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Die Gründung des jüdischen Staats durch Moses ist eine der denkwürdigsten Begebenheiten, welche die Geschichte aufbewahrt hat, wichtig durch die Stärke des Verstandes, wodurch sie ins Werk gerichtet worden, wichtiger noch durch ihre Folgen auf die Welt, die noch bis auf diesen Augenblick fortdauern. Zwei Religionen, welche den größten Theil der bewohnten Erde beherrschen, das Christenthum und der Islamismus, stützen sich beide auf die Religion der Hebräer, und ohne diese würde es niemals weder ein Christenthum noch einen Koran gegeben haben.
Ja, in einem gewissen Sinne ist es unwiderleglich wahr, daß wir der mosaischen Religion einen großen Theil der Aufklärung danken, deren wir uns heutiges Tags erfreuen. Denn durch sie wurde eine kostbare Wahrheit, welche die sich selbst überlassene Vernunft erst nach einer langsamen Entwicklung würde gefunden haben, die Lehre von dem einigen Gott, vorläufig unter dem Volke verbreitet und als ein Gegenstand des blinden Glaubens so lange unter demselben erhalten, bis sie endlich in den helleren Köpfen zu einem Vernunftbegriff reifen konnte. Dadurch wurden einem großen Theil des Menschengeschlechtes alle die traurigen Irrwege erspart, worauf der Glaube an Vielgötterei zuletzt führen muß, und die hebräische Verfassung erhielt den ausschließenden Vorzug, daß die Religion der Weisen mit der Volksreligion nicht in direktem Widerspruche stand, wie es doch bei den aufgeklärte Heiden der Fall war. Aus diesem Standpunkt betrachtet, muß uns die Nation der Hebräer als ein wichtiges universalhistorisches Volk erscheinen, und alles Böse, welches man diesem Volke nachzusagen gewohnt ist, alle Bemühungen witziger Köpfe, es zu verkleinern, werden und nicht hindern, gerecht gegen dasselbe zu sein. Die Unwürdigkeit und Verworfenheit der Nation kann das erhabene Verdienst ihres Gesetzgebers nicht vertilgen und eben so wenig den großen Einfluß vernichten, den diese Nation mit Recht in der Weltgeschichte behauptet. Als ein unreines und gemeines Gefäß, worin aber etwas sehr Kostbares aufbewahret worden, müssen wir sie schätzen; wir müssen in ihr den Kanal verehren, den, so unrein er auch war, die Vorsicht erwählte, uns das edelste aller Güter, die Wahrheit, zuzuführen; den sie aber auch zerbrach, sobald er geleistet hatte, was er sollte. Auf diese Art werden wir gleich weit entfernt sein, dem hebräischen Volk einen Werth aufzudringen, den es nie gehabt hat, und ihm ein Verdienst zu rauben, das ihm nicht streitig gemacht werden kann.
Die Hebräer kamen, wie bekannt ist, als eine einzige Nomadenfamilie, die nicht über siebenzig Seelen begriff, nach Aegypten und wurden erst in Aegypten zum Volk. Während eines Zeitraums von ohngefähr vierhundert Jahren, die sie in diesem Lande zubrachten, vermehrten sie sich beinahe bis zu zwei Millionen, unter welchen sechshunderttausend streitbare Männer gezählt wurden, als sie aus diesem Königreich zogen. Während dieses langen Aufenthalts lebten sie abgesondert von den Aegyptern, abgesondert sowohl durch den eigenen Wohnplatz, den sie einnahmen, als auch durch ihren nomadischen Stand, der sie allen Eingeboren des Landes zum Abscheu machte und von allem Antheil an den bürgerlichen Rechten der Aegypter ausschloß. Sie regierten sich nach nomadischer Art fort, der Hausvater die Familie, der Stammfürst die Stämme, und machten auf diese Art einen Staat im Staat aus, der endlich durch seine ungeheure Vermehrung die Besorgniß der Könige erweckte.
Eine solche abgesonderte Menschenmenge im Herzen des Reichs, durch ihre nomadische Lebensart müßig. die unter sich sehr genau zusammenhielt, mit dem Staat aber gar kein Interesse gemein hatte, konnte bei einem feindlichen Einfall gefährlich werden und leicht in Versuchung gerathen, die Schwäche des Staats, deren müßige Zuschauerin sie war, zu benutzen. Die Staatsklugheit rieth also, sie scharf zu bewachen, zu beschäftigen und auf Verminderung ihrer Anzahl zu denken. Man drückte sie also mit schwerer Arbeit, und wie man auf diesem Wege gelernt hatte, sie dem Staat sogar nützlich zu machen, so vereinigte sich nun auch der Eigennutz mit der Politik, um ihre Lasten zu vermehren. Unmenschlich zwang man sie zu öffentlichem Frohndienst und stellte besondre Vögte an, sie anzutreiben und zu mißhandeln. Diese barbarische Behandlung hinderte aber nicht, daß sie sich nicht immer stärker ausbreiteten. Eine gesunde Politik würde also natürlich darauf geführt haben, sie unter den übrigen Einwohnern zu vertheilen und ihnen gleiche Rechte mit diesen zu geben; aber dieses erlaubte der allgemeine Abscheu nicht, den die Aegypter gegen sie hegten. Dieser Abscheu wurde noch durch die Folgen vermehrt, die er notwendig haben mußte. Als der König der Aegypter der Familie Jakobs die Provinz Gosen (an der Ostseite des untern Nils) zum Wohnplatz einräumte, hatte er schwerlich auf eine Nachkommenschaft von zwei Millionen gerechnet, die darin Platz haben sollte; die Provinz war also wahrscheinlich nicht von besonderm Umfang, und das Geschenk war immer schon großmüthig genug, wenn auch nur auf den hundertsten Theil dieser Nachkommenschaft dabei Rücksicht genommen worden. Da sich nun der Wohnplatz der Hebräer nicht in gleichem Verhältniß mit ihrer Bevölkerung erweiterte, so mußten sie mit jeder Generation immer enger und enger wohnen, bis sie sich zuletzt, auf eine der Gesundheit höchst nachtheilige Art, in dem engsten Raume zusammendrängten. Was war natürlicher, als daß sich nun eben die Folgen einstellten, welche in einem solchen Fall unausbleiblich sind? – die höchste Unreinlichkeit und ansteckende Seuchen. Hier also wurde schon der erste Grund zu dem Uebel gelegt, welches dieser Nation bis auf die heutigen Zeiten eigen geblieben ist; aber damals mußte es in einem fürchterlichen Grade wüthen. Die schrecklichste Plage dieses Himmelsstrichs, der Aussatz, riß unter ihnen ein und erbte sich durch viele Generationen hinunter. Die Quellen des Lebens und der Zeugung wurden langsam durch ihn vergiftet, und aus einem zufälligen Uebel entstand endlich eine erbliche Stammesconstitution. Wie allgemein dieses Uebel gewesen, erhellt schon aus der Menge der Vorkehrungen, die der Gesetzgeber dagegen gemacht hat; und das einstimmige Zeugniß der Profanscribenten, des Aegypters Manetho, des Diodor von Sicilien, des Tacitus, des Lysimachus, Strabo und vieler Andern, welche von der jüdischen Nation fast gar nichts als diese Volkskrankheit des Aussatzes kennen, beweist, wie allgemein und wie tief der Eindruck davon bei den Aegyptern gewesen sei.
Dieser Aussatz also, eine natürliche Folge ihrer engen Wohnung, ihrer schlechten und kärglichen Nahrung und der Mißhandlung, die man gegen sie ausübte, wurde wieder zu einer neuen Ursache derselben. Die man anfangs als Hirten verachtete und als Fremdlinge mied, wurden jetzt als Verpestete geflohen und verabscheut. Zu der Furcht und dem Widerwillen also, welche man in Aegypten von jeher gegen sie gehegt, gesellte sich noch Ekel und eine tiefe zurückstoßende Verachtung. Gegen Menschen, die der Zorn der Götter auf eine so schreckliche Art ausgezeichnet, hielt man sich alles für erlaubt, und man trug kein Bedenken. ihnen die heiligsten Menschenrechte zu entziehen.
Kein Wunder, daß die Barbarei gegen sie in eben dem Grade stieg, als die Folgen dieser barbarischen Behandlung sichtbarer wurden, und daß man sie immer härter für das Elend strafte, welches man ihnen doch selbst zugezogen hatte.
Die schlechte Politik der Aegypter wußte den Fehler, den sie gemacht hatte, nicht anders als durch einen neuen und gröbern Fehler zu verbessern. Da es ihr, alles Drucks ungeachtet, nicht gelang, die Quellen der Bevölkerung zu verstopfen, so verfiel sie auf einen eben so unmenschlichen als elenden Ausweg, die neugeboren Söhne sogleich durch die Hebammen erwürgen zu lassen. Aber Dank der bessern Natur des Menschen! Despoten sind nicht immer gut befolgt, wenn sie Abscheulichkeiten gebieten. Die Hebammen in Aegypten wußten dieses unnatürliche Gebot zu verhöhnen, und die Regierung konnte ihre gewaltthätigen Maßregeln nicht anders als durch gewaltsame Mittel durchsetzen. Bestellte Mörder durchstreiften auf königlichen Befehl die Wohnungen der Hebräer und ermordeten in der Wiege alles, was männlich war. Auf diesem Wege freilich mußte die ägyptische Regierung doch zuletzt ihren Zweck durchsetzen und, wenn kein Retter sich ins Mittel schlug, die Nation der Juden in wenigen Generationen gänzlich vertilgt sehen.
Woher sollte aber nun den Hebräern dieser Retter kommen? Schwerlich aus der Mitte der Aegypter selbst, denn wie sollte sich einer von diesen für eine Nation verwenden, die ihm fremd war, deren Sprache er nicht einmal verstand und sich gewiß nicht die Mühe nahm zu erlernen, die ihm eines bessern Schicksals eben so unfähig als unwürdig scheinen mußte. Aus ihrer eignen Mitte aber noch viel weniger, denn was hat die Unmenschlichkeit der Aegypter im Verlauf einiger Jahrhunderte aus dem Volk der Hebräer endlich gemacht? Das roheste, das bösartigste, das verworfenste Volk der Erde, durch eine dreihundertjährige Vernachlässigung verwildert, durch einen so langen knechtischen Druck verzagt gemacht und erbittert, durch eine erblich auf ihm haftende Infamie vor sich selbst erniedrigt, entnervt und gelähmt zu allen heroischen Entschlüssen, durch eine so lange anhaltende Dummheit endlich fast bis zum Thier herunter gestoßen. Wie sollte aus einer so verwahrlosten Menschenrace ein freier Mann, ein erleuchteter Kopf, ein Held oder ein Staatsmann hervorgehen? Wo sollte sich ein Mann unter ihnen finden, der einem so tief verachteten Sklavenpöbel Ansehen, einem so lang gedrückten Volke Gefühl seiner selbst, einem so unwissenden rohen Hirtenhaufen Ueberlegenheit über seine verfeinerten Unterdrücker verschaffte? Unter den damaligen Hebräern konnte eben so wenig, als unter der verworfenen Kaste der Parias unter den Hindu, ein kühner und heldenmüthiger Geist entstehen.
Hier muß uns die große Hand der Vorsicht, die den verworrensten Knoten durch die einfachsten Mittel löst, zur Bewunderung hinreißen – aber nicht derjenigen Vorsicht, welche sich auf dem gewaltsamen Wege der Wunder in die Oekonomie der Natur einmengt, sondern derjenigen, welche der Natur selbst eine solche Oekonomie vorgeschrieben hat, außerordentliche Dinge auf dem ruhigsten Wege zu bewirken. Einem gebornen Aegypter fehlte es an der nöthigen Aufforderung, an dem Nationalinteresse für die Hebräer, um sich zu ihrem Erretter aufzuwerfen. Einem bloßen Hebräer mußte es an Kraft und Geist zu dieser Unternehmung gebrechen. Was für einen Ausweg erwählte also das Schicksal? Es nahm einen Hebräer, entriß ihn aber frühzeitig seinem rohen Volk und verschaffte ihm den Genuß ägyptischer Weisheit; und so wurde ein Hebräer, ägyptisch erzogen, das Werkzeug, wodurch diese Nation aus der Knechtschaft entkam.
Eine hebräische Mutter aus dem levitischen Stamme hatte ihren neugebornen Sohn drei Monate lang vor den Mördern verborgen, die aller männlichen Leibesfrucht unter ihrem Volke nachstellten; endlich gab sie die Hoffnung auf, ihm länger eine Freistatt bei sich zu gewähren. Die Noth gab ihr eine List ein, wodurch sie ihn vielleicht zu erhalten hoffte. Sie legte ihren Säugling in eine kleine Kiste von Papyrus, welche sie durch Pech gegen das Eindringen des Wassers verwahrt hatte, und wartete die Zeit ab, wo die Tochter des Pharao gewöhnlich zu baden pflegte. Kurz vorher mußte die Schwester des Kindes die Kiste, worin es war, in das Schilf legen, an welchem die Königstochter vorbeikam, und wo es dieser also in die Augen fallen mußte. Sie selbst aber blieb in der Nähe, um das fernere Schicksal des Kindes abzuwarten. Die Tochter des Pharao wurde es bald gewahr, und da der Knabe ihr gefiel, so beschloß sie, ihn zu retten. Seine Schwester wagte es nun, sich zu nähern, und erbot sich, ihm eine hebräische Amme zu bringen, welches ihr von der Prinzessin bewilligt wird. Zum zweitenmal erhält also die Mutter ihren Sohn, und nun darf sie ihn ohne Gefahr und öffentlich erziehen. So erlernte er denn die Sprache seiner Nation und wurde bekannt mit ihren Sitten, während daß seine Mutter wahrscheinlich nicht versäumte, ein recht rührendes Bild des allgemeinen Elends in seine zarte Seele zu pflanzen. Als er die Jahre erreicht hatte, wo er der mütterlichen Pflege nicht mehr bedurfte, und wo es nöthig wurde, ihn dem allgemeinen Schicksal seines Volks zu entziehn, brachte ihn seine Mutter der Königstochter wieder und überließ ihr nun das fernere Schicksal des Knaben. Die Tochter des Pharao adoptierte ihn und gab ihm den Namen Moses, weil er aus dem Wasser gerettet worden. So wurde er denn aus einem Sklavenkinde und einem Schlachtopfer des Todes der Sohn einer Königstochter und als solcher aller Vortheile theilhaftig, welche die Kinder der Könige genossen. Die Priester, zu deren Orden er in eben dem Augenblick gehörte, als er der königlichen Familie einverleibt wurde, übernahmen jetzt seine Erziehung und unterrichteten ihn in aller ägyptischen Weisheit, die das anschließende Eigenthum ihres Standes war. Ja, es ist wahrscheinlich, daß sie ihm keines ihrer Geheimnisse vorenthalten haben, da eine Stelle des ägyptischen Geschichtsschreibers Manetho, worin er den Moses zu einem Apostaten der ägyptischen Religion und einem aus Heliopolis entflohenen Priester macht, uns vermuthen läßt, daß er zum priesterlichen Stande bestimmt gewesen.
Um also zu bestimmen, was Moses in dieser Schule empfangen haben konnte, und welchen Antheil die Erziehung, die er unter den ägyptischen Priestern empfing, an seiner nachherigen Gesetzgebung gehabt hat, müssen wir uns in eine nähere Untersuchung dieses Instituts einlassen und über das, was darin gelehrt und getrieben wurde, das Zeugniß alter Schriftsteller hören. Schon der Apostel Stephanus läßt ihn in aller Weisheit der Aegypter unterrichtet sein. Der Geschichtschreiber Philo sagt, Moses sei von den ägyptischen Priestern in der Philosophie der Symbole und Hieroglyphen, wie auch in den Geheimnissen der heiligen Thiere eingeweiht worden. Eben dieses Zeugniß bestätigen Mehrere, und wenn man erst einen Blick auf das, was man ägyptische Mysterien nannte, geworfen hat, so wird sich zwischen diesen Mysterien und dem, was Moses nachher gethan und verordnet hat, eine merkwürdige Aehnlichkeit ergeben.
Die Gottesverehrung der ältesten Völker ging, wie bekannt ist, sehr bald in Vielgötterei und Aberglauben über, und selbst bei denjenigen Geschlechtern, die uns die Schrift als Verehrer des wahren Gottes nennt, waren die Ideen vom höchsten Wesen weder rein noch edel und auf nichts weniger als eine helle vernünftige Einsicht gegründet. Sobald aber durch bessere Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft und durch Gründung eines ordentlichen Staats die Stände getrennt und die Sorge für göttliche Dinge das Eigenthum eines besondern Standes geworden, sobald der menschliche Geist durch Befreiung von allen zerstreuenden Sorgen Muße empfing, sich ganz allein der Betrachtung seiner selbst und der Natur hinzugeben, sobald endlich auch hellere Blicke in die physische Oekonomie der Natur gethan worden, mußte die Vernunft endlich über jene groben Irrthümer siegen, und die Vorstellung von dem höchsten Wesen mußte sich veredeln. Die Idee von einem allgemeinen Zusammenhang der Dinge mußte unausbleiblich zum Begriff eines einzigen höchsten Verstandes führen, und jene Idee, wo eher hätte sie aufkeimen sollen, als in dem Kopf eines Priesters? Da Aegypten der erste cultivierte Staat war, den die Geschichte kennt, und die ältesten Mysterien sich ursprünglich aus Aegypten herschreiben, so war es auch aller Wahrscheinlichkeit nach hier, wo die erste Idee von der Einheit des höchsten Wesens zuerst in einem menschlichen Gehirne vorgestellt wurde. Der glückliche Finder dieser seelenerhebenden Idee suchte sich nun unter Denen, die um ihn waren, fähige Subjekte aus, denen er sie als einen heiligen Schatz übergab, und so erbte sie sich von einem Denker zum andern durch – wer weiß, wie viele? – Generationen fort, bis sie zuletzt das Eigenthum einer ganzen kleinen Gesellschaft wurde, die fähig war, sie zu fassen und weiter auszubilden.
Da aber schon ein gewisses Maß von Kenntnissen und eine gewisse Ausbildung des Verstandes erfordert wird, die Idee eines einigen Gottes recht zu fassen und anzuwenden, da der Glaube an die göttliche Einheit Verachtung der Vielgötterei, welches doch die herrschende Religion war, notwendig mit sich bringen mußte, so begriff man bald, daß es unvorsichtig, ja gefährlich sein würde, diese Idee öffentlich und allgemein zu verbreiten. Ohne vorher die hergebrachten Götter des Staats zu stürzen und sie in ihrer lächerlichen Blöße zu zeigen, konnte man dieser neuen Lehre keinen Eingang versprechen. Aber man konnte ja weder voraussehen noch hoffen, daß Jeder von Denen, welchen man den alten Aberglauben lächerlich machte, auch sogleich fähig sein würde, sich zu der reinen und schweren Idee des Wahren zu erheben. Ueberdem war ja die ganze bürgerliche Verfassung auf jenen Aberglauben gegründet; stürzte man diesen ein, so stürzte man zugleich alle Säulen, von welchen das ganze Staatsgebäude getragen wurde, und es war noch sehr ungewiß, ob die neue Religion, die man an seinen Platz stellte, auch sogleich fest genug stehen würde, um jenes Gebäude zu tragen.
Mißlang hingegen der Versuch, die alten Götter zu stürzen, so hatte man den blinden Fanatismus gegen sich bewaffnet und sich einer tollen Menge zum Schlachtopfer preisgegeben. Man fand also für besser, die neue gefährliche Wahrheit zum ausschließenden Eigenthum einer kleinen geschlossenen Gesellschaft zu machen, Diejenigen, welche das gehörige Maß von Fassungskraft dafür zeigten, aus der Menge hervorzuziehen und in den Bund aufzunehmen und die Wahrheit selbst, die man unreinen Augen entziehen wollte, mit einem geheimnisvollen Gewand zu umkleiden, das nur Derjenige wegziehen könnte, den man selbst dazu fähig gemacht hätte.
Man wählte dazu die Hieroglyphen, eine sprechende Bilderschrift, die einen allgemeinen Begriff in einer Zusammenstellung sinnlicher Zeichen verbarg und auf einigen willkürlichen Regeln beruhte, worüber man übereingekommen war. Da es diesen erleuchteten Männern von dem Götzendienst her noch bekannt war, wie stark auf dem Wege der Einbildungskraft und der Sinne auf jugendliche Herzen zu wirken sei, so trugen sie kein Bedenken, von diesem Kunstgriffe des Betrugs auch zum Vortheil der Wahrheit Gebrauch zu machen. Sie brachten also die neuen Begriffe mit einer gewissen sinnlichen Feierlichkeit in die Seele, und durch allerlei Anstalten, die diesem Zweck angemessen waren, setzten sie das Gemüth ihres Lehrlings vorher in den Zustand leidenschaftlicher Bewegung, der es für die neue Wahrheit empfänglich machen sollte. Von dieser Art waren die Reinigungen, die der Einzuweihende vornehmen mußte, das Waschen und Besprengen, das Einhüllen in leinene Kleider, Enthaltung von allen sinnlichen Genüssen, Spannung und Erhebung des Gemüths durch Gesang, ein bedeutendes Stillschweigen, Abwechselung zwischen Finsterniß und Licht und dergleichen.
Diese Ceremonien, mit jenen geheimnißvollen Bildern und Hieroglyphen verbunden, und die verborgenen Wahrheiten, welche in diesen Hieroglyphen versteckt lagen und durch jene Gebräuche vorbereitet wurden, wurden zusammengenommen unter dem Namen der Mysterien begriffen. Sie hatten ihren Sitz in den Tempeln der Isis und des Serapis und waren das Vorbild, wornach in der Folge die Mysterien in Eleusis und Samothracien, und in neuern Zeiten der Orden der Freimaurer sich gebildet hat.
Es scheint außer Zweifel gesetzt, daß der Inhalt der allerältesten Mysterien in Heliopolis und Memphis, während ihres unverdorbenen Zustands, Einheit Gottes und Widerlegung des Paganismus war, und daß die Unsterblichkeit der Seele darin vorgetragen wurde. Diejenigen, welche dieser wichtigen Aufschlüsse theilhaftig waren, nannten sich Anschauer oder Epopten, weil die Erkennung einer vorher verborgenen Wahrheit mit dem Uebertritt aus der Finsterniß zum Lichte zu vergleichen ist, vielleicht auch darum, weil sie die neuerkannten Wahrheiten in sinnlichen Bildern wirklich und eigentlich anschauten.
Zu dieser Anschauung konnten sie aber nicht auf einmal gelangen, weil der Geist erst von manchen Irrthümern gereinigt, erst durch mancherlei Vorbereitungen gegangen sein mußte, ehe er das volle Licht der Wahrheit ertragen konnte. Es gab also Stufen oder Grade, und erst im innern Heiligthum fiel die Decke ganz von ihren Augen.
Die Epopten erkannten eine einzige höchste Ursache aller Dinge, eine Urkraft der Natur, das Wesen aller Wesen, welches einerlei war mit dem Demiurgos der griechischen Weisen. Nichts ist erhabener als die einfache Größe, mit der sie von dem Weltschöpfer sprachen. Um ihn auf eine recht entscheidende Art auszuzeichnen, gaben sie ihm gar keinen Namen. Ein Name, sagten sie, ist bloß ein Bedürfniß der Unterscheidung; wer allein ist, hat keinen Namen nöthig, denn es ist Keiner da, mit dem er verwechselt werden könnte. Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: » Ich bin, was da ist,« und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: » Ich bin alles, was ist, was war, und was sein wird; kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.« Keiner durfte den Tempel des Serapis betreten, der nicht den Namen Jao oder I-ha-ho – ein Name, der mit dem hebräischen Jehovah fast gleichlautend, auch vermutlich von dem nämlichen Inhalt ist – an der Brust oder Stirn trug; und kein Name wurde in Aegypten mit mehr Ehrfurcht ausgesprochen, als dieser Name Jao. In dem Hymnus, den der Hierophant oder Vorsteher des Heiligthums dem Einzuweihenden vorsang, war dies der erste Aufschluß, der über die Natur der Gottheit gegeben wurde. »Er ist einzig und von ihm selbst, und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig.«
Eine vorläufige notwendige Ceremonie vor jeder Einweihung war die Beschneidung, der sich auch Pythagoras vor seiner Aufnahme in die ägyptischen Mysterien unterwerfen mußte. Diese Unterscheidung von Andern, die nicht beschnitten waren, sollte eine engere Brüderschaft, ein näheres Verhältniß zu der Gottheit anzeigen, wozu auch Moses sie bei den Hebräern nachher gebrauchte.
In dem Innern des Tempels stellten sich dem Einzuweihenden verschiedene heilige Geräthe dar, die einen geheimen Sinn ausdrückten. Unter diesen war eine heilige Lade, welche man den Sarg des Serapis nannte, und die ihrem Ursprung nach vielleicht ein Sinnbild verborgner Weisheit sein sollte, späterhin aber, als das Institut ausartete, der Geheimnißkrämerei und elenden Priesterkünsten zum Spiele diente. Diese Lade herumzutragen, war ein Vorrecht der Priester oder einer eignen Klasse von Dienern des Heiligthums, die man deßhalb auch Kistophoren nannte. Keinem als dem Hierophanten war es erlaubt, diesen Kasten aufzudecken oder ihn auch nur zu berühren. Von Einem, der die Verwegenheit gehabt hatte, ihn zu eröffnen, wird erzählt, daß er plötzlich wahnsinnig geworden sei.
In den ägyptischen Mysterien stieß man ferner auf gewisse hieroglyphische Götterbilder, die aus mehreren Thiergestalten zusammengesetzt waren. Das bekannte Sphinx ist von dieser Art; man wollte dadurch die Eigenschaften bezeichnen, welche sich in dem höchsten Wesen vereinigen, oder auch das Mächtigste aus allen Lebendigen in einen Körper zusammen werfen. Man nahm etwas von dem mächtigsten Vogel oder dem Adler, von dem mächtigsten wilden Thier oder dem Löwen, von dem mächtigsten zahmen Thier oder dem Stier, und endlich von dem mächtigsten aller Thiere, dem Menschen. Besonders wurde das Sinnbild des Stiers oder des Apis als das Emblem der Stärke gebraucht, um die Allmacht des höchsten Wesens zu bezeichnen; der Stier aber heißt in der Ursprache Cherub.
Diese mystischen Gestalten, zu denen Niemand als die Epopten den Schlüssel hatten, gaben den Mysterien selbst eine sinnliche Außenseite, die das Volk täuschte und selbst mit dem Götzendienst etwas gemein hatte. Der Aberglaube erhielt also durch das äußerliche Gewand der Mysterien eine immerwährende Nahrung, während daß man im Heiligthum selbst seiner spottete.
Doch ist es begreiflich, wie dieser reine Deismus mit dem Götzendienst verträglich zusammenleben konnte, denn indem er ihn von innen stürzte, beförderte er ihn von außen. Dieser Widerspruch der Priesterreligion und der Volksreligion wurde bei den ersten Stiftern der Mysterien durch die Notwendigkeit entschuldigt; er schien unter zwei Uebeln das geringere zu sein, weil mehr Hoffnung vorhanden war, die übeln Folgen der verhehlten Wahrheit als die schädlichen Wirkungen der zur Unzeit entdeckten Wahrheit zu hemmen. Wie sich aber nach und nach unwürdige Mitglieder in den Kreis der Eingeweihten drängten, wie das Institut von seiner ersten Reinheit verlor, so machte man das, was anfangs nur bloße Nothhilfe gewesen, nämlich das Geheimniß, zum Zweck des Instituts, und anstatt den Aberglauben allmählich zu reinigen und das Volk zur Aufnahme der Wahrheit geschickt zu machen, suchte man seinen Vortheil darin, es immer mehr irre zu führen und immer tiefer in den Aberglauben zu stürzen. Priesterkünste traten nun an die Stelle jener unschuldigen lautern Absichten, und eben das Institut, welches Erkenntniß des wahren und einigen Gottes erhalten, aufbewahren und mit Behutsamkeit verbreiten sollte, fing an, das kräftigste Beförderungsmittel des Gegentheils zu werden und in eine eigentliche Schule des Götzendienstes auszuarten. Hierophanten, um die Herrschaft über die Gemüther nicht zu verlieren und die Erwartung immer gespannt zu halten, fanden es für gut, immer länger mit dem letzten Aufschluß, der alle falschen Erwartungen auf immer aufheben mußte, zurückzuhalten und die Zugänge zu dem Heiligthum durch allerlei theatralische Kunstgriffe zu erschweren. Zuletzt verlor sich der Schlüssel zu den Hieroglyphen und geheimen Figuren ganz, und nun wurden diese für die Wahrheit selbst genommen, die sie anfänglich nur umhüllen sollten.
Es ist schwer zu bestimmen, ob die Erziehungsjahre des Moses in die blühenden Zeiten des Instituts oder in den Anfang seiner Verderbniß fallen; wahrscheinlich aber näherte es sich damals schon seinem Verfalle, wie uns einige Spielereien schließen lassen, die ihm der hebräische Gesetzgeber abborgte, und einige weniger rühmliche Kunstgriffe, die er in Ausübung brachte. Aber der Geist der ersten Stifter war noch nicht daraus verschwunden, und die Lehre von der Einheit des Weltschöpfers belohnte noch die Erwartung der Eingeweihten.
Diese Lehre, welche die entschiedenste Verachtung der Vielgötterei zu ihrer unausbleiblichen Folge hatte, verbunden mit der Unsterblichkeitslehre, welche man schwerlich davon trennte, war der reiche Schatz, den der junge Hebräer aus den Mysterien der Isis herausbrachte. Zugleich wurde er darin mit den Naturkräften bekannter, die man damals auch zum Gegenstand geheimer Wissenschaften machte; welche Kenntnisse ihn nachher in den Stand setzten, Wunder zu wirken und im Beisein des Pharao es mit seinen Lehrern selbst oder den Zauberern aufzunehmen, die er in einigen sogar übertraf. Sein künftiger Lebenslauf beweist, daß er ein aufmerksamer und fähiger Schüler gewesen und zu dem letzten höchsten Grad der Anschauung gekommen war.
In eben dieser Schule sammelte er auch einen Schatz von Hieroglyphen, mystischen Bildern und Ceremonien, wovon sein erfinderischer Geist in der Folge Gebrauch machte. Er hatte das ganze Gebiet ägyptischer Weisheit durchwandert, das ganze System der Priester durchdacht, seine Gebrechen und Vorzüge, seine Stärke und Schwäche gegen einander abgewogen und große wichtige Blicke in die Regierungskunst dieses Volks gethan.
Es ist unbekannt, wie lange er in der Schule der Priester verweilte, aber sein später politischer Auftritt, der erst gegen sein achtzigstes Jahr erfolgte, macht es wahrscheinlich, daß er vielleicht zwanzig und mehrere Jahre dem Studium der Mysterien und des Staats gewidmet habe. Dieser Aufenthalt bei den Priestern scheint ihn aber keineswegs von dem Umgang mit seinem Volk ausgeschlossen zu haben, und er hatte Gelegenheit genug, ein Zeuge der Unmenschlichkeit zu sein, worunter es seufzen mußte.
Die ägyptische Erziehung hatte sein Nationalgefühl nicht verdrängt. Die Mißhandlung seines Volks erinnerte ihn, daß auch er ein Hebräer sei, und ein gerechter Unwille grub sich, so oft er es leiden sah, tief in seinen Busen. Je mehr er anfing, sich selbst zu fühlen, desto mehr mußte ihn die unwürdige Behandlung der Seinigen empören.
Einst sah er einen Hebräer unter den Streichen eines ägyptischen Frohnvogts mißhandelt; dieser Anblick überwältigte ihn; er ermordete den Aegypter. Bald wird die That ruchtbar, sein Leben ist in Gefahr, er muß Aegypten meiden und flieht nach der arabischen Wüste. Viele setzen diese Flucht in sein vierzigstes Lebensjahr. aber ohne alle Beweise. Uns ist es genug, zu wissen, daß Moses nicht sehr jung mehr sein konnte, als sie erfolgte.
Mit diesem Exilium beginnt eine neue Epoche seines Lebens, und wenn wir seinen künftigen politischen Auftritt in Aegypten recht beurtheilen wollen, so müssen wir ihn durch seine Einsamkeit in Arabien begleiten. Einen blutigen Haß gegen die Unterdrücker seiner Nation und alle Kenntnisse, die er in den Mysterien geschöpft hatte, trug er mit sich in die arabische Wüste. Sein Geist war voll von Ideen und Entwürfen, sein Herz voll Erbitterung, und nichts zerstreute ihn in dieser menschenleeren Wüste.
Die Urkunde läßt ihn die Schafe eines arabischen Beduinen Jethro hüten. – Dieser tiefe Fall von allen seinen Aussichten und Hoffnungen in Aegypten zum Viehhirten in Arabien, vom künftigen Menschenherrscher zum Lohnknecht eines Nomaden – wie schwer mußte er seine Seele verwunden!
In dem Kleid eines Hirten trägt er einen feurigen Regentengeist, einen rastlosen Ehrgeiz mit sich herum. Hier in dieser romantischen Wüste, wo ihm die Gegenwart nichts darbietet, sucht er Hilfe bei der Vergangenheit und Zukunft und bespricht sich mit seinen stillen Gedanken. Alle Scenen der Unterdrückung, die er ehemals mit angesehen hatte, gehen jetzt in der Erinnerung an ihm vorüber, und nichts hinderte sie jetzt, ihren Stachel tief in seine Seele zu drücken. Nichts ist einer großen Seele unerträglicher, als Ungerechtigkeit zu dulden; dazu kommt, daß es sein eigenes Volk ist, welches leidet. Ein edler Stolz erwacht in seiner Brust, und ein heftiger Trieb, zu handeln und sich hervorzuthun, gesellt sich zu diesem beleidigten Stolz.
Alles, was er in langen Jahren gesammelt, alles, was er Schönes und Großes gedacht und entworfen hat, soll in dieser Wüste mit ihm sterben, soll er umsonst gedacht und entworfen haben? Diesen Gedanken kann seine feurige Seele nicht aushalten. Er erhebt sich über sein Schicksal; diese Wüste soll nicht die Grenze seiner Thätigkeit werden; zu etwas Großem hat ihn das hohe Wesen bestimmt, das er in den Mysterien kennen lernte. Seine Phantasie, durch Einsamkeit und Stille entzündet, ergreift, was ihr am nächsten liegt, die Partei der Unterdrückten. Gleiche Empfindungen suchen einander, und der Unglückliche wird sich am liebsten auf des Unglücklichen Seite schlagen. In Aegypten wäre er ein Aegypter, ein Hierophant, ein Feldherr geworden; in Arabien wird er zum Hebräer. Groß und herrlich steigt sie auf vor seinem Geiste, die Idee: »Ich will dieses Volk erlösen.«
Aber welche Möglichkeit, diesen Entwurf auszuführen? Unübersehlich sind die Hindernisse, die sich ihm dabei aufdringen, und diejenigen, welche er bei seinem eigenen Volke selbst zu bekämpfen hat, sind bei weitem die schrecklichsten von allen. Da ist weder Eintracht noch Zuversicht, weder Selbstgefühl noch Muth, weder Gemeingeist noch eine kühne Thaten weckende Begeisterung vorauszusetzen; eine lange Sklaverei, ein hundertjähriges Elend hat alle diese Empfindungen erstickt. – Das Volk, an dessen Spitze er treten soll, ist dieses kühnen Wagestücks eben so wenig fähig als würdig. Von diesem Volk selbst kann er nichts erwarten, und doch kann er ohne dieses Volk nichts ausrichten. Was bleibt ihm also übrig? Ehe er die Befreiung desselben unternimmt, muß er damit anfangen, es dieser Wohlthat fähig zu machen. Er muß es wieder in die Menschenrechte einsetzen, die es entäußert hat. Er muß ihm die Eigenschaften wieder geben, die eine lange Verwilderung in ihm erstickt hat, das heißt, er muß Hoffnung, Zuversicht, Heldenmuth, Enthusiasmus in ihm entzünden.
Aber diese Empfindungen können sich nur auf ein (wahres oder täuschendes) Gefühl eigener Kräfte stützen, und wo sollen die Sklaven der Aegypter dieses Gefühl hernehmen? Gesetzt, daß es ihm auch gelänge, sie durch seine Beredsamkeit auf einen Augenblick fortzureißen – wird diese erkünstelte Begeisterung sie nicht bei der ersten Gefahr im Stich lassen? Werden sie nicht, muthloser als jemals, in ihr Knechtsgefühl zurückfallen?
Hier kommt der ägyptische Priester und Staatskundige dem Hebräer zu Hilfe. Aus seinen Mysterien, aus seiner Priesterschule zu Heliopolis erinnert er sich jetzt des wirksamen Instruments, wodurch ein kleiner Priesterorden Millionen roher Menschen nach seinem Gefallen lenkte. Dieses Instrument ist kein andres, als das Vertrauen auf überirdischen Schutz, Glaube an übernatürliche Kräfte. Da er also in der sichtbaren Welt, im natürlichen Lauf der Dinge nichts entdeckt, wodurch er seiner unterdrückten Nation Muth machen könnte, da er ihr Vertrauen an nichts Irdisches anknüpfen kann, so knüpft er es an den Himmel. Da er die Hoffnung aufgibt, ihr das Gefühl eigner Kräfte zu geben, so hat er nichts zu thun, als ihr einen Gott zuzuführen, der diese Kräfte besitzt. Gelingt es ihm, ihr Vertrauen zu diesem Gott einzuflößen, so hat er sie stark gemacht und kühn, und das Vertrauen auf diesen höhern Arm ist die Flamme, an der es ihm gelingen muß alle andern Tugenden und Kräfte zu entzünden. Kann er sich seinen Mitbrüdern als das Organ und den Gesandten dieses Gottes legitimieren, so sind sie ein Ball in seinen Händen, er kann sie leiten, wie er will. Aber nun fragt sich's: welchen Gott soll er ihnen verkündigen, und wodurch kann er ihm Glauben bei ihnen verschaffen?
Soll er ihnen den wahren Gott, den Demiurgos oder den Jao, verkündigen, an den er selbst glaubt, den er in den Mysterien kennen gelernt hat?
Wie könnte er einem unwissenden Sklavenpöbel, wie seine Nation ist, auch nur von ferne Sinn für eine Wahrheit zutrauen, die das Erbtheil weniger ägyptischen Weisen ist und schon einen hohen Grad von Erleuchtung voraussetzt, um begriffen zu werden? Wie könnte er sich mit der Hoffnung schmeicheln, daß der Auswurf Aegyptens etwas verstehen würde, was von den Besten dieses Landes nur die Wenigsten faßten?
Aber gesetzt, es gelänge ihm auch, den Hebräern die Kenntniß des wahren Gottes zu verschaffen – so konnten sie diesen Gott in ihrer Lage nicht einmal brauchen, und die Erkenntniß desselben würde seinen Entwurf vielmehr untergraben als befördert haben. Der wahre Gott bekümmerte sich um die Hebräer ja nicht mehr, als um irgend ein andres Volk. – Der wahre Gott konnte nicht für sie kämpfen, ihnen zu Gefallen die Gesetze der Natur nicht umstürzen. – Er ließ sie ihre Sache mit den Aegyptern ausfechten und mengte sich durch kein Wunder in ihren Streit; wozu sollte ihnen also dieser?
Soll er ihnen einen falschen und fabelhaften Gott verkündigen, gegen welchen sich doch seine Vernunft empört, den ihm die Mysterien verhaßt gemacht haben? Dazu ist sein Verstand zu sehr erleuchtet, sein Herz zu aufrichtig und zu edel. Auf eine Lüge will er seine wohlthätige Unternehmung nicht gründen. Die Begeisterung, die ihn jetzt beseelt, würde ihm ihr wohltätiges Feuer zu einem Betrug nicht borgen, und zu einer so verächtlichen Rolle, die seinen innern Ueberzeugungen so sehr widerspräche, würde es ihm bald an Muth, an Freude, an Beharrlichkeit gebrechen. Er will die Wohlthat vollkommen machen, die er auf dem Wege ist seinem Volk zu erweisen; er will sie nicht bloß unabhängig und frei, auch glücklich will er sie machen und erleuchten. Er will sein Werk für die Ewigkeit gründen.
Also darf es nicht auf Betrug – es muß auf Wahrheit gegründet sein. Wie vereinigt er aber diese Widersprüche? Den wahren Gott kann er den Hebräern nicht verkündigen, weil sie unfähig sind, ihn zu fassen; einen fabelhaften will er ihnen nicht verkündigen, weil er diese widrige Rolle verachtet. Es bleibt ihm also nichts übrig, als ihnen seinen wahren Gott auf eine fabelhafte Art zu verkündigen.
Jetzt prüft er also seine Vernunftreligion und untersucht, was er ihr geben und nehmen muß, um ihr eine günstige Aufnahme bei seinen Hebräern zu versichern. Er steigt in ihre Lage, in ihre Beschränkung, in ihre Seele hinunter und späht da die verborgenen Fäden aus, an die er seine Wahrheit anknüpfen könnte.
Er legt also seinem Gott diejenigen Eigenschaften bei, welche die Fassungskraft der Hebräer und ihr jetziges Bedürfniß eben jetzt von ihm fordern. Er paßt seinen Jao dem Volke an, dem er ihn verkündigen will; er paßt ihn den Umständen an, unter welchen er ihn verkündiget, und so entsteht sein Jehovah.
In den Gemüthern seines Volks findet er zwar Glauben an göttliche Dinge, aber dieser Glaube ist in den rohesten Aberglauben ausgeartet Diesen Aberglauben muß er ausrotten, aber den Glauben muß er erhalten. Er muß ihn bloß von seinem jetzigen unwürdigen Gegenstand ablösen und seiner neuen Gottheit zuwenden. Der Aberglaube selbst gibt ihm die Mittel dazu in die Hände. Nach dem allgemeinen Wahn jener Zeiten stand jedes Volk unter dem Schutz einer besondern Nationalgottheit, und es schmeichelte dem Nationalstolz, diese Gottheit über die Götter aller andern Völker zu setzen. Diesen letztern wurde aber darum keineswegs die Gottheit abgesprochen; sie wurde gleichfalls anerkannt, nur über den Nationalgott durften sie sich nicht erheben. An diesen Irrthum knüpfte Moses seine Wahrheit an. Er machte den Demiurgos in den Mysterien zum Nationalgott der Hebräer, aber er ging noch einen Schritt weiter.
Er begnügte sich nicht bloß, diesen Nationalgott zum mächtigsten aller Götter zu machen, sondern er machte ihn zum einzigen und stürzte alle Götter um ihn her in ihr Nichts zurück. Er schenkte ihn zwar den Hebräern zum Eigenthum, um sich ihrer Vorstellungsart zu bequemen, aber zugleich unterwarf er ihm alle andern Völker und alle Kräfte der Natur. So rettete er in dem Bild, worin er ihn den Hebräern vorstellt, die zwei wichtigsten Eigenschaften seines wahren Gottes, die Einheit und die Allmacht, und machte sie wirksamer in dieser menschlichen Hülle.
Der eitle kindische Stolz, die Gottheit ausschließend besitzen zu wollen, mußte nun zum Vortheil der Wahrheit geschäftig sein und seiner Lehre vom einigen Gott Eingang verschaffen. Freilich ist es nur ein neuer Irrglaube, wodurch er den alten stürzt; aber dieser neue Irrglaube ist der Wahrheit schon um Vieles näher, als derjenige, den er verdrängte; und dieser kleine Zusatz von Irrthum ist es im Grunde allein, wodurch seine Wahrheit ihr Glück macht, und alles, was er dabei gewinnt, dankt er diesem vorhergesehenen Mißverständniß seiner Lehre. Was hätten seine Hebräer mit einem philosophischen Gott machen können? Mit diesem Nationalgott hingegen muß er Wunderdinge bei ihnen ausrichten. – Man denke sich einmal in die Lage der Hebräer. Unwissend, wie sie sind, messen sie die Stärke der Götter nach dem Glück der Völker ab, die in ihrem Schutze stehen. Verlassen und unterdrückt von Menschen, glauben sie sich auch von allen Göttern vergessen; eben das Verhältniß, das sie selbst gegen die Aegypter haben, muß nach ihren Begriffen auch ihr Gott gegen die Götter der Aegypter haben; er ist also ein kleines Licht neben diesen, oder sie zweifeln gar, ob sie wirklich einen haben. Auf einmal wird ihnen verkündigt, daß sie auch einen Beschützer im Sternenkreis haben, und daß dieser Beschützer erwacht sei aus seiner Ruhe, daß er sich umgürte und aufmache, gegen ihre Feinde große Thaten zu verrichten.
Diese Verkündigung Gottes ist nunmehr dem Ruf eines Feldherrn gleich, sich unter seine siegreiche Fahne zu begeben. Gibt nun dieser Feldherr zugleich auch Proben seiner Stärke, oder kennen sie ihn gar noch aus alten Zeiten her, so reißt der Schwindel der Begeisterung auch den Furchtsamsten dahin; und auch dieses brachte Moses in Rechnung bei seinem Entwurfe.
Das Gespräch, welches er mit der Erscheinung in dem brennenden Dornbusch hält, legt uns die Zweifel vor, die er sich selbst aufgeworfen und auch die Art und Weise, wie er sich solche beantwortet hat. Wird meine unglückliche Nation Vertrauen zu einem Gott gewinnen, der sie so lange vernachlässigt hat, der jetzt auf einmal wie aus den Wolken fällt, dessen Namen sie nicht einmal nennen hörte – der schon Jahrhunderte lang ein müßiger Zuschauer der Mißhandlung war, die sie von ihren Unterdrückern erleiden mußte? Wird sie nicht vielmehr den Gott ihrer glücklichen Feinde für den mächtigern halten? Dies war der nächste Gedanke, der in dem neuen Propheten jetzt aufsteigen mußte. Wie hebt er aber nun diese Bedenklichkeit? Er macht seinen Jao zum Gott ihrer Väter, er knüpft ihn also an ihre alten Volkssagen an und verwandelt ihn dadurch in einen einheimischen, in einen alten und wohlbekannten Gott. Aber um zu zeigen, daß er den wahren und einzigen Gott darunter meine, um aller Verwechselung mit irgend einem Geschöpf des Aberglaubens vorzubeugen, um gar keinem Mißverständniß Raum zu geben, gibt er ihm den heiligen Namen, den er wirklich in den Mysterien führt. Ich werde sein, der ich sein werde. Sage zu dem Volk Israel, legt er ihm in den Mund, ich werde sein, der hat mich zu euch gesendet.
In den Mysterien führte die Gottheit wirklich diesen Namen. Dieser Name mußte aber dem dummen Volk der Hebräer durchaus unverständlich sein. Sie konnten sich unmöglich etwas dabei denken, und Moses hätte also mit einem andern Namen weit mehr Glück machen können; aber er wollte sich lieber diesem Uebelstand aussetzen, als einen Gedanken aufgeben, woran ihm alles lag, und dieser war: die Hebräer wirklich mit dem Gott, den man in den Mysterien der Isis lehrte, bekannt zu machen. Da es ziemlich ausgemacht ist, daß die ägyptischen Mysterien schon lange geblüht haben, ehe Jehovah dem Moses in dem Dornbusch erschien, so ist es wirklich auffallend, daß er sich gerade denselben Namen gibt, den er vorher in den Mysterien der Isis führte.
Es war aber noch nicht genug, daß sich Jehovah den Hebräern als einen bekannten Gott, als den Gott ihrer Väter ankündigte, er mußte sich auch als einen mächtigen Gott legitimieren, wenn sie anders Herz zu ihm fassen sollten; und dies war um so nöthiger, da ihnen ihr bisheriges Schicksal in Aegypten eben keine große Meinung von ihrem Beschützer geben konnte. Da er sich ferner bei ihnen nur durch einen Dritten einführte, so mußte er seine Kraft auf diesen legen und ihn durch außerordentliche Handlungen in den Stand setzen, sowohl seine Sendung selbst, als die Macht und Größe Dessen, der ihn sandte, darzuthun.
Wollte also Moses seine Sendung rechtfertigen, so mußte er sie durch Wunderthaten unterstützen. Daß er diese Thaten wirklich verrichtet habe, ist wohl kein Zweifel. Wie er sie verrichtet habe, und wie man sie überhaupt zu verstehen habe, überläßt man dem Nachdenken eines Jeden.
Die Erzählung endlich, in welche Moses seine Sendung kleidet, hat alle Requisite, die sie haben mußte, um den Hebräern Glauben daran einzuflößen, und dies war alles, was sie sollte – bei uns braucht sie diese Wirkung nicht mehr zu haben. Wir wissen jetzt zum Beispiel, daß es dem Schöpfer der Welt, wenn er sich je entschließen sollte, einem Menschen in Feuer oder in Wind zu erscheinen, gleichgültig sein könnte, ob man barfuß oder nicht barfuß vor ihm erschiene. – Moses aber legt seinem Jehovah den Befehl in den Mund, daß er die Schuhe von den Füßen ziehen solle; denn er wußte sehr gut, daß er dem Begriffe der göttlichen Heiligkeit bei seinen Hebräern durch ein sinnliches Zeichen zu Hilfe kommen müsse – und ein solches Zeichen hatte er aus den Einweihungsceremonien noch behalten.
So bedachte er ohne Zweifel auch, daß z. B. seine schwere Zunge ihm hinderlich sein könnte – er kam also diesem Uebelstand zuvor, er legte die Einwürfe, die er zu fürchten hatte, schon in seine Erzählung, und Jehovah selbst mußte sie heben. Er unterzieht sich ferner seiner Sendung nur nach einem langen Widerstand – desto mehr Gewicht mußte also in den Befehl Gottes gelegt werden, der ihm diese Sendung aufnöthigte. Ueberhaupt malt er das am ausführlichsten und am individuellsten aus in seiner Erzählung, was den Israeliten, so wie uns, am allerschwersten eingehen mußte zu glauben, und es ist kein Zweifel, daß er seine guten Gründe dazu gehabt hatte.
Wenn wir das Bisherige kurz zusammenfassen, was war eigentlich der Plan, den Moses in der arabischen Wüste ausdachte?
Er wollte das israelitische Volk aus Aegypten führen und ihm zum Besitz der Unabhängigkeit und einer Staatsverfassung in einem eigenen Lande helfen. Weil er aber die Schwierigkeiten recht gut kannte, die sich ihm bei diesem Unternehmen entgegenstellen würden; weil er wußte, daß auf die eignen Kräfte dieses Volks so lange nicht zu rechnen sei, bis man ihm Selbstvertrauen, Muth, Hoffnung und Begeisterung gegeben; weil er voraussah, daß seine Beredsamkeit auf den zu Boden gedrückten Sklavensinn der Hebräer gar nicht wirken würde: so begriff er, daß er ihnen einen höhern, einen überirdischen Schutz ankündigen müsse, daß er sie gleichsam unter die Fahne eines göttlichen Feldherrn versammeln müsse.
Er gibt ihnen also einen Gott, um sie fürs erste aus Aegypten zu befreien. Weil es aber damit noch nicht gethan ist, weil er ihnen für das Land, das er ihnen nimmt, ein andres geben muß, und weil sie dieses andre erst mit gewaffneter Hand erobern und sich darin erhalten müssen, so ist nöthig, daß er ihre vereinigten Kräfte in einem Staatskörper zusammenhalte, so muß er ihnen also Gesetze und eine Verfassung geben.
Als ein Priester und Staatsmann aber weiß er, daß die stärkste und unentbehrlichste Stütze aller Verfassung Religion ist; er muß also den Gott, den er ihnen anfänglich nur zur Befreiung aus Aegypten, als einen bloßen Feldherrn, gegeben hat, auch bei der bevorstehenden Gesetzgebung brauchen; er muß ihn also auch gleich so ankündigen, wie er ihn nachher gebrauchen will. Zur Gesetzgebung und zur Grundlage des Staats braucht er aber den wahren Gott, denn er ist ein großer und edler Mensch, der ein Werk, das dauern soll, nicht auf eine Lüge gründen kann. Er will die Hebräer durch die Verfassung. die er ihnen zugedacht hat, in der That glücklich und dauernd glücklich machen, und dies kann nur dadurch geschehen, daß er seine Gesetzgebung auf Wahrheit gründet. Für diese Wahrheit sind aber ihre Verstandskräfte noch zu stumpf; er kann sie also nicht auf dem reinen Weg der Vernunft in ihre Seele bringen. Da er sie nicht überzeugen kann, so muß er sie überreden, hinreißen, bestechen. Er muß also dem wahren Gott, den er ihnen ankündigt, Eigenschaften geben, die ihn den schwachen Köpfen faßlich und empfehlungswürdig machen; er muß ihm ein heidnisches Gewand umhüllen und muß zufrieden sein, wenn sie an seinem wahren Gott gerade nur dieses Heidnische schätzen und auch das Wahre bloß auf eine heidnische Art aufnehmen. Und dadurch gewinnt er schon unendlich, er gewinnt – daß der Grund seiner Gesetzgebung wahr ist, daß also ein künftiger Reformator die Grundverfassung nicht einzustürzen braucht, wenn er die Begriffe verbessert, welches bei allen falschen Religionen die unausbleibliche Folge ist, sobald die Fackel der Vernunft sie beleuchtet.
Alle andern Staaten jener Zeit und auch der folgenden Zeiten sind auf Betrug oder Irrthum, auf Vielgötterei gegründet, obgleich, wie wir gesehen haben, in Aegypten ein kleiner Zirkel war, der richtige Begriffe von dem höchsten Wesen hegte. Moses, der selbst aus diesem Zirkel ist und nur diesem Zirkel seine bessere Idee von dem höchsten Wesen zu danken hat, Moses ist der Erste, der es wagt, dieses geheimgehaltene Resultat der Mysterien nicht nur laut, sondern sogar zur Grundlage eines Staats zu machen. Er wird also, zum Besten der Welt und der Nachwelt, ein Verräther der Mysterien und läßt eine ganze Nation an einer Wahrheit Theil nehmen, die bis jetzt nur das Eigenthum weniger Weisen war. Freilich konnte er seinen Hebräern mit dieser neuen Religion nicht auch zugleich den Verstand mitgeben, sie zu fassen, und darin hatten die ägyptischen Epopten einen großen Vorzug vor ihnen voraus. Die Epopten erkannten die Wahrheit durch ihre Vernunft; die Hebräer konnten höchstens nur blind daran glauben.Ich muß die Leser dieses Aufsatzes auf eine Schrift von ähnlichem Inhalt: Ueber die ältesten hebräischen Mysterien von Br. Decius, verweisen, welche einen berühmten und verdienstvollen Schriftsteller zum Verfasser hat, und woraus ich verschiedene der hier zum Grund gelegten Ideen und Daten genommen habe.