Es war ein Mann von der Insel Hawaii, den ich Keawe nennen will; er lebt nämlich noch, und sein Name muß verschwiegen bleiben; aber sein Geburtsort war nicht weit von Honaunau, wo die Gebeine Keawes des Großen in einer Höhle begraben liegen. Dieser Mann war arm, ehrlich und fleißig; er konnte lesen und schreiben wie ein Schulmeister; außerdem war er ein ausgezeichneter Matrose, fuhr eine Zeitlang auf den Inseldampfern und steuerte einen Kutter an der Küste von Hamakua. Schließlich kam es Keawe in den Sinn, sich mal die große Welt und ausländische Städte anzusehen, und er heuerte auf einem Schiff an, das nach San Franzisko fuhr.
Das ist eine schöne Stadt, mit einem schönen Hafen und so vielen reichen Leuten, daß man sie nicht zählen kann; und im besonderen ist da ein Hügel, der ganz mit Palästen bedeckt ist. Nach diesem Hügel machte nun Keawe eines Tages einen Spaziergang, seine ganze Tasche voll von Geld, und besah sich mit Vergnügen die großen Häuser auf beiden Seiten,
»Was für schöne Häuser sind das!« dachte er bei sich selber, »Und wie glücklich müssen die Leute sein, die darin wohnen und sich nicht um den morgigen Tag zu kümmern brauchen!«
Wie er so darüber nachdachte, kam er vor ein Haus, das war kleiner als die anderen, aber wunderschön und sauber wie ein Spielzeug; die Treppen vor dem Hause glänzten wie Silber, die Beete in dem Garten waren voll Blumen wie Girlanden, und die Fensterscheiben funkelten wie Diamanten. Und Keawe blieb stehen und verwunderte sich über die Herrlichkeit all dessen, was er sah.
Wie er nun so dastand, bemerkte er einen Mann, der durch ein Fenster nach ihm sah, und das Fenster war so klar, daß Keawe ihn beobachten konnte, wie man einen Fisch in einer Wasserlache auf dem Riff beobachten kann. Der Mann war schon ältlich, mit einem kahlen Kopf und einem schwarzen Bart; auf seinem Gesichte lag schwere Sorge, und er seufzte bitterlich. Und die Wahrheit ist die: Als Keawe auf den Mann drinnen und der Mann auf Keawe draußen sah, beneidete jeder von ihnen den anderen.
Auf einmal lächelte der Mann und nickte und winkte Keawe zu, er solle hereinkommen, und ging ihm an die Haustür entgegen. Und da sagte der Mann und seufzte dabei bitterlich:
»Das ist ein schönes Haus, mein Haus. Hätten Sie nicht Lust, sich mal die Zimmer anzusehen?«
So führte er denn Keawe durch das ganze Haus, vom Keller bis auf den Dachboden hinauf, und in dem Hause war nichts, das nicht in seiner Art vollendet war, und Keawe war erstaunt.
»Gewiß«, sagte Keawe, »dies ist ein schönes Haus; wenn ich in einem solchen Haus wohnte, würde ich den ganzen Tag lachen. Wie kommt es denn nun, daß Sie immer so seufzen?«
»Es ist kein Grund vorhanden«, sagte der Mann, »warum Sie nicht ein Haus haben sollten, das in allen Dingen diesem hier ähnlich ist, und sogar noch schöner, wenn Sie wünschen. Sie haben doch wohl etwas Geld bei sich, denke ich?«
»Ich habe fünfzig Dollar«, sagte Keawe, »aber ein Haus wie dies wird mehr als fünfzig Dollar kosten.«
Der Mann dachte einen Augenblick nach, wie wenn er rechnete; dann sagte er:
»Es tut mir leid, daß Sie nicht mehr haben, denn das kann Ihnen vielleicht in der Zukunft Sorgen bereiten; aber für fünfzig Dollar sollen Sie es haben.«
»Das Haus?« fragte Keawe.
»Nein, nicht das Haus«, antwortete der Mann, »aber die Flasche; denn ich muß Ihnen sagen: Obwohl ich Ihnen so reich und glücklich erscheine, so kam all mein Glück und dieses Haus mitsamt dem Garten von ihr her, die nicht viel größer ist als eine Faust. Da ist sie.«
Und er öffnete einen Wandschrank und nahm eine rundbauchige Flasche mit einem langen Hals heraus; das Glas der Flasche war weiß wie Milch, mit schillernden Regenbogenfarben. Drinnen in der Flasche bewegte sich etwas Unbestimmtes, wie ein Schatten und ein Feuer.
»Dies ist die Flasche«, sagte der Mann; und als Keawe lachte, fuhr er fort: »Sie glauben mir nicht? Nun, dann versuchen Sie es selber mal. Sehen Sie zu, ob Sie sie zerbrechen können.«
So nahm denn Keawe die Flasche in die Hand und schmiß sie auf den Fußboden und schmiß sie immer wieder, bis er müde war; aber sie prallte von dem Fußboden ab wie ein Kinderball und blieb heil und ganz.
»Das ist ein merkwürdiges Ding«, sagte Keawe, »denn wie sie sich anfühlt und aussieht, sollte sie aus Glas sein.«
»Aus Glas ist sie«, versetzte der Mann und seufzte dabei schwerer denn je, »aber das Glas dieser Flasche wurde in den Flammen der Hölle geblasen. Ein Teufelchen wohnt darin, und das ist der Schatten, den wir da sich bewegen sehen; wenigstens denke ich mir das. Wenn irgendein Mensch diese Flasche kauft, steht ihm das Teufelchen zu Befehl; alles was er begehrt – Liebe, Ruhm, Geld, Häuser wie dieses Haus, ja sogar eine Stadt wie diese Stadt – alles ist sein, sobald er das Wort ausspricht. Napoleon hatte diese Flasche und wurde durch sie der König der Welt; aber schließlich verkaufte er sie und stürzte. Kapitän Cook hatte diese Flasche und fand dank ihr den Weg zu so vielen Inseln; aber auch er verkaufte sie und wurde auf Hawaii erschlagen. Denn sobald sie verkauft ist, entschwindet die Macht des früheren Besitzers und der Beistand des Teufels: und wenn einer nicht mir dem zufrieden ist, was er hat, wird es ihm übel ergehen.«
»Und doch reden Sie selber davon, daß Sie sie verkaufen wollen?« sagte Keawe.
»Ich habe alles, was ich wünsche, und ich werde allmählich alt«, antwortete der Mann. »Ein einziges vermag das Teufelchen nicht – es kann nicht das Leben verlängern; und, es wäre nicht ehrlich, es Ihnen zu verhehlen: Mit der Flasche ist ein Übelstand verbunden; denn wenn ein Mensch stirbt, bevor er sie verkauft, muß er ewiglich in der Hölle brennen.«
»Ganz gewiß ist das ein Übelstand!« rief Keawe. »Mit dem Ding möchte ich nichts zu tun haben. Ich kann, Gott sei dank, auch ohne ein Haus fertig werden; aber eines gibt es, womit ich ganz und gar nicht fertig werden könnte, nämlich, daß ich verdammt wäre!«
»Herrje! Sie müssen nicht gleich so hastig sein!« antwortete der Mann. »Sie haben weiter nichts zu tun, als daß Sie sich der Macht des Teufelchens mit Mäßigung bedienen und die Flasche dann an irgendeinen andern verkaufen, wie ich sie jetzt Ihnen verkaufe, und dann bis an das Ende Ihrer Tage in Behaglichkeit leben.«
»Hm, ich bemerke zweierlei«, sagte Keawe. »Die ganze Zeit seufzen Sie wie eine Jungfer, die verliebt ist – das ist das eine; und das andere ist: Sie verkaufen diese Flasche sehr billig.«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, warum ich seufzte: nämlich weil ich befürchte, daß meine Gesundheit schwach wird; und wie Sie selber sagten, zu sterben, um zum Teufel zu gehen, das ist für jeden Menschen was Schreckliches. Was nun das anbetrifft, daß ich die Flasche so billig verkaufe, so muß ich Ihnen erklären, daß mit der Flasche eine besondere Bedingung verknüpft ist. Vor langer Zeit, als der Teufel sie zuerst auf die Erde brachte, da war sie ungeheuer teuer. Zu allererst wurde sie an den Priester Johannes verkauft für viele Millionen Dollar; sie kann aber nur mit Verlust verkauft werden. Wenn Sie sie um denselben Preis verkaufen, den Sie dafür bezahlt haben, so kommt sie zu Ihnen zurück wie eine Taube in den Schlag. Infolgedessen ist der Preis in allen diesen Jahrhunderten fortwährend gesunken, und die Flasche ist jetzt merkwürdig billig. Ich selber kaufte sie von einem meiner großmächtigsten Nachbarn hier auf dem Hügel, der Preis, den ich dafür bezahlte, betrug nur neunzig Dollar. Ich könnte sie für neundundachtzig Dollar und neunundneunzig Cent verkaufen, aber nicht um einen Cent teurer, sonst würde das Ding zu mir zurückkommen. Nun sind zwei Mißstände dabei. Erstens: Wenn man eine so eigenartige Flasche für achtzig und soundsoviele Dollar anbietet, denken die Leute, man mache einen Scherz. Und zweitens – aber damit eilt es nicht, und ich brauche nicht näher darauf einzugehen. Nur müssen Sie dran denken, daß Sie die Flasche für gemünztes Geld verkaufen müssen.«
»Woher soll ich aber wissen, daß dies alles wahr ist?« fragte Keawe.
»Einen kleinen Versuch können Sie sofort machen«, versetzte der Mann. »Geben Sie mir Ihre fünfzig Dollar, nehmen Sie die Flasche und wünschen Sie sich Ihre fünfzig Dollar in Ihre Tasche zurück. Wenn das nicht eintrifft, so versichere ich Ihnen mit meinem Ehrenwort, daß ich den Handel rückgängig mache und Ihnen Ihr Geld zurückzahle.«
»Sie belügen mich doch nicht?« fragte Keawe.
Und der Mann band sich mit einem großen Eid.
»Schön, soviel will ich riskieren«, sagte Keawe, »denn das kann ja weiter nichts schaden.«
Und er bezahlte dem Mann sein Geld, und der Mann übergab ihm die Flasche.
»Flaschenteufelchen!« sagte Keawe. »Ich wünsche meine fünfzig Dollar zurück!« Und richtig – kaum hatte er das Wort gesprochen, so war seine Tasche so schwer wie zuvor.
»Wahrhaftig! Das ist eine wundervolle Flasche!« rief Keawe.
»Und nun guten Morgen, mein schöner Junge, und hole Sie der Teufel statt meiner!« sagte der Mann.
»Halt!« rief Keawe. »Ich will von diesem Unsinn nichts mehr wissen. Hier – nehmen Sie Ihre Flasche zurück!«
»Sie haben sie für weniger gekauft, als ich dafür bezahlt hatte«, antwortete der Mann und rieb sich die Hände. »Jetzt gehört sie Ihnen, und ich für meinen Teil wünsche weiter nichts, als Ihren Rücken zu sehen.«
Und damit klingelte er nach seinem chinesischen Diener und ließ Keawe die Haustür zeigen.
Als nun Keawe auf der Straße stand, seine Flasche unter dem Arm, da begann er nachzudenken.
»Wenn dies von der Flasche alles wahr ist, habe ich vielleicht ein böses Geschäft gemacht«, dachte er, »aber vielleicht hat der Mann nur einen Spaß mit mir getrieben.«
Das erste, was er tat, war, daß er sein Geld zählte. Die Summe stimmte genau – neunundvierzig Dollar amerikanisches Geld und ein chilenischer Peso.
»Das sieht nach Wahrheit aus«, sagte Keawe zu sich selber, »nun will ich es mal an einer anderen Stelle versuchen.«
Die Straßen in jenem Stadtteil waren so rein wie ein Schiffsdeck, und obgleich es Mittag war, gingen keine Leute auf der Straße. Keawe setzte die Flasche in den Rinnstein und ging weg. Zweimal sah er sich um, und da stand jedesmal die milchweiße, rundbauchige Flasche auf der Stelle, wo er sie hingestellt hatte. Zum dritten Male sah er sich um, und dann bog er um eine Ecke; aber kaum hatte er das getan, da stieß etwas an seinen Ellbogen – und siehe da! Es war der lange Flaschenhals, der steil empor stand, und der runde Bauch der Flasche, der fest in der Tasche seiner Matrosenjacke stak.
»Und das sieht auch nach Wahrheit aus!« sagte Keawe.
Das nächste, was er nun tat, war folgendes: Er kaufte in einem Laden einen Pfropfenzieher und ging an einen einsamen Ort auf freiem Felde, draußen vor der Stadt. Und dort versuchte er, den Pfropfen herauszuziehen; aber sooft er die Schraube hineindrehte, kam sie wieder heraus, und der Kork war heil und ganz wie zuvor.
»Das ist ein neumodischer Pfropfen«, sagte Keawe; und auf einmal begann er zu zittern und zu schwitzen, denn er hatte Angst vor der Flasche.
Auf seinem Rückweg nach dem Hafen sah er einen Laden, worin ein Mann Muscheln und Keulen von den Südsee-Inseln verkaufte, dazu alte Götzenbilder, alte Münzen, chinesische und japanische Bilder und all solches Zeug, wie Seeleute es in ihren Matrosenkisten mitbringen. Und da hatte er einen Einfall. So ging er denn hinein und bot die Flasche für einhundert Dollar zum Verkauf an. Der Ladenbesitzer lachte ihn zuerst aus und bot ihm fünf. Aber allerdings – hm, es sei eine merkwürdige Flasche, solches Glas sei niemals in einer menschlichen Glashütte geblasen worden, so hübsch spielten die Farben unter dem Milchweiß, und so seltsam tanzte der Schatten in der Mitte. Nachdem er also eine Weile mit ihm gefeilscht hatte, wie diese Leute zu tun pflegen, gab der Trödler dem Keawe sechzig Silberdollar für das Ding und setzte es auf ein Bord mitten in seinem Schaufenster.
»Nu«, sagte Keawe, »ich habe also für sechzig verkauft, was ich für fünfzig kaufte – oder eigentlich noch etwas billiger, weil einer von meinen Dollars ein chilenischer war. Nun werde ich also die Wahrheit auch über einen anderen Punkt erfahren.«
So ging er denn an Bord seines Schiffes zurück, und als er seine Kiste aufmachte, da lag die Flasche – sie war also schneller gekommen als er selber.
Nun hatte Keawe an Bord einen Maat, der hieß Lopaka.
»Was fehlt dir denn«, sagte Lopaka, »daß du so in deine Kiste starrst?« Sie waren allein vorne im Schiffsraum, und Keawe ließ ihn Verschwiegenheit schwören und erzählte ihm alles.
»Das ist eine sehr sonderbare Geschichte«, sagte Lopaka, »und ich fürchte, du wirst wegen dieser Flasche in Sorgen kommen. Aber eines ist dabei sehr klar: Die Sorgen sind dir sicher, und darum solltest du auch den Profit von diesem Geschäft mitnehmen. Überlege dir, was du dir wünschen willst; gib den Befehl, und wenn der ausgeführt wird, wie du es willst, dann will ich selber die Flasche kaufen; denn ich habe den Wunsch, einen Schoner zu besitzen und zwischen den Inseln Handel zu treiben.«
»Danach steht mein Sinn nicht«, sagte Keawe, »sondern ich möchte ein schönes Haus mit Garten an der Küste von Kona haben, wo ich geboren wurde: wo die Sonne zur Tür hineinscheint, mit Blumen im Garten; Glasscheiben in den Fenstern, Bilder an der Wand, Nippsachen und schöne Decken auf den Tischen – ganz und gar so ein Haus, wie das, worin ich heute war – bloß ein Stockwerk höher und mit Balkonen rund herum wie des Königs Palast; und darin möchte ich wohnen ohne Sorge und mit meinen Freunden und Verwandten lustig sein.«
»Schön«, sagte Lopaka, »laß uns die Flasche mit nach Hawaii nehmen; und wenn alles richtig ausfällt, wie du denkst, will ich die Flasche, wie ich dir sagte, kaufen und will für mich einen Schoner verlangen.«
So machten sie es denn miteinander ab, und es dauerte nicht lange, da fuhr das Schiff nach Honolulu zurück, mit Keawe und Lopaka und der Flasche an Bord. Kaum waren sie an Land gekommen, so begegneten sie am Strande einem Freund, der sofort Keawe sein Beileid auszusprechen begann.
»Ich weiß nicht, wozu man mir Beileid aussprechen muß«, sagte Keawe.
»Ist es möglich, daß du es noch nicht gehört hast?« rief der Freund. »Dein Oheim, der gute alte Mann, ist tot, und dein Vetter, der schöne Junge, ertrank in der See.«
Keawe war sehr bekümmert, begann zu weinen und zu klagen und vergaß so ganz und gar seine Flasche. Aber Lopaka war nachdenklich, und als Keawes Schmerz sich ein bißchen gelegt hatte, sagte er auf einmal:
»Ich habe eben darüber nachgedacht – hatte nicht dein Oheim Landbesitz in Hawaii im Bezirk Kau?«
»Nein«, sagte Keawe, »nicht in Kau; die Ländereien liegen an der Bergseite – ein bißchen südlich von Hookena.«
»Diese Ländereien werden ja jetzt dein sein?« fragte Lopaka.
»Ganz gewiß werden sie das!« sagte Keawe und begann wieder um seine Verwandten zu jammern.
»Nein!« rief Lopaka. »Laß jetzt das Jammern sein! Ich habe einen Gedanken in meinem Sinn. Was meinst du, wenn dies die Flasche verursacht hätte? Denn hier ist ja der Platz fertig für dein Haus.«
»Wenn das so ist«, rief Kaewe, »dann ist das eine sehr schlimme Art, mir zu dienen, indem man meine Verwandten tötet. Aber, allerdings, es mag wohl sein; denn gerade in so einer Lage sah ich das Haus mit meines Geistes Augen.«
»Das Haus ist aber noch nicht gebaut«, sagte Lopaka.
»Nein – und wird wohl auch niemals gebaut werden!« sagte Keawe. »Denn mein Onkel hatte zwar ein bißchen Kaffee und Ava und Bananen, aber das wird nicht mehr sein, als daß ich bequem leben kann; und der Rest der Ländereien ist schwarze Lava.«
»Laß uns zum Rechtsanwalt gehen«, sagte Lopaka, »ich habe meinen Gedanken immer noch im Kopf.«
Als sie nun zu dem Rechtsanwalt kamen, da stellte es sich heraus, daß Keawes Oheim in den letzten Tagen ungeheuerlich reich geworden war, und es war ein Vermögen an barem Geld vorhanden. Da rief Lopaka:
»Und hier ist das Geld für das Haus!«
»Wenn Sie an ein neues Haus denken, das Sie bauen wollen«, sagte da der Rechtsanwalt, »hier ist die Karte eines neuen Baumeisters, von dem man große Dinge erzählt.«
»Besser und besser!« rief Lopaka. »Hier ist ja alles klipp und klar. Laß uns fortfahren, den Befehlen zu gehorchen!«
So gingen sie denn zu dem Baumeister, und der hatte Baupläne von Häusern auf seinem Tisch liegen.
»Sie wünschen etwas, das nicht so alltäglich ist«, sagte der Baumeister. »Wie gefällt Ihnen dies hier?« Und er reichte Keawe eine Zeichnung.
Als nun Keawe einen Blick auf diese Zeichnung warf, da schrie er laut auf; denn es war ganz genau das Bild von dem Hause, das er sich gedacht hatte.
»Dies Haus muß ich kriegen«, dachte er bei sich. »So wenig mir die Art und Weise gefällt, wie ich dazu komme, so muß ich es doch jetzt kriegen; es ist wohl auch ebensogut, wenn ich mit dem Bösen auch das Gute nehme.«
So sagte er denn dem Baumeister alle seine Wünsche und wie er das Haus eingerichtet haben wolle, und von den Bildern an der Wand und den Nippsachen auf den Tischen; und er fragte den Mann, für wieviel Geld er es übernehmen wollte, den ganzen Auftrag auszuführen.
Der Baumeister stellte viele Fragen, und dann nahm er eine Feder und machte eine Berechnung; und als er fertig war, nannte er genau die Summe, die Keawe geerbt hatte.
Lopaka und Keawe sahen einander an und nickten.
»Es ist ganz klar«, sagte Keawe, »daß ich dieses Haus kriegen muß, ob ich will oder nicht. Es kommt vom Teufel, und ich fürchte, ich werde wenig Gutes davon haben; und eines ist ganz gewiß: Ich werde keine Wünsche mehr äußern, solange ich noch diese Flasche habe. Aber das Haus habe ich nun einmal auf dem Buckel, und darum kann ich ebensogut mit dem Bösen auch das Gute nehmen.«
So machte er seinen Vertrag mit dem Baumeister, und sie unterzeichneten ein Papier; und Keawe und Lopaka gingen wieder zu Schiff und segelten nach Australien; denn sie hatten untereinander abgemacht, daß sie sich um den Bau gar nicht bekümmern, sondern es dem Baumeister und dem Flaschenteufel überlassen wollten, nach ihrem eigenen Gefallen dieses Haus zu bauen und auszuschmücken.
Sie hatten eine gute Reise; nur wagte die ganze Zeit über Keawe kaum ein Wort zu sagen, denn er hatte geschworen, daß er keine Wünsche mehr aussprechen und keine Dienste mehr von dem Teufelchen annehmen wollte. Als sie zurückkamen, war die Zeit herum. Der Baumeister sagte ihnen, das Haus sei fertig, und Keawe und Lopaka fuhren als Passagiere auf der ›Hall‹ nach Kona hinunter, um das Haus zu besichtigen und nachzusehen, ob alles richtig gemacht sei, wie Keawe es sich in seinem Sinn gedacht hatte.
Nun, das Haus stand am Bergabhang, so daß es vom Schiff aus gesehen werden konnte. Über ihm lief der Wald hinauf bis in die Regenwolken; unter ihm fiel die schwarze Lava in Klippen ab, in denen die Könige der alten Zeiten begraben liegen. Ein Garten blühte rund um das Haus herum mit Blumen von allen Farben; und auf der einen Seite war ein Garten mit Papaiabäumen, und auf der anderen ein Garten mit Brotbäumen, und auf der Vorderseite, nach der See zu, da war ein Schiffsmast aufgetakelt und trug eine Flagge. Das Haus war aber drei Stockwerke hoch mit großen Zimmern und breiten Balkonen vor jedem. Die Fenster waren aus Glas, und das war so ausgezeichnet, daß es so klar wie Wasser und so hell wie der Tag war. Alles mögliche Hausgerät schmückte die Zimmer. Gemälde hingen an den Wänden in goldenen Rahmen: Bilder von Schiffen und von Schlachten, von den allerschönsten Weibern und von merkwürdigen Orten; nirgendwo auf der Welt gibt es Gemälde von so hell leuchtenden Farben wie die, die Keawe in seinem Hause an der Wand hängen fand. Die Nippsachen aber waren außerordentlich schön: Uhren, die die Stunden schlugen, und Spieldosen; kleine Männchen mit nickenden Köpfen; Bücher voll von Bildern; kostbare Waffen aus allen Teilen der Welt; die elegantesten Rätselspiele, mit denen ein Mann, wenn er allein ist, sich die Zeit vertreiben kann. Und da kein Mensch in solchen Zimmern leben möchte, bloß um durch sie hindurchzugehen und sie anzugucken, so waren die Balkone so breit gemacht, daß eine ganze Stadt voller Wonne hätte darauf hausen können; und Keawe wußte nicht, welcher Balkon ihm lieber war: der auf der Rückseite, wo man die Landbrise bekam und auf die Baumgärten und die Blumenbeete sah, oder der Vorderbalkon, auf dem man den Seewind trinken und über den steilen Bergwall hinabblicken und die ›Hall‹ sehen konnte, wie sie alle Wochen einmal zwischen Hookena und den Bergen von Pili hin und her fuhr, oder die Schoner, die die Küste hinaufkreuzten, um Holz und Ava und Bananen zu holen.
Als sie nun alles besichtigt hatten, da setzten Keawe und Lopaka sich auf die Türschwelle, und Lopaka fragte:
»Nun, ist alles so, wie du es dir ausgedacht hattest?«
»Worte können es nicht aussprechen«, sagte Keawe. »Es ist besser, als ich geträumt hatte, und ich bin ganz krank vor Zufriedenheit.«
»Es ist bloß ein Ding dabei zu bedenken«, sagte Lopaka, »dies alles kann auf ganz natürliche Weise hergegangen sein, und das Flaschenteufelchen hat vielleicht gar nichts damit zu tun. Wenn ich nun die Flasche kaufte und schließlich keinen Schoner bekäme, dann hätte ich für nichts und wieder nichts meine Hand ins Feuer gesteckt, Ich gab dir allerdings mein Wort; trotzdem denke ich, du möchtest mir eine weitere Probe nicht abschlagen.«
»Ich habe geschworen, ich würde keine Gunst mehr annehmen«, sagte Keawe. »Ich sitze schon tief genug drin.«
»Es ist keine Gunst, woran ich denke«, versetzte Lopaka. »Ich möchte bloß das Teufelchen selber sehen. Dabei ist nichts zu gewinnen, und so braucht man sich auch eines solchen Wunsches nicht zu schämen; aber wenn ich ihn einmal sähe, so würde ich der ganzen Sache gewiß sein. Also tu mir doch den Gefallen und laß mich das Teufelchen sehen; sobald du es getan hast, will ich die Flasche kaufen.«
»Dabei ist bloß eins, wovor ich Furcht habe«, sagte Keawe. »Das Teufelchen mag vielleicht sehr häßlich anzusehen sein; und wenn du es einmal gesehen hättest, so könnte es dir dann sehr unerwünscht sein, die Flasche zu haben.«
»Ich bin ein Mann von Wort«, sagte Lopaka. »Und hier zwischen uns liegt das Geld.«
»Nun schön«, antwortete Keawe. »Ich bin selber neugierig. Also los: Laßt Euch mal anschauen, Herr Teufel!«
Sobald nun das gesagt war, schaute das Teufelchen aus der Flasche heraus und war gleich wieder drinnen, flink wie eine Eidechse; Keawe und Lopaka aber saßen da zu Stein erstarrt. Es war schon finstere Nacht, bevor einer von den beiden einen Gedanken fassen oder die Stimme finden konnte, ein Wort zu sprechen; und dann schob Lopaka seinem Freunde das Geld zu, nahm die Flasche und sagte:
»Ich bin ein Mann von Wort, und wenn ich das nicht wäre, dann würde ich diese Flasche nicht mit meinem Fuß anrühren. Na, ich werde meinen Schoner kriegen und dazu einen Dollar oder zwei für meine Flasche; und dann will ich diesen Teufel wieder loswerden, so schnell ich kann. Denn um dir die reine Wahrheit zu sagen: Sein Anblick hat mich ganz umgeschmissen.«
»Lopaka«, sagte Keawe, »denke nicht schlechter von mir, als du nötig hast! Ich weiß, es ist Nacht, die Wege sind schlecht und die Stelle bei den Gräbern ist ein schlimmer Ort, um in so später Stunde dran vorbeizugehen – aber ich erkläre dir: Seitdem ich das Gesichtchen gesehen habe, kann ich nicht essen oder schlafen oder beten, bis es aus meiner Nähe ist. Ich will dir eine Laterne geben und einen Korb, in den du die Flasche legen kannst – und jedes Bild oder jedes schöne Ding in meinem Hause, wonach dir der Sinn stehen mag, kannst du haben –, aber geh sofort und schlafe in Hookena bei Nahinu.«
»Keawe«, sagte Lopaka, »mancher Mann würde dies übelnehmen – zumal da ich dir einen so großen Gefallen tue, mein Wort zu halten und die Flasche zu kaufen, und besonders, da die Nacht und die Dunkelheit und der Weg an den Gräbern vorbei zehnmal so gefährlich sein müssen für einen Menschen, der solch eine Sünde auf seinem Gewissen und solch eine Flasche unter seinem Arm hat. Aber ich bin selber so fürchterlich erschrocken, ich habe nicht das Herz, dich zu tadeln. So gehe ich denn also; und ich bitte Gott, du mögest in deinem Hause glücklich sein und ich möge mit meinem Schoner Glück haben und wir mögen beide schließlich in den Himmel kommen, trotz dem Teufel in seiner Flasche.«
So ging Lopaka den Berg hinunter; und Keawe stand auf seinem Vorderbalkon und horchte auf das Klappern der Hufe und spähte nach dem Laternenschein, wie er den Bergpfad beleuchtete und das Höhlenriff, wo die Toten der alten Zeit begraben liegen; und die ganze Zeit über zitterte er und faltete die Hände und betete für seinen Freund und gab Gott Ruhm und Preis dafür, daß er selber aus dieser Not entronnen war.
Aber der nächste Tag kam herrlich leuchtend, und sein neues Haus war so köstlich anzuschauen, daß er seine Schrecken vergaß. Ein Tag folgte dem anderen, und Keawe hauste dort in beständiger Freude. Er hatte seinen Platz auf dem hinteren Balkon; dort aß und wohnte er und las die Geschichten in den Zeitungen von Honolulu; jeder aber, der vorüberging, kam herein und besah die Zimmer und die Bilder. Und der Ruhm des Hauses erscholl weit und breit: In ganz Kona nannte man es Ka-Hale Nui, das große Haus; zuweilen auch das Blanke Haus, denn Keawe hielt sich einen Chinesen, der den ganzen Tag Staub wischte und putzte; und das Glas und die Vergoldungen und die schönen Stoffe und die Gemälde leuchteten so hell wie der Morgen. Keawe selber aber konnte nicht in seine Zimmer gehen, ohne zu singen – so weit war ihm das Herz! Und wenn auf der See Schiffe vorbeisegelten, ließ er seine Flagge vom Mast wehen.
So ging die Zeit dahin, bis eines Tages Keawe auf einen Besuch nach Kailua kam, um nach seinen Freunden zu sehen. Dort wurde er wohl bewirtet; am nächsten Morgen aber verabschiedete er sich, sobald er konnte, und ritt schnell wieder heim, denn er war ungeduldig, sein schönes Haus zu sehen, und außerdem war die nächste Nacht gerade die Nacht, in der bei Kona die Toten der alten Tage umgehen; und da er bereits mit dem Teufel zu tun gehabt hatte, lag ihm um so weniger etwas daran, es mit den Toten zu tun zu kriegen. Ein bißchen über Honaunau hinaus sah er in die Ferne und bemerkte ein Weib, das am Strande badete; und sie schien ein wohlgewachsenes Mädchen zu sein, aber er dachte nicht weiter daran, Dann sah er ihr weißes Hemd flattern, als sie es anzog, und dann ihr rotes Holoku; und als er bei ihr angekommen war, da war sie mit dem Anziehen fertig geworden und war von der See heraufgekommen und stand neben der Straße in ihrem roten Holoku; sie war ganz frisch von dem Bade, und ihre Augen glänzten und waren freundlich. Kaum sah nun Keawe sie, so zog er die Zügel an und sagte zu ihr:
»Ich dachte, ich kenne jedermann in dieser Gegend; wie kommt es denn, daß ich dich nicht kenne?
»Ich bin Kokua, Kians Tochter«, sagte das Mädchen, »und bin gerade von Oahu zurückgekehrt. Wer bist du?«
»Wer ich bin, das werde ich dir in einer kleinen Weile sagen«, sagte Keawe und stieg von seinem Pferd herunter, »aber nicht jetzt. Denn ich habe einen Gedanken in meinem Sinn, und wenn du wüßtest, wer ich bin, so könntest du schon von mir gehört haben und würdest mir keine wahre Antwort geben. Aber sage mir vor allen Dingen eins: Bist du verheiratet?«
Da lachte Kokua laut und sagte:
»Du fragst aber auch! Bist du selber verheiratet?«
»Wahrhaftig, Kokua, ich bin nicht verheiratet«, antwortete Keawe, »und dachte bis zu dieser Stunde niemals daran, mich zu verheiraten. Aber hier ist die reine Wahrheit: Ich habe dich hier am Wegrand getroffen, und ich sah deine Augen, die wie die Sterne sind, und mein Herz flog dir zu, so schnell wie ein Vogel. Nun also, wenn du nichts von mir wissen willst, dann sag es, und ich will weiterreiten nach meinem Hause; aber wenn du mich nicht für schlechter hältst als irgendeinen anderen jungen Mann, dann sag auch das! Und ich will für die Nacht bei deinem Vater einkehren und will morgen mit dem guten Mann reden.« Kokua sprach kein einziges Wort, aber sie sah über das Meer hin und lachte.
»Kokua«, sagte Keawe, »wenn du nichts sagst, will ich das als gute Antwort nehmen; so laß uns zu deines Vaters Tür gehen!«
Sie ging vor ihm her, immer noch ohne zu sprechen; nur zuweilen sah sie sich um und blickte dann wieder weg, und sie hielt die Bänder ihres Hutes zwischen ihren Zähnen.
Als sie nun vor die Tür gekommen waren, da trat Kiano auf seine Veranda hinaus, rief laut und hieß Keawe mit seinem Namen willkommen. Da sah das Mädchen ihn an, denn der Ruf von dem großen Hause war auch ihr zu Ohren gekommen; und sicherlich war es eine große Versuchung. Diesen ganzen Abend waren sie sehr lustig beisammen, und das Mädchen war unter den Augen der Eltern dreist wie ein Spatz und neckte Keawe, denn sie hatte einen flinken Witz. Den nächsten Tag sprach er mit Kiano, und dann suchte er das Mädchen auf, das allein war, und sagte:
»Kokua, den ganzen Abend hast du mich geneckt, und es ist noch Zeit, mir zu sagen, ich könne gehen. Ich wollte dir nicht sagen, wer ich bin, weil ich ein so schönes Haus habe und fürchtete, du würdest zu viel an das Haus denken und zu wenig an den Mann, der dich liebt. Jetzt weißt du alles, und wenn du mich nie wiederzusehen wünschest, dann sag es nur gleich.«
»Nein«, sagte Kokua; aber diesmal lachte sie nicht, Keawe fragte aber auch nicht weiter.
So freite Keawe. Es war schnell gegangen; aber auch ein Pfeil fliegt schnell und eine Büchsenkugel noch schneller, und doch können beide das Ziel treffen. Es war schnell gegangen, aber es war auch tief gegangen, der Gedanke an Keawe erfüllte des Mädchens ganzen Sinn; sie hörte seine Stimme in der Brandung am Lavastrand; um dieses Jünglings willen, den sie nur zweimal gesehen hatte, würde sie Vater und Mutter und ihre heimatlichen Inseln verlassen. Keawe aber flog auf seinem Roß den Bergweg entlang unter der Gräberklippe, und der Klang der Hufe und Keawes Stimme, der vor Freude sang, hallten aus den Höhlen der Toten wider. Er kam zu dem Blanken Hause und sang immer noch. Er saß und aß auf dem breiten Balkon, und der Chinese wunderte sich über seinen Herrn, wie er zwischen zwei Bissen sang. Die Sonne sank in die See und die Nacht kam; und Keawe ging auf seinen Balkon bei Lampenlicht, das hoch auf den Berg hinaufschien, und der Klang seines Singens verwunderte die Menschen auf den Schiffen.
»Hier bin ich nun in meinem Haus auf der Höhe«, sagte er zu sich selber, »Besser wird wohl mein Leben nicht werden; dies ist die Höhe des Berges, und rund um mich herum neigt es sich abwärts zum Schlimmeren. Zum erstenmal will ich die Zimmer benutzen und will in meiner schönen Wanne baden mit dem heißen Wasser und dem kalten und will allein in dem Bett meines Brautgemachs schlafen.«
So bekam denn der Chinese einen Befehl und mußte aus seinem Schlaf aufstehen und den Herd heizen; und als er unten an seinem Kessel arbeitete, hörte er über sich in den erleuchteten Zimmern seinen Herrn singen und frohlocken. Als das Wasser zu kochen begann, rief der Chinese seinen Herrn; und Keawe ging in das Badezimmer; und der Chinese hörte ihn singen, als er die Marmorwanne füllte; und hörte ihn singen und wieder singen, als er sich auszog – bis plötzlich der Gesang aufhörte. Der Chinese lauschte und lauschte; er ging ins Haus hinauf, um Keawe zu fragen, ob alles recht sei, und Keawe antwortete ihm: »Ja« und hieß ihn zu Bett gehen; aber es war kein Gesang mehr in. dem Blanken Hause, und die ganze Nacht hindurch hörte der Chinese seines Herrn Schritte, wie er ruhelos auf den Balkon um das Haus herumging.
Nun, die Sache war die: Als Keawe sich auszog, um sein Bad zu nehmen, da bemerkte er auf seiner Haut einen Flecken, wie einen Moosfleck an einem Felsen, und da hörte er auf zu singen. Denn er kannte solche Flecken und wußte, daß er von der Chinesischen Krankheit befallen war.
Nun ist es sehr traurig für jeden Menschen, diese Krankheit zu haben. Und sehr traurig wäre es für jeden Menschen, ein so schönes und behagliches Haus zu verlassen, von allen seinen Freunden zu scheiden und nach der Nordküste von Molokai gehen zu müssen, zwischen den gewaltigen Felsen und der Brandung des Meeres. Aber was wollte das heißen im Vergleich zu Keawe, der seine Liebste erst gestern gesehen und sie erst an diesem Morgen gewonnen hatte und jetzt alle seine Hoffnungen in einem Augenblick zerbrechen sah wie ein Stück Glas?
Eine Weile saß er auf dem Rande der Badewanne; dann sprang er mit einem Schrei, auf und rannte hinaus, und lief auf und ab, auf und ab, immer den Balkon entlang, wie ein Verzweifelter.
»Herzlich gern könnte ich Hawaii verlassen, die Heimat meiner Vorväter«, dachte Keawe bei sich selber; »leichten Herzens könnte ich mein Haus verlassen, das hochgelegene, das vielfenstrige, hier oben auf den Bergen, mit tapferem Herzen könnte ich nach Molokai gehen, nach Kalaupapa an den Klippen, um mit den Aussätzigen zu leben und dort zu schlafen, fern von meinen Vorvätern. Aber welches Unrecht habe ich getan, welches Unglück liegt auf meiner Seele, daß ich Kokua begegnen mußte, wie sie kühl vom Seewasser in den Abend ging? Kokua, die die Seelen bezaubert! Kokua, das Licht meines Lebens! Sie darf ich niemals freien; sie darf ich nicht länger ansehen; sie darf ich nicht mehr streicheln mit meiner liebenden Hand. Und darum, um deinetwillen, o Kokua, schreie ich meine Klagen!«
Nun war Keawe ein bemerkenswerter Mann; er hätte dort oben in dem Blanken Hause jahrelang wohnen können, und kein Mensch hätte etwas davon gemerkt, daß er von der Lepra befallen war. Aber darauf gab er nichts, wenn er Kokua verlieren mußte. Und ferner – er hätte Kokua heiraten können, krank wie er war, und so manche würden das getan haben, weil sie Schweineseelen haben; aber Keawe liebte das Mädchen mannhaft, und er wollte ihr keinen Schaden tun und sie nicht in Gefahr bringen.
Ein Weilchen später, als Mitternacht vorbei war, kam ihm wieder die Flasche in den Sinn. Er ging nach der Schwelle seiner Hintertür, wo er mit Lopaka gesessen hatte und rief in sein Gedächtnis den Tag zurück, an dem der Teufel herausgeschaut hatte; und bei dem Gedanken erstarrte das Blut in seinen Adern zu Eis.
»Ein furchtbares Ding ist die Flasche«, dachte Keawe, »schrecklich ist das Teufelchen, und schrecklich ist es, Höllenflammen zu riskieren. Aber welche andere Hoffnung hab' ich, meine Krankheit zu heilen oder Kokua zu heiraten? Was? Habe ich dem Teufel einmal getrotzt, nur um ein Haus zu bekommen, und ich sollte ihm nicht abermals trotzen, um Kokua zu gewinnen?«
Und da erinnerte er sich, daß am nächsten Tage die ›Hall‹ auf ihrer Rückfahrt nach Honolulu vorbeikäme.
»Dahin muß ich zuerst gehen«, dachte er, »und Lopaka aufsuchen. Denn meine beste Hoffnung ist jetzt, dieselbe Flasche wiederzubekommen, die ich mit solcher Freude loswurde.«
Keinen Augenblick konnte er schlafen; der Bissen blieb ihm in der Kehle stecken beim Essen; aber er schickte einen Brief an Kiano, und um die Zeit, als der Dampfer kommen mußte, ritt er über die Gräberklippen an den Strand, Es regnete; sein Pferd ging mühsam; er blickte nach den schwarzen Öffnungen der Höhlen hinauf und beneidete die Toten, die dort schliefen und keine Sorgen mehr hatten, und er dachte daran, wie er am Tage vorher vorübergaloppiert war, und war erstaunt. So kam er denn nach Hookena hinunter, und da waren wie gewöhnlich die Bewohner der ganzen Gegend versammelt wegen des Dampfers. Unter dem Wellblechdach vor dem Kaufladen saßen sie, scherzten und erzählten die Neuigkeiten; in Keawes Brust aber war keine Lust zum Sprechen, und er saß in ihrer Mitte und sah hinaus auf den Regen, der auf die Häuser niederfiel und auf die Brandung, die gegen die Felsen schlug, und Seufzer stiegen in seiner Kehle hoch.
»Keawe vom Blanken Haus ist trübselig«, sagte einer zum andern. Jawohl, das war er, und das ist kein Wunder.
Dann kam die ›Hall‹, und das Strandboot brachte ihn an Bord. Das Achterdeck des Schiffes war voll von Weißen, die den Vulkan besucht hatten, wie es ihre Gewohnheit ist; und das Mittelschiff war voll bepackt mit Kanaken und das Vorderschiff mit wilden Ochsen von Hilo und Pferden von Kau; aber Keawe saß abgesondert von allen andern in seinem Kummer und spähte nach Kianos Haus aus. Da lag es, tief am Strand in den schwarzen Felsen und überschattet von den Kokospalmen, und dort neben der Tür war ein rotes Holoku, nicht größer als eine Fliege, und bewegte sich, geschäftig wie eine Fliege, hin und her.
»Oh! Königin meines Herzens«, rief er, »ich will meine liebe Seele wagen, dich zu gewinnen!«
Bald nachher sank die Dunkelheit hernieder, die Kajüten wurden beleuchtet, und die Weißen saßen und spielten Karten und tranken Whisky, wie es ihre Gewohnheit ist; Keawe aber ging die ganze Nacht hindurch auf dem Deck auf und ab; und den ganzen nächsten Tag, als sie im Lee von Maui oder von Molokai vorüberdampften, lief er immer noch auf und ab wie ein wildes Tier in einem Käfig.
Gegen Abend fuhren sie an Diamond Head vorüber und kamen an die Kais von Honolulu. Keawe ging vom Schiff unter die Menge und begann, nach Lopaka zu fragen. Er war anscheinend Besitzer eines Schoners geworden – keinen besseren gab es auf den Inseln! – und war auf eine Kreuzfahrt ausgesegelt, weit weg – bis Pola-Pola oder Kahiki; so konnte er also von Lopaka keine Hilfe erwarten. Da fiel Keawe ein, daß ein Freund von ihm Rechtsanwalt in der Stadt war – seinen Namen darf ich nicht nennen –, und er erkundigte sich nach ihm. Sie sagten, er sei plötzlich reich geworden und habe ein schönes neues Haus am Strande bei Waikiki; und da kam Keawe ein Gedanke, er rief einen Wagen an und fuhr nach des Anwalts Haus.
Das Haus war funkelnagelneu, die Bäume im Garten waren nicht größer als Spazierstöcke, und der Rechtsanwalt, als er kam, sah aus wie ein Mensch, der zufrieden ist.
»Womit kann ich dir dienen?« sagte der Rechtsanwalt.
»Du bist ein Freund von Lopaka«, antwortete Keawe. »Lopaka kaufte von mir ein Stück Ware, und ich dachte, du wärest vielleicht imstande, mir auf seine Spur zu helfen.«
Des Anwalts Gesicht wurde sehr finster, und er sagte:
»Ich will nicht behaupten, daß ich dich nicht verstehe, Keawe; aber dies ist eine üble Geschichte, die man lieber nicht aufrühren sollte. Ich versichere dir: Ich weiß nichts Bestimmtes, indessen habe ich eine Ahnung, und wenn du in einer gewissen Gegend anfragen würdest, so denke ich, du könntest was Neues hören.«
Und er nannte den Namen eines Mannes, den auch ich wieder besser verschweige. So ging es tagelang, und Keawe lief von einem zum anderen, fand überall neue Kleider, Pferde und Wagen, schöne neue Häuser und überall sehr zufriedene Leute, obgleich allerdings, sobald er sein Anliegen andeutete, ihre Gesichter sich verfinsterten.
»Ohne Zweifel bin ich auf der Spur«, dachte Keawe. »Diese neuen Kleider und Fuhrwerke sind lauter Gaben des Teufelchens, und diese frohen Gesichter sind die Gesichter von Menschen, die ihren Profit gehabt und sich selber vor dem verfluchten Ding in Sicherheit gebracht haben. Wenn ich bleiche Wangen sehe und Seufzen höre, dann werde ich wissen, daß ich dicht bei der Flasche bin.«
So geschah es zuletzt, daß er mit einer Empfehlung an einen Weißen in die Britanniastraße gewiesen wurde. Als er vor die Tür kam, ungefähr um die Zeit des Abendessens, waren da die üblichen Anzeichen von einem neuen Hause und neuen Garten und elektrischem Licht, das durch die Fenster strahlte; als aber der Besitzer kam, da fuhr Keawe ein Stoß von Hoffnung und Furcht durch den Leib; denn hier war ein junger Mann, weiß wie ein Leichnam und schwarz um die Augen, das Haar wüst um den Kopf, und in seinem Gesicht ein Ausdruck, wie ein Mensch ihn haben mag, der den Galgen erwartet.
»Hier ist es ganz gewiß!« dachte Keawe; und so gab er denn diesem Mann ganz unverhüllt sein Anliegen kund und sagte:
»Ich bin gekommen, um die Flasche zu kaufen.«
Bei diesem Wort taumelte der junge Weiße gegen die Wand.
»Die Flasche!« ächzte er. »Die Flasche zu kaufen!«
Dann war es, wie wenn er erstickte, er ergriff Keawe an einem Arm, zog ihn in ein Zimmer und schenkte zwei Gläser Wein ein.
»Auf Ihr wertes Wohlsein!« sagte Keawe, der zu seiner Zeit viel mit Weißen verkehrt hatte. »Ja«, fuhr er dann fort, »ich will die Flasche kaufen. Wie hoch ist jetzt der Preis?«
Auf dieses Wort hin ließ der junge Mann sein Glas aus der Hand fallen, sah Keawe an wie ein Gespenst und rief:
»Der Preis! Der Preis! Sie wissen den Preis nicht?«
»Deshalb frage ich Sie ja«, antwortete Keawe. »Aber weshalb sind Sie so bestürzt? Ist etwas nicht in Ordnung mit dem Preis?«
»Die Flasche ist seit Ihrer Zeit ein gut Teil im Wert gesunken, Herr Keawe«, sagte der junge Mann stammelnd.
»Nun schön, da werde ich um so weniger dafür zu bezahlen haben«, sagte Keawe. »Wieviel zahlten Sie dafür?«
Der junge Mann war so weiß wie ein Bettuch, als er sagte:
»Zwei Cents.«
»Was?« rief Keawe. »Zwei Cents? Dann können Sie sie ja nur für einen Cent verkaufen. Und wer sie kauft –«
Die Worte erstarben auf Keawes Zunge: Wer sie kaufte, der konnte sie niemals wieder verkaufen; die Flasche und der Flaschenteufel mußten bei ihm verbleiben, bis er starb; und wenn er starb, mußte er in die rote Höllentiefe fahren.
Der junge Mann in der Britanniastraße fiel auf seine Knie und schrie:
»Um Gottes willen, kaufen Sie sie! Sie können mein ganzes Vermögen obendrein bekommen. Ich war wahnsinnig, als ich sie zu dem Preise kaufte. Ich hatte all mein Geld in meinem Geschäft aufs Spiel gesetzt und hatte fremdes Geld unterschlagen; ich wäre sonst verloren gewesen und hätte ins Gefängnis gehen müssen.«
»Armes Geschöpf!« sagte Keawe. »Sie wagten Ihre Seele an ein so verzweifeltes Abenteuer, um der gerechten Strafe für Ihre Missetat zu entgehen; und Sie denken, ich könnte zögern, da ich es aus Liebe tue? Geben Sie mir die Flasche und Kleingeld heraus, das Sie, davon bin ich überzeugt, schon zur Hand haben. Hier ist ein Fünfcentstück.«
Es war so, wie Keawe vermutet hatte: Der junge Mann hatte das Kleingeld in einer Schublade bereitliegen; die Flasche wechselte den Besitzer, und kaum hatten Keawes Finger den Flaschenhals umspannt, so hatte er den Wunsch ausgesprochen, wieder eine reine Haut zu haben. Und richtig – als er in sein Zimmer kam und sich vor einem Spiegel nackt auszog, da war sein Leib blank und rein wie der eines neugeborenen Kindes. Und nun kam das Sonderbare. Kaum hatte er dieses Wunder gesehen, da änderte sich sein Sinn, und er machte sich gar nichts mehr aus dem Chinesenübel und wenig genug aus Kokua und hatte nur den einzigen Gedanken, daß er jetzt für Zeit und Ewigkeit dem Flaschenteufel verfallen sei und keine bessere Hoffnung habe, als ewiglich in den Flammen der Hölle zu brennen.
In weiter Ferne sah er vor seines Geistes Augen die Flammen lodern, und seine Seele schauderte zurück, und Finsternis fiel auf das Licht.
Als Keawe ein wenig zu sich kam, bemerkte er, daß es ein Abend war, an dem die Musikbande im Gasthaus spielte. Dorthin ging er, weil er Angst hatte, allein zu sein; und dort lief er unter glücklichen Gesichtern hin und her und hörte die Melodien auf und ab schweben und sah Berger den Takt schlagen, und die ganze Zeit hörte er die Flammen prasseln und sah das rote Feuer in der bodenlosen Höllentiefe brennen. Plötzlich spielte die Musik: ›Hiki – ao - ao‹, das war ein Lied, das er mit Ivokua gesungen hatte, und bei diesen Klängen kam ihm der Mut wieder, und er dachte:
»Es ist nun mal geschehen, und so will ich noch einmal mit dem Bösen auch das Gute hinnehmen.«
Und so geschah es, daß er mit dem ersten Dampfer nach Hawaii zurückfuhr, und sobald es geschehen konnte, wurde er mit Kokua vermählt und brachte sie nach dem Blanken Hause am Berghang.
Nun war es so mit diesen beiden: Wenn sie beisammen waren, dann war Keawes Herz beruhigt; aber sobald er allem war, befiel ihn ein brütendes Grauen, und er hörte die Flammen prasseln und sah das rote Feuer in dem bodenlosen Höllenabgrund brennen. Das Mädchen hatte sich ihm ganz und gar zu eigen gegeben; das Herz hüpfte ihr in der Brust bei seinem Anblick, ihre Hand schlug sich in die seinige; und sie war so schön gestaltet von den Haaren auf ihrem Kopf bis herab zu den Nägeln ihrer Zehen, daß kein Mensch sie ohne Freude ansehen konnte. Sie war liebreich in ihrem Wesen. Stets wußte sie ein gutes Wort zu sagen. Voll von Gesang war sie und ging hin und her in dem Blanken Hause, das Schönste in seinen drei Stockwerken, und schmetterte ihre Lieder wie die Vögel. Keawe sah und hörte sie mit Entzücken, und dann mußte er sich beiseite schleichen und weinen und stöhnen, wenn er an den Preis dachte, den er für sie bezahlt hatte; und dann mußte er seine Augen trocknen und sein Gesicht waschen und zu ihr gehen und mit ihr auf den breiten Balkonen sitzen, in ihre Lieder einstimmen und, mit einem kranken Gemüt, auf ihre lächelnden Blicke antworten.
Es kam ein Tag, da begannen ihre Füße schwer und ihre Lieder seltener zu werden; und nun war es nicht Keawe allein, der abseits weinte, sondern jedes von ihnen beiden sonderte sich von dem anderen ab, und sie saßen auf gegenüberliegenden Balkonen, die die ganze Breite des Blanken Hauses trennte. Keawe war so in seine Verzweiflung versunken, daß er die Veränderung kaum bemerkte und nur froh darüber war, daß er mehr Stunden für sich hatte, um allein zu sitzen und über seinem Schicksal zu brüten, und daß er nicht so oft dazu verdammt war, mit einem kranken Herzen ein lächelndes Gesicht zu zeigen. Aber eines Tages, als er leise durch das Haus ging, da hörte er einen Ton wie von einem schluchzenden Kinde, und da lag Kokua mit dem Gesicht auf den Brettern des Balkons und weinte wie eine verlorene Seele.
»Du hast recht, daß du in diesem Hause weinst, Kokua«, sagte er. »Und doch wollte ich den Kopf von meinem Leibe hergeben, damit du wenigstens hättest glücklich sein können.«
»Glücklich!« rief sie. »Keawe, als du allein in deinem Blanken Hause wohntest, da war dein Name sprichwörtlich auf der Insel für einen glücklichen Mann; Lachen und Singen waren in deinem Munde, und dein Antlitz war glänzend wie der Sonnenaufgang. Dann heiratetest du die arme Kokua; und der liebe Gott weiß, was an ihr nicht recht ist – aber von dem Tage an hast du nicht mehr gelächelt. Oh, was fehlt mir? Ich dachte, ich sei hübsch, und ich wußte, daß ich ihn liebte. Was fehlt mir, daß ich diese Wolke über meinen Gatten bringe?!«
»Arme Kokua«, sagte Keawe, Er setzte sich auf den Boden neben sie und suchte ihre Hand zu fassen; aber sie riß sie weg.
»Arme Kokua!« sagte er wieder. »Mein armes Kind – mein hübsches! Und ich hatte alle diese Zeit gedacht, ich wollte dich schonen! Nun, so sollst du alles wissen; dann wirst du wenigstens Mitleid haben mit dem armen Keawe; dann wirst du begreifen, wie sehr er dich liebte in den vergangenen Tagen – daß er der Hölle trotzte, um dich zu besitzen – und wie sehr er dich immer noch liebt, der arme Verdammte, daß er noch ein Lächeln auf sein Gesicht zwingen kann, wenn er dich erblickt.« Und so erzählte er alles, vom allerersten Anfang an.
»Dies hast du um mich getan?« rief sie. »Oh – dann habe ich auch keinen Kummer mehr!«
Und sie umschlang ihn und weinte an seiner Brust.
»Ach, Kind!« sagte Keawe. »Ich aber, wenn ich an das Höllenfeuer denke, ich habe recht viel Kummer!«
»Sprechen wir nicht davon!« sagte sie. »Kein Mensch kann verloren sein, weil er Kokua liebte und sonst keinen anderen Fehler begangen hat. Ich sage dir, Keawe, ich werde dich retten, mit diesen meinen Händen, oder mit dir vereint untergehen. Was! Du liebtest mich und gabst deine Seele hin, und du denkst, ich will nicht sterben, um dafür dich zu retten?«
»Ach, Geliebte! Du möchtest hundertmal sterben – welchen Unterschied würde das machen?« rief er. »weiter nichts, als daß ich dann einsam wäre, bis die Zeit meiner Verdammnis käme!«
»Du weißt nichts!« sagte sie. »Ich wurde in einer Schule in Honolulu erzogen; ich bin kein gewöhnliches Mädchen. Und ich sage dir: Ich werde meinen Geliebten retten. Was sagtest du da von einem Cent? Die ganze Welt ist doch nicht amerikanisch? In England haben sie ja ein Geldstück, das sie einen Farthing nennen – das ist ungefähr ein halber Cent. Aber o weh!« rief sie. »Damit wird es ja kaum besser – denn der Käufer muß verloren und verdammt sein, und wir werden keinen Menschen finden, der so tapfer ist wie mein Keawe! Aber höre – da ist Frankreich! Da haben sie eine kleine Münze, die sie einen Centime nennen, und von denen gehen fünf auf einen Cent, oder so ungefähr. Besser könnte es uns nicht passen. Komm, Keawe – laß uns nach den französischen Inseln gehen; laß uns nach Tahiti gehen, so schnell uns Schiffe befördern können. Dort haben wir vier Centimes, drei Centimes, einen Centime; viermal also ist ein Verkauf und Kauf möglich; und wir sind zwei, um den Handel zu betreiben. Komm, mein Keawe! Küsse mich und jage die Sorgen weg! Kokua wird dich beschützen.«
»Gottesgabe!« rief er. »Ich kann nicht glauben, daß Gott mich dafür bestrafen will, daß ich etwas so Gutes begehrt habe! Sei es also, wie du willst; bringe mich, wohin es dir beliebt: Ich lege mein Leben und Seelenheil in deine Hände.«
In aller Frühe am nächsten Morgen war Kokua schon beim Packen. Sie nahm Keawes Kiste, die er als Matrose benutzt hatte; und zuerst legte sie die Flasche in eine Ecke; und dann packte sie ihre reichsten Kleider ein und die besten Schmucksachen, die sie im Hause hatten. »Denn«, sagte sie, »wir müssen wie reiche Leute aussehen – wer würde sonst an die Flasche glauben?«
Und während der ganzen Zeit, da sie packte, war sie so lustig wie ein Vogel; nur wenn sie Keawe ansah, dann stürzten ihr die Tränen in die Augen und sie mußte hinlaufen und ihn küssen. Keawe aber war eine Last von seiner Seele los; jetzt, da er sein Geheimnis mit einem anderen Menschen teilte und Hoffnung vor sich sah, da schien er ein neuer Mensch geworden zu sein; seine Füße traten leicht auf die Erde, und das Atmen war ihm wieder eine Wonne. Aber immer noch lauerte Grauen an seinen Ellbogen; immer und immer wieder, wie der Wind eine Kerze ausbläst, starb in ihm die Hoffnung, und er sah die Flammen züngeln und die rote Glut in der Hölle brennen.
Sie verbreiteten in der Gegend das Gerücht, daß sie eine Vergnügungsreise nach den Staaten machten; das kam den Leuten sonderbar vor und war doch nicht so sonderbar wie die Wahrheit, wenn einer hätte die erraten können! So fuhren sie denn nach Honolulu mit der ›Hall‹ und von da auf der ›Umatilla‹ nach San Franzisko mit einem Haufen weißer Leute, und in San Franzisko machten sie die Überfahrt auf der Postbrigantine ›Tropic Bird‹ nach Papeete, dem Hauptort der Franzosen auf den Südsee-Inseln. Dort kamen sie nach einer angenehmen Reise an einem schönen Tage an und sahen das Riff mit der schäumenden Brandung, und Motuiti mit seinen Palmen, und den Schoner, der auf der Reede lag, und die weißen Häuser der Stadt unten am Strande entlang unter grünen Bäumen, und in der Höhe die Berge und die Wolken von Tahiti, der Insel der Weißen.
Und die Leute sagten ihnen, das weiseste sei, ein Haus zu mieten. Das taten sie auch und nahmen eins gegenüber dem britischen Konsulat, gaben auf protzige Weise viel Geld aus und taten sich hervor mit schönen Wagen und Pferden. Dies konnten sie sich leisten, solange sie die Flasche in ihrem Besitz hatten. Denn Kokua war kühner als Keawe und verlangte, sooft sie Lust hatte, von dem Teufelchen zwanzig oder auch hundert Dollar. So wurden sie denn bald in der Stadt viel bemerkt; und die Fremden von Hawaii, ihr Reiten und ihr Fahren, Kokuas schöne Holokus und kostbare Spitzen wurden das Stadtgespräch.
Mit der Sprache von Tahiti wurden sie nach dem allerersten Anfang ganz gut fertig; sie ähnelt in der Tat dem Hawaiischen, nur daß gewisse Buchstaben anders sind; und sobald sie sich einigermaßen gewandt ausdrücken konnten, begannen sie sich um den Verkauf der Flasche zu bemühen. Nun muß man bedenken, daß das nicht so leicht zu machen war; es war nicht so einfach, Leute dahin zu bringen, daß sie es für ernst hielten, wenn man sich erbot, für vier Centimes ihnen die Quelle von Wohlergehen und unerschöpflichem Reichtum zu verkaufen. Außerdem war es notwendig, die Gefahren der Flasche deutlich zu nennen. So kam es denn, daß einige überhaupt nicht an die ganze Geschichte glaubten und sie auslachten, andere aber um so mehr an die dunklere Seite dachten, ernste Gesichter machten und sich von Keawe und Kokua zurückzogen, als von Menschen, die mit dem Teufel zu tun hätten. Anstatt Boden zu gewinnen, begannen die beiden zu bemerken, daß man in der Stadt ihnen auswich; die Kinder liefen schreiend vor ihnen davon – für Kokua etwas Unerträgliches –, Katholiken bekreuzigten sich, wenn sie vorübergingen; und alle Menschen wichen wie auf Verabredung ihren Freundlichkeiten aus.
Da kam Niedergeschlagenheit über sie. Nach der Mühsal eines Tages saßen sie abends in ihrem neuen Hause und sprachen kein Wort miteinander, aber das Schweigen wurde dadurch gebrochen, daß Kokua plötzlich laut aufschluchzte; manchmal beteten sie miteinander; manchmal holten sie ihre Flasche hervor, stellten sie auf den Boden und saßen den ganzen Abend und sahen zu, wie der Schatten in der Mitte tanzte. Dann hatten sie Angst, zu Bett zu gehen. Eis dauerte lange, bis Schlaf zu ihnen kam, und wenn eines von ihnen eingeschlummert war und dann aufwachte, fand es das andere, wie es stumm im Finstern weinte; oder auch, das andere war aus dem Hause geflohen und aus der Nachbarschaft der Flasche, um unter den Bananen im Gärtchen auf und ab zu gehen oder im Mondschein am Strande zu wandern.
So war es eines Nachts, als Kokua erwachte. Keawe war fort. Sie fühlte im Bett nach ihm, und sein Platz war kalt. Da befiel sie Furcht, und sie richtete sich im Bett auf. Ein bißchen Mondschein drang durch die Ritzen der Läden ein, das Zimmer war hell, und sie konnte die Flasche auf dem Fußboden sehen. Draußen wehte ein starker Wind, die großen Bäume in der Allee rauschten und ächzten laut, und die abgefallenen Blätter raschelten auf der Veranda. In all diesen Geräuschen hörte Kokua einen anderen Ton; ob er von einem Tier oder von einem Menschen ausging, konnte sie kaum sagen, aber der Ton war todestraurig und schnitt ihr in die Seele. Leise stand sie auf, öffnete die Tür ein wenig und sah hinaus auf den mondhellen Garten. Da lag Keawe unter den Bananen, den Mund in den Staub gedrückt, und wie er so lag, stöhnte er.
Kokuas erster Gedanke war, hinauszulaufen und ihn zu trösten; aber ihr zweiter Gedanke hielt sie mit Macht zurück. Keawe hatte sich vor seiner Frau wie ein tapferer Mann gehalten; es geziemte ihr nicht, in der Stunde seiner Schwachheit ihn zu beschämen. Mit diesem Gedanken ging sie in das Haus zurück.
«Himmel!« sagte sie bei sich selber. »Wie gedankenlos bin ich gewesen – wie schwach! Nicht ich, sondern er schwebt in dieser ewigen Gefahr; er, nicht ich, nahm den Fluch auf seine Seele. Um meinetwillen, aus Liebe zu einem Geschöpf, das so wenig wert ist und so wenig helfen kann, sieht er jetzt die Flammen der Hölle vor sich – ja, riecht schon ihren Qualm, wie er da draußen liegt in Sturm und Mondschein. Bin ich so stumpfsinnig, daß ich bis jetzt niemals meine Pflicht geahnt habe, oder sah ich sie schon vorher und schob sie beiseite? Aber nun will ich wenigstens meine Seele in beide Hände meiner Liebe nehmen; jetzt nehme ich Abschied von den weißen Stufen zum Himmel und den wartenden Gesichtern meiner Freunde. Liebe um Liebe – und möge meine Liebe Keawes Liebe gleich sein! Seele um Seele – laß es die meinige sein, die zugrunde geht!«
Sie war ein flinkes, behendes Weib und schnell mit ihrem Anzug fertig. Sie nahm in ihre Hand das Wechselgeld – die kostbaren Centimestücke, die sie immer bereithielten; denn diese Münze ist wenig im Gebrauch, und sie hatten sich bei einer amtlichen Stelle damit versehen. Als sie draußen in der Allee war, trieb der Wind Wolken heran, und der Mond verdunkelte sich; die Stadt lag im Schlaf, und sie wußte nicht, wohin sie gehen sollte, bis sie im Schatten der Bäume einen Menschen husten hörte.
»Alter Mann«, sagte Kokua, »was suchst du hier draußen in der kalten Nacht?«
Der alte Mann konnte vor Husten kaum sprechen, aber sie verstand schließlich so viel, daß er alt und arm war und fremd auf der Insel.
»Willst du mir einen Dienst erweisen?« sagte Kokua. »Als ein Fremdling dem anderen und als ein alter Mann einem jungen Weibe – willst du einer Tochter Hawaiis helfen?«
»Oho!« sagte der alte Mann. »So bist du die Hexe von den acht Inseln und suchst sogar meine arme Seele zu umstricken? Aber ich habe von dir gehört und spotte deiner sündhaften Lockung!«
»Setz dich hierher«, sagte Kokua, »und laß mich dir eine Geschichte erzählen.«
Und sie erzählte ihm die Geschichte von Keawe, vom Anfang bis zum Ende, und so schloß sie:
»Nun, ich bin seine Frau, die er mit dem Heil seiner Seele erkauft hat. Was könnte ich tun? Wenn ich selber zu ihm ginge und ihm anböte, die Flasche zu kaufen, würde er nein sagen. Aber wenn du gehst – dann wird er sie bereitwillig verkaufen. Ich will hier auf dich warten; du kaufst sie für vier Centimes, und ich kaufe sie dir für drei wieder ab. Und der Herrgott gebe einem armen Mädchen Kraft!«
»Wenn du mit falschem Herzen redest«, sagte der alte Mann, »so glaube ich, Gott würde dich auf der Stelle sterben lassen.«
»Das würde er! Verlaß dich drauf, das würde er! Ich könnte nicht verräterisch sein – Gott würde es nicht leiden.«
»Gib mir die vier Centimes und warte hier auf mich«, sagte der alte Mann.
Als nun Kokua allein auf der Straße stand, erstarrte ihre Seele. Der Wind heulte in den Bäumen, und ihr kam es vor, wie wenn es das Rauschen der Höllenflammen wäre; die Schatten schwankten im Licht der Straßenlaterne, und sie kamen ihr vor wie Hände böser Geister, die nach ihr griffen. Hätte sie die Kraft gehabt, so hätte sie weglaufen müssen, und hätte sie den Atem gehabt, so hätte sie laut schreien müssen; aber wirklich, sie konnte weder das eine noch das andere und stand und zitterte da in der Allee wie ein geängstigtes Kind.
Dann sah sie den alten Mann zurückkommen, und er hielt die Flasche in seiner Hand.
»Ich habe nach deinem Wunsch getan«, sagte er. »Als ich deinen Mann verließ, weinte er wie ein Kind; heute nacht wird er ruhig schlafen.«
Er hielt ihr die Flasche hin.
»Bevor du sie mir gibst«, sagte Kokua keuchend, »nimm das Gute mit dem Bösen – verlange von deinem Husten befreit zu werden.«
»Ich bin ein alter Mann«, erwiderte er, »und zu nahe am Tor des Grabes, um vom Teufel eine Gunst anzunehmen. Aber was ist dies? Warum nimmst du nicht die Flasche? Zögerst du?«
»Nichts von Zögern!« rief Kokua. »Ich bin nur schwach. Gönne mir einen Augenblick noch. Es ist nur meine Hand, die widerstrebt; mein Fleisch schreckt zurück vor dem verfluchten Ding. Einen Augenblick nur!«
Der alte Mann sah Kokua freundlich an; dann sagte er: »Armes Kind! Du hast Angst; deine Seele täuscht dich. Wohlan, laß mich die Flasche behalten. Ich bin alt und kann in dieser Welt nicht mehr glücklich sein, und was in der nächsten –«
»Gib sie mir!« keuchte Kokua. »Hier ist dein Geld. Denkst du, ich bin so gemein? Gib mir die Flasche.«
»Gott segne dich, Kind!« sagte der Alte.
Kokua verbarg die Flasche unter dem Holoku, sagte dem alten Mann Lebewohl und ging den Baumgang entlang, es war ihr gleichgültig, wohin. Denn alle Wege waren für sie jetzt gleich – sie führten alle in die Hölle. Manchmal ging sie, manchmal lief sie, manchmal schrie sie laut in die Nacht hinaus, manchmal lag sie im Straßenstaub und weinte. Alles, was sie von der Hölle gehört hatte, fiel ihr ein; sie sah die Flammen lodern und roch den Qualm, und ihr Fleisch verfiel auf den glühenden Kohlen.
Als es fast Morgen war, kam sie wieder zur Besinnung und ging zu ihrem Haus zurück. Es war genau, wie der alte Mann gesagt hatte: Keawe schlummerte wie ein Kind. Kokua stand da, starrte auf sein Antlitz und sagte:
»Jetzt, mein Gatte, kannst du schlafen. Wenn du erwachst, kannst du singen und lachen. Aber die arme Kokua, die nichts Böses dachte – ach! für die arme Kokua gibt es keinen Schlaf mehr, kein Singen mehr, keine Freude mehr – weder auf Erden noch im Himmel.«
Und sie legte sich in das Bett an seine Seite, und ihr Elend war so groß, daß sie augenblicklich in einen tiefen Schlaf verfiel.
Spät am Morgen weckte ihr Gatte sie auf und erzählte ihr die gute Nachricht. Er war anscheinend ganz wahnsinnig vor Entzücken, denn er achtete gar nicht auf ihren Kummer, obgleich sie diesen nur schlecht verhehlen konnte. Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken; Keawe sprach genug für beide. Sie aß keinen Bissen, aber wer hätte das bemerken sollen? Keawe leerte die ganze Schüssel. Kokua sah und hörte ihn wie etwas Sonderbares in einem Traum; zeitweise vergaß sie ihr Unglück oder zweifelte daran und legte ihre Hände auf die Stirne; daß sie selber sich verdammt wußte und dabei ihren Gatten schwatzen hörte, erschien so ungeheuerlich.
Die ganze Weile aß Keawe, plauderte, machte Pläne für ihre Rückfahrt und dankte ihr dafür, daß sie ihn gerettet habe, schmeichelte ihr und nannte sie die treue Helferin, die schließlich doch Rat gewußt habe. Er lachte über den alten Mann, der so dumm gewesen wäre, die Flasche zu kaufen.
»Er sah aus wie ein würdiger alter Mann«, sagte Keawe, »aber kein Mensch kann nach dem äußeren Schein urteilen; denn wozu wollte der alte Schuft die Flasche haben?«
»Lieber Mann«, sagte Kokua bescheiden, »seine Absicht ist vielleicht gut gewesen.«
Keawe lachte ärgerlich und rief:
»Papperlapapp! Ein alter Schuft war er, sage ich dir; und ein alter Esel dazu! Denn es war schwer genug, die Flasche für vier Centimes zu verkaufen; und für drei, das wird ganz unmöglich sein. Es ist nicht mehr Spielraum genug, das Ding beginnt schon sengerig zu riechen – brrr!« sagte er und schauderte. »Allerdings kaufte ich selber sie für einen Cent, als ich nicht wußte, daß es kleinere Münzen gebe. Ich lief wie ein Narr herum und fand keinen Käufer – du hattest mehr Glück; aber niemals wird noch einer gefunden werden – und wer die Flasche jetzt hat, der wird mit ihr zur Hölle fahren!«
»O mein Gatte!« sagte Kokua. »Ist es nicht schrecklich, sich selber durch das ewige Verderben eines anderen zu retten? Mir scheint, ich könnte darüber nicht lachen. Ich würde mich demütig fühlen. Ich würde voll Trauer sein. Ich würde für den armen Menschen beten, der die Flasche hat.«
Da wurde Keawe noch ärgerlicher, weil er die Wahrheit ihrer Worte fühlte, und er rief:
»Firlefanz! Du magst voll Trauer sein, wenn du Lust hast. Aber ein gutes Weib denkt nicht so! Wenn du überhaupt an mich dächtest, würdest du dich jetzt schämen!«
Hierauf ging er aus, und Kokua war allein.
Welche Aussicht hatte sie, die Flasche für drei Centimes zu verkaufen? Keine – das sah sie klar und deutlich. Und wenn sie auch eine Aussicht hätte – ihr Mann nahm sie ja in aller Eile mit nach einem Lande, wo es keine kleinere Münze gab als einen Cent. Und hier – an dem Morgen ihrer Selbstopferung – lief ihr Gatte von ihr weg und schalt sie aus!
Sie wollte nicht einmal versuchen, die Zeit auszunutzen, die sie noch hatte, sondern saß zu Hause. Bald holte sie die Flasche hervor und sah sie in unaussprechlicher Angst an. Bald verbarg sie sie voll Ekel an irgendeinem Ort, wo sie sie nicht sah.
Nach einer Zeit kam Keawe heim und sagte ihr, sie solle mit ihm spazierenfahren.
»Mein Gatte«, antwortete sie, »ich bin krank, mir ist nicht gut zumute. Entschuldige mich – ich kann an keine Vergnügungen denken.«
Da wurde Keawe noch zorniger. Auf sie, weil er glaubte, sie denke nur noch über das Geschick des alten Mannes nach. Auf sich selber, weil er ihr eigentlich recht gab und weil er sich schämte, so glücklich zu sein.
»Das ist deine Treue!« rief er. »Das ist deine Liebe! Dein Gatte ist gerade eben von ewigem Verderben errettet, das er nur deinetwillen auf sich nahm – und du kannst nic ht an Vergnügen denken! Kokua, du hast kein aufrichtiges Herz!«
Wütend lief er wieder weg und zog den ganzen Tag in der Stadt herum. Er traf Freunde und zechte mit ihnen; sie nahmen einen Wagen und fuhren aufs Land und zechten dort auch wieder. Die ganze Zeit über war's Keawe unbehaglich zumute, weil er sich vergnügte, während seine Frau traurig seinem Herzen wußte, daß sie mehr im Recht war als er; und weil er das wußte, trank er um so mehr.
Nun war unter den Zechern, die mit ihm tranken, auch ein roher Mensch, ein Weißer, der früher Bootsmann auf einem Walfischfänger gewesen war, ein Landstreicher, Goldgräber, Galgenvogel, ein gemein denkender, dreckschnauziger Kerl. Er soff und freute sich, wenn er andere betrunken sah, und er drängte Keawe zum Trinken. Bald hatte die ganze Gesellschaft kein Geld mehr.
Da rief der Bootsmann: »Hör mal, du! Du bist ja reich – hast es wenigstens fortwährend gesagt. Du hast 'ne Flasche oder so 'nen Affenkram.«
»Ja«, sagte Keawe, »ich bin reich; ich will in die Stadt gehen und etwas Geld von meiner Frau holen; sie hat es in Verwahrung.«
»Das ist Unsinn, Maat«, sagte der Bootsmann, »traue niemals einem Unterrock mit den Dollars! Sie sind alle so falsch wie Wasser; halte lieber ein Auge auf sie!«
Nun, dieses Wort machte Eindruck auf Keawe; denn er war von all dem Trinken nicht mehr ganz klar im Kopf; und er dachte:
»Ich sollte mich allerdings nicht wundern, wenn sie falsch wäre! Warum wäre sie sonst so niedergeschlagen, da ich doch erlöst bin? Aber ich will ihr zeigen, daß ich nicht der Mann bin, mit mir spaßen zu lassen! Ich will sie auf frischer Tat ertappen!«
Sie gingen demgemäß nach der Stadt zurück. Keawe sagte dem Bootsmann, er solle an der Ecke, beim alten Gefängnis, auf ihn warten und ging allein die Allee hinauf bis an die Tür seines Hauses. Es war wieder Abend geworden; drinnen war Licht, aber kein Laut war zu hören, und Keawe schlich um die Ecke, öffnete sachte die Hintertür und sah hinein.
Da saß Kokua auf dem Fußboden, die Lampe neben ihr, vor ihr stand eine milchweiße Flasche mit einem runden Bauch und einem langen Hals; und Kokua sah die Flasche an und rang die Hände.
Lange Zeit stand Keawe da in der Tür und schaute. Erst war er so verblüfft, daß er nicht denken konnte; dann kam Angst über ihn, der Handel sei nicht richtig gewesen und die Flasche wieder zu ihm zurückgekommen wie damals in San Franzisko. Und da zitterten ihm die Knie, und die Dünste des Weines verflogen aus seinem Kopf wie Nebel von einem Fluß am Morgen. Und dann hatte er einen anderen Gedanken, und das war ein seltsamer, der die Wangen erglühen machte. Und er sagte zu sich selber:
»Hierüber muß ich Gewißheit haben!«
So schloß er die Tür, ging leise wieder um die Hausecke und trat dann geräuschvoll in den Garten, wie wenn er gerade eben nach Hause gekommen wäre! Und siehe da! Als er die Haustür öffnete, war keine Flasche zu sehen, Kokua saß auf einem Stuhl und fuhr empor wie ein Mensch, der aus dem Schlaf geweckt wird.
»Ich habe den ganzen Tag gezecht und bin lustig gewesen«, sagte Keawe. »Ich war mit guten Gesellen zusammen und bin bloß gekommen, mir Geld zu holen; dann geh' ich wieder mit ihnen zechen und jubeln.«
Dabei waren sein Gesicht und seine Stimme so erregt wie das Jüngste Gericht; aber Kokua war zu verstört, um das zu bemerken.
»Du hast recht, lieber Mann; es ist ja dein eigenes Geld«, sagte sie, und dabei zitterte ihre Stimme.
»Oh, ich tue immer recht, in allen Dingen!« sagte Keawe, und er ging stracks auf die Kiste los und nahm Geld heraus. Aber außerdem sah er in die Ecke, wo sie die Flasche aufbewahrt hatten, und da stand die Flasche.
Da schwankte vor ihm die Kiste auf dem Fußboden wie eine Meereswoge, und das Haus drehte sich um ihn wie ein Kranz von Rauch, denn er sah, daß er jetzt verloren war und daß es kein Entrinnen gab. »Es ist, wie ich befürchtete«, dachte er, »sie hat die Flasche gekauft.«
Und dann kam er wieder zu sich selber und stand auf, aber der Schweiß strömte über sein Gesicht, so dick wie Regen und so kalt wie Brunnenwasser. Und er sagte:
»Kokua, was ich dir heute sagte, paßt sich nicht für mich. Jetzt gehe ich wieder zu meinen lustigen Gesellen, um mit ihnen lustig zu sein«, und dabei lachte er gemütlich. »Das Weinglas wird mir mehr Vergnügen machen, wenn du mir verzeihst.«
Im Nu umschlang sie seine Knie, sie küßte seine Knie mit strömenden Tränen und rief:
»Oh! Ich verlangte bloß ein freundliches Wort!«
»Laß uns niemals wieder hart voneinander denken!« sagte Keawe, und schon war er zum Hause hinaus.
Nun war das Geld, das Keawe genommen hatte, nur etwas von dem Vorrat an Centimestücken, die sie gleich nach ihrer Ankunft sich besorgt hatten. Ganz gewiß hatte er keine Lust, noch zu trinken! Sein Weib hatte ihre Seele für ihn hingegeben – jetzt mußte er seine Seele für sie hingeben. Kein anderer Gedanke war auf der ganzen Welt für ihn da.
An der Ecke, beim alten Stockhaus, stand der Bootsmann und wartete auf ihn.
»Meine Frau hat die Flasche«, sagte Keawe, »und wenn du mir nicht hilfst, sie von ihr herauszukriegen, gibt's heute abend kein Geld mehr und kein Getränk mehr.«
»Du willst doch nicht sagen, daß das mit der Flasche ernst ist?« rief der Bootsmann.
»Da ist die Laterne!« sagte Keawe. »Sehe ich aus, wie wenn ich Spaß machte?«
»Das stimmt. Du siehst so ernsthaft aus wie ein Gespenst.«
»Na also!« sagte Keawe. »Hier sind zwei Centimes; du mußt zu meiner Frau ins Haus gehen und ihr diese für die Flasche anbieten, die sie dir – wenn ich mich nicht sehr irre – augenblicklich geben wird. Bringe sie mir hierher, und ich werde sie für einen Centime wieder von dir zurückkaufen; denn das ist bei der Flasche Gesetz: daß sie stets für eine geringere Summe verkauft werden muß, als sie gekostet hat. Aber was du auch tust – sag ihr auf keinen Fall ein Wort davon, daß du von mir kommst!«
»Maat! Hast du mich auch nicht zum besten?« sagte der Bootsmann.
»Wenn ich's täte, könnte es dir ja nichts schaden«, antwortete Keawe.
»Da hast du recht, Maat«, sagte der Bootsmann.
»Und wenn du an meinen Worten zweifelst«, fuhr Keawe fort, »so kannst du einen Versuch machen. Sobald du aus dem Haus heraus bist, wünsche dir deine Tasche voll Geld oder eine Flasche vom besten Rum oder was du magst, und du wirst sehen, was das Ding leistet.«
»Schön, Kanake!« sagte der Bootsmann. »Ich will's versuchen; aber wenn du deinen Spaß mit nur treibst, dann treib' ich meinen auf deinem Buckel mit 'nem Tauende!«
So ging denn der Bootsmann die Allee hinauf, und Keawe stand und wartete. Es war beinahe dieselbe Stelle, wo Kokua die Nacht zuvor gewartet hatte; aber Keawe war fester entschlossen und schwankte nicht einen Augenblick in seinem Vorhaben; nur war seine Seele bitter vor Verzweiflung.
Es kam ihm vor, wie wenn er lange Zeit gewartet hätte, als er endlich eine Stimme in der dunklen Allee singen hörte. Er erkannte die Stimme als die des Bootsmanns, aber es war sonderbar, wie betrunken sie plötzlich klang.
Dann kam der Mann selbst in den Lichtkreis der Laterne getaumelt. Er hatte des Teufels Flasche in seinen Rock gesteckt und diesen zugeknöpft. Eine andere Flasche hielt er in der Hand, und in dem Augenblick, als er in Sicht kam, hob er sie an seinen Mund und trank.
»Du hast sie, wie ich sehe«, sagte Keawe.
»Hand vom Sack!« rief der Bootsmann und sprang zurück. »Komm mir bloß einen Schritt zu nahe und ich hau' dir in die Fresse! Du dachtest wohl, du könntest mich als deinen Dummen schicken, was?«
»Was meinst du!« rief Keawe.
»Was ich meine?« brüllte der Bootsmann. »Das ist 'ne verdammt gute Flasche, jawoll! Das mein' ich! Wie ich sie für zwei Centimes bekam, kann ich nicht begreifen. Aber ganz gewiß sollst du sie nicht für einen kriegen!«
»Du meinst, du willst sie nicht verkaufen?«
»Nä, Herr!« rief der Bootsmann. »Aber ich will dir einen Schluck von dem Rum geben, wenn du Lust hast.«
»Ich sage dir, der Mann, der die Flasche hat, fährt zur Hölle!«
»Ich denke, dahin fahre ich sowieso!« antwortete der Matrose. »Und diese Flasche ist das Beste, was ich bis jetzt auf der Welt traf, um damit zur Hölle zu fahren. Nä, Herr!« rief er noch einmal. »Das ist jetzt meine Flasche, und du kannst sehen, wo du 'ne andere herkriegst!«
»Kann dies wahr sein?« rief Keawe. »Um deinetwillen bitte ich dich dringend: Verkaufe sie mir.«
»Ach, Quatsch!« antwortete der Bootsmann. »Du dachtest, ich wäre ein Schafskopf, jetzt siehst du, daß ich keiner bin und damit basta! Wenn du keinen Schluck von dem Rum haben willst, will ich selber einen nehmen. Hier, prost! Und gute Nacht!«
So ging er denn die Allee hinunter nach der Stadt zu, und damit verschwindet die Flasche aus dieser Geschichte.
Keawe aber rannte zu Kokua, so leicht wie der Wind; und groß war ihre Freude in dieser Nacht; und groß war seitdem der Friede aller ihrer Tage im Blanken Haus.