – Ich habe weder der 58000 Fuß hohen Bergzüge auf der Merkurscheibe, die Schröter gemessen haben will und die schon Kaiser (Sternenhimmel 1850 § 57) bezweifelt; noch der von Lemonnier und Messier (Delambre, Hist. de l'Astronomie au 18me siècle p. 222) behaupteten Sichtbarkeit einer Merkur-Atmosphäre, während der Durchgänge vor der Sonne; noch der vorübergehenden Wolkenzüge und Oberflächen-Verdunkelung auf dem Planeten erwähnen mögen. Bei dem Durchgange, den ich in Peru am 8 November 1802 beobachtete, bin ich sehr auf die Schärfe des Umrisses des Planeten während des Austritts aufmerksam gewesen, habe aber nichts von einer Umhüllung bemerkt. für die Masse des Merkur nach Lagrange 1/2025810 an, aber die wahre Masse ist nur etwa 5/12 von der Lagrange'schen. Es wird durch diese Verbesserung auch zugleich die vorige hypothetische Angabe von der schnellen Zunahme der Dichtigkeit mit Annäherung eines Planeten an die Sonne widerlegt. Wenn man mit Hansen den körperlichen Inhalt des Merkur zu 6/100 der Erde annimmt, so folgt daraus die Dichtigkeit des Merkur nur als 1,22. »Diese Bestimmungen«, setzt mein Freund, der Urheber derselben, hinzu, »sind nur als erste Versuche zu betrachten: die sich indessen der Wahrheit weit mehr nähern als die Laplacische Annahme.« Die Dichtigkeit des Merkur wurde vor 10 Jahren noch fast dreimal größer als die Dichte der Erde angenommen: zu 2,56 oder 2,94, wenn die Erde = 1,00.
Venus.
Die mittlere Entfernung derselben von der Sonne ist 0,7233317 in Theilen der Entfernung der Erde von der Sonne, d. i. 15 Millionen geogr. Meilen. Die siderische oder wahre Umlaufszeit der Venus ist 224 Tage 16St 49' 7". Kein Hauptplanet kommt der Erde so nahe als Venus: sie kann sich uns bis 5¼ Million Meilen nähern, aber auch von uns auf 36 Millionen Meilen entfernen; daher die große Veränderlichkeit des scheinbaren Durchmessers: welcher keinesweges allein die Stärke des Glanzes bestimmt»Der Ort der Venusbahn, in welchem der Planet uns in dem hellsten Lichte erscheinen kann, so daß er selbst mit unbewaffnetem Auge am Mittag zu sehen ist, liegt zwischen der unteren Conjunction und der größten Digression: nahe bei der letzten, nahe dem Abstande von 40° von der Sonne oder von dem Orte der unteren Conjunction. Im Mittel erscheint Venus in ihrem schönsten Lichte, 40° östlich und westlich von der Sonne entfernt, wenn ihr scheinbarer Durchmesser, welcher in der unteren Conjunction bis auf 66" anwachsen kann, nur etwa 40" hat, und wenn die größte Breite ihrer beleuchteten Phase kaum 10" mißt. Die Erdnähe giebt dann der schmalen Sichtsichel ein so intensives Licht, daß sie in der Abwesenheit der Sonne Schatten wirft.« Littrow, theoretische Astronomie 1834 Th. II. S. 68. – Ob Copernicus die Nothwendigkeit einer künftigen Entdeckung von Venus-Phasen vorherverkündigt hat, wie in Smith's Optics Sect. 1050, und in vielen anderen Schriften wiederholt behauptet wird: ist neuerlichst durch Professor de Morgan's genauere Untersuchung von dem Werke de Revolutionibus, wie es auf uns gekommen, überaus zweifelhaft geworden. S. den Brief von Adams an Rev. R. Main vom 7 Sept. 1846 in Rep. of the royal Astronomical Society Vol. VII. No. 9 p. 142. (Vergl. auch Kosmos Bd. II. S. 362.). Die Excentricität der Venusbahn ist nur 0,00686182: wie immer, in Theilen der halben großen Axe ausgedrückt. Der Durchmesser des Planeten beträgt 1694 geographische Meilen; die Masse 1/401830, der körperliche Inhalt 0,957 und die Dichtigkeit 0,94 in Vergleichung zur Erde.
493 Von den, durch Kepler nach seinen Rudolphinischen Tafeln zuerst verkündigten Durchgängen der zwei unteren Planeten ist der der Venus, wegen Bestimmung der Sonnen-Parallaxe und daraus hergeleiteter Entfernung der Erde von der Sonne, von der größten Wichtigkeit für die Theorie des ganzen Planetensystems. Nach Encke's erschöpfender Untersuchung des Venus-Durchganges von 1769 ist die Parallaxe der Sonne 8",57116 (Berliner Jahrbuch für 1852 S. 323). Eine neue Arbeit über die Sonnen-Parallaxe ist auf den Vorschlag eines ausgezeichneten Mathematikers, des Prof. Gerling zu Marburg, auf Befehl der Regierung der Vereinigten Staaten von Nordamerika seit 1849 unternommen worden. Es soll die Parallaxe durch Beobachtungen der Venus in der Nähe des östlichen und westlichen Stillstandes, wie durch Micrometer-Messungen der Differenzen in Rectascension und Declination von wohlbestimmten Fixsternen, in bedeutenden Längen- und Breiten-Unterschieden, erlangt werden (Schumacher's astron. Nachrichten No. 599 S. 363 und No. 613 S. 193). Die astronomische Expedition unter Befehl des kenntnißvollen Lieutenants Gilliß hat sich nach Santiago de Chile begeben.
Die Rotation der Venus ist lange vielen Zweifeln unterworfen gewesen. Dominique Cassini 1669 und Jacques Cassini 1732 fanden sie 23St 20', während BianchiniDelambre, Histoire de l'Astronomie au 18me siècle p. 256–258. Das Resultat von Bianchini ist vertheidigt worden von Hussey und Flaugergues; auch Hansen, dessen Autorität mit Recht so groß ist, hielt es bis 1836 für das wahrscheinlichere (Schumacher's Jahrbuch für 1837 S. 90). in Rom 1726 die langsame Rotation von 24⅓ Tagen annahm. Genauere Beobachtungen von de Vico in den Jahren 1840 bis 1842 geben durch eine große Anzahl von Venusflecken im Mittel 23St 21' 21",93.
Diese Flecken, an der Grenze der Scheidung zwischen Licht und Schatten in der sichelförmigen Venus, erscheinen 494 selten, sind schwach und meist veränderlich: so daß beide Herschel, Vater und Sohn, glauben, daß sie nicht der festen Oberfläche des Planeten, sondern wahrscheinlicher einer Venus-AtmosphäreArago über die Lilienthaler merkwürdige Beobachtung des 12 August 1790 im Annuaire pour 1842 p. 539. (»Ce qui favorise aussi la probabilité de l'existence d'une atmosphère qui enveloppe Vénus, c'est le résultat optique obtenu par l'emploi d'une lunette prismatique. L'intensité de la lumière de l'intérieur du croissant est sensiblement plus faible que celle des points situés dans la partie circulaire du disque de la planète.« Arago, Handschriften von 1847.) angehören. Die veränderliche Gestalt der Hörner, besonders des südlichen, an der Sichel, ist von la Hire, Schröter und Mädler theils zu Schätzung der Höhe von Bergen, theils und vorzüglich zur Bestimmung der Rotation benutzt worden. Die Erscheinungen dieser Veränderlichkeit sind von der Art, daß sie nicht Berggipfel zur Erklärung erfordern von 5 geogr. Meilen (114000 Fuß), wie sie Schröter zu Lilienthal angab: sondern nur Höhen, wie sie unser Planet in beiden Continenten darbietet.Wilhelm Beer und Mädler, Beiträge zur physischen Kenntniß der himmlischen Körper S. 148. Der sogenannte Venusmond: den Fontana, Dominicus Cassini und Short wollen erkannt haben, für den Lambert Tafeln berechnete, und der in Crefeld (Berliner Jahrbuch 1778 S. 186) volle 3 Stunden nach dem Austritt der Venus in dem Mittelpunkt der Sonnenscheibe soll gesehen worden sein; gehört zu den astronomischen Mythen einer unkritischen Zeit. Bei dem Wenigen, das wir von dem Oberflächen-Ansehen und der physischen Beschaffenheit der sonnennahen Planeten, Merkur und Venus, wissen: bleibt auch die von Christian Mayer, William HerschelPhilos. Transact. 1795 Vol. 86 p. 214. und Harding in dem dunklen Theile bisweilen beobachtete Erscheinung eines aschfarbenen Lichtes, ja eines eigenthümlichen Lichtprocesses überaus räthselhaft. Es ist bei so großer Ferne nicht wahrscheinlich, daß das reflectirte Erdlicht in der Venus, wie bei unserem Monde, eine aschfarbige Erleuchtung auf der Venus hervorbringe. In den Scheiben beider unteren Planeten, Merkur und Venus, ist bisher noch keine Abplattung bemerkt worden.
Erde.
Die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne ist 12032mal größer als der Durchmesser der Erde: also 20682000 geogr. Meilen, ungewiß auf etwa 90000 Meilen (auf 1/230). Der siderische Umlauf der Erde um die Sonne ist 365T 6St 9' 10",7496. Die Excentricität der Erdbahn beträgt 495 0,01679226, die Masse 1/359551; die Dichtigkeit im Verhältniß zum Wasser 5,44. Bessel's Untersuchung von 10 Gradmessungen gab eine Erd-Abplattung von 1/299,153; die Länge einer geographischen Meile, deren 15 auf einen Grad des Aequators gehen, zu 3807,23 Toisen, und die Aequatorial- und Polar-Durchmesser zu 1718,9 und 1713,1 geogr. Meilen (Kosmos Bd. I S. 421 Anm. 130). Wir beschränken uns hier auf numerische Angaben von Gestalt und Bewegungen; alles, was sich auf die physische Beschaffenheit der Erde bezieht, bleibt dem letzten, tellurischen Theile des Kosmos vorbehalten.
Mond der Erde.
Mittlere Entfernung des Mondes von der Erde 51800 geogr. Meilen; siderische Umlaufszeit 27 Tage 7St 43' 11",5; Excentricität der Mondbahn 0,0548442; Durchmesser des Mondes 454 geogr. Meilen, nahe ¼ des Erd-Durchmessers; körperlicher Inhalt 1/54 des körperlichen Inhalts der Erde; Masse des Mondes nach Lindenau 1/87,73 (nach Peters und Schidloffsky 1/81) der Masse der Erde; Dichtigkeit 0,619 (also fast 3/5) der Dichtigkeit der Erde. Der Mond hat keine wahrnehmbare Abplattung: aber eine äußerst geringe, durch die Theorie bestimmte, Verlängerung (Anschwellung) gegen den Erdkörper hin. Die Rotation des Mondes um seine Achse wird vollkommen genau (und das ist wahrscheinlich der Fall bei allen anderen Nebenplaneten) in derselben Zeit vollbracht, in welcher er um die Erde läuft.
Das von der Mondfläche reflectirte Sonnenlicht ist unter allen Zonen schwächer als das Sonnenlicht, welches ein weißes Gewölk bei Tage zurückwirft. Wenn man zu geographischen Längen-Bestimmungen oft Abstände des Mondes von der 496 Sonne nehmen muß, ist es nicht selten schwer die Mondscheibe zwischen den licht-intensiveren Haufenwolken zu erkennen. Auf Berghöhen, die zwischen zwölf- und sechzehntausend Fuß hoch liegen: da, wo bei heiterer Bergluft nur federartiger Cirrus am Himmelsgewölbe zu sehen ist, wurde mir das Aufsuchen der Mondscheibe um vieles leichter, weil der Cirrus seiner lockeren Beschaffenheit nach weniger Sonnenlicht reflectirt und das Mondlicht auf seinem Wege durch dünne Luftschichten minder geschwächt ist. Das Verhältniß der Lichtstärke der Sonne zu der des Vollmondes verdient eine neue Untersuchung: da Bouguer's, überall angenommene Bestimmung (1/300000) so auffallend von der, freilich unwahrscheinlicheren, Wollaston's (1/800000) abweicht.Kosmos Bd. III. S. 103 und 133 Anm. 1150.
Das gelbe Mondlicht erscheint bei Tage weiß, weil die blauen Luftschichten, durch welche wir es sehen, die Complementar-Farbe zum Gelb darbieten.»La lumière de la lune est jaune, tandis que celle de Vénus est blanche. Pendant le jour la lune paraît blanche, parce qu'à la lumière du disque lunaire se mêle la lumière bleue de cette partie de l'atmosphère que la lumière jaune de la lune traverse. Arago in Handschr. von 1847. Die am meisten brechbaren Farben im Spectrum, von Blau bis Violett, ergänzen sich, Weiß zu bilden, mit den weniger brechbaren, von Roth bis Grün. (Kosmos Bd. III. S. 309 Anm. 1335.) Nach den vielfachen Beobachtungen, die Arago mit seinem Polariscop angestellt, ist in dem Mondlichte polarisirtes Licht enthalten: am deutlichsten im ersten Viertel und in den grauen Mondflecken; z. B. in der großen, dunklen, bisweilen etwas grünlichen, Wallebene des sogenannten Mare Crisium. Solche Wallebenen sind meist mit Bergadern durchzogen, deren polyedrische Gestalt diejenigen Inclinations-Winkel der Flächen darbietet, welche zur Polarisation des reflectirten Sonnenlichts erforderlich sind. Der dunkle Farbenton der Umgegend scheint dazu durch Contrast die Erscheinung noch bemerkbarer zu machen. Was den leuchtenden Centralberg der Gruppe Aristarch betrifft, an dem man mehrmals thätigen Vulcanismus zu bemerken wähnte, so hat derselbe keine stärkere Polarisation des Lichts gezeigt als andere Mondtheile. In dem Vollmond wird keine Beimischung 497 von polarisirtem Lichte bemerkt; aber während einer totalen Mondfinsterniß (31 Mai 1848) hat Arago in der roth gewordenen Mondscheibe (einem Phänomen, von dem wir weiter unten sprechen werden) unzweifelhafte Zeichen der Polarisation wahrgenommen (Comptes rendus T. XVIII. p. 1119).
Daß das Mondlicht wärmeerzeugend ist, gehört, wie so viele andere meines berühmten Freundes Melloni, zu den wichtigsten und überraschendsten Entdeckungen unseres Jahrhunderts. Nach vielen vergeblichen Versuchen, von la Hire an bis zu denen des scharfsinnigen ForbesForbes on the refraction and polarisation of Heat in den Transactions of the Royal Society of Edinburgh Vol. XIII. 1836 p. 131., ist es Melloni geglückt, mittelst einer Linse (lentille à échelons) von drei Fuß Durchmesser, die für das meteorologische Institut am Vesuv-Kegel bestimmt war, bei verschiedenen Wechseln des Mondes die befriedigendsten Resultate der Temperatur-Erhöhung zu beobachten. Mosotti-Lavagna und Belli, Professoren der Universitäten Pisa und Pavia, waren Zeugen dieser Versuche: die nach Maaßgabe des Alters und der Höhe des Mondes verschieden ausfielen. Wie viel die Quantität der Temperatur-Erhöhung, welche Melloni's thermoscopische Säule erzeugte, in Bruchtheilen eines hunderttheiligen Thermometergrades ausgedrückt, betrage: wurde damals (Sommer 1846) noch nicht ergründet.Lettre de Mr. Melloni à Mr. Arago sur la puissance calorifique de la lumière de la Lune in den Comptes rendus T. XXII. 1846 p. 541–544. Vergl. auch wegen der historischen Angaben den Jahresbericht der physikalischen Gesellschaft zu Berlin Bd. II. S. 272. – Merkwürdig genug hat es mir immer geschienen, daß von den frühesten Zeiten her, wo Wärme nur durch das Gefühl bestimmt wurde, der Mond zuerst die Idee erregt hat, daß Licht und Wärme getrennt gefunden werden könnten. Bei den Indern heißt im Sanskrit der Mond als König der Sterne der kalte (’sîtala, hima), auch der kaltstrahlende (himân’su), während die Sonne mit ihren Strahlenhänden ein Schöpfer der Wärme (nidâghakara) heißt. Die Flecken des Mondes, in denen westliche Völker ein Gesicht zu erkennen glauben, stellen nach indischer Ansicht ein Reh oder einen Hasen vor: daher die Sanskritnamen des Mondes Rehträger (mrigadhara) oder Hasenträger (’sa’sabhrit). Schütz, fünf Gesänge des Bhatti-Kâvya 1837 S. 19–23. – Bei den Griechen wird geklagt (Plutarch in dem Gespräche de facie quae in orbe Lunae apparet, Moralia ed. Wyttenbach T. IV. Oxon. 1797 p. 793): »daß das Sonnenlicht, von dem Monde reflectirt, alle Wärme verliere: so daß uns nur schwache Reste davon überkommen.« In Macrobius (comm. in somnium Scip. I, 19 ed. Lud. Janus 1848 p. 105) heißt es: »Luna speculi instar lumen quo illustratur.... rursus emittit, nullum tamen ad nos perferentem sensum caloris: quia lucis radius, cum ad nos de origine sua, id est de Sole, pervenit, naturam secum ignis de quo nascitur devehit; cum vero in lunae corpus infunditur et inde resplendet, solam refundit claritatem, non calorem.« (Eben so Macrob. Saturnal. lib. VII cap. 16, ed. Bip. T. II. p. 277.)
Das aschgraue Licht, in welchem ein Theil der Mondscheibe leuchtet, wenn einige Tage vor oder nach dem Neumonde sie nur eine schmale, von der Sonne erleuchtete Sichel darbietet, ist Erdenlicht im Monde, »der Wiederschein eines Wiederscheins«. Je weniger der Mond für die Erde erleuchtet erscheint, desto mehr ist erleuchtend die Erde für den Mond. Unser Planet bescheint aber den Mond 13½mal stärker, als der Mond seinerseits ihn erleuchtet; und dieser Schein ist hell genug, um durch abermalige Reflexion von uns 498 wahrgenommen zu werden. Das Fernrohr unterscheidet in dem aschgrauen Lichte die größeren Flecken, und einzelne hellglänzende Punkte, Berggipfel in den Mondlandschaften; ja selbst dann noch einen grauen Schimmer, wenn die Scheibe schon etwas über die Hälfte erleuchtet ist.Mädler, Astronomie § 112. Zwischen den Wendekreisen und aus den hohen Bergebenen von Quito und Mexico werden diese Erscheinungen besonders auffallend. Seit Lambert und Schröter ist die Meinung herrschend geworden, daß die so verschiedene Intensität des aschgrauen Lichtes des Mondes von dem stärkeren oder schwächeren Reflex des Sonnenlichts herrührt, das auf die Erdkugel fällt: je nachdem dasselbe von zusammenhangenden Continental-Massen voll Sandwüsten, Grassteppen, tropischer Waldung und öden Felsbodens; oder von großen oceanischen Flächen zurückgeworfen wird. Lambert hat in einem lichtvollen Cometensucher (14 Februar 1774) die merkwürdige Beobachtung einer Veränderung des aschfarbenen Mondlichtes in eine olivengrüne, etwas ins Gelbe spielende Farbe gemacht. »Der Mond, der damals senkrecht über dem atlantischen Meere stand, erhielt in seiner Nachtseite das grüne Erdenlicht, welches ihm bei wolkenfreiem Himmel die WaldgegendenS. Lambert sur la lumière cendrée de la Lune in den Mém. de l'Acad. de Berlin Année 1773 p. 46: »la Terre, vue des planètes, pourra paroître d'une lumière verdâtre, à peu près comme Mars nous paroît d'une couleur rougeâtre.« Wir wollen darum nicht mit dem scharfsinnigen Manne die Vermuthung aufstellen, daß der Planet Mars mit einer rothen Vegetation, wie mit rosenrothen Gebüschen der Bougainvillea (Humboldt, Ansichten der Natur Bd. II. S. 334) bedeckt sei. – »Wenn in Mittel-Europa der Mond kurz vor dem Neumonde in den Morgenstunden am Osthimmel steht, so erhält er das Erdlicht hauptsächlich von den großen Plateau-Flächen Asiens und Afrika's. Steht der Mond aber nach dem Neumonde Abends in Westen, so kann er nur den Reflex von dem schmaleren amerikanischen Continent und hauptsächlich von dem weiten Oceane in geringerer Menge empfangen.« Wilhelm Beer und Mädler, der Mond nach seinen kosmischen Verhältnissen § 106 S. 152. von Südamerika zusendeten.«
Der meteorologische Zustand unserer Atmosphäre modificirt diese Intensitäten des Erdlichts, welches den zwiefachen Weg von der Erde zum Monde und vom Monde zu unserem Auge zurücklegen muß. »So werden wir«, wie AragoSéance de l'Àcadémie des Sciences le 5 août 1833: »Mr. Arago signale la comparaison de l'intensité lumineuse de la portion de la lune que les rayons solaires éclairent directement, avec celle de la partie du même astre qui reçoit seulement les rayons réfléchis par la terre. Il croit d'après les expériences qu'il a déjà tentées à cet égard, qu'on pourra, avec des instrumens perfectionnés, saisir dans la lumière cendrée les différences de l'éclat plus ou moins nuageux de l'atmosphère de notre globe. Il n'est donc pas impossible, malgré tout ce qu'un pareil résultat exciterait de surprise an premier coup d'oeil, qu'un jour les météorologistes aillent puiser dans l'aspect de la lune des notions précieuses sur l'état moyen de diaphanité de l'atmosphère terrestre, dans les hémisphères qui successivement concourent à la production de la lumière cendrée.« bemerkt, »wenn einst bessere photometrische Instrumente anzuwenden sind, in dem Monde gleichsam den mittleren Zustand der Diaphanität unserer Atmosphäre lesen können.« Die erste richtige Erklärung von der Natur des aschfarbenen Lichts des 499 Mondes schreibt Kepler (ad Vitellionem Paralipomena, quibus Astronomiae pars optica traditur, 1604 p. 254) seinem, von ihm hoch verehrten Lehrer Mästlin zu, welcher dieselbe 1596 in den zu Tübingen öffentlich vertheidigten Thesen vorgetragen hatte. Galilei sprach (Sidereus Nuncius p. 26) von dem reflectirten Erdlichte als von einer Sache, die er seit mehreren Jahren selbst aufgefunden; aber hundert Jahre vor Kepler und Galilei war die Erklärung des uns sichtbaren Erdlichts im Monde dem allesumfassenden Genie des Leonardo da Vinci nicht entgangen. Seine lange vergessenen Manuscripte lieferten den Beweis davon.Venturi, essai sur les ouvrages de Léonard de Vinci 1797 p.11.
Bei den totalen Mondfinsternissen verschwindet der Mond in überaus seltenen Fällen gänzlich; so verschwand er nach Kepler's frühester BeobachtungKepler, Paralipomena vel Astronomiae pars optica 1604 p. 297. am 9 December 1601: und in neuester Zeit, ohne selbst durch Fernröhre aufgefunden zu werden, am 10 Juni 1816 zu London. Ein eigener, nicht genugsam ergründeter Diaphanitäts-Zustand einzelner Schichten unserer Atmosphäre muß die Ursach dieser so seltenen als sonderbaren Erscheinung sein. Hevelius bemerkt ausdrücklich, daß in einer totalen Finsterniß (am 25 April 1642) der Himmel bei völlig heiterer Luft mit funkelnden Sternen bedeckt war: und doch in den verschiedensten Vergrößerungen, die er anwandte, die Mondscheibe spurlos verschwunden blieb. In anderen, ebenfalls sehr seltenen Fällen werden nur einzelne Theile des Mondes schwach sichtbar. Gewöhnlich sieht man die Scheibe während einer totalen Verfinsterung roth, und zwar in allen Graden der Intensität der Farbe: ja, wenn der Mond weit von der Erde entfernt ist, bis in das Feuerrothe und Glühende übergehend. Während ich, vor einem halben Jahrhunderte (29 März 1801), vor Anker an der Insel Baru unfern 500 Cartagena de Indias lag und eine Total-Finsterniß beobachtete, war es mir überaus auffallend, wie viel leuchtender die rothe Mondscheibe unter dem Tropenhimmel erscheint als in meinem nördlichen Vaterlande.(S. 500.) »On conçoit que la vivacité de la lumière rouge ne dépend pas uniquement de l'état de l'atmosphère, qui réfracte, plus ou moins affaiblis, les rayons solaires, en les infléchissant dans le cône d'ombre; mais qu'elle est modifiée surtout par la transparence variable de la partie de l'atmosphère à travers laquelle nous apercevons la lune éclipsée. Sous les Tropiques, une grande sérénité du ciel, une dissémination uniforme des vapeurs diminuent l'extinction de la lumière que le disque lunaire nous renvoie.« Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales T. III. p. 544 und Recueil d'Observ. astronomiques Vol. II. p. 145. (Arago bemerkt: »Les rayons solaires arrivent à notre satellite par l'effet d'une réfraction et à la suite d'une absorption dans les conches les plus basses de l'atmosphère terrestre; pourraient-ils avoir une autre teinte que le rouge?« Annuaire pour 1842 p. 528.) Das ganze Phänomen ist bekanntlich eine Folge der Strahlenbrechung: da, wie Kepler sich sehr richtig ausdrückt (Paralip., Astron. pars optica p. 893), die Sonnenstrahlen bei ihrem Durchgange durch die Atmosphäre der Erde inflectirt(S. 500.) Babinet erklärt die Röthung für eine Folge der Diffraction in einer Notiz über den verschiedenen Antheil des weißen, blauen und rothen Lichtes, welches sich bei der Inflexion erzeugt; s. dessen Betrachtungen über die Total-Finsterniß des Mondes vom 19 März 1818 in Moigno's Répertoire d'Optique moderne 1850 T. IV. p. 1656. »La lumière diffractée qui pénètre dans l'ombre de la terre, prédomine toujours et même a été seule sensible. Elle est d'autant plus rouge ou orangée qu'elle se trouve plus près du centre de l'ombre géométrique; car ce sont les rayons les moins réfrangibles qui se propagent le plus abondamment par diffraction, à mesure qu'on s'éloigne de la propagation en ligne droite.« Die Phänomene der Diffraction finden, nach den scharfsinnigen Untersuchungen von Magnus (bei Gelegenheit einer Discussion zwischen Airy und Faraday), auch im luftleeren Raume statt. Vergl. über die Erklärungen durch Diffraction im allgemeinen Arago im Annuaire pour 1846 p. 452–455. und in den Schattenkegel geworfen werden. Die geröthete oder glühende Scheibe ist übrigens nie gleichförmig farbig. Einige Stellen zeigen sich immer dunkler und dabei fortschreitend farbeändernd. Die Griechen hatten sich eine eigene, wundersame Theorie gebildet über die verschiedenen Farben, welche der verfinsterte Mond zeigen soll, je nachdem die Finsterniß zu anderen Stunden eintritt.(S.500.) Plutarch (de facie in orbe Lunae), Moral. ed. Wyttenb. T. IV. p. 780–783: »Die feurige, kohlenartig glimmende (ἀνϑρακοειδής) Farbe des verfinsterten Mondes (um die Mitternachtsstunde) ist, wie die Mathematiker behaupten, schon des Wechsels wegen von Schwarz in Roth und Bläulich, keinesweges als eine der erdigen Oberfläche des Planeten eigenthümliche Beschaffenheit zu betrachten.« Auch Dio Cassius (LX, 26; ed. Sturz T. III. p. 779): der sich ausführlich mit den Mondfinsternissen überhaupt, und mit merkwürdigen Edicten des Kaisers Claudius, welche die Dimension des verfinsterten Theiles vorherverkündigten, viel beschäftigt, macht auf die so verschiedene Färbung des Mondes während der Conjunction aufmerksam. »Groß«, sagt er (LXV, 11; T. IV. p. 185 Sturz), »ward die Verwirrung im Lager des Vitellius bei der in derselben Nacht eintretenden Finsterniß. Doch nicht sowohl die Finsterniß an sich, obgleich sie bei mangelnder Geistesruhe unglückbedeutend erscheinen kann: als vielmehr der Umstand, daß der Mond in blutrother, schwarzer und anderen traurigen Farben spielte; erfüllte die Seele mit bangen Besorgnissen.«
In dem langen Streite über die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer atmosphärischen Umhüllung des Mondes haben genaue Occultations-Beobachtungen erwiesen, daß keine Strahlenbrechung am Mondrande statt hat, und daß sich demnach die Schröter'schen Annahmen(S. 500.) Schröter, selenotopographische Fragmente Th. I. 1791 S. 668, Th. II. 1802 S. 52. einer Mond-Atmosphäre und Mond-Dämmerung widerlegt finden. »Die Vergleichung der beiden Werthe des Mond-Halbmessers, welche man einerseits aus directer Messung, andererseits aus der Dauer des Verweilens vor einem Fixstern während der Bedeckung ableiten kann, lehrt: daß das Licht eines Fixsterns in dem Augenblick, in welchem letzterer den Mondrand berührt, nicht für uns merklich von seiner geradlinigen Bewegung abgelenkt wird. Wäre eine Strahlenbrechung am Rand des Mondes vorhanden, so müßte die zweite Bestimmung den Halbmesser um das Doppelte derselben kleiner ergeben als die erste; wogegen aber bei mehrfachen Versuchen beide Bestimmungen 501 so nahe übereinkommen, daß man keinen entscheidenden Unterschied je hat auffinden können.«Bessel über eine angenommene Atmosphäre des Mondes, in Schumacher's astron. Nachr. No. 263 S. 416–420. Vergl. auch Beer und Mädler, der Mond § 83 und 107, S. 133 und 153; wie Arago im Annuaire pour 1846 p. 346–353. Der so oft angeführte, von dem besseren oder schlechteren Erkennen kleiner Oberflächen-Gestaltungen hergenommene Beweis der Wirklichkeit einer Mondluft, und »der in den Thälern umherziehenden Mondnebel« ist der unhaltbarste von allen, wegen der stets wechselnden Beschaffenheit (Verdunkelung und Erhellung) der oberen Schichten unserer eignen Atmosphäre. Betrachtungen über die Gestalt des einen Mondhornes bei der Sonnenfinsterniß am 5 September 1793 hatten William Herschel auch schon gegen die Annahme einer Mond-Atmosphäre entscheiden lassen (Philos. Transact. Vol. LXXXIV. p. 167). Der Eintritt von Sternen, welcher sich besonders scharf am dunklen Rande beobachten läßt, erfolgt plötzlich und ohne allmälige Verminderung des Sternglanzes; eben so der Austritt oder das Wiedererscheinen. Bei den wenigen Ausnahmen, die angegeben werden, mag die Ursach in zufälligen Veränderungen unserer Atmosphäre gelegen haben.
Fehlt nun dem Erdmonde jede gasförmige Umhüllung, so steigen dort bei Mangel alles diffusen Lichtes die Gestirne an einem fast schwarzen Taghimmel emporMädler in Schumacher's Jahrbuch für 1840 S. 188.; keine Luftwelle kann dort tragen den Schall, den Gesang und die Rede. Es ist der Mond für unsere Phantasie, die so gern anmaßend in das nicht zu Ergründende überschweift, eine lautlose Einöde.
Das bei Sternbedeckungen bisweilen bemerkte Phänomen des Verweilens (Klebens) des eintretenden Sternes an und in dem Rande des MondesSir John Herschel (outlines pag. 247) macht aufmerksam auf den Eintritt von solchen Doppelsternen, die wegen zu großer Nähe der Individuen, aus denen sie bestehen, nicht im Fernrohr getrennt werden können. kann wohl nicht als Folge der Irradiation betrachtet werden: welche bei der schmalen Mondsichel, wegen einer so verschiedenen Intensität des Lichtes im aschfarbenen und in dem von der Sonne unmittelbar erleuchteten Theile, diesen allerdings als jenen umfassend dem Auge erscheinen läßt. Arago hat bei einer totalen Mondfinsterniß einen Stern an der wenig leuchtenden rothen Mondscheibe während der Conjunction deutlichst kleben sehen. Ob überhaupt die hier berührte Erscheinung in der Empfindung und in physiologischen UrsachenPlateau sur l'Irridation, in den Mém. de l'Acad. royale des Sciences et Belles-Lettres de Bruxelles T. XI. p. 142, und Ergänzungsband zu Poggendorff's Annalen 1842 S. 79–128, 193–232 und 405–443. »Die wahrscheinliche Ursach der Irradiation ist ein durch das Licht erregter Reiz, welcher sich auf der Netzhaut ein wenig über den Umriß des Bildes fortpflanzt.«, oder in der Aberration der Refrangibilität und Sphäricität des AugesArago in den Comptes rendus T. VIII. 1839 p. 713 und 883. »Les phénomènes d'irradiation signalés par Mr. Plateau sont regardés par Mr. Arago comme les effets des aberrations de réfrangibilité et de sphéricité de l'oeil, combinés avec l'indistinction de la vision, conséquence des circonstances dans lesquelles les observateurs se sont placés. Des mesures exactes prises sur des disques noirs à fond blanc et des disques blancs à fond noir, qui étaient placés au Palais du Luxembourg, visibles à l'Observatoire, n'ont pas indiqué les effets de l'irradiation.« gegründet sei, ist ein Gegenstand der Discussion zwischen Arago und Plateau geblieben. Die Fälle, in denen behauptet wird, daß man ein Verschwinden 502 und Wiedererscheinen, und dann ein abermaliges Verschwinden bei einer Occultation gesehen habe, mögen wohl den Eintritt an einem zufällig durch Bergabfälle und tiefe Klüfte verunstalteten Mondrand bezeichnen.
Die großen Unterschiede des Licht-Reflexes in den einzelnen Regionen der erleuchteten Mondscheibe, und besonders der Mangel scharfer Abgrenzung in den Mondphasen an dem inneren Rande gegen den aschfarbenen Theil hin, erzeugten in der frühesten Zeit schon einige verständige Ansichten über die Unebenheiten der Oberfläche unseres Satelliten. Plutarch in der kleinen, aber sehr merkwürdigen Schrift vom Gesicht im Monde sagt ausdrücklich: daß man in den Flecken theils tiefe Klüfte und Thäler, theils Berggipfel ahnden könne, »welche lange Schatten wie der Athos werfen, der mit dem seinigen Lemnos erreicht«.Plut. Moral. ed. Wyttenb. T. IV. p. 786–789. Der Schatten des Athos, welchen auch der Reisende Pierre Belon gesehen (observations de singularités trouvées en Grèce, Asie etc. 1554, livre I chap. 25) traf die eherne Kuh auf dem Marktplatze der Stadt Myrine auf Lemnos. Die Flecken bedecken ohngefähr 2/5 der ganzen Scheibe. Mit bloßen Augen sind unter günstigen Verhältnissen in der Stellung des Mondes bei der Heiterkeit unserer Atmosphäre erkennbar: der Rücken des Hochlandes der Apenninen, die dunkle Wallebene Grimaldi, das abgeschlossene Mare Crisium, der von vielen Bergrücken und Kratern umdrängte Tycho.Zeugnisse für die Sichtbarkeit dieser vier Gegenstände s. in Beer und Mädler, der Mond S. 241, 338, 191 und 290. Es bedarf kaum einer Erinnerung, daß alles, was die Topographie der Mondfläche betrifft, aus dem vortrefflichen Werke meiner beiden Freunde entlehnt ist: von denen der erste, Wilhelm Beer, uns nur zu früh entrissen wurde. Zur leichteren Orientirung ist das schöne Uebersichtsblatt zu empfehlen, welches Mädler 1837: also 3 Jahre nach der großen, aus 4 Blättern bestehenden Mondkarte, herausgegeben hat. Nicht ohne Wahrscheinlichkeit ist behauptet worden, daß es besonders der Anblick der Apenninen-Kette gewesen sei, welcher die Griechen veranlaßt habe die Mondflecken für Berge zu halten: und dabei, wie eben bemerkt, des Schattens des Athos zu gedenken, welcher in den Solstitien die eherne Kuh auf Lemnos erreichte. Eine andere, sehr phantastische Meinung über die Mondflecken war die, von Plutarch bestrittene, des Agesianax: nach welcher die Mondscheibe, gleich einem Spiegel, die Gestalt und Umrisse unserer Continente und des äußeren 503 (atlantischen) Meeres uns catoptrisch wiedergeben solle. Eine ganz ähnliche Meinung scheint in Vorder-Asien sich als Volksglaube noch erhalten zu haben.Plut. de facie in orbe Lunae p. 726–729 Wyttenb. Diese Stelle ist zugleich nicht ohne Interesse für die alte Geographie; s. Humboldt, Examen critique de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 145. Ueber andere Meinungen der Alten s. Anaxagoras und Democritus in Plut. de plac. Philos. II, 25; Parmenides im Stob. p. 419, 453, 516 und 563 ed. Heeren; Schneider, Eclogae physicae Vol. I. p. 433–443. (Nach einer sehr merkwürdigen Stelle des Plutarch in den Leben des Nicias cap. 42 hat Anaxagoras selbst, der »den bergreichen Mond eine andere Erde« nennt, eine Zeichnung der Mondscheibe entworfen: vergl. auch Origines, Philosophumena cap. 8, ed. Mülleri 1851 p. 14.) – Ich war einst sehr verwundert, einen sehr gebildeten Perser aus Ispahan, welcher gewiß nie ein griechisches Buch gelesen hatte, als ich ihm in Paris die Mondflecken in einem großen Fernrohr zeigte, die im Text erwähnte Hypothese des Agesianax von der Spiegelung als eine in seinem Vaterlande viel verbreitete anführen zu hören. »Was wir dort im Monde sehen«, sagte der Perser, »sind wir selbst; es ist die Karte unserer Erde.« Einer der Interlocutoren des Plutarchischen Mond-Gespräches würde sich nicht anders ausgedrückt haben. – Wenn auf dem luft- und wasserleeren Monde Menschen als Bewohner gedacht werden könnten, so würde sich ihnen an dem fast schwarzen Tageshimmel in 14mal größerer Fläche, als die ist, welche uns der Vollmond zuwendet, die rotirende Erde mit ihren Flecken gleich einer Weltkarte und zwar immer an derselben Stelle darbieten. Die stets wechselnden Verdeckungen und Trübungen unsrer Atmosphäre würden aber dem geographischen Studium etwas hinderlich sein und die Umrisse der Continente verwischen. Vergl. Mädler's Astronomie S. 169 und John Herschel, outlines § 436.
Durch die sorgfältige Anwendung großer Fernröhre ist es allmälig gelungen eine auf wirkliche Beobachtungen gegründete Topographie des Mondes zu entwerfen; und da in der Opposition die halbe Seite des Erd-Satelliten sich ganz und auf einmal unseren Forschungen darstellt, so wissen wir von dem allgemeinen und bloß figürlichen Zusammenhange der Berggruppen im Monde mehr als von der Orographie einer ganzen, das Innere von Afrika und Asien enthaltenden Erdhälfte. Der Regel nach sind die dunkleren Theile der Scheibe die flächeren und niederen; die hellen, viel Sonnenlicht reflectirenden Theile die höheren und gebirgigen. Kepler's alte Bezeichnung beider als Meer und Land ist aber längst aufgegeben; und es wurde schon von Hevel, trotz der ähnlichen durch ihn verbreiteten Nomenclatur, die Richtigkeit der Deutung und des Gegensatzes bezweifelt. Als mit der Anwesenheit von Wasserflächen streitend wird hauptsächlich der Umstand angeführt, daß in den sogenannten Meeren des Mondes die kleinsten Theile sich bei genauer Untersuchung und sehr verschiedener Beleuchtung als völlig uneben, als polyedrisch und eben deshalb viel polarisirtes Licht gebend erweisen. Arago hat gegen die Gründe, welche von den Unebenheiten hergenommen sind, erinnert: daß einige dieser Flächen trotz der Unebenheiten doch einem mit Wasser bedeckten, nicht allzu tiefen Meeresboden zugehören könnten: da auf unserem Planeten der unebene, klippenvolle Boden des Oceans, von einer großen Höhe herab gesehen, (wegen des Uebergewichts des aus der Tiefe aufsteigenden Lichtes über die 504 Intensität desjenigen, welches die Oberfläche des Meeres zurückstrahlt) deutlich gesehen werde (Annuaire du Bureau des Longit. pour 1836 p. 339–343). In den bald erscheinenden Werken meines Freundes, seiner Astronomie und Photometrie, wird die wahrscheinliche Abwesenheit des Wassers auf unserem Satelliten aus anderen, hier nicht zu entwickelnden, optischen Gründen hergeleitet werden. Von den niederen Ebenen finden sich die größeren Flächen in dem nördlichen und östlichen Theile. Die meiste Ausdehnung (90000 geogr. Quadratmeilen) hat unter ihnen der, nicht scharf begrenzte Oceanus Procellarum. Mit dem Mare Imbrium (16000 Quadratmeilen), dem Mare Nubium und einigermaßen mit dem Mare Humorum in Verbindung stehend und inselförmige Berglandschaften (die Riphäen, Kepler, Copernicus und die Karpathen) umgebend: bildet dieser östliche, dunklere Theil der Mondscheibe den entschiedensten Gegensatz zu der lichtstrahlenderen südwestlichen Gegend, in welcher Berge an Berge gedrängt sind.Beer und Mädler S. 273. In der nordwestlichen Region zeigen sich zwei mehr geschlossene und isolirte Becken, das Mare Crisium (3000 Quadratmeilen) und das Mare Tranquillitatis (5800 Q. M.).
Die Farbe dieser sogenannten Meere ist nicht bei allen die graue. Das Mare Crisium hat ein Grau mit Dunkelgrün vermischt, das Mare Serenitatis und Mare Humorum sind ebenfalls grün. Nahe bei dem hercynischen Gebirge zeigt dagegen die isolirte Umwallung Lichtenberg eine blaß-röthliche Farbe, eben so Palus Somnii. Ringflächen ohne Centralberge haben meist eine dunkel stahlgraue, ins Bläuliche spielende Farbe. Die Ursachen dieser so verschiedenen Farbentöne des felsigen Erdreichs oder anderer lockerer Stoffe, die 505 es bedecken, sind überaus räthselhaft. So wie nördlich vom Alpengebirge eine große Wallebene, Plato (bei Hevel Lacus niger major genannt), und noch mehr Grimaldi in der Aequatorial-Gegend und Endymion am nordwestlichen Rande, die drei dunkelsten Stellen der ganzen Mondscheibe sind; so ist Aristarch mit seinen in der Nachtseite bisweilen fast sternartig leuchtenden Punkten die hellste und glänzendste derselben. Alle diese Abwechselungen von Schatten und Licht afficiren eine iodirte Platte, und werden in Daguerreotypen unter starker Vergrößerung mit wunderbarer Treue dargestellt. Ich besitze selbst ein solches Mond-Lichtbild von zwei Zoll Durchmesser, in welchem man die sogenannten Meere und Ringgebirge deutlich erkennt; es ist von einem ausgezeichneten Künstler, Herrn Whipple zu Boston, angefertigt.
Wenn nun schon in einigen der Meere (Crisium, Serenitatis und Humorum) die Kreisform auffallend ist; so wiederholt sich dieselbe noch mehr, ja fast allgemein, in dem gebirgigen Theile der Mondscheibe: besonders in der Gestaltung der ungeheuren Gebirgsmassen, welche die südliche Halbkugel (vom Pole bis gegen den Aequator hin, wo die Masse in eine Spitze ausläuft) erfüllen. Viele der ringförmigen Erhebungen und Wallebenen (die größten haben nach Lohrmann über tausend Quadratmeilen) bilden zusammenhangende Reihen: und zwar in der Meridian-Richtung, zwischen 5° und 40° südlicher Breite.Schumacher's Jahrb. für 1841 S .270. Die nördliche Polargegend enthält vergleichungsweise nur in sehr geringem Maaße diese zusammengedrängten Bergringe. Sie bilden dagegen in dem westlichen Rande der nördlichen Halbkugel zwischen 20 und 50 Grad nördlicher Breite eine zusammenhangende Gruppe. Dem Nordpol selbst nahet sich bis auf wenige Grade das 506 Mare Frigoris; und es bietet derselbe dadurch, wie der ganze ebene nordöstliche Raum, bloß einige isolirte ringförmige Berge (Plato, Mairan, Aristarch, Copernicus und Kepler) umschließend, einen großen Contrast mit dem ganz gebirgigen Südpol. An diesem glänzen hohe Gipfel, im eigentlichsten Sinne des Worts, ganze Lunationen hindurch in ewigem Lichte; es sind wahre Lichtinseln, die schon bei schwacher Vergrößerung erkannt werden.Mädler, Astronomie S. 166.
Als Ausnahmen von diesem, auf dem Monde so allgemein herrschenden Typus kreis- und ringförmiger Gestaltung treten wirkliche Gebirgsketten fast in der Mitte der nördlichen Mondhälfte (Apenninen, Caucasus und Alpen) auf. Sie ziehen sich von Süden gegen Norden, in einen flachen Bogen etwas westlich gekrümmt, durch fast 32 Breitengrade. Zahllose Bergrücken und zum Theil überaus spitze Gipfel drängen sich hier zusammen. Wenige Ringgebirge oder kraterartige Vertiefungen (Conon, Hadley, Calippus) sind eingemengt, und das Ganze gleicht mehr der Gestaltung unserer Bergketten auf der Erde. Die Mond-Alpen, welche an Höhe dem Caucasus und den Apenninen des Mondes nachstehen, bieten ein wunderbar breites Queerthal, das die Kette von SO gegen NW durchschneidet, dar. Es ist von Gipfeln umgeben, welche die Höhe des Pics von Teneriffa übertreffen.
Die relative Höhe der Erhebungen im Verhältniß zu den Durchmessern des Mondes und der Erde giebt das merkwürdige Resultat: daß, da bei dem 4mal kleineren Satelliten die höchsten Gipfel nur 600 Toisen niedriger als die der Erde sind, die Mondberge 1/454, die Berge auf der Erde aber 1/1481 des planetarischen Durchmessers betragen.Höchster Gipfel des Himalaya und (bisher!) der ganzen Erde, Kinchin-junga, nach Wangh's neuerer Messung 4406 Toisen oder 28178 englische Fuß (1,16 einer geogr. Meile); höchster Gipfel der Mondberge nach Mädler 3800 Toisen (genau eine geogr. Meile); Durchmesser des Mondes 454, der der Erde 1718 geogr. Meilen: woraus folgt für den Mond 1/454, für die Erde 1/1481. Unter den 1095 507 bereits gemessenen Höhenpunkten auf dem Monde finde ich 39 höher als den Montblanc (2462 Toisen) und 6 höher als 18000 Pariser Fuß. Die Messungen geschehen entweder durch Licht-Tangenten (durch Bestimmung des Abstandes der in der Nachtseite des Mondes als Lichtpunkte erleuchteten Berggipfel von der Lichtgrenze), oder durch Länge der Schatten. Der ersten Methode bediente sich schon Galilei, wie aus seinem Briefe an den Pater Grienberger über die Montuosità della Luna erhellt.
Nach Mädler's sorgfältigen Bergmessungen mittelst der Länge der Schatten sind die Culminationspunkte des Mondes in absteigender Folge am Südrande, dem Pole sehr nahe, Dörfel und Leibnitz, 3800 Toisen; das Ringgebirge Newton: wo ein Theil der tiefen Aushöhlung nie, weder von der Sonne noch von der Erdscheibe, beschienen wird, 3727 Toisen; Casatus östlich von Newton 3569 T., Calippus in der Caucasus-Kette 3190 T., die Apenninen zwischen 2800 und 3000 T. Es muß hier bemerkt werden, daß bei dem gänzlichen Mangel einer allgemeinen Niveau-Linie (der Ebene gleichen Abstandes von dem Centrum eines Weltkörpers, wie uns auf unserem Planeten die Meeresfläche darbietet) die absoluten Höhen nicht streng unter einander zu vergleichen sind, da die hier gegebenen 6 numerischen Resultate eigentlich nur Unterschiede der Gipfel von den nächsten sie umgebenden Ebenen oder Tiefpunkten ausdrücken.S. für die 6 Höhen, welche 3000 Toisen übersteigen, Beer und Mädler S. 99, 125, 234, 242, 330 und 331. Auffallend ist es immer, daß Galilei die höchsten Mondgebirge ebenfalls »incirca miglia quatro«, also ohngefähr 1 geogr. Meile (3800 T.), schätzte und sie nach dem Maaß seiner hypsometrischen Kenntnisse für höher hielt als alle Berge der Erde.
508 Eine überaus merkwürdige und räthselhafte Erscheinung, welche die Oberfläche unseres Satelliten darbietet, und welche nur optisch einen Licht-Reflex, nicht hypsometrisch eine Höhenverschiedenheit betrifft: sind die schmalen Lichtstreifen, die in schräger Beleuchtung verschwinden, im Vollmonde aber, ganz im Gegensatz mit den Mondflecken, als Strahlen-Systeme am sichtbarsten werden. Sie sind nicht Bergadern, werfen keinen Schatten, und laufen in gleicher Intensität des Lichtes aus den Ebenen bis zu Höhen von mehr als zwölftausend Fuß. Das ausgedehnteste dieser Strahlen-Systeme geht von Tycho aus: wo man mehr als hundert, meistens einige Meilen breite, Lichtstreifen unterscheiden kann. Aehnliche Systeme, welche den Aristarch, Kepler, Copernicus und die Karpathen umgeben, stehen fast alle in Zusammenhang unter einander. Es ist schwer, durch Analogien und Induction geleitet, zu ahnden, welche specielle Veränderung des Bodens diese leuchtenden, von gewissen Ringgebirgen ausgehenden, bandartigen, lichtvollen Strahlen veranlaßt.
Der mehrfach erwähnte, auf der Mondscheibe fast überall herrschende Typus kreisförmiger Gestaltung (in den Wallebenen, die oft Centralberge umschließen; in den großen Ringgebirgen und ihren Kratern: deren in Bayer 22, in Albategnius 33 an einander gedrängt gezählt werden) mußte einen tiefen Denker wie Robert Hooke früh schon veranlassen eine solche Form der Reaction des Inneren des Mondkörpers gegen das Aeußere: »der Wirkung unterirdischer Feuer und elastischer, durchbrechender Dämpfe, ja einer Ebullition in aufbrechenden Blasen« zuzuschreiben. Versuche mit verdickten siedenden Kalk-Auflösungen schienen 509 ihm seine Ansicht zu bestätigen; und die Umwallungen mit ihren Centralbergen wurden damals schon mit »den Formen des Aetna, des Pics von Teneriffa, des Hekla und der von Gage beschriebenen Vulkane von Mexico« verglichen.Robert Hooke, Micrographia 1667 Obs. LX p. 242–246. »These seem to me to have been the effects of some motions within the body of the Moon, analogous to our Earthquakes, by the eruption of which, as it has thrown up a brim or ridge round about, higher than the ambient surface of the Moon, so has it left a hole or depression in the middle, proportionably lower.« Hooke sagt von seinem Versuche mit boyling alabaster: daß »presently ceasing to boyl, the whole surface will appear all over covered with small pits, exactly shap'd like these of the Moon. – The earthy part of the Moon has been undermin'd or heav'd up by eruptions of vapours, and thrown into the same kind of figured holes as the powder of Alabaster. It is not improbable also, that there may be generated, within the body of the Moon, divers such kind of internal fires and heats, as may produce exhalations.«
Den Galilei hatte, wie er selbst erzählt, eine ringförmige Wallebene des Mondes, wahrscheinlich ihrer Größe wegen, an die Gestaltung ganzer mit Bergen umgebener Länder erinnert. Ich habe eine Stelle aufgefundenKosmos Bd. II. S. 508 Anm. 926., in der er jene ringförmigen Wallebenen des Mondes mit dem großen geschlossenen Becken von Böhmen vergleicht. Mehrere der Wallebenen sind in der That nicht viel kleiner; denn sie haben einen Durchmesser von 25 bis 30 geogr. Meilen.Beer und Mädler S. 126. Ptolemäus hat 24, Alphons und Hipparch haben 19 Meilen Durchmesser. Dagegen überschreiten die eigentlichen Ringgebirge im Durchmesser kaum 2 bis 3 Meilen. Conon in den Apenninen hat deren 2; und ein Krater, welcher zu der leuchtenden Mondlandschaft des Aristarch gehört, soll in der Breite gar nur 400 Toisen Durchmesser darbieten: genau die Hälfte des von mir trigonometrisch gemessenen Kraters von Rucu-Pichincha im Hochlande von Quito.
Indem wir hier bei Vergleichungen mit uns wohlbekannten irdischen Naturerscheinungen und Größenverhältnissen verweilen, ist es nöthig zu bemerken, daß der größere Theil der Wallebenen und Ringgebirge des Mondes zunächst als Erhebungs-Krater ohne fortdauernde Eruptions-Erscheinungen im Sinne der Annahme von Leopold von Buch zu betrachten sind. Was wir nach europäischem Maaßstabe groß auf der Erde nennen: die Erhebungs-Krater von Rocca Monfina, Palma, Teneriffa und Santorin; verschwindet freilich gegen Ptolemäus, Hipparch und viele andere des Mondes. Palma giebt nur 3800, Santorin nach Cap. Graves 510 neuer Messung 5200, Teneriffa höchstens 7600 Toisen Durchmesser: also nur 1/8 oder 1/6 der zwei eben genannten Erhebungs-Krater des Mondes. Die kleinen Krater des Pics von Teneriffa und Vesuvs (drei- bis vierhundert Fuß im Durchmesser) würden kaum durch Fernröhre gesehen werden können. Die bei weitem größere Zahl der Ringgebirge hat keinen Centralberg; und wo er sich findet, wird er als domförmig, oder flach (Hevelius, Macrobius), nicht als Eruptions-Kegel mit Oeffnung, beschrieben.Eine Ausnahme sollen machen Arzachel und Hercules: der erste mit einem Krater im Gipfel, der zweite mit einem Seiten-Krater. Diese geognostisch wichtigen Punkte verdienen neue Untersuchung mit vollkommneren Instrumenten (Schröter, selenotopographische Fragmente Th. II. tab. 44 und 68 fig. 23). Von Lavaströmen, die sich in tiefen Punkten anhäufen, ist bisher nie etwas erkannt worden. Die Strahlen, welche vom Aristoteles nach 3 Richtungen ausgehen, sind Hügelketten (Beer und Mädler S. 236). Der brennenden Vulkane, die man in der Nachtseite des Mondes gesehen haben will (4 Mai 1783); der Lichterscheinungen im Plato, welche Bianchini (16 August 1725) und Short (22 April 1751) beobachteten: erwähnen wir hier nur in historischem Interesse, da die Quellen der Täuschung längst ergründet sind, und in dem lebhafteren Reflex des Erdenlichts liegen, welches gewisse Theile der Oberfläche unseres Planeten auf die aschfarbene Nachtseite des Mondes werfen.A. a. O. S. 151; Arago im Annuaire pour 1842 p. 526. (Vergl. auch Immanuel Kant, Schriften der physischen Geographie 1839 S. 393–402.) Einer ähnlichen Täuschung wie die vermeintlichen uns sichtbaren vulkanischen Ausbrüche im Monde gehören an, nach neueren, gründlicheren Untersuchungen, die beobachteten temporären Veränderungen auf der Oberfläche des Mondes (Entstehung neuer Centralberge und Krater im Mare Crisium, in Hevelius und Cleomedes). S. Schröter, selenotopogr. Fragm. Th. I. S. 412–523, Th. II. S. 268–272. – Die Frage: welches die kleinsten Gegenstände seien, deren Höhe oder Ausdehnung bei dem jetzigen Zustande der angewandten Instrumente noch gemessen werden können? ist im allgemeinen schwer zu beantworten. Nach dem Berichte des Dr. Robinson über das herrliche Spiegeltelescop von Lord Rosse erkennt man darin mit großer Klarheit Ausdehnungen von 220 Fuß (80 bis 90 yards). Mädler rechnet, daß in seinen Beobachtungen noch Schatten von 3 Secunden meßbar waren: was, unter gewissen Voraussetzungen über die Lage eines Berges und die Höhe des Sonnenstandes, einer Berghöhe von 120 Fuß zugehören würde. Er macht aber zugleich darauf aufmerksam, daß der Schatten eine gehörige Breite haben müsse, um sichtbar und meßbar zu sein. Der Schatten der großen Pyramide des Cheops würde, nach den bekannten Dimensionen (Flächenausdehnungen) dieses Monuments, selbst im Anfangspunkte kaum 1/9 Secunde breit und also unsichtbar sein. (Mädler in Schumacher's Jahrbuch für 1841 S. 264.) Arago erinnert, daß mit einer Vergrößerung von 6000mal, die ohnedies nicht mit verhältnißmäßigem Erfolge auf den Mond anzuwenden wäre, die Mondberge uns ohngefähr eben so erscheinen würden als mit bloßem Auge der Montblanc vom Genfer See aus.
Man hat schon mehrmals und gewiß mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß bei dem Mangel von Wasser auf dem Monde (auch die Rillen: sehr schmale, meist geradlinige VertiefungenDie Rillen sind nicht häufig, höchstens 30 Meilen lang; bisweilen gegabelt (Gassendi), selten aderartig (Triesnecker); immer leuchtend; nicht queer über Gebirge hinlaufend, nur den ebneren Landschaften eigen; an den Endpunkten durch nichts ausgezeichnet, ohne breiter oder schmaler zu werden. Beer und Mädler S. 131, 225 und 249., sind keine Flüsse) wir uns die Oberfläche desselben ohngefähr so beschaffen vorstellen müssen, wie es die Erde in ihrem primitiven, ältesten Zustande gewesen ist: als dieselbe noch unbedeckt war von muschelreichen Flözschichten, wie von Gerölle und Schuttland, das durch die fortschaffende Kraft der Ebbe und Fluth oder der Strömungen verbreitet worden ist. Sonnen- und Erdfluthen fehlen natürlich da, wo das flüssige Element mangelt; kaum schwache Ueberdeckungen von zerstörten Reibungs-Conglomeraten sind denkbar. In unseren, aus 511 Spaltöffnungen gehobenen Bergketten fängt man allmälig auch an partielle Gruppirungen von Höhen, gleichsam eiförmige Becken bildend, hier und da zu erkennen. Wie ganz anders würde uns die Erdoberfläche erscheinen, wenn dieselbe von den Flöz- und Tertiär-Formationen wie von dem Schuttlande entblößt wäre!
Der Mond belebt und verherrlicht, mehr als alle andere Planeten, durch Verschiedenheit seiner Phasen und durch den schnelleren Wechsel seiner relativen Stellung am Sternenhimmel, unter jeglicher Zone den Anblick des Firmaments; er leuchtet erfreuend dem Menschen und (vornehmlich in den Urwäldern der Tropenwelt) den Thieren des WaldesS. meinen Aufsatz über das nächtliche Thierleben im Urwalde in den Ansichten der Natur (3te Ausg.) Bd. I. S. 334. – Laplace's Betrachtungen (ich möchte sie nicht Vorschläge nennen) zu einem perpetuirlichen Mondscheine (exposition du Système du Monde 1824 p. 232) haben in dem Mém. von Liouville sur un cas particulier du problème des trois corps eine Widerlegung gefunden. »Quelques partisans des causes finales«, sagt Laplace, »ont imaginé que la lune a été donnée à la terre pour l'éclairer pendant les nuits, dans ce cas, la nature n'aurait point atteint le but qu'elle se serait proposé, puisque nous sommes souvent privés à la fois de la lumière du soleil et de celle de la lune. Pour y parvenir, il eût suffi de mettre à l'origine la lune en opposition avec le soleil dans le plan même de l'écliptique, à une distance égale à la centième partie de la distance de la terre an soleil, et de donner à la lune et à la terre des vitesses parallèles et proportionnelles à leurs distances à cet astre. Alors la lune, sans cesse en opposition an soleil, eût décrit autour de lui une ellipse semblable à celle de la terre; ces deux astres se seraient succédé l'un à l'autre sur l'horizon; et comme à cette distance la lune n'eût point été éclipsée, sa lumière aurait certainement remplacé celle du soleil.« Liouville findet dagegen: »que, si la lune avait occupé à l'origine la position particulière que l'illustre auteur de la Mécanique céleste lui assigne, elle n'aurait pu s'y maintenir que pendant un tems très court.«. Der Mond, durch die Anziehungskraft, die er gemeinschaftlich mit der Sonne ausübt, bewegt unsere Oceane, das Flüssige auf der Erde; verändert allmälig durch periodische Anschwellung der Oberfläche und die zerstörenden Wirkungen der Fluth den Umriß der Küsten; hindert oder begünstigt die Arbeit des Menschen; liefert den größten Theil des Materials, aus dem sich Sandsteine und Conglomerate bilden: welche dann wiederum von den abgerundeten, losen Geschieben des Schuttlandes bedeckt sind.On the transporting power of Tides s. Sir Henry de la Beche, Geological Manual 1833 p. 111. So fährt der Mond, als eine der Quellen der Bewegung, fort auf die geognostischen Verhältnisse unseres Planeten zu wirken. Der unbestreitbareArago sur la question de savoir, si la lune exerce sur notre atmosphère une influence appréciable, im Annuaire pour 1833 p. 157–206. Die Hauptgewährsmänner sind: Scheibler (Untersuch. über Einfluß des Mondes auf die Veränderungen in unserer Atmosphäre 1830 S. 20), Flaugergues (zwanzigjährige Beobachtungen in Viviers; Bibl. universelle, Sciences et Arts T. XL. 1829 p. 265–283, und in Kastner's Archiv für die ges. Naturlehre Bd. XVII. 1829 S. 32–50) und Eisenlohr (Poggend. Annalen der Physik Bd. XXXV. 1835 S. 141–160 und 309–329). – Sir John Herschel hält es »für sehr wahrscheinlich, daß auf dem Monde eine sehr hohe Temperatur herrsche (weit über dem Siedepunkt des Wassers), da die Oberfläche 14 Tage lang ununterbrochen und ungemildert der Sonnenwirkung ausgesetzt sei. Der Mond müsse daher in der Opposition oder wenige Tage nachher in einem kleinen Maaße (in some small degree) eine Wärmequelle für die Erde werden; aber diese Wärme, von einem Körper ausströmend, der weit unter der Temperatur eines brennenden Körpers sei (below the temperature of ignition) könne nicht die Erdfläche erreichen: indem sie in den oberen Schichten unseres Luftkreises absorbirt und verbraucht werde, wo sie sichtbares Gewölk in durchsichtigen Dampf verwandle.« Die Erscheinung der schnellen Wolkenzerstreuung durch den Vollmond bei nicht übermäßiger Wolkenbedeckung wird von Sir John Herschel »als eine meteorologische Thatsache« betrachtet, »die (setzt er hinzu) von Humboldt's eigener Erfahrung und dem sehr allgemeinen Glauben spanischer Seefahrer in den amerikanischen Tropenmeeren bekräftigt sei.« S. Report of the 15th meeting of the British Association for the advancement of Sciences 1846, notices p. 5; und outlines of Astronomy p. 261. Einfluß des Satelliten auf Luftdruck, wässrige Niederschläge und Wolkenzerstreuung wird in dem letzten, rein tellurischen Theile des Kosmos behandelt werden.
Mars.
Durchmesser des Planeten nur 0,519 Theile des Erd-Durchmessers (trotz seines schon beträchtlicheren Abstandes von 512 der Sonne) oder 892 geogr. Meilen. Excentricität der Bahn 0,0932168: unter den alten Planeten nächst dem Merkur die stärkste: und auch deshalb, wie durch Nähe zur Erde die geeignetste zu Kepler's großer Entdeckung der planetarischen elliptischen Bahnen. RotationBeer und Mädler, Beiträge zur phys. Kenntniß des Sonnensystems 1841 S. 113, aus Beobachtungen von 1830 und 1832; Mädler, Astronomie 1849 S. 206. Die erste und beträchtliche Verbesserung der Rotationszeit, welche Dominique Cassini 24St 40' gefunden, war die Folge mühevoller Beobachtungen von William Herschel (zwischen 1777 und 1781), welche 24St 39' 21",7 gaben. Kunowsky fand 1821 24St 36' 40", sehr nahe dem Mädler'schen Resultate. Cassini's älteste Beobachtung der Rotation eines Marsfleckens (Delambre, Hist. de l'Astr. mod. T. II. p. 694) scheint bald nach dem Jahre 1670 gewesen zu sein; aber in der sehr seltenen Abhandlung: Kern, diss. de scintillatione stellarum, Wittenb. 1686, § 8, finde ich als die eigentlichen Entdecker der Mars- und Jupiters-Rotationen angeführt: »Salvator Serra und den Pater Aegidius Franciscus de Cottignez, Astronomen des Collegio Romano«. nach Mädler und Wilhelm Beer 24St 37' 23". Siderische Umlaufszeit um die Sonne 1 Jahr 321 Tage 1St 30' 41". Die Neigung der Marsbahn gegen den Erd-Aequator ist 24° 44' 24", die Masse 1/2680337, die Dichtigkeit in Vergleich mit der der Erde 0,958. Wie die große Annäherung des Enckischen Cometen dazu benutzt worden ist die Masse des Merkur zu ergründen, so wird auch die Masse des Mars einst durch die Störungen berichtigt werden, welche der Comet von de Vico durch ihn erleiden kann.
Die Abplattung des Mars, die (sonderbar genug) der große Königsberger Astronom dauernd bezweifelte, ist zuerst von William Herschel (1784) anerkannt worden. Ueber die Quantität dieser Abplattung aber hat lange Ungewißheit geherrscht. Sie wurde angegeben von William Herschel zu 1/16; nach Arago's genauerer MessungLaplace, expos. du Syst. du Monde p. 36. Schröter's sehr unvollkommene Messungen der Durchmesser der Planeten gaben dem Mars eine Abplattung von nur 1/60. mit einem prismatischen Fernrohr von Rochon nur: zuerst (vor 1824) im Verhältniß von 189: 194, d. i. 1/38,8; späterer Messung (1847) zu 1/32; doch ist Arago geneigt die Abplattung noch für etwas größer zu halten.
Wenn das Studium der Mond-Oberfläche an viele geognostische Verhältnisse der Oberfläche unseres Planeten erinnert; so sind dagegen die Analogien, welche Mars mit der Erde darbietet, ganz meteorologischer Art. Außer den dunklen Flecken: von denen einige schwärzlich, andere, aber in sehr geringer Zahl, gelbrothBeer und Mädler, Beiträge S. 111., und von der grünlichen 513 Contrast-Farbe sogenannter SeenSir John Herschel, outlines § 510. umgeben sind; erscheinen auf der Marsscheibe noch: sei es an den Polen, welche die Rotations-Achse bestimmt, sei es nahe dabei an den Kälte-Polen, abwechselnd zwei weiße, schneeglänzende Flecken.Beer und Mädler a. a. O. S. 117–125. Es sind dieselben schon 1716 von Philipp Maraldi wahrgenommen; doch ihr Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen auf dem Planeten ist erst von Herschel dem Vater in dem 74ten Bande der Philosophical Transactions, für 1784, beschrieben worden. Die weißen Flecken werden wechselsweise größer oder kleiner, je nachdem ein Pol sich seinem Winter oder seinem Sommer nähert. Arago hat in seinem Polariscop die Intensität des Lichtes dieser Schnee-Zone des Mars gemessen, und dieselbe zweimal größer als die Lichtstärke der übrigen Scheibe gefunden. In den physikalisch-astronomischen Beiträgen von Mädler und Beer sind vortreffliche graphische DarstellungenMädler in Schumacher's astronomischen Nachrichten No. 192. der Nord- und Süd-Halbkugel des Mars enthalten; und diese merkwürdige, im ganzen Planetensystem einzige Erscheinung ist darin nach allen Veränderungen der Jahreszeiten und der kräftigen Wirkung des Polar-Sommers auf den wegschmelzenden Schnee durch Messungen ergründet worden. Sorgfältige zehnjährige Beobachtungen haben auch gelehrt, daß die dunklen Marsflecken auf dem Planeten selbst ihre Gestalt und relative Lage constant beibehalten. Die periodische Erzeugung von Schneeflecken, als meteorischen, von Temperatur-Wechsel abhängigen Niederschlägen; und einige optische Phänomene, welche die dunklen Flecken darbieten, sobald sie durch die Rotation des Planeten an den Rand der Scheibe gelangen: machen die Existenz einer Mars-Atmosphäre mehr als wahrscheinlich.
514 Die Kleinen Planeten.
Als der Druck des Abschnittes von den Kleinen Planeten schon geendigt war, ist uns erst im nördlichen Deutschlande die Kunde von der Entdeckung eines funfzehnten kleinen Planeten (Eunomia) gekommen. Er ist wiederum von Herrn de Gasparis und zwar am 19 Juli 1851 entdeckt worden. Die Elemente der Eunomia, berechnet von G. Rümker, sind:
Epoche der mittl. Länge | 1851 Oct. 1,0 m. Greenw. Zeit | ||||||||||||||
|
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Umlaufszeit | 1574 Tage. |
Unter dem Namen einer mittleren Gruppe, welche gewissermaßen zwischen Mars und Jupiter eine scheidende Zone für die 4 inneren (Merkur, Venus, Erde, Mars) und die 4 äußeren Hauptplaneten (Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun) unsres Sonnengebietes bildet, haben wir schon in den allgemeinen BetrachtungenKosmos Bd. III. S. 427–429. Vergl. über Chronologie der Entdeckungen der Kleinen Planeten S. 426 und 460; ihr Größen-Verhältniß zu den Meteor-Asteroiden (Acrolithen) S. 432; über Kepler's Vermuthung der Existenz eines Planeten in der großen planetarischen Kluft zwischen Mars und Jupiter: eine Vermuthung, welche jedoch auf keine Weise die Entdeckung des ersten der Kleinen Planeten (der Ceres) veranlaßt hat, S. 439–444 und Anm. 1513–33 S. 483. Der bittere Tadel, welchen man gegen einen hochgeachteten Philosophen ausgesprochen: »weil er zu einer Zeit, in der er Piazzi's Entdeckung allerdings seit 5 Monaten hätte kennen können, sie aber nicht kannte, nicht sowohl die Wahrscheinlichkeit als vielmehr nur die Nothwendigkeit läugnete, daß ein Planet zwischen Mars und Jupiter liege«: scheint mir wenig gerecht. Hegel in seiner im Frühjahr und Sommer 1801 ausgearbeiteten dissertatio de Orbitis Planetarum behandelt die Ideen der Alten von dem Abstande der Planeten; und indem er die Reihung anführt, von der Plato im Timäus (pag. 35 Steph.) spricht: 1.2.3.4.9.8.27 . . . . (vergl. Kosmos Bd. III. S. 477 Anm. 21), läugnet er die Nothwendigkeit einer Kluft. Er sagt bloß: »Quae series si verior naturae ordo sit, quam arithmetica progressio, inter quartum et quintum locum magnum esse spatium, neque ibi planetam desiderari apparet.« (Hegel's Werke Bd. XVI. 1834 S. 28, und Hegel's Leben von Rosenkranz 1844 S. 154.) – Kant in seiner geistreichen Naturgeschichte des Himmels 1755 äußert bloß, daß bei der Bildung der Planeten Jupiter durch seine ungeheure Anziehungskraft an der Kleinheit des Mars schuld sei. Er erwähnt nur einmal und auf eine sehr unbestimmte Weise »der Glieder des Sonnensystems, die weit von einander abstehen und zwischen denen man die Zwischentheile noch nicht entdeckt hat« (Immanuel Kant, sämmtliche Werke Th. VI. 1839 S. 87, 110 und 196). über planetarische Körper die Gruppe der Kleinen Planeten (Asteroiden, Planetoiden, Coplaneten, telescopischen oder Ultra-Zodiacal-Planeten) bezeichnet. Es hat dieselbe den abweichendsten Charakter durch ihre in einander verschlungenen, stark geneigten und übermäßig excentrischen Bahnen; durch ihre außerordentliche Kleinheit: da der Durchmesser der Vesta selbst nicht den 4ten Theil des Durchmessers des Merkur zu erreichen scheint. Als der erste Band des Kosmos 1845 erschien, waren nur 4 der Kleinen Planeten: Ceres, Pallas, Juno und Vesta: entdeckt von Piazzi, Olbers und Harding (1 Jan. 1801 bis 29 März 1807), bekannt; jetzt (im Juli 1851) ist die Zahl der Kleinen Planeten schon auf 14 angewachsen (s. nebenstehenden Zusatz, und über die vielen nachfolgenden einen Zus. in Bd. V]; sie sind der Zahl nach der dritte Theil aller gleichzeitig bekannten 43 planetarischen Körper, d. i. aller Haupt- und Nebenplaneten.
Wenn lange im Sonnengebiete die Aufmerksamkeit der Astronomen auf Vermehrung der Glieder partieller Systeme (der Monde, welche um Hauptplaneten kreisen), und auf die jenseits des Saturn und Uranus in den fernsten Regionen zu entdeckenden Planeten gerichtet war; so bietet jetzt seit dem zufälligen Auffinden der Ceres durch Piazzi und besonders seit dem beabsichtigten Auffinden der Asträa durch Hencke, wie seit der großen Vervollkommnung von 515 SternkartenUeber den Einfluß vervollkommneter Sternkarten auf Entdeckung der Kleinen Planeten s. Kosmos Bd. III. S. 155 und 156. (die der Berliner Akademie enthalten alle Sterne bis zur 9ten und theilweise bis zur 10ten Größe) ein uns näherer Weltraum das reichste, vielleicht unerschöpfliche Feld für astronomische Arbeitsamkeit dar. Es ist ein besonderes Verdienst des astronomischen Jahrbuchs, das in meiner Vaterstadt von Encke, dem Director der Berliner Sternwarte, unter Mitwirkung des Dr. Wolfers, herausgegeben wird, daß darin die Ephemeriden der anwachsenden Schaar von kleinen Planeten mit ganz besonderer Vollständigkeit behandelt werden. Bisher erscheint die der Marsbahn nähere Region allerdings am meisten gefüllt; aber schon die Breite dieser gemessenen Zone ist, »wenn man den Unterschied der Radien-Vectoren in der nächsten Sonnennähe (Victoria) und der weitesten Sonnenferne (Hygiea) ins Auge faßt, beträchtlicher als der Sonnen-Abstand des Mars«.D'Arrest über das System der Kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter 1851 S. 8.
Die Excentricitäten der Bahnen: von denen Ceres, Egeria und Vesta die kleinste; Juno, Pallas und Iris die größte haben: sind, wie die Neigung gegen die Ekliptik, welche von Pallas (34° 37') und Egeria (16° 33') bis Hygiea (3° 47') abnimmt, bereits obenKosmos Bd. III. S. 428 und 456. berührt worden. Es folgt hier eingeschaltet die tabellarische Uebersicht der Elemente der Kleinen Planeten, die ich meinem Freunde, Herrn Dr. Galle, verdanke.
516 Elemente der 14 Kleinen Planeten, für die Zeiten ihrer Oppositionen in der Nähe des Jahres 1851
Flora | Victo- ria |
Vesta | Iris | Metis | Hebe | Par- thenope |
Asträa | Egeria | Irene | Juno | Ceres | Pallas | Hygiea | |
E | 1852 März 24 |
1850 Oct. 0 |
1851 Juni 9 |
1851 Oct. 1 |
1851 Febr. 8 |
1851 Juli 12 |
1851 Oct. 22,0 |
1851 Apr. 29,5 |
1852 Mz. 15,0 |
1851 Juli 1,0 |
1851 Juni 11,5 |
1851 Dec. 30,0 |
1851 Nov. 5,0 |
1851 Sep. 28,5 |
L | 174° 45' | 342° 18' | 256° 38' | 18° 36' | 126° 28' | 311° 39' | 17° 51' | 197° 37' | 162° 29' | 234° 15' | 276° 0' | 105° 33' | 72° 35' | 356° 45' |
π | 32° 51' | 301° 57' | 250° 32' | 41° 22' | 71° 7' | 15° 17' | 317° 5' | 135° 43' | 118° 17' | 179° 10' | 54° 20' | 147° 59' | 121° 23' | 228° 2' |
Ω | 110° 21' | 235° 28' | 103° 22' | 259° 44' | 68° 29' | 138° 31' | 124° 59' | 141° 28' | 43° 18' | 86° 51' | 170° 55' | 80° 49' | 172° 45' | 287° 38' |
i | 5° 53' | 8° 23' | 7° 8' | 5° 28' | 5° 36' | 14° 47' | 4° 37' | 5° 19' | 16° 33' | 9° 6' | 13° 3' | 10° 37' | 34° 37' | 3° 47' |
μ | 1086",04 | 994",51 | 977",90 | 963",03 | 962",58 | 939",65 | 926",22 | 857",50 | 854",96 | 853",77 | 813",88 | 770",75 | 768",43 | 634",24 |
a | 2,2018 | 2,3349 | 2,3612 | 2,3855 | 2,3862 | 2,4249 | 2,4483 | 2,5774 | 2,5825 | 2,5849 | 2,6687 | 2,7673 | 2,7729 | 3,1514 |
e | 0,15679 | 0,21792 | 0,08892 | 0,23239 | 0,12229 | 0,20186 | 0,09789 | 0,18875 | 0,08627 | 0,16786 | 0,25586 | 0,07647 | 0,23956 | 0,10092 |
U | 1193T | 1303T | 1325T | 1346T | 1346T | 1379T | 1399T | 1511T | 1516T | 1518T | 1592T | 1681T | 1687T | 2043T |
Es bedeutet: E Die Epoche der mittleren Länge in mittlerer Berliner Zeit, L die mittlere Länge in der Bahn, π die Länge des Perihels, Ω die Länge des aufsteigenden Knotens, i die Neigung gegen die Ekliptik, μ die mittlere tägliche siderische Bewegung, a die halbe große Achse, e die Excentricität, U die siderische Umlaufszeit in Tagen. – Die Längen beziehen sich auf das Aequinoctium der Epoche.
517 Das gegenseitige Verhalten der Asteroiden-Bahnen und die Aufzählung der einzelnen Bahnpaare ist der Gegenstand scharfsinniger Untersuchungen zuerst (1848) von GouldBenjamin Abthorp Gould (jetzt zu Cambridge, Massachusetts, Verein. St.), Untersuchungen über die gegenseitige Lage der Bahnen zwischen Mars und Jupiter 1848 S. 9–12., ganz neuerlich von d'Arrest geworden. »Es scheint«, sagt der Letztere, »am meisten für die innige Verbindung der ganzen Gruppe kleiner Planeten zu zeugen, daß, wenn man sich die Bahnen in ihren natürlichen Verhältnissen körperlich wie Reifen dargestellt denkt, sie alle dergestalt in einander hangen, daß man vermittelst einer beliebigen die ganze Gruppe herausheben könnte. Wäre Iris, welche Hind im August 1847 auffand, uns zufällig noch unbekannt, wie gewiß noch viele andere Weltkörper in jener Region es sind, so bestände die Gruppe aus zwei gesonderten Theilen: – ein Ergebniß, das um so unerwarteter erscheinen muß, als die Zone weit ist, welche diese Bahnen im Sonnensysteme erfüllen.«D'Arrest a. a. O. S. 30.
Wir können diesen wundersamen Planetenschwarm nicht verlassen, ohne in dieser fragmentarischen Aufzählung der einzelnen Glieder des Sonnengebietes der kühnen Ansicht eines vielbegabten, tiefforschenden Astronomen über den Ursprung der Asteroiden und ihrer einander durchschneidenden Bahnen zu erwähnen. Ein aus den Rechnungen von Gauß gezogenes Ergebniß, daß Ceres bei ihrem aufsteigenden Durchgang durch die Ebene der Pallasbahn diesem letzteren Planeten überaus nahe kommt, leitete Olbers auf die Vermuthung: »es könnten beide Planeten, Ceres und Pallas, Fragmente eines einzigen, durch irgend eine Naturkraft zerstörten, vormals die weite Lücke zwischen Mars und Jupiter ausfüllenden, großen Hauptplaneten sein; und man habe in derselben Region einen Zuwachs von ähnlichen Trümmern, die eine elliptische Bahn um die Sonne beschreiben, zu erwarten.Zach, monatl. Corresp. Bd. VI. S. 88.
518 Die Möglichkeit, die Epoche einer solchen Weltbegebenheit, welche zugleich die Epoche der Entstehung der Kleinen Planeten sein soll, durch Rechnung zu bestimmen: bleibt bei der Verwickelung, welche die jetzt schon bekannte große Zahl der »Trümmer«, die Secular-Verrückungen der Apsiden und die Bewegung der Knotenlinien erzeugen, auch annäherungsweise mehr als zweifelhaft.Gauß a. a. O. Bd. XXVI. S. 299. Olbers bezeichnete die Gegend der Knotenlinie der Ceres- und Pallasbahn als entsprechend dem nördlichen Flügel der Jungfrau und dem Gestirne des Wallfisches. In letzterem wurde allerdings von Harding die Juno, kaum zwei Jahre nach der Entdeckung der Pallas: aber zufällig, bei Construction eines Sterncatalogs, gefunden; in ersterem: nach langem, fünfjährigem, durch die Hypothese geleiteten Suchen, von Olbers selbst die Vesta. Ob diese einzelnen Erfolge hinlänglich sind die Hypothese zu begründen, ist hier nicht der Ort zu entscheiden. Die Cometennebel, in die man anfangs die Kleinen Planeten gehüllt wähnte, sind bei Untersuchungen durch vollkommnere Instrumente verschwunden. Bedeutende Lichtveränderungen, denen die Kleinen Planeten ausgesetzt sein sollten, schrieb Olbers ihrer unregelmäßigen Figur, als »Bruchstücke eines einigen zerstörten Planeten«Herr Daniel Kirkwood (von der Pottsville Academy) hat geglaubt das Unternehmen wagen zu dürfen, den geplatzten Urplaneten nach Art der urweltlichen Thiere aus fragmentarischen Ueberresten wieder herzustellen. Er findet demselben einen Durchmesser größer als Mars (von mehr als 1080 geographischen Meilen), und die langsamste aller Rotationen eines Hauptplaneten: eine Tageslänge von 57½ Stunden. Report of the British Association 1850 p. XXXV., zu.
Jupiter.
Die mittlere Entfernung von der Sonne beträgt 5,202767 in Theilen des Erd-Abstandes vom Centralkörper. Der wahre mittlere Durchmesser dieses größten aller Planeten ist 19294 geogr. Meilen: also gleich 11,255 Erd-Durchmessern, ohngefähr um 1/5 länger als der Durchmesser des ferneren Saturn. Siderischer Umlauf um die Sonne 11J 314T 20St 2' 7".
519 Die Abplattung des Jupiters ist nach den prismatischen Micrometer-Messungen von Arago, welche 1824 in die exposition du Système du Monde (p. 38) übergegangen sind, wie 167 : 177, also 1/17,7; was sehr nahe mit der späteren Arbeit (1839) von Beer und MädlerBeer und Mädler, Beiträge zur phys. Kenntniß der himmlischen Körper S. 104–106. Aeltere und unsichrere Beobachtungen von Hussey gaben sogar 1/24. Laplace (Syst. du Monde p. 266) findet theoretisch bei zunehmender Dichte der Schichten zwischen 1/24 und 5/48. übereinstimmt, welche die Abplattung zwischen 1/18,7 und 1/21,6 fanden. Hansen und Sir John Herschel ziehen 1/14 vor. Die allerfrüheste Beobachtung der Abplattung von Dominique Cassini ist älter als das Jahr 1666, wie ich schon an einem anderen Orte in Erinnerung gebracht. Dieser Umstand hat eine besondre historische Wichtigkeit wegen des Einflusses, welchen nach Sir David Brewster's scharfsinniger Bemerkung die von Cassini erkannte Abplattung auf Newton's Ideen über die Figur der Erde ausgeübt hat. Die Principia Philosophiae Naturalis zeugen dafür; aber die Zeitepochen, in denen diese Principia und Cassini's Beobachtung über den Aequatorial- und Polar-Durchmesser des Jupiter erschienen, konnten chronologische Zweifel erregen.Newton's unsterbliches Werk Philsophiae Naturalis Principia mathematica erschien schon im Mai 1687, und die Schriften der Pariser Akademie enthalten die Anzeige von Cassini's Bestimmung der Abplattung (1/15) erst im Jahr 1691: so daß Newton, der allerdings die Pendel-Versuche zu Cayenne von Richer aus der 1679 gedruckten Reise kennen konnte, die Gestalt des Jupiter durch mündlichen Verkehr und die damals so regsame briefliche Correspondenz muß erfahren haben. Vergl. über dies alles und über des Huygens nur scheinbar frühe Kenntniß der Richer'schen Pendel-Beobachtungen Kosmos Bd. I. S. 420 Anm. 129 und Bd. II. S. 520 Anm. 985.
Da die Jupitersmasse, nach der Sonnenmasse, das wichtigste Element für das ganze Planetensystem ist; so muß ihre genauere Bestimmung in neuerer Zeit durch Störungen der Juno und Vesta, wie durch Elongation der Jupiterstrabanten, besonders des 4tenAiry in den Memoirs of the royal Astronomical Society Vol. IX. p. 7, Vol. X. p. 43. nach Airy (1834), als eine der folgereichsten Vervollkommnungen der rechnenden Astronomie betrachtet werden. Die Masse des Jupiter ist vergrößert gegen früher, die des Merkur dagegen vermindert worden. Es ist die erstere sammt der Masse der vier Jupiterstrabanten 1/1047,870, während sie Laplace noch zu 1/1066,09 angab.Noch im Jahr 1824 (Laplace a. a. O. p. 207).
Die Rotation des Jupiter ist nach Airy 9St 55' 21",3 mittlerer Sonnenzeit. Dominique Cassini hatte dieselbe 520 zuerst 1665 durch einen Flecken, welcher viele Jahre, ja bis 1691, immer von gleicher Farbe und in gleichem Umriß sichtbar warDelambre, Histoire de l'Astronomie moderne T. II. p. 754., zwischen 9h 55' und 9h 56' gefunden. Die meisten dieser Flecken sind von größerer Schwärze als die Streifen des Jupiter. Sie scheinen aber nicht der Oberfläche des Planeten selbst anzugehören: da sie bisweilen, besonders die den Polen näher liegenden, eine andere Rotationszeit als die der Aequatorial-Gegend gegeben haben. Nach einem sehr erfahrnen Beobachter, Heinrich Schwabe in Dessau, sind die dunklen, schärfer begrenzten Flecken mehrere Jahre hinter einander von den beiden den Aequator begrenzenden grauen Gürteln (Streifen) bald dem südlichen, bald dem nördlichen ausschließend eigenthümlich gewesen. Der Proceß der Fleckenbildung ist also räumlich wechselnd. Bisweilen (ebenfalls nach Schwabe's Beobachtungen im November 1834) sind die Jupitersflecken bei einer 280maligen Vergrößerung in einem Fraunhofer'schen Fernrohr kleinen mit einem Hofe umgebenen Kernflecken der Sonne ähnlich. Ihre Schwärze ist aber dann doch geringer als die der Trabanten-Schatten. Der Kern ist wahrscheinlich ein Theil des Jupiterskörpers selbst; und wenn die atmosphärische Oeffnung über demselben Punkte stehen bleibt, so giebt die Bewegung des Fleckens die wahre Rotation. Sie theilen sich auch bisweilen wie Sonnenflecken, was schon Dominique Cassini im Jahr 1665 erkannte.
In der Aequatorial-Zone des Jupiter liegen zwei breite Hauptstreifen oder Gürtel von grauer oder graubrauner Farbe, welche gegen die Ränder blasser werden und endlich ganz verschwinden. Ihre Begrenzungen sind sehr ungleich und veränderlich; beide werden durch einen mittleren, ganz hellen Aequatorial-Streifen geschieden. Auch gegen die beiden Pole hin 521 ist die ganze Oberfläche mit vielen schmaleren, blasseren, öfter unterbrochenen, selbst fein verzweigten, immer dem Aequator parallelen Streifen bedeckt. »Diese Erscheinungen«, sagt Arago, »erklären sich am leichtesten, wenn man eine durch Wolkenschichten theilweise verdichtete Atmosphäre annimmt: in welcher jedoch die über dem Aequator ruhende Region, wahrscheinlich als Folge der Passatwinde, dunstleer und diaphan ist. Weil (wie schon William Herschel in einer Abhandlung annahm, welche im Jahr 1793 in dem 83ten Baude der Philosophical Transactions erschien) die Wolken-Oberfläche ein intensiveres Licht reflectirt als die Oberfläche des Planeten; so muß der Theil des Bodens, welchen wir durch die heitere Luft sehen, minderes Licht haben (dunkler erscheinen) als die, vieles Licht zurückstrahlenden Wolkenschichten. Deshalb wechseln graue (dunkele) und helle Streifen mit einander; die ersteren erscheinen, wenn unter kleinen Winkeln der Visions-Radius des Beobachters schief gegen den Rand des Jupiter gerichtet ist: durch eine größere, dickere Masse und mehr Licht reflectirende Luftschichten gesehen, um so weniger dunkel gefärbt, als sie sich vom Centrum des Planeten entfernen.«»On sait qu'il existe audessus et audessous de l'équateur de Jupiter deux bandes moins brillantes que la surface générale. Si on les examine avec une lunette, elles paraissent moins distinctes à mesure qu'elles s'éloignent du centre, et même elles deviennent tout-à-fait invisibles près des bords de la planète. Toutes ces apparences s'expliquent en admettant l'existence d'une atmosphère de nuages interrompue aux environs de l'équateur par une zone diaphane, produite peut-être par les vents alisés. L'atmosphère de nuages réfléchissant plus de lumière que le corps solide de Jupiter, les parties de ce corps que l'on verra à travers la zone diaphane, auront moins d'éclat que le reste et formeront les bandes obscures. À mesure qu'on s'éloignera du centre, le rayon visuel de l'observateur traversera des épaisseurs de plus en plus grandes de la zone diaphane, en sorte qu'à la lumière réfléchie par le corps solide de la planète s'ajoutera la lumière réfléchie par cette zone plus épaisse. Les bandes seront par cette raison moins obscures en s'éloignant du centre. Enfin aux bords mêmes la lumière réfléchie par la zone vue dans la plus grande épaisseur pourra faire disparaitre la différence d'intensité qui existe entre les quantités de lumière réfléchie par la planète et par l'atmosphère de nuages; on cessera alors d'apercevoir les bandes qui n'existent qu'en vertu de cette différence. – On observe dans les pays de montagnes quelque chose d'analogue: quand on se trouve près d'une forêt de sapin, elle paraît noire; mais à mesure qu'on s'en éloigne, les couches d'atmosphère interposées deviennent de plus en plus épaisses et réfléchissent de la lumière. La différence de teinte entre la forêt et les objets voisins diminue de plus en plus, elle finit par se confondre avec eux, si l'on s'en éloigne d'une distance convenable.« (Aus Arago's Vorträgen über Astronomie 1841.)
Satelliten des Jupiter.
Schon zu Galilei's glänzender Zeit ist die richtige Ansicht entstanden, daß das untergeordnete Planetensystem des Jupiter, vielen Verhältnissen des Raumes und der Zeit nach, ein Bild des Sonnensystems im kleinen darbiete. Diese, damals schnell verbreitete Ansicht, wie die bald darauf entdeckten Phasen der Venus (Februar 1610) haben viel dazu beigetragen dem copernicanischen Systeme allgemeineren Eingang zu verschaffen. Die Vierzahl der Trabanten des 522 Jupiter ist die einzige Trabantenzahl der äußeren Hauptplaneten, welche (seit der Epoche der ersten EntdeckungKosmos Bd. II. S. 357–359 und 509 Anm. 927. durch Simon Marius, am 29 December 1609) in fast drittehalbhundert Jahren keine neuere Entdeckung vermehrt hat.
Die folgende Tabelle enthält nach Hansen die siderischen Umlaufszeiten der Satelliten des Jupiter, ihre mittlere Entfernungen, im Halbmesser des Hauptplaneten ausgedrückt, ihre Durchmesser in geographischen Meilen und ihre Massen als Theile der Jupitermasse:
Satelliten | Umlaufszeit | Entfernung vom Jupiter |
Durchmesser in geogr. Meilen |
Masse | |||
1 | 1T | 18St | 28' | 6,049 | 529 | 0,0000173281 | |
2 | 3T | 13St | 14' | 9,623 | 475 | 0,0000232355 | |
3 | 7T | 3St | 43' | 15,350 | 776 | 0,0000884972 | |
4 | 16T | 16St | 32' | 26,998 | 664 | 0,0000426591 |
Wenn 1/1047,879 die Masse des Jupiter und der Trabanten ausdrückt, so ist die Masse des Hauptplaneten ohne die Trabanten, 1/1048,059, nur um etwa 1/6000 kleiner.
Die Vergleichungen der Größen, Abstände und Excentricität mit anderen Satelliten-Systemen sind bereits oben (Kosmos Bd. III. S. 461–463) gegeben worden. Die Licht-Intensität der Jupiterstrabanten ist verschiedenartig und nicht ihrem Volum proportional: da der Regel nach der dritte und der erste, deren Größen-Verhältniß nach den Durchmessern wie 8 : 5 ist, am hellsten erscheinen. Der kleinste und dichteste von allen, der zweite, ist gewöhnlich heller als der größere, vierte: welchen man den lichtschwächsten zu 523 nennen pflegt. Zufällige (temporäre) Schwankungen der Licht-Intensität, die auch bemerkt werden, sind bald Veränderungen der Oberfläche, bald Verdunkelungen in der Atmosphäre der Jupitersmonde zugeschrieben worden.Sir John Herschel, outlines § 540. Sie scheinen übrigens wohl alle ein intensiveres Licht als der Hauptplanet zu reflectiren. Wenn die Erde zwischen Jupiter und der Sonne steht: und die Satelliten also, sich von Osten nach Westen bewegend, scheinbar in den östlichen Rand des Jupiter eintreten; so verdecken sie uns in ihrer Bewegung nach und nach einzelne Theile der Scheibe des Hauptplaneten, und werden schon bei nicht starker Vergrößerung erkannt, indem sie sich leuchtend abheben von jener Scheibe. Die Sichtbarkeit des Satelliten wird um so schwieriger, je mehr er sich dem Centrum des Jupiter nähert. Aus dieser, früh bemerkten Erscheinung hat schon Pound, Newton's und Bradley's Freund, geschlossen, daß gegen den Rand hin die Jupitersscheibe weniger Licht habe als das Centrum. Arago glaubt, daß diese, von Messier wiederholte Behauptung Schwierigkeiten darbietet, welche erst durch neue und feinere Beobachtungen gelöst werden können. Jupiter ist ohne alle Satelliten gesehen worden von Molineux im November 1681, von Sir William Herschel am 23 Mai 1802, und zuletzt von Griesbach am 27 September 1843. Eine solche Nicht-Sichtbarkeit der Satelliten bezieht sich aber nur auf den Raum außerhalb der Jupitersscheibe; und steht nicht dem Theorem entgegen, daß alle vier Satelliten nie gleichzeitig verfinstert werden können.
Saturn.
Die siderische oder wahre Umlaufszeit des Saturn ist 29 Jahre 166 Tage 23 Stunden 16' 32". Sein mittlerer 524 Durchmesser ist 15507 geogr. Meilen, gleich 9,022 Erd-Durchmessern. Die Rotation, aus den Beobachtungen einiger dunkler Flecken (knotenartiger Verdichtungen der Streifen) auf der Oberfläche geschlossenDie frühesten, sorgfältigen Beobachtungen von William Herschel im November 1793 gaben für die Rotation des Saturn 10h 16' 44". Mit Unrecht ist dem großen Weltweisen Immanuel Kant zugeschrieben worden, er habe in seiner geistreichen allgemeinen Naturgeschichte des Himmels 40 Jahre vor Herschel nach theoretischen Betrachtungen die Rotationszeit des Saturn errathen. Die Zahl, die er angiebt, ist 6h 23' 53". Er nennt seine Bestimmung »die mathematische Berechnung einer unbekannten Bewegung eines Himmelskörpers, welche vielleicht die einzige Vorherverkündigung ihrer Art in der eigentlichen Naturlehre ist und von den Beobachtungen künftiger Zeiten die Bestätigung erwartet«. Diese Bestätigung des Geahndeten ist gar nicht eingetroffen; Beobachtungen haben einen Irrthum von 2/5 des Ganzen, d. i. von 4 Stunden, offenbart. Von dem Ringe des Saturn wird in derselben Schrift gesagt: daß »in der Anhäufung von Theilchen. welche ihn bilden, die des inwendigen Randes ihren Lauf in 10 Stunden, die des auswendigen Randes ihn in 15 Stunden verrichten«. Die erste dieser Ring-Zahlen steht allein der beobachteten Rotationszeit des Planeten (10h 29' 17") zufällig nahe. Vergl. Kant, sämmtliche Werke Th. VI. 1839 S. 135 und 140., ist 10St 29' 17". Einer so großen Geschwindigkeit der Umdrehung um die Achse entspricht die starke Abplattung. William Herschel bestimmte sie schon 1776 zu 1/10,4; Bessel fand nach dreijährigen und mehr unter einander übereinstimmenden Beobachtungen in der mittleren Entfernung den Polar-Durchmesser zu 15",381; den Aequatorial-Durchmesser zu 17",053: also eine AbplattungLaplace (exposition du Système du Monde p. 43) schätzt die Abplattung 1/11. Die sonderbare Abweichung des Saturn von der sphäroidalen Figur: nach welcher William Herschel durch eine Reihe mühevoller, und noch dazu mit sehr verschiedenen Fernröhren angestellter Beobachtungen die größte Axe des Planeten nicht im Aequator selbst, sondern in einem den Aequatorial-Durchmesser unter einem Winkel von ohngefähr 45° schneidenden Durchmesser fand; ist durch Bessel nicht bestätigt, sondern irrig befunden worden. von 1/10,2. Der Körper des Planeten hat ebenfalls bandartige Streifen: die aber weniger sichtbar, wenn gleich etwas breiter als die des Jupiter sind. Der constanteste derselben ist ein grauer Aequatorial-Streifen. Auf diesen folgen mehrere andere, aber mit wechselnden Formen: was auf einen atmosphärischen Ursprung deutet. William Herschel hat sie nicht immer dem Saturnsringe parallel gefunden; sie reichen auch nicht bis zu den Polen hin. Die Gegend um die Pole zeigt, was sehr merkwürdig, einen Wechsel in der Licht-Reflexion, welcher von den Jahreszeiten auf dem Saturn abhängig ist. Die Polar-Region wird nämlich im Winter heller leuchtend: eine Erscheinung, welche an die wechselnde Schnee-Region des Mars erinnert und schon dem Scharfblick von William Herschel nicht entgangen war. Sei nun eine solche Zunahme der Licht-Intensität der temporären Entstehung von Eis und Schnee, oder einer außerordentlichen Anhäufung von Wolken zuzuschreiben: immer deutet sie auf Wirkungen von Temperatur-Veränderungen, auf eine Atmosphäre.Arago, Annuaire pour 1842 p. 555.
Die Masse des Saturn haben wir bereits oben zu 1/3501,6 525 angegeben; sie läßt bei dem ungeheuren Volum des Planeten (sein Durchmesser ist 4/5 des Durchmessers des Jupiter) auf eine sehr geringe und gegen die Oberfläche abnehmende Dichtigkeit schließen. Bei einer ganz homogenen Dichtigkeit (76/100 von der des Wassers) würde die Abplattung noch stärker sein.
In der Ebene seines Aequators umgeben den Planeten wenigstens zwei frei schwebende, in einer und derselben Ebene liegende, überaus dünne Ringe. Sie haben eine größere Intensität des Lichts als Saturn selbst, und der äußere Ring ist noch heller als der innere.Auch dieser Unterschied der Licht-Intensität des äußeren und inneren Ringes ist bereits von Dominicus Cassini angegeben worden (Mémoires de l'Académie des Sciences Année 1715 p. 13). Die Theilung des, von Huygens 1655 als eines einigen erkanntenKosmos Bd. II. S. 359. Die Veröffentlichung der Entdeckung: oder vielmehr der vollständigen Erklärung aller Erscheinungen, welche Saturn und sein Ring darbieten, geschah erst vier Jahre später: im Jahr 1659, im Systema Saturnium. Ringes wurde wohl schon von Dominique Cassini 1675 gesehen, aber zuerst von William Herschel (1789–1792) genau beschrieben. Den äußeren Ring hat man seit Short mehrfach durch feinere Streifen abgetheilt gefunden, aber diese Linien oder Streifen sind nie sehr constant gewesen. Ganz neuerlich, in den letzten Monaten des Jahres 1850, haben Bond in Cambridge (V. St. von Amerika) durch den großen Refractor von Merz (mit 14zölligem Objective) am 11 November, Dawes bei Maidstone in England am 25 November, also nahe gleichzeitig, zwischen dem zweiten, bisher so genannten inneren Ringe und dem Hauptplaneten einen dritten, sehr matten und lichtschwachen, dunkleren Ring entdeckt. Er ist durch eine schwarze Linie von dem zweiten getrennt, und füllt den dritten Theil des Raumes aus, welchen man zwischen dem zweiten Ringe und dem Körper des Planeten bisher als leer angab und durch welchen Derham kleine Sterne will gesehen haben.
Die Dimensionen des getheilten Saturnsringes sind von Bessel und Struve bestimmt worden. Nach dem Letzteren erscheint uns der äußere Durchmesser des äußersten Ringes in der mittleren 526 Entfernung des Saturn unter einem Winkel von 40",09, gleich 38300 geogr. Meilen; der innere Durchmesser desselben Ringes unter einem Winkel von 35",29, gleich 33700 geogr. Meilen. Für den äußeren Durchmesser des inneren (zweiten) Ringes erhält man 34",47; für den inneren Durchmesser desselben Ringes 26",67. Den Zwischenraum, welcher den letztgenannten Ring von der Oberfläche des Planeten trennt, setzt Struve zu 4",34. Die ganze Breite des ersten und zweiten Ringes ist 3700 Meilen; die Entfernung des Ringes von der Oberfläche des Saturn ohngefähr 5000 Meilen; die Kluft, welche den ersten Ring von dem zweiten trennt und welche der von Dominicus Cassini gesehene schwarze Theilungsstrich bezeichnet, nur 390 Meilen. Von der Dicke dieser Ringe glaubt man, daß sie nicht 20 Meilen übersteige. Die Masse der Ringe ist nach Bessel 1/118 der Saturnsmasse. Sie bieten einzelne ErhöhungenSolche bergartige Unebenheiten hat neuerlichst wieder Lassell in Liverpool in einem selbstfabricirten 20füßigen Spiegeltelescop erkannt: Report of the British Association 1850 p. XXXV. und Ungleichheiten dar, durch welche man annäherungsweise ihre Umdrehungszeit (der des Planeten vollkommen gleich) hat beobachten können. Die Unregelmäßigkeiten der Form offenbaren sich bei dem Verschwinden des Ringes, wo gewöhnlich der eine Henkel früher als der andere unsichtbar wird.
Eine sehr merkwürdige Erscheinung ist die von Schwabe zu Dessau im Sept. 1827 entdeckte, excentrische Lage des Saturn. Der Saturnsring ist nicht concentrisch mit der Kugel selbst, sondern Saturn liegt im Ringe etwas westlich. Diese Beobachtung ist von Harding, StruveVergl. Harding's kleine Ephemeriden für 1835 S. 100 und Struve in Schumacher's astronomischen Nachrichten No. 139 S. 389., John Herschel und South (theilweise durch micrometrische Messungen) bestätigt worden. Kleine, periodisch scheinende Verschiedenheiten in der Quantität der Excentricität: die sich aus Reihen correspondirender Beobachtungen von Schwabe, Harding und 527 de Vico in Rom ergeben, sind vielleicht in Oscillationen des Schwerpunkts des Ringes um den Mittelpunkt des Saturn gegründet. Auffallend ist, daß schon am Ende des 17ten Jahrhunderts ein Geistlicher, Gallet zu Avignon, ohne Erfolg versucht hatte die Astronomen seiner Zeit auf die excentrische Lage des Saturn aufmerksam zu machen.Man liest in den Actis Eruditorum pro anno 1684 p. 424 als Auszug aus dem Systema phaenomenorum Saturni autore Galletio, proposito eccl. Avenionensis: »Nonnunquam corpus Saturni non exacte annuli medium obtinere visum fuit. Hinc evenit, ut, quum planeta orientalis est, centrum ejus extremitati orientali annuli propius videatur, et major pars ab occidentali latere sit cum ampliore obscuritate.« Bei der so überaus geringen und nach der Oberfläche abnehmenden Dichtigkeit des Saturn (vielleicht kaum 3/5 der Dichtigkeit des Wassers) ist es schwer sich eine Vorstellung von dem Molecular-Zustande oder der materiellen Beschaffenheit des Planetenkörpers zu machen; oder gar zu entscheiden, ob diese Beschaffenheit wirkliche Flüssigkeit, d. h. Verschiebbarkeit der kleinsten Theile, oder Starrheit (nach der so oft angeführten Analogie von Tannenholz, Bimsstein, Kork oder eines erstarrten Flüssigen, des Eises) voraussetze. Der Astronom der Krusenstern'schen Expedition, Horner, nennt den Saturnsring einen Wolkenzug; er will, daß die Berge des Saturn aus Dampfmassen und Dunstbläschen bestehen.Horner in Gehler's neuem physikalischen Wörterbuch Bd. VIII. 1836 S. 174. Die Conjectural-Astronomie treibt hier ein freies und erlaubtes Spiel. Ganz anderer Art sind die ernsten, auf Beobachtung und analytischen Calcul gegründeten Speculationen über die Möglichkeit der Stabilität des Saturnsringes von zwei ausgezeichneten amerikanischen Astronomen, Bond und Peirce.Benjamin Peirce on the constitution of Saturn's Ring in Gould, Astron. Journal 1851 Vol. II. p. 16. »The Ring consists of a stream or of streams of a fluid rather denser than water flowing around the primary.« Vergl. auch Silliman's American Journal, 2d Ser. Vol. XII. 1851 p. 99; und über die Unebenheiten des Ringes, wie über störende und deshalb erhaltende Einwirkungen der Satelliten John Herschel, outlines of Astronomy p. 320. Beide stimmen für das Resultat der Flüssigkeit, wie für fortdauernde Veränderlichkeit in der Gestalt und Theilbarkeit des äußeren Ringes. Die Erhaltung des Ganzen ist von Peirce als von der Einwirkung und Stellung der Satelliten abhängig betrachtet worden: weil ohne diese Abhängigkeit, auch bei Ungleichheiten im Ringe, sich das Gleichgewicht nicht würde erhalten können.
528 Satelliten des Saturn.
Die fünf ältesten Saturnstrabanten wurden entdeckt zwischen den Jahren 1655 und 1684 (Titan, der 6te im Abstande, von Huygens; und 4 von Cassini, nämlich: Japetus, der äußerste aller; Rhea, Tethys und Dione). Aus die 5 ältesten Satelliten folgte 1789 die Entdeckung von zweien, dem Hauptplaneten am nächsten stehenden, Mimas und Enceladus, durch William Herschel. Der 7te Satellit, Hyperion, endlich, der vorletzte im Abstande, wurde von Bond zu Cambridge (Verein. St.) und von Lassell zu Liverpool im Sept. 1848 fast gleichzeitig aufgefunden. Ueber die relative Größe und Verhältnisse der Abstände in diesem Partial-Systeme ist schon früher verhandelt (Kosmos Bd. I. S. 102 und Bd. III. S. 463). Die Umlaufszeiten und mittleren Entfernungen, letztere in Theilen des Aequatorial-Halbmessers des Saturn ausgedrückt, sind nach den Beobachtungen, die Sir John Herschel am Vorgebirge der guten HoffnungSir John Herschel, results of Astronomical Observations at the Cape of Good Hope p. 414–430; derselbe in den outlines of Astronomy p. 650, und über das Gesetz der Abstände § 550. zwischen 1835 und 1837 angestellt, folgende:
Satelliten nach Zeit der Entdeckung |
Satelliten nach Abständen |
Umlaufszeit | mittlere Entfernung |
||||
f | 1. Mimas | 0T | 22St | 37' | 22",9 | 3,3607 | |
g | 2. Enceladus | 1T | 8St | 53' | 6",7 | 4,1325 | |
e | 3. Tethys | 1T | 21St | 18' | 25",7 | 5,3396 | |
d | 4. Dione | 2T | 17St | 41' | 8",9 | 6,8398 | |
c | 5. Rhea | 4T | 12St | 25' | 10",8 | 9,5528 | |
a | 6. Titan | 15T | 22St | 41' | 25",2 | 22,1450 | |
h | 7. Hyperion | 22T | 12St | ? | 28,0000 | ? | |
b | 8. Japetus | 79T | 7St | 53' | 40",4 | 64,3500 |
529 Zwischen den ersten vier, dem Saturn nächsten Satelliten zeigt sich ein merkwürdiges Verhältniß der Commensurabilität der Umlaufszeiten. Die Periode des 3ten Satelliten (Tethys) ist das Doppelte von der des 1ten (Mimas), der 4te Satellit (Dione) hat die doppelte Umlaufszeit des 2ten (Enceladus). Die Genauigkeit geht bis auf 1/800 der längeren Periode. Dieses, nicht beachtete Resultat ist mir bereits im November 1845 in Briefen von Sir John Herschel mitgetheilt worden. Die vier Trabanten des Jupiter zeigen eine gewisse Regelmäßigkeit in den Abständen: sie bieten ziemlich nahe die Reihe 3 . 6 . 12 dar. Der 2te ist vom 1ten in Halbmessern des Jupiter entfernt 3,6; der 3te vom 2ten 5,7; der 4te vom 3ten 11,6. Das sogenannte Gesetz von Titius haben dazu Fries und Challis in allen Satelliten-Systemen, selbst in dem des Uranus, nachzuweisen versucht.Fries, Vorlesungen über die Sternkunde 1833 S. 325; Challis in den Transactions of the Cambridge Philosophical Society Vol. III. p. 171.
Uranus.
Die anerkannte Existenz dieses Weltkörpers, die große Entdeckung von William Herschel, hat nicht bloß die Zahl der seit Jahrtausenden allein bekannten sechs Hauptplaneten zuerst vermehrt und den Durchmesser des planetarischen Sonnengebietes mehr als verdoppelt: sie hat auch durch die Störungen, welche Uranus aus lange unbekannter Ferne erlitt, nach 65 Jahren zu der Entdeckung des Neptun geleitet. Uranus wurde zufällig (13 März.1781) bei der Untersuchung einer kleinen Sterngruppe in den Zwillingen durch seine kleine Scheibe erkannt, welche unter Vergrößerungen von 460- und 932mal weit mehr zunahm, als es der Fall war bei anderen, daneben stehenden Sternen. Auch bemerkte 530 der scharfsinnige, mit allen optischen Erscheinungen so vertraute Entdecker, daß die Licht-Intensität bei starker Vergrößerung in dem neuen Weltkörper beträchtlich abnahm, während sie bei den Fixsternen gleicher (6ter bis 7ter Größe) dieselbe blieb.
Herschel nannte den Uranus, als er seine Existenz anfangsWilliam Herschel, Account of a Comet, in den Philos. Transact. for 1781 Vol. LXXI. p. 492. verkündigte, einen Cometen; und erst die vereinten Arbeiten von Saron, Lexell, Laplace und Méchain, welche durch des verdienstvollen Bode's Auffindung (1784) älterer Beobachtungen des Gestirns von Tobias Mayer (1756) und Flamsteed (1690) ungemein erleichtert wurden, haben die elliptische Bahn des Uranus und seine ganz planetarischen Elemente bewundernswürdig schnell festgestellt. Die mittlere Entfernung des Uranus von der Sonne ist nach Hansen 19,18239 oder 396½ Million geogr. Meilen, seine siderische Umlaufszeit 84 Jahre 5T 19St 41' 36", seine Neigung gegen die Ekliptik 0° 46' 28", der scheinbare Durchmesser in der mittleren Entfernung von der Erde 9",9. Seine Masse, welche die ersten Trabanten-Beobachtungen zu 1/17918 bestimmt hatten, ergiebt sich nach Lamont's Beobachtung nur zu 1/24605; danach fiele seine Dichtigkeit zwischen die des Jupiter und des Saturn.Kosmos Bd. III. S. 445. Eine Abplattung des Uranus wurde schon von Herschel, als derselbe Vergrößerungen von 800- bis 2400mal anwandte, vermuthet. Nach Mädler's Messungen in den Jahren 1842 und 1843 würde sie zwischen 1/10,7 und 1/9,9 zu fallen scheinen.Mädler in Schumacher's astron. Nachrichten No. 493. (Vergl. über die Abplattung des Uranus Arago, Annuaire pour 1842 p. 577–579.) Daß die anfangs vermutheten zwei Ringe des Uranus eine optische Täuschung waren, ist von dem, immer so vorsichtig und ausdauernd prüfenden Entdecker selbst erkannt worden.
531 Satelliten des Uranus.
Nach einer freundschaftlichen Mittheilung von Sir John Herschel (8 Nov. 1851) hat Herr Lassell am 24, 28, 30 Oct. und 2 Nov. des vorgenannten Jahres zwei Uranus-Satelliten deutlich beobachtet, die dem Hauptplaneten noch näher zu liegen scheinen als der erste Satellit von Sir William Herschel: welchem dieser eine Umlaufszeit von ungefähr 5 Tagen und 21 Stunden zuschreibt, welcher aber nicht erkannt wurde. Die Umlaufszeiten der beiden jetzt von Lassell gesehenen Uranus-Trabanten waren nahe an 4 und 2½ Tage.
»Uranus«, sagt Herschel der Sohn, »ist von 4, wahrscheinlich von 5 oder 6 Satelliten umgeben.« Es bieten dieselben eine große, bisher noch nirgends im Sonnensysteme aufgefundene Eigenthümlichkeit dar: die nämlich, daß, wenn alle Satelliten (der Erde, des Jupiter, des Saturn), wie auch alle Hauptplaneten sich von West nach Ost bewegen und, einige Asteroiden abgerechnet, nicht viel gegen die Ekliptik geneigt sind; die, fast ganz kreisförmige Bahn der Uranus-Trabanten unter einem Winkel von 78° 58', also nahe senkrecht, auf der Ekliptik steht, und die Trabanten selbst sich von Ost nach West bewegen. Bei den Satelliten des Uranus, wie bei denen des Saturn, sind wohl zu unterscheiden die Reihung und Nomenclatur der Zählung nach Maaßgabe der Abstände vom Hauptplaneten, und die Reihung nach Maaßgabe der Epochen der Entdeckung. [S. nebenstehenden Zusatz] Von den Uranus-Satelliten wurden zuerst durch William Herschel aufgefunden (1787) der 2te und 4te, dann (1790) der 1te und 5te, zuletzt (1794) der 6te und 3te. In den 56 Jahren, welche seit der letzten Entdeckung eines Uranus-Satelliten (des 3ten) verflossen sind, ist oft und mit Ungerechtigkeit an der Existenz von 6 Uranus-Trabanten gezweifelt worden; Beobachtungen der letzten 20 Jahre haben allmälig erwiesen, wie zuverlässig der große Entdecker von Slough auch in diesem Theile der planetarischen Astronomie gewesen ist. Es sind bisher wiedergesehen worden der 1te, 2te, 4te und 6te Satellit des Uranus. Vielleicht darf man auch den 3ten hinzusetzen, nach der Beobachtung Lassell's vom 6 Nov. 1848. Wegen der großen Oeffnung seines Spiegeltelescops und der dadurch erlangten Lichtfülle hielt Herschel der Vater, bei der 532 Schärfe seines Gesichts, unter günstigen Luftverhältnissen schon eine Vergrößerung von 157mal für hinlänglich; der Sohn schreibt für diese so überaus kleinen Lichtscheiben (Lichtpunkte) im allgemeinen eine 300malige Vergrößerung vor. Der 2te und 4te Satellit sind am frühesten, sichersten und häufigsten wiedergesehen worden von Sir John Herschel in den Jahren 1828 bis 1834 in Europa und am Vorgebirge der guten Hoffnung, später von Lamont in München und Lassell in Liverpool. Der 1te Satellit des Uranus wurde von Lassell (14 Sept. bis 9 Nov. 1847) und von Otto Struve (8 Oct. bis 10 Dec. 1847), der äußerste (6te) von Lamont (1 Oct. 1837) aufgefunden. Noch gar nicht wiedergesehen scheint der 5te, nicht befriedigend genug der 3te Satellit.Vergl. für die Beobachtungen von Lassell zu Starfield (Liverpool) und von Otto Struve Monthly Notices of the Royal Astron. Soc. Vol. VIII. 1848 p. 43–47 und 135–139, auch Schum. astr. Nachr. No. 623 S. 365. Die hier zusammengestellten Einzelheiten sind auch deshalb nicht ohne Wichtigkeit, weil sie von neuem zu der Vorsicht anregen sogenannten negativen Beweisen nicht zu viel zu trauen.
Neptun.
Das Verdienst, eine umgekehrte Störungs-Aufgabe (die: »aus den gegebenen Störungen eines bekannten Planeten die Elemente des unbekannten störenden herzuleiten«) erfolgreich bearbeitet und veröffentlicht, ja durch eine kühne Vorherverkündigung die große Entdeckung des Neptun von Galle am 23 September 1846 veranlaßt zu haben; gehört der scharfsinnigen Combinationsgabe, der ausdauernden Arbeitsamkeit von le Verrier.Bernhard von Lindenau, Beitrag zur Geschichte der Neptuns-Entdeckung, im Ergänzungs-Heft zu Schumacher's astron. Nachrichten 1849 S. 17. Es ist, wie Encke sich ausdrückt, die glänzendste unter allen Planeten-Entdeckungen: weil rein theoretische Untersuchungen die Existenz und den Ort des neuen Planeten haben voraussagen lassen. Die so schnelle Auffindung selbst ist durch die vortreffliche akademische Berliner Sternkarte von Bremiker begünstigt worden.Astronomische Nachrichten No. 580.
533 Wenn unter den Abständen der äußeren Planeten von der Sonne der Abstand des Saturn (9,53) fast doppelt so groß als der des Jupiter (5,20), der Abstand des Uranus (19,18) aber mehr als das Doppelte von dem des Saturn ist; so fehlen dagegen dem Neptun (30,04) zur abermaligen (dritten) Verdoppelung der Abstände noch volle 10 Erdweiten, d. i. ein ganzes Drittel von seinem Sonnen-Abstande. Die planetarische Grenze ist dermalen 621 Millionen geographischer Meilen von dem Centralkörper entfernt; durch die Entdeckung des Neptun ist der Markstein unseres planetarischen Wissens um mehr als 223 Millionen Meilen (über 10,8 Abstände der Sonne von der Erde) weiter gerückt. Je nachdem man die Störungen erkennt, welche der jedesmalige letzte Planet erleidet, werden so allmälig andere und andere Planeten entdeckt werden, bis diese wegen ihrer Entfernung aufhören unsren Fernröhren sichtbar zu sein.Le Verrier, recherches sur les mouvemens de la Planète Herschel 1846 in der Connaissance des temps pour l'an 1849 p. 254.
Nach den neuesten Bestimmungen ist die Umlaufszeit des Neptun 60126,7 Tage oder 164 Jahre und 226 Tage, und seine halbe große Axe 30,03628. Die Excentricität seiner Bahn, nächst der der Venus die kleinste, ist 0,00871946; seine Masse 1/14446; sein scheinbarer Durchmesser nach Encke und Galle 2",70, nach Challis sogar 3",07: was die Dichtigkeit im Verhältniß zu der der Erde zu 0,230, also größer als die des Uranus (0,178), giebt.Das, sehr wichtige Element der Masse des Neptun ist allmälig gewachsen von 1/20897 nach Adams, 1/19840 nach Peirce, 1/19400 nach Bond und 1/18780 nach John Herschel, 1/15480 nach Lassell auf 1/14446 nach Otto und August Struve. Das letzte, Pulkowaer Resultat ist in den Text aufgenommen worden.
Dem Neptun wurde, bald nach der ersten Entdeckung durch Galle, von Lassell und Challis ein Ring zugeschrieben. Der Erstere hatte eine Vergrößerung von 567mal angewandt, und versucht die große Neigung des Ringes gegen die Ekliptik zu bestimmen; aber spätere Untersuchungen haben bei 534 Neptun, wie lange vorher bei Uranus, den Glauben an einen Ring vernichtet.
Ich berühre aus Vorsicht kaum in diesem Werke die, allerdings früheren, aber unveröffentlichten und durch einen anerkannten Erfolg nicht gekrönten Arbeiten des so ausgezeichneten und scharfsinnigen englischen Geometers, Herrn J. C. Adams von St. John's College zu Cambridge. Die historischen Thatsachen, welche sich auf diese Arbeiten und auf le Verrier's und Galle's glückliche Entdeckung des neuen Planeten beziehn, sind in zwei Schriften: von dem Astronomer royal Airy und von Bernhard von Lindenau, umständlich, partheilos und nach sicheren Quellen entwickelt worden.Airy in den Monthly Notices of the royal Astr. Soc. Vol. VII. No. 9 (Nov. 1846) p. 121–152; Bernhard von Lindenau, Beitrag zur Gesch. der Neptuns-Entdeckung S. 1–32 und 235–238. – Le Verrier, von Arago dazu aufgefordert, fing im Sommer 1845 an die Uranus-Theorie zu bearbeiten. Die Ergebnisse seiner Untersuchung legte er dem Institut am 10 Nov. 1845, am 1 Juni, 31 Aug. und 5 Oct. 1846 vor, und veröffentlichte zugleich dieselben; die größte und wichtigste Arbeit le Verrier's, welche die Auflösung des ganzen Problems enthält, erschien aber in der Connaissance des temps pour l'an 1849. Adams legte, ohne etwas dem Druck zu übergeben, die ersten Resultate, die er für den störenden Planeten erhalten hatte, im September des Jahres 1845 dem Professor Challis, und mit einiger Abänderung im October desselben Jahres dem Astronomer royal vor. Der Letztere empfing mit neuen Correctionen, welche sich auf eine Verminderung des Abstandes bezogen, die letzten Resultate von Adams im Anfange des Septembers 1846. Der junge Geometer von Cambridge drückt sich über die chronologische Folge von Arbeiten, welche auf einen und denselben großen Zweck gerichtet waren, mit so viel edler Bescheidenheit als Selbstverläugnung aus: »I mention these earlier dates merely to show, that my results were arrived at independently and previously to the publication of M. Le Verrier, and not with the intention of interfering with his just claims to the honors of the discovery; for there is no doubt that his researches were first published to the world, and led to the actual discovery of the planet by Dr. Galle: so that the facts stated above cannot detract, in the slightest degree, from the credit due to M. Le Verrier.«
Da in der Geschichte der Entdeckung des Neptun oft von einem Antheil geredet worden ist, welchen der große Königsberger Astronom früh an der, schon von Alexis Bouvard (dem Verfasser der Uranustafeln) im Jahr 1834 geäußerten Hoffnung »von der Störung des Uranus durch einen uns noch unbekannten Planeten« genommen habe; so ist es vielleicht vielen Lesern des Kosmos angenehm, wenn ich hier einen Theil des Briefes veröffentliche, welchen Bessel mir unter dem 8 Mai 1840 (also zwei Jahre vor seinem Gespräche mit Sir John Herschel bei dem Besuche zu Collingwood) geschrieben hat: »Sie verlangen Nachricht von dem Planeten jenseits des Uranus. Ich könnte wohl auf Freunde in Königsberg verweisen, die aus Mißverständniß mehr davon zu wissen glauben als ich selbst. Ich hatte die Entwickelung des Zusammenhanges zwischen den astronomischen Beobachtungen und der Astronomie zum Gegenstande einer (am 28 Febr. 1840 gehaltenen) öffentlichen Vorlesung gewählt. Das Publikum weiß keinen Unterschied zwischen beiden; seine Ansicht war also zu berichtigen. Die Nachweisung der Entwickelung der astronomischen Kenntnisse aus den Beobachtungen führte natürlich auf die Bemerkung: daß wir noch keinesweges behaupten können, unsere Theorie erkläre alle Bewegungen der Planeten. Die Beweise davon gab der Uranus: dessen alte Beobachtungen gar nicht in Elemente passen, welche sich an die späteren von 1783 bis 1820 anschließen. Ich glaube Ihnen schon einmal gesagt zu haben, daß ich viel hierüber gearbeitet habe; allein dadurch nicht weiter gekommen bin als zu der Sicherheit, daß die vorhandene Theorie, oder vielmehr ihre Anwendung auf das in unserer Kenntniß vorhandene Sonnensystem, nicht hinreicht das Räthsel des Uranus zu lösen. Indessen darf man es deshalb, meiner Meinung nach, nicht als unauflösbar betrachten. Zuerst müssen wir genau und vollständig wissen, was von dem Uranus beobachtet ist. Ich habe durch einen meiner jungen Zuhörer, Flemming, alle Beobachtungen reduciren und vergleichen lassen; und damit liegen mir nun die vorhandenen Thatsachen vollständig vor. So wie die alten Beobachtungen nicht in die Theorie passen, so passen die neueren noch weniger hinein; denn jetzt ist der Fehler schon wieder eine ganze Minute, und wächst jährlich um 7" bis 8": so daß er bald viel größer sein wird. Ich meinte daher, daß eine Zeit kommen werde, wo man die Auflösung des Räthsels: vielleicht in einem neuen Planeten, finden werde, dessen Elemente aus ihren Wirkungen auf den Uranus erkannt und durch die auf den Saturn bestätigt werden könnten. Daß diese Zeit schon vorhanden sei, bin ich weit entfernt gewesen zu sagen; allein versuchen werde ich jetzt, wie weit die vorhandenen Thatsachen führen können. Es ist dieses eine Arbeit, die mich seit so vielen Jahren begleitet und derentwegen ich so viele verschiedene Ansichten verfolgt habe, daß ihr Ende mich vorzüglich reizt und daher so bald als irgend möglich herbeigeführt werden wird. Ich habe großes Zutrauen zu Flemming: der in Danzig, wohin er berufen ist, dieselbe Reduction der Beobachtung, welche er jetzt für Uranus gemacht hat, für Saturn und Jupiter fortsetzen wird. Glücklich ist es, meiner Ansicht nach, daß er (für jetzt) kein Mittel der Beobachtung hat und zu keinen Vorlesungen verpflichtet ist. Es wird auch ihm wohl eine Zeit kommen, wo er Beobachtungen eines bestimmten Zweckes wegen anstellen muß; dann soll es ihm nicht mehr an den Mitteln dazu fehlen, so wenig ihm jetzt schon die Geschicklichkeit fehlt.«
Satelliten des Neptun.
Wenn in den äußeren Planeten die Existenz eines Ringes bis jetzt sich nur ein einziges Mal darbietet: und seine Seltenheit vermuthen läßt, daß die Entstehung und Bildung einer materiellen losen Umgürtung von dem Zusammentreffen eigener, schwer zu erfüllender, Bedingnisse abhängt; so ist dagegen die Existenz von Satelliten, welche die äußeren Hauptplaneten (Jupiter, Saturn, Uranus) begleiten, eine um so allgemeinere Erscheinung. Lassell erkannte schon Anfangs August 1847 mit SicherheitDer erste Brief, in welchem Lassell die Entdeckung ankündigte, war vom 6 August 1847 (Schumacher's astronomische Nachrichten No. 611 S. 165). den ersten Neptunstrabanten in seinem großen 20füßigen Reflector mit 24zölliger Oeffnung. Otto StruveOtto Struve in den astron. Nachr. No. 629. Aus den Beobachtungen von Pulkowa berechnete August Struve in Dorpat die Bahn des ersten Neptunstrabanten. zu Pulkowa 535 (11 September bis 20 December 1847) und BondW. C. Bond in den Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences Vol. II. p. 137 und 410., der Director der Sternwarte zu Cambridge in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, (16 Sept. 1847) bestätigten Lassell's Entdeckung. Die Pulkowaer Beobachtungen gaben: die Umlaufszeit des Neptunstrabanten zu 5T 21St 7', die Neigung der Bahn gegen die Ekliptik zu 34° 7', die Entfernung vom Mittelpunkt des Hauptplaneten zu 54000 geographischen Meilen, die Masse zu 1/14506. Drei Jahre später (14 August 1850) entdeckte Lassell einen zweiten Neptunstrabanten, auf welchen er 628malige Vergrößerungen anwandte.Schum. astron. Nachr. No. 729 S. 143. Diese letzte Entdeckung ist, glaube ich, bisher noch nicht von andern Beobachtern bestätigt worden.
Die Cometen.
Die Cometen: welche Xenocrates und Theon der Alexandriner Lichtgewölke nennen, die nach überkommenem altem chaldäischen Glauben Apollonius der Myndier »aus großer Ferne auf langer (geregelter) Bahn periodisch aufsteigen« läßt; bilden im Sonnengebiet, der Anziehungskraft des Centralkörpers unterworfen, doch eine eigene, abgesonderte Gruppe von Weltkörpern. Sie unterscheiden sich von den eigentlichen Planeten nicht bloß durch ihre Excentricität und, was noch wesentlicher ist, durch das Durchschneiden der Planetenkreise; sie bieten auch eine Veränderlichkeit der Gestaltung, eine Wandelbarkeit der Umrisse dar, welche bei einigen Individuen (z. B. an dem von Heinsius so genau beschriebenen Klinkenbergischen Cometen von 1744 und am Halley'schen Cometen in der letzten Erscheinung vom Jahre 1835) schon in wenigen Stunden bemerkbar geworden ist. Als noch nicht durch Encke unser Sonnensystem mit inneren, von den Planetenbahnen eingeschlossenen, Cometen kurzer Umlaufszeit bereichert worden war, leiteten dogmatische, auf falsche Analogien gegründete Träume über die mit dem Abstande von der Sonne gesetzlich zunehmende Excentricität, Größe und Undichtigkeit der Planeten auf die Ansicht: daß man jenseits des Saturn excentrische planetarische 558 Weltkörper von ungeheurem Volum entdecken werde, »welche Mittelstufen zwischen Planeten und Cometen bilden: ja daß der letzte, äußerste Planet schon ein Comet genannt zu werden verdiene: weil er vielleicht die Bahn des ihm nächsten, vorletzten Planeten, des Saturn, durchschneide«.»Vermittelst einer Reihe von Zwischengliedern«, sagt Immanuel Kant, »werden jenseit Saturn sich die letzten Planeten nach und nach in Cometen verwandeln, und so die letztere Gattung mit der ersteren zusammenhangen. Das Gesetz, nach welchem die Excentricität der Planetenkreise sich in Verhältniß ihres Abstandes von der Sonne verhält, unterstützt diese Vermuthung. Die Excentricität nimmt mit dem Abstande zu, und die entfernteren Planeten kommen dadurch der Bestimmung der Cometen näher. Der letzte Planet und erste Comet könnte derjenige genannt werden, welcher in seiner Sonnennähe den Kreis des ihm nächsten Planeten, vielleicht also des Saturn, durchschnitte. – Auch durch die Größe der planetarischen Massen, die mit der Entfernung (von der Sonne) zunehmen, wird unsere Theorie von der mechanischen Bildung der Himmelskörper klärlich erwiesen.« Kant, Naturgesch. des Himmels (1755) in den sämmtl. Werken Th. VI. S. 88 und 195. Im Anfang des 5ten Hauptstückes wird (S. 131) von der früheren cometenähnlichen Natur gesprochen, welche Saturn abgelegt habe. Eine solche Ansicht der Verkettung der Gestalten im Weltbau, analog der oft gemißbrauchten Lehre von dem Uebergange in den organischen Wesen, theilte Immanuel Kant, einer der größten Geister des achtzehnten Jahrhunderts. Zu zwei Epochen, 26 und 91 Jahre nachdem die Naturgeschichte des Himmels von dem Königsberger Philosophen dem großen Friedrich zugeeignet ward, sind Uranus und Neptun von William Herschel und Galle aufgefunden worden; aber beide Planeten haben eine geringere Excentricität als Saturn: ja wenn die des letzteren 0,056 ist, so besitzt dagegen der äußerste aller uns jetzt bekannten Planeten, Neptun, die Excentricität 0,008, fast der der sonnennahen Venus (0,006) gleich. Uranus und Neptun zeigen dazu nichts von den verkündigten cometischen Eigenschaften.
Als in der uns näheren Zeit allmälig (seit 1819) fünf innere Cometen dem von Encke folgten, und gleichsam eine eigene Gruppe bildeten, deren halbe große Axe der von den Kleinen Planeten der Mehrzahl nach ähnlich ist; wurde die Frage aufgeworfen: ob die Gruppe der inneren Cometen nicht ursprünglich eben so einen einzigen Weltkörper bildete wie nach der Hypothese von Olbers die Kleinen Planeten; ob der große Comet sich nicht durch Einwirkung des Mars in mehrere getheilt habe, wie eine solche Theilung als Bipartition gleichsam unter den Augen der Beobachter im Jahr 1846 bei der letzten Wiederkehr des inneren Cometen 559 von Biela vorgegangen ist. Gewisse Aehnlichkeiten der Elemente haben den Professor Stephen Alexander (von dem College of New-Jersey) zu Untersuchungen veranlaßtStephen Alexander »on the similarity of arrangement of the Asteroids and the Comets of short period, and the possibility of their common origin«, in Gould's Astron. Joural No. 19 p. 147 und No. 20 p. 181. Der Verf. unterscheidet mit Hind (Schum. astr. Nachr. No. 724) »the comets of short period, whose semiaxes are all nearly the same with those of the small planets between Mars and Jupiter; and the other class, including the comets whose mean distance or semiaxes is somewhat less than that of Uranus.«. Er schließt die erste Abhandlung mit dem Resultate: »Different facts and coincidences agree in indicating a near appulse if not an actual collision of Mars with a large comet in 1315 or 1316, that the comet was thereby broken into three parts, whose orbits (it may be presumed) received even then their present form; viz., that still presented by the comets of 1812, 1815 and 1846, which are fragments of the dissevered comet.« über die Möglichkeit eines gemeinsamen Ursprunges der Asteroiden zwischen Mars und Jupiter mit einigen oder gar allen Cometen. Auf die Gründe der Analogie, welche von den Nebelhüllen der Asteroiden hergenommen sind, muß nach allen genaueren neueren Beobachtungen Verzicht geleistet werden. Die Bahnen der Kleinen Planeten sind zwar auch einander nicht parallel, sie bieten in der Pallas allerdings die Erscheinung einer übergroßen Neigung der Bahn dar; aber bei allem Mangel des Parallelismus unter ihren eigenen Bahnen durchschneiden sie doch nicht cometenartig irgend eine der Bahnen der großen alten, d. h. früher entdeckten Planeten. Dieser, bei jeglicher Annahme einer primitiven Wurfrichtung und Wurfgeschwindigkeit überaus wesentliche Umstand scheint außer der Verschiedenheit in der physischen Constitution der inneren Cometen und der ganz dunstlosen Kleinen Planeten die Gleichheit der Entstehung beider Arten von Weltkörpern sehr unwahrscheinlich zu machen. Auch hat Laplace in seiner Theorie planetarischer Genesis aus um die Sonne kreisenden Dunstringen, in welchen sich die Materie um Kerne ballt, die Cometen ganz von Planeten trennen zu müssen geglaubt: »Dans l'hypothèse des zones de vapeurs et d'un noyau s'accroissant par la condensation de l'atmosphère qui renvironne, les comètes sont étrangères au système planétaire.«Laplace, exposition du Système du Monde (éd. 1824) p. 414.
Wir haben bereits in dem NaturgemäldeUeber Cometen im Naturgemälde s. Kosmos Bd. I. S. 105–120 und 389–393 Anm. 42–57. darauf aufmerksam gemacht, wie die Cometen bei der kleinsten Masse den größten Raum im Sonnengebiete ausfüllen; auch nach 560 der Zahl der Individuen (die Wahrscheinlichkeits-Rechnung: gegründet auf gleichmäßige Vertheilung der Bahnen, Grenzen, der Sonnennähe und der Möglichkeit des Unsichtbarbleibens; führt auf die Existenz vieler Tausende von ihnen) übertreffen sie alle anderen planetarischen Weltkörper. Wir nehmen vorsichtig die Aërolithen oder Meteor-Asteroiden aus, da ihre Natur noch in großes Dunkel gehüllt bleibt. Man muß unter den Cometen die unterscheiden, deren Bahn von den Astronomen berechnet worden ist; und solche, von denen theils nur unvollständige Beobachtungen, theils bloße Andeutungen in den Chroniken vorhanden sind. Da nach Galle's letzter genauer Aufzählung 178 bis zum Jahr 1847 berechnet wurden, so kann man mit den bloß angedeuteten wohl wieder als Totalzahl bei der Annahme von sechs- bis siebenhundert gesehenen Cometen beharren. Als der von Halley verkündigte Comet von 1682 im Jahr 1759 wieder erschien, hielt man es für etwas sehr auffallendes, daß in demselben Jahre 3 Cometen sichtbar wurden. Jetzt ist die Lebhaftigkeit der Erforschung des Himmelsgewölbes gleichzeitig an vielen Punkten der Erde so groß, daß 1819, 1825 und 1840 in jedem Jahr vier; 1826 fünf, ja 1846 acht erschienen und berechnet wurden.
An mit unbewaffnetem Auge gesehenen Cometen ist die letzte Zeit wiederum reicher als das Ende des vorigen Jahrhunderts gewesen; aber unter ihnen bleiben die von großem Glanze in Kopf und Schweif auch ihrer Seltenheit wegen immer eine merkwürdige Naturerscheinung. Es ist nicht ohne Interesse, aufzuzählen, wie viel dem bloßen Auge sichtbare Cometen in Europa während der letzten JahrhunderteIn sieben halben Jahrhunderten von 1500 bis 1850 sind zusammen 52; einzeln in der Reihenfolge von sieben gleichen Perioden: 13, 10, 2, 10, 4, 4 und 9, dem bloßen Auge sichtbare Cometen in Europa erschienen. Hier folgen die einzelnen Jahre:
Als 23 im 16ten Jahrhundert (dem Zeitalter von Apianus, Girolamo Fracastoro, dem Landgrafen Wilhelm IV von Hessen, Mästlin und Tycho) erschienene, dem unbewaffneten Auge sichtbare Cometen sind hier aufgezählt worden: zehn von Pingré beschriebene, nämlich: 1500, 1505, 1506, 1512, 1514, 1516, 1518, 1521, 1522 und 1530; ferner die Cometen von 1531, 1532, 1533, 1556, 1558, 1569, 1577, 1580, 1582, 1585, 1590, 1593 und 1596.
1500–1550
13 Com.
1550–1600
10 Com.
1600–1650
1607
1618
2 Com.
1650–1700
1652
1664
1665
1668
1672
1680
1682
1686
1689
1696
10 Com.
1700–1750
1702
1744
1748
1748
4 Com.
1750–1800
1759
1766
1769
1781
4 Com.
1800–1850
1807
1811
1819
1823
1830
1835
1843
1845
1847
9 Com.
Von nicht geringer Wichtigkeit ist die so sorgfältig aufgezeichnete Liste der in China erschienenen Cometen, welche Eduard Biot aus der Sammlung von Ma-tuan-lin bekannt gemacht hat. Sie reicht bis über die Gründung der ionischen Schule des Thales und des lydischen Alyattes hinaus; und begreift in zwei Abschnitten den Ort der Cometen von 613 Jahren vor unserer Zeitrechnung bis 1222 nach derselben, und dann von 1222 bis 1614: die Periode, in welcher die Dynastie der Ming herrschte. Ich wiederhole hier (s. Kosmos Bd. I. S. 389 Anm. 42): daß, während man Cometen von der Mitte des 3ten bis Ende des 14ten Jahrhunderts nach ausschließlich chinesischen Beobachtungen hat berechnen müssen, die Berechnung des Halley'schen Cometen 562 bei seinem Erscheinen im Jahr 1456 die erste Cometen-Berechnung war nach den ausschließlich europäischen Beobachtungen, und zwar nach denen des Regiomontanus. Diesen letzteren folgten abermals bei einem Wiedererscheinen des Halley'schen Cometen die sehr genauen des Apianus zu Ingolstadt im August des Jahres 1531. In die Zwischenzeit fällt (Mai 1500) ein durch afrikanische und brasilische Entdeckungsreisen berühmt gewordener, prachtvoll glänzender CometEs ist der »bösartige« Comet, welchem in Sturm und Schiffbruch der Tod des berühmten portugiesischen Entdeckers Bartholomäus Diaz, als er mit Cabral von Brasilien nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung segelte, zugeschrieben ward; Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. I. p. 296 und T. V. p. 80 (Sousa, Asia Portug. T. I. P. I. cap. 5 p. 45).: der in Italien Signor Astone, die große Asta genannt wurde. In den chinesischen Beobachtungen hat, durch Gleichheit der Elemente, LaugierLaugier in der Connaissance des temps pour l'an 1846 p. 99. Vergl. auch Édouard Biot, recherches sur les anciennes apparitions chinoises de la Comète de Halley antérieures à l'année 1378 a. a. O. p. 70–84. eine siebente Erscheinung des Halley'schen Cometen (die von 1378) erkannt: so wie auch der von GalleUeber den von Galle im März 1810 entdeckten Cometen s. Schumacher's astr. Nachr. Bd. XVII. S. 188. am 6 März entdeckte dritte Comet von 1810 mit dem von 1097 identisch zu sein scheint. Auch die Mexicaner knüpften in ihren Jahrbüchern Begebenheiten an Cometen und andere Himmels-Beobachtungen. Ich habe den Cometen von 1490, welchen ich in der mexicanischen Handschrift von le Tellier aufgefunden und in meinen Monumens des peuples indigènes de l'Amérique habe abbilden lassen, sonderbar genug, nur in dem chinesischen Cometen-Register als im December desselben Jahres beobachtet erkannt.S. meine Vues des Cordillères (éd. in folio) Pl. LV fig. 8, p. 281–282. Die Mexicaner hatten auch eine sehr richtige Ansicht von der Ursach der Sonnenfinsterniß. Dieselbe mexicanische Handschrift, wenigstens ein Viertel-Jahrhundert vor der Ankunft der Spanier angefertigt, bildet die Sonne ab, wie sie fast ganz von der Mondscheibe verdeckt wird und wie Sterne dabei sichtbar werden. Die Mexicaner hatten ihn in ihre Register eingetragen 28 Jahre früher als Cortes an den Küsten von Veracruz (Chalchiuhcuecan) zum ersten Male erschien.
Von der Gestaltung; der Form-, Licht- und Farben-Aenderung der Cometen; den Ausströmungen am Kopfe, welche zurückgebeugtDiese Entstehung des Schweifes am vorderen Theile des Cometenkopfes, welche Bessel so viel beschäftigt hat, war schon Newton's und Winthrop's Ansicht (vergl. Newton, Principia p. 511 und Philos. Transact. Vol. LVII. for the Year 1767 p. 140 fig. 5). Der Schweif, meint Newton, entwickele sich der Sonne nahe am stärksten und längsten: weil die Himmelsluft (was wir mit Encke das widerstehende Mittel nennen) dort am dichtesten sei, und die particulae caudae: stark erwärmt, von der dichteren Himmelsluft getragen, leichter aufsteigen. Winthrop glaubt, daß der Haupt-Effect erst etwas nach dem Perihel eintrete, weil nach dem von Newton festgestellten Gesetze (Princ. p. 424 und 466) überall (bei periodischer Wärme-Veränderung wie bei der Meeresfluth) die Maxima sich verspäten. den Schweif bilden: habe ich nach den Beobachtungen von Heinsius (1744), Bessel, Struve und Sir John Herschel umständlich im Naturgemälde (Kosmos Bd. I. S. 106–112) gehandelt. Außer dem prachtvollenArago im Annuaire pour 1844 p. 395. Die Beobachtung ist von Amici dem Sohne. 563 Cometen von 1843: der in Chihuahua (Nordwest-Amerika) von Bowring von 9 Uhr Morgens bis Sonnenuntergang wie ein kleines weißes Gewölk, in Parma von Amici am vollen Mittag 1° 23' östlich von der SonneUeber den Cometen von 1843: der mit beispiellosem Glanze im nördlichen Europa im Monat März nahe bei dem Orion erschien, und der Sonne unter allen beobachteten und berechneten Cometen am nächsten gekommen ist, s. alles gesammelt in Sir John Herschel's outlines of Astronomy § 589–597 und in Peirce, American Almanac for 1844 p. 42. Wegen physiognomischer Aehnlichkeiten, deren Unsicherheit aber schon Seneca (Nat. Quaest. lib. VII cap. 11 und 17) entwickelt hat, wurde er anfänglich für identisch mit den Cometen von 1668 und 1689 gehalten (Kosmos Bd. I. S. 144 und 410 Anm. 92; Galle in Olbers Cometenbahnen No. 42 und 50). Boguslawski (Schum. astr. Nachr. No. 545 S. 272) glaubt dagegen, daß seine früheren Erscheinungen bei einem Umlauf von 147 Jahren die von 1695, 1548 und 1401 waren; ja er nennt ihn den Cometen des Aristoteles: »weil er ihn bis in das Jahr 371 vor unserer Zeitrechnung zurückführt, und ihn mit dem talentvollen Hellenisten Thiersch in München für einen Cometen hält, dessen in den Meteorologicis des Aristoteles Buch I cap. 6 Erwähnung geschieht«. Ich erinnere aber, daß der Name Comet des Aristoteles vieldeutig und unbestimmt ist. Wird der gemeint, welchen Aristoteles im Orion verschwinden läßt und mit dem Erdbeben in Achaja in Verbindung setzt; so muß man nicht vergessen, daß dieser Comet von Callisthenes vor, von Diodor nach, und von Aristoteles zur Zeit des Erdbebens angegeben wird. Das 6te und 8te Capitel der Meteorologie handeln von 4 Cometen, deren Epochen der Erscheinung durch Archonten zu Athen und durch unheilbringende Begebenheiten bezeichnet werden. Es ist daselbst der Reihe nach gedacht: des westlichen Cometen, welcher bei dem großen, mit Ueberschwemmungen verbundenen Erdbeben von Achaja erschien (cap. 6, 8); dann des Cometen unter dem Archonten Eucles, Sohn des Molon; später (cap. 6, 10) kommt der Stagirite wieder auf den westlichen Cometen, den des großen Erdbebens, zurück, und nennt dabei den Archonten Asteus: ein Name, den unrichtige Lesarten in Aristäus verwandelt haben, und den Pingré deshalb in der Cométographie mit Aristhenes oder Alcisthenes fälschlich für Eine Person hält. Der Glanz dieses Cometen des Asteus verbreitete sich über den dritten Theil des Himmelsgewölbes; der Schweif, welchen man den Weg (ὁδός) nannte, war also 60° lang. Er reichte bis in die Gegend des Orion, wo er sich auflöste. In cap. 7, 9 wird des Cometen gedacht, welcher gleichzeitig mit dem berühmten Aërolithenfall bei Aegos Potamoi (Kosmos Bd. I. S. 124, 397 [Anm 62] und 407 [Anm. 87]) erschien, und wohl nicht eine Verwechselung mit der von Damachos beschriebenen, 70 Tage lang leuchtenden und Sternschnuppen sprühenden Aërolithen-Wolke sein kann. Endlich nennt Aristoteles noch cap. 7, 10 einen Cometen unter dem Archonten Nicomachus, welchem ein Sturm bei Corinth zugeschrieben ward. Diese vier Cometen-Erscheinungen fallen in die lange Periode von 32 Olympiaden: nämlich der Aërolithenfall nach der Parischen Chronik Ol 78,1 (468 ante Chr.), unter den Archonten Theagenides; der große Comet des Asteus, welcher zur Zeit des Erdbebens von Achaja erschien und im Sternbild des Orion verschwand, in Ol 101,4 (373 a. Chr.); Eucles, Sohn des Molon, von Diodor (XII, 53) fälschlich Euclides genannt, in Ol. 88,2 (427 a. Chr.): wie auch der Commentar des Johannes Philoponos bestätigt; der Comet des Nicomachus in Ol. 109,4 (341 a. Chr.). Bei Plinius II, 25 wird für die jubae effigies mutata in hastam Ol. 108 angegeben. Mit dem unmittelbaren Anknüpfen des Cometen des Asteus (Ol. 101,4) an das Erdbeben in Achaja stimmt auch Seneca überein, indem derselbe des Unterganges von Bura und Helice, welche Städte Aristoteles nicht ausdrücklich nennt, folgendermaßen erwähnt: »Effigiem ignis longi fuisse, Callisthenes tradit, antequam Burin et Helicen mare absconderet. Aristoteles ait, non trabem illam, sed Cometam fuisse.« (Seneca, Nat. Quaest. VII, 5.) Strabo (VIII p. 384 Cas.) setzt den Untergang der zwei oft genannten Städte zwei Jahre vor der Schlacht von Leuctra: woraus sich wieder Ol. 101,4 ergiebt. Nachdem endlich Diodor von Sicilien dieselbe Begebenheit als unter dem Archonten Asteus vorgefallen umständlicher (XV, 48 und 49) beschrieben hat, setzt er den glänzenden, schattenwerfenden Cometen (XV, 50) unter den Archonten Alcisthenes: ein Jahr später, Ol. 102,1 (372 a. Chr.) und als Vorboten des Unterganges der Herrschaft der Lacedämonier; aber der spätere Diodor hat die Gewohnheit eine Begebenheit aus einem Jahre in das andere zu verschieben: und für die Epoche des Asteus, vor dem Alcisthenes, sprechen die ältesten und sichersten Zeugen, Aristoteles und die Parische Chronik. Da nun für den herrlichen Cometen von 1843 die Annahme eines Umlaufs von 147¾ Jahren Boguslawski durch 1695, 1548, 1401 und 1106 auf das Jahr 371 vor unserer Zeitrechnung führt; so stimmt damit der Comet des Erdbebens von Achaja nach Aristoteles bis auf zwei, nach Diodor bis auf ein Jahr überein: was, wenn man von der Aehnlichkeit der Bahn etwas wissen könnte, bei wahrscheinlichen Störungen in einer Periode von 1214 Jahren freilich ein sehr geringer Fehler ist. Wenn Pingré in der Cométographie (1783 T. I. p. 259–262), sich auf Diodor und den Archonten Alcisthenes statt Asteus stützend, den in Frage stehenden Cometen im Orion in Ol. 102, und doch in den Anfang Juli 371 vor Christus statt 372 setzt; so liegt der Grund wohl darin, daß er wie einige Astronomen das erste Jahr vor der christlichen Zeitrechnung mit anno 0 bezeichnet. Es ist schließlich zu bemerken, daß Sir John Herschel für den bei hellem Tage, nahe an der Sonne, gesehenen Cometen von 1843 eine ganz andere Umlaufszeit und zwar von 175 Jahren annimmt: was auf die Jahre 1668, 1493 und 1318 führt. (Vergl. outlines p. 370–372 mit Galle in Olbers Cometenbahnen S. 208 und Kosmos Bd. I. S. 144.) Andere Combinationen von Peirce und Clausen leiten gar auf Umlaufszeiten von 214/5 oder 71/5 Jahren: – Beweis genug, wie gewagt es ist den Cometen von 1843 auf den Archonten Asteus zurückzuführen. Die Erwähnung eines Cometen unter dem Archonten Nicomachus in den Meteorol. lib. I cap. 7, 10 gewährt wenigstens den Vortheil, uns zu lehren, daß dieses Werk geschrieben wurde, als Aristoteles wenigstens 44 Jahr alt war. Auffallend hat es mir immer geschienen, daß der große Mann, da er zur Zeit des Erdbebens von Achaja und der Erscheinung des großen Cometen im Orion, mit einem Schweif von 60° Länge, schon 14 Jahr alt war, mit so wenig Lebendigkeit von einem so glänzenden Gegenstande spricht, und sich begnügt ihn unter die Cometen zu zählen, »die zu seiner Zeit gesehen wurden«. Die Verwunderung steigt, wenn man in demselben Capitel erwähnt findet, er habe etwas neblichtes, ja eine schwache Mähne (κόμη), um einen Fixstern in dem Hüftbein des Hundes (vielleicht Procyon im Kleinen Hunde) mit eigenen Augen gesehn (Meteorol. I. 6, 9). Auch spricht Aristoteles (I. 6, 11) von seiner Beobachtung der Bedeckung eines Sterns in den Zwillingen durch die Scheibe des Jupiter. Was die dunstige Mähne oder Nebelumhüllung des Procyon (?) betrifft, so erinnert sie mich an eine Erscheinung, von der mehrmals in den altmexicanischen Reichs-Annalen nach dem Codex Tellerianus die Rede ist. »Dieses Jahr«, heißt es darin, »dampfte (rauchte) wieder Citlalcholoa«, der Planet Venus, auch Tlazoteotl im Aztekischen genannt (s. meine Vues des Cordillères T. II. p. 303): wahrscheinlich am griechischen wie am mexicanischen Himmel ein Phänomen atmosphärischer Strahlenbrechung, die Erscheinung kleiner Stern-Höfe (halones). gesehen werden konnte, ist auch in der neuesten Zeit der von Hind in der Gegend von Capella entdeckte erste Comet des Jahres 1847 am Tage des Perihels zu London nahe bei der Sonne sichtbar gewesen.
Zur Erläuterung dessen, was oben von der Bemerkung chinesischer Astronomen bei Gelegenheit ihrer Beobachtung des Cometen vom Monat März 837, zur Zeit der Dynastie Thang, gesagt worden ist: schalte ich hier, aus dem Ma-tuan-lin übersetzt, die wörtliche Angabe des Richtungs-Gesetzes des Schweifes ein. Es heißt dasselbe: »im allgemeinen ist bei einem Cometen, welcher östlich von der Sonne steht, der Schweif, von dem Kern an gerechnet, gegen Osten gerichtet; erscheint aber der Comet im Westen der Sonne, so dreht sich der Schweif gegen Westen.«Eduard Biot in den Comptes rendus de l'Académie des Sciences T. XVI. 1843 p. 751. Fracastoro und Apianus sagten bestimmter und noch richtiger: »daß eine Linie in der Richtung der Achse des Schweifes, durch den Kopf des Cometen verlängert, das Centrum der Sonne trifft«. Die Worte des Seneca (Nat. Quaest. VII, 20): »die Cometenschweife fliehen vor den Sonnenstrahlen«, sind auch bezeichnend. Während unter den bis jetzt bekannten Planeten und Cometen sich in den, von der halben großen Axe abhangenden Umlaufszeiten die kürzesten zu den längsten bei den Planeten wie 1 : 683 verhalten, ergiebt sich bei den Cometen das Verhältniß wie 1 : 2670. Es ist Merkur (87T,97) mit Neptun (60126T,7), und der Comet von Encke (3,3 Jahre) mit dem von Gottfried Kirch zu Coburg, Newton und Halley 564 beobachteten Cometen von 1680 (8814 Jahre) verglichen. Die Entfernung des unsrem Sonnensysteme nächsten Fixsternes (α Centauri) von dem, in einer vortrefflichen Abhandlung von Encke bestimmten Aphel (Punkt der Sonnenferne) des zuletzt genannten Cometen; die geringe Geschwindigkeit seines Laufs (10 Fuß in der Secunde) in diesem äußersten Theile seiner Bahn; die größte Nähe, in welche der Lexell-Burckhardt'sche Comet von 1770 der Erde (auf 6 Mondfernen), der Comet von 1680 (und noch mehr der von 1843) der Sonne gekommen sind: habe ich im Kosmos (Bd. I. S. 116–118 und Bd. III. S. 371–373) bereits abgehandelt. Der zweite Comet des Jahres 1819, welcher in beträchtlicher Größe plötzlich in Europa aus den Sonnenstrahlen heraustrat, ist seinen Elementen zufolge am 26 Juni (leider ungesehen!) vor der Sonnenscheibe vorübergegangen.Galle in dem Anhange zu Olbers Cometenbahnen S. 221 No. 130. (Ueber den wahrscheinlichen Durchgang des zweischweifigen Cometen von 1823 s. Edinb. Rev. 1848 No. 175 p. 193.) – Die kurz vorher im Text angeführte Abhandlung, die wahren Elemente des Cometen von 1680 enthaltend, vernichtet Halley's phantastische Idee, nach welcher derselbe bei einem vorausgesetzten Umlaufe von 575 Jahren zu allen großen Epochen der Menschengeschichte: zur Zeit der Sündfluth nach hebräischen Sagen, im Zeitalter des Ogyges nach griechischen Sagen, im trojanischen Kriege, bei der Zerstörung von Niniveh, bei dem Tode von Julius Cäsar u. s. w.; erschienen sei. Die Umlaufszeit ergiebt sich aus Encke's Berechnung zu 8814 Jahren. Seine geringste Entfernung von der Oberfläche der Sonne war am 17 Dec. 1680 nur 32000 geographische Meilen, also 20000 weniger als die Entfernung der Erde vom Monde. Das Aphel ist 853,3 Entfernungen der Erde von der Sonne, und das Verhältniß der kleinsten zur größten Entfernung von der Sonne ist wie 1:140000. Eben dies muß der Fall gewesen sein mit dem Cometen von 1823: welcher außer dem gewöhnlichen, von der Sonne abgekehrten, auch einen anderen, der Sonne gerade zugewandten Schweif zeigte. Haben die Schweife beider Cometen eine beträchtliche Länge gehabt, so müssen dunstartige Theile derselben, wie gewiß öfters geschehen, sich mit unserer Atmosphäre gemischt haben. Es ist die Frage aufgeworfen worden: ob die wundersamen Nebel von 1783 und 1831, welche einen großen Theil unseres Continents bedeckten, Folge einer solchen Vermischung gewesen sind?Arago im Annuaire pour 1832 p. 236–255.
Während die Quantität der strahlenden Wärme, welche die Cometen von 1680 und 1843 in so großer Sonnennähe empfingen, mit der Focal-Temperatur eines 32zölligen Brennspiegels verglichen wirdSir John Herschel, outlines § 592.; will ein mir lange befreundeter, hochverdienter AstronomBernhard von Lindenau in Schumacher's astron. Nachrichten No. 698 S. 25., daß »alle Cometen ohne festen 565 Kern (wegen ihrer übermäßig geringen Dichtigkeit) keine Sonnenwärme, sondern nur die Temperatur des WeltraumsKosmos Bd. III. S. 46–49. haben«. Erwägt man die vielen und auffallenden Analogien der Erscheinungen, welche nach Melloni und Forbes leuchtende und dunkle Wärmequellen darbieten; so scheint es schwer, bei dem dermaligen Zustande unserer physikalischen Gedankenverbindungen nicht in der Sonne selbst Processe anzunehmen, welche gleichzeitig durch Aetherschwingungen (Wellen verschiedener Länge) strahlendes Licht und strahlende Wärme erzeugen. Der angeblichen Verfinsterung des Mondes durch einen Cometen im Jahr 1454, welche der erste Uebersetzer des byzantinischen Schriftstellers Georg Phranza, der Jesuit Pontanus, in einer Münchner Handschrift glaubte aufgefunden zu haben, ist lange in vielen astronomischen Schriften gedacht worden. Dieser Durchgang eines Cometen zwischen Erde und Mond im Jahr 1454 ist eben so irrig als der von Lichtenberg behauptete des Cometen von 1770. Das Chronicon des Phranza ist vollständig zum erstenmal zu Wien 1796 erschienen, und es heißt ausdrücklich darin: daß im Weltjahr 6962, während daß sich eine Mondfinsterniß ereignete, ganz auf die gewöhnliche Weise nach der Ordnung und der Kreisbahn der himmlischen Lichter ein Comet, einem Nebel ähnlich, erschien und dem Monde nahe kam. Das Weltjahr (= 1450) ist irrig: da Phranza bestimmt sagt, die Mondfinsterniß und der Comet seien nach der Einnahme von Constantinopel (19 Mai 1453) gesehen worden, und eine Mondfinsterniß wirklich am 12 Mai 1454 eintraf. (S. Jacobs in Zach's monatl. Corresp. Bd. XXIII. 1811 S. 196–202.)
Das Verhältniß des Lexell'schen Cometen zu den 566 Jupitersmonden; die Störungen, die er durch sie erlitten, ohne auf ihre Umlaufszeiten einzuwirken (Kosmos Bd. I S. 117): sind von le Verrier genauer untersucht worden. Messier entdeckte diesen merkwürdigen Cometen als einen schwachen Nebelfleck im Schützen am 14 Juni 1770; aber 8 Tage später leuchtete sein Kern schon als ein Stern zweiter Größe. Vor dem Perihel war kein Schweif sichtbar, nach demselben entwickelte sich derselbe durch geringe Ausströmungen kaum bis 1° Länge. Lexell fand seinem Cometen eine elliptische Bahn und die Umlaufszeit von 5,585 Jahren: was Burckhardt in seiner vortrefflichen Preisschrift von 1806 bestätigte. Nach Clausen hat er sich (den 1 Juli 1770) bis auf 363 Erd-Halbmesser (311000 geogr. Meilen oder 6 Mondfernen) der Erde genähert. Daß der Comet nicht früher (März 1776) und nicht später (October 1781) gesehen wurde, ist, nach Lexell's früherer Vermuthung, von Laplace in dem 4ten Bande der Mécanique céleste durch Störung von Seiten des Jupiterssystems bei den Annäherungen in den beiden Jahren 1767 und 1779 analytisch dargethan worden. Le Verrier findet, daß nach einer Hypothese über die Bahn des Cometen derselbe 1779 durch die Kreise der Satelliten durchgegangen sei, nach einer anderen von dem 4ten Satelliten nach außen weit entfernt blieb.Le Verrier in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XIX. 1844 p. 982–993.
Der Molecular-Zustand des so selten begrenzten Kopfes oder Kernes wie der des Schweifes der Cometen ist um so räthselhafter, als derselbe keine Strahlenbrechung veranlaßt, und als durch Arago's wichtige Entdeckung (Kosmos Bd. I. S. 111, 391 und 392 Anm. 49–51) in dem Cometenlichte ein Antheil von polarisirtem, also von reflectirtem Sonnenlichte erwiesen wird. Wenn die kleinsten Sterne durch die 567 dunstartigen Ausströmungen des Schweifes, ja fast durch das Centrum des Kernes selbst, oder wenigstens in größter Nähe des Centrums, in ungeschwächtem Glanze gesehen werden (»per Cometem non aliter quam per nubem ulteriora cernuntur«): so zeigt dagegen die Analyse des Cometenlichtes in Arago's Versuchen, denen ich beigewohnt, daß die Dunsthüllen trotz ihrer Zartheit fremdes Licht zurückzuwerfen fähig sind;Newton nahm für die glänzendsten Cometen nur von der Sonne reflectirtes Licht an. Splendent Cometae, sagt er, luce Solis a se reflexa (Principia mathematica ed. Le Seur et Jacquier 1760 T. III. p. 577). daß diese Weltkörper »eine unvollkommene DurchsichtigkeitBessel in Schumacher's Jahrbuch für 1837 S. 169. haben, da das Licht nicht ungehindert durch sie durchgeht«. In einer so lockeren Nebelgruppe erregen die einzelnen Beispiele großer Licht-Intensität, wie in dem Cometen von 1843, oder des sternartigen Leuchtens eines Kernes um so mehr Verwunderung, als man eine alleinige Zurückwerfung des Sonnenlichts annimmt. Sollte aber in den Cometen nicht daneben auch ein eigener lichterzeugender Proceß vorgehen?
Die ausströmenden, verdunstenden Theile aus Millionen Meilen langen, besenartigen, gefächerten Schweifen verbreiten sich in den Weltraum; und bilden vielleicht, entweder selbst das widerstandleistende, hemmende FluidumKosmos Bd. I. S. 113 und Bd. III. S. 50., welches die Bahn des Enckischen Cometen allmälig verengt: oder sie mischen sich mit dem alten Weltenstoffe, der sich nicht zu Himmelskörpern geballt, oder zu der Bildung des Ringes verdichtet hat, welcher uns als Thierkreislicht leuchtet. Wir sehen gleichsam vor unseren Augen materielle Theile verschwinden, und ahnden kaum, wo sie sich wiederum sammeln. So wahrscheinlich nun auch die Verdichtung einer den Weltraum füllenden gasartigen Flüssigkeit in der Nähe des Centralkörpers unsres Systemes ist; so kann bei den Cometen, deren Kern nach Valz sich in der Sonnennähe verkleinert, 568 diese da verdichtete Flüssigkeit doch wohl nicht als auf eine blasenartige Dunsthülle drückend gedacht werden.Valz, essai sur la détermination de la densité de l'éther dans l'espace planétaire 1830 p. 2 und Kosmos Bd. I. S. 112. Der so sorgfältig und immer unbefangen beobachtende Hevelius war schon auf die Vergrößerung der Cometenkerne mit Zunahme der Entfernung von der Sonne aufmerksam gewesen (Pingré, Cométographie T. II. p. 193). Die Bestimmungen der Durchmesser des Cometen von Encke in der Sonnennähe sind, wenn man Genauigkeit haben will, sehr schwierig. Der Comet ist eine neblige Masse, in welcher die Mitte oder eine Stelle derselben die hellste, selbst hervorstechend hell, ist. Von dieser Stelle aus, die aber nichts von einer Scheibe zeigt und nicht ein Cometenkopf genannt werden kann, nimmt ringsum das Licht schnell ab: dabei verlängert sich der Nebel nach einer Seite hin, so daß diese Verlängerung als Schweif erscheint. Die Messungen beziehen sich also auf diesen Nebel: dessen Umfang, ohne eine recht bestimmte Grenze zu haben, im Perihel abnimmt. Wenn bei den Ausströmungen der Cometen die Umrisse der lichtreflectirenden Dunsttheile gewöhnlich sehr unbestimmt sind; so ist es um so auffallender und für den Molecular-Zustand des Gestirns um so lehrreicher, daß bei einzelnen Individuen (z. B. bei dem Halley'schen Cometen Ende Januars 1836 am Cap der guten Hoffnung) eine Schärfe der Umrisse in dem parabolischen vorderen Theile des Körpers beobachtet worden ist, welche kaum eine unserer Haufenwolken uns je darbietet. Der berühmte Beobachter am Cap verglich den ungewohnten, von der Stärke gegenseitiger Anziehung der Theilchen zeugenden Anblick mit einem Alabaster-Gefäß, das von innen stark erleuchtet ist.Sir John Herschel, results of Astronomical Observations at the Cape of Good Hope 1847 § 366 Pl. XV und XVI.
Seit dem Erscheinen des astronomischen Theils meines Naturgemäldes hat die Cometenwelt ein Ereigniß dargeboten, dessen bloße Möglichkeit man wohl vorher kaum geahndet hatte. Der Biela'sche Comet: ein innerer, von kurzer, 63/5jähriger Umlaufszeit; hat sich in zwei Cometen von ähnlicher Gestalt, doch ungleicher Dimension, beide mit Kopf und Schweif, getheilt. Sie haben sich, so lange man sie beobachten konnte, nicht wieder vereinigt, und sind gesondert fast parallel mit einander fortgeschritten. Am 19 December 1845 hatte Hind in dem ungetheilten Cometen schon eine Art Protuberanz gegen Norden bemerkt, aber am 21ten war noch (nach Encke's Beobachtung in Berlin) von einer Trennung nichts zu sehen. Die schon erfolgte Trennung wurde in Nordamerika zuerst am 29 Dec. 1845, in Europa erst um die Mitte und das Ende Januars 1846 erkannt. Der neue, kleinere Comet ging nördlich voran. Der Abstand 569 beider war anfangs 3, später (20 Febr.) nach Otto Struve's interessanter Zeichnung 6 Minuten.Wenn man noch später (5 März) den Abstand beider Cometen bis 9° 19' wachsen sah, so war diese Zunahme, wie Plantamour gezeigt hat, nur scheinbar und von der Annäherung zur Erde abhängig. Vom Februar bis 10 März blieben beide Theile des Doppelcometen in gleicher Entfernung von einander. Die Lichtstärke wechselte: so daß der allmälig wachsende Neben-Comet eine Zeit lang den Haupt-Cometen an Lichtstärke übertraf. Die Nebelhüllen, welche jeden der Kerne umgaben, hatten keine bestimmten Umrisse: die des größeren Cometen zeigte sogar gegen SSW eine lichtschwache Anschwellung; aber der Himmelsraum zwischen den beiden Cometen wurde in Pulkowa ganz nebelfrei gesehen»Le 19 février 1846 on aperçoit le fond noir du ciel qui sépare les deux comètes«; O. Struve im Bulletin physico-mathémathique de l'Acad. des Sciences de St.-Pétersbourg T. VI. No. 4.. Einige Tage später hat Lieut. Maury in Washington in einem neunzölligen Münchner Refractor Strahlen bemerkt, welche der größere, ältere Comet dem kleineren, neuen, zusandte: so daß wie eine brückenartige Verbindung eine Zeit lang entstand. Am 24 März war der kleinere Comet wegen zunehmender Lichtschwäche kaum noch zu erkennen. Man sah nur noch den größeren bis zum 16 bis 20 April, wo dann auch dieser verschwand. Ich habe diese wundersame Erscheinung in ihren EinzelheitenVergl. outlines of Astronomy § 580–583; Galle in Olbers Cometenbahnen S. 232. beschrieben, so weit dieselben haben beobachtet werden können. Leider ist der eigentliche Act der Trennung und der kurz vorhergehende Zustand des älteren Cometen der Beobachtung entgangen. Ist der abgetrennte Comet uns nur unsichtbar geworden wegen Entfernung und großer Lichtschwäche, oder hat er sich aufgelöst? Wird er als Begleiter wieder erkannt werden, und wird der Biela'sche Comet bei anderen Wieder-Erscheinungen ähnliche Anomalien darbieten?
Die Entstehung eines neuen planetarischen Weltkörpers durch Theilung regt natürlich die Frage an: ob in der Unzahl um die Sonne kreisender Cometen nicht mehrere durch einen ähnlichen Proceß entstanden sind oder noch täglich entstehen? ob sie durch Retardation, d. h. ungleiche Geschwindigkeit 570 im Umlauf, und ungleiche Wirkung der Störungen nicht auf verschiedene Bahnen gerathen können? In einer, schon früher berührten Abhandlung von Stephen Alexander ist versucht worden, die Genesis der gesammten inneren Cometen durch die Annahme einer solchen, wohl nicht genugsam begründeten, Hypothese zu erklären. Auch im Alterthum scheinen ähnliche Vorgänge beobachtet, aber nicht hinlänglich beschrieben worden zu sein. Seneca führt nach einem, wie er freilich selbst sagt, unzuverlässigen Zeugen an, daß der Comet, welcher des Unterganges der Städte Helice und Bura beschuldigt ward, sich in zwei Theile schied. Er setzt spöttisch hinzu: warum hat Niemand zwei Cometen sich zu einem vereinigen sehen?»Ephorus non religiosissimae fidei, saepe decipitur, saepe decipit. Sicut hic Cometem, qui omnium mortalium oculis custoditus est, quia ingentis rei traxit eventus, cum Helicen et Burin ortu suo merserit, ait illum discessisse in duas stellas: quod praeter illum nemo tradidit. Quis enim posset observare illud momentum, quo Cometes solutus et in duas partes redactus est? Quomodo autem, si est qui viderit Cometem in duas dirimi, nemo vidit fieri ex duabus?« Seneca, Nat. Quaest. lib. VII cap. 16. Die chinesischen Astronomen reden von »drei gekuppelten Cometen«, die im Jahr 896 erschienen und zusammen ihre Bahn durchliefen.Eduard Biot, recherches sur les Comètes de la collection de Ma-tuan-lin in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XX. 184 p. 334.
Unter der großen Zahl berechneter Cometen sind bisher acht bekannt, deren Umlaufszeit eine geringere Dauer als die Umlaufszeit des Neptun hat. Von diesen acht sind sechs innere Cometen, d. h. solche, deren Sonnenferne kleiner als ein Punkt in der Bahn des Neptun ist: nämlich die Cometen von Encke (Aphel 4,09), de Vico (5,02), Brorsen (5,64), Faye (5,93), Biela (6,19) und d'Arrest (6,44). Den Abstand der Erde von der Sonne = 1 gesetzt, haben die Bahnen aller dieser sechs inneren Cometen Aphele, die zwischen Hygiea (3,15) und einer Grenze liegen, welche fast um 1¼ Abstände der Erde von der Sonne jenseit Jupiter (5,20) liegt. Die zwei anderen Cometen, ebenfalls von geringerer Umlaufszeit als Neptun, sind der 74jährige Comet von Olbers und der 76jährige Comet von Halley. Diese beiden letzten waren bis zum Jahre 571 1819, in welchem Encke zuerst die Existenz eines inneren Cometen erkannte, unter den damals berechneten Cometen die von der kürzesten Umlaufszeit. Der Olbersche Comet von 1815 und der Halley'sche liegen nach der Entdeckung des Neptun in ihrer Sonnenferne nur 4 und 52/5 Abstände der Erde von der Sonne jenseits der Grenze, die sie als innere Cometen würde betrachten lassen. Wenn auch die Benennung: innerer Comet mit der Entdeckung transneptunischer Planeten Aenderungen erleiden kann, da die Grenze, die einen Weltkörper zu einem inneren Cometen macht, veränderlich ist; so hat sie doch vor der Benennung: Cometen kurzer Dauer den Vorzug, in jeder Epoche unseres Wissens von etwas bestimmtem abhängig zu sein. Die jetzt sicher berechneten 6 inneren Cometen variiren allerdings in der Umlaufszeit nur von 3,3 bis 7,4 Jahre; aber wenn die 16jährige Wiederkehr des von Peters am 26 Juni 1846 zu Neapel entdeckten Cometen (des 6ten Cometen des Jahrs 1846, mit einer halben großen Axe von 6,32) sich bestätigteGalle in Olbers Methode der Cometenbahnen S. 232 No. 174. Elliptische Bahnen mit verhältnißmäßig nicht sehr langer Dauer der Umlaufszeiten (ich erinnere an die 3065 und 8800 Jahre der Cometen von 1811 und 1680) bieten dar die Cometen von Colla und Bremiker aus den Jahren 1845 und 1840. Sie scheinen Umlaufszeiten von nur 249 und 344 Jahren zu haben (S. Galle a. a. O. S. 229 und 231.), so ist vorherzusehen, daß sich allmälig in Hinsicht auf die Dauer der Umlaufszeit Zwischenglieder zwischen den Cometen von Faye und Olbers finden werden. Dann wird es in der Zukunft schwer sein eine Grenze für die Kürze der Dauer zu bestimmen. Hier folgt die Tabelle, in welcher Dr. Galle die Elemente der 6 inneren Cometen zusammengestellt hat.
Elemente der 6 inneren Cometen, welche genauer berechnet sind.
Encke | de Vico | Brorsen | d'Arrest | Biela | Faye | |||||||||||||
Durchgangszeit durch das Perihel { | 1848 Nov. 26 | 1844 Sept. 2 | 1846 Febr. 25 | 1851 Juli 8 | 1846 Febr. 10 | 1843 Oct. 17 | ||||||||||||
in mittlerer Pariser Zeit { | 2h | 55' | 56" | 11h | 33' | 57" | 9h | 8' | 1" | 16h | 57' | 23" | 23h | 51' | 36" | 3h | 42' | 16" |
Länge des Perihels | 157° | 47' | 8" | 342° | 30' | 55" | 116° | 28' | 15" | 322° | 59' | 46" | 109° | 2' | 20" | 49° | 34' | 19" |
Länge des aufsteig. Knotens | 334° | 22' | 12" | 63° | 49' | 17" | 102° | 40' | 58" | 148° | 27' | 20" | 245° | 54' | 39" | 209° | 29' | 19" |
Neigung gegen die Ekliptik | 13° | 8' | 36" | 2° | 54' | 50" | 30° | 55' | 53" | 13° | 56' | 12" | 12° | 34' | 53" | 11° | 22' | 31" |
halbe große Axe | 2,214814 | 3,102800 | 3,146494 | 3,461846 | 3,524522 | 3,811790 | ||||||||||||
Perihel-Distanz | 0,337032 | 1,186401 | 0,650103 | 1,173976 | 0,856448 | 1,692579 | ||||||||||||
Aphel-Distanz | 4,092595 | 5,019198 | 5,642884 | 5,749717 | 6,192596 | 5,931001 | ||||||||||||
Excentricität | 0,847828 | 0,617635 | 0,793388 | 0,660881 | 0,757003 | 0,555962 | ||||||||||||
Umlaufszeit in Tagen | 1204 | 1996 | 2039 | 2353 | 2417 | 2718 | ||||||||||||
Umlaufszeit in Jahren | 3,30 | 5,47 | 5,58 | 6,44 | 6,62 | 7,44 | ||||||||||||
berechnet von | Encke, astr. Nachr. XXVII., S. 113 |
Brünnow, gekrönte Preisschrift, Amst. 1849 |
Brünnow, astr. Nachr. XXIX. S. 377 |
d'Arrest, astr. Nachr. XXXIII. S. 125 |
Plantamour, astr. Nachr. XXV. S. 117 |
le Verrier, astr. Nachr. XXIII. S. 196 |
Es folgt ans der hier gegebenen Uebersicht, daß seit der Erkennung des EnckischenDie kurze Umlaufszeit von 1204 Tagen wurde von Encke bei dem Wiedererscheinen seines Cometen im Jahr 1819 erkannt. S. die zuerst berechneten elliptischen Bahnen im Berl. astron. Jahrbuch für 1822 S. 193, und für die zur Erklärung der beschleunigten Umläufe angenommene Constante des widerstehenden Mittels Encke's vierte Abhandl. in den Schriften der Berliner Akademie aus dem J. 1844. (Vergl. Arago im Annuaire pour 1832 p. 181, in der Lettre à Mr. Alexandre de Humboldt 1840 p. 12; und Galle in Olbers Cometenbahnen S. 221.) Zur Geschichte des Cometen von Encke ist noch hier zu erinnern, daß derselbe, so weit die Kunde der Beobachtungen reicht, zuerst von Méchain den 17 Jan. 1786 an zwei Tagen gesehen wurde: dann von Miß Carolina Herschel den 7–27 Nov. 1795: darauf von Bouvard, Pons und Huth den 20 Oct. – 19 Nov. 1805; endlich, als zehnte Wiederkehr seit Méchain's Entdeckung im J. 1786, vom 26 Nov. 1818 bis 12 Jan. 1819 von Pons. Die erste von Encke vorausberechnete Wiederkehr wurde von Rümker zu Paramatta beobachtet. (Galle a. a. O. S. 215, 217, 221 und 222.) – Der Biela'sche oder, wie man auch sagt, der Gambart-Biela'sche innere Comet ist zuerst am 8 März 1772 von Montaigne, dann von Pons am 10 Nov. 1805, danach am 27 Febr. 1826 zu Josephstadt in Böhmen von Herrn von Biela und am 9 März zu Marseille von Gambart gesehen. Der frühere Wieder-Entdecker des Cometen von 1772 ist zweifelsohne Biela und nicht Gambart; dagegen aber hat der Letztere (Arago im Annuaire von 1832 p. 184 und in den Comptes rendus T. III. 1836 p. 415) früher als Biela, und fast zugleich mit Clausen, die elliptischen Elemente bestimmt. Die erste vorausberechnete Wiederkehr des Biela'schen Cometen ward im October und December 1832 von Henderson am Vorgebirge der guten Hoffnung beobachtet. Die schon erwähnte wundersame Verdoppelung des Biela'schen Cometen durch Theilung erfolgte bei seiner 11ten Wiederkehr seit 1772, am Ende des Jahres 1845. (S. Galle bei Olbers S. 214, 218, 224, 227 und 232.) Cometen als eines inneren im Jahr 1819 bis zur Entdeckung des inneren d'Arrest'schen Cometen kaum 32 Jahre verflossen sind. Elliptische Elemente für den letztgenannten hat auch Yvon Villarceau in 572 Schumacher's astron. Nachr. No. 773 gegeben, und zugleich mit Valz einige Vermuthungen über Identität mit dem von la Hire beobachteten und von Douwes berechneten Cometen von 1678 aufgestellt. Zwei andere Cometen, scheinbar auch von fünf- bis sechsjährigem Umlauf, sind der 3te von 1819, von Pons entdeckt und von Encke berechnet; und der 4te von 1819, von Blanpain aufgefunden und nach Clausen identisch mit dem ersten von 1743. Beide können aber noch nicht neben denen aufgeführt werden, welche durch längere Dauer und Genauigkeit der Beobachtungen eine größere Sicherheit und Vollständigkeit der Elemente darbieten.
Die Neigung der inneren Cometenbahnen gegen die Ekliptik ist im ganzen klein, zwischen 3° und 13°; nur die des Brorsen'schen Cometen ist sehr beträchtlich, und erreicht 31°. Alle bisher entdeckten inneren Cometen haben, wie die Haupt- und Nebenplaneten des gesammten Sonnensystems, eine directe oder rechtläufige Bewegung (von West nach Ost in ihren Bahnen fortschreitend). Sir John Herschel hat auf die größere Seltenheit rückläufiger Bewegung bei Cometen von geringer Neigung gegen die Ekliptik aufmerksam gemacht.Outlines of Astronomy § 601. Diese entgegengesetzte Richtung der Bewegung, welche nur bei einer gewissen Classe planetarischer Körper vorkommt, ist in Hinsicht auf die sehr allgemein herrschende Meinung über die Entstehung der zu einem Systeme gehörenden Weltkörper und über primitive Stoß- und Wurfkraft von großer Wichtigkeit. Sie zeigt uns die Cometenwelt, wenn gleich auch in der weitesten Ferne, der Anziehung des Centralkörpers unterworfen, doch in größerer Individualität und Unabhängigkeit. Eine solche Betrachtung hat zu 573 der Idee verleitet, die Cometen für älterLaplace, expos. du Système du Monde p. 396 und 414. Der Laplacischen speciellen Ansicht von den Cometen als »wandernden Nebelflecken (petites nébuleuses errantes de systèmes en systèmes solaires)« stehen die Fortschritte, welche seit dem Tode des großen Mannes in der Auflöslichkeit so vieler Nebelflecke in gedrängte Sternhaufen gemacht worden sind, mannigfach entgegen; auch der Umstand, daß die Cometen einen Antheil von zurückgeworfenem, polarisirtem Lichte haben: welcher den selbstleuchtenden Weltkörpern mangelt. Vergl. Kosmos Bd. III. S. 180, 320, 329, 357 (Anm. 1370 und 1371) und 362 (Anm. 1391). als alle Planeten, gleichsam für Urformen der sich locker ballenden Materie im Weltraume, zu halten. Es fragt sich dabei unter dieser Voraussetzung: ob nicht trotz der ungeheuren Entfernung des nächsten Fixsterns, dessen Parallaxe wir kennen, vom Aphel des Cometen von 1680 einige der Cometen, welche am Himmelsgewölbe erscheinen, nur Durchwanderer unsres Sonnensystemes sind, von einer Sonne zur anderen sich bewegend?
Ich lasse auf die Gruppe der Cometen, als mit vieler Wahrscheinlichkeit zum Sonnengebiete gehörig, den Ring des Thierkreislichtes folgen; und auf diesen die Schwärme der Meteor-Asteroiden, die bisweilen auf unsere Erde herabfallen und über deren Existenz als Körper im Weltraume noch keinesweges eine einstimmige Meinung herrscht. Da ich nach dem Vorgange von Chladni, Olbers, Laplace, Arago, John Herschel und Bessel die Aërolithen bestimmt für außerirdischen, kosmischen Ursprungs halte; so darf ich wohl am Schluß des Abschnitts über die Wandelsterne die zuversichtliche Erwartung aussprechen: daß durch fortgesetzte Genauigkeit in der Beobachtung der Aërolithen, Feuerkugeln und Sternschnuppen die entgegengesetzte Meinung eben so verschwinden werde, als die bis zu dem 16ten Jahrhundert allgemein verbreitete über den meteorischen Ursprung der Cometen es längst ist. Während diese Gestirne schon von der astrologischen Corporation der »Chaldäer in Babylon«, von einem großen Theile der pythagorischen Schule und von Apollonius dem Myndier für, zu bestimmten Zeiten in langen planetarischen Bahnen wiederkehrende Weltkörper gehalten wurden; erklärten die mächtige antipythagorische Schule des Aristoteles 574 und der von Seneca bestrittene Epigenes die Cometen für Erzeugnisse meteorischer Processe in unserem Luftkreise.Zu Babylon in der gelehrten chaldäischen Schule der Astrologen, wie bei den Pythagoreern, und eigentlich bei allen alten Schulen, gab es Spaltung der Meinungen. Seneca (Nat. Quaest. VII, 3) führt die einander entgegengesetzten Zeugnisse des Apollonius Myndius und des Epigenes an. Der Letztere gehört zu den selten Genannten; doch bezeichnet ihn Plinius (VII, 57) als gravis auctor in primis, wie auch ohne Lob Censorinus de die natali cap. 17, und Stob. Ecl. phys. I, 29 p. 586 ed. Heeren (vergl. Lobeck, Aglaoph. p. 341). Diodor (XV, 50) glaubt, daß die allgemeine und herrschende Ansicht bei den babylonischen Astrologen (den Chaldäern) die war: daß die Cometen zu festbestimmten Zeiten in ihren sicheren Bahnen wiederkehren. Der Zwiespalt, welcher unter den Pythagoreern über die planetarische Natur der Cometen herrschte, und welchen Aristoteles (Meteorol. lib. I cap. 6,1) und Pseudo-Plutarch (de plac. Philos. lib. III cap. 2) andeuten, dehnte sich nach dem Ersteren (Meteor. I. 8,2) auch auf die Natur der Milchstraße, den verlassenen Weg der Sonne oder des gestürzten Phaethon, aus (vergl. Letronne in den Mém. de l'Acad. des Inscriptions T. XII. 1839 p. 108). Von einigen der Pythagoreer wird die Meinung bei Aristoteles angeführt: »daß die Cometen zur Zahl solcher Planeten gehören, die erst nach langer Zeit, wie Merkur, sichtbar werden können, über den Horizont in ihrem Laufe aufsteigend«. Bei dem so fragmentarischen Pseudo-Plutarch heißt es: daß sie »zu fest bestimmten Zeiten nach vollbrachtem Umlaufe aufgehen«. Vieles in abgesonderten Schriften über die Natur der Cometen enthaltene ist uns verloren gegangen: von Arrian, den Stobäus benutzen konnte; von Charimander, dessen bloßer Name sich nur bei Seneca und Pappus erhalten hat. Stobäus führt als Meinung der Chaldäer an (Eclog. lib. I cap. 25 p. 61, Christ. Plautinus): daß die Cometen eben deshalb so selten uns sichtbar bleiben, weil sie in ihrem langen Laufe sich fern von uns in die Tiefen des Aethers (des Weltraums) verbergen, wie die Fische in den Tiefen des Oceans. Das Anmuthigste und, trotz der rhetorischen Färbung, das Gründlichste und mit den jetzigen Meinungen Uebereinstimmendste gehört im Alterthum dem Seneca zu. Wir lesen Nat. Quaest. lib. VII cap. 22, 25 und 31: »Non enim existimo Cometem subitaneum ignem, sed inter aeterna opera naturae. – Quid enim miramur, cometas, tam rarum mundi spectaculum, nondum teneri legibus certis? nec initia illorum finesque patescere, quorum ex ingentibus intervallis recursus est? Nondum sunt anni quingenti, ex quo Graecia..... stellis numeros et nomina fecit. Multaeque hodie sunt gentes, quae tantum facie noverint caelum; quae nondum sciant, cur luna deficiat, quare obumbretur. Hoc apud nos quoque nuper ratio ad certum perduxit. Veniet tempus, quo ista, quae nunc latent, in lucem dies extrahat et longioris aevi diligentia. – Veniet tempus, quo posteri nostri tam aperta nos nescisse mirentur. – Eleusis servat, quod ostendat revisentibus. Rerum natura sacra sua non simul tradit. Initiatos nos credimus; in vestibulo ejus haeremus. Illa arcana non promiscue nec omnibus patent, reducta et in interiore sacrario clausa sunt. Ex quibus aliud haec aetas, aliud quae post nos subibit, dispiciet. Tarde magna proveniunt......« Analoge Schwankungen zwischen kosmischen und tellurischen Hypothesen, zwischen dem Weltraume und der Atmosphäre führen endlich doch zu einer richtigen Ansicht der Naturerscheinungen zurück.
Ring des Thierkreislichtes.
In unsrem formenreichen Sonnensysteme sind Existenz, Ort und Gestaltung vieler einzelnen Glieder seit kaum drittehalbhundert Jahren und in langen Zwischenräumen der Zeit allmälig erkannt worden: zuerst die untergeordneten oder Particular-Systeme, in denen, dem Hauptsysteme der Sonne analog, geballte kleinere Weltkörper einen größeren umkreisen; dann concentrische Ringe um einen, und zwar den satellitenreichsten, der undichteren und äußeren Hauptplaneten: dann das Dasein und die wahrscheinliche materielle Ursach des milden, pyramidal gestalteten, dem unbewaffneten Auge sehr sichtbaren Thierkreislichtes; dann die sich gegenseitig schneidenden, zwischen den Gebieten zweier Hauptplaneten eingeschlossenen, außerhalb der Zodiacal-Zone liegenden Bahnen der sogenannten Kleinen Planeten oder Asteroiden; endlich die merkwürdige Gruppe von inneren Cometen, deren Aphele kleiner als die Aphele des Saturn, des Uranus oder des Neptun sind. In einer kosmischen Darstellung des Weltraumes ist es nöthig an eine Verschiedenartigkeit der Glieder des Sonnensystems zu erinnern, welche keinesweges Gleichartigkeit des Ursprungs und dauernde Abhängigkeit der bewegenden Kräfte ausschließt.
So groß auch noch das Dunkel ist, welches die materielle Ursach des Thierkreislichtes umhüllt; so scheint doch: bei der 588 mathematischen Gewißheit, daß die Sonnen-Atmosphäre nicht weiter als bis zu 9/20 des Merkur-Abstandes reichen könne, die von Laplace, Schubert, Arago, Poisson und Biot vertheidigte Meinung: nach der das Zodiacallicht aus einem dunstartigen, abgeplatteten, frei im Weltraum zwischen der Venus- und Marsbahn kreisenden Ringe ausstrahle, in dem gegenwärtigen sehr mangelhaften Zustande der Beobachtungen die befriedigendste zu sein. Die äußerste Grenze der Atmosphäre hat sich bei der Sonne wie im Saturn (einem untergeordneten Systeme) nur bis dahin ausdehnen können, wo die Attraction des allgemeinen oder partiellen Centralkörpers der Schwungkraft genau das Gleichgewicht hält; jenseits mußte die Atmosphäre nach der Tangente entweichen, und geballt als kugelförmige Planeten und Trabanten, oder nicht geballt zu Kugeln als feste und dunstförmige Ringe den Umlauf fortsetzen. Nach dieser Betrachtung tritt der Ring des Zodiacallichts in die Categorie planetarischer Formen, welche den allgemeinen Bildungsgesetzen unterworfen sind.
Bei den so geringen Fortschritten, welche auf dem Wege der Beobachtung dieser vernachlässigte Theil unsrer astronomischen Kenntnisse macht, habe ich wenig zu dem zuzusetzen, was, fremder und eigener Erfahrung entnommen, ich früher in dem Naturgemälde (Bd. I. S. 142–149 und 409–414 Anm. 91–108; Bd. III. S. 323) entwickelt habe. Wenn 22 Jahre vor Dominique Cassini, dem man gemeinhin die erste Wahrnehmung des Zodiacallichtes zuschreibt, schon Childrey (Caplan des Lords Henry Somerset) in seiner 1661 erschienenen Britannia Baconica dasselbe als eine vorher unbeschriebene und von ihm mehrere Jahre lang im Februar und Anfang März gesehene Erscheinung der Aufmerksamkeit 589 der Astronomen empfiehlt; so muß ich (nach einer Bemerkung von Olbers) auch eines Briefes von Rothmann an Tycho erwähnen, aus welchem hervorgeht, daß Tycho schon am Ende des 16ten Jahrhunderts den Zodiacalschein sah und für eine abnorme Frühjahrs-Abenddämmerung hielt. Die auffallend stärkere Licht-Intensität der Erscheinung in Spanien, an der Küste von Valencia und in den Ebenen Neu-Castiliens, hat mich zuerst, ehe ich Europa verließ, zu anhaltender Beobachtung angeregt. Die Stärke des Lichtes, man darf sagen der Erleuchtung, nahm überraschend zu, je mehr ich mich in Südamerika und in der Südsee dem Aequator näherte. In der ewig trocknen, heiteren Luft von Cumana, in den Grassteppen (Llanos) von Caracas, auf den Hochebenen von Quito und der mexicanischen Seen: besonders in Höhen von acht- bis zwölftausend Fuß, in denen ich länger verweilen konnte; übertraf der Glanz bisweilen den der schönsten Stellen der Milchstraße zwischen dem Vordertheile des Schiffes und dem Schützen, oder, um Theile unserer Hemisphäre zu nennen, zwischen dem Adler und Schwan.
Im ganzen aber hat mir der Glanz des Zodiacallichtes keinesweges merklich mit der Höhe des Standorts zu wachsen, sondern vielmehr hauptsächlich von der inneren Veränderlichkeit des Phänomens selbst, von der größeren oder geringeren Intensität des Lichtprocesses abzuhangen geschienen: wie meine Beobachtungen in der Südsee zeigen, in welchen sogar ein Gegenschein gleich dem bei dem Untergang der Sonne bemerkt ward. Ich sage: hauptsächlich; denn ich verneine nicht die Möglichkeit eines gleichzeitigen Einflusses der Luftbeschaffenheit (größeren und geringeren Diaphanität) der höchsten Schichten der Atmosphäre, während meine Instrumente 590 in den unteren Schichten gar keine oder vielmehr günstige Hygrometer-Veränderungen andeuteten. Fortschritte in unserer Kenntniß des Thierkreislichtes sind vorzüglich aus der Tropengegend zu erwarten, wo die meteorologischen Processe die höchste Stufe der Gleichförmigkeit oder Regelmäßigkeit in der Periodicität der Veränderungen erreichen. Das Phänomen ist dort perpetuirlich; und eine sorgfältige Vergleichung der Beobachtungen an Punkten verschiedener Höhe und unter verschiedenen Localverhältnissen würde mit Anwendung der Wahrscheinlichkeits-Rechnung entscheiden, was man kosmischen Lichtprocessen, was bloßen meteorologischen Einflüssen zuschreiben soll.
Es ist mehrfach behauptet worden, daß in Europa in mehreren auf einander folgenden Jahren fast gar kein Thierkreislicht oder doch nur eine schwache Spur desselben gesehen worden sei. Sollte in solchen Jahren das Licht auch in der Aequinoctial-Zone verhältnißmäßig geschwächt erscheinen? Die Untersuchung müßte sich aber nicht auf die Gestaltung nach Angabe der Abstände von bekannten Sternen oder nach unmittelbaren Messungen beschränken. Die Intensität des Lichts, seine Gleichartigkeit oder seine etwanige Intermittenz (Zucken und Flammen), seine Analyse durch das Polariscop wären vorzugsweise zu erforschen. Bereits Arago (Annuaire pour 1836 p. 298) hat darauf hingedeutet, daß vergleichende Beobachtungen von Dominique Cassini vielleicht klar erweisen würden: »que la supposition des intermittences de la diaphanité atmosphérique ne saurait suffire à l'explication des variations signalées par cet Astronome«.
Gleich nach den ersten Pariser Beobachtungen dieses großen Beobachters und seines Freundes Fatio de Duillier zeigte sich Liebe zu ähnlicher Arbeit bei indischen Reisenden 591 (Pater Noël, de Bèze und Duhalde); aber vereinzelte Berichte (meist nur schildernd die Freude über den ungewohnten Anblick) und zur gründlichen Discussion der Ursachen der Veränderlichkeit unbrauchbar. Nicht die schnellen Reisen auf den sogenannten Weltumseglungen, wie noch in neuerer Zeit die Bemühungen des thätigen Horner zeigen (Zach, monatl. Corresp. Bd. X. S: 337–340), können ernst zum Zwecke führen. Nur ein mehrjähriger permanenter Aufenthalt in einigen der Tropenländer kann die Probleme veränderter Gestaltung und Licht-Intensität lösen. Daher ist am meisten für den Gegenstand, welcher uns hier beschäftigt, wie für die gesammte Meteorologie von der endlichen Verbreitung wissenschaftlicher Cultur über die Aequinoctial-Welt des ehemaligen spanischen Amerika zu erwarten: da, wo große volkreiche Städte: Cuzco, la Paz, Potosi, zwischen 10700 und 12500 Fuß über dem Meere liegen. Die numerischen Resultate, zu denen Houzeau, auf eine freilich nur geringe Zahl vorhandener genauer Beobachtungen gestützt, hat gelangen können, machen es wahrscheinlich, daß die große Axe des Zodiacalschein-Ringes eben so wenig mit der Ebene des Sonnen-Aequators zusammenfällt, als die Dunstmasse des Ringes, deren Molecular-Zustand uns ganz unbekannt ist, die Erdbahn überschreitet. (Schumacher's astron. Nachr. No. 492.)
Sternschnuppen, Feuerkugeln und Meteorsteine.
Seit dem Frühjahr 1845, in dem ich das Naturgemälde oder die allgemeine Uebersicht kosmischer Erscheinungen herausgegeben, sind die früheren Resultate der Beobachtung von Aërolithenfällen und periodischen Sternschnuppenströmen mannigfaltig erweitert und berichtigt worden. Vieles wurde einer strengeren und sorgfältigeren Kritik unterworfen: besonders die, für das Ganze des räthselhaften Phänomens so wichtige Erörterung der Radiation, d. h. der Lage der Ausgangspunkte in den wiederkehrenden Epochen der Sternschnuppenschwärme. Auch ist die Zahl solcher Epochen, von welchen lange die August- und die November-Periode allein die Aufmerksamkeit auf sich zogen, durch neuere Beobachtungen vermehrt worden, deren Resultate einen hohen Grad der Wahrscheinlichkeit darbieten. Man ist durch die verdienstvollen Bemühungen: zuerst von Brandes, Benzenberg, Olbers und Bessel; später von Erman, Boguslawski, Quetelet, Feldt, Saigey, Eduard Heis und Julius Schmidt: zu genaueren correspondirenden Messungen übergegangen; und ein mehr verbreiteter mathematischer Sinn hat es schwieriger gemacht, durch Selbsttäuschung einem vorgefaßten Theorem unsichere Beobachtungen anzupassen.
Die Fortschritte in dem Studium der Feuermeteore werden um so schneller sein, als man unpartheiisch Thatsachen von 593 Meinungen trennt, die Einzelheiten prüft: aber nicht als ungewiß und schlecht beobachtet alles verwirft, was man jetzt noch nicht zu erklären weiß. Am wichtigsten scheint mir Absonderung der physischen Verhältnisse von den, im ganzen sicherer zu ergründenden, geometrischen und Zahlen-Verhältnissen. Zu der letzteren Classe gehören: Höhe, Geschwindigkeit, Einheit oder Mehrfachheit der Ausgangspunkte bei erkannter Radiation; mittlere Zahl der Feuermeteore in sporadischen oder periodischen Erscheinungen, nach Frequenz auf dasselbe Zeitmaaß reducirt; Größe und Gestaltung, in Zusammenhang mit den Jahreszeiten oder mit den Abständen von der Mitte der Nacht betrachtet. Die Ergründung beider Arten von Verhältnissen, der physischen wie der geometrischen, wird allmälig zu einem und demselben Ziele: zu genetischen Betrachtungen über die innere Natur der Erscheinung, führen.
Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß wir im ganzen mit den Welträumen und dem, was sie erfüllt, nur in Verkehr stehen durch licht- und wärmeerregende Schwingungen: wie durch die geheimnißvollen Anziehungskräfte, welche ferne Massen (Weltkörper) nach der Quantität ihrer Körpertheilchen auf unseren Erdball, dessen Oceane und Luftumhüllung ausüben. Die Lichtschwingung, welche von dem kleinsten telescopischen Fixsterne, aus einem auflöslichen Nebelflecke ausgeht, und für die unser Auge empfänglich ist, bringt uns (wie es die sichere Kenntniß von der Geschwindigkeit und Aberration des Lichtes mathematisch darthut) ein Zeugniß von dem ältesten Dasein der Materie.Der Anblick des gestirnten Himmels bietet uns Ungleichzeitiges dar. Vieles ist längst verschwunden, ehe es uns erreicht; vieles anders geordnet. Kosmos Bd. I. S. 161 und 416 [Anm. 121], Bd. III. S. 90 und 125 [Anm. 1125]. (Vergl. Baco, Novum Organum, Lond. 1733, p. 371; und Will. Herschel in den Philosophical Transactions for 1802 p. 498.) Ein Licht-Eindruck aus den Tiefen der sterngefüllten Himmelsräume führt uns mittelst einer einfachen 594 Gedankenverbindung über eine Myriade von Jahrhunderten in die Tiefen der Vorzeit zurück. Wenn auch die Licht-Eindrücke, welche Sternschnuppenströme, aërolithen-schleudernde Feuerkugeln oder ähnliche Feuermeteore geben, ganz verschiedener Natur sein mögen: wenn sie sich auch erst entzünden, indem sie in die Erd-Atmosphäre gelangen; so bietet doch der fallende Aërolith das einzige Schauspiel einer materiellen Berührung von etwas dar, das unserem Planeten fremd ist. Wir erstaunen, »metallische und erdige Massen, welche der Außenwelt, den himmlischen Räumen angehören: betasten, wiegen, chemisch zersetzen zu können«; in ihnen heimische Mineralien zu finden, die es wahrscheinlich machen, wie dies schon Newton vermuthete, daß Stoffe, welche zu einer Gruppe von Weltkörpern, zu einem Planetensysteme gehören, großentheils dieselben sind.Kosmos Bd. I. S. 137, 142 und 407 (Anm. 85).
Die Kenntniß von den ältesten, chronologisch sicher bestimmten Aërolithenfällen verdanken wir dem Fleiß der alles registrirenden Chinesen. Solche Nachrichten steigen bis in das Jahr 644 vor unsrer Zeitrechnung hinauf: also bis zu den Zeiten des Tyrtäus und des zweiten messenischen Krieges der Spartaner, 176 Jahre vor dem Fall der ungeheuren Meteormasse bei Aegos Potamoi. Eduard Biot hat in Ma-tuan-lin, welcher Auszüge aus der astronomischen Section der ältesten Reichs-Annalen enthält, für die Epoche von der Mitte des 7ten Jahrhunderts vor Chr. bis 333 Jahre nach Chr. 16 Aërolithenfälle aufgefunden: während daß griechische und römische Schriftsteller für denselben Zeitraum nur 4 solche Erscheinungen anführen.
Merkwürdig ist es, daß die ionische Schule früh schon, übereinstimmend mit unsren jetzigen Meinungen, den 595 kosmischen Ursprung der Meteorsteine annahm. Der Eindruck, welchen eine so großartige Erscheinung als die bei Aegos Potamoi (an einem Punkte, welcher 62 Jahre später durch den, den peloponnesischen Krieg beendigenden Sieg des Lysander über die Athener noch berühmter ward) auf alle hellenische Völkerschaften machte, mußte auf die Richtung und Entwickelung der ionischen PhysiologieS. die Meinungen der Griechen über die Fälle von Meteorsteinen im Kosmos Bd I. S. 138, 139, 395, 397, 401, 402, 407 und 408 (Anm. 61, 62, 69, 87–89); Bd. II. S. 501 Anm. 910. einen entscheidenden und nicht genug beachteten Einfluß ausüben. Anaxagoras von Clazomenä war in dem reifen Alter von 32 Jahren, als jene Naturbegebenheit vorfiel. Nach ihm sind die Gestirne von der Erde durch die Gewalt des Umschwunges abgerissene Massen (Plut. de plac. Philos. III, 13). Der ganze Himmel, meint er, sei aus Steinen zusammengesetzt (Plato de legibus XII p. 967). Die steinartigen festen Körper werden durch den feurigen Aether in Gluth gesetzt, so daß sie das vom Aether ihnen mitgetheilte Licht zurückstrahlen. Tiefer als der Mond, und noch zwischen ihm und der Erde, bewegen sich, sagt Anaxagoras nach dem Theophrast (Stob. Eclog. phys. lib. I pag. 560), noch andere dunkle Körper, die auch Mondverfinsterungen hervorbringen können (Diog. Laert. II, 12; Origenes, Philosophum. cap. 8). Noch deutlicher, und gleichsam bewegter von dem Eindruck des großen Aërolithenfalles, drückt sich Diogenes von Apollonia: der, wenn er auch nicht ein Schüler des Anaximenes istBrandis, Geschichte der Griechisch-Römischen Philosophie Th. I. S. 272–277, gegen Schleiermacher in den Abhandl. der Berl. Akad. aus den Jahren 1804–1811 (Berlin 1815) S. 79–124., doch wahrscheinlich einer Zeitepoche zwischen Anaxagoras und Democritus angehört, über den Weltbau aus. Nach ihm »bewegen sich«, wie ich schon an einem Orte angeführt, »mit den sichtbaren Sternen auch unsichtbare (dunkle) Steinmassen, die deshalb unbenannt bleiben. Letztere fallen bisweilen auf die Erde herab und verlöschen: wie 596 es geschehen ist mit dem steinernen Stern, welcher bei Aegos Potamoi gefallen ist.« (Stob. Eclog. pag. 508)Wenn Stobäus in derselben Stelle (Eclog. phys. p. 508) dem Apolloniaten zuschreibt, er habe die Sterne bimssteinartige Körper (also poröse Steine) genannt; so mag die Veranlassung zu dieser Benennung wohl die im Alterthum so verbreitete Idee sein, daß alle Weltkörper durch feuchte Ausdünstungen genährt werden. Die Sonne giebt das Eingesogene wieder zurück. (Aristot. Meteorol. ed. Ideler T. I. p. 509; Seneca, Nat. Quaest. IV, 2.) Die bimssteinartigen Weltkörper haben ihre eigenen Exhalationen. »Diese: welche nicht gesehen werden können, so lange sie in den himmlischen Räumen umherirren, sind Steine; entzünden sich und verlöschen, wenn sie zur Erde herabfallen.« (Plut. de plac. Philos. II, 13.) Den Fall von Meteorsteinen hält Plinius (II, 59) für häufig: decidere tamen crebro, non erit dubium«; er weiß auch, daß der Fall in heiterer Luft ein Getöse hervorbringt (II, 43). Die analog scheinende Stelle des Seneca, in welcher er den Anaximenes nennt (Natur. Quaest. lib. II, 17), bezieht sich wohl auf den Donner in einer Gewitterwolke.
Die »Meinung einiger Physiker« über Feuermeteore (Sternschnuppen und Aërolithen), welche Plutarch im Leben des Lysander (cap. 12) umständlich entwickelt, ist ganz die des cretensischen Diogenes. »Sternschnuppen«, heißt es dort, »sind nicht Auswürfe und Abflüsse des ätherischen Feuers, welche, wenn sie in unseren Luftkreis kommen, nach der Entzündung erlöschen; sie sind vielmehr Wurf und Fall himmlischer Körper: dergestalt, daß sie durch ein Nachlassen des Schwunges herabgeschleudert werden.«Die merkwürdige Stelle (Plut. Lys. cap. 12) lautet, wörtlich übersetzt, also: »Wahrscheinlich ist die Meinung Einiger, die gesagt haben: die Sternschnuppen seien nicht Abflüsse noch Verbreitungen des ätherischen Feuers, welches in der Luft verlösche gleich bei seiner Entzündung; noch auch Entflammung und Entbrennung von Luft, die sich in Menge abgelöst habe nach der oberen Region: sondern Wurf und Fall himmlischer Körper, welche: wie durch einen Nachlaß des Schwunges und eine ungeregelte Bewegung, durch einen Absprung, nicht bloß auf den bewohnten Raum der Erde geschleudert werden, sondern meistentheils außerhalb in das große Meer fallen; weshalb sie auch verborgen bleiben.« Von dieser Ansicht des Weltbaues: von der Annahme dunkler Weltkörper, die auf unsere Erde herabfallen, finden wir nichts in den Lehren der alten ionischen Schule, von Thales und Hippo bis zum Empedocles.Ueber absolut dunkle Weltkörper oder solche, in denen der Lichtproceß (periodisch?) aufhört; über die Meinungen der Neueren (Laplace und Bessel), und über die von Peters in Königsberg bestätigte Bessel'sche Beobachtung einer Veränderlichkeit in der eigenen Bewegung des Procyon: s. Kosmos Bd. III. S. 267–269. Der Eindruck der Naturbegebenheit in der 78ten Olympiade scheint die Idee des Falles dunkler Massen mächtig hervorgerufen zu haben. In dem späten Pseudo-Plutarch (Plac. II, 13) lesen wir bloß: daß der Milesier Thales »die Gestirne alle für irdische und feurige Körper (γεώδη καὶ ἔμπυρα)« hielt. Die Bestrebungen der früheren ionischen Physiologie waren gerichtet auf das Erspähen des Urgrundes der Dinge, des Entstehens durch Mischung, stufenweise Veränderung und Uebergänge der Stoffe in einander; auf die Processe des Werdens durch Erstarrung oder Verdünnung. Des Umschwungs der Hemisphäre, »welcher die Erde im Mittelpunkt festhält«, gedenkt allerdings schon Empedocles als einer wirksam bewegenden kosmischen Kraft. Da in diesen ersten Anklängen physikalischer Theorien der Aether, die Feuerluft, ja das Feuer selbst die Expansivkraft der Wärme darstellt; so knüpfte sich an die 597 hohe Region des Aethers die Idee des treibenden, von der Erde Felsstücke wegreißenden Umschwunges. Daher nennt Aristoteles (Meteorol. I, 339 Bekker) den Aether »den ewig im Lauf begriffenen Körper«, gleichsam das nächste Substratum der Bewegung; und sucht etymologische GründeVergl. Kosmos Bd. III. S. 42–44 und 54 Anm. 1051. für diese Behauptung. Deshalb finden wir in der Biographie des Lysander: »daß das Nachlassen der Schwungkraft den Fall himmlischer Körper verursacht«; wie auch an einem anderen Orte, wo Plutarch offenbar wieder auf Meinungen des Anaxagoras oder des Diogenes von Apollonia hindeutet (de facie in orbe Lunae pag. 923), er die Behauptung aufstellt: »daß der Mond, wenn seine Schwungkraft aufhörte, zur Erde fallen würde, wie der Stein in der Schleuder«Die im Text bezeichnete denkwürdige Stelle des Plutarch (de facie in orbe Lunae p. 923) heißt, wörtlich übersetzt: »Ist doch dem Mond eine Hülfe gegen das Fallen seine Bewegung selbst und das Heftige des Kreisumlaufes, so wie die in Schleudern gelegten Dinge an dem Umschwung im Kreise ein Hinderniß des Herabfallens haben.«. So sehen wir in diesem Gleichniß nach der Annahme eines centrifugalen Umschwunges, welchen Empedocles in der (scheinbaren) Umdrehung der Himmelskugel erkannte, allmälig als idealen Gegensatz eine Centripetalkraft auftreten. Diese Kraft wird eigens und deutlicher bezeichnet von dem scharfsinnigsten aller Erklärer des Aristoteles, Simplicius (pag. 491, Bekker). Er will das Nicht-Herabfallen der Weltkörper dadurch erklären: »daß der Umschwung die Oberhand hat über die eigene Fallkraft, den Zug nach unten«. Dies sind die ersten Ahndungen über wirkende Centralkräfte; und, gleichsam auch die Trägheit der Materie anerkennend, schreibt zuerst der Alexandriner Johannes Philoponus: Schüler des Ammonius Hermeä, wahrscheinlich auch aus dem 6ten Jahrhundert, »die Bewegung der kreisenden Planeten einem primitiven Stoße« zu, welchen er sinnig (de creatione mundi lib. I cap. 12) mit der Idee des »Falles, eines Strebens aller schweren und leichten Stoffe 598 gegen die Erde«, verbindet. So haben wir versucht zu zeigen, wie eine große Naturerscheinung und die früheste, rein kosmische Erklärung eines Aërolithenfalles wesentlich dazu beigetragen hat, im griechischen Alterthume stufenweise, aber freilich nicht durch mathematische Gedankenverbindung, die Keime von dem zu entwickeln, was, durch die Geistesarbeit der folgenden Jahrhunderte gefördert, zu den von Huygens entdeckten Gesetzen der Kreisbewegung führte.
Von den geometrischen Verhältnissen der periodischen (nicht sporadischen) Sternschnuppen beginnend, richten wir unsere Aufmerksamkeit vorzugsweise auf das, was neuere Beobachtungen über die Radiation oder die Ausgangspunkte der Meteore und über ihre ganz planetarische Geschwindigkeit offenbart haben. Beides, Radiation und Geschwindigkeit, charakterisirt sie mit einem hohen Grade der Wahrscheinlichkeit als leuchtende Körper, die sich als unabhängig von der Rotation der Erde zeigen und von außen, aus dem Weltraume, in unsere Atmosphäre gelangen. Die nordamerikanischen Beobachtungen der November-Periode bei den Sternschnuppenfällen von 1833, 1834 und 1837 hatten als Ausgangspunkt den Stern γ Leonis bezeichnen lassen; die Beobachtungen des August-Phänomens im Jahr 1839 Algol im Perseus, oder einen Punkt zwischen dem Perseus und dem Stier. Es waren diese Radiations-Centra ohngefähr die Sternbilder, gegen welche hin sich etwa in derselben Epoche die Erde bewegte.Kosmos Bd. I. S. 126. Saigey, der die amerikanischen Beobachtungen von 1833 einer sehr genauen Untersuchung unterworfen hat, bemerkt: daß die fixe Radiation aus dem Sternbild des Löwen eigentlich nur nach Mitternacht, in den letzten 3 bis 4 Stunden vor Anbruch des Tages, 599 bemerkt worden ist; daß von 18 Beobachtern zwischen der Stadt Mexico und dem Huronen-See nur 10 denselben allgemeinen Ausgangspunkt der Meteore erkanntenCoulvier-Gravier und Saigey, recherches sur les Étoiles filantes 1847 p. 69–86., welchen Denison Olmsted, Professor der Mathematik in New-Haven (Massachusetts), angab.
Die vortreffliche Schrift des Oberlehrers Eduard Heis zu Aachen, welche, zehn Jahre lang von ihm daselbst angestellte, sehr genaue Beobachtungen über periodische Sternschnuppen in gedrängter Kürze darbietet, enthält Resultate der Radiations-Erscheinungen, die um so wichtiger sind, als der Beobachter sie mit mathematischer Strenge discutirt hat. Nach ihm»Die periodischen Sternschnuppen und die Resultate der Erscheinungen, abgeleitet aus den während der letzten 10 Jahre zu Aachen angestellten Beobachtungen, von Eduard Heis« (1849) S. 7 und 26–30. »ist es eigenthümlich für die Sternschnuppen der November-Periode, daß die Bahnen mehr zerstreut sind als die der August-Periode. In jeder der beiden Perioden sind die Ausgangspunkte gleichzeitig mehrfach gewesen; keinesweges immer von demselben Sternbilde ausgehend, wie man seit dem Jahre 1833 voreilig anzunehmen geneigt war.« Heis findet in den August-Perioden der Jahre 1839, 1841, 1842, 1843, 1844, 1847 und 1848 neben dem Haupt-Ausgangspunkt des Algol im Perseus noch zwei andere: im Drachen und im Nordpol.Die Angabe des Nordpols als Centrums der Radiation in der August-Periode gründet sich nur auf die Beobachtungen des einzigen Jahres 1839 (10 Aug.). Ein Reisender im Orient, Dr. Asahel Grant, meldet aus Mardin in Mesopotamien: »daß um Mitternacht der Himmel von Sternschnuppen, welche alle von der Gegend des Polarsterns ausgingen, wie gefurcht war«. (Heis S. 28, nach einem Briefe Herrick's an Quetelet und Grant's Tagebuche.) »Um genaue Resultate über die Ausgangspunkte der Sternschnuppen-Bahnen in der November-Periode für die Jahre 1839, 1841, 1846 und 1847 zu ziehen, wurden für einen jeden der 4 Punkte (Perseus, Löwe, Cassiopeja und Drachenkopf) einzeln die zu demselben gehörigen Mittelbahnen auf eine 30zöllige Himmelskugel aufgezeichnet. und jedesmal die Lage des Punktes ermittelt, von welchem die meisten Bahnen ausgingen. Die Untersuchung ergab, daß von 407 der Bahn nach verzeichneten Sternschnuppen 171 600 aus dem Perseus nahe beim Sterne η im Medusenhaupte, 83 aus dem Löwen, 35 aus der Cassiopeja in der Nähe des veränderlichen Sternes α, 40 aus dem Drachenkopfe, volle 78 aber aus unbestimmten Punkten kamen. Die Zahl der aus dem Perseus ausstrahlenden Sternschnuppen betrug also fast doppelt so viel als die des Löwen.«Es hatte aber dieses Uebergewicht des Ausgangspunktes des Perseus über den des Löwen noch keinesweges statt bei den Bremer Beobachtungen der Nacht vom 13/14 Nov. 1838. Ein sehr geübter Beobachter, Roswinkel, sah bei einem reichen Sternschnuppenfall fast sämmtliche Bahnen aus dem Löwen und dem südlichen Theile des Großen Bären ausgehen: während in der Nacht vom 12/13 Nov. bei einem nur wenig ärmeren Sternschnuppenfalle bloß 4 Bahnen von dem Löwen ausgingen. Olbers (Schum. astr. Nachr. No. 372) setzt sehr bedeutsam hinzu: »Die Bahnen in dieser Nacht zeigten unter sich nichts paralleles, keine Beziehung auf den Löwen; und (wegen des Mangels an Parallelismus) schienen sie zu den sporadischen und nicht zu den periodischen zu gehören. Das eigentliche November-Phänomen war aber freilich nicht an Glanz mit denen der Jahre 1799, 1832 und 1833 zu vergleichen.«
Die Radiation aus dem Perseus hat sich demnach in beiden Perioden als ein sehr merkwürdiges Resultat erwiesen. Ein scharfsinniger, acht bis zehn Jahre mit den Meteor-Phänomenen beschäftigter Beobachter, Julius Schmidt, Adjunct an der Sternwarte zu Bonn, äußert sich über diesen Gegenstand mit großer Bestimmtheit in einem Briefe an mich (Juli 1851): »Abstrahire ich von den reichen Sternschnuppenfällen im November 1833 und 1834, so wie von einigen späteren der Art, wo der Punkt im Löwen ganze Schaaren von Meteoren aussandte; so bin ich gegenwärtig geneigt den Perseus-Punkt als denjenigen Convergenzpunkt zu betrachten, welcher nicht bloß im August, sondern das ganze Jahr hindurch die meisten Meteore liefert. Dieser Punkt liegt, wenn ich die aus 478 Beobachtungen von Heis ermittelten Werthe zum Grunde lege, in RA. 50°,3 und Decl. 51°,5 (gültig für 1844,6). Im November 1849 (7ten–14ten) sah ich ein paar hundert Sternschnuppen mehr, als ich seit 1841 je im November bemerkt hatte. Von diesen kamen im ganzen nur wenige aus dem Löwen, bei weitem die meisten gehörten dem Sternbild des Perseus an. Daraus folgt, wie mir scheint, daß das große November-Phänomen von 1799 und 1833 damals (1841) nicht erschienen ist. Auch glaubte Olbers an eine Periode von 34 Jahren für das Maximum der November-Erscheinung (Kosmos Bd. I. S. 132). Wenn 601 man die Richtungen der Meteor-Bahnen in ihrer ganzen Complication und periodischen Wiederkehr betrachtet: so findet man, daß es gewisse Radiationspunkte giebt, die immer vertreten sind: andere, die nur sporadisch und wechselnd erscheinen.«
Ob übrigens die verschiedenen Ausgangspunkte mit den Jahren sich ändern: was, wenn man geschlossene Ringe annimmt, eine Veränderung in der Lage der Ringe andeuten würde, in welchen die Meteore sich bewegen; läßt sich bis jetzt nicht mit Sicherheit aus den Beobachtungen bestimmen. Eine schöne Reihe solcher Beobachtungen von Houzeau (aus den Jahren 1839 bis 1842) scheint gegen eine progressive Veränderung zu zeugen.Saigey p. 151, und über Erman's Bestimmung der, den Radiations- oder Ausgangspunkten diametral entgegengesetzten Convergenzpunkte p. 125–129. Daß man im griechischen und römischen Alterthum schon auf eine gewisse temporäre Gleichförmigkeit in der Richtung der am Himmelsgewölbe hinschießenden Sternschnuppen aufmerksam gewesen ist, hat sehr richtig Eduard HeisHeis, period. Sternschn. S. 6. (Vergl. Aristot. Problem. XXVI, 23; Seneca, Nat. Quaest. lib. I, 14): »ventum significat stellarum discurrentium lapsus, et quidem ab ea parte qua erumpit«.) Ich selbst habe lange, besonders während meines Aufenthaltes in Marseille zur Zeit der ägyptischen Expedition, an den Einfluß der Winde auf die Richtung der Sternschnuppen geglaubt. bemerkt. Jene Richtung wurde damals als Folge eines in den höheren Luftregionen bereits wehenden Windes betrachtet, und verkündigte den Schiffenden einen bald aus derselben Weltgegend eintretenden und herabsteigenden Luftstrom in der niedrigeren Region.
Wenn die periodischen Sternschnuppenströme sich von den sporadischen schon durch häufigen Parallelismus der Bahnen, strahlend aus einem oder mehreren Ausgangspunkten, unterscheiden; so ist ein zweites Criterium derselben das numerische: die Menge der einzelnen Meteore, auf ein bestimmtes Zeitmaaß zurückgeführt. Wir kommen hier auf die vielbestrittene Aufgabe der Unterscheidung eines außerordentlichen Sternschnuppenfalles von einem gewöhnlichen. Als Mittelzahl der Meteore, welche in dem Gesichtskreis einer Person 602 an nicht außerordentlichen Tagen stündlich zu rechnen sind, gab von zwei vortrefflichen Beobachtern, Olbers und Quetelet, der eine 5 bis 6, der andere 8 Meteore an.Kosmos Bd. I. S. 395 [Anm. 60]. Zur Erörterung dieser Frage, welche so wichtig als die Bestimmung der Bewegungsgesetze der Sternschnuppen in Hinsicht auf ihre Richtung ist, wird die Discussion einer sehr großen Anzahl von Beobachtungen erfordert. Ich habe mich deshalb mit Vertrauen an den schon oben genannten Beobachter, Herrn Julius Schmidt zu Bonn, gewandt, der, lange an astronomische Genauigkeit gewöhnt, mit der ihm eignen Lebendigkeit das Ganze des Meteor-Phänomens umfaßt: von welchem die Bildung der Aërolithen und ihr Herabstürzen zur Erde ihm nur eine einzelne, die seltenste, und darum nicht die wichtigste Phase zu sein scheint. Folgendes sind die Hauptresultate der erbetenen Mittheilungen.Alles, was von hier an im Texte durch Anführungszeichen unterschieden ist, verdanke ich der freundlichen Mittheilung des Herrn Julius Schmidt, Adjuncten an der Sternwarte zu Bonn. Ueber dessen frühere Arbeiten von 1812–1844 s. Saigey p. 159.
»Als Mittelzahl von vielen Jahren der Beobachtung (zwischen 3 und 8 Jahren) ist für die Erscheinung sporadischer Sternschnuppen ein Fall von 4 bis 5 in der Stunde gefunden worden. Das ist der gewöhnliche Zustand, wenn nichts Periodisches eintritt. Die Mittelzahlen in den einzelnen Monaten geben sporadisch für die Stunde:
Januar 3,4; Februar –; März 4,9; April 2,4; Mai 3,9; Juni 5,3; Juli 4,5; August 5,3; September 4,7; October 4,5; November 5,3; December 4,0.
Bei den periodischen Meteorfällen kann man im Mittel in jeder Stunde über 13 oder 15 erwarten. Für eine einzelne Periode, die des August, den Strom des heil. Laurentius, ergaben sich vom Sporadischen zum Periodischen folgende allmälige Zunahmen im Mittel von 3 bis 8 Jahren der Beobachtung:
Zeit: | Zahl der Meteore in 1 Stunde: |
Zahl der Jahre: |
||
6 | August | 6 | 1 | |
7 | " | 11 | 3 | |
8 | " | 15 | 4 | |
9 | " | 29 | 8 | |
10 | " | 31 | 6 | |
11 | " | 19 | 5 | |
12 | " | 7 | 3 |
Das letzte Jahr, 1851, also ein einzelnes, gab für die Stunde, trotz des hellen Mondscheins:
am 7 | August | 3 | Meteore | |
8 | " | 8 | " | |
9 | " | 16 | " | |
10 | " | 18 | " | |
11 | " | 3 | " | |
12 | " | 1 | Meteor. |
(Nach Heis wurden beobachtet am 10 August:
1839 | in 1 Stunde | 160 | Meteore |
1841 |
|
43 | " |
1848 |
|
50 | " |
In 10 Minuten fielen 1842 im August-Meteorstrome zur Zeit des Maximums 34 Sternschnuppen.) Alle diese Zahlen beziehen sich auf den Gesichtskreis Eines Beobachters. Seit dem Jahre 1838 sind die November-Fälle weniger glänzend. (Am 12 Nov. 1839 zählte jedoch Heis noch stündlich 22 bis 35 Meteore, eben so am 13 Nov. 1846 im Mittel 27 bis 33.) So verschieden ist der Reichthum in den periodischen Strömen der einzelnen Jahre: aber immer bleibt die Zahl der fallenden Meteore beträchtlich größer als in den gewöhnlichen Nächten: welche 604 in der Stunde nur 4 bis 5 sporadische Fälle zeigen. Im Januar (vom 4ten an zu rechnen), im Februar und im März scheinen die Meteore überhaupt am seltensten zu sein.«Ich habe jedoch selbst am 16 März 1803 einen beträchtlichen Sternschnuppenfall in der Südsee (Br. 13°½ N.) beobachtet. Auch 687 Jahre vor unsrer christlichen Zeitrechnung wurden in China zwei Meteorströme im Monat März gesehen. Kosmos Bd. I. S. 133.
»Obgleich die August- und die November-Periode mit Recht die berufensten sind, so hat man doch, seitdem die Sternschnuppen der Zahl und der parallelen Richtung nach mit größerer Genauigkeit beobachtet werden; noch fünf andere Perioden erkannt:
Januar: in den ersten Tagen, zwischen dem 1ten und 3ten; wohl etwas zweifelhaft.
April: 18te oder 20te? schon von Arago vermuthet. (Große Ströme: 25 April 1095, 22 April 1800, 20 April 1803; Kosmos Bd. I. S. 404 [Anm. 74], Annuaire pour 1836 p. 297.)
Mai: 26te?
Juli: 26te bis30te; Quetelet. Maximum eigentlich zwischen 27 und 29 Juli. Die ältesten chinesischen Beobachtungen gaben dem, leider! früh hingeschiedenen Eduard Biot ein allgemeines Maximum zwischen 18 und 27 Juli.
August, aber vor dem Laurentius-Strome, besonders zwischen dem 2ten und 5ten des Monats. Man bemerkt vom 26 Juli bis 10 August meist keine regelmäßige Zunahme.
——— Laurentius-Strom selbst; Musschenbroek und Brandes (Kosmos Bd. I. S. 130 und 403 [Anm. 73]). Entschiedenes Maximum am 10 August; seit vielen Jahren beobachtet. (Einer alten Tradition gemäß, welche in Thessalien in den Gebirgsgegenden um den Pelion verbreitet ist, öffnet sich während der Nacht 605 des Festes der Transfiguration, am 6 August, der Himmel: und die Lichter, κανδήλια, erscheinen mitten in der Oeffnung; Herrick in Silliman's Amer. Journal Vol. 37. 1839 p. 338 und Quetelet in den nouv. Mém. de l'Acad. de Bruxelles T. XV. p. 9.)
October: der 19te und die Tage um den 26ten; Quetelet, Boguslawski in den »Arbeiten der schles. Gesellschaft für vaterl. Cultur« 1843 S. 178, und Heis S. 33. Letzterer stellt Beobachtungen vom 21 Oct. 1766, 18 Oct. 1838, 17 Oct. 1841, 24 Oct. 1845, 11–12 Oct. 1847 und 20–26 Oct. 1848 zusammen. (S. über drei October-Phänomene in den Jahren 902, 1202 und 1366 Kosmos Bd. I. S. 133 und 398 [Anm. 66].) Die Vermuthung von Boguslawski: daß die chinesischen Meteorschwärme vom 18–27 Juli und der Sternschnuppenfall vom 21 Oct. (a. St.) 1366 die, jetzt vorgerückten August- und November-Perioden seien, verliert nach den vielen neueren Erfahrungen von 1838–1848 viel von ihrem Gewicht.Ein ganz ähnlicher Sternschnuppenfall, als Boguslawski der Sohn für 1366 Oct. 21 (a. St.) in Benesse de Horovic, Chronicon Ecclesiae Pragensis aufgefunden (Kosmos Bd. I. S. 133), ist weitläuftig in dem berühmten historischen Werke von Duarte Nunez do Liāo (Chronicas dos Reis de Portugal reformadas Parte I. Lisb. 1600 fol. 187) beschrieben, aber auf die Nacht vom 22 zum 23 Oct. (a. St.) verlegt. Sind es zwei Ströme, in Böhmen und am Tajo gesehen, oder hat einer der Chronikenschreiber sich um einen Tag geirrt? Folgendes sind die Worte des portugiesischen Historikers: »Vindo o anno de 1366, sendo andados XXII. dias do mes de Octubro, tres meses antes do fallecimento del Rei D. Pedro (de Portugal), se fez no ceo hum movimento de estrellas, qual os homēes nāo virāo, nem ouvirāo. E foi que desda mea noite por diante correrāo todalas strellas do Levante para o Ponente, e acabado de serem juntas começarāo a correr humas para huma parte, e outras para outra. E despois descerāo do ceo tantas e tam spessas, que tanto que forāo baxas no ar, pareciāo grandes fogueiras, e que o ceo e o ar ardiāo, e que a mesma terra queria arder. O ceo parecia partido em muitas partes, alli onde strellas nāo stavāo. E isto durou per muito spaço. Os que isto viāo, houverāo tam grande medo e pavor, que stavāo como attonitos, e cuidavāo todos de ser mortos, e que era vinda a um do mundo.«
November: 12te–14te, sehr selten der 8te oder 10te. (Der große Meteorfall von 1799 in Cumana vom 11–12 Nov., welchen Bonpland und ich beschrieben haben, gab in so fern Veranlassung, an, zu bestimmten Tagen periodisch wiederkehrende Erscheinungen zu glauben, als man bei dem ähnlichen großen Meteorfall von 1833(Nov. 12–13) sich der Erscheinung vom Jahre 1799 erinnerte.Es hätten der Zeit nach nähere Vergleichungs-Epochen angeführt werden können, wenn man sie damals gekannt hätte: z. B. die von Klöden 1823 Nov. 12–13 in Potsdam, die von Bérard 1831 Nov. 12–13 an der spanischen Küste und die von Graf Suchteln zu Orenburg 1832 Nov. 12–13 beobachteten Meteorströme (Kosmos Bd I. S. 129 und Schum. astr. Nachr. No. 303 S. 242). Das große Phänomen vom 11 und 12 Nov. 1799, welches wir, Bonpland und ich, beschrieben haben (Voyage aux Régions équinoxiales livre IV chap. 10, T. IV. p. 34–53 éd. in 8°) dauerte von 2 bis 4 Uhr Morgens. Auf der ganzen Reise, welche wir durch die Waldregion des Orinoco südlich bis zum Rio Negro machten, fanden wir, daß der ungeheure Meteorfall von den Missionaren gesehen und zum Theil in Kirchenbüchern aufgezeichnet war. In Labrador und Grönland hatte er die Eskimos bis Lichtenau und Neu-Herrnhut (Br. 64° 14') in Erstaunen versetzt. Zu Itterstedt bei Weimar sah der Prediger Zeising das, was zugleich unter dem Aequator und nahe am nördlichen Polarkreis in Amerika sichtbar war. Da die Periodicität des St. Laurentius-Stromes (10 August) erst weit später die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat als das November-Phänomen, so habe ich mit Sorgfalt alle mir bekannte genau beobachtete und beträchtliche Sternschnuppenfälle vom 12–13 Nov. bis 1846 zusammengestellt. Es sind deren funfzehn: 1799, 1818, 1822, 1823; 1831–1839, alle Jahre; 1841 und 1846. Ich schließe die Meteorfälle aus, welche um mehr als einen oder zwei Tage abweichen: wie 10 Nov. 1787, 8 Nov. 1813. Eine solche, fest an einzelne Tage gefesselte Periodicität ist um so wundersamer, als Körper von so wenig Masse so leicht Störungen ausgesetzt sind: und die Breite des Ringes, in welchen man sich die Meteore eingeschlossen vorstellt, in der Erdbahn mehrere Tage umfassen kann. Die glänzendsten November-Ströme sind gewesen 1799, 1831, 1833; 1834. (Wo in meiner Beschreibung der Meteore von 1799 den größten Boliden oder Feuerkugeln ein Durchmesser von 1° und 1°¼ zugeschrieben wird, hätte es 1 und 1¼ Mond-Durchmesser heißen sollen.) Es ist hier auch der Ort der Feuerkugel zu erwähnen, welche die besondere Aufmerksamkeit des Directors der Sternwarte von Toulouse, Herrn Petit, auf sich gezogen und deren Umlauf um die Erde er berechnet hat. Comptes rendus 9 août 1847 und Schum. astr. Nachr. No. 701 S. 71.)
December: 9te–12te; aber 1798 nach Brandes Beobachtung Dec. 6–7, Herrick in New-Haven 1838 Dec. 7–8, Heis 1847 Dec. 8 und 10.
606 Acht bis neun Epochen periodischer Meteorströme, von denen die letzteren 5 die sicherer bestimmten sind, werden hier dem Fleiß der Beobachter empfohlen. Die Ströme verschiedener Monate sind nicht allein unter einander verschieden, auch in verschiedenen Jahren wechseln auffallend die Reichhaltigkeit und der Glanz desselben Stromes.«
»Die obere Grenze der Höhe der Sternschnuppen ist mit Genauigkeit nicht zu ermitteln, und Olbers hielt schon alle Höhen über 30 Meilen für wenig sicher bestimmt. Die untere Grenze, welche man vormals (Kosmos Bd. I. S. 127) gewöhnlich auf 4 Meilen (über 91000 Fuß) setzte, ist sehr zu verringern. Einzelne steigen nach Messungen fast bis zu den Gipfeln des Chimborazo und Aconcagua, bis zu einer geographischen Meile über der Meeresfläche, herab. Dagegen bemerkt Heis, daß eine am 10 Juli 1837 gleichzeitig in Berlin und Breslau gesehene Sternschnuppe nach genauer Berechnung beim Aufleuchten 62 Meilen und beim Verschwinden 42 Meilen Höhe hatte; andere verschwanden in derselben Nacht in einer Höhe von 14 Meilen. Aus der älteren Arbeit von Brandes (1823) folgt, daß von 100 an zwei Standpunkten wohl gemessenen Sternschnuppen 4 eine Höhe hatten von nur 1–3 Meilen, 15 zwischen 3 und 6 M., 22 von 6–10 M., 35 (fast ⅓) von 10–15 M., 13 von 10–20 M.; und nur 11 (also kaum 1/10) über 20 M., und zwar zwischen 45 und 60 Meilen. Aus 4000 in 9 Jahren gesammelten Beobachtungen ist in Hinsicht auf die Farbe der Sternschnuppen geschlossen worden: daß ⅔ weiß, 1/7 gelb, 1/17 gelbroth, und nur 1/37 grün sind.«
Olbers meldet: daß während des Meteorfalls in der Nacht vom 12 zum 13 November im Jahr 1838 in Bremen 607 sich ein schönes Nordlicht zeigte, welches große Strecken am Himmel mit lebhaftem blutrothen Lichte färbte. Die durch diese Region hinschießenden Sternschnuppen bewahrten ungetrübt ihre weiße Farbe: woraus man schließen kann, daß die Nordlichtstrahlen weiter von der Oberfläche der Erde entfernt waren als die Sternschnuppen da, wo sie im Fallen unsichtbar wurden. (Schum. astr. Nachr. No. 372 S. 178.) Die relative Geschwindigkeit der Sternschnuppen ist bisher zu 4½ bis 9 geogr. Meilen in der Secunde geschätzt worden, während die Erde nur eine Translations-Geschwindigkeit von 4,1 Meilen hat (Kosmos Bd. I. S. 127 und 400 [Anm. 68]). Correspondirende Beobachtungen von Julius Schmidt in Bonn und Heis in Aachen (1849) gaben in der That als Minimum für eine Sternschnuppe, welche 12 Meilen senkrecht über St. Goar stand und über den Laacher See hinwegschoß, nur 3½ Meile. Nach anderen Vergleichungen derselben Beobachter und Houzeau's in Mons wurde die Geschwindigkeit von 4 Sternschnuppen zwischen 11½ und 23¾ M. in der Secunde, also 2- bis 5mal so groß als die planetarische der Erde, gefunden. Dieses Resultat beweist wohl am kräftigsten den kosmischen Ursprung neben der Stetigkeit des einfachen oder mehrfachen Radiationspunktes: d. h. neben dem Umstand, daß periodische Sternschnuppen, unabhängig von der Rotation der Erde, in der Dauer mehrerer Stunden von demselben Sterne ausgehen, wenn auch dieser Stern nicht der ist, gegen welchen die Erde zu derselben Zeit sich bewegt. Im ganzen scheinen sich nach den vorhandenen Messungen Feuerkugeln langsamer als Sternschnuppen zu bewegen; aber immer bleibt es auffallend, daß, wenn die ersteren Meteorsteine fallen lassen, diese sich so wenig tief in den Erdboden 608 einsenken. Die, 276 Pfund wiegende Masse von Ensisheim im Elsaß war (7 Nov. 1492) nur 3 Fuß, eben so tief der Aërolith von Braunau (14 Juli 1847) eingedrungen. Ich kenne nur zwei Meteorsteine, welche bis 6 und 18 Fuß den lockeren Boden aufgewühlt haben; so der Aërolith von Castrovillari in den Abruzzen (9 Febr. 1583) und der von Hradschina im Agramer Comitat (26 Mai 1751).
Ob je etwas aus den Sternschnuppen zur Erde gefallen, ist vielfach in entgegengesetztem Sinne erörtert worden. Die Strohdächer der Gemeinde Belmont (Departement de l'Ain, Arrondissement Belley), welche in der Nacht vom 13 Nov. 1835, also zu der Epoche des bekannten November-Phänomens, durch ein Meteor angezündet wurden: erhielten das Feuer, wie es scheint, nicht aus einer fallenden Sternschnuppe, sondern aus einer zerspringenden Feuerkugel, welche (problematisch gebliebene) Aërolithen soll haben fallen lassen, nach den Berichten von Millet d'Aubenton. Ein ähnlicher Brand, durch eine Feuerkugel veranlaßt, entstand den 22 März 1846 um 3 Uhr Nachmittags in der Commune de St. Paul bei Bagnère de Luchon. Nur der Steinfall in Angers (am 9 Juni 1822) wurde einer bei Poitiers gesehenen schönen Sternschnuppe beigemessen. Das, nicht vollständig genug beschriebene Phänomen verdient die größte Beachtung. Die Sternschnuppe glich ganz den sogenannten römischen Lichtern in der Feuerwerkerei. Sie ließ einen geradlinigen Strich zurück: nach oben sehr schmal, nach unten sehr breit; und von großem Glanze, der 10 bis 12 Minuten dauerte. Siebzehn Meilen nördlich von Poitiers fiel unter heftigen Detonationen ein Aërolith.
Verbrennt immer alles, was die Sternschnuppen enthalten, in den äußersten Schichten der Atmosphäre, deren 609 strahlenbrechende Kraft die Dämmerungs-Erscheinungen darthun? Die, oben erwähnten, so verschiedenen Farben während des Verbrennungs-Processes lassen auf chemische, stoffartige Verschiedenheit schließen. Dazu sind die Formen jener Feuermeteore überaus wechselnd; einige bilden nur phosphorische Linien, von solcher Feinheit und Menge, daß Forster im Winter 1832 die Himmelsdecke dadurch wie von einem schwachen Schimmer erleuchtetForster, mémoire sur les Étoiles filantes p. 31. sah. Viele Sternschnuppen bewegen sich bloß als leuchtende Punkte und lassen gar keinen Schweif zurück. Das Abbrennen bei schnellem oder langsamerem Verschwinden der Schweife, die gewöhnlich viele Meilen lang sind, ist um so merkwürdiger, als der brennende Schweif bisweilen sich krümmt, und sich wenig fortbewegt. Das stundenlange Leuchten des Schweifes einer längst verschwundenen Feuerkugel, welches Admiral Krusenstern und seine Begleiter auf ihrer Weltumseglung beobachteten, erinnert lebhaft an das lange Leuchten der Wolke, aus welcher der große Aërolith von Aegos Potamoi soll herabgefallen sein: nach der, freilich wohl nicht ganz glaubwürdigen Erzählung des Damachos (Kosmos Bd. I. S. 395 [Anm. 60] und 407 [Anm. 87]).
Es giebt Sternschnuppen von sehr verschiedener Größe, bis zum scheinbaren Durchmesser des Jupiter oder der Venus anwachsend; auch hat man in dem Sternschnuppenfalle von Toulouse (10 April 1812) und bei einer am 23 August desselben Jahres in Utrecht beobachteten Feuerkugel diese wie aus einem leuchtenden Punkte sich bilden, sternartig aufschießen und dann erst zu einer mondgroßen Sphäre sich ausdehnen gesehen. Bei sehr reichen Meteorfällen, wie bei denen von 1799 und 1833, sind unbezweifelt viele Feuerkugeln mit Tausenden von Sternschnuppen gemengt gewesen; aber die Identität beider 610 Arten von Feuermeteoren ist doch bisher keinesweges erwiesen. Verwandtschaft ist nicht Identität. Es bleibt noch vieles zu erforschen über die physischen Verhältnisse beider; über die vom Admiral WrangelKosmos Bd. I. S. 131 und 405 [Anm. 75]. an den Küsten des Eismeeres bezeichnete Einwirkung der Sternschnuppen auf Entwickelung des Polarlichtes; und auf so viele unbestimmt beschriebene, aber darum nicht voreilig zu negirende Lichtprocesse, welche der Entstehung einiger Feuerkugeln vorhergegangen sind. Der größere Theil der Feuerkugeln erscheint unbegleitet von Sternschnuppen und zeigt keine Periodicität der Erscheinung. Was wir von den Sternschnuppen wissen in Hinsicht auf die Radiation aus bestimmten Punkten, ist für jetzt nur mit Vorsicht auf Feuerkugeln anzuwenden.
Meteorsteine fallen, doch am seltensten, bei ganz klarem Himmel, ohne daß sich vorher eine schwarze Meteorwolke erzeugt, ohne irgend ein gesehenes Lichtphänomen, aber mit furchtbarem Krachen: wie am 16 Sept. 1843 bei Klein-Wenden unweit Mühlhausen; oder sie fallen, und dies häufiger, geschleudert aus einem plötzlich sich bildenden dunkeln Gewölk, von Schallphänomenen begleitet, doch ohne Licht; endlich, und so wohl am häufigsten, zeigt sich der Meteorstein-Fall in nahem Zusammenhange mit glänzenden Feuerkugeln. Von diesem Zusammenhange liefern wohlbeschriebene und unzubezweifelnde Beispiele die Steinfälle von Barbotan (Dep. des Landes) den 24 Juli 1790: mit gleichzeitigem Erscheinen einer rothen Feuerkugel und eines weißen MeteorwölkchensKämtz, Lehrb. der Meteorologie Bd. III. S. 277., aus dem die Aërolithen fielen; der Steinfall von Benares in Hindostan (13 Dec. 1798), der von Aigle (Dep. de l'Orne) am 26 April 1803. Die letzte der hier genannten Erscheinungen, – unter allen diejenige, welche am sorgfältigsten 611 (durch Biot) untersucht und beschrieben ist –, hat endlich: 23 Jahrhunderte nach dem großen thracischen Steinfall, und 300 Jahre nachdem ein Frate zu Crema durch einen Aërolithen erschlagen wurdeDer große Aërolithenfall von Crema und den Ufern der Adda ist mit besonderer Lebendigkeit, aber leider! rhetorisch und unklar, von dem berühmten Petrus Martyr von Anghiera (Opus Epistolarum, Amst. 1670, No. CCCCLXV) beschrieben. Was dem Steinfall selbst vorherging, war eine fast totale Verfinsterung am 4 Sept. 1511 in der Mittagsstunde. »Fama est, Pavonem immensum in aërea Cremensi plaga fuisse visum. Pavo visus in pyramidem converti, adeoque celeri ab occidente in orientem raptari cursu, ut in horae momento magnam hemisphaerii partem, doctorum inspectantium sententia, pervolasse credatur. Ex nubium illico densitate tenebras ferunt surrexisse, quales viventium nullus unquam se cognovisse fateatur. Per eam noctis faciem, cum formidolosis fulguribus, inaudita tonitrua regionem circumsepserunt.« Die Erleuchtungen waren so intensiv, daß die Bewohner um Bergamo die ganze Ebene von Crema während der Verfinsterung sehen konnten. »Ex horrendo illo fragore quid irata natura in eam regionem pepererit, percunctaberis. Saxa demisit in Cremensi planitie (ubi nullus unquam aequans ovum lapis visus fuit) immensae magnitudinis, ponderis egregii. Decem fuisse reperta centilibralia saxa ferunt.« Vögel, Schafe, ja Fische wurden getödtet. Unter allen diesen Uebertreibungen ist doch zu erkennen, daß das Meteorgewölk, aus welchem die Steine herabfielen, muß von ungewöhnlicher Schwärze und Dicke gewesen sein. Der Pavo war ohne Zweifel eine lang- und breitgeschweifte Feuerkugel. Das furchtbare Geräusch in dem Meteorgewölk wird hier als der die Blitze (?) begleitende Donner geschildert. Anghiera erhielt selbst in Spanien ein faustgroßes Fragment (ex frustis disruptorum saxorum) und zeigte es dem König Ferdinand dem Catholischen in Gegenwart des berühmten Kriegers Gonzalo de Cordova. Sein Brief endigt mit den Worten: »mira super hisce prodigiis conscripta fanatice, physice, theologice ad nos missa sunt ex Italia. Quid portendant, quomodoque gignantur, tibi utraque servo, si aliquando ad nos veneris.« (Geschrieben aus Burgos an Fagiardus.) – Noch genauer behauptet Cardanus (Opera ed. Lugd. 1663 T. III. lib. XV cap. 72 p. 279), es seien 1200 Aërolithen gefallen; unter ihnen einer von 120 Pfund, eisenschwarz und von großer Dichte. Das Geräusch habe 2 Stunden gedauert: »ut mirum sit, tantam molem in aëre sustineri potuisse«. Er hält die geschweifte Feuerkugel für einen Cometen, und irrt in der Erscheinung um 1 Jahr: »Vidimus anno 1510...« Cardanus war zu der Zeit 9 bis 10 Jahre alt., der endemischen Zweifelsucht der Akademien ein Ziel gesetzt. Eine große Feuerkugel, die sich von SO nach NW bewegte, wurde um 1 Uhr Nachmittags in Alençon, Falaise und Caen bei ganz reinem Himmel gesehen. Einige Augenblicke darauf hörte man bei Aigle (Dep. de l'Orne) in einem kleinen, dunklen, fast unbewegten Wölkchen eine 5–6 Minuten dauernde Explosion, welcher 3 bis 4 Kanonenschüsse und ein Getöse wie von kleinem Gewehrfeuer und vielen Trommeln folgten. Bei jeder Explosion entfernten sich einige von den Dämpfen, aus denen das Wölkchen bestand. Keine Lichterscheinung war hier bemerkbar. Es fielen zugleich auf einer elliptischen Bodenfläche, deren große Axe von SO nach NW 1,2 Meile Länge hatte, viele Meteorsteine: von welchen der größte nur 17½ Pfund wog. Sie waren heiß, aber nicht rothglühendNeuerdings bei dem Aërolithenfall von Braunau (14 Juli 1847) waren die gefallenen Steinmassen nach 6 Stunden noch so heiß, daß man sie nicht, ohne sich zu verbrennen, berühren konnte. Von der Analogie, welche die scythische Mythe vom heiligen Golde mit einem Meteorfalle darbietet, habe ich bereits (Asie centrale T. I. p. 408) gehandelt. »Targitao filios fuisse tres, Leipoxain et Arpoxain, minimumque natu Colaxain. His regnantibus de coelo delapsa aurea instrumenta, aratrum et jugum et bipennem et phialam, decidisse in Scythicam terram. Et illorum natu maximum, qui primus conspexisset, propius accedentem capere ista voluisse; sed, eo accedente, aurum arsisse. Quo digresso, accessisse alterum, et itidem arsisse aurum. Hos igitur ardens aurum repudiasse; accedente vero natu minimo, fuisse exstinctum, huncque illud domum suam contulisse: qua re intellecta, fratres majores ultro universum regnum minimo natu tradidisse.« (Herodot IV, 5 und 7 nach der Uebersetzung von Schweighäuser.) Ist aber vielleicht die Mythe vom heiligen Golde nur eine ethnographische Mythe: eine Anspielung auf drei Königssöhne, Stammväter von drei Stämmen der Scythen? eine Anspielung auf den Vorrang, welchen der Stamm des jüngsten Sohnes, der der Paralaten, erlangte? (Brandstäter, Scytica, de aurea caterva 1837 p. 69 und 81.), dampften sichtbar; und, was sehr auffallend ist, sie waren in den ersten Tagen nach dem Fall leichter zersprengbar als nachher. Ich habe absichtlich bei dieser Erscheinung länger verweilt, um sie mit einer vom 13 Sept. 1768 vergleichen zu können. Um 4½ Uhr nach Mittag wurde an dem eben genannten Tage bei dem Dorfe Luce (Dep. d'Eure et Loire) eine Meile westlich von Chartres, ein dunkles Gewölk gesehen, in dem man wie einen Kanonenschuß hörte: wobei zugleich ein Zischen in der Luft vernommen wurde, verursacht durch den Fall eines sich in einer Curve bewegenden schwarzen Steines. Der gefallene, halb in das Erdreich eingedrungene Stein wog 7½ Pfund, und war so heiß, daß man ihn nicht berühren konnte. Er 612 wurde von Lavoisier, Fougeroux und Cadet sehr unvollkommen analysirt. Eine Lichterscheinung ward bei dem ganzen Ereigniß nicht wahrgenommen.
Sobald man anfing periodische Sternschnuppenfälle zu beobachten und also in bestimmten Nächten auf ihre Erscheinung zu harren, wurde bemerkt, daß die Häufigkeit der Meteore mit dem Abstande von Mitternacht zunahm, daß die meisten zwischen 2 und 5 Uhr Morgens fielen. Schon bei dem großen Meteorfall zu Cumana in der Nacht vom 11 zum 12 November 1799 hatte mein Reisebegleiter den größten Schwarm von Sternschnuppen zwischen 2½ und 4 Uhr gesehen. Ein sehr verdienstvoller Beobachter der Meteor-Phänomene, Coulvier-Gravier, hat im Mai 1845 dem Institut zu Paris eine wichtige Abhandlung sur la variation horaire des étoiles filantes übergeben. Es ist schwer die Ursach einer solchen stündlichen Variation, einen Einfluß des Abstandes von dem Mitternachtspunkt zu errathen. Wenn unter verschiedenen Meridianen die Sternschnuppen erst in einer bestimmten Frühstunde vorzugsweise sichtbar werden, so müßte man bei einem kosmischen Ursprunge annehmen, was doch wenig wahrscheinlich ist: daß diese Nacht- oder vielmehr Frühmorgen-Stunden vorzüglich zur Entzündung der Sternschnuppen geeignet seien, während in anderen Nachtstunden mehr Sternschnuppen vor Mitternacht unsichtbar vorüberziehen. Wir müssen noch lange mit Ausdauer Beobachtungen sammeln.
Die Hauptcharaktere der festen Massen, welche aus der Luft herabfallen, glaube ich nach ihrem chemischen Verhalten und dem in ihnen besonders von Gustav Rose erforschten körnigen Gewebe im Kosmos (Bd. I. S. 133–137) nach 613 dem Standpunkt unseres Wissens im Jahr 1845 ziemlich vollständig abgehandelt zu haben. Die auf einander folgenden Arbeiten von Howard, Klaproth, Thénard, Vauquelin, Proust, Berzelius, Stromeyer, Laugier, Dufresnoy, Gustav und Heinrich Rose, Boussingault, Rammelsberg und Shepard haben ein reichhaltigesVon Metallen wurden in den Meteorsteinen entdeckt: Nickel von Howard, Kobalt durch Stromeyer, Kupfer und Chrom durch Laugier, Zinn durch Berzelius. Material geliefert; und doch entgehen unserem Blicke ⅔ der gefallenen Steine, welche auf dem Meeresboden liegen. Wenn es auch augenfällig ist, wie unter allen Zonen, an den von einander entferntesten Punkten, die Aërolithen eine gewisse physiognomische Aehnlichkeit haben: in Grönland, Mexico und Südamerika; in Europa, Sibirien und Hindostan; so bieten dieselben doch bei näherer Untersuchung eine sehr große Verschiedenheit dar. Viele enthalten 96/100 Eisen, andere (Siena) kaum 2/100; fast alle haben einen dünnen schwarzen, glänzenden und dabei geäderten Ueberzug: bei einem (Chantonnay) fehlte die Rinde gänzlich. Das specifische Gewicht einiger Meteorsteine steigt bis 4,28: wenn der kohlenartige, aus zerreiblichen Lamellen bestehende Stein von Alais nur 1,94 zeigte. Einige (Juvenas) bilden ein doleritartiges Gewebe, in welchem krystallisirter Olivin, Augit und Anorthit einzeln zu erkennen sind; andere (die Masse von Pallas) zeigen bloß nickelhaltiges Eisen und Olivin, noch andre (nach den Stoffverhältnissen der Mischung zu urtheilen) Aggregate von Hornblende und Albit (Chateau-Renard) oder von Hornblende und Labrador (Blansko und Chantonnay).
Nach der allgemeinen Uebersicht der Resultate, welche ein scharfsinniger Chemiker, Prof. Rammelsberg: der sich in der neueren Zeit ununterbrochen, so thätig als glücklich, mit der Analyse der Aërolithen und ihrer Zusammensetzung 614 aus einfachen Mineralien beschäftigt hat, aufstellt, »ist die Trennung der aus der Atmosphäre herabgefallenen Massen in Meteoreisen und Meteorsteine nicht in absoluter Schärfe zu nehmen. Man findet, obgleich selten, Meteoreisen mit eingemengten Silicaten (die von Heß wieder gewogene sibirische Masse, zu 1270 russischen Pfunden, mit Olivinkörnern), wie andererseits viele Meteorsteine metallisches Eisen enthalten.«
»A. Das Meteoreisen: dessen Fall nur wenige Male von Augenzeugen hat beobachtet werden können (Hradschina bei Agram 26 Mai 1751, Braunau 14 Juli 1847), während die meisten analogen Massen schon seit langer Zeit auf der Oberfläche der Erde ruhen; besitzt im allgemeinen sehr gleichartige physische und chemische Eigenschaften. Fast immer enthält es in feineren oder gröberen Theilen Schwefeleisen eingemengt: welches jedoch weder Eisenkies noch Magnetkies, sondern ein Eisen-SulphuretRammelsberg in Poggendorff's Annalen Bd. 74. 1849 S. 442. zu sein scheint. Die Hauptmasse eines solchen Meteoreisens ist auch kein reines metallisches Eisen, sondern wird durch eine Legirung von Eisen und Nickel gebildet: so daß mit Recht dieser constante Nickel-Gehalt (im Durchschnitt zu 10 p. C.; bald etwas mehr, bald etwas weniger) als ein vorzügliches Criterium für die meteorische Beschaffenheit der ganzen Masse gilt. Es ist nur eine Legirung zweier isomorpher Metalle, wohl keine Verbindung in bestimmten Verhältnissen. In geringer Menge finden sich beigemischt: Kobalt, Mangan, Magnesium, Zinn, Kupfer und Kohlenstoff. Der letztgenannte Stoff ist theilweise mechanisch beigemengt, als schwer verbrennlicher Graphit; theilweise chemisch verbunden mit Eisen, demnach analog vielem Stabeisen. Die Hauptmasse des 615 Meteoreisens enthält auch stets eine eigenthümliche Verbindung von Phosphor mit Eisen und Nickel: welche beim Auflösen des Eisens in Chlorwasserstoff-Säure als silberweiße microscopische Krystallnadeln und Blättchen zurückbleiben.«
»B. Die eigentlichen Meteorsteine pflegt man, durch ihr äußeres Ansehen geleitet, in zwei Classen zu theilen. Die einen nämlich zeigen in einer scheinbar gleichartigen Grundmasse Körner und Flittern von Meteoreisen, welches dem Magnet folgt und ganz die Natur des für sich in größeren Massen aufgefundenen besitzt. Hierher gehören z. B. die Steine von Blansko, Lissa, Aigle, Ensisheim, Chantonnay, Klein-Wenden bei Nordhausen, Erxleben, Chateau-Renard und Utrecht. Die andere Classe ist frei von metallischen Beimengungen und stellt sich mehr als ein krystallinisches Gemenge verschiedener Mineral-Substanzen dar: wie z. B. die Steine von Juvenas, Lontalax und Stannern.«
»Seitdem Howard, Klaproth und Vauquelin die ersten chemischen Untersuchungen von Meteorsteinen angestellt haben, nahm man lange Zeit keine Rücksicht darauf, daß sie Gemenge einzelner Verbindungen sein könnten; sondern erforschte ihre Bestandtheile nur im ganzen, indem man sich begnügte den etwaigen Gehalt an metallischem Eisen mittelst des Magnets auszuziehen. Nachdem Mohs auf die Analogie einiger Aërolithen mit gewissen tellurischen Gesteinen aufmerksam gemacht hatte, versuchte Nordenskjöld zu beweisen, daß Olivin, Leucit und Magneteisen die Gemengtheile des Aëroliths von Lontalax in Finland seien; doch erst die schönen Beobachtungen von Gustav Rose haben es außer Zweifel gesetzt, daß der Stein von Juvenas aus Magnetkies, Augit und einem dem Labrador 616 sehr ähnlichen Feldspath bestehe. Hierdurch geleitet, suchte Berzelius in einer größeren Arbeit (Kongl. Vetenskaps-Academiens Handlingar för 1834) auch durch chemische Methoden die mineralogische Natur der einzelnen Verbindungen in den Aërolithen von Blansko, Chantonnay und Alais auszumitteln. Der mit Glück von ihm vorgezeichnete Weg ist später vielfach befolgt worden.«
»α. Die erste und zahlreichere Classe von Meteorsteinen, die mit metallischem Eisen, enthält dasselbe bald fein eingesprengt, bald in größeren Massen: die sich bisweilen als ein zusammenhangendes Eisenskelett gestalten, und so den Uebergang zu jenen Meteor-Eisenmassen bilden, in welchen, wie in der sibirischen Masse von Pallas, die übrigen Stoffe zurücktreten. Wegen ihres beständigen Olivin-Gehalts sind sie reich an Talkerde. Der Olivin ist derjenige Gemengtheil dieser Meteorsteine, welcher bei ihrer Behandlung mit Säuren zerlegt wird. Gleich dem tellurischen ist er ein Silicat von Talkerde und Eisen-Oxydul. Derjenige Theil, welcher durch Säuren nicht angegriffen wird, ist ein Gemenge von Feldspath- und Augit-Substanz, deren Natur sich einzig und allein durch Rechnung aus ihrer Gesammtmischung (als Labrador, Hornblende, Augit oder Oligoklas) bestimmen läßt.«
»β. Die zweite, viel seltenere Classe von Meteorsteinen ist weniger untersucht. Sie enthalten theils Magneteisen, Olivin, und etwas Feldspath- und Augit-Substanz; theils bestehen sie bloß aus den beiden letzten einfachen Mineralien, und das Feldspath-Geschlecht ist dann durch AnorthitShepard in Silliman's American Journal of Science and Arts, 2d Ser. Vol. II. 1846 p. 377; Rammelsberg in Poggend. Ann. Bd. 73. 1848 S. 585. repräsentirt. Chromeisen (Chromoxyd-Eisenoxydul) findet sich in geringer Menge fast in allen Meteorsteinen; Phosphorsäure und Titansäure, welche Rammelsberg in dem so 617 merkwürdigen Stein von Juvenas entdeckte, deuten vielleicht auf Apatit und Titanit.«
»Von den einfachen Stoffen sind im allgemeinen bisher in den Meteorsteinen nachgewiesen worden: Sauerstoff, Schwefel, Phosphor, Kohlenstoff, Kiesel, Aluminium, Magnesium, Calcium, Kalium, Natrium, Eisen, Nickel, Kobalt, Chrom, Mangan, Kupfer, Zinn und Titan; also 18 Stoffe.Vergl. Kosmos Bd. I. S. 135. Die näheren Bestandtheile sind: a) metallische: Nickeleisen, eine Verbindung von Phosphor mit Eisen und Nickel, Eisen-Sulphuret und Magnetkies; b) oxydirte: Magneteisen und Chromeisen; c) Silicate: Olivin, Anorthit, Labrador und Augit.«
Es würde mir noch übrig bleiben: um hier die größtmögliche Menge wichtiger Thatsachen, abgesondert von hypothetischen Ahndungen, zu concentriren: die mannigfaltigen Analogien zu entwickeln, welche einige Meteorgesteine als Gebirgsarten mit älteren sogenannten Truppgesteinen (Doleriten, Dioriten und Melaphyren), mit Basalten und neueren Laven darbieten. Diese Analogien sind um so auffallender, als »die metallische Legirung von Nickel und Eisen, welche in gewissen meteorischen Massen constant enthalten ist«, bisher noch nicht in tellurischen Mineralien entdeckt wurde. Derselbe ausgezeichnete Chemiker, dessen freundliche Mittheilungen ich in diesen letzten Blättern benutzt habe, verbreitet sich über diesen Gegenstand in einer eigenen AbhandlungZeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft Bd. I. S. 232. Alles, was im Texte von S. 614 bis S. 617 durch Anführungszeichen unterschieden ist, wurde aus Handschriften des Prof. Rammelsberg (Mai 1851) entlehnt., deren Resultate geeigneter in dem geologischen Theile des Kosmos erörtert werden.
Den uranologischen Theil der physischen Weltbeschreibung beschließend, glaube ich, in Rückblick auf das Erstrebte (ich sage nicht das Geleistete), nach der Ausführung eines so schwierigen Unternehmens von neuem daran erinnern zu müssen, daß diese Ausführung nur unter den Bedingungen hat geschehen können, welche in der Einleitung zum dritten Bande des Kosmos bezeichnet worden sind. Der Versuch einer solchen kosmischen Bearbeitung beschränkt sich auf die Darstellung der Himmelsräume und dessen, was sie von geballter oder ungeballter Materie erfüllt. Er unterscheidet sich daher, nach der Natur des unternommenen Werkes, wesentlich von den mehr umfassenden, ausgezeichneten Lehrbüchern der Astronomie, welche die verschiedenen Litteraturen zur jetzigen Zeit aufzuweisen haben. Astronomie: als Wissenschaft der Triumph mathematischer Gedankenverbindung, als das sichere Fundament der Gravitations-Lehre und die Vervollkommnung der höheren Analysis (eines geistigen Werkzeugs der Forschung) gegründet, behandelt Bewegungs-Erscheinungen, gemessen nach Raum und Zeit; Oertlichkeit (Position) der Weltkörper in ihrem gegenseitigen, sich stets verändernden Verhältniß zu 626 einander; Formenwechsel, wie bei den geschweiften Cometen; Lichtwechsel, ja Auflodern und gänzliches Erlöschen des Lichtes bei fernen Sonnen. Die Menge des im Weltall vorhandenen Stoffes bleibt immer dieselbe: aber nach dem, was in der tellurischen Sphäre von physischen Naturgesetzen bereits erforscht worden ist, sehen wir walten im ewigen Kreislauf der Stoffe den ewig unbefriedigten, in zahllosen und unnennbaren Combinationen auftretenden Wechsel derselben. Solche Kraftäußerung der Materie wird durch ihre, wenigstens scheinbar elementarische Heterogeneität hervorgerufen. Bewegung in unmeßbaren Raumtheilen erregend, complicirt die Heterogeneität der Stoffe alle Probleme des irdischen Naturprocesses.
Die astronomischen Probleme sind einfacherer Natur. Von den eben genannten Complicationen und ihrer Beziehung bis jetzt befreit, auf Betrachtung der Quantität der ponderablen Materie (Massen), auf Licht und Wärme erregende Schwingungen gerichtet: ist die Himmels-Mechanik, gerade wegen dieser Einfachheit, in welcher alles auf Bewegung zurückgeführt wird, der mathematischen Bearbeitung in allen ihren Theilen zugänglich geblieben. Dieser Vorzug giebt den Lehrbüchern der theoretischen Astronomie einen großen und ganz eigenthümlichen Reiz. Es reflectirt sich in ihnen, was die Geistesarbeit der letzten Jahrhunderte auf analytischen Wegen errungen hat: wie Gestaltung und Bahnen bestimmt; wie in den Bewegungs-Erscheinungen der Planeten nur kleine Schwankungen um einen mittleren Zustand des Gleichgewichts statt finden; wie das Planetensystem durch seine innere Einrichtung, durch Ausgleichung der Störungen sich Schutz und Dauer bereitet.
627 Die Untersuchung der Mittel zum Erfassen des Weltganzen, die Erklärung der verwickelten Himmelserscheinungen gehören nicht in den Plan dieses Werkes. Die physische Weltbeschreibung erzählt, was den Weltraum füllt und organisch belebt, in den beiden Sphären der uranologischen und tellurischen Verhältnisse. Sie weilt bei den aufgefundenen Naturgesetzen, und behandelt sie wie errungene Thatsachen, als unmittelbare Folgen empirischer Induction. Das Werk vom Kosmos, um in geeigneten Grenzen und in nicht übermäßiger Ausdehnung ausführbar zu werden, durfte nicht versuchen den Zusammenhang der Erscheinungen theoretisch zu begründen. In dieser Beschränkung des vorgesetzten Planes habe ich in dem astronomischen Bande des Kosmos desto mehr Fleiß auf die einzelnen Thatsachen und auf ihre Anordnung gewandt. Von der Betrachtung des Weltraums: seiner Temperatur, dem Maaße seiner Durchsichtigkeit, und dem widerstehenden (hemmenden) Medium, welches ihn füllt; bin ich auf das natürliche und telescopische Sehen, die Grenzen der Sichtbarkeit, die Geschwindigkeit des Lichts nach Verschiedenheit seiner Quellen, die unvollkommene Messung der Licht-Intensität, die neuen optischen Mittel directes und reflectirtes Licht von einander zu unterscheiden übergegangen. Dann folgen: der Fixsternhimmel; die numerische Angabe der an ihm selbstleuchtenden Sonnen, so weit ihre Position bestimmt ist; ihre wahrscheinliche Vertheilung; die veränderlichen Sterne, welche in wohlgemessenen Perioden wiederkehren; die eigene Bewegung der Fixsterne; die Annahme dunkler Weltkörper und ihr Einfluß auf Bewegung in Doppelsternen; die Nebelflecke, in so fern diese nicht ferne und sehr dichte Sternschwärme sind.
628 Der Uebergang von dem siderischen Theile der Uranologie, von dem Fixsternhimmel, zu unsrem Sonnensysteme ist nur der Uebergang vom Universellen zum Besonderen. In der Classe der Doppelsterne bewegen sich selbstleuchtende Weltkörper um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt; in unsrem Sonnen-Systeme, das aus sehr heterogenen Elementen zusammengesetzt ist, kreisen dunkle Weltkörper um einen selbstleuchtenden, oder vielmehr wieder um einen gemeinsamen Schwerpunkt, der zu verschiedenen Zeiten in und außerhalb des Centralkörpers liegt. Die einzelnen Glieder des Sonnengebietes sind ungleicher Natur; verschiedenartiger, als man Jahrhunderte lang zu glauben berechtigt war. Es sind: Haupt- und Nebenplaneten; unter den Hauptplaneten eine Gruppe, deren Bahnen einander durchschneiden; eine ungezählte Schaar von Cometen, der Ring des Thierkreislichtes, und mit vieler Wahrscheinlichkeit die periodischen Meteor-Asteroiden.
Es bleibt noch übrig, als thatsächliche Beziehungen die drei großen von Kepler entdeckten Gesetze der planetarischen Bewegung hier ausdrücklich anzuführen. Erstes Gesetz: jede Bahn eines planetarischen Körpers ist eine Ellipse, in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet. Zweites Gesetz: in gleichen Zeiten beschreibt jeder planetarische Körper gleiche Sectoren um die Sonne. Drittes Gesetz: die Quadratzahlen der Umlaufszeiten zweier Planeten verhalten sich wie die Cubi der mittleren Entfernung. Das zweite Gesetz wird bisweilen das erste genannt, weil es früher aufgefunden ward. (Kepler, Astronomia nova, seu Physica coelestis, tradita commentariis de motibus stellae Martis, ex observ. Tychonis Brahi elaborata, 1609; vergl. cal. XL mit cap. LIX.) Die 629 beiden ersten Gesetze würden Anwendung finden, wenn es auch nur einen einzigen planetarischen Körper gäbe; das dritte und wichtigste, welches neun Jahre später entdeckt ward, fesselt die Bewegung zweier Planeten an Ein Gesetz. (Das Manuscript der Harmonice Mundi, welche 1619 erschien, war bereits vollendet den 27 Mai 1618.)
Wenn im Anfang des 17ten Jahrhunderts die Gesetze der Planeten-Bewegung empirisch aufgefunden wurden; wenn Newton erst die Kraft enthüllte, von deren Wirkung Kepler's Gesetze als nothwendige Folgen zu betrachten sind: so hat das Ende des 18ten Jahrhunderts durch die neuen Wege, welche die vervollkommnete Infinitesimal-Rechnung zur Erforschung astronomischer Wahrheiten eröffnete, das Verdienst gehabt die Stabilität des Planeten-Systems darzuthun. Die Haupt-Elemente dieser Stabilität sind: die Unveränderlichkeit der großen Axen der Planetenbahnen: von Laplace (1773 und 1784), Lagrange und Poisson erwiesen; die lange periodische, in enge Grenzen eingeschlossene Aenderung der Excentricität zweier mächtiger sonnenfernen Planeten, Jupiters und Saturns; die Vertheilung der Massen: da die des Jupiter selbst nur 1/1048 der Masse des alles beherrschenden Centralkörpers ist; endlich die Einrichtung: daß nach dem ewigen Schöpfungsplane und der Natur ihrer Entstehung alle Planeten des Sonnensystems sich in Einer Richtung translatorisch und rotirend bewegen; daß es in Bahnen geschieht von geringer und sich wenig ändernder Ellipsität, in Ebenen von mäßigen Unterschieden der Inclination; daß die Umlaufszeiten der Planeten unter einander kein gemeinschaftliches Maaß haben. Solche Elemente der Stabilität, gleichsam der Erhaltung und Lebensdauer der Planeten, sind an die Bedingung gegenseitiger 630 Wirkung in einem inneren abgeschlossenen Kreise geknüpft. Wird durch den Zutritt eines von außen kommenden, bisher zu dem Planetensystem nicht gehörigen Weltkörpers jene Bedingung aufgehoben (Laplace, exposit. du Syst. du Monde p. 309 und 391); so kann allerdings diese Störung, als Folge neuer Anziehungskräfte oder eines Stoßes, dem Bestehenden verderblich werden, bis endlich nach langem Conflicte sich ein anderes Gleichgewicht erzeuge. Die Ankunft eines Cometen auf hyperbolischer Bahn aus großer Ferne kann, wenn gleich Mangel an Masse durch eine ungeheure Geschwindigkeit ersetzt wird, doch mit Besorgniß nur eine Phantasie erfüllen, welche für die ernsten Tröstungen der Wahrscheinlichkeits-Rechnung nicht empfänglich ist. Es sind die reisenden Gewölke der inneren Cometen unsrem Sonnensysteme nicht gefahrbringender als die großen Bahn-Neigungen einiger der Kleinen Planeten zwischen Mars und Jupiter. Was als bloße Möglichkeit bezeichnet werden muß, liegt außerhalb des Gebietes einer physischen Weltbeschreibung. Die Wissenschaft soll nicht überschweifen in das Nebelland cosmologischer Träume.
Einleitung.
In einem vielumfassenden Werke, in dem Leichtigkeit des Verständnisses und Klarheit des Total-Eindrucks erstrebt werden, sind Composition und Gliederung in der Anordnung des Ganzen fast noch wichtiger als die Reichhaltigkeit des Inhalts. Dieses Bedürfniß wird um so fühlbarer, als in dem Buche von der Natur (im Kosmos) die Verallgemeinerung der Ansichten, sowohl in der Objectivität der äußeren Erscheinung als in dem Reflex der Natur auf das Innere des Menschen (auf seine Einbildungskraft und seine Gefühle), von der Herzählung der einzelnen Resultate sorgsam getrennt werden muß. Jene Verallgemeinerung, in welcher die Weltanschauung als ein Naturganzes auftritt; zugleich aber auch nachgewiesen wird, wie unter den verschiedensten Zonen, in dem Lauf der Jahrhunderte, allmälig die Menschheit das Zusammenwirken der Kräfte zu erkennen gesucht hat: ist in den ersten zwei Bänden des Kosmos enthalten. Wenn eine bedeutsame Anreihung von Erscheinungen 4 auch an sich dazu geeignet ist den ursachlichen Zusammenhang erkennen zu lassen; so kann doch das allgemeine Naturgemälde nur dann einen lebensfrischen Eindruck hervorbringen, wenn es, in enge Grenzen eingeschlossen, nicht durch allzu große Anhäufung zusammengedrängter Thatsachen an Uebersichtlichkeit verliert.
Wie man in Sammlungen graphischer Darstellungen der Erdoberfläche oder der inneren Construction der Erdrinde generelle Uebersichtskarten den speciellen vorhergehen läßt; so hat es mir in der physischen Weltbeschreibung am geeignetsten und dem Verständniß des Vortrags am entsprechendsten geschienen, auf die Betrachtung des Weltganzen aus allgemeinen und höheren Gesichtspunkten in den zwei letzten Bänden meiner Schrift solche specielle Ergebnisse der Beobachtung abgesondert folgen zu lassen, welche den gegenwärtigen Zustand unseres Wissens vorzugsweise begründen. Es sind daher diese beiden Bände, nach meiner schon früher gemachten Erinnerung (Bd. III. S. 4–9), nur als eine Erweiterung und sorgfältigere Ausführung des allgemeinen Naturgemäldes (Bd. I S. 79–493) zu betrachten; und wie von beiden Sphären des Kosmos die uranologische oder siderische ausschließlich in dem dritten Bande behandelt worden ist, so bleibt die tellurische Sphäre dem jetzt erscheinenden letzten Bande bestimmt. Auf diese Weise ist die uralte, einfache und natürliche Scheidung des Geschaffenen in Himmel und Erde: wie sie bei allen Völkern, in den frühesten Denkmälern des Bewußtseins der Menschheit auftritt, beibehalten worden.
Wenn schon im Weltall der Uebergang von dem Fixsternhimmel, an welchem zahllose Sonnen: sei es isolirt oder um 5 einander kreisend, sei es als ferne Nebel, leuchten, zu unserem Planetensysteme ein Herabsteigen von dem Großen und Universellen zu dem relativ Kleinen und Besonderen ist; so wird der Schauplatz der Betrachtung noch um vieles verengt, wenn man von der Gesammtheit des gestaltenreichen Sonnengebietes zu einem einigen um die Sonne kreisenden Planeten, zu dem Erdsphäroid, übergeht. Die Entfernung des nächsten Fixsternes, α Centauri, ist noch 263mal größer als der Durchmesser unseres Sonnengebietes, bis zum Aphel des Cometen von 1680 gerechnet; und doch liegt dieses Aphel schon 853mal weiter als unsere Erde von der Sonne (Kosmos Bd. III. S. 582 [Anm. 1646]). Diese Zahlen (die Parallaxe von α Cent. zu 0",9187 gerechnet) bestimmen annäherungsweise zugleich die Distanz einer uns nahen Region des Fixsternhimmels von der vermutheten äußersten Region des Sonnengebietes, wie die Entfernung dieser Grenze von dem Ort der Erde.
Die Uranologie, welche sich mit dem beschäftigt, was den fernen Weltraum erfüllt, bewahrt ihren alten Ruhm, den anregendsten Eindruck des Erhabenen auf die Einbildungskraft hervorzubringen, durch die Unerfaßbarkeit der Raum- und Zahlenverhältnisse, die sie darbietet; durch die erkannte Ordnung und Gesetzmäßigkeit in der Bewegung der Weltkörper; durch die Bewunderung, welche den errungenen Resultaten der Beobachtung und einer geistigen Forschung gezollt wird. Dieses Gefühl der Regelmäßigkeit und Periodicität hat sich so früh dem Menschen aufgedrängt, daß es sich oft in den Sprachformen reflectirt, welche auf den geordneten Lauf der Gestirne hindeuten. Dazu sind die erkannten Gesetze, die in der himmlischen Sphäre walten, vielleicht am bewundernswürdigsten durch ihre Einfachheit, da sie sich allein auf das 6 Maaß und die Vertheilung der angehäuften ponderablen Materie und deren Anziehungskräfte gründen. Der Eindruck des Erhabenen, wenn er aus dem Unermeßlichen und sinnlich Großen entspringt, geht, uns selbst fast unbewußt, durch das geheimnißvolle Band, welches das Uebersinnliche mit dem Sinnlichen verknüpft, in eine andre, höhere Sphäre der Ideen über. Es wohnt dem Bilde des Unermeßlichen, des Grenzenlosen, des Unendlichen eine Kraft bei, die zu ernster, feierlicher Stimmung anregt und, wie in dem Eindruck alles geistig Großen und moralisch Erhabenen, nicht ohne Rührung ist.
Die Wirkung, welche der Anblick außerordentlicher Himmelserscheinungen so allgemein und gleichzeitig auf ganze Volksmassen ausübt, bezeugt den Einfluß einer solchen Association der Gefühle. Was in erregbaren Gemüthern schon der bloße Anblick der gestirnten Himmelsdecke hervorbringen kann, wird durch tieferes Wissen und durch Anwendung von Werkzeugen vermehrt, die der Mensch erfunden, um seine Sehkraft und mit ihr den Horizont seiner Beobachtung zu vergrößern. Dabei gesellt sich zu dem uranologischen Eindruck des Unerfaßlichen im Weltall, durch die Gedankenverbindung mit dem Gesetzlichen und der geregelten Ordnung, auch der Eindruck des Friedlichen. Er benimmt der unergründlichen Tiefe des Raumes wie der Zeit, was bei aufgeregter Einbildungskraft ihnen Schauerliches zugeschrieben wird. Unter allen Himmelsstrichen preist der Mensch, bei der einfach natürlichen Empfänglichkeit seines Gemüthes, »die stille Ruhe einer sternklaren Sommernacht«.
Wenn nun Raum- und Massengröße dem siderischen Theile der Weltbeschreibung vorzugsweise angehören, und das Auge in ihm das einzige Organ der Weltanschauung 7 ist; so hat dagegen der tellurische Theil den überwiegenden Vorzug, eine größere, wissenschaftlich unterscheidbare Mannigfaltigkeit in den vielfachen elementarischen Stoffen darzubieten. Mittelst aller unserer Sinne stehen wir mit der irdischen Natur in Contact; und so wie die Astronomie, als Kenntniß der bewegten leuchtenden Weltkörper einer mathematischen Bearbeitung am zugänglichsten, Veranlassung geworden ist den Glanz der höheren Analysis und den Umfang des weiten Gebiets der Optik erstaunenswürdig zu vermehren: so ist die irdische Sphäre allein durch ihre Stoff-Verschiedenheit und das complicirte Spiel der Kraftäußerung dieser Stoffe die Gründerinn der Chemie, und solcher physikalischen Disciplinen geworden, welche Erscheinungen behandeln, die bisher noch von den wärme- und lichterzeugenden Schwingungen getrennt werden. Jede Sphäre hat demnach durch die Natur der Probleme, welche sie der Forschung darbietet, einen verschiedenen Einfluß auf die Geistesarbeit und die Bereicherung des Wissens der Menschheit ausgeübt.
Alle Weltkörper, außer unserem Planeten und den Aërolithen, welche von diesem angezogen werden, sind für unsere Erkenntniß nur homogene gravitirende Materie: ohne specifische, sogenannte elementare Verschiedenheit der Stoffe. Eine solche Einfachheit der Vorstellung ist aber keinesweges in der inneren Natur und Constitution jener fernen Weltkörper selbst, sie ist allein in der Einfachheit der Bedingungen gegründet, deren Annahme hinreicht die Bewegungen im Weltraume zu erklären und vorherzubestimmen. Sie entsteht, wie wir schon mehrfach zu erinnern Gelegenheit gehabt haben (Kosmos Bd. I. S. 56–60 und 141; 8 Bd. III. S. 4, 18, 21–25, 594 und 626), durch die Ausschließung von allem Wahrnehmbaren einer Stoff-Verschiedenheit; sie bietet dar die Lösung des großen Problems einer Himmels-Mechanik, welche alles Veränderliche in der uranologischen Sphäre der alleinigen Herrschaft der Bewegungslehre unterwirft.
Periodische Wechsel von Lichterscheinungen auf der Oberfläche des Mars deuten freilich nach Verschiedenheit der dortigen Jahreszeiten auf meteorologische Processe und, durch Kälte erregte Polar-Niederschläge in der Atmosphäre jenes Planeten (Kosmos Bd. III. S. 513). Durch Analogien und Ideenverbindungen geleitet, mögen wir hier auf Eis oder Schnee (Sauer- und Wasserstoff), wie in den Eruptiv-Massen des Mondes oder seinen flachen Ringebenen auf Verschiedenheit der Gebirgsarten im Monde, schließen; aber unmittelbare Beobachtung kann uns nicht darüber belehren. Auch erlaubte sich Newton nur Vermuthungen über die elementare Constitution der Planeten, die zu demselben Sonnengebiete gehören: wie wir in einem wichtigen, zu Kensington mit Conduit gepflogenen Gespräche vernehmen (Kosmos Bd. I. S. 137 und 407 [Anm. 85]). Das einförmige Bild stoffgleicher, gravitirender Materie, zu Himmelskörpern geballt, beschäftigt auf mannigfaltige Weise die ahndende Phantasie des Menschen; ja die Mythe leiht der lautlosen Einöde des Weltraums selbst den Zauber der Töne (Kosmos Bd. III. S. 437–439 und 477 [Anm. 1499]).
In dem unendlichen Reichthum chemisch verschiedener Stoffe und dem Spiel ihrer Kraftäußerungen; in der gestaltenden, formbildenden Thätigkeit der ganzen organischen Natur und vieler anorganischen Substanzen; in dem 9 Stoffwechsel, der den ewig wandelnden Schein des Werdens und der Vernichtung darbietet: strebt der ordnende Geist, bei Durchforschung des irdischen Reichs, oft mißmüthig nach einfachen Bewegungs-Gesetzen. Schon in der Physik des Aristoteles heißt es: »die Grundprincipien aller Natur sind das Veränderliche und die Bewegung; wer diese nicht anerkannt hat, erkennt auch die Natur nicht« (Phys. auscult. III, 1 p. 200 Bekker); und: auf Stoff-Verschiedenheit, »Unterschied in der Wesenheit«, hindeutend, nennt er Bewegung in Bezug auf die Kategorie des Qualitativen: Umwandlung, ἀλλοίωσις; sehr verschieden von der bloßen Mischung, μίξις, und einer Durchdringung, welche das Wiedertrennen nicht ausschließt (de generat. et corrupt. I, 1 p. 327).
Das ungleiche Steigen der Flüssigkeiten in Haarröhren; die in allen organischen Zellen so thätige Endosmose, welche wahrscheinlich eine Folge der Capillarität ist; die Verdichtung von Gas-Arten in den porösen Körpern (des Sauerstoff-Gases im Platinmohr: mit einem Drucke, der einer Kraft von mehr als 700 Atmosphären gleich ist; der Kohlensäure in Buchsbaum-Kohle, von der mehr als ⅓ an den Wänden der Zellen in tropfbar-flüssigem Zustand verdichtet wird); die chemische Wirkung der Contact-Substanzen, welche durch ihre Gegenwart (catalytisch) Verbindungen veranlassen oder zerstören, ohne selbst einen Antheil daran zu nehmen: – alle diese Erscheinungen lehren, daß die Stoffe in unendlich kleinen Entfernungen eine Anziehung gegen einander ausüben, die von ihrer specifischen Wesenheit abhängt. Solche Anziehungen können nicht ohne, durch sie erregte, aber unserem Auge entschwindende, Bewegungen gedacht werden.
In welchem Verhältnisse die gegenseitige 10 Molecular-Attraction, als eine Ursach perpetuirlicher Bewegung auf der Oberfläche des Erdkörpers, und höchst wahrscheinlich in seinem Inneren, zu der Gravitations-Attraction steht, welche die Planeten sowohl als ihre Centralkörper eben so perpetuirlich bewegt: ist uns noch völlig unbekannt. Schon durch die theilweise Lösung eines solchen rein physischen Problems würde das Höchste und Ruhmvollste erreicht werden, was auf diesen Wegen Experiment und Gedankenverbindung erreichen können. Ich nenne in dem eben berührten Gegensatze die Anziehung, welche in den Himmelsräumen in grenzenlosen Entfernungen wallet, und sich umgekehrt wie das Quadrat der Entfernung verhält, nicht gern, wie man gewöhnlich thut, ausschließlich die Newton'sche. Eine solche Bezeichnung enthält fast eine Ungerechtigkeit gegen das Andenken des großen Mannes, der schon beide Kraftäußerungen anerkannte: doch aber keinesweges so scharf von einander trennte, daß er nicht, wie in glücklichem Vorgefühl künftiger Entdeckungen, es hätte versuchen sollen, in seinen Zusätzen zur Optik, Capillarität, und das Wenige, was damals von chemischer Affinität bekannt war, der allgemeinen Gravitation zuzuschreiben. (Laplace, expos. du Syst. su Monde p. 384; Kosmos Bd. III. S. 22 und 32 Anm. 1027.)
Wie in der Sinnenwelt vorzugsweise an dem Meerhorizont Trugbilder aufdämmern, die dem erwartungsvollen Entdecker eine Zeit lang den Besitz eines neuen Landes verheißen; so sind am idealen Horizont in den fernsten Regionen der Gedankenwelt dem ernsten Forscher auch manche Hoffnungen vielverheißend aufgegangen und wieder verschwunden. Allerdings sind großartige Entdeckungen neuerer Zeit geeignet gewesen die Spannung zu erhöhen: so die Contact-Electricität; 11 der Rotations-Magnetismus, welcher selbst durch tropfbare oder zu Eis erstarrte Flüssigkeiten erregt wird; der glückliche Versuch, alle chemische Verwandtschaft als Folge der electrischen Relationen von Atomen mit einer prädominirenden Polarkraft zu betrachten; die Theorie isomorpher Substanzen in Anwendung auf Krystallbildung; manche Erscheinungen des electrischen Zustandes der belebten Muskelfaser; die errungene Kenntniß von dem Einfluß des Sonnenstandes (der temperaturerhöhenden Sonnenstrahlen) auf die größere oder geringere magnetische Empfänglichkeit und Fortpflanzungskraft von einem Bestandtheil unserer Atmosphäre, dem Sauerstoffe. Wenn unerwartet in der Körperwelt etwas aus einer noch unbekannten Gruppe von Erscheinungen aufglimmt, so kann man um so mehr sich neuen Entdeckungen nahe glauben, als die Beziehungen zu dem schon Ergründeten unklar oder gar widersprechend scheinen.
Ich habe vorzugsweise solche Beispiele angeführt, in denen dynamische Wirkungen motorischer Anziehungskräfte die Wege zu eröffnen scheinen, auf welchen man hoffen möchte der Lösung der Probleme von der ursprünglichen, unwandelbaren und darum elementar genannten Heterogeneität der Stoffe (Oxygen, Hydrogen, Schwefel, Kali, Phosphor, Zinn), und von dem Maaße ihres Verbindungs-Bestrebens (ihrer chemischen Affinität) näher zu treten. Unterschiede der Form und Mischung sind aber, ich wiederhole es hier, die Elemente unseres ganzen Wissens von der Materie; sie sind die Abstractionen, unter denen wir glauben das allbewegte Weltganze zu erfassen, messend und zersetzend zugleich. Das Detoniren knallsaurer Salze bei einem leisen mechanischen Drucke; und die noch furchtbarere, 12 von Feuer begleitete, Explosion des Chlor-Stickstoffs contrastiren mit der detonirenden Verbindung von Chlorgas und Wasserstoffgas bei dem Einfall eines directen (besonders violetten) Sonnenstrahls. Stoffwechsel, Fesselung und Entfesselung bezeichnen den ewigen Kreislauf der Elemente, in der anorganischen Natur wie in der belebten Zelle der Pflanzen und Thiere. »Die Menge des vorhandenen Stoffes bleibt aber dieselbe, die Elemente wechseln nur ihre relative Lage zu einander.«
Es bewährt sich demnach der alte Ausspruch des Anaxagoras: daß das Seiende sich weder mehre noch vermindere im Weltall; daß das, was die Hellenen das Vergehen der Dinge nennen, ein bloßes Entmischen sei. Allerdings ist die irdische Sphäre, als Sitz der, unserer Beobachtung zugänglichen, organischen Körperwelt, scheinbar eine Werkstatt des Todes und der Verwesung; aber der große Naturproceß langsamer Verbrennung, den wir Verwesung nennen, führt keine Vernichtung herbei. Die entfesselten Stoffe vereinigen sich zu anderen Gebilden; und durch die treibenden Kräfte, welche diesen inwohnen, entkeimt neues Leben dem Schooße der Erde.
Specielle Ergebnisse der Beobachtung in dem Gebiete kosmischer Erscheinungen. – Einleitung S. 3–25 und Anm. 989–1034
Rückblick auf das Geleistete. Die Natur unter einem zwiefachen Gesichtspunkte betrachtet: in der reinen Objectivität der äußeren Erscheinung und im Reflex auf das Innere des Menschen. – Eine bedeutsame Anreihung der Erscheinungen führt von selbst auf deren ursachlichen Zusammenhang. – Vollständigkeit bei Aufzählung der Einzelheiten wird nicht beabsichtigt, am wenigsten in der Schilderung des reflectirten Naturbildes unter dem Einfluß schöpferischer Einbildungskraft. Es entsteht neben der wirklichen oder äußeren Welt eine ideale und innere Welt: voll physisch symbolischer Mythen, verschieden nach Volksstämmen und Klimaten, Jahrhunderte lang auf spätere Generationen vererbt, und eine klare Naturansicht trübend. – Ursprüngliche Unvollendbarkeit der Erkenntniß kosmischer Erscheinungen. Das Auffinden empirischer Gesetze, das Erspähen des Causalzusammenhanges der Erscheinungen; Weltbeschreibung und Welterklärung. Wie durch das Seiende sich ein kleiner Theil des Werdens offenbart. – Verschiedene Phasen der Welterklärung, Versuche des Verstehens der Naturordnung. – Aelteste Grundanschauung des hellenischen Volksgeistes: physiologische Phantasien der ionischen Schule, Keime wissenschaftlicher Naturbetrachtung. Zwei Richtungen der Erklärung durch Annahme stoffartiger Principien (Elemente) und durch Processe der Verdünnung 636 und Verdichtung. Centrifugaler Umschwung. Wirbeltheorien. – Pythagoreer: Philosophie des Maaßes und der Harmonie, Anfang einer mathematischen Behandlung physischer Erscheinungen. – Weltordnung und Weltregierung nach den physischen Vorträgen des Aristoteles. Mittheilung der Bewegung als Grund aller Erscheinungen betrachtet; minder ist der Sinn der aristotelischen Schule auf Stoff-Verschiedenheit gerichtet. – Diese Art der Naturphilosophie, in Grundideen und Form, wird auf das Mittelalter vererbt. Roger Bacon, der Naturspiegel des Vincenz von Beauvais, Liber cosmographicus von Albert dem Großen, Imago Mundi des Cardinals Pierre d'Ailly. – Fortschritt durch Giordano Bruno und Telesio. – Klarheit in der Vorstellung von der Gravitation als Massen-Anziehung bei Copernicus. – Erste Versuche einer mathematischen Anwendung der Gravitations-Lehre bei Kepler. – Die Schrift vom Kosmos des Descartes (Traité du Monde) großartig unternommen, aber lange nach seinem Tode nur fragmentarisch erschienen; der Kosmotheoros von Huygens des großen Namens unwürdig. – Newton und sein Werk Philosophiae Naturalis Principia mathematica – Streben nach der Erkenntniß eines Weltganzen. Ist die Aufgabe lösbar, die gesammte Naturlehre von den Gesetzen der Schwere an bis zu den gestaltenden Thätigkeiten in den organischen und belebten Körpern auf ein Princip zurückzuführen. Das Wahrgenommene erschöpft bei weitem nicht das Wahrnehmbare. Die Unvollendbarkeit der Empirie macht die Aufgabe, das Veränderliche der Materie aus den Kräften der Materie zu erklären, zu einer unbestimmten.
A. Uranologischer Theil der physischen Weltbeschreibung S. 35–630. Zwei Abtheilungen: von welchen die eine den Fixsternhimmel, die andere unser Sonnensystem umfaßt, S. 35.
α. Astrognosie (Fixsternhimmel) S. 36–38 (S. 36–370).
I. Weltraum und Vermuthungen über das, was 637 den Weltraum zu erfüllen scheint, S. 39–52 und Anm. S. 53–59 [No. 1042–1077].
II. Natürliches und telescopisches Sehen. Funkeln der Gestirne. Geschwindigkeit des Lichtes. Ergebnisse der Photometrie. S. 60–105 und Anm. S. 106–135 [No. 1078–1154]. – Reihung der Fixsterne nach Licht-Intensität S. 136–142.
III. Zahl, Vertheilung und Farbe der Fixsterne. Sternhaufen (Sternschwärme). Milchstraße, mit wenigen Nebelflecken gemengt. S. 143–189 und Anm. S. 190–214 [No. 1155–1254].
IV. Neu erschienene und verschwundene Sterne. Veränderliche Sterne in gemessenen, wiederkehrenden Perioden. Intensitäts-Veränderungen des Lichtes in Gestirnen, bei denen die Periodicität noch unerforscht ist. S. 215–257 und Anm. S. 258–262 [No. 1255–1277].
V. Eigene Bewegung der Fixsterne. Problematische Existenz dunkler Weltkörper. Parallaxe. Gemessene Entfernung einiger Fixsterne. Zweifel über die Annahme eines Centralkörpers für den ganzen Fixsternhimmel. S. 263–283 und Anm. S. 284–288 [No. 1278–1316].
VI. Die vielfachen oder Doppelsterne. Ihre Zahl und ihr gegenseitiger Abstand. Umlaufszeit von zwei Sonnen um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt. S. 289–305 und Anm. S. 306–310 [No. 1317–1345].
VII. Die Nebelflecke. Ob alle nur ferne und sehr dichte Sternhaufen sind? Die beiden Magellanischen Wolken, in denen sich Nebelflecke mit vielen Sternschwärmen zusammengedrängt finden. Die sogenannten schwarzen Flecken oder Kohlensäcke am südlichen Himmelsgewölbe. S. 311–353 und Anm. S. 354–370 [No. 1346–1447].
638 β. Sonnengebiet S. 371–624
I. Die Sonne als Centralkörper S. 378–405 und Anm. S. 406–419 [No. 1450–1480].
II. Die Planeten S. 420–464 und 488–535, Anm. S. 465–487 [No. 1481–1532] und 536–556 [No. 1534–1631].
A. Allgemeine Betrachtung der Planetenwelt S. 420–464 und Anm. S. 465–487 [No. 1481–1532]:
a) Hauptplaneten S. 421–459.
b) Nebenplaneten S. 460–464.
B. Specielle Aufzählung der Planeten und ihrer Monde, als Theile des Sonnengebietes, S. 488–535 und Anm. S. 536–556 [No. 1534–1631]:
Sonne S. 488–490
Merkur S. 490–492
Venus S. 492–494
Erde S. 494–495
Mond der Erde S. 495–511 und Anm. S. 539–547 [No. 1551–1584]Mars S. 511–513;
die Kleinen Planeten S. 514–518: Flora, Victoria, Vesta, Iris, Metis, Hebe, Parthenope, Asträa, Egeria, Irene, Eunomia, Juno, Ceres, Pallas, Hygiea;
Jupiter S. 518–521
Satelliten des Jupiter S. 521–523Saturn S. 523–527
Satelliten des Saturn S. 528–529III. Die Cometen S. 557–574 und Anm. S. 575– 586 [No.1633–1666].
639 IV. Ring des Thierkreislichtes S. 587–591.
V. Sternschnuppen, Feuerkugeln, Meteorsteine S. 592–617 und Anm. S. 618–624 [No.1666–1697].
Schlußworte S. 625–630.
α Astrognosie:
I. Weltraum: – Nur einzelne Theile sind meßbar S. 40. – Widerstehendes (hemmendes) Mittel, Himmelsluft, Weltäther S. 42 und 54 (Anm. 1049–1052). – Wärmestrahlung der Sterne S. 46 und 56 (Anm. 1060). – Temperatur des Weltraums S. 46–49 und 56 (Anm. 1062–1065). – Beschränkte Durchsichtigkeit? S. 49. – Regelmäßig verkürzte Umlaufszeit des Cometen von Encke S. 50 und 58 (Anm. 1071). – Begrenzung der Atmosphäre? S. 51.
II. Natürliches und telescopisches Sehen: – Sehr verschiedene Lichtquellen zeigen gleiche Brechungs-Verhältnisse S. 62. – Verschiedenheit der Geschwindigkeit des Lichtes glühender fester Körper und des Lichts der Reibungs-Electricität S. 63, 92–96 und 129 (Anm. 1133–1137) – Lage der Wollaston'schen Linien S. 63. – Wirkung der Röhren S. 62 und 106–108 (Anm. 1082). – Optische Mittel directes und reflectirtes Licht zu unterscheiden, und Wichtigkeit dieser Mittel für die physische Astronomie S. 64 und 108–110 (Anm. 1086–1090). – Grenzen der gewöhnlichen Sehkraft S. 64. – Unvollkommenheit des Sehorgans; falsche (factice) Durchmesser der Sterne S. 67, 111 und 113 (Anm. 1092 und 1094). – Einfluß der Form eines Gegenstandes auf den kleinsten Sehwinkel bei Versuchen über die Sichtbarkeit; Nothwendigkeit des Licht-Unterschiedes von 1/60 der Lichtstärke; Sehen ferner Gegenstände auf positive und negative Weise S. 66–70. – Ueber das Sehen der Sterne bei Tage mit unbewaffnetem Auge aus Brunnen oder auf hohen Bergen S. 71–73 und 115 (Anm. 1098). – Ein schwächeres Licht neben einem stärkeren S. 110 (Anm. 1092). 640 – Ueberdeckende Strahlen und Schwänze S. 67 und 166–168. – Ueber die Sichtbarkeit der Jupiterstrabanten mit bloßem Auge S. 66 und 111–113 (Anm. 1093). – Schwanken der Sterne S. 73 und 116 (Anm. 1102). – Anfang des telescopischen Sehens; Anwendung zur Messung S. 74–78 und 82. – Refractoren von großer Länge S. 78 und 116 (Anm. 1103–1106); Reflectoren S. 78–81 und 117 (Anm. 1107–1111). – Tagesbeobachtungen; wie starke Vergrößerungen das Auffinden der Sterne bei Tage erleichtern können S. 83, 84 und 118–122 (Anm. 1115). – Erklärung des Funkelns und der Scintillation der Gestirne S. 85–90 und 122–125 (Anm. 1117–1124). – Geschwindigkeit des Lichtes S. 90– 97 und 125–130 (Anm. 1125–1138). – Größenordnung der Sterne; photometrische Verhältnisse und Methoden der Messung S. 97–105 und 131–135 (Anm. 1144–1154). – Cyanometer S. 135 [Anm. 1153]. Photometrische Reihung der Fixsterne S. 136–142.
III. Zahl, Vertheilung und Farbe der Fixsterne; Sternhaufen und Milchstraße: – Zustände der Himmelsdecke, welche das Erkennen der Sterne begünstigen oder hindern, S. 143–145. – Zahl der Sterne; wie viele mit unbewaffnetem Auge erkannt werden können S. 145. – Wie viele mit Ortsbestimmungen und auf Sternkarten eingetragen sind S. 147–156 und 191–197 (Anm. 1158–1180). – Gewagte Schätzung der Zahl von Sternen, welche mit den jetzigen raumdurchdringenden Fernröhren am ganzen Himmel sichtbar sein könnten, S. 156. – Beschauende Astrognosie roher Völker S. 157–159. – Griechische Sphäre S. 159–164 und 197–201 (Anm. 1181–1188). – Krystallhimmel S. 164–166 und 201–203 (Anm. 1189–1193). – Falsche Durchmesser der Fixsterne in Fernröhren S. 166–168. – Kleinste Gegenstände des Himmels, die noch telescopisch gesehen werden, S. 168 und 204 (Anm. 1199) – Farbenverschiedenheit der Sterne, und Veränderungen, welche seit dem Alterthum in den Farben vorgegangen, S. 168–173 und 204–208 (Anm. 1200–1206). – Sirius (Sothis) S. 171 und 206–208 (Anm. 1206). – Die vier königlichen Sterne S. 173. – Allmälige Bekanntschaft mit dem südlichen Himmel S. 174, 175 und 209 (Anm. 1218). – Vertheilung der Fixsterne, Gesetze relativer Verdichtung, Aichungen S. 175–177. – Sternhaufen und Sternschwärme S. 177–181. – Milchstraße S. 181–189 und 211–214 (Anm. 1233–1254).
641 IV. Neu erschienene und verschwundene Sterne, veränderliche Sterne, und Intensitäts-Veränderungen des Lichtes in Gestirnen, in welchen die Periodicität noch nicht erforscht ist: –Neue Sterne in den letzten zweitausend Jahren S. 215–233 und 258 (Anm. 1255–1261). – Periodisch veränderliche Sterne: Historisches S. 233–235, Farbe S. 235, Zahl S. 235–236; Gesetzliches in scheinbarer Unregelmäßigkeit, große Unterschiede der Helligkeit, Perioden in den Perioden S. 236–242. – Argelander's Tabelle der veränderlichen Sterne, mit Commentar S. 243–251 und 260 (Anm. 1263–1266). – Veränderliche Sterne in unbestimmten Perioden (η Argûs, Capella, Sterne des Großen und Kleinen Bären) S. 251–256. – Rückblick auf mögliche Veränderungen in der Temperatur der Erdoberfläche S. 256–257.
V. Eigene Bewegung der Fixsterne, dunkle Weltkörper, Parallaxe; Zweifel über die Annahme eines Centralkörpers für den ganzen Fixsternhimmel: – Veränderung des physiognomischen Charakters der Himmelsdecke S. 263–266. – Quantität der eigenen Bewegung S. 263 und 267. – Beweise für die wahrscheinliche Existenz nicht leuchtender Körper S. 267–270. – Parallaxe und Messung des Abstandes einiger Fixsterne von unsrem Sonnensystem S. 270–277 und 285–286 (Anm. 1296–1298). – Die Aberration des Lichtes kann bei Doppelsternen zur Bestimmung der Parallaxe benutzt werden S. 277. – Die Entdeckung der eigenen Bewegung der Fixsterne hat auf die Kenntniß der Bewegung unseres eignen Sonnensystems, ja zur Kenntniß der Richtung dieser Bewegung geführt S. 266 und 278–280. – Problem der Lage des Schwerpunkts des ganzen Fixsternhimmels. Centralsonne? S. 281–283 und 287 (Anm. 1315 und 1316).
VI. Doppelsterne, Umlaufszeit von zwei Sonnen um einen gemeinschaftlichen Schwerpunkt: – Optische und physische Doppelsterne S. 289; Zahl S. 290–298. – Einfarbigkeit und verschiedenartige Farben; letztere nicht Folge optischer Täuschung, des Contrastes der Complementar-Farben S. 298–301 und 308–310 (Anm. 1331–1337). – Wechsel der Helligkeit S. 301. – Mehrfache (3- bis 6fache) Verbindungen S. 302. – Berechnete Bahn-Elemente, halbe große Axen und Umlaufszeit in Jahren S. 302–305.
VII. Nebelflecke, Magellanische Wolken und 642 Kohlensäcke: – Auflöslichkeit der Nebelflecke; ob sie alle ferne und dichte Sternhaufen sind? S. 311–312 und 357–358 (Anm. 1370 und 1371). – Historisches S. 313–324 und 360–362 (Anm. 1389). – Zahl der Nebelflecke, deren Position bestimmt ist, S. 324–326 und 358 (Anm. 1380 und 1381). – Vertheilung der Nebel und Sternhaufen in der nördlichen und südlichen Himmelssphäre S. 326; nebelärmere Räume und Maxima der Gedrängtheit S. 327–329 und 360 (Anm. 1386). – Gestaltung der Nebelflecke: kugelförmige, Ringnebel, spiralförmige Doppelnebel, planetarische Nebelsterne S. 329–335. – Nebelfleck (Sternhaufen) der Andromeda S. 181–182, 314–317 und 362 (Anm. 1391); Nebel im Schwerdte des Orion S. 316–317, 335–338, 355–358, 364 und 366 (Anm. 1357, 1372, 1406, 1408, 1410 und 1411); großer Nebelfleck um Argûs S. 338–339, Nebelfleck im Schützen S. 339, Nebelflecke im Schwan und im Fuchse, Spiral-Nebelfleck im nördlichen Jagdhunde S. 340. – Die beiden Magellanischen Wolken S. 341–349 und 368 (Anm. 1433). – Schwarze Flecken oder Kohlensäcke S. 349–352 und 369 (Anm. 1443 und 1445).
β. Sonnengebiet: Planeten und ihre Monde, Ring des Thierkreislichtes und Schwärme der Meteor-Asteroiden S. 371–624:
I. Die Sonne als Centralkörper: – Numerische Angaben S. 379–381 und 407 (Anm. 1451–1453). – Physische Beschaffenheit der Oberfläche; Umhüllungen der dunkeln Sonnenkugel; Sonnenflecken, Sonnenfackeln S. 381–393 und 409–412 (Anm. 1453, 1454, 1456, 1458, 1462, 1467 und 1468). – Abnahmen des Tageslichts, von welchen die Annalisten Kunde geben; problematische Verfinsterungen S. 393 und 413–416 (Anm. 1469). – Intensität des Lichts im Centrum der Sonnenscheibe und an den Rändern S. 394–399 und 417–419 (Anm. 1471 und 25). – Verkehr zwischen Licht, Wärme, Electricität und Magnetismus; Seebeck, Ampère, Faraday S. 399–400. – Einfluß der Sonnenflecken auf die Temperatur unseres Luftkreises S. 401–405.
II. Die Planeten:
A. Allgemeine vergleichende Betrachtungen:
a. Hauptplaneten:
1) Zahl und Epochen der Entdeckung S. 421–427; 643 Namen, Planetentage (Woche) und Planetenstunden S. 467–478 (Anm. 1493 und 14).
2) Vertheilung der Planeten in zwei Gruppen S. 427–431.
3) Absolute und scheinbare Größe, Gestaltung S. 431–434.
4) Reihung der Planeten und ihre Abstände von der Sonne, sogenanntes Gesetz von Titius; alter Glaube, daß die Himmelskörper, welche wir jetzt sehen, nicht alle von je her sichtbar waren; Proselenen S. 434–444 und 477–484 (Anm. 1498–1514).
5) Massen der Planeten S. 444.
6) Dichtigkeit der Planeten S. 445.
7) Siderische Umlaufszeit und Achsendrehung S. 446–448.
8) Neigung der Planetenbahnen und Rotations-Achsen, Einfluß auf Klimate S. 448–455 und 485 (Anm. 1522).
9) Excentricität der Planetenbahnen S. 455–460.
b. Nebenplaneten S. 460–463.
B. Specielle Betrachtung, Aufzählung der einzelnen Planeten und ihr Verhältniß zur Sonne als Centralkörper:
Sonne S. 488–490.
Merkur S. 490–492.
Venus: Flecken S. 492–494.
Erde: numerische Verhältnisse S. 494–495.
Mond der Erde: licht- und wärmeerzeugend; aschgraues Licht oder Erdenlicht im Monde; Flecken; Natur der Mond-Oberfläche, Gebirge und Ebenen, gemessene Höhen; herrschender Typus kreisförmiger Gestaltung, Erhebungs-Krater ohne fortdauernde Eruptions-Erscheinungen, alte Spuren der Reaction des Inneren gegen das Aeußere (die Oberfläche); Mangel von Sonnen- und Erdfluthen, wie von Strömungen als fortschaffenden Kräften, wegen Mangels eines flüssigen Elements; wahrscheinliche geognostische Folgen dieser Verhältnisse S. 495–511 und 539–547 (Anm. 1554–1584).644 Mars: Abplattung, Oberflächen-Ansehen, verändert durch den Wechsel der Jahreszeiten, S. 511–513.
Die Kleinen Planeten S. 514–518.
Jupiter: Rotationszeit, Flecken und Streifen S. 518–521;
Satelliten des Jupiter S. 521–523.Saturn: Streifen, Ringe, excentrische Lage S. 523–527;
Satelliten des Saturn S. 528–529.Uranus S. 529–530;
Satelliten des Uranus S. 531–532.Neptun: Entdeckung und Elemente S. 532–534 und 554 (Anm. 1629);
Satelliten des Neptun S. 534–535.III. Die Cometen: – bei der kleinsten Masse ungeheure Räume ausfüllend; Gestaltung, Perioden des Umlaufs, Theilung; Elemente der inneren Cometen S. 557–574 und 576–585 (Anm. 1637, 1642, 1644, 1646, 1655, 1657, 1660, 1663, 1665 und 1666).
IV. Der Ring des Thierkreislichtes: – Historisches. – Intermittenz zwiefach: stündliche und jährliche? – Zu unterscheiden, was dem kosmischen Lichtprocesse selbst im Ringe des Thierkreislichtes angehört, was der veränderlichen Durchsichtigkeit der Atmosphäre. – Wichtigkeit einer langen Reihe correspondirender Beobachtungen unter den Tropen in verschiedenen Höhen über dem Meere bis neun- und zwölftausend Fuß. – Gegenschein wie beim Untergang der Sonne. – Vergleich in derselben Nacht mit bestimmten Theilen der Milchstraße. – Ob der Ring des Zodiacallichtes mit der Ebene des Sonnen-Aequators zusammenfällt. S. 587–591.
V. Sternschnuppen, Feuerkugeln, Meteorsteine: – Aelteste chronologisch sicher bestimmte Aërolithenfälle, und Einfluß, welchen der Steinfall zu Aegos Potamoi und die kosmische Erklärung desselben auf die Weltansichten des Anaxagoras und Diogenes von Apollonia (aus der neueren ionischen Schule) ausgeübt haben; Umschwung, welchen der Stärke des Falles entgegenwirkt (Centrifugalkraft und Gravitation); S. 592–598 und 618–619 (Anm. 1671–80). – Geometrische und physische Verhältnisse der Meteore, bei sporadischen und periodischen 645 Meteorfällen; Radiation der Sternschnuppen, bestimmte Ausgangspunkte; Mittelzahl der sporadischen und periodischen Sternschnuppen in einer Stunde nach Verschiedenheit der Monate; S. 598–604 und 620–621 (Anm. 1679–1685). – Außer dem Strom des heil. Laurentius und dem, jetzt schwächeren November-Phänomen sind noch 4 bis 5 andere periodisch im Jahr wiederkehrende Sternschnuppenfälle als sehr wahrscheinlich erkannt worden S. 604–606 und 621–622 (Anm. 1686 und 21). – Höhe und Geschwindigkeit der Meteore S. 606. – Physische Verhältnisse, Färbung und Schweife, Verbrennungs-Proceß, Größe; Beispiele der Entzündung von Gebäuden; S. 606–610. – Meteorsteine; Aërolithenfälle bei heiterem Himmel oder nach Entstehung eines kleinen dunkelen Meteorgewölks S. 610–612 und 622–623 (Anm. 1691 und 1692). – Problematische Häufigkeit der Sternschnuppen zwischen Mitternacht und den frühen Morgenstunden (stündliche Variation) S. 612. – Chemische Verhältnisse der Aërolithen; Analogie mit den Gemengtheilen tellurischer Gebirgsarten S. 612–617 und 624 [Anm. 1693].
Schlußworte: – Rückblick auf das Erstrebte. – Beschränkung nach der Natur der Composition einer physischen Weltbeschreibung. – Darstellung thatsächlicher Beziehungen der Weltkörper gegen einander. – Kepler's Gesetze planetarischer Bewegung. – Einfachheit der uranologischen Probleme im Gegensatz zu den tellurischen, wegen Ausschlusses der Wirkungen, welche aus Stoff-Verschiedenheit und Stoffwechsel entstehen. – Elemente der Stabilität des Planetensystems. S. 625–630.
13 B.
Ergebnisse der Beobachtung
aus dem
tellurischen Theile
der physischen Weltbeschreibung.
Bei dem Streben ein unermeßliches Material der mannigfaltigsten Objecte zu beherrschen: d. h. die Erscheinungen so an einander zu reihen, daß die Einsicht in ihren Causal-Zusammenhang erleichtert werde; kann der Vortrag nur dann Uebersicht und lichtvolle Klarheit gewähren, wenn das Specielle, besonders in dem errungenen, lange durchforschten Felde der Beobachtung, den höheren Gesichtspunkten kosmischer Einheit nicht entrückt wird. Die tellurische Sphäre, der uranologischen entgegengesetzt, zerfällt in zwei Abtheilungen: in das anorganische und organische Gebiet. Das erstere umfaßt: Größe, Gestalt und Dichtigkeit des Erdkörpers; innere Wärme, electromagnetische Thätigkeit, mineralische Constitution der Erdrinde; Reaction des Inneren des Planeten gegen seine Oberfläche: dynamisch wirkend durch Erschütterung, chemisch wirkend durch steinbildende und steinumändernde Processe; theilweise Bedeckung der festen Oberfläche durch Tropfbar-Flüssiges, das Meer; Umriß und 14 Gliederung der gehobenen Feste (Continente und Inseln); die allgemeine, äußerste, gasförmige Umhüllung (den Luftkreis). Das zweite oder organische Gebiet umfaßt nicht die einzelnen Lebensformen selbst, wie in der Naturbeschreibung: sondern die räumlichen Beziehungen derselben zu den festen und flüssigen Theilen der Erdoberfläche, die Geographie der Pflanzen und Thiere, die Abstufungen der specifisch einigen Menschheit nach Racen und Stämmen.
Auch diese Abtheilung in zwei Gebiete gehört gewissermaßen dem Alterthum an. Es wurden schon damals geschieden die elementarischen Processe, der Formenwechsel und Uebergang der Stoffe in einander von dem Leben der Pflanzen und Thiere. Der Unterschied beider Organismen war, bei fastKosmos Bd. III. S. 107 [Anm. 1082] (vergl. auch Bd. II. S. 464 [Anm. 827] und 508 [Anm. 925]). gänzlichem Mangel an Mitteln die Sehkraft zu erhöhen, nur auf ahndungsvolle Intuition, und auf das Dogma von der Selbsternährung (Aristot. de Anima II, 1 T. I. p. 412, a 14 Bekker) und dem inneren Anlaß zur Bewegung gegründet. Jene Art der geistigen Auffassung, welche ich Intuition nannte, und mehr noch die dem Stagiriten eigene Schärfe fruchtbringender Gedankenverbindung leiteten ihn sogar auf die scheinbaren Uebergänge von dem Unbelebten zu dem Belebten, von dem Elementarischen zu der Pflanze; ja zu der Ansicht, daß es bei den sich immer höher gestaltenden Bildungsprocessen allmälige Mittelstufen gebe von den Pflanzen zu den niederen Thieren (Aristot. de part. Animal. IV, 5 p. 681,a 12 und hist. Animal. VIII, 1 p. 588,a 4 Bekker). Die Geschichte der Organismen (das Wort Geschichte in seinem ursprünglichen Sinne genommen – also in Beziehung auf frühere Zeitepochen, auf die der alten Floren und Faunen) ist so innig mit der Geologie, mit der 15 Reihenfolge über einander gelagerter Erdschichten, mit der Chronometrik der Länder- und Gebirgs-Erhebung verwandt: daß es mir wegen Verkettung großer und weit verbreiteter Phänomene geeigneter schien die, an sich sehr natürliche Sonderung des organischen und anorganischen Erdenlebens in einem Werke über den Kosmos nicht als ein Haupt-Element der Classification aufzustellen. Es handelt sich hier nicht um einen morphologischen Gesichtspunkt, sondern vorzugsweise um eine nach Totalität strebende Ansicht der Natur und ihrer wirkenden Kräfte.
Größe, Gestalt und Dichtigkeit der Erde. – Innere Wärme und Vertheilung derselben. – Magnetische Thätigkeit: sich offenbarend in Veränderungen der Inclination, Declination und Intensität der Kraft unter dem Einfluß des lufterwärmenden und luftverdünnenden Sonnenstandes. Magnetische Gewitter; Polarlicht.
Was alle Sprachen, wenn gleich etymologisch unter verschiedenartig symbolisirenden Formen, mit dem Ausdruck Natur und, da zuerst der Mensch alles auf seinen heimathlichen Wohnsitz bezieht, mit dem Ausdruck irdische Natur bezeichnen; ist das Resultat von dem stillen Zusammenwirken eines Systems treibender Kräfte, deren Dasein wir nur durch das erkennen, was sie bewegen, mischen und entmischen: ja theilweise zu organischen, sich gleichartig wiedererzeugenden, Geweben (lebendigen Organismen) ausbilden. Naturgefühl ist für ein empfängliches Gemüth der dunkle, anregende, erhebende Eindruck dieses Waltens der Kräfte. Zuerst fesseln unsere Neugier die räumlichen Größen-Verhältnisse unseres Planeten: eines Häufchens geballter Materie im unermeßlichen Weltall. Ein System zusammenwirkender, einigender oder (polarisch) trennender, Thätigkeiten setzt die Abhängigkeit jedes Theils des Naturganzen von dem anderen, in den elementaren Processen (der anorganischen Formbildung) wie in dem Hervorrufen und 17 der Unterhaltung des Lebens, voraus. Die Größe und Gestalt des Erdkörpers, seine Masse (Quantität materieller Theile): welche, mit dem Volum verglichen, die Dichtigkeit und durch diese, unter gewissen Bedingungen, die Constitution des Inneren wie das Maaß der Anziehung bestimmt; stehen unter sich in mehr erkennbarer und mehr mathematisch zu behandelnder Abhängigkeit, als es diejenige ist, welche wir bisher in den eben genannten Lebensprocessen, in den Wärme-Strömungen, den tellurischen Zuständen des Electro-Magnetismus oder den chemischen Stoffwechseln wahrnehmen. Beziehungen, die man in complicirten Erscheinungen noch nicht quantitativ zu messen vermag, können deshalb doch vorhanden sein und durch Inductionsgründe wahrscheinlich gemacht werden.
Wenn auch die beiden Arten der Anziehung: die, welche in bemerkbaren Entfernungen wirkt (wie Schwerkraft, Gravitation der Weltkörper gegen einander); und die, welche in unmeßbaren kleinsten Entfernungen statt findet (Molecular- oder Contact-Attraction); in dem gegenwärtigen Zustande unseres Wissens nicht auf ein und dasselbe Gesetz zu reduciren sind: so ist es darum doch nicht minder glaublich, daß Capillar-Anziehung und die, für das Aufsteigen der Säfte und für Thier- und Pflanzen-Physiologie so wichtige Endosmose von dem Maaße der Schwere und ihrer localen Vertheilung eben so afficirt werden als die electromagnetischen Processe und der chemische Stoffwechsel. Man darf annehmen, um an extreme Zustände zu erinnern, daß auf unserem Planeten, wenn derselbe nur die Masse des Mondes und also eine fast 6mal geringere Intensität der Schwere hätte, die meteorologischen Processe, das Klima, die hypsometrischen 18 Verhältnisse der gehobenen Gebirgsketten, die Physiognomie (facies) der Vegetation ganz verschieden sein würden. Die absolute Größe unseres Erdkörpers, mit der wir uns hier beschäftigen werden, erhält ihre Wichtigkeit für den gesammten Haushalt der Natur bloß durch das Verhältniß, in dem sie zur Masse und zur Rotation steht; denn auch im Weltall würden, wenn die Dimensionen der Planeten, ihre Stoffmengen, Geschwindigkeiten und Distanzen von einander in einer und derselben Proportion zu- oder abnähmen, in diesem idealen Makro- oder Mikrokosmos, alle von den Gravitations-Verhältnissen abhängige Erscheinungen unverändert»La loi de l'attraction réciproque au carré de la distance est celle des émanations qui partent d'un centre. Elle paraît être la loi de toutes les forces dont l'action se fait apercevoir à des distances sensibles, comme on l'a reconnu dans les forces électriques et magnétiques. Une des propriétés remarquables de cette loi est que, si les dimensions de tous les corps de l'univers, leurs distances mutuelles et leurs vitesses venaient à croître ou à diminuer proportionnellement, ils décriraient des courbes entièrement semblables à celles qu'ils décrivent: en sorte que l'univers, réduit ainsi successivement jusqu'au plus petit espace imaginable, offrirait toujours les mêmes apparences aux observateurs. Ces apparences sont par conséquent indépendantes des dimensions de l'univers, comme, en vertu de la loi de la proportionalité de la force à la vitesse, elles sont indépendantes du mouvement absolu qu'il peut y avoir dans l'espace.« Laplace, exposition du Syst. du Monde (5ème éd.) p. 385. bleiben.
a. Größe, Figur (Abplattung) und Dichtigkeit der Erde.
(Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I S. 171–178 und 420–425 Anm. 127–135.)
Der Erdkörper ist gemessen und gewogen worden: zur Ermittelung seiner Gestalt, seiner Dichtigkeit und Masse. Die Genauigkeit, nach welcher man unausgesetzt in diesen terrestrischen Bestimmungen gestrebt, hat nicht weniger als die Auflösung der Probleme der Astronomie gleichzeitig zu der Vervollkommnung der Meßinstrumente und der analytischen Methoden beigetragen. Ein entscheidender Theil der Gradmessung ist übrigens selbst astronomisch; Sternhöhen bedingen die Krümmung des Bogens, dessen Länge durch Auflösung eines trigonometrischen Netzes gefunden ist. Der höheren Mathematik ist es geglückt Wege zu eröffnen, um aus gegebnen numerischen Elementen die schwierigen Aufgaben der Gestalt der Erde, der Figur des Gleichgewichts einer flüssigen homogenen oder dichten, schalenähnlich ungleichartigen Masse 19 zu lösen, welche sich um eine feste Achse gleichförmig dreht. Seit Newton und Huygens sind die berühmtesten Geometer des achtzehnten Jahrhunderts mit dieser Lösung beschäftigt gewesen. Es ist ersprießlich, stets daran zu erinnern, daß alles, was Großes durch Intensität geistiger Kraft und durch mathematische Ideen-Combination erlangt wird, seinen Werth nicht bloß von dem hat, was aufgefunden und der Wissenschaft angeeignet worden ist; sondern vorzugsweise von dem, was dieses Auffinden zur Ausbildung und Verstärkung des analytischen Werkzeugs beigetragen hat.
»Die geometrische Figur der Erde, der physischen entgegengesetztGauß, Bestimmung des Breitenunterschiedes zwischen den Sternwarten von Göttingen und Altona 1828 S. 73. (Beide Sternwarten liegen durch ein merkwürdiges Spiel des Zufalls auf weniger als eine Hausbreite in einerlei Meridian.), bestimmt diejenige Oberfläche, welche die Oberfläche des Wassers in einem mit dem Ocean zusammenhangenden, die Erde überall bedeckenden und durchkreuzenden Netze von Canälen annehmen würde. Die geometrische Oberfläche durchschneidet die Richtungen der Kräfte senkrecht, welche aus allen von den einzelnen Theilchen der Erde ausgehenden Anziehungen, verbunden mit der, ihrer Umdrehungs-Geschwindigkeit entsprechenden Centrifugalkraft, zusammengesetzt sind.Bessel über den Einfluß der Unregelmäßigkeiten der Figur der Erde auf geodätische Arbeiten und ihre Vergleichung mit astronomischen Bestimmungen, in Schumacher's astron. Nachr. Bd. XIV. No. 329 S. 270; auch Bessel und Baeyer, Gradmessung in Ostpreußen 1838 S. 427–442. Sie kann im ganzen nur als eine dem elliptischen Rotations-Sphäroid sehr nahe zugehörige betrachtet werden; denn Unregelmäßigkeiten der Massenvertheilung im Inneren der Erde erzeugen bei local veränderter Dichtigkeit ebenfalls Unregelmäßigkeit in der geometrischen Oberfläche, welche das Product der Gesammtwirkung ungleich vertheilter Elemente ist. Die physische Oberfläche ist unmittelbar durch die wirklich vorhandene des Festen und Flüssigen auf der äußeren Erdrinde gegeben.« Wenn es schon aus geologischen Gründen nicht unwahrscheinlich ist, daß zufällige Veränderungen, welche in 20 den geschmolzenen: trotz des Druckes, den sie erleiden, leicht bewegten Theilen des Inneren durch Ortswechsel in den Massen vorgehen, selbst die geometrische Oberfläche in Krümmung der Meridiane und Parallele in kleinen Räumen nach sehr langen Zeitabschnitten modificiren; so ist die physische Oberfläche in ihrer oceanischen Region durch Ebbe und Fluth (locale Depression und Anschwellung des Flüssigen) sogar periodisch einem Ortswechsel der Massen ausgesetzt. Die Kleinheit des Gravitations-Effectes in den continentalen Regionen kann einen sehr allmäligen Wechsel der wirklichen Beobachtung entziehen; und nach Bessel's Berechnung muß, um die Polhöhe eines Orts nur um 1" zu vergrößern, in dem Inneren der Erde eine Ortsveränderung von einer Masse vorausgesetzt werden, deren Gewicht, ihre Dichtigkeit der mittleren Dichtigkeit der Erde gleich gesetzt, das von 114 geographischen CubikmeilenBessel über den Einfluß der Veränderungen des Erdkörpers auf die Polhöhen, in Lindenau und Bohnenberger, Zeitschrift für Astronomie Bd. V. 1818 S. 29. »Das Gewicht der Erde in Pfunden ausgedrückt = 9933×1021, und die ortsverändernde Masse 947×1014.« ist. So auffallend groß auch dieses Volum der ortsverändernden, bewegten Masse uns erscheint, wenn wir es mit dem Volum des Montblanc, oder Chimborazo, oder Kintschindjinga vergleichen; so sinkt doch bald das Erstaunen über die Größe des Phänomens, wenn man sich erinnert, daß das Erdsphäroid über 2650 Millionen solcher Cubikmeilen umfaßt.
Das Problem der Figur der Erde: dessen Zusammenhang mit der geologischen Frage über früheren liquiden Zustand der planetarischen Rotations-Körper schon in der großen ZeitAuf die theoretischen Arbeiten jener Zeit sind gefolgt die von Maclaurin, Clairaut und d'Alembert, von Legendre und Laplace. Der letzteren Epoche ist beizuzählen das (1834) von Jacobi aufgestellte Theorem: daß Ellipsoide mit drei ungleichen Axen eben so gut unter gewissen Bedingungen Figuren des Gleichgewichts sein können als die beiden früher angegebnen Umdrehungs-Ellipsoide. (S. den Aufsatz des Erfinders, der seinen Freunden und Bewunderern so früh entrissen wurde, in Poggendorff's Annalen der Physik und Chemie Bd. XXXIII. 1834 S. 229–233.) von Newton, Huygens und Hooke erkannt wurde; ist mit ungleichem Erfolge auf drei Wegen zu lösen versucht worden: durch geodätisch-astronomische Gradmessung, durch Pendel-Versuche, und durch Ungleichheiten in der Länge und Breite des Mondes. Die erste 21 Methode zerfällt wieder in zwei Unterarten der Anwendung: Breitengrad-Messungen auf einem Meridian-Bogen, und Längengrad-Messungen auf verschiedenen Parallelkreisen.
Ohnerachtet bereits sieben Jahre verflossen sind, seitdem ich die Resultate von Bessel's großer Arbeit über die Dimensionen des Erdkörpers in das allgemeine Naturgemälde aufgenommen habe; so kann doch diese Arbeit bis jetzt noch nicht durch eine mehr umfassende, auf neuere Gradmessungen gegründete, ersetzt werden. Einen wichtigen Zuwachs und eine Vervollkommnung aber hat sie zu erwarten, wenn die bald vollendete russische Gradmessung, welche sich fast vom Nordcap bis zum schwarzen Meere erstreckt, wird veröffentlicht werden; und die indische, durch sorgfältige Vergleichung des dabei gebrauchten Maaßes, in ihren Ergebnissen mehr gesichert ist. Laut Bessel's, im Jahr 1841 bekannt gemachten Bestimmungen ist der mittlere Werth der Dimensionen unseres Planeten nach der genauen UntersuchungDie erste genaue Vergleichung einer großen Zahl von Gradmessungen (der vom Hochlande von Quito, zweier ostindischer; der französischen, englischen und neuen lapländischen) wurde im 19ten Jahrhundert mit vielem Glücke von Walbeck in Åbo 1819 unternommen. Er fand den mittleren Werth für die Abplattung 1/302,781, für den Meridiangrad 57009t,758. Leider! ist seine Arbeit (die Abhandlung de forma et magnitudine telluris) nicht vollständig erschienen. Durch eine ehrenvolle Aufforderung von Gauß angeregt, hat dieselbe Eduard Schmidt in seinem ausgezeichneten Lehrbuche der mathematischen Geographie wiederholt und verbessert: indem er sowohl die höheren Potenzen der Abplattung als die in Zwischenpunkten beobachteten Polhöhen berücksichtigte, auch die hannöversche Gradmessung, wie die von Biot und Arago bis Formentera verlängerte hinzufügte. Die Resultate erschienen, allmälig vervollkommnet, in drei Formen: in Gauß, Bestimmung der Breitenunterschiede von Göttingen und Altona 1828 S. 82; in Eduard Schmidt's Lehrbuch der mathem. und phys. Geographie 1829 Th. I. S. 183 und 194–199, und endlich in der Vorrede zu diesem Buche S. V. Das letzte Resultat ist: Meridiangrad 57008t,655; Abplattung 1/297,479. Der ersten Bessel'schen Arbeit ging (1830) unmittelbar voraus die wichtige Schrift Airy's: Figure of the Earth, in der Encyclopaedia metropolitana, Edit. von 1849 p. 220 und 239. (Halbe Polar-Achse 20853810 feet = 3261163,7 Toisen, halbe Aequatorial-Achse 20923713 feet = 3272095,2 Toisen, Meridian-Quadrant 32811980 feet = 5131208,0 Toisen, Abplattung 1/298,33.) Unser großer Königsberger Astronom hat sich ununterbrochen in den Jahren 1836 bis 1842 mit Berechnungen über die Figur der Erde beschäftigt; und da seine frühere Arbeit von ihm durch spätere verbessert wurde, so ist die Vermengung der Resultate von Untersuchungen aus verschiednen Zeitepochen in vielen Schriften eine Quelle der Verwirrung geworden. Bei Zahlen, die ihrer Natur nach abhängig von einander sind, ist eine solche Vermengung, überdies noch verschlimmert durch fehlerhafte Reductionen der Maaße (Toisen, Meter, engl. Fuße, Meilen von 60 und 69 auf den Aequatorial-Grad), um so bedauernswürdiger, als dadurch Arbeiten, welche einen großen Aufwand von Anstrengung und Zeit gekostet haben, in dem unvortheilhaftesten Lichte erscheinen. Im Sommer 1837 gab Bessel zwei Abhandlungen heraus: die eine über den Einfluß der Unregelmäßigkeit der Erdgestalt auf geodätische Arbeiten und ihre Vergleichung mit den astronomischen Bestimmungen, die andre über die den vorhandenen Messungen von Meridian-Bogen am meisten entsprechenden Axen des elliptischen Rotations-Sphäroids (Schum. astr. Nachr. Bd. XIV. No. 329 S. 269 und No. 333 S. 345). Resultate der Berechnung waren: halbe große Axe 3271953t,854; halbe kleine Axe 3261072t,900; Länge eines mittleren Meridiangrades, d. h. des neunzigsten Theiles des Erd-Quadranten (in der auf dem Aequator senkrechten Richtung), 57011t,453. Ein von Puissant aufgefundener Fehler von 68 Toisen in der Berechnungsart, welche im Jahre 1808 von einer Commission des National-Instituts angewandt worden war, um die Entfernung der Parallele von Montjouy bei Barcelona und Mola auf Formentera zu bestimmen, veranlaßte Bessel im Jahr 1841 seine frühere Arbeit über die Dimensionen des Erdkörpers einer neuen Revision zu unterwerfen (Schum. astr. Nachr. Bd. XIX. No. 438 S. 97–116). Es ergab dieselbe für die Länge des Erd-Quadranten 5131179t,81 (statt daß bei der ersten Bestimmung des Meters 5130740 Toisen angenommen worden waren), und für die mittlere Länge eines Meridiangrades 57013t,109 (um 0t,611 mehr als der Meridiangrad unter 45° Breite). Die im Text angeführten Zahlen sind die Resultate dieser letzten Bessel'schen Untersuchung. Die 5131180 Toisen Länge des Meridian-Quadranten (mit einem mittleren Fehler von 255t,63) sind = 10000856 Metern; der ganze Erdumkreis ist also gleich 40003423 Metern (oder 5390,98 geographischen Meilen). Der Unterschied von der ursprünglichen Annahme der Commission des poids et mesures, nach welcher das Meter der vierzig-millionenste Theil des Erdumfanges sein sollte, beträgt also für den Erdumkreis 3423m oder 1756t,27: fast eine halbe geogr. Meile (genau 46/100). Nach der frühesten Bestimmung war die Länge des Meters festgesetzt zu 0t,5130740; nach Bessel's letzter Bestimmung sollte dasselbe gleich 0t,5131180 sein. Der Unterschied für die Länge des Meters ist also 0,038 Pariser Linien. Das Meter hätte nach Bessel, statt zu 443,296 Pariser Linien, was seine dermalige legale Geltung ist, zu 443,334 festgesetzt werden sollen. (Vergleiche auch über dieses sogenannte Naturmaaß Faye, leçons de Cosmographie 1852 p. 93.) von zehn Gradmessungen folgender: die halbe große Axe des elliptischen Rotations-Sphäroids, welchem sich die unregelmäßige Figur der Erde am meisten nähert, 3272077t,14; die halbe kleine Axe 3261139t,33; die Länge des Erd-Quadranten 5131179t,81; die Länge eines mittleren Meridiangrades 57013t,109; die Länge eines Parallelgrades bei 0° Breite, also eines Aequatorgrades, 57108t,520; die Länge eines Parallelgrades bei 45° Breite 40449t,371; Abplattung 1/299,152; die Länge einer geographischen Meile, deren 15 auf einen Grad des Aequators gehn, 3807t,23. Die folgende Tafel zeigt die Zunahme der Länge der Meridiangrade vom Aequator gegen die Pole hin, wie sie aus den Beobachtungen gefunden ist, also modificirt durch locale Störungen der Anziehung:
Länder | geogr. Breite der Mitte des gemesse- nen Bogens |
Länge des gemessenen Bogens |
die aus den Beobachtungen folgende Länge eines Grades für die Breite der Mitte des ge- messenen Bogens in Toisen |
Beobachter | ||||
Schweden | 66° 66° |
20' 19' |
10" 37" |
1° 0° |
37' 57' |
19",6 30",4 |
57195t,8 57201t,8 |
Svanberg Maupertuis |
Rußland | 56° | 3' | 55",5 | 8° | 2' | 28",9 | 57137t,0 | Struve, Tenner |
Preußen | 54° | 58' | 26",0 | 1° | 30' | 29",0 | 57145t,2 | Bessel, Baeyer |
Dänemark | 54° | 8' | 13",7 | 1° | 31' | 53",3 | 57093t,1 | Schumacher |
Hannover | 52° | 32' | 16",6 | 2° | 0' | 57",4 | 57126t,4 | Gauß |
England | 52° 52° |
35' 2' |
45",0 19",4 |
3° 2° |
57' 50' |
13",1 23",5 |
57075t,0 57071t,8 |
Roy, Mudge, Kater |
Frankreich | 44° | 51' | 2",5 | 12° | 22' | 12",7 | 57012t,5 | Delambre, Méchain, Biot, Arago |
Nordamerika | 39° | 12' | 0 | 1° | 28' | 45",0 | 56889t,6 | Mason, Dixon |
Ostindien | 16° 12° |
8' 32' |
21",5 20",8 |
15° 1° |
57' 34' |
40",7 56",4 |
56773t,6 56759t,0 |
Lambton, Everest Lambton |
Quito(südl. Br.) | 1° | 31' | 0",4 | 3° | 7' | 3",5 | 56864t,6 | La Condamine, Bouguer |
Vorgeb. d. gut. Hoffn. (südl. Br.) |
33° 35° |
18' 43' |
30" 20" |
1° 3° |
13' 34' |
17",5 34",7 |
57035t,6 56932t,5 |
Lacaille Maclear |
23 Die Bestimmung der Figur der Erde durch Messung von Längengraden auf verschiedenen Parallelkreisen erfordert eine große Genauigkeit in den Unterschieden der Ortslängen. Schon Cassini de Thury und Lacaille bedienten sich 1740 der Pulver-Signale, um einen Perpendikel auf dem Meridian von Paris zu messen. In neuerer Zeit sind bei der großen trigonometrischen Aufnahme von England mit weit besseren Hülfsmitteln und größerer Sicherheit Längen der Bogen auf Parallelkreisen und Unterschiede der Meridiane bestimmt worden zwischen Beachy Head und Dunnose, wie zwischen Dover und FalmouthAiry, Figure of the Earth in der Encyclopaedia metropolitana 1849 p. 214–216.: freilich nur in Längen-Unterschieden von 1° 26' und 6° 22'. Die glänzendste dieser Operationen ist aber wohl die zwischen den Meridianen von Marennes, an der Westküste von Frankreich, und Fiume gewesen. Sie erstreckt sich über die westlichste Alpenkette und die lombardischen Ebenen von Mailand und Padua, in einer directen Entfernung von 15° 32' 27"; und wurde ausgeführt von Brousseaud und Largeteau, Plana und Carlini, fast ganz unter dem sogenannten mittleren Parallel von 45°. Die vielen Pendel-Versuche, welche in der Nähe der Gebirgsketten gemacht worden sind, haben hier den schon früher erkannten Einfluß von localen Anziehungen, die sich aus der Vergleichung der astronomischen Breiten mit den Resultaten der geodätischen Messungen ergebenBiot, Astr. physique T. II. p. 482 und T. III. p. 482. Eine sehr genaue und um so wichtigere Parallelgrad-Messung, als sie zur Vergleichung des Niveau's des mittelländischen und atlantischen Meeres geführt hat, ist auf den Parallelkreisen der Pyrenäen-Kette von Coraboeuf, Delcros und Peytier ausgeführt worden., auf eine merkwürdige Weise bestätigt.
Nach den zwei Unterarten der unmittelbaren Gradmessung: a) auf Meridian- und b) auf Parallelbogen, ist noch eine rein astronomische Bestimmung der Figur der Erde zu nennen. Es gründet sich dieselbe auf die Einwirkung, welche die Erde auf die Mondbewegung (auf die Ungleichheiten 24 in der Länge und Breite des Mondes) ausübt. Laplace, der zuerst die Ursach dieser Ungleichheiten aufgefunden, hat auch deren Anwendung gelehrt; und scharfsinnig gezeigt, wie dieselbe den großen Vorzug gewährt, welchen vereinzelte Gradmessungen und Pendel-Versuche nicht darzubieten vermögen: den Vorzug, die mittlere Figur (die Gestalt, welche dem ganzen Planeten zugehört) in einem einzigen, einfachen Resultate zu offenbaren. Man erinnert hier gern wiederKosmos Bd. I. S. 175. »Il est très remarquable qu'un Astronome, sans sortir de son observatoire, en comparant seulement ses observations à l'analyse, eût pu déterminer exactement la grandeur et l'aplatissement de la terre, et sa distance au soleil et à la lune, élémens dont la connaissance a été le fruit de longs et pénibles voyages dans les deux hémisphères. Ainsi la lune, par l'observation de ses mouvemens, rend sensible à l'Astronomie perfectionnée l'ellipticité de la terre, dont elle fit connaître la rondeur aux premiers Astronomes par ses éclipses.« (Laplace, expos. du Syste. du Monde p. 230.) Wir haben bereits oben (Kosmos Bd. III. S. 498 und 540 [Anm. 1557]) eines fast analogen optischen Vorschlags von Arago erwähnt: gegründet auf die Bemerkung, daß die Intensität des aschfarbenen Lichtes, d. h. des Erdenlichtes, im Monde und über den mittleren Zustand der Diaphanität unserer ganzen Atmosphäre belehren könne. Vergl. auch Airy in der Encycl. metrop. p. 189 und 236 über Bestimmung der Erd-Abplattung durch die Bewegungen des Mondes, wie p. 231–235 über Rückschlüsse auf die Gestalt der Erde aus Präcession und Nutation. Nach Biot's Untersuchungen würde die letztere Bestimmung für die Abplattung nur Grenzzahlen geben können (1/304 und 1/578), die sehr weit von einander entfernt liegen (Astron. physique 3ème éd. T. II. 1844 p. 463). an den glücklichen Ausdruck des Erfinders der Methode: »daß ein Astronom, ohne seine Sternwarte zu verlassen, in der Bewegung eines Himmelskörpers die individuelle Gestalt der Erde, seines Wohnsitzes, lesen könne.« Nach einer letzten Revision der beiden Ungleichheiten in der Länge und Breite unseres Satelliten, und durch die Benutzung von mehreren tausend Beobachtungen von Bürg, Bouvard und BurckhardtLaplace, Mécanique céleste éd. de 1846 T. V. p. 16 und 53. fand Laplace vermittelst dieser seiner Lunar-Methode eine Abplattung, welche der der Breitengrad-Messungen (1/299) nahe genug kommt: nämlich 1/306
Ein drittes Mittel, die Gestalt der Erde (d. i. das Verhältniß der großen zur kleinen Axe, unter der Voraussetzung einer elliptisch sphäroidischen Gestalt) durch Ergründung des Gesetzes zu finden, nach welchem vom Aequator gegen die Rotations-Pole hin die Schwere zunimmt; bieten die Schwingungen der Pendel dar. Zur Zeitbestimmung hatten sich dieser Schwingungen zuerst die arabischen Astronomen und namentlich Ebn-Junis, am Ende des 10ten Jahrhunderts, in der Glanzperiode der Abbassidischen ChalifenKosmos Bd. II. S. 451 Anm. 792. Am frühesten ist wohl die Anwendung des Isochronismus der Pendel-Schwingungen in den astronomischen Schriften der Araber von Eduard Bernard in England erkannt worden; s. dessen Brief aus Oxford vom April 1683 an Dr. Robert Huntington in Dublin (Philos. Transact. Vol. XII. p. 567)., bedient; auch, nach sechshundertjähriger Vernachlässigung, Galilei und der Pater Riccioli zu Bologna.Fréret de l'étude de la Philosophie ancienne, in den Mémoires de l'Acad. des Inscript. T. XVIII. (1753) p. 100. Durch Verbindung mit Räderwerk zur Regulirung des Ganges der Uhren (angewandt zuerst in den unvollkommenen Versuchen von 25 Sanctorius zu Padua 1612, dann in der vollendeten Arbeit von Huygens 1656 hat das Pendel in Richer's Vergleichung des Ganges derselben astronomischen Uhr zu Paris und Cayenne (1672) den ersten materiellen Beweis von der verschiedenen Intensität der Schwere unter verschiedenen Breiten gegeben. Picard war zwar mit der Ausrüstung zu dieser wichtigen Reise beschäftigt, aber er schreibt sich deshalb nicht das Verdienst des ersten Vorschlages zu. Richer verließ Paris im October 1671; und Picard: in der Beschreibung seiner Breitengrad-Messung, die ebenfalls im Jahr 1671 erschien, erwähnt bloßPicard, Mesure de la Terre 1671 art. 4. Es ist kaum wahrscheinlich, daß die in der Pariser Akademie schon vor 1671 geäußerte Vermuthung über eine nach Breitengraden sich verändernde Intensität der Schwerkraft (Lalande, Astronomie T. III. p. 20 § 2668) dem großen Huygens zugehöre: der allerdings schon 1669 der Akademie seinen discours sur la cause de la gravité vorgelegt hatte. Nicht in dieser Abhandlung, sondern in den additamentis: von denen eines nach dem Erscheinen von Newton's Principien, deren Huygens erwähnt, (also nach 1687) muß vollendet worden sein, spricht dieser von der Verkürzung des Secunden-Pendels, die Richer in Cayenne vornehmen mußte. Er sagt selbst: »Maxima pars hujus libelli scripta est, cum Lutetiae degerem (bis 1681) ad eum usque locum, ubi de alteratione, quae pendulis accidit e motu Terrae.« Vergl. die Erläuterung, welche ich gegeben im Kosmos Bd. II. S. 520 Anm. 985. Die von Richer in Cayenne angestellten Beobachtungen wurden, wie ich im Texte erwähnt habe, erst 1679, also volle 6 Jahre nach seiner Rückkunft, veröffentlicht; und, was am auffallendsten ist, in den Registern der Académie des Inscriptions geschieht während dieser langen Zeit von Richer's wichtiger zwiefacher Beobachtung der Pendeluhr und eines einfachen Secunden-Pendels keine Erwähnung. Wir wissen nicht, wann Newton, dessen früheste theoretische Speculationen über die Figur der Erde höher als 1665 hinaufreichen, zuerst Kenntniß von Richer's Resultaten erhalten hat. Von Picard's Gradmessung, die schon 1671 veröffentlicht erschien, soll Newton erst sehr spät, 1682: und zwar »zufällig durch Gespräche in einer Sitzung der Royal Society, der er beiwohnte«, Kenntniß erlangt haben; eine Kenntniß, welche, wie Sir David Brewster gezeigt (Life of Newton p. 152) einen überaus wichtigen Einfluß auf seine Bestimmung des Erd-Durchmessers und des Verhältnisses des Falls der Körper auf unserem Planeten zu der Kraft, welche den Mond in seinem Laufe lenkte, ausgeübt hat. Ein ähnlicher Einfluß auf Newton's Ideen läßt sich von der Kenntniß der elliptischen Gestalt des Jupiter voraussetzen, welche Cassini schon vor 1666 erkannte, aber erst 1691 in den Mémoires de l'Académie des Sciences T. II. p. 108 beschrieb. Sollte von einer viel früheren Publication, von welcher Lalande einige Bogen in den Händen Maraldi's sahe, Newton etwas erfahren haben? (Vergl. Lalande, Astr. T. III. p. 335 § 3345 mit Brewster, Life of Newton p. 162 und Kosmos Bd. I. S. 420 Anm. 129.) Bei den gleichzeitigen Arbeiten von Newton, Huygens, Picard und Cassini ist es, wegen der damals gewöhnlichen Zögerung in der Publication und oft durch Zufall verspäteten Mittheilung, schwer, auf sichere Spuren des wissenschaftlichen Ideenverkehrs zu gelangen. »einer Vermuthung, welche in einer der Sitzungen der Akademie von einem Mitgliede geäußert worden sei, und nach welcher wegen der Rotation der Erde die Gewichte eine geringere Schwere unter dem Aequator als unter dem Pole haben möchten.« Er fügt zweifelnd hinzu: »daß allerdings nach einigen Beobachtungen, welche in London, Lyon und Bologna angestellt seien, es scheine, als müsse das Secunden-Pendel verkürzt werden, je näher man dem Aequator komme; aber andererseits sei er auch nicht genug von der Genauigkeit der angegebenen Messungen überzeugt, weil im Haag die Pendellänge trotz der nördlicheren Lage ganz wie in Paris gefunden werde.« Wann Newton zuerst die ihm so wichtige Kenntniß von den durch Richer 1672 erlangten, aber erst 1679 durch den Druck veröffentlichten Pendel-Resultaten, oder von Cassini's, schon vor 1666 gemachter Entdeckung der Abplattung des Jupiter erhalten hat; wissen wir leider nicht mit derselben Genauigkeit, als uns seine sehr verspätete Kenntniß von Picard's Gradmessung erwiesen ist. In einem Zeitpunkte, wo in einem so glücklichen Wettkampfe theoretische Ansichten zu Anstellung 26 von Beobachtungen anregten und wiederum Ergebnisse der Beobachtung auf die Theorie reagirten, ist für die Geschichte der mathematischen Begründung einer physischen Astronomie die genaue Auszählung der einzelnen Epochen von großem Interesse.
Wenn die unmittelbaren Messungen von Meridian- und Parallelgraden (die ersteren vorzugsweise in der französischen GradmessungDelambre, Base du Syst. métrique T. III., p. 548. zwischen Br. 44° 42' und 47° 30'; die zweiten bei Vergleichung von Punkten, die östlich und westlich liegen von den grajischen, cottischen und Meer-AlpenKosmos Bd. I. S. 422 Anm. 133; Plana, Opérations géodésiques et astronomiques pour la Mesure d'un Arc du Parallèle moyen T. II. p. 847; Carlini in den Effemeridi astronomiche di Milano per l'anno 1842 p. 57. schon große Abweichungen von der mittleren ellipsoidischen Gestalt der Erde verrathen; so sind die Schwankungen in dem Maaße der Abplattung, welche geographisch verschieden vertheilte Pendellängen und ihre Gruppirungen geben, noch um vieles auffallender. Die Bestimmung der Figur der Erde durch die zu- oder abnehmende Schwere (Intensität der örtlichen Attraction) setzt voraus, daß die Schwere an der Oberfläche des rotirenden Sphäroids dieselbe blieb, welche sie zu der Zeit der Erstarrung aus dem flüssigen Zustande war; und daß nicht spätere Veränderungen der Dichtigkeit daselbst vorgingen.Vergl. Biot, Astronomie physique T. II. (1844) p. 464 mit Kosmos Bd. I. S. 424 Ende der Anmerkung 133 und Bd. III. S. 432: wo ich die Schwierigkeiten berühre, welche die Vergleichung der Rotationszeit der Planeten mit ihrer beobachteten Abplattung darbietet. Auch Schubert (Astron. Th. III. S. 316) hat schon auf diese Schwierigkeit aufmerksam gemacht. Bessel in seiner Abhandlung über Maaß und Gewicht sagt ausdrücklich: »daß die Voraussetzung des Gleichbleibens der Schwere an einem Messungsorte durch neuere Erfahrungen über die langsame Erhebung großer Theile der Erdoberfläche einigermaßen unsicher geworden ist.« Trotz der großen Vervollkommnung der Instrumente und Methoden durch Borda, Kater und Bessel sind gegenwärtig in beiden Erdhälften: von den Maloninen: wo Freycinet, Duperrey und Sir James Roß nach einander beobachtet haben, bis Spitzbergen: also von 51° 35' S. bis 79° 50' N. B.; doch nur 65 bis 70 unregelmäßig zerstreute PunkteAiry in seiner vortrefflichen Arbeit on the Figure of the Earth zählte (Encycl. metropol. 1849 p. 229) im Jahr 1830 an funfzig verschiedene Stationen mit sicheren Resultaten; und vierzehn andere (von Bouguer, Legentil, Lacaille, Maupertuis, la Croyère), die mit den vorigen an Genauigkeit nicht verglichen werden können. anzugeben, in denen die Länge des einfachen Pendels mit derselben Genauigkeit bestimmt worden ist als die Orts-Position in Breite, Länge und Höhe über dem Meere.
27 Sowohl durch die Pendel-Versuche auf dem von den französischen Astronomen gemessenen Theile eines Meridianbogens wie durch die Beobachtungen, welche Cap. Kater bei der trigonometrischen Aufnahme in Großbritannien gemacht, wurde anerkannt, daß die Resultate sich keinesweges einzeln durch eine Variation der Schwere im Verhältniß des Quadrats des Sinus der Breite darstellen ließen. Es entschloß sich daher die englische Regierung (auf Anregung des Vice-Präsidenten der Royal Society, Davies Gilbert) zur Ausrüstung einer wissenschaftlichen Expedition: welche meinem Freunde Eduard Sabine, der als Astronom den Capitän Parry auf seiner ersten Nordpol-Unternehmung begleitet hatte, anvertraut wurde. Dieselbe führte ihn in den Jahren 1822 und 1823 längs der westlichen afrikanischen Küste, von Sierra Leone bis zu der Insel S. Thomas, nahe am Aequator; dann über Ascension nach der Küste von Südamerika (von Bahia bis zum Ausfluß des Orinoco), nach Westindien und Neu-England; wie im hohen arctischen Norden bis Spitzbergen, und zu einem von gefahrdrohenden Eiswällen verdeckten, noch unbesuchten Theile des östlichen Grönlands (74° 32'). Dieses glänzende und so glücklich ausgeführte Unternehmen hatte den Vorzug, daß es seinem Hauptzwecke nach nur auf Einen Gegenstand gerichtet war, und Punkte umfaßte, die 93 Breitengrade von einander entfernt sind.
Der Aequinoctial- und arctischen Zone weniger genähert lag das Feld der französischen Gradmessungen; aber es gewährte dasselbe den großen Vortheil einer linearen Gruppirung der Beobachtungsorte, und der unmittelbaren Vergleichung mit der partiellen Bogenkrümmung, wie sie sich aus den geodätisch-astronomischen Operationen ergeben hatte. Biot 28 hat die Reihe der Pendel-Messungen von Formentera aus (38° 39' 56"), wo er früher mit Arago und Chaix beobachtete, im Jahr 1824 bis nach Unst, der nördlichsten der Shetlands-Inseln (60° 45' 25"), fortgesetzt: und sie mit Mathieu auf den Parallelen von Bordeaux, Figeac und Padua bis Fiume erweitert.Biot und Arago, Recueil d'Observ. géodésiques et astronomiques 1821 p. 526–540 und Biot, traité d'Astr. physique T. II. 1844 p. 465–473. Diese Pendel-Resultate, mit denen von Sabine verglichen, geben für den ganzen nördlichen Quadranten allerdings die Abplattung von 1/290: aber, in zwei Hälften getrennt, um so abweichendere ResultateA. a. O. p. 488. Sabine (Exper. for determining the variation in the length of the Pendulum vibrating Seconds 1825 p. 352) findet aus allen den 13 Stationen seiner Pendel-Expedition, trotz ihrer so großen Zerstreutheit in der nördlichen Erdhälfte, 1/288,3; aus diesen, vermehrt mit allen Pendel-Stationen des British Survey und der französischen Gradmessung (von Formentera bis Dünkirchen), im ganzen also durch Vergleichung von 25 Beobachtungspunkten, wiederum 1/288,9. Auffallender ist es, wie schon der Admiral Lütke bemerkt, daß, von der atlantischen Region weit westlich entfernt, in den Meridianen von Petropawlowsk und Nowo-Archangelsk die Pendellängen eine noch viel stärkere Abplattung, die von 1/267, geben. Wie die früher allgemein angewandte Theorie des Einflusses von der das Pendel umgebenden Luft zu einem Rechnungsfehler führe und eine, schon 1786 vom Chevalier de Buat etwas undeutlich angegebene Correction nothwendig mache (wegen Verschiedenheit des Gewichts-Verlustes fester Körper, wenn sie in einer Flüssigkeit in Ruhe oder in schwingender Bewegung sind); hat Bessel mit der ihm eigenen Klarheit analytisch entwickelt in den Untersuchungen über die Länge des einfachen Secundenpendels S. 32, 63 und 126–129. »Bewegt sich ein Körper in einer Flüssigkeit (Luft), so gehört auch diese mit zum bewegten Systeme; und die bewegende Kraft muß nicht bloß auf die Massentheile des festen bewegten Körpers, sondern auch auf alle bewegten Massentheile der Flüssigkeit vertheilt werden.« Ueber die Versuche von Sabine und Baily, zu welchen Bessel's praktisch wichtige Pendel-Correction (Reduction auf den leeren Raum) Anlaß gegeben hatte, s. John Herschel im Memoir of Francis Baily 1845 p. 17–21.: vom Aequator bis 45° gar 1/276, und von 45° bis zum Pol 1/306. Der Einfluß der umgebenden dichteren Gebirgsmassen (Basalt, Grünstein, Diorit, Melaphyr; im Gegensatz von specifisch leichteren Flöz- und Tertiär-Formationen) hat sich für beide Hemisphären (wie der, die Intensität der Schwere vermehrende Einfluß der vulkanischen EilandeKosmos Bd. I. S. 175 und 422 Anm. 132. Vergl. für die Insel-Phänomene Sabine Pend. Exper. 1825 p. 237 und Lütke observ. du Pendule invariable, exécutées de 1826–1829 p. 241. Dasselbe Werk enthält eine merkwürdige Tabelle über die Natur der Gebirgsarten in 16 Pendel-Stationen (p. 239) von Melville-Insel (Br. 79° 50' N.) bis Valparaiso (Br. 33° 2' S.).) in den meisten Fällen erkennbar gemacht; aber viele Anomalien, die sich darbieten, lassen sich nicht aus der uns sichtbaren geologischen Bodenbeschaffenheit erklären.
Für die südliche Erdhälfte besitzen wir eine kleine Reihe vortrefflicher, aber freilich auf großen Flächen weit zerstreuter Beobachtungen von Freycinet, Duperrey, Fallows, Lütke, Brisbane und Rümker. Es bestätigen dieselben, was schon in der nördlichen Erdhälfte so auffallend ist: daß die Intensität der Schwere nicht an Oertern, welche gleiche Breite haben, dieselbe ist; ja daß die Zunahme der Schwere vom Aequator gegen die Pole unter verschiednen Meridianen ungleichen Gesetzen unterworfen zu sein scheint. Wenn Lacaille's Pendel-Messungen am Vorgebirge der guten Hoffnung und die auf der spanischen Weltumseglung von 29 Malaspina den Glauben hatten verbreiten können, daß die südliche Hemisphäre im allgemeinen beträchtlich mehr abgeplattet sei als die nördliche; so haben, wie ich schon an einem anderen OrteKosmos Bd. I. S. 424 Anm. 135. Eduard Schmidt (mathem. und phys. Geographie Th. I. S. 394) hat unter den vielen Pendel-Beobachtungen, welche auf den Corvetten Descubierta und Atrevida unter Malaspina's Oberbefehl angestellt wurden, die 13 Stationen abgesondert, welche der südlichen Halbkugel angehören: und im Mittel eine Abplattung von 1/280,34 gefunden. Mathieu folgerte auch aus Lacaille's Beobachtungen am Vorgebirge der guten Hoffnung und auf Ile de France, mit Paris verglichen, 1/284,4, aber die Meßapparate damaliger Zeit boten nicht die Sicherheit dar, welche die Vorrichtungen von Borda und Kater und die neueren Beobachtungs-Methoden gewähren. – Es ist hier der Ort, des schönen, den Scharfsinn des Erfinders so überaus ehrenden Experiments von Foucault zu erwähnen, welches den sinnlichen Beweis von der Achsendrehung der Erde mittelst des Pendels liefert, indem die Schwingungs-Ebene desselben sich langsam von Osten nach Westen dreht (Comptes rendus de l'Acad. des Sc., séance du 3 février 1851, T. XXXII. p. 135). Abweichungen gegen Osten in den Fallversuchen von Benzenberg und Reich auf Kirchthürmen und in Schachten erfordern eine sehr beträchtliche Fallhöhe, während Foucault's Apparat schon bei sechs Fuß Pendellänge die Wirkung der Erd-Rotation bemerkbar macht. Erscheinungen, welche aus der Rotation erklärt werden (wie Richer's Uhrgang in Cayenne, tägliche Aberration, Ablenkung der Projectile, Passatwinde), sind wohl nicht mit dem zu verwechseln, was zu jeder Zeit durch Foucault's Apparat hervorgerufen wird: und wovon, ohne es weiter zu verfolgen, die Mitglieder der Academia del Cimento scheinen etwas erkannt zu haben (Antinori in den Comptes rendus T. XXXII. p. 635). angeführt, die Maloninen-Inseln und Neu-Holland, verglichen mit Neu-York, Dünkirchen und Barcelona, in genaueren Resultaten das Gegentheil erwiesen.
Aus dem bisher Entwickelten ergiebt sich: daß das Pendel (ein nicht unwichtiges geognostisches Untersuchungsmittel; eine Art Senkblei, in tiefe, ungesehene Erdschichten geworfen) uns doch mit geringerer Sicherheit über die Gestalt unseres Planeten aufklärt als Gradmessungen und Mondbewegung. Die concentrischen, elliptischen: einzeln homogenen, aber von der Oberfläche gegen das Erd-Centrum an Dichtigkeit (nach gewissen Functionen des Abstandes) zunehmenden Schichten können: in einzelnen Theilen des Erdkörpers nach ihrer Beschaffenheit, Lage und Dichtigkeits-Folge verschieden, an der Oberfläche locale Abweichungen in der Intensität der Schwere erzeugen. Sind die Zustände, welche jene Abweichungen hervorbringen, um vieles neuer als die Erhärtung der äußeren Rinde, so kann man sich die Figur der Oberfläche als örtlich nicht modificirt durch die innere Bewegung der geschmolzenen Massen denken. Die Verschiedenheit der Resultate der Pendel-Messung ist übrigens viel zu groß, als daß man sie gegenwärtig noch Fehlern der Beobachtung zuschreiben könnte. Wo auch durch mannigfach versuchte Gruppirung und Combination der Stationen Uebereinstimmung in den Resultaten oder erkennbare Gesetzmäßigkeit gefunden wird, ergeben immer die Pendel eine größere Abplattung (ohngefähr schwankend zwischen den Grenzen 1/275 und 1/290) als die, welche aus den Gradmessungen hat geschlossen werden können.
30 Beharren wir bei dieser, wie sie nach Bessel's letzter Bestimmung gegenwärtig am allgemeinsten angenommen wird, also bei einer Abplattung von 1/299,152; beträgt die AnschwellungIm griechischen Alterthume wurden zwei Gegenden der Erde bezeichnet, in denen auf merkwürdige Anschwellungen der Oberfläche nach den damals herrschenden Meinungen geschlossen wurde: der hohe Norden von Asien und das Land unter dem Aequator. »Die hohen und nackten scythischen Ebenen«, sagt Hippocrates (de aëre et aquis § XIX p. 72 Littré), »ohne von Bergen gekrönt zu sein, verlängern und erheben sich bis unter den Bären.« Derselbe Glaube wurde schon früher dem Empedocles (Plut. de plac. Philos. II, 8) zugeschrieben. Aristoteles (Meteor. I, 1 a 15 p. 66 Ideler) sagt: daß die älteren Meteorologen, welche die Sonne »nicht unter der Erde, sondern um dieselbe herumführten«, die gegen den Norden hin angeschwollene Erde als eine Ursach betrachteten von dem Verschwinden der Sonne oder des Nachtwerdens. Auch in der Compilation der Probleme (XXVI, 15 pag. 941 Bekker) wird die Kälte des Nordwindes der Höhe des Bodens in dieser Weltgegend zugeschrieben. In allen diesen Stellen ist nicht von Gebirgen, sondern von Anschwellung des Bodens in Hochebenen die Rede. Ich habe bereits an einem anderen Orte (Asie centrale T. I. p. 58) gezeigt, daß Strabo, welcher allein sich des so charakteristischen Wortes ὀροπέδια bedient, für Armenien (XI p. 522 Casaub.), für das von wilden Eseln bewohnte Lycaonien (XII p. 568) und für Ober-Indien, im Goldlande der Derden (XV p. 706), die Verschiedenheit der Klimate durch geographische Breite überall von der unterscheidet, welche der Höhe über dem Meere zugeschrieben werden muß. »Selbst in südlichen Erdstrichen«, sagt der Geograph von Amasia, »ist jeder hohe Boden, wenn er auch eine Ebene ist, kalt« (II p. 73). – Für die sehr gemäßigte Temperatur unter dem Aequator führen Eratosthenes und Polybius nicht allein den schnelleren Durchgang der Sonne (Geminus, elem. Astron. cap. 13; Cleom. cycl. theor. I, 6), sondern vorzugsweise die Anschwellung des Bodens an (s. mein Examen crit. de la Géogr. T. III. p. 150–152). Beide behaupten nach dem Zeugniß des Strabo (II p. 97): »daß der dem Gleicher unterliegende Erdstrich der höchste sei; weshalb er auch beregnet werde: da bei dem Eintreten der nach den Jahreszeiten wechselnden Winde sehr viel nördliches Gewölk an der Höhe anhinge.« Von diesen beiden Meinungen über die Erhöhung des Bodens im nördlichen Asien (dem scythischen Europa des Herodot) und in der Aequatorial-Zone hat die erste, mit der dem Irrthum eigenthümlichen Kraft, fast zweitausend Jahre sich erhalten, und zu der geologischen Mythe von dem ununterbrochenen tartarischen Hochlande nördlich vom Himalaya Anlaß gegeben: während daß die andere Meinung nur gerechtfertigt werden konnte für eine in Asien anßerhalb der Tropenzone belegene Gegend: für die colossale »Hoch- oder Gebirgsebene Meru«, welche in den ältesten und edelsten Denkmälern indischer Poesie gefeiert wird (s. Wilson's Dict. Sanscrit and English 1832 p. 674, wo Meru als Hochebene gedeutet wird). Ich habe geglaubt in diese umständliche Entwickelung eingehen zu müssen, um die Hypothese des geistreichen Fréret zu widerlegen, der: ohne Stellen griechischer Schriftsteller anzuführen, und nur auf eine einzige vom Tropenregen anspielend, jene Meinungen von localen Anschwellungen des Bodens auf Abplattung oder Verlängerung der Pole deutet. »Pour expliquer les pluyes« sagt Fréret (Mém. de l'Acad. des Inscriptions T. XVIII. 1753 p. 112), »dans les régions équinoxiales que les conquêtes d'Alexandre firent connoître, on imagina des courans qui poussoient les nuages des pôles vers l'équateur, où, au défaut des montagnes qui les arrêtoient, les nuages l'étaient par la hauteur générale de la Terre, dont la surface sous l'équateur se trouvoit plus éloignée du centre que sous les pôles. Quelques physiciens donnèrent au globe la figure d'un sphéroïde renflé sous l'équateur et aplati vers les pôles. Au contraire dans l'opinion de ceux des anciens qui croyoient la terre alongée aux pôles, le pays voisin des pôles se trouvoit plus éloigné du centre que sous l'équateur.« Ich kann kein Zeugniß des Alterthums auffinden, welches diese Behauptungen rechtfertigte. Im dritten Abschnitt des ersten Buches des Strabo (pag. 48 Casaub.) heißt es ausdrücklich: »Nachdem Eratosthenes gesagt hat, daß die ganze Erde kugelförmig sei, doch nicht wie von der Drehbank (ein Ausdruck, dem Herodot IV, 36 entlehnt), und manche Abweichungen habe; führt er viele Umgestaltungen an, welche durch Wasser und Feuer, durch Erdbeben, unterirdische Windstöße (elastische Dämpfe?) und andere dergleichen Ursachen erfolgen: aber auch hier die Ordnung nicht beachtend. Denn die Kugelrundung um die ganze Erde erfolgt aus der Anordnung des Ganzen, und solche Umgestaltungen verändern das Ganze der Erde gar nicht; das Kleine verschwindet im Großen.« Später heißt es, immer nach Groskurd's sehr gelungener Uebersetzung: »daß die Erde mit der See kugelförmig sei, und eine und dieselbe Oberfläche bilde mit den Meeren. Das Hervorragende des Landes, welches unbedeutend ist und unbemerkt bleiben kann, verliert sich in solcher Größe: so daß wir die Kugelgestalt in solchen Fällen nicht so bestimmen wie nach der Drehbank, auch nicht wie der Meßkünstler nach dem Begriffe, sondern nach sinnlicher und zwar gröberer Wahrnehmung. (Strabo II p. 112.) »Die Welt ist zugleich ein Werk der Natur und der Vorsehung; Werk der Natur, indem alles gegen einen Punkt, die Mitte des Ganzen, sich zusammenneigt, und sich um denselben rundet: das weniger Dichte (das Wasser) das Dichtere (die Erde) enthaltend.« (Strabo XVII p. 809.) Wo bei den Griechen von der Figur der Erde gehandelt wird, heißt es bloß (Cleom. cycl. theor. I, 8): daß man sie mit einer flachen oder in der Mitte vertieften Scheibe, mit einem Cylinder (Anaximander), mit einem Cubus, einer Pyramide verglichen; und endlich allgemein: trotz des langen Streits der Epicuräer, welche die Anziehung nach dem Centrum läugneten, für eine Kugel gehalten habe. Die Idee der Abplattung hat sich der Phantasie nicht dargeboten. Die längliche Erde des Democritus war nur die in Einer Dimension verlängerte Scheibe des Thales. Der Paukenform, τὸ σχῆμα τυμπανοειδές, welche vorzugsweise dem Leucippus zugeschrieben wird (Plut. de plac. Philos. III, 10; Galen. de historia philosophica cap. 21; Aristot. de Coelo II, 13 pag. 293 Bekker), liegt schon zum Grunde die Vorstellung einer Halbkugel mit ebener Basis, welche vielleicht den Gleicher bezeichnet, während die Krümmung als die οἰκουμένη gedacht wurde. Eine Stelle des Plinius IX, 54 über die Perlen erläutert diese Gestaltung: wogegen Aristoteles, Meteorol. II, 5 a 10 (Ideler T. I. p. 563), nur eine Vergleichung von Kugelsegmenten mit dem Tympan darbietet, wie auch aus dem Commentar des Olympiodor (Ideler T. I. p. 301) erhellt. Ich habe absichtlich in dieser Uebersicht nicht zweier mir wohl bekannten Stellen des Agathemer (de Geographia lib. I cap. 1 p. 2 Hudson) und des Eusebius (Evangel. Praeparat. T. IV. p. 125 ed. Gaisford 1843) gedacht: weil sie beweisen, mit welcher Ungenauigkeit oft spätere Schriftsteller den Alten Meinungen zuschreiben, die denselben ganz fremd waren. »Eudoxus soll nach diesen Angaben der Erdscheibe eine Länge und Breite im Verhältniß der Dimensionen wie 1 zu 2 gegeben haben: eben so Dicäarch, der Schüler des Aristoteles: welcher doch eigene Beweise für die Kugelgestalt der Erde (Marcian. Capella lib. VI p. 192) vortrug. Hipparch habe die Erde für τραπεζοειδής und Thales für eine Kugel gehalten!« unter dem Aequator eine Höhe von 3272077t-3261139t = 10938 Toisen oder 65628 Pariser Fuß: ohngefähr 24/5 (genauer 2,873) geographische Meilen. Da man seit frühester Zeit gewohnt ist eine solche Anschwellung oder convexe Erhebung der Erdoberfläche mit wohlgemessenen Gebirgsmassen zu vergleichen: so wähle ich als Gegenstände der Vergleichung den höchsten unter den jetzt bekannten Gipfeln des Himalaya, den vom Oberst Wangh gemessenen Kintschindjinga von 4406 Toisen (26436 Fuß); und den Theil der Hochebene Tibets, welcher den Heiligen Seen Rakas-Tal und Manassarovar am nächsten ist, und nach Lieut. Henry Strachey die mittlere Höhe von 2400 Toisen erreicht. Unser Planet ist demnach nicht ganz dreimal so viel in der Aequatorial-Zone angeschwollen, als die Erhebung des höchsten Erdberges über der Meeresfläche beträgt; fast fünfmal so viel als das östliche Plateau von Tibet.
Es ist hier der Ort zu bemerken, daß die durch bloße Gradmessungen oder durch Combinationen von Grad- und Pendel-Messungen sich ergebenden Resultate der Abplattung weit geringere Verschiedenheiten»Mir scheint es oft, als nenne man bisweilen die Abplattung der Erde fast nur deshalb etwas zweifelhaft, weil man zu große Genauigkeit erreichen will. Nimmt man die Abplattungen zu 1/310, 1/300, 1/290, 1/280; so erhält man den Unterschied beider Halbmesser gleich 10554, 10905, 11281 und 11684 Toisen. Das Schwanken von 30 Einheiten im Nenner erzeugt nur ein Schwanken von 1130 Toisen in dem Polar-Halbmesser: eine Größe, die vergleichungsweise mit den sichtbaren Ungleichheiten der Oberfläche der Erde so wenig wesentlich erscheint, daß ich wirklich oft erstaune, wie die Experimente noch innerhalb solcher Grenzen zusammenstimmen. Zerstreute Beobachtungen, auf weiten Flächen vereinzelt, werden uns allerdings wenig mehr lehren, als wir schon wissen; aber wichtig wäre es, wenn man alle Messungen über die ganze Oberfläche von Europa mit einander verbände und alle astronomisch bestimmten Punkte in diese Operation hineinzöge.« (Bessel in einem Briefe an mich vom December 1828.) Nach diesem Vorschlage würde man aber doch nur die Erdgestaltung von dem kennen lernen, was man als die gegen Westen vortretende Peninsular-Gliederung des großen asiatischen Continents, in kaum 66½ Längengraden, betrachten kann. – Die Steppen des nördlichen Asiens, selbst die mittlere Kirghisen-Steppe, von der ich einen beträchtlichen Theil gesehen, sind oft hügelig und in Hinsicht der Raumverhältnisse ununterbrochener Söhligkeit im großen keinesweges mit den Pampas von Buenos Aires und den Llanos von Venezuela zu vergleichen. Diese letzteren: weit von Gebirgsketten entfernt, und in der nächsten Erdrinde mit Flözformationen und Tertiärschichten von sehr gleicher und geringer Dichtigkeit bedeckt, würden durch Anomalien in den Ergebnissen der Pendel-Schwingungen sehr reine und sehr entscheidende Resultate über die örtliche Constitution der tiefen inneren Erdschichten liefern können. Vergleiche meine Ansichten der Natur Bd: I. S. 4, 12 und 47–50. in der Höhe der Aequinoctial-Anschwellung darbieten, als man auf den ersten Anblick der Bruchzahlen zu vermuthen geneigt sein könnte. Der Unterschied der Polar-Abplattungen 1/310 und 1/280 beträgt für die Unterschiede der größten und kleinsten Erdachse nach den beiden äußersten Grenzzahlen nur etwas über 6600 Fuß: nicht das Doppelte der kleinen Berghöhen des 31 Brockens und des Vesuvs; ohngefähr nur um 1/10 abweichend von der Anschwellung, welche die Abplattung 1/299 giebt.
Sobald genauere, unter sehr verschiedenen Breiten gemachte Gradmessungen gelehrt hatten, daß die Erde in ihrem Inneren nicht gleichförmig dicht sein könne, weil die aufgefundnen Resultate der Abplattung die letztere um vieles geringer darstellen, als Newton (1/230); um vieles größer, als Huygens (1/578), der sich alle Anziehung im Centrum der Erde vereinigt dachte, annahmen: mußte der Zusammenhang des Werthes der Abplattung mit dem Gesetze der Dichtigkeit im Inneren der Erdkugel ein wichtiger Gegenstand des analytischen Calcüls werden. Die theoretischen Speculationen über die Schwere leiteten früh auf die Betrachtung der Anziehung großer Gebirgsmassen, welche frei, klippenartig sich auf dem trocknen Boden des Luftmeeres erheben. Schon Newton untersuchte in seinem treatise of the System of the World in a popular way 1728, um wie viel ein Berg, der an 2500 Pariser Fuß Höhe und 5000 Fuß Durchmesser hätte, das Pendel von seiner lothrechten Richtung abziehen würde. In dieser Betrachtung liegt wahrscheinlich die Veranlassung zu den wenig befriedigenden Versuchen von Bouguer am ChimborazoBouguer, welcher La Condamine zu dem Experimente über die Ablenkung der Lothlinie durch den Chimborazo aufforderte, erwähnt in der Figure de la Terre p. 364–394 allerdings des Vorschlages von Newton nicht. Leider! beobachtete der unterrichtetste der beiden Reisenden nicht an entgegengesetzten Seiten des colossalen Berges, in Osten und Westen; sondern (Dec. 1738) in zwei Stationen an einer und derselben Seite: einmal in der Richtung Süd 61°½ West (Entfernung vom Centrum der Gebirgsmasse 4572 Toisen), und dann in Süd 16° West (Entf. 1753 T.). Die erste Station lag in einer mir wohl bekannten Gegend: wahrscheinlich unter der Höhe, wo der kleine Alpensee Yana-Cocha sich befindet; die andere in der Bimsstein-Ebene des Arenal. (La Condamine, Voyage à l'Équateur p. 68–70.) Die Ablenkung, welche die Sternhöhen angaben, war gegen alle Erwartung nur 7",5: was von den Beobachtern selbst der Schwierigkeit der Beobachtung (der ewigen Schneegrenze so nahe), der Ungenauigkeit der Instrumente, und vor allem den vermutheten großen Höhlungen des colossalen Trachytberges zugeschrieben wurde. Gegen diese Annahme sehr großer Höhlungen und die deshalb vermuthete sehr geringe Masse des Trachyt-Domes des Chimborazo habe ich aus geologischen Gründen manchen Zweifel geäußert. Südsüdöstlich vom Chimborazo, nahe bei dem indischen Dorfe Calpi, liegt der Eruptions-Kegel Yana-Urcu: welchen ich mit Bonpland genau untersucht und welcher gewiß neueren Ursprungs als die Erhebung des großen glockenförmigen Trachytberges ist. An dem letzteren ist von mir und von Boussingault nichts kraterartiges aufgefunden worden. S. die Besteigung des Chimborazo in meinen Kleinen Schriften Bd. I. S. 138., von Maskelyne und Hutton am Berg Shehallien in Perthshire nahe bei Blair Athol, zu der Vergleichung von Pendellängen auf dem Gipfel einer 6000 Fuß erhabenen Hochebene mit der Pendellänge am Meeresufer (Carlini bei dem Hospitium des Mont Cenis, und Biot und Mathieu bei Bordeaux), zu den feinen und allein entscheidenden Experimenten von Reich (1837) und Baily mit dem von John MitchellBaily, Exper. with the Torsion Rod for determining the mean Density of the Earth 1843 p. 6; John Herschel, memoir of Francis Baily 1845 p. 24. erfundenen und durch Wollaston zu Cavendish 32 übergegangenen sinnreichen Apparate der Drehwage. Es ist von den drei Arten der Bestimmung der Dichtigkeit unseres Planeten (durch Bergnähe, Höhe einer Bergebene und Drehwage) in dem Naturgemälde (Kosmos Bd. I. S. 176–178 und 424 Anm. 136) so umständlich gehandelt worden, daß nur noch die in Reich's neuer AbhandlungReich, neue Versuche mit der Drehwage, in den Abhandl. der mathem. physischen Classe der Kön. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig 1852 Bd. I. S. 405 und 418. Die neuesten Versuche meines vortrefflichen Freundes, des Prof. Reich, nähern sich etwas mehr der schönen Arbeit von Baily. Ich habe das Mittel (5,5772) gezogen aus den Versuchs-Reihen: a) mit der Zinnkugel und dem längeren, dickeren Kupferdrathe: 5,5712, bei wahrscheinlichem Fehler von 0,0113; b) mit der Zinnkugel und dem kürzeren, dünneren Kupferdrath, wie mit der Zinnkugel und dem bifilaren Eisendrath: 5,5832, bei wahrscheinlichem Fehler von 0,0149. Mit Berücksichtigung dieser Fehler in a und b ist das Mittel 5,5756. Das Resultat von Baily (5,660), freilich durch zahlreichere Versuche erhalten, könnte doch wohl eine etwas zu große Dichtigkeit geben: da es scheinbar um so mehr anwuchs, als die angewandten Kugeln (Glas oder Elfenbein) leichter waren. (Reich in Poggendorff's Annalen Bd. LXXXV. S. 190. Vergl. auch Whitehead Hearn in den Philos. Transact. for 1847 p. 217–229.) – Die Bewegung des Torsions-Balkens wurde von Baily nach dem Vorgange von Reich mittelst des Bildes beobachtet, welches, wie bei den magnetischen Beobachtungen von Gauß, ein an der Mitte des Balkens befestigter Spiegel von einer Scale reflectirte. Der, so überaus wichtige, die Genauigkeit des Ablesens vermehrende Gebrauch eines solchen Spiegels ist von Poggendorff schon im Jahr 1826 vorgeschlagen worden (Annalen der Physik Bd. VII. S. 121). enthaltenen, in den Jahren 1847 und 1850 von diesem unermüdlichen Forscher angestellten Versuche hier erwähnt werden müssen. Das Ganze kann nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens folgendermaßen zusammengestellt werden:
Shehallian (nach dem Mittel des von Playfair ge- fundenen Max. 4,867 und Min. 4,559) |
4,713 |
Mont Cenis, Beob. von Carlini mit der Correction von Giulio |
4,950 |
Drehwage: Cavendish nach Baily's Berechnung Reich 1838 Baily 1842 Reich 1847–1850 |
5,448 5,440 5,660 5577 |
Ein noch weit größeres Resultat für die Dichte der Erde, als Baily (1842) und Reich (1847–1850) erhalten haben, ergeben Airy's mit so musterhafter Vorsicht in den Bergwerken von Harton angestellte Pendel-Versuche im Jahre 1851. Nach diesen Pendel-Versuchen ist die Dichte 6,566: mit dem wahrscheinlichen Fehler 0,182 (Airy in den Philos. Transact. for 1856 p. 342). Eine kleine Modification dieses numerischen Werthes, vom Professor Stockes hinzugefügt wegen des Effects der Rotation und Ellipticität der Erde, verändert die Dichtigkeit für Harton, das in 54° 48' nördlicher Breite liegt, in 6,565; für den Aequator in 6,489.
Das Mittel der beiden letzten Resultate giebt für die Dichtigkeit der Erde 5,62 (die des Wassers = 1 gesetzt) [s. nebenstehenden Zusatz]: also viel mehr als die dichtesten feinkörnigen Basalte (nach Leonhard's zahlreichen Versuchen 2,95–3,67), mehr als Magneteisenerz (4,9–5,2), um weniges geringer als gediegen Arsen von Marienberg oder Joachimsthal. Wir haben bereits oben (Kosmos Bd. I. S. 177) bemerkt, daß bei der großen Verbreitung von Flöz-, Tertiär-Formationen und aufgeschwemmten Schichten, welche den uns sichtbaren, continentalen Theil der Erdoberfläche bilden (die plutonischen und vulkanischen Erhebungen erfüllen inselförmig überaus 33 kleine Räume), die Feste in der oberen Erdrinde kaum eine Dichtigkeit von 2,4 bis 2,6 erreicht. Wenn man nun mit Rigaud das Verhältniß der Feste zur flüssigen oceanischen Fläche wie 10:27 annimmt, und erwägt, daß letztere nach Versuchen mit dem Senkblei über 26000 Pariser Fuß Wasserdicke erreicht; so ist die ganze Dichtigkeit der oberen Schichten des Planeten unter der trocknen und oceanischen Oberfläche kaum 1,5. Es ist gewiß mit Unrecht: wie ein berühmter Geometer, Plana, bemerkt, daß der Verfasser der Mécanique céleste der oberen Erdschicht die Dichtigkeit des Granits zuschreibt und diese auch, etwas hoch, = 3 ansetztLaplace, Mécanique céleste éd. de 1846 T. V. p. 57. Das mittlere specifische Gewicht des Granits ist höchstens auf 2,7 anzuschlagen, da der zweiachsige weiße Kali-Glimmer und der grüne einachsige Magnesia-Glimmer 2,85 bis 3,1; und die übrigen Bestandtheile der Gebirgsart, Quarz und Feldspath, 2,56 und 2,65 sind. Selbst Oligoklas hat nur 2,68. Wenn auch Hornblende bis 3,17 steigt: so bleibt der Syenit, in welchem Feldspath stets vorwaltet, doch tief unter 2,8. Da Thonschiefer 2,69–2,78; unter den Kalksteinen nur reiner Dolomit 2,88 erreicht; Kreide 2,72; Gyps und Steinsalz 2,3: so halte ich die Dichtigkeit der uns erkennbaren Continental-Rinde der Erde für näher an 2,6 als an 2,4. Laplace hat, in der Voraussetzung, daß die Dichtigkeit von der Oberfläche nach dem Mittelpunkte in arithmetischer Progression zunehme, und unter der, gewiß irrigen Annahme, daß die Dichtigkeit der oberen Schicht = 3 ist, für die mittlere Dichtigkeit der ganzen Erde 4,7647 gefunden: welches bedeutend von den Resultaten von Reich 5,577 und Baily 5,660 abweicht; weit mehr, als die wahrscheinlichen Fehler der Beobachtung gestatten. Durch eine neue Discussion der Hypothese von Laplace in einer interessanten Abhandlung, welche bald in Schumacher's astr. Nachrichten erscheinen wird, ist Plana zu dem Resultate gelangt: daß durch eine veränderte Behandlung dieser Hypothese sowohl die Reich'sche mittlere Dichtigkeit der Erde als die von mir auf 1,6 geschätzte Dichtigkeit der trocknen und oceanischen Oberflächenschicht, so wie die Ellipticität, innerhalb der für diese letztere Größe wahrscheinlichen Grenzen, sehr angenähert dargestellt werden können. »Si la compressibilité des substances dont la Terre est formée (sagt der Turiner Geometer), a été la cause qui a donné à ses couches des formes régulières, à peu près elliptiques, avec une densité croissante depuis la surface jusqu'au centre; il est permis de penser que ces couches, en se consolidant, ont subi des modifications, à la vérité fort petites, mais assez grandes pour nous empêcher de pouvoir dériver, avec toute l'exactitude que l'on pourrait souhaiter, l'état de la Terre solide de son état antérieur de fluidité. Cette réflexion m'a fait apprécier davantage la première hypothèse, proposée par l'auteur de la Mécanique céléste, et je me suis décidé à la soumettre à une nouvelle discussion.«: was ihm für das Centrum der Erde die Dichtigkeit von 10,047 giebt. Letztere wird nach Plana 16,27, wenn man die oberen Erdschichten = 1,83 setzt: was wenig von 1,5 oder 1,6 als totale Erdrinden-Dichtigkeit abweicht. Das Pendel, das senkrechte wie das horizontale (die Drehwage), hat allerdings ein geognostisches Instrument genannt werden können; aber die Geologie der unzugänglichen inneren Erdräume ist, wie die Astrognosie der dunklen Weltkörper, nur mit vieler Vorsicht zu behandeln. Ich muß ohnedies noch in dem vulkanischen Abschnitt dieses Werkes die, schon von Anderen angeregten Probleme der Strömungen in der allgemeinen Flüssigkeit des Inneren des Planeten, der wahrscheinlichen oder unwahrscheinlichen periodischen Ebbe- und Fluth-Bewegung in einzelnen, nicht ganz gefüllten Becken, oder der Existenz undichter Räume unter den gehobenen GebirgskettenVergl. Petit »sur la latitude de l'Observatoire de Toulouse, la densité moyenne de la chaîne des Pyrénées, et la probabilité qu'il existe un vide sous cette chaîne«, in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XXIX. 1849 p. 730., berühren. Es ist im Kosmos keine Betrachtung zu übergehen, auf welche wirkliche Beobachtungen oder nicht entfernte Analogien zu leiten scheinen.
34 b. Innere Wärme des Erdkörpers und Vertheilung derselben.
(Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I. S. 179–184 und S. 425–427 Anm. 137–140.)
Die Betrachtungen über die innere Wärme des Erdkörpers, deren Wichtigkeit durch ihren jetzt so allgemein anerkannten Zusammenhang mit vulkanischen und Hebungs-Erscheinungen erhöht worden ist, sind gegründet theils auf directe und daher unbestreitbare Messungen der Temperatur in Quellen, Bohrlöchern und unterirdischen Grubenbauen; theils auf analytische Combinationen über die allmälige Erkältung unseres Planeten und den Einfluß, welchen die Wärme-Abnahme auf die Rotations-GeschwindigkeitKosmos Bd. I. S. 183 und 427 Anm. 140. und auf die Richtung der inneren Wärme-Strömungen in der Urzeit mag ausgeübt haben. Die Gestalt des abgeplatteten Erdsphäroids ist selbst wieder von dem Gesetze der zunehmenden Dichtigkeit abhängig in concentrischen, über einander liegenden, nicht homogenen Schalen. Der erste, experimentale und darum sichrere Theil der Untersuchung, auf den wir uns hier beschränken, verbreitet aber nur Licht über die uns allein zugängliche, ihrer Dicke nach unbedeutende Erdrinde: während der zweite, mathematische Theil, der Natur seiner Anwendungen nach, mehr negative als positive Resultate liefert. Den Reiz scharfsinniger GedankenverbindungenHopkins (Physical Geology) im Report of the British Association for 1838 p. 92; Philos. Transact. 1839 P. II. p. 381 und 1840 P. I. p. 193; Henry Hennessey (Terrestrial Physics) in den Philos. Transact. 1851 P. II. p. 504 und 525. darbietend, leitet dieser zu Problemen, welche bei den Muthmaßungen über den Ursprung der vulkanischen Kräfte und die Reaction des geschmolzenen Inneren gegen die starre äußere Schale nicht ganz unberührt bleiben können. Platons geognostische Mythe vom PyriphlegethonKosmos Bd. I. S. 249 und 450–452 Anm. 225., als Ursprung aller heißen Quellen wie der vulkanischen Feuerströme, war hervorgegangen aus dem so früh und so allgemein gefühlten 35 Bedürfniß, für eine große und verwickelte Reihe von Erscheinungen eine gemeinsame Ursach aufzufinden.
Bei der Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, welche die Erdoberfläche darbietet in Hinsicht auf Insolation (Sonnen-Einwirkung) und auf Fähigkeit die Wärme auszustrahlen, bei der großen Verschiedenheit der Wärme-Leitung nach Maaßgabe der in ihrer Zusammensetzung und Dichte heterogenen Gebirgsarten: ist es nicht wenig zu bewundern, daß da, wo die Beobachtungen mit Sorgfalt und unter günstigen Umständen angestellt sind, die Zunahme der Temperatur mit der Tiefe in sehr ungleichen Localitäten meist so übereinstimmende Resultate gegeben hat. Bohrlöcher: besonders wenn sie noch mit trüben, etwas durch Thonverdickten, den inneren Strömungen minder günstigen Flüssigkeiten gefüllt sind, und wenig Zuflüsse seitwärts in verschiedenen Höhen durch Queerklüfte erhalten; bieten bei sehr großer Tiefe die meiste Sicherheit dar. Wir beginnen daher, eben dieser Tiefe wegen, mit zweien der merkwürdigsten artesischen Brunnen: dem von Grenelle zu Paris, und dem von Neu-Salzwerk im Soolbade Oeynhausen bei Minden. Die genauesten Bestimmungen für beide sind die, welche hier folgen:
Nach den Messungen von WalferdinDie von Walferdin mitgetheilten Beobachtungen sind von dem Herbst 1847. Sie sind sehr wenig abweichend von den Resultaten (Kosmos Bd. I. S. 181 Anm. 138, Comptes rendus T. XI. 1840 p. 707), welche ebenfalls mit dem Walferdin'schen Apparate Arago 1840 erhielt in 505m Tiefe, als der Bohrer eben die Kreide verlassen hatte und in den Gault einzudringen anfing., dessen Scharfsinn man eine ganze Reihe seiner Apparate zur Bestimmung der Temperatur in den Tiefen des Meeres oder der Brunnen verdankt, liegt die Bodenfläche des Abbatoir du Puits de Grenelle 36m,24 über dem Meere. Der obere Ausfluß der aufsteigenden Quelle ist noch 33m,33 höher. Diese Total-Höhe der steigenden Wasser (69m,57) ist im Vergleich mit dem Niveau des Meeres ohngefähr 60 Meter niedriger als das Ausgehen der Grünsand-Schicht in den Hügeln bei Lusigny, südöstlich 36 von Paris, deren Infiltrationen man das Aufsteigen der Wasser im artesischen Brunnen von Grenelle zuschreibt. Die Wasser sind erbohrt in 547m (1683 Pariser Fuß) Tiefe unter dem Boden des Abattoirs, oder 510m,76 (1572 Fuß) unter dem Meeresspiegel; also steigen sie im ganzen 580m,33 (1786 Fuß). Die Temperatur der Quelle ist 27°,75 Cent. (22°,2 R.). Die Zunahme der Wärme ist also 32m,3 (99½ Fuß) für 1° des hunderttheiligen Thermometers.
Das Bohrloch zu Neu-Salzwerk bei Rehme liegt in seiner Mündung 217 Fuß über der Meeresfläche (über dem Pegel bei Amsterdam). Es hat erreicht unter der Erdoberfläche: unter dem Punkte, wo die Arbeit begonnen ist, die absolute Tiefe von 2144 Fuß. Die Soolquelle, welche mit vieler Kohlensäure geschwängert ausbricht, ist also 1926 Fuß unter der Meeresfläche gelegen: eine relative Tiefe, die vielleicht die größte ist, welche die Menschen je im Inneren der Erde erreicht haben. Die Soolquelle von Neu-Salzwerk (Bad Oeynhausen) hat eine Temperatur von 32°,8 (26°,3 R.); und da die mittlere Jahres-Temperatur der Luft in Neu-Salzwerk etwas über 9°,6 (7°,7 R.) beträgt, so darf man auf eine Zunahme der Temperatur von 1° Cent. für 92,4 Fuß oder 30 Meter schließen. Das Bohrloch von Neu-SalzwerkNach handschriftlichen Resultaten von dem Berghauptmann von Oeynhausen. Vergl. Kosmos Bd. I. S. 416 Anm. 124 und S. 426 Anm. 138; auch Bischof, Lehrbuch der chem. und phys. Geologie Bd. I. Abth. 1. S. 154–163. In absoluter Tiefe kommt das Bohrloch zu Mondorf im Großherzogthum Luxemburg (2066 Fuß) dem von Neu-Salzwerk am nächsten. ist also, mit dem von Grenelle verglichen, 461 Fuß absolut tiefer; es senkt sich 354 Fuß mehr unter die Oberfläche des Meeres, und die Temperatur seiner Wasser ist 5°,1 höher. Die Zunahme der Wärme ist in Paris für jeden hunderttheiligen Grad um 7,1 Fuß, also kaum um 1/14 schneller. Ich habe schon obenKosmos Bd. 1. S. 426 [Anm. 138] und Mémoires de la Société d'hist. naturelle de Genève T. VI. 1833 p. 243. Die Vergleichung einer großen Zahl artesischer Brunnen in der Nähe von Lille mit denen von Saint-Quen und Genf könnte auf einen beträchtlicheren Einfluß der Leitungsfähigkeit der Erd- und Gesteinschichten schließen lassen, wenn die Genauigkeit der numerischen Angaben gleich sicher wäre (Poisson, théorie mathématique de la Chaleur p. 421). darauf aufmerksam gemacht, wie ein von Auguste de la Rive und Marcet zu Brégny bei Genf 37 untersuchtes Bohrloch von nur 680 Fuß Tiefe ein ganz gleiches Resultat gegeben hat, obgleich dasselbe in einer Höhe von mehr als 1500 Fuß über dem mittelländischen Meere liegt.
Wenn man den drei eben genannten Quellen, welche zwischen 680 und 2144 Fuß absoluter Tiefe erreichen, noch eine: die von Monk Wearmouth bei Newcastle (die Grubenwasser des Kohlenbergwerks, in welchem nach Phillips 1404 Fuß unter dem Meeresspiegel gearbeitet wird), hinzufügt; so findet man das merkwürdige Resultat, daß an vier von einander so entfernten Orten die Wärme-Zunahme für 1°Cent. nur zwischen 91 und 99 Pariser Fuß schwankt.In einer Tabelle von 14 Bohrlöchern, die über 100 Meter Tiefe haben, aus den verschiedensten Theilen von Frankreich, führt Bravais in seiner lehrreichen encyclopädischen Schrift Patria 1847 p. 145 neun auf, in welchen die einem Grad zugehörige Temperatur-Zunahme zwischen 27 und 39 Meter fällt: von dem im Text gegebenen Mittel von 32 Metern zu beiden Seiten um 5 bis 6 Meter abweichend. (Vergl. auch Magnus in Poggend. Ann. Bd. XXII. 1831 S. 146.) Im ganzen scheint die Temperatur-Zunahme schneller in artesischen Brunnen von sehr geringer Tiefe: doch machen die sehr tiefen Brunnen von Monte Massi in Toscana und Neuffen am nordwestlichen Theil der schwäbischen Alp davon sonderbare Ausnahmen. Diese Uebereinstimmung kann aber nach der Natur der Mittel, welche man anwendet, um die innere Erdwärme in bestimmten Tiefen zu ergründen, nicht überall erwartet werden. Wenn auch angenommen wird, daß die auf Höhen sich infiltrirenden Meteorwasser durch hydrostatischen Druck, wie in communicirenden Röhren, das Aufsteigen der Quellen an tieferen Punkten bewirken: und daß die unterirdischen Wasser die Temperatur der Erdschichten annehmen, mit welchen sie in Contact gelangen; so können die erbohrten Wasser in gewissen Fällen, mit senkrecht niedergehenden Wasserklüften communicirend, doch noch einen anderen Zuwachs von Wärme aus uns unbekannter Tiefe erhalten. Ein solcher Einfluß, welchen man sehr von dem der verschiedenen Leitungsfähigkeit des Gesteins unterscheiden muß, kann an Punkten stattfinden, die dem Bohrloch sehr fern liegen. Wahrscheinlich bewegen sich die Wasser im Inneren der Erde bald in beschränkten Räumen, auf Spalten gleichsam flußartig (daher oft von nahen Bohrversuchen nur einige gelingen); bald scheinen dieselben in horizontaler Richtung weit ausgedehnte Becken zu bilden: so daß dieses Verhältniß überall 38 die Arbeit begünstigt, und in sehr seltenen Fällen durch Anwesenheit von Aalen, Muscheln und Pflanzenresten einen Zusammenhang mit der Erdoberfläche verräth. Wie nun aus den oben bezeichneten Ursachen die aufsteigenden Quellen bisweilen wärmer sind, als nach der geringen Tiefe des Bohrlochs zu erwarten wäre; so wirken in entgegengesetztem Sinne kältere Wasser, welche aus seitwärts zuführenden Queerklüften hervorbrechen.
Es ist bereits bemerkt worden, daß Punkte, welche im Inneren der Erde bei geringer Tiefe in derselben Verticallinie liegen, zu sehr verschiedenen Zeiten das Maximum und Minimum der durch Sonnenstand und Jahreszeiten veränderten Temperatur der Atmosphäre empfangen. Nach den, immer sehr genauen Beobachtungen von QueteletQuetelet im Bulletin de l'Acad. de Bruxelles 1836 p. 75. sind die täglichen Variationen schon in der Tiefe von 34/5 Fuß nicht mehr bemerkbar; und zu Brüssel trat die höchste Temperatur in 24 Fuß tief eingesenkten Thermometern erst am 10 December, die niedrigste am 15 Juni ein. Auch in den schönen Versuchen, die Forbes in der Nähe von Edinburg über das Leitungsvermögen verschiedener Gebirgsarten anstellte, traf das Maximum der Wärme im basaltartigen Trapp von Calton-Hill erst am 8 Januar in 23 Fuß Tiefe ein.Forbes, Exper. on the temperature of the Earth at different depths in den Transact. of the Royal Soc. of Edinburgh Vol. XVI. 1849 Part 2. p. 189. Nach der vieljährigen Reihe von Beobachtungen Arago's im Garten der Pariser Sternwarte sind im Laufe eines ganzen Jahres noch sehr kleine Temperatur Unterschiede bis 28 Fuß unter der Oberfläche bemerkbar gewesen. Eben so fand sie Bravais noch 1° in 26½ Fuß Tiefe im hohen Norden zu Bosekop in Finmark (Br. 69° 58'). Der Unterschied zwischen den höchsten und niedrigsten Temperaturen des Jahres ist um so kleiner, je tiefer man hinabsteigt. Nach Fourier nimmt dieser Unterschied in geometrischer Reihe ab, wenn die Tiefe in arithmetischer wächst.
39 Die invariable Erdschicht ist in Hinsicht ihrer Tiefe (ihres Abstandes von der Oberfläche) zugleich abhängig von der Polhöhe, von der Leitungsfähigkeit des umgebenden Gesteins, und der Größe des Temperatur-Unterschiedes zwischen der heißesten und kältesten Jahreszeit. In der Breite von Paris (48° 50') werden herkömmlich die Tiefe und Temperatur der Caves de l'Observatoire (86 Fuß und 11°,834) für Tiefe und Temperatur der invariablen Erdschicht gehalten. Seitdem (1783) Cassini und Legentil ein sehr genaues Quecksilber-Thermometer in jenen unterirdischen Räumen, welche Theile alter Steinbrüche sind, aufgestellt haben, ist der Stand des Quecksilbers in der Röhre um 0°,22 gestiegen.Alle Zahlen die Temperatur der Caves de l'Observatoire betreffend sind aus Poisson, théorie mathématique de la Chaleur p. 415 und 462 entlehnt. Dagegen enthält das Annuaire météorologique de la France von Martins und Haeghens 1849 p. 88 abweichende Correctionen des Lavoisier'schen unterirdischen Thermometers durch Gay-Lussac. Im Mittel aus 3 Ablesungen (Junius bis August) gab jenes Thermometer 12°,193: wenn Gay-Lussac die Temperatur zu 11°,843 fand; also Differenz 0°,350. Ob die Ursach dieses Steigens einer zufälligen Veränderung der Thermometer-Scale, die jedoch von Arago 1817 mit der ihm eigenen Sorgfalt berichtigt worden ist, oder wirklich einer Wärme-Erhöhung zugeschrieben werden müsse; ist noch unentschieden. Die mittlere Temperatur der Luft in Paris ist 10°,822. Bravais glaubt, daß das Thermometer in den Caves de l'Observatoire schon unter der Grenze der invariablen Erdschicht stehe, wenn gleich Cassini noch Unterschiede von zwei Hunderttheilen eines Grades zwischen der Winter- und Sommer-Temperatur finden wollteCassini in den Mémoires de l'Académie des Sciences 1786 p. 511.: aber freilich die wärmere Temperatur im Winter. Wenn man das Mittel vieler Beobachtungen der Bodenwärme zwischen den Parallelen von Zürich (47° 22') und Upsala (59° 51') nimmt, so erhält man für 1° Temperatur-Zunahme die Tiefe von 67½ Fuß. Die Unterschiede der Breite steigen nur auf 12 bis 15 Fuß Tiefe, und zwar ohne regelmäßige Veränderung von Süden nach Norden, weil der gewiß vorhandene Einfluß der Breite sich in diesen, noch zu engen Grenzen der Verschiedenheit der Tiefen mit dem 40 Einfluß der Leitungsfähigkeit des Bodens und der Fehler der Beobachtung vermischt.
Da die Erdschicht, in der man anfängt keine Temperatur-Veränderung mehr den ganzen Jahres-Cyclus hindurch zu bemerken, nach der Theorie der Wärme-Vertheilung um so weniger von der Oberfläche entfernt liegt, als die Maxima und Minima der Jahres-Temperatur weniger von einander verschieden sind; so hat diese Betrachtung meinen Freund, Herrn Boussingault, auf die scharfsinnige und bequeme Methode geleitet, in der Tropengegend, besonders 10 Grad nördlich und südlich vom Aequator, die mittlere Temperatur eines Orts durch die Beobachtung eines Thermometers zu bestimmen, das 8 bis 12 Zoll in einem bedeckten Raume eingegraben ist. Zu den verschiedensten Stunden, ja in verschiedenen Monaten (wie die Versuche vom Oberst Hall nahe am Littoral des Choco, in Tumaco; die von Salaza in Quito; die von Boussingault in Vega de Zupia, Marmato und Anserma im Cauca-Thale beweisen), hat die Temperatur nicht um zwei Zehntel eines Grades variirt; und fast in denselben Grenzen ist sie identisch mit der mittleren Temperatur der Luft an solchen Orten gewesen, wo letztere aus stündlichen Beobachtungen hergeleitet worden ist. Dazu blieb diese Identität, was überaus merkwürdig scheint, sich vollkommen gleich: die thermometrischen Sonden (von weniger als 1 Fuß Tiefe) mochten am heißen Ufer der Südsee in Guayaquil und Payta, oder in einem Indianer-Dörfchen am Abhange des Vulkans von Puracé, das ich nach meinen Barometer-Messungen 1356 Toisen (2643,2 Meter) hoch über dem Meere gefunden habe, angestellt werden. Die mittleren Temperaturen waren in diesen Höhen-Abständen um volle 14° verschieden.Boussingault »sur la profondeur à laquelle on trouve dans la zone torride la couche de température invariable«, in den Annales de Chimie et de Physique T. LIII. 1833 p. 225–247. Einwendungen gegen die in dieser Abhandlung empfohlene und in Südamerika durch so viele genaue Versuche bewährte Methode sind von John Caldecott, dem Astronomen des Rajah von Travancore, und vom Cap. Newbold in Indien gemacht worden. Der Erstere fand zu Trevandrum (Edinb. Transact. Vol. XVI. Part 3 p. 379–393) die Boden-Temperatur in 3 Fuß Tiefe und darunter (also tiefer, als Boussingault vorschreibt) 85° und 86° Fahr., wenn die mittlere Luft-Temperatur zu 80°,02 Fahr. angegeben wird. Newbold's Versuche (Philos. Transact. for the year 1845 Part I. p. 133), zu Bellarp (Br. 15° 5') gaben für 1 Fuß Tiefe von Sonnenaufgang bis 2 U. nach der Culmination noch eine Temperatur-Vermehrung von 4, aber zu Cassargode (Br. 12° 29') bei bewölktem Himmel von 1½ Fahrenheit'schen Graden. Sollten die Thermometer wohl gehörig bedeckt, vor der Insolation geschützt gewesen sein? Vergl. auch D. Forbes, Exper. on the temp. of the Earth at different depths in den Edinb. Transact. Vol. XVI. Part 2. p. 189. Oberst Acosta, der verdiente Geschichtsschreiber von Neu-Granada, hat seit einem Jahre zu Guaduas am südwestlichen Abfall des Hochlandes von Bogota, wo die mittlere Temperatur des Jahres 23°,8 ist, in 1 Fuß Tiefe, und zwar in einem bedeckten Raume, eine lange Reihe von Beobachtungen gemacht, welche Boussingault's Behauptung vollkommen bekräftigen. Letzterer meldet: »Les Observations du Colonel Acosta, dont Vous connaissez la grande précision en tout ce qui intéresse la Météorologie, prouvent que, dans les conditions d'abri, la Température reste constante entre les tropiques à une très petite profondeur.«
41 Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen, glaube ich, zwei Beobachtungen, die ich in den Gebirgen von Peru und Mexico gemacht habe: in Bergwerken, welche höher liegen als der Gipfel des Pic von Teneriffa; höher als alle, in die man wohl bis dahin je ein Thermometer getragen hatte. Mehr als zwölftausend Fuß über dem Meeresspiegel habe ich die unterirdische Luft 14° wärmer als die äußere gefunden. Das peruanische Städtchen MicuipampaUeber Gualgayoc (oder Minas de Chota) und Micuipampa s. Humboldt, Recueil d'Observations astronomiques Vol. I. p. 324. liegt nämlich nach meinen astronomischen und hypsometrischen Beobachtungen in der südlichen Breite von 6° 43' und in der Höhe von 1857 Toisen, am Fuß des, wegen seines Silberreichthums berühmten Cerro de Gualgayoc. Der Gipfel dieses fast isolirten, sich castellartig und malerisch erhebenden Berges ist 240 Toisen höher als das Straßenpflaster des Städtchens Micuipampa. Die äußere Luft war fern vom Stollen-Mundloch der Mina del Purgatorio 5°,7; aber in dem Inneren der Grubenbaue, ohngefähr in 2057 Toisen (12342 Fuß) Höhe über dem Meere, sah ich das Thermometer überall die Temperatur von 19°,8 anzeigen: Differenz 14°,1. Das Kalkgestein war vollkommen trocken, und sehr wenige Bergleute arbeiteten dort. In der Mina de Guadalupe, die in derselben Höhe liegt, fand ich die innere Luft-Temperatur 14°,4: also Differenz gegen die äußere Luft 8°,7. Die Wasser, welche hier aus der sehr nassen Grube hervorströmten, hatten 11°,3. Die mittlere jährliche Luft-Temperatur von Micuipampa ist wahrscheinlich nicht über 7°½. In Mexico, in den reichen Silberbergwerken von Guanaxuato, fand ich in der Mina de ValencianaEssai politique sur le Royaume de la Nouvelle-Espagne (2ème éd.) T. III. p. 201. die äußere Luft-Temperatur in der Nähe des Tiro Nuevo (7122 Fuß über dem Meere) 21°,2; und die Grubenluft im Tiefsten, in den Planes de San Bernardo (1530 Fuß unter der Oeffnung des Schachtes Tiro Nuevo), volle 27°: ohngefähr die 42 Mittel-Temperatur des Littorals am mexicanischen Meerbusen. In einer Strecke, welche 138 Fuß höher als die Sohle der Planes de San Bernardo liegt, zeigt sich, aus dem Queergestein ausbrechend, eine Quelle mit der Wärme von 29°,3. Die von mir bestimmte nördliche Breite der Bergstadt Guanaxuato ist 21° 0'; bei einer Mittel-Temperatur, welche ohngefähr zwischen 15°,8 und 16°,2 fällt. Es würde ungeeignet sein hier über die Ursachen vielleicht ganz localer Erhöhung der unterirdischen Temperatur in Gebirgshöhen von sechs- bis zwölftausend Fuß, schwer zu begründende Vermuthungen aufzustellen.
Einen merkwürdigen Contrast bieten die Verhältnisse des Bodeneises in den Steppen des nördlichsten Asiens dar. Trotz der frühesten Zeugnisse von Gmelin und Pallas war selbst die Existenz desselben in Zweifel gezogen worden. Ueber die Verbreitung und Dicke der Schicht des unterirdischen Eises hat man erst in der neuesten Zeit durch die trefflichen Untersuchungen von Erman, Baer und Middendorff richtige Ansichten gewonnen. Nach den Schilderungen von Grönland durch Cranz, von Spitzbergen durch Martens und Phipps, der Küsten des karischen Meeres von Sujew, wurde durch unvorsichtige Verallgemeinerung der ganze nördlichste Theil von Sibirien als vegetationsleer, an der Oberfläche stets gefroren, und mit ewigem Schnee selbst in der Ebene bedeckt beschrieben. Die äußerste Grenze hohen Baumwuchses ist im nördlichen Asien nicht, wie man lange annahm und wie Seewinde und die Nähe des Obischen Meerbusens es bei Obdorsk veranlassen, der Parallel von 67°; das Flußthal des großen Lena-Stromes hat hohe Bäume bis zur Breite von 71°. In der Einöde der Inseln von Neu-Sibirien finden große Heerden von Rennthieren und zahllose Lemminge noch hinlängliche 43 Nahrung.E. von Baer in Middendorff's sibirischer Reise Bd. I. S. VII. Die zwei sibirischen Reisen von Middendorff: welchen Beobachtungsgeist, Kühnheit im Unternehmen und Ausdauer in mühseliger Arbeit auszeichnen, waren 1843 bis 1846 nördlich im Taymir-Lande bis zu 75°¾ Breite und südöstlich bis an den oberen Amur und das Ochotskische Meer gerichtet. Die erste so gefahrvoller Reisen hatte den gelehrten Naturforscher in eine bisher ganz unbesuchte Region geführt. Sie bot um so mehr Wichtigkeit dar, als diese Region gleich weit von der Ost- und Westküste des Alten Continents entfernt ist. Neben der Verbreitung der Organismen im höchsten Norden, als hauptsächlich von klimatischen Verhältnissen abhängig, war im Auftrage der Petersburger Akademie der Wissenschaften die genaue Bestimmung der Boden-Temperatur und der Dicke des unterirdischen Bodeneises ein Hauptzweck der Expedition.. Es wurden Untersuchungen angestellt in Bohrlöchern und Gruben von 20 bis 57 Fuß Tiefe, an mehr denn 12 Punkten (bei Turuchansk, am Jenisei und an der Lena), in relativen Entfernungen von vier- bis fünfhundert geographischen Meilen.
Der wichtigste Gegenstand solcher geothermischen Beobachtungen blieb aber der Schergin-SchachtDer Kaufmann Fedor Schergin, Verwalter vom Comptoir der russisch-amerikanischen Handlungs-Gesellschaft, fing im Jahr 1828 an in dem Hofe eines dieser Gesellschaft gehörigen Hauses einen Brunnen zu graben. Da er bis zu der Tiefe von 90 Fuß, die er 1830 erreichte, nur gefrorenes Erdreich und kein Wasser fand, so gab er die Arbeit auf: bis der Admiral Wrangel, der auf seinem Wege nach Sitcha im russischen Amerika Jakutsk berührte, und einsah, welches große wissenschaftliche Interesse an die Durchsenkung der unterirdischen Eisschicht geknüpft sei, Herrn Schergin aufforderte das Vertiefen des Schachtes fortzusetzen. So erreichte derselbe bis 1837 volle 382 englische Fuß unter der Oberfläche, immer im Eise bleibend. zu Jakutsk (Br. 62° 2') Hier war eine unterirdische Eisschicht durchbrochen worden in der Dicke von mehr als 358 Par. Fuß (382 engl. Fuß). Längs den Seitenwänden des Schachtes wurden Thermometer an 11 über einander liegenden Punkten zwischen der Oberfläche und dem Tiefsten des Schachtes, den man 1837 erreichte, eingesenkt. In einem Eimer (Kübel) stehend, Einen Arm beim Herablassen an einem Seil befestigt, mußte der Beobachter die Thermometer-Scalen ablesen. Die Reihe der Beobachtungen, deren mittleren Fehler man nur zu 0°,25 anschlägt, 44 umfaßte den Zeitraum vom April 1844 bis Juni 1846. Die Abnahme der Kälte war im einzelnen zwar nicht den Tiefen proportional; doch fand man folgende, im ganzen zunehmende Mittel-Temperaturen der über einander liegenden Eisschichten:
50 | engl. | Fuß | . . . . . | -6°,61 R. |
100 | " | " | . . . . . | -5,22 |
150 | " | " | . . . . . | -4,64 |
200 | " | " | . . . . . | -3,88 |
250 | " | " | . . . . . | -3,34 |
382 | " | " | . . . . . | -2,40 |
Nach einer sehr gründlichen Discussion aller Beobachtungen bestimmt Middendorff die allgemeine Temperatur-ZunahmeMiddendorff, Reise in Sib. Bd. I. S. 125–133. »Schließen wir«, sagt Middendorff, »diejenigen Tiefen aus, welche noch nicht ganz 100 Fuß erreichen, weil sie nach den bisherigen Erfahrungen in Sibirien in den Bereich der jährlichen Temperatur-Veränderungen gehören; so bleiben doch noch solche Anomalien in der partiellen Wärme-Zunahme, daß dieselben für 1° R. von 150 zu 200 Fuß nur 66, von 250 bis 300 Fuß dagegen 217 engl. Fuß betragen. Wir müssen uns also bewogen fühlen auszusprechen, daß die bisherigen Ergebnisse der Beobachtung im Schergin-Schachte keinesweges genügen, um mit Sicherheit das Maaß der Temperatur-Zunahme zu bestimmen; daß jedoch (trotz der großen Abweichungen, die in der verschiedenen Leitungsfähigkeit der Erdschichten, in dem störenden Einflusse der äußeren herabsinkenden Luft oder der Tagewasser gegründet sein können) die Temperatur-Zunahme auf 1° R. nicht mehr als 100 bis 117 englische Fuß betrage.« Das Resultat 117 engl. Fuß ist das Mittel aus den 6 partiellen Temperatur-Zunahmen (von 50 zu 50 Fuß) zwischen 100 und 382 Fuß Schachttiefe. Vergleiche ich die Luft-Temperatur des Jahres zu Jakutsk (-8°,13 R.) mit der durch Beobachtung gegebenen mittleren Temperatur des Eises (-2°,40 R.) in der größten Tiefe (382 engl. Fuß), so finde ich 663/5 engl. Fuß für 1° R. Hundert Fuß giebt die Vergleichung des Tiefsten mit der Temperatur, welche in 100 Fuß Schachttiefe herrscht. Aus den scharfsinnigen numerischen Untersuchungen von Middendorff und Peters über die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit der atmosphärischen Temperatur-Veränderungen, über Kälte- und Wärme-Gipfel (Middend. S. 133–157 und 168–175) folgt: daß in den verschiedenen Bohrlöchern, in den geringen oberen Tiefen von 7 bis 20 Fuß, »ein Steigen der Temperatur vom März bis October, und ein Sinken der Temperatur vom November bis April statt findet: weil Frühjahr und Herbst die Jahreszeiten sind, in welchen die Veränderungen der Luft-Temperatur am bedeutendsten sind« (S. 142 und 145). Selbst sorgfältig verdeckte Gruben kühlen sich in Nord-Sibirien allmälig aus durch vieljährige Berührung der Luft mit den Schachtwänden. Im Schergin-Schachte hat jedoch in 18 Jahren diese Berührung kaum ½ Grad Temperatur-Erniedrigung hervorgebracht. Eine merkwürdige und bisher unerklärte Erscheinung, die sich auch in dem Schergin-Schachte dargeboten hat, ist die Erwärmung, welche man im Winter bisweilen in den tieferen Schichten allein bemerkt hat, »ohne nachweisbaren Einfluß von außen« (S. 156 und 178). Noch auffallender scheint es mir, daß im Bohrloch zu Wedensk an der Päsina bei einer Luft-Temperatur von -28° R. in der so geringen Tiefe von 5 bis 8 Fuß nur -2°,5 gefunden wurden. Die Isogeothermen, auf deren Richtung Kupffer's scharfsinnige Untersuchungen zuerst geleitet haben (Kosmos Bd. I. S. 445 [Anm. 201]), werden noch lange Zeit ungelöste Probleme darbieten. Die Lösung ist besonders schwierig da, wo das vollständige Durchsinken der Bodeneis-Schicht eine langdauernde Arbeit ist. Als ein bloßes Local-Phänomen, nach des Ober-Hütten-Verwalters Slobin's Ansicht durch die aus Gewässern niedergeschlagenen Erdschichten entstanden, darf jetzt das Bodeneis bei Jakutsk nicht mehr betrachtet werden (Middend. S. 167). für 1 Grad Réaumur zu 100 bis 117 engl. Fußen, also zu 75 bis 88 Pariser Fuß auf 1° des hunderttheiligen Thermometers. Dieses Resultat bezeugt eine schnellere Wärme-Zunahme im Schergin-Schachte, als mehrere sehr übereinstimmende Bohrlöcher im mittleren Europa gegeben haben (s. oben S. 37). Der Unterschied fällt zwischen ¼ und ⅛. Die mittlere jährliche Temperatur von Jakutsk wurde zu -8°,13 R. (-10°,15Cent.) angenommen. Die Oscillation der Sommer- und Winter-Temperatur ist nach Newerow's funfzehnjährigen Beobachtungen (1829 bis 1844) von der Art, daß bisweilen im Juli und August 14 Tage hinter einander die Luftwärme bis 20° und 23°,4 R. (25° und 29°,3 Cent.) steigt, wenn in 120 auf einander folgenden Wintertagen (November bis Februar) die Kälte zwischen 33° und 44°,8 (41°,2 und 55°,9 Cent.) unter dem Gefrierpunkt schwankt. Nach Maaßgabe der bei Durchsenkung des Bodeneises gefundenen Temperatur-Zunahme ist die Tiefe unter der Erdoberfläche zu berechnen, in welcher die Eisschicht der Temperatur 0°, also der unteren Grenze des gefrorenen 45 Erdreichs, am nächsten ist. Sie würde in dem Schergin-Schacht nach Middendorff's Angabe, welche mit der viel früheren Erman's ganz übereinstimmt, erst in 612 oder 642 Fuß Tiefe gefunden werden. Dagegen schiene nach der Temperatur-Zunahme, welche in den, freilich noch nicht 60 Fuß tiefen und kaum eine Meile von Irkutsk entfernten Mangan-, Schilow- und Dawydow-Gruben, in der hügeligen Kette des linken Lena-Ufers, beobachtet wurde, die Normal-Schicht von 0° schon in 300 Fuß, ja in noch geringerer Tiefe zu liegen.Middendorff Bd. I. S. 160, 164 und 179. In diesen numerischen Angaben und Vermuthungen über die Dicke des Eisbodens wird eine Zunahme der Temperatur nach arithmetischer Progression der Tiefen vorausgesetzt. Ob in größeren Tiefen eine Verlangsamung der Wärme-Zunahme eintrete, ist theoretisch ungewiß; und daher von spielenden Berechnungen über die Temperatur des Erd-Centrums in Strömung erregenden geschmolzenen heterogenen Gebirgsmassen abzurathen. Ist diese Ungleichheit der Lage nur scheinbar, weil eine numerische Bestimmung, auf so unbedeutende Schachttiefen gegründet, überaus unsicher ist und die Temperatur-Zunahme nicht immer demselben Gesetze gehorcht? Ist es gewiß, daß, wenn man aus dem Tiefsten des Schergin-Schachtes eine horizontale (söhlige) Strecke viele hundert Lachter weit ins Feld triebe, man in jeder Richtung und Entfernung gefrornes Erdreich und dieses gar mit einer Temperatur von 2½ Grad unter dem Nullpunkt finden würde?
Schrenk hat das Bodeneis in 67°½ Breite im Lande der Samojeden untersucht. Um Pustojenskoy Gorodok wird das Brunnengraben durch Anwendung des Feuers beschleunigt. Mitten im Sommer fand man die Eisschicht schon in 5 Fuß Tiefe. Man konnte sie in der Dicke von 63 Fuß verfolgen, als plötzlich die Arbeit gestört ward. Ueber den nahen Landsee von Ustje konnte man 1813 den ganzen Sommer hindurch in Schlitten fahren.Schrenk's Reise durch die Tundern der Samojeden 1848 Th. I. S. 597. Auf meiner sibirischen Expedition mit Ehrenberg und Gustav Rose ließen wir bei Bogoslowsk (Br. 59° 44'), an dem Wege nach den Turjin'schen GrubenGustav Rose, Reise nach dem Ural Bd. I. S. 428., im Ural einen Schurf in einem torfigen Boden graben. In 5 Fuß Tiefe traf man schon auf Eisstücke, die breccienartig 46 mit gefrorener Erde gemengt waren; dann begann dichtes Eis, das in 10 Fuß Tiefe noch nicht durchsenkt wurde.
Die geographische Erstreckung des Eisbodens: d. i. der Verlauf der Grenze, an der man im hohen Norden von der skandinavischen Halbinsel an bis gegen die östlichen Küsten Asiens im August und also das ganze Jahr hindurch in gewisser Tiefe Eis und gefrorenes Erdreich findet; ist nach Middendorff's scharfsinniger Verallgemeinerung des Beobachteten, wie alle geothermischen Verhältnisse, noch mehr von örtlichen Einflüssen abhängig als die Temperatur des Luftkreises. Der Einfluß der letzteren ist im ganzen gewiß der entscheidendste; aber die Isogeothermen sind, wie schon Kupffer bemerkt hat, in ihren convexen und concaven Krümmungen nicht den klimatischen Isothermen, welche von den Temperatur-Mitteln der Atmosphäre bestimmt werden, parallel. Das Eindringen der aus der Atmosphäre tropfbar niedergeschlagenen Dämpfe, das Aufsteigen warmer Quellwasser aus der Tiefe, und die so verschiedene wärmeleitende Kraft des BodensVergl. meines Freundes G. von Helmersen Versuche über die relative Wärme-Leitungsfähigkeit der Felsarten (Mém. de l'Académie de St. Pétersbourg: Mélanges physiques et chimiques 1851 p. 32). scheinen besonders wirksam zu sein. »An der nördlichsten Spitze des europäischen Continents, in Finmarken, unter 70° und 71° Breite, ist noch kein zusammenhangender Eisboden vorhanden. Ostwärts in das Flußthal des Obi eintretend, 5 Grade südlicher als das Nordcap, findet man Eisboden in Obdorsk und Beresow. Gegen Ost und Südost nimmt die Kälte des Bodens zu: mit Ausnahme von Tobolsk am Irtysch, wo die Temperatur des Bodens kälter ist als bei dem 1° nördlicheren Witimsk im Lena-Thale. Turuchansk (65° 54') am Jenisei liegt noch auf ungefrorenem Boden, aber ganz nahe der Grenze des Eisbodens. Amginsk, südöstlich von Jakutsk, hat einen eben so kalten Boden als das 5° nördlichere Obdorsk; eben so ist 47 Oleminsk am Jenisei. Vom Obi bis zum Jenisei scheint sich die Curve des anfangenden Bodeneises wieder um ein paar Breitengrade nordwärts zu erheben: um dann, in ihrem südlich gewandten Verlaufe, das Lena-Thal fast 8° südlicher als den Jenisei zu durchschneiden. Weiter hin in Osten steigt die Linie wiederum in nördlicher Richtung an.«Middendorff Bd. I. S. 166 verglichen mit S. 179. »Die Curve des anfangenden Eisbodens scheint in Nord-Asien zwei gen Süden convexe Scheitel: einen schwach gekrümmten am Obi und einen sehr bedeutenden an der Lena, zu haben. Die Grenze des Eisbodens läuft von Beresow am Obi gegen Turuchansk am Jenisei; dann zieht sie sich zwischen Witimsk und Olekminsk auf das rechte Ufer der Lena, und, zum Norden hinansteigend, ostwärts.« Kupffer, der die Gruben von Nertschinsk besucht hat, deutet darauf hin, daß, abgesehen von der zusammenhangenden nördlichen Gesammtmasse des Eisbodens, es in südlicheren Gegenden auch ein inselförmiges Auftreten des Phänomens giebt. Im allgemeinen ist dasselbe von den Vegetations-Grenzen und dem Vorkommen hohen Baumwuchses vollkommen unabhängig.
Es ist ein bedeutender Fortschritt unseres Wissens, nach und nach eine generelle, ächt kosmische Uebersicht der Temperatur-Verhältnisse der Erdrinde im nördlichen Theile des Alten Continents zu erlangen; und zu erkennen, daß unter verschiedenen Meridianen die Grenze des Bodeneises, wie die Grenzen der mittleren Jahres-Temperatur und des Baumwuchses, in sehr verschiedenen Breiten liegt: wodurch perpetuirliche Wärme-Strömungen im Inneren der Erde erzeugt werden müssen. Im nordwestlichsten Theile von Amerika fand Franklin den Boden, Mitte August, schon in einer Tiefe von 16 Zoll gefroren. Richardson sah an einem östlicheren Punkte der Küste, in 71° 12' Breite, die Eisschicht im Julius aufgethaut bis 3 Fuß unter der krautbedeckten Oberfläche. Mögen wissenschaftliche Reisende uns bald allgemeiner über die geothermischen Verhältnisse in diesem Erdtheile und in der südlichen Hemisphäre unterrichten. Einsicht in die Verkettung der Phänomene leitet am sichersten auf die Ursachen verwickelt scheinender Anomalien; auf das, was man voreilig Ungesetzlichkeit nennt.
48 c. Magnetische Thätigkeit des Erdkörpers in ihren drei Kraftäußerungen: der Intensität, der Neigung und der Abweichung. – Punkte (magnetische Pole genannt), in denen die Neigung 90° ist. – Curve, auf der keine Neigung beobachtet wird. (Magnetischer Aequator.) – Vier Punkte der größten, aber unter sich verschiedenen Intensität. – Curve der schwächsten Intensität. – Außerordentliche Störungen der Declination (magnetische Gewitter). – Polarlicht.
(Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I. S. 181–208 und 427–442 Anm. 141–179; Bd. II. S. 372–376 und 515 Anm. 952–957; Bd. III. S. 399–401 und 419 Anm. 1477.)
Die magnetische Constitution unseres Planeten kann nur aus den vielfachen Manifestationen der Erdkraft, in so fern sie meßbare Verhältnisse im Raume und in der Zeit darbieten, geschlossen werden. Diese Manifestationen haben das Eigenthümliche, daß sie ein ewig Veränderliches der Phänomene darbieten: und zwar in einem weit höheren Grade noch als Temperatur, Dampfmenge und electrische Tension der unteren Schichten des Luftkreises. Ein solcher ewiger Wechsel in den mit einander verwandten magnetischen und electrischen Zuständen der Materie unterscheidet auch wesentlich die Phänomene des Electro-Magnetismus von denen, welche durch die primitive Grundkraft der Materie, ihre Molecular- und Massen-Anziehung bei unveränderten Abständen, bedingt werden. Ergründung des Gesetzlichen in dem Veränderlichen ist aber das nächste Ziel aller Untersuchung einer Kraft in der Natur. Wenn auch durch die Arbeiten von Coulomb und Arago erwiesen ist, daß in den verschiedenartigsten Stoffen der electromagnetische Proceß erweckt werden kann; so zeigt sich in Faraday's glänzender Entdeckung des Diamagnetismus, 49 in den Unterschieden nord-südlicher und ost-westlicher Achsenstellung doch wieder der, aller Massen-Anziehung fremde Einfluß der Heterogeneität der Stoffe. Sauerstoffgas, in eine dünne Glasröhre eingeschlossen, richtet sich unter Einwirkung eines Magneten, paramagnetisch, wie Eisen, nord-südlich; Stickstoff-, Wasserstoff- und kohlensaures Gas bleiben unerregt; Phosphor, Leder und Holz richten sich, diamagnetisch, äquatorial von Osten nach Westen.
In dem griechischen und römischen Alterthume kannte man: Festhalten des Eisens am Magnetstein; Anziehung und Abstoßung; Fortpflanzung der anziehenden Wirkung durch eherne Gefäße wie auch durch RingeDie Hauptstelle von der magnetischen Kette von Ringen ist im Platonischen Ion pag. 533 D, E ed. Steph.. Später erwähnen dieser Fortpflanzung der anziehenden Wirkung außer Plinius (XXXIV, 14) und Lucrez (VI, 910) auch Augustinus (de civitate Dei XX, 4) und Philo (de Mundi opificio pag. 32 D ed. 1691)., die einander kettenförmig tragen, so lange die Berührung eines Ringes am Magnetstein dauert; Nicht-Anziehen des Holzes oder anderer Metalle als Eisens. Von der polarischen Richtkraft, welche der Magnetismus einem beweglichen, für seinen Einfluß empfänglichen Körper mittheilen könne, wußten die westlichen Völker (Phönicier, Tusker, Griechen und Römer) nichts. Die Kenntniß dieser Richtkraft: welche einen so mächtigen Einfluß auf die Vervollkommnung und Ausdehnung der Schifffahrt ausgeübt, ja dieser materiellen Wichtigkeit wegen so anhaltend zu der Erforschung einer allverbreiteten und doch vorher wenig beachteten Naturkraft angereizt hat, finden wir bei jenen westlichen europäischen Völkern erst seit dem 11ten und 12ten Jahrhunderte. In der Geschichte und Aufzählung der Hauptmomente physischer WeltanschauungKosmos Bd. I. S. 194 und 435 Anm. 162, Bd. II. S. 293–295, 317–322, 468 Anm. 842 und 481–482 Anm. 874–875. hat das, was wir hier summarisch unter Einen Gesichtspunkt stellen, mit Angabe der einzelnen Quellen, in mehrere Abschnitte vertheilt werden müssen.
Bei den Chinesen sehen wir Anwendung der magnetischen Richtkraft, Benutzung der Süd- und Nord-Weisung 50 durch auf dem Wasser schwimmende Magnetnadeln bis zu einer Epoche hinaufsteigen, welche vielleicht noch älter ist als die dorische Wanderung und die Rückkehr der Herakliden in den Peloponnes. Auffallend genug scheint es dazu, daß der Gebrauch der Süd-Weisung der Nadel im östlichsten Asien nicht in der Schifffahrt, sondern bei Landreisen angefangen hat. In dem Vordertheil der magnetischen Wagen bewegte eine frei schwimmende Nadel Arm und Hand einer kleinen Figur, welche nach dem Süden hinwies. Ein solcher Apparat, sse-nan (Andeuter des Südens) genannt, wurde unter der Dynastie der Tscheu 1100 Jahre vor unserer Zeitrechnung Gesandten von Tunkin und Cochinchina geschenkt, um ihre Rückkehr durch große Ebenen zu sichern. Der MagnetwagenVergl. Humboldt, Asie centrale T. I. p. XL–XLII und Examen crit. de l'hist. de la Géographie T. III. p. 35. Eduard Biot: der die Klaproth'schen Untersuchungen über das Alter des Gebrauchs der Magnetnadel in China durch mühsame bibliographische Studien, theils allein, theils mit Beihülfe meines gelehrten Freundes Stanislas Julien, bekräftigt und erweitert hat, führt eine ältere Tradition an, die sich aber erst bei Schriftstellern aus den ersten christlichen Jahrhunderten findet, nach welcher Magnetwagen schon unter dem Kaiser Hoang-ti gebraucht wurden. Dieser berühmte Monarch soll 2600 Jahre vor unserer Zeitrechnung (d. i. tausend Jahre vor der Vertreibung der Hyksos aus Aegypten) regiert haben. Ed. Biot sur la direction de l'aiguille aimantée en Chine in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XIX. 1844 p. 362. bediente man sich noch bis in das 15te Jahrhundert nach Christus. Mehrere derselben wurden im kaiserlichen Palaste aufbewahrt und bei Erbauung buddhistischer Klöster zur Orientirung der Hauptseiten der Gebäude benutzt. Die häufige Anwendung eines magnetischen Apparats leitete allmälig die Scharfsinnigeren unter dem Volke auf physikalische Betrachtungen über die Natur der magnetischen Erscheinungen. Der chinesische Lobredner der Magnetnadel, Knopho (ein Schriftsteller aus dem Zeitalter Constantins des Großen), vergleicht, wie ich schon an einem anderen Orte angeführt, die Anziehungskraft des Magnets mit der des geriebenen Bernsteins. Es ist nach ihm »wie ein Windeshauch, der beide geheimnißvoll durchweht und pfeilschnell sich mitzutheilen vermag.« Der symbolische Ausdruck Windeshauch erinnert an den gleich symbolischen der Beseelung, welche im griechischen Alterthume der Gründer der ionischen Schule, Thales, beiden attractorischen Substanzen zuschrieb.Kosmos Bd. I. S. 194 und 435 Anm. 161. Aristoteles selbst (de Anima I, 2) spricht nur von der Beseelung des Magnetsteins als einer Meinung des Thales. Diogenes Laertius dehnt aber die Meinung bestimmt auf den Bernstein aus, indem er sagt: »Aristoteles und Hippias behaupten von der Lehre des Thales . . . .« Der Sophist Hippias aus Elis, der alles zu wissen wähnte, beschäftigte sich mit Naturkunde, und so auch mit den ältesten Traditionen aus der physiologischen Schule. Der »anziehende Windeshauch«, welcher, nach dem chinesischen Physiker Knopho, »den Magnet und den Bernstein durchweht«, erinnert, nach Buschmann's mexicanischen Sprachuntersuchungen, an den aztekischen Namen für den Magnet: tlaihioanani tetl, bedeutend: »der durch den Hauch an sich ziehende Stein« (von ihiotl Hauch, Athem, und ana ziehen). Seele heißt hier das innere Princip bewegender Thätigkeit.
51 Da die zu große Beweglichkeit der chinesischen schwimmenden Nadeln die Beobachtung und das Ablesen erschwerte; so wurden sie schon im Anfang des 12ten Jahrhunderts (nach Chr.) durch eine andere Vorrichtung ersetzt, in welcher die nun in der Luft frei schwingende Nadel an einem feinen baumwollenen oder seidenen Faden hing: ganz nach Art der suspension à la Coulomb, welcher sich im westlichen Europa zuerst Gilbert bediente. Mit einem solchen vervollkommneten ApparateWas Klaproth über diesen merkwürdigen Apparat dem Penthsaoyan entnommen, ist umständlicher in dem Mung-khi-pi-than aufgefunden worden; Comptes rendus T. XIX. p. 365. Warum wird wohl in dieser letzteren Schrift, wie auch in einem chinesischen Kräuterbuche gesagt: die Cypresse weist nach dem Westen, und allgemeiner: die Magnetnadel weist nach dem Süden? Ist hier eine üppigere Entwicklung der Zweige nach Sonnenstand oder vorherrschender Windrichtung gemeint? bestimmten die Chinesen ebenfalls schon im Beginn des 12ten Jahrhunderts die Quantität der westlichen Abweichung, die in dem Theile Asiens nur sehr kleine und langsame Veränderungen zu erleiden scheint. Von dem Landgebrauche ging endlich der Compaß zur Benutzung auf dem Meere über. Unter der Dynastie der Tsin im 4ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung besuchen chinesische Schiffe, vom Compaß geleitet, indische Häfen und die Ostküste von Afrika.
Schon zwei Jahrhunderte früher, unter der Regierung des Marcus Aurelius Antoninus (An tun bei den Schriftstellern der Dynastie der Han genannt), waren römische Legaten zu Wasser über Tunkin nach China gekommen. Aber nicht durch eine so vorübergehende Verbindung, sondern erst als sich der Gebrauch der Magnetnadel in dem ganzen indischen Meere an den persischen und arabischen Küsten allgemein verbreitet hatte, wurde derselbe im zwölften Jahrhundert (sei es unmittelbar durch den Einfluß der Araber, sei es durch die Kreuzfahrer, die seit 1096 mit Aegypten und dem eigentlichen Orient in Berührung kamen) in das europäische Seewesen übertragen. Bei historischen Untersuchungen der Art ist mit Gewißheit nur die Epoche festzusetzen, welche man als die späteste Grenzzahl betrachten kann. In dem politisch-satirischen Gedichte 52 des Guyot von Provins wird (1199) von dem Seecompaß als von einem in der Christenwelt längst bekannten Werkzeuge gesprochen; eben dies ist der Fall in der Beschreibung von Palästina, die wir dem Bischof von Ptolemais, Jacob von Vitry, verdanken und deren Vollendung zwischen 1204 und 1215 fällt. Von der Magnetnadel geleitet, schifften die Catalanen nach den nord-schottischen Inseln wie an die Westküste des tropischen Afrika, die Basken auf den Wallfischfang, die Normannen nach den Azoren, den Bracir-Inseln des Picigano. Die spanischen Leyes de las Partidas (del sabio Rey Don Alonso el nono), aus der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, rühmen die Nadel als »treue Vermittlerinn (medianera), zwischen dem Magnetsteine (la piedra) und dem Nordstern«. Auch Gilbert, in seinem berühmten Werke: de Magnete Physiologia nova, spricht vom Seecompaß als einer chinesischen Erfindung, setzt aber unvorsichtig hinzu: daß sie Marco Polo, qui apud Chinas artem pyxidis didicit, zuerst nach Italien brachte. Da Marco Polo seine Reisen erst 1271 begann und 1295 zurückkehrte, so beweisen die Zeugnisse von Guyot de Provins und Jacques de Vitry, daß wenigstens schon 60 bis 70 Jahre vor der Abreise des Marco Polo nach dem Compaß in europäischen Meeren geschifft wurde. Die Benennungen zohron und aphron, die Vincenz von Beauvais in seinem Naturspiegel dem südlichen und nördlichen Ende der Magnetnadel (1254) gab, deuten auch auf eine Vermittelung arabischer Piloten, durch welche die Europäer die chinesische Boussole erhielten. Sie deuten auf dasselbe gelehrte und betriebsame Volk der asiatischen Halbinsel, dessen Sprache auf unsren Sternkarten nur zu oft verstümmelt erscheint.
Nach dem, was ich hier in Erinnerung gebracht, kann 53 es wohl keinem Zweifel unterworfen sein, daß die allgemeine Anwendung der Magnetnadel auf der oceanischen Schifffahrt der Europäer seit dem zwölften Jahrhundert (und wohl noch früher in eingeschränkterem Maaße) von dem Becken des Mittelmeeres ausgegangen ist. Den wesentlichsten Antheil daran haben die maurischen Piloten, die Genueser, Venetianer, Majorcaner und Catalanen gehabt. Die letzten waren unter Anführung ihres berühmten Seemannes Don Jayme Ferrer 1346 bis an den Ausfluß des Rio de Ouro (N. Br. 23° 40') an der Westküste von Afrika gelangt; und, nach dem Zeugniß von Raymundus Lullus (in seinem nautischen Werke Fenix de las maravillas del orbe 1286), bedienten sich schon lange vor Jayme Ferrer die Barceloneser der Seekarten, Astrolabien und Seecompasse.
Von der Quantität der, gleichzeitig durch Uebertragung aus China, den indischen, malayischen und arabischen Seefahrern bekannten magnetischen Abweichung (Variation nannte man das Phänomen früh, ohne allen Beisatz) hatte sich die Kunde natürlich ebenfalls über das Becken des Mittelmeers verbreitet. Dieses, zur Correction der Schiffsrechnung so unentbehrliche Element wurde damals weniger durch Sonnen-Auf- und -Untergang als durch den Polarstern, und in beiden Fällen sehr unsicher, bestimmt; doch auch bereits auf Seekarten getragen: z. B. auf die seltene Karte von Andrea Bianco, die im Jahr 1436 entworfen ist. Columbus, der eben so wenig als Sebastian Cabot zuerst die magnetische Abweichung erkannte, hatte das große Verdienst, am 13 September 1492 die Lage einer Linie ohne Abweichung 2½ Grad östlich von der azorischen Insel Corvo astronomisch zu bestimmen. Er sah, indem er in dem westlichen Theile des atlantischen Oceans vordrang, die Variation allmälig von Nordost in Nordwest übergehen. 54 Diese Bemerkung leitete ihn schon auf den Gedanken, der in späteren Jahrhunderten so viel die Seefahrer beschäftigt hat: durch die Lage der Variations-Curven, welche er noch dem Meridian parallel wähnte, die Länge zu finden. Man erfährt aus seinen Schiffsjournalen, daß er auf der zweiten Reise (1496), seiner Lage ungewiß, sich wirklich durch Declinations-Beobachtungen zu orientiren suchte. Die Einsicht in die Möglichkeit einer solchen Methode war gewiß auch »das untrügliche Geheimniß der See-Länge, welches durch besondere göttliche Offenbarung zu besitzen« Sebastian Cabot auf seinem Sterbebette sich rühmte.
An die atlantische Curve ohne Declination knüpften sich in der leicht erregbaren Phantasie des Columbus noch andere, etwas träumerische Ansichten über Veränderung der Klimate, anomale Gestaltung der Erdkugel und außerordentliche Bewegungen himmlischer Körper: so daß er darin Motive fand eine physikalische Grenzlinie zu einer politischen vorzuschlagen. Die raya, auf der die agujas de marear direct nach dem Polarstern hinweisen, wurde so die Demarcations-Linie für die Kronen von Portugal und Castilien; und bei der Wichtigkeit, die geographische Länge einer solchen Grenze in beiden Hemisphären über die ganze Erdoberfläche astronomisch genau zu bestimmen, ward ein Decret päpstlichen Uebermuths, ohne es bezweckt zu haben, wohlthätig und folgereich für die Erweiterung der astronomischen Nautik und die Vervollkommnung magnetischer Instrumente. (Humboldt, Examen crit. de la Géogr. T. III. p. 54. Felipe Guillen aus Sevilla (1525) und wahrscheinlich früher der Cosmograph Alonso de Santa Cruz, Lehrer der Mathematik des jugendlichen Kaisers Carls V, construirten neue Variations-Compasse, 55 mit denen Sonnenhöhen genommen werden konnten. Der Cosmograph zeichnete 1530, also anderthalb Jahrhunderte vor Halley, freilich auf sehr unvollständige Materialien gegründet, die erste allgemeine Variations-Karte. Wie lebhaft im 16ten Jahrhundert seit dem Tode des Columbus und dem Streit über die Demarcations-Linie die Thätigkeit in Ergründung des tellurischen Magnetismus erwachte, beweist die Seereise des Juan Jayme: welcher 1585 mit Francisco Gali von den Philippinen nach Acapulco schiffte, bloß um ein von ihm erfundenes Declinations-Instrument auf dem langen Wege durch die Südsee zu prüfen.
Bei dem sich verbreitenden Hange zum Beobachten mußte auch der diesen immer begleitende, ja ihm öfter noch voreilende Hang zu theoretischen Speculationen sich offenbaren. Viele alte Schiffersagen der Inder und Araber reden von Felsinseln, welche den Seefahrern Unheil bringen, weil sie durch ihre magnetische Naturkraft alles Eisen, das in den Schiffen das Holzgerippe verbindet, an sich ziehen oder gar das ganze Schiff unbeweglich fesseln. Unter Einwirkung solcher Phantasien knüpfte sich früh an den Begriff eines polaren Zusammentreffens magnetischer Abweichungslinien das materielle Bild eines dem Erdpole nahen hohen Magnetberges. Auf der merkwürdigen Karte des Neuen Continents, welche der römischen Ausgabe der Geographie des Ptolemäus vom Jahre 1508 beigefügt ist, findet sich nördlich von Grönland (Gruentlant), welches als dem östlichen Theil von Asien zugehörig dargestellt wird, der nördliche Magnetpol als ein Inselberg abgebildet. Seine Lage wird allmälig südlicher in dem breve Compendio de la Sphera von Martin Cortes 1545 wie in der Geographia di Tolomeo des Livio Sanuto 1588. 56 An Erreichung dieses Punktes, den man el calamitico nannte, waren große Erwartungen geknüpft, da man aus einem, erst spät verschwundenen Vorurtheil dort am Magnetpole alcun miraculoso stupendo effetto zu erleben gedachte.
Bis gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts war man bloß mit dem Phänomen der Abweichung, welche auf die Schiffsrechnung und die nautische Ortsbestimmung den unmittelbarsten Einfluß ausübt, beschäftigt. Statt der einen von Columbus 1492 aufgefundenen Linie ohne Abweichung glaubte der gelehrte Jesuit Acosta, durch portugiesische Piloten (1589) belehrt, in seiner trefflichen Historia natural de las Indias vier Linien ohne Abweichung aufführen zu können. Da die Schiffsrechnung neben der Genauigkeit der Richtung (des durch den corrigirten Compaß gemessenen Winkels) auch die Länge des durchlaufenen Weges erheischt; so bezeichnet die Einführung des Logs, so unvollkommen auch diese Art der Messung selbst noch heute ist, doch eine wichtige Epoche in der Geschichte der Nautik. Ich glaube gegen die bisher herrschende Meinung erwiesen zu haben, daß das erste sichere ZeugnißKosmos Bd. II. S. 469–472 [Anm. 858]. Zu der Zeit König Eduards III von England: als, wie Sir Nicholas Harris Nicolas (History of the Royal Navy 1847 Vol. II. p. 180) erwiesen hat, immer nach dem Compaß: damals sailstone dial, sailing needle oder adamante genannt, geschifft wurde; sieht man zur Ausrüstung des »King's ship the George« im Jahr 1345 in dem Ausgabe-Register aufgeführt sechzehn in Flandern gekaufte horologes (hour-glasses); aber diese Angabe ist keinesweges ein Beweis für den Gebrauch des Logs. Die Stundengläser (ampolletas der Spanier) waren, wie aus den Angaben von Enciso in Cespedes sich deutlichst ergiebt, lange vor Anwendung des Logs echando punto por fantasia in der corredera de los perezosos, d. h. ohne ein Log auszuwerfen, nothwendig. der Anwendung des Logs (la cadena de la popa, la corredera) in den Schiffsjournalen der Magellanischen Reise von Antonio Pigafetta zu finden ist. Es bezieht sich auf den Monat Januar 1521. Columbus, Juan de la Cosa, Sebastian Cabot und Vasco de Gama haben das Log und dessen Anwendung nicht gekannt. Sie schätzten nach dem Augenmaaße die Geschwindigkeit des Schiffes, und fanden die Länge des Weges durch das Ablaufen des Sandes in den ampolletas. Neben dem alleinigen und so früh benutzten Elemente der Magnetkraft, der horizontalen Abweichung vom Nordpole, wurde endlich (1576) auch das zweite Element, die Neigung, 57 gemessen. Robert Normann hat zuerst an einem selbsterfundenen Inclinatorium die Neigung der Magnetnadel in London mit nicht geringer Genauigkeit bestimmt. Es vergingen noch zweihundert Jahre, ehe man das dritte Element, die Intensität der magnetischen Erdkraft, zu messen versuchte.
Ein von Galilei bewunderter Mann, dessen Verdienst Baco gänzlich verkannte, William Gilbert, hatte an dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts eine erste großartige AnsichtVergl. Kosmos Bd. I. S. 427 Anm. 141 und 429 Anm. 144; Bd. II. S. 373, 381, 382, 515 Anm. 953–955 und 517 Anm. 971. Calamitico wegen der Gestalt eines Laubfrosches der ersten Compaß-Nadeln. von der magnetischen Erdkraft aufgestellt. Er unterschied zuerst deutlich in ihren Wirkungen Magnetismus von Electricität; hielt aber beide für Emanationen der einigen, aller Materie als solcher inwohnenden Grundkraft. Er hat, wie es der Genius vermag, nach schwachen Analogien vieles glücklich geahndet; ja nach den klaren Begriffen, die er sich von dem tellurischen Magnetismus (de magno magnete tellure) machte, schrieb er schon die Entstehung der Pole in den senkrechten Eisenstangen am Kreuz alter Kirchthürme der Mittheilung der Erdkraft zu. Er lehrte in Europa zuerst durch Streichen mit dem Magnetsteine Eisen magnetisch machen: was freilich die Chinesen fast 500 Jahre früher wußtenVergl. Gilbert, Physiologia nova de Magnete lib. III cap. 8 p. 124. Daß Magnetismus dem Eisen langdauernd mitgetheilt werden kann: sagt im allgemeinen, doch ohne des Streichens zu erwähnen, schon Plinius (Kosmos Bd. I. S. 430 Anm. 149). Merkwürdig ist Gilbert's Bespottung der: »vulgaris opinio de montibus magneticis aut rupe aliqua magnetica, de polo phantastico a polo mundi distante« (l. c. p. 42 und 98). Die Veränderlichkeit und das Fortschreiten der magnetischen Linien waren ihm noch ganz unbekannt: »varietas uniuscujusque loci constans est«; l. c. p. 42, 98, 152 und 153.. Dem Stahle gab schon damals Gilbert den Vorzug vor dem weichen Eisen, weil jener die mitgetheilte Kraft dauerhafter sich aneigne und für längere Zeit ein Träger des Magnetismus werden könne.
In dem Laufe des 17ten Jahrhunderts vermehrte die, durch vervollkommnete Bestimmung der Wegrichtung und Weglänge so weit ausgedehnte Schifffahrt der Niederländer, Briten, Spanier und Franzosen die Kenntniß der Abweichungslinien: welche, wie eben bemerkt, der Pater Acosta in ein System zu bringen versucht hatteHistoria natural de las Indias lib. I cap. 17.. Cornelius Schouten bezeichnete 1616 mitten in der Südsee, südöstlich 58 von den Marquesas-Inseln, Punkte, in denen die Variation null ist. Noch jetzt liegt in dieser Region das sonderbare geschlossene isogonische System, in welchem jede Gruppe der inneren concentrischen Curven eine geringere Abweichung zeigt.Kosmos Bd. I. S. 189. Der Eifer, Längen-Methoden nicht bloß durch die Variation, sondern auch durch die Inclination zu finden (solchen Gebrauch der InclinationIch habe durch Anführung eigener, sehr sorgfältiger Inclinations-Beobachtungen, die ich in der Südsee angestellt, erwiesen, unter welchen Bedingungen die Inclination von wichtigem praktischen Nutzen zu Breiten-Bestimmungen zur Zeit der an der peruanischen Küste herrschenden, Sonne und Sterne verdunkelnden garua sein kann (Kosmos Bd I. S. 185 und 428 Anm. 144). Der Jesuit Cabeus, Verfasser der Philosophia magnetica (in qua nova quaedam pyxis explicatur, quae poli elevationem ubique demonstrat), hat auch schon in der ersten Hälfte des 17ten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand geleitet. bei bedecktem, sternenleerem Himmel, aëre caloginoso, nannte Wright »vieles Goldes werth«), leitete auf Vervielfältigung der Construction magnetischer Apparate und belebte zugleich die Thätigkeit der Beobachter. Der Jesuit Cabeus aus Ferrara, Ridley, Lieutaud (1668) und Henry Bond (1676) zeichneten sich auf diesem Wege aus. Der Streit zwischen dem Letztgenannten und Beckborrow hat vielleicht, sammt Acosta's Ansicht von vier Linien ohne Abweichung, welche die ganze Erdoberfläche theilen sollen, auf Halley's, schon 1683 entworfene Theorie von vier magnetischen Polen oder Convergenz-Punkten Einfluß gehabt.
Halley bezeichnet eine wichtige Epoche in der Geschichte des tellurischen Magnetismus. In jeder Hemisphäre nahm er einen stärkeren und einen schwächeren magnetischen Pol an, also vier Punkte mit 90° Inclination der Nadel: gerade wie man jetzt unter den vier Punkten der größten Intensität in jeder Hemisphäre eine analoge Ungleichheit in dem erreichten Maximum der Intensität, d. h. der Geschwindigkeit der Schwingungen der Nadel in der Richtung des magnetischen Meridians, findet. Der stärkste aller vier Halley'scher Pole sollte in 70° südlicher Breite, 120° östlich von Greenwich, also fast im Meridian von König-Georgs-Sund in Neu-Holland (Nuyt's Land), gelegen sein.Edmund Halley in den Philosophical Transactions for 1683 Vol. XII. No. 148 p. 216. Halley's 59 drei Seereisen in den Jahren 1698, 1699 und 1702 folgten auf den Entwurf einer Theorie, die sich nur auf seine sieben Jahr frühere Reise nach St. Helena, wie auf unvollkommene Variations-Beobachtungen von Baffin, Hudson und Cornelius van Schouten gründen konnte. Es waren die ersten Expeditionen, welche eine Regierung zu einem großen wissenschaftlichen Zwecke, zur Ergründung eines Elements der Erdkraft, unternehmen ließ, von dem die Sicherheit der Schiffsführung vorzugsweise abhängig ist. Da Halley bis zum 52ten Grade jenseits des Aequators vordrang, so konnte er die erste umfangreiche Variations-Karte construiren. Sie gewährt für die theoretischen Arbeiten des 19ten Jahrhunderts die Möglichkeit einen, der Zeit nach freilich nicht sehr fernen Vergleichungspunkt für die fortschreitende Bewegung der Abweichungs-Curven darzubieten.
Es ist ein glückliches Unternehmen Halley's gewesen, die Punkte gleicher Abweichung durch LinienSolche Linien, von ihm tractus chalyboeliticos genannt, hatte auch der Pater Christoph Burrus in Lissabon auf eine Karte getragen, die er dem König von Spanien zur Auffindung und Bestimmung der Seelänge für einen übergroßen Preis anbot: wie Kircher in seinem Magnes ed. 2 p. 443 erzählt. Der allerersten Variations-Karte von 1530 ist bereits oben (S. 55) Erwähnung geschehen. mit einander graphisch verbunden zu haben. Dadurch ist zuerst Uebersicht und Klarheit in die Einsicht von dem Zusammenhange der aufgehäuften Resultate gebracht worden. Meine, von den Physikern früh begünstigten Isothermen, d. h. Linien gleicher Wärme (mittlerer Jahres-, Sommer- und Winter-Temperatur), sind ganz nach Analogie von Halley's isogonischen Curven geformt. Sie haben den Zweck: besonders nach der Ausdehnung und großen Vervollkommnung, welche Dove denselben gegeben, Klarheit über die Vertheilung der Wärme auf dem Erdkörper, und die hauptsächliche Abhängigkeit dieser Vertheilung von der Gestaltung des Festen und Flüssigen, von der gegenseitigen Lage der Continental-Massen und der Meere zu verbreiten.. Halley's rein wissenschaftliche Expeditionen stehen um so isolirter da, 60 als sie nicht, wie so viele folgende Expeditionen, auf Kosten des Staats unternommene, geographische Entdeckungsreisen waren. Sie haben dazu, neben den Ergebnissen über den tellurischen Magnetismus, auch als Frucht des früheren Aufenthalts auf St. Helena in den Jahren 1677 und 1678, einen wichtigen Catalog südlicher Sterne geliefert: ja den ersten, welcher überhaupt unternommen worden ist, seitdem nach Morin's und Gascoigne's Vorgange Fernröhre mit messenden Instrumenten verbunden wurden.Noch 20 Jahre später als Halley auf St. Helena seinen Catalog südlicher Sterne (leider! keines unter der 6ten Größe) anfertigte, rühmte sich Hevelius im Firmamentum Sobescianum, kein Fernrohr anzuwenden und durch Spaltöffnungen zu beobachten. Halley wohnte 1679, als er Danzig besuchte, diesen Beobachtungen, deren Genauigkeit er übrigens übermäßig anrühmte, bei. Kosmos Bd. III. S. 60, 106 (Anm. 1079 und 1080), 154, 317 und 355 (Anm. 1358).
So wie das 17te Jahrhundert sich durch Fortschritte auszeichnete in der gründlicheren Kenntniß der Lage der Abweichungslinien, und den ersten theoretischen Versuch ihre Convergenz-Punkte als Magnetpole zu bestimmen; so lieferte das 18te Jahrhundert die Entdeckung der stündlichen periodischen Veränderung der Abweichung. Graham in London hat das unbestrittene Verdienst (1722) diese stündlichen Variationen zuerst genau und ausdauernd beobachtet zu haben. In schriftlichem Verkehr mit ihm erweitertenSpuren der täglichen und stündlichen Veränderlichkeit der magnetischen Abweichung hatten bereits in London Hellibrand (1634) und in Siam der Pater Tachard (1682) erkannt. Celsius und Hiörter in Upsala die Kenntniß dieser Erscheinung. Erst Brugmans und, mit mehr mathematischem Sinne begabt, Coulomb (1784–1788) drangen tief in das Wesen des tellurischen Magnetismus ein. Ihre scharfsinnigen physikalischen Versuche umfaßten die magnetische Anziehung aller Materie, die räumliche Vertheilung der Kraft in einem Magnetstabe von gegebener Form, und das Gesetz der Wirkung in der Ferne. Um genaue Resultate zu erlangen, wurden bald Schwingungen einer an einem Faden aufgehängten horizontalen Nadel, bald Ablenkung durch die Drehwage, balance de torsion, angewandt.
Die Einsicht in die Intensitäts-Verschiedenheit der magnetischen Erdkraft an verschiedenen Punkten der 61 Erde, durch die Schwingungen einer senkrechten Nadel im magnetischen Meridian gemessen, verdankt die Wissenschaft allein dem Scharfsinn des Chevalier Borda: nicht durch eigene geglückte Versuche, sondern durch Gedankenverbindung und beharrlichen Einfluß auf Reisende, die sich zu fernen Expeditionen rüsteten. Seine lang gehegten Vermuthungen wurden zuerst durch Lamanon, den Begleiter von la Pérouse, mittelst Beobachtungen aus den Jahren 1785 bis 1787 bestätigt. Es blieben dieselben, obgleich schon seit dem Sommer des letztgenannten Jahres in ihrem Resultate dem Secretär der Académie des Sciences, Condorcet, bekannt, unbeachtet und unveröffentlicht. Die erste und darum freilich unvollständige Erkennung des wichtigen Gesetzes der mit der magnetischen Breite veränderlichen Intensität gehörtVergl. Kosmos Bd. I. S. 432–435 Anm. 159. Die vortreffliche Construction der, nach Borda's Angabe zuerst von Lenoir angefertigten Boussole d'Inclinaison, die Möglichkeit freier und langer Schwingungen der Nadel, die so sehr verminderte Reibung der Zapfen, und die richtige Aufstellung des mit Libellen versehenen Instruments haben die genaue Messung der Erdkraft unter verschiedenen Zonen zuerst möglich gemacht. unbestritten der unglücklichen, wissenschaftlich so wohl ausgerüsteten Expedition von la Pérouse; aber das Gesetz selbst hat, wie ich glaube mir schmeicheln zu dürfen, erst in der Wissenschaft Leben gewonnen durch die Veröffentlichung meiner Beobachtungen von 1798 bis 1804 im südlichen Frankreich, in Spanien, auf den canarischen Inseln, in dem Inneren des tropischen Amerika's (nördlich und südlich vom Aequator), in dem atlantischen Ocean und der Südsee. Die gelehrten Reisen von le Gentil, Feuillée und Lacaille; der erste Versuch einer Neigungs-Karte von Wilke (1768); die denkwürdigen Weltumseglungen von Bougainville, Cook und Vancouver haben, wenn gleich mit Instrumenten von sehr ungleicher Genauigkeit, das vorher sehr vernachlässigte und zur Begründung der Theorie des Erd-Magnetismus so wichtige Element der Inclination an vielen Punkten: freilich sehr ungleichzeitig, und mehr an den Küsten oder auf dem Meere als im Inneren der Continente, ergründet. Gegen das 62 Ende des 18ten Jahrhunderts wurde durch die, mit vollkommneren Instrumenten angestellten, stationären Declinations-Beobachtungen von Cassini, Gilpin und Beaufoy (1784 bis 1790) ein periodischer Einfluß der Stunden wie der Jahreszeiten bestimmter erwiesen, und so die Thätigkeit in magnetischen Untersuchungen allgemeiner belebt.
Diese Belebung nahm in dem neunzehnten Jahrhundert, von welchem nur erst eine Hälfte verflossen ist, einen, von allem unterschiedenen, eigenthümlichen Charakter an. Es besteht derselbe in einem fast gleichzeitigen Fortschreiten in sämmtlichen Theilen der Lehre vom tellurischen Magnetismus: umfassend die numerische Bestimmung der Intensität der Kraft, der Inclination und der Abweichung; in physikalischen Entdeckungen über die Erregung und das Maaß der Vertheilung des Magnetismus; in der ersten und glänzenden Entwerfung einer Theorie des tellurischen Magnetismus von Friedrich Gauß, auf strenge mathematische Gedankenverbindung gegründet. Die Mittel, welche zu diesen Ergebnissen führten, waren: Vervollkommnung der Instrumente und der Methoden; wissenschaftliche Expeditionen zur See, in Zahl und Größe, wie sie kein anderes Jahrhundert gesehen: sorgfältig ausgerüstet auf Kosten der Regierungen, begünstigt durch glückliche Auswahl der Führer und der sie begleitenden Beobachter; einige Landreisen, welche, tief in das Innere der Continente eingedrungen, die Phänomene des tellurischen Magnetismus aufklären konnten; eine große Zahl fixer Stationen, theilweise in beiden Hemisphären, nach correspondirenden Orts-Breiten und oft in fast antipodischen Längen gegründet. Diese magnetischen und zugleich meteorologischen Observatorien bilden gleichsam ein Netz über die Erdfläche. Durch scharfsinnige Combination 63 der auf Staatskosten in Rußland und England veröffentlichten Beobachtungen sind wichtige und unerwartete Resultate geliefert worden. Die Gesetzlichkeit der Kraftäußerung, – der nächste, nicht der letzte Zweck aller Forschungen –, ist bereits in vielen einzelnen Phasen der Erscheinung befriedigend ergründet worden. Was auf dem Wege des physikalischen Experimentirens von den Beziehungen des Erd-Magnetismus zur bewegten Electricität, zur strahlenden Wärme und zum Lichte; was von den, spät erst verallgemeinerten Erscheinungen des Diamagnetismus und von der specifischen Eigenschaft des atmosphärischen Sauerstoffs, Polarität anzunehmen, entdeckt wurde: eröffnet wenigstens die frohe Aussicht, der Natur der Magnetkraft selbst näher zu treten.
Um das Lob zu rechtfertigen, das wir im allgemeinen über die magnetischen Arbeiten der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ausgesprochen, nenne ich hier aphoristisch, wie es das Wesen und die Form dieser Schrift mit sich bringen, die Hauptmomente der einzelnen Bestrebungen. Es haben dieselben einander wechselseitig hervorgerufen: daher ich sie bald chronologisch an einander reihe, bald gruppenweise vereinige.Die Zahlen, mit welchen die folgende Tafel anhebt (z. B. 1803–1806), deuten auf die Epoche der Beobachtung: die in Klammern dem Titel der Schriften beigefügten Zahlen aber auf die, oft sehr verspätete Veröffentlichung der Beobachtungen.
1803–1806 Krusenstern's Reise um die Welt (1812); der magnetische und astronomische Theil ist von Horner (Bd. III. S. 317).
1804 Erforschung des Gesetzes der von dem magnetischen Aequator gegen Norden und Süden hin zunehmenden Intensität der tellurischen Magnetkraft, gegründet auf Beobachtungen von 1799 bis 1804. (Humboldt Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent T. III. p. 615–623; Lamétherie Journal de Physique T. LXIX. 1804 p. 433, mit dem ersten Entwurf einer Intensitäts-Karte; Kosmos Bd. I. S. 432 Anm. 159.) Spätere Beobachtungen haben gezeigt, daß das Minimum der Intensität nicht dem magnetischen Aequator entspricht, und daß die Vermehrung der Intensität sich in beiden Hemisphären nicht bis zum Magnetpol erstreckt.
64 1805–1806 Gay-Lussac und Humboldt Intensitäts-Beobachtungen im südlichen Frankreich, in Italien, der Schweiz und Deutschland; Mémoires de la Société d'Arcueil T. I. p. 1–22. Vergl. die Beobachtungen von Quetelet 1830 und 1839 mit einer Carte de l'intensité magnétique horizontale entre Paris et Naples in den Mém. de l'Acad. de Bruxelles T. XIV.; die Beobachtungen von Forbes in Deutschland. Flandern und Italien 1832 und 1837 (Transact. of the Royal Soc. of Edinburgh Vol. XV. p. 27); die überaus genauen Beobachtungen von Rudberg in Frankreich, Deutschland und Schweden 1832; die Beobachtungen von Dr. Bache (Director of the Coast-Survey of the United States) 1837 und 1840 in 21 Stationen, zugleich für Inclination und Intensität.
1806–1807 Eine lange Reihe von Beobachtungen, zu Berlin über die stündlichen Variationen der Abweichung und über die Wiederkehr magnetischer Ungewitter (Perturbationen) von Humboldt und Oltmanns angestellt: hauptsächlich in den Solstitien und Aequinoctien; 5 bis 6, ja bisweilen 9 Tage und eben so viele Nächte hinter einander; mittelst eines Prony'schen magnetischen Fernrohrs, das Bogen von 7 bis 8 Secunden unterscheiden ließ.
1812 Morichini zu Rom behauptet, daß unmagnetische Stahlnadeln durch Contact des (violetten) Lichts magnetisch werden. Ueber den langen Streit, den diese Behauptung und die scharfsinnigen Versuche von Mary Somerville bis zu den ganz negativen Resultaten von Rieß und Moser erregt haben, s. Sir David Brewster treatise of Magnetism 1837 p. 48.
1815–1818, 1823–1826 zwei Weltumseglungen von Otto von Kotzebue: die erste auf dem Rurik; die zweite, um fünf Jahre spätere, auf dem Predprijatie.
1817–1848 Die Reihe großer wissenschaftlicher, für die Kenntniß des tellurischen Magnetismus so erfolgreicher Expeditionen zur See auf Veranstaltung der französischen Regierung, anhebend mit Freycinet auf der Corvette Uranie 1817–1820, dem folgten: Duperrey auf der Fregatte la Coquille 1822–1825, Bougainville auf der Fregatte Thetis 1824–1826; Dumont d'Urville auf dem Astrolabe 1826–1829, und nach dem Südpol auf der Zélée 1837–1840; Jules de Blosseville in Indien 1828 (Herbert Asiat. Researches Vol. XVIII. p. 4, Humboldt Asie 65 centr. T. III. p. 468) und in Island 1833 (Lottin Voy. de la Recherche 1836 p. 376–409), du Petit Thouars (mit Tessan) auf der Venus 1837–1839, le Vaillant auf der Bonite 1836–1837; die Reise der Commission scientifique du Nord (Lottin, Bravais, Martins, Siljeström) nach Scandinavien, Lapland, den Färöern und Spitzbergen auf der Corvette la Recherche 1835–1840; Bérard nach dem mexicanischen Meerbusen und Nordamerika 1838, nach dem Cap der guten Hoffnung und St. Helena 1842 und 1846 (Sabine in den Philos. Transact. for 1849 P. II. p. 175); Francis de Castelnau Voyage dans les parties centrales de l'Amérique du sud 1847–1850.
1818–1851 Die Reihe wichtiger und kühner Expeditionen in den arctischen Polarmeeren auf Veranstaltung der britischen Regierung, zuerst angeregt durch den lobenswerthen Eifer von John Barrow; Eduard Sabine's magnetische und astronomische Beobachtungen auf der Reise von John Roß, nach der Davis-Straße, Baffinsbai und dem Lancaster-Sund 1818: wie auf der Reise mit Parry (auf Hecla und Griper) durch die Barrow-Straße nach Melville's Insel 1819–1820; John Franklin, Dr. Richardson und Back 1819–1822; dieselben 1825–1827; Back allein 1833–1835 (Nahrung, fast die einzige, Wochenlang, eine Flechte: Gyrophora pustulata, Tripe de Roche der Canadian hunters; chemisch untersucht von John Stenhouse in den Philos. Transact. for 1849 P. II. p. 393); Parry's zweite Expedition, mit Lyon auf Fury und Hecla 1821–1823; Parry's dritte Reise, mit James Clark Roß 1824–1825; Parry's vierte Reise, ein Versuch mit Lieut. Foster und Crozier nördlich von Spitzbergen auf dem Eise vorzudringen, 1827: man gelangte bis Br. 82° 45'; John Roß sammt seinem gelehrten Neffen James Clark Roß, in der durch ihre Länge um so gefahrvolleren zweiten Reise, auf Kosten von Felix Booth 1829–1833; Dease und Simpson (von der Hudsonsbai-Compagnie) 1838–1839; neuerlichst, zur Aufsuchung von Sir John Franklin, die Reisen von Cap. Ommanney, Austin, Penny, Sir John Roß und Phillips 1850 und 1851. Die Expedition von Cap. Penny ist im Victoria-Channel, in welchen Wellington's Channel mündet, am weitesten nördlich (Br. 77° 6') gelangt.
1819–1821 Bellinghausen Reise in das südliche Eismeer.
1819 Das Erscheinen des großen Werkes von Hansteen über 66 den Magnetismus der Erde, das aber schon 1813 vollendet war. Es hat einen nicht zu verkennenden Einfluß auf die Belebung und bessere Richtung der geomagnetischen Studien ausgeübt. Dieser trefflichen Arbeit folgten Hansteen's allgemeine Karten der Curven gleicher Inclination und gleicher Intensität für einen beträchtlichen Theil der Erdoberfläche.
1819 Beobachtungen des Admirals Roussin und Givry's an der brasilianischen Küste zwischen den Mündungen des Marañon und Plata-Stromes.
1819–1820 Oersted macht die große Entdeckung der Thatsache: daß ein Leiter, der von einem electrischen, in sich selbst wiederkehrenden Strome durchdrungen wird, während der ganzen Dauer des Stromes eine bestimmte Einwirkung auf die Richtung der Magnetnadel nach Maaßgabe ihrer relativen Lage ausübt. Die früheste Erweiterung dieser Entdeckung (mit denen der Darstellung von Metallen aus den Alkalien und der zwiefachen Art von PolarisationMalus (1808) und Arago's (1811) einfarbige und chromatische Polarisation des Lichtes, s. Kosmos Bd. II. S. 370. des Lichtes wohl der glänzendsten des Jahrhunderts) war Arago's Beobachtung, daß ein electrisch durchströmter Schließungsdrath, auch wenn er von Kupfer oder Platin ist, Eisenfeile anzieht und dieselben wie ein Magnet festhält; auch daß Nadeln, in das Innere eines schraubenförmig gewundenen galvanischen Leitungsdrathes gelegt, abwechselnd heterogene Magnetpole erhalten, je nachdem den Windungen eine entgegengesetzte Richtung gegeben wird (Annales de Chimie et de Physique T. XV. p. 93). Dem Auffinden dieser, unter mannigfaltigen Abänderungen hervorgerufenen Erscheinungen folgten Ampère's geistreiche theoretische Combinationen über die electromagnetischen Wechselwirkungen der Molecule ponderabler Körper. Diese Combinationen wurden durch eine Reihe neuer und scharfsinniger Apparate unterstützt, und führten zur Kenntniß von Gesetzen in vielen bis dahin oft widersprechend scheinenden Phänomenen des Magnetismus.
1820–1824 Ferdinand von Wrangel und Anjou Reise nach den Nordküsten von Sibirien und auf dem Eismeere. (Wichtige Erscheinungen des Polarlichts s. Th. II. S. 259.)
1820 Scoresby account of the arctic regions (Intensitäts-Versuche Vol. II. p. 537–554).
1821 Seebeck's Entdeckung des Thermo-Magnetismus und der Thermo-Electricität. Berührung zweier ungleich 67 erwärmter Metalle (zuerst Wismuth und Kupfer) oder Temperatur-Differenzen in den einzelnen Theilen eines gleichartigen metallischen Ringes werden als Quellen der Erregung magneto-electrischer Strömungen erkannt.
1821–1823 Weddell Reise in das südliche Polarmeer, bis Br. 74° 15' S.
1822–1823 Sabine's zwei wichtige Expeditionen zur genauen Bestimmung der magnetischen Intensität und der Länge des Pendels unter verschiedenen Breiten (Ostküste von Afrika bis zum Aequator, Brasilien, Havana, Grönland bis Br. 74° 23', Norwegen und Spitzbergen unter Breite 79° 50'). Es erschien über diese vielumfassende Arbeit erst 1824: account of experiments to determine the Figure of the Earth p. 460–509.
1824 Erikson magnetische Beobachtungen längs den Ufern der Ostsee.
1825 Arago entdeckt den Rotations-Magnetismus. Die erste Veranlassung zu dieser unerwarteten Entdeckung gab ihm, am Abhange des Greenwicher Hügels, seine Wahrnehmung der abnehmenden Oscillations-Dauer einer Inclinations-Nadel durch Einwirkung naher unmagnetischer Stoffe. In Arago's Rotations-Versuchen wirken auf die Schwingungen der Nadel Wasser, Eis, Glas, Kohle und Quecksilber.Kosmos Bd. I. S. 186 und 429 Anm. 147.
1825–1827 Magnetische Beobachtungen von Boussingault in verschiedenen Theilen von Südamerika (Marmato, Quito).
1826–1827 Intensitäts-Beobachtungen von Keilhau in 20 Stationen (in Finmarken, auf Spitzbergen und der Bären-Insel); von Keilhau und Boeck in Süd-Deutschland und Italien (Schum. astron. Nachr. No. 146).
1826–1829 Admiral Lütke Reise um die Welt. Der magnetische Theil ist mit großer Sorgfalt bearbeitet 1834 von Lenz. (S. Partie nautique du Voyage 1836.)
1826–1830 Cap. Philip Parker King Beobachtungen in den südlichen Theilen der Ost- und Westküste von Südamerika (Brasilien, Montevideo. der Magellans-Straße, Chiloe und Valparaiso).
1827–1839 Quetelet état du Magnétisme terrestre (Bruxelles) pendant douze années. Sehr genaue Beobachtungen.
1827 Sabine über Ergründung der relativen Intensität der magnetischen Erdkraft in Paris und London. Eine analoge 68 Vergleichung von Paris und Christiania (1825 und 1828) geschah von Hansteen. 7th meeting of the British Association at Liverpool 1837 p. 19–23. Die vielen von französischen, englischen und nordischen Reisenden gelieferten Resultate der Intensität haben zuerst mit unter sich verglichenen, an den genannten 3 Orten oscillirenden Nadeln in numerischen Zusammenhang gebracht und als Verhältnißwerthe aufgestellt werden können. Die Zahlen sind: für Paris 1,348: von mir; für London 1,372: von Sabine; für Christiania 1,423: von Hansteen gefunden. Alle beziehen sich auf die Intensität der Magnetkraft in einem Punkte des magnetischen Aequators (der Curve ohne Inclination), der die peruanischen Cordilleren zwischen Micuipampa und Caxamarca durchschneidet: unter südlicher Br. 7° 2' und westlicher Länge 81° 8', wo die Intensität von mir = 1,000 gesetzt wurde. Die Beziehung auf diesen Punkt (Humboldt Recueil d'Observ. astron. Vol. II. p. 382–385 und Voyage aux Régions équinox. T. III. p. 622) hat vierzig Jahre lang den Reductionen in allen Intensitäts-Tabellen zum Grunde gelegen (Gay-Lussac in den Mém. de la Société d'Arcueil T. I. 1807 p. 21, Hansteen über den Magnetismus der Erde 1819 S. 71, Sabine im Report of the British Association at Liverpool p. 43–58). Sie ist aber in neuerer Zeit mit Recht als nicht allgemein maaßgebend getadelt worden: weil die Linie ohne Inclination»Before the practice was adopted of determining absolute values, the most generally used scale (and which still continues to be very frequently referred to) was founded on the time of vibration observed by Mr. de Humboldt about the commencement of the present century at a station in the Andes of South America, where the direction of the dipping-needle was horizontal, a condition which was for some time erroneously supposed to be an indication of the minimum of magnetic force at the Earth's surface. From a comparison of the times of vibration of Mr. de Humboldt's needle in South America and in Paris, the ratio of the magnetic force at Paris to what was supposed to be its minimum, was inferred (1,348); and from the results so obtained, combined with a similar comparison made by myself between Paris and London in 1827 with several magnets, the ratio of the force in London to that of Mr. de Humboldt's original station in South America has been inferred to be 1,372 to 1,000. This is the origin of the number 1,372, which has been generally employed by British observers. By absolute measurements we are not only enabled to compare numerically with one another the results of experiments made in the most distant parts of the globe, with apparatus not previously compared, but we also furnish the means of comparing hereafter the intensity which exists at the present epoch, with that which may be found at future periods.« Sabine im Manual for the use of the British Navy 1849 p. 17. gar nicht die Punkte der schwächsten Intensität mit einander verbindet (Sabine in den Philos. Transact. for 1846 P. III. p. 254 und im Manual of Scientific Enquiry for the use of the British Navy 1849 p. 17).
1828–1829 Reise von Hansteen, und Due: magnetische Beobachtungen im europäischen Rußland und dem östlichen Sibirien bis Irkutsk.
1828–1830 Adolf Erman Reise um die Erde durch Nord-Asien und die beiden Oceane, auf der russischen Fregatte Krotkoi. Identität der angewandten Instrumente, Gleichheit der Methode und Genauigkeit der astronomischen Ortsbestimmungen sichern diesem, auf Privatkosten von einem gründlich unterrichteten und geübten Beobachter ausgeführten Unternehmen einen dauernden Ruhm. Vergl. die auf Erman's Beobachtungen gegründete allgemeine Declinations-Karte im Report of the Committee relative to the arctic Expedition 1840 Pl. III.
69 1828–1829 Humboldt's Fortsetzung der 1800 und 1807 in Solstitien und Aequinoctien begonnenen Beobachtungen über stündliche Declination und die Epochen außerordentlicher Perturbationen, in einem eigens dazu erbauten magnetischen Hause zu Berlin mittelst einer Boussole von Gambey. Correspondirende Messungen zu Petersburg, Nikolajew, und in den Gruben zu Freiberg (vom Prof. Reich) 216 Fuß unter der Erdoberfläche. Dove und Rieß haben die Arbeit bis November 1830 über Abweichung und Intensität der horizontalen Magnetkraft fortgesetzt (Poggend. Annalen Bd. XV. S. 318–336, Bd. XIX. S. 375–391 mit 16 Tabellen, Bd. XX. S. 545–555).
1829–1834 Der Botaniker David Douglas, der seinen Tod auf Owhyhee in einer Fallgrube fand, in welche vor ihm ein wilder Stier herabgestürzt war, machte eine schöne Reihe von Declinations- und Intensitäts-Beobachtungen an der Nordwest-Küste von Amerika und auf den Sandwich-Inseln bis am Rande des Kraters von Kiraueah. (Sabine meeting at Liverpool p. 27–32.)
1829 Kupffer Voyage au Mont Elbrouz dans le Caucase (p. 68 und 115).
1829 Humboldt magnetische Beobachtungen über den tellurischen Magnetismus, mit gleichzeitigen astronomischen Ortsbestimmungen, gesammelt auf einer Reise im nördlichen Asien auf Befehl des Kaisers Nicolaus zwischen den Längen von 11° 3' bis 80° 12' östlich von Paris, nahe am Dzaisan-See; wie zwischen den Breiten von 45° 43' (Insel Birutschicassa im caspischen Meere) bis 58° 52' im nördlichen Ural bei Werchoturie. (Asie centrale T. III. p. 440–478.)
1829 Die kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg genehmigt Humboldt's Antrag auf Errichtung magnetischer und meteorologischer Stationen in den verschiedensten klimatischen Zonen des europäischen und asiatischen Rußlands, wie auf die Erbauung eines physikalischen Central-Observatoriums in der Hauptstadt des Reichs unter der, immer gleich thätigen, wissenschaftlichen Leitung des Professor Kupffer. (Vergl. Kosmos Bd. I. S. 436–439 Anm. 166; Kupffer Report adressé à l'Acad. de St. Pétersbourg relatif à l'Observatoire physique central, fondé auprès du Corps des Mines, in Schum. astr. Nachr. No. 726; derselbe Annales magnétiques p. XI.) Durch das ausdauernde 70 Wohlwollen, welches der Finanz-Minister Graf von Cancrin jedem großartigen scientistischen Unternehmen schenkte, konnte ein Theil der gleichzeitigen correspondirendenDas erste Bedürfniß verabredeter gleichzeitiger magnetischer Beobachtung ist von Celsius gefühlt worden. Ohne noch des, eigentlich von seinem Gehülfen Olav Hiorter (März 1741) entdeckten und gemessenen Einflusses des Polarlichts auf die Abweichung zu erwähnen: forderte er Graham (Sommer 1741) auf mit ihm gemeinschaftlich zu untersuchen, ob gewisse außerordentliche Perturbationen, welche der stündliche Gang der Nadel von Zeit zu Zeit in Upsala erlitt, auch in derselben Zeit von ihm in London beobachtet würden. Gleichzeitigkeit der Perturbationen, sagt er, liefere den Beweis, daß die Ursach der Perturbation sich auf große Erdräume erstrecke und nicht in zufälligen localen Einwirkungen gegründet sei. (Celsius in Svenska Vetenskaps Academiens Handlingar för 1740 p. 44; Hiorter a. a. O. 1747 p. 27.) Als Arago erkannt hatte, daß die durch Polarlicht bewirkten magnetischen Perturbationen sich über Erdstrecken verbreiten, wo die Lichterscheinung des magnetischen Ungewitters nicht gesehen wird, verabredete er gleichzeitige stündliche Beobachtungen 1823 mit unserem gemeinschaftlichen Freunde Kupffer in Casan, fast 47° östlich von Paris. Aehnliche gleichzeitige Declinations-Beobachtungen sind (1828) von mir mit Arago und Reich in Paris, Freiberg und Berlin angestellt worden; s. Poggend. Annalen Bd. XIX. S. 337. Beobachtungen zwischen dem weißen Meere und der Krim, zwischen dem finnischen Meerbusen und den Küsten der Südsee im russischen Amerika schon im Jahr 1832 beginnen. Eine permanente magnetische Station wurde zu Peking in dem alten Klosterhause, das seit Peter dem Großen periodisch von griechischen Mönchen bewohnt wird, gestiftet. Der gelehrte Astronom Fuß, welcher den Hauptantheil an den Messungen zur Bestimmung des Höhenunterschiedes zwischen dem caspischen und schwarzen Meere genommen, wurde auserwählt, um in China die ersten magnetischen Einrichtungen zu treffen. Später hat Kupffer auf einer Rundreise alle in den magnetischen und meteorologischen Stationen aufgestellten Instrumente östlich bis Nertschinsk (in 117° 16' Länge) unter einander und mit den Fundamental-Maaßen verglichen. Die, gewiß recht vorzüglichen, magnetischen Beobachtungen von Fedorow in Sibirien bleiben noch unpublicirt.
1830–1845 Oberst Graham (von den topographischen Engineers der Vereinigten Staaten) Intensitäts-Beobachtungen an der südlichen Grenze von Canada, Phil. Transact. for 1846 P. III. p. 242.
1830 Fuß magnetische, astronomische und hypsometrische Beobachtungen (Report of the seventh meeting of the Brit. Assoc. 1837 p. 497–499) auf der Reise vom Baikal-See durch Ergi Oude, Durma und den, nur 2400 Fuß hohen Gobi nach Peking: um dort das magnetische und meteorologische Observatorium zu gründen, auf welchem Kovanko 10 Jahre lang beobachtet hat (Humboldt Asie centr. T. I. p. 8, T. II. p. 141, T. III. p. 468 und 477).
1831–1836 Cap. Fitzroy in seiner Reise um die Welt auf dem Beagle, wie in der Aufnahme der Küsten des südlichsten Theils von Amerika, ausgerüstet mit einem Gambey'schen Inclinatorium und mit von Hansteen gelieferten Oscillations-Nadeln.
1831 Dunlop, Director der Sternwarte von Paramatta, Beobachtungen auf einer Reise nach Australien (Philos. Transact. for 1840 P. I. p. 13–140).
1831 Faraday's Inductionsströme, deren Theorie Nobili und Antinori erweitert haben; große Entdeckung der Lichtentwickelung durch Magnete.
71 1833 und 1839 sind die zwei wichtigen Epochen der ersten Bekanntmachung theoretischer Ansichten von Gauß: 1) Intensitas vis magneticae terrestris ad mensuram absolutam revocata 1833 (p. 3: »elementum tertium, intensitas, usque ad tempora recentiora penitus neglectum mansit«); 2) das unsterbliche Werk: allgemeine Theorie des Erdmagnetismus (s. Resultate aus den Beobachtungen des magnetischen Vereins im Jahr 1838, herausgegeben von Gauß und Weber 1839, S. 1–57).
1833 Arbeiten von Barlow über die Anziehung des Schiffseisens und die Mittel dessen ablenkende Wirkung auf die Boussole zu bestimmen; Untersuchung von electro-magnetischen Strömen in Terrellen. Isogonische Weltkarten. (Vergl. Barlow essay on magnetic attraction 1833 p. 89 mit Poisson sur les déviations de la boussole produite par le fer des vaisseaux in den Mém. de l'Institut T. XVI. p. 481–555; Airy in den Philos. Transact. for 1839 P. I. p. 167 und for 1843 P. II. p. 146; Sir James Roß in den Philos. Transact. for 1849 P. II. p. 177–195.)
1833 Moser Methode die Lage und Kraft der veränderlichen magnetischen Pole kennen zu lernen (Poggendorff's Annalen Bd. 28. S. 49–296).
1833 Christie on the arctic observations of Cap. Back, Philos. Transact. for 1836 P. II. p. 377. (Vergl. auch dessen frühere wichtige Abhandlung in den Phil. Transact. for 1825 P. I. p. 23.)
1834 Parrot's Reise nach dem Ararat (Magnetismus Bd. II. S. 53–64).
1836 Major Etscourt in der Expedition von Oberst Chesney auf dem Euphrat. Ein Theil der Intensitäts-Beobachtungen ist bei dem Untergange des Dampfboots Tigris verloren gegangen: was um so mehr zu bedauern ist, als es in diesem Theile des Inneren von Vorder-Asien und südlich vom caspischen Meere so ganz an genauen Beobachtungen fehlt.
1836 Lettre de Mr. A. de Humboldt à S. A. R. le Duc de Sussex, Président de la Soc, Roy. de Londres, sur les moyens propres à perfectionner la connaissance du magnétisme terrestre par l'établissement de stations magnétiques et d'observations correspondantes (Avril 1836). Ueber die glücklichen Folgen dieser Aufforderung und ihren Einfluß auf die große antarctische Expedition von Sir James Roß s. Kosmos Bd. I. S. 438 [Anm. 166]; Sir James 72 Roß Voy. to the Southern and Antarctic Regions 1847 Vol. I. p. XII.
1837 Sabine on the variations of the magnetic Intensity of the Earth in dem seventh meeting of the British Association at Liverpool p. 1–85; die vollständigste Arbeit dieser Art.
1837–1838 Errichtung eines magnetischen Observatoriums zu Dublin von Prof. Humphrey Lloyd. Ueber die von 1840 bis 1846 daselbst angestellten Beobachtungen s. Transact. of the Royal Irish Academy Vol. XXII. P. 1. p. 74–96.
1837 Sir David Brewster a treatise on Magnetism p. 185–263.
1837–1842 Sir Edward Belcher Reisen nach Singapore, dem chinesischen Meere und der Westküste von Amerika; Philos. Transact. for 1843 P. II. p. 113, 140–142. Diese Beobachtungen der Inclination, wenn man sie mit den meinigen, älteren, zusammenhält, deuten auf sehr ungleiches Fortschreiten der Curven. Ich fand z. B. 1803 die Neigungen in Acapulco, Guayaquil und Callao de Lima +38° 48', +10° 42', -9° 54'; Sir Edward Belcher: +37° 57', +9° 1', -9° 54'. Wirken die häufigen Erdbeben an der peruanischen Küste local auf die Erscheinungen, welche von der magnetischen Erdkraft abhangen?
1838–1842 Charles Wilkes narrative of the United States Exploring Expedition (Vol. I. p. XXI).
1838 Lieut. James Sulivan Reise von Falmouth nach den Falkland-Inseln, Philos. Transact. for 1840 P. I. p. 129, 140 und 143.
1838 und 1839 Errichtung der magnetischen Stationen, unter der vortrefflichen Direction des Oberst Sabine, in beiden Erdhälften, auf Kosten der großbritannischen Regierung. Die Instrumente wurden 1839 abgesandt, die Beobachtungen begannen in Toronto (Canada) und auf Van Diemen's Land 1840, am Vorgebirge der guten Hoffnung 1841. (Vergl. Sir John Herschel im Quarterly Review Vol. 66, 1840 p. 297, Becquerel traité d'Électricité et de Magnétisme T. VI. p. 173.) – Durch die mühevolle und gründliche Bearbeitung dieses reichen Schatzes von Beobachtungen, welche alle Elemente oder Variationen der magnetischen Thätigkeit des Erdkörpers umfassen, hat Oberst Sabine, als Superintendent of the Colonial Observatories, früher unerkannte Gesetze entdeckt und der Wissenschaft neue Ansichten eröffnet. Die Resultate 73 solcher Erforschungen sind von ihm in einer langen Reihe einzelner Abhandlungen (contributions to terrestrial Magnetism) in den Philosophical Transactions der Königl. Londoner Societät und in eigenen Schriften veröffentlicht worden, welche diesem Theile des Kosmos zum Grunde liegen. Wir nennen hier von diesen nur einige der vorzüglichsten: 1) Ueber ungewöhnliche magnetische Störungen (Ungewitter), beobachtet in den Jahren 1840 und 1841; s. observations on days of unusual magnetic disturbances p. 1–107: und, als Fortsetzung dieser Arbeit, die magnetic storms von 1843–1845, in den Phil. Transact. for 1851 P. I. p. 123–139; 2) observations made at the magnetical Observatory at Toronto 1840, 1841 und 1842 (lat. 43° 39' bor., long. 81° 41') Vol. I. p. XIV–XXVIII; 3) Den sehr abweichenden Richtungsgang der magnetischen Declination in der einen Hälfte des Jahres zu St. Helena, in Longwood House (lat. 15° 55' austr., lg. occ. 8° 3'), Phil. Transact. for 1847 P. I. p. 54; 4) observat. made at the magn. and meteor. Observatory at the Cape of Good Hope 1841–1846; 5) observ. made at the magn. and meteor. Observatory at Hobarton (lat. 42° 52' austr., lg. 145° 7' or.) in Van Diemen Island, and the antarctic Expedition Vol. I. und II. (1841–1848); über Scheidung der östlichen und westlichen Störungen (disturbances) s. Vol. II. p. IX–XXXVI; 6) Magnetische Erscheinungen innerhalb des antarctischen Polarkreises, in Kerguelen und Van Diemen, Phil. Transact. for 1843 P. II. p. 145–231; 7) Ueber die Isoclinal und Isodynamic Lines im atlantischen Ocean, Zustand von 1837 (Phil. Transact. for 1840 P. I. p. 129–155); 8) Fundamente einer Karte des atlantischen Oceans, welche die magnetischen Abweichungslinien zwischen 60° nördl. und 60° südl. Breite darstellt für das Jahr 1840 (Phil. Transact. for 1849 P. II. p. 173–233); 9) Mittel die magnetische Totalkraft der Erde, ihre seculare Veränderung und jährliche Variation (absolute values, secular change and annual variation of the magnetic force) zu messen (Phil. Transact. for 1850 P. I. p. 201–219; Uebereinstimmung der Epoche der größten Nähe der Sonne mit der der größten Intensität der Kraft in beiden Hemisphären und der Zunahme der Inclination p. 216); 10) Ueber das Maaß magnetischer Intensität im hohen Norden des Neuen Continents und über den von Cap. Lefroy aufgefundenen Punkt (Br. 52° 19') der größten Erdkraft, Phil. Transac. for 1846 P. III. 74 p. 237–336; 11) Die periodischen Veränderungen der drei Elemente des Erd-Magnetismus (Abweichung, Inclination und totaler Kraft) zu Toronto in Canada und zu Hobarton auf Van Diemen: und über den Zusammenhang der zehnjährigen Periode magnetischer Veränderungen mit der von Schwabe zu Dessau entdeckten, ebenfalls zehnjährigen Periode der Frequenz von Sonnenflecken, Phil. Transact. for 1852 P. I. p. 121–124. (Die Variations-Beobachtungen von 1846 und 1851 sind als Fortsetzung der in No. 1 bezeichneten von 1840–1845 zu betrachten.)
1839 Darstellung der Linien gleicher Neigung und gleicher Intensität der Erdkraft in den britischen Inseln (magnetic isoclinal and isodynamic Lines, from observations of Humphrey Lloyd, John Phillips, Robert Were Fox, James Ross and Edward Sabine). Schon 1833 hatte die British Association in Cambridge beschlossen, daß in mehreren Theilen des Reichs Neigung und Intensität bestimmt werden sollten; schon im Sommer 1834 wurde dieser Wunsch von Prof. Lloyd und Oberst Sabine in Erfüllung gebracht, und die Arbeit 1835 und 1836 auf Wales und Schottland ausgedehnt (8th Report of the British Assoc. in the meeting at Newcastle 1838 p. 49–196; mit einer isoclinischen und isodynamischen Karte der britischen Inseln, die Intensität in London = 1 gesetzt).
1838–1843 Die große Entdeckungsreise von Sir James Clark Roß nach dem Südpol: gleich bewundernswürdig durch den Gewinn für die Kenntniß der Existenz viel bezweifelter Polarländer als durch das neue Licht, welches die Reise über den magnetischen Zustand großer Erdräume verbreitet hat. Sie umfaßt, alle drei Elemente des tellurischen Magnetismus numerisch bestimmend, fast ⅔ der Area der ganzen hohen Breiten der südlichen Halbkugel.
1839–1851 Kreil's über zwölf Jahre lang fortgesetzte Beobachtungen der Variation sämmtlicher Elemente der Erdkraft und der vermutheten soli-lunaren Einflüsse auf der kais. Sternwarte zu Prag.
1840 Stündliche magnetische Beobachtungen mit einer Gambey'schen Declinations-Boussole während eines 10jährigen Aufenthalts in Chili von Claudio Gay; s. dessen Historia fisica y politica de Chile 1847.
Arago hat einen Schatz magnetischer Beobachtungen (über 52600 an Zahl) aus den Jahren 1818 bis 1835 hinterlassen: welche nach der mühevollen Redaction von Herrn Fedor Thoman publicirt worden sind in denOeuvres complètes de François Arago (Tome IV. p. 498). In diesen Beobachtungen hat General Sabine (Meteorological Essays, London 1855, p. 350) für die Jahresfolge von 1821 bis 1830 die vollständigste Bestätigung der zehnjährigen magnetischen Declinations-Periode und ihres Zusammenhanges mit der gleichen Periode in der Häufigkeit und Seltenheit der Sonnenflecken entdeckt. Schon in demselben Jahre 1850, als Schwabe in Dessau seine Periode der Sonnenflecken veröffentlichte (Kosmos Bd. III. S. 402), ja zwei Jahre früher als Sabine zuerst (im März 1852: Phil. Tr. for 1852 P. I. p. 116–121, Kosmos Bd. IV. S. 174 [Anm. 1769]) die zehnjährige magnetische Declinations-Periode für von den Sonnenflecken abhängig erklärte; hatte Letzterer selbst schon das wichtige Resultat aufgefunden, daß die Sonne durch die ihrer Masse eigene magnetische Kraft auf den Erd-Magnetismus wirkt. Er hatte entdeckt (Phil. Tr. for 1850 P. I. p. 216, Kosmos Bd. IV. S. 132), daß die magnetische Intensität am größten ist und daß die Nadel sich am meisten der verticalen Richtung nähert, wenn die Erde der Sonne am nächsten steht. Die Kenntniß von einer solchen magnetischen Einwirkung des Centralkörpers unseres Planetensystems: nicht als wärmeerzeugend, sondern durch seine eigene magnetische Kraft, wie durch Veränderungen in der Photosphäre (Größe und Frequenz trichterförmiger Oeffnungen); giebt dem Studium des Erd-Magnetismus und dem Netze magnetischer Warten, mit denen (Kosmos Bd. I. S. 436 [Anm. 166], Bd. IV. S. 72) Rußland und Nord-Asien seit den Beschlüssen von 1829, die großbritannischen Colonien seit 1840–1850 bedeckt sind, ein höheres kosmisches Interesse. (Sabine in den Proceedings of the Royal Soc. Vol. VIII. No. 25 p. 400, wie in den Phil. Tr. for 1856 p. 362.)
1840–1851 Lamont, Director der Sternwarte zu München, 75 Resultate seiner magnetischen Beobachtungen, verglichen mit denen von Göttingen, die selbst bis 1835 aufsteigen. Erforschung des wichtigen Gesetzes einer zehnjährigen Periode [s. nebenstehenden Zusatz] der Declinations-Veränderungen. (Vergl. Lamont in Poggend. Ann. der Phys. Bd. 84. 1851 S. 572–582 und Reslhuber Bd. 85. 1852 S. 179–184.) Der, schon oben berührte, muthmaßliche Zusammenhang zwischen der periodischen Zu- und Abnahme der Jahresmittel der täglichen Declinations-Variation der Magnetnadel und der periodischen Frequenz der Sonnenflecken ist zuerst von Oberst Sabine in den Phil. Transact. for 1852; und, ohne daß er Kenntniß von dieser Arbeit hatte, 4 bis 5 Monate später von dem gelehrten Director der Sternwarte zu Bern, Rudolph Wolf, in den Schriften der schweizerischen Naturforscher verkündigt worden.Die im Text genannte Abhandlung von Rudolph Wolf enthält eigene tägliche Beobachtungen von Sonnenflecken (1 Januar bis 30 Juni 1852), und eine Zusammenstellung der Lamont'schen periodischen Declinations-Variationen mit den Resultaten von Schwabe über die Frequenz der Sonnenflecken (1835–1850). Es wurde dieselbe in einer Sitzung der naturforschenden Gesellschaft zu Bern den 31 Juli 1852 vorgetragen, während die ausführlichere Abhandlung vom Oberst Sabine (Phil. Transact. for 1852 P. I. p. 116–121) der königl. Societät zu London schon Anfangs März übergeben und Anfangs Mai 1852 verlesen wurde. Nach den neuesten Untersuchungen der Beobachtungen der Sonnenflecken findet Wolf die Periode im Mittel von 1600 bis 1852 zu 11,11 Jahren. Lamont's Handbuch des Erdmagnetismus (1848) enthält die Angabe der neuesten Mittel der Beobachtung wie die Entwickelung der Methoden.
1840–1845 Bache, Director of the Coast Survey of the United States, observations made at the magn. and meteorol. Observatory at Girard's College (Philadelphia), publ. 1847.
184^–1842 Lieut. Gilliß (U. St.) magnetical and meteorological observations made at Washington, publish. 1847 (p. 2–319); magnetic storms p. 336).
1841–1843 Sir Robert Schomburgk Declinations-Beobachtungen in der Waldgegend der Guyana zwischen dem Berg Roraima und dem Dörfchen Pirara, zwischen den Parallelen von 4° 57' und 3° 39' (Philos. Transact. for 1849 P. II. p. 217).
1841–1845 magn. and meteorol. observations made at Madras.
1843–1844 Magnetische Beobachtungen auf der Sternwarte von Sir Thomas Brisbane zu Makerstoun (Roxburghshire, Schottland), Br. 55° 34'; s. Transact. of the Royal Soc. of Edinb. Vol. XVII. P. 2. p. 188 und Vol. XVIII. p. 46.
1843–1849 Kreil über den Einfluß der Alpen auf Aeußerung der magnetischen Erdkraft. (Vergl. Schum. astr. Nachr. No. 602.)
1844–1845 Expedition der Pagoda in hohen antarctischen Breiten bis -64° und -67°, und Länge 4° bis 117° östl., alle 3 Elemente des tellurischen Magnetismus umfassend: unter dem Commando des Schiffs-Lieut. Moore, der schon in der Nordpol-Expedition auf dem Terror gewesen war, und des Artillerie-Lieut. 76 Clerk, früher Directors des magnetischen Observatoriums am Vorgebirge der guten Hoffnung; – eine würdige Vervollständigung der Arbeiten von Sir James Clark Roß am Südpol.
1845 Proceedings of the magn. and meteorol. conference held at Cambridge.
1845 Observations made at the magn. and meteorol. Observatory at Bombay under the superintendency of Arthur Bedford Orlebar. Das Observatorium ist 1841 auf der kleinen Insel Colaba erbaut worden.
1845–1850 Sechs Bände Results of the magn. and meteorol. observations made at the royal Observatory at Greenwich. Das magnetische Haus wurde 1838 gebaut.
1845 Simonoff, Prof. de Kazan, recherches sur l'action magnétique de la Terre.
1846–1849 Cap. Elliot (Madras Engineers) magnetic survey of the Eastern Archipelago; 16 Stationen, jede von mehreren Monaten: auf Borneo, Celebes, Sumatra, den Nicobaren und Keeling-Inseln; mit Madras verglichen. zwischen nördl. Br. 16° und südl. Br. 12°, Länge 78° und 123° östl. (Phil. Transact. for 1851 P. I. p. 287–331 und p. I–CLVII). Beigefügt sind Karten gleicher Inclination und Declination, wie horizontaler und totaler Kraft. Diese Arbeit, welche zugleich die Lage des magnetischen Aequators und der Linie ohne Abweichung darstellt, gehört zu den ausgezeichnetsten und vielumfassendsten neuerer Zeit.
1845–1850 Faraday's glänzende physikalische Entdeckungen 1) über die axiale (paramagnetische) oder äquatoriale (diamagnetischeKosmos Bd. III. S. 400 und 419 Anm. 1477. Diamagnetische Abstoßung und äquatoriale, d. i. ost-westliche Stellung in der Nähe eines starken Magnets zeigen Wismuth, Antimon, Silber, Phosphor, Steinsalz, Elfenbein, Holz, Aepfelscheiben und Leder. Sauerstoffgas (rein oder mit anderen Gas-Arten gemischt, oder in den Zwischenräumen der Kohle verdickt) ist paramagnetisch. Vergl. über krystallisirte Körper, was nach der Lage gewisser Achsen der scharfsinnige Plücker (Poggend. Ann. Bd. 73. S. 178 und Phil. Transact. for 1851 § 2836–2853) aufgefunden hat. Die Abstoßung durch Wismuth war zuerst von Brugmans (1778) erkannt, dann von le Baillif (1827) und Seebeck (1828) gründlicher geprüft. Faraday selbst (§ 2429–2431), Reich und der, schon seit dem Jahre 1836 für die Fortschritte des tellurischen Magnetismus so ununterbrochen thätige Wilhelm Weber haben den Zusammenhang der diamagnetischen Erscheinungen mit denen der Induction dargethan (Poggend. Ann. Bd. 73. S. 241 und 253). Weber hat sich nachzuweisen bestrebt, daß der Diamagnetismus seine Quelle in den Ampère'schen Molecular-Strömen habe (Wilh. Weber, Abhandlungen über electro-dynamische Maaßbestimmungen 1852 S. 545–570).) Stellung (Richtung), welche frei schwingende Körper unter äußerem magnetischen Einflusse annehmen (Phil. Transact. for 1846 § 2420 und Phil. Tr. for 1851 P. I. § 2718–2796); 2) über Beziehung des Electro-Magnetismus zu einem polarisirten Lichtstrahle und Drehung des letzteren unter Vermittelung (Dazwischenkunft) des veränderten Molecular-Zustandes derjenigen Materie, durch welche zugleich der polarisirte Lichtstrahl und der magnetische Strom geleitet werden (Phil. Tr. for 1846 P. I. § 2195 und 2215–2221); 3) über die merkwürdige Eigenschaft des Sauerstoffgases, als des einzigen paramagnetischen unter allen Gas-Arten, einen solchen Einfluß auf die Elemente des Erdmagnetismus auszuüben: daß es, weichem Eisen gleich, nur außerordentlich viel schwächer, durch die vertheilende 77 Wirkung des Erdkörpers, eines permanent gegenwärtigen Magnets, PolaritätZur Hervorbringung dieser Polarität werden durch die actio in distans des Erdkörpers die magnetischen Flüssigkeiten in jedem Sauerstoff-Theilchen in bestimmter Richtung und mit bestimmter Kraft um eine gewisse Größe getrennt. Jedes Sauerstoff-Theilchen repräsentirt dadurch einen kleinen Magnet; und alle diese kleinen Magnete reagiren auf einander, wie auf den Erdkörper: und zuletzt, in Verbindung mit diesem, auf eine irgend wo in oder außerhalb des Luftkreises befindlich gedachte Nadel. Die Sauerstoff-Hülle des Erdkreises ist zu vergleichen einer Armatur von weichem Eisen an einem natürlichen oder Stahl-Magnet: der Magnet kugelförmig gedacht gleich der Erde, und die Armatur als Hohlkugel gleich der atmosphärischen Sauerstoff-Hülle. Die Stärke, bis zu der ein jedes Sauerstoff-Theilchen durch die constante Kraft der Erde magnetisirt werden kann (magnetic power), sinkt mit der Temperatur und Verdünnung des Sauerstoffgases. Indem eine stete Veränderung der Temperatur und Ausdehnung der Sonne von Ost nach West um den Erdkörper folgt, muß sie demnach auch die Resultate der Kräfte der Erde und der Sauerstoff-Hülle verändern: und dies ist nach Faraday's Meinung die Quelle eines Theiles der Variationen in den Elementen des Erd-Magnetismus. Plücker findet, daß, da die Kraft, mit welcher der Magnet auf das Sauerstoffgas wirkt, der Dichtigkeit des Gases proportional ist, der Magnet ein einfaches eudiometrisches Mittel darbietet die Gegenwart des freien Sauerstoffgases in einem Gas-Gemisch bis auf 1 oder 2 Hunderttheilchen zu erkennen. annimmt (Phil. Tr. for 1851 P. I. § 2297–2967).
1849 Emory magn. observations made at the Isthmus of Panama.
1849 Prof. William Thomson in Glasgow, a mathematical Theory of Magnetism, in den Philos. Transact. for 1851 P. I. p. 243–285. (Ueber das Problem der Vertheilung der magnetischen Kraft vergl. § 42 und 56 mit Poisson in den Mémoires de l'Institut 1811 P. I. p. 1, P. II. p. 163.)
1850 Airy on the present state and prospects of the science of terrestrial Magnetism, Fragment einer vielversprechenden Abhandlung.
1852 Kreil Einfluß des Mondes auf die magnetische Declination zu Prag in den Jahren 1839–1849. Ueber die früheren Arbeiten dieses genauen Beobachters von 1836–1838 s. Osservazioni sull' intensità e sulla direzione della forza magnetica istituite negli anni 1836–1838 all' I. R. Osservatorio di Milano p. 171, wie auch magn. und meteorol. Beobachtungen zu Prag Bd. I. S. 59.
1852 Faraday on Lines of magnetic Force and their definite character.
1852 Sabine's neue Beweise aus Beobachtungen von Toronto, Hobarton, St. Helena und dem Vorgebirge der guten Hoffnung (1841–1851): daß überall in der Morgenstunde von 7–8 Uhr die Magnet-Declination eine Jahresperiode darbietet, in welcher das nördliche Solstitium die größte östliche Elongation, das südliche Solstitium die größte westliche Elongation offenbaren, ohne daß in diesen Solstitial-Epochen (turning periods) die Temperatur der Atmosphäre oder der Erdrinde ein Maximum oder Minimum erleiden. Vergl. den, noch nicht erschienenen, 2ten Band der observations made at Toronto p. XVII mit den schon oben angeführten zwei Abhandlungen von Sabine über Einfluß der Sonnennähe (Philos. Transact. for 1850 P. I. p. 216) und der Sonnenflecken (Phil. Tr. for 1852 P. I. p. 121).
Die chronologische Aufzählung der Fortschritte unserer Kenntniß von dem Erd-Magnetismus in der Hälfte eines Jahrhunderts, in dem ich diesem Gegenstande ununterbrochen das wärmste Interesse gewidmet habe, zeigt ein glückliches 78 Streben nach einem zwiefachen Zwecke. Der größere Theil der Arbeiten ist der Beobachtung der magnetischen Thätigkeit des Erdkörpers, der Messung nach Raumverhältnissen und Zeitepochen gewidmet gewesen; der kleinere Theil gehört dem Experimente: dem Hervorrufen von Erscheinungen, welche auf Ergründung des Wesens jener Thätigkeit selbst, der inneren Natur der Magnetkraft, zu leiten verheißen. Beide Wege: messende Beobachtung der Aeußerungen des tellurischen Magnetismus (in Richtung und Stärke) und physikalisches Experiment über Magnetkraft im allgemeinen, haben gegenseitig den Fortschritt unseres Naturwissens belebt. Die Beobachtung allein, unabhängig von jeglicher Hypothese über den Causal-Zusammenhang der Erscheinungen oder über die, bis jetzt unmeßbare, uns unerreichbare Wechselwirkung der Molecule im Inneren der Substanzen, hat zu wichtigen numerischen Gesetzen geführt. Dem bewundernswürdigen Scharfsinn experimentirender Physiker ist es gelungen Polarisations-Eigenschaften starrer und gasförmiger Körper zu entdecken, von denen man vorher keine Ahndung hatte, und die in eigenem Verkehr mit Temperatur und Luftdruck stehen. So wichtig und unbezweifelt auch jene Entdeckungen sind, können sie in dem gegenwärtigen Zustand unseres Wissens doch noch nicht als befriedigende Erklärungsgründe jener Gesetze betrachtet werden, welche bereits in der Bewegung der Magnetnadel erkannt worden sind. Das sicherste Mittel, zur Erschöpfung des veränderlich Meßbaren im Raume, wie zu der Erweiterung und Vollendung der, von Gauß so großartig entworfenen, mathematischen Theorie des Erd-Magnetismus zu gelangen, ist das Mittel der gleichzeitig an vielen gut ausgewählten Punkten der Erde fortgesetzten Beobachtung aller drei Elemente der magnetischen 79 Thätigkeit. Was ich selbst aber ruhmvollesKosmos Bd. IV. S. 10 und 11. von der Verbindung des Experiments und der mathematischen Gedankenverbindung erwarte, habe ich bereits an einem anderen Orte ausgesprochen und durch Beispiele erläutert.
Alles, was auf unserem Planeten vorgeht, kann nicht ohne kosmischen Zusammenhang gedacht werden. Das Wort Planet führt uns an sich schon auf Abhängigkeit von einem Centralkörper, auf die Verbindung mit einer Gruppe von Himmelskörpern sehr verschiedener Größe, die wahrscheinlich einen gleichen Ursprung haben. Sehr früh wurde der Einfluß des Sonnenstandes auf die Aeußerung der Magnetkraft der Erde anerkannt: deutlichst bei Entdeckung der stündlichen Abweichung; dunkler, wie Kepler ein Jahrhundert vorher ahndete, daß alle Achsen der Planeten nach Einer Weltgegend magnetisch gerichtet seien. Kepler sagt ausdrücklich: »daß die Sonne ein magnetischer Körper sei; und daß deshalb in der Sonne die Kraft liege, welche die Planeten bewege.«Kepler in Stella Martis p. 32 und 34. Vergl. damit sein Mysterium cosmogr. cap. 20 p. 71. Massen-Anziehung und Gravitation erschienen damals unter dem Symbol magnetischer Attraction. HorrebowKosmos Bd. III. S. 416 Anm. 1470. Die Stelle (§ 226), in welcher der Lichtproceß der Sonne ein perpetuirliches Nordlicht genannt wird, ist übrigens nicht in der ersten Ausgabe der Clavis Astronomiae von Horrebow (Havn. 1730) zu suchen; sondern sie steht allein in der, durch einen zweiten Theil vermehrten, neuen Ausgabe derselben in Horrebow's Oprum mathematico-physicorum T. I. Hafn. 1740 pag. 317, indem sie diesem hinzugekommenen zweiten Theile der Clavis angehört. – Vergl. mit Horrebow's Ansicht die ganz ähnlichen von Sir William und Sir John Herschel, Kosmos Bd. III. S. 45, 56 (Anm. 1056), 256 und 262 [Anm. 1277]., der Gravitation nicht mit Magnetismus verwechselte, hat wohl zuerst den Lichtproceß »ein perpetuirlich im Sonnen-Dunstkreise durch magnetische Kräfte vorgehendes Nordlicht« genannt. Unseren Zeiten näher (und dieser Unterschied der Meinungen ist sehr bemerkenswerth) sind die Ansichten über die Art der Einwirkung der Sonne entschieden getheilt aufgetreten.
Man hat sich entweder vorgestellt, daß die Sonne, ohne selbst magnetisch zu sein, auf den Erd-Magnetismus nur temperatur-verändernd wirke (Canton, Ampère, Christie, Lloyd, Airy); oder man glaubt, wie Coulomb, die Sonne von einer magnetischen Atmosphäre umhülltMémoires de Mathématique et de Physique presentés à l'Académie Royale des Sciences T. IX. 1780 p. 262., welche ihre 80 Wirkung auf den Magnetismus der Erde durch Vertheilung ausübe. Wenn gleich durch Faraday's schöne Entdeckung von der paramagnetischen Eigenschaft des Sauerstoffgases die große Schwierigkeit gehoben wird, sich, nach Canton, die Temperatur der festen Erdrinde und der Meere als unmittelbare Folge des Durchgangs der Sonne durch den Orts-Meridian schnell und beträchtlich erhöht vorstellen zu müssen; so hat doch die vollständige Zusammenstellung und scharfsinnige Discussion alles meßbar Beobachteten durch den Oberst Sabine als Resultat ergeben, daß die bisher beobachteten periodischen Variationen der magnetischen Thätigkeit des Erdkörpers nicht ihre Ursache in den periodischen Temperatur-Veränderungen des uns zugänglichen Luftkreises haben. Weder die Haupt-Epochen der täglichen und jährlichen Veränderungen der Declination zu verschiedenen Stunden des Tages und der Nacht (und die jährlichen hat Sabine zum ersten Male, nach einer übergroßen Zahl von Beobachtungen, genau darstellen können), noch die Perioden der mittleren Intensität der Erdkraft stimmen»So for as these four stations (Toronto, Hobarton, St. Helena and the Cape), so widely separated from each other and so diversely situated. Justify a generalisation, we may arrive to the conclusion, that at the hour of 7 to 8 A. M. the magnetic declination is everywhere subject to a variation of which the period is a year, and which is everywhere similar in character and amount: consisting of a movement of the north end of the magnet from east to west between the northern and the southern solstice, and a return from west to east between the southern and the northern solstice, the amplitude being about 5 minutes of arc. The turning periods of the year are not, as many might be disposed to anticipate, those months, in which the temperature at the surface of our planet, or of the subsoil, or of the atmosphere (as far as we possess the means of judging of the temperature of the atmosphere) attains its maximum and minimum. Stations so diversely situated would indeed present in these respects thermic conditions of great variety: whereas uniformity in the epoch of the turning periods is a not less conspicuous feature in the annual variation than similarity of character and numerical value. At all the stations the solstices are the turning periods of the annual variation at the hour of which we are treating. – The only periods of the year in which the diurnal or horary variation at that hour does actually disappear, are at the equinoxes: when the sun is passing from the one hemisphere to the other, and when the magnetic direction in the course of its annual variation from east to west, or vice versa, coincides with the direction which is the mean declination of all the months and of all the hours. – The annual variation is obviously connected with, and dependent on, the earth's position in its orbit relatively to the sun, around which it revolves; as the diurnal variation is connected with and dependent on the rotation of the earth on its axis, by which each meridian successively passes through every angle of inclination to the sun in the round of 24 hours.« Sabine on the annual and diurnal variations, in dem noch nicht erschienenen 2ten Bande der observations made at the magn. and meteorol. Observatory at Toronto p. XVII –XX. Vergl. auch seine Abhandlung on the annual variation of the magnetic Declination at different periods of the Day in den Philos. Transact. for 1851 P. II. p. 635, und die Einleitung in die observ. made at the Observatory at Hobarton Vol. I. p. XXXIV–XXXVI. mit den Perioden der Maxima und Minima der Temperatur der Atmosphäre oder der oberen Erdrinde überein. Die Wendepunkte in den wichtigsten magnetischen Erscheinungen sind die Solstitien und Aequinoctien. Die Epoche, in welcher die Intensität der Erdkraft am größten ist und in beiden Hemisphären die Inclinations-Nadel dem verticalen Stande sich am nächsten zeigt, ist die der größten SonnennäheSabine on the means adopted for determining the absolute values, secular change and annual variation of the terrestrial magnetic Force, in den Phil. Transact. for 1850 P. I. p. 216. Auch in Sabine's Eröffnungsrede der Versammlung zu Belfast (Meeting of the British Assoc. in 1852) heißt es: »it is a remarkable fact, which has been established, that the magnetic force is greater in both the northern and southern hemispheres in the months of December, January and February, when the Sun is nearest to the earth: than in those of May, June and July, when he is most distant from it: whereas, if the effects where due to temperature, the two hemispheres should be oppositely instead of similarly affected in each of the two periods referred to.«, wenn zugleich die Erde die größte Translations-Geschwindigkeit in ihrer Bahn hat. Nun aber sind sich in der Zeit der Sonnennähe (December, Januar und Februar) wie in der Zeit der Sonnenferne (Mai, Juni und Juli) die Temperatur-Verhältnisse der Zonen diesseits und jenseits des Aequators geradezu entgegengesetzt; die Wendepunkte der 81 ab- und zunehmenden Intensität, Declination und Inclination können also nicht der Sonne als wärmendem Princip zugeschrieben werden.
Jahresmittel aus den Beobachtungen von München und Göttingen haben dem thätigen Director der kön. bairischen Sternwarte, Prof. Lamont, das merkwürdige Gesetz einer Periode von 10⅓ Jahren in den Veränderungen der Declination offenbart.Lamont in Poggend. Annalen Bd. 84. S. 579. In der Periode von 1841 bis 1850 erreichten die Mittel der monatlichen Declinations-Veränderungen sehr regelmäßig ihr Minimum 1843½, ihr Maximum 1848½. Ohne diese europäischen Resultate zu kennen: hatte die Vergleichung der monatlichen Mittel derselben Jahre 1843–1848, aus Beobachtungen von Orten gezogen, welche fast um die Größe der ganzen Erdachse von einander entfernt liegen (Toronto in Canada und Hobarton auf Van Diemen's Insel), den Oberst Sabine auf die Existenz einer periodisch wirkenden Störungs-Ursach geleitet. Diese ist von ihm als eine rein kosmische in den ebenfalls zehnjährigen periodischen Veränderungen der Sonnen-Atmosphäre gefunden worden.Sabine on periodical laws discoverable in the mean effects of the larger magnetic Disturbances, in den Philos. Transact. for 1852 P. I. p.121. (Kosmos Bd. IV. S. 73 No. 9.) Der fleißigste Beobachter der Sonnenflecken unter den jetzt lebenden Astronomen, Schwabe, hat (wie ich schon an einem anderen OrteKosmos Bd. III. S. 402. entwickelt) in einer langen Reihe von Jahren (1826 bis 1850) eine periodisch wechselnde Frequenz der Sonnenflecken aufgefunden: dergestalt, daß ihr Maximum in die Jahre 1828, 1837 und 1848; ihr Minimum in die Jahre 1833 und 1843 gefallen ist. »Ich habe«, setzt er hinzu, »nicht Gelegenheit gehabt eine fortlaufende Reihe älterer Beobachtungen zu untersuchen; stimme aber gern der Meinung bei, daß diese Periode selbst wieder veränderlich sein könne.« Etwas einer solchen Veränderlichkeit analoges, Perioden in den Perioden, 82 bieten uns allerdings auch Lichtprocesse in anderen selbstleuchtenden Sonnen dar. Ich erinnere an die von Goodricke und Argelander ergründeten, so complicirten Intensitäts-Veränderungen von β Lyrae und Mira Ceti.A. a. O. S. 238.
Wenn auch die Nähe des Mondes im Vergleich mit der Sonne die Kleinheit seiner Masse nicht zu compensiren scheint; so regt doch die schon als sicher ergründete Veränderung der magnetischen Declination im Verlauf eines Mondtages, lunar-diurnal magnetic variation (Sabine im Report of the Brit. Association at Liverpool 1854 p. 11 und für Hobarton in den Phil. Tr. for 1857 Art. I p. 6), dazu an die magnetischen Einflüsse des Erd-Satelliten anhaltend zu erspähen. Kreil hat das große Verdienst gehabt diese Beschäftigung von 1839 bis 1852 mit vieler Sorgfalt fortzusetzen (s. dessen Abhandlung über den Einfluß des Mondes auf die horizontale Componente der magnetischen Erdkraft, in den Denkschriften der Wiener Akademie der Wiss., mathem. naturwiss. Classe Bd. V. 1853 S. 45 und Phil. Tr. for 1856 Art. XXII). Da seine mehrjährigen, zu Mailand und Prag angestellten Beobachtungen die Behauptung unterstützten, daß beide, der Mond wie die Sonnenflecken, eine zehnjährige Declinations-Periode verursachen; so veranlaßte diese wichtige Behauptung den General Sabine zu einer großen Arbeit. Er fand, daß der schon für Toronto in Canada bei Anwendung einer eigenthümlichen, sehr genauen Rechnungsform ergründete alleinige Einfluß der Sonne auf eine zehnjährige Periode sich in allen drei Elementen des Erd-Magnetismus (Phil. Tr. for 1856 p. 361) durch den Reichthum von achtjährigen stündlichen Beobachtungen, zu Hobarton vom Januar 1841 bis December 1848 angestellt, wiedererkennen lasse. Beide Hemisphären gaben so dasselbe Resultat für die Wirkung der Sonne, so wie zugleich aber auch die Gewißheit: »that the lunar-diurnal variation corresponding to different years shows no conformity to the inequality manifested in those of the solar-diurnal variation. The earth's inductive action, reflected from the moon, must be of a very little amount.« (Sabine in den Phil. Tr. for 1857 Art. I p. 7 und in den Proceedings of the Royal Soc. Vol. VIII. No. 20 p. 404.) Da der magnetische Theil dieses Bandes vor fast drei Jahren gedruckt worden ist, so schien es für diesen, mir so lange befreundeten Gegenstand besonders nothwendig ihn durch einige Nachträge zu ergänzen.
Wenn, nach Sabine, der Magnetismus des Sonnenkörpers sich durch die in der Sonnennähe vermehrte Erdkraft offenbart; so ist es um so auffallender, daß nach Kreil's gründlichen Untersuchungen über den magnetischen Mond-Einfluß dieser sich bisher weder in der Verschiedenheit der Mondphasen, noch in der Verschiedenheit der Entfernung des Mondes von der Erde bemerkbar gemacht hat. Die Nähe des Mondes scheint im Vergleich mit der Sonne nicht die Kleinheit der Masse zu compensiren. [S. nebenstehenden Zusatz.] Das Haupt-Ergebniß der UntersuchungKreil, Einfluß des Mondes auf die magnetische Declination 1852 S. 27, 29 und 46. über den magnetischen Einfluß des Erd-Satelliten, welcher nach Melloni nur eine Spur von Wärme-Erregung zeigt, ist: daß die magnetische Declination auf unserer Erde im Verlauf eines Mondtages eine regelmäßige Aenderung erleidet, indem dieselbe zu einem zwiefachen Maximum und zu einem zwiefachen Minimum gelangt. »Wenn der Mond«, sagt Kreil sehr richtig, »keine (für die gewöhnlichen Wärmemesser) erkennbare Temperatur-Veränderung auf der Erdoberfläche hervorbringt, so kann er auch in der Magnetkraft der Erde keine Aenderung auf diesem Wege erzeugen; wird nun demohngeachtet eine solche bemerkt, so muß man daraus schließen, daß sie auf einem anderen Wege als durch Erwärmung hervorgebracht werde.« Alles, was nicht als das Product einer einzigen Kraft auftritt, kann, wie beim Monde, erst durch Ausscheidung vieler fremdartigen Störungs-Elemente als für sich bestehend erkannt werden.
Werden nun auch bis jetzt die entschiedensten und größten 83 Variationen in den Aeußerungen des tellurischen Magnetismus nicht durch Maxima und Minima des Temperatur-Wechsels befriedigend erklärt; so ist doch wohl nicht zu bezweifeln, daß die große Entdeckung der polarischen Eigenschaft des Sauerstoffs in der gasförmigen Erdumhüllung, bei tieferer und vollständigerer Einsicht in den Proceß magnetischer Thätigkeit, in naher Zukunft zum Verstehen der Genesis dieses Processes ein Element darbieten wird. Es ist bei dem harmonischen Zusammenwirken aller Kräfte undenkbar, daß die eben bezeichnete Eigenschaft des Sauerstoffs und ihre Modification durch Temperatur-Erhöhung keinen Antheil an dem Hervorrufen magnetischer Erscheinungen haben sollte.
Ist es, nach Newton's Ausspruch, sehr wahrscheinlich, daß die Stoffe, welche zu einer Gruppe von Weltkörpern (zu einem und demselben Planetensystem) gehören, großentheils dieselben sindKosmos Bd. I. S. 407 Anm. 85 und, auf die Meteorsteine angewandt, S. 137; wie Bd. III. S. 594.; so steht durch inductive Schlußart zu vermuthen, daß nicht auf unserem Erdball allein der gravitirenden Materie eine electro-magnetische Thätigkeit verliehen sei. Die entgegengesetzte Annahme würde kosmische Ansichten mit dogmatischer Willkühr einengen. Coulomb's Hypothese über den Einfluß der magnetischen Sonne auf die magnetische Erde widerspricht keiner Analogie des Erforschten.
Wenn wir nun zu der rein objectiven Darstellung der magnetischen Erscheinungen übergehen, wie sie unser Planet in den verschiedenen Theilen seiner Oberfläche und in seinen verschiedenen Stellungen zum Centralkörper darbietet; so müssen wir in den numerischen Resultaten der Messung genau die Veränderungen unterscheiden, welche in kurze oder sehr lange Perioden eingeschlossen sind. Alle sind von einander abhängig, und in dieser Abhängigkeit sich gegenseitig verstärkend oder 84 theilweise aufhebend und störend: wie in bewegten Flüssigkeiten Wellenkreise, die sich durchschneiden. Zwölf Objecte bieten sich der Betrachtung vorzugsweise dar:
zwei Magnetpole, ungleich von den Rotations-Polen der Erde entfernt, in jeder Hemisphäre einer; es sind Punkte des Erdsphäroids, in denen die magnetische Inclination = 90° ist und in denen also die horizontale Kraft verschwindet;
der magnetische Aequator: die Curve, auf welcher die Inclination der Nadel = 0 ist;
die Linien gleicher Declination und die, auf welchen die Declination = 0 ist (isogonische Linien und Linien ohne Abweichung);
die Linien gleicher Inclination (isoklinische Linien);
die vier Punkte größter Intensität der magnetischen Erdkraft, zwei von ungleicher Stärke in jeder Hemisphäre;
die Linien gleicher Erdkraft (isodynamische Linien);
die Wellenlinie, welche auf jedem Meridian die Erdpunkte schwächster Intensität der Kraft mit einander verbindet und auch bisweilen ein dynamischer Aequator genanntVergl. Mary Somerville in ihrer kurzen, aber lichtvollen, auf Sabine's Arbeiten gegründeten Darstellung des Erd-Magnetismus, Physical Geography Vol. II. p. 102. Sir John Roß, der diese Curve schwächster Intensität auf seiner großen antarctischen Expedition im December 1839 durchschnitt (lat. 19° südl. und long. 31° 35' westl.), und das große Verdienst hat ihre Lage in der südlichen Hemisphäre zuerst bestimmt zu haben, nennt sie den Equator of less intensity. S. dessen Voyage in the Southern and Antarctic Regions Vol. I p. 22. worden ist; es fällt diese Wellenlinie weder mit dem geographischen noch mit dem magnetischen Aequator zusammen;
die Begrenzung der Zone meist sehr schwacher Intensität, in der die stündlichen Veränderungen der Magnetnadel, nach Verschiedenheit der Jahreszeiten, abwechselnd vermittelnd»Stations of an intermediate character situated between the northern and southern magnetic hemispheres, partaking, although in opposite seasons, of those contrary features which separately prevail (in the two hemispheres) throughout the year.« Sabine in den Philosophical Transactions for 1847 P. I. p. 53 und 57. an den Erscheinungen beider Halbkugeln Theil nehmen.
Ich habe in dieser Aufzählung das Wort Pol allein für die zwei Erdpunkte, in denen die horizontale Kraft verschwindet, 85 beibehalten: weil oft, wie schon bemerkt worden ist, in neuerer Zeit diese Punkte (die wahren Magnetpole), in denen die Intensitäts-Maxima keinesweges liegen, mit den vier Erdpunkten größter Intensität verwechselt worden sind.Der Pole of Intensity ist nicht der Pole of Verticity; Philos. Transact. for 1846 P. III. p.255. Auch hat Gauß gezeigt, daß es schädlich sei die Chorde, welche die beiden Punkte verbindet, in denen auf der Erdoberfläche die Neigung der Nadel = 90° ist, durch die Benennung: magnetische Achse der Erde auszeichnen zu wollen.Gauß, allgem. Theorie des Erdmagnetismus § 31. Der innige Zusammenhang, welcher zwischen den hier aufgezählten Gegenständen herrscht, macht es glücklicherweise möglich die verwickelten Erscheinungen des Erd-Magnetismus nach drei Aeußerungen der einigen, thätigen Kraft (Intensität, Inclination und Declination) unter drei Gesichtspunkte zu concentriren.
Intensität.
Die Kenntniß des wichtigsten Elements des tellurischen Magnetismus, die unmittelbare Messung der Stärke der totalen Erdkraft, ist spät erst der Kenntniß von den Verhältnissen der Richtung dieser Erdkraft in horizontaler und verticaler Ebene (Declination und Inclination) gefolgt. Die Schwingungen, aus deren Dauer die Intensität geschlossen wird, sind erst am Schluß des 18ten Jahrhunderts ein Gegenstand des Experiments, in der ersten Hälfte des 19ten ein Gegenstand ernster und fortgesetzter Untersuchung geworden. Graham (1723) maß die Schwingungen seiner Inclinations-Nadel in der Absicht, zu versuchen, ob siePhilosophical Transactions Vol. XXXIII. for 1724, 1725 p. 332 (»to try, if the Dip and Vibrations were constant and regular«). constant wären, und um das Verhältniß der sie dirigirenden Kraft zur Schwere zu finden. Der erste Versuch, die Intensität des Magnetismus an von einander weit entfernten Punkten der Erde durch die Zahl der Oscillationen in gleichen Zeiten zu prüfen, geschah durch Mallet 86 (1769). Er fand mit sehr unvollkommenen Apparaten die Zahl der Oscillationen zu Petersburg (Br. 59° 56') und zu Ponoi (67° 4') völlig gleichNovi Commentarii Academiae scientiarum Petropolitanae T. XIV. pro anno 1769 Pars 2. p. 33. S. auch le Monnier, lois du Magnétisme comparées aux observations 1776 p. 50. woraus die, bis auf Cavendish fortgepflanzte, irrthümliche Meinung entstand, daß die Intensität der Erdkraft unter allen Zonen dieselbe sei. Borda hatte zwar nie, wie er mir oft erzählt, aus theoretischen Gründen diesen Irrthum getheilt, eben so wenig als vor ihm le Monnier; aber auch Borda hinderte die Unvollkommenheit seiner Neigungs-Nadel (die Friction, welche dieselbe auf den Zapfen erlitt) Unterschiede der Magnetkraft während seiner Expedition nach den canarischen Inseln (1776) zwischen Paris, Toulon, Santa Cruz de Teneriffa und Gorée in Senegambien, in einem Raume von 35 Breitengraden, zu entdecken (Voyage de La Pérouse T. I. p. 162). Mit verbesserten Instrumenten wurden zum ersten Male diese Unterschiede auf der unglücklichen Expedition von La Pérouse in den Jahren 1785 und 1787 von Lamanon aufgefunden und von Macao aus dem Secretär der Pariser Akademie mitgetheilt. Sie blieben, wie ich schon früher (Bd. IV. S. 61) erinnert, unbeachtet und, wie so vieles andere, in den akademischen Archiven vergraben.
Die ersten veröffentlichten Intensitäts-Beobachtungen, ebenfalls auf Borda's Aufforderung angestellt, sind die meiner Reise nach den Tropenländern des Neuen Continents von den Jahren 1798–1804. Frühere von meinem Freunde de Rossel (1791 und 1794) in den indischen Meeren eingesammelte Resultate über die magnetische Erdkraft sind erst vier Jahre nach meiner Rückkunft aus Mexico im Druck erschienen. Im Jahre 1829 wurde mir der Vorzug, die Arbeit über Intensität und Inclination von der Südsee aus noch volle 188 Längengrade gegen Osten bis in die chinesische Dzungarei 87 fortsetzen zu können, und zwar ⅔ dieser Erdhälfte durch das Innere der Continente. Die Unterschiede der Breite sind 72° (von 60° nördlicher bis 12° südlicher Breite) gewesen.
Wenn man die Richtung der einander umschließenden isodynamischen Linien (Curven gleicher Intensität) sorgfältig verfolgt: und von den äußeren, schwächeren, zu den inneren, allmälig stärkeren, übergeht; so werden bei der Betrachtung der tellurischen Kraftvertheilung des Magnetismus für jede Hemisphäre, in sehr ungleichen Abständen von den Rotations- wie von den Magnetpolen der Erde, zwei Punkte (foci) der Maxima der Intensität, ein stärkerer und ein schwächerer, erkannt. Von diesen 4 Erdpunkten liegt in der nördlichen HemisphäreEs ist zu erinnern, daß bei den astronomischen Ortsbestimmungen das Zeichen + vor der Zahl die nördliche, das Zeichen - vor derselben die südliche Breite ausdrückt; wie O. und W. nach den Längengraden stets den östlichen oder westlichen Abstand vom Meridian von Paris, nicht von Greenwich (wenn in einigen Fällen es nicht ausdrücklich bemerkt ist), andeuten. Wo einzelne Abhandlungen des Obersten Sabine nicht namentlich in den Anmerkungen des Kosmos citirt sind, ist in dem Abschnitt vom tellurischen Magnetismus (S. 74 bis 141) durch Anführungszeichen kenntlich gemacht, was den handschriftlichen Mittheilungen jenes mir befreundeten Gelehrten entnommen wurde. der stärkere (amerikanische) in Br. +52° 19' und Länge 94° 20' W.; der schwächere (oft der sibirische genannt) in Br. +70°?, Länge 117° 40' O., vielleicht einige Grade minder östlich. Auf der Reise von Parschinsk nach Jakutsk fand Erman (1829) die Curve der größten Intensität (1,742) bei Beresowski Ostrow in Länge 115° 31' O., Br. +59° 44' (Erman, magnet. Beob. S. 172 und 540; Sabine in den Phil. Transact. for 1850 P. I. p. 218). Von beiden Bestimmungen ist die des amerikanischen Focus, besonders der Breite nach sichrere, »der Länge nach wahrscheinlich etwas zu westlich«. Das Oval, welches den stärkeren nördlichen Focus einschließt, liegt demnach im Meridian des West-Endes des Lake Superior, zwischen der südlichen Extremität der Hudsonsbai und der des canadischen Sees Winipeg. Man verdankt diese Bestimmung der wichtigen Land-Expedition des ehemaligen Directors der magnetischen Station von St. Helena, des Artillerie-Hauptmanns Lefroy, im Jahr 1843. »Das Mittel der Lemniscate, welche den stärkeren und 88 schwächeren Focus verbindet, scheint nordöstlich von der Berings-Straße, näher dem asiatischen Focus als dem amerikanischen, zu liegen.«
Als ich in der peruanischen Andeskette der südlichen Hemisphäre, in Breite -7° 2' und Länge 81° 8' W., den magnetischen Aequator: die Linie, auf der die Neigung = 0 ist, zwischen Micuipampa und Caxamarca (1802) durchschnitt, und von diesem merkwürdigen Punkte an die Intensität gegen Norden und Süden hin wachsen sah; so entstand in mir, da es damals und noch lange nachher an allen Vergleichungspunkten fehlte, durch eine irrige Verallgemeinerung des Beobachteten, die Meinung: daß vom magnetischen Aequator an die Magnetkraft der Erde bis nach beiden Magnetpolen ununterbrochen wachse, und daß wahrscheinlich in diesen (da, wo die Neigung = 90° wäre) das Maximum der Erdkraft liege. Wenn man zum ersten Male einem großen Naturgesetz auf die Spur kommt, so bedürfen die früh aufgefaßten Ansichten meist einer späteren Berichtigung. SabineFifth Report of the British Association p. 72, seventh Report p. 64 und 68; contributions to terrestrial Magnetism No. VII in den Philos. Transact. for 1846 P. III. p. 254. hat durch eigene Beobachtungen (1818 bis 1822), die er in sehr verschiedenen Zonen anstellte, wie durch scharfsinnige Zusammenstellung vieler fremder (da die Schwingungs-Versuche von verticalen und horizontalen Nadeln nach und nach allgemeiner wurden) erwiesen: daß Intensität und Neigung sehr verschiedenartig modificirt werden; daß das Minimum der Erdkraft in vielen Punkten fern von dem magnetischen Aequator liege; ja daß in den nördlichsten Theilen von Canada und des arctischen Hudsonlandes, von Br. 52°⅓ bis zum Magnetpole (Br. 70°), unter dem Meridian von ohngefähr 94° bis 95° westl. Länge, die Intensität, statt zu wachsen, abnimmt. In dem von Lefroy aufgefundenen canadischen Focus der größten Intensität in der nördlichen Hemisphäre war 1845 89 die Neigung der Nadel erst 73° 7', und in beiden Hemisphären findet man die Maxima der Erdkraft neben vergleichungsweise geringer Neigung.Sabine im seventh Report of the British Association for the advancement of Science p. 77.
So vortrefflich und reichhaltig auch die Fülle der Intensitäts-Beobachtungen ist, die wir den Expeditionen von Sir James Roß, von Moore und Clerk in den antarctischen Polarmeeren verdanken; so bleibt doch noch über die Lage des stärkeren und schwächeren Focus in der südlichen Halbkugel viel Zweifel übrig. Der erste der eben genannten Seefahrer hat die isodynamischen Curven vom höchsten Werth der Intensität mehrfach durchschnitten, und nach einer genauen Discussion seiner Beobachtungen setzt Sabine den einen Focus in Br. -64° und Länge 135° 10' Ost. Roß selbst, in dem BerichtSir James Roß, Voy. in the Southern and Antarctic Regions Vol. I. p. 322. Der große Seefahrer durchschnitt zweimal zwischen Kerguelen und Van Diemen die Curve größter Intensität: zuerst in Br. -46° 44', Länge 126° 6' Ost: wo die Intensität bis 2,034 anwuchs, um östlich gegen Hobarton hin bis 1,824 abzunehmen (Voy. Vol. I. p. 103 und 104); dann ein Jahr später, vom 1 Januar bis 3 April 1841: wo nach dem Schiffsjournal des Erebus von Br. -77° 47' (Lg. 173° 21' O.) bis Br. -51° 16' (Lg. 134° 30' O.) die Intensitäten ununterbrochen über 2,00, selbst 2,07 waren (Philos. Transact. for 1843 P. II. p. 211–215). Sabine's Resultat für den einen Focus der südlichen Halbkugel (Br. -64°, Lg. 135° 10' Ost), das ich in dem Text gegeben, ist aus den Beobachtungen von Sir James Roß vom 19 bis 27 März 1841 genommen (crossing the southern isodynamic ellipse of 2,00 about midway between the extremities of its principal axis) zwischen Br. -58° und -64° 26', Länge 126° 20' und 146° 0' Ost (contrib. to terrestr. Magnet.) in den Philos. Transact. for 1846 P. III. p. 252). seiner großen Reise, vermuthete den Focus in der Nähe der von d'Urville entdeckten Terre d'Adélie: also ungefähr in Br. -67°, Länge 137° 40' Ost. Dem anderen Focus meinte er sich zu nahen in -60° Br. und 127° 20' westlicher Länge; war aber doch geneigt denselben viel südlicher, unweit des Magnetpoles, also in einen östlicheren Meridian, zu setzen.Roß, Voyage Vol. II. p. 224. Nach den Reise-Instructionen wurden die beiden südlichen Foci des Maximums der Intensität vermuthet (Vol. I p. XXXVI) in Br. -47°, Lg. 140° O. und Br. -60°, Lg. 235° O. (Meridian von Greenwich).
Nach Festsetzung der Lage der 4 Maxima der Intensität muß das Verhältniß der Kräfte selbst angegeben werden. Diese Angaben geschehen entweder nach dem mehrfach berührten älteren Herkommen: d. i. in Vergleich mit der Intensität, welche ich in einem Punkte des magnetischen Aequators gefunden, den die peruanische Andeskette in Br. -7° 2' und Länge 81° 8' W. durchschneidet; oder nach den frühesten Vorschlägen von Poisson und Gauß in absoluter Messung.Philos. Transact. for 1850 P. I. p. 201; Manual for the use of the British Navy 1849 p. 16; Erman, magnet. Beob. S. 437–454. Nach der relativen Scale, wenn die Intensität auf dem eben bezeichneten Erdpunkte im magnetischen Aequator = 1,000 gesetzt wird: sind, da man das Intensitäts-Verhältniß von Paris im Jahr 1827 90 (Bd. IV. S. 67) zu dem von London ermittelt hat, die Intensitäten in diesen zwei Städten 1,348 und 1,372. Uebersetzt man diese Zahlen in die absolute Scale, so würden sie ohngefähr 10,20 und 10,38 heißen; und die Intensität, welche für Peru = 1,000 gesetzt worden ist, würde nach Sabine in absoluter Scale = 7,57 sein: also sogar noch größer als die Intensität in St. Helena, die in derselben absoluten Scale = 6,4 ist. Alle diese Zahlen werden noch wegen Verschiedenheit der Jahre, in denen die Vergleichungen geschahen, neue Veränderungen erleiden. Sie sind in beiden Scalen: der relativen (arbitrary scale) und der, vorzuziehenden, absoluten, nur als provisorisch zu betrachten; aber auch bei dem jetzigen unvollkommneren Grade ihrer Genauigkeit werfen sie ein helles Licht auf die Vertheilung der Erdkraft: ein Element, über das man noch vor einem halben Jahrhunderte in der tiefsten Unwissenheit war. Sie gewähren, was kosmisch am wichtigsten ist, historische Ausgangspunkte für die Kraftveränderungen, welche künftige Jahrhunderte offenbaren werden: vielleicht durch Abhängigkeit der Erde von der auf sie einwirkenden Magnetkraft der Sonne.
In der nördlichen Hemisphäre ist am befriedigendsten durch Lefroy die Intensität des stärkeren canadischen Focus (unter Br. +52° 19', Länge 94° 20' W.) bestimmt. Es wird dieselbe in der relativen Scale durch 1,878 ausgedrückt, wenn die Intensität von London 1,372 ist; in der absoluten ScaleAuf der Karte der isodynamischen Linien von Nordamerika, die zu Sabine's Abhandlung: contributions to terrestrial Magnetism No. VII gehört, steht aus Versehen 14,88 statt 14,21. Die letztere, wahre Zahl ist aber im Text derselben Abhandlung p. 252 zu lesen. In dem Zusatz zu Note 158 im 1ten Bande der englischen Uebersetzung des Kosmos p. 414 steht auch durch einen Druckfehler 13,9 statt 14,21. durch 14,21. Schon in Neu-York (Br. +40° 42') hatte Sabine die Magnetkraft nicht viel schwächer (1,803) gefunden. Für den schwächeren sibirischen, nördlichen Focus (Br. ? +70°, Lg. 117° 40' O.) wird sie von Erman in relativer Scale 1,74; von Hansteen 1,76: d. i. in absoluter Scale zu 13,3 angegeben. Die antarctische Expedition von Sir James Roß hat gelehrt, 91 daß der Unterschied der beiden Foci in der südlichen Hemisphäre wahrscheinlich schwächer als in der nördlichen ist, aber daß jeder der beiden südlichen Foci die beiden nördlichen an Kraft überwiegt. Die Intensität ist in dem stärkeren südlichen Focus (Br. -64°, Lg. 135° 10' O.) in der relativen ScaleIch folge für 15,60 der Angabe in Sabine's contrib. No. VII p. 252. Aus dem magnetischen Journal des Erebus (Philos. Transact. for 1843 P. II. p. 169 und 172) ersieht man, daß auf dem Eise am 8 Februar 1841 (in Br. -77° 47' und Lg. 175° 2' W.) vereinzelte Beobachtungen selbst 2,124 gaben. Der Werth der Intensität 15,60 in absoluter Scale setzt die Intensität in Hobarton provisorisch zu 13,51 voraus (magn. and meteorol. observations made at Hobarton Vol. I. p. LXXV). Es ist aber dieselbe neuerdings (Vol. II. p. XLVI) um etwas vergrößert worden, zu 13,56. In dem Admiralty Manual p. 17 finde ich den südlichen stärkeren Focus in 15,8 verwandelt. wenigstens 2,06; in absoluter Scale 15,60: in dem schwächeren südlichen FocusSabine in der englischen Uebersetzung des Kosmos Vol. I. p. 414. (Br. -60°, Lg. 127° 20' W.?), ebenfalls nach Sir James Roß, in relativer Scale 1,96; in absoluter Scale 14,90. Der größere oder geringere Abstand der beiden Foci derselben Hemisphäre von einander ist als ein wichtiges Element ihrer individuellen Stärke und der ganzen Vertheilung des Magnetismus erkannt worden. »Wenn auch die Foci der südlichen Halbkugel eine auffallend stärkere Intensität (in absolutem Maaß 15,60 und 14,90) darbieten als die Foci der nördlichen Halbkugel (14,21 und 13,30), so wird doch im ganzen die Magnetkraft der einen Halbkugel für nicht größer als die der anderen erachtet.
Ganz anders ist es aber, wenn man das Erdsphäroid in einen östlichen und westlichen Theil nach den Meridianen von 100° und 280° (Greenwicher Länge, von West nach Ost gerechnet) dergestalt schneidet: daß die östliche Hemisphäre (die mehr continentale) Südamerika, den atlantischen Ocean, Europa, Afrika und Asien fast bis zum Baikal; die westliche (die mehr oceanische und insulare) fast ganz Nordamerika, die weite Südsee, Neu-Holland und einen Theil von Ost-Asien einschließt.« Die bezeichneten Meridiane liegen, der eine ohngefähr 4° westlich von Singapore, der andere 13° westlich vom Cap Horn, im Meridian selbst von Guayaquil. Alle 4 Foci des Maximums der Magnetkraft, ja die zwei Magnetpole gehören der westlichen Hemisphäre an.S. die interessante Darstellung: Map of the World, divided into Hemispheres by a plane, coinciding with the Meridians of 100 and 280 E. of Greenwich, exhibiting the unequal distribution of the Magnetic Intensity in the two Hemispheres, Plate V; in den Proceedings of the Brit Assoc. at Liverpool 1837 p. 72–74. Die Theilung ist, nach dem Pariser Meridian gerechnet, Länge 97° 40' Ost und 82° 20' West. Fast ununterbrochen fand Erman die Intensität der Erdkraft unter 0,76 (also sehr schwach) in der südlichen Zone von Br. -24° 25' bis Br. -13° 18', zwischen 37° 10' und 35° 4' westlicher Länge.
92 Adolf Erman's wichtiger Beobachtung der kleinsten Intensität im atlantischen Ocean östlich von der brasilianischen Provinz Espiritu Santo (Br. -20°, Lg. 37° 24' W.) ward bereits im NaturgemäldeKosmos Bd. I. S. 193 und 435 Anm. 160. gedacht. Er fand in relativer Scale 0,7062 (in absoluter 5,35). Diese Region der schwächsten Intensität ist auch auf der antarctischen ExpeditionVoyage in the Southern Seas Vol. I. p. 22 und 27. S. oben S. 84 und Anm. 1784. von Sir James Roß zweimal durchschnitten worden, zwischen Br. -19° und -21°; eben so von Lieut. Sulivan und Dunlop auf ihrer Fahrt nach den Falklands-Inseln.S. das Schiffsjournal von Sulivan und Dunlop in den Philos. Transact. for 1840 P. I. p. 143. Sie fanden als Minimum aber nur 0,800. Auf der isodynamischen Karte des ganzen atlantischen Oceans hat Sabine die Curve der kleinsten Intensität, welche Roß den Equator of less intensity nennt, von Küste zu Küste dargestellt. Sie schneidet das west-afrikanische Littoral von Benguela bei der portugiesischen Colonie Mossamedes (Br. -15°), hat in der Mitte des Oceans ihren concaven Scheitel in Lg. 20° 20' W., und erhebt sich zur brasilianischen Küste bis -20° Breite. Ob nicht nördlich vom Aequator (Br. +10° bis 12°), etwa 20 Grade östlich von den Philippinen, eine andere Zone ziemlich schwacher Intensität (0,97 rel. Scale) liegt: werden künftige Untersuchungen in ein klareres Licht setzen.
An dem früher von mir gegebenen Verhältniß der schwächsten Erdkraft zur stärksten, die bisher aufgefunden ist, glaube ich nach den jetzt vorhandenen Materialien wenig ändern zu müssen. Das Verhältniß fällt zwischen 1 : 2½ und fast 1 : 3, der letzteren Zahl näher; die Verschiedenheit der AngabenMan erhält 1 : 2,44, wenn man in absoluter Scale St. Helena 6,4 mit dem stärkeren Focus am Südpol 15,60 vergleicht; 1 : 2,47 durch Vergleichung von St. Helena mit dem zu 15,8 vergrößerten südlichen Maximum (Admir. Manual p. 17); 1 : 2,91 durch Vergleichung in relativer Scale von Erman's Beobachtung im atlantischen Ocean (0,706) mit dem südlichen Focus (2,06); ja selbst 1 : 2.95, wenn man in absoluter Scale die schwächste Angabe desselben ausgezeichneten Reisenden (5,35) mit der stärksten Angabe für den südlichen Focus (15,8) zusammenstellt. Eine Mittelzahl wäre 1 : 2,69. Vergl. für die Intensität von St. Helena (6,4 in absoluter oder 0,845 in relativer Scale) die frühesten Beobachtungen von Fitz-Roy (0,836) Philos. Transact. for 1847 P. I. p. 52 und Proceedings of the meeting at Liverpool p. 56. entsteht daraus, daß man bald die Minima allein, bald Minima und Maxima zugleich etwas willkührlich verändert. SabineVergl. die engl. Uebers. des Kosmos Vol. I p. 413 und contrib. to terrestr. Magnetism No. VII p. 256. hat das große Verdienst, zuerst auf die Wichtigkeit des dynamischen Aequators (Curve der schwächsten Intensität) aufmerksam gemacht zu haben. »Diese Curve verbindet 93 die Punkte jedes geographischen Meridians, in denen die Erdkraft am geringsten ist. Sie läuft in vielfachen Undulationen um den Erdkreis; zu beiden Seiten derselben nimmt die Erdkraft gegen die höheren Breiten jeglicher Hemisphäre zu. Sie bezeichnet dergestalt die Grenze zwischen den beiden magnetischen Halbkugeln auf eine noch entschiednere Weise als der magnetische Aequator, auf welchem die Richtung der Magnetkraft senkrecht auf der Richtung der Schwerkraft steht. Für die Theorie des Magnetismus ist alles, was sich unmittelbar auf die Kraft bezieht, von noch größerer Wichtigkeit als: was sich auf die Richtung der Nadel, auf ihre horizontale oder senkrechte Stellung, bezieht. Die Krümmungen des dynamischen Aequators sind mannigfach: da sie von Kräften abhangen, welche vier Punkte (Foci) der größten Erdkraft, unsymmetrisch und unter sich wiederum an Stärke verschieden, hervorbringen. Merkwürdig in diesen Inflexionen ist besonders die große Convexität gegen den Südpol im atlantischen Ocean, zwischen den Küsten von Brasilien und dem Vorgebirge der guten Hoffnung.«
Nimmt die Intensität der Erdkraft in uns erreichbaren Höhen bemerkbar ab? im Inneren der Erde bemerkbar zu? Das Problem, welches diese Fragen zur Lösung vorlegen, ist für Beobachtungen, die in oder auf der Erde gemacht werden, überaus complicirt: weil, um die Wirkung beträchtlicher Höhen auf Gebirgsreisen mit einander zu vergleichen, wegen der großen Masse der Berge die oberen und unteren Stationen selten einander nahe genug liegen; weil die Natur des Gesteins und die gangartig einbrechenden, nicht sichtbaren Mineralien, ja die nicht genugsam bekannten stündlichen und zufälligen Veränderungen der Intensität bei nicht ganz gleichzeitigen Beobachtungen die Resultate modificiren. Es wird so oft der Höhe (oder 94 Tiefe) allein zugeschrieben, was beiden keinesweges angehört. Zahlreiche Bergwerke, welche ich in Europa, in Peru, Mexico und Sibirien zu sehr beträchtlichen Tiefen besucht: haben mir nie Localitäten dargeboten, die irgend ein VertrauenWelche Art der Täuschung kann in den Kohlenbergwerken von Flenn zu dem Resultat geführt haben, daß im Inneren der Erde in 83 Fuß Tiefe die Horizontal-Intensität schon um 0,001 wachse? Journal de l'Institut 1845 avril p. 146. In einem englischen tiefen Bergwerke, 950 Fuß unter dem Meeresspiegel, fand Henwood gar keine Zunahme der Kraft (Brewster, treatise on Magnetism p. 275). einflößen konnten. Dazu sollte man bei Angabe der Tiefen die perpendicularen Unterschiede + und -, vom Meerhorizonte an gerechnet (der eigentlichen mittleren Oberfläche des Erdsphäroids), nicht außer Acht lassen. Die Grubenbaue zu Joachimsthal in Böhmen haben fast 2000 Fuß absoluter Tiefe erreicht: und gelangen doch nur zu einer Gesteinschicht, die drittehalbhundert Fuß über dem Meeresspiegel liegt.Kosmos Bd. I. S. 418 [Anm. 124], Bd. IV. S. 36. Ganz andere und günstigere Verhältnisse bieten die Luftfahrten dar. Gay-Lussac hat sich bis zu 21600 Fuß Höhe über Paris erhoben; also ist die größte relative Tiefe, welche man in Europa mit Bohrlöchern erreicht hat, kaum 1/11 jener Höhe. Meine eigenen Gebirgs-Beobachtungen zwischen den Jahren 1799 und 1806 haben mir die Abnahme der Erdkraft mit der Höhe im ganzen wahrscheinlich gemacht, wenn gleich (aus den oben angeführten Störungs-Ursachen) mehrere Resultate dieser vermutheten Abnahme widersprechen. Ich habe Einzelheiten aus meinen 125 Intensitäts-Messungen in der Andeskette, den schweizer Alpen, Italien und Deutschland ausgewählt und in einer NoteEine Verminderung der Magnet-Intensität mit der Höhe folgt in meinen Beobachtungen aus den Vergleichungen der Silla de Caracas (8105 Fuß über dem Meere; Kraft 1,188) mit dem Hafen la Guayra (Höhe 0 F.; Kraft 1,262) und der Stadt Caracas (Höhe 2484 F.; Kraft 1,209); aus der Vergleichung der Stadt Santa Fé de Bogota (Höhe 8190 F.; Kraft 1,147) mit der Capelle von Nuestra Señora de Guadalupe (Höhe 10128 F.; Kraft 0,127), die in größter Nähe unmittelbar an einer steilen Felswand wie ein Schwalbennest über der Stadt hängt; aus der Vergleichung des Vulkans von Puracé (Höhe 13650 F.; Kraft 1,077) mit dem Gebirgsdörfchen Puracé (Höhe 8136 F.; Kraft 1,087) und mit der nahen Stadt Popayan (Höhe 5466 F.; Kraft 1,117); aus der Vergleichung der Stadt Quito (Höhe 8952 F.; Kraft 1,067) mit dem Dorfe San Antonio de Lulumbamba (Höhe 7650 F.; Kraft 1,087): in einer nahen Felskluft liegend, unmittelbar unter dem geographischen Aequator. Widersprechend waren die höchsten Oscillations-Versuche, die ich je gemacht, in einer Höhe von 14960 Fuß, an dem Abhange des längst erloschnen Vulkans Antifana, gegenüber dem Chussulongo. Die Beobachtung mußte in einer weiten Höhle angestellt werden, und die so große Vermehrung der Intensität war gewiß Folge einer magnetischen Local-Attraction der Gebirgsart, des Trachyts: wie Versuche bezeugen, die ich mit Gay-Lussac im Krater selbst des Vesuvs und an den Kraterrändern gemacht. Die Intensität fand ich in der Höhle am Antifana bis 1,188 erhöht, wenn sie umher in niederen Hochebenen kaum 1,068 war. Die Intensität im Hospiz des St. Gotthard (1,313) war größer als die von Airolo (1,309), aber kleiner als die von Altorf (1,322); Airolo dagegen übertraf die Intensität des Ursern-Lochs (1,307). Eben so fanden wir, Gay-Lussac und ich, im Hospiz des Mont Cenis die Intensität 1,344: wenn dieselbe in Lans le Bourg am Fuß des Mont Cenis 1,323; in Turin 1,336 war. Die größten Widersprüche bot uns natürlich, wie schon oben bemerkt, der noch brennende Vesuv dar. Wenn 1805 die Erdkraft in Neapel 1,274 und in Portici 1,288 war: so stieg sie in der Einsiedelei von San Salvador zu 1,302, um im Krater des Vesuvs tiefer als in der ganzen Umgegend: zu 1,193, herabzusinken. Eisengehalt der Laven, Nähe magnetischer Pole einzelner Stücke und die, im ganzen wohl schwächend wirkende Erhitzung des Bodens bringen die entgegengesetztesten Local-Störungen hervor. Vergl. mein Voyage aux Régions équinoxiales T. III. p. 619–626 und Mémoires de la société d'Arcueil T. I. 1807 p. 17–19. zusammengestellt. Die Beobachtungen gehen von der Meeresfläche bis zu einer Höhe von 14960 Fuß, bis zur Grenze des ewigen Schnees; aber die größten Höhen haben mir nicht die sichersten Resultate gegeben. Am befriedigendsten sind gewesen der steile Abfall der Silla de Caracas, 8105 Fuß, nach der ganz nahen Küste von la Guayra; das, gleichsam über der Stadt Bogota schwebende Santuario de Ntra Sra de Guadalupe, auf einem Absatz gegründet an steiler Felswand 95 von Kalkstein, mit einem Höhen-Unterschied von fast 2000 Fuß; der Vulkan von Puracé, 8200 Fuß hoch über der Plaza mayor der Stadt Popayan. Kupffer im KaukasusKupffer's Beobachtungen beziehen sich nicht auf den Gipfel des Elbruz, sondern auf den Höhenunterschied (4500 Fuß) von 2 Stationen: Brücke von Malya und Bergabhang von Kharbis, die leider in Länge und Breite beträchtlich verschieden sind. Ueber die Zweifel, welche Necker und Forbes in Bezug auf das Resultat erhoben haben, s. Transact. of the Royal Soc. of Edinburgh Vol. XIV. 1840 p. 23–25., Forbes in vielen Theilen von Europa, Laugier und Mauvais auf dem Canigou, Bravais und Martins auf dem Faulhorn und bei ihrem kühnen Aufenthalte ganz nahe dem Gipfel des Montblanc haben allerdings die mit der Höhe abnehmende Intensität des Magnetismus bemerkt; ja die Abnahme schien nach der allgemeinen Discussion von Bravais sogar schneller in den Pyrenäen als in der Alpenkette.Vergl. Laugier und Mauvais in den Comptes rendus T. XVI. 1843 p. 1175 und Bravais, observ. de l'intensité du Magnétisme terrestre en France, en Suisse et en Savoie in den Annales de Chimie et de Phys. 3ème Série T. XVIII. 1846 p. 214; Kreil, Einfluß der Alpen auf die Intensität in den Denkschriften der Wiener Akad. der Wiss., mathem. naturwiss. Cl. Bd. I. 1850 S. 265, 279 und 290. Um so auffallender ist es, daß ein sehr genauer Beobachter, Quetelet, im Jahr 1830 die Horizontal-Intensität von Genf (1,080) zum Col de Balme (1,091), ja zum Hospiz des heil. Bernhard (1,096) mit der Höhe hat zunehmen sehen. Vergl. Sir David Brewster, treatise on Magn. p. 275.
Quetelet's ganz entgegengesetzte Resultate auf einer Reise von Genf nach dem Col de Balme und dem Großen Bernhard machen, zu einer endlichen und entscheidenden Beantwortung einer so wichtigen Frage, es doppelt wünschenswerth, daß man sich von der Erdoberfläche gänzlich entferne: und von dem einzigen sicheren, schon im Jahre 1804 von Gay-Lussac, erst gemeinschaftlich mit Biot (24 August) und dann allein (16 September), angewandten Mittel des Aërostats, in einer Reihe auf einander folgender Versuche, Gebrauch mache. Oscillationen, in Höhen von mehr als 18000 Fuß gemessen, können uns jedoch über die in der freien Atmosphäre fortgepflanzte Erdkraft nur dann mit Sicherheit belehren, wenn vor und nach der Luftfahrt die Temperatur-Correction in den angewandten Nadeln auf das genaueste ermittelt wird. Die Vernachlässigung einer solchen Correction hatte aus den Versuchen Gay-Lussac's das irrige Resultat ziehen lassen, daß die Erdkraft bis 21600 Fuß Höhe dieselbe bliebe:Annales de Chimie et de Physique T. LII. (1804) p. 86–87. während umgekehrt der Versuch eine Abnahme der Kraft erwies, wegen Verkürzung der oscillirenden Nadel in der oberen kalten Region.Arago im Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1836 p. 287; Forbes in den Transact. of the Royal Soc. of Edinburgh Vol. XIV. (1840) p. 22. Auch ist Faraday's glänzende Entdeckung der paramagnetischen Kraft des Oxygens 96 bei dem Gegenstande, welcher uns hier beschäftigt, keinesweges außer Acht zu lassen. Der große Physiker macht selbst darauf aufmerksam, daß in den hohen Schichten der Atmosphäre die Abnahme der Intensität gar nicht bloß in der Entfernung von der Urquelle der Kraft (dem festen Erdkörper) zu suchen sei; sondern daß sie eben so gut von dem so überaus verdünnten Zustande der Luft herrühren könne, da die Quantität des Oxygens in einem Cubikfuß atmosphärischer Luft oben und unten verschieden sei. Mir scheint es indeß, daß man zu nicht mehr berechtigt sei als zu der Annahme: daß die mit der Höhe und Luftverdünnung abnehmende paramagnetische Eigenschaft des sauerstoffhaltigen Theils der Atmosphäre für eine mitwirkend modificirende Ursach angesehen werden müsse. Veränderungen der Temperatur und der Dichtigkeit durch aufsteigende Luftströme verändern dann wiederum selbst das Maaß dieser Mitwirkung.Faraday, exper. researches in Electricity 1851 p. 53 und 77 § 2881 und 2961. Solche Störungen nehmen einen variablen und recht eigentlich localen Charakter an, wirken im Luftkreise wie die Gebirgsarten auf der Oberfläche der Erde. Mit jedem Fortschritt, dessen wir uns in der Analyse der gasartigen Umhüllung unseres Planeten und ihrer physischen Eigenschaften zu erfreuen haben, lernen wir gleichzeitig neue Gefahren in dem wechselnden Zusammenwirken der Kräfte kennen: Gefahren, die zu größerer Vorsicht in den Schlußfolgen mahnen.
Die Intensität der Erdkraft, an bestimmten Punkten der Oberfläche unsres Planeten gemessen, hat, wie alle Erscheinungen des tellurischen Magnetismus, ihre stündlichen und auch ihre secularen Variationen. Die ersteren wurden auf Parry's dritter Reise von diesem verdienstvollen Seefahrer und vom Lieutenant Foster (1825) in Port Bowen deutlich erkannt. Die Zunahme der Intensität vom Morgen zum Abend ist in 97 den mittleren Breiten ein Gegenstand der sorgfältigsten Untersuchungen gewesen von ChristieChristie in den Philos. Transact. for 1825 p. 49., Arago, Hansteen, Gauß und Kupffer. Da horizontale Schwingungen trotz der jetzigen großen Vollkommenheit der Neigungs-Nadeln den Schwingungen dieser vorzuziehen sind, so ist die stündliche Variation der totalen Intensität nicht ohne die genaueste Kenntniß von der stündlichen Variation der Neigung zu erhalten. Die Errichtung von magnetischen Stationen in der nördlichen und südlichen Hemisphäre hat den großen Vortheil gewährt die allerzahlreichsten und zugleich auch die allersichersten Resultate zu liefern. Es genügt hier zwei ErdpunkteSabine on periodical laws of the larger magnetic disturbances in den Philos. Transact. for 1851 P. I. p. 126; derselbe on the annual variation of the magnet. Declin. in den Phil. Tr. for 1851 P. II. p. 636. auszuwählen, »die, beide außerhalb der Tropen, diesseits und jenseits des Aequators fast in gleicher Breite liegen: Toronto in Canada +43° 39', Hobarton auf Van Diemen -42° 53'; bei einem Längen-Unterschiede von ohngefähr 15 Stunden. Die gleichzeitigen stündlichen Beobachtungen des Magnetismus gehören in Einer Station den Wintermonaten an, wenn sie in der anderen in die Sommermonate fallen. Was in der einen am Tage gemessen wird, gehört in der anderen meist der Nacht zu. Die Abweichung ist in Toronto westlich 1° 33', in Hobarton östlich 9° 57'; Inclination und Intensität sind einander ähnlich: erstere in Toronto gegen Norden (75° 15'), in Hobarton gegen Süden (70° 34') geneigt; letztere (die ganze Erdkraft) ist in Toronto in absoluter Scale 13,90; in Hobarton 13,56. Unter diesen zwei so wohl ausgewählten Stationen zeigtObserv. made at the magn. and meteor. Observatory at Toronto Vol. I. (1840–1842) p. LXII. nach Sabine's Untersuchung die in Canada für die Intensität vier, die auf Van Diemen nur zwei Wendepunkte. In Toronto hat nämlich die Variation der Intensität ein Haupt-Maximum um 6 Uhr und ein Haupt-Minimum um 14 Uhr; ein schwächeres, secundäres Maximum um 20 Uhr: ein schwächeres, secundäres Minimum um 22 Uhr. 98 Dagegen befolgt der Gang der Intensität in Hobarton die einfache Progression von einem Maximum zwischen 5 und 6 Uhr zu einem Minimum zwischen 20 und 21 Uhr, wenn gleich die Inclination dort wie in Toronto ebenfalls 4 Wendepunkte hat.Sabine in magn. and meteor. observations at Hobarton Vol. I. p. LXVIII. »There is also a correspondence in the range and turning hours of the diurnal variation of the total force at Hobarton and at Toronto, although the progression is a double one at Toronto and a single one at Hobarton.« Die Zeit des Maximums der Intensität ist in Hobarton zwischen 8 und 9 Uhr Morgens, und eben so um 10 Uhr Morgens das secundäre oder schwächere Minimum in Toronto; also folgt nach der Zeit des Orts das Zunehmen und Abnehmen der Intensität denselben Stunden: nicht den entgegengesetzten, wie bei der Inclination und der Declination. S. über die Ursachen dieser Erscheinung p. LXIX. (Vergl. auch Faraday, Atmospheric Magnetism § 3027–3034.) Durch die Vergleichung der Inclinations-Variationen mit denen der horizontalen Kraft ist ergründet worden, daß in Canada in den Wintermonaten, wenn die Sonne in den südlichen Zeichen steht, die ganze Erdkraft stärker ist als in den Sommermonaten derselben Hemisphäre; eben so ist auf Van Diemen's Land die Intensität (d. h. die ganze Erdkraft) stärker als der mittlere Jahreswerth vom October bis Februar im Sommer der südlichen Hemisphäre, schwächer vom April zum August. Nicht Unterschiede der Temperatur, sondern der geringere Abstand des magnetischen Sonnenkörpers von der Erde bewirken nach SabinePhilos. Transact. for 1850 P. I. p. 215–217; magnet. observ. at Hobarton Vol. II. (1852) p. XLVI. Vergl. oben Kosmos Bd. IV. S. 177 Anm. 1777. Die Intensität (totale Kraft) zeigt am Vorgebirge der guten Hoffnung in entgegengesetzten Jahreszeiten weniger Unterschied als die Inclination; magnet. observ. made at the Cape of Good Hope Vol. I. (1851) p. LV. diese Verstärkung des tellurischen Magnetismus. In Hobarton ist die Intensität im dortigen Sommer in absoluter Scale 13,574; im dortigen Winter 13,543. Die seculare Veränderung der Intensität ist bis jetzt nur auf eine kleine Zahl von Beobachtungen gegründet. In Toronto scheint sie von 1845 bis 1849 einige Abnahme erlitten zu haben. Die Vergleichung meiner Beobachtungen mit denen von Rudberg in den Jahren 1806 und 1832 giebt für Berlin dasselbe Resultat.S. den magnetischen Theil meiner Asie centrale T. III. p. 442.
Inclination.
Die Kenntniß der isoklinischen Curven (Linien gleicher Inclination): wie die der sie bestimmenden, schnelleren oder langsameren, Zunahme der Inclination von dem magnetischen Aequator an, wo die Inclination = 0 ist, bis zu dem nördlichen und südlichen Magnetpole, wo die horizontale Kraft 99 verschwindet: hat besonders in der neueren Zeit an Wichtigkeit noch dadurch gewonnen, daß das Element der totalen magnetischen Erdkraft aus der mit überwiegender Schärfe zu messenden horizontalen Intensität nicht ohne eine genaue Kunde der Inclination abgeleitet werden kann. Die Kunde von der geographischen Lage des einen und des anderen Magnetpoles verdankt man den Beobachtungen und der wissenschaftlichen Thätigkeit eines und desselben kühnen Seefahrers, Sir James Roß: im Norden während der zweiten ExpeditionSir John Barrow, Arctic Voyages of discovery 1846 p. 521 und 529. seines Onkels Sir John Roß (1829–1833), im Süden während der von ihm selbst befehligten antarctischen Expedition (1839–1843). Der nördliche Magnetpol (Br. +70° 5', Lg. 99° 5' W.) ist fünf Breitengrade entfernter von dem Rotations-Pol der Erde als der südliche (Br. -75° 5', Lg. 151° 48' O.); auch hat der südliche Magnetpol 109° mehr westliche Länge vom Meridian von Paris als der nördliche Magnetpol. Letzterer gehört der großen, dem amerikanischen Continent sehr genäherten Insel Boothia Felix, einem Theile des von Cap. Parry früher North Somerset genannten Landes, an. Er liegt wenig ab von der westlichen Küste von Boothia Felix: unfern des Vorgebirges Adelaide, das in King William's Sea und Victoria Street vortritt.Im sibirischen Continent ist bisher keine stärkere Inclination als 82° 16' beobachtet worden, und zwar von Middendorff am Fluß Taimyr unter Br. +74° 17' und Länge 93° 20' östlich von Paris (Middend. sibir. Reise Th. I. S. 194). Den südlichen Magnetpol hat man nicht unmittelbar, wie den nördlichen, erreichen können. Am 17 Februar 1841 war der Erebus bis Br. -76° 12' und Lg. 161° 40' Ost gelangt; die Inclination war aber erst 88° 40': man glaubte sich also noch an 160 englische Seemeilen von dem südlichen Magnetpole entfernt.Sir James Roß, Voyage in the Antarctic Regions Vol. I. p. 246. »I had so long cherished the ambitious hope«, sagt dieser Seefahrer, »to plant the flag of my country on both the magnetic poles of our globe; but the obstacles, which presented themselves, being of so insurmountable a character was some degree of consolation, as it left us no grounds for selfreproach« (p. 247). Viele und genaue Declinations-Beobachtungen (die Intersection der magnetischen Meridiane bestimmend) machen es sehr wahrscheinlich, daß der Süd-Magnetpol im Inneren des großen antarctischen Polarlandes South Victoria Land gelegen 100 ist; westlich von den Prince Albert Mountains: die sich dem Südpol nähern und an den, über 11600 Fuß hohen, brennenden Vulkan Erebus anschließen.
Der Lage und Gestalt-Veränderung des magnetischen Aequators: der Linie, auf welcher die Neigung null ist, wurde schon im Naturgemälde (Kosmos Bd. I. S. 190–192 und 431 [Anm. 155]) ausführlich gedacht. Die früheste Bestimmung des afrikanischen Knotens (der Durchkreuzung des geographischen und magnetischen Aequators) geschah von SabineSabine Pendul. Exper. 1825 p. 476. in dem Anfang seiner Pendel-Expedition 1822; später (1840) hat derselbe Gelehrte: die Beobachtungen von Duperrey, Allen, Dunlop und Sulivan zusammenstellend, eine Karte des magnetischen AequatorsDerselbe in den Philos. Transact. for 1840 P. I. p. 137, 139 und 146. Ich folge für die Bewegung des afrikanischen Knotens der dieser Abhandlung beigefügten Karte. von der afrikanischen Westküste von Biafra an (Br. +4°, Lg. 7° 10' östl.), durch das atlantische Meer und Brasilien (Br. -16°, zwischen Porto Seguro und Rio Grande) bis zu dem Punkte entworfen, wo ich, der Südsee nahe, auf den Cordilleren die nördliche Neigung habe in eine südliche übergehen sehen. Der afrikanische Knoten, als Durchschnittspunkt beider Aequatoren, lag 1837 in 0° 40' östlicher Länge; 1825 war er gelegen in 4° 35' O. Die seculare Bewegung des Knotens, sich entfernend von der 7000 Fuß hohen basaltischen Insel St. Thomas, war also etwas weniger als ein halber Grad im Jahre gegen Westen: wodurch dann an der afrikanischen Küste die Linie ohne Neigung sich gegen Norden wendete, während sie an der brasilianischen Küste gegen Süden herabsank. Der convexe Scheitel der magnetischen Aequatorial-Curve bleibt gegen den Südpol gerichtet, und entfernt sich im atlantischen Ocean im Maximum 16° vom geographischen Aequator. Im Inneren von Südamerika, in der Terra incognita von Matto Grosso: zwischen 101 den großen Flüssen Xingu, Madera und Ucayale, fehlen alle Inclinations-Beobachtungen, bis zu der Andeskette. Auf dieser: 17 geographische Meilen östlich von der Küste der Südsee, zwischen Montan, Micuipampa und Caxamarca, habe ich die Lage des gegen NW ansteigenden magnetischen Aequators astronomisch bestimmtIch gebe hier, wie es immer meine Gewohnheit ist, die Elemente dieser, nicht unwichtigen Bestimmung: Micuipampa, ein peruanisches Bergstädtchen am Fuß des, durch seinen Silberreichthum berühmten Cerro de Gualgayoc: Br. -6° 44' 25", Lg. 80° 53' 3"; Höhe über der Südsee 11140 Fuß; magnetische Inclination 0°,42 gegen Norden (Centesimal-Theilung des Kreises). – Caxamarca, Stadt in einer 8784 Fuß hohen Ebene: Br. -7° 8' 38", Lg. 5° 23' 42"; Incl. 0°,15 gegen Süden. – Montan, ein Meierhof (hacienda), von Lama-Heerden umgeben, mitten im Gebirge: Br. -6° 33' 9", Lg. 5° 26' 51"; Höhe 8042 Fuß; Incl. 0°,70 N. – Tomependa, an der Mündung des Chinchipe in den Amazonenfluß, in der Provinz Jaen de Bracamoros: Br. -5° 31' 28", Lg. 80° 57' 30"; Höhe 1242 Fuß; Incl. 3°,55 N. – Truxillo, peruanische Stadt an der Südsee-Küste: Br. -8°5' 40", Lg. 81° 23' 37"; Incl. 2°,15 S. Humboldt, Recueil d'Observ. astron. (Nivellement barométrique et géodésique) Vol. I. p. 316 No. 242, 244–254. Für die Grundlagen der astronomischen Bestimmungen durch Sternhöhen und Chronometer s. dasselbe Werk Vol. II. p. 379–391. Das Resultat meiner Inclinations-Beobachtungen von 1802 (Br. -7° 2', Lg. 81° 8' W.) stimmt, sonderbar zufällig, trotz der secularen Veränderung, nicht schlecht mit le Monnier's, auf theoretische Rechnung gegründeter Vermuthung. Er sagt: »nördlich von Lima muß 1776 der magnetische Aequator in 7°⅓, höchstens in 6°½ südlicher Breite gefunden werden!« (lois du Magnétisme comparées aux observations Partie II. p. 59.) (Br. -7° 2', Lg. 81° 8' W.).
Die vollständigste Arbeit, welche wir über die Lage des magnetischen Aequators besitzen, ist die von meinem vieljährigen Freunde Duperrey für die Jahre 1823–1825. Er hat auf seinen Weltumseglungen sechsmal den Aequator durchschnitten, und fast in einer Länge von 220° denselben nach eigenenSaigey, mém. sur l'équateur magnétique d'après les observ. du Capitaine Duperrey, in den Annales maritimes et coloniales Dec. 1833 T. IV. p. 5. Daselbst wird schon bemerkt, daß der magnetische Aequator nicht eine Curve gleicher Intensität ist, sondern daß die Intensität in verschiedenen Theilen dieses Aequators von 1 zu 0,867 variirt. Beobachtungen darstellen können. Die zwei Knoten liegen nach Duperrey's Karte des magnetischen Aequators: der eine in Lg. 3°½ O (in dem atlantischen Ocean), der andere in Lg. 175° O. (in der Südsee, zwischen den Meridianen der Viti- und Gilbert-Inseln). Wenn der magnetische Aequator, wahrscheinlich zwischen Punta de la Aguja und Payta, die Westküste des südamerikanischen Continents verlassen hat, so nähert er sich in Westen immer mehr dem geographischen Aequator: so daß er im Meridian der Inselgrnppe von Mendaña nur noch um 2° von diesem entferntDiese Position des magnetischen Aequators ist durch Erman für 1830 bestätigt worden. Auf der Rückreise von Kamtschatka nach Europa fand derselbe die Neigung fast null: in Br. -1° 30', Lg. 134° 57' W.; in Br. -1° 52', Lg. 137° 30' W.; in Br. 1° 54', Lg 136° 5' W.; in Br. -2° 1', Lg. 141° 28' W. (Erman, magnet. Beob. 1841 S. 536.) ist. Auch um 10° westlicher: in dem Meridian, welcher durch den westlichsten Theil der Paumotu-Inseln (Low Archipelago) geht, in Lg. 151°½, fand Cap. Wilkes 1840 die Breiten-Entfernung vom geographischen Aequator ebenfalls noch zwei volle Grade.Wilkes, United States' Exploring Expedition Vol. IV. p. 263. Die Intersection (der Knoten in der Südsee) liegt nicht um 180° von dem atlantischen Knoten entfernt, nicht in 176°½ westlicher Länge; sondern erst in dem Meridian der Viti-Gruppe, ohngefähr in Lg. 175° Ost, d. i. 185° West. Wenn man also von der Westküste Afrika's durch 102 Südamerika gegen Westen fortschreitet, so findet man in dieser Richtung die Entfernung der Knoten von einander um 8°½ zu groß; – ein Beweis, daß die Curve, mit der wir uns hier beschäftigen, kein größter Kreis ist.
Nach den vortrefflichen und vielumfassenden Bestimmungen des Cap. Elliot (1846–1849), welche zwischen den Meridianen von Batavia und Ceylon mit denen von Jules de Blosseville (Kosmos Bd. IV. S. 61) merkwürdig übereinstimmen, geht der magnetische Aequator durch die Nordspitze von Borneo, und fast genau von Osten nach Westen in die Nordspitze von Ceylon (Br. +9°¾). Die Curve vom Minimum der Totalkraft läuft diesem Theile des magnetischen Aequators fast parallel.Elliot in den Philos. Transact. for 1851 P. I. p. 287–331. Letzterer tritt in den ostafrikanischen Continent südlich vom Vorgebirge Guardafui ein. Dieser wichtige Punkt des Eintretens ist durch Rochet d'Héricourt auf seiner zweiten abyssinischen Expedition (1842–1845) und durch die scharfsinnige DiscussionDuperrey in den Comptes rendus de l'Académie des Sciences T. XXII. 1846 p. 804–806. der magnetischen Beobachtungen dieses Reisenden mit besonderer Genauigkeit bestimmt worden. Er liegt südlich von Gaubade, zwischen Angolola und Angobar, der Hauptstadt des Königreichs Schoa, in Br. +10° 7' und Lg. 38° 51' O. Der Verlauf des magnetischen Aequators im Inneren von Afrika, von Angobar bis zum Busen von Biafra, ist eben so unerforscht als der im Inneren von Südamerika östlich von der Andeskette und südlich von dem geographischen Aequator. Beide Continental-Räume sind sich von O nach W ohngefähr an Größe gleich, zusammen von 80 Längengraden: so daß fast ¼ des Erdkreises aller magnetischen Beobachtung bis jetzt entzogen ist. Meine eigenen Inclinations- und Intensitäts-Beobachtungen im ganzen Inneren von Südamerika (von Cumana bis zum Rio Negro, wie von 103 Cartagena de Indias bis Quito) haben nur die tropische Zone nördlich vom geographischen Aequator, und von Quito an bis Lima in der südlichen Hemisphäre nur die dem westlichen Littoral nahe Gegend umfaßt.
Die Translation des afrikanischen Knotens gegen Westen von 1825 bis 1837, die wir schon oben bezeichnet haben, wird bekräftigt an der Ostküste von Afrika durch Vergleichung der Inclinations-Beobachtungen von Panton im Jahr 1776 mit denen von Rochet d'Héricourt. Dieser fand den magnetischen Aequator viel näher der Meerenge von Bab-el-Mandeb: nämlich 1° südlich von der Insel Socotora, in 8° 40' nördl. Breite. Es war also in der Breite allein eine Veränderung von 1° 27' für 49 Jahre; dagegen war die Veränderung in der Länge von Arago und Duperrey in derselben Zeit als Bewegung der Knoten von Osten gegen Westen auf 10° angeschlagen worden. Die Säcular-Variation der Knoten des magnetischen Aequators ist an der östlichen Küste von Afrika gegen das indische Meer hin der Richtung nach ganz wie an der westlichen gewesen. Die Quantität der Bewegung aber erheischt noch genauere Resultate.
Die Periodicität der Veränderungen in der magnetischen Inclination, deren Existenz schon früher bemerkt worden war, ist mit Bestimmtheit und in ihrem ganzen Umfange erst seit ohngefähr 12 Jahren, seit Errichtung der britischen magnetischen Stationen in beiden Hemisphären, festgestellt worden. Arago, dem die Lehre vom Magnetismus so viel verdankt, hatte allerdings schon im Herbste 1827 erkannt: »daß die Neigung größer ist Morgens um 9 Uhr als den Abend um 6 Uhr; während die Intensität der Magnetkraft, gemessen durch die Schwingungen einer horizontalen Nadel, ihr 104 Minimum in der ersten und ihr Maximum in der zweiten Epoche erreicht.«Brief von Arago an mich aus Metz vom 13 Dec. 1827: »J'ai parfaitement constaté, pendant les aurores boréales qui se sont montrées dernièrement à Paris, que l'apparition de ce phénomène est toujours accompagnée d'une variation dans la position des aiguilles horizontales et d'inclinaison comme dans l'intensité. Les changemens d'inclinaison ont été 7' à 8'. Par cela seul l'aiguille horizontale, abstraction faite de tout changement d'intensité, devait osciller plus ou moins vite suivant l'époque où se faisait l'observation; mais en corrigeant les résultats par le calcul des effets immédiats de l'inclinaison, il m'est encore resté une variation sensible d'intensité. En reprenant, par une nouvelle méthode, les observations diurnes d'inclinaison dont tu m'avais vu occupé pendant ton dernier séjour à Paris, j'ai trouvé, non par des moyennes, mais chaque jour, une variation régulière: l'inclinaison est plus grande le matin à 9h que le soir à 6h. Tu sais que l'intensité, mesurée avec une aiguille horizontale, est an contraire à son minimum à la première époque, et qu'elle atteint son maximum entre 6h et 7h du soir. La variation totale étant fort petite, on pouvait supposer qu'elle n'était dûe qu'au seul changement d'inclinaison; et en effet la plus grande portion de la variation apparente d'intensité dépend de l'altération diurne de la composante horizontale; mais, toute correction faite, il reste cependant une petite quantité comme indice d'une variation réelle d'intensité.« – Aus einem anderen Briefe von Arago, Paris 20 März 1829, kurz vor meiner sibirischen Reise: »Je ne suis pas étonné que tu reconnais avec peine la variation diurne d'inclinaison dont je t'ai parlé, dans les mois d'hiver; c'est dans les mois chauds seulement que cette variation est assez sensible pour être observée avec une loupe. Je persiste toujours à soutenir que les changemens d'inclinaison ne suffisent pas pour expliquer le changement d'intensité déduit de l'observation d'une aiguille horizontale. Une augmentation de température, toutes les autres circonstances restant les mêmes, ralentit les oscillations des aiguilles. Le soir, la température de mon aiguille horizontale est toujours supérieure à la température du matin; donc l'aiguille devrait, par cette cause, l'aire le soir, en un tems donné, moins d'oscillations que le matin; or elle en fait plus que le changement d'inclinaison ne le comporte: donc du matin au soir, il y a une augmentation réelle d'intensité dans le magnétisme terrestre.« – Spätere und viel zahlreichere Beobachtungen in Greenwich, Berlin, Petersburg, Toronto (Canada) und Hobarton (Van Diemen) haben Arago's Behauptung (1827) der größeren Horizontal-Intensität am Abend gegen den Morgen bestätigt. In Greenwich ist das Haupt-Maximum der horizontalen Kraft um 6u, das Haupt-Minimum um 22u oder 0u; in Schulzendorf bei Berlin max. 8u, min. 21u; in Petersburg max. 8u, min. 23u 20'; in Toronto max. 4u, min. 23u: immer in der Zeit jeden Orts. (Airy, magn. observ. at Greenwich for 1845 p. 13, for 1846 p. 102, for 1847 p. 241; Rieß und Moser in Poggend. Ann. Bd. XIX. 1830 S. 175; Kupffer, compte-rendu annuel de l'Observatoire central magn. de St. Pétersb. 1852 p. 28 und Sabine, magn. observ. at Toronto Vol. I. 1840–1842 p. XLII.) Sonderbar abweichend, fast entgegengesetzt, sind die Wechselstunden am Vorgebirge der guten Hoffnung und auf St. Helena: wo am Abend die Horizontalkraft am schwächsten ist (Sabine, magn. obs. at the Cape of Good Hope p. XL, at St. Helena p. 40). So ist es aber nicht in der ganzen südlichen Hemisphäre weiter in Osten. »The principal feature in the diurnal change of the horizontal force at Hobarton is the decrease of force in the forenoon and its subsequent increase in the afternoon« (Sabine, magn. obs. at Hobarton Vol. I p. LIV, Vol. II. p. XLIII). In den britischen magnetischen Stationen sind dieser Gegensatz und der periodische Gang der stündlichen Neigungs-Veränderung durch mehrere tausend regelmäßig fortgeführte Beobachtungen und ihre mühevolle Discussion seit 1840 fest begründet worden. Es ist hier der Ort die erhaltenen Thatsachen, Fundamente einer allgemeinen Theorie des Erd-Magnetismus, neben einander zu stellen. Vorher muß aber bemerkt werden, daß, wenn man die räumlich zu erkennenden periodischen Schwankungen der drei Elemente des tellurischen Magnetismus im ganzen betrachtet; man mit Sabine in den Wendestunden, in denen die Maxima oder Minima eintreten, (turning hours) zu unterscheiden hat zwischen zwei größeren und darum wichtigen Extremen und anderen, gleichsam dazwischen eingeschalteten, meistentheils nicht minder regelmäßigen, kleinen Schwankungen. Die wiederkehrenden Bewegungen der Inclinations- und Declinations-Nadel, wie die Veränderung in der Intensität der Totalkraft bieten daher dar: Haupt- und secundäre Maxima oder Minima, meist beide Arten zugleich: also eine doppelte Progression, mit 4 Wendestunden (der gewöhnliche Fall); und eine einfache Progression, mit 2 Wendestunden, d. h. mit einem einzigen Maximum und einem einzigen Minimum. Letzteres z. B. ist der Gang der Intensität (total force) in Van Diemen's Land, neben einer doppelten Progression der Inclination: während an einem Orte der nördlichen Hemisphäre, welcher der Lage von Hobarton genau entspricht, zu Toronto in Canada, beide Elemente, Intensität und Inclination, eine doppelte Progression befolgen.Sabine, magn. observ. at Hobarton Vol. I p. LXVII und LXIX. Auch am Vorgebirge der guten Hoffnung giebt es nur Ein Maximum und Ein Minimum 105 der Inclination. Die stündlichen periodischen Variationen der magnetischen Neigung sind:
I. Nördliche Hemisphäre:
Greenwich: Max. 21u, Min. 3u (Airy observ. in 1845 p. 21, in 1846 p. 113, in 1847 p. 247); Incl. im zuletzt genannten Jahre um 21u im Mittel 68° 59',3: um 3u aber 68° 58',6. In der monatlichen Variation fällt das Max. in April–Juni, das Min. in Oct.–Dec.
Paris: Max. 21u, Min. 6u. Die Einfachheit der Progression von Paris und Greenwich wiederholt sich am Vorgebirge der guten Hoffnung.
Petersburg: Max. 20u, Min 10u; Variation der Incl. wie in Paris, Greenwich und Peking: in kalten Monaten geringer; Max. fester an die Stunde gebunden als Min.
Toronto (Canada): Haupt-Max. 22u, Haupt-Min. 4u; secund. Max. 10u, secund. Min. 18u (Sabine Tor. 1840–1842 Vol. I. p. LXI).
II. Südliche Hemisphäre:
Hobarton (Insel Van Diemen): Haupt-Min. 18u, Haupt-Max. 23u½; secund. Min. 5u, secund. Max. 10u (Sabine Hob. Vol. I. p. LXVII). Die Inclination ist größer im Sommer, wenn die Sonne in den südlichen Zeichen steht: 70° 36',74; kleiner im Winter, wenn die Sonne in den nördlichen Zeichen verweilt: 70° 34',66; sechsjähriges Mittel des ganzen Jahres: 70° 36',01 (Sabine Hob. Vol. II. p. XLIV). Eben so ist zu Hobarton die Intensität der Totalkraft größer von Oct. zu Febr. als von April zu August (p. XLVI).
Vorgebirge der guten Hoffnung: einfache Progression Min. 0u 34', Max. 8u 34'; mit überaus kleiner Zwischenschwankung zwischen 19u und 21u (Sabine Cape obs. 1841–1850 p. LIII).
Die hier angegebenen Erscheinungen der Wechselstunden des Maximums der Inclinationen, in der Zeit des Orts ausgedrückt, stimmen unter sich in der nördlichen Hemisphäre zu Toronto, Paris, Greenwich und Petersburg merkwürdig zwischen 106 20 und 22 Uhr (Morgens) überein; auch die Minima der Wechselstunden fallen, wenn gleich minder genähert (4, 6 und 10 Uhr), doch alle auf den Nachmittag oder Abend. Um so auffallender ist es, daß in den 5 Jahren sehr genauer Beobachtungen von Greenwich ein Jahr (1845) die Epochen der Maxima und Minima entgegengesetzt eintraten. Das Jahresmittel der Neigung war um 21u: 68° 56',8 und um 3u: 68° 58',1.
Wenn man die der geographischen Lage nach diesseits und jenseits des Aequators sich entsprechenden Stationen Toronto und Hobarton vergleicht, so bemerkt man für Hobarton große Verschiedenheit in der Wendestunde des Haupt-Min. der Inclination (4 Uhr Nachmittags und 6 Uhr Morgens), aber keinesweges in der Wendestunde des Haupt-Max. (22u und 23u½). Auch die Stunde (18u) des Haupt-Min. von Hobarton findet sich wieder in der Stunde des secundären Min. von Toronto. Die Maxima bleiben an beiden Orten an dieselben Stunden (22u–23u½ und 10u) in Haupt- und secundären Max. gebunden. Die vier Wendestunden der Inclination finden sich demnach fast genau wieder (4 oder 5, 10, 18 und 22 oder 23½) in Toronto wie in Hobarton, nur in anderer Bedeutung. Diese complicirte Wirkung innerer tellurischer Kräfte ist sehr beachtenswerth. Vergleicht man dagegen Hobarton und Toronto in Hinsicht auf die Folge der Wendestunden der Intensitäts- und Inclinations-Veränderungen, so ergiebt sich: daß am ersteren Orte, in der südlichen Hemisphäre, das Min. der Total-Intensität dem Haupt-Min. der Inclination nur um 2 Stunden nachfolgt, während die Verspätung im Max. 6 Stunden beträgt; daß aber in der nördlichen Hemisphäre, zu Toronto, das Min. der Intensität dem Haupt-Max. der 107 Inclination um 8 Stunden vorausgeht, während das Max. der Intensität nur um 2 Stunden von dem Min. der Inclination verschieden ist.Total-Intensität in Hobarton: max. 5"½, min. 20"½; in Toronto: Haupt-Max. 6", Haupt-Min. 14"; secund. Max. 20", secund. Min. 22". Vergl. Sabine, Toronto Vol. I. p. LXI und LXII mit Hobarton Vol. I. p. LXVIII.
Die Periodicität der Inclination am Vorgebirge der guten Hoffnung stimmt weder mit Hobarton, das in derselben Hemisphäre liegt, noch mit einem Punkte der nördlichen Hemisphäre überein. Das Minimum der Inclination tritt sogar zu einer Stunde ein, in welcher die Nadel in Hobarton fast das Maximum erreicht.
Zur Bestimmung der secularen Variation der Inclination gehört eine sich gleich bleibende Genauigkeit der Beobachtung in einer langen Zwischenzeit. Bis zu Cook's Weltumseglung ist z. B. nicht mit Gewißheit hinaufzusteigen, da, wenn gleich auf der dritten Reise die Pole immer umgekehrt wurden, zwischen dem großen Seefahrer und Bayley in der Südsee oft Unterschiede von 40 bis 54 Minuten bemerkt werden: was wahrscheinlich der damals so unvollkommenen Construction der Nadel und dem Mangel ihrer freien Bewegung zuzuschreiben ist. Für London geht man ungern über Sabine's Beobachtung vom August 1821 hinaus: die, verglichen mit der vortrefflichen Bestimmung von James Roß, Sabine und Fox im Mai 1838, eine jährliche Abnahme von 2',73 ergab: während Lloyd mit eben so genauen Instrumenten, aber in kürzerer Zwischenzeit sehr übereinstimmend 2',38 in Dublin gefunden hatte.Sabine, report on the isoclinal and isodynamic Lines in the British Islands 1839 p. 61–63. In Paris, wo ebenfalls die jährliche Verminderung der Inclination sich im Abnehmen befindet, ist die Verminderung größer als in London. Die von Coulomb angegebenen, sehr scharfsinnigen Methoden die Neigung zu bestimmen hatten dort freilich den Erfinder zu irrigen Resultaten geführt. Die erste Beobachtung, welche mit einem vollkommenen Instrumente von 108 le Noir auf dem Observatorium zu Paris angestellt wurde, ist von 1798. Ich fand damals nach mehrmaliger Wiederholung gemeinschaftlich mit dem Chevalier Borda 69° 51',0; im Jahr 1810 mit Arago 68° 50',2; im Jahr 1826 mit Mathieu 67° 56',7. Im Jahre 1841 fand Arago 67° 9',0; im Jahr 1851 fanden Laugier und Mauvais 66° 35': immer nach gleicher Methode und mit gleichen Instrumenten. Die ganze Periode, größer als ein halbes Jahrhundert (1798–1851), giebt eine mittlere jährliche Verminderung der Inclination zu Paris von 3',69. Die Zwischen-Epochen sind gewesen:
von | 1798–1810 | zu | 5',08 |
1810–1826 | 3,37 | ||
1826–1841 | 3,13 | ||
1841–1851 | 3,40. |
Die Abnahme hat sich zwischen 1810 und 1826 auffallend verlangsamt, doch nur allmälig: denn eine Beobachtung von Gay-Lussac, die er 1806 bei seiner Rückreise von Berlin, wohin er mich nach unserer italiänischen Reise begleitet hatte, mit vieler Genauigkeit anstellte (69° 12'), gab noch seit 1798 eine jährliche Verminderung von 4',87. Je näher der Knoten des magnetischen Aequators in seiner secularen Bewegung von O nach W dem Meridian von Paris kommt, desto mehr scheint sich die Abnahme zu verlangsamen: in einem halben Jahrhundert von 5',08 bis 3',40. Ich habe kurz vor meiner sibirischen Expedition (April 1829) in einer der Berliner Akademie vorgelegten AbhandlungHumboldt in Poggendorff's Annalen Bd. XV. S. 319–336, Bd. XIX. S. 357–391; und im Voyage aux Régions équinox. T. III. p. 616 und 625. vergleichend die Punkte zusammengestellt, an denen ich selbst: wie ich glauben darf, immer mit gleicher Sorgfalt, beobachtet habe. Sabine hat volle 25 Jahre nach mir Inclination und Intensität in der Havana gemessen, was für diese Tropengegend schon eine beträchtliche 109 Zwischenzeit darbietet, und die Variation von zwei wichtigen Elementen bestimmt. In einer ausgezeichneten, mehr umfassenden Arbeit als die meinige hat Hansteen (1831) die jährliche Variation der Neigung in beiden HemisphärenHansteen über jährliche Veränderung der Inklination in Poggend. Ann. Bd. XXI. S. 403–429. Vergl. auch über den Einfluß der Bewegung der Knoten des magnetischen Aequators Sir David Brewster, treatise on Magnetism p. 247. Da man durch die Fülle der Stations-Beobachtungen jetzt ein fast ungemessenes Feld der speciellsten Untersuchung besitzt, so bemerkt man neue und neue Complicationen bei dem Aufsuchen des Gesetzlichen. In auf einander folgenden Jahren sieht man z. B. die Neigung in Einer Wendestunde, der des Max., vom Abnehmen in ein Zunehmen übergehen: während in der Wendestunde des Min. sie im progressiven jährlichen Abnehmen blieb. In Greenwich z. B. nahm die magnetische Neigung in der Max. Stunde (21u) ab in den Jahren 1844 und 1845, sie nahm zu in derselben Stunde in 1845–1846, fuhr aber fort in der Wendestunde des Min. (3u) von 1844–1846 abzunehmen. (Airy, magn. observ. at Greenwich 1846 p. 113.) untersucht.
Während die Beobachtungen von Sir Eduard Belcher im Jahr 1838, mit den meinigen vom Jahr 1803 verglichen (s. oben S. 72), längs der Westküste von Amerika zwischen Lima, Guayaquil und Acapulco beträchtliche Veränderungen der Inclination andeuten (je länger die Zwischenzeit ist, desto größeren Werth haben die Resultate); ist an anderen Punkten der Südsee die seculare Veränderung der Neigung von der auffallendsten Langsamkeit gewesen. In Otaheiti fand 1773 Bayley 29° 43', Fitzroy 1835 noch 30° 14', Cap. Belcher 1840 wieder 30° 17'; also war in 67 Jahren die mittlere jährliche VeränderungPhilos. Transact. for 1841 P. I. p. 35. kaum 0',51. Auch im nördlichen Asien hat ein sehr sorgfältiger Beobachter, Herr Sawelieff, (22 Jahre nach meinem Aufenthalte in jenen Gegenden) auf einer Reise, die er von Casan nach den Ufern des caspischen Meeres machte, die Inclination, nördlich und südlich vom Parallel von 50°, sehr ungleich verändert gefundenVergl. Sawelieff im Bulletin physico-mathématique de l'Acad. Imp. de St. Pétersb. T. X. No. 219 mit Humboldt, Asie centr. T. III. p. 440.:
Humboldt 1829 |
Sawelieff 1851 |
|||||
Casan | . . | 68° | 26',7 | . . . | 68° | 30',8 |
Saratow | . . | 64 | 40,9 | . . . | 64 | 48,7 |
Sarepta | . . | 62 | 15,9 | . . . | 62 | 39,6 |
Astrachan | . . | 59 | 58,3 | . . . | 60 | 27,9 |
Für das Vorgebirge der guten Hoffnung besitzt man jetzt eine lange und, wenn man nicht weiter als von Sir James Roß und du Petit Thouars (1840) bis Vancouver (1791) 110 aufsteigt, eine sehr befriedigende, fast 50jährige Reihe von Inclinations-Beobachtungen.Arago in dem Annuaire du Bureau des Longitudes pour 1825 p. 285–288.
Die Lösung der Frage, ob die Erhöhung des Bodens als solche einen mit Sicherheit bemerkbaren Einfluß auf magnetische Neigung und IntensitätSabine, magn. observ. at the Cape of Good Hope Vol. I. p. LXV. Darf man den Beobachtungen aus dem Jahre 1751 von La Caille trauen: der zwar jedesmal die Pole umkehrte, aber eine nicht frei genug sich bewegende Nadel hatte; so ergiebt sich für das Cap eine Vermehrung der Inclination von 3°,08 in 89 Jahren! ausübt? ist während meiner Gebirgsreisen in der Andeskette, im Ural und Altai für mich ein Gegenstand sorgfältiger Prüfung gewesen. Ich habe schon in dem Abschnitt von der Intensität bemerkt, wie leider nur so wenige Localitäten über diese Frage einige Gewißheit verbreiten können: weil die Entfernung der zu vergleichenden Punkte von einander gering genug sein muß, um den Verdacht zu entfernen, der gefundene Unterschied der Inclination sei nicht Folge der Boden-Erhebung, sondern Folge der Krümmung in den isodynamischen und isoklinischen Curven, oder einer großen Heterogeneität der Gebirgsart. Ich werde mich auf die Angabe von 4 Hauptresultaten beschränken: von denen ich bereits an Ort und Stelle glaubte, daß sie mit mehr Entschiedenheit, als die Intensitäts-Beobachtungen darbieten, den vermindernden Einfluß der Höhe des Standorts auf die Neigung der Nadel kenntlich machen:
Die Silla de Caracas, welche sich über die Meeresküste von la Guayra 8100 Fuß fast senkrecht erhebt, in großer Nähe südlich von der Küste, nördlich von der Stadt Caracas: Incl. 41°,90; la Guayra: Höhe 10 F., Incl. 42°,20; Stadt Caracas: Höhe am Ufer des Rio Guayre 2484 F., Incl. 42°,95. (Humboldt, Voy. aux Rég. équinox. T. I. p. 612.)
Santa Fé de Bogota: Höhe 8196 F., Incl. 27°,15; Capelle de Nuestra Señora de Guadalupe, über der Stadt an einer Felswand hangend: Höhe 10128 F., Incl. 26°,80.
Popayan: Höhe 5466 F., Incl. 23°,25; Gebirgsdorf Puracé am Abhange des Vulkans: Höhe 8136 F., Incl.21°,80; Gipfel des Vulkans von Puracé: Höhe 13650 F., Incl. 20°,30.
111 Quito: Höhe 8952 F., Incl. 14°,85; San Antonio de Lulumbamba, wo der geographische Aequator das heiße Thal durchschneidet: Höhe des Thalbodens 7650 F., Incl. 16°,02. – Alle vorgenannte Inclinationen sind in Centesimal-Graden angegeben.
Ich möchte aus meinen Beobachtungen nicht auch das Gotthard-Hospiz (6650 F.): Incl. 66° 12'; verglichen mit Airolo (3502 F.): Incl. 66° 54', und Altorf: Incl. 66° 55', anführen; nicht die scheinbar widersprechenden: Lans le Bourg Incl. 66°,9, das Hospiz des Mont Cenis (6358 F.) Incl. 66° 22' und Turin (707 F.) Incl. 66° 3'; oder Neapel, Portici und den Kraterrand des Vesuvs; oder in Böhmen den Gipfel des Großen Milischauer (Phonolith!) Incl. 67° 53' 5", Tepliz Incl. 67° 19',5 und Prag Incl. 66° 47',6: wegen der Größe der relativen Entfernungen und des Einflusses der nahen Gebirgsarten.Ich wiederhole noch, daß alle europäischen Inclinations-Beobachtungen, welche auf dieser Seite angeführt werden, in 360theiliger Eintheilung des Kreises sind, und daß nur die von mir vor dem Monat Juni 1804 beobachteten Inclinationen im Neuen Continent (Voy. aux Régions équinox. T. III. p. 615–623) sich auf eine Centesimal-Eintheilung des Bogens beziehen. Gleichzeitig mit der Reihe vortrefflicher und im größten Detail publicirter Beobachtungen der horizontalen Intensität, welche 1844 Bravais in Begleitung von Martins und Lepileur vergleichend auf 35 Stationen: unter denen die Gipfel des Montblanc (14809 F.), des Großen Bernhards (7848 F.) und des Faulhorns (8175 F.) waren, angestellt hat; machten dieselben Physiker auch auf dem Grand Plateau des Montblanc (12097 F.) und in Chamonix (3201 F.) Inclinations-Versuche. Wenn die Vergleichung dieser Resultate einen vermindernden Einfluß der Erhebung des Bodens auf die magnetische Neigung anzeigte, so gaben Beobachtungen vom Faulhorn und von Brienz (1754 F.) dagegen eine mit der Höhe zunehmende Inclination. Beide Classen der Untersuchung, für horizontale Intensität und Inclination, führten zu keiner befriedigenden Lösung der Probleme. (Bravais sur l'intensité du Magnétisme terrestre en France, en 112 Suisse et en Savoie in den Annales de Chimie et de Physique 3ème Série T. 18. 1846 p. 225.) In einem Manuscript von Borda über seine Expedition nach den canarischen Inseln im Jahr 1776, welches in Paris im Dépôt de la Marine aufbewahrt wird und dessen Mittheilung ich dem Admiral Rosily verdankte, habe ich den Beweis aufgefunden, daß Borda den ersten Versuch gemacht hat, den Einfluß einer großen Höhe auf die Inclination zu untersuchen. Er hat auf dem Gipfel des Pics von Teneriffa die Inclination um 1° 15' größer als im Hafen von Santa Cruz gefunden: gewiß eine Folge localer Attractionen der Laven, wie ich sie so oft am Vesuv und an amerikanischen Vulkanen beobachtet habe. (Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales T. I. p. 116, 277 und 288.)
Um zu prüfen: ob wohl, wie die Höhen, so auch die tiefen, inneren Räume des Erdkörpers auf die Inclination wirken? habe ich bei einem Aufenthalte in Freiberg im Juli 1828 mit aller Sorgfalt, deren ich fähig bin, und mit jedesmaliger Umkehrung der Pole einen Versuch in einem Bergwerke angestellt, in welchem nach genauer Prüfung das Gestein, der Gneiß, keine Wirkung auf die Magnetnadel äußerte. Die Saigerteufe unter der Oberfläche war 802 Fuß, und der Unterschied zwischen der unterirdischen Inclination und der an einem Punkte, welcher genau »am Tage« darüber lag, freilich nur 2',06; aber bei der Umsicht, mit der ich verfuhr, lassen mich die in der NoteGrube Churprinz bei Freiberg im sächsischen Erzgebirge: der unterirdische Punkt war auf der 7ten Gezeugstrecke, auf dem Ludwiger Spathgange: 80 Lachter östlich vom Treibschachte, 40 Lachter westlich vom Kunstschachte, in 133½ Lachter Seigerteufe; beobachtet mit Freiesleben und Reich um 2½ Uhr Nachmittags (Temper. der Grube 15°,6 Cent.). Incl. Nadel A 67° 37',4; Nadel B 67° 32',7; Mittel beider Nadeln in der Grube 67° 35',05. In freier Luft (über Tage), auf einem Punkte der Oberfläche, welcher nach dem Markscheider-Risse genau senkrecht über dem Punkte der unterirdischen Beobachtung liegt, um 11 Uhr Vormittags: Nadel A 67° 33',87; Nadel B 67° 32',12; Mittel beider Nadeln in der oberen Station 67° 32',99 (Luft-Temperatur 15°,8 Cent.). Unterschied des oberen und unteren Resultats +2',06. Die Nadel A, welche als stärkere mir immer am meisten Vertrauen einflößte, gab sogar +3',53: wenn der Einfluß der Tiefe bei alleinigem Gebrauch der Nadel B fast unmerklich geblieben wäre. (Humboldt, in Poggend. Ann. Bd. XV. S. 326.) Die gleichförmige Methode, die ich stets angewandt: im Ablesen am Azimuthal-Kreise, um den magnetischen Meridian durch correspondirende Inclinationen oder durch den perpendicularen Stand der Nadel zu finden; wie die Neigung selbst am Vertical-Kreise, durch Umdrehung der Nadel in den Pfannen, und durch Ablesen an beiden Spitzen vor und nach dem Umdrehen der Pole: habe ich weitläuftig beschrieben und durch Beispiele erläutert in der Asie centrale T. III. p. 465–467. Der Stand der 2 Nadeln ist für jede derselben 16mal abgelesen worden, um ein mittleres Resultat zu gewinnen. Wo von Wahrscheinlichkeit in Bestimmung so kleiner Größen die Rede ist, muß man in das Einzelnste der Beobachtung eingehen. angeführten Resultate jeder einzelnen Nadel doch glauben, daß in der Grube (dem Churprinz) die Inclination größer ist als auf der Oberfläche des Gebirges. Möchte sich doch Gelegenheit finden: da, wo man die Ueberzeugung erhalten kann, daß das Queergestein örtlich unwirksam 113 ist, meinen Versuch mit Sorgfalt in Bergwerken zu wiederholen, welche: wie die Valenciana bei Guanaxuato (Mexico) 1582 F., wie englische Kohlengruben über 1800 F., und der jetzt verschüttete EselsschachtKosmos Bd. I. S. 417 [Anm. 124]. bei Kuttenberg in Böhmen 3545 F. senkrechte Tiefe haben.
Nach einem starken Erdbeben in Cumana am 4 November 1799 fand ich die Inclination um 90 Centesimal-Minuten (fast einen vollen Grad) verringert. Die Umstände, unter denen ich dieses Resultat erhielt und die ich an einem anderen OrteHumboldt, Voy. aux Régions équinox. du Nouveau Continent T. I. p. 515–517. genau entwickelt habe, bieten keinen befriedigenden Grund zu der Annahme eines Irrthums dar. Kurz nach meiner Landung in Cumana hatte ich die Inclination 43°,53 (Centes.) gefunden. Der Zufall, wenige Tage vor dem Erdbeben in einem sonst schätzbaren spanischen Werke, Mendoza's Tratado de Navegacion T. II. p. 72, die irrige Meinung ausgesprochen zu finden, daß die stündlichen und monatlichen Veränderungen der Inclination stärker als die der Abweichung wären: hatte mich veranlaßt eine lange Reihe sorgfältiger Beobachtungen im Hafen von Cumana anzustellen. Die Inclination fand sich am 1–2 Nov. in großer Stetigkeit im Mittel 43°,65. Das Instrument blieb unberührt und gehörig nivellirt an demselben Orte stehen. Am 7 Nov., also 3 Tage nach den starken Erdstößen, nachdem das Instrument von neuem nivellirt war, gab es 42°,75. Die Intensität der Kraft, durch senkrechte Schwingungen gemessen, war nicht verändert. Ich hoffte, daß die Inclination vielleicht allmälig wieder zu ihrem vorigen Stande zurückkehren würde; sie blieb aber dieselbe. Im Sept. 1800, nach einer Fluß- und Landreise am Orinoco und Rio Negro von mehr als 500 geographischen Meilen, gab dasselbe Instrument von Borda, welches mich überall begleitet 114 hatte, 42°,80: also dieselbe Neigung als vor der Reise. Da mechanische Erschütterungen und electrische Schläge in weichem Eisen durch Veränderung des Molecular-Zustandes Pole erregen, so könnte man einen Zusammenhang ahnden zwischen den Einflüssen der Richtung magnetischer Strömungen und der Richtung der Erdstöße; aber: sehr aufmerksam auf eine Erscheinung, an deren objectiver Wirklichkeit ich 1799 keinen Grund hatte zu zweifeln, habe ich dennoch bei der übergroßen Zahl von Erdstößen, die ich später in Südamerika drei Jahre lang empfunden, nie wieder eine plötzliche Veränderung der Inclination wahrgenommen, welche ich diesen Erdstößen hätte zuschreiben können: so verschieden auch die Richtungen waren, nach denen die Wellenbewegung der Erdschichten sich fortpflanzte. Ein sehr genauer und erfahrener Beobachter, Erman, fand nach einem Erdbeben am Baikal-See (8 März 1828) ebenfalls keine Störung in der Abweichung und dem Gange ihrer periodischen Variation.Erman, Reise um die Erde Bd. II. S. 180.
Declination.
Die geschichtlichen Thatsachen des allerfrühesten Erkennens von Erscheinungen, welche sich auf das dritte Element des tellurischen Magnetismus, auf die Declination, beziehen, sind bereits oben berührt worden. Die Chinesen kannten im 12ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung nicht bloß die Abweichung einer, an einem Baumwollenfaden hangenden, horizontalen Magnetnadel vom geographischen Meridian: sie wußten auch die Quantität dieser Abweichung zu bestimmen. Seitdem durch den Verkehr der Chinesen mit den Malayen und Indern, und dieser mit den Arabern und maurischen Piloten der Gebrauch des Seecompasses unter den Genuesern, 115 Majorcanern und Catalanen in dem Becken des Mittelmeeres, an der Westküste von Afrika und im hohen Norden gemein geworden war; erschienen schon 1436 auf Seekarten Angaben der Variation für verschiedene Theile der MeereKosmos Bd. IV. S. 51. Petrus Peregrini meldet einem Freunde, daß er schon 1269 die Variation in Italien 5° östlich gefunden habe. Die geographische Lage einer Linie ohne Abweichung, auf der die Nadel nach dem wahren Norden, nach dem Rotations-Pole, gerichtet war, bestimmte Columbus am 13 September 1492; ja es entging ihm nicht, daß die Kenntniß der Declination zur Bestimmung der geographischen Länge dienen könne. Ich habe an einem anderen Orte aus dem Schiffsjournal des Admirals erwiesen, wie derselbe auf der zweiten Reise (April 1496), als er seiner Schiffsrechnung ungewiß war, sich durch Declinations-Beobachtungen zu orientiren suchte.Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. III. p. 29, 36, 38 und 44–51. Wenn Herrera (Dec. I. p. 23) sagt, Columbus habe bemerkt, die Magnet-Variation sei nicht dieselbe bei Tag und bei Nacht; so berechtigt diese Behauptung gar nicht, dem großen Entdecker eine Kenntniß der stündlichen Veränderung zuzuschreiben. Das von Navarrete herausgegebene ächte Reisejournal des Admirals vom 17 und 30 September 1492 lehrt, daß Columbus selbst alles auf eine sogenannte »ungleiche Bewegung« des Polarsternes und der Wächter (Guardas) reducirte. (Examen crit. a. a. O. o, 56–59.) Die stündlichen Veränderungen der Abweichungen wurden bloß als sichere Thatsache von Hellibrand und Pater Tachard zu Louvo in Siam, umständlich und fast befriedigend von Graham 1722 beobachtet. Celsius benutzte sie zuerst zu verabredeten, gemeinschaftlichen Messungen an zwei weit von einander entfernten Punkten.Kosmos Bd. IV. S. 60 Anm. 1763 und S. 70 Anm. 1769. Die ältesten gedruckten Londoner Beobachtungen sind die von Graham in den Philos. Transact. for 1724, 1725, Vol. XXXIII. p. 96–107 (an Account of Observations made of the Horizontal Needle at London, 1722–1723; by Mr. George Graham). Die Veränderung der Declination gründet sich: »neither upon heat, nor cold, dry or moist air. The Variation is greatest between 12 and 4 in the afternoon, and the least at 6 or 7 in the evening.« Es sind freilich nicht die wahren Wendestunden.
Zu den Erscheinungen selbst übergehend, welche die Abweichung der Magnetnadel darbietet, wollen wir dieselbe betrachten: zuerst in ihren Veränderungen nach Tages- und Nachtstunden, Jahreszeiten und mittleren Jahresständen; dann nach dem Einfluß, welchen die außerordentlichen und doch periodischen Störungen, und die Ortslagen nördlich oder südlich vom magnetischen Aequator auf jene Veränderungen ausüben; endlich nach den linearen Beziehungen, in denen zu einander die Erdpunkte stehen, welche eine gleiche oder gar keine Abweichung zeigen. Diese linearen Beziehungen sind allerdings in unmittelbarer praktischer Anwendung der gewonnenen 116 Resultate für die Schiffsrechnung und das gesammte Seewesen am wichtigsten; aber alle kosmischen Erscheinungen des Magnetismus, unter denen die außerordentlichen, in so weiter Ferne oft gleichzeitig wirkenden Störungen (die magnetischen Ungewitter) zu den geheimnißvollsten gehören, hangen so innig mit einander zusammen, daß, um allmälig die mathematische Theorie des Erd-Magnetismus zu vervollständigen, keine derselben vernachlässigt werden darf.
Auf der ganzen nördlichen magnetischen Halbkugel in den mittleren Breiten, die Theilung des Erdsphäroids durch den magnetischen Aequator gedacht, steht das Nord-Ende der Magnetnadel: d. h. das Ende, welches gegen den Nordpol hinweist, da wo die Abweichung westlich ist, um 8u¼ Morgens (20u¼) diesem Pole in der Richtung am nächsten. Die Nadel bewegt sich von 8u¼ Morgens bis 1u¾ Nachmittags von Osten nach Westen, um dort ihren westlichsten Stand zu erreichen. Diese Bewegung nach Westen ist allgemein, sie tritt in derselben Richtung ein an allen Orten der nördlichen Halbkugel, sie mögen westliche Abweichung haben: wie das ganze Europa, Peking, Nertschinsk und Toronto in Canada; oder östliche Abweichung: wie Casan, Sitka (im russischen Amerika), Washington, Marmato (Neu-Granada) und Payta an der peruanischen Küste.Beweise geben zahlreiche Beobachtungen von Georg Fuß und Kowanko für das griechische Kloster-Observatorium in Peking, von Anikin für Nertschinsk, von Buchanan Riddell für Toronto in Canada (alle an Orten westlicher Abweichung); von Kupffer und Simonoff in Casan; von Wrangel, trotz der vielen Nordlicht-Störungen, für Sitka (Nordwest-Küste von Amerika); von Gilliß in Washington, von Boussingault für Marmato (Südamerika), von Duperrey für Payta an der peruanischen Südsee-Küste (alle an Orten östlicher Abweichung). Ich erinnere, daß die mittlere Declination war: in Peking (Dec. 1831) 2° 15' 42" westlich (Poggend. Annalen Bd. XXXIV. S. 54), in Nertschinsk (Sept. 1832) 4° 7' 44" westlich (Poggend. a. a. O. S. 61), in Toronto (Nov. 1847) 1° 33' westlich (vergl. observ. at the magnetical and meteorological Observatory at Toronto Vol. I. p. XI und Sabine in den Phil. Tr. for 1851 P. II. p. 636); in Casan (Aug. 1828) 2° 21' östlich (Kupffer, Simonoff und Erman, Reise um die Erde Bd. II. S. 532), Sitka (Nov. 1829) 28° 16' östlich (Erman a. a. O. S. 547), Marmato (Aug. 1828) 6° 33' östlich (Humboldt in Poggend. Ann. Bd. XV. S. 331), Payta (Aug. 1823) 8° 56' östlich (Duperrey in der Connaissance des tems pour 1828 p. 252). In Tiflis ist der westliche Gang von 19u bis 2u (Parrot, Reise zum Ararat 1834 Th. II. S. 58). Von dem eben bezeichneten westlichsten Stande um 1u¾ bewegt sich die Magnetnadel den Nachmittag und einen Theil der Nacht bis 12 oder 13 Uhr wieder zurück nach Osten, indem sie oft einen kleinen Stillstand gegen 6u macht. In der Nacht ist wieder eine kleine Bewegung gegen Westen: bis das Minimum, d. h. der östliche Stand von 20u¼, erreicht wird. Diese nächtliche Periode, welche ehemals ganz übersehen wurde (da ein 117 allmäliger und ununterbrochener Rückgang gegen Osten von 1u¾ bis zur Morgenstunde von 20u¼ behauptet wurde), hat mich schon zu Rom bei einer Arbeit mit Gay-Lussac über die stündlichen Veränderungen der Abweichung mittelst des Prouy'schen magnetischen Fernrohrs lebhaft beschäftigt. Da die Nadel überhaupt unruhiger ist, so lange die Sonne unter dem Horizont steht, so ist die kleine nächtliche Bewegung gegen Westen seltener und minder deutlich hervortretend. Wenn sie deutlich erscheint, so habe ich sie von keiner unruhigen Schwankung der Nadel begleitet gesehen. Gänzlich verschieden von dem, was ich Ungewitter genannt habe, geht in der kleinen westlichen Periode die Nadel ruhig von Theilstrich zu Theilstrich: ganz wie in der so sicheren Tages-Periode von 20u¼ bis 1u¾. Recht bemerkenswerth ist, daß, wenn die Nadel ihre continuirliche westliche Bewegung in eine östliche oder umgekehrt verwandelt, sie nicht eine Zeit lang unverändert stehen bleibt, sondern (vorzüglich bei Tage um 20u¼ und 1u¾) sich gleichsam plötzlich umwendet. Gewöhnlich findet die kleine Bewegung gegen Westen erst zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen statt. Dagegen ist sie auch in Berlin und in den Freiberger unterirdischen Beobachtungen, wie in Greenwich, Makerstoun in Schottland, Washington und Toronto schon nach 10 oder 11 Uhr Abends bemerkt worden.
Die vier Bewegungen der Nadel, die ich 1805 erkannt habeS. Auszüge aus einem Briefe von mir an Karsten (Rom, 22 Juni 1805) »über vier Bewegungen der Magnetnadel, gleichsam vier magnetische Ebben und Fluthen, analog den Barometer-Perioden«; abgedruckt in Hansteen, Magnetismus der Erde 1819 S. 459. Ueber die, so lange vernachlässigten, nächtlichen Declinations-Variationen vergl. Faraday on the night Episode § 3012–3024., sind in der schönen Sammlung der Beobachtungen von Greenwich in den Jahren 1845, 1846 und 1847 als Resultate vieler tausend stündlicher Beobachtungen in folgenden 4 WendepnnktenAiry, magnet. and meteor. observations made at Greenwich 1845 (results) p. 6, 1846 p. 94, 1847 p. 236. Wie sehr die frühesten Angaben der Wendestunden bei Tage und bei Nacht mit denen übereinstimmen, welche vier Jahre später in den so reichlich ausgestatteten Magnethäusern von Greenwich und Canada ermittelt wurden, erhellt aus der Untersuchung von correspondirenden Breslauer und Berliner Beobachtungen meines vieljährigen Freundes Encke, des verdienstvollen Directors unserer Berliner Sternwarte. Er schrieb am 11 Oct. 1836: »In Bezug auf das nächtliche Maximum oder die Inflexion der stündlichen Abweichungs-Curve glaube ich nicht, daß im allgemeinen ein Zweifel obwalten kann: wie es auch Dove aus Freiberger Beobachtungen 1830 (Poggend. Ann. Bd. XIX. S. 373) geschlossen hat. Graphische Darstellungen sind zur richtigen Uebersicht des Phänomens weit vortheilhafter als die Zahlentabellen. Bei den ersten fallen große Unregelmäßigkeiten sogleich in das Auge und gestatten die Ziehung einer Mittellinie: während daß bei den letzteren das Auge häufig sich täuscht, und eine einzelne sehr auffallende Unregelmäßigkeit als ein wirkliches Maximum oder Minimum nehmen kann. Die Perioden zeigen sich durch folgende Wendestunden bestimmt:
Das zweite kleine Minimum (die nächtliche Elongation gegen Westen) fällt eigentlich zwischen 15 und 17 Uhr: bald der einen, bald der anderen Stunde näher.« Es ist kaum nöthig zu erinnern, daß, was Encke und ich die Minima gegen Osten, ein großes und ein kleines 16u nennen: in den, 1840 gegründeten, englischen und amerikanischen Stationen als Maxima gegen Westen aufgeführt wird, und daß demnach auch unsere Maxima gegen Osten (20u und 10u) sich in Minima gegen Westen umwandeln. Um also den stündlichen Gang der Nadel in seiner Allgemeinheit und großen Analogie in der nördlichen Halbkugel darzustellen, wähle ich die von Sabine befolgten Benennungen, die Reihung von der Epoche größter Elongation gegen Westen anfangend, in der mittleren Zeit jedes Orts: In den einzelnen Jahreszeiten hat Greenwich einige merkwürdige Verschiedenheiten gezeigt. Im Jahr 1847 war im Winter nur Ein Max. (2u) und Ein Min. (12u); im Sommer eine doppelte Progression, aber das zweite Min. um 14u statt um 16u (p. 236). Die größte westliche Elongation (erstes Max.) blieb im Winter wie im Sommer an 2u geheftet, aber die kleinste (das zweite Min.) war 1846 (p. 94) im Sommer wie gewöhnlich um 20u und im Winter um 12u. Die mittlere winterliche Zunahme gegen Westen ging ohne Unterbrechung in dem genannten Jahre von Mitternacht bis 2u fort. Vergl. auch 1845 (p. 5). Makerstoun (Roxburgshire in Schottland) ist die Sternwarte, welche man dem edlen wissenschaftlichen Eifer von Sir Thomas Brisbane verdankt (s. John Allan Broun, observ. in magnetism and meteorology, made at Makerstoun in 1843, p. 221–227). Ueber stündliche Tages- und Nacht-Beobachtungen von Petersburg s. Kupffer, Compte rendu météor. et magn. à Mr. de Brocken 1851 p. 17. Sabine: in seiner schönen, sehr scharfsinnig combinirten, graphischen Darstellung der stündlichen Declinations-Curve von Toronto (Phil. Tr. for 1851 P. II. Plate 27), deutet an: wie vor der kleinen nächtlichen West-Bewegung, welche um 11u beginnt und bis 15u dauert, eine sonderbare zweistündige Ruhe (von 9 bis 11 Uhr) eintritt. »We find«, sagt Sabine, »alternate progression and retrogression at Toronto twice in the 24 hours. In 2 of the 8 quarters (1841 and 1842) the inferior degree of regularity during the night occasions the occurence of a triple max. and min.; in the remaining quarters the turning hours are the same as those of the mean of the 2 years. (Obs. made at the magn. and meteor. Observatory at Toronto in Canada Vol. I p. XIV, XXIV, 183–191 und 228; und unusual magn. Disturbances P. I. p. VI.) Für die sehr vollständigen Beobachtungen von Washington s. Gilliß, magn. and meteor. observations made at Washington p. 325 (general law). Vergl. damit Bache, observ. at the magn. and meteor. Observatory, at the Girard College, Philadelphia, made in the years 1840 to 1845 (3 Bände, enthaltend 3212 Seiten Queerfolio): Vol. I. p. 709, Vol. II. p. 1285, Vol. III. p. 2167 und 2702. Trotz der Nähe beider Orte (Philadelphia ist nur 1° 4' nördlicher und 0u 7' 33" östlicher als Washington) finde ich Verschiedenheit in den kleinen Perioden des westlichen secundären Maximums und secundären Minimums. Ersteres ist in Philadelphia um 1u½, letzteres um 2u¼ verfrühet.
größte östliche Declination
20 Uhr,
I.
Max.
Ost
größte westliche Declination
1 Uhr,
I.
Min.
Ost
zweites östliches kleines Maximum
10 Uhr,
II.
Max.
Ost
zweites westliches kleines Minimum
16 Uhr,
II.
Min.
Ost
Freiberg
1829Breslau
1836Greenwich
1846–47Mekerstoun
1842–43Toronto
1845–47Washington
1840–42
Maximum
1u
1u
2u
0u 40'
1u
2u
Minimum
13
10
12
10
10
10
Maximum
16
16
16
14¼
14
14
Minimum
20
20
20
19¼
20
20
In den hohen nördlichen Breiten nahe dem Polarkreise, und zwischen diesem und dem Rotations-Pole ist die Regelmäßigkeit der stündlichen Declination noch wenig erkannt worden, ob es gleich nicht an einer Zahl sehr genauer Beobachtungen mangelt. Die locale Einwirkung der Gebirgsarten, und die Frequenz in der Nähe oder in der Ferne störender Polarlichter machen Herrn Lottin in der französischen wissenschaftlichen Expedition der Lilloise (1836) fast schüchtern, aus seiner eigenen großen und mühevollen Arbeit, wie aus der älteren (1786) des verdienstvollen Löwenörn bestimmte Resultate über die Wendestunden zu ziehen. Im ganzen war zu Reikjavik (Island, Br. 64° 8'), wie zu Godthaab an der grönländischen Küste, nach Beobachtungen des Missionars Genge, das Minimum der westlichen Abweichung fast wie in mittleren Breiten um 21u oder 22u; aber das Maximum schien erst auf 9 bis 10 Uhr Abends zu fallen.Voyage en Islande et au Groënland, exécuté en 1835 et 1836 sur la Corv. la Recherche; Physique (1838) p. 214–225 und 358–367. Nördlicher, in Hammerfest (Finmarken, Br. 70° 40'), fand Sabine den Gang der Nadel ziemlich regelmäßigSabine, account of the Pendulum Experiments 1825 p. 500. wie im südlichen Norwegen und Deutschland: westliches Minimum 21u, westliches Maximum 1u½; desto verschiedener fand er ihn auf Spitzbergen 119 (Br. 79° 50'), wo die eben genannten Wendestunden 18u und 7u½ waren. Für die arctische Polar-Inselwelt, in Port Bowen an der östlichen Küste von Prince Regent's inlet (Br. 73° 14'), haben wir aus der dritten Reise von Cap. Parry (1825) eine schöne Reihe fünfmonatlicher zusammenhangender Beobachtungen von Lieut. Foster und James Roß: aber wenn auch die Nadel innerhalb 24 Stunden zweimal durch den Meridian ging, den man für den mittleren magnetischen des Orts hielt, und in vollen zwei Monaten, April und Mai, gar kein Nordlicht sichtbar war; so schwankten doch die Zeiten der Haupt-Elongationen um 4 bis 6 Stunden: ja vom Januar bis Mai waren im Mittel die Maxima und Minima der westlichen Abweichung nur um eine Stunde verschieden. Die Quantität der Declination stieg an einzelnen Tagen von 1°½ bis 6 und 7 Grad, während sie unter den Wendekreisen kaum so viele Minuten erreicht.S. Barlow's Bericht über die Beobachtungen von Port Bowen im Edinburgh New Philosophical Journal Vol. II. 1827 p. 347. Wie jenseits des Polarkreises, so ist auch dem Aequator genähert schon in Hindostan, z. B. in Bombay (Br. 18° 56'), eine große Complication in den stündlichen Perioden der magnetischen Abweichung. Es zerfallen dieselben dort in zwei Hauptclassen, welche, vom April bis October und vom October bis December, sehr verschieden sind; ja wieder jede in zwei Subperioden zerfallen, die noch sehr der Bestimmtheit ermangeln.Prof. Orlebar in Oxford, einst Superintendent des auf Kosten der ostindischen Compagnie auf der Insel Colaba erbauten magnetischen Observatoriums, hat die verwickelten Gesetze der Declinations-Veränderung in den Subperioden zu erörtern gesucht; observations made at the magn. and meteor. Observatory at Bombay in 1845, results p. 2–7. Merkwürdig scheint mir der mit dem des mittleren Europa's so übereinstimmende Gang der Nadel in der ersten Periode von April bis October (westl. Min. 19u½, Max. 0u½; Min. 5u½, Max. 7u). Der Monat October selbst ist eine Uebergangs-Periode; denn im November und December erreicht die Quantität der täglichen Declination kaum 2 Minuten. Trotz der noch 8° betragenden Entfernung vom magnetischen Aequator, ist doch schon die Regelmäßigkeit von Wendestunden schwer zu erkennen. Ueberall in der Natur, wo verschiedenartige Störungs-Ursachen in wiederkehrenden, aber uns der Dauer nach unerkannten Perioden auf ein Phänomen der Bewegung wirken: bleibt, da die Störungen oft in ihrer Anhäufung entgegengesetzt agiren oder sich ungleich verstärken, das Gesetzliche lange verdeckt.
Von der Richtung der Magnetnadel in der südlichen Halbkugel konnte den Europäern durch eigene Erfahrung erst seit der zweiten Hälfte des 15ten Jahrhunderts, durch die kühnen Seefahrten von Diego Cam mit Martin Behaim, von Bartholomäus Diaz und Vasco de Gama, eine schwache Kunde zukommen: aber die Wichtigkeit, welche die Chinesen, die schon seit dem dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, wie 120 die Einwohner von Korea und der japanischen Inseln, auch zur See durch den Compaß geleitet wurden, nach den Berichten ihrer frühesten Schriftsteller auf den Südpol legen; war wohl hauptsächlich auf den Umstand gegründet, daß ihre Schifffahrt sich gegen Süden und Südwesten richtete. Auf diesen südlichen Fahrten war ihnen die Bemerkung nicht entgangen, daß die Spitze der Magnetnadel, nach deren Weisung sie steuerten, nicht genau nach dem Südpol gerichtet war. Wir kennen sogar der QuantitätS. die Beweise in meinem Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. III. p. 34–37. Die älteste Angabe der Abweichung, von Kentsungchy, einem Schriftsteller aus dem Anfang des 12ten Jahrhunderts, war Ost 5/6 Süd; Klaproth's Lettre sur l'invention de la Boussole p. 68. nach eine ihrer Bestimmungen der Variation gegen Südost aus dem 12ten Jahrhundert. Die Anwendung und weitere Verbreitung solcher nautischen Hülfsmittel hat die sehr alte Verbindung von ChinaUeber den alten Verkehr der Chinesen mit Java nach Berichten von Fahian im Fo-kue-ki s. Wilhelm von Humboldt über die Kawi-Sprache Bd. I. S. 16. und Indien mit Java, und in noch größerem Maaßstabe die Schifffahrt und Ansiedlung malayischer Stämme auf Madagascar begünstigt.
Wenn es auch, nach der jetzigen sehr nördlichen Lage des magnetischen Aequators zu urtheilen, wahrscheinlich ist, daß die Stadt Louvo in Siam, als der Missionar Guy Tachard daselbst 1682 die stündlichen Veränderungen der Abweichung zuerst bemerkte, dem Ausgang der nördlichen magnetischen Halbkugel sehr genähert war; so muß man doch erkennen, daß genaue stündliche Declinations-Beobachtungen in der südlichen magnetischen Halbkugel erst ein volles Jahrhundert später angestellt wurden. John Macdonald verfolgte den Gang der Nadel in den Jahren 1794 und 1795 im Fort Marlborough auf der südwestlichen Küste von Sumatra wie auf St. Helena.Phil. Tr. for 1795 p. 340–349, for 1798 p. 397. Das Resultat, welches Macdonald aus seinen Beobachtungen in Fort Marlborough (gelegen über der Stadt Bencoolen, Br. 3° 47' Süd, in Sumatra) selbst zieht, und nach welchem die östliche Elongation von 19u bis 5u im Zunehmen begriffen sein soll, scheint mir nicht ganz gerechtfertigt. Seit der Mittagsstunde ist regelmäßig erst um 3, um 4 oder 5 Uhr beobachtet worden; und einzelne, außer den Normalstunden gesammelte, zerstreute Beobachtungen machen es wahrscheinlich, daß auf Sumatra die Wendestunde der östlichen Elongation zur westlichen schon um 2u eintrat: ganz wie in Hobarton. Wir besitzen durch Macdonald Declinations-Beobachtungen aus 23 Monaten (vom Juni 1794 bis Juni 1796), und an diesen sehe ich in allen Jahreszeiten die östliche Abweichung von 19u½ bis Mittag durch fortgesetzte Bewegung der Nadel von W nach O zunehmen. Von dem Typus der nördlichen Halbkugel (Toronto), welcher zu Singapore von Mai bis September herrschte, ist hier keine Spur; und doch liegt Fort Marlborough unter fast gleichem Meridian: aber im Süden des geographischen Aequators, nur 5° 4' von Singapore entfernt. Die Physiker wurden durch die damals erhaltenen Resultate auf die große Abnahme der Quantität täglicher Variations-Veränderung in den niederen Breiten aufmerksam gemacht. Die Elongation betrug kaum 3 bis 121 4 Minuten. Eine mehr umfassende und tiefere Kenntniß des Phänomens wurde durch die wissenschaftlichen Expeditionen von Freycinet und Duperrey erlangt; aber erst die Errichtung magnetischer Stationen an 3 wichtigen Punkten der südlichen magnetischen Hemisphäre: zu Hobarton auf Van Diemen's Land, zu St. Helena und am Vorgebirge der guten Hoffnung (wo nun schon 10 Jahre lang von Stunde zu Stunde Beobachtungen über die Veränderung der 3 Elemente des tellurischen Magnetismus nach gleichmäßiger Methode angestellt werden), hat allgemeine erschöpfende Data geliefert. In den mittleren Breiten der südlichen magnetischen Halbkugel hat die Nadel einen ganz entgegengesetzten Gang als in der nördlichen: denn da in jener die Spitze der Nadel, welche gegen Süden gerichtet ist, vom Morgen bis Mittag aus Ost nach West geht; so macht dadurch die nach Norden weisende Spitze eine Bewegung von West nach Ost.
Sabine, dem wir die scharfsinnige Discussion aller dieser Variationen verdanken, hat fünfjährige stündliche Beobachtungen von Hobarton (Br. 42° 53' Süd, Abw. 9° 57' Ost) und Toronto (Br. 43° 39' Nord, Abw. 1° 33' West) so zusammengestellt, daß man die Perioden von October bis Februar und von April bis August unterscheiden kann: da die fehlenden Zwischen-Monate März und September gleichsam Uebergangs-Phänomene darbieten. In Hobarton zeigt das gegen Norden gekehrte Ende der Nadel zwei östliche und zwei westliche Maxima der ElongationenSabine, magn. observ. made at Hobarton Vol. I. (1841 and 1842) p. XXXV, 2 und 148; Vol. II. (1843–1845) p. III–XXXV und 172–344. Vergl. auch Sabine, observ. made at St. Helena; denselben in den Phil. Tr. for 1847 P. I. p. 55 Pl. IV und Phil. Tr. for 1851 P. II. p. 636 Pl. XXVII.: so daß sie in dem Jahres-Abschnitt von October bis Februar von 20u oder 21u bis 2u gegen Ost geht, dann von 2u bis 11u ein wenig nach West; von 11u bis 15u wieder nach Ost, von 15u bis 20u zurück nach West. In der Jahres-Abtheilung vom April bis 122 August sind die östlichen Wendestunden bis zu 3u und 16u verspätet, die westlichen Wendestunden zu 22u und 11u verfrüht. In der nördlichen magnetischen Halbkugel ist die Bewegung der Nadel von 20u bis 1u gegen Westen größer im dortigen Sommer als im Winter; in der südlichen magnetischen Halbkugel, wo zwischen den genannten Wendestunden die Richtung der Bewegung eine entgegengesetzte ist, wird die Quantität der Elongation größer gefunden, wenn die Sonne in den südlichen, als wenn sie in den nördlichen Zeichen steht.
Die Frage, die ich vor sieben Jahren in dem NaturgemäldeKosmos Bd. I. S. 190. berührt habe: ob es eine Region der Erde, vielleicht zwischen dem geographischen und magnetischen Aequator, gebe, in welcher (ehe der Uebergang des Nord-Endes der Nadel in denselben Stunden zu einer entgegengesetzten Richtung der Abweichung eintritt) gar keine stündliche Abweichung statt findet? scheint nach neueren Erfahrungen: besonders nach Sabine's scharfsinnigen Discussionen der Beobachtungen in Singapore (Br. 1° 17' N.), auf St. Helena (Br. 15° 56' S.) und am Vorgebirge der guten Hoffnung (Br. 33° 56' S.), verneint werden zu müssen. Es ist bisher noch kein Punkt aufgefunden worden, in welchem die Nadel ohne stündliche Bewegung wäre; und durch die Gründung der magnetischen Stationen ist die wichtige und sehr unerwartete Thatsache erkannt worden, daß es in der südlichen magnetischen Halbkugel Orte giebt, in denen die stündlichen Schwankungen der Declinations-Nadel an den Erscheinungen (dem Typus) beider Halbkugeln abwechselnd Theil nehmen. Die Insel St. Helena liegt der Linie der schwächsten Intensität der Erdkraft sehr nahe: in einer Weltgegend, wo diese Linie sich weit von dem geographischen Aequator und von der Linie ohne Inclination 123 entfernt. Auf St. Helena ist der Gang des Endes der Nadel, das gegen den Nordpol weist, ganz entgegengesetzt in den Monaten vom Mai bis September von dem Gange, den dasselbe Ende in den analogen Stunden von October bis Februar befolgt. Nach fünfjährigen stündlichen Beobachtungen ist in dem erstgenannten Theile des Jahres, im Winter der südlichen Halbkugel, während die Sonne in den nördlichen Zeichen steht, das Nord-Ende der Nadel um 19u am weitesten östlich; sie bewegt sich von dieser Stunde an, wie in den mittleren Breiten von Europa und Nordamerika, gegen Westen (bis 22u), und erhält sich fast in dieser Richtung bis 2u. Dagegen findet in anderen Theilen des Jahres, vom October bis Februar, in dem dortigen Sommer, wenn die Sonne in den südlichen Zeichen weilt und der Erde am nächsten ist, um 20u (8u Morgens) eine größte westliche Elongation der Nadel statt, und bis zur Mittagsstunde eine Bewegung von Westen gegen Osten: ganz nach dem Typus von Hobarton (Br. 42° 53' S.) und anderer Gegenden der mittleren südlichen Halbkugel. Zur Zeit der Aequinoctien oder bald nachher, im März und April wie im September und October, bezeichnet der Gang der Nadel schwankend, an einzelnen Tagen, Uebergangs-Perioden von Einem Typus zum anderen, von dem der nördlichen zu dem der südlichen Halbkugel.Sabine, observations made at the magn. and meteor. Observatory at St. Helena in 1840–1845 Vol. I. p. 30 und denselben in den Phil. Tr. for 1847 P. I. p. 51–56 Pl. III. Die Regelmäßigkeit des Gegensatzes in den beiden Jahres-Abtheilungen Mai bis September (Typus der mittleren Breiten in der nördlichen Halbkugel) und October bis Februar (Typus der mittleren Breiten der südlichen Halbkugel) stellt sich in ihrer auffallenden Bestimmtheit graphisch dar, wenn man die Form und Inflexionen der Curve stündlicher Abweichung einzeln in den Tages-Abschnitten von 14u bis 22u, von 22u bis 4u und von 4u bis 14u mit einander vergleicht. Jeder Beugung über der Linie, welche die mittlere Declination bezeichnet, entspricht eine fast gleiche unter derselben (Vol. I Pl. IV: die Curven AA und BB). Selbst in der nächtlichen Periode ist der Gegensatz bemerkbar; und was noch denkwürdiger erscheint, ist die Bemerkung, daß, indem der Typus von St. Helena und des Vorgebirges der guten Hoffnung der der nördlichen Halbkugel ist, sogar auch in denselben Monaten an diesen so südlich gelegenen Orten dieselbe Verfrühung der Wechselstunden als in Canada (Toronto) eintritt. Sabine, observ. at Hobarton Vol. I. p. XXXVI.
Singapore liegt ein wenig nördlich von dem geographischen Aequator, zwischen diesem und dem magnetischen Aequator, der nach Elliot fast mit der Curve der schwächsten Intensität zusammenfällt. Nach den Beobachtungen, welche von 2 zu 2 Stunden in den Jahren 1841 und 1842 zu Singapore angestellt worden sind, findet Sabine die für St. Helena bezeichneten entgegengesetzten Typen im Gange der 124 Nadel von Mai bis August und von November bis Februar wieder eben so am Vorgebirge der guten Hoffnung: das doch 34° vom geographischen, und gewiß noch weit mehr von dem magnetischen Aequator entfernt ist, eine Inclination von -53° hat und die Sonne nie im Zenith sieht.Phil. Tr. for 1847 P. I. p. 52 und 57 und Sabine, observations made at the magn. and meteor. Observatory at the Cape of Good Hope 1841–1846 Vol. I. p. XXII–XXIII Pl. III. (Vergl. auch Faraday's geistreiche Ansichten über die Ursachen solcher vom Wechsel der Jahreszeiten abhangender Phänomene, in seinen Experiments on atmospheric Magnetism § 3027–3068, und über Analogien mit Petersburg § 3017.) An den südlichen Küsten des Rothen Meeres soll ein sehr fleißiger Beobachter, Herr d'Abbadie, den seltsamen, nach den Jahreszeiten wechselnden Typus der Magnet-Declination vom Vorgebirge der guten Hoffnung, von St. Helena und Singapore beobachtet haben (Airy on the present state of the science of Terrestrial Magnetism 1850 p. 2). »Es scheint«, bemerkt Sabine, »eine Folge von der jetzigen Lage der 4 foci der stärksten Intensität der Erdkraft zu sein, daß die wichtige Curve der relativ (nicht absolut) schwächsten Intensität in dem südatlantischen Ocean sich aus der Nähe von St. Helena gegen die Südspitze von Afrika hinzieht. Die astronomisch-geographische Lage dieser Südspitze, wo die Sonne das ganze Jahr hindurch nördlich vom Zenith steht, giebt einen Hauptgrund gegen de la Rive's thermale Erklärung (Annales de Chimie et de Physique T. XXV. 1849 p. 310) des hier berührten, auf den ersten Blick abnorm scheinenden und doch sehr gesetzlichen, an anderen Punkten sich wiederholenden Phänomens von St. Helena.« Sabine in den Proceedings of the Royal Society 18499 p. 821. Wir besitzen schon veröffentlicht sechsjährige stündliche Beobachtungen vom Cap: nach denen, fast ganz wie auf St. Helena, vom Mai bis September die Nadel von ihrem äußersten östlichen Stande (19u½) westlich geht bis 23u½, vom October bis März aber gegen Osten von 20u½ bis 1u½ und 2u. Bei der Entdeckung dieser so wohl constatirten, aber noch genetisch in so tiefes Dunkel gehüllten Erscheinung hat sich die Wichtigkeit der Jahre lang ununterbrochen von Stunde zu Stunde fortgesetzten Beobachtungen vorzüglich bewährt. Störungen, die (wie wir gleich entwickeln werden) anhaltend bald nach Ost, bald nach West die Nadel ablenken, würden isolirte Beobachtungen der Reisenden unsicher machen.
Durch erweiterte Schifffahrt und Anwendung des Compasses bei geodätischen Aufnahmen ist sehr früh zu gewissen Zeiten eine außerordentliche Störung der Richtung: oft verbunden mit einem Schwanken, Beben und Zittern der angewandten Magnetnadel, bemerkt worden. Man gewöhnte sich diese Erscheinung einem gewissen Zustande der Nadel selbst zuzuschreiben; man nannte sie in der französischen Seesprache sehr charakteristisch ein Vernarrt-Sein der Nadel, l'affolement de l'aiguille: und schrieb vor, eine aiguille affolée von neuem und stärker zu magnetisiren. Halley ist allerdings der Erste gewesen, der das Polarlicht für eine magnetische Erscheinung erklärteHalley, account of the late surprizing appearance of lights in the air in den Phil. Transact. Vol. XXIX. 1714–1716 No. 347 p. 422–428. Halley's Erklärung des Nordlichts hängt leider mit der, 25 Jahre früher von ihm entwickelten, phantastischen Hypothese (Phil. Tr. for 1693 Vol. XVII. No. 195 p. 563) zusammen: nach welcher in der hohlen Erdkugel zwischen der äußeren Schale, auf der wir wohnen, und dem inneren, auch von Menschen bewohnten, dichten Kerne (zur Erleichterung der Geschäfte in diesem unterirdischen Leben) sich ein leuchtendes Fluidum befindet. »In order to make that inner Globe capable of being inhabited., there might not improbably be contained some luminous Medium between the balls, so as to make a perpetual Day below.« Da nun in der Gegend der Rotations-Pole die äußere Schale unserer Erdrinde (wegen der entstandenen Abplattung) weit dünner sein müsse als unter dem Aequator, so suche sich zu gewissen Zeiten, besonders in den Aequinoctien, das innere leuchtende Fluidum, d. i. das magnetische, in der dünnen Polargegend einen Weg durch die Spalten des Gesteins. Das Ausströmen dieses Fluidums ist nach Halley die Erscheinung des Nordlichts. Versuche mit Eisenfeilen, auf einen sphäroidischen Magnet (eine Terrelle) gestreut, dienen dazu die Richtung der leuchtenden farbigen Strahlen des Nordlichts zu erklären. »So wie jeder seinen eigenen Regenbogen sieht, so steht auch für jeden Beobachter die Corona an einem anderen Punkte« (p. 424). Ueber den geognostischen Traum eines geistreichen und in allen seinen magnetischen und astronomischen Arbeiten so gründlichen Forschers vergl. Kosmos Bd. I. S. 178 und 425 Anm. 136., da er von der königl. Societät zu London aufgefordert wurde das, in ganz England gesehene, große 125 Meteor vom 6 März 1716 zu erklären. Er sagt, »das Meteor sei dem analog, welches Gassendi zuerst 1621 mit dem Namen Aurora borealis belegt hätte«. Ob er gleich auf seinen Seefahrten zur Bestimmung der Abweichungslinie bis zum 52ten Grade südlicher Breite vorgedrungen war, so lernt man doch aus seinem eigenen Geständniß, daß er bis 1716 nie ein Nord- oder Süd-Polarlicht gesehen: da doch die letzteren, wie ich bestimmt weiß, bis in die Mitte der peruanischen Tropenzone sichtbar werden. Halley scheint also aus eigener Erfahrung nichts von der Beunruhigung der Nadel, den außerordentlichen Störungen und Schwankungen derselben bei gesehenen oder ungesehenen Nord- und Südlichtern beobachtet zu haben. Olav Hiorter und Celsius zu Upsala sind die Ersten, die: im Jahr 1741, noch vor Halley's Tode, den, von ihm nur vermutheten Zusammenhang zwischen einem gesehenen Nordlichte und dem gestörten normalen Gange der Nadel durch eine lange Reihe messender Bestimmungen bekräftigten. Dieses verdienstliche Unternehmen veranlaßte sie die ersten verabredeten gleichzeitigen Beobachtungen mit Graham in London anzustellen; und die außerordentlichen Störungen der Abweichung bei Erscheinung des Nordlichts wurden durch Wargentin, Canton und Wilke specieller erforscht.
Beobachtungen, die ich Gelegenheit hatte in Gemeinschaft mit Gay-Lussac (1805) in Rom auf dem Monte Pincio zu machen: besonders aber eine lange, durch jene Beobachtungen veranlaßte Arbeit in den Aequinoctien und Solstitien der Jahre 1806 und 1807 in einem großen einsamen Garten zu Berlin (mittelst des magnetischen Fernrohrs von Prony und eines fernen, durch Lampenlicht wohl zu erleuchtenden 126 Tafel-Signals) in Gemeinschaft mit Oltmanns; lehrten mich bald, daß dieser, zu gewissen Epochen mächtig und nicht bloß local wirkende Theil tellurischer Thätigkeit, den man unter dem allgemeinen Namen außerordentlicher Störungen begreift, seiner Complication wegen, eine anhaltende Beachtung verdiene. Die Vorrichtung des Signals und des Fadenkreuzes in dem an einem, bald seidenen, bald metallenen Faden hangenden Fernrohr, welches ein weiter Glaskasten umschloß, erlaubte das Ablesen von 8 Secunden im Bogen. Da bei Nacht zu dieser Beobachtungs-Methode das Zimmer, in welchem sich das, von einem Magnetstabe geleitete Fernrohr befand, finster bleiben konnte; so fiel der Verdacht der Luftströmung weg, welchen bei den, übrigens vortrefflichen, mit Microscopen versehenen Declinatorien die Erleuchtung der Scale veranlassen kann. In der schon damals von mir ausgesprochenen Meinung: »daß eine fortlaufende, ununterbrochene, stündliche und halbstündliche Beobachtung (observatio perpetua) von mehreren Tagen und Nächten den vereinzelten Beobachtungen vieler Monate vorzuziehen sei«; beobachteten wir in den Aequinoctial- und Solstitial-Epochen, deren große Wichtigkeit alle neueren Arbeiten bewährt haben, 5, 7 bis 11 Tage und eben so viele NächteBei großer Ermüdung in vielen auf einander folgenden Nächten wurden Prof. Oltmanns und ich bisweilen unterstützt von sehr zuverlässigen Beobachtern: dem Hrn. Bau-Conducteur Mämpel, dem Geographen Hrn. Friesen, dem sehr unterrichteten Mechanicus Nathan Mendelssohn und unserem großen Geognosten, Leopold von Buch. Ich nenne immer gern in diesem Buche, wie in allen meinen früheren Schriften, die, welche meine Arbeiten freundlichst getheilt haben. hindurch. Wir erkannten bald, daß, um den eigentlichen physischen Charakter dieser anomalen Störungen zu studiren, es nicht genüge das Maaß (die Quantität) der veränderten Abweichung zu bestimmen: sondern daß jeder Beobachtung auch numerisch der Grad der Unruhe der Nadel, durch die gemessene Elongation der Schwingungen, beigefügt werden müsse. Bei dem gewöhnlichen stündlichen Gang der Nadel fanden wir diese so ruhig, daß unter 1500 Resultaten, aus 6000 Beobachtungen (Mitte Mai 1806 bis Ende Juni 127 1807) gezogen, die Oscillation meist nur von einem halben Theilstrich zum anderen ging, also nur 1' 12" betrug; in einzelnen Fällen, und oft bei sehr stürmischem Regenwetter, schien die Nadel entweder ganz fest stehend oder sie schwankte nur um 0,2 oder 0,3 Theile, d. i. 24" oder 28". Wenn aber das magnetische Ungewitter, dessen stärkster und späterer Ausbruch das Polarlicht ist, eintrat; so waren die Schwankungen bald nur 14, bald 38 Minuten im Bogen: jede in 1½ bis 3 Zeitsecunden vollbracht. Oftmals war wegen der Größe und Ungleichheit der Oscillationen, welche die Theilstriche des Signals nach Einer Seite oder nach beiden weit überschritten, gar keine Beobachtung möglich.Der Monat September 1806 war auffallend reich an großen magnetischen Ungewittern. Ich führe aus meinem Journale beispielsweise folgende an:
Dem großen storm vom 25/26 Sept. war schon von 7u 8' bis 9u 11' ein noch stärkerer vorhergegangen. In den folgenden Wintermonaten war die Zahl der Störungen sehr gering, und nie mit den Herbst-Aequinoctial-Störungen zu vergleichen. Ich nenne großes Ungewitter einen Zustand, in welchem die Nadel Oscillationen von 20 bis 38 Minuten macht, oder alle Theilstriche des Segments überschreitet, oder wenn gar die Beobachtung unmöglich wird. Im kleinen Ungewitter sind die Schwankungen unregelmäßig von 5 bis 8 Minuten.
21/22
Sept.
1806
von
16u
36'
bis
17u
43'
22/23
"
"
von
16u
40'
bis
19u
2'
23/24
"
"
von
15u
33'
bis
18u
27'
24/25
"
"
von
15u
4'
bis
18u
2'
25/26
"
"
von
14u
22'
bis
16u
30'
26/27
"
"
von
14u
12'
bis
16u
3'
27/28
"
"
von
13u
55'
bis
17u
27'
28/29
"
"
von
12u
3'
bis
13u
22'
ein kleines Ungewitter, und dann die ganze Nacht bis Mittag größte Ruhe;
29/30
"
"
um
10u
20'
bis
11u
32'
ein kleines Ungewitter, dann große Ruhe bis 17u 6';
30 Sept./1. Oct.
"
um
14u
46'
ein großes, aber kurzes Ungewitter; dann vollkommene Ruhe, und um 16u 30' wieder eben so großes Ungewitter.
Gewöhnlich war bei heftigen magnetischen Ungewittern (unusual or larger Magnetic disturbances, Magnetic Storms) das Mittel der Schwingungs-Bogen nach Einer Seite hin (gegen O oder W) im Fortschreiten, wenn auch mit ungleichmäßiger Geschwindigkeit; aber in seltenen Fällen wurden auch außerordentliche Schwankungen bemerkt: ohne daß die Abweichung unregelmäßig zu- oder abnahm, ohne daß das Mittel der Schwankungen sich von dem Theilstriche entfernte, welcher zu dem normalen Gange der Nadel in gegebener Stunde gehörte. Wir sahen nach langer relativer Ruhe plötzlich Bewegungen von sehr ungleicher Stärke eintreten (Bogen beschreibend von 6–15 Minuten, alternirend oder regellos unter einander gemischt), und dann plötzlich wieder die Nadel sich beruhigen. Bei Nacht war ein solches Gemisch von totaler Ruhe und heftiger Schwankung, ohne Fortschreiten nach einer 128 Seite, besonders auffallendSchwingungen ohne Veränderung in der Abweichung sind zu Paris von Arago in zehnjährigen fleißigen Beobachtungen bis 1829 nicht wahrgenommen worden. »J'ai communiqué à l'Académie«, schreibt er in jenem Jahre, »les résultats de nos observations simultanées. J'ai été surpris des oscillations qu'éprouve parfois l'aiguille de déclinaison à Berlin dans les observations de 1806, 1807, et de 1828 et 1829, lors même que la déclinaison moyenne n'est pas altérée. Ici (à Paris) nous ne trouvons jamais rien de semblable. Si l'aiguille éprouve de fortes oscillations, c'est seulement en tems d'aurore boréale et lorsque sa direction absolue a été notablement dérangée; et encore le plus souvent les dérangements dans la direction ne sont-ils pas accompagnés du mouvement oscillatoire.« Ganz entgegengesetzt den hier geschilderten Erscheinungen sind aber die in Toronto aus den Jahren 1840 und 1841 in der nördlichen Breite von 43° 39'. Sie stimmen genau mit denen von Berlin überein. Die Beobachter in Toronto waren so aufmerksam auf die Art der Bewegung, daß sie strong and slight vibrations, shocks und alle Grade der disturbances nach bestimmten Unterabtheilungen der Scale angeben, und eine solche Nomenclatur bestimmt und einförmig befolgen. (Sabine, days of unusual magn. Disturbances Vol. I. P. 1. p. 46.) Aus den genannten zwei Jahren werden aus Canada 6 Gruppen auf einander folgender Tage (zusammen 146 an der Zahl) aufgeführt, in denen die Oscillationen oft sehr stark waren (with strong shocks), ohne merkliche Veränderung in der stündlichen Declination. Solche Gruppen (s. a. a. O. p. 47, 54, 74, 88, 95 und 101) sind bezeichnet durch die Ueberschrift: »Times of observations at Toronto, at which the Magnetometers were disturbed, but the mean readings were not materially changed.« Auch die Veränderungen der Abweichung während der häufigen Nordlichter waren zu Toronto fast immer von starken Oscillationen begleitet: oft sogar von solchen, die alles Ablesen unmöglich machten. Wir erfahren also durch diese, der weiteren Prüfung nicht genug zu empfehlenden Erscheinungen: daß, wenn auch oft momentane, die Nadel beunruhigende Abweichungs-Veränderungen große und definitive Veränderungen in der Variation zur Folge haben (Younghusband, unusual Disturbances P. II. p. X), doch im ganzen die Größe der Schwingungs-Bogen keinesweges der Größe des Maaßes der Declinations-Veränderung entspricht; daß bei sehr unmerklichen Declinations-Veränderungen die Schwingungen sehr groß. wie ohne alle Schwingung der Fortschritt der Nadel in der westlichen oder östlichen Abweichung schnell und beträchtlich sein kann; auch daß diese Processe magnetischer Thätigkeit an verschiedenen Orten einen eigenen und verschiedenen Charakter annehmen. Eine eigene Modification der Bewegung, die ich noch glaube erwähnen zu müssen, ist eine sehr selten eintretende verticale: eine Art Kippen, eine Veränderung der Inclination des Nord-Endes der Nadel 15 bis 20 Zeitminuten lang, bei sehr mäßigen horizontalen Schwankungen oder völliger Abwesenheit derselben. Bei der so fleißigen Aufzeichnung aller Nebenverhältnisse in den englischen Stations-Registern finde ich dieses bloß verticalen Zitterns (constant vertical motion, the needle oscillating vertically) nur 3mal auf Van Diemen's Insel angegeben.Unusual Disturb. Vol. I. P. 1. p. 69 u. 101.
Die Epoche des Eintretens der größeren magnetischen Ungewitter hat mir im Mittel in Berlin die dritte Stunde nach Mitternacht geschienen, aufhörend auch im Mittel um 5 Uhr des Morgens. Kleine Gewitter beobachteten wir bei Tage in den Nachmittagsstunden zwischen 5 und 7 Uhr oft an denselben September-Tagen, wo nach Mitternacht so starke storms folgten, daß wegen der Größe und Schnelligkeit der Oscillationen jedes Ablesen und jede Schätzung des Mittels der Elongation unmöglich waren. Ich wurde gleich anfangs so überzeugt von den gruppenweise mehrere Nächte hinter einander eintretenden magnetischen Ungewittern, daß ich die Eigenthümlichkeiten dieser außerordentlichen Störungen der Berliner Akademie ankündigte: und Freunde, meist nicht vergebens, einlud, zu vorbestimmten Stunden mich zu besuchen und sich der Erscheinung zu erfreuen.Dies war Ende Sept. 1806. Veröffentlicht wurde die Thatsache in Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XV. (April 1829) S. 330. Es heißt dort: »Meine älteren, mit Oltmanns angestellten, stündlichen Beobachtungen hatten den Vorzug, daß damals (1806 und 1807) keine ähnliche, weder in Frankreich noch in England, angestellt wurden. Sie gaben die nächtlichen Maxima und Minima; sie lehrten die merkwürdigen magnetischen Gewitter kennen, welche durch die Stärke der Oscillationen oft alle Beobachtung unmöglich machen, mehrere Nächte hinter einander zu derselben Zeit eintreten, ohne daß irgend eine Einwirkung meteorologischer Verhältnisse dabei bisher hat erkannt werden können.« Es ist also nicht erst im Jahr 1839, daß eine gewisse Periodicität der außerordentlichen Störungen erkannt worden ist. (Report of the fifteenth Meeting of the British Association, at Cambridge 1845, P. II. p. 12.) Auch Kupffer während seiner Reise im Caucasus 1829, und später Kreil bei seinen so schätzbaren Prager Beobachtungen haben das Wieder-Eintreten der magnetischen Ungewitter zu denselben Stunden bekräftigt.Kupffer, Voyage au Mont Elbruz dans le Caucase 1829 p. 108: »Les déviations irrégulières se répètent souvent à la même heure et pendant plusieurs jours consécutifs.«
Was ich im Jahr 1806 in meinen Aequinoctial- und Solstitial-Beobachtungen nur im allgemeinen über die 129 außerordentlichen Störungen der Abweichung erkannte, ist seit der Errichtung der magnetischen Stationen in den großbritannischen Besitzungen (1838–1840) durch Anhäufung eines reichen Materials und durch die talentvolle Bearbeitung des Oberst Sabine eine der wichtigsten Errungenschaften in der Lehre vom tellurischen Magnetismus geworden. In den Resultaten beider Hemisphären hat dieser scharfsinnige Gelehrte die Störungen nach Tages- und Nachtstunden, nach Jahreszeiten, nach Deviationen, gegen Osten oder Westen gerichtet, gesondert. In Toronto und Hobarton waren die Störungen zwiefach häufiger und stärker bei Nacht als bei TageSabine, unusual Disturb. Vol. I. P. 1. p. XXI, und Younghusband on periodical Laws in the larger Magnetic Disturbances in den Philosophical Transactions for 1853 P. I. p. 173.; eben so in den ältesten Beobachtungen zu Berlin: ganz im Gegensatz von 2600 bis 3000 Störungen am Cap der guten Hoffnung, und besonders auf der Insel St. Helena, nach der gründlichen Untersuchung des Capitäns Younghusband. In Toronto traten im Mittel die Hauptstörungen in der Epoche von Mitternacht bis 5 Uhr Morgens ein; bisweilen nur wurden sie früher, zwischen 10 Uhr Abends und Mitternacht, beobachtet: also in Toronto wie in Hobarton prädominirend bei Nacht. Nach einer sehr mühevollen und scharfsinnigen Prüfung, welche Sabine mit 3940 Torontoer und 3470 Hobarttowner Störungen aus dem sechsjährigen Cyclus von 1843 bis 1848 angestellt (die gestörten Abweichungen machten den neunten und zehnten Theil der ganzen Masse aus), hat er die FolgerungSabine in den Phil. Tr. for 1851 P. I. p. 125–127: »The diurnal variation observed is in fact constituted by two variations superposed upon each other, having different laws and bearing different proportions to each other in different parts of the globe. At tropical stations the influence of what have been hitherto called the irregular disturbances (magnetic storms), is comparatively feeble; but it is otherwise at stations situated as areToronto (Canada) and Hobarton (Van Diemen-Island). where their influence is both really and proportionally greater, and amounts to a clearly recognizable part of the whole diurnal variation.« Es findet hier in der zusammengesetzten Wirkung gleichzeitiger, aber verschiedener Bewegungs-Ursachen dasselbe statt, was von Poisson so schön in der Theorie der Wellen entwickelt ist (Annales de Chimie et de Physique T. VII. 1827 p. 293): »Plusieurs sortes d'ondes peuvent se croiser dans l'eau comme dans l'air; les petits mouvements se superposent.« Vergl. Lamont's Vermuthungen über die zusammengesetzte Wirkung einer Polar- und einer Aequatorial-Welle in Poggend. Annalen Bd. 84. S. 583. ziehen können: »daß die Störungen zu einer eigenen Art periodisch wiederkehrender Variationen gehören, welche erkennbaren Gesetzen folgen, von der Stellung der Sonne in der Ekliptik und der täglichen Rotation der Erde um ihre Achse abhangen, ja ferner nicht mehr unregelmäßige Bewegungen genannt werden sollten; man unterscheide darin, neben einem 130 eigenthümlichen localen Typus, allgemeine, den ganzen Erdkörper afficirende Processe.« In denselben Jahren, in denen die Störungen häufiger in Toronto waren, wurden sie es auch und fast im gleichen Maaße auf der südlichen Halbkugel in Hobarton. Im ganzen traten sie am ersteren Orte im Sommer (von April bis September) in doppelter Menge als in den Wintermonaten (von October bis März) ein. Die größte Zahl der Störungen gehörte dem Monat September an: ganz wie um die Zeit des Herbst-Aequinoctiums in meinen Berliner BeobachtungenS. oben S. 196 Anm. 1866. von 1806. Sie sind seltener in den Wintermonaten jeden Orts, seltener vom November bis Februar in Toronto und vom Mai bis August in Hobarton. Auch auf St. Helena und am Cap der guten Hoffnung sind nach Younghusband die Durchgänge der Sonne durch den Aequator durch Häufigkeit der Störungen in hohem Grade bemerkbar.
Das Wichtigste, auch erst von Sabine aufgefundene, in dieser Erscheinung ist die Regelmäßigkeit, mit der in beiden Halbkugeln die Störungen eine vermehrte östliche oder westliche Abweichung verursachen. In Toronto, wo die Declination schwach gegen Westen ist (1° 33'), war, der Zahl nach, das Fortschreiten gegen Osten im Sommer (Juni–September) dem Fortschreiten gegen Westen im Winter (December–April) überwiegend, und zwar im Verhältniß von 411 : 290. Eben so ist es auf Van Diemen's Insel nach localer Jahreszeit; auch in den dortigen Wintermonaten (Mai–August) sind die magnetischen Ungewitter auffallend selten.Sabine in den Philos. Transact. for 1852 P. II. p. 110. (Younghusband a. a. O. p. 169.) Die Zergliederung von 6 Jahren der Beobachtung in 2 entgegengesetzten Stationen, von Toronto und Hobarton, hatte Sabine zu dem merkwürdigen Ergebnisse geführt: daß von 1843 bis 1848 in beiden Hemisphären nicht bloß die 131 Zahl der Störungen, sondern auch (wenn man, um das jährliche Mittel der täglichen Abweichung in seinem normalen Werth zu erlangen, 3469 storms nicht mit in Rechnung bringt) das Maaß der totalen Abweichung von diesem Mittel in den genannten 5 Jahren allmälig von 7',65 bis 10',58 im Zunehmen gewesen ist; ja daß diese Zunahme gleichzeitig, wie in der amplitudo der Declination, so in der Inclination und totalen Erdkraft bemerkbar war. Dieses Ergebniß gewann eine erhöhte Wichtigkeit, als er eine Bekräftigung und Verallgemeinerung desselben in Lamont's ausführlicher Arbeit (vom September 1851) »über eine zehnjährige Periode, welche sich in der täglichen Bewegung der Magnetnadel darstellt«, erkannte. Nach Beobachtungen von Göttingen, München und KremsmünsterNach Lamont und Reslhuber ist die magnetische Periode 10⅓ Jahre: so daß die Größe des Mittels der täglichen Bewegung der Nadel 5 Jahre hindurch zu- und 5 Jahre hindurch abnimmt, wobei die winterliche Bewegung (amplitudo der Abweichung) immerfort fast doppelt so schwach als die der Sommermonate ist. (Vergl. Lamont, Jahresbericht der Sternwarte zu München für 1852 S. 54–60.) Der Director der Berner Sternwarte, Herr Rudolph Wolf, findet durch eine viel umfassendere Arbeit, daß die zusammentreffende Periode der Magnet-Declination und der Frequenz der Sonnenflecken auf 11,1 Jahr zu setzen sei. hatte die Mittelgröße der täglichen Declination ihr Minimum erreicht von 1843 zu 1844, ihr Maximum von 1848 zu 1849. Nachdem die Declination so fünf Jahre zugenommen, nimmt sie eben so viele Jahre wiederum ab: wie eine Reihe genauer stündlicher Beobachtungen erweist, die bis zu einem Maximum von 1786½ hinaufführen.Kosmos Bd. IV. S. 74, 173 (Anm. 1768), 77, 80 und 81. Um eine allgemeine Ursach einer solchen Periodicität in allen 3 Elementen des tellurischen Magnetismus aufzufinden, wird man geneigt, zu einem kosmischen Zusammenhange seine Zuflucht zu nehmen. Ein solcher ist nach Sabine'sSabine in den Phil. Tr. for 1852 P. I. p. 103 und 121. Vergl. außer dem schon oben angeführten Aufsatz Rud. Wolf's vom Juli 1852 (Kosmos Bd. IV. S. 75) auch ähnliche, fast zu derselben Zeit veröffentlichte Vermuthungen von Gautier in der Bibliothèque universelle de Genève T. XX. p. 189. Vermuthung in den Veränderungen zu finden, welche in der Photosphäre der Sonne, d. h. in den leuchtenden gasförmigen Umhüllungen des dunklen Sonnenkörpers, vorgehen. Nach Schwabe's langjährigen Untersuchungen kommt nämlich die Periode der größten und kleinsten Frequenz der Sonnenflecken ganz mit der überein, welche man in den magnetischen Variationen entdeckt hat. Auf diese Uebereinstimmung hat Sabine zuerst in seiner der königl. 132 Societät zu London im März 1852 vorgelegten Abhandlung aufmerksam gemacht. »Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen«, sagt Schwabe in einem Aufsatze, mit dem er den astronomischen Theil meines Kosmos bereichert hat, »daß wenigstens vom Jahr 1826 bis 1850 in der Erscheinung der Sonnenflecken eine Periode von ohngefähr 10 Jahren dermaßen statt gefunden hat: daß ihr Maximum in die Jahre 1828, 1837 und 1848; ihr Minimum in die Jahre 1833 und 1843 gefallen ist.«Kosmos Bd. III. S. 401–403. Den mächtigen Einfluß des Sonnenkörpers als Masse auf den Erd-Magnetismus bekräftigt auch Sabine durch die scharfsinnige Bemerkung: daß der Zeitpunkt, in welchem in beiden Hemisphären die Intensität der Magnetkraft am stärksten ist und die Richtung der Nadel sich am meisten der verticalen nähert, in die Monate October bis Februar fällt: gerade wenn die Erde der Sonne am nächsten ist und sie sich in ihrer Bahn am schnellsten fortbewegt.Sabine in den Phil. Tr. for 1850 P. I. p. 216. (Faraday, exper. researches on Electricity 1851 p. 56, 73 und 76; § 2891, 2949 und 2958.)
Von der Gleichzeitigkeit vieler magnetischer Ungewitter, wie sich dieselben auf viele tausend Meilen fortgepflanzt haben, ja fast um den ganzen Erdball gehen (so am 25 Sept. 1841 von Canada und von Böhmen bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung, Van Diemen's Land und Macao), habe ich schon in dem NaturgemäldeKosmos Bd. I. S. 185 und 427 Anm. 143; Poggend. Annalen Bd. XV. S. 334 und 335; Sabine, unusual Disturb. Vol. I. P. 1. p. XIV–VIII: wo Tafeln von gleichzeitigen storms in Toronto, Prag und auf Van Diemen zu finden sind. An Tagen, wo in Canada die magnetischen Ungewitter am stärksten waren (22 März, 10 Mai, 6 August und 25 Sept. 1841), zeigten sich dieselben Erscheinungen in der südlichen Hemisphäre, in Australien. Vergl. auch Edward Belcher in den Phil. Tr. for 1843 p. 133. gehandelt; auch Beispiele von den Fällen angegeben, wo die Perturbationen mehr local waren: sich von Sicilien nach Upsala, aber nicht von Upsala weiter nördlich nach Alten und Lapland verbreiteten. Bei den gleichzeitigen Declinations-Beobachtungen, die wir, Arago und ich, 1829 in Berlin, Paris, Freiberg, St. Petersburg, Casan und Nikolajew mit denselben Gambey'schen Instrumenten angestellt; hatten sich einzelne starke Perturbationen von Berlin nicht bis Paris: ja nicht einmal bis in eine Freiberger 133 Grube, wo Reich seine unterirdischen Magnet-Beobachtungen machte, fortgepflanzt. Große Abweichungen und Schwankungen der Nadel bei Nordlichtern in Toronto riefen wohl in Kerguelen-Insel, aber nicht in Hobarton magnetische Ungewitter hervor. Bei dem Charakter der Alldurchdringlichkeit, welchen die Magnetkraft wie die Gravitations-Kraft aller Materie zeigt, ist es allerdings schwer sich einen klaren Begriff von den Hindernissen der Fortpflanzung im Inneren des Erdkörpers zu machen: von Hindernissen, denen analog, welche sich den Schallwellen oder den Erschütterungswellen des Erdbebens, in denen gewisse einander nahe gelegene Orte nie zusammen bebenKosmos Bd. I. S. 219., entgegensetzen. Sollten gewisse magnetische kreuzende Linien durch ihre Dazwischenkunft der Fortpflanzung entgegenwirken?
Wir haben die regelmäßigen und die scheinbar unregelmäßigen Bewegungen, welche horizontal aufgehangene Nadeln darbieten, geschildert. Hat man in Erforschung des normalen, in sich wiederkehrenden Ganges der Nadel, durch Mittelzahlen aus den Extremen der stündlichen Veränderungen, die Richtung des magnetischen Meridians ergründen können, in der von Einem Solstitium zu dem anderen die Nadel zu beiden Seiten gleich geschwankt hat; so führt die Vergleichung der Winkel, welche auf verschiedenen Parallelkreisen die magnetischen Meridiane mit dem geographischen Meridian machen, zuerst zur Kenntniß von Variations-Linien auffallend heterogenen Werthes (Andrea Bianco 1436 und der Cosmograph Kaiser Carls V, Alonso de Santa Cruz, versuchten es schon diese auf Karten zu tragen): später zu der glücklichen Verallgemeinerung isogonischer Curven, Linien gleicher Abweichung, welche der dankbare Sinn englischer Seefahrer 134 lange durch den historischen Namen Halleyan lines bezeichnet hat. Unter den mannigfach gekrümmten, gruppenweise bisweilen fast parallelen, selten ganz in sich selbst recurrirenden und dann eiförmig geschlossene Systeme bildenden, isogonischen Curven verdienen in physikalischer Hinsicht die größte Aufmerksamkeit diejenigen, auf welchen die Abweichung null wird: und zu deren beiden Seiten Abweichungen entgegengesetzter Benennung, mit der Entfernung ungleich zunehmend, gefunden werden.A. a. O. Bd. I. S. 188, 189 und 430 (Anm. 150–22); Bd. II. S. 319–321 und 482 (Anm. 876 und 877); Bd. IV. S. 51–60 (Anm. 1756) und 82 (Anm. 1847). Ich habe an einem anderen Orte gezeigt, wie des Columbus erste Entdeckung einer Linie ohne Abweichung im atlantischen Ocean am 13 September 1492 dem Studium des tellurischen Magnetismus die Anregung gegeben hat, welches drittehalb Jahrhunderte hindurch freilich nur auf Verbesserung der Schiffsrechnung gerichtet war.
So sehr auch in der neuesten Zeit durch die höhere wissenschaftliche Bildung der Seefahrer, durch die Vervollkommnung der Instrumente und der Methoden die Kenntniß einzelner Theile der Linien ohne Variation im nördlichen Asien, im indischen Archipelagus und im atlantischen Ocean erweitert worden ist; so darf doch wohl in dieser Sphäre unseres Wissens, da, wo das Bedürfniß einer kosmischen Uebersicht gefühlt wird, über Langsamkeit des Fortschritts und über Mangel von erlangter Allgemeinheit geklagt werden. Es ist mir nicht unbewußt, daß eine Unzahl von Beobachtungen bei zufälliger Durchschneidung der Linien ohne Abweichung in Schiffsjournalen ausgezeichnet worden sind; aber es fehlt an der Vergleichung und Zusammenstellung des Materials: das für diesen Gegenstand, wie für die dermalige Lage des magnetischen Aequators erst an Wichtigkeit gewinnen würde, wenn in den verschiedenen Meeren einzelne Schiffe allein damit 135 beauftragt wären, in ihrem Curse jenen Linien ununterbrochen zu folgen. Ohne Gleichzeitigkeit der gewonnenen Beobachtung hat der tellurische Magnetismus für uns keine Geschichte. Ich wiederholeZu sehr verschiedenen Zeitepochen: einmal (1809) in meinem Receuil d'Observ. astron. Vol. I. p. 368; das andere Mal (1839) in einem Briefe an den Graf Minto, damaligen ersten Lord der Admiralität, wenige Tage nach der Abreise von Sir James Roß zu der Südpol-Expedition, habe ich die Wichtigkeit meines im Text berührten Vorschlages näher entwickelt (vergl. Report of the Committee of Physics and Meteor. of the Royal Soc. relative to the Antarctic Exped. 1840 p. 88–91). »Suivre les traces de l'équateur magnétique ou celles des lignes sans déclinaison c'est gouverner (diriger la route du vaisseau) de manière à couper les lignes zéro dans les intervalles les plus petits, en changeant de rumb chaque fois que les observations d'inclinaison ou de déclinaison prouvent qu'on a dévié. Je n'ignore pas que d'après de grandes vues sur les véritables fondements d'une Théorie générale du Magnétisme terrestre, dues a Mr. Gauss, la connaissance approfondie de l'intensité horizontale, le choix des points où les 3 éléments de déclinaison, d'inclinaison et d'intensité totale ont été mesurés simultanément, suffisent pour trouver la valeur de V/R (Gauss § 4 et 27), et que ce sont là les points vitaux des recherches futures; mais la somme des petites attractions locales, les besoins du pilotage, les corrections habituelles du rumb et la sécurité des routes continuent à donner une importance spéciale à la connaissance de la position et des mouvements de translation périodique des lignes sans déclinaison. Je plaide ici leur cause, qui est liée aux intérêts de la Géographie physique.« Es werden noch viele Jahre vergehen, ehe Variations-Karten, nach der Theorie des Erd-Magnetismus construirt, den Seefahrer leiten können (Sabine in den Phil. Tr. for 1849 P. II. p. 204); und die ganze objective, auf wirkliche Beobachtung gerichtete Ansicht, welche ich hier vertheidige, würde, wenn sie zu periodisch wiederkehrenden Bestimmungen, also zu gleichzeitig angestellten See- und Land-Expeditionen, nach einem vorgesetzten Zweck, führte, beide Vortheile zugleich gewähren: den einer unmittelbaren praktischen Anwendung wie einer genauen Kenntniß von der mit den Jahren fortschreitenden Bewegung der Linien; und den Vortheil, der von Gauß gegründeten Theorie viele neue, der Rechnung unterzulegende Data (Gauß § 25) zu liefern. Uebrigens wäre es, um die genaue Bestimmung der Bewegung der 2 Linien ohne Neigung und ohne Abweichung zu erleichtern, besonders wichtig Landmarken da zu veranstalten, wo die Linien in die Continente treten oder sie verlassen: für die Jahre 1850, 1875, 1900 . . . . Auf solchen Expeditionen, den alten Halley'schen ähnlich, würden überdies, um zu den Null-Linien der Declination und Inclination zu gelangen, viele andere isoklinische und isogonische Linien durchschnitten, und es könnte an den Küsten horizontale und totale Intensität gemessen werden: so daß mehrere Zwecke zugleich erreicht würden. Den hier geäußerten Wunsch finde ich unterstützt durch eine große nautische Autorität, auf welche ich immer so gern hinweise, durch die Autorität von Sir James Roß (Voyage in the Southern and Antarctic Regions Vol. I. p. 105). eine Klage, die ich frei schon mehrfach geäußert.
Nach dem, was wir bis jetzt im allgemeinen von der Lage der Linien ohne Abweichung wissen, giebt es statt der vier meridianartigen, an die man von Pol zu Pol am Ende des 16ten JahrhundertsAcosta, Historia de las Indias 1590 lib. I cap. 17. Ich habe schon früher die Frage berührt, ob nicht die Meinung holländischer Seefahrer von 4 Linien ohne Abweichung durch die Streitigkeiten von Bond mit Beckborrow auf die Halley'sche Theorie von 4 Magnetpolen Einfluß gehabt habe? (Kosmos Bd. II. S. 483 [Anm. 877].) glaubte, wahrscheinlich drei sehr verschiedenartig gestaltete Systeme: wenn man mit dem Namen System solche Gruppen von Abweichungslinien bezeichnet, deren Null-Linie mit keiner andern Null-Linie in directer Verbindung steht, nicht für die Fortsetzung einer anderen (nach unserer jetzigen Kenntniß) gelten kann. Von diesen drei Systemen, die wir bald einzeln beschreiben werden, ist das mittlere, atlantische, auf eine einfache, von SSO nach NNW gerichtete, zwischen dem 65ten Grad südlicher bis zu dem 67ten Grad nördlicher Breite erkannte, Linie ohne Abweichung beschränkt. Das zweite: wenn man aus beiden die Durchschnittspunkte der Null-Linie mit dem geographischen Aequator allein ins Auge faßt, volle 150 Grade östlicher gelegene System, ganz Asien und Australien füllend, ist das breiteste und complicirteste von allen. Es ist wundersam auf- und absteigend, mit einem gegen Süden und einem gegen Norden gerichteten Scheitel; ja an seinem nordöstlichen Ende dermaßen gekrümmt, daß die Null-Linie elliptisch in sich recurrirende, von außen nach innen in der Abweichung schnell zunehmende Linien umgiebt. Der westlichste und der östlichste Theil dieser asiatischen Curve ohne Abweichung sind gleich der atlantischen Null-Linie von Süden 136 nach Norden, und in dem Raume vom caspischen Becken bis Lapland sogar von SSO nach NNW gerichtet. Das dritte System, das der Südsee, am wenigsten erforscht, ist das kleinste von allen; und bildet, fast gänzlich im Süden vom geographischen Aequator gelegen, ein geschlossenes Oval von concentrischen Linien: deren Abweichung, entgegengesetzt dem, was wir bei dem nordöstlichen Theile des asiatischen Systems bemerkt, von außen nach innen abnimmt. Wir kennen, wenn wir unser Urtheil auf die Magnet-Declination an den Küsten gründen, in dem afrikanischen ContinentIn dem Inneren von Afrika verdient die isogonische Linie von 22°¼ W. als Vermittelungs-Linie sehr verschiedener Systeme und als fortlaufend (nach der theoretischen Construction von Gauß) aus dem östlichen indischen Ocean queer durch Afrika bis Neufundland eine besondere kosmische Beachtung. Die rühmliche Ausdehnung, welche die großbritannische Regierung in diesem Jahre der afrikanischen Expedition von Richardson, Barth und Overwegh gegeben hat, wird vielleicht zu der Lösung solcher magnetischen Probleme führen. nur Linien, die eine westliche Abweichung von 6° bis 29° offenbaren; denn die atlantische Linie ohne Abweichung hat (nach Purchas) schon im Jahre 1605 die Südspitze von Afrika (das Vorgebirge der guten Hoffnung) verlassen, um sich weiter von Osten nach Westen zu begeben. Die Möglichkeit, daß in Central-Afrika eine eiförmige Gruppe concentrischer Abweichungslinien, bis 0° abnehmend, sich irgend wo finden könne, der der Südsee ähnlich: ist aus Gründen eben so wenig zu bevorworten als zu läugnen.
Der atlantische Theil der amerikanischen Curve ohne Abweichung ist durch eine vortreffliche Arbeit des Oberst Sabine in beiden Hemisphären für das Jahr 1840, mit Benutzung von 1480 Beobachtungen und Beachtung der secularen Veränderung, genau bestimmt worden. Sie läuft (unter 70° südl. Breite ohngefähr in 21° westl. Länge aufgefundenSir James Roß durchschnitt die Curve ohne Abweichung in südl. Br. 61°½ und Pariser westlicher Länge 24° 50' (Voyage to the Southern Seas Vol. II. p. 357). In Br. -70° 43' und westlicher Länge 19° 8' fand Cap. Crozier März 1843 die Abweichung 1° 38'; er war also der Null-Linie sehr nahe. Vergl. Sabine on the magn. Declination in the Atlantic Ocean for 1840 in den Phil. Tr. for 1849 P. II. p. 233.) gegen NNW, gelangt bis 3° östlich von Cook's Sandwich-Lande und bis 9°½ östlich von Süd-Georgien, nähert sich der brasilischen Küste, in die sie eintritt bei Cap Frio, 2° östlich von Rio Janeiro; durchstreicht den südlichen Neuen Continent nur bis Br. -0° 36', wo sie denselben etwas östlich vom Gran Para bei dem Cap Tigioca am Neben-Ausfluß des 137 Amazonenstroms (Rio do Para) wieder verläßt: um erst den geographischen Aequator in westl. Lg. 50° 6' zu schneiden, dann: bis zu 5° nördlicher Breite in 22 geogr. Meilen Entfernung der Küste von Guyana, später dem Bogen der Kleinen Antillen bis zum Parallel von 18° folgend, in Br. 34° 50', Lg. 76° 30' nahe bei Cap Lookont (südwestlich von Cap Hattaras) das Littoral von Nord-Carolina zu berühren. Im Inneren von Nordamerika setzt die Curve ihre nordwestliche Richtung bis Br. 41°½, Lg. 80° gegen Pittsburgh, Meadville und den See Erie fort. Es ist zu vermuthen, daß sie seit 1840 schon nahe um einen halben Grad weiter gegen Westen vorgerückt ist.
Die australo-asiatische Curve ohne Abweichung kann: wenn man mit Erman den Theil derselben, welcher sich plötzlich von Casan nach Archangel und dem russischen Laplande hinaufzieht, für identisch mit dem Theile des molukkischen und japanischen Meeres hält, kaum in der südlichen Halbkugel bis zum 62ten Grade verfolgt werden. Dieser Anfang liegt westlicher von Van Diemen's Land, als man ihn bisher vermuthet hatte; und die 3 Punkte, in denen Sir James RoßSir James Roß a. a. O. Vol. I. p. 104, 310 und 317. auf seiner antarctischen Entdeckungsreise 1840 und 1841 die Curve ohne Abweichung durchschnitten hat, befinden sich alle in den Parallelen von 62°, 54°½ und 46°, zwischen 131° und 133° 20' östlicher Länge: also meist süd-nördlich, meridianartig, gerichtet. In ihrem weiteren Laufe durchstreicht die Curve das westliche Australien von der südlichen Küste von Nuyts-Land an (etwa 10 Längengrade in Westen von Adelaide) bis zu der nördlichen Küste nahe bei Van Sittart River und Mount Cockburn, um von da in das Meer des indischen Archipelagus zu treten: in eine Weltgegend, in der genauer 138 als irgend wo anders von Capitän Elliot in den Jahren 1846 bis 1848 zugleich Inclination, Declination, Total-Intensität, wie Maximum und Minimum der horizontalen Intensität erforscht worden sind. Hier geht die Linie südlich von Flores und durch das Innere der kleinen Sandalwood-InselElliot in den Philos. Transactions for 1851 P. I. p. 331 Plate XIII. Die längliche kleine Insel, auf der das Sandelholz (malayisch und javanisch tschendana, sanskr. tschandana, arab. fsandel) gesammelt wird. von 118° bis 91°westlicher Länge in eine genau ost-westliche Richtung über, wie dies Barlow sehr wahr schon 16 Jahre früher verzeichnet hatte. Von dem zuletzt angegebenen Meridiane an steigt sie: nach der Lage zu urtheilen, in welcher Elliot der Curve von 1° östlicher Abweichung bis Madras gefolgt ist, in 9°½ südlicher Breite gegen NW auf. Ob sie, den Aequator ungefähr im Meridian von Ceylon schneidend, in den Continent von Asien zwischen Cambay Gulf und Guzurate, oder westlicher im Meerbusen von Maskate eintrittSo nach Barlow und nach der Karte (Lines of magnetic Declinations computed according to the Theory of Mr. Gauss) im Report of the Committee for the Antarctic Exped. 1840. Nach Barlow tritt die von Australien kommende Linie ohne Abweichung in den asiatischen Continent bei dem Cambay-Golf ein, wendet sich aber gleich wieder nordöstlich über Tibet und China bei Thaiwan (Formosa) hin in das japanische Meer. Nach Gauß steigt die australische Linie einfach durch Persien über Nishnei-Nowgorod nach Lapland auf. Dieser große Geometer hält die Null-Linie des japanischen und philippinischen Meeres, wie der geschlossenen eiförmigen Gruppe im östlichen Asien für ganz unzusammenhangend mit der von Australien, dem indischen Meere, dem westlichen Asien und Lapland.: und so identisch istIch habe von dieser Identität, welche meine eigenen Declinations-Beobachtungen im caspischen Meere, in Uralsk am Jaik und in der Steppe am Elton-See begründen, an einem anderen Orte (Asie centrale T. III. p. 458–461) gehandelt. mit der Curve ohne Abweichung, die aus dem Becken des caspischen Meeres gegen Süden fortzulaufen scheint; ob sie vielmehr (wie Erman will) schon vorher, östlich gekrümmt, zwischen Borneo und Malacca aufsteigend, inAdolf Erman's Map of the Magnetic Declination 1827–1830. Daß die australische Curve ohne Abweichung aber nicht Java durchschneidet, lehrt bestimmt Elliot's Karte; es läuft dieselbe dem südlichen Littoral parallel in einer Entfernung von 1½ Breitengraden. Da nach Erman (nicht nach Gauß) die australische Null-Linie zwischen Malacca und Borneo durch das japanische Meer zu der geschlossenen eiförmigen Gruppe von Ost-Asien an der nördlichen Küste des ochotskischen Meerbusens (Br. 59°½) in den Continent eintritt, und doch wieder durch Malacca herabsteigt; so würde dort die aufsteigende von der absteigenden nur 11° getrennt sein, und nach dieser graphischen Darstellung wäre die Linie ohne Abweichung des westlichen Asiens (vom caspischen Meere bis zum russischen Lapland) eine unmittelbare und nächste Fortsetzung des von Norden nach Süden herabkommenden Theils. das japanische Meer gelangt und durch den ochotskischen Meerbusen in Ost-Asien eindringt: darüber kann hier keine sichere Auskunft gegeben werden. Es ist lebhaft zu bedauern, daß: bei der großen Frequenz der Navigation nach Indien, Australien, den Philippinen und der Nordost-Küste von Asien, eine Unzahl von Materialien in Schiffsjournalen verborgen und unbenutzt geblieben sind, ohne, zu allgemeinen Ansichten führend, Süd-Asien mit dem mehr durchforschten Nord-Asien zu verbinden, und Fragen zu lösen, die schon 1840 angeregt worden. Um daher nicht das Gewisse mit dem Ungewissen zu vermengen, beschränke ich mich auf den sibirischen Theil des asiatischen Continents: so weit wir 139 ihn gegen Süden bis zum Parallel von 45° durch Erman, Hansteen, Due, Kupffer, Fuß und meine eigenen Beobachtungen kennen. In keinem anderen Theil der Erde hat man auf der Feste Magnetlinien in solcher Ausdehnung verfolgen können; und die Wichtigkeit, welche in dieser Hinsicht das europäische und asiatische Rußland darbietet, war schon vor LeibnitzIch habe schon aus Documenten, die sich in den Archiven von Moskau und Hannover befinden, im Jahr 1843 darauf aufmerksam gemacht (Asie centrale T. III. p. 469–476), wie Leibnitz, der den ersten Plan zu einer französischen Expedition nach Aegypten eingereicht hatte, auch am frühesten sich bemühte die mit dem Zar Peter dem Großen 1712 in Deutschland angeknüpften Verhältnisse dahin zu benutzen, in dem russischen Reiche, dessen Flächeninhalt den der von uns gesehenen Mondfläche übertrifft, »die Lage der Abweichungs- und Inclinations-Linien bestimmen zu lassen: und anzuordnen, daß diese Bestimmungen zu gewissen Epochen wiederholt würden«. In einem von Pertz aufgefundenen, an den Zar gerichteten Briefe erwähnt Leibnitz eines kleinen Handglobus (terrella), der noch in Hannover aufbewahrt wird und auf welchem er die Curve, in der die Abweichung null ist (seine linea magnetica primaria), dargestellt hatte. Er behauptet: daß es nur eine einzige Linie ohne Abweichung gebe; sie theile die Erdkugel in zwei fast gleiche Theile, habe 4 puncta flexus contrarii: Sinuositäten, in denen sie von convexen in concave Scheitel übergeht; vom Grünen Vorgebirge bewege sie sich nach den östlichen Küsten von Nordamerika unter 36° Breite, dann richte sie sich durch die Südsee nach Ost-Asien und Neu-Holland. Diese Linie sei in sich selbst geschlossen; und bei beiden Polen vorübergehend, bleibe sie dem Südpole näher als dem Nordpole; unter letzterem müsse die Declination 25° westlich, unter ersterem nur 5° sein. Die Bewegung dieser wichtigen Curve sei im Anfange des 18. Jahrhunderts gegen den Nordpol gerichtet. Oestliche Abweichung von 0° bis 15° herrsche in einem großen Theile des atlantischen Oceans, in der ganzen Südsee, in Japan, einem Theil von China und Neu-Holland. Da der Leibarzt Donelli gestorben sei, so solle er durch einen anderen ersetzt werden, der recht wenig Medicamente, aber vielen wissenschaftlichen Rath über die magnetischen Declinations- und Inclinations-Bestimmungen geben könne . . . .« Specielle theoretische Ansichten leuchten freilich nicht aus diesen, bisher ganz unbeachteten Documenten von Leibnitz hervor. scharfsinnig geahndet worden.
Um von Westen gegen Osten, von Europa aus, der gewöhnlichen Richtung sibirischer Expeditionen zu folgen, beginnen wir mit dem nördlichen Theile des caspischen Meeres: und finden in der kleinen Insel Birntschikassa, in Astrachan, am Elton-See, in der Kirghisen-Steppe, und in Uralsk am Jaik, zwischen Br. 45° 43' und 51° 12', Lg. 44° 15' und 49° 2' die Abweichung von 0° 10' Ost zu 0° 37' West schwanken.S. meine magnetischen Beobachtungen in der Asie centr. T. III. p. 460. Weiter nördlich neigt sich diese Curve ohne Abweichung etwas mehr gegen Nordwest, durchgehend in der Nähe von Nishnei-NowgorodErman, astron. und magnet. Beobachtungen (Reise um die Erde Abth. II. Bd. 2.) S. 532. (im Jahr 1828 zwischen Osablikowo und Doskino, im Parallel von 56° und Lg. 40° 40'). Sie verlängert sich gegen das russische Lapland zwischen Archangel und Kola, genauer nach Hansteen (1830) zwischen Umba und Ponoi.Hansteen in Poggendorff's Annalen Bd. XXI. S. 371. Erst wenn man fast ⅔ der größten Breite des nördlichen Asiens gegen Osten durchwandert ist, unter dem Parallel von 50° bis 60° (einen Raum, in dem jetzt ganz östliche Abweichung herrscht), gelangt man an die Linie ohne Abweichung, welche bei dem nordöstlichen Theile des Baikal-Sees westlich von Wiluisk nach einem Punkt aufsteigt, der im Meridian von Jakutsk(127°½) die Breite von 68° erreicht: um sich dort, die äußere Hülle der mehrerwähnten östlichen Gruppe eiförmiger concentrischer Variations-Linien bildend, gegen Ochotsk (Lg. 140° 50') herabzusenken, den Bogen der kurilischen Inseln zu 140 durchschneiden und südlich in das japanische Meer zu dringen. Die Curven von 5° bis 15° östlicher Abweichung, welche den Raum zwischen der west- und ost-asiatischen Linie ohne Abweichung füllen, haben alle einen concaven Scheitel gegen Norden gekehrt. Das Maximum ihrer Krümmung fällt nach Erman in Lg. 77° 40', fast in einen Meridian zwischen Omsk und Tomsk: also nicht sehr verschieden von dem Meridian der Südspitze der hindostanischen Halbinsel. Die geschlossene eiförmige Gruppe erstreckt sich in ihrer Längen-Axe 28 Breitengrade bis gen Korea.
Eine ähnliche Gestaltung, aber in noch größeren Dimensionen, zeigt sich in der Südsee. Die geschlossenen Curven bilden dort ein Oval zwischen 20° nördlicher und 42° südlicher Breite. Die Haupt-Axe liegt in Lg. 132° 20'. Was diese seltsame Gruppe, welche dem großen Theil nach der südlichen Hemisphäre und bloß dem Meere angehört, von der continentalen Ost-Asiens vorzüglich unterscheidet, ist, wie schon oben bemerkt, die relative Folge im Werth der Variations-Curven. In der ersteren nimmt die (östliche) Abweichung ab, in der zweiten nimmt die (westliche) Abweichung zu, je tiefer man in das Innere des Ovals eindringt. Man kennt aber dieses Innere der geschlossenen Gruppe in der südlichen Halbkugel nur von 8° bis 5° Abweichung. Sollte darin ein Ring südlicher Abweichung, und noch mehr nach innen jenseits der geschlossenen Null-Linie wieder westliche Abweichung gefunden werden?
Die Curven ohne Abweichung, wie alle magnetische Linien, haben ihre Geschichte. Es steigt dieselbe leider noch nicht zwei Jahrhunderte aufwärts. Einzelne Angaben finden sich allerdings früher bis in das 14te und 15te Jahrhundert. Hansteen hat 141 auch hier wieder das große Verdienst gehabt zu sammeln und scharfsinnig zu vergleichen. Es scheint, als bewege sich der nördliche Magnetpol von West nach Ost, der südliche von Ost nach West: aber genaue Beobachtungen lehren, daß die verschiedenen Theile der isogonischen Curven sehr ungleichmäßig fortschreiten und da, wo sie parallel waren, den Parallelismus verlieren; daß die Gebiete der Declination Einer Benennung in nahen Erdtheilen sich nach sehr verschiedenen Richtungen erweitern und verengen. Die Linien ohne Abweichung in West-Asien und im atlantischen Ocean schreiten von Osten nach Westen vor: die erstere derselben durchschnitt gegen 1716 Tobolsk; 1761, zu Chappe's Zeit, Jekatherinenburg, später Casan; 1729 war sie zwischen Osablikowo und Doskino (unfern Nishnei-Nowgorod): also in 113 Jahren war sie 24°¾ in Westen fortgerückt. Ist die Azoren-Linie, die Christoph Columbus am 13 September 1492 bestimmte, dieselbe, welche nach den Beobachtungen von Davis und Keeling 1607 durch das Vorgebirge der guten Hoffnung gegangen istSabine, magn. and meteor. observ. at the Cape of Good Hope Vol. I. p. LX.; dieselbe, die wir jetzt als westatlantische von der Mündung des Amazonenflusses nach dem Littoral von Nord-Carolina gerichtet sehen: so fragt man, was aus der Linie ohne Abweichung geworden sei, welche 1600 durch Königsberg, 1620 (?) durch Kopenhagen, 1657 bis 1662 durch London: und doch erst 1666 nach Picard durch das östlicher gelegene Paris, so wie etwas vor 1668 durch LissabonBei der Beurtheilung so naher Epochen des Durchganges der Linie ohne Abweichung und der Priorität dieses Durchganges darf nicht vergessen werden, wie leicht bei den damals angewandten Instrumenten und Methoden ein Irrthum von 1° vorfallen konnte. ging? Auffallend sind diejenigen Punkte der Erde, in welchen lange Perioden hindurch kein seculares Fortschreiten bemerkt worden ist. Sir John Herschel hat schon auf einen solchen langen Stillstand in JamaicaKosmos Bd. I. S. 430 Anm. 150. aufmerksam gemacht, wie EulerEuler in den Mémoires de l'Acad. roy. des Sciences de Berlin 1757 p. 176. und BarlowBarlow in den Phil. Tr. for 1833 P. II. p. 671. Ueber die älteren Magnet-Beobachtungen in St. Petersburg aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herrscht große Unsicherheit. Die Abweichung soll von 1726 bis 1772 immer 3° 15' oder 3° 30' gewesen sein! Hansteen, Magnetismus der Erde S. 7 und 143. auf einen ähnlichen im südlichen Australien.
142 Polarlicht.
Wir haben die drei Elemente des tellurischen Magnetismus, d. i. die drei Hauptarten seiner Manifestation: Intensität, Inclination und Declination, in ihren von den geographischen Ortsverhältnissen abhängigen, nach Tages- und Jahreszeiten veränderlichen Bewegungen ausführlich behandelt. Die außerordentlichen Störungen, welche zuerst an der Declination beobachtet wurden, sind: wie Halley geahndet, wie Dufay und Hiorter erkannt haben, theils Vorboten, theils Begleiter des magnetischen Polarlichts. Ueber die Eigenthümlichkeiten dieses, oft durch Farbenpracht so ausgezeichneten Lichtprocesses der Erde habe ich mit ziemlicher Vollständigkeit in dem Naturgemälde gehandelt, und neuere Beobachtungen sind im allgemeinen den dort geäußerten Ansichten günstig gewesen. »Das Nordlicht ist nicht sowohl als eine äußere Ursach der Störung in dem Gleichgewicht der Vertheilung des Erd-Magnetismus geschildert worden; sondern vielmehr als eine bis zum leuchtenden Phänomen gesteigerte tellurische Thätigkeit, deren eine Seite die unruhige Schwingung der Nadel und deren andere das polare Leuchten des Himmelsgewölbes ist.« Das Polarlicht erscheint nach dieser Ansicht als eine Art stiller Entladung, als das Ende eines magnetischen Ungewitters; in dem electrischen erneuert sich ebenfalls durch eine Licht-Entwickelung: durch Blitze, von krachendem Donner begleitet, das gestörte Gleichgewicht der Electricität. Die wiederholteKosmos Bd. I. S. 198–210 und Dove in Poggendorff's Annalen Bd. XIX. S. 388. Aufstellung einer bestimmten Hypothese gewährt in einer so verwickelten und geheimnißvollen Erscheinung wenigstens den Vortheil, daß die Bestrebungen dieselbe zu widerlegen zu einer anhaltenderen und sorgfältigeren Beobachtung der einzelnen Vorgänge anreizen.
143 Bei der rein objectiven Beschreibung dieser Vorgänge verweilend, und hauptsächlich die schöne und einzige Reihe ununterbrochener achtmonatlicher Forschungen benutzend, die wir dem Aufenthalte ausgezeichneter PhysikerDie verdienstvolle Arbeit von Lottin, Bravais, Lilliehöök und Siljeström, welche vom 19 Sept. 1838 bis 8 April 1839 in Finmarken zu Bossekop (Br. 69° 58') und zu Jupvig (Br. 70° 6') die Erscheinungen des Nordlichts beobachteten, ist erschienen in der 4ten Abtheilung der Voyages en Scandinavie, en Laponie, au Spitzberg et aux Feroë, sur la Corvette La Recherche (Aurores boréales). Es sind diesen Beobachtungen beigefügt: die 1837–1840 von englischen Bergbeamten in den Kupfergruben zu Kalfiord (Br. 69° 56') erlangten wichtigen Resultate, p. 401–435. im äußersten Norden von Scandinavien (1838–1839) verdanken: richten wir zuerst unsere Aufmerksamkeit auf die allmälig am Horizont aufsteigende dunkle Nebelwand, das sogenannte schwarze Segment des NordlichtsVergl. über das Segment obscure de l'Aurore boréale die eben angeführte Schrift p. 437–444. Die Schwärze ist, wie Argelander bemerkt, nicht eine Folge des Contrastes; denn sie ist bisweilen früher sichtbar, als der hellleuchtende Bogen sie zu begrenzen anfängt. Es ist ein Proceß, der in einem Theil des Luftkreises vorgeht; denn nichts beweist bisher eine materielle Beimischung, welche die Verdunkelung erregte. Die kleinsten Sterne erkennt das Fernrohr in dem schwarzen Segment, wie in den farbigen, lichten Theilen des schon völlig entwickelten Nordlichts. In den höheren Breiten scheint das schwarze Segment weit seltener zu sein als in den mittleren. Bei sehr reinem Himmel im Februar und März, wo das Polarlicht häufig war, fehlte es dort ganz; und Keilhau hat einen vollen Winter lang es in Lapland (zu Talwig) gar nicht gesehen. Durch genaue Bestimmungen von Sternhöhen zeigte Argelander, daß kein Theil des Polarlichts auf diese Höhen Einfluß ausübt. Auch außerhalb der Segmente erscheinen, doch selten, schwarze Strahlen, die HansteenSchweigger's Jahrbuch der Chemie und Physik 1826 Bd. XVI. S. 198 und Bd. XVIII. S. 364. Das dunkle Segment und das unbestreitbare Aufsteigen schwarzer Strahlen oder Streifen, in denen (durch Interferenz?) der Lichtproceß vernichtet ist, erinnern an Quet's recherches sur l'Électrochimie dans la vide, und an Ruhmkorff's feine Versuche: bei denen im luftverdünnten Raume die positive Metallkugel von rothem, die negative von violettem Lichte strahlte, aber die stark leuchtenden parallelen Strahlenschichten regelmäßig durch ganz dunkele Schichten getrennt waren. »La lumière répandue entre les boules terminales des deux conducteurs électriques se partage en tranches nombreuses et parallèles, séparées par des couches obscures alternantes, et régulièrement distinctes.« Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XXXV. 1852 p. 949. und ich mehrfach haben aufsteigen sehen; mit ihnen erscheinen rundliche schwarze Flecken, welche von Lichträumen eingeschlossen sind und mit denen Siljeström sich besonders beschäftigt hat.Voyages en Scandinavie (Aurores bor.) p. 558. Ueber die Kronen und Zelte der Nordlichter s. die vortrefflichen Untersuchungen von Bravais p. 502–514. Auch in der so seltenen Nordlichts-Krone, welche durch Wirkung von linear-perspectivischen Projectionen in ihrem Höhenpunkte der Magnet-Inclination des Orts entspricht, ist die Mitte meist von 144 sehr dunkler Schwärze. Bravais hält diese und die schwarzen Strahlen für optische Contrast-Täuschungen. Von den Lichtbogen erscheinen oft mehrere zugleich, in seltenen Fällen 7–9, parallel gegen den Zenith fortschreitend; bisweilen fehlen sie ganz. Die Strahlenbündel und Lichtsäulen nehmen die vielfältigsten Gestalten an: gekrümmt, guirlandenartig ausgezackt, hakenförmig, kurzgeflammt oder wallenden Segeltüchern ähnlich.A. a. O. (draperie ondulante, flamme d'un navire de guerre déployée horizontalement et agitée par le vent, crochets, fragments d'arcs et de guirlandes) p. 35, 37, 45, 67 und 481. Eine interessante Sammlung solcher Gestalten hat der ausgezeichnete Künstler der Expedition, Herr Bevalet, geliefert.
In den hohen Breiten »ist die gewöhnlich herrschende Farbe des Polarlichts die weiße; ja die milchicht weiße, wenn die Intensität schwach ist. So wie der Farbenton lebhafter wird: geht er ins Gelbe über; die Mitte des breiten Strahls wird hochgelb, und an beiden Rändern entsteht abgesondert Roth und Grün. Geht die Strahlung in schmaler Länge vor, so liegt das Roth oben und das Grün unten. Geht die Bewegung seitwärts von der Linken zur Rechten oder umgekehrt: so entsteht immer das Roth nach der Seite hin, wohin sich der Strahl bewegt, und das Grün bleibt zurück.« Sehr selten hat man von den grünen oder rothen Strahlen eine der Complementar-Farben allein gesehen. Blau sieht man gar nicht; und ein dunkles Roth, wie der Reflex einer Feuersbrunst, ist im Norden so selten, daß Siljeström es nur ein einziges Mal wahrgenommen hat.Vergl. Voyages en Scandinavie (Aurores bor.) p. 523–528 und 557. Die erleuchtende Stärke des Nordlichts erreicht selbst in Finmarken nie ganz die des Vollmonds.
Der, schon so lange von mir behauptete, wahrscheinliche Zusammenhang des Polarlichts mit der Bildung »der kleinsten und feinsten Cirrus-Wölkchen (von den Landleuten Schäfchen genannt), deren parallele Reihen in gleichen Abständen von einander meist der Richtung des magnetischen 145 Meridians folgen«, hat in den neuesten Zeiten allerdings viele Vertheidiger gefunden; ob aber, wie der nordische Reisende Thienemann und Admiral Wrangel wollen, die gereihten Schäfchen das Substrat des Polarlichts oder nicht vielmehr, wie Capitän Franklin, Dr. Richardson und ich vermuthen, die Wirkung eines das magnetische Ungewitter begleitenden, von demselben erzeugten, meteorologischen Processes seien: bleibt noch unentschieden.Kosmos Bd. I. S. 201 und 441 (Anm. 174). Vergl. Franklin, narrative of a journey to the shores of the Polar Sea, in 1819–1822, p. 597; Kämtz, Lehrbuch der Meteorologie Bd. III. (1836) S. 488–490. Die ältesten Vermuthungen über den Verkehr des Nordlichts und der Wolkenbildung sind wohl die von Frobesius (s. Aurorae borealis Spectacula, Helmst. 1739 p. 139). Neben der mit der Magnet-Declination zu vergleichenden Richtung regelmäßig geordneter, feinster Cirrus-Häuschen (bandes polaires), hat mich auf dem mexicanischen Hochlande (1803) und in dem nördlichen Asien (1829) das Umdrehen der Convergenzpunkte lebhaft beschäftigt. Wenn das Phänomen recht vollständig ist; so bleiben die beiden scheinbaren Convergenzpunkte nicht fest: der eine in Nordost, der andere in Südwest (in der Richtung der Linie, welche die höchsten Punkte der bei Nacht leuchtenden Bogen des Polarlichts mit einander verbindet); sondern sie bewegenIch entlehne ein einziges Beispiel aus meinem handschriftlichen Tagebuche der sibirischen Reise: »Die ganze Nacht vom 5 zum 6 August (1829), von meinen Reisebegleitern getrennt, in freier Luft zugebracht, in dem Kosaken-Vorposten Krasnaja Jarki: dem östlichsten am Irtysch, längs der Grenze der chinesischen Dzungarei, und deshalb von einiger Wichtigkeit für die astronomische Ortsbestimmung. Nacht von großer Heiterkeit. Am östlichen Himmelsgewölbe bildeten sich plötzlich vor Mitternacht Polar-Cirrusstreifen (de petits moutons également espacés, distribués en bandes palallèles et polaires). Größte Höhe 35°. Der nördliche Convergenzpunkt bewegt sich langsam gegen Osten. Sie verschwinden, ohne den Zenith zu erreichen; und es bilden sich wenige Minuten darauf ganz ähnliche Polar-Cirrusbanden am nordöstlichen Himmelsgewölbe. Diese bewegen sich während eines Theils der Nacht fast bis zum Aufgang der Sonne wieder sehr regelmäßig bis N 70° O. In der Nacht ungewöhnlich viele Sternschnuppen und farbige Ringe um den Mond. Keine Spur von eigentlichem Nordlichte. Etwas Regen bei gefiedertem Gewölk; dann am 6 August Vormittags heiterer Himmel mit den auf's neue gebildeten Polarbanden von NNO in SSW unbeweglich und das Azimuth nicht verändernd, wie ich in Quito und Mexico so oft gesehen.« (Die Magnet-Abweichung im Altai ist östlich.) sich allmälig gegen Ost und West. Eine ganz ähnliche Drehung oder Translation der Linie, welche im wirklichen Nordlicht die Gipfel der Lichtbogen verbindet, indem die Füße der Lichtbogen (Stützpunkte auf dem Horizont) sich im Azimuth verändern und von O–W gegen N–S wandern; ist mit vieler Genauigkeit einige Male in FinmarkenBravais: der, gegen meine Erfahrungen, die Cirrus-Häufchen in Bosekop fast immer wie Nordlicht-Bogen rechtwinklig gegen den magnetischen Meridian gerichtet fand (Voyages en Scandinavie, phémomène de translation dans les pieds de l'arc des aurores boréales p. 534–537), beschreibt mit gewohnter Genauigkeit die Drehungen der wahren Nordlicht-Bogen p. 27, 92, 122 und 487. Auch in der südlichen Hemisphäre hat Sir James Roß solche progressive Veränderungen der Nordlicht-Bogen (Fortschreiten von WNW – OSO in NNO – SSW) in Südlichtern beobachtet; Voyage in the Southern and Antarctic Regions Vol. I. p. 311. Farbenlosigkeit scheint den Südlichtern oft eigen zu sein; Vol. I. p. 266, Vol. II. p. 209. Ueber nordlichtlose Nächte in Lapland s. Bravais a. a. O. p. 545. beobachtet worden. Die Schäfchen, zu Polarstreifen gereiht, entsprechen nach den hier entwickelten Ansichten der Lage nach den Lichtsäulen oder Strahlenbündeln, welche im Nordlicht aus den, meist ost-westlich gerichteten Bogen gegen den Zenith aufsteigen; sind also nicht mit diesen Bogen selbst zu verwechseln: von denen Parry einen nach einer Nordlicht-Nacht bei hellem Tage erkennbar stehen bleiben sah. Dieselbe Erscheinung hat sich am 3 Sept. 1827 in England 146 wiederholt. Man erkannte bei Tage sogar aus dem Lichtbogen aufschießende Lichtsäulen.Kosmos Bd. I. S. 440 Anm. 173. Die am hellen Tage gesehenen Nordlicht-Bogen erinnern an die Lichtstärke der Sterne und Schweife der Cometen von 1843 und 1847, welche in Nordamerika, in Parma und London nahe bei der Sonne erkannt wurden; Kosmos Bd. I. S. 390 Anm. 43, Bd. III. S. 563.
Es ist mehrmals behauptet worden, daß um den nördlichen Magnetpol ein perpetuirlicher Lichtproceß am Himmelsgewölbe herrsche. Bravais: welcher 200 Nächte ununterbrochen beobachtet hat, in denen 152 Nordlichter genau beschrieben werden konnten, versichert allerdings, daß Nächte ohne Nordschein sehr exceptionell seien; aber er hat bei sehr heiterer Luft und ganz freier Aussicht auf den Horizont bisweilen nächtlich gar keine Spur des Polarlichts bemerkt, oder das magnetische Ungewitter erst sehr spät beginnen sehen. Die größte absolute Zahl der Nordlichter gehört dem Ausgang des Monats September an; und da der März eine relative Mehrheit im Vergleich mit Februar und April zu zeigen scheint, so kann man auch hier, wie bei anderen magnetischen Erscheinungen, einen Zusammenhang mit den Aequinoctien vermuthen. Zu den Beispielen von den Nordlichtern, die in Peru, von den Südlichtern, die in Schottland gesehen wurden, muß ein farbiges Nordlicht gezählt werden, welches der Cap. Lafond auf der Candide am 14 Januar 1831 südlich von Neu-Holland in 45° Breite volle zwei Stundenlang beobachtete.Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. IV. 1837 p. 589.
Das Geräusch wird von den französischen Physikern und von Siljeström in BossekopVoyages en Scandinavie, en Laponie etc. (Aurores boréales) p. 559; und Martins, trad. de la Météorol. de Kaemtz p. 460. Ueber die vermuthete Höhe des Nordlichts s. Bravais a. a. O. p. 549 und 559. mit eben der Bestimmtheit geläugnet als von Thienemann, Parry, Franklin, Richardson, Wrangel und Anjou. Die Höhe des Phänomens hat Bravais auf wenigstens 100000 Meter (51307 Toisen, über dreizehn geogr. Meilen) geschätzt: wenn ein sonst sehr verdienstvoller Beobachter, Herr Farquharson, sie kaum zu 4000 Fuß anschlug. Die Fundamente aller dieser Bestimmungen sind sehr 147 unsicher: und durch optische Täuschungen, wie durch Voraussetzungen über die reelle Identität des gleichzeitig an 2 entfernten Orten gesehenen Lichtbogens verunstaltet. Unbezweifelt dagegen ist der Einfluß des Nordlichts auf Declination, Inclination, horizontale und totale Intensität: also auf alle Elemente des Erd-Magnetismus; doch in verschiedenen Stadien der großen Erscheinung und bei einzelnen jener Elemente sehr ungleichartig. Die ausführlichsten Untersuchungen darüber sind die lapländischen von zwei verdienstvollen Beobachtern, SiljeströmA. a. O. p. 462. und Bravais (1838–1839); wie die canadischen von Toronto (1840–1841), welche Sabine so scharfsinnig discutirt hatSabine, unusual magnet. Disturbances P. I. p. XVIII, XXII, 3 und 54.. Bei unseren verabredeten gleichzeitigen Beobachtungen: die in Berlin (im Mendelssohn-Bartholdy'schen Garten), in Freiburg unter der Erde, in Petersburg, Casan und Nikojalew angestellt wurden: wirkte das zu Alford in Aberdeenshire (Br. 57° 15') gesehene Nordlicht vom 19 und 20 December 1829 an allen diesen Orten auf die Abweichung; an einigen, in denen auch andere Elemente des tellurischen Magnetismus untersucht werden konnten, auf Abweichung, Intensität und Inclination zugleich.Dove in Poggend. Ann. Bd. XX. S. 333–341. Die ungleiche Wirkung, welche ein Nordlicht auf die Declinations-Nadel an Erdpunkten ausübt, die unter sehr verschiedenen Meridianen liegen, kann in vielen Fällen auf die Ortsbestimmungen der wirkenden Ursach führen: da der Ausbruch des leuchtenden magnetischen Ungewitters keinesweges immer in dem Magnetpol selbst zu suchen ist und, wie schon Argelander bebauptet und Bravais bekräftigt hat, der Gipfel des Lichtbogens bisweilen mehr als 11° vom magnetischen Meridian abweicht. Während des schönen Nordlichts, das Prof. Forbes in Edinburg am 21 März 1833 beobachtete, wurde in dem Bergwerk zu Freiberg die Inclination auffallend klein: und die Abweichung so gestört, daß man kaum den Winkel ablesen konnte. Ein Phänomen, das einer besonderen Aufmerksamkeit werth scheint, ist eine Abnahme der totalen Intensität während der zunehmenden Thätigkeit des Nordlicht-Processes. Die Messungen, welche ich mit Oltmanns in Berlin während eines schönen Nordlichts am 20 December 1806 gemacht»Am 20 December 1806: Himmel azurblau, ohne Spur von Gewölk. Gegen 10u erschien in NNW der röthlich gelbe Lichtbogen, durch den ich im Nacht-Fernrohr Sterne 7ter Größe unterscheiden konnte. Durch Wega, die fast unter dem höchsten Punkt des Bogens stand, fand ich dieses Punktes Azimuth. Es war dasselbe etwas westlicher als die Vertical-Ebene, durch die magnetische Abweichung gelegt. Das Nordlicht, welches in Nord-Nord-Westen stand, stieß den Nordpol der Nadel ab; denn statt nach Westen, wie das Azimuth des Bogens, fortzuschreiten, ging die Nadel nach Osten zurück. Die Veränderungen in der Magnet-Declination, welche in diesem Monate Nachts gewöhnlich 2' 27" bis 3' betragen, stiegen während des Nordlichts progressiv und ohne große Oscillationen auf 26' 28". Die Abweichung war am kleinsten, als das Nordlicht um 9u 12' am stärksten war. Die horizontale Kraft fanden wir während des Nordlichts 1' 37",73 für 21 Schwingungen; um 21u 50': also lange nach dem Nordlichte, das um 14u 10' ganz geendigt hatte, 1' 37",17 bei derselben Zahl der Schwingungen. Temperatur des Zimmers, wo die Schwingungen der kleinen Nadel gemessen wurden, im ersten Falle 3°,2; im zweiten 2°,8. Die Intensität war also während des Nordlichts um ein Weniges vermindert. Mond ohne alle farbige Ringe.« (Aus meinem magnetischen Tagebuche.) Vergl. Hansteen S. 459. und welche sich in Hansteen's »Untersuchungen über den Magnetismus der Erde« abgedruckt finden, wurden 148 von Sabine und den französischen Physikern in Lapland 1838 bestätigt.Sabine on days of unusual magn. Disturbances P. 1. p. XVIII. »Mr. Bravais conclut des observations de Laponie que l'intensité horizontale diminue pendant la période la plus active du phénomène de l'aurore boréale« (Martins p. 461).
Wenn in dieser sorgfältigen Entwickelung des dermaligen Zustandes unserer positiven Kenntnisse von den Erscheinungen des Erd-Magnetismus ich mich auf eine bloß objective Darstellung da habe beschränken müssen, wo selbst eine, nur auf Induction und Analogien gegründete, theoretische Gedankenverbindung noch nicht befriedigend dargeboten werden kann; so habe ich in meiner Arbeit eben so absichtlich die geognostischen Wagnisse vermieden, in denen man die Richtung großer Gebirgszüge und geschichteter Gebirgsmassen in ihrer Abhängigkeit von der Richtung magnetischer Linien, besonders der isoklinischen und isodynamischen, betrachtet. Ich bin weit davon entfernt den Einfluß aller kosmischen Urkräfte, der dynamischen und chemischen, wie magnetischer und electrischer Strömungen auf die Bildung krystallinischer Gebirgsarten und Ausfüllung von GangspaltenDelesse sur l'association des minéraux dans les roches qui ont un pouvoir magnétique élevé, in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XXXI. 1850 p. 806; und Annales des Mines, 4ème Série T. XV. (1849) p. 130. zu läugnen; aber bei der fortschreitenden Bewegung aller magnetischen Linien und ihrer Gestalt-Veränderung im Fortschreiten kann ihre dermalige Lage uns wohl nicht über die Richtungs-Verhältnisse der in der Urzeit zu sehr verschiedenen Epochen gehobenen Gebirgsketten, über die Faltung der sich erhärtenden, Wärme ausströmenden Erdrinde belehren.
Anderer Art: nicht den Erd-Magnetismus im allgemeinen, sondern nur sehr partielle, örtliche Verhältnisse berührend, sind diejenigen geognostischen Erscheinungen, welche man mit dem Namen des Gebirgs-MagnetismusReich über Gebirgs- und Gesteins-Magnetismus in Poggendorff's Annalen Bd. 77. S. 35. bezeichnen kann. Sie haben mich auf das lebhafteste vor meiner amerikanischen Reise bei Untersuchungen über den polarischen Serpentinstein des Haidberges in Franken (1796) beschäftigt: und sind damals in Deutschland Veranlassung zu vielem, 149 freilich harmlosen, litterarischen Streite geworden. Sie bieten eine Reihe sehr zugänglicher, aber in neuerer Zeit vernachlässigter, durch Beobachtung und Experiment überaus unvollkommen gelöster Probleme dar. Die Stärke des Gestein-Magnetismus kann in einzelnen abgeschlagenen Fragmenten von Hornblende- und Chlorit-Schiefer, Serpentin, Syenit, Dolerit, Basalt, Melaphyr und Trachyt durch Abweichung der Nadel und durch Schwingungs-Versuche zur Bestimmung der Intensitäts-Zunahme geprüft werden. Man kann auf diesem Wege, durch Vergleichung des specifischen Gewichtes, durch Schlemmung der fein gepulverten Masse und Anwendung des Microscops, entscheiden, ob die Stärke der Polarität nicht mehrfach, statt von der Quantität der eingemengten Körner Magneteisens und Eisen-Oxyduls, von der relativen Stellung dieser Körner herrühre. Wichtiger in kosmischer Hinsicht aber ist die, von mir längst wegen des Haidberges angeregte Frage: ob es ganze Gebirgsrücken giebt, in denen nach entgegengesetzten Abfällen eine entgegengesetzte PolaritätAls ich im Jahr 1796 am fränkischen Fichtelgebirge, wo ich die Stelle eines Oberbergmeisters bekleidete, den so merkwürdigen polarischen Serpentinberg (Haidberg) bei Gefreß auffand, welcher in einzelnen Punkten bis in 22 Fuß Entfernung auf die Abweichung der Nadel wirkt (Intelligenz-Blatt der allgem. Jenaer Litteratur-Zeitung Dec. 1796 No. 169 S. 1447 und März 1797 No. 38 S. 323–326; Gren's neues Journal der Physik Bd. IV. 1797 S. 136; Annales de Chimie T. XXII. p. 47); wurde diese Frage besonders angeregt. Ich hatte zu finden geglaubt, daß die Magnet-Achsen des Berges gegen die Erdpole gänzlich invertirt liegen; aber nach Untersuchungen von Bischoff und Goldfuß (Beschreibung des Fichtelgebirges Bd. I. S. 196) sind für 1816 zwar auch magnetische Achsen, welche den Haidberg durchsetzen und an entgegengesetzten Abhängen entgegengesetzte Pole darbieten, erkannt worden: doch war die Orientirung der Achsen verschieden von der, welche ich angegeben. Der Haidberg selbst besteht aus lauchgrünem Serpentinstein, der theilweise in Chlorit- und Hornblend-Schiefer übergeht. Bei dem Dorfe Voysaco in der Andenkette von Pasto haben wir Geschiebe von Thonporphyr, bei der Besteigung des Chimborazo Gruppen säulenförmigen Trachyts gefunden, welche die Nadel in 3 Fuß Entfernung beunruhigten. Auffallend war es mir, daß ich in den schwarzen und rothen Obsidianen des Quinche nördlich von Quito, wie in den grauen des Cerro de las Navajas von Mexico große Fragmente mit bestimmten Polen gefunden habe. Sämmtliche große Magnetberge des Ural-Gebirges: wie der Blagodat bei Kuschwa, die Wyßokaja Gora bei Nishne-Tagilsk, der Katschkanar bei Nishne-Turinsk; sind aus Augit- oder vielmehr aus Uralit-Porphyr hervorgebrochen. In dem großen Magnetberge Blagodat, welchen ich mit Gustav Rose auf der sibirischen Expedition 1829 untersuchte, scheint die Gesammtwirkung der einzelnen polarisirenden Theile schlechterdings keine bestimmte, erkennbare Magnet-Achsen hervorgebracht zu haben. Nahe neben einander liegen, unregelmäßig vermengt, entgegengesetzte Pole. So hatte es auch vor uns schon Erman gefunden (Reise um die Erde Bd. I. S. 362). Ueber den Intensitäts-Grad der polarischen Stärke im Serpentin, Basalt und Trachyt-Gestein, verglichen mit der Quantität der diesen Gesteinen eingemengten Theile von Magneteisen und Eisen-Oxydul; wie über den schon von Gmelin und Gibbs behaupteten Einfluß der Luftberührung auf Entwickelung der Polarität s. die zahlreichen und sehr beachtenswerthen Versuche von Zaddach in dessen Beobachtungen über die magnetische Polarität des Basaltes und der trachytischen Gesteine 1851 S. 56, 65–78 und 95. Aus Vergleichung vieler Basalt-Steinbrüche in Hinsicht auf die Polarität der lange schon einzeln stehenden Säulen, oder solcher Säulenwände, die jetzt erst in Berührung mit der Atmosphäre kommen, aus Entblößung von Erde einzelner Massen gegen die Tiefe hin, glaubt Dr. Zaddach folgern zu können (S. 74 und 80): daß die polarische Eigenschaft, welche bei freiem Zutritt der Atmosphäre und in einem von offenen Spalten durchsetzten Gestein immer am intensivsten erscheint, »sich von außen nach innen und gewöhnlich von oben nach unten zu verbreitet«. Gmelin sagt von dem großen Magnetberg Ulu-utasse-Tau, im Lande der Baschkiren, nahe am Jaik: »die Seiten, welche dem Tage ausgesetzt sind, haben die stärkste magnetische Kraft; diejenigen aber, welche in der Erde liegen, sind viel schwächer.« (Reise durch Sibirien 1740–1743 Bd. IV. S. 345.) Auch mein großer Lehrer Werner äußerte die Meinung »von dem Einfluß der Luftberührung, welche nicht auf dem Wege einer vermehrten Oxydation die Polarität und die Anziehung verstärkt haben könnte«, wenn er in seinen Vorträgen vom schwedischen Magneteisen sprach. Von der Magneteisen-Grube bei Succassuny in New Jersey behauptet Oberst Gibbs: »the ore raised from the bottom of the mine has no magnetism at first, but acquires it after it has been some time exposed to the influence of the atmosphere.« (On the connexion of Magnetism and Light, in Silliman's American Journal of Science Vol. I. 1819 p. 89) Eine solche Behauptung sollte wohl zu genauen Versuchen anregen. – Wenn ich oben in dem Texte (S. 149) darauf aufmerksam gemacht habe, daß nicht die Quantität der, einer Gebirgsart eingemengten kleinen Eisentheile allein, sondern zugleich ihre relative Vertheilung (ihre Stellung) auf die Intensität der Polarkraft als Resultante wirkt; so habe ich die kleinen Theile als eben so viele kleine Magnete betrachtet. Vergleiche neue Ansichten über diesen Gegenstand in einer Abhandlung von Melloni, die dieser große Physiker im Januar 1853 in der königl. Akademie zu Neapel verlesen hat (esperienze intorno al Magnetismo delle Rocche; Mem. I. sulla polarità). – Des, besonders im mittelländischen Meere so alt verbreiteten Vorurtheils, daß das Reiben eines Magnetstabes mit Zwiebeln, ja schon die Ausdünstung der Zwiebel-Esser die Richtkraft vermindere und den Compaß im Steuern verwirre; findet man erwähnt in Procli Diadochi paraphrasis Ptolem. libri IV de siderum affectionibus 1635 p. 20 (Delambre, Hist. de l'Astronomie ancienne T. II. p. 545). Es ist schwer die Veranlassung eines so sonderbaren Volksglaubens zu errathen. gefunden wird? Eine genaue astronomische Orientirung der Lage solcher Magnet-Achsen eines Berges wäre dann von großem Interesse, wenn nach beträchtlichen Zeitperioden entweder eine Veränderung der Achsenrichtung oder eine, wenigstens scheinbare Unabhängigkeit eines solchen kleinen Systems magnetischer Kräfte von den drei variablen Elementen des totalen Erd-Magnetismus erkannt würde.
Reaction des Inneren der Erde gegen die Oberfläche; sich offenbarend: a) bloß dynamisch, durch Erschütterungswellen (Erdbeben); – b) durch die, den Quellwassern mitgetheilte, erhöhte Temperatur, wie durch die Stoff-Verschiedenheit der beigemischten Salze und Gas-Arten (Thermalquellen); – c) durch den Ausbruch elastischer Flüssigkeiten, zu Zeiten von Erscheinungen der Selbstentzündung begleitet (Gas- und Schlamm-Vulkane, Naphtha-Feuer, Salsen); – d) durch die großartigen und mächtigen Wirkungen eigentlicher Vulkane: welche (bei permanenter Verbindung durch Spalten und Krater mit dem Luftkreise) aus dem tiefsten Inneren geschmolzene Erden, theils nur als glühende Schlacken ausstoßen; theils gleichzeitig, wechselnden Processen krystallinischer Gesteinbildung unterworfen, in langen, schmalen Strömen ergießen.
Um, nach dem Grundplan dieser Schrift, die Verkettung der tellurischen Erscheinungen, das Zusammenwirken eines einigen Systems treibender Kräfte in der beschreibenden Darstellung festzuhalten; müssen wir hier daran erinnern: wie wir, beginnend von den allgemeinen Eigenschaften der Materie und den drei Hauptrichtungen ihrer Thätigkeit (Anziehung, licht- und wärme-erzeugenden Schwingungen, electro-magnetischen Processen), in der ersten Abtheilung die Größe, Formbildung und Dichte unseres Planeten, seine innere Wärme-Vertheilung und magnetische Ladung in ihren, 212 nach bestimmten Gesetzen wechselnden Wirkungen der Intensität, Neigung und Abweichung betrachtet haben. Jene eben genannten Thätigkeits-Richtungen der Materie sind nahe verwandteKosmos Bd. III. S. 44. Aeußerungen einer und derselben Urkraft. Am unabhängigsten von aller Stoff-Verschiedenheit treten dieselben in der Gravitation und Molecular-Anziehung auf. Wir haben unseren Planeten dabei in seiner kosmischen Beziehung zu dem Centralkörper seines Systems dargestellt: weil die innere primitive Wärme, wahrscheinlich durch die Condensation eines rotirenden Nebelringes erzeugt, durch Sonnen-Einwirkung (Insolation) modificirt wird. In gleicher Hinsicht ist der periodischen Einwirkung der Sonnenflecken, d. h. der Frequenz oder Seltenheit der Oeffnungen in den Sonnen-Umhüllungen, auf den Erd-Magnetismus, nach Maaßgabe der neuesten Hypothesen, gedacht worden.
Die zweite Abtheilung dieses Bandes ist dem Complex derjenigen tellurischen Erscheinungen gewidmet, welche der noch fortwährend wirksamen Reaction des Inneren der Erde gegen ihre OberflächeBd. I. S. 208–210. zuzuschreiben sind. Ich bezeichne diesen Complex mit dem allgemeinen Namen des Vulcanismus oder der Vulcanicität; und halte es für einen Gewinn, nicht zu trennen, was einen ursachlichen Zusammenhang hat, nur der Stärke der Kraftäußerung und der Complication der physischen Vorgänge nach verschieden ist. In dieser Allgemeinheit der Ansicht erhalten kleine, unbedeutend scheinende Phänomene eine größere Bedeutung. Wer als ein wissenschaftlich unvorbereiteter Beobachter zum ersten Male an das Becken tritt, welches eine heiße Quelle füllt, und lichtverlöschende Gas-Arten darin aufsteigen sieht; wer zwischen Reihen veränderlicher Kegel von Schlammvulkanen wandelt, die 213 kaum seine eigene Höhe überragen: ahndet nicht, daß in den friedlichen Räumen, welche die letzteren ausfüllen, mehrmals viele tausend Fuß hohe Feuerausbrüche statt gefunden haben; daß einerlei innere Kraft colossale Erhebungs-Krater: ja die mächtigen, verheerenden, lava-ergießenden Vulkane des Aetna und Pics von Teyde, die schlacken-auswerfenden des Cotopaxi und Tunguragua, erzeugt.
Unter den mannigfach sich steigernden Phänomenen der Reaction des Inneren gegen die äußere Erdrinde sondere ich zuerst diejenigen ab, deren wesentlicher Charakter ein bloß dynamischer, der der Bewegung oder der Erschütterungswellen in den festen Erdschichten, ist: eine vulkanische Thätigkeit ohne nothwendige Begleitung von chemischer Stoff-Veränderung; von etwas Stoffartigem, ausgestoßenen oder neu erzeugten. Bei den anderen Reactions-Phänomenen des Inneren gegen das Aeußere: bei Gas- und Schlamm-Vulkanen, Naphtha-Feuern und Salsen; bei den großen, am frühesten, und lange allein Vulkane genannten Feuerbergen; fehlen nie Production von etwas Stoffartigem (elastisch-flüssigen oder festen), Processe der Zersetzung und Gas-Entbindung, wie der Gesteinbildung aus krystallinisch geordneten Theilchen. Das sind in der größten Verallgemeinerung die unterscheidenden Kennzeichen der vulkanischen Lebensthätigkeit unseres Planeten. In so fern diese Thätigkeit im größeren Maaße der hohen Temperatur der innersten Erdschichten zuzuschreiben ist: wird es wahrscheinlich, daß alle Weltkörper, welche mit Begleitung von ungeheurer Wärme-Entbindung sich geballt haben und aus einem dunstförmigen Zustande in einen festen übergegangen sind, analoge Erscheinungen darbieten müssen. Das Wenige, das wir von der Oberflächen-Gestaltung des 214 Mondes wissen, scheint darauf hinzudenten.Bd. III. S. 48, 431, 503 und 508–510. Hebung und gestaltende Thätigkeit in krystallinischer Gesteinbildung aus einer geschmolzenen Masse sind auch in einem Weltkörper denkbar, den man für luft- und wasserlos hält.
Auf einen genetischen Zusammenhang der hier bezeichneten Classen vulkanischer Erscheinungen deuten die vielfachen Spuren der Gleichzeitigkeit und begleitender Uebergänge der einfacheren und schwächeren Wirkungen in stärkere und zusammengesetztere hin. Die Reihung der Materien in der von mir gewählten Darstellung wird durch eine solche Betrachtung gerechtfertigt. Die gesteigerte magnetische Thätigkeit unseres Planeten: deren Sitz wohl aber nicht in dem geschmolznen Inneren zu suchen ist, wenn gleich (nach Lenz und Rieß) Eisen in geschmolzenem Zustande einen electrischen oder galvanischen Strom zu leiten vermag; erzeugt Lichtentwickelung in den Magnetpolen der Erde oder wenigstens meist in der Nähe derselben. Wir beschlossen die erste Abtheilung des tellurischen Bandes mit dem Leuchten der Erde. Auf dies Phänomen einer lichterzeugenden Schwingung des Aethers durch magnetische Kräfte lassen wir nun zuerst diejenige Classe der vulkanischen Thätigkeit folgen, welche, ihrem eigentlichen Wesen nach, ganz wie die magnetische, nur dynamisch wirkt: Bewegung, Schwingungen in der Feste erregend, nichts Stoffartiges erzeugend oder verändernd. Secundäre, nicht wesentliche Erscheinungen (aufsteigende Flammen während des Erdbebens, Wasser-Ausbrüche und Gas-EntwicklungenBd. I. S. 220. ihm folgend) erinnern an die Wirkung der Thermalquellen und Salsen. Flammen-Ausbrüche, viele Meilen weit sichtbar, und Felsblöcke, der Tiefe entrissen und umhergeschleudertBd. I. S. 233. Vergl. Bertrand-Geslin sur les roches lancées par le Volcan de Boue du Monte Zibio près du bourg de Sassuolo in Humboldt, Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent (Relation historique) T. III. p. 566., zeigen die Salsen; und bereiten 215 gleichsam vor zu den großartigen Erscheinungen der eigentlichen Vulkane, die wiederum zwischen weit von einander entfernten Eruptions-Epochen salsenartig nur Wasserdampf und Gas-Arten auf Spalten aushauchen. So auffallend und lehrreich sind die Analogien, welche in verschiedenen Stadien die Abstufungen des Vulcanismus darbieten.
a. Erdbeben.
(Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I. S. 210–225.)
Seitdem in dem ersten Bande dieses Werkes (1845) die allgemeine Darstellung der Erdbeben-Phänomene erschienen ist, hat sich das Dunkel, in welches der Sitz und die Ursachen derselben gehüllt sind, wenig vermindert; aber durch die vortrefflichen ArbeitenRobert Mallet in den Transactions of the Royal Irish Academy Vol. XXI. (1848) p. 51–113; desselben first Report on the facts of Earthquake Phaenomena im Report of the meeting of the British Assiciation for the advancement of Science, held in 1850, p. 1–89; derselbe im Manual of Scientific Enquiry for the use of the British Navy 1849 p. 196–223; William Hopkins on the geological theories of Elevation and Earthquakes im Rep. of the British Assoc. for 1847 p. 33–92. Die strenge Kritik, welcher Herr Mallet meine frühere Arbeit in seinen sehr schätzbaren Abhandlungen (Irish Transact. p. 99–101 und meeting of the British Assoc. held at Edinb. p. 209) unterworfen hat, ist von mir mehrfach benutzt worden. von Mallet (1846) und Hopkins (1847) ist über die Natur der Erschütterung, den Zusammenhang scheinbar verschiedenartiger Wirkungen, und über die Trennung begleitender oder gleichzeitig eintretender physikalischer und chemischer Processe einiges Licht verbreitet worden. Mathematische Gedankenentwicklung kann, nach Poisson's Vorgange, hier, wie überall, wohlthätig wirken. Die Analogien zwischen den Schwingungen fester Körper und den Schallwellen der Luft, auf welche Thomas Young schon aufmerksamThomas Young, lectures on Natural Philosophy 1807 Vol. I p. 717. gemacht hat, sind in den theoretischen Betrachtungen über die Dynamik der Erdbeben besonders geeignet zu einfacheren und befriedigenderen Ansichten zu führen.
Räumliche Veränderung, Erschütterung, Hebung und Spalten-Erzeugung bezeichnen den wesentlichen Charakter des Phänomens. Es sind zu unterscheiden die wirkende Kraft, welche als Impuls die Vibration erregt; und die Beschaffenheit, Fortpflanzung, Verstärkung oder Verminderung 216 der Erschütterungswelle. Ich habe in dem Naturgemälde beschrieben, was sich zunächst den Sinnen offenbart; was ich Gelegenheit gehabt so viele Jahre lang selbst zu beobachten auf dem Meere, auf dem Secboden der Ebenen (Llanos), auf Höhen von acht- bis funfzehntausend Fuß: am Kraterrande entzündeter Vulkane, und in Regionen von Granit und Glimmerschiefer, dreihundert geographische Meilen von allen Feuerausbrüchen entfernt: in Gegenden, wo die Einwohner zu gewissen Epochen die Zahl der Erdstöße nicht mehr als wir in Europa die Zahl der Regenschauer zählen; wo Bonpland und ich wegen Unruhe der Maulthiere absteigen mußten, weil in einem Walde der Boden 15 bis 18 Minuten lang ununterbrochen erbebte. Bei einer so langen Gewohnheit, die später Boussingault in einem noch höheren Grade getheilt hat, ist man zu ruhiger und sorgfältiger Beobachtung gestimmt; wohl auch geeignet, mit kritischer Sorgfalt abweichende Zeugnisse an Ort und Stelle zu sammeln: ja zu prüfen, unter welchen Verhältnissen die mächtigen Veränderungen der Erdoberfläche erfolgt sind, deren frische Spuren man erkennt. Wenn gleich schon fünf Jahre seit dem schaudervollen Erdbeben von Riobamba, welches am 4 Februar 1797 über 30000 Menschen in wenigen Minuten das Leben kosteteIch folge der statistischen Angabe, die mir der Corregidor von Tacunga 1802 mittheilte. Sie erhob sich zu einem Verlust von 30000 zu 34000 Menschen, aber einige 20 Jahre später wurde die Zahl der unmittelbar getödteten um ⅛ vermindert., vergangen waren; so sahen wir doch noch die einst fortschreitenden, aus der Erde aufgestiegenen Kegel der MoyaKosmos Bd. I. S. 221., und die Anwendung dieser brennbaren Substanz zum Kochen in den Hütten der Indianer. Ergebnisse von Bodenveränderungen konnte ich aus jener Catastrophe beschreiben, die in einem größeren Maaßstabe ganz denen analog gewesen sind, welche das berühmte Erdbeben von Calabrien (Febr. 1783) darbot; und die man lange für ungenau und abenteuerlich dargestellt ausgegeben hat, weil 217 sie nicht nach Theorien zu erklären waren, welche man sich voreilig gebildet.
Indem man, wie wir bereits oben angedeutet haben, die Betrachtungen über das, was den Impuls zur Erschütterung giebt, sorgfältig von denen über das Wesen und die Fortpflanzung der Erschütterungswellen trennt; so unterscheidet man dadurch zwei Classen der Probleme von sehr ungleicher Zugänglichkeit. Die erstere kann nach dem jetzigen Zustande unseres Wissens zu keinen allgemein befriedigenden Resultaten führen: wie bei so vielem, in dem wir bis zu den letzten Ursachen aufsteigen wollen. Dennoch ist es von großem kosmischen Interesse: während wir uns bestreben, in dem der wirklichen Beobachtung Unterworfenen das Gesetzliche zu erforschen, die verschiedenen, bisher als wahrscheinlich aufgestellten, genetischen Erklärungsarten fortdauernd im Auge zu behalten. Der größere Theil derselben bezieht sich, wie bei aller Vulcanicität, unter mancherlei Modificationen auf die hohe Temperatur und chemische Beschaffenheit des geschmolzenen Inneren der Erde; eine einzige, und zwar die neueste Erklärungsart des Erdbebens in trachytischen Regionen, ist das Ergebniß geognostischer Vermuthungen über den Nicht-Zusammenhang vulkanisch gehobener Felsmassen. Folgende Zusammenstellung bezeichnet näher und in gedrängter Kürze die Verschiedenheit der Ansichten über die Natur des ersten Impulses zur Erschütterung:
Der Kern der Erde wird als in feurig flüssigem Zustande gedacht: als Folge alles planetarischen Bildungsprocesses aus einer gasförmigen Materie, durch Entbindung der Wärme bei dem Uebergange des Flüssigen zum Dichten. Die äußeren Schichten haben sich durch Strahlung zuerst abgekühlt und am frühesten erhärtet. Ein ungleichartiges 218 Aufsteigen elastischer Dämpfe, gebildet (an der Grenze zwischen dem Flüssigen und Festen) entweder allein aus der geschmolzenen Erdmasse oder aus eindringendem Meereswasser; sich plötzlich öffnende Spalten, und das plötzliche Aufsteigen tiefer entstandener, und darum heißerer und gespannterer Dämpfe in höhere Felsschichten, der Erdoberfläche näher: verursachen die Erschütterung. Als Nebenwirkung einer nicht tellurischen Ursach wird auch wohl die Attraction des Mondes und der SonneZweifel über die Wirkung auf das geschmolzene »subjacent fluid confined into internal lakes« hat Hopkins geäußert im meeting of the British Assoc. in 1847 p. 57; wie über the subterraneous lava tidal wave, moving the solid crust above it, Mallet im meeting in 1850 p. 20. Auch Poisson, mit dem ich mehrmals über die Hypothese der unterirdischen Ebbe und Fluth durch Mond und Sonne gesprochen, hielt den Impuls, den er nicht läugnete, für unbedeutend: »da im freien Meere die Wirkung ja kaum 14 Zoll betrage«. Dagegen sagte Ampère: Ceux qui admettent la liquidité du noyau intérieur de la terre, paraissent ne pas avoir songé assez à l'action qu'exercerait la lune sur cette énorme masse liquide: action d'où résulteraient des marées analogues à celles de nos mers, mais bien autrement terribles, tant par leur étendue que par la densité du liquide. Il est difficile de concevoir, comment l'enveloppe de la terre pourrait résister, étant incessamment battue par une espèce de bélier hydraulique (?) de 1400 lieues de longueur. (Ampère, théorie de la Terre in der Revue des deux Mondes 1833 T. III. p. 106–7. Ist das Erd-Innere flüssig, wie im allgemeinen nicht zu bezweifeln ist, da trotz des ungeheuren Druckes die Theilchen doch verschiebbar bleiben; so sind in dem Erd-Inneren dieselben Bedingungen enthalten, welche an der Erdoberfläche die Fluth des Weltmeeres erzeugen: und es wird die fluth-erregende Kraft in größerer Nähe beim Mittelpunkte immer schwächer werden, da der Unterschied der Entfernungen von je zwei entgegengesetzt liegenden Punkten, in ihrer Relation zu den anziehenden Gestirnen betrachtet, in größerer Tiefe unter der Oberfläche immer kleiner wird, die Kraft aber allein von dem Unterschiede der Entfernungen abhängt. Wenn die feste Erdrinde diesem Bestreben einen Widerstand entgegensetzt, so wird das Erd-Innere an diesen Stellen nur einen Druck gegen die Erdrinde ausüben; es wird (wie mein astronomischer Freund Dr. Brünnow sich ausdrückt) so wenig Fluth entstehen, als wenn das Weltmeer eine unzersprengbare Eisdecke hätte. Die Dicke der festen, ungeschmolzenen Erdrinde wird berechnet nach dem Schmelzpunkt der Gebirgsarten und dem Gesetze der Wärme-Zunahme von der Oberfläche der Erde in die Tiefe. Ich habe bereits oben (Kosmos Bd. I. S. 27 und 48 [Anm. 13]) die Vermuthung gerechtfertigt, daß etwas über fünf geogr. Meilen (54/10) unter der Oberfläche eine Granit schmelzende Glühhitze herrsche. Fast dieselbe Zahl (45000 Meter = 6 geogr. Meilen, zu 7419m) nannte Elie de Beaumont (Geologie, herausgegeben von Vogt 1846, Bd. I. S. 32) für die Dicke der starren Erdrinde. Auch nach den sinnreichen, für die Fortschritte der Geologie so wichtigen Schmelzversuchen verschiedener Mineralien von Bischof fällt die Dicke der ungeschmolzenen Erdschichten zwischen 115000 und 128000 Fuß, im Mittel zu 5⅓ geogr. Meilen; s. Bischof, Wärmelehre des Innern unsers Erdkörpers S. 286 u. 271. Um so auffallender ist es mir zu finden, daß bei der Annahme einer bestimmten Grenze zwischen dem Festen und Geschmolzenen, nicht eines allmäligen Ueberganges, Herr Hopkins, nach Grundsätzen seiner speculativen Geologie, das Resultat aufstellt: the thickness of the solid shell cannot be less than about one fourth or one fifth (?) of the radius of its external surface (meeting of the British Assoc. held at Oxford in 1847 p. 51). Cordier's früheste Annahme war doch nur 14 geogr. Meilen ohne Correction: welche von dem, mit der großen Tiefe zunehmenden Druck der Schichten und der hypsometrischen Gestalt der Oberfläche abhängig ist. Die Dicke des starren Theils der Erdrinde ist wahrscheinlich sehr ungleich. auf die flüssige, geschmolzene Oberfläche des Erdkerns betrachtet, wodurch ein vermehrter Druck entstehen muß: entweder unmittelbar gegen ein festes aufliegendes Felsgewölbe; oder mittelbar, wo in unterirdischen Becken die feste Masse durch elastische Dämpfe von der geschmolzenen, flüssigen Masse getrennt ist.
Der Kern unseres Planeten wird als aus unoxydirten Massen, aus den Metalloiden der Alkalien und Erden bestehend gedacht. Durch Zutritt von Wasser und Luft soll die vulkanische Thätigkeit in dem Kerne erregt werden. Die Vulkane ergießen allerdings eine große Menge Wasserdampf in die Atmosphäre; aber die Annahme des Eindringens des Wassers in den vulkanischen Heerd hat viele Schwierigkeit, in Betrachtung des gegenseitigen DruckesGay-Lussac, réflexions sur les Volcans in den Annales de Chimie et de Physique T. XXII. 1823 p. 418 und 426. – Der Verfasser, welcher mit Leopold von Buch und mir den großen Lava-Ausbruch des Vesuvs im Sept. 1805 beobachtete, hat das Verdienst gehabt die chemischen Hypothesen einer strengen Kritik zu unterwerfen. Er sucht die Ursach der vulkanischen Erscheinungen in einer affinité très énergique et non encore satisfaite entre les substances, a laquelle un contact fortuit leur permettait d'obèir; er begünstigt im ganzen die aufgegebene Davy'sche und Ampère'sche Hypothese: en supposant que les radicaux de la silice, de l'alumine, de la chaux et du fer soient unis au chlore dans l'intérieur de la terre; auch das Eindringen des Meerwassers ist ihm nicht unwahrscheinlich unter gewissen Bedingungen: p. 419, 420, 423 und 426. Vergl. über die Schwierigkeit einer Theorie, die sich auf das Eindringen des Wassers gründet, Hopkins im meeting of 1847 p. 38. der äußeren Wassersäule und inneren Lava; und der Mangel oder wenigstens die große Seltenheit von brennendem Wasserstoffgas während der Eruption: welchen die Bildungen von Chlor-Wasserstoff-SäureIn den südamerikanischen Vulkanen fehlt unter den ausgestoßenen Dämpfen, nach den schönen Analysen von Boussingault an 5 Kraterrändern (Tolima, Puracé, Pasto, Tuquerres und Cumbal), Chlor-Wasserstoff-Säure gänzlich: nicht aber an den italiänischen Vulkanen; Annales de Chimie T. LII. 1833 p. 7 und 23., Ammoniak und geschwefeltem Wasserstoff wohl nicht hinlänglich ersetzen, hat den berühmten Urheber der Hypothese sie selbst freimüthigKosmos Bd. I. S. 247. Indem Davy auf das bestimmteste die Meinung aufgab, daß die vulkanischen Ausbrüche eine Folge der Berührung der metalloidischen Basen durch Luft und Wasser seien; erklärte er doch, es könne das Dasein von oxydirbaren Metalloiden im Inneren der Erde eine mitwirkende Ursach in den schon begonnenen vulkanischen Processen sein. aufzugeben vermocht.
Nach einer dritten Ansicht, der des so vielbegabten südamerikanischen Reisenden Boussingault, wird ein Mangel 219 an Cohärenz in den trachyt- und doleritartigen Massen, welche die erhobenen Vulkane der Andeskette bilden, als eine Hauptursach vieler und sehr weit wirkender Erderschütterungen betrachtet. Die colossalen Kegel und domförmigen Gipfel der Cordilleren sind nach dieser Ansicht keinesweges in einem Zustande der Weichheit und halben Flüssigkeit; sondern vollkommen erhärtet, als ungeheure scharfkantige Fragmente, emporgeschoben und aufgethürmt worden. Bei einem solchen Emporschieben und Aufthürmen sind nothwendig große Zwischenräume und Höhlungen entstanden, so daß durch ruckweise Senkung und durch das Herabstürzen zu schwach unterstützter fester Massen Erschütterungen erfolgen.»J'attribue«, sagt Boussingault, »la plupart des tremblements de terre dans la Cordillère des Andes à des éboulemens qui ont lieu dans l'intérieur de ces montagnes par le tassement qui s'opère et qui est une conséquence de leur soulèvement. Le massif qui constitue ces cimes gigantesques, n'a pas été soulevé à l'état pâteux; le soulèvement n'a eu lieu qu'après la solidification des roches. J'admets par conséquent que le relief des Andes se compose de fragmens de toutes dimensions, entassés les uns sur les autres. La consolidation des fragmens n'a pu être tellement stable dès le principe qu'il n'y ait des tassemens après le soulèvement, qu'il n'y ait des mouvemens intérieurs dans les masses fragmentaires.« Boussingault sur les tremblemens de terre des Andes, in den Annales de Chimie et de Physique T. LVIII. 1835 p. 84–86. In der Beschreibung seiner denkwürdigen Besteigung des Chimborazo (ascension au Chimborazo le 16 déc. 1831, a. a. O. p. 176) heißt es wieder: »Comme le Cotopaxi, l'Antisana, le Tunguragua et en général les volcans qui hérissent les plateaux des Andes, la masse du Chimborazo est formée par l'accumulation de débris trachytiques, amoncelés sans aucun ordre. Ces fragmens, d'un volume souvent énorme, ont été soulevés à l'état solide par des fluides élastiques qui se sont fait jour sur les points de moindre résistance; leurs angles sont toujours tranchans.« Die hier bezeichnete Ursach der Erdbeben ist die, welche Hopkins in seiner »analytischen Theorie der vulkanischen Erscheinungen« a shock produced by the falling of the roof of a subterranean cavity nennt (meeting of the Brit. Assoc. at Oxford 1847 p. 82).
Mit mehr Klarheit, als die Betrachtungen über die Natur des ersten Impulses gewähren, den man sich freilich als verschiedenartig denken kann; sind die Wirkungen des Impulses, die Erschütterungswellen, auf einfache mechanische Theorien zurückzuführen. Dieser Theil unseres Naturwissens hat, wie wir schon oben bemerkt, in der neuesten Zeit wesentlich gewonnen. Man hat die Erdwellen in ihren Fortschritten, ihrer Verbreitung durch Gebirgsarten von verschiedener Dichtigkeit und ElasticitätMallet, Dynamics of Earthquakes p. 74, 80 und 82; Hopkins (meet. at Oxford) p. 84–82. Alles, was wir von den Erschütterungswellen und Schwingungen in festen Körpern wissen, zeigt das Unhaltbare älterer Theorien über die durch eine Reihung von Höhlen erleichterte Fortpflanzung der Bewegung. Höhlen können nur auf secundäre Weise bei dem Erdbeben wirken, als Räume für Anhäufung von Dämpfen und verdichteten Gas-Arten. »La terre, vieille de tant de siècles«, sagt Gay-Lussac sehr schön (Ann. de Chimie et de Phys. T. XXII. 1823 p. 428), »conserve encore une force intestine, qui élève des montagnes (dans la croûte oxydée), renverse des cités et agite la masse entière. La plupart des montagnes, en sortant du sein de la terre, ont dû y laisser de vastes cavités, qui sont restées vides, à moins qu'elles n' aient été remplies par l'eau (et des fluides gazeux). C'est bien à tort que Deluc et beaucoup de Géologues se servent de ces vides, qu'ils s'imaginent se prolonger en longues galeries, pour propager au loin les tremblements de terre. Ces phénomènes si grands et si terribles sont de très fortes ondes sonores, excitées dans la masse solide de la terre par une commotion quelconque, qui s'y propage avec la même vitesse que le son s'y propagerait. Le mouvement d'une voiture sur le pavé ébranle les plus vastes édifices, et se communique à travers des masses considérables, comme dans les carrières profondes audessous de Paris.« geschildert; die Ursachen der Fortpflanzungs-Geschwindigkeit, ihre Abnahme durch Brechung, Reflex und InterferenzUeber Interferenz-Phänomene in den Erdwellen, denen der Schallwellen analog, s. Kosmos Bd. I. S. 211 und Humboldt, Kleinere Schriften Bd. I. S. 379. der Schwingungen mathematisch erforscht. Die scheinbar kreisenden (rotatorischen) Erschütterungen, von denen die Obelisken vor dem Kloster San Bruno in der kleinen Stadt Stephano del Bosco (Calabrien 1783) ein so viel besprochenes Beispiel dargeboten hatten, hat man versucht auf geradlinige zu reduciren.Mallet on vorticose shocks and cases of twisting, im meeting of the British Association in 1850 p. 33 und 49, im Admiralty Manual 1849 p. 213. (Vergl. Kosmos Bd. I. S. 212.) Luft-, Wasser- und Erdwellen folgen allerdings räumlich 220 denselben Gesetzen, welche die Bewegungslehre anerkennt; aber die Erdwellen sind in ihrer verheerenden Wirkung von Phänomenen begleitet, die ihrer Natur nach dunkler bleiben und in die Classe physischer Processe gehören. Als solche sind aufzuzählen: Ausströmungen von gespannten Dämpfen; von Gas-Arten; oder, wie in den kleinen bewegten Moya-Kegeln von Pelileo, grusartiger Gemenge von Pyroxen-Krystallen, Kohle und Infusionsthierchen mit Kieselpanzern. Diese wandernden Kegel haben eine große Zahl von Hütten der Indianer umgestürzt.Die Moya-Kegel sind 19 Jahre nach mir noch von Boussingault gesehen worden. »Des éruptions boueuses, suites du tremblement de terre, comme les éruptions de la Moya de Pelileo, qui ont enseveli des villages entiers.« (Annales de Chimie et de Physique T. LVIII. p. 81.)
In dem allgemeinen Naturgemälde sind viele über die große Catastrophe von Riobamba (4 Februar 1797) aus dem Munde der Ueberlebenden an Ort und Stelle mit dem ernsten Bestreben nach historischer Wahrheit gesammelte Thatsachen erzählt. Einige sind den Ereignissen bei dem großen Erdbeben von Calabrien aus dem Jahre 1783 analog, andere sind neu und durch die minenartige Kraftäußerung von unten nach oben besonders charakterisirt. Das Erdbeben selbst war von keinem unterirdischen Getöse begleitet, durch keines verkündigt. Ein ungeheures Getöse, noch jetzt durch den einfachen Namen el gran ruido bezeichnet, wurde erst 18 bis20 Minuten später, und bloß unter den beiden Städten Quito und Ibarra: fern von Tacunga, Hambato und dem Hauptschauplatz der Verheerung, vernommen. Es giebt kein anderes Ereigniß in den trüben Verhängnissen des Menschengeschlechts, durch welches in wenigen Minuten, und dazu in sparsam bevölkerten Gebirgsländern, so viele Tausende auf einmal den Tod finden, als durch die Erzeugung und den Vorübergang weniger Erdwellen, von Spaltungs-Phänomenen begleitet!
Bei dem Erdbeben von Riobamba: über welches der berühmte valencianische Botaniker, Don José Cavanilles, die frühesten 221 Nachrichten mitgetheilt hat, verdienen noch folgende Erscheinungen eine besondere Aufmerksamkeit: Klüfte, die sich abwechselnd öffneten und wiederum schlossen: so daß Menschen sich dadurch retteten, daß sie beide Arme ausstreckten, um nicht zu versinken; das Verschwinden ganzer Züge von Reitern oder beladener Maulthiere (recuas): deren einige durch, sich plötzlich aufthuende Queerklüfte verschwanden, während andere, zurückfliehend, der Gefahr entgingen; so heftige Schwankungen (ungleichzeitige Erhebung und Senkung) naher Theile des Bodens, daß Personen, welche auf einem mehr als 12 Fuß hohen Chor in einer Kirche standen, ohne Sturz auf das Straßenpflaster gelangten; die Versenkung von massiven HäusernUeber Versetzung von Gebäuden und Pflanzungen bei dem Erdbeben von Calabrien s. Lyell, Principles of Geology Vol. I. p. 484–491. Ueber Rettung in Spalten bei dem großen Erdbeben von Riobamba s. meine Relat. hist. T. II. p. 642. Als ein merkwürdiges Beispiel von der Schließung einer Spalte ist anzuführen, daß bei dem berühmten Erdbeben (Sommer 1851) in der neapolitanischen Provinz Basilicata in Barile bei Melfi eine Henne mit beiden Füßen im Straßenpflaster eingeklemmt gefunden wurde, nach dem Berichte von Scacchi., in denen die Bewohner innere Thüren öffnen konnten: und zwei Tage lang, ehe sie durch Ausgrabung entkamen, unversehrt von einem Zimmer in das andere gingen, sich Licht anzündeten, von zufällig entdeckten Vorräthen sich nährten, und über den Grad der Wahrscheinlichkeit ihrer Rettung mit einander haderten; das Verschwinden so großer Massen von Steinen und Baumaterial. Alt-Riobamba hatte Kirchen und Klöster, zwischen Häusern von mehreren Stockwerken; und doch habe ich, als ich den Plan der zerstörten Stadt aufnahm, in den Ruinen nur Steinhaufen von 8 bis 10 Fuß Höhe gefunden. In dem südwestlichen Theil von Alt-Riobamba (in dem vormaligen Barrio de Sigchuguaicu) war deutlich eine minenartige Explosion, die Wirkung einer Kraft von unten nach oben zu erkennen. Auf dem, einige hundert Fuß hohen Hügel Cerro de la Culca, welcher sich über dem, ihm nördlich liegenden Cerro de Cumbicarca erhebt, liegt Steinschutt, mit Menschengerippen vermengt. Translatorische Bewegungen in horizontaler Richtung, durch welche Baumalleen, ohne entwurzelt zu werden, sich verschieben; oder 222 Culturstücke sehr verschiedener Art sich gegenseitig verdrängen: haben sich in Quito wie in Calabrien mehrfach gezeigt. Eine noch auffallendere und complicirtere Erscheinung ist das Auffinden von Geräthschaften eines Hauses in den Ruinen anderer, weit entfernter: ein Auffinden, das zu Processen Anlaß gegeben hat. Ist es, wie die Landeinwohner glauben, ein Versinken, dem ein Auswurf folgt? oder, trotz der Entfernung, ein bloßes Ueberschütten? Da in der Natur unter wieder eintretenden ähnlichen Bedingungen sich alles wiederholt, so muß man durch Nicht-Verschweigen auch des noch unvollständig Beobachteten die Aufmerksamkeit künftiger Beobachter auf specielle Phänomene leiten.
Es ist nach meinen Erfahrungen nicht zu vergessen, daß bei den meisten Spalten-Erzeugungen, neben der Erschütterung fester Theile als Erdwelle, auch ganz andere und zwar physische Kräfte, Gas- und Dampf-Emanationen, mitwirken. Wenn in der Wellenbewegung die äußerste Grenze der Elasticität der bewegten Materie (nach Verschiedenheit der Gebirgsarten oder der losen Erdschichten) überschritten wird und Trennung entsteht; so können durch die Spalten gespannte elastische Flüssigkeiten ausbrechen, welche verschiedenartige Stoffe aus dem Inneren auf die Oberfläche führen und deren Ausbruch wiederum Ursach von translatorischen Bewegungen wird. Zu diesen, die primitive Erschütterung (das Erdbeben) nur begleitenden Erscheinungen gehört das Emporheben der unbestritten wandernden Moya-Kegel; wahrscheinlich auch der Transport von Gegenständen auf der Oberfläche der Erde.Kosmos Bd. I. S. 112. Daß die durch Erdbeben entstehenden Spalten sehr lehrreich für die Gangbildung und das Phänomen des Verwerfens sind, indem der neuere Gang den älterer Formation verschiebt, hat Hopkins sehr richtig theoretisch entwickelt. Lange aber vor dem verdienstvollen Phillips hat Werner die Altersverhältnisse des verwerfenden, durchsetzenden Ganges zu dem verworfenen, durchsetzten, in seiner Theorie der Gänge (1791) gezeigt. Vergl. Report of the meeting of the British Association at Oxford 1847 p. 62. Wenn in der Bildung mächtiger Spalten sich dieselben nur in den oberen Theilen schließen, so kann die Entstehung bleibender unterirdischer Höhlungen nicht bloß 223 Ursach zu neuen Erdbeben werden: indem nach Boussingault's Vermuthung sich mit der Zeit schlecht unterstützte Massen ablösen und, Erschütterung erregend, senken; sondern man kann sich auch die Möglichkeit denken, daß die Erschütterungskreise dadurch erweitert werden, daß auf den bei den früheren Erdbeben geöffneten Spalten in dem neuen Erdbeben elastische Flüssigkeiten da wirken, wohin sie vorher nicht gelangen konnten. Es ist also ein begleitendes Phänomen, nicht die Stärke der Erschütterungswelle, welche die festen Theile der Erde einmal durchlaufen ist: was die allmälige, sehr wichtige und zu wenig beachtete, Erweiterung des Erschütterungskreises veranlaßt.Vergl. über gleichzeitige Erschütterung des Tertiär-Kalkes von Cumana und Maniquarez, seit dem großen Erdbeben von Cumana am 14 December 1796, Humboldt, Relation historique T. I. p. 314, Kosmos Bd. I. S. 220; und Mallet, meeting of the British Assoc. in 1850 p. 28.
Vulkanische Thätigkeiten, zu deren niederen Stufen das Erdbeben gehört, umfassen fast immer gleichzeitig Phänomene der Bewegung und physischer stoffartiger Production. Wir haben schon mehrfach im Naturgemälde erinnert, wie aus Spalten, fern von allen Vulkanen, emporsteigen: Wasser und heiße Dämpfe, kohlensaures Gas und andere Moffetten, schwarzer Rauch (wie, viele Tage lang, im Felsen von Alvidras beim Erdbeben von Lissabon vom 1 November 1755), Feuerflammen, Sand, Schlamm, und mit Kohle gemengte Moya. Der scharfsinnige Geognost Abich hat den Zusammenhang nachgewiesen, der im persischen Ghilan zwischen den Thermalquellen von Sarcin (5051 Fuß), auf dem Wege von Ardebil nach Tabriz, und den Erdbeben statt findet, welche das Hochland oft von zwei zu zwei Jahren heimsuchen. Im October 1848 nöthigte eine undulatorische Bewegung des Bodens, welche eine ganze Stunde dauerte, die Einwohner von Ardebil die Stadt zu verlassen; und sogleich stieg die Temperatur der Quellen, die zwischen 44° und 46° Cent. fällt, einen ganzen Monat 224 lang bis zum schmerzlichsten Verbrühen.Abich über Daghestan, Schagdagh und Ghilan in Poggendorff's Annalen Bd. 76. 1849 S. 157. Auch in einem Bohrloche bei Sassendorf in Westphalen (Regier. Bezirk Arnsberg) nahm, in Folge des sich weit erstreckenden Erdbebens vom 29 Juli 1846, dessen Erschütterungs-Centrum man nach St. Goar am Rhein verlegt, die Salzsoole, sehr genau geprüft, um 1½ Procent an Gehalt zu: wahrscheinlich, weil sich andere Zuleitungsklüfte geöffnet hatten (Nöggerath, das Erdbeben im Rheingebiete vom 29 Juli 1846 S. 14). Bei dem schweizer Erdbeben vom 25 August 1851 stieg nach Charpentier's Bemerkung die Temperatur der Schwefelquelle von Lavey (oberhalb St. Maurice am Rhone-Ufer) von 31° auf 36°,3. Nirgends vielleicht auf der Erde ist, nach Abich's Ausspruch, der »innige Zusammenhang spaltenerregender Erdbeben mit den Phänomenen der Schlamm-Vulkane, der Salsen, der den durchlöcherten Boden durchdringenden brennbaren Gase, der Petroleum-Quellen bestimmter angedeutet und klarer zu erkennen: als in dem südöstlichen Ende des Caucasus zwischen Schemacha, Baku und Sallian. Es ist der Theil der großen aralo-caspischen Depression, in welchem der Boden am häufigsten erschüttert wird.«Zu Schemacha (Höhe 2245 Fuß): einer der vielen meteorologischen Stationen, die unter Abich's Leitung der Fürst Woronzow im Caucasus hat gründen lassen, wurden 1818 allein 18 Erdbeben von dem Beobachter in dem Journale verzeichnet. Mir selbst ist es im nördlichen Asien auffallend gewesen, daß der Erschütterungskreis, dessen Mittelpunkt die Gegend des Baikal-Sees zu sein scheint, sich westlich nur bis zur östlichsten Grenze des russischen Altai: bis zu den Silbergruben von Riddersk, dem trachytartigen Gestein der Kruglaja Sopka, und den heißen Quellen von Rachmanowka und Arachan; nicht aber bis zur Uralkette erstreckt. Weiter nach Süden hin, jenseits des Parallelkreises von 45°, erscheint in der Kette des Thian-schan (Himmelsgebirges) eine von Osten nach Westen gerichtete Zone von vulkanischer Thätigkeit jeglicher Art der Manifestation. Sie erstreckt sich nicht bloß vom Feuer-District (Ho-tscheu) in Turfan durch die kleine Asferah-Kette bis Baku, und von da über den Ararat bis nach Kleinasien; sondern, zwischen den Breiten von 38° und 40° oscillirend, glaubt man sie durch das vulkanische Becken des Mittelmeeres bis nach Lissabon und den Azoren verfolgen zu können. Ich habe an einem anderen OrteS. Asie centrale T. I. p. 324–329 und T. II. p. 108–120; und besonders meine Carte des Montagnes et Volcans de l'Asie, verglichen mit den geognostischen Karten des Caucasus und Hochlandes von Armenien von Abich, wie mit der Karte von Kleinasien (Argäus) von Peter Tschichatschef, 1853 (Rose, Reise nach dem Ural, Altai und kasp. Meere Bd. II. S. 576 und 597) »Du Tourfan, situé sur la pente méridionale du Thian-chan, jusqu'à l'Archipel des Azores (heißt es in der Asie centrale) il y a 120° de longitude. C'est vraisemblablement la bande de réactions volcaniques la plus longue et la plus régulière, oscillant faiblement entre 38° et 40° de latitude, qui existe sur la terre; elle surpasse de beaucoup en étendue la bande volcanique de la Cordillère des Andes dans l'Amérique méridionale. J'insiste d'autant plus sur ce singulier alignement d'arêtes, de soulèvements, de crevasses et de propagations de commotions, qui comprend un tiers de la circonférence d'un parallèle à l'équateur, que de petits accidents de la surface, l'inégale hauteur et la largeur des rides ou soulèvements linéaires, comme l'interruption causée par les bassins des mers (concavité Aralo-Caspienne, Méditerranée et Atlantique) tendent à masquer les grands traits de la constitution géologique du globe. (Cet aperçu hazardé d'une ligne de commotion régulièrement prolongée n'exclut aucunement d'autres lignes selon lesquelles les mouvements peuvent se propager également.)« Da die Stadt Khotan und die Gegend südlich vom Thian-schan die berühmtesten und ältesten Sitze des Buddhismus gewesen sind, so hat sich die buddhistische Litteratur auch schon früh und ernst mit den Ursachen der Erdbeben beschäftigt (s. Foe-koue-ki ou Relation des Royaumes Bouddhiques, trad. par Mr. Abel Rémusat, p. 217). Es werden von den Anhängern des Sâkhya-muni 8 dieser Ursachen angegeben: unter welchen ein gedrehtes stählernes, mit Reliquien (’sarîra; im Sanskrit Leib bedeutend) behangenes Rad eine Hauptrolle spielt; – die mechanische Erklärung einer dynamischen Erscheinung, kaum alberner als manche unserer spät veralteten geologischen und magnetischen Mythen! Geistliche, besonders Bettelmönche (Bhikchous), haben nach einem Zusatze von Klaproth auch die Macht die Erde erzittern zu machen und das unterirdische Rad in Bewegung zu setzen. Die Reisen des Fa-Hian, des Verfassers des Foe-koue-ki, sind aus dem Anfang des fünften Jahrhunderts. diesen wichtigen Gegenstand der vulkanischen Geographie ausführlich behandelt. Eben so scheint in Griechenland, das mehr als irgend ein anderer Theil von Europa durch Erdbeben gelitten hat (Curtius, Peloponnesos Bd. I. S. 42–46), eine 225 Unzahl von Thermalquellen, noch fließende oder schon verschwundene, unter Erdstößen ausgebrochen zu sein. Ein solcher thermischer Zusammenhang ist in dem merkwürdigen Buche des Johannes Lydus über die Erdbeben (de Ostentis cap. LIV p. 189 Hase) schon angedeutet. Die große Naturbegebenheit des Unterganges von Helice und Bura in Achaja (373 vor Chr.; Kosmos Bd. III. S. 579 [Anm. 1644]) gab besonders Veranlassung zu Hypothesen über den Causal-Zusammenhang vulkanischer Thätigkeit. Es entstand bei Aristoteles die sonderbare Theorie von der Gewalt der in den Schluchten der Erdtiefe sich einfangenden Winde (Meteor. II. p. 368). Die unglückliche Frequenz der Erderschütterungen in Hellas und in Unter-Italien hat durch den Antheil, den sie an der früheren Zerstörung der Monumente aus der Blüthezeit der Künste gehabt, den verderblichsten Einfluß auf alle Studien ausgeübt, welche auf die Entwickelung griechischer und römischer Cultur nach verschiedenen Zeitepochen gerichtet sind. Auch ägyptische Monumente, z. B. der eine Memnons-Coloß (27 Jahre vor unserer Zeitrechnung), haben von Erdstößen gelitten: die, wie Letronne erwiesen, im Nilthal gar nicht so selten gewesen sind, als man geglaubt (les Statues vocales de Memnon 1833 p. 23–27 und 255).
Nach den hier angeführten physischen Veränderungen, welche die Erdbeben durch Erzeugung von Spalten veranlassen, ist es um so auffallender, wie so viele warme Heilquellen Jahrhunderte lang ihren Stoffgehalt und ihre Temperatur unverändert erhalten; und also aus Spalten hervorquellen müssen, die weder der Tiefe nach noch gegen die Seiten hin Veränderungen erlitten zu haben scheinen. Eingetretene Communicationen mit höheren Erdschichten würden Verminderung, mit tieferen Vermehrung der Wärme hervorgebracht haben.
226 Als der Vulkan von Conseguina (im Staat Nicaragua) am 23 Januar 1835 seinen großen Ausbruch machte, wurde das unterirdische GetöseAcosta, Viajes cientifcos à los Andes ecuatoriales 1849 p. 56. (los ruidos subterraneos) zugleich gehört auf der Insel Jamaica und auf dem Hochlande von Bogota: 8200 Fuß über dem Meere, entfernter als von Algier nach London. Auch habe ich schon an einem anderen Orte bemerkt, daß bei den Ausbrüchen des Vulkans auf der Insel St. Vincent, am 30 April 1812, um 2 Uhr Morgens, das dem Kanonendonner gleiche Getöse ohne alle fühlbare Erderschütterung auf einem Raume von 10000 geogr. Quadratmeilen gehört wurde.Kosmos Bd. I. S. 214–217 und 444 [Anm. 187]; Humboldt, Rel. hist. T. II. chap. 14 p. 13–16. Scharfsinnige theoretische Betrachtungen von Mallet über Schallwellen durch die Erde und Schallwellen durch die Luft finden sich im meeting of the British Assoc. in 1850 p. 41–46 und im Admiralty Manual 1849 p. 201 und 217. Die Thiere, welche in der Tropengegend nach meiner Erfahrung früher als der Mensch von den leisesten Erderschütterungen beunruhigt werden, sind: Hühner, Schweine, Hunde, Esel und Crocodile (Caymanes): welche letztere plötzlich den Boden der Flüsse verlassen. Sehr merkwürdig ist es, daß, wenn Erdbeben mit Getöse verbunden sind: was keinesweges immer der Fall ist, die Stärke des letzteren gar nicht mit der des ersteren wächst. Das seltenste und räthselhafteste Phänomen unterirdischer Schallbildung bleibt immer das der bramidos de Guanaxuato vom 9 Januar bis zur Mitte des Februars 1784, über das ich die ersten sicheren Nachrichten aus dem Munde noch lebender Zeugen und aus archivarischen Urkunden habe sammeln können. (Kosmos Bd. I. S. 216 und 444 [Anm. 187].)
Die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit des Erdbebens auf der Oberfläche der Erde muß ihrer Natur nach durch die so verschiedenen Dichtigkeiten der festen Gebirgsschichten (Granit und Gneiß, Basalt und Trachyt-Porphyr, Jurakalk und Gyps) wie des Schuttlandes, welche die Erschütterungswelle durchläuft, mannigfach modificirt werden. Es wäre aber doch wünschenswerth, daß man endlich einmal mit Sicherheit die äußersten Grenzen kennen lernte, zwischen denen die Geschwindigkeiten schwanken. Es ist wahrscheinlich, daß den heftigeren Erschütterungen keinesweges immer die größte Geschwindigkeit zukommt. Die Messungen beziehen sich ohnedies nicht immer auf 227 dieselben Wege, welche die Erschütterungswellen genommen haben. An genauen mathematischen Bestimmungen fehlt es sehr; und nur ganz neuerlich ist über das rheinische Erdbeben vom 29 Juli 1846 mit großer Genauigkeit und Umsicht ein Resultat von Julius Schmidt, Gehülfen an der Sternwarte zu Bonn, erlangt worden. Die Fortpflanzungs-Geschwindigkeit war in dem eben genannten Erdbeben 3,739 geogr. Meilen in der Minute, d. i. 1376 Pariser Fuß in der Secunde. Diese Schnelligkeit übertrifft allerdings die der Schallwelle in der Luft; wenn dagegen die Fortpflanzung des Schalles im Wasser nach Colladon und Sturm 4706 Fuß, in gegossenen eisernen Röhren nach Biot 10690 Fuß beträgt, so erscheint das für das Erdbeben gefundene Resultat sehr schwach. Für das Erdbeben von Lissabon am 1 November 1755 fand Schmidt (nach weniger genauen Angaben) zwischen den portugiesischen und holsteinischen Küsten eine mehr denn fünfmal größere Geschwindigkeit als am Rhein den 29 Juli 1846. Es ergaben sich nämlich für Lissabon und Glückstadt (Entfernung 295 geogr. Meilen) 19,6 Meilen in der Minute oder 7464 Pariser Fuß in 1": immer noch 3226 Fuß weniger Geschwindigkeit als im Gußeisen.Julius Schmidt in Nöggerath über das Erdbeben vom 29 Juli 1846 S. 28–37. Mit der Geschwindigkeit des Lissaboner Erdbebens, wie sie im Text angegeben ist, würde der Aequatorial-Umfang der Erde in ohngefähr 45 Stunden umgangen werden. Michell (Phil. Transact. Vol. LI. Part II,. p. 572) fand für dasselbe Erdbeben vom 1 Nov. 1755 nur 50 englische miles in der Minute: d. i., statt 7464, nur 4170 Pariser Fuß in der Secunde. Ungenauigkeit der älteren Beobachtungen und Verschiedenheit der Fortpflanzungswege mögen hier zugleich wirken. – Ueber den Zusammenhang des Neptun mit dem Erdbeben, auf welchen ich im Texte (S. 229) angespielt habe, wirft eine Stelle des Proclus im Commentar zu Plato's Cratylus ein merkwürdiges Licht. »Der mittlere unter den drei Göttern, Poseidon, ist für alles, selbst für das Unbewegliche, Ursache der Bewegung. Als Urheber der Bewegung heißt er Ἐννοσίγαιος; und ihm ist unter denen, welche um das Kronische Reich geloost, das mittlere Loos, und zwar das leicht bewegliche Meer, zugefallen.« (Creuzer, Symbolik und Mythologie Th. III. 1842 S 260.) Da die Atlantis des Solon und das ihr nach meiner Vermuthung verwandte Lyctonien geologische Mythen sind, so werden beide durch Erdbeben zertrümmerte Länder als unter der Herrschaft des Neptun stehend betrachtet und den Saturnischen Continenten entgegengesetzt. Neptun war nach Herodot (lib. II c. 43 et 50) eine libysche Gottheit, und in Aegypten unbekannt. Ueber diese Verhältnisse, das Verschwinden des libyschen Triton-Sees durch Erdbeben und die Meinung von der großen Seltenheit der Erderschütterungen im Nilthal, vergl. mein Examen crit. de l'histoire de la Géographie T. I., p. 171 und 179.
Erderschütterungen und plötzliche Feuerausbrüche lang ruhender Vulkane: sei es, daß diese bloß Schlacken oder, intermittirenden Wasserquellen gleich, flüssige geschmolzene Erde in Lavaströmen ergießen; haben allerdings einen gemeinschaftlichen alleinigen Causal-Zusammenhang in der hohen Temperatur des Inneren unsres Planeten: aber eine dieser Erscheinungen zeigt sich meist ganz unabhängig von der andren. Heftige Erdbeben erschüttern z. B. in der Andeskette in ihrer Linear-Verbreitung Gegenden, in denen sich nicht erloschene, ja noch 228 oftmals thätige Vulkane erheben, ohne daß diese letzteren dadurch auf irgend eine bemerkbare Weise angeregt werden. Bei der großen Catastrophe von Riobamba haben sich der nahe Vulkan Tungurahua und der etwas fernere Vulkan Cotopaxi ganz ruhig verhalten. Umgekehrt haben Vulkane mächtige, langdauernde Ausbrüche dargeboten, ohne daß weder vorher noch gleichzeitig in der Umgegend Erdbeben gefühlt wurden. Es sind gerade die verheerendsten Erderschütterungen, von denen die Geschichte Kunde giebt und die viele tausend Quadratmeilen durchlaufen haben, welche, nach dem an der Oberfläche Bemerkbaren zu urtheilen, in keinem Zusammenhange mit der Thätigkeit von Vulkanen stehen. Diese hat man neuerdings plutonische Erdbeben im Gegensatz der eigentlichen vulkanischen genannt, die meist auf kleinere Localitäten eingeschränkt sind. In Hinsicht auf allgemeinere Ansichten über Vulcanicität ist diese Nomenclatur nicht zu billigen. Die bei weitem größere Zahl der Erdbeben auf unserem Planeten müßten plutonische heißen.
Was Erdstöße erregen kann, ist überall unter unseren Füßen; und die Betrachtung, daß fast ¾ der Erdoberfläche, von dem Meere bedeckt (einige sporadische Inseln abgerechnet), ohne alle bleibende Communication des Inneren mit der Atmosphäre, d. h. ohne thätige Vulkane, sind: widerspricht dem irrigen, aber verbreiteten Glauben, daß alle Erdbeben der Eruption eines fernen Vulkans zuzuschreiben seien. Erschütterungen der Continente pflanzen sich allerdings auf dem Meeresboden von den Küsten aus fort; und erregen die furchtbaren Meereswellen, von welchen die Erdbeben von Lissabon, Callao de Lima und Chili so denkwürdige Beispiele gegeben haben. Wenn dagegen die Erdbeben von dem Meeresboden selbst 229 ausgehen, aus dem Reiche des Erderschütterers Poseidon (seisícqwn, kinhsícqwn): und nicht von einer inselerzeugenden Hebung (wie bei der ephemeren Existenz der Insel Sabrina oder Julia) begleitet sind; so kann an Punkten, wo der Seefahrer keine Stöße fühlen würde, doch ein ungewöhnliches Rollen und Anschwellen der Wogen bemerkt werden. Auf ein solches Phänomen haben mich die Bewohner des öden peruanischen Küstenlandes oftmals aufmerksam gemacht. Ich sah selbst in dem Hafen von Callao und bei der gegenüberliegenden Insel San Lorenzo in ganz windstillen Nächten, in diesem sonst so überaus friedlichen Theile der Südsee, sich plötzlich auf wenige Stunden Welle auf Welle zu mehr als 10 bis 14 Fuß Höhe thürmen. Daß ein solches Phänomen Folge eines Sturmes gewesen sei, welcher in großer Ferne auf offenem Meere gewüthet hätte, war in diesen Breiten keinesweges anzunehmen.
Um von denjenigen Erschütterungen zu beginnen, welche auf den kleinsten Raum eingeschränkt sind, und offenbar der Thätigkeit eines Vulkans ihren Ursprung verdanken; so erinnere ich hier zuerst daran, wie: nächtlich im Krater des Vesuvs am Fuß eines kleinen Auswurfs-Kegels sitzend, den Chronometer in der Hand (es war nach dem großen Erdbeben von Neapel am 26 Juli 1805 und nach dem Lava-Ausbruch, der 17 Tage darauf erfolgte), ich sehr regelmäßig alle 20 oder 25 Secunden unmittelbar vor jedem Auswurf glühender Schlacken eine Erschütterung des Kraterbodens fühlte. Die Schlacken, 50–60 Fuß emporgeschleudert, fielen theils in die Eruptions-Oeffnung zurück, theils bedeckten sie die Seitenwände des Kegels. Die Regelmäßigkeit eines solchen Phänomens macht die Beobachtung gefahrlos. Das sich wiederholende kleine Erdbeben war keinesweges bemerkbar außerhalb 230 des Kraters: nicht im Atrio del Cavallo, nicht in der Einsiedelei del Salvatore. Die Periodicität der Erschütterung bezeugt, daß sie abhängig war von einem bestimmten Spannungsgrade, welchen die Dämpfe erreichen müssen, um in dem Inneren des Schlackenkegels die geschmolzene Masse zu durchbrechen. Eben so als man in dem eben beschriebenen Falle keine Erschütterungen am Abfall des Aschenkegels des Vesuvs fühlte; wurde auch bei einem ganz analogen, aber viel großartigeren Phänomen: am Aschenkegel des Vulkans Sangai, der südöstlich von der Stadt Quito sich bis zu 15984 Fuß erhebt, von einem sehr ausgezeichneten Beobachter, Herrn Wisse, als er sich (im December 1849) dem Gipfel und Krater bis auf tausend Fuß näherte, kein Erzittern des BodensDie Explosionen des Sangai oder Volcan de Macas erfolgten im Mittel alle 13",4; s. Wisse in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XXXVI. 1853 p. 720. Als Beispiel von Erschütterungen, welche auf den kleinsten Raum eingeschränkt sind, hätte ich auch noch den Bericht des Grafen Larderel über die Lagoni in Toscana anführen können. Die Bor oder Borsäure enthaltenden Dämpfe verkündigen ihr Dasein und ihren nahen Ausbruch auf Spalten dadurch, daß sie das Gestein umher erschüttern. (Larderel sur les établissements industriels de la production d'acide boracique en Toscane 1852 p. 15) bemerkt; dennoch waren in der Stunde bis 267 Explosionen (Schlacken-Auswürfe) gezählt worden.
Eine zweite, unendlich wichtigere Gattung von Erdbeben ist die sehr häufige, welche große Ausbrüche von Vulkanen zu begleiten oder ihnen voranzugehen pflegt: sei es, daß die Vulkane, wie unsere europäischen, Lavaströme ergießen; oder: wie Cotopaxi, Pichincha und Tunguragua der Andeskette, nur verschlackte Massen, Asche und Dämpfe ausstoßen. Für diese Gattung sind vorzugsweise die Vulkane als Sicherheits-Ventile zu betrachten, schon nach dem Ausspruche Strabo's über die lavaergießende Spalte bei Lelante auf Euböa. Die Erdbeben hören auf, wenn der große Ausbruch erfolgt ist.
Am weitestenIch freue mich, zur Bestätigung dessen, was ich im Texte zu entwickeln versucht habe, eine wichtige Autorität anführen zu können. »Dans les Andes, l'oscillation du sol, due à une éruption de Volcans, est pour ainsi dire locale, tandis qu'un tremblement de terre, qui en apparence du moins n'est lié à aucune éruption volcanique, se propage à des distances incroyables. Dans ce cas on a remarqué que les secousses suivaient de préférence la direction des chaînes de montagnes, et se sont principalement ressenties dans les terrains alpins. La fréquence des mouvemens dans le sol des Andes, et le peu de coincidence que l'on remarque entre ces mouvemens et les éruptions volcaniques, doivent nécessairement faire présumer qu'ils sont, dans le plus grand nombre de cas, occasionnés par une cause indépendante des volcans.« Boussingault, Annales de Chimie et de Physique T. LVIII. 1835 p. 83. verbreitet sind aber die Verheerungen von Erschütterungswellen, welche theils ganz untrachytische, unvulkanische Länder; theils trachytische, vulkanische, wie die Cordilleren von Südamerika und Mexico: durchziehen, ohne irgend einen Einfluß auf die nahen Vulkane auszuüben. Das ist 231 eine dritte Gruppe von Erscheinungen; und die, welche am überzeugendsten an die Existenz einer allgemeinen Ursach, welche in der thermischen Beschaffenheit des Inneren unsres Planeten liegt, erinnert. Zu dieser dritten Gruppe gehört auch der, doch seltene Fall, daß in unvulkanischen und durch Erdbeben wenig erschreckten Ländern, auf dem eingeschränktesten Raume, der Boden Monate lang ununterbrochen zittert: so daß man eine Hebung, die Bildung eines thätigen Vulkans zu besorgen anfängt. So war dies in den piemontesischen Thälern von Pelis und Clusson, wie bei Pignerol im April und Mai 1808; so im Frühjahr 1829 in Murcia, zwischen Orihuela und der Meeresküste, auf einem Raum von kaum einer Quadratmeile. Als im Inneren von Mexico, am westlichen Abfall des Hochlandes von Mechoacan, die cultivirte Fläche von Jorullo 90 Tage lang ununterbrochen erbebte; stieg der Vulkan mit vielen Tausenden, ihn umgebender, 5–7 Fuß hoher Kegel (los hornitos) empor, und ergoß einen kurzen, aber mächtigen Lavastrom. In Piemont und in Spanien dagegen hörten die Erderschütterungen allmälig auf, ohne daß irgend eine Naturbegebenheit erfolgte.
Ich hielt es für nützlich die ganz verschiedenen Arten der Manifestation derselben vulkanischen Thätigkeit (der Reaction des Inneren der Erde gegen die Oberfläche) aufzuzählen, um den Beobachter zu leiten, und ein Material zu schaffen, das zu fruchtbaren Resultaten über den Causal-Zusammenhang der Erscheinungen führen kann. Bisweilen umfaßt die vulkanische Thätigkeit auf einmal oder in nahen Perioden einen so großen Theil des Erdkörpers, daß die erregten Erschütterungen des Bodens dann mehreren, mit einander verwandten Ursachen gleichzeitig zugeschrieben werden können. Die Jahre 1796 und 232 1811 bieten besonders denkwürdige BeispieleDie Folge der großen Naturbegebenheiten 1796 bis 1797, 1811 und 1812 war diese:
27 Sept. 1796 Ausbruch des Vulkans der Insel Guadalupe in den Kleinen Antillen, nach vieljähriger Ruhe; Nov. 1796 Der Vulkan auf der Hochebene Pasto zwischen den kleinen Flüssen Guaytara und Juanambu entzündet sich und fängt an bleibend zu rauchen; 14 Dec. 1796 Erdbeben und Zerstörung der Stadt Cumana; 4 Febr. 1797 Erdbeben und Zerstörung von Riobamba. An demselben Morgen verschwand plötzlich, ohne wieder zu erscheinen, in wenigstens 48 geogr. Meilen Entfernung von Riobamba, die Rauchsäule des Vulkans von Pasto: um welchen umher keine Erderschütterung gefühlt wurde. 30 Januar 1811 Erste Erscheinung der Insel Sabrina in der Gruppe der Azoren, bei der Insel San Miguel. Die Hebung ging, wie bei der der Kleinen Kameni (Santorin) und der des Vulkans von Jorullo, dem Feuerausbruch voraus. Nach einer 6tägigen Schlacken-Eruption stieg die Insel bis zu 300 Fuß über den Spiegel des Meeres empor. Es war das 3te Erscheinen und Wieder-Versinken der Insel nach Zwischenräumen von 91 und 92 Jahren, nahe an demselben Punkte. Mai 1811 Ueber 200 Erdstöße auf der Insel St. Vincent bis April 1812. Dec. 1811 Zahllose Erdstöße in den Flußthälern des Ohio, Missisippi und Arkansas bis 1813. Zwischen Neu-Madrid, Little Prairie und la Saline nördlich von Cincinnati treten mehrere Monate lang die Erdbeben fast zu jeder Stunde ein. Dec. 1811 Ein einzelner Erdstoß in Caracas. 26 März 1812 Erdbeben und Zerstörung der Stadt Caracas. Der Erschütterungskreis erstreckte sich über Santa Marta, die Stadt Honda und das hohe Plateau von Bogota in 135 Meilen Entfernung von Caracas. Die Bewegung dauerte fort bis zur Mitte des Jahres 1813. 30 April 1812 Ausbruch des Vulkans von St. Vincent; und desselben Tages um 2 Uhr Morgens wurde ein furchtbares unterirdisches Geräusch wie Kanonendonner in gleicher Stärke an den Küsten von Caracas, in den Llanos von Calabozo und des Rio Apure, ohne von einer Erderschütterung begleitet zu sein, zugleich vernommen (s. oben S. 226). Das unterirdische Getöse wurde auch auf der Insel St. Vincent gehört; aber, was sehr merkwürdig ist, stärker in einiger Entfernung auf dem Meere.
von solcher Gruppirung der Erscheinungen dar.
b. Thermalquellen.
(Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I. S. 226–232.)
Als eine Folge der Lebensthätigkeit des Inneren unsres Erdkörpers, die in unregelmäßig wiederholten, oft furchtbar zerstörenden Erscheinungen sich offenbart, haben wir das Erdbeben geschildert. Es waltet in demselben eine vulkanische Macht: freilich ihrem inneren Wesen nach nur bewegend, erschütternd, dynamisch wirkend; wenn sie aber zugleich an einzelnen Punkten durch Erfüllung von Nebenbedingungen begünstigt wird, ist sie fähig einiges Stoffartige: zwar nicht, gleich den eigentlichen Vulkanen, zu produciren, aber an die Oberfläche zu leiten. Wie bei dem Erdbeben bisweilen auf kurze Dauer, durch plötzlich eröffnete Spalten: Wasser, Dämpfe, Erdöl, Gemische von Gas-Arten, oder breiartige Massen (Schlamm und Moya) ausgestoßen werden; so entquellen durch das allverbreitete Gewebe von communicirenden Spalten tropfbare und luftartige Flüssigkeiten permanent dem Schooße der Erde. Den kurzen und ungestümen Auswurfs-Phänomenen stellen wir hier zur Seite das große, friedliche Quellensystem der Erdrinde, wohlthätig das organische Leben anregend und erhaltend. Es giebt Jahrtausende lang dem Organismus zurück, was dem Luftkreise durch den niederfallenden Regen an Feuchtigkeit entzogen worden ist. Analoge Erscheinungen erläutern sich gegenseitig in dem ewigen Haushalte der Natur; und wo nach Verallgemeinerung der Begriffe gestrebt wird, darf die enge Verkettung des als verwandt Erkannten nicht unbeachtet bleiben.
233 Die, im Sprachgebrauch so natürlich scheinende, weit verbreitete Eintheilung der Quellen in kalte und warme hat, wenn man sie auf numerische Temperatur-Angaben reduciren will. nur sehr unbestimmte Fundamente. Soll man die Wärme der Quellen vergleichen mit der inneren Wärme des Menschen (zu 36°,7 bis 37° nach Brechet und Becquerel, mit thermo-electrischen Apparaten gefunden); so ist der Thermometer-Grad, bei dem eine Flüssigkeit kalt, warm oder heiß in Berührung mit Theilen des menschlichen Körpers genannt wird, nach individuellem Gefühle sehr verschieden. Es kann nicht ein absoluter Temperatur-Grad festgesetzt werden, über den hinaus eine Quelle warm genannt werden soll. Der Vorschlag, in jeder klimatischen Zone eine Quelle kalt zu nennen, wenn ihre mittlere Jahres-Temperatur die mittlere Jahres-Temperatur der Luft in derselben Zone nicht übersteigt; bietet wenigstens eine wissenschaftliche Genauigkeit, die Vergleichung bestimmter Zahlen, dar. Sie gewährt den Vortheil, auf Betrachtungen über den verschiedenen Ursprung der Quellen zu leiten: da die ergründete Uebereinstimmung ihrer Temperatur mit der Jahres-Temperatur der Luft in unveränderlichen Quellen unmittelbar; in veränderlichen, wie Wahlenberg und Erman der Vater gezeigt haben, in den Mitteln der Sommer- und der Wintermonate erkannt wird. Aber nachdem hier bezeichneten Criterium müßte in einer Zone eine Quelle warm genannt werden, die kaum den siebenten oder achten Theil der Temperatur erreicht, welche in einer anderen, dem Aequator nahen Zone eine kalte genannt wird. Ich erinnere an die Abstände der mittleren Temperaturen von Petersburg (3°,4) und der Ufer des Orinoco. Die reinsten Quellwasser, welche ich in der Gegend der Cataracten von AturesHumboldt, Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau Continent T. II. p. 376. und Maypures 234 (27°,3), oder in der Waldung des Atabapo getrunken, hatten eine Temperatur von mehr als 26°; ja die Temperatur der großen Flüsse im tropischen Südamerika entspricht den hohen Wärmegraden solcher kaltenUm zwischen den Wendekreisen die Temperatur der Quellen, wo sie unmittelbar aus den Erdschichten hervorbrechen, mit der Temperatur großer, in offenen Canälen strömender Flüsse vergleichen zu können, stelle ich hier aus meinen Tagebüchern folgende Mittelzahlen zusammen:
Rio Apure, Br. 7°¾: Temperatur 27°,2; Orinoco zwischen 4° und 8° Breite: 27°,5–29°,6; Quellen im Walde bei der Cataracte von Maypures, aus Granit ausbrechend: 27°,8; Cassiquiare: der Arm des Oberen Orinoco, welcher die Verbindung mit dem Amazonenstrom bildet: nur 24°,3; Rio Negro oberhalb San Carlos (kaum 1° 53' nördlich vom Aequator): nur 23°,8; Rio Atabapo: 26°,2 (Br. 3° 50'); Orinoco nahe bei dem Eintritt des Atabapo: 27°,8; Rio Grande de la Magdalena (Br. 5° 12' bis 9° 56'): Temperatur 26°,6; Amazonenfluß: südl. Br. 5° 31', dem Pongo von Rentema gegenüber (Provincia de Jaen de Bracamoros), kaum 1200 Fuß über der Südsee: nur 22°,5. Die große Wassermasse des Orinoco nähert sich also der mittleren Luft-Temperatur der Umgegend. Bei großen Ueberschwemmungen der Savanen erwärmen sich die gelbbraunen, nach Schwefel-Wasserstoff riechenden Wasser bis 33°,8: so habe ich die Temperatur in dem mit Crocodilen angefüllten Lagartero östlich von Guayaquil gefunden. Der Boden erhitzt sich dort, wie in seichten Flüssen, durch die in ihm von den einfallenden Sonnenstrahlen erzeugte Wärme. Ueber die mannigfaltigen Ursachen der geringeren Temperatur des im Licht-Reflex caffeebraunen Wassers des Rio Negro, wie der weißen Wasser des Cassiquiare (stets bedeckter Himmel, Regenmenge, Ausdünstung der dichten Waldungen, Mangel heißer Sandstrecken an den Ufern) s. meine Fluß-Schifffahrt in der Relat. hist. T. II. p. 463 und 509. Im Rio Guancabamba oder Chamaya, welcher nahe bei dem Pongo de Rentema in den Amazonenfluß fällt, habe ich die Temperatur gar nur 19°,8 gefunden, da seine Wasser mit ungeheurer Schnelligkeit aus dem hohen See Simicocha von der Cordillere herabkommen. Auf meiner 52 Tage langen Flußfahrt aufwärts den Magdalenenstrom von Mahates bis Honda habe ich durch mehrfache Beobachtungen deutlichst erkannt, daß ein Steigen des Wasserspiegels stundenlang durch eine Erniedrigung der Fluß-Temperatur sich vorherverkündigt. Die Erkältung des Stromes tritt früher ein, als die kalten Bergwasser aus den der Quelle nahen Paramos herabkommen. Wärme und Wasser bewegen sich, so zu sagen, in entgegengesetzter Richtung und mit sehr ungleicher Geschwindigkeit. Als bei Badillas die Wasser plötzlich stiegen, sank lange vorher die Temperatur von 27° auf 23°,5. Da bei Nacht, wenn man auf einer niedrigen Sandinsel oder am Ufer mit allem Gepäck gelagert ist, ein schnelles Wachsen des Flusses Gefahr bringen kann, so ist das Auffinden eines Vorzeichens des nahen Flußsteigens (der avenida) von einiger Wichtigkeit. – Ich glaube in diesem Abschnitte von den Thermalquellen auf's neue daran erinnern zu müssen, daß in diesem Werke vom Kosmos, wo nicht das Gegentheil bestimmt ausgedrückt ist, die Thermometer-Grade immer auf die hunderttheilige Scale zu beziehen sind.
Das durch mannigfaltige Ursachen des Druckes und durch den Zusammenhang wasserhaltiger Spalten bewirkte Ausbrechen von Quellen ist ein so allgemeines Phänomen der Erdoberfläche, daß Wasser an einigen Punkten den am höchsten gehobenen Gebirgsschichten, in anderen dem Meeresboden entströmen. In dem ersten Viertel dieses Jahrhunderts wurden durch Leopold von Buch, Wahlenberg und mich zahlreiche Resultate über die Temperatur der Quellen und die Vertheilung der Wärme im Inneren der Erde in beiden Hemisphären, und zwar vom 12ten Grade südlicher bis zum 71ten Grade nördlicher Breite, gesammelt.Leopold von Buch, physicalische Beschreibung der canarischen Inseln S. 8; Poggendorff's Annalen Bd. XII. S. 403; Bibliothèque britannique, Sciences et Arts T. XIX. 1802 p. 263; Wahlenberg de Veget. et Clim. in Helvetia septentrionali observatis p. LXXXVIII und LXXXIV; derselbe, Flora Carpathica p. XCIV und in Gilbert's Annalen Bd. XLI. S. 115; Humboldt in den Mém. de la Soc. d'Arcueil T. III. (1817) p. 599. Es wurden die Quellen, welche eine unveränderliche Temperatur haben, sorgfältig von den mit den Jahreszeiten veränderlichen geschieden; und Leopold von Buch erkannte den mächtigen Einfluß der Regen-Vertheilung im Laufe des Jahres: d. i. den Einfluß des Verhältnisses zwischen der relativen Häufigkeit der Winter- und Sommer-Regen auf die Temperatur der veränderlichen Quellen: welche, der Zahl nach, die allverbreitetsten sind. Sehr scharfsinnige Zusammenstellungen von de Gasparin, Schouw und Thurmann haben in neuerer ZeitDe Gasparin in der Bibliothèque univ., Sciences et Arts T. XXXVIII. 1828 p. 54, 113 und 264; Mém. de la Société centrale d'Agriculture 1826 p. 178; Schouw, tableau du Climat et de la Végétation de l'Italie Vol. I. 1839 p. 133–195; Thurmann sur la température des sources de la chaîne du Jura, comparée à celle des sources de la plaine suisse, des Alpes et des Vosges, im Annuaire météorologique de la France pour 1850 p. 258–268. – De Gasparin theilt Europa in Rücksicht auf die Frequenz der Sommer- und Herbst-Regen in zwei sehr contrastirende Regionen. Ein reiches Material ist enthalten in Kämtz, Lehrbuch der Meteorologie Bd. I. S. 448–506. Nach Dove (in Poggend. Ann. Bd. XXXV. S. 376) fallen in Italien »an Orten, denen nördlich eine Gebirgskette liegt, die Maxima der Curven der monatlichen Regenmengen auf März und November; und da, wo das Gebirge südlich liegt, auf April und October.« Die Gesammtheit der Regen-Verhältnisse der gemäßigten Zone kann unter folgenden allgemeinen Gesichtspunkt zusammengefaßt werden: »die Winter-Regenzeit in den Grenzen der Tropen tritt, je weiter wir uns von diesen entfernen, immer mehr in zwei, durch schwächere Niederschläge verbundene Maxima aus einander, welche in Deutschland in einem Sommer-Maximum wieder zusammenfallen: wo also temporäre Regenlosigkeit vollkommen aufhört.« Vergl. den Abschnitt Geothermik in dem vortrefflichen Lehrbuche der Geognosie von Naumann Bd. I. (1850) S. 41–73. diesen Einfluß in geographischer und hypsometrischer Hinsicht, nach Breite und Höhe, in ein helleres Licht gesetzt. Wahlenberg behauptete, daß in sehr hohen Breiten die mittlere Temperatur der veränderlichen Quellen etwas höher als die mittlere Temperatur der Atmosphäre sei; er suchte die Ursach davon nicht in der Trockenheit einer sehr kalten Luft und in dem, dadurch bewirkten, 235 minder häufigen Winter-Regen, sondern in der schützenden, die Wärmestrahlung des Bodens vermindernden Schneedecke. In denjenigen Theilen des nord-asiatischen Flachlandes, in welchen eine ewige Eisschicht oder wenigstens ein mit Eisstücken gemengtes, gefrorenes Schuttland schon in einer Tiefe von wenigen FußenVergl. Kosmos Bd. IV. S. 45. gefunden wird; kann die Quellen-Temperatur nur mit großer Vorsicht zu der Erörterung von Kupffer's wichtiger Theorie der Isogeothermen benutzt werden. Dort entsteht in der oberen Erdschicht eine zwiefache Wärmestrahlung: eine nach oben gegen den Luftkreis, und eine andere nach unten gegen die Eisschicht hin. Eine lange Reihe schätzbarer Beobachtungen, welche mein Freund und Begleiter, Gustav Rose, auf der sibirischen Expedition in heißem Sommer (oft in noch mit Eis umgebenen Brunnen) zwischen dem Irtysch, Obi und dem caspischen Meere angestellt hat; offenbarten eine große Complication localer Störungen. Diejenigen, welche sich aus ganz anderen Ursachen in der Tropenzone da zeigen, wo Gebirgsquellen auf mächtigen Hochebenen, acht- bis zehntausend Fuß über dem Meere (Micuipampa, Quito, Bogota): oder in schmalen, isolirten Berggipfeln, noch viele tausend Fuß höher, hervorbrechen; umfassen nicht bloß einen weit größeren Theil der Erdoberfläche, sondern leiten auch auf die Betrachtung analoger thermischer Verhältnisse in den Gebirgsländern der gemäßigten Zone.
Vor allem ist es bei diesem wichtigen Gegenstande nothwendig den Cyclus wirklicher Beobachtungen von den theoretischen Schlüssen zu trennen, welche man darauf gegründet. Was wir suchen, ist, in seiner größten Allgemeinheit ausgesprochen, dreierlei: die Vertheilung der Wärme in der uns zugänglichen Erdrinde, in der Wasserbedeckung (dem Ocean) 236 und der Atmosphäre. In den beiden Umhüllungen des Erdkörpers, der tropfbaren und gasförmigen, herrscht entgegengesetzte Veränderung der Temperatur (Abnahme und Zunahme derselben in den auf einander gelagerten Schichten) in der Richtung der Verticale. In den festen Theilen des Erdkörpers wächst die Temperatur mit der Tiefe; die Veränderung ist in demselben Sinne, wenn gleich in sehr verschiedenem Verhältniß, wie im Luftmeere: dessen Untiefen und Klippen die Hochebenen und vielgestalteten Berggipfel bilden. Durch directe Versuche kennen wir am genauesten die Vertheilung der Wärme im Luftkreise geographisch nach Ortsbestimmung in Breite und Länge, wie nach hypsometrischen Verhältnissen nach Maaßgabe der verticalen Höhe über der Meeresfläche: beides doch fast nur in nahem Contact mit dem festen und tropfbar-flüssigen Theile der Oberfläche unseres Planeten. Wissenschaftliche und systematisch angeordnete Untersuchungen durch aërostatische Reisen im freien Luftmeere, außerhalb der zu nahen Einwirkung der Erde, sind bisher noch zu selten, und daher wenig geeignet gewesen die so nothwendigen numerischen Angaben mittlerer Zustände darzubieten. Für die Abnahme der Wärme in den Tiefen des Oceans fehlt es nicht an Beobachtungen; aber Strömungen, welche Wasser verschiedener Breiten, Tiefen und Dichtigkeiten herbeiführen, erschweren fast noch mehr als Strömungen in der Atmosphäre die Erlangung allgemeiner Resultate. Wir haben die thermischen Zustände der beiden Umhüllungen unseres Planeten, welche weiter unten einzeln behandelt werden, hier nur vorläufig deshalb berührt, um den Einfluß der verticalen Wärme-Vertheilung in der festen Erdrinde, das System der Geo-Isothermen, nicht allzu isolirt, sondern als einen Theil der alles durchdringenden 237 Wärme-Bewegung, einer ächt kosmischen Thätigkeit, zu betrachten.
So vielfach belehrend auch die Beobachtungen über die ungleiche Temperatur-Abnahme der nicht mit den Jahreszeiten veränderlichen Quellen bei zunehmender Höhe des Punktes ihres Ausbruchs ist; so kann das locale Gesetz solcher abnehmenden Temperatur der Quellen doch nicht, wie oft geschieht, unbedingt als ein allgemeines geothermisches Gesetz betrachtet werden. Wenn man gewiß wäre, daß Wasser auf einer horizontalen Schicht in großer Erstreckung ungemischt fortliefen, so würde man allerdings glauben können, daß sie allmälig die Temperatur des Festen angenommen haben; aber in dem großen Spaltengewebe der gehobenen Massen kann dieser Fall nur selten vorkommen. Kältere, höhere Wasser vermischen sich mit den unteren. Unser Bergbau, so geringe Räume er auch der Tiefe nach umfaßt, ist sehr belehrend in dieser Hinsicht; aber unmittelbar würde man nur dann zur Kenntniß der Geo-Isothermen gelangen, wenn nach Boussingault's MethodeVergl. Kosmos Bd. I. S. 182 und 427 (Anm. 139), Bd. IV. S. 40 und 166 (Anm. 1738). unterhalb der Tiefe, in welcher sich noch die Einflüsse der Temperatur-Veränderungen des nahen Luftkreises äußern, Thermometer in sehr verschiedenen Höhen über dem Meere eingegraben würden. Vom 45ten Grade der Breite bis zu den dem Aequator nahen Theilen der Tropengegend nimmt die Tiefe, in der die invariable Erdschicht beginnt, von 60 bis 1½ oder 2 Fuß ab. Das Eingraben der Geothermometer in geringen Tiefen, um zur Kenntniß der mittleren Erd-Temperatur zu gelangen, ist demnach nur zwischen den Wendekreisen oder in der subtropischen Zone leicht ausführbar. Das vortreffliche Hülfsmittel der artesischen Brunnen, die eine Wärme-Zunahme von 1° des hundert-theiligen Thermometers für jede 91 bis 99 Fuß in absoluten Tiefen 238 von 700 bis 2200 Fuß angezeigt haben, ist bisher dem Physiker nur in Gegenden von nicht viel mehr als 1500 Fuß Höhe über dem Meeresspiegel dargeboten worden.Kosmos Bd. IV. S. 37. Grubenbaue der Menschen auf Silbererz habe ich in der Andeskette 6° 45' südlich vom Aequator in fast 12400 Fuß Höhe besucht, und die Temperatur der dort aus den Gesteinklüften des Kalksteins andringenden Bergwasser zu 11°,3 gefunden.Mina de Guadalupe, eine der Minas de Chota, a. a. O. S. 41. Die Wasser, welche in den Bädern des Inca Tupac Yupanqui gewärmt wurden, auf dem Rücken der Andes (Paso del Assuay), kommen wahrscheinlich aus Quellen der Ladera de Cadlud: wo ich den Weg, neben welchem auch die alte peruanische Kunststraße fortlief, barometrisch zu 14568 Fuß Höhe (fast zu der des Montblanc) gefunden habe.Humboldt, Ansichten der Natur Bd. II. S. 323. Das sind die höchsten Punkte, an denen ich in Südamerika Quellwasser beobachten konnte. In Europa haben in den östlichen Alpen die Gebrüder Schlagintweit auf 8860 Fuß Höhe Stollenwasser in der Goldzeche, und kleine Quellen nahe bei dem Stollen Mundloche von nur 0°,8 Wärme gemessenBergwerk auf der großen Fleuß im Moll-Thale der Tauern; s. Hermann und Adolph Schlagintweit, Untersuchungen über die physicalische Geographie der Alpen 1850 S. 242–273.: fern von allem Schnee und allem Gletscher-Eise. Die letzten Höhengrenzen der Quellen sind sehr verschieden nach Maaßgabe der geographischen Breiten, der Höhe der Schneelinie und des Verhältnisses der höchsten Gipfel zu den Gebirgskämmen und Hochebenen.
Nähme der Halbmesser des Planeten um die Höhe des Himalaya im Kintschindjunga, also gleichmäßig in der ganzen Oberfläche um 26436 Fuß (1,16 geogr. Meilen) zu; so würde bei dieser geringen Vermehrung von nur 1/800 des Erd-Halbmessers (nach Fourier's analytischer Theorie) die Wärme, in der durch Strahlung erkalteten Oberfläche, in der oberen Erdrinde fast ganz die sein, welche sie jetzt ist. Erheben sich aber einzelne Theile der Oberfläche in Bergketten und schmalen Gipfeln, wie 239 Klippen auf dem Boden des Luftmeeres; so entsteht in dem Inneren der gehobenen Erdschichten von unten nach oben eine Wärme-Abnahme: die modificirt wird durch den Contact mit Luftschichten verschiedener Temperatur, durch die Wärme-Capacität und das Wärme-Leitungsvermögen heterogener Gebirgsarten, durch die Insolation (Besonnung) der mit Wald bedeckten Gipfel und Gehänge; durch die größere und geringere Wärmestrahlung der Berge nach Maaßgabe ihrer Gestaltung (Reliefform), ihrer Mächtigkeit (in großen Massen) oder ihrer conischen und pyramidalen Schmalheit. Die specielle Höhe der Wolkenregion, die Schnee- und Eisdecken bei verschiedener Höhe der Schneegrenze, die Frequenz der nach den Tageszeiten längs den steilen Abhängen herabkommenden erkaltenden Luftströmungen verändern den Effect der Erdstrahlung. Je nachdem sich die, gleich Zapfen emporstrebenden Gipfel erkälten, entsteht im Inneren eine nach Gleichgewicht strebende, aber dasselbe nie erreichende schwache Wärme-Strömung von unten nach oben. Die Erkennung so vieler auf die verticale Wärme-Vertheilung wirkender Factoren leitet zu wohlbegründeten Vermuthungen über den Zusammenhang verwickelter localer Erscheinungen, aber sie leitet nicht zu unmittelbaren numerischen Bestimmungen. Bei den Gebirgsquellen (und die höheren, für die Gemsjäger wichtig, werden sorgsam aufgesucht) bleibt so oft der Zweifel: daß sie mit Wassern gemischt sind, welche niedersinkend die kältere Temperatur oberer; oder gehoben, aufsteigend, die wärmere Temperatur tieferer Schichten hinzuführen. Aus 19 Quellen, die Wahlenberg beobachtete, zieht Kämtz den Schluß, daß man sich in den Alpen 900 bis 960 Fuß erheben müsse, um die Quellen-Temperatur um 1° sinken zu sehen. Eine größere Zahl, mit mehr Vorsicht ausgewählter Beobachtungen 240 von Hermann und Adolph Schlagintweit in den östlichen kärnthner und westlichen schweizer Alpen am Monte Rosa geben nur 720 Fuß. Nach der großen ArbeitDieselben Verfasser in ihrer Schrift: Monte Rosa 1853 Cap. VI S. 212–225. dieser vortrefflichen Beobachter ist »die Abnahme der Quellen-Temperatur jedenfalls etwas langsamer als jene der mittleren Jahres-Temperatur der Luft, welche in den Alpen 540 Fuß für 1° beträgt. Die Quellen sind dort im allgemeinen in gleichem Niveau wärmer als die mittlere Luft-Temperatur; und der Unterschied zwischen Luft- und Quellenwärme wächst mit der Höhe. Die Temperatur des Bodens ist bei gleicher Höhe nicht dieselbe in dem ganzen Alpenzuge, da die isothermen Flächen, welche die Punkte gleicher mittlerer Quellenwärme verbinden, sich um so mehr über das Niveau des Meeres erheben, abgesehen von dem Einfluß der geographischen Breite, je bedeutender die mittlere Anschwellung des umgebenden Bodens ist: alles nach den Gesetzen der Vertheilung der Wärme in einem festen Körper von wechselnder Dicke, mit welchem man das Relief (die Massen-Erhebung) der Alpen vergleichen kann.«
In der Andeskette, und gerade in dem vulkanischen Theile derselben, welcher die größten Erhebungen darbietet, kann in einzelnen Fällen das Eingraben von Thermometern durch den Einfluß localer Verhältnisse zu täuschenden Resultaten führen. Nach der früher von mir gefaßten Meinung, daß weitgesehene schwarze Felsgrate, welche die Schneeregion durchsetzen, nicht immer bloß der Configuration und Steilheit ihrer Seitenwände, sondern anderen Ursachen ihren gänzlichen Mangel von Schnee verdanken: grub ich am Chimborazo in einer Höhe von 17160 Fuß, also 3350 Fuß über der Gipfelhöhe des Montblanc, eine Thermometer-Kugel nur drei Zoll in den Sand, der die Kluft in einem Grate füllte. Das Thermometer zeigte 241 anhaltend 5°,8, während die Luft nur 2°,7 über dem Gefrierpunkt war. Das Resultat dieser Beobachtung hat einige Wichtigkeit: denn bereits 2400 Fuß tiefer, an der unteren Grenze des ewigen Schnees der Vulkane von Quito, ist nach vielen von Boussingault und mir gesammelten Beobachtungen die mittlere Wärme der Atmosphäre nicht höher als 1°,6. Die Erd-Temperatur von 5°,8 muß daher der unterirdischen Wärme des Dolerit-Gebirges: ich sage nicht der ganzen Masse, sondern den in derselben aus der Tiefe aufsteigenden Luftströmen, zugeschrieben werden. Am Fuß des Chimborazo, in 8900 Fuß Höhe, gegen das Dörfchen Calpi hin, liegt ohnedies ein kleiner Ausbruch-Krater, Yana-Urcu, der: wie auch sein schwarzes, schlackenartiges Gestein (Augit, Porphyr) bezeugt, in der Mitte des 15ten Jahrhunderts scheint thätig gewesen zu sein.Humboldt, Kleinere Schriften Bd. I. S. 139 und 147.
Die Dürre der Ebene, aus welcher der Chimborazo aufsteigt, und der unterirdische Bach, den man unter dem eben genannten vulkanischen Hügel Yana-Urcu rauschen hört, haben zu sehr verschiedenen Zeiten Boussingault und michA. a. O. S. 140 und 203. zu der Betrachtung geführt: daß die Wasser, welche die ungeheuren, an ihrer unteren Grenze schmelzenden Schneemassen täglich erzeugen, auf den Klüften und Weitungen der gehobenen Vulkane in die Tiefe versinken. Diese Wasser bringen perpetuirlich eine Erkaltung in den Schichten hervor, durch die sie herabstürzen. Ohne sie würden die ganzen Dolerit- und Trachytberge auch in Zeiten, die keinen nahen Ausbruch verkünden, in ihrem Inneren eine noch höhere Temperatur aus dem ewig wirkenden, vielleicht aber nicht unter allen Breitengraden in gleicher Tiefe liegenden, vulkanischen Urquell annehmen. So ist im Wechselkampfe der Erwärmungs- und Erkältungs-Ursachen ein stetes Fluthen der Wärme auf- und abwärts: 242 vorzugsweise da anzunehmen, wo zapfenartig feste Theile in den Luftkreis aufsteigen.
Gebirge und hohe Gipfel sind aber dem Areal nach, das sie umfassen, ein sehr kleines Phänomen in der Relief-Gestaltung der Continente; und dazu sind fast ⅔ der ganzen Erdoberfläche (nach dem jetzigen Zustande geographischer Entdeckungen in den Polargegenden beider Hemisphären kann man das Verhältniß vom Meer und Land wohl wie 8 : 3 annehmen) Meeresgrund. Dieser ist unmittelbar mit Wasserschichten in Contact, die, schwach gesalzen und nach dem Maximum ihrer Dichtigkeiten (bei 3°,94) sich lagernd, eine eisige Kälte haben. Genaue Beobachtungen von Lenz und du Petit Thouars haben gezeigt, daß mitten in den Tropen, wo die Oberfläche des Oceans 26° bis 27° Wärme hat, aus sieben- bis achthundert Faden Tiefe Wasser von 2°½ Temperatur haben heraufgezogen werden können: – Erscheinungen, welche die Existenz von unteren Strömungen aus den Polargegenden offenbaren. Die Folgen dieser suboceanischen constanten Erkaltung des bei weitem größeren Theils der Erdrinde verdienen eine Aufmerksamkeit, die ihnen bisher nicht genugsam geschenkt worden ist. Felsklippen und Inseln von geringem Umfange, welche wie Zapfen aus dem Meeresgrunde über die Oberfläche des Wassers hervortreten; schmale Landengen, wie Panama und Darien, von großen Weltmeeren bespült: müssen eine andere Wärme-Vertheilung in ihren Gesteinschichten darbieten als Theile von gleichem Umfange und gleicher Masse im Inneren der Continente. In einer sehr hohen Gebirgsinsel ist, der Verticale nach, der unterseeische Theil mit einer Flüssigkeit in Contact, welche von unten nach oben eine wachsende Temperatur hat. Wie aber die Erdschichten in die Atmosphäre, vom Meere unbenetzt, treten: 243 berühren sie unter dem Einfluß der Besonnung und freier Ausstrahlung dunkler Wärme eine gasförmige Flüssigkeit, in welcher die Temperatur mit der Höhe abnimmt. Aehnliche thermische Verhältnisse von entgegengesetzter Ab- und Zunahme der Temperatur in der Verticale wiederholen sich zwischen zwei großen Binnenmeeren, dem caspischen und dem Aral-See, in dem schmalen Ust-Urt, welcher beide von einander scheidet. Um so verwickelte Phänomene einst aufzuklären, dürfen aber nur solche Mittel angewandt werden, welche, wie Bohrlöcher von großer Tiefe, unmittelbar auf die Kenntniß der inneren Erdwärme leiten; nicht etwa bloß Quellen-Beobachtungen oder die Luft-Temperatur in Höhlen: welche eben so unsichere Resultate geben als die Luft in den Stollen und Weitungen der Bergwerke.
Das Gesetz der zunehmenden und abnehmenden Wärme, wenn man ein niedriges Flachland mit einem prallig viele tausend Fuß aufsteigenden Gebirgsrücken oder Gebirgsplateau vergleicht, hängt nicht einfach von dem verticalen Höhenverhältniß zweier Punkte der Erdoberfläche (in dem Flachlande und auf dem Gebirgsgipfel) ab. Wenn man nach der Voraussetzung eines bestimmten Maaßes der Temperatur-Veränderung in einer gewissen Zahl von Fußen von der Ebene aufwärts zum Gipfel oder vom Gipfel abwärts zu der Erdschicht im Inneren der Bergmasse rechnen wollte, welche mit der Oberfläche der Ebene in demselben Niveau liegt; so würde man in dem einen Fall den Gipfel zu kalt, in dem andren die in dem Inneren des Berges bezeichnete Schicht viel zu heiß finden. Die Vertheilung der Wärme in einem aufsteigenden Gebirge (in einer Undulation der Erdoberfläche) ist abhängig, wie schon oben bemerkt, von Form, Masse und Leitungsfähigkeit; von 244 Insolation und Ausstrahlung der Wärme gegen reine oder mit Wolken erfüllte Luftschichten, von dem Contact und Spiele der auf- und niedersteigenden Luftströmungen. Nach solchen Voraussetzungen müßten bei sehr mäßigen Höhenverschiedenheiten von vier- bis fünftausend Fuß Gebirgsquellen sehr häufig sein, deren Temperatur die mittlere Temperatur des Orts um 40 bis 50 Grad überstiege; wie würde es vollends sein am Fuß von Gebirgen unter den Tropen, die bei 14000 Fuß Erhebung noch frei von ewigem Schnee sind, und oft keine vulkanische Gebirgsart, sondern nur Gneiß und Glimmerschiefer zeigen!Ich weiche hier von der Meinung eines mir sehr befreundeten und um die tellurische Wärme-Vertheilung höchst verdienten Physikers ab. S. über die Ursach der warmen Quellen von Leuck und Warmbrunn Bischof, Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geologie Bd. I. S. 127–133. Der große Mathematiker Fourier, angeregt durch die Topographie des Ausbruchs vom Jorullo: in einer Ebene, wo viele hundert Quadratmeilen umher keine ungewöhnliche Erdwärme zu spüren war; hat, auf meine Bitte, sich noch in dem Jahre vor seinem Tode mit theoretischen Untersuchungen über die Frage beschäftigt: wie bei Berg-Erhebungen und veränderter Oberfläche der Erde die isothermen Flächen sich mit der neuen Form des Bodens in Gleichgewicht setzen. Die Seitenstrahlung von Schichten, welche in gleichem Niveau, aber ungleich bedeckt liegen, spielt dabei eine wichtigere Rolle als da, wo Schichtung bemerkbar ist, die Ausrichtung (Inclination) der Absonderungs-Flächen des Gesteins.
Wie die heißen Quellen in der Umgegend des alten Carthago, wahrscheinlich die Thermalquellen von Pertusa (aquae calidae von Hammam el-Enf), den Bischof Patricius, den Märtyrer, auf die richtige Ansicht über die Ursach der höheren oder niedrigeren Temperatur der aufsprudelnden Wasser leiteten; habe ich schon an einem anderen OrteS. über diese, von Dureau de la Malle aufgefundene Stelle Kosmos Bd. I. S. 231–232 und 448 (Anm. 209). »Est autem«, sagt der heil. Patricius, »et supra firmamentum caeli, et subter terram ignis atque aqua; et quae supra terram est aqua, coacta in unum, appellationem marium: quae vero infra, abyssorum suscepit; ex quibus ad generis humani usus in terram velut siphones quidam emittuntur et scaturiunt. Ex iisdem quoque et thermae exsistunt: quarum quae ab igne absunt longius, provida boni Dei erga nos mente, frigidiores; quae vero propius admodum, ferrentes fluunt. In quibusdam etiam locis et tepidae aquae reperiuntur, prout majore ab igne intervallo sunt disjunctae.« So lauten die Worte in der Sammlung: Acta primorum Martyrum, opera et studio Theodorici Ruinart, ed. 2. Amstelaedami 1713 fol. p. 555. Nach einem anderen Berichte (A. S. Mazochii in vetus marmoreum sanctae Neapolitanae Ecclesiae Kalendarium commentarius Vol. II. Neap. 1744 4° p. 385) entwickelte der heil. Patricius vor dem Julius Consularis ohngefähr dieselbe Theorie der Erdwärme; aber an dem Ende der Rede ist die kalte Hölle deutlicher bezeichnet: »Nam quae longius ab igne subterraneo absunt, Dei optimi providentia, frigidiores erumpunt. At quae propiores igni sunt, ab eo fervefactae, intolerabili calore praeditae promuntur foras. Sunt et alicubi tepidae, quippe non parum sed longiuscule ab eo igne remotae. Atqui ille infernus ignis impiarum est animarum carnificina; non secus ac subterraneus frigidissimus gurges, in glaciei glebas concretus, qui Tartarus nuncupatur.« – Der arabische Name hammâm el-enf bedeutet: Nasenbäder; und ist, wie schon Temple bemerkt hat, von der Gestalt eines benachbarten Vorgebirges hergenommen: nicht von einer günstigen Einwirkung, welche dieses Thermalwasser auf Krankheiten der Nase ausübte. Der arabische Name ist von den Berichterstattern mannigfach gewandelt worden: hammam l'Enf oder Lif, Emmamelif (Peyssonel), la Mamelif (Desfontaines). Vergl. Gumprecht, die Mineralquellen auf dem Festlande von Africa (1851) S. 140–144. erwähnt. Als nämlich der Proconsul Julius den angeklagten Bischof spöttisch durch die Frage verwirren wollte: »quo auctore fervens haec aqua 245 tantum ebulliat?« entwickelt Patricius seine Theorie der Centralwärme: »welche die Feuerausbrüche des Aetna und des Vesuvs veranlaßt, und den Quellen um so mehr Wärme mittheilt, als sie einen tieferen Ursprung haben.« Platons Pyriphlegethon war dem eruditen Bischof die Hölle der Sündigen; und, als wollte er dabei auch an eine der kalten Höllen der Buddhisten erinnern, wird noch, etwas unphysikalisch, für das nunquam finiendum supplicium impiorum, trotz der Tiefe, eine aqua gelidissima concrescens in glaciem angenommen.
Unter den heißen Quellen sind die, welche, der Siedhitze des Wassers nahe, eine Temperatur bis 90° erreichen, viel seltener, als man nach ungenauen Bestimmungen gewöhnlich annimmt; am wenigsten finden sie sich in der Umgebung noch thätiger Vulkane. Mir ist es geglückt, auf meiner amerikanischen Reise zwei der wichtigsten dieser Quellen zu untersuchen, beide zwischen den Wendekreisen. In Mexico unfern der reichen Silberbergwerke von Guanaxuato, in 21° nördlicher Breite, auf einer Höhe von mehr als 6000 Fuß über der Meeresfläche, bei ChichimequilloHumboldt, essai politique sur la Nouvelle-Espagne, 2ème ed. T. III. (1827) p. 190.: entquellen die aguas de Comangillas einem Basalt- und Basaltbreccien-Gebirge. Ich fand sie im September 1803 zu 96°,4. Diese Basaltmasse hat einen säulenförmigen Porphyr gangartig durchbrochen, der selbst wieder auf einem weißen, quarzreichen Syenit ruht. Höher, aber nicht fern von dieser, fast siedenden Quelle, bei los Joares, nördlich von Santa Rosade la Sierra: fällt Schnee vom December bis April schon in 8160 Fuß Höhe; auch bereiten dort die Eingeborenen das ganze Jahr hindurch Eis durch Ausstrahlung in künstlichen Bassins. Auf dem Wege von Nueva Valencia, in den Valles de Aragua nach dem Hafen von Portocabello 246 (ohngefähr in 10°¼ Breite), am nördlichen Abfall der Küstenkette von Venezuela: sah ich einem geschichteten Granit, welcher gar nicht in Gneiß übergeht, die aguas calientes de las Trincheras entquellen. Ich fandRelat. hist. du Voyage aux Régions équinoxiales T. II. p. 98, Kosmos Bd. I. S. 230. Die heißen Quellen von Carlsbad verdanken ihren Ursprung auch dem Granit; Leop. von Buch in Poggend. Ann. Bd. XII. S. 416: ganz wie die von Joseph Hooker besuchten heißen Quellen von Momay in Tibet, die 15000 Fuß hoch über dem Meere mit 46° Wärme ausbrechen, nahe bei Changokhang (Himalayan Journals Vol. II. p. 133). die Quelle im Februar 1800 zu 90°,3: während die, dem Gneiß angehörigen Baños de Mariara in den Valles de Aragua 59°,3 zeigten. Drei-und-zwanzig Jahre später, wieder im Monat Februar, fanden Boussingault und RiveroBoussingault, considérations sur les eaux thermales des Cordillères, in den Annales de Chimie et de Physique T. LII. 1833 p. 188–190. sehr genau in Mariara 64°,0; in las Trincheras de Portocabello, bei geringer Höhe über dem antillischen Meere: in Einem Bassin 92°,2, in dem anderen 97°,0. Die Wärme jener heißen Quellen war also in der kurzen Zwischenzeit beider Reisen ungleich gestiegen: in Mariara um 4°,7; in las Trincheras um 6°,7. Boussingault hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß eben in der bezeichneten Zwischenzeit das furchtbare Erdbeben stattfand, welches die Stadt Caracas am 26 März 1812 umstürzte. Die Erschütterung an der Oberfläche war zwar weniger stark in der Gegend des Sees von Tacarigua (Nueva Valencia); aber kann im Inneren der Erde, wo elastische Dämpfe auf Spalten wirken, eine sich so weit und gewaltsam fortpflanzende Bewegung nicht leicht das Spaltengewebe ändern und tiefere Zuführungs-Canäle öffnen? Die, aus einer Granit-Formation aufsteigenden, heißen Wasser de las Trincheras sind fast rein: da sie nur Spuren von Kieselsäure, etwas Schwefel-Wasserstoff-Säure und Stickstoff enthalten; sie bilden nach vielen, sehr malerischen Cascaden, von einer üppigen Vegetation umgeben, einen Fluß: Rio de Aguas calientes, welcher gegen die Küste hin voll großer Crocodile ist: denen die, abwärts schon bedeutend verminderte Wärme sehr behagt. Im nördlichsten Indien entspringt ebenfalls aus Granit (Br. 30° 52') die sehr heiße Quelle von Jumnotri: 247 die 90° (194° Fahr.) erreicht und, da sie diese hohe Temperatur in einer Erhebung von 10180 Fuß offenbart, fast den Siedepunkt erreicht, welcher diesem LuftdruckCaptain Newbold on the temperature of the wells and rivers in India and Egypt (in den Philos. Transact. for 1845 P. I. p. 127). angehört.
Unter den intermittirenden heißen Quellen haben die isländischen Kochbrunnen, und unter diesen besonders der große Geysir und Strokkr, mit Recht die größte Berühmtheit erlangt. Nach den vortrefflichen neuesten Untersuchungen von Bunsen, Sartorius von Waltershausen und Descloiseaux nimmt in den Wasserstrahlen beider die Temperatur von unten nach oben auf eine merkwürdige Weise ab. Der Geysir besitzt einen, von horizontalen Schichten Kieselsinters gebildeten, abgestumpften Kegel von 25 bis 30 Fuß Höhe. In diesen Kegel versenkt sich ein flaches Becken von 52 Fuß Durchmesser, in dessen Mitte das Rohr des Kochbrunnens: mit einem dreimal kleineren Durchmesser, von senkrechten Wänden umgeben, 70 Fuß in die Tiefe hinabgeht. Die Temperatur des Wassers, welches ununterbrochen das Becken füllt, ist 82°. In sehr regelmäßigen Zwischenräumen von 1 Stunde und 20 bis 30 Minuten verkündigt der Donner in der Tiefe den Anfang der Eruption. Die Wasserstrahlen von 9 Fuß Dicke, deren etwa drei große einander folgen, erreichen 100, ja bisweilen 140 Fuß Höhe. Die Temperatur des in der Röhre aufsteigenden Wassers hat man in 68 Fuß Tiefe: kurz vor dem Ausbruch zu 127°, während desselben zu 124°,2, gleich nachher zu 122° gefunden; an der Oberfläche des Beckens nur zu 84°–85°. Der Strokkr, welcher ebenfalls am Fuß des Bjarnafell liegt, hat eine geringere Wassermasse als der Geysir. Der Sinter-Rand seines Beckens ist nur wenige Zoll hoch und breit. Die Eruptionen sind häufiger als beim Geysir, kündigen sich aber nicht durch 248 unterirdischen Donner an. Im Strokkr ist beim Ausbruch die Temperatur in 40 Fuß Tiefe 113°–115°, an der Oberfläche fast 100°. Die Eruptionen der intermittirenden Kochquellen und die kleinen Veränderungen in dem Typus der Erscheinungen sind von den Eruptionen des Hekla ganz unabhängig, und keinesweges durch diese in den Jahren 1845 und 1846 gestört worden.Sartorius von Waltershausen, physisch-geographische Skizze von Island, mit besonderer Rücksicht auf vulkanische Erscheinungen, 1847 S. 128–132; Bunsen und Descloiseaux in den Comptes rendus des séances de l'Acad. des Sciences T. XXIII. 1846 p. 935; Bunsen in den Annalen der Chemie und Pharmacie Bd. LXII. 1847 S. 27–45. Schon Lottin und Robert hatten ergründet, daß die Temperatur des Wasserstrahls im Geysir von unten nach oben abnehme. Unter den 40 kieselhaltigen Sprudelquellen, welche dem großen Geysir und Strokkr nahe liegen, führt eine den Namen des kleinen Geysirs. Ihr Wasserstrahl erhebt sich nur zu 20 bis 30 Fuß. Das Wort Kochbrunnen ist dem Worte Geysir nachgebildet, das mit dem isländischen giosa (kochen) zusammenhangen soll. Auch auf dem Hochlande von Tibet findet sich nach dem Bericht von Csoma de Körös bei dem Alpensee Mapham ein Geyser, welcher 12 Fuß hoch speit. Bunsen hat mit dem ihm eigenen Scharfsinn in Beobachtung und Discussion die früheren Hypothesen über die Periodicität der Geysir-Eruptionen (unterirdische Höhlen, welche als Dampfkessel sich bald mit Dämpfen, bald mit Wasser erfüllen) widerlegt. Die Ausbrüche entstehen nach ihm dadurch, daß ein Theil einer Wassersäule, die an einem tieferen Punkte unter großem Druck angehäufter Dämpfe einen hohen Grad der Temperatur angenommen hat, aufwärts gedrängt wird: und dadurch unter einen Druck gelangt, welcher seiner Temperatur nicht entspricht. So sind »die Geysir natürliche Collectoren der Dampfkraft«.
Von den heißen Quellen sind einige wenige der absoluten Reinheit nahe, andere enthalten zugleich Lösungen von 8 bis12 festen oder gasartigen Stoffen. Zu den ersteren gehören die Heilquellen von Luxueil, Pfeffers und Gastein: deren Art der Wirksamkeit wegen ihrer ReinheitIn 1000 Theilen findet in den Quellen von Gastein Trommsdorf nur 0,303; Löwig in Pfeffers 0,291; Longchamp in Luxenil nur 0,236 fixe Bestandtheile: wenn dagegen in 1000 Theilen des gemeinen Brunnenwassers in Bern 0,478; im Carlsbader Sprudel 5,459; in Wiesbaden gar 7,454 gefunden werden. Studer, physikal. Geogr. und Geologie, 2te Ausg. 1847, Cap. 1 S. 92. so räthselhaft scheinen kann. Da alle Quellen hauptsächlich durch Meteorwasser gespeist werden, so enthalten sie Stickstoff: wie Boussingault in der, dem Granit entströmenden, sehr reinen»Les eaux chaudes qui sourdent du granite de la Cordillère du littoral (de Venezuela), sont presque pures; elles ne renferment qu'une petite quantité de silice en dissolution, et du gaz acide hydrosulfurique mêlé d'un peu de gaz azote. Leur composition est identique avec celle qui résulterait de l'action de l'eau sur le sulfure de silicium.« (Annales de Chimie et de Phys. T. LII. 1833 p. 189.) Ueber die große Menge von Stickstoff, die der warmen Quelle von Orense (68°) beigemischt ist, s. Maria Rubio, tratado de las Fuentes minerales de España 1853 p. 331. Quelle in las Trincheras de Portocabello, und BunsenSartorius von Waltershausen, Skizze von Island S. 125. in der Cornelius-Quelle zu Aachen und in dem isländischen Geysir erwiesen haben. Auch die in mehreren Quellen aufgelöste organische Materie ist stickstoffhaltig, ja bisweilen bituminös. So lange man noch nicht durch Gay-Lussac's und meine Versuche 249 wußte, daß Regen- und Schneewasser (das erstere 10, das zweite wenigstens 8 Procent) mehr Sauerstoff als die Atmosphäre enthalten; wurde es sehr auffallend gefunden, aus den Quellen von Nocera in den Apenninen ein sauerstoffreiches Gas-Gemisch entwickeln zu können. Die Analysen, welche Gay-Lussac während unseres Aufenthalts an dieser Gebirgsquelle gemacht, haben gezeigt, daß sie nur so viel Sauerstoff enthält, als ihr die HydrometeoreDer ausgezeichnete Chemiker Morechini zu Rom hatte den Sauerstoff, welcher in der Quelle von Nocera (2100 Fuß über dem Meere liegend) enthalten ist, zu 0,40 angegeben; Gay-Lussac fand die Sauerstoff-Menge (26 Sept. 1805) genau nur 0,299. In den Meteorwassern (Regen) hatten wir früher 0,31 Sauerstoff gefunden. – Vergl. über das den Säuerlingen von Neris und Bourbon l'Archambault beigemischte Stickstoffgas die älteren Arbeiten von Anglade und Longchamp (1834), und über Kohlensäure-Exhalationen im allgemeinen Bischof's vortreffliche Untersuchungen in seiner chem. Geologie Bd. I. S. 243–350. haben geben können. Wenn die Kiesel-Ablagerungen als Baumaterial in Verwunderung setzen, aus denen die Natur die, wie aus Kunst geschaffenen Geysir-Apparate zusammensetzt; so ist dabei in Erinnerung zu bringen, daß Kieselsäure auch in vielen kalten Quellen, welche einen sehr geringen Antheil von Kohlensäure enthalten, verbreitet ist.
Säuerlinge und Ausströmungen von kohlensaurem Gas, die man lange Ablagerungen von Steinkohlen und Ligniten zuschrieb, scheinen vielmehr ganz den Processen tiefer vulkanischer Thätigkeit anzugehören: einer Thätigkeit, welche allverbreitet ist, und sich daher nicht bloß da äußert, wo vulkanische Gebirgsarten das Dasein alter localer Feuerausbrüche bezeugen. Kohlensäure-Ausströmungen überdauern allerdings in erloschenen Vulkanen die plutonischen Catastrophen am längsten; sie folgen dem Stadium der Solfataren-Thätigkeit: während aber auch überreiche, mit Kohlensäure geschwängerte Wasser von der verschiedensten Temperatur aus Granit, Gneiß, alten und neuen Flözgebirgen ausbrechen. Säuerlinge schwängern sich mit kohlensauren Alkalien, besonders mit kohlensaurem Natron, überall, wo mit Kohlensäure geschwängerte Wasser auf Gebirgsarten wirken, welche alkalische Silicate enthalten.Bunsen in Poggendorff's Annalen Bd. 83. S 257; Bischof, Geologie Bd. I. S. 271. Im nördlichen Deutschland ist bei vielen der kohlensauren Wasser- und Gasquellen noch die Dislocation der Schichten, und das Ausbrechen 250 in meist geschlossenen Ringthälern (Pyrmont, Driburg) besonders auffallend. Friedrich Hoffmann und Buckland haben solche Vertiefungen fast zugleich sehr charakteristisch Erhebungs-Thäler (valleys of elevation) genannt.
In den Quellen, die man mit dem Namen der Schwefelwasser belegt, tritt der Schwefel keinesweges immer in denselben Verbindungen auf. In vielen, die kein kohlensaures Natron enthalten, ist wahrscheinlich Schwefel-Wasserstoff aufgelöst; in anderen, z. B. in den Schwefelwassern von Aachen (Kaiser-, Cornelius-, Rosen- und Quirinus-Quelle), ist in den Gasen, welche man durch Auskochen, bei Luft-Abschluß, erhält, nach den genauen Versuchen von Bunsen und Liebig gar kein Schwefel-Wasserstoff enthalten: ja in den aus den Quellen von selbst aufsteigenden Gasblasen enthält allein die Kaiserquelle in 100 Maaß 0,31 Schwefel-Wasserstoff.Liebig und Bunsen, Untersuchung der Aachener Schwefelquellen, in den Annalen der Chemie und Pharmacie Bd. 79. (1851) S. 101. In den chemischen Analysen von Mineralquellen, die Schwefel-Natrium enthalten, werden oft kohlensaures Natron und Schwefel-Wasserstoff aufgeführt, indem in denselben Wassern überschüssige Kohlensäure vorhanden ist.
Eine Therme, die einen ganzen Fluß schwefelgesäuerten Wassers: den Essig-Fluß (Rio Vinagre), von den Eingebornen Pusambio genannt, erzeugt, ist eine merkwürdige Erscheinung, die ich zuerst bekannt gemacht habe. Der Rio Vinagre entspringt ohngefähr in 10000 Fuß Höhe am nordwestlichen Abfall des Vulkans von Puracé, an dessen Fuß die Stadt Popayan liegt. Er bildet 3 malerische CascadenEine dieser Cascaden ist abgebildet in meinen Vue des Cordillères Pl. XXX. Ueber die Analyse der Wasser des Rio Vinagre s. Boussingault in den Annales de Chimie et de Phys. 2e Série T. LII. 1833 p. 397 und eben daselbst Dumas, 3ème Série T. XVIII. 1835 p. 503; über die Quelle im Paramo de Ruiz Joaquin Acosta, Viajes cientificos á los Andes ecuatoriales 1849 p. 89.: von denen ich die eine, welche an einer steilen Trachytwand senkrecht wohl 300 Fuß herabstürzt, abgebildet habe. Von dem Punkte an, wo der kleine Fluß in den Cauca einmündet, nährt dieser große Strom 2 bis 3 Meilen abwärts bis zu den Einmündungen des Pindamon und Palacé keine Fische: ein großes Uebel für die streng fastenden Einwohner von Popayan. Die Wasser des Pusambio enthalten nach Boussingault's späterer Analyse eine große Menge Schwefel-Wasserstoff und 251 Kohlensäure, auch etwas schwefelsaures Natron. Nahe an der Quelle fand Boussingault 72°,8 Wärme. Der obere Theil des Pusambio ist unterirdisch. Im Paramo de Ruiz, am Abhange des Vulkans desselben Namens, an den Quellen des Rio Guali, in 11400 Fuß Höhe: hat Degenhardt (aus Clausthal am Harze), der der Geognosie durch einen frühen Tod entrissen wurde, eine heiße Quelle 1846 entdeckt, in deren Wasser Boussingault dreimal so viel Schwefelsäure als im Rio Vinagre fand.
Das Gleichbleiben der Temperatur und der chemischen Beschaffenheit der Quellen, so weit man durch sichere Beobachtungen hinaufreichen kann, ist noch um vieles merkwürdiger als die VeränderlichkeitDie Beispiele veränderter Temperatur in den Thermen von Mariara und las Trincheras leiten auf die Frage: ob das Styx-Wasser, dessen so schwer zugängliche Quelle in dem wilden aroanischen Alpengebirge Arkadiens bei Nonakris, im Stadtgebiete von Pheneos, liegt, durch Veränderung in den unterirdischen Zuleitungs-Spalten seine schädliche Eigenschaft eingebüßt hat? oder ob die Wasser der Styx nur bisweilen dem Wanderer durch ihre eisige Kälte schädlich gewesen sind? Vielleicht verdanken sie ihren, noch auf die jetzigen Bewohner Arkadiens übergegangenen, bösen Ruf nur der schauerlichen Wildheit und Oede der Gegend, wie der Mythe des Ursprungs aus dem Tartarus. Einem jungen kenntnißvollen Philologen, Theodor Schwab, ist vor wenigen Jahren gelungen, mit vieler Anstrengung bis an die Felswand vorzudringen, wo die Quelle herabträufelt: ganz wie Homer, Hesiodus und Herodot sie bezeichnen. Er hat von dem, überaus kalten und dem Geschmack nach sehr reinen, Gebirgswasser getrunken, ohne irgend eine nachtheilige Wirkung zu verspüren. (Schwab, Arkadien, seine Natur und Geschichte, 1852 S. 15–20.) Im Alterthum wurde behauptet, die Kälte der Styx-Wasser zersprenge alle Gefäße, nur den Huf des Esels nicht. Die Styx-Sagen sind gewiß uralt, aber die Nachricht von der giftigen Eigenschaft der Styx-Quelle scheint sich erst zu den Zeiten des Aristoteles recht verbreitet zu haben. Nach einem Zeugniß des Antigonus aus Carystus (Hist. Mirab. § 174) soll sie besonders umständlich in einem für uns verloren gegangenen Buche des Theophrastus enthalten gewesen sein. Die verläumderische Fabel von der Vergiftung Alexanders durch das Styx-Wasser, welches Aristoteles dem Cassander durch Antipater habe zukommen lassen, ist von Plutarch und Arrian widerlegt; von Vitruvius, Justin und Quintus Curtius, doch ohne den Stagiriten zu nennen, verbreitet worden. (Stahr, Aristotelia Th. I. 1830 S. 137–140.) Plinius (XXX, 53) sagt etwas zweideutig: magna Aristotelis infamia excogitatum. Vergl. Ernst Curtius, Peloponnesos Bd. I. (1851) S. 194–196 und 212; Ste. Croix, examen crit. des anciens historiens d'Alexandre p. 496. Eine Abbildung des Styx-Falles, aus der Ferne gezeichnet, enthält Fiedler's Reise durch Griechenland Th. I. S. 400., die man hier und da ergründet hat. Die heißen Quellwasser: welche, auf ihrem langen und verwickelten Laufe, aus den Gebirgsarten, die sie berühren, so vielerlei Bestandtheile aufnehmen: und diese oft dahin führen, wo sie den Erdschichten mangeln, aus denen sie ausbrechen; haben auch noch eine ganz andere Wirksamkeit. Sie üben eine umändernde und zugleich eine schaffende Thätigkeit aus. In dieser Hinsicht sind sie von großer geognostischer Wichtigkeit. Senarmont hat mit bewundernswürdigem Scharfsinn gezeigt, wie höchst wahrscheinlich viele Gangspalten (alte Wege der Thermalwasser) durch Ablagerung der aufgelösten Elemente von unten aus nach oben ausgefüllt worden sind. Durch Druck- und Temperatur-Veränderungen, innere electro-chemische Processe und specifische Anziehung der Seitenwände (des Queergesteins) sind in Spalten und Blasenräumen bald lamellare Absonderungen, bald Concretions-Bildungen entstanden. Gangdrusen und poröse Mandelsteine scheinen sich so theilweise gebildet zu haben. Wo die Ablagerung der Gangmasse in parallelen Zonen vorgegangen ist, entsprechen sich diese Zonen 252 ihrer Beschaffenheit nach meist symmetrisch, von beiden Sahlbändern im Hangenden und Liegenden an gerechnet. Senarmont's chemischer Erfindungsgabe ist es gelungen eine beträchtliche Zahl von Mineralien auf ganz analogen, synthetischen Wegen künstlich darzustellen.»Des gîtes métallifères très importans, les plus nombreux peut-être, paraissent s'être formés par voie de dissolution, et les filons concrétionnés n'être autre chose que d'immenses canaux plus ou moins obstrués, parcourus autrefois par des eaux thermales incrustantes. La formation d'un grand nombre de minéraux qu'on rencontre dans ces gîtes, ne suppose pas toujours des conditions ou des agens très éloignés des causes actuelles. Les deux élémens principaux des sources thermales les plus répandues, les sulfures et les carbonates alcalins, m'ont suffi pour reproduire artificiellement, par des moyens de synthèse très simples, 29 espèces minérales distinctes, presque toutes cristallisées, appartenant aux métaux natifs (argent, cuivre et arsenic natifs); au quartz, au fer oligiste, au fer, nickel, zinc et manganèse carbonatés; au sulfate de baryte, à la pyrite, malachite, pyrite cuivreuse; au cuivre sulfuré, à l'argent rouge, arsenical et antimonial.... On se rapproche le plus possible des procédés de la nature, si l'on arrive à reproduire les minéraux dans leurs conditions d'association possible, au moyen des agens chimiques naturels les plus répandus, et en imitant les phénomènes que nous voyons encore se réaliser dans les foyers où la création minérale a concentré les restes de cette activité qu'elle déployait autrefois avec une toute autre énergie.« H. de Senarmont sur la formation des minéraux par la voie humide, in den Annales de Chimie et de Physique, 3ème Série T. XXXII. 1851 p. 234. (Vergl. auch Elie de Beaumont sur les émanations volcaniques et métallifères, im Bulletin de la Société géologique de France, 2de Série T. XV. p. 129.)
Ein mir nahe befreundeter, wissenschaftlich begabter Beobachter wird, wie ich hoffe, in kurzem eine neue, wichtige Arbeit über die Temperatur-Verhältnisse der Quellen erscheinen lassen; und in derselben, durch Induction aus einer langen Reihe neuer Beobachtungen, das verwickelte Phänomen der Störungen in großer Allgemeinheit mit Scharfsinn behandeln. Eduard Hallmann unterscheidet in den Temperatur-Messungen, welche er während der Jahre 1845 bis 1853 in Deutschland (am Rhein) und in Italien (in der Umgegend von Rom, im Albaner-Gebirge und in den Apenninen) angestellt hat: 1) rein meteorologische Quellen: deren mittlere Wärme nicht durch die innere Erdwärme erhöht ist; 2) meteorologisch-geologische: die, unabhängig von der Regen-Vertheilung und wärmer als die Luft, nur solche Temperatur-Veränderungen erleiden, welche ihnen der Boden mittheilt, durch den sie ausfließen; 3) abnorm kalte Quellen: welche ihre Kälte aus großen Höhen herabbringen.»Um die Abweichungs-Größe der mittleren Quellen-Temperatur von dem Luftmittel zu ergründen, hat Hr. Dr. Eduard Hallmann an seinem früheren Wohnorte Marienberg bei Boppard am Rhein die Luftwärme, die Regenmengen und die Wärme von 7 Quellen 5 Jahre lang, vom 1 December 1845 bis 30 November 1850, beobachtet: und auf diese Beobachtungen eine neue Bearbeitung der Temperatur-Verhältnisse der Quellen gegründet. In dieser Untersuchung sind die Quellen von völlig beständiger Temperatur (die rein geologischen) ausgeschlossen. Gegenstand der Untersuchung sind dagegen alle die Quellen gewesen, die eine Veränderung ihrer Temperatur in der Jahresperiode erleiden.«
»Die veränderlichen Quellen zerfallen in zwei natürliche Gruppen: 1) rein meteorologische Quellen: d. h. solche, deren Mittel erweislich nicht durch die Erdwärme erhöht ist. Bei diesen Quellen ist die Abweichungs-Größe des Mittels vom Luftmittel abhängig von der Vertheilung der Jahres-Regenmenge auf die 12 Monate. Diese Quellen sind im Mittel kälter als die Luft, wenn der Regen-Antheil der vier kalten Monate December bis März mehr als 33⅓ Procent beträgt; sie sind im Mittel wärmer als die Luft, wenn der Regen-Antheil der vier warmen Monate Juli bis October mehr als 33⅓ Procent beträgt. Die negative oder positive Abweichung des Quellmittels vom Luftmittel ist desto größer, je größer der Regen-Ueberschuß des genannten kalten oder warmen Jahresdrittels ist. Diejenigen Quellen, bei welchen die Abweichung des Mittels vom Luftmittel die gesetzliche: d. h. die größte, kraft der Regen-Vertheilung des Jahres mögliche, ist, werden rein meteorologische Quellen von unentstelltem Mittel genannt; diejenigen aber, bei welchen die Abweichungs-Größe des Mittels vom Luftmittel durch störende Einwirkung der Luftwärme in den regenfreien Zeiten verkleinert ist, heißen rein meteorologische Quellen von angenähertem Mittel. Die Annäherung des Mittels an das Luftmittel entsteht entweder in Folge der Fassung: besonders einer Leitung, an deren unterem Ende die Wärme der Quelle beobachtet wurde; oder sie ist die Folge eines oberflächlichen Verlaufs und der Magerkeit der Quell-Adern. In jedem der einzelnen Jahre ist die Abweichungs-Größe des Mittels vom Luftmittel bei allen rein meteorologischen Quellen gleichnamig; sie ist aber bei den angenäherten Quellen kleiner als bei den unentstellten: und zwar desto kleiner, je größer die störende Einwirkung der Luftwärme ist. Von den Marienberger Quellen gehören 4 der Gruppe der rein meteorologischen an; von diesen 4 ist eine in ihrem Mittel unentstellt, die drei übrigen sind in verschiedenen Graden angenähert. Im ersten Beobachtungsjahre herrschte der Regen-Antheil des kalten Drittels vor, und alle vier Quellen waren in ihrem Mittel kälter als die Luft. In den folgenden vier Beobachtungsjahren herrschte der Regen-Antheil des warmen Drittels vor, und in jedem derselben waren alle vier Quellen in ihrem Mittel wärmer als die Luft; und zwar war die positive Abweichung des Quellmittels vom Luftmittel desto größer, je größer in einem der vier Jahre der Regen-Ueberschuß des warmen Drittels war.« »Die von Leopold von Buch im Jahre 1825 aufgestellte Ansicht, daß die Abweichungs-Größe des Quellmittels vom Luftmittel von der Regen-Vertheilung in der Jahresperiode abhangen müsse, ist durch Hallmann wenigstens für seinen Beobachtungsort Marienberg, im rheinischen Grauwacken-Gebirge, als vollständig richtig erwiesen worden. Nur die rein meteorologischen Quellen von unentstelltem Mittel haben Werth für die wissenschaftliche Climatologie: diese Quellen werden überall aufzusuchen, und einerseits von den rein meteorologischen mit angenähertem Mittel, andrerseits von den meteorologisch-geologischen Quellen zu unterscheiden sein.« 2) »Meteorologisch-geologische Quellen: d. h. solche, deren Mittel erweislich durch die Erdwärme erhöht ist. Diese Quellen sind Jahr aus Jahr ein: die Regen-Vertheilung mag sein, wie sie wolle, in ihrem Mittel wärmer als die Luft (die Wärme-Veränderungen, welche sie im Laufe des Jahres zeigen, werden ihnen durch den Boden, durch den sie fließen, mitgetheilt). Die Größe, um welche das Mittel einer meteorologisch-geologischen Quelle das Luftmittel übertrifft, hängt von der Tiefe ab, bis zu welcher die Meteorwasser in das beständig temperirte Erd-Innere hinabgesunken sind, ehe sie als Quelle wieder zum Vorschein kommen: diese Größe hat folglich gar kein climatologisches Interesse. Der Climatologe muß aber diese Quellen kennen, damit er sie nicht fälschlich für rein meteorologische nehme. Auch die meteorologisch-geologischen Quellen können durch eine Fassung oder Leitung dem Luftmittel angenähert sein. – Die Quellen wurden an bestimmten, festen Tagen beobachtet, monatlich 4- bis 5mal. Die Meereshöhe: sowohl des Beobachtungsortes der Luftwärme, als die der einzelnen Quellen, ist sorgfältig berücksichtigt worden.« Dr. Hallmann hat nach Beendigung der Bearbeitung seiner Marienberger Beobachtungen den Winter von 1852 bis 1853 in Italien zugebracht, und in den Apenninen neben gewöhnlichen Quellen auch abnorm kalte gefunden. So nennt er »diejenigen Quellen, welche erweislich Kälte aus der Höhe herabbringen. Diese Quellen sind für unterirdische Abflüsse hoch gelegener offener Seen oder unterirdischer Wasser-Ansammlungen zu halten, aus denen das Wasser in Masse sehr rasch in Spalten und Klüften herabstürzt, um am Fuße des Berges oder Gebirgszuges als Quelle hervorzubrechen. Der Begriff der abnorm kalten Quellen ist also dieser: sie sind für die Höhe, in welcher sie hervorkommen, zu kalt; oder, was das Sachverhältniß besser bezeichnet: sie kommen für ihre niedrige Temperatur an einer zu tiefen Stelle des Gebirges hervor.« Diese Ansichten, welche in dem 1ten Bande von Hallmann's »Temperaturverhältnissen der Quellen« entwickelt sind, hat der Verfasser im 2ten Bande S. 181–183 modificirt: weil in jeder meteorologischen Quelle, möge sie auch noch so oberflächlich sein, ein Antheil der Erdwärme enthalten ist.
253 c. Dampf- und Gasquellen, Salsen, Schlammvulkane, Naphtha-Feuer.
(Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I. S. 232–234, S. 448 Anm. 210 und S. 452 Anm. 225)
Ich habe in dem allgemeinen Naturgemälde durch, nicht genug beachtete, aber wohl ergründete Beispiele gezeigt, wie die Salsen in den verschiedenen Stadien, die sie durchlaufen: von den ersten, mit Flammen begleiteten Eruptionen bis zu den späteren Zuständen friedlicher Schlamm-Auswürfe, gleichsam ein Mittelglied bilden zwischen den heißen Quellen und den eigentlichen Vulkanen: welche geschmolzene Erden, als unzusammenhangende Schlacken, oder als neugebildete, oft mehrfach über einander gelagerte Gebirgsarten, ausstoßen. Wie alle Uebergänge und Zwischenglieder in der unorganischen und organischen Natur, verdienen die Salsen und Schlammvulkane eine ernstere Betrachtung, als die älteren Geognosten, aus Mangel einer speciellen Kenntniß der Thatsachen, auf sie gerichtet haben.
Die Salsen und Naphtha-Brunnen stehen theils vereinzelt in engen Gruppen: wie die Macalubi in Sicilien bei Girgenti, deren schon Solinus erwähnt; oder die bei Pietra mala, Barigazzo und am Monte Zibio unfern Sassuolo im nördlichen Italien, oder die bei Turbaco in Südamerika; theils erscheinen sie, und dies sind die lehrreicheren und wichtigeren, wie in schmalen Zügen an einander gereiht. Längst kannteHumboldt, Asie centr. T. II. p. 58. Ueber die Gründe, welche es mehr als wahrscheinlich machen, daß der Caucasus, der zu 5/7 seiner Länge zwischen dem Kasbegk und Elburuz OSO–WNW im mittleren Parallel von 42° 50' streicht, die Fortsetzung der vulkanischen Spalte des Asferah (Aktagh) und Thian-schan sei; s. a. a. O. p. 54–61. Beide, Asferah und Thian-schan, oscilliren zwischen den Parallelen von 40°⅔ und 43°. Die große aralo-caspische Senkung, deren Flächeninhalt durch Struve nach genauen Messungen das Areal von ganz Frankreich um fast 1680 geographische Quadratmeilen übersteigt (a. a. O. p. 309–312), halte ich für älter als die Hebungen des Altai und Thian-schan. Die Hebungsspalte der letztgenannten Gebirgskette hat sich durch die große Niederung nicht fortgepflanzt. Erst westlich von dem caspischen Meere findet man sie wieder, mit einiger Abänderung in der Richtung, als Caucasus-Kette: aber mit allen trachytischen und vulkanischen Erscheinungen. Dieser geognostische Zusammenhang ist auch von Abich anerkannt und durch wichtige Beobachtungen bestätigt worden. In einem Aufsatze über den Zusammenhang des Thian-schan mit dem Caucasus, welchen ich von diesem großen Geognosten besitze, heißt es ausdrücklich: »Die Häufigkeit und das entscheidende Vorherrschen eines über das ganze Gebiet (zwischen dem Pontus und caspischen Meere) verbreiteten Systems von parallelen Dislocations- und Erhebungs-Linien (nahe von Ost in West) führt die mittlere Achsenrichtung der großen latitudinalen central-asiatischen Massen-Erhebungen auf das bestimmteste westlich vom Kosyurt- und Bolor-Systeme zum caucasischen Isthmus hinüber. Die mittlere Streichungs-Richtung des Caucasus SO–NW ist in dem centralen Theile des Gebirges OSO–WNW, ja bisweilen völlig O–W wie der Thian-schan. Die Erhebungs-Linien, welche den Ararat mit den trachytischen Gebirgen Dzerlydagh und Kargabassar bei Erzerum verbinden, und in deren südlicher Parallele der Argäus, Sepandagh und Sabalan sich an einander reihen; sind die entschiedensten Ausdrücke einer mittleren vulkanischen Achsenrichtung, d. h. des durch den Caucasus westlich verlängerten Thian-schan. Viele andere Gebirgsrichtungen von Central-Asien kehren aber auch auf diesem merkwürdigen Raume wieder, und stehen, wie überall, in Wechselwirkung zu einander: so daß sie mächtige Bergknoten und Maxima der Berg-Anschwellung bilden.« – Plinius (VI, 17) sagt: Persae appellavere Caucasum montem Graucasim (var. Graucasum, Groucasim, Grocasum), hoc est nive candidum; worin Bohlen die Sanskritwörter kâs glänzen und gravan Fels zu erkennen glaubte. (Vergl. meine Asie centrale T. I. p. 109) Wenn etwa der Name Graucasus in Caucasus verstümmelt wurde; so konnte allerdings, wie Klausen in seinen Untersuchungen über die Wanderungen der Io sagt (Rheinisches Museum für Philologie Jahrg. III. 1845 S. 298), ein Name, »in welchem jede seiner ersten Sylben den Griechen den Gedanken des Brennens erregte, einen Brandberg bezeichnen: an den sich die Geschichte des Feuerbrenners (Feuerzünder, πυρκαεύς) leicht poetisch wie von selbst anknüpfte.« Es ist nicht zu läugnen, daß Mythen bisweilen durch Namen veranlaßt werden: aber die Entstehung eines so großen und wichtigen Mythos, wie der typhonisch-caucasische, kann doch wohl nicht aus der zufälligen Klangähnlichkeit in einem mißverstandenen Gebirgsnamen herzuleiten sein. Es giebt bessere Argumente, deren auch Klausen eines erwähnt. Aus der sachlichen Zusammenstellung von Typhon und Caucasus, und durch das ausdrückliche Zeugniß des Pherecydes von Syros (zur Zeit der 58ten Olympiade) erhellt, daß das östliche Weltende für ein vulkanisches Gebirge galt. Nach einer der Scholien zum Apollonius (Scholia in Apoll. Rhod. ed. Schaefferi 1813 v. 1219 p. 524) sagt Pherecydes in der Theogonie: »daß Typhon, verfolgt, zum Caucasus floh und daß dort der Berg brannte (oder in Brand gerieth): daß Typhon von da nach Italien flüchtete, wo die Insel Pithecusa um ihn herumgeworfen (gleichsam herumgegossen) wurde.« Die Insel Pithecusa ist aber die Insel Aenaria (jetzt Ischia), auf welcher der Epomeus (Epopon) nach Julius Obsequens 95 Jahre vor unsrer Zeitrechnung: dann unter Titus, unter Diocletian und zuletzt, nach der genauen Nachricht des Tolomeo Fiadoni von Lucca, zu derselben Zeit Priors von Santa Maria Novella, im Jahr 1302 Feuer und Laven auswarf. »Es ist seltsam«, schreibt mir der tiefe Kenner des Alterthums, Böck, »daß Pherecydes den Typhon vom Caucasus fliehen läßt, weil er brannte: da er selbst der Urheber der Erdbrände ist; daß aber sein Aufenthalt im Caucasus auf der Vorstellung vulkanischer Eruptionen daselbst beruht, scheint auch mir unläugbar.« Apollonius der Rhodier, wo er (Apollon. Rhod. Argon. lib. II v. 1212–1217 ed. Beck) von der Geburt des colchischen Drachen spricht, versetzt ebenfalls in den Caucasus den Fels des Typhon, an welchem dieser von dem Blitze des Kroniden Zeus getroffen wurde. – Mögen immer die Lavaströme und Kraterseen des Hochlandes Kely, die Eruptionen des Ararat und Elburuz, oder die Obsidian- und Bimsstein-Ströme aus den alten Kratern des Riotandagh in eine vor-historische Zeit fallen; so können doch die vielen hundert Flammen, welche noch heute im Caucasus auf Bergen von sieben- bis achttausend Fuß Höhe wie auf weiten Ebenen in Erdspalten ausbrechen, Grund genug gewesen sein, um das ganze caucasische Gebirgsland für einen typhonischen Sitz des Feuers zu halten. man als äußerste Glieder des Caucasus, in Nordwest die Schlammvulkane von Taman, in Südost der großen Bergkette die Naphtha-Quellen und Naphtha-Feuer von Baku und der caspischen Halbinsel Apscheron. Die Größe und den 254 Zusammenhang dieses Phänomens hat aber erst der tiefe Kenner dieses Theils von Vorder-Asien, Abich, erforscht. Nach ihm sind die Schlammvulkane und Naphtha-Feuer des Caucasus aus eine bestimmt zu erkennende Weise an gewisse Linien geknüpft, welche mit den Erhebungs-Axen und Dislocations-Richtungen der Gesteinschichten in unverkennbarem Verkehr stehen. Den größten Raum, von fast 240 Quadratmeilen, füllen die, in genetischem Zusammenhang stehenden Schlammvulkane, Naphtha-Emanationen und Salzbrunnen im südöstlichen Theile des Caucasus aus: in einem gleichschenkligen Dreieck, dessen Basis das Littoral des caspischen Meeres bei Balachani (nördlich von Baku), und eine der Mündungen des Kur (Araxes) nahe bei den heißen Quellen von Sallian ist. Die Spitze eines solchen Dreiecks liegt bei dem Schagdagh im Hochthal von Kinalughi. Dort brechen an der Grenze einer Dolomit- und Schiefer-Formation in 7834 Fuß Höhe über dem caspischen Meere, unfern des Dorfes Kinalughi selbst, die ewigen Feuer des Schagdagh aus, welche niemals durch meteorologische Ereignisse erstickt worden sind. Die mittlere Axe dieses Dreiecks entspricht derjenigen Richtung, welche die in Schamacha an dem Ufer des Pyrsagat so oft erlittenen Erdbeben constant zu befolgen scheinen. Wenn man die eben bezeichnete nordwestliche Richtung weiter verfolgt, so trifft sie die heißen Schwefelquellen von Akti, und wird dann die Streichungslinie des Hauptkammes des Caucasus, wo er zum Kasbegk aufsteigt und das westliche Daghestan begrenzt. Die Salsen der niederen Gegend, oft regelmäßig an einander gereiht, werden allmälig häufiger gegen das caspische Littoral hin zwischen Sallian, der Mündung des Pyrsagat (nahe bei der Insel Swinoi) und der Halbinsel Apscheron. Sie zeigen 255 Spuren früherer wiederholter Schlamm-Eruptionen; und tragen auf ihrem Gipfel kleine, den hornitos von Jorullo in Mexico der Gestalt nach völlig ähnliche Kegel, aus denen entzündliches und oft auch von selbst entzündetes Gas ausströmt. Beträchtliche Flammenausbrüche sind besonders häufig gewesen zwischen 1844 und 1849 am Oudplidagh, Nahalath und Turandagh. Dicht bei der Mündung des Pyrsagat am Schlammvulkan Toprachali findet man (als Beweise einer ausnahmsweise sehr zugenommenen Intensität der unterirdischen Wärme) »schwarze Mergelstücke, die man mit dichtem Basalte und überaus feinkörnigem Dolerit-Gesteine auf den ersten Anblick verwechseln könnte.« An anderen Punkten auf der Halbinsel Apscheron hat Lenz schlackenartige Stücke als Auswürflinge gefunden; und bei dem großen Flammenausbruch von Baklichli (7 Februar 1839) wurden durch die Winde kleine hohle Kugeln, gleich der sogenannten Asche der eigentlichen Vulkane, weit fortgeführt.Humboldt, Asie centrale T. II. p. 511 und 513. Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht (T. II. p. 201), daß Edrisi der Feuer von Baku nicht erwähnt: da sie doch schon 200 Jahre früher, im 10ten Jahrhundert, Masudi Khotbeddin weitläuftig als ein Nefala-Land beschreibt, d. h. reich an brennenden Naphtha-Brunnen. (Vergl. Frähn, Ibn Fozlan p. 245, und über die Etymologie des medischen Wortes Naphtha Asiat. Journal Vol. XIII. p. 124.)
In dem nordwestlichen Ende gegen den cimmerischen Bosporus hin liegen die Schlammvulkane der Halbinsel Taman, welche mit denen von Aklanisowka und Jenikale bei Kertsch Eine Gruppe bilden. Eine der Salsen von Taman hat am 27 Februar 1793 einen Schlamm- und Gas-Ausbruch gehabt, in dem nach vielem unterirdischen Getöse eine in schwarzen Rauch (dichten Wasserdampf?) halb gehüllte Feuersäule von mehreren hundert Fußen Höhe aufstieg. Merkwürdig und für die Natur der Volcancitos de Turbaco lehrreich ist die Erscheinung, daß das von Friedrich Parrot und Engelhardt 1811 geprüfte Gas von Taman nicht entzündlich war: während das an demselben Orte 23 Jahre später von Göbel aufgefangene Gas aus der Mündung einer 256 Glasröhre mit einer bläulichen Flamme wie alle Ausströmungen der Salsen im südöstlichen Caucasus brannte: aber auch, genau analysirt, in 100 Theilen 92,8 Kohlen-Wasserstoff und 5 Theile Kohlen-Oxydgas enthielt.Vergl. Moritz von Engelhardt und Fried. Parrot, Reise in die Krym und den Kaukasus 1815 Th. I. S. 71 mit Göbel, Reise in die Steppen des südlichen Rußlands 1838 Th. I. S. 249–253, Th. II. S. 138–144.
Eine stoffartig verschiedene, aber ihrer Entstehung nach gewiß verwandte Erscheinung sind in der toscanischen Maremma die heißen, borsauren Dampf-Eruptionen, bekannt unter den Namen der lagoni, fummarole, soffioni, auch volcani: bei Possara, Castel novo und Monte Cerboli. Die Dämpfe haben im Mittel eine Temperatur von 96° bis 100°, nach Pella an einigen Punkten bis 175°. Sie steigen theils unmittelbar aus Gesteinspalten, theils aus Pfützen auf, in denen sie aus flüssigem Thon kleine Kegel aufwerfen. Man sieht sie in weißlichen Wirbeln sich in der Luft vertheilen. Die Borsäure, welche die Wasserdämpfe aus dem Schooß der Erde heraufbringen, kann man nicht erhalten, wenn man in sehr weiten und langen Röhren die Dämpfe der soffioni verdichtet; es zerstreut sich dieselbe wegen ihrer Flüchtigkeit in der Atmosphäre. Die Säure wird nur gewonnen in den schönen technischen Anstalten des Grafen Larderel, wenn die Mündungen der soffioni unmittelbar von der Flüssigkeit der Bassins bedeckt werden.Payen de l'Acide borique des Suffioni de la Toscane, in den Annales de Chimie et de Physique, 3ème Série T. I. 1841 p. 247–255; Bischof, chem. und physik. Geologie Bd. I. S. 669–691; Établissements industriels de l'acide boracique en Toscane par le Comte de Larderel p. 8. Nach Payen's vortrefflicher Analyse enthalten die gasförmigen Ausströmungen 0,57 Kohlensäure, 0,35 Stickstoff, nur 0,07 Sauerstoff und 0,001 Schwefelsäure. Wo die borsauren Dämpfe die Spalten des Gesteins durchdringen, setzen sie Schwefel ab. Nach Sir Roderick Murchison's Untersuchungen ist das Gestein theils kreideartig, theils eine nummulit-haltige Eocän-Formation: ein macigno, welchen der in der Umgegend (bei Monte Rotondo) sichtbare und gehobene SerpentinSir Roderick Impey Murchison on the vents of hot Vapour in Tuscany 1850 p. 7. (Vergl. auch die früheren geognostischen Beobachtungen von Hoffmann in Karsten's und Dechen's Archiv für Mineral. Bd. XIII. 1839 S. 19.) Targioni Tozzetti behauptet nach älteren, aber glaubwürdigen Traditionen, daß einige dieser den Ausbruchsort immerdar verändernden Borsäure-Quellen einst bei Nacht seien leuchtend (entzündet) gesehen worden. Um das geognostische Interesse für die Betrachtungen von Murchison und Pareto über die vulkanischen Beziehungen der Serpentin-Formation in Italien zu erhöhen, erinnere ich hier daran, daß die seit mehreren tausend Jahren brennende Flamme der kleinasiatischen Chimära (bei der Stadt Deliktasch, dem alten Phaselis, in Lycien, an der Westküste des Golfs von Adalia) ebenfalls aus einem Hügel am Abhange des Solimandagh aufsteigt, in welchem man anstehenden Serpentin und Blöcke von Kalkstein gefunden hat. Etwas südlicher, auf der kleinen Insel Grambusa, sieht man den Kalkstein auf dunkelfarbigen Serpentin aufgelagert. S. die inhaltreiche Schrift des Admiral Beaufort, survey of the coasts of Karamania 1818 p. 40 und 48: deren Angaben durch die so eben (Mai 1854) von einem sehr begabten Künstler, Albrecht Berg, heimgebrachten Gebirgsarten vollkommen bestätigt werden. (Pierre de Tchihatcheff, Asie mineure 1853 T. I. p. 407.) durchbricht. Sollten, fragt Bischof, hier 257 und im Krater von Vulcano nicht in großer Tiefe heiße Wasserdämpfe auf borsaure Mineralien, auf datolith-, axinit- oder turmalin-reiche GebirgsartenBischof a. a. O. S. 682. zersetzend wirken?
Das Soffionen-System von Island übertrifft an Viel- und Großartigkeit der Erscheinungen alles, was wir auf dem Continente kennen. Wirkliche Schlammquellen brechen in dem Fumarolen-Felde von Krisuvek und Reykjalidh aus einem blaugrauen Thone, aus kleinen Becken mit kraterförmigen Rändern hervor.Sartorius von Waltershausen, physisch-geographische Skizze von Island 1847 S. 123; Bunsen »über die Processe der vulkanischen Gesteinsbildungen Islands« in Poggend. Annalen Bd. 83. S. 257. Die Quellenspalten lassen sich auch hier nach bestimmten Richtungen verfolgen.Waltershausen a. a. O. S. 118. Ueber keinen Theil der Erde, wo heiße Quellen, Salsen und Gas-Eruption sich finden, besitzen wir jetzt so vortreffliche und ausführliche chemische Untersuchungen als über Island durch den Scharfsinn und die ausdauernden Bemühungen von Bunsen. Nirgends wohl ist in einer großen Länderstrecke, und der Oberfläche wahrscheinlich sehr nahe, ein solches verschiedenartiges Spiel chemischer Zersetzungen, Umwandlungen und neuer Bildungen zu belauschen.
Von Island auf den nahen amerikanischen Continent übergehend, finden wir im Staate Neu-York in der Umgegend von Fredonia, unfern des Erie-Sees, in einem Becken von devonischen Sandstein-Schichten, eine Unzahl von Brenngas-Quellen (Quellen von gekohltem Wasserstoffgas), auf Erdspalten ausbrechend und zum Theil zur Erleuchtung benutzt; andere Brenngas-Quellen, bei Rushville, nehmen die Form von Schlammkegeln an; noch andere: im Ohio-Thale, in Virginien und am Kentucky River, enthalten zugleich Kochsalz und hangen dann mit schwachen Naphtha-Quellen zusammen. Jenseits des antillischen Meerbusens aber, an der Nordküste von Südamerika, 2½ Meile in Süd-Süd-Ost von dem Hafen 258 Cartagena de Indias, bietet bei dem anmuthigen Dorfe Turbaco eine merkwürdige Gruppe von Salsen oder Schlammvulkanen Erscheinungen dar, die ich zuerst habe beschreiben können. In der Umgegend von Turbaco, wo man eine herrliche Ansicht der colossalen Schneegebirge (Sierras Nevadas) von Santa Marta genießt, erheben sich an einem öden Platze mitten im Urwalde die Volcancitos, 18 bis 20 an der Zahl. Die größten der Kegel, von schwarzgrauem Letten, haben 18 bis 22 Fuß Höhe, und wohl 80 Fuß Durchmesser an der Basis. Auf der Spitze jedes Kegels ist eine zirkelrunde Oeffnung von 20 bis 28 Zoll Durchmesser, von einer kleinen Schlamm-Mauer umgeben. Das Gas steigt empor mit großer Heftigkeit, wie bei Taman: in Blasen, deren jede, nach meiner Messung in graduirten Gefäßen, 10–12 Cubikzoll enthält. Der obere Theil des Trichters ist mit Wasser gefüllt, das auf einer dichten Schlammdecke ruht. Benachbarte Kegel haben nicht gleichzeitige Auswürfe, aber in jedem einzelnen war eine gewisse Regelmäßigkeit in den Epochen der Auswürfe zu bemerken. Wir zählten, Bonpland und ich, an den äußersten Theilen der Gruppe stehend, ziemlich regelmäßig 5 Ausbrüche in je 2 Minuten. Wenn man sich über die kleine Krater-Oeffnung hinbeugt, so vernimmt man meist 20 Secunden vor jedem Ausbruch ein dumpfes Getöse im Inneren der Erde, tief unter der Grundfläche des Kegels. In dem aufgestiegenen, zweimal mit vieler Vorsicht gesammelten Gas verlosch augenblicklich eine brennende, sehr dünne Wachskerze, eben so ein glimmender Holzspan von Bombax Ceiba. Das Gas war nicht zu entzünden. Kalkwasser wurde durch dasselbe nicht getrübt, es fand keine Absorption statt. Durch nitröses Gas auf Sauerstoff geprüft, zeigte dieses Gas 259 in Einem Versuch keine Spur des letzteren; in einem andern Versuche, wo das Gas der Volcancitos viele Stunden in eine kleine Glasglocke mit Wasser gesperrt worden war, zeigte es etwas über ein Hunderttheil Sauerstoff: das sich wahrscheinlich, aus dem Wasser entwickelt, zufällig beigemischt hatte.
Nach diesen Ergebnissen der Analyse erklärte ich damals, und wohl nicht ganz mit Unrecht, das Gas der Volcancitos von Turbaco für Stickstoffgas, das mit einer kleinen Menge von Wasserstoffgas gemischt sein könnte. Ich drückte zugleich in meinem Tagebuche das Bedauern aus, daß man bei dem damaligen Zustande der Chemie (im April 1801) kein Mittel kenne, in einem Gemenge von Stickstoff- und Wasserstoffgas das Verhältniß der Mischung numerisch zu bestimmen. Dieses Mittel, bei dessen Anwendung drei Tausendtheile Wasserstoffs in einem Luftgemisch erkannt werden können, wurde von Gay-Lussac und mir erst 4 Jahre später aufgefunden.Humboldt et Gay-Lyssac, mém. sur l'analyse de l'air atmosphérique im Journal de Physique, par Lamétherie T. LX. an 13 p. 151 (vergl. meine Kleineren Schriften Bd. I. S. 346). In dem halben Jahrhundert, das seit meinem Aufenthalte in Turbaco und meiner astronomischen Aufnahme des Magdalenenstromes verflossen ist, hat kein Reisender sich wissenschaftlich mit den eben beschriebenen kleinen Schlammvulkanen beschäftigt, bis am Ende des Decembers 1850 mein, der neueren Geognosie und Chemie kundiger Freund, Joaquin Acosta»C'est avec émotion que je viens de visiter un lieu que vous avez fait connaître il y a cinquante ans. L'aspect des petits Volcans de Turbaco est tel que vous l'avez décrit: c'est le même luxe de la végétation, le même nombre et la même forme des cônes d'argile, la même éjection de matière liquide et boueuse; rien n'est changé, si ce n'est la nature du gaz qui se dégage. J'avais avec moi, d'après les conseils de notre ami commun, Mr. Boussingault, tout ce qu'il fallait pour l'analyse chimique des émanations gazeuses, même pour faire un mélange frigorifique dans le but de condenser la vapeur d'eau, puisqu'on m'avait exprimé le doute, qu'avec cette vapeur on avait pu confondre l'azote. Mais cet appareil n'a été aucunement nécessaire. Dès mon arrivée aux Volcancitos l'odeur prononcée de bitume m'a mis sur la voie, et j'ai commencé par allumer le gaz sur l'orifice même de chaque petit cratère. On aperçoit même aujourd'hui à la surface du liquide qui s'élève par intermittence, une mince pellicule de pétrole. Le gaz recueilli brûle tout entier, sans résidu d'azote (?) et sans déposer du soufre (au contact de l'atmosphère). Ainsi la nature du phénomène a complètement changé depuis votre voyage, à moins d'admettre une erreur d'observation, justifiée par l'état moins avancé de la chimie expérimentale à cette époque. Je ne doute plus maintenant que la grande éruption de Galera Zamba, qui a éclairé le pays dans un rayon de cent kilomètres, ne soit un phénomène de Salses, développé sur une grande échelle, puisqu'il y existe des centaines de petits cônes, vomissant de l'argile salée, sur une surface de plus de 400 lieues carrées. – Je me propose d'examiner les produits gazeux des cônes de Tubarà, qui sont les Salses les plus éloignées de vos Volcancitos de Turbaco. D'après les manifestations si puissantes qui ont fait disparaître une partie de la péninsule de Galera Zamba, devenue une île, et après l'apparition d'une nouvelle île, soulevée du fond de la mer voisine en 1848 et disparue de nouveau, je suis porté à croire que c'est près de Galera Zamba, à l'ouest du Delta du Rio Magdalena, que se trouve le principal foyer du phénomène des Salses de la Province de Carthagène.« (Aus einem Briefe des Obersten Acosta an A. v. H., Turbaco d. 21 Dec. 1850) – Vergl. auch Mosquera, memoria politica sobre la Nueva Granada 1852 p. 73; und Lionel Gisborne, the Isthmus of Darien p. 48., die merkwürdige Beobachtung machte: daß gegenwärtig (wovon zu meiner Zeit keine Spur vorhanden war) »die Kegel einen bituminösen Geruch verbreiten; daß etwas Erdöl auf der Wasserfläche der kleinen Oeffnungen schwimmt, und daß man auf jedem der Schlammhügel von Turbaco das ausströmende Gas entzünden kann.« Deutet dies, fragt Acosta, auf eine durch innere Processe hervorgebrachte Veränderung des Phänomens, oder ganz einfach auf einen Irrthum in den früheren Versuchen? 260 Ich würde diesen frei eingestehn, wenn ich nicht das Blatt des Tagebuchs aufbewahrt hätte, auf welchem die Versuche an demselben Morgen, an dem sie angestellt wurden, umständlichIch habe auf meiner ganzen amerikanischen Expedition streng den Rath Vauquelin's befolgt, unter dem ich einige Zeit vor meinen Reisen gearbeitet: das Detail jedes Versuchs an demselben Tage niederzuschreiben, und aufzubewahren. Aus meinen Tagebüchern vom 17 und 18 April 1801 schreibe ich hier folgendes ab: »Da demnach das Gas nach Versuchen mit Phosphor und nitrösem Gas kaum 0,01 Sauerstoff, mit Kalkwasser nicht 0,02 Kohlensäure zeigte; so frage ich mich, was die übrigen 97 Hunderttheile sind. Ich vermuthete zuerst, Kohlen- und Schwefel-Wasserstoff; aber im Contact mit der Atmosphäre setzt sich an die kleinen Kraterränder kein Schwefel ab, auch war kein Geruch von geschwefeltem Wasserstoffgas zu spüren. Der problematische Theil könnte scheinen reiner Stickstoff zu sein, da, wie oben erwähnt, eine brennende Kerze nichts entzündete; aber ich weiß aus der Zeit meiner Analysen der Grubenwetter, daß ein von aller Kohlensäure freies, leichtes Wasserstoffgas, welches bloß an der Firste eines Stollens stand, sich auch nicht entzündete, sondern das Grubenlicht verlöschte: während letzteres an tiefen Punkten hell brannte, wo die Luft beträchtlich mit Stickgas gemengt war. Der Rückstand von dem Gas der Volcancitos ist also wohl Stickgas mit einem Antheil von Wasserstoffgas zu nennen: einem Antheil, den wir bis jetzt nicht quantitativ anzugeben wissen. Sollte unter den Volcancitos derselbe Kohlenschiefer liegen, den ich westlicher am Rio Sinu gesehen, oder Mergel und Alaunerde? Sollte atmosphärische Luft in, durch Wasser gebildete Höhlungen auf engen Klüften eindringen und sich im Contact mit schwarzgrauem Letten zersetzen: wie in den Sinkwerken im Salzthon von Hallein und Berchtholdsgaden, wo die Weitungen sich mit lichtverlöschenden Gasen füllen? oder verhindern die gespannt, elastisch ausströmenden Gas-Arten das Eindringen der atmosphärischen Luft?« Diese Fragen schrieb ich nieder in Turbaco vor 53 Jahren. Nach den neuesten Beobachtungen von Herrn Vauvert de Méan (1854) hat sich die Entzündlichkeit der ausströmenden Luftart vollkommen erhalten. Der Reisende hat Proben des Wassers mitgebracht, welches die kleine Krater-Oeffnung der Volcancitos erfüllt. In demselben hat Boussingault Kochsalz 6gr,59 auf ein Litre; kohlensaures Natron 0,31; schwefelsaures Natron 0,20; auch Spuren von borsaurem Natron und Jod gefunden. In dem niedergefallenen Schlamme erkannte Ehrenberg in genauer microscopischer Untersuchung keine Kalktheile. nichts Verschlacktes; aber Quarzkörner, mit Glimmer-Blättchen gemengt, und viele kleine Krystall-Prismen schwarzen Augits, wie er oft in vnlkanischem Tuff vorkommt: keine Spur von Spongiolithen oder polygastrischen Infusorien, nichts, was die Nähe des Meeres andeutete; dagegen aber viele Reste von Dicotyledonen, von Gräsern und Sporangien der Lichenen, an die Bestandtheile der Moya von Pelileo erinnernd. Während Ch. Sainte-Claire Deville und Georg Bornemann in ihren schönen Analysen der Macalube di Terrapilata in dem ausgestoßenen Gas 0,99 gekohltes Wasserstoffgas fanden; gab ihnen das Gas, welches in der Agua Santa di Limosina bei Catanea aufsteigt, wie einst Turbaco, 0,98 Stickgas, ohne Spur von Sauerstoff. (Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. 43. 1856 p. 361 und 366.) aufgezeichnet worden sind. Ich finde nichts darin, was mich heute zweifelhaft machen könnte; und die schon oben berührte Erfahrung, daß (nach Parrot's Berichte) »das Gas der Schlammvulkane der Halbinsel Taman 1811 die Eigenschaft hatte das Brennen zu verhindern, indem ein glimmender Span in dem Gas erlosch, ja die aufsteigenden, einen Fuß dicken Blasen im Platzen nicht entzündet werden konnten«: während 1834 Göbel an demselben Orte das, leicht anzuzündende Gas mit heller bläulicher Flamme brennen sah; läßt mich glauben, daß in verschiedenen Stadien die Ausströmungen chemische Veränderungen erleiden. Mitscherlich hat ganz neuerlich auf meine Bitte die Grenze der Entzündbarkeit künstlich bereiteter Mischungen von Stick- und Wasserstoffgas bestimmt. Es ergab sich, daß Gemenge von 1 Theil Wasserstoffgas und 3 Theilen Stickstoffgas sich nicht bloß durch ein Licht entzündeten, sondern auch fortfuhren zu brennen. Vermehrte man das Stickstoffgas, so daß das Gemenge aus 1 Theil Wasserstoffgas und 3½ Theilen Stickstoffgas bestand: so erfolgte zwar noch Entzündung, aber das Gemenge fuhr nicht fort zu brennen. Nur bei einem Gemenge von 1 Theil Wasserstoffgas und 4 Theilen Stickstoffgas fand gar keine Entzündung mehr statt. Die Gas-Ausströmungen, welche man ihrer leichten Entzündbarkeit und ihrer Lichtfarbe wegen Ausströmungen von reinem und gekohltem Wasserstoff zu nennen pflegt, brauchen also quantitativ nur dem dritten Theile nach aus einer der zuletzt genannten Gas-Arten zu bestehn. Bei den seltener vorkommenden Gemengen 261 von Kohlensäure und Wasserstoff würde, wegen der Wärme-Capacität der ersteren, die Grenze der Entzündbarkeit noch anders ausfallen. Acosta wirft mit Recht die Frage auf: »ob eine unter den Eingeborenen von Turbaco, Abkömmlingen der Indios de Taruaco, fortgepflanzte Tradition, nach der die Volcancitos einst alle brannten, und durch Besprechung und Besprengen mit Weihwasser von einem frommen MöncheHumboldt, Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique Pl. XLI p. 239. Die schöne Zeichnung der Volcancitos de Turbaco, nach welcher die Kupfertafel gestochen wurde, ist von der Hand meines damaligen jungen Reisegefährten, Louis de Rieux. – Ueber das alte Taruaco in der ersten Zeit der spanischen Conquista s. Herrera, Dec. I. p. 251. aus Volcanes de fuego in Volcanes de agua umgewandelt wären; sich nicht auf einen Zustand beziehe, der jetzt wiedergekehrt ist.« Einmalige große Flammen-Eruptionen von, vor- und nachher sehr friedlichen Schlammvulkanen (Taman 1793; am caspischen Meere bei Jokmali 1827 und bei Baklichli 1839; bei Kuschtschy 1846, ebenfalls im Caucasus) bieten analoge Beispiele dar.
Das, so kleinlich scheinende Phänomen der Salsen von Turbaco hat an geologischem Interesse gewonnen durch den mächtigen Flammenausbruch und die Erdumwälzung, welche 1839, über 8 geographische Meilen in NNO von Cartagena de Indias, sich zwischen diesem Hafen und dem von Sabanilla, unfern der Mündung des großen Magdalenenstromes, zugetragen haben. Der eigentliche Centralpunkt des Phänomens war das 1½ bis 2 Meilen lang in das Meer als schmale Halbinsel hervortretende Cap Galera Zamba. Auch die Kenntniß dieses Ereignisses verdankt man dem Artillerie-Oberst Acosta: der leider durch einen frühen Tod den Wissenschaften entrissen wurde. In der Mitte der Landzunge stand ein conischer Hügel, aus dessen Krater-Oeffnung bisweilen Rauch (Dämpfe) und Gas-Arten mit solcher Heftigkeit ausströmten, daß Bretter und große Holzstücke, die man hineinwarf, weit weggeschleudert wurden. Im Jahr 1839 262 verschwand der Kegel bei einem beträchtlichen Feuerausbruch, und die ganze Halbinsel Galera Zamba ward zur Insel, durch einen Canal von 30 Fuß Tiefe vom Continent getrennt. In diesem friedlichen Zustande blieb die Meeresfläche: bis, an der Stelle des früheren Durchbruchs, am 7 October 1848, ohne alle in der Umgegend fühlbare Erderschütterung, ein zweiter furchtbarer FlammenausbruchLettre de Mr. Joaquin Acosta à Mr. Élie de Beaumont in den Comptes rendus de l'Académie des Sciences T. XXIX. 1849 p. 530–534. erschien, der mehrere Tage dauerte und in 10 bis 12 Meilen Entfernung sichtbar war. Nur Gas-Arten, nicht materielle Theile, warf die Salse aus. Als die Flammen verschwunden waren, fand man den Meeresboden zu einer kleinen Sandinsel gehoben, die aber nach kurzer Zeit wiederum verschwand. Mehr als 50 Volcancitos (Kegel, denen von Turbaco ähnlich) umgeben jetzt bis in eine Entfernung von 4 bis 5 Meilen den unterseeischen Gas-Vulkan der Galera Zamba. Man darf ihn in geologischer Hinsicht wohl als den Hauptsitz der vulkanischen Thätigkeit betrachten, welche sich in der ganzen Niederung von Turbaco bis über das Delta des Rio grande de la Magdalena hin mit der Atmosphäre in Contact zu setzen strebt.
Die Gleichheit der Erscheinungen, welche, in den verschiedenen Stadien ihrer Wirksamkeit, die Salsen, Schlammvulkane und Gas-Quellen auf der italiänischen Halbinsel, im Caucasus und in Südamerika darbieten; offenbart sich in ungeheuren Länderstrecken im chinesischen Reiche. Die Kunst des Menschen hat seit den ältesten Zeiten dort diesen Schatz zu benutzen gewußt, ja zu der sinnreichen, den Europäern spät erst bekannt gewordenen Erfindung des chinesischen Seilbohrens geleitet. Mehrere tausend Fuß tiefe Bohrlöcher werden durch die einfachste Anwendung der Menschenkraft 263 oder vielmehr des Gewichts des Menschen niedergebracht. Ich habe an einem anderen OrteHumboldt, Asie centrale T. II. p. 519–540: meist nach Auszügen aus chinesischen Werken von Klaproth und Stanislas Julien. Das alte chinesische Seilbohren, welches in den Jahren 1830 bis 1842 mehrfach und bisweilen mit Vortheil in Steinkohlen-Gruben in Belgien und Deutschland angewandt worden ist, war (wie Jobard aufgefunden) schon im 17ten Jahrhundert in der Relation de l'Ambassadeur hollandais van Hoorn beschrieben worden; aber die genaueste Nachricht von dieser Bohr-Methode der Feuerbrunnen (Ho-tsing) hat der französische Missionar Imbert gegeben, der so viele Jahre in Kia-ting-fu residirt hat (s. Annales de l'Association de la Propagation de la Foy 1829 p. 369–381). von dieser Erfindung umständlich gehandelt; wie von den Fenerbrunnen, Ho-tsing, und feurigen Bergen, Ho-schan, des östlichen Asiens. Man bohrt zugleich auf Wasser, auf Salzsoole und Brenngas: von den süd-westlichen Provinzen Yun-nan, Kuang-si und Szu-tschuan an der Grenze von Tibet an bis zur nördlichen Provinz Schan-si. Das Brenngas verbreitet bei röthlicher Flamme oft einen bituminösen Geruch; es wird theils in tragbaren, theils in liegenden Bambusröhren in entfernte Orte: zum Salzsieden, zur Erwärmung der Häuser oder zur Straßenerleuchtung, geleitet. In seltenen Fällen ist der Zufluß von gekohltem Wasserstoffgas plötzlich erschöpft oder durch Erdbeben gehemmt worden. So weiß man, daß ein berühmter Ho-tsing südwestlich von der Stadt Khiung-tscheu (Br. 50° 27', Länge 101° 6' Ost), welcher ein mit Geräusch brennender Salzbrunnen war, im 13ten Jahrhundert erloschen ist, nachdem er seit dem 2ten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung die Umgegend erleuchtet hatte. In der, an Steinkohlen sehr reichen Provinz Schan-si finden sich einige entzündete Steinkohlen-Flöze. Die feurigen Berge (Ho-schan) sind über einen großen Theil von China verbreitet. Die Flammen steigen oft: z. B. in der Felsmasse des Py-kia-schan, am Fuß eines mit ewigem Schnee bedeckten Gebirges (Br. 31° 40'); in großen Höhen aus langen, offenen, unzugänglichen Spalten auf: ein Phänomen, welches an die ewigen Feuer des Schagdagh-Gebirges im Caucasus erinnert.
Auf der Insel Java giebt es in der Provinz Samarang, etwa drei Meilen von der nördlichen Küste entfernt, Salsen, welche denen von Turbaco und Galera Zamba ähnlich sind. 264 Sehr veränderliche Hügel von 25 bis 30 Fuß Höhe werfen Schlamm, Salzwasser, und ein seltenes Gemisch von Wasserstoffgas und Kohlensäure ausNach Diard, Asie centr. T. II. p. 515. Außer den Schlammvulkanen bei Damak und Surabaya giebt es auf anderen Inseln des indischen Archipels noch die Schlammvulkane von Pulu-Semao, Pulu-Kambing und Pulu-Roti; s. Junghuhn, Java, seine Gestalt und Pflanzendecke, 1852 Abth. III. S. 830.: eine Erscheinung, die nicht mit den großen und verheerenden Schlammströmen zu verwechseln ist, welche bei den seltenen Eruptionen der colossalen wirklichen Vulkane Java's (Gunung Kelut und Gunung Idjen) sich ergießen. Sehr berühmt sind noch auf Java, besonders durch Uebertreibungen in der Darstellung einiger Reisenden, wie durch die, schon von Sykes und Loudon gerügte Anknüpfung an die Mythe vom Giftbaum Upas, einige Stickgrotten oder Quellen von kohlensaurem Gas. Die merkwürdigste der 6 von Junghuhn wissenschaftlich beschriebenen ist das sogenannte Todtenthal der Insel (Pakaraman), im Gebirge Diëng, nahe bei Batur. Es ist ein trichterförmiger Einsturz an einem Berggehänge; eine Vertiefung, in welcher die Schicht der ausströmenden Kohlensäure zu verschiedenen Jahreszeiten eine sehr verschiedene Höhe erreicht. Man findet darin oft Skelette von wilden Schweinen, Tigern und Vögeln.Junghuhn a. a. O. Abth. I. S. 201, Abth. III. S. 854–858. Die schwächeren Hundsgrotten auf Java sind Gua-Upas und Gua-Galan (das erstere Wort ist das Sanskritwort guhâ Höhle). Da es wohl keinem Zweifel unterworfen sein kann, daß die Grotta del Cane in der Nähe des Lago di Agnano dieselbe ist, welche Plinius (II cap. 93) vor fast 18 Jahrhunderten »in agro Puteolano« als »Charonea scrobis mortiferum spiritum exhalans« beschrieben hat; so muß man allerdings mit Scacchi (memorie geol. sulla Campania 1849 p. 48) verwundert sein, daß in einem von dem Erdbeben so oft bewegten, lockeren Boden ein so kleinliches Phänomen (die Zuleitung einer geringen Menge von kohlensaurem Gas) hat unverändert und ungestört bleiben können. Der Giftbaum, pohon (besser pûhn) ûpas der Malayen (Antaris toxicaria des Reisenden Leschenault de la Tour), ist mit seinen unschädlichen Ausdünstungen jenen tödtlichen Wirkungen ganz fremd.Blume, Rumphia sive Commentationes botanicae T. I. (1835) p. 47–59.
Ich schließe diesen Abschnitt von den Salsen, Dampf- und Gas-Quellen mit der Beschreibung eines Ausbruchs von heißen Schwefeldämpfen, die wegen der Gebirgsart, aus welcher sie sich entwickeln, das Interesse der Geognosten auf sich ziehen können. Bei dem genußreichen, aber etwas anstrengenden Uebergange über die Central-Cordillere von Quindin (ich brauchte 14 bis 15 Tage, zu Fuß, und ununterbrochen in freier Luft schlafend, um über den 265 Gebirgskamm von 10788 Fuß aus dem Thale des Rio Magdalena in das Cauca-Thal zu gelangen) besuchte ich in der Höhe von 6390 Fuß den Azufral westlich von der Station el Moral. In einem etwas dunkel gefärbten Glimmerschiefer, der, auf einen granathaltenden Gneiß aufgesetzt, sammt diesem die hohe Granitkuppe von la Ceja und la Garita del Paramo umlagert, sah ich in dem engen Thale (Quebrada del Azufral) warme Schwefeldämpfe aus den Gesteinklüften ausströmen. Da sie mit Schwefel-Wasserstoffgas und vieler Kohlensäure gemischt sind, so fühlt man einen betäubenden Schwindel, wenn man sich niederbeugt, um die Temperatur zu messen, und länger in ihrer Nähe verweilt. Die Temperatur der Schwefeldämpfe war 47°,6; die der Luft 20°,6; die des Schwefel-Bächleins, das vielleicht im oberen Laufe durch die Schneewasser des Vulkans von Tolima erkaltet ist, 29°,2. Der Glimmerschiefer, welcher etwas Schwefelkies enthält, ist von vielen Schwefeltrümmern durchsetzt. Der zum Verkauf zubereitete Schwefel wird großentheils aus einem mit natürlichem Schwefel und verwittertem Glimmerschiefer gemengten, ochergelben Letten gewonnen. Die Arbeiter (Mestizen) leiden dabei an Augenübeln und an Muskellähmung. Als 30 Jahre nach mir (1831) Boussingault den Azufral de Quindiu besuchte, hatte die Temperatur der Dämpfe, die er chemisch analysirteHumboldt, Essai géognostique sur le gisement des Roches dans les deux Hémisphères 1823 p. 76; Boussingault in den Annales de Chimie et de Physique T. LII. 1833 p. 11., so abgenommen, daß sie unter die der freien Luft (22°), nämlich auf 19°–20°, fiel. Derselbe vortreffliche Beobachter sah in der Quebrada de aguas calientes das Trachyt-Gestein des nahen Vulkans von Tolima den Glimmerschiefer durchbrechen: wie ich sehr deutlich, eben so eruptiv, den schwarzen Trachyt des Vulkans Tunguragua bei der Seilbrücke von Penipe einen granathaltenden grünlichen Glimmerschiefer 266 habe bedecken sehen. Da man bisher in Europa Schwefel nicht in den ehemals sogenannten primitiven Gebirgsarten: sondern nur im Tertiär-Kalk, in Gyps, in Conglomeraten und ächt vulkanischem Gestein gefunden hat; so ist das Vorkommen im Azufral de Quindiu (nördl. Br. 4°½) um so merkwürdiger, als es sich südlich vom Aequator zwischen Quito und Cuenca, am nördlichen Abfall des Paramo del Assuay, wiederholt. In dem Azufral des Cerro Cuello (südl. Br. 2° 13')habe ich, wiederum im Glimmerschiefer, in 7488 Fuß Höhe ein mächtiges QuarzlagerS. über die Höhe von Alausi (bei Ticsan) am Cerro Cuello das Nivellement barométrique No. 206 in meinen Observ. astron. Vol. I. p. 311. angetroffen, in welchem der Schwefel nesterweise reichlich eingesprengt ist. Zur Zeit meiner Reise waren die Schwefelstücke nur von 6–8 Zoll Größe; früher fand man sie bis 3–4 Fuß Durchmesser. Selbst eine Naphtha-Quelle entspringt sichtbar aus Glimmerschiefer in dem Meeresboden im Golf von Cariaco bei Cumana. Die Naphtha färbt dort einen Theil der Oberfläche des Meeres auf mehr als tausend Fuß Länge gelb, und ihren Geruch fand ich verbreitet bis in das Innere der Halbinsel Araya.»L'existence d'une source de naphte, sortant au fond de la mer d'un micaschiste grenatifère, et répandant, selon l'expression d'un historien de la Conquista, Oviedo, une »liqueur résineuse, aromatique et médicinale«; est un fait extrêmement remarquable. Toutes celles que l'on connaît jusqu'ici, appartiennent aux montagnes secondaires; et ce mode de gisement semblait favoriser l'idée que tous les bitumes minéraux (Hatchett dans les Transact. of the Linnaean Society 1798 p. 129) étaient dus à la destruction des matières végétales et animales ou à l'embrasement des houilles. Le phénomène du Golfe de Cariaco acquiert une nouvelle importance, si l'on se rappelle que le même terrain dit primitif renferme des feux souterrains, qu'au bord des cratères enflammés l'odeur de pétrole se fait sentir de tems en tems (p. e. dans l'éruption du Vésuve 1805, lorsque le Volcan lançait des scories), et que la plupart des sources très chaudes de l'Amérique du Sud sortent du granite (las Trincheras près de Portocabello), du gneis et du schiste micacé. – Plus à l'est du méridien de Cumana, en descendant de la Sierra de Meapire, on rencontre d'abord le terrain creux (tierra hueca) qui, pendant les grands tremblemens de terre de 1766 a jeté de l'asphalte enveloppé dans du pétrole visqueux; et puis au-delà de ce terrain une infinité de sources chaudes hydrosulfureuses.« (Humboldt, Relat. hist. du Voyage aux Régions équin. T. I. p. 136, 344, 347 und 447.)
Wenn wir nun einen letzten Blick auf die Art vulkanischer Thätigkeit werfen, welche sich durch Hervordringen von Dämpfen und Gas-Arten: bald mit, bald ohne Feuer-Erscheinungen, offenbart; so finden wir darin bald große Verwandtschaft, bald auffallende Verschiedenheit der aus den Erdspalten ausbrechenden Stoffe: je nachdem die hohe Temperatur des Inneren, das Spiel der Affinitäten modificirend, auf gleichartige oder sehr zusammengesetzte Materien gewirkt hat. Die Stoffe, welche bei diesem geringeren Grade vulkanischer Thätigkeit an die Oberfläche getrieben werden, sind: Wasserdampf in großem Maaße, Chlor-Natrium, Schwefel, gekohlter und geschwefelter Wasserstoff, 267 Kohlensäure und Stickstoff; Naphtha (farblos, gelblich oder als braunes Erdöl); Borsäure und Thonerde der Schlammvulkane. Die große Verschiedenheit dieser Stoffe, von denen jedoch einige (Kochsalz, Schwefel-Wasserstoffgas und Erdöl) sich fast immer begleiten, bezeugt das Unpassende der Benennung Salsen: welche aus Italien stammt, wo Spallanzani das große Verdienst gehabt hat zuerst die Aufmerksamkeit der Geognosten auf das, lange für so unwichtig gehaltene Phänomen im Modenesischen zu leiten. Der Name Dampf- und Gas-Quellen drückt mehr das Gemeinsame aus. Wenn viele derselben als Fumarolen zweifelsohne in Beziehung zu erloschenen Vulkanen stehen, ja besonders als Quellen von kohlensaurem Gas ein letztes Stadium solcher Vulkane charakterisiren; so scheinen dagegen andere, die Naphtha-Quellen, ganz unabhängig von den wirklichen, geschmolzene Erden ausstoßenden Feuerbergen zu sein. Sie folgen dann, wie schon Abich am Caucasus gezeigt hat, in weiten Strecken bestimmten Richtungen, ausbrechend auf Gebirgsspalten: sowohl in der Ebene, selbst im tiefen Becken des caspischen Meeres, als in Gebirgshöhen von fast 8000 Fuß. Gleich den eigentlichen Vulkanen, vermehren sie bisweilen plötzlich ihre scheinbar schlummernde Thätigkeit durch Ausbruch von Feuersäulen, die weit umher Schrecken verbreiten. In beiden Continenten, in weit von einander entfernten Weltgegenden, zeigen sie dieselben auf einander folgenden Zustände; aber keine Erfahrung hat uns bisher berechtigt zu glauben, daß sie Vorboten der Entstehung wirklicher, Lava und Schlacken auswerfender Vulkane sind. Ihre Thätigkeit ist anderer Art: vielleicht in minderer Tiefe wurzelnd und durch andere chemische Processe bedingt.
268 d. Vulkane, nach der Verschiedenheit ihrer Gestaltung und Thätigkeit. – Wirkung durch Spalten und Maare. – Umwallungen der Erhebungs-Krater. – Vulkanische Kegel- und Glockenberge, mit geöffnetem oder ungeöffnetem Gipfel. – Verschiedenheit der Gebirgsarten, durch welche die Vulkane wirken.
(Erweiterung des Naturgemäldes: Kosmos Bd. I. S. 235–258.)
Unter den mannigfaltigen Arten der Kraftäußerung in der Reaction des Inneren unseres Planeten gegen seine obersten Schichten ist die mächtigste die, welche die eigentlichen Vulkane darbieten: d. i. solche Oeffnungen, durch die neben den Gas-Arten auch feste, stoffartig verschiedene Massen in feuerflüssigem Zustande: als Lavaströme, oder als Schlacken, oder als Producte der feinsten Zerreibung (Asche), aus ungemessener Tiefe an die Oberfläche gedrängt werden. Hält man nach einem alten Sprachgebrauche die Wörter Vulkan und Feuerberg für synonym; so knüpft man dadurch, nach einer vorgefaßten, sehr allgemein verbreiteten Meinung, den Begriff von vulkanischen Erscheinungen an das Bild von einem isolirt stehenden Kegelberge mit kreisrunder oder ovaler Oeffnung auf dem Gipfel. Solche Ansichten verlieren aber von ihrer Allgemeinheit, wenn sich dem Beobachter Gelegenheit darbietet zusammenhangende vulkanische Gebiete von mehreren tausend geographischen Quadratmeilen Flächeninhalts: z. B. den ganzen mittleren Theil des mexicanischen Hochlandes zwischen dem Pic von Orizaba, dem Jorullo und den Küsten der Südsee; oder Central-Amerika; oder die Cordilleren von Neu-Granada und Quito zwischen dem Vulkan von Puracé bei Popayan, dem von Pasto und dem Chimborazo; oder das Isthmus-Gebirge des 269 Caucasus zwischen dem Kasbegk, Elburuz und Ararat: zu durchwandern. In dem unteren Italien: zwischen den phlegräischen Feldern des campanischen Festlandes, Sicilien, den Liparen und Ponza-Inseln, ist, wie in den griechischen Inseln, das verbindende Zwischenland theils nicht mit gehoben, theils vom Meere verschlungen worden.
Es zeigen sich in den vorgenannten großen Gebieten von Amerika und vom Caucasus Eruptions-Massen (wirkliche Trachyte, nicht Trachyt-Conglomerate; Obsidian-Ströme; steinbruchartig gewonnene Bimsstein-Blöcke, nicht durch Wasser verbreitetes und abgesetztes Bimsstein-Gerölle), welche von den, sich erst in beträchtlicher Ferne erhebenden Bergen ganz unabhängig zu sein scheinen. Warum sollte bei der fortschreitenden Abkühlung der wärmestrahlenden oberen Erdschichten, ehe noch isolirte Berge oder ganze Bergketten sich erhoben, die Oberfläche nicht vielfach gespalten worden sein? warum sollten diese Spalten nicht feuerflüssige, zu Gebirgsarten und Eruptions-Gestein erhärtete Massen (Trachyte, Dolerite, Melaphyre, Perlstein, Obsidian und Bimsstein) ausgestoßen haben? Ein Theil dieser, ursprünglich horizontal gelagerten, in zähflüssigem Zustande, wie aus Erde-QuellenKosmos Bd. I. S. 244., hervorbrechenden Trachyt- oder Dolerit-Schichten ist, bei der späteren Erhebung vulkanischer Kegel und Glockenberge, in eine gestürzte Lage gerathen: in eine solche, welche den neueren, aus Feuerbergen entspringenden Laven keinesweges angehört. So ist, um zuerst an ein europäisches, sehr bekanntes Beispiel zu erinnern, in dem Val del Bove am Aetna (einer Aushöhlung, die tief in das Innere des Berges einschneidet) das Fallen der mit Geröll-Massen sehr regelmäßig alternirenden Lavaschichten 25° bis 30°: während daß nach Elie de Beaumont's genauen 270 Bestimmungen die Lavaströme, welche die Oberfläche des Aetna bedecken und ihm erst seit seiner Erhebung als Berges entflossen sind, in der Mittelzahl von 30 Strömen, nur ein Gefälle von 3° bis 5° zeigen. Diese Verhältnisse deuten hin auf das Dasein sehr alter vulkanischer Formationen, auf Spalten ausgebrochen, vor der Bildung des Vulkans als eines Feuerbergs. Eine merkwürdige Erscheinung der Art bietet uns auch das Alterthum dar: eine Erscheinung, die sich in einer weiten Ebene, in einem Gebiete zeigte, das von allen thätigen oder erloschenen Vulkanen entfernt liegt: auf Euböa, dem jetzigen Negropont. »Die heftigen Erdstöße, welche die Insel theilweise erschütterten, hörten nicht eher auf, bis ein in der Ebene von Lelantus geöffneter Erdschlund einen Strom glühenden Schlammes (Lava) ausstieß.«Strabo I pag. 58 Casaub. Das Beiwort διάπυρος beweist, daß hier nicht von Schlammvulkanen die Rede ist. Wo auf diese Plato in seinen geognostischen Phantasien anspielt, Mythisches mit Beobachtetem vermischend, sagt er bestimmt (im Gegensatz der Erscheinung, welche Strabo beschreibt) ὑγροῦ πηλοῦ ποταμοί. Ueber die Benennungen πηλός und ῥύαξ als vulkanische Ergießungen habe ich schon bei einer früheren Gelegenheit (Kosmos Bd. I. S. 450–452 Anm. 225) gehandelt; und erinnere hier nur noch an eine andere Stelle des Strabo (VI p. 269), in der die sich erhärtende Lava, πηλὸς μέλας genannt, auf das deutlichste charakterisirt ist. In der Beschreibung des Aetna heißt es: »Der in Verhärtung übergehende Glühstrom (ῥύαξ) versteinert die Erdoberfläche auf eine beträchtliche Tiefe, so daß, wer sie aufdecken will, eine Steinbruch-Arbeit unternehmen muß. Denn da in den Krateren das Gestein geschmolzen und sodann emporgehoben wird, so ist die dem Gipfel entströmende Flüssigkeit eine schwarze, den Berg herabfließende Kothmasse (πηλός): welche, nachher verhärtend, zum Mühlstein wird, und dieselbe Farbe behält, die sie früher hatte.«
Sind, wie ich längst zu vermuthen geneigt bin, einer ersten Spaltung der tief erschütterten Erdrinde die ältesten, zum Theil auch gangausfüllenden Formationen des Eruptiv-Gesteins (nach seiner mineralischen Zusammensetzung den neueren Laven oft vollkommen ähnlich) zuzuschreiben; so müssen sowohl diese Spalten, wie die später entstandenen, schon minder einfachen Erhebungs-Krater doch nur als vulkanische Ausbruch-Oeffnungen, nicht als Vulkane selbst, betrachtet werden. Der Hauptcharakter von diesen letzteren besteht in einer permanenten oder wenigstens von Zeit zu Zeit erneuerten Verbindung des tiefen Heerdes mit der Atmosphäre. Der Vulkan bedarf dazu eines eigenen Gerüstes; denn, wie SenecaKosmos Bd. I. S. 452 (Anm. 228). sehr treffend in einem Briefe an den Lucilius sagt: »ignis in ipso monte non alimentum habet, sed viam«. Die vulkanische Thätigkeit wirkt dann formgebend, gestaltend durch Erhebung des Bodens; nicht, wie man ehemals allgemein 271 und ausschließend glaubte: aufbauend durch Aufhäufung von Schlacken und sich überlagernde neue Lavaschichten. Der Widerstand, welchen die in allzu großer Menge gegen die Oberfläche gedrängten feuerflüssigen Massen in dem Ausbruch-Canal finden, veranlaßt die Vermehrung der hebenden Kraft. Es entsteht eine »blasenförmige Auftreibung des Bodens«: wie dies durch die regelmäßige, nach außen gekehrte Abfalls-Richtung der gehobenen Bodenschichten bezeichnet wird. Eine minenartige Explosion, die Sprengung des mittleren und höchsten Theils der convexen Auftreibung des Bodens, erzeugt bald allein das, was Leopold von Buch einen Erhebungs-KraterLeop. von Buch über basaltische Inseln und Erhebungskrater in den Abhandl. der Kön. Akademie der Wiss. zu Berlin auf das J. 1818 und 1819 S. 51; desselben physicalische Beschreibung der canarischen Inseln 1825 S. 213. 262, 284, 313, 323 und 341. Diese, für die gründliche Kenntniß vulkanischer Erscheinungen Epoche machende Schrift ist die Frucht der Reise nach Madera und Teneriffa von Anfang April bis Ende October 1815; aber Naumann erinnert mit vielem Rechte in seinem Lehrbuch der Geognosie, daß schon in den von Leopold von Buch 1802 aus der Auvergne geschriebenen Briefen (geognostische Beob. auf Reisen durch Deutschland und Italien Bd. II. S. 282) bei Gelegenheit der Beschreibung des Mont d'Or die Theorie der Erbebungs-Krater und ihr wesentlicher Unterschied von den eigentlichen Vulkanen ausgesprochen wurde. Ein lehrreiches Gegenstück zu den 3 Erhebungs-Krateren der canarischen Inseln (auf Gran Canaria, Teneriffa und Palma) liefern die Azoren. Die vortrefflichen Karten des Capitän Vidal, deren Bekanntmachung wir der englischen Admiralität verdanken, erläutern die wundersame geognostische Construction dieser Inseln. Auf S. Miguel liegt die ungeheuer große, im J. 1444 fast unter Cabral's Augen gebildete Caldeira das sete Cidades: ein Erhebungs-Krater, welcher 2 Seen, die Lagoa grande und die Lagoa azil, in 812 F. Höhe einschließt. An Umfang ist fast gleich groß die Caldeira de Corvo, deren trockner Theil des Bodens 1200 F. Höhe hat. Fast dreimal höher liegen die Erhebungs-Kratere von Fayal und Terceira. Zu derselben Art der Ausbruch-Erscheinungen gehören die zahllosen, aber vergänglichen Gerüste, welche 1691 in dem Meere um die Insel S. Jorge und 1757 um die Insel S. Miguel nur auf Tage sichtbar wurden. Das periodische Anschwellen des Meeresgrundes kaum eine geographische Meile westlich von der Caldeira das sete Cidades, eine größere und etwas länger dauernde Insel (Sabrina) erzeugend, ist bereits früher erwähnt (Kosmos Bd. I. S. 252). Ueber den Erhebungs-Krater der Astruni in den phlegräischen Feldern und die in seinem Centrum emporgetriebene Trachytmasse als ungeöffneten glockenförmigen Hügel s. Leop. von Buch in Poggendorff's Annalen Bd. XXXVII. S. 171 und 182. Ein schöner Erhebungs-Krater ist Rocca Monfina: gemessen und abgebildet in Abich, geol. Beob. über die vulkan. Erscheinungen in Unter- und Mittel-Italien 1841 Bd. I. S. 113 Tafel II. genannt hat: d. h. eine kraterförmige, runde oder ovale Einsenkung, von einem Erhebungs-Circus, einer ringförmigen, meist stellenweise eingerissenen Umwallung, begrenzt; bald (wenn die Relief-Structur eines permanenten Vulkans vervollständigt werden soll) in der Mitte des Erhebungs-Kraters zugleich einen dom- oder kegelförmigen Berg. Der letztere ist dann meist an seinem Gipfel geöffnet; und auf dem Boden dieser Oeffnung (des Kraters des permanenten Vulkans) erheben sich vergängliche Auswurfs- und Schlackenhügel, kleine und große Eruptions-Kegel, welche beim Vesuv bisweilen die Kraterränder des Erhebungs-Kegels weit überragen. Nicht immer haben sich aber die Zeugen des ersten Ausbruchs, die alten Gerüste, wie sie hier geschildert werden, erhalten. Die hohe Felsmauer, welche die peripherische Umwallung (den Erhebungs-Krater) umgiebt, ist an vielen der mächtigsten und thätigsten Vulkane nicht einmal in einzelnen Trümmern zu erkennen.
Es ist ein großes Verdienst der neueren Zeit, nicht bloß durch sorgfältige Vergleichung weit von einander entfernter Vulkane die einzelnen Verhältnisse ihrer Gestaltung 272 genauer erforscht; sondern auch in die Sprachen bestimmtere Ausdrücke eingeführt zu haben, wodurch das Ungleichartige in den Relieftheilen, wie in den Aeußerungen vulkanischer Thätigkeit getrennt wird. Ist man nicht entschieden allen Classificationen abhold, weil dieselben in dem Bestreben nach Verallgemeinerung noch immer nur auf unvollständigen Inductionen beruhen; so kann man sich das Hervorbrechen von feuerflüssigen Massen und festen Stoffen, von Dämpfen und Gas-Arten begleitet, auf viererlei Weise vorstellen. Von den einfachen zu den zusammengesetzten Erscheinungen übergehend: nennen wir zuerst Eruptionen auf Spalten, nicht einzelne Kegelreihen bildend, sondern in geflossenem und zähem Zustande über einander gelagerte vulkanische Gebirgsmassen erzeugend; zweitens Ausbrüche durch Aufschüttungs-Kegel ohne Umwallung, und doch Lavaströme ergießend: wie fünf Jahre lang bei der Verwüstung der Insel Lancerote, in der ersten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts; drittens Erhebungs-Krater mit gehobenen Schichten, ohne Centralkegel: Lavaströme nur an der äußeren Seite der Umwallung, nie aus dem Inneren, das früh sich durch Einsturz verschließt, aussendend; viertens geschlossene Glockenberge oder an der Spitze geöffnete Erhebungs-Kegel: entweder mit einem, wenigstens theilweise erhaltenen, Circus umgeben: wie am Pic von Teneriffa, in Fogo und Rocca Monfina; oder ganz ohne Umwallung und ohne Erhebungs-Krater: wie in IslandSartorius von Waltershausen, physisch-geographische Skizze von Island 1847 S. 107., in den Cordilleren von Quito und dem mittleren Theile von Mexico. Die offenen Erhebungs-Kegel dieser vierten Classe bewahren eine permanente, in unbestimmten Zeiträumen mehr oder weniger thätige Verbindung zwischen dem feurig heißen Erd-Inneren und dem Luftkreise. Der an dem Gipfel verschlossen gebliebenen 273 dom- und glockenförmigen Trachyt- und Doleritberge scheint es nach meinen Beobachtungen mehr als der offenen, noch thätigen oder erloschenen Kegel, weit mehr als der eigentlichen Vulkane zu geben. Dom- und glockenartige Bergformen: wie der Chimborazo, Puy de Dôme, Sarcouy, Rocca Monfina und Vultur; verleihen der Landschaft einen eigenen Charakter, durch welchen sie mit den Schiefer-Hörnern oder den zackigen Formen des Kalkgesteins anmuthig contrastiren.
In der uns bei Ovid »in anschaulicher Darstellung« aufbewahrten Tradition über das große vulkanische Naturereigniß auf der Halbinsel Methone ist die Entstehung einer solchen Glockenform, die eines uneröffneten Berges, mit methodischer Deutlichkeit bezeichnet. »Die Gewalt der in finsteren Erdhöhlen eingekerkerten Winde treibt, eine Oeffnung vergebens suchend, den gespannten Erdboden auf (extentam tumefecit humum), wie wenn man eine Blase oder einen Schlauch mit Luft anfüllt. Die hohe Anschwellung hat sich durch langsame Erhärtung in der Gestalt eines Hügels erhalten.« Ich habe schon an einem anderen Orte daran erinnert, wie ganz verschieden diese römische Darstellung von der Aristotelischen Erzählung des vulkanischen Ereignisses auf Hiera, einer neu entstandenen Aeolischen (Liparischen) Insel, ist: in welchem »der unterirdische, mächtig treibende Hauch zwar ebenfalls einen Hügel erhebt, ihn aber später zum Erguß eines feurigen Aschenregens aufbricht«. Die Erhebung wird hier bestimmt als dem Flammenausbruch vorhergehend geschildert (Kosmos Bd. I S. 453 [Anm. 228]). Nach Strabo hatte der aufgestiegene domförmige Hügel von Methana sich ebenfalls in feuriger Eruption geöffnet, bei deren Ende sich nächtlich ein Wohlgeruch verbreitete. Letzterer war, was sehr auffallend ist, unter ganz ähnlichen 274 Verhältnissen bei dem vulkanischen Ausbruch von Santorin im Herbst 1650 bemerkt: und in der bald darauf von einem Mönche gehaltenen und aufgeschriebenen Bußpredigt »ein tröstendes Zeichen« genannt worden, »daß Gott seine Heerde noch nicht verderben wolle«.Es ist viel gestritten worden, an welche bestimmte Localität der Ebene von Trözen oder der Halbinsel Methana sich die Beschreibung des römischen Dichters anknüpfen lasse. Mein Freund: der große, durch viele Reisen begünstigte, griechische Alterthumsforscher und Chorograph, Ludwig Roß, glaubt, daß die nächste Umgegend von Trözen keine Oertlichkeit darbietet, die man auf den blasenförmigen Hügel deuten könne: und daß, in poetischer Freiheit, Ovid das mit Naturwahrheit geschilderte Phänomen auf die Ebene verlegt habe. »Südwärts von der Halbinsel Methana und ostwärts von der trözenischen Ebene«, schreibt Roß, »liegt die Insel Kalauria: bekannt als der Ort, wo Demosthenes, von den Macedoniern gedrängt, im Tempel des Poseidon das Gift nahm. Ein schmaler Meeresarm scheidet das Kalkgebirge Kalauria's von der Küste: von welchem Meeresarm (Durchfahrt, πόρος) Stadt und Insel ihren heutigen Namen haben. In der Mitte des Sundes liegt, durch einen niedrigen, vielleicht ursprünglich künstlichen Damm mit Kalauria verbunden, ein kleines conisches Eiland, in seiner Gestalt einem der Länge nach durchgeschnittenen Ei zu vergleichen. Es ist durchaus vulkanisch: und besteht aus graugelbem und gelbröthlichem Trachyt, mit Lava-Ausbrüchen und Schlacken gemengt, fast ganz ohne Vegetation. Auf diesem Eilande steht die heutige Stadt Poros, an der Stelle der alten Kalauria. Die Bildung des Eilandes ist der der jüngeren vulkanischen Inseln im Busen von Thera (Santorin) ganz ähnlich. Ovidius ist in seiner begeisterten Schilderung wahrscheinlich einem griechischen Vorbilde oder einer alten Sage gefolgt.« (Ludw. Roß in einem Briefe an mich vom November 1845.) Virlet hatte als Mitglied der französischen wissenschaftlichen Expedition die Meinung aufgestellt, daß jene vulkanische Erhebung nur ein späterer Zuwachs der Trachytmasse der Halbinsel Methana gewesen sei. Dieser Zuwachs finde sich in dem Nordwest-Ende der Halbinsel: wo das schwarze verbrannte Gestein, Kammeni-petra genannt, den Kammeni bei Santorin ähnlich, einen jüngeren Ursprung verrathe. Pausanias theilt die Sage der Einwohner von Methana mit: daß an der Nordküste, ehe die, noch jetzt berühmten Schwefel-Thermen ausbrachen, Feuer aus der Erde aufgestiegen sei. (S. Curtius, Peloponnesos Bd. I. S. 42 und 56.) Ueber den »unbeschreiblichen Wohlgeruch«, welcher bei Santorin (Sept. 1650) auf den stinkenden Schwefelgeruch folgte, s. Roß, Reisen auf den griech. Inseln des agäischen Meeres Bd. I. S. 196. Ueber den Naphtha-Geruch in den Dämpfen der Lava der 1796 erschienenen aleutischen Insel Umnack s. Kotzebue's Entdeckungs-Reise Bd. II. S. 106 und Léop. de Buch, description phys. des Iles Canaries p. 458. Sollte dieser Wohlgeruch nicht auf Naphtha deuten? Es wird desselben ebenfalls von Kotzebue in seiner russischen Entdeckungsreise gedacht, bei Gelegenheit eines Feuerausbruchs (1804) des aus dem Meere aufgestiegenen neuen Insel-Vulkans Umnack im aleutischen Archipel. Bei dem großen Ausbruch des Vesuvs am 12 August 1805, den ich mit Gay-Lussac beobachtete, fand Letzterer einen bituminösen Geruch im entzündeten Krater zu Zeiten vorherrschend. Ich stelle diese wenig beachteten Thatsachen zusammen, weil sie beitragen die enge Verkettung aller Aeußerung vulkanischer Thätigkeit, die Verkettung der schwachen Salsen und Naphtha-Quellen mit den wirklichen Vulkanen, zu bewähren.
Umwallungen, denen der Erhebungs-Krater analog, zeigen sich auch in Gebirgsarten, die von Trachyt, Basalt und Porphyrschiefer sehr verschieden sind: z. B. nach Elie de Beaumont's scharfsinniger Auffassung im Granit der französischen Alpenkette. Die Bergmasse von Oisans, zu welcher der höchsteDer höchste Gipfel der Pyrenäen, d. i. der Pic de Nethou (der östliche und höhere Gipfel der Maladetta- oder Malahita-Gruppe), ist zweimal trigonometrisch gemessen worden; und hat nach Reboul 10737 Fuß (3481m), nach Coraboeuf 10478 Fuß (3404m). Er ist also an 1600 F. niedriger als der Mont Pelvoux in den französischen Alpen bei Briançon. Dem Pic de Nethou sind in den Pyrenäen am nächsten an Höhe der Pic Posets oder Erist, und aus der Gruppe des Marboré der Montperdu und der Cylindre. Gipfel von Frankreich, der Mont Pelvoux bei Briançon (12109 Fuß), gehört, bildet einen Circus von acht geogr. Meilen Umfang, in dessen Mitte das kleine Dorf de la Bérarde liegt. Die steilen Wände des Circus steigen über 9000 Fuß hoch an. Die Umwallung selbst ist Gneiß, alles Innere ist GranitMémoire pour servir à la Description géologique de la France T. II. p., 339. Vergl. über Valleys of elevation und encircling Ridges in der silurischen Formation die vortrefflichen Schilderungen von Sir Roderick Murchison in the Silurian System P. I. p. 427–442. In den schweizer und savoyer Alpen zeigt sich in kleinen Dimensionen mehrfach dieselbe Gestaltung. Das Grand-Plateau des Montblanc, in welchem Bravais und Martins mehrere Tage campirt haben, ist 275 ein geschlossener Circus mit fast ebenem Boden in 12020 Fuß Höhe; ein Circus, aus dem sich die colossale Gipfel-Pyramide erhebt.Bravais und Martins, observ. faites au Sommet et au Grand Plateau du Mont-Blanc, im Annuaire météorol. de la France pour 1850 p. 131. Dieselben hebenden Kräfte bringen, doch durch die Zusammensetzung der Gebirgsarten modificirt, ähnliche Formen hervor. Auch die von Hoffmann, Buckland, Murchison und Thurmann beschriebenen Ring- und Kesselthäler (valleys of elevation) im Sediment-Gestein des nördlichen Deutschlands, in Herefordshire und dem Jura-Gebirge von Porrentruy hangen mit den hier beschriebenen Erscheinungen zusammen: wie, doch in geringerem Maaße der Analogie, einige, von allen Seiten durch Bergmassen eingeschlossene Hochebenen der Cordilleren, in denen die Städte Caxamarca (8784 F.), Bogota (8190 F.) und Mexico (7008 F.) liegen; wie im Himalaya das Kesselthal von Kaschmir (5460 F.).
Minder mit den Erhebungs-Krateren verwandt als mit der oben geschilderten einfachsten Form vulkanischer Thätigkeit (der Wirkung aus bloßen Spalten) sind unter den erloschenen Vulkanen der Eifel die zahlreichen Maare: kesselförmige Einsenkungen in nicht vulkanischem Gestein (devonischem Schiefer) und von wenig erhabenen Rändern umgeben, die sie selbst gebildet. »Es sind gleichsam Minen-Trichter, Zeugen minenartiger Ausbrüche«, welche an das von mir beschriebene sonderbare Phänomen der bei dem Erdbeben von Riobamba (4 Febr. 1797) auf den Hügel de la CulcaKosmos Bd. IV. S. 221. Ich habe die Eifeler Vulkane zweimal, bei sehr verschiedenen Zuständen der Entwickelung der Geognosie, im Herbste 1794 und im August 1845, besucht: das erste Mal in der Umgegend des Laacher Sees und der, damals dort noch von Geistlichen bewohnten Abtei; das zweite Mal in der Umgegend von Bertrich, dem Mosenberge und den nahen Maaren: immer nur auf wenige Tage. Da ich bei der letzten Excursion das Glück genoß meinen innigen Freund, den Berghauptmann von Dechen, begleiten zu können: so habe ich, durch einen vieljährigen Briefwechsel und durch Mittheilung wichtiger handschriftlicher Aufsätze, die Beobachtungen dieses scharfsinnigen Geognosten frei benutzen dürfen. Oft habe ich, wie es meine Art ist, durch Anführungszeichen das unterschieden, was ich wörtlich dem Mitgetheilten entlehnte. geschleuderten menschlichen Gebeine erinnern. Wenn einzelne, nicht sehr hoch liegende Maare: in der Eifel, in der Auvergne, oder auf Java, mit Wasser gefüllt sind; so mögen in diesem Zustande solche ehemaligen Explosions-Kratere mit dem Namen cratères-lacs belegt werden; aber als eine synonyme Benennung für Maar sollte das Wort, glaube ich, nicht im allgemeinen 276 genommen werden: da auf den Gipfeln der höchsten Vulkane, auf wahren Erhebungs-Kegeln, in erloschenen Krateren: z. B. auf dem mexicanischen Vulkan von Toluca in 11490 Fuß und auf dem caucasischen Elburuz in 18500 Fuß Höhe, kleine Seen von mir und Abich gefunden worden sind. Man muß bei den Eifeler Vulkanen zwei Arten der vulkanischen Thätigkeit, sehr ungleichen Alters, sorgfältig von einander unterscheiden: die, Lavaströme entsendenden, eigentlichen Vulkane; und die schwächeren Ausbruchs-Phänomene der Maare. Zu den ersteren gehören: der basaltische, olivinreiche, in aufrecht stehende Säulen gespaltene Lavastrom im Uesbach-Thale bei BertrichH. von Dechen, geogn. Uebersicht der Umgegend von Bad Bertrich 1847 S. 11–51.; der Vulkan von Gerolstein: welcher in einem, Dolomit enthaltenden, den devonischen Grauwacken-Schiefern muldenförmig eingelagerten Kalkstein seinen Sitz hat; und der lange Rücken des Mosenberges (1645 Fuß über dem Meere), unweit Bettenfeld, westlich von Manderscheid. Der letztgenannte Vulkan hat drei Kratere: deren erster und zweiter, die nördlichsten, vollkommen rund und auf dem Boden mit Torfmooren bedeckt sind; während aus dem dritten, südlichstenStengel in Nöggerath, das Gebirge von Rheinland und Westphalen Bd. I. S. 79 Tafel III. Vergl. auch die vortrefflichen, die Eifel und das Neuwieder Becken umfassenden Erläuterungen C. von Oeynhausen's zu seiner geogn. Karte des Laacher Sees 1847 S. 34, 39 und 42. Ueber die Maare s. Steininger, geognostische Beschreibung der Eifel 1853 S. 113. Seine früheste verdienstliche Arbeit, »die erloschenen Vulkane in der Eifel und am Nieder-Rhein«, ist von 1820. Krater ein mächtiger, röthlichbrauner, tiefer gegen das Thal der kleinen Kyll hin säulenförmig abgesonderter Lavastrom herabfließt. Eine merkwürdige, lavagebenden Vulkanen im allgemeinen fremdartige Erscheinung ist es, daß weder am Mosenberge, noch am Gerolstein, noch in anderen eigentlichen Vulkanen der Eifel die Lava-Ausbrüche an ihrem Ursprunge von einer trachytischen Gebirgsart sichtbar umgeben sind; sondern, so weit sie der Beobachtung zugänglich werden, unmittelbar aus den devonischen Schichten hervorkommen. Die Oberfläche des Mosenberges bezeugt gar nicht, was in der Tiefe verborgen ist. Die augithaltigen Schlacken, welche 277 zusammenhangend in Basaltströme übergehen, enthalten kleine gebrannte Schieferstücke, aber keine Spur von eingeschlossenem Trachyt. Die letzteren Einschlüsse sind auch nicht zu finden am Krater des Rodderberges, der doch der größten Trachytmasse der Rheingegend, dem Siebengebirge, so nahe ist.
»Die Maare scheinen«, wie der Berghauptmann von Dechen scharfsinnig bemerkt, »in ihrer Bildung ziemlich derselben Epoche anzugehören als die Ausbrüche der Lavaströme, der eigentlichen Vulkane. Beide liegen in der Nähe tief eingeschnittener Thäler. Die lavagebenden Vulkane waren entschieden zu einer Zeit thätig, als die Thäler bereits sehr nahe ihre heutige Form erhalten hatten; auch sieht man die ältesten Lavaströme dieses Gebietes in die Thaler herabstürzen.« Die Maare sind von Fragmenten devonischer Schiefer und von aufgeschüttetem grauem Sande und Tuffrändern umgeben. Der Laacher See: man mag ihn nun als ein großes Maar oder, wie mein vieljähriger Freund, C. von Oeynhausen, (gleich dem Becken von Wehr) als Theil eines großen Kesselthales im Thonschiefer betrachten; zeigt an dem ihn umgebenden Kranze einige vulkanische Schlacken-Ausbrüche: so am Krufter Ofen, am Veitskopf und Laacher Kopf. Es ist aber nicht bloß der gänzliche Mangel von Lavaströmen, wie sie an dem äußeren Rande wirklicher Erhebungs-Krater oder ganz in ihrer Nähe auf den canarischen Inseln zu beobachten sind; es ist nicht die unbedeutende Höhe des Kranzes, der die Maare umgiebt: welche dieselben von den Erhebungs-Krateren unterscheiden; es fehlt den Rändern der Maare eine regelmäßige, als Folge der Hebung stets nach außen abfallende Gesteinsschichtung. Die in den devonischen Schiefer eingesenkten Maare erscheinen, wie schon oben bemerkt, als Minen-Trichter, 278 in welche nach der gewaltsamen Explosion von heißen Gas-Arten und Dämpfen die ausgestoßenen lockeren Massen (Rapilli), größtentheils zurückgefallen sind. Ich nenne hier beispielsweise nur das Immerather, das Pulver- und Meerfelder Maar. In der Mitte des ersteren: dessen trockener Boden, in zweihundert Fuß Tiefe, cultivirt wird, liegen die beiden Dörfer Ober- und Unter-Immerath. Hier finden sich in dem vulkanischen Tuff der Umgebung, ganz wie am Laacher See, Gemenge von Feldspath und Augit als Kugeln, in welche Theilchen von schwarzem und grünem Glase eingesprengt sind. Aehnliche Kugeln von Glimmer, Hornblende und Augit, voll von Verglasungen, enthalten auch die Tuffkränze des Pulver-Maares bei Gillenfeld, das aber gänzlich in einen tiefen See umgewandelt ist. Das regelmäßig runde, theils mit Wasser, theils mit Torf bedeckte, Meerfelder Maar zeichnet sich geognostisch durch die Nähe der drei Krater des großen Mosenbergs aus, deren südlichster einen Lavastrom gegeben hat. Das Maar liegt jedoch 600 Fuß tiefer als der lange Rücken des Vulkans, und an seinem nördlichen Ende; auch nicht in der Achse der Krater-Reihe, mehr in Nordwesten. Die mittlere Höhe der Eifeler Maare über der Meeresfläche fällt zwischen 865 F. (Laacher See?) und 1490 F. (Mosbrucher Maar).
Da hier besonders der Ort ist darauf aufmerksam zu machen, wie gleichmäßig und übereinstimmend in der stoffartig producirenden Wirksamkeit die vulkanische Thätigkeit sich bei den verschiedensten Formen des äußeren Gerüstes (als Maaren, als umwallten Erhebungs-Kratern oder am Gipfel geöffneten Kegeln) zeigt; so erwähne ich der auffallenden Reichhaltigkeit von krystallisirten Mineralien, welche die Maare bei ihrer ersten Explosion ausgestoßen haben und die jetzt zum Theil in den 279 Tuffen vergraben liegen. In der Umgebung des Laacher Sees ist diese Reichhaltigkeit allerdings am größten; aber auch andere Maare: z. B. das Immerather und das, an Olivin-Kugeln reiche Meerfelder, enthalten ausgezeichnete krystallinische Massen. Wir nennen hier: Zirkon, Hauyn, LeucitDer Leucit (gleichartig vom Vesuv, von Rocca di Papa im Albaner Gebirge, von Viterbo, von der Rocca Monsina: nach Pilla bisweilen von mehr als 3 Zoll Durchmesser, und aus dem Dolerit des Kaiserstuhls im Breisgau) findet sich auch »anstehend als Leucit-Gestein in der Eifel am Burgberge bei Rieden. Der Tuff schließt in der Eifel große Blöcke von Leucitophyr ein bei Boll und Weibern.« – Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, einem von Mitscherlich vor wenigen Wochen in der Berliner Akademie gehaltenen, chemisch-geognostischen Vortrage folgende wichtige Bemerkung aus einer Handschrift zu entnehmen: »Nur Wasserdämpfe können die Auswürfe der Eifel bewirkt haben; sie würden aber den Olivin und Augit zu den feinsten Tropfen zertheilt und zerstäubt haben, wenn sie diese noch flüssig getroffen hätten. Der Grundmasse in den Auswürflingen sind auf's innigste, z. B. am Dreiser Weiher, Bruchstücke des zertrümmerten alten Gebirges eingemengt, welche häufig zusammengesintert sind. Die großen Olivin- und die Augitmassen finden sich sogar in der Regel mit einer dicken Kruste dieses Gemenges umgeben; nie kommt im Olivin oder Augit ein Bruchstück des älteren Gebirges vor: beide waren also schon fertig gebildet, ehe sie an die Stelle gelangten, wo die Zertrümmerung statt fand. Olivin und Augit hatten sich also aus der flüssigen Basaltmasse schon ausgesondert, ehe diese eine Wasser-Ansammlung oder eine Quelle traf, die das Herauswerfen bewirkte.« Vergl. über die Bomben auch einen älteren Aufsatz von Leonhard Horner in den Transactions of the Geological Soc. 2d Ser. Vol. IV. Part 2. 1836 p. 467., Apatit, Nosean, Olivin, Augit, Rhyakolith, gemeinen Feldspath (Orthoklas), glasigen Feldspath (Sanidin), Glimmer, Sodalit, Granat und Titan-Eisen. Wenn die Zahl der schönen krystallisirten Mineralien am Vesuv so vielmal größer ist (Scacchi zählt deren 43 Arten), so darf man nicht vergessen, daß sehr wenige derselben vom Vesuv ausgestoßen werden; und daß die größere Zahl dem Theil der sogenannten Auswürflinge des Vesuvs angehört, die nach Leopolds von Buch MeinungLeop. von Buch in Poggendorff's Annalen Bd. XXXVII. S. 179. Nach Scacchi gehören die Auswürflinge zu dem ersten Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79; Leonhard's neues Jahrbuch für Mineral. Jahrg. 1853 S. 259., »dem Vesuv gänzlich fremd, einer, weit über Capua hinaus verbreiteten Tuff-Bedeckung beizuzählen sind, welche von dem aufsteigenden Kegel des Vesuvs mit emporgehoben wurde und wahrscheinlich das Erzeugniß einer submarinen, tief im Inneren verborgenen, vulkanischen Wirkung gewesen ist.«
Gewisse bestimmte Richtungen der verschiedenartigen Erscheinungen vulkanischer Thätigkeit sind auch in der Eifel nicht zu verkennen. »Die, Lavaströme erzeugenden Ausbrüche der hohen Eifel liegen auf einer Spalte, fast 7 Meilen lang, von Bertrich bis zum Goldberg bei Ormond, von Südost nach Nordwest gerichtet; dagegen folgen die Maare, von dem Meerfelder an bis Mosbruch und zum Laacher See hin, einer Richtungslinie von Südwest gegen Nordost. Die beiden angegebenen Hauptrichtungen schneiden sich in den drei Maaren von Daun. In der Umgegend des Laacher Sees ist nirgends Trachyt an der Oberfläche sichtbar. Auf das Vorkommen dieser Gebirgsart in der Tiefe weisen nur hin die eigenthümliche Natur des ganz 280 feldspathartigen Laacher Bimssteins, wie die ausgeworfnen Bomben von Augit und Feldspath. Sichtbar sind aber Eifeler Trachyte, aus Feldspath und großen Hornblende-Krystallen zusammengesetzt, nur zwischen Basaltberge vertheilt: so im Sellberg (1776 F.) bei Quiddelbach, in der Anhöhe von Struth, bei Kelberg, und in dem wallartigen Bergzuge von Reimerath bei Boos.«
Nächst den Liparischen und Ponza-Inseln haben wohl wenige Theile von Europa eine größere Masse von Bimsstein hervorgebracht als diese Gegend Deutschlands: welche bei verhältnißmäßig geringer Erhebung so verschiedene Formen vulkanischer Thätigkeit in Maaren cratères d'explosion, Basaltbergen und lava-ausstoßenden Vulkanen darbietet. Die Hauptmasse des Bimssteines liegt zwischen Nieder-Mendig und Sorge, Andernach und Rübenach; die Hauptmasse des Ducksteins oder Traß (eines durch Wasser abgesetzten, sehr neuen Conglomerats) liegt im Brohlthale, von seiner Mündung in den Rhein aufwärts bis Burgbrohl, bei Plaidt und Kruft. Die Traß-Formation des Brohlthales enthält, neben Fragmenten von Grauwacken-Schiefer und Holzstücken, Bimsstein-Brocken: die sich durch nichts von dem Bimsstein unterscheiden, welcher die oberflächliche Bedeckung der Gegend, ja auch die des Ducksteins selbst ausmacht. Ich habe immer, trotz einiger Analogien, welche die Cordilleren darzubieten scheinen, daran gezweifelt, daß man den Traß Schlamm-Ausbrüchen aus lavagebenden Eifler Vulkanen zuschreiben könne. Ich vermuthe vielmehr mit H. von Dechen, daß der Bimsstein trocken ausgeworfen wurde und daß der Traß sich nach Art anderer Conglomerate bildete. »Der Bimsstein ist dem Siebengebirge fremd; und der große Bimsstein-Ausbruch der Eifel, dessen Hauptmasse 281 noch über dem Löß liegt und in einzelnen Theilen mit demselben abwechselt, mag: nach der Vermuthung, zu welcher die Localverhältnisse führen, im Rheinthale oberhalb Neuwied, in dem großen Neuwieder Becken, vielleicht nahe bei Urmits auf der linken Seite des Rheins statt gefunden haben. Bei der Zerreiblichkeit des Stoffes mag die Ausbruch-Stelle durch die spätere Einwirkung des Rheinstromes spurlos verschwunden sein. In dem ganzen Strich der Eifeler Maare wie in dem der Eifeler Vulkane von Bertrich bis Ormond wird kein Bimsstein gefunden. Der des Laacher Sees ist auf dessen Randgebirge beschränkt; und an den übrigen Maaren gehen die kleinen Stücke von Feldspath-Gestein, die im vulkanischen Sande und Tuff liegen, nicht in Bimsstein über.«
Wir haben bereits oben die Altersverhältnisse der Maare und der, von ihnen so verschiedenen Ausbrüche der Lavaströme zu der Thalbildung berührt. »Der Trachyt des Siebengebirges scheint viel älter als die Thalbildung, sogar älter als die rheinische Braunkohle. Sein Hervortreten ist der Aufreißung des Rheinthales fremd gewesen, selbst wenn man dieses Thal einer Spaltenbildung zuschreiben wollte. Die Thalbildung ist wesentlich jünger als die rheinische Braunkohle, jünger als der meiste rheinische Basalt; dagegen älter als die vulkanischen Ausbrüche mit Lavaströmen, älter als der große Bimsstein-Ausbruch und der Traß. Basaltbildungen reichen bestimmt bis in eine jüngere Zeit hinein als die Trachytbildung, und die Hauptmasse des Basaltes ist daher für jünger als der Trachyt anzusehn. An den jetzigen Gehängen des Rheinthals wurden viele Basaltgruppen (Unkeler Steinbruch, Rolandseck, Godesberg) erst durch die Thal-Eröffnung bloß gelegt, da sie wahrscheinlich bis dahin im devonischen Grauwacken-Gebirge eingeschlossen waren.«
282 Die Infusorien: deren, durch Ehrenberg erwiesene, so allgemeine Verbreitung auf den Continenten, in den größten Tiefen des Meeres wie in den hohen Schichten des Luftkreises zu den glänzendsten Entdeckungen unsres Zeitalters gehört; haben in der vulkanischen Eifel ihren Hauptsitz in den Rapillen, Traßschichten und Bimsstein-Conglomeraten. Kieselschalige Organismen füllen das Brohlthal und die Auswürflinge von Hochsimmern; bisweilen sind sie im Traß mit unverkohlten Zweigen von Coniferen vermengt. Dies ganze kleine Leben ist nach Ehrenberg ein Süßwasser-Gebilde; und nur ausnahmsweise zeigen sich in der obersten Ablagerung von dem zerreiblichen, gelblichen Löß am Fuß und an den Abhängen des Siebengebirges (auf die brakische vormalige Küstennatur hindeutend) Polythalamien des Meeres.Ueber Bildungsalter des Rheinthals s. H. von Dechen, geogn. Beschr. des Siebengebirges in den Verhandl. des naturhist. Vereins der Preuß. Rheinlande und Westphalens 1852 S. 556–559. – Von den Infusorien der Eifel handelt Ehrenberg in den Monatsberichten der Akad. der Wiss. zu Berlin 1844 S. 337, 1845 S. 133 und 148, 1846 S. 161–171. Der mit infusorienhaltigen Bimsstein-Brocken erfüllte Traß von Brohl bildet Hügel bis zu 800 F. Höhe.
Ist das Phänomen der Maare auf das westliche Deutschland beschränkt? Graf Montlosier, der die Eifel durch eigene Beobachtungen von 1819 kannte und den Mosenberg für einen der schönsten Vulkane erkennt, den er je gesehen, zählt (wie Rozet) zu den Maaren oder Explosions-Krateren den Gouffre de Tazenat, den Lac Pavin und Lac de la Godivel in der Auvergne. Sie sind in sehr verschiedenartigen Gebirgsarten: in Granit, Basalt und Domit (Trachyt-Gestein), eingeschnitten; an den Rändern mit Schlacken und Rapilli umgeben.Vergl. Rozet in den Mémoires de la Société géologique, 2ème Série T. I. p. 119. Auch auf der Insel Java, dieser wunderbaren Stätte vielfacher vulkanischer Thätigkeit, findet man »Krater ohne Kegel, gleichsam flache Vulkane« (Junghuhn, Java, seine Gestalt und Pflanzendecke Abth. II. S 640), zwischen Gunung Salak und Perwakti, »als Explosions-Kratere« den Maaren analog. Ohne alle Rand-Erhöhung, liegen sie zum Theil in ganz flachen Gegenden der Gebirge, haben eckige Bruchstücke der gesprengten Gesteinschichten um sich her zerstreut, und stoßen jetzt nur Dämpfe und Gas-Arten aus.
Die Gerüste, welche eine mächtigere Ausbruch-Thätigkeit der Vulkane durch Hebung des Bodens und Lava-Erguß aufbaut, erscheinen wenigstens in sechsfacher Gestalt, und kehren in der Verschiedenheit dieser Gestaltung in den entferntesten Zonen der Erde wieder. Wer in vulkanischen Gegenden zwischen Basalt- und Trachytbergen geboren ist, fühlt sich oft heimisch da, wo dieselben Gestalten ihn anlächeln. Bergformen gehören zu 283 den wichtigsten bestimmenden Elementen der Physiognomik der Natur; sie geben der Gegend, je nachdem sie sich mit Vegetation geschmückt oder in öder Nacktheit erheben, einen fröhlichen oder einen ernsten, großartigen Charakter. Ich habe ganz neuerlich versucht, in einem besonderen Atlas eine Zahl von Umrissen der Cordilleren von Quito und Mexico, nach eigenen Zeichnungen entworfen, neben einander zu stellen. Wie der Basalt bald in kegelförmigen, am Gipfel etwas abgerundeten Kuppen, bald als nahe an einander gereihte Zwillingsberge von ungleicher Höhe, bald als ein langer horizontaler Rücken, von einer höheren Kuppe an jeglichem Ende begrenzt, auftritt; so unterscheidet man vorzugsweise im Trachyt die majestätische DomformHumboldt, Umrisse von Vulkanen der Cordilleren von Quito und Mexico, ein Beitrag zur Phytognomik der Natur, Tafel IV (Kleinere Schriften Bd. I. S. 133–205). (Chimborazo, 20100 Fuß): welche nicht mit der Form, ebenfalls ungeöffneter, aber schlankerer Glockenberge zu verwechseln ist. Die Kegelgestalt ist am vollkommenstenUmrisse von Vulkanen Tafel VI. im Cotopaxi (17712 F.) ausgeprägt: nächst dem im PopocatepetlA. a. O. Taf. VIII (Kleinere Schriften Bd. I. S. 463–467). Ueber die topographische Lage des Popocatepetl (rauchender Berg in aztekischer Sprache) neben der (liegenden) weißen Frau, Iztaccihuatl, und sein geographisches Verhältniß zu dem westlichen See von Tezcuco und der östlich gelegenen Pyramide von Cholula s. meinen Atlas géogr. et phys. de la Nouvelle-Espagne Pl. 3. (16632 F.), wie er am schönen Ufer des Sees von Tezcuco oder von der Höhe der altmexicanischen Treppen-Pyramide von Cholula gesehen wird; und im VulkanUmrisse von Vulkanen Tafel IX; der Sternberg, in aztekischer Sprache Citlaltepetl: Kleinere Schriften Bd. I. S. 467–470 und mein Atlas géogr. et phys. de la Nouv. Espagne Pl. 17. von Orizaba (16302 F., nach Ferrer 16776 F.). Eine stark abgestumpfte KegelformUmrisse von Vulkanen Tafel II. zeigt der Nevado de Cayambe-Urcu (18170 F.), den der Aequator durchschneidet; wie der Vulkan von Tolima (17010 F.): am Fuß des Paramo de Quindin, bei dem Städtchen Ibague, über dem Urwald sichtbarHumboldt, Vues des Cordillères et Monumens des peuples indigènes de l'Amérique (fol.) Pl. LXII. Einen langgestreckten Rücken bildet zum Erstaunen des Geognosten der Vulkan von Pichincha (14910 F.): an dessen einem, wenig höheren Ende der weite, noch entzündete KraterUmrisse von Vulkanen Taf. I und X (Kleinere Schriften Bd. I. S. 1–99). liegt.
Durch große Naturbegebenheiten veranlaßte Einstürze von Kraterwänden oder Zerreißung derselben durch minenartige 284 Explosion aus dem tiefen Inneren bringen in Kegelbergen sonderbare und contrastirende Formen hervor: so die Spaltung in Doppel-Pyramiden von mehr oder minder regelmäßiger Art bei dem Carguairazo (14700 F.), plötzlich eingestürztUmrisse von Vulkanen Taf. IV. in der Nacht vom 19 Juli 1698, und bei den schöneren PyramidenA. a. O. Taf. III und VII. von Ilinissa (16362 F.); so eine Crenulirung der oberen Kraterwände: bei welcher zwei, sehr gleichartige, gegen einander anstrebende Hörner die primitive, vormalige Form ahnden lassen (Capac-Urcu, Cerro del Altar, jetzt nur von 16380 Fuß Höhe). Es hat sich unter den Eingeborenen des Hochlandes von Quito: zwischen Chambo und Lican, zwischen den Gebirgen von Condorasto und Cuvillan, allgemein die Sage erhalten, daß der Gipfel des hier zuletzt genannten Vulkans 14 Jahre vor dem Einfall von Huayna Capac, dem Sohne des Inca Tupac Yupanqui: nach Ausbrüchen, die ununterbrochen sieben bis acht Jahre dauerten, eingestürzt sei und das ganze Plateau, in welchem Neu-Riobamba liegt, mit Bimsstein und vulkanischer Asche bedeckt habe. Der Vulkan, ursprünglich höher als der Chimborazo, wurde in der Inca- oder Quichua-Sprache capac, der König oder Fürst der Berge (urcu), genannt, weil die Eingeborenen seinen Gipfel sich mehr über die untere Schneegrenze erheben sahen als bei irgend einem anderen Berge der Umgegend.Lange vor der Ankunft von Bouguer und La Condamine (1736) in der Hochebene von Quito, lange vor den Bergmessungen der Astronomen wußten dort die Eingeborenen, daß der Chimborazo höher als alle anderen Nevados (Schneeberge) der Gegend sei. Sie hatten zwei, sich fast im ganzen Jahre überall gleich bleibende Niveau-Linien erkannt: die der unteren Grenze des ewigen Schnees; und die Linie der Höhe, bis zu welcher ein einzelner, zufälliger Schneefall herabreicht. Da in der Aequatorial-Gegend von Quito, wie ich durch Messungen an einem anderen Orte (Asie centrale T. III. p. 255) erwiesen habe, die Schneelinie nur um 180 Fuß Höhe an dem Abhange von sechs der höchsten Colosse variirt; und da diese Variation, wie noch kleinere, welche Localverhältnisse erzeugen, in einer großen Entfernung gesehen (die Höhe des Gipfels vom Montblanc ist der Höhe der unteren Aequatorial-Schneegrenze gleich), dem bloßen Auge unbemerkbar wird: so entsteht durch diesen Umstand für die Tropenwelt eine scheinbar ununterbrochene Regelmäßigkeit der Schneebedeckung, d. h. der Form der Schneelinie. Die landschaftliche Darstellung dieser Horizontalität setzt die Physiker in Erstaunen, welche nur an die Unregelmäßigkeit der Schneebedeckung in der veränderlichen, sogenannten gemäßigten Zone gewöhnt sind. Die Gleichheit der Schneehöhe um Quito und die Kenntniß von dem Maximum ihrer Oscillation bietet senkrechte Basen von 14800 Fuß über der Meeresfläche: von 6000 Fuß über der Hochebene dar, in welcher die Städte Quito, Hambato und Nuevo Riobamba liegen; Basen, die, mit sehr genauen Messungen von Höhenwinkeln verbunden, zu Distanz-Bestimmungen und mannigfaltigen topographischen, schnell auszuführenden Arbeiten benutzt werden können. Die zweite der hier bezeichneten Niveau-Linien: die Horizontale, welche den unteren Theil eines einzelnen, zufälligen Schneefalles begrenzt; entscheidet über die relative Höhe der Bergkuppen, welche in die Region des ewigen Schnees nicht hineinreichen. Von einer langen Kette solcher Bergkuppen, die man irrigerweise für gleich hoch gehalten hat, bleiben viele unterhalb der temporären Schneelinie; und der Schneefall entscheidet so über das relative Höhenverhältniß. Solche Betrachtungen über perpetuirliche und zufällige Schneegrenzen habe ich in dem Hochgebirge von Quito, wo die Sierras nevadas oft einander genähert sind ohne Zusammenhang ihrer ewigen Schneedecken, aus dem Munde roher Landleute und Hirten vernommen. Eine großartige Natur schärft anregend die Empfänglichkeit bei einzelnen Individuen unter den farbigen Eingeborenen selbst da, wo sie auf der tiefsten Stufe der Cultur stehen. Der Große Ararat: dessen Gipfel (16026 F.) Friedrich Parrot im Jahr 1829, Abich und Chodzko in den Jahren 1845 und 1850 erreicht haben, bildet, wie der Chimborazo, einen ungeöffneten Dom. Seine mächtigen Lavaströme sind tief unterhalb der Schneegrenze ausgebrochen. Ein wichtiger Charakter in der Gestaltung des Ararat ist ein Seitenschlund, der tiefe Ausschnitt des Jacobs-Thales, das man mit dem Val del Bove 285 des Aetna vergleichen kann. In demselben wird, nach Abich's Beobachtung, erst recht eigentlich die innere Structur von dem Kern des trachytischen Glockenberges sichtbar, da dieser Kern und die Erhebung des ganzen Ararats um vieles älter sind als die Lavaströme.Abich in dem Bulletin de la Société de Géographie, 4ème Série T. I. (1851) p. 517: mit einer sehr schönen Darstellung der Gestalt des alten Vulkans. Der Kasbegk und Tschegem, welche auf demselben caucasischen Haupt-Bergrücken (OSO–WNW) ausgebrochen sind als der Elburuz (18500 F.), sind ebenfalls Kegel ohne Gipfel-Krater, während der colossale Elburuz auf seinem Gipfel einen Kratersee trägt.
Da Kegel- und Domformen in allen Weltgegenden bei weitem die häufigsten sind, so ist, wie vereinzelt in der Gruppe der Vulkane von Quito, um desto merkwürdiger der lange Rücken des Vulkans von Pichincha. Ich habe mich mit seiner Gestaltung lange und sorgfältig beschäftigt, und neben seiner, auf viele Winkelmessungen gegründeten Profil-Ansicht auch eine topographische Skizze seiner Queerthäler veröffentlicht.Humboldt, Vues des Cordillères p. 295 Pl. LXI und Atlas de la Relat. hist. du Voyage Pl. 27. Pichincha bildet eine über zwei geographische Meilen lange Mauer von schwarzem Trachyt-Gestein (zusammengesetzt aus Augit und Oligoklas), auf einer Spalte in der westlichsten, der Südsee nahen Cordillere gehoben: ohne daß die Achse des hohen Bergrückens mit der der Cordillere, der Richtung nach, zusammentrifft. Auf dem Rücken der Mauer folgen, castellartig aufgesetzt, von SW gen NO die drei Kuppen: Cuntur-guachana, Guagua-Pichincha (das Kind des alten Vulkans) und el Picacho de los Ladrillos. Der eigentliche Feuerberg (Vulkan) wird der Vater oder Alte, Rucu-Pichincha, genannt. Er ist der einzige Theil des langen Bergrückens, welcher in die ewige Schneeregion reicht: also sich zu einer Höhe erhebt, welche die Kuppe von Guagua-Pichincha, dem Kinde, etwa um 180 Fuß übersteigt. Drei thurmartige 286 Felsen umgeben den ovalen Krater: der etwas südwestlicher, also außerhalb der Achsenrichtung einer, im Mittel 14706 Fuß hohen Mauer, liegt. Ich bin auf den östlichsten Felsthurm im Frühjahr 1802 allein mit dem Indianer Felipe Aldas gelangt. Wir standen dort am äußersten Kraterrande, ohngefähr 2300 Fuß hoch über dem Boden des entzündeten Schlundes. Sebastian Wisse, welchem während seines langen Aufenthaltes in Quito die physikalischen Wissenschaften so viele interessante Beobachtungen verdanken, hat die Kühnheit gehabt im Jahre 1845 mehrere Nächte in einem Theile des Kraters von Rucu-Pichincha zuzubringen: wo das Thermometer gegen Sonnenaufgang 2° unter den Nullpunkt fiel. Der Krater ist durch einen, mit verglasten Schlacken bedeckten Felskamm in zwei Theile getheilt. Der östliche liegt über tausend Fuß tiefer als der westliche, und ist jetzt der eigentliche Sitz vulkanischer Thätigkeit. Dort erhebt sich ein Auswurfs-Kegel von 250 Fuß Höhe. Er wird von mehr als 70 entzündeten, Schwefeldampf ausstoßenden Fumarolen umgeben.Kleinere Schriften Bd. I. S. 61, 81, 83 und 88. Aus diesem kreisrunden, östlichen Krater, der jetzt an den minder warmen Stellen mit Stauden schilfartiger Gräser und einer bromelienblättrigen Pourretia bedeckt ist, sind wahrscheinlich die feurigen Schlacken-, Bimsstein- und Aschen-Auswürfe des Rucu-Pichincha von 1539, 1560, 1566, 1577, 1580 und 1660 erfolgt. Die Stadt Quito war damals oft tagelang durch die fallenden, staubartigen Rapilli in tiefe Finsterniß gehüllt.
Zu der seltneren Gestaltungs-Classe der Vulkane, welche langgestreckte Rücken bilden, gehören in der Alten Welt: der Galungung, mit einem großen Krater, im westlichen Theile von JavaJunghuhn, Reise durch Java 1845 S. 215 Tafel XX.; die Doleritmasse des Schiwelutsch auf Kamtschatka: eines Kettengebirges, auf dessen Kamme sich einzelne 287 Kuppen bis zu der Höhe von 9540 Fuß erhebenS. Adolf Erman's, auch in geognostischer Hinsicht so wichtige Reise um die Erde Bd. III. S. 271 und 207.; der Hekla, von der Nordwest-Seite, in normaler Richtung auf die Haupt- und Längenspalte, gesehen, über der er hervorgebrochen ist: als ein breiter, mit verschiedenen kleinen Hörnern versehener Gebirgszug. Seit den letzten Eruptionen von 1845 und 1846, die einen Lavastrom von 2 geogr. Meilen Länge und an einigen Stellen von ½ Meile Breite, dem Aetna-Strome von 1669 vergleichbar, gegeben haben, liegen auf dem Rücken des Hekla in einer Reihe fünf kesselförmige Krater. Da die Hauptspalte Nord 65° Ost gerichtet ist, so erscheint der Vulkan: von Selsundsfjäll, d. h. von der Südwest-Seite, also im Queerschnitt, gesehen, als ein spitziger Kegelberg.Sartorius von Waltershausen, physisch-geographische Skizze von Island 1847 S. 107; desselben geognostischer Atlas von Island 1853 Tafel XV und XVI.
Wie die Gestalten der Feuerberge so auffallend verschieden sind (Cotopaxi und Pichincha), ohne daß die ausgestoßenen Stoffe und die chemischen Processe des tiefen Inneren sich ändern; so ist die relative Stellung der Erhebungs-Kegel bisweilen noch sonderbarer. Auf Luzon, in der Inselgruppe der Philippinen, erhebt sich der noch thätige Vulkan von Taal, dessen zerstörendster Ausbruch der vom Jahr 1754 war, mitten in einem, von Crocodilen bewohnten, großen See (laguna de Bombon genannt). Der Kegel, der auf der Kotzebue'schen Entdeckungsreise erstiegen ward, hat einen Kratersee, aus welchem wiederum ein Ausbruch-Kegel mit einem zweiten Krater aufsteigt.Otto von Kotzebue, Entdeckungs-Reise in die Südsee und in die Berings-Straße 1815–1818 Bd. III. S. 68; Reise-Atlas von Choris 1820 Tafel 5; Vicomte d'Archiac, hist. des Progrès de la Géologie 1847 T. I. p. 544; und Buzeta, Diccionario geogr. estad. historico de las islas Filipinas T. II. (Madr. 1851) p. 436 und 470–471: wo aber der zwiefachen Umzingelung, welche Delamare so wissenschaftlich genau als umständlich in seinem Briefe an Arago (Nov. 1842; Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XVI. p. 756) erwähnt, eines zweiten Kraters im Kratersee, nicht gedacht wird. Der große Ausbruch im Dec. 1754 (ein früherer, heftiger geschah am 24 Sept. 1716) zerstörte das alte, am südwestlichen Ufer des Sees gelegene Dorf Taal, welches später weiter vom Vulkan wiedererbaut wurde. Die kleine Insel des Sees, auf welcher der Vulkan emporsteigt, heißt Isla del Volcan (Buzeta a. a. O.). Die absolute Höhe des Vulkans von Taal ist kaum 840 F. Er gehört also nebst dem von Kosima zu den allerniedrigsten. Zur Zeit der amerikanischen Expedition des Cap. Wilkes (1842) war er in voller Thätigkeit; s. United States' Explor. Exped. Vol. V. p. 317. Diese Beschreibung erinnert unwillkührlich an Hanno's Reisejournal: in dem einer Insel gedacht wird, einen kleinen See einschließend, aus dessen Mitte sich eine zweite Insel erhebt. Das Phänomen soll zweimal vorkommen: einmal im Golf des Westlichen Hornes, und dann in der Bai der Gorillas-Affen, an der west-afrikanischen Küste.Humboldt, Examen critique de l'histoire de la Géographie T. III. p. 135; Hannonis Periplus in Hudson's Geogr. Graeci min. T. I. p. 45. So individuelle Schilderungen möchte man auf wirkliche Naturbeobachtung gegründet glauben!
288 Die kleinste und größte Höhe der Punkte, in denen die vulkanische Thätigkeit des Inneren der Erde sich an der Oberfläche permanent wirksam zeigt: ist eine hypsometrische Betrachtung, die für die physische Erdbeschreibung das Interesse gewährt, welches allen sich auf die Reaction des flüssigen Inneren der Planeten gegen ihre Oberfläche beziehenden Thatsachen eigen ist. Das Maaß der hebenden KraftKosmos Bd. I. S. 238. offenbart sich allerdings in der Höhe vulkanischer Kegelberge; aber über den Einfluß der Höhenverhältnisse auf Frequenz und Stärke der Ausbrüche ist nur mit vieler Vorsicht ein Urtheil zu fällen. Einzelne Contraste gleichartiger Wirkungen in Frequenz und Stärke bei sehr hohen oder sehr niedrigen Vulkanen können hier nicht entscheiden; und von den mehreren Hunderten thätiger Vulkane, welche man auf den Continenten und den Inseln voraussetzt, ist die Kenntniß noch so überaus unvollständig, daß die einzig entscheidende Methode, die der Mittelzahlen, noch nicht angewendet werden kann. Auch würden solche Mittelzahlen, wenn sie das bestimmte Resultat geben sollten, in welcher Höhenclasse der Erhebungs-Kegel sich eine schnellere Wiederkehr der Eruptionen offenbare, noch immer Raum zu dem Zweifel übrig lassen: daß neben der Höhe, d. h. der Entfernung von dem vulkanischen Heerde, die unberechenbaren Zufälligkeiten in dem, sich schwerer oder leichter verstopfenden Spaltennetze wirken. Das Phänomen ist also in Hinsicht auf den Causal-Zusammenhang ein unbestimmtes.
Vorsichtig bei dem Thatsächlichen verweilend, da, wo die Complication der Naturerscheinungen und der Mangel der historischen Nachrichten über die Zahl der Ausbrüche im Lauf der Jahrhunderte das Auffinden des Gesetzlichen noch nicht 289 erlaubt haben: begnüge ich mich, für die vergleichende Hypsometrie der Vulkane fünf Gruppen aufzustellen, in denen die Höhenclassen durch eine kleine, aber sichere Zahl von Beispielen charakterisirt sind. Ich habe in diesen 5 Gruppen nur isolirt sich erhebende, mit noch entzündeten Gipfel-Kratern versehene Kegelberge aufgeführt: also eigentliche, jetzt noch thätige Vulkane; nicht ungeöffnete Glockenberge, wie der Chimborazo. Alle Eruptions-Kegel, die von einem nahen Vulkan abhängig sind oder, fern von demselben, wie auf der Insel Lancerote und im Arso am Epomeo auf Ischia, keinen permanenten Zusammenhang des Inneren mit dem Luftkreise bewahrt haben: bleiben hier ausgeschlossen. Nach dem Zeugniß des eifrigsten Forschers über die Vulcanicität des Aetna, Sartorius von Waltershausen, wird dieser Vulkan von fast 700 größeren und kleineren Ausbruch-Kegeln umgeben. Da die gemessenen Höhen der Gipfel sich auf das Niveau des Meeres, der jetzigen flüssigen Oberfläche des Planeten, beziehen; so ist es wichtig hier daran zu erinnern, daß Insel-Vulkane: von denen einige nicht tausend Fuß (wie der von Horner und Tilesius beschriebene japanische Vulkan KosimaUeber die Lage dieses Vulkanes, dessen Kleinheit nur von dem Vulkan von Tanna und von dem des Mendaña übertroffen wird, s. die schöne Karte des Japanischen Reichs von Ph. Fr. von Siebold 1840. am Eingange der Tsugar-Straße), andere, wie der Pic von TeneriffaIch nenne hier neben dem Pic von Teneriffa unter den Insel-Vulkanen nicht den Mauna-roa: dessen kegelförmige Gestalt seinem Namen nicht entspricht. In der Sandwich-Sprache bedeutet nämlich mauna Berg, und roa zugleich lang und sehr. Ich nenne auch nicht den Hawaii, über dessen Höhe so lange gestritten worden ist und der lange als ein am Gipfel ungeöffneter trachytischer Dom beschrieben wurde. Der berühmte Krater Kiraueah (ein See geschmolzener, aufwallender Lava) liegt östlich, nach Wilkes in 3724 F. Höhe, dem Fuße des Mauna-roa nahe; vergl. die vortreffliche Beschreibung in Charles Wilkes, Exploring Expedition Vol. IV. p. 165–196., mehr als 11500 Fuß über den Meeresspiegel hervorragen; sich durch vulkanische Kräfte über einen Meeresgrund erhoben haben, der oft 20000 Fuß, ja einmal über 43000 Fuß Tiefe unter der jetzigen Meeres-Oberfläche gefunden worden ist. Um eine Täuschung in numerischen Verhältnissen zu vermeiden, ist auch dieser Erinnerung hinzuzufügen: daß, wenn für die Vulkane auf den Continenten Unterschiede der ersten und vierten Classe, also in Vulkanen von 1000 und 18000 Fuß, sehr beträchtlich scheinen, das Verhältniß dieser Zahlen ganz verändert wird, 290 wenn man (nach Mitscherlich's Versuchen über den Schmelzgrad des Granits und nach der, nicht ganz wahrscheinlichen Hypothese über die mit der Tiefe in arithmetischer Progression gleichmäßig zunehmende Wärme) die obere Grenze des geschmolzenen Inneren der Erde etwa zu 114000 Fuß unter dem jetzigen Meeresspiegel annimmt. Bei der durch Verstopfung vulkanischer Spalten sich so mächtig vermehrenden Spannung elastischer Dämpfe sind die Höhenunterschiede der bisher gemessenen Vulkane wohl nicht beträchtlich genug, um als ein Hinderniß angesehen zu werden für das Gelangen der Lava und anderer dichter Massen zur Kraterhöhe.
Hypsometrie der Vulkane.
Erste Gruppe, von 700 bis 4000 Par. Fuß Höhe.
Der Vulkan der japanischen Insel Kosima, südlich von Jezo: 700 F. nach Horner.
Der Vulkan der Liparischen Insel Volcano: 1224 F. nach Fr. Hoffmann.Brief von Fr. Hoffmann an Leop. von Buch über die geognostische Constitution der Liparischen Inseln, in Poggend. Annalen Bd. XXVI. 1832 S. 59. Volcano, nach der neueren Messung von Ch. Sainte-Claire Deville 1190 Fuß, hat starke Eruptionen von Schlacken und Asche gehabt in den Jahren 1444, am Ende des 16ten Jahrhunderts, 1731, 1739 und 1771. Seine Fumarolen enthalten Ammoniak, boraxsaures Selen, geschwefelten Arsenik, Phosphor und nach Bornemann Spuren von Jod. Die drei letzten Substanzen treten hier zum ersten Male unter den vulkanischen Producten auf. (Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XLIII. 1856 p. 683.)
Gunung Api (bedeutend Feuerberg in der malayischen Sprache), der Vulkan der Insel Banda: 1828 F.
Der, erst im Jahr 1770 aufgestiegene, fast ununterbrochen speiende Vulkan von IzalcoSquier in der American Association (tenth annual meeting, at New-Haven 1850). im Staate San Salvador (Central-Amerika): 2000 F. nach Squier.
Gunung Ringgit, der niedrigste Vulkan von Java: 2200 F. nach Junghuhn.S. Franz Junghuhn's überaus lehrreiches Werk: Java, seine Gestalt und Pflanzendecke 1852 Abth. I. S. 99. Der Ringgit ist jetzt fast erloschen, nachdem seine furchtbaren Ausbrüche im Jahr 1586 vielen tausend Menschen das Leben gekostet hatten.
Stromboli: 2775 F. nach Fr. Hoffmann.
Vesuv, die Rocca del Palo, am höchsten nördlichen Kraterrande: das Mittel meiner beiden Barometer-MessungenDer Gipfel des Vesuvs ist also nur 242 Fuß höher als der Brocken. von 1805 und 1822 giebt 3750 F.
Der in der mexicanischen HochebeneHumboldt, Vues des Cordillères Pl. XLIII. und Atlas géogr. et physique Pl. 29. am 29 September 1759 ausgebrochene Vulkan von Jorullo: 4002 F.
291 Zweite Gruppe, von 4000 bis 8000 Par. Fuß Höhe.
Mont Pelé de la Martinique: 4416 F. ? nach Dupuget.
Soufrière de la Guadeloupe: 4567 F. nach Charles Deville.
Gunung Lamongan im östlichsten Theile von Java: 5010 F. nach Junghuhn.
Gunung Tengger, von allen Vulkanen Java's der, welcher den größten KraterJunghuhn a. a. O. Abth. I. S. 68 und 98. hat: Höhe am Eruption-Kegel Bromo 7080 F. nach Junghuhn.
Vulkan von Osorno (Chili): 7083 F. nach Fitzroy.
Vulkan der Insel PicoVergl. meine Relation hist. T. I. p. 93 besonders wegen der Entfernung, in welcher der Gipfel des Vulkans der Insel Pico bisweilen gesehen worden ist. Die ältere Messung Ferrer's gab 7428 Fuß: also 285 F. mehr als die, gewiß sorgfältigere Aufnahme des Cap. Vidal von 1843. (Azoren): 7143 F. nach Cap. Vidal.
Der Vulkan von der Insel Bourbon: 7507 F. nach Berth.
Dritte Gruppe, von 8000 bis 12000 Par. Fuß Höhe.
Der Vulkan von Awatscha (Halbinsel Kamtschatka): nicht zu verwechselnErman in seiner interessanten geognostischen Beschreibung der Vulkane der Halbinsel Kamtschatka giebt der Awatschinskaja oder Gorelaja Sopka 8360 F.; und der Strjeloschnaja Sopka, die auch Korjazkaja Sopka genannt wird, 11090 F. (Reise Bd. III. S. 494 und 540). Vergl. über beide Vulkane, von denen der erste der thätigere ist, L. de Buch, descr. phys. des Iles Canaries p. 447–450. Die Erman'sche Messung des Vulkans von Awatscha stimmt am meisten mit der frühesten Messung von Mongez 1787 auf der Expedition von la Pérouse (8198 F.) und mit der neueren des Cap. Beechey (8497 F.) überein. Hofmann auf der Kotzebue'schen und Lenz auf der Lütke'schen Reise fanden nur 7664 und 7705 F.; vergl. Lütke, Voyage autour du Monde T. III. p. 67–84. Des Admirals Messung von der Strjeloschnaja Sopka gab 10518 F. mit der etwas nördlicheren Strjeloschnaja Sopka, welche die englischen Seefahrer gewöhnlich den Vulkan von Awatscha nennen; 8360 F. nach Erman.
Vulkan von AntucoVergl. Pentland's Höhentafel in Mary Somerville's Physical Geography Vol. II. p. 452; Sir Woodbine Parish, Buenos-Ayres and the Prov. of the Rio de la Plata 1852 p. 343; Pöppig, Reise in Chile und Peru Bd. I. S. 411–434. oder Antoïo (Chili): 8368 F. nach Domeyko.
Vulkan der capverdischen InselSollte der Gipfel dieses merkwürdigen Vulkans im Abnehmen der Höhe begriffen sein? Eine barometrische Messung, von Baldey, Vidal und Mudge im Jahr 1819 gab noch 2975 Meter oder 9156 Fuß: während ein sehr genauer und geübter Beobachter, welcher der Geognosie der Vulkane so wichtige Dienste geleistet hat, Sainte-Claire Deville (Voyage aux Iles Antilles et à l'Ile de Fogo p. 155), im Jahr 1842 nur 2790 Meter oder 8587 Fuß fand. Cap. King hatte kurz vorher die Höhe des Vulkans von Fogo gar nur zu 2686 Metern oder 8267 F. bestimmt. Fogo: 8587 F. nach Charles Deville.
Vulkan Schiwelutsch (Kamtschatka): der nordöstliche Gipfel 9898 F. nach Erman.Erman, Reise Bd. III. S. 271, 275 und 297. Der Vulkan Schiwelutsch hat, wie der Pichincha, die, bei thätigen Vulkanen seltene Form eines langen Rückens (chrebet), auf dem sich einzelne Kuppen und Kämme (grebni) erheben. Glocken- und Kegelberge werden in dem vulkanischen Gebiete der Halbinsel immer durch den Namen sopki bezeichnet.
AetnaWegen der merkwürdigen Uebereinstimmung der trigonometrischen Messung mit der barometrischen von Sir John Herschel s. Kosmos Bd. I. S. 41 Anm. 2.: nach Smyth 10200 F.
Pic von Teneriffa: 11408 F. nach Charles Deville.Die barometrische Messung von Sainte-Claire Deville (Voy. aux Antilles p. 102–118) im Jahr 1842 gab 3706 Meter oder 11408 Fuß: nahe übereinstimmend mit dem Resultate (11430 Fuß) der zweiten trigonometrischen Messung Borda's vom Jahre 1776, welche ich aus dem Manuscrit du Dépôt de la Marine habe zuerst veröffentlichen können (Humboldt, Voy. aux Régions équinox. T. I. p. 116 und 275–287). Borda's erste, mit Pingré gemeinschaftlich unternommene, trigonometrische Messung vom Jahre 1771 gab, statt 11430 Fuß, nur 10452 Fuß. Die Ursach des Irrthums war die falsche Notirung eines Winkels (33' statt 53'): wie mir Borda, dessen großem persönlichen Wohlwollen ich vor meiner Orinoco-Reise so viele nützliche Rathschläge verdanke, selbst erzählte.
Vulkan Gunung Semeru, der höchste aller Berge auf der Insel Java: 11480 F. nach Junghuhn's barometrischer Messung.
Vulkan Erebus, Br. 77° 32', der nächste am SüdpolIch folge der Angabe von Pentland, 12367 engl. Fuß: um so mehr, als in Sir James Roß, Voy. of discovery in the antarctic Regions Vol. I. p. 216, die Höhe des Vulkans, dessen Rauch und Flammen-Ausbrüche selbst bei Tage sichtbar waren, im allgemeinen zu 12400 engl. Fußen (11634 Par. F.) angegeben wird.: nach Sir James Roß 11603 F.
Vulkan ArgäusUeber den Argäus, den Hamilton zuerst bestiegen und barometrisch gemessen (zu 11921 Pariser Fuß oder 3905m), s. Peter von Tchihatcheff, Asie mineure (1853) T. I. p. 441–449 und 571. William Hamilton in seinem vortrefflichen Werke (researches in Asia Minor) erhält als Mittel von einer Barometer-Messung und einigen Höhenwinkeln 13000 feet (12196 Par. F.); wenn aber nach Ainsworth die Höhe von Kaisarieh 1000 feet (938 Par. F.) niedriger ist, als er sie annimmt: nur 11258 Par. F. Vergl. Hamilton in den Transact. of the Geolog. Soc. Vol. V. Part 3. 1840 p. 596. Vom Argäus (Erdschisch-Dagh) gegen Südost, in der großen Ebene von Eregli, erheben sich südlich von dem Dorfe Karabunar und von der Berggruppe Karadscha-Dagh viele, sehr kleine Ausbruch-Kegel. Einer derselben, mit einem Krater versehen, hat eine wunderbare Schiffsgestalt, an dem Vordertheil wie in einen Schnabel auslaufend. Es liegt dieser Krater in einem Salzsee, an dem Wege von Karabunar nach Eregli, eine starke Meile von dem erstern Orte entfernt. Der Hügel führt denselben Namen. (Tchihatcheff T. I. p. 455; William Hamilton, researches in Asia Minor Vol. II. p. 217.) in Cappadocien, jetzt Erdschisch-Dagh, süd-süd-östlich von Kaisarieh: nach Peter von Tschichatscheff 11823 F.
292 Vierte Gruppe, von 12000 bis 16000 Par. Fuß Höhe.
Vulkan von TuqueresDie angegebene Höhe ist eigentlich die des grasgrünen Bergsees Laguna verde, an dessen Rande sich die, von Boussingault untersuchte Solfatare befindet (Acosta, Viajes cientificos á los Andes ecuatoriales 1849 p. 75)., in dem Hochlande der Provincia de los Pastos: nach Boussingault 12030 F.
Vulkan von PastoBoussingault ist bis zum Krater gelangt und hat die Höhe barometrisch gemessen; sie stimmt sehr nahe mit der überein, die ich 23 Jahre früher, auf der Reise von Popayan nach Quito, schätzungsweise bekannt gemacht.: nach Boussingault 12620 F.
Vulkan Mauna RoaDie Höhe weniger Vulkane ist so überschätzt worden als die Höhe des Colosses der Sandwich-Inseln. Wir sehen dieselbe nach und nach von 17270 Fuß (einer Angabe aus der dritten Reise von Cook) zu 15465 F. in King's, zu 15588 F. in Marchand's Messung, zu 12909 F. durch Cap. Wilkes, und zu 12693 F. durch Horner auf der Reise von Kotzebue herabsinken. Die Grundlagen des letztgenannten Resultates hat Leopold von Buch zuerst bekannt gemacht in der descr. phys. des Iles Canaries p. 379. Vergl. Wilkes, Explor. Exped. Vol. IV. p. 111–162. Der östliche Kraterrand hat nur 12609 F. Die Annahme größerer Höhe bei der behaupteten Schneelosigkeit des Mauna Roa (Br. 19° 28') würde dazu dem Resultat widersprechen, daß nach meinen Messungen im mexicanischen Continent in derselben Breite die Grenze des ewigen Schnees schon 13860 Fuß hoch gefunden worden ist (Humboldt, Voy. aux Régions équinox. T. I. p. 97, Asie centr. T. III. p. 269 und 359).: nach Wilkes 12909 F.
Vulkan von CumbalDer Vulkan erhebt sich westlich von dem Dorfe Cumbal, das selbst 9911 Fuß über dem Meere liegt (Acosta p. 76). in der Prov. de los Pastos: 14654 F. nach Boussingault.
Vulkan KljutschewskIch gebe das Resultat von Erman's mehrfachen Messungen im September 1829. Die Höhe der Kraterränder soll Veränderungen durch häufige Eruptionen ausgesetzt sein: denn es hatten im August 1828 Messungen, die dasselbe Vertrauen einflößen konnten, eine Höhe von 15040 F. gegeben. Vergl. Erman's physikalische Beobachtungen auf einer Reise um die Erde Bd. I. S. 400 und 419 mit dem historischen Bericht der Reise Bd. III. S. 358–360. (Kamtschatka): nach Erman 14790 F.
Vulkan Rucu-Pichincha: nach barometrischen Messungen von Humboldt 14940 F.
Vulkan Tungurahua: nach einer trigonometrischen MessungBouguer und La Condamine geben in der Inschrift zu Quito für den Tungurahua vor dem großen Ausbruch von 1772 und vor dem Erdbeben von Riobamba (1797), welches große Bergstürze veranlaßte, 15738 Fuß. Ich fand trigonometrisch im Jahr 1802 für den Gipfel des Vulkans nur 15473 Fuß. von Humboldt 15473 F.
Vulkan von PuracéDie barometrische Messung des höchsten Gipfels vom Volcan de Puracé durch Francisco José Caldas: der, wie mein theurer Freund und Reisebegleiter, Carlos Montufar, als ein blutiges Opfer seiner Liebe für die Unabhängigkeit und Freiheit des Vaterlandes fiel, giebt Acosta (Viajes cientificos p. 70) zu 5184 Metern( 15957 F.) an. Die Höhe des kleinen, Schwefeldampf mit heftigem Geräusch ausstoßenden Kraters (Azufral del Boqueron) habe ich 13524 F. gefunden; Humboldt, Recueil d'Observ. astronomiques et d'opérations trigonom. Vol. I. p. 304. bei Popayan: 15957 F. nach José Caldas.
Fünfte Gruppe, von 16000 bis mehr als 20000 Par. Fuß Höhe.
Vulkan Sangay, südsüdöstlich von Quito: 16068 F. nach Bouguer und La Condamine.Der Sangay ist durch seine ununterbrochene Thätigkeit und seine Lage überaus merkwürdig: noch etwas östlich entfernt von der östlichen Cordillere von Quito, südlich vom Rio Pastaza, in 26 Meilen Abstandes von der nächsten Küste der Südsee: eine Lage, welche (wie die Vulkane des Himmelsgebirges in Asien) eben nicht die Theorie unterstützt, nach der die östlichen Cordilleren in Chili wegen Meeresferne frei von vulkanischen Ausbrüchen sein sollen. Der geistreiche Darwin hat nicht verfehlt dieser alten und weit verbreiteten vulkanischen Littoral-Theorie in den geological observations on South America 1846 p. 185 umständlich zu gedenken.
Vulkan PopocatepetlIch habe den Popocatepetl, welcher auch der Volcan grande de Mexico genannt wird, in der Ebene von Tetimba bei dem Indianer-Dorfe San Nicolas de los Ranchos gemessen. Es scheint mir noch immer ungewiß, welcher von beiden Vulkanen, der Popocatepetl oder der Pic von Orizaba, der höhere sei. Vergl. Humboldt, Recueil d'observ. astron. Vol. II. p. 543.: nach einer trigonometrischen Messung von Humboldt 16632 F.
Vulkan von OrizabaDer mit ewigem Schnee bedeckte Pic von Orizaba: dessen geographische Ortsbestimmung vor meiner Reise überaus irrig auf allen Karten angegeben war, so wichtig auch dieser Punkt für die Schifffahrt bei der Landung in Veracruz ist, wurde zuerst im Jahr 1796 vom Encero aus trigonometrisch durch Ferrer gemessen. Die Messung gab 16776 Fuß. Eine ähnliche Operation habe ich in einer kleinen Ebene bei Xalapa versucht. Ich fand nur 16302 F; aber die Höhenwinkel waren sehr klein und die Grundlinie schwierig zu nivelliren. Vergl. Humboldt, Essai politique sur la Nouvelle-Espagne, 2ème éd. T. I. 1825 p. 166; meinen Atlas du Mexique (Carte des fausses positions) Pl. X, und Kleinere Schriften Bd. I. S. 468.: nach Ferrer 16776 F.
EliasbergHumboldt, Essai sur la Géographie des Plantes 1807 p. 153. Die Höhe ist unsicher, vielleicht mehr als 1/15 zu groß. (Westküste Nordamerika's): nach den Messungen von Quadra und Galiano 16750 F.
Vulkan von TolimaIch habe den abgestumpften Kegel des Vulkans von Tolima, der am nördlichen Ende des Paramo de Quiniu liegt, im Valle del Varvajal bei dem Städtchen Ibagne gemessen im Jahr 1802. Man sieht den Berg ebenfalls, in großer Entfernung, auf der Hochebene von Bogota. In dieser Ferne hat Caldas durch eine etwas verwickelte Combination im Jahr 1806 ein ziemlich angenähertes Resultat (17292 Fuß) gefunden; Semanario de la Nueva Granada, nueva Edicion, aumentada por J. Acosta 1849, p. 349.: nach einer trigonometrischen Messung von Humboldt 17010 F.
Vulkan von ArequipaDie absolute Höhe des Vulkans von Arequipa ist so verschieden angegeben worden, daß es schwer wird zwischen bloßen Schätzungen und wirklichen Messungen zu unterscheiden. Der ausgezeichnete Botaniker der Malaspina'schen Weltumseglung, Dr. Thaddäus Hänke, gebürtig aus Prag, erstieg den Vulkan von Arequipa im Jahr 1796: und fand auf dem Gipfel ein Kreuz, welches bereits 12 Jahre früher aufgerichtet war. Durch eine trigonometrische Operation soll Hänke den Vulkan 3180 Toisen (19080 F.) über dem Meere gefunden haben. Diese, viel zu große Höhen-Angabe entstand wahrscheinlich aus einer irrigen Annahme der absoluten Höhe der Stadt Arequipa, in deren Umgebung die Operation vorgenommen wurde. Wäre damals Hänke mit einem Barometer versehen gewesen, so würde wohl, nachdem er auf den Gipfel gelangt war, ein in trigonometrischen Messungen ganz ungeübter Botaniker nicht zu einer solchen geschritten sein. Nach Hänke erstieg den Vulkan zuerst wieder Samuel Curzon aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika (Boston Philosophical Journal 1823 Nov. p. 168). Im Jahr 1830 schätzte Pentland die Höhe zu 5600 Metern (17240 F.), und diese Zahl (Annuaire du Bureau des Longitudes pour l'an 1830 p. 325) habe ich für meine Carte hypsométrique de la Cordillère des Andes 1831 benutzt. Mit derselben stimmt befriedigend (bis fast 1/47) die trigonometrische Messung eines französischen See-Officiers, Herrn Dolley, überein, die ich 1826 der wohlwollenden Mittheilung des Cap. Alphonse de Moges in Paris verdankte. Dolley fand trigonometrisch den Gipfel des Vulkans von Arequipa 10348 Fuß, den Gipfel des Charcani 11126 F. über der Hochebene, in welcher die Stadt Arequipa liegt. Setzt man nun nach barometrischen Messungen von Pentland und Rivero die Stadt Arequipa 7366 F. (Pentland 7852 feet in der Höhen-Tabelle zur Physical Geography von Mary Somerville, 3te Aufl. Vol. II. p. 454; Rivero im Memorial de ciencias naturales T. II. Lima 1828 p. 65; Meyen, Reise um die Erde Th. II. 1835 S. 5), so giebt mir Dolley's trigonometrische Operation für den Vulkan von Arequipa 17712 Fuß (2952 Toisen), für den Vulkan Charcani 18492 Fuß (3082 Toisen). Die oben citirte Höhen-Tabelle von Pentland giebt aber für den Vulkan von Arequipa 20320 engl. Fuß, 6190 Meter (19065 Par. Fuß): d. i. 1825 Par. Fuß mehr als die Bestimmung von 1830, und nur zu identisch mit Hänke's trigonometrischer Messung des Jahres 1796! Im Widerspruch mit diesem Resultat wird in den Anales de la Universidad de Chile 1852 p. 221 der Vulkan nur zu 5600 Metern oder 17240 Par. Fuß: also um 590 Meter niedriger, angegeben! Ein trauriger Zustand der Hypsometrie!: nach einer trigonometrischen Messung von Dolley 17714 F.?
Vulkan CotopaxiBoussingault, begleitet von dem kenntnißvollen Obristen Hall, hat fast den Gipfel des Cotopaxi erreicht. Er gelangte nach barometrischer Messung bis zu der Höhe von 5746 Metern oder 17698 F. Es fehlte nur ein kleiner Raum bis zum Rande des Kraters, aber die zu große Lockerheit des Schnees verhinderte das Weitersteigen. Vielleicht ist Bouguer's Höhen-Angabe etwas zu klein, da seine complicirte trigonometrische Berechnung von der Hypothese über die Höhe der Stadt Quito abhängt.: 17712 F. nach Bouguer.
Vulkan Sahama (Bolivia)Der Sahama, welchen Pentland (Annuaire du Bureau des Long. pour 1830 p. 321) bestimmt einen noch thätigen Vulkan nennt, liegt nach dessen neuer Karte des Thals von Titicaca (1848) östlich von Arica in der westlichen Cordillere. Er ist 871 Fuß höher als der Chimborazo, und das Höhen-Verhältniß des niedrigsten japanischen Vulkans Kosima zum Sahama ist wie 1 zu 30. Ich habe angestanden den chilenischen Aconcagua, der, 1835 von Fitzroy zu 21767 Par. Fuß angegeben, nach Pentland's Correction 22431 Par. Fuß, nach der neuesten Messung (1815) des Capitäns Kellet auf der Fregatte Herald 23004 feet oder 21584 Par. Fuß hoch ist; in die fünfte Gruppe zu setzen, weil es nach den einander entgegengesetzten Meinungen von Miers (Voyage to Chili Vol. I. p. 283) und Charles Darwin (Journal of researches into the Geology and Natural History of the Various countries visited by the Beagle, 2d ed. p. 291) etwas zweifelhaft bleibt, ob dieser colossale Berg ein noch entzündeter Vulkan ist. Mary Somerville, Pentland und Gilliß (naval astr. Exped. Vol. I. p. 126) läugnen auch die Entzündung. Darwin sagt: »I was surprised at hearing that the Aconcagua was in action the same night (15 Januar 1835), because this mountain most rarely shows any sign of action.«; nach Pentland 20970 F.
293 Der Vulkan, mit welchem die fünfte Gruppe endigt, ist mehr denn zweimal so hoch als der Aetna, fünf und ein halbmal so hoch als der Vesuv. Die Stufenleiter der Vulkane, die ich aufgestellt: von den niedrigen Maaren anhebend (Minen-Trichtern ohne Gerüste: die Olivin-Bomben, von halbgeschmolzenen Schieferstücken umgeben, ausgeworfen haben) und bis zu dem noch entzündeten, ein-und-zwanzig-tausend Fuß hohen Sahama aufsteigend, hat uns gelehrt: daß es keinen nothwendigen Zusammenhang zwischen dem Maximum der Erhebung, dem geringeren Maaße der vulkanischen Thätigkeit und der Natur der sichtbaren Gebirgsart giebt. Beobachtungen, die auf einzelne Länder beschränkt bleiben, können hier leicht zu irrigen Annahmen verleiten. In dem Theile von Mexico z. B., welcher in der heißen Zone liegt, sind alle mit ewigem Schnee bedeckten Berge, d. h. die Culminationspunkte des ganzen Landes, allerdings Vulkane; eben so ist es meist in den Cordilleren von Quito, wenn man die glockenförmigen, im Gipfel nicht geöffneten Trachytberge (den Chimborazo und Corazon) den Vulkanen beigesellen will: dagegen sind in der östlichen Andeskette von Bolivia die Maxima der Gebirgshöhen völlig unvulkanisch. Die Nevados von Sorata (19974 Fuß) und Illimani (19843 Fuß) bestehen aus Grauwacken-Schiefern, die von PorphyrmassenDiese durchbrechenden Porphyrmassen zeigen sich besonders in großer Mächtigkeit nahe am Illimani in Cenipampa (14962 F.) und Totorapampa (12860 F.); auch bildet ein glimmerhaltiger Quarzporphyr: Granaten, und zugleich eckige Fragmente von Kieselschiefer einschließend, die obere Kuppe des berühmten silberreichen Cerro de Potosi (Pentland in Handschriften von 1832). Der Illimani, welchen Pentland erst zu 7315 und nachher zu 6445 Metern angab, ist seit dem Jahre 1847 auch der Gegenstand einer sorgfältigen Messung des Ingenieurs Pissis geworden, der bei Gelegenheit seiner großen trigonometrischen Aufnahme der Llanura de Bolivia den Illimani durch drei Triangel zwischen Calamarca und la Paz im Mittel 6509 Meter hoch fand: was von der letzten Pentland'schen Bestimmung nur um 64m abweicht. S. investigaciones sobre la altitud de los Andes, in den Anales de Chile 1852 p. 217 und 221. durchbrochen sind, und in denen sich (als Zeugen dieses Durchbruchs) Fragmente von Schiefer eingeschlossen finden. Auch in der östlichen Cordillere von Quito, südlich vom Parallel von 1° 35', sind die den Trachyten gegenüber liegenden, ebenfalls in die Region des ewigen Schnees eintretenden, hohen Gipfel (Condorasto, Cuvillan und die Collanes) Glimmerschiefer und Gestellstein. Nach dem, was wir bis jetzt durch die verdienstvollen Arbeiten von Brian 294 H. Hodgson, Jacquemont, Joseph Dalton Hooker, Thomson und Henry Strachey von der mineralogischen Beschaffenheit der größten Höhen des Himalaya wissen, scheinen ebenfalls in diesen die ehemals so genannten uranfänglichen Gebirgsarten: Granit, Gneiß und Glimmerschiefer, aber keine Trachyt-Formationen, sichtbar zu werden. Pentland hat in Bolivia Muschel-Versteinerungen in den silurischen Schiefern am Nevado de Antacaua, 16400 Fuß über dem Meere, zwischen la Paz und Potosi, gefunden. Die ungeheure Höhe, zu welcher nach dem Zeugniß der von Abich aus dem Daghestan, von mir aus den peruanischen Cordilleren (zwischen Guambos und Montan) gesammelten Petrefacten die Kreide-Formation gehoben ist, erinnert recht lebhaft daran, daß unvulkanische Sedimentschichten, voll organischer Reste, nicht zu verwechseln mit vulkanischen Tuffschichten, sich da zeigen: wo weit umher Melaphyre, Trachyte, Dolerite und anderes Pyroxen-Gestein, denen man die hebenden, treibenden Kräfte zuschreibt, in der Tiefe versteckt bleiben. In wie unermeßlichen Strecken der Cordilleren und ihrer östlichen Umgebung ist keine Spur der ganzen Granit-Formation sichtbar!
Da, wie ich schon mehrmals bemerkt, die Frequenz der Ausbrüche eines Vulkans von mehrfachen und sehr verwickelten Ursachen abzuhangen scheint, so ist über das Verhältniß der absoluten Höhe zu der Häufigkeit und dem Maaß der erneuerten Entflammung mit Sicherheit kein allgemeines Gesetz aufzustellen. Wenn in einer kleinen Gruppe die Vergleichung vom Stromboli, dem Vesuv und dem Aetna verleiten kann zu glauben, daß die Anzahl der Eruptionen der Höhe der Vulkane umgekehrt proportional sei; so stehn andere Thatsachen mit diesem Satze in geradem Widerspruche. Sartorius von 295 Waltershausen, der sich um die Kenntniß des Aetna so verdient gemacht hat, bemerkt, daß bei diesem im mittleren Durchschnitt, welchen die letzten Jahrhunderte geben, von sechs zu sechs Jahren ein Ausbruch zu erwarten ist: während daß auf Island, wo eigentlich kein Theil der Insel gegen Zerstörung durch unterseeische Gluth gesichert ist, an dem, 5400 Fuß niedrigeren Hekla die Eruptionen nur alle 70 bis 80 Jahre beobachtet werden.Sartorius von Waltershausen, geognostische Skizze von Island S. 103 und 107. Die Gruppe der Vulkane von Quito bietet einen noch viel auffallenderen Contrast dar. Der 16000 Fuß hohe Vulkan von Sangay ist um vieles thätiger als der kleine Kegelberg Stromboli (2775 F.); er ist unter allen bekannten Vulkanen der, welcher in jeder Viertelstunde die meisten feurigen, weitleuchtenden Schlacken-Auswürfe zeigt. Statt uns in Hypothesen über Causal-Verhältnisse unzugänglicher Erscheinungen zu verirren, wollen wir lieber hier bei sechs Punkten der Erdfläche verweilen, welche in der Geschichte der vulkanischen Thätigkeit vorzugsweise wichtig und lehrreich sind: bei Stromboli, bei der Chimära in Lycien, dem alten Vulkan von Masaya, dem sehr neuen von Izalco, dem Vulkan Fogo auf den capverdischen Inseln und dem colossalen Sangay.
Die Chimära in Lycien und Stromboli, das alte Strongyle, sind die zwei feurigen Erscheinungen vulkanischer Thätigkeit, deren Permanenz, historisch erwiesen, auch am weitesten hinaufreicht. Der conische Hügel von Stromboli, ein Dolerit-Gestein, ist zweimal höher als der Feuerberg auf Volcano (Hiera, Thermessa), dessen letzter großer Ausbruch sich im Jahr 1775 ereignete. Die ununterbrochene Thätigkeit des Stromboli wird von Strabo und Plinius mit der der Insel Lipari, der alten Meligunis, verglichen; »seiner Flamme« aber, d. i. seinen ausgestoßenen Schlacken, »bei 296 weniger Hitze eine größere Reinheit und Leuchtkraft« zugeschrieben.Strabo lib. VI p. 276 Casaub.; Plin. Hist. Nat. III, 9: »Strongyle, quae a Lipara liquidiore flamma tantum differt; e cujus fumo quinam flaturi sint venti, in triduo praedicere involae traduntur.« Vergl. auch Urlichs, vindiciae Plinianae 1853 Fasc. I p. 39. Der, einst so thätige Vulkan von Lipara (im Nordosten der Insel) scheint mir entweder der Monte Campo bianco oder der Monte di Capo Castagno gewesen zu sein. (Vergl. Hoffmann in Poggendorff's Annalen Bd. XXVI. S. 49–54.) Die Zahl und Gestalt der kleinen Feuerschlünde ist sehr wechselnd. Spallanzani's lange für übertrieben gehaltene Darstellung des Kraterbodens ist von einem erfahrneren Geognosten, Friedrich Hoffmann, wie auch noch neuerlichst von einem scharfsinnigen Physiker, A. de Quatrefages, vollkommen bestätigt worden. Einer der rothglühenden Feuerschlünde hat eine Oeffnung von nur 20 Fuß Durchmesser; es gleicht dieselbe dem Schacht eines hohen Ofens: und man sieht in ihr zu jeder Stunde, oben an dem Kraterrande gelagert, das Aufsteigen und Ueberwallen der flüssigen Lava. Die, uralten, permanenten Ausbrüche des Stromboli dienen noch jetzt bisweilen zur Orientirung der Schiffenden; und durch Beobachtung der Richtung der Flamme und der aufsteigenden Dampfsäule, wie bei den Griechen und Römern, zu unsicherer Wetterprophezeiung. An die Mythe von des Aeolus frühestem Aufenthalte auf Strongyle, und mehr noch an Beobachtungen über das damals heftige Feuer auf Volcano (der »heiligen Insel des Hephaistos«), knüpft Polybius, der eine sonderbar genaue Kenntniß von dem Zustand des Kraters verräth, die mannigfaltigen Kennzeichen einer nahen Windveränderung. Die Frequenz der Feuer-Erscheinung hat in der neuesten Zeit einige Unregelmäßigkeit gezeigt. Die Thätigkeit des Stromboli ist, wie die des Aetna nach Sartorius von Waltershausen, am größten im November und in den Wintermonaten. Sie wird bisweilen durch einzelne Ruhepunkte unterbrochen; letztere sind aber, wie eine Erfahrung von vielen Jahrhunderten lehrt, von sehr kurzer Dauer.
Die Chimära in Lycien, welche der Admiral Beaufort so trefflich beschrieben und deren ich schon zweimal erwähnt 297 habeKosmos Bd. I. S. 231 und 448 (Anm. 207), Bd. IV. S. 509 (Anm. 1986). Herr Albert Berg, der früher ein malerisches Werk: Physiognomie der Tropischen Vegetation von Südamerika, herausgegeben, hat 1853 von Rhodos und der Bucht von Myra (Andriace) aus die Chimära in Lycien bei Deliktasch und Yanartasch besucht. (Das türkische Wort tâsch bedeutet Stein, wie dâgh und tâgh Berg; Deliktasch bedeutet: durchlöcherter Stein, vom türk. delik, Loch.) Der Reisende sah das Serpentinstein-Gebirge zuerst bei Adrasan: während Beaufort schon bei der Insel Garabusa (nicht Grambusa), südlich vom Cap Chelidonia, den dunkelfarbigen Serpentin auf Kalkstein angelagert, vielleicht ihm eingelagert, fand. »Nahe bei den Ueberbleibseln des alten Vulkans-Tempels erheben sich die Reste einer christlichen Kirche im späten byzantinischen Style: Reste des Hauptschiffs und zweier Seiten-Capellen. In einem gegen Osten gelegenen Vorhofe bricht die Flamme in dem Serpentin-Gestein aus einer etwa 2 Fuß breiten und 1 Fuß hohen, caminartigen Oeffnung hervor. Sie schlägt 3 bis 4 Fuß in die Höhe, und verbreitet (als Naphtha-Quelle?) einen Wohlgeruch, der sich bis in die Entfernung von 40 Schritten bemerkbar macht. Neben dieser großen Flamme und außerhalb der caminartigen Oeffnung erscheinen auch auf Nebenspalten mehrere sehr kleine, immer entzündete, züngelnde Flammen. Das Gestein, von der Flamme berührt, ist stark geschwärzt; und der abgesetzte Ruß wird gesammelt, zur Linderung der Schmerzen in den Augenliedern und besonders zur Färbung der Augenbraunen. In drei Schritt Entfernung von der Chimära-Flamme ist die Wärme, die sie verbreitet, schwer zu ertragen. Ein Stück dürres Holz entzündet sich, wenn man es in die Oeffnung hält und der Flamme nähert, ohne sie zu berühren. Da, wo das alte Gemäuer an den Felsen angelehnt ist, dringt auch aus den Zwischenräumen der Steine des Gemäuers Gas aus: das, wahrscheinlich von niederer Temperatur oder anders gemengt, sich nicht von selbst entzündet, wohl aber durch ein genähertes Licht. Acht Fuß unter der großen Flamme, im Inneren der Ruine, findet sich eine runde, 6 Fuß tiefe, aber nur 3 Fuß weite Oeffnung, welche wahrscheinlich einst überwölbt war, weil ein Wasserquell dort in der feuchten Jahreszeit ausbricht, neben einer Spalte, über der ein Flämmchen spielt.« (Aus der Handschrift des Reisenden.) – Auf einem Situationsplan zeigt Berg die geographischen Verhältnisse der Alluvialschichten, des (Tertiär-?) Kalksteins und des Serpentin-Gebirges., ist kein Vulkan, sondern ein perpetuirlicher Feuerbrunnen, eine durch die vulkanische Thätigkeit des Erd-Inneren immerfort entzündete Gasquelle. Dieselbe hat vor wenigen Monaten ein talentvoller Künstler, Albert Berg, besucht: um diese, in dem hohen Alterthume (seit den Zeiten des Ctesias und Scylax aus Caryanda) schon berühmte Oertlichkeit malerisch aufzunehmen, und die Gebirgsarten zu sammeln, aus denen die Chimära ausbricht. Die Beschreibungen von Beaufort, Professor Edward Forbes und Lieutenant Spratt in den Travels in Lycia finden sich vollkommen bestätigt. Eine Eruptiv-Masse von Serpentin-Gestein durchsetzt den dichten Kalkstein in einer Schlucht, die von Südost in Nordwest ansteigt. An dem nordwestlichen Ende dieser Schlucht ist der Serpentinstein durch einen in einen Bogen gekrümmten Kamm von Kalkfelsen abgeschnitten oder vielleicht bloß verdeckt. Die mitgebrachten Stücke sind theils grün und frisch, theils braun und im Zustand der Verwitterung. In beiden Serpentinen ist Diallag deutlich erkennbar.
Der Vulkan von MasayaDie älteste und wichtigste Notiz über den Vulkan von Masaya ist in einem erst vor 14 Jahren von dem verdienstvollen historischen Sammler Ternaux-Compans edirten Manuscripte Oviedo's: Historia de Nicaragua (cap. V bis X) enthalten; s. p. 115–197. Die französische Uebersetzung bildet einen Band der Voyages, Relations et Mémoires originaux pour servir à l'histoire et à la découverte de l'Amérique. Vgl. auch Lopez de Gomara, Historia general de las Indias (Zaragoza 1553) fol. CX,b; und unter den neuesten Schriften Squier, Nicaragua, its people, scenery and monuments 1853 Vol. I. p. 211–223 und Vol. II. p. 17. So weit berufen war der unausgesetzt speiende Berg, daß sich in der königlichen Bibliothek zu Madrid eine eigene Monographie von dem Vulkan Masaya, unter dem Titel vorfindet: Entrada y descubrimiento del Volcan de Masaya, que está en la Prov. de Nicaragua, fecha por Juan Sanchez del Portero. Der Verfasser war Einer von denen, welche sich in den wunderbaren Expeditionen des Dominicaner-Mönchs Fray Blas de Iñesta in den Krater herabließen. (Oviedo, Hist. de Nicaragua p. 141.), dessen Ruf unter dem Namen der Hölle, el Infierno de Masaya, schon im Anfang des 16ten Jahrhunderts weit verbreitet war und zu Berichten an Kaiser Carl V Anlaß gab, liegt zwischen den beiden Seen Nicaragua und Managua, südwestlich von dem reizenden Indianer-Dorfe Nindiri. Er bot Jahrhunderte lang dasselbe seltene Phänomen dar, das wir am Vulkan von Stromboli beschrieben haben. Man sah vom Kraterrande aus, in dem rothglühenden Schlunde, die von Dämpfen bewegten, auf- und niederschlagenden Wellen flüssiger Lava. Der spanische Geschichtsschreiber Gonzalez Fernando de Oviedo bestieg den Masaya zuerst im Juli 1529, und stellte Vergleichungen an 298 mit dem Vesuv, welchen er früher (1501) in Begleitung der Königinn von Neapel als ihr xefe de guardaropa besucht hatte. Der Name Masaya gehört der Chorotega-Sprache von Nicaragua an und bedeutet brennender Berg. Der Vulkan, von einem weiten Lavafelde (mal-pays) umgeben, das er wahrscheinlich selbst erzeugt hat, wurde damals zu der Berggruppe der »neun brennenden Maribios« gezählt. In dem gewöhnlichen Zustande, sagt Oviedo, steht die Oberfläche der Lava, auf welcher schwarze Schlacken schwimmen, mehrere hundert Fuß unter dem Kraterrande; bisweilen aber ist die Aufwallung plötzlich so groß, daß die Lava fast den oberen Rand erreicht. Das perpetuirliche Lichtphänomen wird, wie Oviedo sich bestimmt und scharfsinnig ausdrückt, nicht durch eine eigentliche FlammeIn der von Ternaux-Compans gegebenen französischen Uebersetzung heißt es p. 123 und 132: »On ne peut cependant dire qu'il sorte précisément une flamme du cratère, mais bien une fumée aussi ardente que du feu; on ne la voit pas de loin pendant le jour, mais bien de nuit. Le Volcan éclaire autant que le fait la lune quelques jours avant d'être dans son plein.« Diese so alte Bemerkung über die problematische Art der Erleuchtung eines Kraters und der darüber stehenden Luftschichten ist nicht ohne Bedeutung, wegen der so oft in neuester Zeit angeregten Zweifel über die Entbindung von Wasserstoffgas aus den Krateren der Vulkane. Wenn auch in dem gewöhnlichen hier bezeichneten Zustande die Hölle von Masaya nicht Schlacken oder Asche auswarf (Gomara setzt hinzu: cosa que hazen otros volcanes), so hat sie doch bisweilen wirkliche Lava-Ausbrüche gehabt: und zwar wahrscheinlich den letzten im Jahr 1670. Seitdem ist der Vulkan ganz erloschen, nachdem ein perpetuirliches Leuchten 140 Jahre lang beobachtet worden war. Stephens, der ihn 1840 bestieg, fand keine bemerkbare Spur der Entzündung. Ueber die Chorotega-Sprache, die Bedeutung des Wortes Masaya und die Maribios s. Buschmann's scharfsinnige ethnographische Untersuchungen über die aztekischen Ortsnamen S. 130, 140 und 171., sondern durch von unten erleuchteten Dampf verursacht. Es soll von solcher Intensität gewesen sein, daß auf dem Wege vom Vulkan nach Granada, in mehr als drei leguas Entfernung, die Erleuchtung der Gegend fast der des Vollmondes glich.
Acht Jahre nach Oviedo erstieg den Vulkan der Dominicaner-Mönch Fray Blas del Castillo: welcher die alberne Meinung hegte, daß die flüssige Lava im Krater flüssiges Gold sei, und sich mit einem eben so habsüchtigen Franciscaner-Mönche aus Flandern, Fray Juan de Gandavo, verband. Beide, die Leichtgläubigkeit der spanischen Ankömmlinge benutzend, stifteten eine Actien-Gesellschaft, um auf gemeinschaftliche Kosten das Metall zu erbeuten. Sie selbst, setzt Oviedo satirisch hinzu, erklärten sich als Geistliche von allem pecuniären Zuschusse befreit. Der Bericht, welchen über die Ausführung dieses kühnen Unternehmens Fray Blas del Castillo (dieselbe Person, die in den Schriften von Gomara, Benzoni und Herrera 299 Fray Blas de Iñesta genannt wird) an den Bischof von Castilla del Oro, Thomas de Verlenga, erstattete, ist erst (1840) durch das Auffinden von Oviedo's Schrift über Nicaragua bekannt geworden. Fray Blas, der früher als Matrose auf einem Schiffe gedient hatte, wollte die Methode nachahmen, mittelst welcher, an Seilen über dem Meere hangend, die Einwohner der canarischen Inseln den Färbestoff der Orseille (Lichen Roccella) an schroffen Felsen sammeln. Es wurden Monate lang, oft geänderte Vorrichtungen getroffen, um vermittelst eines Drehhaspels und Krahns einen mehr als 30 Fuß langen Balken über dem tiefen Abgrund hervortreten zu lassen. Der Dominicaner-Mönch, das Haupt mit einem eisernen Helm bedeckt und ein Crucifix in der Hand, wurde mit drei anderen Mitgliedern der Association herabgelassen; sie blieben eine ganze Nacht in diesem Theil des festen Kraterbodens: von dem aus sie mit irdenen Gefäßen, die in einem eisernen Kessel standen, vergebliche Versuche zum Schöpfen des vermeinten flüssigen Goldes machten. Um die Actionäre nicht abzuschrecken, kamen sie überein»Les trois compagnons convinrent de dire qu'ils avaient trouvé de grandes richesses; et Fray Blas, que j'ai connu comme un homme ambitieux, rapporte dans sa relation le serment que lui et les associés firent sur l'évangile, de persister à jamais dans leur opinion que le volcan contient de l'or mêlé d'argent en fusion!« Oviedo, Descr. de Nicaragua cap. X p. 186 und 196. Der Cronista de las Indias ist übrigens sehr darüber erzürnt (cap. V), daß Fray Blas erzählt habe, »Oviedo habe sich die Hölle von Masaya vom Kaiser zum Wappen erbeten«. Gegen heraldische Gewohnheiten der Zeit wäre solche geognostische Erinnerung übrigens nicht gewesen; denn der tapfere Diego de Ordaz: der sich rühmte, als Cortes zuerst in das Thal von Mexico eindrang, bis an den Krater des Popocatepetl gelangt zu sein, erhielt diesen Vulkan: wie Oviedo das Gestirn des südlichen Kreuzes, und am frühesten Columbus (Exam. crit. T. IV. p. 235–240) ein Fragment von einer Landkarte der Antillen, als einen heraldischen Schmuck. zu sagen, wenn sie herausgezogen würden, sie hätten große Reichthümer gefunden, und die Hölle (el Infierno) von Masaya verdiente künftig el Paraiso de Masaya genannt zu werden. Die Operation wurde später mehrmals wiederholt, bis der Governador der nahen Stadt Granada Verdacht des Betruges oder gar einer Defraudation des Fiscus schöpfte und »ferner sich an Seilen in den Krater herabzulassen« verbot. Dies geschah im Sommer 1538; aber 1551 erhielt dennoch wieder der Decan des Capitels von Leon, Juan Alvarez, die naive Erlaubniß von Madrid, »den Vulkan zu öffnen und das Gold zu gewinnen, welches er enthalte«. So fest stand der Volksglaube im 16ten Jahrhundert. Mußten 300 doch noch im Jahr 1822 in Neapel Monticelli und Covelli durch chemische Versuche erweisen, daß die am 28 October ausgeworfene Asche des Vesuvs kein Gold enthalte!Humboldt, Ansichten der Natur Bd. II. S. 276.
Der Vulkan von Izalco, welcher an der Westküste Central-Amerika's, 8 Meilen nördlich von San Salvador und östlich von dem Hafen von Sonsonate, liegt, ist 11 Jahre später ausgebrochen als der Vulkan von Jorullo tief im Inneren des mexicanischen Landes. Beide Ausbrüche geschahen in einer cultivirten Ebene und nach mehrmonatlichen Erdbeben und unterirdischem Brüllen (bramidos). Es erhob sich im Llano de Izalco ein conischer Hügel, und mit seiner Erhebung begann aus dessen Gipfel ein Lava-Erguß am 23 Februar 1770. Was bei schnell zunehmender Höhe der Erhebung des Bodens: was der Aufhäufung von ausgeworfenen Schlacken, Asche und Tuffmassen zuzuschreiben sei; bleibt bis jetzt unentschieden; nur so viel ist gewiß, daß seit dem ersten Ausbruch der neue Vulkan: statt, wie der Jorullo, bald zu erlöschen, in ununterbrochener Thätigkeit geblieben ist und oft den Schiffern bei der Landung in der Bai von Acayutla als Leuchtthurm dient. Man zählt in der Stunde vier feurige Eruptionen, und die große Regelmäßigkeit des Phänomens hat die wenigen genauen Beobachter desselben in Erstaunen gesetzt.Squier, Nicaragua, its people and monuments Vol. II. p. 104 (John Baily, Central America 1850 p. 75). Die Stärke der Ausbrüche war wechselnd, nicht aber die Zeit ihres jedesmaligen Eintretens. Die Höhe, welche der Vulkan von Izalco jetzt nach der letzten Eruption von 1825 erlangt hat, wird zu ohngefähr 1500 Fuß geschätzt: fast gleich der Höhe, die der Vulkan von Jorullo über der ursprünglichen cultivirten Ebene erreicht; aber fast viermal höher als der Erhebungs-Krater (Monte Nuovo) in den phlegräischen Feldern: welchem ScacchiMemoire geologiche sulla Campania 1849 p. 61. Die Höhe des Vulkans von Jorullo habe ich über der Ebene, in welcher er aufgestiegen, 1578 Fuß, über der Meeresfläche 4002 Fuß gefunden. nach genauer Messung 405 Fuß 301 giebt. Die permanente Thätigkeit des Vulkans von Izalco, welchen man lange als ein Sicherheits-Ventil für die Umgegend von San Salvador betrachtete, hat die Stadt doch nicht vor der völligen Zerstörung in der Osternacht dieses Jahres (1854) bewahrt.
Die capverdische Insel, welche sich zwischen S. Jago und Brava erhebt, hat früh von den Portugiesen den Namen Ilha do Fogo erhalten, weil sie, wie Stromboli, von 1680 bis 1713 ununterbrochen Feuer gab. Nach langer Ruhe entzündete sich der Vulkan dieser Insel von neuem im Sommer des Jahres 1798, kurz nach dem letzten Seiten-Ausbruch des Pics von Teneriffa im Krater von Chahorra: der irrig, als wäre er ein eigener Berg, der Vulkan von Chahorra genannt wird.
Der thätigste von allen Vulkanen Südamerika's, ja von allen, die ich hier einzeln aufgeführt habe, ist der Sangay: der auch Volcan de Macas genannt wird, weil die Reste dieser alten, in der ersten Zeit der Conquista volkreichen Stadt am Rio Upano nur 7 geographische Meilen südlicher liegen. Der colossale Berg, von 16068 Fuß Höhe, hat sich am östlichen Abhange der östlichen Cordillere erhoben: zwischen zwei Systemen von Zuflüssen des Amazonenstroms, denen des Pastaza und des Upano. Das große, unvergleichbare Feuerphänomen, das er jetzt darbietet, scheint erst im Jahr 1728 begonnen zu haben. Bei der astronomischen Gradmessung von Bouguer und La Condamine (1738 bis 1740) diente der Sangay als ein perpetuirliches Feuersignal.La Condamine, Journal du Voyage à l'Équateur p. 163; derselbe in der Mesure de trois Degrés de la Méridienne de l'Hémisphère austral p. 56. Ich selbst hörte Monate lang im Jahr 1802, besonders am frühen Morgen, seinen Donner in Chillo, dem anmuthigen Landsitze des Marques de Selvalegre nahe bei Quito: wie ein 302 halbes Jahrhundert früher Don Jorge Juan die ronquidos del Sangay etwas weiter nordöstlich, bei Pintac, am Fuß des AntisanaIn dem Landhause des Marques de Selvalegre, des Vaters meines unglücklichen Begleiters und Freundes Don Carlos Montufar, war man oft geneigt die bramidos: welche dem Abfeuern einer fernen Batterie schweren Geschützes glichen und in ihrer Intensität, bei gleichem Winde, gleicher Heiterkeit der Luft und gleicher Temperatur, so überaus ungleich waren; nicht dem Sangay, sondern dem Guacamayo, einem 10 geographische Meilen näheren Berge, zuzuschreiben, an dessen Fuße ein Weg von Quito über die Hacienda de Antisana nach den Ebenen von Archidona und des Rio Napo führt. (S. meine Special-Karte der Provinz Quixos. No. 23 meines Atlas géogr. et phys. de l'Amér. 1814–1834.) Don Jorge Juan, welcher den Sangay in größerer Nähe als ich hat donnern hören, sagt bestimmt, daß die bramidos, die er ronquidos del Volcan (relacion del Viage á la America meridional Parte I. Tomo 2 p. 569) nennt und in Pintac, wenige Meilen von der Hacienda de Chillo, vernahm, dem Sangay oder Volcan de Macas zugehören: dessen Stimme, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, sehr charakteristisch sei. Dem spanischen Astronomen schien diese Stimme besonders rauh, daher er sie lieber ein Schnarchen (un ronquido) als ein Gebrüll (bramido) nennt. Das sehr unheimliche Geräusch des Vulkans Pichincha, das ich mehrmals ohne darauf erfolgende Erdstöße bei Nacht, in der Stadt Quito, gehört, hat etwas hell klirrendes, als würde mit Ketten gerasselt und als stürzten glasartige Massen auf einander. Am Sangay beschreibt Wisse das Geräusch bald wie rollenden Donner, bald abgesetzt und trocken, als befände man sich in nahem Peloton-Feuer. Bis Payta und San Buenaventura (im Choco), wo die bramidos des Sangay, d. i. sein Krachen, gehört wurden, sind vom Gipfel des Vulkans in südwestlicher Richtung 63 und 87 geographische Meilen. (Vergl. Carte de la Prov. du Choco und Carte hypsométrique des Cordillères, No. 23 und 3 von meinem Atlas géogr. et physique.) So sind in dieser mächtigen Natur: den Tungurahua und den, Quito näheren Cotopaxi, dessen Krachen ich im Februar 1803 (Kleinere Schriften Bd. I. S. 384) in der Südsee gehört habe, mit eingerechnet, an nahen Punkten die Stimmen von vier Vulkanen vernommen worden. Die Alten erwähnen auch »des Unterschiedes des Getöses«, welches auf den Aeolischen Inseln zu verschiedenen Zeiten derselbe Feuerschlund gebe (Strabo lib. VI p. 276). Bei dem großen Ausbruch (23 Januar 1835) des Vulkans von Conseguina, welcher an der Südsee-Küste am Eingange des Golfs von Fonseca in Central-Amerika liegt, war die unterirdische Fortpflanzung des Schalles so groß, daß man letzteren auf der Hochebene von Bogota deutlichst vernahm: eine Entfernung wie die vom Aetna bis Hamburg. (Acosta in den Viajes cientificos de Mr. Boussingault á los Andes 1849 p. 56.), vernommen hatte. In den Jahren 1842 und 1843, wo die Eruptionen mit dem meisten Getöse verbunden waren, hörte man dasselbe deutlichst nicht bloß im Hafen von Guayaquil, sondern auch weiter südlich längs der Südsee-Küste, bis Payta und San Buenaventura: in einem Abstande wie Berlin von Basel, die Pyrenäen von Fontainebleau, oder London von Aberdeen. Wenn seit dem Anfang des jetzigen Jahrhunderts die Vulkane von Mexico, Neu-Granada, Quito, Bolivia und Chili von einigen Geognosten besucht worden sind; ist leider! der Sangay, der den Tungurahua an Höhe übertrifft, wegen seiner einsamen, von allen Communications-Wegen entfernten Lage, völlig vernachlässigt geblieben. Erst im December 1849 hat ihn ein kühner und kenntnißvoller Reisender, Sebastian Wisse, nach einem fünfjährigen Aufenthalte in der Andeskette, bestiegen; und ist fast bis zum äußersten Gipfel des, mit Schnee bedeckten, steilen Kegels gelangt. Er hat sowohl die so wunderbare Frequenz der Auswürfe genau chronometrisch bestimmt, als auch die Beschaffenheit des, auf einen so engen Raum eingeschränkten, den Gneiß durchbrechenden Trachyts untersucht. Es wurdenKosmos Bd. IV. S. 230., wie schon oben bemerkt, 267 Eruptionen in 1 Stunde gezählt: jede dauernd im Mittel 13",4 und, was sehr auffallend ist, von keiner am Aschenkegel bemerkbaren Erschütterung begleitet. Das Ausgeworfene, in vielen Rauch von bald grauer, bald orangegelber Farbe gehüllt, ist der größeren Masse nach ein Gemenge von schwarzer Asche und Rapilli; aber theilweise sind es auch Schlacken, die senkrecht aufsteigen, in kugliger Form und von einem Durchmesser von 15 bis 16 Zoll. In einem der stärkeren Auswürfe zählte 303 Wisse als gleichzeitig ausgeworfen doch nur 50 bis 60 glühende Steine. Sie fallen meist wieder in den Krater zurück; bisweilen bedecken sie dessen oberen Rand: oder gleiten bei Nacht, fern leuchtend, an einem Theil des Conus herab: was wahrscheinlich in großer Ferne bei La Condamine zu der irrigen Meinung von »einem Erguß brennenden Schwefels und Erdpechs« Veranlassung gab. Die Steine steigen einzeln nach einander auf: so daß die einen im Herabfallen begriffen sind, während andere erst den Krater verlassen. Durch genaue Zeitbestimmung wurde der sichtbare Fallraum (also bis zum Kraterrande gerechnet) im Mittel nur zu 737 Fuß bestimmt. Am Aetna gelangen die ausgeworfenen Steine, zufolge der Messungen von Sartorius v. Waltershausen und dem Astronomen Dr. Christian Peters, bis zu 2500 Fuß Höhe über den Kraterwänden. Gemellaro's Schätzungen während der Aetna-Eruption von 1832 gaben sogar eine dreifach größere Höhe. Die schwarze ausgeworfene Asche bildet am Abhange des Sangay und 3 Meilen im Umkreise drei- bis vierhundert Fuß dicke Schichten. Die Farbe der Asche und der Rapilli giebt dem oberen Theil des Kegels einen furchtbar ernsten Charakter. Es ist hier noch einmal auf die colossale Größe dieses Vulkans, welche die des Stromboli sechsmal übertrifft, die Aufmerksamkeit zu richten: da diese Betrachtung dem absoluten Glauben, daß die niederen Feuerberge immer die häufigsten Ausbrüche haben, kräftig entgegentritt.
Mehr noch als die Gestalt und Höhe der Vulkane ist ihre Gruppirung wichtig, weil sie auf das große geologische Phänomen der Erhebung auf Spalten führt. Diese Gruppen, sie mögen nach Leopold von Buch in Reihen oder um einen Central-Vulkan vereinigt aufgestiegen sein, bezeichnen die 304 Theile der Erdrinde, wo der Ausbruch des geschmolzenen Inneren: sei es durch die mindere Dicke der Gesteinschichten, sei es durch ihre Naturbeschaffenheit oder ursprüngliche Zerklüftung, minderen Widerstand gefunden hat. Drei Breitengrade umfaßt der Raum, in dem die vulkanische Thätigkeit sich furchtbar äußert im Aetna, in den Aeolischen Inseln, im Vesuv, und dem Brandland (den phlegräischen Feldern), von Puteoli (Dicäarchia) an bis Cumä und bis zum feuerspeienden Epomeus auf Ischia, der tyrrhenischen Affen-Insel Aenaria. Ein solcher Zusammenhang analoger Erscheinungen konnte den Griechen nicht entgehen. Strabo sagt: »Das ganze von Cumä beginnende Meer bis Sicilien ist mit Feuer durchzogen, und hat in der Tiefe gewisse, unter einander und mit dem Festlande sich in eins verbindende Hohlgänge.Vergl. Strabo lib. V p. 248 Casaub.: ἔχει κοιλίας τινάς; und lib. VI p. 276. – Ueber eine zwiefache Entstehungsart der Inseln äußert sich der Geograph von Amasia (VI p. 258) mit vielem geologischen Scharfsinn. Einige Inseln, sagt er (und er nennt sie), »sind Bruchstücke des festen Landes; andere sind aus dem Meere, wie noch jetzt sich zuträgt, hervorgegangen. Denn die Hochsee-Inseln (die weit hinaus im Meere liegenden) wurden wahrscheinlich aus der Tiefe emporgehoben, hingegen die an Vorgebirgen liegenden und durch eine Meerenge getrennten ist es vernunftgemäßer als vom Festlande abgerissen zu betrachten.« (Nach Verdeutschung von Groskurd.) – Die kleine Gruppe der Pithecusen bestand aus Ischia, wohl ursprünglich Aenaria genannt, und Procida (Prochyta). Warum man sich diese Gruppe als einen alten Affensitz dachte: warum die Griechen und die italischen Tyrrhener, also Etrusker, ihn als solchen benannten (Affen hießen tyrrhenisch ἄριμοι, Strabo lib. XIII p. 626): bleibt sehr dunkel, und hängt vielleicht mit dem Mythus zusammen, nach welchem die alten Bewohner von Jupiter in Affen verwandelt wurden. Der Affen-Name ἄριμοι erinnerte an Arima oder die Arimer des Homer Il. II, 783 und des Hesiodus, Theog. v. 301. Die Worte εἰν Ἀρίμοις des Homer werden in einigen Codd. in eins zusammengezogen, und in dieser Zusammenziehung finden wir den Namen bei den römischen Schriftstellern (Virg. Aen. IX, 716; Ovid. Metam. XIV, 88). Plinius (Hist. Nat. III, 5) sagt sogar bestimmt: »Aenaria, Homero Inarime dicta, Graecis Pithecusa....« Das homerische Land der Arimer, Typhons Lagerstätte, hat man im Alterthume selbst gesucht in Cilicien, Mysien, Lydien, in den vulkanischen Pithecusen, an dem Crater Puteolanus und in dem phrygischen Brandland, unter welchem Typhon einst lag, ja in der Katakekaumene. Daß in historischen Zeiten Affen auf Ischia gelebt haben, so fern von der afrikanischen Küste: ist um so unwahrscheinlicher, als, wie ich schon an einem anderen Orte bemerkt, selbst am Felsen von Gibraltar das alte Dasein der Affen nicht erwiesen scheint, weil Edrisi (im 12ten Jahrhundert) und andere, die Hercules-Straße so umständlich beschreibende, arabische Geographen ihrer nicht erwähnen. Plinius läugnet auch die Affen von Aenaria, leitet aber den Namen der Pithecusen auf die unwahrscheinlichste Weise von πίϑος, dolium (a figlinis doliorum), her. »Die Hauptsache in dieser Untersuchung scheint mir«, sagt Böckh, »daß Inarima ein durch gelehrte Deutung und Fiction entstandener Name der Pithecusen ist, wie Corcyra auf diese Weise zu Scheria wurde; und daß Aeneas mit den Pithecusen (Aeneae insulae) wohl erst durch die Römer in Verbindung gesetzt worden ist, welche überall in diesen Gegenden ihren Stammvater finden. Für den Zusammenhang mit Aeneas soll auch Nävius zeugen im ersten Buche vom punischen Kriege.« Es zeigen sich in solcher (entzündlicher) Natur, wie ihn Alle beschreiben, nicht nur der Aetna, sondern auch die Gegenden um Dicäarchia und Neapolis, um Bajä und Pithecusä«; daraus entstand die Fabel, daß Typhon unter Sicilien lagere und daß, wenn er sich kehre, Flammen und Gewässer hervorbrechen, ja zuweilen auch kleine Eilande mit siedendem Wasser. »Oftmals sind zwischen Strongyle und Lipara (in diesem weiten Bezirke) auf die Oberfläche des Meeres hervorbrechende Flammen gesehen worden, indem das Feuer aus den Höhlungen in der Tiefe sich einen Durchgang öffnete und mit Gewalt nach außen hervordrang.« Im PindarPind. Pyth. I, 31. Vergl. Strabo V p. 245 und 248, XIII p. 627. Wir haben bereits oben (Kosmos Bd. IV. S. 508 [Anm. 1982]) bemerkt, daß Typhon vom Caucasus nach Unter-Italien floh: als deute die Mythe an, daß die vulkanischen Ausbrüche im letzteren Lande minder alt seien wie die auf dem caucasischen Isthmus. Von der Geographie der Vulkane wie von ihrer Geschichte ist die Betrachtung mythischer Ansichten im Volksglauben nicht zu trennen. Beide erläutern sich oft gegenseitig. Was auf der Oberfläche der Erde für die mächtigste der bewegenden Kräfte gehalten wurde (Aristot. Meteorol. II. 8, 3): der Wind, das eingeschlossene Pneuma; wurde als die allgemeine Ursach der Vulcanicität (der feuerspeienden Berge und der Erdbeben) erkannt. Die Naturbetrachtung des Aristoteles war auf die Wechselwirkung der äußeren und der inneren, unterirdischen Luft; auf eine Ausdünstungs-Theorie; auf Unterschiede von warm und kalt, von feucht und trocken gegründet (Aristot. Meteor. II, 8. 1, 25, 31 und II, 9. 2). Je größer die Masse des »in unterirdischen und unterseeischen Hohlgängen« eingeschlossenen Windes ist; je mehr sie gehindert sind, in ihrer natürlichen, wesentlichen Eigenschaft, sich weithin und schnell zu bewegen: desto heftiger werden die Ausbrüche. »Vis fera ventorum, caecis inclusa cavernis« (Ovid. Metam. XV, 299). Zwischen dem Pneuma und dem Feuer ist ein eigener Verkehr. (Τὸ πῦρ ὅταν μετὰ πνεύματος ἦ, γίνεται φλὸξ καὶ φέρεται ταχέως; Aristot. Meteor. II, 8. 3. – καὶ γὰρ τὸ πῦρ οἷον πνεύματός τις φύσις; Theophrast. de igne § 30 p. 715.) Auch aus den Wolken sendet das plötzlich frei gewordene Pneuma den zündenden und weitleuchtenden Wetterstrahl (πρηστήρ). »In dem Brandlande, der Katakekaumene von Lydien«, sagt Strabo (lib. XIII p. 628), »werden noch drei, volle vierzig Stadien von einander entfernte Schlünde gezeigt, welche die Blasebälge heißen; darüber liegen rauhe Hügel, welche wahrscheinlich von den emporgeblasenen Glühmassen aufgeschichtet wurden.« Schon früher hatte der Amasier angeführt (lib. I p. 57): »daß zwischen den Cycladen (Thera und Therasia) vier Tage lang Feuerflammen aus dem Meere hervorbrachen, so daß die ganze See siedete und brannte; und es wurde wie durch Hebel allmälig emporgehoben eine aus Glühmassen zusammengesetzte Insel.« Alle diese wohl beschriebenen Erscheinungen werden dem zusammengepreßten Winde beigemessen, der wie elastische Dämpfe wirken soll. Die alte Physik kümmert sich wenig um die einzelnen Wesenheiten des Stoffartigen; sie ist dynamisch, und hängt an dem Maaße der bewegenden Kraft. – Die Ansicht von der mit der Tiefe zunehmenden Wärme des Planeten als Ursach von Vulkanen und Erdbeben finden wir erst gegen das Ende des dritten Jahrhunderts ganz vereinzelt unter Diocletian von einem christlichen Bischof in Afrika ausgesprochen (Kosmos Bd. IV. S. 244). Der Pyriphlegethon des Plato nährt als Feuerstrom, der im Erdinneren kreist, alle lavagebende Vulkane: wie wir schon oben (S. 305) im Texte erwähnt haben. In den frühesten Ahndungen der Menschheit, in einem engen Ideenkreise liegen die Keime von dem, was wir jetzt unter der Form anderer Symbole erklären zu können glauben. ist der Körper des Typhon von solcher Ausdehnung, daß »Sicilien und die meerumgrenzten Höhen über Cumä (Phlegra, das Brandfeld, genannt) auf der zottigen Brust des Unthiers liegen«.
So war Typhon (der tobende Enceladus) in der griechischen Volksphantasie die mythische Bezeichnung der unbekannten, 305 tief im Inneren der Erde liegenden Ursach vulkanischer Erscheinungen. Durch seine Lage und Raumausfüllung wurden angedeutet die Begrenzung und das Zusammenwirken einzelner vulkanischer Systeme. In dem phantasiereichen geologischen Bilde des Erd-Innern, in der großen Weltanschauung, welche Plato im Phädon aufstellt (pag. 112–114), wird dies Zusammenwirken noch kühner auf alle vulkanische Systeme ausgedehnt. Die Lavaströme schöpfen ihr Material aus dem Pyriphlegethon: der, »nachdem er sich oftmals unter der Erde umhergewälzt«, in den Tartarus sich ergießt. Plato sagt ausdrücklich: »daß von dem Pyriphlegethon die feuerspeienden Berge, wo sich deren auf der Erde finden, kleine Theilchen heraufblasen (οὗτος δ'ἐστὶν ὃν ἐπονομάζουσι Πυριφλεγέϑοντα, οὐ καὶ οἱ ῥύακες ἀποσπάσματα ἀναφυσῶσιν, ὅπη ἂν τύχωσι τῆς γῆς).« Dieser Ausdruck (pag. 113B) des Herausstoßens mit Heftigkeit deutet gewissermaßen auf die bewegende Kraft des, vorher eingeschloßnen, dann plötzlich durchbrechenden Windes, auf welche später der Stagirite in der Meteorologie seine ganze Theorie der Vulcanicität gegründet hat.
Nach diesen so uralten Ansichten sind bei der Betrachtung des ganzen Erdkörpers die Reihen-Vulkane noch bestimmter charakterisirt als die Gruppirungen um einen Central-Vulkan. Am auffallendsten ist die Reihung da, wo sie von der Lage und Ausdehnung von Spalten abhängt, welche, meist unter einander parallel, große Landesstrecken linear (cordillerenartig) durchsetzen. Wir finden so im Neuen Continent, um bloß die wichtigsten Reihen sehr nahe aneinander gedrängter Vulkane zu nennen, die von Central-Amerika sammt ihrem Anschlusse an Mexico, von Neu-Granada und Quito, von Peru, Bolivia und Chili; im Alten 306 Continent die Sunda-Inseln (den südindischen Archipel, besonders Java), die Halbinsel Kamtschatka und ihre Fortsetzung in den Kurilen; die Aleuten, welche das fast geschlossene Berings-Meer südlich begrenzen. Wir werden bei einigen der Hauptgruppen verweilen. Einzelheiten leiten durch ihre Zusammenstellung auf die Gründe der Erscheinungen.
Die Reihen-Vulkane von Central-Amerika: nach älteren Benennungen die Vulkane von Costa Rica, Nicaragua, San Salvador und Guatemala; erstrecken sich von dem Vulkan Turrialva bei Cartago bis zum Vulkan von Soconusco, durch sechs Breitengrade, zwischen 10° 9' und 16° 2': in einer Linie, im ganzen von SO nach NW gerichtet, und mit den wenigen Krümmungen, die sie erleidet, eine Länge von 135 geographischen Meilen einnehmend. Diese Länge ist ohngefähr gleich der Entfernung vom Vesuv bis Prag. Am meisten zusammengedrängt: wie auf einer und derselben, nur 16 Meilen langen Spalte ausgebrochen, sind die 8 Vulkane, welche zwischen der Laguna de Managua und der Bai von Fonseca liegen, zwischen dem Vulkan von Momotombo und dem von Conseguina: dessen unterirdisches Getöse in Jamaica und auf dem Hochlande von Bogota im Jahr 1835 wie Geschützfeuer gehört wurde. In Central-Amerika und in dem ganzen südlichen Theil des Neuen Continents, ja im allgemeinen von dem Archipel de los Chonos in Chili bis zu den nördlichsten Vulkanen Edgecombe auf der kleinen Insel bei SitkaMount Edgecombe oder der St. Lazarus-Berg, auf der kleinen Insel (Crooze's Island bei Lisiansky), welche westlich neben der Nordhälfte der größeren Insel Sitka oder Baranow im Norfolk-Sunde liegt; schon von Cook gesehen: ein Hügel theils von olivinreichem Basalt, theils aus Feldspath-Trachyt zusammengesetzt; von nur 2600 Fuß Höhe. Seine letzte große Eruption, viel Bimsstein zu Tage fördernd, war vom Jahr 1796 (Lutké, Voyage autor du Monde 1836 T. III. p. 15). Acht Jahre darauf gelangte Cap. Lisiansky an den Gipfel, der einen Kratersee enthält. Er fand damals an dem ganzen Berge keine Spuren der Thätigkeit. und dem Eliasberg am Prinz-William-Sund, in einer Länge von 1600 geogr. Meilen: sind die vulkanischen Spalten überall in dem westlichen, dem Littoral der Südsee näheren Theile ausgebrochen. Wo die Reihe der Vulkane von Central-Amerika unter der geographischen Breite von 13°½ (nördlich vom Golf de Fonseca) bei 307 dem Vulkan von Conchagua in den Staat von San Salvador eintritt, ändert sich auf einmal mit der Richtung der Westküste auch die der Vulkane. Die Reihe der letzteren streicht dann OSO–WNW; ja wo die Feuerberge wieder so an einander gedrängt sind, daß 5, noch mehr oder weniger thätige in der geringen Länge von 30 Meilen gezählt werden, ist die Richtung fast ganz O–W. Dieser Abweichung entspricht eine große Anschwellung des Continents gegen Osten in der Halbinsel Honduras: wo die Küste ebenfalls plötzlich vom Cap Gracias á Dios bis zum Golf von Amatique 75 Meilen lang genau von Ost gegen West streicht, nachdem sie vorher in derselben Länge von Norden gegen Süden gerichtet war. In der Gruppe der hohen Vulkane von Guatemala (Br. 14° 10') nimmt die Reihung wieder ihr altes Streichen N45°W an, und setzt dasselbe fort bis an die mexicanische Grenze gegen Chiapa und den Isthmus von Huasacualco. Nordwestlich vom Vulkan von Soconusco bis zu dem von Tuxtla ist nicht einmal ein ausgebrannter Trachytkegel aufgefunden worden; es herrschen dort quarzreicher Granit und Glimmerschiefer.
Die Vulkane von Central-Amerika krönen nicht die nahen Gebirgsketten, sie erheben sich längs dem Fuße derselben meist ganz von einander getrennt. An den beiden äußersten Enden der Reihe liegen die größten Höhen. Gegen Süden, in Costa Rica, sind von dem Gipfel des Irasu (des Vulkans von Cartago) beide Meere sichtbar: wozu außer der Höhe (10395 F.) auch die mehr centrale Lage beiträgt. In Südost von Cartago stehen Berge von zehn- bis eilftausend Fuß: der Chiriqui (10567 F.) und der Pico blanco (11013 F.). Man weiß nichts von ihrer Gestein-Beschaffenheit; wahrscheinlich sind es ungeöffnete Trachytkegel. Weiter nach SO hin verflachen 308 sich die Höhen in Veragua bis zu sechs- und fünftausend Fuß. Dies scheint auch die mittlere Höhe der Vulkane von Nicaragua und San Salvador zu sein; aber gegen das nordwestliche Extrem der ganzen Reihe, unfern der Neuen Stadt Guatemala, erheben sich wiederum zwei Vulkane bis über 12000 Fuß. Die Maxima fallen also, nach meinem obigen Versuche hypsometrischer Classification der Vulkane, in die dritte Gruppe, gleichkommend dem Aetna und Pic von Teneriffa: während die größere Zahl der Höhen, die zwischen beiden Extremen liegen, den Vesuv kaum um 2000 Fuß übertreffen. Die Vulkane von Mexico, Neu-Granada und Quito gehören zur fünften Gruppe und erreichen meist über 16000 Fuß.
Wenn auch der Continent von Central-Amerika vom Isthmus von Panama an durch Veragua, Costa Rica und Nicaragua bis zum Parallelkreise von 11°½ an Breite beträchtlich zunimmt; so veranlaßt doch gerade in dieser Gegend das große Areal des Sees von Nicaragua und die geringe Höhe seines Spiegels (kaum 120 Pariser FußSchon unter der spanischen Oberherrschaft hatte 1781 der spanische Ingenieur, Don José Galisteo, eine nur 6 Fuß größere Höhe des Spiegels der Laguna von Nicaragua gefunden als Baily in seinen verschiedenen Nivellements von 1838 (Humboldt, Relation historique T. III. p. 321). über beiden Meeren) eine solche Landes-Erniedrigung, daß aus derselben eine oft den Seefahrern im sogenannten stillen Meer gefahrbringende Luft-Ueberströmung vom antillischen Meere in die Südsee verursacht wird. Die so erregten Nordost-Stürme werden mit dem Namen der Papagayos belegt, und wüthen bisweilen ununterbrochen 4 bis 5 Tage. Sie haben die große Merkwürdigkeit, daß gewöhnlich der Himmel dabei ganz wolkenlos bleibt. Der Name ist dem Theil der Westküste von Nicaragua zwischen Brito oder Cabo Desolado und Punta de S. Elena (von 11° 22' bis 10° 50') entlehnt, welcher Golfo del Papagayo heißt und südlich vom Puerto de San Juan del Sur die kleinen Baien von Salinas und S. Elena einschließt. Ich habe auf der 309 Schifffahrt von Guayaquil nach Acapulco über zwei volle Tage (9–11 März 1803) die Papagayos in ihrer ganzen Stärke und Eigenthümlichkeit: aber schon etwas südlicher, in weniger als 9° 13' Breite, beobachten können. Die Wellen gingen höher, als ich sie je gesehen; und die beständige Sichtbarkeit der Sonnenscheibe am heitersten, blauen Himmelsgewölbe machte es mir möglich die Höhe der Wellen durch Sonnenhöhen, auf dem Rücken der Wellen und in der Tiefe genommen, nach einer damals noch nicht versuchten Methode zu messen. Alle spanische, englischeVergl. Sir Edward Belcher, Voyage round the World Vol. I. p. 185. Ich befand mich im Papagayo-Sturm nach meiner chronometrischen Länge 19° 11' westlich vom Meridian von Guayaquil: also 101° 29' westlich von Paris, 220 geogr. Meilen westlich von dem Littoral von Costa Rica. und amerikanische Seefahrer schreiben dem atlantischen Nordost-Passate die hier beschriebenen Stürme der Südsee zu.
In einer neuen ArbeitMeine früheste Arbeit über 17 gereihete Vulkane von Guatemala und Nicaragua ist in der geographischen Zeitschrift von Berghaus (Hertha Bd. VI. 1826 S. 131–161) enthalten. Ich konnte damals außer dem alten Chronista Fuentes (lib. IX cap. 9) nur benutzen die wichtige Schrift von Domingo Juarros: Compendio de la Historia de la ciudad de Guatemala; wie die drei Karten von Galisteo (auf Befehl des mexicanischen Vicekönigs Matias de Galvez 1781 aufgenommen), von José Rossi y Rubí (Alcalde mayor de Guatemala, 1800), und von Joaquin Ysasi und Antonio de la Cerda (Alcalde de Granada): die ich großentheils handschriftlich besaß. Leopold von Buch hat in der französischen Uebersetzung seines Werkes über die canarischen Inseln meinen ersten Entwurf meisterhaft erweitert (descr. physique des Iles Canaries 1836 p. 500–514); aber die Ungewißheit der geographischen Synonymie und die dadurch veranlaßten Namenverwechselungen haben viele Zweifel erregt: welche durch die schöne Karte von Baily und Saunders; durch Molina, bosquejo de la Republica de Costa Rica; und durch das große, sehr verdienstliche Werk von Squier (Nicaragua, its people and monuments, with tables of the comparative heights of the mountains in Central America, 1852; s.Vol. I. p. 418 und Vol. II. p. 102) großentheils gelöst worden sind. Das wichtige Reisewerk, welches uns sehr bald Dr. Oersted unter dem Titel: Schilderung der Naturverhältnisse von Nicaragua und Costa Rica zu geben verspricht, wird neben ausgezeichneten botanischen und zoologischen Forschungen, welche der Hauptzweck der Unternehmung waren, auch Licht auf die geognostische Beschaffenheit von Central-Amerika werfen. Herr Oersted hat von 1816 bis 1848 dasselbe mannigfach durchstrichen und eine Sammlung von Gebirgsarten nach Kopenhagen zurückgebracht. Seinen freundschaftlichen Mittheilungen verdanke ich interessante Berichtigungen meiner fragmentarischen Arbeit. Nach den mir bekannt gewordenen, mit vieler Sorgfalt verglichenen Materialien, denen auch die sehr schätzbaren des preußischen General-Consuls in Central-Amerika, Herrn Hesse, beizuzählen sind, stelle ich die Vulkane von Central-Amerika, von Süden gegen Norden fortschreitend, folgendermaßen zusammen:
Ueber der Central-Hochebene von Cartago (4360 F.) in der Republik Costa Rica (Br. 10° 9') erheben sich die drei Vulkane Turrialva, Irasu und Reventado: von denen die ersten beiden noch entzündet sind. Volcan de Turrialva* (Höhe ohngefähr 10300 F.); ist nach Oersted vom Irasu nur durch eine tiefe, schmale Kluft getrennt. Sein Gipfel, aus welchem Rauchsäulen aufsteigen, ist noch unbestiegen. Vulkan Irasu*, auch der Vulkan von Cartago genannt (10412 F.), in Nordost vom Vulkan Reventado; ist die Haupt-Esse der vulkanischen Thätigkeit auf Costa Rica: doch sonderbar zugänglich; und gegen Süden dergestalt in Terrassen getheilt, daß man den hohen Gipfel: von welchem beide Meere, das der Antillen und die Südsee, gesehen werden, fast ganz zu Pferde erreichen kann. Der etwa tausend Fuß hohe Aschen- und Rapilli-Kegel steigt aus einer Umwallungsmauer (einem Erhebungs-Krater) auf. In dem flacheren nordöstlichen Theil des Gipfels liegt der eigentliche Krater, von 7000 Fuß im Umfang, der nie Lavaströme ausgesendet hat. Seine Schlacken-Auswürfe sind oft (1723, 1726, 1821, 1847) von städtezerstörenden Erdbeben begleitet gewesen; diese haben gewirkt von Nicaragua oder Rivas bis Panama. (Oersted.) Bei einer neuesten Besteigung des Irasu durch Dr. Carl Hoffmann im Anfang Mai 1855 sind der Gipfel-Krater und seine Auswurfs-Oeffnungen genauer erforscht worden. Die Höhe des Vulkans wird nach einer trigonometrischen Messung von Galindo zu 12000 span. Fuß angegeben oder, die vara cast. = 0t,43 angesetzt, zu 10320 Pariser Fuß (Bonplandia Jahrgang 1856 No. 3). El Reventado (8900 F.): mit einem tiefen Krater, dessen südlicher Rand eingestürzt ist und der vormals mit Wasser gefüllt war. Vulkan Barba (über 7900 F.): nördlich von San José, der Hauptstadt von Costa Rica; mit einem Krater, der mehrere kleine Seen einschließt. Zwischen den Vulkanen Barba und Orosi folgt eine Reihe von Vulkanen, welche die in Costa Rica und Nicaragua SO–NW streichende Hauptkette in fast entgegengesetzter Richtung, ostwestlich, durchschneidet. Auf einer solchen Spalte stehen: am östlichsten Miravalles und Tenorio (jeder dieser Vulkane ohngefähr 4400 F); in der Mitte, südöstlich von Orosi, der Vulkan Rincon, auch Rincon de la Vieja* genannt (Squier Vol. II. p. 102), welcher jedes Frühjahr beim Beginn der Regenzeit kleine Aschen-Auswürfe zeigt; am westlichsten, bei der kleinen Stadt Alajuela, der schwefelreiche Vulkan Votos* (7050 F.). Dr. Oersted vergleicht dieses Phänomen der Richtung vulkanischer Thätigkeit auf einer Queerspalte mit der ost-westlichen Richtung, die ich bei den mexicanischen Vulkanen von Meer zu Meer aufgefunden. Orosi*, noch jetzt entzündet: im südlichsten Theile des Staates von Nicaragua (4900 F.); wahrscheinlich der Volcan del Papagayo auf der Seekarte des Desposito hidrografico. Die zwei Vulkane Mandeira und Ometepec* (3900 und 4900 F.): auf einer kleinen, von den aztekischen Bewohnern der Gegend nach diesen zwei Bergen benannten Insel (ome tepetl bedeutet: zwei Berge; vgl. Buschmann, aztekische Ortsnamen S. 178 und 171) in dem westlichen Theile der Laguna de Nicaragua. Der Insel-Vulkan Ometepec, fälschlich von Juarros Ometep genannt (Hist. de Guatem. T. I. p. 51), ist noch thätig. Er findet sich abgebildet bei Squier Vol. II. p. 235. Der ausgebrannte Krater der Insel Zapatera, wenig erhaben über dem Seespiegel. Die Zeit der alten Ausbrüche ist völlig unbekannt. Der Vulkan von Momobacho: am westlichen Ufer der Laguna de Nicaragua, etwas in Süden von der Stadt Granada. Da diese Stadt zwischen den Vulkanen von Momobacho (der Ort wird auch Mombacho genannt; Oviedo, Nicaragua ed. Ternaux p. 45) und Masaya liegt, so bezeichnen die Piloten bald den einen, bald den anderen dieser Kegelberge mit dem unbestimmten Namen des Vulkans von Granada. Vulkan Massaya (Masaya), von dem bereits oben (S. 297–300) umständlicher gehandelt worden ist: einst ein Stromboli, aber seit dem großen Lava-Ausbruch von 1670 erloschen. Nach den interessanten Berichten von Dr. Scherzer (Sitzungsberichte der philos. hist. Classe der Akad. der Wiss. zu Wien Bd. XX. S. 58) wurden im April 1853 aus einem neu eröffneten Krater wieder starke Dampfwolken ausgestoßen. Der Vulkan von Massaya liegt zwischen den beiden Seen von Nicaragua und Managua, im Westen der Stadt Granada. Massaya ist nicht synonym mit dem Nindiri; sondern Massaya und Nindiri* bilden, wie Dr. Oersted sich ausdrückt, einen Zwillings-Vulkan, mit zwei Gipfeln und zwei verschiedenen Kratern, die beide Lavaströme gegeben haben. Der Lavastrom des Nindiri von 1775 hat den See von Managua erreicht. Die gleiche Höhe beider so nahen Vulkane wird nur zu 2300 Fuß angegeben. Volcan de Momotombo* (6600 F.): entzündet, auch oft donnernd, ohne zu rauchen; in Br. 12° 28': an dem nördlichen Ende der Laguna de Managua, der kleinen, sculpturreichen Insel Momotombito gegenüber (s. die Abbildung des Momotombo in Squier Vol. I. p. 233 und 302–312). Die Laguna de Managua liegt 26 Fuß höher als die, mehr als doppelt größere Laguna de Nicaragua, und hat keinen Insel-Vulkan. Von hier an bis zu dem Golf von Fonseca oder Conchagua zieht sich, in 5 Meilen Entfernung von der Südsee-Küste, von SO nach NW eine Reihe von 6 Vulkanen hin, welche dicht an einander gedrängt sind und den gemeinsamen Namen los Maribios führen (Squier Vol. I. p. 419, Vol. II. p. 123). El Nuevo*: fälschlich Volcan de las Pilas genannt, weil der Ausbruch vom 12 April 1850 am Fuß dieses Berges statt fand:, ein starker Lava-Ausbruch fast in der Ebene selbst! (Squier Vol. II. p. 105–110.) Volcan de Telica*: schon im 16ten Jahrhundert (gegen 1529) während seiner Thätigkeit von Oviedo besucht; östlich von Chinandega, nahe bei Leon de Nicaragua: also etwas außerhalb der vorher angegebenen Richtung. Dieser wichtige Vulkan, welcher viele Schwefeldämpfe aus einem 300 Fuß tiefen Krater ausstößt, ist vor wenigen Jahren von dem, mir befreundeten, naturwissenschaftlich sehr unterrichteten Prof. Julius Fröbel bestiegen worden. Er fand die Lava aus glasigem Feldspath und Augit zusammengesetzt (Squier Vol. II. p. 115–117). Auf dem Gipfel, in 3300 Fuß Höhe, liegt ein Krater, in welchem die Dämpfe große Massen Schwefels absetzen. Am Fuß des Vulkans ist eine Schlammquelle (Salse?). Vulkan el Viejo*: der nördlichste der gedrängten Reihe von sechs Vulkanen. Er ist vom Capitän Sir Edward Belcher im Jahr 1838 bestiegen und gemessen worden. Das Resultat der Messung war 5216 F. Eine neuere Messung von Squimer gab 5630 F. Dieser, schon zu Dampier's Zeiten sehr thätige Vulkan ist noch entzündet. Die feurigen Schlacken-Auswürfe werden häufig in der Stadt Leon gesehen. Vulkan Guanacaure: etwas nördlich außerhalb der Reihe von El Nuevo zum Viejo, nur 3 Meilen von der Küste des Golfs von Fonseca entfernt. Vulkan Conseguina*: auf dem Vorgebirge, welches an dem südlichen Ende des großen Golfs von Fonseca vortritt (Br. 12° 50'); berühmt durch den furchtbaren, durch Erdbeben verkündigten Ausbruch vom 23 Januar 1835. Die große Verfinsterung bei dem Aschenfall: der ähnlich, welche bisweilen der Vulkan Pichincha verursacht hat, dauerte 43 Stunden lang. In der Entfernung weniger Fuße waren Feuerbrände nicht zu erkennen. Die Respiration war gehindert; und unterirdisches Getöse, gleich dem Abfeuern schweren Geschützes, wurde nicht nur in Balize auf der Halbinsel Yucatan, sondern auch auf dem Littoral von Jamaica und auf der Hochebene von Bogota: in letzterer auf mehr als 8000 Fuß Höhe über dem Meere wie in fast hundert und vierzig geographischen Meilen Entfernung, gehört. (Juan Galindo in Silliman's American Journal Vol. XXVIII. 1835 p. 332–336; Acosta, Viajes á los Andes 1849 p. 56, und Squier Vol. II. p. 110–113; Abbildung p. 163 und 165.) Darwin (Journal of researches during the voyage of the Beagle 1845 chapt. 14 p. 291) macht auf ein sonderbares Zusammentreffen von Erscheinungen aufmerksam: nach langem Schlummer brachen an Einem Tage (zufällig?) Conseguina in Central-Amerika, Aconcagua und Corcovado (südl. Br. 32°¾ und 43°½) in Chili aus. Vulkan von Conchagua oder von Amalapa: an dem nördlichen Eingange des Golfs von Fonseca, dem Vulkan Conseguina gegenüber; bei dem schönen Puerto de la Union, dem Hafen der nahen Stadt San Miguel. Von dem Staat von Costa Rica an bis zu dem Vulkan Conchagua folgt demnach die gedrängte Reihe von 20 Vulkanen der Richtung SO–NW; bei Conchagua aber in den Staat von San Salvador eintretend, welcher in der geringen Länge von 40 geogr. Meilen 5 jetzt mehr oder weniger thätige Vulkane zählt, wendet sich die Reihung, wie die Südsee-Küste selbst, mehr OSO–WNW, ja fast O–W: während das Land gegen die östliche, antillische Küste (gegen das Vorgebirge Gracias á Dios) hin in Honduras und los Mosquitos plötzlich auffallend anschwillt (vergl. oben S. 307). Erst von den hohen Vulkanen von Alt-Guatemala an in Norden tritt, wie schon (S. 307) bemerkt wurde, gegen die Laguna von Atitlan hin, die ältere, allgemeine Richtung N 45° W wiederum ein: bis endlich in Chiapa und auf dem Isthmus von Tehuantepec sich noch einmal, doch in unvulkanischen Gebirgsketten, die abnorme Richtung O–W offenbart. Der Vulkane des Staats San Salvador sind außer dem von Conchagua noch folgende vier: Vulkan von San Miguel Bosotlan* (Br. 13° 35'), bei der Stadt gleiches Namens: der schönste und regelmäßigste Trachytkegel nächst dem Insel-Vulkan Ometepec im See von Nicaragua (Squier Vol. II. p. 196). Die vulkanischen Kräfte sind im Bosotlan sehr thätig; derselbe hatte einen großen Lava-Erguß am 20 Juli 1844. Vulkan von San Vicente*: westlich vom Rio de Lempa, zwischen den Städten Sacatecoluca und Sacatelepe. Ein großer Aschen-Auswurf geschah nach Juarros 1643, und im Januar 1835 war bei vielem zerstörenden Erdbeben eine langdauernde Eruption. Vulkan von San Salvador (Br. 13° 47'), nahe bei der Stadt dieses Namens. Der letzte Ausbruch ist der von 1656 gewesen. Die ganze Umgegend ist heftigen Erdstößen ausgesetzt; der vom 16 April 1854, dem kein Getöse voranging, hat fast alle Gebäude in San Salvador umgestürzt. Vulkan von Izalco*, bei dem Dorfe gleiches Namens; oft Ammoniak erzeugend. Der erste historisch bekannte Ausbruch geschah am 23 Februar 1770; die letzten, weitleuchtenden Ausbrüche waren im April 1798, 1805 bis 1807 und 1825 (s. oben S. 300, und Thompson, official visit to Guatemala 1829 p. 512). Volcan de Pacaya* (Br. 14° 23'): ohngefähr 3 Meilen in Südosten von der Stadt Neu-Guatemala, am kleinen Alpensee Amatitlan; ein sehr thätiger, oft flammender Vulkan: ein gedehnter Rücken mit 3 Kuppen. Man kennt die großen Ausbrüche von 1565, 1651, 1671, 1677 und 1775; der letzte, viel Lava gebende, ist von Juarros als Augenzeugen beschrieben. Es folgen nun die beiden Vulkane von Alt-Guatemala, mit den sonderbaren Benennungen de Agua und de Fuego; in der Breite von 14° 12', der Küste nahe: Volcan de Agua: ein Trachytkegel bei Escuintla, höher als der Pic von Teneriffa; von Obsidian-Massen (Zeugen alter Eruptionen?) umgeben. Der Vulkan, welcher in die ewige Schneeregion reicht, hat seinen Namen davon erhalten, daß ihm im Sept. 1541 eine (durch Erdbeben und Schneeschmelzen veranlaßte?) große Ueberschwemmung zugeschrieben wurde, welche die am frühesten gegründete Stadt Guatemala zerstörte und die Erbauung der zweiten, nordnordwestlicher gelegenen und jetzt Antigua Guatemala genannten Stadt veranlaßte. Volcan de Fuego*: bei Acatenango, fünf Meilen in WNW vom sogenannten Wasser-Vulkan. Ueber die gegenseitige Lage s. die in Guatemala gestochene und mir von da aus geschenkte, seltene Karte des Alcalde mayor, Don José Rossi y Rubí: bosquejo del espacio que media entre los estremos de la Provincia de Suchitepeques y la Capital de Guatemala, 1800. Der Volcan de Fuego ist immer entzündet, doch jetzt viel weniger als ehemals. Die älteren großen Eruptionen waren von 1581, 1586, 1623, 1705, 1710, 1717, 1732, 1737 und 1799; aber nicht sowohl diese Eruptionen, sondern die zerstörenden Erdbeben, welche sie begleiteten, haben in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die spanische Regierung bewogen den zweiten Sitz der Stadt (wo jetzt die Ruinen von la Antigua Guatemala stehen) zu verlassen, und die Einwohner zu zwingen sich nördlicher, in der neuen Stadt Santiago de Guatemala, anzusiedeln. Hier, wie bei der Verlegung von Riobamba und mehrerer anderer den Vulkanen der Andeskette naher Städte, ist dogmatisch und leidenschaftlich ein Streit geführt worden über die problematische Auswahl einer Localität, »von der man nach den bisherigen Erfahrungen vermuthen dürfte, daß sie den Einwirkungen naher Vulkane (Lavaströmen, Schlacken-Auswürfen und Erdbeben!) wenig ausgesetzt wäre«. Der Volcan de Fuego hat 1852 in einem großen Ausbruch einen Lavastrom gegen das Littoral der Südsee ergossen. Capitän Basil Hall maß unter Segel beide Vulkane von Alt-Guatemala, und fand für den Volcan de Agua 13760, für den Volcan de Fuego 13983 Pariser Fuß. Die Fundamente dieser Messung hat Poggendorff geprüft. Er hat die mittlere Höhe beider Berge geringer gefunden und auf ohngefähr 12300 Fuß reducirt. Volcan de Quesaltenango* (Br. 15° 10'), entzündet seit 1821 und rauchend: neben der Stadt gleichen Namens; eben so sollen entzündet sein die drei Kegelberge, welche südlich den Alpensee Atitlan (im Gebirgsstock Solola) begrenzen. Der von Juarros benannte Vulkan von Tajamulco kann wohl nicht mit dem Vulkan von Quesaltenango identisch sein, da dieser von dem Dörfchen Tajamulco, südlich von Tejutla, 10 geogr. Meilen in NW entfernt isr. Was sind die zwei von Funel genannten Vulkane von Sacatepeques und Sapotitlan, oder Brué's Volcan de Amilpas? Der große Vulkan von Soconusco: liegend an der Grenze von Chiapa, 7 Meilen südlich von Ciudad Real, in Br. 16° 2'. Ich glaube am Schluß dieser langen Note abermals erinnern zu müssen, daß die hier angegebenen barometrischen Höhen-Bestimmungen theils von Espinache herrühren: theils den Schriften und Karten von Baily, Squier und Molina entlehnt; und in Pariser Fußen ausgedrückt sind.
Ich habe absichtlich bei den Einzelheiten der Lage und der dichten Zusammendrängung der Reihen-Vulkane von Central-Amerika lange verweilt: in der Hoffnung, daß endlich einmal ein Geognost, der vorher europäische thätige Vulkane und die ausgebrannten der Auvergne, oder des Vivarais, oder der Eifel gründlich beobachtet hat, auch (was von der größten Wichtigkeit ist) die petrographische Zusammensetzung der Gebirgsarten nach den Erfordernissen des jetzigen Zustandes unserer mineralogischen Kenntnisse zu beschreiben weiß; sich angeregt fühlen möchte diese so nahe und zugängliche Gegend zu besuchen. Vieles ist hier noch zu thun übrig, wenn der Reisende sich ausschließlich geognostischen Untersuchungen widmet: besonders der oryctognostischen Bestimmung der trachytischen, doleritischen und melaphyrischen Gebirgsarten; der Sonderung des ursprünglich Gehobenen und des Theils der gehobenen Masse, welcher durch spätere Ausbrüche überschüttet worden ist; der Aufsuchung und Erkennung von wirklichen, schmalen, ununterbrochenen Lavaströmen: die nur zu oft mit Anhäufungen ausgeworfener Schlacken verwechselt werden. Nie geöffnet Kegelberge, in Dom- und Glockenform aufsteigend, wie der Chimborazo: sind dann von vormals oder jetzt noch thätigen 311 Schlacken und Lavaströme: wie Vesuv und Aetna, oder Schlacken und Asche allein: wie Pichincha und Cotopaxi, ausstoßenden Vulkanen scharf zu trennen. Ich wüßte nicht, was unserer Kenntniß vulkanischer Thätigkeit, der es so sehr noch an Mannigfaltigkeit des Beobachteten auf großen und zusammenhangenden Continental-Räumen gebricht, einen glänzenderen Fortschritt verheißen könnte. Würden dann, als materielle Früchte solch einer großen Arbeit, Gebirgssammlungen von vielen isolirten wirklichen Vulkanen und ungeöffneten Trachytkegeln, sammt den unvulkanischen Massen, welche von beiden durchbrochen worden sind, heimgebracht; so wäre der nachfolgenden chemischen Analyse und den chemisch-geologischen Folgerungen, welche die Analyse veranlaßt, ein eben so weites als fruchtbares Feld geöffnet. Central-Amerika und Java haben vor Mexico, Quito und Chili den unverkennbaren Vorzug, in einem größeren Raume die vielgestaltetsten und am meisten zusammengedrängten Gerüste vulkanischer Thätigkeit aufzuweisen.
Da, wo mit dem Vulkan von Soconusco (Br. 16° 2') an der Grenze von Chiapa die so charakteristische Reihe der Vulkane von Central-Amerika endet, fängt ein ganz verschiedenes System von Vulkanen, das mexicanische, an. Die, für den Handel mit der Südsee-Küste so wichtige Landenge von Huasacualco und Tehuantepec ist, wie der nordwestlicher gelegene Staat von Oaxaca, ganz ohne Vulkane, vielleicht auch ohne ungeöffnete Trachytkegel. Erst in 40 Meilen Entfernung vom Vulkan von Soconusco erhebt sich nahe an der Küste von Alvarado der kleine Vulkan von Tuxtla (Br. 18° 28'). Am östlichen Abfall der Sierra de San Martin gelegen, hat er einen großen Flammen- und Aschen-Ausbruch am 2 März 1793 gehabt. Eine genaue astronomische Ortsbestimmung 312 der colossalen Schneeberge und Vulkane im Inneren von Mexico (dem alten Anahuac) hat mich erst nach meiner Rückkehr nach Europa, beim Eintragen der Maxima der Höhen in meine große Karte von Neu-Spanien, zu dem überaus merkwürdigen Resultate geführt: daß es dort, von Meer zu Meer, einen Parallel der Vulkane und größten Höhen giebt, der um wenige Minuten um den Parallel von 19° oscillirt. Die einzigen Vulkane und zugleich die einzigen mit ewigem Schnee bedeckten Berge des Landes, also Höhen, welche eilf- bis zwölftausend Fuß übersteigen: die Vulkane von Orizaba, Popocatepetl, Toluca und Colima; liegen zwischen den Breitengraden von 18° 59' und 19° 20', und bezeichnen gleichsam die Richtung einer Spalte vulkanischer Thätigkeit von 90 Meilen Länge.S. alle Fundamente dieser mexicanischen Ortsbestimmungen und ihre Vergleichung mit den Beobachtungen von Don Joaquin Ferrer in meinem Receuil d'Observ. astron. Vol. II. p. 521, 529 und 536–550, und Essai pol. sur la Nouvelle-Espagne T. I. p. 55–59 und 176, T. II. p. 173. Ueber die astronomische Ortsbestimmung des Vulkans von Colima, nahe der Südsee-Küste, habe ich selbst früh Zweifel erregt (Essai pol. T. I. p. 68, T. II. p. 180). Nach Höhenwinkeln, die Cap. Basil Hall unter Segel genommen, läge der Vulkan in Br. 19° 36': also einen halben Grad nördlicher, als ich seine Lage aus Itinerarien geschlossen; freilich ohne absolute Bestimmungen für Selagua und Petatlan, auf die ich mich stützte. Die Breite 19° 25', welche ich im Text angegeben habe, ist, wie die Höhen-Bestimmung (11266 F.), vom Cap. Beechey (Voyage Part II. p. 587). Die neueste Karte von Laurie (the Mexican and Central States of America 1853) giebt 19° 20' für die Breite an. Auch kann die Breite vom Jorullo um 2–3 Minuten falsch sein: da ich dort ganz mit geologischen und topographischen Arbeiten beschäftigt war, und weder die Sonne noch Sterne zur Breiten-Bestimmung sichtbar wurden. Vergl. Basil Hall, Journal written on the Coast of Chili, Peru and Mexico 1824 Vol. II. p. 379; Beechey, Voyage Part II. p. 587; und Humboldt, Essai pol. T. I. p. 68, T. II. p. 180. Nach den treuen, so überaus malerischen Ansichten, welche Moritz Rugendas von dem Vulkan von Colima entworfen und die in dem Berliner Museum aufbewahrt werden, unterscheidet man zwei einander nahe Berge: den eigentlichen, immer Rauch ausstoßenden Vulkan, der sich mit wenig Schnee bedeckt; und die höhere Nevada, welche tief in die Region des ewigen Schnees aufsteigt. In derselben Richtung (Br. 19° 9'), zwischen den Vulkanen von Toluca und Colima, von beiden 29 und 32 geogr. Meilen entfernt: hat sich in einer weiten Hochebene von 2424 Fuß am 14 September 1759 der neue Vulkan von Jorullo (4002 Fuß) erhoben. Die Oertlichkeit dieser Erscheinung im Verhältniß zu der Lage der anderen mexicanischen Vulkane: und der Umstand, daß die ost-westliche Spalte, welche ich hier bezeichne, fast rechtwinklig die Richtung der großen, von Süd-Süd-Ost nach Nord-Nord-West streichenden Gebirgskette durchschneidet: sind geologische Erscheinungen von eben so wichtiger Art, als es sind die Entfernung des Ausbruchs des Jorullo von den Meeren: die Zeugnisse seiner Hebung, welche ich umständlich graphisch dargestellt; die zahllosen dampfenden hornitos, die den Vulkan umgeben; die Granitstücke, welche, in einer weit umher granitleeren Umgebung, ich dem Lava-Erguß des Hauptvulkans von Jorullo eingebacken gefunden habe.
313 Folgende Tabelle enthält die speciellen Ortsbestimmungen und Höhen der Vulkan-Reihe von Anahuac auf einer Spalte, welche von Meer zu Meer die Erhebungsspalte des großen Gebirgszuges durchschneidet:
Folge von O–W | geogr. Breite | Höhen über dem Meere in Toisen |
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Vulkan von Orizaba | 19° | 2' | 17" | 2796t | ||
Nevado Iztaccihuatl | 19° | 10' | 3" | 2456t | ||
Vulkan Popocatepetl | 18° | 59' | 47" | 2772t | ||
Vulkan von Toluca | 19° | 11' | 33" | 2372t | ||
Vulkan von Jorullo | 19° | 9' | 0" | 667t | ||
Vulkan von Colima | 19° | 20' | 0" | 1877t |
Die Verlängerung des Parallels vulkanischer Thätigkeit in der Tropenzone von Mexico führt in 110 Meilen westlicher Entfernung von den Südsee-Küsten nach der Inselgruppe Revillagigedo, in deren Nähe Collnet hat Bimsstein schwimmen sehen; vielleicht noch weiter hin, in 840 Meilen Entfernung, zu dem großen Vulkan Mauna Roa (19° 28'): ohne dazwischen irgend eine Erhebung von Inseln veranlaßt zu haben!
Die Gruppe der Reihen-Vulkane von Quito und Neu-Granada begreift eine vulkanische Zone, welche sich von 2° südlicher bis fast 5° nördlicher Breite erstreckt. Die äußersten Grenzen des Areals, in welchem jetzt sich die Reaction des Erd-Inneren gegen die Oberfläche offenbart, sind der ununterbrochen thätige Sangay, und der Paramo und Volcan de 314 Ruiz: dessen neueste Wieder-Entzündung vom Jahr 1829 war, und den Carl Degenhardt 1831 von der Mina de Santana in der Provinz Mariquita und 1833 von Marmato aus hat rauchen sehen. Die merkwürdigsten Spuren großer Ausbruch-Phänomene zeigen von Norden gegen Süden nächst dem Ruiz: der abgestumpfte Kegel des Vulkans von Tolima (17010 F.), berühmt durch das Andenken an die verheerende Eruption vom 12 März 1595; die Vulkane von Puracé (15957 F.) und Sotara bei Popayan; von Pasto (12620 F.) bei der Stadt gleiches Namens, vom Monte de Azufre (12030 F.) bei Tuquerres, von Cumbal (14654 F.) und von Chiles in der Provincia de los Pastos; dann folgen die historisch berühmteren Vulkane des eigentlichen Hochlandes von Quito, südlich vom Aequator, deren vier: Pichincha, Cotopaxi, Tungurahua und Sangay, mit Sicherheit als nicht erloschene Vulkane betrachtet werden können. Wenn nördlich von dem Bergknoten der Robles, bei Popayan, wie wir bald näher entwickeln werden, in der Dreitheilung der mächtigen Andeskette nur die mittlere Cordillere und nicht die, der Seeküste nähere, westliche, eine vulkanische Thätigkeit zeigt; so sind dagegen südlich von jenem Bergknoten: wo die Andes nur zwei, von Bouguer und La Condamine in ihren Schriften so oft erwähnte, parallele Ketten bilden, Feuerberge so gleichmäßig vertheilt, daß die vier Vulkane der Pastos, wie Cotocachi, Pichincha, Iliniza, Carguairazo und Yana-Urcu, am Fuß des Chimborazo, auf der westlichen, dem Meere näheren: und Imbabura, Cayambe, Antisana, Cotopaxi, Tungurahna (dem Chimborazo östlich gegenüber, doch der Mitte der schmalen Hochebene nahe gerückt), der Altar de los Collanes (Capac-Urcu) und Sangay auf der östlichen Cordillere 315 ausgebrochen sind. Wenn man die nördlichste Gruppe der Reihen-Vulkane von Südamerika in einem Blicke zusammenfaßt, so gewinnt allerdings die, in Quito oft ausgesprochene und durch historische Nachrichten einigermaßen begründete Meinung von der Wanderung der vulkanischen Thätigkeit und Intensitäts-Zunahme von Norden nach Süden einen gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit. Freilich finden wir im Süden, und zwar neben dem wie Stromboli wirkenden Colosse Sangay, die Trümmer des »Fürsten der Berge«, Capac-Urcu: welcher den Chimborazo an Höhe übertroffen haben soll, aber in den letzten Decennien des 15ten Jahrhunderts (14 Jahre vor der Eroberung von Quito durch den Sohn des Inca Tupac Yupanqui) einstürzte, verlosch und seitdem nicht wieder entbrannte.
Der Raum der Andeskette, welchen die Gruppen der Vulkane nicht bedecken, ist weit größer, als man gewöhnlich glaubt. In dem nördlichen Theile von Südamerika findet sich von dem Volcan de Ruiz und dem Kegelberge Tolima, den beiden nördlichsten Vulkanen der Vulkan-Reihe von Neu-Granada und Quito an, bis über den Isthmus von Panama gegen Costa Rica hin, wo die Vulkan-Reihe von Central-Amerika beginnt: ein von Erdstößen oft und mächtig erschüttertes Land, in welchem flammengebende Salsen, aber keine ächt vulkanische Eruptionen bekannt sind. Die Länge dieses Landes beträgt 157 geogr. Meilen. Fast zwiefach so lang (242 Meilen einnehmend) ist eine vulkanleere Strecke vom Sangay, dem südlichen Endpunkte der Gruppe von Neu-Granada und Quito, bis zum Chacani bei Arequipa, dem Anfang der Vulkan-Reihe von Peru und Bolivia. So verwickelt und verschiedenartig muß in derselben Gebirgskette das Zusammentreffen der Verhältnisse gewesen sein, von welchen die 316 Bildung permanent offen bleibender Spalten und der ungehinderte Verkehr des geschmolzenen Erd-Inneren mit dem Luftkreise abhangen. Zwischen den Gruppen von trachyt- und doleritartigem Gestein, durch welche die vulkanischen Kräfte thätig werden, liegen etwas kürzere Strecken, in denen herrschen: Granit, Syenit, Glimmerschiefer, Thonschiefer, Quarzporphyre, kieselartige Conglomerate und solche Kalksteine, von denen ein beträchtlicher Theil (nach Leopolds von Buch scharfsinniger Untersuchung der von mir und Degenhardt heimgebrachten organischen Reste) zur Kreide-Formation gehört. Das allmälige Häufiger-Werden von labradorischen, pyroxen- und oligoklas-reichen Gebirgsarten verkündigt dem aufmerksamen Reisenden, wie ich schon an einem anderen Orte gezeigt habe, den Uebergang einer, bis dahin in sich abgeschlossenen, unvulkanischen, und in quarzlosen Porphyren, voll glasigen Feldspaths, oft sehr silberreichen Zone in die noch frei mit dem Inneren des Erdkörpers communicirenden vulkanischen Regionen.
Die genauere Kenntniß von der Lage und den Grenzen der 5 Gruppen von Vulkanen (den Gruppen von Anahuac oder des tropischen Mexico's, von Central-Amerika, von Neu-Granada und Quito, von Peru und Bolivia, und von Chili), zu der wir in der neuesten Zeit gelangt sind; lehrt uns, daß in dem Theil der Cordilleren, welcher sich von 19°¼ nördlicher bis 46°südlicher Breite erstreckt: also, die durch eine veränderte Achsenrichtung verursachten Krümmungen mit eingerechnet, in einer Länge von fast 1300 geographischen Meilen; unbedeutend mehrFolgendes ist das Resultat der Längen-Bestimmung von den fünf Gruppen der Reihen-Vulkane in der Andeskette, wie auch die Angabe der Entfernung der Gruppen von einander: eine Angabe, welche die Verhältnisse des Areals erläutert, das vulkanisch oder unvulkanisch ist:
I. Gruppe der mexicanischen Vulkane. Die Spalte, auf der die Vulkane ausgebrochen sind, ist von Ost nach West gerichtet, vom Orizaba bis zum Colima, in einer Erstreckung von 98 geogr. Meilen; zwischen Br. 19° und 19° 20'. Der Vulkan von Tuxtla liegt isolirt 32 Meilen östlicher als Orizaba, der Küste des mexicanischen Golfes nahe: und in einem Parallelkreise (18° 28'), der einen halben Grad südlicher ist. II. Entfernung der mexicanischen Gruppe von der nächstfolgenden Gruppe Central-Amerika's (Abstand vom Vulkan von Orizaba zum Vulkan von Soconusco in der Richtung OSO–WNW): 75 Meilen. III. Gruppe der Vulkane von Central-Amerika: ihre Länge von NW nach SO, vom Vulkan von Soconusco bis Turrialva in Costa Rica, über 170 Meilen. IV. Entfernung der Gruppe Central-Amerika's von der Vulkan-Reihe von Neu-Granada und Quito: 157 Meilen. V. Gruppe der Vulkane von Neu-Granada und Quito; ihre Länge vom Ausbruch in dem Paramo de Ruiz nördlich vom Volcan de Tolima bis zum Vulkan von Sangay: 118 Meilen. Der Theil der Andeskette zwischen dem Vulkan von Puracé bei Popayan und dem südlichen Theile des vulkanischen Bergknotens von Pasto ist NNO–SSW gerichtet. Weit östlich von den Vulkanen von Popayan, an den Quellen des Rio Fragua, liegt ein sehr isolirter Vulkan, welchen ich nach der mir von Missionaren von Timana mitgetheilten Angabe auf meine General-Karte der Bergknoten der südamerikanischen Cordilleren eingetragen habe; Entfernung vom Meeresufer 38 Meilen. VI. Entfernung der Vulkan-Gruppe Neu-Granada's und Quito's von der Gruppe von Peru und Bolivia: 240 Meilen; die größte Länge einer vulkanfreien Kette. VII. Gruppe der Vulkan-Reihe von Peru und Bolivia: vom Volcan de Chacani und Arequipa bis zum Vulkan von Atacama (16°¼–21°½) 105 Meilen. VIII. Entfernung der Gruppe Peru's und Bolivia's von der Vulkan-Gruppe Chili's: 135 Meilen. Von dem Theil der Wüste von Atacama, an dessen Rand sich der Vulkan von San Pedro erhebt, bis weit über Copiapo hinaus, ja bis zum Vulkan von Coquimbo (30° 5') in der langen Cordillere westlich von den beiden Provinzen Catamarca und Rioja, steht kein vulkanischer Kegel. IX. Gruppe von Chili: vom Vulkan von Coquimbo bis zum Vulkan San Clemente 242 Meilen. Diese Schätzungen der Länge der Cordilleren mit der Krümmung, welche aus der Veränderung der Achsenrichtung entsteht, von dem Parallel der mexicanischen Vulkane in 19°¼ nördlicher Breite bis zum Vulkan von San Clemente in Chili (46° 8' südl. Breite); geben für einen Abstand von 1242 Meilen einen Raum von 635 Meilen, der mit fünf Gruppen gereihter Vulkane (Mexico, Central-Amerika, Neu-Granada mit Quito, Peru mit Bolivia, und Chili) bedeckt ist; und einen wahrscheinlich ganz vulkanfreien Raum von 607 Meilen. Beide Räume sind sich ohngefähr gleich. Ich habe sehr bestimmte numerische Verhältnisse angegeben, wie sie sorgfältige Discussion eigener und fremder Karten dargeboten, damit man mehr angeregt werde dieselben zu verbessern. Der längste vulkanfreie Theil der Cordilleren ist der zwischen den Gruppen Neu-Granada-Quito und Peru-Bolivia. Er ist zufällig dem gleich, welchen die Vulkane von Chili bedecken.
Namen der fünf Gruppen von Reihen-Vulkanen des Neuen Continents von 19° 25' nördlicher bis 46° 8' südlicher Breite |
Zahl der Vulkane, welche jede Gruppe umfaßt |
Zahl der Vulkane, welche noch als entzündet zu betrachten sind |
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Gruppe von MexicoDie Gruppe der Vulkane von Mexico umfaßt die Vulkane von Orizaba*, Popocatepetl*, Toluca (oder Cerro de San Miguel de Tutucuitlapilco), Jorullo*, Colima* und Tuxtla*. Die noch entzündeten Vulkane sind hier, wie in ähnlichen Listen, mit einem Sternchen bezeichnet. | 6 | 4 | ||
Gruppe von Central-AmerikaDie Vulkan-Reihe von Central-Amerika ist in den Anmerkungen 2087 und 2088 aufgezählt. | 29 | 18 | ||
Gruppe von Neu-Granada und QuitoDie Gruppe von Neu-Granada und Quito umfaßt den Paramo y Volcan de Ruiz*, die Vulkane von Tolima, Puracé* und Sotará bei Popayan; den Volcan del Rio Fragua, eines Zuflusses des Caqueta: die Vulkane von Pasto, el Azufral*, Cumbal*, Tuquerres*, Chiles, Imbabura, Cotocachi, Rucu-Pichincha, Antisana (?), Cotopaxi*, Tungurahua*, Capac-Urcu oder Altar de los Collanes (?), Sangay*. |
18 | 10 | ||
Gruppe von Peru und BoliviaDie Gruppe des südlichen Peru und Bolivia's enthält von Norden nach Süden folgende 14 Vulkane:
Die eben genannten 6 Vulkane bilden die Gruppe von Arequipa.
Die Gruppe der vier Trachytkegel Sahama, Pomarape, Parinacota und Gualatieri, welche zwischen den Parallelkreisen von 18° 7' und 18° 25' liegt, ist nach Pentland's trigonometrischer Bestimmung höher als der Chimborazo, höher als 20100 Fuß.
Unfern der Sahama-Gruppe, 18° 7' bis 18° 25', verändert plötzlich die Vulkan-Reihe und die ganze Andeskette, der sie westlich vorliegt, ihr Streichen, und geht von der Richtung Südost gen Nordwest in die bis zur Magellanischen Meerenge allgemein werdende von Norden nach Süden plötzlich über. Von diesem wichtigen Wendepunkt, dem Littoral-Einschnitt bei Arica (18° 28'), welcher eine Analogie an der west-afrikanischen Küste im Golf von Biafra hat, habe ich gehandelt im Bd. I. des Kosmos S. 310 und 472 Anm. 347.
Es giebt keinen Vulkan von 21°½ bis 30°; und nach einer so langen Unterbrechung, von mehr als 142 Meilen, zeigt sich zuerst wieder die vulkanische Thätigkeit im Vulkan von Coquimbo. Denn die Existenz eines Vulkans von Copiapo (Br. 27° 28') wird von Meyen geläugnet, während sie der des Landes sehr kundige Philippi bestätigt. |
14 | 3 | ||
Gruppe von ChiliDie geographische und geologische Kenntniß der Gruppe von Vulkanen, welche wir unter dem gemeinsamen Namen der gereihten Vulkane von Chili begreifen, verdankt den ersten Anstoß zu ihrer Vervollkommnung, ja die Vervollkommnung selbst, den scharfsinnigen Untersuchungen des Capitäns Fitz-Roy in der denkwürdigen Expedition der Schiffe Adventure und Beagle, wie den geistreichen und ausführlicheren Arbeiten von Charles Darwin. Der Letztere hat mit dem ihm eigenen verallgemeinernden Blicke den Zusammenhang der Erscheinungen von Erdbeben und Ausbrüchen der Vulkane unter Einen Gesichtspunkt zusammengefaßt. Das große Naturphänomen, welches am 22 Nov. 1822 die Stadt Copiapo zerstörte, war von der Erhebung einer beträchtlichen Landstrecke der Küste begleitet; und während des ganz gleichen Phänomens vom 20 Febr. 1835, das der Stadt Concepcion so verderblich wurde, brach nahe dem Littoral der Insel Chiloe bei Bacalao Head ein unterseeischer Vulkan aus, welcher anderthalb Tage feurig wüthete. Dies alles, von ähnlichen Bedingungen abhängig, ist auch früher vorgekommen; und bekräftigt den Glauben: daß die Reihe von Felsinseln, welche südlich von Valdivia und von dem Fuerte Maullin den Fjörden des Festlandes gegenüberliegt: und Chiloe, den Archipel der Chonos und Huaytecas, la Peninsula de Tres Montes, und las Islas de la Campana, de la Madre de Dios, de Santa Lucia und los Lobos von 39° 53' bis zum Eingang der Magellanischen Meerenge (52° 16') begreift; der zerrissene, über dem Meere hervorragende Kamm einer versunkenen westlichsten Cordillere sei. Allerdings gehört kein geöffneter trachytischer Kegelberg, kein Vulkan diesen fractis ex aequore terris an; aber einzelne unterseeische Eruptionen, welche bisweilen den mächtigen Erdstößen gefolgt oder denselben vorhergegangen sind, scheinen auf das Dasein dieser westlichen Spalte zu deuten. (Darwin on the connexion of volcanic phaenomena, the formation of mountain chains, and the effect of the same powers, by which continents are elevated: in den Transactions of the Geological Society, second Series Vol. V. Part 3. 1840 p. 606–615 und 629–631; Humboldt, Essai pol. sur la Nouv. Espagne T. I. p. 190 und T. IV. p. 287.)
Die Reihenfolge der 24 Vulkane, welche die Gruppe von Chili umfaßt, ist folgende, von Norden nach Süden, von dem Parallel von Coquimbo bis zu 46° südlicher Breite gerechnet:
Die Breiten in der vorstehenden Tafel der Vulkane sind meist der Karte von Pissis, Allan Campbell und Claude Gay in dem vortrefflichen Werke von Gilliß (1855) entlehnt. |
24 | 13 |
Nach diesen Angaben ist die Summe der Vulkane in den fünf amerikanischen Gruppen 91, von denen 56 dem Continent von Südamerika angehören. Ich zähle als Vulkane auf, außer 318 denen, welche noch gegenwärtig entzündet und thätig sind; auch diejenigen vulkanischen Gerüste, deren alte Ausbrüche einer historischen Zeit angehören, oder deren Bau und Eruptions-Massen (Erhebungs- und Auswurfs-Krater, Laven, Schlacken, Bimssteine und Obsidiane) sie jenseits aller Tradition als längst erloschene Feuerberge charakterisiren. Ungeöffnete Trachytkegel und Dome oder ungeöffnete lange Trachytrücken, wie der Chimborazo und Iztaccihuatl, sind ausgeschlossen. Diesen Sinn haben auch Leopold von Buch, Charles Darwin und Friedrich Naumann dem Worte Vulkan in ihren geographischen Aufzählungen gegeben. Noch entzündete Vulkane nenne ich solche, welche, in großer Nähe gesehen, noch Zeichen ihrer Thätigkeit in hohem oder geringem Grade darbieten; theilweise auch in neuerer Zeit große, historisch bekannte Ausbrüche gezeigt haben. Der Beisatz »in großer Nähe gesehen« ist sehr wichtig, da vielen Vulkanen die noch bestehende Thätigkeit abgesprochen wird: weil, aus der Ebene beobachtet, die dünnen Dämpfe, welche in bedeutender Höhe aus dem Krater aufsteigen, dem Auge unsichtbar bleiben. Wurde nicht zur Zeit meiner amerikanischen Reise geläugnet, daß Pichincha und der große Vulkan von Mexico (Popocatepetl) entzündet seien! da doch ein unternehmender Reisender, Sebastian WisseHumboldt, Kleinere Schriften Bd. I. S. 90., im Krater des Pichincha um den großen thätigen Auswurfskegel noch 70 entzündete Mündungen (Fumarolen) zählte: und ich am Fuß des Popocatepetl in dem Malpais del Llano de Tetimpa, in welchem ich eine Grundlinie zu messen hatte, ZeugeDen 24 Januar 1804. S. mein Essai politique sur la Nouvelle-Espagne T. I. p. 166. eines höchst deutlichen Aschen-Auswurfs des Vulkans wurde.
In der Reihenfolge der Vulkane von Neu-Granada und Quito, welche in 18 Vulkanen noch 10 entzündete umfaßt und ohngefähr die doppelte Länge der Pyrenäen hat, kann man 319 von Norden nach Süden als vier kleinere Gruppen oder Unterabtheilungen bezeichnen: den Paramo de Ruiz und den nahen Vulkan von Tolima (Br. nach Acosta 4° 55' N.); Puracé und Sotará bei Popayan(Br. 2°¼); die Volcanes de Pasto, Tuquerres und Cumbal (Br. 2° 20' bis 0° 50'); die Reihe der Vulkane von Pichincha bei Quito bis zu dem ununterbrochen thätigen Sangay (Aequator bis 2° südlicher Breite). Diese letzte Unterabtheilung der ganzen Gruppe ist unter den Vulkanen der Neuen Welt weder besonders auffallend durch ihre große Länge, noch durch die Gedrängtheit ihrer Reihung. Man weiß jetzt, daß sie auch nicht die höchsten Gipfel einschließt; denn der Aconcagua in Chili (Br. 32° 39'): von 21584 F. nach Kellet, von 22434 F. nach Fitz-Roy und Pentland; wie die Nevados von Sahama (20970 F.), Parinacota (20670 F.), Gualateiri (20604 F.) und Pomarape (20360 F.), alle vier zwischen 18° 7' und 18° 25' südlicher Breite: werden für höher gehalten als der Chimborazo (20100 F.) Dennoch genießen die Vulkane von Quito unter allen Vulkanen des Neuen Continents den am weitesten verbreiteten Ruf; denn an jene Berge der Andeskette, an jenes Hochland von Quito ist das Andenken mühevoller, nach wichtigen Zwecken strebender: astronomischer, geodätischer, optischer, barometrischer Arbeiten geknüpft; das Andenken an zwei glänzende Namen, Bouguer und La Condamine! Wo geistige Beziehungen walten, wo eine Fülle von Ideen angeregt wird, welche gleichzeitig zur Erweiterung mehrerer Wissenschaften geführt haben, bleibt gleichsam örtlich der Ruhm auf lange gefesselt. So ist er auch vorzugsweise in den schweizer Alpen dem Montblanc geblieben: nicht wegen seiner Höhe, welche die des Monte Rosa nur um 523 Fuß übertrifft; nicht wegen der 320 überwundenen Gefahr seiner Ersteigung: sondern wegen des Werthes und der Mannigfaltigkeit physikalischer und geologischer Ansichten, welche Saussure's Namen und das Feld seiner rastlosen Arbeitsamkeit verherrlichen. Die Natur erscheint da am größten, wo neben dem sinnlichen Eindruck sie sich auch in der Tiefe des Gedankens reflectirt.
Die Vulkan-Reihe von Peru und Bolivia, noch ganz der Aequinoctial-Zone angehörig und nach Pentland erst bei 15900 Fuß Höhe mit ewigem Schnee bedeckt (Darwin, Journal 1845 p. 244), erreicht ohngefähr in der Mitte ihrer Länge, in der Sahama-Gruppe, das Maximum ihrer Erhebung (20970 F.), zwischen 18° 7' und 18° 25' südlicher Breite. Dort erscheint bei Arica eine sonderbare busenförmige Einbiegung des Gestades, welcher eine plötzliche Veränderung in der Achsenrichtung der Andeskette und der ihr westlich vorliegenden Vulkan-Reihe entspricht. Von da gegen Süden streicht das Littoral, und zugleich die vulkanische Spalte, nicht mehr von Südost in Nordwest, sondern in der Richtung des Meridians: einer Richtung, die sich bis nahe dem westlichen Eingange der Magellanischen Meerenge, auf einer Länge von mehr als fünfhundert geographischen Meilen, erhält. Ein Blick auf die von mir im Jahr 1831 herausgegebene Karte der Verzweigungen und Bergknoten der Andeskette bietet noch viele andere ähnliche Uebereinstimmungen zwischen dem Umriß des Neuen Continents und den nahen oder fernen Cordilleren dar. So richten sich zwischen den Vorgebirgen Aguja und San Lorenzo (5°½ bis 1° südlicher Breite) beide, das Littoral der Südsee und die Cordilleren, von Süd nach Nord, nachdem sie so lange zwischen den Parallelen von Arica und Caramarca von Südost nach Nordwest gerichtet waren; so laufen 321 Littoral und Cordilleren vom Bergknoten des Imbabura bei Quito bis zu dem de los RoblesDer Glimmerschiefer-Bergknoten de los Robles (Br. 2° 2') und des Paramo de las Papas (Br. 2° 20') enthält die, nicht 1½ Meilen von einander getrennten Alpenseen, Laguna de S. Iago und del Buey: aus deren ersterer die Cauca und zweiter der Magdalenenfluß entspringt, um, bald durch eine Central-Gebirgskette getrennt, sich erst in dem Parallel von 9° 27' in den Ebenen von Mompox und Tenerife mit einander zu verbinden. Für die geologische Frage: ob die vulkanreiche Andeskette von Chili, Peru, Bolivia, Quito und Neu-Granada mit der Gebirgskette des Isthmus von Panama, und auf diese Weise mit der von Veragua und den Vulkan-Reihen von Costa Rica und ganz Central-Amerika, verzweigt sei, ist der genannte Bergknoten zwischen Popayan, Almaguer und Timana von großer Wichtigkeit. Auf meinen Karten von 1816, 1827 und 1831, deren Bergsysteme durch Brué in Joaquin Acosta's schöne Karte von Neu-Granada (1847) und andere Karten verbreitet worden sind, habe ich gezeigt, wie unter dem nördlichen Parallel von 2° 10' die Andeskette eine Dreitheilung erleidet; die westliche Cordillere läuft zwischen dem Thal des Rio Cauca und dem Rio Atrato, die mittlere zwischen dem Cauca und dem Rio Magdalena, die östliche zwischen dem Magdalenen-Thale und den Llanos (Ebenen), welche die Zuflüsse des Marañon und Orinoco bewässern. Die specielle Richtung dieser drei Cordilleren habe ich nach einer großen Anzahl von Punkten bezeichnen können, welche in die Reihe der astronomischen Ortsbestimmungen fallen, von denen ich in Südamerika allein 152 durch Stern-Culminationen erlangt habe.
Die westliche Cordillere läuft östlich vom Rio Dagua, westlich von Cazeres, Roldanilla, Toro und Anserma bei Cartago, von SSW in NNO, bis zum Salto de San Antonio im Rio Cauca (Br. 5° 14'): welcher südwestlich von der Vega de Supia liegt. Von da und bis zu dem neuntausend Fuß hohen Alto del Viento (Cordillera de Abibe oder Avidi, Br. 7° 12') nimmt die Kette an Höhe und Umfang beträchtlich zu, und verschmelzt sich in der Provinz Antioaquia mit der mittleren oder Central-Cordillere. Weiter in Norden, gegen die Quellen der Rios Lucio und Guacuba, verläuft sich die Kette, in Hügelreihen vertheilt. Die Cordillera occidental, welche bei der Mündung des Dagua in die Bahia de San Buenaventura kaum 8 Meilen von der Südsee-Küste entfernt ist (Br. 3° 50'), hat die doppelte Entfernung im Parallel von Quibdo im Choco (Br. 5° 48'). Diese Bemerkung ist deshalb von einiger Wichtigkeit, weil mit der westlichen Andeskette nicht das hochhüglige Land und die Hügelkette verwechselt werden muß, welche in dieser, an Waschgold reichen Provinz sich von Novita und Tado an längs dem rechten Ufer des Rio San Juan und dem linken Ufer des großen Rio Atrato von Süden nach Norden hinzieht. Diese unbedeutende Hügelreihe ist es, welche in der Quebrada de la Raspadura von dem, zwei Flüsse (den Rio San Juan oder Noanama und den Rio Quibdo, einen Zustrom des Atrato), und durch diese zwei Oceane verbindenden Canal des Mönches durchschnitten wird (Humboldt, Essai pol. T. I. p. 235); sie ist es auch, welche zwischen der von mir so lange vergeblich gerühmten Bahia de Cupica (Br. 6° 42') und den Quellen des Napipi, der in den Atrato fällt, auf der lehrreichen Expedition des Cap. Kellet gesehen worden ist. (Vergl. a. a. O. T. I. p. 231; und Robert Fitz-Roy, considerations on the great Isthmus of Central America, im Journal of the Royal Geogr. Soc. Vol. XX. 1851 p. 178, 180 und 186.) Die mittlere Andeskette (Cordillera central): anhaltend die höchste, bis in die ewige Schneegrenze reichend, und in ihrer ganzen Erstreckung wie die westliche Kette fast von Süden nach Norden gerichtet, beginnt 8 bis 9 Meilen in Nordost von Popayan mit den Paramos von Guanacos, Huila, Iraca und Chinche. Weiter hin erheben sich von S gegen N zwischen Buga und Chaparral der langgestreckte Rücken des Nevado de Baraguan (Br. 4° 11'), la Montaña de Quindio, der schneebedeckte, abgestumpfte Kegel von Tolima, der Vulkan und Paramo de Ruiz und die Mesa de Herveo. Diese hohen und rauhen Berg-Einöden, die man im Spanischen mit dem Namen Paramos belegt, sind durch ihre Temperatur und einen eigenthümlichen Vegetations-Charakter bezeichnet: und liegen in dem Theil der Tropengegend, welchen ich hier beschreibe, nach dem Mittel vieler meiner Messungen von 9500 bis 11000 Fuß über dem Meeresspiegel. In dem Parallel von Mariquita, des Herveo und des Salto de San Antonio des Cauca-Thals beginnt eine massenhafte Vereinigung der westlichen und der Central-Kette, deren oben Erwähnung geschehen ist. Diese Verschmelzung wird am auffallendsten zwischen jenem Salto und der Angostura und Cascada de Caramanta bei Supia. Dort liegt das Hochland der schwer zugänglichen Provinz Antioquia, welche nach Manuel Restrepo sich von 5°¼ bis 8° 34' erstreckt, und in welcher wir in der Richtung von Süden nach Norden nennen als Höhenpunkte: Arma, Sonson; nördlich von den Quellen des Rio Samana: Marinilla, Rio Negro (6420 F.) und Medellin (4548 F.); das Plateau von Santa Rosa (7944 F.) und Valle de Osos. Weiter hin über Cazeres und Zaragoza hinaus, gegen den Zusammenfluß des Cauca und Nechi, verschwindet die eigentliche Gebirgskette; und der östliche Abfall der Cerros de San Lucar, welchen ich bei der Beschiffung und Aufnahme des Magdalena-Stromes von Badillas (Br. 8° 1') und Paturia (Br. 7° 36') aus gesehen, macht sich nur bemerkbar wegen des Contrastes der weiten Flußebene. Die östliche Cordillere bietet das geologische Interesse dar, daß sie nicht nur das ganze nördliche Bergsystem Neu-Granada's von dem Tieflande absondert: aus welchem die Wasser theils durch den Caguan und Caqueta dem Amazonenfluß, theils durch den Guaviare, Meta und Apure dem Orinoco zufließen; sondern auch deutlichst mit der Küstenkette von Caracas in Verbindung tritt. Es findet nämlich dort statt, was man bei Gangsystemen ein Anscharen nennt: eine Verbindung von Gebirgsjöchern, die auf zwei Spalten von sehr verschiedener Richtung und wahrscheinlich auch zu sehr verschiedenen Zeiten sich erhoben haben. Die östliche Cordillere entfernt sich weit mehr als die beiden anderen von der Meridian-Richtung, abweichend gegen Nordosten, so daß sie in den Schneebergen von Merida (Br. 8° 10') schon 5 Längengrade östlicher liegt als bei ihrem Ausgang aus dem Bergknoten de los Robles unfern der Ceja und Timana. Nördlich von dem Paramo de la Suma Paz, östlich von der Purificacion, an dem westlichen Abhange des Paramo von Chingaza, in nur 8220 Fuß Höhe: erhebt sich über einem Eichenwald die schöne, aber baumlose und ernste Hochebene von Bogota (Br. 4° 36'). Sie hat ohngefähr 18 geographische Quadratmeilen, und ihre Lage bietet eine auffallende Aehnlichkeit mit der des Beckens von Kaschmir: das aber am Wuller-See, nach Victor Jacquemont, um 3200 Fuß minder hoch ist und dem südwestlichen Abhange der Himalaya-Kette angehört. Von dem Plateau von Bogota und dem Paramo de Chingaza ab folgen in der östlichen Cordillere der Andes gegen Nordost die Paramos von Guachaneque über Tunja, von Zoraca über Sogamoso; von Chita (15000 F.?), nahe den Quellen des Rio Casanare, eines Zuflusses des Meta; vom Almorzadero (12060 F.) bei Socorro, von Cacota (10308 F.) bei Pamplona, von Laura und Porquera bei la Grita. Hier zwischen Pamplona, Salazar und Rosario (zwischen Br. 7° 8' und 7° 50') liegt der kleine Gebirgsknoten, von dem aus sich ein Kamm von Süden nach Norden gegen Ocaña und Valle de Upar westlich von der Laguna de Maracaibo vorstreckt und mit den Vorbergen der Sierra Nevada de Santa Marta (18000 Fuß?) verbindet. Der höhere und mächtigere Kamm fährt in der ursprünglichen Richtung nach Nordosten gegen Merida, Truxillo und Barquisimeto fort: um sich dort östlich von der Laguna de Maracaibo der Granit-Küstenkette von Venezuela, in Westen von Puerto Cabello, anzuschließen. Von der Grita und dem Paramo de Porquera an erhebt sich die östliche Cordillere auf einmal wieder zu einer außerordentlichen Höhe. Es folgen zwischen den Parallelen von 8° 5' und 9° 7' die Sierra Nevada de Merida (Mucuchies), von Boussingault untersucht und von Codazzi trigonometrisch zu 14136 Fuß Höhe bestimmt; und die vier Paramos de Timotes, Niquitao, Boconó und de las Rosas: voll der herrlichsten Alpenpflanzen. (Vergl. Codazzi, Resúmen de la Geografía de Venezuela 1841 p. 12 und 495; auch meine Asie centrale über die Höhe des ewigen Schnees in dieser Zone, T. III. p. 258–262. Vulkanische Thätigkeit fehlt der westlichen Cordillere ganz; der mittleren ist sie eigen bis zum Tolima und Paramo de Ruiz: die aber vom Vulkan von Puracé fast um drei Breitengrade getrennt sind. Die östliche Cordillere hat nahe an ihrem östlichen Abfall, an dem Ursprung des Rio Fragua, nordöstlich von Mocoa, südöstlich von Timana, einen rauchenden Hügel: entfernter vom Littoral der Südsee als irgend ein anderer noch thätiger Vulkan im Neuen Continent. Eine genaue Kenntniß der örtlichen Verhältnisse der Vulkane zu der Gliederung der Gebirgszüge ist für die Vervollkommnung der Geologie der Vulkane von höchster Wichtigkeit. Alle älteren Karten, das einzige Hochland von Quito abgerechnet, konnten nur irre leiten.
Wenn auch gegenwärtig in den Vulkan-Reihen von Bolivia und Chili der, der Südsee nähere, westliche Zweig der Andeskette die meisten Spuren noch dauernder vulkanischer Thätigkeit aufweist; so hat ein sehr erfahrener Beobachter, Pentland, doch auch am Fuß der östlichen, von der Meeresküste über 45 geogr. Meilen entfernten Kette einen völlig erhaltenen, aber ausgebrannten Krater mit unverkennbaren Lavaströmen aufgefunden. Es liegt derselbe auf dem Gipfel eines Kegelberges bei San Pedro de Cacha im Thal von Yucay, in fast 11300 Fuß Höhe (Br. 14° 8', Länge 73° 40'): südöstlich von Cuzco, wo die östliche Schneekette von Apolobamba, Carabaya und Vilcanoto sich von SO nach NW hinzieht. Dieser merkwürdige PunktPentland in Mary Somerville's Phys. Geography (1851) Vol. I. p. 185. Der Pic von Vilcanoto (15970 F.): liegend in Br. 14° 28', ein Theil des mächtigen Gebirgsstockes dieses Namens, ost-westlich gerichtet, schließt das Nordende der Hochebene: in welcher der 22 geogr. Meilen lange See von Titicaca, ein kleines Binnenmeer, liegt. ist durch die Ruinen eines berühmten Tempels des Inca Viracocha bezeichnet. Die Meeresferne des alten, lavagebenden Vulkans ist weit größer als die des Sangay, der ebenfalls einer östlichen Cordillere zugehört; größer als die des Orizaba und Jorullo.
Eine vulkanleere Strecke von 135 Meilen Länge scheidet die Vulkan-Reihe Peru's und Bolivia's von der von Chili. Das ist der Abstand des Ausbruchs in der Wüste von Atacama von dem Vulkan von Coquimbo. Schon 2° 34' südlicher erreicht, wie früher bemerkt, im Vulkan Aconcagua (21584 F.) die Gruppe der Vulkane von Chili das Maximum 322 ihrer Höhe: welches nach unsren jetzigen Kenntnissen zugleich auch das Maximum aller Gipfel des Neuen Continents ist. Die mittlere Höhe der Sahama-Gruppe ist 20650 Fuß, also 550 Fuß höher als der Chimborazo. Dann folgen in schnell abnehmender Höhe: Cotopaxi, Arequipa(?) und Tolima zwischen 17712 und 17010 Fuß Höhe. Ich gebe scheinbar in sehr genauen Zahlen, unverändert, Resultate von Messungen an, welche ihrer Natur nach leider! aus trigonometrischen und barometrischen Bestimmungen zusammengesetzt sind: weil auf diese Weise am meisten zur Wiederholung der Messungen und Correction der Resultate angeregt wird. In der Reihe der Vulkane Chili's, deren ich 24 aufgeführt habe, sind leider sehr wenige und meist nur die südlichen, niedrigeren: zwischen den Parallelen von 37° 20' bis 43° 40', von Antuco bis Yantales, hypsometrisch bestimmt. Es haben dieselben die unbeträchtlichen Höhen von sechs- bis achttausend Fuß. Auch in der Tierra del Fuego selbst erhebt sich der mit ewigem Schnee bedeckte Gipfel des Sarmiento nach Fitz-Roy nur bis 6400 Fuß. Vom Vulkan von Coquimbo bis zu dem Vulkan San Clemente zählt man 242 Meilen.
Ueber die Thätigkeit der Vulkane von Chili haben wir die wichtigen Zeugnisse von Charles DarwinVergl. Darwin, Journal of researches into the Natural History and Geology during the Voyage of the Beagle 1845 p. 275, 291 und 310.: der den Osorno, Corcovado und Aconcagua sehr bestimmt als entzündet aufführt; die Zeugnisse von Meyen, Pöppig und Gay: welche den Maipu, Antuco und Peteroa bestiegen; die von Domeyko, dem Astronomen Gilliß und Major Philippi. Man möchte die Zahl der entzündeten Krater auf dreizehn setzen: nur fünf weniger als in der Gruppe von Central-Amerika.
Von den 5 Gruppen der Reihen-Vulkane des Neuen Continents, welche nach astronomischen Ortsbestimmungen 323 und meist auch hypsometrisch in Lage und Höhe haben angegeben werden können, wenden wir uns nun zu dem Alten Continent: in dem, ganz im Gegensatz mit dem Neuen, die größere Zahl zusammengedrängter Vulkane nicht dem festen Lande, sondern den Inseln angehört. Es liegen die meisten europäischen Vulkane im mittelländischen Meere, und zwar (wenn man den großen, mehrfach thätigen Krater zwischen Thera, Therasia und Aspronisi mitrechnet) in dem tyrrhenischen und ägäischen Theile; es liegen in Asien die mächtigsten Vulkane auf den Großen und Kleinen Sunda-Inseln, den Molukken, den Philippinen; in den Archipelen von Japan, der Kurilen und der Aleuten im Süden und Osten des Continents.
In keiner anderen Region der Erdoberfläche zeigen sich so häufige und so frische Spuren des regen Verkehrs zwischen dem Inneren und dem Aeußeren unseres Planeten als auf dem engen Raume von kaum 800 geographischen Quadratmeilen zwischen den Parallelen von 10° südlicher und 14° nördlicher Breite, wie zwischen den Meridianen der Südspitze von Malacca und der Westspitze der Papua-Halbinsel von Neu-Guinea. Das Areal dieser vulkanischen Inselwelt erreicht kaum die Größe der Schweiz: und wird bespült von der Sunda-, Banda-, Solo- und Mindoro-See. Die einzige Insel Java enthält noch jetzt eine größere Zahl entzündeter Vulkane als die ganze südliche Hälfte von Amerika, wenn gleich diese Insel nur 136 geographische Meilen lang ist, d. i. nur 1/7 der Länge von Südamerika hat. Ein neues, langerwartetes Licht über die geognostische Beschaffenheit von Java ist (nach früheren, sehr unvollständigen, aber verdienstlichen Arbeiten von Horsfield, Sir Thomas Stamford Raffles und Reinwardt) durch einen kenntnißvollen, kühnen und unermüdet thätigen Naturforscher, 324 Franz Junghuhn, neuerdings verbreitet worden. Nach einem mehr als zwölfjährigen Aufenthalte hat er in einem lehrreichen Werke: Java, seine Gestalt und Pflanzendecke und innere Bauart, die ganze Naturgeschichte des Landes umfaßt. Ueber 400 Höhen wurden barometrisch mit Sorgfalt gemessen; die vulkanischen Kegel- und Glockenberge, 45 an der Zahl, in Profilen dargestellt und bis auf dreiJunghuhn, Java Abth. I. S. 79. alle von Junghuhn erstiegen. Ueber die Hälfte, wenigstens 28, wurden als noch entzündet und thätig erkannt; ihre merkwürdigen und so verschiedenen Reliefformen mit ausgezeichneter Klarheit beschrieben, ja in die erreichbare Geschichte ihrer Ausbrüche eingedrungen. Nicht minder wichtig als die vulkanischen Erscheinungen von Java sind die dortigen Sediment-Formationen tertiärer Bildung, die vor der eben genannten ausführlichen Arbeit uns vollkommen unbekannt waren und doch 3/5 des ganzen Areals der Insel, besonders in dem südlichen Theile, bedecken. In vielen Gegenden von Java finden sich als Reste ehemaliger weitverbreiteter Wälder drei bis sieben Fuß lange Bruchstücke von verkieselten Baumstämmen, die allein den Dicotyledonen angehören. Für ein Land, in welchem jetzt eine Fülle Palmen und Baumfarren wachsen, ist dies um so merkwürdiger, als im miocänen Tertiär-Gebirge der Braunkohlen-Formation von Europa: da, wo jetzt baumstämmige Monocotyledonen nicht mehr gedeihen, nicht selten fossile Palmen angetroffen werden.A. a. O. Abth. III. S. 155 und Göppert, die Tertiärflora auf der Insel Java nach den Entdeckungen von Fr. Junghuhn (1854) S. 17. Die Abwesenheit der Monocotyledonen ist aber nur eigenthümlich den zerstreut auf der Oberfläche und besonders in den Bächen der Regentschaft Bantam liegenden verkieselten Baumstämmen; in den unterirdischen Kohlenschichten finden sich dagegen Reste von Palmenholz, die zwei Geschlechtern (Flabellaria und Amesoneuron) angehören. S. Göppert S. 31 und 35. Durch das fleißige Sammeln von Blatt-Abdrücken und versteinerten Hölzern hat Junghuhn Gelegenheit dargeboten, daß die nach seiner Sammlung von Göppert scharfsinnig bearbeitete vorweltliche Flora von Java als das erste Beispiel der fossilen Flora einer rein tropischen Gegend hat erscheinen können.
325 Die Vulkane von Java stehen in Ansehung der Höhe, welche sie erreichen, denen der drei Gruppen von Chili, Bolivia und Peru, ja selbst der zwei Gruppen von Quito sammt Neu-Granada und vom tropischen Mexico, weit nach. Die Maxima, welche die genannten amerikanischen Gruppen erreichen, sind für Chili, Bolivia und Quito 20000 bis 21600 Fuß; für Mexico 17000 Fuß. Das ist fast um zehntausend Fuß (um die Höhe des Aetna) mehr als die größte Höhe der Vulkane von Sumatra und Java. Auf der letzteren Insel ist der höchste und noch entzündete Coloß der Gunung Semeru, die culminirende Spitze der ganzen javanischen Vulkan-Reihe. Junghuhn hat dieselbe im September 1844 erstiegen; das Mittel seiner Barometer-Messungen gab 11480 Fuß über der Meeresfläche: also 1640 Fuß mehr als der Gipfel des Aetna. Bei Nacht sank das hunderttheilige Thermometer unter 6°,2. Der ältere, Sanskrit-Name des Gunung Semeru war Mahâ-Mêru (der große Meru): eine Erinnerung an die Zeit, als die Malayen indische Cultur aufnahmen; eine Erinnerung an den Weltberg im Norden, welcher nach dem Mahabharata der mythische Sitz ist von Brahma, Wischnu und den sieben Dêvarschi.Ueber die Bedeutung des Wortes Mêru und die Vermuthungen, welche mir Burnouf über seinen Zusammenhang mit mîra (einem Sanskrit-Worte für Meer) mitgetheilt, s. meine Asie centrale T. I. p. 114–116 und Lassen's Indische Alterthumskunde Bd. I. S. 847: der geneigt ist den Namen für nicht sanskritischen Ursprungs zu halten. Auffallend ist es, daß: wie die Eingeborenen der Hochebene von Quito schon vor jeglicher Messung errathen hatten, daß der Chimborazo alle andere Schneeberge des Landes überrage, so die Javanen auch wußten, daß der heilige Berg Mahâ-Mêru, welcher von dem Gunung Ardjuna (10350 F.) wenig entfernt ist, das Maximum der Höhe auf der Insel erreiche; und doch konnte hier, in einem schneefreien Lande, der größere Abstand des Gipfels von der Niveau-Linie der ewigen unteren Schneegrenze eben so wenig das Urtheil leiten als die Höhe eines temporären, zufälligen Schneefalles.S. Kosmos Bd. IV. S. 284 u. 521–2 Anm. 2027.
326 Der Höhe des Gunung Semeru, welcher 11000 Fuß übersteigt, kommen vier andere Vulkane am nächsten, die hypsometrisch zu zehn- und eilftausend Fuß gefunden wurden. Es sind GunungGunung ist das javanische Wort für Berg, im Malayischen gûnong: das merkwürdigerweise nicht weiter über den ungeheuren Bereich des malayischen Sprachstammes verbreitet ist; s. die vergleichende Worttafel in meines Bruders Werke über die Kawi-Sprache Bd. II. S. 249 No. 62. Da es die Gewohnheit ist dieses Wort gunung den Namen der Berge auf Java vorzusetzen, so ist es im Texte durch ein einfaches G. angedeutet. Slamat oder Berg von Tegal (10430 F.), G. Ardjuna (10350 F.), G. Sumbing (10348 F.) und G. Lawu (10065 F.). Zwischen neun- und zehntausend Fuß fallen noch sieben Vulkane von Java: ein Resultat, das um so wichtiger ist, als man früher keinem Gipfel auf der Insel mehr als sechstausend Fuß zuschrieb.Léop. de Buch, description physique des Iles Canaries 1836 p. 419. Aber nicht bloß Java (Junghuhn Abth. I. S. 61 und Abth. II. S. 547) hat einen Coloß, den Semeru von 11480 F.: welcher also den Pic von Teneriffa um ein Geringes an Höhe übersteigt; dem, ebenfalls noch thätigen, aber, wie es scheint, minder genau gemessenen Pic von Indrapura auf Sumatra werden auch 11500 Fuß zugeschrieben (Abth. I. S. 78 und Profil-Karte No. 1). Diesem stehen auf Sumatra am nächsten die Kuppe Telaman, welche einer der Gipfel des Ophir (nicht 12980, sondern nur 9010 F. hoch) ist; und der Merapi (nach Dr. Horner 8980 F.), der thätigste unter den 13 Vulkanen von Sumatra: der aber (Abth. II. S. 294 und Junghuhn's Battaländer 1847 Th. I. S. 25), bei der Gleichheit des Namens, nicht zu verwechseln ist mit zwei Vulkanen auf Java: dem berühmten Merapi bei Jogjakerta (8640 F.) und dem Merapi als östlichem Gipfeltheile des Vulkans Idjen (8065 F.). Man glaubt in dem Merapi wieder den heiligen Namen Meru, mit dem malayischen und javanischen Worte api, Feuer, verbunden, zu erkennen. Unter den fünf Gruppen der nord- und südamerikanischen Vulkane ist die von Guatemala (Central-Amerika) die einzige, welche in mittlerer Höhe von der Java-Gruppe übertroffen wird. Wenn auch bei Alt-Guatemala der Volcan de Fuego (nach der Berechnung und Reduction von Poggendorff) 12300 Fuß, also 820 Fuß mehr Höhe als der Gunung Semeru, erreicht; so schwankt doch der übrige Theil der Vulkan-Reihe Central-Amerika's nur zwischen fünf- und siebentausend: nicht, wie auf Java, zwischen sieben- und zehntausend Fuß. Der höchste Vulkan Asiens ist aber nicht in dem asiatischen Inselreiche (dem Archipel der Sunda-Inseln), sondern auf dem Continent zu suchen; denn auf der Halbinsel Kamtschatka erhebt sich der Vulkan Kljutschewsk bis 14790 Fuß, fast zur Höhe des Rucu-Pichincha in den Cordilleren von Quito.
Die gedrängte Reihe der Vulkane von Java (über 45 an der Zahl) hat in ihrer Haupt-AxeJunghuhn, Java Abth. I. S. 80. die Richtung WNW–OSO (genau W 12° N): also meist der Vulkan-Reihe des östlichen Theils von Sumatra, aber nicht der Längen-Axe der Insel Java parallel. Diese allgemeine Richtung der Vulkan-Kette schließt keinesweges die Erscheinung aus, auf welche man neuerlichst auch in der großen Himalaya-Kette aufmerksam gemacht hat: daß einzeln 3 bis 4 hohe Gipfel so zusammengereiht 327 sind, daß die kleinen Axen dieser Partial-Reihen mit der Haupt-Axe der Kette einen schiefen Winkel machen. Dies Spalten-Phänomen: welches Hodgson, Joseph Hooker und Strachey beobachtet und theilweise dargestellt habenVergl. Jos. Hooker, Sketch-Map of Sikhim 1850, und in seinen Himalaya Journals Vol. I. 1854 Map of part of Bengal; wie auch Strachey, Map of West-Nari in seiner Physical Geography of Western Tibet 1853., ist von großem Interesse. Die kleinen Axen der Nebenspalten scharen sich an die große an, bisweilen fast unter einem rechten Winkel, und selbst in vulkanischen Ketten liegen oft gerade die Maxima der Höhen etwas von der großen Axe entfernt. Wie in den meisten Reihen-Vulkanen, bemerkt man auch auf Java kein bestimmtes Verhältniß zwischen der Höhe und der Größe des Gipfel-Kraters. Die beiden größten Krater gehören dem Gunung Tengger und dem Gunung Raon an. Der erste von beiden ist ein Berg dritter Classe, von nur 8165 Fuß Höhe. Sein zirkelrunder Krater hat aber über 20000 Fuß, also fast eine geographische Meile, im Durchmesser. Der ebene Boden des Kraters ist ein Sandmeer, dessen Fläche 1750 Fuß unter dem höchsten Punkte der Umwallung liegt, und in dem hier und da aus der Schicht zerriebener Rapilli schlackige Lavamassen hervorragen. Selbst der ungeheure und dazu mit glühender Lava angefüllte Krater des Kirauea auf Hawaii erreicht nach der so genauen trigonometrischen Aufnahme des Cap. Wilkes und den vortrefflichen Beobachtungen Dana's nicht die Krater-Größe des Gunung Tengger. In der Mitte des Kraters von dem letzteren erheben sich vier kleine Auswurfs-Kegel, eigentlich umwallte trichterförmige Schlünde: von denen jetzt nur einer, Bromo (der mythische Name Brahma: ein Wort, welchem in den Kawi-Wortverzeichnissen die Bedeutung Feuer beigelegt wird, die das Sanskrit nicht zeigt), unentzündet ist. Bromo bietet das merkwürdige Phänomen dar, daß in seinem Trichter sich von 1838 bis 1842 ein See bildete: von welchem Junghuhn erwiesen hat, daß er 328 seinen Ursprung dem Zufluß atmosphärischer Wasser verdankt, die durch gleichzeitiges Eindringen von Schwefeldämpfen erwärmt und gesäuert wurden.Junghuhn, Java Abth. II. fig. IX S. 572, 596 und 601–604. Von 1829 bis 1848 hat der kleine Auswurfs-Krater des Bromo 8 feurige Eruptionen gehabt. Der Kratersee, welcher 1842 verschwunden war, hatte sich 1848 wieder gebildet; aber nach den Beobachtungen von B. van Herwerden soll die Anwesenheit des Wassers im Kesselschlunde gar nicht den Ausbruch glühender, weit geschleuderter Schlacken gehindert haben. Nach dem Gunung Tengger hat der Gunung Raon den größten Krater, im Durchmesser jedoch um die Hälfte kleiner. Seine Tiefe gewährt einen schauervollen Anblick. Sie scheint über 2250 Fuß zu betragen; und doch ist der merkwürdige, 9550 Fuß hohe Vulkan, welchen Junghuhn bestiegen und so sorgfältig beschriebenJunghuhn Abth. II. S. 624–641. hat, nicht einmal auf der so verdienstvollen Karte von Raffles genannt worden.
Die Vulkane von Java bieten, wie meist alle Reihen-Vulkane, die wichtige Erscheinung dar, daß Gleichzeitigkeit großer Eruptionen viel seltener bei einander nahe liegenden als bei weit von einander entfernten Kegeln beobachtet wird. Als in der Nacht vom 11ten zum 12ten August 1772 der Vulkan G. Pepandajan (6600 F.) den verheerendsten Feuerausbruch hatte, der in historischen Zeiten die Insel betroffen hat, entflammten sich in derselben Nacht zwei andere Vulkane, der G. Tjerimaï und der G. Slamat, welche in gerader Linie 46 und 88 geogr. Meilen vom Pepandajan entfernt liegen.Der G. Pepandajan ist 1819 von Reinwardt, 1837 von Junghuhn erstiegen worden. Der Letztere: welcher die Umgebung des Berges, ein mit vielen eckigen ausgeworfenen Lavablöcken bedecktes Trümmerfeld, genau untersucht und mit den frühesten Berichten verglichen hat, hält die durch so viele schätzbare Werke verbreitete Nachricht, daß ein Theil des eingestürzten Berges und ein Areal von mehreren Quadratmeilen während des Ausbruchs von 1772 versunken sei, für sehr übertrieben; Junghuhn Abth. II. S. 98 und 100. Stehen auch die Vulkane einer Reihe alle über Einem Heerde; so ist doch gewiß das Netz der Spalten, durch welche sie communiciren, so zusammengesetzt, daß die Verstopfung alter Dampfcanäle, oder im Lauf der Jahrhunderte die temporäre Eröffnung neuer den simultanen Ausbruch auf sehr entfernten Punkten begreiflich machen. Ich erinnere an das plötzliche Verschwinden der Rauchsäule, die aus dem Vulkan von Pasto aufstieg, als am Morgen des 4ten Februars 1797 das furchtbare Erdbeben von Riobamba die Hochebene von Quito zwischen dem Tunguragua und Cotopaxi erschütterte.Kosmos Bd. IV. S. 231 und S. 495–496 Anm. 1951; und Voyage aux Régions équinox. T. II. p. 16.
329 Den Vulkanen der Insel Java wird im allgemeinen ein Charakter gerippter Gestaltung zugeschrieben: von dem ich auf den canarischen Inseln, in Mexico und in den Cordilleren von Quito nichts ähnliches gesehen habe. Der neueste Reisende, welchem wir so treffliche Beobachtungen über den Bau der Vulkane, die Geographie der Pflanzen und die psychrometrischen Feuchtigkeits-Verhältnisse verdanken: hat die Erscheinung, deren ich hier erwähne, mit so bestimmter Klarheit beschrieben, daß ich, um zu neuen Untersuchungen Anlaß zu geben, nicht versäumen darf die Aufmerksamkeit auf jene Regelmäßigkeit der Form zu richten. »Obgleich«, sagt Herr Junghuhn, »die Oberfläche eines 10300 Fuß hohen Vulkans, des Gunung Sumbing, aus einiger Entfernung gesehen, wie eine ununterbrochen ebene und geneigte Fläche des Kegelberges erscheint; so findet man doch bei näherer Betrachtung, daß sie aus lauter einzelnen schmalen Länge-Rücken oder Rippen besteht, die nach unten zu sich immer mehr spalten und breiter werden. Sie ziehen sich vom Gipfel des Vulkans oder noch häufiger von einer Höhe, die einige hundert Fuß unterhalb des Gipfels liegt, nach allen Seiten, wie die Strahlen eines Regenschirmes divergirend, zum Fuße des Berges herab.« Diese rippenförmigen Länge-Rücken haben bisweilen auf kurze Zeit einen geschlängelten Lauf: werden aber alle durch neben einander liegende, gleich gerichtete, auch im Herabsteigen breiter werdende Zwischenklüfte von drei- bis vierhundert Fuß Tiefe gebildet. Es sind Ausfurchungen der Oberfläche, »welche an den Seitengehängen aller Vulkane der Insel Java sich wiederfinden, aber in der mittleren Tiefe und dem Abstande ihres oberen Anfanges vom Kraterrande und von einem uneröffneten Gipfel bei den verschiedenen Kegelbergen bedeutend von einander abweichen. Der 330 G. Sumbing (10348 F.) gehört zu der Anzahl derjenigen Vulkane, welche die schönsten und regelmäßigst gebildeten Rippen zeigen, da der Berg von Waldbäumen entblößt und mit Gras bedeckt ist.« Nach den Messungen, welche JunghuhnJunghuhn Abth. II. S. 241–246. bekannt gemacht, nimmt die Zahl der Rippen durch Verzweigung eben so zu, als der Neigungswinkel abnimmt. Oberhalb der Zone von 9000 Fuß sind im G. Sumbing nur etwa 10 solche Rippen, in 8500 F. Höhe 32, in 5500 F. an 72, in 3000 F. Höhe über 95. Der Neigungswinkel nimmt dabei ab von 37° zu 25° und 10°½ Fast eben so regelmäßig sind die Rippen am Vulkan G. Tengger (8165 F.): während sie am G. Ringgit durch die verwüstenden Ausbrüche, welche dem Jahre 1586 folgten, bedeckt und zerstört worden sind.A. a. O. S. 566, 590 und 607–609. »Die Entstehung der so eigenthümlichen Längen-Rippen und der dazwischen liegenden Bergklüfte, deren Zeichnungen gegeben sind, wird der Auswaschung durch Bäche zugeschrieben.«
Allerdings ist die Masse der Meteorwasser in dieser Tropengegend im Mittel wohl 3- bis 4mal beträchtlicher als in der temperirten Zone, ja die Zuströmungen sind oft wolkenbruchartig; denn wenn auch im ganzen die Feuchtigkeit mit der Höhe der Luftschichten abnimmt, so üben dagegen die großen Kegelberge eine besondere Anziehung auf das Gewölk aus: und die vulkanischen Ausbrüche sind, wie ich schon an anderen Orten bemerkt habe, ihrer Natur nach gewittererregend. Die Kluft- und Thalbildungen (Barrancos), welche in den Vulkanen der canarischen Inseln und in den Cordilleren von Südamerika nach den von Leopold von BuchLeop. von Buch, physicalische Beschr. der canarischen Inseln S. 206, 218, 248 und 289. und von mir vielfältig gegebenen Beschreibungen dem Reisenden wichtig werden, weil sie ihm das Innere des Gebirges erschließen und ihn selbst bisweilen bis in die Nähe der höchsten Gipfel und an die 331 Umwallung eines Erhebungs-Kraters leiten, bietet analoge Erscheinungen dar; aber wenn dieselben auch zu Zeiten die sich sammelnden Meteorwasser fortführen, so ist diesen doch wohl nicht die primitive Entstehung der barrancosBarranco und barranca, beide gleichbedeutend und beide genugsam im spanischen Amerika gebraucht, bezeichnen allerdings eigentlich eine Wasserfurche, einen Wasserriß: la quiebra que hacen en la tierra las corrientes de las aguas; – »una torrente que hace barrancas«; weiter bezeichnen sie auch jegliche Schlucht. Daß aber das Wort barranca mit barro: Thon, weicher, feuchter Letten, auch Wegkoth zusammenhange; ist zu bezweifeln. an dem Abfall der Vulkane zuzuschreiben. Spaltungen als Folge der Faltung in der weich gehobenen und sich erst später erhärtenden trachytischen Masse sind wahrscheinlich allen Erosions-Wirkungen und dem Stoß der Wasser vorhergegangen. Wo aber tiefe barrancos in den von mir besuchten vulkanischen Gegenden sich an dem Abfall oder Gehänge von Glocken- oder Kegelbergen (en las faldas de los Cerros barrancosos) zeigten, war keine Spur von der Regelmäßigkeit oder strahlenförmigen Verzweigung zu entdecken, welche wir nach Junghuhn's Werken in den sonderbaren Reliefformen der Vulkane von Java kennen lernen.Lyell, Manual of elementary Geology 1855 chapt. XXIX p. 497. Die auffallendste Analogie mit dem Phänomen regelmäßiger Geripptheit auf Java bietet die Oberfläche des Somma-Mantels am Vesuv dar: über dessen 70 Faltungen ein scharfsinniger und genau messender Beobachter, der Astronom Julius Schmidt, viel Licht verbreitet hat (die Eruption des Vesuvs im Mai 1855 S. 101–109). Diese Thalfurchen sind nach Leop. von Buch ihrem primitiven Ursprunge nach nicht Regenrisse (fiumare), sondern Folgen der Zersprengtheit (Faltung, étoilement) bei erster Erhebung der Vulkane. Auch die meist radiale Stellung der Seiten-Ausbrüche gegen die Achse der Vulkane scheint damit zusammenzuhangen (S. 129). Die meiste Analogie mit der hier behandelten Reliefform gewährt das Phänomen, auf welches Leopold von Buch und der scharfsinnige Beobachter der Vulkane, Poulet Scrope, schon aufmerksam gemacht haben: das Phänomen, daß große Spalten sich fast immer nach der Normal-Richtung der Abhänge, strahlenförmig, doch unverzweigt, vom Centrum des Berges aus, nicht queer auf denselben, in rechtem oder schiefem Winkel eröffnen.
Der Glaube an die völlige Abwesenheit von Lavaströmen auf der Insel Java»L'obsidienne et par conséquent les pierres-ponces sont aussi rares à Java que le trachyte lui-même. Un autre fait très curieux c'est l'absence de toute coulée de lave dans cette île volcanique. Mr. Reinwardt, qui lui-même a observé un grand nombre d'éruptions, dit expressément qu'on n'a jamais eu d'exemples que l'éruption la plus violente et la plus dévastatrice ait été accompagnée de laves.« Léop. de Buch, description des Iles Canaries p. 419. In den vulkanischen Gebirgsarten von Java, welche das Mineralien-Cabinet zu Berlin dem Dr. Junghuhn verdankt, sind Diorit-Trachyte, aus Oligoklas und Hornblende zusammengesetzt, deutlichst zu erkennen zu Burung-agung S. 255 des Leidener Catalogs, zu Tjinas S. 232 und im Gunung Parang, der im District Batu-gangi liegt. Das ist also identisch die Formation von dioritischem Trachyte der Vulkane Orizaba und Toluca von Mexico, der Insel Panaria in den Liparen und Aegina im ägäischen Meer!, zu dem Leopold von Buch nach Erfahrungen des verdienstvollen Reinwardt sich hinzuneigen schien, ist durch die neueren Beobachtungen mehr als erschüttert worden. Junghuhn bemerkt allerdings, »daß der mächtige Vulkan Gunung Merapi in der geschichtlichen Periode seiner Ausbrüche nicht mehr zusammenhangende, compacte Lavaströme gebildet, und daß er nur Lava-Fragmente (Trümmer) oder unzusammenhangende Steinblöcke ausgeworfen habe: wenn man auch 332 im Jahr 1837 neun Monate lang an dem Abhange des Auswurfskegels nächtlich feurige Streifen herabziehen sah.«Junghuhn Abth. II. S. 309 und 314. Die feurigen Streifen, welche man am Vulkan G. Merapi sah, waren gebildet durch nahe zusammengedrängte Schlackenströme (traînées de fragmens), durch unzusammenhangende Massen, die beim Ausbruch nach derselben Seite hin herabrollen und bei sehr verschiedenem Gewicht am jähen Abfall auf einander stoßen. Bei dem Ausbruch des G. Lamongan am 26 März 1847 hat sich, einige hundert Fuß unterhalb des Ortes ihres Ursprungs, eine solche bewegte Schlackenreihe in zwei Arme getheilt. »Der feurige Streifen«, heißt es ausdrücklich (Abth. II. S. 767), »bestand nicht aus wirklich geschmolzener Lava, sondern aus dicht hinter einander rollenden Lava-Trümmern.« Der G. Lamongan und der G. Semeru sind gerade die beiden Vulkane der Insel Java, welche durch ihre Thätigkeit in langen Perioden dem kaum 2800 Fuß hohen Stromboli am ähnlichsten gefunden werden: da sie, wenn gleich in Höhe so auffallend verschieden (der Lamongan 5010 und der Semeru 11480 Fuß hoch), der erstere nach Pausen von 15 bis 20 Minuten (Eruption vom Juli 1838 und März 1847), der andere von 1½ bis 3 Stunden (Eruption vom August 1836 und September 1844), Schlacken-Auswürfe zeigten (Abth. II. S. 554 und 765–769). Auf Stromboli selbst kommen neben vielen Schlacken-Auswürfen auch kleine, aber seltene Lava-Ergießungen vor: welche, durch Hindernisse aufgehalten, bisweilen am Abhange des Kegels erstarren. Ich lege eine große Wichtigkeit auf die verschiedenen Formen der Continuität oder Sonderung, unter denen ganz oder halb geschmolzene Materien ausgestoßen oder ergossen werden, sei es aus denselben oder aus verschiedenen Vulkanen. Analoge Forschungen, unter verschiedenen Zonen und nach leitenden Ideen unternommen, sind sehr zu wünschen bei der Armuth und großen Einseitigkeit der Ansichten, zu welcher die vier thätigen europäischen Vulkane führen. Die von mir 1802, von meinem Freunde Boussingault 1831 aufgeworfene Frage: ob in den Cordilleren von Quito der Antisana Lavaströme gegeben habe? die wir weiter unten berühren, findet vielleicht in den Ideen der Sonderung des Flüssigen ihre Lösung. Der wesentliche Charakter eines Lavastroms ist der einer gleichmäßigen, zusammenhangenden Flüssigkeit, eines bandartigen Stromes, aus welchem beim Erkalten und Verhärten sich an der Oberfläche Schalen ablösen. Diese Schalen, unter denen die, fast homogene Lava lange fortfließt, richten sich theilweise durch Ungleichheit der inneren Bewegung und Entwickelung heißer Gas-Arten schief oder senkrecht auf; und wenn so mehrere Lavaströme zusammenfließend einen Lavasee, wie in Island, bilden, so entsteht nach der Erkaltung ein Trümmerfeld. Die Spanier, besonders in Mexico, nennen eine solche, zum Durchstreifen sehr unbequeme Gegend ein malpais. Es erinnern solche Lavafelder, die man oft in der Ebene am Fuß eines Vulkans findet, an die gefrorene Oberfläche eines Sees mit aufgethürmten kurzen Eisschollen. Aber derselbe so aufmerksame Reisende hat umständlichst und deutlich drei basaltartige schwarze Lavaströme an drei Vulkanen: Gunung Tengger, G. Idjen und SlamatDen Namen G. Idjen kann man nach Buschmann durch das javanische Wort hidjên: einzeln, allein, besonders, deuten: eine Ableitung von dem Subst. hidji oder widji, Korn, Saamenkorn, welches mit sa das Zahlwort eins ausdrückt. Ueber die Etymologie von G. Tengger siehe die inhaltreiche Schrift meines Bruders über die Verbindungen zwischen Java und Indien (Kawi-Sprache Bd. I. S. 188): wo auf die historische Wichtigkeit des Tengger-Gebirges hingewiesen wird, das von einem kleinen Volksstamm bewohnt wird, welcher, feindlich gegen den jetzt allgemeinen Mohammedanismus auf der Insel, seinen alten indisch-javanischen Glauben bewahrt hat. Junghuhn, der sehr fleißig Bergnamen aus der Kawi-Sprache erklärt, sagt (Abth. II. S. 554), tengger bedeute im Kawi Hügel; eine solche Deutung erfährt das Wort auch in Gericke's javanischem Wörterbuch (javaansch-nederduitsch Woordenboek, Amst. 1817). Slamat, der Name des hohen Vulkans von Tegal, ist das bekannte arabische Wort selamat: welches Wohlfahrt, Glück und Heil bedeutet., beschrieben. An dem letzteren verlängert sich der Lavastrom, nachdem er Veranlassung zu einem Wasserfall gegeben, bis in das Tertiär-Gebirge.Junghuhn Abth. II.: Slamat S. 153 und 163, Idjen S. 698, Tengger S. 773. Junghuhn unterscheidet von solchen wahren Lava-Ergüssen, die zusammenhangende Massen bilden, sehr genau bei dem Ausbruch des G. LamonganAbth. II. S. 760–762. vom 6ten Juli 1838, was er einen Steinstrom nennt: aus gereiht ausgestoßenen, großentheils eckigen, glühenden Trümmern bestehend. »Man hörte das Gekrach der aufschlagenden Steine, die, feurigen Punkten gleich, in einer Linie oder ordnungslos herabrollten.« Ich hefte sehr absichtlich die Aufmerksamkeit auf die sehr verschiedene Art, in der feurige Massen an dem Abhange eines Vulkans erscheinen, weil in dem Streite über das Maximum des Fallwinkels der Lavaströme bisweilen glühende Steinströme (Schlackenmassen), in Reihen sich folgend, mit continuirlichen Lavaströmen verwechselt werden.
Da gerade in neuester Zeit das wichtige, die innere Constitution der Vulkane betreffende und, ich darf hinzusetzen, nicht ernst genug behandelte Problem der Seltenheit oder des völligen Mangels von Lavaströmen in Beziehung auf Java so oft zur Sprache gekommen ist; so scheint es hier der Ort dasselbe unter einen allgemeineren Gesichtspunkt zu stellen. Wenn auch sehr wahrscheinlich in einer Vulkan-Gruppe oder Vulkan-Reihe alle Glieder in gewissen gemeinsamen Verhältnissen zu dem allgemeinen Heerde, dem geschmolzenen Erd-Inneren, stehen: so bietet doch jedes Individuum eigenthümliche physikalische und 333 chemische Processe dar in Hinsicht auf Stärke und Frequenz der Thätigkeit, auf Grad und Form der Fluidität und auf Stoff-Verschiedenheit der Producte: Eigenthümlichkeiten, welche man nicht durch Vergleichung der Gestaltung und der Höhe über der jetzigen Meeresfläche erklären kann. Der Bergcoloß Sangay ist eben so ununterbrochen in Eruption als der niedrige Stromboli; von zwei einander nahen Vulkanen wirft der eine nur Bimsstein ohne Obsidian, der andere beide zugleich aus; der eine giebt nur lose Schlacken, der andere in schmalen Strömen fließende Lava. Diese charakterisirenden Processe scheinen dazu bei vielen in verschiedenen Epochen ihrer Thätigkeit nicht immer dieselben gewesen zu sein. Keinem der beiden Continente ist vorzugsweise Seltenheit oder gar Abwesenheit von Lavaströmen zuzuschreiben. Auffallende Unterschiede treten nur in solchen Gruppen hervor, für welche man sich auf uns nahe liegende, bestimmte historische Perioden beschränken muß. Das Nicht-Erkennen von einzelnen Lavaströmen hängt von vielerlei Verhältnissen gleichzeitig ab. Zu diesen gehören: die Bedeckung mächtiger Tuff-, Rapilli- und Bimsstein-Schichten; die gleich- oder ungleichzeitige Confluenz mehrerer Ströme, welche ein weit ausgedehntes Lava- oder Trümmerfeld bilden; der Umstand, daß in einer weiten Ebene längst zerstört sind die kleinen conischen Ausbruchkegel: gleichsam das vulkanische Gerüste, welchem, wie auf Lancerote, die Lava stromweise entflossen war. In den urältesten Zuständen unseres ungleich erkaltenden Planeten, in den frühesten Faltungen seiner Oberfläche, scheint mir sehr wahrscheinlich ein häufiges zähes Entquellen von trachytischen und doleritischen Gebirgsarten, von Bimsstein-Massen oder obsidianhaltigen Perliten aus einem zusammengesetzten Spalten-Netze, über dem nie ein Gerüste sich erhoben 334 oder aufgebaut hat. Das Problem solcher einfachen Spalten-Ergüsse verdient die Aufmerksamkeit der Geologen.
In der Reihe der mexicanischen Vulkane ist das größte und, seit meiner amerikanischen Reise, berufenste Phänomen die Erhebung und der Lava-Erguß des neu erschienenen Jorullo. Dieser Vulkan, dessen auf Messungen gegründete Topographie ich zuerst bekannt gemacht habeAtlas géographique et physique, der die Relation historique begleitet (1814), Pl. 28 und 29., bietet durch seine Lage zwischen den beiden Vulkanen von Toluca und Colima, und durch seinen Ausbruch auf der großen Spalte vulkanischer ThätigkeitKosmos Bd. IV. S. 311–313., welche sich vom atlantischen Meere bis an die Südsee erstreckt, eine wichtige und deshalb um so mehr bestrittene geognostische Erscheinung dar. Dem mächtigen Lavastrom folgend, welchen der neue Vulkan ausgestoßen, ist es mir gelungen tief in das Innere des Kraters zu gelangen und in demselben Instrumente aufzustellen. Dem Ausbruch in einer weiten, lange friedlichen Ebene der ehemaligen Provinz Michuacan in der Nacht vom 28ten zum 29ten September 1759, über 30 geographische Meilen von jedem anderen Vulkane entfernt, ging seit dem 29 Juni desselben Jahres, also zwei volle Monate lang, ein ununterbrochenes unterirdisches Getöse voraus. Es war dasselbe dadurch schon von den wunderbaren bramodos von Guanaxuato, die ich an einem anderen OrteKosmos Bd. I. S. 216 u. 444 [Anm. 187], Bd. IV. S. 226. beschrieben, verschieden, daß es, wie es gewöhnlicher der Fall ist, von Erdstößen begleitet war: welche der silberreichen Bergstadt im Januar 1784 gänzlich fehlten. Der Ausbruch des neuen Vulkans um 3 Uhr Morgens verkündigte sich Tages vorher durch eine Erscheinung, welche bei anderen Eruptionen nicht den Anfang, sondern das Ende zu bezeichnen pflegt. Da, wo gegenwärtig der große Vulkan steht, war ehemals ein dichtes Gebüsch von der, ihrer wohlschmeckenden Früchte wegen bei den Eingeborenen 335 so beliebten Guayava (Psidium pyriferum). Arbeiter aus den Zuckerrohr-Feldern (cañaverales) der Hacienda de San Pedro Jorullo, welche dem reichen, damals in Mexico wohnenden Don Andres Pimentel gehörte, waren ausgegangen, um Guayava-Früchte zu sammeln. Als sie nach der Meierei (hacienda) zurückkehrten, bemerkte man mit Erstaunen, daß ihre großen Strohhüte mit vulkanischer Asche bedeckt waren. Es hatten sich demnach schon in dem, was man jetzt das Malpais nennt, wahrscheinlich am Fuß der hohen Basaltkuppe el Cuiche, Spalten geöffnet, welche diese Asche (Rapilli) ausstießen, ehe noch in der Ebene sich etwas zu verändern schien. Aus einem in den bischöflichen Archiven von Valladolid aufgefundenen Briefe des Pater Joaquin de Ansogorri, welcher 3 Wochen nach dem Tage des ersten Ausbruchs geschrieben ist, scheint zu erhellen, daß der Pater Isidro Molina, aus dem Jesuiter-Collegium des nahen Patzcuaro: hingesandt, »um den von dem unterirdischen Getöse und den Erdbeben auf's äußerste beunruhigten Bewohnern der Playas de Jorullo geistlichen Trost zu geben«, zuerst die zunehmende Gefahr erkannte und dadurch die Rettung der ganzen kleinen Bevölkerung veranlaßte.
In den ersten Stunden der Nacht lag die schwarze Asche schon einen Fuß hoch; alles floh gegen die Anhöhen von Aguasarco zu: einem Indianer-Dörfchen, das 2260 Fuß höher als die alte Ebene von Jorullo liegt. Von diesen Höhen aus sah man (so geht die Tradition) eine große Strecke Landes in furchtbarem Feuerausbruch: und »mitten zwischen den Flammen (wie sich die ausdrückten, welche das Berg-Aufsteigen erlebt) erschien, gleich einem schwarzen Castell (castillo negro), ein großer unförmiger Klumpen (bulto grande)«. Bei der geringen Bevölkerung der Gegend (die Indigo- und 336 Baumwollen-Cultur wurde damals nur sehr schwach betrieben) hat selbst die Stärke langdauernder Erdbeben kein Menschenleben gekostet: obgleich durch dieselben, wie ich aus handschriftlichen Nachrichten(S. 336.) In meinem Essai politique sur la Nouvelle-Espagne habe ich in den zwei Auflagen von 1811 und 1827 (in der letzteren T. II. p. 165–175), wie es die Natur jenes Werkes erheischte, nur einen gedrängten Auszug aus meinem Tagebuche gegeben, ohne den topographischen Plan der Umgegend und die Höhenkarte liefern zu können. Bei der Wichtigkeit, welche man auf eine so große Erscheinung aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts gelegt hat, glaubte ich jenen Auszug hier vervollständigen zu müssen. Einzelheiten über den neuen Vulkan von Jorullo verdanke ich einem erst im Jahre 1830 durch einen sehr wissenschaftlich gebildeten mexicanischen Geistlichen, Don Juan José Pastor Morales, aufgefundenen officiellen Document, das drei Wochen nach dem Tage des ersten Ausbruchs verfaßt worden ist; wie auch mündlichen Mittheilungen meines Begleiters, des Biscainers Don Ramon Espelde, der noch lebende Augenzeugen des ersten Ausbruchs hatte vernehmen können. Morales hat in den Archiven des Bischofs von Michuacan einen Bericht entdeckt, welchen Joaquin de Ansogorri, Priester in dem indischen Dorfe la Guacana, am 19 October 1759 an seinen Bischof richtete. Der Oberbergrath Burkart hat in seiner lehrreichen Schrift (Aufenthalt und Reisen in Mexico, 1836) ebenfalls schon einen kurzen Auszug daraus (Bd. I. S. 230) gegeben. Don Ramon Espelde bewohnte zur Zeit meiner Reise die Ebene von Jorullo und hat das Verdienst zuerst den Gipfel des Vulkans bestiegen zu haben. Er schloß sich einige Jahre nachher der Expedition an, welche der Intendente Corregidor Don Juan Antonio de Riaño am 10 März 1789 machte. Zu derselben Expedition gehörte ein wohl unterrichteter, in spanische Dienste als Berg-Commissar getretener Deutscher, Franz Fischer. Durch den Letzten ist der Name des Jorullo zuerst nach Deutschland gekommen, da er desselben in den Schriften der Gesellschaft der Bergbaukunde Bd. II. S. 441 in einem Briefe erwähnte. Aber früher schon war in Italien des Ausbruchs des neuen Vulkans gedacht worden: in Clavigero's Storia antica del Messica (Cesena 1780, T. I. p. 42) und in dem poetischen Werke Rusticatio mexicana des Pater Raphael Landivar (ed. altera, Bologna 1782, p. 17). Clavigero setzt in seinem schätzbaren Werke die Entstehung des Vulkans, den er Juruyo schreibt, fälschlich in das Jahr 1760; und erweitert die Beschreibung des Ausbruchs durch Nachrichten über den sich bis Queretaro erstreckenden Aschenregen, welche ihm 1766 Don Juan Manuel de Bustamante, Gouverneur der Provinz Valladolid de Michuacan, als Augenzeuge des Phänomens mitgetheilt hatte. Landivar: der unserer Hebungs-Theorie enthusiastisch, wie Ovidius, zugethane Dichter, läßt in wohlklingenden Hexametern den Coloß bis zur vollen Höhe von 3 milliaria steigen, und findet (nach Art der Alten) die Thermalquellen bei Tage kalt und bei Nacht warm. Ich sah aber um Mittag das hunderttheilige Thermometer im Wasser des Rio de Cuitimba bis 52°½ steigen.
Antonio de Alcedo gab in dem 5ten Theile seines großen und nützlichen Diccionario geográfico-histórico de las Indias occidentales ó América, 1789, also in demselben Jahre als des Gouverneurs Riaño und Berg-Commissars Franz Fischer Bericht in der Gazeta de Mexico erschien, in dem Artikel Xurullo (p. 374–375), die interessante Notiz: daß, als die Erdbeben in den Playas anfingen (29 Juni 1759), der im Ausbruch begriffene westlichste Vulkan von Colima sich plötzlich beruhigte: ob er gleich »70 leguas« (wie Alcedo sagt; nach meiner Karte nur 28 geogr. Meilen!) von den Playas entfernt ist. »Man meint«, setzt er hinzu, »die Materie sei in den Eingeweiden der Erde dort auf Hindernisse gestoßen, um ihrem alten Laufe zu folgen; und da sie geeignete Höhlungen (in Osten) gefunden habe, sei sie im Jorullo ausgebrochen (para reventar en Xurullo).« Genaue topographische Angaben über die Umgegend des Vulkans finden sich auch in des Juan José Martinez de Lejarza geographischem Abriß des alten Tarasker-Landes: Análisis estadístico de la provincia de Michuacan, en 1822 (Mexico 1824), p. 125, 129, 130 und 131. Das Zeugniß des zu Valladolid in der Nähe des Jorullo wohnenden Verfassers, daß seit meinem Aufenthalte in Mexico keine Spur einer vermehrten vulkanischen Thätigkeit sich an dem Berge gezeigt hat, hat am frühesten das Gerücht von einem neuen Ausbruche im Jahr 1819 (Lyell, Principles of Geology 1855 p. 430) widerlegt. Da die Position des Jorullo in der Breite nicht ohne Wichtigkeit ist, so bin ich darauf aufmerksam geworden, daß Lejarza: der sonst immer meinen astronomischen Ortsbestimmungen folgt, auch die Länge des Jorullo ganz wie ich 2° 25' westlich vom Meridian von Mexico (103° 50' westlich von Paris) nach Zeit-Uebertragung angiebt, in der Breite von mir abweicht. Sollte die von ihm dem Jorullo beigelegte Breite von 18° 53' 30", welche der des Vulkans Popocatepetl (18° 59' 47") am nächsten kommt, sich auf neuere, mir unbekannte Beobachtungen gründen? Ich habe in meinem Recueil d'Observ. astronomiques Vol. II,. p. 521 ausdrücklich gesagt: »latitude supposé 19° 8': geschlossen aus guten Sternbeobachtungen zu Valladolid, welche 19° 52' 8" gaben, und aus der Wegrichtung.« Die Wichtigkeit der Breite von Jorullo habe ich erst erkannt, als ich später die große Karte des Landes Mexico in der Hauptstadt zeichnete und die ostwestliche Vulkan-Reihe eintrug. Da ich in diesen Betrachtungen über den Ursprung des Jorullo mehrfach der Sagen gedacht habe, welche noch heute in der Umgegend herrschen, so will ich am Schluß dieser langen Anmerkung noch einer sehr volksthümlichen Sage Erwähnung thun, welche ich schon in einem anderen Werke (Essai pol. sur la Nouv. Espagne T. II. 1827 p. 172) berührt habe: »Selon la crédulité des indigènes, ces changemens extraordinaires que nous venons de décrire, sont l'ouvrage des moines, le plus grand peut-être qu'ils aient produit dans les deux hémisphères. Aux Playas de Jorullo, dans la chaumière que nous habitions, notre hôte indien nous raconta qu'en 1759 des Capucins en mission prêchèrent à l'habitation de San Pedro; mais que, n'ayant pas trouvé un accueil favorable, ils chargèrent cette plaine, alors si belle et si fertile, des imprécations les plus horribles et les plus compliquées: ils prophétisèrent que d'abord l'habitation serait engloutie par des flammes qui sortiraient de la terre, et que plus tard l'air ambiant se refroidirait à tel point que les montagnes voisines resteraient éternellement couvertes de neige et de glace. La première de ces malédictions ayant eu des suites si funestes, le bas peuple indien voit déjà dans le refroidissement progressif du Volcan le présage d'un hiver perpétuel.« Neben dem Dichter, Pater Landivar, ist wohl die erste gedruckte Erwähnung der Catastrophe die schon vorhin genannte in der Gazeta de Mexico de 5 e Mayo 1789 (T. II. Núm. 30 pag. 293–297) gewesen; sie führt die bescheidene Ueberschrift: »Superficial y nada facultativa Descripcion del estado en que se hallaba el Volcán de Jorullo la mañana del dia 10 de Marzo de 1789« und wurde veranlaßt durch die Expedition von Riaño, Franz Fischer und Espelde. Später (1791) haben auf der nautisch-astronomischen Expedition von Malaspina die Botaniker Moziño und Don Martin Sesse, ebenfalls von der Südsee-Küste aus, den Jorullo besucht.
Nach der weit und übereinstimmend unter den Eingeborenen verbreiteten Tradition soll in den ersten Tagen der Ausbruch von großen Felsmassen, Schlacken, Sand und Asche immer auch mit einem Erguß von schlammigem Wasser verbunden gewesen sein. In dem vorerwähnten denkwürdigen Berichte vom 19ten October 1759, der einen Mann zum Verfasser hat, welcher mit genauer Localkenntniß das eben erst Vorgefallene schildert, heißt es ausdrücklich: que espele el dicho Volcan arena, ceniza y agua. Alle Augenzeugen erzählen (ich übersetze aus der Beschreibung, welche der Intendant, Oberst Riaño, und der deutsche Berg-Commissar Franz Fischer, der in spanische Dienste getreten war, über den Zustand des Vulkans von Jorullo am 10ten März 1789 geliefert haben): »daß, ehe der furchtbare Berg erschien (antes de reventar y aparecerse este terrible Cerro), die Erdstöße und das unterirdische Getöse sich häuften; am Tage des Ausbruchs selbst aber der flache Boden sich sichtbar senkrecht erhob (se observó, que el plan 337 de la tierra se levantaba perpendicularmente), und das Ganze sich mehr oder weniger aufblähte, so daß Blasen (vexigones) erschienen: deren größte heute der Vulkan ist (de los que el mayor es hoy el Cerro del Volcan). Diese aufgetriebenen Blasen, von sehr verschiedenem Umfang und zum Theil ziemlich regelmäßiger conischer Gestalt, platzten später (estas ampollas, gruesas vegigas ó conos diferentemente regulares en sus figuras y tamaños, reventáron despues), und stießen aus ihren Mündungen kochend heißen Erdschlamm (tierras hervidas y calientes) wie verschlackte Steinmassen (piedras cocidas? y fundidas) aus: die man, mit schwarzen Steinmassen bedeckt, noch bis in ungeheure Ferne auffindet.«
Diese historischen Nachrichten, die man freilich ausführlicher wünschte, stimmen vollkommen mit dem überein, was ich aus dem Munde der Eingeborenen 14 Jahre nach der Besteigung des Antonio de Riaño vernahm. Auf die Fragen, ob man »das Berg-Castell« nach Monaten oder Jahren sich allmälig habe erhöhen sehen, oder ob es gleich in den ersten Tagen schon als ein hoher Gipfel erschienen sei? war keine Antwort zu erhalten. Riaño's Behauptung, daß Eruptionen noch in den ersten 16 bis 17 Jahren vorgefallen wären, also bis 1776, wurde als unwahr geläugnet. Die Erscheinungen von kleinen Wasser- und Schlamm-Ausbrüchen, die in den ersten Tagen gleichzeitig mit den glühenden Schlacken bemerkt wurden, werden nach der Sage dem Versiegen zweier Bäche zugeschrieben, welche: an dem westlichen Abhange des Gebirges von Santa Ines, also östlich vom Cerro de Cuiche entspringend, die Zuckerrohr-Felder der ehemaligen Hacienda de San Pedro de Jorullo reichlich bewässerten und weit in Westen nach der Hacienda de la Presentacion fortströmten. Man zeigt noch nahe bei 338 ihrem Ursprunge den Punkt, wo sie in einer Kluft mit ihren einst kalten Wassern bei Erhebung des östlichen Randes des Malpais verschwunden sind. Unter den Hornitos weglaufend, erscheinen sie (das ist die allgemeine Meinung der Landleute) erwärmt als zwei Thermalquellen wieder. Da der gehobene Theil des Malpais dort fast senkrecht abgestürzt ist, so bilden sie die zwei kleinen Wasserfälle, die ich gesehen und in meine Zeichnung aufgenommen habe. Jedem derselben ist der frühere Name, Rio de San Pedro und Rio de Cuitimba, erhalten worden. Ich habe an diesem Punkte die Temperatur der dampfenden Wasser 52°,7 gefunden. Die Wasser sind auf ihrem langen Wege nur erwärmt, aber nicht gesäuert worden. Die Reactiv-Papiere, welche ich die Gewohnheit hatte mit mir zu führen, erlitten keine Veränderung; aber weiter hin: nahe bei der Hacienda de la Presentacion, gegen die Sierra de las Canoas zu, sprudelt eine mit geschwefeltem Wasserstoffgas geschwängerte Quelle, die ein Becken von 20 Fuß Breite bildet.
Um sich von der complicirten Reliefform der Bodenfläche einen klaren Begriff zu machen, in welcher so merkwürdige Erhebungen vorgefallen sind, muß man hypsometrisch und morphologisch unterscheiden: 1) die Lage des Vulkan-Systems von Jorullo im Verhältniß zu dem mittleren Niveau der mexicanischen Hochebene; 2) die Convexität des Malpais, das von Tausenden von Hornitos bedeckt ist; 3) die Spalte, auf welcher 6 große vulkanische Bergmassen aufgestiegen sind.
An dem westlichen Abfall der von SSO nach NNW streichenden Cordillera central de Mexico bildet die Ebene der Playas de Jorullo in nur 2400 Fuß Höhe über dem Niveau der Südsee eine von den horizontalen Bergstufen, welche überall in den Cordilleren die Neigungs-Linie des Abfalls unterbrechen 339 und deshalb mehr oder minder die Abnahme der Wärme in den über einander liegenden Luftschichten verlangsamen. Wenn man von dem Central-Plateau von Mexico in 7000 Fuß mittlerer Höhe nach den Weizenfeldern von Valladolid de Michuacan, nach dem anmuthigen See von Patzcuaro mit dem bewohnten Inselchen Janicho und in die Wiesen um Santiago de Ario, die wir (Bonpland und ich) mit den nachmals so berühmt gewordenen Georginen (Dahlia, Cav.) geschmückt fanden, herabsteigt; so ist man noch nicht neunhundert bis tausend Fuß tiefer gelangt. Um aber von Ario am steilen Abhange über Aguasarco in das Niveau der alten Ebene von Jorullo zu treten, vermindert man in dieser so kurzen Strecke die absolute Höhe um 3600 bis 4000 Fuß.Meine Barometer-Messungen geben für Mexico 1168 Toisen, Valladolid 1002t, Patzcuaro 1130t, Ario 994t Aguasarco 780t, für die alte Ebene der Playas de Jorullo 404t; Humboldt, Recueil d'Observations astronomiques Vol. I. p. 327 (Nivellement barométrique No. 367–370). Der rundliche, convexe Theil der gehobenen Ebene hat ohngefähr 12000 Fuß im Durchmesser, also ein Areal von mehr als ⅓ einer geographischen Quadratmeile. Der eigentliche Vulkan von Jorullo und die 5 anderen Berge, die sich mit ihm zugleich und auf Einer Spalte erhoben haben, liegen so, daß nur ein kleiner Theil des Malpais östlich von ihnen fällt. Gegen Westen ist die Zahl der Hornitos daher um vieles größer; und wenn ich am frühen Morgen aus dem Indianer-Häuschen der Playas de Jorullo heraustrat oder einen Theil des Cerro del Mirador bestieg, so sah ich den schwarzen Vulkan sehr malerisch über die Unzahl von weißen Rauchsäulen der »kleinen Oefen« (Hornitos) hervorragen. Sowohl die Häuser der Playas als der basaltische Hügel Mirador liegen auf dem Niveau des alten unvulkanischen oder, vorsichtiger zu reden, nicht gehobenen Bodens. Die schöne Vegetation desselben, auf dem ein Heer von Salvien unter dem Schatten einer neuen Art der Fächerpalme (Corypha pumos) und einer neuen Eller-Art (Alnus Jorullensis) blühen, contrastirt mit 340 dem öden, pflanzenleeren Anblick des Malpais. Die Vergleichung der BarometerständeUeber der Oberfläche des Meeres finde ich, wenn die alte Ebene der Playas 404 Toisen ist, für das Maximum der Convexität des Malpais 487t, für den Rücken des großen Lavastromes 600t, für den höchsten Kraterrand 667t; für den tiefsten Punkt des Kraters, an welchem wir das Barometer aufstellen konnten, 644t. Demnach ergaben sich für die Höhe des Gipfels von Jorullo über der alten Ebene 263 Toisen oder 1578 Fuß. des Punktes, wo die Hebung in den Playas anfängt, mit dem Punkte unmittelbar am Fuß des Vulkans giebt 444 Fuß relativer senkrechter Höhe. Das Haus, das wir bewohnten, stand ohngefähr nur 500 Toisen von dem Rande des Malpais ab. Es fand sich dort ein kleiner senkrechter Absturz von kaum 12 Fuß Höhe, von welchem die heiß gewordenen Wasser des Baches (Rio de San Pedro) herabfallen. Was ich dort am Absturz von dem inneren Bau des Erdreichs untersuchen konnte: zeigte schwarze, horizontale Lettenschichten, mit Sand (Rapilli) gemengt. An anderen Punkten, die ich nicht gesehen, hat Burkart »an der senkrechten Begrenzung des erhobenen Bodens, wo dieser schwer zu ersteigen ist, einen lichtgrauen, wenig dichten (verwitterten) Basalt, mit vielen Körnern von Olivin«, beobachtet.Burkart, Aufenthalt und Reisen in Mexico in den Jahren 1825–1834 Bd. I. (1836) S. 227. Dieser genaue und erfahrene Beobachter hat aberA. a. O. Bd. I. S. 227 und 230. an Ort und Stelle, ganz wie ich, die Ansicht von einer durch elastische Dämpfe bewirkten, blasenförmigen Hebung der Erdoberfläche gefaßt: entgegengesetzt der Meinung berühmter GeognostenPoulet Scrope, considerations on Volcanos p. 267; Sir Charles Lyell, Principles of Geology 1853 p. 429, Manual of Geology 1855 p. 580; Daubeny on Volcanos p. 337. Vergl. auch on the elevation-hypothesis Dana, Geology in der United States' Exploring Expedition Vol. X. p. 369. Constant Prevost in den Comptes rendus T. 41. (1855) p. 866–876 und 918–923: sur les éruptions et le drapeau de l'infaillibilité. – Vergl. auch über den Jorullo Carl Pieschel's lehrreiche Beschreibung der Vulkane von Mexico, mit Erläuterungen von Dr. Gumprecht, in der Zeitschrift für Allg. Erdkunde der geogr. Gesellschaft zu Berlin Bd. VI. 1856 S. 490–517; und die eben erschienenen pittoresken Ansichten in Pieschel's Atlas der Vulkane der Republik Mexico 1856 Tab. 13, 14 und 15. Das königliche Museum zu Berlin besitzt in der Abtheilung der Kupferstiche und Handzeichnungen eine herrliche und zahlreiche Sammlung von Abbildungen der mexicanischen Vulkane (mehr als 40 Blätter), nach der Natur dargestellt von Moritz Rugendas. Von dem westlichsten aller mexicanischen Vulkane, dem von Colima, hat dieser große Meister allein 15 farbige Abbildungen geliefert., welche die Convexität, die ich durch unmittelbare Messung gefunden, allein dem stärkeren Lava-Erguß am Fuß des Vulkans zuschreiben.
Die vielen Tausende der kleinen Auswurfskegel (eigentlich mehr rundlicher oder etwas verlängerter, backofenartiger Form), welche die gehobene Fläche ziemlich gleichmäßig bedecken, sind im Mittel von 4 bis 9 Fuß Höhe. Sie sind fast allein auf der westlichen Seite des großen Vulkans emporgestiegen, da ohnedies der östliche Theil gegen den Cerro de Cuiche hin kaum 1/25 des Areals der ganzen blasenförmigen Hebung der Playas ausmacht. Jeder der vielen Hornitos ist aus verwitterten Basaltkugeln zusammengesetzt, mit concentrisch schalig 341 abgesonderten Stücken; ich konnte oft 24 bis 28 solcher Schalen zählen. Die Kugeln sind etwas sphäroidisch abgeplattet, und haben meist 15–18 Zoll im Durchmesser; variiren aber auch von 1 bis 3 Fuß. Die schwarze Basaltmasse ist von heißen Dämpfen durchdrungen und erdig aufgelöst; doch der Kern ist dichter: während die Schalen, wenn man sie ablöst, gelbe Flecken oxydirten Eisens zeigen. Auch die weiche Lettenmasse, welche die Kugeln verbindet, ist, sonderbar genug, in gekrümmte Lamellen getheilt, die sich durch alle Zwischenräume der Kugeln durchwinden. Ich habe mich bei dem ersten Anblick befragt, ob das Ganze statt verwitterter, sparsam olivinhaltiger Basaltkugeln nicht vielleicht in der Ausbildung begriffene, aber gestörte Massen darböte. Es spricht dagegen die Analogie der wirklichen, mit Thon- und Mergelschichten gemengten Kugelbasalt-Hügel, welche oft von sehr kleinen Dimensionen im böhmischen Mittelgebirge: theils isolirt, theils lange Basaltrücken an beiden Extremen krönend, gefunden werden. Einige der Hornitos sind so aufgelöst oder haben so große innere Höhlungen, daß Maulthiere, wenn man sie zwingt die Vorderfüße auf die flächeren zu setzen, tief einsinken: wogegen bei ähnlichen Versuchen, die ich machte, die Hügel, welche die Termiten aufbauen, widerstanden.
In der Basaltmasse der Hornitos habe ich keine Schlacken oder Fragmente älterer durchbrochener Gebirgsarten, wie in den Laven des großen Jorullo, eingebacken gefunden. Was die Benennung Hornos oder Hornitos besonders rechtfertigt, ist der Umstand, daß in jedem derselben (ich rede von der Epoche, wo ich die Playas de Jorullo durchwanderte und mein Journal niederschrieb, 18 Sept. 1803) die Rauchsäulen nicht aus dem Gipfel, sondern seitwärts ausbrechen. Im Jahr 1780 konnte man noch Cigarren anzünden, wenn man sie, an einen Stab 342 befestigt, 2 bis 3 Zoll tief eingrub; in einigen Gegenden war damals durch die Nähe der Hornitos die Luft so erhitzt, daß man Umwege machen mußte, um das Ziel, das man sich vorgesetzt, zu erreichen. Ich fand trotz der Erkaltung, welche nach dem allgemeinen Zeugniß der Indianer die Gegend seit 20 Jahren erlitten hatte, in den Spalten der Hornitos meist 93° und 95° Cent.; zwanzig Fuß von einigen Hügeln hatte die umgebende Luft: da, wo keine Dämpfe mich berührten, noch eine Temperatur von 42°,5 und 46°,8, wenn die eigentliche Luft-Temperatur der Playas zu derselben Stunde kaum 25° war. Die schwach schwefelsauren Dämpfe entfärbten reagirende Papierstreifen, und erhoben sich einige Stunden nach Sonnenaufgang sichtbar bis 60 Fuß Höhe. An einem frühen, kühlen Morgen ist der Anblick der Rauchsäulen am merkwürdigsten. Gegen Mittag, ja schon nach 11 Uhr, sind sie ganz erniedrigt und nur in der Nähe sichtbar. Im Inneren von mehreren der Hornitos hörten wir Geräusch wie Sturz von Wasser. Die kleinen basaltischen Backöfen sind, wie schon oben bemerkt worden ist, leicht zerstörbare Gebäude. Als Burkart, 24 Jahre nach mir, das Malpais besuchte, fand er keinen der Hornitos mehr rauchend; ihre Temperatur war bei den meisten die der umgebenden Luft, und viele hatten alle Regelmäßigkeit der Gestalt durch Regengüsse und meteorische Einflüsse verloren. Dem Hauptvulkan nahe fand Burkart kleine Kegel, die aus einem braunrothen Conglomerate von abgerundeten oder eckigen Lavastücken zusammengesetzt waren und nur locker zusammenhingen. Mitten in dem erhobenen, von Hornitos bedeckten Areal sieht man noch ein Ueberbleibsel der alten Erhöhung, an welche die Gebäude der Meierei San Pedro angelehnt waren. Der Hügel, den ich auf meiner Karte angedeutet, bildet einen Rücken, welcher 343 von Osten nach Westen gerichtet ist: und seine Erhaltung an dem Fuß des großen Vulkans erregt Erstaunen. Nur ein Theil ist mit dichtem Sande (gebrannten Rapilli) bedeckt. Die hervorstehende Basaltklippe, mit uralten Stämmen von Ficus indica und Psidium bewachsen, ist gewiß: wie die des Cerro del Mirados und der hohen Gebirgsmassen, welche die Ebene in Osten bogenförmig begrenzen, als der Catastrophe präexistirend zu betrachten.
Es bleibt mir übrig die mächtige Spalte zu beschreiben, auf der in der allgemeinen Richtung von Süd-Süd-West nach Nord-Nord-Ost sechs an einander gereihte Vulkane sich erhoben haben. Die partielle Richtung der ersten drei, mehr südlichen und niedrigeren ist SW–NO; die der folgenden drei fast S–N. Die Gangspalte ist also gekrümmt gewesen, und hat ihr Streichen ein wenig verändert, in der Total-Länge von 1700 Toisen. Die hier bezeichnete Richtung der gereihten, aber sich nicht berührenden Berge ist allerdings fast rechtwinklig mit der Linie, auf welcher nach meiner Bemerkung die mexicanischen Vulkane von Meer zu Meer auf einander folgen. Diese Differenz nimmt aber weniger Wunder, wenn man bedenkt, daß man ein großes geognostisches Phänomen (die Beziehung der Hauptmassen gegen einander queer durch einen Continent) nicht mit den Localverhältnissen der Orientation im Inneren einer einzelnen Gruppe verwechseln darf. Der lange Rücken des großen Vulkans von Pichincha hat auch nicht die Richtung der Vulkan-Reihe von Quito; und in unvulkanischen Ketten, z. B. im Himalaya, liegen, worauf ich schon früher aufmerksam gemacht habe, die Culminationspunkte oft fern von der allgemeinen Erhebungs-Linie der Kette. Sie liegen auf partiellen Schneerücken, die selbst 344 fast einen rechten Winkel mit jener allgemeinen Erhebungs-Linie bilden.
Von den sechs über der genannten Spalte aufgestiegenen vulkanischen Hügeln scheinen die ersteren drei: die südlicheren, zwischen denen der Weg nach den Kupfergruben von Inguaran durchgeht, in ihrem jetzigen Zustande die unwichtigsten. Sie sind nicht mehr geöffnet, und ganz mit graulich weißem vulkanischen Sande bedeckt, der aber nicht aus Bimsstein besteht; denn von Bimsstein und Obsidian habe ich in dieser Gegend nichts gesehen. Auch am Jorullo scheint, wie nach der Behauptung Leopolds von Buch und Monticelli's am Vesuv, der letzte überdeckende Aschenfall der weiße gewesen zu sein. Der vierte, nördliche Berg ist der große und eigentliche Vulkan von Jorullo: dessen Spitze ich, trotz seiner geringen Höhe (667 Toisen über der Meeresfläche, 180 Toisen über dem Malpais am Fuße des Vulkans und 263 Toisen über dem alten Boden der Playas), nicht ohne Mühseligkeit am 19 September 1803 mit Bonpland und Carlos Montufar erreicht habe. Wir glaubten am sichersten in den, damals noch mit heißen Schwefeldämpfen gefüllten Krater zu gelangen, wenn wir den schroffen Rücken des mächtigen Lavastroms erstiegen, welcher aus dem Gipfel selbst ausgebrochen ist. Der Weg ging über eine krause, schlackige, coak- oder vielmehr blumenkohlartig aufgeschwollene, hellklingende Lava. Einige Theile haben einen metallischen Glanz, andere sind basaltartig und voll kleiner Olivinkörner. Als wir uns so in 667 Fuß senkrechter Höhe bis zur oberen Fläche des Lavastroms erhoben hatten, wendeten wir uns zum weißen Aschenkegel: an dem wegen seiner großen Steilheit man fürchten mußte bei dem häufigen und beschleunigten Herabrutschen durch den Stoß an die zackige Lava schmerzhaft 345 verwundet zu werden. Der obere Rand des Kraters, an dessen südwestlichem Theile wir die Instrumente aufstellten, bildet einen Ring von der Breite weniger Fuße. Wir trugen das Barometer von dem Rande in den ovalen Krater des abgestumpften Kegels. An einer offenen Kluft strömt Luft aus von 93°,7 Cent. Temperatur. Wir standen nun 140 Fuß senkrecht unter dem Kraterrande; und der tiefste Punkt des Schlundes, welchen wir des dicken Schwefeldampfes wegen zu erreichen aufgeben mußten, schien auch nur noch einmal so tief zu sein. Der geognostische Fund, welcher uns am meisten interessirte, war die Entdeckung mehrerer in die schwarzbasaltische Lava eingebackener, scharfbegrenzter weißer, feldspathreicher Stücke einer Gebirgsart von 3 bis 4 Zoll Durchmesser. Ich hielt dieselben zuerst»Nous avons été, Mr. Bonpland et moi, étonnés surtout de trouver enchâssés dans les laves basaltiques, lithoides et scorifiées du Volcan de Jorullo des fragmens anguleux blancs ou blancs-verdâtres de Syénite, composés de peu d'amphibole et de beaucoup de feldspath lamelleux. Là où ces masses ont été crevassées par la chaleur, le feldspath est devenu filandreux, de sorte que les bords de la fente sont réunis dans quelques endroits par des fibres alongées de la masse. Dans les Cordillères de l'Amérique du Sud, entre Popayan et Almaguer, au pied du Cerro Broncoso, j'ai trouvé de véritables fragmens de gneis enchâssés dans un trachyte abondant en pyroxène. Ces phénomènes prouvent que les formations trachytiques sont sorties au-dessous de la croûte granitique du globe. Des phénomènes analogues présentent les trachytes du Siebengebirge sur les bords du Rhin et les couches inférieures du Phonolithe (Porphyrschiefer) du Biliner Stein en Bohême.« Humboldt. Essai géognostique sur le Gisement des Roches 1823 p. 133 und 339. Auch Burkart (Aufenthalt und Reisen in Mexico Bd. I. S. 230) erkannte in der schwarzen, olivinreichen Lava des Jorullo umschlossen: »Blöcke eines umgeänderten Syenits. Hornblende ist nur selten deutlich zu erkennen. Die Syenit-Blöcke dürften wohl den unumstößlichen Beweis liefern, daß der Sitz des Feuerheerdes des Vulkans von Jorullo sich in oder unter dem Syenit befinde, welcher wenige Meilen (leguas) südlicher auf dem linken Ufer des der Südsee zufließenden Rio de las Balsas sich in bedeutender Ausdehnung zeigt.« Auf Lipari bei Caneto haben Dolomieu und 1832 der vortreffliche Geognost Friedrich Hoffmann sogar in derben Obsidian-Massen eingeschlossene Fragmente von Granit gefunden, der aus blaßrothem Feldspath, schwarzem Glimmer und wenig hellgrauem Quarz gebildet war (Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XXVI. S. 49). für Syenit; aber zufolge der genauen Untersuchung eines von mir mitgebrachten Fragments durch Gustav Rose gehören sie wohl eher zu der Granit-Formation: welche der Oberbergrath Burkart auch unter dem Syenit des Rio de las Balsas hat zu Tage kommen sehen. »Der Einschluß ist ein Gemenge von Quarz und Feldspath. Die schwarzgrünen Flecken scheinen, mit etwas Feldspath zusammengeschmolzener Glimmer, nicht Hornblende, zu sein. Das eingebackene weiße Bruchstück ist durch vulkanische Hitze gespalten: und in dem Risse laufen weiße, zahnförmige, geschmolzene Fäden von einem Rande zum anderen.«
Nördlicher als der große Vulkan von Jorullo und der schlackige Lavaberg, den er ausgespieen in der Richtung der alten Basalte des Cerro del Mortero, folgen die beiden letzten der oft genannten 6 Eruptionen. Auch diese Hügel waren anfangs sehr wirksam, denn das Volk nennt noch jetzt den äußersten Aschenberg el Volcancito. Eine nach Westen geöffnete weite Spalte trägt hier die Spuren eines zerstörten 346 Kraters. Der große Vulkan scheint, wie der Epomeo auf Ischia, nur einmal einen mächtigen Lavastrom ergossen zu haben. Daß seine lavaergießende Thätigkeit über die Epoche des ersten Ausbruchs hinaus gedauert habe, ist nicht historisch erwiesen; denn der seltene, glücklich aufgefundene Brief des Pater Joaquin de Ansogorri, kaum zwanzig Tage nach dem ersten Ausbruch geschrieben, handelt fast allein von den Mitteln »Pastoral-Einrichtungen für die bessere Seelsorge der vor der Catastrophe geflohenen und zerstreuten Landleute« zu treffen: für die folgenden 30 Jahre bleiben wir ohne alle Nachricht. Wenn die Sage sehr allgemein von Feuern spricht, die eine so große Fläche bedeckten, so ist allerdings zu vermuthen, daß alle 6 Hügel auf der großen Spalte und ein Theil des Malpais selbst, in welchem die Hornitos erschienen sind, gleichzeitig entzündet waren. Die Wärmegrade der umgebenden Luft, die ich selbst noch gemessen, lassen auf die Hitze schließen, welche 43 Jahre früher dort geherrscht hat; sie mahnen an den urweltlichen Zustand unseres Planeten, in dem die Temperatur seiner Lufthülle und mit dieser die Vertheilung des organischen Lebens, bei thermischer Einwirkung des Inneren mittelst tiefer Klüfte (unter jeglicher Breite und in langen Zeitperioden), modificirt werden konnte.
Man hat, seitdem ich die Hornitos, welche den Vulkan von Jorullo umgeben, beschrieben habe, manche analoge Gerüste in verschiedenen Weltgegenden mit diesen backofen-ähnlichen kleinen Hügeln verglichen. Mir scheinen die mexicanischen, ihrer inneren Zusammensetzung nach, bisher noch sehr contrastirend und isolirt dazustehen. Will man Auswurfs-Kegel alle Erhebungen nennen, welche Dämpfe ausstoßen, so verdienen die Hornitos allerdings die Benennung von Fumarolen. Die Benennung Auswurfskegel würde aber zu der irrigen 347 Meinung leiten, als seien Spuren vorhanden, daß die Hornitos je Schlacken ausgeworfen oder gar, wie viele Auswurfs-Kegel, Lava ergossen haben. Ganz verschieden z. B. sind, um an ein größeres Phänomen zu erinnern, in Kleinasien, auf der vormaligen Grenze von Mysien und Phrygien, in dem alten Brandlande (Katakekaumene), »in welchem es sich (wegen der Erdbeben) gefahrvoll wohnt«, die drei Schlünde, die Strabo φύσαι, Blasebälge, nennt, und die der verdienstvolle Reisende William Hamilton wieder aufgefunden hatStrabo lib. XIII p. 579 und 628; Hamilton, researches in Asia minor Vol. II. chapt. 39. Der westlichste der 3 Kegel, jetzt Kara Devlit genannt, ist 500 Fuß über der Ebene erhaben und hat einen großen Lavastrom gegen Koula hin ergossen. Ueber 30 kleine Kegel zählte Hamilton in der Nähe. Die 3 Schlünde (βόϑροι und φύσαι des Strabo) sind Krater, welche auf conischen, aus Schlacken und Laven zusammen gesetzten Bergen liegen.. Auswurfs-Kegel, wie sie die Insel Lancerote bei Tinguaton, oder Unter-Italien, oder (von kaum zwanzig Fuß Höhe) der Abhang des großen kamtschadalischen Vulkans AwatschaErman, Reise um die Erde Bd. III. S. 538; Kosmos Bd. IV. S. 291 u. 523–4 Anm. 2013. Pestels (Voyage autour du monde par le Cap. Lutké, partie hist. T. III. p. 76) und Leopold von Buch (description physique des Iles Canaries p. 448) erwähnen der Aehnlichkeit mit den Hornitos von Jorullo. Erman beschreibt in einem mir gütigst mitgetheilten Manuscripte eine große Zahl abgestumpfter Schlackenkegel in dem ungeheuren Lavafelde östlich von den Baidaren-Bergen auf der Halbinsel Kamtschatka. zeigen: den mein Freund und sibirischer Reisegefährte, Ernst Hofmann, im Juli 1824 erstiegen; bestehen aus Schlacken und Asche, die einen kleinen Krater, welcher sie ausgestoßen hat und von ihnen wieder verschüttet worden ist, umgeben. An den Hornitos ist nichts kraterähnliches zu sehen; und sie bestehn, was ein wichtiger Charakter ist, aus bloßen Basaltkugeln mit schalig abgesonderten Stücken, ohne Einmischung loser eckiger Schlacken. Am Fuß des Vesuvs, bei dem mächtigen Ausbruch von 1794 (wie auch in früheren Epochen), bildeten sich, auf einer Längenspalte gereiht, 8 verschiedene kleine Eruptions-Kratere, bocche nuove: die sogenannten parasitischen Ausbruchs-Kegel, lavaergießend und schon dadurch den Jorullo-Hornitos gänzlich entfremdet. »Ihre Hornitos«, schrieb mir Leopold von Buch, »sind nicht durch Auswürflinge aufgehäufte Kegel; sie sind unmittelbar aus dem Erd-Inneren gehoben.« Die Entstehung des Vulkans von Jorullo selbst wurde von diesem großen Geologen mit der des Monte nuovo in den phlegräischen Feldern verglichen. Dieselbe Ansicht der Erhebung von 6 vulkanischen Bergen auf einer 348 Längenspalte hat sich (s. oben S. 336–337) dem Oberst Riaño und dem Berg-Commissar Fischer 1789, mir bei dem ersten Anblick 1803, Herrn Burkart 1827 als die wahrscheinlichere aufgedrängt. Bei beiden neuen Bergen, entstanden 1538 und 1759, wiederholen sich dieselben Fragen. Ueber den süd-italischen sind die Zeugnisse von Falconi, Pietro Giacomo di Toledo, Francesco del Nero und Porzio umständlicher, der Zeit der Catastrophe nahe und von gebildeteren Beobachtern abgefaßt. Eines dieser Zeugnisse, das gelehrteste des berühmten Porzio, sagt: »Magnus terrae tractus, qui inter radices montis, quem Barbarum incolae appellant, et mare juxta Avernum jacet, sese erigere videbatur et montis subito nascentis figuram imitari. Iste terrae cumulus aperto veluti ore magnos ignes evomuit, pumicesque et lapides, cineresque.«Porzio, Opera omnia, med., phil. et mathem., in unum collecta 1736: nach Dufrénoy, Mémoires pour servir à une description géologique de la France T. IV. p. 274. Sehr vollständig und mit lobenswerther Unpartheilichkeit sind alle genetischen Fragen behandelt in der 9ten Auflage von Sir Charles Lyell's Principles of Geology 1853 p. 369. Schon Bouguer (Figure de la Terre 1749 p. LXVI) war der Idee der Erhebung des Vulkans von Pichincha nicht abgeneigt: »il n'est pas impossible que le rocher, qui est brûlé et noir, ait été soulevé par l'action du feu souterrain«; vergl. auch p. XCI.
Von der hier vervollständigten geognostischen Beschreibung des Vulkans von Jorullo gehen wir zu den östlicheren Theilen von Mittel-Mexico (Anahuac) über. Nicht zu verkennende Lavaströme, von meist basaltartiger Grundmasse, hat der Pic von Orizaba nach den neuesten, interessanten Forschungen von Pieschel (März 1854)Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde Bd. IV. 1855 S. 398. und H. de Saussure ergossen. Die Gebirgsart des Pic von Orizaba, wie die des von mir erstiegenen großen Vulkans von TolucaZu der sicheren Bestimmung der Mineralien, aus welchen die mexicanischen Vulkane zusammengesetzt sind, haben ältere und neuere Sammlungen von mir und Pieschel verglichen werden können., ist aus Hornblende, Oligoklas und etwas Obsidian zusammengesetzt: während die Grundmasse des Popocatepetl ein Chimborazo-Gestein ist, zusammengesetzt aus sehr kleinen Krystallen von Oligoklas und Augit. An dem Fuß des östlichen Abhanges des Popocatepetl, westlich von der Stadt la Puebla de los Angeles, habe ich in dem Llano de Tetimpa: wo ich die Base zu den Höhen-Bestimmungen der beiden großen, das Thal von Mexico begrenzenden Nevados (Popocatepetl und Iztaccihuatl) gemessen, 349 siebentausend Fuß über dem Meere ein weites und räthselhaftes Lavafeld aufgefunden. Es heißt das Malpais (rauhe Trümmerfeld) von Atlachayacatl: einer niedrigen Trachytkuppe, an deren Abhange der Rio Atlaco entspringt; und erstreckt sich, 60 bis 80 Fuß über die angrenzende Ebene prallig erhoben, von Osten nach Westen, also rechtwinklig den Vulkanen zulaufend. Von dem indianischen Dorfe San Nicolas de los Ranchos bis nach San Buenaventura schätzte ich die Länge des Malpais über 18000, seine Breite 6000 Fuß. Es sind schwarze, theilweise aufgerichtete Lavaschollen von grausig wildem Ansehen, nur sparsam hier und da mit Lichenen überzogen: contrastirend mit der gelblich weißen Bimsstein-Decke, die weit umher alles überzieht. Letztere besteht hier aus grobfasrigen Fragmenten von 2 bis 3 Zoll Durchmesser, in denen bisweilen Hornblende-Krystalle liegen. Dieser gröbere Bimsstein-Sand ist von dem sehr feinkörnigen verschieden, welcher an dem Vulkan Popocatepetl, nahe am Fels el Frayle und an der ewigen Schneegrenze, das Bergbesteigen so gefährlich macht: weil, wenn er an steilen Abhängen sich in Bewegung setzt, die herabrollende Sandmasse alles überschüttend zu vergraben droht. Ob dieses Lava-Trümmerfeld (im Spanischen Malpais, in Sicilien Sciarra viva, in Island Odaada-Hraun) alten, über einander gelagerten Seiten-Ausbrüchen des Popocatepetl angehört oder dem etwas abgerundeten Kegelberg Tetliyolo (Cerro del Corazon de Piedra), kann ich nicht entscheiden. Geognostisch merkwürdig ist noch, daß östlicher, auf dem Wege nach der kleinen Festung Perote, dem alt-aztekischen Pinahuizapan, sich zwischen Ojo de Agua, Venta de Soto und el Portachuelo die vulkanische Formation von grobfasrigem, weißem, zerbröckelndem PerlsteinDer schöne Marmor von la Puebla kommt aus den Brüchen von Tecali, Totomehuacan und Portachuelo: südlich von dem hohen Trachyt-Gebirge el Pizarro. Auch nahe bei der Treppen-Pyramide von Cholula, an dem Wege nach la Puebla, habe ich Kalkstein zu Tage kommen sehen. neben einem, wahrscheinlich tertiären Kalkstein (Marmol de la Puebla) erhebt. 350 Dieser Perlstein ist dem der conischen Hügel von Zinapecuaro (zwischen Mexico und Valladolid) sehr ähnlich; und enthält, außer Glimmer-Blättchen und Knollen von eingewachsenem Obsidian, auch eine glasige, bläulich-graue, zuweilen rothe, jaspisartige Streifung. Das weite Perlstein-Gebiet ist hier mit feinkörnigem Sande verwitterten Perlsteins bedeckt, welchen man auf den ersten Anblick für Granitsand halten könnte und welcher, trotz seiner Entstehungs-Verwandtschaft, doch von dem eigentlichen, graulich weißen Bimsstein-Sande leicht zu unterscheiden ist. Letzterer gehört mehr der näheren Umgegend von Perote an, dem siebentausend Fuß hohen Plateau zwischen den zwei vulkanischen, Nord-Süd streichenden Ketten des Popocatepetl und des Orizaba.
Wenn man auf dem Wege von Mexico nach Veracruz von den Höhen des quarzlosen, trachytartigen Porphyrs der Vigas gegen Canoas und Jalapa anfängt herabzusteigen, überschreitet man wieder zweimal Trümmerfelder von schlackiger Lava: das erste Mal zwischen der Station Parage de Carros und Canoas oder Tochtlacuaya, das zweite Mal zwischen Canoas und der Station Casas de la Hoya. Der erste Punkt wird wegen der vielen aufgerichteten, basaltischen, olivinreichen Lavaschollen Loma de Tablas; der zweite schlechthin el Malpais genannt. Ein kleiner Rücken desselben trachytartigen Porphyrs, voll glasigen Feldspaths, welcher bei la Cruz blanca und Rio frio (am westlichen Abfall der Höhe von las Vigas) dem Arenal (den Perlstein-Sandfeldern) gegen Osten eine Grenze setzt, trennt die eben genannten beiden Zweige des Trümmerfeldes: die Loma de Tablas und das, um vieles breitere Malpais. Die der Gegend Kundigen unter dem Landvolke behaupten, daß der Schlacken-Streifen sich gegen Süd-Süd-West, also 351 gegen den Cofre de Perote hin, verlängere. Da ich den Cofre selbst bestiegen und viele Messungen an ihm vorgenommenDer Cofre de Perote steht, in Südost des Fuerte oder Castillo de Perote, nahe dem östlichen Abfall der großen Hochebene von Mexico, fast isolirt da; seiner großen Masse nach ist er aber doch einem wichtigen Höhenzug angehörig, welcher sich, den Rand des Abfalls bildend, schon von Cruz blanca und Rio frio gegen las Vigas (lat. 19° 37' 37"), über den Coffer von Perote (lat. 19° 28' 57", long. 99° 28' 39"), westlich von Xicochimalco und Achilchotla, nach dem Pic von Orizaba (lat. 19° 2' 17", long. 99° 35' 15") in der Richtung von Norden nach Süden erstreckt: parallel der Kette (Popocatepetl–Iztaccihuatl), welche das Kesselthal der mexicanischen Seen von der Ebene von la Puebla trennt. (Für die Fundamente dieser Bestimmungen s. mein Recueil d'Observ. astron. Vol. II. p. 529–532 und 547, sowie Analyse de l'Atlas du Mexique oder Essai politique sur la Nouv. Espagne T. I. p. 55–60.) Da der Cofre sich in einem viele Meilen breiten Bimsstein-Felde schroff erhoben hat, so hat es mir bei der winterlichen Besteigung (das Thermometer sank auf dem Gipfel, den 7 Febr. 1804, bis 2° unter den Gefrierpunkt) überaus interessant geschienen, daß die Bimsstein-Bedeckung, deren Dicke und Höhe ich an mehreren Punkten barometrisch beim Hinauf- und Herabsteigen maß, sich über 732 Fuß erhebt. Die untere Grenze des Bimssteins in der Ebene zwischen Perote und Rio Frio ist 1187 Toisen über dem Meeresspiegel, die obere Grenze am nördlichen Abhange des Cofre 1309 Toisen; von da an durch den Pinahuast, das Alto de los Caxones (1954t), wo ich die Breite durch Culmination der Sonne bestimmen konnte, bis zum Gipfel selbst war keine Spur von Bimsstein zu sehen. Bei Erhebung des Berges ist ein Theil der Bimsstein-Decke des großen Arenal, das vielleicht durch Wasser schichtweise geebnet worden ist, mit emporgerissen worden. Ich habe an Ort und Stelle in mein Journal (Febr. 1804) eine Zeichnung dieses Bimsstein-Gürtels eingetragen. Es ist dieselbe wichtige Erscheinung, welche im Jahr 1834 am Vesuv von Leopold v. Buch beschrieben wurde: wo söhlige Bimssteintuff-Schichten durch das Aufsteigen des Vulkans, freilich zu größerer Höhe, achtzehn- bis neunzehnhundert Fuß, gegen die Einsiedelei des Salvatore hin gelangten (Poggendorff's Annalen Bd. 37. S. 175–179). Die Oberfläche des diorit-artigen Trachyt-Gesteins am Cofre war da, wo ich den höchsten Bimsstein fand, nicht durch Schnee der Beobachtung entzogen. Die Grenze des ewigen Schnees liegt in Mexico unter der Breite von 19° und 19°¼ erst in der mittleren Höhe von 2310t; und der Gipfel des Cofre erreicht bis zum Fuß des kleinen haus-artigen Würfelfelsens, wo ich die Instrumente aufstellte, 2098t oder 12588 Fuß über dem Meere. Nach Höhenwinkeln ist der Würfelfels 21t oder 126 Fuß hoch; also ist die Total-Höhe, zu der man wegen der senkrechten Felswand nicht gelangen kann, 12714 Fuß über dem Meere. Ich fand nur einzelne Flecke sporadisch gefallenen Schnees, deren untere Grenze 11400 Fuß war: ohngefähr sieben- bis achthundert Fuß früher als die obere Waldgrenze in schönen Tannenbäumen: Pinus occidentalis, gemengt mit Cupressus sabinoides und Arbutus Madroño. Die Eiche, Quercus xalapensis, hatte uns nur bis 9700 Fuß absoluter Höhe begleitet. (Humb. Nivellement barométr. des Cordillères No. 414–429.) Der Name Nauhcampatepetl, welchen der Berg in der mexicanischen Sprache führt, ist von seiner eigenthümlichen Gestalt hergenommen, die auch die Spanier veranlaßte ihm den Namen Cofre zu geben. Er bedeutet: viereckiger Berg; denn nauhcampa, von dem Zahlwort nahui 4 gebildet, heißt zwar als Adv. von vier Seiten, aber als Adj. (obgleich die Wörterbücher dies nicht angeben) wohl ohne Zweifel viereckig oder vierseitig, wie diese Bedeutung der Verbindung nauhcampa ixquich beigelegt wird. Ein des Landes sehr kundiger Beobachter, Herr Pieschel, vermuthet das Dasein einer alten Krater-Oeffnung am östlichen Abhange des Coffers von Perote (Zeitschr. für Allg. Erdkunde. herausg. von Gumprecht, Bd. V. 1855 S. 125). Die Ansicht des Cofre, welche ich in meinen Vue des Cordillères auf Pl. XXXIV gegeben, habe ich in der Nähe des Castells San Carlos de Perote, in einer Entfernung von ohngefähr zwei Meilen, entworfen. – Der altaztekische Name von Perote war Pinahuizapan, und bedeutet (nach Buschmann): an dem Wasser der (für ein böses Wahrzeichen gehaltenen und zu abergläubischer Zeichendeutung gebrauchten) Käferart pinahuiztli (vgl. Sahagun, historia general de las cosas de Nueva España T. II. 1829 p. 10–11): ein Name, welcher von pinahua, sich schämen, abgeleitet wird. Von demselben Verbum stammt der obige Ortsname Pinahuast (pinahuaztli) aus dieser Gegend; so wie der Name einer Staude (Mimosacee?) pinahuihuiztli, von Hernandez herba verecunda übersetzt, deren Blätter bei der Berührung herabfallen. habe, so bin ich wenig geneigt gewesen aus einer, allerdings sehr wahrscheinlichen Verlängerung des Lavastromes (als ein solcher ist er in meinen Profilen Tab. 9 und 13, wie in dem Nivellement barométrique bezeichnet) zu folgern, daß derselbe jenem, so sonderbar gestalteten Berge selbst entflossen sei. Der Cofre de Perote: zwar an 1300 Fuß höher als der Pic von Teneriffa, aber unbedeutend im Vergleich mit den Colossen Popocatepetl und Orizaba, bildet wie Pichincha einen langen Felsrücken, auf dessen südlichem Ende der kleine Fels-Cubus (la Peña) steht, dessen Form zu der alt-aztekischen Benennung Nauhcampatepetl Anlaß gegeben hat. Der Berg hat mir bei der Besteigung keine Spur von einem eingestürzten Krater oder von Ausbruch-Mündungen an seinen Abhängen; keine Schlackenmassen, keine ihm gehörige Obsidiane, Perlstein oder Bimssteine gezeigt. Das schwärzlich-graue Gestein ist sehr einförmig aus vieler Hornblende und einer Feldspath-Art zusammengesetzt, welche nicht glasiger Feldspath (Sanidin), sondern Oligoklas ist: was dann die ganze Gebirgsart, welche nicht porös ist, zu einem dioritartigen Trachyte stempeln würde. Ich schildere die Eindrücke, die ich empfangen. Ist das grausige, schwarze Trümmerfeld (Malpais), bei dem ich hier absichtlich verweile, um der allzu einseitigen Betrachtung vulkanischer Kraftäußerungen aus dem Inneren entgegenzuarbeiten, auch nicht dem Cofre de Perote selbst an einer Seiten-Oeffnung entflossen; so kann doch die Erhebung dieses isolirten, 12714 Fuß hohen Berges die Veranlassung zu der Entstehung der Loma de Tablas gewesen sein. Es können bei einer solchen Erhebung 352 weit umher durch Faltung des Bodens Längenspalten und Spaltengewebe entstanden sein, aus denen unmittelbar geschmolzene Massen ohne Bildung eigener Berggerüste (geöffneter Kegel oder Erhebungs-Krater) sich bald als dichte Massen, bald als schlackige Lava ergossen haben. Sucht man nicht vergebens in den großen Gebirgen von Basalt und Porphyrschiefer nach Centralpunkten (Kraterbergen) oder niedrigeren, umwallten, kreisförmigen Schlünden, denen man ihre gemeinsame Erscheinung zuschreiben könnte? Die sorgfältigste Trennung dessen, was in den Erscheinungen genetisch verschieden ist: formbildend in Kegelbergen mit offen gebliebenen Gipfel-Kratern und Seiten-Oeffnungen; oder in umwallten Erhebungs-Kratern und Maaren; oder theils aufgestiegen als geschlossene Glockenberge oder geöffnete Kegel, theils ergossen aus zusammenscharenden Spalten: ist ein Gewinn für die Wissenschaft. Sie ist es schon deshalb, weil die Mannigfaltigkeit der Ansichten, welche ein erweiterter Horizont der Beobachtung nothwendig hervorruft, die streng kritische Vergleichung des Seienden mit dem, wovon man vorgiebt, daß es die einzige Form der Entstehung sei, am kräftigsten zur Untersuchung anregt. Ist doch auf europäischem Boden selbst: auf der, an heißen Quellen reichen Insel Euböa, zu historischen Zeiten in der großen Ebene von Lelanton (fern von allen Bergen) aus einer Spalte ein mächtiger Lavastrom ergossen worden.Strabo lib. I p. 58, lib VI p. 269 Casaub.; Kosmos Bd. I. S. 451 [Anm. 225] und Bd. IV. S. 270, und über die Benennung der Lava bei den Griechen S. 515 Anm. 2003.
In der auf die mexicanische gegen Süden zunächst folgenden Vulkan-Gruppe von Central-Amerika, wo 18 Kegel- und Glockenberge als jetzt noch entzündet betrachtet werden können, sind 4 (Nindiri, el Nuevo, Conseguina und San Miguel de Bosotlan) als Lavaströme gebend erkannt 353 wordenKosmos Bd. IV. S. 310 und 545 Anm. 2089. Die Berge der dritten Vulkan-Gruppe, der von Popayan und Quito, stehen bereits seit mehr als einem Jahrhundert in dem Rufe keine Lavaströme: sondern nur unzusammenhangende, aus dem alleinigen Gipfel-Krater ausgestoßene, oft reihenartig herabrollende, glühende Schlackenmassen zu geben. Dies war schon die Meinung»Je n'ai point connu«, sagt La Condamine, »la matière de la lave en Amérique, quoique nous ayons, Mr. Bouguer et moi, campé des semaines et des mois entiers sur les volcans, et nommément sur ceux de Pichincha, de Cotopaxi et de Chimborazo. Je n'ai vu sur ces montagnes que des vestiges de calcination sans liquéfaction. Cependant l'espèce de crystal noirâtre appelé vulgairement au Pérou Piedra de Gallinaço (Obsidienne), dont j'ai rapporté plusieurs morceaux et dont on voit une lentille polie de sept à huit pouces de diamètre au Cabinet du Jardin du Roi, n'est autre chose qu'un verre formé par les volcans. La matière du torrent de feu qui découle continuellement de celui de Sangai dans la province de Macas, an sudest de Quito, est sans doute une lave; mais nous n'avons vu cette montagne que de loin, et je n'étois plus à Quito dans le tems des dernières éruptions du volcan de Cotopaxi, lorsque sur ses flancs il s'ouvrit des espèces de soupiraux, d'où l'on vit sortir à flots des matières enflammées et liquides qui devoient être d'une nature semblable à la lave du Vésuve.« (La Condamine, Journal de Voyage en Italie in den Mémoires de l'Académie des Sciences, Année 1757 p. 357; Histoire p. 12.) Beide Beispiele, besonders das erstere, sind nicht glücklich gewählt. Der Sangay ist erst im December des Jahres 1849 von Sebastian Wisse wissenschaftlich untersucht worden: was La Condamine in einer Entfernung von 27 geographischen Meilen für herabfließende leuchtende Lava, ja für »einen Erguß brennenden Schwefels und Erdpechs« hielt: sind glühende Steine und Schlackenmassen, welche bisweilen, nahe an einander gedrängt, an dem steilen Abhange des Aschenkegels herabgleiten (Kosmos Bd. IV. S. 303). Am Cotopaxi habe ich nicht mehr als am Tungurahua, Chimborazo, Pichincha, oder an dem Puracé und Sotara bei Popayan etwas gesehen, was für schmale Lavaströme, diesen Bergcolossen entflossen, gelten könnte. Die unzusammenhangenden glühenden, oft obsidianhaltigen Massen von 5–6 Fuß Durchmesser, welche bei seinen Ausbrüchen der Cotopaxi hervorgeschleudert hat: sind, von Fluthen geschmolzenen Schnees und Eises gestoßen, bis weit in die Ebene gelangt, und bilden dort theilweise strahlenförmig divergirende Reihen. Auch sagt La Condamine an einem anderen Orte (Journal du Voyage à l'Équateur p. 160) sehr wahr: »Ces éclats de rocher, gros comme une chaumière d'Indien, forment des trainées de rayons qui partent du Volcan comme d'un centre commun.« von La Condamine, als er im Frühjahr 1743 das Hochland von Quito und Cuenca verließ. Er hatte vierzehn Jahre später: da er von einer Besteigung des Vesuvs (4 Juni 1755) zurückkehrte, bei welcher er die Schwester Friedrichs des Großen, die Markgräfinn von Baireuth, begleitete, Gelegenheit sich in einer akademischen Sitzung über den Mangel von eigentlichen Lavaströmen (laves coulées par torrens de matières liquefiées) aus den Vulkanen von Quito lebhaft zu äußern. Das in der Sitzung vom 20 April 1757 gelesene Journal d'un Voyage en Italie erschien erst 1762 in den Mémoires der Pariser Akademie: und ist für die Geschichte der Erkennung alter ausgebrannter Vulkane in Frankreich auch darum geognostisch von einiger Wichtigkeit, weil La Condamine in demselben Tagebuche mit dem ihm eigenen Scharfsinn, ohne von Guettard's, allerdings früheren Behauptungen etwas zu wissenGuettard's Abhandlung über die ausgebrannten Vulkane wurde 1752, also drei Jahre vor La Condamine's Reise nach Italien, in der Akademie verlesen; aber erst 1756, also während der italienischen Reise des Astronomen, gedruckt (s. p. 380)., sich sehr bestimmt über die Existenz alter Kraterseen und ausgebrannter Vulkane im mittleren und nördlichen Italien wie im südlichen Frankreich ausspricht.
Eben dieser auffallende Contrast zwischen den so früh erkannten, schmalen und unbezweifelten Lavaströmen der Auvergne und der, oft nur allzu absolut behaupteten Abwesenheit jedes Lava-Ergusses in den Cordilleren hat mich während der ganzen Dauer meiner Expedition ernsthaft beschäftigt. Alle meine Tagebücher sind voll von Betrachtungen über dieses Problem: 354 dessen Lösung ich lange in der absoluten Höhe der Gipfel und in der Mächtigkeit der Umwallung, d. i. der Einsenkung, trachytischer Kegelberge in acht- bis neuntausend Fuß hohen Bergebenen von großer Breite gesucht habe. Wir wissen aber jetzt, daß ein 16000 Fuß hoher, Schlacken auswerfender Vulkan von Quito, der von Macas, ununterbrochen um vieles thätiger ist als die niedrigen Vulkane Izalco und Stromboli; wir wissen, daß die östlichen Dom- und Kegelberge, Antisana und Sangay, gegen die Ebene des Napo und Pastaza: die westlichen, Pichincha, Iliniza und Chimborazo, gegen die Zuflüsse des stillen Oceans hin freie Abhänge haben. Auch unumwallt ragt bei vielen der obere Theil noch acht- bis neuntausend Fuß hoch über die Hochebene empor. Dazu sind ja alle diese Höhen über der Meeresfläche: welche, wenn gleich nicht ganz mit Recht, als die mittlere Höhe der Erdoberfläche betrachtet wird, unbedeutend in Hinsicht auf die Tiefe, in welcher man den Sitz der vulkanischen Thätigkeit und die zur Schmelzung der Gesteinmassen nöthige Temperatur vermuthen kann.
Die einzigen schmäleren Lava-Ausbrüchen ähnlichen Erscheinungen, die ich in den Cordilleras von Quito aufgefunden, sind diejenigen, welche der Bergcoloß des Antisana, dessen Höhe ich durch eine trigonometrische Messung auf 17952 Fuß (5833m) bestimmt habe, darbietet. Da die Gestaltung hier die wichtigsten Criterien an die Hand giebt, so werde ich die systematische und den Begriff der Entstehung zu eng beschränkende Benennung Lava gleich anfangs vermeiden und mich nur ganz objectiv der Bezeichnungen von »Felstrümmern« oder »Schuttwällen« (traînées de masses volcaniques) bedienen. Das mächtige Gebirge des Antisana bildet in 355 12625 Fuß Höhe eine fast ovalförmige, in langem Durchmesser über 12500 Toisen weite Ebene, aus welcher inselförmig der mit ewigem Schnee bedeckte Theil des Vulkans aufsteigt. Der höchste Gipfel ist abgerundet und domförmig. Der Dom ist durch einen kurzen, zackigen Rücken mit einem, gegen Norden vorliegenden, abgestumpften Kegel verbunden. In der, theils öden und sandigen, theils mit Gras bedeckten Hochebene (dem Aufenthalt einer sehr muthigen Stier-Race, welche wegen des geringen Luftdruckes leicht Blut aus Mund und Nasenlöchern ausstoßen, wenn sie zu großer Muskel-Anstrengung angeregt werden) liegt eine kleine Meierei (Hacienda): ein einzelnes Haus, in welchem wir bei einer Temperatur von 3°,7 bis 9° Cent. vier Tage zubrachten. Die große Ebene, keineswegs umwallt, wie in Erhebungs-Kratern, trägt die Spuren eines alten Seebodens. Als Rest der alten Wasserbedeckung ist westlich von den Altos de la Moya die Laguna Mica zu betrachten. Am Rande der ewigen Schneegrenze entspringt der Rio Tinajillas: welcher später unter dem Namen Rio de Quixos ein Zufluß des Maspa, des Napo und des Amazonenflusses wird. Zwei Steinwälle: schmale, mauerförmige Erhöhungen, welche ich auf dem von mir aufgenommenen Situationsplane vom Antisana als coulées de laves bezeichnet habe, und welche die Eingeborenen Volcan de la Hacienda und Yana Volcan (yana bedeutet schwarz oder braun in der Qquechhua-Sprache) nennen; gehen bandförmig aus von dem Fuß des Vulkans am unteren Rande der ewigen Schneegrenze, vom südwestlichen und nördlichen Abhange, und erstrecken sich: wie es scheint, mit sehr mäßigem Gefälle, in der Richtung von NO–SW über 2000 Toisen weit in die Ebene hinein. Sie haben bei sehr geringer Breite wohl eine Höhe von 180 356 bis 200 Fuß über dem Boden der Llanos de la Hacienda, de Santa Lucia und del Cuvillan. Ihre Abhänge sind überall sehr schroff und steil, selbst an den Endpunkten. Sie bestehen in ihrem jetzigen Zustande aus schaligen, meist scharfkantigen Felstrümmern eines schwarzen basaltischen Gesteins: ohne Olivin und Hornblende, aber sparsam kleine weiße Feldspath-Krystalle enthaltend. Die Grundmasse hat oft einen pechsteinartigen Glanz und enthielt Obsidian eingemengt: welcher besonders in sehr großer Menge und noch deutlicher in der sogenannten Cueva de Antisana zu erkennen war, deren Höhe wir zu 14958 Fuß fanden. Es ist keine eigentliche Höhle, sondern ein Schutz, welchen den bergbesteigenden Viehhirten und also auch uns gegen einander gefallene und sich wechselseitig unterstützende Felsblöcke bei einem furchtbaren Hagelschauer gewährten. Die Cueva liegt etwas nördlich von dem Volcan de la Hacienda. In den beiden schmalen Steinwällen, die das Ansehen erkalteter Lavaströme haben, zeigen sich die Tafeln und Blöcke theils an den Rändern schlackig, ja schwammartig aufgetrieben; theils verwittert und mit erdigem Schutt gemengt.
Analoge, aber mehr zusammengesetzte Erscheinungen bietet ein anderes, ebenfalls bandartiges Steingerölle dar. Es liegen nämlich an dem östlichen Abfall des Antisana, wohl um 1200 Fuß senkrecht tiefer als die Ebene der Hacienda, in der Richtung nach Pinantura und Pintac hin, zwei kleine runde Seen: von denen der nördlichere Ansango, der südlichere Lecheyacu heißt. Der erste hat einen Inselfels und wird, was sehr entscheidend ist, von Bimsstein-Gerölle umgeben. Jeder dieser Seen bezeichnet den Anfang eines Thales; beide Thäler vereinigen sich, und ihre erweiterte Fortsetzung führt den Namen 357 Volcan de Ansango: weil von dem Rande beider Seen schmale Felstrümmer-Züge, ganz den zwei Steinwällen der Hochebene, die wir oben beschrieben haben, ähnlich, nicht etwa die Thäler ausfüllen, sondern sich in der Mitte derselben dammartig bis zu 200 und 250 Fuß Höhe erheben. Ein Blick, auf den Situationsplan geworfen, den ich in dem Atlas géographique et physique meiner amerikanischen Reife (Pl. 26) veröffentlicht, wird diese Verhältnisse verdeutlichen. Die Blöcke sind wieder theils scharfkantig, theils an den Rändern verschlackt, ja coakartig gebrannt. Es ist eine basaltartige, schwarze Grundmasse mit sparsam eingesprengtem glasigem Feldspath; einzelne Fragmente sind schwarzbraun und von mattem Pechstein-Glanze. So basaltartig auch die Grundmasse erscheint, fehlt doch ganz in derselben der Olivin, welcher so häufig am Rio Pisque und bei Guallabamba sich findet: wo ich 68 Fuß hohe und 3 Fuß dicke Basaltsäulen sah, die gleichzeitig Olivin und Hornblende eingesprengt enthalten. In dem Steinwall von Ansango deuten viele Tafeln, durch Verwitterung gespalten, auf Porphyrschiefer. Alle Blöcke haben eine gelbgraue Verwitterungs-Kruste. Da man den Trümmerzug (los derrumbamientos, la reventazon nennen es die spanisch redenden Eingebornen) vom Rio del Molino unfern der Meierei von Pintac aufwärts bis zu den von Bimsstein umgebenen kleinen Kraterseen (mit Wasser gefüllten Schlünden) verfolgen kann, so ist natürlich die Meinung wie von selbst entstanden, daß die Seen die Oeffnungen sind, aus welchen die Steinblöcke an die Oberfläche kamen. Wenige Jahre vor meiner Ankunft in dieser Gegend hatte ohne bemerkbare vorhergegangene Erderschütterung der Trümmerzug sich auf der geneigten Fläche Wochen lang in Bewegung gesetzt, und durch den Drang und 358 Stoß der Steinblöcke waren einige Häuser bei Pintac umgestürzt worden. Der Trümmerzug von Ansango ist noch ohne alle Spur von Vegetation: die man schon, wenn gleich sehr sparsam, auf den zwei, gewiß älteren, mehr verwitterten Ausbrüchen der Hochebene von Antisana findet.
Wie soll diese Art der Aeußerung vulkanischer Thätigkeit benannt»Il y a peu de volcans dans la chaîne des Andes (sagt Leopold von Buch) qui aient offert des courants de laves, et jamais on n'en a vu autour des volcans de Quito. L'Antisana, sur la chaîne orientale des Andes, est le seul volcan de Quito, sur lequel Mr. de Humboldt ait vu près du sommet quelque chose d'analogue à un courant de laves; cette coulée était tout à fait semblable à de l'Obsidienne.« Description des Iles Canaries 1836 p. 468 und 488. werden, deren Wirkung ich schildere? Haben wir hier zu thun mit Lavaströmen? oder nur mit halb verschlackten und glühenden Massen, die unzusammenhangend, aber in Zügen, dicht an einander gedrängt (wie in uns sehr nahen Zeiten am Cotopaxi) ausgestoßen werden? Sind die Steinwälle vom Yana-Vulkan und Ansango vielleicht gar feste fragmentarische Massen gewesen, welche ohne erneuerte Erhöhung der Temperatur aus dem Inneren eines vulkanischen Kegelberges, in dem sie lose angehäuft und also schlecht unterstützt lagen: von Erdbeben erschüttert und kleine locale Erdbeben erregend, durch Stoß oder Fall getrieben, ausbrachen? Ist keine der drei angedeuteten, so verschiedenartigen Aeußerungen der vulkanischen Thätigkeit hier anwendbar? und sind die linearen Anhäufungen von Felstrümmern auf Spalten an den Orten, wo sie jetzt liegen (am Fuß und in der Nähe eines Vulkans), erhoben worden? Die beiden Trümmerwälle in der so wenig geneigten Hochebene, Volcan de la Hacienda und Yana Volcan genannt: die ich einst, doch nur muthmaßlich, als erkaltete Lavaströme angesprochen; scheinen mir heute noch, in so alter Erinnerung, wenig die letztere Ansicht unterstützendes darzubieten. Bei dem Volcan de Ansango, dessen Trümmerreihe man wie ein Strombette bis zu den Bimsstein-Rändern von zwei kleinen Seen ohne Unterbrechung verfolgen kann, widerspricht allerdings das 359 Gefälle, der Niveau-Unterschied von Pinantura (1482 T.) und Lecheyacu (1900 T.) in einem Abstande von etwa 7700 T. keinesweges dem, was wir jetzt von den, im Mittelwerthe so geringen Neigungs-Winkeln der Lavaströme zu wissen glauben. Aus dem Niveau-Unterschiede von 418 T. folgt eine Neigung von 3°6'. Ein partielles Aufsteigen des Bodens in der Mitte der Thalsohle würde nicht einmal ein Hinderniß scheinen: weil Rückstauungen flüssiger, thalaufwärts getriebener Massen z. B. bei der Eruption des Scaptar Jökul auf Island im Jahr 1783 beobachtet worden sind (Naumann, Geognosie Bd. I. S. 160).
Das Wort Lava bezeichnet keine besondere mineralische Zusammensetzung des Gesteins; und wenn Leopold von Buch sagt, daß alles Lava ist, was im Vulkan fließt und durch seine Flüssigkeit neue Lagerstätten annimmt: so füge ich hinzu, daß auch nicht von neuem Flüssig-Gewordenes, aber in dem Inneren eines vulkanischen Kegels Enthaltenes, seine Lagerstätte verändern kann. Schon in der ersten BeschreibungHumboldt, Kleinere Schriften Bd. I. S. 161. meines Versuchs den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen (veröffentlicht erst 1837 in Schumacher's astronomischem Jahrbuche) habe ich diese Vermuthung geäußert, indem ich von den merkwürdigen »Stücken von Augit-Porphyr sprach, welche ich am 23 Junius 1802 in achtzehntausend Fuß Höhe auf dem schmalen zum Gipfel führenden Felskamm in losen Stücken von zwölf bis vierzehn Zoll Durchmesser sammelte. Sie waren kleinzellig, mit glänzenden Zellen, porös und von rother Farbe. Die schwärzesten unter ihnen sind bisweilen bimssteinartig leicht und wie frisch durch Feuer verändert. Sie sind indeß nie in Strömen lavaartig geflossen, sondern wahrscheinlich auf Spalten an dem Abhange des früher emporgehobenen glockenförmigen Berges herausgeschoben.« Diese 360 genetische Erklärungsweise könnte reichhaltige Unterstützung finden durch die Vermuthungen Boussingault's, der die vulkanischen Kegel selbst »als einen Haufen ohne alle Ordnung über einander gethürmter, in starrem Zustande gehobener, eckiger Trachyt-Trümmer betrachtet. Da nach der Aufhäufung die zertrümmerten Felsmassen einen größeren Raum als vor der Zertrümmerung einnehmen, so bleiben zwischen ihnen große Höhlungen, indem durch Druck und Stoß (die Wirkung der vulkanischen Dampfkraft abgerechnet) Bewegung entsteht.« Ich bin weit entfernt an dem partiellen Vorkommen solcher Bruchstücke und Höhlungen, die sich in den Nevados mit Wasser füllen, zu zweifeln: wenn auch die schönen, regelmäßigen, meist ganz senkrechten Trachyt-Säulen vom Pico de los Ladrillos und Tablahuma am Pichincha, und vor allem über dem kleinen Wasserbecken Yana-Cocha am Chimborazo mir an Ort und Stelle gebildet scheinen. Mein theurer und vieljähriger Freund Boussingault, dessen chemisch-geognostische und meteorologische Ansichten ich immer gern theile, hält, was man den Vulkan von Ansango nennt und was mir jetzt eher als ein Trümmer-Ausbruch aus zwei kleinen Seiten-Kratern (am westlichen Antisana, unterhalb des Chussulongo) erscheint, für Hebung von Blöcken»Nous différons entièrement sur la prétendue coulée d'Antisana vers Pinantura. Je considère cette coulée comme un soulèvement récent analogue à ceux de Calpi (Yana urcu), Pisque et Jorullo. Les fragments trachytiques ont pris une épaisseur plus considérable vers le milieu de la coulée. Leur couche est plus épaisse vers Pinantura que sur des points plus rapprochés d'Antisana. L'état fragmentaire est un effet du soulèvement local, et souvent dans la Cordillère des Andes les tremblements de terre peuvent être produits par des tassements.« (Lettre de Mr. Boussignault, en août 1834.) Vergl. Kosmos Bd. IV. S. 219. In der Beschreibung seiner Besteigung des Chimborazo (December 1831) sagt Boussingault: »Die Masse des Berges besteht nach meiner Ansicht aus einem Haufwerk ganz ohne alle Ordnung über einander gethürmter Trachyt-Trümmer. Diese oft ungeheuren Trachytstücke eines Vulkans sind in starrem Zustande gehoben; ihre Ränder sind scharf; nichts deutet darauf, daß sie in Schmelzung oder nur einmal im Zustand der Erweichung gewesen wären. Nirgends beobachtet man an irgend einem der Aequatorial-Vulkane etwas, was auf einen Lavastrom schließen lassen könnte. Niemals ist aus diesen Kratern etwas anderes ausgeworfen worden als Schlamm-Massen, elastische Flüssigkeiten und glühende, mehr oder weniger verschlackte Trachytblöcke, welche oft in beträchtliche Entfernungen geschleudert wurden.« (Humboldt, Kleinere Schriften Bd. I. S. 200.) Ueber die erste Entstehung der Meinung von dem Gehoben-Sein starrer Massen als aufgehäufter Blöcke s. Acosta in den Viajes á los Andes ecuatoriales por Mr. Boussingault 1849 p. 222 und 223. Die durch Erdstöße und andere Ursachen veranlaßte Bewegung der aufgehäuften Bruchstücke und die allmälige Ausfüllung der Zwischenräume soll nach des berühmten Reisenden Vermuthung eine allmälige Senkung vulkanischer Berggipfel hervorbringen. auf langen Spalten. Er dringt, da er 30 Jahre nach mir selbst diese Gegend scharfsinnig durchforscht hat, auf die Analogie, welche ihm die geognostischen Verhältnisse des Ausbruchs von Ansango zum Antisana und des Yana-Urcu, von dem ich einen besonderen Situationsplan aufgenommen, zum Chimborazo darzubieten scheinen. Zu dem Glauben an eine Erhebung auf Spalten unmittelbar unter der ganzen linearen Erstreckung des Trümmerzuges von Ansango war ich weniger 361 geneigt, da dieser Trümmerzug, wie ich schon mehrmals erinnert, an seiner oberen Extremität auf die zwei, jetzt mit Wasser bedeckten Schlünde hinweist. Unfragmentarische, mauerartige Erhebungen von großer Länge und gleichmäßiger Richtung sind mir übrigens gar nicht fremd, da ich sie in unserer Hemisphäre, in der chinesischen Mongolei, in flözartig gelagerten Granitbänken gesehen und beschrieben habe.Humb. Asie centrale T. II. p. 296–301 (Gustav Rose, mineral. geognostische Reise nach dem Ural, dem Altai und dem Kasp. Meere Bd. I. S. 599). Schmale, langgedehnte Granitmauern können bei den frühesten Faltungen der Erdrinde über Spalten aufgestiegen sein: den merkwürdigen, noch offen gebliebenen, analog, welche man am Fuß des Vulkans von Pichincha findet: als Guaycos der Stadt Quito, von 30–40 Fuß Breite (s. meine Klein. Schr. Bd. I. S. 24).
Der Antisana hat einen FeuerausbruchLa Condamine, Mesure des trois premiers Degrés du Méridien dans l'Hémisphère austral 1751 p. 56. im Jahr 1590 und einen anderen im Anfange des vorigen Jahrhunderts, wahrscheinlich 1728, gehabt. Nahe dem Gipfel an der nord-nord-östlichen Seite bemerkt man eine schwarze Felsmasse, auf der selbst frisch gefallener Schnee nicht haftet. An diesem Punkte sah man im Frühjahr 1801 mehrere Tage lang: zu einer Zeit, wo der Gipfel auf allen Seiten völlig frei von Gewölk war, eine schwarze Rauchsäule aufsteigen. Wir gelangten: Bonpland, Carlos Montufar und ich, am 16 März 1802 auf einer Felsgräte, die mit Bimsstein und schwarzen, basaltartigen Schlacken bedeckt war, in der Region des ewigen Schnees bis 2837 Toisen, also 2213 Fuß höher als der Montblanc. Der Schnee war, was unter den Tropen so selten ist, fest genug, um uns an mehreren Punkten neben der Felsgräte zu tragen (Luft-Temperatur -1°,8 bis +1°,4 Cent.). An dem mittägigen Abhange, welchen wir nicht bestiegen: an der Piedra de azufre, wo sich Gestein-Schalen bisweilen durch Verwitterung von selbst ablösen, findet man reine Schwefelmassen von 10 bis 12 Fuß Länge und 2 Fuß Dicke; Schwefelquellen fehlen in der Umgegend.
Obgleich in der östlichen Cordillere der Vulkan Antisana und besonders sein westlicher Abhang (von Ansango und Pinantura gegen das Dörfchen Pedregal hin) durch den 362 ausgebrannten Vulkan PassuchoaPassuchoa, durch die Meierei el Tambillo vom Atacazo getrennt, erreicht so wenig als der letztere die Region des ewigen Schnees. Der hohe Rand des Kraters, la Peila, ist gegen Westen eingestürzt, tritt aber gegen Osten amphitheatralisch hervor. Die Sage geht, daß am Ende des sechzehnten Jahrhunderts der vormals thätige Passuchoa bei Gelegenheit einer Eruption des Pichincha für immer zu speien aufgehört habe: was die Communication zwischen den Essen der einander gegenüberstehenden östlichen und westlichen Cordilleren bestätigt. Das eigentliche Bassin von Quito, dammartig geschlossen: im Norden durch einen Bergknoten zwischen Cotocachi und Imbaburo, gegen Süden durch die Altos de Chisinche (zwischen 0° 20' N. und 0° 40' S.); ist großentheils der Länge nach getheilt durch den Bergrücken von Ichimbio und Poingasi. Oestlich liegt das Thal von Puembo und Chillo, westlich die Ebene von Iñaquito und Turubamba. In der östlichen Cordillere folgen von Norden gegen Süden Imbaburo, die faldas de Guamani und Antisana, Sinchulahua und die senkrechte, mit thurmartigen Zacken gekrönte, schwarze Mauer von Rumiñaui (Stein-Auge); in der westlichen Cordillere folgen Cotocachi, Casitagua, Pichincha, Atacazo, Corazon: auf dessen Abhang die prachtvolle Alpenpflanze, der rothe Ranunculus Gusmani, blüht. Es schien mir hier der Ort, von einem für die vulkanische Geologie so wichtigen, classischen Boden mit wenigen Zügen eine, aus eigener Ansicht geschöpfte, morphologische Darstellung der Reliefform zu geben. mit seinem weit erkennbaren Krater (la Peila), durch den Nevado Sinchulahua und den niedrigeren Rumiñaui vom Cotopaxi getrennt sind; so ist doch eine gewisse Aehnlichkeit zwischen den Gebirgsarten beider Colosse. Vom Quinche an hat die ganze östliche Andeskette Obsidian hervorgebracht; und doch gehören el Quinche, Antisana und Passuchoa zu dem Bassin, in welchem die Stadt Quito liegt, während Cotopaxi ein anderes Bassin begrenzt: das von Lactacunga, Hambato und Riobamba. Der kleine Bergknoten der Altos von Chisinche trennt nämlich, einem Damme gleich, die beiden Becken; und, was dieser Kleinheit wegen auffallend genug ist: die Wasser des nördlichen Abfalles von Chisinche gehen durch die Rios de San Pedro, de Pita und de Guallabamba in die Südsee, wenn die des südlichen Abhanges durch den Rio Alaques und de San Felipe dem Amazonenstrom und dem atlantischen Ocean zufließen. Die Gliederung der Cordilleren durch Bergknoten und Bergdämme (bald niedrig, wie die eben genannten Altos; bald an Höhe gleich dem Montblanc, wie am Wege über den Paso del Assuay) scheint ein neueres und auch minder wichtiges Phänomen zu sein als die Erhebung der getheilten parallelen Bergzüge selbst. Wie der Cotopaxi, der mächtigste aller Vulkane von Quito, viele Analogie in dem Trachyt-Gestein mit dem Antisana darbietet, so findet man auch an den Abhängen des Cotopaxi und in größerer Zahl die Reihen von Felsblöcken (Trümmerzüge) wieder, welche uns oben lange beschäftigt haben.
Es lag den Reisenden besonders daran diese Reihen bis an ihren Ursprung oder vielmehr bis dahin zu verfolgen, wo sie unter der ewigen Schneedecke verborgen liegen. Wir stiegen an dem südwestlichen Abhange des Vulkans von Mulalo (Mulahalo) aus: 363 längs dem Rio Alaques, der sich aus dem Rio de los Baños und dem Rio Barrancas bildet, nach Pansache (11322 Fuß) aufwärts: wo wir die geräumige Casa del Paramo in der Grasebene (el Pajonal) bewohnten. Obgleich sporadisch bis dahin viel nächtlicher Schnee gefallen war, so gelangten wir doch östlich von dem vielberufenen Inga-Kopf (Cabeza del Inga) erst in die Quebrada und Reventazon de las Minas, und später noch östlicher über das Alto de Suniguaicu bis zur Schlucht des Löwenberges (Puma-Urcu): wo das Barometer doch nur erst eine Höhe von 2263 Toisen oder 13578 Fuß anzeigte. Ein anderer Trümmerzug, den wir aber bloß aus der Entfernung sahen, hat sich vom östlichen Theile des mit Schnee bedeckten Aschenkegels gegen den Rio Negro (Zufluß des Amazonenstroms) und gegen Valle vicioso hin bewegt. Ob diese Blöcke als glühende, nur an den Rändern geschmolzene Schlackenmassen: – bald eckig, bald rundlich, von 6 bis 8 Fuß Durchmesser; selten schalig, wie es die des Antisana sind –; alle aus dem Gipfel-Krater zu großen Höhen ausgeworfen, an den Abhang des Cotopaxi herabgefallen und durch den Sturz der geschmolzenen Schneewasser in ihrer Bewegung beschleunigt worden sind; oder ob sie, ohne durch die Luft zu kommen, aus Seitenspalten des Vulkans ausgestoßen wurden, wie das Wort reventazon andeuten würde: bleibt ungewiß. Von Suniguaicu und der Quebrada del Mestizo bald zurückkehrend, untersuchten wir den langen und breiten Rücken, welcher, von NW in SO streichend, den Cotopaxi mit dem Nevado de Quelendaña verbindet. Hier fehlen die gereihten Blöcke: und das Ganze scheint eine dammartige Erhebung, auf deren Rücken der kleine Kegelberg el Morro und, dem hufeisenförmigen Quelendaña näher, mehrere Sümpfe, wie auch zwei kleine Seen (Lagunas 364 de Yauricocha und de Verdecocha) liegen. Das Gestein des Morro und der ganzen linearen vulkanischen Erhebung war grünlich grauer Porphyrschiefer, in achtzöllige Schichten abgesondert, die sehr regelmäßig mit 60° nach Osten fielen. Von eigentlichen Lavaströmen war nirgends eine Spur.Besonders auffallend ist es, daß der mächtige Vulkan Cotopaxi: welcher, freilich meist nur nach langen Perioden, eine ungeheure Thätigkeit offenbart und besonders durch die von ihm erzeugten Ueberschwemmungen verheerend auf die Umgegend wirkt, zwischen den periodischen Ausbrüchen keine: sei es in der Hochebene von Lactacunga, sei es von dem Paramo de Pansache aus, sichtbaren Dämpfe zeigt. Aus seiner Höhe von fast 18000 Fuß und der dieser Höhe entsprechenden großen Dünnigkeit von Luft- und Dampfschichten ist eine solche Erscheinung, wegen mehrerer Vergleichungen mit anderen Vulkan-Colossen, wohl nicht zu erklären. Auch zeigt sich kein anderer Nevado der Aequatorial-Cordilleren so oft wolkenfrei und in so großer Schönheit als der abgestumpfte Kegel des Cotopaxi: d. h. der Theil, welcher sich über die Grenze des ewigen Schnees erhebt. Die ununterbrochene Regelmäßigkeit dieses Aschenkegels ist um vieles größer als die des Aschenkegels des Pics von Teneriffa, an dem eine schmale hervorstehende Obsidian-Rippe mauerartig herabläuft. Nur der obere Theil des Tungurahua soll ehemals durch Regelmäßigkeit der Gestaltung sich fast in gleichem Grade ausgezeichnet haben; aber das furchtbare Erdbeben vom 4 Februar 1797, die Catastrophe von Riobamba genannt, hat durch Spaltungen, Bergstürze und Herabgleiten losgerissener bewaldeter Trümmerflächen, wie durch Anhäufung von Schutthalden den Kegelberg des Tungurahua verunstaltet. Am Cotopaxi ist, wie schon Bouguer bemerkt, der Schnee an einzelnen Punkten mit Bimsstein-Brocken gemengt, und bildet dann fast eine feste Masse. Eine kleine Unebenheit in dem Schneemantel wird gegen Nordwesten sichtbar, wo zwei kluftartige Thäler herabgehen. Zum Gipfel aufsteigende schwarze Felsgrate sieht man von weitem nirgends, obgleich bei der Eruption vom 24 Juni und 9 December 1742 auf halber Höhe des mit Schnee bedeckten Aschenkegels eine Seiten-Oeffnung sich zeigte. »Il s'étoit ouvert«, sagt Bouguer (Figure de la Terre p. LXVIII; vgl. auch La Condamine, Journal du Voy. à l'Équateur p. 159), »une nouvelle bouche vers le milieu de la partie continuellement neigée, pendant que la flamme sortoit toujours par le haut du cône tronqué.« Bloß ganz oben, nahe dem Gipfel, erkennt man einige horizontale, einander parallele, aber unterbrochene, schwarze Streifen. Durch das Fernrohr bei verschiedener Beleuchtung betrachtet, schienen sie mir Felsgrate zu sein. Dieser ganze obere Theil ist steiler, und bildet fast nahe an der Abstumpfung des Kegels einen mauerartigen, doch nicht in großer Ferne mit bloßen Augen sichtbaren Ring von ungleicher Höhe. Meine Beschreibung dieser, fast senkrechten, obersten Umwallung hat schon lebhaft die Aufmerksamkeit zweier ausgezeichneten Geologen, Darwin (Volcanic Islands 1844 p. 83) und Dana (Geology of the U. St. Explor. Exped. 1849 p. 356), auf sich gezogen. Die Vulkane der Galapagos-Inseln, Diana Peak auf St. Helena, Teneriffa und Cotopaxi zeigen analoge Bildungen. Der höchste Punkt, dessen Höhenwinkel ich bei der trigonometrischen Messung am Cotopaxi bestimmte, lag in einer schwarzen Convexität. Vielleicht ist es die innere Wand des höheren, entfernteren Kraterrandes; oder wird die Schneelosigkeit des hervortretenden Gesteins zugleich durch Steilheit und Krater-Wärme veranlaßt. Im Herbst des Jahres 1800 sah man in einer Nacht den ganzen oberen Theil des Aschenkegels leuchten, ohne daß eine Eruption oder auch nur ein Ausstoßen von sichtbaren Dämpfen darauf folgten. Dagegen hatte bei dem heftigen Ausbruch des Cotopaxi vom 4ten Januar 1803, wo während meines Aufenthalts an der Südsee-Küste das Donnergetöse des Vulkans die Fensterscheiben im Hafen von Guayaquil (in 37 geogr. Meilen Entfernung) erschütterte, der Aschenkegel ganz seinen Schnee verloren, und bot einen Unglück verheißenden Anblick dar. War solche Durchwärmung je vorher bemerkt worden? Auch in der neuesten Zeit: wie uns die vortreffliche, kühne, erdumwandernde Frau Ida Pfeiffer lehrt (meine zweite Weltreise Bd. III. S. 170), hat Anfang Aprils 1854 der Cotopaxi einen heftigen Ausbruch von dicken Rauchsäulen gehabt, »durch die sich das Feuer gleich blitzenden Flammen schlängelte«. Sollte das Lichtphänomen Folge des durch Verdampfung erregten vulkanischen Gewitters gewesen sein? Die Ausbrüche sind häufig seit 1851.
Je regelmäßiger die Figur des schneebedeckten, abgestumpften Kegels selbst ist, desto auffallender ist an der unteren Grenze der ewigen Schneeregion: da, wo die Kegelform beginnt, im Südwesten des Gipfels, die Erscheinung einer grotesk-zackigen, drei- bis vierspitzigen, kleinen Gesteinmasse. Der Schnee bleibt wahrscheinlich wegen ihrer Steilheit nur fleckenweise auf derselben liegen. Ein Blick auf meine Abbildung (Atlas pittoresque du Voyage Pl. 10) stellt das Verhältniß zum Aschenkegel am deutlichsten dar. Ich habe mich dieser schwarzgrauen, wahrscheinlich basaltischen Gesteinmasse am meisten in der Quebrada und Reventazon de Minas genähert. Obgleich in der ganzen Provinz seit Jahrhunderten dieser weit sichtbare Hügel, sehr fremdartigen Anblicks, allgemein la Cabeza del Inga genannt wird, so herrschen doch über seinen Ursprung unter den farbigen Eingeborenen (Indios) zwei sehr verschiedene Hypothesen: nach der einen wird bloß behauptet, ohne Angabe der Zeit, in der die Begebenheit vorgefallen sei, daß der Fels der herabgestürzte Gipfel des, einst in eine Spitze endigenden Vulkans sei; nach einer anderen Hypothese wird die Begebenheit in das Jahr (1533) verlegt, in welchem der Inca Atahuallpa in Caxamarca erdrosselt wurde: und so mit dem, in demselben Jahre erfolgten, von Herrera beschriebenen, furchtbaren Feuerausbruche des Cotopaxi, wie auch mit der dunklen Prophezeiung von Atahuallpa's Vater, Huayna Capac, über den nahen Untergang des peruanischen Reichs in Beziehung gesetzt. Sollte das, was beiden Hypothesen gemeinsam ist: die Ansicht, daß jenes Felsenstück vormals die Endspitze des Kegels bildete, der traditionelle Nachklang oder die dunkle Erinnerung einer wirklichen Begebenheit sein? Die Eingeborenen, sagt man, würden bei ihrer Uncultur wohl Thatsachen auffassen und im Gedächtniß bewahren, aber sich nicht zu geognostischen Combinationen erheben können. Ich bezweifle die Richtigkeit dieses Einwurfs. Die Idee, daß ein abgestumpfter Kegel »seine Spitze verloren«, sie unzertrümmert weggeschleudert habe, wie bei späteren Ausbrüchen große Blöcke ausgeworfen wurden: kann sich auch bei großer Uncultur darbieten. Die Treppen-Pyramide von Cholula, ein Bauwerk der Tolteken, ist abgestumpft. Es war den Eingeborenen ein Bedürfniß sich die Pyramide als ursprünglich vollendet zu denken. Es wurde die Mythe ersonnen, ein Aërolith, vom Himmel gefallen, habe die Spitze zerstört; ja Theile des Aëroliths wurden den spanischen Conquistadoren gezeigt. Wie kann man dazu den ersten Ausbruch des Vulkans Cotopaxi in eine Zeit versetzen, wo der Aschenkegel (Resultat einer Reihe von Eruptionen) schon vorhanden gewesen sein soll? Mir ist es wahrscheinlich, daß die Cabeza del Inga an der Stelle, welche sie jetzt einnimmt, entstanden ist; daß sie dort erhoben wurde: wie am Fuß des Chimborazo der Yana-Urcu, wie am Cotopaxi selbst der Morro südlich von Suniguaicu und nordwestlich von der kleinen Lagune Yurakcocha (im Qquechhua: weißer See). Ueber den Namen des Cotopaxi habe ich im 1ten Bande meiner Kleineren Schriften (S. 463) gesagt, daß nur der erste Theil desselben sich durch die Qquechhua-Sprache deuten lasse, indem er das Wort ccotto, Haufe, sei; daß aber pacsi unbekannt sei. La Condamine deutet (p. 53) den ganzen Namen des Berges, indem er sagt: »le nom signifie en langue des Incas masse brillante.« Buschmann bemerkt aber, daß dabei an die Stelle von pacsi das, davon gewiß ganz verschiedene Wort pacsa gesetzt worden sei: welches: Glanz, Schein, besonders den sanften des Mondes, bedeutet; um glänzende Masse auszudrücken, müßte dazu nach dem Geiste der Qquechhua-Sprache die Stellung beider Wörter die umgekehrte sein: pacsaccotto.
Wenn auf der bimssteinreichen Insel Lipari, nördlich von Caneto, aus dem wohlerhaltenen, ausgebrannten Krater des Monte di Campo Bianco ein Lavastrom von Bimsstein und Obsidian sich gegen das Meer herabzieht, in welchem die Fasern der ersten Substanz merkwürdig genug der Richtung des Stromes parallel laufenFriedrich Hoffmann in Poggendorff's Annalen Bd. XXVI. 1832 S. 48.; so bieten dagegen, nach meiner Untersuchung der örtlichen Verhältnisse, die ausgedehnten Bimsstein-Brüche eine Meile von Lactacunga eine Analogie mit jenem Vorkommen auf Lipari dar. Diese Brüche: in denen der Bimsstein, in horizontale Bänke getheilt, ganz das Ansehen von einem anstehenden Gesteine hat, erregten schon (1737) das Erstaunen von Bouguer.Bouguer, Figure de la Terre p. LXVIII. Wie oft ist seit dem Erdbeben vom 19 Juli 1698 das Städtchen Lactacunga zerstört und von Bimsstein-Quadern aus den unterirdischen Steinbrüchen von Zumbalica wieder aufgebaut worden! Nach historischen Documenten, welche mir bei meiner Anwesenheit aus alten Abschriften oder aus neueren, theilweise geretteten Documenten des Stadt-Archives mitgetheilt wurden, traten die Zerstörungen ein: in den Jahren 1703, 1736, 9 December 1742, 30 November 1744, 22 Februar 1757, 10 Februar 1766 und 4 April 1768: also siebenmal in 65 Jahren! Im Jahr 1802 fand ich noch 4/5 der Stadt in Trümmern, in Folge des großen Erdbebens von Riobamba am 4 Februar 1797. »On ne trouve«, sagt er, »sur les montagnes volcaniques que de simples fragments de pierre-ponce d'une certaine grosseur; mais à 7 lieues au sud du Cotopaxi, dans un point qui répond à notre dixième triangle, la pierre-ponce forme des rochers entiers; ce sontdes bancs parallèles de 5 à 6 pieds d'épaisseur dans un espace de plus d'une lieue carrée. On n'en connoît pas la profondeur. Qu'on s'imagine, quel feu il a fallu pour mettre en fusion cette masse énorme, et dans l'endroit même où elle se trouve aujourd'hui: car on reconnoît aisément qu'elle n'a pas été dérangée et qu'elle s'est refroidie dans l'endroit où elle a été liquifiée. On a dans les environs profité du voisinage de cette immense carrière: car la petite ville de Lactacunga, avec de très jolis édifices, 365 est entièrement bâtie de pierre-ponce depuis le tremblement de terre qui la renversa en 1698.«
Die Bimsstein-Brüche liegen bei dem Indianer-Dorfe San Felipe, in den Hügeln von Guapulo und Zumbalica, welche 480 Fuß über der Hochebene und 9372 Fuß über der Meeresfläche erhoben sind. Die obersten Bimsstein-Schichten sind also fünf- bis sechshundert Fuß unter dem Niveau von Mulalo: der einst architectonisch schönen, durch häufige Erdstöße aber ganz zertrümmerten Villa des Marques de Maenza (am Fuß des Cotopaxi), ebenfalls von Bimsstein-Blöcken erbaut. Die unterirdischen Brüche sind von den beiden thätigen Vulkanen Tungurahua und Cotopaxi ungleich entfernt: von ersterem 8 geogr. Meilen, dem letzteren um die Hälfte näher. Man gelangt zu ihnen durch einen Stollen. Die Arbeiter versichern, daß man aus den horizontalen, festen Schichten, von denen einige wenige mit lettigem Bimsstein-Schutt umgeben sind, vierkantige, durch keine seigere Queerklüfte getrennte Blöcke von 20 Fuß erlangen könnte. Der Bimsstein: theils weiß, theils bläulich grau, ist sehr fein und langfasrig, von seidenartigem Glanze. Die parallelen Fasern haben bisweilen ein knotiges Ansehen, und zeigen dann eine sonderbare Structur. Die Knoten werden durch 1 bis 1½ Linien breite, rundliche Brocken von feinporigem Bimsstein gebildet, um welche sich lange Fasern zum Einschlusse krümmen. Bräunlich schwarzer Glimmer in sechsseitigen kleinen Tafeln, weiße Oligoklas-Krystalle und schwarze Hornblende sind darin sparsam zerstreut; dagegen fehlt ganz der glasige Feldspath, welcher sonst wohl (Camaldoli bei Neapel) im Bimsstein vorkommt. Der Bimsstein des Cotopaxi ist von dem der Zumbalica-Brüche sehr verschiedenDiese Verschiedenheit ist auch schon von dem scharfsinnigen Abich (über Natur und Zusammenhang vulkanischer Bildungen 1841 S. 83) erkannt worden.: er ist kurzfasrig; nicht parallel, sondern 366 verworren gekrümmt. Magnesia-Glimmer ist aber nicht bloß den Bimssteinen eigen, sondern auch der Grundmasse des TrachytsDas Gestein des Cotopaxi hat wesentlich dieselbe mineralogische Zusammensetzung als die ihm nächsten Vulkane, der Antisana und Tungurahua. Es ist ein Trachyt, aus Oligoklas und Augit zusammengesetzt, also ein Chimborazo-Gestein: ein Beweis der Identität derselben vulkanischen Gebirgsart in Massen der einander gegenüberstehenden Cordilleren. In den Stücken, welche ich 1802 und Boussingault 1831 gesammelt, ist die Grundmasse theils licht oder grünlich grau, pechsteinartig glänzend, und an den Kanten durchscheinend: theils schwarz, fast basaltartig, mit großen und kleinen Poren; welche glänzende Wandungen haben. Der eingeschlossene Oligoklas liegt darin scharf begrenzt: bald in stark glänzenden, sehr deutlich auf den Spaltungsflächen gestreiften Krystallen; bald ist er klein und mühsam zu erkennen. Die wesentlich eingemengten Augite sind bräunlich und schwärzlich-grün, und von sehr verschiedener Größe. Selten und wohl nur zufällig eingesprengt sind dunkle Glimmer-Blättchen und schwarze, metallisch glänzende Körner von Magneteisen. In den Poren einer oligoklasreichen Masse lagert etwas gediegener Schwefel, wohl abgesetzt von den alles durchdringenden Schwefeldämpfen. vom Cotopaxi nicht fremd. Dem südlicher gelegenen Vulkan Tungurahua scheint der Bimsstein ganz zu fehlen. Von Obsidian ist in der Nähe der Steinbrüche von Zumbalica keine Spur, aber in sehr großen Massen habe ich schwarzen Obsidian von muschligem Bruch in bläulich grauen, verwitterten Perlstein eingewachsen gefunden unter den vom Cotopaxi ausgestoßenen und bei Mulalo liegenden Blöcken. Fragmente davon werden in der königlichen Mineralien-Sammlung zu Berlin aufbewahrt. Die hier beschriebenen Bimsstein-Brüche, vier deutsche Meilen vom Fuß des Cotopaxi entfernt, scheinen daher ihrer mineralogischen Beschaffenheit nach jenem Kegelberge ganz fremd zu sein: und mit demselben nur in dem Zusammenhange zu stehen, welchen alle Vulkane von Pasto und Quito mit dem, viele hundert Quadratmeilen einnehmenden, vulkanischen Heerde der Aequatorial-Cordilleren darbieten. Sind diese Bimssteine das Centrum und Innere eines eigenen Erhebungs-Kraters gewesen, dessen äußere Umwallung in den vielen Umwälzungen, welche die Oberfläche der Erde hier erlitten hat, zerstört worden ist? oder sind sie bei den ältesten Faltungen der Erdrinde hier aus Spalten horizontal in scheinbarer Ruhe abgelagert worden? Denn die Annahme von wässrigen Sediment-Anschwemmungen, wie sie sich bei den vulkanischen, mit Pflanzenresten und Muscheln gemengten Tuffmassen oft zeigen, ist mit noch größeren Schwierigkeiten verbunden.
Dieselben Fragen regt die große, von allem intumescirten vulkanischen Gerüste entfernte Masse von Bimsstein an, die ich in der Cordillere von Pasto zwischen Mamendoy und dem Cerro del Pulpito, neun geographische Meilen nördlich vom thätigen 367 Vulkan von Pasto, am Rio Mayo fand. Leopold von Buch hat auch auf einen ähnlichen, von Meyen beschriebenen, ganz isolirten Ausbruch von Bimsstein, der als Gerölle einen 300 Fuß hohen Hügel bildet: in Chili, östlich von Valparaiso, bei dem Dorfe Tollo, aufmerksam gemacht. Der im Aufsteigen Juraschichten erhebende Vulkan Maypo ist noch zwei volle Tagereisen von diesem Bimsstein-Ausbruch entfernt.»Le Volcan de Maypo (lat. austr. 34° 15'), qui n'a jamais rejeté de ponces, est encore éloigné de deux journées de la colline de Tollo, de 300 pieds de hauteur et toute composée de ponces qui renferment du feldspath vitreux, des cristaux bruns de mica et de petits fragments d'obsidienne. C'est donc une éruption (indépendente) isolée tout au pied des Andes et près de la plaine.« Léop. de Buch, description physique des Iles Canaries 1836 p. 470. Auch der preußische Gesandte in Washington, Friedrich von Gerolt, dem wir die ersten geognostisch colorirten Karten von Mexico verdanken, erwähnt »einer unterirdischen Gewinnung von Bimsstein zu Bauten« bei Huichapa, 8 geogr. Meilen südöstlich von Queretaro, fern von allen Vulkanen.Federico de Gerolt, Cartas geognosticas de los principales distritos minerales de Mexico 1827 p. 5. Der geologische Erforscher des Caucasus, Abich, ist zufolge seiner eigenen Beobachtungen zu glauben geneigt, daß am nördlichen Abfall der Centralkette des Elburuz die mächtige Eruption von Bimsstein bei dem Dorfe Tschegem, in der kleinen Kabarda, als eine Spaltenwirkung viel älter sei wie das Aufsteigen des, sehr fernen, eben genannten Kegelberges.
Wenn demnach die vulkanische Thätigkeit des Erdkörpers durch Ausstrahlung der Wärme gegen den Weltraum bei Verminderung seiner ursprünglichen Temperatur und im Zusammenziehen der oberen erkaltenden Schichten Spalten und Faltungen (fractures et rides), also gleichzeitig Senkung der oberen und Emportreibung der unteren TheileVergl. über Erstarrung und Bildung der Erdkruste Kosmos Bd. I. S. 178–180 und Anm. 137 auf S. 425. Die Versuche von Bischof, Charles Deville und Delesse haben über die Faltung des Erdkörpers ein neues Licht verbreitet. Vergl. auch die älteren sinnreichen Betrachtungen von Babbage bei Gelegenheit seiner thermischen Erklärung des Problems, welches der Serapis-Tempel nördlich von Pozzuoli darbietet, im Quarterly Journal of the Geological Soc. of London Vol. III. 1847 p. 186; Charles Deville sur la diminution de densité dans les roches en passant de l'état cristallin à l'état vitreux, in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XX. 1845 p. 1453; Delesse sur les effets de la fusion, T. XXV. 1847 p. 545; Louis Frapolli sur le caractère géologique, im Bulletin de la Soc. géol. de France, 2ème Série T. IV. 1847 p. 627; und vor allem Elie de Beaumont in seinem wichtigen Werke notice sur les systèmes de Montagnes 1852 T. III. Folgende drei Abschnitte verdienen eine besondere Aufmerksamkeit der Geologen: considération sur les soulèvements dûs à une diminution lente et progressive du volume de la terre p. 1330; sur l'écrasement transversal, nommé refoulement par Saussure, comme une des causes de l'élévation des chaînes de montagnes, p. 1317, 1333 u. 1346; sur la contraction que les roches fondues éprouvent en cristallisant, tendant dès le cominencement du refroidissement du globe à rendre sa masse interne plus petite que la capacité de son enveloppe extérieure, p. 1235., erzeugt; so ist natürlich als Maaß und Zeugen dieser Thätigkeit in den verschiedenen Regionen der Erde die Zahl der erkennbar gebliebenen, aus den Spalten aufgetriebenen, vulkanischen Gerüste (der geöffneten Kegel und domförmigen Glockenberge) betrachtet worden. Man hat mehrfach und oft sehr unvollkommen diese Zählung versucht; Auswurfs-Hügel und Solfataren, 368 die zu einem und demselben Systeme gehören, wurden als besondere Vulkane aufgeführt. Die Größe der Erdräume, welche bisher im Inneren der Continente allen wissenschaftlichen Untersuchungen verschlossen bleiben, ist für die Gründlichkeit dieser Arbeit ein nicht so bedeutendes Hinderniß gewesen, als man gewöhnlich glaubt: da Inseln und den Küsten nahe Regionen im ganzen der Hauptsitz der Vulkane sind. In einer numerischen Untersuchung, welche nach dem jetzigen Zustande unserer Kenntnisse nicht zum völligen Abschluß gebracht werden kann, ist schon viel gewonnen, wenn man zu einem Resultat gelangt, das als eine untere Grenze zu betrachten ist; wenn mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmt werden kann, auf wie vielen Punkten das flüssige Innere der Erde noch in historischer Zeit mit der Atmosphäre in lebhaftem Verkehr geblieben ist. Eine solche Lebhaftigkeit äußert sich dann und meist gleichzeitig in Ausbrüchen aus vulkanischen Gerüsten (Kegelbergen), in der zunehmenden Wärme und Entzündlichkeit der Thermal- und Naphtha-Quellen, in der vermehrten Ausdehnung der Erschütterungskreise: Erscheinungen, welche alle in innigem Zusammenhange und in gegenseitiger Abhängigkeit von einander stehen.»Les eaux chaudes de Saragyn à la hauteur de 5260 pieds sont remarquables par le rôle que joue le gaz acide carbonique qui les traverse à l'époque des tremblements de terre. Le gaz à cette époque, comme l'hydrogène carboné de la presqu'île d'Apchéron, augmente de volume et s'échauffe avant et pendant les tremblements de terre dans la plaine d'Ardébil. Dans la presqu'île d'Apchéron la température s'élève de 20° jusqu'à l'inflammation spontanée au moment et à l'endroit d'une éruption ignée, pronostiquée toujours par des tremblements de terre dans les provinces de Chémakhi et d'Apchéron.« Abich in den Mélanges physiques et chimiques T. II. 1855 p. 364 und 465. (Vergl. Kosmos Bd. IV. S. 223.) Leopold von Buch hat auch hier wieder das große Verdienst, in den Nachträgen zu der »physicalischen Beschreibung der canarischen Inseln«, zum ersten Male unternommen zu haben die Vulkan-Systeme des ganzen Erdkörpers, nach gründlicher Unterscheidung von Central- und Reihen-Vulkanen, unter Einen kosmischen Gesichtspunkt zu fassen. Meine eigene neueste und schon darum wohl vollständigere Aufzählung, nach Grundsätzen unternommen, welche ich oben (S. 289 und 309) bezeichnet: also ungeöffnete Glockenberge, bloße Ausbruch-Kegel ausschließend; giebt als 369 wahrscheinliche untere Grenzzahl (nombre limite inférieur) ein Resultat, das von allen früheren beträchtlich abweicht. Sie strebt die Vulkane zu bezeichnen, welche thätig in die historische Zeit eingetreten sind.
Es ist mehrfach die Frage angeregt worden, ob in den Theilen der Erdoberfläche, in welchen die meisten Vulkane zusammengedrängt sind und wo die Reaction des Erd-Inneren auf die starre (feste) Erdkruste sich am thätigsten zeigt, der geschmolzene Theil vielleicht der Oberfläche näher liege? Welches auch der Weg ist, den man einschlägt, die mittlere Dicke der festen Erdkruste in ihrem Maximum zu bestimmen: sei es der rein mathematische, welchen die theoretische Astronomie eröffnen sollW. Hopkins, researches on physical Geology in den Philos. Transact. for 1839 P. II. p. 311, for 1840 P. I. p. 193, for 1842 P. I. p. 43; auch über die erforderlichen Verhältnisse der Stabilität der äußeren Erdoberfläche: theory of Volcanos im Report of the 17th meeting of the British Association 1847 p. 45–49.; oder der einfachere, welcher auf das Gesetz der mit der Tiefe zunehmenden Wärme in dem Schmelzungsgrade der Gebirgsarten gegründet istKosmos Bd. IV. S. 35–38 und 164–165 Anm. 1730–1733; Naumann, Geognosie Bd. I. S. 66–76; Bischof, Wärmelehre S. 382; Lyell, Principles of Geology 1853 p. 536–547 und 562. – In der sehr lehrreichen und angenehmen Schrift souvenirs d'un Naturaliste par A. de Quatrefages 1854 T. II. p. 464 wird die obere Grenze der flüssigen geschmolzenen Schichten bis auf die geringe Tiefe von 20 Kilometern heraufgerückt: »puisque la plupart des Silicates fondent déjà à 666° cent.« »Diese niedrige Angabe«, bemerkt Gustav Rose, »beruht auf einem Irrthum. Die Temperatur von 1300°, welche Mitscherlich als Schmelzpunkt des Granits angegeben (Kosmos Bd. I. S. 48 [Anm. 13]) ist gewiß das Minimum, was man annehmen kann. Ich habe mehrmals Granit auf die heißesten Stellen des Porzellan-Ofens setzen lassen, und immer schmolz derselbe unvollständig. Nur der Glimmer schmilzt dann mit dem Feldspath zu einem blasigen Glase zusammen; der Quarz wird undurchsichtig, schmilzt aber nicht. So ist es mit allen Gebirgsarten, die Quarz enthalten: und man kann sogar dieses Mittel anwenden, um Quarz in Gebirgsarten zu entdecken, wo seine Menge so gering ist, daß man ihn mit bloßen Augen nicht erkennen kann: z. B. bei dem Syenit des Plauenschen Grundes, und im Diorit, den wir gemeinschaftlich 1829 von Alapajewsk im Ural gebracht haben. Alle Gesteine, welche keinen Quarz und überhaupt keine so kieselsäure-reichen Mineralien enthalten als der Granit: z. B. der Basalt, schmelzen leichter als Granit im Porzellanfeuer zu einem vollkommenen Glase; aber nicht über der Spiritus-Lampe mit doppeltem Luftzuge, die doch gewiß eine Temperatur von 666° hervorzubringen im Stande ist.« In Bischof's merkwürdigen Versuchen, bei dem Gießen einer Basaltkugel, schien selbst der Basalt nach einigen hypothetischen Voraussetzungen eine 165° R. höhere Temperatur als der Schmelzpunkt des Kupfers zu erfordern (Wärmelehre des Innern unsers Erdkörpers S. 473).: so bietet die Lösung dieses Problems doch noch eine große Zahl jetzt unbestimmbarer Größen dar. Als solche sind zu nennen: der Einfluß eines ungeheuren Druckes auf die Schmelzbarkeit; die so verschiedene Wärmeleitung heterogener Gebirgsarten; die sonderbare, von Edward Forbes behandelte Schwächung der Leitungsfähigkeit bei großer Zunahme der Temperatur; die ungleiche Tiefe des oceanischen Beckens; die localen Zufälligkeiten in dem Zusammenhange und der Beschaffenheit der Spalten, welche zu dem flüssigen Inneren hinabführen! Soll die größere Nähe der oberen Grenzschicht des flüssigen Inneren in einzelnen Erdregionen die Häufigkeit der Vulkane und den mehrfacheren Verkehr zwischen der Tiefe und dem Luftkreise erklären, so kann allerdings diese Nähe wiederum abhangen: entweder von dem relativen mittleren Höhen-Unterschiede des Meeresbodens und der Continente; oder von der ungleichen senkrechten Tiefe, in welcher unter 370 verschiedenen geographischen Längen und Breiten sich die Oberfläche der geschmolzenen, flüssigen Masse befindet. Wo aber fängt eine solche Oberfläche an? giebt es nicht Mittelgrade zwischen vollkommener Starrheit und vollkommener Verschiebbarkeit der Theile? Uebergänge, die bei den Streitigkeiten über den Zustand der Zähigkeit einiger plutonischer und vulkanischer Gebirgs-Formationen, welche an die Oberfläche erhoben worden, so wie bei der Bewegung der Gletscher oft zur Sprache gekommen sind? Solche Mittelzustände entziehen sich einer mathematischen Betrachtung eben so sehr wie der Zustand des sogenannten flüssigen Inneren unter einer ungeheuren Compression. Wenn es schon an sich nicht ganz wahrscheinlich ist, daß die Wärme überall fortfahre mit der Tiefe in arithmetischer Progression zu wachsen; so können auch locale Zwischen-Störungen eintreten: z. B. durch unterirdische Becken (Höhlungen in der starren Masse), welche von Zeit zu Zeit von unten theilweise mit flüssiger Lava und darauf ruhenden Dämpfen angefüllt sind.Kosmos Bd. IV. S. 218. Vergl. auch über die ungleiche Verbreitung des Eisbodens und die Tiefe, in der er beginnt, unabhängig von der geographischen Breite, die merkwürdigen Beobachtungen von Capt. Franklin, Erman, Kupffer und vorzüglich von Middendorff a. a. O. S. 42, 47 und 167 [Anm. 1742–1744]. Diese Höhlungen läßt schon der unsterbliche Verfasser der Protogäa eine Rolle spielen in der Theorie der abnehmenden Centralwärme: »Postremo credibile est contrahentem se refrigeratione crustam bullas reliquisse, ingentes pro rei magnitudine, id est sub vastis fornicibus cavitates.«Leibnitz in der Protogaea § 4. Je unwahrscheinlicher es ist, daß die Dicke der schon erstarrten Erdkruste in allen Gegenden dieselbe sei, desto wichtiger ist die Betrachtung der Zahl und der geographischen Lage der noch in historischen Zeiten geöffnet gewesenen Vulkane. Eine solche Betrachtung der Geographie der Vulkane kann nur durch oft erneuerte Versuche vervollkommnet werden.
371 I. Europa.
Aetna Volcano in den Liparen Stromboli Ischia Vesuv Santorin Lemnos: |
alle zum großen Becken des mittelländischen Meeres, aber zu den europäischen Ufern desselben, nicht zu den afrikanischen, gehörig; alle 7 Vulkane in bekannten historischen Zeiten noch thätig; der brennende Berg Mosychlos auf Lemnos, welchen Homer den Lieblingssitz des Hephästos nennt, erst nach den Zeiten des großen Macedoniers sammt der Insel Chryse durch Erdstöße zertrümmert und in den Meeresfluthen versunken (Kosmos Bd. I. S. 256 und 456 Anm. 239; Ukert, Geogr. der Griechen und Römer Th. II. Abth. 1. S. 198). Die große, seit fast 1900 Jahren (186 vor Chr. bis 1712 unserer Zeitrechnung) sich mehrmals wiederholende Hebung der drei Kaimenen in der Mitte des Golfs von Santorin (theilweise umschlossen von Thera, Therasia und Aspronisi) hat bei dem Entstehen und Verschwinden auffallende Aehnlichkeit gehabt mit dem, freilich sehr kleinen Phänomen der temporären Bildung der Insel, welche man Graham, Julia und Ferdinandea nannte, zwischen Sciacca und Pantellaria. Auf der Halbinsel Methana, deren wir schon oft erwähnt (Kosmos Bd. I. S. 453 [Anm. 230], Bd. IV. S. 516 Anm. 2007), sind deutliche Spuren vulkanischer Ausbrüche im rothbraunen Trachyt, der aus dem 372 Kalkstein aufsteigt bei Kaïmenochari und Kaïmeno (Curtius, Peloponnesos Bd. II. S. 439).
Vorhistorische Vulkane mit frischen Spuren von Lava-Erguß aus Krateren sind, von Norden nach Süden aufgezählt: die der Eifel (Mosenberg, Geroldstein) am nördlichsten; der große Erhebungs-Krater, in welchem Schemnitz liegt; Auvergne (Chaînes des Puys oder der Monts Dômes, le Cône du Cantal, les Monts-Dores); Vivarais, in welchem die alten Laven aus Gneiß ausgebrochen sind (Coups d'Aysac und Kegel von Montpezat); Velay: Schlacken-Ausbrüche, von denen keine Laven ausgehen; die Euganeen; das Albaner-Gebirge, Rocca Monfina und Vultur bei Teano und Melfi; die ausgebrannten Vulkane um Olot und Castell Follit in CatalonienUeber Vivarais und Velay s. die neuesten, sehr genauen Untersuchungen von Girard in seinen geologischen Wanderungen Bd. I. (1856) S. 161, 173 und 214. Die alten Vulkane von Olot sind aufgefunden von dem amerikanischen Geologen Maclure 1808, besucht von Lyell 1830 und schön beschrieben und abgebildet von demselben in seinem Manual of Geology 1855 p. 535–542.; die Inselgruppe las Columbraria nahe der Küste von Valencia (die sichelförmige größere Insel Colubraria der Römer: auf der Montcolibre, nach Capt. Smyth Br. 39° 54', voll Obsidians und zelligen Trachyts); die griechische Insel Nisyros, eine der karpathischen Sporaden, von ganz runder Gestalt: in deren Mitte auf einer Höhe von 2130 Fuß nach Roß ein umwallter, tiefer Kessel mit einer stark detonirenden Solfatare liegt: aus welcher einst strahlförmig, jetzt kleine Vorgebirge bildende Lavaströme sich in das Meer ergossen, vulkanische Mühlsteine liefernd noch zu Strabo's Zeit (Roß, Reisen auf den griech. Inseln Bd. II. S. 69 und 72–78). Für die britischen Inseln sind hier wegen des Alters der Formationen noch zu erwähnen die merkwürdigen Einwirkungen unterseeischer Vulkane auf die Schichten der Unter-Silur-Formation (Llandeilo-Bildung): indem vulkanische zellige Fragmente in diese Schichten eingebacken sind, und nach Sir Roderick Murchison's wichtiger Beobachtung selbst eruptive 373 Trappmassen in den Corndon-Bergen in unter-silurische Schichten eindringen (Shropshire und Montgomeryshire)Sir Roderick Murchison, Siluria p. 20 und 55–58 (Lyell, Manual p. 563).; die Gang-Phänomene der Insel Arran: und die anderen Punkte, in denen das Einschreiten vulkanischer Thätigkeit sichtbar ist, ohne daß Spuren eigener Gerüste aufgefunden werden.
II. Inseln des atlantischen Meeres.
Vulkan Esk auf der Insel Jan Mayen: von dem verdienstvollen Scoresby erstiegen und nach seinem Schiffe benannt; Höhe kaum 1500 Fuß. Ein offner, nicht entzündeter Gipfel-Krater; pyroxenreicher Basalt und Traß.
Südwestlich vom Esk, nahe bei dem Nordcap der Eier-Insel, ein anderer Vulkan, der im April 1818 von 4 zu 4 Monaten hohe Aschen-Ausbrüche zeigte.
Der 6448 Fuß hohe Beerenberg, in dem breiten nordöstlichen Theile von Jan Mayen (Br. 71° 4'), ist nicht als Vulkan bekannt.Scoresby, account of the arctic regions Vol. I. p. 155–169, tab. V und VI.
Vulkane von Island: Oeräfa, Hekla, Rauda-Kamba . . .
Vulkan der azorischen Insel PicoLeop. von Buch, descr. des Iles Canaries p. 357–369 und Landgrebe, Naturgeschichte der Vulkane 1855 Bd. I. S. 121–136; und über die Umwallungen der Erhebungs-Krater (Caldeiras) auf den Inseln San Miguel, Fayal und Terceira (nach den Karten von Cap. Vidal) Kosmos Bd. IV. S. 515–516 Anm. 2005. Die Ausbrüche von Fayal (1672) und S. Jorge (1580 und 1808) scheinen von dem Hauptvulkan, dem Pico, abzuhangen.: großer Lava Ausbruch vom 1 Mai bis 5 Juni 1800.
Pic von Teneriffa.
Vulkan von FogoKosmos Bd. IV. S. 291 (Anm. 2048) und 301., einer der capverdischen Inseln.
Vorhistorische vulkanische Thätigkeit: Es ist dieselbe auf Island weniger bestimmt an gewisse Centra gebunden. Wenn man mit Sartorius von Waltershausen die Vulkane der Insel in zwei Classen theilt, von denen die der einen nur Einen Ausbruch gehabt haben, die der anderen auf derselben Hauptspalte wiederholt Lavaströme ergießen: so sind zu der ersteren Rauda-Kamba, Scaptar, Ellidavatan, südöstlich von Reykjavik . . . .; 374 zu der zweiten, welche eine dauerndere Individualität zeigt, die zwei höchsten Vulkane von Island, Oeräfa (über 6000 Fuß) und Snaefiall, Hekla . . . . zu rechnen. Der Snaefiall ist seit Menschengedenken nicht in Thätigkeit gewesen, während der Oeräfa durch die furchtbaren Ausbrüche von 1362 und 1727 bekannt ist (Sart. von Waltershausen, phys. geogr. Skizzen von Island S. 108 und 112). – Auf MaderaResultate der Beobachtungen über Madera von Sir Charles Lyell und Hartung im Manual of Geology 1855 p. 515–525. können die beiden höchsten Berge: der 5685 Fuß hohe, kegelförmige Pico Ruivo und der wenig niedrigere Pico de Torres, mit schlackigen Laven an den steilen Abhängen bedeckt, nicht als die central wirkenden Punkte der vormaligen vulkanischen Thätigkeit auf der ganzen Insel betrachtet werden: da in vielen Theilen derselben, besonders gegen die Küsten hin, Eruptions-Oeffnungen, ja ein großer Krater, der der Lagoa bei Machico, gefunden werden. Die Laven, durch Zusammenfluß verdickt, sind nicht als einzelne Ströme weit zu verfolgen. Reste alter Dicotyledonen und Farn-Vegetation, von Charles Bunbury genau untersucht, finden sich vergraben in gehobenen vulkanischen Tuff- und Lettenschichten, bisweilen von neuerem Basalte bedeckt. – Fernando de Noronha, lat. 3° 50' S. und 2° 27' östlich von Pernambuco: eine Gruppe sehr kleiner Inseln; hornblendehaltige Phonolith-Felsen; kein Krater: aber Gangklüfte, gefüllt mit Trachyt und basaltartigem Mandelstein, weiße Tufflagen durchsetzendDarwin, Volcanic Islandas 1844 p. 23 und Lieut. Lee, cruise of the U. S. Brig Dolphin 1854 p. 80.. – Insel Ascension, im höchsten Gipfel 2690 Fuß: Basaltlaven mit mehr eingesprengtem glasigem Feldspath als Olivin und wohl begrenzten Strömen, bis zu dem Ausbruch-Kegel von Trachyt zu verfolgen. Die letztere Gebirgsart von lichten Farben, oft tuffartig aufgelöst, herrscht im Inneren und im Südosten der Insel. Die von Green Mountain ausgeworfenen 375 Schlackenmasse enthalten eingebacken syenit- und granithaltige, eckige FragmenteS. die vortreffliche Beschreibung von Ascension in Darwin, Volcanic Islands p. 40 und 41., welche an die der Laven von Jorullo erinnern. Westlich von Green Mountain findet sich ein großer offener Krater. Vulkanische Bomben: theilweis hohl, bis 10 Zoll im Durchmesser, liegen in zahlloser Menge zerstreut umher; auch große Massen von Obsidian. – Sanct Helena: die ganze Insel vulkanisch; im Inneren mehr feldspathartige Lavaschichten; gegen die Küste hin Basaltgestein, von zahllosen Gängen (dikes) durchsetzt: wie am Flagstaff-Hill. Zwischen Diana Peak und Nest-Lodge, in der Central-Bergreihe: der halbmondartig gekrümmte, seigere Absturz und Rest eines weiten, zerstörten Kraters, voll Schlacken und zelliger Lava (»the mere weeckDarwin p. 84 u. 92: über »the great hollow space or valley southward of the central curved ridge, across which the half of the crater must once have extended. It is interesting to trace the steps, by which the structure of a volcanic district becomes obscured and finally obliterated.« (Vergl. auch Seale, geognosy of the Island of St. Helena p. 28.) of one great crater is left«). Die Lavenschichten nicht begrenzt, und daher nicht als eigentliche Ströme von geringer Breite zu verfolgen. – Tristan da Cunha (Br. 37° 3' südl., Lg. 13° 48' westl.), schon 1506 von den Portugiesen entdeckt: eine zirkelrunde kleine Insel von 1½ geographischen Meilen im Durchmesser, in deren Centrum ein Kegelberg liegt, den Cap. Denham als von ohngefähr 7800 Par. Fuß Höhe und von vulkanischem Gestein zusammengesetzt beschreibt (Dr. Petermann's geogr. Mittheilungen 1855 No. III. S. 84). Südöstlich, aber im 53° südlicher Breite, liegt die, ebenfalls vulkanische Thompsons-Insel; zwischen beiden in gleicher Richtung Gough-Insel, auch Diego Alvarez genannt. Deception-Insel, ein schmaler, eng geöffneter Ring (südl. Br. 62° 55'); und Bridgman's-Insel, zu der South-Shetlands-Gruppe gehörig: beide vulkanisch; Schichten von Eis, Bimsstein, schwarzer Asche und Obsidian; perpetuirlicher Ausbruch heißer Dämpfe (Kendal im Journal of the Geogr. Soc. Vol. I. 1831 p. 62). Im Februar 1842 sah man die Deception-Insel gleichzeitig 376 an 13 Punkten im Ringe Flammen geben (Dana in der U. St. Explor. Exped. Vol. X. p. 548). Auffallend ist es, daß, da so viele andere Inseln im atlantischen Meere vulkanisch sind, weder das ganz flache Inselchen St. Paul (Peñedo de S. Pedro), einen Grad nördlich vom Aequator (ein wenig blättriger Grünstein-Schiefer, in Serpentin übergehendSt. Paul's Rocks. S. Darwin p. 31–33 und 125.); noch die Malouinen (mit ihren quarzigen Thonschiefern), Süd-Georgien oder das Sandwich-Land vulkanisches Gestein darzubieten scheinen. Dagegen wird eine Region des atlantischen Meeres, ohngefähr 0° 20' südlich vom Aequator, lg. 22° westl. für den Sitz eines unterseeischen Vulkans gehalten.Daussy sur l'existence probable d'un volcan sous-marin dans l'Atlantique, in den Comptes rendus de l'Académie des Sciences T. VI. 1838 p. 512; Darwin, Volcanic Islands p. 92; Lee, cruise of the U. St. Brig Dolphin p. 2, 55 und 61. Krusenstern hat in dieser Nähe schwarze Rauchsäulen aus dem Meere aufsteigen sehen (19 Mai 1806); und der asiatischen Societät zu Calcutta ist 1836, zweimal an demselben Punkte (südöstlich von dem oben genannten Felsen von St. Paul) gesammelte, vulkanische Asche vorgezeigt worden. Nach sehr genauen Untersuchungen von Daussy, sind von 1747 bis zu Krusenstern's Weltumsegelung schon fünfmal und von 1806 bis 1836 siebenmal in dieser Volcanic Region, wie sie auf der neuesten schönen amerikanischen Karte des Lieut. Samuel Lee (track of the surveying Brig Dolphin 1854) genannt wird, seltsame Schiffsstöße und Aufwallungen des Meeres bemerkt worden, welche man dem durch Erdbeben erschütterten Meeresboden zuschrieb. Doch ist neuerlichst auf der Expedition der Brig Delphin (Jan. 1852): welche »wegen Krusenstern's Volcano« die Instruction hatte, zwischen dem Aequator und 7° südl. Breite bei lg.. 18° bis 27° auch durch das Senkblei Nachforschungen zu machen, wie vorher (1838) bei Wilkes Exploring Expedition, nichts auffallendes bemerkt worden.
377 III. Afrika.
Der Vulkan Mongo-ma Leba im Camerun-Gebirge (nördl. Br. 4° 12'): westlich von der Mündung des Flusses gleiches Namens in die Bucht von Biafra, östlich von dem Delta des Kowara (Niger); gab nach Cap. Allan einen Lava-Ausbruch im Jahr 1838. Die lineare Reihenfolge der vier vulkanischen hohen Inseln Anobon, St. Thomas, Prinzen-Insel und San Fernando Po, auf einer Spalte (SSW–NNO), weist auf den Camerun hin, welcher nach den Messungen von Cap. Owen und Lieut. Boteler die große Höhe von ohngefähr 12200 FußGumprecht, die vulkanische Thätigkeit auf dem Festlande von Afrika, in Arabien und auf den Inseln des rothen Meeres 1849 S. 18. erreicht.
Ein Vulkan? etwas westlich von dem Schneeberge Kignea im östlichen Afrika, ohngefähr 1° 20' südl. Br.: aufgefunden 1849 von dem Missionar Krapf, nahe den Quellen des Dana-Flusses, etwa 80 geogr. Meilen in Nordwest von dem Littoral von Mombas. In einem fast 2° südlicheren Parallel als der Kignea liegt ein anderer Schneeberg, der Kilimandjaro, welchen 1847 der Missionar Rebmann entdeckt hat: vielleicht kaum 50 geogr. Meilen von dem eben genannten Littoral. Etwas westlicher liegt ein dritter Schneeberg, der vom Cap. Short gesehene Doengo Engai. Die Kenntniß von der Existenz dieser Berge ist die Frucht muthiger und gefahrvoller Unternehmungen.
Beweise vorhistorischer vulkanischer Thätigkeit in dem großen, aber zwischen dem 7ten nördlichen und 12ten südlichen Parallelkreise (denen von Adamana und des wasserscheidenden Gebirges Lubalo) im Inneren noch so unerforschten Continente liefern die Umgegend des Tzana-Sees im Königreich Gondar 378 nach Rüppell; wie die Basaltlaven, Trachyte und Obsidian-Schichten von Schoa nach Rochet d'Hèricourt: dessen mitgebrachte Gebirgsarten, denen des Cantal und Mont-Dore ganz analog, von Dufrénoy haben untersucht werden können Comptes rendus T. XXII. 1846 p. 806––810. Wenn auch in Kordofan der Kegelberg Koldghi sich nicht als jetzt entzündet und rauchend zeigt, so soll sich doch das Vorkommen schwarzen, porösen, verglasten Gesteins daselbst bestätigt haben.Kosmos Bd. I. S. 456 Anm. 237. Ueber die gesammten bisher bekannt gewordenen Erscheinungen in Afrika s. Landgrebe, Naturgeschichte der Vulkane Bd. I. S. 195–219.
In Adamana, südlich vom großen Benue-Flusse, steigen die isolirten Bergmassen Bagele und Alantika auf: welche den Dr. Barth, auf seiner Reise von Kuka nach Jola, durch ihre kegel- und domförmige Gestaltung an Trachytberge mahnten. Der so früh den Naturwissenschaften entzogene Overweg fand in der von ihm durchforschten Gegend von Gudscheba, westlich vom Tsad-See, nach Petermann's Notizen aus den Tagebüchern, olivinreiche, säulenförmig abgetheilte Basaltkegel: welche bald die Schichten des rothen, thonartigen Sandsteins, bald quarzigen Granit durchbrochen haben.
Der große Mangel jetzt entzündeter Vulkane in dem ungegliederten Continente, dessen Küstenländer genugsam bekannt sind, bietet eine sonderbare Erscheinung dar. Sollte es in dem unbekannten Central-Afrika, besonders südlich vom Aequator, große Wasserbecken geben, analog dem See Uniamesi (früher vom Dr. Cooley N'yassi genannt), an deren Ufern sich Vulkane, wie der Demavend nahe dem caspischen Meere, erheben? Bisher hat kein Bericht der vielreisenden Eingeborenen uns davon irgend eine Kunde gebracht!
379 IV. Asien.
α) Der westliche und centrale Theil.
Vulkan von DemavendDie Höhe des Demavend über dem Meere wurde von Ainsworth zu 2298 Toisen angegeben; aber nach Berichtigung einer, wahrscheinlich auf einem Schreibfehler beruhenden Barometerhöhe (Asie centrale T. III. p. 327) beträgt sie, zufolge der Tafeln von Oltmanns, volle 2914 Toisen. Eine noch etwas größere Höhe, 3141t, geben die, gewiß sehr sicheren Höhenwinkel meines Freundes, des kais. russischen Capitäns Lemm, im Jahre 1839; aber die Entfernung ist nicht trigonometrisch begründet, sondern beruht auf der Voraussetzung, daß der Vulkan Demavend 66 Werste (1 Aequatorial-Grad = 1043/10 Werst) von Teheran entfernt sei. Es scheint demnach, daß der persische, dem südlichen Ufer des caspischen Meeres so nahe, aber von der colchischen Küste des schwarzen Meeres an 150 geographische Meilen entfernte, mit ewigem Schnee bedeckte Vulkan Demavend den Großen Ararat um 2800 Fuß, den caucasischen Elburuz um vielleicht 1500 Fuß Höhe übertrifft. Ueber den Vulkan Demavend s. Ritter, Erdkunde von Asien Bd. VI. Abth. 1. S. 551–571; und über den Zusammenhang des Namens Albordj aus der mythischen und darum so unbestimmten Geographie des Zendvolkes mit den modernen Namen Elburz (Koh Alburz des Kazwini) und Elburuz S. 43–49, 424, 552 und 555.: entzündet, aber nach den Berichten von Olivier, Morier und Taylor Thomson (1837) nur mäßig und nicht ununterbrochen rauchend;
Vulkan von Medina (Lava-Ausbruch 1276);
Vulkan Djebel el-Tir (Tair oder Tehr): ein Inselberg von 840 Fuß zwischen Loheia und Massaua im rothen Meere;
Vulkan Peschan: nördlich von Kutsche in der großen Bergkette des Thian-schan oder Himmelsgebirges in Inner-Asien; Lava-Ausbrüche in ächt historischer Zeit vom Jahr 89 bis in den Anfang des 7ten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung;
Vulkan Ho-tscheu, auch bisweilen in der so umständlichen chinesischen Länderbeschreibung Vulkan von Turfan genannt: 30 geogr. Meilen von der großen Solfatara von Urumtsi, nahe dem östlichen Ende des Thian-schan gegen das schöne Obstland von Hami hin.
Der Vulkan Demavend, welcher sich bis zu mehr als 18000 Fuß Höhe erhebt, liegt fast 9 geogr. Meilen von dem südlichen Littoral des caspischen Meeres, in Mazenderan: fast in gleicher Entfernung von Rescht und Asterabad, auf der gegen Herat und Meschid in Westen schnell abfallenden Kette des Hindu-Kho. Ich habe an einem anderen Orte (Asie centrale T. I. p. 124–129, T. III. p. 433–435) wahrscheinlich gemacht, daß der Hindu-Kho von Chitral und Kafiristan eine westliche Fortsetzung des mächtigen, Tibet gegen Norden begrenzenden, das Meridian-Gebirge Bolor im Tsungling durchsetzenden Kuen-lün ist. Der Demavend gehört zum 380 persischen oder caspischen Elburz: Name eines Bergsystems, welchen man nicht mit dem gleichlautenden caucasischen, 7°½ nördlicher und 10° westlicher gelegenen (jetzt Elburuz genannten) Gipfel verwechseln muß. Das Wort Elburz ist eine Verunstaltung von Albordj, dem Weltberge, welcher mit der uralten Cosmogonie des Zendvolkes zusammenhängt.
Wenn bei Verallgemeinerung geognostischer Ansichten über die Richtung der Gebirgssysteme von Inner-Asien der Vulkan Demavend die große Kuen-lün-Kette nahe an ihrem westlichen Ende begrenzt; so verdient eine andere Feuererscheinung an dem östlichsten Ende, deren Existenz ich zuerst bekannt gemacht habe (Asie centrale T. II. p. 427 und 483), eine besondere Aufmerksamkeit. In den wichtigen Untersuchungen, zu denen ich meinen verehrten Freund und Collegen im Institute, Stanislas Julien, aufgefordert, um aus den reichen geographischen Quellen der alten chinesischen Litteratur zu schöpfen: über den Bolor, den Kuen-lün und das Sternenmeer; fand der scharfsinnige Forscher in dem großen, vom Kaiser Yongtsching im Anfang des 18ten Jahrhunderts edirten Wörterbuche die Beschreibung der »ewigen Flamme«, welche am Abhange des östlichen Kuen-lün aus einer Höhle in dem Hügel Schinkhieu ausbricht. Die weitleuchtende Erscheinung, so tief sie auch gegründet sein mag, kann wohl nicht ein Vulkan genannt werden. Sie scheint mir vielmehr Analogie mit der so früh den Helenen bekannten Chimära in Lycien, bei Deliktasch und Yanartasch, darzubieten. Es ist diese ein Feuerbrunnen, eine durch vulkanische Thätigkeit des Erd-Inneren immerfort entzündete Gasquelle (Kosmos Bd. IV. S. 296 und dazu Anm. 2072).
Arabische Schriftsteller lehren, meist ohne bestimmte Jahre anzugeben, daß im Mittelalter im südwestlichen Littoral Arabiens, 381 in der Inselkette der Zobayr, in der Meerenge Bab-el-Mandeb und Aden (Wellsted, Travels in Arabia Vol. II. p. 466–468), in Hadhramaut, in der Straße von Ormuz und im westlichen Theile des persischen Golfs noch an einzelnen Punkten Lava-Ausbrüche statt gefunden haben: immer auf einem Boden, der schon seit vorhistorischer Zeit der Sitz vulkanischer Thätigkeit gewesen war. Die Epoche des Ausbruchs eines Vulkans um Medina selbst, 12°½ nördlich von der Meerenge Bab-el-Mandeb, hat Burckhardt in Samhudy's Chronik der berühmten Stadt dieses Namens im Hedschaz gefunden. Sie ward gesetzt auf den 2 November 1276. Daß aber dort eine Feuer-Eruption bereits 1254, also 22 Jahre früher, gewesen war, lehrt nach Seetzen Abul-Mahasen (vergl. Kosmos Bd. I. S. 256). – Der Insel-Vulkan Djebel Tair, in welchem schon Vincent die »ausgebrannte Insel« des Periplus Maris Erythraei erkannte, ist noch thätig und Rauch ausstoßend nach Botta und nach den Nachrichten, die Ehrenberg und Rußegger (Reisen in Europa, Asien und Afrika Bd. II. Th. 1. 1843 S. 54) gesammelt. Ueber die ganze Umgegend der Meerenge Bab-el-Mandeb, mit der Basalt-Insel Perim; die kraterartige Umwallung, in welcher die Stadt Aden liegt; die Insel Seerah mit Obsidian-Strömen, die mit Bimsstein bedeckt sind; über die Inselgruppen der Zobayr und der Farsan (die Vulcanicität der letzteren hat Ehrenberg 1825 entdeckt) s. die schönen Untersuchungen von Ritter in der Erdkunde von Asien Bd. VIII. Abth. 1. S. 664–707, 889–891 und 1021–1034.
Der vulkanische Gebirgszug des Thian-schan (Asie centrale T. I. p. 201–203, T. II. p. 7–61): ein Bergsystem, welches zwischen dem Altai und Kuen-lün von Osten 382 nach Westen Inner-Asien durchzieht, ist zu einer Zeit der besondere Gegenstand meiner Untersuchungen gewesen: da ich zu dem Wenigen, was Abel-Rémusat aus der japanischen Encyclopädie geschöpft hatte, wichtigere, von Klaproth, Neumann und Stanislas Julien aufgefundene Bruchstücke habe hinzufügen können (Aeie centr. T. II. p. 39–50 und 335–364). Die Länge des Thian-schan übertrifft achtmal die Länge der Pyrenäen: wenn man jenseits der durchsetzten Meridiankette des Kusyurt-Bolor den Asferah hinzurechnet: der sich in Westen bis in den Meridian von Samarkand erstreckt, und in dem Ibn Haukal und Ibn al-Vardi Feuerbrunnen und Salmiak ausstoßende, leuchtende (?) Spalten, wie im Thian-schan, beschreiben (s. über den Berg Botom a. a. O. p. 16–20). In der Geschichte der Dynastie der Thang wird ausdrücklich gesagt, daß an einem der Abhänge des Peschan, welcher immerfort Feuer und Rauch ausstößt, die Steine brennen, schmelzen und mehrere Li weit fließen, als wäre es ein »flüssiges Fett. Die weiche Masse erhärtet, so wie sie erkaltet.« Charakteristischer kann wohl nicht ein Lavastrom bezeichnet werden. Ja in dem 49ten Buche der großen Geographie des chinesischen Reichs, welche in Peking selbst von 1789 bis 1804 auf Staatskosten gedruckt worden ist, werden die Feuerberge des Thian-schan als »noch thätig« beschrieben. Ihre Lage ist so central, daß sie ohngefähr gleich weit (380 geogr. Meilen) vom nächsten Littoral des Eismeeres und von dem Ausfluß des Indus und Ganges, 255 M. vom Aral-See, 43 und 52 M. von den Salzseen Issikul und Balkasch entfernt sind. Von den Flammen, welche aus dem Berge von Turfan (Hotscheu) aufsteigen, gaben auch Kunde die Pilgrime von Mekka, die man in Bombay im Jahr 1835 officiell befragte 383 (Journal of the Asiatic Soc. of Bengal Vol. IV. 1835 p. 657–664). Wann werden endlich einmal von dem so leicht erreichbaren Gouldja am Ili aus die Vulkane von Peschan und Turfan, Barkul und Hami durch einen wissenschaftlich gebildeten Reisenden besucht werden?
Die jetzt mehr aufgeklärte Lage der vulkanischen Gebirgskette des Thian-schan hat sehr natürlich auf die Frage geleitet, ob das Fabelland Gog und Magog, wo auf dem Grunde des Flusses el-Macher »ewige Feuer brennen« sollen, nicht mit den Ausbrüchen des Peschan oder Vulkans von Turfan zusammenhange. Diese orientalische Mythe: welche ursprünglich dem Westen des caspischen Meeres, den Pylis Albaniae bei Derbend, angehörte, ist, wie fast alle Mythen, gewandert: und zwar weit nach Osten. Edrisi läßt den Salam el-Terdjeman, Dolmetscher eines Abbassiden-Chalifen in der ersten Hälfte des 9ten Jahrhunderts, nach dem Lande der Finsterniß von Bagdad aus abreisen. Er gelangt durch die Steppe der Baschkiren nach dem Schneegebirge Cocaïa, welches die große Mauer von Magog (Madjoudj) umgiebt. Amédée Jaubert, dem wir wichtige Ergänzungen des nubischen Geographen verdanken, hat erwiesen, daß die Feuer, welche am Abhange des Cocaïa brennen, nichts vulkanisches haben (Asie centr. T. II. p. 99). Weiter in Süden setzt Edrisi den See Tehama. Ich glaube wahrscheinlich gemacht zu haben, daß Tehama der große See Balkasch ist, in welchen der Ili mündet, der nur 45 Meilen südlicher liegt. Anderthalb Jahrhunderte nach Edrisi versetzte Marco Polo die Mauer Magog gar in das Gebirge In-schan, östlich von der Hochebene Gobi, gegen den Fluß Hoang-ho und die chinesische Mauer hin: von der (sonderbar genug) der berühmte venetianische Reisende eben so wenig spricht als vom 384 Gebrauch des Thees. Der In-schan, die Grenze des Gebietes des Priesters Johann, kann als die östliche Verlängerung des Thian-schan angesehen werden (Asie centrale T. II. p. 92–104).
Mit Unrecht hat man lange Zeit die zwei, einst lava-ergießenden Kegelberge, den Vulkan Peschan und den Hotscheu von Turfan (sie sind ohngefähr in einer Länge von 105 geogr. Meilen durch den mächtigen, mit ewigem Schnee und Eise bedeckten Gebirgsstock Bogdo-Oola von einander getrennt), für eine isolirte vulkanische Gruppe gehalten. Ich glaube gezeigt zu haben, daß die vulkanische Thätigkeit nördlich und südlich von der langen Kette des Thian-schan mit den Grenzen der Erschütterungskreise, den heißen Quellen, den Solfataren, Salmiak-Spalten und Steinsalz-Lagern, hier wie im Caucasus, in enger geognostischer Verbindung steht.
Da nach meiner, schon oft geäußerten Ansicht, der jetzt auch der gründlichste Kenner des caucasischen Gebirgssystems, Abich, beigetreten ist, der Caucasus selbst nur die Fortsetzungs-Spalte des vulkanischen Thian-schan und Asferah jenseits der großen aralo-caspischen Erdsenkung istAsie centrale T. II. p. 9 und 54–58. (Kosmos Bd. IV. S. 253 Anm. 1982.); so sind hier neben den Erscheinungen des Thian-schan als vor-historischen Zeiten angehörig anzuführen die vier erloschenen Vulkane: Elburuz von 17352 Pariser Fuß, Ararat von 16056 Fuß, Kasbegk von 15512 Fuß und Savalan von 14787 Fuß Höhe.Elburuz, Kasbegk und Ararat nach Mittheilungen von Struve Asie centr. T. II p. 57. Die im Text angegebene Höhe von dem ausgebrannten Vulkan Savalan westlich von Ardebil (15760 engl. Fuß) ist auf eine Messung von Chanykow gegründet. S. Abich in den Mélanges phsy. et chim. T. II. p. 361. Um bei Anführung der Quellen, aus denen ich geschöpft, eine ermüdende Wiederholung zu vermeiden, erkläre ich hier: daß alles, was im geologischen Abschnitt des Kosmos sich auf den wichtigen caucasischen Isthmus bezieht, handschriftlichen, mir auf die edelste und freundschaftlichste Weise zu freier Benutzung mitgetheilten Aufsätzen von Abich aus den Jahren 1852 bis 1855 entlehnt ist. Ihrer Höhe nach fallen diese Vulkane zwischen den Cotopaxi und Montblanc. Der Große Ararat (Agri-dagh): zuerst am 27 September 1829 von Friedrich von Parrot, mehrmals 1844 und 1845 von Abich, zuletzt 1850 vom Oberst Chodzko erstiegen, hat eine Domform wie der Chimborazo, mit zwei überaus kleinen Erhebungen am Rande des Gipfels; doch 385 aber keinen Gipfel-Krater. Die größten und wahrscheinlich neuesten vor-historischen Lava-Eruptionen des Ararat sind alle unterhalb der Schneegrenze ausgebrochen. Die Natur dieser Eruptionen ist zweierlei Art: es sind dieselben theils trachyt-artig mit glasigem Feldspath und eingemengtem, leicht verwitternden Schwefelkiese; theils dolerit-artig meist bestehend aus Labrador und Augit, wie die Laven des Aetna. Die dolerit-artigen hält Abich am Ararat für neuer als die trachyt-artigen. Die Ausbruchstellen der Lavaströme, alle unterhalb der Grenze des ewigen Schnees, sind oftmals (z. B. in der großen Gras-Ebene Kip-Ghioll am nordwestlichen Abhange) durch Auswurfs-Kegel und von Schlacken umringte kleine Krater bezeichnet. Wenn auch das tiefe Thal des heiligen Jacob (eine Schlucht, welche bis an den Gipfel des Ararat ansteigt und seiner Gestaltung, selbst in weiter Ferne gesehen, einen eigenen Charakter giebt) viel Aehnlichkeit mit dem Thal del Bove am Aetna darbietet und die innerste Structur des emporgestiegenen Domes sichtbar macht; so ist die Verschiedenheit doch dadurch sehr auffallend, daß in der Jacobs-Schlucht nur massenhaftes Trachyt-Gestein und nicht Lavaströme, Schlackenschichten und Rapilli aufgefunden worden sind.Abich, notice explicative d'une vue de l'Ararat, im Bulletin de la Société de Géographie de France, 4ème Série T. I. p. 516. Der Große und der Kleine Ararat, von denen der erstere nach den vortrefflichen geodätischen Arbeiten von Waßili Fedorow 3' 4" nördlicher und 6' 42" westlicher als der zweite liegt, erheben sich an dem südlichen Rande der großen Ebene, welche der Araxes in einem weiten Bogen durchströmt. Sie stehen beide auf einem elliptischen vulkanischen Plateau, dessen große Axe von Südost nach Nordwest gerichtet ist. Auch der Kasbegk und der Tschegem haben keinen Gipfel-Krater, wenn gleich der erstere mächtige Ausbrüche gegen Norden (nach Wladikaukas 386 zu) gerichtet hat. Der größte aller dieser erloschenen Vulkane, der Trachytkegel des Elburuz, welcher aus dem granitreichen Talk- und Diorit-Schiefergebirge des Backsan-Flußthales aufgestiegen ist, hat einen Kratersee. Aehnliche Kraterseen finden sich in dem rauhen Hochlande Kely, aus welchem zwischen Eruptions-Kegeln sich Lavaströme ergießen. Uebrigens sind hier wie in den Cordilleren von Quito die Basalte weit von dem Trachyt-Systeme abgesondert; sie beginnen erst 6 bis 8 Meilen südlich von der Kette des Elburuz und von dem Tschegem am oberen Phasis- oder Rion-Thale.
β) Der nordöstliche Theil (Halbinsel Kamtschatka).
Die Halbinsel Kamtschatka: von dem Cap Lopatka, nach Krusenstern lat. 51° 3', bis nördlich zum Cap Ukinsk, gehört mit der Insel Java, mit Chili und Central-Amerika zu den Regionen, wo auf dem kleinsten Raum die meisten, und zwar die meisten noch entzündeten, Vulkane zusammengedrängt sind. Man zählt deren in Kamtschatka 14 in einer Länge von 105 geogr. Meilen. Für Central-Amerika finde ich vom Vulkan von Soconusco bis Turrialva in Costa Rica 29 Vulkane, deren 18 brennen, auf 170 Meilen; für Peru und Bolivia vom Vulkan Chacani bis zum Volcan de San Pedro de Atacama 14 Vulkane, von welchen nur 3 gegenwärtig thätig sind, auf 105 Meilen; für Chili vom V. de Coquimbo bis zum V. de San Clemente 24 Vulkane auf 240 Meilen. Von diesen 24 sind 13 aus historischen Zeiten als thätig bekannt. Die Kenntniß der kamtschadalischen Vulkane in Hinsicht auf Form, auf astronomische Ortsbestimmung und Höhe ist in neuerer Zeit durch Krusenstern, Horner, Hofmann, Lenz, Lütke, Postels, 387 Cap. Beechey, und vor allen durch Adolph Erman rühmlichst erweitert worden. Die Halbinsel wird ihrer Länge nach von zwei Parallelketten durchschnitten, in deren östlicher die Vulkane angehäuft sind. Die höchsten derselben erreichen 10500 bis 14800 Fuß. Es folgen von Süden nach Norden:
der Opalinskische Vulkan (Pic Koscheleff vom Admiral Krusenstern), lat. 51° 21': nach Cap. Chwostow fast die Höhe des Pics von Teneriffa erreichend und am Ende des 18ten Jahrhunderts überaus thätig;
die Hodutka Sopka (51° 35'). Zwischen dieser Sopka und der vorigen liegt ein unbenannter vulkanischer Kegel (51° 32'): der aber, wie die Hodutka, nach Postels erloschen scheint.
Poworotnaja Sopka (52° 22'), nach Cap. Beechey 7442 F. hoch (Erman's Reise Bd. III. S. 253; Leop. von Buch, Iles Can. p. 447).
Aßatschinakaja Sopka (52° 2'); große Aschen-Auswürfe, besonders im Jahr 1828.
Wiljutschinsker Vulkan (Br.52° 52'): nach Cap. Beechey 6918 F., nach Admiral Lütke 6330 F.; nur 5 geogr. Meilen vom Petropauls-Hafen jenseit der Bai von Torinsk entfernt.
Awatschinskaja oder Gorelaja Sopka (Br. 53° 17'), Höhe nach Erman 8360 F.; zuerst bestiegen auf der Expedition von la Pérouse 1787 durch Mongez und Bernizet; später durch meinen theuren Freund und sibirischen Reisebegleiter, Ernst Hofmann (Juli 1824, bei der Kotzebue'schen Weltumseglung); durch Postels und Lenz auf der Expedition des Admirals Lütke 1828, durch Erman im Sept. 1829. Dieser machte die wichtige geognostische Beobachtung, daß der Trachyt bei seiner Erhebung Schiefer und Grauwacke (ein silurisches Gebirge) durchbrochen 388 habe. Der immer rauchende Vulkan hat einen furchtbaren Ausbruch im October 1837, früher einen schwachen im April 1828 gehabt. Postels in Lütke, Voyage T. III. p. 67–84; Erman, Reise, hist. Bericht Bd. III. S. 494 und 534–540.
Ganz nahe bei dem Awatscha-Vulkan (Kosmos Bd. IV. S. 291 Anm. 2046) liegt die Koriatskaja oder Strjeloschnaja Sopka (Br. 53° 19'), Höhe 10518 F. nach Lütke T. III. p. 84; reich an Obsidian: dessen die Kamtschadalen sich noch im vorigen Jahrhundert, wie die Mexicaner und im hohen Alterthume die Hellenen, zu Pfeilspitzen bedienten.
Jupanowa Sopka: Br. nach Erman's Bestimmung (Reise Bd. III. S. 469) 53° 32'. Der Gipfel ist ziemlich abgeplattet, und der eben genannte Reisende sagt ausdrücklich: »daß diese Sopka wegen des Rauchs, den sie ausstößt, und wegen des unterirdischen Getöses, welches man vernimmt, von je her mit dem mächtigen Schiwelutsch verglichen und den unzweifelhaften Feuerbergen beigezählt wird.« Seine Höhe ist vom Meere aus durch Lütke gemessen 8496 F.
Kronotskaja Sopka, 9954 F.: an dem See gleiches Namens, Br. 54° 8'; ein rauchender Krater auf dem Gipfel des, sehr zugespitzten Kegelberges (Lütke, Voyage T. III. p. 85).
Vulkan Schiwelutsch, 5 Meilen südöstlich von Jelowka, über den wir eine beträchtliche und sehr verdienstliche Arbeit von Erman (Reise Bd. III. S. 261–317 und phys. Beob. Bd. I. S. 400–403) besitzen: vor dessen Reise der Berg fast unbekannt war. Nördliche Spitze: Br. 56° 40', Höhe 9894 F.; südliche Spitze: Br. 56° 39', Höhe 8250 F. Als Erman im Sept. 1829 den Schiwelutsch bestieg, fand er ihn stark rauchend. Große Eruptionen waren 1739 und zwischen 1790 und 1810: letztere nicht von fließend ergossener Lava, sondern als Auswürfe 389 von losem vulkanischem Gestein. Nach C. von Dittmar stürzte der nördlichste Gipfel in der Nacht vom 17 zum 18 Februar 1854 ein, worauf eine von wirklichen Lavaströmen begleitete, noch dauernde Eruption erfolgte.
Tolbatschinskaja Sopka: heftig rauchend, aber in früherer Zeit die Eruptions-Oeffnungen ihrer Aschen-Auswürfe oft verändernd; nach Erman Br. 55° 51' und Höhe 7800 F.
Uschinskaja Sopka: nahe verbunden mit dem Kljutschewsker Vulkan; Br. 56° 0', Höhe an 11000 F. (Buch, Can. p. 452 Landgrebe, Vulkane Bd. I. S. 375).
Kljutschewskaja Sopka (56° 4'): der höchste und thätigste aller Vulkane der Halbinsel Kamtschatka; von Erman gründlich geologisch und hypsometrisch erforscht. Der Kljutschewsk hat nach dem Berichte von Kraschenikoff große Feuerausbrüche von 1727 bis 1731 wie auch 1767 und 1795 gehabt. Im Jahr 1829 war Erman bei der gefahrvollen Besteigung des Vulkans am 11 September Augenzeuge von dem Ausstoßen glühender Steine, Asche und Dämpfe auf dem Gipfel: während tief unterhalb desselben ein mächtiger Lavastrom sich am West-Abhange aus einer Spalte ergoß. Auch hier ist die Lava reich an Obsidian. Nach Erman (Beob. Bd. I S. 400–403 und 419) ist die geogr. Breite des Vulkans 56° 4', und seine Höhe war im Sept. 1829 sehr genau 14790 Fuß. Im August 1828 hatte dagegen Admiral Lütke durch Höhenwinkel, die zur See in einer Entfernung von 40 Seemeilen genommen waren, den Gipfel des Kljutschewsk 15480 F. hoch gefunden (Voyage T. III. p. 86; Landgrebe, Vulkane Bd. I. S. 375–386). Diese Messung: und die Vergleichung der vortrefflichen Umriß-Zeichnungen des Baron von Kittlitz, der die Lütke'sche Expedition auf dem Seniawin begleitete, mit dem, 390 was Erman selbst im Sept. 1829 beobachtete; führten diesen zu dem Resultate, daß in der engen Epoche dieser 13 Monate große Veränderungen in der Form und Höhe des Gipfels sich zugetragen haben. »Ich denke«, sagt Erman (Reise Bd. III. S. 359), »daß man kaum merklich irren kann, wenn man für August 1828 die Höhe der Oberfläche des Gipfels um 250 Fuß größer als im Sept. 1829 während meines Aufenthalts in der Gegend von Kljutschi, und mithin für die frühere Epoche zu 15040 Fuß annimmt.« Am Vesuv habe ich, die Saussure'sche Barometer-Messung der Rocca del Palo, des höchsten nördlichen Kraterrandes, vom Jahre 1773 zum Grunde legend, durch eigene Messung gefunden: daß bis 1805, also in 32 Jahren, dieser nördliche Kraterrand sich um 36 Fuß gesenkt hatte; daß er aber von 1773 bis 1822, also in 49 Jahren, um 96 Fuß (scheinbar?) gestiegen sei (Ansichten der Natur 1849 Bd. II. S. 290). Im Jahr 1822 fanden Monticelli und Covelli für die Rocca del Palo 624t, ich 629t. Für das damalige wahrscheinlichste Endresultat gab ich 625t. Im Frühjahr 1855, also 33 Jahre später, gaben die schönen Barometer-Messungen des Olmützer Astronomen Julius Schmidt wieder 624t (neue Bestimm. am Vesuv 1856 S. 1, 16 und 33). Was mag davon der Unvollkommenheit der Messung und der Barometer-Formel zugehören? Untersuchungen der Art könnten in größerem Maaßstabe und mit größerer Sicherheit vervielfältigt werden, wenn man: statt oft erneuerter vollständiger trigonometrischer Operationen oder für zugängliche Gipfel mehr anwendbarer, aber minder befriedigender Barometer-Messungen, sich darauf beschränkte, für die zu vergleichenden Perioden von 25 oder 50 Jahren den einzigen Höhenwinkel des Gipfelrandes aus demselben und zwar aus einem sicher 391 wiederzufindenden Standpunkte bis auf Fractionen von Secunden zu bestimmen. Des Einflusses der terrestrischen Refraction wegen würde ich rathen, in jeder der Normal-Epochen das Mittel aus vielstündlichen Beobachtungen von 3 Tagen zu suchen. Um nicht bloß das allgemeine Resultat der Vermehrung oder Verminderung des einzigen Höhenwinkels, sondern auch in Fußen die absolute Quantität der Veränderung zu erhalten, wäre nur eine einmal vorgenommene Bestimmung des Abstandes erforderlich. Welche reiche Quelle der Erfahrungen würden uns nicht für die vulkanischen Colosse der Cordilleren von Quito die vor mehr als einem Jahrhundert bestimmten Höhenwinkel der hinlänglich genauen Arbeiten von Bouguer und La Condamine gewähren, wenn diese vortrefflichen Männer für gewisse auserlesene Punkte hätten die Stationen bleibend bezeichnen können, in denen die Höhenwinkel der Gipfel von ihnen gemessen wurden. Nach C. von Dittmar hat nach dem Ausbruch von 1841 der Kljutschewsk ganz geruht, bis er lavagebend 1853 wieder erwachte. Der Gipfel-Einsturz des Schiwelutsch unterbrach aber die neue Thätigkeit. (Bulletin de la classe physico-mathém. de l'Acad. des Sc. de St.-Pétersbourg T. XIV. 1856 p. 246)
Noch vier andere, theils vom Admiral Lütke und theils von Postels genannte Vulkane: den noch rauchenden Apalsk südöstlich vom Dorfe Bolscheretski, die Schischapinskaja Sopka (Br. 55° 11'), die Kegel Krestowsk (Br. 56° 4'), nahe an der Gruppe Kljutschewsk, und Uschkowsk; habe ich in der obigen Reihe nicht aufgeführt wegen Mangels genauerer Bestimmung. Das kamtschadalische Mittelgebirge, besonders in der Baidaren-Ebene, Br. 57° 20', östlich von Sedanka, bietet (als wäre sie »der Boden eines uralten Kraters von 392 etwa vier Werst, d. i. eben so viele Kilometer, im Durchmesser«) das geologisch merkwürdige Phänomen von Lava- und Schlacken-Ergüssen dar aus einem blasigen, oft ziegelrothen, vulkanischen Gestein: das selbst wieder aus Erdspalten ausgebrochen ist in größter Ferne von allem Gerüste aufgestiegener Kegelberge (Erman, Reise Bd. III. S. 221, 228 und 273; Buch, Iles Canaries p. 454). Auffallend ist hier die Analogie mit dem, was ich oben über das Malpais, die problematischen Trümmerfelder der mexicanischen Hochebene, umständlich entwickelt habe (Kosmos Bd. IV. S. 349).
V. Ost-asiatische Inseln.
Von der Torres-Straße, die, unter 10° südl. Breite, Neu-Guinea von Australien trennt, und von den rauchenden Vulkanen von Flores bis zu den nordöstlichsten Aleuten (Br. 55°) erstreckt sich eine, größtentheils vulkanische Inselwelt, welche, unter einem allgemeinen geologischen Gesichtspunkte betrachtet, wegen ihres generischen Zusammenhanges fast schwer in einzelne Gruppen zu sondern ist, und gegen Süden beträchtlich an Umfang zunimmt. Um von Norden zu beginnen: sehen wir zuerst die von der amerikanischen Halbinsel Alaska ausgehende, bogenförmigVergl. Dana's scharfsinnige Bemerkungen on the Curvatures of Ranges of Islands, deren Convexität in der Südsee fast allgemein gegen Süden oder Südost gerichtet ist, in der United States' Exploring Expedition by Wilkes Vol. X. (Geology by James Dana) 1849 p. 419. gekrümmte Reihe der Aleuten durch die der Kupfer- und der Berings-Insel nahe Insel Attu den Alten und Neuen Continent mit einander verbinden, wie im Süden das Meer von Bering schließen. Von der Spitze der Halbinsel Kamtschatka (dem Vorgebirge Lopatka) folgen in der Richtung Nord gen Süd, das Saghalinische oder Ochotskische, durch la Pérouse berühmt gewordene Meer in Osten begrenzend, der Archipel der Kurilen; dann Jezo, vielleicht 393 vormals mit der Südspitze der Insel KraftoDie Insel Saghalin, Tschoka oder Tarakai wird von den japanischen Seeleuten Krafto genannt (geschrieben Karafuto). Sie liegt der Mündung des Amur (des Schwarzen Flusses, Saghalian Ula) gegenüber; ist von gutmüthigen, dunkelfarbigen, bisweilen etwas behaarten Ainos bewohnt. Der Admiral Krusenstern glaubte, wie auch früher die Begleiter von la Pérouse (1787) und Broughton (1797), daß Saghalin durch einen schmalen, sandigen Isthmus (Br. 52° 5') mit dem asiatischen Continent zusammenhange; aber zufolge der wichtigen von Franz von Siebold mitgetheilten japanischen Nachrichten ist nach einer von Mamia Rinsô, dem Chef einer kaiserlich japanischen Commission, im Jahr 1808 aufgenommenen Karte Krafto keine Halbinsel, sondern ein auf allen Seiten vom Meer umflossenes Land (Ritter, Erdkunde von Asien Bd. III. S. 488). Das Resultat des verdienstlichen Mamia Rinsô ist neuerlichst im Jahre 1855: als die russische Flotte in der Baie de Castries (Br. 51° 29') bei Alexandrowsk, also im Süden des vermeintlichen Isthmus, vor Anker lag und sich doch in die Amur-Mündung (Br. 52° 54') zurückziehen konnte, vollkommen, wie Siebold meldet, bestätigt worden. In der Meerenge, in welcher man ehemals den Isthmus vermuthete, sind bei der Durchfahrt an einigen Stellen nur 5 Faden Tiefe gefunden. Die Insel fängt an wegen der Nähe des großen Amur- oder Saghalin-Stromes politisch wichtig zu werden. Ihr Name, ausgesprochen Karafto oder Krafto, ist die Zusammenziehung von Kara-fu-to, d. i. nach Siebold »die an Kara grenzende Insel«: da in japanisch-chinesischer Mundart Kara das nördlichste China (die Tartarei) bezeichnet, und fu nach dem zuletzt genannten scharfsinnigen Gelehrten hier »daneben liegend« bedeutet. Tschoka ist eine Verstümmelung von Tsjokaï, und Tarakai aus Mißverständniß von dem Namen eines einzelnen Dorfes Taraika hergenommen. Nach Klaproth (Asia polyglotta p. 301) ist Taraikai oder Tarakai der heimische Aino-Name der ganzen Insel. Vergl. Leopold Schrenk's und Cap. Bernards Wittingham's Bemerkungen in Petermann's geogr. Mittheilungen 1856 S. 176 und 184; auch Perry, exped. to Japan Vol. I. p. 468. (Saghalin oder Tschoka) zusammenhangend; endlich jenseits der engen Tsugar-Straße das japanische Drei-Inselreich (Nippon, Sikok und Kiu-Siu: nach der trefflichen Karte von Siebold zwischen 41° 32' und 30° 18'). Von dem Vulkan Kljutschewsk, dem nördlichsten an der östlichen Küste der Halbinsel Kamtschatka, bis zum südlichsten japanischen Insel-Vulkan Iwoga-Sima, in der von Krusenstern durchforschten Meerenge Van Diemen, ist die Richtung der sich in der vielfach gespaltenen Erdrinde äußernden feurigen Thätigkeit genau Nordost in Südwest. Es erhält sich dieselbe in fortgesetzter Reihung durch die Insel Jakuno-Sima: auf der ein Kegelberg sich zu der Höhe von 5478 Fuß (1780 Meter) erhebt, und welche die beiden Straßen Van Diemen und Colnet von einander trennt; durch den Siebold'schen Linschoten-Archipel; durch die Schwefel-Insel des Capitäns Basil Hall (Lung-Huang-Schan); durch die kleinen Gruppen der Lieu-Khieu und Madjiko-Sima, welche letztere sich dem Ostrande der großen chinesischen Küsten-Insel Formosa (Thay-wan) bis auf 23 geogr. Meilen nähert.
Hier bei Formosa (nördl. Breite 25°–26°) ist der wichtige Punkt, wo statt der Erhebungs-Linien NO–SW die der nord-südlichen Richtung beginnen und fast bis zum Parallel von 5° oder 6° südlicher Breite herrschend werden. Sie sind zu erkennen in Formosa und in den Philippinen (Luzon und Mindanao) volle zwanzig Breitengrade hindurch, bald an einer, bald an beiden Seiten die Küsten in der Meridian-Richtung abschneidend: so in der Ostküste der großen Insel Borneo, welche durch den Solo-Archipel mit Mindanao und durch die lange, schmale Insel Palawan mit Mindoro zusammenhängt; so die 394 westlichen Theile der vielgestalteten Celebes und Gilolo; so (was besonders merkwürdig ist) die Meridian-Spalte, auf welcher, 350 geogr. Meilen östlich von der Gruppe der Philippinen und in gleicher Breite, sich die vulkanische und Corallen-Insel-Reihe der Marianen oder Ladronen erhoben hat. Ihre allgemeine RichtungDana, Geology of the Pacific Ocean p. 16. In den Meridianstreifen der südost-asiatischen Inselwelt sind auch die Küsten von Cochinchina seit dem Meerbusen von Tonkin, die von Malacca seit dem Meerbusen von Siam, ja selbst die von Neu-Holland südlich vom 25ten Parallelgrad meist nord-südlich abgeschnitten. ist N 10° O.
Wie wir in dem Parallel der steinkohlenreichen Insel Formosa den Wendepunkt bezeichnet haben, an welchem auf die kurilische Richtung NO–SW die Richtung N–S folgt; so beginnt ein neues Spaltensystem südlich von Celebes und der, schon ost-westlich abgeschnittenen Südküste von Borneo. Die großen und kleinen Sunda-Inseln von Timor-Laut bis West-Bali folgen in 18 Längengraden meist dem mittleren Parallel von 8° südlicher Breite. Im westlichen Java wendet sich die mittlere Achse schon etwas mehr gen Norden, fast OSO in WNW; von der Sunda-Straße bis zu der südlichsten der Nicobaren aber ist die Richtung SO–NW. Die ganze vulkanische Erhebungs-Spalte (O–W und SO–NW) hat demnach ohngefähr eine Erstreckung von 675 geogr. Meilen (eilfmal die Länge der Pyrenäen); von diesen gehören, wenn man die geringe Abweichung Java's gegen Norden nicht achtet, 405 auf die ost-westliche und 270 auf die südost-nordwestliche Achsenrichtung.
Allgemeine geologische Betrachtungen über Form und Reihungs-Gesetze führen so ununterbrochen in der Inselwelt an den Ostküsten Asiens (in dem ungeheuren Raume von 68 Breitengraden) von den Aleuten und dem nördlichen Bering-Meere zu den Molukken und zu den großen und kleinen Sunda-Inseln. In der Parallel-Zone von 5° nördlicher und 10° südlicher Breite hat sich besonders der größte Reichthum von Länderformen entwickelt. Auf eine merkwürdige Weise wiederholen sich meist 395 die Ausbruchs-Richtungen der größeren Theile in einem benachbarten kleineren. So liegt nahe der Südküste von Sumatra und ihr parallel eine lange Inselreihe. Dasselbe bemerken wir in dem kleinen Phänomene der Erzgänge wie in dem größeren der Gebirgszüge ganzer Continente. Gleichstreichende Nebentrümmer des Hauptganges, begleitende Nebenketten (chaînes accompagnantes) liegen oft in beträchtlichen Abständen von einander; sie deuten auf gleiche Ursachen und gleiche Richtungen der formgebenden Thätigkeit in der sich faltenden Erdrinde. Der Conflict der Kräfte bei gleichzeitiger Oeffnung von Spalten entgegengesetzter Richtungen scheint bisweilen wunderbare Gestaltungen neben einander zu erzeugen: so in den Molukken Celebes und Gilolo.
Nachdem wir den inneren geologischen Zusammenhang des ost- und süd-asiatischen Inselsystems entwickelt haben, setzen wir: um von den alt-eingeführten, etwas willkührlichen, geographischen Abtheilungen und Nomenclaturen nicht abzugehen, die südliche Grenze der ost-asiatischen Inselreihe (den Wendepunkt) bei Formosa, wo die Richtung NO–SW in die N–S übergeht, unter dem 24ten Grad nördlicher Breite. Die Auszählung geschieht wieder von Norden nach Süden: von den östlichsten, mehr amerikanischen Aleuten beginnend.
Die vulkanreichen aleutischen Inseln begreifen von Osten nach Westen die Fuchs-Inseln, unter denen sich die größten aller: Unimak, Unalaschka und Umnak, befinden; die Andrejanowskischen: unter denen Atcha, mit drei rauchenden Vulkanen, und der mächtige, von Sauer schon abgebildete Vulkan von Tanaga die berufensten sind; die Ratten-Inseln und die etwas getrennten Inseln Blynie: unter denen, wie schon oben gesagt, Attu den Uebergang zu der, Asien nahen 396 Commandeur-Gruppe (Kupfer- und Berings-Insel) macht. Die mehrfach wiederholte Behauptung, als fange auf der Halbinsel Kamtschatka die, von NNO nach SSW gerichtete Reihe der Continental-Vulkane erst da an, wo die vulkanische Erhebungs-Spalte der Aleuten unterseeisch die Halbinsel schneidet: als biete diese Aleuten-Spalte wie eine Zuleitung dar: scheint wenig begründet zu sein. Nach des Admirals Lütke Karte des Berings-Meeres liegen die Insel Attu, das westliche Extrem der Aleuten-Reihe, Br. 52° 46', die unvulkanische Kupfer- und Berings-Insel, Br. 54° 30' bis 55° 20'; und die Vulkan-Reihe von Kamtschatka beginnt schon unter dem Parallel von 56° 40' mit dem großen Vulkan Schiwelutsch, westlich vom Cap Stolbowoy. Die Richtung der Eruptiv-Spalten ist auch sehr verschieden, fast entgegengesetzt. Auf Unimak ist der höchste der aleutischen Vulkane, nach Lütke 7578 Fuß. Nahe an der Nordspitze von Umnak hat sich im Monat Mai 1796 unter sehr merkwürdigen, in Otto's von Kotzebue Entdeckungsreise (Bd. II. S. 106 vortrefflich geschilderten Umständen die fast acht Jahre entzündet gebliebene Insel Agaschagokh (oder Sanctus Johannes Theologus) aus dem Meere erhoben. Nach einem von Krusenstern bekannt gemachten Berichte hatte sie im Jahr 1819 fast vier geographische Meilen im Umfang und noch 2100 Fuß Höhe. Auf der Insel Unalaschka würden besonders die von dem scharfsinnigen Chamisso angegebenen Verhältnisse der hornblendereichen Trachyte des Vulkans Matuschkin (5136 F.) zu dem schwarzen Porphyr (?) und dem nahen Granite verdienen von einem mit dem Zustande der neueren Geologie vertrauten, die Zusammensetzung der Gebirgsarten oryctognostisch und sicher untersuchenden Beobachter erforscht zu werden. Von den zwei sich nahen Inseln der Pribytow-Gruppe, welche 397 vereinzelt in dem Berings-Meer liegen, ist St. Paul ganz vulkanisch, reich an Lava und Bimsstein: wenn dagegen die St. Georgs-Insel nur Granit und Gneiß enthält.
Nach der vollständigsten Aufzählung, die wir bisher besitzen, scheint die 240 geographische Meilen lange Reihe der Aleuten über 34, meist in neuen, historischen Zeiten thätige Vulkane zu enthalten. So sehen wir hier (unter 54° und 60° Breite und 162°–198° westlicher Länge) einen Streifen des ganzen Meeresgrundes zwischen zwei großen Continenten in steter, schaffender und zerstörender Wechselwirkung. Viele Inseln mögen in der Folge von Jahrtausenden, wie in der Gruppe der Azoren, dem Erscheinen über der Meeresfläche nahe, viele lange erschienene ganz oder theilweise unbeobachtet versunken sein! Zur Völker-Mischung, zum Uebergange von Volksstämmen bietet die aleutische Inselreihe einen Weg dar, welcher 13 bis 14 Grad südlicher als der der Berings-Straße ist: auf welchem die Tschuktschen scheinen von Amerika nach Asien, und zwar bis jenseits des Anadyr-Flusses, übergegangen zu sein.
Die kurilische Inselreihe, von der Endspitze von Kamtschatka bis zum Cap Broughton (dem nordöstlichsten Vorgebirge von Jezo), in einer Länge von 180 geogr. Meilen, erscheint mit 8 bis 10 meist noch entzündeten Vulkanen. Der nördlichste derselben, auf der Insel Alaid, bekannt durch große Ausbrüche in den Jahren 1770 und 1793, verdiente wohl endlich genau gemessen zu werden, da man seine Höhe bis zu zwölf- und vierzehntausend Fuß schätzt. Der weit niedrigere Pic Sarytschew (4227 F. nach Horner) auf Matana und die südlichsten japanischen Kurilen: Urup, Jetorop und Kunasiri, haben sich auch als sehr thätige Vulkane gezeigt.
Nun folgen in der Vulkan-Reihe Jezo und die drei großen 398 japanischen Inseln: über welche der berühmte Reisende, Herr von Siebold, zur Benutzung für den Kosmos, mir eine große und wichtige Arbeit wohlwollend mitgetheilt hat. Sie wird das Unvollständige berichtigen, was ich in meinen Fragmens de Géologie et de Climatologie asiatiques (T. I. p. 217–234) und in der Asie centrale (T. II. p. 540–552) der großen japanischen Encyclopädie entlehnte.
Die große, in ihrem nördlichen Theile sehr quadratische Insel Jezo (Br. 41°½ bis 45°½): durch die Sangar- oder Tsugar-Straße von Nippon, durch die Straße la Pérouse von der Insel Krafto (Kara-fu-to) getrennt, begrenzt durch ihr nordöstliches Cap den Archipel der Kurilen; aber unfern des nordwestlichen Caps Romanzow auf Jezo, das sich 1½ Grade mehr nach Norden an die Straße la Pérouse vorstreckt, liegt unter Br. 45° 11' der vulkanische Pic de Langle (5020 F.) auf der kleinen Insel Risiri. Auch Jezo selbst scheint von Broughton's südlicher Vulkan-Bai an bis gegen das Nordcap hin von einer Vulkan-Reihe durchschnitten zu sein: was um so merkwürdiger ist, als auf dem schmalen Krafto, das fast eine Fortsetzung vom Jezo ist, die Naturforscher der Lapérousischen Expedition in der Baie de Castries rothe poröse Laven- und Schlackenfelder gefunden haben. Auf Jezo selbst zählt Siebold 17 Kegelberge, von denen der größere Theil erloschene Vulkane zu sein scheint. Der Kiaka: von den Japanern Usuga-Take, d. i. Mörserberg, genannt, wegen eines tief eingesunkenen Kraters, und der Kajo-hori sollen beide noch entzündet sein. (Commod. Perry sah zwei Vulkane bei dem Hafen Endermo, lat. 42° 17', von der Vulkan-Bai aus.) Der hohe Manye (Krusenstern's Kegelberg Pallas) liegt mitten auf der Insel Jezo, ohngefähr in Br. 44°, etwas ost-nord-östlich von der Bai Strogonow.
399 »Die Geschichtsbücher von Japan erwähnen vor und seit unserer Zeitrechnung nur 6 thätige Vulkane, nämlich zwei auf der Insel Nippon und vier auf der Insel Kiusiu. Die Vulkane von Kiusiu, der Halbinsel Korea am nächsten, sind, in ihrer geographischen Lage von Süden nach Norden gerechnet: 1) der Vulkan Mitake auf dem Inselchen Sayura-Sima, in der nach Süden geöffneten Bai von Kagosima (Provinz Satsuma): Br. 31° 33', Lg. 128° 21'; 2) der Vulkan Kirisima im District Naka (Br. 31° 45'), Provinz Fiuga; 3) der Vulkan Aso jama im District Aso (Br. 32° 45'), Provinz Figo; 4) der Vulkan Wunzen auf der Halbinsel Simabara (Br. 32° 44'), im District Takaku. Seine Höhe beträgt nach einer barometrischen Messung nur 1253 Meter oder 3856 Pariser Fuß: er ist also kaum hundert Fuß höher als der Vesuv (Rocca del Palo). Die geschichtlich heftigste Eruption des Vulkans Wunzen war die vom Februar 1793. Wunzen und Aso jama liegen beide ost-süd-östlich von Nagasaki.«
»Die Vulkane der großen Insel Nippon sind, wieder von Süden nach Norden gezählt: 1) Vulkan Fusi jama, kaum 4 geogr. Meilen von der südlichen Küste entfernt, im District Fusi (Provinz Suruga; Br. 35° 8', Lg. 136° 15'). Seine Höhe: gemessen, wie der vorgenannte Vulkan Wunzen auf Kiusiu, von jungen durch Siebold ausgebildeten Japanern, erreicht 3793 Meter oder 11675 Par. Fuß; er ist also fast 300 Fuß höher als der Pic von Teneriffa, mit dem ihn schon Kämpfer vergleicht (Wilhelm Heine, Reise nach Japan 1856 Bd. II. S. 4). Die Erhebung dieses Kegelberges wird im fünften Regierungsjahre des VI. Mikado (286 Jahre vor unserer Zeitrechnung) mit diesen (geognostisch merkwürdigen) Worten beschrieben: »in der Landschaft Omi versinkt eine bedeutende 400 Strecke Landes, ein Binnensee bildet sich und der Vulkan Fusi kommt zum Vorschein.« Die geschichtlich bekanntesten, heftigsten Eruptionen aus den christlichen Jahrhunderten sind gewesen die von 799, 800, 863, 937, 1032, 1083 und 1707; seitdem ruht der Berg. 2) Vulkan Asama jama: der centralste der thätigen Vulkane im Inneren des Landes; 20 geogr. Meilen von der süd-süd-östlichen und 13 Meilen von der nord-nord-westlichen Küste entfernt, im District Saku (Provinz Sinano); Br. 36° 2', Lg. 136° 18': also zwischen den Meridianen der beiden Hauptstädte Mijako und Jedo. Bereits im Jahre 864 hatte, gleichzeitig mit dem Vulkan Fusi jama, der Asama jama einen Ausbruch. Besonders verheerend und heftig war der vom Monat Julius 1783. Seitdem bleibt der Asama jama in fortdauernder Thätigkeit.«
»Außer diesen Vulkanen wurden von europäischen Seefahrern noch zwei kleine Inseln mit rauchenden Kratern beobachtet, nämlich: 3) das Inselchen Iwôgasima oder Iwôsima (sima bedeutet Insel und iwô Schwefel; ga ist bloß ein Affixum des Nominativs), île du Volcan nach Krusenstern: im Süden von Kiusiu, in der Straße Van Diemen, unter 30° 43' N. B. und 127° 58' O. L.; nur 54 englische Meilen vom oben genannten Vulkan Mitake entfernt; Höhe des Vulkans 2220 Fuß (715m). Dieses Inselchen erwähnt bereits Linschoten im Jahr 1596, mit den Worten: »solches Eiland hat einen Vulkan, der ein Schwefel- oder feuriger Berg ist.« Auch findet es sich auf den ältesten holländischen Seekarten unter dem Namen Vulcanus (Fr. von Siebold, Atlas vom Jap. Reiche, Tab. XI). Krusenstern hat die Vulkan-Insel rauchen gesehn (1804); eben so Capt. Blake 1838, wie Guérin und de la Roche Poncié 1846. Höhe des Kegels nach dem letzteren 401 Seefahrer 2218 F. (715m). Das felsige Inselchen, dessen Landgrebe in der Naturgeschichte der Vulkane (Bd. I. S. 355) nach Kämpfer ohnweit Firato (Firando) als Vulkans erwähnt, ist unstreitig Iwôsima; denn die Gruppe, zu welcher Iwôsima gehört, heißt Kiusiu ku sima: d. i. die neun Inseln von Kiusiu, und nicht die 99 Inseln. Eine solche Gruppe giebt es bei Firato, nördlich von Nagasaki, und überhaupt in Japan nicht. 4) Die Insel Ohosima (Barneveld's Eiland, île de Vries nach Krusenstern); sie wird zur Provinz Idsu auf Nippon gerechnet und liegt vor der Bucht von Wodawara, unter 34° 42' N. B. und 137° 4' O. L. Broughton sah (1797) Rauch dem Krater entsteigen; vor kurzem hatte ein heftiger Ausbruch des Vulkans statt. Von dieser Insel zieht sich eine Reihe kleiner vulkanischer Eilande in südlicher Richtung bis Fatsi sjô (33° 6' N. B.) hin und setzt sich bis nach den Bonin-Inseln (26° 30' N. B. und 139° 45' O. L.) fort, welche nach A. Postels (Lutké, Voyage autour du monde dans les années 1826–29 T. III. p. 117) auch vulkanisch und sehr heftigen Erdbeben unterworfen sind.«
»Dies sind also die acht geschichtlich thätigen Vulkane im eigentlichen Japan, in und nahe den Inseln Kiusiu und Nippon. Außer diesen geschichtlich bekannten acht Vulkanen ist aber noch eine Reihe von Kegelbergen aufzuführen, von denen einige, durch sehr deutlich, oft tief eingeschnittene Krater ausgezeichnet, als längst erloschene Vulkane erscheinen: so der Kegelberg Kaimon, Krusenstern's Pic Horner, im südlichsten Theile der Insel Kiusiu: an der Küste der Straße Van Diemen, in der Provinz Satsum (Br. 31° 9', kaum 6 geogr. Meilen entfernt in SSW von dem thätigen Vulkan Mitake; so auf Sikok der Kofusi oder kleine Fusi; auf dem Inselchen 402 Kutsunasima (Provinz Ijo), Br. 33° 45', an der östlichen Küste der großen Straße Suwo Nada oder van der Capellen, welche die drei großen Theile des japanischen Reichs: Kiusiu, Sikok und Nippon, trennt. Auf dem letzten, der Hauptinsel, werden von Südwest nach Nordost neun solcher, wahrscheinlich trachytischer Kegelberge gezählt, unter welchen die merkwürdigsten sind: der Sira jama (weiße Berg) in der Provinz Kaga, Br. 36° 5': welcher, wie der Tsjo kaisan in der Provinz Dewa (Br. 39° 10'), für höher als der südliche, über 11600 Fuß hohe Vulkan Fusi jama geschätzt wird. Zwischen beiden liegt in der Provinz Jetsigo der Jaki jama (Flammenberg, in Br. 36° 53'). Die zwei nördlichsten Kegelberge an der Tsugar-Straße, im Angesicht der großen Insel Jezo, sind: 1) der Iwaki jama: welchen Krusenstern, der sich ein unsterbliches Verdienst um die Geographie von Japan erworben hat, den Pic Tilesius nennt (Br. 40° 42'); und 2) der Jake jama (brennende Berg, Br. 41° 20'), in Nambu, auf der nordöstlichsten Endspitze von Nippon, mit Feuerausbrüchen seit ältester Zeit.«
In dem continentalen Theile der nahen Halbinsel Korea oder Korai (sie verbindet sich unter den Parallelen von 34° und 34°½ fast mit Kiusiu durch die Eilande Tsu sima und Iki) sind, trotz ihrer Gestalt-Aehnlichkeit mit der Halbinsel Kamtschatka, bisher keine Vulkane bekannt geworden. Die vulkanische Thätigkeit scheint auf die nahe gelegenen Inseln eingeschränkt zu sein. So stieg im Jahr 1007 der Insel-Vulkan Tsinmura, den die Chinesen Tanlo nennen, aus dem Meere hervor. Ein Gelehrter, Tien-kong-tschi, wurde ausgesandt, um das Phänomen zu beschreiben und ein Bild davon anzufertigen.Vergl. die Uebersetzungen von Stanislas Julien aus der japanischen Encyclopädie in meiner Asie centr. T. II. p. 551. Es ist besonders die Insel Se-he-sure 403 (Quelpaerts der Holländer), auf welcher die Berge überall eine vulkanische Kegelform zeigen. Der Centralberg erreicht nach la Pérouse und Broughton 6000 Fuß Höhe. Wie viel Vulkanisches mag nicht noch in dem westlichen Archipel zu entdecken sein, wo der König der Koreer in seinem Titel sich König von 10000 Inseln nennt!
Von dem Pic Horner (Kaimon ga take) an der westlichen Südspitze von Kiusiu, im japanischen Drei-Inselreiche, zieht sich in einem Bogen, der gegen Westen geöffnet ist, eine kleine vulkanische Inselreihe hin, und begreift zwischen den Straßen Van Diemen und Colnett Jakuno sima und Tanega sima; dann südlich von der Straße Colnett in der Linschoten-GruppeVergl. Kaart van den Zuid- en Zuidwest-Kust van Japan door F. von Siebold 1851. von Siebold (Archipel Cecille des Cap. Guérin), welche sich bis zum Parallel von 29° erstreckt, die Insel Suwase sima, die Vulkan-Insel des Cap. Belcher (Br. 29° 39' und Lg. 127° 21'): in Höhe von 2630 F. (855m) nach de la Roche Poncié; dann Basil Hall's Schwefel-Insel (Sulphur Island), die Tori sima oder Vogel-Insel der Japaner, Lung-hoang-schan des Pater Gaubil: Br. 27° 51', Lg. 125° 54', nach der Bestimmung des Cap. de la Roche Poncié von 1848. Da sie auch Iwô sima genannt wird, so ist sie nicht mit der homonymen nördlicheren Insel in der Straße Van Diemen zu verwechseln. Die erstere ist von Basil Hall vortrefflich beschrieben worden. Zwischen 26° und 27° Breite folgen die Gruppe der Lieu-khieu- oder Lew-Chew-Inseln (von den Bewohnern Loo Choo genannt), von denen Klaproth bereits 1824 eine Specialkarte geliefert hat; und südwestlicher der kleine Archipel von Madschiko-sima, welcher sich an die große Insel Formosa anschließt und von mir als das Ende der ost-asiatischen Inseln 404 betrachtet wird. Nahe bei der östlichen Küste von Formosa (lat. 24°) ist vom Lieut. Boyle im October 1853 ein großer Vulkan-Ausbruch im Meere beobachtet worden (Commod. Perry, Exped. to Japan Vol. I. p. 500). In den Bonin-Inseln (Buna-Sima der Japaner, lat. 26°½ bis 27°¾, lg. 139° 55') hat Peel's Insel mehrere schwefel- und schlackenreiche, wie es scheint, vor nicht langer Zeit ausgebrannte Krater (Perry I. p. 200 und 209).
VI. Süd-asiatische Inseln.
Wir begreifen unter diese Abtheilung Formosa (Thay-wan), die Philippinen, die Sunda-Inseln und die Molukken. Die Vulkane von Formosa hat uns zuerst Klaproth nach chinesischen, immer so ausführlich naturbeschreibenden Quellen kennen gelehrt.Vergl. meine Fragmens de Géologie et de Climatologie asiatiques T. I. p. 82, die gleich nach meiner Rückkehr von der sibirischen Expedition erschienen sind, und die Asie centrale: in welcher ich die von Klaproth geäußerte Meinung, der ich früher selbst anhing und die den Zusammenhang der Schneeberge des Himalaya mit der chinesischen Provinz Yun-nan und als Nanling nordwestlich von Canton wahrscheinlich machte, widerlegt habe. Die über 11000 Fuß hohen Gebirge von Formosa gehören, wie der, Fu-kian westlich begrenzende Ta-ju-ling, zu dem System der Meridian-Spalten am oberen Assam im Lande der Birmanen und in der Gruppe der Philippinen. Es sind ihrer vier: unter denen der Tschy-kang (Rothberg), mit einem heißen Kratersee, große Feuerausbrüche gehabt hat. Die kleinen Baschi-Inseln und die Babuyanen, welche noch 1831 nach Meyen's Zeugniß einen heftigen Feuerausbruch erlitten, verbinden Formosa mit den Philippinen: von denen die zerstückelten und kleineren Inseln die vulkanreichsten sind. Leopold von Buch zählt auf ihnen 19 hohe isolirte Kegelberge: im Lande Volcanes genannt, aber wahrscheinlich theilweise geschlossene trachytische Dome. Dana glaubt, daß es im südlichen Luzon jetzt nur zwei entzündete Vulkane giebt: den Vulkan Taal, der sich in der Laguna de Bongbong erhebt; mit einem Circus, welcher wiederum eine Lagune einschließt (Kosmos Bd. IV. S. 287); und in dem südlichen Theile der Halbinsel Camarines den Vulkan Albay oder Mayon, welchen die Eingeborenen Isaroe nennen. 405 Letzterer (3000 F. hoch) hatte große Eruptionen in den Jahren 1800 und 1814. In dem nördlichen Theile von Luzon sind Granit und Glimmerschiefer, ja selbst Sediment-Formationen mit Steinkohlen verbreitet.Dana, Geology in der Explor. Exped. Vol. X. p. 540–545; Ernst Hofmann, geogn. Beob. auf der Reise von Otto v. Kotzebue S. 70; Léop. de Buch, description physique des Iles Canaries p. 435–439. Vergl. des Piloten Don Antonio Morati große, vortreffliche Karte der Islas Filipinas (Madrid 1852) in zwei Blättern.
Die langgedehnte Gruppe der Sulu- (Solo-) Inseln (wohl 100 an der Zahl), verbindend Mindanao und Borneo, ist theils vulkanisch, theils von Corallenriffen durchzogen. Isolirte ungeöffnete, trachytische, kegelförmige Pics werden freilich von den Spaniern oft Volcanes genannt.
Wenn man alles, was im Süden vom fünften nördlichen Breitengrade (im Süden von den Philippinen) zwischen den Meridianen der Nicobaren und des Nordwestens von Neu-Guinea liegt: also die großen und kleinen Sunda-Inseln und die Molukken, streng durchmustert; so findet man als Resultat der großen Arbeit des Dr. Junghuhn »in einem Kranz von Inseln, welche das fast continentale Borneo umgeben, 109 hohe feuerspeiende Berge und 10 Schlamm-Vulkane.« Dies ist nicht eine ohngefähre Schätzung, sondern eine wirkliche Aufzählung.
Borneo, die Giava maggiore des Marco PoloMarco Polo unterscheidet (Parte III cap. 5 und 8) Giava minore (Sumatra): wo er sich 5 Monate aufhielt und den, in Java fehlenden Elephanten beschreibt (Humboldt, Examen crit. de l'hist. de la Géogr. T. II. p. 218), von der früher beschriebenen Giava (maggiore): la quale, secondo dicono i marinai, che bene lo sanno, è l'isole più grande che sia al mondo. Diese Behauptung ist heute noch wahr. Nach den Umrissen der Karte von Borneo und Celebes von James Brooke und Cap. Rodney Mundy finde ich das Areal von Borneo 12920 geographische Quadratmeilen: nahe gleich dem von der Insel Neu-Guinea, aber nur 1/10 des Continents von Neu-Holland. Marco Polo's Nachricht von dem »vielen Golde und den großen Reichthümern, welche die mercanti di Zaiton e del Mangi« von dort ausführen, beweist, daß er (wie auch noch Martin Behaim auf dem Nürnberger Globus von 1492 und Johann Ruysch in der, für die Entdeckungsgeschichte von Amerika so wichtigen, römischen Ausgabe des Ptolemäus von 1508 thun) unter Java major Borneo versteht., bietet bis jetzt noch keine sichere Kunde von einem thätigen Vulkane dar; aber freilich sind auch nur schmale Streifen des Littorals (an der Nordwest-Seite bis zur kleinen Küsten-Insel Labuan und bis zum Cap Balambangan; an der Westküste am Ausfluß des Pontianak; an der südöstlichen Spitze im District Banjermas-Sing wegen der Gold-, Diamant- und Platina-Wäschen) bekannt. Man glaubt auch nicht, daß der höchste Berg der ganzen Insel, vielleicht der ganzen süd-asiatischen Inselwelt, der zweigipflige Kina Bailu an der Nordspitze, nur acht geogr. Meilen von der Piraten-Küste entfernt, ein 406 Vulkan sei. Cap. Belcher findet ihn 12850 Pariser Fuß hoch, also fast noch 4000 Fuß höher als den Gunung Pasaman (Ophir) von Sumatra.Cap. Mundy's Karte (Coast of Borneo proper 1847) giebt gar 14000 engl. Fuß (13135 Par. F.) an. Zweifel gegen diese Angabe s. in Junghuhn's Java Abth. II. S. 850. Der Coloß Kina Bailu ist kein Kegelberg; seiner Gestalt nach gleicht er vielmehr den, unter allen Breiten vorkommenden Basaltbergen, die einen langen Rücken mit zwei Endkuppen bilden. Dagegen nennt Rajah Brooke in der Provinz Sarawak einen viel niedrigeren Berg, dessen Name Gunung Api (Feuerberg im Malayischen) wie seine umherliegenden Schlacken auf eine ehemalige vulkanische Thätigkeit schließen lassen. Große Niederlagen von Goldsand zwischen quarzigen Gangstücken, das viele Waschzinn der Flüsse an entgegengesetzten Ufern, der feldspath-reiche PorphyrBrooke's Borneo and Celebes Vol. II. p. 382, 384 und 386. von den Sarambo-Bergen deuten auf eine große Verbreitung sogenannter Ur- und Uebergangs-Gebirge. Nach den einzigen sicheren Bestimmungen, welche wir von einem Geologen besitzen (von dem Dr. Ludwig Horner, Sohn des verdienstvollen Züricher Astronomen und Weltumseglers), werden im südöstlichen Theile von Borneo in mehreren schwunghaft bearbeiteten Wäschen vereint, ganz wie am sibirischen Ural: Gold, Diamanten, Platina, Osmium und Iridium (doch bisher nicht Palladium) gefunden. Formationen von Serpentin, Gabbro und Syenit gehören in großer Nähe einer 3200 Fuß hohen Gebirgskette, der der Ratuhs-Berge, an.Horner in den Verhandelingen van het Bataviaasch Genootschap van kunsten en wegtenschappen Deel XVII. (1839) p. 284; Asie centrale T. III. p. 534–537.
Von den übrigen drei großen Sunda-Inseln werden nach Junghuhn der noch jetzt thätigen Vulkane auf Sumatra 6 bis 7, auf Java 20 bis 23, auf Celebes 11; auf Flores 6 gezählt. Von den Vulkanen der Insel Java haben wir schon oben (Kosmos Bd. IV. S. 324–332) umständlich gehandelt. In dem noch nicht ganz durchforschten Sumatra sind unter 19 Kegelbergen von vulkanischem Ansehen sechs thätig.Junghuhn, Java Abth. II. S. 809 (Battaländer Bd. I. S. 39). Als solche sind erkannt: der Gunung Indrapura, ohngefähr 11500 Fuß hoch, nach zur See gemessenen Höhenwinkeln, und vielleicht von gleicher Höhe als der genauer gemessene 407 Semeru oder Maha-Meru auf Java; der vom Dr. L. Horner erstiegene Gunung Pasaman, auch Ophir genannt (9010 F.), mit einem fast erloschenen Krater; der schwefelreiche Gunung Salasi, mit Schlacken-Auswürfen in den Jahren 1833 und 1845; Gunung Merapi (8980 F.): ebenfalls vom Dr. L. Horner, in Begleitung des Dr. Korthals, im Jahr 1834 erstiegen, der thätigste aller Vulkane Sumatra's und nicht mit den zwei gleichnamigen von JavaKosmos Bd. IV. S. 559 Anm. 2107. zu verwechseln; Gunung Ipu, ein abgestumpfter, rauchender Kegel; Gunung Dempo im Binnenlande von Benkulen, zu zehntausend Fuß Höhe geschätzt.
So wie vier Inselchen als Trachytkegel, unter denen der Pic Rekata und Panahitam (die Prinzen-Insel) die höchsten sind, in der Sunda-Straße aufsteigen und die Vulkan-Reihe von Sumatra mit der gedrängten Reihe von Java verbinden; so schließt sich das östliche Ende Java's mit seinem Vulkan Idjen durch die thätigen Vulkane Gunung Batur und Gunung Agung auf der nahen Insel Bali an die lange Kette der Kleinen Sunda-Inseln an. In dieser folgen östlich von Bali der rauchende, nach der trigonometrischen Messung des Herrn Melville de Carnbee 11600 F. hohe Vulkan Rindjani auf der Insel Lombok; der Temboro (5500 F.) auf Sumbawa oder Sambawa: dessen die Luft verfinsternder Aschen- und Bimsstein-Ausbruch (April 1815) zu den größten gehört, deren Andenken die Geschichte aufbewahrt hat;Java Abth. II. S. 818–828. sechs zum Theil noch rauchende Kegelberge auf Flores . . .
Die große, vielarmige Insel Celebes enthält sechs Vulkane, die noch nicht alle erloschen sind; sie liegen vereinigt auf der nordöstlichen schmalen Halbinsel Menado. Neben ihnen sprudeln siedend heiße Schwefelquellen: in deren eine, nahe dem 408 Wege von Sonder nach Lamovang, ein viel gewanderter und frei beobachtender Reisender, mein piemontesischer Freund, der Graf Carlo Vidua, einsank und an Brandwunden, welche der Schlamm erzeugte, den Tod fand. Wie in den Molukken die kleine Insel Banda aus dem, von 1586 bis 1824 thätigen, kaum 1700 F. Höhe erreichenden Vulkan Gunung Api; so besteht die größere Insel Ternate auch nur aus einem einzigen, an 5400 F. hohen Kegelberge, Gunung Gama Lama: dessen heftige Ausbrüche von 1838 bis 1849 (nach mehr als anderthalb-hundertjähriger gänzlicher Ruhe) zu zehn verschiedenen Epochen beschrieben worden sind. Nach Junghuhn ergoß sich bei der Eruption vom 3 Februar 1840 aus einer Spalte nahe bei dem Fort Toluko ein Lavastrom, der bis zum Gestade herabfloßA. a. O. S. 840–842.: »sei es, daß die Lava eine zusammenhangende, ganz geschmolzene Masse bildete; oder sich in glühenden Bruchstücken ergoß, welche herabrollten und durch den Druck der darauffolgenden Massen über die Ebene hingeschoben wurden.« Wenn zu den hier einzeln genannten wichtigeren vulkanischen Kegelbergen die vielen sehr kleinen Insel-Vulkane zugefügt werden, deren hier nicht Erwähnung geschehen konnte; so steigtA. a. O. S. 853., wie schon oben erinnert worden ist, die Schätzung aller südlich von dem Parallel des Caps Serangani auf Mindanao, einer der Philippinen, und zwischen den Meridianen des Nordwest-Caps von Neu-Guinea in Osten und der Nicobaren- und Andaman-Gruppe in Westen gelegenen Feuerberge auf die große Zahl von 109. Diese Schätzung ist in dem Sinne gemacht, als »aus Java 45, meist kegelförmige und mit Kratern versehene Vulkane aufgezählt werden.« Von diesen sind aber nur 21, von der ganzen Summe der 109 etwa 42 bis 45, als jetzt oder in historischen Zeiten thätige erkannt. Der mächtige Pic von 409 Timor diente einst den Seefahrern zum Leuchtthurme, wie Stromboli. Auf der kleinen Insel Pulu Batu (auch P. Komba genannt), etwas nördlich von Flores, sah man 1850 einen Vulkan glühende Lava bis an den Meeresstrand ergießen; eben so früher (1812) und ganz neuerlich, im Frühjahr 1856, den Pic auf der größeren Sangir-Insel zwischen Magindanao und Celebes. Ob auf Amboina der berufene Kegelberg Wawani oder Ateti mehr als heißen Schlamm 1674 ergossen habe, bezweifelt Junghuhn, und schreibt gegenwärtig die Insel nur den Solfataren zu. Die große Gruppe der süd-asiatischen Inseln hängt durch die Abtheilung der westlichen Sunda-Inseln mit den Nicobaren und Andamanen des indischen Oceans; durch die Abtheilung der Molukken und Philippinen mit den Papuas, Pelew-Inseln und Carolinen der Südsee zusammen. Wir lassen aber hier zuerst die minder zahlreichen und zerstreuteren Gruppen des indischen Oceans folgen.
VII. Der indische Ocean.
Er begreift den Raum zwischen der Westküste der Halbinsel Malacca oder der Birmanen bis zur Ostküste von Afrika, also in seinem nördlichen Theile den bengalischen Meerbusen und das arabische und äthiopische Meer einschließend. Wir folgen der vulkanischen Thätigkeit des indischen Oceans in der Richtung von Nordost nach Südwest.
Barren Island (die Wüste Insel) in dem bengalischen Meerbusen, etwas östlich von der großen Andamans-Insel (Br. 12° 15'), wird mit Recht ein thätiger Ausbruch-Kegel genannt, der aus einem Erhebungs-Krater hervorragt. Das Meer dringt durch eine schmale Oeffnung ein und füllt 410 ein inneres Becken. Die Erscheinung dieser, von Horsburgh 1791 aufgefundenen Insel ist überaus lehrreich für die Bildungs-Theorie vulkanischer Gerüste. Man sieht hier vollendet und permanent, was in Santorin und an anderen Punkten der Erde die Natur nur vorübergehend darbietet.Leopold von Buch in den Abhandlungen der Akademie der Wiss. zu Berlin auf das J. 1818 und 1819 S. 62; Lyell, Principles of Geology (1853) p. 447: wo eine schöne Abbildung und Projection des Vulkans gegeben ist. Die Ausbrüche im November 1803 waren, wie die des Sangay in den Cordilleren von Quito, sehr bestimmt periodisch, mit Intervallen von 10 Minuten; Leop. von Buch in den Abhandl. der Berl. Akademie aus den J. 1818–1819 S. 62.
Die Insel Narcondam (Br. 13° 24'), nördlich von Barren Island, hat auch in früheren Zeiten vulkanische Thätigkeit gezeigt: eben so wie noch nördlicher und der Küste von Arracan nahe (10° 52') der Kegelberg der Insel Cheduba (Silliman's American Journal Vol. 38 p. 385).
Der thätigste Vulkan, nach der Häufigkeit des Lava-Ergusses gerechnet: nicht bloß in dem indischen Ocean, sondern fast in der ganzen Süd-Hemisphäre zwischen den Meridianen der Westküste von Neu-Holland und der Ostküste von Amerika, ist der Vulkan der Insel Bourbon in der Gruppe der Mascareignes. Der größere, besonders der westliche und innere Theil der Insel ist basaltisch. Neuere olivinarme Basaltgänge durchsetzen das ältere, olivinreiche Gestein: auch Schichten von Ligniten sind in Basalt eingeschlossen. Die Culminationspunkte der Gebirgsinsel sind le Gros Morne und les trois Salazes, deren Höhe la Caille zu 10000 Fuß überschätzte. Die vulkanische Thätigkeit ist jetzt auf den südöstlichen Theil, le Grand Pays brûlé, eingeschränkt. Der Gipfel des Vulkans von Bourbon: welcher fast jedes Jahr nach Hubert zwei, oft das Meer erreichende Lavaströme giebt, hat nach der Messung von Berth 7507 Fuß Höhe.Bory de St. Vincent, Voyage aux quatre Iles d'Afrique T. II. p. 429. Er zeigt viele Ausbruch-Kegel, denen 411 man besondere Namen gegeben hat und die abwechselnd speien. Die Ausbrüche am Gipfel sind selten. Die Laven enthalten glasigen Feldspath, und sind daher mehr trachytisch als basaltisch. Der Aschenregen enthält oft Olivin in langen und feinen Fäden: ein Phänomen, das sich am Vulkan von Owaihi wiederholt. Ein starker, die ganze Insel Bourbon bedeckender Ausbruch solcher Glasfäden ereignete sich im Jahr 1821.
Von der nahen und großen Terra incognita, Madagascar, sind nur bekannt die weite Verbreitung des Bimssteins bei Tintingue, der französischen Insel Sainte Marie gegenüber: und das Vorkommen des Basalts südlich von der Bai von Diego Suarez, nahe bei dem nördlichsten Cap d'Ambre, umgeben von Granit und Gneiß. Der südliche Central-Rücken der Ambohistmene-Berge wird (wohl sehr ungewiß) auf 10000 Fuß geschätzt. Westlich von Madagascar, im nördlichen Ausgange des Canals von Mozambique, hat die größte der Comoro-Inseln einen brennenden Vulkan (Darwin, Coral Reefs p. 122).
Die kleine vulkanische Insel St. Paul (38° 38'), südlich von Amsterdam, wird vulkanisch genannt nicht bloß wegen ihrer Gestaltung: welche an die von Santorin, Barren Island und Deception Island in der Gruppe der New-Shetland-Inseln lebhaft erinnert; sondern auch wegen der mehrfach beobachteten Feuer- und Dampf-Eruptionen in der neueren Zeit. Die sehr charakteristische Abbildung, welche Valentyn in seinem Werke über die Banda-Inseln bei Gelegenheit der Expedition des Willem de Vlaming (Nov. 1696) giebt, stimmt vollkommen, wie die Breiten-Angabe, mit den Abbildungen im Atlas der Expedition von Macartney und der Aufnahme von Capt. Blackwood (1842) überein. Die kraterförmige, fast eine englische Meile weite, runde Bai ist von nach innen senkrecht 412 abgestürzten Felsen überall umgeben, mit Ausnahme einer schmalen Oeffnung, durch welche das Meer bei Fluthzeit eintritt. Die die Kraterränder bildenden Felsen fallen nach außen sanft und niedrig ab.Valentyn, Beschryving van Oud en Nieuw Oost-Indiën Deel III. (1726) p. 70: Het Eyland St. Paulo. (Vergl. Lyell, Princ. of Geol. p. 446.)
Die 50 Minuten nördlicher gelegene Insel Amsterdam (37° 48Ä) besteht nach Valentyn's Abbildung aus einem einzigen, waldreichen, etwas abgerundeten Berge: auf dessen höchstem Rücken sich ein kleiner cubischer Fels, fast wie auf dem Cofre de Perote im mexicanischen Hochlande, erhebt. Während der Expedition von d'Entrecasteaux (März 1792) wurde die Insel zwei Tage lang ganz in Flammen und Rauch gehüllt gesehen. Der Geruch des Rauchs schien auf einen Wald- und Erdbrand zu deuten, man glaubte freilich hier und da auch Dampfsäulen aus dem Boden nahe dem Ufer aufsteigen zu sehen; doch waren die Naturforscher, welche die Expedition begleiteten, schließlich der Meinung, daß das räthselhafte Phänomen wenigstens nicht dem Ausbruch»Nous n'avons pu former«, sagt d'Entrecasteaux, »aucune conjecture sur la cause de l'incendie de l'Ile d'Amsterdam. L'île étoit embrasée dans toute son étendue, et nous avons bien distinctement reconnu l'odeur de bois et de terre brûlés. Nous n'avons rien senti qui pût faire présumer que l'embrasement fût l'effet d'un volcan« (T. I. p. 45). »Cependant« heißt es einmal früher (p. 43), »l'on a remarqué le long de la côte que nous avons suivie, et d'où la flamme étoit assez éloignée, de petites bouffées de fumée qui sembloient sortir de la terre comme par jets; on n'a pu néanmoins distinguer la moindre trace de feu tout autour, quoique nous fussions très-près de la terre. Ces jets de fumée se montrant par intervalles ont paru à MM. les naturalistes être des indices presque assurés de feux souterrains.« Soll man hier auf Erdbrände; auf Entzündung von Ligniten schließen: deren Schichten, von Basalt und Tuff bedeckt, auf vulkanischen Inseln (Bourbon, Kerguelen-Land und Island) so häufig vorkommen? Der Surtabrand auf der letztgenannten Insel hat seinen Namen nach scandinavischen Mythen von dem, den Weltbrand verursachenden Feuer-Riesen Surtr. Aber die Erdbrände selbst verursachen gewöhnlich keine Flammen. – Da in neuerer Zeit die Namen der Inseln Amsterdam und St. Paul leider auf Karten oft verwechselt worden sind; so ist: damit, bei ihrer sehr verschiedenen Gestaltung, nicht der einen zugeschrieben werde, was auf der anderen beobachtet wird, hier im allgemeinen zu bemerken, daß von den fast unter einem und demselben Meridian liegenden 2 Inseln ursprünglich (schon am Ende des 17ten Jahrhunderts) die südliche St. Paul, die nördliche Amsterdam benannt wurde. Der Entdecker Vlaming gab der ersteren die Breite von 38° 40', der zweiten 37° 48', im Süden des Aequators. Diese Benennung und Ortsbestimmungen kommen merkwürdig mit dem überein, was ein Jahrhundert später d'Entrecasteaux auf der Expedition zur Aufsuchung von la Pérouse gefunden hat (Voyage T. I. p. 43–45): nämlich für Amsterdam nach Beautemps-Beaupré 37° 47' 46" (long. 75° 51'), für St. Paul 38° 38'. Eine so große Uebereinstimmung muß für Zufall gelten, da die Beobachtungsörter gewiß nicht ganz dieselben waren. Dagegen hat Capt. Blackwood auf seiner Admiralitäts-Karte von 1842 für St. Paul 38° 44' und long. 75° 17'. Auf den Karten, welche der Original-Ausgabe der Reisen des unsterblichen Weltumseglers Cook beigegeben worden sind: z. B. der der ersten und zweiten Expedition (Voyage to the South Pole and round the World, Lond. 1777 p. 1), wie der dritten und letzten Reise (Voyage to the Pacific Ocean, published by the Admiralty, Lond. 1784, in 2d ed. 1785), ja selbst aller drei Expeditionen (A general Chart, exhibiting the discoveries of Capt. Cook in this 3d and two preceeding voyages, by Lieut. Henry Roberts); ist die Insel St. Paul sehr richtig als die südlichere angegeben: aber in dem Texte der Reise von d'Entrecasteaux (T. I. p. 44) wird tadelnd erwähnt (ob mit Recht, bleibt mir bei vielem Nachsuchen der Ausgaben auf den Bibliotheken von Paris, Berlin und Göttingen mehr als zweifelhaft), »daß auf der Special-Karte der letzten Cook'schen Expedition die Insel Amsterdam südlicher als St. Paul gesetzt sei«. Wenn eine eben solche Umkehrung der Benennungen im ersten Drittel des jetzigen Jahrhunderts, z. B. auf den älteren verdienstlichen Weltkarten von Arrowsmith und Purdy (1833), ganz gegen den ursprünglichen Willen des Entdeckers, Willem de Vlaming, häufig ist; so haben wohl mehr noch als eine Special-Karte von Cook's dritter Reise dazu gewirkt: 1) die Willkühr auf den Karten von Cox und Mortimer; 2) der Umstand, daß in dem Atlas der Reise von Lord Macartney nach China die schön und rauchend abgebildete vulkanische Insel zwar sehr richtig St. Paul, unter lat. 38° 42', genannt wird, aber mit dem bösen Beisatz: »commonly called Amsterdam«; und daß, was noch schlimmer ist, in der Reisebeschreibung selbst Staunton und Dr. Gillan dies »Island still in a state of inflammation« immerfort Amsterdam nennen, ja sogar p. 226 hinzusetzen (nachdem sie p. 219 die wahre Breite gegeben), »that St. Paul is lying to the northward of Amsterdam«; 3) die gleiche Verwechselung der Namen durch Barrow (Voyage to Cochinchina in the years 1792 and 1793 p. 140–157): der die Rauch und Flammen gebende, südlichere Insel, welcher er ebenfalls die Breite von 38° 42' beilegt, auch Amsterdam nennt. Malte-Brun (précis de la Geographie universelle T. V. 1817 p. 146) beschuldigt Barrow mit Recht, aber sehr irrig Mr. de Rossel und Beautemps-Beaupré. Die Letzeren beiden geben der Insel Amsterdam, die sie allein abbilden, 37° 47', der Insel St. Paul, weil sie 50' südlicher liegt, 38° 38' (Voy. de Dentrecasteaux 1808 T. I. p. 40–46); und zum Beweise, daß die Abbildung die wahre Insel Amsterdam von Willem de Vlaming vorstellt, fügt Beautemps-Beaupré in seinem Atlas die Copie des viel bewaldeten Amsterdam aus Valentyn hinzu. Weil der berühmte Seefahrer Abel Tasman 1642 neben Middelburg, in der Tonga-Gruppe, die Insel Tonga Tabu Amsterdam genannt hat (Burney, chronological history of the Voyages and Discoveries in the South-Sea or Pacific Ocean Part III. p. 81 und 437), in lat. 21°½; so ist wieder aus Mißverständniß bisweilen Tasman als Entdecker von Amsterdam und St. Paul im indischen Ocean aufgeführt worden; s. Leidenfrost, histor. Handwörterbuch Bd. V. S. 310. des hohen Berges, als eines Vulkans, zuzuschreiben sei. Als sichrere Zeugen älterer und ächt vulkanischer Thätigkeit auf der Insel Amsterdam dürfte man wohl eher die Schichten von Bimsstein (uitgebranden puimsteen) anführen, deren schon Valentyn nach Vlaming's Schiffsjournal von 1696 erwähnt.
In Südost der Endspitze von Afrika liegen Marion's oder Prinz Eduard's Insel (47° 2') und Possession Island (46° 28' Br. und 49° 36' Lg.), zur Crozet-Gruppe gehörig. Beide zeigen Spuren ehemaliger vulkanischer Thätigkeit: kleine conische HügelSir James Roß, Voyage in the southern and antarctic regions Vol. I. p. 46 und 50–56., mit Ausbruch-Oeffnungen von säulenförmigem Basalt umgeben.
Oestlich, fast in derselben Breite, folgt Kerguelen's Insel (Cook's Island of Desolation): deren erste geologische 413 Beschreibung wir ebenfalls der folgereichen, glücklichen Expedition von Sir James Roß verdanken. Bei dem von Cook benannten Christmas Harbour (Br. 48° 41', Lg. 66° 42') umwickeln Basaltlaven, mehrere Fuß dicke, fossile Holzstämme; dort bewundert man auch den malerischen Arched Rock, eine natürliche Durchfahrts-Oeffnung in einer schmalen vortretenden Basaltmauer. In der Nähe befinden sich: Kegelberge, deren höchste zu 2500 Fuß ansteigen, mit ausgebrannten Kratern; Grünstein- und Porphyr-Massen, von Basaltgängen durchsetzt; Mandelstein mit Quarzdrusen, bei Cumberland Bay. Am merkwürdigsten sind die vielen Kohlenschichten, von Trappfels (Dolerit wie am hessischen Meißner?) bedeckt, im Ausgehenden von der Dicke weniger Zolle bis vier Fuß Mächtigkeit.A. a. O. p. 63–82.
Wenn man einen allgemeinen Blick auf das Gebiet des indischen Oceans wirft, so sieht man die in Sumatra nordwestlich gekrümmte Extremität der Sunda-Reihe sich verlängern durch die Nicobaren, die großen und kleinen Andamanen; und die Vulkane von Barren Island, Narcondam und Cheduba fast parallel der Küste von Malacca und Tanasserim in den östlichen Theil des Meerbusens von Bengalen eintreten. Längs den Küsten von Orissa und Coromandel ist der westliche Theil des Busens inselfrei: denn das große Ceylon hat, wie Madagascar, einen mehr continentalen Charakter. Dem jenseitigen Littoral der vor der indischen Halbinsel (der Hochebene von Nil-Gerri, und den Küsten von Canara und Malabar) gegenüber schließt von 14° nördlicher bis 8° südlicher Breite eine nord-südlich gerichtete Reihe von drei Archipelen (der Lakediven, Maldiven und Chagos) sich durch die Bänke von Sahia de Malha und Cargados Carajos an die vulkanische Gruppe der Mascareignes und an Madagascar 414 an: alles, so weit es sichtbar, Gebäude von Corallen-Polypen, wahre Atolls oder Lagunen-Riffe: nach Darwin's geistreichen Vermuthungen, daß hier ein weiter Raum des Meergrundes nicht eine Erhebungs-, sondern eine Senkungs-Fläche (area of subsidence) bildet.
VIII. Die Südsee.
Wenn man den Theil der Erdoberfläche, welcher gegenwärtig von Wasser bedeckt ist, mit dem Areal des Festen vergleicht (ohngefährResultat der Abwägungen vom Prof. Rigaud zu Oxford nach Halley's altem Vorschlage; s. meine Asie centrale T. I. p. 189. im Verhältniß von 2,7 zu 1), so erstaunt man in geologischer Hinsicht über die Seltenheit der heute noch thätig gebliebenen Vulkane in der oceanischen Region. Die Südsee, deren Oberfläche beinahe um 1/6 größer ist als die Oberfläche aller Festen unseres Planeten: die Südsee, welche in der Aequinoctial-Region von dem Archipel der Galapagos bis zu den Pelew-Inseln eine Breite von nahe an 2/5 des ganzen Erdumkreises hat: zeigt weniger rauchende Vulkane, weniger Oeffnungen, durch welche das Innere des Planeten noch mit seiner Luft-Umhüllung in thätigem Verkehr steht, als die einzige Insel Java. Der Geologe der großen amerikanischen Exploring Expedition (1838–1842) unter dem Befehle von Charles Wilkes, der geistreiche James Dana, hat das unverkennbare Verdienst, sich auf seine eigenen Erforschungen und die fleißige Zusammenstellung aller sicheren älteren Beobachtungen gründend: zuerst durch Verallgemeinerung der Ansichten über Gestaltung, Vertheilung und Achsenrichtung der Inselgruppen: über Charakter der Gebirgsarten, Perioden der Senkung und Erhebung großer Strecken des Meeresbodens ein neues Licht über die Inselwelt der Südsee verbreitet zu haben. Wenn 415 ich aus seinem Werke und aus den vortrefflichen Arbeiten von Charles Darwin, dem Geologen der Expedition des Cap. Fitzroy (1832–1836), schöpfe, ohne sie jedesmal einzeln zu nennen; so kann bei der hohen Achtung, welche ich ihnen seit so vielen Jahren zolle, dies hier nicht gemißdeutet werden.
Ich vermeide gern die so willkührlichen und nach ganz verschiedenen Grundsätzen der Vielheit und Größe, oder der Hautfarbe und Abstammung der Bewohner geschaffenen Abtheilungen: Polynésie, Micronésie, Melanésie und MalaisieD'Urville, Voy. de la Corvette l'Astrolabe 1826–1829 Atlas Pl. I: 1) Die Polynésie soll enthalten den östlichen Theil der Südsee (die Sandwich-Inseln, Tahiti und den Tonga-Archipel; aber auch Neu-Seeland); 2) Micronésie und Melanésie bilden den westlichen Theil der Südsee; die erstere erstreckt sich von Kauai, der westlichsten Insel der Sandwich-Gruppe, bis nahe an Japan und die Philippinen, und reicht südlich bis an den Aequator: begreifend die Marianen (Ladronen), Carolinen und Pelew-Inseln; 3) Melanésie (wegen der dunkellockigen Menschenrace), in Nordwest an die Malaisie grenzend, umfaßt die kleinen Archipele von Viti oder Fidji, der Neuen Hebriden und Salomons-Inseln; ferner die größeren Inseln Neu-Caledonien, Neu-Britannien, Neu-Irland und Neu-Guinea. Die, oft geographisch so widersprechend angewandten Namen Océanie und Polynésie sind von Malte-Brun (1813) und von Lesson (1828) eingeführt.; und beginne die Aufzählung der noch thätigen Vulkane der Südsee mit denen, welche nördlich vom Aequator liegen. Ich gehe später in der Richtung von Osten nach Westen zu den zwischen dem Aequator und dem Parallel von 30° südl. Breite liegenden Inseln über. Die vielen Basalt- und Trachyt-Inselchen, mit ihren zahllosen, zu ungleicher Zeit einst eruptiven Kratern, dürfen allerdings nicht ordnungslos zerstreut»The epithet scattered as applied to the islands of the Ocean (in the arrangement of the groups) conveys a very incorrect idea of their positions. There is a system in their arrangement as regular as in the mountain heights of a continent, and ranges of elevations are indicated, as grand and extensive, as any continent presents.« Geology by I. Dana, or United States' Exploring Exped. under the command of Charles Wilkes Vol. X., (1849) p. 12. Dana zählt in der ganzen Südsee, kleine Klippen-Inseln abgerechnet, auf 350 basaltische oder trachytische und 290 Corallen-Inseln. Er theilt sie in 25 Gruppen, von denen 19 im Mittel die Achsenrichtung N 50°–60° W und 6 die Achsenrichtung N 20°–30° O haben. Ueberaus auffallend ist, daß diese Zahl von Inseln alle, wenige Ausnahmen (wie die Sandwich-Gruppe und Neu-Seeland) abgerechnet, zwischen 23° 28' nördlicher und südlicher Breite liegen, und daß ein so ungeheurer inselleerer Raum östlich von der Sandwich- und der Nukahiva-Gruppe bis zu den amerikanischen Küsten von Mexico und Peru übrig bleibt. Dana fügt zugleich die Betrachtung hinzu, welche mit der so unbedeutend kleinen Zahl jetzt thätiger Vulkane contrastirt: daß, wenn wahrscheinlicherweise die Corallen-Eilande da, wo sie zwischen ganz basaltischen Inseln liegen, ebenfalls ein basaltisches Fundament haben, die Zahl der unter- und überseeischen Vulkan-Oeffnungen (submariner und subaërialer) auf mehr denn tausend angeschlagen werden kann (p. 17 und 24). genannt werden. Man erkennt bei der größeren Zahl, daß ihre Erhebung auf weit ausgedehnten Spalten und unterseeischen Gebirgszügen geschah, die regions- und gruppenweise bestimmten Richtungen folgen und, ganz wie wir bei den continentalen Gebirgszügen von Inner-Asien und vom Caucasus erkennen, zu verschiedenen Systemen gehören; aber die Raumverhältnisse der Oeffnungen, welche zu einer bestimmten Epoche sich noch gleichzeitig thätig zeigen, hangen bei ihrer so überaus geringen Zahl wahrscheinlich von den sehr localen Störungen ab, welche die zuführenden Spalten erleiden. Linien, die man versuchen könnte durch drei, jetzt gleichzeitig thätige Vulkane zu legen, deren gegenseitige Entfernung zwischen 600 und 750 geographische Meilen beträgt, ohne eruptive Zwischenglieder (ich bezeichne drei gegenwärtig zugleich entzündete Vulkane: 416 Mauna Loa mit Kilauea an seinem östlichen Abhange, den Kegelberg von Tanna in den Neuen Hebriden, und Assumption in den nördlichen Ladronen); würden uns über nichts belehren können, was im allgemeinen mit der Genesis der Vulkane im Becken der Südsee zusammenhängt. Anders ist es, wenn man sich auf einzelne Inselgruppen beschränkt und sich in die, vielleicht vorhistorischen Epochen versetzt, wo die vielen, jetzt erloschenen, an einander gereihten Krater der Ladronen (Marianen), der Neuen Hebriden und der Salomons-Inseln thätig waren: aber dann gewiß nicht in einer Richtung von Südost nach Nordwest oder von Norden nach Süden allmälig erloschen. Ich nenne hier vulkanische Inselreihen des hohen Meeres, denen aber auch analog sind die Aleuten und andere wahre Küsten-Inseln. Allgemeine Schlüsse über die Richtung eines Erkaltungsprocesses sind täuschend, weil die freie oder gestörte Zuleitung temporär darauf einwirkt.
Mauna Loa* (nach englischer Schreibart Mouna Loa): durch die genaue MessungVergl. Kosmos Bd. IV. S. 292 und 526 Anm. 2056. der amerikanischen Exploring Expedition von Cap. Wilkes 12909 F. hoch befunden, also 1500 Fuß höher als der Pic von Teneriffa, ist der mächtigste Vulkan der Südsee-Inseln und der einzige jetzt noch recht thätige in dem ganz vulkanischen Archipelagus der Hawaii- oder Sandwich-Inseln. Die Gipfel-Krater, von denen der größere über 12000 F. Durchmesser hat, zeigen im gewöhnlichen Zustande einen festen, von erkalteter Lava und Schlacken gebildeten Boden, aus welchem kleine dampfende Auswurfs-Kegel aufsteigen. Die Gipfel-Oeffnungen sind im ganzen wenig thätig; doch haben sie im Juni 1832 und im Januar 1843 viele Wochen lang dauernde Eruptionen gegeben, ja Lavaströme von 5 bis 7 geogr. Meilen Länge, den Fuß des Mauna Kea erreichend. Das Gefälle 417 (die Inclination) des, ganz zusammenhangenden, fließenden StromsDana, Geology of the U. St. Exploring Expedition p. 208 und 210. war meist 6°, oft 10°–15°, ja selbst 25°. Sehr merkwürdig ist die Gestaltung des Mauna Loa dadurch, daß der Vulkan keinen Aschenkegel hat: wie der Pic von Teneriffa, wie Cotopaxi und so viele andere Vulkane; auch daß Bimsstein fast ganz fehltDana p. 193 und 201. Die Abwesenheit von Aschenkegeln ist auch sehr merkwürdig in den Lavaströme ergießenden Vulkanen der Eifel. Daß es aber aus dem Gipfel-Krater des Mauna Loa auch Aschen-Ausbrüche geben kann, beweist die sichere Nachricht, welche der Missionar Dibble aus dem Munde der Augenzeugen geschöpft hat und nach welcher während des Krieges Kamehameha's gegen die Aufrührer im Jahre 1789 ein mit Erdbeben begleiteter Ausbruch heißer Asche eine nächtliche Finsterniß über die Umgegend verbreitete (p. 183). Ueber die vulkanischen Glasfäden (Haar der Göttinn Pele: die vor ihrer Uebersiedelung nach Hawaii den jetzt erloschenen Vulkan Hale-a-Kala, das Sonnenhaus, der Insel Maui bewohnte) s. p. 179 und 199–200.: ohnerachtet die schwärzlich grauen, mehr trachytartigen als basaltischen Laven des Gipfels feldspathreich sind. Für die außerordentliche Flüssigkeit der Laven des Mauna Loa, sie mögen aus dem Gipfel-Krater (Mokua-weo-weo) oder aus dem Lavasee (am östlichen Abfall des Vulkans, in nur 3724 F. Höhe über dem Meere) aufsteigen, zeugen die bald glatten, bald gekräuselten Glasfäden, welche der Wind über die ganze Insel verbreitet. Dieses Haarglas, das auch der Vulkan von Bourbon ausstößt, wird auf Hawaii (Owyhee) nach der Schutzgöttinn des Landes Pele's Haar genannt.
Dana hat scharfsinnig gezeigt, daß Mauna Loa kein Central-Vulkan für die Sandwich-Inseln und der Lavasee Kilauea keine Solfatare ist.Dana p. 205: »The term Solfatara is wholly misapplied. A Solfatara is an area with steaming fissures and escaping sulphur vapours, and without proper lava ejections; while Kilauea is a vast crater with extensive lava ejections and no sulphur, except that of the sulphur banks, beyond what necessarily accompanies, as at Vesuvius, violent volcanic action.« Das Gerüste von Kilauea, die Masse des großen Lavabeckens, besteht auch keinesweges aus Schichten von Asche oder fragmentarischem Gestein: sondern aus horizontalen Lavaschichten, gelagert wie Kalkstein. Dana p. 193. (Vgl. Strzelecki, phys. descr. of New South Wales 1845 p. 105–111.) Das Becken von Kilauea hat im langen Durchmesser 15000 Fuß (fast ⅔ einer geogr. Meile), im kleinen Durchmesser 7000 Fuß. Die dampfend aufkochende und aufsprühende Flüssigkeit, der eigentliche Lavapfuhl, füllt aber im gewöhnlichen Zustande nicht diese ganze Höhlung: sondern nur einen Raum, der im Längen-Durchmesser 13000, im Breiten-Durchmesser 4800 Fuß hat. Man steigt an den Kraterrändern stufenweise herab. Das große Phänomen läßt einen wunderbaren Eindruck von Stille und feierlicher Ruhe. Die Nähe eines Ausbruchs verkündigt sich hier nicht durch Erdbeben oder unterirdisches Geräusch, sondern bloß durch plötzliches Steigen und Fallen der Oberfläche der Lava, bisweilen mit einem Unterschiede von drei- und vierhundert Fuß bis 418 zur Erfüllung des ganzen Beckens. Wenn man geneigt wäre, nicht achtend die ungeheuren Unterschiede der Dimensionen, das Riesenbecken von Kilauea mit den kleinen, durch Spallanzani zuerst berühmt gewordenen Seiten-Kratern am Abhange des Stromboli in 4/5 Höhe des am Gipfel ungeöffneten Berges zu vergleichen: also mit Becken aufkochender Lava von nur 30 bis 200 Fuß Durchmesser; so müßte man vergessen, daß die Feuerschlünde am Abhange des Stromboli Schlacken bis zu großer Höhe ausstoßen, ja selbst Laven ergießen. Wenn der große Lavasee von Kilauea (der untere und secundäre Krater des thätigen Vulkans Mauna Loa) auch bisweilen seine Ränder zu überströmen droht, so erzeugt er doch nie durch wirklich erreichte Ueberströmung einen eigentlichen Lavastrom. Diese entstehen durch Abzug nach unten, durch unterirdische Canäle, durch Bildung neuer Ausbruchs-Oeffnungen in der Entfernung von 4 bis 5 geographischen Meilen: also in noch weit tiefer liegenden Punkten. Nach solchen Ausbrüchen, welche der Druck der ungeheuren Lavamasse im Becken von Kilauea veranlaßt, sinkt die flüssige Oberfläche in diesem Becken.Dieses merkwürdige Sinken des Lavaspiegels bestätigen die Erfahrungen so vieler Reisenden: von Ellis, Stewart und Douglas bis zu dem verdienstvollen Grafen Strzelecki, der Expedition von Wilkes und dem so aufmerksam beobachtenden Missionar Coan. Bei dem großen Ausbruch im Juni 1840 ist der Zusammenhang der Anschwellung der Lava im Kilauea mit der plötzlichen Entzündung des so viel tiefer gelegenen Kraters Arare am entscheidensten gewesen. Das Verschwinden des aus Arare ergossenen Lavastromes, sein abermals unterirdischer Lauf und endliches Wiedererscheinen in größerer Mächtigkeit läßt nicht gleich sicher auf Identität schließen, da sich gleichzeitig am ganzen Abhange des Berges unterhalb des Horizonts des Bodens vom Kilauea-Becken viele lavagebende Längenspalten geöffnet haben. Sehr bemerkenswerth ist es auch für die innere Constitution dieses sonderbaren Vulkans von Hawaii, daß im Juni 1832 beide Krater, der des Gipfels und der von Kilauea, Lavaströme ergossen und veranlaßten, also gleichzeitig thätig waren. (Vergl. Dana p. 184, 188, 193 und 196.)
Von den zwei anderen hohen Bergen Hawaii's, Mauna Kea und Mauna Hualalai, ist der erstere nach Cap. Wilkes 180 Fuß höher als Mauna Loa: ein Kegelberg, auf dessen Gipfel jetzt nicht mehr ein Terminal-Krater, sondern nur längst erloschene Schlackenhügel zu finden sind. Mauna Hualalai* hat ohngefähr 9400 Fuß Höhe, und ist noch gegenwärtig entzündet. Im Jahr 1801 war eine Eruption, bei welcher die Lava westwärts das Meer erreichte. Den drei Bergcolossen Loa, Kea und Hualalai, die aus dem Meeresboden aufstiegen, verdankt die ganze Insel Hawaii ihre Entstehung. In 419 der Beschreibung der vielen Besteigungen des Mauna Loa, unter denen die der Expedition von Capt. Wilkes sich auf 28 Tage lange Forschungen gründete, wird von Schneefall bei einer Kälte von 5 bis 8 Centesimal-Graden unter dem Gefrierpunkt, auch von einzelnen Schneeflecken geredet, welche man schon in der Ferne durch Telescope am Gipfel des Vulkans unterscheiden konnte; nie aber von perpetuirlichem Schnee.Wilkes p. 114, 140 und 157; Dana p. 221. Wegen der ewigen Verwechselung von r und l wird für Mauna Loa oft M. Roa und für Kilauea: Kirauea geschrieben. Ich habe schon früher erinnert, daß nach den Höhenmessungen, die man gegenwärtig für die genauesten halten kann, der Mauna Loa (12909 F.) und Mauna Kea (13089 F.) noch um 950 und 770 Fuß niedriger sind, als ich die untere Grenze des ewigen Schnees in dem Continental-Gebirge von Mexico unter 19°½ Breite gefunden habe. Auf einer kleinen Insel sollte wegen geringerer Temperatur der unteren Luftschichten in der heißesten Jahreszeit der Tropenzone und wegen des größeren Wassergehalts der oberen Atmosphäre die ewige Schneelinie wohl etwas tiefer liegen.
Die Vulkane von Tafoa* und Amargura* in der Tonga-Gruppe sind beide thätig, und der letztere hat einen beträchtlichen Lava-Ausfluß am 9 Juli 1847 gehabt.Dana p. 25 und 138. Ueberaus merkwürdig und mit den Erfahrungen übereinstimmend, daß die Corallenthiere die Küsten jetzt oder vor nicht langer Zeit entzündeter Vulkane scheuen, ist der Umstand, daß die an Corallenriffen reichen Tonga-Inseln Tafoa und der Kegel von Kao davon ganz entblößt sind.Dana, Geology of the U. St. Exploring Expedition p. 138 (vergl. Darwin, structure of Coral Reefs p. 60).
Es folgen die Vulkane von Tanna* und Ambrym*, letzterer westlich von Mallicollo in dem Archipel der Neuen Hebriden. Der Vulkan von Tanna, zuerst von Reinhold Forster beschrieben, wurde schon bei Cook's Entdeckung der Insel 1774 in vollem Ausbruch gefunden. Er ist seitdem 420 immer thätig geblieben. Da seine Höhe kaum 430 Fuß beträgt, so ist er mit dem bald zu nennenden Vulkan von Mendaña und dem japanischen Vulkan von Kosima einer der niedrigsten feuerspeienden Kegelberge. Auf Mallicollo findet sich viel Bimsstein.
Mathew's Rock*: eine sehr kleine rauchende Felsinsel von kaum 1110 Fuß Höhe, deren Ausbruch d'Urville im Januar 1828 beobachtet hat. Sie liegt in Osten von der Südspitze Neu-Caledoniens.
Vulkan von Tinakoro* in der Vanikoro- oder Santa-Cruz-Gruppe.
In demselben Archipel von S. Cruz, wohl 20 geogr. Meilen in NNW von Tinakoro, erhebt sich aus dem Meere, mit kaum 200 Fuß Höhe, der schon von Mendaña 1595 gesehene Vulkan* (Br. 10° 23' südl.). Seine Feuerausbrüche sind bisweilen periodisch von 10 zu 10 Minuten gewesen; bisweilen, wie zur Zeit der Expedition von d'Entrecasteaux, war der Krater selbst die Dampfsäule.
In der Salomons-Gruppe ist entzündet der Vulkan der Insel Sesarga*. Nahe dabei, also auch noch am südöstlichen Ende der langen Inselreihe gegen die Vanikoro- oder Santa-Cruz-Gruppe hin, wurde schon an der Küste von Guadalcanar vulkanische Ausbruch-Thätigkeit bemerkt.
In den Ladronen oder Marianen: im nördlichen Theil der Inselreihe, die auf einer Meridian-Spalte ausgebrochen scheint, sollen noch thätig sein Guguan*, Pagon* und der Volcan grande von Asuncion*.
Die Küstenrichtung des kleinen Continents von Neu-Holland, besonders die Veränderung derselben, welche die Ostküste unter 25° südlicher Breite (zwischen Cap Hervey 421 und der Moreton-Bai) erleidet, scheint sich in der Zone nahe gelegener östlicher Inseln zu reflectiren. Die große südliche Insel von Neu-Seeland, und die Kermadec- und Tonga-Gruppe streichen von Südwest nach Nordost: wie dagegen der nördliche Theil der Nord-Insel von Neu-Seeland, von der Bay of Plenty bis Cap Oton, Neu-Caledonien und Neu-Guinea, die Neuen Hebriden, die Salomons-Inseln, Neu-Irland und Neu-Britannien von Südost in Nordwest, meist N 48° W, streichen. Leopold von BuchLéop. de Buch, description physique des Iles Canaries 1836 p. 393 und 403–405. hat zuerst sehr scharfsinnig auf dieses Verhältniß zwischen Continental-Massen und nahen Inseln im griechischen Archipel und dem australischen Corallenmeere aufmerksam gemacht. Auch auf den Inseln des letzteren Meeres fehlen nicht, wie schon beide Forster (Cook's Begleiter) und la Billardière gelehrt, Granit und Glimmerschiefer: die quarzreichen, einst so genannten uranfänglichen Gebirgsarten. Dana hat sie ebenfalls auf der Nord-Insel von Neu-Seeland, westlich von Tipuna, in der Bay of IslandsS. Dana a. a. O. p. 438–446 und über die frischen Spuren alt-vulkanischer Thätigkeit auf Neu-Holland p. 453 und 457, wie über die vielen Säulen-Basalte in Neu-Süd-Wales und Van Diemen's Land p. 495–510; und E. de Strzelecki, phys. descr. of New South Wales p. 112., gesammelt.
Neu-Holland zeigt nur in seiner Südspitze (Australia Felix), am Fuß und südlich von dem Grampian-Gebirge, frische Spuren alter Entzündung; denn nordwestlich von Port Phillip findet man nach Dana eine Zahl vulkanischer Kegel und Lavaschichten, wie ebenfalls gegen den Murray-Fluß hin (Dana p. 453).
Auf Neu-Britannia* liegen an der Ost- und Westküste wenigstens 3 Kegel, die in historischen Zeiten: von Tasman, Dampier, Carteret und la Billardière, als entzündet und lavagebend beobachtet wurden.
Zwei thätige Vulkane sind auf Neu-Guinea*, an der nordöstlichen Küste, den obsidianreichen Admiralitäts-Inseln und Neu-Britannien gegenüber.
422 Auf Neu-Seeland, von dem wenigstens die Geologie der Nord-Insel durch das wichtige Werk von Ernst Dieffenbach und die schönen Forschungen Dana's aufgeklärt worden ist, durchbricht an mehreren Punkten basaltisches und trachytisches Gestein die allgemeiner verbreiteten plutonischen und sedimentären Gebirgsarten: so in einem überaus kleinen Areal, nahe bei der Bay of Islands (lat. 35° 2'), wo sich die mit erloschenen Kratern gekrönten Aschenkegel Turoto und Poerua erheben; so südlicher (zwischen 37°½ und 39°¼ Breite), wo der vulkanische Boden die ganze Mitte der Nord-Insel durchzieht: von Nordost nach Südwest in mehr denn 40 geographischen Meilen Länge, von der östlichen Bay of Plenty bis zum westlichen Cap Egmont. Diese Zone vulkanischer Thätigkeit durchschneidet hier, wie wir schon in einem weit größeren Maaßstabe in dem mexicanischen Festlande gesehen haben, als Queerspalte von Meer zu Meer, von NO in SW das innere, nord-südliche Längen-Gebirge, welches der ganzen Insel ihre Form zu geben scheint. Auf seinem Rücken stehen, wie an Durchschnittspunkten, die hohen Kegel Tongariro* (5816 F.), an dessen Krater auf der Höhe des Aschenkegels Bidwill gelangt ist, und etwas südlicher Ruapahu (8450 F.). Das Nordost-Ende der Zone bildet in der Bay of Plenty (lat. 38°½) eine stets rauchende Solfatare, der Insel-Vulkan Puhia-i-wakati*Ernest Dieffenbach, Travels in New Zealand 1843 Vol. I. p. 337, 355 und 401. Dieffenbach nennt White Island: a smoking solfatara, but still in volcanic activity (p. 358 und 407) auf der Karte: in continual ignition. (White Island); es folgen in Südwesten am Littoral selbst: der ausgebrannte Vulkan Putawaki (Mount Edgecombe), 9036 F. hoch, also wahrscheinlich der höchste Schneeberg auf Neu-Seeland; im Inneren zwischen dem Edgecombe und dem noch entzündeten Tongariro*, welcher einige Lavaströme ergossen hat, eine lange Kette von Seen, zum Theil siedend heißen Wassers. Der See Taupo, von schön glänzendem Leucit- und 423 Sanidin-Sande wie von Bimsstein-Hügeln umgeben, hat nahe an 6 geographische Meilen Länge und liegt mitten auf der Nord-Insel von Neu-Seeland, nach Dieffenbach 1255 F. über dem Meeresspiegel erhoben. Umher sind zwei englische Quadratmeilen ganz mit Solfataren, Dampfhöhlen und Thermalquellen bedeckt: deren letztere, wie am Geysir auf Island, mannigfaltige Silicat-Niederschläge bilden.Dana p. 445-448; Dieffenbach Vol. I. p. 331, 339–341 und 397. Ueber Mount Egmont s. Vol. I. p.131–157. – Im Westen von Tongariro*, dem Hauptsitze der vulkanischen Thätigkeit, dessen Krater noch jetzt Dämpfe und Bimsstein-Asche ausstößt, nur 4 Meilen vom westlichen Littoral entfernt, erhebt sich der Vulkan Taranaki (Mount Egmont): 8293 Fuß hoch, welchen Dr. Ernst Dieffenbach zuerst im November 1840 erstiegen und gemessen hat. Der Gipfel des Kegels, welcher dem Umriß nach mehr dem Tolima als dem Cotopaxi gleicht, endet mit einer Hochebene, aus der ein sehr steiler Aschenkegel sich erhebt. Spuren jetziger Thätigkeit, wie bei dem Vulkan der Weißen Insel* und bei dem Tongariro*, wurden nicht beobachtet; auch keine zusammenhangenden Lavaströme. Die klingenden, sehr dünnschaligen Massen, welche gratenartig unter Schlacken, wie an einer Seite des Pics von Teneriffa, aus dem Aschenkegel selbst hervorragten, sind dem Porphyrschiefer (Phonolith) ähnlich.
Eine schmale, langgedehnte, ununterbrochene Anhäufung von Inselgruppen, auf nordwestlichen Spalten: wie Neu-Caledonien und Neu-Guinea, die Neuen Hebriden und Salomons-Inseln, Pitcairn, Tahiti und die Paumotu-Inseln; ausgebrochen: durchschneidet in einer Länge von 1350 geographischen Meilen in der südlichen Hemisphäre den Großen Ocean zwischen den Breiten-Parallelen von 12° und 27°, vom Meridian der Ostküste Australiens bis zur Osterinsel und zu dem Felsen Sala y Gomez in west-östlicher Richtung. Die 424 westlicheren Theile dieser Insel-Anhäufung (Neu-Britannien*, die Neuen Hebriden*, Vanikoro* in dem Archipel von Santa Cruz und die Tonga-Gruppe*) zeigen zur gegenwärtigen Zeit, in der Mitte des 19ten Jahrhunderts, Entzündung und feurige Thätigkeit. Neu-Caledonien, von basaltischen und anderen vulkanischen Inseln umgeben, hat aber bloß plutonisches GesteinDarwin, Volcanic Islands p. 125; Dana p. 140.: wie in den Azoren nach Leopold von Buch Santa MariaL. de Buch, descr. des I. Can. p. 365. Auf den hier genannten drei Inseln finden sich indeß neben plutonischen und Sediment-Schichten auch Phonolithe und basaltisches Gestein; aber diese Gebirgsarten können schon bei der ersten vulkanischen Erhebung der Inseln aus dem Meeresboden über den Meeresspiegel erschienen sein. Von Feuerausbrüchen in historischen Zeiten oder von ausgebrannten Krateren soll keine Spur gefunden werden., und nach Graf Bedemar Flores und Graciosa. Dieser Abwesenheit vulkanischer Thätigkeit in Neu-Caledonien, wo neuerlichst Sediment-Formationen mit Steinkohlen-Flözen entdeckt worden sind, wird die dortige große Entwickelung belebter Corallenriffe zugeschrieben. Der Archipel der Viti- oder Fidschi-Inseln ist basaltisch und trachytisch zugleich, doch bloß durch heiße Quellen in der Savu-Bai auf Vanua Lebu ausgezeichnet.Dana p. 343–350. Die Samoa-Gruppe (Navigators Islands), nordöstlich von dem Viti- und fast ganz nördlich von dem noch entzündeten Tonga-Archipel, ist ebenfalls basaltisch; und dabei charakterisirt durch eine Unzahl von linear geordneten Ausbruch-Kratern, die von Tuffschichten mit eingebackenen Corallenstücken umgeben sind. Geognostisch am merkwürdigsten ist der Pic Tafua auf der, zu der Samoa-Gruppe gehörigen Insel Upolu: nicht zu verwechseln mit dem noch entzündeten Pic Tafoa südlich von Amargura in dem Tonga-Archipel. Der Pic Tafua (2006 F.), welchen Dana zuerstDana p. 312, 318, 320 und 323. bestiegen und gemessen, hat einen großen, ganz mit dicker Waldung erfüllten Krater, der einen regelmäßig abgerundeten Aschenkegel krönt. Von Lavaströmen ist hier keine Spur; dagegen fanden sich schlackige Lavafelder (Malpais der Spanier) mit krauser, oft strickförmig gewundener Oberfläche am Kegelberge von Apia (2417 F.), ebenfalls auf Upolu: wie am Pic Fao, der 3000 F. 425 erreicht. Die Lavafelder von Apia enthalten schmale unterirdische Höhlen.
Tahiti, in der Mitte der Societäts-Inseln, weit mehr trachytisch als basaltisch, zeigt recht eigentlich nur noch die Trümmer seines ehemaligen vulkanischen Gerüstes: und aus diesen mächtigen, wall- und zackenartig gestalteten Trümmern, mit senkrechten, mehrere tausend Fuß tiefen Abstürzen, ist es schwer die alte, ursprüngliche Form der Vulkane zu entziffern. Von den beiden größten Gipfeln, Aorai und Orohena, ist jener zuerst von DanaL. von Buch p. 383; Darwin, Volc. Isl. p. 25; Darwin, Coral Reefs p. 138; Dana p. 286–305 und 364. erstiegen und von diesem gründlichen Geognosten untersucht worden. Der Trachytberg, der Orohena, soll die Höhe des Aetna erreichen. Tahiti hat also, nächst der thätigen Gruppe der Sandwich-Inseln, das höchste Eruptions-Gestein des ganzen oceanischen Gebiets zwischen den Continenten von Amerika und Asien. Ein feldspathartiges Gestein von den, Tahiti nahen, kleinen Inseln Borabora und Maurua: von neueren Reisenden mit dem Namen Syenit, von Ellis in den Polynesian Researches mit dem Namen eines granitartigen Aggregats von Feldspath und Quarz bezeichnet; verdient, da poröser, schlackiger Basalt ganz in der Nähe ausbricht, eine viel genauere oryctognostische Untersuchung. Ausgebrannte Krater und Lavaströme sind auf den Societäts-Inseln jetzt nicht zu finden. Man fragt sich: sind die Krater auf den Berggipfeln zerstört? oder blieben die hohen, alten, jetzt gespaltenen und umgewandelten Gerüste oben domförmig geschlossen; und sind hier, wie wahrscheinlich an vielen anderen Punkten des gehobenen Meeresbodens, Basalt- und Trachytschichten unmittelbar aus Erdspalten ergossen worden? Extreme großer Zähigkeit (Viscosität) oder großer Flüssigkeit des Ergossenen, so wie die verschiedene Enge und Weite der Spalten, durch welche der 426 Erguß geschieht, modificiren die Gestaltung der sich bildenden vulkanischen Gebirgsschichten; und veranlassen da, wo Reibung die sogenannte Asche und fragmentarische Zerstückelung hervorbringt, die Entstehung kleiner, meist vergänglicher Auswurfs-Kegel: welche mit den großen Terminal-Aschenkegeln der permanenten Gerüste nicht zu verwechseln sind.
Ganz nahe östlich folgen auf die Societäts-Inseln die Niedrigen Inseln oder Paumotu. Sie sind bloß Corallen-Inseln, mit der merkwürdigen Ausnahme der basaltischen, kleinen Gambier- und Pitcairn-Gruppe.Dana p. 137. Der letzteren ähnlich findet sich vulkanisches Gestein auch in demselben Parallele (zwischen 25° und 27° südlicher Breite) 315 geogr. Meilen östlicher in der Osterinsel (Waihu), und wahrscheinlich noch 60 Meilen weiter in den Klippen Sala y Gomez. Auf Waihu, wo die höchsten kegelförmigen Gipfel kaum eintausend Fuß hoch sind, bemerkte Cap. Beechey eine Reihe von Krateren, von denen aber keiner entzündet schien.
Im äußersten Osten gegen den Neuen Continent hin endet das Gebiet der Südsee-Inseln mit einer der entzündetsten aller Inselgruppen, mit dem aus fünf größeren Inseln bestehenden Archipel der Galapagos. Fast nirgends sind auf einem kleinen Raume von kaum 30 bis 35 geogr. Meilen Durchmessers solch eine Unzahl von Kegelbergen und erloschenen Kratern (Spuren alter Communication des Inneren der Erde mit dem Luftkreise) sichtbar geblieben. Darwin schlägt die Zahl der Krater fast auf zweitausend an. Als dieser geistreiche Forscher auf der Expedition des Beagle unter Capitän Fitzroy die Galapagos besuchte, waren zwei Krater zugleich in feuriger Eruption. Auf allen Inseln sind Ströme von sehr flüssiger Lava zu sehen, die sich theilen und sich oft bis in das Meer 427 ergossen haben. Fast alle sind reich an Augit und Olivin; einige mehr trachytartige sollen AlbitDarwin, Volc. Isl. p. 104, 110–112 und 114. Wenn Darwin so bestimmt sagt, daß aller Trachyt auf den Galapagos fehle; so ist es doch wohl nur, weil er die Benennung Trachyt auf den eigentlichen gemeinen Feldspath, d. i. den Orthoklas, oder auf den Orthoklas und Sanidin (glasigen Feldspath) einschränkt. Die räthselhaften eingebackenen Stücke in der Lava des kleinen, ganz basaltischen Kraters von James Island enthalten keinen Quarz, wenn sie gleich auf einem plutonischen Gebirge zu ruhen scheinen. (Vergl. oben Kosmos Bd. IV. S. 345 und 375.) Mehrere der vulkanischen Kegelberge auf den Galapagos-Inseln haben, an der Mündung, ganz wie ich am Cotopaxi gesehen, einen schmalen cylindrischen, ringförmigen Aufsatz. »In some parts the ridge is surmounted by a wall or parapet perpendicular on both sides.« Darwin, Volc. Is. p. 83. in großen Krystallen enthalten. Es wären wohl bei der jetzigen Vervollkommnung des oryctognostischen Wissens Untersuchungen anzustellen, ob in diesen porphyrartigen Trachyten nicht Oligoklas: wie auf Teneriffa, im Popocatepetl und Chimborazo; oder Labrador, wie im Aetna und Stromboli, enthalten seien. Bimsstein fehlt ganz auf den Galapagos: wie am Vesuv, als von ihm producirt; auch wird der Hornblende nirgends Erwähnung gethan; also herrscht dort nicht die Trachyt-Formation von Toluca, Orizaba und einiger Vulkane Java's: aus denen Dr. Junghuhn mir, wohl ausgewählte, feste Lavastücke zur Untersuchung für Gustav Rose eingeschickt hat. Auf der größten und westlichsten Insel der Galapagos-Gruppe, auf Albemarle, sind die Kegelberge linear, also auf Spalten gereiht. Ihre größte Höhe erreicht doch nur 4350 Fuß. Der westliche Busen, in welchem der 1825 heftig entzündete Pic Narborough sich inselförmig erhebt, wird von Leopold von BuchL. von Buch p. 376. als ein Erhebungs-Krater beschrieben und mit Santorin verglichen. Viele Kraterränder auf den Galapagos sind von Tuffschichten gebildet, die nach allen Seiten abfallen. Denkwürdig und auf die gleichzeitige Wirkung einer großen Catastrophe hindeutend ist es, daß alle Kraterränder gegen Süden ausgebrochen oder gänzlich zerstört sind. Ein Theil von dem, was man in den älteren Beschreibungen Tuff nennt, sind Palagonit-Schichten, ganz denen von Island und Italien gleich: wie schon Bunsen von den Tuffen der Insel Chatham durch genaue Analyse ergründet hat.Bunsen in Leonhard's Jahrbuch für Mineralogie 1851 S. 856, wie auch in Poggendorff's Annalen der Physik Bd. 83. S. 223. Diese, die östlichste Insel der ganzen Gruppe und von Beechey astronomisch genau bestimmt, ist, nach meiner Längen-Bestimmung der Stadt Quito (81° 4' 38") 428 und nach Acosta's Mapa de la Nueva Granada von 1849 von der Punta de S. Francisco noch 134 geographische Meilen entfernt.
IX. Mexico.
Die sechs mexicanischen Vulkane: Tuxtla*, Orizaba*, Popocatepetl*, Toluca, Jorullo* und Colima*; von denen vier in historischen Zeiten entzündet gewesen sind, wurden schon früherKosmos Bd. IV. S. 311–313 u. 546 Anm. 2091. aufgezählt und in ihrer geognostisch merkwürdigen gegenseitigen Stellung beschrieben. Nach neueren Untersuchungen von Gustav Rose ist in dem Gestein des Popocatepetl oder großen Vulkans von Mexico die Formation des Chimborazo wiederholt. Es besteht dies Gestein ebenfalls aus Oligoklas und Augit. Selbst in den pechsteinartigen, fast schwarzen Trachytschichten ist noch der Oligoklas in sehr kleinen, schiefwinkligen Krystallen zu erkennen. Zu eben dieser Chimborazo- und Teneriffa-Formation gehört der Vulkan von Colima, weit in Westen stehend, nahe dem Littoral der Südsee. Ich habe diesen Vulkan nicht gesehen; aber wir verdanken Herrn PieschelS. Pieschel über die Vulkane von Mexico in der Zeitschrift für Allg. Erdkunde Bd. VI. 1856 S. 86 und 489–532. Die Behauptung (S. 86), »daß nie ein Sterblicher die steile Spitze des Pico del Fraile«, d. h. den höchsten Gipfel des Vulkans von Toluca, »erstiegen habe«: ist durch meine auf diesem, freilich kaum 10 Fuß breiten Gipfel am 29 Sept. 1803 gemachte und schon 1807 publicirte Barometer-Messung, und neuerlichst durch Dr. Gumprecht in demselben Bande der obigen Zeitschrift (S. 489) widerlegt worden. Der erregte Zweifel war um so sonderbarer, da ich gerade von dieser, allerdings nicht ohne Anstrengung zu erreichenden, thurmförmigen Spitze des Pico del Fraile: in einer Höhe, welche kaum 600 Fuß geringer als die des Montblanc ist, die Trachytmassen abgeschlagen habe, die vom Blitz durchlöchert und im Inneren wie Blitzöhren verglast sind. Ueber die von mir sowohl in der Berliner als in mehreren Pariser Sammlungen niedergelegten Stücke gab Gilbert schon 1819 einen Aufsatz im LXIten Bande seiner Annalen der Physik S. 261 (vergl. auch Annales de Chimie et de Physique T. XIX. 1822 p. 298). Wo der Blitz förmliche cylindrische Röhren zu 3 Zoll Länge so durchgeschlagen hat, daß man die obere und untere Oeffnung erkennen kann, ist ebenfalls das die Oeffnungen umgebende Gestein verglast. Ich habe auch Trachytstücke in meinen Sammlungen mitgebracht, an denen, wie am Kleinen Ararat oder am Montblanc, ohne röhrenförmige Durchbohrung die ganze Oberfläche verglast ist. – Herr Pieschel hat den zweigipfligen Vulkan von Colima im October 1852 zuerst erstiegen und ist bis zum Krater gelangt, aus dem er damals nur heiße Schwefel-Wasserstoff-Dämpfe wolkenartig aufsteigen sah. Aber Sonneschmid, der im Febr. 1796 die Ersteigung des Colima vergeblich versuchte, giebt Nachricht von einem mächtigen Aschen-Auswurf im Jahr 1770. Im Monat März 1795 wurden dagegen bei Nacht glühende Schlacken scheinbar in einer Feuersäule ausgestoßen. – »In Nordwesten vom Vulkan von Colima zieht sich längs der Südsee-Küste eine vulkanische Zweigspalte hin. Ausgebrannte Krater und alte Lavaströme erkennt man in den sogenannten Vulkanen von Ahuacatlan (auf dem Wege von Guadalaxara nach San Blas) und von Tepic.« (Pieschel a. a. O. S. 529.) (seit dem Frühjahr 1855) die sehr belehrende Ansicht der von ihm gesammelten Gebirgsarten, wie auch interessante geologische Notizen über alle Vulkane des ganzen mexicanischen Hochlandes, die er sämmtlich selbst besucht hat. Der Vulkan von Toluca, dessen schmale und schwer zu erreichende höchste Kuppe (den Pico del Frayle) ich am 29 September 1803 erstiegen und barometrisch 14232 Fuß hoch gefunden habe, hat eine ganz andere mineralogische Zusammensetzung als der noch thätige Popocatepetl und der Feuerberg von Colima: welchen man nicht mit einem anderen, höheren Gipfel, dem sogenannten Schneeberg, verwechseln muß. Der Vulkan von Toluca besteht: wie 429 der Pic von Orizaba, Puy de Chaumont in der Auvergne und Aegina, aus einer Association von Oligoklas und Hornblende. Nach dieser kurzen Angabe sind, was sehr zu beachten ist, in der langen Reihe der Vulkane, welche sich von Meer zu Meer erstrecken, nicht zwei zunächst auf einander folgende Glieder von gleicher mineralogischer Zusammensetzung.
X. Das nordwestliche Amerika.
(nördlich vom Parallel des Rio Gila).
In dem Abschnitt, welcher von der vulkanischen Thätigkeit auf den ostasiatischen Inseln handeltKosmos B. IV. S. 392–397., ist mit besonderer Wichtigkeit der bogenartig gekrümmten Richtung der Erhebungs-Spalte gedacht worden, aus der die Aleuten emporgestiegen sind und die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem asiatischen und amerikanischen Continent, zwischen den zwei vulkanischen Halbinseln Kamtschatka und Aliaska, offenbart. Es ist hier der Ausgang oder vielmehr die nördliche Grenze eines mächtigen Busens des Stillen Meers: welches von den 150 Längengraden, die es unter dem Aequator von Osten nach Westen einnimmt, zwischen den Endspitzen der eben genannten zwei Halbinseln sich auf 37 Längengrade verengt. Auf dem amerikanischen Festlande, dem Littoral nahe, ist eine Zahl mehr oder weniger thätiger Vulkane den Seefahrern erst seit 70 bis 80 Jahren bekannt geworden; aber diese Gruppe lag bisher wie isolirt, unzusammenhangend mit der Vulkan-Reihe der mexicanischen Tropengegend oder den Vulkanen, welche man auf der Halbinsel von Californien vermuthete. Die Einsicht in diese wichtige geognostische Verkettung ist jetzt, wenn man eine Reihe ausgebrannter Trachytkegel als Mittelglieder 430 aufzählt, für eine Lücke von mehr als 28 Breitengraden zwischen Durango und dem neuen Washington territory, nördlich von West-Oregon, aufgefunden; und die physische Erdbeschreibung verdankt diesen wichtigen Fortschritt den, auch wissenschaftlich so wohl geordneten Expeditionen, welche die Regierung der Vereinigten Staaten zu Aufsuchung der geeignetsten Wege von den Mississippi-Ebenen nach den Küsten der Südsee ausgerüstet hat. Alle Theile der Naturgeschichte haben zugleich dabei Vortheil gezogen. Große Landesstrecken sind in der nun durchforschten terra incognita dieses Zwischenraumes sehr nahe den Rocky Mountains an ihrem östlichen Abfall, bis in weite Entfernung vom westlichen Abfall, mit Erzeugnissen ausgebrannter oder noch thätiger Vulkane (wie in dem Cascaden-Gebirge) bedeckt gefunden worden. So sehen wir also: von Neu-Seeland ausgehend, auf einem langen Wege erst in Nordwesten durch Neu-Guinea, die Sunda-Inseln, die Philippinen und Ost-Asien, bis zu den Aleuten aufsteigend; dann hinabsteigend gegen Süden in das nordwestliche, mexicanische, mittel- und südamerikanische Gebiet bis zur Endspitze von Chili: den gesammten Umkreis des Meerbeckens des Stillen Oceans, in einer Erstreckung von 6600 geographischen Meilen, mit einer Reihe erkennbarer Denkmäler vulkanischer Thätigkeit umgeben. Ohne in das Einzelne genauer geographischer Orientirung und der vervollkommneten Nomenclatur einzugehen, war eine solche kosmische Ansicht nicht zu begründen.
Es bleibt uns von dem hier bezeichneten Umkreise des großen Meerbeckens (man sollte sagenDer von dem gelehrten und mir befreundeten Geographen, Contre-Admiral de Fleurieu, dem Verfasser der Introduction historique au Voyage de Marchand, eingführte Name Grand Océan zur Bezeichnung des Beckens der Südsee vertauscht das Ganze mit einem Theile und verleitet daher zur Verwechselung., da es nur Eine, überall commnnicirende Wassermasse auf der Erde giebt: des größten unter den Theilen der einigen Masse, 431 welche zwischen Continente eindringen) noch die Länderstrecke zu beschreiben übrig, welche von dem Rio Gila bis zu Norton's und Kotzebue's Sunden reicht. Analogien, die man hergenommen aus Europa von den Pyrenäen oder der Alpenkette, aus Südamerika von den Cordilleren der Andes von Süd-Chili bis zum fünften Grade nördlicher Breite in Neu-Granada, haben, durch phantastische Kartenzeichnungen unterstützt, die irrige Meinung verbreitet, als könne das mexicanische Hochgebirge oder sein höchster Rücken mauerartig unter dem Namen einer Sierra Madre von Südost nach Nordwest verfolgt werden. Der gebirgige Theil von Mexico aber ist eine breite, mächtige Anschwellung, welche sich allerdings in der eben angegebenen Richtung zwischen zwei Meeren in fünf- bis siebentausend Fuß Höhe zusammenhangend darbietet; auf der sich aber, wie am Caucasus und in Inner-Asien, nach partiellen, sehr verschiedenartigen Richtungen, höhere vulkanische Bergsysteme bis über 14000 und 16700 Fuß erheben. Die Reihung dieser partiellen Gruppen, auf nicht unter sich parallelen Spalten ausgebrochen, ist in ihrer Orientirung meist unabhängig von der idealen Achse, welche man durch die ganze Anschwellung des wellenförmig verflachten Rückens legen kann. Diese so merkwürdigen Verhältnisse der Bodengestalt veranlassen eine Täuschung, welche den malerischen Eindruck des schönen Landes erhöht. Die mit ewigem Schnee bedeckten Bergcolosse scheinen wie aus einer Ebene emporzusteigen. Man verwechselt räumlich den Rücken der sanften Anschwellung, die Hochebene, mit den Ebenen des Tieflandes; und nur das Klima, die Abnahme der Temperatur, erinnert unter demselben Breitengrade an das, was man gestiegen ist. Die oft erwähnte Erhebungs-Spalte der Vulkane von Anahuac (in der ost-westlichen Richtung zwischen 432 19° und 19°¼ Breite) schneidetUeber die Achse der größten Höhen und der Vulkane in der Tropenzone von Mexico s. Kosmos Bd. IV. S. 312 und 343. Vergl. auch Essai politique sur la Nouvelle-Espagne T. I. p. 257–268, T. II. p. 173; Ansichten der Natur Bd. I. S. 344–350. fast rechtwinklig die allgemeine Anschwellungs-Achse.
Die hier bezeichnete Gestaltung eines beträchtlichen Theils der Erdoberfläche, den man durch sorgfältige Messungen erst seit dem Jahre 1803 zu ergründen begonnen; ist nicht zu verwechseln mit solchen Anschwellungen, welche man von zwei mauerartig begrenzenden Gebirgsketten, wie in Bolivia um den See Titicaca und in Inner-Asien zwischen dem Himalaya und Kuen-lün, umschlossen findet. Die erstgenannte, südamerikanische Anschwellung, welche gleichsam den Boden (die Sohle) eines Thales bildet, hat nach Pentland im Mittel 12054; die zweite, tibetische, nach Capt. Henry Strachey, Joseph Hooker und Thomas Thomson über 14070 Fuß Höhe über dem Meere. Der Wunsch, den ich vor einem halben Jahrhundert in meiner sehr umständlichen Analyse de l'Atlas géographique et physique du royaume de la Nouvelle-Espagne (§ XIV) geäußert habe: daß mein Profil der Hochebene zwischen Mexico und Guanaxuato durch Messungen über Durango und Chihuahua bis Santa Fé del Nuevo Mexico fortgesetzt werden möge; ist jetzt vollständig erfüllt. Die Länge des Weges beträgt, nur ¼ auf die Krümmungen gerechnet, weit über dreihundert geographische Meilen; und das Charakteristische dieser, so lange unbeachteten Erdgestaltung (das Sanftwellige der Anschwellung und die Breite derselben im Queer-Durchschnitt, bisweilen 60 bis 70 geogr. Meilen erreichend) offenbart sich durch den Umstand, daß hier ein Parallelen-Unterschied von vollen 16° 20' (von Mexico nach Santa Fé), ohngefähr gleich dem von Stockholm und Florenz, auf dem Rücken des Tafellandes, ohne Vorrichtung von Kunststraßen, auf vierrädrigen Wagen überschritten wird. Die 433 Möglichkeit eines solchen Verkehrs war den Spaniern schon am Ende des 16ten Jahrhunderts bekannt: als der Vicekönig, Conde de MontereyDurch Juan de Oñate 1594. Memoir of a tour to Northern Mexico in 1846 and 1847 by Dr. Wislizenus. Ueber den Einfluß der Bodengestaltung (der wunderbaren Größe des Tafellandes) auf den inneren Handel und den Verkehr der Tropenzone mit dem Norden: wenn einst auch hier einmal bürgerliche Ordnung, gesetzliche Freiheit und Industrie erwachsen, vergl. Essai pol. T. IV. p. 38 und Dana p. 612. von Zacatecas aus die ersten Ansiedlungen anordnete.
Zur Bekräftigung dessen, was über die Höhenverhältnisse zwischen der Hauptstadt Mexico und Santa Fé del Nuevo Mexico im allgemeinen gesagt worden ist, schalte ich hier die Haupt-Elemente der barometrischen Nivellirungen ein, die von 1803 bis 1847 vollbracht worden sind. Ich lasse die Punkte in der Richtung von Norden nach Süden folgen, damit die nördlichsten, in der Reihung obenan gestellt, der Orientirung unserer Karten leichter entsprechen:In dieser Uebersicht der Höhen des Bodens zwischen Mexico und Santa Fé del Nuevo Mexico: wie in der ähnlichen, aber unvollständigeren, welche ich in den Ansichten der Natur Bd. I. S. 349 gegeben, bedeuten die den Zahlen beigefügten Buchstaben Ws, Bt und Ht die Namen der Beobachter: nämlich Ws den Dr. Wislizenus, Verfasser des sehr lehrreichen, wissenschaftlichen memoir of a tour to Northern Mexico, connected with Col. Doniphan's Expedition, in 1846 and 1847 (Washington 1848); Bt den Oberbergrath Burkart und Ht meine eigenen Messungen. Als ich vom März 1803 bis zum Febr. 1804 mit astronomischen Ortsbestimmungen in dem tropischen Theile von Neuspanien beschäftigt war, und nach allen Materialien, die ich auffinden und discutiren konnte, eine General-Karte von Neuspanien zu entwerfen wagte: von der mein hochverehrter Freund, Thomas Jefferson, der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, während meines Aufenthalts in Washington eine, später oft gemißbrauchte Copie anfertigen ließ; gab es im Inneren des Landes auf dem Wege nach Santa Fé noch keine Breiten-Bestimmung nördlich von Durango (lat. 24° 25'). Nach den zwei von mir in den Archiven in Mexico aufgefundenen handschriftlichen Reisejournalen der Ingenieure Rivera Lafora und Mascaró, aus den Jahren 1724 und 1765, welche Compaß-Richtungen und geschätzte partielle Distanzen enthielten, ergab eine sorgfältige Berechnung für die wichtige Station Santa Fé nach Don Pedro de Rivera lat. 36° 12' und long. 108° 13' (s. meinen Atlas géogr. et phys. du Mexique Tab. 6 und Essai pol. T. I. p. 75, 82). Ich habe vorsichtig in der Analyse meiner Karte dieses Resultat als ein sehr ungewisses bekannt gemacht, da in den Schätzungen der Distanzen wie in der Compaß-Richtung ohne Correction der magnetischen Abweichung und bei dem Mangel von Objecten in baumlosen Ebenen ohne menschliche Wohnungen auf eine Erstreckung von mehr als 300 geogr. Meilen sich nicht alle Fehler compensiren (T. I. p. 127–131). Durch Zufall ist das eben gegebene Resultat, mit dem der neuesten astronomischen Beobachtungen verglichen, in der Breite weit fehlerhafter als in der Länge ausgefallen: in der ersteren um 31, in der zweiten kaum um 23 Bogen-Minuten. Eben so ist es mir durch Combinationen geglückt annähernd richtig zu bestimmen die geographische Lage des Sees Timpanogos, welchen man jetzt gewöhnlich den Great Salt Lake nennt: indem man nur noch den Fluß, welcher in den kleinen Utah-See, einen Süßwasser-See, fällt, als Timpanogos River bezeichnet. In der Sprache der anwohnenden Utah-Indianer heißt Fluß og wahbe, durch Verkürzung auch ogo allein; timpan heißt Fels: also bedeutet Timpan-ogo Felsfluß (Frémont, Expl. Exped. 1845 p. 273). Buschmann erklärt das Wort timpa für entstanden aus dem mexicanischen tetl Stein, indem er in pa eine einheimische Substantiv-Endung nordmexicanischer Sprachen aufgedeckt hat: ogo giebt er die allgemeine Bedeutung von Wasser; s. sein Werk: die Spuren der aztekischen Sprache im nördlichen Mexico S. 354–356 und 351. Der Mormonen Great Salt Lake City liegt lat. 40° 46', long. 114° 26'. Vergl. Expedition to the Valley of the Great Salt Lake of Utah, by capt. Howard Stansbury, 1852 p. 300 und Humboldt, Ansichten der Natur Bd. I. S. 346. Meine Karte giebt Montagnes de Sel gemme etwas östlich von der Laguna de Timpanogos: lat. 40° 7', long. 114° 9'; also weicht meine erste Vermuthung ab in der Breite 39, in der Länge 17 Minuten. – Die neuesten mir bekannt gewordenen Ortsbestimmungen von Santa Fé, der Hauptstadt Neu-Mexico's, sind a) nach vielen Sternhöhen bestimmt vom Lieut. Emory (1846), lat. 35° 44' 6"; b) nach Gregg und Dr. Wislizenus (1848), vielleicht in einer anderen Localität, 35° 41' 6". Die Länge ist für Emory 7h 4' 18" in Zeit von Greenwich, also im Bogen 108° 50' von Paris; für Wislizenus 108° 22'. (Mil. reconn. from fort Leavenworth to San Diego by Emory, 1848 p. 36; Wisl. p. 29.) Der Fehler der meisten Karten ist, in der Gegend von Santa Fé die Orte in der Breite zu nördlich zu setzen. Die Höhe der Stadt Santa Fé über dem Meere ist nach Emory 6422, nach Wislizenus volle 6611 Par. Fuß (Mittel 6516 F.). also gleich den Splügen- und Gotthards-Pässen der Schweizer Alpen.
Santa Fé del Nuevo Mexico (lat. 35° 41') Höhe 6611 Par. Fuß, Ws
AlbuquerqueDie Breite von Albuquerque ist genommen aus der schönen Specialkarte: Map of New Mexico by Kern 1851. Die Höhe ist nach Emory (p. 166) 4457 Fuß, nach Wislizenus (p. 122) aber 4559 Fuß. (lat. 35° 8') Höhe 4550 F., Ws
Paso del NorteFür die Breite des Paso del Norte vergl. Wislizenus p. 125 Meteorological Table 8–12 Aug. 1846. am Rio Grande del Norte (lat. 29° 48') Höhe 3557 F., Ws
Chihuahua (lat. 28° 32') 4352 F., Ws
Cosiquiriachi 5886 F., Ws
Mapimi im Bolson de Map. (lat. 25° 54') 4487 F., Ws
Parras (lat. 25° 32') 4678 F., Ws
Saltillo (lat. 25° 10') 4917 F., Ws
Durango (lat. 24° 25') 6426 F., nach Oteiza
Fresnillo (lat. 23° 10') 6797 F., Bt
Zacatecas (lat. 22° 50') 8456 F., Bt
San Luis Potosi (lat. 22° 8') 5714 F., Bt
Aguas calientes (lat. 21° 53') 5875 F., Bt
Lagos (lat. 21° 20') 5983 F., Bt
Villa de Leon (lat. 21° 7') 5755 F, Bt
Silao 5546 F., Bt
434 Guanaxuato (lat. 21° 0' 15") 6414 F., Ht
Salamanca (lat. 20° 40') 5406 F., Ht
Celaya (lat. 20° 38') 5646 F., Ht
Queretaro (lat. 20° 36' 39") 5970 F., Ht
San Juan del Rio im Staat Queretaro (lat. 20° 30') 6090 F., Ht
Tula (lat. 19° 57') 6318 F., Ht
Pachuca 7638 F., Ht
Moran bei Real del Monte 7986 F., Ht
Huehuetoca, nördliches Ende der großen Ebene von Mexico (lat. 19° 48'): 7068 F., Ht
Mexico (lat. 19° 25' 45") 7008 F., Ht
Toluca (lat. 19° 16') 8280 F., Ht
Venta de Chalco, südöstliches Ende der Ebene von Mexico (lat. 19° 16'): 7236 F., Ht
San Francisco Ocotlan, westliches Ende der großen Ebene von Puebla: 7206 F., Ht
Cholula, am Fuß der alten Treppen-Pyramide (lat. 19° 2'): 6480 F., Ht
la Puebla de los Angeles (lat. 19° 0' 15") 6756 F., Ht
(Das Dorf las Vigas bezeichnet das östliche Ende der Hochebene von Anahuac, lat. 19° 37'; die Höhe des Dorfes ist 7332 F., Ht)
Während vor dem Anfang des 19ten Jahrhunderts kein einziger Höhenpunkt in ganz Neuspanien barometrisch gemessen war, ist es jetzt möglich gewesen hier in der Richtung von Norden nach Süden, in einer Zone von fast 16½ Breitengraden, zwischen den Städten Santa Fé und der Hauptstadt Mexico 32 hypsometrisch und meist auch astronomisch bestimmte Orte 435 aufzustellen. Wir sehen die Bodenfläche der breiten mexicanischen Hochebene im Mittel zwischen 5500 und 7000 Fuß Höhe wellenförmig schwanken. Der niedrigste Theil des Weges von Parras bis Albuquerque ist noch 1000 Fuß höher als der höchste Theil des Vesuvs.
Von der großen, aber sanftenVergl. Frémont, report of the Exploring Exped. in 1842 p. 60; Dana, Geology of the U. St. Expl. Exped. p. 611–613; und für Südamerika Alcide d'Orbigny, Voy. dans l'Amérique mérid. Atlas Pl. VIII de Géologie spéciale, fig. 1. Anschwellung des Bodens, deren culminirenden Theil wir eben betrachtet haben und welche von Süden nach Norden, von dem tropischen Theile bis zu den Parallelen von 42° und 44°, in ost-westlicher Ausdehnung dermaßen zunimmt, daß das Great Basin, westlich vom großen Salzsee der Mormonen, im Durchmesser über 85 geographische Meilen bei 4000 Fuß mittlerer Höhe hat; sind die mauerartig darauf stehenden Gebirgsketten sehr verschieden. Die Kenntniß dieser Gestaltung ist eine der Hauptfrüchte von Frémont's großen hypsometrischen Untersuchungen in den Jahren 1842 und 1844. Die Anschwellung ist von einer anderen Epoche als das späte Aufsteigen dessen, was man Gebirgszüge und Systeme verschiedener Richtung nennt. Wo ohngefähr unter dem 32ten Breitengrade nach den jetzigen Grenzbestimmungen die Gebirgsmasse von Chihuahua in das westliche Gebiet der Vereinigten Staaten (in die von Mexico abgerissenen Provinzen) eintritt, führt dieselbe schon den etwas unbestimmten Namen der Sierra Madre. Eine bestimmte BifurcationUeber diese Bifurcation und die richtige Benennung der östlichen und westlichen Kette vergl. die große Special-Karte des Territory of New Mexico von Parke und Kern 1851, Edwin Johnson's Map of Railroads 1854, John Bartlett's Map of the Boundary Commission 1854, Explorations and Surveys from the Mississippi to the Pacific in 1853 and 1854 Vol. I. p. 15; und vor allem die vielumfassende, vortreffliche Arbeit von Jules Marcou, Geologist of the southern Pacific R. R. Survey under the Command of Lieut. Whipple: als résumé explicatif d'une Carte géologique des États Unis et d'un Profil géologique allant de la vallée du Mississippi aux côtes de l'Océan Pacifique, p. 113–116; auch im Bulletin de la Société géologique de France, 2e Série T. XII. p. 813. In dem von der Sierra Madre oder den Rocky Mountains eingeschlossenen Längenthale lat. 35°–38°½ haben die einzelnen Gruppen, aus welchen die westliche Kette der Sierra Madre und die östliche Kette der Rocky Mountains (Sierra de Sandia) bestehen, besondere Namen. Zu der ersteren Kette gehören von Süden nach Norden: die Sierra de las Grullas, die S. de los Mimbres (Wislizenus p. 22 und 54), Mount Taylor (lat. 35° 15'), Sierra de Jemez und S. de San Juan; in der östlichen Kette unterscheidet man die Moro Pics, Sierra de la Sangre de Christo mit den östlichen Spanish Peaks (lat. 37° 32') und die, sich nordwestlich wendenden, das Längenthal von Taos und S. Fé schließenden White Mountains. Professor Julius Fröbel, dessen Untersuchung der Vulkane von Central-Amerika ich schon oben (Kosmos Bd. IV. S. 541 [Anm. 2087]) erwähnt habe, hat mit vielem Scharfsinn die Unbestimmtheit der geographischen Benennung Sierra Madre auf den älteren Karten entwickelt, aber zugleich in einer Abhandlung: remarks contributing to the physical Geography of the North American Continent (9th annual Report of the Smithsonian Institution 1855 p. 212–281) die Behauptung aufgestellt, der ich nach Discussion so vieler jetzt vorhandener Materialien keinesweges beipflichten kann: daß die Rocky Mountains gar nicht als eine Fortsetzung des mexicanischen Hochgebirges in der Tropenzone von Anahuac zu betrachten seien. Ununterbrochene Gebirgsketten: wie in den Apenninen, dem schweizer Jura, in den Pyrenäen und einem großen Theile unserer Alpenkette, giebt es allerdings vom 19ten bis zum 44ten Breitengrade, vom Popocatepetl in Anahuac bis nördlich von Frémont's Peak in den Rocky Mountains, in der Richtung von Süd-Süd-Ost gen Nord-Nord-West nicht; aber die ungeheure, gegen Nord und Nordwest in der Breite immer mehr zunehmende Anschwellung des Bodens ist vom tropischen Mexico bis Oregon continuirlich: und auf dieser Anschwellung (Hochebene), welche das geognostische Hauptphänomen ist, erheben sich auf spät und zu sehr ungleicher Zeit entstandenen Spalten in oft abweichender Richtung einzelne Gebirgsgruppen. Diese aufgesetzten Berggruppen: in den Rocky Mountains aber zu der Ausdehnung von 8 Breitengraden fast wallartig zusammenhangend und durch meist trachytische, zehn- bis zwölftausend Fuß hohe Kegelberge weit sichtbar gemacht, lassen um so mehr einen tiefen sinnlichen Eindruck, als dem Auge des Reisenden das umgebende hohe Plateau sich täuschend wie eine Ebene des Flachlandes darstellt. Wenn in den Cordilleren von Südamerika, von denen ich einen beträchtlichen Theil aus eigener Anschauung kenne, seit La Condamine's Zeiten von Zwei- und Drei-Reihung die Rede ist (der spanische Ausdruck las Cordilleras de los Andes bezieht sich ja auf solche Reihung und Theilung der Kette); so darf man nicht vergessen, daß auch hier die Richtungen der einzelnen gereihten Berggruppen, als lange Rücken oder gereihte Dome, keinesweges unter einander oder der Richtung der ganzen Anschwellung parallel sind. zeigt sich aber erst in der Gegend von Albuquerque. Bei dieser Bifurcation behält die westliche Kette die allgemeine Benennung der Sierra Madre; die östliche erhält von lat. 36° 10' an (etwas nordöstlich von Santa Fé) bei amerikanischen und englischen Reisenden den eben nicht glücklich gewählten, aber jetzt überall eingeführten Namen des Felsgebirges, der Rocky Mountains. Beide Ketten bilden ein 436 Längenthal, in dem Albuquerque, Santa Fé und Taos liegen und welches der Rio Grande del Norte durchströmt. In lat. 38°½ wird das Thal durch eine ostwestliche, 22 geogr. Meilen lange Kette geschlossen. Ungetheilt setzen die Rocky Mountains in einer Meridian-Richtung fort bis lat. 41°. In diesem Zwischenraum erheben sich etwas östlich die Spanish Peaks, Pike's Peak (5440 F.), den Frémont schön abgebildet hat, James Peak (10728 F.) und die 3 Park Mountains: welche drei hohe Kesselthäler einschließen, deren Seitenwände mit dem östlichen Long's Peak oder Big Horn bis 8500 und 10500 Fuß emporsteigen.Frémont, Expl. Exped. p. 281–288. Pike's Peak lat. 38° 50', abgebildet p. 114; Long's Peak 40° 15'; Ersteigung von Frémont's Peak (13570 feet) p. 70. Die Wind River Mountains haben ihren Namen von den Quellen eines Zuflusses des Big Horn River, dessen Wasser sich mit denen des Yellow Stone River vereinigen: welcher selbst in den Ober-Missouri (Br. 47° 58', Lg. 105° 27') fällt. S. die Abbildungen des Alpengebirges, reich an Glimmerschiefer und Granit, p. 66 und 70. Ich habe überall die englischen Benennungen der nordamerikanischen Geographen beibehalten, weil deren Uebersetzung in eine rein deutsche Nomenclatur oft eine reiche Quelle der Verwirrung geworden ist. Um in Richtung und Länge die, nach meines Freundes und Reisebegleiters, des Obristen Ernst Hofmann, mühevollen Erforschungen am Nord-Ende östlich gekrümmte und vom truchmenischen Berge Airuck-Tagh (48°¾) bis zum Sablja-Gebirge (65°) volle 255 geogr. Meilen lange Meridiankette des Ural mit den Rocky Mountains vergleichen zu können; erinnere ich hier daran, daß die letztere Kette zwischen den Parallelen von Pike's Peak und Lewis und Clarke's Paß von 107°½ in 114°½ Länge übergeht. Der Ural, welcher in dem eben genannten Abstande von 17 Breitengraden wenig von dem Pariser Meridian von 56° 40' abweicht, verändert ebenfalls seine Richtung unter dem Parallel von 65°, und erlangt unter lat. 67°½ den Meridian von 63°¾. Vergl. Ernst Hofmann, der nördliche Ural und das Küstengebirge Pac-Choi 1856 S. 191 und 297–305 mit Humboldt, Asie centrale (1843) T. I. p. 447. An der östlichen Grenze zwischen dem Middle und North Park verändert die Gebirgskette auf einmal ihre Richtung und wendet sich von lat. 40°¼ bis 44° in einer Erstreckung von ohngefähr 65 geogr. Meilen von Südost nach Nordwest. In diesem Zwischenraume liegen der South Pass (7028 F.) und die berühmten, so wunderbar spitz gezackten Wind River Mountains, mit Frémont's Peak (lat. 43° 8'), welcher die Höhe von 12730 F. erreicht. Im Parallel von 44°, nahe bei den Three Tetons, wo die nordwestliche Richtung aufhört, beginnt wieder die Meridian-Richtung der Rocky Mountains. Sie erhält sich bis gegen Lewi's and Clarke's Pass: der in lat. 47° 2', lg. 114°½ liegt. Dort hat die Kette des Felsgebirges noch eine ansehnliche Höhe (5608 F.), aber wegen der vielen tiefen Flußbetten gegen Flathead River (Clarke's Fork) hin nimmt sie bald an regelmäßiger Einfachheit ab. Clarke's Fork und Lewis oder Snake River bilden den großen Columbia-Fluß, der einst einen wichtigen Weg für den Handel bezeichnen wird. (Exploration for a Railroad from the Mississippi river to the Pacific Ocean, made in 1853–1854 Vol. I. p. 107)
437 Wie in Bolivia die östliche, von dem Meere entferntere Andeskette, die des Sorata (19974 F.) und Illimani (19843 F.), keine jetzt noch entzündete Vulkane darbietet; so ist auch gegenwärtig in den westlichsten Theilen der Vereinigten Staaten die vulkanische Thätigkeit auf die Küstenkette von Californien und Oregon beschränkt. Die lange Kette der Rocky Mountains, verschiedentlich 120 und 200 geogr. Meilen vom Littoral der Südsee entfernt, ohne alle Spur noch ausdauernder Entzündung: zeigt dennoch, gleich der östlichen Kette von Bolivia im Thal von YucayKosmos Bd. IV. S. 321., an beiden Abfällen vulkanisches Gestein, ausgebrannte Krater, ja Obsidian einschließende Laven und Schlackenfelder. In der hier nach den vortrefflichen Untersuchungen von Frémont, Emory, Abbot, Wislizenus, Dana und Jules Marcou geographisch beschriebenen Gebirgskette der Rocky Mountains zählt der Letztgenannte, ein ausgezeichneter Geologe, drei Gruppen alt-vulkanischen Gesteins an beiden Abfällen auf. Die frühesten Beweise von dem Vulcanismus in dieser Gegend verdanken wir auch hier dem Beobachtungsgeiste von Frémont seit den Jahren 1842 und 1843 (Report of the Exploring Expedition to the Rocky Mountains in 1842, and to Oregon and North California in 1843–44 p. 164, 184–187 und 193).
Am östlichen Abfall der Rocky Mountains, auf dem südwestlichen Wege von Bent's Fort am Arkansas-Flusse nach Santa Fé del Nuevo Mexico, liegen zwei ausgebrannte Vulkane, die Raton MountainsDer Raton-Paß hat nach der Wegkarte von 1855, welche zu dem allgemeinen Berichte des Staatssecretärs Jefferson Davis gehört, noch eine Höhe von 6737 Fuß über dem Meere. Vergl. auch Marcou, résumé explicatif d'une Carte géologique 1855 p. 113. mit Fisher's Peak und (zwischen Galisteo und Peña blanca) der Hügel el Cerrito. Die Laven der ersteren überdecken die ganze Gegend zwischen dem oberen Arkansas und dem Canadian River. Der Peperino und die vulkanischen Schlacken: welche man schon in den 438 Prairies zu finden anfängt: je nachdem man sich, von Osten kommend, den Rocky Mountains mehr nähert, gehören vielleicht alten Ausbrüchen des Cerrito oder gar der mächtigen Spanish Peaks (37° 32') an. Dieses östliche vulkanische Gebiet der isolirten Raton Mountains bildet eine Area von 20 geogr. Meilen Durchmesser; sein Centrum liegt ohngefähr in lat. 36° 50'.
Am westlichen Abfall nehmen die sprechendsten Zeugen alter vulkanischer Thätigkeit einen weit größeren Raum ein: welchen die wichtige Expedition des Lieut. Whipple in seiner ganzen Breite von Osten nach Westen durchzogen hat. Dieses vielgestaltete Gebiet, doch nördlich von der Sierra de Mogoyon volle 30 geogr. Meilen lang unterbrochen, ist enthalten (immer nach Marcou's geologischer Karte) zwischen lat. 33° 48' und 35° 40'; es sind also südlichere Ausbrüche als die der Raton Mountains. Ihr Mittel fällt fast in den Parallel von Albuquerque. Das hier bezeichnete Areal zerfällt in zwei Abtheilungen: die dem Kamm der Rocky Mountains nähere des Mount Taylor; welche bei der Sierra de ZuñiEs sind zu unterscheiden von Osten nach Westen der Gebirgsrücken von Zuñi, wo der Paso de Zuñi noch 7451 Fuß erreicht; Zuñi viejo: das alte, zerstörte Pueblo, von Möllhausen auf Whipple's Expedition abgebildet; und das jetzt bewohnte Pueblo de Zuñí. Zehn geogr. Meilen nördlich von letzterem, bei dem Fort Defiance, ist auch noch ein sehr kleines, isolirtes, vulkanisches Gebiet. Zwischen dem Dorfe Zuñi und dem Abfall nach dem Rio Colorado chiquito (little Colorado) liegt unbedeckt der versteinerte Wald, welchen Möllhausen 1853 vortrefflich abgebildet und in einer an die geographische Gesellschaft zu Berlin eingesandten Abhandlung beschrieben hat. Unter die verkieselten Coniferen sind nach Marcou (résumé explic. d'une Carte géol. p. 59) fossile baumartige Farren gemengt. endet; und die westlichere Abtheilung, Sierra de San Francisco genannt. Der 11500 Fuß hohe Kegelberg Mount Taylor ist strahlförmig umgeben von Lavaströmen, die: als Malpais noch jetzt von aller Vegetation entblößt, mit Schlacken und Bimsstein bedeckt, sich mehrere Meilen weit hinschlängeln; ganz wie in der Umgebung des Hekla. – Ohngefähr 18 geogr. Meilen in Westen von dem jetzigen Pueblo de Zuñi erhebt sich das hohe vulkanische Gebirge von San Francisco selbst. Es zieht sich, mit einem Gipfel, den man auf mehr als 15000 Fuß Höhe geschätzt hat, südlich vom Rio Colorado chiquito hin: wo weiter nach Westen Bill William Mountain, der Aztec Pass (5892 F.) und Aquarius Mountains (8000 F.) folgen. Das vulkanische Gestein endet nicht beim Zusammenfluß des 439 Bill William Fork mit dem großen Colorado, nahe bei dem Dorfe der Mohave-Indianer (lat. 34°¼, lg. 116° 20'); denn noch jenseits des Rio Colorado bei dem Soda-See sind mehrere ausgebrannte, noch offene Eruptiv-Krater zu erkennen.Alles nach den Profilen von Marcou und der oben citirten Wegkarte von 1855. So sehen wir also hier in dem jetzigen Neu-Mexico in der vulkanischen Gruppe von der Sierra de San Francisco bis etwas westlich vom Rio Colorado grande oder el occidente (in den der Gila fällt), in einer Strecke von 45 geogr. Meilen, das alt-vulkanische Gebiet der Auvergne und des Vivarais sich wiederholen, und der geologischen Forschung ein neues und weites Feld eröffnen.
Ebenfalls am westlichen Abfall, aber 135 geogr. Meilen nördlicher, liegt die dritte alt-vulkanische Gruppe der Rocky Mountains, die des Frémont's Peak's und der gedoppelten Dreiberge: welche in Kegelgestalt und Sinn der Benennung Trois Tetons und Three ButtesDie französischen Benennungen, von canadischen Pelzjägern eingeführt, sind im Lande und auf englischen Karten allgemein gebräuchlich. Die relative Ortslage der ausgebrannten Vulkane ist nach den neuesten Bestimmungen folgende: Frémont's Peak Br. 43° 5', Lg. 112° 30'; Trois Tetons Br. 43° 38', Lg. 113° 10'; Three Buttes Br. 43° 20', Lg. 115° 2'; Fort Hall Br. 43° 0' Lg. 114° 45'. sich sehr ähnlich sind. Die ersteren liegen westlicher als die letzteren, daher der Gebirgskette ferner. Sie zeigen weit verbreitete, vielfach zerrissene, schwarze Lava-Bänke mit verschlackter Oberfläche.Lieut. Mullan über die vulkanische Formation, in den Reports of Explor. and Surveys Vol. I. (1855) p. 330 und 348; s. auch Lambert's und Tinkham's Berichte über die Three Buttes daselbst p. 167 und 226–230, und Jules Marcou p. 115.
Der Kette der Rocky Mountains parallel und in dem nördlichen Theile seit lat. 46° 12' noch jetzt der Sitz vulkanischer Thätigkeit, laufen theils einfach, theils gedoppelt mehrere Küstenketten hin: zuerst von San Diego bis Monterey (32°¼ bis 36°¾) die speciell so genannte Coast Range, eine Fortsetzung des Landrückens der Halbinsel Alt- oder Unter-Californien; dann, meist 20 geogr. Meilen von dem Littoral der Südsee entfernt, die Sierra Nevada (de Alta California) von 36° bis 40°¾; dann, von den hohen Shasty Mountains im Parallel der Trinidad-Bai (lat. 41° 10') beginnend, die Cascaden-Bergkette (Cascade Range): welche die höchsten noch entzündeten Gipfel enthält und in 26 Meilen Entfernung 440 von der Küste von Süden nach Norden bis weit hinaus über den Parallel der Fuca-Straße streicht. Dieser letzteren Kette gleichlaufend (lat. 43°–46°), aber 70 Meilen vom Littoral entfernt, erheben sich, im Mittel sieben- bis achttausend Fuß hoch, die Blue Mountains.Dana p. 616–621: Blaue Berge, p. 649–651: Sacramento Butt, p. 630–643: Shasty Mountains, p. 614: Cascade Range. – Ueber die durch vulkanisches Gestein durchbrochene Monte Diablo Range s. auch John Trask on the geology of the Coast Mountains and the Sierra Nevada 1854 p. 13–18. – Im mittleren Theile von Alt-Californien, etwas mehr nach Norden: nahe der östlichen Küste oder dem Meerbusen, in der Gegend der ehemaligen Mission de San Ignacio, etwa in 28° N.B, liegen der erloschene Vulkan oder »die Vulkane« de las Virgenes, die ich auf meiner Karte von Mexico angegeben habe. Dieser Vulkan hatte 1746 seinen letzten Ausbruch; über ihn und die ganze Gegend fehlt es an sicheren Nachrichten. (S. Venegas, Noticia de la Caliofornia 1757 T. I. p. 27 und Duflot de Mofras, exploration de l'Orégon et de la Californie 1844 T. I. p. 218 und 239.)
Schon in der Coast Range nahe bei dem Hafen von San Francisco, an dem von Dr. Trask untersuchten Monte del Diablo (3446 F.): und in dem goldreichen Längenthale des Rio del Sacramento, in einem eingestürzten Trachyt-Krater, der Sacramento Butt genannt wird und den Dana abgebildet; ist alt-vulkanisches Gestein aufgefunden worden. Weiter nördlich enthalten die Shasty oder Tshastl Mountains Basalt-Laven; Obsidian, dessen die Eingeborenen sich zu Pfeilspitzen bedienen; und die talkartigen Serpentine, welche an vielen Punkten der Erde als den vulkanischen Formationen nahe verwandt auftreten. Aber der eigentliche Sitz noch jetzt bestehender Entzündung ist das Cascaden-Gebirge: in welchem, mit ewigem Schnee bedeckt, mehrere Pics sich bis 15000 Fuß erheben. Ich lasse diese hier von Süden nach Norden folgen; die gegenwärtig entzündeten, mehr oder weniger 441 thätigen Vulkane sind, wie bisher geschehen (Kosmos Bd. IV. S. 548 Anm. 2092), mit einem Sternchen bezeichnet. Die unbezeichneten hohen Kegelberge sind wahrscheinlich theils ausgebrannte Vulkane, theils ungeöffnete trachytische Glockenberge:
Mount Pitt oder M'Laughlin: lat. 42° 30', etwas westlich vom See Tlamath; Höhe 8960 F.;
Mt Jefferson oder Vancouver (lat. 44° 35'), ein Kegelberg;
Mt Hood (lat. 45° 10'): mit Gewißheit ein ausgebrannter Vulkan, von zelliger Lava bedeckt; nach Dana mit dem, nördlicher in der Vulkan-Reihe gelegenen Mt Saint Helen's zwischen 14000 und 15000 Fuß hoch, doch etwas niedrigerDana (p. 615 und 640) schätzte den Vulkan St. Helen's 15000 Par. Fuß und Mount Hood also unter dieser Höhe; dagegen soll nach Anderen Mt Hood die große Höhe von 18316 feet = 17176 Pariser Fuß: also 2370 Paris. Fuß mehr als der Gipfel des Montblanc und 4438 Fuß mehr als Frémont's Peak in den Rocky Mountains, erreichen. Mt Hood wäre nach dieser Angabe (Landgrebe, Naturgeschichte der Vulkane Bd. I. S. 497) nur 536 Fuß niedriger als der Vulkan Cotopaxi; dagegen überträfe nach Dana Mt Hood den höchsten Gipfel des Felsgebirges höchstens um 2300 Fuß. Ich mache immer gern aufmerksam auf solche variantes lectiones. als dieser; Mt Hood ist erstiegen worden im August 1853 von Lake, Travaillot und Heller;
Mt Swalalahos oder Saddle Hill, in Süd-Süd-Ost von AstoriaDana, Geology of the U. St. Exploring Expedition p. 640 und 643–645.: mit einem eingestürzten, ausgebrannten Krater;
Mt Saint Helen's*, nördlich vom Columbia-Strome (lat. 46° 12'): nach Dana nicht unter 14100 Fuß hochAeltere Varianten der Höhen sind nach Wilkes 9550, nach Simpson 12700 Fuß.; noch entzündet, immer rauchend aus dem Gipfel-Krater; ein mit ewigem Schnee bedeckter Vulkan von sehr schöner, regelmäßiger conischer Gestalt; am 23 November 1842 war ein großer Ausbruch, der nach Frémont alles weit umher mit Asche und Bimsstein bedeckte;
Mt Adams (lat. 46° 18'): fast ganz in Osten von dem Vulkan St. Helen's; über 28 geogr. Meilen von der Küste entfernt, wenn der eben genannte, noch entzündete Berg nur 19 dieser Meilen absteht;
Mt Reignier*, auch Mt Rainier geschrieben: lat. 46° 48'; ost-süd-östlich vom Fort Nisqually, am Pugets-Sund, der mit der Fuca-Straße zusammenhängt: ein 442 brennender Vulkan, nach Edwin Johnson's Wegkarte von 1854 hoch 12330 englische oder 11567 Pariser Fuß; er hatte heftige Eruptionen 1841 und 1843;
Mt Olympus (lat. 47° 50'), nur 6 geogr. Meilen südlich von der, in der Geschichte der Südsee-Entdeckungen lange so berühmten Straße San Juan de Fuca;
Mt Baker*: ein mächtiger, im Gebiet von Washington (lat. 48° 48') aufsteigender, noch jetzt thätiger Vulkan, von großer (ungemessener?) Höhe und rein conischer Form;
Mt Brown (15000 F.?) und etwas östlicher Mt Hooker (15700 F.?) werden als hohe, alt-vulkanische Trachytberge in Neu-Caledonien, unter lat. 52°¼ und lg. 120° und 122°, von Johnson angegeben: also wegen eines Abstandes von mehr als 75 geogr. Meilen von der Küste merkwürdig;
Mt Edgecombe*: auf der kleinen Lazarus-Insel nahe bei Sitka (lat. 57° 3'), dessen heftigen feurigen Ausbruch von 1796 ich zu einer früheren Stelle (Kosmos Bd. IV. S. 306) unten (S. 537 Anm. 2084) erwähnt habe. Cap. Lisiansky, welcher ihn in den ersten Jahren des jetzigen Jahrhunderts erstieg, fand den Vulkan damals unentzündet; die HöheKarsten's Archiv für Mineralogie Bd. I. 1829 S. 243. beträgt nach Ernst Hofmann 2852 F., nach Lisiansky 2628 F.; nahe dabei sind heiße Quellen, die aus Granit ausbrechen, wie auf dem Wege von den Valles de Aragua nach Portocabello;
Mt Fairweather, cerro de Buen Tiempo: nach Malaspina 4489 mètres oder 13802 Fuß hochHumboldt, Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Esp. T. I. p. 266, T. II. p. 310., in lat. 58° 45'; mit Bimsstein bedeckt; wahrscheinlich noch vor kurzem entzündet, wie der Elias-Berg;
Vulkan von Cook's Inlet (lat. 60° 8': nach Admiral Wrangel 11320 Fuß hoch; von diesem gelehrten Seefahrer wie von Vancouver für einen thätigen Vulkan gehaltenNach einem Manuscripte, das ich im Jahre 1803 in den Archiven von Mexico habe benutzen dürfen, ist in der Expedition von Juan Perez und Estevan José Martinez im Jahr 1774 die ganze Küste von Nutka bis zu dem später so genannten Cook's Inlet besucht worden (a. a. O. T. II. 1827 p. 296–298).;
443 Elias-Berg: lat. 60° 17', lg. 138° 30' nach den Handschriften Malaspina's, die ich in den Archiven in Mexico fand, 5441 mètres oder 16749 Par. Fuß hoch: nach der Karte von Cap. Denham 1853 bis 1856 ist die Höhe nur 14044 Par. Fuß.
Was in der nordwestlichen Durchfahrts-Reise von M'Clure (lat. 69° 57', long. 129° 20') östlich vom Ausfluß des Mackenzie-Flusses, die Vulkane der Franklins-Bucht genannt wird, scheint ein Phänomen sogenannter Erdfeuer oder heißer, Schwefeldämpfe ausstoßender Salsen zu sein. Ein Augenzeuge, der Missionar Miertsching, Dolmetscher der Expedition auf dem Schiff Investigation, fand 30 bis 40 Rauchsäulen, welche aus Erdspalten oder kleinen, kegelförmigen Erhebungen von vielfarbigem Letten aufstiegen. Der Schwefelgeruch war so stark, daß man sich den Rauchsäulen kaum auf 12 Schritte nahen konnte. Anstehendes Gestein oder feste Massen waren nicht zu finden. Lichterscheinungen waren Nachts vom Schiffe aus gesehen worden; keine Schlamm-Auswürfe, aber große Hitze des Meeresbodens wurden bemerkt: auch kleine Becken schwefelsauren Wassers. Die Gegend verdient eine genaue Untersuchung, und das Phänomen steht als der vulkanischen Thätigkeit in dem californischen Cascaden-Gebirge des Cerro de Buen Tiempo oder des Elias-Berges ganz fremd da. (M'Clure, discovery of the N. W. Passage p. 99; Papers relative to the Arctic Expedition 1854 p. 34; Miertsching's Reise-Tagebuch, Gnadau 1855, S. 46.)
Ich habe bisher in ihrem innigen Zusammenhange geschildert die vulkanischen Lebensthätigkeiten unseres Planeten, gleichsam die Steigerung des großen und geheimnißvollen 444 Phänomens einer Reaction des geschmolzenen Inneren gegen die mit Pflanzen- und Thier-Organismen bedeckte Oberfläche. Auf die fast bloß dynamischen Wirkungen des Erdbebens (der Erschütterungswellen) habe ich die Thermalquellen und Salsen: d. i. Erscheinungen folgen lassen, welche, mit oder ohne Selbstentzündung, durch die den Quellwassern und Gas-Ausströmungen mitgetheilte, bleibende Temperatur-Erhöhung wie durch chemische Mischungs-Verschiedenheit erzeugt werden. Der höchste und in seinen Aeußerungen complicirteste Grad der Steigerung wird in den Vulkanen dargeboten: da diese die großen und so verschiedenartigen Processe krystallinischer Gesteinbildung auf trockenem Wege hervorrufen, und deshalb nicht bloß auflösen und zerstören, sondern auch schaffend auftreten und die Stoffe zu neuen Verbindungen umgestalten. Ein beträchtlicher Theil sehr neuer, wo nicht der neuesten Gebirgsschichten ist das Werk vulkanischer Thätigkeit: sei es, wenn noch jetzt an vielen Punkten der Erde aus eigenen, kegel- oder domförmigen Gerüsten geschmolzene Massen sich ergießen; oder daß in dem Jugendalter unseres Planeten, ohne Gerüste, aus einem Netze offener Spalten neben den Sedimentschichten basaltisches und trachytisches Gestein unmittelbar entquoll.
Die Oertlichkeit der Punkte, in welchen ein Verkehr zwischen dem flüssigen Erd-Inneren und der Atmosphäre sich lange offen erhalten hat, habe ich sorgfältigst in den vorstehenden Blättern zu bestimmen gestrebt. Es bleibt jetzt übrig die Zahl dieser Punkte zu summiren, aus der reichen Fülle der in sehr fernen historischen Zeiten thätigen Vulkane die jetzt noch entzündeten auszuscheiden, und sie nach ihrer Vertheilung in continentale und Insel-Vulkane zu 445 betrachten. Wenn alle, die ich in der Summirung als untere Grenzzahl (nombre limite, limite inférieure) glaube annehmen zu dürfen, gleichzeitig in Thätigkeit wären: so würde ihr Einfluß auf die Beschaffenheit des Luftkreises und seine klimatischen, besonders electrischen Verhältnisse gewiß überaus bemerkbar sein; aber die Ungleichzeitigkeit der Eruptionen vermindert den Effect und setzt demselben sehr enge und meist nur locale Schranken. Es entstehen bei großen Eruptionen um den Krater, als Folge der Verdampfung, vulkanische Gewitter, welche, von Blitz und heftigen Regengüssen begleitet, oft verheerend wirken; aber ein solches atmosphärisches Phänomen hat keine allgemeine Folgen. Denn daß die denkwürdige Verfinsterung (der sogenannte Höherauch), welcher viele Monate lang vom Mai bis August des Jahres 1783 einen bedeutenden Theil von Europa und Asien, wie Nord-Afrika in Erstaunen setzte (wogegen auf hohen schweizer Gebirgen der Himmel rein und ungetrübt gesehen wurde), von großer Thätigkeit des isländischen Vulcanismus und der Erdbeben von Calabrien verursacht worden sei: wie man bisweilen noch jetzt behauptet; ist mir wegen der Größe der Erscheinung sehr unwahrscheinlich: wenn gleich ein gewisser Einfluß der Erdbeben, wo sie viel Raum umfassen, auf den ungewöhnlichen Eintritt der Regenzeit, wie im Hochlande von Quito und Riobamba (Februar 1797) oder im südöstlichen Europa und Kleinasien (Herbst 1856), eher anzunehmen sein möchte als der isolirte Einfluß einer vulkanischen Eruption.
In der hier folgenden Tabelle zeigt die erste Ziffer die Anzahl der in den vorigen Blättern aufgeführten Vulkane an; die zweite, in Parenthesen eingeschlossene Zahl deutet auf den Theil derselben, welcher noch seit der neueren Zeit Beweise der Entzündung gegeben hat.
446 Zahl der Vulkane auf dem Erdkörper.
I | Europa (Kosmos Bd. IV.) | S. 371–373 | 7 | (4) | ||
II | Inseln des atlantischen Meeres |
S. 373–376 | 14 | (8) | ||
III | Afrika | S. 377–378 | 3 | (1) | ||
IV | Asien, das continentale: | 25 | (15) | |||
a) | westlicher Theil und das Innere |
S. 379–386 | 11 | (6) | ||
b) | Halbinsel Kamtschatka | S. 386–392 | 14 | (9) | ||
V | ost-asiatische Inseln | S. 302–404 | 69 | (54) | ||
VI | süd-asiatische Inseln | S. 323–332, 404–409 | 120 | (56) | ||
VII | indischer Ozean | S. 409–414, Anm. 2199 | 9 | (5) | ||
VIII | Südsee | S. 414–428, Anm. 2203–2205 | 40 | (26) | ||
IX | Amerika, das continentale: | 115 | (53) | |||
a) | Südamerika: | 56 | (26) | |||
α) | Chili | S. 317, 321–2, Anm. 2095 | 24 | (13) | ||
β) | Peru und Bolivia | S. 317–321, Anm. 2094 | 14 | (3) | ||
β) | Quito und Neu- Granada |
S. 317, 318–320, Anm. 2093 | 18 | (10) | ||
b) | Central-Amerika | S. 297–300, 306–311, 352; Anm. 2072–2075, 2086–2088 | 56 | (26) | ||
c) | Mexico, südlich vom rio Gila | S. 311–313, 317, 334–352; Anm. 2126–2033, 2227–2234 | 6 | (4) | ||
d) | Nordwest-Amerika, nördlich vom Gila |
S. 435–443 | 24 | (5) | ||
AntillenIn den antillischen Inseln ist die vulkanische Thätigkeit auf die sogenannten Kleinen Antillen eingeschränkt: da drei oder vier noch thätige Vulkane auf einer etwas bogenförmigen Spalte von Süden nach Norden, den Vulkan-Spalten Central-Amerika's ziemlich parallel, ausgebrochen sind. Ich habe schon bei einer anderen Gelegenheit: bei den Betrachtungen, welche die Gleichzeitigkeit der Erdbeben in den Flußthälern des Ohio, Missisippi und Arkansas mit denen des Orinoco und des Littorals von Venezuela anregt; das kleine Meer der Antillen in seinem Zusammenhang mit dem Golf von Mexico und der großen Ebene der Luisiana zwischen den Alleghanys und Rocky Mountains, nach geognostischen Ansichten, als ein einiges altes Becken geschildert (Voyage aux Régions équinoxiales T. II. p. 5 und 19; Kosmos Bd. IV. S. 10). Dieses Becken wird in seiner Mitte, zwischen 18° und 22° Breite, durch eine plutonische Gebirgsreihe vom Cap Catoche der Halbinsel Yucatan an bis Tortola und Virgen gorda durchschnitten. Cuba, Haiti und Portorico bilden eine west-östliche Reihe, welche der Granit- und Gneißkette von Caracas parallel läuft; dagegen verbinden die, meist vulkanischen, Kleinen Antillen die eben bezeichnete plutonische Kette (die der Großen Antillen) und die des Littorals von Venezuela mit einander; sie schließen den südlichen Theil des Beckens in Osten. Die jetzt noch thätigen Vulkane der Kleinen Antillen liegen zwischen den Parallelen von 13° bis 16°½. Es folgen von Süden nach Norden:
Der Vulkan der Insel St. Vincent: bald zu 3000, bald zu 4740 Fuß Höhe angegeben. Seit dem Ausbruch von 1718 herrschte Ruhe, bis ein ungeheurer Lava-Ausbruch am 27 April 1812 erfolgte. Die ersten Erschütterungen, dem Krater nahe, fingen bereits im Mai 1811 an: drei Monate nachdem die Insel Sabrina in den Azoren aus dem Meere aufgestiegen war. In dem Bergthal von Caracas, 3280 Fuß über dem Meeresspiegel, begannen sie schwach schon im December desselben Jahres. Die völlige Zerstörung der großen Stadt war am 26 März 1812. So wie mit Recht das Erdbeben, welches am 14 Dec. 1796 Cumana zerstörte, der Eruption des Vulkans von Guadeloupe (Ende Septembers 1796) zugeschrieben wurde; so scheint der Untergang von Caracas eine Wirkung der Reaction eines südlicheren Vulkans der Antillen, des von St. Vincent, gewesen zu sein. Das furchtbare, dem Kanonendonner gleiche, unterirdische Getöse, welches eine heftige Eruption des zuletzt genannten Vulkans am 30 April 1812 erregte, wurde in den weiten Gras-Ebenen (Llanos) von Calabozo und an den Ufern des Rio Apure, 48 geogr. Meilen westlicher als seine Vereinigung mit dem Orinoco, vernommen (Humb. Voy. T. II. p. 14). Der Vulkan von St. Vincent hatte keine Lava gegeben seit 1718; am 30 April entfloß ein Lavastrom dem Gipfelkrater und gelangte nach 4 Stunden bis an das Meeresufer. Sehr auffallend ist es gewesen und mir von sehr verständigen Küstenfahrern bestätigt worden, daß das Getöse auf offnem Meere fern von der Insel weit stärker war als nahe am Littoral. Der Vulkan der Insel S. Lucia, gewöhnlich nur eine Solfatare genannt, ist kaum zwölf- bis achtzehnhundert Fuß hoch. Im Krater liegen viele kleine, periodisch mit siedendem Wasser gefüllte Becken. Im Jahr 1766 soll ein Auswurf von Schlacken und Asche beobachtet worden sein, was freilich bei einer Solfatare ein ungewöhnliches Phänomen ist; denn wenn auch (nach den gründlichen Untersuchungen von James Forbes und Poulett Scrope) an einer Eruption der Solfatare von Pozzuoli im Jahr 1198 wohl nicht zu zweifeln ist: so könnte man doch geneigt sein dies Ereigniß als eine Seitenwirkung des nahe gelegenen Hauptvulkans, des Vesuvs, zu betrachten. (S. Forbes im Edinb. Journal of Science Vol. I. p. 128 und Poulett Scrope in den Transact. of the Geol. Soc. 2d Ser. Vol. II. p. 346.) Lancerote, Hawaii und die Sunda-Inseln bieten uns analoge Beispiele von Ausbrüchen dar, welche von den Gipfel-Kratern, dem eigentlichen Sitze der Thätigkeit, überaus fern liegen. Freilich hat sich bei großen Vesuv-Eruptionen in den Jahren 1794, 1822, 1850 und 1855 die Solfatara von Pozzuoli nicht geregt (Julius Schmidt über die Eruption des Vesuvs im Mai 1855 S. 156): wenn gleich Strabo (lib. V pag. 245), lange vor dem Ausbruch des Vesuvs, in dem Brandfelde von Dicäarchia bei Kymäa und Phlegra auch von Feuer, freilich unbestimmt, spricht. (Dicäarchia erhielt zu Hannibals Zeit von den Römern, die es da colonisirten, den Namen Puteoli. »Einige meinen«, setzt Strabo hinzu, »daß wegen des üblen Geruches des Wassers die ganze dortige Gegend bis Bajä und Kymäa so genannt sei, weil sie voll Schwefels, Feuers und warmer Wasser ist. Einige glauben, daß deshalb Kymäa, Cumanus ager, auch Phlegra genannt werde . . . .«; und danach erwähnt Strabo noch dort »Ergüsse von Feuer und Wasser, προχοὰς τοῦ πυρὸς καὶ τοῦ ὕδατος«.) Die neue vulkanische Thätigkeit der Insel Martinique in der Montagne Pelée (nach Dupuget 4416 F. hoch), dem Vauclin und den Pitons du Carbet ist noch zweifelhafter. Der große Dampf-Ausbruch vom 22 Januar 1792, welchen Chisholm beschreibt, und der Aschenregen vom 5 August 1851 verdienen nähere Prüfung. Die Soufrière de la Guadeloupe: nach den älteren Messungen von Amic und le Boucher 5100 und 4794 Fuß, aber nach den neuesten und sehr genauen von Charles Sainte-Claire Deville nur 4567 Fuß hoch, hat sich am 28 Sept. 1797 (also 78 Tage vor dem großen Erdbeben und der Zerstörung der Stadt Cumana) als ein Bimsstein auswerfender Vulkan erwiesen (rapport fait au Général Victor Hugues par Amic et Hapel sur le Volcan de la Basse-Terre, dans la nuit du 7 au 8 Vendimiaire an 6, pag. 46; Humb. Voyage T. I. p. 316). Der untere Theil des Berges ist dioritisches Gestein; der vulkanische Kegelberg, dessen Gipfel geöffnet ist, labrador-haltiger Trachyt. Lava scheint dem Berge, welchen man wegen seines gewöhnlichen Zustandes die Soufrière nennt, nie in Strömen entflossen zu sein, weder aus dem Gipfel-Krater noch aus Seitenspalten; aber die von dem vortrefflichen, so früh dahingeschiedenen Dufrénoy, mit der ihm eigenen Genauigkeit, untersuchten Aschen der Eruptionen vom Sept. 1797, Dec. 1836 und Febr. 1837 erwiesen sich als fein zermalmte Laven-Fragmente, in denen feldspathartige Mineralien (Labrador, Rhyakolith und Sanidin) neben Pyroxen zu erkennen waren. S. Lherminier, Daver, Elie de Beaumont und Dufrénoy in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. IV. 1837 p. 294, 651 und 743–749.) Auch kleine Fragmente von Quarz hat neben den Labrador-Krystallen Deville in den Trachyten der Soufrière (Comptes rendus T. XXXII. p. 675) erkannt, wie Gustav Rose sogar Hexagon-Dodecaëder von Quarz auch in den Trachyten des Vulkans von Arequipa (Meyen, Reise um die Erde Bd. II. S. 23) fand. Die hier geschilderten Erscheinungen, ein temporäres Ausstoßen sehr verschiedenartiger mineralischer Gebilde aus den Spalten-Oeffnungen einer Soufrière, erinnern recht lebhaft daran, daß, was man Solfatare, Soufrière oder Fumarole zu nennen pflegt, eigentlich nur gewisse Zustände vulkanischer Thätigkeit bezeichnet. Vulkane, die einst Laven ergossen oder, wenn diese gefehlt, unzusammenhangende Schlacken von beträchtlichem Volum: ja endlich dieselben Schlacken, aber durch Reibung gepulvert, ausgestoßen haben; kommen bei verminderter Thätigkeit in ein Stadium, in dem sie nur Schwefel, Sublimate, schweflige Säure und Wasserdampf liefern. Wenn man sie als solche Halbvulkane nennt, so wird man leicht Veranlassung zu der Meinung geben, sie seien eine eigene Classe von Vulkanen. Bunsen: dem mit Boussingault, Senarmont, Charles Deville und Daubrée, durch scharfsinnige und glückliche Anwendung der Chemie auf Geologie und besonders auf die vulkanischen Processe, unsere Wissenschaft so herrliche Fortschritte verdankt; zeigt, »wie da, wo in Schwefel-Sublimationen, welche fast alle vulkanischen Eruptionen begleiten, die Schwefelmassen in Dampfgestalt den glühenden Pyroxen-Gesteinen begegnen, die schweflige Säure ihren Ursprung nimmt durch partielle Zersetzung des in jenen Gesteinen enthaltenen Eisen-Oxydes. Sinkt darauf die vulkanische Thätigkeit zu niederen Temperaturen herab, so tritt die chemische Thätigkeit dieser Zone in eine neue Phase. Die daselbst erzeugten Schwefel-Verbindungen des Eisens und vielleicht der Erd- und Alkali-Metalle beginnen ihre Wirkung auf den Wasserdampf: und als Resultat der Wechselwirkung entstehen Schwefel-Wasserstoff und dessen Zersetzungs-Producte: freier Wasserstoff und Schwefeldampf.« – Die Schwefel-Fumarolen überdauern die großen vulkanischen Ausbrüche Jahrhunderte lang. Die Salzsäuren-Fumarolen gehören einer anderen und späteren Periode an. Sie können nur selten den Charakter permanenter Erscheinungen annehmen. Der Ursprung der Salzsäure in den Krater-Gasen ergiebt sich daraus, daß das Kochsalz, welches so oft als Sublimations-Product bei Vulkanen, besonders am Vesuv, auftritt, bei höheren Temperaturen unter Mitwirkung von Wasserdampf durch Silicate in Salzsäure und Natron zerlegt wird: welches letztere sich mit den vorhandenen Silicaten verbindet. Salzsäuren-Fumarolen, die bei italiänischen Vulkanen nicht selten in dem großartigsten Maaßstabe, und dann gewöhnlich von mächtigen Kochsalz-Sublimationen begleitet zu sein pflegen, erscheinen für Island von sehr geringer Bedeutung. Als die Endglieder in der chronologischen Reihenfolge aller dieser Erscheinungen treten zuletzt nur die Emanationen der Kohlensäure auf. Der Wasserstoff-Gehalt ist bisher in den vulkanischen Gasen fast gänzlich übersehen worden. Er ist vorhanden in der Schwefelquelle der großen Solfatare von Krisuvik und Reykjalidh auf Island: und zwar an beiden Orten mit Schwefel-Wasserstoff verbunden. Da sich der letztere in Contact mit schwefliger Säure gegenseitig mit dieser unter Abscheidung von Schwefel zersetzt, so können beide niemals zugleich auftreten. Sie finden sich aber nicht selten auf einem und demselben Fumarolen-Felde dicht neben einander. War das Schwefel-Wasserstoffgas in den eben genannten isländischen Solfataren so unverkennbar, so fehlte es dagegen gänzlich in dem Solfataren-Zustand, in welchem sich der Krater des Hekla kurz nach der Eruption vom Jahre 1845 befand: also in der ersten Phase der vulkanischen Nachwirkungen. Es ließ sich daselbst weder durch den Geruch noch durch Reagentien die geringste Spur von Schwefel-Wasserstoff nachweisen, während die reichliche Schwefel-Sublimation die Gegenwart der schwefligen Säure schon in weiter Entfernung durch den Geruch unzweifelhaft zu erkennen gab. Zwar zeigten sich über den Fumarolen bei Annäherung einer brennenden Cigarre jene dicken Rauchwolken, welche Melloni und Piria (Comptes rendus T. XI. 1840 p. 352 und Poggendorff's Annalen, Ergänzungsband 1842 S. 511) als ein Kennzeichen der geringsten Spuren von Schwefel-Wasserstoff nachgewiesen haben. Da man sich aber leicht durch Versuche überzeugen kann, daß auch Schwefel für sich, wenn er mit Wasserdämpfen sublimirt wird, dasselbe Phänomen hervorbringt; so bleibt es zweifelhaft, ob auch nur eine Spur von Schwefel-Wasserstoff die Krater-Emanationen am Hekla 1845 und am Vesuv 1843 begleitet habe. (Vergl. die treffliche, in geologischer Hinsicht so wichtige Abhandlung von Robert Bunsen über die Processe der vulkanischen Gesteinsbildungen Islands in Poggend. Ann. Bd. 83. 1851 S. 241, 244, 246, 248, 250, 254 und 256: als Erweiterung und Berichtigung der Abhandlungen von 1847 in Wöhler's und Liebig's Annalen der Chemie und Pharmacie Bd. 62. S. 19.) Daß die Emanationen der Solfatare von Pozzuoli nicht Schwefel-Wasserstoff seien und daß sich nicht aus diesem durch Contact mit der Atmosphäre ein Schwefel absetze, wie Breislak in seiner Schrift essai minéralogique sur la soufrière de Pozzuoli 1792 p. 128–130) behauptet hatte; bemerkte schon Gay-Lussac, als zur Zeit des großen Lava-Ausbruchs im Jahr 1805 ich mit ihm die phlegräischen Felder besuchte. Sehr bestimmt läugnet auch der scharfsinnige Arcangelo Scacchi (memorie geologiche sulla Campania 1849 p. 49–121) die Existenz des Schwefel-Wasserstoffs, weil ihm Piria's Prüfungsmittel nur die Anwesenheit des Wasserdampfs zu erweisen schienen: »Son di avviso che lo solfo emane mescolato a i vaopri acquei senza essere in chimica combinazione con altre sostanze.« Eine wirkliche und von mir so lange erwartete Analyse der Gas-Arten, welche die Solfatare von Pozzuoli ausstößt, ist erst ganz neuerlich von Charles Sainte-Claire Deville und Leblanc geliefert worden, und hat die Abwesenheit des Schwefel-Wasserstoffs vollkommen bestätigt (Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XLIII. 1856 p. 746). Dagegen bemerkte Sartorius von Waltershausen (physisch-geographische Skizze von Island 1847 S. 120) an Eruptions-Kegeln des Aetna 1811 den starken Geruch von Schwefel-Wasserstoff, wo man in anderen Jahren nur schweflige Säure verspürte. Ch. Deville hat auch nicht bei Girgenti und in den Macalube, sondern an dem östlichen Abhange des Aetna, in der Quelle von Santa Venerina, einen kleinen Antheil von Schwefel-Wasserstoff gefunden. Auffallend ist es, daß in der wichtigen Reihe chemischer Analysen, welche Boussingault an Gas aushauchenden Vulkanen der Andeskette (von Puracé und Tolima bis zu den Hochebenen von los Pastos und Quito) gemacht hat, sowohl Salzsäure als hydrogène sulfureux fehlen. |
S. 599–601 | 5 | (3) | |||
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in Summa | 407 | (225) |
447 Das Resultat dieser mühevollen Arbeit, welche mich lange beschäftigt hat, da ich überall zu den Quellen (den geognostischen und geographischen Reiseberichten) aufgestiegen bin, ist gewesen: daß von 407 aufgeführten Vulkanen noch in der neueren Zeit sich 225 als entzündet gezeigt haben. Die früheren Angaben der ZählungDie älteren Arbeiten geben für noch entzündete Vulkane folgende Zahlen: bei Werner 193, bei Cäsar von Leonhard 187, bei Arago 175 (Astronomie populaire T. III. p. 170): Variationen in Vergleich mit meinem Resultate alle in minus oscillirend in der unteren Grenze in Unterschieden von 1/8 bis 1/4,5, worauf Verschiedenheit der Grundsätze in der Beurtheilung der noch bestehenden Entzündung und Mangelhaftigkeit des eingesammelten Materials gleichmäßig einwirken. Da, wie schon oben bemerkt ist und historische Erfahrungen lehren, nach sehr langen Perioden für ausgebrannt gehaltene Vulkane wieder thätig werden; so ist das Resultat, welches ich aufstelle, eher für zu niedrig als für zu hoch zu erachten. Leopold von Buch in dem Anhange zu seiner meisterhaften Beschreibung der canarischen Inseln und Landgrebe in seiner Geographie der Vulkane haben kein allgemeines Zahlenresultat zu geben gewagt. thätiger Vulkane sind bald um 30, bald um 50 geringer ausgefallen: schon darum, weil sie nach anderen Grundsätzen angefertigt wurden. Ich habe mich für diese Abtheilung auf diejenigen Vulkane beschränkt, welche noch Dämpfe ausstoßen oder historisch gewisse Eruptionen gehabt haben im 19ten oder in der letzten Hälfte des 18ten Jahrhunderts. Es giebt allerdings Unterbrechungen von Ausbrüchen, die über vier Jahrhunderte und mehr hinausgehen; aber solche Erscheinungen gehören zu den seltensten. Man kennt die langsame Folge der großen Ausbrüche des Vesuvs in den Jahren 79, 203, 512, 652, 983, 1138 und 1500. Vor der großen Eruption des Epomeo auf Ischia vom Jahr 1302 kennt man allein die aus den Jahren 36 und 45 vor unserer Zeitrechnung: also 55 Jahre vor dem Ausbruch des Vesuvs.
Strabo, der, 90 Jahr alt, unter Tiberius (99 Jahre nach der Besetzung des Vesuvs durch Spartacus) starb und auf den keine historische Kenntniß eines älteren Ausbruchs gekommen war, erklärt doch den Vesuv für einen alten, längst ausgebrannten Vulkan. »Ueber den Orten« (Herculanum und Pompeji), sagt er, »liegt der Berg Vesuios, von den schönsten Feldgütern umwohnt, außer dem Gipfel. Dieser ist zwar großentheils eben, aber unfruchtbar insgesammt, der Ansicht nach aschenartig. Er zeigt spaltige Höhlen von rußfarbigem Gestein, wie wenn es vom Feuer zerfressen wäre: so daß man vermuthen darf, diese Stelle habe ehemals 448 gebrannt und Schlundbecher des Feuers gehabt; sei aber erloschen, als der Brennstoff verzehrt war.« (Strabo lib. V p. 247 Casaub.) Diese Beschreibung der primitiven Gestaltung des Vesuvs deutet weder auf einen Aschenkegel noch auf eine kraterähnliche VertiefungDiese Beschreibung ist also ganz im Gegensatz der oft wiederholten Abbildung des Vesuvs nach Strabo in Poggendorff's Annalen der Physik Bd. XXXVII. S. 190 Tafel I. Erst ein sehr später Schriftsteller, Dio Cassius, unter Septimius Severus, spricht nicht (wie oft behauptet worden ist) von Entstehung mehrerer Gipfel: sondern bemüht sich zu erweisen, wie in dem Lauf der Zeiten die Gipfelform sich umgeändert hat. Er erinnert daran (also ganz zur Bestätigung des Strabo), daß der Berg ehemals einen überall ebenen Gipfel hatte. Seine Worte (lib. LXVI cap. 21, ed. Sturz Vol. IV. 1824 p. 240) lauten also: »Denn der Vesuv ist am Meere bei Neapel gelegen und hat reichliche Feuerquellen. Der ganze Berg war ehemals gleich hoch, und aus seiner Mitte erhob sich das Feuer: denn an dieser Stelle ist er allein in Brand. Das ganze Aeußere desselben ist aber noch bis auf unsere Zeiten feuerlos. Da nun das Aeußere stets ohne Brand ist, das Mittlere aber ausgetrocknet (erhitzt) und in Asche verwandelt wird, so haben die Spitzen umher bis jetzt die alte Höhe. Der ganze feurige Theil aber, durch die Länge der Zeit aufgezehrt, ist durch Senkung hohl geworden, so daß der ganze Berg (um Kleines mit Großem zu vergleichen) einem Amphitheater ähnlich ist.« (Vergl. Sturz Vol. VI,. Annot. II. p. 568.) Dies ist eine deutliche Beschreibung derjenigen Bergmassen, welche seit dem Jahre 79 Kraterränder geworden sind. Die Deutung auf das Atrio del Cavallo scheint mir unrichtig. – Nach der großen, vortrefflichen, hypsometrischen Arbeit des so thätigen und ausgezeichneten Olmützer Astronomen Julius Schmidt vom Jahr 1855 hat die Punta Nasone der Somma 590 Toisen, das Atrio del Cavallo am Fuß der Punta Nasone 417t, Punta oder Rocca del Palo (der höchste nördliche Kraterrand des Vesuvs, S. 112–116) 624t. Meine barometrischen Messungen von 1822 gaben (Ansichten der Natur Bd. II. S. 290–292) für dieselben drei Punkte die Höhen 586, 403 und 629t (Unterschiede von 24, 84 und 30 Fuß). Der Boden des Atrio del Cavallo hat nach Julius Schmidt (Eruption des Vesuvs im Mai 1855 S. 95) seit dem Ausbruche im Februar 1850 große Niveau-Veränderungen erlitten. des alten Gipfels, welche, umwallt, dem SpartacusVellejus Paterculus, der unter Tiberius starb, nennt (II, 30) allerdings den Vesuv als den Berg, welchen Spartacus mit seinen Gladiatoren besetzte, während bei Plutarch in der Biographie des Crassus cap. 11 bloß von einer felsigen Gegend die Rede ist, die einen einzigen schmalen Zugang hatte. Der Sklavenkrieg des Spartacus war im Jahr 681 der Stadt Rom, also 152 Jahre vor dem Plinianischen Ausbruch des Vesuvs (24 August 79 n. Chr.). Daß Florus: ein Schriftsteller, der unter Trajan lebte und also, den eben bezeichneten Ausbruch kennend, wußte, was der Berg in seinem Inneren verbirgt, denselben cavus nennt: kann, wie schon von Anderen bemerkt worden ist, für die frühere Gestaltung nichts erweisen. (Florus lib. I cap. 16: Vesuvius mons, Aetnaei ignis imitator; lib. II cap. 20: Fauces cavi montis.) und seinen Gladiatoren zur Schutzwehr dienen konnte.
Auch Diodor von Sicilien (lib. VI. cap. 21,5), der unter Cäsar und Augustus lebte, bezeichnet bei den Zügen des Hercules und dessen Kampfe mit den Giganten in den phlegräischen Feldern »den jetzt so genannten Vesuvius als einen λόφος, welcher, dem Aetna in Sicilien vergleichbar, einst viel Feuer ausstieß und (noch) Spuren der alten Entzündung aufweist.« Er nennt den ganzen Raum zwischen Cumä und Neapolis die phlegräischen Felder, wie Polybius (lib. II cap. 17) den noch größeren Raum zwischen Capua und Nola: während Strabo (lib. V pag. 246) die Gegend bei Puteoli (Dicäarchia), wo die große Solfatare liegt, mit so vieler localer Wahrheit beschreibt und Ἡφαίστου ἀγορά nennt. In späterer Zeit ist gemeinhin auf diese Gegend der Name ta jlegraia pedía beschränkt, wie noch jetzt die Geognosten die mineralogische Zusammensetzung der Laven der phlegräischen Felder der aus der Umgegend des Vesuvs entgegenstellen. Dieselbe Meinung, daß es in alten Zeiten unter dem Vesuv gebrannt und daß dieser Berg alte Ausbrüche gehabt habe, finden wir in dem Lehrbuch der Architectur des Vitruvius (lib. II cap. 6) auf das bestimmteste ausgedrückt in einer Stelle, die bisher nicht genug beachtet worden ist: »Non minus etiam memoratur, antiquitus crevisse ardores et abundavisse sub Vesuvio monte, et inde evomuisse circa 449 agros flammam. Ideoque nunc qui spongia sive pumex Pompejanus vocatur, exoctus ex alio genere lapidis, in hanc redactus esse videtur generis qualitatem. Id autem genus spongiae, quod inde eximitur, non in omnibus locis nascitur, nisi circum Aetnam et collibus Mysiae, qui a Graecis κατακεκαυμένοι nominantur. Da nach den Forschungen von Böckh und Hirt kein Zweifel mehr darüber herrschen kann, daß Vitruv unter August gelebt hatVitruvius hat auf jeden Fall früher als der ältere Plinius geschrieben: nicht bloß weil er in dem, von dem englischen Uebersetzer Newton mit Unrecht angegriffenen, Plinianischen Quellen-Register dreimal (lib. XVI, XXXV und XXXVI) citirt ist; sondern weil eine Stelle im Buch XXXV cap. 14 § 170–172, wie Sillig (Vol. V. 1851 p. 277) und Brunn (diss. de auctorum indicibus Plinianis, Bonnae 1856, p. 55–60) bestimmt erwiesen haben, aus unserem Vitruvius von Plinius selbst excerpirt worden ist. Vergl. auch Sillig' s Ausgabe des Plinius Vol. V. p. 272. Hirt in seiner Schrift über das Pantheon setzt die Abfassung der Architectur des Vitruvius zwischen die Jahre 16 und 14 vor unserer Zeitrechnung.: also ein volles Jahrhundert vor der Eruption des Vesuvs, bei welcher der ältere Plinius den Tod fand; so bietet die angeführte Stelle und der Ausdruck pumex Pompejanus (die Verbindung von Bimsstein und Pompeji) noch ein besondres geognostisches Interesse in Hinsicht auf die Streitfrage dar: ob nach der scharfsinnigen Vermuthung Leopolds von BuchPoggendorff's Annalen Bd. XXXVII. S. 175–180. Pompeji nur bedeckt worden sei durch die bei der ersten Bildung der Somma gehobenen, bimssteinhaltigen Tuffschichten, welche, von submariner Bildung, die ganze Fläche zwischen dem apenninischen Gebirge und der westlichen Küste von Capua bis Sorrent, von Nola bis über Neapel hinaus, in söhligen Schichten bedecken; oder ob der Vesuv, ganz gegen seine jetzige Gewohnheit, aus seinem Inneren den Bimsstein selbst ausgestoßen habe?
Carmine LippiCarmine Lippi: fu il fuoco o l'acqua che sotterrò Pompei ed Ercolano? (1816) p. 10. sowohl, der (1816) die Tuff-Bedeckung von Pompeji einer Wasserbedeckung zuschreibt; als sein scharfsinniger Gegner, Archangelo ScacchiScacchi, osservazioni chritiche sulla maniera comme fu seppellita l'Antica Pompei 1843 p. 8–10., in dem Briefe, welcher an den Cavaliere Francesco Avellino (1843) gerichtet ist: haben auf die merkwürdige Erscheinung aufmerksam gemacht, daß ein Theil der Bimssteine von Pompeji und der Somma kleine Kalkstücke einschließen, die ihre Kohlensäure nicht verloren haben: was, wenn dieselben einem großen Drucke in feuriger Bildung ausgesetzt 450 gewesen sind, nicht viel Wunder erregen kann. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt Proben dieser Bimssteine in den interessanten geognostischen Sammlungen meines gelehrten Freundes und akademischen Collegen, des Dr. Ewald, zu sehen. Die Gleichheit der mineralogischen Beschaffenheit an zwei entgegengesetzten Punkten mußte die Frage veranlassen: ob, was Pompeji bedeckt, wie Leopold von Buch will, bei dem Ausbruch des Jahrs 79 von den Abhängen der Somma herabgestürzt ist; oder ob der neu geöffnete Krater des Vesuvs, wie Scacchi behauptet, Bimsstein gleichzeitig nach Pompeji und an die Somma geworfen habe? Was zu den Zeiten des Vitruvius, unter Augustus, als pumex Pompejanus bekannt war, leitet auf Vor-Plinianische Ausbrüche; und nach den Erfahrungen, welche wir über die Veränderlichkeit der Bildungen in verschiedenem Alter und bei verschiedenen Zuständen vulkanischer Thätigkeit haben, ist man wohl eben so wenig berechtigt absolut zu läugnen, der Vesuv habe von seiner Entstehung an nie Bimsstein hervorbringen können: als absolut anzunehmen, Bimsstein, d. h. der fasrige oder poröse Zustand eines pyrogenen Minerals, könne sich nur bilden, wo Obsidian oder Trachyt mit glasigem Feldspath (Sanidin) vorhanden sei.
Wenn auch nach den angeführten Beispielen von der Länge der Perioden, in denen die Wiederbelebung eines schlummernden Vulkans erfolgen kann, viel Ungewißheit übrig bleibt; so ist es doch von großer Wichtigkeit die geographische Vertheilung der entzündeten Vulkane für eine bestimmte Zeit zu constatiren. Von den 225 Schlünden, durch welche in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das geschmolzene Innere der Erde mit dem Luftkreise in vulkanischem Verkehr steht, liegen 70, also ein Drittel, auf den Continenten; und 451 155, oder zwei Drittel, auf der Inselwelt. Von den 70 Continental-Vulkanen gehören 53 oder ¾ zu Amerika, 15 zu Asien, 1 zu Europa, und 1 oder 2 zu der uns bisher bekannt gewordenen Feste von Afrika. In den süd-asiatischen Inseln (Sunda-Inseln und Molukken) wie in den Aleuten und Kurilen, welche zu den ost-asiatischen Inseln gehören, liegt auf dem engsten Raume die größte Menge der Insel-Vulkane. In den Aleuten sind vielleicht mehr, in neuen historischen Zeiten thätige Vulkane enthalten als in dem ganzen Continent von Südamerika. Auf dem gesammten Erdkörper ist der Streifen, welcher sich zwischen 75° westlicher und 125° östlicher Länge von Paris wie von 47° südlicher und 66° nördlicher Breite von Südost nach Nordwest in dem mehr westlichen Theile der Südsee hinzieht, der vulkanreichste.
Will man den großen Meeresgolf, welchen wir die Südsee zu nennen pflegen, sich kosmisch von dem Parallel der Berings-Straße und dem von Neu-Seeland, der zugleich auch der Parallel von Süd-Chili und Nord-Patagonien ist, begrenzt vorstellen; so finden wir – und dieses Resultat ist sehr merkwürdig – im Inneren des Beckens und um dasselbe her (in seiner continentalen asiatischen und amerikanischen Begrenzung) von den 225 entzündeten Vulkanen der ganzen Erde 198 oder nahe an ⅞. Die den Polen nächsten Vulkane sind nach unserer jetzigen geographischen Kenntniß: in der nördlichen Hemisphäre der Vulkan Esk auf der kleinen Insel Jan Mayen, lat. 71° 1' und long. 9° 51' westl. von Paris; in der südlichen Hemisphäre der, röthliche, selbst bei Tage sichtbare Flammen ausstoßende Mount Erebus, welchen im Jahr 1841 Sir James RoßSir James Roß, Voyage in the Antarctic Regions Vol. I. p. 217, 220 und 364. auf seiner großen südlichen Entdeckungsreise 11633 Pariser Fuß hoch fand: ohngefähr 225 F. höher als 452 der Pic von Teneriffa; in lat. 77° 33' und long. 164° 38' östlich von Paris.
Die große Frequenz der Vulkane auf den Inseln und in dem Littoral der Continente hat früh die Geognosten auf die Untersuchung der Ursachen dieser Erscheinung leiten müssen. Ich habe schon an einem anderen Orte (Kosmos Bd. I. S. 454 [Anm. 234]) der verwickelten Theorie des Trogus Pompejus unter August gedacht, nach welcher das Meerwasser das vulkanische Feuer anschürt. Chemische und mechanische Ursachen von der Wirksamkeit der Meeresnähe sind angeführt worden bis zu den neuesten Zeiten. Die alte Hypothese von dem Eindringen des Meerwassers in den vulkanischen Heerd schien in der Epoche der Entdeckung der Erdmetalle durch Davy eine festere Begründung zu erhalten; aber der große Entdecker gab die Hypothese: zu welcher selbst Gay-Lussac, trotz der Seltenheit oder des gänzlichen Mangels des Hydrogen-Gases, sich hinneigteGay-Lussac, réflexions sur les Volcans, in den Annales de Chimie et de Physique T. XXII. 1823 p. 427; Kosmos Bd. IV. S. 218; Arago, oeuvres complètes T. III. p. 47., bald selbst auf. Mechanische oder vielmehr dynamische Ursachen: seien sie gesucht in der Faltung der oberen Erdrinde und der Erhebung der Continente, oder in der local minderen Dicke des starren Theils der Erdkruste: möchten meiner Ansicht nach mehr Wahrscheinlichkeit gewähren. Man kann sich vorstellen, daß an den Rändern der aufsteigenden Continente, welche jetzt die über der Meeresfläche sichtbaren Littorale mit mehr oder minder schroffen Abhängen bilden, durch die gleichzeitig veranlaßten Senkungen des nahen Meeresgrundes Spalten verursacht worden sind, durch welche die Communication mit dem geschmolzenen Innern befördert wird. Auf dem Rücken der Erhebungen, fern von jenen Senkungs-Arealen des oceanischen Beckens, ist nicht dieselbe Veranlassung zum Entstehen solcher Zertrümmerung gewesen. Vulkane folgen dem 453 jetzigen Meeresufer in einfachen, bisweilen doppelten, wohl auch dreifachen, parallelen Reihen. Kurze Queerjöcher verbinden sie, auf Queerspalten gehoben und Bergknoten bildend. Häufig (keinesweges immer) ist die dem Ufer nähere Reihe die thätigste: während die fernere, mehr innere, erloschen oder dem Erlöschen nahe erscheint. Bisweilen wähnt man nach bestimmter Richtung in einer und derselben Reihe von Vulkanen eine Zu- oder Abnahme der Eruptions-Häufigkeit zu erkennen, aber die Phänomene der nach langen Perioden wieder erwachenden Thätigkeit machen dies Erkennen sehr unsicher.
Da aus Mangel oder Unbeachtung sicherer Ortsbestimmungen sowohl der Vulkane als der ihnen nächsten Küstenpunkte viele ungenaue Angaben der Meeresferne vulkanischer Thätigkeit verbreitet sind, so gebe ich hier folgende Zahlen von geographischen Meilen (jeder zu 3807 Toisen, also 15=1°) an: In den Cordilleren von Quito liegt der ununterbrochen speiende Sangay am östlichsten; seine Meeresnähe ist aber doch noch 28 M. Sehr gebildete Mönche aus den Missionen der Indios Andaquies am Alto Putumayo haben mir versichert, daß sie am oberen Rio de la Fragua, einem Zufluß des Caqueta, östlich von der Ceja, einen nicht sehr hohen Kegelberg haben rauchen sehen;Auf Timana reducirt, liegt der Volcan de la Fragua ohngefähr lat. bor. 1° 48', long. 77° 50'. Vergl. in dem großen Atlas meiner Reise die Carte hypsométrique des noeuds de montagnes dans les Cordillères 1831 Pl. 5 wie auch Pl. 22 und 24. Dieser so östlich und isolirt liegende Berg verdient von einem Geognosten, der astronomische Ortsbestimmungen zu machen fähig ist, aufgesucht zu werden. der Küsten-Abstand würde 40 Meilen betragen. Der mexicanische, im September 1759 aufgestiegene Vulkan von Jorullo hat 21 M. nächsten Küsten-Abstandes (Kosmos Bd. IV. S. 339–346, der Vulkan Popocatepetl 33 M.; ein ausgebrannter Vulkan in der östlichen Cordillere von Bolivia, bei S. Pedro de Cacha, im Thal von Yucay (Kosmos Bd. IV. S. 321), über 45 M.; die Vulkane des Siebengebirges bei Bonn und der Eifel (Kosmos Bd. IV. S. 275–282) 33 bis 38 M.; die der Auvergne, 454 des Velay und VivaraisIn den drei Gruppen, welche nach alter geographischer Nomenclatur zur Auvergne, zum Vivarais und zum Belay gehören, sind in den Angaben des Textes immer die Abstände des nördlichsten Theiles jeglicher Gruppe vom mittelländischen Meere (zwischen dem Golfe d'Aigues mortes und Cette) genommen. In der ersten Gruppe, der des Puy de Dôme, wird als der nördlichste Punkt angegeben (Rozet in den Mém. de la Soc. géol. de France T. I. 1844 p. 119) ein im Granit bei Manzat ausgebrochener Krater, le Gour de Tazena. Noch südlicher als die Gruppe des Cantal und also dem Littoral am nächsten, in einer Meer-Entfernung von kaum 18 geogr. Meilen, liegt der kleine vulkanische Bezirk von la Guiolle bei den Monts d'Aubrac, nordwestlich von Chirac. Vergl. die Carte géologique de France 1841. nach Abtheilung in 3 abgesonderte Gruppen (Gruppe des Puy de Dôme bei Clermont mit den Monts-Dores, Gruppe des Cantal, Gruppe von le Puy und Mezenc) 37, 29 und 21 Meilen. Die ausgebrannten Vulkane von Olot: südlich von den Pyrenäen, westlich von Gerona, mit ihren deutlichen, bisweilen getheilten Lavaströmen, liegen nur 7 Meilen von den catalonischen Küsten des Mittelmeers entfernt; dagegen die unbezweifelten und allem Anscheine nach sehr frisch ausgebrannten Vulkane in der langen Kette der Rocky Mountains im nordwestlichen Amerika 150 bis 170 M. Entfernung von dem Littoral der Südsee zählen.
Ein sehr abnormes Phänomen in der geographischen Vertheilung der Vulkane ist die Existenz in historischer Zeit thätiger, vielleicht noch theilweise brennender Vulkane in der Gebirgskette des Thian-schan (des Himmelsgebirges), zwischen den zwei Parallelketten des Altai und des Kuen-lün: deren Existenz Abel-Rémusat und Klaproth zuerst bekannt gemacht und welche ich in meinem Werke über Inner-Asien, auf die scharfsinnigen und mühevollen sinologischen Forschungen von Stanislas Julien gestützt, vollständiger habe behandeln können.Humboldt, Asie centrale T. II. p. 7–61, 216 und 335–364; Kosmos Bd. I. S. 254. Den Alpensee Issikul am nördlichen Abhange des Thian-schan, zu dem erst vor kurzem russische Reisende gelangt sind, habe ich schon auf der berühmten catalanischen Karte von 1374 aufgefunden, welche unter den Manuscripten der Pariser Bibliothek als ein Kleinod bewahrt wird. Strahlenberg in seinem Werke, betitelt der nördliche und östliche Theil von Europa und Asien (Stockholm 1730 S. 327), hat das Verdienst den Thian-schan als eine eigene unabhängige Kette zuerst abgebildet zu haben, ohne die vulkanische Thätigkeit in derselben zu kennen. Er giebt ihm den sehr unbestimmten Namen Mousart: der, weil der Bolor mit dem allgemeinen, nichts individualisirenden, nur Schnee andeutenden Namen Mustag belegt wurde, noch ein Jahrhundert lang zu einer irrigen Darstellung und albernen, sprachwidrigen Nomenclatur der Gebirgsreihen nördlich vom Himalaya Anlaß gegeben hat, Meridian- und Parallel-Ketten mit einander verwechselnd. Mousart ist eine Verstümmlung des tatarischen Wortes Muztag: gleichbedeutend mit unserer Bezeichnung Schneekette, Sierra Nevada der Spanier; Himalaya in den Gesetzen des Manu: Wohnsitz (âlaya) des Schnees (hima); der Sine-schan der Chinesen. Schon 1100 Jahre vor Strahlenberg: unter der Dynastie der Sui, zu des Frankenkönigs Dagobert's Zeiten, besaßen die Chinesen, auf Befehl der Regierung construirt, Karten der Länder vom Gelben Flusse bis zum caspischen Meere, auf welchen der Kuen-lün und der Thian-schan abgebildet waren. Diese beiden Ketten, besonders die erstere, sind es ohnstreitig gewesen, die, wie ich an einem anderen Orte glaube erwiesen zu haben (Asie centr. T. I. p. 118–129, 194–203 und T. II. p. 413–425), als der Heerzug des Macedoniers die Hellenen in nähere Bekanntschaft mit dem Inneren von Asien setzte, die Kenntniß von einem Berggürtel unter ihren Geographen verbreiteten, welcher, den ganzen Continent in zwei Hälften theilend, sich von Kleinasien bis an das östliche Meer, von Indien und Scythien bis Thinä, erstreckte (Strabo lib. I pag. 68, lib. XI p. 490). Dicäarchus und nach ihm Eratosthenes belegten diese Kette mit dem Namen des verlängerten Taurus. Die Himalaya-Kette wird mit unter diese Benennung begriffen. »Was Indien gegen Norden begrenzt«, sagt ausdrücklich Strabo (lib. XV pag. 689), »von Ariane bis zum östlichen Meere, sind die äußersten Theile des Taurus: welche die Eingeborenen einzeln Paropamisos, Emodon, Imaon und noch anders benamen; der Macedonier aber Caucasus.« Früher, in der Beschreibung von Bactriana und Sogdiana (lib. XI pag. 519), heißt es: »des Taurus letzter Theil, welcher Imaon genannt wird, berührt das indische (östliche?) Meer.« Auf eine einig geglaubte, west-östliche, d. h. Parallelkette, bezogen sich die Namen: diesseits und jenseits des Taurus. Diese kannte Strabo, indem er sagt: »die Hellenen nennen die gegen Norden neigende Hälfte des Welttheils Asia diesseits des Taurus, die gegen Süden jenseits« (lib. II p. 129). Zu den späteren Zeiten des Ptolemäus aber, wo der Handel überhaupt und insbesondere der Seidenhandel Lebhaftigkeit gewann, wurde die Benennung Imaus auf eine Meridiankette, auf den Bolor, übertragen: wie viele Stellen des 6ten Buches bezeugen (Asie centr. T. I. p. 146–162). Die Linie, in welcher dem Aequator parallel das Taurus-Gebirge nach hellenischen Ansichten den ganzen Welttheil durchschneidet, wurde zuerst von Dicäarchus, dem Schüler des Stagiriten, ein Diaphragma (eine Scheidewand) genannt: weil durch senkrechte Linien, auf dasselbe gerichtet, die geographische Breite anderer Punkte gemessen werden konnte. Das Diaphragma war der Parallel von Rhodos, verlängert gegen Westen bis zu den Säulen des Hercules, gegen Osten bis zum Littoral von Thinä (Agathemeros in Hudson's Geogr. gr. min. Vol. II. p. 4). Der Theiler des Dicäarchus, gleich interessant in geognostischer als in orographischer Hinsicht, ging in das Werk des Eratosthenes über: wo er desselben im 3ten Buche seiner Erdbeschreibung, zur Erläuterung seiner Tafel der bewohnten Welt, erwähnt. Strabo legt solche Wichtigkeit auf diese Richtungs- und Scheidelinie des Eratosthenes, daß er (lib. I p. 65) »auf ihrer östlichen Verlängerung, welche bei Thinä durch das atlantische Meer gezogen wird, die Lage einer anderen bewohnten Welt, wohl auch mehrerer Welten«, für möglich hält: doch ohne eigentlich solche zu prophezeien. Das Wort atlantisches Meer kann auffallend scheinen, statt östliches Meer, wie gewöhnlich die Südsee (das Stille Meer) genannt wird; aber da unser indisches Meer südlich von Bengalen bei Strabo die atlantische Südsee heißt, so werden im Südosten von Indien beide Meere als zusammenfließend gedacht, und mehrmals verwechselt. So heißt es lib. II p. 130: »Indien, das größte und gesegnetste Land, welches am östlichen Meer und an der atlantischen Südsee endet«; und lib. XV p. 689: »die südliche und östliche Seite Indiens, welche viel größer als die andere Seite sind, laufen ins atlantische Meer vor«: in welcher Stelle, wie in der oben angeführten von Thinä (lib. I p. 65), der Ausdruck östliches Meer sogar vermieden ist. Ununterbrochen seit dem Jahre 1792 mit dem Streichen und Fallen der Gebirgsschichten und ihrer Beziehung auf die Richtung (Orientirung) der Gebirgszüge beschäftigt, habe ich geglaubt darauf aufmerksam machen zu müssen: daß im Mittel der Aequatorial-Abstand des Kuen-lün, in seiner ganzen Erstreckung wie in seiner westlichen Verlängerung durch den Hindu-Kho, auf das Becken des Mittelmeers und die Straße von Gibraltar hinweist (Asie centr. T. I. p. 118–127 und T. II. p. 115–118); und daß die Senkung des Meeresbodens in einem großen, vorzüglich am nördlichen Rande vulkanischen Becken wohl mit jener Erhebung und Faltung zusammenhangen könne. Mein theurer, vieljähriger und aller geologischen Richtungs-Verhältnisse so tief kundiger Freund, Elie de Beaumont, ist aus Gründen des Loxodromismus diesen Ansichten entgegen (notice sur les Systèmes de Montagnes 1852 T. II. p. 667). Der Abstand des Vulkans Pe-schan (Montblanc) mit seinen Lavaströmen und des noch brennenden Feuerberges (Ho-tscheu) von Turfan ist vom Littoral des Eismeeres und des indischen Meeres, fast gleich groß, etwa 370 und 380 Meilen. Dagegen ist die Entfernung, in welcher der Pe-schan, dessen Lava-Ausbrüche vom Jahr 89 unserer Zeitrechnung bis zum Anfang des 7ten Jahrhunderts in chinesischen Werken einzeln aufgezeichnet sind, sich von dem großen Alpensee Issikul am Abfall des Temurtutagh (eines westlichen Theils des Thian-schan) befindet, nur 43 Meilen; von dem nördlicher gelegenen, 455 37 Meilen langen See Ballasch beträgt sie 52 MeilenKosmos Bd IV. S. 382. Der große Dsaisang-See: in dessen Nähe ich selbst, in der chinesischen Dsungarei, mich 1829 befand, ist 90 Meilen von den Vulkanen des Thian-schan entfernt. Binnenwasser fehlen also nicht: aber freilich doch nicht in solcher Nähe, als dem jetzt noch thätigen Vulkane, dem Demavend im persischen Mazenderan, das caspische Meer ist.
Wenn aber Wasserbecken, oceanische oder Binnenwasser, auch gar nicht zur Unterhaltung der vulkanischen Thätigkeit erforderlich sind; wenn Inseln und Küsten, wie ich zu glauben geneigt bin, nur reicher an Vulkanen sind, weil das Emporsteigen der letzteren, durch innere elastische Kräfte bewirkt, von einer nahen Depression im MeeresbeckenVergl. Arago sur la cause de la dépression d'une grande partie de l'Asie et sur le phénomène que les pentes les plus rapides des chaînes de montagnes sont (généralement) tournées vers la mer la plus voisine, in seiner Astronomie populaire T. III. p. 1266–1274. begleitet ist, so daß ein Erhebungs-Gebiet an ein Senkungs-Gebiet grenzt und an dieser Grenze mächtige, tief eindringende Spaltungen und Klüfte veranlaßt werden: so darf man vermuthen, daß in der inner-asiatischen Zone zwischen den Parallelen von 41° und 48° die große aralo-caspische Depressions-Mulde, wie die bedeutende Zahl gereihter und ungereihter Seen zwischen dem Thian-schan und dem Altai-Kurtschum zu Küsten-Phänomenen hat Anlaß geben können. Man weiß aus Tradition, daß viele perlartig an einander gereihte kleine Becken (lacs à chapelet) einstmals ein einziges großes Becken bildeten. Größere Seen sieht man noch durch Mißverhältniß zwischen dem Niederschlag und der Verdunstung sich theilen. Ein der Kirghisen-Steppe sehr kundiger Beobachter, General Genz in Orenburg, vermuthete, daß eine hydraulische Verbindung zwischen dem Aral-See, dem Aksakal, dem Sary-Kupa und Tschagli vormals existirte. Man erkennt eine große Furche, von Südwest nach Nordost gerichtet, die man verfolgen kann über 456 Omsk zwischen dem Irtysch und Obi durch die seereiche Barabinskische Steppe gegen die Moor-Ebenen der Samojeden, gegen Beresow und das Littoral des Eismeeres. Mit dieser Furche hängt vielleicht zusammen die alte, weit verbreitete Sage von einem Bitteren Meere (auch getrocknetes Meer, Han-hai genannt): das sich östlich und südlich von Hami erstreckte und in welchem sich ein Theil des Gobi, dessen salz- und schilfreiche Mitte der Dr. von Bunge durch genaue Barometer-Messung nur 2400 Fuß über der Oberfläche des Oceans erhoben fand, inselförmig emporhob.Klaproth, Asia polyglotta p. 232 und Mémoires relatifs à l'Asie (nach der auf Befehl des Kaisers Kanghi 1711 publicirten chinesischen Encyclopädie) T. II. p. 342; Humboldt, Asie centrale T. II. p. 25 und 135–143. Seehunde, ganz denen ähnlich, welche in Schaaren das caspische Meer und den Baikal bewohnen, finden sich (und diese geologische Thatsache ist bisher nicht genug beachtet worden) über 100 geogr. Meilen östlich vom Baikal in dem kleinen Süßwasser-See Oron von wenigen Meilen Umfangs. Der See hängt zusammen mit dem Witim, einem Zufluß der Lena: in der keine Seehunde leben.Pallas, Zoographia Rosso-Asiatica 1811 p. 115. Die jetzige Isolirtheit dieser Thiere, ihre Entfernung von dem Ausfluß der Wolga (volle 900 geogr. Meilen) ist eine merkwürdige, auf einen alten und großen Wasser-Zusammenhang hindeutende, geologische Erscheinung. Sollten die vielfältigen Senkungen, denen in großer Erstreckung dieser mittlere Theil von Asien ausgesetzt gewesen ist, auf die Convexität der Continental-Anschwellung ausnahmsweise ähnliche Verhältnisse, als an den Littoralen, an den Rändern der Erhebungs-Spalte hervorgerufen haben?
Weithin in Osten, in der nordwestlichen Mantschurei, in der Umgegend von Mergen (wahrscheinlich in lat. 48°½ und long. 120° östlich von Paris), hat man aus sicheren, an den Kaiser Kanghi abgestatteten Berichten Kenntniß von einem ausgebrannten Vulkane erhalten. Der, Schlacken und Lava 457 gebende Ausbruch des Berges Bo-schan oder Ujun-Holdongi (die neun Hügel), etwa 3 bis 4 Meilen in südwestlicher Richtung von Mergen, fand statt im Januar 1721. Die aufgeworfenen Schlackenhügel hatten nach Aussage der vom Kaiser Kanghi zur Erforschung ausgesandten Personen sechs geogr. Meilen im Umfange; es wurde auch gemeldet, daß ein Lavastrom, die Wasser des Flusses Udelin stauend, einen See gebildet habe. Im 7ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung soll, nach weniger umständlichen chinesischen Berichten, der Bo-schan einen früheren feurigen Ausbruch gehabt haben. Die Entfernung vom Meere ist ohngefähr 105 geographische Meilen: also mehr denn dreimal größer als die Meeresnähe des Vulkans von Jorullo; ähnlich der des Himalaya(S. 457.) Statt der meernäheren Himalaya-Kette (einige Theile derselben zwischen den Colossen Kuntschindjinga und Schamalari nähern sich dem Littoral des bengalischen Meerbusens bis auf 107 und 94 geogr. Meilen) ist die vulkanische Thätigkeit erst in der dritten, inneren Parallelkette, dem Thian-schan, von dem eben genannten Littoral in fast viermal größerer Entfernung, ausgebrochen unter sehr speciellen Verhältnissen, Schichten verwerfenden und Klüfte erregenden nahen Bodensenkungen. Aus dem, von mir angeregten und freundschaftlich von Herrn Stanislas Julien fortgesetzten Studium geographischer Werke der Chinesen wissen wir, daß auch der Kuen-lün, das nördliche Grenzgebirge von Tibet, der Tsi-schi-schan der Mongolen, in dem Hügel Schin-khien eine ununterbrochen Flammen ausstoßende Höhle besitzt (Asie centrale T. II. p. 427–467 und 483). Das Phänomen scheint ganz analog zu sein der mehrere tausend Jahre schon brennenden Chimära in Lycien (Kosmos Bd. IV. S. 296–7 und 530–1 [Anm. 2072); es ist kein Vulkan, sondern ein weithin Wohlgeruch verbreitender (naphtha-haltiger?) Feuerbrunnen. Der Kuen-lün: welchen, ganz wie ich in der Asie centrale (T. I. p. 127 und T. II. p. 431), Dr. Thomas Thomson, der gelehrte Botaniker des westlichen Tibets, (Flora Indica 1855 p. 253) für eine Fortsetzung des Hindu-Kho erklärt, an welchen von Südost her sich die Himalaya-Kette anschart: nähert sich dieser Kette an ihrer westlichen Extremität dermaßen, daß mein vortrefflicher Freund, Adolph Schlagintweit, »den Kuen-lün und Himalaya dort an der Westseite des Indus nicht als getrennte Ketten, sondern als Eine Bergmasse bezeichnen will« (Report No. IX of the Magnetic Survey in India by Ad. Schlagintweit 1856 p. 61). Aber in der ganzen Erstreckung nach Osten bis 90° östl. Länge, gegen den Sternen-See hin, bildet der Kuen-lün: wie schon im 7ten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, unter der Dynastie der Sui entworfene, umständliche Beschreibungen lehren (Klaproth, Tableaux historiques de l'Asie p. 204), eine vom Himalaya um 7½ Breitengrade Unterschieds unabhängig fortlaufende, westöstliche Parallelkette. Den Brüdern Hermann und Robert Schlagintweit ist zuerst die Kühnheit geglückt von Ladak aus die Kuen-lün-Kette zu überschreiten und in das Gebiet von Khotan zu gelangen: in den Monaten Juli und September 1856. Nach ihren immer so sorgfältigen Beobachtungen ist an der nördlichen Grenze von Tibet die höchste wasserscheidende Bergkette die, aus welcher der Karakorum-Paß (17170 Par. Fuß), von SO nach NW streichend, also dem südlich gegenüberstehenden Theile des Himalaya (im Westen vom Dhawalagiri) parallel, sich befindet. Die Flüsse von Yarkand und Karakasch, welche das große Wassersystem des Tarim und Sees Lop theilweise bilden, haben ihren Ursprung an dem nordöstlichen Abhange der Karakorum-Kette. Von diesem Quellgebiete gelangten sie über Kissilkorum und die heißen Quellen (49° C.) an dem kleinen Alpensee Kiuk-kiul an die, ost-westlich streichende Kette des Kuen-lün. (Report No. VIII, Agra 1857, p. 6.). Wir verdanken diese merkwürdigen geognostischen Nachrichten aus der Mantschurei dem Fleiße des Herrn W. P. Waßiljew (geograph. Bote 1855 Heft 5 S. 31) und einem Aufsatze des Herrn Semenow (des gelehrten Uebersetzers von Carl Ritter's großer Erdkunde) im 17ten Bande der Schriften der kaiserlich russischen geographischen Gesellschaft.
Bei den Untersuchungen über die geographische Vertheilung der Vulkane und ihre größere Häufigkeit auf Inseln und Littoralen, d. i. Erhebungs-Rändern der Continente, ist auch die zu vermuthende große Ungleichheit der schon erlangten Dicke der Erdkruste vielfach in Betrachtung gezogen worden. Man ist geneigt anzunehmen, daß die Oberfläche der inneren geschmolzenen Masse des Erdkörpers den Punkten näher liege, wo die Vulkane ausgebrochen sind. Da aber viele mittlere Grade der Zähigkeit in der erstarrenden Masse gedacht werden können, so ist der Begriff einer solchen Oberfläche des Geschmolzenen schwer mit Klarheit zu fassen, wenn als Hauptursach 458 aller Verwerfungen, Spaltungen, Erhebungen und muldenförmigen Senkungen eine räumliche Capacitäts-Veränderung der äußeren festen, schon erstarrten Schale gedacht werden soll. Wenn es erlaubt wäre nach den in den artesischen Brunnen gesammelten Erfahrungen wie nach den Schmelzgraden des Granits in arithmetischer Reihe, also bei Annahme gleicher geothermischer Tiefen-Stufen, die sogenannte Dicke der Erdkruste zu bestimmen:Kosmos Bd. I. S. 27, 48 [Anm. 13], 181; Bd. IV. S. 34–47, 164–169 [Anm. 1727–1748] und 369 mit Anm. 2160 und 2161 S. 579. so fände man sie zu 52/10 geogr. Meilen (jeder zu 3807 Toisen) oder 1/329 des Polar-Durchmessers;Arago (Astron. populaire T. III. p. 248) nimmt fast dieselbe Dicke der Erdkruste: 40000 Meter, ohngefähr 5½ Meile, an; Elie de Beaumont (Systèmes de Montagnes T. III. p. 1237) vermehrt die Dicke um ¼. Die älteste Angabe ist die von Cordier, im mittleren Werth 14 geogr. Meilen: eine Zahl, welche aber in der mathematischen Theorie der Stabilität von Hopkins noch 14mal zu vergrößern wäre, und zwischen 172 und 215 geogr. Meilen fallen würde. Ich stimme aus geologischen Gründen ganz den Zweifeln bei, welche Naumann in seinem vortrefflichen Lehrbuche der Geognosie Bd. I. S. 62–64, 73–76 und 289 gegen diese ungeheure Entfernung des flüssigen Inneren von den Krateren der thätigen Vulkane erhoben hat. aber Einwirkungen des Drucks und der Wärmeleitung verschiedener Gebirgsarten lassen voraussetzen, daß die geothermischen Tiefen-Stufen mit zunehmender Tiefe selbst einen größeren Werth haben.
Trotz der sehr geringen Zahl von Punkten, an denen gegenwärtig das geschmolzene Innere unsres Planeten mit dem Luftkreise in thätiger Verbindung steht, ist doch die Frage nicht ohne Wichtigkeit: in welcher Art und in welchem Maaße die vulkanischen Gas-Exhalationen auf die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre und durch sie auf das, sich auf der Oberfläche entwickelnde, organische Leben einwirken? Zuerst muß man in Betrachtung ziehn, daß es weniger die Gipfel-Krater selbst als die kleinen Auswurfs-Kegel und die, große Räume ausfüllenden, so viele Vulkane umgebenden Fumarolen sind, welche Gas-Arten aushauchen; ja daß ganze Landstrecken auf Island, im Caucasus, in dem Hochlande von Armenien, auf Java, den Galapagos, Sandwich-Inseln und Neu-Seeland durch Solfataren, Naphtha-Quellen und Salsen sich ununterbrochen wirksam zeigen. Vulkanische Gegenden, welche man gegenwärtig unter die ausgebrannten zählt, sind ebenfalls als Gasquellen zu betrachten; und das stille Treiben der 459 unterirdischen zersetzenden und bildenden Kräfte in ihnen ist der Quantität nach wahrscheinlich productiver als die großen, seltneren und geräuschvollen Ausbrüche der Vulkane, wenn gleich deren Lavafelder noch Jahre lang fortfahren sichtbar und unsichtbar zu dampfen. Glaubt man die Wirkungen dieser kleinen chemischen Processe darum vernachlässigen zu dürfen, weil das ungeheure Volum des durch Strömungen ewig bewegten Luftkreises um so geringe Bruchtheile durch einzeln unwichtig scheinendeVon der Art, wie in der Natur durch sehr kleine, allmälige Anhäufung erkennbare Mischungs-Veränderungen entstehen, giebt die von Malaguti entdeckte, durch Field bestätigte Gegenwart von Silber im Meerwasser ein merkwürdiges Beispiel. Trotz der ungeheuren Größe des Oceans und der so geringen Oberfläche, welche die den Ocean befahrenden Schiffe darbieten, ist doch in neuester Zeit die Silberspur im Seewasser an dem Kupferbeschlag der Schiffe bemerkbar geworden. Zugaben in seiner primitiven Mischung wenig verändert werden könne; so erinnere man sich an den mächtigen Einfluß, welchen nach den schönen Untersuchungen von Percival, Saussure, Boussingault und Liebig drei oder vier Zehntausend-Theile von Kohlensäure unseres Luftkreises auf die Existenz des vegetabilischen Organismus haben. Nach Bunsen's schöner Arbeit über die vulkanischen Gas-Arten geben unter den Fumarolen in verschiedenen Stadien der Thätigkeit und der Localverhältnisse einige (z. B. am großen Hekla) 0,81 bis 0,83 Stickstoff und in den Lavaströmen des Berges 0,78, bei nur Spuren (0,01 bis 0,02) von Kohlensäure; andere auf Island bei Krisuvik geben dagegen 0,86 bis 0,87 Kohlensäure mit kaum 0,01 Stickstoffs.Bunsen über die chemischen Prozesse der vulkanischen Gesteinsbildungen in Poggend. Annalen Bd. 83. S. 242 und 246. Eben so bietet die wichtige Arbeit über die Gas-Emanationen im südlichen Italien und auf Sicilien von Charles Sainte-Claire Deville und Bornemann große Anhäufungen von Stickgas (0,98) in den Exhalationen einer Spalte tief im Krater von Vulcano, aber schwefelsaure Dämpfe mit einem Gemisch von 74,7 Stickgas und 18,5 Sauerstoffs dar: also der Beschaffenheit der atmosphärischen Luft ziemlich nahe. Das Gas, welches bei Catania in dem Brunnen Acqua SantaComptes rendus de l'Acad. des Sciences T. XLIII. 1856 p. 366 und 689. Die erste genaue Analyse von dem Gas, welches mit Geräusch aus der großen Solfatare von Pozzuoli ausbricht und von Herrn Ch. Sainte-Claire Deville mit vieler Schwierigkeit gesammelt wurde, gab an schwefliger Säure (acide sulfureux) 24,5; an Sauerstoff 14,5 und an Stickstoff 61,4. aufsteigt, ist dagegen reines Stickgas, wie es zur Zeit meiner amerikanischen Reise das Gas der Volcancitos de Turbaco war.Kosmos Bd. IV. S. 255–261.
460 Sollte die große Quantität Stickstoffs, welche durch die vulkanische Thätigkeit verbreitet wird, allein die sein, die den Vulkanen durch Meteorwasser zugeführt wird? oder giebt es innere, in der Tiefe liegende Quellen des Stickstoffs? Es ist auch zu erinnern, daß die in dem Regenwasser enthaltene Luft nicht, wie unsere, 0,79: sondern, nach meinen eigenen Versuchen, nur 0,69 Stickstoffs enthält. Der letztere ist für die Ammoniakal-Bildung, durch die in der Tropengegend fast täglichen electrischen Explosionen, eine Quelle erhöhter Fruchtbarkeit.(S. 460.) Boussingault, Économie rurale (1851) T. II. p. 724–726: »La permanence des orages dans le sein de l'atmosphère (sous les tropiques) est un fait capital, parce qu'il se rattache à une des questions les plus importantes de la Physique du Globe, celle de la fixation de l'azote de l'air dans les êtres organisés. Toutes les fois qu'une série d'étincelles électriques passe dans l'air humide, il y a production et combinaison d'acide nitrique et d'ammoniaque. La nitrate d'ammoniaque accompagne constamment l'eau des pluies d'orage, et comme fixe par sa nature, il ne saurait se maintenir à l'état de vapeur; on signale dans l'air du carbonate ammoniacal, et l'ammoniaque du nitrate est amenée sur la terre par la pluie. Ainsi, en définitive, ce serait une action électrique, la foudre, qui disposerait le gaz azote de l'atmosphère à s'assimiler aux êtres organisés. Dans la zone équinoxiale pendant l'année entière, tous les jours, probablement même à tous les instans, il se fait dans l'air une continuité de décharges électriques. Un observateur placé à l'équateur, s'il était doué d'organes assez sensibles, y entendrait continuellement le bruit du tonnerre.« Salmiak wird aber auch so wie Kochsalz als Sublimations-Product der Vulkane von Zeit zu Zeit auf den Lavaströmen selbst gefunden: am Hekla, Vesuv und Aetna; in der Vulkan-Kette von Guatemala (Vulkan von Izalco), und vor allem in Asien in der vulkanischen Kette des Thian-schan. Die Bewohner der Gegend zwischen Kutsche, Turfan und Hami bezahlen in gewissen Jahren ihren Tribut an den Kaiser von China in Salmiak (chinesisch: nao-scha, persisch: nuschaden): welcher ein wichtiger Gegenstand des auswärtigen Handels ist (Asie centrale T. II. p. 33, 38, 45 und 428). Der Einfluß des Stickstoffes auf die Vegetation ist gleich dem des Substrats der atmosphärischen Kohlensäure.
Boussingault hat in den Analysen der Gas-Arten der Vulkane, welche dem Aequator nahe liegen (Tolima, Puracé, Pasto, Tuqueres und Cumbal), mit vielem Wasserdampf, Kohlensäure und geschwefeltes Wasserstoffgas; aber keine Salzsäure, keinen Stickstoff und kein freies Hydrogen gefunden.(S. 460.) Viajes de Boussingault (1849) p. 78. Der Einfluß, den das Innere unsres Planeten noch gegenwärtig auf die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre ausübt, indem er dieser Stoffe entzieht, um sie unter anderen Formen wiederzugeben; ist gewiß nur ein unbedeutender Theil von den chemischen Revolutionen, welche der Luftkreis in der Urzeit bei dem Hervorbrechen großer Gebirgsmassen aus offenen Spalten muß erlitten haben. Die Vermuthung über den wahrscheinlich sehr großen Antheil von Kohlensäure in der alten Luft-Umhüllung wird verstärkt durch die Vergleichung der Dicke der Kohlenlager mit der so dünnen Schicht von Kohle (sieben Linien Dicke), welche nach Chevandier's Berechnung in der gemäßigten Zone unsere dichtesten Waldungen dem Boden in 100 Jahren geben würden.(S. 460.) Kosmos Bd. I. S. 295 und 469 [Anm. 327].
461 In der Kindheit der Geognosie, vor Dolomieu's scharfsinnigen Vermuthungen, wurde die Quelle vulkanischer Thätigkeit nicht unter den ältesten Gebirgsformationen, für die man damals allgemein den Granit und Gneiß hielt, gesetzt. Auf einige schwache Analogien der Entzündbarkeit fußend, glaubte man lange, daß die Quelle vulkanischer Ausbrüche und der Gas-Emanationen, welche dieselben für viele Jahrhunderte veranlassen, in den neueren, über-silurischen, Brennstoff enthaltenden Flözschichten zu suchen sei. Allgemeinere Kenntniß der Erdoberfläche, tiefere und richtiger geleitete geognostische Forschungen, und der wohlthätige Einfluß, welchen die großen Fortschritte der neueren Chemie auf die Geologie ausgeübt; haben gelehrt, daß die drei großen Gruppen vulkanischen oder eruptiven Gesteins (Trachyt, Phonolith und Basalt) unter sich, wenn man sie als große Massen betrachtet, im Alter verschieden und meist sehr von einander abgesondert auftreten; alle drei aber später als die plutonischen Granite, Diorite und Quarzporphyre: als alle silurische, secundäre, tertiäre und quartäre (pleistocäne) Bildungen an die Oberfläche getreten sind; ja oft die lockeren Schichten der Diluvial-Gebilde und Knochen-Breccien durchsetzen. Eine auffallende MannigfaltigkeitRozet, mémoire sur les Volcans d'Auvergne in den Mémoires de la Soc. géol. de France, 2ème Série T. I. 1844 p. 64 und 120–130: »Les basaltes (comme les trachytes) ont percé le gneis, le granite, le terrain houiller, le terrain tertiaire et les plus anciens dépôts diluviens. On voit même les basaltes recouvrir souvent des masses de caillous roulés basaltiques; ils sont sortis par une infinité d'ouvertures dont plusieurs sont encore parfaitement (?) reconnaissables. Beaucoup présentent des cônes de scories plus ou moins considérables, mais on n'y trouve jamais des cratères semblables à ceux qui ont donné des coulées de laves....« dieser Durchsetzungen, auf einen kleinen Raum zusammengedrängt, findet sich, nach Rozet's wichtiger Bemerkung, in der Auvergne; denn wenn gleich die großen trachytischen Gebirgsmassen des Cantal, Mont-Dore und Puy de Dôme den Granit selbst durchbrechen, auch theilweise (z. B. zwischen Vic und Aurillac und am Giou de Mamon) große Fragmente von GneißGleich den granitartigen Stücken, eingehüllt im Trachyt vom Jorullo, Kosmos Bd. IV. S. 345. und Kalkstein einschließen: so sieht man doch auch Trachyt und Basalte den Gneiß, das Steinkohlen-Gebirge der Tertiär- und Diluvial-Schichten gangartig durchschneiden. 462 Basalte und Phonolithe, nahe mit einander verwandt, wie das böhmische Mittelgebirge und die Auvergne beweisen, sind beide neuerer Formation als die Trachyte, welche oft von Basalten in Gängen durchsetzt werden.Auch in der Eifel, nach dem wichtigen Zeugniß des Berghauptmanns von Dechen (Kosmos Bd. IV. S. 281). Die Phonolithe sind aber wiederum älter als die Basalte; sie bilden wahrscheinlich nie Gänge in diesen: da hingegen dikes von Basalt oft den Porphyrschiefer (Phonolith) durchschneiden. In der Andeskette von Quito habe ich die Basalt-Formation räumlich weit von den herrschenden Trachyten getrennt gefunden: fast allein am Rio Pisque und im Thal von Guaillabamba.Kosmos Bd. IV. S. 357. Der Rio de Guaillabamba fließt in den Rio de las Esmeraldas. Das Dorf Guaillabamba, bei welchem ich die isolirten, olivinhaltigen Basalte fand, hat nur 6482 Fuß Meereshöhe. In dem Thale herrscht eine unerträgliche Hitze: die aber noch größer ist im Valle de Chota, zwischen Tusa und der Villa de Ibarra: dessen Sohle bis 4962 Fuß herabsinkt und das, mehr eine Kluft als ein Thal, bei kaum 9000 Fuß Breite über 4500 Fuß tief ist. (Humboldt, Rec. d'Observ. astronomiques Vol. I. p. 307.) Der Trümmer-Ausbruch Volcan de Ansango an dem Abfall des Antisana gehört keinesweges zur Basalt-Formation, er ist ein basalt-ähnlicher Oligoklas-Trachyt. (Vergl. über räumlichen Abstand, antagonisme des basaltes et des trachytes, mein Essai géognostique sur le Gisement des Roches 1823 p. 348 und 359, und im allgemeinen p. 327–336.)
Da in der vulkanischen Hochebene von Quito alles mit Trachyt, Trachyt-Conglomeraten und Tuffen bedeckt ist: so war es mein eifrigstes Bestreben irgend einen Punkt zu entdecken, an dem man deutlich erkennen könne, auf welcher älteren Gebirgsart die mächtigen Kegel- und Glockenberge aufgesetzt sind oder, um bestimmter zu reden, welche sie durchbrochen haben. Einen solchen Punkt bin ich so glücklich gewesen aufzufinden, als ich im Monat Juni 1802 von Riobamba nuevo aus (8898 Fuß über dem Spiegel der Südsee) eine Ersteigung des Tunguragua auf der Seite der Cuchilla de Guandisava versuchte. Ich begab mich von dem anmuthigen Dorfe Penipe über die schwankende Seilbrücke (puente de maroma) des Rio Puela nach der isolirten hacienda de Guansce (7440 Fuß): wo im Südost, dem Einfluß des Rio Blanco in den Rio Chambo gegenüber, sich eine prachtvolle Colonnade von schwarzem, pechsteinartigem Trachyt erhebt. Man glaubt von weitem den Basalt-Steinbruch bei Unkel zu sehen. Am Chimborazo, etwas über dem Wasserbecken von Yana-Cocha, sah ich eine ähnliche, höhere, doch minder regelmäßige Säulengruppe von Trachyt. Die Säulen südöstlich von Penipe sind meist 463 fünfseitig, von nur 14 Zoll Durchmessers, oft gekrümmt und divergirend. Am Fuß dieser schwarzen, pechsteinartigen Trachyte von Penipe (unfern der Mündung des Rio Blanco) sieht man in diesem Theil der Cordillere eine sehr unerwartete Erscheinung: grünlich weißen Glimmerschiefer mit eingesprengten Granaten; und weiter hin, jenseits des seichten Flüßchens Bascaguan, bei der Hacienda von Guansce, nahe dem Ufer des Rio Puela, den Glimmerschiefer wahrscheinlich unterteufend: Granit von mittlerem Korn, mit lichtem, röthlichem Feldspath, wenig schwärzlich grünem Glimmer und vielem gräulich weißen Quarz. Hornblende fehlt. Es ist kein Syenit. Die Trachyte des Vulkans von Tungurahua: ihrer mineralogischen Beschaffenheit nach denen des Chimborazo gleich, d. i. aus einem Gemenge von Oligoklas und Augit bestehend, haben also hier Granit und Glimmerschiefer durchbrochen. Weiter gegen Süden, etwas östlich von dem Wege von Riobamba nuevo nach Guamote und Ticsan, kommen in der vom Meeresufer abgewandten Cordillere die ehemals so genannten uranfänglichen Gebirgsarten: Glimmerschiefer und Gneiß, gegen den Fuß der Colosse des Altar de los Collanes, des Cuvillan und des Paramo del Hatillo überall zu Tage. Vor der Ankunft der Spanier, ja selbst ehe die Herrschaft der Incas sich so weit nach Norden erstreckte, sollen die Eingeborenen hier metallführende Lagerstätten in der Nähe der Vulkane bearbeitet haben. Etwas südlich von San Luis beobachtet man häufig Quarzgänge, die einen grünlichen Thonschiefer durchsetzen. Bei Guamote, an dem Eingange der Grasebene von Tiocaxa, fanden wir große Massen von Gestellstein, sehr glimmerarme Quarzite von ausgezeichneter linearer Parallel-Structur, regelmäßig mit 70° gegen Norden einschießend. Weiter südlich 464 bei Ticsan unweit Alausi bietet der Cerro Cuello de Ticsan große Schwefelmassen bebaut in einem Quarzlager, dem nahen Glimmerschiefer untergeordnet, dar. Eine solche Verbreitung des Quarzes in der Nähe von Trachyt-Vulkanen hat auf den ersten Anblick etwas befremdendes. Aber meine Beobachtungen von der Auflagerung oder vielmehr dem Ausbrechen des Trachyts aus Glimmerschiefer und Granit am Fuß des Tungurahua (ein Phänomen, welches in den Cordilleren so selten als in der Auvergne häufig ist) haben 47 Jahre später die vortrefflichen Arbeiten des französischen Geognosten Herrn Sebastian Wisse am Sangay bestätigt.
Dieser colossale Vulkan, 1260 Fuß höher als der Montblanc: ohne alle Lavaströme, die auch Charles Deville dem eben so thätigen Stromboli abspricht, aber wenigstens seit dem Jahre 1728 in ununterbrochener Thätigkeit schwarzer, oft glühend leuchtender Stein-Auswürfe; bildet eine Trachyt-Insel von kaum 2 geogr. Meilen DurchmesserSébastien Wisse, exploration du Volcan de Sangay in den Comptes rendus de l'Acad. des Sciences T.XXXVI. (1853) p. 721; vergl. auch Kosmos Bd. IV. S. 527 Anm. 2061 und S. 301–303. Nach Boussingault haben die von Wisse mitgebrachten ausgeworfenen Trachytstücke, am oberen Abfall des Kegels gesammelt (der Reisende gelangte bis in eine Höhe von 900 Fuß unter dem Gipfel, welcher selbst 456 Fuß Durchmesser hat), eine schwarze, pechsteinartige Grundmasse mit eingewachsenen Krystallen von glasigem (?) Feldspath. Eine sehr merkwürdige, in Vulkan-Auswürfen bisher wohl einzige Erscheinung ist, daß mit diesen großen, schwarzen Trachytstücken zugleich kleine Stücke scharfkantigen reinen Quarzes ausgestoßen werden. Diese Fragmente haben (nach einem Briefe meines Freundes Boussingault vom Januar 1851) nicht mehr als 4 Cubik-Centimeter Volum. In der Trachytmasse selbst ist kein eingesprengter Quarz zu finden. Alle vulkanischen Trachyte, welche ich in den Cordilleren von Südamerika und Mexico untersucht habe: ja selbst die trachytartigen Porphyre, in denen die reichen Silbergänge von Real del Monte, Moran und Regla, nördlich vom Hochthal von Mexico, aufsetzen; sind völlig quarzfrei. Trotz dieses scheinbaren Antagonismus von Quarz und Trachyt in entzündeten Vulkanen, bin ich keinesweges geneigt den vulkanischen Ursprung der trachytes et porphyres meulières (Mühlsteins-Trachyte), auf welche Beudant zuerst recht aufmerksam gemacht hat, zu läugnen. Die Art aber, wie diese aus Spalten ausgebrochen sind, ist, ihrer Entstehung nach, gewiß ganz verschieden von der Bildung der kegel- und domartigen Trachyt-Gerüste. mitten in Granit- und Gneiß-Schichten. Ganz entgegengesetzte Lagerungsverhältnisse zeigt die vulkanische Eifel, wie ich schon oben bemerkt habe: sowohl bei der Thätigkeit, welche sich einst in den, in devonische Schiefer eingesenkten Maaren (oder Minen-Trichtern); als der, welche sich in den lavastrom-gebenden Gerüsten offenbart: wie am langen Rücken des Mosenberges und Gerolsteins. Die Oberfläche bezeugt hier nicht, was im Inneren verborgen ist. Die Trachytlosigkeit vor Jahrtausenden so thätiger Vulkane ist eine noch auffallendere Erscheinung. Die augithaltigen Schlacken des Mosenberges, welche den basaltartigen Lavastrom theilweise begleiten, enthalten kleine gebrannte Schieferstücke, nicht Fragmente von Trachyt; in der Umgebung fehlen die Trachyte. Diese Gebirgsart wird in der Eifel nur ganz isolirtKosmos Bd IV. S. 276–280. sichtbar, fern von 465 Maaren und lavagebenden Vulkanen: wie im Sellberg bei Quiddelbach und in dem Bergzuge von Reimerath. Die Verschiedenheit der Formationen, welche die Vulkane durchbrechen, um in der oberen Erdrinde mächtig zu wirken, ist geognostisch eben so wichtig als das Stoffhaltige, das sie hervorbringen.
Die Gestaltungs-Verhältnisse der Felsgerüste, durch welche die vulkanische Thätigkeit sich äußert oder zu äußern gestrebt hat, sind endlich in neueren Zeiten in ihrer oft sehr complicirten Verschiedenartigkeit in den fernesten Erdzonen weit genauer erforscht und dargestellt worden als im vorigen Jahrhundert, wo die ganze Morphologie der Vulkane sich auf Kegel- und Glockenberge beschränkte. Man kennt jetzt von vielen Vulkanen den Bau, die Hypsometrie und die Reihung (das, was der scharfsinnige Carl Friedrich Naumann die GeotektonikDas Vollständigste, was wir: auf wirkliche Messungen der Höhenverhältnisse, Neigungswinkel und Profil-Ansichten gegründet, von irgend einer vulkanischen Gegend besitzen; ist die schöne Arbeit des Olmützer Astronomen Julius Schmidt über den Vesuv, die Solfatara, Monte nuovo, die Astroni, Rocca Monfina und die alten Vulkane des Kirchenstaats (im Albaner Gebirge, Lago Bracciano und Lago di Bolsena); s. dessen hypsometrisches Werk: die Eruption des Vesuvs im Mai 1855, nebst Atlas Tafel III, IV und IX. nennt) auf das befriedigendste oft da, wo man noch in der größten Unwissenheit über die Zusammensetzung ihrer Gebirgsart, über die Association der Mineral-Species geblieben ist, welche ihre Trachyte charakterisiren und von der Grundmasse abgesondert erkennbar werden. Beide Arten der Kenntniß, die morphologische der Felsgerüste und die oryctognostische der Zusammensetzung, sind aber zur vollständigen Beurtheilung der vulkanischen Thätigkeit gleich nothwendig: ja die letztere, auf Krystallisation und chemische Analyse gegründet, wegen des Zusammenhanges mit plutonischen Gebirgsarten (Quarzporphyr, Grünstein, Serpentin) von größerer geognostischer Wichtigkeit. Was wir von dem sogenannten Vulcanismus des Mondes zu wissen glauben, bezieht sich der Natur dieser Kenntniß nach ebenfalls allein auf Gestaltung.Bei der fortschreitenden Vervollkommnung unserer Kenntnisse von der Gestaltung der Oberfläche des Mondes von Tobias Mayer an bis Lohrmann, Mädler und Julius Schmidt ist im ganzen der Glaube an die großen Analogien zwischen den vulkanischen Gerüsten der Erde und des Mondes eher vermindert als vermehrt worden: nicht sowohl wegen der Dimensions-Verhältnisse und früh erkannten Anreihung so vieler Ringgebirgs-Formen als wegen der Natur der Rillen und der nicht schattenwerfenden Strahlen-Systeme (Licht-Radiationen) von mehr als hundert Meilen Länge und ½ bis 4 Meilen Breite: wie am Tycho, Copernicus, Kepler und Aristarch. Auffallend ist es immer, daß schon Galilei, in seinem Briefe an den Pater Christoph Grienberger sulle Montuosità della Luna, Ringgebirge: deren Durchmesser er für größer hielt, als sie sind, glaubte mit dem umwallten Böhmen vergleichen zu dürfen; und daß der scharfsinnige Robert Hooke in seiner Micrographie den auf dem Mond fast überall herrschenden Typus kreisförmiger Gestaltung schon der Reaction des Inneren des Mondkörpers auf das Aeußere zuschrieb (Kosmos Bd. II. S. 508 [Anm. 926] und Bd. III. S. 508 und 544 [Anm. 1576]). Bei den Ringgebirgen des Mondes haben in den neueren Zeiten das Verhältniß der Höhe der Centralberge zu der Höhe der Umwallung oder der Kraterränder, wie die Existenz parasitischer Krater auf der Umwallung selbst mich lebhaft interessirt. Das Ergebniß aller sorgfältigen Beobachtungen von Julius Schmidt, welcher mit der Fortsetzung und Vollendung der Mond-Topographie von Lohrmann beschäftigt ist, setzt fest: »daß kein einziger Centralberg die Wallhöhe seines Kraters erreicht, sondern daß derselbe mit seinem Gipfel wahrscheinlich in allen Fällen noch bedeutend unter derjenigen Oberfläche des Mondes liegt, aus welcher der Krater ausgebrochen ist. Während der Schlackenkegel im Krater des Vesuvs, der am 22 October 1822 aufgestiegen ist, nach Brioschi's trigonometrischer Messung die Punta del Palo, den höchsten nördlichen Kraterrand (von 618 Toisen über dem Meere), um 28 Fuß überragt und in Neapel sichtbar war; liegen auf dem Monde viele von Mädler und dem Olmützer Astronomen gemessene Centralberge volle 1000 Toisen tiefer als der mittlere Umwallungsrand: ja 100 Toisen unter dem, was man in derselben Mondgegend für das nähere mittlere Niveau halten kann (Mädler in Schumacher's Jahrbuch für 1841 S. 272 und 274, und Julius Schmidt: der Mond 1856 S. 62). Gewöhnlich sind die Centralberge oder Central-Massengebirge des Mondes vielgipflig: wie im Theophilus, Petavius und Bulliald. Im Copernicus liegen 6 Centralberge, und einen eigentlichen centralen Pic mit scharfer Spitze zeigt allein der Alphons. Dies Verhältniß erinnert an die Astroni in den phlegräischen Feldern, auf deren domförmige Centralmassen Leopold von Buch mit Recht viel Wichtigkeit legte. »Diese Massen brachen nicht aus (so wenig als die im Centrum der Mond-Ringgebirge); es entstand keine dauernde Verbindung mit dem Inneren, kein Vulkan: sondern vielmehr gleichsam ein Modell der großen, so vielfältig über die Erdrinde verbreiteten, trachytischen, nicht geöffneten Dome, des Puy de Dôme und des Chimborazo« (Poggendorff's Annalen Bd. 37. 1836 S. 183). Die Umwallung der Astroni hat eine überall geschlossene elliptische Form, welche nirgend mehr als 130 Toisen über dem Meeresspiegel erreicht. Die Gipfel der centralen Kuppen liegen 103 Toisen tiefer als das Maximum des südwestlichen Kraterwalles. Die Kuppen bilden zwei unter sich parallele, mit dichtem Gesträuch bekleidete Rücken (Julius Schmidt, Eruption des Vesuvs S. 147 und der Mond S. 70 und 103). Zu den merkwürdigsten Gegenständen der ganzen Mondfläche gehört aber das Ringgebirge Petavius: in welchem der ganze innere Kraterboden convex, blasen- oder kuppelförmig expandirt, und doch mit einem Centralberge gekrönt ist. Die Convexität ist hier eine dauernde Form. In unseren Erd-Vulkanen wird nur bisweilen (temporär) die Bodenfläche des Kraters durch die Kraft unterer Dämpfe fast bis zur Höhe des Kraterrandes gehoben; aber so wie die Dämpfe durchbrechen, sinkt die Bodenfläche wieder herab. Die größten Durchmesser der Krater auf der Erde sind die Caldeira de Fogo, nach Charles Deville zu 4400 Toisen (1,08 geogr. Meile); die Caldeira von Palma, nach Leopold von Buch zu 3100 T.: während auf dem Monde Theophilus 50000 T. und Tycho 45000 Toisen, letztere beiden also 13 und 11,3 geographische Meilen, im Durchmesser haben. Parasitische Nebenkrater, auf einem Randwalle des großen Kraters ausgebrochen, sind auf dem Monde sehr häufig. Der Kraterboden dieser Parasiten ist gewöhnlich leer, wie auf dem zerrissenen großen Rande des Maurolycus; seltener ist ein kleiner Centralberg, vielleicht ein Auswurfs-Kegel, darin zu sehen: wie in Longomontanus. Aus einer schönen Skizze des Aetna-Krater-Systems, welches mir mein Freund, der Astronom Christian Peters (jetzt in Albany in Nordamerika), aus Flensburg im August 1854 schickte, erkennt man deutlich den parasitischen Rand-Krater (Pozzo di Fuoco genannt), der sich im Januar 1833 an der Ost-Süd-Ost-Seite bildete und bis 1813 mehrere starke Lava-Ausbrüche hatte.
Wenn, wie ich hoffe, das, was ich hierüber die Classification der vulkanischen Gebirgsarten oder, um bestimmter zu 466 reden, über die Eintheilung der Trachyte nach ihrer Zusammensetzung vortrage, ein besonderes Interesse erregt; so gehört das Verdienst dieser Gruppirung ganz meinem vieljährigen Freunde und sibirischen Reisegefährten, Gustav Rose. Eigene Beobachtung in der freien Natur und die glückliche Verbindung chemischer, krystallographisch-mineralogischer und geognostischer Kenntnisse haben ihn besonders geschickt gemacht neue Ansichten zu verbreiten über den Kreis der Mineralien, deren verschiedenartige, aber oft wiederkehrende Association das Product vulkanischer Thätigkeit ist. Er hat, zum Theil auf meine Veranlassung, mit aufopfernder Güte, besonders seit dem Jahre 1834 die Stücke, welche ich von dem Abhange der Vulkane von Neu-Granada, los Pastos, Quito und dem Hochlande von Mexico mitgebracht, wiederholentlich untersucht und mit dem, was aus anderen Weltgegenden die reiche Mineralien-Sammlung des Berliner Cabinets enthält, verglichen. Leopold von Buch hatte, als meine Sammlungen noch nicht von denen meines Begleiters Aimé Bonpland getrennt waren (in Paris 1810–1811, zwischen seiner Rückkunft aus Norwegen und seiner Reise nach Teneriffa), sie mit anhaltendem Fleiße microscopisch untersucht; auch schon früher während des Aufenthaltes mit Gay-Lussac in Rom (Sommer 1805) wie später in Frankreich von dem Kenntniß genommen, was ich in meinen Reisejournalen an Ort und Stelle über einzelne Vulkane und im allgemeinen sur l'affinité entre les Volcans et certains porphyres dépourvus de quarz im Monat Juli 1802 niedergeschrieben hatte.Der wenig charakterisirende, unbestimmte Name Trachyt (Rauhstein), welcher jetzt so allgemein dem Gestein, in dem die Vulkane ausbrechen, gegeben wird; ist erst im Jahr 1822 von Hauy in der 2ten Auflage seines traité de Minéralogie Vol. IV. p. 579 einem Gestein der Auvergne gegeben worden: bloß mit Erwähnung der Ableitung des Namens, und einer kurzen Beschreibung, in welcher der älteren Benennungen: Granite chauffé en place von Desmarets, Trapp-Porphyre und Domite, gar nicht Erwähnung geschah. Nur durch mündliche Mittheilung, welche die Vorlesungen Hauy's im Jardin des Plantes veranlaßten, ist der Name Trachyt schon vor 1822: z. B. in Leopolds von Buch im Jahr 1818 erschienener Abhandlung über basaltische Inseln und Erhebungscrater, durch Daubuisson's traité de Minéralogie von 1819, durch Beudant's wichtiges Werk, Voyage en Hongrie; verbreitet worden. Aus freundschaftlichen Briefen, welche ich ganz neuerlich Herrn Elie de Beaumont verdanke, geht hervor, daß die Erinnerungen von Herrn Delafosse: Hauy's früherem Aide Naturaliste, jetzigem Mitgliede des Instituts, die Benennung von Trachyt zwischen die Jahre 1813 und 1816 setzen. Die Publication des Namens Domit durch Leopold von Buch scheint nach Ewald in das Jahr 1809 zu fallen. Es wird des Domits zuerst in dem 3ten Briefe an Karsten (geognostische Beobachtungen auf Reisen durch Deutschland und Italien Bd. II. 1809 S. 244) erwähnt. »Der Porphyr des Puy de Dôme«, heißt es dort, »ist eine eigene, bis jetzt namenlose Gebirgsart: die aus Feldspath-Krystallen mit Glasglanz, Hornblende und schwarzen Glimmerblättchen besteht. In den Klüften dieser Gebirgsart, die ich vorläufig Domit nenne, finden sich schöne Drusen, deren Wände mit Krystallen von Eisenglimmer bedeckt sind. In der ganzen Länge des Puy's wechseln Kegel aus Domit mit Schlackenkegeln ab.« Der 2te Band der Reisen, welcher die Briefe aus der Auvergne enthält, ist 1806 gedruckt, aber erst 1809 ausgegeben worden: so daß die Publication des Namens Domit eigentlich in dieses Jahr gehört. Sonderbar ist es, daß 4 Jahre später in Leopolds von Buch Abhandlung über den Trapp-Porphyr des Domits nicht mehr Erwähnung geschieht. – Wenn ich im Texte der Zeichnung eines Profils der Cordilleren gedenke, welche in meinem Reisejournal vom Monat Juli 1802 enthalten ist und vom 4ten Grad nördlicher bis 4° südlicher Breite unter der Aufschrift affinité entre le feu volcanique et les porphyres sich findet; so ist es nur, um zu erinnern, daß dieses Profil: welches die drei Durchbrüche der Vulkan-Gruppen von Popayan, los Pastos und Quito, wie auch den Ausbruch der Trapp-Porphyre in dem Granit und Glimmerschiefer des Paramo de Assuay (auf der großen Straße von Cadlud, in 14568 Fuß Höhe) darstellt, Leopold von Buch angeregt hat mir nur zu bestimmt und zu wohlwollend die erste Anerkenntniß zuzuschreiben: »daß alle Vulkane der Andeskette in einem Porphyr ihren Sitz haben, der eine eigenthümliche Gebirgsart ist und den vulkanischen Formationen wesentlich zugehört« (Abhandlungen der Akademie der Wiss. zu Berlin aus den Jahren 1812–1813 S. 131, 151 und 153). Am allgemeinsten mag ich allerdings das Phänomen ausgedrückt haben; aber schon 1789 hatte Nose, dessen Verdienste lange verkannt worden sind, in seinen orographischen Briefen das vulkanische Gestein des Siebengebirges »als eine dem Basalt und Porphyrschiefer nahe verwandte, eigene rheinische Porphyr-Art« beschrieben. Er sagt: diese Formation sei durch glasigen Feldspath, den er Sanidin zu nennen vorschlägt, besonders charakterisirt und gehöre dem Alter ihrer Bildung nach zu den Mittel-Flözgebirgen (Niederrheinische Reise Th. I. S. 26, 28 und 47; Th. II. S. 428). Daß Nose, wie Leop. von Buch behauptet, diese Porphyr-Formation, die er wenig glücklich Granit-Porphyr nennt, sogar mit den Basalten auch für jünger als die neuesten Flözgebirge erkannt habe; finde ich nicht begründet. »Nach den glasigen Feldspathen«, sagt der große, so früh uns entrissene Geognost, »sollte die ganze Gebirgsart benannt sein (also Sanidin-Porphyr), hätte sie nicht schon den Namen Trapp-Porphyr« (Abh. der Berl. Akad. aus den J. 1812–1813 S. 134). Die Geschichte der systematischen Nomenklatur einer Wissenschaft hat in so fern einige Wichtigkeit, als die Reihenfolge der herrschenden Meinungen sich darin abspiegelt. Ich bewahre als ein mir überwerthes Andenken einige Blätter mit Bemerkungen über die vulkanischen Producte der Hochebenen von Quito und Mexico, welche der große Geognost mir vor jetzt mehr als 46 Jahren zu meiner Belehrung 467 mittheilte. Da Reisende, wie ich schon an einem anderen OrteHumboldt, Kleinere Schriften Bd. I. Vorrede S. III–V. umständlicher entwickelt, nur immer die Träger des unvollständigen Wissens ihrer Zeit sind, und ihren Beobachtungen viele der leitenden Ideen, d. h, der Unterscheidungs-Merkmale fehlen, welche die Früchte eines fortschreitenden Wissens sind; so bleibt dem materiell Gesammelten und geographisch Geordneten fast allein ein langdauernder Werth.
Will man, wie mehrfach geschehen, die Benennung Trachyt (wegen der frühesten Anwendung auf das Gestein von Auvergne und des Siebengebirges bei Bonn) auf eine vulkanische Gebirgsart beschränken, welche Feldspath, besonders Werner's glasigen Feldspath, Nose's und Abich's Sanidin enthalte; so wird dadurch die, zu höheren geognostischen Ansichten führende, innige Verkettung des vulkanischen Gesteins unfruchtbar zerrissen. Eine solche Beschränkung konnte den Ausdruck rechtfertigen, »daß in dem labradorreichen Aetna kein Trachyt vorkomme«; ja meine eigenen Sammlungen beweisen sollen, »daß kein einziger der fast zahllosen Vulkane der Andes aus Trachyt bestehe: daß sogar die sie bildende Masse Albit und deshalb, da man damals (1835) allen Oligoklas irrig für Albit hielt, alles vulkanische Gestein mit dem allgemeinen Namen Andesit (bestehend aus Albit mit wenig Hornblende) zu belegen sei.«Leopold von Buch in Poggendorff's Annalen Bd. XXXVII. 1836 S. 188 und 190. Wie ich selbst nach den Eindrücken, welche ich von meinen Reisen über das, trotz einer mineralogischen Verschiedenheit innerer Zusammensetzung, allen Vulkanen Gemeinsame zurückgebracht: so hat auch Gustav Rose, nach dem, was er in dem schönen Aufsatz über die Feldspath-GruppeGustav Rose in Gilbert's Annalen Bd. 73. 1823 S. 173 und Annales de Chimie et de Physique T. XXIV. 1823 p. 16. Oligoklas wurde zuerst von Breithaupt als neue Mineral-Species aufgestellt (Poggendorff's Annalen Bd. VIII. 1826 S. 238). Später zeigte es sich, daß Oligoklas identisch sei mit einem Mineral, welches Berzelius in einem in Gneiß aufsetzenden Granitgange bei Stockholm beobachtet und wegen der Aehnlichkeit in der chemischen Zusammensetzung Natron Spodumen genannt hatte (Poggendorff's Ann. Bd. IX. 1827 S. 281). entwickelt hat, in seiner Classification der Trachyte Ortheklas, Sanidin, den Anorthit der Somma, Albit, Labrador und Oligoklas verallgemeinernd als den feldspathartigen Antheil der vulkanischen 468 Gebirgsarten betrachtet. Kurze Benennungen, welche Definitionen enthalten sollen, führen in der Gebirgslehre wie in der Chemie zu mancherlei Unklarheiten. Ich war selbst eine Zeit lang geneigt mich der Ausdrücke: Orthoklas- oder Labrador- oder Oligoklas-Trachyte zu bedienen, und so den glasigen Feldspath (Sanidin) wegen seiner chemischen Zusammensetzung unter der Gattung Orthoklas (gemeinem Feldspath) zu begreifen. Die Namen waren allerdings wohlklingend und einfach, aber ihre Einfachheit selbst mußte irre führen: denn wenn gleich Labrador-Trachyt zum Aetna und zu Stromboli führt, so würde der Oligoklas-Trachyt in seiner wichtigen zwiefachen Verbindung mit Augit und Hornblende die weit verbreiteten, sehr verschiedenartigen Formationen des Chimborazo und des Vulkans von Toluca fälschlich mit einander verbinden. Es ist die Association eines feldspathartigen Elementes mit einem oder zwei anderen, welche hier, wie bei gewissen Gang-Ausfüllungen (Gang-Formationen), charakterisirend auftritt.
Folgendes ist die Uebersicht der Abtheilungen, welche seit dem Winter 1852 Gustav Rose in den Trachyten nach den darin eingeschlossenen, abgesondert erkennbaren Krystallen unterscheidet. Die Hauptresultate dieser Arbeit, in der keine Verwechslung des Oligoklases mit dem Albit statt findet, wurden 10 Jahre früher erlangt, als mein Freund bei seinen geognostischen Untersuchungen im Riesengebirge fand, daß der Oligoklas dort ein wesentlicher Gemengtheil des Granits sei: und, so auf die Wichtigkeit des Oligoklas als wesentlichen Gemengtheils der Gebirgsarten aufmerksam gemacht, ihn auch in anderen Gebirgsarten aufsuchte.S. Gustav Rose über den Granit des Riesengebirges in Poggendorff's Annalen Bd. LVI. 1842 S. 617. Berzelius hatte den Oligoklas, sein Natron Spodumen, nur auf einem Granitgange gefunden; in der eben citirten Abhandlung wurde zuerst das Vorkommen als Gemengtheils des Granits (der Gebirgsart selbst) ausgesprochen. Gustav Rose bestimmte hier den Oligoklas nach seinem specifischen Gewichte, seinem in Vergleich mit Albit größeren Kalk-Gehalte, und seiner größeren Schmelzbarkeit. Dieselbe Menge, mit welcher er das specifische Gewicht zu 2,682 gefunden hatte, wurde von Rammelsberg analysirt (Handwörterbuch der Mineral. Suppl. I. S. 104 und G. Rose über die zur Granitgruppe gehörenden Gebirgsarten in der Zeitschr. der Deutschen geol. Gesellschaft Bd. I. 1849 S. 364). Diese Arbeit führte zu dem wichtigen Resultate (Poggend. Ann. Bd. LXVI. 1845 S. 109), daß der Albit nie der Gemengtheil einer Gebirgsart sei.
469 Erste Abtheilung. »Die Grundmasse enthält nur Krystalle von glasigem Feldspath, welche tafelartig und in der Regel groß sind. Hornblende und Glimmer treten darin entweder gar nicht oder doch nur äußerst sparsam und als ganz unwesentliche Gemengtheile hinzu. Hierher gehört der Trachyt der phlegräischen Felder (Monte Olibano bei Pozzuoli), der von Ischia und von la Tolfa; auch ein Theil des Mont-Dore (grande Cascade). Augit zeigt sich in kleinen Krystallen in Trachyten des Mont-Dore, doch sehr seltenRozet sur les Volcans de l'Auvergne in den Mémoires de la Société géologique de France 2ème Série T. I. P. 1. 1844 p. 69.; in den phlegräischen Feldern neben Hornblende gar nicht; eben so wenig als Leucit: von welchem letzteren aber doch Hoffmann über dem Lago Averno (an der Straße nach Cumä) und ich am Abhange des Monte NuovoFragmente von Leucitophyr, von mir am Monte nuovo gesammelt, sind von Gustav Rose beschrieben in Fried. Hoffmann's geognostischen Beobachtungen 1839 S. 219. Ueber die Trachyte des Monte di Procida der Insel desselben Namens und der Klippe S. Martino s. Roth, Monographie des Vesuvs 1857 S. 519–522 Tab. VIII. Der Trachyt der Insel Ischia enthält im Arso oder Strom von Cremate (1301) glasigen Feldspath, braunen Glimmer, grünen Augit, Magneteisen und Olivin (S. 528); keinen Leucit. (im Herbst 1822) einige Stücke gesammelt haben. Leucitophyr in losen Stücken ist häufiger in der Insel Procida und dem daneben liegenden Scoglio di S. Martino.«
Zweite Abtheilung. »Die Grundmasse enthält einzelne glasige Feldspath-Krystalle und eine Menge kleiner, schneeweißer Oligoklas-Krystalle. Die letzteren sind oft regelmäßig mit dem glasigen Feldspath verwachsen und bilden eine Hülle um den Feldspath: wie dies bei G. Rose's Granitit (der Hauptmasse des Riesen- und Iser-Gebirges; Granite mit rothem Feldspath, besonders reich an Oligoklas und an Magnesia-Glimmer, aber ohne allen weißen Kali-Glimmer) so häufig ist. Hornblende und Glimmer, und in einigen Abänderungen Augit treten zuweilen in geringer Menge hinzu. Hierher gehören die Trachyte vom Drachenfels und von der Perlenhardt im SiebengebirgeDie geognostisch-topographischen Verhältnisse des Siebengebirges bei Bonn sind mit verallgemeinerndem Scharfsinne und großer Genauigkeit entwickelt worden von meinem Freunde, dem Berghauptmann H. von Dechen, im 9ten Jahrgange der Verhandlungen des naturhistorischen Vereines der preuß. Rheinlande und Westphalens 1852 S. 289–567. Alle bisher erschienenen chemischen Analysen der Trachyte des Siebengebirges sind darin (S. 323–356) zusammengestellt: wobei auch der Trachyte vom Drachenfels und Röttchen gedacht wird, in denen außer den großen Sanidin-Krystallen sich viele kleine krystallinische Theile in der Grundmasse unterscheiden lassen. »Diese Theile hat Dr. Bothe in dem Mitscherlich'schen Laboratorium durch chemische Zerlegung für Oligoklas erkannt: ganz mit dem, von Berzelius ausgeführten Oligoklas von Danvikszoll (bei Stockholm) übereinstimmend« (Dechen S. 340–346). Die Wolkenburg und der Stenzelberg sind ohne glasigen Feldspath (S. 357 und 363), und gehören nicht zur zweiten Abtheilung, sondern zur dritten; sie haben ein Toluca-Gestein. Viele neue Ansichten enthält der Abschnitt der geognostischen Beschreibung des Siebengebirges, welcher von dem relativen Alter der Trachyt- und Basalt-Conglomerate handelt (S. 405–461). »Zu den seltneren Trachytgängen in den Trachyt-Conglomeraten: welche beweisen, daß nach der Ablagerung des Conglomerats die Trachytbildung noch fortgedauert hat (S. 413), gesellen sich häufige Basaltgänge (S. 416). Die Basaltbildung reicht bestimmt bis in eine jüngere Zeit hinein als die Trachytbildung, und die Hauptmasse des Basalts ist hier jünger als der Trachyt. Dagegen ist nur ein Theil dieses Basalts, nicht aller Basalt (S. 323), jünger als die große Masse des Braunkohlen-Gebirges. Die beiden Bildungen: Basalt und Braunkohlen-Gebirge greifen im Siebengebirge wie an so vielen anderen Orten in einander, und sind in ihrer Gesammtheit als gleichzeitig zu betrachten.« Wo sehr kleine Quarzkrystalle als Seltenheit in den Trachyten des Siebengebirges, wie (nach Nöggerath und Bischof) im Drachenfels und im Rhöndorfer Thale, auftreten, erfüllen sie Höhlungen und scheinen späterer Bildung (S. 361 und 370): vielleicht durch Verwitterung des Sanidins entstanden. Am Chimborazo habe ich ein einziges Mal ähnliche, aber sehr dünne Quarz-Ablagerungen an den Wänden der Höhlungen einiger ziegelrother, recht poröser Trachytmassen in etwa 16000 Fuß Höhe gesehen (Humboldt, Gisement des Roches 1823 p.336). Diese, in meinem Reisejournal mehrmals erwähnte Stücke liegen nicht in den Berliner Sammlungen. Auch Verwitterung von Oligoklas oder der ganzen Grundmasse des Gesteins kann solche Spuren freier Kieselsäure hergeben. Einige Punkte des Siebengebirges verdienen noch neue und anhaltende Untersuchung. Der höchste Gipfel, die Löwenburg, als Basalt aufgeführt, scheint nach der Analyse von Bischof und Kierulf ein dolerit-artiges Gestein zu sein (H. v. Dechen S. 383, 386 und 393). Das Gestein der kleinen Rosenau, das man bisweilen Sanidophyr genannt hat, gehört nach G. Rose zur ersten Abtheilung seiner Trachyte, und steht manchen Trachyten der Ponza-Inseln sehr nahe. Der Trachyt vom Drachenfels, mit großen Krystallen von glasigem Feldspath, soll nach Abich's, leider noch nicht veröffentlichten Beobachtungen am ähnlichsten sein dem, 8000 Fuß hohen Dsyndserly-dagh: welcher, nördlich vom Großen Ararat, aus einer von devonischen Bildungen unterteuften Nummuliten-Formation aufsteigt. bei Bonn, viele Abänderungen des Mont-Dore und Cantal; auch Trachyte von Kleinasien (welche wir der Thätigkeit des Reisenden Peter von 470 Tschichatscheff verdanken), von Afiun Karahissar (wegen Mohn-Cultur berühmt) und Mehammed-kjöe in Phrygien, von Kajadschyk und Donanlar in Mysien: in denen glasiger Feldspath mit vielem Oligoklas, etwas Hornblende und braunem Glimmer gemengt sind.«
Dritte Abtheilung. »Die Grundmasse dieser diorit-artigen Trachyte enthält viele kleine Oligoklas-Krystalle mit schwarzer Hornblende und braunem Magnesia-Glimmer. Hierher gehören die Trachyte von AeginaWegen der großen Nähe des Caps Perdica der Insel Aegina an die braunrothen, altberühmten Trözen-Trachyte (Kosmos Bd. IV. S. 517 Anm. 2007) der Halbinsel Methana und wegen der Schwefelquellen von Bromolimni ist es wahrscheinlich, daß die Trachyte von Methana wie die der Insel Kalauria bei dem Städtchen Poros zu derselben dritten Abtheilung von Gustav Rose (Oligoklas mit Hornblende und Glimmer) gehören (Curtius, Peloponnesos Bd. II. S. 439 und 446 Tab. XIV)., dem Kozelniker Thal bei SchemnitzS. die vortreffliche geologische Karte der Gegend von Schemnitz von dem Bergrath Johann von Peltko 1852 und die Abhandlungen der k. k. geologischen Reichsanstalt Bd. II. 1855 Abth. I. S. 3., von Nagyag in Siebenbürgen, von Montabaur im Herzogthum Nassau, vom Stenzelberg und von der Wolkenburg im Siebengebirge bei Bonn, vom Puy de Chaumont bei Clermont in Auvergne und von Liorant im Cantal; der Kasbegk im Caucasus, die mexicanischen Vulkane von TolucaKosmos Bd. IV. S. 428–9 und 591–2 [Anm. 2228]. und Orizaba; der Vulkan von Puracé und, als Trachyte aber sehr ungewiß, die prächtigen Säulen von PisojeDie basaltartigen Säulen von Pisoje, deren feldspathartigen Gemengtheil Francis zerlegt hat (Poggend. Annalen Bd. LII. 1841 S. 471): nahe am Cauca-Ufer, in den Ebenen von Amolanga (unfern der Pueblos de Sta. Barbara und Marmato); bestehen aus etwas verändertem Oligoklas in großen schönen Krystallen, und kleinen Krystallen von Hornblende. Diesem Gemenge sind nahe verwandt: der quarzhaltige Diorit-Porphyr von Marmato, den Degenhardt mitbrachte und in dem Abich den feldspathartigen Bestandtheil Andesin nannte; das quarzfreie Gestein von Cucurusape, nahe bei Marmato, aus der Sammlung von Boussingault (Charles Ste. Claire Deville, études de Lithologie p. 29); das Gestein, welches ich 3 geogr. Meilen östlich vom Chimborazo unter den Trümmern von Alt-Riobamba anstehend fand (Humboldt, Kleinere Schriften Bd. I. S. 161); und endlich das Gestein vom Esterel-Gebirge im Depart. du Var (Elie de Beaumont, explic. de la Carte géol. de France T. I. pag. 473). bei Popayan. Auch die Domite Leopolds von Buch gehören zu dieser dritten Abtheilung. In der weißen, feinkörnigen Grundmasse der Trachyte des Puy de Dôme liegen glasige Krystalle, die man stets für Feldspath gehalten hat, die aber auf der deutlichsten Spaltungsfläche immer gestreift, und Oligoklas sind; Hornblende und etwas Glimmer finden sich daneben. Nach den vulkanischen Gesteinen, welche die königliche Sammlung Herrn Möllhausen, dem Zeichner und Topographen der Exploring Expedition des Lieut. Whipple, verdankt, gehören auch zu der dritten Abtheilung, zu den diorit-artigen Toluca-Trachyten: die des Mount Taylor zwischen Santa Fé del Nuevo Mexico und Albuquerque, wie die von Cieneguilla am westlichen Abfall der Rocky Mountains: wo nach den schönen Beobachtungen von Jules Marcou schwarze 471 Lavaströme sich über die Jura-Formation ergießen.« Dieselben Gemenge von Oligoklas und Hornblende, die ich im aztekischen Hochlande, im eigentlichen Anahuac, aber nicht in den Cordilleren von Südamerika gesehen, finden sich auch weit westlich von den Rocky Mountains und von Zuñi: beim Mohave river, einem Zufluß des rio Colorado. (S. Marcou, Résumé of a geological reconnaissance from the Arkansas to California, July 1854, p. 46–48; wie auch in zwei wichtigen französischen Abhandlungen: Résumé explicatif d'une carte géologique des Etats-Unis 1855 p. 113–116 und Esquisse d'une Classification des Chaînes de montagnes de l'Amérique du Nord 1855: Sierra de S. Francisco et Mount-Taylor p. 23.) Unter den Trachyten von Java, welche ich der Freundschaft des Dr. Junghuhn verdanke, haben wir ebenfalls die der dritten Abtheilung erkannt, in drei vulkanischen Gegenden: denen von Burung-agung, Tjinas und Gunung Parang (District Batugangi).
Vierte Abtheilung. »Die Grundmasse enthält Augit mit Oligoklas: der Pic von TeneriffaDer Feldspath in den Trachyten von Teneriffa ist zuerst 1842 von Charles Deville, der im Herbst jenes Jahres die canarischen Inseln besuchte, erkannt worden: s. dieses ausgezeichneten Geognosten Voyage géologique aux Antilles et aux îles de Ténériffe et de Fogo 1848 p. 14, 74 und 169, und analyse du feldspath de Ténériffe in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XIX. 1844 p. 46. »Les travaux de Mrs. Gustave Rose et H. Abich«, sagt er, »n'ont pas peu contribué, sous le double point de vue crystallographique et chimique, à répandre du jour sur les nombreuses variétés de minéraux qui étaient comprises sous la vague dénomination de feldspath. J'ai pu soumettre à l'analyse des cristaux isolés avec soin et dont la densité en divers échantillons était très uniformément 2,593; 2,594 et 2,586. Cest la première fois que le feldspath oligoclase a été indiqué dans les terrains volcaniques, à l'exception peut-être de quelques-unes des grandes masses de la Cordillère des Andes. Il n'avait été signalé, au moins d'une manière certaine, que dans les roches éruptives anciennes (plutoniques, granites, Syénites, Porphyres syénitiques....); mais dans les trachytes du Pic de Ténériffe il joue un rôle analogue à celui du labrador dans les masses doléritiques de l'Etna.« Vergl. auch Rammelsberg in der Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft Bd. V. 1853 S. 691 und das 4te Suppl. seines Handwörterbuchs der chemischen Mineralogie S. 245.; die mexicanischen Vulkane PopocatepetlDie erste Höhenbestimmung des großen Vulkans von Mexico, des Popocatepetl, ist, so viel ich weiß, die oben (Kosmos Bd. IV. S. 527 Anm. 2062) erwähnte, von mir am 24 Januar 1804 im Llano de Tetimba ausgeführte trigonometrische Messung. Der Gipfel wurde 1536 Toisen hoch über dem Llano gefunden: und da dies barometrisch 1234 Toisen über der Küste von Veracruz liegt, so ergiebt sie als absolute Höhe des Vulkans 2770 Toisen oder 16620 Par. Fuß. Die meiner trigonometrischen Bestimmung folgenden barometrischen Messungen ließen vermuthen, daß der Vulkan noch höher sei, als ich ihn im Essai sur la Géographie des Plantes 1807 p. 148 und im Essai politique sur la Nouv. Espagne T. I. 1825 p. 185 angegeben. William Glennie, der zuerst am 20 April 1827 an den Rand des Kraters gelangte, fand nach seiner eigenen Berechnung (Gazeta del Sol, publ. en Mexico, No. 1432) 17884 engl. Fuß = 2796t; nach einer Correction des um die amerikanische Hypsometrie so hoch verdienten Oberbergraths Burkart, mit fast gleichzeitiger Barometer-Höhe in Veracruz verglichen, gar 16900 Par. Fuß. Eine barometrische Messung von Samuel Birbeck (10 Nov. 1827), nach den Tafeln von Oltmanns berechnet, gab jedoch wiederum nur 16753 Par. Fuß; die Messung von Alexandre Doignon (Gumprecht, Zeitschrift für allg. Erdkunde Bd. IV. 1855 S. 390), fast zu höflich mit der trigonometrischen Messung von Tetimba übereinstimmend, 5403 Meter = 16632 Par. Fuß. Der kenntnißvolle jetzige preußische Gesandte in Washington, Herr von Gerolt, ist, begleitet vom Baron Gros, (28 Mai 1833) ebenfalls auf dem Gipfel des Popocatepetl gewesen: und hat nach einer genauen barometrischen Messung die Roca del Fraile unterhalb des Kraters 15850 Par. Fuß über dem Meere gefunden. Mit den hier in chronologischer Ordnung angegebenen hypsometrischen Resultaten contrastirt sonderbar eine, wie es scheint, mit vieler Sorgfalt angestellte Barometer-Messung des Herrn Craveri, welche Petermann in seinen so gehaltvollen Mittheilungen über wichtige neue Erforschungen der Geographie 1856 (Heft X) S. 358–361 bekannt gemacht hat. Der Reisende fand im Sept. 1855 die Höhe des höchsten, d. i. nordwestlichen Kraterrandes, mit dem verglichen, was er für die mittlere Höhe des Luftdruckes in Veracruz hielt, nur zu 5230 Metern = 16099 Par. Fuß: also 521 Par. Fuß (1/32 der ganzen gemessenen Höhe) weniger als ich bei der trigonometrischen Messung ein halbes Jahrhundert früher. Auch die Höhe der Stadt Mexico über dem Meere hält Craveri für 184 Par. Fuß geringer, als Burkart und ich sie zu sehr verschiedenen Zeiten gefunden haben; er schätzt sie (statt 2277 Meter = 1168 Toisen) nur zu 2217m. Ich habe mich über diese Schwankungen in plus und minus um das Resultat meiner trigonometrischen Messung, der leider noch immer keine zweite gefolgt ist, in der vorbenannten Zeitschrift des Dr. Petermann S. 479–481 umständlicher erklärt. Die 453 Höhenbestimmungen, welche ich vom Sept. 1799 bis Febr. 1804 in Venezuela, an den waldigen Ufern des Orinoco, Rio de la Magdalena und Amazonenflusses; in den Cordilleren von Neu-Granada, Quito und Peru, und in der Tropengegend von Mexico gemacht habe: und welche alle, von neuem von Prof. Oltmanns gleichmäßig nach der Formel von Laplace mit dem Coefficienten von Ramond berechnet, in meinem Nivellement barométrique et géologique 1810 publicirt worden sind (Recueil d'Observ. Astronomiques Vol. I. p. 295–334); wurden ohne Ausnahme mit Ramsden'schen Gefäß-Barometern à niveau constant: und keinesweges mit Apparaten, in welche man nach einander mehrere frisch gefüllte Torricellische Röhren einsetzen kann, noch mit dem von mir selbst angegebenen, in Lamétherie's Journal de Physique T. IV. p. 468 beschriebenen und bloß in den Jahren 1796 und 1797 in Deutschland und Frankreich bisweilen gebrauchten Instrumente, gemacht. Ganz gleich construirter Ramsden'scher tragbarer Gefäß-Barometer habe ich mich auch 1805 auf einer Reise durch Italien und die Schweiz mit Gay-Lussac zu unsrer beiderseitigen Befriedigung bedient. Die vortrefflichen Arbeiten des Olmützer Astronomen Julius Schmidt an den Kraterrändern des Vesuvs (Beschreibung der Eruption im Mai 1855 S. 114–116) bieten durch Vergleichung neue Motive zu dieser Befriedigung dar. Da ich nie den Gipfel des Popocatepetl bestiegen habe, sondern ihn trigonometrisch maß, so ist kein Grund vorhanden zu dem wundersamen Vorwurfe (Craveri in Petermann's geogr. Mittheilungen Heft X S. 359): »die von mir dem Berge zugeschriebene Höhe sei darum ungenügend, weil ich mich, wie ich selbst berichte, der Aufstellung frisch gefüllter Torricelli'scher Röhren bedient hätte.« Der Apparat mit mehreren Röhren ist gar nicht in freier Luft zu gebrauchen, am wenigsten auf dem Gipfel eines Berges. Er gehört zu den Mitteln, die man bei den Bequemlichkeiten, welche Städte darbieten, in langen Zwischenzeiten anwenden kann, wenn man über den Zustand seiner Barometer unruhig wird. Ich habe dieses Beruhigungsmittel nur in sehr seltenen Fällen angewandt, würde es aber auch jetzt noch den Reisenden neben der Vergleichung mit dem Siedepunkte eben so warm empfehlen als in meinen Observ. Astron. (Vol. I. p. 363–373): »Comme il vaut mieux ne pas observer du tout que de faire de mauvaises observations, on doit moins craindre de briser le baromètre que de le voir dérangé. Comme nous avons, Mr. Bonpland et moi, traversé quatre fois les Cordillères des Andes, les mesures qui nous intéressoient le plus, ont été répétées à différentes reprises: on est retourné aux endroits qui paroissoient douteux. On s'est servi de temps en temps de l'appareil de Mutis, dans lequel on fait l'expérience primitive de Torricelli, en appliquant successivement trois ou quatre tubes fortement chauffés, remplis de mercure récemment bouilli dans un creuset de grès. Lorsqu'on est sûr de ne pas pouvoir remplacer les tubes, il est peut-être prudent de ne pas faire bouillir le mercure dans ces tubes mêmes. C'est ainsi que j'ai trouvé dans des expériences faites conjointement avec Mr. Lindner, professeur de chimie à l'école des mines du Mexique, la hauteur de la colonne de mercure à Mexico, dans six tubes, de
259,7 lignes (ancien pied de Paris) Les deux derniers tubes seuls avoient été purgés d'air au feu, par Mr. Bellardoni, ingénieur d'instrumens à Mexico. Comme l'exactitude de l'expérience dépend en partie de la propreté intérieure des tubes vides, si faciles à transporter, il est utile de les fermer hermétiquement à la lampe.« Da in Gebirgsgegenden die Höhenwinkel nicht vom Meeresufer aus unternommen werden können, und die trigonometrischen Messungen gemischter Natur und zu einem beträchtlichen Theile (oft zu 1/2 oder 1/2,7 der ganzen Höhe) barometrisch sind; so ist die Höhenbestimmung der Hochebene, in welcher die Standlinie (base) gemessen wurde, von großer Wichtigkeit. Weil correspondirende Barometer-Beobachtungen am Meere selten oder meist nur in allzu großer Entfernung erlangt werden, so sind Reisende nur zu oft geneigt, was sie aus Beobachtungen weniger Tage geschlossen, die zu verschiedenen Jahreszeiten von ihnen angestellt wurden, für die mittlere Höhe des Luftdruckes der Hochebene und an dem Meeresufer zu halten. »Dans la question de savoir, si une mesure faite au moyen du baromètre peut atteindre l'exactitude des opérations trigonométriques, il ne s'agit que d'examiner, si dans un cas donné les deux genres de mesures ont été faites dans des circonstances également favorables, c'est-à-dire en remplissant les conditions que la théorie et une longue expérience ont prescrites. Le géomètre redoute le jeu de réfractions terrestres, le physicien doit craindre la distribution si inégale et peu simultanée de la température dans la colonne d'air aux extrémités de laquelle se trouvent placés les deux baromètres. Il est assez probable que près de la surface de la terre le décroissement du calorique est plus lent qu'à de plus grandes élévations; et pour connoître avec précision la densité moyenne de toute la colonne d'air, il faudroit, en s'élevant dans un ballon, pouvoir examiner la température de chaque tranche ou couche d'air superposée.« (Humboldt, Recueil d'Observ. Astron. Vol. I. p. 138 und S. 371 in der Abh. über die Refraction und die Barometer-Messungen.) Wenn die barometrische Messung der Herrn Truqui und Craveri dem Gipfel des Popocatepetl nur 16100 Par. Fuß giebt, dagegen Glennie 16780 Fuß; so stimmt dagegen die neu bekannt gemachte eines Reisenden, welcher die Umgegend von Mexico wie die Landschaften Yucatan und Chipa durchforscht hat, des Gymnasial-Professors Carl Heller zu Olmütz, bis auf 30 Fuß mit der meinigen überein. (Vergl. meinen Aufsatz über die Höhe des mexicanischen Vulkans Popocatepetl in Dr. Petermann's Mittheilungen aus Justus Perthes geographischer Anstalt 1856 S. 479–481.) Da ich im Frühjahr 1854 eine neue Analyse des Trachyts vom Chimborazo erwünschte, so hatte Prof. Rammelsberg die Freundschaft sie mit der ihm eigenen Genauigkeit vorzunehmen. Ich lasse hier die Resultate dieser Arbeit folgen, wie sie mir von Gustav Rose in einem Briefe im Monat Juni 1854 mitgetheilt wurden: »Das Chimborazo-Gestein, das der Prof. Rammelsberg einer sorgfältigen Analyse unterworfen hat, war aus einem Stück Ihrer Sammlung abgeschlagen, das Sie von dem schmalen Felskamm auf der Höhe von 2986 Toisen über dem Meere mitgebracht.« Zur Erklärung dieser Zahlen ist zu bemerken: daß die erste Reihe die Bestandtheile in Procenten angiebt, die 2te und 3te den Sauerstoff-Gehalt derselben. Die 2te Spalte bezeichnet nur den Sauerstoff der stärkeren Oxyde (die 1 Atom Sauerstoffs enthalten). In der 3ten Reihe ist derselbe zusammengefaßt, um ihn mit dem der Thonerde (die ein schwaches Oxyd ist) und der Kieselsäure vergleichen zu können. Die 4te Spalte giebt das Verhältniß des Sauerstoffs der Kieselsäure zum Sauerstoff der sämmtlichen Basen: diesen = 1 gesetzt. Bei dem Trachyt des Chimborazo ist dieses Verhältniß = 2,33:1. »Die Unterschiede in den Analysen von Rammelsberg und Abich sind allerdings bedeutend. Beide analysirten Gesteine des Chimborazo aus 17916 und 15180 Pariser Fuß Höhe; sie sind von Ihnen abgeschlagen worden und stammen aus Ihrer geognostischen Sammlung im königlichen Mineralien-Cabinete zu Berlin her. Das Gestein aus der geringeren Höhe (kaum 375 Fuß höher als der Gipfel des Montblanc), welches Abich analysirt hat, hat ein geringeres specifisches Gewicht, und in Uebereinstimmung damit eine größere Menge Kieselsäure als das Gestein, welches Rammelsberg von einem 2736 Fuß höheren Punkte zerlegt hat. Nimmt man an, daß die Thonerde allein dem feldspathartigen Gemengtheile angehört, so kann man in der Rammelsberg'schen Analyse berechnen: Da also hier bei der Annahme von Oligoklas noch freie Kieselsäure übrig bleibt, so wird es wahrscheinlich, daß der feldspathartige Gemengtheil Oligoklas und nicht Labrador sei. Dieser kommt mit freier Kieselsäure nicht vor, und bei der Annahme von Labrador in dem Gestein würde ja noch mehr Kieselsäure übrig bleiben.« Eine sorgfältige Vergleichung vieler Analysen, welche ich der belehrenden Freundschaft des Herrn Charles Sainte-Claire Deville verdanke, dem die reichen geognostischen Sammlungen unseres gemeinschaftlichen Freundes Boussingault zur chemischen Benutzung offen standen, beweist, daß der Gehalt an Kieselsäure in der Grundmasse des trachytischen Gesteins meist größer ist als in den Feldspathen, welche sie enthalten. Die Tabelle, die mir mit großem Wohlwollen von dem Verfasser selbst mitgetheilt worden ist (im Monat Juni 1857), enthält allein fünf der großen Vulkane der Andeskette: »Ces différences, quant à la richesse en silice entre la pâte et le feldspath«, setzt Charles Deville hinzu, »paraîtront plus frappantes encore, si l'on fait attention qu'en analysant une roche en masse, on analyse, avec la pâte proprement dite, non seulement des fragments de feldspath semblables à ceux que l'on en a extraits, mais encore des minéraux qui, comme l'amphibole, la pyroxène et surtout le péridot, sont moins riches en silice que le feldspath. Cet excès de silice se manifeste quelquefois par des grains isolés de quarz, comme Mr. Abich les a signalés dans les trachytes du Drachenfels (Siebengebirge de Bonn), et comme moi-même j'ai eu l'occasion de les observer avec quelque étonnement dans le dolérite trachytique de la Guadeloupe.« »Setzt man«, sagt Gustav Rose, »der merkwürdigen Tabelle des Kieselsäure-Gehalts des Chimborazo noch das Resultat der neuesten Analyse, der von Rammelsberg (Mai 1854), hinzu; so steht das Deville'sche Resultat gerade in der Mitte zwischen denen von Abich und Rammelsberg. Wir erhalten In der zu San Francisco in Californien erscheinenden Zeitung l'Écho du Pacifique vom 5 Januar 1857 wird von einem französischen Reisenden, Herrn Jules Remy, berichtet, daß es ihm in Begleitung des Engländers Hrn. Brencklay geglückt sei am 3 Nov. 1856 den Gipfel des Chimborazo zu ersteigen: »zwar in Nebel gehüllt und ohne es selbst während der Ersteigung zu merken (sans nous en douter)«. Er beobachtete nämlich den Siedepunkt des Wassers zu 77°,5 Cent. bei +1°,7 Luft-Temperatur; als er hieraus »nach einer auf wiederholten Reisen im Hawaii-Archipel erprobten hypsometrischen Regel die von ihm erreichte Höhe berechnete, ward er von dem erhaltenen Resultate überrascht. Er fand nämlich, daß er 6543 Meter hoch gewesen war:« also in einer Höhe, die nur 40 Fuß abweicht von der Höhe (6530 Meter), welche meine trigonometrische Messung bei Riobamba nuevo, in der Hochebene von Tapia im Juni 1803 für den Gipfel des Chimborazo ergeben hatte. Diese Uebereinstimmung einer trigonometrischen Messung des Gipfels mit einer auf den Siedepunkt gegründeten wäre um so wunderbarer, als meine trigonometrische Messung, wie bei allen Bergmessungen in den Cordilleren, einen barometrischen Theil involvirt, und durch Mangel correspondirender Beobachtungen am Meeresufer der Südsee meine barometrische Bestimmung der Höhe des Llano de Tapia (2891 Meter oder 8899 Par. Fuß) nicht alle erwünschte Genauigkeit haben kann. (Ueber das Detail meiner trigonometrischen Messung s. mein Recueil d'Observ. Astron. Vol. I. p. LXXII und LXXIV). Professor Poggendorff hat sich freundschaftlichst der Mühe unterzogen zu prüfen, welches Resultat unter den wahrscheinlichsten Voraussetzungen eine rationellere Berechnungsweise geben würde. Er hat gefunden, daß, unter den beiden Hypothesen berechnet: daß am Meere die Luft-Temperatur 27°,5 C. oder 26°,5 C. geherrscht habe und der Barometerstand 760mm,0 auf den Gefrierpunkt reducirt gewesen sei, man nach Regnault's Tafel folgendes Resultat erhalte: der Siedepunkt 77°,5 C. auf dem Gipfel entspricht einem Barometerstand von 320mm,20 bei 0° Temperatur, die Luft-Temperatur war +1°,7 C.: wofür hier 1°,5 genommen sein mag. Nach diesen Daten geben Oltmanns Tafeln für die angeblich erstiegene Höhe, in der ersten Hypothese (27°,5 C.) = 7328m,2 und in der zweiten (26°,5 C.) = 7314m,5: also im Mittel 777m oder 2390 Pariser Fuß mehr als meine trigonometrische Messung. Wenn mit dieser der Versuch des Siedepunkts hätte übereinstimmen sollen, so hätte man, wäre wirklich der Gipfel des Chimborazo erstiegen worden, den Siedepunkt um 2°,25 C. höher finden müssen. (Poggendorff's Annalen Bd. 100. 1857 S. 479.)
259,5
259,9
259,9
260,0
259,9
Analyse von Rammelsberg
(Höhe 17916 Par. Fuß, specif. Gewicht 2,806)
Sauerstoff
Kieselsäure
59,12
30,70
2,33
Thonerde
13,48
6,30
}
1
Eisen-Oxydul
7,27
1,61
}
6,93
}
Kalkerde
6,50
1,85
}
}
Talkerde
5,41
2,13
}
}
Natron
3,46
0,89
}
Kali
2,64
0,45
}
97,88
Analyse von Abich
(Höhe 15180 Par. Fuß, specif. Gewicht 2,685)
Sauerstoff
Kieselsäure
65,09
. .
33,81
2,68
Thonerde
15,58
. .
7,27
}
1
Eisen-Oxyd
3,83
. .
1,16
}
Eisen-Oxydul
1,73
. .
0,39
}
Kalkerde
2,61
. .
0,73
}
Talkerde
4,10
. .
1,58
}
Natron
4,46
. .
1,14
}
Kali
1,99
. .
0,33
}
Glüh-Verlust und Chlor
0,41
99,80
Oligoklas
58,66
Augit
34,14
Kieselsäure
4,08
Namen der
Vulkane
Structur und Farbe der Masse
Kieselsäure in der
ganzen Masse
Kiesel-
säure im
Feldspath
allein
Chimborazo
{
halb verglast, bräunlich grau
65,09 Abich
}
58,26
{
halb glasig und schwarz
63,19 Deville
}
{
krystallinisch dicht grau
62,66 Deville
}
Antisana
{
grau-schwarz
64,26 Abich
}
58,26
{
. . . . . . .
63,23 Abich
}
Cotopaxi
{
glasig und bräunlich
69,28 Abich
}
{
körnig
63,98 Abich
}
Pichincha
schwarz, glasig
67,07 Abich
Puracé
fast bouteillen-grün
60,80 Deville
55,40
———
——
——
Guadeloupe
grau, körnig und zellig
57,95 Deville
54,25
Bourbon
krystallinisch grau, porös
50,90 Deville
49,06
Chimborazo-Gestein
Kieselsäure
65,09 Abich (specif. Gewicht 2,685)
63,19 Deville
62,66 derselbe
59,12 Rammelsberg (specif. Gew. 2,806)«
Fünfte Abtheilung. »Ein Gemenge von LabradorDaß die Trachyt-Gesteine des Aetna Labrador enthalten, davon überzeugte sich und seine Freunde schon Gustav Rose im Jahr 1833, als er die reichen sicilianischen Sammlungen von Friedrich Hoffmann im Berliner Mineralien-Cabinet aufstellte. In der Abhandlung über die Gebirgsarten, welche mit den Namen Grünstein und Grünsteinporphyr bezeichnet werden (Poggendorff's Ann. Bd. 34. 1835 S. 29), erwähnt Gustav Rose der Laven des Aetna, welche Augit und Labrador enthalten. (Vergl. auch Abich in der schönen Abhandlung über die gesammte Feldspath-Familie vom Jahr 1840 in Poggend. Ann. Bd. 50. S. 347.) Leopold von Buch nennt das Aetna-Gestein dem Dolerit der Basalt-Formation analog (Poggend. Bd. 37. 1836 S. 188). und AugitEin vieljähriger und fleißiger Erforscher der Aetna-Trachyte, Sartorius von Waltershausen, macht die wichtige Bemerkung: »daß die Hornblende dort vorzugsweise den älteren Massen angehört: den Grünstein-Gängen im Val del Bove, wie den weißen und röthlichen Trachyten, welche das Fundament des Aetna in der Serra Giannicola bilden. Dort werden schwarze Hornblende und hell-lauchgrüne Augite neben einander gefunden. Die neueren Lavaströme schon von 1669 an (besonders von 1787, 1809, 1811, 1819, 1832, 1838 und 1842) zeigen Augite, aber nicht Hornblende. Diese scheint unter einer langsameren Abkühlung zu entstehen.« (Waltershausen über die vulkanischen Gesteine von Sicilien und Island 1853 S. 111–114.) In den augithaltigen Trachyten der vierten Abtheilung in der Andeskette habe ich, neben den häufigen Augiten, theils gar keine: theils, wie am Cotopaxi (auf einer Höhe von 13200 Fuß) und am Rucu-Pichincha bei 14360 Fuß, sparsam, deutliche schwarze Hornblende-Krystalle gefunden., ein doleritartiger Trachyt: Aetna, Stromboli; und, nach den vortrefflichen Arbeiten über die Trachyte der Amillen von Charles Sainte-Claire Deville: die Soufrière de la Guadeloupe, wie auf Bourbon die 3 großen Cirques, welche den Pic de Salazu umgeben.«
Sechste Abtheilung. »Eine oft graue Grundmasse, in der Krystalle von Leucit und Augit mit sehr wenig Olivin liegen: Vesuv und Somma; auch die ausgebrannten Vulkane Vultur, Rocca Monfina, das Albaner Gebirge und Borghetto. In der älteren Masse (z. B. in dem Gemäuer und den Pflastersteinen von Pompeji) sind die Leucit-Krystalle von beträchtlicher Größe und häufiger als der Augit. Dagegen sind in den jetzigen Laven die Augite vorherrschend und im ganzen Leucite sehr selten. Der Lavastrom vom 22 April 1845 hat sie jedoch in Menge dargeboten.Vergl. Pilla in den Comptes rendus de l'Acad. des Sc. T. XX. 1845 p. 324. In den Leucit-Krystallen der Rocca Monfina hat Pilla die Oberfläche mit Wurmröhren (Serpuleae) bedeckt gefunden: was auf eine unterseeische vulkanische Bildung deutet. Ueber das Leucit-Gestein der Eifel im Trachyt des Burgberges bei Rieden; das von Albano, Lago Bracciano und Borghetto nördlich von Rom s. Kosmos Bd. IV. S. 518 Anm. 2014. Im Centrum großer Leucit-Krystalle hat Leop. von Buch meist das Bruchstück eines Augit-Krystalls gefunden, um welches sich die Leucit-Krystallisation gebildet hat: »was, wie schon früher bemerkt, bei der leichten Schmelzbarkeit des Augits und der Unschmelzbarkeit des Leucits sonderbar genug ist. Häufiger noch sind Stücke der Grundmasse selbst des Leucit-Porphyrs als Kern eingeschlossen.« Olivin findet sich zugleich in Laven: wie in den Höhlungen der Obsidiane, deren ich aus Mexico vom Cerro del Jacal mitgebracht habe (Kosmos Bd. I. S. 464 Anm. 290); und doch zugleich auch im Hypersthen-Fels von Elfdalen (Berzelius 6ter Jahresbericht, 1827, S. 302), den man lange für Syenit gehalten. Einen ähnlichen Contrast in der Natur der Fundörter bietet der Oligoklas dar, welcher in den Trachyten noch entzündeter Vulkane (Pic von Teneriffa und Cotopaxi), und doch zugleich auch im Granit und Granitit von Schreibersau und Warmbrunn im schlesischen Riesengebirge vorkommt (Gustav Rose über die zur Granitgruppe gehörigen Gebirgsarten in der Zeitschrift der Deutschen geol. Gesellschaft zu Berlin Bd. I. S. 364); nicht so der Leucit in plutonischem Gesteine: denn die Angabe, daß Leucit im Glimmerschiefer und Gneiß der Pyrenäen bei Gavarnie eingesprengt gefunden werde (eine Angabe, die selbst Hauy wiederholt hat), ist durch mehrjährige locale Untersuchungen von Dufrénoy (traité de Minéralogie T. III. p. 399) als irrig befunden worden. Fragmente von Trachyten der ersten Abtheilung, glasigen Feldspath enthaltend, (Leopolds von Buch eigentliche Trachyte) finden sich eingebacken in den Tuffen des Monte Somma; auch einzeln unter der Bimsstein-Schicht, welche Pompeji bedeckt. Die Leucitophyr-Trachyte der sechsten Abtheilung sind sorgfältig von den Trachyten der ersten Abtheilung zu trennen, 473 obgleich auch in dem westlichsten Theile der phlegräischen Felder und auf der Insel Procida Leucite vorkommen: wie schon früher erwähnt worden ist.«
Der scharfsinnige Urheber der hier eingeschalteten Classification der Vulkane nach Association der einfachen Mineralien, welche sie uns zeigen, vermeint keinesweges die Gruppirung dessen erschöpft zu haben, was die in wissenschaftlich geologischem und chemischem Sinne im ganzen noch so überaus unvollkommen durchforschte Erdfläche darbieten kann. Veränderungen in der Benennung der associirten Mineralien, wie Vermehrung der Trachyt-Formationen selbst sind zu erwarten auf zwei Wegen: durch fortschreitende Ausbildung der Mineralogie selbst (in genauerer specifischer Unterscheidung gleichzeitig nach Form und chemischer Zusammensetzung), wie durch Vermehrung des meist noch so unvollständig und so unzweckmäßig Gesammelten. Hier wie überall, wo das Gesetzliche in kosmischen Betrachtungen nur durch vielumfassenden Vergleich des Einzelnen erkannt werden kann, muß man von dem Grundsatz ausgehen: daß alles, was wir nach dem jetzigen Zustande der Wissenschaften zu wissen glauben, ein ärmlicher Theil von dem ist, was das nächstfolgende Jahrhundert bringen wird. Die Mittel diesen Gewinn früh zu erlangen liegen vervielfältigt da; es fehlt aber noch sehr in der bisherigen Erforschung des trachytischen Theils der gehobenen, gesenkten oder durch Spaltung geöffneten, überseeischen Erdfläche an der Anwendung gründlich erschöpfender Methoden.
Aehnlich in Form, in Construction der Gerüste und geotektonischen Verhältnissen: haben oft sehr nahe stehende Vulkane nach der Zusammensetzung und Association ihrer Mineralien-Aggregate einen sehr verschiedenen individuellen Charakter. 474 Auf der großen Queerspalte, welche von Meer zu Meer fast ganz von West nach Ost eine von Südost nach Nordwest gerichtete Gebirgskette, oder besser gesagt ununterbrochene Gebirgs-Anschwellung durchschneidet, folgen sich die Vulkane also: Colima (11262 Par. Fuß), Jorullo (4002 Fuß), Toluca (14232 Fuß), Popocatepetl (16632 Fuß) und Orizaba (16776 Fuß). Die einander am nächsten stehenden sind ungleich in der charakterisirenden Zusammensetzung; Gleichartigkeit der Trachyte zeigt sich alternirend. Colima und Popocatepetl bestehen aus Oligoklas mit Augit und haben also Chimborazo- oder Teneriffa-Trachyt; Toluca und Orizaba bestehen aus Oligoklas mit Hornblende und haben also Aegina- und Kozelnik-Gestein. Der neu entstandene Vulkan von Jorullo, fast nur ein großer Ausbruch-Hügel, besteht beinahe allein aus basalt- und pechsteinartigen, meist schlackigen Laven: und scheint dem Toluca-Trachyt näher als dem Trachyt des Colima.
In diesen Betrachtungen über die individuelle Verschiedenheit der mineralogischen Constitution nahe gelegener Vulkane liegt zugleich der Tadel des unheilbringenden Versuchs ausgesprochen einen Namen für eine Trachyt-Art einzuführen, welcher von einer über 1800 geographische Meilen langen, großentheils vulkanischen Gebirgskette hergenommen ist. Der Name Jura-Kalkstein, den ich zuerst eingeführt habeIch hatte mich auf einer geognostischen Reise, die ich 1795 durch das südliche Franken, die westliche Schweiz und Ober-Italien machte, davon überzeugt, daß der Jura-Kalkstein, welchen Werner zu seinem Muschelkalk rechnete, eine eigne Formation bildete. In meiner Schrift über die unterirdischen Gasarten, welche mein Bruder Wilhelm von Humboldt 1799 während meines Aufenthalts in Südamerika herausgab, wird der Formation, die ich vorläufig mit dem Namen Jura-Kalkstein bezeichnete, zuerst (S. 39) gedacht. Diese Aufstellung der neuen Formation ging sogleich in des Oberbergraths Karsten damals vielgelesene mineralogische Tabellen (1800 S. 64 und Vorrede S. VII) über. Ich nannte keine von den Versteinerungen, welche die Jura-Formation charakterisiren und um die Leopold von Buch (1839) sich unvergeßliche Verdienste erworben hat; irrte auch in dem Alter, das ich der Jura-Formation zuschrieb: da ich wegen der Nähe der Alpen, die man älter als Zechstein glaubte, sie für älter als Muschelkalk hielt. In den frühesten Tabellen Buckland's über die superposition of Strata in the British Islands wird Jura Limestone of Humboldt zu Upper Oolite gerechnet. Vergl. mein Essai géognostique sur le Gisement des Roches 1823 p. 281., ist ohne Nachtheil, da er von einer einfachen, ungemengten Gebirgsart entlehnt ist: von einer Gebirgskette, deren Alter durch Auflagerung organischer Einschlüsse charakterisirt ist; es würde auch unschädlich sein Trachyt-Formationen nach einzelnen Bergen zu benennen: sich der Ausdrücke Teneriffa- oder Aetna-Trachyte für bestimmte Oligoklas- oder Labrador-Formationen zu bedienen. So lange man geneigt war unter den 475 sehr verschiedenen Feldspath-Arten, welche den Trachyten der Andeskette eigen sind, überall Albit zu erkennen; wurde jedes Gestein, in dem man Albit vermuthete, Andesit genannt. Ich finde den Namen der Gebirgsart, mit der festen Bestimmung: »Andesit werde durch vorwaltenden Albit und wenig Hornblende gebildet«, zuerst in der wichtigen Abhandlung meines Freundes Leopold von Buch vom Anfang des Jahres 1835 über Erhebungscratere und Vulcane.Der Name Andesit kommt zuerst gedruckt vor in der am 26 März 1835 in der Berliner Akademie gelesenen Abhandlung Leopolds von Buch. Da dieser große Geognost die Benennung Trachyt auf den Gehalt von glasigem Feldspath beschränkt, so sagt er in seiner im März 1835 gelesenen, aber erst 1836 gedruckten akademischen Abhandlung (Poggend. Ann. Bd. XXXVII. S. 188–190): »Die Entdeckungen von Gustav Rose über den Feldspath haben über die Vulkane und die ganze Geognosie ein neues Licht verbreitet, und die Gebirgsarten der Vulkane haben dadurch eine neue, ganz unerwartete Ansicht gewonnen. Nach vielen sorgfältigen Untersuchungen in der Gegend von Catanea und am Aetna haben wir, Elie de Beaumont und ich, uns überzeugt, daß Feldspath durchaus gar nicht am Aetna vorkomme, somit auch gar kein Trachyt. Alle Lavaströme so wie alle Schichten im Inneren des Berges bestehn aus einem Gemenge von Augit und Labrador. Ein anderer wichtiger Unterschied in der Gebirgsart der Vulkane offenbart sich, wenn die Stelle des Feldspaths Albit vertritt; es entsteht dann eine neue Gebirgsart, welche nicht mehr Trachyt genannt werden darf. Nach G. Rose's (dermaligen) Untersuchungen kann man ziemlich bestimmt versichern, daß kein einziger der fast zahllosen Vulkane der Andes aus Trachyt besteht, sondern daß alle in der sie bildenden Masse Albit enthalten. Eine solche Behauptung scheint sehr kühn; allein sie verliert diesen Schein, wenn wir bedenken, daß wir schon allein durch die Humboldt'sche Reise fast die Hälfte dieser Vulkane und ihre Producte in den beiden Hemisphären kennen gelernt haben. Durch Meyen kennen wir diese albitreiche Gebirgsart in Bolivia und dem nördlichen Chili, durch Pöppig bis zu der südlichsten Grenze desselben Landes, durch Erman in den Vulkanen von Kamtschatka. Ein so weit verbreitetes und so ausgezeichnetes Vorkommen scheint hinreichend den Namen des Andesits zu rechtfertigen, unter welchem diese, aus vorwaltendem Albit und wenig Hornblende gemengte Gebirgsart schon einigemal aufgeführt worden ist.« Fast zu derselben Zeit: in den Zusätzen, mit denen er 1836 die französische Ausgabe seines Werkes über die canarischen Inseln so ansehnlich bereicherte, geht Leopold von Buch noch mehr in das Einzelne ein. Die Vulkane Pichincha, Cotopaxi Tungurahua, Chimborazo sollen alle aus Andesit bestehen: dagegen die mexicanischen Vulkane wahre (sanidinhaltige) Trachyte genannt werden! (Description physique des Iles Canaries 1836 p. 486, 487, 490 und 515.) Die oben gegebene lithologische Classification der mexicanischen und Andes-Vulkane zeigt, daß von einer solchen Gleichmäßigkeit mineralogischer Constitution und der Möglichkeit einer allgemeinen, von einem großen Erdstrich hergenommenen Benennung wissenschaftlich keine Rede sein kann. Ein Jahr später, als Leop. von Buch zuerst in Poggendorff's Annalen des viel Verwirrung erregenden Namens Andesit Erwähnung that, habe auch ich das Unrecht begangen mich desselben zweimal zu bedienen: einmal 1836 in der Beschreibung meines Versuches den Chimborazo zu besteigen in Schumacher's Jahrbuch für 1837 S. 204 und 205 (wiederum abgedruckt in meinen Kleineren Schriften Bd. I. S. 160 und 161); das zweite Mal 1837 in der Abhandlung über das Hochland von Quito (in Poggend. Ann. Bd. XL. S. 165). »Die neueste Zeit hat gelehrt«, sagte ich, indem ich mich schon damals der Behauptung meines vieljährigen Freundes von einer gleichartigen Constitution aller Andes-Vulkane streng widersetzte, »daß die verschiedenen Zonen nicht immer dieselbe (mineralogische) Zusammensetzung, dieselben Gemengtheile darbieten. Es sind bald eigentliche Trachyte, welche der glasige Feldspath charakterisirt: wie am Pic von Teneriffa und im Siebengebirge bei Bonn, wo sich etwas Albit dem Feldspath beigesellt: Feldspath-Trachyte, die als thätige Vulkane häufig Obsidian und Bimsstein erzeugen; bald sind es Melaphyre und doleritartige Gemenge von Labrador und Augit, der Basalt-Formation näher stehend: wie am Aetna, Stromboli und Chimborazo; bald ist Albit mit Hornblende vorherrschend: wie in den neuerlich so genannten Andesiten von Chili und den prächtigen, als Diorit-Porphyr beschriebenen Säulen von Pisoje bei Popayan, am Fuß des Vulkans von Puracé oder im mexicanischen Vulkan von Jorullo; bald sind es endlich Leucitophyre, Gemenge von Leucit und Augit: wie in der Somma, der alten Wand des Erhebungs-Kraters des Vesuvs.« Durch eine zufällige Mißdeutung dieser Stelle, welche viele Spuren von dem damaligen unvollkommenen Zustande des Wissens an sich trägt (statt Oligoklas wird dem Pic von Teneriffa noch Feldspath, dem Chimborazo noch Labrador, dem Vulkan von Toluca noch Albit zugewiesen), hat der geistreiche Forscher Abich, Chemiker und Geognost zugleich, (Poggend. Ann. Bd. LI. 1840 S. 523) irrigerweise mir selbst dir Erfindung des Namens Andesit als einer trachytischen, weitverbreiteten, albitreichen Gebirgsart zugeschrieben; und eine von ihm zuerst analysirte, noch etwas räthselhafte, neue Feldspath-Art hat er, »mit Berücksichtigung der Gebirgsart (von Marmato bei Popayan), in der sie zuerst erkannt wurde«, Andesin genannt. Der Andesin (Pseudo-Albit aus dem Andesit) soll zwischen Labrador und Oligoklas in der Mitte stehn; bei 15° R. Temperatur ist sein specifisches Gewicht 2,733: das des Andesits, in welchem der Andesin vorkam, ist 3,593. Gustav Rose bezweifelt, wie später Charles Deville (études de Lithologie p. 30), die Selbständigkeit des Andesins, da sie nur auf einer einmaligen Analyse Abich's beruht: und weil die von Francis (Poggend. Bd. LII. 1841 S. 472) in dem Laboratorium von Heinrich Rose ausgeführte Analyse des feldspathartigen Gemengtheils in dem von mir aus Südamerika mitgebrachten schönen Diorit-Porphyr von Pisoje bei Popayan mit dem von Abich analysirten Andesin von Marmato zwar große Aehnlichkeit andeutet, aber doch anders zusammengesetzt ist. Noch viel unsicherer ist der sogenannte Andesin aus dem Syenit der Vogesen (von dem Ballon de Servance und von Coravillers, den Delesse zerlegt hat). Vergl. G. Rose in der schon oben citirten Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft Bd. I. für das Jahr 1849 S. 369. Es ist nicht unwichtig hier darauf aufmerksam zu machen, daß der Name Andesin, von Abich als der eines einfachen Minerals aufgeführt, zuerst in dessen reichhaltiger Abhandlung: Beitrag zur Kenntniß des Feldspaths erscheint (in Poggend. Ann. Bd. L. S. 125 und 341, Bd. LI. S. 519): also im Jahr 1840, wenigstens fünf Jahre nach der Benennung der Gebirgsart Andesit; und keinesweges umgekehrt älter ist als der der Gebirgsart, wie bisweilen irrig behauptet wird. In den Formationen von Chili, welche Darwin so oft albitreichen andesitic granite und andesitic porphyre nennt (geological observations on South America 1846 p. 174), mögen auch wohl Oligoklase enthalten sein. Gustav Rose: dessen Abhandlung über die Nomenclatur der mit dem Grünsteine und Grünsteinporphyr verwandten Gebirgsarten (in Poggendorff's Annalen Bd. XXXIV. S. 1–30) in demselben Jahre 1835 erschien, in welchem Leopold von Buch den Namen Andesit gebrauchte, hat sich weder in der eben genannten Abhandlung noch je später dieses Namens bedient: dessen Definition nach der jetzt erkannten Natur der Gemengtheile nicht Albit mit Hornblende, sondern in den Cordilleren von Südamerika Oligoklas mit Augit heißen müßte. Die nun schon veraltete Mythe des Andesits, welche ich hier nur zu umständlich behandelt habe, lehrt auf's neue, wie viele andere Beispiele aus der Entwicklungsgeschichte unseres physikalischen Wissens, daß irrige oder nicht genugsam begründete Behauptungen (z. B. der Hang Varietäten als Arten aufzuzählen) den beschreibenden Wissenschaften oft dadurch förderlich werden, daß sie zu genaueren Beobachtungen anregen. Diese Neigung überall Albit zu sehen hat sich fünf bis sechs Jahre erhalten, bis man bei unpartheiisch erneuerten und gründlicheren Untersuchungen die trachytischen Albite als Oligoklase erkannte.Schon 1840 beschrieb Abich (über die Natur und die Zusammensetzung der Vulkan-Bildungen S. 46) Oligoklas-Trachyte aus dem Gipfel-Gestein des Kasbegk und einem Theile des Ararats; auch 1835 äußerte Gustav Rose mit Vorsicht (Poggend. Ann. Bd. 34. S. 30), daß er bis dahin bei seinen Bestimmungen nicht auf den Oligoklas und Periklin Rücksicht genommen habe, die doch wahrscheinlich ebenfalls als Gemengtheil vorkommen«. Der ehemals viel verbreitete Glaube, daß ein bestimmtes Vorherrschen des Augits oder der Hornblende auch auf eine bestimmte Species aus der Feldspath-Reihe: auf glasigen Orthoklas (Sanidin), auf Labrador oder Oligoklas, schließen lasse; scheint sehr erschüttert durch Vergleichung der des Chimborazo- und Toluca-Gesteins, von Trachyten der 4ten und 3ten Abtheilung. In der Basalt-Formation kommen oft Hornblende und Augit gleich häufig vor; das ist keinesweges der Fall bei den Trachyten: aber sehr vereinzelt habe ich Augit-Krystalle in Toluca-Gestein; einige Hornblende-Krystalle in Theilen des Chimborazo-, Pichincha-, Puracé- und Teneriffa-Gesteins gefunden. Olivine, die so überselten in den Basalten fehlen, sind in Trachyten eben so eine große Seltenheit, als sie es in den Phonolithen sind: und doch sehen wir bisweilen in einzelnen Lavaströmen sich Olivine neben Augiten in Menge bilden. Glimmer ist im ganzen sehr ungewöhnlich im Basalt: und doch enthalten einzelne Basaltkuppen des, von Reuß, Freiesleben und mir zuerst beschriebenen, böhmischen Mittelgebirges ihn in Menge. Die ungewöhnliche Vereinzelung gewisser Mineralkörper und die Gründe ihrer gesetzlichen specifischen Geselligkeit hangen wahrscheinlich von vielen noch nicht ergründeten Ursachen des Drucks, der Temperatur, der Dünnflüssigkeit, der Schnelligkeit der Erkaltung zugleich ab. Die specifischen Unterschiede der Association sind aber in den gemengten Gebirgsarten wie in den Gangmassen von großer Wichtigkeit: und in geognostischen Beschreibungen, welche in der freien Natur, im Angesicht des Gegenstandes, haben entworfen werden können, muß man nicht verwechseln: was ein vorherrschendes oder wenigstens ein sehr selten fehlendes, was ein sich nur sparsam, wie zufällig zeigendes Glied der Association ist. Die Verschiedenheit, die in den Elementen eines Gemenges, z. B. in den Trachyten, herrscht; wiederholt sich, wie ich bereits oben erinnert habe, auch in den Gebirgsarten selbst. Es giebt in beiden Continenten große Länder, in denen Trachyt- und Basalt-Formationen sich gleichsam abstoßen, wie Basalte und Phenolithe; andere Länder, in welchen Trachyte und Basalte in beträchtlicher Nähe mit einander abwechseln. Vergl. Gustav Jenzsch, Monographie der böhmischen Phonolithe 1856 S. 1–7.) Gustav Rose ist zu dem Resultate gelangt überhaupt zu bezweifeln, daß Albit in den Gebirgsarten als ein wirklicher, wesentlicher Gemengtheil vorkomme; danach würde zufolge der älteren Ansicht vom Andesit dieser in der Andeskette selbst fehlen.
Die mineralogische Beschaffenheit der Trachyte wird auf unvollkommnere Weise erkannt, wenn die porphyrartig eingewachsenen Krystalle aus der Grundmasse nicht abgesondert, nicht einzeln untersucht und gemessen werden können: und man zu den numerischen Verhältnissen der Erdarten, Alkalien und Metall-Oxyde, welche das Resultat der Analyse ergiebt, wie zu dem specifischen Gewichte der zu analysirenden, scheinbar amorphen Masse seine Zuflucht nehmen muß. Auf eine überzeugendere und mehr sichere Weise ergiebt sich das Resultat, wenn die Grundmasse sowohl als die Haupt-Elemente des Gemenges einzeln, orycognostisch und chemisch, untersucht werden können. Letzteres ist z. B. der Fall bei den Trachyten des Pics von Teneriffa und denen des Aetna. Die Voraussetzung, daß die Grundmasse aus denselben kleinen, ununterscheidbaren 476 Bestandtheilen bestehe, welche wir in den großen Krystallen erkennen, scheint keinesweges fest begründet zu sein: weil, wie wir schon oben gesehen, in Charles Deville's scharfsinniger Arbeit die amorph scheinende Grundmasse meist mehr Kieselsäure darbietet, als man nach der Gattung des Feldspaths und der anderen sichtbaren Gemengtheile erwarten sollte. Bei den Leucitophyren zeigt sich, wie Gustav Rose bemerkt, selbst in dem specifischen Unterschiede der vorwaltenden Alkalien (der eingewobenen kalihaltigen Leucite) und der, fast nur natronhaltigen Grundmasse ein auffallender Contrast.Vergl. Bischof, chemische und physikalische Geologie Bd. II. 1851 S. 2288 verglichen mit 2297; Roth, Monographie des Vesuvs 1857 S. 305.
Aber neben diesen Associationen von Augit mit Oligoklas, Augit mit Labrador, Hornblende mit Oligoklas, welche in der von uns angenommenen Classification der Trachyte aufgeführt worden sind und diese besonders charakterisiren: finden sich in jedem Vulkane noch andere, leicht erkennbare, unwesentliche Gemengtheile: deren Frequenz oder stete Abwesenheit in verschiedenen, oft sehr nahen Vulkanen auffallend ist. Ein häufiges oder durch lange Zeitepochen getrenntes Auftreten hängt in einer und derselben Werkstatt wahrscheinlich von mannigfaltigen Bedingungen der Tiefe des Ursprungs der Stoffe, der Temperatur, des Drucks, der Leicht- und Dünnflüssigkeit, des schnelleren oder langsameren Erkaltens ab. Die specifische Association oder der Mangel gewisser Gemengtheile steht gewissen Theorien, z. B. über die Entstehung des Bimssteines aus glasigem Feldspath oder aus Obsidian, entgegen. Diese Betrachtungen: welche gar nicht der neueren Zeit allein angehören, sondern schon am Ende des 18ten Jahrhunderts durch Vergleichung der Trachyte von Ungarn und von Teneriffa angeregt waren, haben mich, wie meine Tagebücher bezeugen, in Mexico und den Cordilleren der Andes mehrere Jahre lang lebhaft 477 beschäftigt. Bei den neueren, unverkennbaren Fortschritten der Lithologie haben die unvollkommneren Bestimmungen der Mineral-Species, die ich während der Reise machte, durch Gustav Rose's jahrelang fortgesetzte oryctognostische Bearbeitung meiner Sammlungen verbessert und gründlich gesichert werden können.
Glimmer.
Sehr häufig ist schwarzer oder dunkelgrüner Magnesia-Glimmer in den Trachyten des Cotopaxi, in der Höhe von 2263 Toisen zwischen Suniguaicu und Quelendaña, wie auch in den unterirdischen Bimsstein-Lagern von Guapulo und Zumbalica am Fuß des CotopaxiKosmos Bd. IV. S. 365., doch 4 deutsche Meilen von demselben entfernt. Auch die Trachyte des Vulkans von Toluca sind reich an Magnesia-Glimmer, der am Chimborazo fehltEs ist die Erinnerung wohl fast überflüssig, daß der Ausdruck fehlen nur andeutet, daß bei der Durchforschung eines, freilich nicht unbeträchtlichen Theiles von Vulkanen großen Umfangs eine Mineral-Species vergeblich gesucht worden ist. Ich unterscheide zwischen fehlen (nicht gefunden sein), sehr seltener Einmengung, und häufiger, aber doch nicht normal charakterisirender.. In unserem Continent haben sich Glimmer häufig gezeigt: am Vesuv (z. B. in den Ausbrüchen von 1821–1823 nach Monticelli und Covelli); in der Eifel in den alt-vulkanischen Bomben des Laacher Sees;Carl von Oeynhausen, Erklärung der geognostischen Karte des Lacher Sees 1847 S. 38. im Basalt von Meronitz, des mergelreichen Kausawer-Berges und vorzüglich der Gamayer KuppeS. bergmännisches Journal von Köhler und Hofmann, 5ter Jahrgang Bd. I. (1792) S. 244, 251 und 265. Glimmerreicher Basalt, wie an der Gamayer Kuppe im böhmischen Mittelgebirge, ist eine Seltenheit. Ich habe diesen Theil des böhmischen Mittelgebirges im Sommer 1792 gemeinschaftlich mit Carl Freiesleben: meinem nachmaligen schweizer Reisebegleiter, der einen so wesentlichen Einfluß auf meine geognostische und bergmännische Ausbildung gehabt hat, besucht. Bischof bezweifelt jede Entstehung des Glimmers auf pyrogenem Wege, und hält ihn für ein Umwandlungs-Product auf nassem Wege; s. sein Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geologie Bd. II. S. 1426 und 1439. des böhmischen Mittelgebirges; seltener im PhonolithJenzsch, Beiträge zur Kenntniß der Phonolithe in der Zeitschrift der Deutschen geologischen Gesellschaft Bd. VIII. 1856 S. 36., wie im Dolerit des Kaiserstuhles bei Freiburg. Merkwürdig ist, daß nicht bloß in den Trachyten und Laven beider Continente kein weißer (meist zweiachsiger) Kali-Glimmer, sondern nur dunkel gefärbter (meist einachsiger) Magnesia-Glimmer erzeugt wird; und daß dieses ausschließliche Vorkommen des Magnesia-Glimmers sich auf viele andere Eruptions- und plutonische Gesteine: Basalt, Phonolithe, Syenit, Syenit-Schiefer, ja selbst auf Granitite erstreckt: während der eigentliche Granit gleichzeitig weißen Kali-Glimmer und schwarzen oder braunen Magnesia-Glimmer enthält.Gustav Rose über die zur Granitgruppe gehörigen Gebirgsarten in derselben Zeitschrift Bd. I. 1849 S. 359.
478 Glasiger Feldspath.
Diese Feldspath-Gattung, welche eine so wichtige Rolle in der Thätigkeit europäischer Vulkane spielt: in den Trachyten erster und zweiter Abtheilung (z. B. aus Ischia, in den phlegräischen Feldern oder dem Siebengebirge bei Bonn); fehlt in dem Neuen Continent, in den Trachyten thätiger Vulkane, wahrscheinlich ganz: was um so auffallender ist, als Sanidin (glasiger Feldspath) wesentlich den silberreichen, quarzlosen mexicanischen Porphyren von Moran, Pachuca, Villalpando und Acaguisotla angehört: von denen die ersteren mit den Obsidianen vom Jacal zusammenhangen.Die Porphyre von Moran, Real del Monte und Regla (letztere berühmt durch den ungeheuren Silberreichthum der Veta Biscayna und die Nähe der Obsidiane und Perlsteine des Cerro del Jacal und Messerberges, Cerro de las Navajas) sind, wie fast alle metallreiche Porphyre von Amerika, ganz quarzfrei (über diese Erscheinungen und ganz analoge in Ungarn s. Humboldt, Essai géognostique sur le Gisement des Roches p. 179–188 und 190–193); aber die Porphyre von Acaguisotla, auf dem Wege von Acapulco nach Chilpanzingo, wie die von Villalpando nördlich von Guanaxuato, welche von goldführenden Gängen durchsetzt werden, enthalten neben dem Sanidin auch Körner von bräunlichem Quarze. – Da am Cerro de las Navajas und in dem basalt- und perlsteinreichen Valle de Santiago: das man durchstreicht, um von Valladolid nach dem Vulkan von Jorullo zu gelangen, die kleinen Einschlüsse von Obsidian-Körnern und glasigem Feldspath in den vulkanischen Gebirgsarten im ganzen selten sind; so war ich um so mehr verwundert, als ich zwischen Capula und Patzcuaro, vorzüglich bei Yurisapundaro, alle Ameisenhaufen mit schön glänzenden Körnern von Obsidian und Sanidin erfüllt fand. Es war im Monat September 1803 (Nivellement barométr. p. 327 No. 366 und Essai géognost. sur le Gisement des Roches p. 356). Ich war verwundert, wie so kleine Insecten solche Mineral-Species aus weiter Ferne forttragen konnten. Mit lebhafter Freude habe ich gesehen, daß ein rastloser Forscher, Herr Jules Marcou, etwas ganz ähnliches aufgefunden hat. »Il existe«, sagt dieser, »sur les hauts plateaux des Montagnes Rocheuses, surtout aux environs du fort Defiance (à l'ouest du Mont Taylor), une espèce de fourmis qui, au lieu de se servir de fragmens de bois et de débris de végétaux pour élever son édifice, n'emploie que de petites pierres de la grosseur d'un grain de maïs. Son instinct la porte à choisir les fragmens de pierres les plus brillants: aussi la fourmilière est-elle souvent remplie de grenats transparents magnifiques et de grains de quarz très limpides.« (Jules Marcou, résumé explicatif d'une Carte géogn. des États-Unis 1855 p. 3.)
In den jetzigen Vesuv-Laven ist glasiger Feldspath sehr selten; nicht so in den alten Laven, z. B. in denen des Ausbruchs von 1631, neben Leucit-Krystallen. Sehr häufig ist auch Sanidin zu finden im Arso-Strom von Cremate auf Ischia vom Jahr 1301, ohne allen Leucit: nicht mit dem älteren, von Strabo beschriebenen (bei Montagnone und Rotaro) zu verwechseln (Kosmos Bd. IV. S. 304, 534–5 Anm. 2082 und S. 447). So wenig glasiger Feldspath in den Trachyten des Cotopaxi oder anderer Vulkane der Cordilleren überhaupt zu finden ist, eben so wenig erscheint er in den unterirdischen Bimsstein-Brüchen am Fuß des Cotopaxi. Was man darin ehemals als Sanidin beschrieben hat, sind Krystalle von Oligoklas.
Hornblende und Augit.
Bei der Charakteristik von 6 verschiedenen Abtheilungen der Trachyte ist schon bemerkt worden, wie dieselben Mineral-Species, welche (z. B. Hornblende in der 3ten Abtheilung oder dem Toluca-Gestein) als wesentliche Gemengtheile auftreten, in anderen Abtheilungen (z. B. in der 4ten und 5ten Abtheilung, im Pichincha und Aetna-Gestein) vereinzelt oder sporadisch erscheinen. Hornblende habe ich, wenn auch nicht häufig, in den Trachyten der Vulkane von Cotopaxi, Rucu-Pichincha, Tungurahua und Antisana neben Augit und Oligoklas; aber fast gar nicht neben den beiden eben genannten Mineralien am Abhange des Chimborazo bis über 18000 Fuß Höhe gefunden. Unter den vielen vom Chimborazo mitgebrachten Stücken ist Hornblende nur in zweien und in geringer Menge erkannt. Bei den Ausbrüchen des Vesuvs in den Jahren 1822 und 1850 haben sich Augite und Hornblend-Krystalle (diese bis zu einer Länge von fast 9 Pariser Linien) durch Dampf-Exhalationen auf Spalten gleichzeitig gebildet.Roth, Monographie des Vesuvs S. 267 und 382. Am Aetna gehört, 479 wie Sartorius von Waltershausen bemerkt, die Hornblende vorzugsweise den älteren Laven zu. Da das merkwürdige, im westlichen Asien und an mehreren Punkten von Europa weit verbreitete Mineral, welches Gustav Rose Uralit genannt hat, durch Structur und Krystallform mit der Hornblende und dem Augit nahe verwandt ist;S. oben S. 631 Anm. 2303; Rose, Reise nach dem Ural Bd. II. S. 369; Bischof, chem. und physik. Geologie Bd. II. S. 528–571. so mache ich gern hier von neuem auf das erste Vorkommen von Uralit-Krystallen im Neuen Continent aufmerksam; es wurden dieselben von Rose in einem Trachytstück erkannt, das ich am Abhange des Tungurahua 3000 Pariser Fuß unter dem Gipfel abgeschlagen habe.
Leucit.
Leucite: welche in Europa dem Vesuv, der Rocca-Monsina, dem Albaner Gebirge bei Rom, dem Kaiserstuhl im Breisgau, der Eifel (in der westlichen Umgebung des Laacher Sees in Blöcken, nicht im anstehenden Gestein wie am Burgberge bei Rieden) ausschließlich angehören; sind bisher noch nirgends in vulkanischen Gebirgen des Neuen und dem asiatischen Theile des Alten Continents aufgefunden worden. Daß sie sich oft um einen Augit-Krystall bilden, hat schon Leopold von Buch im Jahr 1798 aufgefunden und in einer vortrefflichen AbhandlungGilbert's Annalen der Physik Bd. VI. 1800 S. 53; Bischof, Geologie Bd. II. S. 2265–2303. beschrieben. Der Augit-Krystall, um welchen nach der Bemerkung dieses großen Geologen der Leucit sich bildet, fehlt selten: scheint mir aber bisweilen durch einen kleinen Kern oder Brocken von Trachyt ersetzt zu sein. Die ungleichen Grade der Schmelzbarkeit zwischen den Kernen und der umgebenden Leucit-Masse setzen der Erklärung der Bildungsweise in der Umhüllung einige chemische Schwierigkeiten entgegen. Leucite waren theils lose nach Scacchi, theils mit Lava gemengt in neuen Ausbrüchen des Vesuvs von 1822, 1828, 1832, 1845 und 1847 überaus häufig.
480 Olivin.
Da Olivin in den alten Laven des VesuvsDie neueren Vesuv-Laven enthalten keinen Olivin, eben so wenig glasigen Feldspath; Roth, Mon. des Vesuvs S. 139. Der Lavastrom des Pic von Teneriffa von 1704, den Viera und Glas beschrieben haben, ist nach Leopold von Buch (descr. des Iles Canaries p. 207) der einzige, welcher Olivin enthält. Die Behauptung aber, als sei der Ausbruch von 1704 der erste, welcher seit der Zeit der Eroberung (Conquista) der canarischen Inseln am Ende des 15ten Jahrhunderts statt gefunden habe, ist von mir an einem anderen Orte (Examen critique de l'histoire de la Géographie T. III. p. 143–146) als irrig erwiesen worden. Columbus sah auf seiner ersten Entdeckungsreise in den Nächten vom 21 bis 25 August, als er Doña Beatriz de Bobadilla auf der Gran Canaria aufsuchen wollte, den Feuerausbruch auf Teneriffa. Es heißt im Tagebuche des Admirals unter der Rubrik Jueves 9 de Agosto, welche Nachrichten bis 2 September enthält: »Vieron salir gran fuego se la Sierra de la Isla de Tenerife, que es muy alta en gran manera«; Navarrete, colecc. de los Viages de los Españoles T. I. p. 5. Die eben genannte Dame ist nicht zu verwechseln mit Doña Beatriz Henriguez aus Cordova: der unehelichen Mutter des gelehrten Don Fernando Colon, des Geschichtsschreibers des Vaters: deren Schwangerschaft im Jahr 1488 so wesentlich dazu beitrug den Columbus in Spanien zurückzuhalten, und zu veranlassen, daß die Neue Welt für Castilien und Leon (und nicht für Portugal, Frankreich oder England) entdeckt wurde. (Vergl. mein Examen critique T. III. p. 350 und 367.) (besonders in den Leucitophyren der Somma); in dem Arso von Ischia, dem Ausbruch von 1301: gemengt mit glasigem Feldspath, braunem Glimmer, grünem Augit und Magneteisen; in den Lavaströme entsendenden Vulkanen der Eifel (z. B. im Mosenberge westlich von ManderscheidKosmos Bd. IV. S. 276.), und im südöstlichen Theile von Teneriffa in dem Lava-Anbruch von Guimar im Jahre 1704 sehr häufig ist: so habe ich in den Trachyten der Vulkane von Mexico, Neu-Granada und Quito sehr eifrig, aber vergebens, danach gesucht. Unsere Berliner Sammlungen enthalten allein von den vier Vulkanen: Tungurahua, Antisana, Chimborazo und Pichincha 68 Trachytstücke, deren 48 von mir und 20 von Boussingault mitgebracht sind.Ein wichtiger Theil der während meiner amerikanischen Expedition gesammelten Gebirgsarten ist an das spanische Mineralien-Cabinet, an den König von Hetrurien, nach England und Frankreich gesandt worden. Ich erwähne nicht der geologischen und botanischen Sammlungen, die mein edler Freund und Mitarbeiter Bonpland besitzt, mit dem zwiefach geheiligten Rechte des Selbstsammelns und Selbst-Entdeckens. Eine so weite Verbreitung des Gesammelten, welche durch sehr genaue Angabe der Geburtsörter das Zusammenhalten der Gruppen in geographischer Beziehung nicht ausschließt, gewährt den Vortheil, daß sie die vielseitigste und strenge Bestimmung der Mineral-Species erleichtert, deren wesentliche und habituelle Association die Gebirgsarten charakterisirt. In den Basalt-Formationen der Neuen Welt ist Olivin neben Augit eben so häufig als in Europa; aber die schwarzen, basaltartigen Trachyte vom Yana-Urcu bei Calpi am Fuß des ChimborazoHumboldt, Kleinere Schriften Bd. I. S. 139., so wie die räthselhaften, welche man la reventazon del volcan de AnsangoA. a. O. S. 202 und Kosmos Bd. IV. S. 357. nennt: enthalten keinen Olivin. Nur in dem großen, braunschwarzen Lavastrom mit krauser, schlackiger, blumenkohlartig aufgeschwollener Oberfläche: dem folgend, wir in den Krater des Vulkans von Jorullo gelangten; fanden wir keine Olivinkörner eingewachsen.Humboldt, Kl. Schr. Bd. I. S. 344. Auch im Tezontle (zelliger Lava oder basaltischem Mandelstein? – mexicanisch tetzontli, d. h. Steinhaar: von tetl Stein und tzontli Haar) des cerro de Axusco in Mexico habe ich viel Olivin gefunden. Die so allgemeine Seltenheit des Olivins in den neueren Laven und dem größten Theil der Trachyte erscheint minder auffallend, wenn man sich erinnert, daß, so wesentlich auch Olivin für die Basaltmasse zu sein scheint, doch (nach Krug von Nidda und Sartorius von Waltershausen) in Island und im deutschen Rhöngebirge der olivinfreie Basalt nicht von dem olivinreichen zu unterscheiden ist. Den ersteren ist man gewohnt von alter Zeit her Trapp und Wacke, 481 seit neuerer Zeit AnemasitSartorius von Waltershausen, physisch-geographische Skizze von Island S. 64. zu nennen. Olivine, bisweilen kopfgroß in den Basalten von Rentières in der Auvergne, erlangen auch in den Unkler Steinbrüchen, welche der Gegenstand meiner ersten Jugendarbeiten gewesen sind, bis 6 Zoll Durchmesser. Der schöne, oft verschliffene Hypersthenfels von Elfdalen in Schweden: ein körniges Gemenge von Hypersthen und Labrador, das Berzelius als Syenit beschrieben hat; enthält auch OlivinBerzelius 6ter Jahresbericht 1827 S. 392; Gustav Rose in Poggendorff's Ann. der Phys. und Chem. Bd. XXXIV. 1835 S. 14 (Kosmos Bd. I. S. 464 [Anm. 290])., wie (noch seltener) im Cantal der Phonolith des Pic de GriouJenzsch, Phonolithe 1856 S. 37 und Senft in seiner wichtigen Classification der Felsarten 1857 S. 187. Auch in den Kalkblöcken der Somma kommt nach Scacchi Olivin neben Glimmer und Augit vor. Ich nenne diese merkwürdigen Massen ausgestoßene Blöcke, nicht Laven: welche letztere die Somma wohl nie selbst ergossen hat.. Wenn nach Stromeyer Nickel ein sehr constanter Begleiter des Olivins ist, so hat Rumler darin Arsenik entdecktPoggend. Ann. Bd. XLIX. 1840 S. 591 und Bd. LXXXIV. S. 302; Daubrée in den Annales des Mines 4ème Série T. XIX. 1851 p. 669.: ein Metall, das in der neuesten Zeit weit verbreitet in so vielen Mineralquellen und selbst im Meerwasser gefunden worden ist. Des Vorkommens der Olivine in MeteorsteinenKosmos Bd. I. S. 136 und Bd. III. S. 615. und künstlichen, von Sefström untersuchten SchlackenA. a. O. Bd. I. S. 465 [Anm. 293]. habe ich schon früher gedacht.
Obsidian.
Schon als ich mich im Frühjahr und Sommer 1799 in Spanien zu der Reise nach den canarischen Inseln rüstete, herrschte bei den Mineralogen in Madrid: Hergen, Don José Clavijo und anderen, allgemein die Meinung von der alleinigen Bildung des Bimssteins aus Obsidian. Das Studium herrlicher geognostischer Sammlungen von dem Pic von Teneriffa wie die Vergleichung mit den Erscheinungen, welche Ungarn darbietet, hatten diese Meinung begründet: obgleich die letzteren damals meist nach den neptunistischen Ansichten aus der Freiberger Schule gedeutet vorgetragen worden waren. Die Zweifel über die große Einseitigkeit dieser Bildungs-Theorie, welche sehr früh meine eigenen Beobachtungen auf den canarischen Inseln, in den Cordilleren von Quito und in der Reihe mexicanischer Vulkane in mir erregtenHumboldt, Voyage aux Régions équinox. du Nouv. Cont. T. I. p. 145–165 (Ed. in 4°)., trieben mich an, meine ernsteste 482 Aufmerksamkeit auf zwei Gruppen von Thatsachen zu richten: auf die Verschiedenartigkeit der Einschlüsse der Obsidiane und Bimssteine im allgemeinen, und auf die Häufigkeit der Association oder gänzliche Trennung derselben in wohl untersuchten, thätigen Vulkan-Gerüsten. Meine Tagebücher sind mit Angaben über diesen Gegenstand angefüllt; und die specifische Bestimmung der eingewachsenen Mineralien ist durch die vielfachsten und neuesten Untersuchungen meines, immer bereitwilligen und wohlwollenden Freundes (Gustav Rose) gesichert worden.
In Obsidian wie in Bimsstein kommen sowohl glasiger Feldspath als Oligoklas, oft beide zugleich vor. Als Beispiele sind anzuführen die mexicanischen Obsidiane, von dem Cerro de las Navajas am östlichen Abfall des Jacal von mir gesammelt; die von Chico mit vielen Glimmer-Krystallen; die von Zimapan in SSW der Hauptstadt Mexico, mit deutlichen kleinen Quarzkrystallen gemengt; die Bimssteine vom Rio Mayo (auf dem Gebirgswege von Popayan nach Pasto), wie vom ausgebrannten Vulkan von Sorata bei Popayan. Die unterirdischen Bimsstein-Brüche unfern LlactacungaVergl. Kosmos Bd. IV. S. 365. enthalten vielen Glimmer, Oligoklas und, was in Bimsstein und Obsidian sehr selten ist, auch Hornblende; doch ist die letzte auch im Bimsstein des Vulkans von Arequipa gesehen worden. Gemeiner Feldspath (Orthoklas) kommt im Bimsstein nie neben dem Sanidin vor, eben so fehlen darin die Augite. Die Somma, nicht der Kegel des Vesuvs selbst, enthält Bimsstein, welcher erdige Massen kohlensauren Kalkes einschließt. Von derselben merkwürdigen Abänderung eines talkartigen Bimssteins ist Pompeji überschüttet.Scacchi, osservazioni critiche sulla maniera come fu seppellita l'antica Pompei 1843 p. 10: gegen die von Carmine Lippi aufgestellte, später von Tondi, Tenore, Pilla und Dufrénoy vertheidigte Ansicht, daß Pompeji und Herculanum nicht durch die direct von der Somma ausgeworfenen Rapilli und Aschen, sondern durch Wasserströmungen verdeckt worden seien. Roth, Monogr. des Vesuvs 1857 S. 458 (Kosmos Bd. IV. S. 449). Obsidiane in wirklichen lavaartigen Strömen sind selten; sie gehören fast allein dem Pic von Teneriffa, Lipari und Volcano an.
483 Gehen wir nun zu der Association von Obsidian und Bimsstein in einem und demselben Vulkan über, so ergeben such folgende Thatsachen: Pichincha hat große Bimsstein-Felder und keinen Obsidian. Der Chimborazo zeigt, wie der Aetna: dessen Trachyte doch eine ganz andere Zusammensetzung haben (sie enthalten Labrador statt Oligoklas), weder Obsidian noch Bimsstein: eben diesen Mangel habe ich bei der Besteigung des Tungurahua bemerkt. Der Vulkan Puracé bei Popayan hat viel Obsidian in seinen Trachyten eingemengt und nie Bimsstein hervorgebracht. Ungeheure Flächen, aus denen der Ilinissa, Carguairazo und Altar aufsteigen, sind mit Bimsstein bedeckt. Die unterirdischen Bimsstein-Brüche bei Llactacunga wie die von Huichapa südöstlich von Queretaro; wie die Bimsstein-Anhäufungen am Rio MayoNivellement barométr. in Humboldt, Observations Astronomiques Vol. I. p. 305 No. 149., die bei Tschegem im CaucasusKosmos Bd. IV. S. 367. und bei TolloUeber den Bimsstein-Hügel von Tollo, der noch zwei Tagereisen vom thätigen Vulkan Maypu entfernt ist, welcher selbst nie einen Brocken solchen Bimssteins ausgeworfen hat: s. Meyen, Reise um die Erde Th. I. S. 338 und 358. in Chile, fern von thätigen Vulkan-Gerüsten: scheinen mir zu den Ausbruch-Phänomenen in der vielfach gespaltenen ebenen Erdfläche zu gehören. Auch ein andrer chilenischer Vulkan, der von AntucoPöppig, Reise in Chile und Peru Bd. I. S. 426.: von welchem Pöppig eine, so wissenschaftlich wichtige als sprachlich anmuthige Beschreibung gegeben hat, bringt wohl, wie der Vesuv, Asche, klein geriebene Rapilli (Sand) hervor; aber keinen Bimsstein, kein verglastes oder obsidianartiges Gestein. Wir sehen ohne Anwesenheit von Obsidian oder glasigem Feldspath bei sehr verschiedenartiger Zusammensetzung der Trachyte Bimsstein entstehen und nicht entstehen. Bimsstein, wie der geistreiche Darwin bemerkt, fehlt dazu ganz im Archipel der Galapagos. Wir haben schon an einem anderen Orte bemerkt, daß dem mächtigen Vulkan Mauna Loa in den Sandwich-Inseln wie den einst Lavaströme ergießenden Vulkanen der EifelVergl. Kosmos Bd. IV. S. 417 und 589 Anm. 2208. die. Aschenkegel fehlen. Obgleich die Insel Java eine Reihe von mehr als 40 Vulkanen zählt, von denen an 484 23 jetzt thätig sind: so hat Junghuhn doch nur zwei Punkte in dem Vulkan Gunung Guntur, unfern Bandong und dem großen Tengger-GebirgeFranz Junghuhn, Java Abth. II. S. 388 und 592., auffinden können, wo Obsidian-Massen sich gebildet haben. Es scheinen dieselben nicht Veranlassung zur Bimsstein-Bildung geworden zu sein. Die Sandmeere (Dasar), welche auf 6500 Fuß mittlerer Meereshöhe liegen, sind nicht mit Bimsstein: sondern mit einer Rapilli-Schicht bedeckt, die als obsidianartige, halb verglaste Basaltstücke beschrieben werden. Der, nie Bimsstein ausstoßende Vesuv-Kegel hat vom 24ten bis 28ten October 1822 eine 18 Zoll dicke Schicht sandartiger Aschen, zerriebener Trachyt-Rapilli gegeben, welche nie mit Bimsstein verwechselt worden ist.
Die Höhlungen und Blasenräume des Obsidians, in denen, wahrscheinlich aus Dämpfen niedergeschlagen, sich, z. B. am mexicanischen Cerro del Jacal, Olivin-Krystalle gebildet haben; enthalten in beiden Hemisphären bisweilen eine andere Art von Einschlüssen, welche auf die Weise ihres Ursprungs und ihrer Bildung zu führen scheinen. Es liegen in den breiteren Theilen dieser langgedehnten, meist sehr regelmäßig parallelen Höhlungen Brocken halb zersetzten, erdigen Trachyts. Verengt setzt sich die Leere schweifartig fort, als hätte sich durch vulkanische Wärme eine gasartige elastische Flüssigkeit in der noch weichen Masse entwickelt. Diese Erscheinung hatte besonders im Jahr 1805: als Leopold von Buch, Gay-Lussac und ich die Thomson'sche Mineralien-Sammlung in Neapel besuchten, des Ersten Aufmerksamkeit auf sich gezogen.Leopold von Buch in den Abhandl. der Akademie der Wiss. zu Berlin aus den J. 1812–1813 (Berlin 1816) S. 128. Das Aufblähen der Obsidiane durch Feuer, welches schon im griechischen Alterthum der Beobachtung nicht entgangen warTheophrastus de lapidibus § 14 und 15 (opera ed. Schneider T. I. 1818 p. 689, T. II. p. 426 und T. IV. p. 551) sagt dies vom »liparischen Stein (Λιπαραῖος)«., hat gewiß eine ähnliche Gas-Entwickelung zur Ursach. Obsidiane gehen nach Abich um so leichter durch Schmelzen in zellige, nicht 485 parallel-fasrige Bimssteine über, je ärmer sie an Kieselsäure und je reicher sie an Alkalien sind. Ob aber das Anschwellen allein der Verflüchtigung von Kali oder Chlor-Wasserstoff-Säure zuzuschreiben sei, bleibt nach Rammelsberg's ArbeitenRammelsberg in Poggend. Annalen Bd. 80. 1850 S. 464 und 4tes Suppl. zu seinem chemischen Handwörterbuche S. 169: vergl. auch Bischof, Geologie Bd. II. S. 2224, 2232 und 2280. sehr ungewiß. Scheinbar ähnliche Phänomene des Aufblähens mögen in obsidian- und sanidin-reichen Trachyten, in porösen Basalten und Mandelsteinen, im Pechstein, Turmalin und dem sich entfärbenden dunkelbraunen Feuerstein stoffartig sehr verschiedene Ursachen haben; und eine auf eigene, genaue Versuche gegründete, so lange und vergebens erwartete Forschung ausschließlich über die entweichenden gasartigen Flüssigkeiten würde zu einer unschätzbaren Erweiterung der chemischen Geologie der Vulkane führen, wenn zugleich auf die Einwirkung des Meerwassers in unterseeischen Bildungen und auf die Menge des gekohlten Wasserstoffs der beigemengten organischen Substanzen Rücksicht genommen würde.
Die Thatsachen, welche ich am Ende dieses Abschnittes zusammengestellt habe: die Aufzählung der Vulkane, welche Bimssteine ohne Obsidian, und bei vielem Obsidian keinen Bimsstein hervorbringen; die merkwürdige, nicht constante, aber sehr verschiedenartige Association des Obsidians und Bimssteins mit gewissen anderen Mineralien; haben mich früh schon, während des Aufenthalts in den Cordilleren von Quito, zu der Ueberzeugung geführt, daß die Bimsstein-Bildung Folge eines chemischen Processes ist, der in Trachyten sehr heterogener Zusammensetzung, ohne nothwendig vorhergehende Vermittelung des Obsidians (d. h. ohne Präexistenz desselben in großen Massen), verwirklicht werden kann. Die Bedingungen, unter denen ein solcher Proceß großartig gelingt, sind (ich wiederhole es hier!) vielleicht minder in der Stoff-Verschiedenheit des Materials als in der 486 Graduation der Wärme, des durch die Tiefe bestimmten Druckes, der Dünnflüssigkeit und der Dauer der Erstarrung gegründet. Die denkwürdigen, wenn gleich seltenen Erscheinungen, welche die Isolirtheit riesenhaft großer unterirdischer Bimsstein-Brüche, fern von allen vulkanischen Gerüsten (Kegel- und Glockenbergen), darbietet: leiten mich zugleich zu der VermuthungKosmos Bd. IV. S. 333, 354, 357–360, 366–368 und 377. Ueber Einzelheiten in der geographischen Verbreitung der Bimssteine und Obsidiane in der Tropenzone des Neuen Continents vergl. Humboldt, Essai géognostique sur le Gisement des Roches dans les deux hémisphères 1823 p. 340–342 und 344–347., daß ein nicht unbeträchtlicher, ja vielleicht dem Volum nach der größere Theil der vulkanischen Gebirgsarten nicht aus aufgestiegenen vulkanischen Gerüsten, sondern ans Spalten-Netzen der Erdoberfläche ausgebrochen ist und oft viele Quadratmeilen schichtenweise bedeckt hat. Zu diesen gehören wohl auch die alten Trappmassen der unter-silurischen Formation des südwestlichen Englands: durch deren genaue chronometrische Bestimmung mein edler Freund, Sir Roderick Murchison, unsere Kenntniß von der geologischen Construction des Erdkörpers auf eine so umfassende Weise erweitert und erhöht hat.
Einleitung zu den speciellen Ergebnissen der Beobachtung in dem Gebiete tellurischer Erscheinungen S. 3–15.
Erster Abschnitt S. 16–149 (Anm. S. 150–210 [No. 1698–1920]:
Größe, Gestalt und Dichte der Erde S. 18–33 (Anm. S. 150–164 [No. 1699–1726]).
innere Wärme der Erde S. 34–47 (A. S. 164–169 [No. 1727–1748]);
magnetische Thätigkeit der Erde S. 48–149 (Anm. S. 169–210 [No. 1749–1921]);
historischer Theil S. 48–83 (Anm. S. 169–177 [No. 1749–1784]);
Intensität S. 85–98 (Anm. S. 178–183 [No. 1789–1818]),
Inclination S. 98–114 (Anm. S. 183–188 [No. 1819–1845]),
Zweiter Abschnitt S. 211–486 (Anm. S. 487–642 [No. 1922–2343]),
Reaction des Inneren der Erde gegen die Oberfläche:
Erdbeben, dynamische Wirkung, Erschütterungswellen S. 215–232 (Anm. S. 487–496 [No. 1927–1951]);
Thermalquellen S. 232–252 (Anm. S. 496–506 [No. 1952–1981]);
Gasquellen: Salsen, Schlammvulkane, Naphthaquellen S. 253–267 (Anm. S. 506–514 [No. 1982–2001]);
Vulkane mit und ohne Gerüste (Kegel- und Glockenberge, S. 268–486 (Anm. S. 514–642 [No. 2002–2343]).
Die J. G. Cotta'sche Buchhandlung hat hiermit dem Publikum einen neuen Druck des erhabenen Werkes des Kosmos in seiner ganzen Vollkommenheit übergeben; sie hat kein Opfer gescheut es in dieser vollkommenen Gestalt zu liefern. Sie hatte früh (es war in den ersten Tagen des Augusts 1858) zu diesem Unternehmen den vollen und freudigen Beifall des großen Autors empfangen; und indem sie mit Humboldt's Einverständniß die Redaction in meine Hände legte, hat sie mir die Freude verschafft, mit der dem theuren Entschlafnen gewidmeten Treue über sein Werk wachen zu können. Ich habe die größten Mühen nicht gescheut diesen Abdruck fehlerlos und dem Original gleich zu machen; an der Spitze des ersten Bandes ist schon gesagt, daß er demselben im Aeußeren in der Abtheilung der Seiten auf das Wort entspricht, um auch für die gelehrten Zwecke gleich brauchbar zu seyn. Es ist dabei das Werk getreulich und unverändert, und ich kann sagen und habe dafür gesorgt, bis auf den Buchstaben, wiedergegeben: die materiellen Einzelheiten ausgenommen, welche ich daran zu berichtigen für nöthig gefunden habe. Zu diesen Veränderungen gehören die Einrichtung von Gleichförmigkeit in den Aeußerlichkeiten der Schreibung, Berichtigung von Citaten; und die Abstellung der Druckfehler und wirklichen Fehler, welche ich von dem verewigten Autor und durch meine lange und genaueste Beschäftigung mit dem Werke habe sammeln können. Es wird somit hier dem Publikum und der gelehrten Welt nicht bloß ein neuer Druck, sondern eine verbesserte Ausgabe des Kosmos dargeboten.
Berlin 30 Juni 1860.
Professor Dr. Ed. Buschmann.
1 Faden (Frankreich, brasse) = 1,642 m
1 Faden (Großbritannien, fathom) = 6 feet = 1,829 m
1 Fuß (Frankreich, "Pariser Fuß", pied) = 144 Linien = 32,48 cm
1 Fuß (Großbritannien, foot) = 30,48 cm
1 Fuß (Preußen und Rheinland) = 31,38 cm
1 Lachter (Preußen) = 1 Klafter = 2,092 m
1 Linie (Frankreich, ligne) = 2,26 mm
1 Meile (geographisch, 1/15 des Abstandes zweier Längengrade am Äquator) = 7,419 km
1 Meile (Frankreich, lieue) = 4,452 km
1 Meile (Großbritannien, (statute) mile) = 1,6093 km
1 Meile (Preußen) = 7,532 km
1 Meile (Spanien, legua) = 6,69 km
1 Toise (Frankreich) = 6 Fuß = 1,949 m
1 Zoll (Frankreich, pouce) = 12 Linien = 2,707 cm
1 Zoll (Großbritannien, inch) = 2,54 cm
1 Zoll (Preußen) = 2,61 cm
1 Werst = 1,067 km