Auf dem Gracht zu Amsterdam stand noch vor wenigen Jahren ein kleines, baufälliges Häuschen, das Eigentum einer alten Höckerin, welche mit Heringen handelte. Die Höckerin war die Witwe eines Ewerführers, welcher eines Tages das Unglück hatte, mit einer unvorsichtigen Wendung seines Kopfes unter ein von Pferden gezogenes Schiffsseil zu geraten, bei welcher Gelegenheit das Seil ihm den Kopf vom Rumpfe riß. Der Ewerführer aber war der Sohn eines Schneiders und der Majoratserbe des besagten baufälligen Häuschens.
Das Häuschen hatte nur drei schmale Fensterchen Front und zwei sogenannte Gestöcke, welche aber so niedrig waren, daß sie beide zusammen nicht die Höhe der Beletage des nebenstehenden Kaufmannhauses erreichten. Es war ein »Fachbau«, d. h. die gemauerten Wände mit Balken durchschossen, deren Lagen und Widerlagen, gleichlaufende Linien und schiefe Einsätze allerlei geometrische Figuren bildeten oder vielmehr gebildet hatten, denn diese schönen Zeiten waren längst dahin. Die Balken hatten sich »geschwungen« und ihre ursprünglichen Lagen mehr oder minder verändert, wodurch das darauf und dazwischen liegende Mauerwerk genötigt worden, mit Hilfe verschiedener Risse sich gleichfalls in allerlei neue Fugen zu bequemen. Die Fensterchen der beiden Geschosse standen, wie chinesische Augen, schief gegeneinander, das Mauerwerk zwischen ihnen hatte sich, wie eine geschwollene Backe, sanft nach auswärts gebogen und das Dach war eingesunken. Am traurigsten aber sah das Erdgeschoß aus. Hier hatte zu dem Alter des Hauses die aus dem Boden aufdringende Feuchtigkeit noch mitgewirkt und das Erdgeschoß war kurzweg verschwunden. Es war hinweggefault. Ein sinnverwirrendes Chaos von Balken und Sparren hatte man nach und nach als Stützen untergeschoben und die Stützen wieder gestützt – und mitten in diesem Flickwerk saß die Höckerin mit ihren Heringen.
Ich weiß nicht, ob dieses malerische Trümmerwerk mitten in einer großstädtischen Straße die Zärtlichkeit der Künstler gewonnen und irgendwo als hochbezahltes Kabinettstück den unsterblichen Trödel der Holländer vermehren hilft. Das aber weiß ich, daß viele Reisende vor der Ruine stehen blieben und sie mit bewundernden Blicken anstaunten. Liebhaber von Antiquitäten ließen sich dann gewöhnlich mit der alten Höckerin in ein Gespräch ein und pirschten unter dem Vorwande, einen Hering oder einen Bückling zu kaufen, auf die Chronika des wüsten Häuschens. Die alte Höckerin hatte eine solche Aufmerksamkeit sehr gern. Wenn sie ihrer Kundschaft anmerkte, daß es Leute waren, denen das Herz für Altertümer auf dem rechten Flecke saß – und Kenner haben für Kenner ein sehr untrügliches Auge –, so konnte sie dieselben stundenlang festhalten und sie aus der Fülle ihrer Erinnerungen begaben. Natürlich hatte sie ebensowenig eine Ahnung, daß ihre alten Familiengeschichten leer und langweilig waren, als sie je daran dachte, daß der Geruch ihrer Herings- und Bücklingstonnen auf die Länge an Reiz und Genuß für eine menschliche Nase verlieren könne. Denn was die Fremden einer so sonderbare Unterhaltung gewogen machte, die burleske holländische Mundart und die naive Kunst ihres volkstümlichen Vortrages, also eine reine formale Äußerlichkeit, das hätte ich keinem geraten, durch einen unbewachten Zug an den Tag zu legen. Und doch waren es die zumeist, welche die Kuriosität über den ersten neugierigen Trieb der Schaulust fortfristeten, wie ich wenigstens von mir selber schließe. Wenn ich nämlich an der Hand meines Großonkels – Gott habe ihn selig – den Gracht hinabwanderte und das historische Kollegium, das er bei der alten Heringsfrau zu hören gewohnt war, meine jugendliche Ungeduld nicht wenig ermüdete, so ergötzte mich doch die närrische Aussprache der holländischen Plauderin. Ich erinnere mich, daß mir der Mund der Alten damals dasselbe leistete, was ich sonst von den sumpfigen Teichen auf dem Gallizin-Berg verlangt, wo ich die Frösche aufzuscheuchen pflegte und mich daran weidete, wie sie schwer und plump ins Wasser platzten. Ebenso quappig platzten die breiten holländischen Wörter von der Zunge der Alten herab, ich stand vor der Heringsfrau auf dem Gracht wie vor meinen Froschteichen auf dem Gallizin-Berg. Aus diesem Gesichtspunkte ließ ich mir ihr Plaudern gefallen.
So geschah es, daß ich von dem Inhalte manches behielt, wie gleichgültig er mir auch sonst war. Als ich aber eines Tages auf einer ihrer Heringsenveloppen ein italienisches Konzept fand und mein Auge zufällig auf Phrasen fiel wie diese: il divino Maestro Mozart ... Sua Majestá il Caesare Giuseppe II. ... Dio protettor de' miseri, tu non defraudi mai ... da wurde ich aufmerksamer. Ich forschte und hörte, was ich schon oft hätte hören können, wenn ich so geduldig wie mein seliger Großonkel der Heringssibylle zugehorcht hätte.
Zu den Merkwürdigkeiten des Häuschens hatte nämlich auch einst eine Mietpartei gehört, welche vor zwanzig oder dreißig Jahren einige Monate das zweite Gestock bewohnte. Welch kurze Zeit und welch lange Erinnerung! Das kann nur das Gedächtnis einer Heringsfrau leisten oder man muß sehr merkwürdig gewesen sein, dacht' ich mir oft. Nun, die Merkwürdigkeit bestand darin, daß besagte Mietpartei während ihres Aufenthaltes in unaussprechlicher Dürftigkeit gelebt und dann eines Tages in Lust und Jubel nach London abgereist war mit Hinterlassung einiger Goldstücke. Diese Goldstücke hatte der Schneider seinem Sohne, dem Ewerführer, vererbt, der Ewerführer aber seiner Witwe, der Heringsfrau, und diese pflegte aus ihrem Busen, wie aus einer alten Römerschanze, noch immer die letzte dieser Goldmünzen ans Tageslicht zu holen und ihrem andächtigen Zuhörer, wenn sie besonders bei Laune war, vorzuzeigen. Mein Großonkel und ich haben sie selbst noch gesehen, es war eine englische Guinee. Die Mietpartei aber war ein italienischer Poet mit seiner jungen Frau gewesen.
Jene Heringsenveloppe, die ich mir aufgehoben hatte, erkannte ich denn bald auch für ein verstreutes Blatt Tagebuch und die Höckerin wußte mir, auf meine eifrige Nachfrage, noch mehrere derselben zusammenzusuchen. Es waren freilich nur Fragmente, stark durchkorrigiert und schließlich, wie es schien, noch verworfen; aber um so begieriger geizte ich nun nach den mündlichen Überlieferungen der Altfrau. Und die Alte – wenn ich erst aufmerkte – erzählte wirklich nicht schlecht. Ihre Mitteilungen gestalteten sich nach und nach zu einem allerliebsten, rührend-humoristischen Genrebildchen, das mich später an die Tiecksche Novelle: »Des Lebens Überfluß« erinnerte, welches doch ein Meisterstückchen des oft problematischen Meisters ist. Wer hätte das hinter den Herings- und Bücklingstonnen der Alten gesucht! Schade, daß ich auf jener Amsterdamerreise mit meinem Großonkel noch zu sehr Halbknabe war und nichts weniger als den scharfen Jägerblick hatte, womit gut dressierte Novellisten altes Anekdotenwild so vortrefflich vor ihre ewig schußgerechte Feder zu bringen wissen! Indes, wenn ich die Rudera, die mir von den Plaudereien der holländischen Scheherazade im Gedächtnis geblieben sind und die paar Tagebuchblätter, die sie mir gütigst mitgeteilt, zusammenschlage, die etwaigen Lücken aus dem großen Reservefonds für alle menschlichen Mängel, der Phantasie, decke und die Nachsicht des Lesers zu all diesen Bruchstücken hinzuaddiere, so wird es sich doch vielleicht verlohnen, die Summe zu ziehen und ein paar trostlose Regentage eines Sommeraufenthaltes mit der Retuschierung eines alten, verblichenen Genrebildchens aus dem Leben eines armen Poeten auszufüllen. Im schlimmsten Falle taucht mein Geschichtchen in jene Quelle wieder unter, aus der ich sie heraufhole, und ich beschreibe ein paar Blätter, welche eines Tages dorthin zurückkehren, woher die Originalien derselben gekommen – in die Heringsbude.
Es war im Jahre 1792. Der arme Lorenzo war auf seiner Pilgerfahrt durch dieses Jammertal in einen garstigen Engpaß geraten. Kein Geld, keine Freunde, keine Hoffnungen, alle Versuche fehlgeschlagen, alle Entwürfe zu Wasser geworden und Dichterentwürfe werden es spät! Und schon waren seine blühendsten Jugendjahre verblüht, er war ein Mann in den Vierzigern, er stand so recht in der Mitte des Alters, wo der Erwerb rascherer Jahre anfangen soll, zu einem ruhigen Besitz sich zu verdichten. Aber der arme Poet besaß aus einem glücklicheren Vorleben nichts als seine Erinnerungen und – ein schönes, jungvermähltes Weib, kaum dem Kinde entknospet.
Seine Erinnerungen fing er in den öden Stunden des Elends an, zu Papier zu bringen, seine liebliche Nancy aber, das bräutliche Weibchen von gestern, lächelte mit ihrer Jugend und Liebe wie der heiterste Stern auf sein zagendes Herz herab.
Ein trüber Dezemberabend sank über die nebliche Wasserstadt nieder; Lorenzo saß und schrieb. Er hatte unwillkürlich sein wackliges Tischchen näher und näher ans Fenster gerückt, er rieb sich die Augen, die von einer leichten Röte angeflogen waren, und bemühte sich, so lange als möglich gegen die überhandnehmende Dämmerung zu kämpfen. Am Fensterchen daneben beschäftigte sich Nancy mit einem Stück Weißzeug. Sei es, daß ihre Arbeit feiner war oder daß sie ein lebendigeres Gefühl für den Wert ihrer Augen hatte: sie machte sich fertig, für heute zu schließen. Sorgfältig blickte sie nach dem anderen Fenster hinüber und schien nichts so sehr zu wünschen, als daß der Gatte ihrem Beispiel folgen möge. Das dauerte eine geraume Zeit.
Die kontrastierenden Bilder, die sich in diesem Augenblick einander so ruhig entgegenstehen, geben uns Gelegenheit, sie mit Muße zu betrachten. Nancy ist eine der schönsten Blondinen, die sich je den Namen eines Engels verdient haben. Sie trägt ihr Haar, gegen die französische Sitte der Zeit, gelockt, was zu dem süßen Mädchenzauber, der ihre Erscheinung umfängt, mit einer wunderbaren Harmonie paßt. Vielleicht verrät sich damit auch eine Nationalität, welche gegen alle »Coiffuren« und »Toupets« der Mode von jeher dem freien Wuchs der Natur treuer geblieben ist, – die englische nämlich. Zu dem englischen Grundton würde auch sonst mancher Zug ihres Bildes stimmen: das sanft gezogene Oval ihres Gesichts, ihr blendend weißer Teint, ihr wasserblaues, verschwimmendes Auge. Über allen Ausdruck lieblich aber ist die Linie, wie ihre schön gewölbte Wange an den Seiten des feinen Näschens herab sich in die Mundwinkel einsetzt. Diese Linie verleiht ihrem Gesichte den Ausdruck eines Lächelns voll Huld und Zartheit. Es ist der hervorragende Charakterzug im Anblicke ihres Bildes, und wer sie sieht, der wird in der Empfindung dieser glücklichen Schönheitslinie verweilend stehen und ausrufen: Welch süßes Kind!
Der Gatte auf der anderen Seite des Stübchens ist tief in sein Manuskript versenkt. Er schreibt mit allen Gesichtszügen mit, so gespannt ist Blick und Ausdruck bei seiner Arbeit. Seine Mundwinkel sind straff angezogen, sein Auge voll Leben und Handlung. Aber die gefurchte Stirn, die eingesunkenen Wangen, welche den Mangel manches Zahnes verraten, die faltige Haut, die vom Kinn gegen die Kehle hinabhängt, das graulich gemischte, wenngleich dicht stehende Haar, die tieferen Augenhöhlen, die hervorstehenden Backenknochen, das alles sind sprechende Zeichen der unwiederbringlichen Jugendflucht. Ja, das magere, gedrungene Köpfchen dieses Mannes könnte für entschieden gealtert gelten, wenn nicht ein Blick auf seine schlanke und nahezu kleine Person überhaupt eine mehr sehnige als fleisch- und muskelreiche Anlage seiner Natur verriete. Und sein nervöses, bewegliches Mienenspiel und vor allem sein schwarzes, leuchtendes Auge erwecken das Gefühl, daß für die verschwundene Frische eine geistige Elastizität der Jugend geblieben ist, welche den Mann und vielleicht auch den Greis noch interessant erscheinen läßt.
Endlich stand Nancy auf, legte ihre feine Hand auf die Schultern des Schreibenden und ermahnte ihn bittend: »Lieber Freund, es wird dunkel. Schone dich!«
Lorenzo rückte rasch herum. Er sah in der Tat die Tiefe der Stube fast schon in nächtlichen Schatten liegen, der Kontrast gegen den Tagesschein am Fenster fiel ihm mit einemmal auf. »Corpo di Dio, du hast recht, Herzchen,« rief er aufspringend aus, »der Abend überrascht uns! Wie die Tage kurz sind! Wie matt die Sonne dämmert in diesem Lande! Also ein Tag ist wieder hin! Ein Tag ohne Freuden, arme Nancy!«
Die junge Frau fürchtete eine Wendung zu der Melancholie der Abendgedanken und sann schnell auf ein froheres Gespräch. »Was hast du geschrieben, Lorenzo?« fragte sie einschmeichelnd, »erzähle mir! Du mußt zu anmutigen Partien heute gelangt sein, du hast so fein in dich hineingelächelt – ich sah dir lange zu.«
Der Poet sah in dem kahlen Stübchen wie mit dem Blicke eines Gefangenen um sich und seufzte: »Nessun' maggior dolore que ricordarsi del tempo felice nella miseria!«Ich kenne kein größeres Weh als Erinnerung des Glücks im Elend! Nach Dante.
Das versprach einen traurigen Abend! Nancy fühlte die ganze Tiefe dieser Worte, die ganze Wahrheit! Und doch mußte sie sich entschließen, wenn sie den armen Gatten erheitern wollte, darüber hinwegzugehen, selbst auf die Gefahr des Frivolen! Sie schlug mit Gewalt den Ton der Leichtigkeit an und scherzte recht übermütig: »Ausflüchte, lieber Freund, nichts als Ausflüchte! Ich traue dir nicht. Du hast eine Liebesgeschichte beschrieben, gesteh' es nur. Aber ich bin nicht eifersüchtig. Auf die Vergangenheit mindestens nicht. Komme, erzähle, Lorenzo! Erzähle mir die Liebesgeschichte, ich möchte sie gar zu gern hören.«
»Du irrst dich, liebes Kind. Ich war beim Jahre 87. Just das war eines meiner arbeitsamsten Jahre, kein Jahr der Liebelei. Ich schrieb damals drei Operntexte auf einmal.«
»Ich weiß, ich weiß, sei nur still! Unter anderen den ›Don Juan‹, den gottlosen ›Don Juan‹! Und damals willst du nicht verliebt gewesen sein? Und die Zerline wäre keine Wienerin, wie sie leibt und lebt? Nein, Herr Lorenzo, so einfältig ist Ihre junge Frau nicht.«
»Wenn auch! Es hat gar nichts auf sich, wenn junge Frauen einfältig sind. Und auf die Zerline bist du wirklich ungerecht eifersüchtig. Ich schwöre es dir.«
»Ich will aber eifersüchtig sein! Und jetzt wird gebeichtet! Ohne Widerspruch! Komm, erzähle mir, wie du den ›Don Juan‹ geschrieben hast. Diese Zerline ist mir verdächtig. Von solchen Geschöpfen sagen die Kenner, sie sind nach dem Leben gezeichnet. Ich muß wissen, wie du zu dieser Zerline gekommen bist. Die mag den armen Lorenzo schön verhext haben!«
Das junge Weib hatte mit diesen Worten und tausend Schäkereien den geliebten Mann zu sich auf das Kanapee genötigt, welches ebenso modische als unbequeme Möbel, zum Fauteuil eines einzelnen zu breit, einem Pärchen kaum Raum genug bot, gedrängt nebeneinander zu sitzen. Es war mit zitronengelbem Damast überzogen – ein Prachtstück, das sich nur von einer Auktion oder einem Nachlaß in die Hütte der Armut verirrt haben konnte. Übrigens spielte es hier seine letzte Rolle, aus dem Salon war es offenbar längst ausgemustert, denn es trug alle Spuren einer Benützung, welche leichter zu denken, als elegant zu beschreiben sind.
»Du bist nicht die erste,« sagte Lorenzo, als er so traulich neben seinem Weibchen saß, »welche diese Zerline mir zurechnet. Noch alle taten es. Aber das ist nur ein Beweis, wie unmöglich der Nichtdichter vom Dichten einen Begriff haben kann. Hätte ich ein Urbild der Zerline gekannt, ich hätte keine Zeile gearbeitet. Liebe invitiert nicht zum Dichten, sondern zum Müßiggehen. Nicht eigentliche Liebe braucht der Dichter zum Dichten, wohl aber einen Hauch davon, der sein Herz erwärmt und frei läßt zugleich. Nun, dieser Hauch wehte mir, das gestehe ich freilich.
Es war ein schönes Jahr, das Jahr 87! Vielleicht mein schönstes! › Cosa rara‹ und ›Die Hochzeit des Figaro‹ waren kurz vorher geschrieben, mein und meiner Komponisten Ruhm ging ›zu den Sternen‹. Hinter den großen Flaggen kamen dann die kleinen, strumpfbändigen Wimpel daher geflattert, die Righinis und Peticchios, die meinten, das Ding auch machen zu können. Ich war leichtsinnig genug, ihnen gleichfalls Texte zu schreiben. Natürlich fielen wir durch. Aber schon war mein Ansehen so fest begründet, daß diese Unfälle ohne Spuren vorübergingen. Kaiser Josef, als er mir nach dem Fiasko der Righinischen Oper begegnete, redete mich an und sagte nichts weiter als dieses: ›Lieber da Ponte,‹ sagte er, ›ich bedaure den gestrigen Abend, aber lassen Sie sich nicht mehr mit solch armseligen Leuten ein. Schreiben Sie Ihre Opern für die Mozarte, Martini und Salieri.‹ Das war auf einem seiner Morgenspaziergänge um die Bastei. Was geschieht? Kaum trete ich, ein Stündchen danach, in mein gewohntes Kaffeehaus, kommt Mozart von seinem Praterfrühritt zurück und sein erstes Wort ist: ›Brüderl, ich brauche wieder einen Text! Ich habe Briefe aus Prag seit gestern – die braven Böhmen sind so entzückt von unserem Figaro, daß ich nicht Ruhe und Rast habe, etwas Neues und ganz Außerordentliches für sie zu machen.‹ Um die nächste Straßenecke stößt mein kleiner Spanier, der Martini, gegen mich und schreit sogleich: ›Ein Drama, da Ponte! Der Herr von Lerchenheim sagt mir förmlich die Freundschaft auf, wenn ich nicht bald wieder eine neue Oper setze, und die Frau des spanischen Gesandten meinte gestern abend: ›Die Cosa rara ist doch gar zu rar, man wünscht mehr von diesem Gericht, lieber Kapellmeister.‹ Ich komme nach Hause und finde ein Billet von Salieri: ›Lieber Freund! Da es nun entschieden ist, daß weder ein Righini noch ein Peticchio unser Repertorium zu bereichern im stande sind, so wird man mehr als je die alten Lieblinge des Publikums wieder bestürmen. Wir müssen uns rüsten. Hätten Sie vielleicht Ideen zu einem Buche für mich? Ich brenne vor Begierde usw.‹ Da hatt' ich die Namen des Kaisers alle drei zugleich. Das Abenteuer belustigte mich, es gab mir Schwung, ich beschloß, die drei hungrigen Raben auf einmal zu speisen. Und spornstreichs lief ich zum Kaiser, und teilte ihm meinen Entschluß mit. ›Sie werden nicht damit zu stande kommen,‹ antwortete er. ›Vielleicht gelingt es mir nicht,‹ erwiderte ich, ›aber ich werde es versuchen. Für Mozart habe ich ein prächtiges Sujet in petto, die spanische Sage vom Don Juan und dem steinernen Gast; da kann er groß und schrecklich, zärtlich und hinschmelzend und alles zugleich sein, wie sein umfassendes Genie es braucht. Für Martini sinn' ich auf ein leichtes, angenehmes Spiel, das ihm Gelegenheit geben soll, jene weichen, gefälligen Melodien, die ihm so glücklich gelingen, zum Strauß zu binden. Ich werde es den ›Baum der Diana‹ nennen. Salieri endlich soll einen ›Azur, König von Ormuzd‹, haben, ein heroisches Stück, kriegerisch und ritterlich, die Liebesszenen französisch galant. Nachts werde ich für Mozart schreiben und mir denken, ich lese die ›Hölle‹ von Dante; in der Frühstunde für Martini und meinen, ich studiere den Petrarca, am Abend für Salieri und mich meines Tasso erinnern.‹ Dem Kaiser gefielen diese Vergleiche und er wünschte mir Glück zu meinen Intentionen. Du aber siehst, meine Liebste, daß ich, den Don Juan betreffend, zuerst von dem Gesichtspunkte des Dämonischen ausging; wenn mir im Zuge der Arbeit Partien wie Leporello oder Zerline auch nicht mißlangen, so dank' ich's dem Glücke, der Unterschied indes wäre ungeheuer, hätte in jenen Charakteren mein Grundgedanke gelegen.
Und sogleich fing ich die Arbeit an. Eine Flasche Tokaier zur Rechten, mein Schreibzeug in der Mitte, eine Dose Tabak von Seviglia zur Linken, so schrieb ich gleich am ersten Tage zwölf Stunden in einem Zuge. Zu meiner Bedienung war die Tochter meiner Hausfrau vorhanden, ein sechzehnjähriges Mädchen von munterster Anmut. Bald brachte sie mir Zwieback, bald eine Tasse Kaffee, bald aber auch nichts als ihr schönes Gesichtchen, das immer voll Heiterkeit, immer voll Lächeln und Zutrauen, ganz geschaffen war, poetische Einfälle zu erwecken. Ich hatte ein silbernes Glöckchen zur Hand, womit ich ihr schellte, wenn ich etwas bedurfte, aber die Wahrheit zu gestehen, ich bedurfte oft nichts als einen Blick in ihr freundliches Auge. Zuweilen kam sie auch ungerufen und saß stundenlang auf einem Schemel zu meinen Füßen; sie sah zu mir auf, ich zu ihr nieder, wir lächelten uns an, sprachen oft kaum eine Silbe und dabei schrieb ich immer fort. Nie habe ich so leicht geschrieben. Am ersten Tage schon waren die zwei ersten Szenen von ›Don Juan‹, ebenso die vom ›Baum der Diana‹, und fast die ganze Hälfte des ersten Aktes vom ›Azur‹ fertig. So ging's die folgenden. In weniger als zwei Monaten waren die drei Dramen vollendet. Ich hatte meine Aufgabe gelöst. Das also war meine Zerline und – das war alles! Die Nähe des schönen Mädchens hat mich gehoben, – kein Zweifel! – Aber wehe mir, wenn ich verliebt gewesen wäre!«
»Nun, sie mindestens war es,« sagte Nancy. »Aber davon sprichst du nicht! Das macht dir keine Sorge! Die Arme! Hast du nicht gehört, was aus ihr geworden ist!«
»Nein, mein Kind. Es ist nur gut, daß sie nicht die Gattin des Dichters geworden ist. Schlechter kann es ihr nirgend mehr gehen als an dieser Stelle hier.«
»Das find' ich nicht. Du machst mich böse, wenn du so sprichst. Ich bin ganz zufrieden mit dieser Stelle. Aber siehe, jetzt bist du mir doch noch eine Liebesgeschichte schuldig. Du hast mir da mehr eine Dichtergeschichte erzählt.«
Lorenzo schlug seine Arme um die junge Gattin und sagte mit erstickten Tränen der Rührung: »Mein liebes Leben! Ich sehe wohl, du willst mich selbst unterhalten, indem du Unterhaltung verlangst. Der Abend ist lang und wir haben kein Licht – du bemühst dich, mir das vergessen zu machen.«
Nancy sprang auf und flog zur Tür hinaus. Im nächsten Augenblicke stand sie mitten im Zimmer – ein brennendes Licht in der Hand.
Lorenzo fuhr mit einem Schrei der Überraschung empor.
»Blinder Sterblicher!« donnerte das junge Weibchen, in Haltung und Maske eine Göttin nachahmend, »blinder Sterblicher, wer sagt dir, wir haben kein Licht?!«
Der Poet ging auf die Rolle ein, warf sich der Göttin zu Füßen und flehte: »Bewohnerin des himmlischen Lichts, – verzeihe!«
Lachend flogen sich die Gatten hierauf in die Arme, Nancy aber fuhr fort: »So; also Licht hätten wir. Jetzt fehlt nur noch das Souper. Das will ich dir auch decken. Komm.«
Sie holte ein Schachbrett. Sie stellte es mit großer Feierlichkeit in die Mitte des Tisches, auf die eine Seite das Licht, auf die andere ein Glas Wasser. Ebenso gemessen setzte sie die Figuren auf, dann präsentierte sie ihrem Gatten einen Stuhl und winkte ihm mit einer königlichen Handbewegung, sich zu setzen. »Ich denke, eine Partie Schach zum Abendbrot ist nicht zu verachten. Und damit wir's noch köstlicher haben, wollen wir um Küsse spielen. Ist's dir recht? Wenn du verlierst, so küssest du mich, und wenn ich verliere, so küsse ich dich. Gilt's?«
»Das kann man annehmen. Ein delikates Souper, in der Tat! Aber sage mir, Teure, in welchem Hotel hast du so kochen gelernt?«
Und die Gatten setzten sich ans Schach und spielten, so lang das Lichtstümpchen leuchtete.
Aber als es schon erloschen war, leuchtete noch die liebenswürdige Laune Nancys, die munteren und zärtlichen Einfälle ihres glücklichen Temperaments in die traurige Nacht der Armut hinüber. »Pour la bonne bouche!« sagte sie, indem sie ihrem Lorenzo den letzten Kuß auf die Lippen drückte – »aber höre, da hab' ich ein herrliches Finanzprojekt! Man spricht immer vom »Zuckermund«; wie, wenn wir eine Zuckerraffinerie aus Küssen anlegten? Wir könnten reich werden!«
»Zucker!« rief Lorenzo und sprang aus dem Bette. Er tappte im Finstern zu seinem Rock, der in Ermanglung eines Kleiderschranks am Türnagel hing. »Was hast du?« rief Nancy. »Das!« antwortete der Dichter und steckte seinem Weibchen ein Stück Zucker in den Mund. »Ich Glücklicher, den Schatz hätte ich bald vergessen. Ich nahm ihn vor einigen Tagen von einem Teetische für den Kanarienvogel unseres Schneiders mit. Nun gibt's noch ein Abendbrot für meine Nancy. Ich Glücklicher!«
Und Arm in Arm schlief das zärtlich-genügsame Paar ein.
Das war die Wirtschaft des armen da Ponte in diesen Tagen.
Nachdem er zehn Jahre lang in Wien als kaiserlicher Hofdichter der italienischen Oper gelebt und geglänzt – der Nachfolger eines Metastasio, der siegreiche Nebenbuhler eines Casti – hatten die Kabalen seiner Feinde, der Tod seines kaiserlichen Protektors, die veränderten Theaterverhältnisse, verbunden vielleicht mit einigen Unbesonnenheiten seines warmen Temperaments, den Halt seines Glückes zertrümmert. Er sah sich gezwungen, Wien zu verlassen. Er war sodann nach Triest gegangen, nach London, nach Amsterdam, den Ort in der Welt suchend, wo sein Talent und seine Erfahrungen zu verwerten sein mochten. Überall kam ihm ein Schein der Hoffnung entgegen, doch nur um ihn sofort wieder zu fliehen und auch an dem verarmen zu machen, was der letzte Schutz des Armen ist, am Vertrauen. Mit Triest zu beginnen – doch wir wollen den Augenblick abwarten, wo der Dichter seine Schicksale selbst erzählt. Kehren wir in seine Häuslichkeit zurück!
Das Abendbrot, womit wir unseren Helden zu Bette geleitet haben, war zwar unnahrhaft, aber süß. Das Morgenbrot, das ihn beim Erwachen erwartete, sollte mit der vollen Bitterkeit der Armut auftreten. Denn kaum hatte unser Pärchen die kattunenen Vorhänge seines Vogelbauers zurückgeschlagen und den trüben Dezembertag in die trübste Behausung von Amsterdam eingelassen, so klopfte es an die Tür und ein bleiches, skrofulöses Bürschchen von zwölf Jahren, das älteste Kind des Schneiders und Hauseigentümers, trat ein, mit dem mageren Ärmchen ein versiegeltes Papier hinreichend. Beängstigend schlug das Herz des armen Lorenzo bei diesem Anblick – was kann ein Abgesandter des Hausherrn Gutes bringen? Mit leisem Zittern ergriff er das Blatt, öffnete es und sein schwindelndes Auge flog über folgende Zeilen:
»Mein lieber Herr da Ponte! Ich sehe nur zu gut ein, daß Sie keine Schuld an ihrem gegenwärtigen Unglücke tragen und halte Sie für einen Ehrenmann; aber dieses ist mir unzureichend, um meine Kinder damit zu ernähren. Sie haben mir den Mietzins von der ersten Woche nicht bezahlen können, wie viel weniger wird es bei der zweiten geschehen können, welche heute begonnen hat. Ich will mich gern wegen der vergangenen gedulden, aber meine eigene große Armut erlaubt mir nicht, auch für die Zukunft die nämliche Nachsicht zu üben. Seien Sie also so gefällig, sich eine andere Wohnung zu suchen, und Gott segne Sie und stehe Ihnen und mir bei.«
Wie der arme Poet bei dieser Botschaft aufs Kanapee sank, sein Gesicht in die Hände verbergend, wie selbst das junge, bildschöne Weibchen erbleichte und mit bestürzten Blicken den gebrochenen Mut ihrer jugendlich-kräftigen Seele verriet, das hat auf das kleine, skrofulöse Bürschchen einen so tiefen Eindruck gemacht, daß er es noch spät seiner Frau, unserer Heringshändlerin, erzählen konnte, welche es mit Tränen im Auge immer wieder erzählte.
Nach dem ersten Augenblicke des Schreckens hob sich der Dichter und sagte zu dem Knaben, der noch immer in der Tür stand und verlegen zusah: »Ich lasse den Vater grüßen und werde gleich selbst hinabkommen.« Der Knabe ging.
Ohne ein Wort zu sprechen, aber wie auf Verabredung fingen beide Gatten, als der Kleine den Rücken gekehrt hatte, jedes für sich eine Haussuchung an. Mechanisch öffnete Lorenzo die kleinen Fächer und Schieber, die nach dem Möbelgeschmack der damaligen Zeit in unendlicher Zahl an seinem Sekretär vorhanden waren; ebenso unwillkürlich trat Nancy an ihre Kommode und zog die einzelnen Schubläden heraus. Diese zwei Möbel standen an zwei einander entgegenstehenden Wänden und die Gatten waren mit den Rücken sich zugekehrt. Verstohlen aber blickte eines nach dem anderen über seine Schultern hinweg und fast gleichzeitig traten sie streitend einander an.
»Liebe Nancy, bei allem, was mir lieb ist,« fing Lorenzo an, »leg' diese Sachen wieder an ihren Ort.«
»Welche Sachen?« fragte Nancy unschuldig, aber schelmisch zugleich, indem sie sich in allerlei künstliche Stellungen schraubte.
»Die du da unter der Schürze verbirgst. Deine Brauthaube, deinen Spitzenkragen, deine Manschetten, deinen Fächer.«
»Wenn du so streng bist, so laß aber auch das Cachet zurück, das du so flink in den Ärmel geschmuggelt hast. Es ist ein Mozartsches Andenken, es ist dir heilig, ich weiß es.«
»Es muß endlich auch dran, was hilft das alles? Es bleibt mir keine Wahl.«
»Ei, könntest du nicht für die Tuladose, mit Steinen eingelegt, ein paar Florins kriegen?«
»Für die Tuladose, die du mir in Triest geschenkt hast? Lieber betteln, als daß ich sie verkaufe!«
»Also, suchen wir weiter!«
Aber das Suchen war bald zu Ende. Was die Schränke, die Schubladen, die geheimen und öffentlichen Fächer hergeben konnten, hatten sie längst getan, und über die wenigen Reste geriet unser Pärchen wiederholt in Streit. Nicht gewohnt, einander Gewalt zu tun, gaben sie nach kurzem Wortwechsel nach und die Sachen blieben unberührt.
Nachdenklich blickte Nancy im Zimmer herum. »Da hängt der ›Abschied des Calas‹, der uns gehört. Was ist der Kupferstich wert?«
»Nichts. Ja, wenn's der ›Schwur im Ballhaus‹ wäre!«
Jetzt ließ Nancy ihr Köpfchen hängen. Ihre Augen füllten sich mit Wasser. »Daß ich aber auch gar nichts gelernt habe!« seufzte sie kleinlaut. »Ich fühle, wie ich einem Manne zur Last sein muß. Wenn ich klöppeln könnte oder Blumen machen oder Porzellan malen!«
»Frau, mache mich nicht toll!« rief Lorenzo; »ich höre den Goldfasan sagen: wenn ich Hahnenfedern hätte!« Und hurtig griff er nach Hut und Stock und tat sein Äußerstes, indem er mit Zuversicht ausrief: »Es muß ja doch jemanden geben in Amsterdam, der mir noch borgt. Sei nur ruhig, Kind.« Aber weniger war das sein eigener Glaube, als er die Selbstanklagen, die Nancy erhoben hatte, kurzweg durchschneiden wollte. So flog er aus dem Hause.
Kopfschüttelnd sah Nancy ihm nach. Sie wußte, daß er doch niemanden ansprechen würde. Sie war unzähligemal Zeuge gewesen, daß ihr Mann seine Börse geteilt, auch die beschränkteste; im Borgen von anderen aber war er kein Held. So hatte sich die Zuversicht, die er zur Schau trug, ihr keineswegs mitgeteilt.
Nachdenkend saß sie am Fenster, in verzweifelten Umständen, nur nachdenkend. Zum Verzweifeln war sie zu jung, zu heiter und – zu sehr Weib, das heißt von praktischer Sinnesart. In der Regel scherzte sie über das Unglück, es war schon viel, daß sie jetzt darüber nachdachte. Was? – können wir nicht erraten. Aber ihre Miene ist ungemein ruhig; ihr Auge blickt so klar und selbsttätig vor sich hin – wir würden uns nicht verwundern, wenn sie ihrem Einfalle nachhinge, klöppeln zu lernen. Das ist der Punkt, wo die Gattin des Dichters sich ein Weib wie ein anderes fühlt. Und das Weib wird nicht leicht ohne Fassung im Unglücke sein, denn der Gedanke liegt ihr sofort näher: zu arbeiten, zu dienen.
Indem sie so saß und sann, hörte sie klopfen. Munter sprang sie empor, denn sie kannte den Mann und die Art seines Klopfens. Er pflegte ihr immerdar Spaß zu machen, dieser Mann; ohne »Herein« zu rufen, ging sie daher selbst und öffnete ihm die Tür.
Der Eintretende war ein merkwürdiger Kauz. Sein Kopf, der fast nur aus einer starken, martialischen Schnabelnase bestand, war ein dürrer, verwitterter Knochen, in welchem aber ein paar überaus unschuldige, blaue Knabenäuglein saßen. Er war groß gewachsen, aber mit nichten kräftig, seine Schultern waren schmal und schmächtig wie die eines Mädchens und stark nach vorn abfallend. Er trug das Haar nach dem Nacken gestrichen und in ein kahles Zöpfchen geknüpft; gepudert war es schon längst nicht mehr. Seine Gebärdung zeigte ihn linkisch und verkehrt in allen Bewegungen und sein Kostüm stand in lächerlichster Übereinstimmung damit. Er trug einen pfirsichfarbenen Rock von Plüsch wie ein Kandidat, eine alte Staatsweste von schwarzem Samt mit gestickten Schößen wie ein Bürgermeister und hohe Reiterstiefel wie ein Kornett. Die Reiterstiefel aber dienten ihm als Wasserstiefel und er trug sie – das müssen wir zu seiner näheren Charakteristik sagen – in seinem Beruf. Herr van der Vaerst befliß sich nämlich als Naturforscher einer unermüdlichen Jagd in Sümpfen und nassen und tauigen Gründen aller Art. Seine Spezialität waren Insekten und Muscheln. In einigen Gattungen derselben hatte er es wirklich zu einem wissenschaftlichen Verdienste gebracht, ja es gab einen Augenblick in seinem Leben, wo er in die Gesellschaft Felix meritis wäre aufgenommen worden, wenn er einen neuen Rock gehabt hätte. Um kurz zu sein, Herr van der Vaerst war Schlemihl, Pedant, Gemütsmensch, Junggeselle – und die beiden letzteren in ausgezeichneter Weise.
Er bedauerte, den Herrn Doktor schon so früh am Morgen nicht mehr zu finden, und unterhielt die junge Frau, bis er zurückkäme, einstweilen mit der Naturgeschichte des Schiffsbohrwurms – teredo navalis –, worauf er dann bald auf die glänzendste Tat seines Lebens, die Anatomie der Weidenraupe, Cossus ligniperda, zu sprechen kam, deren dritthalbtausend Muskeln vor allen Naturforschern er zuerst gezählt. Die junge Frau hörte ihm liebevoll zu, denn der wunderliche Mann sprach mit Augen voll Seligkeit über sein Thema und ein gewisses Genre idealer Pedanten hat von jeher Sympathie bei den Frauen gefunden. Indes hat ein solcher Besuch um acht Uhr morgens in einer Behausung, deren Empfang- und Schlafzimmer ein einziges ist, doch manche Unbequemlichkeit für die Dame des Hauses; auch fühlte sich die junge Vermählte schon über die Verletzung des äußeren Anstandes verlegen. Sie faßte sich endlich ein Herz, und da sie ihren Gatten einmal hatte sagen hören, van der Vaerst lasse sich wie ein Kind über alles belehren, was er nicht so gut wie Spinnen und Schnecken verstünde, so sagte sie mit ihrer bezaubernden Freundlichkeit: »Lieber Herr van der Vaerst, ich fürchte, es wird sich auf die Länge nicht schicken, daß ich mit einem fremden Mann allein verweile.« Herr van der Vaerst sah ihr arglos ins Auge, nahm aber das Gesagte auf Treue und Glauben an. »So werde ich drunten beim Schneider warten,« entgegnete er ruhig und ging musterhaft zur Tür hinaus.
Im nächsten Augenblick erschrak Nancy, daß der Schneider zum Hausfreund nun wegen des Mietzinses sich verplaudern könne, und obwohl der brave Pedant ihre Armut kannte, auch gar nicht begriff, daß man sich irgend etwas daraus machen könne, so war ihr diese Möglichkeit doch allzu peinlich. Schnell sprang sie daher dem Verabschiedeten nach, aber sie erreichte ihn nicht mehr. Denn bei der Niedrigkeit des Hauses und der Lange seiner Beine hatte er kaum die oberste der Stufen betreten, als er auch schon unten bei der letzten ankam. Ja, es schien der bestürzten Frau, als habe ihn der Schneider unter seiner Tür erwartet und von selbst zu sich eingeladen; so schnell war er im ersten Gestocke verschwunden.
Und allerdings verhielt es sich so.
Der arme Schneider inklinierte von Natur nicht eigentlich zur Hypochondrie, er litt nur etwas viel an Gemütsbeängstigung. Als er daher den raschen Dichter bald nach Empfang seines Billets so schnell über seine Treppe stürzen gehört, da überfielen ihn böse Gedanken. »Wohin stürmt er so desperat?« fragte er sich tausendmal. Die Frage würgte ihn wie eine verschluckte Gräte, er konnte sie nicht in die Richte bringen. Wiederholt überhörte er sein Söhnchen, wie der Poet »das Geschriebene« aufgenommen, aber das Söhnchen übertrieb sogar noch mit der Phantasie eines Kindes. In diesem Zustand schwebte der arme Schneider, als Herr van der Vaerst seine Tür passierte. Er faßte sogleich seinen Mann, den er seit langem kannte, und fuhr mit der Frage heraus: »Was hat denn der Wisch für ein Unheil gestiftet da oben? Reden Sie, Herr Präzeptor! Wo ist der Poeta? Was macht seine Frau? Ich bin in einer Angst – einer Angst – treten Sie ein; der Teufel hat mich geritten!«
Herr van der Vaerst riß die Augen auf und nahm seine weiten Nasenflügel zu Hilfe, mit denen er in die Worte hineinschnupperte wie ein Pferd in die Luft.
Der Schneider erklärte ihm alles.
Herr van der Vaerst fing im Zuhören unwillkürlich an, mit seinen breiten Händen in allen Taschen herumzuschwimmen, die er an seinem Leibe vorfand. Verdrießlich fuhr er mit einem Schneckenhäuschen aus der rechten Westentasche – »Quark!« brummte er, »die Schwimmschnecke, Nerita, da, Jan, spiel damit – aber« – und gleich zog er aus der linken Hosentasche eine andere Conchylie hervor; »das Otternköpfchen, Moneta, Himmel Donner! Wird in Afrika und Ostindien als Scheidemünze gebraucht, – verflucht! – Nimm sie, Jan, eine Million gilt zweihundert Gulden, aber –«
»Was suchen Sie, Herr Präzeptor? Vermissen Sie etwas?« fragte der Schneider nicht ohne die Unruhe, die ihm so leicht zu Gebote stand. Herr van der Vaerst hatte zuletzt nichts als sein Taschentuch gefunden, mit dem er sich jetzt über die Augen fuhr. »Das hätte ich nicht gedacht!« murmelte er unwirsch, »das hätte ich nicht gedacht.«
»Ja, es ist traurig,« sagte der Schneider. »Ich glaube, sie haben oft nichts Warmes zu Mittag, das Herz könnt' einem brechen. Mich geht's nichts an, in der Welt nichts, aber warum muß der Mann eine so junge Frau haben? fragt' ich mich oft. Allein schlüg' er sich leichter durch. Eine so junge Frau! Sie könnt' seine Tochter sein! Was ein Jammer! Was ein Jammer! Und am Ende – wer weiß – ich will nichts sagen – es gibt Verhältnisse – das junge Blut! Sie kennen wohl die Verhältnisse, Herr Präzeptor?«
»Oft nichts Warmes zu Mittag!« wiederholte Herr van der Vaerst tonlos.
In diesem Augenblicke hörte man Schritte über die Treppe nach aufwärts.
»Er ist's! Er ist's!« jubelte der Schneider, »dem Himmel sei Dank, da kommt er wieder! Es ist Herr da Ponte, ich kenne seinen Auftritt. Mag ihm der Morgenspaziergang wohl bekommen haben! Gerechter Gott, wenn man die Leute nicht kennt – diese Angst, diese Sorge! Sie kennen wohl die Verhältnisse, Herr Präzeptor?«
Aber Herr van der Vaerst hatte lautlos den Hut aufgesetzt und war die Treppe hinabgestiegen. »Oft nichts Warmes zu Mittag!« murmelte er.
»Hinauf, hinauf!« rief ihm der Schneider nach, »er ist ja da, Herr Präzeptor, er ist ja gekommen.«
Aber Herr van der Vaerst ließ sich nicht irremachen und stieg hinab. Der Schneider sah ihm noch aus dem Fenster nach und sah ihn wie toll über den Gracht rennen.
Da Ponte war zurückgekommen. Mit offenen Armen flog ihm Nancy entgegen. Es war ein Empfang voll Liebe, jener Liebe, welche weiß, daß sie nichts hat als sich selbst, daß sie für alles steht, was das Schicksal versagt hat. Aus innerster Tiefe freuten die Gatten sich ihres Anblicks.
Aber Nancy hatte nicht den Mut, eine Frage zu tun. Lorenzo sah nicht aus wie eine glückliche Antwort.
»Ich bringe nichts,« sagte er endlich von selbst. »Ich soll wiederkommen. Das gewöhnliche Orakel in solchen Fällen!«
»Glaubst du an Zeichen?« fragte Nancy.
»An Zeichen? Je nachdem sie sind. Wieso?«
»Gleich nachdem du fort warst, als ich das Fenster öffnete, um die frische Morgenluft einzulassen, hört' ich zwei Hebräer über die Straße sich anrufen: ›In zwei Stunden werden wir reich sein!‹ Es war das erste Wort, das mir der Tag zutrug.«
»Vortrefflich!« rief Lorenzo, »dann schießen wir unser Kapital zusammen. Auch ich erinnere mich jetzt eines Zeichens. Mein erstes Begegnis, als ich aus dem Hause trat, war ein junges Mädchen, welches zur Schule ging.«
Und die Gatten beglückwünschten sich wie zu Schätzen. Jedes stellte sich, als ob es das Zeichen des anderen glaubte, und jedes hatte das seinige – das muß noch hinzugesetzt werden – erfunden.
Nancy erzählte von dem Besuche van der Vaersts. Er schien sich bei dem Schneider gelangweilt zuhaben und wieder fortgegangen zusein; sie bedauerte es und bat um Entschuldigung. »Diesen Sonderling,« sagte Lorenzo, »hat uns der Himmel zu wahrem Trost geschickt. Er ist eine Art Offenbarung, wie man die Armut ertragen soll. Was mich betrifft, ich habe Tage des Glücks genossen und nur das einzige bedaure ich, daß du sie nicht mitgenossen hast. Van der Vaerst aber ist immer arm gewesen. Aus den Täfelchen seiner Schulbanknachbarn hat er das ABC gelernt und mit Freitischen hat er ausstudiert. Hierauf fing seine erste Liebe an – es war eine Blattwanze. Aber das kleine Ding hatte eine große Familie, und bald war mein guter van der Vaerst der Don Juan aller Fliegen, Bremsen, Wespen, Käfer, Würmer, kurz, der ganzen Insektenwelt, wozu später noch die Schaltiere kamen. Daneben lebte er kümmerlich vom Stundengeben, aber es tat ihm weh, im schönsten Sonnenschein seine Zeit bei Kindern zu versäumen, wenn alle Wiesen und Sümpfe von Myrmizeen wimmelten. So entstand nach und nach der erste und einzige Wunsch seines Lebens – ein Erwerb in den Abendstunden. Als ich nun vor einigen Monaten die Aussicht hatte, eine große italienische Oper im Haag zu gründen, da stellte er sich mir mit dem glücklichen Gedanken vor, Logenschließer oder Billeteur zu werden. Die Freundlichkeit, womit ich ihn aufnahm, gewann mir sein Herz, und obschon nach wenigen Tagen jene Aussicht zunichte wurde, so bleibt er mir, ich bin überzeugt, bis zum letzten Atemzuge anhänglich dafür. Und doch hat er die Freundlichkeit, die ich ihm zeigte, nur sich selbst zu verdanken. Der Mann übte einen eigenen Zauber auf mich. Ich sah auf den ersten Blick auf den Grund seiner schönen Seele. Denn die hat er, das Wort ist nicht zu kostbar. Ich bin mit Fürsten und Grafen umgegangen und habe sie in Neid und Eifersucht einander aufreiben sehen. Van der Vaerst hat nichts, aber er gönnt allen alles. Er lebt in niedrigster Armut, aber die Armut hat ihn nicht erniedrigt. Er sucht eine Domestikenstelle bei mir, aber er geht mit mir um, wie ein Kavalier mit dem anderen. Er bekommt diese Stelle nicht, aber er fährt fort, mir seine uneigennützige Freundschaft zu schenken. Es ist bei aller Kleinheit seines Treibens nichts Kleinliches in ihm. Seine Seele ist ein wahres Ebenbild Gottes: er ist groß und frei wie der Schöpfer – der Ameisen!«
»Das trau' ich ihm selbst zu,« sagte Nancy, »aber du freilich hast die Worte dafür. Wie wär's, Lorenzo, wenn du dich hinsetztest und gleich sein Charakterbild für deine Memoiren entwürfest? Du scheinst in der rechten Stimmung dafür.«
Lorenzo mußte sich nach dem traurigen Anfang des Morgens zerstreuen und das war allerdings die Stimmung zum Schreiben. Ein Motiv wenigstens war's. Die Gatten verstanden sich mit dem feinsten Zartgefühle auf solche Winke und Lorenzo setzte sich hin und schrieb.
Nancy, am anderen Fenster, griff zu einer Näharbeit.
Das dauerte ein oder zwei Stündchen, während die kurze Dezembersonne rasch zu der Höhe vorschritt, die als Panstunde so unheimlich, als Mittagsstunde aber so traulich ist.
In der Wirtschaft des armen Lorenzo war sie nur – Panstunde!
Um diese Zeit legte Nancy ihre Linnen in den Schoß und neigte sich gegen das Kanapee.
Bestürzt fuhr Lorenzo empor. »Himmel, was fehlt dir, mein Kind?« rief er, herzueilend.
»Nichts, bester Mann, ich will nur ein wenig schlummern.«
Aber der arme Poet empfand an seinem eigenen Hunger, was dieses Schlummern-Wollen bedeuten sollte.
Er griff an sein Herz, er biß in die Lippen, »Schlummere, mein Kind,« sagte er, »aber erlaube, daß ich die Wohnung abschließe und dich allein lasse. Ich glaube, ich werde jetzt rechtzeitig kommen, wo ich zuvor Geld haben sollte.« Dabei deckte er mit seinem Rücken den Sekretär und griff verstohlen hinter sich nach dem Mozartschen Cachet.
In diesem Augenblicke schoß ein Sonnenstrahl durch die Nebeldecke des Himmels und in der Tiefe der Stube flog die Tür auf. Es war Herr van der Vaerst, der hereintrat oder besser hereinstürmte.
Aber wie sah der Mann aus? Er glich weniger einem Naturforscher als einem Marktknechte, der vom Einkaufe kommt. Er trug ein an den vier Zipfeln zusammengeknüpftes Tuch in der Hand, mit welchem er etwas linkisch dem Tische zustolperte, auf dessen Fläche er es auseinanderknüpfte! Da kamen Brot, Butter, Käse, Eier, geräucherte Heringe, ja, selbst ein Fläschchen Portwein zum Vorscheine. Alle diese Dinge legte Herr van der Vaerst auf dem Tische aus, dazu hatte er unterwegs eine Rede voll zartfühlender Wendungen einstudiert, diese wollte sich aber nicht so leicht auseinanderknüpfen lassen.
Der Dichter und seine Frau sahen sich an wie im Traume. Herr van der Vaerst aber, es kann nicht verschwiegen werden, machte zu seiner schönen Tat ein etwas einfältiges Gesicht. Von seiner inwendigen schönen Rede wollte noch immer nichts laut werden.
Lorenzo endlich faßte sich zuerst. »Liebe Frau,« sagte er, »ich glaube, wir brauchen uns dieser Darbietung nicht zu schämen. Es kommt ohne Zweifel die Zeit, wo wir sie dem wackeren Herrn van der Vaerst werden vergelten können, in diesem Augenblicke aber ist sie am Platze. Herr van der Vaerst, wir danken Ihnen.«
Der arme Poet hatte sich beeilen müssen, mit diesen Worten zu Ende zu kommen, denn die Rührung brach seine Stimme. Er reichte dem Freunde die Hand, die dieser seelenfroh drückte, seelenfroh, daß nun doch einer geredet hatte und der keusche Zauber des Augenblicks in Worten befreit war.
Nun ging alles schwungvoll. Man überließ sich dem Vergnügen, der Vertraulichkeit. Man sprach sich aus, man lachte und scherzte, man erzählte sich tausend Geschichtchen von zufälligen Bedrängnissen und zufälligen Erlösungen. Der gute Pedant besonders war reich an Studentenanekdoten, die sich um die ergötzlichsten Variationen des Hungerthemas drehten; die kleine Nancy, welche bereits in der Küche wirtschaftete, sah sich genötigt, die Tür offen zu halten, um von den schnurrigen Abenteuern nichts einzubüßen, was, nebenbei bemerkt, zugleich der Temperatur des Zimmers zu gute kam, welches vom Herdfeuer aus erwärmt wurde.
Bald war der Tisch gedeckt! Welch ein fürstliches Mahl! Welch harmlose Unterhaltung der Armen über die Armut! Die drei glücklichen Menschen saßen an ihrer Tafel wie in einer Theaterloge, und was Herr van der Vaerst von den Hungergeschichten der Freitische erzählte, ließ man sich behagen, als ob es ein Gedicht und die handelnde Person ein wohlbezahlter Schauspieler wäre.
Wie schnell das alles gekommen war! Unseren Helden, nun sie sich erst gesättigt hatten, schien es gar nicht, als hätten sie je gehungert. Es kam ihnen vor, wie eine Art böswillige Imagination, was sie soeben gefühlt und geduldet.
Und nun erst der Wein! Wie viel Zauber enthielt doch die Welt, da sie solche Tropfen enthielt! Hatte man eine Ahnung davon? Entdeckte man nicht erst jetzt, daß ein Kleinod in der Natur vorhanden war, Wein genannt? Die Gatten lächelten sich an wie Kinder, sie kamen sich wie verwandelt vor. Diese Süßigkeit, dieser Wohlgeschmack, dies angenehme Feuer, dies leichte Gefühl! Ah, wie schön war das Leben, welche Genüsse konnte es haben! Selbst da Ponte fühlte so, da Ponte, der bei vollem Tokaierglase das unsterbliche Lied gedichtet hatte:
Fin ch'han dal vino
Calda la testa ...Die bekannte Champagnerarie Don Juans.
So im engen und kurzen lebt der Mensch und alles schon Dagewesene wird nach kurzer Frist wieder neu. Es gibt eigentlich kein Alter, eine ewige Jugend ist der gegenwärtige Augenblick!
Da Ponte erzählte nun seinerseits Geschichten seines Lebens. Er war ganz Italiener in diesem Augenblicke. Ganz Laune, Feuer, Jugend, Beredsamkeit. Er erzählte, wovon er mit Vorliebe sprach, von seinem Wiener Aufenthalt, von seiner Stellung als kaiserlicher Hofdichter. Wie brauste da der Champagner, wie rollten die Dukaten, wie flogen die Geschenke vornehmer Damen und Herren, wie glänzten die kaiserlichen Audienzen! Nancy war wie im Himmel. Sie kannte diese Geschichten fast alle, eine hatte sie nur erst gestern abend gehört. Aber dürfen wir es ihr nicht zu gute halten, wenn sie mit besonderem Stolze die Genugtuung vor dem Fremden empfand, vor dem sie ja auch die Demütigung ihrer Armut als Hausfrau gewiß doppelt empfunden?
Da Ponte dagegen kam bald zum entgegengesetzten Gefühl. Er hätte geglaubt, zu prahlen und die Schwäche zu verraten, mit dem Glanz der Vergangenheit das Elend des Augenblicks zu verleugnen, wenn er nach so viel Licht die Schatten verschwiegen hätte. Er drang daher mit dem ehrlichsten Eifer in van der Vaerst, seinen Besuch zu verlängern, »denn da wir heute einmal,« fuhr er fort, »bekannter als je miteinander wurden, so möchte ich Ihnen auch in gleichem Zuge erzählen, wie es mir weiter ging, seit meinem Auszug aus dem unvergeßlichen Wien.«
Der brave van der Vaerst mochte sich selbst behaglich fühlen in einer Lage, wo er Gast und Wirt zugleich war, denn obwohl er schon öfter zur Uhr geblickt und wahrscheinlich eine bezahlte Stunde zu versäumen hatte, so waren ihm die Einladungen des liebenswürdigen Dichters doch ein willkommener Grund, diese Stätte glücklicher Armut so bald nicht zu verlassen. Er blieb. Da Ponte sah ihn mit Freuden verweilen und fuhr in seinen Erzählungen fort:
»Meine zahlreichen Feinde und Neider, welche schon den Kaiser Josef mit ihren Intrigen gegen mich belästigt hatten (einen Monarchen, dessen Gnade ich doch so offenkundig genoß), schöpften die dreistesten Hoffnungen bei dem neuen Regierungsantritt. Und leider gelang ihnen ihr Spiel. Kaiser Leopold ließ sich gegen mich einnehmen und ich erhielt meinen Abschied.
Aber ich bin bei einer gerechten Sache kein mattherziger Gegner. Ich wußte mein Gewissen rein und meine Dienste sind wenigstens von anderen nicht übertroffen worden. Ich hatte elf Jahre in Wien gelebt und gewirkt. Ich hatte der Stadt und dem Hofe unzählige Theaterabende gewürzt, hatte den ersten Tonkünstlern des Jahrhunderts die schwesterliche Hilfe der Poesie geliehen, und wer sich an einem Mozart erfreut, ist einem da Ponte verpflichtet. Ich hatte ein Recht, zu stehen, wo ich stand. Wer mich vertrieb, war im Unrechte, das fühlte ich und dieses Gefühl gab mir Mut.
Ich drang bis an die Stufen des neuen Thrones vor. Ich warf mich dem Kaiser Leopold zu Füßen und ruhte nicht, bis ich einem Auge, das der Gerechtigkeit offen stand, Schuld und Unschuld ins schärfste Licht gestellt. Der Kaiser war überzeugt und entließ mich mit den nachdrücklichsten Verheißungen einer Wiederanstellung. Sie ist niemals erfolgt.
Die Audienz, von der ich spreche, hatte in Triest statt, wo sich der Kaiser damals befand. Indem ich die Erfüllung des kaiserlichen Wortes abwartete, was mit der gebührenden Zurückhaltung zu geschehen hatte, vergingen peinliche Monate. Meine Mittel erschöpften sich.
Zwar hatte ich Wien nicht als Bettler verlassen, schon die vielen Pretiosen waren von Wert, die sich als Ehrengeschenke in meinen Händen gehäuft hatten. Dafür war ich aber auch seit elf Jahren gewohnt, einen siebzigjährigen Vater und zehn Geschwister zu unterstützen, auch sonst meine Börse für jedermann offen zu halten. Kurz, meine Reichtümer schmolzen schnell dahin. Schon sah ich mich dahin gebracht, meine Garderobe anzugreifen, und als auch diese zur Neige ging, die Hilfe von Fremden anzunehmen. Diese Operation machte mich unendlich reich – an Erfahrungen, trug mir aber keinen Deut von allen ein, die ich für meine Freunde gehalten, »Tempora si fuerint nubila, solus eris!« sagt der Dichter.
Der Armut noch ungewohnt, könnte ich sagen, ich habe damals die unglücklichsten Tage meines Lebens durchgemacht, wäre nicht ein Ereignis eingetreten, das sie zu meinen glücklichsten machte. Erlauben Sie, daß ich Ihnen dieses seelenvolle Ereignis erzähle.«
Bei diesen Worten stand Nancy vom Tische auf, entfernte sich mit dem Tischzeug in die Küche, um es reinzuspülen. Da Ponte sah ihr mit einem Blicke voll unaussprechlicher Zärtlichkeit nach und fuhr dann, gegen van der Vaerst gewendet, fort:
»Es begab sich um jene Zeit, daß ich einer jungen Engländerin vorgestellt wurde, der Tochter eines reichen Kaufmannes, der kurz zuvor in Triest angekommen war. Man sagte allgemein von ihr, daß sie nicht nur sehr schön von Person sei, sondern lobte auch die Grazie ihres Benehmens, ihr sanftes Herz, ihren munteren Geist. Sie trug, als sie mir vorgestellt wurde, einen schwarzen Schleier, der über ihr Gesicht geschlagen war, so daß ich in jenem ersten Moment des Anblicks einer Schönheit, nach der ich doch so begierig war, noch nicht teilhaftig wurde. Zu ungeduldig gegenüber dem schönen Geschlechte, näherte ich mich dem jungen Mädchen mit einiger Dreistigkeit und sagte: ›Mein Fräulein, die Art, wie Sie Ihren Schleier tragen, ist nicht mehr modern.‹ Sie schien meine Gedanken nicht zu erraten, denn eine Stimme, wie ein Glöcklein so rein, fragte mich alsbald aufs unbefangenste: ›Welche ist's denn?‹ – ›Diese!‹ antwortete ich, hob den Schleier an einem Zipfel und schlug ihn leicht über das Gesicht zurück. Das junge Mädchen schien meine Freiheit übel zu nehmen, denn sie verließ wenige Augenblicke nachher das Zimmer. Ich aber hatte in ein Antlitz gesehen voll süßester Lieblichkeit, voll Adel und Unschuld der Jugend.
Dies war mein erstes Zusammentreffen mit Nancy, meinem Weibe. Das Mädchen hielt sich bei Verwandten auf, zu welchen sie ihr Vater einige Jahre vor seiner eigenen Ankunft gegeben hatte, aus Gesundheitsrücksichten, wie ich glaube. Glücklicherweise war ich mit diesen Verwandten ziemlich bekannt und die Gelegenheiten, Nancy zu sehen, wiederholten sich. So oft ich dem holden Geschöpfe aber begegnete, empfand ich den Reiz ihres ersten Eindrucks frisch und ungeschwächt. Auch sie bezeugte mir keinen Widerwillen, mein Schleierfrevel schien gnädig vergessen.
Meine Neigung zu dem jungen Geschöpfe aber war weit entfernt von persönlichem Interesse. Ich hatte oft geliebt, war oft getäuscht worden und hielt meine Zeit zwischen Erfahrungen aller Art für vorüber. Ich erfreute mich ihrer wie ein Vater oder ein älterer Bruder. Ja, so weit ging diese Anspruchlosigkeit, daß sogar ich es war, der eine andere Partie für sie auf die Bahn brachte. Ich hatte in Wien einen Freund und Landsmann, einen jungen Kaufmann von guten Mitteln, welchen ich oft hatte schwören gehört, daß er nur eine Engländerin heiraten werde, denn er hatte von einem Aufenthalt in England, der aus Familiengründen unterbrochen worden, eine ungemeine Vorliebe für jenes Volk gefaßt. Dieser Mensch fiel mir jetzt ein. Ich stellte Nancy im Geiste mit ihm zusammen und – das Pärchen paßte. Ich sprach mit Nancy und ihren Eltern von meiner Idee, ich schilderte dem Freunde dagegen meinen Triester Fund und betrachtete mich schon als glücklichen Heiratsstifter. So wurde mein Verhältnis mit Nancy das eines Hausfreundes, ich ging, bis die Wiener Antwort kam, fleißig aus und ein bei ihr, half ihr im Deutschen vorwärts und machte sie mit den Wiener Ortsverhältnissen bekannt, was bei der eigentümlichen Färbung des dortigen Volkslebens zu vielen drolligen Scherzen führte. So kam der Tag der Wiener Antwort. Der Freund schrieb: ›Liebster da Ponte! Die Jungfrau, die Du mir schilderst, entspricht allen Forderungen eines weiblichen Ideals und ich danke Dir innigst für Deine Freundschaft. Da der Vater aber, wie Du schriebst, reich sein soll, so wünschte ich gleichzeitig zu hören, welches Heiratsgut er dem Mädchen zu geben gesonnen ist, damit nicht etwa anderwärtige Erben verkürzt würden, oder –‹ ›Schon gut!‹ fiel bei dieser Stelle Nancys Vater ein. ›Der Mensch möchte meine Guineen heiraten und verblümt es sehr schlecht.‹ Er stand einen Augenblick still, machte dann zwei bis drei Gänge durchs Zimmer, hierauf trat er mich plötzlich an und sagte: ›Wissen Sie was, Herr da Ponte? Ihnen selbst geb' ich das Mädchen. Ihre Uneigennützigkeit haben Sie glänzend bewährt, und wenn Sie das Kind als ein Ideal schildern, so scheint es Ihnen auch an Empfindung nicht zu fehlen. Wollen Sie?‹ Ich stand wie von Sinnen. Ich blickte den Mann an, ich blickte im Kreise umher, ich sah auf Nancy – ihr schönes Erröten und ihr züchtig gesenktes Auge voll liebevoller Bescheidenheit fiel wie ein Strahl in meine Nacht. Ich entdeckte, was ich bisher zu entdecken nicht eitel genug war. Was soll ich sagen? Vergessen waren meine zweiundvierzig Jahre, vergessen, daß ich nur fünf Franken in der Tasche hatte, daß meine ganze Existenz nur an einem Versprechen schwebte – ich breitete meine Arme aus und ein Herz lag an meinem, in dem sich der Himmel auf Erden abspiegelte!«
Der Dichter hielt inne, voll seines großen Gefühls, das er mit schweigender Andacht zu bewältigen suchte. Nach einer Pause erzählte er weiter:
»Aber als hätte ich mich versündigt, nach dieser Göttergabe zu greifen, brach jetzt das Unglück Schlag auf Schlag herein über mich. Mein Leben ist von da an nichts als ein Rückzug, ja, eine wilde Flucht. Jeder Tritt ein Straucheln, jede Hoffnung eine Täuschung. Drei Wochen nach meiner Vermählung verlor mein Schwiegervater sein ganzes Vermögen bei dem Sturze zweier großer englischer Häuser. Bei dieser Katastrophe war es mir doppelt peinlich, in meiner Blöße dazustehen, und Brief an Brief bestürmte ich meine Freunde in Wien, die kaiserliche Erinnerung an mich wach zu halten. Vergebens! Aller Trost, den ich erhielt, war der stets wiederholte Refrain: Deine Stunde ist noch nicht gekommen. Zuletzt konnte ich die Spannung meiner Lage nicht länger ertragen, ich raffte mich auf und ging persönlich nach Wien. Meine junge Gattin begleitete mich. Die Reise begann mit einem verhängnisvollen Omen. Kaum waren die Tränen meiner Nancy über den Abschied vom Vaterhause getrocknet, so begegnete uns folgendes Unglück. Auf einem rauhen Berg in der Gegend von Laibach wollten wir den Postpferden, die zu erliegen drohten, einige Erleichterung gönnen und gingen zu Fuß voraus. Es war um die Abenddämmerung, und kaum hatten wir einige hundert Schritte zurückgelegt, so sahen wir mit Schießgewehren bewaffnete Männer im Dunkeln auf uns zukommen. Bei diesem Anblick fing meine Nancy zu zagen an und eiligst steckte sie mir ein Beutelchen mit Geld zu, welches ihr beim Abschied die Mutter gegeben hatte, da die vortreffliche Frau den Zustand meiner Börse wohl ahnte, aber zu zartfühlend war, mich direkt zu unterstützen. Ich schob das Beutelchen zwischen die Weste und mein Hemd, in der Meinung, es unters Hemd geschoben zu haben, denn meine größere Aufmerksamkeit war auf die herannahenden Männer und auf die Beschwichtigung meiner Nancy gerichtet, die ich am Arme führte. Die Männer erwiesen sich als Feldarbeiter und ihre vermeinten Schießgewehre als Spaten und Stöcke, die sie geschultert trugen; sie zogen friedlich an uns vorüber und grüßten uns noch recht höflich. Wir lachten nicht wenig, Nancy und ich, bald aber hörte unser Lachen auf, als wir am Fuße des Berges in der Abtei St. Edmund, wo wir herbergen wollten, unser Beutelchen vermißten. Der Abt, ein goldner Mann, ließ den ganzen Berg sogleich mit Fackeln durchsuchen, und da der Fund nicht geschah, forderte er uns auf, ihm eine sichere Adresse zu nennen, denn jedes seiner Pfarrkinder, beteuerte er hoch, werde das Gold unverkürzt abliefern, wenn es immer sich finde. Wir nannten ihm eine Wiener Adresse, zogen aber mit schweren Herzen davon und konnten den Unfall lange nicht verschmerzen. Endlich erreichten wir Wien.
Die große Glocke am Stephansturm begrüßte uns mit einem düstern Trauergeläute; wir fragten, was es bedeute, und die Antwort lautete: Seine Majestät der Kaiser Leopold ist gestorben!
Der Kaiser war tot! Meine siegreiche Audienz mit ihm, sein fürstliches Wort, meine Wiederanstellung als Hofdichter – das alles sank nun in die Gruft der Kapuziner hinab. Ich sah meine Nancy an, das junge, blühende Kind, das ich in die goldenen Freuden der Hauptstadt einführen gewollt, und dem ich nun nichts zu bieten hatte als einen Bettelstab!
Der Schlag war vernichtend. Auf eine Anstellung in Wien war nicht mehr zu denken. Meine Feinde hatten wieder Oberwasser und waren wegen meiner Audienz mit dem verstorbenen Kaiser, dem ich sie alle gezeichnet hatte, erbitterter als je gegen mich. Dazu hieß es, der junge Thronfolger, Franz II., werde persönlich den Feldzug gegen die Franzosen mitmachen, die italienische Oper suspendiert werden – kurz, in Wien blieb keine Aussicht für mich.
Ich warf meine Blicke in alle Weltgegenden aus. Paris, London, Petersburg unterhielten große italienische Opern, für letztere war ich sogar schon in Vorschlag gewesen. Ein seltenes Beispiel menschlicher Bosheit, die ich leider nicht kräftiger als durch die Erzählung rächen kann, hatte mich im günstigsten Augenblicke um die Anstellung in Petersburg betrogen. Es war vom Hofe der großen Katharina, welche den italienischen Gesang und meine Opern insbesondere liebte, die Anfrage an mich ergangen, ob ich einen Ruf nach Petersburg, unter Bedingungen, die ich sehr glänzend fand, annehmen würde. Es war dies zu derselben Zeit geschehen, als meine Feinde in Wien schon siegreich an meinem Sturze arbeiteten, als sie dem Kaiser Leopold vielleicht schon die Unterschrift meiner Entlassung abgenommen hatten, aber dennoch hieß es auf meinem Gesuch: ›Dem Herrn da Ponte kann die erbetene Nachsicht von seinem Kontrakt nicht bewilligt werden.‹ Nach drei Monaten war mein Kontrakt zu Ende und – der kaiserliche Hofdichter war entlassen!
Mit doppeltem Schmerze gedachte ich jetzt dieses Glücksternes und sehnsüchtig fielen meine Blicke auf das nordische Rom. Aber die Chance war wohl längst schon dahin, selbst auf das Hin- und Wiederschreiben, ob sie zu erneuern sei, konnte ich mich, bei der großen Entfernung und meiner gänzlichen Mittellosigkeit, nicht mehr einlassen.
Ich dachte also an Paris. Noch besaß ich aus den goldenen Zeiten Kaiser Josefs einen Empfehlungsbrief dieses gütigen Monarchen an seine königliche Schwester Maria Antoinette. Der Brief war zwar etwas alt, aber in Paris bedarf das Talent nicht vieler Umstände und die Königin war eine leicht zugängliche Frau – du wagst es, dacht' ich. Auf nach Paris! Und eiligst lief ich in Wien herum, bei alten Schuldnern noch ein paar Dukaten einzukassieren, und schätzte mich glücklich, wenn mir einer den zehnten Teil dessen, was ich zu fordern hatte, aus Gnaden zuwarf.
Mit diesen Brosamen begaben wir uns auf die Reise. Als wir in Speier ankamen, hörten wir, die Franzosen rückten nach Mainz vor und die Königin Marie Antoinette sei gefangen gesetzt.
Ich versenkte meinen Empfehlungsbrief in den Rhein und weinte ihm bitterste Tränen nach.
Es blieb mir nun nichts mehr übrig, als mein Glück in London zu versuchen. Ich reiste nach London.
Ich hatte schon in Wien gehört, Herr Taylor, der Unternehmer der italienischen Oper in London, sei mit seinem Dichter Badini, einem gänzlich unfähigen Menschen, wenig zufrieden und wünsche ihn sehnsüchtig durch einen anderen ersetzt. Dieser andere aber sollte nicht den Schein haben, von ihm berufen worden zu sein, sondern gleichsam zufällig ankommen und Badini müsse dann fast von selbst verschwinden, – denn der arme Taylor sei nicht recht Herr in seinem Hause. Dies waren die Verhältnisse im allgemeinen. Als ich in London nun persönlich erschien, fand ich sie so: Der Dichter Badini wurde gehalten durch die Sängerin Morichelli, deren erklärter Schützling er war, die Morichelli aber hielt wieder Herr Taylor für unentbehrlich. Und nun erklärte sich auch, wie das »fast von selbst verschwinden« gemeint war. Der obskure Badini sollte nicht etwa vor dem Rufe und dem geübten Talent des da Ponte verschwinden, sondern einzig vor – seiner Person. Herr Taylor nämlich gab mir undeutlich zu verstehen, für ihn selbst sei mein Verdienst keine Frage, aber meine Aufgabe wäre eigentlich die, mich bei der Morichelli zu insinuieren und – kurz, den Badini auszustechen. Herr Taylor machte daher ein langes Gesicht, als er hörte, daß ich verheiratet sei; ich selbst aber machte ein viel längeres. Denn wenn ich diese Sorte von Konkurrenz schon als Junggeselle verschmäht hätte, so mußte ich sie doppelt verabscheuen als Gatte des vortrefflichsten Weibes, die mir alles geopfert hatte, der ich ihr ganzes Lebensglück noch schuldig war und der ich das mindeste gewährte, wenn ich ihr Treue hielt. Herr Taylor zuckte die Achseln und ich – sah den letzten meiner Glückssterne versinken!
Noch einmal leuchtete mir ein Fünkchen von Hoffnung, als ich hörte, in Amsterdam sei das französische Schauspiel entlassen, das durch den Haß gegen die Revolutionsarmeen unmöglich geworden. Sofort ergriff mich der Gedanke, ob das nicht der Augenblick zur Einrichtung einer italienischen Bühne auf dem dortigen Boden sei. Der Gedanke ließ mich nicht ruhen, ich beschloß, noch einmal meine Würfel zu schütteln. Ich reiste nach Amsterdam ab, und zwar, was ich zu meinem bittersten Schmerze empfand, diesmal ohne meine geliebte Nancy, denn schon fehlte es an dem Nötigsten, um die doppelten Fahrkosten zu bestreiten. Sie blieb bei Verwandten in London zurück.
In Amsterdam ging nun alles vortrefflich. Mein Projekt hatte die schönsten Aussichten. Ich machte mich verbindlich, eine gute italienische Gesellschaft zusammenzubringen, Martini von Wien zu berufen, und garantierte wöchentlich zwei Vorstellungen, abwechselnd im Haag und in Amsterdam. Dafür forderte ich meinerseits eine Garantie für zweimalhunderttausend Gulden jährlich. Die Freunde des Unternehmens gingen darauf ein, der Generalstatthalter allein verbürgte vierzigtausend Gulden, ebenso waren Herr Joppe, ein reicher Bankier, und General Butzeler, zwei der ersten und einflußreichsten Männer, mit eigener und Freundeshilfe der Entreprise förderlich. Schon schwebte ich in einem Himmel voll Freuden. Schon entwarf ich Kontrakte, schrieb Tag und Nacht Briefe an Kapellmeister, Singer, Instrumentalisten, trieb im frischesten Strom der Geschäfte – da geschah die Schlacht von Dünkirchen, die Engländer erlitten eine furchtbare Niederlage und das erschrockene Holland dachte nicht mehr an Unterhaltungen und Spiele. Verzweiflung, Tränen, Gebete traten an die Stelle öffentlicher Lustbarkeiten, das ganze Land widerhallte von Wehklagen.
Keinen aber traf dieses Unglück wie mich. Betäubt irrte ich durch die Straßen der Stadt, mehr einem Wahnsinnigen als einem Menschen mit Sinn und Bewußtsein ähnlich. Eine Angst überlief mich, wie ich sie nie in meinem Leben gekannt. Die Häuser vor meinem Auge tanzten, der Boden unter meinen Füßen wankte wie bei einem Erdbeben oder auf einem Schiffe. Ich floh die Menschen mit einem Gemisch von Wildheit und Scham, aber wenn ich in den hilfreichen Einsamkeiten der Teiche oder am kahlen Dünenstrande schweifte, so preßte mich ein Gefühl von Verlassenheit, daß ich oft laut nach einem Menschen aufschrie. Das alles hielt ich für Vorboten einer Krankheit. In einer namenlosen Aufregung, verlassen zu sterben, schrieb ich an Nancy, daß sie zu mir herüberkomme, aber nicht früher, als bis der Brief fort war, fiel mir ein, sie habe kein Reisegeld. In der Tat verließ mich bereits das Licht der Besinnung auf einige Augenblicke.
Denken Sie sich nun meine Überraschung, als sie desungeachtet kam! Ich habe Ihnen zuvor erzählt, wie wir auf einem Berge in der Gegend von Laibach ein Beutelchen mit Goldstücken verloren. Dieses Beutelchen war richtig noch gefunden worden. Der brave Abt von St. Edmund hatte es uns sogleich nach Wien zugeschickt und von Wien war es, mit einem halben Dutzend Poststempeln versehen, von Stadt zu Stadt uns gefolgt, bis es in London zuletzt sein Ziel erreichte, Nancy hatte davon schon zwanzig Gulden zur Überfahrt verbraucht, achtzig ungefähr brachte sie noch mit. Wir bezahlten sogleich einige kleine Schulden, mieteten ein kleines Logis und später noch ein kleineres und verzehrten den Rest, so lange er reichte.
Und so sind wir bei dem gegenwärtigen Augenblick angekommen, lieber Herr van der Vaerst. Ich danke Ihnen für Ihre viele und freundliche Geduld, sie hat mir eine schöne Stunde geschenkt. Sie sind der einzige Mensch in Amsterdam, dem ein Mann, der noch kurz zuvor in Hunderttausenden rechnete, sich so rückhaltslos mitteilt. Beurteilen Sie selbst, welchen Wert Ihre Güte für mich hat, denn mitteilen muß sich der Mensch. Die Mitteilung ist des Armen einziger Reichtum; aber wie schmerzlich es ist, im Unglück ohne Mitleid zu leben, so ist es vielleicht noch schmerzlicher ein Glück, wie ich es in meiner Nancy besitze, ungekannt zu verheimlichen. Könnt' ich dieses Weib vor der ganzen Welt zu Ehren bringen! Wer hat das Recht, irgend ein Weib auf der Erde einen Engel zu nennen, der es nicht in so verzweifelten Lebenstagen erprobt hat, wie ich das meinige? Mit welcher Treue, mit welcher Hingebung, mit welcher Kraft und Heiterkeit dieses junge Geschöpf ein so beispielloses Elend erträgt, nein, nicht erträgt, sondern besiegt, ist mehr, als Menschen begreifen. Seit sie ihre Mädchenfreiheit in dies kleine goldene Ringlein gefangen gab, hat sie nur Not und Sorge an meiner Seite gefunden. Und sie ist jung, schön, im Glücke erzogen, zu allen Ansprüchen ans Leben berechtigt. Woher hat das zarte, knospende Wesen die heroische Seelenstärke? Um wie viele Tugenden ist sie belobt worden, da sie noch Mädchen war, und doch hat ihren innersten Wert niemand gekannt! Oft, wenn es mich schmerzt, in welchem Elend sie lebt mit mir, tröstet mich der Gedanke, welch eine Göttin dieses Elend aus ihr gemacht hat. Eine Göttin! Ich war in Hunderten von Versen freigebig mit diesem Worte – hätt' ich es doch für Nancy allein aufgespart!«
Herr van der Vaerst hatte schon lange mit seiner Rührung gekämpft, der weichfühlende Mann konnte sich nicht länger bemeistern. Er ergriff die beiden Hände da Pontes und stammelte mit zitternder Stimme:
»Sie haben recht, Herr Doktor, ich habe Ihrer Frau nie eine Spur von Kummer angemerkt. Wenn nicht der Schneider drunten mich informiert hätte, ich wüßte nichts. Drum fassen Sie Mut! Der Himmel wird es der Guten nicht ersparen, auch das Glück zu ertragen, das oft schwerer als das Unglück zu ertragen ist. Ja, ja, diese Prüfung steht ihnen noch bevor. Machen Sie sich immer gefaßt darauf, ich hab's gesagt. Denken Sie an mich. Was wollen Sie? Wie viel Ihnen mißlungen ist – es beweist nur, wie reich Sie an Gelegenheiten und Hilfsmitteln waren. Ein Mann wie Sie – gehen Sie auch! ›Post nubila Phoebus!‹ sagt der Poet.«
Aber wo blieb Nancy? Da Ponte hatte schon seit einigen Minuten eine gewisse Unruhe im Hause verspürt. Erst waren Schritte von unten herauf gekommen – das war der Schneider. Dann flogen Schritte von oben hinab – das war Nancy. Er kannte sie beide. Und in der Küche draußen stand die Arbeit still – jenes friedliche Klappern und Plätschern am Spüleimer; dafür drang vom Schneider herauf durch die dünne Diele des Gestocks ein gewisses Wogen und Klatschen von lebhaft bewegten Stimmen – was sollte das alles? War der Schneider gekommen, um seine Forderung zu wiederholen? Hatte Nancy, die treue Hüterin der Schwelle, seinen Eintritt verhindert und die dornige Mühe übernommen, ihn auf eigene Hand zu beschwichtigen? Diese Gedankenbildung war in dem Kopfe des armen Poeten vor sich gegangen, da der Präzeptor zu dem Trostspruche kam: ›Post nubila Phoebus!‹ Er stierte mit Geistesabwesenheit in die Miene des Trösters.
Da sprang die Tür auf. Nancy, schön wie ein fliegender Cherub, die Wangen voll Freudenrot, die Locken an den Schläfen fächelnd und wehend von vorstürzender Eile – stürmte herein. »Komm, Lorenzo, laß uns Ball spielen!« rief sie in Distanz und warf eine Münze gegen ihren Mann. Die Münze fiel zu Boden. Herr van der Vaerst eilte, sie aufzuheben. »Bitte, lassen Sie,« sagte Nancy gleichgültig, »es ist ja nur Gold. Nicht der Mühe wert, daß ein Gelehrter sich darum bückt! Aber fang, Lorenzo, du bist ungeschickt!« Und rasch flog ein zweites Goldstück. Es fiel wieder. »Wetter! Was ich für einen vornehmen Herrn Gemahl habe,« scherzte die junge Frau, »er läßt meine Guineen zur Erde fallen. Nun, zum Ballspielen sind sie doch gut genug! Da! Drei, vier, fünf, sechs ... fang, Lorenzo, fang! Sieben, acht, neun, zehn ... so fang doch!« – Lorenzo stürzte außer sich gegen sie! »Zu Hilfe!« rief das mutwillige Kind und schleuderte wie zur Abwehr ihre übrigen Goldstücke auf einmal aus der Hand. Klingend rollten die Guineen auf dem Boden herum.
»Aber, Weib, du bist eine Zauberin!« stammelte da Ponte, bleich vor Aufregung, und griff fieberhaft nach dem Briefe, den ihm Nancy entgegenhielt mit den Worten: »Das ist der Zauber!«
Hastig überflog der Poet die Adresse – »An Herrn da Ponte Amsterdam usw., anbei zwanzig Guineen.« Er riß das Kuvert herab und las mit atemloser Stimme: »Lieber Herr da Ponte! Meine Sängerin Morichelli ist von einem englischen Edelmanne entführt worden, der sich von der Bühne herab in sie verliebte. Mein Poet Badini, wütend und eifersüchtig, verfolgt das Pärchen und so bin ich Poet und Sängerin auf einmal los. Was den Poeten betrifft, so werden Sie, wie ich hoffe, die Güte haben, ihn zu ersetzen. Ich sichere Ihnen zweihundert Guineen Jahresgehalt zu, nebst den Einkünften aus dem Verkauf der Libretti, die bei gelungenen Opern sehr namhaft sind. Unendlich würden Sie mich aber verpflichten, wenn Sie mir zugleich eine erste Sängerin verschaffen könnten. Sie haben, wie ich höre, viele Verbindungen angeknüpft für das gescheiterte Projekt Ihrer Amsterdamer Oper, benützen Sie nun das Beste davon für mich. Ich lege Ihnen zwanzig Guineen Reisegeld bei, bedürfen Sie mehr, so bedienen Sie sich des inliegenden Kreditbriefes an das Haus – usw.«
Bis hieher hatte da Ponte gelesen. Da entsank ihm das Blatt, da versagte ihm die Stimme, er stand einen Augenblick lang, den stummen Blick gegen Himmel gewendet, dann brach er, hingerissen von Andacht, in die Worte aus:
Dio prottetor de' miseri
Tu non defraudi mai
Quelli che in the confidano
Che sperano in te!O Gott, du Hort der Armen,
Du bleibst den deinen treu;
Wie reich ist dein Erbarmen,
Dein Segen ewig neu!
Worte seiner eigenen Verse im »König Azur«, Oper von Salieri.
Herr van der Vaerst aber kroch am Boden herum und las die Guineen auf – er wollte sein Schluchzen verbergen.
»Ich habe das Rezepisse«, sagte Nancy, »in deinem Namen unterschrieben und das Päckchen Guineen gleich aufgebrochen, um den armen Schneider zu bezahlen. Ich gab ihm fünf Guineen. Der gute Mann wehrt sich heftig dagegen, er bekomme ja nur drei Gulden. Drei Gulden, wie shoking! Ein Amsterdamer Schneider weiß nicht, wie Dichter im Glücke bezahlen.«
Die britische Großmut stand dem süßen Weibchen so prächtig! Es war eine Gestalt, der man es im Augenblick ansah, wie herrlich sie auch das Glück zu verwalten verstand.
Mit Stolz und Wonne umarmte der Dichter das liebenswürdige Wesen.
»Und Sie, Herr van der Vaerst, gehen sogleich mit uns,« rief das Ehepaar aus einem Munde mit gleichzeitigem Einfalle.
Der Pedant fuhr erschrocken auf. »Um keinen Preis in der Welt!« stieß er heraus, ohne sich zu besinnen. »Ich bin einem Neste der Ampelis garrula auf der Spur – denken Sie! Der Ampelis garrula! In der ganzen Welt besitzt man nur zwei Nester dieses mystischen Vogels und die hat das Universitätsmuseum zu Helsingfors. Wenn Amsterdam durch mich das dritte bekäme! Ich wäre der glücklichste Mensch auf Erden. Nein, nein, ich kann nicht fort. Um keine Million kann ich jetzt fort!«
Wirklich mußte unser Paar allein sich nach London einschiffen.
In der Stunde der Abreise, als der Koffer schon geschnallt war, entdeckte Nancy noch einige Blätter vom Tagebuch ihres Gatten, welche in seinem Sekretär zurückgeblieben waren. Sie wollte die Blätter an sich nehmen, da Ponte aber sagte: »Laß, mein Kind, ich habe sie absichtlich vergessen. Ich fürchte, die ganze Färbung davon ist zu düster ich will sie in London von neuem schreiben.«
So blieben denn die Blätter zurück. Der Schneider hat sie wie ein Heiligtum bewahrt und selbst in die Wirtschaft seines Sohnes, wie eingangs bemerkt worden, erbten noch einige davon hinüber.
Ebenso hat der Schneider die fünf Guineen nie angegriffen, sondern seinen fünf Kindern wie ein großes Erbe aufgespart. Leider starben dem armen Schneider viere von den fünfen und nur das kleine skrofulöse Bürschchen, der zwölfjährige Jan, hielt sich und wuchs sich später noch auf einen ziemlich tüchtigen Ewerführer hinaus. Der war es, der die fünf Guineen zusammen erbte und seinerseits hinterließ er sie wieder seiner Witwe, der wackeren Heringshändlerin. In der Hand dieser konservativen Frau habe ich, wie gleichfalls bemerkt, noch eine derselben gesehen. Auf wen auch dieses Erbstück vererbte, ist mir nicht weiter bekannt geworden.