Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
In einer der neuen eleganten Stra�en der Hauptstadt stand vor einigen Jahren noch ein altes Giebelhaus, das wie der Rest einer untergegangenen Welt aussah. Zu seinen beiden Seiten prangten stattliche hohe Geb�ude, zwischen denen der schief�ugige kleine Nachbar sich �ngstlich zusammengedr�ckt hatte. Dadurch erschien das G�rtchen vor ihm entstanden zu sein, in welchem ein Akazienbaum aufwachsen konnte, der mit seinen wilden langen Zweigen sich �ber Dach und Giebel lehnte und weit herabh�ngend auch die Th�re eines schmalen Ladens umwucherte, den einzigen Eingang in dies alte Haus. Zur Sommerszeit, wenn der Baum vollbelaubt war, warf er seinen gr�nen Schleier im Verein mit einigen Flieder- und Violenb�schen �ber f�nf niedere Fenster, das hei�t �ber die ganze Vorderseite, und von der rostigen Eisenstange �ber der Th�re, an welcher drei verblindete Messingbecken hingen, war dann wenig zu bemerken.
Der Eigenth�mer hatte daher andere Vorkehrungen getroffen, um die Vor�bergehenden, und wer ihn etwa aufsuchen wollte, von seinem Dasein in der Tiefe dieser Verborgenheit zu unterrichten; denn dicht hinter dem Gitter, das den zehn Schritte langen Vorgarten gegen die Stra�e absperrte, hatte er eine Stange aufgestellt, an welcher ein wei� angestrichener, mit schwarzen Buchstaben bemalter Blechstreifen festgenagelt war, auch einen anderen Zettel derselben Art hinter einer der Scheiben seiner Ladenth�re aufgeh�ngt, auf welchem geschrieben stand:
�Hier wird barbirt und geschr�pft, auch Z�hne ausgezogen. Blutegel, welche gut saugen, bei Hildebrand.�
Es stand Mancher wohl still, um diesen Zettel zu lesen und �ber dies gute Deutsch zu lachen, wenn aber der alte Barbier den Kopf aus seiner H�hle steckte und die Sp�tter in seiner eigenth�mlichen Weise anschaute, machten die meisten, da� sie fortkamen, denn er war ein sonderbarer alter Bursche.
An dem Tage nun, wo diese wahrhafte Geschichte beginnt, lie�en sich die drei verblindeten Becken deutlicher erkennen, obwohl es eben finster werden wollte, denn die Herbstst�rme hatten den Baum kahl gefegt, und die letzten Bl�tter der Violen wirbelte ein Windsto� so eben in die dunkelnde Abendluft. Der Wind schlug die Becken an einander, als stimme er eine Janitscharenmusik dar�ber an, da� er die armen nackten B�sche rein ausgepl�ndert habe. Damit noch nicht zufrieden, warf er abgebrochene Reiser und Ranken sammt einigen dicken Regentropfen an das Fenster, hinter welchem Licht schimmerte, und fuhr dann lustig pfeifend an der Hausseite hin, wie ein Kobold, der sich an seinen boshaften Streichen erg�tzt.
Der alte Bader drinnen richtete seinen Kopf auf, sah ihm nach und verzog seinen Mund zu einem vergn�glichen Grinsen, das ohne Zweifel sagen sollte: �pfeife und h�hne, wie Du willst, Du Taugenichts, mir kannst Du doch nichts anhaben.� Dann blickte er in dem warmen stillen St�bchen umher mit dem Aussehen eines Mannes, der sich behaglich in seiner Haut f�hlt und das eben so recht empfindet.
Er sa� an einem kleinen Tische, der in der Mitte des Zimmers auf vier starken Beinen stand und mit Wachsleinen �berzogen war. Vor sich hatte er eine Schirmlampe, welche allerlei Schleifsteine und Streichriemen, Oelfl�schchen und Putzlappen beleuchtete, und in seiner Hand hielt er ein Messer, das er sorgsam und bed�chtig auf dem Steine hin- und herstrich. Sauber gesch�rft und abgewischt lagen mehrere schon auf der einen Seite des Tisches, auf der anderen aber warteten halb aufgeklappt, dem�thig und fleckig, diejenigen, welche von ihren S�nden und Fehlern erst erl�st werden sollten, und zwischen den B�cken und den Schafen sa� der Meister ernsthaft w�rdig bei seinen Werken, Augen und Gedanken darauf gerichtet.
Kerzengrade sa� er so lange Zeit, ohne da� ein Laut �ber seine Lippen kam. Wenn der Sturm nicht drau�en heulte, war kein anderer Ton in dem d�mmernden Gemache zu h�ren, als das Ger�usch des Messers auf dem Steine, das mit derselben taktm��igen Gewandtheit hin- und hergezogen wurde. Nur zuweilen entstand eine Pause, im Fall Herr Hildebrand einen anderen Stein nahm, oder wenn er einige Tropfen Oel darauf tr�ufelte, oder wenn er nach seinem grauen Sch�del fa�te, ein Haar ihm ausraufte und damit eine Probe �ber die Sch�rfe seines Messers anstellte. Zuweilen verdr�ngte dann sein vergn�gtes Grinsen den w�rdevollen Ernst, im Fall das Haar sofort zerschnitten niederfiel, zuweilen aber auch verdoppelten sich die Falten auf seiner Stirn, und mit majest�tischem Zorne blickte er auf das widerspenstige Werkzeug.
In solchen drohenden Augenblicken schlug er wohl auch den Schirmdeckel der Lampe auf, um Messer und Haar nachdenklich zu betrachten, und dann tanzte der Lichtschein erfreut �ber seine Freiheit bis in alle Ecken und Winkel. Er huschte �ber den Arbeitstisch am Fenster, schmiegte sich an den Schraubstock, welcher dort befestigt war und ihm leise Etwas entgegenknurrte, spielte mit den Feilen, Zangen und H�mmern an dem Brette dar�ber, nickte dem ehrbaren Schleifrade an der Wand zu und lachte den Schrank aus, in welchem die Messer, Scheeren und Instrumente zum Zahnausziehen, Schr�pfen und Aderlassen still und dunkel lagen.
Wie von Furcht ergriffen, als k�nnte es ihm seine eigenen Z�hne und sein eigenes Blut kosten, warf er einen scheuen Blick auf die Doppelkette ausgerissener und aufgereihter Z�hne, schreckliche Troph�en der Kunst und Kraft seines Herrn und Meisters, welche hinter den Scheiben des Glasschrankes hingen und sp�ttisch den Vogel der Weisheit anblinzelten, die ausgestopfte Eule, welche auf der obersten Leiste dieses Schrankes sa�. Weit sch�ner schien es ihm bei dem alten gro�en Lederstuhle am Ofen zu behagen oder bei dem alten gro�en Kasten in der Ecke neben der Th�re, in dessen labyrinthische Schubf�cher er sich zu verkriechen suchte, bis mit einem Male der Lampendeckel wieder zuklappte, und der leichtfertige Vagabond darunter gefangen sa�.
Wer ihn auf seiner Wanderung begleitete, mu�te wahrnehmen, da� es im Ganzen ziemlich �rmlich hier aussah, allein dies alte Ger�mpel pa�te zu dem alten verrotteten Geb�ude, pa�te auch zu dem grauhaarigen Bader und dem halben Dutzend alter Vogelk�fige, welche in dem anderen Fenster �ber einander hingen. Ihre Bewohner standen hinter den dunklen engen St�ben und betrachteten ihren alten Herrn stumm und aufmerksam, und dieser schien f�r kein anderes lebendiges Wesen auf Erden zu sorgen, auch keine andere Liebe zu begehren, als die seiner gefiederten M�ndel und Freunde.
Man konnte die� allerdings fast beim Anblick des Baders voraussetzen und aus seinem Benehmen folgern. Er war von stattlicher Gestalt, kr�ftig gebaut, und hielt sich aufrecht. Sein volles Gesicht mit starken, fest ausgepr�gten Z�gen hatte eine ansehnliche L�nge. Die Nase herrschte darin vor; sie trat weitreichend und m�chtig aus der Stirn und vermehrte das Gebietende und Selbstbewu�te, das aus den grauen, starr blickenden Augen sprach.
Auch der Mund mit den breit auf einander geworfenen Lippen hatte etwas Hartes und Gravit�tisches, und wie der alte Herr bei seiner Arbeit sa�, eine schwarze hochstehende Sammetm�tze auf dem Kopfe und seinen breitschultrigen K�rper in einen braunen, weichen und warmen Schlafrock geh�llt, sah er eben so gelehrt und weise, wie selbstzufrieden und wohlbehaglich aus.
Wenn die V�gel in den K�figen sich regten, blickte er sich zuweilen nach ihnen um, und alsbald entstand ein Piepen und Fl�gelschlagen, das mit einigen z�rtlichen Blicken und Schmeichelworten seinerseits beantwortet wurde.
Vielleicht h�tte er sogar seine Arbeit unterbrochen, denn eben machte er eine Bewegung, um aufzustehen, als die Th�re des Ladens ge�ffnet wurde, und ein kleiner dickk�pfiger Mensch in gr�nem Flausrock mit blanken Kn�pfen hereintrat. Unter dem Arme trug er einen gr�nen Beutel von Pl�sch, �ber den eine lange Klappe fiel, und als er die Th�re wieder zugemacht hatte, nahm er seine M�tze ab, sagte mit etwas heiserer Stimme: �Guten Abend!� setzte den Beutel auf den gro�en Kasten und kam dann zur�ck, indem er seine H�nde lebhaft an einander rieb.
In die N�he des Tisches gelangt, stand er still und sah den alten arbeitenden Herrn an, der sich nicht sonderlich um ihn k�mmerte. Der kleine Kerl schien sich �ber die Th�tigkeit des Meisters im Stillen zu erg�tzen. Er mochte wohl vierzig Jahre alt sein; sein gelblich d�nnes Haar fiel auf eine runde Stirn, unter welcher ein Paar vortretende bla�blaue Augen hinter blonden Wimpern sich weit aufthaten. Das ganze Gesicht war rund wie ein K�rbi�, und aus den dicken rothen Backen streckte sich eine kleine aufgest�lpte Nase hervor, als sei sie zum Spa� dort hinein gepflanzt oder angesetzt worden, um einen l�cherlichen Gegensatz zu dem breiten dicken Munde zu bilden. Bei alledem machte eine gewisse R�hrigkeit und Freundlichkeit seinen Anblick nicht eben unangenehm, und ganz entgegen der ernsthaften W�rde des alten Herrn, schien er die besten Anlagen zu besitzen, geschw�tzig und lustig zu werden, wo er es immer sein konnte.
�Es ist ein sch�ndliches Wetter!� sagte er nach einem Weilchen. �Ich m�chte heute nicht ausgehen.�
�Es ist auch nicht n�thig,� antwortete der alte Herr nach einer Pause.
�Nun, es hat es Mancher nicht n�thig und geht doch,� lachte sein Gehilfe.
�Weil's viele Narren und Dummk�pfe in der Welt giebt,� brummte Herr Hildebrand.
�So ist es, Herr Cherorjus! Meiner Seele, so ist es!� schrie der kleine Kerl, indem er heftiger seine H�nde rieb. �Aber das Beste ist, da� es einer wei�, da� er ein Narr ist.�
�Auch dieses ist eine sehr weise Einrichtung der Natur,� sagte Herr Hildebrand, indem er aufmerksam sein Messer strich, �denn w�rden alle Narren wissen, da� sie Narren sind, so w�rde es keine Weisen geben, die aus der Narrheit Nutzen ziehen.�
�O!� rief der Kleine, seine Augen noch weiter aufmachend, als d�chte er �ber den Sinn dieser goldenen Lehre nach, �dieses ist ebenfalls richtig, Herr Cherorjus, es mu� Narren geben! Die Welt k�nnte nicht bestehen ohne Narren, sie ginge unter und wir mit.�
Herr Hildebrand strich sein Messer fertig, hielt es gegen das Licht, nahm ein Haar und pr�fte es. Dies Mal grinste er freundlicher und nickte dazu, weil das Haar mitten durchgeschnitten wurde.
�Wie meinst Du das, Kummer?� fragte er dann, wobei er das Messer zuklappte und ernsthaft wurde.
�Denken Sie sich 'mal, Herr Cherorjus,� antwortete der Gehilfe, �es g�be keine Narren, w�rde sich da noch Einer rasiren lassen, w�rde nicht Jeder seinen Bart wachsen lassen? Und wenn's keine Narren g�be, w�rden Sie hier sitzen und Messer scharf machen? W�rde ich durch K�lte und Regen laufen, um noch in der Nacht den Herrn Rathszimmermeister einzuseifen, weil der noch in eine Gesellschaft gehen will? W�rden Sie nicht auch wie ein vornehmer Herr leben k�nnen, und w�rde der Baumeister, der Herr August –�
�Stille!� schrie der Bader, der bis dahin geduldig zugeh�rt hatte, und sein Famulus verstummte. �Du bist selbst ein Narr, Kummer,� f�gte er dann mit w�rdevoller Gewi�heit hinzu.
�Na, das sage ich ja!� rief Stummer vergn�gt. �Das ist ganz gewi�, Herr Cherorjus. Aber ich habe es gewu�t, so lange ich denken kann, und das ist mein Unterschied von anderen Narren, die es nicht wissen.�
Er sah dabei so schelmisch aus, sah seinen Herrn so listig von der Seite an und rieb seine H�nde so vergn�gt zusammen, da� Herr Hildebrand ihm einen ver�chtlichen Blick zuschleuderte.
�Du bist allerdings von jung an ein leichtsinniger Bursche gewesen und wirst auch ein solcher bleiben,� begann er nach einem Weilchen. �Ich habe Dich zu mir genommen und aufgezogen, als Du eine verlassene Waise warst, das sind wohl jetzt f�nf- oder sechsunddrei�ig Jahre her.�
�Und Gottlieb Kummer ist immer noch da, Herr Cherorjus,� unterbrach ihn der Kleine; �immer noch munter auf seinen Str�mpfen, obwohl es in dem alten Hause hier seitdem Etwas stiller geworden ist. Denn damals lebte die selige Frau noch, und es war gute Zeit bei ihr. Ich sehe sie noch, wie sie an dem schwarzen Ofen da in ihrer Jacke sa� und dem armen Gottlieb die dicksten Butterbrode schnitt, wenn er dumme Streiche gemacht hatte.�
Herr Hildebrand sah still vor sich hin, ohne zu antworten.
�Und als sie von uns gegangen war,� fuhr Gottlieb Kummer fort, �kam die Frau Inspectorin Werner in's Haus und brachte ihren Knaben mit, den August, der es noch ganz anders machte wie Gottlieb. Es war ein Kind wie Mild und Blut, und wer es sah, der schrie: das ist der ganze Onkel, das ist der Herr Cherorjus!�
�Stille!� schrie Herr Hildebrand abermals, indem er sich w�rdevoll aufrichtete. �Du bist wirklich ein ausgemachter Narr!�
�Das ist es ja, was ich sage!� lachte Kummer, �und ich will ja auch herzlich gern Einer sein, aber ein weiser Mann soll anders denken, soll doch denken, da� er milde sein mu� gegen uns arme Narren, und da� es Einen auf Erden giebt, der ihm n�her steht, wie alles Andere.�
�N�her steht! N�her steht!� murmelte Herr Hildebrand halblaut. �Wenn Du nicht so dumm und n�rrisch w�rest, w�rdest Du kein Wort mehr sagen; sobald Du aber noch ein Wort sagst, so geh' Deiner Wege, wohin Du willst.�
Damit erhob er sich, blickte ingrimmig und gravit�tisch umher und zog seine Uhr heraus, die er langsam betrachtete und wieder einsteckte. Dann ging er durch das Zimmer, bis er vor den K�figen stehen blieb und hineinblickte. Es entstand alsbald wieder darin ein z�rtliches Piepen und Fl�gelschlagen, und der Ernst zerschmolz in dem Gesichte des alten Mannes, der seine Finger durch die St�be steckte. Mit sich selbst sprechend, sagte er vor sich hin:
�Die Thiere sind dankbar. Bilden sich nicht ein, kl�ger zu sein, als ich, oder wohl gar besser. Es sind keine leichtsinnigen Burschen, die schlechte Streiche machen, ohne Gewissen, ohne Nachdenken.�
Er drehte sich gegen den Ofen um, an welchem sein Gehilfe stand, der beide H�nde an die warmen Stacheln hielt und seinen Hals mit dem K�rbiskopfe vorn �ber neigte. Herr Hildebrand zog seine dreigeh�usige Uhr abermals mit einem langen Armausstrecken aus der tiefen Uhrtasche und steckte sie wieder ein, dann zog er den Schlafrock aus und einen warmen schweren Rock an, den er fest zukn�pfte.
�Ich habe noch zehn Minuten Zeit,� sagte er hierauf, �um Dir zu beweisen, Kummer, da� Du ein Narr bist.�
�Ach, Herr Cherorjus, das ist ja gar nicht n�thig,� versetzte der Famulus, indem er kl�glich die Schultern zuckte.
�Es ist n�thig,� erwiederte Herr Hildebrand energisch, �denn auch ein Narr kann zu Verstande kommen, wenn er sich zusammen nimmt. H�re also an, Kummer, was ich Dir sage. Ich bin jetzt sechszig Jahre alt, habe Nichts als Dich und die V�gel da.�
�Und Ihren Schwestersohn, Herr Cherorjus,� fiel Kummer ein.
�Wenn ich einmal sterbe,� fuhr Herr Hildebrand, ohne dies zu beachten, fort, �so wirst Du mein Erbe sein. Du bekommst das Haus, kannst mein Gesch�ft fortsetzen, kannst hier ein gl�ckliches Dasein bis an Dein seliges Ende genie�en.�
�Es geschieht nicht, Herr Cherorjus, es geht nicht!� seufzte Kummer kopfsch�ttelnd. �Ich habe Nichts gelernt, kann keinen Examen machen, hab's niemals gekonnt.�
�Es giebt in der ganzen Welt Keinen, der ein Messer so zu behandeln versteht, wie Du, denn Du hast es von mir gelernt,� sagte Herr Hildebrand im stolzen Tone, indem er den Zeigefinger auf seine Brust setzte. �Warum kommen sie aus der ganzen Stadt weit her und holen Pflaster, Balsam und Blutegel? Warum kommen sie vom Lande weit und breit zum alten Hildebrand und gehen zu Keinem der neumodischen Marktschreier? Du wei�t Geheimnisse, Gottlieb Kummer, welche mehr werth sind, als als der aufgeputzte Firlefanz. Ich sage Dir, Du bist mehr werth, als zehn aufgeblasene Burschen, die da meinen, sie k�nnten eine neue Welt machen, und die Dich sammt Allem, was ich habe, auf den Tr�del bringen w�rden, sobald ich die Augen zumache. Und jetzt sei gescheidt, Gottlieb. Ich werde mein Testament machen. Sprich mir nie mehr von dem windbeuteligen Menschen, von dem ich Nichts wissen will.�
�Es geht aber doch nicht, Herr Cherorjus, nein, es geht nicht!� versetzte Kummer, indem er so spa�haft wie m�glich grinste und seine Augen auf die Th�re heftete.
�Warum geht es nicht?� fragte Herr Hildebrand zornig.
�Weil er ein Narr bleiben will, Onkel,� antwortete eine Stimme aus dem dunkeln Winkel an der Th�re, und ehe der alte Mann sich von seiner Ueberraschung erholen konnte, sah er einen jungen Mann vor sich stehen, der seinen Hut auf einen Stuhl schleuderte, da� er davon ab auf den Boden rollte, und w�hrend Kummer ihm nachsprang, aufhob und mit dem Rock�rmel abwischte, Herrn Hildebrand bei beiden H�nden ergriff und ihn trotz seines Str�ubens festhielt.
�Du wirst doch nicht b�se sein, Onkel?� rief er dabei. �Ich traf Gottlieb bei Deinem Nachbar, dem Rathszimmermeister Sarre. Er kam heraus, ich wollte hinein. Da er mir nun erz�hlte, Du seiest noch zu Hause und h�ttest zuweilen einige Sehnsucht nach mir, wagte ich es, ihn zu begleiten, und wartete dort im Winkel, damit er mich melde. Dazu hast Du es nicht kommen lassen, aber ich hatte Zeit, Dich zu betrachten. Du siehst vortrefflich aus. So r�stig und kr�ftig, da� ich mich herzlich dar�ber freue.�
Herr Hildebrand stand w�rdevoll vor seinem Neffen. Der Baumeister war schlank und wohlgebildet. Sein Gesicht hatte einnehmende Z�ge. Seine Augen blickten keck umher; um den feinen Mund lag ein stark ausgepr�gter Hang zur Sp�tterei, den der Onkel nie hatte leiden m�gen und auch jetzt mi�f�llig bemerkte. Im modischen gro�en Kragen und gelben Handschuhen sah er so vornehm, windbeutelig aus, wie Herr Hildebrand es nur w�nschen konnte.
�So, so!� sagte er, nachdem er ihn betrachtet hatte; �der Herr Baumeister kennt also meinen Nachbar?
�Seit kurzer Zeit erst, Onkel. Ich habe f�r ihn einige Arbeiten gemacht, doch das ist ein Mann, mit dem man gern in Verbindung bleibt. Praktisch, klug, speculativ, rasch dabei, wo es Geld zu gewinnen giebt. Der sitzt nicht in einer alten H�hle und denkt daran, wie es sonst war. Vorw�rts hei�t es bei ihm, fort mit dem alten Plunder, damit das Neue Platz bekommt.�
�So, so!� sagte Herr Hildebrand noch einmal und noch zur�ckhaltend w�rdevoller. �Nun, Jeder in seiner Weise. Meine Art vertr�gt sich nicht mit dem neumodischen Vorw�rts.�
�Das ist leider wahr, Onkel,� lachte der Baumeister. �Du bist der Mann aus der alten Zeit, sonst w�rde es anders hier aussehen.�
Sein Lachen beleidigte den Bader eben so sehr, wie sein sp�ttischer Blick und seine Rede. Schweigend nahm er von dem Haken an der Th�re seinen Hut und hing daf�r seine M�tze hin, dann griff er in dem Winkel am Schranke nach seinem Regenschirm und kam damit wieder zum Vorscheine.
W�hrend dieser Zeit hatte Kummer hinter seinem R�cken die Hand winkend aufgehoben, allerlei Zeichen gemacht und sein Gesicht in wunderbarer Weise verzerrt, damit der Baumeister sich davor erschrecken sollte, allein dieser schien in einer Laune zu sein, die nicht leicht auf Anderes Bedacht nimmt.
�Du wirst mich doch nicht verlassen wollen, Onkel?� fragte er.
�Ich habe keine Zeit mehr,� antwortete Herr Hildebrand.
�Punkt sieben Uhr also wandert der Stammgast noch immer in die alte Welt, Punkt zehn Uhr kehrt er in sein Paradies zur�ck,� lachte der Baumeister.
Der Oheim setzte gravit�tisch seinen breitkr�mpigen Hut auf.
�Dar�ber habe ich hoffentlich Niemandem Rechenschaft zu geben, und am allerwenigsten Dir,� sagte er mit unterdr�ckter Heftigkeit.
�Gewi� nicht, mein lieber Onkel, doch gehe jetzt nicht fort. Ich habe Manches auf dem Herzen, was ich mit Dir besprechen m�chte. L�ngere Zeit bin ich nicht bei Dir gewesen.�
�Der Herr Baumeister haben Besseres zu thun,� sagte Herr Hildebrand.
�Du hast es mir abgew�hnt, zu Dir zu kommen. La� es gut sein, Onkel. Ich habe Dir wohl einigen Anla� gegeben, mit mir zu hadern, doch bei allem meinem Leichtsinn, wie Du es nennst, verdiene ich nicht, da� Du mich versto�en und enterben willst.�
�Das ist meine Sache,� erwiederte Herr Hildebrand w�rdevoll.
�Erlaube,� versetzte der Baumeister, �das ist ohne Zweifel auch meine Sache, und es kann Nichts daraus werden, nein, es soll Nichts daraus werden!�
�So, so!, wir werden sehen,� sagte Herr Hildebrand emp�rt.
�Ja, wir werden sehen, Herr Chirurgus, wir werden sehen!� rief der junge Mann leichtfertig lachend. �So geht es nicht, so wirst Du mich nicht los.�
Eine dunkle R�the stieg in das Gesicht des alten Mannes. Er hob seinen Arm auf, fa�te in seine Taschen und dann in seine Halsbinde. Ein stolzes L�cheln zitterte auf seinen Lippen; endlich griff er pl�tzlich an seinen Hut, hob diesen ein wenig auf und sagte:
�Guten Abend, Kummer. Schlie� die Th�re zu.�
�Nein, Onkel!� rief der Baumeister, der ihn umfa�te und festhielt, �ich lasse Dich nicht fort. Es ist ja Alles nur Scherz; ich achte, ehre und liebe Dich von ganzem Herzen.�
�Undankbarkeit!� murmelte Herr Hildebrand, indem er sich frei zu machen suchte.
�Ich bin nicht undankbar! Ich wei�, was ich Dir schulde!� rief sein Neffe. �Als ich Deinen Willen nicht befolgte, als ich eine andere Laufbahn w�hlte, wie Du es w�nschtest, kein Doctor oder Chirurg wurde, hast Du mir Deine Gunst entzogen, mich aber doch gewi� nicht aus Deinem Herzen gestrichen.�
�Und wie weit sind wir jetzt, eh?� fragte Herr Hildebrand.
�Jetzt habe ich mein Examen mit allen Ehren gemacht, warte auf eine Anstellung, besch�ftige mich inzwischen mit Privatbauten.�
�Gratulire, gratulire, wenn es Geld bringt!�
�Mit der Zeit bringt es auch Geld, doch was ich selbst vom irdischen Mammon besa�, ist inzwischen d'rauf gegangen.�
�Schulden gemacht! Schulden gemacht!� murmelte Herr Hildebrand. �Leichtsinnig gelebt, wie ein feiner Herr gelebt. Danke ergebenst. Ich bezahle Nichts.�
�Das verlange ich auch nicht. Ich werde meine Schulden selbst bezahlen, werde es in ehrlicher Weise thun, denn ich habe Aussichten dazu. Alle meine S�nden bereue ich, Onkel, habe sie abgeschworen und mich gebessert.�
�Oho! So, so!� rief Herr Hildebrand.
�Deswegen komme ich auch zu Dir, um mit Dir von meinen Hoffnungen zu sprechen und Dich zu bitten –�
�Ich gebe Nichts!� fiel Herr Hildebrand ein. �Auch habe ich keine Zeit, mich jetzt l�nger aufzuhalten,� f�gte er w�rdevoll hinzu. �Schlie� die Th�re zu, Kummer.�
�Du hast keine Zeit, den Sohn Deiner Schwester anzuh�ren, Deinen n�chsten und einzigen Verwandten?� fragte der junge Mann, indem er ihm nochmals den Weg vertrat.
Herr Hildebrand richtete den Kopf bis in den Nacken auf und hielt ihn dort eine Minute lang fest, dann wandte er ihn majest�tisch nach dem Ofen um, wo Kummer noch immer stand, die H�nde an die warmen Kacheln gedr�ckt und den Hals vorn�ber gebeugt, den Boden anstarrend, als wollte er Nichts sehen. Hierauf hob er langsam den Arm, deutete mit dem Zeigefinger auf seinen Famulus und sagte mit w�rdevollem Nachdruck:
�Da steht, der mir am n�chsten ist und mein Sohn und Erbe sein soll!�
Einen Augenblick schwieg der Baumeister, doch in seinem Gesichte arbeiteten die heftigsten Empfindungen. Seine Lippen zuckten sp�ttisch, seine Stirn zog sich zusammen, und seine lebhaften Augen machten den Versuch, ruhig und bed�chtig zu blicken.
�Kummer selbst ist vern�nftig genug,� sagte er endlich; �keine Anspr�che auf diesen Titel und diese Erbschaft zu machen.�
Ohne sich zu r�hren, sah Herr Hildebrand seinen erw�hlten Erben an.
�Gottlieb, komm' n�her,� begann er hierauf mit gewohnter Festigkeit.
Der K�rbi�kopf schnellte sich empor, und aus den vorquellenden Augen kamen ein Paar bittende Blicke, die von einem freundlichen Grinsen begleitet wurden.
�Sogleich, Herr Cherorjus!� schrie er, �ja, ja, sogleich! Da bin ich schon.�
�Reiche mir Deine Hand her, Gottlieb,� fuhr Herr Hildebrand gebietend fort.
�Meine Hand, o!� sagte Kummer l�chelnd, indem er diese aufhob und langsam wieder zur�ckzog. �Sie werden doch nicht, Herr Cherorjus – Sie wissen ja, was ich f�r ein Narr bin. Es ist Spa�, Herr Cherorjus, nicht? O Herr Je –, Spa�! Haha, blo�er Spa�!�
�Reiche mir Deine Hand her!� wiederholte Herr Hildebrand mit noch gr��erer Feierlichkeit, und Kummer streckte seine rothe dicke Tatze aus dem Aermel des gr�nen Flausrockes z�gernd hervor, bis sein Herr sie gefa�t hatte.
�Ich frage Dich,� sagte Dieser, auf ihn niederblickend, �ob Du mein Sohn und Erbe sein willst?�
�Bester Herr Cherorjus,� rief Kummer, �ob ich will? Warum sollte ich nicht wollen? Gewi�, es versteht sich von selbst, nach bester Ueberzeugung und mit aller Sorgfalt. Aber ich sagte es Ihnen ja, es ist ja Spa�, wie w�re es denn m�glich? Es ist nicht m�glich! Da ist ja Herr August und – o! I Gott bewahre, nein! Es ist ja doch nur Spa�!�
�Es ist mein unwiderruflicher Wille, Du sollst mein Sohn und Erbe sein!� sagte Herr Hildebrand.
�Ich, ich?� stotterte Kummer. �Allerliebster Herr Cherorjus, es w�re ja gegen alles Christenthum, wie gegen die Moral und – gegen das Gef�hl im menschlichen Herzen. Bedenken Sie doch, was die Welt dazu sagen th�te.�
�Du Narr, Du!� sagte Herr Hildebrand mit ausbrechendem Zorne, indem er Kummer's Hand loslie� und von sich stie�. �Du willst nicht?�
�Das ist es ja eben, ich Narr, ich!� seufzte Kummer bittend und lachend. �Die ganze Welt ist ja n�rrisch, aber ein kluger Mann freut sich dar�ber. Geben Sie ihm ein gutes Wort, Herr August, es mu� gleich Sieben schlagen. Morgen ist auch noch ein Tag, Herr Cherorjus, sagen Sie ihm, er soll morgen wiederkommen.�
�Nein!� schrie Herr Hildebrand, seinen Regenschirm heftig aufsto�end, �er soll niemals mehr wiederkommen,� und indem er sich gravit�tisch zu seinem Neffen umwandte, fuhr er fort: �Was hast Du mir noch mitzutheilen?�
�Erst mache ein freundliches Gesicht, Onkel, denn es ist etwas Gutes, von dem ich hoffe, da� es Dich mit mir vers�hnen wird. Ich denke mich zu verheirathen.�
Er hatte sich seines Onkels Hand bem�chtigt, aber mit einem Rucke zog dieser sie wieder fort. Ohne Zweifel war er sehr erstaunt �ber diese Neuigkeit, denn er sah seinen Neffen starr an und sch�ttelte den Kopf dabei, ohne feine w�rdige Fassung zu verlieren.
�Verheirathen?� sagte er dann, indem er seine Lippen hart und hohnvoll zusammenpre�te. �Leichtsinnige Heirathen sind Mode. Was geht es mich an?�
�Ich bin nicht leichtsinnig,� fuhr der Baumeister fort, aber Herr Hildebrand wollte Nichts weiter h�ren.
�Was geht es mich an!� rief er noch einmal. �Ich gratulire, wenn es eine reiche Braut ist, allein ich sollte meinen –�
�Ich sollte meinen,� unterbrach ihn der junge Mann in seiner leichtfertigen Weise, erbittert und spottend, �daran w�re mir nicht gelegen, die Hauptsache ist, da� meine Geliebte mich liebt, da� sie ein Herz besitzt, wie ich es w�nsche, und da� ich mit ihr gl�cklich zu sein denke.�
�Dann mu� es wirklich ein au�erordentliches Wesen sein,� sagte Herr Hildebrand.
�Das ist sie auch, Onkel, das ist sie! Stell' Dich an, wie Du willst, Du sollst Dich dennoch mit mir und meiner Wahl vers�hnen. Falte Deine Stirn, wir wollen die Falten daraus vertreiben. Was hast Du denn gegen mich? Du bist ungerecht, Du mu�t es einsehen.�
�Ungerecht? So, so!� sagte Herr Hildebrand.
�Ja, ungerecht,� fuhr sein Neffe fort, �selbst Gottlieb Kummer kann es Dir nicht verschweigen.�
�Ich will Nichts mehr von ihm – gar Nichts mehr!� sagte der alte Herr.
�Du stehst allein in der Welt, allein in Deinem Alter, und bist doch ein wohlhabender Mann, trotz dieser alten H�tte und dem alten Ger�mpel darin.�
�Stille!� schrie Herr Hildebrand. �Ich habe wenig,� setzte er bed�chtig hinzu, �was ich jedoch besitze, geh�rt mir allein.�
�Aber ich kann mir noch immer nicht denken,� versetzte der Baumeister, �da� Du mich wirklich aus Deinem Herzen und Deinem Hause verbannen willst. Das w�re unnat�rlich, durch Nichts gerechtfertigt. Wenn ich heirathe –�
�Ich kann selbst heirathen,� fiel Herr Hildebrand heftiger ein.
�Du – Du!� Der Spott siegte im Gesichte des jungen Mannes �ber den Ernst darin; er brach in ein Gel�chter aus. �Dazu bist Du zu vern�nftig, Onkel!� rief er. �Wer sollte Dich denn nehmen? Um Dein Geld vielleicht irgend eine alte Jungfer, oder eine babgierige Wittwe, oder eine �hnliche verlorene Seele. Keine thut es aus reinem Herzen.�
�Ich werde heirathen!� wiederholte der alte Herr hartn�ckig, indem er seine Stimme zornig erhob.
�Das wirst Du nicht thun, Onkel. Du wirst Dich nicht l�cherlich machen.�
�L�cherlich?� fragte Herr Hildebrand mit dunkelrothem Gesichte, indem er sich bem�hte, sich zu beherrschen. �So, so, l�cherlich! Gut!�
�Nimm es nicht �bel, Onkel, aber die ganze Welt w�rde es so nennen. La� mich heirathen. Wir wollen Deine Kinder sein, Dein Alter so sch�n machen, wie wir immer k�nnen, Dich lieben und ehren, so viel wir verm�gen. Wir bauen ein neues Haus statt dieser alten wurmstichigen H�tte, wohnen bei Dir, oder Du bei uns. Du giebst endlich den ganzen Tr�del auf, da ja obenein Deine Zeit vorbei ist, und es viel j�ngere und geschicktere Chirurgen giebt.�
Weiter lie� Herr Hildebrand seinen unbesonnenen Neffen nicht reden. Sein Zorn �berw�ltigte den letzten Rest seiner W�rdigkeit. Mit flammenden Blicken stie� er den gro�en rothen Regenschirm vor sich auf den Boden, da� es knackte, und aus tiefer Brust hervor sagte er zitternd:
�Tr�del! Ich mein Haus niederrei�en? H�tte!� –
Er hob seinen Arm auf und ballte die Hand zusammen.
�Lieber wollte ich –.�
In dem Augenblicke schlug die Wanduhr am Ofen Sieben, und Herr Hildebrand warf einen hastigen Blick dorthin, kn�pfte seinen Rock zu, r�ckte seinen Hut in die Augen und fuhr in heftiger Aufregung fort:
�Bleib' Du bei Deinem Tr�del, ich werde bei meinem bleiben. Verlorene Seele! Ich werde Dir zeigen – so, so, wir wollen sehen, ob ich mich l�cherlich mache. Ich verbitte mir allen weiteren Besuch. Schlie�' die Th�re zu, Kummer. Wer nicht hierher geh�rt, kann gehen.�
Den Kopf gerade aus, lief er an seinem Neffen vorbei.
�Ich werde nicht wiederkommen, bis Du mich rufst,� rief Dieser ihm nach, �und das wird erfolgen, denn Du wirst zuletzt doch einsehen, da� ich recht habe.�
Herr Hildebrand antwortete nicht. Er beschleunigte seine Schritte, warf die Th�re zu und war verschwunden.
Einige Minuten lang folgte diesem heftigen Auftritte ein g�nzliches Schweigen. Der Baumeister stand in der Mitte der niederen Stube, kreuzte seine Arme und sah finster vor sich hin. Pl�tzlich aber fing er laut und heftig an zu lachen, gerade in den K�rbi�kopf hinein, der ihn mi�billigend und ernsthaft anblickte.
�Warum lachst Du nicht, Gottlieb?� rief er, den dicken kurzbeinigen Burschen an beiden Schultern sch�ttelnd; �warum siehst Du so jammervoll verdutzt aus, als w�re mir ein Ungl�ck geschehen?�
�Warten Sie es ab, Herr August, warten Sie es ab,� brummte Kummer, indem er hin- und herwackelte. �Es wird schon kommen. Sie sollen sehen, es wird kommen.�
�Was wird denn kommen, Sohn und Erbe?� fragte der junge Mann, ohne sich st�ren zu lassen.
�Damit ist es jetzt vorbei,� sagte Kummer. �Das vergi�t er mir nie. Und wenn er den ersten besten Nachtw�chter zum Erben einsetzen soll, ich kriege Nichts mehr davon ab.�
�Warum bist Du so n�rrisch gewesen, alter Gottlieb, hast nicht zugefa�t, als er Dir die Strippe vorhielt?� –
In dem Augenblicke aber, wo der Baumeister dies sagte, legte er seine Arme um den dicken Kopf und fuhr mit herzlicher Freudigkeit fort:
�Du gutes ehrliches Gesicht! Mag er uns alle Beide enterben, das will ich Dir nie vergessen. Habe ich ein St�ck Brod, soll's Dir nicht daran fehlen; doch noch sind wir nicht so weit, um uns ohne Weiteres aus dem Hause werfen zu lassen. Er soll uns kennen lernen, Gottlieb. Wir wollen ihn zur Vernunft bringen.�
�H�tten Sie es nur nicht so arg gemacht, Herr August,� sagte Kummer. �Ich habe so viel gewinkt und gezuckt, alle Glieder thun mir davon weh; aber Sie h�rten ja nicht auf, Oel in's Feuer zu gie�en. Jetzt haben wir die Geschichte. Ich sage Ihnen, Sie werden sehen, es ist richtig.�
�Ich habe ihm ja Nichts gethan,� erwiederte der Baumeister. �Alles, was ich sagte, ist wahr und sollte ihn vers�hnlich stimmen.�
Kummer rieb sich vergn�gt grinsend die H�nde.
�Das ist eine sch�ne Art, Einen zu vers�hnen,� schrie er, �der sich kl�ger wei�, wie alle Anderen. Wenn Sie ihm sagen, es sei unvern�nftig und unnat�rlich und passe sich nicht, und es solle nimmermehr geschehen, da soll er wohl lustig lachen?�
�Es soll auch nicht geschehen, so lange ich's hindern kann,� rief der junge Herr.
�O, Herr Je –!� fuhr Kummer noch vergn�gter fort, �und ihm zu sagen, er verst�nde Nichts, es w�ren Andere da, die ihre Sache besser machten.�
�Auch das ist wahr, Gottlieb, seine Zeit ist l�ngst vorbei. Weil er im Kriege als Compagniefeldscheer mitlief, hat er nachher gepflastert und gedoctert, und man hat's ihm nachgesehen. Jetzt giebt's t�chtige Chirurgen genug, er aber sitzt noch immer hier in der alten H�tte, schleift Messer und verkauft Blutegel und rei�t ungl�cklichen armen Teufeln, die sich zu ihm verirren, gesunde Z�hne aus.�
Kummer's vorquellende Augen blitzten vor Lustigkeit, er hielt seine Hand vor den Mund, um nicht laut zu lachen, indem er seine Ohren spitzte und nach Fenstern und Th�re sah, als f�rchte er, da� Jemand horchen k�nnte.
�Stille, um Gotteswillen stille!� fl�sterte er. �Reden Sie nicht so, Herr August. Wenn er es h�ren th�te, es ginge ihm bis in die H�hneraugen. Zehn Thaler m�chte ich nicht nehmen, da� ich ihn in solcher Wuth gesehen habe.�
Hier konnte Kummer sich nicht l�nger m��igen. Er lachte ausgelassen, ri� den Mund wie ein Nu�knacker auf, zog ein Bein dabei in die H�he und lehnte sich mit solcher Gewalt an den Ofen, da� dieser zu wackeln anfing, was Kummer mit einem pr�fenden Blicke �ber seine Schulter erwiederte, indem er pl�tzlich ernsthaft wurde.
�Er ist voller Einbildungen, und seine Abneigung gegen mich schlimmer, als ich meinte,� sagte der Baumeister inzwischen. �Nicht einmal anh�ren mochte er mich, als ich ihm erz�hlen wollte, wie gl�cklich ich bin, welch' ein M�dchen mich liebt, und welche Heirath mir bevorsteht, wie er es gewi� nicht erwartet.�
�Au weh, au weh!� schrie Kummer, indem er sich an's Ohr fa�te und ein schreckliches Gesicht schnitt.
�Was ist Dir denn?� fragte Werner.
�Das ist es ja eben, Herr August, das ist ja das Allerschlimmste,� wimmerte Kummer. �Ich sehe es kommen, es geschieht so. Sie k�nnen sich darauf verlassen, es geschieht so!�
�Was geschieht?�
�Da� er heirathet. Auf jeden Fall heirathet!�
�Das wird er doch nicht thun, Kummer?�
�Und dann ist es aus, dann ist's rein aus. Der ganze Kummer wird ausgefegt!�
�Thorheit! Thorheit!� rief der Baumeister.
�Ich kenne ihn,� erwiederte Kummer. �Was er sich in den Kopf setzt, das f�hrt er aus, und als Sie ihm sagten, er mache sich l�cherlich, als ich da in seine Augen sah, bekam ich einen Schreck.�
�Sollte das wirklich m�glich sein? Heirathen, er! Es ist Unsinn!�
�Er nimmt Eine!� schrie Kummer. �Sie sollen sehen, er nimmt jetzt wirklich Eine. In fr�heren Zeiten wandelte ihn manchmal die Lust dazu an, aber zuletzt f�rchtete er sich immer wieder davor. Jetzt geht er darauf aus, Ihnen zum Aerger, und er wird schon Eine finden, so Eine, die uns Beiden die Augen auskratzt.�
�Und ihm dazu, Gottlieb,� lachte Werner. �Es w�re sein Ungl�ck, und das mit anzusehen, habe ich ihn doch zu lieb. Aber auch, um unserer selbst willen d�rfen wir es nicht leiden.�
�Was k�nnen wir denn hindern?� wandte Kummer ein.
Der Baumeister ging einige Male auf und ab, blieb dann vor seinem Vertrauten stehen und schlug ihn auf die Schulter.
�Wir werden es hindern, alter Gottlieb, wir m�ssen es hindern! Willst Du mir beistehen und thun, was ich Dir sage?�
�Das versteht sich, Herr August. Mit bester Ueberzeugung und aller Sorgfalt!� versicherte Kummer, von dieser Energie angesteckt.
�Dann sprich zu Allem ja, was er auch unternimmt. Hilf ihm bei allen seinen Thorheiten, so viel Du kannst.�
�Ich, Herr August, ich?�
�Schimpfe auf mich, verdamme mich, verspotte mich, und wenn es wirklich dahin kommt, da� er heirathen will, rede ihm zu, lobe ihn, reize ihn an, wer es auch sei, jung oder alt, h��lich oder sch�n, ganz einerlei, wie sie aussehen mag, wer sie sein mag.�
�Aber, Herr August, meinen Sie wirklich?� fragte Kummer verwirrt.
�Wer es auch sein mag, mein tapferer Schildknappe,� wiederholte Werner lachend, �eine Fee oder Hexe, ein Engel oder ein Drache. Treibe ihn an, Gottlieb, hetze ihn gegen mich, wiederhole ihm t�glich, da� ich ihn verspottet und ausgelacht habe. L�ge dazu, was Du Lust hast; sage ihm, er m�sse heirathen, ich verdiene es nicht besser, und freue Dich selbst dar�ber.�
�Ich, Herr August, o, ich freuen, helfen? Was sagen Sie da?� schrie Kummer seine H�nde zusammenschlagend. �Sind Sie denn –�
�Bei Sinnen,� fiel der Baumeister ein, �Vollkommen, Du kannst Dich darauf verlassen. Thue, was ich Dir sage. Schmeichle seiner Eitelkeit, r�hme seine Tugenden, lobe seine Vors�tze, preise die Prinzessin, welche er sich auserw�hlt. La� Dich durch Nichts irre machen, gehe auf alle seine Narrheiten ein, und wenn er etwa sich besinnen, wenn er still stehen oder gar umkehren will, gieb ihm einen neuen Sto�. Ich wei�, da� unter Deinem dicken Sch�del mehr Witz verborgen ist, als Dein weiser Meister denkt, da� unter dem groben gr�nen Flaus hier ein Herz sitzt, besser als viele, die unter Sammet und Seide schlagen. So halte Dich denn tapfer, alter Gottlieb, und verla� mich nicht. Denke daran, da� wir siegen m�ssen, und da� Du mich oft schon besch�tzt hast, wenn Andere mir Uebles thun wollten. Und jetzt lebe wohl, mein Freund und G�nner! Ich mu� fort, aber ich sehe Dich morgen wieder, und dann sollst Du mehr h�ren.�
W�hrend dieser Abschiedsrede warf der Baumeister seinen Kragen um, setzte seinen Hut auf, dr�ckte Kummer's dicke H�nde, der ihn beif�llig angrinste, und war hinaus, ehe der ehrliche Bursche neue Einwendungen erheben konnte. Im Grunde waren ihm diese auch vergangen; diese Beredtsamkeit des jungen Mannes, dem er z�rtlich zugethan war, hatte alle seine Bedenken besiegt, es kam ihm vor, als sei Alles recht und gut, was er thun wollte, um den Herrn Cherorjus zur Vernunft zu bringen.
Er schlo� die Th�re, machte sich dann an den Tisch, wischte die Steine ab und trug sie fort, steckte die Messer in ihre Futterale und legte die Riemen, Flaschen und das gesammte Werkzeug, wohin jedes geh�rte. Dabei sprach er kein Wort, doch sein Gesicht strahlte immer heller, der ganze K�rbi�kopf kam nach und nach in Bewegung, und ein Gemisch von Spott und Lust und ausb�ndiger Pfiffigkeit malte sich darin in erg�tzlichster Weise. Seine H�nde reibend ging er auf und nieder, bis seine Schritte zu einem H�pfen wurden, und endlich, als er auf dem H�hepunkt seiner Empfindungen angelangt war, machte er einen Satz und brach in wildes Gel�chter aus.
�Es ist ein Teufelskerl!� schrie er, indem er schlau umhersah, und seine Stimme sich zu einem leisen Gekicher zusammenzog, �aber ein Mensch, o ein Mensch, eine wahre Seele von Mensch! Wenn ich ihn heirathen k�nnte, ich n�hme ihn selbst, aber ich helfe ihm, ja ich helfe ihm, und wenn der Herr Cherorjus mich auch daf�r an die Luft setzt, ich helfe ihm doch. Es soll Alles geschehen, was er haben will.�
W�hrend dessen war Herr Hildebrand r�stig vorw�rts gepilgert dem Hause zu, wo er allabendlich drei Stunden seines irdischen Daseins verlebte. Er hatte ziemlich weit zu gehen, doch trotz dem rauhen Wetter und der Finsterni� schritt er rasch �ber die nassen Steine. Sein Gesicht war hei� von dem erhitzten Blute, auch war es eine gute Viertelstunde sp�ter als gew�hnlich, was seinen Verdru� noch mehr sch�rfte.
W�hrend er mit den Windst��en zu thun hatte, die mit ihren kalten H�nden ihn an Hut und Rock zerrten, verfinsterte sich seine Stirn immer von Neuem, und vor sich hin brummend sagte er mehr als zehn Male:
�Nichts soll er haben, nicht einen Pfennig! Ich will ihm zeigen, wer ich bin. Windbeutel! Taugenichts! Verlorene Seele? Warte, Du sollst mich kennen lernen, warte!�
Unter solchen Selbstgespr�chen langte er bei seinem Bestimmungsorte an, und jetzt zuerst blickte er friedlicher auf, als er die kleine schwarze Tafel �ber der Th�re anschaute mit der Inschrift: �Zur alten Welt.� Diese alte Welt, das war seine Welt. Es ging ihm wirklich durch die Brust, und wie er die lange Vorflur durchschritt, in welcher ein einsames kleines Fl�mmchen den Weg beleuchtete, f�hlte er sich vom alten guten Geiste angeweht. Fast noch weiter als sonst �ffnete er die Th�re, welche in das Zimmer der Stammg�ste f�hrte, und trat in w�rdiger Sicherheit hinein.
Da hing die Doppellampe von blankgeputztem Messing mitten �ber dem braungestrichenen gro�en Tisch, um welchen schwere Holzst�hle mit plumpen Lehnen standen. An den W�nden neben dem Ofen befanden sich Riegel und Pfl�cke zum Aufh�ngen der M�ntel und H�te, an der anderen Seite ein Pfeifenspind mit Nummern und Namen. Der Fu�boden war mit Sand bestreut, die Fenster mit rothem Kattun umh�ngt, die W�nde gelb gef�rbt, Alles sauber und rein, aber schwarz beraucht und �u�erst einfach. Nirgends ein Ausputz, nirgends eine Spur von modernem Luxus.
Kaum hatte Herr Hildebrand sich gezeigt, als der Wirth durch die Glasth�re hereinkam, die in das Schenkzimmer f�hrte. Er war eben so einfach wie sein Hauswesen, dick und st�mmig und wohl so alt wie sein Gast. Ueber seinen grauen groben Rock hatte er eine blaue Sch�rze gebunden, die bis an den Hals hinauf ging, und seine F��e steckten in wollenen Pantoffeln. Mit zuthulicher Freundlichkeit begr��te er den Herrn Cherorjus, nahm ihm Regenschirm und Hut ab und half ihm den schweren Rock ausziehen, den er an den bestimmten Platz hing.
Herr Hildebrand lie� sich dies Alles mit gelassener W�rdigkeit gefallen, dann setzte er sich an seinen Platz, den Niemand einzunehmen gewagt h�tte, auch wenn das ganze Zimmer voll G�ste gewesen w�re, obwohl dies jetzt v�llig leer war. Der Wirth ging inzwischen zu dem Pfeifenspind, wo er eine gestopfte Pfeife herausnahm und sie dem Herren Cherorjus pr�sentirte. W�hrend dieser dann einige pr�fende Untersuchungen anstellte, um sich zu �berzeugen, da� Nichts verabs�umt sei, holte er einen Becher voll langer Papierstreifen, setzte ihn auf den Tisch, nahm einen der Fidibusse heraus, brannte ihn an der Lampe an und stand wartend fertig vor dem verehrten Gaste.
�Es ist alles in sch�nster Ordnung, Herr Cherorjus,� sagte er mit Selbstbewu�tsein. �Ich habe Ihre Pfeife selbst rein gemacht, denn dabei kann man sich auf keinen Andern verlassen. Aber ich glaubte schon, Sie w�rden heute nicht kommen.�
�Nicht kommen?� versetzte Herr Hildebrand beleidigt, und indem er den Zweifler durchbohrend ansah, senkte er die Pfeife und steckte die Spitze in den Mund.
Der Wirth hielt schnell den flammenden Fidibus darauf, und eine lange blaue Dampfwolke stieg empor, welche er vergn�gt betrachtete.
�Es brennt pr�chtig,� sagte er. �Ich dachte, Sie k�men nicht wegen des schlechten Wetters. Es ist heute noch Keiner hier.�
�Ich komme immer, Winter,� erwiederte Herr Hildebrand stolz. �Es mag Wetter sein, wie es will.�
�Das ist wahr, Herr Cherorjus!� rief der Wirth, und indem sein hartes, gelbes Gesicht sich mit freudiger Bewunderung f�llte, setzte er hinzu: �Sie sind immer auf dem Platze, und ich w��te auch nicht, was uns fehlen th�te, wenn Sie einmal wegblieben.�
�Ich werde niemals fehlen, Winter,� fuhr Herr Hildebrand energisch fort, �bis Alles vorbei ist.�
�Damit hat es noch lange Zeit,� lachte der Wirth. �Sie nehmen es mit dem J�ngsten auf, denn wie jetzt die Welt ist!� …
�Windbeutelei! Plunder!� fiel Herr Hildebrand ein.
�So ist es,� antwortete Winter. �Da kommt meine Frau und bringt Ihr Glas. Sehen Sie 'mal die an, Herr Cherorjus. Dreiundf�nfzig gewesen, aber immer frisch und munter.�
Die Wirthin trat eben herein und brachte ein sch�umendes Deckelglas voll edlen Gerstensaftes, und wie sie es freundlich gr��end vor dem lieben Herrn Cherorjus hinstellte, geschw�tzig zutraulich und doch voll Achtung und Ehrerbietung, die Hand abwischte, ehe sie ihm diese reichte, mit ihm zu scherzen begann, und so prall und reinlich aussah, so rasch sich drehte, und ehrbar lustige Worte �ber sein Aussehen und �ber die Sehnsucht sagte, mit der sie ihn erwartet habe, mu�te Herr Hildebrand einen Theil seiner W�rdigkeit aufgeben, ihre Scherze erwiedern und in ihres Mannes Lob einstimmen. Er erfreute sich an ihren Antworten und h�rte mit Behagen zu, wie das Ehepaar vereint ihr althergebrachtes Hauswesen lobten. Von Vater und Gro�vater war die Wirthschaft schon in derselben Weise gef�hrt worden, und Nichts sollte hinzugethan, Nichts abge�ndert werden.
�So lange wir die Augen aufhaben,� sagte die Wirthin, �soll uns Keiner mit dem Firlefanz kommen, wie er jetzt Mode ist: Tapeten an den W�nden, polirte Tische, Sophas, Polsterst�hle, gestickte Gardinen und gro�e Spiegel. Dazu die vielen Gasflammen und Kronleuchter, Herr Cherorjus, als ob man in Pal�ste kommt. Damit lassen wir uns nicht ein, durchaus nicht, gar nicht!�
�Und solche Windbeutel von Kellnern in Schuhen und Str�mpfen und kurzen J�ckchen,� setzte ihr Mann ver�chtlich lachend hinzu, indem er seine blaue Sch�rze straff zog, �die wollte ich jagen! Wo dergleichen Bursche sind, ist nichts als Unordnung.�
�Lange Speisekarten, aber Nichts dahinter,� fiel die lebhafte Frau ein. �Tellerchen von feinem Porzellan wie eine Hand gro�, Nichts darauf, aber silberne Gabeln und Messer. Lauter Fickfack, aber es giebt Gott sei Dank! noch Leute, die da wissen, was ein gutes Gericht zu sagen hat. Niemals mehr als ein Gericht, Herr Cherorjus, aber immer was Gutes. So ist es bei uns Sitte, und so bleibt es. Damit kann man Ehre einlegen vor Gott und Menschen.�
�Was giebt es denn heute?� fragte Herr Hildebrand behaglich nickend.
�Schmorbraten, Herr Cherorjus,� erwiederte die gute Wirthin, indem sie sich zu ihm niederbeugte.
�Aha!� sagte Herr Hildebrand an sein Kinn fassend und mit nachdenklich ernsthaften Blicken. �Sehr gut, wenn er von der richtigen Sorte ist.�
�Na, Sie wissen ja, Herr Cherorjus,� fuhr die Wirthin stolz l�chelnd fort, �in meine K�che kommt Nichts als das Allerbeste. Nichts von der neumodischen Zusammenklexerei, wo der Name das Beste daran ist. Du mein Gott, was schmieren sie jetzt f�r Gerichte zusammen, und die vornehmen Herrschaften m�ssen es essen und bezahlen! Bei mir nicht, Herr Cherorjus, das wissen Sie; alles Kern, alles Saft.�
Herr Hildebrand schien den Saft zu f�hlen, er leckte seine Lippen.
�Windbeutelei!� murmelte er, indem er an seinen Neffen dachte. �Dergleichen Menschen m�ssen so bedient werden.�
�Ich habe schon ein St�ckchen f�r Sie zurecht gelegt,� sagte die Wirthin vertraulich fl�sternd. �So recht aus der Mitte; auf der Zunge mu� es zergehen.�
Herr Hildebrand l�chelte l�stern.
�Also doch f�r mich gesorgt?� erwiederte er wohlgef�llig.
�Sie sind immer der Erste, Herr Cherorjus,� betheuerte die Wirthin. �Ehe Sie nicht versorgt sind, wird an keinen Andern gedacht.�
Ein stolzes Selbstgef�hl malte sich in Herrn Hildebrand's Gesicht. So war es recht, das erfreute ihn. Mit w�rdevoller Huld sah er seine sorgsame Freundin an und gab ihr ein Zeichen, da� er damit zufrieden sei.
�Lassen Sie sehen, Frau Winter, was Sie f�r mich ausgesucht haben,� sagte er dann, �und Sie, Winter, stellen Sie mir noch eine gute Flasche zur�ck.�
Wirth und Wirthin eilten fort, und jetzt sa� Herr Hildebrand im Vollgenu� seiner Oberherrlichkeit und h�llte sich in die balsamischen D�mpfe seiner Pfeife. Hier war er der gro�e Mann, den Jeder mit Ehrfurcht behandelte. Hier war kein Sp�tter, kein Verr�ther. Jeder, der ihm nahte, kam mit dem Gef�hle der Hochachtung, jeder seiner Winke fand augenblicklichen Gehorsam.
Bald stand ein wundervolles St�ck des saftigsten Fleisches vor dem Herrn Cherorjus, ein wahrer Fleischberg, aus welchem Wolken k�stlichen Duftes aufstiegen, und mit welcher Dankbarkeit nahm die gute Wirthin sein lobendes Wort auf! Nach und nach erschienen dann mehrere andere G�ste, die ihre Pfeifen und Gl�ser erhielten und den Tisch besetzten. Alle begr��ten den Herrn Cherorjus mit besonderer achtungsvoller Ergebenheit, denn er war der Pr�sident dieser Versammlung, ihr F�hrer und Leiter, ihr Mann der Wissenschaft und Weisheit.
Mit dem einzigen Worte �delikat!� waren alle Zweifel �ber den Werth des heutigen Abendessens niedergeschlagen. Niemand wagte noch einen Widerspruch, selbst die nicht, welche sehnige Eckst�cken bekommen hatten. Die guten B�rger, welche sich hier von ihren Gesch�ften erholten, blieben fern von allen rebellischen Gel�sten. Der Herr Cherorjus hat gesprochen, galt ihnen so viel wie: Rom hat gesprochen, und Herr Hildebrand sa� in ihrem Kreise in diesem dampfigen Halbdunkel, wie ein Herrscher im Olymp, der �ber alles wacht und �ber Alle richtet.
Es wurde mancherlei erz�hlt, Tagesbegebenheiten, Erlebnisse, Stadt- und Hofgeschichten, �ber Krieg und Frieden raisonnirt, �ber Ausland und Inland, �ber F�rsten und Minister, und �fter geriethen die Parteien in Streit, ihre letzte Instanz war jedoch jedes Mal der Herr Cherorjus. W�rdevoll schweigend sa� er in seinem Holzsessel, die linke Hand auf den Tisch gelegt, die Pfeife dann und wann von den Lippen ziehend, den Kopf in den Nacken zur�ckgezogen, nachsinnenden Ernst auf seiner Stirn. So h�rte er zu, ohne einen Zug in seinem Gesichte zu ver�ndern, ohne das leiseste Zeichen von Ungeduld, bis die verh�ngni�volle Appellation an seine h�chste Autorit�t erfolgte.
Dann sprach er das Urtheil mit wenigen Worten, und damit war es gut. Die Partei, welcher er beitrat, hatte gesiegt. Jeder wu�te ja, da� der Herr Cherorjus ein ausgezeichneter Mann sei, und es war merkw�rdig, was er Alles verstand, was er kannte, was er gesehen und erfahren hatte. In Paris war er zwei Mal gewesen mit dem glorreichen Heere, auch in England im Gefolge des Generalarztes des K�nigs, der ihn darauf auch mit nach Wien zum Congre� genommen. Hieraus hatte er eine unerme�liche Personal- und Sachkenntni� gesch�pft, und wenn er von jenen Zeiten erz�hlte, von allen den hohen F�rsten, Feldherren, Staatsm�nnern und Herrlichkeiten; von Schlachten und Festen, von merkw�rdigen Ergebnissen und was vor seinen Augen vorgegangen, versenkten sich alle Zuh�rer in staunende Bewunderung.
Es verging aber selten ein Abend, an welchem nicht eine oder die andere Erinnerung zum Besten gegeben wurde. Herr Hildebrand hatte ein vortreffliches Ged�chtni�, auch war er nicht ohne Phantasie, um Wahrheit mit Dichtung zu verbinden. Dabei las er jeden Morgen seine Zeitung, gab sich mit dem Studium der Welth�ndel ab, wu�te die Namen ausl�ndischer Minister, ja selbst was in Amerika geschah, so da� so leicht Nichts geschah, wovon er nicht mit w�rdevoller Sicherheit reden konnte.
Auch an diesem Abende gl�nzte sein Licht, denn es dauerte nicht lange, so kam ein Gegenstand zur Sprache, der ihn ungew�hnlich anregte. Es war von einer neuen Erfindung die Rede, H�user aus hohlen Steinen zu bauen, die bedeutend billiger, leichter und dabei dauerhafter sein sollten. Ein Architect hatte diese Erfindung neulich in einem Journale besprochen, und einer der anwesenden G�ste, der es gelesen hatte, nannte auch den Namen des Schreibers, wodurch Herr Hildebrand bewogen wurde, drei Dampfwolken rasch und heftig auszusto�en.
Er h�rte den Namen seines ungerathenen Neffen mit Zus�tzen, die ihn �rgerten. Es sollte ein geschickter junger Baumeister sein, und was er mitgetheilt, habe Hand und Fu�. Solche Leute th�ten Noth, denn das Bauen werde immer theurer, und es lie�e sich noch Manches erfinden, wie es denn allerdings wahr sei, da� die neuen H�user besser als die alten, und gro�e Fortschritte in der Baukunst gemacht worden w�ren.
Nachdem er geraume Zeit mit sich gek�mpft, konnte Herr Hildebrand nicht l�nger schweigen. Verschiedene Male r�usperte er sich, fa�te in seine Halsbinde und suchte das Thema zu beseitigen, allein dies gelang ihm nicht, und was ihn zumeist reizte, war, da� sich keine starke Partei f�r das gute Alte bildete. Endlich konnte er es nicht mehr aushalten, er mu�te selbst daf�r eintreten.
�Gott sei Dank, da� wir noch alte H�user haben,� sagte er. �Mir soll Keiner mit solchen luftigen Windkasten kommen. Alles Spekulation; Alles hohl, Alles Blendwerk, Nichts dahinter!�
Die Gesellschaft sah sich verwundert an.
�Keine Dauer darin, kein Kern,� fuhr Herr Hildebrand fort. �Ausgeputzt von au�en, aber von innen Nichts als Betrug. Liederliche Windbeutel sind diese Baumeister. Die sich so nennen, haben kaum das Nothwendigste gelernt, thun sich mit Spekulanten zusammen und bauen darauf los. Alles so billig wie m�glich, Alles so schlecht wie m�glich, alles Geldschneiderei, weiter Nichts.�
Die Gesellschaft nickte sich zu.
�So ist es!� sagte Einer.
�Der Herr Cherorjus trifft den Nagel auf den Kopf!� schrie ein Anderer.
�Pl�ndern ihre Mitb�rger aus, werden reich dabei,� sprach Herr Hildebrand weiter. �Was sind's jetzt f�r H�user! Lauter Fenster, keine W�nde, und nun obenein auch noch hohle Steine. Packt die Windbeutel und Spekulanten hinein, das w�re das Beste.�
Dieser Witz wurde lebhaft belacht, was ein w�rmeres Gef�hl in Herrn Hildebrand anfachte.
�Ich sage Ihnen, meine Herren, es ist meine innigste Ueberzeugung,� begann er, als es wieder ruhig wurde, indem er den Zeigefinger auf seine Brust setzte, �wir gehen immer weiter r�ckw�rts. Vorw�rts gehen wir nicht, denn Alles ist Schwindel. Allein mit H�userschwindlern und elenden Buben, die das Alte verachten und verlachen, mu� sich kein ehrlicher Mann einlassen. Was w�re aus Rom und Griechenland geworden, wenn die damaligen Baumeister solche Spitzbuben gewesen w�ren? Hohle Steine! Hohle K�pfe, meine Herren. Meine Art vertr�gt sich nicht damit, dabei bleibe ich. Altes Wesen ist altes Wesen. Solide Grunds�tze, Bescheidenheit, innerer Werth. Alle diese Neuerungssucht ist Betrug! alle diese Menschen – pfui!� sagte Herr Hildebrand mit edlem Abscheu, �ich will niemals das Geringste mit ihnen zu thun haben.�
Er setzte sein Glas w�rdevoll an den Mund, es herrschte ein feierliches Schweigen. Der verehrte Mann hatte heftiger und leidenschaftlicher gesprochen, als man es jemals von ihm geh�rt, und jedenfalls mu�ten besondere Verh�ltnisse dabei mitwirken. Aber ehe noch irgend eine weitere Nachforschung m�glich war, schlug die Wanduhr zehn, und mit dem Glockenschlage stand Herr Hildebrand auf, stellte seine Pfeife fort, zog den dicken Rock an, nahm Hut und Regenschirm und w�nschte eine allseitige gute Nacht. Jeder beeilte sich, ihm noch die Hand zu reichen, etwas Beistimmendes zu sagen und zu versichern, da� es eine wahre Freude sei, ihm zuzuh�ren.
�Wir bleiben die Alten,� antwortete Herr Hildebrand, indem er energisch mit seinem Regenschirm aufklopfte. �M�gen die windigen Patrone die ganze Welt anf�hren, wir lassen uns nicht irre machen, meine Herrn. Also auf Wiedersehen morgen Abend! W�nsche Ihnen wohl zu ruhen.�
�Gute Nacht! Gute Nacht, Herr Cherorjus!� schrie der Chor ihm nach, und somit trat er seine Wanderung an. Als an der Th�re die Wirthin ihm noch vertraulich zugefl�stert hatte, da� es morgen Abend Hasenbraten geben w�rde, woran sie die Ermahnung f�gte, ja nicht zu fallen und Schaden zu nehmen, ging er die nasse Stra�e hinab, durch welche der Wind noch heftiger st�rmte als vorher.
Herr Hildebrand spannte den gro�en Regenschirm auf, allein er machte ihn bald wieder zu, denn er konnte ihn nicht halten. Es regnete auch kaum einige Tropfen, und die Last st�rte seine Gedanken. Er f�hlte sich von diesen wohlthuend angeregt, denn alle diese M�nner, welche er verlassen hatte, machten ihn stolz durch ihre Anerkennung. Es waren wohlhabende Leute, keine Lumpe, ein Stadtverordneter sogar darunter, der Seife kochte, und ein Bezirksvorsteher, der mit Tuch handelte. Diese w�rdigen M�nner bewunderten seinen Verstand und dr�ckten ihm ihren Dank aus, w�hrend sein windbeuteliger Neffe sich unterstand, ihm Grobheiten zu sagen.
Er erinnerte sich dabei wieder von Neuem an den Auftritt, welchen er erst heute mit ihm erlebte, und was er so ziemlich vergessen hatte, das Hohngel�chter �ber seine Ank�ndigung, selbst noch heirathen zu wollen, fiel ihm ein und reizte seinen Grimm. Es war ein rasches Wort gewesen, im Aerger ausgesprochen, aber warum sollte er es nicht wahr machen?
�Hatte der ehrliche Winter etwa Unrecht?� brummte er vor sich hin. �Nehme ich es nicht noch mit manchem Jungen auf, und so eine nette wirthschaftliche Frau w�re so �bel nicht. Es hat manche Junge und Sch�ne schon einen alten Mann genommen, hat ihn geliebt und geehrt und besser daran gethan, als solchem jungen, leichtsinnigen Taugenichts sich an den Hals zu werfen. Ja, wenn ich das noch erlebte, wenn ich ihm das noch zeigen k�nnte! Arm in Arm mit ihr vor ihn hintreten und ihn auslachen. O –!�
Hier hielt Herr Hildebrand pl�tzlich inne, denn auf der andern Seite der Stra�e erhob sich eine scheltende helle Stimme, die mit gro�er Lebendigkeit sagte:
�Ich verbitte mir Ihre Begleitung. Entfernen Sie sich. Ich werde um Hilfe rufen. Mein Herr, ich bitte, mein Herr!� und indem Herr Hildebrand still stand, sah er eine dunkle Gestalt auf sich zueilen, welche seinen Arm zusammenpre�te und halb athemlos fortfuhr: �Besch�tzen Sie mich, mein Herr! Helfen Sie mir!�
�Seien Sie ganz ruhig,� sagte Herr Hildebrand w�rdevoll, indem er sich auf seinen Regenschirm st�tzte und energisch nach der andern Seite sah.
�Wer Ihnen Etwas anhaben will, mag kommen.�
Diese Herausforderung hatte jedoch nur die Folge, da� Jemand, der in einen Mantel geh�llt sich dicht an den H�usern entfernte, dies um so schneller that.
�Gott sei Dank, er geht,� fl�sterte die Dame.
�F�rchten Sie sich nicht,� fuhr Herr Hildebrand mit Verachtung fort, wobei er dem Fliehenden nachsah. �Mit solchen Burschen wird man fertig!�
�Ich f�rchte mich auch nicht mehr, da ich einen so edlen Besch�tzer gefunden habe,� sagte die Dame. �Doch hier sind wir an einer sehr belebten Stra�e, auch habe ich nicht gar weit zu gehen, um in voller Sicherheit zu Hause zu sein.�
Sie waren bis an eine Beugung mehrerer Gassen fortgeschritten, und bei dem bellen Schein einer Laterne warf Herr Hildebrand einen pr�fenden Blick auf seine Begleiterin. Sie hatte ihren Schleier zur�ckgeschlagen, er konnte ihr Gesicht genau erkennen und war davon ein wenig �berrascht, denn er sah in ein jugendliches Gesicht mit gl�nzenden Augen und einem l�chelnden allerliebsten Mund. Eine schwarze Atlaskappe umh�llte ihren Kopf, ein dunkler Mantel mit Pelzbehang ihre Gestalt, aber diese schien von stattlichen Formen, gro� und kr�ftig zu sein.
�Ich danke Ihnen, mein Herr, f�r Ihren freundlichen Beistand,� sagte die Dame mit einer sanften Neigung. �Vielen, vielen Dank und gute Nacht!�
Dabei entfernte sie sich einige Schritte, allein Herr Hildebrand war zu neuer Ritterlichkeit entschlossen.
�Erlauben Sie mir,� sagte er, �Sie weiter zu begleiten. Es f�ngt eben st�rker an zu regnen, ich gehe nie ohne meinen Regenschirm, und das ist einer aus der alten guten Zeit.�
�Was von dort her stammt, ist immer gut und t�chtig,� antwortete sie. �Mein Weg f�hrt mich dort hinunter.�
�Das ist auch mein Weg,� versetzte Herr Hildebrand erfreut, indem er das gewaltige Schirmdach entfaltete und mit vermehrter Galanterie �ber seinen Sch�tzling hielt. Aber der Wind wehte heftig, und nur mit gr��ter M�he konnte er ihn nach seinem Willen zwingen.
�Ich mache Ihnen viele M�he, mein Herr,� sagte die Dame. �Darf ich meinen Arm in den Ihren legen und mit meiner Hand Ihre Hand unterst�tzen, so wird es Ihnen leichter werden.�
W�hrend sie dies sagte, that sie es schon, und Herr Hildebrand f�hlte mit eigenth�mlichem Vergn�gen, wie die weichen, warmen Finger sich fest um seine Handkn�chel spannten.
�Es geht wirklich besser,� sagte er, �diese Erfindung ist sehr gut.�
�Noth macht erfinderisch,� erwiederte sie, �und kennt, wie man sagt, kein Gebot.�
�Aber man mu� die Gebote halten,� erwiederte er, �und sich nicht in Noth begeben.�
�Sehr wahr,� versetzte sie, �jedoch bei aller Scheu vor Leichtsinn kann man zuweilen unverhofft in gro�e Noth gerathen. Ich f�rchte mich sonst in der D�mmerung auszugehen und bin dennoch heute so sp�t ganz allein auf der Stra�e gewesen; um so gr��er ist meine Dankbarkeit, einen Freund in meiner Noth gefunden zu haben.�
Die Dame ging dicht an Herrn Hildebrand geschmiegt, und es kam ihm vor, als f�hle er einen st�rkeren Druck ihrer Finger bei ihren Worten. Er wu�te nicht, was er antworten sollte.
�Ich besuchte meine Tante,� fuhr sie unbefangen fort. �Mein Vater hatte versprochen, mich um neun Uhr abzuholen, allein er kam nicht, und als es zehn schlug, gerieth ich in gro�e Angst. Es war Niemand da, der mich begleiten konnte, so machte ich mich endlich allein auf, glaubte eine Droschke in der N�he zu finden, fand aber keine und ging eilig weiter, bis pl�tzlich ein Herr mir entgegenkam, dessen Anrede mich auf's Aeu�erste erschreckte. Gl�cklicher Weise erblickte ich Sie, mein Herr, der wie mein guter Engel mir gesandt wurde.�
�An Engel glaubt man jetzt nicht mehr,� l�chelte Herr Hildebrand.
�Aber ich glaube daran,� erwiederte sie. �Ich halte Nichts von der neumodischen Aufkl�rung.�
�Daran thun Sie ganz recht,� sagte er erfreut. �Diese Aufkl�rung taugt zu Nichts als zu Windbeuteleien.�
�Sie nennen es beim richtigen Namen,� fiel sie ein. �Es liegt in der Erziehung, wie mein Vater sagt. Wer einfach und h�uslich erzogen ist, hat keinen Gefallen daran. Aber jetzt bin ich gleich zu Hause.�
�Wohnen Sie denn hier?� fragte Herr Hildebrand.
�Ja wohl. Dort in dem Hause, wo die Laterne brennt.
�So, so!� sagte er, �das Haus dort – das geh�rt ja –�
�Meinem Vater.�
�Dem Herrn Rathszimmermeister Sarre?�
�Ganz recht, meinem Vater.�
�O!� rief Herr Hildebrand, indem er �ber diese Entdeckung erstaunt an seinen Hut fa�te, �dann, ja so – es ist ein schrecklicher Wind – dann sind wir ja Nachbarn.�
�Nachbarn? Das freut mich unendlich. Bitte, ziehen Sie die Glocke. Wem schulde ich so viele Dankbarkeit?�
�Ich hei�e – Hildebrand,� antwortete er, indem er an dem Metallknopf zog, �und bin –�
In dem Augenblicke fa�te der Wind den Schirm, setzte sich mit voller Gewalt hinein, ri� Herrn Hildebrand, der seinen Schirm nicht loslassen wollte, mit sich fort und verwickelte den alten Herrn in einen Kampf, der damit endete, da� der Stock brach.
�Gute Nacht, Herr Hildebrand, gute Nacht!� rief die junge Dame.
�Mein Schirm!� schrie er, und gleich hinterher: �mein Hut! Halt, mein Hut!�
Er lie� den Schirm fallen und rannte seinem Hute nach, die Stra�e hinab gradeaus, eine ganze Strecke weit, aber er konnte Nichts entdecken. Ueberall war Finsterni�, die Flamme der Laternen im Sturme beinahe ausgel�scht, der den Regen vor sich hertrieb. Von dem B�rgersteig sprang Herr Hildebrand emp�rt auf den Damm, wilde Blicke in die Gossen schleudernd, Nichts war zu erblicken.
So schnell er konnte, eilte er zur�ck, um seinen Schirm aufzuheben, allein auch der lie� sich nicht mehr finden, und sein Sch�tzling war verschwunden, das Haus dunkel und verschlossen. Mit w�rdiger Fassung begann er noch einen neuen eben so fruchtlosen Versuch, sein Taschentuch um seinen Kopf zu winden, doch auch dies lie� der Sturm nicht zu.
Ersch�pft und voll Erbitterung �ber sein Mi�geschick lief er durchn��t und durchk�ltet endlich in den Hafen seiner Ruhe ein.
Am n�chsten Morgen sa� Herr Hildebrand wie gew�hnlich am Kaffeetische, die lange Pfeife rauchend und die Zeitung studirend. Sein Famulus hatte ausw�rtige Kunden zu bedienen, aber Alles war doch nicht so, wie sonst, denn Herr Hildebrand war offenbar sehr unaufmerksam. H�ufig blickte er �ber die Zeitung weg starr an die Wand, oder er legte sie auf den Tisch, lehnte sich in die Sophaecke zur�ck und versank in ein stilles Br�ten.
Pl�tzlich h�rte er, da� Jemand in seine Gesch�ftsstube trat, und da er durch ein Glasfenster hineinblicken konnte, erkannte er auf der Stelle seinen Herrn Nachbar, den Rathszimmermeister. Herr Hildebrand machte sich hinter dem Tische hervor, ehe er jedoch die Th�re erreichte, war der Nachbar schon bei ihm.
Es war ein r�hriger breitschulteriger Mann, dem man es ansah, da� er nicht gew�hnt sei, viele Umst�nde zu machen. Er hatte ein frisches rothes Gesicht, kluge, lebhaft blickende Augen und sah eben so munter, wie gut gen�hrt und seiner praktischen Th�tigkeit bewu�t aus. Auch die Art, wie er den Herrn Chirurgus begr��te, ihm die Hand sch�ttelte, ohne eine Einladung abzuwarten, Platz nahm, Jenen selbst aber dabei auf das Sopha niederdr�ckte und lachend anredete, stimmte ganz zu dieser Erscheinung.
�Ich komme in aller Fr�he, mein lieber Nachbar,� fing er an, �um zu h�ren, wie Sie geschlafen haben. Wie ist es denn geworden? Haben Sie den Hut wiedergefunden? Nicht! Es ist mir auch schon so gegangen, beinahe noch schlimmer, Nachbar. Neulich nimmt mir der Wind den Hut, obenein einen ganz neuen. Was geschieht? Es kommt eben ein Wagen gefahren. Klirr, beide R�der dar�ber hin, der Boden heraus. So bringt ihn mir ein Junge, will ein Trinkgeld haben, der Bengel. Ein ganzer Kreis Schlaraffen steht rundum und lacht mich aus. Da hast Du ein Trinkgeld, sagte ich und st�lpte ihm die Krempen �ber den Kopf. So kam ich aus dem Gel�chter, davon haben Sie wenigstens Nichts abbekommen. Also gut, Nachbar, der Teufel hole den Hut! Die Sache ist die, ob es Ihnen keinen Schaden gethan hat?�
�Nicht den geringsten,� sagte Herr Hildebrand stolz. �Ich habe andere Strapatzen ausgehalten.�
�Da sieht man, was Kern ist!� rief der Zimmermeister. �So einem jungen Modehelden d�rfte das nicht passiren, der l�ge vier Wochen krank. Wir sind noch so aus dem alten z�hen Holz gemacht, das auf einem soliden Grunde gewachsen ist. M�ssen auch so im gleichen Alter sein, was? Zwei drei und f�nfzig, was?�
�Etwas mehr, Herr Nachbar,� sagte Herr Hildebrand l�chelnd.
�Was hei�t Alter?� lachte der Zimmermeister. �Der Eine ist in drei�ig Jahren ein Greis, der Andere in sechszig ein J�ngling. Aber jetzt vor allen Dingen will ich Ihnen danken, sowohl f�r mich, wie im Namen meiner Tochter. Ich sage Ihnen, Nachbar, sie hat die ganze Nacht nicht geschlafen aus Furcht, sie k�nnte Schuld daran sein, da� Sie krank w�rden. Eigentlich hatte ich die Schuld, denn ich wollte sie von der Tante Rose abholen, aber wie es so geht. Ich war in einer Gesellschaft, wo ich festgehalten wurde, konnte erst nach zehn Uhr mich losmachen und dachte gleich, Johanna ist l�ngst zu Hause angekommen und schl�ft wie ein Dachs. Wie ich herein trete, ist sie noch in den Kleidern und voll Unruhe. Ich mu�te feierlich versprechen, in aller Fr�he mich selbst zu erkundigen, darum sehen Sie mich hier, Nachbar. Ich kann also meiner Johanna gute Nachrichten bringen?�
Herr Hildebrand best�tigte dies mit der Versicherung, da� ihm kein Finger weh thue, und mit seinen gehorsamsten und dankbarsten Empfehlungen an Fr�ulein Johanna.
�Das m�ssen Sie ihr selbst sagen,� rief der Zimmermeister. �Heute ist ihr Geburtstag, dazu sind Sie eingeladen. Machen Sie keine Umst�nde, es geht einfach bei uns zu, ein Paar Freunde, weiter Nichts. Wir sind schlichte Leute.�
�Mein verehrter Herr Rathszimmermeister,� begann Herr Hildebrand w�rdevoll und ungewi� l�chelnd, indem er sich verbeugte; er wurde jedoch unterbrochen. Der Zimmermeister stand auf, nahm seinen Hut und sch�ttelte ihm die Hand. �Sie m�ssen kommen, es hilft Alles Nichts,� fiel er ein. �Wir m�ssen uns n�her kennen lernen, wir passen zu einander, und meine Johanna ist ganz erf�llt von Ihrer Liebensw�rdigkeit. Also um sieben Uhr, und wenn Sie wollen, fr�her und ganz unter uns, Nachbar. Wir wollen einen vergn�gten Abend verleben.�
Als der Zimmermeister sich entfernt hatte, ging Herr Hildebrand, die H�nde auf den R�cken gelegt, auf und ab, allein durchaus nicht so ernsthaft w�rdig und gemessen, wie er es sonst that. Sein Gesicht zeigte ein seltsames Mienenspiel, das die verschiedensten Regungen seines Geistes ausdr�ckte.
Zuweilen l�chelte er sanfter als jemals, dann wieder leuchteten seine Augen vor Freudigkeit, und er schleuderte h�hnische Blicke umher, als sei ein Gegenstand da, den er verspotten und verachten wollte Dann wieder war sein rothwangiges Antlitz ein Musterbild der ausgepr�gtesten Selbstzufriedenheit, und seine Schritte wurden stolzer, sein Kopf legte sich weit in den Nacken zur�ck, und sein Doppelkinn trat behaglich hervor. Allein auch dieser begl�ckende Zustand wich wieder ernsteren Empfindungen, die wie Schatten �ber eine Sommerlandschaft fuhren.
Herr Hildebrand stand zuweilen so pl�tzlich still, als erschr�ke er vor sich selbst, und legte dann nachdenklich eine Hand an seine Stirn, als wollte er dort was zerdr�cken. Ein heftiges Kopfsch�tteln kam ihm dabei zu Hilfe, und seine feierliche Ruhe kehrte auf einige Zeit zur�ck.
�Es ist ja Thorheit!� murmelte er halblaut vor sich hin. �Nein, damit ist Nichts mehr. Lieber gehe ich und esse meinen Hasenbraten – allein, wenn ich nun dennoch – oho, soll dieser leichtsinnige Windbeutel sich in's F�ustchen lachen, im Falle ich – und wer sagt denn, da� ich eine Vogelscheuche bin? – Alter Kern!� murmelte er sich kerzengrade aufrichtend, �alter Stern! Der Zimmermeister hat Recht, alter Kern!�
Indem Herr Hildebrand dies murmelte, trat er vor den Spiegel, welcher �ber der Commode an dem Wandpfeiler hing, und betrachtete sich von allen Seiten. Er polirte das Glas mit seinem Tuche, denn es war staubig, da sonst mancher Tag verging, da� der w�rdige Mann nicht hinein schaute.
Einige Minuten lang betrachtete er sich �u�erst ernsthaft, und es konnte scheinen, da� er an sich selbst kein �berm��iges Gefallen f�nde. Sein Haar war grau, seine Stirn zeigte mehrere tiefe Furchen, und diese blieben durchaus eigensinnig, als er den Versuch machte, sie fortzuwischen. Seine Augen lagen zwischen einem ganzen Behang kleiner Falten, und das Roth seiner vollen Wangen l�ste sich bei genauer Besichtigung in eine zahllose Menge kleiner Adern auf, die das Alter stark ausgedehnt hatte.
Herr Hildebrand sch�ttelte abermals leise sein w�rdiges Haupt, doch dauerte es nicht lange, so wichen seine Bedenken. Immer selbstzufriedener wurden seine Blicke. Er strich durch sein Haar und begann zu l�cheln, verbeugte sich und betrachtete sich dabei von der Seite; dann richtete er sich majest�tisch auf, und seine Mienen strahlten von Freudigkeit. Er spitzte seine Lippen und sah so anmuthig, z�rtlich und s�� in den Spiegel, als umfingen seine ausgebreiteten Arme wirklich einen holden Gegenstand.
In demselben Augenblicke aber lie� Herr Hildebrand diese Arme sinken, und sein Gesicht nahm blitzschnell die gewohnten Formen an. Da steckte sich eben Kummer's dicker Kopf durch die Th�rspalte, und pl�tzlich war es mit aller Illusion vorbei.
�Guten Morgen, Herr Cherorjus,� sagte Kummer so freundlich wie immer, w�hrend er seine H�nde rieb.
Herr Hildebrand brummte einen Dank vor sich hin, ohne sich umzuwenden. Er that, als suchte er Etwas auf der Commode, denn er f�hlte eine sonderbare Hitze in seiner Haut und Scham in seinem Herzen. Kummer zog sich zur�ck, nach einer kurzen Weile aber h�rte sein Meister ihn sagen:
�Na, was ist denn das? Ihr habt ja heute weder Futter noch Wasser gekriegt, ihr armen Thiere! Haben Sie ihnen wirklich noch Nichts gegeben, Herr Cherorjus?�
�Ich hatte Gesch�fte, Gottlieb,� sagte Herr Hildebrand in �u�erst mildem Tone. �Besuch. Gieb ihnen heute nur selbst ihr Theil.�
Dabei setzte er sich wieder an den Tisch und fing an in der Zeitung zu lesen, allein die Buchstaben tanzten sinnlos vor ihm umher. Er h�rte vielmehr darauf, was sein Famulus mit den V�geln sprach, w�hrend er ihnen Hanfk�rner, R�bsamen, Mohrr�ben und Ameiseneier mischte und zutheilte.
�Na,� lachte Kummer, �was seht ihr mich denn so verwundert an und sperrt die M�uler voll Erstaunen auf? Schreit euch wohl die neueste Neuigkeit zu, da� der Herr Cherorjus nicht da ist? Ihr macht es gerade so wie die Menschen. Wenn Einer Etwas thut, woran sie nicht gew�hnt sind, oder was ihnen nicht gef�llt, fangen sie nicht auch an zu l�rmen und zu schreien, als ob die Welt einfallen sollte? Aber es ist einerlei. Schreit wie ihr wollt, ihr werdet schon wieder aufh�ren. Man mu� sich nur Nichts daraus machen, mu� gar nicht darnach hinhorchen, so werden sie von selbst wieder still. Wollt ihr jetzt, oder wollt ihr nicht, ihr Dickk�pfe? Matz, Du bist der Kl�gste, Du l��t Dir's schmecken. Es wird Alles vergessen auf Erden, und es ist eine Narrheit, wenn man nicht immer zun�chst an sich selbst denkt. Lirum, larum! Undank ist der Welt Lohn, es mu� ein Jeder f�r sich sorgen.�
Herr Hildebrand l�chelte vor sich hin und nickte vergn�gt dazu.
�Hast Du es denn eingesehen, Gottlieb?� fragte er dann laut.
�Da� ich ein Narr bin, Herr Cherorjus? das versteht sich,� antwortete Kummer. �Aber es ist gut, es soll zum letzten Male geschehen sein, da� ich mich um solche Menschen k�mmere.�
Herr Hildebrand schwieg ein Weilchen.
�Ging er bald fort?� fragte er dann.
�Noch lange nicht,� erwiederte Kummer, �bis ich ihm meine Meinung sagte, wie er's verdiente. Denn es giebt einen Punkt, Herr Cherorjus, wo aller Spa� aufh�rt, und so wie er's gestern machte, da wird es schauderhaft! Ich bin gewi� ein Mensch, der viel vertragen kann, aber dieses war mir doch zu viel. Herr August, sagte ich, dergleichen rei�t mir das Herz entzwei. Wie k�nnen Sie dem Herrn Cherorjus so kommen? Er hat ganz Recht gethan, und ich bin ein Esel gewesen, so dumm bin ich gewesen, mich darein zu mischen. Ich w�nschte jetzt Nichts mehr, als der Herr Cherorjus machte Alles wahr, was er gesagt hat; ja, bis an die Decke springen th�te ich, wenn es gesch�he.�
�So, so,� antwortete Herr Hildebrand wohlgef�llig. �Was meinte er dazu?�
�Ich will's gar nicht sagen, na, ich will's gar nicht sagen,� versetzte Kummer mit seiner rechten Hand heftig winkend.
�Ich befehle es Dir, mir Alles zu sagen,� fiel Herr Hildebrand gebietend ein.
�Ja, er sagte – Herr Cherorjus, ich kann's kaum aussprechen – er sagte, ich sei eben so verr�ckt, wie – wie Sie.�
Herr Hildebrand stand w�rdevoll auf und legte die H�nde auf seinen R�cken.
�Du siehst, Kummer,� begann er endlich den Kopf stolz in den Nacken richtend, �wohin die Narrheit f�hrt; Du erkennst nun, was Leichtsinn ist. H�ttest Du gestern mir gehorcht, so w�re dies Alles nicht geschehen. Dennoch aber werde ich f�r Dich sorgen, im Falle – meines Todes, oder wenn Verh�ltnisse eintreten, wo ich vielleicht – mich von den Gesch�ften zur�ckziehe, um den Rest meines Daseins in Ruhe zu verleben.�
�O, Herr Cherorjus!� rief Kummer, �Sie werden doch nicht! Ein Mann wie Sie, der kann Alles und hat gar keine Ruhe n�thig. Heute noch, vorher wie ich dr�ben bei dem Rathszimmermeister vor�bergehe, stand die Hausjungfer unter der Th�re, und wir sprachen zusammen. Es ist meine gute Freundin, Herr Cherorjus, die Jungfer Karline, und da habe ich denn vernommen, welche Geschichte Ihnen gestern Abend passirt ist.�
�So, so!� sagte Herr Hildebrand, indem er sich zu seinem Kleiderschranke wandte, diesen �ffnete und darin umhersuchte.
�Aber es ist gut so,� fuhr Kummer fort, �es schadet gar Nichts, nein gewi� nicht, denn Karline erz�hlte mir, das Fr�ulein w�re ganz au�er sich vor Schreck gewesen; die Thr�nen h�tten ihr in den Augen gestanden, es k�nnte Ihnen geschadet haben. Aber ich lachte dazu. Wie so schaden? sagte ich. Mein Herr ist j�nger und st�rker, wie ich bin. An dem alten Hute war Nichts gelegen, an dem alten Regenschirme auch nicht, daf�r giebt es neue, und Gott sei Dank, die k�nnen wir bezahlen. Was aber unsere Gesundheit anbelangt, so halten wir – was wollen Sie denn mit dem schwarzen Leibrocke, Herr Cherorjus?� fragte er abbrechend.
�Ich bin heute Abend dr�ben eingeladen,� erwiederte Herr Hildebrand, indem er sich M�he gab, seine Gelassenheit zu behaupten.
�Zum Geburtstag?� schrie Kummer, und seine Augen weit �ffnend blieb er so lange freudig �berrascht stehen, bis der Meister genickt hatte, dann aber zog er den K�rbi�kopf zwischen seinen Schultern wie eine Schildkr�te zur�ck, streckte seine Tatzen aus dem kurz�rmeligen gr�nen Flaus und rieb sie mit wunderbarer Geschwindigkeit, w�hrend er sich sch�ttelte und die pr�chtigsten Gesichter schnitt.
�Sehen Sie wohl, Herr Cherorjus!� schrie er, �das kommt davon, wenn man Bekanntschaften macht. Aber so geht es nicht, absolut nicht. Wie wollen Sie denn diesen Leibrock anziehen? Herr, Du mein Gott! Der ist ja wenigstens zw�lf Jahre alt, wo man noch die langen spitzen Sch��e trug, die man Schwalbenschw�nze nannte. Das geht nicht, Herr Cherorjus, das schickt sich nicht. Anst�ndig mu� der Mensch gehen, wenn er den Damen in die Augen stechen will, denn die sehen darauf. Und was wollen Sie denn da mit ihrer Kriegsmedaille machen? Wollen Sie die auch vorbinden?�
�Es ist das kostbarste Ehrenzeichen, das ich besitze,� sagte Herr Hildebrand, indem er den Frack auf seinem Arme hielt und ihn betrachtete. �Wir wollen diese Medaille abmachen, Du sollst sie putzen.�
�Gott bewahre!� versetzte Kummer, ihm schlau zuwinkend. �Lassen Sie die sitzen, wo sie sitzt, und Alles wieder in's Spinde hinein. Es ist sehr sch�n, so ein Ehrenzeichen zu haben, Herr Cherorjus, aber nicht allemal und bei jeder Gelegenheit. So ein Ding ist so gut, wie ein �ffentlicher Anschlag, auf welchem Jeder lesen kann, wie alt man ist. Denn Anno dreizehn ist jetzt richtige vierzig Jahre her, und es ist nicht immer angenehm, wenn man den Leuten Alles auf die Nase bindet.�
�Aber Kummer,� erwiederte Herr Hildebrand l�chelnd, �Du bist wirklich noch immer ein Narr.�
�Dieses wei� ich, Herr Cherorjus,� versetzte Kummer ehrerbietig, �um dessentwillen aber habe ich eben recht, denn es ist eine n�rrische Welt. H�ngen Sie den alten Leibrock fort und k�mmern Sie sich nicht um die alte Medaille. Mein Herr Cherorjus mu� heute bei dem sch�nen Fr�ulein auftreten, da� ihre Augen gar nicht wieder davon los kommen k�nnen.�
�Es ist allerdings wahr,� sagte Herr Hildebrand nachdenklich, indem er sich vor sich selbst entschuldigte. �Der Leibrock ist nicht mehr neu und pa�t auch nicht mehr recht; ich wollte mir l�ngst einen neuen machen lassen. Aber wo soll ich in der Geschwindigkeit jetzt einen hernehmen?�
�Woher?� fragte Kummer. �Wof�r lebten wir in der weltber�hmten Hauptstadt? Wof�r h�tten wir denn die gro�en Kleidermagazine, die Alles tausendweis vorr�thig haben und beinahe umsonst weggeben? Wie ein Baron sollen Sie aussehen, Herr Cherorjus, wie ein Graf. Es soll keine Stunde vergehen, so haben Sie den sch�nsten Staat, der zu haben ist. Lassen Sie mich nur sorgen. Keiner soll so aussehen wie Sie, und dieser leichtsinnige Herr August, o! – sch�men soll er sich, die Augen soll er niederschlagen, wenn er Sie ansieht.�
Und so geschah denn Alles, wie Kummer es wollte und nach seinen Rathschl�gen, und als es sieben Uhr schlug, trat Herr Hildebrand in das Haus des Rathszimmermeisters, das er genugsam kannte, um nicht zu irren und doch zu erstaunen vor aller Pracht und Herrlichkeit. Der Zimmermeister wohnte, wie gew�hnlich reiche Leute seiner Art, �u�erst ger�umig und elegant. Heute waren die s�mmtlichen Vorderzimmer gl�nzend erleuchtet. Die versammelte Gesellschaft befand sich gr��tentheils jedoch in einem sch�nen Salon, wo eine Broncekrone brannte, und Herr Hildebrand ging �ber das glatte Get�fel der theuren Fu�b�den mit vorsichtigen Schritten.
An der Th�re des Corridors hatte ihn Kummer's Freundin, Jungfer Karoline, mit einschmeichelnder Dienstfertigkeit und Unterth�nigkeit empfangen. Herr Hildebrand hatte sich in einen blauen Spanier geh�llt, seinen neuen Castor fa�te er mit zarten bla�gelben Handschuhen an, und sein sauberer schwarzer Anzug war nach neuestem Modeschnitte gefertigt. Vom Wirbel bis zur Zehe, von der wei�en Battistbinde bis zum lackirten Stiefel war Herr Hildebrand eine Erscheinung aus einer andern Welt, wie die, in welcher er jetzt gelebt hatte, und ohne Zweifel galt das Erstaunen des Hausfr�uleins dieser unerwarteten, �berraschenden Metamorphose, denn oft genug hatte sie den w�rdigen Herrn Cherorjus in seinem breitkr�mpigen, struppigen Hut und in dem langen abgenutzten Rode mit braunem Wollfutter einherwandeln gesehen.
Obwohl Herr Hildebrand innerlich �ber dies Erstaunen erfreut war, lie� er sich jedoch Nichts merken. Jungfer Karoline eilte voran und �ffnete ihm die Eing�nge.
�Bitte, Herr Doctor,� sagte sie �u�erst freundlich, �mein Fr�ulein hat schon mehrmals gefragt. Treten Sie gef�lligst dort hinein.�
Dieser Weisung folgend begab sich Herr Hildebrand in das Zimmer zur Rechten, und vor ihm im Hintergrunde that sich der Gesellschaftssaal auf. Sein Herz pochte ihm doch unruhig gegen das knappe Sammetgilet, als er zwischen diesen Polstern, Spiegeln, Broncen und blitzenden Mobilien aller Art einherging, und einige Augenblicke lang war ihm zu Muthe, als m�sse er eilig umkehren, da ihn gl�cklicherweise noch Niemand bemerkt habe.
Er gerieth in eine Art Blumenwald, der ein allerliebstes Cabinet f�llte; Teppiche, Gew�chse und wundervoll bl�hende Pflanzen fanden sich zu beiden Seiten und f�llten alle Tische, und ach! wie nahm sich gegen diesen staunenswerthen Luxus das Str�u�chen aus, welches er halb versteckt in seiner Hand hielt! Zwar r�hrte es von einem aristokratischen Kunstg�rtner her, war durch Kummer besorgt und theuer genug bezahlt worden, allein der Anblick dieser auserw�hlten Blumenpracht schlug Herrn Hildebrand's Muth noch mehr nieder.
Z�gernd stand er still, doch die n�chste Minute hatte sein Schicksal entschieden. Es war ihm, als h�re er hinter einer Gruppe hoher bl�hender Gestr�uche ein Ger�usch, und ehe er sich noch genauer �berzeugen konnte, wer dahinter verborgen sei, trat eine wei�e Gestalt aus dem gr�nen Schirm und kam mit dem freundlichsten Gru�e ihm entgegen.
Es war Fr�ulein Johanna. Er erkannte sie auf der Stelle, obwohl in diesem Cabinet nur eine Ampel in Milchglas ihr D�mmerlicht verbreitete. Sie sagte ihm in so herzlicher Weise ihren wiederholten Dank und dr�ckte ihre Freude, ihn wieder zu sehen, so gewinnend aus, da� Herr Hildebrand beinahe verga�, ihr sein Str�u�chen zu �berreichen und seine Gl�ckw�nsche hinzuzuf�gen.
�Ich danke Ihnen, bester Herr Doctor, von ganzem Herzen danke ich Ihnen,� erwiederte sie im weichen Tone. �Ihre Gl�ckw�nsche sind mir sehr werth. M�ge vor allem Anderen in Erf�llung gehen, da� Sie immer mir freundlich gewogen bleiben.�
�Immerdar Ihr unterth�nigster Diener,� sagte Herr Hildebrand mit einer w�rdevollen Verbeugung.
�Sagen Sie mein Freund, den ich nie aufh�ren werde zu verehren,� erwiederte Fr�ulein Johanna, indem sie ihm ihre Hand reichte.
Herr Hildebrand zog diese Hand an seine Lippen und f�hlte ein sonderbares Zucken in seinen Fingern unter ihrem Drucke.
�Nun kommen Sie zu meinem Vater,� fuhr Johanna fort, indem sie ihren Arm in den seinen legte. �Er wird sich so sehr freuen, wie ich es thue, und wie sinnig ist dies herrliche Str�u�chen, wie k�stlich ist diese Blumenwahl! Ich bin Ihnen sehr dankbar, lieber Herr Doctor, da� Sie gekommen sind, unseren kleinen Kreis zu vermehren.�
Unter solchen Worten erreichten sie den Saal, und hinter der Blumengruppe hervor trat der Baumeister, welcher l�chelnd halb versteckt stehen blieb, um den Empfang seines Oheims zu belauschen. Seine spottenden Blicke verfolgten ihn, und leise vor sich hin sagte er:
�Er macht sich ganz gut. Es hat immer seine Vortheile, wenn man in Paris und London gewesen ist und dem Herrn Generalarzt mit Blutegeln und Senfpflastern gehorsam aufgewartet hat. Man lernt die Sitte der guten Gesellschaft auch beim Leichdornausschneiden und erh�lt den vornehmen Anstand bei der Klystirspritze der h�chsten Personen.�
H�tte Herr Hildebrand diese abscheulichen Sp�ttereien geh�rt, so w�rden sie ihm alle ruhige W�rdigkeit zerst�rt haben, mit der er sich bei seinem Auftreten benahm. Es war nicht zu leugnen, da� er bedeutende Anlagen zur Darstellung irdischer Erhabenheit besa� und sein Selbstvertrauen nicht leicht zu ersch�ttern war.
Herr Hildebrand wu�te am besten seine Verdienste anzuerkennen, auch war er keineswegs davon �berrascht, da� er als Herr Doctor angeredet und also vorgestellt wurde, denn mit diesem Titel sah er sich h�ufig benannt, und Doctoren gab es schockweise, die weniger f�r die leidende Menschheit gethan, als er. Als Lazaretharzt im Kriege hatte er mit Butterwasser, Heftpflaster und Lanzette Wunderdinge vollbracht, und was leistete er noch viele Jahre lang, ehe die neuen Verordnungen ihn in seiner wohlth�tigen Wirksamkeit st�rten!
Es lie� sich nicht leugnen, da� Herr Hildebrand auch in diesem Kreise sich durchaus w�rdig benahm und Niemandem Gelegenheit gab, ihn zu verlachen. Es waren mehr als drei�ig Personen versammelt, zum gr��ten Theil Leute desselben Standes, wie der Zimmermeister, oder Gesch�ftsleute, die mit ihm in Verbindung standen, Geldm�nner, welche in H�usern speculirten, auch einige Beamte vom Regierungs- und Bauwesen, sammt Frauen und T�chtern, endlich mehrere j�ngere Verwandte, Vettern und Basen, die einen artigen Kreis jugendlicher Gestalten und Gesichter bildeten.
Herr Hildebrand konnte die Bemerkung machen, welche so Viele schon gemacht haben, da� der Rock in dieser Welt fast immer mehr gelte, als der Mann. W�re er in dem alten Fracke mit den Schwalbenschw�nzen und der blank geputzten kupfernen Medaille erschienen, es w�rde an hohnvollem Gewitzel nicht gefehlt haben. Jetzt in neuer feiner Tracht sah Jeder ihn wohlgef�llig an, Jedem gefiel er, Jeder fragte aufmerksam, wer er sei.
Der Zimmermeister selbst schien ganz erstaunt, sch�ttelte ihm die Hand, stellte den Herrn Doctor rechts und links vor, und die dicken Geldm�nner hatten Respect vor der aristokratischen Steifheit und dem w�rdevollen herablassenden Wesen des gelehrten Herrn, der ihnen zum ersten Male vorgef�hrt wurde.
Es ging ganz vortrefflich, denn Herr Hildebrand war keineswegs auf den Kopf gefallen, wenn es zum Reden kam. Der Zimmermeister behandelte ihn mit Vertraulichkeit, nannte ihn Herr Nachbar, spa�te und lachte, aber mit keiner Silbe war von dem kleinen Hause und den drei Messingbecken �ber der Th�re die Rede. Niemand erfuhr Etwas davon, und die Wenigen, welche vielleicht n�her unterrichtet waren, hatten Gr�nde genug zu schweigen.
Es war gewi�, da� der Herr Doctor sowohl von dem Hausherrn, wie nach dessen Beispiel auch von den G�sten ausgezeichnet wurde, durch Fr�ulein Johanna's Benehmen dazu bestimmt. Denn Jeder konnte es deutlich merken, da� Herr Hildebrand bei dem Fr�ulein in besonderer Gunst stand. Sie unterhielt sich mit ihm mehr, als mit allen Anderen, kehrte immer wieder zu ihm zur�ck, wenn sie ihn verlassen mu�te, und hatte ihm immer wieder Etwas zu erz�hlen oder Fragen an ihn zu richten. Ein �u�erst angenehmes Gef�hl wurde dadurch in ihm erregt. Sein Selbstbewu�tsein erf�llte ihn mit Stolz, das junge sch�ne M�dchen zog ihn viel j�ngeren Herren vor, die ihr zu huldigen suchten, ohne da� sie es beachtete.
Ihr bl�hendes volles lebhaftes Gesicht gefiel ihm gar sehr. Ihre Augen spr�hten feurig, das gl�nzende Haar schmiegte sich im langen Wellenscheitel an die gew�lbte Stirn, ihre Bewegungen waren rasch, sicher und doch anmuthig, die kr�ftige Gestalt hatte so viel frische Jugendkraft, und das Gr�bchen, wenn sie l�chelte, war allerliebst.
Herr Hildebrand erfreute sich nebenbei auch im Stillen an ihrem einfachen wei�en Kleide. W�hrend die Damen der Gesellschaft in schwerster Seide daher rauschten, trug sie allein dies billige anspruchslose Gewand. Er bemerkte allerdings die Goldkette um ihren Hals, den Goldreif um ihren Arm, aber diesen zeigte sie ihm selbst als ein Geschenk, das sie heute erst erhalten habe.
�Von wem, k�nnen Sie wohl denken,� f�gte sie mit ihrer kindlichen Offenheit hinzu.
Herr Hildebrand best�tigte, da� er es w��te, und Johanna sagte ihm im Tone der vollsten Wahrheit, da� sie aus allem diesen theuren Schmuck sich sehr wenig mache.
�Nur der Geber giebt der Gabe Werth,� f�gte sie hinzu, �daher kann ein Str�u�chen mich weit mehr erfreuen, als ein Diadem.�
�Sehr wahr, mein verehrtes Fr�ulein,� erwiederte Herr Hildebrand vergn�gt. �Was hilft alles Gut der Welt ohne Zufriedenheit?�
�Ich m�chte auch kein vornehmes Leben f�hren, was man so nennt,� antwortete sie. �Das Haus mit seinen Freuden ist viel sch�ner. Einfachheit und Stille, wenige treue Freunde, ein inniges Beisammensein, das sind die W�nsche meines Herzens.�
�So, so! Nichts mehr?� fragte Herr Hildebrand l�chelnd.
�Gewi� und wahrhaftig, Nichts mehr!� sagte sie. �Mir ist Nichts widerlicher, als der sinnlose Luxus und die Sucht nach Vergn�gungen, wie man diese jetzt so h�ufig findet. Aller Leichtsinn ist mir verha�t, Nichts ist ver�chtlicher, als Menschen ohne Nachdenken und Sinn f�r Schicklichkeit. Darum gestehe ich Ihnen, lieber Herr Doctor, da� ich wenig Geschmack an B�llen und Festen und eben so wenig an jungen Herren habe, die allerdings gute T�nzer und dergleichen sein m�gen, deren fade Unterhaltung mich aber durchaus nicht befriedigen kann.�
�Ei, ei!� rief Herr Hildebrand h�chst angenehm erregt, �dies findet man in der That selten bei jungen Damen, welche gew�hnlich –,� hier hielt er inne und sah seitw�rts gerade in das Gesicht seines Neffen, der sich eben dicht bei ihm verlaufen und den abscheulichen maliti�sen Zug um seine Lippen hatte, �gew�hnlich den nichtsnutzigen Windbeuteln zumeist zugethan sind,� vollendete er hierauf, ohne seine Fassung zu verlieren.
Fr�ulein Johanna hatte sich erhoben und nahm die Gl�ckw�nsche des Baumeisters mit kalter Freundlichkeit entgegen. Er sagte ihr eine Menge sch�ner Dinge und schien l�nger damit fortfahren zu wollen, allein sie unterbrach ihn bald, indem sie ihn aufmerksam machte, da� sich ihr Vater im Nebenzimmer befinde. Herr Hildebrand war entz�ckt dar�ber, und seine Augen leuchteten z�rtlich dem Fr�ulein entgegen, als sie ihren Platz wieder einnahm.
�Der Herr Baumeister Werner ist Ihr Verwandter?� sagte sie.
�Ja, leider,� murmelte er mit harter Stimme.
�Schweigen wir davon, bester Herr Doctor,� fuhr sie fort, �ich kann mir denken, da� Sie mit diesem jungen Herrn nicht zufrieden sind. Mein Vater benutzt ihn seit einiger Zeit zu verschiedenen Arbeiten, dadurch ist er uns bekannt geworden. Im Uebrigen glaube ich, da� er wirklich gef�hrliche Eigenschaften besitzt.�
Ehe Herr Hildebrand antworten konnte, entfernte sie sich, um den Dienern, welche jetzt Gel�es, Wein und Kuchen umherreichten, Befehle zu geben, und mit neuem Wohlgefallen sah er, welche Blicke sie f�r alle Situationen der Gesellschaft hatte, mit welchem h�uslichen Feldherrentalent sie ihre Anordnungen machte, wie ihre Augen �berall waren, wie rasch sie sich nach allen Seiten wandte, Jedem Etwas zu sagen wu�te, pl�tzlich aber zur�ckkehrte, sicherlich um ein Begegnen mit dem leichtsinnigen Patron zu vermeiden, der wie ein Sto�vogel daher geschossen kam, aber zum unerme�lichen Vergn�gen des Doctors wieder umkehren mu�te. Gleich war sie wieder bei ihm und brachte eine Dienerin mit, welche Glasteller und eine s��e Chocoladener�me trug.
Herr Hildebrand empfand vor diesen Speisen ein tiefes Grauen und w�rde niemals sich freiwillig dazu verstanden haben, davon zu kosten, aber Fr�ulein Johanna l�chelte einladend und fl�sterte so lieblich ihm zu, da� sie die Cr�me selbst bereitet habe, da� er nicht wiederstehen konnte.
�Ja, dann,� rief er energisch, �dann ist es meine Pflicht, theuerstes Fr�ulein, und Nichts in der Welt soll mich abhalten –,� damit ergriff er den L�ffel und schluckte auf's Tapferste, w�hrend ein kalter Schauder �ber ihn hinlief.
�Nehmen Sie doch noch ein wenig, bitte!� sagte sie verf�hrerisch sanft, und es war unm�glich, es ihr abzuschlagen. Geduldig flehend hielt er den Teller hin. In seiner Herzensangst h�tte er ihn lieber in St�cke zertr�mmert, doch schon war das Netz fertig, in welchem er gefangen lag, und gegen seinen Willen war er folgsam, einer Macht unterworfen, die keinen Widerspruch duldete.
Aber welcher Abend war dies, und wie gl�cklich verging er! Eine Menge Gen�sse wurden den G�sten geboten, die dem an einfache B�rgerlichkeit gew�hnten Manne unerh�rt schienen, und doch betheuerte der Zimmermann wiederholt, es ginge �u�erst solide und still her, denn er sei ein Feind von Allem, was Uebertreibung hei�e. Was war der leckere Schmorbraten und Hasenbraten der guten Wirthin, die den Herrn Cherorjus vergebens heute erwartete, gegen dies kostbare Fricass� von Gefl�gel, gegen diese Majonaise von Lachs und gegen dies Spie�erzimmer, das wunderbar zart und k�stlich schmeckte! Und dazu knallte der Champagner, dazu sah er den Tisch gef�llt mit feinen Fr�chten und feinen S��igkeiten.
Was jedoch g�nzlich den Kopf des Herrn Doctors verdrehte, war, da� er dicht neben Fr�ulein Johanna sa�, die seinen Arm genommen hatte und ihn zu Tische f�hrte, eben als der Baumeister sich herandr�ngte. Ihn hatte sie sich zum Tischnachbar erw�hlt, und er hatte daf�r in seiner Begeisterung den Muth erhalten, den Toast auf ihr Wohl auszubringen. Je �fter sie sein Glas mit dem feurigen Schaumwein f�llte, um so k�hner war er geworden, um so freier f�hlte er sich, um so jugendlicher hob sich seine Brust. Er hatte viel gesprochen, viel gelacht, viel getrunken, endlich hatte ihn der Zimnmermeister umarmt, er hatte Fr�ulein Johanna's Hand gek��t und ihr gelobt, morgen wieder zu erscheinen, und so war er begl�ckt nach Hause gekommen.
Als Herr Hildebrand am n�chsten Morgen erwachte, sah er erstaunt umher. Er glaubte einige Minuten lang einen seltsamen Traum getr�umt zu haben und griff an seinen Kopf, um sich besser zu besinnen, was wahr, was falsch sei. Da lagen der neue Frack, die gl�nzenden Stiefeln, der feine Castor und die faltige Binde. Mit starren Blicken betrachtete er sie, und dann schaute er in dem niederen d�rftig bestellten Zimmer umher und sprang hastig auf.
Alles fiel ihm ein, und damit kam ein geheimes Bangen. Es war mehr als eine Stunde sp�ter, wie er gewohnt war aufzustehen. Ein unbehagliches Gef�hl lag ihm in allen Gliedern, ein w�ster Druck im Gehirn, mit einem Male dachte er daran, wie seine Freunde im Kaffeehause ihn vergebens erwartet h�tten, selbst der geschmorte Hase der guten Wirthin trat vor seine Seele und sah ihn unwillig an. Ein seufzendes Gemurmel bewegte seine Lippen.
Die alte Aufw�rterin brachte ihm den Kaffee und die Zeitung, auch stopfte er seine Pfeife, doch Nichts wollte ihm schmecken. Er f�hlte immer wieder an seine Stirn, sah stier vor sich hin und blickte dann und wann durch das kleine Fenster in sein Gesch�ftszimmer, ob Kummer noch nicht da sei.
Pl�tzlich aber richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den neuen Rock, der bisher sammt allen anderen Kleidern wild �bereinander geworfen auf einem Stuhle lag. Herr Hildebrand war sonst die Ordnung selbst; nie zog er seine Weste aus, ohne sie zu falten, nie legte er irgend ein Ding aus seiner Hand, ohne es mit musterhafter Bedachtsamkeit an seinen Platz zu bringen. Gestern war er wie ein Heide in sein Bett gesprungen, und er sch�mte sich vor dem Gest�ndnisse, da� er in einem Zustande von Delirium gewesen sein m��te, er f�hlte eine Unbehaglichkeit, die ihn niederdr�ckte und beinahe wehm�thig stimmte.
Endlich aber erhob er sich, und seine Seele schien eine neue freudige Regung erhalten zu haben. Er trat an den Stuhl, legte die Kleider ordentlich zusammen und hielt den Rock vor sich ausgestreckt, aus dessen Brusttasche der Zipfel eines rothen B�ndchens ragte. Leise spitzte er seine Finger und zog dies verlockende B�ndchen heraus. Es war eine Schleife, welche Fr�ulein Johanna an dem wei�en Kleide getragen, eine ihrer Busenschleifen, die sie verloren, und welche er heimlich eingesteckt hatte. Sie hatte es aber dennoch bemerkt, und wie allerliebst hatte sie ihm mit dem Finger gedroht!
�Gut,� fl�sterte sie ihm zu, �Sie sollen mein Ritter sein, Herr Doctor, aber alle meine Befehle m�ssen Sie von jetzt an erf�llen.�
Das hatte er versprochen, und nun hielt er in der flachen Hand die Schleife vor sich ausgestreckt, und indem er sie betrachtete, verschwanden alle die w�sten Hirngespinnste, welche beim Erwachen seinen Kopf umnebelten. W�rmer und immer sonniger trat das neue Leben an ihn heran, und endlich kam es ihm vor, als sei das gar kein Seidenband, als sei es ein St�ck von Johanna's rosiger sammetweicher Wange selbst, als sehe er in die klaren schimmernden Augen, als streichle er �ber die feine glatte Haut.
Er brachte die Hand mit der Schleife seinem Gesicht immer n�her, pl�tzlich hielt er sie an seine Lippen und fuhr sofort damit in die Tasche, denn Kummer warf drau�en so eben die Th�re zu; kaum konnte Herr Hildebrand das Zeitungsblatt fassen, so stand er vor ihm. Herr Hildebrand that, als sei er in seiner Lect�re ganz vertieft. Er nickte kaum, als sein Famulus ihn begr��te, und machte ein �u�erst w�rdiges ernstes Gesicht.
Eine Minute lang sah ihn Kummer beobachtend an.
�Na, Herr Cherorjus,� sagte er dann, �Sie sind der gr��te K�nstler auf Erden.�
�Wie so?� fragte Herr Hildebrand aufblickend.
�Sie lesen ja die Zeitung verkehrt,� fuhr Kummer lachend fort.
Herr Hildebrand drehte das Blatt um und erwiederte gelassen:
�Ein Mensch kann Alles, was er will.�
�Es ist richtig,� versetzte Kummer lustig grinsend, �auch kann Einer, wenn er will, kalt rauchen, w�hrend es inwendig bei ihm brennt.�
Dienstfertig steckte er einen Fidibus an und hielt diesen auf des Meisters Pfeife, welche allerdings ohne Feuer war.
�Sie m�chten mir wohl Nichts mittheilen, Herr Cherorjus,� lachte er, �wie es gestern gewesen ist, aber ich habe schon alles erfahren. Jungfer Karlinchen hat mir Nichts verschwiegen. Es ist eine sch�ne Geschichte, eine merkw�rdige Geschichte, unerh�rtes Aufsehen haben Sie gemacht, und das Fr�ulein – ich sage Ihnen, Herr Cherorjus, ich sage Ihnen! Na, ich sage gar Nichts.�
�Dummes Zeug!� antwortete Herr Hildebrand so ernsthaft und w�rdevoll, wie es ihm m�glich war, �ich will auch Nichts wissen.�
Kummer befolgte diesen Befehl buchst�blich. Er nahm die Kleider des Meisters �ber seinen Arm und wollte sich damit entfernen, dies vermochte Herr Hildebrand jedoch nicht zu ertragen.
�Diese Karoline ist so geschw�tzig, wie eine Gans,� sagte er. �Wer kein Narr ist, wird auf ihr Geschnatter nicht h�ren.�
�Aber ich bin nun einmal ein Narr, Herr Cherorjus,� versetzte Kummer, �und das glauben Sie ja nicht, da� Karline eine Gans ist. Die sieht und h�rt Alles, ist so pfiffig, wie ein Scho�k�tzchen, und das Fr�ulein vertraut ihr Alles an. Ich sage Ihnen, Herr Cherorjus, das Fr�ulein hat gesagt, Sie h�tten so nobel ausgesehen, wie ein vornehmer Mann, und es w��te sich Keiner so schicklich zu bewegen, gefallen th�te ihr Keiner so gut.�
Herr Hildebrand sch�ttelte l�chelnd den Kopf und blickte dabei wohlgef�llig in den Spiegel.
�Auf Ehre!� rief Kummer an seine Brust schlagend, �so ist es, allen Anderen haben Sie ebenfalls gro�artig gefallen, nur Einem nicht, nat�rlich, der ist w�thend geworden. Na, ich sage gar Nichts, ganz verr�ckt ist er, und das ist ihm recht, ganz recht.�
�Wer?� fragte Herr Hildebrand, indem er that, als verstehe er seinen Famulus nicht.
�Heute hat er mir aufgepa�t in aller Fr�he und verlangte von mir zu wissen, wie es eigentlich zugegangen sei mit Ihnen. – Was wei� ich davon, wenn Sie es nicht wissen, Herr August, sagte ich. Aber es ist ja eine Verr�cktheit von ihm, schreit er. Warum bleibt er nicht in seinem Bierklub, wohin er geh�rt? Es wird ihm wohl besser gefallen beim sch�nen Fr�ulein dr�ben, sagte ich. Besser gefallen? es w�re l�cherlich genug! brummte er und bei�t die Z�hne zusammen. Das versteht sich, sage ich, sie sind Alle entz�ckt von ihm. Wer soll entz�ckt sein? fragt er und f�ngt an schrecklich zu lachen. Das Fr�ulein, denkst Du? Na wer denn sonst? sage ich, das steht fest. Sie werden sehen, Herr August, was daraus wird. Da wurde er dunkelroth, und Sie wissen schon, Herr Cherorjus, wie er seine Lippen verzerren kann. Es w�re schauderhaft, schrie er, aber es ist nicht wahr! Wie k�nnte sie an einem Greise Gefallen finden, und wie k�nnte er daran denken, solche junge frische Knospe an sein welkes Herz zu dr�cken.�
Hier stand Herr Hildebrand rasch und kr�ftig auf, und als wollte er beweisen, da� Nichts an ihm welk sei, ging er mit stolzen Schritten, den Kopf in den Nacken, an dem Spiegel vorbei.
�So, so!� sprach er dabei in seiner gew�hnlichen Weise, �wir werden ja sehen. Aber er – was will er denn? Denkt denn er etwa –�
�Das ist es ja eben,� fiel Kummer ein, indem er seinen K�rbi�kopf listig versteckte, �jetzt sind wir hinter seine Schliche gekommen. Von wegen heirathen, Herr Cherorjus. Er hat sich eingebildet, das Fr�ulein s�he nach ihm, aber nicht die Spur, nicht die Idee, Herr Cherorjus!�
Ein unerme�licher Hohn malte sich im Gesichte des Meisters. Er erwiederte Nichts, doch seine Augen thaten sich weit auf, ein entz�cktes rachs�chtiges L�cheln schwebte um seinen Mund. So stand er am Fenster und machte pl�tzlich dort eine Verbeugung, nach welcher er sogleich den Platz verlie� und dem Zimmermeister entgegen ging, der so eben durch das Vorg�rtchen kam und winkend gr��te.
�Ausgeschlafen, liebster Nachbar?� rief er mit seiner weit schallenden Stimme, als er gleich darauf vor Herrn Hildebrand stand und ihm kr�ftig die Hand sch�ttelte. �Sie sehen ja roth und munter aus, wie ein Hase. Solchen Naturen, wie wir sie inne haben, schadet das Schw�rmen Nichts.�
�Es ist doch nicht mein Geschmack,� sagte Herr Hildebrand.
�Alles kommt auf Gewohnheit an,� erwiederte der Nachbar. �Sein Leben mu� der Mensch genie�en, Nichts �bertreiben, aber was recht ist und seinen Mitteln angemessen. Was man bezahlen kann, mu� man sich auch verschaffen. Wozu qu�lt man sich in der Welt, Nachbar, wenn man nicht genie�en will? Etwa f�r lachende Erben?�
�Die es Einem doch nicht danken,� fiel Herr Hildebrand ein.
�Richtig!� lachte der Zimmermeister. �Jeder mu� sein eigener Erbe sein, mu� nehmen, was er kriegen kann, ehe seine Zeit um ist. Ich habe auch einmal Nichts gehabt, a� mein St�ck Brot mit Schmerzen und wohnte in einem Loche.�
�Jetzt daf�r um so besser,� sagte Herr Hildebrand l�chelnd.
�Und doch billiger wie Sie, Nachbar. Meine Wohnung kostet mich keinen Pfennig, im Gegentheil, ich bekomme noch Geld zu, denn mein Haus bringt mehr ein. Sie geben wenigstens j�hrlich tausend Thaler Miethe.�
�Oho! Wie so?� fragte Herr Hildebrand.
�Sehen Sie denn das nicht ein, Doctor?� rief der Zimmermeister. �Wenn die H�tte hier heruntergerissen und vortheilhaft gebaut wird, bekommen Sie einen sicheren Ueberschu� von tausend Thalern und obenein eine Wohnung frei, die meiner Nichts nachgeben wird. Dazu ist jetzt die beste Zeit,� fuhr er fort. �Das Baumaterial spottbillig, die Miethen steigen, Kapitale billig zu haben.�
�Das w�rde ich nicht bed�rfen,� sagte Herr Hildebrand zuversichtlich l�chelnd. �Die Mittel w�rde ich selbst besitzen.�
�Es steht also gut mit Ihnen, Nachbar, ich dachte mir's wohl,� versetzte der Zimmermeister, �aber halten Sie Ihr Geld fest, das k�nnen Sie besser gebrauchen. Ich verschaffe Ihnen billiges Geld zu Ihrem Bau, f�r Ihr eigenes aber kaufen wir Grundst�cke, die jetzt manchmal zum Spottpreis zu haben sind, wenn man Wege und Stege kennt. So mu� man es machen, Doctor, so kommt man zu Etwas. Sie haben gestern bei mir mehr als Einen gesehen, der vor einem Paar Jahren noch sehr bescheiden zu Fu�e ging, wenn er einen guten Freund besuchen wollte, jetzt aber geht's nicht ohne Equipage. So geht's in der Welt her, Nachbar. Man mu� nur nicht im Winkel sitzen bleiben. Wer solch' Haus hat, wie Sie, mu� sein Gl�ck benutzen, und obenein Geld? Geld mu� arbeiten, das ist die Hauptsache. Jetzt mu� ich fort, wir werden schon weiter dar�ber sprechen. Nur noch Eines: essen Sie heute Mittag mit uns, aber ganz allein, ohne alle Gesellschaft. Am Abend besuchen Sie mit uns die neue Oper, ich habe eine Loge genommen. Hat man Geld, hat man Alles, und wer viel einnimmt, kann viel ausgeben. Meine Johanna ist einfach erzogen, fragt nicht viel nach gro�en Gesellschaften oder dergleichen, aber Musik, Oper, Concerte, das ist ihre Sache. Na, und wie M�dchen sind, sie haben Alle das Gl�nzende gern. Weiber sind kostbare Spielzeuge, Nachbar, die Bescheidensten nehmen gern, was sie bekommen k�nnen.�
Sein rothes volles Gesicht mit den runden Augen sah den Doctor lachlustig an, der gelehrig zuh�rte.
�Also um zwei Uhr,� sagte er Abschied nehmend, �Johanna hat's mir auf die Seele gebunden. Bei der haben Sie mehr als einen Stein im Brette, Doctor, denn die ist anders wie Andere. Was sie will, setzt sie durch. Das nennt man Charakter, Nachbar.�
Mit diesen Worten sch�ttelte er dem Nachbar abermals die Hand, da� alle Finger knackten, und ging lachend davon, indem er noch von der Th�re aus die Ermahnung zur�cklie�, jetzt ordentlich zu fr�hst�cken und einige Hundehaare aufzulegen, wie er es nannte.
Herr Hildebrand schritt mit stolzen Schritten lange auf und nieder. Er hatte eigentlich nie daran gedacht, reich zu werden, nie darauf losgearbeitet, Geld zusammenzubringen. Es hatte sich ganz von selbst gemacht, da� er nach und nach wohlhabend wurde. Das Haus hatte er gleich nach der Kriegszeit �u�erst billig gekauft, seine Frau hatte ihm auch Etwas zugebracht; bei seinem einfachen Leben blieben seine Ausgaben immer h�chst m��ig, dagegen waren in fr�heren Jahren seine Gesch�fte gewinnreich genug gewesen.
Herr Hildebrand hatte sammeln und sparen k�nnen, doch mit Speculationen sich niemals eingelassen. Im Gegentheil waren ihm diese verha�t. Speculanten schienen ihm Wucherer, Gauner und Beutelschneider, und mehr als einmal hatte er von dem Rathszimmermeister, ehe er jetzt wunderbarer Weise n�her mit ihm bekannt wurde, in wenig achtungsvollen Ausdr�cken gesprochen.
Jetzt mit einem Male sah er vieles in anderm Lichte, und in seinem tiefsten Herzen erwachte die Sehnsucht, reich zu werden. Er erinnerte sich der Leute, die er gestern gesehen hatte, ihrer Brillantnadeln, ihrer Goldketten und goldenen Dosen, und wie er nicht gewagt hatte, seine zweigeh�usige dicke Uhr herauszuziehen, als er die vielen pr�chtigen Uhren rund umher gesehen. Diese Stockfische besa�en Geld in F�lle, Alles, was ihnen gefiel; warum sollte er es nicht eben so machen? Warum sollte er nicht auch in einem sch�nen Hause wohnen, Equipage halten, Feste geben, reich werden und ein bequemes herrliches Leben f�hren?
Der Zimmermeister selbst war ein armer Geselle gewesen, er machte keinen Hehl daraus. Jetzt war er reich und seine Tochter an Reichthum gew�hnt. Sie liebte Prunk und Verschwendung nicht, nein, sie war ein liebes, bescheidenes, h�usliches, gutes Kind, aber von ihren Gewohnheiten konnte sie doch nicht lassen und sollte sie auch nicht lassen. In diese arme H�tte konnte sie nicht einziehen; der ganze elende Kram hier mu�te fort; f�r einen Rentier pa�te dergleichen �berhaupt nicht mehr.
Je l�nger Herr Hildebrand umherging, um so hastiger wurden seine Schritte, denn seine Eingeweide brannten unter dem Feuer seiner Vorstellungen. Er malte sich die Zukunft aus, und was ihm bisher geheime Scheu erweckt hatte, erschien ihm immer nat�rlicher und regelrechter. Warum sollte ein Zimmermeister nicht sein Schwiegervater werden? Wo war da eine Kluft von Standesunterschieden? Im Gegentheil, wenn es darauf ankam, so nahm er jedenfalls einen h�heren Rang ein; der ganze Unterschied bestand im Gelde, aber Geld besa� er auch, und bald war er wohl eben so reich oder noch reicher.
Es blieb somit Nichts �brig als ver�nderte Lebensgewohnheit, und damit war doch wohl fertig zu werden. Junge h�bsche M�dchen haben unz�hlige Male schon alte M�nner geheirathet, die sie den j�ngsten und sch�nsten M�nnern vorgezogen haben, sich begl�ckt gef�hlt und sind gl�cklich geworden, und Johanna war von diesem Schlage. Sie verachtete die jungen Windbeutel, die Leichtsinnigen, die Taugenichtse. Sie tanzte nicht, sie wollte keine s��lichen Anbeter, die ihr Dummheiten sagten, sie hatte den gestriegelten Narren stehen lassen und war zu ihm gekommen, um mit ihm zu plaudern.
Ein seliges Gef�hl lagerte sich in seiner Brust, ein stolzes Gl�ck, das sich aus der Befriedigung seiner eitelsten Neigungen und heftigsten Abneigungen zusammenmischte.
�Sie liebt mich wirklich!� fl�sterte er, �und warum sollte sie nicht? Ich werde mich gar nicht lange besinnen, auf die Pl�ne meines Herrn Schwiegervaters einzugehen.�
Es verging jetzt eine volle Woche, wo Herr Hildebrand t�glich und zu jeder Tageszeit in das Haus des Herrn Zimmermeisters kam und frohe Stunden darin verlebte. Zum guten Theil war er allein mit Fr�ulein Johanna, denn Herr Sarre war ein zu eifriger und vielbesch�ftigter Mann, um den h�uslichen Freuden unbeschr�nkt leben zu k�nnen. Er bereitete bedeutende Bauunternehmungen zum Fr�hjahr vor. Ein ganzer neuer Stadttheil sollte entstehen, ein Theil des Baugrundes geh�rte ihm, und schon nach den ersten Tagen war Herr Hildebrand in diese Unternehmungen verstrickt.
Herr Sarre legte ihm einen Haufen Baupl�ne und Grundrisse vor, beschrieb ihm die Vortheile, welche hier schnell eintreten m��ten, so verlockend und bot ihm einen Kauf und Antheil unter so g�nstigen Bedingungen an, da� alle abmahnende Furchtsamkeit davor verstummte. Ein betr�chtlicher Theil seiner sicheren zinstragenden Papiere war eines sch�nen Morgens zu Geld gemacht und in dem Kasten des Zimmermeisters verschwunden, daf�r erhielt Herr Hildebrand so und so viele Quadratruthen eines Wiesengrundes, auf welchem vor der Hand Nichts weiter zu sehen war, als die langen Halme harter Sumpfgr�ser, die aus eisigem schwarzem Wasser aufragten.
Als Herr Hildebrand seine neue Besitzung betrachtete, wurde ihm b�nglich zu Muthe. Von allen projectirten pr�chtigen Stra�en war Nichts zu erblicken. Nichts war da, als ein weites Moor, und er erinnerte sich recht gut, da� die Jugend auf diesem �berschwemmten Boden sich allj�hrlich hier zur Winterzeit mit Schlittschuhlaufen zu belustigen pflegte. Herr Sarre fuhr mit ihm und Johannen in seiner Equipage hinaus und verdeutlichte Beiden, welche Wunder hier zum Vorscheine kommen w�rden.
�Dies ist der gro�e Platz, Doctor,� sagte er. �Gerade vor uns liegt die Eisenbahn; wo die f�nf Stangen stehen, laufen die f�nf Stra�en sternf�rmig fort, und hier an dieser Seite bis zur Ecke dort stehen die Fronten Ihrer H�user. Das ist gestern erst noch ge�ndert worden, und dadurch haben Sie viel gewonnen, mehr als hundert laufende Fu�. Es wird ein gro�es Gesch�ft, Doctor, aber das soll's auch werden. Lauter Prachtgeb�ude m�ssen es sein. Keine drei Jahre gehen hin, und es ist der vornehmste Stadttheil. Sehen Sie doch die Aussicht, das Leben hier. Diese breiten Stra�en, diese Prachth�user, diesen Luxus!�
�So, so!� sagte Herr Hildebrand gelassen. �Ich sehe wirklich nichts als Sumpfwasser und f�rchte, dies wird sehr hinderlich sein.�
�Gar nicht!� rief der Zimmermeister. �Etwas theurer wird der Grundbau werden, darauf kommt es aber nicht an. Es liegt der sch�nste Sand unter dem Moor. Wenn Sie keine Lust haben, Nachbar, lassen wir das Gesch�ft zur�ckgehen.�
H�tte Herr Hildebrand der Stimme in seinem Innern gefolgt, so w�rde er herzlich gern ja gesagt haben, allein dies ging nicht an, und Johanna neben ihm l�chelte ihm zu und sagte:
�Lassen Sie meinen Vater nur sorgen, Herr Doctor, ihm schl�gt keine Speculation fehl; auch diese hat er sicher so berechnet, da� Sie damit zuletzt zufrieden sein werden.�
�Ich werde immer mit dem zufrieden sein, womit ich Sie zufrieden sehe,� antwortete Herr Hildebrand.
�Wirklich, wollen Sie das?� fragte sie.
�Alles, was Sie wollen,� sagte er erfreut �ber ihre Blicke.
�O Sie lieber, guter Doctor! Ich mache mir zuweilen Vorw�rfe.�
�Warum Vorw�rfe?�
�Weil ich glaube, es ist nicht recht, da� ich Ihre Freundschaft auf so viele Proben stelle.�
Ein Ausdruck des Mi�trauens verschwand aus seinem Gesichte.
�Stellen Sie mich nur auf recht viele Proben,� sagte er. �Je mehr je besser, denn – es giebt Nichts, was ich nicht gern f�r Sie th�te,� f�gte er hinzu, indem er bedeutungsvoll l�chelte und ihre Hand dr�ckte.
Das gro�e sch�ne M�dchen err�thete und schlug wie in Verwirrung ihre Augen nieder.
�Es ist wahr,� fuhr er leiser fort. �Es hat so sein sollen, da� wir uns an jenem Abende finden mu�ten. Ich denke, der uns damals zusammenf�hrte, wird auch weiter sorgen.�
�Ja, ja!� rief sie, ihren Kopf mit den hellen Augen rasch aufhebend, �auf ihn wollen wir vertrauen. Er meint es gewi� am besten mit uns Beiden!�
�Sie haben den rechten Glauben, liebes Fr�ulein Johanna. Sein Wille wird geschehen.�
�Amen! Amen!� lachte sie so erregt, da� er fast davor erschrak. �Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden, bester Doctor,� fuhr sie fort, �und nun kommen Sie, mein Vater begleitet uns doch nicht weiter. Wen hat er dort gefunden?�
Der Zimmermeister stand mit einem andern Herrn in einiger Entfernung im lebhaften Gespr�che. Herr Hildebrand, der wie viele �ltere Leute au�erordentlich gut in die Ferne sah, erkannte sogleich seinen Neffen, der so eben sich umwandte und ehrerbietig gr��te.
�O, jetzt sehe ich schon,� sagte Johanna, �dieser Herr Werner hat sicher einige neue Pl�ne gezeichnet, und mein Vater hat ihn hierher bestellt, um an Ort und Stelle mit ihm zu verhandeln. Er ist ein erfinderischer Kopf, aber ich mag nicht mit ihm zusammentreffen, Sie wahrscheinlich eben so wenig?�
�Nein,� erwiederte Herr Hildebrand grollend. �Ich mag mit diesem leichtsinnigen Menschen �berhaupt Nichts theilen.�
�Ganz mein Geschmack!� fiel sie ein. �Das d�rfen Sie auch nicht. Wir wollen das neue Museum besuchen, dann Rauch's Atelier Christian Daniel Rauch (1777-1857), deutscher Bildhauer; neben seinem Lehrer Johann Gottfried Schadow war er der bedeutendste Vertreter des deutschen Klassizismus und der Begr�nder der Berliner Bildhauerschule., wo die Abg�sse zu den Gruppen der Vortreppe aufgestellt sind. Es wird so viel davon gesprochen, alle Welt l�uft hin. Ich habe sie noch nicht gesehen. Sie auch vielleicht noch nicht?�
Herr Hildebrand mu�te dies zugeben, und der Kutscher wurde angewiesen fortzufahren, was auch sogleich geschah. Es war ganz angenehm, in dem eleganten Wagen neben der sch�nen jungen Dame zu sitzen, welche lebhaft weiter plauderte und lachte, w�hrend er sich bequem in die sammetnen Kissen legte, wo seine Phantasie, die auch in diesem grauen n�chternen Kopfe lebendig geworden war, ihm anmuthige Bilder vorspiegelte, da� dies Alles sein Eigenthum sei, die raschen Pferde und das rasche junge Weib, die von Vielen angestaunt wurde, welche ihn sicherlich beneideten.
Aber der bittere Nachgeschmack blieb auch nicht aus. Herr Hildebrand war weder ein Kunstkenner, noch hatte er irgend ein Gef�hl f�r Kunst und Kunstverst�ndni�. Er fand es schrecklich langweilig und erm�dend, sich durch diese endlosen Reihen von S�len Trepp' auf, Trepp' ab schleppen zu lassen, um die Farbenklexereien an den W�nden und ungeschlachte, zerl�cherte R�mpfe und K�pfe anzustaunen, die man in alten St�dten aus der Erde gew�hlt hatte, um sie abg�ttisch zu verehren. Er verachtete, heimlich aber diese Narrenspossen, wie er es nannte, von ganzer Seele und verfluchte sie um so mehr, je mehr ihn seine lackirten Stiefeln zu brennen und zu dr�cken begannen.
Von St�hlen, um einmal auszuruhen, war hier obenein Nichts zu sehen, dazu eine solche Menge Maulaffen, die mit aufgehobenen Nasen, offenen M�ulern und Gl�sern vor den Augen umherstolzirten, da� er einige Male fast umgerannt und empfindlich getreten wurde. Er wurde immer w�rdiger und ernster, zog den Kopf in den Nacken und kniff die Mundwinkel zusammen, allein es war unm�glich, Etwas zu �ndern.
Johanna hatte eine Freundin gefunden, die ein K�nstler begleitete, und dieser B�sewicht f�hrte die Damen Schritt f�r Schritt durch das ganze Geb�ude und lie� Nichts unbeachtet, Nichts unerkl�rt. Eine furchtbare M�digkeit bem�chtigte sich des armen Doctors, eine Abspannung, welche in die kaum zu bew�ltigende Sehnsucht ausartete, unter irgend einem Vorwande davon zu laufen.
Das war jedoch nicht ausf�hrbar. Johanna blieb immer bei ihm, zog ihn in's Gespr�ch, f�llte Urtheile, verlangte das seine zu h�ren, brach in Bewunderung aus und n�thigte ihn, dasselbe zu thun, so gut es ging. Er brummte und lallte auch nach M�glichkeit seinen Beifall, aber mit dem seligen Gef�hle eines Begnadigten gelangte er endlich aus dem Geb�ude, den geheimen Schauer im Herzen, es nie wieder zu betreten.
Aber ach, seine Leiden waren noch nicht beendet. Die Freundin und der K�nstler hatten sie an die Th�re begleitet, und Johanna lud nun Beide ein, mit ihr in das Atelier zu fahren.
�Der Herr Doctor Hildebrand ist eben so begierig, wie ich es bin, die herrlichen neuen Gruppen zu sehen, welche so viele Bewunderung finden,� sagte sie, indem sie Beifall fordernd dem Doctor zul�chelte.
�Wenn es nur heute nicht zu sp�t wird,� warf Herr Hildebrand mit weiser Warnung dazwischen, allein er wurde sogleich widerlegt, da es noch nicht drei Uhr sei, und weil er weiter Nichts anzuf�hren wu�te, war er gezwungen, sich zu f�gen und gute Miene zu machen. –
�Ein Paar Figuren sind auch bald angesehen,� tr�stete er sich heimlich, allein wie sehr hatte er sich get�uscht! Eine ganze Gesellschaft fand sich bei einer Gruppe zusammen, darunter einige der bedeutendsten K�nstler, welche den Meister selbst in ihrer Mitte hatten. Die Gruppen wurden nach allen Seiten gedreht, es kam zu lehrreichen Auseinandersetzungen �ber Gewandungen und Attribute, endlich �ber den bevorstehenden Gu� und die Einrichtung des Gie�ofens, �ber die weitere Behandlung, �ber das Poliren und Ciseliren.
Der ber�hmte K�nstler schien besonders Gefallen daran zu finden, mit Fr�ulein Johanna zu sprechen, deren lebhafte Theilnahme und eingehende Antworten ihm gefallen mochten. Die Folge davon war, da� er ihr manche andere Kunstwerke und Skizzen zeigte, welche sein Atelier enthielt, so da� Herr Hildebrand alle Pein nagender Langeweile, trostloser Erm�dung und vandalischer Begierden empfand. Er h�tte mit Entz�cken einen Hammer ergriffen und alle die Fratzen in Granatst�cken zerschmettern m�gen.
Zu seiner Erbitterung gesellte sich der Hunger, und er fand es im h�chsten Grade unschicklich, da� gar keine R�cksicht auf ihn genommen wurde. Wie konnte ein junges Frauenzimmer von einfacher b�rgerlicher Erziehung Gefallen daran finden, in solcher H�hle umherzulaufen, die mit allerlei menschlichen Gliedma�en behangen war? Und w�ren es noch abgeschnittene und kunstvoll abges�gte, gut pr�parirte Arme und Beine gewesen, woran ein nachdenkender und gebildeter Mensch sich verfeinern konnte, aber der ganze Unsinn war aus Thon und Wasser zusammenger�hrt und wurde im eiserne Stangen und St�be zusammengebacken, wie ein T�pfer seinen Ton knetet, der wenigstens N�tzliches daraus macht.
Ein ingrimmiger Zorn kam �ber den Doctor, und er wurde ihn nicht so leicht wieder los, selbst da nicht, als endlich Johanna sich bei dem Herrn Professor f�r den gro�en Genu�, der ihnen Allen geworden, bedankte. Erst als er darauf mit ihr im Wagen sa�, und die Pferde, denen sicher �hnlich zu Muthe war wie ihm, mit verdoppelter Eile ihrem Mittagsmahle zueilten, kehrte seine Fassung zur�ck.
�Das war k�stlich!� rief Johanna. �Das war ein wunderbar guter Tag! So viel Sch�nes hatte ich nicht erwartet, und das danke ich Ihnen, bester Doctor, denn ohne Ihre Begleitung, ohne Ihren Sinn f�r die Kunst h�tte ich das nicht sehen und genie�en k�nnen.�
Herr Hildebrand mu�te dies Lob annehmen und f�hlte sich erweicht durch die dankbare Freundlichkeit des sch�nen M�dchens. Seine gr�mliche W�rdigkeit verschmolz vor ihrem L�cheln, und er beantwortete ihre Klagen, da� ihr Vater eben so wenig Zeit wie Interesse f�r solche Ausfl�ge habe, mit der huldvoll erlogenen Versicherung, da� er dies sehr bedaure.
�Nun habe ich Ersatz an Ihrer G�te,� fuhr Johanna fort. �Wir wollen recht oft Museen und Kunstwerkst�tten besuchen, es ist die sch�nste, edelste Besch�ftigung, die ich mir denken kann.�
�Wenn das Hauswesen nicht darunter leidet,� fiel er ein.
�Das darf nat�rlich nicht leiden,� sagte sie, �doch man mu� in solcher d�rren Lebensprosa nicht aufgehen wollen. Der praktische Blick, sagt mein Vater, schafft und ordnet in einer Minute das, wozu Andere Stunden und Tage brauchen, und er hat Recht. O Sie sollen schon sehen, wie ich es einrichten werde, um immer zu Ihren Diensten zu sein. Und wie sch�n ist es, wenn man sein Leben in solchen edlen Gen�ssen vergeistigt, wenn man, wie wir Beide, diese liebt und Freude und Erholung daran findet. Gem�lde, Kunstgegenst�nde, Blumen sind der sch�nste Schmuck, den eine menschliche Wohnung haben kann, und meine Wohnung, wenn ich einmal eine eigene besitze, soll keine anderen Zierden haben. Darin werde ich eine Verschwenderin sein, bester Doctor.�
Herr Hildebrand f�hlte ein stilles Grauen. Au�er dem alten Fritz zu Pferde, den drei Monarchen in der Schlacht bei Leipzig und dem Einzug der Verb�ndeten in Paris besa� er Nichts von Kunstwerken, auch verlangte ihn nicht im Geringsten darnach. Es blieb ihm jedoch keine Zeit, sich mit Gr�beleien einzulassen, denn das Haus war erreicht, und der Zimmermeister stand schon auf den Treppenstufen und empfing die Heimkehrenden mit einer Strafrede.
�Alle Wetter, was la�t Ihr mich warten!� sagte er, und als er h�rte, was die Ursache sei, fing er heftig an zu lachen. �Nun, das ist ja pr�chtig,� schrie er, �da� der Doctor alle Deine Neigungen theilt. Nun fehlt nur noch die Musik. Musik und Kunst sind ihre Leidenschaften, Doctor. Die Symphonie-Soir�en gehen n�chstens wieder an; zehn Pferde ziehen mich nicht hinein. Und dann die geistlichen Musiken, die Oratorien und Passionsmusiken und wie sie weiter hei�en, solche mittelalterliche Chor�le, wie sie jetzt wieder Mode geworden sind. Na, Sie sind ein Liebhaber, daher ist nicht zu streiten. Johanna wird Sie aus Herzensgrunde verehren, aber ich bin froh, da� ich's nicht auszuf�hren brauche. Hundert Mal lieber ein rechtschaffener Leierkasten, wenn's nicht anders sein kann, doch vor allen Dingen ein saftiges St�ck Fleisch auf den Tisch, wie da eins vor uns steht.�
Herr Hildebrand stimmte von Herzen mit ein, er durfte es sich nur nicht merken lassen; was w�rde Johanna von ihm gedacht haben? Er begriff allerdings nicht, wie man ihn f�r einen Liebhaber solcher brotlosen Kunstst�cke halten konnte, allein es war doch einmal so, und vor der Hand w�r's unklug gewesen, zu widersprechen.
Er setzte sich daher ohne eine Ablehnung dieser Schmeicheleien an den Tisch, wo nach kurzer Zeit seine Leiden und Sorgnisse verbla�ten und verschwanden, denn die Speisen fand er nach seinem Geschmacke, und der rothe Wein, den Johanna's wei�e H�nde reichlich spendeten, behagte ihm so gut, da� er munter und spa�haft wurde, von Frankreich zu erz�hlen anfing, wo er manchen guten Trunk gethan, und von Paris, wo er drei Monate lang ein �u�erst vergn�gtes Leben gef�hrt.
�Es geht Nichts �ber das Reisen,� sagte der Zimmermeister. �Wir wollen auch einmal zusammen hin.�
�Es ist ein theures Leben,� erwiederte er, �und weit.�
�Was da!� rief der Nachbar. �Jetzt mit den Eisenbahnen ist es ein Katzensprung, und Geld verdienen wir an unserm neuen Unternehmen genug. Mit einem Paar Tausend Thalern kann man viel reisen.�
�Ich m�chte Paris doch wohl sehen,� fiel das Fr�ulein ein.
�Versteht sich, mu�t Du es sehen,� sagte der Vater, �das ist eine Hochzeitsreise, Johanna.�
�Nach Paris und durch Italien und die Schweiz zur�ck, wie meine Cousine Auguste,� rief das Fr�ulein. �Das mu� himmlisch sein, hohe Berge zu ersteigen, auf dem ewigen Schnee einherwandern und alle Tage neue Natursch�nheiten zu bewundern.�
Der Zimmermeister lachte heftig.
�Angesto�en, Doctor!� schrie er. �Auf die Hochzeitsreise, auf da� sie bald angetreten werden m�ge!�
Fr�ulein Johanna lachte ebenfalls und stie� mit an. Sie that unbefangen dabei, und doch brach die Verlegenheit durch. Sie versch�ttete beinahe den Wein aus ihrem Glase und wandte ihre Augen ab, aber diese sprachen dennoch eine Sprache, welche die Unruhe im Herzen des Doctors vermehrte.
Nach dem Mittagsessen sa� er lange bei Johanna in dem Blumenzimmer, wo sie ihn zuerst empfangen hatte, und w�hrend er Kaffee trank, beschwichtigten sich wiederum eine ganze Reihe dunkler, unheimlicher Ahnungen, die wie graue Wetterw�nde den heitern Horizont ums�umten. Wie herrlich war es hier, wie traulich! Wie reizend sah das sch�ne M�dchen aus, und wie bezaubernd war ihre hausfrauliche Th�tigkeit! Der blanke Theekessel brodelte, die silberne Kaffeemaschine stand daneben, und sie hielt eine scherzende Vorlesung �ber die beste Art Kaffee zu bereiten.
Kaffee war einer der h�chsten Gen�sse f�r Herrn Hildebrand, und niemals hatte er ihn so gut getrunken. Sie schenkte ihm selbst ein und erz�hlte ihm, da� F�rst Talleyrand von dem Kaffee gesagt habe, dieser m�sse sein: schwarz wie der Teufel, hei� wie die H�lle und s�� wie die Liebe, wobei sie mit ihren feinen Fingern ihm einen ungeheuern Zuckerfelsen in die Tasse warf und so z�rtlich dabei l�chelte, da� er pl�tzlich nach diesen rosigen Fingern griff und einen Ku� darauf dr�ckte.
Sie lie� es ohne Widerstand geschehen, hob aber ihre linke Hand auf und begann zu drohen.
�Ist das auch wahr?� sagte sie schalkhaft und bittend zugleich.
�Ich l�ge niemals!� antwortete er, die Hand auf seine Brust legend.
�Werden Sie mich auch niemals schelten, bester Freund?� fragte sie weiter.
�Das ist ja gar nicht m�glich!� l�chelte er.
�Auch niemals b�se werden?�
�Warum sollte ich wohl b�se werden?�
�Zum Beispiel dar�ber, da� ich das Rauchen nicht leiden kann,� sagte Johanna, �und Ihnen nicht einmal erlaube, hier zu dem Kaffee eine Cigarre zu rauchen. Mein Vater raucht nicht, und ich finde es abscheulich.�
Er hatte bis jetzt nicht daran gedacht, nun aber fiel es ihm ein, und er erschrak davor. Nicht rauchen? Das war hart, aber was galt die schreckende Vorstellung in diesem Augenblicke?
�O!� fl�sterte er, s�� zu ihr aufblickend, indem er seine K�sse wiederholte, �Sie werden nicht immer so grausam sein, liebwerthestes Fr�ulein.�
Ehe sie antworten konnte, entstand ein Ger�usch. Die Th�re wurde ge�ffnet, und als Herr Hildebrand aufblickte, sah er wiederum seinen Neffen. Er lie� die Hand des Fr�uleins fallen und drehte seinen Kopf von dem unwillkommenen, �berraschenden St�renfried ab, dessen Anblick wie Eiswasser auf das Feuer in Herrn Hildebrand's Brust wirkte.
�Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich st�re,� h�rte er die tiefe Stimme sagen, und es war ihm, als kl�nge der Ton ungew�hnlich ernsthaft oder schwerm�thig.
�Sie st�ren durchaus nicht, Herr Baumeister,� antwortete Fr�ulein Johanna. �Darf ich fragen, was uns das Vergn�gen Ihres Besuches verschafft?�
�Mein Besuch, mein gn�diges Fr�ulein, ist die Folge eines Irrthums,� versetzte er. �Ich fragte nach Ihrem Herrn Vater, und man wies mich hierher.�
�Man irrt sich gar zu leicht,� sagte Johanna mit einem sp�ttelnden Anklang. �Da ich jedoch die Ehre habe, Sie bei mir zu sehen, darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?�
�Irrth�mer f�hren zur Wahrheit, wenn man sie zeitig erkennt,� war seine Antwort, die er mit einer Verbeugung begleitete. �Ich sage Ihnen besten Dank, aber ich trinke keinen Kaffee. Der Arzt hat ihn mir verboten.�
�Das ist sehr Schade. Leiden Sie denn?�
�Mehr, wie Sie es glauben w�rden.�
�O!� rief sie lachend, �das ist ja sehr zu bedauern, aber Ihre Gesundheit wird schon wiederkehren, auch w�nsche ich Ihnen auf's Herzlichste, das Sie k�nftig niemals in Irrth�mer verfallen.�
�Ich werde mich bem�hen, diesen freundlichen W�nschen nachzukommen,� erwiederte er.
�Thun Sie das, mein lieber Herr Baumeister,� fuhr sie in demselben verspottenden Tone fort. �Es giebt nichts Sch�neres als die Wahrheit. Ich liebe sie so sehr, da� es mir unm�glich ist, es zu verheimlichen, und bekenne ohne Bedenken, da� ich Irrth�mer und T�uschungen nicht zu ertragen vermag.�
�So mu� man damit ein Ende machen,� sagte er.
�Gewi�, das ist auch meine Meinung. Ich freue mich sehr, da� wir �bereinstimmen.�
�Ich hoffe, da� dies immer der Fall sein wird,� fiel er ein.
�Das glaube ich in der That nicht, allein ich werde mit Vergn�gen auch fernerhin dazu beitragen, da� es geschieht.�
�O, ich baue auf dies g�tige Versprechen,� versetzte er mit ehrbarer, wie es schien, gar ernster Stimme. �leben Sie wohl, mein verehrtes Fr�ulein.�
�Ihre Dienerin, Herr Baumeister, aber bitte, da kommt mein Vater. Warten Sie gef�lligst noch einen Augenblick.�
�Bem�hen Sie sich durchaus nicht. Ich finde meinen Weg.�
Mit diesen Worten wandte sich Herr August Werner rasch um und dem eintretenden Zimmermeister entgegen, w�hrend Fr�ulein Johanna ihr freudig strahlendes Gesicht Herrn Hildebrand zukehrte, ihm lachend zunickte und, sich zu ihm beugend, einige Worte fl�sterte, welche er nicht recht verstand, dann aber sich durch die Seitenth�re entfernte.
So erg�tzt Herr Hildebrand von diesem Auftritte und �ber die Dem�thigung seines Neffen war, so nahm er doch einigen mitleidigen Antheil, als der Zimmermeister nach der ersten Begr��ung sagte:
�Sie bringen die Anschl�ge, Herr Werner, das ist mir lieb. Sie sind ein Mann, der zu arbeiten wei� und seine Sache versteht. Ich habe oft schon gesagt, das ist ein praktisches Talent, der Herr Baumeister, er wird seinen Weg schon machen. Aber wie sehen Sie denn aus? Erhitzt und die Augen wie mit Blut unterlaufen.�
�Kopfschmerzen, Herr Sarre,� erwiederte August.
�Bah, Kopfschmerzen! Ein junger Mann mu� keine Kopfschmerzen haben. Kopf kalt, F��e warm, ist eine alte Lebensregel.�
�Ich w��te Niemanden, der sich Etwas daraus macht, wie mein Kopf oder wie ich selbst beschaffen bin!� lachte der Baumeister, doch man h�rte die Bitterkeit heraus.
�Wer wird schwerm�thige Grillen einfangen!� rief Herr Sarre. �Geben Sie nur her die Papiere. Morgen essen Sie mit uns. Wir wollen einmal so ein extrafeines Diner halten und noch besser dazu trinken. Punkt vier Uhr geht es an.�
�Ich mu� mich entschuldigen, da es mir nicht m�glich sein wird,� wandte der Baumeister ein.
�Sie m�ssen kommen, es hilft alles Nichts!� fuhr Herr Sarre fort. �Ich habe meine Gr�nde daf�r, Sie d�rfen es mir nicht abschlagen. Ich sage Ihnen, es geht nicht anders, mein lieber Herr Werner.�
�Wenn Sie befehlen, werde ich es versuchen, ob es mir m�glich ist, allein –�
�Nichts da, keine Einwendungen,� unterbrach ihn der Zimmermeister. �Ich sage Ihnen nochmals, ich habe die besten Gr�nde und Absichten daf�r.�
Der junge Mann verbeugte sich schweigend und empfahl sich dann. Herr Sarre sch�ttelte ihm an der Th�re noch einmal die Hand, indem er seine Einladung dringend wiederholte, hierauf kehrte er zur�ck, setzte sich Herrn Hildebrand gegen�ber an den Tisch und schenkte sich Kaffee ein.
�Es ist ein ganzer Kerl, der Baumeister,� sagte er, �und nicht viele zu finden, die es mit ihm aushalten. Voller Ideen, voller Talente, und dabei ein klarer Kopf, praktisch, unerm�dlich. Wissen Sie, warum ich ihn herbestellt habe morgen Mittag, Doctor?�
�Nein,� erwiederte Herr Hildebrand.
�Weil Sie sich mit ihm vers�hnen sollen. Ja, das sollen Sie, das ist recht und ist auch n�thig.�
�Ich bin der Ansicht,� sagte Herr Hildebrand, seine Stirn faltend, aber der Zimmermeister lie� ihn nicht weiter reden.
�Erst h�ren Sie mich an, Nachbar,� fiel er ein, �wir wollen einmal von der Leber weg sprechen. Es ist Ihr Neffe, aber ich kenne ihn besser wie Sie und sage Ihnen, wenn's mein Neffe w�re, w�rde ich stolz darauf sein.�
�Er ist ein leichtsinniger, anma�ender Mensch,� versetzte Herr Hildebrand, den Kopf w�rdevoll in den Nacken dr�ckend.
�Besser jung leichtsinnig, wie in grauen Haaren,� erwiederte der Vertheidiger, �im Uebrigen mag er seine Zeit dazu gehabt haben. Jetzt ist das vorbei, denn sein ganzes Wesen, und was er im Sinne hat, spricht daf�r. Ich m�chte ihn nicht missen, denn solchen Beistand finde ich nicht wieder, und da wir uns Beide nahe zusammenstellen wollen in enge Freundschaft und Verwandtschaft, mu� er dabei sein; es geht nicht anders, Doctor.�
Herr Hildebrand r�usperte sich und l�chelte ungewi�, aber der Zimmermeister lie� ihn nicht zu Athem kommen.
�Ich sehe, wie es steht,� sagte er, �also ohne Umst�nde, Nachbar. Ich habe Nichts dagegen, Johanna hat ihren Willen, morgen wollen wir's in Ordnung bringen, doch dabei bleibe ich, mit Ihrem Neffen m�ssen Sie sich vers�hnen, das ist meine Bedingung. Morgen Mittag kann's losgehen, da kann die Verlobung feierlichst stattfinden, wie es einmal Sitte ist, und ich sage nur so viel, Nachbar, Ihr Gesch�ft legen Sie nieder und geben es dem dicken, kleinen Burschen, dem Kummer, der wird sich schon weiter damit n�hren. Die alte H�tte rei�en wir ab und bauen ein Haus, das sich rentirt, mit einer h�bschen Wohnung f�r's junge Paar. Daf�r wird der Baumeister schon sorgen, dem geben wir die Sache in die Hand, Sie aber, Nachbar, setzen sich zur Ruhe. Der Herr Doctor Hildebrand lebt als Rentier und Hausbesitzer den K�nsten und den Wissenschaften, besucht die Museen und die Concerte, die Theater und die B�lle, f�hrt spazieren und wei� immer, wo die besten Austern zu haben sind. Habe ich Recht, Nachbar? So wollen wir leben, immer in guter Freundschaft, und Johanna liebt uns Beide um die Wette.�
Mit schallendem Gel�chter streckte er seine m�chtige Hand aus, und Herr Hildebrand mu�te einschlagen, dabei jedoch sah dieser ziemlich nachdenklich aus, und mit seinem Lieblingsworte:
�So, so! Das meinen Sie also?� wollte er Etwas erwiedern, das sich eben sowohl auf seiner Zunge wie in seinen Gedanken verwirrte, wenn der Zimmermeister ihn nicht wiederum unterbrochen h�tte.
�Kein Wort heute mehr!� sprach dieser, jedoch mit ged�mpfter Stimme. �Ich werde Alles mit Johannen abmachen, so da�, wenn Sie kommen, Sie nur zu ihr gehen d�rfen, um ihr zu sagen, was Sie denken, und zu h�ren, was sie darauf antwortet. Dann bei Tische aufgestanden, das Wort genommen: Vivat hoch, das Brautpaar soll leben! Abgemacht, fertig.�
Damit stand er selbst auf, denn eben kam Johanna wieder herein und brachte zwei junge Damen, ihre Cousine und eine Freundin, mit, deren Besuch ein heiteres, belebtes Beisammensein w�hrend des ganzen Abends bewirkte. Es wurde viel Musik gemacht, die Damen sangen, Johanna spielte ein ganzes Klavierconcert vor und einige andere schwierige St�cke. Es war fast nur von Musik, Opern und S�ngern die Rede, von denen Herr Hildebrand kaum die Namen je geh�rt hatte, und er langweilte sich dabei unm��ig.
Endlich war er herzlich froh, als er sich fortmachen konnte. Der Zimmermeister sch�ttelte ihm die Hand, umarmte ihn und sagte ihm lachend in's Ohr, er m�ge eine h�bsche Brautrede lernen. Fr�ulein Johanna aber blickte schmelzend zu ihm auf und fl�sterte:
�Welch' gl�cklicher Tag war das in Ihrer Gesellschaft! Auf Wiedersehen, auf morgen, lieber, guter Doctor!�
Eine lange, bange Nacht folgte diesem gl�cklichen Tage. Herr Hildebrand w�lzte sich auf seinem Lager, als sei es aus Dornen und Nesseln gemacht. Er st�hnte zuweilen in schwerer Angst und wurde von Gespenstern gequ�lt, die ihm schreckliche Bilder seiner Zukunft aufrollten.
Da sa� er in einem pr�chtigen Hause, in einem sch�n geschm�ckten Zimmer, aber er durfte sich nicht darin r�hren, weder Beine noch H�nde frei bewegen, denn �berall standen nichtsnutzige Spielereien, die man umsto�en und zerbrechen konnte. An den W�nden hingen theure Bilder, auf den Tischen standen Vasen und B�sten, an den Th�ren auf vergoldeten Consolen Statuetten und Rankengew�chse. Drei Mal hatte er heute schon Blument�pfe umgesto�en, war auf dem glatten Fu�boden ausgeglitten und hatte einen Kaminschirm zerbrochen. Und dabei sollte er leben und nicht einmal rauchen!
Was sollte aus ihm werden, wenn er sch�ne K�nste treiben, alle Tage Musik h�ren m��te! Sein Spindchen mit den kunstvoll aufgereihten Zahnketten und die ausgestopften Eulen waren ihm zehnmal mehr werth, als alle diese Schnurrpfeifereien ohne reellen Inhalt. Und warum wollte er denn ein solcher Knecht und Sklave werden? Um ein Weib zu nehmen in seinen alten Tagen.
Es war allerdings ein sch�nes, junges Weib, und reich war sie auch, aber durch ihren Vater an Schwelgerei gew�hnt, wie eine Prinzessin erzogen und keineswegs so h�uslich, wie sie es auf der Zunge f�hrte. Schickte es sich f�r ein b�rgerliches M�dchen, musik- und kunsttoll zu sein, Nichts im Kopfe zu haben, als �berspannte Ansichten von einem Leben unter Kunstsch�tzen und geistigen Gen�ssen? Nicht eine Woche l�nger konnte er es so aushalten, das wu�te er gewi�, wie also sein ganzes Dasein in dieser Weise zubringen?
Er schauderte davor zur�ck und lag in dumpfer Bet�ubung, w�hrend er sich die Zukunft weiter ausmalte, zuweilen Trost sch�pfend, zuweilen allen Trost verschm�hend. Eine Stimme fl�sterte ihm zu, da� die Neigung dieses jungen M�dchens zu ihm �berhaupt unnat�rlich sei und eine schlimme Wendung nehmen k�nne. Sei denn nicht Alles an ihr launenhaft und eigensinnig, und sei sie denn wirklich ein solcher Engel an Sanftmuth und Herzensg�te, wie er es geglaubt hatte?
Mit welchem Hohn hatte sie heute den armen August behandelt. Wie muthwillig hatte sie ihn gepeinigt, mit welchem Hochmuth ihn verlacht. Konnte ihm das nicht auch geschehen? Gewi�, ja gewi�, aber wenn es zu sp�t war.
In der Dunkelheit richtete sich Herr Hildebrand auf und st�tzte sich lange Zeit auf seinen Elnbogen in �u�erster Rathlosigkeit und Tr�bni�. Es kam ihm der Gedanke ein, morgen auf jeden Fall krank zu werden, und er f�hlte sein Herz erleichtert bei der Vorstellung, da� er �berhaupt dann keinen Schritt wieder �ber die gef�hrliche Schwelle setzen wolle, allein bald mischte sich in diesen Vorsatz sein Stolz, seine Eitelkeit, ein Schamgef�hl, das sich noch immer mit Unwillen gegen seinen Neffen paarte, und endlich kam zwingende Nothwendigkeit dazu, welche so oft schon widerstrebende Herzen mit den H�nden nachgezogen hat.
Es war nicht allein s�� zu denken, da� Reichthum ein bequemes Leben schaffe, Herr Hildebrand hatte sich ja auch schon in die Spekulationen des Zimmermeisters verwickelt. Der gr��te Theil seines Geldes lag ja in dem gro�en Sumpfe, der eine Stadt werden sollte. Bei diesem Gedanken steigerte sich die Angst des geplagten Mannes bis in's Fieberhafte. Er konnte nicht zur�ck, nein, wohin er sah, er sah sich umstrickt. Sollte er das Opfer einer Cabale sein? Sollte man ihm sein Geld abnehmen wollen? Der Zimmermeister nur darum ihn an sich gelockt haben, um ihn auszupl�ndern? –
Wie sehr er sich auch gegen solche Schreckbilder str�ubte, so zitterte er doch vor der M�glichkeit. Sein Abscheu gegen alle Schwindler und gierigen Spekulanten erwachte pl�tzlich wieder, er emp�rte sich gegen sich selbst, da� er mit einem solchen sich einlassen konnte.
So verging ihm die Nacht, und so kam der Morgen. Ermattet hatte er eben seine Augen geschlossen, als er wieder auffuhr, denn Kummer polterte in einer Weise herein, als w�re der b�se Feind hinter ihm her.
�Herr Cherorjus!� schrie er, �aber Herr Cherorjus, Sie liegen noch zu Bette? Du meine G�te, es ist ja schon acht Uhr vorbei. Aber es macht die Freude, es macht das Gl�ck. Wenn ich's w�re, ich t�te kein Auge zumachen. Also heute ist Verlobung? Meine allertiefsten, unterth�nigsten, verehrungsw�rdigsten Gl�ckw�nsche, Herr Cherorjus. Herr Gott, ich bin so lustig, wie ich es gar nicht sagen kann.�
�Du bist und bleibst ein Narr, Kummer,� sagte Herr Hildebrand.
�Na, das versteht sich,� lachte Kummer, �und ich denke, ich komme besser damit fort, als ob ich zu den weisen Leuten geh�rte. Liebster Herr Cherorjus, ich habe ja Alles erfahren. Jungfer Karline hat mir Alles erz�hlt, und ich kann's Ihnen nicht verschweigen, wir sind Beide dabei in die L�fte gesprungen. Die Karline ist ein braves M�dchen, und die Aussicht, welche sich uns er�ffnete, brachte unsere Herzen aneinander.�
Herr Hildebrand sah seinen Famulus w�rdevoll schweigend an, der vor ihm stand, den K�rbi�kopf weit vorstreckte, freudig grinste, die blauen, runden Augen weit und gl�nzend aus ihren H�hlen hervorstreckte und seine dicken H�nde mit au�erordentlicher Lebhaftigkeit zusammenrieb.
�Sie k�nnen es glauben, ohne Spa�, Herr Cherorjus,� fuhr Kummer fort. �O, dachten wir, warum denn nicht? Das Leben ist doch sch�n, warum sollten wir es nicht genie�en? Wie der Herr, so der Knecht, steht es geschrieben; hauest Du meinen Juden, haue ich Deinen Juden. Also nehme ich die Karline in meine Arme und sage: sch�nste Karline, la� uns diesem edlen Beispiele folgen. Dein Fr�ulein nimmt mir meinen Herrn Cherorjus, also mu�t Du die Meine sein, und wenn er oben mit ihr in dem neuen Hause wohnt, so wohnen wir unten in dem veredelten Keller der Gegenwart, werden aber darum nicht weniger gl�cklich sein. Ja, wahrhaftig, Herr Cherorjus, dieses sagte ich und nehme Ihre gro�e G�te an, werde es Ihnen ewig lohnen und werde das Gesch�ft zu Ihrer Zufriedenheit mit Karlinen betreiben, mit aller Sorgfalt und bester Ueberzeugung.�
�Stille!� schrie Herr Hildebrand, indem er aus dem Bette sprang.
Er sah dunkelroth aus, ballte die Faust und zitterte. Es verging eine Minute, ehe er sich fassen konnte.
�Wer hat das Alles gesagt?� fragte er dann vor sich hinblickend.
�Der Herr Zimmermeister hat mit dem Fr�ulein Johanna gesprochen,� sagte Kummer, �und Karline hat hinter dem Schirme gestanden und es mit angeh�rt. Er hat ihr Alles mitgetheilt, was er mit Ihnen abgemacht, und wie es werden soll, wenn Sie als Rentier wohnen, und ich das Gesch�ft weiter f�hre. Darauf hat das Fr�ulein zu Allem beigestimmt, und es w�re ihr Wunsch und Wille, und wenn Sie k�men, w�rde sie gerne h�ren, was Sie ihr zu sagen h�tten. Darauf hat denn der Zimmermeister geschrieen: Also machen wir die Verlobung morgen bekannt, und frisch hinterher die Hochzeit, und nach Paris mit Euch oder in die schweizer Gebirge, oder wohin Ihr wollt.�
Herr Hildebrand wankte nach dem Sopha, er f�hlte eine sonderbare Schw�che in seinen Knieen. Die Gewi�heit und Unab�nderlichkeit seines Schicksals hing sich l�hmend an seine Glieder. Er hatte diese Verabredungen angenommen, er konnte es nicht leugnen, da� er zu Allem Ja gesagt hatte. Das ganze Haus des Zimmermeisters wu�te es jetzt, Verwandte und Freunde waren sicher davon unterrichtet. Da war kein Entkommen m�glich. Der rasche, heftige Zimmermeister lie� seine Tochter auf keinen Fall beschimpfen. Und was sollte er ihm sagen? Wie sollte er vor ihm stehen?
Kl�glicher und betr�bter hat nicht leicht ein Br�utigam an seinem Verlobungsmorgen gesessen und mit solcher Unruhe die fortr�ckenden Zeiger der Uhr betrachtet. Der Kaffee stand unber�hrt, die Zeitung lag zerkn�llt im Winkel, die Pfeife war umgefallen, ohne einmal aufgehoben zu werden.
Kummer wirthschaftete drau�en, putzte, wischte, b�rstete, pfiff und lachte. Er f�tterte die V�gel, erz�hlte dem Stieglitz und der Grasem�cke von der Verlobung und ermunterte die Nachtigall, an ein neues Hochzeitslied zu denken. Endlich aber erkl�rte er ihnen s�mmtlich, da� ihres Bleibens hier nicht mehr lange sein werde, da dem Herrn Cherorjus n�chstens andere Lieder vorgesungen werden w�rden, eine junge sch�ne Frau aber Nichts mit solchen alten K�figen und garstigen unscheinbaren Kreaturen zu schaffen haben wolle.
�Sie wird sich einen Papagei halten und einen bunten gro�en Arras, der den ganzen Tag schreit und plappert,� sagte er, �ihr aber, ihr armen Teufel, sollt zu einem andern armen Teufel, n�mlich bei mir, in den Keller ziehen, und da wir allzusammen Narren sind, werden wir uns gewi� auch gut vertragen. Bei einfacher, gesunder Kost und bei einem frischen Trunk lebt sich's am besten. Da singt denn hell darauf los, ihr lustigen kleinen Burschen, Niemand soll euch ein b�ses Wort darum sagen.�
Ein tiefer Seufzer des Doctors beantwortete diese Standrede. Wenn er nur Zeit gewinnen k�nnte, ein Aufschub m�glich gewesen w�re, aber er verzweifelte daran. Pl�tzlich st�rzte Kummer wieder herein, rief ihn an's Fenster und zeigte ihm einen gro�en Tragekorb, der von zwei Leuten so eben in's Haus des Zimmermeisters geschafft wurde.
�Da bringen sie schon die Kuchen vom Conditor,� sagte er. �Ein ungeheurer Baumkuchen ist dabei, Karline hat es geh�rt, was Herr Sarre erz�hlt hat. Er hat ihn so bestellt, da� er einen Tempel bildet von lauter farbigen Zuckers�ulen, und in der Mitte stehen Sie, Herr Cherorjus, als der Gott Amor. Es ist wahrhaftig wahr, die Karline sagt es.�
Herr Hildebrand wies den Schw�tzer mattherzig hinaus und suchte sich m�glichst zu beruhigen, indem er sich auf den Standpunkt erhob, der selbst den Verurtheilten Fassung und St�rke giebt. Er schickte sich in das Unvermeidliche und fing an, mit aller Gewalt an den Himmel seiner Zukunft zu glauben, obwohl er daraus von Zeit zu Zeit wieder hinausgetrieben wurde in's Heulen und Z�hneklappern.
�Wenn ich nur einen Ort w��te,� murmelte er tiefathmend, �wohin ich mich retten k�nnte. Es hilft aber Nichts, und ich sehe eigentlich auch gar nicht ein, warum ich mich �ngstige! Ich werde dies nicht thun,� sagte er, w�rdevoll sich aufrichtend, �denn es w�re kindisch, da Jeder, der von meinem Gl�cke h�rt, mich beneiden mu�. Jeder mu� mich beneiden, Jeder!�
Hier wurde Herr Hildebrand unterbrochen, denn es klopfte Jemand an die Th�re, bei dessen Anblick seine Selbstt�uschung pl�tzlich zerrann. Der Eintretende war der Wirth aus der alten Welt, der in seinem gro�en dunkelblauen Rocke, den Hut in der Hand, hereint�lpelte und seinem ungetreuen Gast vorwurfsvoll und gutm�thig die Hand reichte.
�Na, Herr Cherorjus, leben Sie denn wirklich noch?� rief er ihm entgegen. �Alle Abende haben wir vergebens gewartet, bis ich's nicht mehr aushalten konnte. Ich mu� hin, sagte ich zu meiner Alten, ich mu� sehen, was unser guter Herr Cherorjus macht. Sind Sie denn krank gewesen, oder was ist denn geschehen? Wir haben doch keine Schuld, haben Alles gethan, was in unsern Kr�ften steht.�
�Alles, Alles habt Ihr gethan,� antwortete Herr Hildebrand mit einem Anfall von Wehmuth, den er kaum �berwinden konnte. �Es sind jedoch Umst�nde eingetreten, Winter, die mich gehindert haben zu kommen.�
�Umst�nde?� sagte der Wirth, den Kopf kratzend. �Aber, lieber Herr Cherorjus, es wird doch wohl nicht wahr sein,� er hielt inne und sah Herrn Hildebrand bedenklich an. �I Gott bewahre!� schrie er dann, �es wird ein Jeder verleumdet, und weiter ist es nichts, gar Nichts weiter als Verleumdung!�
�Wie so, Winter?� fragte Herr Hildebrand, indem er seine Unbefangenheit sammelte.
�Da hat irgend so ein Narr ausgesprengt, Sie wollten heirathen. Wir haben Alle gut gelacht. Die ganze Abendgesellschaft hat gelacht, und meine Alte konnte sich gar nicht zufrieden geben. So auf den Kopf gefallen ist unser Herr Cherorjus nicht, sagte sie; wer den f�r dumm verkauft, kann sein Geld los werden. Der wird sich h�ten und auf seine alten Tage solche Narrheiten begehen. Und da geben wir ihr Alle Recht, Herr Cherorjus, weil Jeder wei�, was Sie f�r ein Mann sind.�
�So, so!� sagte Herr Hildebrand m�hsam, �sie sagten es also Alle?�
�Alles eine Stimme!� rief Winter, �aber Jeder m�chte doch wissen, wie es zugeht, da� Sie fehlen. Seit zwanzig Jahren ist es nicht geschehen, Herr Cherorjus, es ist bei uns wie ausgestorben, Jeder trauert, so haben sie mich denn abgeschickt.�
�Ich werde kommen, Winter, ich werde kommen,� murmelte Herr Hildebrand.
�Und heute ist eben das Bier, wie es noch nie gewesen ist,� fuhr der Wirth fort. �Es ist was extra Gutes, Herr Cherorjus.�
�So, so!� fiel Herr Hildebrand ein, und seine Stimme zitterte.
�Meine Alte,� fuhr Winter fort, �hat heute einen Schmorbraten, Herr Cherorjus, sie ist ganz stolz darauf. So ein majest�tisches St�ck Rindfleisch hat kein K�nig nicht.�
�So, so, Winter!� sagte Herr Hildebrand, seine Lippen leckend, �ich werde kommen, wollen sehen, wollen sehen, ich komme! Aber jetzt geht, ich habe keine Zeit. Gr��t Alle, und die gute Frau, Alle, Alle!�
Er schob ihn zur Th�re hinaus, Winter l�chelte dankbar.
�Na, Sie wissen ja, Herr Cherorjus,� sagte er, �das beste H�ppchen wird immer f�r Sie verwahrt, und wenn Sie nicht da sind, ist's in keinem Winkel recht. Es fehlt Jedem das Herzblatt.�
Herr Hildebrand ging auf und ab. Seine H�nde krampften sich zusammen, sein Gehirn brannte, sein Mund war von innerer Hitze ausged�rrt. Das Land seiner Sehnsucht lag vor ihm aufgethan, doch um ihn her lagerte die Sahara, die ihn verschlingen wollte. Welch' unendliches Gl�ck hatte er frevelnd von sich gesto�en! Was gab es Sch�neres, Besseres auf der ganzen Welt, als den Platz am Ofen in der Ecke, das sch�umende Deckelglas davor und den duftigen, un�bertrefflichen Braten aufgeh�uft daneben. Alle Herrlichkeiten dieser reichen Speculanten, alle Leckereien, alle ihre theuren Weine und Gerichte waren Nichts dagegen.
Vor Herrn Hildebrand's Blicken zauberte sich der ganze abendliche Kreis der Stammg�ste. Er sah sie Alle, wie sie ihn erwarteten, ihm entgegen liefen, jubelnd, ehrerbietig die H�nde nach ihm ausstreckten; wie die gute Wirthin herbeirannte, wie der wackere Wirth nach dem Glase sprang, da� seinen Namen trug, und mit stieren Blicken sah er regungslos vor sich hin, gerade in das Gesicht seines Neffen, der so eben hereintrat.
�Ich bitte Dich, Dich nicht zu beunruhigen,� sagte der Baumeister mit ernster H�flichkeit, �in wenigen Augenblicken werde ich Dich wieder verlassen, lieber Onkel.�
Herr Hildebrand erwiederte Nichts, er blieb still sitzen, und sein junger Verwandter fuhr fort:
�Ich wollte Dich nur bitten, mich bei dem Herrn Sarre zu entschuldigen, da� ich an dem heutigen Feste keinen Theil nehmen kann.�
�Du willst also nicht kommen?� fragte der Onkel halblaut, die Augen niedergesenkt.
�Nein,� erwiederte der Baumeister, �ich glaube, Du selbst wirst es nicht w�nschen, denn Du wirst wenigstens nicht w�nschen – doch gleichviel, Onkel, ich kann heute nicht dort erscheinen.�
�Aber, es w�re doch gut,� fiel Herr Hildebrand mit sanfter Stimme ein, �denn es liegt in der Absicht des Herrn Sarre, uns – zu vers�hnen.�
�Dazu brauchen wir ihn nicht,� sagte der junge Mann. �Habe ich Dich jemals beleidigt, Onkel, so bitte ich von Herzen um Verzeihung. Nie habe ich Dich kr�nken wollen, aber ich bin jung, bin leichtfertig und �berm�thig, verzeihe mir, wenn ich Dir je wehe that. Ich bin,� murmelte er, den Kopf senkend, �bestraft genug. Von ganzem Herzen w�nsche ich Dir alles Gl�ck und alle Freuden eines neuen Lebens.�
Als er sich umwandte und gehen wollte, stand Herr Hildebrand pl�tzlich auf und hielt ihn fest:
�Gut,� sagte er mit zitterndem Tone, �ich danke Dir, aber wei�t Du auch – ich liebe feine Speculationen, nie, in meinem Leben nicht!�
�Dein Geld ist ganz sicher angelegt,� versetzte der Baumeister, �sobald der neue Stadttheil fertig ist, in wenigen Jahren, wirst Du reichen Gewinn haben.�
�Ich meine das nicht, spreche davon nicht,� unterbrach ihn Herr Hildebrand, �aber hier die andere Speculation.�
�Sie ist nicht weniger gut. Das neue Haus, das Du Dir bauen willst, wirft Dir jedenfalls bedeutenden Ueberschu� ab.�
�Nein, nein!� rief Herr Hildebrand beklommen. �Was n�tzt das alles, ich kann's nicht brauchen. Du bist jung, bist mein einziger Verwandter, solltest mein Erbe sein. Wenn nun aber die Speculation da dr�ben, die ich meine – Du wei�t doch – o, ich denke nicht, da� Du es vergessen hast.� – Herr Hildebrand legte die Hand an sein Kinn und versuchte zu l�cheln, – �Du wirst wohl wissen, was dort heute geschehen soll,� fl�sterte er, w�hrend der Ton ihm in der Kehle zerrann.
�Was man sich erz�hlt,� antwortete der junge Mann, �da� Du Dich heute mit Fr�ulein Johanna verloben willst.�
�Sagt man!� rief Herr Hildebrand, und seine Lippen zuckten heftig. �Ich? So, so! Ich – ich will? Das sagt man wirklich?�
�Ja, Onkel, das sagt man wirklich,� versetzte der Baumeister erstaunt.
Herr Hildebrand war dunkelroth. Seine Lippen gl�hten, seine Augen traten hervor. Er wischte sich mit der Hand �ber die Stirn und dr�ckte dabei krampfhaft seines Neffen Arm.
�Du hast es so gewollt,� st�hnte er, �denn w�rst Du gewesen, wie Du jetzt bist – w�rst Du zu mir gekommen – so, so!�
�Mein Gott!� unterbrach ihn der Baumeister. �Du f�hlst Dich ungl�cklich, Onkel? Du willst nicht?�
Diese Frage vollendete die Katastrophe. Es war, als ob eine Bombe in ein Magazin geworfen wird, das bei ihrem Zerplatzen in die Luft fliegt. Ein dumpfer Ton kam aus der Brust des alten Mannes. Er machte noch einen Versuch sich zu halten, indem er den Kopf in den Nacken warf und eine seiner w�rdigen Handbewegungen begann, in demselben Augenblicke jedoch sagte er v�llig fassungslos:
�Hilf mir, August! Es ist mein Untergang! Hilf mir!�
Einige Minuten lang schwiegen Beide. Herr Hildebrand hatte sich in die Sophaecke gesetzt, der Baumeister stand vor ihm und schien �ber einem Plan zu br�ten.
�Man darf Niemanden blo� stellen,� murmelte er. �Du kannst Dich nicht zur�ckziehen, Onkel.�
�Ich kann nicht!� murmelte Herr Hildebrand.
�Es giebt nur einen Weg,� fuhr fein Neffe fort.
�Einen Weg! Wo? Welchen Weg?�
�Ein Anderer mu� an Deine Stelle treten.�
�Ein Anderer?�
�Du hast nur gepr�ft, nur kennen lernen wollen. Hast Dich �berzeugt, wirbst um sie f�r ihn.�
�F�r wen? F�r wen?�
�F�r mich, Onkel. Ich trete an Deine Stelle.�
�Du?� schrie Herr Hildebrand freudig auf, indem er seine Arme ausbreitete, allein er lie� diese sogleich wieder sinken. �Das ist Nichts,� sagte er, traurig den Kopf sch�ttelnd. �Wenn Du Dich auch opfern willst, wenn Du auch, wie ich glaube, Zuneigung zu ihr gehabt hast, so kannst Du sie jetzt nicht mehr haben, da sie Nichts mehr von Dir wissen will.�
�Daraus mache ich mir Nichts!� fiel August im leichtfertigen Tone ein.
�Aber,� fuhr der Onkel fort, �sie hat Dich gestern erst hart und h�hnisch behandelt, da� es mir in der Seele weh that.�
�Ich will's ihr schon gedenken,� sagte er lachend. �Alle M�dchen haben ihre Mucken, Onkel, das soll uns nicht k�mmern.�
�Sie wird aber nicht ja sagen, sie wird nicht wollen!� rief Herr Hildebrand �ngstlich schwankend.
�So m�ssen wir sie dazu zwingen. Sie mu� �berlistet werden. – Ihr Vater will mir wohl. Sprich zuerst mit ihm, sage ihm, was Deine Absicht gewesen, da ich Dir vertraut h�tte, welche Gef�hle ich f�r seine Tochter hegte. Er wird nicht nein sagen, wenn Du ihm Deinen Neffen f�r seine Tochter antr�gst, nur –�
�Was denn nur?� fragte Herr Hildebrand dringend, als der Baumeister schwieg.
�Es ist mir nicht lieb, es zu erw�hnen,� fuhr dieser fort, �allein er wird allerdings fragen, ob ich Deine volle Vergebung empfangen habe.�
�Das versteht sich!� rief Herr Hildebrand. �Nimm das Haus hin, baue, mache, was Du willst, aber la� mich leben, wie es mir gef�llt, und kommt mir nicht mit Kunst und Bildern und Museen und so dergleichen!� schrie er in einem Anfall j�hen Entsetzens, indem er aufsprang und beide Arme zum Himmel aufhob.
Sein Neffe umarmte ihn.
�Guter, lieber, theurer Onkel!� rief er, �ich habe Dich wieder, und niemals mehr sollst Du unzufrieden mit mir sein.�
Dann sprach er l�ngere Zeit so leise, da� Kummer, der an der Th�re horchte, kaum einzelne Worte verstehen konnte; endlich aber sah er durch's Schl�sselloch, wie der Herr Cherorjus sich ankleidete und Herr August ihm half. Beide wurden immer mehr ein Herz und eine Seele dabei. Der Baumeister bediente den alten Herrn, wie ein Kammerdiener, band ihm das Halstuch und putzte ihn heraus, der Herr Cherorjus aber streichelte ihm die Backen daf�r, legte die H�nde auf seine Schultern und dr�ckte und k��te ihn zuletzt wie einen Sohn.
Bei diesem Anblicke machte Gottlieb Kummer einen Sprung in die Luft, sein K�rbi�kopf wackelte und grinste, und eben streckte er seine beiden H�nde weit aus dem gr�nen Flaus hervor, um sie mit unerme�licher Geschwindigkeit zu reiben, als die Th�re sich �ffnete und Herr Hildebrand heraustrat.
�Na, da sind Sie ja, Herr Cherorjus!� schrie Kummer voller Jubel. �Eben schl�gt es vier Uhr, dr�ben ist schon eine ganze Reihe Wagen vorgefahren. Und auf den Abend wird Musik gemacht und getanzt, es ist ein Claviermusikus bestellt worden.�
Der Herr Cherorjus hatte sich merkw�rdig ver�ndert. Er sah so w�rdevoll und unersch�tterlich aus wie fr�her, aber es schwebte dabei ein stolzes L�cheln um seine Lippen.
�Ich werde selbst Musik machen, das hei�t auf meine Weise, Kummer,� sagte er. �Im Uebrigen bist und bleibst Du ein Narr.�
�Na, das ist es ja eben, Herr Cherorjus, das sage ich ja eben,� lachte Kummer. �Gott gebe seinen Segen dazu, damit was Gescheidtes daraus werde.�
�Es ist abgemacht mit uns und bleibt dabei, Kummer,� erwiederte Herr Hildebrand, indem er an der Th�re nochmals stehen blieb. �Ich ziehe mich vom Gesch�fte zur�ck und werde es Dir �bergeben. Heirathe dann, wenn Du ein Narr sein und bleiben willst, nimm Dir diese Jungfer Karoline, die, wie August sagt, ein M�dchen sein soll, welches Dich in Ordnung bringen wird. Und jetzt la� mich los. Wir werden noch Zeit genug haben, uns festzuhalten.�
�Ja, ja, lieber Herr Cherorjus!� schrie Kummer. �Aber dieser Herr August! Was habe ich Ihnen gesagt? Er wei� Alles, er kann Alles und beh�lt doch Recht, habe ich gesagt.�
Herr Hildebrand h�rte Nichts mehr davon. Er ging mit seinem Neffen Arm in Arm �ber die Stra�e und in das Haus des Zimmermeisters. Seine ernsthafte W�rdigkeit hatte einer heiteren Laune Platz gemacht, die bis zum Uebermuth gehen konnte. Als das h�bsche Hausm�dchen ihm die Th�re �ffnete, fa�te er sie an's Kinn und hob drohend den Finger auf.
�Warte, Du Schelm!� sagte er, �jetzt bin ich hinter Deine Schliche gekommen und werde Alles verrathen. Sei nur ganz stille!� f�gte er hinzu, als sie roth wurde und sich vertheidigen wollte. �Du wirst mit Deinem Kummer schon fertig werden, und ich werde Dir dabei helfen.�
�Ach, bester Herr Doctor,� sagte sie, die Augen niederschlagend, �wenn kein Kummer schwerer ist, als dieser, so l��t er sich schon allein durch's Leben tragen.�
�Er soll Dir auch verbleiben,� lachte er, �und es ist ein getreuer Kummer, der gewi� nicht von Dir weichen wird. Aber jetzt mache die Th�re auf, damit auch wir unsern Kummer in Freude verwandeln k�nnen.�
�Tausend Gl�ck und Segen!� sagte die Dirne, dem Baumeister zuwinkend. �Sie werden sehnlichst erwartet. Die ganze Gesellschaft ist beisammen.�
So war es auch; denn als Onkel und Neffe hereintraten, fanden sie einen gro�en Kreis geschm�ckter Damen und Herren in mancherlei Gruppen getheilt, und in einer derselben stand Fr�ulein Johanna, in einer andern ihr Vater. Johanna sah heute sch�ner aus, als Herr Hildebrand sie je gesehen. Ihr Gesicht schien lebhafter ger�thet, ihre Augen hatten einen feuchten Glanz und jenen Schimmer von Furcht und Sehnsucht, der die �ngstlichen Erwartungen eines liebenden Herzens ausspricht. Als Herr Hildebrand sich n�herte, ergl�hte ihr Gesicht, sie vermochte nicht ihre Empfindungen zu verbergen, und ihre Hand zitterte, als er sie k��te.
Herr Hildebrand erschrak heimlich �ber diese Zeichen. Er mu�te seinen ganzen Muth zusammennehmen, um seine Unbefangenheit zu behaupten.
�Sie liebt mich wirklich!� sagte eine geheime Stimme in ihm, �aber ich – ich – ich will sie doch nicht, auf keinen Fall!�
Er heftete seine Blicke auf die gro�e schlanke Gestalt und auf das sanft l�chelnde Gesicht, das eben jetzt wie von einem lichten Schein �berstrahlt wurde. War es ein feuriges Blitzen ihrer Augen, oder aber das Funkeln der Steine in ihrem pr�chtigen Halsband und in den gro�en Ohrgeh�ngen, er wu�te es nicht.
Sein Neffe, der hinter ihm stand, verbeugte sich eben sehr ehrerbietig. Das wu�te und sah er, da� sie �beraus reich geschm�ckt und gekleidet war. Meergr�ner Seidendamast flo� sammetartig an ihr nieder, Blumen mit Goldf�den durchwanden die �ppigen gl�nzenden Haare.
�Niemals, es mag kommen, wie es will, niemals!� schrie er in sich hinein. �Aber ach, armer August, was soll aus Dir werden!�
Alles, was er dachte und empfand, war Sache eines Augenblicks.
�Sie kommen sehr sp�t, bester Herr Doctor,� sagte Johanna mit einschmeichelnder S��igkeit, die doch einen vorwurfsvollen Beigeschmack hatte.
�Ich bitte tausend Mal um Verzeihung,� antwortete er, �daran ist mein Neffe Schuld, welcher zu mir kam und so viel zu sprechen hatte, da� wir dar�ber die Zeit verga�en.�
�Und Nichts erinnerte Sie daran?� fiel sie ein.
�O, allerdings! Ich eilte und brachte ihn gleich mit, damit er Ihre Verzeihung f�r uns Beide erbitten m�ge,� versetzte Herr Hildebrand, indem er sich nach seinem Neffen umsah.
�Das ist in der That kaum n�thig,� erwiederte die junge Dame, indem sie den Kopf so stolz l�chelnd aufhob, da� Herr Hildebrand abermals in sich hinein sagte:
�Armer August! Das wird eine sch�ne Geschichte werden.�
Er hatte jedoch nicht Zeit, sich noch mehr zu f�rchten, denn der Zimmermeister kam auf ihn los, und zu gleicher Zeit blickte ihn sein Neffe so muthig herausfordernd an, da� seine Energie zur�ckkehrte.
�Und wenn sie mich �bermenschlich liebt,� rief er sich zu, �es ist ein f�r alle Mal vorbei. Und es mu� gewagt werden, also soll es gewagt werden. – Mein hochverehrter Freund!� fuhr er laut fort, indem er dem Nachbar die Hand sch�ttelte, �Sie sehen heute so froh aus, da� ich vermuthe, es ist Ihnen ein besonderes Gl�ck widerfahren.�
�Weil Sie bei mir sind, Doctor, weil ich Sie sehe und mich daran freue, wie gl�ckselig Sie selbst aussehen. So jung und galant und liebensw�rdig, da� alle Damen sich in Acht nehmen k�nnen.�
Die umherstehenden jungen Damen l�chelten, und Herr Hildebrand verstand dies recht gut.
�Lacht ihr in Gottesnamen, ihr Milchaffen,� dachte er, �ich lache auch und danke f�r euch allesammt.�
Dabei nahm er den Zimmermeister unter den Arm, gab ihm eine lustige Antwort und f�hrte ihn zu einem Fenster fort, wo sie Beide zusammen standen und heimlich zu sprechen anfingen, was bald einige Aufmerksamkeit erregte. Die Bewegung der Herren wurde lebhafter, einige Male sah man den heftigen Herrn Sarre zur�ckfahren und den Kopf sch�tteln, dann sich wieder vorbeugen und am Ohre des Herrn Doctors antworten. Dieser legte die Hand auf des Zimmermeisters Schulter und fl�sterte ihm seine Gegenrede zu, und so ging es eine Zeit lang hin und her, bis Herr Sarre laut zu lachen anfing, den Doctor an beiden Armen fa�te und sch�ttelte. Zugleich drehte er den Kopf in den Saal hinein und suchte seine Tochter, die, umringt von Freundinnen, sich mit dem Baumeister unterhielt, welcher nach der Weise der jungen Herren die Damen angenehm zu unterhalten schien.
�Also gepr�ft haben Sie und haben sich �berzeugt, und es ist Ihr wirklicher Ernst, Nachbar?� fragte Herr Sarre.
�Mein heiliger und wohl �berlegter Ernst,� erwiederte Herr Hildebrand. �Nach sorgf�ltiger Ueberzeugung wohl gepr�ft.�
�Nun denn, so habe ich nichts dagegen,� rief der Zimmermeister, �obwohl ich gew�nscht h�tte aber machen Sie das mit Johannen ab. Ein schmucker Bursche ist es, und mir ist er lieb. Ich achte ihn, das wissen Sie, und wenn Johanna einmal ja gesagt hat, so wird sie auch gl�cklich mit ihm werden. Machen Sie es, wie Sie wollen, aber Verlobung mu� sein, Doctor!�
Eben wurden die Th�ren des Speisesaals ge�ffnet. Die reiche, mit Blumen geschm�ckte Tafel leuchtete den G�sten entgegen.
�Vorw�rts, Doctor!� sagte Herr Sarre. �Johanna sucht Sie. Frisch darauf, es wird Alles gut gehen.�
Herr Hildebrand n�herte sich dem Fr�ulein in dein Augenblicke, wo der Baumeister ihr seinen Arm bot.
�Nichts da, mein lieber August,� lachte er, indem er ihn verdr�ngte, �warte Du, bis Deine Zeit einmal gekommen sein wird; f�r jetzt werde ich mir die Ehre nicht nehmen lassen.�
Achselzuckend und l�chelnd trat der Baumeister mit einer tiefen Verbeugung zur�ck.
�Ueberall, wo es auch sein mag,� sagte er, �weiche ich recht gern meinem lieben Onkel und seiner h�heren Einsicht.�
�Sein Sie immer recht einsichtig, Herr Baumeister,� spottete Johanna, �so wird Ihnen nie Etwas einfallen.�
�Ich werde, was ich baute, auch immer zu sichern wissen,� antwortete er.
Herr Hildebrand f�hrte Johanna fort und fand seinen Platz mit ihr an der Mitte der gro�en Tafel, zu seiner Freude und Verwunderung jedoch hatte es sich so gef�gt, oder Herr Sarre hatte es geschwind noch so veranstaltet, da� sein Neffe an Johanna's rechter Seite sa�. Er wurde dadurch eine Zeit lang gehindert, mit seiner Nachbarin vertraulich zu sprechen, denn die Neckereien zwischen den beiden jungen Leuten begannen bald von Neuem. Herr Hildebrand h�rte heimlich l�chelnd zu, denn bei aller Artigkeit und achtungsvoller H�flichkeit schenkte ihr August doch Nichts und gab ihr einige so treffende Antworten, da� sie sich schmollend von ihm ab und zu dem Onkel kehrte.
�Sie gerathen immer in Streit mit ihm,� sagte Herr Hildebrand ihr in's Ohr.
�Er ist mir zu witzig und spotts�chtig,� erwiederte sie.
�Aber von Herzen sehr gut,� gab er zur�ck.
�Meinen Sie wirklich?�
�Ich kann es Ihnen zuschw�ren. Ich kenne ihn ja von fr�hester Zeit an.�
�Sie haben sich, wie ich merke, mit ihm ausges�hnt und nehmen nun seine Partei.�
�Das thue ich, denn ich liebe ihn, wie einen Sohn.�
�Wenn Sie mir das sagen, bester Doctor, so glaube ich Ihnen und freue mich ebenfalls. Mein Vater r�hmt diesen jungen Herrn ja auch alle Tage mehr.�
�Hassen Sie ihn denn?� fragte Herr Hildebrand leise l�chelnd.
�Hassen? Das k�nnte ich nicht sagen. Ein junger Mann, der so begabt ist, auch liebensw�rdig sein kann, wenn er will, endlich aber seinem Onkel so �hnlich sieht, da� es Aufsehen erregt, kann von mir nicht geha�t werden.�
�So, so!� sagte Herr Hildebrand ein wenig befangen, �dar�ber freue ich mich mehr, als Sie glauben k�nnen, denn sein Gl�ck liegt mir sehr am Herzen. Er ist mein einziger n�chster Verwandter, und ich kann mir wohl denken, da� er auch eine Frau, welche er liebt, sehr gl�cklich machen wird, selbst wenn diese vielleicht Anfangs ihm auch nicht leidenschaftlich zugethan w�re.�
�Ist das Ihre wahre Ueberzeugung?�
�Meine innige Ueberzeugung, theures Fr�ulein. Jede, die ihn w�hlt, wird gl�cklich sein.�
�Da er seinem Onkel so sehr �hnelt, will ich auch dies glauben.�
�O, ich – ich!� fl�sterte Herr Hildebrand, �was bin ich denn dagegen! Ich bin ein alter Magen, passe nicht mehr f�r die Welt, kann Niemanden mehr gl�cklich machen, nur noch sorgen, da� Andere gl�cklich werden.�
�Sie sind so gut, so wahr, ich habe das gr��te Vertrauen zu Ihnen,� antwortete sie ihn anl�chelnd.
�Das w�rmt mich bis in's Herz. Aber glauben Sie mir auch, da� ich auf's Z�rtlichste f�r Ihr Gl�ck besorgt bin.�
�Gewi�, gewi�!�
�Und wenn ich nun sagte: Meine liebe, sch�ne Johanna, ich will Sie verheirathen mit einem Manne, den ich genau kenne, von dem ich wei�, da� er Sie aus Herzensgrunde liebt, Tag und Nacht keine Ruhe hat, und der es verdient, auch von Ihnen geliebt zu werden. Was w�rden Sie da antworten?�
�Bester Doctor, das ist seltsam genug! Vor allen Dingen m��te doch mein Vater zun�chst entscheiden.�
�Wenn ich nun sage, Ihr Vater ist ganz damit einverstanden, er wei� es und freut sich dar�ber.�
�Aber bitte,� sie senkte ihre Augen und hob diese schalkhaft wieder auf, �ich mu� doch wissen – es k�nnte doch sein – doch nein! Ich habe so gro�es Vertrauen zu Ihnen, da� ich Alles thun w�rde, was Sie f�r gut und recht halten.�
�Alles, wirklich? Keine Einwendungen machen?�
�Mein Lebensgl�ck, mein Schicksal lege ich in Ihre H�nde.�
Der gro�e Augenblick war gekommen. Herr Hildebrand erhob sich pl�tzlich.
�Was wollen Sie thun?� fl�sterte Johanna, �warten Sie!�
Doch aller Blicke richteten sich auf ihn, er lie� sich nicht l�nger zur�ckhalten.
�Meine verehrten Herren und Damen!� rief er aus, �ich kann nicht l�nger schweigen, mu� Ihnen ein gl�ckliches Ereigni� mittheilen. Es befindet sich ein Brautpaar hier, dessen Gl�ck und Segen gewi� auch Ihr freudiger Wunsch ist. Fr�ulein Johanna und mein Neffe an ihrer Seite; Braut und Br�utigam, sie leben hoch!�
Ein donnerndes Hoch antwortete ihm, alle St�hle flogen zur�ck. Die Tafel war unterbrochen. Verwandte und Freunde rannten herbei, Umarmungen folgten, Thr�nen flossen, Gl�ckw�nsche und Jubel durchkreuzten sich. Der Zimmermeister umschlang den Schwiegersohn, Johanna lag in Herrn Hildebrand's Armen und sagte kein Wort, aber sie weinte und lachte zugleich, als er unter ihren K�ssen ganz ger�hrt stotterte:
�So, so, liebes Herzendkind, es mu�te so sein. Anders ging es nicht, durchaus nicht!�
�Alles, was Sie thun, ist recht und gut!� erwiederte sie noch einmal. �Ich ehre Sie, wie einen Vater.�
Er h�rte es mit Freuden, und nun kam der begl�ckte Br�utigam, k��te vor Aller Augen das sch�ne M�dchen, ohne da� sie widerspenstige Mienen machte, k��te sie so wild und leidenschaftlich, da� Blumen und Locken in Unordnung kamen, und warf sich dann an des Onkels Brust, indem er die Braut mit heranzog.
�Da sind Deine Kinder, theurer Onkel!� rief er, �Du hast sie unaussprechlich gl�cklich gemacht. Daf�r wollen wir Dich lieben und ehren, wie es immer auf Erden geschehen kann, und wollen Dir Freude bereiten, so viel es in zweier Menschen Macht steht.�
Herr Hildebrand blickte stolz und w�rdig umher, lie� sich in Triumph zum Zimmermeister f�hren, und dieser sch�ttelte ihn mit solcher Herzlichkeit, da� er es am n�chsten Tage noch sp�rte.
�Recht gemacht, Nachbar,� schrie er, �habt es recht gemacht, sie werden es Euch danken, und wir wollen hoffentlich noch manches Jahr den Spa� mit ansehen und so froh dabei sein, wie heute.�
Das Diner wurde nun fortgesetzt und unter einer langen Reihe von Toasten, Lachen und Lust zu Ende gebracht. Kronen und Kerzen brannten in allen Zimmern, und kaum war der Kaffee umhergereicht, so klang auch schon die Musik, und der Ball begann, wie Kummer es vorher gesagt hatte. Bei der Polonaise wurde Herr Hildebrand noch gesehen, denn er ging an Johanna's Arm �u�erst w�rdig und liebreich l�chelnd in der Reihe, und sie fl�sterte ihm allerlei in's Ohr von dankbarer Unterwerfung und kindlicher Anh�nglichkeit, was ihn mit Stolz erf�llte; dann aber war er pl�tzlich verschwunden, Niemand wu�te, wo er geblieben.
Ganz heimlich stahl er sich fort und schl�pfte in sein Haus. Die alte Aufw�rterin �ffnete ihm die Th�re, Kummer war �ber alle Berge, ohne Zweifel in Karlinchen's sicherem Hafen eingelaufen, doch Herrn Hildebrand war dies sehr angenehm. Mit wunderbarer Geschwindigkeit flogen Rock, Atlasweste und Glanzstiefeln von ihm ab, und die bequemen alten warmen Kleider daf�r �ber Leib und Beine. Der dicke Ueberzieher machte den Schlu�, statt des Castors griff er nach einem in den Ruhestand versetzten sch�bigen Filz, und statt des seidenen Regenschirms, den Kummer ihm aufgeschwatzt, holte er aus einem Winkel das Urbild des rothen vortrefflichen Daches hervor, den heimt�ckische Schicksalsm�chte ihm geraubt hatten, um ihn daf�r in ein Meer von Sorgen und Leiden zu st�rzen. –
Da stand der Herr Cherorjus fix und fertig. Die alte Frau starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und schlug die H�nde zusammen, aber mit seinem Jupiterblicke von ehemals hob er den Finger auf und sagte drohend:
�Zu keinem Menschen sprichst Du ein Wort!� und fort eilte er, wie von Furcht gejagt, da� er ertappt und eingeholt werden k�nnte.
Es war ein st�rmischer regnerischer Abend geworden, fast noch schlimmer, als jener vor vier Wochen, allein Herr Hildebrand lie� sich davon nicht anfechten. In ihm sah es ganz anders aus, als damals, wo er wild und w�thig durch die Nacht rannte, jetzt schimmerte Alles eitel Lust und Licht. Er nahm denselben Weg, ohne mit den Windst��en und Tropfenschauern zu hadern, und als er endlich vor dem Hause mit dem schwarzen Schilde stand, als er das Fl�mmchen in dem langen Gange leuchten sah, verkl�rte ein seliges L�cheln sein Gesicht, und seine Brust hob sich mit Hochgef�hl. Weit �ffnete er die Th�re und trat hinein. Die ganze Gesellschaft war schon beisammen, alle Platze an dem gro�en Tische besetzt, fein Platz jedoch, der Pr�sidentenplatz am Ofen, unentweiht und leer. Freudig empfingen und begr��ten ihn alle Genossen, doch ohne ungest�m zu fragen, ohne eine Bemerkung zu machen, ganz wie sonst hochachtungsvoll, nur noch zufriedener und ergebener.
Der Wirth sprang herbei, nahm Rock und Regenschirm. Der Herr Cherorjus nickte nach allen Seiten w�rdevoll l�chelnd und setzte sich. Winter brachte seine Pfeife und brannte einen Fidibus an, darauf das Deckelglas, und �ber Herrn Hildebrand's Gesicht lief ein halb verstecktes vergn�gtes Schmunzeln. Er hielt das Glas an das Licht, that einen langen Zug, dann noch einen, leckte die Lippen und sagte gravit�tisch:
�Capital, meine Herren!�
�Sehr gut, Herr Cherorjus, sehr gut!� schrie es von allen Seiten.
Das war der Eingang zum alten Leben. Das Eis war gebrochen. Die Wirthin kam gesprungen, wischte die Hand ab und reichte sie mit sonniger Freundlichkeit dem werthen Gaste.
�Was giebt's denn?� fragte dieser, seinen Arm, wie er immer that, wenn er guter Laune war, um ihre H�fte legend.
�Schmorbraten, Herr Cherorjus,� fl�sterte sie, �ich sage blos Schmorbraten!�
Herr Hildebrand nickte; bald stand der duftige Fleischberg da.
�Delicat, meine Herren!� rief er. �Noch nicht dagewesen!�
�Wundervoll, Herr Cherorjus, wundervoll!� schrie der Chor.
�Noch ein Glas, Winter,� sagte Herr Hildebrand, und als es kam, nahm er es l�chelnd, hob den Kopf in den Nacken und blickte �ber den Kreis.
�Ich habe einige Zeit gefehlt,� begann er, �Familienangelegenheiten, meine Herren. Mein Neffe heirathet, aber ich – ich geh�re zur alten Welt! Diese Welt ist meine Welt!�
�Und es lebe die alte Welt! Es lebe unser Herr Cherorjus, der niemals wieder fehlen m�ge!� schrieen die Getreuen.
Der Herr Cherorjus blickte dankend umher, trank, neigte sich und legte die Hand auf's Herz.
�Niemals, meine Herren,� sagte er energisch, �niemals! Bis an mein Grab, niemals!�
Und dies dreifache Niemals hat Herr Hildebrand bis auf diese Stunde getreulich gehalten. An Stelle seiner d�steren H�hle steht jetzt ein neues stattliches Haus, in dessen hohem Erdgescho� der Baumeister mit seiner jungen Frau wohnt; unter ihnen aber, in dem Kellerraume, h�ngen an einem der hellen Fenster drei Messingbecken, und wer vor�bergeht, kann zuweilen sehen, wie lustig der kleine dickk�pfige Barbier in seiner Stube umher springt und einen Buben auf seinem Arme tanzen l��t, der ihm merkw�rdig �hnlich sieht.
Abends jedoch, punkt sieben Uhr, �ffnet sich die Hausth�r, und heraus tritt, sei's bei Regen und Nacht oder bei Sonnen- und Sternenschein, eine hohe Gestalt, rothwangig und rund, w�rdevoll ernsthaft, den Kopf in den Nacken, unab�nderlich denselben Weg wandelnd. Es ist der Herr Cherorjus, der sich in die alte Welt begiebt.
* * *