Friedrich Schiller
Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde
Friedrich Schiller

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Friedrich Schiller

Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde.[Dieser Aufsatz gehört zu den universalhistorischen Vorlesungen des Verfassers auf der Universität Jena. Im 11ten Heft der Thalia erschien er zuerst.]

Uebergang des Menschen zur Freiheit und Humanität.

An dem Leitbande des Instinkts, woran sie noch jetzt das vernunftlose Thier leitet, mußte die Vorsehung den Menschen in das Leben einführen und, da seine Vernunft noch unentwickelt war, gleich einer wachsamen Amme hinter ihm stehen. Durch Hunger und Durst zeigte sich ihm das Bedürfniß der Nahrung an; was er zu Befriedigung desselben brauchte, hatte sie in reichlichem Vorrath um ihn herum gelegt, und durch Geruch und Geschmack leitete sie ihn im Wählen. Durch ein sanftes Klima hatte sie seine Nacktheit geschont und durch einen allgemeinen Frieden um ihn her sein wehrloses Leben gesichert. Für die Erhaltung seiner Gattung war durch den Geschlechtstrieb gesorgt. Als Pflanze und Thier war der Mensch also vollendet. Auch seine Vernunft hatte schon von fern angefangen, sich zu entfalten. Weil nämlich die Natur noch für ihn dachte, sorgte und handelte, so konnten sich seine Kräfte desto leichter und ungehinderter auf die ruhige Anschauung richten, seine Vernunft, noch von keiner Sorge zerstreut, konnte ungestört an ihrem Werkzeuge, der Sprache, bauen und das zarte Gedankenspiel stimmen. Mit dem Auge eines Glücklichen sah er jetzt noch herum in der Schöpfung; sein frohes Gemüth faßte alle Erscheinungen uneigennützig und rein auf und legte sie rein und lauter in einem regen Gedächtniß nieder. Sanft und lachend war also der Anfang des Menschen, und dies mußte sein, wenn er sich zu dem Kampfe stärken sollte, der ihm bevorstand.

Setzen wir also, die Vorsehung wäre auf dieser Stufe mit ihm still gestanden, so wäre aus dem Menschen das glücklichste und geistreichste aller Thiere geworden, – aber aus der Vormundschaft des Naturtriebs wär' er niemals getreten, frei und also moralisch wären seine Handlungen niemals geworden, über die Grenze der Thierheit wär' er niemals gestiegen. In einer wollüstigen Ruhe hätte er eine ewige Kindheit verlebt – und der Kreis, in welchem er sich bewegt hätte, wäre der kleinstmöglichste gewesen, von der Begierde zum Genuß, vom Genuß zu der Ruhe und von der Ruhe wieder zur Begierde.

Aber der Mensch war zu ganz etwas anderm bestimmt, und die Kräfte, die in ihm lagen, riefen ihn zu einer ganz andern Glückseligkeit. Was die Natur in seiner Wiegenzeit für ihn übernommen hatte, sollte er jetzt selbst für sich übernehmen, sobald er mündig war. Er selbst sollte der Schöpfer seiner Glückseligkeit werden, und nur der Antheil, den er daran hätte, sollte den Grad dieser Glückseligkeit bestimmen. Er sollte den Stand der Unschuld, den er jetzt verlor, wieder aufsuchen lernen durch seine Vernunft und als ein freier, vernünftiger Geist dahin zurück kommen, wovon er als Pflanze und als eine Creatur des Instinkts ausgegangen war; aus einem Paradies der Unwissenheit und Knechtschaft sollte er sich, wär es auch nach späten Jahrtausenden, zu einem Paradies der Erkenntniß und der Freiheit hinauf arbeiten, einem solchen nämlich, wo er dem moralischen Gesetze in seiner Brust eben so unwandelbar gehorchen würde, als er anfangs dem Instinkte gedient hatte, als die Pflanze und die Thiere diesem noch dienen. Was war also unvermeidlich? Was mußte geschehen, wenn er diesem weitgesteckten Ziel entgegen rücken sollte? Sobald seine Vernunft ihre ersten Kräfte nur geprüft hatte, verstieß ihn die Natur aus ihren pflegenden Armen, oder richtiger gesagt, er selbst, von einem Triebe gereizt, den er selbst noch nicht kannte, und unwissend, was er in diesem Augenblicke Großes that, er selbst riß ab von dem leitenden Bande, und mit seiner noch schwachen Vernunft, von dem Instinkte nur von ferne begleitet, warf er sich in das wilde Spiel des Lebens, machte er sich auf den gefährlichen Weg zur moralischen Freiheit. Wenn wir also jene Stimme Gottes in Eden, die ihm den Baum der Erkenntniß verbot, in eine Stimme seines Instinkts verwandeln, der ihn von diesem Baume zurückzog. so ist sein vermeintlicher Ungehorsam gegen jenes göttliche Gebot nichts anders, als – ein Abfall von seinem Instinkte – also erste Aeußerung seiner Selbstthätigkeit, erstes Wagestück seiner Vernunft, erster Anfang seines moralischen Daseins. Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte, der das moralische Uebel zwar in die Schöpfung brachte, aber nur um das moralische Gute darin möglich zu machen, ist ohne Widerspruch die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschengeschichte; von diesem Augenblick her schreibt sich seine Freiheit, hier wurde zu seiner Moralität der erste entfernte Grundstein geleget. Der Volkslehrer hat ganz recht, wenn er diese Begebenheit als einen Fall des ersten Menschen behandelt und, wo es sich thun läßt, nützliche moralische Lehren daraus zieht; aber der Philosoph hat nicht weniger recht, der menschlichen Natur im Großen zu diesem wichtigen Schritt zur Vollkommenheit Glück zu wünschen. Der erste hat recht, es einen Fall zu nennen – denn der Mensch wurde aus einem unschuldigen Geschöpf ein schuldiges, aus einem vollkommenen Zögling der Natur ein unvollkommenes moralisches Wesen, aus einem glücklichen Instrumente ein unglücklicher Künstler.

Der Philosoph hat recht, es einen Riesenschritt der Menschheit zu nennen, denn der Mensch wurde dadurch aus einem Sklaven des Naturtriebes ein freihandelndes Geschöpf, aus einem Automat ein sittliches Wesen, und mit diesem Schritt trat er zuerst auf die Leiter, die ihn nach Verlauf von vielen Jahrtausenden zur Selbstherrschaft führen wird. Jetzt wurde der Weg länger, den er zum Genuß nehmen mußte. Anfangs durfte er nur die Hand ausstrecken, um die Befriedigung sogleich auf die Begierde folgen zu lassen; jetzt aber mußte er schon Nachdenken, Fleiß und Mühe zwischen die Begierde und ihre Befriedigung einschalten. Der Friede war aufgehoben zwischen ihm und den Thieren. Die Noth trieb sie jetzt gegen seine Pflanzungen, ja gegen ihn selbst an, und durch seine Vernunft mußte er sich Sicherheit und eine Ueberlegenheit der Kräfte, die ihm die Natur versagt hatte, künstlich über sie verschaffen: er mußte Waffen erfinden und seinen Schlaf durch feste Wohnungen vor diesem Feinde sicher stellen. Aber hier schon ersetzte ihm die Natur an Freuden des Geistes, was sie ihm an Pflanzengenüssen genommen hatte. Das selbstgepflanzte Kraut überraschte ihn mit einer Schmackhaftigkeit, die er vorher nicht kennen gelernt hatte; der Schlaf beschlich ihn nach der ermüdenden Arbeit und unter selbstgebautem Dache süßer als in der trägen Ruhe seines Paradieses. Im Kampfe mit dem Tiger, der ihn anfiel, freute er sich seiner entdeckten Gliederkraft und List, und mit jeder überwundenen Gefahr konnte er sich selbst für das Geschenk seines Lebens danken.

Jetzt war er für das Paradies schon zu edel, und er kannte sich selbst nicht, wenn er im Drange der Noth und unter der Last der Sorgen sich in dasselbe zurückwünschte. Ein innrer ungeduldiger Trieb, der erwachte Trieb seiner Selbstthätigkeit, hätte ihn bald in seiner müßigen Glückseligkeit verfolgt und ihm die Freuden verekelt, die er sich nicht selbst geschaffen hatte. Er würde das Paradies in eine Wildniß verwandelt und dann die Wildniß zum Paradies gemacht habe. Aber glücklich für das Menschengeschlecht, wenn es keinen schlimmern Feind zu bekämpfen gehabt hätte, als die Trägheit des Ackers, den Grimm wilder Thiere und eine stürmische Natur! – Die Noth drängte ihn, Leidenschaften wachten auf und waffneten ihn bald gegen seines Gleichen. Mit dem Menschen mußte er um sein Dasein kämpfen, einen langen, lasterreichen, noch jetzt nicht geendigten Kampf, aber in diesem Kampfe allein konnte er seine Vernunft und Sittlichkeit ausbilden.

Häusliches Leben.

Die ersten Söhne, welche die Mutter der Menschen gebar, hatten vor ihren Eltern einen sehr wichtigen Vortheil voraus: sie wurden von Menschen erzogen. Alle Fortschritte, welche die letztern durch sich selbst, und also weit langsamer, hatten thun müssen, kamen ihren Kindern zu gut und wurden diesen schon in ihrem zärtesten Alter spielend und mit der Herzlichkeit elterlicher Liebe übergeben. Mit dem ersten Sohn also, der vom Weibe geboren war, fängt das große Werkzeug an, wirksam zu werden – das Werkzeug, durch welches das ganze Menschengeschlecht seine Bildung erhalten hat und fortfahren wird zu erhalten – nämlich die Tradition oder die Ueberlieferung der Begriffe.

Die mosaische Urkunde verläßt uns hier und überspringt einen Zeitraum von fünfzehn und mehrern Jahren, um uns die beiden Brüder als schon erwachsen aufzuführen. Aber diese Zwischenzeit ist für die Menschengeschichte wichtig, und wenn die Urkunde uns verläßt, so muß die Vernunft die Lücke ergänzen.

Die Geburt eines Sohnes, seine Ernährung, Wartung und Erziehung vermehrten die Kenntnisse, Erfahrungen und Pflichten der ersten Menschen mit einem wichtigen Zuwachs, den wir sorgfältig aufzeichnen müssen.

Von den Thieren lernte die erste Mutter ohne Zweifel ihre nothwendigste Mutterpflicht, so wie sie die Hilfsmittel bei der Geburt wahrscheinlich von der Noth gelernt hatte. Die Sorgfalt für Kinder machte sie auf unzählige kleine Bequemlichkeiten aufmerksam, die ihr bis jetzt unbekannt gewesen; die Anzahl der Dinge, von denen sie Gebrauch machen lernte, vermehrte sich, und die Mutterliebe wurde sinnreich im Erfinden.

Bis jetzt hatten Beide nur ein gesellschaftliches Verhältniß, nur eine Gattung von Liebe erkannt, weil jedes in dem andern nur einen Gegenstand vor sich hatte. Jetzt lernten sie mit einem neuen Gegenstand eine neue Gattung von Liebe, ein neues moralisches Verhältniß kennen – elterliche Liebe. Dieses neue Gefühl von Liebe war von reinerer Art, als das erste, es war ganz uneigennützig, da jenes erste bloß auf Vergnügen, auf wechselseitiges Bedürfniß des Umgangs gegründet gewesen war.

Sie betraten also mit dieser neuen Erfahrung schon eine höhere Stufe der Sittlichkeit – sie wurden veredelt.

Aber die elterliche Liebe, in welcher sich Beide für ihr Kind vereinigten, bewirkte nun auch eine nicht geringe Veränderung in dem Verhältniß, worin sie bisher zu einander selbst gestanden hatten. Die Sorge, die Freude, die zärtliche Theilnahme, worin sie sich für den gemeinschaftlichen Gegenstand ihrer Liebe begegneten, knüpfte unter ihnen selbst neue und schönere Bande an. Jedes entdeckte bei dieser Gelegenheit in dem andern neue, sittlich schöne Züge, und eine jede solcher Entdeckungen erhöhte und verfeinerte ihr Verhältniß. Der Mann liebte in dem Weibe die Mutter, die Mutter seines geliebten Sohns. Das Weib ehrte und liebte in dem Mann den Vater, den Ernährer ihres Kindes. Das bloß sinnliche Wohlgefallen an einander erhob sich zur Hochachtung, aus der eigennützigen Geschlechtsliebe erwuchs die schöne Erscheinung der ehlichen Liebe.

Bald wurden diese moralischen Erfahrungen mit neuen bereichert. Die Kinder wuchsen heran, und auch unter ihnen knüpfte sich allmählich ein zärtliches Band an. Das Kind hielt sich am liebsten zum Kinde, weil jedes Geschöpf sich in seines Gleichen nur liebet. An zarten, unmerklichen Fäden erwuchs die Geschwisterliebe – eine neue Erfahrung für die ersten Eltern. Sie sahen nun ein Bild der Geselligkeit, des Wohlwollens zum erstenmal außer ihnen, sie erkannten ihre eigenen Gefühle, nur in einem jugendlichern Spiegel, wieder.

Bis jetzt hatten Beide, so lange sie allein waren, nur in der Gegenwart und in der Vergangenheit gelebt, aber nun fing die ferne Zukunft an, ihnen Freuden zu zeigen. So wie sie ihre Kinder neben sich aufwachsen sahen und jeder Tag eine neue Fähigkeit in diesen entwickelte, thaten sich ihnen lachende Aussichten für die Zukunft auf, wenn diese Kinder nun einmal Männer und ihnen gleich werden würden – in ihren Herzen erwachte ein neues Gefühl, die Hoffnung. Welch ein unendliches Gebiet aber wird dem Menschen durch die Hoffnung geöffnet! Vorher hatten sie jedes Vergnügen nur einmal, nur in der Gegenwart genossen – in der Erwartung wurde jede künftige Freude mit zahlenloser Wiederholung voraus empfunden!

Als die Kinder nun wirklich heranreiften, welche Mannigfaltigkeit kam auf einmal in diese erste Menschengesellschaft! Jeder Begriff, den sie ihnen mitgetheilt hatten, hatte sich in jeder Seele anders gebildet und überraschte sie jetzt durch Neuheit. Jetzt wurde der Umlauf der Gedanken lebendig, das moralische Gefühl in Uebung gesetzt und durch Uebung entwickelt; die Sprache wurde schon reicher und malte schon bestimmter und wagte sich schon an feinere Gefühle; neue Erfahrungen in der Natur um sie her, neue Anwendungen der schon bekannten. Jetzt beschäftigte der Mensch ihre Aufmerksamkeit schon ganz. Jetzt war keine Gefahr mehr vorhanden, daß sie zur Nachahmung der Thiere herabsinken würden!

Verschiedenheit der Lebensweise.

Der Fortschritt der Kultur äußerte sich schon bei der ersten Generation. Adam baute den Acker; einen seiner Söhne sehen wir schon einen neuen Nahrungszweig, die Viehzucht, ergreifen. Das Menschengeschlecht scheidet sich also hier schon in zwei verschiedene Conditionen, in Feldbauer und Hirten.

Bei der Natur ging der erste Mensch in die Schule, und ihr hat er alle nützliche Künste des Lebens abgelernt. Bei einer aufmerksamen Betrachtung konnte ihm die Ordnung nicht lange verborgen bleiben, nach welcher die Pflanzen sich wieder erzeugen. Er sah die Natur selbst säen und begießen, sein Nachahmungstrieb erwachte, und bald spornte ihn die Noth, der Natur seinen Arm zu leihen und ihrer freiwilligen Ergiebigkeit durch Kunst nachzuhelfen.

Man muß aber nicht glauben, daß der erste Anbau gleich Getreidebau gewesen, wozu schon sehr große Zurüstungen nöthig sind, und es ist dem Gang der Natur gemäß, stets von dem Einfachern zu dem Zusammengesetztern fortzuschreiten. Wahrscheinlich war der Reis eines der ersten Gewächse. die der Mensch bauete; die Natur lud ihn dazu ein, denn der Reis wächst in Indien wild, und die ältesten Geschichtschreiber sprechen von dem Reisbau als einer der ältesten Arten des Feldbaues. Der Mensch bemerkte, daß bei einer anhaltenden Dürre die Pflanzen ermatten, nach einem Regen aber sich schnell wieder erholten. Er bemerkte ferner, daß da, wo ein übertretender Strom einen Schlamm zurückgelassen, die Fruchtbarkeit größer war. Er benutzte diese beiden Entdeckungen, er gab seinen Pflanzungen einen künstlichen Regen und brachte Schlamm auf seinen Acker, wenn kein Fluß in der Nähe war, der ihm solchen geben konnte. Er lernte düngen und begießen.

Schwerer scheint der Schritt zu sein, den er zum Gebrauch der Thiere machte; aber auch hier fing er, wie überall, bei dem Natürlichen und Unschuldigen zuerst an; und er begnügte sich vielleicht viele Menschenalter lang mit der Milch des Thiers, ehe er Hand an dessen Leben legte. Ohne Zweifel war es die Muttermilch, die ihn zu dem Versuche einlud, sich der Thiermilch zu bedienen. Nicht sobald aber hatte er diese neue Nahrung kennen lernen, als er sich ihrer auf immer versicherte. Um diese Speise jederzeit bereit und im Vorrath zu haben, durfte es nicht dem Zufall überlassen werden, ob ihm dieser gerade, wenn er hungerte, ein solches Thier entgegen führen wollte. Er verfiel also darauf, eine gewisse Anzahl solcher Thiere immer um sich zu versammeln, er verschaffte sich eine Heerde; diese mußte er aber unter denjenigen Thieren suchen, die gesellig leben, und er mußte sie aus dem Stande wilder Freiheit in den Stand der Dienstbarkeit und friedlichen Ruhe versetzen, d. i. er mußte sie zähmen. Ehe er sich aber an diejenigen wagte, die von wilderer Natur und ihm an natürlichen Waffen und Kräften überlegen waren, versuchte er es zuerst mit denjenigen, denen er selbst an Kraft überlegen war, und welche von Natur weniger Wildheit besaßen. Er hütete also früher Schafe, als er Schweine, Ochsen und Pferde hütete.

Sobald er seinen Thieren ihre Freiheit geraubt hatte, war er in die Notwendigkeit gesetzt, sie selbst zu ernähren und für sie zu sorgen. So wurde er also zum Hirten, und so lange die Gesellschaft noch klein war, konnte die Natur seiner kleinen Heerde Nahrung im Ueberfluß darbieten. Er hatte keine andre Mühe, als die Weide aufzusuchen und sie, wenn sie abgeweidet war, mit einer andern zu vertauschen. Der reichste Ueberfluß lohnte ihm für diese leichte Beschäftigung, und der Ertrag seiner Arbeit war keinem Wechsel weder der Jahrszeit noch der Witterung unterworfen. Ein gleichförmiger Genuß war das Loos des Hirtenstandes, Freiheit und ein fröhlicher Müßiggang sein Charakter.

Ganz anders verhielt es sich mit dem Feldbauer. Sklavisch war dieser an den Boden. den er bepflanzt hatte, gebunden, und mit der Lebensart, die er ergriff, hatte er jede Freiheit seines Aufenthalts aufgegeben. Sorgfältig mußte er sich nach der zärtlichen Natur des Gewächses richten, das er zog, und dem Wachsthum desselben durch Kunst und Arbeit zu Hilfe kommen, wenn der andre seine Heerde selbst für sich sorgen ließ. Mangel an Werkzeugen machte ihm anfänglich jede Arbeit schwerer, und doch war er ihr mit zwei Händen kaum gewachsen. Wie mühsam mußte seine Lebensart sein, ehe die Pflugschar sie ihm erleichterte, ehe er den gebändigten Stier zwang, die Arbeit mit ihm zu theilen!

Das Aufreißen des Erdreichs, Aussaat und Wässerung, die Ernte selbst, wie viele Arbeiten erforderte dieses alles! und welche Arbeit erst nach der Ernte, bis die Frucht seines Fleißes so weit gebracht war, von ihm genossen zu werden! Wie oft mußte er sich gegen wilde Thiere, die sie anfielen, für seine Pflanzungen wehren, sie hüten oder verzäunen, oft vielleicht gar mit Gefahr seines Lebens dafür kämpfen! Und wie unsicher war ihm dabei noch immer die Frucht seines Fleißes, in die Gewalt der Witterung und der Jahrszeit gegeben! Ein übertretender Strom, ein fallender Hagel war genug, sie ihm am Ziel noch zu rauben und ihn dem härtesten Mangel auszusetzen. Hart also, ungleich und zweifelhaft war das Loos des Ackermanns gegen das gemächliche ruhige Loos des Hirten, und seine Seele mußte in einem durch so viele Arbeit gehärteten Körper verwildern.

Fiel es ihm nun ein, dieses harte Schicksal mit dem glücklichen Leben des Hirten zu vergleichen, so mußte ihm diese Ungleichheit auffallen, er mußte – nach seiner sinnlichen Vorstellungsart – jenen für einen vorgezogenen Günstling des Himmels halten.

Der Neid erwachte in seinem Busen; diese unglückliche Leidenschaft mußte bei der ersten Ungleichheit unter Menschen erwachen. Mit Schelsucht blickte er jetzt den Segen des Hirten an, der ihm ruhig gegenüber im Schatten weidete, wenn ihn selbst die Sonnenhitze stach und die Arbeit ihm den Schweiß aus der Stirne preßte. Die sorglose Fröhlichkeit des Hirten that ihm wehe. Er haßte ihn wegen seines Glücks und verachtete ihn seines Müßiggangs wegen. So bewahrte er einen stillen Unwillen gegen ihn in seinem Herzen, der bei dem nächsten Anlaß in Gewalttätigkeit ausbrechen mußte. Dieser Anlaß aber konnte nicht lange ausbleiben. Die Gerechtsame eines Jeden hatte zu dieser Zeit noch keine bestimmten Grenzen, und keine Gesetze waren noch vorhanden, die das Mein und Dein auseinander gesetzt hätten. Jeder glaubte, noch einen gleichen Anspruch auf die ganze Erde zu haben, denn die Vertheilung in Eigenthum sollte erst durch eintretende Collisionen herbeigeführt werden. Gesetzt nun, der Hirte hatte alle Gegenden umher mit seiner Heerde abgeweidet und fühlte doch auch keine Lust dazu, sich weit von der Familie in fernen Gegenden zu verlieren – was that er also? worauf mußte er natürlicher Weise verfallen? Er trieb seine Heerde in die Pflanzungen des Ackermanns oder ließ es wenigstens geschehen, daß sie selbst diesen Weg nahm. Hier war reicher Vorrath für seine Schafe, und kein Gesetz war noch da, es ihm zu wehren. Alles, wornach er greifen konnte, war sein – so raisonnierte die kindische Menschheit.

Jetzt also zum erstenmal kam der Mensch in Collision mit dem Menschen; an die Stelle der wilden Thiere, mit denen es der Ackermann bis jetzt zu thun gehabt hatte, trat nun der Mensch. Dieser erschien jetzt gegen ihn als ein feindseliges Raubthier, das seine Pflanzungen verwüsten wollte. Kein Wunder, daß er ihn auf eben die Art empfing, wie er das Raubthier empfangen hatte, dem der Mensch jetzt nachahmte. Der Haß, den er schon lange Jahre in seiner Brust herumgetragen hatte, wirkte mit, ihn zu erbittern; und ein mörderischer Schlag mit der Keule rächte ihn auf einmal an dem langen Glück seines beneideten Nachbars.

So traurig endigte die erste Collision der Menschen.

Aufgehobene Standesgleichheit.

Einige Worte der Urkunde lassen uns schließen, daß die Polygamie in jenen frühen Zeiten etwas Seltenes, und also damals schon Herkommen gewesen sei, sich in Ehen einzuschränken und mit einer Gattin zu begnügen. Ordentliche Ehen aber scheinen schon eine gewisse Sittlichkeit und Verfeinerung anzuzeigen, die man in jenen frühen Zeiten kaum erwarten sollte. Meistens gelangen die Menschen nur durch die Folgen der Unordnung zu Einführung der Ordnung, und Gesetzlosigkeit führt gewöhnlich erst zu Gesetzen.

Diese Einführung ordentlicher Ehen scheint also nicht sowohl auf Gesetzen als auf dem Herkommen beruht zu haben. Der erste Mensch konnte nicht anders als in der Ehe leben, und das Beispiel des ersten hatte für den zweiten schon einige Kraft des Gesetzes. Mit einem einzigen Paar hatte das Menschengeschlecht angefangen. Die Natur hatte also ihren Willen in diesem Beispiel gleichsam verkündigt.

Nimmt man also an, daß in den allerersten Zeiten das Verhältniß der Anzahl zwischen beiden Geschlechtern gleich gewesen sei, so ordnete schon die Natur, was der Mensch nicht geordnet hätte. Jeder nahm nur eine Gattin, weil nur eine für ihn übrig war.

Wenn sich nun endlich in der Anzahl beider Geschlechter auch ein merkliches Mißverhältniß zeigte und Wahlen stattfanden, so war diese Ordnung durch Observanz einmal befestigt, und Niemand wagte es so leicht, die Weise der Väter durch eine Neuerung zu verletzen.

Eben so, wie die Ordnung der Ehen, richtete sich auch ein gewisses natürliches Regiment in der Gesellschaft von selbst ein. Das väterliche Ansehn hatte die Natur gegründet, weil sie das hilflose Kind von dem Vater abhängig machte und es vom zarten Alter an gewöhnte, seinen Willen zu ehren. Diese Empfindung mußte der Sohn sein ganzes Leben hindurch beibehalten. Wurde er nun auch selbst Vater, so konnte sein Sohn Denjenigen nicht ohne Ehrfurcht ansehen, dem er von seinem Vater so ehrerbietig begegnet sah, und stillschweigend mußte er dem Vater seines Vaters ein höheres Ansehn zugestehn. Dieses Ansehn des Stammherrn mußte sich in gleichem Grade mit jeder Vermehrung der Familie und mit jeder höhern Stufe seines Alters vermehren, und die größere Erfahrenheit, die Frucht eines so langen Lebens, mußte ihm ohnehin über Jeden, der jünger war, eine natürliche Ueberlegenheit geben. In jeder strittigen Sache war der Stammherr also die letzte Instanz, und durch die lange Beobachtung dieses Gebrauches gründete sich endlich eine natürliche sanfte Obergewalt, die Patriarchenregierung, welche aber die allgemeine Gleichheit darum nicht aufhob, sondern vielmehr befestigte.

Aber diese Gleichheit konnte nicht immer Bestand haben. Einige waren weniger arbeitsam, Einige weniger von dem Glück und ihrem Erdreich begünstigt, Einige schwächlicher geboren als die Andern; es gab also Starke und Schwache, Herzhafte und Verzagte, Wohlhabende und Arme. Der Schwache und Arme mußte bitten, der Wohlhabende konnte geben und versagen. Die Abhängigkeit der Menschen von Menschen fing an.

Die Natur der Dinge hatte es einführen müssen, daß das hohe Alter von der Arbeit befreite und der Jüngling für den Greis, der Sohn für den grauen Vater die Geschäfte übernahm. Bald wurde diese Pflicht der Natur von der Kunst nachgeahmt. Manchem mußte der Wunsch aufsteigen, die bequeme Ruhe des Greisen mit den Genüssen des Jünglings zu verbinden und sich künftig Jemand zu verschaffen, der für ihn die Dienste eines Sohnes übernähme. Sein Auge fiel auf den Armen oder Schwächern, der seinen Schutz anforderte oder seinen Ueberfluß in Anspruch nahm. Der Arme und Schwache bedurfte seines Beistandes, er hingegen brauchte den Fleiß des Armen. Das Eine also wurde die Bedingung des Andern. Der Arme und Schwache diente und empfing, der Starke und Reiche gab und ging müßig.

Der erste Unterschied der Stände. Der Reiche wurde reicher durch des Armen Fleiß; seinen Reichthum zu vermehren, vermehrte er also die Zahl seiner Knechte; Viele also sah er um sich, die minder glücklich als er waren, Viele hingen von ihm ab. Der Reiche fühlte sich und wurde stolz. Er fing an, die Werkzeuge seines Glücks mit Werkzeugen seines Willens zu verwechseln. Die Arbeit Vieler kam ihm, dem Einzigen, zu gut; also schloß er, diese Vielen seien des Einzigen wegen da – Er hatte nur einen kleinen Schritt zum Despoten.

Der Sohn des Reichen fing an, sich besser zu dünken, als die Söhne von seines Vaters Knechten. Der Himmel hatte ihn mehr begünstigt als diese; er war dem Himmel also lieber. Er nannte sich Sohn des Himmels, wie wir Günstlinge des Glücks Söhne des Glücks nennen. Gegen ihn, den Sohn des Himmels, war der Knecht nur ein Menschensohn. Daher in der Genesis der Unterschied zwischen Kindern Elohims und Kindern der Menschen.

Das Glück führte den Reichen zum Müßiggang, der Müßiggang führte ihn zur Lüsternheit und endlich zum Laster. Sein Leben auszufüllen, mußte er die Zahl seiner Genüsse vermehren; schon reichte das gewöhnliche Maß der Natur nicht mehr hin, den Schwelger zu befriedigen, der in seiner trägen Ruhe auf Ergötzungen sann.

Er mußte alles besser und alles in reicherm Maße haben als der Knecht. Der Knecht begnügte sich noch mit einer Gattin. Er erlaubte sich mehrere Weiber. Immerwährender Genuß stumpft aber ab und ermüdet. Er mußte darauf denken, ihn durch künstliche Reize zu erheben. Ein neuer Schritt. Er nahm nicht mehr vorlieb mit dem, was den sinnlichen Trieb nur befriedigte; er wollte in einen Genuß mehrere und feinere Freuden gelegt haben. Erlaubte Vergnügungen sättigten ihn nicht mehr; seine Begierde verfiel nun auf heimliche. Das Weib allein reizte ihn nicht mehr. Er verlangte jetzt schon Schönheit von ihr.

Unter den Töchtern seiner Knechte entdeckte er schöne Weiber. Sein Glück hatte ihn stolz gemacht; Stolz und Sicherheit machten ihn trotzig. Er überredete sich leicht, daß alles sein sei, was seinen Knechten gehöre. Weil ihm alles hinging, so erlaubte er sich alles. Die Tochter seines Knechts war ihm zur Gattin zu niedrig, aber zur Befriedigung seiner Lüste war sie doch zu gebrauchen. Ein neuer wichtiger Schritt der Verfeinerung zur Verschlimmerung.

Sobald aber nun das Beispiel einmal gegeben war, so mußte die Sittenverderbniß bald allgemein werden. Je weniger Zwangsgesetze sie nämlich vorfand, die ihr hätten Einhalt thun können, je näher die Gesellschaft, in welcher diese Sittenlosigkeit aufkam, noch dem Stande der Unschuld war, desto reißender mußte sie sich verbreiten.

Das Recht des Stärkern kam auf, Macht berechtigte zur Unterdrückung, und zum erstenmal zeigen sich Tyrannen.

Die Urkunde gibt sie als Söhne der Freude an, als die unechten Kinder, die in gesetzwidriger Vermischung erzeugt wurden. Kann man dieses für buchstäblich wahr halten, so liegt eine große Feinheit in diesem Zug, die man meines Wissens noch nicht auseinander gesetzt hat. Diese Bastardsöhne erbten den Stolz des Vaters, aber nicht seine Güter. Vielleicht liebte sie der Vater und zog sie bei seinen Lebzeiten vor, aber von seinen rechtmäßigen Erben wurden sie ausgeschlossen und vertrieben, sobald er todt war. Hinausgestoßen aus einer Familie, der sie durch einen unrechten Weg aufgedrungen worden, sahen sie sich verlassen und einsam in der weiten Welt, sie gehörten Niemanden an, und nichts gehörte ihnen; damals aber war keine andre Lebensweise in der Welt, als man mußte entweder Herr oder eines Herrn Knecht sein.

Ohne das erste zu sein, dünkten sie sich zu dem letztern zu stolz; auch waren sie zu bequem erzogen, um dienen zu lernen. Was sollten sie also thun? Der Dünkel auf ihre Geburt und feste Glieder war alles, was ihnen geblieben war; nur die Erinnerung an ehemaligen Wohlstand, und ein Herz, das auf die Gesellschaft erbittert war, begleitete sie ins Elend. Der Hunger machte sie zu Räubern, und Räuberglück zu Abenteurern, endlich gar zu Helden.

Bald wurden sie dem friedlichen Feldbauer, dem wehrlosen Hirten fürchterlich und erpreßten von ihm, was sie wollten. Ihr Glück und ihre Siegesthaten machten sie weit umher berüchtigt, und der bequeme Ueberfluß dieser neuen Lebensweise mochte wohl mehrere zu ihrer Bande schlagen. So wurden sie gewaltig, wie die Schrift sagt, und berühmte Leute.

Diese überhandnehmende Unordnung in der ersten Gesellschaft würde sich endlich wahrscheinlich mit Ordnung geendigt und die einmal aufgehobene Gleichheit unter den Menschen von dem patriarchalischen Regiment zu Monarchien geführt haben – Einer dieser Abenteurer, mächtiger und kühner als die andern, würde sich zu ihrem Herrn aufgeworfen, eine feste Stadt gebaut und den ersten Staat gegründet haben – aber diese Erscheinung kam dem Wesen, das das Schicksal der Welt lenkt, noch zu frühe, und eine fürchterliche Naturbegebenheit hemmte plötzlich alle Schritte, welche das Menschengeschlecht zu seiner Verfeinerung zu thun im Begriff war.

Der erste König.

Asien, durch die Ueberschwemmung von seinen menschlichen Bewohnern verlassen, mußte bald wilden Thieren zum Raub werden, die sich auf einem so fruchtbaren Erdreich, als auf die Ueberschwemmung folgte, schnell und in großer Anzahl vermehrten und ihre Herrschaft da ausbreiteten, wo der Mensch zu schwach war, ihr Einhalt zu thun. Jeder Strich Landes also, den das neue Menschengeschlecht bebauete, mußte den wilden Thieren erst abgerungen und mit List und Gewalt ferner gegen sie vertheidigt werden. Unser Europa ist jetzt von diesen wilden Bewohnern gereinigt, und kaum können wir uns einen Begriff von dem Elend machen, das jene Zeiten gedrückt hat; aber wie fürchterlich diese Plage gewesen sein müsse, lassen uns, außer mehrern Stellen der Schrift, die Gewohnheiten der ältesten Völker und besonders der Griechen schließen, die den Bezwingern wilder Thiere Unsterblichkeit und die Götterwürde zuerkannt haben.

So wurde der Thebaner Oedipus König, weil er die verheerende Sphinx ausgerottet; so erwarben sich Perseus, Herkules, Theseus und viele Andre ihren Nachruhm und ihre Apotheose. Wer also an Vertilgung dieser allgemeinen Feinde arbeitete, war der größte Wohlthäter der Menschen, und um glücklich darin zu sein, mußte er auch wirklich seltene Gaben in sich vereinigen. Die Jagd gegen diese Thiere war, ehe der Krieg unter Menschen selbst zu wüthen begann, das eigentliche Werk der Helden. Wahrscheinlich wurde diese Jagd in großen Haufen angestellt, die immer der Tapferste anführte, derjenige nämlich, dem sein Muth und sein Verstand eine natürliche Ueberlegenheit über die Andern verschafften. Dieser gab dann zu den wichtigsten dieser Kriegsthaten seinen Namen, und dieser Name lud viele Hunderte ein, sich zu seinem Gefolge zu schlagen, um unter ihm Thaten der Tapferkeit zu thun. Weil diese Jagden nach gewissen planmäßigen Dispositionen vorgenommen werden mußten, die der Anführer entwarf und dirigierte, so setzte er sich dadurch stillschweigend in den Besitz, den übrigen ihre Rollen zuzutheilen und seinen Willen zu dem ihrigen zu machen. Man wurde unvermerkt gewohnt, ihm Folge zu leisten und sich seinen bessern Einsichten zu unterwerfen. Hatte er sich durch Thaten persönlicher Tapferkeit, durch Kühnheit der Seele und Stärke des Arms hervorgethan, so wirkten Furcht und Bewunderung zu seinem Vortheil, daß man sich zuletzt blindlings seiner Führung unterwarf. Entstanden nun Zwistigkeiten unter seinen Jagdgenossen, die unter einem so zahlreichen, rohen Jägerschwarm nicht lange ausbleiben konnten, so war er, den alle fürchteten und ehrten, der natürlichste Richter des Streits, und die Ehrfurcht und Furcht vor seiner persönlichen Tapferkeit war genug, seinen Aussprüchen Kraft zu geben. So wurde aus einem Anführer der Jagden schon ein Befehlshaber und Richter.

Wurde der Raub nun getheilt, so mußte billigerweise die größre Portion ihm, dem Anführer, zufallen, und da er solche für sich selbst nicht verbrauchte, so hatte er etwas, womit er sich Andre verbinden und sich also Anhänger und Freunde erwerben konnte. Bald sammelte sich eine Anzahl der Tapfersten, die er immer durch neue Wohlthaten zu vermehren suchte, um seine Person, und unvermerkt hatte er sich eine Art von Leibwache, eine Schaar von Mameluken, daraus gebildet, die seine Anmaßungen mit wildem Eifer unterstützte und Jeden, der sich ihm widersetzen mochte, durch ihre Anzahl in Schrecken setzte.

Da seine Jagden allen Gutsbesitzern und Hirten, deren Grenzen er dadurch von verwüstenden Feinden reinigte, nützlich wurden, so mochte ihm anfänglich ein freiwilliges Geschenk in Früchten des Feldes und der Heerde für diese nützliche Mühe gereicht worden sein, das er sich in der Folge als einen verdienten Tribut fortsetzen ließ und endlich als eine Schuld und als eine pflichtmäßige Abgabe erpreßte. Auch diese Erwerbungen vertheilte er unter die Tüchtigsten seines Haufens und vergrößerte dadurch immer mehr die Zahl seiner Kreaturen. Weil ihn seine Jagden öfters durch Flur und Felder führten, die bei diesen Durchzügen Schaden litten, so fanden es viele Gutsbesitzer für gut, diese Last durch ein freiwilliges Geschenk abzukaufen, welches er gleichfalls nachher von allen andern, denen er hätte schaden können, einforderte. Durch solche und ähnliche Mittel vermehrte er seinen Reichthum und durch diesen – seinen Anhang, der endlich zu einer kleinen Armee anwuchs, die um so fürchterlicher war, weil sie sich im Kampf mit dem Löwen und Tiger zu jeder Gefahr und Arbeit abgehärtet hatte und durch ihr rauhes Handwerk verwildert war. Der Schrecken ging jetzt vor seinem Namen her, und Niemand durfte es mehr wagen, ihm eine Bitte zu verweigern. Fielen zwischen Einem aus seiner Begleitung und einem Fremden Streitigkeiten vor, so appellierte der Jäger natürlicherweise an seinen Anführer und Beschützer, und so lernte dieser seine Gerichtsbarkeit auch über Dinge, die seine Jagd nichts angingen, verbreiten. Nun fehlte ihm zum Könige nichts mehr, als eine feierliche Anerkennung, und konnte man ihm diese wohl an der Spitze seiner gewaffneten und gebieterischen Schaaren versagen? Er war der Tüchtigste, zu herrschen, weil er der Mächtigste war, seine Befehle durchzusetzen. Er war der allgemeine Wohlthäter Aller, weil man ihm Ruhe und Sicherheit vor dem gemeinschaftlichen Feind verdankte. Er war schon im Besitz der Gewalt, weil ihm die Mächtigsten zu Gebote standen.

Auf eine ähnliche Art wurden die Vorfahren des Alarich, des Attila, des Meroveus Könige ihrer Völker. Eben so ist's mit den griechischen Königen, die uns Homer in der Ilias aufführt. Alle waren zuerst Anführer eines kriegrischen Haufens, Ueberwinder von Ungeheuern, Wohlthäter ihrer Nation. Aus kriegrischen Anführern wurden sie allmählich Schiedsmänner und Richter; mit dem gemachten Raube erkauften sie sich einen Anhang, der sie mächtig und fürchterlich machte. Durch Gewalt endlich stiegen sie auf den Thron.

Man führt das Beispiel des Dejoces in Medien an, dem das Volk die königliche Würde freiwillig übertrug, nachdem er sich demselben als Richter nützlich gemacht hatte. Aber man thut Unrecht, dieses Beispiel auf die Entstehung des ersten Königs anzuwenden. Als die Meder den Dejoces zu ihrem Könige machten, so waren sie schon ein Volk, schon eine formierte politische Gesellschaft; in dem vorliegenden Falle hingegen sollte durch den ersten König die erste politische Gesellschaft entstehen. Die Meder hatten das drückende Joch der assyrischen Monarchen getragen; der König, von dem jetzt die Rede ist, war der erste in der Welt, und das Volk, das sich ihm unterwarf, eine Gesellschaft freigeborner Menschen, die noch keine Gewalt über sich gesehn hatten. Eine schon ehmals geduldete Gewalt läßt sich sehr gut auf diesem ruhigen Weg wieder herstellen, aber auf diesem ruhigen Weg läßt sich eine ganz neue und unbekannte nicht einsetzen.

Es scheint also dem Gang der Dinge gemäßer, daß der erste König ein Usurpator war, den nicht ein freiwilliger, einstimmiger Ruf der Nation (denn damals war noch keine Nation), sondern Gewalt und Glück und eine schlagfertige Miliz auf den Thron setzten.