Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 3
Julius Stettenheim

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1 Die spanische Reise.

I.

Herrn Wippchen in Bernau.

Eine freudigere Ueberraschung konnten Sie uns nicht bereiten, als durch Ihr freiwilliges Anerbieten, die Berichterstattung über den Besuch des Deutschen Kronprinzen in Madrid zu übernehmen. Denn wir hatten zwar die Absicht, Sie darum zu bitten, aber doch nicht den Muth dazu, da wir wissen, wie ungern Sie sich mit etwas Anderem, als mit dem Krieg beschäftigen.

Wir danken Ihnen nunmehr um so herzlicher und wünschen Ihnen Glück zu dem interessanten Stoff. Die Fahrt unseres Kronprinzen nach Spanien ist ein glänzendes weltgeschichtliches Ereigniß, die Augen von ganz Europa sind auf dieselbe gerichtet, und Alles daran ist sensationell, überraschend, pikant. Die Berichterstattung ist vielleicht niemals vor ein Thema gestellt worden, welches, wie diese Reise, zugleich bedeutend und reizend ist.

2 Eines nur in Ihrer werthen Zuschrift ist uns unverständlich geblieben. Sie ersuchen uns, Ihnen umgehend eine rothe Fahne, wie solche bei Stiergefechten verwendet wird, zu senden. Wo sollen wir dergleichen hier finden, und was wollen Sie damit?

Ihrem ersten Berichte entgegensehend, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 15. November 1885.

»Setz' Deinen Fuß auf ellenhohe Perrücken, Du bleibst doch immer, was Du bist!« würde ich Ihnen zurufen, wenn wir eines Tages ein Du geleert hätten. Denn Sie meinen sehr richtig, mir wäre der Mars die liebste Beschäftigung, und sind doch erstaunt darüber, daß ich plötzlich zur spanischen Reise greife. Meiner Brust entrang sich ein lautes Kopfschütteln, als ich das las. Grade weil ich das Kriegsgetümmel jeder anderen journalistischen Thätigkeit vorziehe, habe ich mich entschlossen, über diese historische Reise zu berichten. Denn ich brauche einem Ereigniß nur auf den Zahn der Zeit zu fühlen und weiß sofort, wo die Fugen sind, aus welchen die Zeit ist. Sehen Sie denn nicht den Hund, der da begraben liegt? Ich halte den Krieg zwischen Frankreich 3 und Spanien für unvermeidlich, es bedarf nur noch Eines Funkens, und das Pulverfaß kommt in's Rollen. Denn der Krieg ist der besagteste aller Hämmel, auf den Frankreich wieder und immer wieder kommt, um sein Prestige zu erneuern, und bietet sich ihm eine Gelegenheit, so wird es deren Haare gewiß nicht schonen, sondern sie bei denselben herbeiziehen.

Von einem gut unterrichteten Relatareferenten höre ich, daß die Franzosen noch bis zum letzten Moment hofften, die Reise werde zu Wasser werden, was dann solches auf ihre Mühle gewesen wäre. Nun aber, da sie sich getäuscht sehen, verlieren sie eine Fassung nach der anderen. Kein Pariser Blatt nimmt das andere vor den Mund, alle Journale sprechen von dieser Reise in äußerst derben Mühlrädern, die ihnen im Kopf herumgehen. Frankreich, sagen sie, sonst ein Feuer-, sei jetzt ein Aschenbrödel geworden, und es sei daher die Aufgabe der großen grande nation, Deutschland ein Paroli zu biegen oder zu brechen. Besonders die Pariser sind außer sich. Wenn Zwei, die über die Reise gesprochen haben, auseinandergehen und sich die Hände reichen wollen, so wissen sie sich nicht zu fassen. Sie, die noch vor etlichen Wochen an dem König von Spanien das schreiendste Gastunrecht ausübten, weil ihm ein Deutsches Ulanenregiment in den Schooß gefallen war, beklagen sich heute über Deutschland, das dem Könige einen Besuch in die Wunde träufelt! Das ist doch naiv. Immerhin aber beweist es deutlich, daß Frankreich nur auf den Moment wartet, wo das Hühnchen reif ist, um es 4 mit uns zu pflücken. Aus diesem Grunde ist die spanische Reise ein Stoff für mich, ich bin eben – verzeihen Sie das harte Wort! – der geborene Bellumtrist.

Selbstverständlich werde ich mich hüten, überall als die Frucht dieses Besuchs mein Steckenpferd, den Erisapfel, zu reiten. Ich werde kein Wässerchen der Freude trüben, wo dies nicht durch die Umstände geboten erscheint. Ich werde im Gegentheil in die Friedensschalmei stoßen. Damit ich dies mit aller Seelenruhe thun kann, antworte ich Ihnen, falls Sie mich fragen sollten, wieviel Vorschuß ich haben will, mit der Bitte, mir 10 Pesos zu senden, also etwa 40 Mark. Ich würde natürlich gerne mehr fordern, wenn ich wüßte, daß Ihnen diese geringe Summe Unbequemlichkeiten verursacht. Meine Adresse ist einfach: Don Wippchen.

* * *

Madrid, den 13. November 1883.

W. Obwohl ohne Ulanenregiment, bin ich doch nicht über Paris gereist. Paris ist, weil nicht geheuer, ein Ungeheuer. Und ich wollte mir die Freude nicht verderben lassen, die ich empfunden hatte, als ich hörte, der Kronprinz des Deutschen Reiches sei dazu ausersehen, dem Könige von Spanien die Gegenvisite zu reichen.

Gestern kam ich hier an und stieg in Carmens Hotel ab, das ich jedem Reisenden empfehlen kann. Es ist eines jener alten Châteaux en Espagne, welche leider allmälig 5 verschwinden. Die Wände sind mit Oelwerken Tizian's und Murillo's bedeckt, und es herrscht in diesem Hause, leider ausnahmsweise, die größte Reinlichkeit. So z. B. wird die Mandoline meines Zimmers jeden Morgen frisch bezogen. Von meinem Fenster aus blicke ich auf das Reiterdenkmal des Comthur, jenes Unglücklichen, der einst, von Don Juan's Degen durchbohrt, niedersank, und von dem die Sage geht, er lasse auch heute noch keine Einladung des Verführers seiner Tochter unberücksichtigt.

Als ich ankam, war die Luna bereits hereingebrochen, und da fiel mir die Zeit ein, wo König Philipp sagte, in seinem Staate gehe die Sonne nicht unter. Das hat sich allerdings geändert. Das einst so große Reich ist anstatt der Sonne untergegangen, aber Madrid ist noch immer eine schöne Stadt. Ich bin entzückt. Auf dem Manzanares schaukelten die Nachkommen des Cid, die edelsten Hidalgos, an der Seite ihrer Dulcineen, und über die Promenaden flogen auf feurigen Rosinanten die spanischen Reiter dahin nach Aranjuez, wo die schönen Tage noch immer vorüber sind. Und aus dem Circus ertönte das Gebrüll der Stiere, welche nächstens mit den Toreadores fechten und unrettbar in den Sand beißen sollen.

Da mich die spanischen Fliegen in meinem Zimmer nicht schlafen ließen, so erhob ich mich früh, nahm eine Olla potrida (sprich Olla potrida) zu mir und ging aus. Ueberall redet man von dem principe de la corona Frederico 6 Guillelmo mit ungeheurer Begeisterung, und vom elegantesten Don Juan bis hinunter zum letzten Leporello hat Keiner Ruh' bei Tag und Nacht, bis der hohe Besuch eintrifft. Von den Häusern flattern Fahnen, Teppiche und Illuminationskörper, das Theater bereitet Schillers Don Carlos in drei Theilen vor, die Preciosas, Pepitas und wie die holden Frauen heißen mögen, haben alle Hände voll Castagnetten zu thun, um sich für die Festtage einzutanzen, die Estudiantina hat neue Löffel bekommen, aus der ganzen Umgegend strömen die Landbewohner auf ihren von malerischen Mundthieren gezogenen Fuhrwerken in die Stadt, und Alles feiert, um die Festtage fröhlich zu begehen.

Und diese köstliche Stimmung beherrscht ganz Spanien. Auf meiner Herreise war ich einige Stunden in Sevilla. Als ich in Figaros Laden trat, um mich barbieren zu lassen, traf ich dort den Grafen Almaviva und dessen große Rosine, (welche wegen des ihr auf der Oberlippe sprießenden zierlichen Backenbärtchens gleichfalls eines Barbiers bedarf,) ferner den alten Doctor Bartolo, den Bassisten Basilio, den Pagen Cherubin, in dem ich ein sehr nettes Mädchen kennen lernte, kurz, eine reizende Gesellschaft. Es wurde von Nichts als von der Ankunft des Deutschen Kronprinzen gesprochen, und einstimmig gratulirten sie Spanien zu dem Glück, welches dem Lande aus Fortunas Füllhorn entgegentönt.

Nun zu den Festen!


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