Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
An einem sch�nen Septembertage, des Jahres 1845 war ich in den Marschen der Friesen, die an der Westk�ste des Herzogthums Schleswig von Husum bis Tondern n�rdlich fortziehen. – Marschen nennt man die fetten, fruchtbaren Tiefl�nder, welche von allen Seiten gegen die Meereswogen durch hohe Deiche gesch�tzt werden und zwischen diesen mit ihren reichen, herrlichen Saaten und leuchtenden Wiesen wie zwischen ungeheuern Festungsw�nden ruhen.
Ein unheimliches Gef�hl beschleicht den Reisenden, wenn er auf den Kronen dieser hohen Deiche steht, wo zu seiner Linken der Schaum der brandenden Wellen zu ihm heraufspritzt, w�hrend er weit �ber ein sturmgepeitschtes, tobendes Meer blickt, und dann zu seiner Rechten die gr�n gesegnete Ebene liegt, wo blanke Rinderschaaren sich im Grase strecken, wo der goldene Weizen in unabsehbaren Feldern wogt und Schafe und Pferde um die H�gel weiden, auf denen die Menschen in Gl�ck und Wohlstand, zwischen Blumen und Geb�schen ihre friedlichen H�user gebaut haben. Auf der einen Seite segelnde Schiffe, die �ber schwarze, schlammige Wasser fahren; in der salzigen Tiefe Fische, Seehunde und h��liche Rochen, wild schreiende M�venschw�rme dar�ber; auf der andern Seite aber das sonnige Gr�n, das Menschenleben, der Schrei der Freude und der Lust. –
Wenn einer dieser Deiche br�che, wenn es der Sturmfluth gel�nge, ihn zu durchw�hlen oder mit ungeheuren Wogen �ber seine H�hen wegzust�rzen, w�rde in wenigen Minuten der Segen sich in Fluch, das Leben in grausamen Tod umwandeln, die Marsch ein Meer seyn, auf dem die Leichen der Menschen und Thiere und die zerst�rten Tr�mmer ihres Gl�ckes wild durcheinander trieben.
Aber wie oft ist die� nicht schon geschehen!. Wie oft gingen viele tausend Menschen Abend froh zu Bett, um nie wieder aufzustehen. Denn die� Meer, welches jetzt seine Wellen leise grollend �ber die strohgestickten Deichbettungen w�lzt, steigt bei Sturmfluthen drei�ig, ja vierzig, Fu� hoch davor empor. Auf hundert Meilen br�llt dann der Wasserberg und schl�gt und w�scht mit f�rchterlicher Kraft an diese Bollwerke. –
In fr�herer Zeit, als sie noch nicht so stark waren, wie jetzt, �berstieg er so oft in Zeit weniger Minuten und wenn der Morgen kam, war alles Leben vernichtet. Jetzt geschieht das seltener; doch wenn Du in die Marsch hinunterblickst, die von zahllosen Gr�ben durchschnitten ist, in welchen sich die Wasser sammeln und �ber welche nur der Marschbewohner mit Hilfe seines langen Springstockes zu setzen vermag, wenn Du die Schleusen und k�nstlichen Werke betrachtest, welche die eindringenden Fluthen wieder hinaus schaffen, wenn Du siehst, wie na� und weich der Boden ist, und wie die H�user, welche vereinzelt �ber die Marsch zerstreut sind, jedes auf einem k�nstlichen H�gel erbaut, der die Warf genannt wird, wie umbuschte Inseln aus einem Meere von Gras und Schilf aufragen, so meinst Du gewi�, es k�nne der Mensch hier noch jetzt wohl keine Nacht ruhig schlafen, ohne f�rchten zu m�ssen, vom Donner der Fluth, die an seine Schwelle schl�gt, geweckt zu werden.
Aber die Bauern in der Marsch sind ein k�hnes Geschlecht und so stolz auf ihr reiches Land, da� sie alle Bewohner der H�hen, der Geest, wie diese genannt werden, mit einer gewissen Geringsch�tzung betrachten, so da� ein alter Bauer einst zu seinem reiselustigen Sohn sagte: �Mein Sohn, die� ist die Marsch, die ganze �brige Welt ist nur Geest, was willst Du Narr also in's w�ste Land hinaus gehen?� – und wie jener Bauer, so denken die meisten. –
Ihre H�user, ger�umig und von Backsteinen gebaut, zeugen eben so wohl von ihrer Wohlhabenheit, wie von dem Reinlichkeitssinn, welcher Friesen und Sachsen, gleich den Holl�ndern auszeichnet. Die W�nde des Zimmers sind gl�nzend wei�, die Decken von Holz mit blauer oder rother Oelfarbe bestrichen, die Fenster mit gro�en Glasscheiben lassen helles Licht herein. Alles athmet Sauberkeit und Sorgfalt. Die Tische und Dielen sind so blank gescheuert, die St�hle mit Kissen von Seegras belegt, Kupferstiche in Rahmen h�ngen an den W�nden, eine alte Geh�useuhr, die von Gro�vater auf Sohn und Enkel erbte, hat zwischen den Schildereien ihren Platz und im Pesel, dem gro�en Raume, der zur Sommerzeit das Wohn- und Gastzimmer bildet, stehen die m�chtigen messingbeschlagenen Kisten, welche den Leinen- und Bettenschatz enthalten, oder sch�ne alte Schr�nke, mit Holzschnitzwerk bedeckt, die Zeugni� geben, da� in fr�herer Zeit schon die Holzschnitzkunst hier wohlbekannt und wohlgeachtet war.
So sind die H�user in der Marsch auf den Warften meist behagliche Geb�ude mit langen Fensterreihen, und man merkt es ihnen nicht an, da� mitten in ihrem Mauerwerk dicke Pf�hle tief in die Warft eingerammt sind. Diese Pf�hle tragen das Dach des Geb�udes und sind dazu bestimmt, da�. wenn Sturmfluthen einbrechen und den Steinbau wegschlagen, der ihrer Wuth nicht zu widerstehen vermag, doch die Holzbalken in der Warft wohl stehen bleiben m�gen, auch das Dach mit ihnen, auf welches sich die Bewohner retten k�nnen, und diese Einrichtung hat schon vielen Menschen das Leben erhalten.
Aber an Nichts merkt man so sehr, da� man bei einem Volksstamme verweilt, der auf dem Meere heimisch, an dessen K�sten oder Inseln se�haft ist und eher Schiffe besa�, als H�user, als an den Lagerst�tten, denn diese sind noch ganz so eingerichtet, wie man sie auf Schiffen findet. In Holzverschl�gen an der Wand sind sie angebracht und werden mit Schiebern zugeschoben, so da� man bei Tage Nichts davon gewahr wird. Da liegen die Marschbewohner warm und dunkel, und wenn der Sturm weht, wenn das Meer dumpf braust und das Geb�ude �chzt und knarrt, tr�umen sie von dem wilden wogenden Element, das ihrer V�ter Wiege und erste Heimat war.
Nachmittags sa�en wir im Sonnenschein vor dem Hause Peter Jansen's, des Landeshauptmanns, eines wohlhabenden Hofbesitzers, denn kein adlicher Herr wohnt hier, kein Vornehmer. Seit uralter Zeit haben hier nur freie und gleiche Leute gelebt, und so tief eingeimpft war von je an die Freiheitsliebe bei den Friesen, da� ihr Wahlspruch hie�: �Lieber todt als Sklave!� und ihr gr��ter Stolz war es, da� kein Herr und kein Knecht in ihrem Volke geduldet werde.
Der Garten des Landeshauptmanns zog am Abhange der Warft hin, wo zwischen Taxushecken die sch�nen dunkelrothen Levkoyen der Marsch und gro�e farbige Nelken bl�hten. Vor uns lag die gr�ne reiche Ebene, der Seewind rauschte �ber die Deiche durch die kahl gefegten Kronen der Linden und auf dem Tisch brodelte der Theekessel. Dazu standen aus blauem Porcellangeschirr die Tassen daneben, und Teller, gef�llt mit frischer Butter, Waizenbrod, wei� wie Sonnenlicht, und mit Zuckergebackenem, wie es die friesischen Hausfrauen lecker zu bereiten verstehen.
Thee und Kaffee wird vom Morgen bis zum Abend in den Marschen getrunken, denn das Wasser ist sumpfig und krankmachend, aber abgekocht und zum Thee verwendet, gibt es diesem einen ganz besondern Wohlgeschmack. So sa�en wir denn, munter sprechend und trinkend; die freundliche Wirthin h�rte nicht auf zu n�thigen; Peter Jansen aber erz�hlte vielerlei von dem Leben in der Marsch, von den Winterst�rmen, die mit f�rchterlicher Gewalt toben, von der Regenzeit im Herbst und Fr�hjahr, wo die Marsch sich in Schlamm und Wasser aufl�st und die Menschen auf ihren Warften oft wochenlang, abgeschnitten von der �brigen Welt, in den H�usern sitzen, weil die Wege grundlos und nicht zu betreten sind. Nur auf den Deichkronen kann man dann fortkommen, aber es kostet M�he dahin zu gelangen und Niemand mag es wagen, in Sturm und Nacht und Nebel hier zu wandeln, denn mancher Wagehals hat es schon bereut und ist nie wiedergekehrt. Vielleicht that er einen Fehltritt, glitt aus und st�rzte in die hohe Fluth, welche unter ihm an den Deichen brandete, vielleicht wehte ihn der Orkan hinunter, oder Nebel, in dessen stickender Dichtigkeit man zuweilen keine Hand vor den Augen erkennen kann, leitete ihn irre, wenn er etwa mit schwerem Kopf aus dem Wirthshause in der Stadt heimkehren wollte.
Nach der Sage aber gehen auf diesen Deichen alln�chtlich zahllose Gespenster und Kobolde um, die den Sterblichen heimt�ckisch fassen und in die br�llende See sto�en. Da reitet ein b�ser Voigt auf schwarzem Ro�, dem das Feuer aus den N�stern spr�ht, und wem er begegnet, der mu� hinunter in den Abgrund; da springen seltsame Wesen pl�tzlich dem Wanderer in den Nacken und er kann sie nicht absch�tteln. Sie decken mit ihren kalten H�nden seine Augen zu; er h�rt ihr schreckliches Gel�chter und in wahnsinniger Angst und Blindheit st�rzt er in die Tiefe; oder der Dr�nger f�llt den n�chtlichen Pilger an und fa�t ihn mit seinen entsetzlichen Armen. Man sieht ihn nicht und h�rt ihn nicht, aber man f�hlt sich wie mit eisernen Ketten umschlungen. Der Dr�nger will sein Opfer in die hungrig wartende Fluth hinabschleudern, die� wehrt und str�ubt sich dagegen und nun geht es an ein Balgen auf Leben und Tod, bis alle Kraft ersch�pft ist und der Dr�nger es ers�uft, oder das gr��liche Wesen mit dem ersten Morgenstrahle ablassen und entfliehen mu�.
Mancher hat so gerungen die ganze Nacht �ber und ist in Schwei� gebadet endlich mit dem Leben davongekommen, viele Andere verschwanden auf ewig; wer aber die Deiche sieht und das Meer davor, das mit der tiefen Ebbe sechs Stunden weit sich zur�ckzieht und einen grausigen schwarzen Schlammgrund bloslegt, in den man schaudernd hinausblickt, bis endlich die Fluth wiederkehrt mit ihrem donnernden Wasserschwall, der wird es dem Volksglauben verzeihen, da� er seine Gespenster in die wilden Ein�den des Vorlandes und der Watten bannte, wo sie wimmernd und Erl�sung suchend umherirren.
Die aufgekl�rten Leute glauben freilich l�ngst nicht mehr daran, so versicherten uns die Marschleute; der Landeshauptmann aber sagte zuletzt lachend �Wenn es auch nicht wahr ist, was das Volk sich erz�hlt, so glaubt doch, Ihr Herren, es gibt bei uns so viele Noth und Gefahr, angstvolle N�chte und traurige Tage, wie es die Leute, welche im sichern Lande wohnen, kaum denken m�gen. – Wenn wir Nachts aufwachen in unseren Betten und h�ren den Sturm heulen, wenn jede Fuge bebt und das Dach knarrt �ber unsern K�pfen, horchen wir �ngstlich auf den Donner der See, denken an unsere Deiche und falten mit bangen Sorgen betend unsere H�nde.�
�Aber Sie haben seit dem Jahre 1825 keinen Deichbruch gehabt,� – erwiderte ich.
�Ist richtig,� fuhr er fort, �doch er kann in jeder Nacht kommen, wo der Nordwestwind die Springfluth gegen unsere kostbaren Bollwerke treibt. Wir bauen und bessern daran seit Jahrhunderten, allein mit dieser wilden See wird unser Kampf niemals aufh�ren, denn wer kann sie unth�tig machen?�
Unten am Tische sa� ein alter Mann, ein Schullehrer, wie sie in den Marschen umherziehen von Hof zu Hof, da und dort eine Zeit lang einsprechen und die Kinder unterrichten, bis sie weiter wandern. Der alte Mann mit d�nnem wei�em Haar und langem faltigem Gesicht sa� unbeweglich fast, ohne an unserm Gespr�ch Theil zu nehmen. Er trank seinen Thee und hielt die Thonpfeife mit der bunten Posenspitze weit ausgestreckt im Munde. Fest stie� er den Rauch in drei dichten Wolken von sich und sagte mit feierlicher Langsamkeit:
�Keine s�ndige Berufung, Peter Jansen, mach es nicht schlimmer als es ist; dankt unserm Herrgott im Himmel f�r die festen hohen Deiche. Haben nun zwanzig Jahre gehalten, die Deiche, ist mancher Sturm und manche Fluth gegen sie angefahren und konnten nichts ausrichten mit ihrem W�then. Sind zu gut gebaut und zu hoch, werden sorgsam unterhalten und bewacht, werden auch immer st�rker gemacht und fester; mu� ein Ereigni� kommen, wie es der allm�chtige Gott selten in seinem Zorne �ber die Menschheit zul��t, ehe es hier zum Aergsten geht. Aber denkt an die Halligen, Peter Jansen, denkt an die armen Leute da drau�en, die mitten in der br�llenden See ohne Schutz und Schirm sitzen.�
�Denke wohl daran,� erwiderte der Landeshauptmann. �War eine schreckliche Nacht, und Ihr waret mitten darin; habt das ganze Elend mit erlebt.�
�Wie war es mit den Halligen?� fragte ich begierig.
�Erz�hlen Sie uns, wie es herging,� riefen meine Begleiter.
Der alte Mann schien es nicht ungern zu thun. –
�Sie wissen doch,� sagte er, �da� wir die kleinen Eilande mitten im Meere vor unserer K�ste Halligen nennen? Sie sind die Reste gr��erer Landst�cke, welche die See nach und nach weggeschlagen und auf ewig versenkt hat; wird auch diese Ueberbleibsel sich abholen, denn j�hrlich rei�t sie St�cke davon los. Jetzt sind nach sechzehn solcher kleinen Eilande �brig, wo Menschen wohnen, meist aber nur eine Familie oder zwei und drei, die Wohnungen auf Warften erbaut haben und nichts besitzen, als eine Anzahl Schafe, welche von dem d�rftigen Graswuchs leben. Deiche sind nirgend vorhanden, denn die Kosten sind zu gro�, man kann sie nicht erhalten. Das Meer steigt bei jeder h�heren Fluth �ber die Hallig hin bis an die Warften hinauf. Trinkwasser gibt es da nicht, es wird in Gruben auf der Warft gefangen und vom Lande her�bergef�hrt, wenn der Halligbewohner dann und wann in seinem Boote zu uns schwimmt, um zu kaufen, was er n�thig hat. Es ist ein elendes, kummervolles Leben, Herr, auf diesen kleinen Inseln, der Tod steht immer vor ihren Th�ren, und doch h�ngen die Menschen mit unendlicher Liebe an dem Fleck Erde und k�nnen nicht von ihm lassen, er ist ihre Wiege und ihr Grab. Da werden die k�hnsten Seefahrer auf Erden geboren, die besten Schiffskapit�ne kommen von dort. In fr�hern Zeiten nahmen die Holl�nder keine andere und noch jetzt f�hren viele die sch�nsten Schiffe durch das Weltmeer, werden wohlhabend und reich, aber immer wieder kehren sie auf ihre Hallig zur�ck, w�re es auch nur, um da zu sterben.
Bei jeder hohen Fluth gehen die Wogen �ber die Hallig hin; wenn aber Sturmfluthen kommen, dringen sie �ber die zwanzig Fu� hohen Watten in die H�user, ja wohl bis �ber die D�cher hinaus, die mit allen Bewohnern dann weggesp�lt und vernichtet werden.
Die Noth solcher N�chte zu beschreiben, vermag keine menschliche Zunge,� fuhr der alte Mann mit leisem Kopfsch�tteln fort. – �Fliehen kann keiner, wohin soll er? Rund umher sch�umt und brandet das f�rchterliche Meer. Drinnen mu� der Mensch bleiben in der engen Wohnung, denn drau�en wird er weggeweht. Er kann nichts h�ren vor dem Heulen und Sausen des Windes, dem Knarren des Hauses und dem Brausen der See, die an seiner Schwelle tobt. Mitten im wilden Aufruhr der Elemente mu� er geduldig warten, bis die Mauern brechen, die Pf�hle umst�rzen, welche sein Dach tragen und sein angstvolles Daseyn ihm genommen wird. Wenn Nordweststurm die Springfluth in die Buchten der Frieseninseln treibt, dann schwillt die See wohl bis vierzig Fu� �ber ihren gew�hnlichen Stand. Alle offenen Ebenen der Friesenlande sind dann unter Wasser; klagend klammert sich die M�ve an den R�ndern der �den D�nen fest und selbst die wildesten V�gel der Nordsee, vor ihrer eigenen Heimath bange, suchen ein Obdach bei den Menschen. Dann zittert das Haus auf der Warft, die Betten bewegen sich, der Grund dr�hnt dumpf unter dem Wogenschlag und scheint zu wanken, und der arme Halligbewohner blickt bang in das Krachen und Brausen der Nacht hinaus. Betend faltet er mit Weib und Kind die H�nde, da� Gott sich erbarme, der einzig ihn erretten kann, betend birgt er seine beste Habe auf den Boden und flieht dort hinauf, wenn die Wasser durch W�nde und Fugen quillen. Wer die Demuth vor Gott nie gef�hlt hat, mu� solche N�chte erleben. Da w�rde ein K�nig seine Krone verschenken und der Reichste seinen Reichthum und der Stolzeste seine Ordensb�nder und Sterne um Erl�sung aus solcher Todesnoth.�
�Und Sie erlebten eine solche entsetzliche Nacht?� fragte ich erregt.
�Ich habe sie erlebt und kann sie nie vergessen,� sagte der Greis. �Es war die schreckliche Nacht zum 4. Februar 1825. Seit einigen Wochen war ich damals auf S�d� im Hause eines Freundes und h�tte die Halligen gern verlassen, aber anhaltend tobten die Nordwestst�rme, �berdeckten die Insel allt�glich mit sch�umenden Wogen und f�hrten sie an die Warft empor, zuweilen bis an die Hausschwellen und Th�ren, wo sie donnernd anpochten. Kein Boot konnte See halten, Ebbe und Fluth kamen und gingen ganz au�er Ordnung und Regel; doch was den Fremden �ngstigt, macht meist den Halligm�nnern wenig Sorge.
Abends sa�en wir guten Muths um den Tisch, auf welchem der Theekessel dampfte, rauchten und tranken, w�hrend die Spinnr�der der Weiber schnurrten, erz�hlten Geschichten von St�rmen und Sturmfluthen und lachten, wenn wir h�rten, wie zuweilen fremde Schiffe, bei Nacht und hohem Meer �ber die Halligen hinweggefahren, wo die Mannschaft an Zauberei glaubte, wenn sie pl�tzlich dicht neben sich in eine hell erleuchtete Stube schaute, die aus dem Grunde der See herausgehoben auf den Wellen zu schwimmen schien. Dann und wann nur wurde das Geplauder unterbrochen, wenn drau�en das Brausen und Geheul st�rker ward, oder eine m�chtige Woge wild �ber die Warft schlug und an der Mauer des Hauses mit schmetterndem Schlag zerst�ubte. Dann sah wohl der Eine den Andern an und der Faden fiel aus der Hand der M�dchen, aber im n�chsten Augenblick war der Schreck vor�ber. Das Haus war neu und stark, seine Pfosten waren tief gesetzt und die Warft frei und fest.
Am Abend des dritten Februar sa�en wir nun auch so beisammen und waren froher gestimmt als je. Denn obwohl es drau�en stark wehte und dann und wann in furchtbaren St��en st�rmte, war der Himmel doch hell und klar, die Sterne schienen mit silbernem Gefunkel herunter und strahlend go� der volle Mond sein Licht �ber das unerme�liche Meer aus.
Wir sahen davon Nichts, denn die L�den waren dicht vor die Fenster gelegt, aber wir wu�ten es und hatten die frohe Hoffnung eines Wetterwechsels, der unsere Gefahren beenden mu�te. Pl�tzlich kam ein Weinen aus der Kammer, wo die Kinder schliefen; ein kleines siebenj�hriges M�dchen lief schreiend aus dem Schlaf zu ihrer Mutter und fa�te mit beiden H�nden das Knie der Frau. ›Mutter, liebste Mutter,‹ rief es jammernd, ›wir m�ssen Alle sterben in dieser Nacht, es ist vorbei mit uns, es ist Alles vorbei!‹
Die Mutter gab dem Kinde einen Schlag auf die Finger und sagte halb lachend, halb erz�rnt: ›Geh schlafen und tr�ume nicht, du schnaksche Dirne, es hat keine Noth. Drau�en scheint der Mond hell und morgen springst du mit den Schafen im Sonnenschein.‹
›O nein, nein!‹ schrie das Kind, sich fester klammernd. ›Wie weht es drau�en so stark. Es kommt na� in mein Bett.‹
›Bist ein Narr,‹ sagte der Vater rauh, indem er den Blick nach der alten holl�ndischen Geh�useuhr richtete. ›Es hat noch nicht zehn geschlagen, hohe Fluthzeit ist um zwei, also geh.‹
Hier hielt er inne, denn pl�tzlich war es, als sch�ttle sich das Haus. Die Tassen und Teller in den bunten Schr�nken klapperten hin und her und klangen gegen die Gl�ser und das Kupfer bewegte sich an der Wand.
›Was ist das?‹ rief der Mann und wir Alle sprangen von den St�hlen und eilten ihm nach zur Th�r. Er ri� sie auf und stand einen Augenblick wie gel�hmt. Der Sturm fuhr wild durch die blitzende Nacht, welche vor uns lag in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit. Der Himmel hing dar�ber wie eine unendliche Sternendecke und vor uns w�lzte sich das Meer in dunklen Th�lern und leuchtenden Bergen, deren Gipfel das blendende Licht des Mondes feenhaft �berstrahlte.
›Gott sey uns gn�dig in dieser Nacht!‹ murmelte Jens, indem er die H�nde zusammenschlug und auf die wei�en Wellenk�mme hinaussah, die hoch �ber die Warft hinaufschlugen, uns mit Schaum und Wasserstaub bedeckend. Dann aber mit der Entschlossenheit eines Mannes, der in Gefahren alt geworden ist, fa�te er Weib und Kind mit seinen nervigen Armen, dr�ngte sie und uns Alle in's Haus zur�ck, schlug die Eichenth�ren zu, schob die Riegel davor und den Querbaum und schrie mit m�chtiger Stimme: ›bringt die Schafe auf den Boden, rettet die Lade und den Schrank, die Betten und die Kinder. In einer Viertelstunde werden wir das Wasser im Hause haben und Alles wird zu sp�t seyn.‹
Nun gab es ein Laufen und ein Schreien. Es waren drei M�nner da, zwei Frauen und drei Kinder und jeder suchte die steile Bodenleiter hinaufzuschleppen, was er fassen konnte. Aber die Fluth war schneller, als wir meinten. Nach wenigen Minuten schon sahen wir das Wasser in leisen kleinen B�chen ger�uschlos durch die Fugen und Ritzen der Th�r rieseln, so quoll es auch aus dem Gestein und aus den Dielen hervor und breitete sich immer rascher und eiliger aus. Pl�tzlich scho� eine hohe Welle gegen die L�den vor den Fenstern und drinnen klangen die Scheiben. Die kleinen Gef��e, Kisten und Kasten fingen an zu schwimmen und zu treiben und nun schmetterten die Wogen gegen die ganze Breitseite des Geb�udes, jede wilder und m�chtiger als ihr Vorg�nger. Th�r und Fenster klirrten und �chzten, das Haus zitterte in seinen Grundfesten, die Weiber und Kinder flohen zum Boden hinauf, wir M�nner aber sa�en auf dem Tisch, zwischen uns die kleine Lampe haltend, die mit ihrem tr�ben Fl�mmchen unsere angstvollen Gesichter und das dunkle, immer h�her wachsende Wasser beleuchtete.
Gesprochen wurde nichts und was sollten wir auch sprechen? Alle unsere Aufmerksamkeit war auf das Brausen der Wellen und ihre furchtbaren Schl�ge gerichtet, die mit stets erneuerter und gr��erer Gewalt das Haus ersch�tterten. Zuweilen war das Toben der berstenden Wasser und das Geheul des Sturmes, der sie begleitete, so arg, als w�rden drau�en Kanonen gel�s't, deren Donner uns umt�nte, dabei wuchs die Fluth von Minute zu Minute um unsere F��e. Bald war von dem Bett in der Wand und vom Heerdsteine nichts mehr zu sehen; finster sich kr�uselnd, kroch es zu uns an der Tischplatte in die H�he, nur wenig mehr als ein Haar breit fehlte daran, bis es uns erreichte, als pl�tzlich ein ungeheurer Schlag an der Mauer geschah und mit Gedankenschnelligkeit eines der Fenster sammt dem Laden und die Einfassung mit dem Stockwerk aus den Fugen sprang und niederw�rts �ber uns hinst�rzte.
In demselben Augenblick fuhr ein Balken von einer der m�chtigen Wellen getragen durch die Oeffnung in das Haus, durchbrach die Hinterwand, welche in die Kammer f�hrte, und st�rzte mit dem Schwall des Wassers, der ihn hineingetragen, krachend nieder. Die Woge, welche sich �ber uns ergo�, warf zugleich unsern Tisch um und sp�lte uns in ihren Wirbel weiter. Ich stie� einen Schrei aus, denn der Sto� hatte mich hart an eines der schwimmenden Gef��e geschleudert, aber Jens fa�te mich mit seiner starken Hand und ri� mich auf zur Th�r fort, die er m�hsam nur noch zu �ffnen vermochte.
Und es war ein Gl�ck f�r uns,� fuhr der alte Mann nach einer Pause fort, �denn hoch stand das Wasser; die Leitertreppe zum Boden war umgest�rzt und fortgeschwemmt, unsere Lampe l�ngst erloschen, in dichter Finsterni� wir mitten in der Fluth und rings um uns der Tod. Mit M�he fanden wir die Leiter und mit gro�er Noth gelang es uns, sie aufzurichten.
›Hinauf, so schnell Ihr k�nnt,‹ rief Jens, ›die Th�r h�lt nicht l�nger aus,‹ und mit starkem Arm ri� er mich die Stufen hinauf, dann den zweiten, endlich er selbst hinterher, und kaum war es geschehen, so kam, was er vorhergesagt. Ein Krachen geschah unten, die Hausth�r flog in St�cke, die Leiter schlug �ber und verschwand; wie sie fiel, st�rzte die ganze Vorwand des Hauses zusammen, nur die St�nder hielten blank und blo�, wie sie waren, und lie�en den w�thenden Wellen nun freies Spiel, die in weniger Zeit, als ich rede, alle inneren W�nde zerschlugen, da� von Allem, was gewesen, nichts mehr blieb, als das Dach, das auf den Pfosten ruhte.
Ein Schrei der Todesangst begleitete den Fall der Mauern und klang durch das Toben des Wassers und des Sturmes. Finsterni� war �berall, das Strohdach, dicht und fest verkoppelt, lie� keinen Schimmer durch; na�, ersch�pft und verzweifelnd warf ich mich nieder und h�rte neben mir das Geschrei der Weiber und Kinder, die den Vater umklammert hielten, der vergebens ihnen Trost zuzusprechen suchte.
›Gott wird es gn�dig von uns wenden,‹ sagte er, ›la� das Klagen seyn, Else, weint nicht, Weiber. Gottes Hand kann es allein, kein Mensch mit aller seiner List und St�rke. Und sind wir nicht gl�cklicher als Andere? Wir sitzen hier auf dem Dach, unsere Warft ist fest, manche mu� schon gebrochen seyn, denn die Balken treiben durch die w�thende See. Ist ein Ungl�ckstag, Peter,‹ rief er mir zu ›wie er seit einem Jahrhundert nicht �ber uns gekommen ist, hab' es nie erlebt und nie sagen h�ren von einem Lebendigen, m�ssen alle Deiche brechen bis an die Eider und weiter hinauf bis in die Elbe. Wer den Morgen erlebt, wird gro�en Kummer sehen.‹
›Werden den Morgen nicht erleben, Jens,‹ sagte ich, ›hat uns Gott durch den Mund Deines Kindes den Tod angek�ndigt, denn wir Alle leiden sollen.‹
›Ist nicht wahr, Peter,‹ rief er dagegen. ›Der allm�chtige Gott hat durch den unschuldigen Mund uns gerettet, hat uns gewarnt, ehe es zu sp�t war, und wird uns weiter beh�ten.‹
In diesem Augenblick fa�te ein w�thender Sto� des Sturmes das Dach und bog es zusammen, wie eine Weidengerte gebogen wird. Die Sparren knarrten und brachen �ber uns, die Rippen des Strohs rissen und trennten sich, Wellenschaum und nasser Staub st�rzten durch den Spalt auf uns nieder, durch den ein Mondblitz matt hereinirrte und unserm Auge zeigte, was ich nie vergessen werde. Vor mir am Boden, die Arme fest ineinander geschlungen, sa�en die Weiber mit aufgel�s'ten Haaren, ihre starren, wilden Blicke zum Himmel gerichtet. Die Kinder hielten ihre Leiber umschlungen und bargen ihre K�pfe in stummer Angst an dem Busen, der sie gen�hrt. Jens stand daneben, sein magerer, fester K�rper und sein blutloses Gesicht waren wie von Stein, hinter ihm in dumpfer Gef�hlslosigkeit stand der andere Mann, den nahen Tod wie ein Opferthier erwartend.
Und w�hrend dieser schrecklichen Minute flog das Dach zerrissen in Luft und See und lie� uns nun alle Schrecken unseres nahen Unterganges erkennen. Der Sturm schien sich mit dem f�rchterlichen Sto�e, der das Dach brach, gemildert zu haben, er tobte nicht mehr so arg, aber der Himmel war so klar, durchsichtig und gl�nzend, wie ich ihn kaum je gesehen. Der Mond strahlte dazu in seiner ganzen Pracht auf die unerme�lichen Wasserberge nieder, die brausend sich b�umten und sich verschlangen. Kein Ton des Lebens, kein Hoffnungszeichen, kein Schrei, keine andere Bewegung als die der emp�rten Wasser unterbrach die f�rchterliche Eint�nigkeit. Es war nichts zu entdecken von nahem oder fernem Lande, alle Halligen, alle K�sten der Au�eninseln schienen tief unter der Fluth zu liegen, alles Lebendige darunter erstickt zu seyn. Es war, als seyen wir von allen sterblichen Wesen auf Erden allein noch �brig geblieben, um die Angst des Todes langsamer und schmerzhafter zu empfinden.
Denn eine schreckliche Gewi�heit l�schte die Hoffnungsfunken aus. Noch war mehr als eine Stunde Zeit bis zur h�chsten Fluth und schon erreichte diese die halbe H�he der Balken und schleuderte ihre Wellenspitzen bis zu uns auf. Zwischen den Spalten der Bretter unter unsern F��en konnten wir die sch�umenden Wogen verfolgen, wie sie durch die eingest�rzten W�nde des Hauses rollten, von den Resten der Mauern abprallten und ein schreckliches Spiel mit Kisten und Kasten, Schr�nken und Ger�then trieben, die sie aneinander warfen, bis endlich die letzte Schranke zusammenbrach und im wilden Wirbel nun Alles auf den breiten Tummelplatz ihrer Wuth gerissen wurde.
Denken Sie sich jetzt,� sagte der alte Mann, �wenn Sie es verm�gen, das Bild unserer Noth. Denken Sie sich die starren thr�nenlosen Blicke, welche die Wasserw�ste durchirren, denken Sie sich die krampfhaft gefalteten H�nde, die Lippen, auf denen das Gebet stirbt, die angstverzerrten Gesichter, deren Entsetzen kein Wort beschreiben kann. Jede Welle, welche an die Pfeiler prallte, die allein unsere Erhaltung besch�tzten, regte die Angst h�her auf; wir f�hlten die durchdringende K�lte der Februarnacht nicht, f�hlten nicht, da� die nassen Kleider an unserer Haut festklebten, f�hlten den Sturm nicht, der unser Haar zerri�, alle Erwartungen und Empfindungen dr�ngten sich auf das Bangen vor der gr��lichen Minute zusammen, die uns aus dem Buche des Lebens streichen sollte.
Und diese Minute nahete, wir sahen sie kommen, ohne irgend etwas thun zu k�nnen, um sie aufzuhalten. Die gl�nzenden Berge vom fl�ssigen Metall, welche uns umwogten, wurden h�her und h�her; die zitternden Balken �berzeugten uns, da� das Wasser immer tiefer und m�chtiger im Grunde nage und bohre. Zuweilen schienen sie zu schwanken und ihr Krachen zeigte an, wie m�hsam sie dem w�thenden Element widerstanden. Der harte Lehm der Warft l�ste sich unter der Arbeit des Wassers auf, er wurde losgerissen und fortgesp�lt, und die hohen Sturzseen, welche mit f�rchterlicher Kraft an dem Holzbau r�ttelten, zogen ihn hin und her, bis kein Widerstand mehr zu leisten war.
Unter allen diesen Schrecken hatte Jens allein seinen ungebeugten Muth bewahrt. Es war ein Mann, der unter den wetterharten Halligbewohnern einen hohen Ruf besa�. Lange Zeit war er wie die meisten jungen M�nner der Halligen und Au�eninseln auf den Meeren umhergefahren, hatte als Steuermann einen Indienfahrer gef�hrt, und sich dann mit dem ersparten Gelde in seine geliebte Heimath zur�ckgezogen. Hinaus in die Welt wollen sie Alle und ihr Gl�ck versuchen, aber wen das Meer nicht verschlingt, der kommt wieder heim mit tiefer Sehnsucht im Herzen, wie die Wanderv�gel wiederkehren, m�gen sie noch so weit ziehen zu sch�nen fernen L�ndern, sie suchen das Nest im hohen Norden immer wieder auf, wo es in Sturm und Nebel an den Klippen h�ngt.
Jens hatte ein Weib genommen und das alte Haus seiner V�ter neu und stark aufgebaut. Mit breitem Steingiebel �ber der Eichenth�r stand es sch�ner da, wie irgend eines, und Jens wohnte als ein gl�cklicher Mann darin. Drei kr�ftige Kinder schrieen dem Vater entgegen, wenn er aus dem Schlick mit seinem Netz voll Rochen und Krabben heimkam, oder sein wei�es Segel der Hallig wieder nahte, zur�ckkehrend aus der Lystertiefe, wohin er sein Schiff gef�hrt, oder von Husum, wo er sein Schaffleisch, seine Felle, und seine M�weneier verhandelt hatte. Keiner war weit und breit zu finden, der ein Boot so zu f�hren verstand, Keiner kannte das Meer besser, Keiner Wind und Wetter, so wie er. Er war ein k�hner, ein echter Friese, vor keiner Gefahr bebend, ruhig �berlegend, voll stolzen Selbstvertrauens und von Kindheit an gew�hnt, am meisten auf sich selbst zu hoffen.
Als das Dach in. St�cken flog, stand er eine Zeit lang starr hinausblickend auf das Meer, seinem Kummer hingegeben. Was er m�hevoll gebaut und erworben hatte, war verloren und verschlungen, aber hier auf diesen nassen Dielen lag doch das Theuerste, gerettet, das er besa�: sein Weib, seine Kinder! Aber der alte Muth kehrte bald zur�ck. Er trug die Kinder auf die sicherste Stelle, sch�tzte sie mit Betten und Ger�th, band seine Schafe an den Balken und Sparren fest, da� Wind und Wellen sie nicht besch�digen mochten, sorgte f�r die Reste seines Eigenthums so gut er konnte, und sprach denen Trost zu, die auf ihn als auf einen Helfer ihrer Noth mit dem letzten kranken Strahl ihrer Hoffnung blickten.
Seine Ruhe, sein Vertrauen hielt ihren Glauben wach, der in jedes Menschen Brust wohnt, den Glauben an Rettung, welchen der Sterbende noch bewahrt, und wenn man auf Jens blickte, wie er fest in das Wellengebraus hinaus sah, wie er mit seinen harten H�nden den Schaum der Wogen von seinem flatternden Haar wischte und mit festen Schritten von Einem zum Andern ging, ihm Muth zuzusprechen, h�tte man glauben sollen, er w�re von aller Sorge und Furcht frei. Aber in seinem Herzen sah es anders aus, und als er zu mir trat, sah ich bald, wie wenig er selbst an Erhaltung unsers Lebens glaubte.
›Habet nie so etwas F�rchterliches geschaut, Peter,‹ rief er mir zu, ›glaube es gern, es geht mir eben so. Bewahre Gott jeder Mutter Kind, werdet davon erz�hlen k�nnen nach langen Jahren.‹
›Glaubt Ihr denn wirklich, da� wir jemals einem Menschen wieder sagen werden, was wir hier erlebten?‹ erwiderte ich.
Er sah mich mit einem wilden schnellen Blick an.
›Sind Beide alt genug zum Sterben, Peter,‹ sagte er dann, ›und habe das Meer wohl schon grimmiger gesehen, wie in dieser Nacht, ohne zu f�rchten, aber da, da!‹ er deutete auf die Kinder, ›das macht das Ende zur Qual, die wie H�llenfeuer brennt. Stehe hier wie ein Lamm und kann mich nicht wehren gegen den Tod, mu� ihn kommen sehen mit offenen Augen. Strecken ihre Arme zum Vater aus, fordern H�lfe und Erbarmen von ihm, das schneidet mit tausend Messern, Peter, das ist das Schrecklichste, was ein Mann erfahren kann.‹
In seinem blassen, ernsthaften Gesicht war ein grausamer Schmerz zu lesen, der pl�tzlich die undurchdringliche Ruhe �berw�ltigte.
›Sind wir denn wirklich verloren, Jens?‹ rief ich, und der Muth, der ihn verlie�, ergriff mich. ›Das Haus steht noch fest, in kurzer Zeit mu� die Fluth ablaufen, das Aergste ist schon jetzt vor�ber.‹
›Nein,‹ sagte er mit trotziger Bestimmtheit, ›das Aergste kommt noch, was wi�t Ihr davon, Peter? Das Haus wankt, die Warft ist zur H�lfte fortgeschlagen, die St�tzen liegen blo�, die Wellen heben die Bretter unter unsern F��en, und nun seht dort hinaus, seht Ihr den schwarzen Berg, der sich �ber das Meer ausdehnt, wie ein Ungeheuer, das in die Wolken hinauf will? Das ist die hohe Fluth, Peter, sie rollt gegen uns auf und kein Leben kann ihr entkommen.‹
Als ich der Richtung seiner Hand folgte, stockte mein Blut vor Entsetzen. In der Ferne, wo Mondschein in D�mmerlicht verschmolzen, stieg ein dunkles, bewegliches Gebirge empor, das mit f�rchterlicher Geschwindigkeit uns zu nahen schien. Es war die h�chste Fluthwelle, die der Sturm vor sich hertrieb und sie zusammengeballt hatte, gleich einem ungeheuren Keil, den er mit unwiderstehlicher Gewalt gegen alle K�sten und Deiche schleuderte. Und ihm voraus h�hlte sich die Tiefe vor seiner Macht und bildete ein schwarzes Thal, aus welchem die Wogen sich aufb�umten, k�mpfend gegen einander st�rzten und zerst�ubten, um wieder zusammenzuflie�en und mit erh�hter Kraft auf uns zu st�rzen. Schmetternd schlugen sie gegen die Westseite des Hauses; die Sturzseen flogen �ber uns hin, die Bretter des Bodens wurden unter unsern F��en aufgerissen, das Wasser quoll darunter hervor, der ganze Bau wankte und krachte und mit dem Gef�hl der Vernichtung schlo� ich die Augen und umklammerte den Balken, an welchen ich mich gelehnt hatte.
Aber es war nicht so. Noch hielten die B�nder; nur an den Seiten waren die Pf�hle fortgerissen und westlich hatte sich das Dach schief hinabgesenkt. Aus meiner Bet�ubung wurde ich durch Jensens Stimme geweckt, die das Gekreisch der Weiber �bert�nte, und wie ich die Augen aufschlug, sah ich den k�hnen Mann rasch �ber das sinkende Dach laufen. Sein Dienstmann folgte ihm und Beide waren besch�ftigt, die Schafe von den Sparren zu l�sen, an welche sie gebunden waren. In diesem Augenblick sch�umte der ungeheure Fluthberg heran, und von Todesangst getrieben, floh ich gegen die feststehende Ostseite. Da lag die Frau auf ihren Knieen, ihre beiden j�ngsten Kinder fest an ihr Herz gedr�ckt, die Augen verzweiflungsvoll auf ihren Mann gerichtet.
›Zur�ck, Jens, zur�ck!‹ schrie sie ihm zu, und getrieben von ihrer Angst sprang sie auf und lief ihm entgegen. Ich wollte sie hindern und vermochte es nicht, wollte ihr zuschreien und wurde durch einen Schlag von ihrer Seite gerissen, wollte mich halten und konnte Nichts ergreifen. Die Woge b�umte sich schwarz �ber uns auf und st�rzte vernichtend nieder. Ein Fallen und Brausen mischte sich mit wildem Gekreisch; ich verlor das Bewu�tseyn.�
Hier schwieg der alte Mann, und setzte gem�chlich seine erloschene Pfeife von Neuem in Brand.
�Jedenfalls,� sagte einer meiner Begleiter l�chelnd, �mildert sich unser Entsetzen, da wir gewi� sind, Ihre Sinne schwanden nicht f�r immer.�
�Nicht f�r immer,� erwiderte er, �aber welch ein Erwachen war es. Zehn Schritte vom Hause, am Rande der Warft, wie es Sitte ist auf den Halligen, der Heuvorrath in einem hohen Haufen fest zusammen gepackt, und die� geschieht mit solcher Gewalt, da� nur mit M�he und mit H�lfe gro�er eiserner Gabeln das Heu, wenn es gebraucht werden soll, herausgestochen werden kann. Die Mitte der Heudieme, wie sie genannt wird, bildet ein starker Pfahl, der sie h�lt, und hier war es, wo ich mich wiederfand. Das Haus war zusammengest�rzt, die letzte St�tze gebrochen, aber die Dieme stand, und die ungeheure Woge, welche mich aufgehoben und in das wilde Meer geschleudert, hatte mich hierher geworfen, wo ich in krampfhafter Starrheit mich an den Pfahl klammerte.
In solcher Noth scheint der schwache Lebensfunken sich vor seinem Erl�schen zu entsetzen, und mit verzweifelnder St�rke eine letzte Anstrengung zu seiner Erhaltung zu machen. Ich hing auf dem absch�ssigen, mit Schlamm und Schaum bedeckten Heu, ohne loszulassen, und doch h�tte eine einzige Biegung meiner Finger hingereicht, mich in die Wellen hinuntergleiten zu lassen, welche mit wei�en Z�hnen meine F��e packten. Das Gef�hl des Lebens kehrte zur�ck, und mit diesem Augenblick zugleich das volle Bewu�tseyn meiner Lage und meiner Gefahr. Der Mond war unter finstern Wolken verschwunden, todte Nacht rings umher. Ich sah Nichts von dem Hause, ich wu�te, da� es mit Allen, die mit mir darin gelebt und gelitten, zerschmettert und versunken lag, da� triumphirende Wogen sich jetzt nur Leichen und Tr�mmer zuschleuderten, und ich h�rte Nichts als das wilde Brausen der Fluthen, die unter mir vor�berst�rzten, deren bleiches Leuchten mich erkennen lie�, wo ich war.
Eine Minute lang fa�te mich die Angst, ich konnte nicht l�nger mich festhalten, meine Finger konnten die Last nicht tragen, dann kam die neue Lebenshoffnung mit ihrer wunderbaren Kraft, und langsam unter ungeheurer Anstrengung hob ich mich auf und schlang den Arm um den rettenden Pfahl. Es war mir als hinge eine schwere Last an meinem Leib, und wollte ihn niederziehen, pl�tzlich f�hlte ich einen K�rper, den Arm eines Wesens, das mich umschlungen hielt, und leblos an meiner Seite lag. Es war das Kind, das uns zuerst gewarnt, Elsbeth, Jensens erstgebornes T�chterchen, und mitten in meiner Noth drang der erste Schimmer der Freude wieder in mein Herz, als ich noch Lebensw�rme in ihm f�hlte. M�hsam l�s'te ich seine H�ndchen, zog es empor zu der Mitte der Dieme, ri� Schlamm und Heu fort, und bettete seinen kleinen Leib, sogut ich konnte.
Sechs Stunden sa�en wir dann Beide allein in Furcht und Finsterni�, bis der Morgen hereinbrach,� fuhr er dann fort – �sechs lange schreckliche Stunden, deren Qualen nicht zu schildern sind. Mit dem letzten Wogenschwall der h�chsten Fluth, unter welchem Jensen's Haus zusammensank, war der Sturm gebrochen, die Wuth der vereinten Elemente ersch�pft. Als der Tag kam, war das Wasser in sein Reich zur�ckgekehrt; die Warfte lag zerw�hlt und zersp�lt vor uns, ein paar Balken steckten schief, in dem H�gel, und die Hallig, von tiefem Schlamm bedeckt, von eingefressenen Buchten und Rinnen zerschnitten, trat grau aus dem Meere hervor.
Das Kind lag unter meinem nassen Rocke fest eingeschlafen, mich sch�ttelte der Frost im Fieber, doch vergebens warf ich meine Blicke umher; kein Boot, kein lebendes Wesen zeigte sich, ich wu�te nicht, ob es noch Menschen gab, die diese Nacht �berlebt hatten. Endlich konnte ich es nicht l�nger ertragen, ich glitt an der Dieme nieder, und watete durch Schlamm und Schlick an der Warft hinauf. In einer Bucht, die das Meer geh�hlt, spielten die Wellen mit den bunten Fetzen eines Kleides, und als ich n�her trat, allg�tiger Gott: da lagen sie, wie ich sie zuletzt gesehen; Jens, die Frau, die beiden Kinder fest umschlungen, doch bla�, kalt und todt, und um sie her die Tr�mmer ihres Gl�cks, Geb�lk und Steine des Hauses, in dessen Frieden sie gewohnt, die Leiber der kleinen Heerde dazwischen, welche sie ern�hrt hatte.
Es war ein banger, trauriger, ein thr�nenvoller Tag, voller Weh und herzzerrei�ender Klagen. Hundert Menschen waren auf den Halligen umgekommen, viele auf den Inseln und in Dithmarschen, noch mehrere hatten nur das nackte Leben davongetragen. Die Deiche brachen, die Marschen liefen voll; ich aber stand erst nach sechs Wochen von meinem Krankenlager wieder auf, so lange hielt das Fieber mich nieder.�
�Und das Kind? fragte ich, �was ist aus dem Kinde geworden?�
�Das ist mein herzliebstes T�chterchen bis auf diese Stunde,� sagte der alte Mann stolz und erfreut; �ich habe sie gro� gezogen, dann hat sie einen wackern Mann genommen, mit dem und drei sch�nen Buben lebt sie froh in dem neuen Hause auf der Warft: doch wenn ich komme, geschieht es nie, ohne da� wir uns der wilden Nacht erinnern, und um Die klagen, welche verloren gingen.�
�Und sie f�rchtet nicht, da� eine solche Nacht wiederkehrt?� –
Der alte Mann sch�ttelte l�chelnd den Kopf.
�Sie kennen die Leute von den Halligen nicht,� sagte er, �da wei� jeder, da� es kommen kann, heut oder morgen, aber alles Leben steht in Gottes Hand, und lieber das Leben verlieren, als die Hallig, wo es so sch�n ist.�
Der Pfarrer vom See. Eine Lebensgeschichte von Theodor M�gge. Verlag von Otto Janke. Berlin 1858. (Romane von Theodor M�gge. Neue Folge. Zweiter Band.) 186 Seiten.
Romana. Historische Erz�hlung. Romane von Theodor M�gge. Dritte Folge. Erster Band. Verlag von Eduard Trewendt. Breslau 1862. 316 Seiten. (EA: Die Gartenlaube 1860)
Die Erbin von Bornholm. Romane von Theodor M�gge. Dritte Folge. Vierter Band. Verlag von Eduard Trewendt. Breslau 1862. S. 1-148.
Am Scheidewege. Ebd. S. 149-251. (EA: Die Gartenlaube 1861)
Die Auserw�hlte des Propheten. Romane von Theodor M�gge. Dritte Folge. F�nfter Band. Verlag von Eduard Trewendt. Breslau 1862. S. 1-94.
Sigrid, das Fischerm�dchen. Ebd. S. 95-211. (EA: Die Gartenlaube 1860)
Drei Freunde. Romane von Theodor M�gge. Dritte Folge. Sechster Band. Verlag von Eduard Trewendt. Breslau 1862. S. 1-144.
Alte und neue Welt. Ebd. S. 145-288.
Der Propst von Ulensvang. Romane von Theodor M�gge. Dritte Folge. Dritter Band. Verlag von Eduard Trewendt. Breslau 1862. S. 1-63.
Vater und Sohn. Ebd. S. 65-223.
Elsi. In: Die Erbin. Roman von Theodor M�gge. Zweiter Theil. Verlag von Otto Janke. Berlin 1855. S. 193-362.
Eine Sturmnacht auf den Halligen. Unterhaltungsblatt als Beilage zur Regensburger Zeitung. 1848, Nr. 18/19.
Die Novelle �Anna� (Romane von Theodor M�gge. Dritte Folge. Zehnter Band. Verlag von Eduard Trewendt. Breslau 1867. S. 193-399), unter dem Titel �Fort aufs Land!� im �Vielliebchen�-Taschenbuch von 1850 zuerst erschienen, ist innerhalb der vorliegenden eBook-Edition der Novellen von Theodor M�gge im erstem Band bereits enthalten und daher hier nicht mit aufgenommen.
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