Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
An einem Julitage des Jahres 1789 M�gge sieht Napoleon in diesem Jahr bereits als Leutnant. Diesen Rang empfing er allerdings erst 1791. lag die alte Stadt Valence im sch�nsten Sonnenschein unter blauem Himmel, und wer sie so zum ersten Male und in der Ferne vor sich erblickte, wie dies einem Reisenden geschah, der damals eben auf der Stra�e von Grenoble in einem kleinen Postcarriol sich ihr n�herte, der mochte sich nicht leicht vorstellen, da� die� wirklich ein so altmodischer, finsterer Ort voll enger Gassen und hoher Giebelh�user sei, wie man es ihm berichtet hatte.
Das bergige Land gl�nzte rings in seinen gr�nen Gew�ndern, mitten hindurch bahnte sich die Rhone brausend und sch�umend ihren Weg, und je n�her der Stadt, um so zahlreicher streckten sich Fruchtg�rten und Landh�user an den Lehnen des Stroms und der H�gel aus, bis wo Valence selbst von seiner schwellenden H�he herunterblickte. Und wer hatte bei diesem sanften, sch�nen Rundbilde voll Glanz und heiterer Ruhe wohl daran denken m�gen, da� das ganze Land der Franzosen eben jetzt voll g�hrender Leidenschaften und wilder Parteik�mpfe sei; war es doch, als ob man hier Nichts von den st�rmischen Auftritten in Paris w��te, die Menschen vielmehr Alle in friedlicher Abgeschiedenheit gl�cklich wohnten und lebten, als seien sie weit davon entfernt.
Der Reisende auf dem Postkarren mochte �hnliche Gedanken haben, als er die duftigen Berge und die sonnenleuchtende Stadt ernst und nachdenkend und dann vor sich hin l�chelnd betrachtete. Er war noch jung an Jahren, aber sein Kopf mit breiter Stirn, �ber welcher ein gewaltiger schwarzer Haarwuchs sich ausbreitete, und unter der zwei dunkle Augen scharf und lebhaft gl�nzten, sah m�nnlich und kr�ftig geformt aus. Seine Hautfarbe hatte einen s�dlichen bronzenen Ton, auch seine Kleidung schien ziemlich fremdartig. Er trug einen braunen kurzen Mantel von grobem Wollenzeug, mit einer Kappe versehen, die im Nothfall �ber den Kopf gezogen werden konnte, und um den Leib einen Gurt, der dies weite, bequeme Gewand zusammenhielt. Auf dem Postkarren lag ein leichter Mantelsack, und alles in Allem schien dieser Reisende keiner, der zur vornehmen Gesellschaft geh�rte; doch das lie� sich zu jener Zeit schon nicht als besonderes Gl�ck mehr betrachten.
Als der Wagen das Thor erreichte, stand dort eine Wache, die ihn anhielt, und es kam ein Sergeant heraus vom Artillerieregiment La Fere, das hier in Garnison lag, um ihn zu examiniren. Valence wurde als Festung betrachtet, wenigstens hatte es einen befestigten Kern, eine Citadelle, in welcher neun Jahre darauf der arme alte Papst Pius VI. als ein Gefangener starb. Gefangener der franz�sischen Republik, hierher geschafft auf Befehl desselben Mannes, der jetzt dort oben in dem bauf�lligen Giebelhause am Ende der Stra�e seinen Arm auf das Fensterkreuz gest�tzt, starr hinausblickt in das Rhonethal, ohne auf den Karren am Thore zu achten.
�Wer sind Sie?� fragte der Sergeant vom Regiment La Fere den Reisenden.
�Ich bin ein Student der Rechte,� antwortete der Fremde mit wohllautender Stimme.
�Woher kommen Sie?�
�Ich komme aus Pisa, aus Italien, von Turin und Chambery. Hier ist mein Pa�.�
�Wie hei�en Sie?� fragte der Graminator, indem er in das Papier blickte.
�Ich hei�e Carlo Andrea Pozzo di Borgo.�
�Ein Italiener! Ich dachte es beinahe,� nickte der Sergeant aufblickend, �obwohl Sie verteufelt gut franz�sisch sprechen.�
�Das kommt daher,� l�chelte der Student, �weil Frankreich uns gew�rdigt hat, zu ihm geh�ren zu d�rfen.�
Der Sergeant begriff den Sinn dieser Antwort nicht recht. Er starrte den Reisenden an.
�Ich bin ein Corse aus Ajaccio,� fuhr dieser l�chelnd fort.
�O, sacre bleu! jetzt versteh' ich!� rief der Sergeant und legte die Hand an seinen Hut. �Die Corsen sind brave Leute. Wir haben einen bei unserem Regiment. Wart einmal, richtig! der ist auch aus Ajaccio. Vielleicht kennen Sie ihn. Wir haben hier einen Lieutenant mit Namen Bonaparte.�
�Napoleon Bonaparte.�
�Es kann sein, hier giebt's nur den Einen.�
�Ich kenne ihn recht gut,� sagte der Reisende.
�Dann m�ssen Sie ihn besuchen.�
�Da� will ich gewi� thun. Kann ich erfahren, wo er wohnt?�
Der Sergeant drehte sich um; es hatte sich eine Anzahl Soldaten vor der Wache versammelt, welche neugierig zuh�rten.
�Wei� Keiner, wo der Lieutenant Bonaparte wohnt?� fragte er.
Aber der Held, welcher wenige Jahre darauf seinen Namen so bekannt gemacht hatte, da� jedes Kind davon zu erz�hlen wu�te, war den meisten dieser Soldaten fremd, und wo er wohnte, konnte Niemand sagen. Der Sergeant fluchte und rief noch mehrere Andere herbei, die verschiedene Quartiere angaben und sich dar�ber stritten. Darauf schrie der alte Krieger:
�Schweigt Alle still! Dort kommt der Lieutenant Demarris, der wei� es gewi�.�
Ein junger Herr in Uniform mit rothen Rabatten schritt so eben die Stra�e herab, und der Sergeant ging ihm ein paar Schritte entgegen. Als der Officier das Anliegen vernommen hatte, trat er artig gr��end n�her und sagte h�flich:
�Der Lieutenant Bonaparte wohnt dort oben in dem hohen Giebelhause, das Sie von hier aus sehen k�nnen.�
�Er ist also nicht verreist?� erwiederte der Student dankend.
�Nein, er ist hier, und wahrscheinlich treffen Sie ihn in seiner Wohnung, denn er ist sehr flei�ig und h�uslich.�
�Das ist mir lieb zu h�ren. Ich f�rchtete, ihn nicht in Valence zu finden, da ich wei�, da� seine Familie ihn in Ajaccio erwartet.�
Der Officier, der ein sch�ner, junger Mann war, sch�ttelte den Kopf und sagte mit einem muthwilligen Lachen:
�Ich glaube nicht, da� er jetzt auf Reisen geben wird, denn er hat hier Besseres zu thun. Auch bin ich mit ihm gut befreundet und wei� Nichts davon. Sie sind sein Landsmann?�
�Ja, mein Herr.�
�Und hei�en Pozzo di Borgo?�
�Ja, mein Herr.�
�Er hat mir diesen Namen zuweilen genannt. Sind Sie nicht besonders befreundet mit seinem �lteren Bruder Joseph?�
�Sie haben ganz Recht.�
�Und sind mit ihm selbst dagegen in mancherlei Streit gerathen?�
�Knabenstreite bei Knabenspielen.�
�Er will �berall der Erste sein,� lachte Demarris, �und streitet f�r sein Leben gern. Bei alledem wird er sich freuen, Sie zu sehen. Ich bedauere, da� ich Sie nicht begleiten kann; doch ich habe einer Dame meinen Besuch versprochen, und Damen mu� man Wort halten.�
�Man mu� immer Wort halten,� sagte Pozzo di Borgo freundlich. �Vielen Dank, mein Herr.�
�Ich hoffe, wir sehen uns noch,� rief Demarris. �Sie werden Valence doch nicht gleich wieder verlassen wollen?�
�Ich bleibe wohl einen und den anderen Tag, ehe ich meinen Weg nach Paris fortsetze.�
�Nach Paris wollen Sie? Sie sind zu beneiden. Es gehen gro�e Dinge dort vor sich.�
�Es werden noch gr��ere vorgehen,� antwortete Pozzo di Borgo.
�Die Nationalversammlung wird vom K�nige nach Soissons geschickt werden. Haben Sie davon geh�rt?�
�Ich habe Nichts davon geh�rt.�
�Nun, man wird sich schon vertragen!� rief Demarris. �Ein ganzes Heer lagert um Paris, schade, da� wir nicht dabei sind. Aber ich will Sie nicht l�nger aufhalten. Fahren Sie nach dem rothen Hause, dort speist man am besten, ich esse auch dort. Und gr��en Sie Bonaparte. Pardon! noch einen Augenblick. Er wollte ebenfalls Frau von Colombier seinen Besuch machen. Er soll bald nachkommen und soll Sie mitbringen. Ich werde Sie anmelden. Verlassen Sie sich darauf, Sie werden willkommen sein und die liebensw�rdigste Aufnahme finden. Es ist eine der ersten und ausgezeichnetsten Familien in Valence. Auf Wiedersehen also, Herr Pozzo di Borgo. Sie werden finden, da� die Damen von Valence den Ruf ihrer Sch�nheit verdienen. Adieu! Adieu!�
So selbstgef�llig lachend und h�flich gr��end ging der Lieutenant zum Thore hinaus und tr�llerte unter der W�lbung ein Liedchen, w�hrend der Postkarren in entgegengesetzter Richtung weiter rumpelte.
�Meiner Treu!� murmelte der junge Rechtsgelehrte vor sich hin, �wenn Napoleon Bonaparte viele solche intime Freunde hat, wie diesen, so mu� er sich sehr ver�ndert haben – doch nein,� fuhr er fort, und ein sp�ttisches Zucken flog um seinen Mund, �er hat sich immer Leuten zugeneigt, die sich von ihm bevormunden lie�en und ihn bewunderten, und dieser geschw�tzige Camerad ist sicher einer von der Sorte, wie sie ihm zumeist behagt.�
Der F�hrer des Karrens hatte die Weisung empfangen, nach dem rothen Hause zu fahren, und bald hielt er dort, wo Pozzo di Borgo wohl aufgenommen wurde. Als das Fuhrwerk an dem hohen Hause vor�berrollte, in welchem der Lieutenant Bonaparte wohnte, sah sein Landsmann hinauf, es war jedoch Niemand zu erblicken.
Der junge Mensch, welcher im dritten Stock aus dem Fenster schaute, als der Karren vor der Wache hielt, hatte sich l�ngst wieder von diesem Platze entfernt und sa� nun an einem hochbeinigen Schreibpulte, mit der einen Hand seinen Kopf st�tzend, in der anderen eine abgeschriebene Feder haltend, welche eilig �ber den Papierbogen flog, der vor ihm lag. Diesen Bogen hatte er beinahe voll beschrieben, und eine Anzahl anderer schichteten sich in einem Fache auf.
Das St�bchen war klein und ziemlich �rmlich m�blirt. Ein Bett in der Ecke, ein Schrank an der anderen Seite, einige Riegel, an denen Kleidungsst�cke hingen, ein Tisch und einige St�hle, die unordentlich umherstanden, nahmen den meisten Raum fort. Auf dem Schreibpulte lag ein Haufen B�cher, einige davon aufgeschlagen. Papierst�cke, die beschrieben und zerrissen, angefangene Zeichnungen, denen es nicht besser ergangen, zerspaltene und zerbrochene Federn und Bleistiftsplitter bedeckten den Fu�boden, dem mancherlei gro�e Tintenflecken �berdies nicht fehlten.
Landkarten waren an die W�nde genagelt, eine gro�e Karte �berdeckte den Tisch, und an verschiedenen Stellen derselben steckten Nadeln mit rothen, schwarzen und farbigen K�pfen. Am Pfeiler hing ein schmales Spiegelglas, gesprungen von oben bis unten, darunter aber auf der Tischecke schimmerte ein Blumenstrau� in ein Wasserglas gestellt und von einem blauen Bande umwunden. Es war dies der einzige freundliche Schmuck des Zimmers, das einzige Zeichen der Sorgfalt seines Bewohners, �berall sah es sonst w�st und wirr aus. Das Bett selbst befand sich in Unordnung, mit Uniformst�cken beworfen, und der Degen des Herrn Lieutenants Bonaparte, welcher daran gelehnt hatte, war heruntergerutscht, da� er nur noch mit dem Gef�� an einer Kante festhing.
Aber Napoleon Bonaparte hatte keine Augen daf�r. Er richtete diese unverwandt auf den Bogen vor sich und schrieb mit Hast. Zuweilen jedoch hielt er inne, strich aus und schrieb von Neuem, warf seine Blicke lebhaft umher und zum offenen Fenster hinaus auf die gr�nen Berge und den fluthenden Strom, der einen leuchtenden Streif in der Ferne erkennen lie�; dann warf er sich selbst in den Stuhl zur�ck und starrte die Zimmerdecke an, um pl�tzlich aus dieser Ruhe aufzufahren und wiederum seine Feder arbeiten zu lassen.
Die schmale, untersetzte Gestalt des jungen Mannes schien von au�erordentlicher Beweglichkeit. Er geh�rte zu den Menschen, deren geistiges Leben auch den K�rper in fortgesetzter Unruhe erh�lt. Unter dem alten Militairrock r�ckten seine F��e und sein Leib hin und her, und an der schmalen Hand, welche seinen Kopf st�tzte, und �ber welche das feine schwarze Haar fiel, zuckten seine Finger bald hier, bald dort.
Es war kein eben sch�ner Kopf, der aus der dunklen Halsbinde hervorstieg, aber doch ein Kopf von eigenth�mlichen Formen und anziehendem Gepr�ge. Gelb und blutlos die Gesichtsfarbe, feingebildet und fest Nase und Mund, die Stirn hoch und besonders breit, eine knochige, m�chtige Denkerstirn, das Haar dar�ber seidig gl�nzend, die Augen tief, dunkel und von durchdringendem Feuer. Ein k�hner Ausdruck �berlegener geistiger Kraft und K�lte nahm diesem Gesicht die jugendliche Frische; man sah ihm an, da� heftige Leidenschaften es pl�tzlich in Aufruhr bringen konnten, und da� es nicht f�r die leichtfertige Lust und Fr�hlichkeit eines sorglosen, jungen Officiers geschaffen sei.
Dazu stimmte es auch sicherlich, da� an diesem schw�len Nachmittage der zwanzigi�hrige Lieutenant hier einsam auf seinem Zimmer, vergraben unter B�chern und Papieren, arbeitete, w�hrend seine Cameraden, wie der muntere Demarris, umherschw�rmten, um zu trinken, zu spielen oder sch�nen Damen den Hof zu machen, und so ernstlich war diese Arbeitsamkeit gemeint, da� Napoleon Bonaparte es nicht h�rte oder beachtete, als drau�en feste Schritte sich seiner Th�re n�herten und bald darauf wiederholt an diese geklopft wurde.
Erst als die Th�r sich aufthat und Jemand hereintrat, erregte dies seine Aufmerksamkeit; allein er sah sich nicht um, sondern rief, ohne den Kopf aufzuheben und nicht allzu freundlich:
�Warum kommst Du jetzt? Ich kann Dich nicht gebrauchen. Doch halt, setze Dich nieder und schweige still, bis ich Zeit habe mit Dir zu sprechen.�
Der Eingetretene befolgte diese Weisung p�nktlich. Er ging an den Tisch, welcher hinter dem schreibenden Lieutenant stand, setzte sich dort auf einen Stuhl, betrachtete die Karte mit den Nadeln, dann das Zimmer sammt Allem, was sich darin befand, endlich das Glas mit den Blumen unter dem Spiegel, und zuletzt ruhten seine Blicke nachdenklich und unverwandt auf dem Schreibenden, obwohl eben nur dessen bewegliche Schultern und Beine und die fingernde Hand sich seinen Betrachtungen darboten
So verging einige Zeit, ehe eine Unterbrechung stattfand. Pl�tzlich aber lachte der Lieutenant Bonaparte auf und rief mit seiner scharfen Stimme:
�Warst Du schon bei Frau von Colombier?�
�Nein,� lautete die Antwort.
�Du hast also Fr�ulein Beatrice noch nicht gesehen?�
�Nein.�
�Ich begreife nicht, wie Du das aush�ltst.�
�Ich kann warten,� erwiederte der Wartende mit seiner weichen tiefen Stimme, und sobald er diese Worte gesprochen, wandte sich der Lieutenant Bonaparte hastig um. Im n�chsten Augenblick stand er auf seinen Beinen und starrte seinen Besuch verwundert an. Dies dauerte wohl eine Minute; die beiden jungen M�nner schwiegen. Pozzo di Borgo lie� sich betrachten; Bonaparte sah aus, als halte er, was er sah, f�r T�uschung, dabei blieb er so ernsthaft, als ob er kein gro�es Vergn�gen �ber diesen unerwarteten Anblick empf�nde.
�Carlo Andrea!� rief er dann und kam ihm n�her. �Wie geht es in Ajaccio?�
�Ich wei� es nicht, Napoleon,� war die Antwort, �denn ich komme von Pisa und komme Dich zu besuchen.�
In dem Augenblick verwandelte sich das Gesicht Napoleon's. Er streckte dem Jugendfreunde beide H�nde entgegen.
�Sei mir willkommen, Carlo, es ist mir lieb, Dich zu sehen! Aber wie kommst Du hierher, und wohin willst Du?�
�Ueber Paris will ich nach Haus, um dort, da meine Studien nun vollendet sind, meine Advokatur zu beginnen. Hierher komme ich, sowohl meines Weges wegen, als um Dir einen Brief zu bringen.�
�Einen Brief! Von wem?�
�Von einem Manne, den wir Beide verehren, der jedem Corsen heilig und theuer ist.�
�Von Pasquale Paoli!� rief Napoleon.
�Von dem Pr�sidenten,� sagte Carlo Andrea.
Als die Franzosen im Jahre 1769 nach der Schlacht an der Solobr�cke Corsica erobert und die corsische Republik vernichtet hatten, floh der Pr�sident Paoli nach London und lebte in dieser Verbannung nun seit zwanzig Jahren. Aber die z�rtliche Verehrung des corsischen Volkes begleitete den gro�en B�rger in das sonnenkalte Land des Nebels, und dort leuchtete er immer noch als Stern, zu dem die Corsen ihre Segensw�nsche und Gebete sandten. Wenn Einer in seiner Noth nicht wu�te, wer ihm rathen und helfen sollte, wandte er sich an den verbannten Vater des Vaterlandes. Wer etwas Wichtiges unternahm, wollte wissen, was er dazu sagte, und wo M�nner und J�nglinge f�r ihres Landes und Volkes Sache hofften und strebten, war es die h�chste Ehre, wenn der Pr�sident sie lobte und ihren Eifer mit seinem Beifall belohnte.
Als Pozzo di Borgo gesprochen hatte, zog er aus seiner Tasche einen Brief und reichte ihn Napoleon hin.
�Da ich ihm schrieb,� sagte er dabei, �da� ich von Pisa nach Paris reisen und meinen Weg �ber Turin und Lyon nehmen wollte, sandte er mir dies Schreiben f�r Dich, das ich Dir geben m�chte, sobald ich Dich sehen w�rde. Hier hast Du es; ich habe meinen Auftrag erf�llt.�
Napoleon brach schweigend den Brief auf, blickte hinein und las. In seinen Mienen zeigte sich dabei eine Unruhe, die er nicht ganz unterdr�cken konnte, und welche Carlo Andrea sehr wohl bemerkte.
�Er hofft! er hofft!� rief er, indem er das Blatt sinken lie�. �Wir hoffen Alle auf eine neue Sonne, die der Menschheit aufgeht, doch man mu� sich vor Illusionen h�ten.�
�Du hast ihm einen Entwurf zu einer Geschichte Corsica's gesandt, welche Du schreiben willst,� sagte Carlo Andrea.
�Sie ist schon zum guten Theil vollendet,� versetzte Napoleon, indem er nach dem Schreibpulte blickte und auf die angeh�uften Bogen deutete. �Ich schrieb es ihm,� fuhr er lebhaft fort, �da� ich sein reines Andenken vor der Verleumdung feiger Seelen retten, die Verr�ther am Vaterlande schonungslos brandmarken wollte. Ich will zeigen, wie wir gequ�lt und mi�handelt, verrathen und entehrt wurden. Ich will damit den tugendhaften Minister, welcher Frankreich jetzt regiert, Herrn von Necker, f�r unser Schicksal interessiren, ihm meine Schrift �bersenden, sobald ich sie vollendet habe.�
Der junge Advokat schwieg einige Augenblicke und erwiederte dann:
�Necker wird kaum den Franzosen helfen k�nnen, noch weniger den Corsen, aber Paoli ist entz�ckt von Deinem Vorhaben und Deinem Briefe. Er setzt gro�e Hoffnungen auf Dich.�
�Auf uns Beide also,� erwiederte Napoleon, indem er den Freund ansah. �Denn er schreibt hier, da� er Nichts sehnlicher w�nsche, als uns zum Heile unseres Vaterlandes zu verbinden, da Zeiten kommen werden, wo Corsica seine besten S�hne brauche, und da� wir unsere geistigen F�higkeiten vereinigen m�gen, um eintr�chtig zu helfen.�
�Damit Corsica werde, was es war,� antwortete Carlo Andrea, �damit die Republik und ihr Pr�sident zur�ckkehren.�
�Das ist nicht meine Meinung f�r unser Wohl!� fiel Napoleon rasch ein. �Wir geh�ren jetzt zu Frankreich und m�ssen bei ihm bleiben. Wir wollen nicht wieder zu einem bedeutungslosen Staubkorn herabsinken; aber man soll uns gerecht werden. Wir wollen die Gr��e und das Gl�ck des gro�en franz�sischen Volkes theilen, wollen Franzosen sein, keine Colonie.�
Wie diese beiden jungen M�nner schon als Knaben keine Viertelstunde beisammen sein konnten, ohne sich zu zanken, so geschah es auch jetzt, als sie sich nach Jahren kaum wieder gesehen hatten, trotz der eben vernommenen Ermahnung des verehrten Paoli, einig zu sein.
Pozzo di Borgo wollte Nichts von einem corsischen Franzosenthum wissen. Er z�hlte auf, mit welcher Gewalt und welchem Unrecht die Franzosen sich der Insel bem�chtigt, wie sie die Corsen behandelt h�tten und noch behandelten, und wie diese durch Sprache, Sitte und Abstammung von ihnen fremd und verschieden seien und zu Italien geh�rten.
Napoleon dagegen nahm sich eifrig der Franzosen an, bei denen die Corsen seit alten Zeiten Hilfe gegen die Tyrannei der Genuesen gefunden, und erwartete jetzt, wo die gro�e Nation zu einem neuen freien Staatswesen sich eben Bahn brach, das Allerbeste auch f�r Alle, die zu ihnen geh�rten.
Bald befanden sich die beiden Landsleute in vollem Wortwechsel, und ihr Streit pflanzte sich weiter fort auf die Vorg�nge in Paris. Der Lieutenant Bonaparte wurde dabei immer heftiger und absprechender in seinen Aeu�erungen. Der junge Pozzo di Borgo vertheidigte die Grunds�tze b�rgerlicher Freiheit und Gleichheit, wie man die� von einem so entschiedenen Anh�nger und Bewunderer des Pr�sidenten Paoli erwarten konnte, aber er that es mit vieler M��igung und der kaltbl�tigen Sicherheit und Sch�rfe, welche alle seine Urtheile auszeichnete. –
W�hrend der hitzige Napoleon bald in leidenschaftlichen Eifer gerieth, indem er seine Meinungen verfocht, dabei umherlief, seine Arme in die Luft warf, feine Lippen zucken und seine Augen rollen lie�, sa� Carlo Andrea, ohne sich zu r�hren, und betrachtete ihn mit verschr�nkten Armen.
�Nun, ich sehe wohl,� sagte er endlich, �Du bist mehr Franzose geworden, als ich es erwartete, und bist ein besserer Royalist, als es nach den Briefen, welche Du an Deinen Bruder Joseph geschrieben, und nach den Grunds�tzen, die Du dem Pr�sidenten Paoli f�r Deine Geschichte Corsica's vorgetragen, anzunehmen war.�
�Was wollt Ihr denn?� rief Napoleon heftig, und durch sein gelbbleiches Gesicht schimmerte eine pl�tzliche R�the. �Meint Ihr besser zu sein als ich, Ihr Anderen? Ich bin ein Corse von Geburt und werde es bleiben! Aber ich bin auch ein B�rger des gro�en Frankreichs, ein B�rger des m�chtigsten europ�ischen Staates; das ist mehr werth, unendlich mehr, als B�rger einer ohnm�chtigen, kleinen Republik zu sein, die jeden Augenblick die Beute eines st�rkeren Nachbars, eines Abenteurers oder eines tyrannischen Herren werden kann. Ich bin ein Royalist, sagst Du? Ich verlange Gerechtigkeit, das Aufh�ren aller Vorz�ge, aller Vorrechte. Ich will, da� das wahre Verdienst jeden Weg frei finde, da� jeder B�rger gleich sei vor dem Gesetz, mit gleichen Rechten, gleichen Anspr�chen, und ich hoffe, dahin soll es jetzt kommen. Die Nationalversammlung wird uns einen neuen Staat schaffen.�
�Nicht ohne eine Revolution,� antwortete Pozzo di Borgo.
Bei diesen Worten warf Napoleon den Kopf auf, sah feinen Landsmann an und begann zu lachen.
�Du geh�rst also auch zu Denen,� sagte er, �die Blut und Zerst�rung prophezeien und nicht glauben wollen, da� die gro�en Ideen der Menschheit und der Aufkl�rung m�chtiger sind, als die Vorurtheile der Privilegirten? Diese werden sich f�gen m�ssen! Der K�nig wird sich mit weisen Rathgebern umgeben m�ssen, der tugendhafte Necker wird in der Nationalversammlung St�tzen und Gef�hrten finden, ihnen wird der K�nig sich in die Arme werfen und nicht anders k�nnen. Der ganze Schwarm dieser nichtsnutzigen Hofleute und verstockten S�nder wird daran zerst�uben.�
�Ich wei� nicht,� sagte Pozzo di Borgo, �ob Du Recht hast, mir scheint es jedoch, als w�rde der tugendhafte Necker eben so wohl n�chstens fortgejagt werden, wie die Nationalversammlung, wenn nicht –�
Der Lieutenant fuhr heftig auf.
�Genug, genug!� rief er, �was sollen wir uns um solche Dinge streiten? wir haben uns oft genug gestritten. Aber, mein Freund, Du mu�t mich begleiten, ich mu� Dich mit Frau von Colombier bekannt machen, dort wirst Du Leute finden, die mit Vergn�gen Deine Schreckbilder anh�ren werden.�
�Ich bin schon zu diesem Besuche eingeladen worden,� erwiederte Carlo Andrea und erz�hlte nun sein Zusammentreffen mit dem Lieutenant Demarris vor der Wache.
�Das ist ein Schw�tzer,� sagte Napoleon, �im Uebrigen aber mein anh�nglicher lustiger Camerad; was er jedoch von Frau von Colombier erz�hlt, hat seine Richtigkeit. Die Dame besitzt Verm�gen und wohnt dicht bei der Stadt. Sie ist gastfrei und liebensw�rdig und versammelt einen Kreis der besten Leute um sich, die hier zu haben sind.�
�Du bist h�ufig dort?�
�Zuweilen, aber ich bin gern dort.�
�Hat Frau von Colombier Kinder?� fragte Carlo Andrea nach einigen Augenblicken gleichgiltig.
�Eine Tochter, ein junges M�dchen, kaum aus der Pension gekommen; doch nun erz�hle mir, was Du wei�t von meiner lieben Mutter, von meinem Onkel, von meinen Schwestern, Br�dern und Freunden. Ich brenne vor Verlangen, denn ich habe seit einiger Zeit schon keinen Brief von Ajaccio erhalten. Wahrscheinlich wei�t Du also mehr von ihnen als ich.�
Die beiden Jugendfreunde tauschten nun aus, was sie wu�ten, und Napoleon sprach mit Z�rtlichkeit von seiner Mutter und seinen Geschwistern, von dem alten, haush�lterischen Oheim, dem Archidiakonus Lucian, der ihm kein Geld schickte, und von den Parteien in Corsica und Ajaccio. Er sprach in abgerissenen S�tzen bald von dem Einen, bald von dem Anderen, mit launigen und sp�ttischen Bemerkungen, oder auch wohl von heftigen Ausrufungen unterbrochen, die seine lebhaften Empfindungen ihm eingaben. Nach einiger Zeit sagte er dann:
�Du willst also jetzt nach Ajaccio zur�ck, und was denkst Du dort zu thun?�
�Ich denke Prozesse zu f�hren und den gro�en Proze� abzuwarten, der auch bei uns gewonnen oder verloren werden mu�,� antwortete Pozzo di Borgo.
�Der Proze�, wem die Zukunft geh�ren soll!� rief Napoleon. �Welche Partei wirst Du nehmen?�
�Die des Rechts und der Vernunft!�
�Das ist die des Volks! – Welche Dummk�pfe von Aristokraten hat man in die Nationalversammlung geschickt! Einen Buttafuoco, den schlechtesten Kerl, der aufzutreiben war –� er fing an zu lachen, kreuzte seine Arme und blieb vor Carlo Andrea stehen; �dieser Mensch ist reich, und wir sind arm, das ist der Unterschied. Wenn man General ist, geht man mit dem Hof, wenn man Lieutenant ist, geht man mit dem Volke.�
�Wir geh�ren ja Beide auch zum Adel Corsica's,� erwiederte der junge Rechtsgelehrte, �und in dieser Zeit h�lt es nicht schwer, sich mit reichen Familien zu verbinden.�
�Wodurch?� fragte Bonaparte rasch.
�Durch eine Heirath. Wir haben reiche M�dchen genug, die T�chter der Peraldi, der Peretti, der Ornamo und Andere.�
Napoleon blickte ihn scharf an, drehte sich dann auf den Hacken um, sah zum Fenster hinaus und kehrte zur�ck.
�Wohlan denn!� rief er in lustigem Tone, �man mu� es �berlegen. Mir scheint jedoch, wenn man heirathen will, um sein Gl�ck zu machen, mu� es eine einflu�reiche Familie sein; keine, die in einem Winkel Corsica's auf ihre Schafheerden und Oelg�rten den gr��ten Stolz setzt. Wir wollen zu Frau von Colombier gehen; Du wirst da von ihrem Vetter, dem General Noallis, h�ren und von einem halben Dutzend anderer Herren und Damen, die bei Hofe erscheinen oder in hohen Diensten und Ehren stehen. Sie ist sogar mit dem Herrn von Breteuil bekannt und hat Briefe von ihm aufzuweisen.�
Er lachte laut auf, warf seinen Rock ab und fuhr in die Uniform, welche er vom Bett aufraffte.
�Wir m�ssen so sauber erscheinen, wie es jungen Aristokraten zukommt,� fuhr er dabei fort, �damit wir gn�dig empfangen werden, Demarris sich meiner nicht sch�mt, und der Verdacht nicht weiter um sich greift, da� ich ein Bewunderer des verabscheuungsw�rdigen, ganz aus der Art geschlagenen Grafen Mirabeau bin. Ich werde mir daher die Stiefeln blank b�rsten lassen, gleich bin ich wieder hier.�
Carlo Andrea stimmte ihm bei; als Napoleon aber das Zimmer verlassen hatte, stand er auf, trat an das Schreibpult und betrachtete ein Blatt, welches der Lieutenant beschrieben und dann mit anderen Papieren bedeckt hatte. Seine Augen blitzten sp�ttisch darauf.
�An meine theuere Beatrice,� murmelte er, �Verse sogar! – Das sind also die letzten Studien f�r die Geschichte Corsica's, und das seine Begeisterung f�r das Vaterland!�
Er legte das Blatt wieder hin und setzte sich gelassen auf den Stuhl, wo er geduldig wartete, bis Napoleon zur�ckkehrte.
Frau von Colombier bewohnte ein Landhaus von einem Garten umgeben, in dessen N�he die Rhone vor�berrauschte, und welcher die pr�chtigsten Blicke auf die Stadt und die Umgegend bot. Der Garten war mit Blumen reich geschm�ckt. Fruchtb�ume der verschiedensten Art besetzten die G�nge, und Weingehege f�llten die Terrassen an dem dahinter liegenden H�gel. Das Landhaus war in dem schwerf�lligen Styl gebaut, der im Anfange des Jahrhunderts �blich geworden. Einige Stufen f�hrten zu einer Vorhalle, die von geschn�rkelten S�ulen getragen wurde, und vor ihr befand sich ein Rasenplatz, in dessen Mitte ein Springbrunnen pl�tscherte, von schadhaften Amoretten und Najaden aus Sandstein umgeben und von niedrigen, glattgeschorenen Taxus- und Rosenhecken eingefa�t.
Unter der Halle hatte eine Gesellschaft von Herren und Damen Platz genommen, zu beiden Seiten eines Tisches, auf welchem verschiedene Erfrischungen standen, die ein alter Diener in Livr�e mit hochstehendem Kragen, �ber welchen ein dickgepuderter Zopf fiel, in anstandsvoller Steifheit umherreichte.
Frau von Colombier hatte ein feines, vornehmes Gesicht, wei�e H�nde mit langen Fingern, an denen viele Ringe steckten, scharfblickende Augen und ein angenehmes L�cheln f�r ihre G�ste. Sie mochte einige vierzig Jahre alt sein, aber sie �berwachte ihren Anzug noch immer auf's Sorgf�ltigste, wohl darauf bedacht, durch ihre Erscheinung den vortheilhaften Eindruck zu vermehren, den ihre geistige Gewandtheit und ihre feinen Sitten hervorriefen.
Die �ltere Dame an ihrer Seite war die Frau Vicomtesse von Halincourt, Wittwe des Gouverneurs der Provinz, und der verbindliche Herr mit dem Ludwigskreuz und toupirter Perr�cke der Baron Salingr�, ein alter Cavalier vom Hofe Ludwig's XV., der die sch�nsten Tage der Madame Pompadour und ihrer Nachfolgerin, der himmlischen Du Barri, gesehen hatte.
Der Baron unterhielt die beiden Damen mit allerlei geheimen und interessanten Nachrichten, welche er aus Paris erhalten hatte, �ber die Lage des K�nigs und der K�nigin und �ber die Erwartungen der Hofpartei, da� Se. Majest�t nahe daran sei, endlich die Geduld zu verlieren, und diese immer frecher werdende Nationalversammlung n�chstens in ihr Nichts zur�ckzuschleudern. Paris war eben damals von mehr als drei�igtausend Soldaten umringt, ihr General, der Herzog von Broglie, zu Allem bereit. Der K�nig. durfte nur befehlen, seine Unentschlossenheit blieb allein zu beklagen. Aber lange konnte diese nicht mehr dauern, denn die K�nigin war gewonnen, Necker hatte allen Einflu� verloren, der Schlag konnte jeden Tag erfolgen.
Der Baron hatte noch immer einige bedeutende Verbindungen mit dem Herrn von Liancourt und anderen Personen von Ansehen, er wu�te somit Manches und theilte es seinen Freundinnen mit zuversichtlichen und sp�ttischen Mienen, aber mit vertraulich ged�mpfter Stimme mit.
Weit lauter ging es dagegen an der anderen Seite des Tisches her, denn dort hatte sich der Lieutenant Demarris zwischen einigen jungen Damen und Herren festgesetzt, und er unterhielt diese so eben mit den Abenteuern einer Reise, welche er im Fr�hjahr in Begleitung seines Freundes Bonaparte nach Savoyen gemacht hatte, wobei dieser auf dem Mont-Cenis beinahe um's Leben gekommen w�re ohne seine Geistesgegenwart.
Er hatte diese Geschichte allerdings schon mehr als einmal erz�hlt, sie fiel ihm jedoch jetzt wieder ein, als von seinem Freunde die Rede war, der damals eben so wie heute bald nachzukommen versprochen hatte, dennoch aber ausblieb und erst in der Nacht zwischen entsetzlichen Abgr�nden aufgefunden wurde, als Demarris Leute aufbot, mit denen er ihn aufsuchte und in Sicherheit brachte.
�Wir wollen hoffen, Herr Demarris,� sagte eine der jungen Damen, indem sie allerliebst lachte und die sch�nsten Z�hne zeigte, �da� der Lieutenant Bonaparte nicht etwa wiederum zwischen Abgr�nden sich verirrt hat, da Sie nicht bei ihm sind, um ihn zu retten.�
Die Gesellschaft stimmte ihr bei, aber Demarris machte ein bedenkliches Gesicht und erkl�rte, da� er nicht daf�r stehen wolle, ob Bonaparte nicht heute in noch gr��erer Gefahr schwebe, als damals auf dem Mont-Cenis.
�Wie sollte das m�glich sein?� fragten Mehrere zugleich.
�Es ist so ein Gedanke, der mich �berkommt,� sagte der junge Officier, �aber – ein Wunder w�re es nicht, wenn meine Ahnung zutr�fe.�
�Um des Himmels willen! welcher Gedanke? welche Ahnung? Wo ist der Lieutenant Bonaparte? Ist er krank? Reden Sie doch!� schrie der ganze Kreis, und Demarris kreuzte seine Arme und l�chelte geheimni�voll.
�Bonaparte ist zu Hause,� sagte er, �wie immer bei seinen Arbeiten. Aber ich erz�hle Ihnen schon, da� er Besuch von einem Landsmann erhalten hat, den ich selbst zu ihm gewiesen habe.�
�Dabei ist doch nichts Gef�hrliches, wenn ein Landsmann uns besucht?� wurde er von dem sch�nen Fr�ulein unterbrochen.
�Nein, Fr�ulein Beatrice, man freut sich dar�ber, obendrein, wenn man ihn von Jugend an kennt, wie Bonaparte diesen Herrn Pozzo di Borgo.�
�Nun, so wird der Lieutenant Bonaparte sich sicherlich auch gefreut haben,� lachte die junge Dame.
�Das bezweifle ich eben,� erwiederte Demarris den Kopf sch�ttelnd. �Ja, wenn es kein Corse w�re, aber diese Corsen sind schreckliche Menschen.�
�Sieht der Fremde denn so entsetzlich aus?� fragte Fr�ulein Beatrice.
�Er sieht gar nicht entsetzlich aus, sondern besitzt sogar ein ziemlich angenehmes Aeu�eres, aber gro�e schwarze Augen und Haare wie ein Neger.�
�Bitte, Herr Demarris,� sagte das Fr�ulein, �steht es naturgeschichtlich fest, da� Menschen mit schwarzen Haaren und gro�en Augen gef�hrlich sind?�
Es entstand ein muthwilliges Gel�chter, in welches der Lieutenant einstimmen mu�te; dann aber erwiederte er hartn�ckig:
�Sie wissen nicht, was Bonaparte mir erz�hlt hat. Sie wissen nicht, da� er mit diesem Pozzo di Borgo von Jugend auf in best�ndigem Zank und Streit lebte, und da� dieser junge Mensch ein wilder Republikaner war, auch wahrscheinlich noch ist, der Oden auf den General Paoli dichtete und eine Compagnie republikanischer Jungen zusammenbrachte, mit denen er gegen die Compagnie Bonaparte's k�mpfte, welcher die franz�sische Partei commandirte.�
�Dann nehme ich es dem Lieutenant Bonaparte gar nicht �bel, wenn er diesen unangenehmen Freund nicht gern sieht,� sagte die alte Vicomtesse Halincourt beif�llig nickend zu Frau von Colombier. �Diese Corsen sind ein verr�therisches und undankbares Volk, das sogar gewagt hat, sich den Befehlen Seiner Majest�t zu widersetzen, als er ihnen die Gnade erzeigte, sie zu seinen Unterthanen zu machen. Ist es nicht wahr, lieber Baron Salingr�?�
�Sehr wahr!� erwiederte der Baron. �Es sind Barbaren, und ich erinnere mich, wie emp�rt der gesammte Hof dar�ber war, da� alle Versuche Nichts fruchteten, sie von der unsinnigen Einbildung zu heilen, da� sie das Recht bes��en, ein freies Volk zu bleiben, obwohl man ihren Anf�hrern die gn�digsten Versprechungen machte.�
�Sehen Sie wohl, Fr�ulein Beatrice!� rief Demarris auf der anderen Seite, �darin liegt meine Besorgni�. Diese Corsen sind fanatische Menschen, die nicht die kleinste Beleidigung vergessen. Sie suchen sich zu r�chen, m�gen auch viele Jahre dar�ber vergehen, und man hat Beispiele, da� Manche, die in ihrer Jugend sich verfeindeten, �ber einander herfielen, als sie als Greise sich wiedersahen. Es ist daher gar nicht so unwahrscheinlich, da� dieser Herr Pozzo di Borgo, als er Bonaparte erblickte, in Wuth gerieth, und was ich vorher von Gefahren sagte –�
Bei seinem letzten Worte erhob sich das Gel�chter so laut, da� Demarris verwirrt umhersah und alsbald auch die Ursache entdeckte. Denn an der Gartenth�r erschien so eben der Lieutenant Bonaparte Arm in Arm mit dem gef�hrlichen Freunde und so fr�hlichen Gesichts, da� ihm gewi� kein Leid widerfahren sein konnte. Einige Minuten darauf standen die beiden jungen M�nner an den Stufen zur Halle, und die Munterkeit der Gesellschaft wurde nicht dadurch vermindert, da� Bonaparte befremdet den Kopf aufwarf und fragend von Einem zum Anderen blickte. Seine reizbare Gem�thsart regte sich bei diesem sonderbaren Empfang, und sein Mund zog sich sp�ttisch zusammen, w�hrend seine Augen blitzend umherflogen, bis sie auf Fr�ulein Beatrice haften blieben, die aufgestanden war und sich ihm n�herte. Er machte ihr eine rasche, kurze Verbeugung.
�Ich bin entz�ckt �ber einen so freudigen Empfang, Fr�ulein von Colombier!� sagte er dabei, aber er sah durchaus nicht entz�ckt aus.
�Wir freuen uns, da� Sie noch leben, Herr Bonaparte,� antwortete die junge Dame mit ihrem lieblichen L�cheln.
�Da� ich noch lebe? Ich kann versichern, da� ich durchaus keine Lust zum Sterben habe!� antwortete er milder gestimmt.
�Eine sch�ne Beruhigung,� fuhr Beatrice fort, �nachdem wir f�rchten mu�ten, Sie kaum wieder zu sehen!�
�Nicht wieder zu sehen!� rief Napoleon, indem seine Augen feurig gl�nzten. �Dann m��te ich wirklich nicht mehr leben. Aber was soll das bedeuten?�
�Dem Himmel sei Dank,� lachte das Fr�ulein, �da� alle Gefahr vor�ber ist und Sie bei uns sind. Herr Demarris –�
�Ich bin schon da,� fiel Demarris ein. �Ich erz�hlte den Damen, da� Herr Pozzo di Borgo ein Corse sei, und, wenn zwei Corsen zusammen k�men, Niemand wissen k�nne, wie sie sich trennen w�rden, also –�
Die Fr�hlichkeit begann von Neuem, aber auf den Lieutenant Bonaparte schienen diese Worte einen �berraschenden Eindruck zu machen. Statt zu lachen, wie alle Anderen, pre�te er seine schmalen Lippen dicht zusammen, und sein Gesicht verfinsterte sich. Dies dauerte jedoch nur eine Secunde, denn in der n�chsten wandte er sich zu Frau von Colombier, die er vor sich erblickte.
�Verzeihung, Madame, da� ich mich aufhalten lie�, Ihnen meinen Freund, den Herrn Pozzo di Borgo vorzustellen,� sagte er artig l�chelnd. �Wir sind Jugendcameraden, und Nichts konnte mir heut gr��ere Freude bereiten, als ihn unerwartet wiederzusehen.�
Frau von Colombier empfing den jungen Rechtsgelehrten auf's G�tigste, f�hrte ihn zu einem Platze neben dem ihrigen, und nach dem �blichen Ceremoniell der Einf�hrung in die Gesellschaft war er bald in der Lage, nach allen Seiten hin Fragen zu beantworten und zu beweisen, we� Geistes Kind er sei. Demarris' Scherze hatten ung�nstige Vorstellungen �ber ihn angeregt, allein er widerlegte diese in sehr kurzer Zeit denn seine Erscheinung und sein Benehmen machten einen ganz entgegengesetzten, vortheilhaften Eindruck. Die einnehmenden Z�ge seines Gesichts wurden durch deren m�nnlichen und ruhigen Ausdruck bedeutsam unterst�tzt. Seine Bewegungen waren voll Anstand und seine H�flichkeit mit so viel Selbstbewu�tsein verbunden, da� sie nicht dem�thig erschien. Alles, was er sagte, bewies Verstand und Urtheil, und manche seiner Bemerkungen waren so fein und scharf und mit dem gl�nzenden Schimmer versehen, den die Franzosen besonders lieben, da� der Beifall nicht ausbleiben konnte.
Der junge Carlo Andrea bewies aber auch, da� er die Kunst verstand, Jedem in seiner Weise zu gefallen und schnell dahinter zu kommen, wie dies am besten geschehen konnte. Er sagte Frau von Colombier die sch�nsten Artigkeiten �ber Alles, was sie betraf, und pries seinen Freund Napoleon gl�cklich, oft in ihrer N�he verweilen zu d�rfen.
Die alte Vicomtesse vers�hnte er mit der Nachricht, da� die Familie Pozzo di Borgo zu den �ltesten Adelsgeschlechtern Corsica's geh�re, wor�ber Urkunden aus dem zw�lften Jahrhundert vorhanden seien, und er befestigte ihr Vertrauen durch seine Mittheilung �ber einen Auflauf, welcher am Tage vorher in Grenoble stattgefunden, als er durch diese Stadt reiste, wo, wie er �u�erte, die Obrigkeit ihr Ansehen besser h�tte behaupten sollen, um das �berm�thige Gesindel mit Strenge im Zaum zu halten.
Den Baron endlich erfreute er mit einigen verbindlich beistimmenden Worten, da� der Glanz des alter ritterlichen Frankreich verloren gegangen sei in diesen Zeiten des rechnungss�chtigen Kr�mergeistes, und als er endlich mit einer untadelhaften Verbeugung aufstand, um sich zu dem j�ngeren Theile der Gesellschaft zu begeben, welcher �bereingekommen war, ein Spiel im Garten zu beginnen, lie� er in jenen angesehenen Personen wohlgeneigte Beurtheiler zur�ck.
Es vergingen nun mehrere sehr angenehme Stunden, die mit allen Vergn�glichkeiten ausgef�llt wurden, welche ein solches Beisammensein im fr�hlichen Kreise jungen Leuten darbot, die sich gegenseitig zu gefallen und zu unterhalten strebten. Man spielte und ging spazieren, gab R�thsel auf und l�ste Pf�nder ein, bis der Abend kam und nun in dem Saale ein Abendessen bereit stand, da� die Munterkeit weiter beleben half.
Die Damen und Herren sa�en in bunter Reihe, Jeder hatte seine Wahl getroffen, und der Lieutenant Bonaparte, der seinen Platz bei dem sch�nen Fr�ulein von Colombier genommen, war so gespr�chig und galant, wie man ihn noch niemals gesehen hatte. Die zur�ckhaltende, kalte H�flichkeit, welche ihm gew�hnlich eigen, wurde heut durch eine Theilnahme verdr�ngt, die nicht unbeachtet bleiben konnte.
Es war etwas Neues, ihn so heiter gelaunt und artig zu sehen mitten unter den jungen Damen, mit denen er scherzte und sich liebensw�rdig zu machen suchte. Schon seit einiger Zeit hatten beobachtende Blicke bemerkt, da� er sich Fr�ulein von Colombier zu n�hern suchte und ihr Aufmerksamkeiten erwies, deren sich keine Andere r�hmen konnte; allein Viele thaten dies noch weit mehr, und vor Allen der galante Demarris, w�hrend Bonaparte meist die Gesellschaft �lterer Personen und ernste Gespr�che vorzog. Heute jedoch hatte er von Anfang an sich nur mit der Jugend eingelassen, und Fr�ulein Beatrice wurde von ihm ersichtlich beg�nstigt. Er suchte sie bei den Spielen, w�hlte sie, wenn er unter den Damen zu w�hlen hatte, bot ihr seinen Arm, als man spazieren ging, und f�hrte sie zu Tische, allen anderen Bewerbern, auch dem armen Demarris, der sich vergebens darum bem�ht hatte, den Rang ablaufend.
Man war erstaunt, den schweigsamen, sonst so ungeselligen Helden Bonaparte so liebensw�rdig beweglich zu sehen, und er verdunkelte mit diesen bisher nicht an ihm entdeckten Eigenschaften selbst seinen Freund Andrea, dem sonst der ungetheilte Beifall zugekommen sein w�rde.
In der That hatte Pozzo di Borgo bei diesen jungen Genossen fast noch mehr Anerkennung gefunden, als bei der ehrbaren Seite der Gesellschaft, denn seine feinen und gef�lligen Sitten, seine Artigkeit und seine lebhafte Theilnahme an den vorgeschlagenen Vergn�gungen fanden dankbare Anerkennung. Er bewies sich so anregend und gewandt, dabei so voll guter Laune und guter Einf�lle, da� er schnell ein Uebergewicht geltend machte und f�r die gemeinsame Lust den treibenden Mittelpunkt zu bilden begann.
Neben ihn stellte sich jedoch Bonaparte und machte ihm diesen Vorzug streitig, indem er mit ihm wetteiferte. Es konnte beinahe scheinen, als sei er eifers�chtig auf das Wohlgefallen geworden, das Pozzo di Borgo so schnell zu Theil wurde, und als habe Demarris doch einiges Recht mit seinen Behauptungen, da� diese beiden jungen M�nner nie und nirgend beisammen sein k�nnten, ohne sich sogleich gegen einander zu versuchen.
Auch Carlo Andrea hatte einige Male versucht, Bonaparte bei dem Fr�ulein von Colombier zuvorzukommen, allein es war ihm nicht besser ergangen, als dem Lieutenant Demarris. Napoleon wurde entschieden vorgezogen und schien sich daran sehr zu erg�tzen. Er warf sp�ttische Blicke auf seinen Freund, der diese mit seinem feinen L�cheln erwiederte, ohne den geringsten Mi�muth zu zeigen. Der junge Advokat hatte daf�r die Ehre, da� Frau von Colombier ihn zu ihrem Nachbar machte, und konnte an den Unterhaltungen Theil nehmen, welche am oberen Ende des Tisches gef�hrt wurden. Es war nat�rlich, da� von den Dingen die Rede war, welche in Frankreich alle K�pfe in Bewegung setzten, und da� er zun�chst �ber die Meinungen befragt wurde, welche in Corsica sich geltend machten.
Er beantwortete diese verf�ngliche Frage mit vieler Bescheidenheit.
�Madame,� sagte er, �man theilt in Corsica die Hoffnungen, welche man in Frankreich von der Nationalversammlung hegt, da� das Gl�ck der Nation daraus hervorgehen m�ge; aber man ist weit davon entfernt, dies Gl�ck aus dem Umsturz des Bestehenden zu erwarten.�
�Nun, dahin wird es auch gl�cklicher Weise nicht kommen,� l�chelte der Baron Salingr�. �Man wird die Menschen, welche die Entsetzliche herbeif�hren m�chten, schon zur rechten Zeit entfernen und beseitigen.�
�Das w�re sehr zu w�nschen,� sagte Pozzo di Borgo.
�Verlassen Sie sich darauf,� fuhr der Baron vertraulich fort. �Man wird n�chstens mit diesem heillosen Genfer Bankier, diesem Herrn Necker, den Anfang machen und dann die �brige Gesellschaft hinterher schicken.�
�Wenn es noch angeht, kann man gewi� nichts Besseres thun,� erwiederte Carlo Andrea, �aber ich f�rchte –�
�Was f�rchten Sie?�
�Da� es dazu zu sp�t ist.�
�Meinen Sie? Warum soll es zu sp�t sein?�
�Weil die revolutionairen Ideen sich schon zu weit verbreitet haben.�
�Revolutionaire Ideen!� l�chelte der Baron. �Glauben Sie denn an solche Hirngespinste?�
�Leider glaube ich daran,� sagte Pozzo di Borgo, �obwohl ich es besser nicht thun m�chte.�
�Das sind Einbildungen des P�bels,� fiel die alte Vicomtesse ein, indem sie einen mi�billigenden Blick auf den jungen Mann warf. �Kein Edelmann wird diese gelten lassen.�
�Sehr wahr,� antwortete Andrea noch bescheidener, �aber ungl�cklicher Weise giebt es nicht wenige Edelleute, welche dies ganz vergessen haben.�
�F�r diese, mein Bester,� l�chelte der Baron, �haben wir eine Bastille, in welcher, wie ich hoffe, bald der Herr Marquis Mirabeau und manche Andere gut aufgehoben sein werden. Nein, es wird nicht gelingen, daf�r sorgen wir, der Adel und die Armee, unsere tapferen Officiere.�
�Gewi� der allerbeste Schutz, allein –�
�Was haben Sie noch f�r Zweifel?�
�Ich habe geh�rt, da� selbst den Soldaten nicht mehr zu trauen ist, und manche Officiere –�
�Das sind Verleumdungen!� rief der Baron. �Ah! wir haben ja auch hier in unserem Kreise Officiere. Da ist Herr Bonaparte, der soll uns sogleich seine Meinung sagen.�
Der Lieutenant Bonaparte war in lebhafter Unterhaltung mit seiner sch�nen Nachbarin, als er von dem Baron unterbrochen wurde, aber er antwortete sogleich:
�Der Officier hat Nichts zu thun, als die Befehle seiner Vorgesetzten zu erf�llen.�
�Sehr gut! sehr gut!� rief der Baron, und die Vicomtesse nickte beif�llig. �Diese Befehle werden wahrhaftig nicht ausbleiben, und unsere tapferen Officiere werden diese unn�tzen Menschen schon zur Ordnung bringen. Nicht wahr, Herr Bonaparte?�
�Sicherlich, Herr Baron. Wir haben die besten Mittel daf�r.�
�Was meinen Sie?�
�Pulver und Blei!�
�Vortrefflich! ganz vortrefflich!� lachte der Baron. �Ihre Gesundheit, mein lieber Herr Bonaparte, Ihre Gesundheit!�
Der Beifall war so allgemein, da� alle Gl�ser in Bewegung kamen. Der Lieutenant Bonaparte hatte f�r einen ziemlich wohlfeilen Triumph zu danken; aber seine Lippen zuckten sp�ttisch dabei, und seine schwarzen Augen funkelten nach allen Seiten umher. Er bemerkte sehr wohl, da� sein Freund Andrea ihn l�chelnd betrachtete, und wandte sich von ihm ab, wo Fr�ulein Beatrice ihn mit holdseligen Blicken empfing.
�Das ist ein ausgezeichneter junger Mann,� sagte die Vicomtesse, �von wahrhaft wohlthuender Gesinnung.�
�Und ein ebenso ausgezeichneter Officier,� f�gte Frau von Colombier hinzu. �Der Lieutenant Demarris versichert, da� der Oberst des Regiments dies �ffentlich ausgesprochen hat.�
�Dann verdient er um so mehr, da� man ihn empfiehlt, wo es von Nutzen ist,� erwiederte der Baron.
�Ich will mit Vergn�gen an den Prinzen von Lambec dar�ber schreiben; aber – ist er auch von gutem Adel?�
Er wandte sich mit dieser Frage leiser an Frau von Colombier, die ihrerseits zu ihrem Nachbar mit vieler Freundlichkeit begann:
�Sie werden dies am besten beantworten k�nnen, Herr Pozzo di Borgo; ich bin jedoch gewi�, da� Herr Bonaparte von gutem Adel ist.�
�So ist es in Wahrheit,� sagte Andrea. �Die Bonaparte sind eine alte und gute Familie. Der Adel ist allerdings in Corsica derartig allgemein, da� ganze D�rfer und Ortschaften adlig zu sein behaupten konnten. Es erschien daher, als die Insel an Frankreich kam, ein Befehl des K�nige, da� k�nftig nur vierhundert Familien fernerhin den Adel behalten und die Vorrechte desselben genie�en sollten. Unter diesen befand sich auch die Familie Bonaparte.�
�Das ist eine anerkennende Auszeichnung,� sagte der Baron, �auf welche man sich verlassen kann. Mit wahrer Freude will ich diesen trefflichen jungen Officier empfehlen und bin �berzeugt, da� dies ihm gute Dienste leisten soll.�
Nach dieser Episode ging das Mahl in freudiger Geselligkeit weiter, und als es sein Ende erreicht hatte, wurde noch in der Halle getanzt, bis endlich sp�t die Freunde sich empfahlen und nach der Stadt zur�ckkehrten. Frau von Colombier war ungemein g�tig, sowohl gegen Napoleon wie gegen den Fremden, und sch�rfte Jenem ein, den Freund nicht abreisen zu lassen, sondern ihn am n�chsten Tage wieder mit in das Landhaus zu bringen.
�Wie dankbar ich auch f�r so gro�e Huld bin,� erwiederte Carlo Andrea, �so werde ich doch morgen abreisen m�ssen, da die Post am Abend nach Lyon geht.�
Die Dame sch�ttelte jedoch l�chelnd den Kopf.
�Wir wollen Nichts davon h�ren,� sagte sie, �und gewi� wird auch Herr Bonaparte es nicht leiden, da� Sie ihn so bald verlassen. Daher nehmen wir keinen Abschied, sondern m�ssen Sie morgen bei einem kleinen Feste sehen, bei welchem es, wie ich hoffe, noch fr�hlicher hergehen soll, als es heute der Fall war.�
Damit verabschiedete sie ihre G�ste, und Bonaparte f�hrte seinen Freund rasch davon, ohne auf Demarris zu warten, dessen Stimme sie bald hinter sich h�rten, ohne ihm zu antworten. Bonaparte bog in einen Nebenweg und hielt sich mit Carlo Andrea dort verborgen, bis die Anderen vor�ber waren.
�Ich will mit Dir allein sein,� sagte er, �denn ich habe Dir noch mancherlei zu sagen und Dich zu fragen. Wie hat Dir diese Gesellschaft gefallen?�
�Ich glaube, da� sich nur g�nstig dar�ber urtheilen l��t,� erwiederte Pozzo di Borgo, �obwohl, wo viel Licht ist, auch die Schatten nicht fehlen k�nnen.�
�O!� rief Napoleon mit seinem scharfen Lachen, �die alte Vicomtesse und dieser bepuderte Baron mit dem Riechfl�schchen werfen einige schwarze Linien auf Dein Bild, aber was haben wir damit zu schaffen? Diese Welt wird untergehen, ohne da� wir daran r�hren; sie ist schon im Untergange begriffen, und diese Reste sind wie Mumien in einem Museum, bei deren Anblick man sich vorzustellen sucht, wie es zu Ramses des Gro�en Zeiten einst in Aegypten ausgesehen hat.�
�Nun,� versetzte Andrea ebenfalls lachend, �diese sprechenden Mumien sind jedenfalls nicht geneigt, von dieser Welt zu scheiden, und haben die besten Absichten, Dich den Geheimk�mmerern Ramses des Gro�en bestens zu empfehlen.�
Mit einer ungest�men Bewegung rief Napoleon:
�Warum nicht? wenn das so geschehen soll. M�gen sie mich empfehlen, ich werde nicht Nein sagen. Bei gro�en Ereignissen mu� man nicht in dem Winkel sitzen, man mu� zusehen, wie man auf das Theater kommt und mitspielt.�
�Du m�chtest eine Rolle in dem St�cke �bernehmen?�
�Die gr��te, die zu haben ist, w�r's auch eine Kaiserrolle!� rief Bonaparte.
�Ja, daf�r ist Corsica zu klein,� lachte Carlo Andrea. �Selbst die K�nige sind bei uns schlechte Schauspieler geblieben, unser kleines, armes Volk kann keine gr��eren Helden brauchen, als die Sampiero, Gastoni oder Paoli, die es frei und gesittet machen wollten.�
�Und was haben sie vollbracht?� erwiederte Napoleon. �Sie sind ermordet oder verjagt worden, und die Barbarei ist geblieben, wie sie war. H�tten sie Corsica gro� machen k�nnen, m�chtig, die Welt bewegend – aber es blieb der abgelegene, vergessene Winkel, und das Volk – was ist aus dem Volke geworden? Wo ist seine Gleichheit, wo ist seine Freiheit? Die armseligen Ziegenhirten und halbnackten Fischer haben Nichts dabei gewonnen, sie sind so wild und roh, wie sie gewesen. Nein, Carlo, nein! ich will nicht nach Ajaccio zur�ck. Ich kann Urlaub haben in jedem Augenblick, er liegt f�r mich bereit, aber ich will in Frankreich bleiben, denn hier giebt es Ereignisse, Thaten, Raum und Menschen f�r die Weltgeschichte!�
�Ich kann Dir nicht Unrecht geben,� erwiederte Pozzo di Borgo.
�Du giebst mir also Recht!� versetzte der lebhafte Officier mit seiner sp�ttischen Sch�rfe. �Wir werden in Corsica nicht wieder um unser Ansehen streiten. Ich �berlasse es Dir, dort der Erste zu sein. Damit bist Du zufrieden.�
�Vollkommen zufrieden, und w�nsche Dir daf�r, da� Du in Frankreich der Erste sein magst.�
Bonaparte sch�ttelte ihm lachend die Hand.
�Gut,� sagte er, �wir wollen diesen Vertrag abschlie�en, und Jeder von uns mag sich M�he geben. Doch im Ernst gesprochen, Carlo, was sagst Du dazu –� er hielt pl�tzlich inne und fragte dann schnell: �Was sprach Frau von Colombier mit Dir?�
�Sie fragte nach Deiner Familie und ob Du von gutem alten Adel seist.�
�Mein Adel! mein Adel!� rief Bonaparte, und er schlug mit der Hand an seinen Degen und fuhr dabei fort: �Damit hoffe ich meinen Adel ihnen Allen am besten zu beweisen.�
�Ich habe sie und den Herrn Baron vollst�ndig dar�ber beruhigt,� fiel der Freund ein.
�Du? Was sagtest Du ihnen?�
�Da� Deine Familie zu den besten und zu den Vierhundert geh�rte.�
�Die Marbeuf adlig machte!� lachte der Lieutenant. �Alle diese Narrheit wird ein Ende nehmen. Alle Familien in der Welt sind von gleichem Alter, wie k�nnten sie sonst am Leben sein? und Alle haben gleiches Recht, Alle sind Wesen einer Art, Alle sind Menschen!�
�Doch sehr verschieden begabte,� sagte Pozzo di Borgo. �Ich rathe Dir doch, mein lieber Napoleon, dies nicht zu vergessen, wenn Du Dich dem Herrn Herzog von Liancourt und dem Prinzen Lambec empfehlen lassen willst.�
�Oho!� rief Bonaparte, �alle diese Schranzen werden vor der Sonne der Vernunft zerschmelzen, diese gro�e neue Zeit wird bessere M�nner an ihren Platz stellen. Der Adel wird eine wahre Vereinigung der Edelsten sein; Jeder mu� darnach streben, zu Denen zu geh�ren, die zu dieser Erhebung des Menschengeschlechtes beitragen k�nnen.�
�Das ist jedenfalls eine edle und hohe Aufgabe.�
�Man darf den Einflu� der M�chtigen dabei gewi� nicht verachten,� fuhr Napoleon fort, �sondern mu� g�nstige Verh�ltnisse benutzen, mu� auf den R�cken Derer steigen, die ihn dazu anbieten. Ist man oben, dann erst vermag man Gro�es und Gutes zu thun.�
�Vollkommen richtig gedacht,� antwortete Pozzo di Borgo
�Sagst Du es?� rief Bonaparte. �Findest Du, da� ich Recht habe?�
�Wenn Du richtig speculirst, kann es so kommen.�
Speculirst! speculirst! Was verstehst Du darunter?�
�Nun,� erwiederte Carlo Andrea, sich vertraulich zu ihm beugend, �ich glaube, da� ich mich damit nicht irre, lieber Napoleon, sondern Dich richtig verstehe. Du hast mir heut schon gesagt, da�, wenn man sein Gl�ck machen will, man mit einer einflu�reichen Familie sich verbinden mu�, und ohne Zweifel bist Du auf dem besten Wege dazu.�
�Meinst Du das? Meinst Du es aufrichtig?�
�Daran zweifle nicht. Der Schwiegersohn der Frau von Colombier hat gewi� die besten Empfehlungen zu erwarten. Und dies ist ein artiges Fr�ulein, ein allerliebstes Gesicht, schmachtende blaue Augen, ein s��es, hingebendes L�cheln. Die Speculation hat somit �berall angenehme Aussichten.�
�Halt ein!� rief Bonaparte und pre�te seinen Arm. �Es ist keine Speculation, Carlo, denn ich liebe Beatrice!�
�Du liebst sie? Ja, das ist etwas Anderes,� antwortete Pozzo di Borgo.
�Ich liebe sie!� fuhr Napoleon mit Heftigkeit fort, �und auch sie – sie w�rde mich Allen vorziehen – zieht mich vor!�
�Dann habe ich Nichts mehr zu sagen,� versetzte der Freund. �Es lie�en sich Bedenken erheben, doch Deine Liebe rechtfertigt Dich. Ich begreife nun vollkommen Deine W�nsche und warum Du nicht nach Corsica willst. Dein Herz befiehlt Dir hier zu bleiben, und Dein Ehrgeiz verlangt nach Auszeichnung, um einer Braut aus solcher Familie w�rdig zu sein. Es ist wahr, die Zeit ist in wilder G�hrung; wer wei�, wohin diese St�rme noch treiben, wer wei�, ob es gelingt, den Strom in seinem Bette zu halten, und wer wei�, wen er verschlingt. Aber Du w�hlst, wie Du w�hlen mu�t, weil Du liebst, und ich zweifle nicht daran, da� Du bald nach Paris gerufen sein wirst, denn man braucht dort Officiere, auf welche sich der Hof verlassen kann. Du wirst schnell ein Capitainspatent in der Tasche haben, wohl gar Oberst werden, je nachdem, und dann wird Frau von Colombier freudig ihren Segen geben, und ihre Verwandten werden Dich mit Vergn�gen umarmen.�
�Gute Nacht!� rief Napoleon, indem er ihn los lie�. �Dort ist das rothe Haus; gute Nacht!�
�La� uns noch beisammen bleiben.�
�Nein! morgen mehr. Es ist genug f�r heute.�
Ohne sich aufzuhalten, ging er weiter. Pozzo di Borgo wandte sich dem Gasthause zu, und als er einige Schritte gethan hatte, lachte er leise vor sich hin.
Der Lieutenant Bonaparte ging nicht in das hohe, finstere Haus, in welchem er wohnte, sondern an dessen Th�r vor�ber und Stra�en und Gassen hinab und hinauf, bis er endlich wieder an den Strom und zwischen die Felder und Garten gelangte, wo er ruhelos weiter irrte. Er war in gro�er Aufregung, sein Blut gl�hte in allen Adern, tausend verschiedene Vorstellungen kreuzten durch seinen Kopf.
Dieser t�ckische Carlo Andrea hatte ihn mit Nadeln zerstochen. Er hatte ihm unter scheinbarer Theilnahme und Beistimmung die schm�hlichsten Dinge gesagt: da� er mit Hilfe eines M�dchens, mit einer Speculation auf ihre Hand sich der Hofpartei empfehlen lassen wollte; da� er den Adel der Bonaparte's bezeugt habe, obwohl alle Corsen wu�ten, wie es mit diesem Adel stand, und welchem Einflu� die Bevorzugung zu der Zahl der Vierhundert zu danken war. Und dieser Hohn versch�rfte sich durch die Art, wie Pozzo di Borgo von dem Capitainspatent und Oberstenrang gesprochen hatte, die den Segen der Schwiegermutter und die Umarmungen der Verwandten bewirken sollten; endlich aber wirkten die falschen Zweifel und Einreden, mit welchen Carlo Andrea die Erkl�rung aufgenommen, da� keine Speculation, sondern wahre Liebe die Triebfeder zu Napoleon's Planen und W�nschen sei, und was er weiter daraus folgerte, wie Stacheln, deren Stiche er nicht l�nger zu ertragen vermochte, und die ihn fortgetrieben hatten.
Und nun er in Nacht und Dornenhecken umherlief, brannte ihm der Kopf noch mehr davon. Was der kaltbl�tige, so sanft und freundlich sprechende und doch so hinterlistige Mensch gesagt, lie� sich mit aller Gewalt nicht L�ge nennen. Er hatte mit seinen schwarzen, stillen Augen bis auf den Grund gesehen und mit unbarmherziger Sicherheit jede sophistische T�uschung abgeschlagen und vergolten.
D�rstete Napoleon nicht nach Thaten, nach Ruhm, nach Auszeichnung? War sein Kopf nicht voll hei�er Tr�ume, seine Gedanken in ewiger Arbeit, sein Gehirn voll ehrgeiziger Pl�ne, voll fieberhei�er Vorstellungen? Und was er heute gedacht, verwarf er morgen; wonach er jetzt gestrebt, zerri� er in der n�chsten Stunde. M�chtigen M�nnern empfohlen zu werden, rasch aufzusteigen zu den H�hen des Lebens, mit k�hner Hand in die Geschicke seines m�chtigen Volkes zu greifen – welch' bezauberndes Bild!
Aber wer waren diese Protectoren? Die Herren, die Feinde des Volks! Sie, die aller Ha� traf, sie, die zu einer Kaste von Bevorrechteten geh�rten, die vernichtet werden mu�ten, wenn die neue Zeit, die Zeit der Gleichheit, der Gerechtigkeit anbrechen sollte. Und Carlo Andrea hatte ihm diese Protection hohnvoll vorgehalten, den Abfall von seinem Vaterlande, Abfall von den Lehren der Freiheit und Wahrheit. Ein Speculant, der sich den Feinden des Volks verkauft, ein Speculant, der ein Weib betr�gt, um mit deren Hilfe in die Zahl der Bedr�cker aufgenommen zu werden!
�Nein, nein!� rief er mit Heftigkeit, �es ist L�ge! Was ich will, ist gerecht! ich verkaufe mich nicht, verrathe mich nicht! Ich will einen Platz einnehmen, wo ich den tugendhaften M�nnern beistehen kann, die f�r Recht und Wahrheit k�mpfen; ich will die Fahne des Volkes tragen, ich will sein Arm und sein Schwert sein! Das ist mein Ziel, ihm soll mein Leben geweiht bleiben. Speculant!� fuhr er fort, �ich verachte diesen nichtsw�rdigen Namen. Ich liebe Beatrice, ich liebe sie! Ich will es beweisen, will es diesem elenden Sp�tter beweisen. Ist sie nicht sch�n und liebensw�rdig, edel und gut? Und mir geh�rt ihr Herz allein. Ja, Beatrice, ich liebe Dich! ich liebe Dich! vor aller Welt will ich es bekennen!�
Er hatte einen hohen, kahlen H�gel erstiegen und am j�hen Rande desselben sich auf einen Stein gesetzt. Von unten brauste der Strom dumpf herauf, oben am Himmel k�ndete ein mattes Leuchten im Osten den nahenden Tag an. So sa� er mit gl�hendem Gesicht lange Zeit, den R�cken an einen wilden Oleander gelehnt, den Hut neben sich am Boden, mit starren Blicken in die dunkle Tiefe schauend. Und wie mit Rabenfl�geln rauschte es um seinen Kopf, und vor seinen Augen spannen sich finstere F�den und Netze, die �ber sein Gesicht fielen. Es war ein Zustand halb Traum, halb Wachen, er vermochte sich nicht zu r�hren, aber an seinem Ohr h�rte er die tiefe Stimme Pozzo di Borgo's, welche laut und langsam sprach:
�Geh' hin, Du Thor, geh' und vollf�hre Deine kindischen Pl�ne, mich erfreuen sie. Verachte Dein Vaterland, verrathe Dein Volk, wirf Dich in die Arme seiner Tyrannen, Du geh�rst zu ihnen und wirst mit ihnen verderben. Deine eitle Blindheit sieht nicht, wie das Verderben ihnen naht, sieht nicht, wie der tarpejische Felsen Mit Tarpejischer Fels wurde im antiken Rom die s�dliche Spitze des Kapitolh�gels bezeichnet, von der aus Todesurteile durch Hinabsto�en vom Fels vollstreckt wurden. schon vor ihnen steht, von dem sie Alle hinabgest�rzt werden, ihrem K�nige nach, der zuerst hinunter mu�. Siehst Du nicht, da� dies eine Revolution ist, die sie Alle verschlingt? Siehst Du nicht, da� keiner dieser stolzen Ueberm�thigen verschont bleibt? La� Dich ihnen nur empfehlen, hoffe nur auf ihre Gunst und Gnade; Du wirst in Spott und Schande mit ihnen enden, verflucht, verdammt von allen besseren Menschen, ein Verr�ther, ein Elender, der die Freiheit verkauft und verrathen hat!�
�Nein, nein!� st�hnte Bonaparte, �ich bin ein Sohn des Volks.�
�Du ein Sohn des Volks? Du ein Held der Menschheit?' rief die Stimme hohnvoll, �Du k�nntest ihre Gei�el werden. Wo sind die Hoffnungen, welche Paoli auf Dich setzte? Er, der edle, tugendhafte Greis, der sich t�uschen lie� von Deinen L�gen? Wo sind Deine Grunds�tze, die Du heucheltest, und die Du mit F��en trittst? Wo ist Dein Muth, mit dem Du vorgabst der Freiheit und der Tugend Dein Leben zu weihen und f�r Wahrheit und Recht zu k�mpfen bis zum Tode?�
�Ich will! ich will!� murmelte Bonaparte sich qualvoll windend.
�Du willst nicht!� sprach die Stimme an seinem Ohre, �es ist Alles falsch an Dir, Alles erlogen, Nichts wahr und gewi�, als Dein uners�ttlicher Ehrgeiz. Du bist ein Corse, ein echter Corse mit allen seinen schlimmen Eigenschaften und seinen Lastern, ohne seine Tugenden zu besitzen. Treue kennst Du nicht, Freundschaft hat keinen Werth f�r Dich, nur Deine Vortheile berechnest Du, und Deine Liebe verkaufst Du. L�ge nicht, Du wei�t, da� es so ist. L�ge nicht, Du betr�gst sie Alle, nur mich nicht und Dich selbst nicht. L�ge nicht, Du liebst Beatrice nicht, Du liebst keinen Menschen auf Erden und magst keinen lieben; das wird Dein Loos sein und Verlassenheit Dein Ende!�
�Fort von mir!� schrie Bonaparte mit w�thender Geberde, und in gewaltiger Anstrengung richtete er sich empor, da war das gespenstische Traumbild verschwunden. Er blickte verst�rt umher, seine Lippen zuckten und zitterten, seine H�nde ballten sich krampfhaft, er bedeckte das bleiche, blutlose Gesicht. Oede und einsam war es �berall, aber vom Himmel str�mte ein rosiges Leuchten aus, und vor ihm sank es nieder auf das Thal und auf den Garten am Strome und auf das Landhaus mit dem hohen Dache, das unter den B�umen hervorschaute. Und wie er darauf hinabsah, schien das Laub sich heller zu r�then, und die Blumen nickten zu ihm herauf, und der Wind kam geflogen und fl�sterte ihm Etwas zu, da� er pl�tzlich aufsprang und beide Arme ausstreckte.
�Zu Dir, meine Beatrice!� rief er, �errette Du mich vor diesem Spuk! Ein H�llenwerk ist es,� schrie er auf, und seine rollenden Augen blickten in den feurigen Punkt am Himmel; er legte die geballte Hand auf sein Herz. �Ich liebe sie, ja, ich liebe sie! Ich will zu ihr, will es mit tausend Eiden schw�ren. Es soll kein Mensch, kein Gott daran zweifeln!�
Er raffte seinen Hut auf und ging mit vorsichtigen Schritten an der H�gelwand hinab, wo ein schmaler Pfad �ber das Gestein f�hrte, und bald stand er an der kleinen Pforte, wo die weinbelaubten Terrassen sich an den Berg lehnten. Einen Augenblick blieb er dort stehen und schien in Gedanken versunken. Jetzt war es, als wollte er sich entfernen, ein widerwilliges Empfinden dr�ckte sich in seinen Mienen aus; doch in der n�chsten Minute verschwand dies. Rasch und l�chelnd �ffnete er die Th�r und trat hinein. Die Rebengehege verbargen ihn, leise ging er darunter fort, die Stufen hinab und schaute in die stillen, noch halb in Morgenduft geh�llten G�nge. Es regte sich kein Blatt. In der Ferne murmelte die Fontaine, durch die Blumen ging ein Fl�stern, in den Baumkronen schaukelte sich das Licht, und in der h�chsten begann ein Vogel zu fingen.
Wo die Reben endeten, befand sich eine Laube, und vor ihr zu beiden Seiten standen zwei Kirschb�ume mit tiefh�ngenden Zweigen, dicht bedeckt von dunkelrothen, s��en Fr�chten. Auf der Bank unter dem einen dieser B�ume setzte sich Bonaparte nieder, und seine Augen hefteten sich auf das Landhaus, auf ein Fenster im oberen Gescho�, das zwischen den hohen Lorbeerrosen, die daran hinaufreichten, sichtbar wurde. Als er darauf hinsah und seine Blicke nur brennender wurden, h�rte er hinter sich in der Laube ein Rauschen und leises Lachen, und als er aufsprang mit ahnungsvollem Lauschen, fand er Beatrice Colombier halb versteckt unter dem gr�nen, reichen Gebl�tter, halb vorgebeugt ihn erwartend.
Die H�nde nach ihr ausgestreckt, regte er sich doch nicht und n�herte sich nicht. Er betrachtete sie einige Augenblicke, wie von seiner Ueberraschung gefesselt; in lieblicher Verwirrung lie� sie es geschehen. In dem wei�en, leichten Morgengewande sah sie wunderbar sch�n aus. Braune Locken fielen frei in ihren Nacken, ein s��es Liebesl�cheln schwebte auf ihren Lippen, dabei blickten ihre Augen sch�chtern und fast furchtsam in seine unbeweglichen Mienen.
Mit einem Male aber verschwand diese Starrheit und verschmolz in einem auflodernden Feuer.
�Meine liebe, meine angebetete Beatrice!� rief er, w�hrend er die wei�en, kleinen H�nde mit K�ssen bedeckte. �Wie vielen Dank, wie viele Freude empfinde ich in diesem Augenblick! Ich w�hnte mich allein mit meiner Sehnsucht, vergessen von der, mit der mein ganzes Denken sich besch�ftigt; der Gedanke erstickte mich, nun bin ich herrlich davon erl�st!�
�O,� sagte Beatrice, indem sie sich an ihn schmiegte und schmeichelnd schmollte, �hatte mein Freund so wenig Vertrauen? Versprach ich nicht gestern, beim ersten Morgenscheine hier zu sein? und noch ehe dieser kam, da es noch ganz finster war, befand ich mich schon in der Laube und wartete und �ngstigte mich.�
�Warum, theure Beatrice, warum?�
�Weil – weil – ich wei� es nicht, es war Thorheit. Ich konnte nicht schlafen, mein Herz lie� mich nicht schlafen. Ein b�ser Geist fl�sterte mir zu: Es ist vergebens. Da schlagen die Glocken schon 4 Uhr. Du kannst das Kreuz der Kapelle an der Br�cke sehen. Es ist zu sp�t.�
�So l�uteten b�se Geister auch mir ihre Glocken!� rief Bonaparte fr�hlich. �Doch wir jagen sie in die Flucht. Ich bin hier, um allen falschen Stimmen zu trotzen, hier bei meiner geliebten Freundin, und diese f�rchtet sich nicht mehr.�
Er blickte sie an, sie sch�ttelte l�chelnd den Kopf, und als er sie inniger umfa�te, lie� sie es geschehen und str�ubte sich nicht.
�Beatrice vertraut mir?� fuhr er fort.
Sie nickte ihm zu. –
�Sie glaubt an mich?�
�Alles! Alles!�
�Da� ich Dich liebe, da� ich Dich anbete?� rief er mit steigender Leidenschaft so laut, da� es schallte.
Beatrice blickte scheu umher, kein Lauscher war zu entdecken. Seine z�rtlichen Schw�re fanden keinen Widerstand mehr, sie legte ihre Hand auf ihn, und ihre leuchtenden blauen Augen sagten ihm noch mehr, als ihre Worte.
�Liebst Du mich denn auch ganz allein, so wahr und treu, wie ich Dich liebe,� fl�sterte sie, �mein theurer, mein einzig geliebter Freund?�
�Zweifle nicht daran, zweifle nicht!� rief er, und seine schwarzen Augen funkelten brennend. Er beugte sich von ihr zur�ck und schaute sie an. �Ob ich Dich liebe? Frage nicht, meine edle, meine sch�ne Beatrice. Ich liebe die Ehre, ich liebe den Ruhm, Nichts kann mich von ihnen trennen; doch mein Herz geh�rt Dir allein, keine Andere soll es jemals mit Dir theilen!�
�Und willst Du in Gl�ck und Noth mich lieben, willst Du mir treu bleiben bis in den Tod?� fragte Beatrice ihn festhaltend.
�Treu will ich Dir sein, treu mein Herz, treu meine Liebe. Wie ich meinem Vaterlande, meinem Volke treu bin bis in den Tod, so Dir bis an meine letzte Stunde.�
�So will ich gl�cklich sein!� rief Beatrice, �und meine Mutter wird uns segnen. Sie wird nicht l�nger zweifeln, sie wird Dir vertrauen, wie ich es thue.�
�Deine Mutter?� fragte er, und seine Mienen wurden ernsthaft, die Begeisterung verschwand aus seiner Stimme. �Hat Deine Mutter mit Dir gesprochen?�
�Ja,� sagte Beatrice, �gestern Abend, als Du gegangen warst und wir allein zur�ckblieben. Sei unbesorgt, meine Mutter ist g�tig, sie ist Dir gewogen, mein geliebter Freund.�
�Sie wei� es also,� sprach er halb vor sich hin.
�Sie hielt mich in ihren Armen fest, k��te mich und sah mir in die Augen. Du siehst so geheimni�voll aus, mein liebes Kind, sagte sie dabei. Warte doch und werde nicht roth, la� uns noch ein wenig plaudern. Setze Dich her zu mir. Wie hat Dir der junge Pozzo di Borgo gefallen, der so unerwartet uns mit seinem Besuche erfreute? Er hat mir sehr gut gefallen, liebe Mama, denn er ist sehr h�flich und wei� zu unterhalten. Gef�llt er Dir besser als der Lieutenant Demarris? Er gef�llt mir viel besser, denn er hat viel mehr Geist und Anstand, Mama. Aber ich glaube, es ist ein versteckter Charakter, dem man nicht allzu viel trauen darf.�
Bonaparte schien sich �ber diese Urtheile zu freuen. Er nickte beif�llig dazu.
�Ja, diesen Corsen darf man �berhaupt nicht zu viel trauen, fuhr meine Mutter fort, sie sind Alle versteckt und schlau. Meinst Du nicht, mein liebes Kind? O nein, Mama, Alle gewi� nicht! rief ich so schnell, da� meine Mutter laut lachte und ich ganz roth wurde. – Nicht Alle? fragte sie, also machst Du Ausnahmen. Ah! ich merke, Du nimmst den Lieutenant Bonaparte aus. Nicht wahr? Ja, Mama, erwiederte ich. – Was sollte ich sagen, mein lieber Freund?�
�Das war tapfer und richtig gehandelt,� fiel Bonaparte ein. �Es war die Sprache Deines Herzens, theure Beatrice, ich danke Dir daf�r mit tausend K�ssen.�
Und er schlo� sie in seine Arme und k��te sie, bis sie wieder zu erz�hlen fortfuhr.
�Also, sagte meine Mama, der Lieutenant Bonaparte, meinst Du, w�re ein Mann, dem man glauben und vertrauen d�rfe? Ich vermuthe, da� Du dies wirklich thust. Ja, Mama, ich kann es nicht leugnen, versetzte ich. – Bist Du auch �berzeugt, Beatrice, da� er es verdient? – So �berzeugt, da� – da� – hier brach ich ab, da aber meine Mama Weiter! Weiter! rief, setzte ich hinzu: da� ich es ihm selbst gesagt habe. Und das hast Du ihm heute erst gesagt, nicht wahr? fragte sie mich. Ja, Mama, heut, und auch wohl schon mehr als einmal. – Aber? fragte sie und fa�te mich beim Arm, hast Du auch Recht daran gethan? Ich glaube es, glaube es ganz gewi�! antwortete ich ein wenig erschrocken, aber dann kam mir der Muth. Mein Herz fing an zu schlagen, und ich wei� nicht, was mit mir geschah. Ich richtete mich auf, alle meine Furcht war verschwunden. – O! liebe, beste Mama! rief ich, ich wei� in der ganzen Welt keinen Mann, dem ich mehr vertrauen m�chte, als ihm, keinen, dem ich freudiger glauben m�chte. Mu�te ich das nicht sagen, mein geliebter Freund? Mu�te ich Dich nicht vertheidigen?�
�Du mu�test dem Zuge Deiner Liebe folgen, Du mu�test f�r mich aufstehen, wo man Deine Zweifel aufwecken wollte!� antwortete Bonaparte feurig, �und daf�r daf�r –�.
In dem Augenblicke fiel von dem Kirschbaume, dessen Zweige sich �ber die Bank ausbreiteten, ein gro�es, sch�nes Kirschenpaar, zwei Fr�chte an einem verbundenen Stiele. Rasch ergriff Napoleon die Kirschen, welche in seine Hand gefallen, theilte sie und rief fr�hlich lachend:
�Ein Himmelszeichen, geliebte Beatrice! Nimm und i� und glaube an mich. Kein Zweifel soll unser Gl�ck tr�ben. Vereint soll unser Leben bleiben. Wie diese Fr�chte zu einander geh�ren, Gewalt nur sie trennen kann, so soll uns Nichts scheiden, es m��te denn sein –�.
�Was m��te sein?� fragte Beatrice erschrocken, als er inne hielt.
�Da� die Ehre – das Vaterland es geb�ten!�
�Ach, Du bist ein Soldat,� rief sie klagend, �und denkst an Ruhm und Krieg.�
�Nein, nein!� erwiederte er, �ich denke nur an Dich, Beatrice. Wir wollen nicht sorgen, freuen wollen wir uns und genie�en, was die gl�ckliche Stunde uns bringt. Deine Mutter –�
�Meine Mutter,� fiel Beatrice s�� l�chelnd ein, �hat mich mit ihren K�ssen entlassen, und da – da ist sie,� stotterte sie zusammenschreckend und deutete auf den Nebengang, der von dem Hause her�berf�hrte.
Es war in der That Frau von Colombier, die so eben in diesem Gange sichtbar wurde und mit raschen Schritten sich der Laube n�herte. Es blieb keine Zeit �brig, um sich vor ihr zu verbergen, auch str�ubte sich dagegen Bonaparte's Stolz. Er stand auf und pre�te Beatricens Hand in seinen Fingern zusammen, als wollte er verhindern, da� sie fliehen oder ihrer Mutter entgegengehen m�chte. So erwarteten nun Beide die Dame, welche, in ein gro�es Tuch eingeh�llt, dem Anschein nach sie nicht bemerkte, sondern die B�ume betrachtete und ihre Augen auf den Himmel richtete, aus dem soeben der erste Sonnenschimmer mit goldigem Glanz hervorbrach.
Erst als sie noch wenige Schritte von dem Baume entfernt war, welcher vor dem Bosket stand, wandte sie ihre Blicke dorthin, und wie in pl�tzlicher Ueberraschung blieb sie stehen, ohne ein Wort zu sagen. – Beatrice senkte ihre Wimpern nieder und bekam ein rothes Gesicht. Bonaparte dagegen zuckte mit keiner Miene und unterbrach eben so wenig das Schweigen.
Diese Situation w�hrte einige Augenblicke, dann gewann Frau von Colombier zuerst wieder Sprache und Leben. Ihre feinen Lippen verzogen sich zu einem anmuthigen L�cheln, das von einer lebhaften Handbewegung begleitet wurde.
�Sieh' da, Herr Bonaparte!� rief sie, �hat Sie der sch�ne Sommermorgen so fr�h zu uns herausgelockt? Das ist allerliebst, wie wir hier zusammentreffen, gleich den G�ttern in der Fabel von denselben sch�nen Gedanken bewegt.�
Und ohne dem jungen Officier Zeit zu einer Antwort zu lassen, fuhr sie sogleich fort:
�Beatrice ist gewi� davon so freudig �berrascht worden, wie ich es bin; allein es ist k�hl, mein Kind, geh' hinein, Du m�chtest Dich erk�lten. Geschwind, geh', ich bleibe noch ein paar Minuten bei Herrn Bonaparte.�
Mit demselben freundlichen L�cheln streckte sie die Hand nach ihrer Tochter aus und zog sie sich n�her. Beatrice folgte ein wenig z�gernd, doch nicht furchtsam, sie war voll guter Zuversicht.
Ich glaube nicht,� sagte sie leise, �da� ich mich erk�lte, und – o! meine theure Mama, Du bist so g�tig; so liebevoll –�
�Fort, fort!� rief die Mama ihr die Wange streichelnd, �wir m�ssen f�r Deine Gesundheit vorsichtig wachen. Nehmen Sie Platz, Herr Bonaparte. Sie sind ein Freund der Natur, nicht wahr?�
Dieser Wink und die Weisung der Dame dr�ckten sich sehr bestimmt aus. Beatrice nickte ihrem Freunde leise zu und machte ein paar kleine Schritte; gewi� w�re sie ungehorsam gewesen, wenn nur Bonaparte Einsprache gethan h�tte. Allein er hielt sie nicht zur�ck, sondern setzte sich auf die Bank, als Frau von Colombier sich niederlie�, und Beatrice schritt langsam weiter, mehr als einmal zur�ckblickend, bis sie in den Piniengang einbog und verschwand.
�Sie sind also ein Freund der Natur, Herr Bonaparte,� wiederholte Frau von Colombier, �und wahrscheinlich �fter so fr�h schon im Freien, um die Sonne aufgehen zu sehen, wie ich glaube?�
�Dies ist allerdings der Fall, Madame!� erwiederte Napoleon.
�Beatrice nicht minder,� fuhr die Dame fort. �Ich habe bemerkt, da� sie einige Male schon den Sonnenaufgang hier im Garten erwartete, und dies ist in der That ein vortreffliches Pl�tzchen dazu. Das sind sympathetische Gef�hle, Herr Bonaparte, aber bei jungen Leuten sehr erkl�rlich. Sie sind noch sehr jung. Wie alt sind Sie?�
�Einundzwanzig Jahre, Madame.�
�Ein sch�nes Alter, das Alter der Illusionen!� rief Frau von Colombier. �Beatrice ist eben siebenzehn geworden. Aber Sie sind von ernstem Gem�th, �ber Ihre Jahre hinaus, und ich habe recht viel Gutes von Ihnen vernommen.�
�Sie sind sehr g�tig, Madame,� erwiederte der Lieutenant.
�Das bin ich in dem Grade, Herr Bonaparte, wie es eine Freundin sein soll, und wie Sie es verdienen, wie ich glaube. Ich bin zwar keine gro�e Verehrerin der Sonnenaufg�nge und der Morgenpromenaden,� fuhr sie mit ihrem feinen l�cheln fort, �allein ich sehe Sie gern in meinem Hause, und Beatrice ist ganz gewi� derselben Meinung; Sie k�nnen sich darauf verlassen.�
�Ich danke Ihnen, Madame,� sagte der junge Officier, indem er sich ehrerbietig verneigte.
�Corsica ist ein romantisches Land, und die Corsen haben f�r die Romantik ohne Zweifel angeborene Vorz�ge,� lachte die Dame, �w�hrend wir in unserem k�lteren Klima und in der N�he der schneeigen Alpen weit n�chterner empfinden.�
�Ich wei� dar�ber nicht zu urtheilen,� erwiederte Bonaparte, �allein auch an den Corsen wird Verstand und Nachdenken ger�hmt.�
�Und dies ist auch meine Meinung!� fiel Frau von Colombier lebhaft ein. �Wissen Sie, mein lieber Herr Bonaparte, da� ich von Ihnen mehr als von sehr vielen anderen jungen Herren glaube, da� Sie reiflich und wohl �berlegen, und verst�ndiges Nachdenken Ihnen mehr gilt, als gl�nzende Einbildungen?�
�Sie sagen mir eine gro�e Schmeichelei, Madame,� antwortete Napoleon.
�Ich sage Ihnen die Wahrheit. Ist es nicht sehr gew�hnlich jetzt, da� junge Leute ihre K�pfe mit phantastischen Hirngespinnsten f�llen, wie sie Mode geworden sind? Sie dagegen halten sich fern davon. Das hat mir sehr gefallen, Herr Bonaparte, und nicht mir allein, auch anderen Personen, deren Wohlwollen Sie dadurch gewonnen haben.�
�Ich danke Ihnen, Madame,� sagte der Lieutenant sich verbeugend.
�Sie geh�ren nicht zu denen,� fuhr Frau von Colombier fort, �die sich von dem Zeitschwindel fortrei�en lassen, Zusammenk�nfte veranstalten helfen, in den Caf�'s die Zeitungen aus Paris vorlesen und L�rm erheben. Sie besch�ftigen sich mit ernsthaften Dingen, Sie studiren oder erheben Ihre edlen Gef�hle selber zu Dichtungen, wie ich gestern Abend eine solche gesehen habe, die Beatrice –�
Napoleon's Gesicht ver�nderte sich. Seine bleiche Farbe machte einer schnellen R�the Platz.
�O Madame,� rief er lebhaft, �dies Gedicht –�
�Schweigen wir davon,� unterbrach sie ihn, �ich ehre und liebe die sch�nen Empfindungen der Seele und habe auch zu meiner Zeit meine Gedichte empfangen. Das sind Erinnerungen, an welche man immer mit Vergn�gen zur�ckdenkt.�
Sie wickelte sich in das gro�e Tuch und sah ihn gn�dig l�chelnd an.
�Frauen lassen sich gern besingen,� fuhr sie dabei fort, �sie haben das mit den K�nigen gemein, so �hneln sich Beide auch in dem Verlangen nach treuen Unterthanen, Herr Bonaparte. Doch ach! das sind gef�hrliche Zeiten f�r alle Herrscher auf Erden; um so h�her sch�tzen und lieben wir diejenigen, von denen wir Treue hoffen d�rfen. Treu dem K�nige, treu der Dame seines Herzens soll jeder Ritter sein. Sie kennen den sch�nen alten Wahlspruch, Herr Bonaparte.�
�Er ist mir wohl bekannt, Madame.�
�Und man kennt Ihre Gesinnung, man wei� diese zu sch�tzen, ich sowohl, wie Alle, die Ihnen wohlwollen. Das war es, was ich Ihnen mittheilen wollte, und was Sie noch h�ren m�ssen, ehe wir uns trennen. Sie werden dem Grafen von Artois dringend empfohlen werden. Ich zweifle nicht daran, da� dies f�r Sie die gl�cklichsten Folgen haben wird, da� Sie dadurch Gelegenheit erhalten werden, dem K�nige Ihre Treue zu beweisen. Dies ist doch gewi� Ihr lebhafter Wunsch?�
�Ja, Madame, ja. Ich m�chte dem K�nige die gr��ten und wichtigsten Dienste leisten.�
Frau von Colombier blickte beif�llig in seine flammenden Augen, und wie sein Gesicht einen begeisterten Ausdruck erhielt, der es ungemein versch�nte.
�So bleibt nur noch die Dame Ihres Herzens �brig,� fuhr sie mit gewinnenden Mienen fort, �doch diese hat jedenfalls dieselben ritterlichen Gef�hle zu erwarten.�
�Zweifeln Sie nicht daran, gn�dige Frau,� erwiederte Napoleon, �ich werde nur mit meinem Leben diese Gef�hle aufgeben!�
�Sie werden ihr unwandelbar treu in allen Gefahren zur Seite stehen?�
�Wie Ehre und Liebe es gebieten.�
�Wohlan denn!� sagte Frau von Colombier, �ich frage nicht weiter, denn der Tag ist da, und die Stra�e wird lebendig. Aber ich erlaube Ihnen, Ihre Grunds�tze uns heut noch zu wiederholen. Ich erlaube Ihnen, das mit Beatrice begonnene und unterbrochene Gespr�ch in meiner Gegenwart heut Abend fortzusetzen, nicht mehr hier im sch�dlichen Morgennebel, sondern in der Halle und vor unseren Freunden. Auf Wiedersehen also, Herr Bonaparte, auf Wiedersehen! Ich will Beatrice darauf vorbereiten.�
Sie reichte ihm ihre Hand, und er f�hrte diese an seine Lippen. Noch einen Augenblick blieb sie stehen, sah ihn an, l�chelte und nickte leise; darauf wiederholte sie:
�Kommen Sie also nicht zu sp�t, ehe Andere erscheinen. Beatrice wird Sie erwarten, bringen Sie die besten Grunds�tze mit. Adieu! Adieu!�
Mit diesen gl�ckverhei�enden Worten verlie� er die g�tige Besch�tzerin, und es war, als wolle er ihr nacheilen, doch nach dem ersten Schritte schon blieb er stehen, und seine aufgehobene Hand sank nieder. Er sprach die Bitte nicht aus, zu der sein Mund sich ge�ffnet hatte. –
Als Frau von Colombier noch einmal nach ihm zur�ckblickte, war er verschwunden.
Am folgenden Tage erhielt Carlo Andrea einen Besuch in dem rothen Hause von dem Lieutenant Demarris. Der junge Officier beschwerte sich �ber die rasche Trennung am Abend, und da� er trotz aller M�he ihn sowenig wie Bonaparte habe auffinden k�nnen.
�Wir hatten noch beim Glase zusammengesessen,� sagte er, �ich freute mich darauf. Bonaparte war so heiter, wie ich ihn kaum jemals gesehen, und wenn er seine gute Laune hat, ist er bewunderungsw�rdig.�
�Es scheint, als habe er sich hier viele Freunde erworben,� erwiederte Pozzo di Borgo.
Demarris sch�ttelte l�chelnd den Kopf.
�Viele sind es wohl nicht,� sagte er, �im Gegentheil hat er nicht wenige Widersacher, die sich nicht mit ihm vertragen k�nnen, denn er ist sehr stolz, und man nennt ihn anma�end und zanks�chtig. Mir jedoch ist er sehr ergeben,� fuhr er selbstgef�llig fort, �und ich vertheidige ihn, wie man einen Freund vertheidigen mu�.�
�Aber seine Vorgesetzten sind doch mit ihm zufrieden?� fiel Pozzo di Borgo ein.
�Wie man es nehmen will,� lachte Demarris. �Er hat Kenntnisse, ist der beste Mathematiker von uns Allen, und was den Dienst betrifft, l��t er sich Nichts zu schulden kommen. Aber er ist ein Krittler, der �berall seine Anmerkungen macht, und wenn Einer kl�ger sein will, als alle Anderen, und obenein als seine Vorgesetzten, so erwirbt er sich damit nicht eben deren Zuneigung.�
�Sehr wahr!� rief Carlo Andrea. �Die Klugheit mu� sehr klug sein, wenn sie nicht �ber jeden Klotz oder Stein auf ihrem Wege stolpern und verschrieen und verl�stert werden will.�
�Ja, diese Nachteulen!� nickte Demarris erfreut, �sie m�chten ihn hacken, wo sie k�nnen, und ihn am liebsten weit fortschicken. Es bekommt Niemand so leicht Urlaub wie er, und heut erst, als ich beim Obersten zu thun hatte, fragte er mich, wie es k�me, da� der Lieutenant Bonaparte noch nicht nach Corsica gereist sei.�
�Dazu wird er jetzt am wenigsten geneigt sein.�
�Warum glauben Sie das?� fragte Demarris rasch.
�Nun, weil, wie Sie mir selbst schon sagten, er hier Besseres zu thun hat.�
Der Lieutenant schwieg einen Augenblick, w�hrend er mit der Hand durch sein Haar strich und nachsann.
�Ja, das habe ich freilich gesagt,� fuhr er dann fort, �aber ich habe nicht das dabei gedacht, was ich jetzt denke. Bonaparte hatte mir mitgetheilt, da� er flei�ig arbeiten wolle, was er in Ajaccio nicht k�nne, um seine Geschichte der Insel fertig zu schaffen, und da� er dann dies Werk nach Paris schicken wolle, wo er sich gro�e Erfolge verspricht. Heute nun aber wissen Sie, was der Oberst mich fragte?�
�Wie kann ich das wissen, Herr Demarris?�
�Freilich nicht. Sie haben Recht. Er fragte mich, ob Bonaparte h�ufig Frau von Colombier besuche und als ich dies best�tigte –�
�Nun, Herr Demarris?�
�Alle Teufel!� rief der Lieutenant, �ich glaube wahrhaftig, es ist Etwas daran.�
�Was meinen Sie?�
�Gestern war sein Benehmen auff�llig, nun f�llt es mir erst recht ein. Der Oberst sagte: Dies Fr�ulein Colombier ist h�bsch genug, und die Mutter hat Verm�gen und Connexionen. Es ist gar keine �ble Partie, eine ganz gescheidte Speculation.�
�Eine gescheidte Speculation!� lachte Carlo Andrea. �Ja, doch was sagen Sie, Herr Pozzo di Borgo?�
�Was kann ich sagen, Herr Demarris? Sie m�ssen das besser wissen.�
Demarris wurde verlegen.
�Bonaparte vertraut mir mancherlei,� begann er, �von dieser Sache jedoch hat er niemals mit mir gesprochen, und bisher habe ich in Wahrheit auch nicht daran gedacht, da� er sich f�r Beatrice Colombier oder f�r irgend eine junge Dame ernsthaft interessiren k�nnte. Denn er sprach von dem ganzen Geschlecht kalt und sp�ttisch, unterhielt sich fast nie mit jungen Damen, bis gestern zu meinem Erstaunen – der Oberst mu� davon geh�rt haben, und ich m�chte wissen, Herr Pozzo di Borgo, ob Bonaparte Ihnen Etwas mitgetheilt hat.�
Carlo Andrea zuckte l�chelnd die Achseln. Er gab keine direkte Antwort darauf, sondern sprach wie ein kluger Advokat.
�Ich glaube wohl,� sagte er, �da� eine solche Verbindung w�nschenswerthe Aussichten bietet, und warum sollte ein junger Mann nicht darnach streben? In Wahrheit, Herr Demarris, ich habe gestern dieselbe Bemerkung gemacht wie Sie. Ich fand, da� Napoleon dem sch�nen Fr�ulein auff�llig den Hof machte, und glaubte auch zu sehen –�
�Was glaubten Sie zu sehen?�
�Da� es ihr durchaus nicht zuwider sei.�
Demarris' Gesicht wurde dunkelroth und verzerrte sich zu einem Lachen, w�hrend seine Lippen zitterten.
�O, warum nicht?� rief er, �es ist wohl m�glich, obwohl ich selbst dies nicht bemerkte.�
�Vielleicht t�usche ich mich auch, und die sch�ne Beatrice dachte an einen ganz Anderen, w�hrend sie es duldete, da� Napoleon sie zu seiner Beute machte und nicht von ihrer Seite wich,� sagte Pozzo di Borgo mit grausamem Spott.
�Das l��t sich h�ren,� fiel der Lieutenant vergn�gt ein.
�Es geschieht gar nicht selten, da� in solcher Manier ein Eifers�chtiger bestraft und geneckt werden soll.�
�Ei ja, das ist ein Gedanke, Herr Pozzo di Borgo. Sie haben Recht. Beatrice ist �berm�thig, aber ich, was mich betrifft o! ich w�rde niemals eifers�chtig sein, wenigstens nicht, was Bonaparte anbelangt.�
�Nun, Herr Demarris, man kann doch nicht wissen,� fiel der Advokat warnend und bedenklich ein.
�Nein, h�ren Sie!� rief Demarris, �ich achte und liebe Napoleon wie meinen besten Freund und habe vor seinen Kenntnissen allen Respect, aber was jungen Damen zu gefallen anbelangt, dergleichen Eigenschaften besitzt mein armer Bonaparte blutwenig.�
�Ich meine, wenn er will, kann er doch auch sehr liebensw�rdig sein,� sagte Carlo Andrea.
�Nun, er kann doch kein Anderer werden, als er ist,� lachte Demarris. �Ich habe Manche schon �ber ihn spotten und witzeln h�ren, und nicht allein �ber seine kleine Gestalt, seine schiefen Schultern und sein scharfes Gesicht, noch mehr �ber seine Manieren, sein Benehmen und sein absto�endes Wesen. Nein, nein, Herr Pozzo di Borgo, ich glaube nicht, da� der arme Bonaparte Etwas zu hoffen hat.�
Pozzo di Borgo spielte mit dem Lieutenant wie die Katze mit der Maus. Er best�rkte zun�chst dessen Eitelkeit durch schmeichelnde Winke, die ihm au�erordentlich gefielen; als er ihn aber ganz getr�stet sah, und Demarris wohlgef�llig seine angenehme Gestalt im Spiegel bewunderte, streckte er pl�tzlich wieder die Krallen heraus.
�Seien Sie doch nicht allzu sicher, mein lieber Herr,� fing er an, �denn ich wei� zwar nicht, wie die Neigungen des sch�nen Fr�ulein von Colombier beschaffen sind, allein vergessen darf man niemals, da� die Liebe der Weiber die seltsamste Laune unter allen ihren Launen ist. Sie verschm�hen zuweilen M�nner mit den pr�chtigsten Gesichtern und schlankesten K�rpern und beten daf�r einen h��lichen, kleinen, widerw�rtigen Gesellen an. Es begreift es Niemand, doch kommt es alle Tage vor und ist von den �ltesten Zeiten an so gewesen. Wenn also Fr�ulein von Colombier die Laune hat, Napoleon zu lieben –�
�Aber sie hat diese Laune nicht!� schrie Demarris.
�Ich wei� es freilich nicht, doch um so besser, wenn Sie �berzeugt sind. Mir ist es fast vorgekommen, als bemerkte ich in ihren Augen zuweilen –�
�Was in ihren Augen?�
�Sehr z�rtliche Blicke.�
Demarris sprang auf und ging hastig an's Fenster.
�Wenn dies wirklich so w�re,� sagte Pozzo di Borgo hinter ihm, �ja dann, mein bester Herr Demarris, w�rde Bonaparten die schiefe Schulter, und was ihm sonst zum Adonis fehlt, durchaus nicht schaden. Fr�ulein Colombier w�rde darauf schw�ren, da� er der sch�nste Mann in Valence, wo nicht gar in der ganzen Welt sei.�
Demarris wandte sich um, es war mit seinem Vertrauen vorbei.
�Das w�re sehr �bel f�r mich, Herr Pozzo di Borgo,� sagte er stockend, �denn wenn Sie Recht h�tten, so bliebe f�r Andere – f�r mich – Nichts mehr zu hoffen �brig.�
�Da Sie gewi� sind, da� Fr�ulein Colombier keine so seltsamen Launen hat, wie sie dazu geh�ren, Bonaparte liebensw�rdig zu finden, so haben Sie Nichts zu besorgen. Was ihn selbst betrifft, so m�chte ich glauben, da� Sie Recht haben, da� er –�
�Da� er sie nicht liebt!� rief der junge Officier.
�Da� er trotz seiner K�lte gegen die Sch�nen doch hei�e Leidenschaften besitzt und dabei klug zu rechnen wei�.�
Demarris starrte ihn an.
�Nun,� lachte Carlo Andrea, �hat Ihr Oberst denn nicht ganz verst�ndig gesprochen? Ist das nicht eine sehr vortheilhafte Partie f�r einen jungen Lieutenant von einundzwanzig Jahren? Ist die Familie nicht von Einflu�? Wird der Schwiegersohn der Frau von Colombier nicht sehr bald Capitain sein, nach Paris berufen werden und dort sein Gl�ck machen k�nnen?�
�Ja, ja,� murmelte Demarris, �da� wird er. Er ist geschickt, ehrgeizig, k�hn. Ich dagegen – ich!�
Er senkte seinen Kopf und fuhr fort:
�O, Herr Pozzo di Borgo, daran habe ich niemals gedacht. Nicht an ihr Geld, nicht an den Familieneinflu�. Ich wollte nur sie, ihr Herz, dies allein, und es schien mir, als d�rfte ich darauf hoffen.�
Pozzo di Borgo zuckte die Achseln, in seinem L�cheln lag ein ver�chtliches Mitleid.
�Was berechtigt Sie denn, daran zu verzweifeln?� erwiederte er. �Die Herzen der Frauen sind die Schlachtfelder f�r ihre Bewerber, und das Gl�ck ist mit dem Muthigen. Wie es auch mit Bonaparte sein mag, k�mpfen Sie mit ihm um die Gunst der sch�nen Dame, machen Sie ihm jeden Zoll breit Raum streitig und erringen Sie den Sieg. Ich glaube, er kann Ihnen nicht allzu schwer werden.�
Einige Augenblicke lang gl�nzte Demarris' Gesicht vom erwachenden Stolz, aber dann erlosch dieser Glanz, und er fa�te Carlo Andrea's Hand und dr�ckte diese lebhaft.
�Ich danke Ihnen, mein Herr,� begann er, �vielleicht darf ich sagen, mein Freund, wenn Sie es mir gestatten wollen, und dann habe ich eine Bitte, um welche ich Sie anspreche.�
�Ich soll Ihnen beistehen, nicht wahr?�
�Ja, das ist es. Suchen Sie von Bonaparte zu erfahren, ob er Beatrice liebt.�
�Erkl�ren Sie sich ihm selbst, Herr Demarris, das d�rfte besser sein.�
�Ich kann es nicht!� rief Demarris. �Sprechen Sie kein Wort von mir, es darf von mir nicht die Rede sein.�
Leiser fuhr er fort:
�Wenn er sie liebt, so ist es genug. Er ist mein Freund, er verdient es, gl�cklich zu sein, und Beatrice – ich will ihr Gl�ck niemals st�ren.�
�Sie sind ein vortrefflicher, gro�m�thiger Freund!� sagte Pozzo di Borgo, aber diese bewundernden Worte hatten einen so schneidenden Beiklang, da� Demarris ihn forschend anblickte und lebhafter erwiederte:
�Ich wei�, was Ehre und Freundschaft mir gebieten. Wollen Sie meine Bitte erf�llen, Herr Pozzo di Borgo?�
�Ohne Zweifel, Herr Demarris; so gut ich es vermag, will ich Ihr Vertrauen rechtfertigen,� erwiederte Carlo Andrea, indem er ihm freundlich die Hand sch�ttelte. �In einer Stunde will ich Bonaparte besuchen, wir haben es gestern so verabredet; dann sollen Sie Alles erfahren, was ich aus ihm herausbringen kann.�
Demarris war damit zufrieden. Er dr�ckte seinen Dank aus, stand dann noch eine Minute k�mpfend mit seinen Gedanken und Gef�hlen, bis er heftig ausrief:
�Machen Sie es so, mein lieber Freund. Ich will ihn nicht beneiden, nicht z�rnen, wenn er gl�cklicher ist, als ich. Leben Sie wohl, und gute Gesch�fte! Leben Sie wohl!�
Er entfernte sich rasch, und Pozzo di Borgo dr�ckte die Th�r zu, rieb sich die H�nde und lachte leise vor sich hin. Er hatte etwas Katzenhaftes, wie er die Schultern hochgezogen und den K�rper zusammengeduckt umherschlich, als wollte er einen pl�tzlichen Sprung thun. Endlich aber blieb er stehen, warf den Kopf in den Nacken und sagte:
�So oder so, es bleibt sich gleich! Wenn dieser sentimentale Pinsel ihm zu Leibe gegangen w�re, m�chte es freilich noch besser sein oder wenigstens romantischer verlaufen. Welcher Triumph f�r das Fr�ulein von noblen Gef�hlen, wenn ihre Anbeter um ihren Besitz auf Leben und Tod k�mpfen, wie es in ritterlichen Zeiten Mode war! Schade darum, allein da die Degenst��e ausbleiben, mu� er auch ohne diese gl�cklich werden.�
Er ging von Neuem auf und ab und fuhr dabei halblaut sprechend fort:
�Geh' nur hin und la� Dich von den Hofjunkern zum Helden machen. Das ist ein sch�nes Loos f�r die freiheitgl�hende Seele, von welcher Paoli so Gro�es erwartet. Wie wird er sich freuen, und wie werden alle Corsen Dich verehren! Ich werde Dich gl�cklich machen, glorreicher Napoleon. Du sollst ein sch�nes, reiches Fr�ulein heirathen, sollst ein Aristokrat werden. Was kann ich mehr f�r Dich thun? Sage mir Niemand, da� ich keine Freundschaft f�hle. Gleich will ich mich auf den Weg begeben und es Dir beweisen.�
Rasch war er angekleidet und stieg nach kurzer Zeit die holprigen Treppen des Giebelhauses hinauf, wo Bonaparte wohnte, und als er die Th�r leise �ffnete, fand er ihn ganz so wie gestern an dem alten Schreibpulte in seiner Arbeit vertieft sitzen. Bei seinem ersten Gru�e aber sprang Napoleon auf und kam ihm mit freundlichen Mienen entgegen.
�Sei willkommen, lieber Andrea!� rief er, �ich habe Dich so lange schon erwartet und an Dich gedacht, da� meine Arbeit nicht von der Stelle will.�
�Es wird doch wohl ein anderes Bild sein, das Dir vor Augen schwebt,� lachte Pozzo di Borgo, �und Deine Gedanken in Beschlag nimmt.�
�Sonderbar,� sagte Napoleon und fa�te an seine Stirn. �Mein Kopf ist wie ein Schrank mit zahllosen Kasten. Ich kann jeden leicht aufziehen und bis auf den Grund umherw�hlen, so lange ich will. Sobald ich ihn aber zuschiebe, denke ich nicht mehr daran, was drinnen ist, bis ich ihn wieder brauche.�
�Heute aber will sich der Kasten nicht zuschieben lassen, in welchem die Acten und Papiere einer gewissen jungen Dame liegen, mit welcher der Lieutenant Bonaparte einen wichtigen Proze� f�hrt.�
�Das ist ein gewonnener Proze�, er macht keine Sorgen!� rief Napoleon. �Nein, Andrea, es liegen mir einige Deiner Worte von gestern noch im Sinn. Du sagtest: wer wei�, ob dieser Strom in seinem Bette gehalten werden kann, und wen er verschlingen wird. Glaubst Du, da� die Nationalversammlung unterliegt?�
�Nein,� sagte Pozzo di Borgo, �ich glaube, da� sie zuletzt siegen mu�.�
�Zuletzt?�
�Ich meine, da� der Widerstand, den die Reformen finden, nicht leicht zu �berwinden sein wird.�
�Die Schwachk�pfe!� rief Napoleon. �Der K�nig hat so viel schon gethan, da� er nicht mehr umkehren kann.�
�Sehr wahr; lieber Napoleon, es w�rde sehr gef�hrlich sein.�
�Er mu� mit Necker gehen und mit der Nation!� rief Napoleon. �Ich habe heute fr�h einen Brief an Necker geschrieben, zun�chst entworfen. Denn ich bin entschlossen, ihm meinen Aufsatz �ber Corsica zu �berreichen, wie er da ist, mit einem kurzen Schlu�. Ich kann die Arbeit jetzt nicht weiter ausf�hren.�
�Ah,� sagte Pozzo di Borgo, �Du willst sie ihm selbst �berreichen? Du denkst also bald nach Paris zu reisen?�
�Ja,� das denke ich, und ich wollte –�
Er hielt inne und blickte seinen Landsmann argw�hnisch an. In Carlo Andrea's klugen Augen schien es wie Spott zu gl�nzen, und seine Freundlichkeit sah nicht besser aus.
�Du wolltest, da� Du schon dort w�rest, um mit Deinen Gro�thaten die Welt zu f�llen?� fiel er ein. �Ja, mein lieber Napoleon, das ist ein anderer Proze�, der leichter verloren gehen kann.�
�Er wird nicht verloren gehen!� rief der kleine Lieutenant stolz und ungeduldig. �Habe ich Gelegenheit, mich auszuzeichnen, so wird es auch geschehen. In der H�tte geboren werden, in der Einsamkeit sterben, das ist das Loos zahlloser Menschen, die unter anderen Verh�ltnissen Helden und K�nige geworden w�ren.�
�Gewi� hast Du Recht,� sagte Pozzo di Borgo: �Du bist auf dem Wege, ein Mann des Plutarch zu werden.�
Er unterdr�ckte seine geheime Lustigkeit und fuhr mit der einschmeichelnden Treuherzigkeit, die ihm zu Gebote stand, fort:
�Das ist meine wahrhafte Ueberzeugung, lieber Napoleon, denn ich finde, da� das Gl�ck Dich wunderbar sucht, und ich wei� nicht, was mir sagt, da� es Dich eben so treu begleiten wird.�
�Ja, das Gl�ck! das Gl�ck!� rief Napoleon. �Ich will daran glauben, es soll mir dienen!�
�Und es kommt Dir entgegen in Gestalt einer reizenden Gottheit mit goldenen H�nden; ganz wie die Alten es sich dachten,� nickte Andrea. �Es kommt mir vor, als h�ttest Du diese liebliche Gottheit schon auf Deinen Knieen angebetet und das himmlische B�ndni� abgeschlossen.�
Ein finsterer Blick antwortete ihm darauf. Napoleon schien sich einen Augenblick zu bedenken, dann aber sagte er mit frohem Gesicht:
�Das ist nicht n�thig, Freund. Wie C�sar komme ich, sehe und siege und pfl�cke die Blume trotz aller H�nde, die sich darnach ausstrecken m�gen.�
�Und die Fr�chte auch,� f�gte Pozzo di Borgo hinzu, indem er sich gegen den Tisch wandte, auf welchem in einem offenen Papiere eine Anzahl gro�er, sch�ner Kirschen lagen. �O,� lachte er, �da liegen sie schon reif und pr�chtig, und – leugne es nur nicht – jedenfalls, sind sie ein Liebespfand, mit z�rtlichen W�nschen und Zauberspr�chen gepfl�ckt.�
�Wohl m�glich,� antwortete Napoleon, �aber Du kannst sie versuchen.�
�Ich werde mich davor h�ten,� rief Andrea, �denn ich denke an unsere corsischen Sitten und Hexereien. Wenn Zwei, die sich lieben, eine Frucht theilen, so ist das ein heiliger Schwur; wenn aber ein Dritter auch nur Stiel oder Stein davon anr�hrt, so mischt sich der Teufel ein und bringt Verderben �ber Alle.�
�Thorheit!� rief Napoleon, �ich halte mein Gl�ck auch gegen alle Teufel fest. Es soll mir Keiner jemals nehmen, was ich besitzen will.�
�Armer Demarris!� sagte Andrea und zuckte die Achseln.
�Was ist mit ihm?�
�Im Grunde Nichts, denn er tr�stet sich wie ein Sokrates. Der arme Junge hat irgendwo erfahren, da� es mit seinen Einbildungen Nichts ist, und da� ein Anderer, dem er solche profane Absichten gar nicht zumuthete, ihm den Weg verrannt, auch wohl gar schon die Festung erobert hat, die, wie er glaubte, ihm allein ihre Thore �ffnen w�rde.�
�Demarris ist ein Narr!� rief Napoleon, indem er sich umwandte und hastig auf und ab ging.
�Aber ein vortrefflicher, gro�m�thiger Narr; einer der erhabenen Narren, die f�r den Freund nicht allein in den Tod gehen, sondern auch Heroen der Selbstverleugnung sind. Er w�rde sich von jedem tarpejischen Felsen st�rzen und mit seinem letzten Seufzer Dich segnen. Vorl�ufig jedoch verlangt er nur Gewi�heit �ber sein Schicksal; Gewi�heit, ob sein bewunderter Freund liebt und geliebt wird, ob er somit das z�rtliche Paar begl�ckw�nschen darf.�
Napoleon war an dem offenen Fenster stehen geblieben und blickte auf die Rhone hinaus, wo unter den B�umen versteckt das Landhaus lag. Seine H�nde, die er auf den R�cken gelegt hatte, zuckten zusammen, er schleuderte das lange schwarze Haar um seinen Kopf und wandte sich heftig um, indem er den spottenden Andrea durchdringend anblickte.
�Das ist edel und gro�!� rief er. �Demarris ist ein guter braver Mensch!�
�Gewi� ist er das! Schade nur, da� diese Treue nicht belohnt werden kann.�
�Wodurch?�
�Durch einen Wettkampf von Edelmuth.�
�Was w�rdest Du thun, Andrea?� fragte Napoleon.
�Wenn der Spa� aufh�ren soll,� erwiederte Dieser, indem er eine von den Kirschen vom Tische nahm, die Napoleon ihm angeboten hatte, �so ist eine Antwort �berfl�ssig. Sentimentale Pinseleien, auch wenn sie den Anstrich r�hrender Tugend haben, d�rfen uns niemals bestimmen, sie zu unserem Vorbilde zu machen oder wohl gar �bertreffen zu wollen. Du bist jedenfalls in ganz anderer Lage, als Dein opferfreudiger Freund.�
�Ich kann ihm nicht helfen!� sagte Napoleon heftig.
�Du wirst geliebt und liebst; welche �berm��ige Narrheit w�re es also, in irgend einen Zweifel zu fallen!�
�Nein!� rief Napoleon, und er blieb einen Augenblick nachsinnend stehen, darauf streckte er seine Hand aus und fuhr fort: �Ich speise heute bei Frau von Colombier, begleite mich und nimm Theil daran, ich lade Dich in ihrem Namen ein.�
�Du hast Auftrag dazu?� fragte Pozzo di Borgo.
�Ja, und ich bitte Dich, es anzunehmen.�
�Herzlich gern,� sagte Andrea. �Ich wollte zwar heute noch abreisen, aber ich bleibe bis morgen, wenn es Dir angenehm ist.�
�So erwarte ich Dich und und hoffe, Du sollst mit mir zufrieden sein.�
�Ah, ein entschlossener Sprung �ber den Rubikon!� rief Pozzo di Borgo.
�Du wirst nicht erstaunen?�
�Nein, nein! Wirf Deine W�rfel, ich will Dir den Becher halten und dem gro�en Wurfe Beifall klatschen! Ich hole Dich ab, sobald Du befiehlst.�
Nach einer raschen Verst�ndigung ging Pozzo di Borgo fort, und als er hinaus war, sagte er leise lachend:
�So ist Alles in Richtigkeit. Die gescheidte Dame hat ihn heut in der Fr�he eingefangen, eingeladen, und ich soll dabei sein. Er will mir zeigen, wie gro� sein Gl�ck, seine Liebesgluth und seine Klugheit ist, die sich so sch�n vereinigen. Mit dieser Neuigkeit beladen werde ich nach Ajaccio kommen! Wohlan denn, so will ich mich so festlich als m�glich schm�cken, um ein galanter Brautf�hrer zu sein.�
W�hrend dessen blieb Napoleon unruhig in seinem Zimmer zur�ck. Sein Kopf war voll Gedanken, sein Herz voll fieberhei�em Blut. Er hatte in Andrea's Gesicht das leise Zucken seines Spottes gelesen, hatte die lauernden Blicke wohl bemerkt, und in den lobenden, antreibenden Worten ahnte sein Mi�trauen die verborgene Falschheit. – War dieser Mann nicht der fr�heste, erste Feind, den er, so lange er denken konnte, gehabt? War er nicht in den Jugendspielen schon sein Nebenbuhler, in der Meinung der Menschen �ber die Bef�higung dieser Beiden alle anderen �berragenden Knaben sein Nebenbuhler? Ihr Ehrgeiz hatte sie �berall feindlich gegen�bergestellt, sie beneideten, sie ha�ten sich, sie hatten sich grollend endlich getrennt.
Doch seit dieser Zeit war Vieles anders geworden, beinahe zehn Jahre vergangen. Jetzt sahen sie sich einsichtiger als M�nner wieder und hatten den kindischen Streit vergessen. Warum sollten sie sich noch hassen, warum, wor�ber noch Nebenbuhler sein? Der Advocat kehrte nach Ajaccio zur�ck, Paoli hatte ihm seine Freundschaft und Liebe geschenkt; doch ohne Zweifel dachte Carlo Andrea daran, jetzt in Corsica eine Rolle zu spielen, wohl gar eine politische Rolle, eine, die zu einem neuen Befreiungsversuche f�hrte. War Gastori nicht auch ein Advocat gewesen, hatten M�nner dieser Art, Richter und Rechtsgelehrte nicht zu allen Zeiten hervorragenden Antheil an der blutigen Geschichte dieses kleinen, verlassenen Inselvolks genommen?
Als Napoleon dies Alles in seinem Gedankenungest�m bedachte, lief er heftiger auf und ab mit zuckendem Gesicht, das schwarze Haar um die finstere Stirn. Corsica war f�r seinen Ehrgeiz zu klein, doch wenn die Corsen, von Paoli, von diesem Pozzo di Borgo und anderen Anh�ngern der Nationalpartei aufgehetzt, die Aufruhrfahne aufpflanzten, die franz�sische Partei niederschl�gen, von Frankreich sich losrissen, Paoli's Republik wieder einsetzen wollten. – Nun und nimmer sollte und durfte das geschehen! Frankreich befand sich auf dem Wege zu gro�en und wichtigen neuen Gestaltungen. Necker, die Freunde der Freiheit, die Nationalversammlung, das Volk, das Heer – Alle wollten sie, Alle hofften darauf. Die hochm�thigen Elemente des Hofes, des alten Adels strebten allein dagegen, aber was konnten sie thun? Sie mu�ten weichen und fallen.
Standen nicht manche ber�hmte Namen, M�nner aus den vornehmsten Familien schon bei der Volkssache? Die Lafayette, die Noallis, Mirabeau, Andere und er selbst, der kleine Lieutenant, er mit seinen Entw�rfen, mit seinen Ehrgeiz! Wenn er sich in diese gro�e Bewegung st�rzte mit seinen Empfehlungen an die ersten M�nner des Hofes, er w�rde sich Bahn brechen.
Necker sollte ihn sehen, er sollte seine Entw�rfe h�ren, der tugendhafte, gro�e Minister, der Retter Frankreichs, der Liebling des Volks. In seiner begeisterten Stimmung glaubte er schon vor ihm zu stehen, und was er ihm sagen wollte, lief mit Gedankenblitzen durch sein Gehirn und gestaltete sich zu abgebrochenen S�tzen, die er rasch und wild mit rauher Stimme hervorstie�. Er war gewi�, da� er zu gro�en Dingen, zu gro�en Thaten bestimmt sei, er f�hlte die Kraft dazu; er f�hlte den Hauch des gewaltigen Geistes, der ihm zurief: �Du wirst mit Deinen Thaten die Welt erf�llen!�
Und wo gab es einen anderen Weg, als den, der vor ihm lag? Dies Liebesb�ndni� mit der Tochter eines alten, edlen Geschlechts war der Anfang, es war der erste Handschlag des Gl�cks. Und dieser mi�g�nstige, dieser lauernde Andrea mit seinem falschen L�cheln, mit seinem listigen Beifall, was wollte er?
�Ha! wenn –� Napoleon stand still, die Begeisterung verschwand aus seinen Mienen. In dem Augenblick entstand ein Gepolter auf der Treppe. Es kam Jemand eilig die Stufen herauf, dann wurde die Th�r aufgerissen, Demarris trat mit erhitztem Gesicht herein und lief auf Napoleon zu, der vor ihm zur�ckwich.
�Wei�t Du es schon?� rief Demarris heftig.
�Ja, mein Freund,� erwiederte Napoleon, �beruhige Dich.�
�Das sind Ereignisse, die Niemand ahnen konnte!�
�Es konnte Niemand sie �ndern, weder ich noch Du.�
�Nein! aber was wird nun geschehen?�
�Demarris,� sagte Napoleon, �ich kenne Dich, Du wirst immer das thun, was sich f�r Deinen edlen Sinn ziemt.�
�Wahrhaftig, das werde ich!� rief Demarris freudig. �Du kannst Dich darauf verlassen.�
�Pozzo di Borgo hat mich so eben verlassen. Er theilte mir Alles mit.�
�So wei� er es auch schon? Der Oberst hat die Nachricht in diesem Augenblick erhalten.�
�Von wem?�
�Von dem Commandanten von Lyon. Von dem Grafen Barandon.�
�Von Lyon!� sagte Napoleon, und er betrachtete den Lieutenant mit Blicken voll Besorgni�. �Sei ruhig, mein armer Demarris, Du bist sehr aufgeregt. La� uns kaltbl�tig bleiben.�
�Ei zum Henker!� rief Demarris, �wer kann da kaltbl�tig bleiben? Das ist ein Ereigni�, das ganz Frankreich in furchtbare Aufregung bringen mu�. Du scheinst die Folgen nicht �berlegt zu haben.�
�Ich habe Alles wohl �berlegt, mein Freund.�
�Nun, so wei�t Du vielleicht noch nicht Alles. Necker ist nicht allein abgelegt und aus Frankreich verjagt, Paris nicht allein im Aufstande, auch die Bastille ist erobert. Die franz�sischen Garden haben mit dem Volke gemeinschaftliche Sache gemacht, die deutschen Regimenter verjagt. Das Invalidenhaus wurde gepl�ndert, drei�igtausend Gewehre, alle Kanonen vom Volke genommen, die Schweizer in der Bastille wurden niedergeschossen, General Delauney, der Commandant, ermordet. Sein blutiger Kopf, seine H�nde, der Kopf Flosselle's, des Handelsgerichts-Pr�sidenten, wurden auf Piken durch die Stra�en getragen.�
Napoleon h�rte stumm diese wunderbare, schicksalsvolle Neuigkeit, doch nichts verrieth seine Ueberraschung. Er stand mit verschr�nkten Armen, unbeweglich, seine Augen weit ge�ffnet.
�Die Revolution hat begonnen!� sagte er, als Demarris schwieg.
�Eine Nationalgarde hat sich in Paris gebildet, Lafayette ist an ihrer Spitze,� fuhr Demarris fort. �Die Armee ist zur�ckgezogen, sie soll aufgel�st, Broglie entlassen werden. Nationalgarden entstehen �berall.�
�Das Volk wird siegen!� rief Napoleon. �Die Revolution wird siegen!�
�Wie wird sie enden?�
Napoleon antwortete nicht, er blickte �ber die Rhone hinaus.
�Sind diese Nachrichten schon in Valence verbreitet?� fragte er.
�Noch nicht, man verheimlicht sie noch, um Ma�regeln zu berathen, m�glichen Unruhen vorzubeugen. Aber wie lange soll das w�hren? Kaum ein paar Stunden.�
�H�re, Demarris!�
�Was willst Du, lieber Napoleon?�
�Schweige gegen Jedermann.�
�Das will ich Dir versprechen. Auch der Oberst hat es mir befohlen. Es giebt manche unruhige K�pfe, selbst im Regimente, die ihm Sorge machen, aber diese – diese haben jetzt an andere Dinge zu denken.�
Er warf einen halb freundlichen, halb scheuen Blick auf den Freund. Napoleon schien Nichts zu h�ren und Nichts zu bemerken.
�Komm in einer Stunde wieder her zu mir, Demarris,� sagte er, �ich habe Dir Etwas mitzutheilen. Etwas Wichtiges, das uns Beide angeht.�
�Ah!� rief Demarris, und eine pl�tzliche R�the scho� �ber sein Gesicht. �Du willst mir mittheilen – ich werde kommen, Bonaparte, doch ich sage Dir –�
�Jetzt la� mich allein!� unterbrach ihn dieser. �Geh'! geh'! lieber Demarris.�
Diese letzten Worte wurden so bewegt und mit solcher Hast hervorgesto�en, da� Demarris verstummte und sich entfernte. Kaum war er hinaus, so warf Napoleon den Rock ab, die Uniform �ber, steckte den Degen an und dr�ckte den Hut auf sein wirres Haar. So folgte er Demarris rasch nach.
Nach einer Stunde kam Pozzo di Borgo. Er hatte sich sauber angekleidet und blieb erstaunt stehen, als er Bonaparte an seinem Schreibpulte fand, wo er Papiere, Karten und B�cher zusammenr�umte. Um ihn her lag alles in Unordnung. Ein gro�er Kasten stand neben dem Pulte, in der Mitte des Zimmers ein Koffer, Kleider und W�sche lagen auf den St�hlen sammt allerlei anderen verschiedenartigen Dingen.
�Ein interessantes Bild der babylonischen Verwirrung!� lachte Pozzo di Borgo. �Aber warum bist Du noch nicht im Staat?�
�Setze Dich, Carlo, ich mu� nothwendig erst damit fertig sein,� antwortete Napoleon, �und Ordnung schaffen.�
�Ein Hausvater mu� an Ordnung denken, aber was sollen Koffer und Kisten? Das sieht aus, als wolltest Du reisen.�
�Es kann wohl so sein,� nickte Napoleon freundlich.
�Heute noch?�
�Ich glaube es beinahe.�
�Also bist Du auch dessen schon sicher, lieber Napoleon? Es ist Alles entschieden?�
�Entschieden f�r immer, Carlo. Du sollst es erfahren, gedulde Dich nur noch kurze Zeit.�
�Du hast Recht,� sagte Carlo Andrea, �wer das Gl�ck vor sich sieht, mu� nicht z�gern, es zu benutzen. Was wird aber aus Deiner Geschichte Corsica's werden?�
�Sie mu� unvollendet bleiben.�
�Das ist schade, doch wohlbedacht, denn in Deinen neuen Verh�ltnissen w�rde diese Arbeit vielleicht nicht passen.�
�Ich kann damit warten,� erwiederte Napoleon, und seine Augen gl�nzten muthwillig, �bis die n�chsten Jahre Stoff zu einigen neuen interessanten Kapiteln liefern, was doch wohl zu erwarten ist.�
�Wirklich, es kann so kommen!� rief Pozzo di Borgo, �und m�glich genug, da� Du dann das Ganze umarbeiten mu�t.�
�Wenn ich Zeit dazu habe!� lachte Napoleon und packte eifrig weiter. �Aber ich f�rchte, lieber Carlo, da� ich sobald nicht wieder dazu gelange.�
�Weil andere Thaten Dich rufen! Du siehst sehr heiter aus, Napoleon. Bedenkst Du nicht auch, was Du hier zur�cklassen mu�t?�
�Gewi� bedenke ich es,� sagte Bonaparte und warf den Kopf in die H�he. �Aber bin ich dazu geschaffen, bei einem Weibe zu sitzen und ihr die wei�en H�nde zu k�ssen?�
�Der neue C�sar, den die Welt erwartet!� lachte Andrea.
�Erst der Ruhm, dann die Liebe!� rief Napoleon. �Erst das Volk, dann die Familie. Das macht mich frei und leicht und nimmt alle Zweifel von mir, mein lieber Carlo. Und jetzt bin ich fertig, und hier kommt Demarris. Hierher, mein Freund, Du kommst zur rechten Zeit. Erz�hle ohne Zur�ckhaltung, was Du geh�rt hast; Pozzo di Borgo wird so erfreut dar�ber sein, wie wir es sind.�
�Da� Paris im Aufstande und die Bastille erst�rmt ist, rufen sich die Leute schon auf den Stra�en zu,� sagte Demarris.
�Wahrhaftig!� rief Andrea, �ist es so weit?�
�Aber die n�chste Nachricht ist die,� fuhr der Lieutenant fort, �da� Necker zur�ckgerufen ist und von Paris mit Begeisterung erwartet wird.�
�Was sagst Du dazu?� fragte Bonaparte.
�Du wirst zur gl�cklichen Stunde erscheinen, um den tugendhaften Minister einziehen zu sehen,� erwiederte Andrea. �Ich bin �berrascht und erstaunt zwar, doch es lie� sich voraussehen, es mu�te so kommen. Der K�nig kann jetzt keinen Widerstand mehr leisten, er wird sich in die Arme des Volkes werfen.�
�Aber das Volk nicht mehr in seine Arme!� rief Napoleon. �Die Revolution ist da, die Armee aufgel�st. Jetzt gilt es bei Volk und Vaterland zu stehen.�
�Dazu wirst Du Gelegenheit genug finden, mein lieber Napoleon.�
�Ich habe sie! ich bin dabei!� schrie Bonaparte, ergriff Demarris beim Arm und sah ihn mit seinen schwarzen, funkelnden Augen durchdringend an. �Ich fordere von Dir einen gro�en Freundesdienst,� begann er, �doch ich wei�, da� ich mich auf Dich verlassen kann.�
�Fordere, was Du willst, Bonaparte,� erwiederte Demarris, w�hrend sein Gesicht sich dunkel r�thete. �Ich bin bereit.�
�Begieb Dich zu Frau von Colombier, sie erwartet mich. Willst Du?�
�Ich will, Bonaparte.�
�Sage ihr, ich k�nnte nicht erscheinen.�
�Wann willst Du kommen?� fragte Demarris.
�Niemals! In einer halben Stunde fahre ich die Rhone hinab nach Marseille, von dort nach Corsica, nach Ajaccio; ich wei� nicht, wann ich zur�ckkehren werde. Ich habe meinen Urlaub vom Obristen geholt, habe ihn sofort erhalten. So geh, lieber Demarris, geh und entschuldige mich. Sage ihnen, da� meine Pflicht mich forttrieb, die Pflicht gegen mein Vaterland, da� ich ihr folgen mu�, da� mein Schicksal es so will, da� ich nicht anders kann!�
Demarris stand erstarrt.
�Napoleon!� rief er endlich verwirrt und warnend, �hast Du nicht auch andere Pflichten?�
�Keine, die mich abhalten k�nnte, dieser h�chsten und ersten zu folgen, keine, die mich zw�nge, sie zu vergessen. Ich habe einen sch�nen Traum getr�umt, dabei mu� es bleiben. Ich bin nicht f�r Weiberliebe geschaffen, Demarris, Du hast es mir oft gesagt, und Du hast Recht. Ich bin auch kein Gegenstand, der Ungl�ck und Verzweiflung anstiftet. Fort also, mein Freund; sei gl�cklich, Du wirst es sein!�
Demarris war noch immer bet�ubt, aber er l�chelte bei den Betheuerungen Napoleon's �ber seinen Beruf zur Liebe.
�Ich werde Dich entschuldigen,� sagte er, �werde Dich vertheidigen.�
�Gut, gut, richte es zum Besten ein, wie es f�r Dich und mich pa�t, und lebe wohl, bis wir uns wiedersehen!� rief Bonaparte, und indem er ihn umarmte, trieb er ihn fort und kehrte dann nachdenklich zu Pozzo di Borgo zur�ck.
Seine Arme verschr�nkend und ihn fest anblickend, blieb er vor ihm stehen, der sich niedergesetzt hatte und anscheinend in vollkommener Ruhe den Rest der Kirschen verspeiste, welche noch auf dem Tische lagen.
�Du begreifst,� sagte Napoleon, �da� dies so sein mu�.�
�Die Speculation drohte schlecht auszufallen,� l�chelte Andrea.
Napoleon's Gesicht wurde gelbgrauer.
�Liebe!� rief er, �Du h�rtest, was ich dar�ber sagte. Es ist eine untergeordnete Leidenschaft, die beherrscht und �berwunden werden mu�, wenn die edelsten und h�chsten menschlichen Tugenden es gebieten.�
�Ich kenne sie nicht, mein lieber Napoleon,� erwiederte Pozzo di Borgo sanftm�thig die Achseln zuckend, �Wei� auch nicht, ob ich sie jemals kennen lernen werde. Doch was ich von ihr geh�rt habe, l��t mich beinahe glauben, da� sie der reinste und edelste Quell alles G�ttlichen sei. Es giebt jedoch Nichts, was nicht zum Zerrbild verunstaltet und l�cherlich gemacht werden k�nnte.�
�Sie wird mich bald vergessen und einsehen, da� ich Recht gethan,� antwortete Napoleon mit unterdr�ckter Heftigkeit. �Unter diesen pl�tzlich eingetretenen Verh�ltnissen w�rde die kluge Mutter schnell anderen Sinnes geworden sein. In Paris ist keine Empfehlung f�r mich mehr m�glich, und wenn ich ihr erkl�rt h�tte, da� ich nach Corsica wollte, um dort f�r die Sache des Volkes einzutreten, w�rde sie so wenig wie Beatrice daran Gefallen gefunden haben.�
�Sie k�nnten wohl andere Vorschl�ge machen,� erwiederte Pozzo di Borgo und blickte ihn an.
�Dies aber bleibt mir jetzt allein �ber,� fuhr Napoleon rascher fort. �In Corsica werden bald zwei gro�e Parteien sich bek�mpfen. Die Partei, welche die Corsen bei der Freiheit und bei Frankreich erhalten, und die, welche sie in die alte Wildheit und Verlassenheit zur�ckrei�en will.�
�Zu ihrem uralten Rechte und ihrer Unabh�ngigkeit,� sagte Andrea.
�Unabh�ngigkeit!� rief Napoleon, �wohin hat sie gef�hrt? Zu Mord und Elend.�
�Der Pr�sident wird zur�ckkehren,� antwortete Andrea, �und sein Werk vollenden.�
�Was wird er aus Corsica machen? Ein St�ckchen Erde voll Herren und Knechte, von Advokaten regiert, vielleicht wohl gar zulegt unter englischen Schutz gestellt und ausgesogen von diesen Kr�mern.�
�Immer besser,� sagte Andrea, �als eine Beute von Speculanten, denen Alles feil ist, selbst Freiheit und Vaterland, wenn sie dadurch ihre Zwecke erreichen k�nnen.�
Napoleon's Gesicht erstarrte noch mehr. Ein Zucken lief dabei um seine Lippen, er konnte sich kaum noch beherrschen.
�Wir werden uns in Ajaccio wieder begegnen,� sagte er.
�Es ist schade, da� wir nicht zusammen reisen k�nnen, Napoleon. Aber ich mu� nach Paris, um zu sehen, was f�r des Pr�sidenten Zur�ckberufung aus der Verbannung gethan werden kann.�
�Und dann, Carlo Andrea?�
�Dann wird Corsica wieder ein Haupt und eine Seele haben.�
�Er, der Greis!� schrie Napoleon, �aber Du, sein Arm und sein Geist neben ihm.�
�Wenn ich zu seinem Ruhme beitragen kann, will ich gewi� nicht fehlen.�
�Das war es?� rief Napoleon, und eine corsische Gluth loderte in seinen Augen auf. �Darum wolltest Du mich in Frankreich wohl versorgt zur�cklassen?�
�Ein Franzose mu� in Frankreich am gl�cklichsten sein,� l�chelte Pozzo di Borgo, �und nach Allem, was Du als wahr und gewi� betheuertest, ertheilte ich Dir den verlangten Rath offen und ehrlich.�
�Ehrlich!� versetzte Bonaparte ver�chtlich, �la� uns offen und ehrlich sein. Deine Theilnahme f�r mich war Falschheit, ich verstehe Deine Zwecke. Seit wir denken k�nnen, hassen wir uns, und dieser Ha� wird uns begleiten, so lange wir leben.�
�Wer wei� das, mein lieber Napoleon?� sagte Andrea.
�Ich!� erwiederte dieser heftig, �ich! Wir werden uns in Corsica schnell wieder gegen�ber stehen.�
�Wir werden Beide f�r die Freiheit k�mpfen.�
�Du f�r die Freiheit, wie sie Paoli im Sinne bat, ich f�r die Freiheit des Menschengeschlechts, f�r die Grunds�tze der Revolution! Du wirst davon abfallen. Du hassest diese Lehren, Du hassest Frankreich und hassest mich.�
�Und Du,� antwortete Carlo Andrea, �Du liebst nur Dich, nichts Anderes auf Erden. Diese gl�hende Selbstsucht wird der Strom sein, der Dich verschlingt.�
�Ha!� rief Napoleon, �Du wirst Corsica und Paoli verlassen, wirst den Despoten Dich in die Arme werfen und ihr Werkzeug werden. So wirst Du enden!�
�Und wie wirst Du enden?� fragte Andrea.
Sie standen sich Beide gegen�ber und blickten sich mit starren, durchbohrenden Augen an, als l�se der Eine in der Seele des Andern, und vor ihnen enth�llte sich die Zukunft in wunderbaren und schrecklichen Bildern.
�La� uns scheiden,� sagte endlich Napoleon kalt. �Wir werden Beide thun, was wir verm�gen, und werden erfahren, was uns bestimmt ist. Geh' Deinen Weg, Carlo, aber h�te Dich. Es kann sein, da� ich Dich einst erschie�en lasse.�
�Ich werde Dich nicht t�dten, Napoleon,� erwiederte Pozzo di Borgo mit seinem stechend scharfen L�cheln, �aber ich werde Dir Dein Grab graben. – Lebe wohl!�
Und sechsundzwanzig Jahre sp�ter stand der russische General und Minister Carlo Andrea Pozzo di Borgo in seinem gl�nzenden Cabinet in Paris und hielt in der Hand ein Papier, das er mit demselben scharfen L�cheln betrachtete. Es war die Best�tigung �ber des gefangenen Kaisers Napoleon Schicksal. Pozzo di Borgo vornehmlich hatte seine Fortf�hrung nach St. Helena gefordert und durchgesetzt.
�Ich habe gehalten, was ich ihm versprochen,� sagte er. �Wir thaten Beide, was wir vermochten, das Schicksal hat �ber uns entschieden. Ich trieb ihn aus Corsica und lie� ihn verbannen, seine Anh�nger vertrieben mich. Aber ich durchwanderte Europa, ihm Feinde aufzuwecken; ich war es, der die Cabinette zum Krieg trieb, ich sch�rte den Ha� der F�rsten und der V�lker, ich trieb Bernadotte zum offenen Bruch mit ihm, ich bewog die Feldherren zum raschen Zug auf Paris. – So stie� ich ihn vom Throne, stie� seinen Sohn aus Rom, und jetzt – habe ich ihn nach Helena gebracht. Daf�r hat er mich geha�t und verfolgt,� fuhr er fort, �gef�rchtet und bedroht wie keinen Anderen. An ihm lag es nicht, wenn sein Gel�bni� nicht zur Wahrheit wurde. Was h�tte er darum gegeben, mich in seine Gewalt zu bekommen? was h�tte er gethan, wenn Kaiser Alexander sein dringendes Verlangen erf�llt und mich ihm ausgeliefert h�tte? Er h�tte mich erschie�en lassen!� fl�sterte er hohnvoll, und einen schrecklichen corsischen Triumph ges�ttigter Rache in den d�stern Augen f�gte er hinzu: �Daf�r habe ich ihn nicht get�dtet, aber sein Grab habe ich gegraben und habe jetzt die letzte Schaufel Erde auf ihn geworfen!�
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