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Oft bin ich ganz verwirrt. Die Menschen um mich herum erblassen zu Schattenbildern, die wie wertlose Puppen auf und ab taumeln, und ein neues, farbiges Menschengeschlecht, von meiner Phantasie beordert, steigt aus dem Boden herauf, mich mit seinen erschreckten Augen anblickend.
Tieck
Wer viel zu Fuß gereist ist, bekommt allmählich eine so große Übung in Beurteilung des Standes der Sonne sowohl wie der Wegstrecken seiner Reise-Karte, daß er genau weiß, wann er von einem Ort aufbrechen muß, um sicher noch vor Eintritt der Dunkelheit das von ihm als Nacht-Quartier ausersehene Dorf oder Städtchen zu erreichen; ihm ergeht es nicht so wie dem Verfasser dieses vor mehreren Jahren, als er erst kurz zum Wanderstock gegriffen hatte und sich eines Abends von der Dunkelheit überrascht sah und, unfähig, eine Land-Karte oder den Kompaß zu Rate zu ziehen, seit zwei Stunden mutterseelenallein auf der Landstraße hingetappt war, müde, hungrig, ohne Ansprache und ohne Direktion. Es war im östlichen Teile Mittel-Deutschlands, und ich weiß wahrhaftig nicht mehr, in welcher Provinz oder in der Nähe welcher größeren Stadt, was auch zur Beurteilung der folgenden Komödie ohne jeden Belang ist. – Nachdem ich zur Einsicht gekommen, daß Stehen-Bleiben zu nichts führe und die Feuchtigkeit des Bodens das Aufschlagen des Nachtquartiers auf freiem Feld verbot, beschloß ich, unter möglichster Schonung meiner Kräfte ruhelos weiter zu wandern, und wäre es auch die ganze Nacht, da bei der bekannten Bevölkerungs-Dichtigkeit Deutschlands ich über kurz oder lang auf irgendeine menschliche Niederlassung stoßen müsse. Meine Ausdauer wurde auch mit Erfolg belohnt, insofern, als ich das, was ich suchte, fand: ein Nachtquartier. Ob das Nachtquartier als solches ein Erfolg zu nennen war oder ob der Verfasser nicht besser getan hätte, in der schmutzigsten Pfütze auf der Landstraße zu übernachten, möge der gütige Leser am Schlusse dieser Erzählung beurteilen, denn nur die vertrackten Ereignisse dieser einzigen Nacht werden Gegenstand der folgenden Blätter sein.
Es war vielleicht kurz vor zwölf Uhr nachts, als ich, der beim Marschieren immer den Kopf drunten am Boden hatte, plötzlich ein riesengroßes, schwarzes Gebäude nur wenige Schritte von der Landstraße vor mir auftauchen sah; dasselbe schien, soweit man bei der Dunkelheit urteilen konnte, aus mächtigen Quadern sehr solid gefügt, war mehrere Stock hoch, hatte diverse Hinter-Bauten, Remisen, Maschinen-Häuser, Schornsteine, kurz, eine weitläufige, offenbar industrielle Anlage. Ich sah kein Licht; trotzdem war ich fest entschlossen, mich anzumelden; ein fein bekiester Weg führte von der Landstraße zum Eingangstor. Hübsche Anlagen rechts und links bewiesen eine gewisse Wohlhabenheit des Besitzers ebenso wie dessen Kunstsinn und Liebe zur Natur. Ich läutete. Ein schneidendheller Ton fuhr durch das ganze Haus, dessen Gänge und Korridore, nach dem Echo zu schließen, gewaltige gewesen sein mußten. ›Das wird eine schöne Störung verursachen!‹ dachte ich mir. Aber zu meiner größten Überraschung hörte ich sogleich Tritte in meiner nächsten Nähe; eine Türe wurde aufgemacht; ein Schlüsselbund raschelte; im nächsten Moment öffnete sich das schwere, braun angestrichene Einfahrts-Tor, und vor mir stand ein schwarzes kleines Männchen mit freundlichem, glattrasiertem Gesicht und frug mich mit einer stummen Geste nach meinem Begehr. – »Entschuldigen Sie die Störung so spät in der Nacht«, – sagte ich – »was ist das wohl für ein Haus?« – »Eine Menschenfabrik.« Nun bitte ich den Leser, bevor wir weitergehen, sich durch nichts, durch keine Frage, Antwort oder Bemerkung, und wäre sie die verrückteste, davon abhalten zu lassen, diese Geschichte zu Ende zu lesen. Wir hören, sehen oder lesen im Leben oft viel sonderbarere Dinge, als die obige Antwort anzudeuten scheint, ohne gleich davonzulaufen oder das Buch zuzuschlagen. Hauptsache ist, daß man nicht den Kopf verliert, die Fakta ruhig auf sich einwirken läßt und dann eine Verständigung sucht. Zur Sache selbst möchte ich bemerken, daß, wenn in einem zusammengesetzten Substantiv das eine Wort zur näheren Erläuterung oder Erklärung des anderen dient, dieses letztere meist subjekivisch zu nehmen ist, während das erste am besten durch einen Relativ-Satz aufgelöst wird. Da ich nun keinen Grund hatte, anzunehmen, daß in diesem merkwürdigen Haus andere grammatikalische Regeln herrschen als in den übrigen deutschen Landen, so verstand ich unter »Menschenfabrik« eine Fabrik, in der Menschen fabriziert werden. Und das war ganz richtig. Und nun will ich den Gang der Erzählung nicht länger aufhalten, als ich selbst sprachlos und wie niedergedonnert vor dem kleinen Männchen dastand, unfähig, kaum einen Gedanken zu fassen, geschweige eine passende Rede vorzubringen, bis der freundliche Alte, nicht im mindesten ungehalten über meine Zögerung, mich durch eine Handbewegung aufforderte, einzutreten. Ich trat nun in den Hausflur und brachte so viel durch Sammlung meiner Gedanken zuwege, daß ich, ihm in die Augen blickend, sehr höflich bemerkte: »Sie meinen das nur bildlich!? – Sie wollen damit nicht sagen, Sie fabrizieren Menschen!?« – »Ja, wir machen Menschen!« – »Sie fabrizieren Menschen? Was heißt das?« rief ich jetzt aufs höchste erregt. Im geheimen aber stieg in mir ein Gedanke auf, daß es mit dem Mann oder mit dem Haus nicht in Ordnung sein könne. Der alte Mann schien meine Verwunderung nicht zu bemerken oder nicht zu beachten, sondern sagte, auf eine Glastür hinweisend, zu der wir inzwischen weiterschreitend gekommen waren, »Bitte, wollen Sie hier eintreten!« – »Menschen,« – rief ich – »das kann nicht wörtlich zu nehmen sein, das ist ein Bild, eine Redeblume, Sie können nicht Menschen machen wollen, wie man Brot macht?!« – »In der Tat,« – rief das alte Männchen fast freudig und gar nicht alteriert, etwa im Tone, wie der Kustos einer Galerie sagt: Ja, das berühmte Bild, nach dem Sie fragen, das ist bei uns – »in der Tat, ich akzeptiere Ihren Vergleich – wir machen Menschen, wie man Brot macht.« – Wir waren in einen mit breiten Stein-Fliesen belegten Korridor gekommen: in den Fenster-Ecken, die zum Hof hinausführten, standen große hölzerne Spucknäpfe, mit fleckigem, weichem Sägmehl aufgefüllt; man konnte schließen, daß hier bei Tag viele Leute vorbeipassieren. Alles trug den Charakter der Salubrität und rationellen Bewirtschaftung; die Winde frisch geweißt, die Bemalung einfach, aber sorgfältig. – Ich schaute mir noch einmal den alten Mann an; er schien so nüchtern, fleißig, benevolent zu sein; sein Alter und seine Gemessenheit schienen jede Neigung zu Phantastik oder dummen Scherzen auszuschließen. Ich kratzte mir im Ohr herum, ob sich dort ein Sieb befände, welches die Worte und ihren Gehalt verstelle. – »Menschen!« – sagte ich zu mir – »Menschen« – sagte ich dann ganz laut – »machen Sie; aber wozu? Zu welchem Zweck? Zugegeben, Sie machen sie; aber wozu Menschen machen, wenn sie kostenlos täglich zu Hunderten geboren werden? Was sind Ihre Art von Menschen? Wie kommen Sie zu der ganz ungeheuerlichen Idee? Wer sind Sie? Sind Sie ein im Mittelalter stehengebliebener Phantast und brüten über zauberische Theoremata eines Dr. Faustus, die die Neuzeit längst vergessen? Wo bin ich hingeraten? Bin ich zu weit ostwärts gekommen in eine orientalische Zauberküche? Oder bin ich in einem abendländischen Narrenhaus? Reden Sie! Wiederholen Sie Ihre Antwort! Was ist das für ein Haus?« – Mein Begleiter schien über die Flut meiner erregten Fragen nicht im mindesten bestürzt; er sah ruhig vor sich auf den Boden hin, als kontrolliere er die Genauigkeit der Arbeit des Steinlegers, eine Gleichgültigkeit, die mich noch erregter und furchtsamer machte, und sagte dann mit einiger Gemessenheit: »Sie stellen in einem Atemzug viele Fragen. Ich will versuchen, sie von rückwärts zu beantworten. Aber ich mache Sie gleich darauf aufmerksam: Durch Sehen und Beobachten werden Sie auf unserem Rundgang mehr begreifen und kennenlernen, als ich erklären und Sie fragen können. Also nochmals: Dies Haus ist eine Fabrik!« – »Und Sie fabrizieren?« – ergänzte ich fast schnaubend. – »Menschen!« – Menschen, Menschen, sagte der Mann mit unverbrüchlicher Ruhe. Ich versank in ein tiefes Hinbrüten, das mein Begleiter nachsichtig genug war, nicht zu stören. Alle die hundert Fragen, die sich an ein so plötzlich einem in den Weg geworfenes Wort wie »Menschenfabrik« sternschnuppenartig anschließen, zogen gedrängt durch mein Inneres, weil die Zunge sie nicht rasch genug zu bewältigen vermochte. Menschen, sagte ich zu mir selbst, gut! Der Gedanke ist nicht schlecht; aber wozu sie fabrizieren, und mit welchen Hilfsmitteln? Mein Begleiter nahm mich sanft beim Arm und wollte in den ersten Saal treten. »Halt! – Noch eine Frage,« – rief ich – »bevor wir weitergehen: Tun Ihre Menschen denken?« – »Nein!« – rief er sofort mit dem Ton absolutester Sicherheit und nicht ohne den Ausdruck freudiger Erregung, als habe er die Frage erwartet oder sei froh, sie verneinen zu können. – »Nein!« – rief er – »das haben wir glücklich abgeschafft!« – »Damit gewinnt Ihre Neuerung außerordentlich für mich an Interesse,« – bemerkte ich und fuhr gleich darauf fort: »Ich habe einen Menschen gekannt, der denken mußte, – der contre cœur, ohne Neigung, ohne Beruf genötigt war zu denken – und zwar Dinge, die nicht er, sondern die sein Kopf wollte – also nicht unter einer äußeren, erziehlichen Notwendigkeit, sondern aus einem innern Antrieb, mit dem er sich ebenso identifizieren mußte wie mit seinen Gedanken; er mußte seine Gedanken contre cœur anerkennen, ich sag' Ihnen: eine Komplikation...« – »Kenn' ich,« – fuhr das auf einmal lebhaft gewordene Männchen dazwischen – »kenn' ich, weiß ich, wir sind vollständig orientiert über die Bedürfnisse des Jahrhunderts, wir wissen, wo es unserer Rasse gebricht, wir haben das Neueste!...« – Diese letztere kaufmännische Wendung machte mich wieder nüchtern und daneben mißmutig und mißtrauisch. – Wir traten in einen der großen Parterre-Säle, aus dem uns ein heißer Schwaden entgegenschlug. Alles war reichlich beleuchtet. In den Ecken mehrere mit Ton verschmierte, kapselförmige Öfen mit Gucklöchern. Bevor wir bis zur Mitte des Saales gelangt waren, kam aus dem Nebenzimmer ein Arbeiter im verstaubten Gewand mit einer Laterne in der Hand heraus, und ohne über meine Anwesenheit im mindesten erstaunt zu sein, sagte er: »Herr Direktor, soeben haben wir den Chinesen herausgebracht.« – »So,« – antwortete mein Begleiter mit fast väterlicher Milde – »sind die Augenschlitze gut ausgefallen?« – »Etwas glasig!« – meinte der Arbeiter. – »Glasig?« – wiederholte das alte Männchen erstaunt, aber nicht unfreundlich – »das tut mir leid. Lassen Sie ihn jetzt sich erst ausschnaufen; mit den Augen wollen wir sehen, was zu machen ist.« Der Arbeiter entfernte sich mit einer zustimmenden Kopfbewegung. – »Sie scheinen die ganze Nacht hindurch zu arbeiten?« – sagte ich mit dein Ton des Grausens über das eben Gehörte. – »Die Prozedur erlaubt keine Unterbrechung!« entgegnete das Männchen. – »Und Sie scheinen sich nicht auf das Nachmachen der Leute Ihrer eigenen Nation oder der Völker des Abendlandes zu beschränken! Sie greifen bis in den Orient hinein!« – »Die sind jetzt sehr beliebt!« – »Beliebt, sagen Sie, was soll das heißen? Beliebt! Sie können nicht damit meinen, daß Ihr verbrecherisches Fabrikat bei den Menschen der alten Zunft gut aufgenommen werde!« – Und nach einer Pause brach ich mit neuer Vehemenz los: »Um Gottes willen, sagen Sie mir, was das alles heißen soll. – Fürchten Sie sich nicht vor dem allmächtigen Schöpfer des Weltalls? – Wollen Sie dem lieben Gott Konkurrenz machen? – Wird sich dieses freche Fabrikat nicht wie eine Parodie ausnehmen? – Mit welchen Gesichtern müssen sich Abkömmlinge zweier derartig verschiedener Rassen auf der Straße begegnen?! – Muß der Kontrast nicht größer und vor allem entsetzlicher sein als zwischen einem Weißen und einem Polynesier, beide Gottesgeschöpfe!? – Mit welchem Mißtrauen muß ein Mensch der alten Erde an ein solch neues, künstlich geschaffenes Wesen herantreten, es beriechen, betasten, um seine geheimen Kräfte herauszubekommen! – Und wenn die neue Rasse nach einem bestimmten, reif überdachten Plan gemacht ist, besitzt sie vielleicht größere Fähigkeiten als wir, wird im Kampf ums Dasein den alten Erdenbewohnern überlegen sein! – Ein fürchterlicher Zusammenstoß muß erfolgen! – Denkt die neue Rasse nicht, wie Sie vorhin erwähnten, schafft sie nur nach ihrer spezifischen, ihr eingeimpften Anlage, die maschinenmäßig zum Ausdruck kommt, wie kann sie verantwortlich für ihre Fehler gemacht werden?! – Die Moral, als Grundlage unseres Denkens und Handelns, hört auf! – Neue Gesetze müssen geschaffen werden! – Eine gegenseitige Aufreibung der beiden Klassen wird unvermeidlich sein! – Was haben Sie getan!? Was haben Sie unternommen?! – Was ist Ihr Ziel? – Ein Umsturz der gegenwärtigen Gesellschafts-Ordnung!« – Mein Begleiter blickte mich nach diesem neuen Fragen-Schwall sanft und beruhigend an und meinte nach einiger Zeit: »Die neue Rasse – sind Sie dessen versichert – wird sich nicht in der Welt breitmachen und nicht in einen Wettkampf mit ihren Brüdern und Schwestern nobler Abkunft treten. Sie wird ruhig bei Ihnen im Salon sitzen, anspruchslos und bescheiden. Und Sie, die alten Menschen, werden sich in heiterer Anschauung dieser glänzenden, schöpfungsfrischen Wesen begeistert und gehoben fühlen. Deswegen kann ich Ihnen nur raten, sich eine nicht zu kleine Anzahl dieser feinen Geschöpfe zu erwerben.« – »Erwerben!« – entgegnete ich – »wie soll das geschehen?« – »Wir verkaufen sie. – Zu was wäre die Fabrik da?! – Und wovon sollte sie bestehen, da unsere fabrizierte Rasse nichts arbeitet, nichts verdient und an und für sich höchst teuer herzustellen kommt!« – Ich wurde sichtlich beruhigt durch diese letzte Erklärung und schämte mich fast meiner explosiven Fragen von soeben. – Wir schritten auf einen der größeren Öfen in der Ecke zu. – »Natürlich,« – sagte mein Begleiter – »der Prozeß ist Geheimnis! – Wir nehmen Erde dazu, wie der Schöpfer des ersten Menschenpaares im Paradies, wir mischen sie, wir manipulieren mit ihr, wir lassen sie verschiedene Wärme- und Hitzegrade durchmachen – und das alles kann ich Ihnen zeigen –, aber den eigentlichen Kernpunkt, das Beleben und besonders das Erwachen unserer Menschen ist Fabrik-Geheimnis.« – »Ich will Ihre infernale Kunst nicht kennen,« entgegnete ich, »und ich wollte, Sie kennten sie auch nicht,« fügte ich hinzu; »jährlich vielleicht Tausende von Kreaturen in die Welt zu setzen, die nichts weiter sind wie Faulenzer...« – »Bitte, beobachten Sie einmal diese Formen!« – unterbrach mich der kleine Direktor, ohne auf meine letzte Bemerkung einzugehen. Ich sah durch das Guckloch. In einem anscheinend feuchtwarmen, von der Außenluft abgeschlossenen Baderaum lag ein wunderschönes Mädchen, anscheinend schlafend, halb bekleidet, an einem künstlichen Rasengrund angelehnt, aber alles ganz weiß, wie aus feuchtem Ton erst hergestellt und augenscheinlich unvollendet; Formen, Positur, Draperie, die Füßchen, Schuhe, die durchbrochenen Strümpfe, der Spitzen-Besatz, alles in reizender Harmonie und mit künstlerischer Vollendung. – »Wenn Sie jetzt noch etwas auszusetzen haben,« sprach der Direktor vom anderen Guckloch her, welches er eingenommen hatte, »so ist's jetzt noch Zeit; jetzt ist alles noch weich, eindrucksfähig, dehnbar; sind die Augen einmal fertig, erscheint die Röte des Herzschlages auf ihren Wangen, erwacht sie, dann ist es zu spät; dann ist sie, was sie ist, ein Mädchen, heiter, launisch, kokett, eigensinnig, dick, dünn, schwarz, brünett, mit allen Fabrikfehlern.«
Was mir auffiel, war, daß die Kleider anscheinend fest mit dem Körper verbunden waren. Ich teilte dem Direktor mein Bedenken mit, mit dem Bemerken, daß es für das arme Kind schwer sei, bei der Unwandelbarkeit seiner Formen immer die richtigen Kleider zu finden. – »Kleider bedarf es keine«, antwortete er. – »Wie, Sie müssen ihr doch die Wäsche wechseln lassen!« – »Wir kreieren Wäsche und Kleider im Schöpfungsakt mit, und zwar ein für allemal.« – »Das ist doch das Wahnsinnigste, was ich je gehört habe! – Sie erschaffen also angezogene Menschen?« – »Gewiß!« – »Und die so erschaffenen Menschen bleiben angezogen ihr ganzes Leben?« – »Natürlich! Es ist doch einfacher! Die Kleider bilden einen Teil der Gesamt-Konstitution!« – »Denken Sie nur an die Ausdünstung, um von allen andern Fragen abzusehen!« – »Die haben wir auf ein Minimum vermindert! – Übrigens kann ich auf diesen Punkt nicht näher eingehen, da er an den innersten Kern, sozusagen an das geheime Lebensprinzip unserer Menschen rührt.« – Wir gingen langsamen Schrittes vom Ofen weg; ich nachdenklich und fast verwirrt wie immer. – »Wenn ich's recht überlege,« – bemerkte ich endlich – »die Prinzipien bei Ihrer Menschen-Erzeugung sind nicht so übel. Sie statten jeden Ihrer Menschen beim Schöpfungsakt mit einer bestimmten Anzahl körperlicher und geistiger Güter aus, und die lassen Sie ihnen auch unveränderlich.« – »Natürlich!« – fiel mir das alte Männchen fast feurig in die Rede und wie erfreut, daß ich endlich seinen leitenden Gedanken erfaßt. – »Natürlich! Bei den heutigen schwankenden Zeitverhältnissen, bei der Unzuverlässigkeit der meisten Menschen, der Zweifelsucht, der Schwierigkeit der Wahl des Berufs, dem Zaudern und Zögern auf allen Gebieten mußte sich schließlich das Bedürfnis einstellen, Menschen zu haben, von denen man weiß, was sie sind, was sie für Anlagen haben, welchem Temperament sie zuneigen und daß Anlagen und Temperament sich unverbrüchlich gleich bleiben. Wir statten unsere Menschen bei der Geburt mit einer nach den besten Mustern hergestellten Kollektion geistiger und leiblicher Vorzüge aus, und die verbleibt ihnen unter allen Umständen. Ich versichere Sie – unter uns gesagt –, unsere künstlich erzeugten Menschen sind mir lieber als die alte, berühmte Menschenrasse!« – »Aber die Willensfreiheit!« – entgegnete ich. – »Die ist bei den andern auch nur ein Hirngespinst!« disputierte das Männchen weiter! – »Aber die süße Täuschung, sie zu besitzen!« – »Ihren Verlust spürt meine Rasse auch nicht!« – »Die Philosophen,« – bemerkte ich kopfschüttelnd – »wenn Sie das Denken abschaffen! Die Philosophen werden mit Ihrer Fabrik-Arbeit sich nicht befreunden können.« – »Sagten Sie nicht selbst, Verehrtester, vor einer Viertelstunde, daß das Denken eine der lästigsten Operationen bei der alten Rasse sei?« – »Ja, ja, es ist oft bitter, aber halt doch schön!« – »Sie sind ein Schwärmer, ein Idealist, ohne feste kaufmännische Prinzipien!« bemerkte der Alte etwas kurz und ging voraus, mir damit andeutend, daß ein Fallenlassen des Gegenstandes ihm erwünscht sei. – Wir durchschritten einige Säle, in denen es stark nach Kampfer, Kräutern und Essenzen roch und wo umherliegende Instrumente der merkwürdigsten Art andeuteten, daß hier fortwährend fleißig gearbeitet werde. Namentlich überraschte mich ein sorgfältig verschlossener Glaskasten, in dem fertig gebildete Körperteile, wie Herzen, Ohren, Fingerglieder, mörtelartig, wie aus Urstoff geformt, zu sehen waren; daneben aber auch merkwürdigerweise Attribute, Symbole, wie Pfeile, Kronen, Waffenstücke, Blitze und dergleichen. – Nun aber kam ein ganz anderes Bild: In der fünften oder sechsten Abteilung nach dem Ofen-Saal begrüßte uns eine fröhliche herzige Kinderschar; es mögen acht oder zehn gewesen sein; alle mit vor Übermut strahlenden Augen und frischen, roten Backen. Ich glaubte schon, es seien die Kinder des Direktors; bemerkte aber doch, daß die Mienen etwas steif waren; auch fiel mir auf, daß, während einige frei standen oder auf zierlichen Stühlchen saßen, andere auf einem Postament ruhten und Mörtelspritzer drumherum zu sehen waren. »Hier stell' ich Ihnen nun meine Kinder vor!« wandte sich mein Begleiter wieder an mich. –»Was?« – rief ich bestürzt – »sind es Ihre eigenen Kinder?« – »Nun ja!« antwortete er etwas trocken. – »Ihre eigenen Kinder, meine ich – von Ihnen erzeugt?« – ergänzte ich lebhaft. – »Nicht nach der alten Methode, – es ist mein Fabrikat; aber das ist ganz gleich; diese sind sogar schöner!« – »Um Gottes willen,« – entgegnete ich – »wie kommen Sie auf den Gedanken, auch künstliche Kinder zu machen?« – »Die große Miserabilität unserer heutigen Ehen hat mich auf die Idee gebracht.« – »Was, Sie werden doch unser heutiges Menschengeschlecht und seine Fortpflanzung nicht in Frage stellen wollen?!« – »Wir wollten nur einige Verbesserungen anbringen!« – »Einige Verbesserungen am Menschengeschlecht anbringen?! – Fühlen Sie denn nicht das Horrende, das Unerhörte, was in dieser Phrase liegt, die Sie kaltlächelnd aussprechen?« – (Achselzucken) – »Sie zucken mit der Achsel? – Wollen Sie denn das sittliche Band zwischen Eltern und Kindern zerreißen?« – »Diese hier werden sehr gern gekauft!« antwortete mit unverbrüchlicher Ruhe der Alte, indem er auf sein Fabrikat deutete. – »In welche Bahnen treiben Sie das Menschengeschlecht!« – fuhr ich mit großer Bewegung fort –, »was würde Hegel dazu sagen?! – Wissen Sie nicht, daß Hegel das gesamte Menschengeschlecht von den ältesten Zeiten an bis auf unsere Tage als fortlaufende Erscheinungsform der ›absoluten Idee‹ konstruiert hat und in weiser Voraussicht seine Berechnungen noch bis zum Schluß des neunzehnten Jahrhunderts fortführte, so den Menschen eine gesicherte Bahn sittlicher und geistiger Vervollkommnung vorschreibend! – Was würde er zu Ihren verbrecherischen Versuchen, das Menschengeschlecht durch ein künstliches, der Willensfreiheit beraubtes zu ersetzen, sagen?!« – »Wir können auf Konkurrenten unmöglich Rücksicht nehmen!« – »Hegel war doch kein Konkurrent! – Er war doch kein Fabrikant! – Ihm genügte, Welt, Natur und Menschen in ihren prägnantesten Erscheinungsformen festzuhalten und in ein gedachtes System zu bringen, in dem alles als mit Notwendigkeit entstanden erscheint...« – Ich fuhr in diesem geschraubten Stil noch einige Zeit fort, bemerkte aber bald, daß mein Begleiter vollständig interesselos für meine Ausführungen an einem der Kinderschürzchen herumkratzte, wo die Farbe etwas matt ausgefallen war. – »Sie sehen hier, mein Verehrtester,« – begann er nach einiger Zeit, als wenn das Vorausgehende gar nicht gesprochen worden wäre – »einen weiteren Entwicklungsprozeß unserer Erzeugnisse; wenn selbstverständlich auch von einem Leben noch keine Rede ist, so erscheint doch alles schon lebhafter, leuchtender, fast pulsierend. – In der Form ist hier schon alles vollendet und unabänderlich. Die Qualitäten, die diese reizenden Geschöpfchen in sich tragen, können, sollte der Werkmeister etwas versäumt haben, nicht mehr vermehrt werden; aber die da sind, bleiben unveränderlich; bleiben auch auf der Stufe; dieser reizende Kindersinn bleibt ihnen fürs ganze Leben; ich habe aus Fröbel da manches gelernt. Betrachten Sie diesen blauen Augenstern. In Kinderaugen sind wir besonders berühmt.« – Ich schwieg zu diesen gotteslästerlichen Auseinandersetzungen. Wir schritten zum Saal hinaus, der hier in der gleichen Flucht keine Fortsetzung mehr hatte. Auf dem Korridor kamen wir dann zunächst an mehrere mit Eisentüren doppelt und mit großer Sicherheit verschlossene Gewölbe, aus denen ein heftiges Brausen und Zischen herausdrang. Arbeiter, zu zweit, in großer Hast, mit glühenden Stirnen, in einem gefalteten Leintuch eine große Last tragend, aus der oft wimmernde Laute hervordrangen, kreuzten oft unsern Weg. – »Hier, bitte ich, sich nicht aufzuhalten« – bemerkte der Alte, mich scharf ins Auge nehmend – »und nicht umzusehen; hier ist jener Teil der Fabrik, der ununterbrochen in Gang ist und wo eine unvorsichtig offengelassene Tür Sie leicht der Besinnung berauben könnte. Werfen wir lieber noch einen Blick in den Vorrats-Saal meiner fertigen Menschen!«
Wir gingen lange schweigend nebeneinander. Der Vorrats-Saal lag in einem der Hinter-Gebäude. Alle Abteilungen der Fabrik waren durch bedeckte Gänge miteinander verbunden, offenbar, um sie von Witterungs-Einflüssen so unabhängig wie möglich zu machen. Überall atmete man eine heiße, dampfgesättigte Pflanzen-Luft. – Die Kinder wollten mir nicht aus dem Kopfe. Daß es Kinder blieben, damit konnte man sich schließlich noch abfinden. Das war eine verrückte Idee dieses Menschen-Verbesserers: ebenso wie man kleinen Hunden und Jockeis Schnaps gibt, damit sie klein bleiben. Aber der Mangel jeder sittlichen Anlage, das Mechanische ihres Lachens, und ihrer Kinder-Lieblichkeit, das Fehlen jeder erziehlichen Tendenz, mit einem Wort, das Nichtvorhandensein eines sittlichen Bodens, auf Grund dessen Kinder fragen: Warum? Weshalb? auf Grund dessen sie Gut' und Böses unterscheiden, war für mich, einen Protestanten, etwas Unerträgliches. In der Erwägung, daß es an dieser Krämer-Seele von einem Direktor nicht viel zu beleidigen gebe, rückte ich ohne Umschweife heraus: »Können Sie es denn, Herr Direktor,« – begann ich – »leichten Herzens zulassen, daß diese Kinder, die wir im letzten Saal gesehen, so ganz verkommen?« – »Die verkommen nicht,« sagte er sehr ruhig, »solange sie kein ungeschicktes Dienstmädchen in die Hand bekommt!« – »Das mein' ich nicht,« – erwiderte ich ärgerlich – »ich meine, haben Sie nicht daran gedacht, diesen armen Geschöpfchen einen sittlichen Funken ins Herz zu legen? Und, da Sie doch alles mechanisch und starr konstruieren: Wo haben Sie bei den Kleinen den sittlichen Boden angebracht? Im Kopf? In der Brust?« – »Ach, mein lieber Herr, das ist schwer; dieser Boden würde nicht bemerkt werden! Abgesehen davon, daß wir froh sind, wenn es uns gelungen ist, unsere Rasse äußerlich so herzustellen, daß sie sich wie nette und noble Menschen ausnimmt.« – »Nette und noble Menschen!« – wiederholte ich – »als ob das das Ziel wäre, auf das wir lossteuern! Brave und ehrliche Menschen, – ist das nicht viel mehr? Ja, sehen Sie, Herr Direktor, wenn Sie nach der Richtung vorgegangen wären,« – ich sprach sehr lebhaft und gestikulierte fortwährend mit der rechten Hand – »wenn Sie mit vorwiegend sittlichen Impulsen begabte Menschen geschaffen hätten – wie soll ich sagen? – eine Moral-Rasse, die auf Grund eines eingepflanzten, wenn auch konstruierten, später hart gewordenen Triebes nur moralisch zu handeln vermöchte – ja, dann hätte ich Respekt vor Ihnen; eine Rasse, die überall ihr blankes, sittliches Schild zu zeigen vermöchte und als leuchtendes Beispiel ihren fleischlich gesinnten Brüdern und Schwestern stets vor Augen stünde...« – »Die wäre absolut unverkäuflich!« – »Das macht nichts; die Regierung sollte sie auf Staatskosten aufkaufen, ebenso wie man vortreffliche Gemälde kauft und sie öffentlich zur Nachahmung ausstellt. – Denken Sie, welcher Fortschritt für die ethische Entwicklung unseres Menschengeschlechts, dessen Moral zur Zeit so schon im argen liegt!« – »Sie sind ein Idealist!« bemerkte der Alte kurz, »da kann ich Ihnen nicht folgen; ich nehme die Welt, wie sie ist; wir waren froh, die Menschen so, wie sie gegenwärtig herumlaufen, imitiert zu haben. Ich versichere Sie, es war keine leichte Aufgabe; wir haben uns viel geplagt und haben viel Geld hineingesteckt!« – Diese merkantile Wendung brachte mich wieder zum Schweigen. Ich empfand die ungeheure Kluft, die uns trennte. Dieser Spekulant wollte mit seinen Menschen vor allen Dingen Geld verdienen. Alles andere war ihm Nebensache. – Wir gingen wieder lange schweigend einher. – »Ich begreife nur eines nicht,« – nahm ich nach einiger Zeit wieder das Wort –, »wenn Sie Menschen machen wollen, müssen Sie doch ganz genaue Kenntnisse der Anatomie und Psychologie haben. – Prometheus machte Menschen aus einer Art Ur-Dreck, aber Pallas Athene hauchte ihnen erst das Leben ein. Was haben Sie, das Ihnen die göttliche Hilfe entbehren läßt?« – »Chemie und Physik läßt uns heute über manches hinwegsehen!« – »Gut, die Naturgesetze sind uns heute in einem Grade bekannt, der staunenswert ist; aber wie selbe in einem menschlichen Körper applizieren, wo doch ganz andere Bedingungen herrschen als in der unorganisierten Natur? Nehmen Sie nur das Heer der komplizierten Empfindungen, die in eines Menschen Brust sitzen, wie...?« – »Wir machen sie alle nach!« – warf schnell das wieder lebhaft gewordene Männchen ein. – »Aber wie?« entgegnete ich – »wie konstruieren Sie zum Beispiel die ästhetischen Sensationen? – nach Herbart oder Lotze?« – »Sind das Hamburger? – Oder eine Berliner Firma?« – »Das sind weder Hamburger noch Berliner,« – sagte ich zornig – »das sind deutsche Philosophen, welche die Grundgesetze der Psychologie für alle Zeiten festgestellt haben, außerhalb welcher Empfindungen beim Menschen unmöglich sind!« – »Sie stellen sich das Menschenmachen doch zu schwer vor, Verehrtester!« – erwiderte etwas verlegen der Alte. – »Zu schwer?« – rief ich, durch diese triviale Wendung halb außer Fassung gebracht, und blieb mitten im Gang stehen, dadurch meinen Begleiter zwingend, mir gegenüber Front zu machen – »freilich, wenn Sie dem Menschen seinen köstlichsten Besitz, das Denken und die Empfindungen, nehmen!« – »Haben die Kinder, die Sie gesehen, etwa Gips-Köpfe aufgehabt?« – frug jetzt der Alte auch in gereiztem Ton. – »Nein, ich muß gestehen, sie haben mich frappiert durch ihre Lebenswahrscheinlichkeit, durch ihre Frische, aber...« – »Was aber? Sie dürfen nicht vergessen, daß für eine veränderte Produktion auch veränderte Produktions-Bedingungen maßgebend sind! Was Ihre Herren Lebert und Kotze oder wie sie heißen, die ich ursprünglich für eine Konkurrenz-Firma hielt, in ihren Büchern geschrieben haben, mag für das alte Menschengeschlecht gültig sein, aber nicht für meine Fabrik-Rasse!« – Dieser Einwand war, bis auf die Verschimpfierung meiner Lieblingsphilosophen, richtig. Ich begann zu überlegen. Wir setzten beide unsern Weg langsam und nachdenklich weiter. Zu unserer Rechten brausten und schnurrten allerlei Maschinen und Gebläse. – »Aber,« begann ich nach einiger Zeit wieder, »ohne in Ihr Fabrik-Geheimnis eindringen zu wollen, Sie müssen doch eine bestimmte Methode haben, seelische Vorgänge bei Ihren Menschen zum Ausdruck zu bringen?« – »Wir machen sie fix!« – »Fix?« – »Ja, fix!« – »Was heißt das, fix?« – »Wir waren bestrebt, daß eine bestimmte Empfindungs-Gattung, die einen Menschen beherrscht, immer in derselben Richtung, in der gleichen Färbung, in der nämlichen Abtönung auftritt, damit das lästige Schwanken, das Hin und Her der Wünsche und Bestrebungen, die Unentschlossenheit vermieden wird...« – »Aber, Sie merkwürdiger Fabrikant, darin liegt ja der Reiz im menschlichen Leben, daß unser Willens-Impuls das Resultat der gegensätzlichsten Motive und Neigungen ist, heute so, morgen so, und das Zusehen des ›Ichs‹ bei diesem Kampfe ist ja eben das, was wir Leben nennen...« – »Hat aber eine Menge von Unannehmlichkeiten zur Folge! Dem Minderwerden des Enthusiasmus folgt der Ekel, dem Aufhören des Gefallens die Gleichgültigkeit, dann Haß...« – »Gut, aber gerade dieser Wechsel...« – »Dieser Wechsel ist der Grund unserer heutigen Haltlosigkeit; wir müssen Stabilität gewinnen!« – »Aber so erzeugen Sie ein sklavisches, des Namen Menschen unwürdiges Geschlecht!« – »Ist aber sehr beliebt!« sagte der Alte sehr kurz und nahm eine Prise. – »Beliebt? Bei wem denn?« – »Bei unseren Kunden!« – »Ja, haben Sie förmliche Abnehmer für Ihr Gezücht?« – »Gezücht? Mein Herr, ich muß bitten!« – »Nun ja, also, für Ihre Spezies?« – »Gewiß! Wer trüge denn die Kosten der Fabrikation?! Erst jüngst schickten wir der Gräfin Tschitschikoff eine Kiste mit...« – »Kiste? Ja, verpacken Sie Ihre Menschen wie Stück-Gut?« – »Oh, unsere Rasse ist harmlos und gefügig: nur einen bestimmten Raum verlangen sie; der muß immer gleich groß sein zum Ausführen ihrer bestimmten, ihnen zuerteilten Geste; alles übrige ist ihnen gleich; – freilich, ›Vorsicht‹ muß auf der Eisenbahn angewandt werden; auch versenden wir nur auf ›werte Rechnung und Gefahr‹ unserer Kunden.« – »Oh«, – entgegnete ich mit Entrüstung – »warum lassen Sie freie Gottesgeschöpfe nicht...« – »Bitte, mein Herr,« unterbrach mich mein Begleiter etwas schnippisch, »es sind meine Geschöpfe!« – Ich begann zu schwindeln; dieser Kontrast zweier Menschen-Rassen, dieses rücksichtslos diabolische Verfahren eines abgefeimten Spekulanten; der Kampf, der zu erwarten, wenn er seine Maschinen-Menschen wie Hunde gegen das alte, vornehme, aber vielleicht nicht so gewandte, gottähnliche Geschlecht losließe; und dieser Mensch, der dabeisteht und schnupft; diese Konstellation, die ich mir im Innern ausmalte, nahm mir meine Gedanken; ich preßte die Hände vor die Stirn und begann zu taumeln. »Wo bin ich hingeraten?« rief ich fast in einem Anfall von Verzweiflung, »fort aus diesem schrecklichen Haus, dieser Mördergrube, diesem Tod alles Schönen und Edlen!« – und lief wie blind voraus, unwissend, wohin. – »Halt, mein Lieber,« rief der kleine Direktor, hinter mir dreinkeuchend, »nehmen Sie sich in acht, hier steht mein Chinese!...« – Ich wandte mich um. An der Wand stand ein zitterndes, glänziges Geschöpf in überladen-reicher Kleidung, mit zwinkernden, geschlitzten Äuglein und streckte die rote spitzige Zunge in einem fort heraus und hinein. »Wie kommt der daher?« frug ich etwas ernüchtert. – »Er kommt gerade heraus.« – »Aus China?« – »Aus dem Ofen!« – »Ja, ist der nicht echt?« – »Doch, freilich, das heißt, mein Fabrikat; er ist wunderschön ausgefallen!« – Ich war etwas ruhiger geworden; der Anfall war vorübergegangen; aber ich beschloß, mich in keine Diskussion mehr einzulassen. – »Hier sind wir am Eingang zu der Ausstellung unserer fertigen Menschen!« sagte das alte Männchen und öffnete die Flügeltür zu einem großen Saal. Wir traten ein. – Eine glänzende Gesellschaft war hier versammelt: Herren und Damen aus allen Ständen; teils sitzend, stehend oder auf bequemen Polstern ausruhend; die Gesichter etwas lackiert; einige hoben müde die Augen; alle waren in riesige Glaskästen eingeschlossen; viele saßen in Gruppen zusammen und schienen sich zu unterhalten; andere lachten; manche scherzten und sprangen; aber die Geste schien wie in einem bestimmten Moment erstarrt und die Bewegung gefroren; Trauer, unsägliche Trauer lag trotz aller lebhaften Mimik auf aller Antlitz, ein lebensmüdes Geschlecht, welches sich nicht rühren durfte, wie es wollte, sondern auf den Schraubenschlüssel wartete, der es aufzog; alle menschlichen Bewegungen, Komplimente, Affekte, unwillkürlichen Konstellationen in Begegnungen, Stellungen usw. waren aufs sauberste nachgeäfft. Alle Trachten, alle Moden, aller Putz, alle Symbole waren vertreten. »Die meisten befinden sich hier in einem schlafähnlichen Zustand«, bemerkte mein Führer, »wenn etwas bestellt wird, wird es zuvor noch aufgefrischt und nachgesehen!« – Ich gab keine Antwort, entschlossen, mich auf nichts mehr einzulassen. – Schweigend ging ich durch diese kalt erstarrten Reihen; selbst fast traurig geworden über das freudlose Dasein, welches ein zu einem Scheinleben gezwungenes Menschen-Geschlecht hier führte, – bis ich plötzlich am Ende des Saals vor einem jungen hübschen Mädchen stehenblieb. Ich hatte sie erst für eine Aufwärterin gehalten, die in diesem glänzenden Saal abzustauben habe; sie hatte ein Körbchen in der Hand mit einem blauen Tuch darin, einem Schlüsselbund, und unten blinkte eine zierliche Häkelarbeit heraus; ihr Benehmen, ihr Anzug zeigte Anstand und graziösen Sinn; ein geblümtes kurzes Kleid, von dem eine Falte wie zufällig leicht abstand und den weißen Saum des Unterrocks sehen ließ; blendend weiße Strümpfe, die in leichten, schwarzen Schnallenschuhen staken; ein durchbrochenes Spitzenschürzchen; ein Häubchen mit Rosaschleifen; zwei prachtvoll blaue Augen, die bisher ins Weite geschaut hatten, richteten sich plötzlich auf mich, als ich vor ihr stehenblieb: »Du wunderschönes Kind«, lispelte ich leise vor mich hin, »dich könnte ich lieben, dir könnte ich alles opfern, bei dir könnte ich das Treiben des echten und des nachgemachten Menschengeschlechtes, die mir beide gleich verhaßt sind, vergessen. – Und du,« fuhr ich fort, »wärst du der Gegenliebe fähig...?« In diesem Moment schlug sie die reichbewimperten Augendeckel nieder, und auf beide Wangen trat eine deutliche, fast heftige Röte. Ich erschrak und trat zurück; hinter mir stand der Direktor, der sich leise herzugeschlichen hatte, mit einem meckernden Gesicht. – »Sie gräßlicher Fabrikant,« schrie ich, »sogar die Schamröte haben Sie gestohlen, die duftigste und reinste aller menschlichen Empfindungen. um dem lieben Gott seine Menschen-Rasse nachzuäffen!« und stürzte, von Ekel erfaßt, davon. Ich fühlte, mein Anfall von vorhin werde sich wiederholen. »Es ist ja nur Cochenille!« rief das kleine, trockene Männchen, hinter mir dreinkeuchend, »es ist ja nur Cochenille!« Am Ausgang rannte ich beinahe einen zweiten Chinesen um, einen ähnlichen wie der, der am Eingang stand. Unaufhaltsam durcheilte ich alle die Korridore, an den brausenden, dampfenden Sälen vorbei; der Direktor nur mühsam mir nachkommend; alles war noch erleuchtet, doch sah man, der heranbrechende Morgen machte sich schon geltend. Bald war ich gezwungen, langsamer zu gehen. »Wollen Sie denn nichts kaufen?« hörte ich von ferne schon die Stimme des Alten. »Wollen Sie sich nicht einige von meinen Menschen mitnehmen?« – »Nein,« entgegnete ich zornig, »ich will fort aus diesem Haus, ich will nicht mit Ihrem verbrecherischen Fabrikat zu tun haben!« Am Eingang des Hauses, im großen Torbogen trafen wir zusammen. – »Eine Mark,« plapperte das kleine Direktorchen, »eine Mark – eine Mark,« – wie ein aufgezogener Automat fortwährend vor sich hin – »eine Mark kostet der Besuch der Fabrik!« Ich zog den Beutel und zahlte. »Noch eine Frage, bevor wir scheiden,« sagte ich, »gehören Sie, der Direktor, zum natürlich erzeugten Menschengeschlecht oder zu dieser kreidigen, ladestocksteifen, angestrichenen Kunst-Rasse?« – »Es ist richtig,« begann er, und schien zu einem längeren Exkurs auszuholen, »ich habe mich stark in meine Fabrik-Rasse hineingelebt, doch um Ihre Frage...« – »Nein!« schrie ich, »ich will nichts mehr hören!« und stürzte zum Tor hinaus. – Ein kalter, frischer Morgenwind schlug mir entgegen. Ich war erschöpft von dieser durchwachten Nacht, noch mehr von dem, was ich erlebt hatte. Die Sonne war noch nicht heraufgekommen, aber es schien ein prächtiger Tag werden zu wollen. Ich eilte, fortzukommen aus dieser schauerlichen Umgebung. – Auch hatte ich Hunger. Wie weit das nächste Dorf entfernt sein mochte, davon hatte ich keine Ahnung. Als ich den Kiesweg verlassen und wieder auf der Landstraße war, schaute ich mich noch einmal um, um dieses merkwürdige Haus zu betrachten. Vor Schrecken taumelte ich fast zurück: da standen im Parterre und ganzen ersten Stock an die Hunderte von diesen weißen, wunderschönen Menschen mit ihren glasig verzückten Augen und gelblichen Fingern dichtgedrängt an den Fenstern und schauten zu mir herüber und schienen mich zu verhöhnen. Ich wandte mein Gesicht ab und eilte, von diesem vertrackten Haus wegzukommen. – Aber wie es geht, lebhafte, beängstigende Eindrücke konzentrieren sich oft in uns bis zur Lebendigkeit und werden zu Reden, Handlungen, Lauten. Und so war es mir, als hörte ich, während ich rüstig weiterschritt, folgendes Gespräch dieser glasigen Gesellschaft im ersten Stock mich verfolgen: »Seht, da geht er. Seht, das ist so einer von der merkwürdigen Rasse, die Blut im Leib hat und denkt. Seht, wie er geht, wie er sich bewegt, wie er verschiedene Positionen annehmen kann; seht nur sein Gesicht an, wie es sich verändert. Jetzt lacht er, jetzt wird er wieder ernst. Diese merkwürdigen Geschöpfe sind wie von Gummi, sie können jede Position machen, auch im Inneren jedes Gefühl empfinden; dann verändert sich ihr Gesicht und zuckt und schnalzt und wird purpurrot und kreideweiß; seht nur, wie der geht, wie die wollenen Bein-Rohre, die nur Überzüge sind, um die fatale Bewegung zu verbergen, hin und her schlenkern; eine kostbare Rasse! Man muß sie sehen. wie sie oft in der Straße einhergehen und sich anzwinkern, dann plötzlich stehenbleiben, durch eine große, durchsichtige Scheibe hineinschauen und Bücher-Titel lesen, wie sie dann mit einemmal starr werden und die Augen heraustreiben und ihr ganzes Äußeres verrät, daß eine furchtbare Veränderung in ihrem Inneren vor sich geht; ihr Kopf fängt dann an zu denken, und der rote Saft in ihrem Körper wird dann durch ein Röhrensystem mit Windeseile durchgepeitscht; sie müssen dann denken, was der Kopf will, und empfinden, was ihnen ein roter Gummiball in der Brust vorschreibt, und sich bewegen, wie die beiden wollen; wie sie dann springen und schnalzen und den Hals verdrehen und hinüber- und herüberschießen und die Brust heraustreiben und schnaufen und dann wieder Knixer machen, – es ist zu possierlich...« – Ich eilte, so rasch ich konnte, mir wurde unheimlich; trotz des kalten Morgenwindes fielen die Schweißtropfen wie Perlen von meiner Stirn. Die Sonne mußte schon aufgegangen sein. In der Ferne zeigte sich eine glänzend bestrahlte Burg, und bald, bei einer Wegbiegung, sah ich, lag ein freundliches Städtchen mit Kirchen und Gärten vor mir. Mir war, als kehrte ich von einem grauenhaften Ausflug ins Schattenreich zur Welt zurück, die ich mit all ihrem Jammer vor Entzücken an mein Herz hätte drücken können. Und ich hatte kaum hundert Schritt weiter gemacht, als ich einen fleißigen Landmann, mit dem Rechen auf dem Rücken, mir entgegenkommen sah. Ich sah wohl, das war ein Mensch wie ich auch; durch natürliche Zeugung entstanden; das war keine Kunstrasse; denn er nahm zuweilen die Pfeife aus dem Mund, rückte am Hut, sah in die Luft, schaute nach dem Wind, hatte überhaupt viel natürliche Bewegung. – »Mein lieber Freund,« sagte ich, als wir einander nahe kamen, »können Sie mir nicht sagen, was das da hinten für ein Haus ist, kaum hundert Schritte von der Landstraße?« – »Ei, Herr Jäses!« rief der Mann, in dem ich sogleich einen Vertreter des liebenswürdigsten Volksstammes unter den Deutschen, einen Sachsen, erkannte, »mein kutestes Herrchen, das kann ich Sie wohl sagen – das is Sie die berühmte königlich-sächsische Porzellan-Fabrik von Meißen!« –