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Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie Jane, meine dritte Tochter, dazu gekommen ist, einen Ausländer zu heiraten. Ich habe gar nichts gegen Ausländer, aber ich kann nicht sagen, daß ich mir jemals hätte träumen lassen, die Schwiegermutter eines Deutschen zu werden.
Ihr werdet euch ohne Zweifel darüber wundern, daß weder meine älteste, noch meine zweite, sondern erst meine dritte Tochter meinen Namen trägt.
Das war lediglich die Folge meiner Schwäche, die mich Mr. Tressiders Wünschen nachgeben ließ. Unser lieber ältester Sohn wurde auf seines Vaters Wunsch nach ihm John getauft, und ich machte nicht die geringste Einwendung, obgleich ich einen etwas romantischeren Namen vorgezogen hätte. Ich weiß sehr wohl, daß einige berühmte Männer John heißen, aber man denkt doch bei dem Namen zu leicht an einen Bedienten oder Stallknecht.
Wenn ich im Theater eine Posse sehe, finde ich, daß der Bediente meist John gerufen wird. Immer heißt's: »John, ist dein Herr zu Hause?« oder: »John, wenn Besuch kommt, bin ich nicht zu sprechen,« und in den alten Bänden des »Punch«, die ich mir manchmal hervorsuche, heißt der Bediente auch immer John, besonders in den Bildern. Erst neulich nahm ich einige von meinen Enkeln in eine Nachmittagsvorstellung des Cirkus mit, und wunderbarerweise begleitete uns sogar Mr. Tressider. Da kam auch so'n albernes Ding vor, sie hatten's auf dem Zettel »Eine Reitstunde« genannt, wo eine Dame (natürlich ein verkleideter Mann) hereinkommt und Reitstunde nehmen will. Sie hat einen Bedienten bei sich, einen ganz schrecklich lächerlichen Menschen in roten Plüschhosen und einer roten Perücke, den ein Clown spielt, und der immer hinter ihr (ihm) herreitet und John gerufen wird.
Meine Enkel schrieen vor Lachen über das dumme Zeug, das dieser John vollführte, und dabei sahen sie immer ihren Großpapa an, stießen sich mit den Ellbogen in die Seite, und einmal hörte ich, wie sie sich zuflüsterten: »Gerade so, wie Großmama immer mit Großpapa spricht.«
Kinder kommen wirklich auf zu sonderbare Gedanken. Ich habe selbstverständlich niemals in der albernen Weise mit Mr. Tressider gesprochen, wie diese Cirkusdame (Mann) mit ihrem (seinem) Reitknecht redete, aber sie hatten sich's in den Kopf gesetzt, und als ich mich einmal während der Vorstellung an ihn wandte, um ihn zu bitten, aufzustehen und die hinter uns befindliche Thür zu schließen, da es so zog, daß unsre Köpfe beinahe in die Reitbahn flogen, und ich in etwas scharfem Tone »John« rief, weil er gerade nach der andern Seite sah, da meine ich, die Kinder kriegten Lachkrämpfe.
Der Name war mir noch nie so lächerlich vorgekommen, und noch lange Zeit nachher, wenn ich meinen Mann anreden wollte und sein Name mir auf die Lippen kam, mußte ich an den Cirkus-John denken, wie er in seinen roten Plüschhosen und seiner roten Perücke auf dem Pferde saß, so daß ich den »John« nicht herausbringen konnte und vorzog, »Mr. Tressider« zu sagen.
Ich wünschte immer, meinem ältesten Sohne einen hübschen, romantischen Namen zu geben, einen, der ihn aus der gemeinen Masse heraushöbe und der sich gedruckt schön ausnähme, für den Fall, daß er berühmt werden sollte. Immer bin ich der Ansicht gewesen, daß die Eltern eine große Verantwortung auf sich nehmen, wenn sie ihren Kindern Namen geben, denn sie müssen sie durch ihr ganzes Leben tragen, es ist, als ob sie abgestempelt würden. Ich hätte meinen Aeltesten gern Marmaduke genannt, aber Mr. Tressider machte einige einfältige Bemerkungen und behauptete, der Name klinge, als ob er einer der Schauergeschichten, die immer im Londoner Journal stehen, entnommen sei. Das mag so sein, jedenfalls aber klang er nicht nach dem Cirkusclown. Ich habe noch nie einen Bedienten oder Stallknecht gefunden, der Marmaduke geheißen hätte.
»Der Junge soll meinen und meines Vaters Namen haben, der schon seit vielen Geschlechtern in unsrer Familie üblich ist,« sagte Mr. Tressider, und da ich mich wegen meines ersten Kindes am Vorabend des Tages, wo ich ihn zum Taufstein tragen sollte, nicht zanken mochte, gab ich nach, und so wurde er John getauft.
Natürlich werdet ihr denken, Mr. Tressider werde sich dankbar erwiesen haben, als meine älteste Tochter getauft wurde, und habe gestattet, sie nach mir zu nennen. Aber Prostmahlzeit! Als ich die Sache zur Sprache brachte, erklärte er, er wünsche, sie nach einer verstorbenen Schwester zu nennen, und dann sagte er mir, diese habe Sabine geheißen.
»Nun, ich muß wirklich sagen,« antwortete ich, »ich finde das eigentlich großartig. Du wolltest nicht haben, daß unser ältester Junge Marmaduke getauft werde, weil es nach dem Londoner Journal klinge, und du willst meine Tochter Sabine taufen lassen? Wenn das nicht Londoner Journalisch ist, dann ist es Family Heraldisch, und außerdem klingt es gar nicht englisch.«
Wir hatten einen Streit darüber, aber schließlich setzte er seinen Willen durch. Ich war in jenen Tagen wirklich zu schwach und gab viel häufiger nach, als später, und so wurde meine älteste Tochter Sabine getauft, was beträchtliche Verwirrung anrichtete, da die Dienstboten sich gar nicht an die richtige Aussprache des ihnen fremden Namens gewöhnen konnten und sie immer Sabeine nannten. Nun bitte ich einen, Sa-Beine! Maud, meine zweite Tochter, erhielt ihren Namen von ihrer Patin, von der wir damals etwas erwarteten, obgleich sie uns schnöde täuschte und ihr ganzes Vermögen einer Methodistenkapelle in einer Seitengasse von Tottenham Courd Road vermachte, wo sie sich in ihrem alten Rollstuhle immer hinfahren ließ, nachdem sie sich mit uns überworfen hatte. Der Streit kam nämlich so: Mrs. Marsham war die Witwe des Bruders meiner Mutter, der ihr bei seinem Tode seinen Hausbesitz in London und sehr viel Geld hinterlassen hatte, aber sie war entschieden etwas verdreht, und obgleich ich sie sehr lieb hatte und ihre Besuche bei uns gern sah, fand ich doch, daß mit zunehmendem Alter ihre Verdrehtheit bedenklich wuchs. Eine ihrer Eigenheiten, die sich mehr und mehr entwickelte, bestand darin, daß sie Sachen in die Tasche steckte, Zucker, Kuchen und alles, was sie unbemerkt, wie sie glaubte, vom Tische verschwinden lassen konnte. Dabei hatte sie die Gewohnheit, zu nörgeln und abfällige Bemerkungen über die Kleider, die man anhatte, oder die Möbel, die in der Stube standen, in ganz lautem Tone zu machen. Ich glaube, sie dachte nur unbewußt laut, aber es war doch sehr unleidlich, besonders, wenn noch andre Besucher anwesend waren. Sie sah einen zum Beispiel eine Zeitlang starr an und sagte dann: »Hm, das Kleid gefällt mir nicht besonders – hm – viel zu jugendlich für dich – hm,« oder »Hm – schlechtes Essen – kein richtiger Haushalt – hm – verschwenderisch – hm – schlecht – armer Mann kann mir leid thun – hm.«
Die Kinder nannten sie »Tante Brummbär« und konnten sie nicht ausstehen, aber ich gestattete ihnen nicht, ihre Abneigung zu zeigen, denn damals galt es für sicher, daß sie, da sie selbst kinderlos war und auch keine eigenen Verwandten hatte, den größten Teil ihres Vermögens uns vermachen würde.
Eines Tages indessen, wo ich nicht wohl war, da ich meine neuralgischen Kopfschmerzen hatte, und überdies sehr ärgerlich über ein Mädchen war, das meine prachtvollen stählernen Kaminvorsetzer eingefettet hatte, ging mir die Tante Marsham denn doch ein bißchen zu weit. Sie kam um fünf Uhr zum Thee und fing wie gewöhnlich an, Zucker in die Tasche zu stecken und unangenehme Bemerkungen zu machen.
Ich hatte eben die Bücher in der Leihbibliothek wechseln lassen, und auf dem Tische in meinem Zimmer lagen einige Romane. Tante Marshams Auge fiel darauf, sie nahm sie in die Hand, schlug sie auf und fing an, mit sich selbst zu sprechen.
»Hm – Romane – schlechtes Zeug – hm – Familienmutter – hm – sollte sich schämen– hm!«
Verstimmt, wie ich war, und vielleicht noch reizbarer, als sonst – ich meine einfach reizbar, denn sonst bin ich's nicht – war ich entrüstet, daß sie in Gegenwart meiner Töchter so von mir sprach.
»Tante Marsham,« sagte ich ganz ruhig, »ich kann dir deine Gedanken über mich natürlich nicht verbieten, aber ich muß dich ernstlich bitten, nicht in dieser Weise über mich zu sprechen, wenn die Kinder im Zimmer sind. Es ist schon schlimm genug, daß sie mit ansehen müssen, wie du heimlich Zucker in die Tasche steckst; du brauchst nicht auch noch ihre Mutter zu beschimpfen.«
»Was?« rief Tante Marsham, »Jane Tressider, sprichst du mit mir?«
»Ja, Tante Marsham, das thue ich,« entgegnete ich. »Ich habe mir deine Ungezogenheiten lange gefallen lassen, weil du eine alte Frau bist, aber meine Geduld ist nun zu Ende.«
»O, wirklich? Zu Ende, sagst du?« Damit stand sie auf, ging so majestätisch, als sie es mit einem steifen Beine konnte, das sie sich in ihrer Jugend durch Schlafen in einem feuchten Bett zugezogen hatte, zur Thür. Dort drohte sie mir mit ihrem Sonnenschirme und rief: »Nie werde ich deine Schwelle wieder überschreiten, du Weibsbild, unverschämtes Pack!«
»Untersteh dich nicht noch einmal, mich in meinem eigenen Hause Pack zu nennen,« versetzte ich, »und was das Ueberschreiten meiner Schwelle anlangt, so werde ich schon dafür Sorge tragen, daß das nicht geschieht; den Zucker, den du gestohlen hast, magst du behalten, aber sei so gut, die Regenschirme unten im Flur ungeschoren zu lassen.«
Wie ich dazu kam, das zu sagen, weiß ich nicht, aber ich war so wütend, daß ich noch viel mehr hätte sagen können. Tante Marsham sah aus, als ob sie auf der Stelle der Schlag rühren sollte, aber sie stieß einen wütenden Schrei aus, der ihr Erleichterung zu verschaffen schien, und ging dann so rasch, als ihr lahmes Bein es gestattete, die Treppe hinab.
Sie ist nie wieder zu uns gekommen, obgleich ich ihr nachher einen Brief schrieb und sie um Entschuldigung bat, falls ich in der Hitze etwas Ungehöriges gesagt hätte; die Absicht, sie zu verletzen, habe mir durchaus fern gelegen.
Sie hatte nicht einmal die Höflichkeit, zu antworten. Kurz nach dem Vorfall trat sie der Kapelle in einer Nebenstraße von Tottenham Court Road bei, und als sie starb, zeigte sich, daß sie all ihr Geld dieser und einigen milden Stiftungen hinterlassen hatte. Bald nach ihrem Tode erhielt ich ein kleines Päckchen mit den besten Empfehlungen vom Testamentvollstrecker. Ich öffnete es in der Erwartung, irgend ein kleines Andenken an Tante Marsham zu finden, und was war es? Ein halbes Dutzend Stücke Zucker und ein Zettel, worauf von Tante Marshams Hand geschrieben stand: »Für Jane Tressider, nach meinem Tode – da ist der Zucker wieder.«
Das war alles, was wir davon hatten, daß wir unsre zweite Tochter nach ihrer Tante und Patin Marsham Maud nannten – wir erhielten unsern eigenen Zucker wieder.
Als meine dritte Tochter geboren wurde, glaubte ich, es sei Zeit, ein offenes Wort mit meinem Manne zu reden.
»John,« sagte ich daher, »dieses Kind heißt Jane.« Ich sprach diese Worte in einem Tone, der nicht gerade zum Widerspruch einlud, und alles, was John antwortete, war: »Schön, meine Liebe,« und sie wurde Jane getauft, obschon ich sie, seit sie mit Mr. Gutzeit verheiratet ist, häufig »Schäne« habe nennen hören.
Jane machte Mr. Gutzeits Bekanntschaft bei Brauns, die in unsrer Straße wohnen. In dieser wimmelt es von Deutschen, meist Geschäftsleuten, Kaufleuten und so was Aehnliches, und wir lernten sehr viele von ihnen kennen, ehe wir lange in der Straße gewohnt hatten. Die Misses Braun und die Misses Kroll gehörten zu Sabines, Mauds und Janes besten Freundinnen, denn sie waren zusammen in die Schule gegangen.
Jane ist ein sehr liebenswürdiges Mädchen, still und sanft, und sie hat in ihrer Weise sehr viel Anziehendes. Sie ist immer die Fleißige der Familie gewesen. Schon als Kind verriet sie große Anlage zum Zeichnen, und außerdem hatte sie eine merkwürdige Begabung für fremde Sprachen. Mit sechzehn Jahren sprach sie ausgezeichnet Französisch und Deutsch, und da sie so viel Umgang mit deutschen Mädchen hatte, leistete sie in dieser Sprache ganz Hervorragendes.
Die Mädchen trafen also Mr. Gutzeit sehr häufig bei Brauns, deren Vetter er war, als sie einmal zu einem kleinen Tänzchen in unser Haus kamen, brachten sie ihn mit, worüber wir uns sehr freuten, denn er walzte reizend, und junge Herren, die tanzen, werden heutzutage immer seltener.
Natürlich unterhielt ich mich auch mit ihm und fand, daß er ein sehr liebenswürdiger Mann war, groß, mit blondem deutschen Haar und blondem deutschen Barte und nach meiner Schätzung etwa zweiunddreißig Jahre alt. Er war mir gegenüber sehr aufmerksam und sprach Englisch mit starkem deutschen Accent mit mir. Ich hatte nur eins gegen ihn einzuwenden, und das war sein Beruf; er war nämlich Zahnarzt. Die Mädchen erklärten mir zwar, er sei ein höherer Zahnarzt – ein Zahnchirurg – und habe das Recht, sich Doktor zu nennen, allein ich entgegnete: »Er mag noch so geschickt sein und noch so schöne Titel haben, wenn er Zahnarzt ist, dann zieht er Zähne aus, und ich werde nie mit ihm sprechen können, ohne immer die Worte zu erwarten: ›Bitte, lehnen Sie den Kopf zurück und öffnen Sie den Mund soweit als möglich!‹«
Ich konnte gar nicht begreifen, weshalb die Mädchen sich solche Mühe gaben, daß der deutsche Zahnarzt mir gefallen solle, aber mir ging ein Licht auf, als ich merkte, daß er Jane liebte und daß diese seine Gefühle erwiderte.
Ich will euch mit den Einzelheiten der Werbung nicht langweilen. Ihr könnt euch darauf verlassen, daß wir uns, ehe wir unsre Einwilligung zur Verlobung gaben, vergewisserten, ob Mr. Gutzeit sich in guten Verhältnissen befinde, und ich muß zugeben, in dieser Hinsicht war alles sehr befriedigend. Er besaß ein hübsches Haus in Bayswater, wo ihm seine Schwester den Haushalt führte. An der Thür stand sein Name auf einem Messingschilde, und im Oberlichte der Hausthür war eine rote Laterne angebracht. Leute in feinen Wagen kamen, um sich Zähne ausziehen zu lassen.
Jane versicherte mich, sie liebe ihn innig und mache sich gar nichts daraus, daß er Zahnarzt sei. So gaben wir denn unsre Einwilligung, und in den nächsten Monaten wurde sehr viel Deutsch in unsrem Hause gesprochen, und Karl und Jane plapperten in einer Weise zusammen, daß ich sie schließlich bitten mußte, wenigstens in meiner Gegenwart Englisch zu sprechen, zumal ich es nicht für ganz passend halte, wenn ein junger Mann unsrer eigenen Tochter in einer Sprache den Hof macht, die man nicht versteht.
Nach achtzehnmonatlichem Brautstand fand die Hochzeit statt, und dabei gab es eine große Versammlung von Deutschen. Die jungen Deutschen sind sehr schöne, große, soldatisch aussehende, gut gewachsene Männer, und sie haben einen offenen Blick, der mir außerordentlich wohlgefällt, aber es ist erstaunlich, wie viele von ihnen Brillen tragen.
»Das glückliche Paar« macht seine Hochzeitsreise nach Deutschland – natürlich zuerst den Rhein hinauf – was, wie ich höre, eine feststehende Sitte in Deutschland ist. Mein Sohn John, der viel gereist ist, sagt mir, daß in der guten Jahreszeit die Gasthöfe und Dampfer mit jungen Ehepaaren überfüllt sind und daß sie sich in einer Weise vor aller Welt liebkosen, sich an den Händen halten, einander verzückt in die Augen sehen, Gedichte zusammen lesen und ganz vergessen, daß sie sich auf dem Verdeck eines öffentlichen Dampfers oder im Speisesaal eines Gasthofes befinden, die hierzulande unbekannt ist. Nachdem sie den Rhein gesehen hatten (Jane schrieb mir ganz begeisterte Briefe und sagte, er sei schön wie ein Traum), gingen sie nach Berlin, wo Mr. Gutzeits Eltern damals lebten. Die alten Leute empfingen ihre neue Schwiegertochter sehr herzlich, und Karls Mutter versuchte, sie die Bereitung einer Anzahl deutscher Gerichte zu lehren, aber die arme Jane hatte für derartige Künste nie viel Geschick und wird es nie lernen, und ich bin auch der Ansicht, daß die Männer die Zubereitung des Essens nicht von ihren Frauen verlangen sollten. Wenn sie das für deren erste Pflicht halten, dann sollten sie ihre Köchin heiraten.
Als Jane mir zuerst von Berlin schrieb, bat sie mich, meine Briefe an sie: »Frau Doktor Gutzeit« zu überschreiben, aber das konnte ich nicht. Auf dem ersten Umschlag habe ich es versucht, allein ich habe ihn nicht abgeschickt. Der Gedanke, daß eins meiner Kinder »Frau« genannt wurde, war an sich schon schlimm genug, aber sie auch noch »Doktor« zu nennen, weil ihr Mann den Leuten Zähne auszog, war denn doch zu lächerlich, und ich sprach das in meinem Briefe auch offen aus und überschrieb ihn: »Mrs. Karl Gutzeit.«
Ehe sie heirateten, hatte ich Karl angedeutet, es sei besser, wenn seine Schwester nicht bei ihm bleibe, denn ich wollte nicht, daß mein Kind eine andre Herrin in seinem Hause finden sollte. Das thut auf die Dauer nie gut, und Mutter, Schwester oder Tante eines Ehemannes vertragen sich mit seiner Frau viel besser, wenn sie nicht unter demselben Dache leben, und mit den Verwandten der Frau ist es ebenso. Ich habe mich niemals in ungehöriger Weise in die häuslichen Angelegenheiten eines meiner Kinder gemischt, denn ich weiß, was für ein Vorurteil gegen Schwiegermütter besteht. Karl erwiderte mir, er habe mit seiner Schwester bereits abgemacht, daß sie zu einem andern Bruder gehen solle, der ein Geschäft in Manchester hatte, und als mein liebes Kind von der Hochzeitsreise zurückkam, zog sie als Herrin in ihr Haus ein, und ich freue mich, aussprechen zu können, daß sie, obgleich ihr Mann Ausländer war, ausländisches Wesen hatte und sonderbare Gerichte liebte, den Haushalt ausgezeichnet führte und daß sie im ganzen sehr gut miteinander fertig wurden.
Ich wäre nie mit ihm ausgekommen, selbst wenn ich seine Sprache hätte reden können; ich wäre nie im stande gewesen, den Anblick der vor seinem Hause vorfahrenden Leute auszuhalten, die das Gesicht verbunden hatten, vor Zahnweh stöhnten und sich nachher beim Fortgehen die Kinnbacken hielten.
Als ich sie zum erstenmal besuchte, kamen gleichzeitig mit mir noch drei andre Leute, von denen zwei ächzten, während der dritte, ein Herr, mit den Füßen stampfte.
Ich bekam sofort ebenfalls Zahnweh, und als ich eingetreten und ins Eßzimmer geführt worden war, wo ich Jane, ein Bild des Glücks, fand, da konnte ich die Bemerkung nicht unterdrücken: »Aber, liebes Kind, wie kannst du lächeln, wenn ein halbes Dutzend armer Geschöpfe oben in deines Mannes Wartezimmer sitzt, beinahe wahnsinnig vor Zahnweh?«
Jane lächelte weiter und sagte, sie bekümmere sich nicht darum, aber sie gab doch zu, daß es ihr anfänglich unangenehm gewesen sei, wenn sie ihnen im Hause begegnete, allein sie sei jetzt daran gewöhnt.
Ich konnte mich nicht daran gewöhnen. Nie bin ich ins Haus gegangen, ohne mir einzubilden, ich hätte Zahnweh. Schon in der Art, wie sich der Klingelgriff anfühlte, lag etwas, was mir ein unbehagliches Gefühl in den Zähnen gab, und einmal, als ich an der offenstehenden Thüre des Operationszimmers vorbeiging, sah ich die Marterwerkzeuge und den gräßlichen Stuhl und das kleine Waschbecken auf dem eisernen Gestell in bequemer Nähe und auch das Ding, wodurch man das Gas einatmet, und wenn nicht Janes Geburtstag gewesen wäre, hatte ich mich umgedreht und Fersengeld gegeben.
Ein großer Teil von Karl Gutzeits Geschäft, und zwar der einträglichste, bestand in der Anfertigung künstlicher Zähne, worin er eine Berühmtheit war. Ich habe oft gelacht, wenn er mir erzählte, wie eitel viele alte Damen und Herren seien, die sich Zähne bei ihm machen ließen. Sie wollten sie immer perlenweiß haben und waren sehr eigen hinsichtlich der Form. Eine alte Dame, die darauf bestanden hatte, daß ihre künstlichen Zähne weiß wie Alabaster sein sollten, hatte sich, nachdem sie eingesetzt waren, eine halbe Stunde vor den Spiegel gestellt und ein Lächeln eingeübt, wobei sie sie zeigen konnte. Nachdem sie in den Besitz dieser Zähne gelangt war, grinste sie fortwährend und glaubte schließlich, es seien ihre eigenen. Sie erzählte allen Leuten, sie habe ihre schönen Zähne von einer Großtante geerbt, die unter der Regierung Georgs des Dritten eine berühmte Hofschönheit gewesen war.
Erst als meine Tochter fast ein Jahr verheiratet war, entdeckte ich einen sehr außergewöhnlichen Charakterzug bei ihrem Manne. Seiner Frau und uns gegenüber war er der liebenswürdigste Mensch, den man sich denken kann, aber mit seinen Nachbarn konnte er sich durchaus nicht vertragen. Er stand immer auf gespanntem Fuße mit ihnen, denn er hatte sich in den Gedanken verrannt, sie mischten sich auf eine oder die andre Weise in seine Angelegenheiten. Von diesem, für uns ganz unerwarteten Charakterzuge und seinen Folgen werde ich indes bei einer andern Gelegenheit berichten. Um meines Kindes willen war dieser Umstand eine Quelle großer Sorge für mich, denn er machte Karl in der Nachbarschaft sehr unbeliebt, besonders bei einer Anzahl von Kutschern und Stalljungen, die in einem seinem Hause gerade gegenüberliegenden Hofe wohnten. Zwischen diesen Leuten und Karl herrschte ein ewiger Kriegszustand.
Allein ich werde seiner Zeit noch davon sprechen müssen; ich kam nämlich erst dahinter nach einem Ereignis, das mich zur Großmutter eines deutschen Enkels machte.
Das stellt euch 'mal vor! Wenn es je eine Engländerin gegeben hat, dann bin ich eine, aber die Zeit kam, wo ich das liebe, kleine, rosige Bündel Menschheit in den Armen hielt und hörte, wie ein englischer Geistlicher die krampfhaftesten Versuche machte, die Namen Karl Gottfried Wolfgang auszusprechen. Ich bin wirklich der Ansicht, den Wolf hätten sie weglassen können. Mein Schwiegersohn behauptete zwar, es sei ein ganz christlicher Name und Goethe, der größte Dichter, den Deutschland und vielleicht die Welt je besessen hätte, ebenso wie Mozart, einer der größten Komponisten, hätten Wolfgang geheißen, allein ich kann nichts Christliches darin finden, wenn man ein Menschenkind Wolf nennt.
Diese Namen machten mein Enkelchen nur noch deutscher, und ich konnte nie das Gefühl loswerden, daß ich die Großmutter eines kleinen Ausländers sei. Es war ein reizendes Kindchen, aber es hatte einen deutschen Ausdruck, und ich war ganz fest überzeugt, daß es bei nächster Gelegenheit mit einer Brille erscheinen werde.
Der alte Gutzeit und seine Frau kamen kurz vor der Taufe zum Besuche herüber und waren natürlich bei der Festlichkeit und dem darauffolgenden Frühstück zugegen. Ich wurde ihnen selbstverständlich vorgestellt, aber da sie kein Wort Englisch und ich kein Deutsch verstand, war die Sache etwas peinlich.
Ich sprach so laut, als ich konnte, aber sie schüttelten nur die Köpfe und antworteten etwas, was so, wie es klang, recht gut hätte ein Fluch sein können, was mir aber Jane in eine sehr hübsche Artigkeit übersetzte.
Jane erzählte mir später, der alten Frau Gutzeit habe die Art, wie der Kleine angezogen war, nicht gefallen. Sie wollte ihn gewickelt haben, was, wie ich höre, in Deutschland noch Mode ist; allein ich erhob Einspruch.
»Jane,« sagte ich, »dein Kind mag ein Deutscher sein, du aber bist Engländerin und brauchst dich nicht von einer Ausländerin lehren zu lassen, wie ein Kind behandelt werden muß. Deine Mutter hat nicht umsonst neun Kinder aufgezogen; die wird wohl auch etwas davon verstehen.«
Wir luden die Gutzeits auch einmal zum Essen, und sie schienen ganz angenehme Leute zu sein, aber ich war doch froh, als sie wieder gegangen waren. Eine Unterhaltung mit Achselzucken und Kopfwackeln zu führen und so zu thun, als ob man alles verstanden habe, während man keinen Schimmer hat, was gemeint war, und wenn die Tochter fortwährend ruft, er hat dieses oder jenes gesagt, und wenn man mit seiner Tochter sprechen muß, wo man den Gast meint, und dann zuhören muß, wie die Tochter das, was man gesagt hat, in einem Kauderwelsch wiederholt, daß einem vom bloßen Hören schon der Hals trocken wird: das ist wahrlich keine angenehme Art, einen Abend im eigenen Hause zu verleben.
Ich war wirklich froh, als sie sich empfahlen, aber ich mußte ihnen durch Janes Mund versprechen, daß ich sie vor ihrer Abreise noch einmal in Karls Hause besuchen wollte. Sie waren in der That ganz reizende alte Leute, aber warum in aller Welt haben sie nicht Englisch gelernt, ehe sie eine Reise nach London unternahmen?
Kurz nach der Taufe besuchte ich den Kleinen einmal und wollte meiner Tochter ein Versprechen ablocken, ihn so englisch als möglich aufzuziehen, aber sie entgegnete mir, sein Vater wünsche ebenso dringend, ihn so deutsch als möglich zu erziehen, Gott sei Dank! Der arme Wurm ist als britischer Unterthan geboren und wird nicht in jugendlichem Alter aus seiner Mutter Arm gerissen, um in der Schlacht hingeopfert zu werden, auch braucht er sich nicht gefallen zu lassen, daß ihm das Haar kurz geschoren und ein deutscher Soldat aus ihm gemacht wird.
Der Gedanke, daß eins meiner Enkelkinder jemals ein deutscher Soldat werden, Kommißbrot essen und sich mit den Franzosen herumschlagen müßte, hat mich viele Nächte nicht schlafen lassen, und ich fand nicht eher Ruhe, bis mir Karl versicherte, daß dazu auch nicht die entfernteste Möglichkeit vorhanden wäre. Ich besitze eine sehr große Hochachtung vor dem deutschen Heere, aber als getreue britische Unterthanin würde ich mich nie entschließen können, aus freien Stücken die Großmutter eines deutschen Soldaten zu werden.