Theodor M�gge

Der Pfarrer vom See

Eine Lebensgeschichte.

 

Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil


 

Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de

2024

 

Erster Abschnitt.

Ich bin jetzt ein hoher Siebenziger geworden und das Licht meiner Augen ist so schwach, da� heute, als ich aufstand und in den Spiegel sah, der zwischen meinen Fenstern h�ngt, mein wei�es Haar mir braun erschien, braun wie damals, wo es lang und stark �ber meinen Kopf fiel und ich M�he hatte, es mit dem Bande zusammen zu halten. Ich lachte �ber meinen Irrthum, dann wurde mir weich und wehm�thig um's Herz. Mein Gott! es kamen Gedanken �ber mich, die ich lange nicht gedacht hatte. Ich dachte an meine Jugend, ich dachte daran, da� ich wirklich auch einmal ein junger, rascher Mann gewesen und wie durch einen Winternebel, der Land und See einh�llt, pl�tzlich ein Windsto� f�hrt, der ihn zerrei�t, da� die Sonne ihren hellen Glanz strahlend ausgie�en kann, so standen die Begebnisse meines Lebens vor mir und bildeten eine Kette von Bildern und Gestalten, welche langsam an mir vor�berzogen.

Ich hatte mich in meinen Stuhl gesetzt. Ach, dieser alte, treue Gef�hrte mit seinen breiten In der Vorlage: �bereiten�. Backen und seinem schwarzen verschabten Leder, er schickte mir vielleicht diese Erinnerungen; denn er allein hat mich gekannt und mich begleitet in guten wie in b�sen Tagen. Er wei� Manches von mir, was keiner sonst wei� und was ich in Freude und Leid erfahren, hat er gesehen und geh�rt: meine Seufzer, meine Zweifel, mein frohes Leben und meine Thr�nen. –

Wenn ich todt sein werde, wird das Ungl�ck auch �ber ihn kommen. Niemand wird ihn mehr beachten, Niemand seine Augen mit Wohlgefallen auf ihn heften, denn er ist alt und garstig. Sie werden ihn nehmen, ihn zerschlagen und verbrennen und er mu� es geschehen lassen. K�nnte er sprechen, ihnen die Geschichte seines Lebens erz�hlen, die Geschichte seines alten Herrn, dem er treu gedient, sie w�rden vielleicht mitleidiger sein. Doch nein. Was sollten sie mit ihm? Was k�nnte er n�tzen? –

Nur was n�tzen kann, hat Werth f�r die Menschen, und wir beide sind unn�tz geworden, alter guter Freund, f�r uns bleibt nichts mehr als der Tod mit seinem Frieden und seiner Vergessenheit.

Das dachte ich, als ich in dem Stuhle sa� und mir fiel ein, da� am vergangenen Tage mein Nachbar gestorben war, dr�ben auf dem Schlosse am See, der Baron von Hartenstein, ein Mann, der an zwanzig Jahre j�nger, als ich, noch vor einer Woche hier vor�berritt; ein stolzer gro�er Herr, von m�chtigen Gaben. Er hatte von jung auf dem Staate in vielen Gesch�ften gedient, war als Gesandter durch die halbe Welt geschickt worden, galt als fein und erfahren in Allem was er that, bis er vor zwei Jahren sich auf sein Schlo� zur�ckzog, weil man ihm ich wei� nicht was vorwarf, oder weil er nicht mehr geschickt genug gewesen war.

Als er hier vor�ber ritt, ich in der Laube vor der Th�re sa� und mein schwarzes K�ppchen abnahm, hielt er still und fragte mich, wie es gehe?

Es geht mir gut, mein lieber Herr Baron, sagte ich. M�ge Gott allen seinen Kindern so gn�dig sein wie mir.

Wie alt sind Sie denn jetzt, Herr Pastor? fragte er.

Achtundsiebzig gewesen, antwortete ich freudig, doch immer noch ein warmes Herz.

Ihre Frau ist todt? fuhr er fort.

Seit einem Jahre, antwortete ich. Wir haben beinahe ein halbes Jahrhundert zusammen verlebt, da hat sie mich verlassen.

Leiden Sie nicht in Ihrer Einsamkeit?

Ich leide wie es Menschen bestimmt ist, erwiederte ich, aber ich denke an die, welche mein Herr und Sch�pfer abgerufen, um mich zu erwarten und bin getr�stet.

Ihre Augen scheinen schwach zu werden, sagte er mitleidig.

Meine Augen sind schwach, war meine Antwort, aber ich bin ein hochbetagter Greis, es kann nicht anders sein. Gottes G�te ist so gro� f�r mich, da� ich weit gl�cklicher bin, denn Viele. Ich kann noch immer gut sehen, selbst schreiben und lesen; Blumen, B�ume und Himmel sind mir so klar wie in meiner Jugend.

Kinder besitzen Sie nicht? fragte er weiter.

Nein, sagte ich. Ich hatte einen einzigen Sohn, ein liebes, sch�nes Kind, der ist mir fr�h gestorben.

Und jetzt – jetzt sind Sie ganz allein?

Allein mit meiner Gemeinde, erwiederte ich l�chelnd, die es sehr gut mit ihrem alten Pastor meint. Mein kleines Hauswesen bestellt die Tochter des verstorbenen Schulmeisters, Marie, ein gutgeartetes M�dchen.

Haben Sie keine Verwandten? fragte er dann.

Keine, sagte ich l�chelnd, die nach mir ihre H�nde ausstreckten.

Er murmelte etwas wie: ich wei�, ich wei�! dann fuhr er laut fort:

Aber bei Ihrem hohen Alter mu� Ihr Amt Ihnen l�stig und beschwerlich werden. Sie sollten den Abend Ihres Lebens in wohlverdienter Ruhe zubringen.

Meine Arbeit ist meine Ruhe, antwortete ich, mein Frieden liegt in Dem, was Gott mir gew�hrt hat.

So viel Einflu�, unterbrach er mich, und in seiner Stimme lag eine bittere Sch�rfe, w�rde ich vielleicht noch haben, um Ihnen n�tzlich sein zu k�nnen.

Dank Ihnen, Dank, mein bester Herr Baron, sagte ich, mein K�ppchen l�ftend, schenken Sie Ihre F�rsprache den Armen und Bedr�ckten. Ich bin ein reicher und gesegneter Mann, denn ich besitze mehr als ich brauche, und habe keinen Wunsch noch auf dieser Erde, den mein Vater im Himmel mir nicht erf�llt h�tte. Ich f�hle mich noch kr�ftig und kenne Niemanden, der mich ha�t. Unter meinen Blumen und B�umen kann ich jeden Tag mich freuen. Die Kinder kommen zu mir und lieben mich, in welches Haus ich trete, ich bin willkommen. Seit funfzig Jahren wohne ich nun hier; meine Welt hat dies kleine Dach umschlossen und kein Ehrgeiz, kein st�rmischer Wunsch hat mich je daraus vertrieben. Alles was dunkel war, hat der Herr hell gemacht. Alles was er mir auferlegt, hat er mir tragen helfen. Frieden ist in mir, meine Hoffnung ruht auf ihm.

Der Baron reichte mir seine Hand, diese zitterte leise.

Leben Sie wohl, mein lieber Pastor, sagte er. Sie sind gl�cklich, denn Sie haben keinen Wunsch!

Er ritt davon und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Sein Gesicht sah kalt und d�ster aus, vergebens schien die warme Fr�hlingssonne darauf. Der Kummer unbefriedigten Ehrgeizes, get�uschter Hoffnungen, zerst�rter Tr�ume von Hoheit und Macht nagte an ihm und jetzt ist er todt. – Ach, die Menschen, die Menschen! sie jagen nach Gl�ck und opfern dem grausamen G�tzen ihre beste Habe vergebens.

Ich trat an's Fenster und sah �ber den See fort, wo das Schlo� jenseits aus den waldigen H�geln ragt. Deutlich konnte ich die gro�e schwarze Fahne erkennen, welche von dem Th�rme weht. Dann kam Marie herein, die mit dem Verwalter gesprochen hatte, und ich erfuhr allerlei Neues.

Der Baron hat eine gro�e Familie, aber wenig Verm�gen hinterlassen; seine G�ter sind schwer verschuldet, er war kein besonderer Wirth und hat bei seinem gl�nzenden Leben in fremden L�ndern viel verbraucht, weit mehr als er eingenommen. Das ganze Geschlecht ist immer ein stolzes und hochfahrendes gewesen; ach, wie war nicht der, den ich gekannt habe! Nichts achtend, verschwenderisch und wilden Sinnes! Friede den Todten, ja Friede den Todten! Wenn es wahr ist, da� es schlecht im Schlosse dort steht, werden die Lebendigen die S�nden ihrer V�ter zu tragen haben.

Noch Eines hat der Verwalter mir selbst erz�hlt. In der Nacht sind ein Paar Herren aus der Residenz gekommen mit Vollmacht der Regierung, die Papiere des Verstorbenen zu durchsuchen und zu versiegeln. Man besorgt, da� er Memoiren geschrieben habe, und f�rchtet vielleicht, da� sein Unmuth ihn verleitete, allerlei, was Geheimni� bleiben soll, darin auszuplaudern. So will man denn, wie der Verwalter sagt, die Hand darauf legen, damit nichts in die Oeffentlichkeit kommt und die Menschen sehen, wie es die gro�en Herren treiben.

Es w�re aber schade, meinte der Verwalter, wenn so etwas im geheimen Archiv vermoderte; der Baron sei jedoch so klug gewesen wie Einer, und wenn er wirklich Memoiren geschrieben, wie er �fter gedroht, so w�rde er auch daf�r gesorgt haben, da� sie am guten Orte w�ren.

Als er fort war, setzte Marie meinen Stuhl unter den Birnbaum im Garten, brachte meine Pfeife, die Zeitungen von letzter Woche und mein gro�es Augenglas. Dann legte sie auch die B�cher auf den Tisch, welche aus der Stadt mitgekommen waren und holte mir eine Tasse voll kr�ftiger Br�he. Ich versuchte Alles, allein meine Gedanken waren zerstreut; ich lehnte mich in den Stuhl zur�ck, blies den Rauch in die Luft und sah nachdenkend immer wieder �ber den See nach der gro�en Trauerfahne auf dem Thurm.

Der Tod war dort als ein unerwarteter Gast gekommen. Am Abend war der Baron ungew�hnlich heiter gewesen, am Morgen hatte man ihn kalt in seinem Bette gefunden Ich blickte hinauf in den blauen Himmel, an dem kein einziges W�lkchen hing, dann dankend durch das Gebl�tter meines guten alten Baumes in die w�rmende belebende Sonne und leise l�chelnd sah ich meine H�nde an und pr�fte deren Biegsamkeit. Wei� ich denn, ob nicht vielleicht morgen schon, wenn Marie an meine Kammer klopft, Alles darin schweigt? Wei� ich denn, ob diese langsame Hand nicht in wenigen Stunden schon erstarrt ist?

Ich senkte meinen Kopf und dachte wieder an den Baron. Er hat die Begebnisse seines Lebens aufgezeichnet, damit hat er sich besch�ftigt. Ganze Kisten Briefe und Papiere haben die beiden Commissaire unter Siegel gelegt und eingepackt; mitten in seinen Arbeiten hat ihn der Tod fortgenommen, aber die Leute bedauern dies als einen wichtigen Verlust, und der junge Verwalter Heinrich sagte mit seiner Jugendlebendigkeit:

�Eigentlich sollte jeder Mensch eine Lebensbeschreibung hinterlassen. Gedruckt brauchte das Meiste nicht zu werden und weit herum bekannt auch nicht; allein Jeder erlebt doch wohl Einiges, was seinen Nachkommen und seinen Freunden wichtig oder anziehend ist und in solcher Nachlassenschaft eines Todten spiegeln sich auch Sitten, Zust�nde und mancherlei menschliches Leben und Treiben ab, dessen Niemand weiter gedenkt. Wir w�rden eine ganz andere Kenntni� von dem Leben unserer Vorfahren haben, wenn die Leute aus dem Volke Memoiren schrieben, nicht blos einzelne gro�e Herren. Sogar die Geschichtsschreiber k�nnten Mancherlei dabei gewinnen.�

Ich l�chelte, als mir nun einfiel, ich k�nnte damit den Anfang machen, denn was der junge Mann sagte, hatte etwas Verst�ndiges; allein wem sollte ich die Aufzeichnungen �ber mein stilles Dasein hinterlassen? Ich, der ich keine Kinder habe, die das lesen und dabei denken k�nnen, dies ist das Lebensbuch meines Vaters oder Gro�vaters, der ich auch keine Verwandten habe, welche sich daran zu erfreuen verm�chten, wer soll diese wenigen Bl�tter beachten und aufheben, welche das Schicksal eines armen kleinen H�uschens und des d�rftigen Greises, der es bewohnt, enthalten?

Doch wenn �berhaupt Wahrheit in den Bemerkungen meines jungen Freundes liegt, da� es gut und n�tzlich sei, wenn auch das bescheidene Leben seine Freuden und Leiden aufzeichne und hinterlasse, warum soll ich dann nicht den Versuch wagen und meine Nachbarn, die Kinder meiner Gemeinde und meinen jungen Rathgeber selbst zum Erben einsetzen? O, diese Erbschaft wird unangefochten bleiben; keine Regierung wird Jagd darauf machen, Niemand wird sie gef�hrlich finden und kein geheimes Archiv sich f�r sie aufthun.

Der Gedanke, meine Lebensgeschichte zu schreiben, wurde nach und nach so stark in mir, da� ich �ber die Heftigkeit endlich selbst erstaunt war, mit der ich wiederholt nach meiner guten Marie rief, welche nicht sogleich h�rte. Es war mir, als h�tte ich keine Zeit zu verlieren und d�rfte ich keinen Tag l�nger s�umen, wenn ich mein Vorhaben ausf�hren wolle. Die wehende schwarze Fahne schien gegen mich hergetrieben zu werden, ich glaubte, einen dunklen Arm zu sehen, der sich �ber den See nach mir ausstreckte. Und wenn er mich ergriffe und mein Herz darunter still st�nde, sagte ich l�chelnd, w�re dann meine ganze Geschichte nicht in diesem wei�en Haar und in diesen Falten zu lesen? Ein armer Greis, den sie hinaustragen und seine Th�r zuschlie�en, ein Dorfpfarrer, dem die kleine Gemeinde weinend folgt, an dessen schmucklosem Sarg die Kinder knien und dem die Alten zitternd nachrufen: Er war unser Freund! Ist das nicht genug Geschichte? –

Doch nein, nein, fuhr ich fort, es ist doch Einiges in meinem Leben, das, wenn sie es lesen, belehren, aufrichten und Vertrauen geben kann, doch Einiges, wobei sie meiner mit neuer Liebe gedenken werden. Und ich richtete mich auf und rief nochmals:

Marie, komm her! Komm her, gute Marie!

Dies Mal hatte sie meinen Ruf geh�rt. Sie kam aus der K�che, trocknete sich die H�nde an ihrer Sch�rze und sah ganz erschrocken aus.

Ach, lieber Herr Prediger, was ist denn geschehen? fragte sie. Soll ich den Doctor holen? Er ist eben hier vor�ber auf's Gut gefahren.

Nichts ist geschehen und nichts sollst Du holen, sagte ich, als Papier und das Schreibzeug von meinem Pulte.

Sie sah mich an, als begriffe sie es nicht.

Hole es nur, fuhr ich vergn�gt fort, es soll Dein Schaden nicht sein.

Lieber Herr Prediger, stotterte sie und die Thr�nen schossen in ihre hellen blauen Augen, Sie werden doch nicht – ach nein, ach nein!

Ich wu�te, was sie meinte; sie meinte ich wollte meinen letzten Willen aufschreiben, wie es gehalten werden sollte bei meinem Begr�bni�, und ich streckte meine Hand nach ihr aus und dr�ckte sie.

Nicht doch, meine gute Marie, sagte ich, mit dem Sterben hat es noch Zeit und was dann geschehen soll, ist l�ngst geschrieben und besiegelt. Ich will noch leben, mein Kind, aber ich will Dir hinterlassen, was ich erlebt habe, Dir und Heinrich, dem jungen Verwalter.

Sie wurde blutroth, wie ich das sprach und lie� den Kopf ein wenig sinken.

Ja, so soll es geschehen, fuhr ich fort. Jeden Abend will ich Dir vorlesen, was ich geschrieben und wenn er zuh�ren will, soll er auch kommen, das kannst Du ihm sagen. Jetzt hole mir das Schreibzeug.

Sie sagte kein Wort mehr, lief eilig davon, brachte was ich verlangte und lie� mich allein. Ich nahm die Feder und pr�fte sie, dann nahm ich das Papier, sie hatte mir ein ganzes Buch gebracht.

Das ist ein gutes Zeichen, fl�sterte ich mir l�chelnd zu, sie m�chte viel von mir h�ren, aber ich habe wenig zu geben.

Ich mu� kurz sein, denn meine Hand zittert und die Buchstaben werden sehr gro� und schief werden, die Feder Flecken machen: o, da ist schon einer! – Gleich beim Anfange ein gro�er m�chtiger Fleck, fast wie ein Kreuz und schwarz wie das Grab. Das ist der Denkstein, den ich mir selbst setze. – So will ich denn beginnen:

 

In einem kleinen St�dtchen wurde ich geboren, es liegt wenige Stunden von hier und hei�t Daber.

Mein Vater war aus dem Reiche bei Bamberg zu Haus. Preu�ische Werber hatten ihn aufgegriffen, wie er als Schuhmacher wanderte, sie brachten ihn gebunden zu einem Regiment des gro�en K�nigs, da mu�te er den ganzen siebenj�hrigen Krieg mitmachen und wu�te viel davon zu erz�hlen. Sein Hauptmann war ein Herr von Winning und sein Lieutenant ein Herr von Daber, dem er das Leben gerettet hatte in der Torgauer Schlacht. Diese beiden Herren blieben ihm gewogen, und als der Krieg ein Ende nahm, wurde mein Vater Sponton-Unteroffizier und trug die Regimentsfahne, worauf er bis an sein Lebensende sehr stolz war.

Er hatte aber drei Finger von seiner linken Hand verloren und einen Schu� durch sein rechtes Bein erhalten, das ihm zuweilen viele Schmerzen machte. Der gro�e K�nig gab seinen alten Soldaten, wenn es nicht mehr mit ihnen gehen wollte, gew�hnlich nichts weiter als den sogenannten Gnadenthaler; meinem Vater stand daher eine traurige Zukunft bevor; allein der Herr von Daher nahm sich seiner an.

Dieser Herr verlie� den Kriegsdienst und ging auf seine G�ter, wozu auch das Amt Daher geh�rte, denn sein Vater hatte das Zeitliche gesegnet. Er nahm meinen Vater mit und machte ihn zum Schulmeister, indem er ihm zugleich befahl, die Wittwe des verstorbenen Schulmeisters zu heirathen, damit er dieser nicht noch ein Gedinge zu entrichten habe.

Mein Vater hatte im Regiment Schreiberdienste gethan, war also der Feder gewachsen, wie man es nannte, konnte lesen und rechnen, besa� somit weit mehr Kenntnisse, als die meisten Schulmeister jener Zeit, die gew�hnlich aus den invaliden Corporalen gemacht wurden, wenn sie nur lesen konnten, denn die Schreibekunst wurde damals auf dem Lande nicht gelehrt.

Mein Vater heirathete meine Mutter, weil sein gn�diger Herr es so wollte, aber er kam dadurch auch in ein eingerichtetes H�uschen und meine Mutter war noch keine alte Frau und von gutem Ansehen. Sie lebten in Frieden und vier Jahre nach ihrer Hochzeit wurde ich geboren. Der gn�dige Herr von Daher stand Gevatter und versprach, f�r mich zu sorgen.

Mit dieser Sorge war es jedenfalls so gemeint, da� ich wie mein Vater Soldat werden und endlich einmal in meines Vaters Posten einr�cken sollte. Mein Vater �rgerte sich daher zumeist dar�ber, da� ich nicht recht wachsen wollte und ein schw�chliches, etwas bleiches und sch�chternes Kind blieb; meine arme Mutter aber schlo� mich, wenn wir allein waren und er gescholten hatte, um so z�rtlicher in ihre Arme, k��te mich, streichelte mein Haar und sagte mit bittenden Blicken nach oben:

�Gott sei Dank, er wird nicht Soldat werden m�ssen. Er wird zu klein bleiben, sie werden ihn nicht brauchen k�nnen. O, Gott sei Dank! Gott Preis und Dank!�

Sie hatte einen tiefen Widerwillen vor den Soldaten und ihrem Wesen, und hatte doch einen alten Soldaten zum Manne nehmen m�ssen, weil der gn�dige Herr es so wollte, was sie sonst wohl nimmer gethan haben w�rde. Doch mein Vater behandelte sie meist gut, denn sie war mild und verst�ndig in allen Dingen und hatte ein frommes, weiches Gem�th.

Den Widerwillen gegen das Soldatenwesen hatte ich von ihr geerbt. Jedes Mal, wenn mein Vater davon sprach, da�, wenn ich nur wachsen wollte, ich unter die Grenadiergarde kommen k�nnte, die jetzt der Oberst von Winning commandirte, zitterte ich wie ein Espenlaub; wenn er von den blutigen Schlachten und St�rmen erz�hlte, in denen er gefochten, schlich ich mich fort, denn ich sah die Todten und die Sterbenden und wenn ich Abends in meinem Bette lag, betete ich inbr�nstig zu dem Allm�chtigen, mich doch ja nicht wachsen zu lassen.

In der Schule war ich flei�ig, flei�iger, als mein Vater es w�nschte, der lieber gesehen hatte, da� ich der Erste bei den Spielen und Gefechten meiner Mitsch�ler gewesen w�re. Ich hatte jedoch keine Neigung daf�r, hielt mich meist allein und mein liebstes Vergn�gen war, in der Ruine des alten Ritterschlosses zu sitzen, das dicht bei der Stadt an dem kleinen See liegt. Hier hatten die alten Barone von Daher gehaust und oft selbst den Herz�gen des Landes getrotzt; jetzt wohnte die Herrschaft eine Stunde von uns auf einem gro�en Landsitze, der ihnen besser behagte, als das kleine d�stere und verfallene Haus ihrer V�ter; nichts Sch�neres aber wu�te ich in der Welt, als zwischen dem alten Gem�uer umherzukriechen, bis auf den hohen Thurm und dort mich niederzusetzen, um �ber das weite Land mit seinen W�ldern, Seen und D�rfern zu schauen.

Oftmals haben sie mich dort gesucht und gefunden. Der Vater schalt und drohte, die Mutter aber sagte zu den Nachbarn:

�Mein Friedrich ist doch ein absonderliches Kind�, und wenn die guten Frauen, ihre Freundinnen, dazu nickten und meinten, so sei kein anderes und in mir stecke Etwas, dann wurde sie stolz und froh.

Mein Vater hatte, wie alle Schullehrer in kleinen Orten, auch das K�ster- und Kirchendiener-Amt und hierdurch kamen wir in allerlei Beziehungen zu dem Prediger, der mein Wohlth�ter wurde. Es war ein alter, sehr ehrw�rdiger Mann, der mich lieb gewann, und da er den S�hnen des B�rgermeisters und des Richters Unterricht ertheilte, kam es dahin, da� ich Theil nehmen durfte. Das war die erste Stufe zur Laufbahn meines Lebens.

Ich lernte mit Eifer und wurde sein bester Sch�ler, denn es war ein Drang nach Wissen in mir, der trieb mich vorw�rts, und der alte Prediger schlo� mir die heiligen B�cher und Schriften auf, welche R�mer und Griechen uns hinterlassen haben. Je mehr ich diese Sch�tze kennen lernte, um so mehr wurde ich zu ihnen hingezogen.

Ehe Dies jedoch geschah, kam etwas vor, was noch entscheidender f�r mich war. Der g�tige Greis, dem ich so Vieles dankte, war mir ein Vorbild geworden, das ich mit der ganzen Innigkeit meines kindlichen Herzens verehrte. Er war arm, denn sein Amt brachte wenig ein, dennoch aber lebte er im Ueberflu�, denn seine Bed�rfnisse waren gering, und kein Bittender ging je ohne Trost von seiner Th�r. Sein K�rper wurde von mancherlei Schmerzen gequ�lt, allein sein Geist blieb ungebeugt, und wenn er Sonntags seine schwache Stimme von der Kanzel erhob, wurde sie voll und m�chtig, und sein Angesicht leuchtete von G�te und Menschenliebe; sein Auge blitzte freudig durch den starken Glauben, der seine Seele f�llte. –

An diesem Mann hing meine Mutter mit inbr�nstiger Demuth wie an dem Gerechten des Herrn; mein Vater aber mochte ihn nicht leiden. Erstens, sagte er, macht er einen Kopfh�nger aus dem Burschen, zweitens ist der alte Schwarzrock ein Feind meines gn�digen Herrn, drittens ist er um dessentwegen auch mein Feind.

Der Pastor hatte gegen den Herrn von Daher die Rechte armer Leute aus seiner Gemeinde mehr als einmal muthig vertreten, denn der Freiherr achtete nicht viel anderer Menschen Eigenthum und Willen, wenn sein Wille ihnen entgegenstand. Der alte, geb�ckte Mann f�rchtete ihn jedoch nicht, er drang mit seinen Klagen bis an die Regierung, ja bis an den K�nig selbst und hatte bewirkt, da� wegen barbarischer Mi�handlungen und schweren Unrechts der stolze Edelmann wenigstens zur Geldbu�e gezwungen wurde. Das konnte dieser ihm nicht vergeben.

Mein Vater bestand darauf, da� ich nicht mehr zu dem R�sonneur in's Haus sollte, trotz dessen, da� er K�ster und Untergebener des Pastors war, denn er hing bis zum letzten Hauche an seinem Herrn, dem Baron, mit Leib und Seele; und wer wei�, was geschehen mochte, w�re es nicht unerwartet mit ihm zu Ende gegangen. Er starb wenige Tage darauf, wo der Herr von Daher ihm befohlen hatte, mich zu einem Schneider in die Lehre zu thun, damit ich als Soldat in der Compagnieschneiderei arbeiten und wenn ich Invalide und Schulmeister sei, mein Handwerk nebenbei treiben k�nne.

Den verdammten wei�haarigen Schwarzrock schmei� zur Th�re hinaus, wenn er Dir im Hause umherschn�ffelt, ich will's verantworten, sagte er zu meinem Vater. Marsch mit dem Jungen da, da� er Rock und Hosen flicken lerne und stopfe dem heulenden, alten Weibe den Mund; bist ein tapferer Soldat gewesen, la� sie Dir nicht �ber den Kopf wachsen.

Meinem Vater durfte das kaum noch gesagt werden, um ihn in Wuth zu versetzen. Er redete mit dem Stadtschneider meine Lehrzeit ab, schlug dann auf den Tisch, da� das Licht zu Boden st�rzte, schwor und fluchte, und stie� meine Mutter von sich an die Wand. Es war das einzige Mal, da� er seine Hand gegen sie erhob, auch hat er es sehr bereut, als er Tags darauf auf seinem Bett lag, aber ge�ndert hatte sich sein Sinn nicht. Er starb an einer gichtischen L�hmung der edlen Organe, denn an Gicht litt er viel, und wahrscheinlich hatte er sich an jenem Abend zu sehr im Zorn erhitzt und hatte dann viel getrunken.

Als er den Tod f�hlte, lie� er sich seine alte Uniform anziehen, die Grenadierm�tze wurde ihm auf seinen Kopf gesetzt, so wollte er begraben sein. Zu meiner Mutter bitterster Qual schwur er, keinen Schwarzrock sehen zu wollen und lachte grimmig auf, als sie ihm weinend sagte, da� er ja selbst ein Kirchenmann sei, und da� er an Gott denken solle.

Als Grenadier habe ich gelebt, als Grenadier will ich sterben, rief er und seine gebrochene Stimme meine ich noch zu h�ren. In Euren Himmel will ich nicht, den behaltet f�r Euch; ich gehe auf die gr�ne Wiese, wo die Trompeten blasen.

Er richtete seine gl�sernen Augen auf mich und streckte seine Hand aus.

Her mit Deiner Hand, Fritz, gurgelte er m�hsam, versprich mir, da� Du Deinem K�nige dienen willst.

Ich versprach es ihm zitternd. Er konnte kaum mehr den Mund �ffnen, aber er sah mich stier und schrecklich an und hob seinen Zeigefinger drohend auf.

O Wenzel, schrie meine arme Mutter auf, indem sie weinend an seinem Lager niederknieete, bete, bete zu Deinem Heiland! –

Da �ffnete er noch einmal die Lippen und versuchte zu singen; aber was er sang, war das Siegeslied von der Prager Schlacht. Als er die erste Zeile hervorgesto�en hatte, fiel er zur�ck und war todt.

Ich lag zitternd neben meiner Mutter, die mich in ihren Armen hielt. Doch wie erschrocken und entsetzt, voll Trauer und Thr�nen auch mein kleines Herz war, mitten durch alles Weh brach der Gedanke wie Sonnenlicht: �Jetzt brauchst Du kein Schneider zu werden!�

Und so war es auch. Als mein Vater begraben lag, kam der Herr von Daher und sprach mit meiner Mutter.

H�re Sie, sagte er mit seiner rauhen harten Stimme, jetzt ist Sie zu alt, um noch einmal den neuen Schulmeister zu heirathen, das kann ich keinem Christenmenschen mehr zumuthen. Obenein will ich die Stelle jetzt meinem alten Johann geben. Der kommt im Stalle nicht mehr recht fort und ein Weib hat er schon am Halse. F�r Sie will ich also weiter sorgen, um Ihr durchzuhelfen, da Sie einmal in der Welt ist; aber den Jungen da bringt Sie morgen zum Schneider, da kann er sich loslernen.

Ach, gn�digster Herr Baron, sagte meine arme Mutter zitternd, es ist mein einziges Kind; ich habe sonst keine Freude auf Erden, und Schneider m�chte er nicht werden, und ich m�chte es auch nicht.

Der starkknochige gro�e Herr sah noch grimmiger aus, wie sonst.

Sie ist ein albernes Weib, herrschte er meine Mutter an; doch meinetwegen, so will ich an meinen Vetter, den General schreiben, der kann ihn als Trommelschl�ger in's Regiment stecken.

O, gn�digster g�tigster Baron! rief meine Mutter, die ihre Arme um meinen Kopf legte, ich m�chte ihn nicht von mir lassen.

Will Sie ihn sich einsalzen, lachte er auf. Was will Sie denn aus ihm machen?

Meine Mutter faltete ihre H�nde auf meinem Kopfe zusammen und sagte mit leiser Stimme:

Einen Prediger.

Die Minute, welche dieser Antwort folgte, ist mir deutlich erinnerlich und oft in meinem Leben hat sie sich mir dargestellt. Der Baron war ein riesig gro�er Mann, noch im besten Mannesalter. Er trug, wie es bei Herren seiner Art Sitte war, hohe Stulpstiefel mit Sporen, gelbe, kurze Beinkleider von Leder und einen gr�nen, mit Goldtressen besetzten Rock, der einen hohen Stehkragen hatte. Auf seinem wei�gepuderten Kopfe sa� ein dreieckiger Hut, die langen Spitzen nach seinen beiden Schultern gerichtet, die Agraffe von Goldlitzen mitten auf der Stirn. In der Hand hielt er eine dicke Reitpeitsche, an deren Ende sich ein starker Metallknopf befand.

Als er die Antwort meiner Mutter h�rte, beugte er sich vorn �ber und sah ihr in's Gesicht. Er war ein stattlicher Herr, aber er sah aus, als wolle er etwas Uebles thun. Seine Augen funkelten voll Verachtung und in seinen rohen, unbeweglichen Z�gen lag der gewaltth�tige Zorn, vor dem sich Alle f�rchteten, die in seine N�he kamen.

Einen Prediger? fragte er. Den Jungen da? Wer hat Ihr das in den Kopf gesetzt, altes Weib? Sie ist toll!

Meine Mutter schwieg.

Wer hat Ihr die Dummheit in den Kopf gesetzt? schrie er noch einmal mit seiner Donnerstimme, und zugleich richtete er sich auf; er hatte Augen wie Feuer und ich sah, wie er die Peitsche in seiner Hand aufhob.

Es ist Gottes Wille, fl�sterte meine Mutter.

Aber mein Wille ist es, da� der Junge Schneider wird, fiel er ein, und mein Wille soll geschehen. Gleich auf der Stelle f�hrt Sie ihn zu dem Meister hin.

Ach, mein gn�diger Herr Baron, sagte die alte Frau weinend, erbarmen Sie Sich doch, ich habe es gelobt.

Was hat Sie gelobt? Wem hat Sie es gelobt? rief er. Dem Schwarzrock etwa, dem alten Heuchler? Will Sie ihm den Jungen verkaufen?

Ich habe es Gott dem Herrn gelobt, sagte meine arme Mutter zitternd.

Der Teufel soll Sie daf�r holen! schrie er auf. Marsch mit dem Schlingel, ein n�tzlicher Mensch soll aus ihm werden, kein Betbruder, kein Pfaffe! Marsch, sage ich! Will Sie gehorchen?

Es geht nicht an, gn�digster Herr, nein, es geht nicht an! antwortete meine Mutter mit mehr Muth, als ich erwartet hatte, denn ich war halb todt vor Angst und hielt mich krampfhaft an ihrem Arme fest. Der Herr Prediger ist sein Vormund geworden, ich kann es nicht thun.

Sie will nicht gehorchen? fragte er in einer Wuth, da� ich seine Augen wie bei einem Raubthiere funkeln sah.

Meine Mutter hob ihre H�nde zu ihm auf. In dem Augenblicke fa�te er seine schwere Peitsche verkehrt und schlug nach ihr. Ich sah, wie er ausholte und hielt meinen Arm vor ihr in die H�he. So kam es, da� der Schlag mich traf und der Metallknopf �ber meinen Ellenbogen fort hart auf meinen Kopf fiel. Mit einem Jammergeschrei st�rzte ich nieder.

Allm�chtiger Gott, o Gott! schrie meine Mutter. Mord! Mord! Mein Kind ist todt!

Sie beugte sich nieder; das Blut lief unter meinem Haar hervor. Mit einem neuen Angstschrei hob sie mich auf.

Der Baron stand best�rzt und er h�tte vielleicht Reue gezeigt; aber die Angst meiner Mutter verwandelte sich in Verzweiflung. Ein Reisbesen stand an ihrem Bette, den ergriff sie, und ohne ihre Haube, die ihr abfiel, mit herunterh�ngendem Haar, unter dem Geschrei: mein Kind, mein Kind! M�rder! M�rder! drang sie auf den gro�en starken Mann ein, der sie sogleich entwaffnete und von sich schleuderte.

Bettelgesindel! sagte er dann, halb w�thend halb erstaunt �ber den unerh�rten Angriff, aus dem Hause mit Euch! Ich will es Ihr gedenken.

Er ging sogleich fort und die Folgen blieben nicht aus. Wir wurden von dem Amtsvoigt noch an demselben Tage aus dem Hause geworfen. Zu einer Klage aber kam es nicht, denn der stolze Herr h�tte eingestehen m�ssen, da� des Schulmeisters Weib ihm einen Besenhieb versetzt hatte; sein ganzes Verfahren war dabei von der Art, da� er sich sch�men mu�te, die Wahrheit zu gestehen, und l�gen mochte er nicht, das lag nicht in seinem Wesen.

Der alte Pastor Stangenberg war nun unser einziger Helfer und Freund. Meine Mutter f�hrte mich zu ihm, er h�rte Alles an, besichtigte meine Wunde, welche nicht bedeutend war, tr�stete uns und verschaffte uns eine Dachkammerwohnung in einem Nachbarhause. Ich sehe es noch, wie er meinen Kopf zwischen seine H�nde nahm und sein ehrw�rdiges Gesicht mir zul�chelte.

Mein Kind, sagte er, Du lernst fr�h erkennen, wohin Gewalt und Unrecht die Menschen bringen. Pr�ge Dir diesen Tag fest in Dein junges Herz und nimm Dir vor, besser und gerechter zu sein.

In die Flucht habe ich den b�sen Feind aber doch geschlagen! rief meine Mutter triumphirend und Prediger soll mein Friedrich nun ganz gewi� werden, wenn Sie ihn nicht verlassen.

Sie sprachen weiter zusammen, und ich erfuhr dabei, wie fest meine Mutter in ihren Vors�tzen und in ihrem Glauben war. Zu damaliger Zeit war es das h�chste Gl�ck einer kleinb�rgerlichen Familie, wenn eines ihrer Kinder die Kanzel besteigen konnte. Je weniger reiche Leute und Vornehme daran dachten, ihre S�hne der Kirche zuzuf�hren, je tr�bseliger es um Ansehen und Achtung f�r die armen Candidaten und kl�glich besoldeten Pfarrer stand, je mehr man sie und die Schulmeister zu Gegenst�nden des Spottes und Gel�chters machte, um so sehns�chtiger dachten die Armen daran, da� es ihr Privilegium sei, Schule und Kanzel zu versorgen.

Die Kinder des Adels nahmen die Offizierstellen und die h�chsten Aemter und W�rden in Beschlag, sie lernten selten Etwas und studirten fast niemals, daher verachteten sie die Gelehrsamkeit. Die Kinder der Beamten und des h�heren B�rgerstandes wurden Juristen, Cameralisten oder Mediziner; die Schulmeister und Prediger aber bildeten auch eine Kaste, die mit ihrer Nachkommenschaft sich in die vorhandenen Schulen und Pfarren theilten und diese von Geschlecht zu Geschlecht forterbten. In diese Kaste einzudringen, war f�r die S�hne der Kleinb�rger am leichtesten. War es nur m�glich, einen bef�higten jungen Mann durch die Universit�tsjahre zu bringen, hie� er nur erst Magister und hatte sein Candidaten-Examen abgelegt, so fand sich auch f�r ihn eine Stelle als Hauslehrer, und von dort aus war nur noch ein Sprung bis in das Pfarrhaus zu machen.

Die Gutsbesitzer waren damals �berall auch die Kirchenpatrone, in ihrer Hand lag die Wahl des Geistlichen, die Gemeinden hatten gar keine Stimme, oder doch nur ein scheinbares Recht; denn wer h�tte es gewagt, sich dem Willen der gn�digen Herrschaft zu widersetzen! Der dem�thige Candidat konnte daher darauf rechnen, da� er nach mehr oder minder langj�hrigem Wohlverhalten, je nach seinem Gl�ck und seiner Schmiegsamkeit, auch eine Pfarre erhalten werde, und dann war er versorgt, dann war er ein bestallter Diener des Herrn, dann brauchte er doch nicht wie ein Handwerker zu arbeiten und hatte jedenfalls ein besseres Loos, als dieser.

In den Mittelst�nden und in dem Landvolke lebte auch allein noch ein religi�ses Gef�hl der Achtung vor dem Priester. Aus den Pal�sten und H�usern der Gro�en und Reichen war dies entflohen, die Schwarzr�cke wurden dort belacht und bewitzelt, nur in den Lehmh�tten und unter niedern D�chern fand sich noch ein Theil jener fr�hern Verehrung, obwohl unter dem Drucke der Zust�nde jener Zeit sehr viele Pfarrer daf�r sorgen halfen, da� es auch dort verschw�nde.

Bei alledem gab es jedoch manchen edlen, trefflichen Diener Gottes und der Menschen, manchen trostreichen Helfer in der Noth des Lebens und manch frommes Gem�th, das in dem geistlichen Freund einen Erw�hlten des Herrn sah. Die Frauen besonders blickten auf das schwarze Gewand mit Ehrfurcht und Liebe, und wenn sie M�tter waren und ihr Hauswesen zum Wohlstand sich neigte, gab es keinen sch�neren Traum ihres Hochmuthes, als den, da� ihr Sohn es einst mit Ehren tragen m�chte. Waren sie arm, so flehten sie mit Inbrunst um die Gnade, da� der Herr ihnen den Weg zeige, um ihr Kind so gesegnet zu sehen. Viele Familien, die Etwas erwarben und denen doch ihr liebster Wunsch versagt blieb, machten Stiftungen, damit einst ihre Enkel und Urenkel studiren k�nnten, und noch jetzt finden wir in den meisten derselben, da� wenn einer der Nachkommen sich der Theologie widmen will, ihm die gr��ten Vortheile gew�hrt werden.

Meiner armen Mutter ging es eben so. Der hei�este Wunsch ihres Herzens war, mich in dem schwarzen Talar zu erblicken; ein Vorfall, der sich kurze Zeit vor meines Vaters zeitlichem Ende ereignete, hatte sie darin best�rkt. Sie suchte mich einstmals, �rgerlich �ber mein langes Ausbleiben, und fand mich in den Tr�mmern des Schlosses, an dem Platze, wo die Burgkapelle gestanden haben sollte, wo jetzt aber zwei m�chtige Linden standen. Zwischen diesen hatte ich aus dem umherliegenden Gestein einen Altar gebaut und stand dort predigend vor einer Schaar halbnackter Buben und kleiner M�dchen, die meine and�chtigen Zuh�rer waren. Statt mich zu schelten, weinte die gute Frau Freudenthr�nen, bis sie mich endlich voll stolzer Zuversicht an ihre Brust dr�ckte und mit stillem Triumph nach Hause f�hrte.

Von diesem Tage an stand ihr Glaube fest, und auch jetzt machte sich dieser geltend, als unser Freund, der w�rdige Pastor, alle die Schwierigkeiten erwog, welche sich der Ausf�hrung ihres Planes entgegenstellten.

Gott wird ihm helfen! Der Himmel wird f�r ihn sorgen! Der Herr, welcher die Lilien kleidet und dem jungen Raben sein Futter reicht, wird auch ihn nicht verlassen!

Das waren ihre Antworten, bis der Greis, ergriffen von ihrem inbr�nstigen Vertrauen, seine H�nde auf mein Haupt legte und mit edler Begeisterung ausrief:

Dein Glaube, Weib, wird Berge versetzen! – Segen, Segen �ber Dich, Du gro�m�thiges, tugendhaftes Herz!

Nun half er aus allen seinen Kr�ften, um meiner Mutter Wort zur Wahrheit zu machen; ja, er that f�r mich, was ein Vater nur vermag. Er n�hrte mich und kleidete mich, er unterrichtete mich, bat f�r mich bei den Rathsherren und bei den Wohlhabenden, bis es durch wirksame Vermittelungen gelang, da� ich eine Freistelle auf der gelehrten Schule in Stettin erhielt, wo ich, von meinen Lehrern belobt und beg�nstigt, rasch durch die oberen Klassen ging und endlich als Primus quisque der Selecta, zwanzig Jahre alt, das Zeugni� cum laudo zur Universit�t erhielt.


Zweiter Abschnitt.

Bis hierher hatte ich einige Tage lang geschrieben, als gestern Abend, da es noch hell war, denn wir sind nun in der Johannisn�he, der junge Verwalter Heinrich vom Gute kam, sich zu uns setzte, den Schwei� von seiner Stirn trocknete, seine Pfeife anz�ndete und mit mir und Marien plauderte, die mit ihrem N�hzeug bei mir war.

Er mu�te schon Etwas von dem wissen, was ich that, denn nach einiger Zeit brachte er wieder das Gespr�ch auf die geistige Hinterlassenschaft der Todten f�r die Lebendigen, und meinte, auch er wolle es einst so machen, wenn auch die Nachkommen nichts weiter daraus erf�hren, als wie die Getreidepreise zu seiner Zeit gestanden, und wie man Menschen und Vieh behandelt habe.

Dann lachte er und meinte, darauf k�me ja �berhaupt Alles an, und das h�tte der Baron, da dr�ben im Schlosse, auch nur mit seinen Memoiren erreichen k�nnen, obwohl der eigentlich zeigen wollte, wie man ihn selbst behandelt habe. Die Commissarien h�tten wenig gefunden, trotz allem Suchen. Ein geheimes Schubfach h�tten sie freilich entdeckt, es sei jedoch Nichts darin gewesen, als eine Weste von gestreiftem Zeuge und ein schwarzer Halstuch, beide zerrissen und voller Flecke, die wie Blutflecken ausgesehen. Niemand wisse, was das zu bedeuten habe, und was der Baron damit gethan; auch die gn�dige Frau wisse es nicht, die ganz erschrocken dar�ber sei.

Die Betr�bni� sei �berhaupt gro� im Schlosse. Die Schulden seien gro�, die Pension des Verstorbenen h�re nun auf, und bekommen werde die Wittwe schwerlich noch Etwas, da der Baron so �bel angeschrieben gewesen. Der hochm�thigen Frau aber k�nne es nicht schaden, Jedermann g�nne es ihr, wenn sie gedem�thigt werde, denn nichts habe sie f�r gut genug gehalten und Niemand m�ge sie leiden.

Ich sagte nichts dazu, als Marie kr�ftig einfiel und einzelne Z�ge vom Stolze dieser armen, geschlagenen Dame erz�hlte, die auch mit dem umwohnenden Landadel wenig Gemeinschaft hielt, b�rgerliche Familien aber gar nicht beachtete, und niemals mich der Ehre gew�rdigt hatte, mich zu sehen oder zu sprechen. Sie ist aus hoher, reichsgr�flicher Familie und hat stets nur mit den Stolzesten gelebt.

Das sagte ich endlich zu den Widersachern und bat sie, nicht so hart zu urtheilen.

Jetzt hat sie herben Kummer zu tragen, f�gte ich hinzu, den herbsten, den Gott ihr schicken konnte. Schon als sie ihrem Manne hierher in diese Einsamkeit folgen mu�te, war ihre Seele gewi� mit Bitterkeit �ber ihr Loos erf�llt. Der Glanz war von ihr abgefallen, die sie verehrten, kehrten sich von ihr, und ihre Tage mu�ten wohl dunkel genug sein, denn wie man sagt, liebte sie ihren Gatten nicht und ihre Ehe war keine gl�ckliche. Sollten wir ihr nun noch gr��eren Kummer w�nschen, oder uns �ber ihre Tr�bsal freuen? Beten wollen wir f�r sie, meine lieben Kinder, da� Trost �ber sie komme, und die Hand, welche auf ihr liegt, von ihr genommen werde.

Mein junger Freund l�chelte Marien zu, die sich ein wenig zu sch�men schien, dann strich er durch sein Haar und sprach mit seiner wackern Aufrichtigkeit:

Sie haben immer Recht, Herr Prediger, man soll nicht richten, und da am wenigsten, wo man nicht ehren und nicht guthei�en kann. Aber jetzt, fuhr er dann fort, jetzt, w�rdiger Herr, bitten wir Sie, Ihr Versprechen zu erf�llen und uns den Anfang Ihres Manuscriptes vorzulesen.

Ich weigerte mich nicht, sondern las ihnen vor, und sie h�rten beif�llig zu.

Soll ich es fortsetzen? fragte ich dann.

O, gewi�! riefen sie Beide, und ich sah es wohl, da� sie es herzlich meinten. So habe ich mich denn wieder unter den Birnbaum gesetzt, wohin Marie, ohne da� ich ein Wort gesagt, alles N�thige gestellt hat, und werde weiter schreiben.

 

Ich studirte in Halle, wohin mich ein kleines Stipendium begleitete, das ich so gl�cklich war auf F�rsprache meines liebevollen Wohlth�ters und unter Beihilfe seines Freundes, des Rectors, aus st�dtischen Mitteln zu erhalten. Es bestand aus f�nfzig Thalern j�hrlich, die mir auf drei Jahre gesichert wurden.

Ich will nichts von dem Entz�cken meiner armen Mutter sagen, nichts von ihren Thr�nen und Verhei�ungen, nichts von dem Abschiede, als ich sie und den edlen Greis verlie�, dessen Segen mich begleitete. Als ich an der Th�re war, dr�ckte er mir ein kleines Papier in die Hand, und schob dann rasch den Riegel vor. In dem Papiere lagen drei Goldst�cke und dabei enthielt es die Verhei�ung, da� ich j�hrlich von ihm dasselbe zu erwarten habe. Ich k��te schweigend die verschlossene Pforte, hob noch einmal meine verdunkelten Augen und meine H�nde zu seinem Fenster auf und entfernte mich.

In Halle ging es mir besser, als ich erwartet hatte. Der ber�hmte Eberhard Johann August Eberhard (1739–1809), protestantischer Theologe und Philosophieprofessor, gilt als der letzte Vertreter der Schulphilosophie Leibniz' und Wolffs. beg�nstigte mich so, da� ich Freitisch und einige Unterst�tzungen erhielt; Friedrich August Wolf Friedrich August Wolf (1759-1824), bedeutender deutscher Altphilologe und Altertumswissenschaftler. nahm mich in sein p�dagogisches Institut auf, ich lernte und lebte still und bescheiden, gab auch einigen Unterricht in Familien und an Studenten, half mir ehrbar weiter, blieb jedoch ein wenig bekannter Sch�ler, denn es lag nicht in mir, hervorzutreten und um Ruhm und Ansehen zu ringen. Meine W�nsche erstreckten sich nur darauf, einst ein geringer Hirte zu sein, meine Gaben waren keine, um damit zu gl�nzen.

Ich war verlegen und furchtsam, meine Stimme war schwach, mein K�rper wuchs mehr in die Breite, als in die H�he, und mein Gesicht war kein von Gott so gesegnetes, da� es leicht Wohlgefallen bei den Menschen erweckte. Zur Stille und Zur�ckgezogenheit geneigt, arm, wie ich es war, an Demuth gew�hnt und in Unterw�rfigkeit erzogen, blieb ich den Studentenkreisen eben so fern, wie allen anderen Bekanntschaften; namentlich mit dem weiblichen Geschlecht, dem ich mich schon aus Scheu nicht zu n�hern wu�te, dabei linkisch und unbeholfen erschien, konnte ich niemals in eine freundschaftliche Beziehung gerathen, was manchen Spott �ber mich brachte.

Meine innigste Freude und Erholung blieb es, wenn ich Briefe an meine Mutter und an ihn, dem ich Alles dankte, schreiben, diesen beiden geliebten Menschen meine ganze Seele aussch�tten, ihnen von Allem, was ich that, Rechenschaft geben konnte. Dem verehrten Lehrer schrieb ich �ber die streitenden Parteien und �ber die Lehrbegriffe auf der Universit�t, �ber den Rationalismus und den Supernaturalismus, welche sich in ihren Richtungen auf das Bitterste bek�mpften, �ber die Pietisten, welche damals, durch W�llner's Johann Christoph W�llner (1732-1800), preu�. Staatsmann. Er wurde 1788 zum Staats- und Justizminister und Chef des geistlichen Departements ernannt; in dieser Funktion versuchte er die lutherische Orthodoxie zur Herrschaft zu bringen und der Aufkl�rung durch Zwangsma�regeln Einhalt zu thun, zu welchem Zweck das ber�chtigte sogen. �W�llnersche� Religionsedikt vom 9. Juli 1788 jede Abweichung von den Lehren der symbolischen B�cher mit b�rgerlichen Strafen und Amtsentsetzung bedrohte. Regiment beg�nstigt, mit verdammender Macht auftraten und �ber meinen eigenen Standpunkt, der so weit ab von jeder Verfolgung lag.

Ach, mit welchem Entz�cken empfing ich die Antworten des vortrefflichen Mannes; wie wohl that mir seine Liebe, wie begeisterte mich sein Lob! Und dann dachte ich mit verdoppelter Z�rtlichkeit an meine arme Mutter, die nicht antworten konnte, denn sie verstand das Schreiben nicht; doch sie lie� meine Hoffnung, meine Zukunftsbilder von Gl�ck und Frieden, meine Verhei�ungen f�r ihr Alter, meinen Trost, da� ich bald im Stande sein w�rde, f�r sie zu arbeiten und zu sorgen, mit ihren hei�en Gebeten f�r mich und mit ihrem Segen belohnen.

So sah ich das Ende des dritten Jahres nahen und ich legte mein Magister-Examen und mein theologisches Candidaten-Examen ab, bestand mit Lob, und schrieb einen stolzen Brief. Es war verabredet worden, da� ich heimkehren sollte, um meinem greisen Freunde in seinem Amte beizustehen. Er hegte die Hoffnung, aus mir seinen Nachfolger zu machen, und ich zweifelte nicht daran. Endlich sollte der sehns�chtige Wunsch meiner Mutter erf�llt werden, endlich sollte sie mich auf der Kanzel sehen. Daf�r hatte sie gelebt, daf�r gedacht und gelitten; aber nach Gottes allm�chtigem Willen sollte ihre irdische Pr�fung enden, als die Saaten ihrer Hoffnungen zu reifen begannen.

Als Antwort auf meinen Brief empfing ich aus der Rathsstube ein Schreiben, welches mir anzeigte, da� meine Mutter vor zehn Tagen gestorben sei, in Folge eines Nervenfiebers, da� sie sich bei der Pflege oder bei dem Begr�bni� des Predigers Stangenberg zugezogen, der nach einem kurzen Krankenlager unerwartet am Schlagflusse sein Ende gefunden habe.

So stand ich denn pl�tzlich allein in der weiten Welt, vereinsamt und verlassen, zerst�rt alle meine Lebenshoffnungen, vernichtet alle meine Saaten. Mein Schmerz war so gro�, mein Weh so voller Qual, da� ich meinte, es sei nicht zu tragen; aber der Herr in seiner Huld hat es so gef�gt; da�, wer sich an ihm aufrichtet, dem reicht er die Hand, und giebt ihm Kraft und St�rke.

Ich ging hinaus an die Ufer der Saale, setzte mich einsam unter die Felsen, und blickte in meinem tiefen Jammer hinunter in den Strom und aufw�rts in die Abendr�the. Eine Stimme rief in mir, dort unten l�scht aller Schmerz aus; eine andere fl�sterte in mein Ohr, bei ihm in seiner H�he ist H�lfe! – Eine gl�hende Wolke beleuchtete meine Augen; es war mir, als s�he ich in ein strahlendes, g�ttliches Gesicht, und pl�tzlich f�llte sich meine Seele mit Demuth und Vertrauen. Ich konnte meine Arme ausstrecken und niederknien, ich konnte inbr�nstig weinend rufen: Herr, verla� Dein Kind nicht!

Gest�rkt kehrte ich zur�ck. Doch mein weicherer Schmerz f�hrte mich bald zu Gewissenszweifeln, welche dann am leichtesten den Menschen anfallen, wenn seine Seele umhersucht, was sie verbrochen, da� Gottes Zorn gegen sie erwacht sei. In der Nacht sah ich im Traume meinen Vater, von dem ich niemals getr�umt hatte. Ich sah ihn so, wie er auf seinem Todtenbette lag, in der Uniform mit den breiten, gelben Rabatten. Die Grenadierm�tze hatte er auf seinem Kopfe, so stand er vor meinem Bette, sah mich an und hob den Finger gegen mich auf, gerade wie damals, wo er nicht mehr sprechen konnte. Jetzt aber konnte er sprechen, denn er beugte sich �ber mich hin, und wie er mich mit dem finstern Blicke betrachtete, den ich immer so sehr gef�rchtet, sprach er:

�Fritz! Fritz Wenzel! Hast Du gehalten, was Du mir gelobt?�

Bei dem Namen flog ich im Bette auf, Grausen zog meine Haut zusammen und machte mich kalt. Es war seine Stimme gewesen, die mich geweckt hatte, so hart, so drohend, wie ich sie tausend Mal geh�rt, und als ich wild um mich schaute in die finstere Nacht, schlug die Kirchenuhr Eins.

Gott, mein Gott! schrie ich, strafst Du mich, weil ich mein Wort nicht gehalten? Entsetzlich, entsetzlich!

Ich schlief in dieser Nacht nicht mehr, ich brachte sie wachend und betend zu; doch als der Morgen kam, verscheuchte sein Licht den Gedanken nicht, da� der Allm�chtige mich strafen wolle, weil ich meines Vaters Gebot nicht gehorcht habe. Ein eisiger Schauer sch�ttelte mich, als tief in mir mein Gewissen sprach:

Du mu�t noch jetzt diesen Willen erf�llen, mu�t thun, was Dein sterbender Erzeuger befahl, was Du in seine Hand gelobtest!

Den ganzen Tag �ber qu�lte ich mich damit, und in der folgenden Nacht wurde mein Zustand noch schrecklicher; denn als ich endlich eingeschlummert war, wurde ich wieder von der Stimme meines Vaters aufgeweckt, und wieder stand er an meinem Bette mit dem drohenden, stieren Gesicht und dem aufgehobenen Finger.

Ich will! schrie ich laut auf. Vater, ich will!

Und ich legte meine eiskalten H�nde auf meine Brust und sa� die langen Stunden �ber verzweifelnde Vors�tze br�tend und in meiner Herzensangst sie von mir schleudernd.

Es war l�ngst hell geworden, als meine Wirthin zu mir hereintrat. Zugleich h�rte ich Trommelwirbel und Janitscharen-Musik vom Markt her.

Was ist das? fragte ich, denn die Musik bebte mir durch alle Nerven.

Das ist eine Soldatenparade, sagte sie. Wissen Sie denn nicht, da� ein neues Regiment vorgestern hier eingezogen ist? Der General Winning ist damit angekommen, und l��t es jetzt vorbeimarschiren.

Winning?! rief ich.

Ein Gottesurtheil war �ber mich ausgesprochen. Der General Winning war ja der Hauptmann meines Vaters gewesen, sein General, den er �ber Alles verehrte, dem er mich �berliefern wollte. Todesbl�sse deckte sich auf mein Gesicht, ich f�hlte den Schwei� von meiner Stirn tropfen und wie ich nach Athem rang. Gott hatte diesen Mann gesandt, damit sich an mir sein Gebot erf�lle; Gott wollte mein Opfer haben, diese furchtbare Gewi�heit ergriff mich mit ihrer Klarheit.

Sie sind wohl krank? fragte, mich die gute Frau besorgt.

Nein, nein! schrie ich aufspringend, ich bin nicht krank, und ich eilte, mich anzukleiden, um den General aufzusuchen. Pl�tzlich kam ein Trost �ber mich, ein tiefer, g�ttlicher Trost. Hat Abraham nicht seinen Sohn opfern wollen und der Herr ihm nicht den rettenden Widder gesandt? sprach eine Stimme in mir.

Ich will den General aufsuchen, ich will ihm Alles sagen; er soll entscheiden, Gottes Mund wird aus ihm sprechen.

So ging ich auf den Markt, wo die Parade inzwischen ein Ende genommen und die Menschen, welche zugeschaut, sich verliefen. Eine Menge Offiziere und Unteroffiziere stand aber dort noch beisammen und in ihrer Mitte ein alter kleiner dicker Herr, Goldschn�re auf den Schultern und ein breites rothes Gesicht dar�ber mit borstigen, wei�en Augenbrauen.

Es wurde ein Rekrut vorgef�hrt, ein schmucker Bursch mit kecken Mienen. Er hatte sich anwerben lassen, der General stand vor ihm, nickte ihm zu und lachte. Pl�tzlich aber schrie er mit seiner kr�henden Stimme:

Unteroffizier, hierher! Z�hle er dem Rekruten ein halbes Dutzend auf.

Der st�mmige Unteroffizier stellte sich neben den Rekruten, der nicht wu�te, ob es Spa� oder Ernst sei, denn er sah verlegen umher und l�chelte.

Stock los! schrie der General. Mach er fort!

Ach, gn�diger Herr General, jammerte nun der Bursche; aber die Hiebe fielen schon. Er wand sich bittend, w�hrend die Offiziere lachten.

Ach, lieber Gott! wimmerte der arme Mensch in seinen Schmerzen, ich habe ja nichts gethan.

Siehst Du, Du Schelm! schrie der General von Winning, Du hast nichts gethan und kriegst Hiebe, jetzt stelle Dir vor, wie es Dir ergehen wird, wenn Du Etwas thust, und nimm Dich in Acht. Marsch mit Dir!

Ich kann das Entsetzen nicht beschreiben, das mich bei diesem Anblicke ergriff; es fiel erstarrend auf mich.

Ich sah den geschwungenen Stock auch auf mich niederfallen und h�rte mein Jammergeheul. Von Jugend auf war ich �u�erst empfindlich gegen jeden k�rperlichen Schmerz, dabei besa� ich den tiefsten moralischen Abscheu gegen Mi�handlungen. Ich wollte davonlaufen, Alles ertragen, nur das nicht; in dem Augenblick aber kam der General dicht bei mir vor�ber und ich zog meinen Hut ab und gr��te ihn dem�thig.

Der Herr sah mich mit seinen runden, lebhaften Augen scharf an, pl�tzlich hemmte er seinen Schritt, trat heran und fragte:

Wie hei�t Er?

Friedrich Wenzel, sagte ich.

Was? schrie er. Wo ist Er her?

Aus Daber.

Schwerenoth! Ist Er der Sohn von meinem Sponton-Unteroffizier?

Ja, gn�diger Herr, sein einziger Sohn.

Ich dachte es beinahe, fuhr der General freundlich fort. Was macht Sein Vater?

Er ist todt, antwortete ich. Auch meine Mutter ist todt.

So, sagte der General nachdenkend. Was ist Er denn?

Theologe, Candidat, antwortete ich.

Das ist Schade, sagte der alte Herr. Theologen d�rfen wir nicht nehmen, es ist ein strenger Befehl unsers allergn�digsten K�nigs.

O, mein Gott! sagte ich unwillk�rlich, indem ein j�hes Entz�cken in mein Herz drang.

Das ist nichts, fuhr der General fort; aber beruhige Er sich, Er w�re auch zu schwach f�r meine Grenadiere. Warum ist Er nicht gr��er gewachsen?

Es mu� wohl Gottes Wille so gewesen sein, sagte ich sch�chtern.

Der General lachte.

Sein Gott soll an Allem Schuld sein! rief er. Er ist so bla� und mager, wie ein pommerscher H�ring. Ist Er fromm oder ist Er hungrig?

Ich bin arm und habe Niemanden, der sich meiner annimmt.

Was will Er denn von mir? fragte der General weiter.

Ich habe meinem Vater sterbend gelobt, Seiner Majest�t dem K�nige zu dienen, sagte ich, das m�chte ich erf�llen.

Aber Er sieht ja, Er kann nicht, fiel er ein.

Mir kam ein Gedanke, wie von oben eingegeben, denn ich hatte bisher daran noch nicht gedacht.

Ich bin ein Candidat, sagte ich, Se. Majest�t braucht auch Geistliche.

Bataillonsprediger und Regimentspfaffen, rief der Herr in lustiger Laune, Feldpr�bste und wie das schwarze Gezeug sonst hei�t, ja, da hat Er Recht. Komm Er einmal heut Abend um acht Uhr zu mir, da wollen wir weiter dar�ber sprechen. Ich wohne da dr�ben an der Ecke.

Damit ging er fort und ich wanderte den ganzen Tag unter Furcht und Zweifeln, Schrecken und Sorgen umher. Ich war erl�st von der Angst, Soldat oder Trommelschl�ger zu werden; aber die Vorstellung peinigte mich beinahe eben so sehr, da� ich ein Soldatenprediger werden sollte. Ich hatte eine so gro�e Abneigung dagegen, alle meine Empfindungen zogen mich in die friedliche Stille einer kleinen Gemeinde, zogen mich zu Kindern und zu den Schwachen, da� ich mir vergebens die Vortheile ausmalte, welche mir die Gunst des Generals verschaffen k�nnte.

Die Feldprediger bei den Bataillonen und Regimentern konnten gewi� sein, einmal eintr�gliche Pfarren zu erhalten. Mir grauste davor, denn wenn ich mir vorstellte, da� Krieg werden k�nnte, was zu Ende des vorigen Jahrhunderts gewi� schien, wenn ich an's Marschiren dachte, an Verwundete und Sterbende, an Verurtheilte, die ich zur Richtst�tte begleiten, an alle die wilden, gewaltsamen Auftritte und an die rauhen, glaubenslosen M�nner, denen ich ein Prediger sein sollte, so sank mir das Herz.

Am Abend ging ich zagend zu dem General. Schildwachen standen vor seinem Hause, Soldaten f�hrten mich zu ihm. Er sa� mit mehreren anderen Offizieren an einem gro�en Tische, Alle rauchten aus wei�en, langen Pfeifen von Thon, hatten ihre Uniformen ge�ffnet, lachten und waren froh. Ich mu�te mich zu ihnen setzen, mu�te eine Pfeife anbrennen, obwohl ich damals das Rauchen noch nicht verstand, dann mu�te ich kochendhei�en Punsch trinken, und mu�te erz�hlen, sollte lachen, sollte, wie ich glaube, die Gesellschaft erheitern, welche jedoch bald mich selbst zum Gegenstand ihrer Sp��e machte, und ich habe sicherlich kl�glich genug ausgesehen, und mich so versch�chtert und unbeholfen benommen, da� es ihnen leicht war mich zu verspotten.

Es war ihre Absicht mich betrunken zu machen, allein ich weigerte mich bald zu trinken. Es ging genugsam schon alles mir im Kopfe rundum; der Tabak machte mich �bel, das starke Getr�nk war mir auf's Aeu�erste zuwider, die Pfeife zerbrach mir in der Hand. So ging es einige Stunden lang fort, bis Einer aus der Gesellschaft rief:

Der Candidat soll uns eine Rede halten und wenn sie uns gef�llt, soll er unser Pastor werden.

Die Uebrigen stimmten ein, ich wurde gewaltsam auf einen Stuhl gehoben und nach vielen vergeblichen Bitten begann ich wirklich eine Rede und sprach in meiner Angst �ber die Pflichten des Starken gegen den Schwachen. Ich hatte jedoch noch nicht f�nf Minuten gesprochen, so schrie der General:

Schwerenoth und Kreuzdonnerwetter! er piept ja wie ein Sperling. Schreie er lauter; wie will man ihn h�ren, wenn er auf freiem Felde predigt!

Nun, riefen die Herren im Chor: Schreie Er lauter, immer lauter! doch vergebens strengte ich mich an, ihr wildes Gel�chter und Getobe wurde nur �rger. Endlich stie� Einer den Stuhl um und ich fiel, da� ich blutete und weinte und nun erscholl das Geschrei:

Fort mit dem St�mper! Fort mit dem Schlucker! Dann wurde die Th�r aufgemacht, ein Paar Soldaten ergriffen mich bei den Armen, meinen Hut warfen sie hinterher, so kam ich zum Hause hinaus.

Welche Nacht der Scham und Schande und der bittersten Schmerzen erwartete mich! Sie hatten mich verh�hnt, geschlagen, getreten, was hatte ich ihnen gethan? Ach, ich war noch nicht so weit, geduldig mein Haupt zu beugen. Ich war jung, ich hatte den Stolz der Jugend gegen Schmach, ich hatte ein Gef�hl der Rache, die meine F�uste ballte und meine Z�hne zusammenknirschte, aber sie war zu ohnm�chtig, um etwas weiter, thun zu k�nnen. Ich dr�ckte meine blutige geschwollene Stirn in die Kissen meines Bettes und weinte endlich bitterlich.

Gott, mein Gott! rief ich ersch�pft, sind die Gequ�lten nicht auch Deine Kinder und bist Du nicht der Herr und Richter, der sich der Gedr�ckten erbarmt und die Gewaltth�tigen und Ueberm�thigen z�chtigt!

Am Morgen war ich stiller geworden, der Trost der Schuldlosen hatte mich beruhigt; der vers�hnende Stolz, ein unschuldig Gemi�handelter zu sein, hatte mich mit neuem Muthe erf�llt. Ich sch�mte mich nicht mehr, ich warf die Scham und Schande auf meine Peiniger zur�ck. Als es kaum Tag geworden war, lie� mich der General rufen, oder vielmehr er schickte zwei bewaffnete Soldaten, die mir befahlen, sogleich mitzugehen, denn es mochte ihm wohl deuchten, da� ich gutwillig nicht folgen w�rde.

Als ich in sein Zimmer trat, war er schon angezogen in voller Uniform.

Nun, sagte er mich angrinsend, wie ist Ihm die Gesellschaft bekommen? Hat Er noch Lust Feldprediger zu werden?

Herr General, antwortete ich err�thend, es ist keine Heldenthat einen Schwachen und Verlassenen zu martern.

Halt Er sein Maul! schrie er mir zu. Ich wollte ihm blos zeigen, da� Er nicht zu uns pa�t, da� Er mit seiner pieperigen Stimme und seiner Figur, die keinem Querpfeifer Respect beibringt, h�chstens ein Dorfpfaffe werden kann; das wird Er jetzt begriffen haben.

Ich senkte den Kopf und sagte leise:

Das w�re mir auch das Liebste.

Wenn Er das will, fuhr der General fort, so mache Er, da� Er nach Hause kommt und melde Er sich bei dem Baron von Daber. Der hat ein halbes Dutzend Pfarren unter seinem Commando und wird Ihn schon anbringen.

Sie wissen ja, Herr General, fl�sterte ich seufzend, da� der Baron uns g�nzlich verlassen hat.

Dummes Zeug! rief der alte Herr. Da m��te er ein schlechter Kerl sein und das ist er nicht, sondern ein guter Edelmann. Geh Er zu ihm und sage Er ihm, der General Winning lie�e ihn gr��en und er sollte an Torgau denken, wo er dem Corporal Wenzel um den Hals fiel und schwur, er wolle f�r ihn sorgen und f�r jeden der Wenzel hie�e, so lange er selbst ein St�ck Brot h�tte.

Das war neues Leben f�r mich.

Wenn der Herr General vielleicht ein Briefchen an den Herrn Baron schreiben wollten, bat ich dem�thig.

Schwerenoth! schrie er aufstampfend, denkt Er, da� ich ein Tintenklexer bin? Schreiben ist meine Sache nicht, es ist aber auch nicht n�thig. Thue Er was ich gesagt habe; wenn Er das nicht will, so schere Er sich zum Teufel!

Erschrocken ging ich nach der Th�re, er kam mir nach und machte sie rasch auf. Ich meinte schon, er wolle eine neue Gewaltthat ver�ben, als er nach meiner Hand griff, aber er dr�ckte mir etwas hinein und sagte dabei:

Da hat Er ein Pflaster f�r Seine Stirn und nun reise Er so schnell Er kann, und la� Er mich zufrieden.

Es waren sechs neue Friedrichsd'ore in dem Papier, so hatte ich denn Reisegeld und ich z�gerte nicht es zu benutzen, denn in die Heimath mu�te ich doch. Dahin trieb mich mein Verlangen.


Dritter Abschnitt.

Auch diesen Theil meiner Lebensgeschichte habe ich meinen beiden Zuh�rern gestern Abend vorgelesen und er erweckte ihren Antheil in verschiedener Weise. Marie trocknete sich einige Male die Augen, ihr junger Freund aber rief erhitzt:

Gott sei Dank, da� so etwas nicht mehr vorkommen kann. Wir meinen oft, da� wir r�ckw�rts gingen, allein es ist doch besser geworden. Mir h�tte das aber nicht geschehen sollen, mir nicht! fuhr er dann fort und lie� seine Augen rollen, die anklagend und zornig auf mir ruhten. Sind Sie denn wirklich zu dem Baron gegangen? Ich h�tte es nimmermehr gethan.

Ich bin dahin gegangen und Sie sollen h�ren, was die Folge war, sagte ich.

O, erwiederte er milder, vergeben Sie meine Heftigkeit; ich dachte eben daran, wie undankbar die Vornehmen doch meist sind. Die Excellenz da dr�ben im Schlosse hat sogar den alten Jakob, das Inventarienst�ck im Hause, der das Gnadenbrod dort a�, fortjagen wollen, das hat der alte Narr nicht ertragen k�nnen, heute morgen fanden sie ihn todt an der Kammerth�re h�ngen.

Der also auch, sagte ich meine H�nde faltend und seufzend. Das war der Letzte.

Welcher Letzte? fragte er.

Sie werden es schon erfahren, antwortete ich ihm. Mein Gott und Herr, Deine Wege sind wunderbar!

Marie stie� den jungen Mann an und nahm ihn mit sich fort, da� er nicht weiter mich befragen sollte.

Ich blieb gedankenvoll sitzen und sah den Mond �ber den Schlo�thurm steigen; die schwarze Fahne unter ihm warf einen langen Schatten, wie es mir vorkam, bis auf den See. Wie an jenem Abend, jenem unverge�lichen Abend, kreuzten sich mit diesem hellen Himmelslichte lange falbe Blitze und aus dem dunklen Walle, welcher westw�rts sich ausbreitete, grollte es dann und wann dumpf her�ber. In der Nacht kam das Gewitter herauf, es war ein schweres Wetter; mein armes kleines Haus zitterte und krachte unter den Schl�gen. Fr�her habe ich oft jener wilden Nacht gedacht und mein Lebensgeschick damit verglichen. Es ist Alles vor�ber gegangen, Alles! Trost und Freude und Vers�hnung sind mir geworden und heute ist wieder ein guter milder Tag, mild wie mein Lebensabend – ich kann in Zuversicht weiter schreiben.

 

Als ich nach Daher gelangte, ging ich in die Wohnung meiner Mutter, ich mu�te zun�chst jedoch den Gerichtsdiener holen, denn das Gericht hatte die Kammer schlie�en und einen Siegel auf die Th�r dr�cken lassen, bis der Erbe sich melden w�rde. Ach, das war eine herbe Stunde. Man hatte alles so stehen und liegen lassen, wie es stand und lag, als die arme Frau gestorben war, Niemand hatte sich darum k�mmern m�gen. Das Bette mit dem blauen Ueberzuge stand mit verworrenen Kissen und Decken in der Ecke, auf dem Tische an der Seite erblickte ich eine halb geleerte Medizinflasche, der silberne L�ffel lag daneben, der einzige, den sie besessen, das werthvollste hochgehaltenste St�ck der �rmlichen Wirthschaft, noch gef�rbt von dem unn�tzen Tranke.

Meine Augen hingen voll dichter Thr�nen, zitternd warf ich mich auf den Schemel an dieser Lagerstatt des Todes und dr�ckte meinen Kopf auf die Stelle, wo, wie ich mir einbildete, sie ihren Geist ausgehaucht hatte. Ich war eben vier und zwanzig Jahr alt geworden, war also m�ndig und konnte meine Erbschaft antreten.

Alles was ich fand hatte geringen Werth, ich trat es f�r eine kleine Summe den �brigen Hausbewohnern ab und behielt nichts als den silbernen L�ffel und das Gebetbuch, das sie t�glich gebraucht hatte.

Als ich zum ersten Male an der Th�re des Pfarrhauses vor�ber ging, wo mein theurer v�terlicher Freund lebte und litt, f�hlte ich die, ganze Schwere meines Kummers �ber seinen Verlust. Ich mu�te hinein, mu�te die St�tte noch einmal sehen, wo ein guter frommer Mensch gewandelt und ich that es unter den Schauern der Ehrfurcht und Liebe, die mein ganzes Herz erf�llten.

Ein fremdes kaltes Gesicht kam mir entgegen. Der neue Prediger war ein engherziger, pedantischer, kriechender und hochm�thiger Mann, der mich behandelte wie Einer seines Schlages einen armen Candidaten zu behandeln pflegt, dem er f�rchtet einen Zehrpfennig geben zu m�ssen. Mein theurer Wohlth�ter war zu rasch und unerwartet in eine bessere Welt gefordert worden, er hatte nicht Zeit an ein Testament zu denken, so waren denn ganz entfernte Verwandte seine Erben geworden, die sich gierig um die geringe Hinterlassenschaft gestritten.

Nach zwei Tagen kam ich mit meinen Angelegenheiten in Ordnung und was sollte ich nun beginnen? Ich bedachte den Plan nach Stettin zur�ckzukehren, dort meine alten Lehrer und G�nner aufzusuchen und mit ihrem Beistande durch Unterricht mir die Mittel zum Leben zu erwerben. Es war ein Gedanke, der mich wenig erfreute, aber es blieb mir nichts anderes �brig, vorher jedoch war ich entschlossen der Weisung des alten Generals nachzukommen und den ehemaligen Herrn meines Vaters aufzusuchen, mochte daraus auch Uebles f�r mich entstehen.

Der w�ste Freiherr stand vor meinem Ged�chtni� wie ein D�mon und ein Schauer �berlief mich, wenn ich mir vorstellte, wie er mich empfangen w�rde. Doch es half nichts, es mu�te geschehen. Es kam mir vor, als k�nnte ich nicht anders, als geh�re es zu dem Versprechen, das ich meinem Vater geleistet; eine unsichtbare Gewalt trieb mich zu dem grimmigen alten Edelmann.

Er wohnte etwa zwei Stunden von dem Orte entfernt und eines Morgens brach ich in der Fr�he auf und gelangte nach einem ziemlich erm�denden Marsche in seine N�he. Am Ende eines gro�en Dorfes lag der Edelhof, entfernt von diesem auf dem R�cken einer kleinen Anh�he, zu welcher ein Weg von ungeheuren Linden und Kastanien f�hrte.

Damals waren die wenigsten H�user des Landadels gro� und stattlich, die meisten von Holz und Fachwerk gebaut, viele sogar mit Strohd�chern bedeckt, dies jedoch war ein Geb�ude von Stein, ein altes hohes Haus mit vorspringenden Giebeln und breiten Fenstern. Am Fu�e des H�gels oder Abhanges befanden sich die Wirthschaftsgeb�ude, Scheunen und St�lle, das Herrenhaus aber lag frei und hatte einen gr�nen Vorplatz, der von einem hohen Gitterzaune mit gemauerten Pfeilern eingeschlossen war, in deren Mitte das Thor sich befand. Zu beiden Seiten lagen kleinere H�fe mit Wohnungen f�r Dienstleute, St�lle f�r die Reit- und Wagenpferde der Herrschaft, Remisen und Einbuchte f�r die Hunde.

Als ich durch das Thor trat, fand ich vor der Freitreppe des Hauses ein lustiges Get�mmel. Es war im Herbst und die Bl�tter wollten fallen, aber es war ein sch�ner frischer Tag, so durchsichtig klar und sonnig st�rkend und belebend, wie die Herbsttage in unserem Norden sind, wenn der Himmel tief blau und die Luft so scharf und rein ist, da� nirgend ein Dunst aufsteigen kann. Pferde standen gesattelt vor dem Hause und wurden von Dienern gehalten, Menschen in gr�nen R�cken und gr�n aufgeschlagenen H�ten eilten hin und her, schrieen einander zu und ordneten einen Haufen Bauern, die sie in verschiedene Trupps theilten. Andere hielten Hunde an den Leinen und koppelten sie zusammen, dann erhob sich ein wildes Geschrei und Geheul, als ein Jagdhorn aus dem Hause seine kurzen, weitschallenden T�ne h�ren lie�.

Der Herr ist fertig! schrie einer der F�rster, welcher mir zun�chst stand, und der ganze Tro�, die Bauern, die Hunde, die J�ger und was sonst zu ihm geh�rte, brach auf und zog l�rmend an mir vor�ber, ohne mich sonderlich zu beachten. Nur die Diener mit den Pferden blieben wartend vor dem Hause, aus dem jetzt ein halbes Dutzend junger M�nner hervorbrach unter Geschrei und Gel�chter, lange Gewehre in ihren H�nden, oder mit Peitschen knallend, oder Hussah, Hussah! schreiend und sich gegenseitig neckend. Sie trugen Alle gr�ne, mit Gold besetzte R�cke, aufgeschlagene H�te mit Federn, und um die Schultern Jagdh�rner und Kugeltaschen. Es waren sch�ne, schlanke J�nglinge, unter denen der �lteste in meinem Alter sein mochte, der j�ngste aber kaum sein f�nfzehntes Jahr vollendet hatte.

Als dieser Knabe mich erblickte, der ich z�gernd auf dem Platze an einem Baume stand, �berlegend, was ich thun solle, wies er auf mich hin und schrie:

Was ist das f�r ein Gesch�pf? Ein schwarzes Thier! Ein borstiger Keiler! Nieder mit ihm! Und er hob sein Gewehr auf und legte auf mich an.

Es war nat�rlich, da� ich bei dieser Bewegung erschrocken hinter den Baum sprang; ein schallendes Gel�chter erhob sich. – Ich sah ein wenig hervor und fuhr wieder zur�ck, denn alle ihre Waffen richteten sich auf mich; dazu wiederholte sich ihr wildes, grausames Lachen.

Nieder mit ihm! Schie�t ihn lahm! Da ist sein schwarzes Fell! schrien sie, und mein Herz krampfte sich zusammen.

Was habt Ihr vor? h�rte ich eine feine, klangvolle Stimme fragen, und in demselben Augenblick �berkam mich ein verzweiflungsvoller Muth. Ich verlie� meinen Versteck und trat auf den Platz.

Eine Jagd! Eine Jagd! Ein borstiges Thier! schrien die �berm�thigen J�nglinge noch einmal. – Willst Du laufen?

Aber ich lief nicht und f�rchtete nicht mehr ihre auf mich gerichteten B�chsen. Indem ich dicht herantrat, beantwortete ich die Frage des Herrn, der unter der Th�r stand, und welchen ich vorher nicht bemerkt hatte.

Dieser mochte wohl einige und drei�ig Jahre alt sein, und trug weder Jagdkleid, noch Federhut. Er war vielmehr kostbar nach damaliger Zeit in einen Rock von violettem Sammet mit gro�en Kn�pfen von Perlmutter gekleidet, die mit Gold ausgelegt waren. Seine Unterkleider bestanden aus schwarzer Seide; auf seine feinen schmalen H�nde fielen lange Spitzenmanschetten, und unter dem Gilet von Silberstoff trug er ein gro�es feinfaltiges, mit einer blitzenden Nadel bestecktes Jabot. Sein Haar war gepudert und getollt, sein Gesicht scharf und klug, sein Mund l�chelte angenehm, und seine Augen schienen mich mit Antheil zu betrachten.

Diese jungen Herren, sagte ich, scheinen keinen Unterschied zwischen einer Jagd auf Menschen oder auf wilde Thiere zu machen, obwohl wir uns nicht in Indien, sondern in einem civilisirten Lande Europa's befinden.

Was zum Teufel! schrie einer der trotzigen J�ger. Der Kerl raisonnirt!

Taisez vous, George! antwortete der feingekleidete Herr. Was wollen Sie hier?

Ich w�nsche den Herrn Baron zu sprechen.

Da ist er! sagte er zur�ckblickend, denn eben trat der Freiherr von Daher in die Vorflur. Ich erkannte ihn sogleich, und mochte wohl noch bleicher werden.

Er stand ganz so vor mir, wie damals, wo er mir den Hieb versetzte und hielt in seiner Hand dieselbe Peitsche, wenigstens sah sie so aus. Seit jenem Tage waren zw�lf Jahre vergangen, der Baron nun an sechszig Jahre alt, allein er hatte sich wenig ver�ndert. Sein hartes Gesicht war noch eben so roth und voll, sein riesiger K�rper ungebeugt, seine Augen so grimmig stier wie damals. Ich war unverm�gend, ihn anzureden und stotterte einige Worte, die er unterbrach.

Was will Er von mir? fragte er rauh.

Gn�digster Herr Baron, sagte ich, mich sammelnd, ich komme zu Ihnen mit einer unterth�nigsten Bitte, aber wie ich sehe, zur ungelegenen Zeit, erlauben Sie mir daher –

Er lie� mich nicht enden, denn er fa�te mich an die Schulter, sah mich an und rief: So wahr ich lebe! Er ist der Junge, der Friedrich!

Friedrich Wenzel, erwiederte ich, mich tief verbeugend.

Sein Gesicht war freundlicher geworden. Seine Mutter ist todt, sagte er.

Sie ist meinem Vater in die Ewigkeit nachgefolgt, antwortete ich dem�thig.

Und gewachsen ist Er auch nicht sonderlich, fuhr er, mich betrachtend, fort.

Als ein Diener der Kirche, gn�digster Herr Baron, ist mir Leibesgr��e nicht n�thig, erwiederte ich sch�chtern.

Meine Worte r�ttelten alte Erinnerungen auf. Die unvers�hnliche Gem�thsart dieses Mannes trat pl�tzlich wieder in ihre Rechte. Er zog seine borstigen Augenbrauen zusammen und seine Peitsche so am Stiel fassend, wie es bei ihm Gewohnheit war, wenn er in Zorn gerieth, schrie er mir zu:

Er ist also Candidat geworden?! Was will der Herr Candidat?

Mich dem hochgeborenen Herrn Baron unterth�nigst empfehlen, und gehorsamst bitten, sich meiner zu erinnern, wenn ein Pfarramt, welches der hohe G�nner –

Ich erinnere mich Seiner gut genug, unterbrach er mich, aber ich bin sein G�nner nicht. Wie kann Er sich �berhaupt unterstehen, mich in meinem Hause zu molestiren?

Ich sah, da� er sich in Wuth versetzte und begriff, da� ich das Aergste zu f�rchten hatte, wenn ich einen solchen gewaltigen und j�hzornigen Mann durch Furchtsamkeit in seiner brutalen Leidenschaft unterst�tzte. Ich stand daher aufgerichtet und ruhig vor ihm und antwortete mit fester Stimme:

Niemals w�rde ich dies gewagt haben, gn�diger Herr Baron, wenn Se. Excellenz der General von Winning mir nicht befohlen h�tte vor Ihnen zu erscheinen.

Winning? fragte er, mich finster anblickend. Wie kommt Er zu dem General? Warum schickt Winning Ihn zu mir?

Der General erinnerte sich meines Vaters, als ich ihn bat sich meiner anzunehmen und mir zu einem Amte zu helfen. Er sagte jedoch, es thue ihm leid, er besitze keine G�ter, wohl aber der Freiherr von Daber, welcher �ber sechs Pfarrd�rfer das Patronat habe. Zu ihm solle ich gehen und ihn an die Schlacht bei Torgau erinnern.

Das traf den rauhen Herrn sichtlich. Sein Kopf wurde r�ther, er schwieg und pre�te die Lippen zusammen. Die J�ger standen umher und sahen neugierig zu, der feingekleidete Herr aber ergriff den Baron bei der Hand und sagte halblaut:

Auf ein Wort, wenn ich bitten darf.

Er f�hrte ihn abseits und nach einigen Minuten kehrten beide zur�ck.

Versteht Er Franz�sisch? fragte der Baron.

Es war ein Zufall, da� ich ja antworten konnte, denn zu jener Zeit lernten die Theologen selten eine neue Sprache. Aber ich hatte in Halle l�nger als zwei Jahre einen Stubengenossen gehabt, der aus einer Emigrantenfamilie stammte, die Ludwigs des Vierzehnten Fanatismus zur Auswanderung getrieben. Von ihm hatte ich die Sprache gelernt, sie grammatisch studirt und gute Fortschritte gemacht.

Auf meine Antwort redete mich jener Herr franz�sisch an und ich antwortete ihm, indem ich ihm diese Mittheilung machte. Er that noch einige Fragen, dann wandte er sich an den Baron und sagte deutsch:

Das ist mehr als ich erwartete. Der Herr Candidat hat eine gute Aussprache und scheint mir ganz geeignet zu sein.

Wahrscheinlich erwartete der alte Herr ein anderes Urtheil. Er machte ein verdrossenes Gesicht und gewi� kostete es ihn Ueberwindung von seiner Unerbittlichkeit abzustehen.

So kann Er hier bleiben, begann er endlich, Er soll meiner Tochter Unterricht geben. Nun Hartenstein, Sie wollen also nicht mit? Zum Henker! Die Treiber sind weit voraus. Nehmen Sie den Burschen, den Candidaten, und geben Sie ihm Instruction was er zu thun hat. Wenn ich heute Abend wiederkomme, will ich weiter mit ihm reden.

Die Jagdgesellschaft schwang sich auf die Rosse und unter Abschiedsgeschrei und Hornst��en sprengten sie dem Baron nach zum Thore hinaus. Mein neuer Besch�tzer blieb neben mir stehen und sagte l�chelnd, indem er ihnen nachblickte:

Das sind wilde Vergn�gungen, die nicht in meinem Geschmacke liegen. Die Jagd ist eine Zwillingsschwester des Krieges, ehe die Menschen sich selbst mordeten, haben sie mit den Thieren den Anfang gemacht. J�ger sind immer etwas roh und �berm�thig, man mu� es entschuldigen; Sie haben Ihnen jedoch eine gute Lehre gegeben, Herr Candidat. – Ich f�r meinen Theil freue mich Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, fuhr er dann verbindlich fort, und da Sie hier wahrscheinlich ganz fremd sind, so erlaube ich mir Ihnen einige Nachrichten zu ertheilen. Der Baron ist seit drei Jahren Wittwer und von seinen vier S�hnen, die mit ihm zum Jagen reiten, sind drei Offiziere in verschiedenen Regimentern. Der j�ngste, Kuno, der sich zuerst den Spa� machte, Sie erschie�en zu wollen, ist noch zu Hause bei ihm, eben so seine Tochter, Fr�ulein Mathilde, welche vorgestern vierzehn Jahr alt wurde und zu deren Geburtstagsfeier ich mich einfand.

Die andern beiden Herren, welche Sie dort hinsprengen sehen, sind Vettern des Barons und seiner S�hne, ebenfalls junge Offiziere, welche hier jagen, schmausen und tanzen helfen, bis sie in ihre Garnison zur�ckkehren m�ssen. Es steht, fuhr er dann fort, indem er mich in einen gro�en Saal f�hrte, der der Familienaufenthalt des Hauses war, mit der Erziehung und Bildung in unserm Lande noch immer nicht besonders. Mit wenigen Ausnahmen ist dies aber �berall sich so ziemlich gleich. Wer nicht in gro�en St�dten lebt oder die seltene Neigung besitzt seine Kinder dorthin zu schicken und ihnen besondere Opfer zu bringen, h�lt es f�r genug, wenn sie das Allernothwendigste lernen. Die S�hne werden ja meist Offiziere, sagte er l�chelnd und vertraulich leiser, indem um seine schmalen Lippen ein unverkennbarer ver�chtlicher Spott schwebte, und die T�chter bekommen M�nner ohne ihre K�pfe anzustrengen. Ob sie richtig sprechen oder schreiben, wer fragt nach solchen Kleinigkeiten?

Er schwieg einen Augenblick still und sah in den Garten hinein. Die Fenster des Saales gingen dorthin und durch eine Th�re gelangte man einige Stufen abw�rts in den gr�nen Raum, der vom hohen B�umen eingefa�t war. Der Wind sch�ttelte die gelben Bl�tter ab und trieb sie durch die Luft, welche so goldig hell war. –

Wer ich bin? begann er dann, als beantwortete er eine Frage, die ich nicht gethan hatte. Ich bin so ziemlich das letzte Blatt eines alten Baumes, meinem Namen nach der Freiherr von Hartenstein, Legationsrath und gegenw�rtig zum Besuch auf meinem Gute, nicht weit von hier. Ich werde das Fr�ulein Mathilde von Daher heirathen, wenn sie sechszehn Jahre alt ist, aber ich w�nsche, da� sie bis dahin noch einige Kenntnisse erwirbt, namentlich richtig deutsch und gut franz�sisch sprechen lernt, das n�thig ist in den Kreisen, wohin ich sie f�hre. Sie, Herr Candidat, sollen mir und ihr diesen Dienst erweisen; ich bitte Sie darum und werde meinerseits daf�r sorgen, da� es Ihnen wohlgeht in diesem Hause, auch die Verpflichtungen, welche wir Ihnen schulden, durch Erf�llung Ihrer W�nsche verg�tigt werden. Verlassen Sie sich darauf, da� Sie die beste Pfarre haben sollen, die der Baron oder ich Ihnen anzubieten verm�gen.

So war ich denn kurz und b�ndig unterrichtet, wie es in diesem Hause stand und was ich zu erwarten hatte. Wie mit einem Zauberschlage hatte sich mein Schicksal umgewandelt; ich war angestellt als Lehrer, als Erzieher, ich hatte Schutz und Beistand, eine gute Behandlung und einen Gehalt zu hoffen, endlich war mir eine Pfarrstelle versprochen, die ich vielleicht niemals sonst erreicht haben w�rde und ich zweifelte nicht daran, da� es wahr und gewi� sei. Mein Herz war voll inbr�nstiger Freude, meine Augen voll Dankbarkeit. Ich sagte meinem Besch�tzer, was mir der Himmel eingab, um seine Gro�muth zu preisen.

Er h�rte mich zufrieden l�chelnd an und beobachtete mich, wie es mir schien, mit seinen scharfen klugen Augen pr�fend und �berlegend.

H�ngen Sie mir nur an, sagte er dann, mir zunickend, und vertrauen Sie mir. Ich achte Leute, die etwas gelernt haben und belohne die, von denen ich Dienste erwarte. Wir werden gute Freunde sein und ich werde Sie brauchen. Sie sind fromm, wie ich denke.

Gn�diger Herr, antwortete ich verlegen, denn ich wu�te nicht was er meinte.

Fr�mmigkeit ist eine Tugend, fuhr er fort, die jeden Menschen ziert, vor allen aber den Priester. Wahre Fr�mmigkeit schlie�t die Klugheit nicht aus; seien Sie klug, mein lieber Wenzel. Fr�ulein Mathilde, Ihre Sch�lerin, ist ein reizendes, unschuldiges Kind, Sie werden gewi� ihr ganzes Vertrauen gewinnen. Jetzt folgen Sie mir. Da ist sie im Garten, ich werde Sie bei ihr einf�hren.

Er ging voran, ich folgte ihm nach. Als er vor mir herging, sah ich, da� seine Gestalt mit den breiten Schultern und der einen etwas gebogenen H�fte mangelhaft war. Auch sein Gesicht war nicht eben sch�n zu nennen und uns entgegen kam ein junges M�dchen, so reizend wie dieser Tag, wenn er in den wonnigen Athem des Fr�hlings getaucht worden w�re. Ihre Locken waren lang und dunkelblond, sie hingen frei auf ihre Schultern nieder, ein Scho�j�ckchen mit zwei Reihen Kn�pfen umschlo� ihren Leib, und w�hrend sie den Gang heraufkam, nachsinnend wie es schien, spielte sie mit einem R�dchen von buntem Holz und Elfenbein, das an rothen Schn�ren hing, ein sogenanntes Joujou-Spiel, das damals eine Lieblingsunterhaltung junger Damen war.

Als sie uns erblickte, stand sie err�thend still und einen Augenblick glaubte ich, sie wolle entfliehen. Mein Begleiter war jedoch, wenn sie wirklich daran dachte, zu schnell.

Nun, liebe Mathilde, h�rte ich ihn sagen, die Jagd ist fort und wir sind allein; aber ich habe einen Herrn mitgebracht, der uns Gesellschaft leisten will.

Sie hob die Augen zu mir auf, erwiederte meinen Gru� und h�rte still zu als er ihr berichtete, da� ich ihr Lehrer sein solle. An ihrem L�cheln und dem Ausdrucke ihres Gesichts sah ich, da� sie damit einverstanden war und w�hrend der ersten Stunde, die ich mit ihr verlebte, erkannte ich wie Recht der gl�ckliche Freiherr hatte, wenn er sie ein reizendes und unschuldiges Kind nannte. Ein unbeschreiblicher Ausdruck von G�te und Milde war ihrem Gesichte aufgepr�gt, ihre gro�en blauen Augen hatten einen feuchten Glanz, in dem sich alles Gute abzuspiegeln schien, und ihre Stimme klang so biegsam und sanft wie ein sch�ner Gesang. Der Gedanke, dies liebliche Kind zu �unterrichten, bei ihm und mit ihm zu sein, erw�rmte und erfreute mich aufs Innigste.

Herr von Hartenstein ging mit uns lange Zeit in den G�ngen auf und ab, indem er dem Fr�ulein den Arm bot und sehr vertraut mit ihr scherzte, dabei aber auch mich ins Gespr�ch zog, meine Gelehrsamkeit und meine Kenntnisse r�hmte und es so zu veranstalten wu�te, da� ich allerlei aus meinem Leben erz�hlte und endlich, auf den Tod meines edlen Wohlth�ters gebracht, mit R�hrung seine seltenen Tugenden pries.

Ich hatte wohl bemerkt, mit welchem Antheil sie mich mehrmals anblickte und wie endlich ihre Augen sich mit Thr�nen f�llten.

Der vortreffliches Mann, sagte sie endlich mit ihrer s��en Stimme, hat alle Armen und Leidenden getr�stet.

Kannten Sie ihn? fragte ich.

Ich habe ihn �fter gesehen, noch �fter von ihm geh�rt, antwortete sie err�thend, gekannt –, sie hielt inne und fuhr dann fort: Als meine gute Mutter starb, hatte sie nach ihm verlangt, aber er kam zu sp�t.

Man hatte ihn vielleicht zu sp�t benachrichtigt, fiel der Freiherr sanft l�chelnd ein, Ihr Vater, liebe Mathilde, ist nie sein G�nner gewesen. Aber lassen wir diese traurigen Erinnerungen. Kommen Sie, meine Sch�ne, ich glaube, es wird Zeit sein uns umzusehen, was wir zum Mittag erhalten. Ich erblicke meinen getreuen Jakob und sehe es seiner Nase an, da� sie die Wohlger�che eines Rehzimmers genossen hat.

Der Diener meldete uns wirklich, da� der Tisch bereit sei und wir verf�gten uns dorthin. Ich a� zum ersten Male an einer reich besetzten Tafel, wurde zum ersten Male von einem Diener in Livr�e bedient und hatte in meinem Leben noch nie silberne Gabeln und so schwere L�ffel in H�nden gehabt, wie sie hier in F�lle vorhanden waren. Von so viel Neuem und Ungewohntem umringt, war ich still, furchtsam und ungl�ubig; beinahe zweifelnd ob alles was ich erblickte Wahrheit, ob was ich erlebte nicht ein Traum sei.

Der Legationsrath f�hrte das Gespr�ch fast allein und ich bewunderte, mit welcher Leichtigkeit und Sicherheit er dies that. Bald erz�hlte er von dem Leben in der Hauptstadt, bald wieder von Paris, wo er w�hrend der ersten Revolutionszeit gewesen war, dann wieder von Italien, von Neapel und von Wien. Er kannte alles, seine Schilderungen waren verlockend, dazwischen machte er scharfe und lustige Bemerkungen �ber Zust�nde und Personen, �ber Feste, denen er beigewohnt, �ber Moden und Sitten und wenn er sich mit mir �ber Sophokles und Euripides, �ber Plutarch und Livius unterhalten hatte, sprach er pl�tzlich mit seiner Nachbarin �ber die Winterb�lle in der Umgegend, �ber die Hofb�lle oder Redouten in Berlin, �ber die reizende junge K�nigin und ihre Hofdamen und �ber die neuen goldstreifigen und lackirten M�bel, mit denen er seine Wohnung ausstatten w�rde.

Mathilde h�rte schweigsam zu, sie schien mit Scheu zu antworten und dagegen zu ringen, selbst die drolligsten Einf�lle und Anekdoten ihres vornehmen Anbeters konnten sie zu keinem herzlichen Lachen bringen.

Ich beobachtete sie, weil ich Zeit dazu hatte; zuweilen auch sah sie mich an und es kam mir vor, als l�ge etwas Bittendes in ihren Augen, als sollte ich ihr beistehen, aber ich wu�te nicht wie. Alles was ich that, war, da� ich ein wenig gespr�chiger wurde, bis ich bemerkte, da� dem Freiherrn meine st�renden Einmischungen nicht behagten.

Nun war ich wieder still und setzte meine Betrachtungen fort. Sie war sehr gro� f�r ihr Alter und an Verstand fehlte es ihr nicht, denn wenn sie wollte, gab sie sehr richtige und anregende Antworten, die ihr Bewunderer dann benutzte, um irgend eine Schmeichelei daran zu kn�pfen, �ber welche sie err�thete oder l�chelte.

Diese frohe Unterhaltung w�hrte lange fort und belustigte selbst den gewandten Bedienten des Legationsraths, dessen unterth�niges Grinsen mich heimlich erg�tzte. Er war in eine reiche Livr�e gekleidet und ohne Zweifel ein sehr anh�nglicher und vertrauter Diener. Sein Herr rief ihn nicht Jakob, sondern gew�hnlich franz�sisch Jacques; ein Wink oder ein Wort gen�gten, um auf der Stelle den angedeuteten Befehl zu vollziehen.

Mit dem Tellertuch �ber dem Arme stand er hinter uns sauber und fein, in perlgrauen Seidenstr�mpfen, Schnallenschuhen und blauen Kniehosen, gepudert und bezopft wie ein Junker, und mit der feinsten Manier bediente er auch mich, obwohl ich in meinem groben schwarzen Rocke besorgen mu�te, da� er es mit geheimem Aerger that.

Nach Tische machte mir der Freiherr den Vorschlag nach der Stadt zu fahren, wo verschiedene Sachen f�r ihn angekommen seien, diese vom Postamte zu erheben und dabei zugleich meine eigenen Effecten mit mir zur�ck in mein jetziges Domicil zu bringen. Mit Freuden ging ich darauf ein, richtete meine Auftr�ge zur Zufriedenheit aus und kam eben zur�ck als die J�ger in den Hof sprengten und hinter ihnen, auf Stangen getragen mit Kr�nzen bedeckt und von Waldhornklang und Jauchzen begleitet, ein sechszehnendiger Hirsch folgte.

In dem Get�mmel w�re ich vergessen worden, wenn Mathilde mich nicht bemerkt h�tte, die dem Hausmeister einen Befehl gab, der mich alsbald in ein f�r mich bestimmtes Giebelzimmer versetzte, wo Bett und Schrank f�r mich bereit standen. Ich lehnte mich an das Fenster, sah in den rothen Himmel und in das weite Land und dankte Gott f�r die Gnade, welche er an mir gethan.

Du, sagte ich, meine H�nde faltend, w�hrend meine Augen sich dunkel und na� auf die Gegend richteten, wo die begraben lagen, die mich geliebt hatten, Du, o Herr, hast mir genommen was mein war, Du giebst mir wieder was ich bedarf. Ich zage nicht, nein, ich vertraue Dir und will Dir folgen, denn Du wirst mich leiten.

Als ich hinuntergerufen wurde, erhielt ich meinen Platz am untern Ende des Tisches. Fr�ulein Mathilde sa� zwischen ihrem Vater und dem Freiherrn, sie stand jedoch bald auf und entfernte sich, denn es war ein l�rmendes langes Mahl. Die Jagdgeschichten nahmen kein Ende. Die jungen Herren erz�hlten, schwuren und fluchten, stritten sich �ber die besten Sch�sse und die besten Hunde, lachten, spotteten und tranken eine ungeheure Menge starker Getr�nke, welche sie noch mehr erhitzten.

Ein halbes Dutzend Lieblingshunde lag und stand dabei unter und neben dem Tische, wo sie zuweilen Fu�tritte oder Knochen erhielten, endlich aber sich w�thend anfielen und beinahe den Tisch umst�rzten, bis sie s�mmtlich mit Peitschenhieben hinausgejagt wurden. Nun wurden Pfeifen gebracht und angez�ndet. Ich erhielt auch eine angeboten, aber ich dachte an jenen schrecklichen Abend bei dem General, dachte auch an die Folgen des Punsches und machte mich ganz in der Stille davon, als L�rm und Gel�chter �berhand nahmen und man mich nicht beachtete.

Am n�chsten Morgen sprach der Baron mit mir. Freundlich war er eben nicht, allein er hatte sich in alle Anordnungen gefunden, die sein zuk�nftiger Schwiegersohn getroffen.

Er bleibt also hier, Candidat, sagte er, und ich gebe Ihm j�hrlich f�nfzig Thaler und Weihnachten einen neuen schwarzen Rock sammt Hosen. Bin ich mit Ihm zufrieden, so werde ich auch weiter f�r Ihn sorgen. Mache Er aber, da� mein M�dchen etwas lernt, auch meinen j�ngsten Sohn kann Er dabei unter seine Fuchtel bringen. Aber nehme Er sich zusammen, sonst sind wir geschiedene Leute.

Somit war der Contract geschlossen und ich begann meine Wirksamkeit. Es begannen f�r mich jene Tage, jene Jahre, die das beste Gl�ck meines Lebens einschlie�en, jenes reine und ungetr�bte Gl�ck, welches Gott seinen Gesch�pfen giebt, wenn er ihnen ein g�tiger und liebender Vater sein will, der seinen Himmel in ihre Herzen senkt.

Der Legationsrath verweilte noch einen Monat bei uns, ab und zu nach seinem Gute reisend, doch gr��tentheils in unserm Hause. Er besa� gro�e Kenntnisse, dabei durchdringenden Verstand und �bte ein geistiges Uebergewicht aus, vor dem sich alle beugten, selbst der alte Baron. Sie f�rchteten ihn, f�rchteten seine Sp�ttereien, seine kalte Ruhe, seinen kalten Blick, seine Bildung und selbst seine pr�chtige Au�enseite. Er war ein anderes Wesen, vor dem sie Scheu empfanden, das sie heimlich verh�hnten, weil er nicht ritt und jagte, nicht spielte, trank und fluchte, dem sie aber dennoch sich beugten und stolz auf seine N�he und seine Freundschaft waren.

Der Minister Haugwitz Christian von Haugwitz (1752-1832), seit 1792 als Kabinettsminister in preu�ischen Diensten und dabei vor allem mit Aufgaben in der Au�enpolitik betraut. Seine pro-franz�sische Politik scheiterte mit dem Aufstieg Napoleons und f�hrte Preu�en 1806 in die vollst�ndige Isolation und schlie�lich in den weitgehenden Zusammenbruch, so dass Haugwitz sich ins Privatleben zur�ckzog. war sein G�nner, der allm�chtige Graf bevorzugte ihn vor vielen Andern. Der Legationsrath war h�ufig in seinem Hause, arbeitete in seinem Cabinet und wurde zu verschiedenen wichtigen Sendungen und Gesch�ften gebraucht.

Ein Diplomat erschien damals noch weit mehr, als es jetzt der Fall ist, wie ein Oberpriester aller Weisheit und Hoheit auf Erden. In seinen H�nden ruhte das Schicksal der Menschheit, seine Brust verwahrte die furchtbarsten Geheimnisse, seinen Augen war alles klar und die Familie, aus welcher dieser Freiherr spro�te, hatte von jeher unter dem Baume der Erkenntni� gesessen, d. h. sie hatte dem Herrscherhause manchen Rath, manchen Gesandten und mehr als einen Minister geliefert, w�hrend sie nur im geringen Ma�e durch kriegerisch gesinnte Spr��linge sich auszeichnete.

Die Freiherren von Hartenstein waren nicht besonders reich, aber sie besa�en ein altes Erbe und das stolzeste alte Ritterhaus in der ganzen Gegend. Sie hatten daran viel Geld gewendet; der Vater des Legationsrathes war besonders eifrig im Bauen und Ausbauen gewesen, doch verschwenderisch, wie er �berhaupt sich erwiesen, hatte er nicht wenige Schulden hinterlassen.

Nach einem Monate und eben als wir eines Tages in dem Schlosse Hartenstein tafelten, wohin ich die Familie begleitet hatte, weil der Legationsrath mich dazu einlud, kam ein Courier, der meinen G�nner ein gro�besiegeltes Schreiben brachte. Der Graf von Haugwitz rief ihn eilig zu sich und er theilte uns diese Nachricht unter dem grazi�sen L�cheln mit, das er bei dem �belsten Anlasse und den �rgerlichsten Vorf�llen zu bewahren wu�te. W�hrend er auf der Stelle seine Reiseanstalten traf, scherzte er mit seinen G�sten und besch�ftigte sich um Mathilden mit verdoppelter feiner und z�rtlicher Aufmerksamkeit, welche deutlich bewies, wie sehr er sie auszuzeichnen suchte.

Ich konnte wohl bemerken, wie zufrieden der Baron damit zu sein schien, und wie alle seine S�hne sich dar�ber freuten, lachten und sich Zeichen machten, als Richard von Hartenstein mit ihrer sch�nen Schwester durch die Reihe der Zimmer und S�le ging, mit ihr dann an einem Bogenfenster stehen blieb und eine Zeitlang leise mit ihr sprach, bis wir ein Ger�usch h�rten und Mathilde, von dunkler R�the �bergossen, zu uns zur�ckkehrte.

Auf meine Ehre, schrie der Junker Georg, der Dragoneroffizier war, ich glaube, er hat Dich gek��t!

Und sie hat sich losgerissen! fiel sein Bruder, der Grenadierlieutenant ein.

Sie ist eine Heilige! rief der Dritte, der F�hnrich.

Unter dem allgemeinen Gel�chter legte Mathilde den hei�en Kopf an ihres Vaters Brust, der so laut lachte wie seine S�hne, aber beide Arme um sie schlo� und sie besch�tzte.

Der Legationsrath hatte sich entfernt, nach einigen Minuten kam sein Diener Jacques und fl�sterte mir ins Ohr, da� der gn�dige Herr mich zu sprechen w�nsche. Ich folgte ihm, neugierig angeblickt von den Zur�ckbleibenden, deren Achtung sich sicher dadurch vermehrte und er brachte mich in den andern Fl�gel des Schlosses, wo der Freiherr wohnte.

Indem ich ihm folgte und er eine Th�re �ffnete, die mir einen gro�en Vorsaal zeigte, sah ich durch eine andere Th�re eine Dame hereintreten, deren Anblick mich best�rzt machte. Sie war sch�n und jung, ihr Haar nach hinten gek�mmt und in Locken, ein Schleier war daran befestigt und fiel seitw�rts nieder. Ihr Anzug erschien mir �beraus pr�chtig. Ein blumiges Seidenkleid vom allerschwersten Stoffe bildete �ber ihren Reifr�cken einen weiten Kreis und war in Festons aufgenommen, das ge�ffnete Mieder glaubte ich mit Kanten besetzt, eine schimmernde Kette warf sich um ihren wei�en Hals.

Sie trat mit schnellen Schritten herein oder vielmehr sie tanzte auf den Fu�spitzen und rief im lauten frohen Tone:

Also fort von hier, fort aus diesem alten Rattennest! Herrlich herrlich! Ich langweile mich darin zum Sterben.

Mehr h�rte ich nicht, denn mitten in meinem starrenden Staunen dr�ngte mich Jakob zur�ck, fl�sterte mir zu: Warten Sie! und sperrte die Th�re. Ich stand verwirrt nachsinnend und horchte, aber ich h�rte nur ein unterdr�cktes Lachen, hierauf war Alles still, bis Jakob leise �ffnete und mir sein h�chst kl�gliches �ngstliches Gesicht zeigte.

Bester, edelster Herr, fl�sterte er meine Hand ergreifend, machen Sie mich nicht ungl�cklich, ich bitte Sie um Gottes Willen!

Ich – ich? sagte ich best�rzt; wie k�nnte ich das?

Sie haben das Frauenzimmer gesehen, fuhr er fort; erbarmen Sie sich und sagen Sie meinem Herrn nichts davon.

Ich will nichts sagen, antwortete ich ihm.

Keinem Menschen, nicht einer lebendigen Seele, bat er zitternd. Wenn mein Herr es jemals erf�hrt, werde ich fortgejagt.

Ich will es Niemandem sagen, betheuerte ich ihm.

Sie geloben es mir, fiel er ein, Sie schw�ren es mir? Sie sind ein geistlicher Herr, Sie werden Ihr Wort halten. Das Frauenzimmer ist meine Braut, meine Geliebte, verbesserte er sich, ich habe sie mitgebracht, mein gn�diger Herr wei� nichts davon.

Das ist sehr unrecht, sagte ich strafend.

Freilich, ja freilich! erwiederte er dem�thig, und mein Herr, so gro�m�thig und edel er ist, ist darin unm��ig streng. Er duldet nicht die geringste Unordnung, ha�t die Frauenzimmer f�rmlich; eben deswegen, weil er gar zu tugendhaft ist, mu�te ich sie verbergen.

Man kann nicht tugendhaft genug sein, antwortete ich ihm. Sie m�ssen sich diesen edlen Herrn zum Beispiele nehmen.

Als ob ich es nicht th�te! rief er seufzend, indem er die H�nde faltete und seine verschmitzten Augen zu mir aufhob, die er abscheulich verdrehte. Aber das Fleisch ist schwach, das Fleisch ist schwach, bester Herr Candidat.

Ich sagte nichts darauf, denn ich merkte wohl, da� er heuchelte ohne zu bereuen, doch ich versicherte ihm nochmals, da� ich schweigen w�rde und nun f�hrte er mich zu dem Legationsrath, der mich an seinem Schreibtisch erwartete.

Er schrieb etwas auf einen Papierstreifen, den er mir hinreichte als er aufstand.

Hier, sagte er mit seiner gewinnenden Anmuth, haben Sie meine Adresse. Da� ich so rasch zur�ckkehren mu�, betr�bt mich zumeist deswegen, weil ich nicht mehr das Vergn�gen haben kann, mich Ihres belehrenden Umganges zu erfreuen.

Nur um deswegen? antwortete ich mich verbeugend und l�chelnd.

O! fuhr er fort, Sie sind aufrichtig und grausam. Ich mu� von Mathilden scheiden, aber ich lasse Sie zur�ck. Schreiben Sie mir, mein lieber Freund, schreiben Sie mir wo m�glich in jeder Woche was hier geschieht, wie es meiner s��en Freundin geht, was sie thut, welche Fortschritte sie macht, was �berhaupt in dem Hause geschieht – von Allem, von Allem! Wer zu ihr kommt, wer sie verl��t, es hat das Geringste Werth f�r mich. Versprechen Sie mir das, lieber Wenzel, und seien Sie meiner innigsten, dauerndsten Dankbarkeit gewi�.

Ich versprach es und er ergriff meine Hand und sah mich so durchdringend an, als wollte er bis in die tiefsten Falten meines Herzens schauen.

Hier haben Sie meine Adresse, wiederholte er dann, vergessen Sie nicht jedes Mal �Geheimes Cabinet im Ministerium des Ausw�rtigen� darauf zu setzen. Briefe damit versehen, werden mit gr��ter Sorgfalt behandelt und ich erhalte sie gewi�, wo ich auch sein mag. Antworten werde ich selten und dann franz�sisch, aber Sie begreifen, da� unsere Correspondenz �berhaupt so still als m�glich bewirkt werden mu�. Meine, z�rtliche Liebe f�r dies theure Kind und Ihre Freundschaft f�r mich k�nnten Gesp�tt und Gerede machen. Der J�ger des Barons ist ein genauer Bekannter meines Jacques, geben Sie ihm Ihre Briefe, er wird sie bef�rdern, auch sollen Sie durch diesen Mann, wenn es n�thig ist, von mir Nachrichten erhalten.

Ich versprach ihm Alles und er dankte mit feurigen Worten.

Ich geh�re zu den Naturen, sagte er l�chelnd, die was sie ergreifen, mit ausdauernder Energie festhalten. Ich bin in meinen Neigungen so best�ndig, wie in meinen Abneigungen, ich liebe mit derselben Heftigkeit, wie ich hasse und verfolge. Wer mir Gutes erzeigt, mir treue Dienste leistet, kann sicher sein, da� ich es nie vergesse; wer mich t�uscht und mein Vertrauen mi�braucht, kann aber eben so gewi� sein, da� ich es nicht dulde.

Sein Auge ruhte auf mir und w�hrend er l�chelte, schossen Blitze �ber mich hin, die Furcht erregen konnten.

Ich werde Sie niemals t�uschen, gn�diger Herr, sagte ich.

Nein, erwiederte er, das werden Sie nicht, ich verstehe mich auf die Menschen, Sie werden mein Freund bleiben bis zu Ende. Sie haben ein einfaches frommes Gem�th, das ist kein Deckmantel bei Ihnen, sondern Wahrheit, und eben deswegen – hier, unterbrach er sich und sagte: nehmen Sie.

Gn�diger Herr, antwortete ich best�rzt und err�thend, indem ich meine Hand auf den R�cken zog.

Nehmen Sie, wiederholte er freundlich, aber befehlend, und machen sie keine Umst�nde. Ich will Sie weder kaufen, noch belohnen, dazu w�re mehr n�thig, als dies kleine R�llchen, in welchem Sie f�nf und zwanzig Friedrichsd'ore finden werden. Diese sind nichts, als was Sie verdienen. Man hat Ihnen ein elendes Honorar geboten, ich will nichts thun als zulegen, was pa�lich und schicklich ist, sowohl f�r den Baron, wie f�r mich, der Sie meine zuk�nftige Frau unterrichten. Keine falsche Schaam, lieber Wenzel, oder wollen Sie, da� ich mich sch�men, ich mich dem�thigen soll?

So gezwungen, mu�te ich sein Geld nehmen und kehrte dann mit ihm zu der wartenden Gesellschaft zur�ck. Nach einer Stunde hielt sein gro�er Reisewagen im Hofe, ein pr�chtiger englischer Wagen, vor welchen sechs Pferde gespannt werden mu�ten. Kunststra�en gab es damals noch nicht, die Landstra�en aber waren ungleich besser, als sie jetzt sind, denn man vernachl�ssigte sie nicht, wie es nun geschieht, sie waren das einzige Bef�rderungsmittel.

Er nahm Abschied und wir begleiteten ihn alle ein St�ck hinaus, obwohl der Abend mit seinen Schatten kam. Jacques sa� oben auf dem Bocke, der Wagen fuhr vorauf, der Freiherr ging mit uns bis dort dr�ben, wo die Stra�e am See vor�berf�hrt. Hier nahm er Abschied.

Ich komme, sobald ich kann, sagte er, Mathildens Hand dr�ckend, und wenn wir wieder hier stehen, theure Mathilde, wollen wir dieses Augenblickes gedenken.

Er ri� sich los, winkte mit der Hand, da� Keiner ihm folgen m�chte, und eilte seinem Wagen nach. Wir fuhren nach dem Gute zur�ck.

Es war nat�rlich viel von dem Geschiedenen die Rede und der Baron fragte mich, was er zuletzt noch von mir gewollt habe. Ich hielt es f�r angemessen, wenigstens einen Theil der Wahrheit zu sagen.

Der gn�dige Herr, antwortete ich, hat mich der Ehre gew�rdigt, mir seine Achtung zu versichern, auch habe ich die schmeichelhafte Einladung erhalten, ihm dann und wann ein Briefchen zusenden zu d�rfen.

Nun, antwortete der Baron, das kann Er thun, und da Er �berhaupt eine gute Hand schreibt, kann Er auch f�r mich Briefe schreiben, wo ich welche n�thig habe.

Ich dankte unterth�nigst f�r dies neue Vertrauen, das mir von dieser Zeit ab zu Theil wurde, so da� ich nicht allein der Hauslehrer und der Candidat war, welcher zuweilen die Prediger in der N�he Sonntags vertritt und den Gottesdienst auch wohl in der Stadt h�lt, sondern dabei zugleich den Geheimschreiber des Barons vorstellte, welchem er alle seine Correspondenzen �bertrug.

Aber ich war gl�cklich, gl�cklich und zufrieden! Der Junker Kuno, welcher an meinen Stunden Theil nahm, h�rte sehr bald auf, mir M�hen zu bereiten, denn da er nichts lernte und nichts begriff, fand er es weit n�tzlicher, mit dem Gewehre umherzustreifen, und seine Tage mit der Kunst, Hunde zu dressiren und Vogelschlingen zu drehen, angenehm zu verbringen. Als er dann zur Osterzeit eingesegnet ward, hielt es der Baron f�r die h�chste Zeit, ihn seines Namens w�rdig in das Leben zu schicken. Er brachte ihn als Junker in ein Scharfsch�tzenregiment, wo er sich vortrefflich befand; wir aber blieben nun allein, und nie hat eine Sch�lerin ihrem Lehrer dankbarer gelohnt.

Mathilde lernte mit wunderbarer Leichtigkeit. Ich dehnte meine Lehrstunden daher nach und nach weiter aus, als es n�thig war, las mit ihr die Geschichtsb�cher der Alten, und lernte dabei von ihr, denn sie beobachtete feiner, sch�rfer, als ich es konnte. O welcher Genu�, diesen edlen Geist sich entwickeln zu sehen, welche Freude, f�r sie zu leben! Sie wuchs heran unter meinen Augen, Jahre vergingen, ich bemerkte es kaum. Ich wu�te, da� sie mich ehrte, da� ich eine vertrauende Freundin besa�, und ich – ich h�tte f�r sie leben und sterben m�gen.


Vierter Abschnitt.

Mein Freund Heinrich, der junge Verwalter, blickte sehr ernst und nachdenkend, als er diesen Theil meiner Geschichte geh�rt hatte, w�hrend Marie l�chelte und ihren Antheil sowohl durch ihre freundlichen gl�nzenden Blicke, wie durch die kleinen Liebkosungen kundgab, welche sie mir erzeigte.

O! ich freue mich doch gar zu sehr, rief sie, wie sich nun Alles zum Guten wendet, und ich begreife nicht, fuhr sie mit einem vorwurfsvollen Seitw�rtsschauen fort, wie man dabei stumm und kalt wie ein Fisch bleiben kann.

Heinrich sch�ttelte den Kopf und that ein Paar lange Z�ge aus seiner Pfeife.

Es h�rt sich ganz behaglich an, sagte er, aber was wird daraus werden? Es ist mir bei alle Dem zu Muthe, wie wenn Himmel und Erde voll Sonnenschein sind, nur oben an den Bergen streift der wei�e Dunst und es zittert darin hin und her, bis pl�tzlich die schwarze Nacht �ber den Wald gefahren kommt. Oho! fuhr er dann fort, jetzt wei� ich auch, was es zu bedeuten hat, da� die Frau Baronin mich heute hat zu sich bitten lassen, als ich dr�ben im Schlosse war, um mit dem Inspector wegen H�lfe bei der Ernte zu sprechen.

Ei seht doch! fiel Marie ein. Sie hat ihn rufen lassen!

Und sehr leutselig ist sie gewesen und hat sich mit mir ganz allein unterhalten, fuhr Heinrich lachend fort.

Wenn Du w��test, was sie mich fragte, mein liebes Mariechen!

Ich will es gar nicht wissen, sagte Marie. Aber was war es denn?

Von Ihnen, Herr Pastor, hat sie gesprochen, antwortete mein junger Freund. Erst fragte sie mich, ob ich Sie kenne. Dann, ob ich w��te, wie lange Sie in dieser Gegend w�ren. Endlich, ob ich vielleicht geh�rt habe, da� Sie mit dem Freiherrn genau bekannt gewesen. Ich antwortete, ich w��te es nicht, inde� k�nnte ich es wohl erfahren, und da meinte sie, es w�rde ihr lieb sein, und dann sah sie mich ein Weilchen an, und wie ich ganz etwas Anderes dachte, sagte sie pl�tzlich: Sie wollen, wie man mir berichtet hat, die Pflegetochter des Pfarrers heirathen?

Hier fing er an, laut zu lachen, denn Marie sprang auf und lief davon, er aber sprang auch auf, dr�ckte mir die Hand und sagte leise:

Ich habe ihr geantwortet, bester Herr Prediger, da� es an meinem Willen nicht liegt, und sie hat mir zu verstehen gegeben, es w�rde ihr lieb sein, wenn sie Sie einmal sprechen k�nnte. Das hei�t, sie sollen zu ihr kommen, das w�rde ich jedoch an Ihrer Stelle nicht thun. Dort wohnt der ehrw�rdige alte Herr, habe ich zu ihr gesagt, allen Menschen, die zu ihm kommen, giebt er seinen guten Rath gern. Ich th�te es nicht, Herr Prediger, ich ginge nicht hin.

Nein, sagte ich, ich werde nicht hingehen, obwohl ich andere Gr�nde habe.

Recht so! rief er, wer mich sprechen will, mag zu mir kommen. Jetzt mu� ich Mariechen suchen.

Fr�hlich ging er fort, und bald sah ich sie Beide durch den dunkelnden Baumweg auf und ab wandeln in vertrauter Gl�ckseligkeit. Welche Erinnerungen erf�llten mich dabei.

 

So suchte ich meine ewig theure Mathilde auch, wenn der Abend seine rothen Wolken aussch�ttete, oder wenn der Mond das Land �bergl�nzte und geheimni�volle Schatten unter die alten Linden und Kastanien ausstreute. So wandelte ich mit ihr oft stundenlang umher und Niemand st�rte uns, Niemand beargw�hnte dies Beisammensein, dessen reines Gl�ck Niemand verstand.

Der Baron hatte nichts dagegen, denn er sah diese Spazierg�nge f�r n�tzliche Lehrstunden an, weil wir h�ufig franz�sisch sprachen, und ihn erfreute nichts mehr, als da� Mathilde so rasche Fortschritte darin machte. Im Uebrigen dachte er nicht weiter dar�ber nach, denn da� ich ein junger Mann sei, der ein Herz in der Brust und Empfindungen, die Gott als die edelsten und herrlichsten dem Menschen gegeben, darin haben k�nne, das fiel ihm nicht ein.

Aber wie lange w�hrte es, ehe es mir selbst einfiel! Ich, der arme Hauslehrer, ich, das abh�ngige, hoffende Gesch�pf, das mit einem Fu�sto� vernichtet werden konnte, wie h�tte ich wagen m�gen, mein Auge bis zu dem lieblichen Wesen zu erheben, das obenein die erkl�rte Braut meines Wohlth�ters und Besch�tzers war? Hatten sich selbst verbotene Gef�hle in mir geregt, sie h�tte sicherlich mein Entsetzen aufgeweckt, Entsetzen, Schaam und Schmach vor mir selbst, und mit Entschlossenheit w�rde ich der S�nde Meister geworden sein.

Aber das war es nicht, ich hegte keine frevelhaften W�nsche, ich wu�te von keiner Leidenschaft, welche ihr Verderben �ber mich aussch�tten mu�te. Ich betrachtete das sch�ne, unschuldvolle Kind so unschuldig, wie ich selbst war, und mit ehrfurchtsvoller Scheu sah ich in ihr ein anvertrautes Pfand, einen Baum, den ich pflegte und der zu meiner unendlichen Freude seine Krone und Bl�the immer reicher entwickelte. Nur wenn ich daran dachte, da� dies Gl�ck enden werde, enden m�sse, fa�te mich der Kummer an; wenn ich vor meinem inneren Schauen den Tag erblickte, wo Richard von Hartenstein sie nehmen und in seinen Reisewagen heben w�rde, kam es mir vor, als starre ich in eine trostlose Wildni�.

Es war gewi�, da� meine angebetete Mathilde der Mittelpunkt und die Sonne meines Lebens geworden war, da� ich mit unendlicher Liebe an ihr hing, aber diese Liebe war, wie ich mir selbst sagte, die Liebe eines Vaters, eines Erziehers und Priesters. Meine Aufmerksamkeit, meine �ngstliche Sorgfalt, wenn sie kleine Reisen machte und meine innige Freude, wenn sie zur�ckkehrte, erregten oft die Sp�ttereien des Barons, doch er sah diese Zeichen der treuesten Anh�nglichkeit gern, und meine unverdrossenen Dienste, meine Demuth, meine p�nktliche Befolgung seiner Befehle hatten mir sein Wohlwollen erworben, so weit dies �berhaupt zu erwerben m�glich war.

Er war und blieb ein gef�rchteter Tyrann, f�r Alle, selbst f�r seine Familie und seine n�chste Umgebung. Heute mild gesinnt, wohlth�tig, zur Gro�muth geneigt, erschien er morgen hartherzig, ungerecht, gewaltth�tig. Mit der Peitsche in der Hand, schonte er nichts in �bler Laune, weder seine Pferde und Hunde, noch seine Bauern, seine Diener und seine Kinder. Gegen Mathilden allein war er ein z�rtlicher Vater, sie nur konnte es wagen, ihm in seinem heftigsten Zorne entgegenzutreten, nur ihre Bitten fanden Geh�r, und sie war der Schutzengel aller Mi�handelten und Verfolgten.

Schwerlich w�rde meine Stellung von der Art gewesen sein, da� Friede und Stille mich umgaben, wenn Mathilde nicht so offen gezeigt h�tte, wie sehr sie meine Verehrung durch ihre Achtung erwiederte. Ich war ihr Vertrauter, ihr Freund, ihr Berather. Es gab nichts, was sie mir nicht mittheilte, keinen Gedanken, den ich nicht erfuhr, keine Regung ihrer Seele, die sie mir nicht offenbart h�tte. Sie sagte mir oft, da� es ihr unm�glich sei, Etwas zu verschweigen, und nichts in der Welt h�tte mich stolzer machen k�nnen.

Dagegen war ich nicht ganz so offen gegen sie, oder vielmehr, es gab doch einen Gegenstand, �ber welchen wir beide so viel als m�glich schwiegen, das war der Legationsrath von Hartenstein. Ich erf�llte was ich ihm versprochen, schrieb sehr p�nktlich, anfangs w�chentlich, dann wenigstens alle zwei oder drei Wochen einen Bericht, setzte die mir anbefohlene Adresse darauf, und gab ihn jedes Mal dem F�rster, der mir die n�thige Gelegenheit bot, es unbemerkt zu thun. Es war mir peinlich genug, der Vertraute dieses Mannes zu sein, den ich nicht leiden mochte, entweder weil er ein G�nstling des Barons oder weil er ein roher, t�ckischer Mensch war, oder weil Beides zusammentraf und er mich mit besonderer Vertraulichkeit behandelte. Gleich beim ersten Male, wo ich mit ihm zusammentraf, suchte er mir begreiflich zu machen, da� wir Verb�ndete seien, die verschwiegen zusammenhalten m��ten.

He, sagte er, ich denke, wir wollen den Legationsrath gut bedienen. Es soll nichts hier geschehen, was ich nicht erfahre, und ich will es Ihnen schon zustecken, damit Sie es auf's Papier bringen k�nnen. Passen Sie nur auch gut auf, je eifriger wir sind, um so besser wird er bezahlen. Aus Geld macht er sich nichts, wir aber k�nnen es Beide brauchen, arme Schlucker, wie wir sind.

Da� nur kein Brief verloren geht, antwortete ich, meinen Unmuth so gut es ging verbergend.

Seien Sie ohne Sorgen, fuhr er fort, Jakob und ich, wir verstehen die Sache. Ich gebe Ihre Briefe dem alten Bremer, dem Schlo�verwalter in Hartenstein, der ist verschwiegen wie das Grab. Von ihm bekommt sie der Posthalter, und dieser war Kammerdiener bei dem alten Freiherrn, zieht noch jetzt sein Decem Bezeichnung f�r die Abgabe des �Zehnt�. In Deutschland hatte sich der Zehnte noch bis ins 19. Jh. erhalten., und besorgt p�nktlich, was ihm aufgetragen wird. Wenn's der Baron w��te, f�gte er lachend hinzu, ein Donnerwetter w�rde auf unsre K�pfe fahren, denn das Spioniren kann er nicht ausstehen. Na, erschrecken Sie nur nicht so, erfahren kann er nichts, daf�r sind wir zu klug, viel zu klug.

Ich bin der Ueberzeugung, erwiederte ich stammelnd und dunkelroth, da� ich nichts Unrechtes thue, da der Herr Legationsrath so nah befreundet ist und die Heirath – die Heirath.

Pst! fl�sterte er pfiffig, das ist es ja eben. Unser Fr�ulein ist ein fetter Bissen und der Legationsrath versteht sich darauf. Wenn Alles so w�re, wie es sein sollte, brauchte er uns nicht; aber er ist mehr als noch einmal so alt wie das junge Ding; sch�n ist er auch nicht, einen geh�rigen Buckel hat er, was haben wir hier dagegen f�r schmucke Herren, die zu Pferde sitzen wie die Puppen und einen Hirsch im Galopp schie�en. Der da, sagte er ver�chtlich, kann weder einen Jagdstiefel anziehen, noch eine B�chse spannen; er riecht wie eine Zibethkatze und braucht mehr Geld f�r Pommade, wie unser Baron f�r Alles in Allem das ganze Jahr. Wenn unseren Herrn nicht der Hochmuthsteufel am Seile h�tte, rief er dann sich zu mir beugend, und es nicht ein altes Versprechen w�re mit dem seligen Freiherrn, so w��te ich wohl, was er th�te. So recht leiden k�nnen sie ihn Alle nicht, und das Fr�ulein am wenigsten. Sie gehen mit ihm um, als w�re er von Glas und k�nnte zerbrechen, und er wei� Alles besser. Aber vornehm ist er und klug ist er wie der leidige Satan. Er ist auch eine Art Satan und dann hat er den Jakob, der kennt alle seine Schliche. Na, was geht es uns an? Wir thun ihm den Willen und er bezahlt uns. Immer frisch die Ohren auf, denn wenn Etwas geschieht, was nicht in seinen Kram pa�t, so wird er da sein und es uns danken. Funfzig goldene F�chse, Herr Candidat, ziehen noch besser als f�nf und zwanzig.

Ich machte mich schaamerf�llt von ihm los und vermied es von dieser Zeit an, je wieder ein l�ngeres Gespr�ch mit ihm zu halten. Meine Meinung �ber Richard von Hartenstein war durch diesen gemein denkenden Mann nicht ge�ndert worden. Was konnte der Legationsrath daf�r, da� er so schimpflich beurtheilt wurde? Ich bedauerte ihn und suchte mich durch ihn zu rechtfertigen, denn wenn ich daran dachte, da� dieser Elende mich als einen Spion betrachtete, und wenn ich �berlegte, was geschehen konnte, wenn der Baron, wenn Mathilde meine geheimen Briefe entdeckten, �berkam mich ein entsetzliches Bangen.

Aber der Legationsrath war ein feiner, ein edler und hochgebildeter Mann, er war mein Freund, mein Besch�tzer und er liebte Mathilden. Er liebte sie, war das ein Verbrechen? Fern von ihr, gezwungen, sie zu verlassen, war es sein Trost, von ihr Alles zu h�ren, was sie und ihre Umgebung betraf, mochte es noch so unbedeutend sein.

Ich versetzte mich in seine Lage und fragte mich, ob es nicht mein h�chstes, denkbares Gl�ck sein w�rde, wenn ich getrennt von diesem lieblichen Wesen, einen Freund bes��e, der mir von jedem Tage, von jeder Stunde, wo er sie gesehen und geh�rt, Nachricht g�be, voll der Bewunderung und Genugthuung, die er selbst dabei empfunden. So beruhigte ich mich und nur das Geld, welches er mir zugewandt, machte mir Bedenken. Er hatte es zwar ausdr�cklich eine Vervollst�ndigung meines Honorars genannt, allein daf�r war es zu viel, denn f�r gew�hnlich erhielt ein Hauslehrer damals nicht mehr, als was der Baron mir bewilligte. Ich beschlo� demnach, jene Goldst�cke nicht anzur�hren, sie nicht als mein Eigenthum zu betrachten, sondern als fremdes Gut, das ich verwahre. –

Getr�stet in meinem Gewissen, fuhr ich fort, Briefe zu schreiben, und diese wurden oft sehr lang, denn ich schrieb ganze Gespr�che ab, welche Mathilde mit mir hielt, und in welchen sich ihr Edelmuth, ihre Seelenreinheit, ihr klares, sch�nes Denken und ihr unschuldsvolles Empfinden offenbarte. Antworten darauf erhielt ich zwar sehr selten, doch kamen von Zeit zu Zeit Briefe an den Baron und an das Fr�ulein, zuweilen begleitet von pr�chtigen Geschenken, und einige Male lag auch ein Blatt f�r mich darin, mit huldvollen Zusicherungen des fortgesetzten guten Andenkens, das er mir bewahre, und anderen �hnlichen Redensarten. Auf diese Briefe mu�ten dann Antworten erfolgen, wie sie mir der Baron dictirte.

Mathilde schrieb nur in franz�sischer Sprache, diese Briefe blieben aber stets kurz und bewegten sich in den hergebrachten h�flichen Formen. Der Baron lie� sie sich �bersetzen und war zufrieden damit, so auch mit denen des Legationsraths an seine Tochter, welche keinesweges z�rtlich oder feurig lauteten, sondern meist ernsthaft, belehrend und ermahnend klangen, �ber viele Arbeit und angestrengte Th�tigkeit klagten und mit moralischen Betrachtungen �ber Welt, Leben, Leichtsinn, Zeitverlust und Verwilderung der Sitten schlossen.

Die franz�sische Revolution war damals durch den General Bonaparte zum Abschlu� gebracht worden. Das neue Jahrhundert brach herein und zeigte der staunenden Menschheit bald einen ersten Consul, vor welchem die m�chtigsten und �ltesten F�rstenh�user sich beugten. Damals gab es selbst in der Hauptstadt nur einige kleine Zeitungen, welche zwei Mal w�chentlich erschienen, allein bis zu uns verirrten sich auch diese h�chst selten, und nur den Ger�chten und vereinzelten Mittheilungen blieb es �berlassen, uns von dem zu unterrichten, was in der Welt vorging.

Der Baron war mit der tiefsten Verachtung gegen Alles, was Franzose hie�, erf�llt. Er kannte sie von Ro�bach Schlacht bei Ro�bach im heutigen Sachsen-Anhalt am 5. November 1757; Sieg des preu�ischen K�nigs Friedrich II. �ber die franz�sische Armee. her und sah nichts in ihnen, als eine Rotte Gesindel, das beim ersten Kanonenschu� ans Ausrei�en dachte. Dazu kam die Revolution und die Hinrichtung Ludwigs XVI., an welche er nicht denken konnte, ohne in Wuth zu gerathen. Es war auch selten Jemand in unserer Gegend zu finden, der anders urtheilte. Die Landleute lebten in tiefster Abh�ngigkeit, der Adel aber auf seinen G�tern – denn ein B�rgerlicher konnte und durfte kein Rittergut besitzen – war voller Ha� �ber die Anma�ungen des P�bels und �ber die neuen Ideen, obwohl er keine Ahnung hatte, da� die Frechheit derselben auch einmal seine Vorrechte antasten k�nnte.

Die Briefe des Legationsrathes enthielten nun zuweilen auch Bemerkungen �ber die politischen Verh�ltnisse, aus denen hervorging, mit welchem spottenden Ingrimm die Diplomaten sich in das Unab�nderliche f�gten, allein sie f�gten sich doch, und sprachen von Bonaparte wie von einer au�erordentlichen Erscheinung. Mehr als einmal mu�te ich auf Befehl des Barons schreiben, da� es Schmach und Schande sei, einem solchen Cujon, wie diesem Bonaparte, nicht die Bajonette in die Rippen zu setzen. Vor dem Kr�ckstock des alten Fritzen w�re er mit allen seinen Kiskedies (Franzosen) l�ngst �ber den Rhein gelaufen und wenn erst einmal die Preu�en k�men, sei es aus mit der Faxenmacherei des corsicanischen Windbeutels.

So urtheilten sie mit wenigen Ausnahmen Alle, und eben dieser �berm�thige Glauben hat sp�ter das Unheil noch mehr erleichtert. Der Legationsrath antwortete darauf mit allerlei sarkastischen Bemerkungen, da� der Hammer nicht fehlschlagen w�rde, wenn er seinen Schlag th�te, den man abwarten m�sse, da� der K�nig friedliebender Natur sei, die sich schwer besiegen lasse, da� man einen B�ren finge, wenn man ihm Honig zu lecken g�be, und da� dieser Bonaparte auch seinen Strick finden werde, der vielleicht schon f�r ihn gesponnen sei.

 

Nach einem Jahre ungef�hr wurde dieser Briefwechsel unterbrochen, denn der Legationsrath hatte eine weite Reise angetreten, doch ehe der Baron diese Nachricht erhielt, war ich davon in Kenntni� gesetzt. Durch den F�rster Heinz empfing ich eines Tages ein Schreiben von Richard von Hartenstein, mit der Anzeige, da� er an den spanischen Hof geschickt werde. Voller Dank f�r meine Freundschaft, bat er mich, nicht darin zu erm�den, und ersuchte mich, meine Briefe ganz wie bisher abgeben zu lassen, da er sie mit den Depeschen nach Madrid erhalten w�rde. Zugleich wiederholte er seine Versicherungen ewiger Dankbarkeit, und was ich davon erwarten d�rfe.

Als ich nach einigen Stunden zu meiner Sch�lerin kam, stand sie vor einer Landkarte, die an der Wand hing, und suchte darin umher. Ihr Gesicht schien besonders freundlich und belebt, und als sie mich ansah, winkte sie mir l�chelnd zu. Wenn man nach Spanien reist, fragte sie, welcher w�rde dann der n�chste Weg sein?

Ich glaube, da� ich bei dieser Frage erbla�te, denn ich bildete mir ein, es sei im Werke, da� sie dem Freiherrn nachfolgen solle.

O mein Gott, sagte ich, das ist eine lange und gef�hrliche Reise durch Deutschland und Frankreich und �ber das wilde Gebirge der Pyren�en.

Herr von Hartenstein, antwortete sie l�chelnd, ist schon auf dem Wege, allein er geht zuerst nach London und dann zur See.

Und Sie? fragte ich.

Ich? Nun ich, lieber Magister, ich bleibe bei Ihnen und meine, da� dies das Beste ist, was ich thun kann.

Ihre Augen sahen so hell in die meinigen, da� ich vor seliger Freude kein Wort erwiederte. Sie wurde auch verlegen �ber ihre Worte, und wandte sich wieder zu der Landkarte, die wir nun beide studirten und �ber den Weg sprachen, welchen der Legationsrath nehmen mu�te. Dabei erz�hlte sie mir, da� der Baron so eben einen Brief erhalten habe, in welchem aber nichts stehe, als da� ihr Vetter am n�chsten Morgen fort m�sse und nicht durch Frankreich reisen werde.

Und auch Sie haben keine umst�ndlichere Nachricht? fragte ich.

Er wird sobald nicht wiederkommen, erwiederte sie leise l�chelnd vor sich hin.

Der Ton, in welchem sie diese Worte sprach, erregte mir ein sonderbares Zittern. Sie klangen so, als w�re, was sie mir mittheilte, etwas recht Gl�ckliches. Ich wagte keine Bemerkung dar�ber, doch pl�tzlich erinnerte ich mich, was der F�rster gesagt hatte, sie k�nnen ihn Alle nicht recht leiden und das Fr�ulein am wenigsten. Zum ersten Male glaubte ich daran, nachdem ich dies gesehen und geh�rt hatte.

Aber im Stillen war ich dar�ber betr�bt, und doch kamen auch Stunden, wo es mich freute. Warum mochte sie ihn nicht leiden, ihn, der sie so sehr liebte? Der vornehme stolze Herr, der sie zu seiner Gemahlin machen und sie in ein pr�chtiges, ger�uschvolles Leben f�hren wollte, schien mir so liebensw�rdig und so reich an Vorz�gen und Tugenden, da� ich ihre Abneigung nicht begriff und nach kurzer Zeit es wieder bezweifelte. So viel war jedoch gewi�, da�, nachdem sie wu�te, der Freiherr sei durch weite L�nder und Meere von ihr getrennt und k�nne sobald nicht zur�ckkehren, ihre Heiterkeit und ihr Frohsinn sich vermehrten.

Im Herbst kamen ihre Br�der und deren Freunde und Vettern. Die Jagden begannen und Feste wurden gefeiert; der Adel in der Umgegend war vergn�gungslustig, bei schwelgerischen Mahlen und B�llen versammelten sich die Damen, bald dort, bald da, und �berall wurde jetzt Mathilde von dem Baron mitgenommen. Sie z�hlte noch nicht sechszehn Jahre, aber man konnte sie f�r achtzehn halten. Hartenstein hatte ihr mancherlei sch�nen Putz geschickt, und der Baron, so geizig er war, sparte keine Kosten, um seine sch�ne Tochter zu schm�cken, die �berall Aufsehen zu erregen begann.

Es befanden sich einige Herren aus der Hauptstadt bei diesen Festen, Offiziere von der Garde und ein Kammerherr, die auf ihre Ehre schwuren, da� dies sch�ne Kind selbst bei Hofe Neid erregen w�rde. Ich hatte Gelegenheit ein solches Gespr�ch einst anzuh�ren, w�hrend ich hinter einem Vorhange am Fenster stand und im Saale vor mir getanzt wurde. Es gab mir viel zu denken.

Hartenstein, sagte der Eine, will also wirklich diese Partie machen?

So wie er aus Spanien zur�ckkehrt, war die Antwort.

Und sich nicht etwa eine schwarz�ugige Donna mitbringt, fiel der Erste ein.

Bah, erwiederte sein Freund, er hat rasch gelebt, doch wenn Einer versteht, seine Zeit anzuwenden, so ist er es.

Das mu� wahr sein, fiel der Andere ein, und er hat Geschmack, das sieht man selbst an diesem Bl�mchen vom Lande, das den Beschlu� machen soll.

Den Beschlu�? lachte sein Freund. Bei meiner Ehre! das ist eine k�hne Behauptung. Allein die Partie ist gut, das kleine blonde M�dchen hat Geld.

Das Verm�gen ihrer Gro�mutter f�llt ihr allein zu, �berdies ist der Alte auch im guten Stande und wenn sie ordentlich zugestutzt wird, braucht er sich ihrer nicht zu sch�men.

Warum bringt man sie denn nicht in eine Pension?

Weil der Alte ein Knicker ist und weil ich glaube, Hartenstein versteckt sein Sch�tzchen so gut er kann.

Die beiden Herren lachten boshaft. –

Wie w�r's, wenn Sie einen Sturm wagten, Graf? fragte der Eine dann.

Danke! antwortete der Graf. Ich liebe die rohe Natur nicht, die mich anstarrt ohne mich zu begreifen, dazu dieser Schwiegervater – ein k�stlicher alter Bursche!

Und nicht zu vergessen den verhungerten Candidaten, der hinter dieser Dulcinea herschleicht wie der Schatten Sancho Pansas, fiel sein Freund ein. Ich glaube das s��e Kind hat sich in ihn verliebt.

Verliebt? in den schwarzen Affen?

Sie sieht ihn so z�rtlich an wie ein S�ugling seine Wickelfrau und l��t uns stehen, um mit ihm zu kosen. Wo ist das holdselige Ungeheuer? Bemerken Sie, wie sie ihn sucht!

Das Gel�chter erneute sich, die beiden Herren standen auf. Ich schl�pfte aus meinem Versteck und eilte fort in die Nacht hinaus, dr�ckte meine H�nde auf mein hochschlagendes Herz und wiederholte mit zitternden Lippen:

Sie liebt mich, mich, das Ungeheuer, den Elenden, den Knecht? – Wahnsinn! – O nein, nein! theure, angebetete Mathilde, sie l�gen, sie spotten, aber ich, ich liebe Dich, weil Du sch�n, weil Du gut, weil Du fromm wie Gottes Engel bist.

Nach diesem Bekenntni� wurde ich ruhiger, und als ich meine Thorheit zwanzig Mal �berlegt hatte, kehrte ich in den gl�nzend erleuchteten Saal zur�ck, um mein Haupt vor dem Spotte der Menschen zu beugen, die mich weniger beachteten denn einen Fleck auf ihrem Handschuh.

In einem der Vorzimmer kam sie mir entgegen und ich wei� nicht ob mein Gesicht verst�rt oder bleich aussah, sie legte ihre Hand auf meinen Arm, sah mich besorgt an und fragte leise:

Wo waren Sie?

Ich entschuldigte mich, es sei mir zu hei� gewesen.

O, werden Sie nicht krank! bat sie. Sie sehen so aus, ich �ngstige mich.

Gewi� nicht, antwortete ich, ich f�hle mich wohl.

Wenn wir nur erst wieder allein sind, fuhr sie fort. Ich hasse dies Getobe und diesen bunten Menschenhaufen.

Der Graf erschien an der Th�re, um sie zum Tanz zu holen, er warf mir einen hohnvollen ver�chtlichen Blick zu. Ich verneigte mich und trat zur�ck, aber ihre Worte und ihr letztes freundliches Zunicken hatten einen Strom von neuem Gl�ck �ber mich ausgegossen.

 

Von diesem Tage an verging wiederum ein Jahr meines Lebens, f�r welches ich dem allg�tigen Gott noch immer dankbar bin. Nichts st�rte meine Zufriedenheit; keine s�ndige Anfechtung warf ihre schwarzen Schatten auf mich; jeder neue Morgen brachte mir neue Freuden. Mathilden war mein ganzes Dasein gewidmet, alles was ich that, alles was ich dachte, war f�r sie gethan und gedacht. Was ich lernte war darauf berechnet, es sie zu lehren, was ich erforschte, sollte ihr Freude machen; ich sann unaufh�rlich darauf, was ich beginnen k�nne, um ihr zu beweisen, wie lieb und theuer sie mir sei.

Und in dies reine edle Beisammensein mischte sich kein ungest�mer Wunsch. Ich wu�te ja, wie hoch und fern sie mir stand, ich wu�te ja, was ihr Vater, ihre Familie von ihr erwarteten, was der entfernte vornehme Herr wollte, der inzwischen von Spanien nach Konstantinopel und von dort nach Petersburg geschickt worden war und noch immer nicht zur�ckkehrte.

Unsere Correspondenz hatte aufgeh�rt; es war mir nicht m�glich mehr an ihn zu schreiben. Theils sch�mte ich mich es Mathilden zu verbergen, theils beherrschte mich eine unbestimmte Furcht meine Gedanken und Empfindungen dem Legationsrathe so mitzutheilen, wie es jedenfalls geschehen w�re. Ich f�rchtete ihm etwas zu verrathen und doch sagte ich mir, da� meine Liebe zu Mathilden ihn nicht erschrecken k�nne. Er wollte ihren K�rper, ihren Besitz, ihr Geld, ich wollte ihre Seele und diese geh�rte mir. Ich war zufrieden mit ihrer N�he, mit ihrem L�cheln, mit einem Blick aus ihren Augen, mit dem Klange ihrer Stimme, die in meinem Herzen eine selige Lust aufweckte – ich wu�te nicht, da� ich mich in eine Schw�rmerei verloren, die eines Tages zerbrechen mu�te und da� ein Abgrund darunter lag, den wir beide k�nstlich zugedeckt hatten.

Um diese Zeit war es auch, wo ich zuerst dies Haus und diesen Garten betrat, in welchem ich jetzt sitze und meine Erinnerungen niederschreibe. Der Pastor Lerche, der diese Pfarre verwaltete, war ein frohsinniger Greis, einer der alten derben Rundk�pfe, welche Lebensgenu� zu sch�tzen wissen, mit Denken und Studiren sich nichts zu schaffen machen, aber daf�r die guten Sch�ssel, den vollen Bierkrug und die dampfende Pfeife lieben. Seine Stelle war eine der besten und seine Gastfreundschaft eben so bekannt, wie seine Genu�sucht und seine Garten- und Bienenzucht.

Ich f�hlte mich wenig zu ihm hingezogen und da dieser Ort mehrere Stunden von meinem Aufenthalte entfernt lag, kam ich nicht eher zu ihm, bis ich dazu ganz besonders aufgefordert wurde. Die Ursache war, da� der Greis von einem Schlaganfalle heimgesucht ward, als er bei einer Hochzeit des Guten zu viel gethan. Er blieb gel�hmt und ich vertrat ihn nun �fter in seinem Amte. Das Patronatrecht der Stelle war getheilt, es geh�rte theils dem Freiherrn von Hartenstein, theils dem Baron von Daber; an die Folgerungen, welche sich daraus ziehen lie�en, dachte ich nicht im Entferntesten, auch war das Befinden des Pfarrers nicht von der Art, da� sein baldiges Ende vorausgesehen werden konnte.

W�hrend des Sommers und Herbstes hatte ich mehrere Male hier gepredigt und in �blicher Weise dann den Tag im Pfarrhause verlebt, wo ich bewirthet wurde. Der Pfarrer war gut eingerichtet und seine Tochter sorgte mit Freundlichkeit f�r mich, wogegen ich mich bem�hte, ihr Trost zuzusprechen und Hoffnungen f�r die Wiederherstellung ihres Vaters zu erwecken. Es war ein gutherziges M�dchen, nicht mehr jung und noch weniger sch�n. Der Vater bei seinen Bienen, seinen Blumen und mit Kartenspielen und Tabakrauchen besch�ftigt, hatte niemals Zeit gehabt sich um ihre Erziehung zu k�mmern, daf�r lehrte die Mutter sie spinnen, n�hen, weben und stricken, den Braten vortrefflich bereiten und den besten Kuchen backen. Als die Mutter starb, war Jungfer Dorothea eine verst�ndige Haush�lterin geworden, die keine faule und schlechte Magd, keine Unordnung und keinen dick gesponnenen Faden duldete, selbst arbeitete von fr�h bis sp�t und von ihren Untergebenen Arbeit verlangte. –

Mit diesem l�ndlich kr�ftigen M�dchen brachte ich verschiedene Sonntage zu, hatte manche Gelegenheit ihren praktischen Sinn und ihre Sorgsamkeit f�r den kranken Vater zu erkennen, kehrte aber dann mit verst�rkter Sehnsucht zu meiner geliebten Sch�lerin zur�ck, die in so vielen Dingen der Gegensatz zu Dorothea war.


F�nfter Abschnitt.

Heute brachte mir mein junger Freund Heinrich ein Billet von der Baronin von Hartenstein, in welchem sie mich einlud sie zu besuchen, da sie mir verschiedene Fragen vorzulegen habe, welche ihren verstorbenen Gemahl und dessen Familie betr�fen.

Der Spaziergang ist f�r mich zu weit, erwiederte ich, und bei dieser gro�en Sonnenhitze kann ich ihn kaum wagen.

Ganz recht, fiel der junge Mann lebhaft ein, aber wenn es auch nicht so w�re, sie m��te dennoch kommen. Ich will es ihr mit d�rren Worten sagen und habe es halb und halb auch schon gethan. Sie hat keine Ursache hochm�thig zu sein, denn jetzt wei� man gewi�, da� nicht ein Ziegel auf dem Dache ihr geh�rt.

Mein lieber Heinrich, antwortete ich ihm, eben weil es so ist, m�ssen wir um so milder mit ihr sein. Ich will ihr einige Worte schreiben, und sie bitten meine Schw�che zu entschuldigen.

O, Sie, rief er unmuthig, Sie haben in Ihrem ganzen Leben zu nachgiebig und – nehmen Sie es mir nicht �bel – zu schwach gehandelt. W�ren Sie entschlossen gewesen kein Unrecht zu dulden, so w�re es anders gekommen. H�tte ich diese Mathilde geliebt – bei Gott! keiner h�tte sie mir nehmen sollen und wenn es zum Aeu�ersten gekommen w�re.

Marie hielt ihm erschrocken den Mund zu.

La� ihn nur, sagte ich traurig l�chelnd, vielleicht hat er nur zu sehr Recht. Weil ich mehr Ergebung als Muth besa�, ist mir geschehen, was er vielleicht gehindert h�tte. Aber Gott hat in die eine Menschenbrust die St�rke des L�wen gelegt, in die andere die List der Schlange. Mir hatte er den Muth zugetheilt zu tragen, was ich tragen mu�te, um die Seele vor Verzweiflung zu retten, welche gl�ubig an meinen Lippen hing.

Sie verlie�en mich beide still und in sich gekehrt und ich habe diese Nacht recht unruhig zugebracht, theils der Hitze wegen, theils aber wohl weil ich sehr bewegt von mancherlei Gedanken und Vorstellungen war, die aus dem dunkeln Gef�ngni� meiner Erinnerungen, wo sie vergessen lagen, hervorkamen und sich lebendig um mich bewegten. Ich bereue beinahe, da� ich mich damit eingelassen, meine an sich so geringen Begebnisse niederzuschreiben; denn wer sein Leben beschreibt, mu� seine Feder in die Wunden tauchen, die er aufrei�t und ich begreife, wie der verstorbene Freiherr nicht dazu kommen konnte Memoiren zu verfassen, da so viel aufgestachelte Leidenschaft es ihm unertr�glich machen mu�te.

Dennoch habe ich den Drang dazu, nachdem ich von meinem Gl�cke gesprochen, auch mein tiefes Leid nicht zu verschweigen; allein ich f�hle die Kraft nicht mich darin zu versenken und mu� mich begn�gen ein fl�chtiges Bild davon zu entwerfen.

 

Als der dritte Herbst gekommen war, hatte Mathilde ihr siebenzehntes Jahr erreicht und eine sch�ne aber zarte Jungfrau hatte sich entfaltet. Am Tage nach diesem Geburtsfeste war es, wo ich mit ihr von einem Spaziergange zur�ckkehrte und wir beisammen auf dem H�gel am Ende des Gartens standen, von dem aus man das weite Feld �berblickte. Landleute waren in der Ferne besch�ftigt die Wintersaat zu bestellen. Sie trieben ihre Thiere an und nicht weit von uns bemerkten wir einen jungen Mann, der fr�hlich jauchzend und singend sein Gespann lenkte und dabei Scherze mit einem M�dchen trieb, das eben so froh und lustig war wie er selbst.

Die Sonne fiel roth und sch�n hinter wei�em Gew�lk und f�rbte es bald mit jenem wunderbaren feurigen Purpur, den so leicht kein Menschenauge anblicken kann, ohne ein g�ttliches Empfinden zu sp�ren. Der arme Bauer auf der H�he vor uns wurde von diesem Lichte versch�nt, die B�ume und Felder von einer s��en zauberischen Ruhe bedeckt und als ich aufblickte zu Mathilden, stand sie wie in Verkl�rung vor mir, ihre H�nde gefaltet, ihre Augen voll Thr�nen.

O theuerste Freundin, sagte ich, warum weinen Sie?

Ich m�chte sterben, antwortete sie leise.

Sterben! rief ich ersch�ttert. Sie so jung, so hoffnungsvoll! Sterben, f�gte ich hinzu, welch furchtbares Wort!

Hat der Tod denn so viel Schreckliches f�r Sie? fragte sie mich. Ist er nicht ein Erl�ser von Leiden? F�hrt er uns nicht aus diesem dunklen Leben zu dem Quell alles Lichtes?

Wenn wir unser Leben auf Erden vollbracht haben, wie es Gottes Wille ist, sagte ich.

Was ist Gottes Wille?! fl�sterte sie. Und pl�tzlich hob sie die Hand auf und deutete auf den Bauer, indem sie mit ungew�hnlicher Heftigkeit ausrief: Er ist gl�cklich, warum bin ich es nicht?!

Erschrocken sah ich sie an. Sie sind nicht gl�cklich? fragte ich von Schmerz ergriffen. Was, o mein Gott, was kann ich thun?

Wie sie sich an mich lehnte, wie sie ihre Augen mit beiden H�nden bedeckte und wie ich diese fa�te und. fortzog, ergriff mich eine namenlose Angst. Dann sah ich ihre Blicke auf mir ruhen, ein gl�hend Feuer brannte darin, war es der Abglanz der Himmelsglut, die jetzt in ihrer ganzen Majest�t aufloderte, war es die stumme Sprache ihrer Seele – die Flamme schlug �ber mich zusammen, ich wu�te nicht mehr was ich that.

Mathilde! schrie ich auf, und k��te sie. Ich zog ihre H�nde an mein Herz, ich kniete zu ihren F��en, ich sah, wie sie sich niederbeugte, wie ihre Lippen sich zu mir neigten, ich h�rte wonnevoll zitternd, wie sie mich Friedrich nannte.

An Frieden reich! Wer hatte mir diesen Namen gegeben? – O meine arme Mutter, Segen, Segen in Deinem Grabe! Deine Stimme hallt noch jetzt in meinem Ohr, als Du bei Deinem letzten Abschiede zu mir sprachst: Bringe Frieden wohin Du gehst und sei dem Herrn treu, er wird Dir seine Krone reichen.

Wie ich vor Mathilden auf meinen Knieen lag, das war die sch�nste, die s��este Minute meines Lebens. Geliebt von ihr, trunken in Seligkeit, alle Erdennoth vergessen, befreit von aller Niedrigkeit, Gott gleich in seiner g�ttlichen Freiheit und St�rke! Solche Minute wiegt langen Kummer auf, sie ist ein langes Menschenleben werth.

Pl�tzlich schrie eine Stimme unten zwischen den B�umen:

Da steht sie. Dort oben. Halloh! und wo ist der Magister? Was sucht er da unten auf dem Boden? –

Es war als ob die Trompeten von Jericho klangen, vor denen alle Mauern st�rzten.

Ja, die Mauern vom Tempel meines Gl�cks st�rzten ein, sie fielen prasselnd auf mich. Ich blickte mit verzerrtem Munde, mit rollenden Augen zu dem Wege hin und sah dort den Baron, dem Richard von Hartenstein nachfolgte.

Der Freiherr hatte einen weiten dunkeln Reisemantel um seine Schultern geschlagen, der ihn ganz einh�llte, sein Hut mit breiten Spitzen war tief in seine Stirn gedr�ckt. Der Wind, der sich erhob, schlug das rothe Futter des Mantels um und die brennende Gluth des Himmels verwandelte sich in ein gewitterhaft drohendes Dunkel. Er sah mich stier und fest an, ein Grauen ergriff mich, denn es kam mir vor, als ob der b�se Feind mich betrachte, um mich zu verschlingen. Seine Hand hielt den Griff des Degens gefa�t, den er trug; ich war unf�hig mich zu r�hren, so hatten Ueberraschung und Schrecken mich ergriffen. Auf meinen Knieen lag ich wie festgebannt und erwartete, da� er mich durchbohren w�rde. Aber dies Alles war nur ein Augenblick, denn im n�chsten lachte er laut auf, kam auf mich zu, fa�te meinen Arm und zog mich in die H�he.

Ich bin es wirklich, rief er, bin keine Erscheinung, lieber theurer Magister. Ich bin da, meine kleine Braut, meine s��e Mathilde, zur�ckgekehrt zur guten Stunde, wie ich denke, und schw�re es Sie nun nicht wieder zu verlassen.

Er �ffnete seine Arme, doch sogleich besann er sich, k��te Mathildens Fingerspitzen und l�ftete mit der andern Hand seinen Hut. Wie es damals �blich war, wo in den h�hern St�nden wenigstens, Mann und Frau sich nicht Du nannten, sondern Sie und die �u�ere h�fliche F�rmlichkeit festgehalten wurde, mochten auch alle sittlichen Schranken l�ngst gefallen sein, so behandelte auch der Legationsrath seine Verlobte mit aller Galanterie dieser Zeit. Er that, als bemerkte er nicht ihre Bl�sse, ihr Zittern, ihren entsetzlichen Zustand; er �bersch�ttete sie mit Schmeicheleien �ber ihre k�rperliche Entwickelung, �ber ihre Sch�nheit und ihr gutes Aussehen, und lie� den Baron nicht dazu kommen, irgend eine Bemerkung zu machen.

Eine solche machte dieser aber dennoch zuletzt. Er betrachtete mich mit einem grimmigen Blick und sagte, indem er auf meine Beine wies:

Wie sieht Er denn aus und was hat Er denn da in der Hand?

Es war Mathildens Ring, ein Erbtheil ihrer seligen Mutter, den sie in meinen Fingern zur�ckgelassen hatte.

Mathilde hat den Ring verloren, und der gute Magister hat ihn im Schwei�e seines Angesichts gesucht, rief Hartenstein lachend statt meiner. Er soll ihn auch behalten zum ewigen Andenken an diese Stunde.

Damit wandte er sich zu Mathilden und bat sie um ihre Einwilligung zu diesem Pr�sente f�r seinen werthen Freund, der sich so viel um sie und ihn verdient gemacht habe. Ich sah einen teuflischen Hohn um seine Lippen, w�hrend er in grazi�ser Weise ihre Fingerspitzen k��te.

Wir gingen dann gemeinsam in das Haus zur�ck. Der gro�e Reisewagen stand an der Th�re, derselbe Wagen, in welchem er uns verlassen hatte. Monsieur Jacques war mit Abpacken besch�ftigt und nickte mir einen heimlichen Gru� zu, indem er die Koffer hereinbrachte. Der Freiherr war von Petersburg gekommen und hatte seine Ernennung zum Geheimen-Legationsrath als Belohnung vom Grafen Haugwitz in Empfang genommen; mit ihr in der Tasche war er zu uns geeilt, um, wie er sagte, jetzt in den Armen der Liebe auszuruhen. –

Mit dem Eintritt dieses Mannes in dies stille Haus ver�nderte sich dessen ganzes Aussehen. Er hatte au�er Jakob noch einen Bedienten mitgebracht, welche beide auf seinen Wink ganze Packe und Kisten mit den kostbarsten Geschenken herbeitrugen. Reiche Stoffe, Geschmeide, Luxusgegenst�nde aller Art, breiteten sich auf den Tischen aus, vor denen Mathilde furchtsam und bilds�ulenartig stand.

Der Baron stolzirte mit t�rkischen Pfeifen umher, deren ungeheure Bernsteinkn�pfe ihm besonderes Vergn�gen machten. Stiefeln von russischen Juchten erh�hten seine Begeisterung, und ein halbmondf�rmiger S�bel in rother Scheide, mit welchem er N�gel aus den W�nden hieb, brachte ihn dahin, den Freiherrn so st�rmisch an die Brust zu dr�cken, da� dieser beinahe erstickte. Er fluchte und schwor, da� er sich revanchiren wolle, und Hartenstein fordern m�ge, was ihm beliebe, er w�rde bei Tod und Ehre niemals nein sagen.

Der Diplomat l�chelte, indem er seine Augen �ber Mathilden fliegen lie�, die er alle diese sch�nen Sachen als sein versp�tetes Geburtstagsgeschenk anzunehmen bat. Dann wandte er sich an mich und sagte in seiner feinen gewinnenden Weise:

Glauben Sie nicht, bester Magister, da� ich Sie vergessen habe. Ich wei�, wie sehr Sie mein Freund sind, und wie vielen Dank ich Ihnen schulde. Einem so gelehrten und bescheidenen Herrn kann ich keine gew�hnlichen Geschenke machen. Nehmen Sie aber inzwischen als Zeichen der Erinnerung dies von mir an, Besseres habe ich morgen f�r Sie.

Er �berreichte mir dabei seine goldene Uhr, die er aus der Tasche zog, vor welcher ich sch�chtern und best�rzt meine Hand zur�ckzog. –

Gn�digster Herr, sagte ich, es bedarf keines so kostbaren Zeichens Ihrer Gunst.

O, meine Gunst, fiel er ein, die wird in anderer Weise Ihnen vergelten; aber damit Sie k�nftig immer wissen, was es an der Zeit ist, so nehmen Sie.

Nehme Er, was Ihm geboten wird! schrie der Baron, als ich noch immer z�gerte. La� Er den Geheimenrath nicht da vor sich stehen, wie mit einem Pr�sentirteller in der Hand.

Ich mu�te nehmen, ich mu�te danken und mu�te den ganzen Abend �ber Zeuge sein, wie Hartenstein Mathilden und ihren Vater mit seinen Reisen und deren gl�nzenden Erfolgen unterhielt. Bald beschrieb er die H�fe und die F�rsten, bei denen er gewesen, bald die L�nder und die Feste. Es war unm�glich, ihm theilnahmlos zuzuh�ren, denn er erz�hlte vortrefflich und verstand es, alle Farben zu mischen. Dabei war er voller Liebensw�rdigkeit, voller Witz und voll guter Laune, und ach, was war ich gegen diesen heitern, vornehmen, von K�nigen und Kaisern begnadigten Mann, ich, der arme, geb�ckte, dem�thige verlassene Magister!

Wenn ich ihn ansah, so fein und gewandt, so beredt und erfahren, so gl�nzend und so hoch geboren, �berfiel mich ein grausamer Schmerz. Gott wei� es, ich hatte nie mein Auge anklagend zu dem Sch�pfer erhoben im bittern Schmerze, da� er mich nicht ein Hoher und Gewaltiger auf Erden sein lie�, aber in dieser Nacht, wo ich wie auf gl�henden Stacheln mich auf meinem Lager w�lzte, ergriff mich der Neid, und ich z�rnte in meinen Qualen mit dem Herrn alles Lebens, ich ballte meine H�nde, schlug sie verzweiflungsvoll an meine Brust und streckte sie gegen den d�stern Himmel aus.

Warum?! rief ich in Angst und Wuth, warum bin ich verdammt? Warum zertreten? Warum der Wurm, der sich im Staube windet?! Was habe ich gethan? Was hat er voraus? Wo ist sein Recht, gerechter Richter? Bist Du es?! Bist Du es?!

Und ich brach in ein halb wahnsinniges Lachen aus.

Ich konnte es endlich nicht mehr ertragen, lange vor Tagesanbruch sprang ich auf, kleidete mich an, und verlie� das Haus. – Als ich durch den �den Vorsaal ging, glaubte ich Schritte hinter mir zu h�ren. Wenn ich still stand, vernahm ich nichts, wenn ich weiter ging, rauschte es mir nach. Als ich an meinem Fenster vor�berkam, sah ich den Schatten einer Gestalt oder glaubte ihn zu sehen, auf meine leise Frage aber erhielt ich keine Antwort, und ich ging weiter, ich hatte mich get�uscht.

Die B�ume rauschten mir entgegen, die Sterne funkelten, ich sah in ihr kaltes Licht, das keinen Trost f�r mich hatte. Ich wei� nicht, was mich antrieb, da� ich zu dem H�gel eilte; aber als ich in seiner N�he war, glaubte ich durch das Rauschen der Zweige ihre Stimme zu h�ren; ich glaubte, den unverge�lichen Ton zu h�ren, mit dem sie �Friedrich!� rief. Ich streckte meine H�nde aus und meine Lippen antworteten ihr.

Ich komme, schrie ich, ich komme, Mathilde!

Und suchend irrte ich �ber den kleinen Raum, suchend und vor Hoffnung bebend. – Sie war nicht da; get�uscht, entsetzt, im Fieber warf ich mich an der Stelle nieder, wo ich vor ihr gekniet, und k��te den Rasen, den ihre F��e ber�hrt hatten.

Ich wei� nicht, wie lange ich hier lag in Thau und Dunkelheit, ohne K�hlung, ohne eine milde Hand auf meinem Herzen. Ich war allein mit meinen Seufzern, meinen wilden, verworrenen Reden, meinem Gel�chter und meiner Angst. Zuweilen schrak ich auf, als m��te sie kommen, als h�rte ich sie schon, doch alle diese j�hen Ueberg�nge von Entz�cken zu neuen Leiden waren umsonst.

Ich sammelte die Erde und das Gras an der Stelle, wo sie gestanden, dann blieb ich lange Zeit bewegungslos, und ich glaubte zu sterben. Ein Gef�hl von Ohnmacht und Vernichtung kam �ber mich, das mich l�hmte und meine Glieder, wie meine Gedanken erstarrte. Ich streckte mich an der jungen Eiche aus, und erwartete mit dankbarer Ergebung den Tod.

Allein was ich daf�r hielt, war nichts als k�rperliche Abspannung, die nach einiger Zeit den st�rmischen Einbildungen meines hei�en Gehirns wich. Ich sah Mathilden, wie sie in Hartenstein's Armen lag und von ihm fortgetragen wurde. Ich sah, wie sie ihre H�nde zu mir erhob, wie ihre Augen mich flehend anblickten, ihr Gesicht sich bleich und abgezehrt auf mich richtete, und ich stie� einen Schrei aus, einen Schrei der Rache und des Entsetzens, der mich aufr�ttelte.

Wohin sollte ich, wohin?! Ich lief �ber die Felder fort, �ber sumpfige Strecken, durch Gehege und Hecken, und bei dem ersten Grauen des Tages stand ich vor einer niederen Mauer, die ein schwarzes Thor durchbrach. Hierher war ich gekommen. War es Zufall, war es eine unsichtbare Hand, die mich leitete, ich stand vor dem Kirchhofe der kleinen Stadt. –

Langsam ging ich unter den B�umen und B�schen fort, welche liebende H�nde gepflanzt hatten, um die Schauer der Vernichtung sich selbst vergessen zu machen. Die H�ngebirken und Linden streuten ihre falben Bl�tter auf mich, als ich durch die Reihen der Gr�ber ging und bei den zwei H�geln stehen blieb, die den Staub bedeckten, der einst Gestalt und Namen hatte, Namen der h�chsten und k�stlichsten Art, die eine Menschenzunge je ausgesprochen: Mutter und Freund! Da schliefen sie neben einander den ewigen s��en Schlaf und da stand ich zitternd und lebendig mit dem hei�en Wunsche, bei ihnen zu sein, ausgestrichen aus der Reihe der f�hlenden, leidenden Wesen, aufgenommen von Gott, um auszuruhen von allem Kummer.

Und pl�tzlich empfand ich die N�he des Herrn. Pl�tzlich kam die milde Hand und deckte sich auf meine, vom Feuer der Schmerzen ausgetrockneten Augen. Es war mir, als stiegen die beiden geliebten Wesen aus ihren stillen Kammern, und ich konnte sehen, wie sie ihre Arme nach mir ausstreckten, wie sie mich liebevoll, unendlich trostvoll anblickten, und ihre Stimme, o! die theure Stimme meiner armen Mutter zu mir sprach:

Frieden sollst Du haben; sei dem Herrn getreu, und er wird Dir seine Krone reichen!

Mutter, rief ich, o meine gute Mutter! O mein Freund, mein Vater! und mit einem Strom von Thr�nen warf ich mich auf diese beiden Gr�ber und umklammerte sie laut schluchzend. Mein Herz wollte brechen unter seiner Last, doch ich weinte sanfter und sanfter, und wie ich meine Augen aufhob, blickten sie in den ersten Sonnenstrahl, der aus dem Himmel auf mich und diese St�tte des Todes fiel.

Ich setzte mich nieder und faltete meine H�nde. Ruhe kam �ber mich, ich konnte denken und erkennen und erkannte meine Schuld. Welcher Frevel trieb mich, gegen Schranken anzust�rmen, die Sitte und Gesetz gezogen hatten? Was wollte ich thun, um verwegenen und unstatthaften W�nschen mich zu �berlassen? –

Ich liebte dies unschuldige, liebensw�rdige M�dchen, das in seinen Empfindungen so schwer gefehlt, wie ich selbst; allein war ich nicht ein Mann und ein Priester, mu�te ich nicht wissen, da� ich sie in einen Abgrund ri�, in welchem Ungl�ck und Elend lauerten? Nirgends war eine M�glichkeit des Heils zu erkennen, �berall j�hes Verderben. Wenn der Baron, ihr Vater, nur ahnte, was sich mit uns begeben, was hatten wir beide dann zu erwarten? Ich Mi�handlungen jeder Art, sie seinen Zorn, seinen Fluch, seine rohe Gewalt, die nicht z�gern w�rde, um sie zu seinem Willen zu zwingen.

Und ahnte er nicht vielleicht schon die Wahrheit? Ahnte sie Hartenstein nicht? Hatten nicht beide mich zu Mathildens F��en gefunden? Wollten sie nicht mit Bedacht, was sie gesehen, unterdr�cken, oder fanden sie es allzu l�cherlich und abgeschmackt, da� ein Mensch wie ich auf solche Schmach f�r sie sinnen k�nnte?

Ich dachte weiter dar�ber nach, da� diese beiden M�nner mir Gutes gethan, da� der Baron mich in sein Haus aufgenommen, mir Vertrauen bewiesen und mir g�tig gewesen sei; ich dachte dar�ber nach, was ich dem Freiherrn schuldete, und wie er noch gestern mich mit Gnade �berh�uft und seine fortgesetzte Zuneigung mir verhei�en habe. Mathilde liebte ihn nicht, allein welcher Grund lag f�r mich darin, sie ihm zu entrei�en? War er nicht ein hochgeborener, hochgestellter Freiherr und Rath? F�hrte er sie nicht in ein Leben voll Freuden und Gen�sse? War es nicht eine Ehre f�r sie, an seiner Seite so hoch zu steigen, und achtete ich ihn nicht als klug, gebildet, geistvoll, welterfahren und dabei tugendhaft und redlich? O mein Gott! mu�te das ihr Gl�ck nicht sichern? Mu�te sie ihn nicht lieben lernen? Mu�te sie nicht im Leben mit ihm reichen Ersatz daf�r finden, da� er ihren ersten Neigungen nicht entsprach?

Und ich, was war ich gegen ihn?! Ja, ich liebte sie auch, ich liebte sie mit inbr�nstiger Z�rtlichkeit. Ich liebte sie mit heiliger, reiner Liebe, doch was konnte ihr diese Liebe geben? Nichts als Niedrigkeit und Verachtung, nichts als Hohn und Schmach. Ich wu�te, da� sie mir folgen w�rde, wenn sie die Wahl gehabt, da� keine H�tte, keine Stille sie erschrecken k�nnte, allein, wenn dies geschehen konnte, w�rde die Reue niemals erwachen?

Nein, nein! rief ich aus, denn was ich dachte, erschien mir als eine Beleidigung des geliebten Wesens, aber es darf nicht sein, nur Dornen und Nesseln w�rde ich �ber ihr theures Haupt bringen. Hier, an Deinem Grabe, meine Mutter, an Deinem Grabe, mein edler Freund, hier schw�re ich Euch Beiden, da� ich dieser Leidenschaft widerstehen, dies geliebte M�dchen nicht in mein Elend rei�en, ihre Ruhe, ihren Frieden, das Gl�ck ihres Lebens und ihrer Zukunft nicht st�ren will. Die Menschen, welche mir vertrauten, sollen nicht get�uscht sein und mir niemals fluchen. Dies th�richte Herz soll auf Gottes Wegen wandeln und nimmer wieder in schn�der Vermessenheit mit seinem g�ttlichen Willen rechten. Bittet f�r mich, ihr Seligen, und Du, mein Herr und Meister, gieb mir Demuth, gieb mir Liebe, da� ich gehorsam thue, was ich mu�!

Da war es, als ob eine Stimme zu mir sagte:

Mein Weg ist Dein Weg, was Dir befohlen wird, sollst Du vollbringen, und wer Dich ruft, mir zu dienen, dem sollst Du folgen!

Ich trocknete meine Augen; die heilige Freude der Entsagung und der Ueberwindung f�llte meine Brust; ich sah zu den gl�nzenden Wolken auf und war bereit. Wie die M�rtyrer freudig zum Opfertode gingen, so stand ich auf, und mit einem letzten Neigen zu den geliebten Todten, denen ich Treue gelobt, entfernte ich mich.

Als ich das Haus erreichte, schlich ich mich durch den Garten in mein Zimmer und kleidete mich dort sorgsam an. Die Fr�hst�ckzeit war vor�ber, ich mu�te besorgen, da� man meine Abwesenheit bemerkt hatte, allein Niemand fragte nach mir, und erst nach geraumer Zeit wurde an meine Th�r geklopft und Jakob steckte den Kopf herein.

Ich soll den Herrn Magister bitten, sagte er mit seiner spitzb�bischen Unterth�nigkeit, sich herunter zu bem�hen, der Herr Geheimerath hat Ihnen eine freudige Nachricht mitzutheilen.

Es regte sich bei mir der alte Widerwille gegen diesen Menschen, dessen falsches Grinsen mir B�ses weissagte; allein im Augenblick bedachte ich, da�, was auch kommen m�ge, mich ger�stet treffen m�sse. Ergeben folgte ich ihm, als er voranging und die Th�r des Familienzimmers �ffnete.

Mathilde sa� zwischen ihrem Vater und Hartenstein, der z�rtlich den einen Arm um sie geschlungen hatte, w�hrend seine andere Hand die ihre festhielt. Als sie mich erblickte, �bergo� sich ihr Gesicht mit flammender R�the, und sie stand auf, als wollte sie mir entgegengehen. Der Freiherr aber hielt sie fest, und indem er ebenfalls aufstand, betrachtete er mich mit Blicken, die mich zu durchbohren schienen, w�hrend er einnehmend freundlich zu mir sprach:

Mein lieber Magister, wir haben Sie bitten lassen und ich zun�chst, um Ihnen nochmals zu danken. Meine Braut, Fr�ulein Mathilde – Hier wurde er von dem Fr�ulein unterbrochen, das auf mich zueilte und mit Erregtheit zu mir sagte:

Sie haben mich erzogen, Sie kennen mich besser, als ein Mensch auf Erden. Reden Sie, sagen Sie mir, was ich thun mu� – o, reden Sie, verlassen Sie mich nicht!

Diese letzten Worte sprach sie mit erl�schender Stimme und zitternd lehnte sie sich an mich. Bleich wie der Tod stand ich einen Augenblick k�mpfend gegen mich selbst wie ein Ertrinkender gegen die Wellen, die ihn verschlingen wollen. Der Baron war aufgesprungen, st�tzte sich mit beiden F�usten auf den Tisch, und sah wie ein Tiger aus, der seinen Sprung thun will. Der Freiherr schlug die Arme �ber seine Brust zusammen und betrachtete mich und sie mit hohnvoller Gewi�heit.

Gn�digstes Fr�ulein, sagte ich tief athmend in Mitten der Stille, Gottes Segen auf Ihr theures Haupt und ewigen Dank f�r so vieles Vertrauen, das Sie Ihrem Diener erwiesen. Ein edler und hochgeehrter Herr wirbt um Ihre Hand, und des Vaters Segen, der dem Kinde H�user baut, begleitet diese Werbung. Sie werden gl�cklich sein, weil Sie fromm und gut sind, Sie werden gl�cklich machen, weil es nicht anders sein kann. –

Dies sagte ich mit leiser Stimme, dann aber erhob ich diese mit gr��rer Kraft.

Folgen Sie dem Gebote Gottes, rief ich aus, welcher den Kindern Gehorsam befiehlt, gew�hren Sie es diesem edlen Freiherrn, Ihnen ein liebender Gatte und Ihres Lebens Schirm und Stab zu sein. Ach, wenn mein Wort und meine Bitte Etwas dazu beizutragen verm�gen, Ihren Entschlu� zu befestigen, dann beschw�re ich Sie, Ihr Herz dem hochgeborenen Br�utigam ganz zu weihen, denn ich erkenne darin den Frieden, das Gl�ck und das Heil Ihrer Zukunft. O mein Gott und Herr, bis zu meiner letzten Stunde will ich daf�r beten!

Ersch�ttert und ersch�pft schwieg ich und sie lie� ihre H�nde sinken. Ein anklagender, starrer, thr�nenloser Blick traf mich, wie das Eisen der Lanze den Gekreuzigten; willenlos folgte sie mir dann, als ich sie Hartenstein entgegenf�hrte und ihre Hand in die seine legte. Es war ein sonderbarer Auftritt, dessen Bedeutung nicht zu verkennen war. Ich, der untergeordnete unbedeutende Magister, wurde �ffentlich aufgerufen zur Entscheidung und f�hrte die Braut dem vornehmen Herrn zu; ein Wort von mir, und sie h�tte sich an meine Brust geworfen und Allem entsagt, Allem getrotzt, was �ber uns kommen mochte.

Ohne Zweifel wu�ten die beiden Herren dies, und vielleicht hatten sie einen anderen Ausgang erwartet. Was ich sagte und that, war ihnen jedenfalls �berraschend, denn der Baron hellte sein zorniges Gesicht auf, nickte mir zu und schrie:

Er ist vern�nftiger, als ich dachte, Magister!

Hartenstein aber l�chelte noch s��er wie vorher, doch noch arglistiger, und als er mich mit einer Umarmung begl�ckte, und einen Strom von Dank �ber mich ausgo�, zitterte ich vor ihm, wie vor einer Klapperschlange.

Mein theurer Freund, sagte er, Sie haben wie ein echter Diener Gottes gesprochen. Wahr, warm und treu haben Sie sich bew�hrt, ich will es niemals vergessen. Ja, meine theuerste Mathilde, lieben Sie mich, wie Ihr edelm�thiger Freund es Ihnen befiehlt, und ich werde bedacht sein, diese Liebe zu vergelten. Ihr Vater segnet unseren Bund, Ihre Mutter blickt auf uns herab. Willigen Sie ein, da� ich in vier Wochen meine geliebte, sch�nste Frau mit mir in die Hauptstadt f�hre. Sie d�rfen es mir nicht abschlagen, wir bitten Alle und der gute Magister hilft uns auch dies Mal.

Mathilde lehnte sich an ihren Vater und sagte mit gebrochener matter Stimme:

Ich bin bereit, bestimmen Sie, was geschehen soll.

Ach, wie traurig, wie gleichg�ltig klangen ihre Worte! Thr�nen f�llten meine Augen. Ich wollte mich entfernen, aber der Geheime-Rath hielt mich fest. –

H�ren Sie nun auch, mein lieber Wenzel, sagte er, welche gro�e G�te und Gnade der Baron f�r Sie hat. Der Pastor Lerche ist gestern gestorben, ich brachte diese Nachricht mit, wollte Ihnen jedoch nichts eher davon mittheilen, bis ich Weiteres verabredet hatte. Die Stelle ist eine der besten im Kreise, und wir wollen sie noch mehr verbessern. Es werden sich Viele dazu melden, heute schon sind drei Antr�ge von Pastoren eingegangen, die gar gern in den guten Platz r�ckten. Niemand aber soll diesen einnehmen wie Sie, der Baron hat es mir zugesagt; sind Sie mit dieser Einrichtung zufrieden?

Ob ich zufrieden bin?! antwortete ich tief bewegt. Es ist zuviel des Guten, das mir geschieht.

So fasse Er zu und r�cke Er noch heute in sein Standquartier, fiel der Baron ein. Die Pfarre mu� verwaltet werden, und wer in dem Neste sitzt, der h�lt es fest. Wir werden sogleich an das Consistorium schreiben und unsre Erkl�rung abgeben, melde Er sich auch und schreibe Er hin, damit die Sache in Ordnung kommt. Und halt, h�re Er, noch Eins. Es ist eine Tochter da, die Dorothee, Er kennt sie ja wohl?

Ja, mein Herr Baron.

Die heirathet Er, wie es Sitte und Gebrauch ist, das versteht sich von selbst.

Ich hatte mich aufgerichtet und stand erstarrt.

Mein erstes Gef�hl war mit fester Stimme: Nein! zu sagen, ehe ich jedoch dazu kommen konnte, legte Hartenstein den Finger auf meine Brust und sagte l�chelnd:

Ein so verst�ndiger, zur weisen Ueberlegung geneigter Mann wird wissen, da� auch dies Gebot nur zu seinem Besten geschieht. Die Jungfer Dorothee ist eine s�perbe Acquisition f�r einen unverm�genden Candidaten. Derselbe findet ein wohleingerichtetes Haus, auch einen sch�nen Sparpfennig darin, dazu ist die Jungfer selbst eine wirthschaftliche mit allen Zust�nden der Pfarre wohlbekannte Gef�hrtin, endlich aber – wie es Gottes Wille ist, da� ich eine begl�ckte Ehe mit meiner geliebten Braut schlie�e, so ist es auch desselben Gottes Wille, da� ich Ihnen, mein bester Magister, zur Belohnung f�r Alles was Sie mir gethan eine Frau zuf�hre, tugendhaft, ehrbar und h�uslich, wie Sie diese verdienen. Es ist des Herrn F�gung, da� er diese Lerche zu sich nahm, um wie der Baron sagt, Sie in das warme Nest zu setzen, und das zwitschernde V�gelchen in Bereitschaft hielt, um sie unter seine Fl�gel zu nehmen.

O wie viel Hohn, wie viel Schmach lag in dieser Rede und doch beugte ich mein Haupt und sagte dem�thig: Amen! – Ja, der Sp�tter hatte Recht, Gott wollte es so und ich mu�te mich ergeben. Er f�hrte mich zu seinem Dienste, sollte ich, wie ein wirbelndes Blatt, mich hinaussto�en lassen, um in Tr�bsal zu enden? Ich beugte mich und sagte gefa�t:

Ihr Wille geschehe denn, meine g�tigen gn�digen Herren. Ich vertraue auf Gott, er wird wissen was mir frommt.

Und die da dachten es b�se mit mir zu machen, siehe, sie hatten es gut gemacht. Dorothea war als zanks�chtig und von �rgerlicher Gem�thsart verrufen, allein sie wurde mir eine liebevolle, wackere Gef�hrtin und wir haben ausgehalten manches Jahr und sind in Frieden so gl�cklich gewesen wie wir es sein konnten.

Noch an demselben Tage verlie� ich das Haus des Barons und begab mich hierher in dies Haus der Trauer. Ich konnte von Mathilden keinen Abschied nehmen, sie war krank, wie man mir sagte. Ich sah die Schadenfreude und das b�se Lachen befriedigter Rache in den Gesichtern der Menschen, welche ich als meine Wohlth�ter betrachten und mich vor ihnen tief beugen mu�te und ich wankte unter der Last meiner Qualen.

In den ersten Wochen, wo ich in diesem kleinen Hause lebte, verbrachte ich Tage und N�chte in Weh und Schmerzen, die kein Mensch schildern und beschreiben kann; aber wie gut war Dorothea zu mir, wie verst�ndig war ihr Trost, der sich nicht durch unn�tze Worte, sondern durch ihr h�lfreiches Streben mir wohl zu thun und f�r mich zu sorgen, kund gab. Ach, ich war h�lflos wie ein Kind, ich bedurfte einer kr�ftigen Hand, die mich hielt, ich bedurfte dieser einfachen klaren Verst�ndigkeit, welche sich bem�hte mir zu dienen.

Wie soll ich weiter schildern, was mit einigen Worten nur gesagt sein kann? In vier Wochen war Alles geschehen. Ich war Dorotheas Gatte und wurde als Pfarrer gew�hlt und best�tigt. An demselben Tage, wo der Geheime-Rath von Hartenstein Mathilden heirathete, wurde ich mit Dorothea an demselben Altare, an der Seite des ewig theuren M�dchens getraut. Ein Hochzeitsfest wurde von den beiden Paaren gefeiert. Ich – ich durfte ihre H�nde k�ssen, ich durfte ihr Gl�ck w�nschen, Segen �ber sie sprechen, w�hrend er den zertretenen Sklaven verh�hnte.

O mein Gott, mein Gott! Du hast mir Kraft gegeben, dies Alles zu ertragen; Du hast mir Kraft gegeben, da� ich dennoch glauben, dennoch nicht verzweifeln durfte und als er sie in seinen Reisewagen hob und mit ihr unter Fackelschein und in Begleitung der ritterlichen jauchzenden Hochzeitscavalcade die gro�e Allee hinabfuhr, um sie nach der Hauptstadt zu f�hren, stieg ich mit Dorotheen in das �rmliche Fuhrwerk, das uns durch die Nacht in unser stilles H�uschen brachte. Ich legte meinen m�den schweren Kopf auf die Schulter der treuen Frau, die nicht wu�te, was in mir bebte und rang; ihre Arme hielten mich umschlungen und sie sagte mir leise:

Gott hat mir gegeben, was ich von ihm erbeten, er gab Dich mir. Der Candidat, der mu� mein Mann werden, den gieb mir, mein Vater im Himmel, betete ich am Abend, dem will ich gehorsam und ihm gut sein. Und nun ist es erf�llt worden, nun Friedrich sollst Du sehen, wie ich Alles thun will, um Dich gl�cklich und froh zu machen.

Da hob ich meine Augen auf und oben strahlten alle Sterne.

Habe Dank! rief ich aus; ja, meine Dorothea, sei mild mit mir. Ein h�herer Wille hat Dich mir gegeben, er wird mich lehren, wie ich Dich lieben und ehren soll.

So ist es geschehen und ich habe sie geehrt und geliebt und sie hat mir das Leben leicht gemacht und ist acht und vierzig Jahre lang meine Gef�hrtin gewesen, voller Flei�, voller Sorgfalt und mit gro�er Treue. Viele haben mich gl�cklich gepriesen, die sie kannten und als sie von mir genommen wurde, haben viele mit mir geweint: die Trauer der Armen wie der Reichen folgte ihr nach.

Was mir im Hause des Barons geschehen, habe ich ihr niemals erz�hlt, denn sie fragte mich nicht danach, weil sie es wu�te. Es kamen Verh�ltnisse, an denen sie die Wahrheit erkannte und meinen Kummer mochte sie nicht vermehren.

 

An dem Hochzeitsabende hatte ich ein Zusammentreffen mit Jakob, dem verschmitzten Diener, der mir allein, halb trunken und �rgerlicher Laune begegnete.

Er hatte von seinem Herrn kein so gutes Geschenk erhalten, als er erwarten mochte und machte seinem Ingrimme dar�ber in einer Art Luft, die mich tief bek�mmerte.

H�tte ich das gewu�t, rief er aus, da� er ein solcher Filz und Lump sein w�rde, so h�tte ich ihm eine Suppe eingebrockt, die er sein Lebelang nicht vergessen haben w�rde.

Mein lieber Monsieur Jakob, sagte ich, Ihr Herr ist gro�m�thig und edel gesinnt. Vielleicht haben Sie ihn gekr�nkt durch Ihre Sitten und heimlichen S�nden.

Er lachte boshaft auf. Aha! schrie er, Sie denken noch an die Geschichte im Schlosse mit der jungen Dame von damals. Wenn Sie Ihren Verstand ein Bischen zusammengenommen h�tten, w�rden Sie gleich damals gemerkt haben, wie es damit stand. Wie sollte ich denn wohl zu solcher h�bschen geputzten Jungfer kommen? Und wie sollte ich die wohl in's Schlo� einlogiren k�nnen, ohne da� der Herr etwas davon w��te?

Ich war so erschrocken �ber diese Enth�llung, da� ich sprachlos meine H�nde zusammenschlug.

Der Herr selbst? fl�sterte ich.

Nun freilich, fuhr er fort. Es war eine Schauspielerin, die er mitgenommen hatte. Nachher wie er davon fuhr und die ganze Sippschaft den Wagen begleitete, lag sie drinnen ausgestreckt unter den Pelzen und Decken. Wir haben lange nachher noch dar�ber gelacht, es war ein Hauptspa�; aber dergleichen hat er viele gemacht, so leicht thut es ihm darin keiner gleich.

O Mathilde! seufzte ich.

Dann aber fiel mir tr�stend ein, da� seine Vergangenheit nun abgeschlossen sei und diese junge sch�ne Frau von ihm geliebt werde.

Vornehme Herren, sagte ich, verleben ihre Jugend nur zu h�ufig in Saus und Braus, der Herr Geheime-Rath wird jetzt sicherlich umkehren.

Dessentwegen, weil er geheirathet hat? lachte Monsieur Jakob. Ja es ist m�glich, bei Gott ist kein Ding unm�glich. Sie hat f�nfzigtausend Thaler von ihrer Gro�mutter, die bekommt er baar, denn der Baron hat eingewilligt, da� sie sogleich f�r m�ndig erkl�rt wird und er das Geld heben und anlegen kann. Er wird es schon anlegen, haha! er wird es schon unterbringen, das versteht er, aber gegen einen treuen Diener ist er filzig. Als wir damals von Ru�land wiederkamen und ich die ganze Nacht vor Ihrem Zimmer Wache halten mu�te, damit Sie nicht etwa mit dem Fr�ulein eine Besprechung versuchen th�ten, hat er mir einen Schlag an den Kopf versetzt, da� ich Ihnen nicht weiter nachgeschlichen war, wie bis an den H�gel da, wo Sie lagen und st�hnten als w�re es zu Ende. – O, den werden Sie noch kennen lernen, aber –, hier that er einen schrecklichen Fluch – wenn er mich so zu treten denkt wie Andere, so mag er sich in Acht nehmen.

 

Als ich zwei Jahre verheirathet war und eines Tages mich in meinem Garten besch�ftigte, brachte Dorothea einen Mann herein, der mich zu sprechen w�nschte. Es war Jakob, der jedoch nicht mehr in dem feinen Tressenrocke steckte, sondern in einem gr�ngrauen Wamms, wie ihn Feldh�ter trugen. Der Geheime-Rath hatte ihn fortgejagt, jetzt lebte er bei seinem Verwandten, dem F�rster des Barons, der ihm aus Mitleid einen Heidel�uferposten verschafft hatte.

Hartenstein hatte ihn als Dieb und Betr�ger bestrafen lassen, er hatte ein halbes Jahr im Zuchthause gesessen, aber er schwur, da� er unschuldig gewesen, da� absichtlich sein Verderben von dem Geheimen-Rathe bewirkt worden sei, weil er aus Mitleid einen Brief der armen jungen Frau an den Vater besorgt habe, in welchem sie ihm ihre Noth und ihr Elend geschildert. Der Baron sei auch in die Hauptstadt gereist und habe seinem Schwiegersohne harte Vorw�rfe gemacht, doch wie der k�nne keiner heucheln und l�gen. Es sei zu einer Vers�hnung gekommen, nach welcher Hartenstein vorsichtiger geworden w�re. Er habe wenigstens nicht mehr in seinem eigenen Hause T�nzerinnen und liederlichen Frauen Feste gegeben, zu denen eine Anzahl der leichtsinnigsten Herren geladen wurden. Auf ihn jedoch habe er seine Rache geworfen, weil er gemuthma�t, da� er der Verr�ther sei.

Was Jakob von der sittenlosen V�llerei und Ueppigkeit der Bacchanalien seines Herrn erz�hlte, �berstieg allen Glauben, damals waren jedoch die Banden der Gesellschaft gelockert, Zucht und Ehrbarkeit zum Spott geworden, w�ste Thorheit und Tollheit �bert�nte die Stimme der Moral, es war Alles innerlich zerfressen und zernagt. Schmerzerf�llt h�rte ich ihm zu und suchte seinen w�thenden Ha� gegen den Freiherrn zu bes�nftigen, indem ich ihm vorhielt, da� der unschuldig Leidende durch die Kraft seiner Unschuld gest�rkt werde. Ich beschenkte ihn, denn er war arm; gespart hatte er wenig, er war an Vergeuden gew�hnt, und was er besessen, hatte der Proze� ihn gekostet. Der Baron duldete ihn als Heidel�ufer, weiter jedoch that er nichts, obwohl Jakob sich seiner Verdienste r�hmte und seine Leiden als Folge seiner Anh�nglichkeit an Mathilden darstellte. So gab ich ihm um dessentwegen und gab ihm oft, da er bald einsah, da� meine Theilnahme so bald nicht zu ersch�pfen sei und da er den Trunk liebte und allerlei Bed�rfnisse hatte.

Nachdem abermals ein Jahr hingegangen, brachte er mir eine Botschaft, die mich mit tiefem Weh heimsuchte. Mathilde war todt, gestorben in Folge eines ungl�cklichen Wochenbettes; das Kind hatte die Mutter wenige Stunden �berlebt, aber diese reichten hin, um Hartenstein gro�e Vortheile zu sichern. Er hatte nicht n�thig das Verm�gen seiner Frau, dies von ihm vergeudete Verm�gen, zur�ckzugeben, denn er war der Erbe des Kindes. Der Baron reiste darauf abermals nach Berlin; es kam zu den heftigsten Auftritten und zu einem g�nzlichen Bruche zwischen ihnen, doch was fragte der vornehme Herr danach, da� der alte j�hzornige Mann sich und ihn verw�nschte und mit dem Tod im Herzen in sein verlassenes Haus zur�ckkehrte, wo er nun menschenfeindlich allein in seinem Zimmer unter dicken Tabakswolken sa� und noch viel �rger gegen Jeden w�thete und tobte als er es je gethan.

Er hat Gl�ck, rief Jakob seine F�uste ballend, viel Gl�ck hat er, es kann aber doch einmal noch kommen, da� ihn Gott findet oder – ich, ich! da� er in meine H�nde ger�th. –

Er verzerrte sein Gesicht in ohnm�chtiger Wuth und sah aus als k�nnte er einen Mord begehen, da� ich vor seinem Ansehen schauderte und ihn eindringlich ermahnte an seine eigene Besserung zu denken.

In dieser Zeit tiefen Kummers war Dorothea mir eine liebevolle Tr�sterin. Sie hatte von Jakob erfahren, was dieser wu�te und sie merkte nun wohl, da� ich nicht allein meine theure Sch�lerin beweinte, ach, da� mein Leid noch immer Wurzeln hatte, aus denen die melancholischen Bl�tter und Bl�then geknickter Liebesblumen aufspro�ten und ihre bleichen welken Kr�nze auf mein Haupt dr�ckten. Nie hatte ich sie so gut, so weich und so barmherzig gesehen. Sie schmiegte sich an mich mit ihren treuen Augen, in denen ich ihr edles Verst�ndni� meiner Schmerzen las, brachte mir ihr Kind, meinen Sohn, den sie in meine Vaterarme legte, brachte sich selbst und fiel mir um den Hals, stumm und dennoch beredt mir sagend, da� ich zwei Wesen besa�, die der allg�tige Gott mir gegeben, damit sie mir ganz geh�rten, zwei Seelen, o zwei Seelen! die mein waren, die er mir niemals genommen hat.


Sechster Abschnitt.

Die gn�dige Frau, die Wittwe, ist bei mir gewesen. Heute fr�h kam sie, doch nicht in ihrem gro�en Wagen mit vier Pferden bespannt und einem Vorreiter voran wie sonst, wo sie in Mitten einer Staubwolke dann und wann hier vor�berflog, sondern in einer kleinen Halbchaise, denn alles Werthvolle ist von Wechselgl�ubigern mit Beschlag belegt. Sie hatte den Nebenweg, der um das Dorf f�hrt, einschlagen lassen, weil sie sich den Blicken derer nicht aussetzen mochte, die gew�hnt waren, sie in Pracht und Herrlichkeit zu schauen. Ach! die ungl�ckliche Frau empfindet nur die bittere Qual der Dem�thigung, nicht den Trost, der in der Ergebung im Ungl�ck liegt.

Als die gro�e ganz schwarze Gestalt in den Garten trat, wo ich hier unter dem Birnbaume sa�, stand ich auf und nahm mein K�ppchen ab, um sie zu empfangen. Sie schlug den schwarzen Schleier von ihrem Krepphut und ich sah in ein gelbblasses, langes Gesicht, das gebieterisch ernst mich anblickte. Die schmalen Lippen lagen auf bl�ulichen Z�hnen, die gro�e Nase war sehr stolz und edel geformt, ihre Augen hatten etwas erstarrendes Kaltes.

Sie haben meinen Wunsch nicht erf�llt, begann sie, so bin ich denn selbst zu Ihnen gekommen, um Ihnen einige Fragen zu thun.

Gn�digste Frau, antwortete ich, gern h�tte ich Ihren Befehl erf�llt, allein ich bin ein schwacher Greis, dessen Fleisch dem Willen nicht mehr gehorcht.

Meine Demuth schien ihren Unwillen zu bes�nftigen. Sie setzte sich neben mich, zog das schwarze Kantentuch dichter zusammen und sagte dann:

Man hat mir berichtet, da� Sie in dieser ganzen Gegend der �lteste Mann sind und da� Sie �ber mancherlei Vorg�nge, an welche Niemand mehr denkt, den besten Aufschlu� geben k�nnen.

Es sind jetzt beinahe sechszig Jahre, erwiederte ich, da� ich hier und in der N�he gewohnt habe, man hat Ihnen somit wahr berichtet.

Die Sache ist die, war ihre Antwort, die sie stockend und abgebrochen gab, da� ich mich wenigstens f�r jetzt in einer Lage befinde, die mich n�thigt Aufkl�rung �ber Verh�ltnisse zu suchen, welche mir v�llig fremd sind. Ich bin niemals fr�her hier gewesen und hoffe auch nimmer, f�gte sie mit einem finstern Blicke hinzu, hier zu leben. Um die Familie meines Gemahls habe ich keine Gelegenheit gehabt mich speciell zu bek�mmern; ich wei� nur, da� der Freiherr einen bedeutend �lteren Bruder hatte, der aus der ersten Ehe seines Vaters stammte. Dieser Bruder war der Geheime-Legationsrath Freiherr von Hartenstein, welcher ohne Erben starb und meinem Gemahl dies Schlo� und was dazu geh�rt hinterlie�. Ich hatte keine Kenntni� davon, da� die Verm�gensverh�ltnisse des Freiherrn so zerr�ttet waren, wie sich dies jetzt zeigt. Seine Stellung machte viele Ausgaben n�thig, aber erst jetzt erfahre ich, wie gro� seine Verlegenheiten gewesen sein m�ssen. Mein Gemahl war zu stolz, um sich zu entdecken und H�lfe zu suchen, er besa� viele Feinde und Neider, die ihn verl�umdeten, so da� auch jetzt, wo die Erziehung meiner Kinder mir Sorgen und Pflichten auferlegt, wenige Aussicht ist, Anspr�che geltend zu machen, wenn diese nicht durch besondere Gr�nde unterst�tzt werden.

Hier hielt sie inne, da ich aber nichts antwortete, so fuhr sie fort:

Ich vermuthe, da� solche Anspr�che vorhanden sind, denn unter den Papieren meines Gemahls finden sich Andeutungen, da� der verewigte Freiherr oder Geheimerath dem Staate besonders gro�e Dienste geleistet und daf�r selbst sein Leben gelassen, die Familie jedoch niemals durch Gnadenbezeugungen belohnt worden ist. In einem verborgenen Fache befanden sich einige Kleidungsst�cke von sonderbarem Aussehen sorgf�ltig zusammengewickelt und auf dem Umschlag steckte dieser Zettel.

Sie reichte mir ein vergilbtes Blatt, auf welchem geschrieben stand:

�Andenken an den sechsten December, erhalten von dem Pr. F. W.�

Und hier, f�gte sie hinzu, indem sie ein anderes Papier hervorzog, hier ist von der Handschrift meines seligen Gemahls noch ein Blatt, auf welchem sich die Worte finden:

�W. wei� allein, welche Bewandtni� es mit dem ungl�cklichen Ende meines Bruders hat, das verschwiegen und vergessen bleiben mu�, obwohl es benutzt werden k�nnte, um mir oder meinen Kindern besondere Gnadenbezeugungen zu verschaffen.�

Ich wei� nun nicht, sagte sie, als ich noch immer schwieg, ob Sie dieser F. W. sind; allein Sie hei�en Friedrich Wenzel, und aus einigen Aeu�erungen meines Gemahls erinnere ich mich, da� Sie, von dem hochseligen Geheimenrath besonders beg�nstigt, ihm Vieles zu danken haben.

Ja, das habe ich allerdings, war meine Antwort. Er war es, der mich in mein Amt w�hlte, und meine gute Dorothea mir zugef�hrt hat. Ich habe diesen ungl�cklichen Herrn Jahre lang gekannt, und ich war zugegen, als sein Leben vorzeitig und jammervoll endete.

Erkl�ren Sie sich deutlicher, sagte sie, mich anblickend. Wo starb er?

Dort, antwortete ich, indem ich nach der gro�en Linde zeigte, die an der Kirchhofmauer steht.

Dort? fragte sie, ihre d�stern Augen weit �ffnend.

Wie starb er dort?

Ich beugte mein Haupt zu ihr und antwortete leise:

Er starb den Tod eines Verbrechers. Er wurde erschossen.

Sie antwortete nicht, als ich sie aber ansah, da glaubte ich, sie sei nicht mehr am Leben. Geisterbleich und regungslos sa� sie da; ihre H�nde hielt sie krampfhaft zusammengepre�t, ihre blutlosen Lippen waren von den Z�hnen zur�ckgezogen, und ihre Augen stier und glanzlos in die Weite gerichtet. Entsetzen war �ber sie gekommen, ich ahnte, was in ihr vorging. Ihr Stolz hatte einen neuen, schrecklichen Schlag erhalten, sie hatte statt der Erwartungen, mit denen sie gekommen, die f�rchterliche Entdeckung gemacht, da� sie die Gattin eines Mannes gewesen sei, dessen Bruder als ein Verbrecher schimpflich endete, und diese Entdeckung erf�llte sie mit den grausamsten Qualen.

Er wurde als ein Spion und Verr�ther erschossen, fuhr ich fort, und diese Worte brachten Bewegung in sie. Sie sah mit wilden, scheuen Blicken umher und winkte mir heftig zu.

Schweigen Sie, fl�sterte sie, da� es Niemand h�re, da� ich es nicht h�re und den nicht im Grabe verfluche, der mich so erniedrigt hat. Und dies hier, fuhr sie fort, indem sie in die Tasche griff, und mit allen Zeichen des Abscheus auf den Tisch ein P�ckchen schleuderte, von dem der Umschlag aufsprang – dies hier geh�rte dem – dem Elenden!

Die streifige Weste lag vor mir, welche von drei Kugeln durchbohrt war, und jenes schwarze Seidentuch, mit dem sie seine Augen verbunden hatten. Die Erinnerungen �berkamen mich, ich faltete meine H�nde und sagte bebend:

Welches seine Schuld auch war, er hat daf�r gelitten und in tiefer Noth geendet. Ich habe seine letzten irdischen Stunden bei ihm zugebracht und was er mir damals vertraute, ist von mir dem Freiherrn, seinem Bruder, sp�ter mitgetheilt worden. Ich war es auch, der seinem letzten und n�chsten Verwandten diese Weste und dieses Tuch als Andenken �bergab, und das Versprechen leistete, Stillschweigen �ber diese Vorg�nge zu beobachten, welche in der blutigen Verwirrung des Krieges, der damals w�thete, leicht vergessen wurden.

Mein Gemahl hatte Ursache, zu w�nschen, da� der Tod des Verbrechers ein Geheimni� bliebe, murmelte sie erbittert.

Sie mi�verstehen mich, gn�dige Frau, antwortete ich. Der Geheimerath starb den Tod eines Verbrechers, aber die ihn t�dteten, waren grausame zuchtlose M�nner, welche jedenfalls ein noch weit schwereres Verbrechen begingen.

Sie blickte mich fragend an.

Wenn dies der Fall ist, sagte sie, warum wurden die M�rder nicht bestraft, und was bedeuten die Worte meines Gemahls, da� ihm oder seinen Kindern daraus besondere Gnadenbezeugungen erwachsen k�nnten?

Ich dachte einige Minuten nach, dann erwiederte ich:

Es ist m�glich, da� der verewigte Herr Recht hatte, so zu glauben, er mu�te das besser verstehen, als ich es vermag. Vielleicht schrieb er auch diese Worte nieder, damit die Hinterlassenen einmal versuchen m�chten, Nutzen durch Etwas zu ziehen, was er selbst nicht ber�hren mochte. Denn seine Scheu vor der Handlungsweise und dem Ende seines Bruders war so gro�, da� er niemals wieder eine Frage dar�ber that, und w�hrend der wenigen Male, wo er in langen Zwischenr�umen sein Schlo� besuchte, mich zu sehen vermied, um nicht an diese ungl�ckliche Geschichte gemahnt zu werden. Damals sagte er zu mir:

�Jede Erinnerung an das Leben und Sterben meines Bruders ist mir fatal, eben so fatal w�rde es meiner Familie sein, wenn diese jemals etwas davon erf�hre; endlich aber k�nnte man diesen Schatten aus seinem blutigen Grabe holen, um ihn mir in den Weg zu legen. – Sie wissen nicht, lieber Herr Pastor, was man Alles zu einer Intrigue benutzen kann, und wie sorgf�ltig man das vermeiden mu�, was dazu dienen m�chte. Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo ich Richards tragisches Ende brauchen kann. Bis dahin lassen Sie uns nie wieder davon sprechen.� –

Als der gn�dige Freiherr vor zwei Jahren endlich hierher kam, hat er mich nur selten, wenn er hier vor�berritt, begr��t, ohne je des Verewigten zu gedenken, und so ist denn bis auf diese Stunde kein Wort jemals auch von mir davon erw�hnt worden.

Seltsam, sagte sie. Aber wollen Sie auch jetzt noch gegen mich schweigen?

Nein, antwortete ich, auf Ihren Wunsch will ich Ihnen Alles mittheilen, was ich wei�, denn vielleicht w�re es so, da� es Ihnen Vortheile bringen k�nnte, und unter den Lebendigen ist Niemand mehr, von dem Sie die volle Wahrheit erf�hren.

Der �ltere Bruder Ihres Gemahls, begann ich darauf, als sie mich auffordernd anblickte, war, was ich Ihnen nicht verhehlen darf, ein gewissenloser und leichtsinniger Mann, der mancherlei schweres Unrecht begangen hat. Seine Heirath mit einer liebensw�rdigen und reichen Dame war ungl�cklich, ihm wurde sogar Schuld gegeben da� er deren Tod durch absichtliche Vernachl�ssigung bei Behandlung in ihrer Krankheit herbeigef�hrt habe, wenigstens behaupteten dies sein Schwiegervater und seine Schw�ger, deren Zuneigung f�r ihn sich in Ha� verwandelt hatte. – Ger�chte davon verbreiteten sich �berall, und nicht leicht gab es einen Herrn, dem so viel B�ses nachgesagt wurde, wie ihm, wozu auch sein ehemaliger Diener Jakob beitrug, den er als Dieb strafen lie� und schimpflich fortjagte.

Ist das derselbe Jakob, fiel sie ein, der Mensch, der –

Der von Ihrem seligen Gemahl das Gnadenbrod empfing und sein Leben vor wenigen Tagen selbstm�rderisch endete, sagte ich.

O er war von schlechtem und heimt�ckischem Charakter. Niemand mochte ihn leiden, versetzte sie, um sich zu entschuldigen.

Jakob war eben so s�ndig, wie sein Herr, fuhr ich fort, allein ein Dieb war er nicht. Es war ihm Gewalt und Unrecht geschehen, was er mit dem gl�hendsten Hasse vergalt. Er kehrte, als man ihn zuletzt noch im Zuchthause wund gepeitscht und aus der Hauptstadt verwiesen hatte, als ein geachteter Bettler hierher zur�ck, lebte bei seinem Verwandten, dem F�rster, der im Dienste des Schwiegervaters seines ehemaligen Herrn war, wurde als Heidel�ufer gebraucht und erz�hlte so viele entsetzliche Geschichten von dem Leben des Freiherrn, da� jeder, der sie h�rte, diesen als einen grausamen Misseth�ter verdammte. Da der Baron selbst und seine Familie auf's Tiefste gekr�nkt waren, so geschah dem kein Einhalt, man konnte im Gegentheil von dem alten Edelmanne selbst die f�rchterlichsten Namen h�ren, welche er seinem ehemaligen Eidam gab.

Dieser k�mmerte sich wenig darum, denn er lebte weit davon, und wenn er jemals Etwas davon erfuhr, so beachtete er es nicht. Er war im Cabinet des Grafen Haugwitz dessen Vertrauter, wurde zu geheimen Sendungen gebraucht und galt als ein tief eingeweihter Unterh�ndler mit dem Kaiser der Franzosen. Als Haugwitz zur�cktreten und Hardenberg Platz machen mu�te, wurde er mit seinem Besch�tzer beseitigt, allein er war ein viel zu ehrgeiziger und intriguanter Mann, um nicht der gegnerischen nun zur Regierung gelangten Partei als ihr gef�hrlichster Feind zu gelten. Man beschuldigte ihn, mit franz�sischen Staatsm�nnern in heimlicher Verbindung zu stehen, wollte wissen, da� er um dessentwegen sich in Paris aufgehalten, und als der Kaiser Napoleon nach seinen Siegen in Oesterreich mit Niemand anders unterhandeln wollte, als mit dem Grafen Haugwitz, glaubte man, da� dies die Folgen der geheimen Machinationen seines Vertrauten w�ren. Der Graf �bernahm noch einmal die Leitung des Staates, der Geheimerath von Hartenstein erhielt jedoch keine neue Anstellung. Der aufgeregte Verdacht wegen seines Aufenthalts in Paris war so gro�, und er hatte so m�chtige Widersacher, das Graf Haugwitz es nicht wagte, ihn sogleich zu beg�nstigen; nach weniger als einem Jahre aber fiel der Minister selbst zum zweiten Male, denn der Krieg gegen Napoleon lie� sich nicht l�nger zur�ckhalten. Die Erbitterung war gro� und allgemein, die Kriegspartei gewann das Uebergewicht, die ungl�ckliche Schlacht bei Jena zeigte, da� Friedrich's des Gro�en Reich ein Schutthaufen geworden war.

Als ich dies sagte, blickte mich die stolze Dame mi�billigend an, doch unterbrach sie mich nicht, ich konnte fortfahren.

In unserer Gegend, begann ich, hatten wir von Dem, was die Welt bewegte, wenig vernommen, wir erfuhren nur, da� der Geheimerath entlassen worden sei, und da� er als ein Franzosenfreund und Verr�ther mit Schimpf und Schmach verfolgt werde. Die Regierungskunst des Grafen von Haugwitz fand wenige Freunde im Lande, der Adel besonders war voll Zorn �ber ihn, denn die jungen adligen Herren dienten im Heere und brannten vor Begier, den Franzosen das Garaus zu machen. Der Baron von Daber, der alte Offizier Friedrichs des Gro�en, hatte vier S�hne in der Armee; h�tte er deren aber auch hundert besessen, er w�rde sie alle in den Krieg geschickt haben.

Am Tage, wo er die Nachricht erhielt, da� es nun endlich losgehen w�rde, kam er zu mir und ich hatte ihn lange nicht gesehen. Er war sehr hinf�llig und sein Kopf zitterte. Doch die Freude hatte ihn verj�ngt.

He, schrie er, wenn Er jetzt ein richtiger Sohn seines Vaters w�re, Pastor, w�rde er den schwarzen Kragen zum Teufel schmei�en und nach der Muskete greifen! Korporal Wenzel! Himmel Element! K�nnten wir beide noch einmal Ro�bach sehen. Aber es geht nicht, f�gte er grimmig lachend hinzu, doch Gott sei Dank, da� ich vier S�hne habe, die ich schicken kann, und keinen Federfuchser darunter, wie Er und wie – er dachte an seinen Schwiegersohn, allein er sprach dessen Namen nie aus, sondern nur eine lange Verw�nschung und einen rachs�chtigen Schwur, da� der infame Spion endlich doch noch an den Galgen kommen werde.

Sie wissen vielleicht, gn�dige Frau, da� der ungl�cklichen Schlacht bei Jena Ger�chte �ber einen gro�en Sieg des preu�ischen Heeres vorangingen, die einen unerme�lichen Jubel erregten. Die Nachricht davon verbreitete sich aus der Hauptstadt in die Provinzen, und die Rittersitze wiederhallten von festlichen Gelagen, Reden und Ges�ngen; die Trauerkunde dagegen, welche nur zu schnell nachfolgte, wurde anfangs als unm�glich verlacht, dann geringsch�tzig als Uebertreibung und Erfindung der Vaterlandsverr�ther behandelt und von den starren Bekennern der preu�ischen Unbesiegbarkeit auch dann noch nicht geglaubt, als die Flucht allgemein, die Hauptstadt verloren war, und der j�he Fall der st�rksten Festungen den panischen Schrecken kundgab, welcher alle Begriffe von militairischer Ehre und standhafter Tapferkeit und Treue vernichtet hatte.

Unter Denen, welche gar nichts glaubten, und einen Jeden l�sterten, der sie irre machen wollte, befand sich auch der Baron, mein Patron und Schirmherr. Am ersten Novembertage lie� er mich zu sich rufen. Er lag auf seinem harten Feldbette, mit einem gro�en grauen Mantel zugedeckt und sah fieberhaft erhitzt und krank aus.

Komm Er her, Pastor, rief er mir entgegen, die Halunken haben mich mit ihren L�gereien marode gemacht. Sage Er mir die Wahrheit. Glaubt Er an das nichtsw�rdige Gerede, da� das Gesindel, die Franzosen, uns geschlagen haben?

Er klopfte sich dabei mit der Faust auf die Brust und lachte hohl auf.

Mein gn�digster Herr, antwortete ich, wir Alle m�ssen uns beugen unter den Willen Gottes.

Unter den Willen Gottes, Pastor! schrie er, aber nicht unter den Willen der Spitzbuben, der Landesverr�ther. Es ist nicht wahr, sage ich Ihm, die Cujone haben Hiebe gekriegt!

Ich schwieg und sah ihn, traurig seufzend, an; er schwieg ebenfalls. Nach einiger Zeit aber begann er ruhiger:

Er ist ein ehrlicher Mann, Wenzel, Ihm glaube ich. Wei� Er es gewi�, da� die Franzosen gesiegt haben?

Ich sagte leise Ja und er antwortete mit einem tiefen St�hnen.

Aber in Berlin sind sie nicht? rief er dann mit neuem Muthe, und als ich auch dies Mal ein Ja sprach, richtete er sich auf und schrie: Nein! mit solcher Gewalt, da� ich glaubte, er w�rde sich die Brust zersprengen.

Ich bat ihn, ruhig zu sein, und tr�stete ihn so gut ich konnte.

Lieber, theurer Herr, bat ich, nachdem sich seine Heftigkeit gelegt hatte, wir k�nnen das gro�e Ungl�ck nicht l�nger bezweifeln; wenige Meilen von hier sind schon Feinde gesehen worden, und heute hat sich die Nachricht verbreitet, da� vor drei Tagen das ganze Corps des Prinzen Hohenlohe bei Prenzlau geschlagen und gefangen wurde. Retten Sie, theuerster Herr, was Sie Werthvolles besitzen, bei Zeiten, vergraben Sie es und begeben Sie sich selbst lieber an einen sichern Ort, in eine Stadt, wo es immer besser hergeht in Kriegszeiten, als auf dem Lande, da hier so leicht kein Schutz zu finden ist.

Er h�rte mich anscheinend ruhig an, dann sch�ttelte er den Kopf und sagte ver�chtlich:

Pastor, Er ist auch ein Hans Hasenfu�, wie alle Anderen. Die Franzosen hier? Der Prinz von Hohenlohe geschlagen? Ein preu�isches Heer gefangen?! Er ist kein verfluchter Schelm wie der – aber Er ist ein Narr, der sich den Kopf dick machen l��t. Mach Er, da� Er fortkommt.

W�hrend er dieses sagte, entstand ein L�rm und wildes Geschrei. Ein Paar Reiter jagten in den Hof, verfolgt von mehreren anderen; das Gesinde st�rzte in das Haus, drau�en klirrten S�bel und fielen einige Sch�sse, gleich darauf wurde die Th�r aufgesto�en, und ein Verwundeter taumelte herein, dem ein Blutstrom vom Kopfe lief und dessen Hand sich auf seine Brust dr�ckte.

Leopold! schrie der alte Herr best�rzt.

Es war sein zweiter Sohn, welchen er immer mit besonderer Z�rtlichkeit geliebt hatte. Der arme, junge Mann sank zu seinen F��en nieder, dr�ckte seine H�nde, und sah ihn mit brechenden Augen an.

Alles verloren, Vater, Alles verloren! fl�sterte er. Hohenlohe hat capitulirt, ich wollte mich retten, sie verfolgen mich, gleich werden sie hier sein. Rette Dich, Vater, rette mich!

Er machte eine verzweifelnde Anstrengung, sich aufzurichten, denn wohl an drei�ig franz�sische Chasseurs zu Pferde rasselten vor dem Hause und in der n�chsten Minute waren sie drinnen, S�bel und Pistolen in ihren H�nden. Der alte Baron hatte seinen Sohn umschlungen, sein graues Haupt lag auf dessen blutigem Haupte; die Franzosen mit ihren Waffen sprangen fluchend auf beide los.

Ich aber stellte mich sch�tzend vor sie hin, und rief in franz�sischer Sprache:

Im Namen Gottes, im Namen des Himmels! Schonen Sie diesen Sterbenden, der in den Armen seines Vaters liegt!

Meine Worte waren nicht umsonst. Die Franzosen, erstaunt, einen Mann zu finden, der ihre Sprache verstand, lie�en die S�bel sinken, und bald waren sie von einer gro�m�thigen R�hrung ergriffen, denn Leopold war nicht allein eine Leiche, sein Vater war mit ihm vereint in das Land des Friedens gegangen.

Der Lieutenant dieser Soldaten schien ein edelherziger, junger Mann zu sein. Er sprach g�tig mit mir, bedauerte den Krieg und die Todten, und Niemandem geschah ein Leid; kaum aber hatte er mit seinen J�gern das Haus verlassen, als andere schlimmere G�ste einzogen, und leider mu� ich sagen, da� dies keine Franzosen, sondern Deutsche von den Rheinbunds-Truppen waren. Eine wilde Scene der Pl�nderung begann. Sie durchsuchten das ganze Haus, um verborgene Preu�en, mehr aber noch, um verborgene Kostbarkeiten zu finden. Alle Schr�nke und Beh�lter wurden erbrochen, Alles zertr�mmert, was sich zertr�mmern lie�, sogar die Betten zerschnitten und ihr Inhalt zerstreut, gemi�handelt, wer ihnen im Wege war, die beiden Todten sogar ihrer Kleider beraubt, und mein Leben in gro�e Gefahr gebracht. Ich wei� nicht, ob es Zufall war, da� zuletzt das Haus in Brand gerieth und unter seinen rauchenden Tr�mmern die Leichname begrub; aber auch ein Theil des Dorfes brannte nieder, und mit derselben Wuth, wie im Herrenhause, wurden die ungl�cklichen Bewohner von diesem Streifcorps behandelt.

Ich erz�hle Ihnen dies Alles, gn�dige Frau, sagte ich, als ich sah, da� sie ungeduldig wurde, weil es Ihnen erkl�ren soll, wie durch diese grausame Behandlung, die sich an vielen anderen Orten wiederholte, ein blutd�rstiger Ha� in den Gemi�handelten aufgeweckt wurde. Viele flohen in die W�lder, verbargen sich in einsamen H�usern und vereinigten sich mit F�rstern und Wildh�tern, um Rache zu nehmen.

Dazu kamen Soldaten, welche der Gefangenschaft bei Prenzlau und L�beck entlaufen waren. Sie flohen in Bauerntracht und allerlei andern Verkleidungen, besa�en aber h�ufig zu ihrer Vertheidigung eine Pistole oder eine andere Waffe, und suchten Kolberg zu erreichen, oder nach Preu�en zu entkommen. Wenn sie von den Franzosen ertappt wurden, erscho� man sie gnadenlos als R�uber, dagegen waren sie jedes m�glichen Beistandes von Seiten der Landleute gewi�. Manche von ihnen vereinigten sich auch mit den kr�ftigsten und k�hnsten Bauern und J�gern und wurden die Anf�hrer streifender Haufen, welche oft genug einzelne Franzosen und kleine Transporte �berfielen und jeden Feind, den sie erreichen konnten ohne Erbarmen todtschlugen.

Manche entsetzliche That ist damals geschehen und Niemand konnte sie hindern. Die Erbitterung t�dtete die Herzen, der Krieg verwilderte die Gem�ther, Leichen lagen an den Stra�en, wo sie still eingescharrt wurden; Mancher verschwand ohne Spur und man sah ihn nie wieder. – Ich komme zu dem traurigen Ereignisse, das Ihren verewigten Gemahl und sein Haus so nahe anging.

Es war in der Abendd�mmerung am sechsten December, als ich einen Wagen an diesem Hause vor�berfahren h�rte. Am Fenster stehend sah ich, da� es ein verdeckter Wagen war, der rasch �ber den schlechten Damm polterte. Als ich hinausging, dem Ger�usch nachhorchte, das vom Wege kam, der am See hinl�uft, dachte ich vergebens dar�ber nach, wer das sein k�nne? Wenige Tage vorher war ein ganzes Regiment Franzosen bei uns gewesen, die alle D�rfer und W�lder durchsuchten und mehrere aufgefangene Ranzionirte Ein �Ranzionierter� war ein durch Loskauf, Austausch oder Flucht aus der Kriegsgefangenschaft freigekommener einzelner Soldat. und Bauern erschossen hatten.

Jetzt war Alles ruhig. Der Commandeur hatte bekannt machen lassen, da� jedes Dorf gepl�ndert und niedergebrannt, die angesehensten Leute aber f�silirt werden sollten, wo noch ein Franzose ermordet w�rde, und er hatte mir gesagt, da� dies unfehlbar geschehen m��te. So eingesch�chtert glaubte man die gepeinigten Menschen, da� meine Frau und ich der Meinung waren, der Wagen geh�re einem der franz�sischen Commissaire, die �berall umherstreiften, um Lebensmittel wegzunehmen, wo sie diese fanden, und der so sicher gemacht sei, da� er keine Bedeckung mitgenommen habe.

Wir legten uns schlafen und schliefen fest, als ich mit einem Male heftig und gewaltsam an meine Th�re schlagen h�rte. Es war noch Nacht und der Mond schien schwach, vorher war ein wenig Schnee gefallen und ein eisiger Wind fegte dar�ber hin. Ich schlief nach dem Garten hinaus, von der Hinterth�re dort kam auch der L�rm. Als ich aufstand, bat mich meine Frau um Gotteswillen keinen Schritt zu thun, doch ich lie� mich nicht abhalten durch den Laden zu sehen, und entdeckte eine menschliche Gestalt, die sich dicht an das Haus dr�ngte, zweifelhaft schien, was sie beginnen sollte, horchend um sich schaute und dann von neuem heftig klopfte. Da es ein einzelner Mann war, so fragte ich durch den Laden, wer er sei und was er wolle?

Machen Sie auf, antwortete der Fremde leise und im heiseren Tone, aber schnell, schnell, oder es ist zu sp�t.

Die Stimme kam mir bekannt vor, doch wu�te ich nicht, wer er sei. Als ich z�gerte, weil Dorothea mir laut zuschrie, ich sollte mich nicht von der Stelle r�hren, wiederholte er seine Worte und wie in gro�er Angst r�ttelte er an den Fensterladen und sagte flehend:

Wollen Sie einen Mord auf sich laden? Wollen Sie einen Menschen umkommen lassen?

Davon ersch�ttert lief ich hinaus, schob den Riegel an der Th�re zur�ck und er drang herein und schlo� sogleich wieder zu.

Wer sind Sie? Wer verfolgt Sie? fragte ich.

Er gab keine Antwort; ich h�rte ihn heftig athmen.

Da kam Dorothea mit einem Lichte und nun erkannte ich ihn, es war der Freiherr von Hartenstein. Wie er mich starr und bleich werden sah, legte er seine Hand auf meinen Arm und pre�te diesen zusammen.

Sie erkennen mich? fragte er.

Ja, Herr Geheimerath, antwortete ich ihm.

Still, fl�sterte er, da� uns Niemand h�rt. Verbergen Sie mich, ich kann nicht weiter. Ich habe mir den Fu� verstaucht, wei� auch nicht wohin ich soll.

Gerechter Gott! rief ich aus, was ist geschehen?

Eine Rotte B�sewichte hat mich �berfallen, sagte er, ich konnte ihr nur durch einen Sprung aus dem Fenster entgehen. Es m�ssen Canaillen darunter sein, die genau Bescheid wissen, denn ich hatte mich in einem Zimmer verborgen, das hinter einer Tapetenwand versteckt liegt, wo es schwer zu entdecken ist. Als sie das Thor einbrachen, hatte ich kaum Zeit Weste und Rock meines Bedienten zu nehmen, aber das kann nichts helfen. Sie m�ssen mir andere Kleider geben, einen von Ihren R�cken, er wird mir passen. Helfen Sie mir den Stiefel ausziehen, ich leide gro�e Schmerzen und verschaffen Sie mir ein Pferd. Ich will es den Schurken bezahlen, bei Gott das will ich! H�tte ich gewu�t, da� es so m�rderisch noch hergeht, ich w�rde keinen Schritt hierher gethan haben, aber man sagte mir die Ordnung sei hergestellt.

Ich wollte um Ihrer willen, erwiederte ich, da� Sie nicht gekommen w�ren.

Man hat den rohen Haufen gegen mich aufgehetzt, hat mich verl�umdet, fuhr er mich anblickend fort und um seine Lippen zuckte der ver�chtliche Hohn, den ich kannte. Der P�bel glaubt Alles was man ihm aufbindet! Befreien Sie mich von dem vermaledeiten Stiefel, er macht mir H�llenqualen. Verflucht sei der Stein, auf den ich sprang! W�ren meine F��e gesund, so w�re ich weit. Aber rasch eine Binde oder ein Tuch um die Geschwulst und dann einen Rock und ein Pferd, Ihr Pferd; ich will Ihnen reichlich vergelten.

Ach, mein gn�diger Herr, erwiederte ich betr�bt, man hat uns alle Pferde und K�he l�ngst genommen, allein sobald es Tag wird, will ich H�lfe zu schaffen suchen.

Er stie� eine Verw�nschung aus, in demselben Augenblicke wurde diese durch eine rauhe Stimme vor dem Fenster beantwortet.

Wir haben ihn! schrie diese Stimme, hier im Hause sitzt er! Aufgemacht! Schlagt ein, wenn der Pfaffe sich nicht r�hrt.

Ein Geschrei vieler anderer Stimmen und harte Drohungen folgten dieser Aufforderung, die von den Schl�gen einer Axt begleitet wurden, unter welchen der schwache Fensterladen zersplitterte.

Als ich den ungl�cklichen Mann in meiner Angst anblickte, sah ich, wie in seinem Gesicht Entsetzen und Verzweiflung arbeiteten. Er suchte irgend einen Ausweg zu entdecken, den er nicht fand. Seine Stirn hatte sich hoch und faltig zusammengezogen, seine Augen rollten umher, seine Lippen zitterten. In dem Augenblicke, wo der Laden aufgerissen wurde und das wilde Triumphgeschrei sich verdoppelte, schlug er das Licht vom Tische auf den Boden, da� es ausl�schte und sprang durch die Nebenth�re, welche in mein Arbeitszimmer f�hrte.

Jetzt konnte ich erkennen was drau�en vorging. Ein Haufen Menschen umringte mein Haus, es mochten deren wohl zwanzig und mehr sein. Einige trugen Laternen, alle waren mit Schafpelzen bekleidet, die gew�hnliche Tracht der Landleute damaliger Zeit. Die meisten hatten auch schwarze flockige Pelzm�tzen, sogenannte Pudelm�tzen, �ber ihre K�pfe gezogen, andere wei�e Zipfelm�tzen, die mit T�chern festgebunden waren. Ihre Gesichter waren geschw�rzt und steckten in Binden und Lappen, bis �ber Mund und Nase; sie hatten somit alle Vorbereitungen getroffen, um bei dem was sie vorhatten unkenntlich zu bleiben und ich schauderte zusammen, weil ich begriff, zu welcher grausamen That sie entschlossen waren.

Als sie ihre Laternen an die Fensterscheiben hielten, sahen sie mich stehen und Dorotheen, die in gro�er Furcht war.

Da steht der Pfaffe, schrieen mehrere. Schlagt ein! Schie�t ihn nieder!

Ruhig! antwortete eine gebietende Stimme. Der Pfarrer ist ein ehrlicher Mann und ein Vaterlandsfreund, ihm soll kein Haar gekr�mmt werden. Machen Sie auf, Herr Prediger, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.

Dorothea lief und �ffnete die Th�re. Es blieb nichts anderes �brig, denn wie w�re Widerstand m�glich gewesen? –

Wie ein Strom drang der ganze Haufen ein. Ein gewaltiger Mann, mehr als sechs Fu� hoch und mit herkulischen Schultern schien der Anf�hrer. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn nie gesehen. Der Kragen seines Pelzes war um seinen Kopf gezogen, die Pudelm�tze tief in die Stirn gedr�ckt. Er war geschw�rzt wie Alle, ein langer Bart bedeckte seine Lippen und Backen. Ich vermuthe, da� es einer der fl�chtigen Soldaten war, vielleicht ein Unteroffizier oder Feldwebel und wie er mochten noch mehrere Soldaten zu dem Haufen geh�ren, der eine gewisse Disciplin beobachtete. Wohl ein Dutzend waren mit Gewehren und B�chsen bewaffnet, einige trugen auch Hirschf�nger �ber ihre Pelze geschnallt wie J�ger und F�rster, die �brigen f�hrten. Aexte, Senseneisen oder schwere Eichenknittel mit Eisenringen.

Ich sage Ihnen nichts von meinen Bitten und Beschw�rungen, um das Erbarmen dieser erbitterten, wohl auch halb trunkenen M�nner zu erregen, nichts, wie wir Beiden zuletzt, ich und Dorothea, uns vor die Th�re warfen, und die M�rder abzuwehren suchten. Wir wurden zur Seite gesto�en; sie drangen ein und fanden den Geheimenrath hinter dem Ofen an der Wand stehend. Er hatte den Rock abgeworfen, wahrscheinlich um ein anderes Kleidungsst�ck zu suchen, das er nicht fand; so wurde er hervorgezogen unter w�thendem Gebr�ll und Jauchzen, unter Schm�hungen, Hohn und Mi�handlungen, denn einer der beth�rten Rasenden schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, da� Blut danach flo�.

Elender! schrie der Getroffene auf, ich kenne Dich, Du Schelm!

Diese Worte w�rden ihm wahrscheinlich auf der Stelle das Leben gekostet haben, denn sie d�rsteten danach, und warfen sich auf ihn, aber Dorotheas Geschrei, meine erhobene Stimme und der donnernde Befehl des Anf�hrers hinderten f�r den Augenblick die schreckliche That.

Halt! schrie der riesenhafte Kerl. Wer ihn anr�hrt, dem haue ich die Hand vom Leibe. Bindet ihn, sterben soll er, aber wie es sich geh�rt und nicht hier im Hause des Pastors.

Die H�nde wurden dem Geheimenrathe auf dem R�cken zusammengeschn�rt, was derselbe Mensch that, der ihm in's Gesicht geschlagen hatte, dennoch aber schien dem ungl�cklichen Manne ein Hoffnungsgedanke zu kommen.

Wer Ihr auch sein m�get, begann er, Ihr ermordet einen Unschuldigen. La�t mich frei und ich will Alles vergessen, keinerlei Anklage erheben, keinerlei Nachforschung anstellen; ja ich will geben was Ihr haben wollt. Ihr sollt Geld haben, ich habe viel Geld mitgebracht; fordert was Euch beliebt, ich will thun was ich thun.

Sie hatten einen Kreis um ihn gebildet, in dessen Mitte er sich befand, von ihren Laternen beleuchtet, die sie in sein uriges Gesicht hielten. Ringsumher wurde es d�ster, keiner weiter im Hause als wir und die alte Magd, welche sich nicht aus ihrer Kammer traute. Es begann nun eine Art Verh�r.

Sie sind der Geheimerath von Hartenstein? fragte der Anf�hrer.

Ich bin es, antwortete der Freiherr.

Dann sind Sie ein Landesverr�ther, der die Franzosen hierher gebracht hat.

Ich bin kein Verr�ther, antwortete der Freiherr, ich habe niemals etwas gethan, was mich in Unehre br�chte.

Er l�gt! schrie eine Stimme.

Sie haben es mit den Franzosen gehalten, fuhr der gro�e Mensch fort. Geld haben Sie genommen von dem Bonaparte, daf�r haben Sie das Vaterland verrathen.

Wie habe ich es verrathen k�nnen? erwiederte Hartenstein ruhig. Ich werde mich keiner Untersuchung entziehen. Sagen Sie mir, wie ich es verrathen konnte?

Der Ankl�ger schien verlegen zu sein.

Die ganze Welt sagt es, schrie er, alle Patrioten sagen es. Verflucht! Sind Sie nicht bis jetzt bei den Franzosen gewesen, w�hrend alle braven M�nner bei ihrem K�nige sind? Haben Sie da nicht wieder mit dem Bonaparte zusammengesessen und Rathschl�ge gegeben?

Ich habe keine Rathschl�ge gegeben und kam hierher, um wom�glich Gelegenheit zu finden, nach Preu�en zu gelangen, antwortete er.

Er l�gt! Er l�gt! schrie die scharfe Stimme wieder. Fragt wen Ihr wollt, sie werden es Euch sagen, was es f�r ein schlechter Kerl ist.

Neben den Anf�hrer trat jetzt ein anderer Mann und als er zu sprechen anfing, glaubte ich ihn zu erkennen.

Ich selbst, sagte dieser Zeuge, habe von dem verstorbenen Baron geh�rt, da� er diesen Vogel hier einen niedertr�chtigen Landesverr�ther und Schelm nannte, den er wie einen Hund todt schie�en w�rde, wo er ihn f�nde. Dazu hat er viele andere grausame schlechte Thaten begangen sein Lebenlang. Seine Frau hat er um ihr Geld gebracht und hat sie elend umkommen lassen, seinen treuen Diener Jakob hat er wie einen Dieb tractirt, falsch angeklagt und ungl�cklich gemacht. Nichts als R�nke, List und Schlechtigkeit sind von je an in ihm gewesen; betrogen hat er Jeden, der mit ihm zu thun hatte.

Das entschied das Loos des ungl�cklichen Freiherrn. Rache- und Wuthgeschrei �bert�nte dessen Stimme, als er sich verantworten wollte –

F�nf Minuten wollen wir ihm Zeit lassen, wenn er noch etwas abzumachen hat, sagte der Anf�hrer, dann soll er sterben!

Erlassen Sie es mir, Ihnen diese letzten Minuten zu beschreiben, sagte ich seufzend. Vergebens war Alles was ich that, sie rissen ihn hinaus, schleppten ihn �ber den Weg fort bis an die Kirchhofsmauer, erstickten sein Geschrei um H�lfe und seine Bitten und Versprechungen. Als ich die Sch�sse fallen h�rte, sprang ich von meinen Knieen auf. Mondlicht und Tagesgrauen vermischten sich. Ich sah den ganzen Trupp rasch �ber die Felder und den gefrornen Bach fortlaufen und lautlos dem Walde zueilen. Die Schattengestalten schienen mir Wesen ohne Leib, das Ganze ein w�ster Traum zu sein, aber es war nur zu gewi� und wahr.

Als ich zu dem traurigen Platze kam, lag er in seinem Blute todt. Drei Kugeln waren durch seine Brust, eine vierte durch den Kopf gegangen. Wir trugen ihn in das Haus, ich rief die Nachbarn herbei und machte Anzeige beim Gerichte �ber die That. Am Abend brachten wir die Leiche auf das Schlo�, wo es w�ste aussah und wo sie begraben wurde und nun begann eine Untersuchung, die jedoch ohne alles Resultat blieb.

Niemand hatte die M�rder gekannt und wer vielleicht etwas von ihnen wu�te, h�tete sich eine Aussage zu machen. Es gab damals auch Viele, selbst unter den h�her Gestellten, die in ihrem Hasse so weit gingen sich �ber den Tod eines Verr�thers von solchem Range heimlich zu freuen. Sie nannten es einen Akt der Volksjustiz gegen einen Verbrecher, der in anderer Weise nicht zu erreichen sei und die Gerichte waren, wie Alles damals, aufgel�st, alle Ordnung und Gesetzlichkeit vernichtet, die franz�sische Militairgewalt aber machte nicht allzu viel aus einem Vorfalle, der keinen Franzosen betroffen hatte.

Allein Sie selbst, fiel die Dame ein, hatten einen oder einige der Bande erkannt. Sie werden diese Elenden doch genannt haben?

Ich sprach nur meine Vermuthungen aus, erwiederte ich, Gewi�heit hatte ich nicht zu geben. Ich glaubte, da� der, welcher neben dem Anf�hrer stand, der F�rster Heinz gewesen sei, der andere aber, welcher den Freiherrn schlug und band, war, wie ich meinte …

Nun; fragte sie, als ich schwieg.

Jakob, sagte ich.

Der Dame d�stere Augen belebten sich. Ich dachte es wohl, rief sie. O gewi�, der abscheuliche Mensch sah aus wie ein Verbrecher. Er konnte Niemand ansehen, vermied jede Begegnung mit meinem Gemahl oder mit meinen Kindern und mir. Aber wie war es m�glich, da� ein solches Ungeheuer auf unsre Kosten leben durfte?

Madame, antwortete ich, die letzten Worte, welche der ungl�ckliche Mann zu mir sagte, bekannten sein gro�es Unrecht gegen seine verewigte Frau, gegen Jakob und gegen – Alle, die er beleidigt hatte und deren Vergebung er forderte. Von dieser M�rderbande, rief er dann, habe ich keine Gnade zu hoffen, aber ich bin kein Verr�ther. Sagen Sie das meinem Bruder, er soll unsern Namen vor Schande bewahren.

Ich schrieb dies Alles dem jungen Herrn, Ihrem Gemahl, der jedoch erst im Fr�hjahr hierherkam und, nach reiflicher Ueberlegung, es f�r das Beste erachtete, die Unthat auf sich beruhen zu lassen. Von dem F�rster Heinz hat man nie wieder geh�rt, auch Jakob war lange Zeit verschwunden, bis er nach den Freiheitskriegen zerschossen und siech zur�ckkehrte. Ihr Herr Gemahl war damals im Staatsdienste in England. Ich benachrichtigte ihn von Jakobs Erscheinen, der standhaft l�ugnete, einen Antheil an jener grausamen Nacht gehabt zu haben, wohl aber �ber das schwere Unrecht klagte, das an ihm begangen ward, und welches sein ganzes Leben mit Elend und Schmach erf�llt habe.

Darauf befahl der gn�dige Herr, da� Jakob in sein Haus genommen und dort verpflegt werden sollte, unter der Bedingung, auf immer �ber Alles, was geschehen, zu schweigen.

Als ich zu sprechen aufh�rte, sagte sie:

Mein Gemahl hat also niemals versucht, den Ruf seines Bruders zu retten? Er hat keine Untersuchung verlangt, hat nichts gethan, um sein Haus von solcher Schmach zu reinigen?

Es gingen wohl viele Jahre hin, erwiederte ich ihr, wo dies kaum m�glich schien, denn die Meinung war vielfach verbreitet, da� der Geheimerath in seinem Eifer, den Frieden zu erhalten, zu weit gegangen sei; und da� er in Paris geheim verhandelt, den Abschied bekommen und der erkl�rte Anh�nger der franz�sischen Partei gewesen, konnte Niemand leugnen. Erst vor zwei Jahren, als Ihr Herr Gemahl den Staatsdienst aufgegeben hatte und hierherkam, sagte er mir, da� man jetzt davon �berzeugt sei, sein Bruder habe niemals seine Pflicht �bertreten. Als ihn sein ungl�ckliches Ende erreichte, sei er im Begriff gewesen, sich zu rechtfertigen. Es hatten sich Papiere nach Haugwitz's Tode aufgefunden, welche Alles best�tigten, und wenn dies geltend gemacht w�rde, m��te man wenigstens der Familie dankbar sein.

Sie stand auf, und ich sah die Freude in ihrem Gesichte.

Darauf bezieht sich also jene Notiz? fragte sie, und weiter wissen Sie nichts?

Nein, antwortete ich, das ist Alles.

So leben Sie wohl. Wenn es n�thig ist, werde ich mich auf Ihr Zeugni� berufen k�nnen. Aber, fuhr sie zur�ckkehrend fort, ist kein anderer Zeuge noch am Leben? Was ist aus den S�hnen des Barons geworden?

Sie sind s�mmtlich todt, Madame. Der Aelteste starb bei Jena, der Zweite in den Armen seines Vaters. Der Dritte fiel in der Schlacht bei Eilau Die Schlacht bei Preu�isch Eylau (7.-9.2.1807) zwischen der russischen Armee und der franz�sischen Grande Arm�e unter dem Kommando von Napol�on Bonaparte brachte bei schweren Verlusten auf beiden Seiten kein eindeutiges Ergebnis. und von dem J�ngsten wei� man nicht, wie er endete. Die G�ter sind jetzt auf Lehnsvettern �bergegangen. Wollen Sie, f�gte ich hinzu, indem ich auf das P�ckchen mit den traurigen Reliquien deutete, dies nicht mitnehmen?

Werfen Sie es fort, erwiederte sie, indem sie sich entfernte, es kann nichts nutzen.

Es kann nichts n�tzen! Ja, das ist es – das ist die Weisheit der Kinder dieser Welt, und nun ich den letzten Abschnitt meiner Lebensgeschichte niedergeschrieben habe, fragen mich meine m�den Augen, was kannst Du noch n�tzen? Wie es dunkel um mich wird, wie ich diese Buchstaben nur noch m�hsam erkennen kann, mu� ich doch l�cheln �ber die Thorheit dieser Frage. Ich habe gelebt, ich habe als Mensch gelebt und gelitten; mein Wandel ist vollbracht. Was ich n�tzte, wei� Gott allein!


Unter dies Manuscript war von einer andern Hand geschrieben:

Dies waren die letzten Worte des frommen edlen Greises. Die Feder war ihm aus der Hand gefallen und die Buchstaben noch nicht trocken, als wir ihn fanden, den m�den Kopf auf das Papier gelegt, wie im tiefen Schlaf. Er ist hin�bergegangen ohne Leiden, und heute in der Fr�he haben wir ihn begraben unter dem Rosenbusche, wie er es angeordnet, neben seinen Lieben. Marie ist noch in tiefsten Schmerze, denn er ist ihr ein Vater gewesen und hat v�terlich ihr auch sein irdisches Gut hinterlassen. Wir werden bis zum Herbst warten m�ssen, ehe sie meine Frau wird. Gott aber wei� nicht allein, was unsers lieben alten Freundes Leben n�tzte, ich wei� es, Marie wei� es, die ihm Alles dankt, und so viele Arme und Geplagte mit ihr, deren Trost und Stab er war. N�tzten alle Menschen, wie er in seinem stillen Wirken und Wesen, es w�rde wahrlich besser sein, wie es ist!

* * *