Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
Um die Mitternachtsstunde des Sylvestertages sa�en drei junge M�nner einst beisammen vor der gef�llten Bowle, und als die Schl�ge der Kirchenuhr dumpf hereinschallten, welche den Anfang des neuen Jahres verk�ndeten, hoben sie die Gl�ser auf und stie�en sie klingend zusammen, w�hrend sie schweigend sich die H�nde dr�ckten. –
Das Gemach, in welchem sie sich befanden, war das letzte einer ganzen Reihe pr�chtiger Zimmer und S�le. Sie konnten durch die ge�ffneten Th�ren weit hinunter bis in den Tanzsaal sehen, aus welchem die Kl�nge der Musik, Fanfaren und lauter Jubel zu ihnen her schallte, und gl�nzende, geschm�ckte Damen und Herren sich drehten und dr�ngten. Ein Ball wurde dort gefeiert, und die ersten Minuten des neuen Jahres wiederhallten von den Gl�ckw�nschen und Scherzen der gro�en fr�hlichen, von Wein und Tanz erregten Gesellschaft.
�Schlie� die Th�ren, Richard,� sagte der Sohn des Pr�sidenten von Corbin, in dessen Hause das geschah, was ich erz�hle, �und sto�t noch einmal an, meine Freunde. – La�t uns einen Freundschaftsbund errichten, dessen Dauer �ber diese fl�chtigen Minuten hinausreicht, und der f�r unser ganzes Leben uns verbinden soll.�
Richard erhob sich ein wenig aus seiner bequemen Lage, und w�hrend er mit dem Fu�e die Fl�gelth�re zustie�, rief sein Nachbar Aurel voll jugendlicher Begeisterung des Augenblicks:
�La�t uns zu wahrer, treuer Freundschaft uns vereinen, die nie aufh�ren soll, wie Raum und Zeit uns auch trennen m�gen.�
�Und dazu ist die Mitternachtsstunde des neuen Jahres vortrefflich, um den Pakt zu schlie�en,� erwiederte Richard sp�ttisch lachend. �Ihr echten Deutschen habt doch zu Allem, was Ihr thut, etwas Schauerliches, Geheimni�volles und das gef�llte Glas n�thig.�
�Das ist eine alte Satzung unserer Vorfahren,� rief Eduard. �Sie beschlossen Liebe und Krieg bei ihren n�chtlichen Gelagen, aber sie hielten treu und best�ndig, was sie gelobten.�
�Glas und Mitternacht sind nicht n�thig zu unserem Bunde,� sagte Aurel, �doch da sie der Zufall giebt, m�gen sie unsere Eideshelfer sein. Ich und Eduard, wir kennen und von Kindheit an und haben immer uns br�derlich geliebt; Du, Richard, bist als Fremdling zu uns gekommen, aber hat Dich auch der S�den geboren, Du bist dem Norden und uns verwandt durch Herz und Seele. – Wir haben als Freunde manchen Tag zusammen verlebt, jetzt, wo wir uns trennen sollen, an diesem letzten Tage la�t uns unsere Freundschaft heilig sprechen und immerhin ein wenig daf�r schw�rmen. Wer von Euch wei� denn, wann und wo wir uns wieder zusammenfinden?!�
�Wahr gesprochen,� fiel Eduard ein. �Ich reise morgen in die Hauptstadt, um meinen Platz bei dem Obertribunale einzunehmen; Aurel geht in den Norden, die Gesch�fte auf den Besitzungen seines Oheims zu betreiben; Du, Richard, kehrst nach Frankreich zur�ck, dem Lande Deiner Geburt, wenn auch nicht Dein wahres Vaterland. Wo, so k�nnen wir wie Macbeth's Hexenschwestern fragen, f�hrt das Schicksal in Sturm und Regen uns wieder zusammen? La�t Jeden von uns den Glauben mitnehmen, da� er Freunde besitzt, Freunde in Noth und Tod, die bei ihm aushalten im Guten, wie im B�sen.�
Richard warf sein langes gl�nzendes Haar in den Nacken, indem er sein erhitztes Gesicht mit den sp�ttisch und k�hn blitzenden Augen stolz empor hob.
�So sei es denn,� sagte er. �Wir wollen den Versuch machen, ob solche Freundschaft aush�lt f�r ein Menschenleben, und um dem Schicksale zu entgehen, da� die Zeit, der Nichts widersteht, uns selbst diese Stunde vergessen l��t, la�t uns geloben, da� wir uns wiederfinden wollen zu einer fest bestimmten Zeit.�
�In drei Jahren hier an derselben Stelle und zu derselben Stunde,� rief Eduard, der diesen Gedanken lebhaft aufgriff.
�Wenn irgend ein Menschenwille ausreicht, es m�glich zu machen,� f�gte Aurel hinzu.
�Und wer etwa bis dahin abgerufen w�rde aus dieser schlechten Welt,� fuhr Richard fort, �der sende seinen Geist als Stellvertreter und schweigsamen Zuschauer bei unserer Bowle. Wir werden f�r ihn mittrinken.�
Die drei Freunde lachten �ber den Scherz, den sie wacker verfolgten und feierlich bekr�ftigten. Sie standen alle Drei in der ersten Bl�the des Lebens, wo der Tod wie ein Phantom erscheint, mit dem man spielen kann, ohne Furcht zu empfinden. –
Eduard war der Sohn des Pr�sidenten von Corbin, eines geachteten Staatsdieners. Er war Jurist, wie sein Vater, und eine gl�nzende Laufbahn stand ihm offen, die seinen Talenten wie den Verbindungen seiner Familie angemessen war. –
Richard von Corbin war ein Verwandter dieser Familie, der Sohn eines Officiers, der in franz�sischem Kriegsdienste w�hrend der Kaiserzeit in Bordeaux heirathete und bis zu seinem Tode lebte. Richard war vor mehreren Jahren aus Frankreich nach Deutschland gekommen, weil seine Verwandten es �bernommen hatten, f�r seine Erziehung Sorge zu tragen. Er hatte hier seine Studien gemacht und im Hause des Pr�sidenten gelebt. Fr�h verwaist, besa� er geringe Gl�cksg�ter, noch weniger aber die F�higkeiten, sich sein Brod zu erwerben. Durch den Einflu� des Pr�sidenten war ihm gestattet worden, in den Militairdienst zu treten, und mit Leichtigkeit hatte er die Pr�fungen als Officier abgelegt und die Epauletten erhalten.
Sein eigenwilliger, stolzer und selbstst�ndiger Geist pa�te jedoch nicht zu der Strenge eines unterw�rfigen Gehorsams. Er verspottete die Befehle seiner Vorgesetzten, forderte und erhielt bald seinen Abschied und wu�te nun eigentlich selbst nicht, was er mit sich und seiner Zeit beginnen sollte, deren gr��ten Theil er dazu anwandte, mit der Tochter des Pr�sidenten Musik zu treiben, zu singen und zu zeichnen, oder mit dem Sohne desselben zu trinken, zu jagen und zu reiten. Der allgemeine Glaube war daher auch, da� Richard und Fr�ulein Johanna von Corbin in herk�mmlicher Weise sich ehelich verbinden, und der Pr�sident, wohl oder �bel, dann f�r seinen Schwiegersohn durch einen Gutskauf oder in anderer Weise sorgen w�rde. –
Pl�tzlich aber erhielt Richard die Nachricht, da� durch den Tod eines Verwandten seiner Mutter ihm eine reiche Erbschaft zugefallen sei, welche seine Anwesenheit in Bordeaux erfordere; seine Abreise dahin sollte in wenigen Tagen erfolgen. –
Der Dritte endlich unter den Helden unserer Geschichte, Aurel Dahlberg, hatte seit seiner Jugendzeit bei seinem Oheime, dem Nachbar des Pr�sidenten, gelebt. Er war der einzige Erbe des alten Herrn Dahlberg, der gro�e Handelsgesch�fte betrieben und sich mit Reichth�mern zur�ckgezogen hatte. –
Jetzt lieh er Geld aus, handelte mit H�usern und G�tern und besa� bedeutende Grundst�cke. Er war als Geizhals verschrieen und als Wucherer bekannt, aber er war reich, darum war er geachtet. Seinen Neffen hatte er zum Landwirthe erzogen, damit er bei seinen K�ufen und Verk�ufen ihm besser zur Hand gehen k�nne, und gern h�tte er ihm seine ganze eigene Oekonomie beigebracht, allein das offene und redliche Gem�th des jungen Mannes widerstrebte allen solchen Anmuthungen. –
Die Verh�ltnisse zu seinem Oheime wurden jedoch gerade dadurch nicht die freundlichsten, und als er eben jetzt die Verwaltung einiger bedeutender G�ter �bernehmen mu�te, welche der alte Speculant in einer entfernten Provinz erkauft hatte, war ihm diese Entfernung sichtlich erw�nscht. Er zerst�rte damit zugleich die Meinung, da� auch er der sch�nen Tochter des Pr�sidenten seine Huldigungen darbringe, obwohl manche sch�rfer blickenden Leute �berzeugt waren, er gehe mit geheimer Verzweiflung, weil er einsehe, da� Richard der Sieg nicht streitig zu machen sei. Aber er war der Freund Richard's und bis zum letzten Tage auch der Freund der Familie Corbin.
Er beschwor den Freundschaftsbund in dieser Mitternachtsstunde mit Begeisterung, und nur, als er seinem Nachbar die Hand dr�ckte und l�chelnd sagte: �Nichts soll uns trennen, keine Verleumdung, keine Selbstsucht, weder Eitelkeit, noch die Liebe eines Weibes,� h�tte man glauben k�nnen, da� er einen Gedanken verfolge und verbanne, der in einer geheimen Falte seines Herzens geruht hatte.
Richard erwiederte den Druck, dann aber warf er die Hand seines Freundes zur�ck, und um seine Lippen zuckte ein ver�chtlicher Spott.
�Die Liebe eines Weibes,� rief er, �soll am wenigsten von Allem unsere Freundschaft jemals erkalten k�nnen. – Was ist diese Liebe anderes, als ein fl�chtiger Rausch der Sinne, den ein Mann nie zur Herrschaft �ber sich gelangen l��t!�
�Und dennoch,� fiel Eduard ein, �hat Weiberliebe mehr B�ndnisse gel�st, Herzen getrennt und Ungl�ck herbeigef�hrt, als irgend eine andere Leidenschaft.�
�Bei Schwachk�pfen,� sagte Richard, �bei Menschen, die ihres Lebens Heil an den Liebesblick eines Weibes kn�pften.�
�Du verachtest die Liebe also?� fragte Aurel.
�Ich verachte sie nicht,� erwiederte Richard, �meine Jugend, meine Glieder, mein Blut w�rden mich L�gen strafen. Ich nehme die Frauen, wie sie sind, als eine heitere sch�ne Zugabe unseres Lebens, als einen Sommernachtstraum, der uns mit seinen Zaubereien umgaukelt, und der vor�bergeht, wie alle Tr�ume, die man nicht festhalten kann und nicht festhalten soll.�
�Du willst, wie ich merke, die Blumen pfl�cken und mit ihnen spielen,� sagte Aurel, �aber Du hast nicht Lust, ihr Verbl�hen abzuwarten.�
�Suchst Du Metaphern,� versetzte Richard lachend, �meinetwegen; aber Du k�nntest einfacher sein und wie Julia's Amme mich fragen, ob meine Liebe tugendhaft gesinnt Verm�hlung heische, ob nicht, und ich w�rde Dir antworten: Es haben sinnlos Weise und Narren die Ehe als das Grab der Liebe erkl�rt, ich frage Nichts darnach. Liebt mich ein Weib, und verlangt sie durchaus die Ehe, in Gottes Namen, sie soll mich haben. Aber sie verlange nicht auch von mir die bescheidenen Tugenden eines guten Tropfs, die H�uslichkeit, die Anh�nglichkeit und was man sonst Treue oder Pflichten nennt.�
�Nun, wahrhaftig, mit diesen Grunds�tzen mu�t Du Gl�ck bei unseren Damen machen,� rief Aurel. �Sie lieben die Widerspr�che und den Geist, der stets verneint.�
�Und ich wette,� f�gte Eduard hinzu, �trotz seiner Prahlerei wird er sich ducken, heirathen und ein eifers�chtiger folgsamer Eheherr werden, der um jeden Blick seiner Frau in Angst und Entsetzen ger�th.�
�Dann mu� sich Alles in mir um�ndern,� sagte Richard, �denn die Freiheit, welche ich f�r mich begehre, soll auch die im reichen Ma�e haben, welche das Schicksal mir zuwirft. – Freie Liebe,� rief er und hob sein Glas auf, �das ist das Einzige, was eine Ehe ertr�glich machen kann. Ich w�rde unter keiner anderen Bedingung mir den Ring um den Hals legen. Ich mu� ihn l�sen k�nnen, wenn und wie ich will. So lange unser Traum vorh�lt, so lange wir mit der Gaukelei unserer Sinne zufrieden sind, werden wir vergn�gt und gl�cklich beisammen leben, wenn aber bei uns Beiden oder bei dem Einen oder Anderen der Wunsch der Trennung entsteht, wenn irgend ein Traum von Gl�ck mein Herz oder das ihre ergreift, soll Niemand von uns ungl�cklich sein, Niemand gebunden und verschmachtend unter der Qual der Unsittlichkeit eines Gel�bdes, dessen Angst und Entsetzen schon viele Wesen elend gemacht und in Verzweiflung gest�rzt hat.�
�Bei Gott!� rief Eduard lachend, �jetzt habe ich es. Du bist ein Communist und predigst uns n�chstens Weibergemeinschaft.�
�Thorheit,� sagte Richard, �la�t uns aufh�ren und lieber tanzen. Weibergemeinschaft ist Unsinn, doch Trennung von dem Weibe, dessen Liebe ich verloren hatte, und dessen Herz f�r einen Gl�cklicheren schl�gt, ist ein heiliges edles Naturgesetz.�
�Dein Naturgesetz zerst�rt aber das Familienleben,� erwiederte Eduard; �es richtet sich gegen Kirche und Staat, gegen alle Grundlagen der menschlichen Gesellschaft.�
�So �ndert diese,� rief Richard, �denn sie taugen Nichts.�
�Ich w�rde Dir rathen, mit Abschlie�ung Deiner zuk�nftigen Ehe so lange zu warten, bis diese Aenderung stattgefunden hat,� fuhr Eduard spottend fort.
�Dein Rath ist gut,� sagte Richard, �wir wollen es �berlegen. La�t uns jetzt gehen und unseren reizenden Freundinnen im Saale unsere versp�teten Gl�ckw�nsche darbringen.�
�W�nschen wir Jeder einen Mann, wie Du bist,� rief der Sohn des Pr�sidenten.
�Damit k�nnten sie wahrhaftig zufrieden sein,� versetzte der junge Mann sich aufrichtend.
�Stolz will ich meine Spanier,� lachte der Bruder der sch�nen Johanna.
�Spotte wie Du willst, ich werde diesen Stolz zu rechtfertigen wissen,� erwiederte Richard mit erhitzter Stimme.
�Aber,� sagte Aurel, der schweigend zugeh�rt hatte, �k�nntest Du mit gl�hender Liebe im Herzen wirklich einem Weibe entsagen, die Du anbetest, wenn sie einen Anderen f�nde, der ihr besser gefiele?�
�Du bist ein ehrlicher Junge, Aurel,� erwiederte Richard, ihm die Hand reichend, �doch ich schw�re Dir, da� ich nie ein Weib bis zur Anbetung lieben werde; sollten aber die G�tter mich dennoch so strafen, so sei �berzeugt, ahnte ich nur, da� ein Anderer ihr Herz bes��e, ich w�rde meine Anbetung ausrei�en mit der Wurzel und ihr die Freiheit schenken, noch ehe sie darum b�te.�
�Aber wirst Du immer so denken?� fragte Aurel.
�So denken und so handeln,� sagte Richard. �Nimm mein Wort, sollte es je geschehen, so wirst Du erfahren, da� ich nie ges�umt habe, diesen Schwur zu halten.�
Hier endete das Gespr�ch der drei jungen M�nner, denn sie wurden gesucht, entdeckt, in den Saal gef�hrt und ausgescholten.
Die sch�ne Tochter des Pr�sidenten empfing ihren nachl�ssigen Verehrer mit stolzen z�rnenden Blicken, aber Richard wu�te diese bald zu verscheuchen. Nach einigen Minuten sah Aurel, der mit seinem Freunde Eduard in ihrer N�he geblieben war, in Johanna's Augen eine z�rtliche Vergebung gl�nzen; an Richard's Arme trat sie in die Reihe der T�nzer, und Beide schwebten l�chelnd und begl�ckt bei ihnen vor�ber.
�Ich glaube,� sagte er zu seinem Nachbar, �Richard hat in diesem Augenblick vergessen, was er uns mit so vielem Pathos zum Besten gab.�
�Wer wird ihm glauben?� erwiederte Eduard. �Er gef�llt sich in Rodomontaden, ein Ver�chter der Ehe zu sein; doch ehe dies Jahr in's Land geht, wird er den Ring am Finger haben.�
�Aber wird er mit dem Ringe auch bekehrt werden?� fragte Aurel.
�Daf�r mu� die sorgen, welche seine Bekehrung �bernehmen wird. Doch ich denke, sie ist ganz dazu geschaffen.�
Er wendete sich zu Aurel, fa�te dessen Arm und ging mit ihm den Saal hinunter, w�hrend seine Augen das tanzende Paar verfolgten. –
�Du err�thst, Aurel, wen ich meine?� fuhr er fort.
�Deine Schwester,� sagte dieser.
�H�re, lieber Aurel,� rief Eduard, ihm die Hand dr�ckend, �wahrhaftig, ich h�tte sie Dir lieber geg�nnt, als ihm, aber Du mu�t Dich tr�sten. Das Schicksal in Gestalt eines M�dchenwillens hat es anders beschlossen, und wenn ich Alles recht bedenke, mu� ich sagen, Johanna pa�t besser f�r ihn, wie sie Dich begl�ckt haben w�rde.�
�Ich zweifle nicht daran,� erwiederte der junge Mann, �und Niemand kann aufrichtiger Beider Gl�ck w�nschen, als ich.�
�Das wei� ich,� sagte sein Freund. �Du bist zu verst�ndig und gut, um die Verh�ltnisse nicht richtig zu w�rdigen, und ein zu edler Charakter, um Dein Schicksal nicht mit W�rde zu tragen.�
�In der That,� versetzte Aurel l�chelnd, �Du h�ltst mein Geschick f�r h�rter und mich f�r besser, als wir Beide sind. – Deine Schwester ist zu sch�n und liebensw�rdig, um mich gleichgiltig zu lassen. Ich habe ihr meine Huldigungen dargebracht, so gut wie Richard und mancher Andere, aber ich habe fr�h genug bemerkt, wer von uns bevorzugt wurde, und meine Neigungen zu beherrschen gewu�t. – Was Du mir jetzt mittheilst, ist daher f�r mich weder neu noch erschreckend. Es erregt keinen Schmerz in mir, denn ich habe mich l�ngst mit den Empfindlichkeiten verletzter Eigenliebe abgefunden.�
�Nun um so besser,� rief Eduard, ein wenig ungl�ubig, aber mit Herzlichkeit, �so darf ich nicht f�rchten, Dir wehe zu thun, und kann um so vertraulicher mit Dir sprechen. – Johanna liebt Richard bis zur Thorheit, die ich ihr nie zugetraut h�tte. Sie ist, wie Du wei�t, ein verzogenes launenvolles P�ppchen, voller Capricen, aber voll Geist, Talent, Lebendigkeit und Lebensfrische. – Solch' ein Weib mu� Richard haben. – Er ist in seiner Art dasselbe, eben so beweglich, so heftig angeregt, so voller Widerspr�che.�
�Und Du meinst, diese Gleichheit der Charaktere mache sie passend?�
�Gleiches und Ungleiches ziehen sich nicht an,� sagte Eduard. �Sie werden sich t�uschen, viel erz�rnen und eben so oft vers�hnen, werden sich zanken, um sich inniger zu lieben, werden sich absto�en und sich um so st�rker fesseln, und am gl�cklichsten sein, wenn es am heftigsten hergeht. Regen und Sonnenschein wild durcheinander.�
�Richard hat sich Euch also erkl�rt?� sagte Aurel nach einem kurzen Schweigen.
�Was bedarf es da der Erkl�rung?' fuhr Eduard fort. �Wenn er mir in diesem Augenblicke sagte: ich hasse Deine Schwester, sie ist unertr�glich, so w�rde ich lachen, denn ich w�re ganz sicher, da� er in der n�chsten Stunde mir betheuerte, sie sei ein Engel, ohne den er nicht leben k�nne. – Ich habe ein Paar Mal schon solche Scenen erlebt. Mein Vater, meine Mutter, wir Alle wissen, was wir davon zu halten haben. Es ist eine Liebeskom�die, deren Komik ein Theaterdichter benutzen k�nnte, wenn sie nicht schon so oft benutzt w�re.�
�Und Dein Vater ist mit dieser Heirath v�llig einverstanden?�
�Warum sollte er nicht? – Der einzige Ansto� lag bisher in Richard's Verh�ltnissen, obwohl kein wesentlicher, denn mein Vater h�tte Johanna ausgestattet, Du wei�t ja, wie z�rtlich er sie liebt. Jetzt ist Richard reich geworden, allem Anschein nach sehr reich, die Partie daher eine vortheilhafte nach dem Urtheile der Welt. Kurz, sie passen vollkommen, kein Mensch zweifelt daran, am wenigsten mein Vater.�
�Ich w�rde ihm meine Tochter nicht geben,� sagte Aurel nach einem schweigenden Bedenken.
�Nicht? Und warum nicht?�
�Du h�rtest selbst, wie er �ber Leben und Ehe denkt.�
�Du siehst aber, wie er handelt,� erwiederte Eduard.
�Er besitzt viele vorz�gliche Eigenschaften,� fuhr Aurel fort, �aber ist leichtsinnig, genu�s�chtig und unbest�ndig.�
�Schweig, mein armer Aurel,� rief Eduard lachend, �man m�chte sonst meinen, Du wolltest einen gl�cklichen Nebenbuhler verkleinern. – Du reisest, morgen er auch. Wenn wir uns wiedersehen, wird Dein Unglaube zerstoben sein. In der Mitternachtsstunde �ber drei Jahre la� uns dies abgebrochene Gespr�ch von Neuem ankn�pfen.�
Er ging davon und lie� Aurel allein, der nach einiger Zeit durch die Nebenzimmer irrte und pl�tzlich vor Richard und Johanna stand, welche im lebhaften vertrauten Gespr�che auf einem der kleinen Ecksophas des einsamen Gemachs sa�en.
�Sieh' da, Aurel,� rief Richard ihm entgegen. �Du kommst zur gelegenen Zeit, um mich vertheidigen zu helfen gegen Vorw�rfe, die ich nicht verdiene.�
�Schweigen Sie, Richard,� sagte das Fr�ulein. �Ich will, da� Sie schweigen.�
�Mit Ihrer Erlaubni�, nein, meine sch�ne Cousine,� erwiederte der junge Mann mit derselben Bestimmtheit, �ich will mich nicht verdammen lassen, ohne geh�rt zu werden, und verabscheue alle Tyrannei, selbst die der liebensw�rdigsten Herrscherin. – Sage ihr, Aurel,� fuhr er fort, indem er die junge Dame festhielt, �ob wir bei unserem mittern�chtlichen Alleinsein irgend ein Wort �ber meine, Deine oder irgend eines andern Wesens Verh�ltnisse, Zukunft oder Geheimnisse gesprochen haben; sage ihr, ob ich so k�hn oder so unversch�mt war, mich zu r�hmen.�
�Nun wahrhaftig,� rief die junge Dame ihn unterbrechend und zur�cksto�end, �waren Sie es nicht, so sind Sie es jetzt daf�r im h�chsten Ma�e. Ich kenne Ihre Anma�ungen und Ihre Eitelkeit mehr wie zu gut.�
Einen Augenblick schien Richard �ber diese Heftigkeit in Zorn zu gerathen, denn eine dunkle R�the bedeckte sein Gesicht, aber in der n�chsten Minute gl�tteten sich seine Z�ge wieder, und mit lachender Ruhe sagte er:
�Diese Unversch�mtheit wird Sie nicht lange mehr betr�ben, Johanna. Morgen in der Fr�he reise ich.�
�Ein wahres Gl�ck f�r mich, doch Sie werden wiederkommen mit derselben unleidlichen Anma�ung.�
�Ich hoffe mich zu bessern und zu bekehren,� sagte er. �Reichen Sie mir die Hand zum Abschiede, Cousine, und nehmen Sie mein Wort zum Pfande, da� ich Reue empfinde und dieser Strafe immer gedenken will.�
Er kniete vor ihr nieder und k��te ihre H�nde, w�hrend sie, zwischen Z�rnen und Vergeben schwankend, sich dieser Huldigung entziehen wollte.
�Stehen Sie auf, Richard,� rief sie endlich, als die Verzeihung siegte.
�Nein,� sagte der Knieende. �Komm her, Aurel, kniee nieder und nimm Abschied wie ich von der reizenden G�ttin dieses Hauses. Mit ihrem Segen ausger�stet wollen wir in die Welt pilgern.�
Aurel kniete nieder, und Beide hielten die H�nde der sch�nen jungen Dame, die endlich nach vergeblichem Str�uben in froher Laune dem Scherze sich hingab.
�In Gottes Namen denn,� rief sie, �so nehmt Beide meinen Segen. Zieht in die Welt als meine Ritter gen S�den und Norden und kehrt zur�ck als Sieger �ber alle Feinde. – Als meine Getreuen sollt Ihr mich besch�tzen; mein Ruhm sei der Eure, mein Gebet soll Euch geweihet sein. Schw�rt mir Gehorsam und ewige Unterth�nigkeit. Nie sollt Ihr meinem Willen widersprechen, nie Euch weigern, ihn zu vollziehen. – Schw�rt!�
�Wir schw�ren,� riefen die beiden jungen M�nner lachend.
�Gut,� fuhr die junge Dame mit leuchtenden Augen fort, indem sie sich zu ihnen neigte und Richard's Kopf mit ihrer Hand niederdr�ckte. �So nehmt meine Gnade mit Euch; die Zeit meiner Herrschaft soll beginnen, wenn wir uns wiedersehen.�
Die beiden neuen Vasallen standen auf, aber Aurel f�hlte wohl, wem eigentlich der Scherz gegolten hatte. Johannens triumphirende Blicke ruhten auf Richard, dem sie sp�ttisch und mit verliebter Schalkheit zunickte, mit ihm das bez�gliche Gespr�ch weiter f�hrte und im Voraus ihm die Proben ank�ndigte, auf welche sein unbedingter Gehorsam gestellt werden sollte.
Endlich kehrten sie in den Ballsaal zur�ck, verloren in den lustigsten Neckereien, und fast unbeachtet entfernte sich Aurel, um die wenigen Stunden, welche ihm blieben, den letzten Vorbereitungen zur Abreise zu widmen. –
In seinem einsamen Zimmer h�rte er noch die fernen T�ne der Musik, und als er seufzend seine hei�e Stirn in seine kalten, leblosen H�nde dr�ckte, sah er Richard vor Johanna knieen, ihre Arme ihn umschlingen, ihre Lippen Liebesschw�re fl�stern, die von ihren K�ssen unterbrochen wurden. –
Mit Ungeduld erwartete er den Morgen und den Wagen, und noch brannten die Lichter im Hause des Pr�sidenten, als er den letzten Blick auf die hohen Fenster warf und ein leises: �Lebe wohl, Johanna!� murmelte.
Drei Jahre gingen vor�ber, und w�hrend dieser ganzen langen Zeit h�rte Aurel Nichts von den entfernten Freunden. Sein Onkel schickte ihn nach einiger Zeit, als er die G�ter, welche er verwaltete, verkauft hatte, nach Schweden hin�ber, wo er Antheil an gro�en Eisenwerken besa�, und der gr�mliche Mann hatte wichtigere Gesch�fte abzuthun, als sich um das Haus des Pr�sidenten und um dessen Familienangelegenheiten zu bek�mmern.
Vielleicht aber hatte der trockene Handelsherr auch seine Gr�nde, warum er keine Silbe von der Familie Corbin erw�hnte, deren Sitten und Gesellschaftskreise ihm nie gefallen hatten. Er war alt, kr�nkelte, war mi�trauisch und geizig und betrachtete das gastfreie Nachbarhaus als Verderben f�r seinen Neffen, der dort Gelegenheit finde, b�se Beispiele zu sehen. –
Selten war er selbst dort gesehen worden; als Aurel aber fort war, lie� er sich nie mehr blicken, wor�ber die Corbin's nicht b�se wurden; denn seine Gesellschaft war in keiner Weise erfreulich, und seine plebejischen Gewohnheiten mit den Sitten der reichen Familie schwer zu vereinbaren.
Er sa� zu Hause, trank Halbbier, wickelte seinen d�rren Leib in den schmutzigen Schlafrock, gew�hnte sich das Tabakrauchen ab, weil es zu viel kostete, und rechnete daf�r um so eifriger in seinen gro�en B�chern, w�hrend Aurel in den Ein�den des hohen Nordens oft von Sehnsucht nach der Heimath geplagt wurde, die er vergebens abzusch�tteln strebte. Immer hoffte er auf Nachrichten von einem der Freunde, aber die Winter und die Sommer vergingen – seine Briefe blieben ohne Antwort, und als die Zeit sich nahte, wo das Versprechen der Drei, sich wieder zusammenzufinden, erf�llt werden sollte, f�hlte er nur geringes Verlangen darnach.
Sie haben mich vergessen in ihrem Gl�cke, sagte er, und was w�rde ich finden, wenn ich wirklich mein Wort erf�llte? Richard und Johanna in kriegerischer Ehe, oder diesen Leichtsinnigen bekehrt und zu den F��en seiner Gebieterin. Gleichviel, ich sehne mich nicht, weder seinen Triumph, noch seine Niederlage zu schauen, und bleibe hier, schon darum, weil ich nicht fort kann.
Aber er blieb nicht, denn als der Winter schon den Schnee hoch aufgeh�uft hatte, empfing er einen Brief, der ihn pl�tzlich bewog, die Reise nach Hause trotz aller Hindernisse sofort anzutreten. Sein Onkel war todt. Man hatte ihn eines Morgens als Leiche an seinem Schreibepulte sitzend gefunden. Sein Nachla� war versiegelt worden, die richterlichen Beh�rden hatten Haus und Wohnung geschlossen; jetzt forderten sie den Erben zur R�ckkehr auf, und dieser reiste mit solcher Eile Tag und Nacht, da� er wirklich am Sylvesterabend, als die Uhr fast die Mitternachtsstunde zeigte, durch das Thor der Stadt fuhr, wo er in einem Gasthofe vorl�ufig sein Unterkommen suchte.
Was Aurel zu dieser Anstrengung aller Mittel trieb, um sein Wort zu erf�llen, leugnete er sich selbst ab, als er sein Ziel erreicht hatte und nun in die Stra�e hinausstarrte, an deren Ende das Haus des Pr�sidenten lag. Auf seinem langen Wege hatte er sich zahllose Vorstellungen von den Verh�ltnissen gemacht, die er treffen, und von der Ueberraschung, welche sein pl�tzliches Erscheinen verbreiten w�rde. Eitelkeit regte sich in seiner Brust dabei, denn der Tod seines Onkels hatte ihn reich und unabh�ngig gemacht.
Er betrachtete seine Gestalt im Spiegel. Er war jung, die drei Jahre hatten ihn zum Manne gereift und seine Kraft wie alle seine k�rperlichen Vorz�ge vortheilhaft entwickelt. Seine Augen hefteten sich pr�fend auf seine Z�ge, und mit geheimem Beifalle h�rte er eine Stimme fl�stern, die ihm sagte, da� er dreist es wagen d�rfe, neben Richard hinzutreten. Ein rachs�chtiges Verlangen erf�llte ihn zuweilen bei dem Gedanken, da� Johanna nicht gl�cklich sein m�ge, und wie der bittere Stahl der Reue sich in ihre Brust bohren w�rde, wenn sie ihn jetzt wieders�he. Er malte sich Tage der Vergeltung aus, die mit ihren Triumphen ihm sein fr�heres Leid bezahlten, aber auch den Beweis f�hrten, da� die Neigung, welche er einst empfunden und, wie er w�hnte, l�ngst get�dtet hatte, noch immer in ihm fortlebte und seinen Tr�umen Nahrung gab. –
Bald genug kehrten sie ihren Stachel gegen ihn selbst. Er fragte sich, was geschehen sein w�rde, wenn er vor drei Jahren wie jetzt vor Johanna getreten w�re, und er bildete sich ein, da� er dann ein gl�cklicheres Loos gezogen haben w�rde. Was n�tzte es ihm, jetzt reich und frei zu sein? Was half es ihm, wenn er die Frau, welche er geliebt, jetzt an der Seite ihres Gatten ein freudenloses Leben f�hren sah, und wenn sie gl�cklich war, dann um so schlimmer. Er f�hlte sich unf�hig, ein Zeuge dieses Gl�ckes zu sein, und doch war er edel genug, ihr es zu w�nschen; ja, er w�rde kein Opfer gescheut haben, wenn Opfer sch�neres Gl�ck begr�nden konnten.
Lange ging er in seinem Zimmer auf und ab, ohne sich einen Entschlu� abzuringen. Er wagte es nicht, die Leute im Hause nach dem Pr�sidenten zu fragen und Erkundigungen einzuziehen, denn er f�rchtete sich vor den Antworten, welche zu h�ren er gewi� war. Der Pr�sident gab seit langen Zeiten am letzten Tage des Jahres einen Ball; so war es ohne Zweifel auch dies Mal, und Aurel sah vor seinen Augen das Fest, welchem er so oft selbst beigewohnt hatte. Er sah die T�nzer, sah seine Freunde, sie waren s�mmtlich gekommen, und er durfte hinblicken, wohin er wollte, er fand bekannte Gestalten, die ihn fragend, verwundert, erfreut oder mi�billigend und sp�ttisch anblickten. –
Dann erinnerte er sich da� drei Jahre vergangen waren, ohne da� sich einer dieser Menschen um ihn gek�mmert hatte, und ein bitteres Gef�hl der Verlassenheit f�llte seine Brust. Ha� stieg brennend darin auf, als seine lebhaft erregte Phantasie ihm das Bild des Mannes aufzauberte, der ihm am wehsten gethan hatte. –
Richard war immer ein Gegenstand der wechselndsten Gef�hle f�r ihn gewesen. Bald bewunderte er seine ritterlichen, k�hnen und edlen Eigenschaften, seinen Muth, seinen stolzen Sinn, seinen beweglichen empf�nglichen Geist, bald wieder stie�en ihn die anma�enden absprechenden Formen, die Heftigkeit dieses Charakters und die Z�gellosigkeit seiner Behauptungen zur�ck. Aurel empfand zuweilen einen eben so heftigen Widerwillen vor ihm, wie er ihn zu anderen Zeiten mit warmer Hingebung liebte, und selbst als eifers�chtige Schmerzen sein Herz zerrissen, war dieses Widerspiel der Gef�hle nur heftiger dadurch geworden. Ha� und Liebe wuchsen unter den Dornen, die ihm sein fruchtloses Hoffen brachten, und eben so oft, wie er das Herz seines Nebenbuhlers mit Freuden durchbohrt h�tte, stand er still und dem�thig an dessen Seite und reichte ihm mit z�rtlichen Freundschaftsblicken die Hand, fest �berzeugt, da� dieser sch�ne, gro�m�thige, mit so vielen Vorz�gen begabte Mensch weit w�rdiger sei als er, geliebt zu werden. –
Und in dieser Stunde voll Erinnerungen trat pl�tzlich Richard vor ihn hin. Er sah seine hohe Gestalt, die alle Andern �berragte. Das gl�nzend dunkle Haar umschattete sein scharfgeschnittenes Gesicht, mit gro�en feurigen Augen sah er ihn starr und drohend an. Ein kurzer Ueberwurf von dunklem Zeuge, in welchen er den K�rper gewickelt hatte, hing auf seinen Schultern, sein Hut mit breiten Krempen sa� auf seinem Kopfe, der sich darunter halb versteckte; so stand er eine Minute, dann streckte er die Hand aus und klopfte leise auf Aurel's Schulter. ›Es ist Zeit, Aurel, was z�gern wir?‹ sagte er mit seiner tiefen melodischen Stimme, die dem Tr�umenden so wohl bekannt war.
Aurel �ffnete die Augen best�rzt und nachdenkend, dann ri� er die Uhr aus der Tasche, es war eine Viertelstunde vor Mitternacht.
�Es ist Zeit!� rief Aurel, �er mahnt mich daran, und nicht vergebens soll mir ein Spiel meiner Einbildung sagen, da� ich hier bin, um ohne Furcht den Lebendigen entgegenzutreten.�
Er warf den Mantel um und ging. Die Nacht war kalt; blendender, frischgefallener Schnee knirschte unter seinen F��en. Die Sterne funkelten vom Himmel, der dunkel und hoch seinen unerreichbaren Bogen ausspannte. – Mit raschen Schritten ging Aurel die Stra�e hinab, verfolgt von den neugierigen Blicken des Th�rh�ters, der dar�ber nachsann, wohin der fremde Herr wohl mitten in der Nacht wollte. –
Manche Fenster gl�nzten vom Lichtscheine, frohe Stimmen lie�en sich h�ren, das Neujahr wurde in vielen Familienkreisen gefeiert; aber erstaunt hielt der Gebende pl�tzlich ein, denn vor ihm lag das Haus des Pr�sidenten mit dunklen Fensterreihen, todt und �de, die Vorh�nge dicht herabgezogen, der matte Glanz der Sterne dar�ber hinzuckend und die finstern Schleier l�ftend. – Nur in dem einen Eckzimmer, wo vor drei Jahren um diese Stunde der Bund ewiger Freundschaft geschlossen wurde, schimmerte Licht hinter den Scheiben, doch war sein Glanz so matt, da� Aurel, der es unverwandt betrachtete, wenig Beruhigung gegen die tr�ben Vorstellungen fand, welche ihn �ngstigten.
�Was kann geschehen sein, um diese auffallende Ver�nderung zu erkl�ren?� sagte er, indem er der Th�re zuschritt. �Vielleicht ist es Nichts. Sie sind auf einem Feste aus und haben das Haus allein gelassen. Vielleicht giebt Richard heute eine gl�nzende Gesellschaft, und hier,� f�gte er hinzu, indem er die Th�re �ffnete, �nimmt man sich nicht die M�he, wie es scheint, die leeren R�ume zu verschlie�en.�
Die Doppellampe in ihrer schwankenden Glaskrone warf ihren Schein �ber Vorhalle und Treppe, aber Niemand lie� sich blicken.
�Das ist doch seltsam!� rief der junge Mann, welcher die Stufen hinaufstieg und den wohlbekannten Weg �ber den Corridor einschlug, der ihn zu dem Fl�gel des Geb�udes brachte, von wo das Licht schimmerte. –
Niemand hielt ihn auf. Er ging durch die ganze Zimmerreihe, tappte in der Dunkelheit nach den Ausg�ngen und stand endlich vor der letzten Th�re mit klopfendem Herzen still, auf den dumpfen Ton lauschend, der zu ihm herausdrang. – Es war, als murmelte drinnen eine Stimme bald leisere, bald heftigere Worte, dann h�rte er Gl�ser klingen, endlich ein lautes Lachen, aber vergebens strengte Aurel sich an, zu verstehen, was drinnen gesprochen wurde, und an dem Tone der Rede zu erkennen, wer die waren, welche hier beisammen sa�en. –
Die schweren und gemessenen Schritte eines Mannes, der langsam auf und ab ging, blieben zuletzt das Einzige, was er vernahm. Eine ungeheure Angst ergriff ihn und dr�ngte sein Blut in den Kopf zusammen. Mit zitternder Hand suchte er den Dr�cker der Th�re, die sich leise und ger�uschlos in ihren Angeln drehte, als er sie �ffnete, und eben dr�hnte der erste Schlag der Mitternachtsstunde scharf klingend von dem nahen Thurme, als er bewegungslos auf der Schwelle stand.
Sein rascher Blick durch flog das stille Gemach. Da stand der Tisch, an welchem er vor drei Jahren gesessen hatte; die Bowle mitten auf der Platte, drei Gl�ser neben ihr. Zwei davon waren bis zum Rande gef�llt, das dritte leer und umgekehrt, und eben wendete sich der einsame Trinker vom Fenster zur�ck, seine H�nde �ber die Brust gekreuzt, finstere Falten auf seiner Stirne, die sich pl�tzlich gl�ttete, als er nach einem Augenblicke der Ueberraschung den Freund erkannte.
�Aurel!� rief er, �so hatte ich mich doch nicht get�uscht, wenn ich Dich erwartete. Freilich kaum mehr in dieser letzten Minute des Jahres,� fuhr er, ihn umarmend, fort, �aber seit Wochen und Tagen schon, denn ich wu�te, Du mu�test kommen, um das Erbe Deines sparsamen vortrefflichen Oheims in Empfang zu nehmen. Da Du nun immer ein Freund der Romantik warst, so glaubte ich bestimmt, Du w�rdest den Sylvesterabend nicht vers�umen, und ich bereitete die Bowle, ich stellte die Gl�ser hin, f�llte sie, und erwartete Dich mit Geduld und Ungeduld, endlich meine eigenen Tr�umereien verspottend und auf meine Hand allein zechend und Dir z�rnend, bis ich sehe, da� meine Prophetengabe mich dennoch nicht betrogen hat.�
Aurel war unangenehm betroffen von dieser Art des Empfanges, den er nicht erwartet hatte. Er sah den Mann an, der so zu ihm redete, und konnte nicht zweifeln, es war Eduard, der Sohn des Pr�sidenten, aber er hatte sich nicht zu seinem Vortheile ver�ndert. Eine ernste Gesch�ftsmiene hatte sich seinem jugendlichen Gesichte aufgepr�gt, sein Haar war d�nn geworden, sein kalter Spott �ber den Traum der Freundschaft, den er vor drei Jahren noch tr�umen konnte, zeigte deutlich, da� die Begeisterung der Jugend sich von ihm abgestreift hatte.
�Du hast Dich nicht get�uscht,� sagte Aurel, �ich bin Tag und Nacht gereist, um noch vor Mitternacht bei Dir zu sein oder bei Euch,� f�gte er mit erh�hter Stimme hinzu, �denn ich glaubte nicht, Dich allein zu finden. Wo ist Richard?�
�Richard!� rief der Sohn des Pr�sidenten, �davon nachher. Erst setze Dich, nimm Dein Glas und la� uns trinken auf Dein neues Gl�ck. Du wirst beneidet von der ganzen Welt. Dein Onkel hat f�r Dich gespart und gegeizt, Du wirst ein gro�es Verm�gen finden. Ich habe Gelegenheit gehabt, in meiner amtlichen Stellung Etwas �ber den Nachla� zu h�ren, der vielleicht selbst Deine Erwartungen �bertrifft, und ich rathe Dir nun, dies Gl�ck zu benutzen und Dein Leben in bester Weise zu genie�en. Du wirst doch auf keinen Fall den Schacher des alten Mannes fortsetzen wollen. Zieh in die Hauptstadt, weit weg von diesem einseitigen Handelsplatze, und la� uns dort unsere Freundschaft erneuern. Ich sowohl wie meine Familie werden Dich gern bei uns sehen.�
�Deine Familie?� fragte Aurel. �Dein Vater ist also dort?�
�Mein Vater?!� antwortete Eduard verwundert. �Wei�t Du denn nicht, da� mein Vater seit l�nger als einem Jahre Deinem Onkel in die ewige Heimath vorangegangen ist?�
�Ich wei� Nichts,� erwiederte Aurel, bewegt von dieser Nachricht. �Darum also ist dies Haus so �de und dunkel.�
�Man hat Dir, wie es scheint, gar keine Mittheilungen �ber uns gemacht,� fuhr Eduard fort, �und ich selbst, gedr�ngt von Gesch�ften, verwirrt von traurigen Erlebnissen und froh, mich ihrer nicht erinnern zu d�rfen, habe es unterlassen. Mein Vater ist todt, ich bin als Ministerialrath in der Hauptstadt angestellt. Da� Du mich hier findest, ist halb und halb Sache des Zufalls. Ich kam, um meine Mutter und Schwester bei ihrer Uebersiedelung in mein Haus zu begleiten, alle n�thigen Einleitungen �ber den Verkauf unseres Eigenthums zu treffen, den Transport der Sachen, und was weiter Frauen schwer f�llt, zu bewirken, sonst h�ttest Du ein leeres Nest getroffen. Morgen reisen wir oder �bermorgen, denn ich m�chte wohl Dir zur Liebe noch einen Tag bleiben, und Johanna wird sich auch freuen, Dich wiederzusehen.�
�Deine Schwester?� sagte Aurel z�gernd. �Ich bin erschrocken �ber Deine Mittheilungen. Sie ist hier allein – bei Deiner Mutter und Richard? Er ist nicht in ihrer N�he? Nicht mit ihr verm�hlt?�
�Mit ihr verm�hlt!� rief Eduard finster blickend und mit harter Stimme, �was sagst Du da? – Nein, nie! Aber Du kannst es nicht wissen, Aurel,� fuhr er milder fort, �weil Du nicht wei�t, was sich hier zugetragen hat, und doch – o, ich erinnere mich jetzt eben der Worte, die Du an jenem Abende sprachst, wie Du mich vor ihm warntest. Du kanntest diesen Elenden besser, wie ich und wie wir Alle, der meinen Vater in's Grab gebracht und meiner Schwester Lebensgl�ck und Gesundheit f�r immer zerst�rte.�
Aurel stand bet�ubt von dem, was er h�rte. Eduard legte die Hand auf seine Schulter und deutete auf den Platz, welchen Richard an jenem Abende einnahm.
�Erinnerst Du Dich,� sagte er, �seiner Worte �ber Liebe und Ehe, die er damals sprach? Ich nahm sie als eine seiner gew�hnlichen �berm�thigen Prahlereien, Du nanntest sie schlechte, leichtsinnige Grunds�tze, welche der Wein, der zur Wahrheit treibt, an den Tag brachte. Du hattest nur zu sehr Recht. – Er wollte einen Tag sp�ter reisen als Du, aber nach jenem Balle am Sylvesterabende war er heimlich ohne Abschied auf und davon gegangen, selbst ohne durch Brief oder Karte Lebewohl zu sagen. Dieses Benehmen war auffallend, doch wir hielten es f�r eine seiner genialen Narrheiten. Er hatte an jenem Abende mit Johanna sich, wie gew�hnlich, gestritten und vers�hnt, und Nichts berechtigte zu der Vermuthung, da� er planm��ig sie f�r immer verlassen wollte. – Was soll ich Dir weiter sagen?� fuhr er fort. �Wochen und Monate vergingen, ohne da� wir Nachricht empfingen. Johanna's Zorn, Angst und Gram �berstiegen alle Grenzen. Eine Gem�thskrankheit setzte sich fest; mein Vater, dessen Liebling sie war, verfiel sichtlich unter seinem Kummer, und so gingen die Zeiten hin bis auf diese Stunde.�
�Aber Er?� rief Aurel mit Heftigkeit. �Er gab nie wieder eine Nachricht?�
�Nie,� erwiederte Eduard.
�Und Du, Ihr Alle, einer suchte ihn auf?�
�Was muthest Du mir zu?� versetzte Herr von Corbin stolz. �Sollte ich diesem Menschen Vorw�rfe machen, ihm meine Schwester an den Hals werfen und um Liebe f�r sie bitten?! Ich h�rte, da� er lebe, erfuhr, da� er sein ererbtes Verm�gen in Paris verschwende, da� er in jeder Beziehung die Grunds�tze wahr mache, welche er uns vortrug; was konnte ich weiter thun, als ihn verachten und vergessen! – H�tte Johanna dies wie ich gekonnt,� sagte er mit gefalteter Stirn, so war Nichts verloren, aber sie vergi�t nicht, und dies schreckliche Ged�chtni�, diese Narrheit, m�chte ich sagen, welche eine Teufelshand in ihr Gehirn gebrannt hat, ist der Quell uns�glichen Kummers geworden.�
�Er schwelgt also noch in Paris, ohne einen Gedanken an die Vergangenheit?� sagte Aurel nach einer tr�ben Pause.
�O nein,� erwiederte Eduard, �Du wirst es kaum glauben, aber seit einem halben Jahre ist er zur�ckgekehrt und lebt in der Hauptstadt. Die franz�sische Luft behagte ihm nicht mehr, er sehnte sich nach Deutschland und erschien pl�tzlich mitten unter uns. Denke Dir, da� er die Frechheit hatte, sich mir n�hern zu wollen, mit so unbefangener Miene, als sei Nichts zwischen uns vorgefallen.�
�Und dorthin willst Du jetzt Deine Schwester f�hren?� fragte Aurel erstaunt.
�Mein Wille war es nicht,� entgegnete Corbin, �ich hinderte es bis jetzt, aber meine Mutter, durch Johanna getrieben, besteht darauf. Vergebens habe ich endlich, gedr�ngt von den Umst�nden, ihnen mitgetheilt, da� sie gefa�t sein m��ten, den Gegenstand ihres Hasses zu sehen, der kaum zu vermeiden ist. Doch es half mir Nichts, ja im Gegentheile, Johanna scheint wie Kinder, die sich vor Gespenstern f�rchten und doch mit geheimer Sehnsucht Gespenstergeschichten h�ren, nach seinem Anblicke zu verlangen. Ich glaube beinahe,� sagte er, �da� sie durch irgend eine klatschhafte Freundin eher Etwas und mehr von ihm erfuhr, als ich wu�te, und da� hierin der Grund ihrer W�nsche liegt, den Aufenthalt zu wechseln, um mit eigenen Augen den Verr�ther zu beobachten.�
�Dann ha�t sie ihn nicht, nein, sie liebt ihn noch immer!� rief Aurel, und der heftige Ton, mit welchem er sprach, bezeugte seine Theilnahme. –
Eduard st�tzte den Kopf in seine Hand und blickte d�ster vor sich nieder; noch ehe er aber eine Antwort geben konnte, sagte eine klingende Stimme, die aus der Tiefe des Zimmers kam, ein festes bestimmtes: �Nein!�
Diese pl�tzliche Unterbrechung hatte etwas geisterhaft Ueberraschendes. Die tiefe Stille umher, die Mitternacht, der gl�nzende Schein des Mondlichtes, das durch die Fenster drang und mit dem matten Lichte der Lampe auf der Diele k�mpfte, Alles vermehrte das Gef�hl des Unheimlichen. –
Aurel war aufgesprungen, aber er f�hlte sich unf�hig, eine Bewegung zu machen. Seine Blicke hingen krampfhaft an der Gestalt, die langsam von der Th�re n�her schritt und ihm die Hand zum Gru�e bot. –
Es war Johanna, daran zweifelte er nicht, doch obwohl er vorbereitet sein mu�te, sie ver�ndert wiederzufinden, h�tte er doch nicht an eine solche ersch�tternde Umwandlung geglaubt. Das junge, bl�hende und lebhafte M�dchen stand noch immer vor seinen Erinnerungen, die mit ihrem Schmerze ihn jetzt zu ersticken drohten, denn kaum entdeckte er Spuren von dem Bilde, das der Spiegel seiner gesch�ftigen Einbildung ihm so treu bewahrt hatte. –
Aber die Z�ge ihres Gesichtes waren nicht etwa welk und faltig geworden, abgezehrt unter den Leiden eines tiefen Grames, sie hatten vielmehr den unheimlichen Ausdruck erhalten, den ein krankhaftes zerst�rtes Nervenleben hervorbringt; diese eiserne Starrheit und K�lte, diese t�dtliche Ruhe, welche Grauen einfl��t, weil sie der Ruhe des Gletschers gleicht, der den Vulkan bedeckt, welcher darunter kocht und mit seinen Blitzen dann und wann die erstarrte Oberfl�che durchbricht.
Eine t�dtliche Bl�sse lag auf diesem sch�nen marmorartigen Gesichte, in welchem die gro�en Augen wie zwei d�stere und unergr�ndliche Sterne regungslos und empfindungslos ruhten. Das schwere schwarze Seidenkleid, welches die schlanke Gestalt umh�llte und ihr nachrauschte, trug ebensowohl wie das gl�nzend schwarze langfallende Haar, das in reichen Ringen zu beiden Seiten des Kopfes auf Hals und Nacken niederfiel, dazu bei, den seltsamen Eindruck ihrer Erscheinung zu erh�hen. Einige Minuten lang erlag Aurel unter dem Entsetzen des Gedankens, da� er es mit einer Wahnsinnigen zu thun habe, die ihrer W�rterin entsprungen sei und n�chtlich durch die einsamen Gem�cher dieses �den Hauses irre. –
Aber Eduard zeigte sich wenig �berrascht und gar nicht besorgt �ber diese pl�tzliche Einmischung seiner Schwester. Er schien daran gew�hnt zu sein, sie unerwartet und in sp�ter Stunde kommen zu sehen, und erst als ihre Gesichtsz�ge einen Schimmer von Leben erhielten, w�hrend sie mit Aurel redete, betrachtete er sie mit erh�hter Theilnahme.
�Aurel Dahlberg,� sagte Johanna, als dieser seine hei�en zuckenden Finger in ihre kalte feuchte Hand gelegt hatte, �sein Sie uns willkommen. Wir haben Sie seit mehreren Tagen vergeblich erwartet.�
�Er hat sich ungemein ver�ndert,� fiel Herr von Corbin ein; �findest Du das nicht, Johanna?�
�Wir haben uns Alle ver�ndert,� versetzte sie, und ihr Blick ruhte starr auf Aurel, �sehr ver�ndert seit dem Tage, wo wir uns zum letzten Male sahen, dennoch sind wir dieselben geblieben.�
�Ich hoffe, ja,� erwiederte Aurel mit leiser Stimme.
�Ich wei�, was Sie denken,� fuhr sie fort, und ihre Augen �ffneten sich weit und nahmen einen sonderbaren stieren Glanz an, w�hrend sie langsam den Kopf wandte. �Einer fehlt uns, nicht wahr? So glaubt Ihr, und doch ist er unter uns. – Ihr seht ihn nicht, aber ich sehe ihn. – Dort sitzt er auf dem Sessel, die F��e gekreuzt, die Arme �ber seine Brust geschlagen. Er hat den Hut in seine Stirn gedr�ckt und schl�gt seinen schwarzen Mantel �ber das falsche Herz. Seine Lippen bewegen sich, er lacht. – Er sendet seinen Geist her, weil sein K�rper nicht hier sein kann, und er spottet dar�ber. Traut ihm nicht, er betr�gt Euch – Aurel, trinken Sie nicht mit ihm, fort mit dem Glase, nehmt es nicht – er vergiftet Euch.�
Sie stand mit ausgestrecktem Arme vor Aurel, der auf's Heftigste erschreckt sie festhielt, w�hrend Eduard zur Hilfe herbeisprang. Wahrscheinlich stie� Einer von ihnen an das Glas, das leer auf dem Tische stand, es fiel und zersprang in St�cke, und als die Scherben klirrend zu Boden st�rzten, schallte ihnen ein Lachen nach, das gewaltsam und dumpf sich aus der Brust der Kranken pre�te.
�Um Gottes Willen, Johanna,� rief ihr Bruder, �erwache aus diesen gr��lichen Tr�umereien. – Es ist eine Art Starrkrampf, der sie peinigt,� fuhr er zu Aurel gewendet fort. �Sie kann nicht schlafen und sieht, w�hrend ihre Glieder steif werden wie Eisen, Gestalten und Gebilde, mit denen sie Gespr�che f�hrt.�
�Ich kann mir denken,� erwiederte Aurel, �da� der heutige Tag mit seinen Erinnerungen das Uebel steigert und ihre Phantasie ausschlie�lich sich mit der Ursache ihrer Leiden besch�ftigt.�
�So ist es leider,� sagte Eduard. �Wir m�ssen diesen schrecklichen Zustand der Welt verbergen, so viel es angeht, und gl�cklicher Weise sind die Anf�lle jetzt seltener geworden.�
Er hielt den starren K�rper der jungen Dame aufrecht, fast in derselben Stellung, und mit den schmerzlichsten Empfindungen betrachtete Aurel das edle zu Stein erstarrte Gesicht, w�hrend seine Thr�nen langsam auf ihre H�nde fielen, die er vergebens zu erw�rmen suchte.
�Soll ich Hilfe herbeiholen?� fragte er endlich.
�Nein, mein Freund,� erwiederte Corbin, �Niemand kann hier helfen. – Verla� uns,� fuhr er fort, �ich werde Dich morgen aufsuchen und denke, Johanna's Zustand wird uns erlauben, Dich bei uns zu sehen. Ich bitte Dich, gehe nach Hause und erhole Dich. Gefahr ist nicht vorhanden, und Du bedarfst der Ruhe wie wir alle.�
Bei seinen letzten Worten fiel der noch immer ausgestreckte und unbeugsame Arm der Kranken langsam an ihr nieder. Sie richtete sich in ihres Bruders Armen auf, und als sei ihr Nichts geschehen, ohne Zittern der Stimme oder die Schw�che, die das Erwachen aus einer Ohnmacht begleitet, sagte sie:
�Nur noch einen Augenblick warten Sie, Aurel. Ich werde Sie morgen wieder sehen; wir haben uns Beide viel mitzutheilen, und ich freue mich darauf, Ihnen mein ganzes Vertrauen zu zeigen. – Wenn ich zu dieser sp�ten Stunde Sie noch erschreckte, geschah es, weil ich einen Brief f�r Sie besitze, der heute Abend abgegeben worden ist. – Hier ist er,� fuhr sie fort, indem sie ein versiegeltes Papier aus der Tasche zog, �lesen Sie ihn, zu Hause und folgen Sie jetzt Eduard's Rath, indem Sie uns verlassen. – Bis morgen also, auf Wiedersehen!�
Der Uebergang aus dem Zustande der Starrsucht in einen anscheinend v�llig gesunden war eben so blitzartig schnell, wie der zur Krankheit.
Ein L�cheln lief durch Johanna's Z�ge, und Aurel glaubte eine Regung freundlicher und sanfter Empfindungen darin zu erkennen, die ihren rosigen Schimmer �ber ihre blassen Wangen schickten, als er sich verabschiedete und seine Besorgnisse um ihr Wohl in herzlicher Weise aussprach.
Als er auf der Stra�e war unter dem Sternenhimmel, drang der kalte Luftstrom bes�nftigend in seine hei�e Brust.
�Was habe ich in einer Stunde erlebt und erfahren,� rief er tief athmend, �und o wie vieles hat sich in meinem Leben und dessen Zukunft ver�ndert.�
Er hatte nicht den Muth, sich Rechenschaft �ber seine Gedanken zu geben, aber ein warmes freudiges Gef�hl lie� doch sein Blut schneller rollen, und die kalte Nacht schien ihm hei�, der Wind, der sein Haar mit Reif bedeckte, mild zu sein. – Sein Gesicht brannte, und vor seinen Augen gl�nzten die funkelnden Eiskrystalle des Schnee's wie Sonnen, die eine Welt voll gl�cklicher Wesen zur Freude aufwecken. –
Pl�tzlich fiel ihm der Brief ein, und er ri� ihn aus der Tasche und suchte die Handschrift zu erkennen. Wolken, die �ber den Mond gingen, hinderten ihn eine Zeitlang daran, und diese Minute, wo er still stand, schien ihm eine Unendlichkeit zu sein. Das Papier gl�hte in seiner Hand. Endlich erkannte er die Schriftz�ge, sie waren fein und zierlich, und wie erleichtert von einer schweren Last rief er:
�Also nicht von Richard, nicht von dem Menschen, den ich hasse und verachte. Fort mit ihm aus meinem Ged�chtnisse; gebe der Himmel, da� er nie mir in den Weg trete.�
Er eilte nach Hause, und kaum hatte er Licht und war allein, als er den Brief von Neuem hervorzog und das Siegel aufri� und verwundert die wenigen Zeilen betrachtete, welche er auf dem gl�nzenden, glatten, mit einer gepre�ten Rosenkante umgitterten Blatte entdeckte.
�Eine Freundin,� so lauteten die Worte, �sendet Ihnen bei der R�ckkehr in's Vaterland ihren Gru�. Man erwartet Sie in der Hauptstadt, Sie werden kommen und dann der Botschaft Folge leisten, welche ich Ihnen senden werde. – Bis dahin leben Sie wohl.�
Aurel wu�te nicht, was er aus diesen r�thselhaften Worten machen sollte, die ihm Etwas vorschrieben, woran er nie gedacht hatte. In die Hauptstadt reisen, was sollte er dort? Leben und wohnen, wo Johanna wohnte, was hatte er davon zu erwarten? Die halbe Nacht �ber lag er in der Ecke des Sopha's, starrte in das verglimmende Licht oder ging mit raschen Schritten auf und nieder, ohne zu einer L�sung dieses Billets wie �berhaupt zu einem Entschlusse zu kommen. –
Was ihm seine Gedanken freigebig zuwarfen, zerrann unter den Entw�rfen, die sie schufen, und als er endlich m�de und niedergeschlagen sich in's Bett warf, hatte er nur so viel gewonnen, da� er sich vornahm, alle T�uschungen zu vermeiden, in welche ihn eine allzu lebhafte Theilnahme an der Familie Corbin st�rzen konnte.
Am n�chsten Morgen in der Fr�he erhielt er eine Nachricht von Eduard. Der Regierungsrath schrieb ihm, da� seine Schwester heute von ihrem Unwohlsein v�llig hergestellt sei und seine Mutter ihn bitten lasse, zu Mittag ihr Gast sein zu wollen.
�Meine Gesch�fte,� hatte Eduard hinzugef�gt, �erlauben mir nicht, Dich vorher schon zu sehen, und da Du wahrscheinlich auch dringende Besuche genug zu machen hast, so tr�sten wir uns mit dem Reste des Tages, den Du uns widmen mu�t, da wir morgen in der Fr�he reisen und uns wahrscheinlich doch so bald nicht wiedersehen.�
Der f�rmliche Ton dieser Einladung machte Aurel unmuthig. Er hatte mit Herzklopfen das Billet ge�ffnet und fand kalte Worte darin; keine Silbe �ber Johanna, als die Mittheilung ihres Wohlbefindens, wie man es nannte; keine einzige Andeutung, die ihn beruhigt oder angeregt h�tte, und daneben die Gesch�ftsentschuldigung, welche die Anweisung enthielt, nicht fr�her zu erscheinen, als man es w�nschte.
�Er ist unter seinen Akten und Amtspflichten ausgetrocknet wie ein Fakir, der sich lebendig begraben lie�,� rief der Erbe in seiner Verstimmung aus, aber er mu�te einsehen, da� Eduard ganz verst�ndig gehandelt hatte, wenn er ihn auf die unverz�gliche Betreibung seiner eigenen Angelegenheiten verwies.
Den ganzen Vormittag verwandte Aurel daher auch zu Besuchen, die eine Vorbereitung zu wichtigen Gesch�ften waren. Er zeigte sich den Leuten, mit denen er in Verbindung treten mu�te, um die Hinterlassenschaft seines Oheims in Empfang zu nehmen, und �berall empfing man ihn mit der Zuvorkommenheit, die dem Erben von Reichth�mern �berall dargebracht wird. –
Was Eduard ihm schon gestern gesagt hatte, fand er durch R�cksprache mit einigen genau unterrichteten Personen best�tigt. Der alte Herr Dahlberg hatte mehr besessen, als man vermuthete, und ein allgemeiner Blick auf die Nachweise reichte hin, um Aurel zu versichern, da� er im Stande sei, wenn er wolle, das Leben eines reichen bequemen M�ssigg�ngers in vollstem Ma�e zu genie�en. –
Er fand in diesem Bewu�tsein keine Freude, und die Gl�ckw�nsche, welche ihm gebracht wurden, die neugierigen Fragen und pr�fenden Blicke machten ihn verlegen und einsilbig. Er war froh, als er sich endlich zur�ckziehen konnte, weil die Zeit heranr�ckte, wo er im Hause der Pr�sidentin erscheinen sollte, aber je n�her er diesem kam, um so beklommener machte ihn die Erwartung.
Die Pr�sidentin war eine anspruchslose einfache Frau, deren gr��te Tugend stets die sorgsame F�hrung ihrer H�uslichkeit wie die Liebe zu ihrer Familie gewesen war. Nach dem Tode ihres Gatten, dessen Ausspr�chen sie stets p�nktliche Folge geleistet hatte, waren ihre Kinder Rathgeber und Leiter geworden, denen sie unbedingt die bessere Einsicht zugestand. –
Sie empfing den Jugendfreund ihres Sohnes mit m�tterlicher G�te, freute sich aufrichtig seiner R�ckkehr, �bersch�ttete ihn mit guten W�nschen und f�hrte ihn dann an der Hand in das Wohnzimmer, aus welchem Johanna ihm entgegen kam.
Aurel war freudig �berrascht, als er die wohlthuende Ver�nderung bemerkte, welche er heute in Johanna's Gesicht und Wesen fand. Sie war bla� und sch�n wie gestern, aber das Starre und Unheimliche hatte einer edlen Ruhe Platz gemacht, welche jedem ihrer Z�ge und Bewegungen einen eigenth�mlichen Reiz verlieh. –
Das schwerm�thige L�cheln um die schmalen feinen Lippen fand seinen Contrast in den sanft gl�nzenden dunklen Augen, die mit einem unverkennbaren Ausdrucke der Freude und des Vertrauens sich auf Aurel richteten. Sie reichte ihm die Hand zur Bewillkommnung, er fand sie warm und lebensvoll, keine Todtenhand, wie in der Nacht, wo ihre K�lte ihm Entsetzen erregte, und er empfand den Druck mit einer Wonne, die ihn bis zum Zittern bewegte.
�Gott sei Dank,� rief er, die Finger an seine Lippen ziehend, �da� ich Sie wohl finde.�
�Finden Sie Johanna wirklich nicht sehr ver�ndert?� fragte die Pr�sidentin.
�Anders geworden,� sagte er, �doch ich w��te nicht, ob Klage dagegen zu erheben w�re.�
Diese schmeichelhafte Wendung brachte ihm von der Mutter einen dankenden freundlichen Blick, von der Tochter ein sp�ttisches Zucken ein, das um ihren sch�nen Mund spielte.
�Es ist wahr,� begann Frau von Corbin dann, �ich finde, da� Johanna heute besonders gut aussieht. Ach, man gew�hnt sich leicht an das Aussehen eines Gesichts, und kaum kann ich mich erinnern, da� Johanna viel mehr Farbe gehabt h�tte, als jetzt; doch heute f�llt es mir auf, denn es ist lebhafter, frischer und ich m�chte sagen tr�stender.�
�Daf�r,� erwiederte Johanna, ihre Mutter umfassend und ihr zul�chelnd, �ist heute auch Neujahr, wo jeder Mensch sich gelobt, alle b�se Gewohnheiten abzulegen, und den Himmel anruft um Gl�ck, Gedeihen und Erf�llung aller W�nsche. – Das habe auch ich gethan, Mutter, und vielleicht ist mir geholfen worden.�
�Gebe es Gott, mein Kind,� erwiederte die w�rdige Frau ger�hrt, �Niemand auf Erden w�rde dadurch gl�cklicher werden, wie ich. Aber,� fuhr sie freundlich fort, �ich glaube doch, da� dazu auch die Freude beigetragen hat. – Sie k�nnen nicht denken, Herr Dahlberg, wie oft Johanna seit den letzten Tagen sich Ihrer erinnert, von Ihnen gesprochen und mit einer gewissen Prophetengabe Ihre nahe Ankunft uns in Voraus angek�ndigt hat.�
�Wirklich,� rief Aurel, �das thaten Sie?�
�Es war keine gro�e Kunst,� sagte Johanna ohne alle Verlegenheit, �ich wu�te, da� Sie kommen mu�ten, und war mit meinem Bruder �berzeugt, da� dies, wenn irgend m�glich, gestern geschehen w�rde. Ich freute mich Ihrer Ankunft aber im Voraus und mu� meiner Mutter beipflichten, da� gewi� auch diese Freude einen Antheil hat, wenn ich heute wohler aussehe und mich wohler f�hle als seit einiger Zeit.�
Die Pr�sidentin ging auf diese Andeutungen redselig ein, und Aurel �berzeugte sich bald, da� sie von seinem n�chtlichen Besuche im Hause und den Nebenumst�nden, welche diesen begleiteten, Nichts wu�te. Ein Blick Johanna's schien ihm zu bedeuten, Nichts davon zu erw�hnen, und er konnte dies um so leichter, da bald darauf einige Freunde der Familie, Eduard mit ihnen, in das Zimmer traten, was die Unterhaltung ver�nderte.
Die Gratulationen wechselten mit dem Bedauern �ber die nahe Abreise der Damen und setzten sich w�hrend des Mahles fort, wo Aurels Reisen, sein Aufenthalt in Schweden, das reiche Erbe, welches ihm so unverhofft zugefallen, und seine Zukunft Gegenstand der Unterhaltung wurden. Man dr�ngte ihn mit Fragen �ber seine Entschl�sse, versorgte ihn mit Rathschl�gen �ber das, was man an seiner Stelle thun w�rde, und war unerm�dlich, ihm die verschiedenartigsten Mittel zum Gl�cke, halb scherzend, halb ernsthaft anzupreisen.
�Kaufen Sie sich ein pr�chtiges Gut und heirathen Sie,� sagte ein altes Fr�ulein. �Solch ein Leben ist allem andern vorzuziehen.�
�Nein, in der Residenz m�ssen Sie wohnen. B�lle, Theater, Concerte, Salons, Soir�en, das ist die Cr�me des Daseins,� rief eine blonde junge Dame mit feurigen Blicken.
�Reisen m�ssen Sie und die gro�e Welt kennen lernen. Paris, London, die Schweiz, Italien,� fiel ein etwas abgelebter Herr ein, der sich f�r einen gewaltigen Meister im Reiche des guten Tons hielt.
�Bleiben Sie hier, mein junger Freund,� sprach ein geheimer Commerzienrath und B�rsenmatador. �Ihr w�rdiger Onkel hat hier brillante Gesch�fte gemacht, Sie k�nnen das auch und werden bald lernen, was besser ist, sein Geld mit Nutzen anwenden und arbeiten, oder es vergeuden und die H�nde in den Scho� legen.�
�Das ist nicht meine Absicht,� sagte Aurel, �aber welcher bestimmten Richtung mein Leben sich zuneigen wird, ist f�r jetzt noch unentschieden. – Vor der Hand,� fuhr er fort, �bleibe ich hier, um meine Verh�ltnisse zu ordnen. Ich besitze liegendes Verm�gen, das sich nicht leicht vortheilhaft ver�u�ern l��t und Aufsicht bedarf. Reisen mag ich nicht, ich kenne die Welt genugsam; die Hauptstadt mit ihren Freuden lockt mich nicht so sehr, um dauernd dort mich niederzulassen. G�ter zu kaufen f�llt mir auch nicht ein, ich f�hle keinen Beruf zum Landleben, das ich genau genug kenne. Der letzte Theil Ihrer g�tigen Rathschl�ge aber, mich zu verheirathen, f�llt wenigstens bis jetzt bei mir auf sehr d�rren Boden.�
�O, Sie sind ein Ver�chter der Ehe, wie die meisten unserer jungen Herren,� rief das blonde Fr�ulein.
�Sie thun mir Unrecht,� versetzte Aurel l�chelnd, �Niemand kann Familiengl�ck h�her sch�tzen als ich; nur, glaube ich, ist nicht so leicht dazu zu gelangen.�
�Es ist ein Lotto,� sagte der abgelebte Herr nach der Mode, der als Junggesell zu sterben geschworen hatte und sp�ttisch mit den Augen zwinkerte. �Bei einem Hauptgewinne liegen zehntausend Nieten.�
�Sehr galant in der That,� erwiederte das blonde Fr�ulein, seine Nachbarin, indem sie ihm ein h�hnisches Gesicht schnitt.
�Meine Gn�digste,� rief der abgelebte Herr, mit plumper Galanterie ihre Hand k�ssend, �ich habe nicht gesagt, da� wir uns nicht mitten unter gro�en Losen bef�nden.�
�Bravo!� schrie der Commerzienrath dazwischen, �es fehlt uns also nicht an reizenden kostbaren Gewinnen dieser Art, und da Sie hier bleiben, Herr Dahlberg, so hoffe ich den Tag zu erleben, wo Sie von ihren Zweifeln bekehrt wurden. Ein Mann wie Sie, der so viel Gl�ck hat, mu� auch in der Liebe Gl�ck haben. Sie sind zu sch�chtern, zu bedenklich, aber das wird sich �ndern. Mit dem Golde kommt das Selbstvertrauen. Wer die Taschen voll von dem werthen Metalle hat, kann dreist an jede Th�re klopfen; ich w��te wahrhaftig nicht, wo Ihnen eine verschlossen bleiben w�rde!�
Der treffliche Wein des verewigten Pr�sidenten hatte seinen vollgemessenen Theil an der r�cksichtslosen Offenherzigkeit des geheimen Commerzienrathes; da er aber selbst drei heirathsf�hige T�chter zu Hause hatte, entstand das Gel�chter auf seine Kosten. Die anwesenden Damen warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu und schworen im Geheimen, diese k�stliche Geschichte so schnell als m�glich zu verbreiten. Sie fl�sterten und lachten, und die Einzige, die still blieb, war Johanna, welche neben Aurel ihren Platz hatte, mit dem sie dann und wann einige freundliche Worte wechselte.
Als das Mahl beendet war und die G�ste sich zum Theil empfahlen, zum Theile in dem Salon den Kaffee nahmen und plaudernd zwischen den Blumentischen sa�en, stand sie am Fenster und sah in die kahlen B�ume des Gartens hinaus, hinter deren zahllosen nackten Resten und Gezweig die Sonne gl�hend roth versank. –
Aurel trat an ihre Seite und fragte leise, worauf sie so nachsinnend ihre Blicke richte.
�Ich sehe diesen Wald von d�rren Ruthen an,� erwiederte sie, �die wie abgezehrte Arme sich zum Himmel erheben. Sie klappern vor K�lte und Entsetzen und f�rchten sich vor dem Feinde, der sie so heruntergebracht hat und nicht abl��t, ihre Eingeweide zu peinigen. j Mir kommt es vor, als flehten sie den Himmel um Hilfe und Erbarmen an, doch hat er kein Ohr f�r ihre Leiden. – Es wird eine bitter kalte Nacht werden. Sehen Sie, wie die Sonne roth gl�ht, sehen Sie, wie Raben und Kr�hen wild schreiend umherfliegen und ein verstecktes Pl�tzchen suchen. – Helfe sich Jeder, wie er kann, wer es nicht vermag, der erfriert, stirbt, verdirbt, gleichviel, er kann sich nicht beklagen.�
�Aber,� erwiederte Aurel sanft, �mag der Winter auch noch so hart und lang sein, der Fr�hling kehrt zur�ck und bringt neues Leben.�
�Neues Leben!� rief Johanna, und ihre Augen funkelten in zornigem Spotte. �O, vortrefflicher Tr�ster, hilft das etwa den Armen, die der Winter verhungern lie� oder ihnen Mark und Bein zersprengte?�
�Die Starken und T�chtigen werden nicht zersprengt,� erwiederte er, �sie �berdauern die Angriffe ihrer Feinde.�
�Sie t�uschen sich, Aurel,� versetzte die junge Dame, �Ihre Philosophie ist falsch. Es giebt kein Wesen auf Erden, das nicht seinen Leiden erliegen m��te, wenn diese die rechte Stelle treffen. – Hatte Achilles die Ferse, wo er zu t�dten war, und Siegfried, der Unverwundliche, einen Punkt am K�rper, wo das Drachenblut seine Haut nicht geh�rtet hatte, so ist kein Sterblicher, der sich r�hmen k�nnte: ich trotze den Waffen meiner Feinde! – Das ist mein Trost,� fuhr sie fort, �es liegt eine gro�e Beruhigung f�r mich darin, da� Keiner ausgenommen ist. – Aber lassen Sie uns ein wenig hinausgehen in den kalten windigen Abend. Wir haben heute Mittag Beide so viel th�richtes Geschw�tz h�ren m�ssen, da� uns die Abk�hlung gut thun wird.�
Sie wickelte sich in ihren gro�en Shawl, Aurel fand im Nebenzimmer seinen Mantel, und Beide schl�pften dann durch die Seitenth�re unbeachtet in den Garten hinaus, der in dem letzten falben Lichte des Tages schimmerte.
Mit raschen Schritten gingen sie in dem gro�en stillen Baumgange auf und nieder, w�hrend der r�thliche Schimmer an den Schneefl�chen und Baumgipfeln zerrann und in der duftigen Bl�ue die Sterne erschienen. – Ihr Gespr�ch glitt �ber mancherlei Gleichgiltiges, bis es endlich an der bevorstehenden Reise der Familie seinen Verkn�pfungspunkt fand.
�Sie wundern sich �ber meinen Entschlu�,� sagte Johanna, �und ich will Ihnen dar�ber eine Mittheilung machen, wie ich �berhaupt nicht von Ihnen scheiden m�chte ohne eine ausf�hrlichere Er�rterung zwischen uns.�
�Reden Sie nicht, Johanna, ich bitte Sie,� rief Aurel dringend, �bewahren Sie mir auf sp�tere Zeit, was Ihr Vertrauen mir zu sagen hat.�
�F�rchten Sie Nichts,� versetzte das Fr�ulein, indem sie ihn ruhig anblickte, �ich bin so kalt bei Dem, was ich Ihnen sagen werde, wie diese Nacht und dieser Nordwind; auch will ich kurz sein und Nichts von dem ber�hren, was Sie schon wissen.�
Sie ging, sich bedenkend, langsam neben dem erwartungsvollen Freunde her und sagte dann:
�Mein Bruder hat Ihnen mitgetheilt, wie Richard von uns ging, um nie wiederzukehren. Die Welt verdammt ihn darum nicht, denn wenn es auch wahr ist, da� er eine Kom�die mit mir und meinem Herzen auff�hrte, bei der er sich als vortrefflicher Schauspieler zeigte, so hat er doch niemals sein Wort gebrochen und eine Handlung begangen, welche die Menschen ehrlos nennen; denn er gab nie sein Wort, warb nie �ffentlich um mich, oder bat vielmehr meine Eltern nie um den Segen f�r unsere Liebe. Dennoch hat er mit raffinirter Grausamkeit, �rger wie ein M�rder, gehandelt, und vergebens w�rde es sein, wenn ich Ihnen verhehlen wollte, wie tief und sicher er mich getroffen hat; ein Blick auf mich w�rde hinreichen, meine Betheuerungen L�gen zu strafen. – Genug also davon,� fuhr sie nach einer Pause fort, �ich liebte Richard; ich hoffte, wartete, gr�mte mich, ich hatte die ganze entsetzliche Stufenleiter der Qualen eines verlassenen und verspotteten Herzens zu bestehen und bestand sie, bis meine Empfindungen vertrocknet waren. Daf�r konnte ich gestern, als Sie meinem Bruder zuriefen: ich liebe den Verr�ther noch, mit voller Ueberzeugung ein Nein antworten.�
�Wenn dies der Fall ist,� sagte Aurel, �warum vergessen Sie ihn nicht, Johanna, und warum dr�ngt es Sie von hier in die Hauptstadt, in seine N�he, die, wie eine finstere Ahnung mir sagt, Ihnen verderblich werden mu�?�
�Was k�nnte mir verderblich werden?� erwiederte sie ver�chtlich l�chelnd.: �Ich w�rde bleiben, wenn Richard mich nicht zw�nge, mein Versteck zu verlassen. Unsere Verwandten in der Hauptstadt sind auch die seinigen, unsere Freunde sind wenigstens zum Theil von ihm gewonnen. Um sein Benehmen zu rechtfertigen, hat er die Verleumdung zu Hilfe gerufen und mich als ein verwahrlostes, verkehrtes, launenhaftes und unleidliches Wesen dargestellt. O, ich wei� recht wohl, was ich war, und wozu er mich gemacht hatte, aber je mehr mein Bruder und Andere mich zu besch�tzen suchen, um so eifriger bem�ht er sich noch jetzt, mich zum Gesp�tt zu machen. Er hat seine geheimen Kundschafter hier, die ihm alle kleinen Vorg�nge berichten m�ssen, und nun ist es ihm eingefallen, mich f�r wahnsinnig oder bl�dsinnig zu verrufen und schreckliche Dinge von meiner wilden Leidenschaftlichkeit zu erz�hlen, die ihn damals schon mit Grauen und Angst erf�llt habe.�
�Schrecklich!� rief Aurel voll Zorn. �Welche abscheuliche Schurkerei!�
�So mu� ich denn mich zu reinigen suchen von seinen boshaften Beschuldigungen,� sagte das Fr�ulein, �mu� meines Rufes und der Ruhe meiner Familie wegen diese L�gen vernichten, und wie k�nnte dies anders geschehen, als durch mein pers�nliches Erscheinen unter diesem Haufen klatschs�chtiger, neidischer, gemeiner Naturen, die so gern von ihrem N�chsten das Schlechteste glauben? Zudem ist der Aufenthalt in diesem Hause mit seinen fatalen Erinnerungen und in dieser Stadt, wo die Menschen altreichsst�dtisch spie�b�rgerlich sind, mir von Herzen zuwider. Ich sehne mich fort, und Sie werden mir Recht geben m�ssen, da� ich gehe.�
�Nachdem ich Sie geh�rt habe,� erwiederte Aurel, �mu� ich Ihnen beistimmen, obwohl ich gew�nscht h�tte, Sie blieben hier.�
�Das hei�t,� versetzte das Fr�ulein l�chelnd, �Sie w�nschen es, weil wir Ihnen Gesellschaft leisten sollen, aber, mein Freund, denselben Wunsch richte ich an Sie und erwarte keine Erf�llung. Sie m�ssen uns begleiten.�
�Wenn ich es k�nnte, gesch�he es gern,� sagte Aurel, geschmeichelt von dieser Einladung, die mit geheimen Regungen zusammen traf, �allein meine eigenen Angelegenheiten hindern mich.�
�Ich gebe Ihnen vier Wochen dazu, um sie abzuthun,� fiel Johanna ein, �und wei�, da� diese Zeit vollkommen hinreicht, dann aber fordere ich Sie zu mir und habe ein Recht auf Ihren Gehorsam. – Erinnern Sie sich,� fuhr sie fort, indem sie still stand und ihn mit angenommener, scherzhafter Hoheit betrachtete, �da� am Abende jenes Tages, der Sie von mir trennte, Sie einen Eid leisteten, der Sie zu meinem treu gehorsamen Vasallen machte? – Ich habe das nicht vergessen, mein tapferer Cavalier, und mahne Sie jetzt an die unverbr�chliche Treue, welche Sie gelobten.�
Aurel pre�te entz�ckt ihre Hand an seine klopfende Brust und beugte sein Knie. Eine unwiderstehliche Macht lag in ihren sch�nen gl�nzenden Augen, die feurig auf ihm ruhten und ihm ein Gl�ck zu verhei�en schienen, nach welchem er als Knabe schon geschmachtet hatte.
�Alles f�r meine Gebieterin,� sagte er, �m�gen ihre Befehle auch schwer zu erf�llen sein.�
�Sie werden also p�nktlich Folge leisten?�
�Wie der Diener eines absoluten Monarchen.�
�Nun,� erwiederte Johanna, ihm einen Blick des Dankes sendend, �so lassen Sie mich noch eine Minute in dieser Rolle bleiben. – Sie haben gestern durch mich einen Brief erhalten. Was enth�lt er?�
�Eine sonderbare mysteri�se Einladung, in der Hauptstadt zu erscheinen, wo ich Weiteres erfahren w�rde. – Hier ist das Billet, lesen Sie selbst, ich werde nicht klug daraus und wei� nicht, von wem es kommt. Denn sollte Richard es dictirt haben, warum schrieb er nicht selbst – aber was geht in Ihnen vor? Sie scheinen pl�tzlich erschreckt und krank zu sein.�
�Nehmen Sie mir den Brief ab,� rief das Fr�ulein von Corbin mit sichtlicher Anstrengung, �meine Finger erstarren an dem glatten Papiere, und nun reichen Sie mir Ihren Arm und lassen Sie uns umkehren.�
Der letzte falbe Duft des Abends beleuchtete ihre bleiche Stirn und das nerv�se Zucken ihrer Lippen. Sie ging mit schweren Schritten neben Aurel her, in dessen Brust ein banges Gef�hl aufstieg, das seine Worte erstickte. Auch Johanna schwieg, und erst nach einiger Zeit, als sie in der N�he des Hauses waren, sagte sie:
�Jetzt ist mir wohler. Seien Sie �berzeugt, Aurel, dieser Brief ist von Richard, auf sein Gehei� geschrieben worden und von ihm selbst hierher bef�rdert. Es geh�rt mit zu dem, was sie meine Krankheit nennen, da� ich empfinde, was Andern verborgen bleibt. Gestern schon, als ich den Umschlag dieses Briefes ber�hrte, drang ein empfindlicher Schmerz durch die Fingerspitzen, den ganzen Arm hinauf, bis in mein Herz und machte es zu Eis. Jetzt w�re es mir fast eben so gegangen. Seine Hand hat darauf geruht, sein Athem hat es angeweht. Ich ahne seine schreckliche N�he, die an Allem, was er ber�hrt, haften bleibt, wie der Pesthauch, der tausend Meilen weit und nach Jahren noch nicht von dem zu trennen ist, was er einmal durchdrungen.�
�Aber, theure Johanna,� erwiederte Aurel erschrocken, �wenn Ihre Nerven diese krankhafte entsetzliche Empf�nglichkeit besitzen, wie wollen Sie den Anblick dessen ertragen, der Ihnen dies Grauen schon aus weiter Ferne einfl��t?�
�Ich hoffe Sie bald davon zu �berzeugen,� versetzte das Fr�ulein mit Gelassenheit, �und sage Ihnen vorher, Sie werden mich nicht zucken sehen, selbst wenn ich ihm die Hand reichen m��te.�
�Dann beim Himmel!� rief Aurel, �verm�gen Sie mehr als ich, denn nie w�rde ich mich so weit �berwinden k�nnen.�
�Mein Beispiel wird Sie dazu ermuntern, und was ich als Gebieterin von meinem geschworenen Unterthanen begehre, wird dem Freunde um so leichter zu erf�llen sein.�
Sie standen an der Schwelle des Gartensalons, und mit der einen Hand auf dem Dr�cker der Th�re, reichte sie die andere nochmals ihrem ernstblickenden Begleiter.
�Ich sage Ihnen hier mein Lebewohl, Aurel,� begann sie leise, �und nun kein Wort mehr �ber diese Sache. – Zwingen kann ich Sie nicht, auch fordere ich keine erneuten Versprechungen. – Kommen Sie nicht, so entlasse ich Ihnen alle Verbindlichkeiten Ihres Wortes, kommen Sie aber, so ist mir dies ein Zeichen, da� Sie einen Bund mit mir schlie�en wollen, statt mit dem Treubr�chigen, und ich schw�re Ihnen, da� ich ihn fester halten will als er. – Jetzt seien Sie heiter und unbefangen, man merkt hier auf uns Beide.� –
Sie traten ein und w�hrend des Abends war Johanna zur Freude ihrer Verwandten theilnehmender und froher wie seit Jahren. –
Sp�t ging Aurel nach Hause, aber ein Gef�hl der Zufriedenheit und Hoffnung war es nicht, das seine Stirn mit Falten bedeckte.
Am n�chsten Tage fand er sich allein, und da Gesch�fte immer die besten Ableiter unmuthiger Gedanken und wahrhaften Kummers sind, so erprobte sich dies auch an dem jungen Herrn Dahlberg, der einen weiten Kreis f�r seine Th�tigkeit fand, als ihm sein Erbe eingeh�ndigt ward und er mit dem Besitze auch die Sorge um denselben zu tragen hatte. –
Sein Onkel war allerdings ein viel zu guter Rechner gewesen, um seine Capitalien schlecht anzulegen; Alles war in bester Ordnung, und eine P�nktlichkeit, der Nichts vorzuwerfen war, erleichterte die Einsicht in s�mmtliche vorhandene Einzelheiten der Hinterlassenschaft. –
Dennoch aber gab es so vieles zu erfragen und zu �berlegen, um den Zusammenhang aufzufinden; Berathungen mit geschickten Anw�lten, Anspr�che des Gerichte und einzelner Personen, Forderungen an Andere, die sich gern ihrer Verbindlichkeit entziehen mochten, kleine Reisen und Besuche, so da� Aurel mehrere Wochen lang vollauf zu thun hatte und wenig an die Familie Corbin denken konnte. –
Man suchte ihm dagegen seinen Aufenthalt und das Unangenehme, das mit der Abwickelung der zuweilen wucherisch genug getriebenen Gesch�fte des alten Herrn verbunden war, mannichfach zu vers��en. Ein Paar nachsichtige Handlungen, die er im Gef�hle des Unrechts �bte, das sein verstorbener Verwandter begangen, ein Paar Wohlthaten, welche er bereitwillig spendete, wurden �berall mit Ruhm erz�hlt, und wo er erscheinen mochte, fand er eine Theilnahme, die freilich weniger ihm wie seinem Gelde galt.
Man dr�ngte sich nach seiner Bekanntschaft, �berh�ufte ihn mit Einladungen und speculirte mit seiner Person, ohne da� er Etwas davon wu�te, denn alle sorgsamen M�tter, alle bed�chtigen Familienv�ter und die ganze Schaar heirathsf�higer sittsamer Jungfrauen bewachten ihn mit eifers�chtigen Blicken und beuteten jedes freundliche zuvorkommende Wort zu Klatschgeschichten �ber seine bevorstehende Wahl einer w�rdigen Lebensgef�hrtin aus.
Der Einzigen aber, an welche Aurel dachte, gedachte Niemand. Die blasse kranke Tochter des Pr�sidenten, welche man als tiefsinnig und halb toll behandelte und lieblose Urtheile um so weniger sparte, weil Johanna immer mit souverainer Verachtung sich �ber den Haufen gestellt hatte, fiel keiner der jungen Prophetinnen ein, welche ihre Weisheit vernehmen lie�en. Sie war fortgezogen in die Hauptstadt, wo sich vielleicht, in irgend einer Anstalt untergebracht, ihr Gem�thsleiden besser verstecken lie�. Dem jungen bl�henden Dahlberg aber konnte es auf keinen Fall einfallen, ein Weib zu nehmen, die, wie man sehr wohl wu�te, aus Liebe zu einem Manne, der sie verlassen hatte, in solche Verfallenheit an Leib und Seele gerathen war.
Aber Dahlberg dachte mit jedem Tage mehr an die Entfernte, von der er keine Nachricht empfing. Anfangs hatte er fast eben so geurtheilt wie die Meisten und mit einem geheimen Widerwillen gek�mpft, sich Johannen ferner zu n�hern. Die Unterredung, welche er beim Abschied im Garten gehabt, hatte ihn mit Unruhe erf�llt und ein besonderes Bangen in ihm zur�ckgelassen. Die krampfhafte Empfindlichkeit des Fr�ulein von Corbin, welche sich beim Ber�hren eines Papieres zeigte, war durch den blo�en Gedanken hervorgerufen worden, da� Richard es in den H�nden gehabt, und er fand diese nerv�se Aufregung grauenvoll und beleidigend f�r sich selbst. –
Sollte er ein Zeuge solcher st�rmischen Affectionen sein, und welche Rolle sollte er dabei �bernehmen? Sie hatte ihn als Bundesgenossen gleichsam an Eid und Pflicht erinnert, aber es stand in seiner Wahl, sich einem scherzhaft gegebenen Worte zu entziehen und f�r immer die N�he eines Wesens zu meiden, das den verschiedenartigsten Einflu� auf ihn �bte, in einer Stunde ihn entz�ckte und beseligte, in der n�chsten ihn abstie� und erschreckte.
Er war entschlossen, ihrem Rufe nicht zu folgen, und h�tte sie ihn gemahnt, w�rde er widerstanden haben; aber die Wochen vergingen, und seine Unruhe wuchs mit jedem Tage. Es war ihm peinlich zu denken, da� Johanna voller Vertrauen ihn erwarte, auf ihn hoffe und nach ihm sich sehne, w�hrend er damit umging, sie zu t�uschen.
Sie hatte ihm ihre Verlassenheit und tiefe Vereinsamung geklagt, und er wu�te es, sie besa� keinen Freund auf Erden als ihn, der einen Strahl neuen Lebens auf ihre blassen Lippen gef�hrt hatte. Nachts stand sie vor ihm in seinen Tr�umen und beugte sich traurig schweigend zu ihm nieder, und wenn es Tag war und er th�tig sein wollte, dr�ngte sich ihr l�chelndes Gesicht vor die B�cher und Rechnungen und verwirrte ihn in solchem Ma�e, da� er die Feder fortwerfen mu�te.
Endlich kam ein Herr aus der Hauptstadt zur�ck, eben jener geheime Commerzienrath, der Einiges zu erz�hlen wu�te. –
�Ich soll Ihnen auch Gr��e sagen von den Corbin's,� rief er Aurel, als dieser mit ihm in einer Gesellschaft zusammentraf.
�Sie haben sie besucht?� erwiederte dieser err�thend.
�Versteht sich, habe ich sie besucht,� sagte der Speculant. �Ein alter Freund des Hauses mu� doch sehen, wie es geht.�
�Und wie geht es denn?� fragten Mehrere zusammen. – �Wie sind sie eingerichtet? Machen Sie ein Haus? Ist es wahr, da� der Regierungsrath heirathet? Wie befindet sich das gespenstische Fr�ulein Johanna?�
�Eingerichtet sind sie nach der neuesten Mode,� entgegnete der Geheimerath, �Alles Seide, Bronce, L�stres und Trumeaux; dabei eine prachtvolle Wohnung und Gesellschaften aus den ersten Kreisen. Der Regierungsrath wird sich n�chstens verloben mit einer Nichte des Ministers, und Fr�ulein Johanna macht es ihm wahrscheinlich bald nach, denn Niemand von uns kennt sie wieder, darauf schw�re ich.�
�Ist sie pl�tzlich vern�nftig geworden?� fragte die �lteste Tochter des Speculanten sp�ttisch lachend.
�So vern�nftig,� sagte der Vater mit einem groben Blicke, �da� sie vielen ein Beispiel sein k�nnte. – Klug war sie immer,� fuhr er dann fort, �und, ihre erschreckende Bl�sse abgerechnet, auch gar nicht h��lich, jetzt aber hat sich ihr Gesicht merkw�rdig ver�ndert. Es sieht gesund aus, und der feine rothe Hauch auf ihren zarten Wangen macht sie so sch�n, da� man davon ergriffen wird.�
�Dein Vater wird ganz poetisch,� fl�sterte eine Nachbarin der schmollenden Tochter des Speculanten zu.
�Mein Vater hat immer eine besondere Z�rtlichkeit f�r dies noble Fr�ulein an den Tag gelegt,� versetzte diese.
�Das arme Kind,� rief der Geheimerath, �ich habe es immer beklagt, da� es ihm so geben mu�te. – Jung, sch�n, reich?! Welch' gl�ckliches Leben konnte es erwarten?! – Wenn ein M�dchen aus dem Volke angef�hrt wird und die rothen Backen dar�ber verliert, so kr�ht nicht Hund, nicht Hahn darnach. Schade darum, aber die sind es gew�hnt und wissen sich zu tr�sten; doch sie, die einzige Tochter einer so angesehenen Familie, hat immer mein innigstes Mitleid aufgeregt.�
�Nun,� sagte der abgelebte Herr, welcher auch zugegen war, mit malici�sem L�cheln, �es scheint mir demnach, als habe Fr�ulein von Corbin auch endlich den richtigen Trost gefunden.�
�H�ren Sie, ja, das meine ich ebenfalls,� schrie der Speculant, �denn ich habe Etwas mit angesehen, was mich auch auf diesen Gedanken gef�hrt hat.�
�Was haben Sie denn mit angesehen?� fragte ein ganzer Chor von Damen, die sich neugierig herbeidr�ngten.
�Nichts, meine Damen, gar Nichts,� sagte der alte grausame Geldmann, indem er sich los machte und an den Spieltisch trat. – �Coeur A�,� schrie er, �ich habe zu w�hlen und setze auch dr�ber. Herr Dahlberg, wollen Sie von der Partie sein, so kommen Sie; aber nein, Sie darf man den Damen nicht entrei�en. Das w�re der �rgste Hochverrath, der die Zahl meiner Vergeben voll machte.�
Er kehrte sich nicht an das Schm�len der jungen Damen und behielt, was er wu�te, f�r sich, aber Niemand war dar�ber in gr��erer Unruhe wie Aurel, der den ganzen Abend wie ein Tr�umender verlebte und an Nichts dachte, als an das beste Mittel, um den Geheimerath zum Sprechen zu bringen.
Endlich fand sich eine g�nstige Gelegenheit, als das Spiel beendet war, und da der Geheimerath bedeutend verloren hatte, war er in der rechten Stimmung, seinen Aerger irgendwie auszulassen. Er fa�te Aurel an dem Rockknopfe und zog ihn, der sich geflissentlich in seine N�he dr�ngte, auf das Sopha nieder. –
�H�ren Sie, Herr Dahlberg,� sagte er, �Sie kennen ja auch den Patron, den Richard von Corbin, und sind in jungen Jahren so eine Art Spie�geselle von ihm gewesen.�
�Richard war mein und Eduard's Freund,� erwiederte Aurel.
�Eine sch�ne Freundschaft,� rief der alte Herr. �Ist so eine Art B�rsenfreundschaft zwischen Kaufleuten oder am Spieltische, wo man sich z�rtliche Dinge sagt und dabei mit dem k�ltesten Blute von der Welt den werthen Freunden die Beutel zu leeren sucht. – Habe heute Malheur gehabt, Herr Dahlberg, infames Malheur, bin der einzige Gerupfte gewesen. – Aber, h�ren Sie, dieser Herr Richard ist ja jetzt in der Hauptstadt und, Sapperment, ist ein h�bscher Bursche. – M�chte ihn zwar nicht gerade zu meinem Schwiegersohne haben, denn er sieht unsolide aus vom Wirbel bis zur Zehe, er hat Etwas in seinem Gesichte, wenn man es genau ansieht, was eine gewisse Aversion hervorbringen kann, Etwas, was ich nicht zu nennen verstehe, etwas Wildes, J�hes, Zerfahrenes, oder wie meine Jenny sagen w�rde, D�monisches, aber ist sonst allerdings eine Erscheinung, die ein M�dchen um den Kopf bringen kann.�
�Sie haben Richard also gesehen?� sagte Aurel aufmerksam.
�Freilich habe ich ihn gesehen, aber sie sollen nicht errathen, wo.�
Aurel zuckte die Achseln, und der Geheimerath neigte sich zu ihm und sagte leise:
�Bei Corbin's! Das war es eben, was ich vorher den neugierigen Weibern verschwieg.�
Aurel starrte den Erz�hler voller Verwunderung an.
�Solche Augen, wie Sie jetzt machen, machte ich auch,� fuhr der Geheimerath lachend fort, �als ich ihn hereintreten sah. – Es war der Geburtstag der Pr�sidentin in voriger Woche, und ich stattete eben meinen Gl�ckwunsch ab, als er sich melden lie�. – Die alte Frau zitterte vor Schreck und schien nicht recht zu wissen, was sie beginnen sollte, denn es waren wohl ein Dutzend Menschen da, ein General und ein Paar Officiere, Baronessen und vornehme Herren. Abweisen h�tte m�rderisches Aufsehen gemacht.�
�Was geschah denn also,� fiel Aurel ein, �was that Johanna?�
�Die l�chelte und nickte leise ihrer Mutter zu, was gewi� kein Mensch geglaubt h�tte, und h�ren Sie, Herr Dahlberg, wenn Sie das gesehen h�tten, wie ruhig sie mit ihm sprach, stolz und ruhig, wie eine K�nigin, und doch freundlich und ohne einen Zug ihres Gesichts zu �ndern, Sie w�rden noch mehr erstaunt gewesen sein. – Herr Richard brachte seine Gratulation an, aber so unversch�mt er auch ist, die Art, wie er behandelt wurde, schien ihn doch zu ergreifen, und er machte, da� er fort kam.�
�Und Johanna?� frug Aurel von Neuem.
�Blieb unver�ndert, wie sie war, als wenn dieser Vetter Richard niemals ihr n�her gestanden h�tte. – Halt, sagte ich zu mir selbst, hier weht ein anderer Wind, der dieses lecke Schiff in neues Fahrwasser gebracht hat, und so war es auch, so war es bei meiner armen Seele!�
�Was war denn so?� fragte der junge Mann so ruhig und l�chelnd, wie es ihm m�glich war, w�hrend sein Herz heftig an die Rippen pochte.
�Nun sehen Sie, Freundchen,� erwiederte der Geheimerath wohlgef�llig, �einem alten Praktiker, wie ich, entgeht so leicht Nichts. – Der Eduard, der Regierungsrath, umschw�nzelt die Nichte seines Ministers, ein D�mchen, an der man eben nicht viel sehen kann, aber was thut's, sie ist eine ganz profitliche Speculation, und der Regierungsrath der Mann dazu, alle Chancen in's Auge zu fassen. – Kalt, klug und guter Rechner, sollte es mich wundern, wenn das Exempel nicht sein richtiges Facit g�be. Das kleine Fr�ulein da hat aber auch einen Bruder, ein h�bscher Mann, dient in der Gardereiterei, hat eine Uniform, an der vor Gold und Tressen das Tuch nicht zu sehen ist, und kleidet ihn, Sapperment! zum Entz�cken. – Begreifen Sie nun, Dahlberg?� fuhr er fort. �Eine Doppelheirath, doppelte Verschw�gerung, �ber's Kreuz gekn�pfte Verwandtschaftsbande giebt der ganzen Sache doppelten Werth. – Der Regierungsrath ist ein Vocativus Der Ausdruck bezeichnet damals nicht nur einen bestimmten grammatischen Casus, sondern bildlich auch einen zu unerwarteten, launigen, neckenden, aber �berwiegend harmlosen Scherzen stets aufgelegten Menschen.. Ich sah's ihm an der Nase an, da� er mit seiner �beraus z�rtlichen Aufmerksamkeit seiner Schwester und sich zugleich dienen will, und ich sage Ihnen, Dahlberg, wir haben die Verlobungskarten, ehe wir's denken. Sie essen den Brei, weil er hei� ist, und hei� ist er, das sage ich Ihnen, und ist wohl auch allen andern Leuten kein Geheimni� mehr, denn der h�bsche Officier versteht das Courmachen wenigstens eben so gut wie das Exercierreglement, und die ganze Geschichte ist so h�bsch, so einleuchtend, so passend, und ich selbst freue mich auch so recht aufrichtig dar�ber, da� ich eine gro�e Gesellschaft zur Verlobungsfeier gebe, sobald die Sache officiell ist.�
Am n�chsten Tage machte eine Neuigkeit �berall die Runde.
Wissen Sie schon von Aurel Dahlberg? fragten sich die Frauen. –
Nein! Was ist mit ihm? Hat er sich verlobt? –
Gott bewahre, er ist diese Nacht pl�tzlich abgereist. –
Abgereist, wohin? –
Ja, das wei� kein Mensch. Er hat seine Gesch�fte den Advokaten �bertragen und befohlen, Alles zu verkaufen, was er hier besitzt. –
Das ist ja entsetzlich, das wird mehr als Einer sehr unangenehm sein. Mir hat er jedoch nie gefallen wollen, ich habe stets dar�ber gelacht, wenn ich sah, wie man sich um ihn bem�hte. –
Ich auch, allein dennoch m�chte ich wissen, was ihn bewogen hat, �ber Nacht auf und davon zu gehen? –
Ach! er war immer eine Art Narr; still, in sich gekehrt, zerstreut und wie in Tr�umen lebend. –
Wer wei�, was er mit sich umher trug. Er ist in Schweden gewesen; m�glich, da� ihn pl�tzlich die Sehnsucht nach B�ren, Rennthieren und Lappl�ndern angewandelt hat. –
Oder nach einer schwedischen oder l�ppischen Sch�nheit, deren Bekanntschaft er gemacht hat. –
G�tiger Himmel, ja, Sie haben Recht, so ist es. –
Er reist an den Nordpol und bringt uns n�chstens eine ganz in Seeotternfelle gewickelte Braut zur�ck.
W�hrend die gesch�ftigen Zungen diese gl�ckliche Entdeckung verarbeiteten, fuhr Aurel mit Courierpferden der Hauptstadt zu, welche er am folgenden Tage ohne Anfechtung erreichte. –
Er hatte pl�tzlich seinen Entschlu� gefa�t und war �berzeugt, er m�sse sein gegebenes Wort erf�llen. Sobald er eine Wohnung gefunden hatte, machte er sich auf den Weg, um ohne Z�gern bei der Familie Corbin zu erscheinen, und als er nachrechnete, waren genau vier Wochen vergangen. Er war also p�nktlich an Ort und Stelle. Leicht war das Haus aufgefunden, und als er die pr�chtige breite Treppe hinaufschritt, auf deren Teppich sein Fu� ger�uschlos dem Gegenstande seines Verlangens nahte, f�hlte er das ganze Gewicht seiner Besorgnisse, da� sich Manches ge�ndert haben konnte, seit er Johanna nicht gesehen hatte. –
Geld, so sagen die Menschen unserer Zeit, gleicht alle Unterschiede der Gesellschaft aus, aber wo Geld nicht der einzige Hebel mehr bleibt, um Ungerade zu Gerade zu machen, wo Geld dem Gelde gegen�bertritt, da eilen die �brigen Gehilfen kastenhafter Absonderung um so eifriger herbei. Der klugrechnende Bruder, seine ehrgeizigen Pl�ne, der Stolz einer m�chtigen Familie, die anererbten Vorurtheile, Alles dr�ngte sich in diesem Augenblicke dicht an sein Ged�chtni�, und was auf seinem Wege der Selbst�berredung gewichen war, sah er jetzt als drohendes Gespenst neben sich herschreiten.
Um so freudiger war der Uebergang vom Mi�trauen zur Gewi�heit, als, noch ehe er die letzte Stufe betrat, sein Name und ein herzliches Willkommen ihm entgegenschallten. In einem Augenblicke waren alle Gespenster verschwunden; Johanna sah mit L�cheln auf ihn nieder, und an ihrer Hand folgte er ihr in die gro�e gl�nzende Wohnung, wo die Pr�sidentin ihn mit alter G�te empfing. –
So fand er denn Nichts ge�ndert, Nichts umgewandelt, und mit befriedigten entz�ckten Augen betrachtete er das sch�ne Fr�ulein von Corbin, die wirklich weit wohler aussah, als er sie verlassen hatte.
Nachdem die ersten Mittheilungen beendet waren, stand er nicht an, sich in jenem Sinne zu �u�ern.
�Man pflegt zu sagen,� rief er aus, �da� die Hauptstadt rothe Wangen bla� mache, und die Luft in diesen gro�en Gef�ngnissen nicht geeignet sei, einer angegriffenen Gesundheit Erholung zu gew�hren; allein ich mu� bekennen, da� ich von diesem Vorurtheile geheilt bin.�
�Nicht wahr, Johanna sieht gut aus?� erwiederte die Pr�sidentin. �Sie m�ssen wissen, Herr Dahlberg, da� ich mit innerer Angst hierher gekommen bin, doch dem Himmel sei Dank, ich habe mich get�uscht. – Wir haben Johanna bisher vor jedem Zugwinde geh�tet, mieden jede Gesellschaft, brachen allen Umgang ab, so viel es sich thun lie�; hier geht es von einer Zerstreuung in die andere; Theater, Concerte, B�lle wechseln t�glich, und wir schlagen Nichts aus, denn es bekommt Johanna vortrefflich.�
�Ich bedarf der Zerstreuung,� sagte das Fr�ulein, indem sie Aurel bedeutungsvoll anblickte, �und glaube �berhaupt, da� es besser f�r mich ist, Gesellschaft zu suchen als sie zu fliehen, da ich gesehen habe, welche Folgen dies f�r mich hatte.�
�Ich mu� Johanna beistimmen,� f�gte ihre Mutter mit besorgtem L�cheln hinzu, �denn Einsamkeit bringt immer einen Schatten ihres alten Tr�bsinnes wieder zum Vorscheine. – Nun Sie bei uns sind, lieber Dahlberg, m�ssen Sie auch dazu beitragen, die kleinen schwarzen Wolken verbannen zu helfen und uns so oft besuchen, wie es immer Ihre Zeit gestattet.�
�Ich f�rchte nur,� erwiederte Aurel sich verbeugend, �da� der weite Kreis des Gesellschaftslebens, der Sie umgiebt, schon so viele Glieder z�hlt, da� ein neues entweder �berfl�ssig wird oder doch darin verschwindet.�
Ehe die Pr�sidentin ihm die vollst�ndige Versicherung geben konnte, da� der Jugendfreund ihrer Kinder ihr immer willkommen sein werde, trat Eduard herein, begleitet von einem jungen sch�nen Officier, der mit aller Gewandtheit und Freiheit seines Standes die Damen begr��te, w�hrend der Regierungsrath Aurel umarmte und seine Freude ausdr�ckte, ihn hier zu sehen.
�Siehst Du wohl,� sagte er, �ich habe es Dir vorher gesagt, Du w�rdest in dem Neste nicht aushalten und zu uns fliehen, um aus kleinlichen Verh�ltnissen Dich zu retten. – Du kommst zur rechten Zeit, um die Saison mitzumachen, und bist in guten H�nden, wenn Du unseren Damen Folge leistest, die sich Deiner schon erbarmen werden. – Vorl�ufig stelle ich Dir hier meinen Freund, den Baron von Plettenberg vor. Er ist der erste T�nzer bei Hofe, der beste Reiter, der k�hnste J�ger, der muthigste Husar in der Armee und besitzt alle Eigenschaften eines solchen, wozu nat�rlich auch die geh�rt, da� kein M�dchenherz ihm widersteht. – Hier, lieber Plettenberg, ist mein Jugendfreund, der Gutsbesitzer Aurel Dahlberg, der mit vielen andern Tugenden auch die f�r sich hat, der Erbe einer halben Million zu sein, die sein w�rdiger Onkel ihm so eben hinterlie�. Auch Du solltest Dich seiner ein wenig annehmen und ihn in's Leben einf�hren, denn seine Jugend ist bis jetzt zwischen Saatfeldern und den F�hren des Nordens hingegangen; es ist also Zeit, da� er erkennen lerne, was es Erhabenes auf Erden giebt.�
Diese scherzhafte Er�ffnung f�hrte zu einer �hnlichen von Seiten des jungen Officiers und zu einem langen Gespr�che, das in demselben Tone weiter ausgesponnen wurde. Aurel war verletzt durch die Art, wie Eduard ihn und sein Kommen auffa�te. Er behandelte ihn �berm�thig und �berlegen, wie ein Kind, dem man eine Weisung ertheilt, und was er von dem Baron sagte, schien als Charakteristik keineswegs ohne Spott zu sein, obwohl es zur Empfehlung dienen sollte.
Nachdem der junge Officier eine Zeit lang die Kunst ge�bt hatte, viele Worte ohne Inhalt zu sagen, und seine Unterhaltung sich um Gesellschaften, Personen und kleine Ereignisse, Hof- und Stadtgeschichten, Theater und S�ngerinnen gedreht hatte, sprach er von der Ehre, heute Abend mit der Familie bei seinem Onkel zusammenzutreffen, wo Niemand sei, als seine Schwester, die ihm den Auftrag gegeben habe, eine Einladung zu �berbringen, um, wie er sich ausdr�ckte, so ganz wie en famille sein zu k�nnen. –
Johanna lehnte diese Einladung ab, ihre Mutter schwieg, Eduard machte ein ernstes Gesicht, das sich immer mehr verfinsterte, je bestimmter sie alle Einwendungen und Bitten des Barons abschlug und sich hinter gegebene Versprechungen verschanzte.
Endlich empfahl sich der Baron sichtlich verstimmt, und Aurel wurde nun Zeuge einer ziemlich gereizten Familienscene zwischen Bruder und Schwester, die ihm bewies, da� Johanna gro�e Gewalt �ber ihre Mutter und einen festen Willen ihrem Bruder gegen�ber besa�.
�Ich habe keine Lust,� sagte sie zuletzt, indem sie aufstand, �mich zu Gesellschaften commandiren zu lassen. Ich will heute zu Hause bleiben, weil ich selbst Besuch erwarte und auch unseren Freund Aurel hier zu sehen w�nschte. – La� Dich nicht abhalten, der Einladung zu folgen, mir erlaubt jedoch, nach meiner Einsicht mit meiner Person zu schalten.�
Sie gr��te Aurel und entfernte sich mit ihrer Mutter; Eduard sah zum Fenster hinaus auf die Stra�e und suchte seinen Unmuth zu bemeistern. –
�So sind die Weiber,� rief er dann lachend, �und diese da wird so launenvoll, wie sie war, seit ihre Muskeln neue Spannkraft erhalten.�
�Es sollte mir leid thun,� erwiederte Aurel z�gernd, �wenn ich denken k�nnte, da� mein Besuch irgend einen Antheil an dieser Weigerung hat.�
Eduard sah ihn mit einem schnellen scharfen Blicke an, als �berkomme ihn ein pl�tzlicher Gedanke; dann sagte er kalt und vornehm l�chelnd:
�Glaube das ja nicht, Du w�rdest Dich g�nzlich irren. Ich kenne diesen Eigensinn besser; auch h�tte es Nichts zu bedeuten, wenn nicht eben heute diese altj�ngferliche Spr�digkeit uns Allen einen fatalen Querstrich machte. Ich will Dir nicht verhehlen,� fuhr er dann fort, �da� dieser Abend f�r mich sowohl, wie f�r Johanna, von Bedeutung sein sollte, denn – nun warum soll ich es nicht sagen? – wir sind auf dem Punkte, uns Beide unter die Haube zu bringen.�
�Ich habe davon schon etwas zu Hause geh�rt,� erwiederte Aurel. �Man sprach von Deiner nahen Verbindung mit der Nichte des Ministers.�
�Haben sie es schon herausgebracht, die guten Leute?� rief der Regierungsrath, �nun wahrhaftig, sie haben sonst keine allzu feinen Nasen, aber dies Mal doch das Rechte gefunden. Dann hast Du sicher auch geh�rt, da� ich nicht allein mich von Amor und Hymen steuern lasse, denn wie sollten sie wohl dazu kommen, Johanna auszunehmen? Es ist ja eine k�stliche Geschichte, solche Doppelheirath, und sie liegt so nahe, da� nicht fehl gegriffen werden kann.�
�In der That,� sagte Aurel, �man verschonte Deine Schwester auch nicht, und vielleicht war ich der Einzige, der an der Wahrheit zweifelte.�
�Du zweifeltest und warum?� fragte Eduard mit verwunderter Miene.
�Weil ich nach dem, was ich wei�, nicht glauben kann, da� Johanna so pl�tzlich eine Wahl treffen k�nnte, die anscheinend – ja anscheinend – nicht zu ihren Neigungen pa�t.�
�Du kennst die Weiber nicht, mein Freund,� rief Eduard, �aber vor allen kennst Du die nicht, �ber deren Neigungen Du ein Urtheil f�llst. – Johanna war das �berm�thigste, zerstreuungss�chtigste M�dchen, ehe Richard, das Gespenst ihrer Phantasie, zerst�rend in ihr Leben griff. Jetzt hat sie endlich, gelobt sei Gott! dies Phantom �berwunden, hat ihr fr�heres leichtes Blut und ihren fr�hlichen Sinn wieder erlangt – oder ist doch auf dem besten Wege dazu – und was k�nnte ihr n�her liegen, als an der Hand eines jungen, sch�nen, galanten, verliebten und in jeder Beziehung ihrer w�rdigen und ebenb�rtigen Mannes das Leben zu genie�en, dessen Freuden sich ihr von Neuem �ffnen.� –
Er sprach die besten Lobeserhebungen des Freiherrn mit besonderm Nachdrucke und fuhr dann gelassen fort:
�Plettenberg ist ganz der Mann dazu, meine Schwester gl�cklich zu machen, und Nichts k�nnte mir und meiner ganzen Familie fataler sein, als wenn etwa von irgend einer Seite ihr der Kopf von Neuem verdreht w�rde.�
�Wenn Deine Schwester Deinen Freund, den Baron Plettenberg, liebt,� antwortete Aurel kalt, �so bin ich �berzeugt, es wird Nichts geben, was ihr den Kopf verdrehen k�nnte.�
�Du hast Recht,� erwiederte der Regierungsrath in derselben Weise. �Ich bin �berzeugt, da� der Baron viel Raum in ihrem Herzen hat, dennoch w�rde es Pflicht f�r mich sein, alles zu beseitigen, was unser Gl�ck und die Zukunft unserer Familie st�ren k�nnte.�
Eine Pause trat ein, w�hrend welcher Aurel nach dem Hute griff und Eduard seine Uhr zog. –
�Auf Wiedersehen also auf heute Abend,� sagte der Regierungsrath, �im Fall ich fr�h genug zur�ckkehre. Unterhalte meine Schwester gut, bis Plettenberg kommt und Dich abl�st, denn ich m��te mich sehr irren, oder er h�lt nicht lange bei uns aus und sucht sich zu entsch�digen.� –
Als Aurel am Abende in der Wohnung der Pr�sidentin erschien, war er eine Zeit lang allein in den gro�en geschm�ckten Gesellschaftsr�umen, die von hellem Kerzenglanze �berstrahlt wurden, w�hrend die tiefste Stille darin herrschte. Er war zu fr�h gekommen, und er sch�mte sich seiner Ungeduld. Mit gro�en Schritten ging er auf und nieder, die Spiegel vervielf�ltigten seine Gestalt, die bleich und still ihn begleitete, und als er endlich still stand, um seine Z�ge zu betrachten, in deren Ausdruck sich seine Unruhe deutlich genug erkennen lie�, widerhallte das Zimmer von dem Seufzer, mit dem seine Selbstbetrachtungen endeten. –
In diesem Augenblicke �ffnete sich die Th�re, und Johanna empfing ihn lachend und so sch�n und belebt, als h�tten sie Beide ihre Empfindungen und ihr ganzes Wesen umgetauscht.
�Wohin flieht dieser Seufzer?� fragte das Fr�ulein von Corbin, ihm die Hand bietend. �Doch ich will nicht forschen, mein theurer, getreuer Freund. Vor allen Dingen will ich Ihnen danken f�r die Erf�llung Ihres Versprechens, dann lassen Sie uns, ehe Jemand kommt, von dem reden, was uns zun�chst angeht.�
�Ich bin �berzeugt,� erwiederte Aurel, �da� ich Gutes zu h�ren habe.�
�Viel Gutes,� rief Johanna. �Ich bin wohlauf und f�hle mich leicht.�
�Ein Beweis, da� die Zukunft Ihnen Freude verspricht.�
�Die Zukunft?�. sagte sie ihn anblickend, �wer wei� es? Die Zukunft jedes Menschen, auch des unbedeutendsten, ist ein Buch mit sieben Siegeln. Niemand wei�, was morgen geschieht. Ich lebe der Gegenwart, lebe den Hoffnungen, zerstreue mich vielleicht, um eben nicht allzu viel an die Zukunft zu denken, und vergifte damit, was mich nebelhaft beschleichen will, in der Geburt. – Sie haben geh�rt,� fuhr sie fort, �was meine Mutter sagte, auch traue ich Ihnen zu, Dahlberg, da� Sie genau begreifen, was mein Bruder denkt, und wie �berhaupt die Verh�ltnisse hier stehen. – Fragen Sie mich um Nichts, ich glaube, Sie kennen mich und wissen, da� ich immer eine Art festen Willen hatte, auch Hartn�ckigkeit genug besa�, ihn zu behaupten.�
Aurel ward von einer Bewegung erfa�t, die mit ihren fieberhaften Wallungen ihn durchzitterte. Er neigte sich auf die wei�e, hei�e Hand Johanna's, und fast ohne zu wissen, was er that, bedeckte er sie mit seinen K�ssen. Eine geheime Stimme rief ihm zu, da� in den Worten dieses sch�nen M�dchens ein Trost f�r ihn lag, der seine Hoffnungen aus ihrem zaghaften Erbangen r�ttelte. Es klang wie ein Versprechen, was sie sagte, und die Ahnung, da� er geliebt sei, tobte in seinem Herzen und weckte einen Sturm von Empfindungen auf.
Nach einigen Minuten, in denen Johanna ihm ihre Hand lie�, blickte er voll Entz�cken, auf zu ihr, aber was er sagen wollte, erstarb auf seinen Lippen. Er hatte erwartet, Augen zu finden, die den seinen begegneten, Blicke, in denen ein Strahl desselben Feuers brannte, das sein ganzes Herz f�llte; aber das Fr�ulein von Corbin sa� vor ihm ruhig und mit so ausdruckslosen Z�gen, als sei ihr Geist eben weit entfernt, ihre Gedanken mit ganz andern Gegenst�nden besch�ftigt, und als er langsam ihre Finger aus den seinen gleiten lie�, und die Freude in seinem Gesichte einem tr�ben, beleidigten Ernste wich, bemerkte sie die Ver�nderung so wenig wie sein Schweigen und Zur�ckweichen.
So verging eine martervolle Pause, die f�r Aurel unertr�glich wurde, und welche er doch nicht zu unterbrechen wagte. Endlich erhob er sich, und diese Bewegung erst schien Johanna seine Gegenwart in's Ged�chtni� zur�ckzurufen. Sie legte die Hand auf seinen Arm und sagte l�chelnd:
�Nun, wie ich es treibe, wissen Sie, und welche Abenteuer ich t�glich bestehe, werden Sie selbst h�ren und sehen. Doch wie steht es mit Ihnen, mein Freund, und was beginnt Ihre geheimni�volle Unbekannte? – Ich m��te mich t�uschen, oder Sie haben heute schon eine Nachricht von ihr erhalten.�
�Sie besitzen ein gl�ckliches Ahnungsverm�gen,� erwiederte Aurel, �denn ich habe wirklich heute Abend, kurz vorher ehe ich zu Ihnen kam, abermals ein Billet empfangen.�
�Man w�nscht Sie zu sehen, zu sprechen, Sie kennen zu lernen,� rief das Fr�ulein sich lebhaft aufrichtend, w�hrend ihre sch�ne Stirn sich r�thete und ihr Gesicht einen Ausdruck empfing, der eine hohe Theilnahme ausdr�ckte.
�So ist es,� sagte Aurel. �Man w�nscht mir Gl�ck zu meiner Ankunft und bittet mich, dem F�hrer zu folgen, der sich bei mir einfinden werde.�
�O, er wird kommen,� rief Johanna, und ihre Augen strahlten, �er wird kommen und sein Versprechen l�sen.�
Aurel pre�te die Z�hne zusammen und sch�ttelte finster den Kopf. Nie so sehr wie in diesem Augenblicke war ihm Richard's Andenken verha�t. Ein alter Verdacht stieg neu in seiner Seele auf, und seine argw�hnischen Blicke durchirrten Johanna's Gesicht, das vor Hoffnung und Verlangen gl�nzte. Er wu�te, da� sie Richard meinte, da� sie an Richard dachte, und diese Gewi�heit f�llte ihn mit Schmerz und Wuth. –
�Ich,� sagte er mit Heftigkeit, �ich will nie weder mit ihm reden, noch mit seiner Vertrauten in Ber�hrung gerathen.�
�Sie sollen, Sie m�ssen!� rief Johanna mit derselben leidenschaftlichen Bewegung, �ich befehle es Ihnen, ich will es so, und ich mahne Sie an beschworene Treue, Aurel. – Ja, wenn irgend ein Gef�hl der Freundschaft, ein Zug Ihres Herzens Sie an mich bindet, so gehen Sie, wohin er Sie f�hrt. Thun Sie, was er will, lernen Sie seine Geheimnisse kennen, und dann, dann wollen wir Beide �berlegen, was weiter geschehen darf, da� er das Elend empfinde, was mich qu�lt.�
�O, Johanna,� rief Dahlberg, �welchen Blick lassen Sie mich jetzt in Ihr Inneres thun! Sie leiden, Sie sind ungl�cklich, und Alles das noch immer um den Mann, der nur Ihre Verachtung verdient.�
�Kann ich es �ndern?� sagte sie hastig. �Wissen Sie ein Mittel, einen Trank, einen Meister, der Hilfe verschafft? – O, Thorheit, es sitzt so tief, wie kein Senkblei reicht. Aber was wollen Sie? Ich lese da in Ihren Augen Etwas, was wie Schmerz und Vorwurf aussieht; warum k�nnen Sie mir z�rnen, mein lieber Freund? – Sie hassen diesen Elenden, nicht wahr, Aurel? Nun gut, ich hasse ihn aus tiefster Seele, und mitten in meiner Brust brennt eine Stelle wie H�llenfeuer, ich wei� keinen andern Namen daf�r. Aber sie giebt mir Leben, rei�t mich fort, treibt mich an, besch�ftigt meine Tage, meine N�chte, mein ganzes Denken, meine Gebete und meine Tr�ume, und wunderbar, ich glaube an eine Zukunft, ich hoffe wieder, wie Sie sagen.� –
Langsam hob sie die Augen zu ihm auf, und mit einem unbeschreiblichen, sanften, bittenden Blicke fuhr sie fort:
�Doch alle diese Hoffnungen st�tzen sich auf Sie, Aurel, auf Ihre treue edle Freundschaft. Ich habe Niemanden auf dieser Welt, der mir beist�nde, und dem ich vertrauen m�chte, als Sie; wenn Sie mich verlassen, bleibt mir Nichts �brig als der Tod.�
�Was soll ich thun, was kann ich thun, theuerste Johanna?� rief Aurel in gro�er Aufregung.
�Thun Sie, was Ihr Herz Ihnen hei�t,� erwiederte sie. �Sie kennen mich jetzt, Aurel, Sie wissen, was ich will, und wenn wir am Ziele sind, dann� –sie neigte sich zu ihm, und ein langer gl�nzender Blick flog �ber ihn hin – �dann fordern Sie Ihren Lohn.�
In diesem Augenblicke trat Gesellschaft ein, und w�hrend des ganzen Abends war Johanna die liebensw�rdige und unbefangene Dame von gutem Tone, welche geistvoll anzuregen wu�te und die Huldigungen l�chelnd in Empfang nahm, welche ihr von Allen gebracht wurden. –
Sie schien es zu vermeiden, Aurel in irgend einer Art zu bevorzugen, und als nach einigen Stunden wirklich der Baron Plettenberg erschien, war der galante Cavalier bald ganz und gar mit dem Fr�ulein von Corbin besch�ftigt. –
Manche der Anwesenden l�chelten sich bedeutungsvoll zu, und Aurel empfand den heftigsten Unmuth. Er begriff nicht, wie Johanna die Reihen seiner platten Scherze und die geschniegelten und so trostlos inhaltsleeren Worte ertragen konnte, mit denen er verschwenderisch umging. Alles war Form, Alles eingelernt, nichts Natur, und heimlich z�rnend und doch lachend ging Aurel endlich, von dannen, denn er war ganz �berzeugt, da� ein solcher Nebenbuhler ihm nicht gef�hrlich werden k�nnte.
Als er in die Nacht hinaustrat, war es ziemlich sp�t; die Stra�en �de, und ein rauher Wind gesch�ftig, vom dunklen Himmel Eisk�rner abzufegen und sie den sp�ten Wanderern in's Gesicht zu werfen. Aurel wickelte sich in seinen Mantel, und eben bog er um die Ecke einer Seitenstra�e, als eine Hand ihn festhielt, und eine tief klingende Stimme dicht an seinem Ohre �Guten Abend, Aurel!� sagte.
Erstaunt und erschreckt blickte der Angeredete sich scheu um und machte eine rasche Bewegung, um sich loszurei�en und weiter zu gehen. –
�Nun,� rief der Andere lachend, �beim Himmel, Du scheinst Furcht zu hegen, einem Bravo von Venedig in die H�nde gefallen zu sein. Kennst Du mich nicht, Aurel?�
�Richard von Corbin, wenn ich nicht irre,� erwiederte Dahlberg, der mit sich nicht einig werden konnte, welchen Ton er annehmen m�sse.
�Richard steht vor Dir,� erhielt er zur Antwort, �Dein alter Freund Richard, der Dich erwartet hat seit einer vollen Stunde und einen besseren Empfang vermuthete, als der ihm jetzt zu Theil wird. Nun, was thut's?� fuhr er dann lachend fort, �vielleicht machte ich es nicht besser, wenn ich an Deiner Stelle w�re, da� man mir erz�hlt h�tte von den schrecklichen Thaten dieses B�sewichts Richard. La� uns gehen, Aurel, wir behalten Zeit genug, davon zu sprechen.�
Sie gingen die Stra�e hinab, und Richard fuhr in demselben Tone fort:
�Da� ich zu unserm Stelldichein in der Mitternachtsstunde nicht erschien und erscheinen konnte, wirst Du begreiflich finden, und gewi�, ich will es nicht beschw�ren, ob ich die ganze gespenstische Geschichte nicht total vergessen h�tte, wenn meiner Freundin, der ich sie erz�hlte, nicht unser Einfall ungemein gefallen hatte. Sie setzte es sich in ihr romantisches K�pfchen, staffirte es aus mit allen Farben ihrer Phantasie und wollte, da� ich an Dich schreiben sollte, denn sie war �berzeugt, wenn Keiner auch k�me, Du w�rdest kommen. – Da erfuhr ich, da� der Herr Ministerialrath, mein rechtskundiger Vetter, nach Hause gereist sei, Mutter und Schwester zu besuchen, und ich dachte mir wohl, da� er die Mitternachtsstunde mit Dir verleben w�rde. – So lie� ich Sara gew�hren, lie� sie schreiben und richtete es ein, da� ihr Gru� zur rechten Zeit kam. Ich schickte meinen Geist unter Euch,� rief er lachend, �da ich selbst nicht kommen konnte, und hoffentlich habt Ihr es gemerkt, da� ich zugegen war als unsichtbarer Gast.�
Aurel wurde durch diesen sp�ttischen Scherz zu einer raschen Antwort angeregt. – Die tr�ben Flammen der Stra�enlaternen lie�en ihn das stolze h�hnische L�cheln entdecken, das Richard's Z�gen eigen war, und unter den breiten Krempen des Hutes, der sein Gesicht beschattete, fand er trotz des D�mmerscheines denselben k�hnen Blick seiner feurigen Augen, dieselben gl�nzenden schwarzen Locken, kurz dieselben Vorz�ge wieder, die er einst an ihm gekannt hatte. –
Eingeh�llt in einen weiten dunklen Kragen und den Hut trotzig tief in die Stirn gedr�ckt, schien er Aurel in diesem Augenblicke ganz dieselbe Erscheinung zu sein, welche er halb tr�umend in der Neujahrsnacht vor sich erblickte. Er hatte seine Schritte gehemmt, als Richard mit seiner tiefen melodischen Stimme sagte: �Es ist Zeit, was z�gern wir?� und ein Geisterschauer �berlief Aurel, denn er erinnerte sich genau, da� er dieselben Worte schon einmal geh�rt hatte.
�Wohin willst Du mich f�hren?� fragte er mi�trauisch.
�Sonderbare Frage!� rief Richard. �Bist Du denn gar nicht neugierig, die Dame kennen zu lernen, welche Dir ihre Bekanntschaft verhei�en und Dich Freund genannt hat?�
�Du bist also der Bote, den sie mir als F�hrer senden wollte?�
�Ich bin ihr Bote, ihr Abgesandter, ihr Vertrauter, ihr Geliebter, ihr Sclave, wenn Du willst, denn sie ist mir Alles, wof�r der Mensch sich Namen erfunden hat, und ich wei� doch keinen f�r sie, der ausdr�ckte, was ich bezeichnen will.�
�Das ist seltsam in Deinem Munde,� sagte Aurel l�chelnd.
�Warum seltsam?� versetzte Richard, �doch Du wei�t nicht, was ich meine. Du kannst Dich nicht auf den richtigen Standpunkt versetzen, um mich zu verstehen, und kennst die nicht, von der wir reden.�
�Aber ich kenne Dich,� fiel Aurel ein, und er legte einen so starken Ausdruck auf seine Worte, da� Richard davon verletzt ward.
�Meinst Du?� rief er ihm zu. �Ei wohl, wir haben ja vor drei Jahren uns zuweilen gesehen, und was w�hrend dieser Zeit geschah, hast Du jedenfalls aus der besten Quelle erfahren.�
�Aus einer Quelle, die Du freventlich vergiftet hast,� versetzte Aurel, �so da� Du Dich nicht wundern darfst, wenn sich jetzt Dein Bild verzerrt und in schmachvoller H��lichkeit darin abspiegelt.�
Richard gab keine Antwort, er schien zu �berlegen, was er sagen sollte. Erst nach einer geraumen Weile, w�hrend sie Beide schweigend neben einander hergingen und aus dem lebendigeren Stadttheile in todte dunkle Stra�en gelangt waren, legte er die Hand auf Aurel's Schulter und bat ihn, still zu stehen. –
�H�re mich an,� sagte er, �denn ich sehe wohl, da� wir uns an einer Grenze befinden, wo wir uns verst�ndigen oder auf immer trennen m�ssen. – Du hast mich verdammt, ohne mich zu fragen, jetzt machst Du Dich zum Paladin einer Dame, die Du besser kennen solltest, um zu wissen, wie viel ihr zu glauben ist. – An jenem Abende, wo wir uns trennten, und wo ihre unertr�glichen Launen mir die vollste Gewi�heit gaben, da� wir Beide ungl�cklich werden m��ten, wenn sie meine Frau w�rde, beschlo� ich, uns diese elende Zukunft zu ersparen. Ich reiste und kehrte nicht zur�ck. Was kann man mir vorwerfen? – Nie habe ich mein Wort gebrochen und nicht etwa eine Braut verlassen oder ein ausgesprochenes Verh�ltni� zerrissen. Es war eine Liebelei, ein Jugendtraum, eine Hofmacherei, wie es Tausende giebt, und dies Weib mit ihren Launen, ihrem D�nkel, ihrem Eigensinn, ihrer gefalls�chtigen herzlosen Verderbtheit h�tte mich tausend Mal von sich gesto�en und mit Hohn vergessen, wenn ich gewartet h�tte, bis sie so weit gewesen w�re. – Da� ich ihre Herrschaft zerbrach, ich sie verlie�, war ihr ein unertr�glicher folternder Gedanke, und nicht etwa hei�e Leidenschaft machte sie ungl�cklich und krank, sondern Hochmuth, die Qualen ihres Ehrgeizes, die Furcht vor dem Hohne der Welt und die zerrei�enden Schmerzen ihrer t�dtlich verwundeten Eitelkeit.�
�Wie hart und ungerecht beurtheilst Du sie,� sagte Aurel, aber er sagte es im vers�hnlichen Tone, denn seltsamer Weise that ihm diese Beurtheilung Johanna's wohl.
�Glaube Jeder von uns, was er will,� fuhr Richard fort, �genug, ich handelte, wie ich handeln mu�te, und mu� gestehen, da�, nachdem ich l�nger als zwei Jahre im Auslande gelebt hatte, ich kaum mehr dachte, da� man mir noch z�rnen k�nnte, bis ich fand, da� mein Verbrechen noch v�llig unverj�hrt war. – Ich wurde wie ein Feind und Verr�ther empfangen, mu�te mich vertheidigen, was ich mit Bescheidenheit that, und bin froh, es endlich dahin gebracht zu haben, da� durch Vermittelung unserer beiderseitigen Verwandten eine Art von ceremonieller Auss�hnung stattgefunden hat, die mir vollkommen gen�gt.�
�Aber Du hast �bel gethan, Johanna zu schm�hen, wo und wie Du konntest, um Dein Benehmen zu vertheidigen,� sagte Aurel.
�Wer hat Dir das aufgebunden?� rief Richard. �Wahrscheinlich sie, die unter dem Einflusse ihrer krankhaften Einbildungen Phantomen nachjagt. – Ich habe Nichts gethan als mich vertheidigt, und dies so schonend, als ich vermochte. – Sara wollte es so, sie nannte es gerechte Strafe f�r meine Verirrung, und ich vollzog ihren Befehl, indem ich mich dem�thigte und meine Schuld bekannte, so weit dies der Wahrheit gem�� m�glich war. – Aber was will meine sch�ne Cousine denn nun noch von mir?� fuhr er lachend fort. �Sie tanzt, sie singt, sie ist die Krone aller Feste; sie sieht einen ganzen Haufen galanter liebensw�rdiger Ritter zu ihren F��en, die sie umschmachten und umwinseln; sie fesselt zu gleicher Zeit den gr��ten Narren und den besten gutm�thigsten Sterblichen, Dich, mein lieber Aurel und den tapfern Baron in der goldenen Husarenjacke. Was will sie also mehr? –Sie schwimmt in ihrem wahren Elemente, wie ein Fisch im Wasser; sage ihr also, bitte sie, jeden ungerechten Groll gegen mich verschwinden zu lassen, denn, ich schw�re es, Niemand kann zufriedener mit ihrem Wohlbefinden sein als ich, Niemand ihr mehr Gl�ck dazu w�nschen.�
�Und dennoch,� erwiederte Dahlberg, �liegt in Deinen Worten und Deinem Tone ein Hohn, der sich schlecht damit vereint.�
�Pedant, der Du immer warst,� versetzte Richard, �welch' Unterpfand soll ich Dir geben? – H�re und urtheile, ob ich Groll hegen kann. Du erinnerst Dich vielleicht, da� wir einst, eben an jenem Abschiedsabende, ein lustiges Gespr�ch �ber Liebe und Ehe f�hrten, in welchem ich meine Grunds�tze darlegte, die damals von Euch mit Spott und Widerspruch angefochten wurden.�
�Ich erinnere mich dessen recht gut,� sagte Aurel.
�Nun so wirst Du auch wissen, da� die freie Liebe von mir verfochten wurde, und da� ich allen Zwang und alle Fesseln als schlecht und unsittlich darstellte.�
�Du verma�est Dich, jede Liebe aus Deiner Brust zu rei�en, die jene Freiheit verletzte, und vielleicht hast Du eine Probe damit an Johanna gemacht.�
�O Thorheit!� rief Richard heftig, �ich habe sie nie geliebt, nie, auf meine Ehre! Denn wahre Liebe verbindet zwei Wesen auf ewig, und keine Fessel ist n�thig, kein anderes Band, um in Noth und Tod zusammenzuhalten, als jenes einzige, unerforschliche Mysterium des Herzens, das ein Gott dem Menschen mitgegeben hat, damit er nicht verzweifle. – Aber dennoch,� sagte er ruhiger, �dennoch hast Du vielleicht Recht, denn wahr ist es, erst nach unserm Gespr�che an jenem Abende ward es mir zur Gewi�heit, da� ich Johanna nicht lieben k�nne, und von Stunde an empfand ich ein Grauen vor einer Verbindung mit ihr.�
Er schwieg, und als er den Faden seiner Rede nicht wieder ergriff, sagte endlich Aurel:
�Was Du mir mittheilen willst, l�uft also, wie ich denke, auf das Bekenntni� hinaus, da� Du leidenschaftlich und ewig liebst und ein Weib gefunden hast, die jenes einzige g�ttliche Mysterium Dir aufthut.�
�Ja, Prophet,� erwiederte Richard in dem alten sp�ttelnd frohen Tone, �ich habe ein Weib gefunden, die dies thut; ich lebe in freier Liebe ohne Fesseln, habe der leichtsinnigen Welt darum entsagt, bereue es nicht und bin im Begriffe, Dich in mein Heiligthum einzuf�hren und Dir zu beweisen, da� meine Grunds�tze nicht so verwerflich sind, wie Du einst meintest.�
�Mich willst Du zu Deiner Geliebten f�hren?� fragte Dahlberg, �und sie ist die Dame, welche mich zu ihrer Bekanntschaft einlud?�
�Besorge Nichts,� versetzte Richard laut lachend, �Deine Tugend so wenig wie Deine Ueberzeugungen werden in Gefahr gerathen, und mit der Aufrichtigkeit, welche Du an mir kennst, will ich Dir gestehen, da� ich selbst wahrscheinlich nie Dich in die Zweifel versetzt h�tte, welche deutlich auf Deiner Stirn stehen, wollte Sara Dich nicht durchaus kennen lernen. – Ich wei� nicht, ob sie Dich bekehren will,� f�gte er hinzu, �aber ich habe ihr unser Gespr�ch und Deinen Zorn wie Deine Ausspr�che nicht verschwiegen. Sie hegt unwiderstehliches Verlangen, Dich kennen zu lernen, und hier stehen wir nun an der Schwelle, Aurel. Gro�er Sohn Alkmenens Alkmene war in der griechischen Mythologie die Mutter des Herakles, des gr��ten Helden des antiken Griechenlands. Das Folgende spielt an auf den Mythos von ›Herakles am Scheideweg‹; dieser muss sich zwischen einem m�helosen, aber kurzfristigen und moralisch verwerflichen und einem beschwerlichen, aber tugendhaften und langfristig begl�ckenden Lebensweg entscheiden., entscheide Dich, w�hle zwischen Tugend und Laster, w�hle zwischen Sara und Johanna.�
Aurel blieb wirklich z�gernd an der Gartenmauer und vor der kleinen Th�re stehen, auf deren Dr�cker Richard seine Hand gelegt hatte. Es kam ihm vor, als befinde er sich vor dem Eingange eines Ungl�ck drohenden dunklen Labyrinths, in dessen Irrg�ngen er den leitenden Faden verlieren m�sse, den keine treue Ariadne Ariadne war in der griechischen Mythologie die Tochter des kretischen K�nigs Minos und seiner Gattin Pasipha�, einer Tochter des Sonnengottes Helios. Sie half Theseus, den Minotauros zu besiegen; auf D�dalus' Anraten �bergab sie ihm ein Wollfadenkn�uel, dessen Ende er am Eingang des Labyrinths befestigte. Theseus t�tete das Ungeheuer und fand dank des Ariadnefadens unversehrt aus dem Labyrinth heraus. ihm wieder reiche, und schauernd vor einem Widerwillen, den er nicht �berw�ltigen konnte, trat er zur�ck, als Richard die Pforte �ffnete und ihn beim Mantel ergriff.
�W�hle schnell,� rief der Herr von Corbin, �oder schlage Dein Kreuz als frommer Christ und entfliehe.�
Der schneidende Spott in seiner Stimme und sein Lachen, das in der Finsterni� wie das Hohngel�chter eines unsichtbaren f�rchterlichen Wesens verhalte, verst�rkten die Abneigung Aurel's. – In diesem Augenblicke aber fiel ihm Johanna, ihre W�nsche und ihre Befehle ein. Er dachte daran, mit welcher Begier und welchem Vertrauen sie Nachrichten von ihm erwarte, zu gleicher Zeit erwachte seine eigene Neugier und seine Besorgni�, von Richard als alberner T�lpel aus der Provinz l�cherlich gemacht zu werden; es war daher Sache der n�chsten Minute, da� er ohne weiteres Besinnen seinem F�hrer folgte, der hinter ihm die Th�re in's Schlo� warf.
�Sei unbesorgt, mein tapferer Aurel,�sagte Richard, �Ich glaube kaum, da� Du Deine K�hnheit je bereuen wirst. – Du bist hier keineswegs in einer geheimni�vollen Ein�de oder in einem der gef�hrlichen G�rten Armida's, sondern auf meinem Eigenthume, und wenn es Tag w�re, w�rdest Du einen ganz gew�hnlichen, doch ziemlich artigen Fleck Erde finden, auf welchem eine Anzahl B�ume und Weinranken stehen, die jetzt winterlich die kahlen K�pfe h�ngen lassen. Im Hintergrunde steht ein Landh�uschen, klein, aber behaglich eingerichtet, und dort, wo Du jetzt den Lichtschein bemerkst, wohnt meine Sara, ein durchaus menschliches Wesen von Fleisch und Bein und rothem warmem Blute, wobei ich jedoch bemerken mu�, da� Gesch�pfe ihrer Art trotzdem noch nicht von Buffon Georges-Louis Leclerc de Buffon, frz. Naturforscher im Zeitalter der Aufkl�rung, der sich unter anderem mit der zoologischen Klassifikation befasste. In Zusammenarbeit mit Louis Jean-Marie Daubenton verfasste er eine ›Allgemeine und spezielle Geschichte der Natur‹, die urspr�nglich f�nfzig B�nde umfassen sollte. Ab 1749 bis zu seinem Tod 1788 erschienen 36 B�nde. Eine deutsche Ausgabe (Allgemeine Historie der Natur) erschien ab 1752. beobachtet und in seiner ber�hmten Naturgeschichte als besondere Species aufgenommen wurden.�
W�hrend er in dieser Art scherzte, f�hrte er seinen schweigenden Begleiter auf einem breiten, mit B�umen eingefa�ten Wege mitten durch den ziemlich gro�en Garten. Das Leuchten des Schnees machte es hell genug, um an Spalieren, Hecken und ges�uberten Pfaden entdecken zu k�nnen, da� man Sorgfalt auch in der rauhern Jahreszeit darauf verwende, und als die beiden Wanderer in die N�he des Wohngeb�udes gelangten, bemerkte Aurel ein gro�es sch�nes Gew�chshaus, das sich an jenes lehnte und den Lichtglanz in seinen zahlreichen dunklen Scheiben wiederspiegelte. –
Zu gleicher Zeit war es ihm, als h�re er die Stimmen mehrerer Menschen, welche laut sprachen, er h�rte dazu die Kl�nge eines sch�nen Fl�gels, welche einen Gesang begleiteten, doch es war keine weibliche Stimme, sondern ein voller tiefer Baryton, der ein Lied vortrug, das den Jubel der Zuh�rer erregen mu�te.
Indem er nach der Ursache dieser auffallenden Dinge fragen wollte, rief Richard aus:
�Wir kommen da zur rechten Zeit, wie ich vernehme. Sara hat Gesellschaft, man musicirt und wei� zu leben.�
�Aber es mu� nahe an Mitternacht sein,� sagte Aurel.
�Was schiert uns die Nacht, Freund,� erhielt er zur Antwort, �wenn uns Becher winken, die wir leeren k�nnen? Sind die Tage nicht oft n�chtig kalt und todt genug, um sie mit der Nacht gern zu vertauschen, und liegt nicht jenseits dieses zum Leben berufenen Staubes eine lange ewige Nacht, wo wir Zeit genug zum Schweigen und zur Ruhe finden?�
Aurel erwiederte Nichts, und Richard f�hrte ihn rasch durch die Th�re in's Haus, das ein ziemlich langes einst�ckiges und einfaches Geb�ude war. Doch es zeigte sich, wie sein Besitzer schon gesagt hatte, schon im Vorsaale behaglich und gut eingerichtet. Eine Lampe beleuchtete hell die sechs breiten Stufen, welche zu der H�he des Stockwerkes f�hrten, in welchem die Reihe der gro�en und hohen Gem�cher dicht geschlossen lag. –
Der ganze Flur und Vorsaal war mit warmer Luft geheizt, die aus dem Souterrain aufstieg, in welchem sich K�che und Dienerschaft befanden, und �berall standen bl�hende und gr�nende Gew�chse, Blumen und sch�ne Pflanzen, die aus Vasen und T�pfen tr�umerisch ihr fremdartiges Gebl�tter ausbreiteten.
Richard stie� eine der Fl�gelth�ren auf und zog Aurel durch den matt erhellten Raum. Er lie� ihm nicht Zeit zum Verweilen, beantwortete seine Fragen nur mit Lachen und f�hrte ihn weiter, indem er endlich den Str�ubenden gewaltsam fortri�, bis sie zuletzt sich dicht bei der Gesellschaft befanden, die im Nebengemache wild durcheinander l�rmte.
�La� mich nur einen Augenblick los, um den Mantel abzunehmen,� sagte Dahlberg.
�Tritt im Mantel ein und zeige Dich, wie Du bist,� sagte Richard, �Niemand wird Dir darum z�rnen. Wir kennen hier keinerlei Zwang.�
Und wie er dies sagte, �ffnete er die Th�re und dr�ngte seinen Begleiter hinein, auf den das volle Licht einer gro�en Astrallampe und mehrerer Kerzen fiel, die von gl�nzenden Armleuchtern den sch�nen Raum tageshell �berstrahlten.
Nicht ohne Verlegenheit verbeugte sich Aurel vor den vier oder f�nf Herren, die mit bewillkommnendem Rufe ihnen entgegen eilten, und welchen Richard die H�nde dr�ckte, indem er seinen Begleiter vorstellte. Es waren f�r Dahlberg v�llig fremde Gesichter und Namen, aber ihr ungezwungenes Wesen, ihre scherzhaften und witzigen Reden, wie die Fr�hlichkeit, welche hier herrschte, ohne zudringlich zu sein, machten einen guten Eindruck.
Es schien in der That aller Zwang verbannt aus diesem Kreise. Ein Paar der Herren rauchten; weingef�llte Gl�ser und die Reste eines splendiden Mahles standen auf dem Tische, aber vergebens forschte Aurel mit fl�chtigem Blicke nach der Dame umher, die hier als Herrin schalten sollte. –
Pl�tzlich sah er im Hintergrunde des Zimmers von den weichen Kissen einer gro�en Berg�re eine wei�e Gestalt sich aufrichten, die in halb liegender Stellung ihn betrachtete, und an den tiefblonden Locken, die ihr �ber Nacken und Schultern fielen, erkannte er, da� es Sara sein m�sse. –
Ein Gesicht mit stark ausgepr�gten Z�gen wandte sich ihm zu, die m�nnlich genannt werden konnten, und welche durch ihre Bestimmtheit meist einen so gro�en Eindruck auf M�nner machen. Die hohe breite Stirn und Augen von jenem k�hnen langen Schnitt, der stolzen Charakteren eigen ist, zeugten von Gedankenf�lle und Kraft, aber dem Ganzen fehlte die Harmonie; Nase und Mund waren stark und schlaff, und widerlich wurde Aurel von der Wahrnehmung ber�hrt, da� diese Dame, die G�ttin des uners�ttlichen Richard, Cigarren rauchte und in einen Nimbus von Dampf sich einh�llte. –
Es fiel ihm bei diesem Anblicke die ganze Reihe emancipirter Damen ein, welche ihre Freigebung aus dem M�nnerjoche und ihre Ebenb�rtigkeit mit den Herren der Sch�pfung dadurch beweisen wollen, da� sie ihre zartere weibliche Natur abstreifen und mit Rauchen, Trinken und leidenschaftlichem Zerbrechen aller Frauensitte sich zum Zerrbilde des Mannes machen. –
Diese da schien ihm um kein Haar besser zu sein. Ein rascher Gang seiner Gedanken rollte ihm ihr ganzes Leben auf, und w�hrend Richard ihn zum Sopha der freien Frau f�hrte, begriff er vollkommen das Treiben, welches sie umgab, und wie es kam, da� der wilde schrankenlose Richard in ihr sein Ideal gefunden hatte.
�Hier, Sara,� rief Herr von Corbin, �hier bringe ich Dir die Sehnsucht Deiner W�nsche. Nimm ihn von meiner Hand, rein und unschuldig wie er ist, tugendhaft gleich einem Karth�user, fleckenlos wie ein Prinz, charakterfest wie ein Philosoph und hartn�ckig im Glauben wie ein Naturkind. Nimm ihn hin, Priesterin der Aufkl�rung, und weihe ihn ein in Deine Eleusinischen Geheimnisse, auf da� die Schuppen von seinen Augen fallen und er erkenne, was das Leben Wahres und W�rdiges enth�lt.�
Die Dame reichte dem Neophiten Neophyt: neues Mitglied einer religi�sen Gemeinschaft. die Hand und erwiederte l�chelnd:
�Setzen Sie sich zu mir, Aurel, ich kenne Sie l�ngst und, wie ich glaube, besser als Richard, obwohl ich Sie jetzt zum ersten Male sehe. Gebt ihm ein Glas,� fuhr sie fort, �nehmen Sie eine Zigarre, wenn es Ihnen gef�llt, und nun fahrt fort zu thun, was Euch beliebt, macht Musik, sprecht etwas Gescheidtes, wenn Ihr k�nnt, oder h�rt zu, wie wir den Faden abwickeln.�
Ohne sich weiter an die Antworten ihrer G�ste zu kehren, begann sie mit Aurel ein Gespr�ch, das vornehmlich ihn selbst zum Gegenstande hatte, und nach wenigen Minuten wu�te sie durch ihre Art der Unterhaltung seine Theilnahme lebendig zu machen. Ihre Worte waren einfach und nat�rlich und dr�ckten das, was sie empfand, mit solcher Klarheit, aber auch mit solcher Offenheit aus, da� Aurel auf wunderbare Weise davon ergriffen und fortgerissen wurde.
Er konnte nicht einen Augenblick daran zweifeln, da� sie Alles sagte, was sie dachte, da� nicht die leiseste Verstellung oder ein gemachtes angek�nsteltes Wesen ihr Benehmen leitete, und er war nach einer Viertelstunde �berzeugt, da� er noch nie ein Weib kennen gelernt hatte, die so k�hne, seltsame und anregende Gedanken auszusprechen wagte; ja, er gestand sich zuletzt, da� diese Frau jedenfalls viel Geist besitze, mehr wie irgend eine, mit der er jemals geredet, und da� sie einen Zauber der Unterhaltung aus�be, der hinrei�end und bet�ubend sei. –
Was er von ihr h�rte, entsetzte ihn bisweilen, denn es lief gegen die Moral an, welche er bisher f�r allein wahr gehalten, und in deren Lehren er auferzogen war. Er vernahm aus ihrem Munde die Grunds�tze, welche Richard einst aufstellte, aber sie that es noch viel sch�rfer und, wie Aurel sich sagte, gottesl�sterlicher und verruchter. –
Sie fa�te seine Einw�rfe dagegen nicht wie Richard mit Spott, sondern mit stolzer Ueberlegenheit auf und bewies ihm die Wahrheit durch eine Kette kalter Verstandesgr�nde. Dennoch aber blitzte ihr gro�es Auge feurig dabei, und wenn sie ihn hei� und lange anblickte, kam es dem armen Aurel vor, als verwirrten sich seine Gedanken, und es ging ihm beinahe wie dem Kolibri unter dem Drucke der Schlangenaugen: er stotterte Antworten, die keine waren, und gab sich gefangen. –
Sara erz�hlte ihm, wie Richard Alles, was er selbst von Aurel wu�te, ihr nach und nach mitgetheilt hatte, und wie sie sich daraus ein Bild von ihm zusammensetzte, das auf ein Haar sich richtig erwies. –
�Sie waren von den Dreien der beste,� sagte sie lachend, �und darum der Ungl�cklichste. Sie liebten diese Johanna mit aller Z�rtlichkeit einer sch�lerhaften Jugendliebe und sahen sich verschm�ht um diesen Dornbusch Richard, der die Rache f�r Sie �bernahm.�
�Sara h�tte Sie nicht verschm�ht,� rief einer der Herren vom Tische her�ber.
�Nein,� erwiederte sie, ich h�tte Mitleid mit seinen Fehlern gehabt und ihm den Weg gezeigt, der aus dem Wirrwar sentimentaler Tr�ume zur Befriedigung bestimmter Lebensanschauungen f�hrt.�
�Und wo liegt dieser gl�ckliche Weg?� fragte Aurel.
�In der Erkenntni� der Welt, wie sie ist,� erwiederte Sara, �in dem Streben eines thatkr�ftigen Geistes, sich der Rechte zu bemeistern, die mit uns geboren sind, und im Kampfe mit dem tausendfachen Unrechte, das uns Allen durch Unterdr�ckung unserer wahren Natur anererbt und anerzogen wurde.�
In k�hnen und beredten Worten machte sich ihr Unmuth jetzt Bahn, und mit wachsendem Erstaunen h�rte Aurel ihren Schilderungen zu, die von den Zust�nden der Gesellschaft der Menschen einen entsetzlichen Begriff entwarfen.
�Sehen Sie umher, wo menschliche W�rde und menschliche Freiheit zu finden ist,� rief sie ihm endlich zu, �mit allen Diogeneslaternen werden Sie kaum in irgend einem Winkel eine Spur entdecken k�nnen. – Sie so wenig wie irgend ein Mensch, der den Kopf auf der rechten Stelle hat, wird dabei ruhig sein. – Zorn und Mitleid, Verachtung und Trotz zum Widerstande werden sein Herz f�llen. Er wird Erbarmen f�hlen mit den Leidenden, mit seiner eigenen Schmach, mit der Menschheit. Er wird alle Vorurtheile zu zerrei�en suchen, sich �ber das Geschrei der Dummen wie der Klugen zu tr�sten wissen und den Kampf gegen das Unrecht wagen, weil er nicht anders kann.�
�Gebt Euer Gold und Silber den Armen,� rief der Herr, sein Glas erhebend, �denn wahrlich ich sage Euch, noch ist kein Reicher in den Himmel eingegangen.�
�Und er wird auch nicht eingehen,� fiel Sara ein, �so wenig wie ein Armer, bis der Wahn ein Ende nimmt, der unsere Seligkeit von der Erde in den Himmel versetzt.�
�Dieselbe Seligkeit,� erwiederte der Herr, �welche in diesem Augenblicke mein Inneres erf�llt, �berkommt die Bewohner unseres vorurtheilsvollen n�chternen Planeten ganz gewi�, wenn die Fesseln zerbrochen sind, welche unsern Geist umnachten, wenn volle Freiheit und Gleichheit herrscht, wenn Jeder lebt, i�t, trinkt und liebt, wo und wie er will, und wenn namentlich keine Ehe mehr uns knechtet, kein Weib, kein Kind, kein Eigenthum uns plagt, und zu diesem Paar armseliger Kleinigkeiten wird unsere begeisterte Freundin Sara und ihr neuer Sch�ler Aurel und ganz gewi� verhelfen.�
Ein allgemeines Gel�chter belohnte den Redner; die Gl�ser klangen, der Wein perlte, und von diesem Augenblicke an wurde das Gespr�ch von der Gesellschaft zusammen gef�hrt und erstreckte sich �ber die verschiedensten Gegenst�nde. Kunst, Wissenschaft und Leben wurden hineingezogen; Aurel h�rte geistvolle und lebendige Urtheile, dazwischen wieder Erg�sse �ber das Ungl�ck und die Schande der Zeit. Zust�nde und Personen der entgegengesetztesten Art wurden mit Scharfsinn, Spott und schlagender Ironie kritisirt, Jeder trug dazu bei; so verrannen die Stunden der Nacht fast unbemerkt, und nur die tief herabgebrannten Lichter und erl�schenden Lampen zeigten endlich an, da� der Morgen nahe sein m�sse.
�Ich h�tte gern noch fortgewacht, um so gelehrt mit Euch zu sprechen,� rief endlich der Herr, welcher das Amt des Mephisto in diesem Kreise verwaltete, �aber der Hahn kr�ht, und meine Pferde schaudern.�
Er sch�ttelte seine F��e, setzte den Hut auf und schlug den Mantel fest um seine d�rre Gestalt.
Die Andern folgten seinem Beispiele. –
�Ich lade Sie nicht ein, wiederzukehren,� sagte Sara zu Aurel, als er sich verabschiedete. �Nehmen Sie diesen Schl�ssel zur Gartenpforte, den jeder unserer Freunde besitzt. Hat es Ihnen bei uns gefallen, so wissen Sie, wo wir zu finden sind; mi�f�llt Ihnen unser Treiben, so w�rde kein Zureden helfen. Ich habe Sie jetzt gesehen, Sie mich, wir m�ssen nun an uns selbst erfahren, wohin uns unsere Neigungen f�hren.�
�Ich sehe es Sara an, da� es ihr Wunsch ist, Sie wo m�glich morgen schon wieder hier zu sehen,� rief der Herr im Mantel.
�Gewi�,� erwiederte die Dame, �ich w�rde damit zufrieden sein, denn Aurel hat ein Herz voll warmer Empfindungen und besitzt Gedanken, die sich zu erheben verstehen. Was ihm fehlt, ist ein Charakter, der von Welt- und Lebenserfahrungen gest�hlt wurde. Grunds�tze, wie man es nennt, sind Unsinn. Der Bau eines Menschenlebens ist wie der Bau eines Hauses; die Mauern, und w�ren sie felsendick, thun es nicht, man kann in der Strohh�tte oft besser und sicherer wohnen, es kommt nur darauf an, wie man sich einrichtet. – Gute Nacht, Aurel, ich bin Ihre Freundin.�
Mehrere Tage lang war Dahlberg von den Ereignissen jenes Abends bedr�ngt, wie er nie gewesen. – Sara, Richard, die ganze Genossenschaft, und was er von ihr gesehen hatte, wirkten eben so anziehend auf ihn ein, wie er des Absto�enden Vieles fand. Ihr Lebenswandel war ein wilder, regelloser und, wie er sich sagen mu�te, auch sittenloser und anst��iger, aber trotz dessen fand er in seinem Kopfe auch Gegengr�nde genug, welche sich auf die andere Seite stellten. –
Was Sara ihm gesagt �ber die Vorurtheile, �ber die Feigheit der Menschen, am Herk�mmlichen fest zu kleben, an ihren G�tzen zu hangen und heuchlerischen G�tzendienst mit eingeimpften Gesetzen des Schicklichen zu treiben, unter deren Knechtschaft sie entartet seien, hatte mehr Kraft �ber ihn gewonnen, als er sich zugestehen wollte. –
Er war jung und lenksam. Sein Blut str�mte warm, seine Phantasie war lebendig und sprang mit ihm �ber die trockenen Kan�le und sicheren Br�cken des Lebens, auf welchen er bisher gewandelt, in den sch�umenden Strom, der kein gew�hnliches Joch duldete. Je mehr er vor Z�gellosigkeit zur�ckschrak und vor den Folgen im Voraus sich entsetzte, um so gr��er war sein heimliches Verlangen, das einen hohen Grad ungest�mer Begier erreichte, wenn er an die seltsame Frau dachte, die den Mittelpunkt jenes Kreises bildete.
Ein Weib wie Sara hatte er noch nie gesehen. Er verglich sie mit Johanna und erschrak vor dem Vergleich. Das bleiche, feine, kranke Bild in dem goldenen Rahmen trat weit zur�ck vor der markigen hohen Gestalt Sara's, die in ihren dunkelgelben Locken l�wenartig gebietend und siegesgewi� auf ihre schwache Nebenbuhlerin blickte. –
Aurel begriff es jetzt, wie Richard von einer solchen Frau gefesselt werden konnte, die ihren Fu� auf sein unbest�ndiges Herz setzt und, indem sie in Grunds�tzen und Lebensanschauungen mit ihm �bereinstimmte, durch Charakter und Geistesch�rfe so weit �ber ihm stand, da� er im Gef�hle seiner Schw�che zur blinden Unterwerfung und Anbetung des h�her gearteten Wesens herabsank, ohne es zu ahnen.
Geplagt von seinen Vorstellungen wagte Aurel es nicht, weder das Haus der Pr�sidentin zu betreten, noch Richard und dessen Geliebte aufzusuchen. – Er scheute sich vor Johanna und f�hlte ein inneres Widerstreben, ihr ein Bekenntni� abzulegen. Er mi�traute dem, was er bisher f�r wahr gehalten, denn nachdem er Richard geh�rt, waren seine Empfindungen zerspalten. Es kam ihm Manches unnat�rlich und widersinnig vor, was er bisher vertheidigte, und seine Unruhe wuchs, wenn er daran dachte, welche Rolle man ihm zugetheilt, und welche Versprechungen er geleistet habe. –
Aber auch in das einsame Gartenhaus mochte er nicht wieder zur�ckkehren. Er str�ubte sich gegen die heimlichen Einladungen seiner Gedanken so sehr er konnte, denn er empfand recht gut die Gefahr, welche darin lag. – Richard war im Besitze, Richard war im Genusse, damit war Alles gesagt, und Aurel err�thete vor den Einfl�sterungen seiner Eitelkeit, die ihn �berschlichen, wie sehr er auch gegen sich selbst z�rnte. –
Er verglich sich mit Richard, und sein Selbstbewu�tsein sagte ihm schmeichelnd, da� die Bl�the des Lebens fr�h von Jenem abgefallen sei, w�hrend sie bei ihm erst jetzt zur h�chsten Kraft reife. Aurel hatte ihn beim Lichtglanze im Saale erst genau betrachten k�nnen, und er fand, da� die Frucht in der Treibhaushitze st�rmischer Leidenschaften �berreif und welk geworden sei. Aeu�erlich hielt sich seine Gestalt, wie sie war, doch es fehlte ihr das Zustr�men frischer Lebenskr�fte. Er war nicht mehr, was er einst gewesen, oder Aurel war selbst ein Anderer geworden. Sonst f�hlte er sich dem�thig vor dem sch�nen stolzen Nebenbuhler, jetzt sah er mit ver�chtlicher Kritik auf ihn herab und lachte �ber die Nebenrolle, welche Richard in Sara's Kreise �bernehmen mu�te.
Am dritten Tage erhielt er eine Einladung zu Frau von Corbin, und er traf alle Vorsicht, um wo m�glich jede vertraute Ber�hrung mit Johanna zu vermeiden. –
So sp�t wie m�glich erschien er bei dem Diner, damit die Gesellschaft vollz�hlig sei, und als er den Baron Plettenberg an Johanna's Seite sah, der wie ihr Schatten sie begleitete, fand er sich erleichtert und nahm nun erst mit heiterer Unbefangenheit seinen Platz zwischen Mutter und Tochter ein. Gespr�chig, doch bescheiden und mit dem richtigsten Takte lie� er seine gesellschaftlichen Gaben gl�nzen, die vielleicht heute zum ersten Male bei ihm zum vollen Durchbruche kamen.
Die Sicherheit, welche einst der Geheimerath ihm prophezeiet hatte, schien �ber ihn gekommen zu sein, oder der Abend im Gartenhause hatte Wunder an ihm gethan. Von dem sch�chternen jungen Manne aus der Provinz war keine Spur mehr vorhanden, und Aller Augen ruhten wohlgef�llig auf dem bl�henden sch�nen Fremden. Die Damen fl�sterten und fragten, der reiche Erbe gab Aurel einen neuen, gewi� noch h�hern Reiz, und bedenklich pr�fende Blicke richteten sich auf die Tochter der Pr�sidentin, welche in der Mitte zweier Anbeter sa�, die, wie nicht zu zweifeln, einen Wettkampf um diesen edlen Siegespreis begonnen hatten.
Zweifelhaft jedoch schien es dem Zuschauer kaum mehr, wem sich die Entscheidung zuwende, als Johanna mit immer gr��erer Freundlichkeit sich zu Aurel wendete und fast allein mit ihm sprach. Ihre Augen leuchteten und schienen fragend die seinen zu suchen, ihr zartes Gesicht belebte sich, und die gew�hnliche Ruhe ihres Wesens verschwand unter der sichtlichen Erregung ihrer Gef�hle. –
Der Baron an der andern Seite stand sehr verstimmt vom Tische auf. Er so wenig wie Eduard konnten das sp�ttische L�cheln mi�deuten, das aus manchen h�bschen Gesichtern ihm halb bedauernd, halb tr�stend entgegentrat. –
Der Regierungsrath warf einen finstern Blick auf Aurel und einen zweiten noch �rgern auf eine der sch�nen Sp�tterinnen, die hinter ihm ziemlich vornehmlich sagte:
�Sie hat sich so deutlich erkl�rt, da�, wer Augen hat zum Sehen, unm�glich zweifeln kann. – Das Gold in der Tasche ist ihr lieber, als das auf dem Rocke, und zwanzigtausend Thaler Renten besser, wie zwanzig Ahnen in Bleis�rgen. – Wenn ich der Baron w�re, ginge ich in der Stille davon und sch�mte mich im Dunkeln.�
So urtheilten Viele, aber sie wu�ten nicht, da� Aurel, der nach ihrer Meinung einen vollst�ndigen Sieg errungen hatte, sich mit aller List h�tete, ihn zu benutzen. – Johanna's fragenden Blicken setzte er ein l�chelndes Verneinen entgegen, er h�tete sich ihre Winke zu beachten, die ihn aufforderten, seine Zeit zu benutzen, und als sie in einigen beziehungsvollen lauten Worten forschte, ob er neue und interessante Bekanntschaften gemacht habe, erwiederte er eben so laut, da� er allerdings so gl�cklich gewesen, doch sei, was er erfahren und erlebt, bis jetzt viel zu fl�chtig von ihm erworben, um ein Urtheil dar�ber f�llen zu k�nnen.
Das Fr�ulein von Corbin blickte ihn l�chelnd, doch so durchdringend an, als wollte sie in seiner Seele lesen, dann nickte sie ihm schalkhaft zu und sagte:
�Sie geh�ren zu den vorsichtigen Leuten, Herr Dahlberg, die sich von Scheine nicht blenden lassen. Das ist doppelt lobenswerth von einem so jungen Herrn, der das Spr�chwort zu Schanden macht, da� Weisheit nur das Erbtheil des Alters sei.�
Als die Gesellschaft sich zerstreute und ein Theil sich empfahl, benutzte Aurel die g�nstige Gelegenheit, sich ebenfalls davon zu machen. Die Damen hatten sich zur�ckgezogen, er brauchte daher nur dem Regierungsrathe Lebewohl zu sagen, der einen Versuch machte, ihn zur�ckzuhalten.
�Willst Du uns schon verlassen?� fragte er. �Meine Mutter und Johanna werden Dich vermissen.�
�Leider kann ich nicht bleiben,� erwiederte Dahlberg.
�Schade,� sagte Eduard, �so geht heute Alles davon. Plettenberg ist auch fort, Du hast ihm seine Laune genommen …�
�Ich?� rief Aurel, �Gott bewahre, was muthest Du mir zu!�
�Still,� erwiederte der Freund, indem er den Finger drohend aufhob, aber doch nicht b�se schien, �sei ganz still, so will ich auch schweigen oder mit dem alten Homer sprechen: ›Gegen die waltenden G�tter ist menschliches Z�rnen vergebens!‹ï¿½
Er dr�ckte ihm die Hand, und Aurel eilte auf die Stra�e und athmete drau�en so freudig auf, als sei er einer gro�en Noth entgangen. – Ein Druck lag auf ihm, von welchem er sich erl�st f�hlte.
�O, sie ist sch�n,� rief er endlich aus, �sie ist gut, und welch' ein Bild edler Sitte und Weiblichkeit, welch' ein Contrast zu der Frau, die aller Schranken spottet! Und dennoch liegt Etwas zwischen uns, was ich nicht fortnehmen kann, ein fremdes starres Etwas, was mich unheimlich zur�ckst��t, w�hrend eine unwiderstehliche Hand mich vertraulich zu Sara f�hrt, gegen meinen Willen.�
Er ging mit heftigen Schritten durch die Stra�en, in denen es dunkel zu werden begann, und pl�tzlich stand er an der Gartenpforte.
�Was will ich hier?� fragte er sich selbst und hielt den Schl�ssel z�gernd fest, aber ein solches Selbstverh�r des Verstandes hat noch nie gefruchtet, wo die Empfindungen alle Bedenklichkeiten der W�chter des Gewissens in den Schlaf gesungen haben. Nach kurzer Unentschlossenheit �ffnete er die Th�re, eilte durch die G�nge, und als er von einer Dienerin h�rte, Sara sei allein im Treibhause, waren seine letzten Zweifel �bert�ubt.
Leise durchwanderte er das bl�hende duftende Reich eines k�nstlichen Fr�hlings, und von dem Schimmer eines sanften Lichtes geleitet, trat er in die kleine Rotunde in der Mitte des Gew�chshauses, wo Orangen, Myrthen und Tropenb�ume, vermischt mit Blumen und seltsamen Schlingpflanzen eine gr�ne und farbige Wand um die tiefe Nische spannten. Hier stand ein gro�es dunkelrothes Sopha. Auf dem Tische brannte die Sinumbralampe Eine schirmlose �llampe in der Art einer Astrallampe, die aus einer durchscheinenden, auf einem Sockel getragenen Glaskugel besteht. mit mattem Glanze, ein Buch lag aufgeschlagen vor ihr, aber Aurel's Blicke flogen dar�ber hin auf die Kissen des Ruhebettes, wo dunkelblonde Locken fl�ssig wogend �ber den Sammet zu rollen schienen, und mit hochklopfenden Pulsen betrachtete er die sch�ne Schl�ferin, deren �ppige Formen sich vom dunklen Grunde malerisch abl�sten. –
Aurel stand wie gebannt mit brennenden Augen vor diesem Bilde. – Das Gewand von silbergrauer Seide flo� an Sara's Leib in schweren Falten nieder, der Shawl, welcher Hals und Brust umh�llt hatte, war im Schlafe abgefallen, ihre wei�en Arme waren frei von aller H�lle und dienten dem Kopfe zur St�tze, der, seitw�rts gebeugt, das ruhige stolze Gesicht, das L�cheln der Lippen und die k�hne Stirn im vollen Lichte zeigte.
Und Alles war so still in dieser gr�nen Einsamkeit. Kein Ton, kein Hauch, kein Rauschen eines Blattes oder das Fl�stern einer Blume. Nichts war zu h�ren, nicht einmal die langen leichten Athemz�ge der Schlafenden, deren Leben allein das leise Schwellen und Sinken ihrer Brust anzeigte.
Eine Zahl von Minuten verging, und Aurel regte sich nicht. – Pl�tzlich aber, wie getrieben von einer unwiderstehlichen Gewalt, eilte er auf sie zu, beugte sein Knie an ihrem Lager, und indem er mit beiden Armen sie umfa�te, dr�ckte er Ku� auf Ku� auf ihre Lippen. – Ein Schwindel ergriff ihn, eine jener Rasereien des emp�rten Blutes, das jeden Gedanken t�dtet und keine Beherrschung mehr anerkennt. Er wu�te lange Zeit nicht, ob Sara ihm seine K�sse zur�ckgab, ob er wirklich ihren hei�en Athem empfand, ob ihre Arme sich um seinen Nacken wanden, ihre Stimme ihn Geliebter und Ersehnter nannte, oder ob das Alles ein Traum sei.
In diesem Augenblicke ward die Th�re aufgerissen, die Scheiben klangen, und ein schallendes Gel�chter fiel wie ein verheerender Lavinenstrom in diese Gluth. Aurel sprang auf; da stand Richard und drei andere Herren mit ihm an der Schwelle, Richard einstimmend in das Hohngel�chter, aber mit flammenden Augen, zwischen Entsetzen und Verachtung, zwischen grausamer Pein und hochm�thiger Sicherheit schwankend, ungewi� ob er sich einer w�thenden Eifersucht oder einem vernichtenden Spotte �berlassen sollte. –
Zum ersten Male konnte Aurel den Blick des Mannes nicht ertragen, den er so oft einen Elenden genannt hatte. Er f�hlte seine Schuld, und sein Auge wandte sich verwirrt zu Sara, die sich aufgerichtet hatte, ihm zul�chelte und ihre zerst�rten Locken ordnete. –
�Nun was giebt's?� sagte sie dann, �was wollt Ihr von uns? Komm her, Aurel, setze Dich zu mir, wir wollen es den geistreichen Leuten bequemer machen. Oder,� fuhr sie fort, �habt Ihr au�er Witzeleien und Gel�chter Gr�nde, die sich vernehmen lassen k�nnen? – Was wollt Ihr also? Wollt Ihr etwa meine Freiheit beschr�nken, diesen da zu k�ssen oder ihm zu sagen, da� er mir lieb ist?�
�Wer k�nnte sich dessen erk�hnen,� rief einer der Herren. �Er ist nicht der Erste, K�nigin, der Gnade gefunden hat vor Deinen Augen, und wird nicht der Letzte sein.�
�Ich will Euch mit k�niglichen Devisen regaliren,� erwiederte Sara lachend. � Hony soit, qui mal y pense! Das ist f�r Euch Alle! –
Suum cuique, das merke Du Dir, Richard, und noli me tangere, das sage ich f�r mich und Aurel. – Jetzt seid uns willkommen. La�t uns streiten oder scherzen, wie es Euch beliebt, und den Abend froh beisammen sein, wenn es Euch so gef�llt.�
�Ja, la�t uns froh sein und die Sorgen verbannen,� rief Richard, indem er Aurel umarmte. – �Ich kann es Dir nicht verdenken, Du schmachtender Sch�fer, da� Du von diesen Lippen Begeisterung forderst und an diesem Altare Deine Erstlingsopfer den G�ttern darbringst. – Auch bin ich nicht so eigenn�tzig, um einem guten Freunde nicht ein Labsal zu g�nnen, besonders Dir, dem ich f�r andere geleistete treue Dienste so vielen Dank schuldig bin.�
�Ich w��te in der That nicht, womit ich Deinen Dank verdient h�tte,� erwiederte Dahlberg.
�Zu viel Bescheidenheit, liebensw�rdiger Aurel,� fuhr Richard fort, �bem�ntele nicht, was Du in r�hrender Weise verbirgst. – Wie, oder bist Du nicht der zarte Tr�ster der armen Johanna geworden, welche ihren Leiden zu unterliegen droht? Und h�re, Du B�sewicht, ich sprach vor kaum einer Stunde einen Mann, der mir eine artige Neuigkeit mittheilte. Er kam von einem Diner und sagte mir mit boshafter Freundlichkeit in's Ohr: Freuen Sie sich, Richard, Ihre Cousine ist so gut wie verlobt. Ein gewisser Aurel, ein Ausbund von Liebensw�rdigkeit und allerlei vortrefflichen Eigenschaften, hat so eben den Kampfplatz als entschiedener Sieger verlassen.�
�Das ist eine th�richte Erfindung!� rief Aurel mit rothem Gesichte.
�Mir einerlei,� schrie Richard zur�ck. �Ich g�nne Dir die Nachfolgerschaft von ganzem Herzen und rechne dabei auf Deine Dankbarkeit und Freundschaft. – Suum cuique! Aurel, ich wollte, der K�nig von Preu�en verliehe Dir seinen Adlerorden, damit die Devise immer auf Deiner Brust st�nde. Aber Du bist ein so herrlicher verst�ndiger Junge, Du l��t nicht mit Dir Katze und Maus spielen. Du wei�t, was es hei�t, sich l�cherlich machen, wei�t auch, da� man in die Schule geschickt wird, um Etwas zu lernen, und da� man sich ja h�ten mu�, erwachsenen Leuten, die mit dem Kinde scherzen und spielen, Ernst dabei zuzumuthen.�
�Den hast Du freilich nie gekannt,� fiel Aurel beleidigt ein.
�Und heute am wenigsten,�, sagte Richard lachend und h�hnisch, �wie w�re das auch m�glich gewesen! Aber sei freundlich, ich erlaube Dir, was Du willst, Du sollst volle Freiheit haben. La�t uns froh sein, Freunde. Man mu� das Leben genie�en, so lange man es hat. Im Genusse liegt Alles, entbehren ist Tod!�.
� Qui ben vive, vive lungo!� rief einer der Herren. �La�t uns keine Zeit verlieren, in der Zeit liegt Alles: Gl�ck, Leid, Ewigkeit, Gott, Himmel und H�lle!�
Eine Woche verging, wo aufmerksame Beobachter alln�chtlich beobachten konnten, da� meist erst in der N�he des Morgens sich die Freunde des Herrn von Corbin aus dem einsamen Gartenhause unter Lachen und L�rmen entfernten. Mehr als ein Mal aber war auch ein einzelner Mann fr�h gekommen und sp�t gegangen und hatte, tief in seinen Mantel geh�llt, vorsichtig umhersp�hend sich entfernt. –
Es war Aurel, der trotz Richard's Warnungen und ver�chtlichem Spotte mit Sara weiter gekommen war, als der eifers�chtige Freund es ahnte. – Als er die Schranke zerbrochen fand, die ihn von Sara trennte, war er eines Einverst�ndnisses gewi�, das, von beiden Theilen angesch�rt, sich jeden Augenblick fester kn�pfte. –
Richard gab sich fortw�hrend das Ansehen, als verlache er den Knaben, mit dem Sara ihr Spiel treibe; er scheute sich, der stolzen Frau, die ihn ganz beherrschte, Mi�trauen zu zeigen oder Vorw�rfe zu machen, denn er mu�te f�rchten l�cherlich zu werden oder vielleicht erst den b�sen Geist wirklich herauf zu beschw�ren, der als Schattenspiel sein Auge blendete. –
Doch w�hrend er sich einbildete, es k�nne nichts Anderes sein, als eine Laune Sara's, fanden die Beiden Gelegenheit sich zu verst�ndigen. – Zuweilen wohl war es Aurel, als sei diese Frau das Ungl�ck, das sich an seine Fersen hefte. Aber die Leidenschaft duldet keine Philosophie, und wenn sie davor erschrickt, ist sie entweder auf dem Punkte zu gehorchen, oder sie hat nie die H�he erreicht, wo sie als Wahnsinn in allen Adern brennt und kein anderes Leben duldet, als sich allein.
Bis dahin war Aurel nicht gelangt. Er war zu kalt, charakterlos schwankend, nicht muthig und nicht kalt genug, oder, wie die Menschen sagen, weder so schlecht, noch so gut, um �ber Gewissenszweifel und Gedankensorgen erhaben zu sein. – In seinen Mantel gewickelt ging er in der D�mmerung aus dem Garten, bald fortgerissen von seinen st�rmisch aufgeregten Empfindungen, bald wieder verzagt und erschreckt von Vorw�rfen und �ngstlichen Bedenken. –
Sara hatte ihm Vorschl�ge gemacht, die ihn in qualvolle Zweifel versetzten. Sie hatte mit Ruhe und ihrer m�nnlichen Bestimmtheit ihm erkl�rt, Richard aufzugeben, um mit ihm zu gehen, wohin er wolle. –
�Gehen wir nach Italien,� hatte sie gesagt, �in die Schweiz, wohin Du willst, ich folge Dir. – Du bist frei, ich bin es auch; wir werden am Fu�e der Gletscher oder am Fu�e des Vesuvs einen Ort finden, wo wir die menschlichen Narrheiten und Nichtsw�rdigkeiten verspotten und uns lieben k�nnen, wie es uns gef�llt.�
�Aber, Richard,� fiel Aurel fl�sternd ein. �Was wird aus ihm?�
�Was aus ihm werden kann,� erwiederte Sara, �W�rmerspeise, Staub, eine Leiche im schlimmsten Falle oder im besten, ich wei� nicht, wie ich sagen soll. Sorge nicht,� fuhr sie fort, als sie den schreckenden Eindruck bemerkte, den ihre Worte auf Aurel machten, �ich bin �berzeugt, dazu hat er den Muth nicht. Wir haben oft davon gesprochen, ob es nicht anekelt, uns in das gro�e Nichts zu retten, wenn die B�rde etwa allzu widerw�rtig w�rde, und ich habe bemerkt, da� er ein Poltron ist, der viel ertragen kann, ehe er seine Fahne um den Leib wickelt und sich in's Meer st�rzt. – Glaube mir, er h�ngt am Leben, wie ein Wurm; man m��te ihn gewaltsam zertreten, sonst bleibt er oben und wird vielleicht noch einmal ein guter Christ. Bedenke also meinen Vorschlag, dann la� mich handeln.�
�Entfliehen mit ihr nach Italien oder in irgend ein Land,� murmelte Aurel, �es klingt sch�n, es reizt, aber auf wie lange?� –
Er f�hlte ein banges schauderndes Gef�hl in seinem Herzen, und mit dumpfer Stimme sagte er:
�Immer mit dieser Frau leben, immer mit ihr verbunden sein, losgerissen von allen Banden im Vaterlande, verachtet, vielleicht beschimpft – und Richard – ich f�rchte ihn nicht – aber Johanna! – Kann ich sie vergessen? – O nein. – Vergessen, und doch, ich mu�!�
In diesem Augenblicke r�ttelte eine Hand an seinem Arme, und eine Stimme nannte seinen Namen. Er schrak zusammen und blickte scheu umher. Es war einer der Herren aus der Gesellschaft im Gartenhause, der lachend fragte, was er so einsam und tr�bselig hier treibe.
�Sie,� sagte er dann, als Aurel ein Paar gleichgiltige Antworten gegeben hatte, �Sie sollten wie Antonius aussehen, als er Egypten und die Kleopatra erobert hatte.�
�Wie soll ich das verstehen?� fragte Aurel zerstreut.
�Nun wahrhaftig,� rief der Herr lachend, �glauben Sie denn wirklich, da� Gott uns Alle mit derselben Blindheit geschlagen hat, die dicht genug um die Augen dieses ungl�cklichen Richard liegt?�
Aurel schwieg, und der Andere fuhr fort:
�Uebrigens ist mein Gleichni� mit der Kleopatra ein sehr schlecht gew�hltes, wenn man bedenkt, da� diese emancipirte K�nigin, nachdem C�sar und manche Andere sie besessen, erst auf den Antonius �berging, den dieser kostbare Besitz g�nzlich ruinirte und zuletzt den Tod brachte. Inde�,� fuhr er langsamer und nachdr�cklich fort, �ein kluger Mann kann, wie man behauptet, aus Allem Nutzen ziehen, somit ist auch an diesem Gleichni� Nichts verloren.�
�Aber was ist damit gewonnen?� erwiederte Aurel. �Ich verstehe, was Sie meinen. Es liegt eine Anklage, eine harte Beschuldigung in Ihren Worten; beweisen Sie mir, da� sie begr�ndet ist.�
�Vertrauen gegen Vertrauen,� sagte sein Begleiter. �Gestehen Sie mir erst das Recht zu, ein Urtheil �ber Sara zu f�llen, indem Sie Ihr Urtheil freim�thig enth�llen.�
�Was soll ich Ihnen sagen?� rief Aurel. �Ich bin gefesselt von dem Ungew�hnlichen, angezogen von Eigenschaften, die ich bewundern mu�, w�hrend manche mir gar nicht gefallen wollen. Ich befinde mich so zu sagen in einer Verz�ckung, deren Zauber ich mir selbst nicht zu erkl�ren wei�.�
�Es geht Ihnen, wie den Opiumrauchern des Orients,� fiel der Herr lachend ein. �Den himmlischen Tr�umen folgt ein fr�stelndes Erwachen und Kopfschmerzen, die schnell mit einer neuen Pfeife beseitigt werden m�ssen. – Ja, mein theurer Aurel,� fuhr er fort, �so ist es, ich habe Sie in der letzten Woche gut beobachtet und f�hle eine Art Mitleid mit Ihrem Zustande, eben weil ich einsehe, da� Ihr Rausch einer ist, der doch nicht allzu lange w�hren kann, trotz der st�rksten Dosen des s��en Giftes. – Sagen Sie mir geschwind, ob ich nicht recht habe, da� unsere vortreffliche Freundin Ihnen den Vorschlag machte, Richard zu verlassen, um mit Ihnen irgend ein gelobtes Land zu suchen, und ob nicht eben dieser ehrbare Antrag und seine Bedenken Ihr Gehirn eben jetzt besch�ftigt haben?�
�Was Sie so gut wissen, will ich Ihnen nicht streitig machen,� erwiederte Aurel.
�Man k�nnte es undankbar und schlecht nennen,� rief der Herr, �da� diese edelherzige, f�r Wahrheit und Recht begeisterte Dame einen Mann aufgeben will, der Alles aufopferte: Namen, Ruf, Zukunft, Seele, Leib und Geld, aber wer wird so spie�b�rgerlich denken? Eben weil es mit ihm aus ist, total aus, weil seine Nerven zerr�ttet sind, seine Gesundheit zerst�rt, und weil er ausgeschalt ist bis auf die Hefen, finde ich es klug, ganz ungemein klug, da� Sara sich an einen Andern wendet, der straffe Glieder und einen noch strafferen Geldbeutel hat. Auf Ehre, Sie werden gl�cklich sein. Es ist ein Weib, das Ihrem Leben himmlische, unverge�liche Stunden gew�hren wird, und an deren Blicken, Winken, Einf�llen und Gedanken Sie bald mit derselben Hingebung h�ngen werden, wie dieser Richard.�
�Was sagen Sie da?� rief Aurel entsetzt. �Hat Sara so an Richard gehandelt?�
�Wie gehandelt?� fragte der Andere. �Was erschreckt sie denn so sehr? Sara ist ein au�erordentliches Weib, und Richard ein Schw�chling. Sie werden es anders zu wenden wissen, wie er, oder wenn auch nicht, so werden Sie doch anders enden, sich nicht betr�gen und verrathen lassen, nicht das letzte Goldst�ck mit ihr verprassen, denn Sara ist eine Verschwenderin, und das ist tragisch und komisch zugleich, da� diese Menschen, welche das Elend und den Hunger, die blassen Gespenster aller Noth und aller Schande auf Erden, anklagen und den Egoismus verfluchen, auf seidenen Kissen dar�ber weinen. Und das hat unsere sch�ne Freundin von jung auf in ihrer stoischen Philosophie gethan. Sie ist im Reichthume geboren worden, hat mit sechszehn Jahren zuerst einen reichen, gef�lligen Eheherrn bekommen, hat ihn arm gemacht, hat den Narren verlassen, um einem z�rtlichen Freunde zu folgen, den sie in ihren Grunds�tzen sich erzogen, und so Schritt f�r Schritt sich vervollkommnend in den Lehren eines sch�nen, genu�vollen, von allen Reizen des Daseins umringten Lebens, hat sie Richard besessen bis zur Stunde.�
�Aber Sie,� rief Aurel mit Heftigkeit, �Sie und die ganze Schaar dieser Menschen, welche Tag f�r Tag und Nacht f�r Nacht Zeugen und Genossen dieses Lebens waren, warum theilten Sie es, warum �ffneten Sie nicht die Abgr�nde vor den Blicken derer, die Sie Freunde nannten, und zeigten ihnen, was Sie mir zeigen?�
�Warum?� sagte der Herr. �Sie sind ein gr��erer Neuling in der Kunst zu leben und kennen die Menschen noch weit weniger, wie ich annahm. – Man w�rde mich verlacht und ausgesto�en haben, und ohne das Geringste zu n�tzen, h�tte ich mir allein geschadet. Ich spottete �ber sie Alle, ich verh�hnte ihre Thorheiten, mich erg�tzte diese Verzweiflung nach Kotzebue's August von Kotzebue (1761-1819), deutscher Dramatiker, Schriftsteller und Librettist. Kotzebue galt als ein Vater der dramatischen Trivialliteratur. Die Zahl seiner Lustspiele und Dramen bel�uft sich auf mehr als 220. Ihr Erfolg verdankt sich seinem Gesp�r f�r popul�res Theater in Stoff und Gestaltung. Muster und dieser Kultus des Fleisches und des Weines, der das angenehmste schmerzstillende Mittel ist. Ich sah ihren Untergang nahen und fiel zuweilen in den Prophetenton, um als Kassandra mich auslachen zu lassen. Jetzt macht es mir wahrhaftes Vergn�gen, Ihnen Sara warm zu empfehlen. – Ich sage Ihnen nochmals, Sie finden keine Frau in der Welt, die Ihnen die schale D�rftigkeit Ihrer Tage so angenehm verk�rzen wird. – Sie ist zwar eigentlich weder jung noch sch�n mehr, aber welch' Feuer der Gedanken, welche Phantasie und welch' seltsamer zauberischer Reiz, der sie umgiebt. – Entf�hren Sie sie, lassen Sie diesen Einfaltspinsel Richard mittelst eines halben Lothes Blei mit dem Schicksale f�r immer sich vers�hnen, und schreiben Sie mir, wohin Sie gehen, ich komme nach und leiste Ihnen Gesellschaft.�
�Hierf�r wie f�r alle und jede fernere Bem�hung mu� ich auf immer danken,� rief Aurel, indem er sich umwendete und rasch davon ging. –
Er h�rte das h��liche, h�hnische Lachen des Herrn hinter sich in der Nacht verhallen, h�rte seine letzte Ermunterung, seine Schw�re treu zu halten, und es war ihm, als sei der b�se Feind hinter ihm. Athemlos irrte er umher und erreichte endlich ersch�pft seine Wohnung.
Aber aus diesem Kampfe der Leidenschaften, die seine Brust f�llten, hatte sich doch der Entschlu� hervorgerungen, nie mehr zu Sara zur�ckzukehren. – Ob es Wahrheit war, was der h�hnende Warner ihm erz�hlte, ob L�ge, er wu�te jetzt gewi�, da� er nicht weiter k�nne. – Ihm war es, als sei er pl�tzlich, wie die Verwandelten in den arabischen M�rchen, erl�st worden von dem Zauber einer b�sen Fee. Schamvoll brannte sein Gesicht vor den Erinnerungen seiner Handlungen, und qualvoller noch war die Reue, welche er empfand, wenn er bedachte, was er dadurch verloren hatte. –
Seit vierzehn Tagen beinahe hatte er jetzt das Haus der Pr�sidentin vermieden. Er hatte Einladungen abgelehnt, Billete ungelesen in den Ofen geworfen, hatte gewaltsam jede Regung unterdr�ckt, die ihn an Johanna mahnte, und jetzt kamen sie Alle pl�tzlich und traten vor ihn hin mit strafender ver�chtlicher Sch�rfe.
Seufzend deckte er beide H�nde �ber Stirn und Augen, aber entsetzt von dem Wiederhalle, der ihm Antwort zu geben schien, ri� er sie zur�ck und sprang auf. –
Das Licht brannte d�ster, und vor ihm an der andern Seite des Tisches stand eine dunkle Gestalt, ganz verh�llt im deckenden Mantel, einen schwarzen Schleier �ber Kopf und Gesicht gezogen.
�Johanna!� rief er ersch�ttert nach einem Augenblicke starren Schweigens.
Die Dame warf den Schleier zur�ck und blickte ihn fragend und forschend an.
�Ich komme selbst,� sagte sie, �weil ich wissen mu�, was in Ihnen und um Sie vorgeht. Haben Sie mich verlassen, Aurel, haben Sie mich verrathen? Ich will Alles wissen, es ist besser, das Aergste zu h�ren, als in solcher Pein langsam zu verschmachten. – Reden Sie,� fuhr sie fort, als er schwieg. �Ich wei�, da� Sie Richard's Haus bei Tag und Nacht besuchten, da� Sie in wilder Genossenschaft sich wohl f�hlten, da� die Frau, Sara hei�t sie, welche dort herrscht, auch Sie umstrickte, da� Sie – o, Sie sehen, wie viel ich wei�! – sie lieben, sie anbeten –�
�Nein,� rief er sie unterbrechend, �ich liebe sie nicht, es ist eine L�ge, deren Gewi�heit ich ganz f�hle, aber ich will diese L�ge zerrei�en, auf immer mich dem Selbstbetruge entziehen und die Strafe meiner Schw�che dulden. Ich mu� fliehen, Johanna, denn ich wei�, was ich verschuldete, wei�, wie unwerth ich des Gl�ckes bin, da� mir nahe war. – Leben Sie wohl, meine edle g�tige Freundin, erlassen Sie mir, was ich bekennen m��te, aber glauben Sie, da� meine Seele mit ihren Erinnerungen bei Ihnen sein wird, bis ich aufh�re zu sein.�
Er hatte ihre H�nde ergriffen, und pl�tzlich st�rzte er zu ihren F��en und bedeckte ihre Finger mit seinen K�ssen und Thr�nen, als die Th�re sich aufthat, und Eduard langsam und l�chelnd �ber die Schwelle des Zimmers trat.
Aurel erhob sich in heftiger Bewegung, aber der Regierungsrath legte den Finger auf den Mund und sagte mit ged�mpfter Stimme:
�Ich suche meine Schwester, finde sie in Deinem Zimmer und Dich zu ihren F��en. Ich h�tte nicht vermuthen k�nnen, da� das Fr�ulein von Corbin ihren n�chtlichen Spaziergang hierher richten w�rde, h�tte vielmehr weit eher erwarten m�ssen, da� Eure Verlobung im Hause und unter den Augen meiner Mutter stattfinden w�rde. Inde�, verliebten Leuten ist Manches zu vergeben, darum mag es selbst sein, da� vielleicht auch Andere bemerkten, was ich sah, will ich doch meine Vorw�rfe zur�ckhalten, allein ich erwarte jetzt von Dir, Aurel, da� Du auf der Stelle mich begleitest und meiner Mutter Dich entdeckst, die sich freuen und Dich segnen wird, weil sie Dir von alter Zeit her herzlich gewogen ist. – Meinen Gl�ckwunsch nimm auf der Stelle, lieber, theurer Freund. – Du wei�t, welche Absichten ich hatte, das ist vorbei, abgebrochen und beseitigt. Von ganzem Herzen also sei mir willkommen; la� uns treue unzertrennliche Freunde bleiben.�
Er umarmte Aurel, welcher mechanisch sich ihm �berlieferte und keine Antwort mehr zu geben wagte. – Eduard's Worte waren eben so freundlich wie bestimmt, aber seinen l�chelnden Lippen gesellte sich ein strenger Blick zu, der Genugthuung f�r die beleidigte Ehre der Familie zu fordern schien.
�Sie sehen, Aurel,� rief Johanna, indem sie sich neben ihn stellte und ihn ermuthigend freundlich ansah, �mein Bruder ist ein strenger H�ter meiner Ehre, er wei�, was sich f�r uns schickt, dennoch wird er Nichts einzuwenden haben, wenn ich ihn bitte, uns jetzt noch einige Minuten allein zu lassen. Er wird uns Beide genugsam kennen, um v�llig ruhig zu sein; wir wollen ihm dagegen geloben, so bald als m�glich ihm zu folgen, um meiner Mutter unsern Besuch zu machen.�
�Das ist wieder einer von Deinen wunderlichen Einf�llen,� erwiederte Eduard, �und ich sowohl wie Aurel sollten ihn nicht dulden. Aber mag es sein, da� Ihr Geheimnisse auszutauschen habt in dieser Stunde, so hoffe ich doch, da� es nicht lange dauert. Ich will vorangehen und die Mutter vorbereiten, ich will es beschw�ren, da� Eurer Z�rtlichkeit kein Zwang geschehen soll.�
Er entfernte sich und stieg die Treppe hinab, aber er kehrte leise wieder um und lauschte drau�en an der Th�re; doch bei aller Anstrengung konnte er Nichts genau verstehen. – Johanna sprach mit ged�mpfter Stimme, und Aurel antwortete leise, hastig und abgebrochen. Bald kam es ihm vor, als rede man darinnen in gro�er Aufregung, bald wieder verschmolzen die Stimmen in Bitten und abwehrenden Worten, bis Johanna endlich in hellem, heftigem Tone sagte:
�Mein Leben, mein Gl�ck und meine ganze Zukunft h�ngt daran. Ich fordere es von Ihnen, Aurel, als Bu�e f�r alle begangenen S�nden, und wenn es wahr ist, da� Ihr Herz f�r mich schl�gt, m�ssen Sie Ihr Gel�bni� erf�llen. Ich verlange Nichts mehr, f�rchten Sie Nichts, ich bitte, ich flehe zu Ihren F��en, es mu� so sein.�
Mit bangem Erstaunen h�rte Eduard auf das Ger�usch.
�Welche Bu�e legen Sie mir auf,� rief Aurel, �und welche Gefahr und Noth bringen Sie �ber sich.�
�Nehmen Sie Ihren Mantel und lassen Sie uns gehen,� sagte das Fr�ulein mit entschlossener Stimme. �Wir wollen kurz sein und haben keine Zeit zu verlieren, denn meine Mutter und Eduard erwarten uns.�
Der Regierungsrath dr�ckte sich, als die Th�re ge�ffnet wurde, hinter den dunklen Vorsprung der Treppe. Er lie� die Beiden hart an sich vor�bergehen, dann folgte er ihnen vorsichtig nach.
Lange gingen sie in ziemlicher Entfernung vor ihm her, und er hielt es f�r angemessen, sich ihnen nicht zu n�hern. Begierig, zu wissen, welches Geheimni� hier obwalte, sann er vergebens dar�ber nach, und je mehr die beiden dunklen Gestalten sich in einsame �de Stra�en verloren, um so weniger konnte er errathen, was sie dahin treiben k�nne. Mehr als einmal war er im Begriffe, rasch zu ihnen zu treten und Erkl�rung zu fordern, aber immer hielt ihn die lauernde Neugier, die seinem Charakter eigen war, davon zur�ck, und endlich wurden seine Erwartungen auf's H�chste gespannt, als er Aurel eine Gartenpforte �ffnen und Beide darin verschwinden sah. –
Mit eiligen Schritten erreichte er die Th�re, aber sie war verschlossen, und seine forschenden Blicke musterten vergebens die hohen Mauern und Zaunw�nde, welche hier zu beiden Seiten den Weg einfa�ten. –
Er hatte nie diesen abgelegenen Stadttheil betreten, er wu�te nicht, wer hier wohnte, nicht, wohin diese Th�re f�hrte. Die Dunkelheit lag schwer und lautlos auf diesem weiten Raume, kein Haus, kein Mensch ringsumher, nur in der Ferne brach der tr�be Schimmer einer verkohlenden Stra�enlaterne durch die feuchten Nebel, die der Nordwind leise murrend vor sich herw�lzte. –
Nach einigen Augenblicken lauschte er an einem Spalt in der Th�re, und er glaubte in der Tiefe des Gartens die dunklen Schatten der beiden Verschwundenen zu entdecken. –
Best�rzt dachte er dar�ber nach, was Johanna hier beginnen k�nne, was Aurel mit ihr vorhabe. Blitzschnelle Vorstellungen begannen ihn zu martern, Gedanken �ber Schande und Verbrechen, welche in dieser Verborgenheit ihr heimliches Lager aufgeschlagen h�tten. Er r�ttelte an der Th�re, sie war fest und gab nicht nach. Seine Blicke flogen auf und nieder; da stand ein Pfeiler an der Mauer, der oben einen eisernen Arm trug, an welchem vor Zeiten wohl eine Laterne gesteckt haben mochte. Nach einigem Besinnen versuchte er daran emporzusteigen, und nach mehreren vergeblichen Versuchen hatte er das Eisen gefa�t und sa� oben auf der Mauer. –
Hier sah er �ber weite G�rten hin, aber nirgends ein Licht, nirgends eine Wohnung. Besorgt blickte er in die Tiefe, ohne recht zu wissen, was er beginnen sollte, bis er bemerkte, da� an der innern Seite ein Weinspalier sich hinzog, und der Gedanke an Johanna seinen Muth neu erweckte. –
�Ich mu� wissen, was hier geschieht,� rief er sich zu, �mu� erfahren, was dies scheue M�dchen bewegen kann, alle Sitte so zu verletzen, und was es auch sein mag, ich will es aufdecken.�
Vorsichtig stieg er an den St�ben hinunter, aber lose und m�rbe, wie sie waren, brachen sie mit ihm, ehe er den Boden erreichte, und gl�cklich genug fiel er in den dichten Schnee, der unten aufgeh�uft lag. –
Das kalte Bad, welches er damit empfing, war ganz geeignet, seine Vorstellungen abzuk�hlen. Eine Zeit lang suchte er den verlorenen Hut, dann horchte er, ob das Brechen des Holzes die Aufmerksamkeit der unbekannten Bewohner erregt h�tte, doch Alles war still wie zuvor, und langsam ging er zwischen den Spalieren und B�umen hin, w�hrend er den nassen Schnee aus Haar, Rock und Halsbinde sch�ttelte und dabei �berlegte, was er thun m�sse.
�Ich werde sie aufsuchen und finden,� sagte er endlich, �doch was wird am Ende der Lohn meiner ganzen abenteuerlichen Irrfahrt sein, bei der ich Hals und Beine mit aller Bequemlichkeit brechen konnte? Vielleicht eine ganz gew�hnliche Geschichte, welche in Johanna's Kopfe umherspukte. Ein Besuch bei einer ungl�cklichen Familie, bei einem kranken oder wahnsinnigen Weibe, oder eine gro�m�thige Handlung, kurz irgend Etwas, was ihre reizbare Phantasie sich �berzuckert hat.�
Er schwieg, denn er erblickte das Haus hinter den B�umen und den Lichtglanz, welcher mattflimmernde Streifen durch die Nacht schickte.
Erwartungsvoll n�herte er sich dem Geb�ude, und pl�tzlich h�rte er laute, heftig redende Stimmen, welche aus einem seitw�rts liegenden erleuchteten Treibhause kamen. Behutsam schlich er heran, aber wie vom Blitz getroffen blieb er dicht an der Glaswand stehen, von den innerhalb aufgestellten Gew�chsen versteckt, und starrte die beiden M�nner an, welche sich darinnen gegen�berstanden. Er erkannte Richard und Aurel, zwischen denen in der Nische auf dem Divan eine sch�ne Frau sa�, die den Kopf in ihre Hand gest�tzt aufmerksam ihnen zuh�rte. Um ihr Haar hatte sie turbanartig einen wei�en Shawl geschlungen, ihre Z�ge waren ruhig, nur um ihre Lippen spielte ein L�cheln, das wie Spott oder Verachtung aussah.
�So rede endlich, Sara,� rief Richard, �was bedeutet dies Possenspiel? Es ist zu l�cherlich zum Ernste, zu ernsthaft, um l�cherlich zu sein. Sprich Du selbst, erkl�re diesem guten Kinde, da� Du einen Scherz mit ihm und mit mir triebst. Ich bitte Dich, mache mich nicht rasend, denn auch der Scherz hat seine Grenzen, und jetzt, bei Gott, jetzt haben wir Alle n�thig, ernsthaft zu sein.�
�Wie es Dir beliebt,� erwiederte die Dame lachend, �aber ich sehe die Nothwendigkeit wahrhaftig nicht ein. – Ich finde Gefallen an Aurel, was kannst Du dagegen haben? Welche Kette h�lt uns, welches Gel�bde haben wir zu brechen? – H�ngt nicht Alles von unserm freien Willen ab, und habe ich je den Deinen beschr�nkt? W�rst Du zu mir gekommen und h�ttest mir gesagt: Sara geh, Du bist mir l�stig, glaubst Du, da� ich einen Augenblick gez�gert, eine Bitte verschwendet oder gar Dir einen Vorwurf gemacht h�tte?�
Alles Blut schien aus Richard's Gesicht zu weichen. Er hielt sich an dem Stuhle fest, der neben ihm stand, und sagte langsam:
�Unerh�rt, unm�glich, das kannst Du nicht, Sara!�
�Sch�me Dich,� fuhr die Dame fort, �handle kalt und besonnen, wie ein freier Mann. Denke daran, da� wir uns tausend Mal gesagt haben: in unserer Freiheit liegt unser Gl�ck, wer gehen will, gehe immer; selbst wenn wir leiden m�ssen, soll die Freiheit ohne Vorwurf bleiben.�
�Habe Mitleid, Du t�dtest mich!� rief Richard, und eine furchtbare Angst schien seine Augen blutig zu r�then. �Aber nein,� fuhr er fort, �es ist nicht so, Du kannst mich nicht verlassen, mich, der ich Dich mehr liebe, wie ich zu sagen vermag. – Es ist Scherz, Sara, es ist ein Traum. Rei� mich aus dieser H�lle, ich kann Dich nicht aufgeben, ich kann nicht – Du bist das letzte, was ich besitze.�
Er streckte die Arme nach ihr aus und machte eine Bewegung, um vor ihr niederzusinken, aber Sara hielt ihn zur�ck und sagte stolz:
�Thue Nichts, was Dich herabw�rdigt, ohne Dir zu helfen; ich kann mir nichts Schm�hlicheres denken, als dies armselige Betteln um Liebe oder um einen Besitz, der aus Mitleid Dir bleiben soll. Wo ist Dein Muth und Dein Trotz, der sich sonst bis zur Vermessenheit erhob? Bist Du so tief gesunken, um wie ein Ertrinkender Dich an den Halm zu klammern, ist Deine m�nnliche Kraft so vernichtet, da� Dein ganzes Leben eine L�ge wird, dann habe ich Nichts f�r Dich, als Verachtung.
Aurel hat mir gesagt, da� er mich liebt,� fuhr sie gelassen fort, �und ich hatte Nichts dagegen. – Sprich mit Richard, sagte ich zu ihm, erkl�re ihm, wie wir stehen, fordere mich von ihm, ich glaube nicht, da� er Nein sagen kann und wird. Hier steht Ihr nun Beide. Bringt Eure Anspr�che, die Ihr an mich zu haben glaubt, vor mein richterliches Tribunal und erwartet dann meine Entscheidung.�
Die sp�ttische Geringsch�tzung, mit der sie diese leichtfertigen Worte an die beiden Nebenbuhler richtete, vermehrten den Zorn und Abscheu, welchen der versteckte Zuschauer drau�en vor allen handelnden Personen dieser Scene empfand. Er ha�te Richard, aber er war emp�rt �ber Aurel's tiefe Heuchelei. Und wo war Johanna? Wo hatte er sie gelassen? Was war aus ihr geworden?! Er wollte hinein, er zitterte vor Schmerz und Wuth, und schon legte er die Hand auf den Dr�cker der Th�re, welche er neben sich bemerkte, als Aurel einen Schritt gegen Richard that und diesen anredete.
�Erinnerst Du Dich,� sagte er, �jenes Abends, wo Eduard, Du und ich eine ewige Freundschaft beschworen? Erinnerst Du Dich auch, wie Du damals �ber Weiberliebe sprachst? – Du nanntest sie einen fl�chtigen Rausch der Sinne, dem kein wahrer Mann eine Herrschaft �ber sich gestattet. – Weibergemeinschaft ist Unsinn, riefst Du mir zu, aber Trennung von dem Weibe, dessen Liebe ich verloren habe, und dessen Herz f�r einen Gl�cklichern schl�gt, ist ein heiliges Naturgesetz! Und als ich fragte, ob Du immer so denken w�rdest? Da schwurst Du, so zu denken und zu handeln, und gabst Dein Wort, da�, sollte es je Dir geschehen, ich erfahren w�rde, da� Du nie ges�umt habest, Deinen Schwur zu halten. – Wohlan denn,� fuhr er mit erhobener Stimme fort, �das Schicksal macht wahr, was Du begehrt hast. Hier ist ein Weib, deren Herz Dir nicht mehr geh�rt, die Dir gesagt hat, da� sie einen Andern liebt. – Erf�lle nun Dein Gel�bni�. Rei� Deine Liebe mit der Wurzel aus und schleudere sie von Dir. Zeige, was Deine Schw�re und Grunds�tze werth sind; wenn Du aber zum L�gner und Verr�ther an Dir selbst wirst, so bedenke, da� Du dadurch Nichts �ndern kannst. Sara's Liebe hast Du verloren; Deine Verzweiflung erweckt ihren Hohn, Deine Schmerzen erregen ihre Verachtung. Du hast Nichts von Klagen, Thr�nen und Bitten zu hoffen, Nichts von Ueberredung und Vorw�rfen. Sie liebt Dich nicht mehr, sie liebt mich, und ich fordere sie von Dir als ein Gut, was nach heiligen Naturgesetzen Dir nicht l�nger geh�ren kann.�
�Erkl�re Dich, Richard,� rief Sara, als Aurel schwieg. �Entweder erf�lle Dein gegebenes Wort, oder gieb Deine Gr�nde dagegen an.�
Richard wollte antworten, aber fand keine Worte. Todtenbleich, die Arme krampfhaft verschlungen, die Stirn von Schwei�perlen bethaut, und sein schwarzgl�nzendes Haar wie aufgeb�umt vor Entsetzen, sa� er auf dem Stuhle; die qualvollste Verzweiflung mu�te jede Ader seines Gehirns f�llen. Die Z�ge seines Gesichts waren verzerrt, seine Lippen zuckten, seine Z�hne waren dicht geschlossen, die stieren glanzlosen Blicke seiner Augen dr�ckten, unterbrochen von ihrem Rollen und Zucken, den ganzen furchtbaren Zustand seiner Seele aus. –
Pl�tzlich aber sprang er auf, und die H�nde wie zum Gebet gefaltet, ohne Worte, ohne einen Laut, st�rzte er vor Sara nieder.
In diesem Augenblicke traf ein dumpfes, halb ersticktes Lachen Sara's Ohr. Sie wu�te nicht, ob es aus Richard's Mund In der Vorlage: �Ohr. sich hervorrang, oder ob es die Wand neben ihr aushauchte; aber ehe sie den Gedanken erfassen konnte, griffen wei�e Finger in den Vorhang an der Nische; pl�tzlich ward er fortgezogen, und neben ihr stand Johanna.
Eine Minute lang blickten sich die beiden Frauen an, Beide stumm sich messend mit den langen einbohrenden Blicken, Johanna bleich wie der Tod, Sara mit dunkler R�the auf der Stirn; dann wandte Johanna ihr Auge wieder auf Richard, und in ihrem Gesichte malten sich alle Leidenschaften, die sie verzehrten; ges�ttigte Rache, Scham, Erbarmen, Ha� und Liebe, Entsetzen �ber den Mann, der wie ein Wahnsinniger sie anblickte, Mitleid mit seinem Jammer, Freude �ber seine Dem�thigung.
Aurel eilte auf seine Freundin zu und hielt sie in seinen Armen fest. –
�Was thun Sie, Johanna?� rief er. �Fort von hier, lassen Sie uns gehen, es ist genug.�
Mit einem Gedankenschlage wu�te Sara Alles. Sie fa�te mit ihrer starken Hand Johanna's Arm und hielt sie fest, w�hrend sie mit der andern Richard r�ttelte, der wie geistesabwesend sich aufgerichtet hatte.
�Eine Kom�die in der Kom�die,� sagte sie stolz lachend, �nein, Madame, es ist noch nicht genug. – Hier, Richard, betrachte diese Dame, es ist das Fr�ulein von Corbin, die Deinetwegen sich hierher bem�hte. – Sieh sie an, ihre Rache ist befriedigt. Sie hat Dich so tief am Boden und so voll Schmerz und Angst gesehen, wie sie kaum in ihren wildesten Tr�umen Dich erblickte. Doch nun �ffnet sich dies rachelustige Herz von Neuem, und die geheime Liebe, das sch�ne Mitleid, das zitternde Verlangen nach Vergebung tritt siegend herein. – Sie hat Dich trotz ihres Hasses immer geliebt und liebt Dich noch. Wirf Dich zu ihren F��en, rei� ihre H�nde an Deine Lippen, schw�re ihr neue Liebesschw�re, und sie ist Dein trotz des Mannes dort, der sich zu ihrem Schildknappen benutzen lie� und nicht sah, da� er Nichts war, als ein elender Spielball ihrer Gel�ste. – Was z�gerst Du?� fuhr sie mit erhobener Stimme fort, als Richard sich nicht bewegte, �benutze den Augenblick, triff Deine Wahl zwischen uns. – Was willst Du bei mir? – Wirf mich zu den Todten und folge der neuen Lebenssonne, deren Strahlen Dich wieder jung, sch�n, reich, bl�hend und geehrt machen k�nnen.�
W�hrend ihrer Worte hatte Richard sie umschlungen, und sein Gesicht belebte und r�thete sich von dem j�hen Sprunge der �u�ersten Trostlosigkeit zum Taumel neuer Leidenschaft.
�Diese da?� rief er auf Johanna deutend, �und k�nnte sie mich mit Purpur schm�cken, und st�ndest Du in Lumpen neben ihr, ich w�rfe mich zu Deinen F��en. Bei Dir ist Leben, Himmel und H�lle will ich mit Dir theilen. Kein Gott, kein Tod soll mich aus Deinen Armen rei�en!�
�Sie sehen, mein gn�diges Fr�ulein,� sagte Sara, �das St�ck ist aus, und jetzt ist es genug. Geben Sie Ihrem Freunde den Arm und lassen Sie sich nach Hause f�hren. Viel Gl�ck zur Verlobung.�
Johanna streckte den Arm aus, sie wollte sprechen, aber sie vermochte es nicht. Geisterbleich und die F��e festgewurzelt stand sie, wie an jenem Abende, wo Aurel sie zuerst gesehen hatte. – Ein furchtbarer Starrkrampf machte sie zu Stein, und die Marmork�lte ihrer Glieder pre�te Aurel, der sie festhielt, einen Schrei des Entsetzens aus.
Pl�tzlich wurde die Th�re aufgerissen, und Eduard trat ungest�m herein.
�Ich hoffe,� sagte er mit zitternder Stimme zu Sara und ohne Richard anzublicken, �Sie lassen uns allein und feiern die Nachlese Ihres Triumphes �ber meine ungl�ckliche Schwester an einem andern Orte. – Geh,� fuhr er zu Aurel gewendet fort, �suche einen Wagen auf, so schnell wie m�glich; fort von diesem Orte, wohin, wenn Du ein Mann warst, Johanna nie gelangen mu�te.�
Nach einer halben Stunde war ein Wagen zur Stelle. Eduard trug seine Schwester hinein, sprang ihr nach und schlug den Schlag zu, ohne sich um Aurel zu k�mmern. �Fahre schnell,� rief er dem Kutscher zu, indem er ihm die Stra�e nannte. – Der Wagen rollte davon, ohne Mantel und Hut stand Dahlberg vor der Gartenpforte, die hinter ihm in's Schlo� geworfen war.
Am n�chsten Morgen waren seine Koffer gepackt, als sein Diener ihm ein Billet brachte. Es war von Eduard.
�Vielleicht,� so schrieb der Regierungsrath, �hast Du schon geh�rt, was in dieser Nacht sich in dem Gartenhause, das Du so wohl kennst, zugetragen hat. Man hat den Besitzer dieser einsamen Villa und seine Geliebte todt gefunden, von Kohlendampf erstickt, nachdem sie ein letztes Mahl zusammen gefeiert und das Leben wie den Tod um seinen Ernst und seine W�rde betrogen haben. Meine Schwester hat sich erholt, doch ich mu� f�rchten, da� der zerr�ttete K�rper nicht lange mehr die Zerr�ttung ihrer geistigen Kr�fte �berdauert. Unter diesen Umst�nden bitte ich Dich, �ber alles Vorgefallene dasselbe Schweigen zu beobachten, wie ich es thue. Es wird Dir wohl thun, ein Paar Jahre zu reisen und Dich zu erholen. Werde gl�cklich, das w�nscht Dir auch Johanna und ruft Dir durch mich ihr Lebewohl nach.�
Nach einer Stunde fuhr ein Reisewagen aus dem Thore. Aurel ging nach Italien; er ist noch nicht zur�ckgekehrt.
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