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Das sind die Irrthümer und die Früchte der Vergeudung unserer ersten Jugend auf den Schulen und Universitäten, daß wir entweder blos Worte lernen oder hauptsächlich solche Dinge, welche besser ungelernt blieben.
Milton.
Mein Vater war ein Mann von Stand und beträchtlichem Vermögen. In meinen Kinder- und Knabenjahren war ich schwach und kränklich; demungeachtet aber begünstigten mich meine Eltern vor allen meinen Brüdern und Schwestern, weil sie sahen, daß mein Geist sich bei weitem über meinen kränklichen Körper erhob, und weil sie fürchteten, ich möchte nicht bis zum Mannesalter ausdauern. Ihren Voraussichten zum Trotz überwand ich jedoch alle diese ungünstigen Anzeichen, erregte Aufmerksamkeit durch meine Lebhaftigkeit, durch Schlagfertigkeit mit witzigen Antworten und durch Unverschämtheit – Eigenschaften, die mir mein ganzes Leben lang gut zu statten gekommen sind.
Ich kann mich noch erinnern, daß ich ebenso memmenhaft als prahlerisch war; doch habe ich oft bemerkt, daß die Eigenschaft, welche wir im Kinde mit dem Namen Feigheit belegen, weiter nichts als ein lebhafter Sinn für die Gefahr, und somit ein hervorstechender Verstand ist. Von Natur find wir alle Memmen: Erziehung und Beobachtung lehrt uns den Unterschied zwischen wirklicher und scheinbarer Gefahr; Stolz lehrt uns die Furcht verhehlen, und Gewohnheit macht uns gleichgültig gegen Alles, aus dem wir uns schon oft ungestraft herausgewunden haben. Man sagt von Friedrich dem Großen, daß auch er sich in der ersten Zeit, wenn's in die Schlacht ging, nicht als Held gezeigt habe; und so viel bleibt wahr, daß ein Neuling in einer ähnlichen Situation eben so wenig über alle seine Kräfte verfügen kann, als ein kaum in die Lehre gegebener Schusterjunge fähig ist, ein paar Schuhe zu machen. Alles muß gelernt sein, gleichviel ob es gelte, als Held vor dem Feinde zu stehen oder einen Schuh zu flicken: Uebung allein kann uns zu einem Hoby oder einem Wellington machen.
Ich komme auf meine Schulzeit, die in mir bei weitem die dauerndsten Eindrücke zurückließ. Der Grund zu meiner sittlichen und religiösen Erziehung wurde zwar von meinen vortrefflichen Eltern mit Sorgfalt gelegt, aber ach! von der Zeit an, als ich das Vaterhaus verließ, kam auch nicht ein Stein mehr zu dem Gebäude, und selbst die ersten Spuren der Anlage wurden durch eine Fluth von Lastern, die mich alsbald zu verschlingen drohte, fast vernichtet. Allerdings bemühte ich mich manchmal schwach, doch ohne Erfolg, dem Strome entgegenzuarbeiten; zu andern Malen ließ ich mich aber von all' seinen unglücksschwangeren, reißenden Fluthen mitnehmen. Ich war offen, freigebig, lebhaft und muthwillig; doch muß ich hinzufügen, daß eine gute Portion von dem, was die Schiffer »Satan« nennen, sich augenscheinlich zeigte, während eine weit größere Portion davon in meinem Hirn und Herzen verborgen schlummerte. Meine herrschende Leidenschaft, schon in diesem frühen Lebensalter, war Stolz. Selbst Lucifer, wenn er je sieben Jahre alt war, besaß nicht mehr, und wenn mein Name im Dienste einen guten Klang gewann, wenn ich es dahin brachte, zu kommandiren, statt zu gehorchen, so muß ich es dieser meiner herrschenden Leidenschaft zuschreiben. Die Welt hat mir oft bessere Gefühle, als die Quellen meiner Handlungen zugetraut, doch ich schreibe nicht, um zu heucheln, sondern um die Wahrheit an's Licht zu fördern.
Ich wurde in die Schule geschickt, um Lateinisch und Griechisch zu lernen, was auf gar verschiedene Arten gelehrt wird. Einige Lehrer versuchen das suaviter in modo; mein Schulmeister zog das fortiter in re vor und keilte – um ein Bild vom Seeleben zu entnehmen – durch die Aufmunterung eines großen Knotenstockes Kenntnisse in unsere Köpfe, wie der Kalfaterer das Werg in die Ritzen eines Schiffes. Bei einer solchen Methode machten wir erstaunliche Fortschritte; und was auch sonst immer meine minder wünschenswerthen Talente gewesen sein mögen, so hatte doch mein Vater keinen Grund, über die Mangelhaftigkeit meiner klassischen Bildung zu klagen. Fähiger, als die meisten meiner Mitschüler, nahm ich mir selten die Mühe, mein Pensum früher, als bis es zur Klasse ging, zu lernen. Freilich siel auch »des Herrn Segen«, wie wir es nennen, gelegentlich auf mein geweihtes Haupt, doch war mir das eine Kleinigkeit, denn ich besaß zu viel Stolz, um nicht mit meinen Mitschülern gleichen Schritt zu halten, und zu faul, um mehr zu thun.
Wäre mein Schulmeister ein unverheiratheter Mann gewesen, so hätte ein längeres Bleiben unter seiner Aufsicht zu meinem Vortheil ausschlagen können; doch zum Unglück sowohl für mich, als ihn selbst, hatte er eine Lebensgefährtin, deren durchaus unglückliche Gemüthsbeschaffenheit zur Verderbniß der Sitten beitrug, über welche mit der gewissenhaftesten Sorge zu wachen ihre Pflicht gewesen wäre. Ihre herrschenden Leidenschaften waren Argwohn und Geiz, die sich in ihren stechenden Augen, wie in ihrer scharfgespitzten Nase auf's Deutlichste ausprägten. Nie hielt sie uns für fähig, die Wahrheit zu sprechen; natürlich gaben wir uns deßhalb auch keine Mühe, eine nutzlose Tugend auszubilden, und hielten uns nur an dieselbe, wenn sie uns zweckdienlicher erschien, als die Lüge. Diese Eigenschaften der Frau Higginbottom verkehrte unsere Offenheit und Ehrlichkeit in Betrug und Verstellung. Da man uns nichts glaubte, lag uns auch wenig an der Genauigkeit unserer Aussagen, und da die geizige Bestie uns halb verhungern ließ, so waren wir nicht gar zu ängstlich in der Wahl von Mitteln und Wegen, unsern Appetit zu stillen; wir wurden deßhalb unter ihrer Leitung eben so große Meister in der eleganten Kunst, zu lügen und zu stehlen, als unter der ihres Gemahls im Lateinischen und Griechischen.
Ein großer Obstgarten, Felder, Gärten und ein Hühnerhof, welche zum Hause gehörten, standen unter ihrer Oberaufsicht, und sie erwählte einen von uns Jungen zu ihrem ersten Minister und vertrauten Rathgeber. Dieser Junge, für dessen Erziehung seine Eltern sechzig bis achtzig Pfund jährlich zahlten, durfte seine Zeit damit hinbringen, nach dem abgefallenen Obste zu sehen, die Hühner zu überwachen und ihre Eier einzusammeln, wenn ihre gackernden Kehlen die glückliche Zutageförderung derselben verkündeten; er durfte die Brut der jungen Hühner und Enten, et hoc genus omne, beaufsichtigen – kurz, die Pflicht desjenigen thun, den man auf einem Pachthofe in der Regel den guten Michel nennt. In wie weit die Eltern mit dieser Einrichtung zufrieden gewesen waren, überlasse ich dem Urtheile meiner Leser; aber uns, die wir lieber mit den Händen, als mit dem Kopfe arbeiteten, uns lieber herumtummelten, als still da saßen, kurz, jedes Feld lieber bearbeiteten, als das unseres Geistes, behagte dieses Leben ungemein, und gewiß war nicht leicht ein Staatsamt Gegenstand so vieler Bemühungen und Intriguen, als für uns Schuljungen die Stellung des Sammlers und Oberaufsehers über Eier und Aepfel.
Ich hatte das Glück, bald für diesen wichtigen Posten erwählt zu werden, und das Unglück, es bald darauf durch die Umtriebe und den Neid meiner Mitschüler, wie durch den Argwohn derer, die mich angestellt hatten, wieder zu verlieren. Als ich das Amt übernahm, hatte ich mir auf's Aufrichtigste vorgenommen, ehrlich und wachsam zu sein; aber was sind gute Entschlüsse, wenn sie auf der einen Seite durch argwöhnische Herabsetzungen entmuthigt und auf der andern von hungriger Lüsternheit bestürmt werden?
Die Morgeneinsammlung wurde mir bis auf die letzte Nuß abgepreßt, und die gierigen Augen der Frau Lehrerin schienen immer noch nach mehr zu forschen. So unschuldig beargwohnt, wurde ich aus Rache schuldig, endlich aber ertappt und meines Amtes entsetzt. Mein Nachfolger ward ernannt; ich übergab ihm alle mir übertragenen Funktionen, und da ich vollkommene Muße hatte, so machte ich es mir zum einzigen Geschäfte, ihn auszustechen.
Ich beschäftigte mich damals mit einem mathematischen Lehrsatze, der, obgleich er nicht im Euclid stand, die Wahrheit aussprach: wo du deinen Kopf hineinbringen kannst, folgt auch der ganze Körper nach. Um mir diesen Satz praktisch zu veranschaulichen, steckte ich meinen Kopf durch das runde Loch der Hühnerhausthüre, und indem ich einigen Unrath bei Seite scharrte, ward es mir möglich, hineinzukommen und schnell alle Eier in meinen Koffer zu spediren. Kam der neue Aufseher, so fand er einen Bettel, und auch seine Wanderungen im Obstgarten waren aus demselben Grunde ebenso fruchtlos. Den Raub im Obstgarten betrachtete ich als mein rechtmäßiges Eigenthum, doch wenn ich eine hinreichende Anzahl von Eiern gesammelt hatte, um ein Nest damit ausstatten zu können, so benachrichtigte ich die Frau Lehrerin von der angeblichen Entdeckung. Jetzt glaubte sie, keine gute Abänderung getroffen zu haben: mein Nachfolger wurde entlassen und ich wieder zu Gnaden angenommen. Es ging mir, wie manchem größeren Manne: ich wurde sogleich wieder in mein Amt eingesetzt, als man sah, daß man ohne mich nicht existiren konnte. So ward ich denn noch einmal und mit größerer Macht, als ich sie vor der Ungnade besessen, Lordkanzler des Hühnerhauses und oberster Direktor des Obstgartens. Hätte die Frau Schulmeisterin nur halb so scharf in mein Gesicht, als in meinen Hut voll Eier gesehen, so würde sie darin meine Schuld gelesen haben, denn in jenem ungeheuchelten Alter konnte ich erröthen, eine Gewohnheit, welcher ich seitdem im Verlauf meiner Berufsgeschäfte längst den Laufpaß gegeben habe.
Um mir meinen Kredit und meine Stellung zu bewahren, begnügte ich mich nicht länger mit dem abgefallenen Obste: ich unterstützte die Natur in ihren Arbeiten, indem ich manchem Obstbaum ein Bedeutendes von seiner wuchtenden Last abnahm und auf diese Weise nicht nur den Geiz der Frau Lehrerin auf ihre eigenen Kosten befriedigte, sondern auch für meinen eigenen Gebrauch einen Vorrath anlegte. Bei meiner Wiedereinsetzung in's Amt hatte ich einen hinreichenden Fonds in meiner Schatzkammer, um alle laufenden Bedürfnisse zu befriedigen, und durch eine vorsichtige und fleißige Vorausnahme war ich in den Stand gesetzt, sowohl den Argwohn meiner Mandaten einzuschläfern, als auch jeder Opposition Trotz zu bieten. Man wird wohl voraussehen, daß einem Burschen von meinem Scharfsinn kein technischer Handgriff zu betrügerischen Zwecken verborgen blieb. Ich beschmutzte die Stiele derjenigen Früchte, welche ich ablieferte, mit Erde, daß man glauben mußte, sie seien von selber heruntergefallen. So ward ich in wenigen Monaten durch die verkehrte Behandlung von Seiten derer, denen ich zur Befestigung in der Religion und Tugend übergeben war, ein ausgemachter Spitzbube.
Zum Glück für meine weitere Erziehung behielt ich dieses ehrenvolle und einträgliche Amt nicht zu lange. Eines von jenen unglücklichen Wesen, welche man Unterlehrer nennt, guckte in meinen Koffer und denuncirte mich alsbald bei den höhern Behörden, um sich bei der Frau Lehrerin sowohl als bei den Schülern beliebt zu machen. Die Beweise meines Unterschleifes waren zu augenfällig, und der Betrug zu bedeutend, als daß man die Sache mit Stillschweigen übergehen konnte; ich wurde im Verlauf einer halben Stunde verhört, überführt, für schuldig erklärt, verurtheilt, gepeitscht und meines Amtes entsetzt. Meine Schmach wurde sogar noch dahin erhöht, daß man mich für unwürdig erklärte, jemals bei irgend einem Geschäfte, sei es nun im Garten oder im Pachthofe, einen Dienst zu verrichten. Auf der Liste bekam ich den letzten Platz, und man hieß mich den schlechtesten Jungen in der Schule.
Von manchem Gesichtspunkte aus betrachtet, war dieß nur zu richtig; doch gab es noch einen anderen Jungen, der sich wohl anließ, auf dem Felde der Spitzbüberei mein Rival zu sein; er hieß Tom Crauford und wurde von Stund an mein Busenfreund. Tom war ein geistreicher, für Alles fähiger Knabe; er liebte, obgleich nicht bösartig, den Unfug und zeigte sich stets bereit, bei allen Gelegenheiten mit mir durch Dick und Dünn zu gehen; auch muß ich zur Steuer der Wahrheit gestehen, daß ich Beschäftigung genug für ihn fand. Ich warf die Verstellung von mir und verlachte jetzt jede Ermahnung zur Besserung, die ich nicht nur für unnütz erklärte, sondern sogar für das sicherste Mittel hielt, mir den Spott und die Verachtung meiner Kameraden zuzuziehen, indem ich mich fortan zu dem Motto irgend eines großen Mannes bekannte: »Lieber sein, als scheinen.« Ich leitete jedes gefahrvolle Unternehmen, erklärte allen Gimpeln und halben Maßregeln den Krieg und stahl alles Eßbare aus Obstgarten und Hühnerhaus, denn ich wußte zum Voraus, daß der Verdacht jedenfalls auf mich fiel, ich mochte es gethan haben oder nicht. Von jetzt an wurde jede verschwundene Frucht, jeder auf Tauben abgeschossene Pfeil, jeder in ein Fenster geworfene Stein, jede Bespritzung der zum Trocknen aufgehangenen Wäsche Tom und mir auf Rechnung geschrieben; und bei der gewohnten Raschheit der willkürlichen Polizei war der Zeitraum zwischen Verdächtigung und Züchtigung sehr kurz – wir wurden stets vor den Schullehrer gebracht und regelmäßig mit »seinem Segen« entlassen, bis wir denn endlich gegen Schläge und Schande gänzlich abgehärtet waren.
So wurden durch die Habgier dieses Weibes, welche wie ein Alp auf uns lastete, und durch die Dummheit des Lehrers, der in Allem, das Griechische und Lateinische ausgenommen, ein Esel war, meine guten Grundsätze beinahe mit der Wurzel ausgerottet und an ihre Stelle Samen ausgestreut, der sehr bald eine reiche Ernte trug. Vor Kurzem war ein junger Mensch aus Ostindien in unsere Schule eingeführt worden, dem wir den Spitznamen Johnny Pagoda gaben. Dieser Bursche, der ungefähr neunzehn Jahre zählte, war durch nichts ausgezeichnet, als durch Unwissenheit, Unverschämtheit, große persönliche Stärke und, wie wir wenigstens glaubten, durch Entschlossenheit. Eines Tages brachte er den Schulmeister durch den Mangel seines Begriffsvermögens und durch seine Unaufmerksamkeit gegen sich auf, und der Knotenstock fiel auf sein Haupt. Diese Ermunterung, obgleich an den am wenigsten empfindlichen Theil seines Selbstes erlassen, weckte den schläfrigen Asiaten aus seinem gewöhnlichen Phlegma. Im Nu war die Waffe dem verblüfften Pädagogen aus der Hand gerissen und schwebte über seinem Haupte, so daß er, als er das Blatt so plötzlich gewendet sah, um Hülfe rief. Ich klatschte in die Hände und schrie aus Leibeskräften: »Bravo! schlag zu, Johnny – es gilt – du hast einmal angefangen – 's ist eins, ob du für ein Schaf oder für ein Lamm gehangen wirst!« aber die Unterlehrer rannten von allen Seiten herbei, die Schüler hielten sich im Hintergrunde, und Pagoda, der nicht wußte, auf welche Seite die Neutralen sich schlagen würden, streckte das Gewehr, auf Gnade und Ungnade sich ergebend.
Hätte der Ostindier seiner Widersetzlichkeit auch eine Züchtigung des Oberhauptes der Schule folgen lassen, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß ein allgemeiner Aufruhr, dem des Masaniello vergleichbar, daraus entstanden wäre; doch die Zeit war nicht gekommen. Der Indier entfaltete die weiße Fahne, ward ausgelacht, gepeitscht und seinen Eltern zurückgeschickt, die ihn zu einem Rechtsgelehrten bestimmt hatten; doch da sie voraussahen, daß sie, nach diesen Ereignissen zu schließen, den Bock zum Gärtner setzen würden, wenn sie auf ihrem Entschlusse beharrten, so schickten sie ihn auf die See, wo seine Bravour, falls er welche besaß, vorteilhaftere Beschäftigungen finden konnte.
Dieser erfolglose Versuch des jungen Orientalien war der ursprüngliche Grund zu meinem späteren Namen und Ruhme. Stets hatte ich die Schulen gehaßt, doch diese schien mir vor allen andern hassenswürdig. Johnny Pagoda's Emancipation überzeugte mich, daß auch meine Befreiung sich in ähnlicher Art bewerkstelligen ließe. Die Mine war gelegt, ein Funke ließ sie sprengen. Diesen Funken trugen die Thorheit und Eitelkeit eines fetten französischen Tanzmeisters herzu. Die Franzosen sind doch stets die Quelle alles Uebels. Die Frau des Schulmeisters, Mrs. Higginbottom, hatte mich Monsieur Aristide Maugrebleu als ein mauvais sujet bezeichnet, und er, eine Creatur dieser Dame, quälte mich deßhalb, um bei ihr einen Stein im Brette zu gewinnen. Dieser Mensch war ungefähr fünfundvierzig Jahre alt und hatte mehr Erfahrung als Behendigkeit, denn das Roastbeef und Ale von England hatte ihm etwas Massenhaftes gegeben. Neben den Rigadons seines Vaterlandes, die er uns lehrte, verleitete ihn seine Eitelkeit auch zu Uebungen, die sich mit seiner Schwerfälligkeit nicht vertrugen. Ich trat mit ihm in die Schranken, und schlug ihn in seinem eigenen Handwerk, wofür er seinen Fidelbogen an meinem Kopfe zerschlug. Darauf schickte er sich zu einem glorreicheren Versuch an; er wollte zeigen, daß er sich nicht besiegen lasse, fiel aber leider, da ihm die Achillessehne überschnappte, zu Boden und war von Stund' an als Tanzmeisters hors de combat. Man fuhr ihn in seinem Gig fort, um ihn curiren zu lassen, mit mir aber fuhr man in die Schulstube, um mich zu peitschen.
Dieß kam mir so ungerecht vor, daß ich davonlief. Tom Crauford half mir die Mauer hinaufklettern, und als er glaubte, ich wäre weit genug gekommen, um vor Verfolgung sicher zu sein, zeigte er meine Flucht an, um jeden Verdacht der Mithülfe von sich abzuwenden. Als ich eine Meile gelaufen war, legte ich, um einen Seemannsausdruck zu gebrauchen, bei und begann in meinem Geist eine Rede auszuarbeiten, die ich zur Vertheidigung meines plötzlichen und unerwarteten Erscheinens vor meinem Vater zu halten gedachte, wurde aber auf einmal von dem verwünschten Unterlehrer und einem halben Dutzend der älteren Jungen, worunter Tom Crauford, in meinem Geschäfte gestört. Sie kamen, als ich auf einem Stegholze saß, hinter mir her, machten durch einen Schlag auf die Schulter meinen Meditationen ein schnelles Ende, packten mich beim Kragen und zogen mit mir im Eilmarsche davon. Tom Crauford war einer von denen, die mich hielten, und er übertraf sich selbst im Eifer seiner Vorwürfe über meine abscheuliche Undankbarkeit, dem besten aller Schulherren und der liebevollsten, zärtlichsten und mütterlichsten aller Schuldamen also zu entlaufen.
Der Unterlehrer verschluckte dieß Alles, und ich gab ihm bald noch mehr zu schlucken. Unser Weg ging an einer Pferdeschwemme vorbei, deren Tiefen und Untiefen mir wohl bekannt waren. Ich blickte Tom aus dem Winkel meines Auges an und veranlaßte ihn, mich loszulassen; dann schoß ich, wie eine Makrele aus eines Fischers Hand, in's Wasser, ging bis zum halben Leibe hinein und machte sofort mit vieler Kälte, denn es war November, Front, um meine Escorte zu betrachten, die am Ufer stand und Maulaffen feil hielt. Gleich einem niederträchtigen Köter, wenn er nicht länger bellen kann, legte sich der Unterlehrer auf's Schmeicheln; er bat, er beschwor mich, »an Papa und Mama zu denken; wie unglücklich sie wären, wenn sie mich jetzt sehen könnten, und wie sehr ich durch die Ungeberdigkeit meine Strafe selbst schärfe.« Ueberredung und Drohungen wechselten beständig mit einander ab; kurz, er versprach Alles, nur nicht eine Amnestie, auf welche ich das größte Recht zu haben glaubte, weil man mich durch die grausamste Verfolgung zum Aufruhr getrieben hatte.
Da seine Reden nichts fruchteten und keine Freiwilligen sich zeigten, um mich aus dem Wasser zu holen, so sah sich der arme Unterlehrer ganz gegen seine Neigung gezwungen, das Wagniß selbst zu unternehmen. Er zog Schuhe und Strümpfe aus, krampte seine Hosen auf und wagte es, erst den einen und hernach den andern Fuß in's Wasser zu setzen. Ein kalter Schauer ergriff ihn, und seine Zähne klapperten; endlich aber nahte er sich mir mit vorsichtigen Tritten. Da ich einmal im Wasser war, so kam es mir auf einen oder zwei Schritte weiter nicht an, zumalen ich wußte, daß ich jedenfalls tüchtige Prügel bekommen würde. Unter allen Umständen war dieß eine ausgemachte Sache, und so beschloß ich denn, in der Rache meine Freude zu suchen. Ich trat zurück, er folgte mir, und als er einen Schritt gegen mich that, fiel er plötzlich bis über die Ohren in ein Loch. Mir ging bereits das Wasser über den Kopf, aber ich konnte schwimmen trotz einer Ente; sobald er daher wieder heraufkam, kniete ich ihm auf die Schultern, legte die Hände auf seinen Kopf, und schickte ihn hurtig zum zweiten Mal hinunter. Ich hielt ihn so lange unten, bis er mehr Wasser geschluckt hatte, als jemals ein Pferd, das zur Tränke geführt wurde. Dann erlaubte ich ihm, so gut es gehen wollte, an's Land zu kriechen; und da es sehr kalt war, gab ich den Bitten Tom's und der andern Knaben nach, die da standen und sich vor Lachen über des armen Unterlehrers hülfloses Elend die Seiten hielten.
Nachdem ich meine Freude gehabt hatte, kam ich heraus und übergab mich freiwillig meinen Feinden, die mir die gleiche Gnade gewährten, wie der Türke dem Russen. Triefend naß, frierend und mit Schlamm bedeckt, wurde ich zuerst den Schülern als Inbegriff alles Bösen in der Natur gezeigt; dann kam eine Vorlesung über die Unermeßlichkeit meines Verbrechens an die Reihe, und feierliche Prophezeihungen meines zukünftigen Schicksals beschlossen die Rede. Von dem schüttelnden Froste, den das kalte Bad herbeigeführt hatte, wurde ich durch eine so tüchtige Geißelung, als sie nur möglich war, befreit. Zwei Unterlehrer hielten mich, doch ihre Anstrengungen waren nicht im Stande, mir auch nur einen einzigen Seufzer zu erpressen. Meine Zähne bissen sich in dem festen Vorsatz der Rache zusammen; grimmige Wuth brannte in meinem Busen und setzte mein Gehirn in Flammen. So furchtbar streng aber auch diese Züchtigung war, so hatte sie doch eine gute Folge – sie stellte meine beinahe erstorbene Lebensthätigkeit wieder her, und auf's Ernstlichste rathe ich, allen den jungen Damen und Herren dieses Mittel angedeihen zu lassen, die sich aus verschmähter Liebe oder wegen anderer derartigen Lappalien in's Wasser stürzen. Hätte man den unglücklichen Unterlehrer nach dieser Vorschrift behandelt, er wäre dem kalten und rheumatischen Fieber entgangen, das ihn beinahe auf den Kirchhof brachte, von wo er aller Wahrscheinlichkeit nach zur Sektion im St. Bartholomäus-Hospital erstanden wäre.
Um diese Zeit kam Johnny Pagoda, der zwei Jahre auf der See gewesen war, in das Schulhaus, um seinen Bruder und seine Kameraden zu besuchen. Ich pumpte an diesem Burschen, und er mußte mir Alles erzählen, was er wußte. Er versuchte mich weder zu täuschen, noch zu bekehren, denn er hatte genug vom Leben des Seekadetten gesehen, um nicht zu wissen, daß der Krankenverschlag kein Paradies ist; indeß gab er mir doch auf meine Fragen bestimmte und deutliche Antworten, aus denen ich entnahm, daß auf dem Schiffe kein Schulmeister sei, und daß man dem Seekadetten täglich eine Pinte Wein verabfolge. Das Kriegsschiff und der Galgen, sagt man, verschmähen nichts; und da ich nach den neuesten Ereignissen eine starke Ahnung hatte, ich werde, wenn ich mich nicht freiwillig für das Eine erklärte, aller Wahrscheinlichkeit nach für den Andern gepreßt werden, so wählte ich das kleinere von zwei Uebeln. Sobald ich mit mir selbst im Reinen und entschlossen war, in diesen glorreichen Stand zu treten, theilte ich auch ehestens meinen Eltern diese Absicht mit.
Von dem Augenblicke an, als ich diesen Entschluß gefaßt hatte, machte ich mir nichts daraus, jede Unthat zu begehen, in der Hoffnung, aus der Schule geworfen zu werden. Ich schrieb Pasquille, stiftete eine Meuterei an, und schloß mit den andern Knaben einen Bund, jeden nur erdenklichen Unfug durch Wasser, Feuer und Zertrümmerung zu begehen. Tom Crauford war Kindsmagd eines zweijährigen Sprößlings des Schulmeisters; er ließ ihn, jedoch nicht absichtlich, fallen, aber der arme Balg wurde Zeitlebens ein Krüppel. Unter andern Umständen hätten wir diesen Unfall bedauert, hier hatten wir beinahe unsere Freude daran.
Die grausame Behandlung von Seiten dieser Leute hatte mich dermaßen demoralisirt, daß Leidenschaften, welche bei einer geschickteren und gütigeren Leitung mir entweder unbekannt geblieben wären oder blos im Keime geschlummert hätten, zu unbeschränkter und boshafter Thätigkeit geweckt wurden; ich war als ein gutherziger Knabe in die Schule gekommen und verließ sie als ein Kannibale. Der Unfall mit dem Kinde ereignete sich zwei Tage vor den Ferien, und wir wurden deshalb sammt und sonders schon am folgenden Tage entlassen. Als ich nach Hause kam, erklärte ich meinen Eltern, wie dies schon früher brieflich geschehen war, jetzt auch mündlich, daß ich entschlossen sei, zur See zu gehen. Meine Mutter weinte, mein Vater zankte. Fühllos und mit kalter Gleichgültigkeit hörte ich sowohl auf die Bitten des einen, als auf Gründe und Beweisführung des andern Theiles. Man ließ mir die Wahl zwischen andern Schulen, wo ich als Hospes eintreten und dann die Universität beziehen könnte, wenn ich nur meine unglückselige Verblendung aufgebe – aber umsonst; der Würfel war geworfen und der Wurf hatte für die See entschieden.
Welcher Narr war es doch, der die Schulzeit die glücklichste des Lebens nannte? Es mag wohl Ausnahmen geben, aber allgemein anwendbar ist dieser Ausspruch nicht, denn so stürmisch auch mein Leben war, den elendesten Theil desselben (mit sehr wenigen Ausnahmen) durchlief ich in der Schule, und nie wurde mein Gefühl durch irgend eine Scene des Lasters und Unfugs aus meinem späteren Leben so tief gekränkt, als durch jene schamlose Behandlung, wie durch das böse Beispiel, das mir dort gegeben wurde. Wenn mein Busen in teuflischen Leidenschaften entbrannte, wer war Schuld daran? Wie hatte der Schullehrer sein feierlich gegebenes Versprechen gehalten? Wurde ich nicht zuerst dem schmutzigsten Geize geopfert und später aus Rache fast lebendig geschunden? Ueber die unfläthige Art und Weise, wie unsere Speisen bereitet wurden, kann ich nur sagen, daß schon die Erinnerung daran mir Ekel erregt; bis auf diese Stunde sind mir Brod und Milch, Schmalzpudding und Hammelschultern Gegenstände eingefleischten Widerwillens. Das Betragen der Unterlehrer, die entweder tyrannische Blutigel oder die Mitschuldigen unserer Verbrechen waren – der durch Unredlichkeit und Fahrlässigkeit der Dienstboten herbeigeführte beständige Abgang an unsern Kleidungsstücken – die Entwendung unserer silbernen Löffel, Bett- und Handtücher, die man bei unserem Abgange unter dem Vorwande der Herkömmlichkeit zurückbehielt – die Anrechnungen für Fensterscheiben, die ich nie zerbrochen, für Bücher, die ich nie empfangen – der schamlose Unterschied zwischen den von dem Schulmeister anfänglich bestimmten Kosten und der später in Rechnung gebrachten Summe – Alles dies hätte meinem Vater denn doch die Augen öffnen sollen.
Ich weiß es wohl, wie ausgezeichnet manche dieser Anstalten sind, und daß es wenige so schlechte gibt, als die, in welche ich geschickt wurde. Meine Lebensgeschichte wird indeß einen Beweis liefern, von welch' wesentlicher Wichtigkeit es ist, den Charakter des Schulherrn und dessen Frau auch in andern Beziehungen zu prüfen, als im Griechischen und Lateinischen, ehe man ein Kind ihrer Fürsorge anvertraut. Ich muß noch bemerken, daß ich während meines Aufenthalts in dieser Schule einige Fortschritte in der Mathematik und Algebra machte.
Nachdem mein Vater mir einen Platz auf einer schönen Fregatte, die vor Plymouth lag, verschafft hatte, wurde von meinen Eltern die Zeit bis zu meiner Einschiffung dazu benützt, mir gute Lehren zu geben und verschiedenen Kaufleuten Aufträge in Beziehung auf meine Equipirung zu ertheilen: der große Koffer, der Säbel, der aufgekrempte Hut, die Halbstiefel wurden eins um's andere bestellt, und ich erwartete die Ankunft irgend eines dieser, sei es nun zum Gebrauch oder Zierrath bestimmten, Artikel, mit einer Ungeduld, die nur mit der einer Schiffsmannschaft verglichen werden kann, die nach dreijähriger Station in Indien auf der Höhe von Dennose angelangt ist und noch vor Sonnenuntergang bei Spithead zu ankern hofft. Meinen Vater beunruhigte mein Entschluß, zur See zu gehen, nur insofern, als derselbe durch den namenlosen Kummer meiner armen Mutter seine häusliche Behaglichkeit beeinträchtigte, da ihn die Wahl meines Standes in keiner andern Beziehung betrübte. Ich hatte einen älteren Bruder, der die Familiengüter dereinst übernehmen sollte. Er befand sich damals in Oxford, wo er eine standesgemäße Erziehung genoß und sein Geld wie ein Gentleman ausgeben lernte. Jüngere Brüder hat man in solchen Fällen gern weit weg, besonders einen von meinem aufbrausenden Temperamente, und ein Kriegsschiff hat dann nicht minder seine guten Seiten, wie ein gewisses anderes Stück Zimmerholz. Mit philosophischem Gleichmuthe bezahlte mein Vater alle Rechnungen und setzte mir einen für mein Alter ansehnlichen Jahresgehalt aus.
Die Stunde der Abreise rückte immer näher heran; mein Koffer war mit dem Plymouther Wagen abgeschickt und die Miethkutsche, die mich nach dem Weißen-Pferd-Keller bringen sollte, fuhr vor. Das Aufschlagen des rasselnden Wagentrittes überwältigte vollends den geringen Rest von Festigkeit, den meine Frau Mama bis zum Abschiede aufbewahrt hatte, und mit einem Schmerze, der an Wahnsinn gränzte, schlang sie ihre Arme um meinen Hals. Ich betrachtete die Ausbrüche ihrer Rührung mit einem Gesichte, so regungslos wie das Kopfbild eines Schiffes; sie aber bedeckte mein stoisches Antlitz mit Küssen und wusch es mit ihren Thränen. Ich wunderte mich beinahe, was dies Alles bedeuten sollte, und wünschte nur, die Scene wäre vorüber.
Mein Vater half mir aus dieser Verlegenheit, indem er mich beim Arme faßte und zur Stube hinausführte: meine Mutter sank auf das Sopha und hüllte ihr Gesicht in ihr Taschentuch; ich aber schritt so langsam, als es die Schicklichkeit nur erlaubte, auf die Kutsche zu. Mein Vater sah mich an, als wollte er meine innerste Seele prüfen, ob ich wirklich menschliche Gefühle im Busen habe. Obgleich noch jung, verstand ich diesen Blick, und mein Gefühl für Schicklichkeit ging so weit, daß ich in jedes Auge eine Thräne preßte, was, wie ich hoffte, dem beabsichtigten Zwecke entsprach. Der Seemann sagt: »Wenn du nicht wirklichen Anstand besitzest, so heuchle ein Wenig;« und ich glaube wahrhaftig, ich hätte mit weniger Kummer meine arme Mutter im Sarge erblickt, als den lustigen, reizenden Scenen entsagt, in deren Vorgenuß ich schwelgte.
Wie oft ist mir dieser Mangel an Gefühl gegen eine zärtliche Mutter vor die Seele getreten, und wie streng ist er in den bewegten Wechselfällen meines Lebens gestraft worden.