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Es war einer jener frischen, leuchtenden, nordischen Wintertage, die an Schönheit mit so manchem Sommertage wetteifern. Ein lichtblauer Himmel breitete sich über die, in eine blendend weiße Schneedecke gehüllte Landschaft, und die Sonne blitzte und flimmerte in den Eiskrystallen, die sich an die Bäume und Gesträuche gehängt hatten. Es schien, als ob die Natur die ganze Fülle ihrer winterlichen Pracht über den Park von Rodanseck ergossen habe, der sich weithin, in tiefer Stille ausbreitete, als ob nie ein Menschenfuß ihn betreten habe. Auch in den Fenstern des altersgrauen, würdigen Schlosses, brachen sich die Sonnenstrahlen; sie fielen quer über das dunkle Portal mit der kunstvollen Holzschnitzerei und über den, zu Häupten desselben, in Stein gehauenen Eberkopf. Nach einer alten Familientradition hatte ein Rodan Kaiser Friedrich Barbarossa einst auf der Jagd mit eigener Lebensgefahr von dem Ueberfall eines Ebers gerettet, und seitdem trugen die Rodans nicht nur einen Eberkopf in ihrem Wappenschilde, sondern liebten es auch mit demselben ihre Schlösser, ihre Möbel und Geräthe zu schmücken; ja es war sogar seit Jahrhunderten zum Gesetz geworden, daß der Majoratsherr von Rodanseck den Namen Eberhard trug.
Auch in das Wohn- und Arbeitszimmer des Grafen Eberhard Rodan drang die Wintersonne und warf ihren Strahl über die hochlehnigen Eichenstühle mit der schönen, von Eberköpfen gekrönten Schnitzerei, auf denen er und sein Freund und Nachbar, Graf Hochstedt, Platz genommen hatten.
»Sie müssen es dem alten Freunde, der in Ihnen noch immer ein wenig des Jugendgenossen Sohn, den er aus der Taufe gehoben, sieht, schon verzeihen,« nahm dieser das Gespräch, in dem eben eine längere Pause eingetreten war, wieder auf »wenn er immer von Neuem das alte Lied singt: es ist nicht gut, Rodan, wenn ein Besitz wie der Ihre nur auf zwei Augen steht. Sie sind im besten Mannesalter, und gesund und kräftig, allein auch der Junge und Gesunde kann sterben. Sobald Sie keinen Erben hinterlassen, fällt Rodanseck an die Seitenlinie, und diese Möglichkeit kann Ihnen nicht gleichgültig sein.«
»Nein, sicherlich nicht«, entgegnete Graf Rodan, »mein Vetter ist nicht der Mann, von dem ich einen solchen Besitz vertreten sehen mochte. Sie haben in Allem recht, bester Freund«.
»So schreiten Sie zu einer zweiten Ehe« sagte Graf Hochstedt »gehen Sie nach der Residenz, die Saison beginnt, Sie werden also dort so ziemlich alle Familien versammelt finden, unter deren Töchtern Sie zu wählen haben.«
Graf Rodan blies den Dampf seiner Cigarre nachdenklich vor sich hin, dann schweifte sein Blick hinüber, zu einem schönen Frauenbilde, das über seinem Schreibtische hing. »Ich erkenne die Richtigkeit alles dessen, was Sie sagen, an« erwiderte er gepreßt »und doch kann ich den Entschluß nicht fassen, Constanze eine Nachfolgerin zu geben.«
»Bester Rodan, Ihre Frau ist nun bald 5 Jahre todt.«
»Ich habe sie seit meiner Jugend geliebt, alle Erinnerungen meines Lebens sind mit ihr verknüpft, Constanze war mein Ideal, sie ist es geblieben, und alle reinsten und besten Empfindungen meines Herzens empören sich dagegen, einer Andern ihre Rechte zu geben. Was hätte ich dieser Andern zu bieten! Nichts als meinen Namen und meinen Reichthum!«
»Wahrhaftig, Rodan, Sie sprechen wie ein Jüngling! Ich muß Sie daran erinnern, daß Sie ein Vierziger sind und daß Ihre Haare an den Schläfen bedenklich zu ergrauen beginnen. Bieten Sie in Gottes Namen Ihrer zweiten Frau nichts als Ihren Namen und Ihren Reichthum, sie wird Beides annehmen! Und dann, mein Freund, vergessen Sie nicht, daß wir Vertreter alter Adelsgeschlechter noch andere Pflichten in's Auge zu fassen haben, als die, welche uns unser Herz eingiebt. Wir theilen dies Schicksal mit unsern Fürsten: die Ehen auf den Thronen schließt auch nicht immer die Liebe. Wählen Sie sich eine Gattin aus einem edlen Hause, die ihren Namen und ihre Stellung würdig zu repräsentiren versteht, und glauben Sie mir, Sie werden selbst darin eine Befriedigung finden, daß Ihr Haus nicht so einsam und verödet steht wie heute, daß es wieder ein Mittelpunkt für die Gesellschaft wird, wie es sich für dasselbe geziemt, und es wird Ihnen eine schöne Aufgabe werden, dann den Erben zu erziehen, der einst die Traditionen Ihrer Familie erhält.«
Graf Rodan drückte ihm die Hand. »Sie sprechen nur aus, was ich mir täglich selbst sage, und doch fühlte ich mich so lange zu schwach, zu thun was gethan sein muß. So mag es denn sein; ich will in die Residenz, mich in den Strudel der Gesellschaft stürzen.« Ein halb wehmüthiges, halb spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen. »Ich habe es verlernt mich in der Gesellschaft zu bewegen, Zehn Jahre der Zurückgezogenheit haben mich fast zu einem Einsiedler gemacht. Sie wissen ja, daß ich Constanze nur eben in die Gesellschaft einführen konnte, wenige Monate nach unserer Verheirathung erkrankte sie, ich brachte sie nach Italien – wie sie damals noch Natur und Kunst zu genießen verstand! – Als wir heimkehrten, zeigte sich ihr Uebel von Neuem, bedenklicher, und sie genas nicht mehr. Nur durch die größte Schonung, durch ein stilles, ihrer Pflege gewidmetes Leben, durch wiederholten Aufenthalt im Süden, gelang es, sie mir noch 5 Jahre zu erhalten, Leidensjahre und doch sehr glückliche. Sie wissen ja auch, daß ich nach ihrem Tode mich nicht entschließen konnte, wieder in die Gesellschaft einzutreten, so bin ich der menschenscheue, vorzeitig gealterte Mann geworden, als den Sie mich jetzt sehen, und mir graut es schon vor den, freilich sehr richtigen Kombinationen, mit denen man mein Eintreffen in der Residenz begleiten wird.«
»Bei Gott, Rodan, Sie sind ein Sonderling geworden,« lachte Graf Hochstedt »ich traue Ihren guten Vorsätzen nicht und werde in den nächsten Tagen wiederkommen, um Sie in denselben zu stärken. Für heute leben Sie wohl, mein Schlitten ist vorgefahren und bei der heutigen Kälte mag man Kutscher und Pferde nicht warten lassen.«
Rodan ergriff die dargebotene Hand und sagte: »Mein Wort darauf, ich reise noch in dieser Woche.«
Acht Tage später war Graf Eberhard Rodan in der Residenz eingetroffen und hatte bei den ersten Familien derselben, und bei dem, während der Saison dort anwesenden Landadel, seinen Besuch gemacht. Es war ein Ereigniß, Graf Rodan, dem man halb spöttisch, halb mitleidig, den Beinamen: der trauernde Wittwer, gegeben, plötzlich wieder in der Gesellschaft zu sehen, und Niemand zweifelte, in welcher Absicht er in dieselbe zurückkehrte. Der Graf war unter allen seinen Standesgenossen eine der imposantesten und vom Scheitel bis zur Zehe vornehmsten Erscheinungen, seine schönen, geistvollen Züge wurden durch den leisen Anflug von Melancholie, der sich ihnen seit dem Tode seiner Gattin eingeprägt hatte, den Frauen nur noch interessanter, sein Adel gehörte zu dem ältesten, sein Gütercomplex zu dem bedeutendsten des Landes, so war er in jeder Beziehung eine erwünschte Partie und obgleich er bereits 43 Jahre zählte, und wie Graf Hochstedt gesagt hatte, sein Haar an den Schläfen bedenklich zu ergrauen begann, so hatte doch auch das jüngste und schönste Mädchen ihm ohne Besinnen ihr Jawort gegeben. Von wem aber würde er es begehren? das war die große Frage, die heimlich alle Gemüther bewegte, und Väter und Mütter erwogen in ihrem Sinne, welche Chancen ihre Töchter haben möchten. In wenigen Tagen war Graf Rodan der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden, man huldigte ihm mit Ostentation, man bemühte sich um seine Gunst, und man beobachtete, das mit mehr oder weniger Geschick verbergend, die Art, in der er sich den jungen Damen näherte, sich mit ihnen unterhielt, oder ihnen etwa seine Huldigungen darbrachte. Nach diesem letzteren Akt schaute man nun freilich vergeblich aus, denn es wäre unmöglich gewesen zu sagen, daß Graf Rodan irgend einer Dame auch nur die leiseste Spur einer Auszeichnung zutheil werden ließe. Seiner ganzen Natur widerstrebte die ostensible Art, mit der man ihn bevorzugte, und hatte er schon in seiner Jugend niemals zu den galanten Männern gehört, denen, schönen Frauen gegenüber, Schmeichelreden von den Lippen fließen, so erschien er jetzt um so ernster und abgeschlossener, da es ihm verhaßt war, sich überall als den erwünschten Freier angesehen zu wissen. Ihn dünkten die jungen Damen geistlos, kokett, oberflächlich, und nachdem vier Wochen vergangen waren, stand er nahe vor dem Entschluß, wieder als der einsame Mann nach Rodanseck zurückzukehren, als welcher er es verlassen hatte. Er fühlte sich unmuthig und verstimmt; er hatte ja, als er den Entschluß zu einer zweiten Heirath gefaßt, darauf verzichtet, aus Liebe zu wählen, konnte er denn nicht wenigstens ein Mädchen finden, dem er gern seinen Namen gab?! Er erschien sich selbst thöricht, daß er zu keiner Entscheidung gelangen konnte, aber dennoch hätte es ihn unmöglich gedünkt, auch nur Eine von all diesen zu seiner Gefährtin für das Leben zu wählen.
Er war zu einer Soirée zu dem General von Eick geladen. Widerwillig und in übelster Laune fuhr er spät dorthin; er kannte ja nun schon die Töchter aller ersten Familien der Stadt und Provinz, es lohnte nicht mehr der Mühe einer nochmaligen Prüfung, er wußte, daß ihn überall das holdeste Lächeln, der erwartungsvollste Aufblick der Augen empfing.
Die Thüren flogen auf, er trat in die hellerleuchteten Räume, und ließ den Blick nach den Gastgebern suchend umherschweifen. Der General trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.
»Sein Sie mir herzlich willkommen, Herr Graf« sagte er verbindlich »und gestatten Sie, daß ich Sie zu meiner Frau führe.« Rodan folgte dem Voranschreitenden, hierhin und dorthin grüßend; sofort drängte sich ihm das Gefühl auf, überall beobachtet zu sein; ihm galten alle Blicke, ihm das Flüstern und Lächeln, das ihm nicht entging. Sie standen vor der Generalin.
»Da ist Graf Rodan, liebe Adelheid« sagte ihr Gemahl.
»Endlich, lieber Graf« rief sie »ich fürchtete schon, heute auf Ihr Kommen verzichten zu müssen, es ist spät geworden.«
»Ich muß um Nachsicht bitten, Exzellenz« entgegnete er, »Briefe aus Rodanseck verlangten sofortige Beantwortung; die ungewohnte Abwesenheit des Herrn ruft so manche Unordnung hervor, die eine schnelle Rüge und die Androhung meiner, schon zu lange verschobenen Heimkehr, erforderten.«
»Lassen Sie die Geschäfte bis morgen ruhen« sagte die Generalin lächelnd »die Abendstunden gehören der heitern Geselligkeit und dürfen nicht durch die Sorgen des Tages getrübt werden; ich predige dies meinem Manne täglich. Wollen Sie mich zu Tische führen, Graf Rodan, Sie sind nur grade zurecht zum Souper gekommen.«
Die lebhafte und noch ziemlich jugendliche Dame schob ihren Arm in den Rodans, dann wandte sie sich plötzlich wieder zur Seite und sagte: »Vorher muß ich Ihnen aber auch unsere neue liebe Hausgenossin vorstellen: meine Nichte, Fräulein Ebba von Niederfelden, die seit einigen Tagen besuchsweise bei uns ist.«
Rodan verneigte sich schweigend. Ihm war zuvor schon die große, schlanke Gestalt mit den goldrothen Haaren, die neben der Generalin stand, als eine Fremde in dem, ihm durchweg bekannten Kreise, aufgefallen. Dann ging er mit der Generalin durch den Saal, bis diese stehen blieb und einige Worte mit ihrem an sie herantretenden Gatten wechselte.
»Was werden Sie von mir denken, lieber Graf« sagte sie lachend, sich zu Rodan wendend, »ich muß auf Ihre Nachbarschaft bei Tische, die ich mir wünschte und deshalb ganz harmlos erbat, verzichten. Mein Mann behauptet, ich müsse, wenn ich nicht die Form arg verletzen wolle, mich von Excellenz Brandau zu Tische führen lassen. Ich lerne niemals diese feinen Unterschiede! Sein Sie mir nicht böse, bester Graf! Wen wähle ich Ihnen nun schnell zum Ersatz?«
Noch ehe Rodan zu antworten vermochte, daß er auf ihre Bemühung deswegen verzichte, hatte sie sich rasch umgewandt und gesagt: »Liebe Ebba, vertritt Du meine Stelle bei Graf Rodan.«
Fräulein von Niederfelden mußte ihnen unmittelbar gefolgt sein, denn sie stand bereits neben Rodan. Zu jeder andern Zeit würde er die Absichtlichkeit des Verfahrens erkannt und sich unangenehm davon berührt gefühlt haben, in diesem Augenblick beachtete er es nicht, denn der ernste, kühle Gruß der jungen Dame, und die ebenso ernste, gleichgiltige Art, mit der sie jetzt, mit einer leisen Neigung des Hauptes, ihre Hand in seinen dargebotenen Arm legte, imponirte ihm. Er sah nicht den raschen, befriedigten Blick, den Herr und Frau von Gick tauschten, sondern dachte, daß diese rothen Haare, die in dicht verschlungenen Zöpfen den Hinterkopf Ebbas bedeckten, eine seltene Schönheit seien.
»Meine Tante übt in ihrem Hause eine souveräne Gewalt aus, verzeihen Sie, Herr Graf, daß sie dieselbe in diesem Augenblick auch über Sie ausgedehnt hat,« sagte Fräulein von Niederfelden im Weiterschreiten.
Sie besaß eine melodische Stimme, die nur in den weichsten Tönen sprechen zu können schien. Als Rodan erwiderte, daß Exzellenz nur seinen Wünschen zuvor gekommen sei, sagte sie mit einem fast melancholischen Lächeln, das ihren schönen, feinen Zügen sehr gut stand: »O Herr Graf, ich bitte Sie, lassen Sie mir gegenüber jene gesellschaftlichen Phrasen, die ich kaum verstehe und sicher nicht zu würdigen weiß, ich habe seit sechs Jahren der Gesellschaft fern, in stiller Zurückgezogenheit gelebt.«
Rodan sah sie überrascht an. »So haben Sie niemals die sogenannten Freuden der großen Welt gekostet?«
»O doch, ich bin nicht mehr so jung« entgegnete sie, mit demselben melancholischen Lächeln »ich bin von meinem lieben Vater in die Gesellschaft eingeführt, und habe einige Jahre sehr gern getanzt, dann starb er und damit änderte sich Alles für mich.«
Unterdeß hatten sie das Speisezimmer erreicht und an der Tafel Platz genommen.
»Dann darf ich wohl mit Recht annehmen,« setzte Rodan die Unterhaltung fort, »daß diese endliche Rückkehr zu den Genüssen der Hauptstadt, einen längst gehegten Wunsch von Ihnen, gnädigstes Fräulein, befriedigt?«
Fräulein von Niederfelden sah einige Augenblicke nachdenklich auf ihre schmale Hand, von der sie eben den Handschuh streifte, dann glitt ihr Blick flüchtig über den Grafen hin und sie sagte leise: »Offen gestanden, nein. Meine Verwandten haben mich wiederholt dringend eingeladen, und ich bin niemals zu ihnen gekommen. Dies Mal schien meine Tante mir zu zürnen, und so mußte ich denn, wohl oder übel, mein liebes, stilles Heim verlassen, um mich hier in den Strom des Lebens zu stürzen. Ich kam absichtlich so spät, weil ich hoffte die Saison nicht mehr auf der Höhe zu finden, doch ich habe mich darin wohl getäuscht, ich bin noch mitten in das bunteste Treiben hineingekommen. Ihrer direkten Frage gegenüber mußte ich ehrlich antworten, auf die Gefahr hin, von Ihnen für absurd oder überspannt gehalten zu werden.«
Wieder streifte ein rascher Blick den Grafen, während sie scheinbar gleichgiltig den silbernen Tafelaufsatz betrachtete.
»Ich verstehe Sie vollkommen,« entgegnete er, »auch ich bin, nachdem ich Jahrelang still, beinahe wie in einer Einsiedelei gelebt habe, zum ersten Mal, nur widerstrebend in die Welt zurückgekehrt. Freilich bin ich um mehrere Jahrzehnte älter und habe deshalb ein größeres Recht zu dergleichen einsiedlerischen Neigungen, als Sie, mein gnädiges Fräulein.«
»Also auch Sie! O wie mich das freut, daß Sie es begreifen, wenn ich die Stille des Landlebens dem Geräusch der Großstadt vorziehe« rief Fräulein von Niederfelden. »Meiner Tante darf ich davon nichts sagen, sie ist so heiter, so lebhaft, sie geht so vollständig in dem was sie die Freuden des Lebens nennt, auf, daß sie mich nicht verstehen würde. Zu Ihnen also darf ich's sagen, daß mich unter diesem Gedränge der Vergnügungen, unter diesem Lichterglanz und Stimmengeräusch, das Heimweh beschleicht! Sehen Sie, meine Tante würde das eine thörichte Grille nennen – sie ist ja auch von ihrer Jugend an ein Kind des Glücks gewesen.«
Ein leichter Seufzer schloß den Satz und sie lehnte sich schweigend in den Stuhl zurück. Auch er schwieg; es schien als ob die Antwort, die sie erwartet hatte, ausbleiben wollte. Erst nach einer längeren Pause sagte er: »So wäre die Voraussetzung, daß eine natürliche Verbindung zwischen Jugend und Glück besteht, eine unrichtige? Sie wären nicht glücklich? Verzeihen Sie die indiskrete Frage, die mir beinahe ohne meinen Willen über die Lippen kam, und strafen Sie mich, wenn Sie wollen, durch Schweigen.«
Fräulein von Niederfelden hob den Kopf, ein Strahl des Triumphs leuchtete in ihren Augen. Im nächsten Moment aber hatte sie ihn auch wieder gesenkt, und antwortete mit ihrer weichen Stimme: »Ich höre nur die menschliche Theilnahme daraus und sie thut mir wohl, weil man sie so selten findet. Ich habe meine Mutter sehr früh, schon im zwölften Jahre verloren. Ein Mann versteht es wohl nicht ganz, was es für ein Mädchen heißt, die Mutterliebe zu entbehren. Mir ist stets eine Sehnsucht danach zurückgeblieben, ich habe mich stets einsam in meinen besten und tiefsten Gefühlen gefunden. Ich betete meinen Vater an, und er verwöhnte mich grenzenlos, eine tiefe, leidenschaftliche Familienliebe ist ein Zug, der uns Niederfeldens allen eigen ist. Dann starb auch mein Vater, und ich fühlte mich unbeschreiblich verlassen. Nun übertrug ich alle meine Liebe auf meine einzige Schwester und fand volle Erwiederung. Aber auch ihr Schicksal ist traurig – wo giebt es eben volles' Glück! – Sie hat ihren Gatten früh verloren und mußte sich der Bestimmung des Vormunds ihrer beiden Söhne fügen, der sie in eine Erziehungsanstalt zu schicken verlangte. Wir Frauen sind ja so abhängig, und der kaltherzige Mann begriff nicht, daß den Knaben die Mutterliebe besser gethan hätte, als die strenge Zucht der Anstalt, begriff nicht, daß diese Trennung meiner Schwester fast das Herz brach. Ihr einziger Trost ist nun, daß ich bei ihr, auf ihrem stillen Gute lebe, wir lieben uns so sehr und sind so glücklich bei einander, daß ich mich bisher auch noch nicht entschließen konnte, mich von ihr zu trennen.«
Sie schwieg einen Augenblick, dann griff sie nach dem neben ihr liegenden Bouquet und beugte das Gesicht wie in Verlegenheit darüber.
»Verzeihen Sie Herr Graf,« sagte sie, »daß ich so ausführlich wurde. Ich spreche selten über mich selbst; weshalb ich eben zu Ihnen das Vertrauen zu einer solchen Mittheilung empfand, ich weiß es nicht.«
»Ich danke Ihnen dafür,« entgegnete Rodan einfach, »und glauben Sie, daß ich es zu schätzen weiß. Mich dünkt, ich wäre einem Fräulein von Niederfelden einmal, vor Jahren, in der Gesellschaft begegnet. Wahrscheinlich Ihrer Frau Schwester?«
Ebba neigte zustimmend den Kopf. »Den Namen des Grafen Rodan auf Rodanseck vergißt man nicht so leicht, er hat einen zu schönen Klang in unserm Lande, meine Schwester nannte ihn mir öfter, in warmer Theilnahme an dem schmerzlichen Geschick, das Sie betroffen. Sie weiß was Leiden heißt.«