Johann Gabriel Seidl
Cornelia Fieramonti
Johann Gabriel Seidl

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Johann Gabriel Seidl.

Cornelia Fieramonti.

Dreiunddreißig Jahre mögen beiläufig verflossen sein, seit der Major M***, welcher jetzt in einem freundlichen Landstädtchen, wo ich dessen Bekanntschaft machte, seine Pension verzehrt, als Kapitän in der französischen Armee diente. Die gewaltsamen Veränderungen, welche damals über das Königreich beider Sizilien hereingebrochen waren, und die dadurch veranlaßten Truppenbewegungen führten ihn nach dem Lande der Abruzzen, wo er mit seiner Kompagnie in eine schöne, reiche Stadt am Fuße des wildromantischen Felsgebirges verlegt wurde, das sich in schauerlichen Defileen und schluchtenreichen Engpässen, von einem reißenden Bergstrome bald bespült, bald durchbrochen, bis zum nächsten Städtchen, vierzehn Miglien weit hinzieht. Die Wirren der Zeit hatten recht ungünstig auf die Sicherheit des Landes zurückgewirkt. Raub und Mord war so allgemein geworden, daß man sich kaum innerhalb der festen Stadtmauern sicher dünkte. Wer auf Reisen ging, oder wer in manchen Gegenden nur bis zur nächsten Ortschaft zu fahren hatte, nahm von seiner Familie Abschied, als ob es einen Gang aus der Welt gelte, setzte sich bewaffnet bis an die Zähne in die Sedia und trieb den Vetturin mit dem quälenden, gewöhnlich nicht ungegründeten Verdacht zur Eile an, daß er seinen gewissen Verräter vor sich selbst auf seinem eigenen Fuhrwerke sitzen sehe. Als die Franzosen ins Land kamen, suchten sie diesem gräßlichen Unfuge zwar nach Kräften Einhalt zu tun, aber das Netz des Raubfrevels war zu fest ums Land gezogen, als daß ihre Maßregeln nach Wunsch fruchten konnten. An allen festen Punkten waren Piketts aufgestellt, auf verdächtigen Passagen streiften Patrouillen, in den größeren Ortschaften lagen hinlängliche Besatzungen, um beim ersten Rufe nachdrückliche Unterstützung leisten zu können; Reisenden, die darum ansuchten, wurden Schutzwachen bewilligt und über eingefangene Räuber alsogleich Standrecht gehalten. Doch die Kühnheit Verworfener, welche nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen haben, findet in der Strenge selbst nur einen Sporn, der Frechheit auch die List zu gesellen, und so wurden oft jene, welche schützen und helfen sollten, eher ein Opfer der gereizten Banditen, als die Reisenden, zu deren Schutz und Hilfe sie beordert waren.

Auch meine Instruktion – (ich lasse den wackern Major selbst erzählen) – lautete dahin, mit meiner Truppe zu jeder Stunde bereit zu sein, gegen die Räuber auszurücken, mich selbst aber, bei Strafe der Kassation, ohne höheren Auftrag keine Miglie weit von meinem Standorte zu entfernen, indem man den Einwohnern der Stadt selbst, in welcher ich lag, nicht unbedingtes Vertrauen schenkte.

Das wäre nun freilich für einen Militär, jung und tatenlustig, wie ich damals war, eine peinliche Aufgabe gewesen, wenn ich nicht in andern Verhältnissen einigen Ersatz gefunden hätte. Mars und Venus stehen, wie bekannt, seit alter Zeit auf vertrautem Fuße. Vielleicht schreibt sich daher die magische Gewalt, welche Säbel und Epaulettes auf die weichen Herzen der Damen üben. Ich war im Hause eines Marchese einquartiert, eines ältlichen Gecken, welcher nichts als Karten und Weiber kannte, übrigens als Hausherr nichts zu wünschen übrig ließ, indem er mir höchst zuvorkommend begegnete, mich wahrhaft fürstlich bewirtete und fetierte und nie glücklicher war, als wenn ich ihn bei irgend einem verliebten Abenteuer zum Ratgeber oder Hehler wählte. Nur von Ehrensachen wollte er nichts wissen, denn dazu fehlte ihm außer dem Mut auch die Ehre, die er überhaupt nur im Klange des Goldes zu suchen schien. Er schwebte daher gewaltig im Irrtume, wenn er sich mein Vertrauter zu sein rühmte, denn abgesehen von unserer gänzlich verschiedenen Denkweise, war es mir auch durch meine Stellung verboten, in nähere Beziehungen mit ihm zu treten. Unser Umgang beschränkte sich auf Alltagsgegenstände, auf Konversation, Galanteriesachen, und wie all der Tand heißen mag, der uns oft in unserem Stande die Zeit verkürzen helfen muß, wenn die Gelegenheit mangelt, Männliches zu leisten.

Immer bemüht, mir etwas Angenehmes oder wenigstens etwas Neues zu sagen, war er auch der erste, welcher mir unter dem Siegel des Geheimnisses mitteilte, daß die schöne Kontessa Fieramonti ein Auge auf mich geworfen habe. Er war der erste, der es mir sagte; gemerkt aber hatte ich es schon längst selbst, wenn auch nicht ein zierliches Briefchen auf goldgerändertem Rosapapier mir schwarz auf rosenfarb die schriftliche Überzeugung verschafft hätte. Es ist das nun einmal unser Los im fremden Lande, daß die Damen unsere Alliierten sind, wenn sich die Männer auch noch so trotzig auf die Beine stellen. Anfangs lockt uns Neugier und Zerstreuungssucht, dann tritt die Eitelkeit mit ins Spiel, zumal wenn wir ohne unser Zutun Avancen machen, und zuletzt verstrickt und verkettet man sich so ernstlich, daß man seinem Gotte dankt, wenn an einem Morgen die Chamade wirbelt und ein unvermuteter Marschbefehl alle Fesseln und Bande wie gordische Knoten zerhaut.

So war auch ich in der Kontessa Fieramonti glänzendem Salon eher heimisch, als ich noch recht daran dachte, ihr den Hof zu machen, und bald wagte ich es, trotz der angedrohten Kassation, meinen Posten zu verlassen, und ihren zärtlichen Einladungen nach ihrer herrlichen, fünf Miglien von der Stadt in einem wunderlieblichen Bergtale gelegenen Villa zu folgen. Um meine Schleichwege wußte niemand als mein Bursche, eine ehrliche Haut, treu wie ein Pudel und verschwiegen wie ein Fisch; dabei war er auch schlau wie ein Fuchs, und ich konnte mich auf ihn unbedingt in allem verlassen. Da von meinen Ausflügen niemand etwas erfahren durfte, so wählte ich zur Hin- und Rückfahrt immer die Nacht. Zur Bemäntelung meiner Unsichtbarkeit während manchen Tages war ein hinreichender Vorrat plausibler Lügen und Vorwände bereitet, wobei mich mein Bursche wacker unterstützte. – Was ihm aber nie recht zu Sinne wollte, waren meine nächtlichen Fahrten eine Wegstrecke entlang, welche seit jeher schon im Rufe der Unsicherheit stand. So oft ich ihm ankündigte, daß er mir eine flinke Sedia mit einem zuverlässigen Vetturin auftreiben sollte, bat er mich dringend mit kindischer Ängstlichkeit, so gefahrvolle Rendezvous aufzugeben, da sich gewiß innerhalb der Mauern hinlänglicher Ersatz fände. Er schilderte mir das Gefährliche meiner Lage mit so lebhaften und natürlichen Worten, daß ich ihm nichts anderes zu entgegnen wußte, als ein gebieterisches: »Tais toi!« welches er immer mit wehmütigem Achselzucken aufnahm; er warnte mich vor den neugierigen Blicken meiner Kameraden, von welchen meine Neigung für die Kontessa nicht unbemerkt blieb; vor allem aber bezeichnete er mir einen jungen Conte als den Mann, vor dem ich mich am meisten in acht zu nehmen hätte, indem er um die Zeit, wo ich mich heimlich fortstehle, um meine Wohnung herumlauere, als ob er meinen Schlichen auf die Spur gekommen wäre. Dies letztere interessierte mich am meisten, ich ahnte irgend einen Nebenbuhler und brütete, noch ehe ich mich überzeugt, an einem Plan, ihn abzufertigen. All die anderen Schreckbilder, die mir mein Mentor im Soldatenkittel ausmalte, ließen mich kalt. Fast wöchentlich einmal stieg ich über die Gartenmauer an der Rückseite des Palais, dessen Seitenflügel ich bewohnte, und eilte vermummt der porta piccola der Stadt zu, welche über einen abgelegenen Anger nach der Straße führte. Dort wartete bereits mein Bursche mit einer Sedia, drang mir noch Pistolen und Säbel auf, machte das Kreuz über mich, als ob ich in die Schlacht zöge, und ich schwang mich hinauf, stopfte mir meine Pfeife, mahnte den Vetturin zur Eile und dachte nun weiter an nichts mehr, als wie freundlich mir, beim ersten Sonnenstrahle, vom Balkone des Gartenhauses meine schöne Cornelia entgegensehen werde.

Mir fiel es gar nicht bei, daß sich in dem Hohlwege, den ich passierte, oder in dem einsamen, verlassenen Hause, an welchem ich auf der Hälfte des Weges vorüber mußte, verdächtiges Gesindel aufhalten könnte, und aller Natur zuwider schien es mir, daß Banditen einen nächtlichen Liebesritter, der nichts bei sich trug als ein tolles, ungestümes Herz, raubgierig anfallen sollten. Dafür, dachte ich, sorgt der blinde Gott am besten selber. Auch der Umstand, daß die Kontessa, welche die Gegend doch genau kannte, nie eine Warnung oder Anspielung über ihre Lippen kommen ließ, bestärkte mich in meiner Zuversicht; denn wer ist besorgter, wer sieht schärfer, wer wacht eifriger, als die Liebe – und daß mich Cornelia liebte, mit aller Leidenschaft des südlichen Himmels liebte, bewies mir jeder Blick aus ihren feurigschwarzen Augen, die sie kaum im Abendzirkel ihres Salons vollkommen zu beherrschen imstande war.

 

 

Es war der zweite Februar. Cornelia feierte ihr Namensfest durch eine glänzende Abendgesellschaft in ihrem Palais. Ich, nebst zweien meiner Kameraden, waren unter den Geladenen. Es regnete Sonette, Impromptus, Oden und Pfänder der Huldigung und Liebe.

Ganz besonders tat sich Conte Trevolpi hervor, ebenderselbe junge Mann, vor welchem mich mein Bursche gewarnt hatte. Er soll früher von Cornelia gerne gelitten gewesen sein; jetzt schien sie sich seine Bewerbungen nur mehr deshalb gefallen zu lassen, um die Blicke der Späher von ihrem Verhältnisse zu mir abzulenken. Als solchen hatte auch ich bisher ihn geduldet und ihm sogar einige Aufmerksamkeit bewiesen.

Er war über die Maßen reich, was er bei jeder Gelegenheit fühlen ließ. Sogar in seinem Äußeren gab er dieses zu erkennen. Seine Garderobe war verschwenderisch fourniert; täglich wechselte er wenigstens viermal die Kleider, deren eines kostbarer war als das andere. Was von weitem auffiel, war der herrliche blitzende Brillantring, den er am Mittelfinger seiner rechten Hand trug. Er mochte wenigstens zehntausend Scudi im Werte haben, denn die ganz eigentümliche Fassung in Herzform allein schon machte ihn zu einem ausgezeichneten Prachtstücke. Wohlbewußt seines Schatzes, versäumte er daher nicht, den funkelnden Edelstein so zu drehen und zu wenden, daß er beim Kerzenlicht oder im Sonnenstrahle die Leute stechend blendete. Beim Spiele markierte er mit seltenen Goldmünzen, welche, wenn er ging, gewöhnlich als Trinkgeld in die Hände der Domestiken wanderten, die ihn fast vergötterten. – »Trevolpi hat gestern Tausende gewonnen oder verloren!« waren Reden, die man fast täglich führen hörte. Besonders machte er seinen Reichtum gegen jene geltend, welche nichts als ihren Rang in Staatsdiensten, ihre Stellung im Leben, ihr ausgezeichnetes Talent, oder wie wir ihren Säbel dagegen setzen konnten.

Seit einiger Zeit, vielleicht seit er merkte, daß ich der schönen Cornelia nicht ganz gleichgültig sei, kehrte er diese beleidigende Außenseite auch mir zu. Meine Aufmerksamkeit gegen ihn ging daher anfangs in Gleichgültigkeit, und seit ich Argwohn gefaßt, sogar in gereizte Spannung über. Mit Mühe zwang ich mich, manches hingeworfene Wort unbeachtet zu lassen, und nur aus Schonung gegen Cornelias Haus, nahm ich vieles mit Zurückhaltung hin, was mich sonst um alle Mäßigung gebracht hätte. Jedoch ein Vorfall, nicht unerwartet, aber höchst unwillkommen an einem so festlichen Tage, führte plötzlich eine eklatante Szene herbei.

Der Conte saß mit mehreren seines Gelichters an einem Tische, wo Champagner in Strömen floß; das merkte man auch an der Lebhaftigkeit des Gespräches und an dem ununterbrochenen Klirren der Gläser, die auf Cornelias und der ganzen Stadt Wohl und Heil gefüllt und geleert wurden. Dabei schrien die Zechbrüder im neapolitanischen Patois laut und toll durcheinander und taten sich um so weniger Zwang an, als sie meinten, daß sie von den wenigsten, namentlich auch nicht von uns Franzosen, verstanden werden. Allein ich war der Mundart des gemeinen Volkes so ziemlich kundig, indem ich mich, auf meinem Marsche durchs Land, viel mit Bauern und Pöbel herumzubalgen hatte.

Schon längst war mir's vorgekommen, als ob bei mancher Rede des Conte die Augen seiner Tischgesellschaft auf mich hinüberglitten, und wie ein elektrischer Schlag zuckte der Argwohn durch mein Inneres, daß er sich vielleicht über mich lustig mache. Um mir Überzeugung zu verschaffen, schlenderte ich am Arme eines Kameraden ganz nahe am Tische vorüber. – Conte Trevolpi gab, als er mich erblickte, mit seinen Augen auf mich hinwinkend, wieder einen Witz im Patois des Neapolitaners zum besten, welcher von seinen Freunden mit brüllendem Gelächter aufgenommen und mit einem rauschenden Toast erwidert wurde. – Ich hatte den Sinn seiner Schmährede genau verstanden; sie enthielt einen beißenden Sarkasmus und sagte soviel als: »Wieviele solche französische Liebesbettler könnte ich wohl mit meinem Ringe da kaufen?!« – Dabei drehte er seinen Brillantring so boshaft nach außen, als ob er mir den Vorwurf der Nichtigkeit recht blendend in die Augen blitzen wollte.

Denken Sie sich einen zwanzigjährigen Kapitän, einen Franzosen, den höchsten Repräsentanten seiner Nation in einer kaum okkupierten Stadt, den begünstigten Galan der Hausfrau – und Sie werden leicht begreifen, daß ich das Unmögliche leistete, indem ich mich zurückhielt und mich für den Augenblick begnügte hinzutreten, den Bonmotisten auf die Achsel zu klopfen und ihm mit einem durchbohrenden Blick, ebenfalls im Patois seines Landes, zu antworten: »Herr, es gibt schlechte Witze, deren Folgen kein Brillantring ersetzen kann!«

Erblassend bis ins Innerste sah er mir nach, als ich mit meinen Kameraden ohne Abschied zu nehmen fortging.

Am anderen Morgen begab ich mich mit meinen beiden Kameraden, welche Zeugen des Vorfalles waren, in des Conte Palais. Es hieß: »Er sei vor Tagesanbruch schon auf die Jagd geritten!« – Mit glühender Ungeduld verschob ich die Sache auf den nächsten Tag.

»Signor schläft noch!« war der Bescheid, womit man uns abfertigen wollte. Ich sah nun, mit wem ich zu tun hätte, und bestand darauf, daß man ihn wecke. Eingeschüchtert entfernte sich der Kammerdiener und kam nach einer kleinen Pause mit der Antwort zurück, daß wir uns gedulden möchten, bis Signor sich angekleidet hätte.

Endlich ging die Türe auf, und der Conte erschien im eleganten Negligee, gegen welches sein verstörtes, totenblasses Gesicht mit dem schwarzen Kinn- und Schnurrbarte seltsam abstach. Die Locken hingen ihm wirr und wild um die Stirne. Sein ganzes Wesen verriet die peinlichste Verlegenheit. Mit erzwungener Nonchalance schob er den schamlos blitzenden Brillantring am Finger auf und ab, bemühte sich, uns unverschämt nachlässig zu grüßen, und fragte, was unser Begehren sei und ob die Sache denn gar keinen Aufschub leide?

»Signor!« begann ich – »Sie wissen, welche Anspielungen auf mich und meinesgleichen Sie sich gestern erlaubten, wahrscheinlich in der Meinung, daß ich Ihres Dialektes unkundig sei. Zum Glücke bin ich es nicht, – und ersuche Sie daher, vor diesen Herren, die Zeugen der empörenden Szene waren, mir Genugtuung zu leisten!«

»Hab' ich Ihnen nicht genug getan?« erwiderte der Poltron halblaut mit keckem Doppelsinne.

»Keine Witze, Signor!« – fuhr ich mit erhobener Stimme fort, die seinen Ohren nicht angenehm klang. – »Wir sind nicht aufgelegt zum Scherzen. Versuchen Sie's immerhin mit den französischen Liebesbettlern; einem Liebesmogul wie Sie kann's nicht fehlen, zumal wenn ihm solch ein Talisman am Finger blitzt. – Die Wahl der Waffen steht Ihnen frei: Säbel, Degen, Pistolen; – entscheiden Sie, die Stunde mögen Sie ebenfalls selbst bestimmen, aber heute noch, am liebsten gleich!«

Als der Conte Ernst sah, knickte seine Mannheit – wenn man einen Anflug burschikoser Anmaßung so nennen kann, – wie ein Strohhalm zusammen.

»Nicht als ob ich mich vor Ihrer Klinge fürchtete!« versetzte er mit verändertem Tone, – – »ich bin Kavalier und wenn ein Ebenbürtiger mir gegenüberträte, – wüßte ich wohl, was auf eine solche Aufforderung zu erwidern wäre. Warum ich aber mein Leben aufs Spiel setzen soll wegen eines Scherzes, der gar nicht Ihnen galt, weiß ich in der Tat nicht. Überhaupt finde ich eher, daß ich der Beleidigte bin, indem Sie eine Rede belauschten, die Sie nichts anging und in Ihrer blinden Leidenschaftlichkeit einen Skandal verursachten, welcher der edlen Hausfrau um so unangenehmer sein mußte, je gütiger sie mich auszuzeichnen gewohnt ist. Ich dächte, es sollte Ihnen selbst daran liegen, über eine Geschichte einen Schleier zu breiten, die weder Ihrer Stellung zusagt, noch dazu beitragen kann, Sie einem Hause akzeptabel zu machen, welches Sie so gastfrei aufnahm.«

»Schweigen Sie, Schamloser!« – donnerte ich ihn an – »häufen Sie nicht Schmähung auf Schmähung! Was aus Ihnen spricht, ist Feigheit! Es brächte meiner Klinge wenig Ehre, mit dem Blute einer Memme besudelt zu werden, sonst lebten Sie vielleicht jetzt nicht mehr! – Wohlan! – Sie wollen nicht Genugtuung leisten, wie ich sie fordere! – So erklären Sie denn vor diesen Zeugen, daß Sie zu niedrig sind, um einen Mann von Ehre beleidigen zu können, daß Sie mir künftig nie und nirgend mehr in den Weg treten wollen und daß ich bei dem geringsten Anlasse das volle Recht habe, Sie, da Sie den Mann verleugnen, wie einen mutwilligen Jungen zu züchtigen!«

Nie in meinem ganzen Leben ist mir ein Mensch verächtlicher vorgekommen, als dieser aufgeblasene Mundfechter, wie er plötzlich vor mir zum bübischen Wichte zusammenschrumpfte, in alles willigend, was wir forderten, die Schilderung seiner Nichtswürdigkeit mit fügsamer Demut bestätigend. Wie ein Pasquille auf die Menschheit stand er da, der junge wohlgewachsene Zungenheld, mit der edlen Römermiene, ein echter Cäsarkopf, bärtig und gelockt, mit Augen, aus denen Geist und Herz zu sprechen schien, – und doch so charakterlos, so unverschämt, so gleichgültig gegen Ehre und Schande! –

Mir war vor Zeugen die größte Satisfaktion zuteil geworden, die ein Beleidigter je erhalten kann. Vollkommen befriedigt, ja in der festen Überzeugung, den widrigen Spötter nicht nur aus meiner Nähe, sondern auch aus Cornelias Nähe für immer verbannt zu haben, begab ich mich am nächsten Abend absichtlich in das Haus der Kontessa, um zu meiner Rechtfertigung öffentlich in ihrem Salon zu erklären, was zwischen mir und dem Grafen vorgefallen war und wie er sich gegen mich benommen habe. Der scheinbare Eindruck war – allgemeine Erbitterung gegen ihn; ob der wirkliche ein gleicher war, ließ mancher schlechtverborgene Seitenblick aus stechenden Augen mich fast bezweifeln. Doch was kümmerte das mich; war doch meine Stellung auf würdige Weise gesichert, war doch Cornelia mit meinem Benehmen so sehr einverstanden, daß sie mir noch an demselben Abende die Versicherung zuflüsterte: »Ich sei ihr durch diesen Beweis meines Mutes noch werter geworden!« –

 

 

Einige Wochen lang blieb der Conte verschwunden. Es hieß, er sei in Familienangelegenheiten verreist. Bald aber lieferte er den Beweis, welchen unglaublichen Grad von Unverschämtheit anmaßender Geldstolz erreichen könne. Ich traute meinen Augen kaum, als ich eines Abend den Cercle der Kontessa besuchte und unter den Anwesenden auch den sauberen – Conte Trevolpi bemerkte. Er bewegte sich so unbefangen und vorlaut, als ob nichts geschehen wäre, war über mein Erscheinen so wenig verlegen, daß er durch seine Ansprache sogar mich verlegen machte, und überschüttete Signora mit einem solchen Strome von Artigkeiten, als ob er einbringen wollte, was er durch wochenlange Abwesenheit versäumt hatte. Mir kochte das Blut in allen Adern; ich glaubte, ich müsse den ehrlosen Gecken zum Fenster hinauswerfen; aber je mehr ich es ihn merken ließ, desto zutunlicher ward er gegen mich, desto galanter gegen Cornelia. Ich fühlte lebhaft, daß wir beide länger in einem und demselben Hause nicht aus- und eingehen könnten, und beschloß darüber mündlich oder schriftlich, je nachdem zu dem einen oder dem andern schnellere Gelegenheit sich darböte, gegen Cornelia mich zu erklären.

Der Zufall führte ein neues Intermezzo herbei. Ich kehrte nach ein paar Tagen mit meinen Kameraden von einem Spazierritt zurück. Der Weg führte uns an dem Kaffeehause vorüber. Da saß denn eben wieder der unleidliche Conte, von acht oder zehn Dandys umringt, so breit und vornehm, als ob die ganze Stadt sein Eigentum wäre. Ich hatte ihn wohl von weitem bemerkt – (denn mein ganzes Herz wendete sich, wenn es seine Nähe nur ahnte), tat aber, als ob ich ihn nicht sähe, sprach auf meine Begleiter hinüber, die mir zur Seite ritten, und trabte langsam vorbei. Kaum waren wir einige Schritte entfernt, als uns ein näselndes Spottgelächter, wie Hohnruf neckender Masken, nachscholl, auf welches eine Coda von gellenden Pfeifchen folgte. Ich blickte rasch um, und sah zwanzig Finger gegen uns gerichtet, konnte also keinen Augenblick zweifeln, wem diese ehrenrührige Salve gegolten habe. –

»Ruhig!« sagte ich zu meinen Begleitern, welche wuterfüllt umkehren und den Klub auseinandersprengen wollten, »ruhig! – Wir müssen uns erst überzeugen, dann aber laßt ihn mir, dem es galt!«

Am Ende des Corso wendeten wir unsere Pferde und ritten wieder, als ob es ohne Absicht geschehe, zurück. Der Klub erwartete uns ruhig; kaum waren wir aber vorüber, als uns abermals Gelächter und Pfeifen nachtönte.

Da hielt ich mich nicht länger, sprang von meinem Pferde ab, welches sogleich einer meiner Kameraden am Zügel faßte, stürzte auf die Rotte dieser ungezogenen Laffen zu, die betroffen auseinanderfuhr, trat ohne weiteres meinen Mann, den Conte, an, und versetzte ihm mit den Worten: »Memme, du weißt, wozu du mich berechtiget hast!« ein paar so derbe Streiche in sein schamloses Gesicht, daß er betäubt zurücktaumelte. Seine ganze Leibgarde charakterisierte sich in diesem Augenblicke als ebenso feig, wie er es war. Niemand wagte es, mir nur von ferne ein Hindernis in den Weg zu legen; ruhig schritt ich, während er sich mit blutrünstiger Nase zusammenraffte, meinem Pferde zu, schwang mich hinauf, und ritt mit meinen Freunden so lange den Corso auf und ab, bis sich der letzte jener Lärmer vom Platze verloren hatte.

Eine Erklärung gegen Cornelia schien mir unerläßlich. Ich sandte ihr ein Billett folgenden Inhaltes:

»Signora! So teuer und angenehm mir auch die Stunden sind, die ich in Ihrer Nähe zuzubringen das Glück habe, und so unvergeßlich mir das Andenken daran ewig bleiben wird, so gebietet mir doch die Ehre, meinen sehnlichsten Wünschen Abbruch zu tun. Was vor längerer Zeit in Ihrem Hause, was gestern auf dem Korso vorfiel, ist Ihnen bekannt. Sie werden einsehen, daß ich ein Haus, welches Trevolpi betritt, nicht länger betreten kann, wenn auch mein Leben daran hinge. Ihre Güte beliebe zu entscheiden, wer von uns beiden dem andern weichen muß. Ihrer gefälligen Antwort nicht ohne Beunruhigung entgegensehend« usw.

Noch denselben Tag kam die Antwort, abgefaßt in den zärtlichsten Ausdrücken, mehr im Tone der Bitte und Entschuldigung, als der einfachen Erwiderung. In mancher Wendung sprach sich so glühende Leidenschaft aus, daß ich mich überzeugte von Cornelias Seite sicher zu sein. Sie erklärte sich zu allem bereit, was ich in betreff des Conte fordern würde. Er solle nie mehr über die Schwelle ihres Palais treten, ja sie werde schon einzuleiten wissen, daß er in kurzer Frist die Stadt für immer verlassen müsse. Noch gäbe es Mittel, solchen lästigen Bewerbern, solchen frechen Zungenhelden den Mund zu stopfen. Sie erwarte mit Ungestüm den Augenblick, wo sie wieder in der unbelauschten Einsamkeit ihrer Villa sich davon überzeugen könne, daß ein unangenehmer Vorfall, welcher meine Ehre so glänzend rechtfertigte, meiner Liebe keinen Abbruch getan habe.

Diese Versicherungen genügten mir um so mehr, als Trevolpi wirklich nicht nur aus Cornelias Hause, sondern auch aus dem Angedenken ihrer ganzen Umgebung verbannt schien. Nur abends manchmal war es mir, als ob ich ihn an mir vorüberhuschen oder mir nachschleichen sehe, und mein Bursche wußte mir zu sagen, daß er sich öffentlich gerühmt habe, mir doch noch einmal irgendwo zu begegnen, wo ich am unliebsten gesehen wäre. Daß ich mich vor ihm zu hüten hätte, war gewiß, und ich versäumte nicht, Cornelien meine Besorgnisse mitzuteilen, wenn er von meinen nächtlichen Fahrten, wie ich leider befürchten müßte, wirklich eine Ahnung hätte. Allein sie beruhigte mich mit der bestimmt ausgesprochenen Bemerkung, daß er bis zur Zeit, wo sie ihre Villa bezöge, schon verreist oder mittelbar verhindert sein würde, mich in irgend einer Hinsicht zu beirren. Bei dem bekannten Einflusse, welchen die Contessa durch Adel und Stellung in der Stadt hatte, schien es mir nicht unwahrscheinlich, daß sie ihrem Versprechen den nötigen Nachdruck geben und es durch ihre Verbindungen wohl dahin bringen könnte, den Conte fernzuhalten oder wenigstens unschädlich zu machen. Ich hatte mehr als einmal früher schon die Erfahrung gemacht, daß Frauen solange sie uns wahrhaft ergeben sind, in dieser Beziehung alle Hebel in Bewegung setzen, und oft das unmöglich Scheinende leisten, um uns von der Stärke ihrer Liebe und der Macht ihres Einflusses zu überzeugen.

Ziemlich beruhigt sah ich daher dem Tage entgegen, wo die Contessa auf die Campagna ging. Und als mein erster Ausflug, den ich allerdings nicht ohne Besorgnis wagte, glücklich abgelaufen war, dünkte ich mich so sicher, als ob nicht das Geringste weiter zu befürchten stände. Cornelias Fürsorge ließ sich auch nicht verkennen. Mein racheschnaubender Nebenbuhler war zwar noch nicht verreist, allein so oft mir eine Fahrt nach der Villa bevorstand, war er zu einer Jagd, zu einer Abendgesellschaft auf einer nahen Villa, zu einem Spiele oder zu irgend einer andern Partie engagiert, die ihn hinderte, mich beobachten zu können. Auch war ich selbst vorsichtiger geworden, wozu die fortwährenden Warnungen meines Dieners nicht wenig beitrugen; ich wechselte die Plätze, wo ich einstieg, die Orte, von denen aus ich meine Exkursionen unternahm, meine Vermummung, die Zeit meiner Abfahrt.

Eines Sonnabends, welchen ich wieder dazu bestimmt hatte, Signora zu besuchen, warnte mich mein Diener ganz besonders. Seinem Talente als Spion zu meinen Gunsten konnte ich volles Zutrauen schenken, daher ließ es mich nicht ganz gleichgültig, als er mich dringender denn je bat, heute nicht zu verreisen, indem er bestimmt wisse, daß der Conte mir entweder auf dem Hinweg oder auf der Heimfahrt auflauern wolle. Jemand von Cornelias eigener Dienerschaft sollte der Verräter sein. Doch was half das alles! ich hatte der Contessa versprochen zu kommen, ich mußte mein Wort halten, wenn ich nicht für wortbrüchig oder gar für mutlos gelten sollte; zudem waren seit kurzem Nachrichten eingelaufen, welche es nicht unwahrscheinlich machten, daß ich meinen Standort vielleicht bald ganz unerwartet und plötzlich verlassen müßte. War ich da meiner, mir so treu ergebenen Signora nicht schuldig, Wort zu halten, sie von den lautgewordenen Gerüchten in Kenntnis zu setzen, Verständigungsmittel für die Zukunft zu verabreden und, je näher vielleicht der Abschied war, desto fester mich in ihrem Herzen einzubürgern? – Also weg mit allen Skrupeln! – Hatte mir der Gott der Liebe so oft glücklich durchgeholfen, warum sollte er bei dem wichtigsten, vielleicht für lange Zeit sogar letzten Gange mir abhold den Rücken kehren?

Alle Furcht aus meinem Herzen verbannend, bestieg ich daher bei anbrechender Nacht verkleidet, wie gewöhnlich, mein Fuhrwerk, verwies noch meinem Burschen seine übertriebene Ängstlichkeit, und rollte, mancherlei sinnend und träumend, dem Gebirge zu, hinter dessen Ausläufern die Straße sich drei Miglien weit durch den felsenumstarrten Engpaß hinzieht.

Es war indes rabenfinster geworden; kaum, wie eine Ahnung von Weiß, zog sich zwischen den schwarzen Bergwänden die wohlgebahnte Straße hin, gerade nur so viel immer vorwärts sichtbar, als für das jedesmalige Ausgreifen des rüstigen Gaules hinreichte. Schauerlich rauschte jenseits des Steingeländers, welches die Straße rechts umsäumte, der Waldstrom im tiefgewühlten Bette und verlieh der Gegend doch wenigstens einiges Leben, ohne welches sie vielleicht noch unheimlicher gewesen wäre. Ich war jedoch an all' diesen nächtlichen Spuk bereits gewöhnt, ohne eben sagen zu können, daß ich die Straße kenne, da ich sie bei Tage noch nie passiert hatte. Nachdem ich aus dem Sinnen und Denken allmählich in einen leisen Schlummer verfallen war und vielleicht anderthalb Miglien verschlafen hatte, erwachte ich wieder, wie es schien eben noch früh genug, um meinen Vetturin vor dem völligen Einnicken zu bewahren.

Mich fröstelte. Mein Mantel war feucht, vom fallenden Tau der Nacht. – »Geschwind ein Pfeifchen geschmaucht,« dachte ich, »und die behagliche Wärme wird wiederkehren.« – Die Pfeife steckte vollgestopft samt Tabaksbeutel, von der Hand meines sorgsamen Burschen bereitet, in der Seitentasche meines Mantels. Mit lüsternen Lippen sog ich einstweilen den lieblichen Vorgeschmack aus dem Bernsteinmundstücke und schickte mich an, Feuer zu schlagen. Ich durchsuchte alle Falten meiner Kleidung, alle Winkel der Sedia, – aber weder Schwamm noch Stahl war zu finden. Die Schuld lag an mir. Ich führte diese Instrumente sonst immer selbst bei mir, weshalb mein Bursche sich darum nicht kümmerte. Bei der Eile, mit der ich die Kleider gewechselt, mochte ich sie vergessen oder verstreut haben. Dessenungeachtet schalt ich auf meinen Burschen, daß er nicht statt meiner daran gedacht hatte; denn niemand ist ungerechter und ungeduldiger, als ein Tabakraucher von Profession, wenn er die Pfeife im Munde hat und sie nicht anzuzünden imstande ist. Ich sprach meinen Vetturin um Feuer an, aber zu meinem Verdrusse war er von der Untugend des Rauchens frei, und gab mir noch dazu den schlechten Trost, daß auf der ganzen Straße kein Haus sei, wo man Licht zu finden hoffen könnte. Bitterböse warf ich mich in meine Ecke zurück, schob die ungenießbare Pfeife wieder in die Tasche und suchte mir, nachdem ich den Vetturin zur Eile angetrieben, den Rest des Weges mit meinem gewöhnlichen Mittel zu verkürzen, nämlich mit – Schlafen.

Ein wunderlieblicher Morgen glühte aus zerreißenden Nebeln hervor, als ich in das Tal einlenkte, dessen Mitte Cornelias Villa einnahm. Der ganze unfreundliche Weg war vergessen, als ich sie von weitem, in Begleitung eines vertrauten Dieners hoch zu Rosse wie eine junge Amazone, mir entgegenkommen sah.

In Freuden und Leiden, in Geplauder und Tändeleien verging uns der goldige Sonntag. Sie war zu heiter gestimmt, als daß ich sie durch das Gerücht von der Wahrscheinlichkeit eines baldigen Abmarsches um ihre Laune hätte bringen mögen; und wenn ich ihr so ins Auge sah, so ganz selig war im Bewußtsein, die schönste Dame des Landes mein nennen zu dürfen, so erfaßte mich süße Zuversicht, und ich hielt jede Trennung für unmöglich. – Auch auf Trevolpi kam die Rede, und ich verhehlte meiner süßen Donna nicht, was ich von seiner Rachsucht jetzt mehr als je befürchte.

»Seid unbesorgt, Signor,« sprach sie mit flüchtigem Erröten, – »ich weiß, daß er Euch nachstellt; aber bald wird er diese Gegend für immer zu verlassen haben. Wer meiner Liebe in den Weg treten will, nehme sich in acht! Ich weiß zu schützen, wen ich liebe – zu schützen um jeden Preis!«

Und dabei leuchtete ein so wildes Feuer aus ihren blitzenden Augen, daß ich mich doppelt glücklich fühlte, von ihr geliebt und nicht der Nebenbuhler ihres Erkorenen zu sein.

Die Nacht nahte auf Flügeln. Wenn ich noch vor Tagesanbruch unbemerkt meine Station erreichen wollte, galt kein Säumen mehr, so schwer mir auch der Abschied fiel. Cornelia begleitete mich bis an den Saum des Tales. Ihr glühender Abschiedskuß brannte mir tief ins Herz. Zerrissen von den widersprechenden Empfindungen sprang ich auf meine Sedia und winkte ihr so lange noch zu, bis das Tal und mit ihm die reizende Armida,In Torquato Tassos »Befreitem Jerusalem« die Tochter des Königs von Damaskus, welche die christlichen Helden durch ihre Schönheit und Zauberkünste bestrickt. die es bewohnte, hinter den Felsen verschwand. Meine Seele war erfüllt von den seltsamsten Eindrücken; Hoffnung, Beklommenheit, Sehnsucht, Unruhe und wie all' die Gefühle heißen, die sich in einer Brust regen, welche das Bewußtsein leichtsinnig verletzter Pflicht und unbesonnen genährter Liebe, die am Ende doch zu keinem ernsten Ziele führen kann, nicht ganz in den Hintergrund zu drängen vermag, kämpften in meinem Innern. Dumpfe Betäubung und gedankenloses Hinbrüten trat nach und nach an die Stelle träumerischer Aufgeregtheit, und jene quälende Unbehaglichkeit, welche den merkbaren Übersprung aus der Poesie der Leidenschaften in die Prosa der Wirklichkeit immer begleitet, bemächtigte sich meiner mit ganzer Kraft. – Ein himmlisches Weib! rief nachzuckend die fiebernde Phantasie. – Wozu soll's aber am Ende führen? warf der berechnende Verstand hin. – Wenn du wirklich bald von hinnen solltest?! – Schrecklicher Gedanke! schrie das Herz auf. – Gut wär's, gut wär's! verwies der Kopf, – und so gab es einen Zank und einen Hader in mir, daß ich fast müde ward, die Parteien anzuhören, und in den alltäglichen Seufzer ausbrach: »Wär' ich lieber schon wieder glücklich zu Hause!«

»Alle Wetter!« – fuhr ich plötzlich auf, daß der Vetturin ängstlich aufschrak. »Wie man doch im Liebestaumel auf alles vergißt. Da hab' ich mir so fest vorgenommen, mich für den Rückweg mit Feuerzeug zu fournieren, und nun führ' ich die Pfeife so zurück, wie ich sie hergebracht. Ein eigenes Schicksal! Wenn ich auf Ahnungen hielte, so glaubte ich, daß es etwas zu bedeuten habe.«

Zum zweiten Male die Tantalus-Szene der vorigen Nacht durchlebend, rollte ich schon ins tiefste Dunkel der Bergschlucht hinein, noch mißmutiger als gestern, indem ich heute nicht einmal schlafen konnte.. Die erste Hälfte des Rückweges fuhr ich langsam, indem es immer merklich bergan ging; es mochte auf Mitternacht zugehen, als wir den höchsten Punkt der Straße erreicht hatten. Aus stockigem Gewölke trat, wahrhaft ersehnt von mir, der Mond hervor, der mir heute um so willkommener war, je unheimlicher es in meinem Innern aussah. Aber der blasse Mond in einer grotesken Abruzzenlandschaft ist ein gespenstischer Maler, besonders für einen Abenteurer in meiner damaligen Stimmung. Er zauberte mir auf die tiefgefurchten Kalkfelsen, von welchen düstere Bäume und struppige Sträucher in wirrer Unordnung niederhingen, so fratzenhafte Bilder hin, daß ich Mühe hatte, mein Mißbehagen zu unterdrücken. – Ich hätte einen Napoleonsd'or für einen Funken Feuers gegeben, um meine unbehagliche Stimmung in ringelnden Rauchwölkchen verdampfen zu können.

Jetzt näherten wir uns dem verlassenen Hause, welches beiläufig die größere Hälfte des Heimweges bezeichnete. Ich wähnte anfänglich, mein Auge täusche mich – aber mein Vetturin bestätigte mir durch die Worte: »Nun, Signor, dort ist Licht zum Anfeuern der Pfeife!« daß ich recht gesehen hatte. Wirklich schimmerte durch die niedrigen Fenster des Erdgeschosses ein matter Glanz, ob von Lampe oder Kerze, das galt mir gleich: war's doch gewiß Feuer genug für meinen Bedarf.

»Ist hier ein Wirtshaus?« fragte ich meinen Vetturin.

»Gewesen!« – antwortete er. – »Wer jetzt drin sein mag, weiß ich nicht. Seit langem schon wohnte niemand hier; noch gestern war's um diese Zeit finster.«

Ich ließ halten und rief mit lauter Stimme, aber nichts rührte sich; nur von der gegenüberstehenden Felswand scholl mein Ruf kurz abgebrochen zurück.

»Sie werden schlafen!« sagte ich, sprang ab und eilte, nur auf den Genuß denkend, der mir nach langer Entbehrung bevorstehe, dem Hause zu,.

Mein Pochen blieb unerwidert. Ich drehte die Klinke, und die Tür sprang knarrend auf. Eine finstere Hausflur, vielleicht die Küche des Hauses – denn unterscheiden konnte ich nichts – nahm mich auf. Rechts flimmerte durch einen Spalt Licht; ich öffnete eine zweite Türe – und trat in eine kleine, räucherige Stube, welche von einer weit herabgebrannten, flackernden Kerze matt erleuchtet war. Ohne eine Menschenseele zu gewahren, näherte ich mich dem Steintische in der Mitte, auf welchem eine Flasche stand, in der die Kerze steckte, und wollte mir die Pfeife anfeuern. Aber plötzlich gerann all' mein Blut zu Eis, denn der gräßlichste Anblick, den ich je in meinem Leben gehabt, bot sich mir zur Schau.

Auf dem Tische vor der Flasche, zu welcher ich mich eben hinbeugen wollte, lag ein abgeschnittener Menschenkopf. Frisches Blut träufelte noch auf den Boden, auf welchem in einer Lache Blutes der Rumpf des Gemordeten schwamm. Unfähig ein Glied zu regen, stand ich da; wie kaltes Wasser rieselte es mir über den Rücken, während Todesschweiß auf meine Stirne trat und meine Haare vom Schreck elektrisiert sich auf dem Schädel borstig emporsträubten. – Du bist verloren, dein eigen Bild liegt vor dir! rief's in mir, und ich, der ich (Gott weiß es!) nicht zitterte, wenn die Kugel in der Schlacht die halbe Hirnschale meines Kameraden mir vors Gesicht schmetterte, war so sehr außer Fassung gebracht, daß mir die Zähne aneinander schlugen und die Knie schlotterten. Die Augen weit aufgerissen, wurzelte ich im Estrich, alle Sinne bis auf den des Gesichtes, versagten mir ihren Dienst, und dieser einzige sog sich so voll an Entsetzen, daß ich vergehen zu müssen glaubte. Mir war's, als ob die Wände sich plötzlich auftäten und aus hundert klaffenden Spalten blutgierige Banditen mit gezückten Messern ausspien. Ich wagte, – wiewohl alles ruhig und ausgestorben blieb, nicht mich umzuwenden, denn ich dachte, sie ständen mir schon im Rücken. Aber der gräßliche Anblick vor mir gestaltete sich immer deutlicher. Mir war's, als wäre mir der Kopf trotz seiner wild verzerrten Züge nicht unbekannt. Die schwarzen Locken, der buschige Kinn- und Schnurrbart, die weitgeöffneten Augen – kein Zweifel! – ich kannte diesen Cäsarskopf, er saß noch gestern auf dem Memmenrumpfe meines Nebenbuhlers Trevolpi. Diese Überzeugung erweckte mich halb und halb aus meiner Erstarrung; ich ließ die Augen hinabgleiten auf den Rumpf, der mit ausgebreiteten Armen dalag. Die rechte Hand, krampfhaft ausgestreckt, reichte über den Schatten des Tischrandes hinaus. So viel ich beim heller aufflackernden Scheine des kargen Kerzenstumpfes bemerkte, fehlte ihr der Mittelfinger, an welchem der Conte im Leben jenen wohlbekannten blitzenden Brillantring trug. Gewiß war er von Mördern hieher geschleppt, ermordet und beraubt worden, vielleicht eben als er mir auflauern wollte, um sich an mir zu rächen.

Noch hatt' ich nicht so viel Kraft und Mut gewonnen, um den Versuch des Entkommens zu wagen. Da knisterte die Kerze plötzlich zuckend auf und verlosch, durch den Hals der Flasche fallend, mit zischendem Geprassel. Ich fuhr unwillkürlich zusammen; nicht mit Bewußtsein, sondern von bewußtloser Angst gepeitscht, raffte ich mich auf und rannte mit vorgestreckten Armen, als ob ich durch einen Phalanx bewaffneter Feinde durchbrechen wollte, wohl zehnmal von Wand zu Wand taumelnd, ins Freie, kletterte wie eine gehetzte Katze die Sedia hinan, und schrie mit kreischender Stimme: »Fahr zu, was du kannst! doppelten Ersatz für deine Mähre, wenn sie fällt!«

Der Vetturin rief alle Heiligen an, ohne eigentlich zu wissen warum, und hieb auf sein Pferd los, daß es wie im Sturme dahinschnob. Zum Glücke ging es jetzt abwärts, die Straße war gut, und noch sah ich mich im Geiste rings von Mördern umgeben, als schon mein Bursche, der mich am verabredeten Orte erwartete, dem Vetturin sein »Halt!« zurief. Gut, daß meine Pfeife, deren Rohr ich im Krampfe zum Ringe zusammengebogen hatte, keine Pistole war, sonst hätte ich meinen armen Philibert ohne Gnade zusammengeschossen.

Daß ich meine Pfeife unter solchen Umständen nicht angefeuert, brauch' ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Ich möchte den Helden kennen, welcher in einer solchen Situation die Kaltblütigkeit besäße, ruhig seine Pfeife ans Licht zu halten, dem rumpflosen Haupte ein gemütliches »Adieu!« zuzuflüstern, und behaglich schmauchend weiterzufahren! – Ich gäbe noch jetzt alle Affairen und Handstreiche meines vielbewegten Lebens darum.

»Herr, was ist Ihnen begegnet?« fragte mich Philibert besorgt, als er bemerkte, daß ich mehr wanke als gehe.

»Nichts, nichts!« sagte ich, dankte meinem Gott, als ich in meine Stube trat und warf mich erschöpft aufs Bett hin.

Der Tag war noch nicht angebrochen, als mich die Allarmtrommel aus meiner Betäubung weckte.

»Was gibt's?« rief ich meinem eintretenden Burschen zu.

»Wir marschieren, Herr!« erwiderte er freudig. »Ich habe schon alles eingepackt und besorgt. Ich habe es sogar Ihnen selbst schon gesagt, als sie vom Wagen stiegen und den Vetturin so überaus splendid mit ihrer ganzen Börse bezahlten; aber Sie antworteten mir nichts. Nun, dacht ich bei mir, bereitet ist alles; laß den Herrn rasten, solang's noch geht! er scheint der Ruhe zu bedürfen. Gestern ist der Befehl angekommen; ich hatte große Mühe, Ihre Abwesenheit zu verschweigen und schwebte in tausend Ängsten für den Fall, daß Sie sich etwa verspäteten!«

»Wir marschieren also?« wiederholte ich, mich umkleidend, und wie Zentnerlast fiel es mir vom Herzen. – »Das ist wahrhaft Gnade des Himmels!«

Mein Bursche begriff zwar nicht, warum mir das plötzlich so lieb wäre, aber lieb war es auch ihm, das sah ich ihm an den Augen ab. »Gut, daß wir wegkommen aus diesem Neste!« jubelte er. – – »Bei Gott, ich hatte keine Ruhe, solange ich Sie hier wußte!«

In einer Stunde standen wir in Reih' und Glied. Es ging ins Calabresische hinein, wo der Geist der Widersetzlichkeit gegen unsere Waffen eine Truppenverstärkung nötig machte.

Auf dem Marsche hatte ich Zeit genug, über das Abenteuer jener verhängnisvollen Heimfahrt nachzudenken. Seltsame Kombinationen gestalteten sich vor meiner Seele. Doch was ich auch immer ahnen und mutmaßen mochte, es war ja nun alles vorüber, ich war wieder ein freier Mann, und Cornelias Züge schimmerten, gleich dem Widerschein eines Regenbogens, aus der Vergangenheit in die frische Gegenwart herüber. Nur eines beunruhigte mich mehr und mehr, je schwieriger es mir wurde, eine Abhilfe zu treffen. Obgleich es nämlich damals das Leben eines Menschen galt, welcher mir bis ins Innerste verhaßt war, welchen ich nicht unter den Lebenden sehen konnte, von dessen Rachsucht ich mehr zu fürchten hatte, als ich in meiner leidenschaftlichen Verblendung sehen wollte, – so war's denn doch ein Raubmord, ein fürchterliches Attentat gegen die öffentliche Sicherheit, ein Verbrechen, welches augenblicklich hätte angezeigt und aufs Genauste untersucht werden sollen. Konnte ich es aber tun? – Womit hätte ich meine Fahrt durch jenen Engpaß motivieren sollen, da ich strengen Befehlen gemäß mich nicht halb so weit von meiner Garnison entfernen sollte? –Die Sache anzeigen, hieß: mich selbst verraten, mir selbst den Prozeß machen, mich der Strafe der Kassation überliefern. – Wer an meiner Stelle hätte die Selbstverleugnung besessen, auf Gefahr seiner eigenen Ehre und seiner Charge eine Anzeige zu wagen, die am Ende vielleicht doch zu keinem befriedigenden Resultate geführt hätte, indem die Räuber dieser Gegend so sichere Schlupfwinkel im Gebirge hatten, daß unsere Vorsicht und Strenge wohl manchen Frevel verhinderte, wenn aber einer begangen war, man dem Täter nur äußerst selten auf die Spur kam.

So sehr mich daher das Bewußtsein auch drückte, so gerne ich wenigstens einem vertrauten Freunde mein Abenteuer mitgeteilt hätte, so hatte ich doch nie den Mut dazu, und war in der Tat froh, durch neue Ereignisse, militärische Strapazen, unerwartete Begebenheiten und Geschäfte zerstreut, und von der täglich wiederkehrenden Erinnerung an mein Verhältnis zur schönen Contessa und an das blutige Haupt des Conte abgelenkt zu werden.

Ein Jahr mochte bereits vergangen sein. Wie der Abglanz eines unheimlichen Traumes zuckte es nur manchmal noch durch mein Gehirn, wenn ich Corneliens gedachte. Dazu gesellte sich eine leise Neugier zu wissen, wie nach meinem plötzlichen Verschwinden alles sich gestaltet und gelöst haben mochte, und eben diese Neugier gab mir den sichersten Beweis, daß die Zeit bereits das ihrige getan habe, meine gestörte Ruhe wieder ins Gleichgewicht zu setzen. Indes war auch in Calabrien die Ruhe hergestellt, und unsere Truppe folgte dem Ruf nach Capitanata, also in die Nähe der Landschaft, wo ich jenes Abenteuer bestanden hatte. Unsere Bestimmung war abermal, als Reserve in einer nördlichen Grenzstadt zu bleiben und den Räubern, falls sie, von unseren Soldaten herabgedrängt, südwärts durchbrechen wollten, den Weg zu sperren.

Die Unsicherheit hatte wieder um vieles zugenommen; je enger man das Mordgesindel einschloß, desto härter nahm es die Gegend mit, auf deren Umkreis es beschränkt war, desto grausamer verfuhr es bei seinen Streifzügen und Überfällen. Man nahm, durch die Not gezwungen, zu den äußersten Mitteln seine Zuflucht. Tod war die Strafe für jeden, der einen Räuber beherbergte, ihn verbarg, ihm Speise oder Trank gab, ihm zur Flucht verhalf, ja nur unterließ, sein Erscheinen an irgend einem Orte anzuzeigen. Eine Ortschaft, in deren Bereich Raub oder Mord verübt wurde, hatte die Verpflichtung auf sich, binnen kürzester Frist die Täter ausfindig zu machen und einzubringen, widrigenfalls sie ohne Gnade rasiert wurde, eine harte Maßregel, aber vom kräftigsten Erfolge. Eingebrachte Verbrecher wurden standrechtlich behandelt, ihre Köpfe an der Außenseite des Hauses, welchem sie angehörten, oder in welchem die Tat verübt worden, eingemauert, durch ein eisernes Gitter geschützt, und darunter mit kurzen Worten der Name des Verbrechers und die Art des Verbrechens bezeichnet. – Die Familie des Gerichteten oder der Bezirk, zu welchem er dienstpflichtig war, hatte unter strenger Haftung zu sorgen, daß solch ein Schandmahl unversehrt an Ort und Stelle blieb. Nur auf diese Weise war es möglich, dem furchtbaren Unfuge der Räuber Einhalt zu tun, wiewohl selbst jetzt noch keine Woche verging, ohne daß Berichte über verübte oder versuchte Frevel einliefen. Sogar auf der meilenlangen Ebene, unfern vor der Hauptstadt der Provinz, wohin wir Offiziere öfter zu fahren hatten, um aus der Kriegskasse den Sold für unsere Mannschaft zu fassen, war es nicht allzusicher. Dessenungeachtet beneideten wir fast einander um jede solche Fahrt, indem sie uns doch aus der traurigen Garnisonierung in einer abgelegenen Landstadt wieder für ein paar Tage unter Menschen brachte.

Der gewöhnliche Sammelplatz, wo wir Militärs uns dann zusammenfanden, war das Hotel, dem schönen Zollhause gegenüber, wo Meister Stefano Pharao-Bank hielt. Manche Rolle Scudi trug ich aus der rauchdurchqualmten Spielstube mit, und manchen Napoleonsd'or ließ ich dort sitzen; denn wiewohl ich eben kein Spieler aus Leidenschaft war, so konnte ich doch der Lockung nicht ganz widerstehen, wenn ich einen der Pointeurs recht im vollsten Glücke sah, auf seine Karte zu setzen. Auch war es mir von jeher interessant, Spielergruppen zu beobachten und den grellen Wechsel der Mienen zu beobachten, welchen jede Wendung des Glückes in ihren Gesichtern hervorbringt. Am meisten fiel mir ein langer, hagerer Mann auf, den ich jedesmal als Zuseher, aber nie als Pointeur sah. Sein ovales, gelbes Gesicht, von struppigen, aus schwarz ins grau spielenden Haaren umstarrt, sein spärlicher Backenbart, seine kleinen stechenden Augen, zwischen denen eine mächtige Adlernase hervorragte, deren Spitze fast über den zahnlosen Mund zum aufwärtsgebogenen Kinne hinabreichte, gaben ihm ein unheimliches Ansehen. Immer schwarz gekleidet, saß er lässig hingestreckt hinter einem der Pointeurs, sprach nie ein Wort, zog die Handschuhe nie aus, legte auch den Hut nie ab, als ob er jeden Augenblick zum Fortgehen bereit wäre und verfolgte dabei den Gang des Spieles mit solcher Aufmerksamkeit, als ob er die Kontrolle der ganzen Galerie führte. Er kam mir mit seinem gespenstischen Ernste, mit seiner unverbrüchlichen Schweigsamkeit wie ein Nekromant vor, wie einer jener Zauberer oder Alchimisten, deren Schilderung man häufig in unseren alten Volksbüchern findet, und ich muß gestehen, daß ich eine förmliche Scheu vor ihm fühlte; dennoch wußte, wie gesagt, gerade dieses sein unheimliches Wesen meine besondere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und es kam mir vor, als ob es nur von ihm abhinge, jede Bank zu sprengen, jeden Pointeur gewinnen oder verlieren zu machen.

Eines Abends fand ich eine besonders zahlreiche Spielgesellschaft. Es war, als wenn die Offiziere von allen fünf Straßen der Seeprovinz, welche sich in der Hauptstadt vereinigen, zusammengekommen wären. »Paroli« – »Sept le va« – »Pace« – »Quatorce le va!« scholl es in bunten Stimmen durcheinander, und Gold und Silber klang so lockend und blitzte so verführerisch, daß es Mühe kostete, sich von dem tollen Spielfieber nicht auch anstecken zu lassen. Ich suchte mit den Augen, wie gewöhnlich meinen Nekromanten auf. Er saß hinter einem blutjungen, kaum siebzehnjährigen See-Kadetten, dem man es ansah, daß er im Kriegsleben wohl noch eben so sehr Neuling war als am Pharao-Tische. Er pointierte ganz wütend drauf los, bog ein ums andere Mal Paroli einIm Pharaospiel das Aufwärtsbiegen der Ecke einer Karte, um dadurch anzuzeigen, daß der Inhaber seinen Gewinn zusammen mit dem ursprünglichen Einsatze neuerdings aufs Spiel setze., verlor aber bei jedem Abzuge, und wenn ja einmal seine Karte mit der linksgelegten des Bankiers übereintraf, so gabs ein PliéBeim Abheben zweier gleicher Karten (Doublet, Plié) fließt der Bank die Hälfte des Einsatzes zu., und seine Hoffnung ward wieder zu Wasser. Ich hätte dem jungen Manne nicht so viel Geld zugetraut. Eine Rolle nach der andern wanderte auf den Tisch vor die Karte; immer stand voller Satz, – und sobald er verlor, schnell vor der quer geschobenen Karte der Gleichbetrag. Aber Rolle um Rolle verschwand; die Farben wechselten im Gesichte des leidenschaftlichen Spielers rascher als in den Taillen, die hellen Schweißtropfen perlten ihm über die Stirne, man sah ihm die Höllenangst an; aber je hartnäckiger er das Glück forcieren wollte, desto höhnender floh es ihn. – »Jetzt bin ich blank!« rief er halblaut, sich unwillkürlich umwendend zu dem schwarzen Niemandsfreunde, der wie der Tod hinter ihm saß, und schob eine Rolle Napoleonsd'ors hin.

»Junger Mann, überlassen Sie mir das Spiel!« sprach ihn plötzlich der Schwarze an. Es waren die ersten Laute, die ich aus seinem Munde hörte, aber sie klangen so hohl, so hölzern wie aus dem Grabe.

Der Verlierende ließ es fast bewußtlos geschehen. Der Bankier machte eben den letzten Abzug, nur eine Karte restierte.

»Fausse taille!« bemerkte der neue Pointeur tonlos und strich den Satz sammt Äquivalent ein.

»Der Same ist da!« flüsterte er seinem Klienten zu und besetzte zwei neue Karten mit dem ganzen Gelde. Seine Karte zog wieder. Er ließ den Satz stehen und bog die Ecke der Karte aufwärts. – »Paroli!« »Gewonnen!« »Sept le va!« – »Gewonnen« – und so ging's fort, daß sich die Züge des jungen Schützlings freudig verklärten und süße Hoffnung aus seinen Augen leuchtete, während die übrigen Pointeurs die Bank reichlich fütterten, und der rettende Unbekannte mit eisigem Phlegma sein Geschäft fortsetzte.

Schon hatte der Kadett seinen ganzen Verlust zurückgewonnen und wollte eben retirieren, als der Fremde mit lauter Stimme »Bank« rief, den Handschuh abstreifte, und statt des Satzes einen blitzenden Brillantring, den er vom Finger zog, vor die Karte legte.

Mir fuhr es wie ein Messer durch die Seele, als ich den funkelnden Stein sah. – Die herzförmige Fassung, das helle Wasser, die Größe – alles sagte mir: »Das ist Trevolpis Ring!«

Mit unveränderter Miene strich der Geheimnisvolle die ganze Bank ein, die ihm der Croupeur erblassend zuschob und gab sie dem Seekadetten, welcher verlegen sich weigerte. – »Da, junger Mann,« sprach er, den Ring wieder ruhig an den Finger steckend, – »da! jetzt aber gehen sie, – und greifen sie nie mehr öffentliche Gelder an, um Spiele zu spielen, die sie nicht verstehen. Wohl bekomme die Summe!« Ein grinsendes Lächeln begleitete diese schneidenden Worte.

Errötend bis in den Hals zog sich der Beschämte, welcher sich schwer getroffen fühlte, zurück, stammelte einige halbverständliche Worte des Dankes und verlor sich aus dem Zimmer, während der Nekromant wieder seinen vorigen Posten einnahm und stumm, als ob nichts geschehen wäre, zusah.

Ein eisiges Grauen überlief mich, als ich so hinter seinem Stuhle stand. Jetzt nahm er langsam den Handschuh hervor, um ihn wieder anzuziehen, wobei ich den Ring ganz nahe zu betrachten Gelegenheit fand. Ich hätte darauf schwören mögen, daß ich recht ahne, und faßte alsogleich den Entschluß, meinen Argwohn geeigneten Ohren mitzuteilen, was innerhalb der beiden Tage, die ich noch hier zu verweilen hatte, geschehen sollte. In der Zwischenzeit hoffte ich mich wo möglich noch besser zu überzeugen, daß meine Augen mich nicht täuschten.

In den Morgenstunden des folgenden Tages hatte ich Geschäfte. An der Mittagstafel sprach man von nichts anderem, als von Kriegsaffairen, Räubergeschichten, politischen Chancen und dergleichen. Ein Offizier, der später an unsern Tisch kam, brachte die Neuigkeit, daß man auf der Ebene vor der Stadt in einem Graben einen jungen Militär von der Marine, welcher, wie man wisse, gestern Geld gefaßt, ermordet und beraubt gefunden habe. Die Sache schien mir zu auffallend mit dem Betragen des geheimnisvollen Unbekannten zusammenzuhängen, als daß ich es hätte über mich bringen können, keine Notiz davon zu nehmen. Abends fand ich ihn wie gewöhnlich am Pharaotische; auch des Ringes wurde ich wieder ansichtig. Am andern Tage teilte ich dem Stadtkommandanten bei meiner Abschiedsvisite meinen Verdacht mit und reiste ab.

Als ich im nächsten Monate wieder zu Meister Stefano kam, war der Unbekannte verschwunden. – Auf meine Nachfrage hieß es: »Er sei, als verdächtig, eingezogen und seither nicht mehr gesehen worden.«

 

 

Nach langen Jahren kam ich als Rittmeister in Diensten einer fremden Macht, zu deren Fahnen ich, teils aus veränderter Neigung, teils durch Zeitereignisse veranlaßt, indes übergetreten war, noch einmal in die Stadt, wo die Liebe zur schönen Cornelia mich so nahe an den Rand des Verderbens geführt hatte. Ich erkundigte mich um die Familie Fieramonti. – »Sie sei ausgewandert,« erwiderte man mir; warum? wohin? konnte oder wollte mir niemand genau sagen. Vielleicht wußte ich den Grund besser, als alle andern.

Neugierde trieb mich sogar in den Engpaß, wo das verhängnisvolle Haus stand. Ich fand es noch halb verfallen, tür- und fensterlos. Unter dem Simse grinste durch ein Eisendrahtgitter ein halbeingemauerter Totenschädel herab, darunter kaum lesbar mehr die Inschrift: »Gaetano Bramarba verübte in diesem Hause an Conte Carlo Trevolpi einen gräßlichen Raubmord, wofür er gerichtet wurde, am – – – –« Das Datum war schon verwischt und verwittert. Ein eisiger Schauder überlief mich, als ich in die dielenlose Stube trat und den Tisch erblickte, vor welchem ich damals in atemloser Todesangst gezittert hatte.