Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
Vor mehreren Jahren war ich in Z�rich, eben als die Tagsatzung Die Tagsatzung war in der Schweiz bis 1848 die Versammlung der Abgesandten der Orte (Kantone) der Alten Eidgenossenschaft. Sie besa� sowohl exekutive als auch legislative Kompetenzen, allerdings war ihre Macht sehr beschr�nkt, da diese zumeist bei den Kantonen lag. Die Bezeichnung �Tagsatzung� ist abgeleitet von der Formulierung �einen Tag setzen� und bedeutet die Vereinbarung eines (Rechts-)Tages beziehungsweise des Termins f�r diese Zusammenkunft. dort versammelt war und mit dem feierlichen Zuge nach dem Gro�m�nster den ersten Akt der schweizerischen National-Repr�sentation begann. Es war ein pr�chtiger Julitag, Z�rich mit Fremden gef�llt, die aus allen L�ndern Europa's zusammenstr�mten; geputzte Leute f�llten die Stra�en, Damen und Herren in allerlei Trachten hielten die Fenster der H�user an der Limmat besetzt, wo der Zug vor�ber mu�te, und ein bunter Menschenstrom eilte den H�gel hinauf, auf welchem der M�nster liegt, um die Gallerien zu erobern und die Reden der Herrn Pr�sidenten zu h�ren.
Auch mir war eine Einla�karte versprochen worden, und Herr von Eschenheim, ein reicher Handelsherr aus einem der alten st�dtischen Geschlechter, an den ich empfohlen war, hatte mir seine Begleitung zugesagt. Er war ein noch ziemlich junger Mann, der Freund eines meiner Freunde, mit dem er in Heidelberg studirt hatte, dessen Brief mir sein Haus und seine n�here Bekanntschaft �ffnete, was in der Schweiz nicht viel weniger zu sagen hat, wie in England, da es schwer ist in die Familienkreise zu gelangen, welche gew�hnlich ganz zur�ckgezogen leben. Zu meinen Gunsten wurde eine Ausnahme gemacht und seit der Woche, wo ich in Z�rich lebte, kam ich mit Moritz von Eschenheim zusammen, der als Geld- und Geburtsaristokrat �berhaupt eine andere Lebensweise f�hrte, als die meisten seiner reichen Landsleute, welche mit sehr wenigen Ausnahmen ungemein n�chtern und einfach auszukommen wissen.
Eschenheim war, als gro�er Gesch�ftsmann, gezwungen vielerlei Menschen zu sehen, und zuweilen selbst ein Diner zu geben. Seine pr�chtige Villa am See war von Paris aus dekorirt und meublirt worden; er war ein Mann von Bildung und Geschmack, der sogar f�r Kunstsachen, Gem�lde, Statuen und Broncen, Geld ausgeben konnte, was ihm gewi� so leicht kein reicher Schweizer nachmacht. Dabei besa� er von Vater und Gro�vater her eine ausgezeichnete Bibliothek, historischer und naturhistorischer Werke, die er nie las, aber als Familiensache fortgesetzt vermehrte, ebenso ein numismatisches Kabinet, das alle Kenner besuchten, die nach Z�rich kamen, und an welchem die Eschenheim seit drei Jahrhunderten gesammelt hatten.
Es ist sonderbar mit den alten Patrizierfamilien in der Schweiz, zu denen auch diese geh�rte. Sie sind in allen diesen kleinen Republiken ein halbes Jahrtausend �ber die Regenten und harten regierungss�chtigen Herren gewesen, die jede Freiheitsregung f�rchterlich ahnten, ihr gr��ter Schmerz ist somit der, da� sie es nicht mehr sein k�nnen, obwohl sie, als M�nner von Bildung und Einsicht, sich eigentlich am leichtesten klar machen m��ten, da� in der Republik Macht und Herrschaft auf ganz andere Weise gewonnen werden mu�, als durch historische, wohlerworbene Rechte. –
Mit Ausnahme der Junker von Bern haben die Schweizer-Aristokraten aber niemals ihre Macht auf bedeutenden Grundbesitz st�tzen k�nnen. In Z�rich waren die Patrizier vorzugsweise immer Handelsherrn, Bankiers und gro�e Gewerbetreibende, die, wie die Eschenheim, kolossale Verm�gen sammelten, Familiensch�tze in den Familienh�usern und Familienkisten aufh�uften und mit H�lfe der erbgesessenen, bevorzugten Stadtb�rger die Landbewohner knechteten und in Ehrfurcht hielten.
Das blieb so, bis die franz�sische Revolution sich auch �ber die Schweiz st�rzte, und Napoleon das Land centralisirte und franz�sisch frei machte. Im Jahre 1814 wurde die gute alte Ordnung wieder hergestellt, allein die Keime zu Umw�lzungen waren nicht auszurotten. Nach der Juli-Revolution wurden auch die Patrizier der Schweiz �berall aus ihren Sitzen geworfen, und wenn es ihnen auch gl�ckte, Gegen-Revolutionen zu machen, so waren diese doch immer nur von kurzer Dauer. Der Baum ihrer Macht hatte die Wurzeln verloren.
Mit diesen regierenden Familien war auch die Eschenheim in den Winkel zu den Todten geworfen, aber sie waren die reichen Bankiers und Handelsherrn geblieben und h�tten sich somit, besser als viele andere, �ber die Verg�nglichkeit aller irdischen Gr��e tr�sten k�nnen. Das thaten sie jedoch nicht. Moritz von Eschenheim z. B. konnte, trotz alles Geldes, es nicht verschmerzen, da� er bei den letzten Gro�rathswahlen durchgefallen war und in irgend einem Landbezirk, einem ganz unbedeutendem Gemeinde-Vorsteher hatte weichen m�ssen. Diese Verbitterung war allgemein und f�hrte zu den tiefsten Familien-Zerw�rfnissen, wenn einzelne Glieder und Zweige der alten Geschlechter etwa abgefallen waren, und sich so weit vergessen konnten mit der radikalen Volkspartei gemeinsame Sache zu machen. –
Die Leute von gutem Blut und gutem Recht standen grollend und hassend von fern, und zu den unvers�hnlichsten wurde Eschenheim gerechnet, der mit seiner stolzen, kalten Vornehmheit zu nichts weniger pa�te, als zum Volksmanne.
Als ich an jenem Tage in sein Haus trat, fand ich zwei Fremde bei ihm, die ihn so eben verlassen wollten. Sie waren von ihren Pl�tzen schon aufgestanden und n�herten sich der Th�r, welche ein wenig ge�ffnet wurde. Es war ein alter Herr begleitet von einer Dame, deren Arm in dem seinen lag. Eschenheims Hand hielt den Dr�cker der Th�r, die Beiden standen ihm gegen�ber. Er sprach zu ihnen, wie ich vernahm, von der heutigen Er�ffnung der Tagsatzung und wie wenig Gutes man leider von dieser Versammlung erwarten d�rfe, in welcher die Umst�rzungsgel�ste die Oberhand h�tten.
Ich bedaure das gleich heute h�ren zu m�ssen, erwiderte der alte Herr, aber es kann nicht anders sein. Leichtsinn verdirbt Menschen, wie V�lker, und bringt Ungl�ck �ber Schuldige und Unschuldige. Wann sehen wir uns wieder?
Ich hoffe, Sie erweisen mir heut Mittag jedenfalls die Ehre, meine Mutter wird sich freuen, sagte Eschenheim.
Gut, um zwei Uhr also! rief der alte Herr, und die Th�r wurde weit ge�ffnet. Er ging bei mir vor�ber und gr��te mich, als ich zur Seite trat. Es war ein gro�er, starker Mann mit kahler Stirn und vollem Gesicht. Die Dame schien mir jung und sch�n zu sein, meine Beobachtung w�hrte jedoch nur einen Augenblick, denn Eschenheim bewillkommnete mich, reichte mir die Hand und f�hrte mich hinein.
Ich bemerkte, da� er mi�gestimmt sein mu�te. Seine schmalen scharfen Lippen pre�ten sich dicht zusammen, er wischte sich mehrmals �ber die Stirn, um die Falten fortzustreifen, dann, w�hrend er sprach, nahm er einige Papiere, die wie Briefe aussahen, vom Tische und schlo� sie in eine Casette, welche vor dem Spiegel stand.
Wir wollen also gehen, sagte er, und unsere regierenden Herrn betrachten. – Sch�ne Regenten! – Bei Gott! – Es ist weit mit uns gekommen. Warten Sie einen Augenblick, ich bin gleich wieder hier.
Er ging durch ein Nebenzimmer fort und blieb lange aus. Ich spazierte auf und nieder, trat an's Fenster und sah hinaus, kehrte zur�ck, blickte in das Kabinet hinein und befand mich hier mitten unter den M�nzschr�nken und Medaillenkasten, die in langer Reihe aufgestellt waren. Mein Interesse an dieser Sammlung war nicht gro�, ich warf fl�chtige Blicke dar�ber hin und war froh, als Eschenheim zur�ckkehrte. –
Nun, vorw�rts, sagte er, wenn diese Rarit�ten Sie loslassen, um andere Rarit�ten zu schauen.
Ich habe keinen rechten Begriff davon, erwiderte ich, wie man �berhaupt dergleichen sammeln mag.
Sie halten es mit den neuen reellen M�nzen in der Tasche, ich ebenfalls, erwiderte er lachend, aber es mu� auch solche K�uze geben, die aus allerlei Kellern, Rathhauswinkeln und vermoderten Truhen, dergleichen halbverrostete und zerfressene Zeichen zusammensuchen, welche beweisen, da� die V�lker immer Wechsler, Handel und Kaufleute n�thig hatten.
Diese Erkl�rung numismatischer Sammlungen belustigte mich. St�tzen Sie darauf Ihren Stammbaum, rief ich, oder ist dies wenigstens die Ursache, da� Ihre ber�hmte Familie seit Jahrhunderten dies Kabinet gr�ndete?
Scherz bei Seite, sagte er, ich wei� nicht, wer zuerst von meinen Vorfahren den Einfall hatte, sich mit dem Zeuge abzugeben, aber sie werden solche, oft kostspielige und m�hsame Spielereien, in der Schweiz nicht selten antreffen. In den alten Familien fanden sich h�ufig M�nner, die keine Lust hatten, sich mit dem Regierungswesen einzulassen, oder mit ihren Ansichten nicht dazu pa�ten. Sie studirten, wurden Gelehrte, zogen sich auf ihre Erbg�ter zur�ck, trieben dort allerhand Liebhabereien, sammelten Gott wei� welche Kuriosit�ten und hinterlie�en diese ihren Nachkommen, die das Angefangene fortsetzten. So sind die meisten Privatkabinette entstanden.
Bei Euch sammeln die F�rsten im gro�en Ma�stabe und errichten Museen in prachtvollen Geb�uden, fuhr er dann fort, bei uns thaten es die Aristokraten, die man daf�r mit Hohn und Schmach bedeckt und beraubt hat. Was diese Sammlung aber betrifft, so hat mein Onkel sie erst so bedeutend gemacht. Er kaufte, was er konnte, gab gro�e Summen daf�r aus und hinterlie� einen Wirrwarr, dem mein Bruder erst ein Ziel setzte, indem er Jahre lang sich damit besch�ftigte, bis er Ordnung hineinbrachte und das Ding so aufstellte, wie es jetzt ist.
Sie haben einen Bruder, erwiderte ich. Es mu� ein vorz�glicher Gelehrter in diesem Fache sein.
Ein stiller Mann, sagte er l�chelnd, indem er seinen Hut ergriff.
Das glaube ich gern, war meine Antwort. Wer Jahre lang sich solchen peniblen Arbeiten hingiebt, hat sicher nichts mit den �brigen Leiden und Freuden dieser Welt zu thun und k�mmert sich wenig um der Menschen Streit und Plagen.
Im Allgemeinen haben Sie Recht, erwiderte er. Die eigentlichen Gelehrten sind noch immer meist Menschen, kindisch unbrauchbar f�r Alles, was nicht zu ihrem Kram geh�rt. Aber mein Bruder war Offizier.
Offizier? –
In ausw�rtigen Diensten.
Und dabei Gelehrter?
Aus Liebhaberei. Vor einigen Jahren kam er zur�ck und besch�ftigte sich wieder mit B�chern und M�nzen. Er war sehr jung damals, brachte franz�sische Schwindeleien mit nach Haus, und verlie� uns endlich, um nach Deutschland zu gehen.
Wo lebt er dort?
Ich wei� es nicht. Er soll, wie man uns benachrichtigt hat, nach Amerika gegangen sein.
Und Sie haben keine Nachricht?
Wahrscheinlich ist er todt, sagte Eschenheim gleichg�ltig, erst heut habe ich eine Nachricht erhalten, die daf�r spricht. Das Schiff, auf welchem er sich befand, scheiterte dicht vor der Hudsonbey im Nebel, das ist vorl�ufig Alles, was ich erfahren konnte. Sie essen bei mir in meinem Landhause, ich will Ihnen sein Bildni� zeigen, das dort h�ngt, ich wei� selbst nicht mehr wo.
Diese letzten Worte waren so auff�llig, da� ich mich eines verwunderten Blickes nicht enthalten konnte; sie bezeugten deutlich, da� die beiden Br�der in keinen besonders guten Verh�ltnissen gestanden haben konnten. –
Eschenheim begriff, was ich dachte, ohne M�he.
Es ist so, fuhr er mit feinem gekniffenen L�cheln fort, er hat uns mancherlei Aerger und Kummer gemacht. Alles in der Welt, nur kein Leichtsinn, der immer zu Unheil und Schande f�hrt.
Das sagte der alte Herr auch, welcher vorher bei Ihnen war, fiel ich ein.
Ah der, rief Eschenheim, Sie werden ihn heut Mittag wieder finden und n�her kennen lernen. Er ist ein Verwandter, Oberst R�ttiberg. Sie wissen, wir haben oft militairische Titel, in Folge unserer Milizverh�ltnisse; inzwischen ist mein Vetter, der tapfere Oberst, einer unserer gr��ten Fabrikanten und Grundbesitzer, �berhaupt ein h�chst angesehener Mann, der selbst von unseren jetzigen Regenten mit Respekt behandelt wird, obwohl er ihnen den R�cken kehrt, wie wir Alle.
Und die junge Dame an seinem Arm war seine Tochter?
Meine Cousine und – im Vertrauen gesagt – meine zuk�nftige Frau, antwortete Eschenheim sich an mein Ohr neigend.
Diese letzte Mittheilung machte er mir mitten unter dem Trommel- und Pfeifenl�rm des Miliz-Bataillons, das an uns vor�berzog um die Limmatbr�cke zu besetzen und ein Spalier zu bilden, durch welches die Herrn Abgeordneten der zwei und zwanzig Cantone, sammt ihrem Gefolge und den Gesandten der Gro�m�chte nach dem Gro�m�nster ziehen sollten. Die Unterbrechung war mir nicht unangenehm, denn ich kam mit einem kurzen allgemeinen Gl�ckwunsche davon, und war nicht sonderlich neugierig vor der Hand mehr zu geben, oder zu erfahren, da es mich wenig interessirte, wann und wie dieser Geldmann seine goldene Hand in eine eben so goldene Hand legen wollte. Auch Eschenheim sagte nichts weiter.
Wir eilten, um rasch �ber die Br�cke zu kommen, ehe sie abgesperrt wurde, denn schon nahte der Zug. Wir gingen deshalb auf einen Seitenpfad, um dem Gedr�nge zu entkommen, den steilen H�gel hinauf, auf welchem die Kirche liegt. Viele Damen und Herrn dr�ngten sich dort an den Eing�ngen, um Pl�tze auf den Gallerien zu erobern, andere stellten sich an den Th�ren auf, den Zug zu erwarten und zu beschauen, und diesen Neugierigen schlossen wir uns an, weil mein Begleiter mir die bedeutendsten Pers�nlichkeiten der Tagsatzung zeigen wollte. Rund umher standen dem Anschein nach Fremde, die in den Gruppen, zu denen sie geh�rten, englisch, deutsch oder franz�sisch sprachen, ihre verschiedenen Nationalit�ten somit deutlich genug kund gaben. –
Nach wenigen Minuten h�rten wir von der Br�cke her die Militairmusik und das Klirren der Gewehre, welche vor den Gesandten pr�sentirt wurden, und alle Blicke wandten sich dem Stufenwege zu, wo die Spitze der gro�en eidgen�ssischen Fahne sichtbar wurde.
Der Zug machte in der Ferne, als er sich, wie eine lange schwarze, buntgefleckte Schlange, die felsige H�he heraufw�lzte, einen weit gr��eren Eindruck, als nahebei betrachtet. In Monarchieen, wo man f�r Prunk und Pracht und Alles, was dem Auge gef�llt, viel besser eingerichtet ist, wo man mit knappen und geschmackvollen Uniformen aufwarten kann und Garden, Trabanten, Hofdiener aller Art, sammt einer zahlreichen Bureaukratie dazu verwendet, sind dergleichen Schaustellungen weit stattlicher zu machen.
Hier war von dem allen wenig oder nichts. Der Bundespr�sident ging an der Spitze, ihm voran wurde die gro�e Bundesfahne getragen, dann folgten die Gesandten, je nach den Cantonen und der Rangordnung, die den kleinen Hirtenstaaten vom Vierwaldst�dter See den Vorrang zuspricht, weil aus dieser Urschweiz die Schweiz hervorgegangen ist. –
Der gr��te Theil der Gesandten waren �ltere M�nner und Greise, die meist sehr plebejisch aussahen und mit ihren Schmerb�uchen, oder von Arbeit und Lebensm�hen verdorrten Gestalten, wunderlich genug im schwarzen Frack, aufgeschlagenen Hut, den Galanteriedegen an der Seite, paradirten.
Der burleske Anblick wurde jedoch haupts�chlich durch die Herolde, oder Waibel bewirkt, die jeder Cantonsgesandtschaft zur Seite schritten und in den Standesfarben gekleidet waren. Trotz der brennenden Julisonne waren diese armen Teufel in dicke Wollenm�ntel geh�llt, die bis zur Erde reichten und meist aus zweifarbigem Tuch bestanden, d. h. die eine H�lfte war roth, die andere H�lfte gr�n, oder gelb und himmelblau, oder schwarz und karmoisin u. s. w., je nach den Fahnen der verschiedenen Cantone. Dazu trugen sie ungeheure Dreimaster auf den K�pfen und St�be in den H�nden; sie waren in Schwei� gebadet und konnten eher Gegenstand des Mitleids sein, als des Gel�chters und der Sp�tterei, die ihnen von manchen Seiten zu Theil wurde.
Es ist eine alte Sitte und alte Sitten soll man heilig halten, sagte Eschenheim. Lieber m�gen die dicken Burschen schwitzen, ehe man die M�ntel und Dreimaster aufgiebt, was schon mehrmals beantragt worden ist, wie denn �berhaupt die radikalen Umw�lzer den ganzen Zug zur Kirche l�ngst abgeschafft h�tten, wenn sie damit durchdringen k�nnten.
Ich machte eine Bemerkung, die sich darauf bezog, da� zu solchen Aufz�gen auch die M�nner und Einrichtungen darnach sein m��ten, um einen g�nstigen Eindruck zu bewirken. –
Sie h�tten den Zug fr�her sehen m�ssen, fiel Eschenheim beistimmend ein. Alle Gesandte stammten damals aus den alten Familien; die reichsten und angesehensten M�nner aller Cantone setzten eine Ehre darin, bei der Tagsatzung zu sein. Die Hallwyls, die Watewylls, die Erbach, die Muralt, die Fischer, die Mohr, die Abyberg und viele Andere wetteiferten unter sich, und die Gesandten der Gro�m�chte fehlten niemals bei den Festen der Pr�sidenten und Herren, welche weder in Paris, noch in Wien, gl�nzender sein konnten. Damals kostete ein einziger Abend oft dem Pr�sidenten der Tagsatzung mehr, als sein ganzes Jahres-Einkommen betrug. Was fragte er danach! Er stammte sicherlich aus einem Hause, das jeden Aufwand decken konnte. Jetzt hat das souveraine Volk sich den Advokaten Furrer gew�hlt, der sich weigerte, das Amt anzunehmen, weil er zu arm sei, um seine Advokatenpraxis zu missen, und nicht eher verstand er sich dazu, bis seine Vaterstadt Winterthur es �bernahm, ihm ein Jahrgeld auszusetzen.
Der geringsch�tzende Ton, in welchem Eschenheim dies laut sprechend mittheilte, machte mich besorgt, da� es ihm Unannehmlichkeiten bereiten k�nnte. Manche der Umstehenden sahen ihn streng an, einige Landj�ger und Soldaten bildeten hinter uns eine Gruppe, und selbst aus dem Zuge der Gesandten richteten sich die Blicke auf ihn.
Er nickte Mehreren Gr��e zu, und sagte dann lachend:
Que m'importe! sein Sie ohne Furcht, wir sind hier in der Schweiz wenigstens noch im Besitz der Redefreiheit und d�rfen uns erlauben, unbehindert unsere Betrachtungen �ber unsere Nachfolger zu machen. – Sehen Sie da! dort kommt der ber�hmte Staatsrathspr�sident von Waadtland, Heinrich Druey. Wie fett, ordinair und gem�thlich sieht er aus! Wer sollte denken, da� in dieser schwammigen Falstaffh�lse ein Kerl steckt, der Gottes Thron umst�rzte, wenn er ihn fassen k�nnte?! Da lobe ich mir seinen Collegen, den d�nnen, blassen, durchsichtigen Eytel, der neben dem watschelnden Druey hertrippelt. Jeder Zoll ist Neid, Bosheit und schwarze Galle. Das ganze Wichtchen sieht aus, wie eine Kreuzspinne. – Habe ich nicht Recht? haha! hat er nicht die gr��te Aehnlichkeit damit?
In dem Augenblicke sagte eine Stimme hinter uns: Schweig still, elender Bub'! und diese Beleidigung machte auf meinen Nachbar eine Wirkung, wie ein Donnerschlag. Er verf�rbte sich und drehte sich so schnell um, da� er beinahe das Gleichgewicht verloren h�tte, denn er taumelte auf mich, da� ich ihn halten mu�te, allein es ging ihm gerade so, wie mir. Wir sahen beide nichts, als jene Landj�ger und Soldaten, die unter einander scherzten und von denen Einer wahrscheinlich die verh�ngni�vollen Worte gebraucht hatte, ohne zu ahnen, da� ein Dritter sie auf sich beziehen k�nnte.
Eschenheim warf mir einen verst�ndigenden Blick zu und zuckte sp�ttisch mit den Lippen, aber seine Augen forschten durch alle Gruppen umher, als sei er noch immer nicht ganz �berzeugt, ob er den Th�ter nicht wo anders suchen m�sse.
W�hrend dessen war der Zug in die Kirche gelangt, und wer noch hinein wollte, eilte so schnell er konnte. Wir machten es daher, wie alle Anderen. Bei unseren Anstrengungen gute Pl�tze zu finden, wurde jedoch Eschenheim von meiner Seite gedr�ngt; als ich mich nach ihm umsah, war es unm�glich, ihn zu entdecken.
Ich mu�te mich ruhig verhalten, denn im innern Raume der Kirche begannen die Reden der Pr�sidenten, von denen Alle etwas h�ren wollten, dabei konnte ich weder r�ck- noch vorw�rts, denn jeder Fu�breit Raum war besetzt, aber der Zufall hatte mich wenigstens in soweit beg�nstigt, da� ich einen gro�en Theil der Trib�nen und Ch�re �berblicken konnte, wenn ich auch von den Herren Gesandten nichts sah und ziemlich unverst�ndliche Bruchst�cke ihrer rednerischen Weisheit vernahm. –
Meine Augen flogen daher �ber die gro�e Gallerie und ihre Anh�nge, die vorz�glich mit Damen gef�llt waren und blieben pl�tzlich dann, ganz in meiner N�he, an dem Gesicht eines jungen M�dchens h�ngen, das in seiner ganzen Lieblichkeit mir zugewandt war. Indem ich sie bemerkte, erkannte ich in dem Herrn, welcher sich zu ihr neigte, denselben, den ich bei Eschenheim gefunden und wiedertreffen sollte, den Obersten und reichen Industriellen, und jetzt erst erweckte mir seine Tochter ein vermehrtes Interesse, da ich sie als die Verlobte meines G�nners betrachten mu�te.
Ein gewisses Gef�hl des Mitleids und des Unwillens regte sich in mir. Ich konnte mir nicht denken, da� diese kaum aufgebl�hte, feine, frische Rose sich gern an solchen Stock binden m�chte, wenn ihr nicht gewaltsam der Bast der Ehe um Hals und Glieder gelegt werde. Eine geraume Zeit sah ich sie an und mu�te immer wieder Augen und Gedanken dahin richten.
Die Schweizerinnen sind gr��tentheils weder besonders zart, noch grazi�s, noch mit geistiger Reizbarkeit reichlich ausgestattet, die ihren Widerschein in lebensvollen oder idealen Gesichtsz�gen ausdr�ckte. Die materielle Denkweise der Schweizer, ihre emsige Gesch�ftigkeit, ihr N�tzlichkeitstrieb und die engbegrenzte Anschauung ihres irdischen Daseins, mu� auch auf ihr Frauen �bergehen, deren Erziehung obenein ganz darauf eingerichtet ist, um bei h�chst m��iger Bildung und geringen Anspr�chen, im engen Haus- und Familienkreise, sich ganz zufrieden zu stellen. –
H�chst selten findet man eine auffallend sch�ne Erscheinung und wo man wirklich sich daran erfreuen m�chte, st�ren gew�hnlich doch wieder die schlechten Z�hne, das Erbtheil aller Schweizer und, wie man meint, die Folge des schlechten Wassers in diesem Berglande. –
Um so mehr war ich �berrascht, als ich alle Reize jugendlicher Sch�nheit hier wirklich bei einer Schweizerin vereint fand. Ihre dunklen Augen besa�en das feuchte Feuer und den sanften, schimmernden Ausdruck, welchen lange Wimpern und sch�ne hochgew�lbte Augenbrauen geben; ihr L�cheln war s�� und leise, die feinen Lippen h�tten einen K�nstler entz�cken k�nnen und wie reizend �ffneten sie sich, um die sch�nsten Z�hne zu zeigen. –
Dies liebliche Wesen, das kaum achtzehn Jahre z�hlen konnte, sollte dem sechs- oder acht und drei�igj�hrigen Eschenheim hingeworfen werden, der von dieser bezaubernden Aussicht, wie es nur schien, nicht im Entferntesten ber�hrt worden war; h�chstens da� seine Eitelkeit dabei gekitzelt wurde, oder der Blick auf seine Gelds�cke ihm einige h�fliche Verpflichtungen auflegte, aber ich hatte nicht bemerkt, da� er in seinem Hause, beim Abschiede von ihr, irgend eine besondere Theilnahme an den Tag legte; eben so wenig war eine Regung davon zu bemerken, als er mir mittheilte, da� er sie heirathen w�rde. Er betrachtete sie, wie ich nicht bezweifelte, als einen Handelsartikel, oder einen gezogenen Wechsel, den er am Verfallstage einzustreichen hatte und welcher ihm ganz sicher war.
Mitten in diesen Betrachtungen endete pl�tzlich die kirchlich-politische Ceremonie der Tagsatzung. Die Menschenmasse w�lzte sich hinaus und nahm mich mit. In der N�he der Th�r entstand ein entsetzliches Dr�ngen; eine Zeitlang war keine Bewegung m�glich, indem ich mich aber v�llig eingequetscht sah, f�hlte ich, da� irgend Jemand hinter mir etwas in meine Hand dr�ckte, die ich auf dem R�cken hielt, um mich dort zu sichern. Ich machte vergebens den Versuch mich umzuwenden, eben so vergebens meine Hand vorzubringen, um zu sehen was es sei; erst nach einiger Zeit gelang mir dies und ich erblickte einen zusammengefalteten kleinen Zettel, ein Streifchen zerknittertes Papier ohne Aufschrift, ohne zu wissen wer ihn mir gegeben hatte.
Ich blickte in die Gesichter der Umstehenden, die keine Notiz von meinen fragenden Blicken nahmen. Es waren B�rger und allerlei Leute, die sich �ber das Tagesereigni� lebhaft unterhielten und denen ich keinen Antheil an diesem Vorgange zumuthen konnte. Ziemlich erstaunt entfaltete ich das Papier und sah hinein. Es standen wenige Worte mit Bleistift geschrieben darin:
�Jemand, der Sie kennen zu lernen w�nscht, erwartet Sie heut Abend um zehn Uhr auf dem Lindenberge.�
Ein Abentheuer! sagte ich spottend indem ich den Zettel zerri�; der Lindenberg ist die rechte Gegend dazu. Es ist dies ein H�gel auf welchem einst ein r�misches Kastell gestanden haben soll; jetzt werden die engen H�user dort von allerlei Volk bewohnt.
Ich vergn�gte mich noch an dieser Aufl�sung des R�thsels, als ich neben mir Fr�ulein von R�ttiberg erblickte, die sich �ngstlich nach allen Seiten umschaute und in dem Gedr�nge nicht recht wu�te, wohin sie sich wenden sollte.
Ich begr��te sie und sagte h�flich: Sie suchen Ihren Herrn Vater, mein gn�diges Fr�ulein, ich glaube ihn dort unten im Innern der Kirche zu erblicken; jedenfalls ist er hier noch nicht herausgekommen.
Sie dankte wir und err�thete leicht. Sp�ter sagte sie mir, da� sie mich sogleich wieder erkannt habe, und weil ich ihr als Eschenheim's Freund gegolten, sie bei mir stehen geblieben sei.
Ich theilte ihr mit, wie Eschenheim sich von mir verloren und scherzte �ber unser ganz �hnliches Schicksal.
Gl�cklicher Weise, f�gte ich dann hinzu, ist f�r Sie dabei gar keine Gefahr, da Sie in Ihrer Vaterstadt genau bekannt sein werden.
Ich bin nicht so genau bekannt, wie Sie meinen, erwiderte sie l�chelnd, obwohl meine Aengstlichkeit weit weniger um mich, wie um meinen Vater sorgt, der nicht wissen wird, wo ich geblieben bin.
Sie sind so eben von einer Reise zur�ckgekehrt? fragte ich.
Ja, war ihre Antwort. Ich war mit meinem Vater in Deutschland und Frankreich. Den letzten Winter �ber wohnte ich auf Rath der Aerzte in Nizza, weil die scharfe Luft unserer Berge meiner Gesundheit nicht zusagte.
Und diese Luftver�nderung hat, wie ich hoffen darf, ihre heilsame Wirkung ge�bt.
Ich glaube wohl, erwiderte sie mit einer kleinen, dankenden Neigung des Kopfes. – Aber ich wei� nicht was ich jetzt thun soll; ich mu� f�rchten, da� mein Vater dem Zuge der Tagsatzung gefolgt ist, und den Ausgang auf der andern Seite des M�nsters benutzt hat.
Sie machte eine Bewegung, um sich zu entfernen, und ich bot ihr meine Begleitung und meinen Beistand an, als um die Ecke des Kirchplatzes der Oberst und Eschenheim uns entgegen kamen.
Da sind sie ja beide! rief dieser, als er uns erblickte.
Ein paar rauhe Worte des alten Herrn unterbrachen ihn. Er machte seiner Tochter Vorw�rfe, ihn nicht auf der Stelle, wo er sie verlie�, erwartet zu haben, und k�mmerte sich nicht um ihre sanfte und bittende Einwendung, da� das Stehenbleiben unm�glich gewesen sei.
Du bist, wie immer, ein Kind, Elise, sagte er, man hat best�ndig f�r Dich zu f�rchten. Dein Vetter Eschenheim ist dreimal durch die Kirche gesprungen um Dich zu suchen.
Ich befand mich unter dem Schutz dieses Herrn, dem ich sehr dankbar sein mu�, erwiderte die junge Dame ihren Vater anblickend, indem sie sich vor mir verbeugte.
Der Oberst verstand den Wink. Er zog den Hut, sah mich scharf an und murmelte etwas von vielem Dank, aber es war eben kein einladender Blick, der mir zu Theil wurde. Das Mi�trauen sa� in seinen grauen, buschigen Augenbrauen, Mi�trauen gegen Fremde ist aber allen Schweizern eigen, und dieser alte Industrielle schien, seinem ganzen Auftreten und Aussehen nach, ein heftiger, energischer und starrk�pfiger Mann zu sein.
Eschenheim mischte sich lachend ein, indem er mich dem Herrn von R�ttiberg in aller Form vorstellte und dann sich an das Fr�ulein wendend mit dieser �ber ihre �Verirrung� scherzte. –
Sie sehen, mein M�hmchen Elise, sagte er, wie leicht es ist, aus den Irrwegen des Lebens, oder einer sch�nen Stunde, eine ganze Geschichte zu machen, die aber doch endlich mit einem gl�cklichen Wiederfinden endigt. W�hrend dessen habe ich f�r eine Entf�hrung gesorgt, die nicht fehlen darf. Mein Wagen wartet unten an den Stufen auf uns. Geben Sie mir den Arm und lassen Sie uns eilen, um so schnell wir k�nnen unsere gl�ckliche Einsamkeit zu erreichen.
Mit diesen Worten f�hrte er sie die Stufen hinab, wir folgten nach. In wenigen Minuten rannten seine englischen Pferde mit uns und dem atlasgepolsterten Wagen aus Paris, an dem reizenden Seeufer hin, wo an beiden Seiten ausgezeichnete Kunststra�en angelegt sind. –
Nach einer halben Stunde bog der Weg zum Landhause dann zwischen Weinbergen ab, die einer der reichen Seegemeinden geh�rten. Laubholzh�hen und sch�ne Fruchtfelder spannten sich nach allen Seiten aus und lie�en eine malerische Scenirung bis in weite Fernen verfolgen; endlich aber, als wir einen kleinen Buchwald durchkreuzt hatten, lag die Villa vor uns, ein etwas alterth�mliches massives Geb�ude, dicht beschattet von m�chtigen Buchen, mit seiner Gartenfront jedoch dem See zugewandt, der tief unten seinen hellblauen Spiegel zeigte.
Der Wagen fuhr auf dem Kieswege, bis vor die S�ulentreppe der Vorhalle, welche reich mit Blumen besetzt war.
Orangenb�ume in reicher Bl�the bildeten einen Halbkreis davor, Weinterrassen und Bogeng�nge zogen den Abhang der H�he gegen den See hinunter; ein Ziergarten mit einem pr�chtigen Blumenflor f�llte den mittleren Theil, und an diesen schlo� sich im Hintergrunde ein Park alter B�ume, deren dichte Belaubung keinen Sonnenstrahl einlie�.
Unter der Vorhalle, hinter einem Tischchen, erwartete uns die alte Frau von Eschenheim, welche, als der Wagen hielt, aufstand und aus dem Schatten der Oleander hervortrat.
Da ist meine Mutter! rief ihr Sohn. Hier bringe ich Dir die lang entbehrten Fl�chtlinge, Mama.
Ich hatte die alte Dame schon einige Male gesehen, meine Bekanntschaft war jedoch eine sehr fl�chtige geblieben. Es war eine gro�e, d�rre Frau, eine von denen, die wie Mumien anzusehen sind, deren Haut von einer chemischen Masse durchzogen auf den Knochen gelb und hart fest getrocknet zu sein scheint. –
Heute hatte sie eine Haube mit Rosen und B�ndern aufgesetzt, dicke falsche Locken zu beiden Seiten befestigt und ein graues schwer seidenes Kleid angezogen, das an dem K�rper lang und faltig niederflo�, Sie ging bis an die Stufen vor und breitete ihre unerme�lichen Arme den Nahenden entgegen, als wollte sie alle drei mit einem Zuklappen an sich ziehen; inde� war es zuerst der Oberst, dann Elsi, die in diese Fangzangen geriethen und mit einigen K�ssen und z�rtlichen Worten regalirt wurden.
Frau von Eschenheim versch�nte sich bei dieser Erregung ihrer Gef�hle jedoch keinesweges; es kam mir vielmehr vor, als tr�te ihre H��lichkeit noch st�rker an's Licht und ich konnte mich nicht enthalten, ihr alle m�glichen b�sen Eigenschaften heimlich nachzusagen, als sich ihre gr�nlichen Augen und das hohle, scharfe Gesicht mit so vieler widerlicher Freundlichkeit f�llten.
Wir wurden in den pr�chtigen Salon gef�hrt, wo ich ein ziemlich stummer und geduldiger Zeuge der Gespr�che war, die zwischen den Verwandten statt fanden. Ich lernte daraus, da� Fr�ulein Elise, wie ich von ihr selbst schon vernommen, nachdem sie den Winter in Nizza bei einer verwandten Familie zugebracht, mit dem Vater, der sie abgeholt, durch S�dfrankreich und �ber Paris in die Schweiz zur�ckgekehrt sei, und da� die Aerzte nun eine Molkenkur angerathen h�tten, welche die dauernde Herstellung verb�rgen sollte. –
Wo diese Kur gehalten werden mochte, ward Gegenstand der Berathung. Die B�der in Appenzell wurden in Vorschlag gebracht. Interlaken erhielt dann den Vorzug, Eschenheim erw�hnte den Genfersee und schlug Montreux vor, aber Herr von R�ttiberg sagte endlich mi�gestimmt:
B�der und Reisen und Reisen und B�der, hole sie alle der Henker! Ich habe es satt in der Welt umher zu ziehen, wie der ewige Jude, und wenn Elsi wirklich noch Molken n�thig hat, – diese Doktoren sind �berall dieselben Charlatans, es fehlt ihr ja nichts! – nun so mag sie zu Haus die Sache abmachen. K�he haben wir �berall, und wie wir es machen m�ssen, wissen wir auch. Ich habe viele Arbeit, mu� nach meinen Werken sehen. Es kostet mich genug, da� ich so lange schon ausw�rts war und Elsi ist am liebsten in Richtersb�hl am Wallenst�ttersee, da kann sie ungest�rt wohnen. Ist es nicht so, M�dchen?
Eschenheim wandte sich zu mir und sagte lachend:
Dagegen m�ssen wir Alle Einspruch thun, Sie m�ssen uns beistehen. Der Oberst besitzt eine gro�e Fabrik am Wallenst�tter See und nicht weit davon liegt sein Gut Richtersb�hl auf einem steilen Vorsprung, dicht �ber dem schwarzen Wasserschlund. Ein altes Haus, ehemals eine Art Klause, oder Vorwacht, der fetten Benediktinerm�nche in Pfeffers. Kennen Sie den Wallenst�tter See?
Nein, sagte ich.
F�r eine romantische Seele ist dieser See das Erhabenste, was sich denken l��t, fuhr er fort. Rund umher nackte, wildzerkl�ftete Felsen, 6000 Fu� hoch und h�her noch; nirgend Weg noch Steg, kein Mensch kann hin�ber. Der Kahn ist das einzige Mittel, oder das Dampfschiff, das von Wesen nach Wallenstatt f�hrt.
Lassen Sie sich von dieser Schilderung nicht abschrecken, fiel der Oberst ein, besuchen Sie uns und Sie werden finden, da� das alte Haus auf dem B�hl doch nicht so �bel ist.
Ich verbeugte mich, aber Eschenheim fa�te mich beim Arm und rief abwehrend:
Nehmen Sie keine Einladung nach dem schwarzen Hause an, wie es in der ganzen Umgegend genannt wird. Wenn die vermoderten Benediktiner Sie dort auch in Ruhe lassen, so thut es der rauhe Wind nicht, der von den Eisst�cken des Gl�rnisch und T�di herunterf�hrt. Ich denke nicht, Vetter R�ttiberg, da� Sie in Ernst daran denken mein armes M�hmchen Elsi in diese kalte Einsamkeit zu f�hren, die f�r L�mmergeyer zwar der anmuthigste Aufenthalt in der ganzen Schweiz ist, aber unm�glich f�r Elsi pa�t.
Er stellte ihm eindringlich vor, da� Richtersb�hl den sch�dlichsten Einflu� auf eine so zarte Organisation �ben m�sse und da� f�r eine Dame, die so eben aus einem s�dlichen Klima zur�ckkehre, am allerwenigsten die scharfe Gebirgsluft jener Seeufer zutr�glich sein k�nne.
Nach einigen Zwischenreden, in welchen der Oberst die Einw�rfe ablehnte, kam es endlich zu einem vorauszusehenden Ergebni�. –
Eschenheim berief sich auf seine Mutter und diese legte ihre eine magere Hand auf Elsis Finger, die andere auf den Arm des Obersten.
Ich denke, mein lieber Vetter, sagte sie im entschiedenen Tone, Sie werden es mir nicht verweigern, Elsi bei mir zu behalten. Unser Gut hier liegt sonnig und warm, ich werde �ber des theuren Kindes Wohl wachen und meinen sollte ich doch, R�ttiberg, da� es pa�lich w�re Elsi bliebe bei mir, leistete mir Gesellschaft und s�he, wie es sich in Mariaschein lebt.
Sie nickte dem Obersten zu und beide l�chelten. Die Sache war abgemacht, er lie� es sich gefallen und, wie es schien, hatte er auf diese Erkl�rung gewartet, denn er gab seine Einwilligung mit der Bemerkung, da� es allerdings keinen passenderen Ort f�r Elsi g�be, als so dicht in der N�he der w�rdigsten Frau, die er kenne, und da� ihn diese Einladung doppelt freue, da er selbst l�ngere Zeit in Z�rich w�hrend des Sommers verweilen werde.
Die junge Dame, um deren Wohl und Zukunft sich diese ganze Verhandlung drehte, war inzwischen gar nicht um ihre Meinung befragt worden. Sie sa� da, geduldig, wie ein Opferlamm, ihre Hand noch immer zwischen den langen Knochenfingern der g�tigen Besch�tzerin und ihre Augen niedergeschlagen, wahrscheinlich vor den Blicken Eschenheims, der, dann und wann, sie l�chelnd betrachtete. –
Nach einiger Zeit stand sie auf, trat unter das Portal und stieg die Stufen hinab, indem sie die Blumen betrachtete und im Schatten der Weingeh�nge weiter ging.
Eschenheim erz�hlte inzwischen seiner Mutter, wie der Oberst ihn heut fr�h unverhofft �berrascht habe, wie wohl er sein Aussehn gefunden, und wie erfreut er gewesen sei, Elsi in einem Gesundheitszustande zu erblicken, der wenig zu w�nschen �brig lasse.
Nur so froh, wie sonst, finde ich sie nicht, erwiderte die alte Dame, indem sie dem jungen M�dchen nachsah.
Das machen die alten Erinnerungen, liebe Mama, sagte Eschenheim. Es hat eine Zeit gegeben, wo sie, wie ein Hirsch, durch diese Weing�nge sprang. Diese Zeit wird gewi� wieder kommen. Jetzt freilich liegen Schatten auf ihrer Seele und, eben jetzt, m�gen diese besonders schwer darauf dr�cken.
Sie m��te endlich aufh�ren an etwas zu denken, was ihr, wie uns Allen, schon so vielen Kummer bereitet hat, antwortete die Dame im strengen Ton.
Wir m�ssen Geduld haben mit einer Kranken, fuhr ihr Sohn fort, um so mehr, da ihr Gem�th in den letzten Tagen von einer Nachricht ersch�ttert worden ist, die auch f�r Sie, meine Mutter, ihr tief Schmerzliches hat.
Frau von Eschenheim hob langsam den Kopf zu ihm auf und blickte ihn fragend an.
Ich glaube es Ihnen nicht verschweigen zu d�rfen, was ich heut erst erfahren habe und was der Oberst mir best�tigend mittheilte, der dieselbe Nachricht auf anderem Wege erfahren hat. – Rudolf ist todt!
Eine Minute lang folgte dieser pl�tzlichen Mittheilung tiefes Schweigen. Eschenheim lehnte �ber den Stuhl seiner Mutter und legte tr�stend den Arm um sie, der Oberst sa� ihr gegen�ber, die F��e gekreuzt, seine Stirn faltig zusammengezogen, die Hand in der Brust seiner Weste und die Augen auf einen Punkt am Boden gerichtet. Ich stand in einer Fensterh�hlung im Hintergrunde, man schien mich vergessen zu haben.
Dank sei Gott! sagte die alte Frau endlich, die H�nde zusammenlegend, und ohne einen Zug ihres Gesichts zu ver�ndern, f�gte sie mit fester Stimme hinzu: Wie ist er gestorben?
Hier ist das Zeitungsblatt, das R�ttiberg erhalten hat, antwortete Moritz; der Brief, den ich aus Rotterdam empfing, besagt dasselbe. – Das Packetschiff, Prinz Eduard, scheiterte vor der Hudsonbay und ging mit Mann und Maus verloren. Nach den Schiffslisten befanden sich vierzehn Reisende am Bord, darunter ein Schweizer-Ingenieur aus bekannter Familie, Herr Rudolf von Eschenheim.
Die alte Dame nahm das Blatt aus ihres Sohnes Hand, blickte hinein und lie� es mit ihren H�nden in den Schoo� zur�ckfallen.
Wei� es Elsi? fragte sie dann mit derselben Ruhe.
Der Oberst nickte. Sie hat es durch Zufall zuerst erfahren, sagte er.
Und sie hat �berwunden, fuhr Frau von Eschenheim fort, wie es einer christlichen Jungfrau ihres Standes und ihrer Familie geziemt. So steht denn unsern W�nschen und Hoffnungen nichts mehr im Wege.
Nichts mehr, liebe Mutter, als Rudolfs Todtenschein, oder doch der sichere Beweis, da� er nicht mehr am Leben ist. Der Oberst verlangt ein solches Dokument, wir haben heut fr�h schon dar�ber gesprochen, wie aber sollen wir ohne gro�e Zeitverluste dergleichen herbeischaffen? Ich habe ihm vorgeschlagen, fuhr er fort, als keine Antwort erfolgte, Ende des Sommers sp�testens mir Elsi zu geben, besteht er jedoch auf seine Forderung, so m�ssen wir zun�chst nach Rotterdam, dann nach England schreiben, endlich von New-York uns beglaubigte Atteste �ber den Untergang des Schiffes kommen lassen. Ein Meer von Weitl�uftigkeiten und Hindernissen, wor�ber viele Monate vergehen k�nnen.
Alles wahr, sagte der alte Herr, allein warum nicht noch einige Zeit z�gern, um volle Gewi�heit zu erhalten? Wir haben die Papiere durchgesehen in Betreff der Familienkiste.
Hier unterbrach er sich, denn zuf�llig richtete er seine Augen auf die Ecke, wo ich stand, und mit unwilliger Hast erhob er sich von seinem Platze. –
Wir finden ein Andermal Zeit davon zu sprechen, rief er, wo wir es ungest�rt thun k�nnen.
Erlauben Sie, da� ich mich entferne, antwortete ich vortretend und mich verbeugend. Nicht durch meine Schuld bin ich der unfreiwillige Zeuge Ihrer Unterhaltung bisher gewesen.
Nicht doch, fiel Eschenheim l�chelnd ein, hier handelt es sich um ein �ffentliches Geheimni�. Sie sind mein Freund und mein Gast, den ich hochsch�tze. Bleiben Sie bei meiner Mutter, Oberst, Sie werden ihr allerlei zu erz�hlen haben, wir beide wollen Elsi suchen und sie zur�ckbringen.
Er ging mit mir in den Garten hinaus, legte vertraulich seinen Arm in den meinen und zog mich in die Schattens�ulen der alten Buchen. –
Sie m�ssen diesem alten B�ren das Brummen verzeihen, sagte er dort, er macht es nicht anders. Rauh und heftig ist er gewesen, so lange ich ihn kenne, aber wenn Goldonis lustige Kom�die �der gutm�thige Polterer� auf irgend Einen pa�t, so pa�t sie auf ihn. Bei jeder Gelegenheit m�chte er aus der Haut fahren und in St�cke rei�en, was ihm im Wege steht, dabei jedoch ist er ein Mann, der keinem Kinde etwas zu Leide thut und dessen strenge Rechtschaffenheit den Tugendpreis erhalten k�nnte.
Ein solcher Charakter, erwiderte ich, kann bei allen sonstigen l�blichen Eigenschaften f�r seine Umgebung doch sehr bedr�ckend werden.
Nun ja, lachte Eschenheim spottend, wer es sich zu Herzen nimmt, oder ihm eben so starrk�pfig heftig entgegentritt, kann schwer mit ihm fertig werden. – Elise ist sein einziges Kind, er liebt sie auf's z�rtlichste, hat sie aber immer zumeist gequ�lt. Ich bin dagegen stets vortrefflich mit ihm fertig geworden, mein Bruder aber – ich mu� Ihnen einige Aufschl�sse geben, wie es mit uns steht, sagte er inne haltend, denn Sie haben heut schon zu viel erfahren, um nicht begierig zu sein, Alles zu wissen.
Stillstehend zog er ein Zigarrent�schchen hervor, bot mir davon an, machte Feuer, pries die vortreffliche G�te des echten Havannafabrikats und nahm nach einiger Zeit erst wieder, eben so gleichg�ltig, den Faden seiner Mittheilung auf.
Wissen Sie, was eine Familienkiste ist? fragte er, aber ich will wetten, Sie kennen ein solches Institut nicht?
Ich mu�te ihm dies zugestehen.
Eine Familienkiste, fuhr er fort, nennen wir die Schatzkammer der Familie, in welcher das Familiengut, oder Familienverm�gen, durch Erbschaftsbestimmungen, Verm�chtnisse, Geschenke, Ersparungen, oder wie der Name des Dinges auch hei�en m�ge, zusammenflie�t und, unter Leitung der Familien-Vorst�nde, f�r die Berechtigten so lange verwaltet wird, bis diese ihrem Rechte nach in Besitz gesetzt werden k�nnen. – Es giebt Kapitale, die niemals angegriffen werden d�rfen, in solchen Familienkisten, nur die Zinsen werden vertheilt, oder auch diese werden zum Kapital geschlagen, bis zu einer gewissen Zeit, wenn die Summe eine bestimmte H�he erreicht hat. Ich verschone Sie mit weiteren Auseinandersetzungen einer Einrichtung, die Sie �berall hier wiederfinden, denn auch die Gesellschaften, oder Z�nfte, die B�rgerschaften und Genossenschaften haben dergleichen Kisten, die oft bedeutende Verm�gen enthalten. Genug, wir haben ebenfalls eine Familienkiste und in dieser liegt das ganze Verm�gen meines Oheims, bestimmt f�r meinen Bruder, der von fr�h auf der Liebling dieses wunderlichen alten Herrn war. Rudolf z�hlte noch nicht vierzehn Jahre, als mein Onkel starb, jetzt w�rde er drei�ig Jahre sein; in diesen sechszehn Jahren hat sich das Verm�gen mehr als verdoppelt, denn immer wurden die Zinsen zum Kapital geschlagen, und wer wei�, wann es zur Hebung kommt.
Bei dem Tode Ihres Bruders m�ssen Sie jedenfalls der Erbe sein, erwiderte ich.
Das ist die Frage, rief er spottend. Mein Oheim lebte mit R�ttiberg in vertrauter Freundschaft. Elsi war damals zwar nur vier Jahre alt, aber sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, Rudolf m�sse das Kind heirathen. Es wurde daher die Bedingung an Hebung des Verm�gens gekn�pft, so da� es am Hochzeitstage des jungen Paares gezahlt werden solle; k�me eine solche Verbindung aber nicht zu Stande, wolle der eine oder der andere Theil nicht darauf eingehen, oder st�rben beide, oder der eine, vorzeitig, so solle das Verm�gen fortgesetzt so lange ruhen und sich mehren, bis aus beiden Familienzweigen ein anderes Paar hervorgehe, das durch seine Verbindung zur Hebung des Schatzes berechtigt sei.
Jetzt sehe ich den Zusammenhang, fiel ich ein.
Sie wissen noch nicht Alles, fuhr er fort. R�ttiberg hat das eine Kind nur behalten, nahe Verwandte sind nicht da, eben so ist es mit den Erben meines Namens. Es ist daher schwer anzunehmen, da� in sp�terer Zeit sich bald ein P�rchen findet, wie es aus unserer Nachkommenschaft entsprossen sein mu�. Leicht kann ein schadenfrohes Schicksal �ber uns walten, mich oder Elsi kinderlos lassen; das ganze gro�e Verm�gen ist dann gleichsam herrenloses Gut.
Aber der Oberst und Sie, sagte ich.
H�ren Sie nur aus, erwiderte er. Der Oberst und ich, wir sind Verwandte und gute Freunde. Er wird mir Elsis Hand geben m�ssen, denn er ist ein zu guter Rechner und klar denkender, praktischer Kopf, aber gern thut er es nicht – und ich bin zu bescheiden, sagte er mit einem wegwerfenden L�cheln, um von Elsi zu glauben, da� sie besondre Neigung f�r mich hegt.
Wie? sagte ich, Sie wollen sich verm�hlen und wissen im Voraus, da� Sie keine Neigung finden?
Bester Freund, fiel er ein, Verh�ltnisse thun Alles; man mu� sich ihnen anpassen und sie zum Guten wenden. Ich hoffe, Ihre Freundschaft soll mir vermittelnden Beistand leisten.
Da er mich fragend anblickte und meine Hand festhielt, sagte ich ihm, da� ich zu allen guten Diensten gern bereit sei.
Ich habe mehr Zutrauen zu Ihnen, wie zu irgend Einem, fuhr er fort. Meine Mutter ist zu streng und kalt, R�ttiberg zu heftig, Sie sind jung, feinf�hlend, �berredend, Sie werden auf Elsi schnell einen bestimmenden Einflu� aus�ben k�nnen. Besuchen Sie sie t�glich hier, meine Gesch�fte erlauben es nicht immer. Elise wird viel allein sein, leisten Sie ihr Gesellschaft, das Vertrauen wird von selbst kommen.
Glauben Sie, antwortete ich l�chelnd, da� ich im Stande sein k�nnte, Liebe f�r Sie durch meine Ueberredungsgabe zu erwecken, wenn diese Liebe wirklich fehlt?
Liebe? rief er, was sagen Sie da! Ich verzichte darauf. Liebe, was hei�bl�tige, fantastische Narren darunter verstehen, ist ein Sinnenrausch, ein T�uschung, ein Nichts, eine Negation der Wirklichkeit, um sich zum Kinde zu tr�umen, das durch ein Kaleidoskop schaut und aus Seidenf�den und Abfall sich Wunderbilder schafft. Nein, mein Freund, ich bin kein junger Fant mehr. Es handelt sich um das Reelle, um eine, mir, wie Elisen, eben so n�tzliche wie zutr�gliche Verbindung, um die Verst�ndigung zu einem Familienleben, das wir uns beiderseitig so angenehm schaffen wollen, wie irgend m�glich.
Er legte mir kurz und bestimmt seine Verh�ltnisse vor und zeichnete sich selbst mit sicherer Hand. –
Ich bin reich, sagte er, bin ganz unabh�ngig, geachtet von den Menschen, die nicht zu dem verderbten Haufen geh�ren, der nichts achtet. Ich bin kein Fantast, habe keine romantische Eigenschaften, bin Gesch�ftsmann, ein sogenannter Verstandesmensch, aber ich bin kein Geizhals, der bei K�serinden sitzt, w�hrend er Geld zusammenscharrt, wie dies viele Schweizer thun. Ich liebe die Pracht und die Zeichen des Reichthums, liebe Kunst und Heiterkeit. Mein Haus soll sich frohen G�sten �ffnen, ich will meine Frau schm�cken und ihrer Eitelkeit keine Fesseln anlegen; ich werde ein gef�lliger Ehemann sein und bin �berzeugt, da� sie gl�cklich sein wird, wenn Sie nur will.
Sie besorgen also, da� sie nicht wollen m�chte? sagte ich.
Ja, erwiederte er nach kurzem Bedenken, ich besorge es. Elsi ist unterth�nig, und ist eingesch�chtert. Ihres Vaters Heftigkeit kennt zuweilen keine Grenzen, aber es hat doch einen Punkt gegeben, wo all sein Z�rnen und W�then nichts geholfen hat. – Ich sage Ihnen, da� mein Bruder mit dem Kinde verlobt wurde, fuhr er fort, und das ist in der Schweiz eben nichts Neues. Wir haben hier Familienkr�nzchen, wo die Kinder verwandter und befreundeter Familien, welche von jung auf f�r einander bestimmt wurden, als Jugendgespielen zusammenkommen, und mit dem Gedanken aufwachsen, da� sie in so und so vielen Jahren Mann und Frau sein werden. Man hat diese Kr�nzchen oft verdammt, aber es sind alte, treffliche Einrichtungen, durch welche Jahrhunderte lang die edlen Geschlechter sich rein erhielten.
Man sollte denken, sagte ich, da� ein solcher Zwang oft ganz entgegengesetzte Wirkungen hervorbr�chte.
Zuweilen wohl, erwiderte er, und vielleicht ist etwas Wahres daran, da� dadurch der gr��te Theil der Ehen um so langweiliger wird, das Heirathenm�ssen eine gewisse Abstumpfung der Seelen in ihrer edelsten Freiheit bewirkt, und in der Ehe selbst eine Gleichg�ltigkeit zu Tage kommt, die auf das Familienleben zur�ckf�llt. Ich habe das selbst empfunden w�hrend meiner dreij�hrigen Ehe.
Sie waren verheirathet? fragte ich.
Er lachte. Wie sollte ich nicht auch im Familienkr�nzchen meine bestimmte Braut gehabt haben, die meine Frau wurde, sagte er. Vor mehreren Jahren ist sie gestorben. – Man hatte mich so wenig gefragt, wie meinen Bruder, man sagte uns: Agnes wird Deine Frau, Du bekommst Elsi. – Ich habe folgsam geheirathet und die Sache genommen, wie sie war. Meine Frau war nicht sch�n, kr�nklich, reizbar, eingesponnen in Vorurtheilen, ohne F�higkeiten – ich bin nicht eben gl�cklich gewesen. Mein Bruder traf es besser. Elsi war damals ein liebliches Gesch�pf, lebendig, wie eine kleine Sylphe, und voller Talente. Sie malt vortrefflich und spielt den Fl�gel meisterhaft. Dieser Garten erinnert mich �berall an jene Zeit, wo sie oft Monate lang bei uns zubrachte und ich beneidete den Gl�cklichen, der, Arm in Arm mit ihr, umherlaufen, im Mondschein dort oben in dem Tempel sitzen und mit ihr schw�rmen und k�ssen konnte.
Dies Paradies ist zusammengest�rzt, fl�sterte ich.
Ich will es kurz machen, Ihnen sp�ter die Einzelnheiten mittheilen, antwortete er. Es ging alles gut, bis Rudolf aus Frankreich zur�ckkam. Er hatte als Ingenieur im eidgen�ssischen Generalstabe sich einigen Ruhm erworben, aus Eitelkeit trat er in franz�sische Dienste, was wir durch unsere Verbindungen in Paris m�glich machten. Anma�end und eigenwillig war er immer, doch, als er wiederkehrte, brachte er Ideen mit, die ihn bald zu heftigen Zerw�rfnissen mit uns Allen f�hrten. Besonders hart gerieth er mit dem Obersten zusammen und endlich kam es dahin, da� dieser ihm sein Haus verbot und jede Verbindung aufhob. Auch meine Mutter sagte sich von ihm los; er stand verlassen, ohne Mittel, ohne Aussicht, denn in Betracht des gro�en Verm�gens meines Onkels, das ihm zufallen sollte, und seiner Heirath mit einer reichen Erbin, war ihm vom Vatergute nur ein Pflichttheil �berlassen worden. Das Meiste geh�rte ohnehin meiner Mutter, allein es w�re ihm leicht gewesen, alles gl�cklich in's richtige Geleis zur�ck zu bringen, wenn er gewollt h�tte. Statt dessen machte er den Bruch durch seine halsstarrige Heftigkeit vollkommen, trieb Zorn und Ha�, bis zur h�chsten Stufe, und ging endlich fort um den Tod zu finden.
Und Elsi?
Nun, die wurde lange Zeit in dem alten Hause am Wallenst�tter See eingesperrt, bis der Trotz ihres tapferen Herzchens gebrochen war. Sie versprach zu gehorchen, zu entsagen, zu vergessen, aber nur in dem Einen blieb sie fest: nie sollte ein anderer Mann sie ber�hren. –
Eschenheim hieb lachend mit einer Ruthe, die er abgebrochen, durch die Luft.
Sie kennen die M�dchen, rief er, man mu� warten und Geduld mit ihnen haben. Inzwischen wurde sie bla�, h�stelte, wurde mager, so da� dem alten, grimmen Obersten bange wurde. Er schaffte sie nach Nizza und da ist sie nun wieder frisch und munter zur�ckgekehrt. – Jetzt wissen Sie Alles, Freund, setzen Sie sich die Geschichte zusammen und helfen Sie mir zu einem Lustspielschlu�. – Dort sehe ich Elsi im Tempel sitzen. Ich dachte es wohl, wir w�rden sie unter diesen Weinranken finden, wo sie die seligsten Stunden ihres Lebens gefeiert hat; denn was ist s��er f�r ein Weib, als die sentimentalen Erinnerungen ihrer ersten Liebe.
Mit diesen Worten stieg er lachend den H�gel hinauf und lie� mich folgen.
Von diesem Tage an war ich ein nie fehlender Gast in Mariaschein und wurde gern gesehen. Frau von Eschenheim hatte von ihrem Sohne Aufschl�sse erhalten, in deren Folge sie ihre lederartigen Gesichtsz�ge zu einer Freundlichkeit gegen mich bewog, welche nur Wenigen zu Theil wurde. Ich mu�te bald bemerken, da� die alte Dame sowohl, wie ihr Sohn, ein Zutrauen zu mir gefa�t hatten, welches ich weder suchte noch ihnen Grund gab es zu vermehren; denn in Wahrheit gestanden, ich konnte mich einer immer tiefer greifenden Abneigung nicht entwehren, je mehr ich diese Familie kennen lernte.
Moritz von Eschenheim war zwar bem�ht, sich immer von der besten Seite zu zeigen, allein zwischen dem Glanz und der Gl�tte dieser Politur traten die Schatten doch genugsam hervor, um mich scheu und mi�trauisch zu machen. Er war einer von den Menschen, in deren N�he man niemals warm werden kann, die zu schmeicheln und sich anzuschmiegen verstehen, wo es ihre Zwecke erfordern, dabei aber doch den Eindruck machen wie Katzen, bei denen man nicht sicher ist im n�chsten Augenblick einen Krallenschlag zu bekommen.
Was seine Mutter betrifft, so war sie in Hochmuth und kastenhaften Vorurtheilen alt geworden; ohne Gem�th und aus einer Zeit stammend, wo die Schweizerinnen noch viel weniger Bildung erhielten, als dies jetzt der Fall ist. Ihre Familie war ein altes patrizisches Geschlecht, das, wie sie mit Stolz erz�hlte, mit gr�flichen H�usern in Deutschland und Savoyen verwandt war; trotz dieses alten Adels und eines gro�en Verm�gens, besa� sie jedoch einen kleinlichen Geiz und lebte mit ihren Nachbarn in vielerlei Fehden. Ihrem Hauswesen stand sie musterhaft vor; die p�nktlichste Ordnung und Sauberkeit walteten darin und alle ihre Diener und Dienerinnen zeigten eine Ehrfurcht vor jedem ihrer Winke und Worte, die besser Furcht genannt werden mu�te.
Die alte Dame war �berall, bald im Garten, bald im Keller, bald in Stall und K�che, oder im Weinberg und auf den Rainen der Felder, oder im Buchenwalde, der die Berglehne hinaufzog und zu Mariaschein geh�rte. – Und nicht allein bei Tage, auch Nachts wandelte sie umher und zeigte sich pl�tzlich den Erschreckenden, wo diese sie am wenigsten vermutheten. Die Grundz�ge des Charakters dieser Frau waren Hochmuth und Geiz, alles Andere reihte sich darum und machte ihre Seele versteint, wie ihr K�rper es war.
Ohne Zweifel w�rde ich Z�rich sehr schnell verlassen haben, um aus diesem Kreise zu kommen, wenn Elsi und ihr Geschick mich nicht gehalten und gefesselt h�tte. Meine Theilnahme f�r sie wurde, je mehr ich sie kennen lernte, um so gr��er, und wenn ich mir auch sagte, da� es ein trauriges Amt sei, ein so junges und liebensw�rdiges Wesen zum Opferaltare f�hren zu helfen, so bildete ich mir doch ein, da� ich Gutes damit stiften k�nne; ich bildete mir ein, da� meine N�he etwas Tr�stendes und Beruhigendes f�r sie h�tte und glaubte selbst in ihren Worten und Blicken den Wunsch zu lesen, da� ich bleiben m�chte.
Viele Stunden brachte ich mit Elisen allein zu, denn wenn ich in Mariaschein war, erlaubte mir dessen strenge H�terin und Besch�tzerin alle Freiheit, die ich mir nehmen mochte. Wir machten am See und im Walde Spazierg�nge, wir sa�en zusammen in dem Tempel, der die H�gelspitze des Weinbergs kr�nte, wir musizirten an dem sch�nen Fl�gel im Salon, oder ich brachte neue B�cher mit und las ihr vor, ohne da� die vergletschernde N�he der alten Frau von Eschenheim uns beunruhigte. Diese zog sich zur�ck, vielleicht weil ihr Sohn es angerathen hatte, vielleicht aus dem Instinkt, da� es so besser sei, aber ich bin �berzeugt, da� sie trotz dessen uns beobachten und bewachen lie�, denn ein paar ihrer alten Diener waren ihre Spione und darauf abgerichtet, uns zu belauschen.
Jeden Nachmittag kam Eschenheim heraus, blieb einige Stunden, a� mit uns, erz�hlte, lachte und machte sich so liebensw�rdig, wie er es vermochte, doch h�ufig hielt er nicht bis zum Abend aus. Er entfernte sich, weil seine Gesch�fte, und seine politischen Freunde ihn dazu n�thigten, und mit einer gewissen geheimni�vollen Wichtigkeit gab er uns Winke, da� gro�e Dinge im Werke seien, welche der radikalen Wirthschaft in der Schweiz unverhofft ein Ziel setzen w�rden.
Dann und wann erschien auch Oberst R�ttiberg, der bald in seiner gro�en Fabrik am Wallenst�tter See, bald an andern Ort bald in Z�rich, war, von wo er nicht eben die beste Laune mitbrachte. –
Gew�hnlich begann seine Ankunft, mit vieler Z�rtlichkeit gegen seine Tochter, Er erkundigte sich v�terlich besorgt nach ihrer Gesundheit, nach den Fortschritten der Kur, nach der Stimmung ihres Gem�ths und nach ihren W�nschen, bald aber, nachdem er mit Elsi Arm in Arm umherspaziert und leise Fragen gethan hatte, brach sein Unmuth los. Er stampfte mit den F��en, runzelte die Stirn, pre�te Lippen und Z�hne zusammen und das Ende war ein Zerw�rfni�, mit dem er ihr den R�cken kehrte und seine �brige Zeit der alten Herrscherin von Mariaschein widmete.
F�r mich hatte der Oberst von Anfang an keine besondere Zuneigung gefa�t, und wenn er mich bei seiner Tochter traf, schien er nicht Uebel Lust zu haben grob zu werden, was er mit sichtlicher M�he bezwang. Beim Abschiede dagegen, war er jedesmal h�flicher, weil, wie ich wohl merkte, seine Vertraute und Eschenheim ihn beruhigten, und so gingen zwei Wochen vor�ber, als ich ernstlich daran erinnert wurde, was eigentlich der Zweck der Freundschaft sei, die mir zu Theil geworden war.
Eschenheim lie� mich zum Fr�hst�ck einladen, wir waren allein. Er war sehr munter, wir tranken seine feinsten Weine, er erz�hlte muthwillige Geschichten, bis er pl�tzlich das Gespr�ch auf Elisen leitete.
Nun, sagte er lachend, welche Hoffnungen geben Sie mir? Sie haben Gelegenheit gehabt, Beichtvater zu werden. Was hat sie Ihnen mitgetheilt? Wie stehen meine Aktien bei ihr?
In Wahrheit, erwiderte ich in demselben Tone, ich wei� deren Cours nicht. Das Papier ist jedoch jedenfalls nicht besonders gut, da die Nachfrage so lau bleibt.
Er sah mich ernsthafter an und fuhr dann fort:
Man kann f�r solche Papiere aber allerlei thun, wenn man sie h�ufig anbietet.
Sie wollen doch nicht, lieber Freund, war meine Antwort, da� ich in dieser Art den Cours erschwindeln soll.
Nein, sagte er, nichts von Schwindel, allein Ihrer Einsicht vertraue ich, den wahren Werth zur Anerkennung zu helfen. – Elsi hat, ich wei� es, die beste Meinung von Ihnen gefa�t; Ihre Stimme, Ihr Urtheil w�rden viel verm�gen. Ich habe Ihnen aufrichtig Alles gesagt, was sich sagen l��t; mir sowohl, wie meiner Familie und dem Obersten, w�rden Sie einen gro�en, nie zu verg�tenden Dienst leisten! Haben Sie bis jetzt kein Wort mit Elsi dar�ber gewechselt? Hat sie Ihnen nichts vertraut?
Ich habe auf dies Vertrauen gewartet, erwiderte ich, und einigemale die Anregung dazu gegeben, indem ich ihr merken lie�, da� mir ihre Geschichte bekannt sei; aber ich glaube, eben deswegen und weil sie in mir ihren Freund vermuthet, wu�te sie jede Erkl�rung von sich abzuhalten.
Das sieht ihr �hnlich, rief er seine Stirn faltend aus. Es ist ein stiller verschlossener Charakter. Man h�lt sie f�r schwach und kindisch, doch sie ist hartn�ckig und eigensinnig, mehr als man glaubt. Aber sie soll sich f�gen und mu� sich f�gen; wir m�ssen damit zu Ende kommen.
Sie werden doch keine Gewalt brauchen wollen?
Gewalt! – Man mu� den Weibern, wenn sie n�rrisch sind, immer eine gewisse Gewalt zeigen, um sie gehorsam zu machen. Der Oberst hat mir sein Wort gegeben, er besteht nicht mehr auf Aufschub. Alles h�ngt jetzt an dem Eigensinn dieses kleinen Kopfes, dessen Trotz gebrochen werden mu�.
W�re es aber nicht das Beste, begann ich, als er schwieg, wenn der Oberst in einer ruhigen und v�terlichen Unterredung ihren Widerstand zu �berw�ltigen suchte?
Nein, sagte er, dazu ist er unf�hig. Er wird heftig, wo er �berreden soll und dann – hat er Elisen sein Wort gegeben, sie niemals zu einer Heirath zu zwingen.
Sie sind der Einzige, fuhr er fort, indem er mir die Hand dr�ckte und lebhaft sich zu mir wandte, der es zum Besten wenden kann. Sie haben aber dennoch Recht mit Ihrem Rath, R�ttiberg soll heut Nachmittag sein Heil versuchen. Ich will ihn bestimmen, alle weichen Seiten, deren er f�hig ist, zusammenzufassen. Er soll bitten, soll ihr sein Herz aussch�tten, bei seinen grauen Haaren sie beschw�ren; doch Sie m�ssen in der N�he sein, und wenn er, wie ich f�rchte, nicht zum Ziele kommt, dann, lieber Freund, dann m�ssen Sie ihn unterst�tzen.
Was ich auch einwenden mochte und wie ich mich str�ubte, er lie� nicht ab mit Bitten und schmeichelnder Ueberredung, bis ich zuletzt mich bereit erkl�rte, mich in Mariaschein einzufinden und, wenn Elise meinen Rath verlangte, ihr diesen zu ertheilen
Aber, f�gte ich hinzu, fordern Sie nicht mehr von mir. Meine gewonnene Ueberzeugung will ich gern zu Ihrem Nutzen verwenden, gern dazu beitragen, Ihre Sache zu f�rdern, wenn dies durch eine Betrachtung aller Umst�nde geschehen kann. Ich kann meine Gr�nde Fr�ulein von R�ttiberg darlegen, allein ich kann sie nicht �berreden, diese zu befolgen.
Er blickte mich sp�ttisch an.
Nun gut, sagte er. Sie sind ein echter Deutscher. Sie thun es mit Gr�nden und Grunds�tzen, Machen Sie was Sie wollen, doch handeln Sie f�r mich, wie Freundschaft es Ihnen eingiebt, ich bin mit Allem zufrieden.
Wir blieben beisammen, bis der Oberst eintrat. Er hatte Verdru� gehabt, hatte Geld an Unternehmungen verloren und war in schlechter Stimmung. –
Ich will mich von allen Gesch�ften zur�ckziehen, rief er, es ist eine Narrheit, sich solche Last in meinen Jahren auf die Schultern zu packen, da ich keinen Sohn habe, der mein Erbe f�r diese weitl�uftigen Unternehmungen w�re.
Aber ein Schwiegersohn k�nnte es thun, fiel Moritz belustigt ein.
Wo ist er? fragte der Oberst, heftig sein Glas aufstampfend, nachdem er es geleert hatte. Aufrichtig, Eschenheim, ich verzweifle daran. Elsi will nicht heirathen. Mag der Henker die Familienkiste holen, sammt Allem was darin ist! – Hier habe ich einen neuen Brief von meinem Agenten aus Antwerpen. Es ist kein Mensch von dem Packetboot gerettet worden. Da liegt die Schiffsliste, da steht sein Name. Alles wahr und gewi�, aber ich mag nichts weiter davon h�ren.
Er sah mich finster an, als sei ich ihm im Wege, oder die Ursache, da� Elsi nicht heirathen wollte. – Eschenheim winkte mir heimlich zu, ob ich dem Gespr�ch weiter beiwohnen wolle oder nicht, ich zog es jedoch vor, mich zu entfernen. Er begleitete mich hinaus.
Der Oberst hat den Muth verloren, sagte er, ich mu� ihn wieder aufrichten. Gut, da� Sie uns allein lassen, ich kann ihm jetzt seine Rolle einlernen und Ihre Freundschaft in das geh�rige Licht stellen.
Der Oberst scheint wenige Hoffnung zu haben, erwiderte ich.
Ich um so gr��ere, rief er lachend. Seien Sie unbesorgt, mein Herz sagt mir, Sie f�hren mir die Braut zu.
Und wenn diese Hoffnung t�uscht?
Dann werde ich mich zur�ckziehen, bis Elsi zur Besinnung gekommen ist.
Was nennen Sie zur Besinnung kommen?
Bah! rief er aus, wilde Falken z�hmt man durch Einsamkeit und Entbehrung, Eigensinn bricht man durch Strenge. – Ein einziger Winter im schwarzen Hause w�rde sie so gelehrig machen, da� sie mit Freuden in meine Arme h�pfte. Adieu, mein Freund, um vier Uhr sind Sie in Mariaschein, aber p�nktlich!
Ich hatte mein Wort gegeben und machte mich zur bestimmten Stunde auf es einzul�sen, doch es war ein saurer Gang. Ich sagte mir, da� ich nichts thue, was meiner Ehre zuwider sei, da� ich vielmehr an einem sehr n�tzlichen und guten Werke helfen w�rde, da� ich Familienzwist hindern und Unfrieden vers�hnen, eine Verbindung bef�rdern wolle, die wenigstens eben so gut und besser ausfallen k�nne, als zahllose andere.
Eschenheim war reich, ein stattlicher Mann. Viele tausend M�dchen heirathen ja ohne Liebe und wenigstens w�rde er das n�thige Wohlwollen haben, um seine Ehe f�r beide Theile ertr�glich zu machen. Elsi hatte den aufgegeben, der ihr bestimmt war. Der unf�gsame, wilde Mensch hatte alle Verh�ltnisse roh zerschlagen, um in die weite Welt zu ziehen. Jetzt hatte er sein Leben eingeb��t, sie war somit ganz frei, und bei den eigenth�mlichen Umst�nden kam es mir vor, als sei es ihre Pflicht, Moritz ihre Hand zu reichen, und den Familienpakt zur Ausf�hrung zu bringen.
Das Alles und vieles Andere sagte ich mir, aber mein Gewissen konnte sich nicht ganz dabei beruhigen. Eschenheims Charakter war nicht von der Art, um volles Vertrauen zu ihm zu fassen, da� er Elisens Opfer durch zarte G�te vergelten und in ihrem Herzen, aus Achtung und Freundschaft, jene Gattenliebe erbl�hen lassen k�nnte, die oft so reichen Ersatz f�r die mangelnde erste und hei�e Neigung giebt.
Die verh�hnende, wegwerfende Sch�rfe seiner Aeu�erungen, sein Hochmuth und seine Vorurtheile fielen mir ein; seine Freundlichkeit, die immer etwas Lauerndes und Gemachtes hatte, war mir widerw�rtig, und seine Sanftmuth nahm nur zu oft den Schein der Verstellung an. In ungezwungenem Umgange war er kalt, hart und unempfindlich, sollte ich dazu helfen ihm dies arme M�dchen zu �berliefern, das offenbar eine tiefe Abneigung gegen ihn hegte?
Aber, mein Gott! Eschenheim war ein kluger, erfahrener, vielseitig gebildeter Mann, mit ihm zu leben und seine Frau zu sein, ein pr�chtiges Landhaus, gl�nzende Equipage zu besitzen, Reisen zu machen, seinen Luxus zu theilen, war doch kein allzugro�es Ungl�ck.
So gelangte ich nach Mariaschein und trat in den Garten. Es war ein sch�ner Tag; ich sah nach der Uhr, sie zeigte genau auf vier. Niemand lie� sich blicken. Ich ging zwischen den B�umen fort und mit z�gernden Schritten durch die Blumenboskets, bis an die Vorhalle, wo der Schall heftig gesprochener Worte mir entgegen kam und mich erschreckte.
Als ich die Stufen hinaufstieg, konnte ich gedeckt von einer der S�ulen, den Saal �berblicken und Zeuge einer Scene sein, die mich aufs Lebhafteste erregte.
Elise stand an der hohen Lehne eines der rothen Sammetst�hle, den sie mit einer Hand festhielt, w�hrend sie die andere zu ihrem Vater aufhob, der zorngl�hend ihr drohte. –
Das dunkelrothe Gesicht des Obersten bezeugte, da� er alle Lehren des weisen Eschenheim vergessen hatte. Seine Stirn war von hochgeschwollenen Adern bedeckt, seine Lippen zitterten vor Wuth, seine ganze Stellung und der Ausdruck seines Gesichts, lie�en mich f�rchten, da� er im n�chsten Augenblick auf seine Tochter st�rzen und diese zu Boden schlagen w�rde; aber ich bemerkte in den Z�gen des jungen M�dchens keine Furcht vor einer solchen rohen Behandlung. Sie stand regungslos vor dem heftigen Greis; ihr Gesicht war geisterbleich, ihre Lippen blutlos, aber ihre Augen hefteten sich gro� und starr auf ihn; ein Ausdruck kalter Entschlossenheit dr�ckte sich in ihren Mienen aus.
Ich wei� nicht, ob der Oberst mich erblickte, als er nach der Th�r sah, oder ob ihm ein pl�tzliches Ueberlegen kam. –
Du willst nicht? rief er mit rollenden Augen; N�rrin! Undankbare! Ist das mein Kind? – Du willst nicht?! –
Er lie� den Arm fallen und senkte seinen Kopf tief auf seine Brust.
So geh' denn, setzte er pl�tzlich mit tiefer Stimme hinzu, geh' und thue, was Dir gef�llt. Mein graues Haar wird bald seine Grube finden, mein Kummer wird sein Ende erreichen; aber wenn ich nicht mehr bin, Elsi, wenn Deine Thr�nen mich nicht wieder erwecken k�nnen, dann wird die Reue kommen, Dir wirst Dir sagen m�ssen, mein Eigensinn, mein Unverstand haben meinen Vater get�dtet.
O! Vater – mein Gott, sch�tze mich! rief Elsi, indem sie einen Schritt that, als wollte sie an seinen Hals sich festklammern. – Der Oberst machte eine abweisende Bewegung.
La� es sein, sagte er grollend, ich glaube es doch nicht. Was ist Deine Liebe? Was ist ein Kind, das vor der Zeit mich zum alten, einsamen Mann macht, auf den die Menschen mit Fingern zeigen? Bleib! ich habe Dir nichts mehr zu sagen.
Er ging durch eine Seitenth�r und blieb einen Augenblick, �berw�ltigt von seinen v�terlichen Empfindungen, stehen, als er sah, da� Elsi in den Stuhl sank und ihre H�nde schlaff in ihren Schoo� fielen. –
Dann war sie allein, ein Bild des tiefsten Seelenkummers. Ihre Finger falteten sich langsam mechanisch, wie zum Gebet; ihre Lippen fl�sterten leise Worte. Sie schauderte zusammen, strich mit einer wilden Bewegung das Haar zu beiden Seiten ihrer Stirn, hielt ihren Kopf fest, als sei er zu schwer von den Gedanken, die ihn erf�llten, und fiel dann wieder in lethargische Bewegungslosigkeit.
Nach einigen Minuten trat ich herein, unverm�gend l�nger ein Zuschauer zu bleiben und voller Mitleid mit ihr. –
Bei meinen Schritten sah sie auf, ein schmerzhaftes L�cheln glitt durch ihre Z�ge, sie streckte die Hand nach mir aus.
Was ist geschehen, liebes Fr�ulein? fragte ich stockend.
Was Sie wissen, erwiderte sie leise. – Glauben Sie nicht, da� ich die Absicht nicht kenne, die auch Sie gegen mich verb�ndet.
Gegen Sie verb�ndet? antwortete ich. – Das ist ein tiefkr�nkender Vorwurf, theure Freundin, der mir den Muth nimmt, wieder vor Ihnen zu erscheinen.
Ich will Sie nicht beleidigen, ach! gewi� nicht, sagte sie bittend. Sie meinen es gut mit mir, ich wei� es. Ich lese Ihren Antheil in Ihren Blicken; aber Sie haben sich �berzeugt, da� es verst�ndig, n�tzlich und nothwendig sei, wenn ich meinem Vetter Eschenheim meine Hand reiche.
Sie sah mich mit �ngstlicher Erwartung an, allein ehe ich eine Antwort geben konnte, fuhr sie in ruhigerem Tone fort:
Kein Wort dar�ber! Was k�nnten Sie sagen, was mir nicht bekannt w�re? – Ich glaube, ich vertraue Ihnen, – mein Herz, mein Kopf – ich mu� erliegen!
Was Sie auch thun m�gen, erwiderte ich, ich will keinen Antheil daran haben. Wenn Ihr Herz und Ihr Kopf den Mann verwerfen, der um Sie wirbt, wenn Sie Alles bedacht, Alles wohl �berlegt haben, wenn die besonderen F�gungen der Verh�ltnisse und die inst�ndigen Bitten ihrer n�chsten Verwandten und Freunde Ihren Widerwillen nicht besiegen k�nnen, wenn Ihr Ungl�ck Ihnen gewi� scheint, dann widerstehen Sie auch jetzt, und was ich zu Ihrem Beistande vermag, will ich thun.
Sie sch�ttelte leise den Kopf und blieb eine Zeit lang starrblickend sitzen, bis sie pl�tzlich zu mir aufsah und Ihre Augen den sanften Glanz erhielten, der sie so sch�n und traurig machte.
Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, sagte sie, aber ich f�hle es, da� ich mich unterwerfen mu�. – Meines Vaters Zorn habe ich ertragen k�nnen, seiner Anklage um sein graues Haar mu� ich erliegen. – Er soll froh werden, er soll mich wieder lieben, ich will an seinem Herzen ruhen, wenn – wenn –
Sie legte die Finger fest auf ihre Brust und mit einem Schimmer von Heiterkeit, der sich �ber das blasse Gesicht verbreitete, f�gte sie hinzu:
Was ist es denn auch mehr? Vielleicht ist mein heftiges Str�uben wirklich kindisch und th�richt. Mein hinf�lliger K�rper ist nicht dazu geeignet, lange St�rme zu ertragen, und wenn ein Mensch etwas Gutes und Vern�nftiges thun, wenn er Frieden verbreiten und anderer Menschen W�nsche erf�llen kann, soll er dann nicht sich und seine Neigungen daf�r opfern k�nnen?
Wenn dies Opfer sein Gl�ck und sein Leben bedroht, mu� er sich zun�chst bedenken, erwiderte ich.
Was ist Leben und was ist mein Leben? sagte Elsi l�chelnd. Das Gl�ck ist daraus verschwunden, wie die Sonne verschwindet und nichts �brig l��t, als Nacht.
Aber die Sonne kehrt zur�ck, murmelte ich.
Nein, antwortete sie, den Todten scheint sie nie wieder. Wie sonderbar, da� ich erst jetzt mir dies sagen mu�, jetzt erst mich der Gedanke ergreift, da� es gleichg�ltig sei, wo und wie man die Finsterni� verlebt. Darf ich Ihre Freundschaft um H�lfe bitten?
Alles was Sie wollen.
Dann suchen Sie meinen Vater auf oder Moritz Eschenheim, gleichviel wen. Sagen Sie ihm, da� ich mich besonnen h�tte, da� Ihre klare und eindringliche Darlegung aller Verh�ltnisse mich bestimmt h�tten. – Sie m�ssen es gestatten, unterbrach sie sich, als sie meinen Widerspruch sah. Niemand soll erfahren, da� meines Vaters graues Haar, seine zitternde Stimme und seine Thr�nen mich dahin brachten – nein, meine Vernunft, meine Einsicht, die Erkenntni� meiner Thorheit, ich – ich selbst, mein freier Wille. – Mein Gott! ja, mein freier Entschlu�, ohne jeden Zwang, bewirkt, da� ich Eschenheims Frau werden will.
In diesem Augenblick rollte Eschenheims Wagen den Kiesweg herauf. Elsi wurde todtenbleich, sie schien einer Ohnmacht nahe.
Sie k�nnen ihn jetzt nicht empfangen. Ich will ihn zur�ckhalten, sagte ich best�rzt.
F�hren Sie ihn herein, sagen Sie ihm, da� ich bereit bin, erwiderte sie mit kaum h�rbarer Stimme.
Ich eilte hinaus, die Stufen hinab, Eschenheim kam mir entgegen. Er sah in mein Gesicht und entdeckte darin den hohen Grad von Aufregung.
Nun? fragte er, und ein wahrhaft satanischer Ausdruck von Hohn und Grimm zuckte um seine Lippen.
Kommen Sie, sagte ich, Elise erwartet sie.
Also abgemacht? rief er, und pl�tzlich ver�nderten sich seine Z�ge. Was prophezeite ich Ihnen? – Wo ist sie? Ah dort! – Theure Elsi, endlich erh�rst Du meinen hei�esten Wunsch; aber meine innige Verehrung soll Dir lohnen. – Wo ist der Vater? Wo ist meine Mutter? La� Deine Thr�nen flie�en, ich werde sie trocknen. Wir wollen ja nur Dein Gl�ck, Du kleiner Eigensinn, in meinen Armen sollst Du alle Noth vergessen.
Ich ging den Weingang hinauf und bis in den Park, ja ich hatte die gr��te Lust davon zu laufen, und sa� lange Zeit auf einer einsamen Bank, �berlegend, ob es nicht das Beste sei, wenn ich morgen abreiste, um von diesem Brautpaar nichts mehr zu sehen. –
Nach einer Stunde suchten sie mich. – Elise kam an Moritz Arm, der Oberst f�hrte Frau von Eschenheim, ich erhielt mein vollgemessenes Theil, von Danksagungen und Freundschaftsbetheuerungen und freute mich heimlich �ber Elsis Fassung und sichtliches Bestreben, einen Schimmer von Frohsinn zu erm�glichen.
Als wir endlich wieder im Salon beisammen sa�en, wurde die eheliche Verbindung besprochen. Eschenheim hatte gro�e Eile, er wollte am n�chsten Tage schon die kirchlichen Vorbereitungen zu den Aufgeboten einleiten, in sechs Wochen sollte die Trauung stattfinden. Der Oberst hielt es f�r zu fr�h, Eschenheim appellirte an die Braut.
Worauf sollen wir warten? sagte er. Mein Haus ist eingerichtet, Vorbereitungen sind nicht n�thig, unsere Verwandten und Freunde werden nicht �berrascht sein, denn sie kennen die Verh�ltnisse. Sage ja, theure Elsi, gieb Deine Einwilligung und erh�re meine Ungeduld, Dich meine kleine, s��e Frau zu nennen.
Wenn Du es willst, erwiderte Elsi l�chelnd, bin ich folgsam.
Er k��te sie daf�r und �berh�ufte sie mit Z�rtlichkeitsversicherungen, die sie leidend hinnahm. –
Der Oberst war entz�ckt �ber diese Scene, er wischte sich die Thr�nen ab und gerieth in eine Vaterseligkeit, die ihn zu den gro�m�thigsten Versprechungen hinri�; denn er gelobte nicht allein eine bedeutende Ausstattungssumme zu zahlen, sondern auch ein betr�chtliches Jahrgeld, um dessen Annahme und Zur�ckweisung sich ein edelm�thiger Streit erhob.
W�hrend dessen hatte die alte Dame sich Elsis bem�chtigt, und Alle wetteiferten, ihre Zukunft mit angenehmen Bildern auszuschm�cken. Eschenheim wollte mit seiner jungen Frau reisen, sie selbst mochte w�hlen, wohin er sie f�hren sollte; sein Haus, so pr�chtig es war, sollte neu eingerichtete Gem�cher f�r die sch�ne Herrin erhalten, und Mariaschein sollte ihr allein geh�ren. Frau von Eschenheim umklammerte sie mit ihren langen Fangzangen und schenkte ihr das reizende Landhaus sammt Allem, was dazu geh�rte.
So sa�en wir beisammen bis am sp�ten Abend unter allerlei Pl�nen und Gen�ssen, denn vor uns stand eine reich besetzte Tafel und drau�en kam der Mond �ber die pr�chtigen Berge von Schwyz und beleuchtete den See und die malerischen Ufer. Eschenheim entwickelte alle Liebensw�rdigkeit, deren er f�hig war. Er k��te Elsis H�nde, er fl�sterte mit ihr, f�hrte sie Arm in Arm in den Saal umher, scherzte und lachte mit dem Obersten und seiner Mutter, und trank Champagner mit mir auf das Versprechen, seine Hochzeit abzuwarten.
Endlich war Elise verschwunden, sie hatte den Zwang nicht l�nger ertragen k�nnen. Eschenheim eilte fort, sie aufzusuchen, an der Th�r aber winkte er mir, und als ich bei ihm war, zog er mich in die Laubeng�nge und fl�sterte mir zu:
Langsam, mein Freund, langsam, ich komme fr�h genug zu meinem Gl�cke, und mu� wahrhaftig Athem sammeln, um bei Laune zu bleiben.
Brauchen Sie Laune, erwiderte ich, nachdem Sie alles erreicht haben, was Sie wollten?
Erreicht, ja, sagte er, aber was erreicht?! Eine dornenvolle Ehe, theurer Freund, die vor mir liegt, wie die Sahara, welche ich schon einmal durchmessen habe. – Glauben Sie, da� ich das nicht sehe? Meine verewigte Frau liebte mich und qu�lte mich. Elsi liebt mich nicht und wird als lebendige Leiche an mir festgeschmiedet bleiben.
Bei so vieler Herzensg�te, so trefflichen Eigenschaften und edler Sinnesart, wie Fr�ulein R�ttiberg dies Alles besitzt, war meine Antwort, sollte ich denken, es k�nne nur von Ihnen abh�ngen, ihr Herz zu gewinnen.
Ich werde es nie gewinnen! rief er, seine Hand auf meine Schulter legend, heut wei� ich es gewi�. Elsi hat nachgegeben, weil sie keinen Ausweg mehr sah; es war ein Anfall jener Verzweiflung, in der uns alles gleichg�ltig wird, wie ein zum Tode verurtheilter Verbrecher, endlich nach langer Angst sich willig zum Block fortschleppen l��t. – Das stand auf ihrer Stirn, in ihren Augen, in jedem Zuge. Ich sah, wie sie zitterte, wenn ich ihr nahe kam, ich las ihre Gedanken, wenn ich sie k��te – ich wei� Alles, Alles; sie f�rchtete sich mehr als je. –
Er lachte, indem er sein Gesicht zum Monde aufhob, der hell hinein schien und ihn h��lich machte. Der Wein schien in seinem Kopfe zu toben.
Und mit dieser Gewi�heit wollen Sie dennoch an eine Heirath denken? fragte ich.
Was, zum Henker! soll ich denn thun? erwiderte er. Mu� ich denn nicht? Binden mich nicht die Verh�ltnisse so gut, wie sie? – Glauben Sie, da� es mir Vergn�gen macht, mich diesem blassen, mageren M�dchen zu verschreiben? – Sehen Sie mich nicht so mi�vergn�gt an, warum soll ich l�gen? W�re es m�glich, einen Ausweg zu finden, ich w�rde ihn ergreifen; da es nicht m�glich ist, mu� ich mich schicken. Bah! f�rchten Sie nichts f�r Elsi. – Ich will so zart und r�cksichtsvoll mit ihr umgehen, so viele Versuche machen, ihr Herz, wie Sie es nennen, zu gewinnen, da� ein Pariser Lion von mir lernen k�nnte. Aber ich f�rchte beinahe, meine Z�rtlichkeit wird ihre Abneigung vermehren, und, wenn ich das w��te – er hielt inne und lachte. – Liegt in dem Hasse eines Weibes nicht wenigstens eben so viel Poesie, wie in ihrer Liebe?! rief er aus.
Ein gellender Schrei unterbrach ihn, der nicht weit von uns aus dem Baumgange zu kommen schien. –
Das war Elsi! rief Eschenheim, was ist geschehen?!
Er lief voran, ich folgte, aber ich sah ihn zur�ckprallen und mit stieren Blicken und ausgestreckten Armen stehen bleiben, als s�he er etwas Entsetzliches, Grauenerregendes. Der Mond schien durch das Gebl�tter hell auf die Marmorstatue einer Diana, und unter ihr richtete sich die Gestalt eines Mannes empor, der Elsi in seinen Armen hielt, und sie eben in einen der eisernen Lehnsessel barg, die wenige Schritte zur Seite standen. –
Er beugte sich �ber sie hin, dann wandte er sich um. Das blasse Licht fiel auf ihn, es war ein sch�nes, ernstes, edles Gesicht. Ein dunkler Bart umkr�uselte Kinn und Lippe, seine Augen thaten sich weit auf, seine hohe Stirn schimmerte wei�er, wie der Marmor neben ihm; die ganze Erscheinung war geisterhaft.
So mu�te sie auch Eschenheim im ersten Schrecken vorkommen. Mit halb erstickter, bebender Stimme stammelte er ein paar Worte, die wie: Gott sch�tze uns! klangen.
Vor wem? fragte der Fremde in tiefem Tone. Er sch�tze dies arme Kind vor Dir; er bessere Dich und alle hochm�thigen S�nder!
So lebst Du?! rief Moritz von Eschenheim, tief Athem holend.
Zu Deinem Aergerni�, ja, Du Feigling, war die Antwort. Sieh her, das ist Fleisch und Bein. Ich liege nicht im Meere, ich stehe hier, gesund und wohl auf meinen F��en, und komme zur rechten Zeit, um Elsi von Deinen b�sen L�sten zu befreien.
Ich werde Dir keine Antwort auf Beleidigungen geben, sagte Eschenheim ruhig, ich kann dergleichen ertragen; Du hast mehr gethan als Das. – Was willst Du hier? Was bedeutet Dein Eindringen in meine Wohnung bei Nacht? Ich ersuche Dich, mich zu verlassen.
Heuchler! erwiderte der Fremde, nach einem augenblicklichen Schweigen.
Geh, fuhr Moritz Eschenheim in demselben ver�chtlichen Tone fort, oder ich werde Mittel ergreifen, Dir jeden neuen Versuch, den Frieden und die Gesundheit dieses armen Kindes und meiner Mutter zu st�ren, nachdr�cklich zu verleiden.
Schweig, Du elender Bub'! rief sein Gegner und jetzt erinnerte ich mich, da� dies dieselbe Stimme war, die jene Worte am M�nster hinter uns gesprochen hatte.
Die beiden Br�der standen sich gegen�ber. Das stolze und k�hne Gesicht des j�ngeren sah mit drohender, �berlegener Gewalt auf Moritz, der die �u�ere H�lle seiner eisigen Ruhe festhielt, w�hrend der t�dtlichste Ha� und Hohn aus seinen Blicken leuchteten. –
Ich gehe, sagte Rudolf von Eschenheim endlich, aber hoffe nicht, da� Deine Pl�ne gelingen. –
Er legte seine Hand auf Elsis Kopf und sprach zu ihr hingeneigt:
Du h�rst mich, geliebte Elsi, ich wei�, Du h�rst mich. – Folge diesem Buben nicht, der Dich verderben w�rde, falsch und verdorben, wie er selbst ist. Halte an Deinen Schwur, hoffe und harre, die Zeit wird kommen, die uns vereint – und Du, wenn Du menschlich noch f�hlen kannst, rief er seinem Bruder zu, la� ein menschlich Erbarmen durch Dein hartes Herz gehen. Aber ach! eher w�rde ein Tiger Mitleid f�hlen, ein Wolf sich seines Bruders annehmen. – Lebe wohl, meine Elsi, es mu� so sein! –
Er k��te ihre Lippen, sprang �ber die Hecke, und war in wenigen Augenblicken verschwunden.
Ich werde die Geschichte dieses traurigen Abends nicht vergessen, als Elise endlich auf dem Sopha im Saale lag, Frau von Eschenheim sie mit Essenzen bego�, und mi�trauisch, b�sartig betrachtete, der Oberst nach Aerzten schrie, und Moritz mit finsterem L�cheln und verschr�nkten Armen an ihrer Seite stand.
Pl�tzlich schlug sie die Augen auf und ihre irren Blicke suchten umher, w�hrend sie sich aufrichtete und seufzend zur�ckfiel. –
Was ist denn geschehen? Reden Sie endlich, Eschenheim, rief der Oberst.
Sprich, mein Sohn, was ist Dir begegnet, sagte die alte Dame.
Ein Todter ist auferstanden und sein elender Schatten hat Elsi erschreckt, erwiderte Moritz, indem er die Hand des Fr�uleins ergriff.
Wer? fragte R�ttiberg.
Ehe Eschenheim antworten mochte, und er lie� sich Zeit dazu, richtete sich das junge M�dchen so gewaltsam auf, als schnelle sich ihr K�rper empor. Sie stand auf ihren F��en und schien hinaus eilen zu wollen, woran sie gehindert wurde. –
Wo ist er? rief sie, wo habt ihr ihn? Man hat mich betrogen! Er lebt! Ich widerrufe Alles! – Mein Vater! Barmherziger Himmel, rette mich! Rudolf, ich bin hier! O mein Gott! er lebt! –
Ein krampfhaftes Gel�chter kam aus ihrer Brust, Thr�nen und Lachen, Freude und Verzweiflung zu gleicher Zeit.
Was ist Wahrheit? schrie der Oberst mit seiner Donnerstimme.
Er lebt, sie hat Recht, antwortete Eschenheim kalt. So toll und frech, wie er von uns ging, ist er zur�ckgekommen. Wir sind nicht von ihm befreit worden, alle Nachrichten sind falsch. Er hat Elsi aufgelauert und sie �berfallen. Wir kamen dazu, als er sie in seinen Armen hielt, die Ueberraschung hatte sie ohnm�chtig gemacht.
Der Elende! schrie der Oberst.
Der B�sewicht! sagte die Mutter.
O! nein, nein! rief Elsi aufstehend, warum flucht ihr ihm? Was that er? – La�t mich fort, la�t mich, – ich mu� zu ihm. Er steht am Thor, er ruft mich!
Ihr Vater schleuderte sie mit rauher Hand in die Ecke des Sophas zur�ck. –
Kein Wort mehr, keinen Blick, keine Bewegung! sagte er, au�er sich vor Zorn.
Ich hielt seinen Arm fest und dr�ngte ihn zur�ck. –
Seien Sie mild, fl�sterte ich, sie ist im Fieber, in der h�chsten Aufregung. Rasch zu Bett, ein Arzt herbei, k�hlende Getr�nke, Umschl�ge, Ruhe und Einsamkeit.
Er starrte mich an, dann seine Tochter, aber Eschenheim kam mir zu H�lfe; man rief Diener herbei, denn Elsi war besinnungslos, und mitten in der Verwirrung nahm ich meinen Hut und eilte davon. Ich mochte die weiteren Er�rterungen nicht h�ren.
Als ich den Ausgang des W�ldchens erreicht hatte, und von der H�gelkette an das Seeufer hinabstieg, sah ich einen Mann unter den letzten B�umen stehen. Es war Rudolf von Eschenheim, der mich sogleich anredete. –
Ich glaube, sagte er, da� ich ein gewisses Recht habe, Sie um ein Gespr�ch zu bitten, das Sie nicht aufhalten soll, denn ich werde mit Ihrer Erlaubni� Sie begleiten. Doch wie geht es Elisen? Aus Barmherzigkeit verschweigen Sie mir nichts.
Ich erz�hlte ihm, was ich wu�te, mit wenigen Worten; er h�rte still zu und ging eine Zeit lang schweigend neben mir.
Das ist der Fluch, unter dem wir leben, begann er dann, vor sich hin sprechend. Das sind die Folgen der S�nden, die Kinder und Enkel zu tragen haben. Parteienwuth zerrei�t die heiligsten Banden der Natur. Der Vater w�thet gegen die Tochter, die Mutter gegen den Sohn, der Bruder m�chte den Bruder morden. In keinem Lande stellt sich das so grell heraus, wie hier. Ich bin Ihnen jedenfalls als ein Elender, ein Entarteter, ein Nichtsw�rdiger geschildert worden. Meine Mutter hat mich versto�en, mein Bruder mir Segen und Erbtheil entrissen, das Weib, das mich liebt, wird zu Tode gequ�lt und ich habe nichts gethan, als meine Ueberzeugungen nicht aufgeben wollen. – Ich wollte fort, in einer neuen Welt mein Heil versuchen, aber zu meinem Gl�cke blieb ich in England krank zur�ck. Das Schiff ging verloren und statt des Kummers empfanden, die mir am n�chsten standen, eine barbarische Freude dar�ber. – Ich kehrte zur�ck, ich konnte mich nicht losrei�en, ich hatte einen andern Entschlu� gefa�t. Noch einmal wollte ich die Herzen der Menschen versuchen, in meiner Verborgenheit aber verlor ich meine schwache Hoffnung. Der Elende, den ich Bruder nennen mu�, benutzte die Todesnachricht, um Elsi endlich ganz in seine Gewalt zu bekommen. Ich beobachtete ihn genau, ich wu�te, da� Sie t�glich bei ihm waren, und ich beschlo�, mich an Sie zu wenden, Ihnen Aufschl�sse zu geben, deshalb steckte ich im M�nster ein Zettelchen in Ihre Hand, das keine Beachtung erhielt.
Das kam von Ihnen? rief ich aus.
Von mir, fuhr er fort. Ich stand als Landj�ger gekleidet und unkenntlich gemacht, hinter Ihnen und sah meinen Bruder erbleichen, als er meine Stimme h�rte. Das b�se Gewissen trieb das Blut aus seinen Adern; Sie kennen ihn nicht, Sie wissen nicht, wie kalt �berlegend, gemein und sittenlos sein ganzes Leben gewesen ist. Er hat eine liebensw�rdige Frau gehabt und hat sie zollweis an seinen Lastern sterben lassen. Er ist ein W�stling, ein Schwelger und ein Geizhals zu gleicher Zeit. Er wei� nichts von Recht und Gerechtigkeit; ohne Herz, ohne Gef�hl, ohne Schaam, kennt er nur seine L�ste und seine Selbstsucht, aber er ist reich, Reichthum giebt Macht, in der Schweiz kann ein reicher Mann Alles thun.
Als Sie mich nicht beachteten, gab ich den Gedanken auf, mich Ihnen zu n�hern, aber ich erfuhr, da� Sie t�glich in Mariaschein waren. Elise wurde genau bewacht, auch Sie wurden bewacht, meine Mutter ist eine Meisterin in solchen K�nsten. Ich machte tausend Pl�ne. Ich wollte meine Mutter sehen, wollte den Obersten sprechen, wollte meinem Bruder entgegen treten, aber ich gab diese Pl�ne auf, denn ich wu�te, da� es vergebens war. Ich kam auf das zur�ck, was mich hierher getrieben hatte, und nur allein ausf�hrbar schien.
Er blieb stehen, sah mich an und streckte seine Hand aus. –
Wir sind uns fremd, sagte er, Sie gelten als meines Bruders Freund, dennoch habe ich den Glauben, da� Sie weit mehr Elsis Freund sind, und ist dies der Fall, so k�nnen Sie mit jenen Menschen keine gemeinsame Sache machen.
Ich versicherte ihn, da� dies auch nicht der Fall sei, und theilte ihm den Antheil mit, den ich bis jetzt an dieser traurigen Familienangelegenheit genommen hatte. –
Er h�rte schweigend zu, und schien zu �berlegen, endlich aber rief er in seiner m�nnlichen entschiedenen Weise:
Ich will Ihnen nichts verbergen. Ich kam heut Abend nach Mariaschein in der Hoffnung, einen Weg zu entdecken, auf welchem es m�glich w�re, einen Brief sicher in Elsis H�nde zu bringen. Zum ersten Male wagte ich mich in den Park hinein, pl�tzlich stand sie vor mir. Sie erkannte mich und stie� einen Schrei aus, der Alles verdarb. – Ohne diesen Schrei, fuhr er langsam fort, w�rden wir uns verst�ndigt haben.
Ihre Erscheinung, fiel ich ein, mu�te um so mehr eine ersch�tternde Wirkung hervorbringen, da wenige Stunden fr�her, sie endlich in ihres Herzens Verzweiflung sich entschlossen hatte, Ihres Bruders W�nsche zu erf�llen.
Das also, rief er heftig aus, das war die Ursach! – Dann ist der W�rfel geworfen und nichts bleibt �brig. – Ich will diesen Henkern ihr Opfer entrei�en. Elise mu� mir folgen – sie wird folgen!
Wohin? fragte ich.
In ein Land, wo uns keine Vorurtheile verdammen! rief er aus; wo die Menschen nach ihrem Werth gelten, wo Arbeit nicht sch�ndet, wo man arm sein kann, ohne zu err�then. Ich bin mit dem Entschlusse zur�ckgekehrt, Elsi mit mir zu nehmen, und ich will ihn ausf�hren, oder daran untergehen.
Ich suchte ihn zu beruhigen, ihm die Folgen einer solchen Handlung darzustellen; er f�hrte mich auf die H�he von Hottingen in ein Gartenhaus, das er bewohnte und das einem B�rger geh�rte, der ihn von Jugend auf kannte. Wir sa�en dort bis tief in die Nacht, ich h�rte alle seine Entw�rfe, seine Klagen, die leidenschaftlichen Ausbr�che seines Zornes und seiner Schmerzen, aus allem aber leuchtete ein edler, offener, m�nnlicher Charakter, der mir die gr��te Theilnahme einfl��te.
Endlich bot ich mich ihm als Vermittler an. Wenigstens den Versuch einer Auss�hnung solle er wagen, da sein unverhofftes Wiedererscheinen die Verh�ltnisse verr�ckt habe und die M�glichkeit einer Auss�hnung zeige. Er sch�ttelte den Kopf dazu. –
Sie sollten wohl erkennen gelernt haben, sagte er, da� das Alles nicht thunlich ist. Meine Mutter verzeiht mir nie, mein Bruder w�rde mir keinen Finger reichen, wenn ich �ber einem Abgrund hinge, den Obersten beherrscht er ganz, das einzige Mittel ist Flucht! Flucht mit Elsi, ehe auch das zu sp�t ist.
Und wenn diese Flucht wirklich gelingt, erwiderte ich – Sie haben Ihr Verm�gen eingeb��t.
Uns bleibt die Familienkiste, rief er aus. So schlecht und verderblich diese alterth�mlichen Einrichtungen sind, denen wir in der Schweiz den Kastengeist der Geschlechter, Gesellschaften und Z�nfte verdanken, so soll es uns dies Mal zu gut kommen. Auf l�ngere Zeit hinaus bin ich gesichert, auch kann ich arbeiten, wir werden uns durchhelfen; das Erbe aus der Familienkiste aber kann uns Niemand entrei�en, wir werden zur�ckkehren und den Schatz in Besitz nehmen. – Nur erst fort, nur erst in Sicherheit. Ist Elsi mein, so l��t ihr Vater sich auch wohl vers�hnen.
Nach langen Ueberredungen gab er endlich seine Einwilligung, zun�chst noch durch mich einen Versuch bei seinem Bruder zu machen. – Sie werden sehen, sagte er, wie vergeblich es ist. O! w�re Elsi Herr ihrer Sinne geblieben, es st�nde besser mit uns.
Er hatte nur zu Recht, davon sollte ich mich schon am n�chsten Morgen �berzeugen. –
Moritz von Eschenheim kam zu mir, als ich noch im Bette lag. –
Bleiben Sie, sagte er, indem er einen Stuhl heranr�ckte und seine scharfen Augen auf mich heftete. Sie werden m�de sein, da Sie bis sp�t in der Nacht die Tiraden eines Tollh�uslers anh�ren mu�ten.
Woher wissen Sie das? fiel ich ein.
Durch Zufall, unterbrach er mich. Ich wei�, da� Rudolf Sie bis an Ihre Th�re begleitet hat. – Elise ist heut ruhiger, ich habe Nachricht. Hauptsache ist, da� dieser Unbesonnene keine Gelegenheit findet, ihre Ruhe noch einmal zu st�ren, und daf�r werden wir sorgen.
Ich sprach mit ihm ausf�hrlich, sagte ihm Alles, was ich dachte und nahm mich des Versto�enen so warm an, wie ich es vermochte, ohne Anla� zum Mi�trauen zu geben. –
Er h�rte, wie es schien, mit Theilnahme zu, machte beistimmende Zeichen, als ich die unmoralische Seite dieser Familientrennung ber�hrte, und schlug die Augen zum Himmel, als ich ihn bat, einen Bruder, den n�chsten theuersten Freund, den wir haben k�nnen, nicht zu hassen, sondern ihm beizustehen.
Wollte Gott! rief er mit einem Seufzer, ich verm�chte ihm zu helfen. Ich hasse ihn nicht, ich bedaure, ich bemitleide ihn, aber meine Mutter und R�ttiberg – nein, theurer Freund, die Verh�ltnisse sind von der Art, da� es unm�glich ist, noch an Vers�hnung zu denken, wo so viel schon geschah, was nicht vergeben und vergessen werden kann.
Sie kennen diesen leidenschaftlichen, th�richten, eitlen Charakter nicht, fuhr er auf meine beg�tigende Einrede fort. Er hat alle Banden zerrissen, hat uns �ffentlich beschimpft, beleidigt, roh angefallen, mit dem elendesten Gesindel gemeinsame Sache gemacht und jetzt ist er wieder da und von seinen Grunds�tzen, wie er es nennt, hat er nichts abgelassen, wird er nichts ablassen.
Aber was soll geschehen? fragte ich. – Da er wieder gekommen ist, wird, wie ich glaube, auch Ihre Hoffnung sich nicht erf�llen.
Die Erbschaft aus der Familienkiste und Elsis Hand, sagte er vor sich nieder blickend. – Wenn er vern�nftig sein will, l��t sich ein Vorschlag machen. – Er mu� einsehen, da� R�ttiberg niemals ihm seine Tochter geben wird, so ist denn auch meines Onkels Verm�gen f�r ihn verloren. – Er will in's Ausland gehen, nach Amerika. – Gut, er gehe, wohin er will, ich verpflichte mich, ihm eine Summe zu zahlen, die er nennen mag, verpflichte mich ihn fortgesetzt zu unterst�tzen und nach einigen Jahren auch mit unserer Mutter zu vers�hnen, wenn er durch sein Betragen dazu hilft. – Sein Erbe soll ihm nicht verloren gehen, fuhr er fort, indem er sein Gesicht zu mir aufhob, aber er beweise auch, da� er noch zur Familie geh�rt; er sichere uns das Geld der Familienkiste, er entsage allen unn�tzen, unerreichbaren Anspr�chen auf Elsi. Es kann ihm nicht schwer sein, Gro�muth zu �ben, wo nichts zu hoffen ist. Unter dieser Bedingung will ich helfen.
Meine Gef�hle emp�rten sich; die gemeinste, selbsts�chtigste Pfiffigkeit lag in seinem Anerbieten.
Ich glaube nicht, sagte ich, da� Ihr Herr Bruder darauf eingehen wird.
Dann um so schlimmer f�r ihn, erwiderte er, die Achseln zuckend. Mag er dann thun was er will, aber mag er sich auch h�ten! Wir sind auf Alles gefa�t.
Und Elise? fragte ich.
Ja so, Elise, sagte er seine Uhr ziehend. Wir haben eben neun Uhr, das Dampfschiff nach Schm�rikon ist schon fort. Sie werden sie auf einige Zeit nicht sehen, doch meine Mutter hat jedenfalls Gr��e und Auftr�ge f�r Sie.
Sie ist fort? rief ich �berrascht.
Ihr Vater, erwiderte er l�chelnd, hat es f�r das Beste gehalten, sie mitzunehmen. Sie wissen ja, da� der Oberst ein sch�nes Gut am Wallenst�tter See besitzt.
Damit verlie� er mich und �berlie� es mir zu thun was ich wollte. Offenbar waren wir dem Bruche nahe. Er mu�te einsehen, da� ich ihn durchschaute, und was konnte ich ihm jetzt noch helfen?
Ich suchte Rudolf auf und theilte ihm Alles mit. – Er erbla�te bei meinen Nachrichten. –
Sehen Sie nun, wie gut ich ihn kannte?! rief er endlich. Aber ich will mit eigenen Augen sehen, nichts soll mich abhalten. Vielleicht log er, vielleicht ist Elise doch noch in Mariaschein. Ich will hinaus, will ihren Kerker zerbrechen! –
Eine Reihe heftiger Aeu�erungen machte den Schlu�.
Nach einigem Besinnen lie� ich ihn gew�hren. Er wollte seine Mutter aufsuchen, ihr Mitleid anflehen, was lie� sich dagegen in seiner Lage sagen? – Ich bat ihn keine R�cksichten der Ehrfurcht zu vergessen, er versprach Alles und ich begleitete ihn, weil ich glaubte, da� meine Gegenwart von Nutzen sein k�nnte.
Als wir in den Garten traten, ging Frau von Eschenheim in dem Weingange auf der Terrasse am See langsam auf und ab. Sie war in einen schwarzen Seidenmantel geh�llt, dessen Kappe sie �ber ihren Kopf geschlagen hatte, denn der Tag war k�hl. Wolkenmassen zogen von den Schwyzer Waldbergen her�ber, das finstere Haupt des Etzel trug eine schwere Regenkappe; dann und wann liefen matte Sonnenblitze �ber den wogenden See, dessen Wellen im Winde rauschten.
Das hagere, graue Gesicht der alten Dame blickte stier unter der Kappe hervor, ihre lange, knochige Hand hielt den Mantel zusammen und ihre Augen sahen �ber den See fort in die Ferne, als suchten oder verfolgten sie einen Gegenstand. – Es war etwas Unheimliches, Gespenstisches in ihrer d�steren Erscheinung, die zwischen den gr�nen Reben sich leise fortbewegte.
Rudolfs Stimme bebte, als er die Worte: da ist meine Mutter! murmelte; pl�tzlich aber trat er hervor und mit raschen Schritten war er ihr nahe.
Sie blieb stehen und sah ihn an. Keine Bewegung war sichtbar, kein Zug ihres Gesichtes ver�nderte sich; ihre kalten, strengen Augen blickten auf ihn, als sei er ein Fremder, ein Bettler oder Vagabond. Endlich hob der d�rre Arm sich langsam auf, ihr Finger deutete schweigend auf den Ausgang.
Wo ist Elsi? fragte Rudolf, als er nach einigen tiefen, heftigen Athemz�gen seine Aufregung �berwunden und Sprache gewonnen hatte.
Wer hat danach zu fragen? antwortete sie im harten Tone.
Ich, Mutter! – Ich! rief er, die Worte aus tiefster Brust hervorsto�end.
Ich habe nur einen Sohn, sagte sie, sich halb abwendend. – Fort von hier! Aus meinem Hause!
O Mutter! rief der ungl�ckliche junge Mann, indem seine H�nde sich falteten und sein Kopf auf die Brust nieder sank, hast Du kein Mitleid f�r mich, spricht keine Stimme in Deinem Herzen?
Dort hinaus! sagte sie. Ich will nichts h�ren.
Er kniete vor ihr nieder und breitete seine Arme aus.
Hier zu Deinen F��en bitte ich um Verzeihung, murmelte er, halb erstickt vor Wehmuth, Schaam und Kummer, w�hrend dunkle R�the sein Gesicht �berzog. – H�re mich, Mutter! La� mich nicht verzweifeln! Jage mich nicht in den Tod!
Warum lebst Du noch zu Deiner Schande? Warum hat der Tod uns nicht von Dir befreit? antwortete sie mit eisiger K�lte.
Er sprang auf, seine Augen rollten. Er fa�te an seine Stirn, als wollte er die wilden Geister darin beschw�ren. So sammelte er eine gewaltsame Ruhe.
Ich habe wenig erwartet, sagte er, nie lernte ich m�tterliche Liebe kennen. Es ist genug. Ich mu� davon ablassen, selbst nur auf menschliche Empfindungen zu rechnen.
Frau von Eschenheim warf einen Blick der Verachtung auf ihn, und wollte sich entfernen, als er ihren schwarzen Mantel ergriff und sie festhielt.
Ich habe noch eine Frage zu thun, sprach er leise bittend.
Elender! rief sie laut, Du legst Hand an mich?
Sage mir nur das Eine, erwiderte er; sage mir, wo Elsi ist!
Sie schien zu �berlegen, dann antwortete sie hart und kalt:
Elsi ist, wo sie sein soll. Jetzt verla� mich auf immer; mag mein Auge Dich nie wieder sehen!
Arme Mutter! murmelte er seufzend und den Kopf senkend, Dein Wunsch wird wahr werden. Nie wieder sehen! – Wei�t Du, was es hei�t, einen Sohn von sich sto�en? – Und wenn Deine letzte Stunde kommt, wird meine Gestalt nicht gramvoll vor Dich hintreten? Wird in Deiner Brust nicht die dunkle Macht aufwachen, die den Frieden sterbender Menschen st�rt?
Verfluchter! sagte sie zum ersten Male mit gro�er Heftigkeit, indem sie einen Schritt zur�cktrat und den Arm drohend aufhob. Warte nicht auf meinen Tod!
Du fluchst mir, war seine Antwort; ich vergebe Dir, ich segne Dich, Mutter! Eines verlassenen Kindes Segen kann auch ein Gewicht in die Wagschale werfen.
Mit diesen Worten entfernte er sich und ging stumm an mir vor�ber, der ich bis an den Weingang vorgetreten war. Die alte Frau stand eine Minute lang und sah ihm nach. Ihre langen blutlosen Lippen waren fest zusammengekniffen, das ausgetrocknete Gesicht ohne jede Spur einer m�tterlichen Regung oder Empfindung. –
Pl�tzlich erblickte sie mich, und ihr gew�hnliches, freundliches Grinsen trat an die Stelle dieser Leblosigkeit. – Sie empfing mich, als sei nichts vorgefallen, und sprach lange von dem gestrigen Abend und von Elsis Unwohlsein, das mit Starrkrampf und Weinkrampf geendet habe. Heut fr�h sei es besser geworden; der Oberst habe sich jedoch von seiner Tochter nicht trennen wollen, so seien beide denn mit dem Dampfschiff den See hinaufgefahren.
Nach einiger Zeit f�hrte sie mich in die Halle und holte aus ihrem Schl�sselkorbe ein Briefchen.
Elsi, sagte sie, hat dies f�r Sie zur�ckgelassen. Sie hat sehr gro�es Vertrauen zu Ihnen, wie wir Alle; ja, wir Alle – wir schulden Ihnen den gr��ten Dank. Mein Sohn besonders, ganz besonders, und Oberst R�ttiberg, er h�tte so gern Sie noch gesehen. Nehmen Sie dies Papier, lesen Sie es und sprechen Sie mit meinem Sohn, der die gr��te Freundschaft f�r Sie empfindet.
Als ich im Walde war, las ich Elsis Worte, die mit zitternder Hand geschrieben waren.
�Ich mu� in einer halben Stunde meinen Vater begleiten,� schrieb sie, �aber mit seiner Bewilligung lade ich Sie ein, uns in Richtersb�hl zu besuchen. Wenn mein Geschick noch Ihren Antheil erregt, so erf�llen Sie meine Bitte. Ihre N�he w�rde mir ein gro�er Trost sein, Ihre Einsicht mir helfen, da� ich in diesem Drangsal das Rechte thue. Ich hoffe Sie bald zu sehen, in jedem Falle meinen innigsten Dank f�r so viele G�te.�
Rudolf Eschenheim erwartete mich. Er sa� mit dem R�cken an einen Baum gelehnt, und blickte �ber den See hinaus, der in dem tiefen Bette tobte. Sein Hut lag neben ihm, der Wind warf sein langes Haar �ber das blasse Gesicht; er sah ruhig und gefa�t aus.
Ich gab ihm Elsis Zeilen, er las sie und reichte sie mir zur�ck. –
Sie m�ssen ihren Wunsch erf�llen, sagte er. Gott wei� es! sie bedarf einer Seele. Versprechen Sie mir, da� Sie gehen wollen.
Meine Gegenwart kann nichts �ndern, erwiderte ich. Meine Lage ist dabei eine h�chst sonderbare.
Nein! rief er, f�rchten Sie nicht, da� ich mit Auftr�gen oder Bitten mich an Sie h�ngen will, ich sehe ein, da� Sie frei von R�cksichten, nur als Elisens Freund, in dem schwarzen Hause erscheinen m�ssen. Thun Sie was Sie wollen, reden Sie mit R�ttiberg, er ist noch immer der Menschlichste, und er ist allein in Richtersb�hl. Nur das Eine sagen Sie Elisen, da� ich sie lieben werde bis zur letzten Stunde, und da� ich noch einmal sie sehen mu� – ein letztes Mal! mag sie dann ihrem Schicksale folgen.
Ich verlasse Sie, fuhr er fort, indem er aufstand und mir die Hand reichte, damit ich meinem Entschlusse treu sein kann. Kein Wort mehr �ber Elsi. Glauben Sie, da� es sein mu�, so rathen Sie ihr, Moritz zu nehmen, ihren Vater zu begl�cken, Freude zu verbreiten, und wenn sie das will, wenn sie es kann, ja dann – dann will ich entsagen! Dann m�gen sie die Schl�sser der Familienkiste sprengen, das rothe Gold zu der bleichen Braut thun – Gold! Gold! was ist darum nicht schon alles geschehen!
Mit einem stummen Gru�e eilte er den steilen H�gel hinab.
Den Rest des Tages �ber war ich fortgesetzt unschl�ssig, was ich beginnen sollte. Ich erwartete Moritz Eschenheims Besuch und f�rchtete mich davor, aber er kam nicht. Zu ihm mich bem�hen mochte ich nicht, endlich aber hielt ich es f�r das Beste, wenn ich Elsis Einladung erf�llen wollte, mich aufzumachen, ohne mich weiter um Jemand zu k�mmern. W�hrend der Nacht best�rkte sich mein Entschlu�, denn wenn noch etwas geschehen konnte, war es einzig durch den Obersten zu erreichen, der, trotz aller Heftigkeit und des rauhen Harnisches, der ihn umgab, doch seine Tochter liebte.
Als der Morgen kam, warf ich schnell das Nothwendigste in einen Reisesack und lie� ihn nach dem Dampfschiffe tragen, das in der Fr�he den See hinauf f�hrt.
Es war eine herrliche Fahrt; der Morgen sch�n, das Dampfboot belebt von Fremden aller Art, die gr��tentheils bei Horgem landeten, um �ber Zug nach dem Rigi zu pilgern, dieser prachtvollsten Felsenwarte der Schweiz. –
Meine Augen sp�hten �berall umher, es war mir, als m��te ich Moritz oder Rudolf, oder beide Br�der auf dem Schiffe entdecken und ich durchsuchte jeden Winkel, ohne sie zu finden. –
Nach und nach wurde der Dampfer leerer, und als wir die gro�e Holzbr�cke passirt hatten, welche von Rapperswyl auf das Schwyzer Ufer f�hrt, konnte ich mit gr��erer Ruhe die romantischen Waldberge betrachten, hinter deren k�hnen Kuppen und Spitzen das Land der Hirten beginnt.
Bald landeten wir am �u�ersten Ende des Sees, wo ein Theil meiner Reisegef�hrten seinen Weg die H�hen hinauf in das gr�ne, blumige Toggenburg nahm, w�hrend ich selbst mit zwei anderen einen kleinen Wagen bestieg, der uns an den Wallenst�tter See f�hrte.
Die Natur hat hier zwischen m�chtigen Gebirgsw�nden einen Spalt geschaffen, oder die eingeschlossenen Gew�sser haben diesen nach einem Kampfe von Jahrtausenden gesprengt und sich die Gasse gebildet, in der jetzt der Linthkanal flie�t.
Welch' wunderbares Land und welch' wunderbares Leben darin! Der Gl�rnisch stieg mit seinen ungeheuren Felsenmauern zur Rechten auf. Schuttst�rze und Tr�mmer bedeckten grauenvoll seinen Fu�; dann �ffnete sich das gr�ne Thal von Glarus, dicht an seinen Eingeweiden, und linkw�rts dehnte sich, immer weiter, ein Bogen von hohen nackten Gebirgen aus, deren Spitzen sich in Wolken h�llten. In der Mitte dieses Felsenkessels wogte der tiefe, schwarze See, wei�k�pfige Wellen werfend, in deren Schaum ein Dampfschiff und mehrere kleinere Fahrzeuge auf- und niederflogen.
Beim ersten Anblick war es, als sei alles Menschenleben von der Wildheit dieser Natur �berw�ltigt worden, und doch hat es nirgend mehr mit seiner z�hen Emsigkeit sich auf jedem haltbaren Pl�tzchen eingenistet, wie hier. Das schmale d�stere Thal von Glarus, einst der Aufenthalt der Riesen und Drachen, die noch jetzt auf der alten Rathhauswand der Stadt abgemalt stehen, ist mit Fabriken gef�llt, welche ihre Waaren bis nach Amerika und Indien schicken, und von den nackten Abs�tzen der Gebirge am Wallenst�tter See sieht man hier und dort die Rauchs�ulen hoher Dampfschornsteine aufsteigen, Siegesdenkmale des menschlichen Geistes �ber die Geister der Nacht und des Schreckens. –
Wie emsig aber auch dies Ameisenv�lkchen der Schweiz in den industriellen, protestantischen Kantonen ist, und mit welcher unendlichen Ausdauer es treffliche Stra�en �ber die unwegsamsten Hochgebirge gebaut und gesprengt hat, so ist hier doch keine Stra�e m�glich geworden, wo 6000 Fu� hohe Felsen senkrecht in den See hinabst�rzen, aber seit ein Dampfschiff nach Wallenstatt f�hrt, ist wenigstens ein H�lfsmittel gefunden, um jederzeit hin�berzukommen.
F�r mich blieb nichts anderes �brig, als ein Boot zu suchen, das mich nach Bettlis bringen sollte, doch ich fand ein solches bereits auf mich wartend, das Oberst R�ttiberg hierher beordert hatte, in der Voraussicht, da� ich kommen werde. Ich erkannte darin ein Zeichen, da� ich ihm willkommen sei, und schiffte mich ohne Bedenken ein, weil meine Schiffer k�hne M�nner zu sein schienen, die zu den Wellen des Sees lachten und den Wind g�nstig nannten. –
So war es auch, und die stundenlange Fahrt war gut. Still in meinem Mantel geh�llt, sa� ich auf der niedern Bank, w�hrend m�chtige Wogen uns, die eine der anderen zuschleuderten. Der See ist beinahe vier Stunden lang, doch nur eine halbe Stunde breit. Die hohen Felsw�nde, die d�steren Spalten und Schluchten, gef�llt mit Nebel und D�mmerschein, die Sonnenblitze, welche geisterhaft dar�ber hinstreiften, B�che, die im Halbdunkel darin leuchteten, kalte Luftstr�me, pl�tzlich von oben niederst�rzend und die Geier �ber uns, welche in Kreisen uns folgten, und wie �ber einem unerme�lichen Abgrund schwebten, vereinten sich mit dem tiefen Schweigen zu einem Bilde voll wilder und melancholischer Reize. –
Wie winzig klein war die Nu�schale, in welcher drei Menschen hier dem Tode trotzten, der �berall auf sie zu lauern schien. F�nfhundert Fu� tief mit Wasser gef�llt, war dieser schwarze Kessel, ein Sto� reichte hin, uns hineinzuwerfen, und wo war ein Entkommen an diesen unersteiglichen W�nden?! –
Nirgend zeigte sich eine Landungsstelle, nirgend ein Platz, der Menschen zur Wohnung einladen konnte. Immer j�her und nackter in einander gekeilt, sanken die Felsen hinein, und ein Zagen f�llte meine Seele, wenn ich daran dachte, da� in dieser �den, kalten Verlassenheit, gierige und fanatische Leidenschaft ihr Opfer verborgen habe und taub f�r seine Klagen bleibe.
Endlich bogen wir um einen Felsenvorsprung und vor uns lag eine Bucht, hinter welcher sich ein wunderbares Panorama zeigte. Die m�chtigen Bergw�nde traten zur�ck, und lie�en einen begr�nten, hier und dort mit B�umen besetzten Grund erkennen, an dessen einer Seite ein prachtvoller Wasserfall aus schwindelnder H�he in den See st�rzte. Ihm gegen�ber erhob sich ein breit abgeschnittener Felsenkegel, wohl an hundert Fu� hoch, auf welchem ein alterth�mlicher Thurm stand, an den das graue, hohe Schieferdach eines Hauses lehnte.
Ein Garten fa�te dies Bauwerk ein, und lief bis zu der Spitze des Felsens, wo dieser senkrecht scharf in die Tiefe der Seebucht fiel. Den Grund besetzten mehre lange Fabrikgeb�ude mit rauchenden Schornsteinen, hohe Trockenh�user und mancherlei kleine H�tten, die malerisch zerstreut umher lagen, und sich bis unter die waldigen Felsenmauern fl�chteten, welche dies Bild von allen Seiten einrahmten. Hinter dem Waldstreifen liefen sie unersteiglich mehrere tausend Fu� hoch auf und es war gewi�, da� kein menschlicher Fu� hier hinauf oder herunter konnte.
Meine Schiffer best�tigten dies. Nur das Wasser machte den Zugang m�glich. Sie zeigten mir die Schiffe am Pfahlwerk, mit deren H�lfe aller Verkehr getrieben wurde, und freuten sich �ber mein Erstaunen, indem sie mir erz�hlten, da� bei St�rmen, oder zur Winterzeit, oft Wochen lang kein lebendes Wesen sich ein oder aus wage. –
Endlich landeten wir, nicht ohne Schwierigkeit, an dem steilen, hohen Ufer, und als ich die letzte rauhe Stufe erklommen hatte, sah ich den Obersten mir entgegen kommen.
Er war sichtlich erfreut und dankte mir f�r den Besuch. Mein weniges Gep�ck wurde einem Diener �bergeben, dann gingen wir �ber den Platz und sprachen von den wunderbaren Industrieanlagen, die ich hier mitten in dieser W�ste fand, wie ein Pilger, der in der Sahara pl�tzlich zu seinem Erstaunen eine Oase mit Palmen findet.
R�ttiberg f�hrte mich umher, er schien froh zu sein, nicht sogleich ein Thema ber�hren zu m�ssen, das ihm peinlich war. –
Er hatte vor vielen Jahren das alte M�nchshaus und diesen Grund gekauft, wo er endlich eine Fabrik gr�ndete, die Anfangs selbst bei seinen Landsleuten Gel�chter und Kopfsch�tteln erregte. –
Aber, fuhr der Oberst fort, ich habe ihnen gezeigt, das Alles geht, was man richtig angreift. Der See ist kein Hinderni�, er ist vielmehr eine Erleichterung; ein Landweg, selbst wenn er vorhanden w�re, k�nnte mir nicht so viel n�tzen. Ich schiffe meine Waaren hier ein, und f�hre sie ohne Aufenthalt bis Z�rich, oder von Wallenstatt gehen sie direkt �ber den Simplon nach Italien. – Wir sind ein armes Volk, m�ssen alle Kr�fte regen, alle Vortheile benutzen, und uns und unser Geld umdrehen, so oft wir k�nnen. Da� Niemand zu mir kommen mag, den ich nicht haben will in meiner Veste, rief er dann lachend, ist eben auch kein Ungl�ck. Kein K�nig kann so wohl verwahrt in seinem Schlosse hausen, wie ich hier, und wer einmal zwischen diesen W�nden sitzt, der ist sicherer aufgehoben, wie in dem festesten Gef�ngni�. Es kann hier Niemand ein oder aus ohne meinen Willen.
Er hatte wohl nicht ganz ohne Absicht gesprochen, aber er unterbrach mich, als ich Elsis Namen nannte.
Wir wollen in diesem Augenblick nicht von ihr reden, sagte er, sie macht mir schweren Kummer; ich m�chte sie aber gern gl�cklich und froh sehen, um es auch zu sein. Gehen Sie zu ihr, sehen Sie was sich thun l��t; Sie sind ein Arzt, der durch verst�ndigen Rath helfen kann. Der Teufel hat sein Spiel, da� er uns den elenden Narren gerade jetzt wieder lebendig auf den Hals geschickt hat. Das �ndert jedoch die Sache nicht. – Dort f�hren die Stufen hinauf. Elsi wird Sie erwarten, ich komme nach. In einer Stunde wird die Mittagsglocke l�uten, entschuldigen Sie mich einstweilen; ich habe noch viel zu schaffen. Zeit ist das gro�e Kapital der Menschheit!
So begleitete er mich bis an den schmalen Gang, welcher auf das Felsenplateau zu seinem Hause f�hrte.
Die alten Benediktiner, sagte er, haben hier wacker gearbeitet, um so bequem wie m�glich hinauf und herunter zu kommen, und was sie nicht thaten, habe ich ausgef�hrt. –
Das gewundene Zickzack war wirklich mit aller Kunst, durch Sprengen und Mei�eln in dem harten Gestein, vortrefflich angelegt und f�hrte mich ohne viele Beschwerde zu einem starken alten Thorgew�lbe, das oben den Eingang sperrte. – Ich l�utete eine Glocke, ein Diener �ffnete und ich trat in den Garten, eben als aus der Th�r des Wohngeb�udes in der Mitte, Elsi mir entgegenkam.
Sie sah sehr bla� aus, aber ihre Augen leuchteten vor Freude und ihr schmerzliches L�cheln dr�ckte die Empfindungen ihrer Seele aus.
O! wie dankbar bin ich Ihnen, wie sehr, wie sehr freue ich mich, sagte sie, als sie mir ihre vor Bewegung zitternde Hand reichte. Seien Sie willkommen in dieser Einsamkeit! Ich hoffe, Sie haben meinen Vater gesprochen?
Er hat mich zu Ihnen heraufgewiesen und wird bald selbst hier sein, erwiderte ich.
Wird er? fragte sie. So werde ich ihn denn sehen.
Sehen? – Sahen Sie ihn denn nicht?! antwortete ich verwundert.
Sie machte ein verneinendes Zeichen. –
Hier herauf ist es etwas beschwerlich, sagte sie. Mein Vater ist gern in der N�he seiner Gesch�fte, und hat deswegen eine Wohnung unten in einem der Geb�ude. Ich bin allein hier.
Es lag etwas so R�hrendes in ihren letzten Worten und in der Art, wie sie ihres Vaters H�rte entschuldigen wollte, da� ich mich abwandte, um ihr meine Erregtheit zu verbergen.
Nun, wenigstens, fuhr sie fort, mu� diese Einsamkeit reizend genannt werden; ich hoffe, es wird Ihnen, bei uns gefallen. –
Wir gingen bis an die Spitze des Felsens, und ich sah auf den See und dessen prachtvolle Umgebungen. Das ungeheure Horn des T�di, der Gl�rnisch und die ganze eisige Kette der Glarner-Alpen lagerten sich jenseits in wilder Herrlichkeit. Zur Seite fiel der tausend Fu� hohe Wasserfall des Baches, Schaum und Dampf spr�hend, mit dumpfem, ewigem Donner in die Tiefe und zu meinen F��en lag der gr�ne, arbeits- und lebensvolle Grund mit seinen rauchenden Essen, seiner Ordnung und dem Gewimmel des Menschenlebens. –
In Anschauen verloren, lehnte ich lange an die niedre Umfassungsmauer, und blickte bald auf die starre Unerme�lichkeit dieser Natur, auf Gletscher und blendende Schneelager, auf den bl�henden Garten und auf das finstere Haus mit dem br�ckelnden M�nchsthurm, der von Immergr�n und Epheu umschlungen, von diesen gesch�tzt und gehalten wurde.
Man konnte dies Haus wohl �das schwarze Haus� nennen, denn die m�chtigen Steine, aus denen es erbaut war, sahen so d�ster aus, wie sein steiles Schieferdach. Schmale, kleine Fenster liefen in langer Reihe, wie Schie�scharten, oben hin, im unteren Stockwerk dagegen waren sie gro� und hell. Hier hatte sichtlich der Besitzer sich R�ume geschaffen, wie die Zeit sie haben wollte, und wie ich sp�ter sah, hatte der Oberst mit Tapeten und Mobilien diese Zimmer artig genug ausgeschm�ckt und wohnlich gemacht.
Mitten in meinen romantischen Tr�umereien weckte mich Elsis leise Stimme.
Es ist sch�n hier, sagte sie, aber man mu� keine Sehnsucht im Herzen haben, die �ber Gebirg und See nach Au�en dr�ngt. Man mu� zufrieden sein und gl�cklich im engen Raum, um zwischen diesen ungeheuren Mauern, zwischen W�nden von Eis, auf diesem kleinen Felsenkegel, von aller Welt abgeschlossen, verborgen zu wohnen. O, – ich k�nnte es! fl�sterte sie tief Athem holend.
Armes Herz! murmelte ich, die Blicke senkend.
Sie haben ihn gesehen? fragte sie – gesprochen? – Sie bringen mir eine Nachricht? – O, reden Sie! Ich sehe es, da� Sie Alles, Alles wissen!
Nichts wei� ich, erwiderte ich, und nichts habe ich f�r Sie, als sein Gel�bde ewiger Treue und Liebe.
Und das nennen Sie Nichts?! rief sie mit sch�ner Begeisterung, die siegend aus ihren Augen brach. – Setzen wir uns dort in die Laube. Erz�hlen Sie mir von ihm; Sie wissen nicht, welcher Glaube mich dabei ergreift.
Ich erz�hlte ihr, was ich wu�te und ich sah die dunkle R�the der j�hen Freude, als ich ihr sagte, Rudolf habe geschworen, sie wenigstens noch einmal wieder zu sehen. –
Wie er das m�glich machen will, f�gte ich hinzu, kann ich freilich nicht begreifen.
Er ist der k�hnste Bergsteiger, sagte sie, wo Gemsen gehen k�nnen, geht er auch, und �ber diesen See, so breit er ist, ist er mehr als einmal geschwommen.
Und was k�nnte alle Wagni� helfen?
Ich wei� es nicht – ich wei� es nicht! rief sie ihre H�nde an die Stirn dr�ckend, und doch giebt mir der Gedanke neues Leben, Hoffnung, Muth. Was jetzt auch geschehen mag, ich kann und will Moritz niemals meine Hand reichen. Wir wollen ihm alles Geld geben, das in der Familienkiste ist; o!, w�re doch kein Heller darin, es st�nde besser um mich und meinen armen Freund! Aber verkaufen will ich mich nicht lassen; ich bin keine Waare. Wenn ich Ihnen das Grauen schildern k�nnte, das ich vor diesem Menschen habe, vor den entsetzlichen kalten Knochenfingern dieser alten Frau, die meine Kehle zuschn�ren; vor der Schlechtigkeit in seinen Augen, vor seiner Stimme, die krampfhaft mein Herz zusammen zieht. – Ich will nicht! Nein! ich will nicht! Ach! warum mu�te Rudolf, als er hinter der Statue hervortrat, mir den Schrei auspressen! Aber er lebt, er kommt; ich werde nie wieder schreien, gewi� nicht! –
Sie lachte im pl�tzlichen Gl�ck, das Alles vergi�t.
Die Klingel am Thor lie� sich h�ren. Es war der Oberst. Wir gingen ihm entgegen und sein Gesicht hellte sich auf, als er Elsi anblickte, denn eine sanfte R�the machte ihre blassen Wangen sch�n, und ihre Augen waren freundlich und vers�hnlich.
Nun, sagte er, die Hand auf ihre Schulter legend, Du hast Freude gehabt? Nicht wahr?
Freude und Trost, lieber Vater, und neue Freude, da ich Dich sehe.
Der harte, heftige Mann beugte sich zu ihr nieder, der Augenblick �berw�ltigte ihn. –
F�hlst Du Dich denn wohler, mein Kind? sagte er.
Ganz wohl. Die Luft ist warm, und wenn Du Deiner armen Elsi nicht z�rnst, wenn ich Deine Augen lieb und g�tig sehe, wie k�nnte ich dann mich nicht wohl f�hlen.
Er unterdr�ckte seine Antwort und wandte sich zu mir.
Wie finden Sie Richtersb�hl? fragte er. Ist es nicht ein pr�chtiges Pl�tzchen? Ein bischen einsam; man k�mmt nicht weit mit den F��en, aber daf�r gehen Augen und Gedanken spazieren �ber alle Kl�fte des T�di und weit �ber Graub�ndten fort nach Italien, das uns wenigstens seinen Wind heut schickt. – Der F�hn kommt, fuhr er fort, indem er sich s�dw�rts gegen den See wandte, von wo ein leises, warmes F�cheln des Windes f�hlbar wurde; Sie kennen diesen Gast noch nicht, aber f�r Dich ist das nichts, Elsi. Du mu�t Dich h�ten. Wir wollen hinein gehen, fuhr er fort, ich denke der Tisch ist gedeckt. Sie m�ssen mit dem vorlieb nehmen, was wir geben k�nnen: einen Fisch aus dem See und ein St�ck Fleisch, wie es die Hirten nach Wesen bringen; allein daf�r sollen Sie wenigstens einen guten Trunk haben. Echten Seewein und dunklen Veltliner! Nichts Feines, Herr, denn wir sind einfache M�nner, bleiben zur�ck, wo es an's Prassen geht. Denke halt, kommen weiter, wenn wir bei den Sitten unserer V�ter feststehen, wie bei dem neumodischen, verkehrten, leichtsinnigen Wesen.
So setzten wir uns denn und a�en vortreffliche Lachsforellen und ein Nierst�ck, wie es nur blumenvolle Bergweide liefern kann; dazu lie� der Oberst Schweizerweine verschiedener Art bringen, zu denen der dicke, burgunder�hnliche Veltliner den Schlu� machte. –
Von der h�uslichen Frage wurde nichts erw�hnt, Oberst R�ttiberg glaubte alles auf dem besten Wege und jedes R�tteln daran voreilig. Er war vergn�gt �ber den ersten Erfolg und wartete die Entwicklung ruhig ab, worin ihn auch Elsis Anblick best�rkte, die w�hrend unseres Mahls in Gedanken verloren, sinnend auf ihren Teller blickte, zuweilen l�chelte, zuweilen dankbar ihren Vater ansah.
Der Oberst war ein sehr unterrichteter Mann, was Kenntni� seines Vaterlandes, Handel und industrielle Th�tigkeit anbelangt. Mehr wie einmal war er Tagsatzungsgesandter gewesen, aber als Politiker zeigte er sich, wie die meisten Schweizer, engherzig, kr�merisch, als ein Mann, der die Welt von seinem Nest am Wallenst�tter See aus construirt und nichts gelten lie�, als was ihm oder seinem Kanton Vortheil brachte.
Trotz seines gro�en Verm�gens war er �u�erst haush�lterisch, einfach in Gewohnheiten und Sitten, doch ohne in den oft so schmutzigen Geiz vieler reichen Schweizer zu verfallen. Von Natur derb und gen�gsam, dabei eingenommen gegen alles Ueberfl�ssige, bildete er einen grellen Gegensatz zu Moritz Eschenheim, der den Luxus f�r nothwendig hielt, um die Ehrfurcht der Masse dadurch zu bewirken, die, wie er sagte, einzig durch Pracht und Glanz noch in Schranken gehalten werden k�nne, nachdem es ihr gegl�ckt sei, die politische Gleichheit zu erobern.
R�ttiberg spottete �ber diese Schwachheit seines Verwandten.
Es ist ein ausgezeichneter Kopf, sagte er, er �bersieht die schwierigsten Gesch�fte mit einem Blick, aber er glaubt, da� die Umw�lzer sich vor seinen Marmorstatuen, Bildern, Seidentapeten und Sammetpolstern erschrecken sollen. Gott bewahre! sie f�hlen blos Neid und m�chten ihm die Spiegel zerschlagen und die Broncen zerhauen. – Nun immerhin, lachte er, einer Frau kann das Ding wohl behagen, und jeder Narr tr�gt seine Kappe, aber das einzige richtige Mittel, in dieser schlimmen Zeit Achtung bei dem Volke zu behalten, ist, da� man ihm Gutes thut, ihm Arbeit giebt, es ern�hrt und das Wohl und Weh von so vielen als m�glich in seiner Hand hat. – Sehen Sie mich an, rief er, ich esse mein St�ck Brot in vier einfachen W�nden, allein ich habe mehr als tausend Arbeiter, die ohne mich kein Brot h�tten. Ich bin ein Aristokrat, so gut oder vielleicht noch besser, wie Eschenheim, aber Niemand ha�t mich, Alle sagen: der alte Oberst ist ein rauher Mann, es ist kein Kirschenessen mit ihm. Wie putzt er die Leut herunter, darf Keiner einen Fehler machen, so ist er da. Aber er thut auch was f�r sie, h�lt Ordnung und sieht auf Recht. – Schauen Sie, Herr, so steh ich mit meinem schlichten Rock, ohne Kronenleuchter und ohne Feste, als Aristokrat vor den Menschen, die jetzt regieren, und spreche: Bleibt mir vom Halse, ihr gottlos Pack, will nimmermehr mit euch zu schaffen haben!
Er lachte selbstgef�llig, aber er hatte Recht. Er kannte das beste Mittel, sich Ansehn und Achtung zu sichern. Mochte regieren wer da wollte, seine tausend Arbeiter trugen ihn auf ihren Schultern, sch�tzten ihn mit ihren Leibern und �ber dem Aristokraten stand der Mensch, von dem sie abhingen, der f�r sie sorgte und ihnen Gutes that.
Nach dem Mittagsmahl f�hrte mich der Oberst in seine Fabrik, die auf's musterhafteste eingerichtet war. Flei�ige Menschen aller Art gab es hier. Alle sahen froh und gesund aus; sie schienen guter Dinge zu sein, und die N�he des Herrn machte sie nicht scheu und schweigsam. Ihre Augen dr�ckten unverstellte Anh�nglichkeit aus; wo etwas im Wege stand, liefen sie von allen Seiten zu, um es fortzur�umen. Es war eine liebevolle Aufmerksamkeit, die sie trieb, ihrem Herrn zu dienen, und man merkte es, da� sie es gern thaten.
R�ttiberg f�hrte mich in einige der kleinen H�user, welche zahlreich an dem Rande des Grundes standen. Ueberall empfing uns dieselbe Freundlichkeit. Kinder sprangen an ihm auf, die Frauen legten ihre Arbeiten fort und er sprach mit ihnen in seiner festen, kernigen, polternden Weise, die sie an ihm kannten. Ueberall war Sauberkeit, Ordnung, der Schimmer jenes Gl�cks, welcher aus reinen Dielen und blanken Tischen und St�hlen leuchtet, mag Holz und Ger�th auch von der gr�bsten Sorte sein. –
In gr��eren Wohnungen schliefen die Unverheiratheten, in zwei S�len a�en sie gemeinsam; es war f�r sie auf's Beste gesorgt und der Fabrikherr erz�hlte mit Wohlbehagen, wie er sein Werk eingerichtet, und welche gute Erfolge schon daraus entsprungen seien.
Sehen Sie, sagte er endlich lachend, ich bin auch ein Communist oder ein Sozialist, wie die Narren es nennen, aber ich denke, ich bin ein besserer, wie die meisten, die in's Blaue hinein phantasiren. Wenn wir die Fabriken aus den gro�en St�dten schaffen k�nnten, w�re es ein Gl�ck, denn dort gehen die Menschen in Laster aller Art unter. Hier auf diesem einsamen Fleck gew�hnen sie sich an Ordnung und friedliche Gemeinschaft. Sie k�nnen ihren Lohn nicht verthun, k�nnen nicht ausschweifen, ihre schlechten Gewohnheiten nicht n�hren. Sie essen hier zusammen, ich kaufe Alles ein, liefere es ihnen im Gro�en und Ganzen auf's Billigste. Ich spare f�r sie, unter ihrer eigenen Aufsicht und H�lfe. Abends nach der Arbeit m�gen sie lesen, daf�r sind B�cher da, oder singen, oder mit Spielen sich vergn�gen; ohne Zwang mag jeder thun, was ihm gef�llt, sein Glas dabei trinken und seine Pfeife rauchen.
Auf allen meinen Fabriken ist es so, und �berall habe ich gute Arbeiter, die selbst auf Ordnung halten, schlechte Subjekte aussto�en, sich selbst regieren, wie es vern�nftige Wesen thun m�ssen. – Das ist eine Freude, Herr, wenn man solch Werk ansieht, und darauf mag ich wohl stolz sein, denn sie h�ngen an mich und wissen, da� ich ihr wahrer Freund bin.
Und dieser Mann, der sich der Liebe seiner Arbeiter freute, der mit Triumph davon sprach, da� er jedem ein Helfer sei, der sich an ihn wende, er war gegen sein einziges Kind grausam und hart.
W�hrend wir in dem h�bschen Comptoirhause sa�en, wo man nach allen Seiten hin die Fabrikth�tigkeit �berblicken konnte, und Kaffee tranken, dachte ich dar�ber nach, was wohl der Grund dieses Widerspruches sein k�nnte? – Aber ich �berzeugte mich bald, da� eitle Selbstsucht und Berechnung aller Vortheile doch eine gr��ere Rolle bei seinen guten Handlungen spielten, als der urspr�ngliche edle Kern der Menschenliebe und Herzensg�te, welcher damit verschmolzen war.
R�ttiberg half denen, die sich seinem Willen unbedingt unterwarfen, unm�ndig sich seiner Weisheit beugten, zu ihm, wie zu einem h�heren Wesen aufsahen, und er war ihnen ein gerechter und einsichtiger Gebieter, so lange sie sich keinen Widerspruch erlaubten. Einen fremden Willen neben dem seinen zu dulden, fiel ihm nicht ein. So wenig seine Arbeiter, wie irgend ein anderer Mensch sollten an seiner Ueberlegenheit zweifeln, eine Meinung f�r sich haben. – Was er sagte, hielt er mit Starrsinn fest, was er glaubte, davon sollte ein Jeder �berzeugt sein, und er war keinesweges der gutm�thige Polterer, wie ihn Moritz Eschenheim genannt hatte, denn seine zornige Heftigkeit verwandelte sich in H�rte und Ha�, wenn sein Widersacher sich nicht beugte, und den Fu� auf den Nacken setzen lie�.
W�hrend unserer Gespr�che, in welchen ich einige Male ihm nicht ganz beistimmte, sah ich ihn ungeduldig werden und m�hsam in den Schranken der H�flichkeit bleiben. – In der Schweiz ist Fremdenha�, namentlich Deutschenha�, allgemein, der zum Theil allerdings durch die schlechte Auff�hrung vieler Deutscher sich rechtfertigen mag, welche die empfangene Gastfreundlichkeit �bel vergelten, zum Theil aber auch engherziger Neid gegen den deutschen Flei� und die emsige Betriebsamkeit deutscher Einwanderer ist, denen es sauer genug gemacht wird, ihr Brot zu erwerben.
Der Oberst schimpfte in ungemessenen Ausdr�cken �ber die deutschen Unruhestifter und Buben, die in der Schweiz ihr Hauptquartier aufgeschlagen, schob ihnen einen wichtigen Antheil an den Wirren und Putschen zu und hoffte den Tag zu erleben, wo die ganze Rotte hinausgejagt w�rde, um in Schimpf und Schande den Lohn zu finden, den sie verdiente.
Nun, erwiderte ich l�chelnd, die Schweiz hat schon mehr wie einmal eine Fremdenhetze veranstaltet, ohne gro�e Ehre damit zu tragen.
Er sah mich �rgerlich an. –
Das macht, rief er, weil die Pest immer wieder kommt und unsere Taugenichtse im Lande davon angesteckt sind. Wir haben das Beispiel dicht bei uns. Elsis Beispiel! Der Mensch, der ihr Leben vergiftet hat, wurde, was er ist, im Umgange mit Fremden, mit Abenteurern und Auswurf aller Art. W�re er ein Schweizer geblieben, wie seine V�ter waren, so h�tte er bei denen gestanden, die zu ihm geh�ren. – Sie schickten ihn zu den Franzosen und zu den Deutschen, unter das Volk ohne Vaterland, wo alle Narrheit ausgeheckt wird, die sie Philosophie und Wissenschaft nennen; wo alles l�cherlich gemacht wird, was alt und ehrw�rdig hei�t, und wo ein Haufe w�ster Burschen immer bereit ist, Gott und Obrigkeit zu verspotten und leichtsinnig, sinnlos, sich selbst und ihre Mitmenschen zu verderben.
Sie scheinen zu vergessen, Herr Oberst, sagte ich, da� ich selbst ein Deutscher bin und sind geneigt, eigene Schuld und andere Schuld zusammen in einen Topf zu werfen.
Was nennen Sie eigene Schuld?! rief er heftig.
O! erwiderte ich, lassen Sie uns nicht streiten. Jedes Volk hat seine Fehler und S�nden, das meine tr�gt schwerer daran, wie der heilige Christoph, aber auch jeder Mensch hat sein P�ckchen und unsere Aufgabe soll sein, mild und menschlich des Splitters und des Balkens zu gedenken, und uns zu bessern, wie wir k�nnen.
Mein freundliches Gesicht that seine Wirkung, oder er besann sich, als verst�ndiger Spekulant, da� er mich n�thig hatte.
Gut, sagte er, wir wollen nicht streiten, allein meine Grunds�tze stehen fest und was sich nicht damit vertr�gt, sto�e ich von mir, so weit ich vermag. Sie sind eine Ausnahme von den meisten Ihrer Landsleute, denen ich sonst gern ausweiche. Moritz Eschenheim ist Ihr Freund, das gilt mir als ihr Pa�; Elsi spricht von Ihnen, wie von einem Beichtvater, und so sind Sie mir ein werther Gast, wenn wir auch, wie ich merke, nicht ganz �bereinstimmen.
Wir verlebten einen Abend, der durch die herrliche, gro�artige Natur anziehender wurde, als durch die Menschen, denen dies einsame Felsenparadies geh�rte. Als wir zu dem schwarzen Hause hinaufstiegen, hielt mich der Oberst einen Augenblick unter dem Portale des Thores fest.
Dies ist der einzige Weg in mein Schlo�, sagte er; Elsi ist unter Thr�nen hier hinauf gestiegen, helfen Sie mir, da� sie bald froh und leicht hinuntersteigt und mit Ihnen an den blauen Z�richsee zur�ckf�hrt. –
Er dr�ckte mir die Hand und setzte dann hinzu:
Ich denke, sie mu� Richtersb�hl bald verlassen. Sie sieht doch �bel aus, die Luft taugt hier nichts, sie ist zu gro�en Ver�nderungen unterworfen. – Heute liegt der F�hn uns in allen Gliedern, morgen st�rzt der B�ttliser Wind, wie wir den Nordwind nennen, kalt wie Eis, mit rasender Wuth vom hohen Sentis herunter. Sie kennen das noch nicht, aber der F�hn ist unser Sirocco und f�r Elsis Gesundheit ist er Gift. Der Teufel hole das Ungeheuer! vor ihm kann sich Niemand sch�tzen. Sprechen Sie wenig mit Elsi, sie soll fr�h in's Bett, alle Fenster dicht geschlossen. Wir haben ihn in diesem Jahre noch nicht so recht gehabt, wenn er etwa zum vollen Ausbruch kommt, werden Sie ein wildes Schauspiel erleben. –
Er wischte sich den Schwei� von der Stirn. Die Luft war stickend hei�, jedes leise Windf�cheln brachte einen Strom von Glut mit.
Elsi kam uns entgegen und mit steigender Z�rtlichkeit erkundigte sich ihr Vater nach ihrem Befinden.
Du solltest nicht l�nger hier au�en sein, sagte er, ihr Haar streichelnd. Die Luft ist so schw�l und dumpf und in den Windst��en brennt ein Feuer, das hei� in die Brust geht und die Lungen austrocknet. Ich bin selbst davon so angegriffen, da� mir der Kopf schwer wie Blei ist, und das Athmen sauer wird.
Du bist doch nicht krank? F�hlst Dich nicht krank? fragte sie erschrocken.
Der gro�e Mann setzte sich und indem er ihre Hand fest hielt, sah er in ihre Augen, als wollte er darin forschen, ob der �ngstliche Ton ihrer Frage wahr oder falsch sei. –
Und wenn ich nun wirklich krank w�re? antwortete er. Die Aerzte haben mir oft gesagt, ich m�sse Schlagfl�sse vermeiden. Wenn ich pl�tzlich von Dir gerufen w�rde, Elsi, was w�rdest Du beginnen?
Vater! sagte sie leise, wie kannst Du mir so wehe thun?
Wo ist da ein Wehethun?! rief er aus. Sei aufrichtig, Kind. W�rdest Du nicht denken, Gott hat es gef�gt, sein Mund hat gesprochen! W�rdest Du Dein Herz nicht zu dem Buben zur�ck wenden, der mir Deine Liebe lange genug gestohlen hat?
Christ und Herr! stammelte sie, die Hand auf ihre Augen deckend, wie bist Du grausam, Vater, und woran erinnerst Du mich.
Nun, ich meine es nicht so, Elsi, fuhr er beg�tigend fort. Bist ein N�rrchen, trockene Deine Augen; aber schlag ein, gieb Dein Wort darauf, Du willst ihn von Dir halten und Deinen Vater ehren, auch wenn er in's Grab gelegt w�rde, ehe er Dein Gl�ck gesichert und seinen liebsten Wunsch erf�llt s�he.
Die gr��te Seelenpein malte sich in Elisens Gesicht. Sie versuchte zu l�cheln und wollte einen Scherz daraus machen, aber sie fand keine Worte.
Ihre Augen richteten sich flehend auf mich.
Mein Gott! sagte ich, Sie bringen das Fr�ulein in eine Aufregung, die das gr��te Ungl�ck herbeif�hren kann. Sie wird ohnm�chtig!
Das war der beste Ausweg, den Elise auch sogleich ergriff und ihren Vater in keine geringe Best�rzung versetzte, als sie mit geschlossenen Augen in seinen Armen lag. –
Erhole Dich! rief er, ich will nicht mehr davon sprechen. Was, zum Teufel! ist das f�r eine Gesundheit, die bei jedem Worte zusammenbricht. La� es gut sein, Elsi, wir haben morgen oder ein andermal Zeit genug, und ich denke nicht daran zu sterben; habe keine Lust dazu, mein Herzenskind! Du sollst Dich nicht �ngstigen! Ich will auf Deiner Hochzeit tanzen. Bei Gottes Thron! Elsi, ja das will ich, und den Gro�vatertanz am Schlu�. Haha! lustig, lustig! – Der Gro�vatertanz, Elsi!
Die junge Dame erholte sich zwar schnell, schien aber doch von dem unerwarteten Einfall des Obersten sehr angegriffen zu sein. –
Sei frisch, Elsi, sei gut! rief er, schwankend zwischen Zorn und �ngstlicher Theilnahme, als k�nnte er mit solchem Machtspruch bewirken, was er wollte. Wie Du aussiehst! Wie Leiden und Krankheit. – Aber habe ich nicht Recht? Hat der Teufelsbub' Dich nicht um Leib und Seele gebracht?
Rudolf hat keine Schuld, sagte sie leise.
Schweig! schrie er auf und mit gr��erer Fassung setzte er grollend hinzu: Ich mag den Namen nicht h�ren und Du sollst ihn nicht in den Mund nehmen. Es ist meine Ansicht, da� es uns nicht taugt und wenigstens hier will ich sicher vor ihm sein. Wo thut's weh? fragte er rauh, als Elsi die Hand auf die Stelle des Herzens dr�ckte.
Es macht der F�hn, antwortete sie m�hsam – die schw�le Luft.
Geh, Kind, geh! sagte er, pl�tzlich wieder zum z�rtlichen Vater umgestimmt. B�bli soll kommen – wo sind die Tropfen? Gieb Deinen Arm, Kind. Zitterst und bebst und Dein Kopf gl�ht. Ich will nach Glarus hin�ber schicken, den Doktor kommen lassen. Machst mir Angst, Elsi, tiefe, innere Angst. Bist im Fieber, Madli.
Es ist nichts, Vater, nur Ruhe; mein Zimmer ist k�hl, erwiderte sie. Nichts als Abspannung von Allem was mich betroffen hat.
Er k��te sie auf die Stirn und �berlie� sie dann der Sorge der alten Dienerin. Elise warf von der Th�r mir einen Abschiedsblick zu und legte den Finger auf den Mund, indem sie schmerzlich, leise den Kopf sch�ttelte.
Was h�tte ich auch noch sagen sollen? Ich wu�te, da� Alles vergebens sein w�rde. Oberst R�ttiberg sa� neben mir, mi�launig, gereizt, und sein dickes, muskelvolles Gesicht in tiefe Falten gezogen. Der dunkelrothe Abendhimmel warf seinen d�stern Schimmer auf diese festen, starren Z�ge und zwischen den Dampfwolken seiner Cigarre sah er wie einer der grimmigen Riesen aus, die in uralten Zeiten diese Wildnisse bewohnten. Ich h�tete mich daher, ihn zu st�ren, weil es mir ganz so vorkam, als werde er die erste Gelegenheit ergreifen, seinem Aerger Luft zu machen, gegen wen es auch sein m�ge.
Ich blickte auf das wunderbare Rundgem�lde vor mir, dessen Herrlichkeit mich m�chtig ergriff und schweigsam machte. Die Farbe der Wolken, welche den Himmel bedeckten, war vom lichten Grau, in's Gelbliche laufend, das immer gelber und flackernder wurde, je weiter das Auge nach S�den und Westen schaute, bis die sonnenlose F�rbung in R�the �berging, welche zuletzt Alles in ihre brennende Glut aufl�ste. Und, in diesem wunderbaren Gemisch von gelben und rothen Tinten schimmerten die zahllosen Felsen, die stolzen, nackten Kuppen und Spitzen und das ungeheure Becken des Sees, der sie darin widerspiegelte.
Vor mir lagen die Schneeh�rner der Glarner Alpen, �bereinander geth�rmte Giganten, die, gleich einem Halsband von Rosen, sich um den schwarzen Nacken des T�di schmiegten. Zuweilen dann zuckte es blitzend durch die Kette dieser gewaltigen H�upter und der r�thlich-gelbe Schein drang in die Nacht der Kl�fte, und irrte an d�sterblauen Nebeln hin, bis er starb. Dann f�hrte der Wind ein dumpfes St�hnen �ber den See, oder es kam aus der Tiefe des Wasserkessels, in welchem die Wogen aufsch�umten, um gleich darauf von der schweren Lufts�ule wieder niedergedr�ckt zu werden.
Der Bach, welcher in seiner schwarzen Schlucht herunter donnerte, gl�nzte wei�leuchtend aus farbigem Schaum- und Tropfenschleiern hervor. Einige Male fa�te ihn ein Windsto�, l�ste die fallenden Wasser auf und warf sie weit �ber den Grund, dann f�hlte ich seinen feuchten Athem, bis zu uns heraufdringen, doch bald kehrte die unheimliche schw�le Stille zur�ck. Das gelbschwarze, d�stere Licht behielt die Oberhand �ber das tr�stende Roth, man konnte bange werden bei seinem Anblick und mu�te irgend etwas Schreckliches ahnen.
Wir werden vielleicht schon in dieser Nacht den F�hnsturm toben h�ren, sagte der Oberst aufstehend. Da mu� jedes Fenster geschlossen, jede Th�r wohl verwahrt sein. Ich will noch einen Umgang halten und selbst nachsehen, da� kein Schaden geschehe. Inzwischen besorgen Sie nichts. Solch F�hnw�then rei�t Holzh�user nieder, wirbelt D�cher in die Luft und schleudert zuweilen Hirten und Heerde in Abgr�nde, allein wir sind hier gut verwahrt und daran gew�hnt. Das Feuer allein mu� genau bewahrt sein, und dessentwegen besteht ein uralt Gebot bei hoher Strafe, in alter Zeit sogar bei Lebensstrafe, alles Feuer und Licht in den H�usern auszul�schen, wenn der F�hn weht.
Er mu� mit voller Gewalt sich auf diese Seite des Sees st�rzen, erwiderte ich, den Seespalt betrachtend.
Nicht so arg, wie Sie glauben, war seine Antwort. Am wildesten tobt er im Thale von Glarus und in den schmalen Seitenth�lern. Wenn er �ber den See auf uns her�berst�rzt, wie ein rei�endes Thier, kommt gew�hnlich der Nordwind von den Appenzeller Alpen ihm entgegengesprungen, dann freilich giebt es einen Kampf zwischen den beiden Feinden, der des Zuschauens werth ist.
Er verlie� mich, indem er mich bat, lieber jetzt mein Zimmer in Besitz zu nehmen, da die Dunkelheit komme und die hei�e, dumpfige Trockenheit der Luft leicht Fieberanf�lle mit sich bringe. –
Mein Kopf war wirklich schwer genug und nach einiger Zeit, als nichts mehr sichtbar war, als der matte, schwefelgelbe Schein, nach welchem die Luft zu riechen schien, folgte ich der Dienerin, die mich eine alte Steintreppe hinauf und durch einen langen Gang in das gastliche Zimmer f�hrte. Sie z�ndete ein Licht an und entfernte sich.
Ich befand mich in dem M�nchsthurm, wie ich jetzt erst bemerkte. In einer Wandnische stand ein Bett, alte, einst bemalte Holzt�felei umzog die W�nde, das gro�e Klosterwappen der gef�rsteten Aebte von Pf�ffers prangte in verst�ubter Holzschnitzerei, geschw�rzt von Alter, �ber der Th�r. Im Uebrigen fand ich das gew�lbte, hohe Zimmer mit bequemen Ger�then gut ausgestattet und wahrhaft erquickend die k�hle Luft, welche mich hier empfing. Die Fenster waren schmal, aber der Oberst hatte helle, gro�e Scheiben darin setzen, und Jalousien davor anbringen lassen; lange stand ich an einer dieser Oeffnungen, bald hinausschauend auf die geheimni�volle Nacht, in deren schw�ler Stille sich nichts mehr r�hrte, bald in das gro�e, alterth�mliche Zimmer zur�ckblickend, �ber welches das kleine Licht einen matten D�mmerschein verbreitete. –
Nach einiger Zeit h�rte ich den Obersten aus der Fabrik zur�ckkehren. Im Halbdunkel sah ich ihn auch, wie er langsam mit schweren, festen Schritten durch den Garten ging und einen Augenblick vor dem Thurme stehen blieb. Der Lichtschimmer war so schwach und die Mauer so dick, da� er ihn nicht bemerkte.
Er schl�ft schon, sagte er mit seiner tiefen Stimme vor sich hin – und sie auch, f�gte er nach einem kurzen Schweigen hinzu, indem er sich nach dem Hause hinwandte. Es wird noch T�nze mit uns geben, fuhr er fort, aber morgen – ich glaubte ihn lachen zu h�ren, w�hrend er weiter ging. Dann schlug die gro�e Th�r zu, Riegel und Schl�sser knarrten und Alles war still, wie zuvor.
Noch lange starrte ich in die Dunkelheit, verfolgte das Rauschen des Wasserfalls und dachte mit Bangen an Elsi. Ich war �berzeugt, da� der n�chste Morgen eine heftige Erkl�rung herbeif�hren, und da� ich sehr wahrscheinlich das Opfer derselben sein w�rde, das hei�t gen�thigt sein w�rde, das Haus auf der Stelle zu verlassen; denn ich hatte mir vorgenommen, Elisen offen zu sch�tzen, so viel ich es vermochte. Der Oberst mochte sicher mich nicht leiden, er traute mir nicht; meine Widerspr�che, wie mein ganzes Benehmen, hatten ihn von Neuem gegen mich eingenommen. –
Ich w�re auch herzlich gern davon gelaufen, oder h�tte mich hinauswerfen lassen, wenn ich die Gel�ste, ihm derb zu sagen, was ich f�r Recht und wahr hielt, gek�hlt h�tte, aber sobald mir das leidende, bittende Gesicht des armen M�dchens vorschwebte, wurde ich ungewi� und unruhig. Endlich warf ich mich halbentkleidet auf mein Bett und stellte das Licht, das dem Erl�schen nahe war, daneben. Meine Augen hefteten sich auf das alte, bemalte Get�fel und einige Male, als ich m�de wurde, schreckte ich wieder auf, von sonderbaren, �chzenden und knarrenden T�nen geweckt. Die alten Benediktiner fielen mir ein, und meine Uhr zeigte auf Mitternacht. Hier hatten die �ppigen M�nche Jahrhunderte lang gehaust; welche Scenen mochte dies Thurmzimmer erlebt haben?!
Ich lag mit offenen Augen und starrte in die matte D�mmerung. Endlich kam es mir vor, als s�he ich in der letzten Fensternische hinter dem geschn�rkelten Tische eine lange, dunkle Gestalt sitzen, deren weites Gewand sich hin und her bewegte, und obwohl ich nicht furchtsam bin, ergriff mich ein pl�tzliches Grausen vor der Geisterwelt. Mit Ueberwindung sprang ich auf, st�rzte darauf los und kehrte lachend zur�ck. Es war ein loser Fenstervorhang, der vom Luftzuge bewegt wurde.
Ich l�schte mein Licht aus, kehrte mich gegen die Wandseite und wie lange ich schlief, wei� ich nicht, aber ich glaubte �berhaupt kaum die Augen geschlossen zu haben, als ich sie wieder �ffnete. Mein Schlaf, der so leise ist, da� ich von dem geringsten Ger�usch aufwache, wurde diesmal von einem Knistern gest�rt, das mich v�llig ermunterte, weil es nicht aufh�rte, als ich darauf horchte. Es war, als ob der Ton aus einer fernen Ecke kam, und irgend ein lebendiges Wesen an dem alten Holzwerk umher kratzte oder suchte. Leise richtete ich mich auf und strengte mit �u�erster Gewalt meine Augen an, ohne etwas sehen zu k�nnen.
Das Ger�usch dauerte fort und pl�tzlich folgte ein st�rkeres Knacken. Ich glaubte einen Schatten zu erblicken, der dicht an der Wand sich fort bewegte. Mein Haar str�ubte sich empor, mein Athem stockte. Im n�chsten Augenblick aber war alles vorbei, kein Laut mehr zu h�ren, nichts als dichte Finsterni� um mich her.
Nach einiger Zeit sprang ich aus dem Bett und rief ein ged�mpftes: Wer da?! Der hohle Schall des Gew�lbes gab mir Antwort. Ich besa� kein Mittel Licht zu machen, tappte an dem Get�fel umher ohne eine Spur zu finden und kehrte zur�ck, halb �berzeugt, da� ich mich get�uscht hatte. Aufgeregt trat ich ans Fenster und blickte durch die angelehnte Jalousie in die Nacht hinaus. Sie war so schw�l und dumpf wie vor Stunden. Der falbgestreifte, dicke Himmel lagerte sich dar�ber, der Bach grollte dumpf zu mir herauf; wie ein ungeheurer schwarzer Krater lag der See in seinem Felsenbecken und nur um die Eisk�pfe der Giganten jenseits flimmerte ein phosphorisches Leuchten.
Pl�tzlich aber gl�hte ein Helles meteorisches Licht �ber das ganze Gebirge, und da ich gerade meine Augen auf den Garten richtete, glaubte ich in dem blendenden Schein zwei Menschen zu erkennen, die unter den B�umen, mir gegen�ber, sa�en. – Wie kamen sie dahin? Wer konnte es sein? Was wollten sie? – Die seltsamsten Vermuthungen gingen durch meinen Kopf; ich wartete vergebens auf ein neues Feuerleuchten, es wollte keines kommen, und endlich gab ich Alles auf, �berzeugt, da� die erregte Phantasie, welche so oft den Menschen die �rgsten Koboldstreiche spielt, mich diesmal ebenfalls heimgesucht hatte.
So warf ich mich denn abermals auf mein Lager und versuchte einzuschlafen, was lange Zeit nicht gelingen wollte. Ich w�lzte mich unruhig umher und verfiel zuletzt in den traumwachen Zustand, der so gesch�ftig ist, uns allerlei Zauberspuk vorzuf�hren, ohne da� wir wissen, ob es wahr sei, was wir sehen und h�ren, oder ob die Sinne sich t�uschen, ohne doch die Macht zu besitzen, sich von dem Einen oder dem Andern zu �berzeugen. Ich glaubte wiederum das sonderbare Ger�usch zu h�ren; es war mir, als ob Stimmen fl�sterten, leise Schritte nahe bei mir sich merklich machten, als ob eine Th�r sich drehe, doch ehe ich mich von meinem lethargischen Zustande frei machen konnte, war Alles vorbei.
Aber jetzt vernahm ich deutlich denselben L�rm in der d�stern Ecke, und diesmal war es gewi� keine T�uschung. –
Was ist das? Wer steht dort?! schrie ich laut auf, indem ich nach dem Fenster st�rzte und die Jalousie aufstie�. –
Ein schwacher, grauer Schein des nahenden Morgens schl�pfte durch den schmalen Spalt und gab mir Zuversicht. Erkennen lie� sich nichts, aber der kleinste Lichtfunke hat f�r die menschliche Seele belebende Macht. Ich begann eine Untersuchung, die nicht das geringste Resultat hatte und brachte den Rest der Nacht schlaflos zu, denn mein Blut war in fieberhafte Bewegung gekommen.
Als es hell war, erneute ich meine Anstrengungen, die Ursach meiner Plagen zu entdecken, allein das alte Get�fel mit seinen Rissen und Ritzen und Wurml�chern wollte kein Geheimni� offenbaren. Die verwischten Heiligenbilder sahen mich gr�mlich an, da� ich ihre Ruhe st�re, der Staub flog von den Gesimsen auf und zuletzt war ich froh, als es im Hause lebendig wurde und ich die Stimme des Obersten unten h�rte.
Wir tranken den Kaffee in der Laube, der alte Herr war besseren Humors, als gestern. –
Elsi ist heut viel wohler, sagte er, ich habe Nachricht eingezogen; auch ist die Luft besser, als gestern. Es hat in der Nacht verschiedentlich geblitzt, das ist der beste Ableiter f�r den F�hn; ich glaube das Wetter wird uns verschonen.
Aber wie haben Sie geschlafen? fuhr er fort, indem er mich ansah. Sie sehen nicht gut aus. He! haben die alten Benediktiner Sie etwa nicht in Ruhe gelassen?
Elise kam aus dem Hause und n�herte sich uns. R�ttiberg deutete lachend auf mich.
Es scheint, sagte er, Ihr habt die Rollen getauscht. Elsis Wangen haben sich ger�thet, Sie sind bla� geworden. Nun, was war es? fuhr er fort. Ist der schwarze Prior bei Ihnen gewesen, der zur Strafe seiner S�nden hier noch sein Wesen treiben soll? Denn Sie m�ssen wissen, setzte er hinzu, Richtersb�hl war immer ein heimliches Pl�tzchen, wohin die �ppigen M�nche in Pf�ffers manch T�ubchen brachten, das sie kirren und f�r sich haben wollten. Manche schreckliche Geschichte wird davon erz�hlt.
Ich sah zu Elsi hin�ber, die leise vor sich hin l�chelte.
Ich habe wirklich allerlei Ger�usch und leise Schritte geh�rt, sagte ich.
Nun, da haben wir es! schrie der Oberst. Vielleicht war es aber nicht einmal der gr�uliche Prior, sondern, wenn Sie zugefa�t h�tten, w�re der herumirrende Geist eines jener sch�nen Schlachtopfer zum Vorschein gekommen, der um Rettung und H�lfe gefleht h�tte.
Oder eine wei�e Taube, Papa, sagte Elsi, die zum Fenster hinaus geflogen w�re.
R�ttiberg lachte herzlich und erz�hlte, da� es vor einigen Jahren allerdings einem Freunde in dem spukhaften Thurmzimmer so ergangen sei, der, als er sich genugsam abge�ngstigt, eine Taube entdeckt hatte, von denen ein ganzer Schwarm in den Zinnen nistete.
Mein Abenteuer wurde noch eine Zeitlang besp�ttelt, bis der Oberst sich pl�tzlich zu seiner Tochter wandte und die Hand an ihr Kinn legend, g�tig ausrief:
Du bist auch so eine wilde Taube, Elsi, die ehrlichen Leuten Schrecken einjagt; bist auch verfolgt von gewissenlosen R�ubern und in den alten Thurm von Richtersb�hl gesperrt, aber Dein Vater ist Dein sorgsamer W�chter. Er duldet nicht, da� Dir ein Haar gekr�mmt werde, m�chte aber doch gar gern, da� er Dich frei lassen k�nnte, und w�rde sein Herzblut hingeben, wenn er Dich gl�cklich s�he.
O! lieber Papa, antwortete sie, ihn z�rtlich k�ssend, wie sehr w�nscht Dein Kind gl�cklich zu sein.
Dann sind wir ja einig, M�dchen, erwiderte er in einem Anfalle seiner r�cksichtslosen Liebe, indem er sie an sich dr�ckte. La� alle Possen, Elsi, wir wollen beide sein wie wir waren, wollen vern�nftig und ruhig �berlegen, wie es sich schickt, und hier steht ein Dritter, Dein Freund, der auch mein Freund ist; h�re, was er sagt, la� ihn Schiedsrichter sein und unterwirf Dich.
Ich will mich gern unterwerfen, fl�sterte sie mit einem eigenth�mlichen, auffordernden und bittenden Blick, den ich also deutete, da� ich nochmals mein Heil zu ihren Gunsten versuchen sollte.
Herr Oberst, begann ich daher, allen Muth zusammennehmend, ein Vater hat das Recht, sein Kind vor Ungl�ck zu sch�tzen, die Gefahren einer th�richten Leidenschaft von ihm abzuwenden; er hat auch das Recht Gehorsam zu fordern, und im Bewu�tsein, f�r das wahre Wohl seines Kindes zu sorgen, kann er taub bleiben gegen dessen Bitten und Thr�nen.
R�ttiberg nickte mir mit voller Beistimmung zu.
Wahrlich, Sie treffen den Nagel auf den Kopf! rief er. H�re zu, Elsi, so ist es!
Ein Vater, fuhr ich fort, der sein Kind wahrhaft liebt, ein g�tiger, gerechter Vater, wird jedoch nicht hart und tyrannisch Entsagung und Unterwerfung fordern, weil er sich den Sohn aussuchen will, der ihm behagt, weil er den nicht leiden mag, der seines Kindes Herz gewonnen hat, weil jener Mann vielleicht andere Grunds�tze hegt, weil er hartn�ckig in seinen Meinungen ist, oder weil er vielleicht einer anderen politischen Partei angeh�rt.
W�hrend ich sprach, sah mich der Oberst immer erstaunter an; ein Gewitter sammelte sich auf seiner Stirn, ich lie� mich jedoch nicht schrecken.
Ich wei�, sagte ich, da� politischer und religi�ser Ha� unendliches Elend schon �ber die Welt gebracht haben, da� sie die zartesten Banden zerrissen, Familien und V�lkergl�ck zermalmten, die edelsten Opfer ihrem Fanatismus schlachteten; aber ich wei� auch, wie viele Thr�nen der Reue und verzweiflungsvolle Qualen �ber diejenigen gekommen sind, deren hartn�ckige Selbstsucht sie blind gegen die heiligsten Gesetze Gottes machte.
Und warum sagen Sie mir das?! fragte R�ttiberg drohend.
Weil ich w�nsche, da� Sie, der Sie Tausenden ein g�tiger Herr sind, auch Ihrer einzigen Tochter ein edler und g�tiger Vater sein m�gen. Bedenken Sie, da� es sich um Ihr ganzes eigenes Gl�ck handelt; bedenken Sie alle Folgen, die es haben kann, wenn Elise, gezwungen durch Ihren Fluch und sehns�chtig nach Ihrem Segen, einem Manne ihre Hand reicht, der kein Herz, selbst nicht f�r dies gro�e Opfer hat, der nichts will als Geld; Ihr Geld, Ihr Gut. Herr Oberst, das Verm�gen aus der Familienkiste!
Ha! schrie R�ttiberg aufspringend, es ist genug. Sie wagen es, mich zu beleidigen? Wagen es Moritz Eschenheim zu beschimpfen, der Sie Freund nennt, der sein ganzes Vertrauen Ihnen geschenkt hat.
Ich kann die Wahrheit beweisen, sagte ich.
Elende Verl�umdung! rief er. Was k�mmern Sie sich um meine Familienangelegenheit? Wie kann ein Fremder sich einmischen wollen? Mir ahnte es wohl! Ich kenne Sie, Herr, ich durchschaue Sie. Sie stecken unter einer Decke mit der Rotte, die dort – er deutete nach Z�rich hin – ihr Wesen treibt. Sie sind ein Geistesgenosse des Buben, der ohne Schaam und Ehre, ein Bettler, ein R�uber! uns �berfallen hat, aber Fluch, zehnfachen Fluch! – er hob den Arm zum Himmel auf und war in seinem Zorn, wie ein Besessener, anzusehen.
Elsi klammerte sich um seinen Hals; sie war ruhig, freundlich, ein L�cheln lag auf ihren Lippen.
Ich bitte, ich beschw�re Dich, lieber Papa, sagte sie, Du hast unsern Freund nicht recht verstanden. Er wollte ja nichts, als Dich bitten, Dein und mein Wohl nochmals zu bedenken, und seine Freundschaft f�r uns gab ihm seine Worte ein. Ich bin jedoch bereit, alles, was Du willst, zu thun. Ich leiste keinen Widerstand mehr, ich habe keine Kraft dazu. Gott mag sich meiner annehmen, er mag es zum Besten lenken!
Ihre Worte blieben nicht ohne Wirkung. R�ttiberg legte schweigend seine H�nde auf ihren Kopf und auf sie nieder blickend, murmelte er:
Ich bin kein harter Vater, ich will Dein Gl�ck und wenn ich zu heftig war, thut es mir leid.
Er wandte sich dabei zu mir hin und fuhr dann lauter fort:
Ich wollte es w�re anders, Elsi; ich wollte, Dein Herz w�re dabei, aber es wird kommen. Wenn ich es �ndern k�nnte, sollte es geschehen. Bedenke aber Alles – Du bist verst�ndig – bedenke die Verh�ltnisse, die Familienverbindung, mein Wort, meine Ehre und – die Familienkiste!
Ich wei�, Vater, erwiderte sie leise, es ist Alles gegen mich, die Lebendigen und die Todten. Bestimmungen, die getroffen wurden, um mich gl�cklich zu machen, der Moder vergilbter Papiere, das klingende, schwere Metall, Alles f�llt auf mich, und ich mu� es Schicksal nennen. – Schicksal nennen die Menschen, was sie nicht abwenden k�nnen – oder sie nennen es Verh�ltnisse und finden ihre Ruhe darin, wenn sie sagen: es war nicht zu �ndern!
R�ttiberg empfand den Vorwurf. Das tief gesenkte Haupt seiner Tochter lehnte sich an seine Brust und was darin vorging, war in seinem Gesicht zu lesen. Unentschlossen und im Kampfe mit sich selbst, schien er zu schwanken, seine Augen irrten mitleidig �ber Elsi hin, und als wollte er sich vor �berw�ltigender Schw�che bewahren, wandte er sie pl�tzlich dem See zu, wo ein Boot so eben um die vorspringenden Felsen ruderte.
Dieser Augenblick war entscheidend. – Mag man an Schicksal, Verh�ngni�, Vorbestimmung glauben oder nicht, es k�mmt oft vor, da� in der Minute, die �ber Segen oder Unheil bestimmt, der Zufall oder eine finstere Macht sich einmischen und den W�rfel lenken.
Da kommt Eschenheim! rief der Oberst. Moritz und seine Mutter! La� uns gehen, Elsi. Komm, mein Kind, gieb mir Deinen Arm. Heda! –
Er schrie nach seinen Dienern und gab ihnen Befehle. Der Faden des Mitleids und der Umkehr war zerrissen.
Es ist alles verloren, fl�sterte Elsi mir zu. Kein Wort mehr, mein Freund, seien Sie ruhig. –
Sie war so bleich wie damals in Mariaschein, aber ihre Augen hatten einen wunderbaren Glanz und ohne Zagen begleitete sie ihren Vater.
Moritz von Eschenheim sprang lachend und seinen Hut schwenkend an's Land, in die Arme des Obersten, und Elsi umarmend; seine Mutter wurde in einem Sessel bis auf die H�he von Richtersb�hl getragen, beide waren voller Freundlichkeit und Z�rtlichkeit auch gegen mich, der ich kalt h�flich ihre Aufmerksamkeiten erwiderte.
Nach den ersten Stunden, in welchen das alte Haus und dessen hochromantische Umgebungen sammt vielen anderen Dingen besprochen und von Moritz besp�ttelt waren, und nachdem endlich Frau von Eschenheim mit Elsi sich entfernt hatte, sa�en wir bei des Obersten edlem Lacotewein plaudernd und rauchend beisammen.
Warum ich gekommen bin, R�ttiberg, sagte Moritz, als ein langes Gespr�ch �ber politische Verh�ltnisse, Gesch�fte und Geldcourse abgehandelt war, ja, warum ich gekommen bin, wiederholte er nochmals, den goldigen Wein in seinem aufgehobenen Glase betrachtend, und alle Bedenken �berwunden habe mich in Ihrem Hause zu zeigen, sollen Sie jetzt h�ren. – Erstens l��t es mich keine Ruhe, bis ich Elsi vers�hnt wei� und ihr sagen kann, da� ich mich vor Sehnsucht verzehre; zweitens aber treibt es mich her Sie zu warnen, da ein gewisser, w�ster, sittenloser Mensch, den ich nicht weiter nennen will, von Z�rich gestern verschwunden ist, und, wie ich vermuthen mu�, Versuche machen will, sein Opfer auch hier zu verfolgen.
Die Blicke des Obersten richteten sich bei dem ersten angegebenen Grunde mit triumphirendem L�cheln auf mich, bei dem andern sah mich Moritz von Eschenheim durchdringend an, da ich jedoch ganz ruhig blieb, weil ich nichts wu�te, schien er davon �berzeugt zu sein.
Sehen Sie nicht so ungl�ubig aus, fuhr er zu R�ttiberg gewandt fort, ich habe gute Kundschafter und sage Ihnen, er ist vorgestern Abend aus Z�rich verschwunden, ohne da� Jemand wei�, wohin er sich begeben hat.
Gl�ck auf die Reise, murmelte der Oberst.
Sie nehmen an, da� er sich aus dem Lande gemacht hat, fuhr Eschenheim fort, t�uschen Sie sich nicht, ich kenne ihn besser. In diesen Kopf kommt weder Reue noch Vernunft; ich gebe mein Wort darauf, da� er hier in der N�he irgendwo verborgen ist.
Warum nicht gar hier im Hause! rief der Oberst. Sie trauen diesem verteufelten Burschen denn doch mehr zu, als er zu leisten vermag. Hat er Adlerfl�gel, um aus der Luft niederzuschie�en? Oder Gemsenbeine und H�rner, um sich von Grat zu Grat zu schwingen? Oder ist er mit Flossen versehen, um unter dem Wasser fort, bis in die Bucht zu schwimmen?
Sind Sie ganz sicher, erwiderte Moritz, da� er sonst nirgend herein kann?
So sicher, da� ich mich nicht darum vom Platze r�hre.
Und da� er keine geheime H�lfe findet?
Bah! wer sollte das wagen, sagte R�ttiberg ver�chtlich. Sie f�rchten sich vor Schatten, wie ein Weib. Ich sage, wenn er sich blicken lie�e – hier – in diesen Felsen – wie eine wilde Katze sollte er gejagt werden, und Gnade ihm Gott! wenn er mir vor den Stutzen kommt.
Der Blick, mit welchem der grimmige Oberst seine Drohung begleitete, war so m�rderisch, da� ich wirklich glaube, er h�tte es wahr gemacht und den Ungl�cklichen niedergeschossen, wo dieser sich ihm gezeigt h�tte.
Ich bemerkte wohl, wie Eschenheim mich w�hrend dieses ganzen Gespr�ches beobachtete, und als sich sein Verwandter entfernte, um nach Haus und Tisch zu sehen, wandte er sich mit der direkten Frage an. mich, was ich von Rudolf und dessen Absichten wisse?
Ich erz�hlte ihm aufrichtig mein letztes Gespr�ch mit seinem Bruder, und verhehlte ihm nur den Auftrag, den dieser mir gegeben hatte, aus leicht begreiflichen Gr�nden.
Eschenheim h�rte nachdenkend zu. –
Sie haben also hier nichts gesehen oder geh�rt, was auf seine N�he deuten k�nnte? fragte er mich.
Ich verneinte es mit aller Bestimmtheit. Es scheint mir auch ganz unm�glich zu sein, hier eindringen zu wollen, sagte ich dann.
Sie kennen die Verwegenheit dieses Menschen nicht, war seine Antwort. Er f�rchtet nichts.
Vielleicht dient es zu Ihrer Beruhigung, fiel ich ein, wenn ich Ihnen seine letzten Worte mittheile. Sollte Elsi wirklich meinen Bruder w�hlen, sagte er mir, so will ich nichts mehr hindern. Ich werde gehen, sie ist frei!
Und Elsi? fragte Moritz.
Elsi hat, ehe Sie kamen, Ihrem Vater erkl�rt, da� sie seinen W�nschen sich nicht l�nger widersetzen werde.
Nun, so sind wir zu Ende! rief er erheitert. Herzlichen Dank f�r diese Nachricht und f�r alle Ihre Freundschaft. M�chte ich jemals im Stande sein, Ihnen dankbar zu werden. Vorl�ufig bitte ich allen falschen Verdacht ab, denn aufrichtig gesagt, ich glaubte, da� die Verstellungsk�nste3 dieses Heuchlers bedeutenden Eindruck auf Ihre deutsche Gutm�thigkeit gemacht h�tten.
Der Oberst kam zur�ck, er erl�ste mich aus meiner peinlichen Lage, und w�hrend des Mittagsmahls, das nun folgte, war Eschenheim so viel mit Elisen besch�ftigt, da� er alles Andere vergessen zu haben schien. Er war voll guter Laune und erz�hlte die lustigsten Geschichten, fl�sterte in Elsis Ohr, dr�ckte heimlich ihre H�nde, h�rte lachend ihre leisen Antworten und schien im besten Einvernehmen mit ihr zu sein.
Nun, was giebt es da! rief endlich der Oberst, was habt Ihr f�r Geheimnisse? Heraus mit der Sprache, oder sollen wir es auch so machen, und uns allerlei Vermuthungen zuwinken und zunicken?
Es kann ein Jeder h�ren, lieber Papa, erwiderte Moritz. Ich fragte Elsi, ob ich nicht auf unsere gemeinsame, gl�ckliche Zukunft mit ihr ansto�en sollte, sie meinte jedoch, ich m�chte es bis zum Abend lassen, beim Kerzenglanz sehe eine Braut sch�ner aus.
Heute Verlobung und morgen ein Fest! schrie R�ttiberg. – Elsi! mein Kind! so soll es sein. Alle meine Arbeiter sollen den Tag feiern. Am Abend fahren wir nach Wesen, Du gehst mit Moritz nach Mariaschein zur�ck, ich komme nach, ich bleibe bei Dir! – Du sollst fort aus dieser Ein�de; willst Du, Kind? Willst Du?
Elsi nickte l�chelnd und reichte ihm stumm die Hand.
Gut! rief der Oberst mit derselben Begeisterung, Du sollst Dich schm�cken, M�dchen, sollst wie eine Braut aussehen.
Er stie� den Stuhl zur�ck, lief in ein Nebenzimmer, ri� Kasten und Schrank auf und kehrte mit einem Arm voll Damenputz wieder.
Schau her! schrie er, das sind Spitzen. Elsi, da ist das Kleid, das Du in Paris bewundertest. Heimlich habe ich es gekauft, wollte Dich einmal sp�ter damit �berraschen. Sollst es aber heute tragen, und was an Schmuck von Deiner Mutter da ist, soll Dein sein.
Daf�r ist gesorgt, fiel Eschenheim ein, indem er ein pr�chtiges Schmuckk�stchen vor Elsi stellte und �ffnete. Halsband, Armb�nder, Ohrgeh�nge und Nadeln blitzten darin, mit den edelsten Steinen besetzt.
Dies ist alles von hohem Werth, sagte Frau von Eschenheim stolz, altes Familieneigenthum, keine F�rstin brauchte sich zu sch�men. Komm her, Elsi, wir wollen das Collier versuchen. Und mit ihren langen Fingern ber�hrte sie Elsis zarten Hals, der sich davor zusammenzog. Ihre gr�nen gl�sernen Augen strahlten in falscher Z�rtlichkeit; sie legte ihr die dicke Diamantkette mit einem widerlichen Lachen um, in welchem ich ihre geheimen Gedanken zu erkennen glaubte: Nun haben wir Dich, T�ubchen, und bist Du erst ganz in unserer Gewalt, so wollen wir Dich schon kirren.
Moritz hielt inzwischen Elsis H�nde und witzelte, lachte und k��te, w�hrend dann und wann eine seiner Sp�ttereien wie ein Blitz durch alle H�llen drang.
Wie Deine Finger kalt sind, rief er dem geduldigen Opfer zu, es ist doch eine verteufelte Hitze! Ich siede und koche, mein Herz brennt �rger wie diese Luft, aber was sagt das alte Volkssprichwort: Kalte H�nde, warme Liebe! und wer wei� sich besser zu verstellen, als M�dchen?! Die K�lteste ist ein Vulkan, wenn man nur das Eis zu schmelzen versteht, und ich will es verstehen, ich will es schmelzen mit dem Feuer meiner Z�rtlichkeit, meiner Bitten, meiner schmachtenden Unterwerfung unter alle Deine Befehle. – La� uns in den Garten hinaus, wie himmlisch wird es dort am Abend sein, wenn die B�ume unser Liebesgefl�ster h�ren!
Er f�hrte Elsi fort, der Ton seiner Worte lie� deutlich genug seinen Hohn erkennen, aber der Oberst war entz�ckt von dem galanten Schwiegersohn und Frau von Eschenheim reichte ihm die lange Knochenhand mit seligem Grinsen.
Es war ein peinlicher, ewig langer, d�strer Nachmittag. Der Himmel, welcher sich am Morgen aufzukl�ren schien, war wieder mit jenen unheimlichen Wolken bedeckt, das hohe Gebirge heut unsichtbar, versteckt unter tiefh�ngenden D�nsten und Nebeln. Der Gesichtskreis schien immer enger zu werden, kaum war das jenseitige Ufer zu erkennen, und durch die schw�le Stille kam zuweilen ein hohles Rauschen aus dem See.
Fr�h wurde es Abend, und als es beinahe dunkel war, stand ich allein auf der scharfen Spitze des Gartens, in dem Lusth�uschen, das �ber dem Abgrund hing. Ich sah in die bleichen Nebel, die sich �ber den Gl�rnisch fortw�lzten und sich wunderbar schnell ver�nderten, dann verfolgten meine Augen ein Fischerboot, das langsam dicht unter den Felsen hinruderte und ich w�nschte lebhaft, da� es mich mitnehmen m�chte; pl�tzlich aber h�rte ich hinter mir Eschenheims Stimme, der mit seiner Mutter sprechend vor�berging, in das H�uschen sah und mich nicht erblickte, da ich mich in die Ecke gestellt hatte, um ihn zu vermeiden.
Er ist nicht hier, sagte er, er wird auf sein Zimmer gegangen sein, um sich anzukleiden, das wollen wir auch thun, Mama. Der Oberst l��t die Lichter anz�nden, wir m�ssen uns zu der Kom�die fertig machen.
Ich will Deinem P�ppchen helfen, erwiderte die alte Frau heiser lachend, aber sie macht uns viele Umst�nde.
K�nftig wird sie bescheidener sein, meinte er. Nur Geduld, Mama, Du wirst sie Dir erziehen.
Wird der getreue Freund es auch erlauben? fragte sie h�hnend.
Ah! der! rief Eschenheim. Ich hoffe er wird sich bald empfehlen und sollte er nicht Lust dazu haben, so werden wir wenige Umst�nde mit ihm machen.
Gut gebr�llt, L�we! sagte ich leise, als sie weiter gingen. Das also w�re Deine Dankbarkeit. Ich denke die Probe nicht abzuwarten.
Nach einigen Minuten stieg ich die Treppe hinauf, tappte durch den Gang und �ffnete die Th�r meines Thurmes. Es war finster darin, die schmalen Fenster geschlossen, dennoch aber konnte ich so viel sehen, da� dr�ben an der Wand, am Tische eine dunkle Gestalt sa�, deren Umrisse ich genau erkannte. Bei alledem glaubte ich mich zu t�uschen, wie ich in der Nacht mich get�uscht hatte. Ich griff nach Weste und Frack, die ich auf das Bett gelegt hatte, wechselte die Kleider, pfiff ein Lied und brummte einige Worte, w�hrend ich mir die Erscheinung zu entr�thseln suchte.
Aber sie l�ste sich vor meiner n�chternen Kritik nicht auf; es kam mir so vor, als lie�e sie den Arm sinken, der ihren Kopf st�tzte, und als ob dieser Kopf sich aufrichtete und mich starr anblickte. Ich that einige ungewisse Schritte, w�hrend meine Augen fest auf diesen Schatten gerichtet blieben und fragte mit eben so ungewisser Stimme:
Wer ist es? Sind Sie es, Eschenheim?
Ja, antwortete die Gestalt leise aber in einem Tone, der meine Haut zusammenzog. Kommen Sie n�her, ich erwarte Sie.
Er stand dabei auf und streckte mir die Hand entgegen. – Es war Rudolf, der Ge�chtete.
Wie ist es m�glich! rief ich verwirrt, erschrocken und noch immer halb ungl�ubig.
Still! fl�sterte er. Ich war in letzter Nacht im Garten, Elsi war bei mir, sie ging durch dies Zimmer; hinter dem Get�fel f�hrt eine schmale Treppe hinunter, die Th�r ist zu �ffnen. Als wir uns trennen mu�ten begleitete ich sie zur�ck, und bis jetzt habe ich in einer der kleinen, geheimen Kammern oder Nischen zugebracht, die in dem Holzwerk der dicken Mauer des Thurmes liegen. Dank den M�nchen, die hier einst ihr Wesen trieben! fuhr er erregter fort, ich konnte in Elsis N�he sein, f�r jeden Fall bereit. Ich wei� Alles, sah und h�rte Alles; Elsi kam zu mir, aber nun – seit Mittag, seit dieser Elende hier ist und die Frau, die ich nicht mehr Mutter nennen darf, ist sie mit Argusaugen bewacht.
Was wollen Sie thun? fragte ich, aber ich setzte sogleich hinzu: Sie sind entschlossen, mit Elsi zu entfliehen.
Und st�nde sie vor dem Altare, ich wollte sie ihm entrei�en! rief er, die Z�hne zusammenpressend.
Alles ist bereit, fuhr er fort. Unter dem Felsen von B�ttlis liegt seit gestern ein Boot versteckt, zwei wackere M�nner darin, die mir ganz ergeben sind. Wir k�nnen diese Stelle ohne gro�e M�he in f�nf Minuten erreichen. In einer Stunde f�hrt das Dampfschiff von Wesen nach Wallenstatt. Postpferde stehen bereit, in vier Stunden sind wir in Chur, ehe der Morgen kommt in Isola, in Italien, frei und sicher! – Ich habe Alles wohl bedacht, f�r Alles gesorgt. Nur eine halbe – ein Viertelstunde halten Sie die Verfolger auf, das ist meine einzige Bitte. Ich bin auf jeden Ausgang gefa�t, bewaffnet, um mein Leben zu vertheidigen, entschlossen zum Tode, aber ebenso entschlossen zum Gl�ck!
Da war keine Vorstellung m�glich, und was sollte ich ihm vorstellen? Er dr�ngte mir ein Zettelchen auf und sagte hastig:
Sie sollen nicht den geringsten Antheil haben, nur diese wenigen Worte, welche ich aufgeschrieben, geben Sie in Elsis Hand. Das ist Alles und nun gehen Sie, jede Minute ist kostbar, kein Wort weiter!
Wenn Sie Elsi und mir einen gro�en, leichten Dienst leisten wollen, so besch�ftigen Sie die Menschen da unten mit irgend einem Streit, einem Spa�, einer Posse, gleichviel, nur schaffen Sie uns Zeit.
Als ich die Treppe hinunterstieg, sah ich die Zimmer hell erleuchtet, die gro�en Th�ren ge�ffnet und Elsi, wie eine Braut geschm�ckt, in den Armen ihres Vaters, der so heiter, so gl�cklich lachte, als w�re er selbst der Br�utigam. Der Atlas und die Spitzen, die funkelnden Steine und blitzenden Goldb�nder versch�nten Elsi nicht so sehr, wie ihre ger�theten Wangen, die dem feinen, edlen Gesicht einen tr�gerischen Schimmer von Kraft und Gesundheit verliehen. Es war Fiebergluth, die ihre Haut bemalte und den sanften Augen einen so gl�nzenden Schimmer gab. Ihr Gang war leicht, ihre Stirn trug sie stolz, ihr Mund l�chelte, mit keinem Zucken verrieth sie ihre argen Gedanken; sie mu�te wunderbar von ihrem Willen gest�rkt und fest entschlossen sein, um so zu heucheln, oder sie hatte Alles aufgegeben und Alles vergessen.
Es gelang mir, ihr den Zettel, als wir bei einander standen, in die Hand zu dr�cken, w�hrend Eschenheim mit dem Obersten an die Salonth�r trat, durch welche ein pl�tzlicher Windsto� herein wehte. –
Um das Hochgebirge zuckte ein matter Glanz; Eschenheim schrie, da� er die T�dispitze gesehen habe, aber R�ttiberg lachte ihn aus. und w�hrend dessen las Elsi die Worte, steckte das Papier ein und warf einen Blick auf mich, so voll Grauen, Angst, Kummer und Entsetzen, da� ich davor erschrak. Zugleich kehrte Moritz sich um, und ihre Hand fassend, sagte er:
La� es blitzen und st�rmen, meine Elsi, la� alle b�sen Geister entfesselt sein, wenn wir nur bei einander stehen. Aber was hast Du? Du siehst so bedenklich aus, wie eine T�diwolke.
Es ist, nichts, erwiderte sie, in sein Lachen einstimmend, mein Herz ist voll Glauben und Vertrauen.
Der Oberst trat an ein Tischchen, das wei� gedeckt und von einem gro�en silbernen Armleuchter erhellt war. Vor demselben stand eine bedeckte Krystallschaale, und R�ttiberg f�hrte Frau von Eschenheim dorthin, schob l�chelnd das feine Tuch fort und lie� die beiden Verlobungsringe sehen, welche darunter lagen.
So la�t uns denn beginnen, rief er, nach Sitte und Brauch unserer alten Familien. Elise! Wo ist sie?
Einen Augenblick hinaufgegangen, sagte Eschenheim. Eine Braut hat immer etwas, was sie pre�t und dr�ckt. Vielleicht, fl�sterte er mir spottend zu, bleibt noch ein letztes Gebet zu verrichten �brig.
Ich befand mich in keiner geringen Unruhe, die so stark war, da� ich zitterte; aber ich begann ein Gespr�ch mit Eschenheim �ber die letzten Wahlen in Wallis, Dreiburg und Luzern, welche ganz zu Gunsten der Ultras, seiner Partei, ausgefallen waren, bezweifelte den Erfolg, stritt mit ihm, zog den Obersten hinein und verwickelte den Streit �ber dies Thema mit solchem Erfolg, da� wirklich eine geraume Zeit verging, ehe Elsis Ausbleiben auffiel.
Der Oberst, der, nach seiner Art, wie ein Stier nach dem rothen Lappen stie�, sprang endlich auf und schleuderte mir einen seiner grimmigsten Blicke zu.
Hole der Henker allen Streit mit Leuten, die mehr von uns wissen, wie wir selbst! schrie er. Dabei vergessen wir Elsi. Wo ist das M�dchen geblieben? Wir m�ssen nach ihr ausschauen – aber was ist das? Holla! schlie�t die Th�ren!
Bei seinen letzten Worten fuhren wir Alle empor, denn drau�en begann ein dumpfes Brausen, ein Rauschen der B�ume im Garten, ein Krachen in den Bergen, als st�rzten diese zusammen. Im n�chsten Augenblick aber schmetterten ein paar offene Fenster in St�cke, zerbrochene Aeste flogen umher, Steine polterten von den Zinnen des alten Hauses. –
Ein w�thender Sturm brach los, und mit seinem Heulen und Pfeifen mischten sich Donnerschl�ge, spalteten lange, blendende Blitze die Nacht und zeigten auf Augenblicke die Gletscherk�mme, die Eis- und Schneefelder und die ungeheuren Gebirgsmassen, wie in Sonnenhelle.
Das Unwetter kommt �ber uns! rief der Oberst. Bleiben wir beisammen, bis es vorbei ist; ich denke es wird uns nicht lange peinigen.
Wir standen alle an den Fenstern, der Himmel sah prachtvoll aus. Wild zerrissene Nebelmassen flogen jenseits des Sees �ber die Gebirge, andere wei�leuchtende Wolken stemmten sich dagegen an, und streckten lange Arme aus, um den Feind zur�ckzuhalten. Oben war das Gew�lbe des Firmaments bleifarbig, schwer und dicht, aber wenn das Geflimmer der Blitze darauf hinzuckte, sah es durchbrochen und durchw�hlt aus, wie mit Abgr�nden, Spalten und Rissen �bers�et. –
Dazu h�rten wir den Wind mit solcher Wuth an Mauern und Felsen schlagen, da� es wie abgefeuerte Gewehrsch�sse klang und ich bewunderte, wie die Scheiben der Fenster den Druck aushalten konnten.
Ich glaube nicht, da� der Dampfer es wagt, von Wesen abzugehen, sagte Eschenheim.
Wenn er es gewagt hat, wird er umkehren, meinte seine Mutter.
Umkehren ist oft schlimmer, als muthig vorw�rts, rief der Oberst.
Diese Worte erinnerten mich an Elsi. – Wo war sie? Wo Rudolf? Was war aus beiden geworden?
Ist es m�glich, fragte ich, da� ein Boot in solchem Wetter aushalten kann?
M�glich wohl, erwiderte R�ttiberg, allein es geh�rt Gl�ck dazu, nur mu� der B�ttliswind nicht etwa den Hexentanz vollst�ndig machen. Ich habe �rgere St�rme hier erlebt, zur tiefen Herbstzeit oder im Winter – aber da kommt Elsi, nein, es ist B�bli! – Was hast Du? Was ist geschehen? Wie siehst Du aus? Ein Ungl�ck!
O! Herr, Herr! schrie die zitternde Magd, die H�nde ringend, lauft ihr nach, sie ist zum Thor hinaus!
Wer? Elsi! – Bist toll geworden?! rief der Oberst starr aufgerichtet.
Nein, Herr, nein! antwortete sie. Leute kommen von unten herauf, sagen, sie haben sie gesehen. Unterm Schinglisteg hat ein Boot gelegen, das ist hinaus in den w�thenden See. Drei M�nner darin, und Elsi mit ihnen.
Ohne ein Wort zu erwidern, griff der Oberst nach dem Armleuchter, der auf dem Tischchen stand, und eilte hinaus. Eschenheim sprang voran, die Treppe hinauf.
Ich blieb zur�ck, ich wu�te, was sie finden w�rden. Schweigend warf ich mich in einen Stuhl, mein Herz war, von Angst erf�llt. Als ich meine Augen aufhob, sah ich in Frau von Eschenheims Gesicht, die mir gegen�ber sa�.
Ihre gl�sernen Augen waren auf mich gerichtet, ihr mumienhaftes Gesicht sah mich stier an. –
Sie ist davongelaufen, sagte sie.
Ich f�rchte Sie haben Recht, fl�sterte ich.
Und er mit ihr, fuhr sie fort. Er war hier. Ich hatte eine Ahnung. Ich sah es ihr an. Sie wu�ten darum!
Ich sprang auf, der Oberst polterte die Treppe herunter. Ich h�rte ihn die Hausth�r aufrei�en, und hinter mir das hohle, gespenstische Lachen der alten Frau, die ihre d�rren H�nde heftig zusammenschlug.
Als ich aus dem Hause trat, schien der Sturm vor�ber zu sein, nur hoch oben in der Luft brauste und pfiff es, als tummle sich dort die wilde Jagd; was mich aber beruhigte, schien den entgegengesetzten Eindruck auf R�ttiberg zu machen.
Durch das Thor eilten mehrere Leute herbei, lange Fackeln in den H�nden, und unten an der Uferbucht sah ich �hnliche Gestalten, die schreiend hin- und herliefen und mit den feurigen Lichtern auf den See hinausleuchteten. Der Oberst ri� einem der M�nner die Fackel aus der Hand und eilte auf die Spitze des Felsens, in jenes Gartenh�uschen, das �ber die �u�erste Ecke hinaus hing. –
Sein graues Haar flog um das blutlose Gesicht, das pl�tzlich eingefallen und seltsam greisenhaft aussah. Eine ungeheure Angst mu�te ihn qu�len; er klammerte sich mit einer Hand an den Pfosten, hielt die Fackel hoch empor und bog sich so weit �ber den tiefen Schlund hinaus, da� ich meinen Arm um ihn legte. –
Das Licht warf seinen zitternden Glanz �ber den See, dessen hohe Wellen wild �ber einander schlugen. Es waren Berge und Th�ler, wei�e K�pfe, die auf schwarzen Leibern sa�en, lange, gl�nzende Schaumstreifen, wie zahllose Furchen und B�nder dar�ber hingeworfen. –
Pl�tzlich stie� R�ttiberg einen weit hallenden Schrei aus und deutete mit dem Arm vor sich hinaus. Auf einer hohen Wogenspitze schwamm das Boot und st�rzte in einen Abgrund nieder.
Zur�ck! schrie er mit seiner m�chtigen Stimme. Kehr um, der B�ttlis kommt! Elender! Wahnsinniger! Elsi! – O, Jesus Christus! hilf ihnen. Alles soll vergeben sein – ich will, ich will!
Und w�hrend er sprach, fuhr ein rasender Windsto� nieder, als k�me er senkrecht aus den Wolken. In einem Augenblick waren alle Fackeln ausgel�scht. Sto� folgte auf Sto�. Der w�thende Sturm, im Norden und S�den aufgewacht, wie zwei Ungeheuer, die, von ihrem Lager springend, mit den K�pfen auf einander rennen, traf krachend und heulend auf dem dampfenden Wasserkessel zusammen, und oben spaltete sich der Himmel und warf einen Feuerballen aus, der gleich einem B�ndel Schlangen nach allen Seiten zuckend sich zertheilte.
Der See war von dem elektrischen Lichte tageshell; zerw�hlt bis in seine Tiefen, zerschmetterten sich die Wasser in Staub und Gischt. Aber ich sah das Boot, wir Alle sahen es, sahen die Menschen darin, wie sie verzweifelnd ihre H�nde aufhoben, sahen ein wei�es, flatterndes Gewand, ein M�dchen von einem Mann eng umfa�t. – Alles war ein Augenblick, ein Traumbild, ein Fantom, das mit Gedankenschnelle wieder verschwand.
R�ttiberg machte eine j�he Bewegung, als wollte er hinunter springen, wir hielten ihn fest. Sturm und Donner �bert�nten alle Worte, ein neuer m�chtiger Blitz zerri� die Nacht zweimal, aber von dem kleinen Fahrzeug war nichts mehr zu entdecken. Leblos brach die m�chtige Gestalt des Obersten zusammen und fiel in meine und Eschenheims Arme.
Ich habe nur wenige Worte noch hinzuzuf�gen. R�ttiberg war von einem Schlaganfall getroffen; am n�chsten Morgen fand eine heftige Erkl�rung zwischen ihm und Moritz statt, dem er alle Schuld seiner H�rte zuschob, und welcher erbittert Richtersb�hl mit seiner Mutter verlie�, ohne mich weiter eines Wortes zu w�rdigen.
Die Leichen der Verungl�ckten sind nicht aufgefunden worden. Der tiefe See hat sie behalten, oder in eine unterirdische Kluft gef�hrt; vergebens lie� der Oberst alle m�glichen Nachforschungen machen. –
Ich verweilte noch einige Zeit bei ihm, weil er es zu w�nschen schien. Sein starker Charakter gewann schnell Fassung und Ruhe, und mit der eisernen Energie seines Willens betrieb er seine gro�en Gesch�fte in gewohnter Th�tigkeit. –
Wenn er zur�ckkehrte, setzte er sich in das kleine Gartenhaus und sah auf den See hinaus; oft auch schien er Trost in dem Glauben zu suchen, da� Elsi und ihr Geliebter entkommen sein m�chten und eines Tages Nachricht geben w�rden. –
Es ist nicht wahr, sagte er dann finster l�chelnd, ich wei� es wohl, aber es ist doch sch�n f�r einen alten einsamen Mann, solchen Glauben festzuhalten. Wenn die Familienkiste nicht gewesen w�re und der gierige Teufel, der mich stachelte, o! dann – dann! – Wie viele Menschen k�nnten gl�cklich und froh durch dies arme, kurze Erdenleben gehen, aber Vorurtheile, Kastend�nkel und fanatische Selbstsucht bringen Gram und Elend �ber sie!
* * *