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Der steil Berg
Goethe. Lenz im Reisekleid
Goethe: Was ist das für ein steil Gebirg' mit so vielen Zugängen?
Lenz: Ich weiß nicht, Goethe, ich komm' erst hier an.
Goethe: Ist's doch herrlich dort von oben zuzusehn, wie die Leutlein ansetzen und immer wieder zurückrutschen. Ich will hinauf.
Lenz: Wart' doch, wo willst du hin, ich hab' dir noch so manches zu erzählen.
Goethe: Ein andermal. (Goethe geht um den Berg herum und verschwind't.)
Lenz: Wenn er hinaufkommt, werd' ich ihn schon zu sehen kriegen. Hätt' ihn gern kennen lernen, er war mir wie eine Erscheinung. Ich denk', er wird mir winken, wenn er auf jenen Felsen kommt. Unterdessen will ich den Regen von meinem Reiserock schütteln.
(Erscheint eine andere Seite des Berges, ganz mit Busch überwachsen. Lenz kriecht auf allen Vieren)
Lenz (sich umkehrend und ausruhend): Das ist böse Arbeit. Seh ich doch niemanden hier, mit dem ich reden könnte. Goethe! Goethe! wenn wir zusammenblieben wären. Ich fühl’s, mit dir war' ich gesprungen, wo ich jetzt klettern muss. Es sollte mich einer der stolzen Kritiker sehn, wie würd' er die Nase rümpfen! Was gehn sie mich an, kommen sie mir hier doch nicht nach und sieht mich hier keiner. Aber weh, es fängt wieder an zu regnen. Himmel! bist du so erbost über einen handhohen Sterblichen, der nichts als sich umsehen will. Fort! das Nachdenken macht Kopfweh; (Klettert von Neuem)
(Wieder eine andere Seite des Berges, aus der ein kahler Fels hervorsticht. Goethe springt 'nauf.)
Goethe: (sich umsehend): Lenz! Lenz! dass er da wäre – Welch herrliche Aussicht! – Da – o da steht Klopstock. Wie, dass ich ihn von unten nicht wahrnahm? Ich will zu ihm. Er deucht mich auszuruhen, auf dem Ellbogen gestützt. Edler Mann! wie wird's dich freuen, jemand Lebendiges hier zu sehn.
(Wieder eine andere Seite des Berges. Lenz versucht zu stehen.)
Lenz: Gottlob, dass ich einmal wieder auf meine Füße kommen darf. Mir ist vom Klettern das Blut in den Kopf geschossen. O so allein. Dass ich stürbe! Ich sehe hier wohl Fußtapfen, aber alle hinunter, keinen herauf. Gütiger Gott, so allein.
(In einiger Entfernung Goethe auf einem Felsen, der ihn gewahr wird. Mit einem Sprung ist er bei ihm.)
Goethe: Lenz, was Teutscher machst du denn hier?
Lenz (ihm entgegen): Bruder Goethe! (Drückt ihn ans Herz)
Goethe: Wo zum Henker bist du mir nachkommen?
Lenz: Ich weiß nicht, wo du gegangen bist, aber ich hab' einen beschwerlichen Weg gemacht.
Goethe: Ruh' hier aus – und dann weiter.
Lenz: An deiner Brust. Goethe, es ist mir, als ob ich meine ganze Reise gemacht, um dich zu finden.
Goethe: Wo kommst du denn her?
Lenz: Aus dem hintersten Norden. Ist mir's doch, als ob ich mit dir geboren und erzogen wäre. Wer bist du denn?
Goethe: Ich bin hier geboren. Weiß ich, wo ich her bin. Was wissen wir alle, wo wir herstammen?
Lenz: Du edler Junge! Ich fühl' kein Haar mehr von all meinen Mühseligkeiten.
Goethe: Tatst du die Reise für deinen Kopf?
Lenz: Wohl für meinen. Alle kluge und erfahrne Leute widerrieten's mir. Sie sagten, ich suche zu sehr, was zum Gutsein gehöre, und versäume darüber das Sein. Ich dachte: seid! und ich will gut sein.
Goethe: Bis mir willkommen, Bübchen! Es ist mir, als ob ich mich in dir bespiegelte.
Lenz: O, mach' mich nicht rot.
Goethe: Weiter!
Lenz: Weiß es der Henker, wie mir mein Schwindel vergangen ist, seitdem ich dich unter den Armen habe. (Gehn beide einer Anhöhe zu.)
Die Nachahmer
Goethe steht auf einem Felsen und ruft herunter zu einem ganzen Haufen Gaffer.
Goethe: Meine werte Herrn! wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur daherum kommen – denn da herum – und denn daherum, 's gar nicht hoch, ich versichere euch, und die Aussicht ist herrlich. – Lenz, nun sollst die deinen Spaß haben.
(Geht ein jämmerlich Gepurzel an. Bleiben ihrer etliche am Fuß des Berges auf Feldsteinen stehen und rufen den andern zu): Meine Herrn, wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur daherum kommen.
Andere von dem Haufen: Sollst gleich herunter sein, Hans Pickelhering, bist ja nur um eine Hand hoch höher als wir. (Stoßen einander herunter, jene wehren sich mit den Steinen, auf welchen sie stunden.)
Goethe (schlägt in die Hände. Zu Lenz): Ist das nicht ein Gaudium?
(Die, so jene vorher heruntergestoßen, sagen): Wollen doch sehen, ob wir die von oben nicht auch hinab bekommen können, ist's uns doch mit diesen gelungen.
Einer: Hör', hast du nicht eine Lorgnette bei dir, ich kann sie nicht recht unterscheiden dort oben, ich möchte dem einen zu Leibe, der uns herabgerufen hat.
Der Andere: Mensch, wo denkst du hin, wie willst du an ihn kommen?
Erster: Kam doch David mit der Schleuder bis an Goliath herauf, und ich bin doch auch so niedrig nicht. Ich will mich auf jenen Stein stellen dort gegen ihm über.
Der Andere: Probier's.
(Goethe stößt Lenzen an, der lauert gleichfalls hinunter.)
Erster (schwingt einen Stein): Hör' du dort, halt mir ein wenig den Arm fest, er ist mir aus dem Gelenk gegangen.
Zweiter (durch die Lorgnette guckend): Da, da oben, gerade, wo ich mit dem Finger hindeute, da steht der Goethe, ich kenn' ihn eigentlich mit seinen großen schwarzen Augen, er passt auf, er wird sich wohl bücken, wenn der Stein kommt, und der andere hat sich hinter ihm verkrochen.
Erster (schleudert aus aller seiner Macht): Da mag er's denn darnach haben. (Der Stein fällt wieder zurück und ihm auf den Fuß. Hinkt herum.) Aie! Aie! was hab’ ich doch gemacht?
Zweiter: O du alte Hure! hat grade so viel Kraft in seiner Hand als meine alte Großmutter. (Wirft die Lorgnette weg, fasst den Stein ganz wütend und wirft blindlings über die Schulter seinem Nachbar ins Gesicht, dass der tot zur Erde fällt.) Der Teufel! ich dacht' ihn doch recht gezielt zu haben. So hat mich die Lorgnette betrogen. Es wird heutzutage doch kein vernünftig Glas mehr geschliffen.
Goethe: Wollen uns doch die Lust machen und was herunter werfen! Hast du ein Bogen Papier bei dir?
Lenz: Da ist.
Goethe: Sie werden meinen, es sei ein Felsstück. Du sollst dich zu Tode lachen.
(Lässt den Bogen herabfallen. Sie laufen alle mit erbärmlichem Geschrei.): Oh weh! er zermalmt uns die Eingeweide, er wird einen zweiten Ätna auf uns werfen.
(Einige springen ins Wasser, andere kehren alle Vier in die Höhe, als ob der Berg schon auf ihnen läge.)
Ein paar Pedanten: Wir wollen sehen, ob wir uns nicht Schilde flechten können, testudines, nach Art der Alten. Es werden solcher mehr kommen.
(Verlieren sich in ein Weidengebüsch.)
Ein ganzer Haufen (auf Knieen, die Hände in die Höhe): O schone, schone! weitwerfender Apoll!
Goethe: (kehrt sich lachend um, zu Lenz): Die Narren!
Lenz: Ich möchte fast herunter zu ihnen und sie bedeuten.
Goethe: Lass sie doch. Wenn keine Narren auf der Welt wären, was war' die Welt?
(Der ganze Haufe kommt den Berg herangekrochen wie Ameisen, rutschen alle Augenblick zurück und machen die possierlichsten Kapriolen.)
Unten: Das ist ein Berg! Der Henker hol’ den Berg! Ist ein Schwerenotsberg. Ei was ist dran zu steigen, wollen gehen und sagen, wir sind droben gewesen.
Alle: Das wird das gescheutste sein.
(Kommt ein Haufen Fremde zu ihnen, sie komplimentieren sich.) Kennen Sie den Herrn Goethe? Und seinen Nachahmer, den Lenz? Wir sind eben bei ihnen gewesen, die Narren wollten nicht mit herunterkommen, sie sagten, es gefiel ihnen so wohl da in der dünnen Luft.
Ein Fremder: Wo geht man hinauf, meine Herren! ich möchte sie gern besuchen.
Einer: Ich rat' es Ihnen nicht. Wenn Sie zum Schwindel geneigt sind –
Fremder: Ich bin nicht schwindlig.
Erster: Schad't nichts. Sie werden's schon werden. Unter uns gesagt, die Wege sind auch verflucht verworren durcheinander, wir müssten Sie bis oben hinauf begleiten. Der Lenz selber soll sich einmal verirrt haben ganzer drei Tage lang.
Fremder: Wer ist denn der Lenz, den kenn' ich ja gar nicht.
Erster: Ein junges aufkeimendes Genie aus Kurland, der bald wieder nach Hause zurückreisen wird. Er ist von meinen vertrautsten Freunden und schreibt kein Blatt, das er nicht vorher mir weist.
Fremder: Und der ist so hoch heraufkommen?
Erster: Der Goethe hat ihn mitgenommen, er hat mir's auch angetragen, aber ich wollte nicht, meine Lunge ist mir zu lieb. Doch hab' ich ihn besucht oben.
Fremder: Ich möchte doch die beiden Leute gern kennen lernen, es müssen sonderbare Menschen sein.
Erster: Ach sie werden gleich herunterkommen, wenn wir ihnen winken werden. (Winken mit Schnupftüchern, jene kehren sich um und gehen fort.)
Erster: Sehn Sie? Warten Sie nur einen Augenblick, sie werden gleich da sein.
Zweiter: Wart' du bis morgen früh. Da sind sie schon auf einem ändern Hügel.
Fremder: Das ist impertinent. Wenn man bei uns Auteur ruft, und er kommt nicht, wird er ausgepfiffen.
Erster: Wollen wir auch pfeifen?
Zweiter: Was hilft's, sie hören's doch nicht.
Erster: Desto besser.
Die Philister
Lenz sitzt an einem einsamen Ort, ins Tal hinabsehend, seinen »Hofmeister« im Arm. Einige Bürger aus dem Tal reden mit ihm.
Einer: Es freut uns, dass wir Sie näher kennen lernen.
Zweiter: Es verdrießt mich aber doch in der Tat, dass Ihre Stücke meist unter einem ändern Namen herumlaufen.
Lenz: Und mich freut's. Wenn sie so geschwinder ihr Glück machen, soll ich's meinen Kindern missgönnen? Würd' ein Vater sich grämen, wenn sein Sohn seinen Namen veränderte, um desto leichter emporzukommen?
Dritter: Wenn man nun aber zu zweifeln anfinge, ob Sie allein imstande gewesen wären –
Lenz: Lass sie zweifeln. Was würd' ich durch ihren Glauben gewinnen? Das Gefühl, an diesem Herzen ist er warm geworden, hier hat er sein Feuer und alle gutartige Mienen bekommen, die andern Leuten an seinem Gesicht Vergnügen machen, ist stärker und göttlicher, als alles Schmettern der Trompete der Fama eins aufschütteln kann. Dies Gefühl ist mein Preis und der angenehme Taumel, in dem mich der Anblick eines solchen Sohnes bisweilen zurücksetzt, und der fast der Entzückung gleicht, mit der er geboren ward.
(Goethe, über ein Tal herabhängend, in welchem eine Menge Bürger empor gucken und die Hände in die Höhe strecken.)
Einer: Traut ihm nicht!
Zweiter: Da bewegt er sich. Gewiss, in der andern Hand, die er auf dem Rücken hat, hält er nichts Guts.
Ein Gelehrter unter ihnen: Es scheint, der Mann will gar nicht rezensiert sein.
Ein Philister: Ihr Narren, wenn er euch auch freien Willen ließe, er würde bald unter die Füße kommen. Und er streitet nicht für sich allein, sondern auch für seine Freunde.
Die Journalisten
Einer: Es fängt da oben an bald zu wölken, bald zu tagen. Hört, Kinder, es ist euch kein andrer Rat, wir müssen hinauf und sehen, wie die Leute das machen.
Zweiter: Ganz gut, wie kommen wir aber hinauf?
Erster: Wollen wir ein Luftschiff machen wie die bösen Geister im »Noah«, das uns in die Höhe hebt?
Zweiter: Ein fürtrefflicher Einfall. Es kommt auch so ein Wind von oben herab, der uns schon heben wird.
Erster: Ich hab' auch eben nichts Bessers zu tun. und es wäre doch kurios, den Leuten auf die Finger zu sehen.
Dritter: Mir wird die Zeit auch so verflucht lang hier unten, ich weiß wahrhaftig nicht mehr, was ich angreifen soll.
Vierter: So können wir uns auch mit leichter Mühe berühmt machen.
Fünfter: Und ich will meine Akten und all ins Feuer werfen, was Henkers nützen einem auch die Brotstudia. Es soll uns so an Geld nicht fehlen.
Sechster (zum Siebenten): Wenn die droben sind, wollen wir einen Geist der Journale schreiben. Das geneigte Publikum wird doch gescheut sein und pränummerieren, wie dem Klopstock da.
Siebenter: Wenn aber ein achter käm' und schrieb' einen Geist des Geists.
Sechster: Es ist der Geist der Zeit. Lass uns keine Zeit verlieren. Wer zuerst kommt, der mahlt erst.
(Heben sich auf ihrem Luftschiff mit Goethens Wind und machen ihm Komplimente)
Goethe: Land't an, land't an! (Zu Lenz) Wollen den Spaß mit den Kerlen haben. (Wirft ihnen ein Seil zu, die Journalisten verwandeln sich alle in Schmeißfliegen und besetzen ihn von oben bis unten.)
Goethe: Nun, zum Sackerment!
(Schüttelt sie ab. Sie bekommen die Gestalt kleiner Jungen und laufen auf dem Berg herum. Hügelein auf, Hügelein ab. Goethe steigt eine neue Erhöhung hinan, eine Menge von ihnen umklammert ihm die Füße:)
Alle: Nimm mich mit, nimm mich mit.
Goethe: Liebe Jungens, lasst mich los, ich kann ja sonst nicht weiter kommen.
Einer: Womit soll ich dich vergleichen? Alexander, Cäsar, Friedrich, o das waren alles kleine Leute gegen dich.
Zweiter: Wo sind die großen Genieen der Nachbarn, die Shakespeare, die Voltaire, die Rousseau?
Dritter: Was sind die so sehr gerühmten Alten selber? Der Schwätzer Ovid, der elende Virgil und dein so sehr erhabner Homer selbst? Du, du bist der Dichter der Deutschen, und soviel Vorzüge unsere Nation vor den alten Griechen –
Lenz (sein Haupt verhüllend): O weh, sie verderben mir meinen Goethe.
Goethe: Dass euch die schwere Not! (Schüttelt sie von den Beinen und wirft sie alle kopflängs den Berg hinunter.) Ihr Schurken, dass ihr euch immer mit fremder Größe beschäftigt und nie eure eigene ausstudiert. Wie seid ihr imstande zu fühlen, was Alexander war, oder was Cäsar war, wie seid ihr imstande zu fühlen, was ich bin? Wie unendlich anders die Größe eines Helden, eines Staatsmannes, eines Gelehrten und eines Künstlers! Ich bin Künstler, dumme Bestien, und verlangte nie mehr zu sein. Sagt mir, ob's mir in meiner Kunst geglückt ist, ob ich wo einen Strich wider die Natur gemacht habe, und denn sollt ihr mir willkommen sein. Übrigens aber halt't's Maul mit euren wahnwitzigen Ausrufungen von groß göttlich und merkt euch die Antwort, die der König von Preußen einem gab, der ihn zum Halbgott machen wollte. Und der König von Preußen ist doch ein ganz andrer Mann als ich.
Die Journalisten: Wir wollen alle Künstler werden.
Goethe: In Gottes Namen, ich will euch dazu behilflich sein.
Einer: Wir brauchen eurer Hülfe nicht. Ich bin schon ein zehnmal größrer Mann, als du bist.
Lenz (sieht wieder hervor): Also auch als alle die, die er unter dich gestellt hat.
Goethe (lacht): So aber gefällt mir der Kerl.
Lenz: Lieber Goethe, ich möchte mein Dasein verwünschen, wenn's lauter Leute so da unten gäbe.
Goethe: Haben sie's andern Nationen besser gemacht? Woher denn der Verfall der Künste, wenn sie zu einer gewissen Höhe gestiegen waren?
Lenz: Ich wünschte denn lieber mit Rousseau, wir hätten gar keine und kröchen auf allen vieren herum.
Goethe: Wer kann davor?
Lenz: Ach ich nahm mir vor, hinabzugehn und ein Maler der menschlichen Gesellschaft zu werden: aber wer mag da malen, wenn lauter solche Fratzengesichter unten anzutreffen? Glücklicher Aristophanes, glücklicher Plautus, der noch Leser und Zuschauer fand. Wir finden, weh uns, nichts als Rezensenten und könnten ebenso gut in die Tollhäuser gehen, um menschliche Natur zu malen.
Der Tempel des Ruhms
Hagedorn spaziert einsam herum und pfeift zum Zeitvertreib Liederchen
Hagedorn: Wie wird mir die Zeit so lang, Gesellschaft zu finden. (Setzt sich an eine schwarze Tafel und malt einige Tiere hin.)
Lafontaine (der mit einigen ändern Franzosen hinter einem Gitter auf dem Chor sitzt, bückt sich über dasselbe hervor und ruft, indem er in die Hände patscht): Bon! bon! cela Rasse!
(Tritt herein ein schmächtiger Philosoph, ducknackicht, mit hagerem Gesicht, großer Nase, eingefallenen hellblauen Augen, die Hände auf die Brust gefaltet. Bleibt verwundernd Hagedorn gegenüber stehen, ohn aus seiner Stellung zu kommen. Auf einmal erblickt er Lafontainen, kehrt sich weg und tritt in den Winkel, um nicht gesehen zu werden. Nach einer Weile kommt er mit einigen Papieren voll Zeichnungen hervor, die er sich vor die Stirne hält.
Hagedorn (lässt die Kreide fallen, eine Menge Menschen umringen und bewundern ihn, der Haufe wird immer größer, er verzieht seine sauertöpfische Miene und sagt mit hohler Stimme und hypochondrischem Lachen): Was seht ihr da? – Wenn ihr mir gute Worte gebt, mal' ich euch Menschen.
(Gleich drängen sich verschiedene, die sein frommes Aussehen dreist macht, zu ihm, unter denen ein großer Haufe alter Weiber und zutätiger Mütterchen. Er wend't sich um – und flugs steht eine von ihnen auf dem Papier da, die er darnach vorzeigt. Da geht ein überlautes Gelächter von einer und ein Geschimpf von der ändern Seite an)
Altes Weib: Der Gotteslästerer! Er hat keinen Glauben, er hat keine Religion, sonst würd' er das ehrwürdige Alter nicht spotten. Es ist ein Atheist.
(Bei diesen Worten fällt Gellert auf die Kniee und bittet um Gottes willen, man soll ihm das Bild zurückgeben, das man ihm schon aus den Händen gewunden hat, er wolle es verbrennen.)
Einige Franzosen (hinterm Gitter): Oh l'original!
Molière (sich den Stutzbart streichend): Je ne puis pas concevoir ces Allemands-là. Il se fait un crime d'avoir si bien réussi. Il n'auroit qu'à venir à Paris, il se corrigeroit bien de cette maudite timidité.
(Herr Weiße, einer aus dem Haufen, sehr weiß gepudert, mit Steinschnallen in den Schuhen, läuft schnell heraus und nimmt sich ein Billett auf die Landkutsche nach Paris.)
(Gellert unterdessen dringt durch den Haufen zu seinem Winkel, wo er sich auf die Knie wirft und die bittersten Tränen weint. Auf einmal fängt er an, geistliche Lieder zu singen, worauf er am Ende in ein gänzlich trübsinniges Stillschweigen verfällt, als ob er ein schwer Verbrechen auf dem Gewissen hätte. Ein Engel fliegt vorbei und küsst ihm die Augen zu.)
Eine Stimme: Redliche Seele! selbst in deinen Ausschweifungen ein Beweis, dass eine deutsche Seele keiner unedlen Narrheit fähig sei.
Die Franzosen (als er stirbt): Il est fou.
Rousseau (am äußersten Ende des Gitters, auf beide Ellbogen gestützt): C'est un ange.
Rabener (tritt herein, den Haufen um Gellert zerstreuend): Platz, Platz für meinen Bauch (mit der Hand) und nun noch mehr für meinen Satyr, dass er gemütlich auslachen kann. Was in aller Welt sind das Gesichter hier? (Zieht einen zylindrischen Spiegel her vor. Sie halten sich alle die Köpfe und entlaufen mit großem Geschrei wie eine Herde gescheuchter Schafe. Einige ermannen sich und treten sehr gravitätisch näher. Als sie nah kommen, können sie sich doch nicht enthalten, mit den Köpfen zurückzufahren. Als vernünftige Leute lachen sie aber selbst über die Grimassen, die sie machen)
Rabener: Seid ihr's bald müde? (Gibt einem nach dem andern den Spiegel in die Hand, sie erschrecken sich mit ihren eigenen Gesichtern)
Alle: So gefällt's uns doch besser als nach dem Leben.
Rabelais und Scarron (von oben): Au lieu du miroir, s'il s'étoit ôté la culotte, il auroit mieux fait.
(Liscow horcht herauf, und da eben ein paar Waisenhäuserstudenten neben ihm stehen, zieht er sich die Hosen ab, die schlagen ein Kreuz, er jägt sie so rücklings zum Tempel hinaus. Ein ganzer Wisch junger Rezensenten bereden sich, bei erster Gelegenheit ein Gleiches zu tun. Klotz bittet sie, nur so lang zu warten, bis er sich zu jenen drei Stufen hervorgedrängt, auf die er steigen und sodann zu allgemeiner Niederlassung der Hosen das Signal geben will.)
Klotz: Das wird ein Teufelsjokus geben. Es bleibt keine einzige Dame in der Kirche.
Einer: Die Komödiantinnen bleiben doch.
Zweiter: Und die Huren. Wir wollen Oden auf sie machen.
(Anakreons Leier wird hervorgesucht und gestimmt. Die honetten Damen, die was merken, entfernen sich in eine Ecke der Kirche. Die andern treten näher. Rost spielt auf. Zu gleicher Zeit zieht Klotz die Hosen ab. Eine Menge folgen ihm. Das Gelächter, Gekreisch und Geschimpf wird allgemein. Die honetten Damen und die Herrn von gutem Ton machen einen Zirkel um Rabener und lassen sich mit ihm in tiefsinnige Diskurse ein)
Eine Stimme: Flor der deutschen Literatur.
Eine andere: Saeculum Augusti.
Die Franzosen (von oben): Voilà ce qui me plaît. Ils commencent à avoir de l'esprit, ces gueux d'Allemands-là.
Chaulieu und Chapelle: En voilà un qui ne dit pas le mot, mais il semble bon enfant, voyez, comme il se plaît à tout cela, comme il sourit secouant la tête. (Stoßen ihn mit dem Stock an, winken ihm heraufzukommen, er geht hinauf.)
(Gleim tritt herein, mit Lorbeern ums Haupt, ganz erhitzt, in Waffen. Als er den neckischen tollen Haufen sieht, wirft er Rüstung und Lorbeer weg, setzt sich zu der Leier und spielt, jedermann klatscht. Der ernsthafte Zirkel wird auch aufmerksam, Uz tritt daraus hervor, wie Gleim aufgehört hat, setzt er sich gleichfalls an die Leier)
Ein junger Mensch (tritt aus dem ernsthaften Haufen hervor, mit verdrehten Augen, die Hände über dem Haupt zusammengeschlagen, sagt): W pw poi! Was für ein Unterfangen, was für eine zahmlose und schamlose Frechheit ist das? Habt ihr so wenig Achtung, so wenig Entsehen für diese würdige Personen, ihre Ohren und Augen mit solchen Unflätereien zu verwunden? Schämt euch, verkriecht euch, ihr sollt diese Stelle nicht länger schänden, die ihr usurpiert habt, heraus mit euch Bänkelsängern, Wollustsängern, Bordellsängern, heraus aus dem Tempel des Ruhms! (Ein paar Priester folgen dicht hinter ihm drein, trommeln mit den Fäusten auf die Bänke, zerschlagen die Leier und jagen sie alle zum Tempel hinaus.)
(Wieland bleibt stehen, die Herren und Damen umringen ihn und erweisen ihm viel Höflichkeiten für die Achtung, so er ihnen bewiesen)
Wieland: Womit kann ich den Damen itzt aufwarten, ich weiß in der Geschwindigkeit wahrhaftig nicht – sind Ihnen Sympathien gefällig – Briefe der Verstorbnen an die Lebendigen, oder befehlen Sie ein Heldengedicht, eine Tragödie?
Die Gesellschaft: Was von Ihnen kommt, muss alles vortrefflich sein. (Er kramt seine Taschen aus.)
(Die Herrn und Damen besehen die Bücher und loben sie höchlich. Endlich weht sich die eine mit dem Fächer, die andere gähnend): Haben Sie nicht noch mehr Sympathieen?
Wieland: Nein wahrhaftig, gnädige Frau – o lassen Sie sich doch die Zeit nur nicht lang werden – Warten Sie nur noch einen Augenblick, wir wollen sehen, ob wir nicht etwas finden können. (Geht herum und sucht, findet die zerbrochne Leier, die er zu reparieren anfängt) Sogleich, sogleich – nur einen Augenblick – ich will sehen, ob ich noch was herausbringe.
(Spielt: alle Damen halten die Fächer vor den Gesichtern, man hört hin und wieder ein Gekreisch.): Um Gottes willen, hören Sie doch auf!
(Er lässt sich nicht stören, sondern, spielt nur immer rasender.)
Die Franzosen: Ah le gaillard! Les autres s'amusoient avec des grisettes, cela débauche les honnêtes femmes. Il a pourtant bien pris son parti.
Einer: Je ne crois pas que ce soit un Allemand, c'est un Italien.
Chapelle und Chaulieu: Ah ça – pour rire – descendons notre petit (lassen Jacobi auf einer Wolke von Nesseltuch nieder, wie einen Amor gekleidet) cela changera bien la machine.
Jedermann: Ach sehen Sie doch um Himmels willen.
(Jacobi spielt in der Wolke auf einer kleinen Sackvioline, Einige aus der Gesellschaft fangen an zu tanzen. Er lässt eine erschreckliche Menge Schmetterlinge fliegen, die Dames haschen nach ihnen und rufen): Liebesgötterchen! Liebesgötterchen!
Jacobi (springt aus der Wolke und schlägt die Arme kreuzweis über einander, schmachtend zusehend): O mit welcher Grazie!
Wieland: Von Grazie hab' ich auch noch ein Wort zu sagen – (Spielt. Die Damen minaudieren erschröcklich, die Herren setzen sich einer nach dem. ändern in des Jacobi Wolke und schaukeln damit herum. Andere lassen gleichfalls Schmetterlinge fliegen. Die Alten tun sie unter das Vergrößerungsglas, und einige Philosophen legen den Finger an die Nase, um die Unsterblichkeit der Seele aus ihnen zu beweisen. Eine Menge Officiers machen sich Kokarden von Schmetterlingsflügeln, andere kratzen mit dem Degen an der Leier, sobald Wieland zu spielen aufhört. Endlich gähnen sie alle.)
(Eine Dame, die, um nicht gesehen zu werden, hinter Wielands Rücken, unaufmerksam auf alles, was vorging, gezeichnet hatte, gibt ihm das Bild zum Sehen, er zuckt die Schultern, lächelt, macht ihr ein halbes Kompliment und reicht es großmütig herum. Jedermann macht ihm Komplimente darüber, er bedankt sich schönstens, steckt es wie halbzerstreut in die Tasche und fängt wieder zu spielen an. Die Dame errötet. Die Palatinen der andern Damen, die Wieland zuhören, kommen in Unordnung, weil die Herrchen zu ungezogen werden. Wieland winkt ihnen lächelnd zu, und Jacobi hüpft wie unsinnig von einer zur andern herum. Indessen klatscht die ganze Gesellschaft und ruft gähnend): Bravo! bravo! bravo! le moyen d'ouîr quelque chose de plus ravissant.
Goethe (stürzt herein in Tempel, glühend, einen Knochen in der Hand): Ihr Deutsche? – – Hier ist eine Reliquie eurer Vorfahren. Zu Boden mit euch und angebetet, was ihr nicht werden könnt.
(Wieland macht ein höhnisch Gesicht und spielt fort. Jacobi bleibt mit offenem Mund und niederhangenden Händen stehen.)
Goethe (auf Wieland zu): Ha, dass du Hektor wärst und ich dich so um die Mauern von Troja schleppen könnte! (Zieht ihn an den Haaren herum)
Die Damen: Um Gottes willen. Herr Goethe, was machen Sie?
Goethe: Ich will euch spielen, obschon's ein verstimmtes Instrument ist. (Setzt sich bin, stimmt ein wenig und spielt. Jedermann weint.)
Wieland (auf den Knieen): Das ist göttlich.
Jacobi (hinter Wieland, gleichfalls auf den Knieen): Das ist eine Grazie, eine Wonneglut!
Eine ganze Menge Damen (stehn auf und umarmen Goethe): O Herr Goethe! (Die Chapeaux werden alle ernsthaft. Eine Menge laufen heraus, andere setzen sich Pistolen an die Kopfe, setzen aber gleich wieder ab)
(Der Küster, der das sieht, lauft und stolpert aus der Kirche.)
Küster. Pfarrer
Küster: O Herr Pfarrer, um Gottes willen, es geschieht Mord und Todschlag in der Kirche, wenn Sie nicht zu Hülfe kommen. Da ist der Antichrist plötzlich hereingetreten, der ihnen allen die Köpfe umgedreht hat, dass sie sich das Leben nehmen wollen. Sie haben alle Schießgewehr bei sich, meine arme Frau, meine arme Kinder sind auch drunter, wer weiß, wie leicht ein Fehlschuss sie treffen kann.
Pfarrer (zitternd und bebend): Meine Frau ist auch da, Gott steh' mir bei. Kann Er sie nicht herausrufen?
Küster: Nein, Herr Pfarrer, Sie müssen selber kommen, das ganze Ministerium muss kommen, es ist, als ob der Teufel in sie alle gefahren wäre, ich glaube, Gott verzeih' mir, der Jüngste Tag ist nahe.
Pfarrer (einmal über das andere sich trostlos umsehend): Wenn meine Frau nur kommen wollte! Konnt' Er ihr nicht zurufen? (Die Hände ringend) Hab' ich das in meinem Leben gehört, sie wollen sich erschießen – und warum denn?
Küster: Um unsrer Weiber willen, allerliebster Herr Pfarrer! Das ist Gott zu klagen, ich glaube, es ist ein Hexenmeister, der unter sie gekommen ist. Vorhin saßen sie da in aller Eintracht und hatten ihren Spaß mit den Papillons, da führt ihn der böse Feind hinein und sagt, wenn's doch gespielt sein soll, so spielt mit Pistolen.
Pfarrer: Ob sie aber auch geladen sind?
Küster: Das weiß ich nun freilich nicht. Aber auch mit ungeladenen ist's doch sündlich. Man weiß, wie leicht der Böse sein Spiel haben kann.
Pfarrer (sehr wichtig und nachdenklich): Wie wollen ein Mandat vom Consistorio auswirken.
Küster: Das wär' meine Meinung auch, Herr Pfarrer, so. Und dass sie den Prometheus verbrennen sollen oder den höllischen Proteus, wie er da heißt. Andern zur Warnung, mein' ich.
Pfarrer: Wenn meine Frau nur kommen wollte.
Küster: Sie wird sich noch in ihn verlieben und meine Frau auf den Kauf mit ein, die Weiber sind all wie bestürzt auf das Ding, sie sagen, sie haben so was in ihrem Leben noch nicht gehört. Denn sehen Sie, es ist kein einzig Weib, das nicht glaubt, heimlich in der Stille haben sich schon ein zehn, zwölf arme Buben um sie zu Tode gegrämt, und dieser erschießt sich gar, das ist ihnen nun ein gar zu gefundenes Fressen, das. In Böhmen ist neuerdings wieder ein Bauernkrieg angebrochen, gebt acht, Herr Pfarrer, dieser Mensch gibt uns einen Weiberkrieg, wo am Ende keine Mannsseele mehr am Leben bleibt als ich und der Herr Pfarrer. Wir wollten endlich das menschliche Geschlecht auch nicht ausgehen lassen.
Pfarrer: Seid unbesorgt. Wenn ich mich nur durch die Hintertür in die Kirche schleichen und dem Unwesen zusehen könnte. Ich wollte sodann ganz in der Stille die Kanzel heraufkriechen und auf einmal zu donnern anfangen. Das tut seine gewisse Wirkung, glaubt es mir.
Küster: Sicher, Herr Pfarrer, ich mein' es auch so, und ich will den Glauben zu gleicher Zeit anstimmen, dass der Teufel aus der Kirche fährt.
Pfarrer: Ihr könnt das Te Deum laudamus hernach singen, wenn ich fertig bin. (Gehn ab)
Goethe zieht Wieland das Blatt Zeichnung aus der Tasche, das er vorhin von der Dame eingesteckt.
Goethe (hält's hoch): Seht dieses Blatt, und hier ist die Hand, die es gezeichnet hat. (Die Verfasserin der »Sternheim« ehrerbietig an die Hand fassend)
Eine Prüde (weht sich mit dem Fächer): O das wäre sie nimmer imstande gewesen, allein zu machen.
Eine Kokette: Wenn man ein so groß Genie zum Beistand hat, wird es nicht schwer, einen Roman zu schreiben.
Goethe: Errötest du nicht. Wieland? Verstummst du nicht? Kannst du ein Lob ruhig anhören, das soviel Schande über dich zusammenhäuft? Wie, dass du nicht deine Leier in den Winkel warfst, als die Dame dir das Bild gab, demütig vor ihr hinknietest und gestandst, du seist ein Pfuscher! Das allein hätte dir Gnade beim Publikum erworben, das deinem Wert nur zu viel zugestand. Seht dieses Bild an. (Stellt es auf eine Höhe)
Alle Männer (fallen auf ihr Angesicht; rufen): Sternheim! wenn du einen Werther hättest, tausend Leben müssten ihm nicht zu kostbar sein.
Pfarrer (von der Kanzel herunter mit Händen und Füßen schlagend): Bösewichter! Unholde! Ungeheuer! Von wem habt ihr das Leben? Ist es euer? Habt ihr das Recht, drüber zu schalten?
Einer aus der Gesellschaft: Herr Pfarrer, halten Sie das Maul!
Küster (mischt sich unter sie): Ja, erlauben Sie, meine großgünstige Herren, es ist aber auch ein Unterscheid zwischen einer schönen Liebe und einer solchen gottsvergessenen, und denn so mit Ihrer großgünstigen Erlaubnis, der Herr Pfarrer hat auch so unrecht nicht, denn sehn Sie einmal, meine arme Frau steht auch in Gefahr, eines Menschen Leben auf ihr Gewissen zu laden, und da ich mit den Gespenstern nichts gern zu teilen habe —
Ein Buchbinder: Ei freilich, ich bin auch von des Herrn Küsters Partei, meine Nachtruhe ist mir lieb auch.
Küster: Also mit Ihrer gnädigen Erlaubnis, meine Herren, wäre mein Rat wohl, wir gingen fein alle nach Hause und schlössen die Kirchtür zu. Wer Lust hat, den Werther zu machen, kann immer drin bleiben, he, he, he, ich denk', er wird doch in der Einsamkeit schon zu Verstand kommen, wir andere ehrliche Bürgersleut' aber gehen heim nach dem Sprüchlein Lutheri:
Ein jedes lern' sein' Lektion,
So wird es wohl im Hause stohn.
Goethe: Geht in Gottes Namen. Ich bleib' allein hier.
(Es bleiben einige bei ihm im Tempel. Die meisten gehn heraus, und der Küster schließt die Kirchtür zu.)
Küster: So. Du sollst mir nicht mehr herauskommen.
Pfarr: Nur die Schlüssel der Frau nicht gegeben.
Frau Pfarr: Mannchen! der arme Werther.
Pfarr und Küster: Da haben wir's, da wirkt das höllische Gift. Ich wollt', er lag' auf unserm Kirchhof oder der verachtungswürdige Proteus an seiner Stelle. Wir wollten die Knochen ausgraben lassen, verbrennen und die Asche aufs Meer streuen.
Küster: Ich wollt' einen Mühlstein an die Asche hängen und sie ersäufen lassen. Er hat mich in die Seele hinein geärgert. Mein armes Weibchen, was machst du denn? Du wirst doch nicht toll sein und dir auch deinen Werther schon angelegt haben, ich wollte dich – Es ist wohl gut, dass in Teutschland keine Inquisition ist, aber es ist doch nicht gar zu gut. Ich wollte mein Leben dran setzen, einen solchen Rebellen, einen solchen –
Küsters Frau: Er ein Rebell?
Küster: Red' mir nicht. Was für schnöde Worte er im Munde führt. Wenn man das alles auseinander setzte, was der Werther sagt —
Küsters Frau: Er sagt es ja aber in der Raserei, da er nicht recht bei sich war.
Küster: Er soll aber bei sich bleiben, der Hund. Wart' nur, ich will ein Buch schreiben, da will ich dich lehren und alle, die den Werther mir so gelobt haben – kurz und gut, Weib, lieber doch einen Schwager als einen Werther, kurz von der Sache zu reden. Und damit so weißt du meine Meinung und lass mich mit Frieden.
Die Dramenschreiber
Weisse und Küsters Frau vor der Kirchentür
Weisse: Liebe Frau, ich bin eben aus Welschland zurückgekommen, mach' Sie mir nur auf. Ihr Mann wird nichts dawider haben. Ich hab' die Taschen voll, ich muss hinein. Ich werd' dort gewiss keinen Unfug anrichten, das sei Sie versichert. (Sie macht auf. Er tritt herein in einem französischen Sammetkleide mit einer kurzen englischen Perücke, macht im Zirkel herum viel Scharrfüße und fängt folgendergestalten an): Meine werte Gesellschaft, ist es Ihnen gefälliger, zu lachen oder zu weinen. Beides sollen Sie in kurzer Zeit auf eine wunderbare Art an sich erfahren. (Kehrt sich weg; zieht einige Papiere heraus und murmelt die Expressionen, als ob er sie repetierte): Meine werte Gesellschaft, ist es Ihnen gefälliger, zu lachen oder zu weinen. Beides sollen Sie in kurzer Zeit auf eine wunderbare Art an sich erfahren. (Kehrt sich weg; zieht einige Papiere heraus und murmelt die Expressionen, als ob er sie repetierte): hell! destruction! damnation! (Darauf tritt er hervor und deklamiert in einem unleidlich hohlen Ton mit erstaunenden Kontorsionen.)
Herr Schmidt (ein Kunstrichter, steht vor ihm, beide Finger auf den Mund gelegt): Es ist mir, als ob ich die Engländer selber hörte.
Michaelis: Es ist unser deutsche Shakespeare.
Schmidt: Sehen Sie nur, was für wunderbare Vereinigung aller Vollkommenheiten, die das englische sowohl als das französische Theater auszeichnen. Das griechische mit eingeschlossen. Ich wünschte Garricken hier.
Weisse (mit vielen Kratzfüßen sehr freundlich): So sehr es meiner Bescheidenheit kostet, mich mit in diesen Streit zu mengen, so muss ich doch gestehn, dass ich glaube, Herr Schmidt habe mich am richtigsten beurteilt.
Michaelis: Herr Schmidt ist unser deutsche Aristarch. er hört nicht auf das, was andere sagen,, sondern fällt sein Urteil mit einer Festigkeit und Gründlichkeit, die eines Skaliger würdig ist.
Schmidt: O ich bitte um Vergebung, ich richte mich mit meinem Urteil immer nach der allgemeinen Stimme von Deutschland. Zu dem Ende korrespondiere ich mit den Pedellen von fast allen deutschen Akademien, und bleibt mir nicht viel Zeit übrig, im Skaliger zu lesen und seine Manier anzunehmen. Ich bin ein Original.
Weisse: Belieben Sie nun noch ein Pröbchen von einer andern Art zu sehen. (Nimmt den Hut untern Arm und trippt auf den Zehen herum) Mais mon Dieu! hi, hi, hi (Im Soubrettenton) Vous étes un sote animal. (Trillert und singt) Monsigneur, voyez mes larmes.
Eine Stimme aus dem Winkel: Das sollen Deutsche sein?
Schmidt: Sehen Sie doch, es ist mir, als ob ich in Paris wäre. Es ist wahr, alle die Züge sind nachgeahmt, aber mit solcher Delikatesse, als man die blaue Haut einer Pflaume anfasst, ohne sie abzustreifen.
Michaelis: O wunderbarer Ausspruch eines wahren kritischen Genies. – Ich habe solche Kopfschmerzen. Herr Schmidt, wollen Sie mich denn nicht auch kritisieren vor meinem Tode?
Schmidt: Mir sind die letzten Briefe ausgeblieben.
Michaelis: Ei, Sie sind ja wohl Manns genug, selber ein Urteil zu fällen. Sehen Sie, hier hab' ich auch eine Operette.
Schmidt: Nein, nein, erlauben Sie mir, das wag' ich nicht. Seit der selige Klotz vor mir die Hosen abgezogen hat, bin ich ein wenig geschröckt worden. Herr Lessing hat mir auch einmal einen Faustschlag unter die Rippen gegeben, von dem ich zehn Tag lang engen Atem behielt. Ich habe hernach alles anwenden müssen, die beiden Herren zu besänftigen: besonders Herrn Lessing zu gefallen, hab' ich wohl zehn Nächte nacheinander aufgesessen, um nach seiner Idee zehn englische Stücke in eines zu bringen, und der fürchterliche Plan hat mir eine solche Migräne verursacht, dass ich fürchte, Herr Lessing hat sich auf die Art schlimmer an mir gerochen als auf die erstere.
Michaelis: So muss ich denn wohl unbeurteilt sterben. Deinen Segen, deutscher Shakespeare!
Weisse (mit feiner Stimme, wie unter der Maske): Bon voyage, cher Monsieur! je vous suis bien obligé de toutes vos politesses.
Schmidt (aus den deutschen Literaturbriefen): Der Mann hat eine wunderbare Gabe, sich in alle Formen zu passen.
Lessing, Klopstock, Herder treten herein, umarmt, Klopstock in der Mitte, in sehr tiefsinnigen Gesprächen, ohne Weissen gewahr zu werden
Lessing: Was ist das, was haben die Leute? (Weiße macht seine Kunststücke fort) Soll das Nachahmung der Franzosen sein oder der Griechen?
Weisse (scharrfüßelnd): Beides.
Lessing: Wisst ihr, was die Franzosen für Leute sind? Lasst uns einmal ihre Bilderchen besehen. (Tritt vor eine Galerie und examiniert.) Da zu hoch, da zu breit, da zu schmal, nirgends Zusammenhang, nirgends Ordnung, nirgends Wahrheit. Und das sind eure Muster?
Herder: Ich hörte da was von Shakespeare raunen. Kennt ihr den Mann? – Tritt unter uns, Shakespeare, seliger Geist! steig herab von deinen Himmelshöhen.
Shakespeare (einen Arm um Herder geschlungen): Da bin ich.
(Weisse schleicht zum Tempel heraus. Sein ganzer Anhang folgt ihm. Jedermann drängt zu, Shakespearen zu sehen, einige fallen vor ihm nieder. Aus einer Reihe französischer Dramendichter, die auf einer langen Bank sitzen und alle kritzeln oder zeichnen, hebt sich einer nach dem andern wechselsweise hervor und guckt nach Shakespeare, setzt sich aber gleich wieder mit einer verachtungsvollen Miene und zeichnet fort nach griechischen Mustern.)
Klopstock (vor Shakespearen, sieht ihm lange ins Gesicht): Ich kenne dies Gesicht.
Shakespeare (schlägt den andern Arm um Klopstock): Wir wollen Freunde sein.
Klopstock (umarmt ihn brünstig, zuckt auf einmal und sieht sich umher): Wo sind meine Griechen? Verlasst mich nicht. (Shakespeare verschwindet wieder. Herder wischt sich die Augen)
Herder (in sanfter Melancholie vorwärts gehend): Was der Junge dort haben mag, der so im Winkel sitzt und Gesichter über Gesichter schneid't. Ich glaub', es gilt den Franzosen. Bübchen, was machst du da, (Lenz steht auf und antwortet nicht) was ist dir?
Lenz: Es macht mich zu lachen und zu ärgern, beides zusammen.
Herder: Was denn?
Lenz: Die Primaner dort, die uns weismachen wollen, sie wären was, und der große hagere Primus in ihrer Mitte, und sind Schulknaben wie ich und andere. Zeichnen da ängstlich und emsig nach Bildern, die vor ihnen liegen, und sagen, das soll unsern Leuten ähnlich sehen. Und die Leut' sind solche Narren und glauben's ihnen.
Herder: Was verlangst du denn?
Lenz: Ich will nicht hinterherzeichnen – oder gar nichts. Wenn Ihr wollt, Herr, stell' ich Euch gleich ein paar Menschen hin, wie Ihr sie da so vor Euch seht. Was den Alten galt mit ihren Leuten, soll uns doch auch gelten mit unseren.
Herder (gütig): Probiert's einmal.
Lenz (kratzt sich in den Kopf): Ja da müsst' ich einen Augenblick allein sein.
Herder: So geh' in deinen Winkel, und wenn du fertig bist, bring' mir's.
(Lenz kommt und bringt einen Menschen nach dem anderen keichend und stellt sie vor sie hin.)
Herder: Mensch, die sind viel zu groß für unsre Zeit.
Lenz: So sind sie für die kommende. Sie sehn doch wenigstens ähnlich. Und Herr! die Welt sollte doch auch itzt anfangen, größere Leute zu haben als ehemals. Ist doch so lang gelebt worden.
Lessing: Eure Leute sind für ein Trauerspiel.
Lenz: Herr, was ehmals auf dem Kothurn ging, sollte doch heutzutage mit unsern im Sokkus reichen. So viel Trauerspiele sind doch nicht umsonst gespielt worden, was ehmals grausen machte, das soll uns lächeln machen.
Lessing: Und unser heutiges Trauerspiel?
Lenz: O da darf ich nicht mal nach heraufsehn. Das hohe Tragische von heut, ahndet ihr's nicht? Geht in die Geschichte, seht einen emporsteigenden Halbgott auf der letzten Staffel seiner Größe gleiten oder einen wohltätigen Gott schimpflich sterben. Die Leiden griechischer Helden sind für uns bürgerlich, die Leiden unserer sollten sich einer verkannten und duldenden Gottheit nähern. Oder führtet ihr Leiden der Alten auf, so waren es biblische, wie dieser tat (Klopstock ansehend): Leiden wie der Götter, wenn eine höhere Macht ihnen entgegenwirkt. Gebt ihnen alle tiefe, voraussehende, Raum und Zeit durchdringende Weisheit der Bibel, gebt ihnen alle Wirksamkeit, Feuer und Leidenschaften von Homers Halbgöttern, und mit Geist und Leib stehn eure Helden da. Möcht' ich die Zeiten erleben!
Klopstock: Gott segne dich!
Goethe (springt von hinten zu und umarmt ihn): Mein Bruder.
Lenz: War' ich alles dessen würdig! Lasst mich in meinen Winkel! (Auf dem halben Wege steht er still und betet) Zeit! du große Vollenderin aller geheimen Ratschlüsse des Himmels, Zeit, ewig wie Gott, allmächtig wie er, immer fortwirkend, immer verzehrend, immer umschaffend, erhöhend, vollendend – lass mich – lass mich's erleben. (Ab)
Klopstock, Herder und Lessing: Der brave Junge. Leistet er nichts, so hat er doch groß geahndet.
Goethe: Ich will's leisten. —
(Eine Menge junger Leute »türmen herein mit verstörten Haaren): Wir wollen's auch leisten. (Bringen mit Ungestüm Papier her, Farben her, schmieren Figuren zusammen, heben die Papiere hoch empor): Sind sie das nicht?
Goethe: Hört, lieben Kinder! ich will euch eine Fabel erzählen. Als Gott, der Herr, Adam erschuf, macht' er ihn aus Erde und Wasser sehr sorgfältig, bildete alle seine Gliedmaßen, seine Eingeweide, seine Adern, seine Nerven, blies ihm einen lebendigen Odem in die Nase, da ging der Mensch herum und wandelte und freute sich, und alle Tiere hatten Respekt vor ihm. Kam der Teufel, sagte: »Ei was eine große Kunst ist denn das, solche Figuren zu machen, darf ich nur ein bissel Mörtel zusammenkneten und darauf blosen, wird's gleich herumgehn und leben und die Tiere in Respekt erhalten.« Tät er dem auch also, pappte eine Menge Leim zusammen, rollt's in seinen Händen, behaucht' und begeiferte es, blies sich fast den Otem aus, fu fi fi fu – aber geskizzen wor nit gemohlen.
Nacht. Geister. Stimmen
Erste Stimme: Ist Tugend der Müh' wert?
Zweite Stimme: Machen Kunst und Wissenschaften besser?
Eine Menge Geister (rufen): Tugend ist der Müh' nicht wert. Künst' und Wissenschaften machen schlechter.
Weltgeist: Esst, liebt und streitet! euer Lohn ist sicher.
Ewiger Geist: Euer Lohn ist klein. – Schaut an Klopstock, der auf jene steinichten Pfade Rosen warf. Der muss tugendhaft gewesen sein, der von gegenwärtigem Genuss auf seine Brust hinverweisen kann, auf sein Auge gen Himmel gewandt. Schaut an Herdern, der jene Labyrinthe mit einem ebnen Wege durchschnitt, die nur immer um Künste herum, nie zur Kunst selber führten. Tausend Unglücklichen, Verirrten ein Retter, die sonst nicht wussten, wo sie hinauswollten, und in dieser tödlichen Ungewissheit an Felsenwänden kratzten. – Wer von euch schweigt, bekennt, er sei nicht fähig, euch zu loben. Schweig, Säkulum!
*
Lenz: (aus dem Traum erwachend, ganz erhitzt): Soll ich dem kommenden rufen?