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Ich werde Dich zuerst so genau als es möglich ist, mit dem Lokale bekannt machen, um Dir sodann eine Übersicht von den Gemählden zu verschaffen, die gegenwärtig hier aufgestellt sind.
Das Louvre ist ein altes, und wenigstens von der Seite, wo man zu dem Museum eingeht, nichts weniger als imposantes, vielmehr formloses und trauriges Haus, wie es sich in den verfloßnen Jahrhunderten für Despoten ohne Genie und Bildung in einer dunkeln und confusen Zeit schicken mochte. Auch ist es auf diese Weise in den Jahrbüchern der Geschichte bekannt, und keinesweges eingerichtet ein Tempel der herrlichsten aller bildenden Künste zu seyn. Durch eine kleine Seitenthür geht man ein zu der Versammlung der schönsten Gemählde, die vor kurzem noch den mütterlichen Boden Italiens zierten. Man steigt eine Treppe hinan, und tritt dann zuerst in einen runden, von oben vortreflich erleuchteten, Saal, in welchem nur italiänische Werke ausgestellt sind. Zur Rechten derselben befindet sich ein langer, langer, schmaler Saal, der fast die ganze Länge des längst der Seine sich hinziehenden Flügels einnimmt, welcher das Louvre mit den Thuilerien verbindet. Zuvörderst hat man sich hier durch die Gemählde der französischen Schule zu arbeiten; alsdann folgen die holländischen und niederländischen, denen man auch das wenige zugesellt hat, was vom altdeutschen Werken vortrefliches hier zu sehen ist. Den Beschluß machen die Italiäner, hier findet man auch die Schule der Caraccis beisammen, und man würde an der Anordnung überhaupt nichts zu tadeln haben, wenn nur die Beleuchtung nicht fast überall noch weit unter dem Mittelmäßigen wäre. Nach diesem langen Saale folgt in derselben Direktion noch ein kleinerer, wo die Gemählde befindlich sind, die gegenwärtig nicht ausgestellt sind, die, an welchen eben jetzt gearbeitet wird, wie die Madonna di Foligno, und die Transfiguration von Raphael. Hier liegen übereinander gelehnt an der Wand die göttlichen Meisterwerke Perugin's und des lieblichen Johann Bellin, ungesehen, und unbewundert! – Kehre nun in Gedanken zurück zu dem runden Saal, dem einzigen, wo die Gemählde in der That vortreflich beleuchtet sind. Zur Rechten war der lange Saal, und in der Folge der kleinere wo retouchirt wird; zur Linken ist noch ein Saal mittlerer Größe; hier sind die Zeichnungen der alten Meister, die Cartons von Raphael und Julio Romano, einige Gemählde in Wasserfarben, und in der Mitte auf kostbaren Tafeln von Lapis Lazuli und Marmor mit Mosaik sieht man einige der schönsten hetrurischen Vasen.
So wie ich es da beschreibe, war es im Julius und Augustmonat 1802; es ist hier alles in steter Veränderung und auch die Kunstwerke theilen die allgemeine Beweglichkeit. Also ist es in diesem Augenblicke nicht mehr so. In dem runden Saale, und dem worin die Zeichnungen zu sehen waren, hat das Alterthum weichen müssen, um den Versuchen moderner Franzosen Raum zu gebe. Die Kunstwerke sind weggenommen, um das an die Stelle zu setzen, was wir bei uns eine Ausstellung nennen. Einige Monate werden noch vergehen, ehe wir die geliebten Bilder die alte Stelle wieder ausfüllen sehen, oder andre die derselben würdig sind. Du wirst in der nachfolgenden Nachricht durchaus den Zustand zum Grunde gelegt finden, der in den genannten Monaten Statt fand. Ich werde mich durchgängig auf die Katalogen beziehen die jenen Zustand darstellen, wiewohl seitdem auch in dem langen Saale bedeutende Veränderungen gemacht worden sind; man hat nämlich eine große Zahl guter und berühmter Bilder weggenommen, welche wie man sagt, bestimmt sind, die Palläste der Thuilerien und zu St. Cloud zu verschönern; ich nenne Dir nur vorläufig einige der wichtigsten aus der italianischen Schule; als die Fortuna von Guido, Rinaldo und Armide, Aeneas und Anchises von Dominichino, die Hochzeit der heiligen Katharina, und die Antiope von Correggio, an deren Stelle einige andre vorzügliche Gemählde gekommen sind, die bisher in dem runden Saal hingen, oder auch solche, die zwar in dem Katalog des langen Saals angegeben, aber doch nicht zu sehen waren. Ich habe dies gleich zu Anfang erwähnen wollen, weil ich nicht wieder darauf zurückzukommen denke. Es wird aber, denke ich, hinreichend seyn, um Dich zu überzeugen, wie unmöglich es sey, alles was hier ist vollständig zu übersehen und es im Auge zu behalten. Dazu kommen nun noch die Versendungen in die Departements. Dahin zu reisen sind, wie mich Visconti versichert, auch mehrere Perugins bestimmt, vermuthlich weil sie für Paris nicht gut genug sind. Es wird Dir unglaublich scheinen und ich wünschte selbst es widersprechen zu können.
Die drei Katalogen, auf deren Nummern ich mich in dieser Rücksicht beziehen werde, sind folgende: 1) Für den runden Saal; Notice de plusieurs precieux tableaux recueillies a Venisi, Florence, Turin et Foligno etc. exposés dans le grand salon du Musée ouvert le 18 Ventose an X. 2) Für den langen Saal; Notice de tableaux des ecoles Françaises et Flammande dont l'ouverture a eu lieu le 18 Germinal an VII et des tableaux des ecoles de Lombardie et de Bologne, dont l'exposition a eu lieu le 25 Messidor an IX. 3) Für den Saal der Zeichnungen; Notice des desseins originaux, exquisses peintes, cartons gousaches, etc. exposés en Messidor de l'an X.
Ich weiß es wird Dir willkommen seyn, daß ich Dir Nachricht geben will, von den merkwürdigsten alten Gemählden die hier zu sehen sind; ich hoffe es wird aber diese Nachricht auch für diejenigen einiges Interesse haben können, die in der Ansicht der Kunst vielleicht nicht so übereinstimmend mit mir denken wie Du, oder einige andre Freunde. Zuvörderst wird einigermaßen vollständige Nachricht von dem was in einer bestimmten Zeit hier ausgestellt war, für denjenigen schon einen historischen Werth haben, der das, was wir oben über die Veränderlichkeit und Beweglichkeit aller hiesigen Dinge erinnert haben, in gehöriger Erwägung ziehen will; und zweitens wird durch jede neue Ausstellung und Zusammenstellung alter Gemählde ein eigner Körper gebildet, wo manches dem Liebhaber in einem neuen Lichte erscheint, was er bisher nicht so klar gesehen hatte.
Alle Kunstwerke einer Gattung gehören zusammen, und sie selber erklären sich gegenseitig am besten. Aber wie weit umher sind nicht die Glieder dieses göttlichen Körpers zerstreut? – Vielleicht darf sich auch nicht einer rühmen, daß er alles wichtige auch nur gesehen habe. Und wer, der es hier und da zerstreut dennoch wirklich alles gesehen hätte, vermöchte wohl es klar und in lebendiger Gegenwart im Gemüthe zu fassen? Es muß sich also jeder bescheiden nur einen Theil des großen Ganzen der göttlichen Mahlerei umfassen zu können, und er wird wohl thun, seinen eignen individuellen Standpunkt d. h. den Kreis dessen was er angeschaut hat, dabei recht bestimmt zu bezeichnen. Eben darum habe ich es keinesweges geglaubt verbergen zu müssen, daß ich mich in dem Pariser Museum nicht selten an die Dresdner Gallerie erinnerte; eine Erinnerung, die mir besonders für den Correggio sehr wichtig war, da beide Sammlungen mit Werken dieses tiefsinnigen Künstlers gleich reichlich versehen sind, Werken, die nur in ihrer gegenseitigen Beziehung erst verständlich werden, und die mir auch abwesend so frisch im Gemüthe sind, als ob sie vor meinen Augen ständen. Aber auch für den Raphael war mir die Kenntniß der Dresdner Gallerte wichtig, denn die daselbst befindliche Madonna dieses Meisters bleibt einzig auch nach allem was man hier von ihm sehen kann.
Doch ehe ich weiter gehe, muß ich ein Bekenntniß ablegen, nicht so wohl für Dich, der Du meine Gesinnung überhaupt, und also auch in diesem Punkte hinreichend kennst, als für andere, welche diese Nachricht mit Aufmerksamkeit zu lesen der Mühe werth achten werden. Ein Bekenntniß, welches zugleich die Grenzen bestimmen soll, von dem, was mir in dieser Nachricht zu leisten möglich seyn wird, und die Grundsätze darstellen, welche mich bei dem, was ich zu leisten vermag, leiten werden.
Ich habe durchaus nur Sinn für die alte Mahlerei, nur diese verstehe ich und begreife ich, und nur über diese kann ich reden. Von der französischen Schule und von den ganz späten Italiänern will ich nicht sprechen, aber selbst in der Schule der Carraccis finde ich nur äußerst selten ein Gemählde, das mir etwas wäre, worüber ich etwas Bestimmtes und Eigentliches zu sagen wüßte. Ich habe alle Gemählde des Museums, alle ohne Ausnahme, mehr als einmal betrachtet, aber wie viele vergesse ich nicht gleich, nachdem ich mich sie zu betrachten gezwungen habe! Die letzten, die mir eine Anschauung gewähren, bezeichnet eben diese Schule. Und doch gesteh ichs, daß die kalte Grazie des Guido nicht viel Anziehendes für mich hat, und daß mich das Rosen- und Milch-glänzende Fleisch des Dominichino mit nichten bezaubert. Kommt man von französischen, flamändischen oder ganz modernen Produkten, so scheint uns der Styl dieser Bilder groß und edel; kommt man aber von der Betrachtung der alten italiänischen oder deutschen Gemählde, so würde es schwer seyn, dabei zu verweilen. Ich habe über diese Mahler kein Urtheil, wenn man nicht etwa das für eines wollte gelten lassen, daß damals schon die Mahlerei nicht mehr vorhanden war. Titian, Correggio, Iulio Romano, Andrea del Sarto etc. das sind für mich die letzten Mahler.
Keine verworrene Haufen von Menschen, sondern wenige und einzelne Figuren, aber mit dem Fleiß vollendet, der dem Gefühl von der Würde und Heiligkeit der höchsten aller Hieroglyphen, des menschlichen Leibes, natürlich ist; strenge, ja magre Formen in scharfen Umrissen, die bestimmt heraustreten, keine Mahlerei aus Helldunkel und Schmutz in Nacht und Schlagschatten, sondern reine Verhältnisse und Massen von Farben, wie in deutlichen Accorden; Gewänder und Costume, die mit zu dem Menschen zu gehören scheinen, so schlicht und naiv als diese; in den Gesichtern (der Stelle, wo das Licht des göttlichen Mahlergeistes am hellsten durchscheint) aber, bei aller Mannichfaltigkeit des Ausdrucks oder Individualität der Züge durchaus und überall jene kindliche, gutmüthige Einfalt und Beschränktheit, die ich geneigt bin, für den ursprünglichen Charakter der Menschen zu halten; das ist der Styl der alten Mahlerei, der Styl, der mir, ich bekenne hierin meine Einseitigkeit, ausschließend gefällt, wenn nicht irgend ein großes Princip, wie beim Correggio oder Raphael, die Ausnahme rechtfertigt.
Ich habe vorläufig wenigstens den Beziehungspunkt angegeben, in welchem ich die Gemählde betrachtet habe, von denen ich jetzt einige Rechenschaft geben will, indem ich mit dem runden Saal den Anfang mache.
Was mir am meisten darin auffiel, waren zwei Gemählde von Fra Bartholomeo, einem Meister, der mir noch unbekannt war. Nr. 28 und 29. der heilige Marcus sitzend mit dem großen Buche in der Hand, und Christus, umgeben von den vier Evangelisten. Ein wilder Enthusiasmus leuchtet aus beiden Werken und ergreift das innerste Herz. Gestalten, wie die des Marcus, sind wenige nur zu denken, geschweige denn zu mahlen fähig. Ich halte dies nicht für den wahren Charakter der Mahlerei; und die stille, süße Schönheit des Johannes Bellin, oder des Perugino geht mir über alles. Hat aber nicht Raphael selbst seinen Geist an der Feuerquelle des Fra Bartholomeo heller entzündet; ist nicht auch bei ihm der Enthusiasmus oft das Princip seiner gepriesensten Werke? – Unstreitig ist der lehrende Christus in Lebensgröße von Bellin zu Dresden, strenger, reiner, eben darum erhabener und göttlicher, als der des Bartholomeo; dort glauben wir ganz bestimmt denjenigen zu sehen, der die Liebe verkündigte, aber auch gekommen war, das Schwerdt in die Welt zu bringen, dessen vernichtender Blick bis in die Tiefe der Herzen den Feind des Guten erspähete und verfolgte; so wie dieser hingegen könnte auch ein andrer Prophet gestaltet seyn. Ausführung, Gestalt, Züge, Farbe und Haare, alles entspricht beim Fra Bartholomeo jenem Grundcharakter eines wilden Enthusiasmus.
Vor keinem Gemählde habe ich öfter und länger verweilt, als vor zwei allegorischen Bildern des Mantegna, die sich schon ehedem hier befanden, Nr. 39 und 40. Das erste stellt uns die neun Musen tanzend auf grünem Grunde vor, welches eine vortrefliche Wirkung thut; zur Rechten (des Zuschauers) steht Merkur mit dem Pegasus, beide wunderlich reich geschmückt und geputzt, zur Linken der zum Tanze spielende Apollo, der auf einem Blocke sitzt, über ihn, in der Höhle eines Felsens, Vulkan in seiner Werkstätte in drohender Gebehrde, nach der höchsten Mitte des Gemähldes, wo man über den tanzenden Musen den Gott Mars neben der ganz nackenden Venus sieht, beide aufrecht stehend vor einem Bette, gerade den Zuschauer anschauend; neben ihnen Amor, der nach dem Vulkan hin das Feuer der Eifersucht herabbläßt. Zu beiden Seiten des kleinen Berges, auf welchem Mars und Venus thronen, zwei Felsen, welche die Seiten des Gemähldes bilden, und reich sind an allegorischen Beziehungen und Andeutungen, die nicht leicht sind alle zu entziffern. Doch sieht man wohl, daß derjenige, welcher die Werkstätte des Vulkans enthält, mehr die innere Tiefe der bildenden Kunst und Natur bezeichnen, der an der Seite, wo Merkur mit dem Pegasus steht, in seinen grün umkränzten Abtheilungen und Einfassungen hingegen, den heitern Frühling der Poesie in das Gemüth bringen soll. Das Verhältnis der Farben ist beinah grell und die Formen, wie sichs bei diesem Künstler denken läßt, streng und herbe. Venus und einige der Musen sind von unvergleichlicher erhabener Schönheit. Iulio Romano hat in seinem Gemählde der tanzenden Musen das gegenwärtige wohl zu benutzen gewußt. Sehr ausgezeichnet ist die jüngste der Musen, die bacchantisch mit fliegendem Haar, in den leichtesten Formen des zierlichsten Körpers einher springt. Herrlich mit dem Rücken und Schenkeln gewendet sind einige der mehr heroisch gestalteten Musen, in der Mitte schaut eine, hergewendet mit dem Kopf, gerade auf den Zuschauer; das edelste Gesicht, aber ernst und traurig, und etwas trauriges fühlt man in jeder Physiognomie dieses Bildes. Die Allegorie desselben ist leicht und deutlich, und nicht so seltsam als in dem Gesellschafter desselben aus der christlichen Sphäre, Nr. 40.
Heilige Frauen, gewaffnet oder mir Fackeln vorschreitend, und von Engeln begleitet, jagen die Laster vor sich her in ein Meer, das den Vorgrund des Gemähldes bildet. Zur Linken sehen wir den Baum des Lebens, in den Stamm verliert sich die Bildung eines weiblichen Körpers; zur Rechten in den Wolken sieht man die heidnischen Tugenden, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Mäßigkeit, die wieder zur Erde kehren. Die Handlung geht vor sich am Ufer des benannten Gewässers, vor und zwischen mancherlei Lauben und Gängen, an die sich der Baum des Lebens schließt, und durch die man weiter in den Hintergrund schaut, wo dieselbe Scene, wie die ungestalteten Laster von jenen bessern Wesen verjagt und verfolgt werden, fortgesetzt und wiederholt wird. Die Allegorie kann auch hier nicht dunkel seyn, wir haben die Hauptpersonen unter den Priesterinnen des guten Princips ohne Zweifel auf die christliche Dreiheit des Glaubens, der Hofnung und der Liebe zu deuten, und wenn wir manche Form von der höchsten Schönheit bemerken, so ist das nicht mehr, als sich von diesem Mahler erwarten läßt. Sehr merkwürdig und sehr seltsam ist aber die absichtliche Häßlichkeit, Mißgestalt und Unförmlichkeit der Wesen, welche die Laster vorstellen, und welche zum Theil ihre bestimmten Namen an der Stirne tragen, als Ignorantia, Ingratitudo, Inertia u. s. w. Die letzte ist ohne Arme, und so sind andre auch misgeschaffen und willkührlich zusammen gesetzt, in der Luft schweben böse Geister, fliegende Kinder, die wie Fledermäuse oder andres ekelhaftes Gewürm gestaltet sind. Ich wüßte das Ganze nicht schicklicher und nicht größer zu vergleichen, als mit den Allegorieen und Bildern des Dante in der Hölle. Hier ist ein handgreiflicher Beweis, wie ein Mahler, der die idealische Schönheit kannte, absichtlich auch das Häßliche nachbildete, als nothwendiges Element in dem Kampf des guten und bösen Princips, welchen anschaulich zu machen nicht selten die Absicht oder das Bestreben der alten Mahler war. Vergleicht man diese beiden Werke, die in dergleichen Manier sind (die Figuren ungefähr einen Fuß hoch) mit der berühmten Madonna della Vittoria desselben Meisters, so muß man erstaunen über ihre Schönheit, Lieblichkeit und Vollendung; sie unterscheiden sich so sehr, daß man vermuthen möchte, sie seyen aus einer spätern Epoche seiner Bildung, als jenes Werk, vielleicht absichtlich der Manier eines andern jüngern Meisters nachgebildet. Gewiß ist es, daß sie weniger von dem schönen Styl des Bellin entfernt sind. – Es sind über diese beiden Meister noch einige allgemeine Reflexionen zu machen; die erste über die Bilder des Mantegna, wie gut sich mit der Allegorie, wenn dieselbe nicht darnach strebt, die ewige Harmonie in reiner Heiterkeit und Freude abspiegelnd in Sinnbildern zu wiederholen und zu vervielfältigen, sondern sich vielmehr auf Gegensätze, meistens auf den des Guten und Bösen in ihrem Kampfe bezieht, eine innig gefühlte Traurigkeit und Sentimentalität damit verträgt. Die Bilder des Fra Bartholomeo aber, sind ihrer äußern Bestimmung nach, Kirchenbilder, und sie können uns anschaulich machen, wie leicht und wie natürlich diese Gattung, da noch die Wahrheit des Gefühls für diese Gegenstände vorhanden war, dahin führen konnte, den Enthusiasmus zum Princip des Mahlers zu machen. Nachher mußte die Wirkung noch ungleich schlimmer seyn; indem der Künstler, wo er nun für den Gegenstand nichts mehr fühlte, doch den Zwang der Aufgabe und der gegebenen Bedingung desto drückender empfand, und sein Produkt dadurch nicht selten in Affektation oder Spielerei gerieth, oder doch kalt blieb.
Vom Tizian sah man viele trefliche Gemählde in dem runden Saal. Das größte und frappanteste darunter ist Nr. 69. ein sehr großes Stück von gewaltigem Effekt; zwei heilige Männer, die von Räubern überfallen und ermordet werden. Oben sieht man einige Engel, welche die Palmenzweige für die Märtyrer in Händen halten. Die Schönheit der Landschaft und des Himmels, und das Frappante der Wahrheit scheinen mir den Werth dieses Gemähldes auszumachen. Man glaubt wirkliches Leben vor sich zu sehen; und wäre es wirklich so, würde man sagen: Wie mahlerisch! Welch ein Gemählde! So faßt und stellt er die Menschen auch in seinen Portraits, daß sie frappiren, daß sie ein Tableau machen, aber freilich in einer edleren Bedeutung, als diese Ausdrücke haben, wenn man sie auf Portraite der modernen Zeit anwendet. Sicher ist es, daß ihr das in dieser Gattung unterscheidet, und daß Holbein und Leonardo im Portrait ganz und gar nicht so verfahren. Ich bin sehr geneigt diese Tendenz zu dem Frappanten, zu dem was Effekt macht für den eigentlichen Charakter seines Genies zu halten. Du weißt wie ich mir schon seit langer Zeit die Manier des Correggio dadurch glaube verständlicher gemacht zuhaben, daß ich ihn für einen musikalischen Mahler hielt. Wie natürlich ist es an sich, daß der Geist der verschiedenen Künste bei ihrer innigen Verwandschaft und ursprünglichen Einheit sich oft gegenseitig zu vertauschen und zu verwechseln geneigt seyn kann! Wir wollen dies vor der Hand weder tadeln noch loben; genug es ist so, und unser Streben geht darauf aus, zunächst nur dieses zu erkennen und vor allen Dingen die Mahler bloß zu verstehen wie sie waren, und wie sie selbst es meinten. Giebt es nun musikalische Mahler, giebt es andre, die mehr im Geiste der Plastik oder selbst der Architektur gemahlt haben, so sehe ich nicht warum nicht auch Mahler vorzugsweise pittoresk seyn könnten, so daß der Charakter der Mahlerei sich in ihnen, statt in das Gebiet andrer Künste auszuschweifen, vielmehr noch inniger zusammendrängte und gleichsam potenzirte. Für den Tizian aber würde dieser Begriff nur in einer niedern Bedeutung gelten können, wo das Mahlerische durch Neigung zum Frappanten schon nicht mehr weit vom Theatralischen ist. Wenigstens was die letzte Manier dieses Künstlers und das erwähnte große Bild betrift. Zwei Madonnen mit dem Kinde Nr. 71. und Nr. 72. (aus der alten Sammlung) gehören unstreitig einer frühern Zeit an und gefielen mir ungleich besser, da mich eine Kreuzesabnehmung in dem langen Saal (Nr. 941) beinahe an die Mahlerei des schnellhändigen Paul Veronese erinnert. Jene beiden kleinen Stücke sind heiter, kindlich, bescheiden, und nicht so theatralisch. Die Pilger von Emaus Nr. 73. stehen gleichsam in der Mitte dieser beiden Manieren. Die Wahrheit scheint hier der vornehmste Zweck des Künstlers gewesen zu seyn; man könnte es wohl in gewissen Sinn mit den niederländischen Gemählden des häuslichen Lebens vergleichen; aber freilich ist es reiner und edler gedacht und ausgeführt und also bei einer scheinbar großen Aehnlichkeit doch gar sehr verschieden. Ganz in dieser Farbenbehandlung mit eben dem Streben nach auffallender Wahrheit, nur noch mehr auf den Effekt ist die Dornenkrönung im langen Saal (Nr. 940).
Ich habe diese Gemählde gleich hierher gezogen um den Zusammenhang nicht zu unterbrechen; die Portraite hingegen, welche Du in dem Katalog des runden Saals angegeben findest, lasse ich noch zurück, so wie auch die von Raphael, um sie alle gemeinschaftlich zu betrachten.
Von vielen Mahlern besonders der spätern Epoche jener alten Zeit müssen wir uns bekennen, daß sie ziemlich bald entschieden gesunken und entartet sind, und daß wir ihr eigenthümliches Genie meistens nur in ihren früheren Werken rein und unverdorben sehen. Aber nicht leicht war mir dies bei einem andern auffallender als beim Tizian.
Ich sah in dem Zimmer wo retouchirt wird noch ein schönes Gemählde des Tizian, unstreitig aus jener ersten Manier, und in demselben verjüngten Maßstabe wie die erwähnten beiden Madonnen. Es stellt einige nackte Frauen in einer Landschaft dar, wo Männer am Boden sitzen und sich mit Musik ergötzen. Die weiblichen Formen sind etwas sehr breit und gediegen, aber die Behandlung ist kräftig. Ich glaube hier eine allgemeine Eigenschaft dieses Mahlers zu bemerken; seine Neigung zur wollüstigen Carnation geht keinesweges wie beim Correggio dahin, das Fleisch bis zur Durchsichtigkeit zu verklären und dadurch das Gefühl der Lüsternheit anszudrücken und anzuregen, sondern er sucht vielmehr durch Gediegenheit, Masse und ungleich reinere Wahrheit der Farbe unserm Auge zu imponiren. Jene Durchsichtigkeit führt dagegen unfehlbar von dem Ideal der Carnation ab, und nöthigt den Künstler die ursprüngliche reine Farbe des Fleisches in grünliche oder in bläuliche und röthliche Schattirungen spielen zu lassen.
Nach allen diesen sehr vorzüglichen Werken des Tizian, würde ich dennoch nur eine viel zu geringe Meinung von ihm bekommen haben, hätte mich nicht ein Christuskopf desselben eines bessern belehrt, der seit einiger Zeit in dem langen Saale aufgehängt worden, aber im Katalog noch nicht angegeben ist. Hier erscheint in Wahrheit die Schönheit der Farbe so rein und so deutlich, daß man alle Lobsprüche, welche dem Tizian in dieser Rücksicht gegeben worden sind, versteht und billigt. Es ist als Portrait behandelt, daher auch ungleich jüdischer, aber doch fast eben so streng in Form und Ausdruck als der Christus von Bellin in Dresden; das scharfe schwarze Auge besonders. Es ist ganz im Profil. Das Symbol der Dreieinigkeit an der Hand, der milde Sonnenschein um das Haupt erinnert an die höhere Deutung und Heiligkeit des sonst so individuell dargestellten Menschen, und der reine blaue Himmel im Hintergrund, das kühne Dunkelblau, und helle Roth des Mantels, das kräftige Schwarz der Haare und des Barts und das reine Gelbbraun der Carnation vollenden das Ganze zu einer farbigen Hieroglyphe.
Eine Kreuzesabnehmung von Andrea del Sarto und zwei dramatische Gemählde aus der Geschichte Josephs, von eben demselben, haben viel Vorzügliches, besonders die letzten. Ich nannte sie dramatisch, weil sie wie es bei den alten Mahlern nicht selten ist mehrere Momente derselben Geschichte darstellen, so daß dieselben Personen auf demselben, vier oder fünfmal in verschiedenen Handlungen und Stellungen. Es sind aber alle in kleinem Maaßstabe, und also auch die des Hintergrundes, wenn gleich noch etwas kleiner, nicht gar sehr verschieden.
Ungleich anziehender und tiefer aber ist ein Gemählde des Palma Vecchio Nr. 43. Ein Hirt der das Christkind anbetet; die Landschaft im Hintergrunde ist schön behandelt nach Art der ältern italiänischen Gemählde, der Hirt ist von einer Wahrheit und Innigkeit die sich nicht beschreiben läßt; er ist ganz Anbetung, Gefühl, treue Ergebenheit und Freude; die Kleidung ist absichtlich arm und einfältig, die Gestalt aber edel.
Von Julio Romano ist ein herrliches Bild zu sehen Nro 35. Die Beschneidung des Christkindes. Ein Gedränge meistens schöner, fast durchaus fröhlicher oder doch zufriedner Menschen in einem auf das üppigste ausgeschmückten Tempel; ich weiß nicht, ob der strenge Sinn der ältesten Mahler einen solchen Gegenstand gewählt, oder gebilligt haben würde. Aber das eigenthümliche dieses römischen Künstlers, die Neigung zur heidnischen Fülle und Pracht, die seinen hohen Sinn so vorzüglich beherrschte und beseelte, spricht mit einer schönen Deutlichkeit daraus hervor. Ich finde denselben Charakter, noch glänzender nur in der triumphirenden Fülle des festlichsten und reichsten Lebens, in den großen Cartons zu Tapeten, die im Saale der Zeichnungen zu sehen waren; und einen sehr nahe verwandten in den Tapeten des Raphael selbst, die wir in Dresden so oft gemeinschaftlich betrachteten. Sie befinden sich wie Du weißt, auch hier, und waren am Feste des heil. Rochus in der Kirche desselben ausgehängt, aber nur kurze Zeit, so daß ich mich nicht aus der Erinnerung darüber zu schreiben getraue. Es waren alle die, welche in Dresden befindlich sind, Stellenweise ungleich besser erhalten, Stellenweise aber auch weit schlechter; außer diesen nur noch einige, die dort nicht vorhanden sind, in demselben Style behandelt, aber nicht alle eben so schön. Haben nicht etwa beide, Raphael und Julio Romano aus einer gemeinschaftlichen Quelle geschöpft, oder hat nicht der Lehrer sich bisweilen herabgelassen, absichtlich in der Manier des Schülers zu arbeiten, so kann man vom Julio Romano nicht mehr rühmen in seinen besten Gemählden, als daß der Charakter und der Geist seines Meisters darin ist – diese Neigung zu der Fülle von Leben und Bildung des alten Heidenthums, womit er die christlichen Gegenstände auszuschmücken suchte, und die sich bis auf die Umgebungen und Verzierungen zu erkennen giebt; diese Neigung glaubte ich selbst in der heiligen Familie Nro. 36 wahrzunehmen, und würde in meinem Eindruck und Gefühl keine Veranlassung zu zweifeln an dem Urheber finden, wenn es nicht anders historische Gründe sind, welche einige Männer veranlaßt haben, dieses Gemählde wie im Catalog angegeben wird, dem Raphael oder einem andern Schüler desselben beizulegen.
Ich werde nunmehr, da ich Dir meine Betrachtungen über die Gemählde des langen Saals vorlegen will, um nicht durch die Verwirrung der einzelnen Anschauungen zu ermüden, nicht mehr wie bisher Stück vor Stück durchgehen, sondern alles unter gewisse allgemeine Kapitel ordnen, nach den Künstlern oder nach der Gattung, der Nation der sie angehören, oder auch nach noch allgemeinern Gesichtspunkten.
Den Anfang aber mache ich mit dem
Correggio,
welchen zu verstehen ich mich schon lange bemüht habe. Schon daß es nicht leicht ist, kann dazu reizen; doch will ich auch nicht läugnen, daß ich eine Vorliebe für ihn habe, und daß ich ihn unter gewissen Bedingungen allerdings sehr hoch zu stellen geneigt bin. Gelehrte und in Rom gebildete Künstler sind meistens nicht dieser Meinung, und tadeln diesen Mahler nicht wenig, weil seine Schöpfungen, dem was sie Richtigkeit der Zeichnung und idealische Form nennen, oft nicht entsprechen. Ich würde mehr Gewicht auf diese Urtheile legen, wenn ich nur nicht bemerkt hätte, daß die Urtheilenden die Absichten dieses Künstlers durchaus nicht verstehen, ja wohl gar nicht bemerken, weil sie sich nicht die Zeit lassen, seine Werke gehörig zu betrachten. Vor der Hand fordere ich nur das, daß man ihn aufmerksam betrachten und verstehen solle; das übrige wird sich dann schon von selbst finden. Und es dürfte leicht seyn, daß eben diese Absichten in das, was die innerste Tendenz und der eigenste Charakter der alten italiänischen Mahler ist, so tief eingreifen, daß dagegen jene an ihrer Stelle nicht zu verwerfenden Forderungen richtiger Zeichnung und edler Form wohl nur sehr oberflächlich gefunden werden dürften.
Zuvörderst will ich nur das bemerken, daß man die Gemählde des Coreggio nicht verstehen kann, außer in ihrem gemeinschaftlichen Zusammenhange. Eins erklärt das andere, und viele beziehen sich auf einander. In Dresden sind die wichtigsten Werke von diesem Mahler, da lernt man ihn verstehen, doch gewähren auch die hiesigen Reichthümer eine reiche Nachlese, und sie haben mir vollends über allen Zweifel klar gemacht, was ich schon dort zu fühlen glaubte.
Correggio hat nicht nur wie Leonardo auf fast allen seinen Gesichtern ein ähnliches Lächeln, sondern er wiederholt auch auf verschiedenen Gemählden nicht selten dieselben Gesichter, die in ihrer ganzen Individualität sich wieder zeigen, unverkennbar dieselben. So ist auf dem Märtyrerthum des heil. Placidus und der heil. Flavia (Nro. 758) das Gesicht des letzten ganz und gar dasselbe wie das der eher häßlich als schön zu nennenden Alten auf der berühmten Nacht. Der Engel in der Ruhe auf der Flucht nach Aegypten (Nro. 754) gleicht ganz dem einen der beiden größern zur Seite der Madonna auf dem heiligen Sebastian zu Dr. Die Katharina auf dem Gemählde Nr. 756, welches die Verlobung derselben mit dem Christkinde darstellt, und die Magdalena auf dem Hieronimus (Nr. 753) erinnern an die Madonna auf dem Georgio zu Dr., die so reizend und beinah leichtfertig zu nennen ist. Andrer Beziehungen und Aehnlichkeiten nicht zu gedenken, die schon mehr modificirt sind, nicht vollkommne Gleichheiten und Wiederholungen, sondern Variationen gleichsam eines und desselben Thema's, einer sehr deutlich hervorscheinenden Grundform. Du wirst auch unter denen in Dr. befindlichen Gemählden in gegenwärtiger Anschauung viele dergleichen Beziehungen wahrnehmen können, über die ich in der Abwesenheit nicht zu reden getraue.
So wie es Dichter giebt, deren Gedichte unverkennbar unter einander verbunden sind, und bei noch so großer Verschiedenheit der äußern Form und des Stoffs der einzelnen Werke, dennoch eine so absichtliche Beziehung auf einander verrathen, so daß sie alle mehr oder weniger ein und dasselbe Grundgewebe nur fortzusetzen scheinen und eigentlich nur ein Gedicht zu nennen sind; so wie sie nur wenige Charaktere von auffallender Familienähnlichkeit uns in veränderten Verhältnissen immer wiederbringen, und weniger im Thema, das oft sehr einfach ist, als in den mannichfaltigsten Variationen desselben den Reichthum ihrer dichtenden Phantasie entfalten; so hat auch Correggio gemahlt. Seine Gestalten sind ihm was dem Musiker die Töne, der aus so wenigen eine Welt von Gefühlen hervorzulocken weiß; so dieser tiefsinnige Mahler desgleichen, wie beschränkt auch der Kreis seiner Formen war, und wie einfach die Methoden der Variation, wußte er doch eine nicht leicht zu erschöpfende Fülle von Gedanken damit anzudeuten.
Was andern Mahlern oft mit Recht der letzte Zweck ist, die Formen, die Gestalten, die sind dem Correggio nur Mittel, einzelne Töne, Sylben oder Worte zum Ausdruck für den Gedanken des Ganzen. Alle seine Bilder sind allegorisch, oder wenn Dir dies für die große Mannichfaltigkeit seiner Gemählde zu allgemein und zu unbedingt scheinen möchte, so darf ich doch sagen: Allegorie ist die Tendenz, der Zweck, der Charakter seiner Manier. Und zwar jene Art der Allegorie, die darauf ausgeht, den unendlichen Gegensatz und Kampf des Guten und des Bösen deutlich zu machen; denn daß hier nicht von der gemeinen Allegorie die Rede seyn kann, die in den Lehrbüchern und in den Köpfen der gegenwärtigen Mahler fast allein unter diesen Namen gekannt und gemeint wird, die Allegorie nämlich, wenn sie anders noch diesen Namen verdienen kann, welche nicht das Unendliche andeuten, sondern einzelne abstrakte, also bestimmte und beschränkte Begriffe in Sinnbilder übersetzen will; daß von dieser sage ich hier gar nicht die Rede seyn kann, versteht sich von selbst.
Am auffallendsten ist die Allegorie in der berühmten Nacht, und der Gedanke derselben erklärt zugleich, was außerdem Verwunderung erregen muß, wie der Mahler, der doch sonst Anmuth und Schönheit zu kennen und zu lieben zeigt, so ganz häßliche Gestalten habe lieben können, wie die Alte und der bejahrte Hirt, im Vorgrunde links. Es wollte der Künstler andeuten, daß das zur Rettung der Menschen bestimmte Kind wie ein göttlich helles Licht in die finstre Nacht der verdorbnen Welt erschienen sey. Um dies auszudrücken ist die einzige Beleuchtung, die man fast allein in diesem Gemählde zu bemerken pflegt, sehr tiefsinnig gewählt, keinesweges aber etwa bedeutungslos nur bestimmt, die Geschicklichkeit des Künstlers im Helldunkel sehen und bewundern zu lassen. Was war in dieser Ansicht der Sache nothwendiger, als nicht blos die Freude über den Glanz der göttlichen Erscheinung aus dem Reiz und dem Lächeln einiger schöner Gesichter und Gestalten zurückleuchten zu lassen, sondern auch die Häßlichkeit der dunkeln Welt, die solch eines errettenden Lichtes bedurfte in einigen andern Personen zu vergegenwärtigen und in Erinnerung zu bringen? und daß er diese Schlechtigkeit der irdischen Welt vorzüglich als Gemeinheit aufgefaßt hatte, und uns darstellt, darüber müssen wir seinen richtigen Verstand loben. Das und nichts anders ist offenbar die Meinung und die Absicht des Künstlers gewesen. Aber schwerlich werden diejenigen, welche in die Ansicht der Religion da sie ihrem Herzen fremd geworden ist, sich auch nicht einmal mit der Phantasie hinein versetzen können, jemals dahin gelangen, die alten Mahler zu verstehen. Jener Gedanke, der in der berühmten Nacht des Correggio ausgedrückt ist, gehört zu den einfachsten und natürlichsten, ja er wird fast nicht fehlen können, wo die christliche Ansicht herschend ist. Viel weiter von dem gewöhnlichen Gleise entfernt, ist die Absicht und Bedeutung in den beiden andern großen Altarblättern zu Dr. in dem St. George, und dem Sebastian. In dem ersten ist die Maria in einer Freundlichkeit und Heiterkeit dargestellt, die an kindlichen Muthwillen grenzt. Hier ist alles reine Freude, Leichtsinn und Lächeln in heiterm Himmel; darum ist Perspektiv und Colorit so hell und so durchsichtig, und darum ist das Gemählde oben von den üppigsten und glühendsten Früchten und Blumengewinden umkränzt. Hier kann der Mahler sehen, was eigentlich Blumenstücke sind, was sie im Ganzen eines Bildes wirken und bedeuten können, da sie, wenn man das einzelne Glied (was nie geschehen sollte) aus seiner Stelle reißt, als eine untergeordnete Gattung erscheinen. Dergleichen giebt es nicht; wenn aber, was nur Theil eines vollständigen, Gemähldes seyn kann, selbst ein Werk für sich seyn soll, so verliert es notwendigerweise seine Bedeutung, und also auch seine Würde. Auf dem St. George tritt nichts so reizend aus dem Ganzen hervor, als der Leib des Kindes vorn auf dem Bilde, das Lächeln der Maria und die liebliche Gestalt des Johannes; es ist das gleichsam der musikalische Grundaccord des Ganzen. Es ist unläugbar, Correggio ist ein Mahler der schöne Stellen hat, und wenn gleich vielen, nach einseitigen Begriffen, dieses eher ein Grund zum Tadel als zum Lobe seyn dürfte, so weiß ich doch recht wohl, daß dies wesentlich und nothwendig mit den bemerkten Eigenschaften zusammenhängt, die das Wesentliche seiner Manier sind, ich meine das Musikalische und die Neigung zur Allegorie. Auch sind jene schönen Stellen nicht zufällig da, wo sie sind, sondern mit tiefer Ueberlegung und Absicht, nicht um der bloßen sinnlichen Schönheit willen, sondern um den Gedanken oder das tiefe individuelle Gefühl des Ganzen so klar als möglich auszusprechen. So heiter und ganz freundlich aber auch dieses Bild von Correggio erscheint, so ist doch im St. George selbst und auch sonst eine Erinnerung an den auf allen seinen Gemählden vorhergehenden oder durchschimmernden Gegensatz und Kampf des guten und des bösen Princips noch übrig, aber freilich ist es nicht der schreiende Gegensatz himmlischen Lichtes und dunkler Häßlichkeit, wie in der Nacht. Vielmehr ist wenig Accent darauf gelegt, und das böse Princip erscheint ganz überwunden, das gute aber in ungestörter Heiterkeit. Weit stärker tritt dieser Gegensatz auf dem Sebastian hervor, worin übrigens die Mutter Gottes, wie sich aus der Vergleichung der sie hier umgebenden Glorie mit der gewöhnlichen ergiebt, vermuthlich als Sonne dargestellt seyn soll, und warum wollten wir zweifeln, daß der Mahler, der Licht und Finsterniß als das Göttliche und das Böse gedacht hat, nicht auch das Wesen des Ersten in jener dem Lichte verwandten Gestalt erkannt und sich selbst ausgedrückt hat?
Jene drei großen Kirchenbilder, von denen ich keinesweges annehmen möchte, daß sie der Zeit nach sehr verschieden seyen, sondern die im Gegentheil aus der Masse der übrigen durch ihre innere Aehnlichkeit in der Verschiedenheit selbst sich natürlich zusammenstellen, wie Glieder einer Dichtung; jene drei großen Kirchenbilder, die Nacht, der St. George und der Sebastian sind gleichsam der Text zu allem, was sich sagen läßt über den Correggio, nämlich über seine zweite Manier; das einzige, was unläugbar aus einer frühern seyn muß, ist das göttliche Kirchenbild zu Dr. mit dem Johannes dem Täufer und dem heil. Franziscus, und welches mancher vielleicht allen Werken desselben Meisters aus der zweiten Manier vorziehen dürfte, steht durchaus allein, und kann gar nicht mit diesen verglichen werden, entfernt sich auch ungleich weniger von dem Style der ältern Mahler. Jene drei Bilder nannte ich den Text zu einer Charakteristik der Manier des Correggio; einen reichen, sehr reichen Commentar aber bietet uns das Pariser Museum dar.
Zuerst zwei beschränktere Bilder, dem Umfange und auch dem Inhalte nach. Der Gegensatz, der sonst immer der Vorwurf des Correggio bleibt, ist hier gleichsam getrennt und aufgelöst; das eine stellt uns die reine Freude dar, das andre nichts als den bittersten Schmerz. Das erste stellt die Verlobung der Katharina mit dem Christkinde dar; hinter der Katharina steht der heil. Sebastian, der freudig zuschaut. Ich weiß Dir weiter nichts darüber zu sagen, als daß die lächelnde Anmuth des Correggio hier beinah ganz zur reinen Schönheit verklärt und veredelt ist. Im fernsten Hintergrunde ist in ganz kleinen Figuren der Tod des heil. Sebastian mehr angedeutet als dargestellt; und noch eine andre (vermuthlich doch auf die Katharina zu beziehende) Geschichte des Märtyrerthums, die ich aber nicht zu entziffern weiß. Tritt man nicht ganz nahe hinzu, so sieht man diese Figürchen gar nicht, besonders da der Hintergrund sehr nachgedunkelt hat. Es ist nur ein Kniestück, oder wie soll ich es nennen, die Figuren sind nur bis auf Brust und Hände zu sehen, aber gewiß eins der vorzüglichsten dieses Meisters, von einer klaren Schönheit, die auch denen einzuleuchten pflegt, die sonst den Correggio nicht verstehen. Noch weit tiefsinniger aber scheint mir das zweite der beiden erwähnten Bilder, eine Kreuzesabnehmung. Es pflegt von den Mahlern und auch von denen, die bloß nach dem gegenwärtigen Gefühl (oft am richtigsten) urtheilen, nicht wenig getadelt zu werden, weil in Wahrheit alle die Personen, welche um die Leiche Christi versammelt sind und in Klagen ausbrechen, ohne Ausnahme entschieden häßlich sind, wenigstens von häßlicher Gebehrde, wenn gleich von dieser abstrahirt, keinesweges von unedler Form. Ein so aus dem Innersten laut hervorschreiender Schmerz und mit dieser ergreifenden und erschütternden Wahrheit kann wohl nicht anders als entstellen. Welcher andre Schmerz aber wäre hier an seiner Stelle und dem Gegenstande angemessen? Den Klagenden entzog der Mahler die Schönheit, die er ihnen wohl hätte zu geben vermocht, wenn seine tiefe Weisheit es nicht besser geachtet hätte, sie alle über den Leichnam des Erlösers auszugießen. Ich habe mehrere vor das Bild geführt, die es beim ersten Eindruck abgeschreckt hatte, und sie haben mir alle gestehen müssen, daß der entseelte Körper des Erlösers unaussprechlich schön sey, und gar nicht schöner seyn könnte; und doch ist es eine Leiche, eine Leiche in jedem Umriß, und jeder Stelle, aber noch beseelt von Schönheit und schmerzlicher Wehmuth, ein lebendiges Bild des liebevollsten Todes. Wie viel wahrer, wie viel tiefer ist das gedacht, als wie andre geringere Mahler, den Leichnam des Erlösers unserm Auge zum Gegenstand des Eckels und Abscheus darzulegen, und daneben etwa zum Ersatz eine Magdalena zu stellen in eitler Schönheit und eben so eitlen Thränen, ohne die innige Tiefe des Schmerzens. So oberflächlich erscheint mir selbst das Gemählde des Andrea del Sarto über diesen Gegenstand, wenn ich es mit dem des Correggio vergleiche. Doch würde es fast unbillig seyn, diese Vergleichung gegen den sonst so verdienten Künstler durchzuführen, eben weil Correggio hier das einzig Rechte so ganz getroffen hat, daß man nach dem seinigen kein andres desselben Inhalts mehr mit Beifall ansehen kann.– Die beiden Kirchenbilder, welche hier befindlich sind, enthalten auch manchen Anlaß zum Nachdenken, besonders die Ruhe auf der Flucht nach Egypten. Die Mutter schöpft Wasser aus einer lebendigen Quelle, der Vater bricht Früchte von einem Palmbaum, die das Kind oder der Knabe mit der einen Hand empfängt, im übrigen aber den Trank aus der Schaale der Mutter erwartet. Seine Hände bilden das gewöhnliche Symbol der Dreieinigkeit. Man tadelt in diesem Bilde gewöhnlich die Wolken als zu körperlich und schwer; sie sind es auch, aber gewiß nicht ohne Absicht. Das seh ich wohl, der Künstler hat in dem Baum, von dem der Vater die Frucht bricht, Engel, Wolken und Zweige des Baums gleichsam zu einem Gewebe und Kranz verflochten, der zugleich die obere Umkränzung des Gemähldes bildet, und er hat sie so verflechten wollen, daran zweifle ich nicht; doch getrau ich mir in diesen zusammengesetztern und willkührlichern Allegorieen nicht so ihm nachzudenken, und was er meinte in Worte auszudrücken. Das Bedeutende in der Stellung des Sohnes, wie er zwischen Frucht und Trank getheilt da steht, mit der Hindeutung auf die Dreieinigkeit, ist desto merkwürdiger, weil es sich in der Skizze zu diesem Gemählde nicht findet, die unter den hiesigen Zeichnungen zu sehen ist, und überhaupt mehrere Abweichungen enthält; so ist das Kind noch ungleich mehr ausgebildet und älter. Eben daselbst (Nr. 64. a. und b,) sah man zwei kleine Gemählde in Wasserfarbe von demselben Meister, wovon das eine den Sieg der Tugend darstellt, die von oben durch einen Genius gekrönt wird, und zu deren Füßen das Böse ohnmächtig vernichtet liegt. Zu ihrer Rechten (des Betrachters Linken) sitzen die heidnischen Tugenden der Gerechtigkeit, Klugheit u. s. w. mit ihren Atributen. Gegenüber eine himmlischere Gestalt über den Globus ruhend, und auf den Fleck deutend, der durch einen Strahl von oben als derjenige ausgezeichnet wird, von welchem das Licht des Heils ausgieng. Unter dem Erdball und unter den Füßen der Tugend liegt ein Unthier, der Kopf ist der eines Hundes, oder soll es ein Wolf seyn? einige Theile sind von einem Fische, mit Schuppen und Floßfedern, andres scheint noch von andern Thieren. Ich sage scheint, denn die Zusammensetzung und selbst die Lage dieses Thiers oder Symbols ist so wunderlich verworren, daß, da überdem die Dimensionen nicht sehr groß sind, die Gewänder der sitzenden Figuren, die sich dazwischen schlagen, die Verwirrung vermehren, und auch der Globus einen Theil dieses seltsamen Wesens oder Unwesens bedeckt, oder sich vielmehr in dasselbe zu verliehren scheint, es mir nicht wohl möglich seyn möchte, Dir die Construktion deutlicher zu machen, als sie im Gemählde ist. Ich habe mehrere Künstler und Kenner vor das Gemählde geführt, aber niemand hat es mir befriedigender entziffern und das Verworrne in diesem Symbole völlig auflösen können. Ich halte es aber für diesen Künstler gar nicht für zu spitzfindig anzunehmen, daß er dieses Verworrne absichtlich gesucht habe, um dadurch die Natur des bösen Princips mit auszudrücken.
Ich kehre zu den Kirchenbildern zurück. Auf dem heiligen Hieronymus ist nichts so auffallend, als die Lieblichkeit der Magdalena. Sie neigt ihr Haupt auf das Kind, dessen Fuß sie küßt. Diese Lippen, diese sanft anschmiegende Wange, dieses fließende Haar, und das Händchen des Kindes darin – etwas weicheres giebt es nicht, als die süße Liebe und Anbetung dieser Schmeichlerinn. –
Wie umfassend der Geist dieses Künstlers war, kann uns auch seine Antiope lehren, das einzige Gemählde heidnischen Inhalts, was hier von ihm zu sehen war. In den christlichen, wo er es auch noch so leicht und lüstern gemeint haben sollte, ist dieses doch allemal ganz verhüllt und gleichsam verstohlen, wie es der Natur der Mahlerei wohl am angemessensten seyn mag. So tief aber war dieser Geist gewohnt in das rechte wahre Wesen der Dinge einzudringen, daß er in der Behandlung antiker Gegenstände ganz den entgegengesetzten Weg einschlug; er fühlte wohl (obgleich wir gewiß nicht mehr gelehrte Kenntniß des Alterthums bei ihm voraussetzen können wie bei andern), daß die alte Fabel und Antike nicht auf eine verstohlne, und nur in Andeutungen sichtbare Lüsternheit ausgehe, sondern auf nackte Schönheit, und das Wollüstige derselben nicht zu verhüllen. So zeigt er uns hier ein reizendes Weib, im lächelnden Schlummer liegend, die ein freudetrunkner Beschauer unserm Auge völlig entblößt; zu ihren Füßen ein schlummernder Amor. Man sah übrigens dieses Gemählde durchaus nicht günstig; ich habe oft Versuche angestellt, und nachgedacht, wie man es wohl beschauen müßte, und ich habe gefunden es müsse so betrachtet werden, daß der Betrachter wenigstens völlig auf gleicher Höhe mit dem Gemählde stehe, ja vielleicht wäre es am besten, wenn man noch höher stände und das Gemählde von oben herab sähe. Es scheint dies sonderbar, aber so gut wie Correggio die Kirchenbilder dazu einrichtete, von unten herauf gesehen zu werden, konnte er dieses Gemählde für eine besondre Einrichtung in dem Hause wer weiß welches Reichen gerade auf den entgegengesetzten Fall eingerichtet haben.
Es ist Zeit, daß ich endlich einmal vom Correggio aufhöre. Ich habe mit Fleiß lange bei ihm verweilt, nicht weil ich seine Art zu mahlen für die rechte halte. Aber an diesem Beyspiele läßt sich den Künstlern und Kunstliebhabern, sehr bequem und recht deutlich zeigen, wie verschieden von der jetzigen die Denkart der alten Mahler, und wie ganz andre ihre Absicht waren, welche richtig und der Wahrheit gemäß zu verstehen die jetzt gangbaren meistens sehr seichten Begriffe von Schönheit, Ideal und Antike keinesweges zureichen wollen. Ich gehe nun über zu einer andern Gattung von Mahlern, die mir nicht nur wegen ihres ältern und herbern Sinnes und Charakters, sondern auch durch die tiefe Strenge ihrer Art und Denkart, oder durch den allumfassenden gleichsam welterobernden Geist als die Heldenkünstler der alten Zeit erscheinen, die wenn jener weiche Allegri jedes liebliche Gefühl, und auch die tiefste Rührung durch die Musik seiner Farben spielend in uns zu erregen weiß, statt dessen vielmehr stolze Tempel von erhabenen Gestalten wie zum ewigen Denkmal in strenger Symmetrie vor uns aufbauen oder unser Auge durch die verschwenderische Fülle prachtvoller Triumphe des festlichen Lebens mit Freude und Erstaunen füllen.
Den Anfang aber mache ich mit dem
Leonardo,
der unter allen am meisten Ähnlichkeit und Verwandschaft mit dem Correggio hat, so daß wir nach den Werken allein zu urtheilen glauben müssen, er habe sich vorzüglich nach dem Leonardo gebildet. Denn so strenge dieser in seinen Umrissen ist, so sehr auch der Begriff über das bloße Gefühl zu herschen scheint, so objectiv wahr die Vollendung jedes Einzelnen ist, so ist doch in allen Gesichtern seiner Gemählde ein individuelles Lächeln sichtbar, welches eine sehr starke Familienähnlichkeit bis zur Monotonie hat, und allerdings manierirt genannt werden kann, wie ein Dichter der nur einen kleinen Kreis von Charakteren in auffallender Familienähnlichkeit portraitmäßig darzustellen wüßte. Merkwürdig ist, daß uns das Portrait des Leonardo selbst (Nr. 170. der Zeichnungen) denselben individuellen Zug darstellt, den wir an so vielen seiner Figuren wahrnehmen; dieselben halbzugedrückten Augen, dasselbe Lächeln um den Mund. Noch merkwürdiger aber ist es, daß wir dieselbe Eigenheit auch auf Gemählden seiner Schüler wieder finden; und welcher Mahler hat Schüler gebildet, die ihm selbst gleicher, und seiner würdiger wären, als dieser? Er hielt es also für wesentlich, zur Kunst, da er gewiß nichts ohne Nachdenken gelehrt hat; es war ihm Grundsatz geworden so z« mahlen, wenn es gleich anfänglich nur individuelle Eigenheit gewesen war. Auf keinem der hiesigen Gemählde ist diese Manier so auffallend grell, als auf einer heiligen Familie, wo Johannes das Lamm, und der kleine Jesus eine Wagschale hält, die ihm der vor ihm in blanker Rüstung kniende St. Michael reicht. Merkwürdig war mir die Madonna; das Gesicht könnte fast ohne alle Modifikationen, oder doch mit wenigen, ganz unendlich kleinen und nichtsbedeutenden auch einen sehr jugendlichen Christus vorstellen, so wie der Kopf des jugendlichen Heilands von ihm, den wir in der Copie unsers B. sahen, offenbar nur durch kleine Zufälligkeiten von dem Gesicht einer Madonna abweicht; es hat also der Mahler das Ideal des Göttlichen in der möglichsten Annäherung und Vereinigung ernster Weiblichkeit und jugendlicher Männlichkeit in den Formen und Zügen des Gesichts gelegt. Ich sagte Ideal, denn was ist denn das Ideal in jedem Sinne des Worts, als die dennoch zu Stande gebrachte reelle Verbindung zweier Elemente, die eigentlich sich zu trennen streben? Die bloße Vollkommenheit der Proportionen im mittleren Durchschnitt, die auch für die Plastik nur negative Bedingung der ihr eigenthümlichen Schönheit, in der Mahlerei aber gar nicht einmal allgemein anwendbar ist; diese wird man doch nicht so nennen wollen? – Ganz anders aber und größer wie mirs scheint, hat Leonardo die Madonna genommen in einem kleinen Kniestücke etwas unter Lebensgröße Nr. 922, welches in Rücksicht der vollendeten Ausführung leicht die erste Stelle unter allen verdienen möchte. Es hat schon ganz das Weiche und Verschmolzene des Correggio in der Licht- und Farbenbehandlung, dabei aber doch die Genauigkeit und objektive Bestimmtheit, die dem Florentiner selbst eigen ist. Die einzigen Figuren sind die Madonna und das Kind; wiewohl es unter Lebensgröße, so könnte doch ein kolossales Bild in den Verhältnissen nicht grandioser entworfen seyn, als diese Madonna; mit göttlicher Majestät hebt sich das Haupt und die Stirne empor. Sanft vorgebogen in ernster Schönheit und freundlich herab lächelnd auf das Kind, erscheint uns das hohe Haupt wie ein stolz ruhender aber freundlicher Fels, und die verschwenderische Fülle der Locken, die von allen Seiten stromweise herunter fließt, scheint nochwendig mit zu dem erfordert zu werden, was der Künstler hat ausdrücken wollen. Ueber dem Gewände schimmert der Busen in sanftem Reitze ein wenig hervor. Die Stellung der Beine der Mutter, und die Lage des Kindes auf ihrem Schooß ist fast bis zum Gesuchten und Künstlichen graciös. So hat der Künstler das Lieblichste mit dem Erhabenen wunderbar zu verschmelzen gewußt. Der Hintergrund ist die ruhige Fläche des Meers, still und einfach, nur in weiter Ferne hebt sich ein Hügel oder Berg mit sanfter Erhöhung aus den Wogen empor. Das Kind hat ein leichtes Kreuz in Händen und betrachtet es mit ganz liebeschmachtenden Augen; aber doch ist es ganz Kind, mir däucht ich hatte wohl selbst Kinder so in der Stille tief fühlend blicken sehen. Die Spitze des Kreuzes tritt einsam auf der ruhigen Fläche des Hintergrundes hervor, welches einen sonderbar rührenden Eindruck macht, jene Art aber das Christkind zu mahlen, scheint mir ganz die wahre und rechte; nie habe ich in einem andern die Idee desselben so tief und so schön ausgesprochen gesehen; da das Christkind auf dem großen Bilde von Raphael zu Dr. allerdings sehr schön, ja göttlich zu nennen ist, aber auch wohl eben so gut die Kindheit eines andern Gottes darstellen könnte, als des Christus.
An diesem kleinen Gemählde des Leonardo möchten die Künstler lernen, daß man auch unter Lebensgröße durch die Verhältnisse und durch ruhige Größe im Ausdrucke und Gedanken kolossal mahlen kann.
Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, Dir einen anschaulichen Begriff davon zu geben, es gehört zu den vortreflichsten die ich überhaupt gesehen habe. Sollte ich aber noch mehr davon sagen, so könnte es nur in einem Gedichte geschehen, vielleicht wäre dies überall die beste und natürlichste Art von Gemählden und andern Kunstwerken zu reden. Denn ist nicht jede richtige in das Innre ganz eindringende und auch alles Einzelne aufmerksam angreifende Anschauung eines organischen Ganzen durchaus Poesie? Selbst der äußern Form nach, wenn die Anschauung des Ganzen anders nicht in uns verborgen bleiben, sondem auch in äußere Worte deutlich ausgesprochen werden soll? – Aber freilich macht es die änßere Form nicht aus, und so können wir uns gern nach dem Bedürfniß und dem Geschmack derer etwas bequemen, die wir vorzüglich im Auge haben. – Eine heilige Familie von Luini Nro. 860, und eine Herodias von Solario Nro. 895, beides Schüler von Leonardo, sind vortrefliche Werke nichtbloß in seinem Geiste und seiner Manier gedacht, sondem auch mit der objektiven Gründlichkeit ausgeführt, die ihm eigen ist. Von dieser Seite ist die Herodias hier, der in Dresden weit vorzuziehen, welche von einem der schlechtern Schüler des Leonardo herrühren muß. Ungleich schöner aber noch ist jene heil. Familie die des Meisters selbst nicht unwürdig wäre.
So prägt der denkende Künstler die Kraft seines Verstandes nicht blos in fleißig vollendeten Werken, sondern auch in einer Schule aus, die eben so gründlich angelegt und gebaut ist, als seine Werke! Und dennoch ist oft unter dieser strengen Schule ein bis zum Eigensinn empfindlich und sein fühlendes Herz verschlossen, das wo es einmal aus der äußern scheinbaren Kälte hervorbricht uns desto eigner und inniger rührt. So verstehe ich die schöne Fühlbarkeit, die Neigung zum Sentimentalen, die uns aus einigen der schönsten Werke dieses allen Mahlers anspricht. Eben dieses, vielleicht bisweilen unbewußte Gefühl, glaube ich auch in der Vorliebe, die er für eine eigne Art des landschaftlichen Hintergrundes hat, zu erkennen. Er läßt ihn meist ganz aus Meer und Bergen oder Felsen bestehen, die bald einfach und ruhiger, bald in Bewegung und Mannichfaltigkeit immer doch in weiter Ferne in Luft und Himmel verschwimmen. Wenn dies auch nicht gerade immer wehmüthige Rührung erregen soll, so lädt es doch zum stillen Nachdenken ein. So sieht man fernes Meer durch eine kleine Felsenöffnung in dem erwähnten Gemählde, wo der heil. Michael vor dem Christkinde kniet. Einen solchen Hintergrund hat auch ein Gemählde das im runden Saal Nro. 37 zu sehen war, da die Madonna der heil. Anna auf dem Schoost sitzt, welches mich aber außerdem weniger angesprochen hat. Ferner auch das eine der beiden Portraite, die hier sind, von denen gleich die Rede seyn soll. Zuvor will ich nur noch das eine bemerken, daß hier doch zu wenig von ihm vorhanden ist, um darnach schon eine Vermuthung über die verschiednen Manieren dieses Meisters und über die Geschichte der Entwicklung seiner Kunst wagen zu dürfen.
An vortreflichen, oder doch sehr merkwürdigen Portraiten ist das hiesige Museum so außerordentlich reich, daß die Begleichung hier natürlich zu manchen allgemeinen Gedanken über die ganze Gattung veranlassen muß, da ohnehin die engere Beschränkung des Ganzen der Willkühr und Eigenthümlichkeit des Künstlers weit weniger freien Spielraum läßt. Ich werde daher meine Gedanken über die große Menge der vortreflichsten Portraite von Titian, Holbein, Raphael und Leonardo unter eine allgemeine Betrachtung und Rubrik
vom Portrait
überhaupt zusammenfassen, und besonders von den verschiedenen Behandlungsarten, die in demselben möglich und ausgeführt sind, und deren so gar viele nicht seyn dürften. Die gewöhnlichste und im gewissen Sinne auch wohl die niedrigste Gattung scheint mir die des Titian. Er geht darauf aus, die Personen mit täuschender Wahrheit und in mahlerischer Stellung und Anordnung frappant darzustellen, dasselbe wollen meistens auch wohl die jetzigen Portraitmahler. Der Unterschied ist nur der, daß Titian vortreflich mahlte, und daß er ganz erreichte wonach jene nur streben. Am schönsten in dieser Rücksicht unter den hiesigen ist das Bildniß einer reizenden Frau; ihre aufgelösten Haare fließen herunter, sie hält sie in der Hand und ist im Begriff sie zu salben. Dieser Arm, die goldnen Haare, die Schulter, sind von der schönsten Weichheit, und Farbe und Carnation vortreflich.
Ganz anders, und gar nicht bloß auf den reizenden oder imposanten Effekt geht Holbein zu Werke; er geht im Portrait auf die neueste, tiefste Wahrheit und Objectivität aus; daher meistens die Stellung ganz gerade und einfältig, der Hintergrund nur eine dunkelgrüne Fläche, alles auch in der Tracht aufs fleißigste und genaueste ausgeführt. Man kann es nicht leugnen, soll das Portrait eine abgesonderte Gattung seyn, so dürfte wohl dies die einzig richtige Methode seyn; denn wodurch kann die Kunst in der einzelnen Darstellung eines Individuums sich noch als Kunst bewähren, außer durch die strengste Objectivität? Dies wird keineswegs dahin führen, die Gesichtszüge zu idealisiren, sondern im Gegentheil das Beschränkte des Individuums muß auf diesem Wege am stärksten hervorgehoben werden, so daß der Charakter recht in seiner Beschränktheit concentrirt, und gleichsam fest eingeschlossen erscheint; wie es auch beim Holbein der Fall ist; denn was ist in einem Gesicht am genauesten bestimmt, als gerade das, was nicht die höhere Tendenz, sondern die beschränkte und fertig ausgebildete Eigenheit dieser Natur ausdrückt? Dahingegen vorübergehende Modifikationen, Gebehrden und Blicke, in denen oft eine höhere Seele wenigstens auf Momente durch die äußere vielleicht an sich weniger bedeutsame Form hervorzuleuchten, und dieselbe zu einer reinern Schönheit und Bedeutung zu verklären pflegt; diese Modifikationen sind äußerst flüchtig, und gränzen nothwendigerweise mehr an das Unbestimmte, welches der Mahler der ein objectiv treues Abbild geben will, gänzlich zu vermeiden hat. Stellung, Hand und Kleidung pflegen beim Holbein jedes wiederum den Charakter des Gesichts auszusprechen, wodurch denn die Eigenheiten desselben oft bis beinah zur Caricatur deutlich und objectiv werden. Leonardo hat oft ein Portrait im Wesentlichen ganz nach denselben Principien gearbeitet, lediglich nach Objectivität und einer bis auf die äußerste Genauigkeit vollendeten Treue und Wahrheit strebend, wie in dem Bilde des Herzogs von Mayland zu Dresden, und in dem Bilde einer Frau Nro. 924 des hiesigen Museums. So hat Raphael, von dem man hier so viele Portraite sieht, in den meisten eine Manier, die von der des Titian nicht sehr entfernt ist, die wenigstens ganz auf denselben Effekt ausgeht, wenn gleich die Art der Mahlerei noch davon verschieden, meistens noch kräftiger ist. Beide aber, Raphael und Leonardo haben Beispiele aufgestellt von einer ganz andern Gattung des Portraits, von der sich weder bei Holbein noch bei Titian eine Spur findet, und die ich die symbolische nennen möchte.
Gebt einem übrigens treu der Natur nachgebildeten Portrait nur etwa einen landschaftlichen Hintergrund aus Meer, Gebirgen und Luft wie bei dem der Madame Lise Nr. 928. von Leonardo, und es tritt sofort ganz aus der Sphäre der Gattung, die so lange sie nur das bleibt, ziemlich beschränkt ist, heraus. Es versteht sich von selbst, daß eine solche bedeutsam seyn sollende Umgebung nichts anders bedeutet als den Eindruck, den das dargestellte Antlitz macht, gleichsam die verdoppelte und höhere Abspiegelung desselben; nur dasjenige muß und darf durch Symbole aller Art so vielfach als möglich angedeutet werden, was an sich selbst noch nicht vollendet deutlich ist; das ist der höhere Geist, die verborgnere Seele in dem Antlitz der Menschen, da doch die wenigsten! nur wirklich aussehen, wie sie ihrem innern Wesen nach aussehen sollten. Bei den meisten ist dieses nicht klar sondern schimmert nur verstohlen durch, und wenn der Künstler nun nicht mit der bloß körperlichen Wahrheit zufrieden, dieses Höchste im menschlichen Antlitz so viel als möglich darstellen will, so muß er freilich durch alle Symbole die er hat, zur Hülfe kommen, und wie deutlich der landschaftliche Hintergrund den Eindruck, den ein bestimmtes Gesicht hervorzubringen geeignet ist, wieder zu geben vermag, davon geben uns mehrere Beispiele der alten Mahlerei einleuchtenden Beweis. Nichts vortreflichers in dieser Art sah ich als zwei junge Menschen von Raphael; der eine offen aus heitern klugen Augen schauend mit nachläßiger Zuversicht auf seinen Arm gestützt, und so dreist in die Welt hineinschauend, als sey er sicher sie ganz klar zu fassen; der andre etwas gesenkt und nachdenklich, nicht eigentlich trübsinnig und schwermüthig, sondern recht klar, aber doch ich weiß nicht durch welche Zauberei bei der edelsten Schönheit in treuherziger Einfalt und Redlichkeit ganz unaussprechlich rührend. Die Landschaft ist eine weite Ferne, am Boden deutlich und heiter, aber der Himmel oben trübe und gedrückt, und alles ganz einförmig und gleich, bis auf einige Bäumchen, die einsam am Vorgrunde hervorragen und das innigste Mitleiden erregen. Gewiß Du würdest es nicht sehen können, ohne daß es Dich im Innersten bewegte.
Ein solches symbolisches Portrait nun behaupte ich, tritt ganz aus der Gattung heraus insofern es bloß eine solche seyn soll; man könnte es mit dieser landschaftlichen Umgebung in dieser höhern Beziehung und Bedeutung nur gleich in ein größeres oder wie man es zu nennen pflegt in ein historisches Gemählde verpflanzen; oder giebt es auch keins zu dem es ganz passen würde, so erscheint es uns doch nur als Bruchstück eines solchen, das wir uns hinzu denken können. Mit der höhern symbolischen Beziehung und Deutung ist mit einem Worte der einzige Grund weggefallen, der das Portrait als Gattung rechtfertigen kann, nämlich die Absicht, das Nachbild eines Individiums in treuer Objektivität zu erhalten. Warum sollte es aber auch eine Gattung seyn? Wäre es nicht besser, die große Menge der Dilettanten wäre weniger besorgt und bemüht, das Eigenthümliche ihrer respektiven Gesichtsbildungen auf die Nachwelt zu bringen, und überließe es vielmehr dem Künstler, wo ihn ein menschliches Antlitz nicht bloß zu flüchtigem Wohlgefallen frappirte, sondern nach anhaltendem Studium noch immer von neuem merkwürdig bliebe, solches zu eigner Belehrung und künftigem Gebrauch, aus freier Wahl, bloß für sich selbst zu fixiren? Denn ein solches wohlgegründetes Interesse würde allerdings ein hinlänglicher Beweis seyn, daß dieses bestimmte Antlitz in der eigenthümlichen Formen-Sphäre des Künstlers auf irgend eine Weise mit gehörte und darin eingriffe. Auch würde es den größern Gemählden ohne diese zuletzt doch auf das Portrait sich gründende individuelle Wahrheit ganz an dieser und aller reellen Bedeutung fehlen.
Ganz in dem Geist der charakrerisirten Gattung ist Garofalo's Bildniß von ihm selbst Nr. 786. Ich möchte sagen, so kann man nur sich selbst mahlen, so innig und objectiv wahr, und doch mit dieser Partheilichkeit, mit diesem Interesse an sich selber. Es darf dies Bild vollkommen in seiner Art genannt werden, und es giebt kein schöneres Portrait. Es sind auch mehrere heilige Familien in verkleinertem Maaßstabe von diesem Künstler hier zu sehen; aber sehr ungleich, in der einen, wo Katharina zu den Füßen des Kindes kniet, und die sitzende Madonna ganz gerade aus dem Bilde herausschaut, ist das Antlitz derselben nach dem strengsten Ideale ernster Göttlichkeit entworfen, etwa wie die Madonna auf dem großen Bilde von Raphael zu Dresden, doch ist die des Garofalo noch strenger und gerader. In den Portraiten des Raphael habe ich vorzüglich die biegsame Gewandtheit und Vielseitigkeit dieses allumfassenden Geistes bewundert, da fast in jedem eine andre Manier und Farbenbehandlung sichtbar ist. Ich gestehe Dir, daß mir dieses eine Grundeigenschaft dieses Künstlers zu seyn scheint, aus der man alle übrige abzuleiten und zu erklären hat.
Vom Raphael.
Wenigstens giebt es über vieles Licht, was sonst nicht richtig verstanden werden kann, wenn man es sich gegenwärtig erhält, daß Universalität die Tendenz und das Princip dieses Mahlers sey; sogar diejenige Universalität, welche die Manier und den Styl andrer Kunstverwandten anzunehmen, nachzubilden, und zu einem neuen Ganzen zu combiniren weiß. Künstler, deren Urtheil Gewicht bei mir hat, versichern, daß die Manier des Raphael in den Tapeten sich absichtlich mehr der des Michel Angelo annähere, daß einzelne Figuren von Masaccio entlehnt seyen. Bei manchen Gemählden dürfte es nicht leicht zu entscheiden seyn, ob sie von ihm selbst oder vom Julio Romano seyen; auch würde die Gemeinschaftlichkeit der Ausarbeitung zwischen ihm und seinen Schülern gar nicht denkbar seyn, wenn er es nicht verstanden hätte, sich willkührlich in die Manier eines jeden derselben zu versetzen, oder wenn man will, sich zu denselben herabzulassen. Aber auch aus dem hiesigen Museum kann ich Dir ein äußerst merkwürdiges Faktum citiren, wodurch dies noch mehr ins Licht gesetzt wird. Es ist dies die Madonna de Foligno, zu deren Restauration man hier, wie Du bei Nr. 55. des Katalogs zum runden Saal weitläuftig erzählt findest, alle Chemie und alle Kunst aufgeboten hat. Es ist ein Votivgemählde; oben die Madonna mit dem Kinde in einer Sonne, deren Wiederschein die unten in der Landschaft liegende Stadt umspannt; zur Rechten des Beschauers der Donatarius des Gemähldes, ein bejahrter Geistlicher, knieend und treuherzig die Hände faltend; der heil. Hieronymus, ein schöner Alter mit weißem Bart, hält ihm den Kopf, um so durch seine Gebehrde die kräftige Andacht des würdigen alten Geistlichen zu bestätigen und hervorzuheben. Gegenüber zur Linken des Beschauers ist Johannes der Täufer und der heil. Franziscus. Beide Figuren, dem Johannes und Franziscus auf dem ältesten Bilde des Correggio zu Dr. so individuell ähnlich, daß, wer beide Gemählde gesehen hat, auch nicht einen Augenblick zweifeln kann, einer von beiden Mahlern habe den andern vor Augen gehabt; und es kann einzig nur die Frage seyn, welcher den andern. Nun aber ist dem Style nach zu urtheilen, dieses Gemählde des Raphael eher zu seinen spätern, keinesweges zu den frühsten zu stellen; das Gemählde des Correggio als eins der allerfrühsten dieses Meisters anzunehmen. Diese Gestalten sind auch dem Correggio weit eigner, da sie auf mehrern der hier oder in Dr. befindlichen Gemählden, mit einigen kleinen Modifikationen, doch unleugbar dieselben wieder vorkommen; auch dürfte kein denkender Beschauer bei der bloßen Betrachtung einen Augenblick zweifeln wollen, daß Raphael diese Figuren vom Correggio entlehnt habe und nicht umgekehrt, so einleuchtend ist hier die Nachbildung und so tief stehen diese Figuren unter denen des Originals. Wer weiß, zu wie viel ähnlichen Bemerkungen derjenige Gelegenheit haben würde, der mehr Gemählde der alten Meister als ich mit Aufmerksamkeit gesehen hat! – Ein Engel unten auf dem Vorgrunde des Gemähldes, der eine Tafel hält, die den Namen oder die Inschrift des Geistlichen, dessen Gelübde zu erfüllen dieses Gemählde bestimmt war, enthalten sollte, gleicht ganz und gar dem einen der beiden Engel auf dem großen Bilde zu Dresden.
Auf der berühmten Transfiguration, welche durch Größe und Reichthum an kräftigstem Ausdruck von vollendeter Ausführung, jedem Künstler, wie jedem Layen, imponiren muß, ist Glaube und Unglaube recht schön und kräftig entgegen gestellt. Zur Linken des Beschauers neun der Apostel in mannichfachen Ausdruck des liebevollen und des treuherzigen Vertrauens auf den Heiland; gegen über die, welche den epileptischen Knaben herbeiführen, auf jene wie mit Zweifel eindringend oder auch mit laut schreienden Vorwürfen gegen die Vorsehung, daß sie den armen Unschuldigen so schrecklich leiden lassen könne. In der Mitte im Vorgrunde, ganz im Profile sichtbar, auf den Knieen gerade in die Höhe gerichtet, ein göttlich zürnendes Weib, die auf den Leidenden deutet, und jenen vorzuwerfen scheint, daß sie nicht helfen können, sondern nur der allein, der auf dem Berge verklärt wird. Die Allegorie ist schön und deutlich, die Landschaft vortreflich, die Ausführung in den Köpfen unten, einzig; aber der Verklärte und die ihn umgeben gar zu gewöhnlich und unbedeutend.
Weniger für das Auge aber mehr für das Nachdenken enthält der Engel Michael, der den Drachen tödtet Nr. 932. Arme und Antlitz von göttlich hoher Schönheit und Ausbildung. Ein feuriger Strom zeigt sich herabstürzend in den Zwischenräumen des dunkeln Felsens, auf welchem der Drache liegt. Es ist noch ein kleines Bildchen von Raphael über denselben Gegenstand da, vermuthlich doch eine Vorübung zu jenem, obgleich die Behandlung beträchtlich abweicht. Das Antlitz des Michael ist fast noch schöner, auch ist es ein glücklicher Gedanke, daß sein mächtiger Schild hell weiß ist, mit rothem Kreuz in der Mitte. Außer dem Drachen, dem der Engel den Kopf eintritt, stehen noch rund umher andre wunderlich mißgeschaffne Unthiere. In der Ferne eine brennende Stadt und ein Kirchhof, wo sich Geister erheben, die von Teufeln verfolgt und gepeiniget werden. Eine äußerst phantastische Erfindung und Composition, nach welcher zu urtheilen, die ersten Gedanken des Raphaels auch wohl die originellsten und abweichendsten seyn mochten.
Eine Madonna in verkleinertem Maaßstabe Nr.935, die ein Gewand von dem schlummernden Christkinde aufhebt, und es betrachtet, hat mir sehr wohl gefallen, und mag vielleicht, wenn ich solche Vermuthung nach dem, was ich von diesem Meister gesehen, schon wagen darf, seinen ursprünglichen Charakter am reinsten, einfachsten und unvermischtesten aussprechen. Die Farben sind etwas verloschen, doch ist noch sichtbar, daß roth, weiß und blau in dem Gewande der Maria hier auf eine Weise verbunden und contrastirt waren, wie die Dichter solche Farben zu brauchen und zu deuten pflegen; und eine solche mehr dichterische als wählerische Construktion der Farbe, war diesem Künstler wohl überhaupt eigen. Ich finde manchmal da eine Neigung zu reinen Massen der entschiedensten rothen, grünen, oder weißen Farbe, die dann wie zu reinen Accorden ohne alle Dissonanz verschmolzner und blaulicher Schattirungen einfach verbunden sind, welche Manier für die bloß phantastische und grotesk fröhliche Mahlerei, wenn es eine solche gäbe, eben so angemessen seyn würde, als die Verschmelzung aller nicht einfachen, sondern gleichsam dissonirenden Farben, wie im Correggio, die für die sentimentale Mahlerei einzig angemessen ist.
Einen ähnlichen Gegensatz der Farbenbehandlung habe ich wohl sonst geglaubt zwischen Holbein und Dürer zu bemerken. Holbeins Farbe ist gleichsam nur der Abdruck seiner eignen Kraft und Männlichkeit, ein einfacher reiner Accord von dunkelm Schwarz, brennendem Roth, oder kräftigem Gelbbraun, der in dem unvergleichlichen Bilde zu Dresden am deutlichsten herauskömmt, der Tendenz nach aber sich überall zu erkennen giebt. Dürer aber scheint wenigstens in einigen seiner Gemählde (unter andern in der Anbetung der Könige zu Dr.) darauf ausgegangen zu seyn, gleichsam ein System, eine Welt von Farben in der größten Mannichfaltigkeit und Bedeutsamkeit auf eine äußerst complicirte Art zu construiren; welches freilich der Natur der Sache gemäß oft nur ein Streben bleiben konnte.
Ich mache den Beschluß mit den vortreflichen
altdeutschen Gemählden,
welche hier befindlich sind. Von Holbein habe ich schon geredet. Es sind nur Portraite, aber ein unschätzbarer Reichthum an diesen; denn die Opferung Isaaks N. 316. ist nur ganz kleine Skizze und weniger bedeutend.
Von Johann von Eyck sind mehrere bewundernswürdige Gemählde da; eine Hochzeit zu Kana, nicht nur sehr schön und reizend gemahlt, sondern auch voll schöner Gestalten, die ich Dir glaube am richtigsten bezeichnen zu können, wenn ich sage, daß mehrere der weiblichen Köpfe an die Madonna zu Dr. von Holbein erinnern, wo Demüthigkeit so schön mit Göttlichkeit verbunden ist, und die ich darum weit wahrer finden muß, als die Madonna von Raphael eben daselbst, die zwar göttlich blickt und gestaltet ist, aber mit einer zu allgemeinen Göttlichkeit, so daß auch wohl eine Juno oder selbst eine Diana so seyn könnte; und vielleicht hat er sogar diese Göttinnen des Alterthums und zwar beide, dabei im Sinne gehabt.
Da nun Holbein dem Eyck sich nachgebildet hat, die Gestalten des letztem auch durchaus nicht niederländisch sind in der spätem Bedeutung, so wäre es wohl am verständlichsten den Eyck zur deutschen Mahlerei zu rechnen, deren Geschichte und Entwicklung in der bestimmten und äußerst einfachen Stufenfolge des Eyck, Dürer und Holbein dadurch sehr deutlich und begreiflich wird.
Ein anderes Bild des Eyck in verkleinertem Maaßstabe stellt das Lamm der Apocalypse vor. Es steht auf der Bundeslade, und aus der Brust strömt das Blut in einer Schaale. Zunächst um die Lade anbetende Engel und Seraphim, in weiter Entfernung vier Chöre von heiligen Jungfrauen, Märtyrern, Kirchenlehrern, Aposteln, Päbsten und Geistlichen. Oben im Himmel die Taube von welcher Strahlen des Lichts und der Begeisterung auf jene Chöre herabschießen. Vorn im Vorgrunde ein Springbrunnen lebendigen Wassers; die Landschaft fast überladen reich mit Blumen, Früchten, Bergen und Gebäuden im Hintergrunde geschmückt. Eben so überladen reich an Trachten und Gestalten vom mannichfaltigsten Ausdrucke meist in sehr edlen und italiänischen Formen sind jene Chöre der Anbetenden, übrigens in der strengsten architektonischen Symmetrie geordnet. Es ist aber durchaus nur die Unbegreiflichkeit und die Anbetung des Göttlichen ausgedrückt, ohne irgend in dieser Allegorie an das entgegenstehende Princip zu erinnern.
Nicht merkwürdiger, aber ungleich ergreifender noch sind drei zusammengehörige Kirchenbilder, desselben Meisters, die den Gott Vater, die Madonna, und Johannes den Täufer vorstellen. Die egyptische Erhabenheit und Steifheit dieser geraden, strengen Göttergestalten, wie aus grauem Alterthume, muß innige Ehrfurcht gebieten, und zieht uns bei allem abschreckenden Ernste eben so an, wie die unbegreiflichen Denkmahle einer größern und strengern Vorwelt.
Wie in einem organischen Körper der wesentlichen Gliedmaßen nur wenige sind, die aus dem Ganzen deutlich hervortreten und das Ganze selbst in einem bestimmten Verhältniß construiren; außer diesen aber nothwendig auch eine unbestimmte Fülle eben so organischer Masse und Thätigkeit vorhanden ist, um den Körper jener ersten und wesentlichsten Glieder zu bekleiden, und ausfüllend zu umgeben; eben so ist es auch in der Kunst. Ist es nur um die Geschichte derselben, und die Epochen ihrer Entwicklung zu thun, so wird man nur wenige Künstler nennen dürfen; so wie denn die Construction der deutschen Mahlerei durch eine Charakteristik der genannten drei Mahler, Eyck, Dürer und Holbein, gewiß nicht unbefriedigend vollendet werden könnte. Ungeachtet nun aber diese vorzüglich Epoche machen, so ist doch ja nicht zu übersehen, daß zu den Zeiten der alten sowohl deutschen als italiänischen Mahlerei außer den großen Hauptkünstlern, die für die Construction des Ganzen allerdings die wichtigsten sind, es Mahler gab, die wenigstens einzelne Werke hervorgebracht haben, die der Größten würdig, und doch von allen verschieden und eigenthümlich sind, wenn gleich ihre Thätigkeit nicht so durchgreifend und wirksam war, weshalb sie auch oft früh vergessen worden. So ist hier ein Gemählde von dem alten Mahler Hemmerlink, welches einige Heilige in einer Landschaft darstellt, und welches dem vortreflichsten was die deutsche Schule aufzuweisen hat, dreist zur Seite stehen darf.
Die älteste und erste Stufe der Kunstentwicklung, die in der deutschen Schule durch Eyck bezeichnet wird, ist überall die verständlichste und deutlichste; auch ist es nicht zu wundern, wenn die Kunst ihre Entwicklung mit einer bis zur äußern Glätte und Weichheit vollendet ausgebildeten Genauigkeit und Richtigkeit beschließt, wie im Holbein. In der Mitte zwischen diesen beiden entgegengesetzten Aeußersten pflegt das Geheimnißvollste zu wohnen, der unergründlichste und verwickeltste Tiefsinn. Dies bewährt sich recht auffallend an Albrecht Dürer. Von ihm ist ein Gemählde hier, von welchem man sagen kann: es ist vollendet, und vollendeter ist keins! Christus am Kreuze; am Fuß desselben der Apostel Johannes, der schmerzlich hinaufschaut, an der andern Seite die Mutter das Haupt gesenkt, und sie von ihrer Begleiterin gehalten und unterstützt; der Ausdruck des Schmerzes in ihr ist unwiderstehlich rührend, eben weil er so gar nicht übertrieben ist; der Mund des sehr schönen und edeln Gesichts ist wie von Thränen voll, bereit nun endlich in Klagen sich zu öffnen und auszubrechen, das Auge trocknet die feine Hand mit weiblicher Bescheidenheit und Sanftmuth noch mitten in dem Uebermaaß von Bitterkeit und Leiden. Zur Rechten des Beschauers, da wo zunächst der Apostel Johannes am Kreuze steht, folgt sodann der heil. Dionysius und dann Karl der Große. Der erste trägt der Legende gemäß sein eignes ihm abgeschlagenes bleiches Haupt in Händen, und das Blut springt aus dem Halse hervor. Mit einem wilden Ernst und mit dem Ausdrucke nothwendiger Grausamkeit schaut Karl, das bloße Schwerdt im Arme tragend, gerade vor sich aus. Im Hintergrunde sind viele Kriegsknechte zu sehen in verkleinertem Maaßstabe, von unvergleichlich charakteristischen Gebehrden. Voll Bosheit und teuflischer Freude scheinen sie den leidenden Heiland und den Märtyrer zu versöhnen, einige sehen mehr grimmig und roh, andre tückisch und noch einige andre entferntere bloß schlecht und einfältig aus. Zwei, die von einem Berge auf den Gekreuzigten sehen, und deuten und sich freuen, sehen in der That ganz aus wie Gesellen des bösen Geistes. Pflanzen sieht man nicht an dieser Seite der Landschaft, aber wohl eine große offne gothische Kirche, das Gebäude was solche Märtyrer und solche Fürsten wie jener Dionysius und jener Karl durch Schwerdt und Blut gegründet haben, der immer noch offne Rückweg selbst aus dem Abgrunde der tiefsten Ruchlosigkeit zum verlohrnen Heil, zugleich aber auch der Bezirk in dessen Schlupfwinkeln sich so oft dieselbe Bosheit und Abscheulichkeit verbergen konnten, die wir hier Gott und allem Göttlichen, teuflischen Hohn sprechen sehn. Auf dieser Seite ist alles Schreckliche der christlichen Ansicht zusammengedrängt. Die gegenüberstehende, zur Linken des Beschauers ist ganz rührend. Zunächst am Kreuz die Mater dolorsa, dann der Täufer, der in redlicher treuherziger Betrübniß und Wehmuth einfach dasteht und das Lamm trägt, mit der andern Hand darauf deutend. Dann Ludwig der Heilige, nach jenem hinschauend, aber mehr ernst als traurig, nachdenklich wie in frommer Sehnsucht nach dem heiligen Grabe. Im Hintergrunde eine Landstraße die am Wasser hingeht, und drüben ländliche Häuser. Auf der Landstraße einige Männer in ruhigem Gespräch unter einander, dann ein Wandrer, der sich gedankenvoll auf die Mauer am Wege stützt und in das Wasser hinabschaut. Auf der ruhigen Oberfläche fahren ferne Schiffchen hin und wieder, die sich in dem durchsichtigen Element zurückspiegeln, wie die Gegenstände am andern Ufer ebenfalls. Den Vorgrund dieser Seite bekleiden und schmücken sorgfältig ausgewählte Pflanzen. Am Fuß des Kreuzes lehnt ein Gebein, daneben einige Flecken von Blut, ein Stein, ein Ende von einem Strick, noch einige Stücke von Gebein, ein Schedel, noch Blut; alles wie von ungefähr in einiger Entfernung von einander zerstreut, dann kommt noch eine einzelne Pflanze nach der Seite zu wo Dionys und Karl stehen; aber weiterhin ist an dieser der Vorgrund kahl. Unten ist alles hell und deutlich, oben drückt eine nächtliche schwarze Wolke dunkel und schwer auf das Kreuz und auf das Ganze nieder. Der Erlöser ist von edler Bildung wiewohl Ermattung und Leiden an dem bleichen Körper und den herausgetriebenen Muskeln der Wahrheit gemäß sichtbar sind; sehr ausdrucksvoll ist es, wie der weiße Mantel des Gekreuzigten, nun ein Spiel des wilden Windes, weit in die Luft hinflattert.
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Und nun genug für heute. Ich habe nur einige alte Künstler, die mir merkwürdig schienen, und die gewöhnlich gar nicht verstanden werden, erklären, und zwar nach den Absichten erklären wollen, die sie selbst gehabt haben, wobei mein eigner Begriff von der Mahlerei gar nicht in Betracht kommen durfte. Ich behalte mir vor, ihn ein andermal zu entwickeln; es geschieht gewiß recht bald, wenn ich, wie ich hoffe mehr Gelegenheit bekomme, den Bellin und den Perugin zu studieren. Denn ohne alle Beispiele möcht' ich es nicht.