Rudolph Stratz
Der mysteriöse Cavalier und andere Novellen
Rudolph Stratz

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Der mysteriöse Cavalier

Aus der Chronik des letzten Reichsstandesherrn von Palmingen

. . . So kamen, wie mit dem Westwind die grauen Wolken, die grauen Sorgen über den Rhein, seitdem Buonaparte und die Franzosen an seinem linken Ufer ihre Zelte aufgeschlagen, und flogen hinüber in das Reich und bis in die einsamen Wälder und Berge rechts vom Rhein, in denen, mit vielen anderen edlen Häusern, auch mein altes und distinguiertes, glaubhaft von Äneas stammendes, alle Zeit mit Rothwachs-Freiheit und dem Prädikat: »hoch- und wohlgeboren« begabtes Geschlecht, seit tausend Jahren frei, nur Seiner römischen Majestät in Wien und sonst Niemandem unterthan, gesessen und väterlich über nun, zu meinen, des Grafen Florentin VII., Zeiten nahe an achthundert Stück Unterthanen regieret.

Und wie aller irdische Glanz und Gloria einmal endet, so sollte nunmehr, nachdem wir seit etlichen sorgenvollen und betrübten Jahren mit anno 1800 ein neues Säculum begonnen, der erlauchte Stamm mit mir ausgehen und absterben, dessen über die gemeine Menschheit erhabenes Haupt schon im Spiegel den Schnee des Alters aufweist, wenn mir beim Lever mein Kammerknecht Pompeo Orlandi die Perrücke aufstülpt.

Es weht Herbst in der Luft, wie draußen der Sturm durch meine Wälder geht und der Regen prasselt. Wir sind am Ende des heiligen deutschen Reiches. Es giebt keinen deutschen Kaiser mehr über uns, die aus Urzeit semperfreien Reichsstände und Souveräns, dergleichen meine Vorfahren aus eigenem Recht auf dem Reichstag zu Regensburg durch die Jahrhunderte auf der fränkischen Grafenbank ihre Kuriatstimme geführt. Es giebt nur noch einen dem Meer entstiegenen wälschen Kaiser und seine bewaffneten Völker am Rhein.

Oh Ihr Herzöge von Weilheim und Usingen – oh Ihr Salme – oh Ihr alle, die Ihr in Napoleons Antichambre den Mamelucken um den Bart geht und den Frauen seiner Marschälle in Paris im Boudoir beim Schälchen Chocolate schmeichelt – oh Ihr sechzehn Unersättlichen, die Ihr mit dem Korsen den Rheinbund wider das Reich statuiert – Ihr Kleinen und – wehe! – Ihr Großen – Ihr neuen teutschen Könige und Großherzöge! Ihr rafft Eure Reich' und Lande zusammen, indem Ihr gierig uns ehrwürdige und altersgraue Herrlichkeiten verschlingt – Äbte und Reichsgrafen, Bischöfe und Fürsten, freie Städte und Ritterschaft! Schon hat sich, durch eine gesiegelte Ordre, ein Conseil von Hofgerichts- Registratoren zu einem Verifications-Protocoll bei mir angesagt. Bald läutet das Todtenglöckchen auch über der Souverainité meiner edlen Grafschaft Palmingen . . .

Wie aber soll man noch mit weisem Scepter schier tausend Unterthanen regieren, wenn alle nachbarlichen Gewalten sich lösen und schwinden? Wer findet sich noch in den leeren Klöstern, den aufgelösten Bisthümern aus und ein? Wo ist das Weichbild der um Zoll und Wehr beraubten Reichsstädte? Die neuen Königlichen und Großherzoglichen Assessores und Secretarii, die geschäftig die Beute rubricieren, wissen selbst oft kaum die Grenzen ihrer frischgebackenen Staaten von Buonapartes Gnaden. Dessen Garden und Truppen aber marschieren unbekümmert mitten durch teutsches Land. Besetzen im Frieden Plätze am Rhein.

Mon Dieu . . . mon Dieu . . . Ein Kellner Großherzog von Berg! Ein Soldat von Fortüne, Namens Murat! . . . Die Welt steht nicht mehr lange! Sie muß brechen! In einer wirren Melée flüchten drüben aus der Pfalz übern Rhein die Vertriebenen zu uns herüber – Adel und Unadel – ohne Pässe und Permets, füllen Städte und Dörfer, mengen sich unter die Aventuriers, die auf Weg und Steg den von der österreichischen Campagne heimkehrenden endlosen Heereszügen des Kaisers der Franzosen folgen.

Welcher gräfliche Landesvater wie ich kann da noch auf Sicherheit Leibes und Lebens in seinen Gebieten halten, wenn ein heiliges römisches Reich teutscher Nation sich selbst seiner Wehr' und Waffen gänzlich entblößt hat, als sollte es auf Erden ewig Frieden werden, indeß doch der Franzose mit kriegerischem Lärm Europa erfüllt? Wem dient – offen sei's geklagt – dieser Wirrwarr und diese Waffenlosigkeit Teutschlands besser, als den Räuberbanden, die von den Niederlanden den Rhein herauf Spessart und Odenwald mit ihrem Getümmel erfüllen, als seien sie die eigentlichen Herren der Zeit? Der Name des Schinderhannes ist gewaltig! Die Kinder singen vom Hölzerlips! In allen dreizehn Dörfern meines Reichs aber klingt das Stoßgebet: »Behüt' uns Gott vor Johannes durch den Wald!«

Mit diesem famosen Räuberhauptmann sind meine Erblande gestraft! Es ist unmöglich, diesem Bösewicht, der höhnend seine Droh- und Brandbriefe mit ›Johannes †††‹ unterzeichnet, mit einem Strang das Leben zu verkürzen! Ich habe vergeblich und unter großen Dépensen meine Armee bis auf achtzehn Dragoner verstärkt. Selbst diese Truppenmacht bleibt ohne Süczeß. Mein Commandant en chef, der Capitän von Schindewolff, schon dem Äußeren nach kein rechter alter Marssohn, ist so großen kriegerischen Operationen nicht gewachsen. Und ich selbst, der regierende Graf, bin zu alt. Wohl hat mich das Schicksal mit sechs Schuh Länge und einem gebieterischen Exterieur begabt, und habe ich in meiner Jugend mich in Ungarn in habsburgischen Diensten getummelt, drei starke Paschas vom Sattel herab erlegt und die Roßschweife als aide-mémoire hier in der Halle meiner Väter aufgehängt. Nun aber bin ich ein Greis, auf dem schwerer noch als die Jahre die Regentenpflichten lasten. So geschah es, daß auch an dem Abend, von dem ich hier berichten muß, der Johannes durch den Wald meiner Allmacht in gräflich Palmingen'schen Landen spottete . . .

* * *

Wie der Überfall vor sich gegangen, hat mir die arme Frau Reichsgräfin nicht verhohlen, und so vermelde ich es hier:

Sie, die junge Gräfin-Wittwe Amöne von Hohen-Sulz, war nebst ihrem kleinen Söhnlein Jasomirgott und ihrem bei sich habenden Kammermensch, der Demoiselle Häberlin, in ihrer sechsspännigen, verschlossenen Reisekarosse im Walde bis zu der Siebenherren-Ecke gelangt, so genannt, weil an dieser Wegbiegung die Blutbann-Gerechtigkeit von sieben teutschen Erbländern, darunter auch dem meinigen, aneinanderstößt. Es ist da eine Art hohle Gasse. Die Pferde gingen im Schritt. Drei Leibpostillone saßen darauf. Zwei Kammerhusaren auf dem Bock. Hinten stand, um die aufgeschnallten Koffer zu bewachen, auf dem Trittbrett ein bewaffneter Laquai.

Da erhebt sich in der Dämmerung ein Mordsgeschrei: »Schieß, dicker Bub, schieß! . . . Zück den Säbel, scheeler Peter! . . . Mühlarzt . . . Katzenschinder – haltet die Gäule! . . . Abrahämche – schneid' die Felleisen ab! . . . Schneiderlein – hilf ihm! . . . Halt Ausguck, Danziger Liese! . . . Mach' den Wagenschlag auf, Studenten-Friedrich . . . Scholem-Leagem! En avant! . . . Courage! . . . Los, Chawrusse! . . .« Hebräisch und Französisch durcheinander . . . . . .

Es lag ein dicker Baumstamm quer über den Weg. Aus den Büschen rechts und links lugte ein greuliches Volk, brach bewaffnet hervor, zielte mit Pistolen und schwang Degen und frisch abgeschnittene Eichenknüttel. Die Postillons und Kammerhusaren – nicht faul – warteten nicht erst, bis sie mit Pulver und Blei aus Sattel und Kutscherbock geräumt würden – sprangen hinab und flohen, und nicht minder hasenherzig auch der Domestique, so daß die Frau Gräfin Amöne, die ausgestiegen war, ganz verlassen da stand, neben sich die Demoiselle Häberlin mit dem weinenden Erbgräflein auf dem Arm.

Die hochgeborene Hohen-Sulz'sche Wittwe aber läßt sich nicht erschrecken! Sie stemmt die Hände in die Seiten, sieht über die Räuber im Kreise und ruft entrüstet: »Ihr schlechte Leut' – pfui – schämt Euch! Wer is denn Euer Hauptmann?«

Siehe: Es reitet ein Cavalier auf schwarzem Roß zwischen den Stämmen hervor. Er ist nach Brauch eines gemeinen Mannes gekleidet – trägt eine weiße, braunwollene Kappe, ein schwarzseidenes Halstuch, ein grau tuchenes Wamms, eine weiß und grün gefleckte Weste von Kattun, hirschlederne kurze Hosen mit viereckigen gelben Schnallen, weißwollene gerippte Strümpfe und Bundschuhe. Aber er sitzt mit einem höfischen Anstand zu Pferde. Vor dem Antlitz trägt er eine schwarze Maske, die nur die Augen freiläßt.

Die junge Frau Reichsgräfin blickt zu ihm auf und schmält ihn zornmüthig und voll Courage aus:

»Er hat wohl Recht, daß er sein Erröthen unter der Larve birgt! Stehle Er den Bauern Hühner und werfe Er die Meßjuden! Aber belästige Er nicht Personen von Stand und hoher Distinction! Denn dies ist wahrlich neu und geht übel aus! . . . Weiß Er, wer ich bin?«

Lacht der Brigant oben unter seiner Maske.

»Zu was wären wir Killesgänger und Kitteschieber und ich der Ballmasemattener von den Ehrefhalchenern«, sagte er in einer widerwärtigen Mischung teutscher und hebräischer Zunge. »Parbleu, Madame: Sie sind noch landfremd hier rechts vom Rhein, nachdem Sie, durch den Traité von Lunéville, Ihre linksrheinische Herrschaft Hohen-Sulz an Frankreich verloren haben!«

»Deswegen komme ich ja flüchtig aus der Rheinpfalz!« ruft erzürnt die Gräfin Hohen-Sulz. »Mit Müh' und Noth haben mich die Franzosen noch über die Mainzer Rheinbrück' gelassen. Flugs darauf haben die Schoote sie wieder zugemacht!«

». . . und Madame ist nun im Begriff, ihre, als Entschädigung zugewiesene Herrschaft, die ehemalige Abtei Heilig-Kreuz, zwei Stunden von hier, zu beziehen!« spricht der vermummte Bauer auf dem Rappen höflich. »Vous voyez bien: Ich weiß Bescheid!«

»So menagiere Er sich und lasse Er eine arme, christliche Wittwe in Frieden fahren!«

»Es ist nicht meine Schuld, daß dero Gatte als K. u. K. Obrister in der Bataille von Hohenlinden fiel! . . . Sie sind erstaunt, daß ich das weiß? Ma foi, Madame – mir ist manches bekannt!«

»Dann ist Ihm auch nicht fremd, Er Töffel, daß ich keine landfahrende Madame bin, sondern die edelgeborene und hochgebietende Gräfin Sulz! Wer sich an Hab und Gut meiner erlauchten Personnage vergreift, dem winkt unfehlbar der Galgen!«

»Hei ja, Viva! Ihr grandige Malochner!« schreit da der Schelme Oberster vom Roß und schwingt den Arm in die Luft. »Bangt Euch vor dem Dullme?« Und die Lümplein umher lachen des Galgens, sind auch schon dabei, die Koffer und Mantelsäcke aufzuschneiden und die Pferde wegzuführen, und ihr Gewaltiger redet zu der mit Fug empörten Frau Gräfin weiter: »Eigenthum ist unrecht Gut! Das hat die große Revolution in Paris offenbart. Wer stiehlt, gewinnt das Seine wieder!«

»An ihm ist ein trefflicher Magister verloren gegangen«, sagt Ihre arme Erlaucht erbittert. Er aber, unter seiner schwarzen Maske: »Was in Ihrer Bagage an Geld und Gut steckt, das haben Ihre Vorfahren vor Jahrhunderten auf der Landstraße geraubt! Ich hole es uns armen Brüdern auf der Landstraße zurück! Voilà tout! . . . Das Rad dreht sich, Madame!«

»Er wird selber aufs Rad geflochten werden, weil er mich, des heiligen Reiches Gräfin und Edelfreie . . .«

»Das heilige Reich ist Todes verfahren! Die edle Freiheit lebt und blühet Jedermann, auch uns armen Strahle-Kehrern von der Landstraß'! Es ist kein Unterschied mehr zwischen dem geringsten Nachtdieb und einer gloriosen Frau Gräfin, sondern ein Mensch wie der andere!«

»Er hat gut philosophieren, Er diebischer Rousseau! Ich aber stehe hier . . .«

»Sie sollten vor einfallender Nacht Schloß Palmingen erreichen, Madame!« sagt der Mann in der Maske vom Roß herab. »Es ist nur zehn Minuten Wegs von hier! Gehen Sie flugs! Sonst kann ich, bei Nacht, für Ihre Sicherheit nicht bürgen! Ich habe zu üble Gesellen in meiner großen Compagnie!«

Und wie dann die Reichsgräfin von Hohen-Sulz gottergeben ihre Röcke rafft und mit Dienerin und Söhnlein zu Fuß in Regen und Abend-Dämmern durch den Koth der Landstraße dahinstapft – wahrlich ein erbarmungswürdiges Bild! – da ruft ihr der unbekannte Bösewicht nach: »Vermelden Sie des Grafen Palmingen hochnärrischer Herrlichkeit mein unterthäniges Compliment und einen Gruß vom Johannes durch den Wald!«

* * *

Ich, der Graf Florentin, absolvierte um diese Zeit vor dem flackernden Kamin meine allabendliche Akademie mit Monsieur du Marainville, meinem Florettmeister. Dieser ehemalige Musketier Ludwig XVI., den ich als Flüchtling vor der Revolution in meine Dienste genommen – wie denn mein Hof ein kleines Versailles des französischen ancien régime mit Stolz genannt werden mag – dieser Edelmann schlägt eine leckere Klinge. Doch auch ich tänzelte, wenn schon ein Greis, lang, hager und graziös, im Flammenschein des Kamins über das Parkett, ließ, trotz des Zipperleins, in hurtigen Pirouetten die blauseidenen, goldgestickten Rockschöße wehen und verneigte mich wohlgelaunt und gravitätisch, als ich mit einer süperben Finte wider den du Marainville reüssiert hatte.

Mein Porzellanmaler Christoforo di Santo Basso trat herein, ein welscher Meister von der nun schon seit Jahren abgegangenen kurmainzischen Fabrique in Höchst. Wies mir artige Streublümchen in einem weichen, karminrothen Camaiou auf Cocots en miniature, – kleinen, gedeckelten Bechern für süße Sahne – und ich bedauerte mit dem galanten Künstler, daß wir von Höchst kein Geschirr mehr zum Bemalen gewinnen können, seitdem die Franzosen die weitgerühmte Fayence-Manufaktur muthwillig verbrannt haben.

Inzwischen ließ ich mir von Pompeo, meinem Kammerknecht aus Neapolis – da ja die Teutschen zu solch delikaten Hantierungen zu grob und ungeschlacht sind – die Perrücke kräuseln und pudern und die Spitzenkrause glätten und Frack, Gilet und Escarpins zum Diné zurechtzupfen. An meinem Hofe darf Niemand die Schamlosigkeit so weit treiben, in langen Pantalons einherzugehen, oder durch runden Hut und freifallendes Haar freventlich sein Jakobinerherz offenbaren. Wo wurde sonst feine Sitte und heitere Anmuth gefunden, als in dem ehemaligen Frankreich, und so beorderte ich, während ich mir behaglich am Kamin Kniestrümpfe und Schnallenschuhe wärmte, meinen Hofcultus-Administrator und Oberceremonier, den alten Herrn Marquis Elimar de Fizeaux de Rouvron, der, mit dem Dreispitz unterm Arm, den Degen an der Seite, vor mir stand.

»Sorgen Sie, mein Theuerster, daß die Musikanten während der Tafel nur pianissimo fiedeln und keiner von der Livrée sich zu husten unterfängt und alles nach Gebühr verläuft.«

Der Herr Marquis verbeugte sich mit jenem leichten Anstand, wie er – ach! – nur in Versailles, niemals in unsern bäurischen teutschen Landen daheim war – und ich fügte gnädig, in Art des Sonnenkönigs lächelnd, hinzu:

»Und möge auch der Stern unseres Schlosses doppelt lieblich leuchten!«

Ein tiefes Compliment des Herrn Marquis:

»Meine Tochter Xénais wird ihr Bestes thun, um vor dero erlauchtigen Augen mit Ehren zu bestehen!«

Er zog sich, mit dem Antlitz gegen mich, zur Thüre zurück und verschwand. Ich winkte ihm heiter mit zwei Fingern nach. Ich saß am Kamin und träumte, indeß mein Hofstaat schwieg . . .

Oh – schweigt mir . . . schweigt von Xénais! . . . Oh, Cupido, du Loser! . . . Oh, du altes Herz . . . oh . . . Xénais . . . du Spröde . . .

Es wäre besser für mich, ins Kloster zu gehen! Ein alter Spötter und Gottesleugner und Weltmann wie ich – ein wahrer Sohn des großen, todten, achtzehnten Jahrhunderts. Im Kloster hat dies arme, feurige Herz Ruh'! A Dieu mon âme – mon cœur aux dames . . . Wie habt Ihr das selber gehalten – Ihr Montmorency mit Eurem Wahlspruch: »Gott meine Seele – mein Herz den Frauen – mein Leib dem König – die Ehre für mich . . .«?

Oh Xénais . . . hartherzige Coquette . . . Soll ich dich wirklich an den zierlich erhobenen Fingerspitzen der linken Hand zum Altar geleiten – eine mésalliance – eine schimpfliche mésalliance – wenn du auch eine landflüchtige Marquise bist . . . aber ich . . . ein Standesherr des römischen Reiches – dem Kaiser ebenbürtig – ich – der letzte Palmingen . . . Soll ich, zum schmählichen Ende, die Ahnentafel mit einer unebenbürtigen Heirath beflecken?

Und anders thust du's nicht . . .

Oh Xénais . . .

Eine innige Liaison in allen Ehren . . .?

Du lachst nur und machst mir armen weißhaarigen Schäfer, der zu deinen Füßchen kniet, eine lange Nase . . . Du könntest meine Enkelin sein . . .

Das Kloster . . .

Oh Xénais . . . oh Schlange Eva . . . oh Xénais . . .

Mein Jagdmeister O'Kelly kam in hohen, übel beschmutzten Stiefeln herein. Er ist ein Ire, und auf welchen Wegen er abenteuernd bis an meinen Hof gelangt, hat sich nie recht offenbaren wollen. Ich weiß nur, daß Niemand so grausam und entsetzlich lügen kann wie er, wenn er uns seine Bärenhatzen in der Walachei und seine Händel mit Wölfen und Luchsen bei den Lappländern meldet.

Er war kein Sieur von Politesse, sondern trat frischweg ein und rapportierte mit einer vom Branntwein rauhen Kehle.

»Es ist um das Schloß herum nicht geheuer, Erlauchte Gnaden! Alle Saurüden im Park schlagen an! Man hat diverse Kerle, von einem Habitus wie Trabanten oder Läufer eines großen Herrn, Hals über Kopf rennen sehen, als säße ihnen der Böse auf den Hacken!«

»Werden Wildfrevler sein, die Euch für Narren halten!« ließ ich mich nicht eben huldvoll verlauten.

». . . Im Walde – berichten etliche Holzweiblein – schleichen sich üble Gestalten durch die Bäume . . .«

»Unter meinen, des regierenden Grafen, Augen . . .«

»Was untersteht sich ein Räuber nicht in seiner Schalkheit? Ich erlebte es einmal im Kastell des Hospodars der Moldau . . .«

»Lasset den Großtürken unterwegs! Sehet lieber, was das für Nachtvögel in frecher Nähe unserer Residenz sind!«

»Sie tragen Waffen und schwere Packen! Ich besorge: Es ist draußen eine Attacke auf einen étranger de distinction geschehen!«

»So weit treibt selbst ein Johannes durch den Wald nicht seinen Übermut und Büberei!« rief ich und erhob mich in voller Majestät von Palmingen vom Tabourett. Doch zugleich heulten die Hunde draußen noch toller, und es geleitete der Marquis von der Halle her eine Dame vor mein Antlitz, der eine Kammerdienerin mit einem Knäblein auf dem Arm folgte.

Diese Fremde mußte von hohem Stand und Abkunft sein, daß ein so gewissenhaft ceremoniöser Hofmarschall wie der de Fizeaux sie ohne Anmeldung, so wie sie regentriefend und windzerzaust aus der Nacht kam, in meine Appartements introducierte. So trat ich, den Lorgnettenstiel zu den Augen hebend, neugierig und cavalièrement leicht, mit zwei Pas vor sie hin.

Sie war eine große und wohlgebildete Person, von schönem und vollem, wenn auch jetzt bleichem Antlitz. Noch mochte sie wenig über die Mitte der Zwanzig sein – mit sattsam viel kastanienbraunem Haar unter dem verschobenen, schiefsitzenden Reisehäubchen, und Thränen des Zorns in den grauen Augen – doch aber in einer Tournüre und Haltung, wie sie einem hochadeligen Frauenzimmer, auch im Echauffement, verbleibt. Sie trug einen weiten kapuzinerbraunen Tuchmantel mit langen bauschigen Ärmeln, vorn aufgeschlitzt, und darunter einen Rock aus feiner, silbergrauer Wolle, alles von der Witterung draußen naß und die Schuhe feucht von Straßenschlamm.

Diese grande Dame nun marschieret, wie sie meiner gewahr wird, alsofort auf mich zu, faßt Posto und beginnt, sich, ohne einige Complimente, bitterlich zu beschweren: Sei dies Zucht und Ordnung in gräflich Palmingen'schen Ländern, daß man eine Reisende von ächt altadeligem Blut und sechzehn malteserfähigen Ahnen allda am lichten Tage molestiere? Sie habe sich, als eine hülflose und vertriebene Wittib, einer besseren Nachbarschaft zu ihrem neuen Herrensitz Heilig-Kreuz versehen . . .

Nun merkte ich, daß dies die Sulz'sche Gräfin war, die ich noch nicht von Person kannte, und ich excusierte mich geziemender Maßen. Sagte, ich ließe stets die Ordinari-Post von meinen reitenden Dragonern cotoyieren. Und hätte noch weniger ermangelt, der Frau Gräfin eine gebührende Sauvegarde zu stellen, sowie sie mich avertiert hätte, daß sie meinem Staat die Ehre ihrer Durchreise vergönne.

Sie aber mag nichts hören und klagt: Wahrlich – eine angenehme Surprise! Nun sei sie schimpflich um ihr Hab und Gut draußen auf der Landstraße geprellt und stehe wie eine Landstörzerin da vor Gott und den Menschen! Rückt mir auf den Leib und begehrt mit dräuenden grauen Augen zu wissen, wer auf hiesigem Territorio regiere: Florentin VII. oder Johannes durch den Wald?

Zum Glück waren wir – die Gräfin Amöne und ich – nahe verwandt! Denn mein Vorfahre, der Kreuzritter Sifridus, der im Jahr des Herrn 1099 bei der Erstürmung Jerusalems fiel, und die Ehezier Aleit des liber miles de Sulce am Rhein waren Geschwister gewesen. Dies fiel mir bei und mit dem Recht des cousin rügte ich: »Wie mochten Euer Liebden auch muthwillig ohne ritterlichen Schutz die Wälder passieren?« Sie aber, rasch und mundfertig: »Daran ist Eure gräfliche Weisheit allein schuld!«

». . . Daß Sie solch eines Husarencoups sich vermaßen, Liebwertheste?« replicierte ich erstaunt, in der Zunge Voltaire's, und die schöne Gräfin, in ihrer Exaltation in simpelm Deutsch, dessen Mundart es nicht verhehlte, daß die Wiege ihrer erlauchten Ahnen viele Jahrhunderte drüben in der Pfalz gestanden:

»Ei gerad'! Hätt' ich nur den Herrn Stabsrittmeister noch bei mir gehabt!«

Und mit jener pleine carrière der Gedanken, wie sie dem Frauenzimmer eigen, continuierte sie:

»Guck emal: das war ein rechter Husar! Gleich hinter dem Großherzogthum Frankfurt haben wir uns in der Poststuben kennen gelernt! Ei – hat der Preuß' den Postmeister gedrillt, wie der mir keine Pferd' hat geben wollen, und den Grobian geheißen, Bauernpferde zu schaffen! Wir haben denselben Weg gehabt und er ist die ganze Zeit neben meiner Chaise geritten und hat mich chaperonniert und wir haben miteinander conversiert!«

»Hätte doch gemeldeter Chevalier die Frau Cousine bis hierher gebracht!«

»Ja, liebs Göttle – darf er denn? An Ihrem Grenzbaum, Herr Cousin, hinter dem Städtche Waldbronn, waren Ihre Employé's wüst! Gleich die Musketen vom Buckel und die Schnurrbärt' gestrichen: ›Kein preußischer Werbe-Offizier darf auf gräflich Palmingen'sches Gebiet!‹ . . .«

»Meine präciseste Ordre und Entschluß!« bekräftigte ich und gerieth noch nachträglich in den Zorn eines Landesvaters, dem man sein Eigentum raubt, »nachdem ein Rittmeister von Arcularius mir hinterlistig zwei starke Purschen für die preußische Armee geworben und entführt, und so die Zahl meiner Unterthanen merklich gemindert hat!«

Die Sulz'sche Frau Cousine lacht und klatscht in die Hände. »Etsch! Der Monsieur de Arcularius ist es ja gerade,« spricht sie, »der mich begleitet hat!«

»Soll anderswo sein Métier prästieren als in meinem Reich und Landen!« brause ich auf und die Gräfin, rosig erhitzt, mit feucht glänzenden Augen – wahrlich: ein reizendes Bild von Meister Watteau's Pinsel – von adeligem Anstand und doch ein liebenswürdiges Weib – wenn mein altes Herz nicht schon für Xénais glühte – . . . oh Xénais . . . nun denn – sie – die vertriebene Hohen-Sulz'sche, eifert, als sei sie selbst ein Sujet des roi de Prusse: »Der König von Preußen braucht doch Soldaten! Seine ganze Armee marschiert doch nach Westfalen. Es heißt doch: Jetzt giebt's endlich den Krieg zwischen ihm und dem wüschten Buonaparte! Deswegen muß ja der Herr Capitän von Arcularius allgemach heim! Er hat lang genug hier die Deserteurs und Conscribierten der grande armée über'n Rhein herüber angeworben und in Handgeld und Handschlag genommen, spricht er!«

»Wo ist sothaner Offizier zur Zeit?«

»Ei – unten in Waldbronn, im ›Lamm‹ – da hockt er!« ruft die schöne Frau Amöne. »Ohne eine hochgräfliche riegeldumme Grenzsperre wäre er bei mir geblieben, und ich hätte meine Bagage noch! Er wollte mit solch einem Johannes durch den Wald flugs fertig werden, hat er gelacht und gesagt, – wenn man ihn machen ließe! Dafür sei er ein preußischer Husar und Werber und habe mehr Finten, Listen und Anschläg' im Kopf als ein Baum Blätter!«

»Möchte dies nicht nach einem Poltron schmecken, schöne Frau Cousine?« frug ich in Zweifeln.

»Der Ruf des Herrn Werbe-Capitäns, daß ein Fuchs viel von ihm lernen könne – und in der Roth ein reißender Wolf von ihm das Beißen – geht weithin am Rhein bis in das Kur-Trier'sche und Kur-Kölnische!« vertheidigte ihn die Gräfin mit erhitzten Wangen. »Er steht auch in großer Gunst und Affektion bei dem Vater aller Husaren in Preußen, dem Herrn von Blücher. Er hat mir Briefe gewiesen, aus Stolpe und Bütow in Pommern, wo der Herr Generallieutenant sein ansehnliches Husarenregiment vor dem Ausmarsch nach Westfalen visitierte. ›Wir werden nun negstens in die Gefegte mit diese Kerlls kommen!‹ schreibt er. Mit der Feder will es Seiner Exzellenz nicht recht glücken! Aber der Herr von Arcularius versteht wohl, wie es der Säbel meint!«

»Und er hat sich zu Euer Liebden vermessen, den Johannes durch den Wald zu fangen?«

»So sprach er nicht nur zu mir, sondern vor aller Welt zu den Postknechten, die die Vorleg-Pferde anschirrten und kleinmüthig waren: Er wolle solch einem Räuberlein auf einen Schelm anderthalb setzen! Dazu brauche es freilich nicht ein bäuerisches Drauflosreiten, sondern einigen Husarenwitz und preußisch kalt Blut!«

Unter diesem begeisterten Lob des Herrn Prussien von rothen, Hohen-Sulz'schen Lippen war meine Décision geschehen! Ich wollte nicht weiter meiner hohen Souveränität aus Waldesklüften heraus Hohn und Schabernack bieten lassen!

»Ich werde immédiatement ein Billet an den Herrn Stabsrittmeister expedieren«, meldete ich der Gräfin, »und ihn invitieren, einige Tage mein Gast zu sein! Möge er dann seine Husarenkunst an dem Johannes durch den Wald erweisen!«

Das Haus Palmingen lebte zwar mit dem Reichsstädtlein Waldbronn schon seit mehreren Jahrhunderten wegen einer strittigen Gänseweide in Fehde und Unfrieden und der weitberühmte Prozeß hing einhundertelf Jahre vor dem Reichskammergericht und ist, nachdem Wetzlar nun fürstlich Dalberg'sch geworden, niemals zu Ende gediehen. Trotzdem fertigte ich jetzt einen reitenden Boten mit meiner Epistel an den Herrn von Arcularius in Burgfrieden und Weichbild Waldbronn'scher Reichsstandschaft ab, wählte dazu den getreuesten und unerschrockensten aller meiner Dragoner, den Trompeter Bellonier, einen Brabanter, und hieß ihn, ohne Angst vor den Räubern, brav durch die Nacht galoppieren, wie er dann auch ohne Abenteuer in dem Städtchen anlangte, dem Herrn Rittmeister den petschierten Brief übergab und anderen Morgens mit dessen gehorsamstem Rapport wieder bei mir antrat, der Capitän von Arcularius werde nicht ermangeln, hochdero gnädigster Provokation zu folgen.

Während ich ihm am Abend diese Zeilen schrieb und also wider Hermes an Mars, gegen den Gott der Diebe an den Gott des Krieges appellierte, hatte ich die Frau Gräfin ehrerbietig ersucht, für vorkommende Nacht über mein Schloß und seine Appartements befehlen und verfügen zu wollen. Diese liebe Cousine jedoch hatte, bei aller Holdseligkeit äußeren Ansehens, malheureusement, wie mir bald klar wurde, einen rechten Pfälzer Dickschädel von Alters-Ahnen her auf ihren zarten Schultern sitzen und, besorg' ich, ihrem Gemahl wohl manchmal den Kopf heiß gemacht, bis er, allezeit getreu für Habsburg und ein heiliges Reich, bei Hohenlinden wider die Sansculotten sein adelig Gemüt aushauchte. Diese Gräfinwittwe stampfte jetzt mit dem Fuß tönender als meinem Hofceremonier lieb war, auf das Getäfel, weigerte sich, Speis und Trank bei mir zu goutieren, und beharrte, mit finster geschürztem Mund und, als eine schöne junge Weibsperson, doch voll männlicher Courage, stracks ihre Reise nach Heilig-Kreuz fortzusetzen.

»Es halten sich als noch etliche Mönch' dort verschlupft!« sagte sie erbost, und ich wußte wohl: Abt Martin II – seines Stammes ein Reichsfreiherr von Jachenau – und die alten Patres mochten aus dem, achthundert Jahre besessenen, nun säcularisierten Kloster nicht weichen, obwohl ihnen Dorfpfarren genug geboten waren, sondern getrösteten sich immer noch einer besseren Zeit. Und die Amöne von Sulz wickelt ihr Kindlein gegen die Nachtkühle in warme Decken und ruft: »Wo soll ich denn mein Haupt hinlegen? He? Ich bin auch aus uralten Erblanden von den Franzosen verjagt! Es hat halt jetzt in Teutschland zu viel Menschen und drängt Einer den Andern! Mit meinem Amtmann, den ich vorausgesandt, leben die Ordensleute wie Katz' und Hund! Ich will da aber keine Gewalt brauchen, sondern die Affaire in Güte schlichten!«

»Was wird die Frau Cousine da thun?« frage ich, und die junge Gräfin lacht muthwillig. »Ei nix, als daß ich da bin! Kann ich dafür, daß ich lange Haar' hab' und ein Frauenzimmer bin? Da kriegen's die frommen Männer mit den Ängsten um ihr Seelenheil und räumen vor mir Beelzebübche das Feld – der gestrenge Herr Abt, wenn er mich anguckt, an der Spitz'! Deß bin ich getrost! Ich muß nur vor nachtschlafender Zeit am Pförtchen Sturm schellen. Sonst lassen sie mich nicht mehr ein! . . . Bitt' also Euer Liebden herzlich: Schafft mir Reisegelegenheit!«

Meine Subjekte hatten inzwischen mit Fackeln die Karrosse, die noch verlassen auf der Landstraße stand, aus dem Walde heraufgeholt und trugen die von Frevlerhand aufgesprengten und in den Graben geworfenen Koffer herbei. Deren Inhalt war von den räuberischen Kanaillen, soweit sie ihn nicht hatten mitgehen heißen, mutwillig verstreut, und es sollen weithin im Walde noch Jupons und Chemisetten, Spitzen-Bonnets und Culottchen in den Sträuchern gehangen und am Boden gelegen haben.

Die Gräfin von Sulz aber kümmerte sich nicht darum, sondern half eifrig im Hof bei Laternenschein den Haiducken, die aus meinem Marstall gezogenen Pferde anzuspannen und wußte mit Schnallen und Riemen Bescheid wie ein Stalljunker. Ich aber ließ mir inzwischen meinen Generalissimus, den Commandant en chef von Schindewolff, kommen und befahl, bei meiner Ungnade, diesem allzu dicken und, trotz weißen Schnurrbarts, Würfeln und Weib ergebenen Marsdiener, sich ungesäumt und mit meiner gesammten Kriegsmacht von, nach des Bellonier Abgang, siebenzehn Dragonern in den Sattel zu schwingen, sich des ferneren unter kriegerischem Blasen durch die Nacht, gezückten Säbels um die gräfliche Reisekarrosse versammelt, nach Heilig-Kreuz zu instradieren und dort die hohe Dame ohne nochmalige Trouble und Attaque sain et sauf abzuliefern.

So durfte dann die gute Frau Reichsgräfin mit erlauchtem Sprossen und Bedienerin getrost in Nacht und Nebel hinausfahren. Sie reichte mir über den Kaleschenschlag noch herablassend die Hand zum Kuß, und während ich einen solchen graziös applicierte, beugte sie sich vor, wurde ein klein weniges roth und sagte: »Vielleicht läßt sich der Herr von Arcularius bei seinem dasigen Aufenthalt auch einmal in Heilig-Kreuz erblicken . . .«

Mein schelmisches Zwinkern wollte Ihre Liebden nicht bemerken, sondern lehnte sich schnell in die Lederpfühle zurück, die Suite trabte los und die Räder rasselten.

* * *

Oh . . . Xénais . . .

Umschloß nicht zärtlich die musselindünne, weiße Robe, eng wie ein Hemd, mit langer Schleppe und buntgestickten Borten dein Nippes-Figürchen einer porzellanenen Schäferin? Öffnete sich nicht neckisch der tiefe Ausschnitt deiner hohen Wespentaille dem sanften Spiel deines weißen Busens? Lächelte nicht die kindliche Unschuld Elysiums aus der Nacht deiner großen, mandelförmigen Augen?

Oh – dieses Haar . . . kraus, wirr, pikant in dem tiefen Blauschwarz seiner Perrücke . . . dieses Gesichtchen – schmal und fein – geheimnisvoll weiß gepudert – mit den beweglichen Nasenflügeln deiner heiteren Rasse, dem kleinen, rundlichen, elegischen Spitzbuben-Mäulchen . . .

Oh . . . Xénais . . . Kind des Südens . . . Tochter eines fremden Landes, in unsere barbarischen Wälder verschlagen – Xénais . . . süße kleine Marquise . . . Traumbild von einst – aus den Tagen meiner fernen Jugend . . . vom Sonnenhof von Versailles . . .

Und um den dünnen, weißen Hals trägst du ein schmales, vielsagendes rothes Band. Viele deiner Verwandten fielen unter der Guillotine. Du rettetest dich als Kind auf dem Arm des Vaters hierher auf mein Schloß! Hier blühtest du zur Jungfrau heran . . .

Giebt es etwas Anmuthigeres – Ihr Amoretten, die Ihr mich unsichtbar umgaukelt, seid Zeugen! – als dein Spiel mit dem Longschal, den ich dir zum Wiegenfest verehrte? Er ist zweimal so lang wie du selber, türkisch gemustert, mit langen Franzen. Du aber weißt das lange schmiegsame Gewebe, einer Hamilton gleich, um dein Persönchen zu schlingen, dich in unbewußter Grazie darin zu drapieren, in klassischer Plastik einer deliciösen, immer wechselnden Haltung und Bewegung stets neu das Herz des alten Schäfers zu erfreuen . . .

Oh Xénais . . . dein Schäfer wird wieder jung . . .

* * *

Drei ist die Zahl der Grazien. Zu dritt nur waren wir auch bei unserem Symposion: Ich, Xénais und ihr Vater, der Marquis.

Scherzhaft-geistreich, in der Sprache des Herrn von Voltaire, die den Ohren des Haushofmeisters, der aufwartenden Laquaien und des Leibjägers fremd, fing unsere Konversation, hin und her über den Tisch, die Bonmots und Aperçus auf, die wie leichtbeschwingte Falter den goldenen Glanz der Wachskerzen in den hohen Silberkandelabern umgaukelten. Wir handelten erst das Malheur der armen Gräfin ab, mit dem sie, vor dem großen Räuber Buonaparte flüchtend, unter die kleinen Räuber, den Johannes durch den Wald und sein Volk, gefallen, und ich konnte mich nicht entbrechen, anzumerken, es habe vielleicht gar noch auf dieser Reise Gott Amor, als preußischer Husar verkleidet, unserer Cousine Amöne den Pfeil ins Herz geschnellt . . .

Amor . . . das liebliche Kind . . . Da waren wir denn wieder bei dem zärtlichen, kleinen Liebesgott! Ich faßte, indessen uns die Domestiquen Orange-Wasser über die Hände träufelten, Xénais, diese schalkhafte kleine Unschuld aus Welschland, bei den Fingerchen, und flötete leise: »Oh spröde Diana teutscher Wälder! . . . Wann wirst du deinen Endymion erhören?« Sie aber, die Marquisin, wiegt das brünette Köpfchen und spricht träumerisch: »Eben läutet es draußen das Ave!« und ich verstand den feinen Stich wohl, daß keine andere Bresche zu dieser kleinen Festung offen, als die Kirchenthür zu Pfaff' und Altar . . .

Dies war die erste Verstimmung, und es folgte sur le champ die zweite: die grausame Xénais fächelte sich Kühlung, trieb, voll erlesenen Geschmacks, das flüchtige Spiel des Schals zu einem Wellenwurf, der sie abwehrend beinahe völlig verhüllte, und ließ dabei wie beiläufig einfließen, sie sei, nebst dem Marquis, für morgen Nachmittag von dem Baron Maxence Marie von Wimmersheim auf sein nahes Schloß zur Chocolate genöthigt!

Im Nu waren in mir alle Dämonen der Eifersucht von ihren Fesseln der convenance gelöst! Ich versetzte, mit einer merklicheren Vibration der Kehle, als es Einem der Großen dieser Erde ansteht. »Ah – und wer ist das weiter – mein Nachbar . . . le baron de Wimmersheim! . . . Ein Mensch von niederem Adel . . .«

»Mir ebenbürtig, Monseigneur!« lächelte es von den kleinen, weißen Zähnen neben mir durch das Krachen einer Mandel. »Es kann nicht einem Jeden die Reichsstandschaft in die Wiege gebunden sein!«

»Ein Herr von mäßigen Vermögensumständen – fast arm zu nennen . . .« mäkelte ich erhitzt weiter. Xénais strich sich die weißen Musselinfalten ihres Gewandes glatt und erwiderte gelassen: »Nicht mehr, gnädiger Herr, seitdem ihn vor zwei Jahren die verewigte Gräfin-Tante in Wien mit großer baarer Erbschaft begabt hat!« Und – zu allem Unglück! – dies war wahr! Also höhnte ich erbittert zum dritten – und darauf gab es keine Parade – denn ich sagte nur, was der ganzen schönen Welt weithin bewußt: »Ma foi! Wen treffen Sie in dem Baron? Einen Harlekin! . . . Einen ausgepichten Bajazzo, den nur alter Nam' und Schild vor dem Narrenthurm bewahren! . . . Einen unmännlichen, verweichlichten Zärtling!«

Xénais hielt sich mit den kleinen Händen die kleinen rosigen Ohren zu. Ich jedoch beharrte in cholerischem Humor:

»Wenn Sie eines Mundkochs benöthigen, Marquise – le baron de Wimmersheim, diese ausgemachte Weibernatur, steht selbst am Heerd und siedet und backt! Macht Ihre Garderoberin es Ihnen mit Nadel und Schere nicht zu Dank – le baron de Wimmersheim, fädelt und fertigt Perlenstickereien trotz einem Frauenzimmer! Gekleidet ist dieser Nachbar und Baron, daß seine Bauern lachen und es einen Schellen-Narren zu Fastnacht erbarmen möchte – so machet er aus sich in seiner Einfalt einen regenbogenfarbenen Affen! Ein Cavalier ohne Courage! Ein Glied der Noblesse ohne alle Mériten! Äh . . . Fi donc!«

Das lose Kind an meiner Seite spielte mit ihrem Réticule und schnitt ein maliciöses Mündchen.

»Ein extraordinairer Vorzug ist dem Baron Wimmersheim doch vor Eurer gräflichen Erlaucht eigentümlich!« ließ sie sich vernehmen und wieder zuckte es mir ins Herz. Denn dies wollte bedeuten: Er heirathet mich ohne Besinnen – die Tochter eines Marquis, dessen Schlösser und Güter – leider – nur noch im Monde liegen . . . Und wenn ich noch die Zimperliche spiele – ei nur, weil ich lieber zur linken Hand des hochgebietenden Reichsgrafen von Palmingen getraut bin als zur rechten des kleinen Baron Wimmersheim . . .

Aber beeilen Sie sich, Monseigneur . . .

* * *

Just eben hörte ich in der Nacht draußen das Hufgetrappel und Säbelgeklirr meiner Armee, die victorieusement, ohne vom Johannes durch den Wald attackiert worden zu sein, von Heilig-Kreuz zurückkehrte. Ich ließ noch einen feurigen Blick eines treuen Ritters der Damen über Xénais hinleuchten. Sie aber schüttelte das eigensinnige, in eine chevelure à la sauvage der Perrücke gewirrte schwarze Köpfchen und sprach, vor sich hinlächelnd:

»Ich werde doch morgen bei dem Baron Wimmersheim ein Schälgen Chocolate nehmen!«

Da hob ich erzürnt die Tafel auf und verfügte mich allein in mein Cabinet, nicht anders erwartend, als in der Antichambre den Capitän von Schindewolff vorzufinden, der mir melden sollte, daß die Gräfin Amöne glücklich in Heilig-Kreuz einpassiert.

Doch wer tritt mir im Cabinet, wo er bekümmert vor dem Kamin gesessen, im Flackerschein der Flamme entgegen: der hochwürdige Abt Martin II. selber . . .

Dieser vom Klosterthron gestoßene Mönchpriester ähnelte keineswegs den weltlichen Domherren am Rhein, die die Büste des Heiden Diderot auf ihrem Schreibtisch postieren und in Galanterien erfahren sind. Seine Gesichtsbildung war grob, ihr Aussehen streng, das graue Haar wirr, die Kutte rauh, Sandalen an den Füßen – mehr ein Waldbruder, denn ein Edelmann.

»Ich bin mit wendender Kutsche und deinen Dragonern hierher gereist, Florentinus!« sprach er mit tiefer Stimme. Denn als nahe Vervetterte bedienen wir uns des ›Du‹. »Es ist an dem, daß ich eilends fliehen mußte. Der böse Feind hat seinen Vortheil erkannt und ist in Heilig-Kreuz eingedrungen!«

»Mit Hörnern und Klauen, Schwefel und Gestank?«

»Mit langem Haar und langen Röcken, heller Stimme und höchst holdselig zu schauen!« rief der heilige Mann. »Wehe! Wehe! Wahre dein Seelenheil! Wo der Satan in Weibsgestalt umgeht, da weiche! Morgen ziehe ich mit den Patres weiter in österreichische Erblande, wo – dem Ewigen sei Dank – noch kein Klostersturm und Säkularisation erfunden wird und uns im Wallfahrtskloster St. Peregrin ein neuer irdischer Unterstand bereitet ist!«

»Also habt Ihr in Heilig-Kreuz nicht den Teufel ausgetrieben, sondern der Teufel Euch!« scherzte ich und geleitete den Abt in meinen Schlaftempel, wo ich die bevorzugte Welt empfange. Wir setzten uns an den hohen und heißen, eisernen Ofen, der in zierlicher vergitterter Schmiedearbeit und mit gehämmerten Schildern den Thurmbau von Babel darstellt, und Martin II. sprach bedachtsam: »Schelte nicht, Florentinus, sondern sei auf dein eigenes Seelenheil bedacht! Du bist alt und müde! Freilich voll seichten Unglaubens und höhnischen Zweifels, als ein rechter Sproß eines nun abgethanen, achtzehnten Säculums. Aber wer an Allem zweifelt, muß auch an dem Unglauben zweifeln, und wer Nichts glaubt, darf auch nicht an den Zweifel glauben, und man hat solcher Exempel heilsamer Bekehrung schon mehr als eines erlebt, und die Gott läugnen, sind ihm heimlich oft schon wieder am nächsten! Darum komme zu uns nach St. Peregrin und verbringe da in Frieden deine letzten Tage!«

Ich vergoß still ein paar Zähren in mein Spitzentüchlein und dachte an Xénais. Der finstere Abt fuhr grollend fort:

»Was thust du noch in dieser Weltlichkeit? In wenigen Wochen oder Monden bringt dir der Wille des Schicksals eine Kutsche voll Schreiberseelen und Rechtsverdrehern vom Code Civil vor das Schloß. Du wirst als Souverän abgesetzt, mußt Herrschaft und Macht den gekrönten Dienern Napoleons übergeben und sinkst in das Dunkel der Unterthanen hinab!«

»Ha! Niemals!« rief ich. Doch Herr Martin II. ließ sich das Wort nicht nehmen. »Ein Anderer möchte sich getrösten, daß sein Stamm noch blüht! Du aber bist der letzte Graf von Palmingen! Das gute, ehrliche Haus geht mit dir hin, nach Gottes Rath! Es wird einsam und Herbst um dich! Deine Gattin, die Frau Gräfin, starb früh vor dir dahin! Und wer kann sich erkühnen und sagen, daß dein einziger Sohn noch lebt?«

»Oh . . . rede mir nicht von meinem Sohn!« rief ich schluchzend und barg das thränennasse Antlitz in den Händen. Der vertriebene Klosterherr redete weiter:

»Ich weiß es wohl, daß du seit fünfzehn Jahren – seit er, vom Jakobinerteufel der Freiheit besessen, nach Paris ging, sich für einen Citoyen und Menschenrechtler, Feind der Fürsten und Pfaffen, und Anbeter der Göttin Vernunft erklärte und in den feurigen Abgrund der Revolution sprang – ich weiß, Florentinus, daß du deinen Sohn aus väterlichem Recht und Kraft des Statuts deines hochedlen Hauses als dessen Senior verstoßen und verflucht – auch männiglich untersagt hast, seiner noch je vor deinen Ohren zu gedenken und von ihm zu sprechen – wenn nicht dermaßen, als sei er todt! Wahrscheinlich ist er todt – wie denn diese greuelvolle Zeit der Sansculotten gleich Chronos alle ihre eigenen Kinder fraß – er muß todt sein! Denn man hat zu lange schon nichts von ihm vernommen?«

»Für mich ist der Unselige todt.«

»Was also hält dich noch hienieden auf Erden? Die Erde, auf der wir stehen, Florentinus, gehört uns nicht! Nur die Erde, in der wir ruhen! Alles Zeitliche schwindet jetzt dahin. Der Kaiser ist weg. Das Reich zerfällt. Wir werden Alle vertrieben, Jeder aus dem Seinigen! Du von den Justitiaren und Protokollanten der neuen hohen Herren Rheinbund-Potentaten und Franzosenknechte, – ich von einem jungen Frauenzimmer vom Adel wie der Hohen- Sulz'schen Gräfin!«

»Und der Gräfin wieder hat der Johannes durch den Wald das Ihre geraubt!« seufzte ich. »Hoch zu Roß – vermummt – auf meinem Boden – recht wie ein Ritter von der Landstraße! Wann wurde das, seit dem gesegneten Mittelalter, je vernommen?«

»Der Johannes durch den Wald soll sein Pferd ohne Tadel meistern und tummeln – heißt es«, sprach Herr Martin II., »– nicht schlechter, als es manche unserer Vorfahren, leider Gottes, als Raubritter thaten!«

Ich mußte dazu nicken.

». . . so als sei ihm ein altes und edles Geblüt eingeboren!« sagte der Abt. »Wie würde auch aus einem gemeinen Schnappsack ein Kentaur?«

»Mag dem so sein, daß es ein ausgearteter Cadet aus großem Hause ist! . . .«

»Nachdenklich, Florentinus, ist weiter das Factum, daß er gerade deine Grafschaft nebst Nachbarthümern heimsucht und plagt, und nicht nach anderer Räuber und Wölfe Art weithin im Lande auf- und abstreicht!«

»Lassen mir es, Abbas . . .«

»Hier aber, in Palmingen'scher Herrschaft, ist ihm Weg und Steg bekannt, kein Schlupf und Gelegenheit verborgen, wie einem, der von Mutterbrust und Kindesbeinen an hier daheim gewesen . . .«

»Genug denn . . .«

»Nun aber ein wunderlicher Fingerzeig, Florentinus: was sich sonst an gemeinen Räubern in lichten Schaaren bei uns umtreibt, Juden wirft und sich beim Bauern die Nachtranzen mit Kamisolen und Dörrfleisch füllt – diese Brüderlein wissen, was ihre Thaten werth sind und daß sie nichts Besseres verdienen als Stockhaus und Hochgericht! Unser Ritter auf dem Rappen aber – ei – weiß er nicht dem Beraubten zum Hohn zu melden, jedwedes Eigenthum sei überkommener unrechter Besitz und wolle an seinen rechten Ort, zu denen, die da Nichts haben, zurück? . . . Florentinus: hörst du da nicht die Höllenstimme des großen blutigen Babel Paris und der Schreckensherrschaft? Hat nicht Maître Robespierre, herausgeputzt à quatre épingles, zierlich einen Blumenstrauß in der Hand, beim Fest des höchsten Wesens in Paris solche Principien ausgerufen – und war unter den viel tausend schwarzen Schafen, die ihm lauschten, nicht auch ein junger Graf aus Teutschland?«

»Höre auf, Abbas!« schrie ich aufspringend. Herr Martin aber predigte unverdrossen weiter:

»Verkündet nicht dieser unbekannte Junker Johannes durch den Wald, wenn er bei deinen Amtleuten Nächtens die Thüren einstößt, bei Fackelschein die Schafe wegtreibt, deine Zinsen und Gefälle aus den Kästen raubt – läßt er sich nicht da, hoch zu Roß in der Nacht, inmitten seines höllischen Haufens, mit einer fürchterlichen Stimme vernehmen, er hole sich nur wieder, was ihm mit Fug und Recht gebühre? So als sei er enterbt und verstoßen und um das Seinige gebracht . . .«

»Ich mag nichts mehr hören!«

»Wer kann es sein, der mit einiger Raison – auch eines Bösewichts – sich solcher Worte vermessen darf? Keine Christenseele weiß es! Denn Niemand erblickte den Herrn Johannes durch den Wald noch anders als mit vermummtem Antlitz! Daraus ist unschwer abzusehen, daß ein Entsetzen durch das Land laufen und alle Gemüther verwirren würde, wenn man diesen mysterieusen Cavalier einmal mit bloßem Angesicht erkennen möchte! Denn was liegt an eines ordinairen Räubers gemeiner Gesichtsbildung? Selbst ein Bückler und Mathes, Veit und Manne, und was an weitverschrieenen, großen und berühmten Räubern sonst zur Zeit durch diese Gebirge schweift, hat selten das Antlitz geschwärzt und eine schwarze Larve vorgebunden, und trotzt meist offen Gott und der Obrigkeit!«

»Genug! Lieber Hochwürdiger und Vetter: Mach' ein Amen hinter deinem Sermon!«

»Ich bin am Amen! Denn weißt du, Florentinus, wohin ich hinaus will?«

»Sprich es nicht aus!«

». . . Ahnst du, was mir seit Langem schwant?«

»Berufe es nicht!«

»Hörst du, was die gemeine Rede und des Volkes Murmeln längst rings im Lande ist?«

Ich faßte den Herrn Abt vorn an seiner stacheligen Wollkutten. Er ließ sich nicht in seinem Sprüchlein beirren.

». . . was im Schloß hier schon die geringsten Heerdmägde und Stallbuben raunen – und es untersteht sich nur keiner, es vor dir zu verlauten . . .?«

Mochte ich auch Herrn Martin in meiner Angst und Noth schütteln und beuteln – sein exemptes Gewand vergessend! – er rief athemlos und unverdrossen weiter:

»Vox populi – vox Dei! . . . Gott straft dich, Florentinus, für dein hartes Vaterherz! Denn siehe – wenn nicht alles trügt –«

Ein kalter Angstschweiß näßte mir die Stirne. Ich fiel in den nächsten seidenen Armstuhl und saß da schweigend und mit offenem Munde, und Herr Martinus der Andere schloß:

»– dann ist besagter vielberühmter Johannes durch den Wald der Erbgraf Otto Septimus, dein Sohn, den dein Fluch und wälsche Irrlehren dir aus der Fremde als deinen abgesagten Feind zurückgestellt haben!«

* * *

Wo blieb mir, in dieser regnichten und stürmischen Nacht, der Mohn des Morpheus? Ich wandelte ruhelos in meinem geräumigen Schlaftempel auf und nieder. Ich lehnte bekümmert am Fenster und tausend Pensee's jagten durch meine Seele! Ich nahm meine Zuflucht zu jener Funktion menschlichen Verstandes, die mir immer als die höchste erschienen und mein Leben durch dies, nun vollendete, merveilleuse achtzehnte Jahrhundert begleitet hat – zu dem Zweifel, und fand im Zweifel den gewohnten Trost eines hochgeborenen alten Philosophen! Was weiß ein Zelot in seiner Zelle – so raunte mir die freundliche Kupplerin Skepsis zu – was weiß er von der Menschen Meinung, Landstraß' und Lauf der Welt? Der rauhe und grobe Herr – zornig, daß ihn die schöne Hohen-Sulz'sche mit flammendem Schwert aus seinem Pfaffenparadies vertrieben – hat das empfangene Ungemach christlich an mich weitergeben wollen! Soll ihm aber nicht glücken!

So beschwichtigte ich mich – soi disant im Kampfe wider mich selbst – und erwartete mit Ungeduld den Morgen . . . .

Ein Reichsstand wie ich, Graf Florentin, sorgt sich sonst wenig um die paupere und eisenfresserische Nation der Preußen dort hoch oben im Norden, in Berlin und Warschau. Ich – und ein Jeder, der einer galanten und graziösen Conduite des Lebens beifällt – erfand die Preußen alle Zeit als steif und feind den Orten, wo wahrer bon ton und höfisches Ceremoniell, Feinheit jeglichen Pläsiers und exklusive Reserve wider Bourgeoisie und Canaille, der Welt ein leuchtendes Exempel geben – als wie im königlichen Paris und in der Kaiserstadt Wien.

Nun aber ersehnte ich nichts heftiger als die Ankunft des Herrn Stabsrittmeisters von Arcularius! Wie die gesammte Börse auf die Faro-Bank, so setzte ich auf diesen vielberufenen Prussien meine Lebenshoffnung. Diesem ausländischen Husaren-, Werber- und Abenteurer-Charakter, der ja bald wieder von dannen ritt, wollte ich mich gänzlich découvrieren und ihn bitten, mit allen seinen Listen den Johannes durch den Wald nicht gleich in Thurm und Eisen zu liefern, sondern vorerst ihm heimlich zu entlocken, wer er eigentlich sei – ob ein Kesselflicker oder eines heiligen Reiches Graf . . .

* * *

Zu guter Stunde war an diesem Morgen ein großer, starker berittener Jude eilends beim Schlosse durchpassiert, welcher, als ein Geldwechsler auf dem Weg nach Frankfurt, mit seinen Dienern, die Halfterpistolen zur Hand, unverzagt, in gestrecktem Galopp, das Revier des Johannes durch den Wald durchmessen hatte und nun zum Gott seiner Väter aufathmete. Dieser juif en question berichtete, er habe unterwegs eine, bei heftigem Regen verschlossene Chaise hinter sich gelassen, in welcher, nach der Geschwätzigkeit des Kutschers auf dem Bock, ein zu mir reisender Herr Offizier in preußischen Diensten gesessen.

Nun sah ich abwechselnd auf jede der beiden großen Sackuhren, die ich an langen, um den Hals geschlungenen, goldenen Ketten in meinen Gilet-Taschen trug, und wünschte den Herrn Stabsrittmeister herbei und setzte, auf einen jähen und erschrockenen, wälschen Schrei meines valet de chambre Pompeo Orlandi, den Fuß auf den Balkon . . .

Da unten, um die Waldecke, kam der Wagen! Aber wie denn: der Bock war leer! Die Zügel schleiften am Boden! Die beiden Gäule gingen im Schritt! Nun konnte man bemerken, daß hinter ihnen, hinkend und von Erde beschmutzt, der Kutscher lief! Der Mensch erreichte seine beiden Mähren gerade, als sie von selbst vor der Auffahrt meines Schlosses still hielten.

Mit Beschämung muß ich eingestehen, daß ich einige eilige Schritte hin die Gravität des Auftretens vergaß! Erst beim Herniederwandeln über die Treppe gewann ich – den Hofceremonier Marquis de Fizeaux mit dem Marschallstab voran – meine landesherrliche Würde wieder mit der ich mein Vaterauge auf den schlotternden Postknecht blitzen ließ.

»Was ist arriviert? Melde Er!«

Der Kerl berichtete, noch außer Athem: – Ja . . . zu Diensten . . . Freilich habe er den Capitän von Arcularius durch den Wald gefahren, mit der Peitsche geknallt, recht um in seiner Bêtise die Räuber zu rufen – und sich Eines gepfiffen – da seien aus einer Tannenwildniß der Johannes mit der schwarzen Maske und zwei Gesellen vorgesprungen und hätten blindlings über den Kutschenschlag weg ihre Donnerbüchsen auf den armen Herrn innen gelöst, daß der Rauch aufwirbelte und die Gäule sich entsetzten und durchgingen, und er, der Kutscher, vom Bock purzelte. Er sei in Todesängsten hinterhergehumpelt. Lebe noch, mit der Heiligen Hilfe . . . aber der Herr in der Chaise da drinnen, den Seine gräflichen Gnaden auf das Schloß zu sich gefordert . . .

»Wie kann der Johannes durch den Wald das schon erfahren haben?« frug ich wahrhaft entsetzt . . .

». . . Der Herr da drinnen ist todt! Er regt sich nicht mehr!« verkündete heiser mein Jagdmeister O'Kelly! In der Ecke des Wagens lehnte, in sich gesunken, im Dämmern die Gestalt des unselig Verblichenen. Meine Livrée griff zu, um die Leiche herauszuheben. Ich wendete mich ab. Ich mochte den betrübten Anblick nicht schauen.

Da höre ich, in meiner Gegenwart, angesichts des Todes, ein allseitiges, lautes und unehrerbietiges Gelächter, mit dem die Burschen ungehobelt herausplatzen! Sie lüften den tabakbraunen, rauhwollenen Radmantel und Reisehut von dem Leichnam – und mon Dieu: – gemeldeter Leichnam ist nichts als ein dickes, wohlgestopftes Felleisen, an dessen Elenn-Leder und Messingbügeln die bübischen Pistolenkugeln, wie man deutlich sah, abgeschrammt und breitgeschlagen waren.

Doch der Herr Stabsrittmeister in persona – wo war dieser listige Preuße geblieben? Nun kratzte sich der Tölpel auf dem Bock hinter dem Ohr und entsann sich, er habe, gleich nachdem er in den Wald gekommen, hinter sich etwas wie die Wagenthür schlagen hören. Da war der Husar heimlich, lange vor dem Überfall, herausgesprungen und hatte so, wie ein Fuchs den andern, den Johannes durch den Wald geprellt . . .

* * *

Die Marquise Xénais schickte ihre Stubenheizerin und begehrte, zu wissen, was der Auflauf vorstelle? Ich verfügte mich höchstselbst zu ihr und brachte ihr, als ihr getreuer Serviteur, diese neue Post. Die Holdselige ruhte, in einem Negligée, dergleichen die Himmlischen erfunden haben mögen, und in der denkbar anmuthigsten Stellung, die Bänderschuhchen der Füßchen neckisch gekreuzt, schmachtend die gepuderte Wange in der aufgestützten kleinen Hand geborgen – ruhte, sage ich, auf einem geblümten Canapé, scherzte mit ihrem Wachtelhündchen und schüttelte eigensinnig die blauschwarze Nacht ihres Löckchengewirrs bei der inständigen Bitte ihres Schäfers, von der intendierten Chocolate bei dem Baron von Wimmersheim abzustehn!

Eh bien, marquise! So führte mir denn die Furie Eifersucht die Feder, und in Angst, Xénais und le baron de Wimmersheim ohne mich bei einer Schäferstunde zu wissen, sandte ich ihm, kurz resolviert, ein Handschreiben und meldete mich selber für diesen Nachmittag auch bei der berühmten Chocolate zu Gast.

Dies gethan, promenierte ich in den Audienzsaal zurück. Es ist das Menschenrecht auch der Geringsten meiner Unterthanen, an jedem Freitag in der Woche, nachdem ich meinen mittäglichen Repas eingenommen, sich mir zu nahen und an mir einen huldvollen Herrn für ihr Gestammel und ihre Kniefälle zu finden. Der Zulauf der Supplikanten ist stets immens und auch heute mochte ihrer mindestens ein halbes Dutzend versammelt sein, die ich der Reihe nach, wie sie demüthig ihren Kratzfuß machten, mit meiner Ansprache beglückte.

Mein Schutzjude Moises Legusch beschwerte sich hart: Er war, als ein Viehschmuser und Ochsentreiber, sammt der Blümchen, seiner Tochter, kürzlich vom Johannes durch den Wald überfallen und ihm vier Häupter Rinder weggetrieben und nur mit einigen Maulschellen und Püffen bezahlt worden.

Dem Butternickel, einem Unterkäufer, der Speck und Schmalz bei den Bauern zusammenfeilschte und über den Rhein trug, wo ihm die Franzosen besser zahlten – ihm hatten die Bösewichter von des Johannes ††† Bande nur den leeren Sack gelassen. Meinem Amtsschreiber Papius hatten sie vorige Woch' mit einem Stachelstock übers Haupt geschlagen und an die hundert Carolin aus der Truhe entwendet.

Der hochwürdige Pfarrer Held mußte mir, als neuesten Schurkenstreich dieser Elenden, zu melden, daß sie die Ägydii Kapelle Nächtens aufgebrochen hatten, um die Wachskerzen auf dem Altar zu stehlen. Mit diesen angezündeten Pfundlichtern aber erleuchteten die Malefizkerle noch in gleicher Nacht den Keller des Schultheißen und Grenzwirths Geiger und rollten die Branntweinfässer auf Nimmerwiedersehen davon.

Es stieg ein übles Aroma aus dem Peuple auf. Ich verhehlte ein Gähnen und ennuyierte mich. Ich frug daher etwas mißgelaunt den Nächsten: »Und was – que, diable! – hat Ihm der Johannes durch den Wald zu Leid gethan?«

»Nichts, gnädiger Herr!«

Diese freimüthige Erwiderung frappierte mich und ich faßte den guten Gesellen wohlwollend ins Auge. Es war ein noch jüngerer gemeiner Mann in einem blauleinenen Fuhrmannskittel, kurzen, weißleinenen Hosen und Bändelschuhen. Er stand treuherzig und breitbeinig da und drehte seinen dreieckigen Bauernhut zwischen den Händen. Seine Mundart schien mir fremd. Der Marquis de Fizeaux, welcher mir die Individuen präsentierte, räusperte sich mit einer wichtigen und geheimnisvollen Miene.

»Es ist ein vazierender Bandkrämer, der sich der Käsvogel nennt«, wisperte er. »Er ist am Überrhein in Fürstprimas'schen Landen toleriert und handelt von da mit Pfeifenköpfen, bleiernen Knöpfen, Messern, Spiegeln . . .«

»Eh – geh' Er damit zu den Bauern!« sprach ich unwillig.

». . . und mit steinernem Geschirr . . .«

»Hol' der Böse seinen Plunder . . .«

». . . und mit Porzellan, hoher Herr!« flüsterte der Krämer. »Ich weiß wohl, wo noch eine rare, kurfürstlich Mainzische Waare aus der in Asche gefallenen Fabrik in Höchst da und dort im Lande zu finden ist. Ich schaffe die schönsten und seltensten Grüppchen bei: Ochsenhetz und Löwenkampf, Liebesbrunnen und Hundehochzeit! Ich bin als ein Handelsmann in solchen gebrannten Dingen gut erfahren und Euer Gnaden gänzlich zu Diensten!«

»Sieh! Sieh!« sprach ich erfreut. »Endlich einmal ein Bittsteller, der mir Etwas ins Haus trägt! Ich muß Ihn loben, Käsvogel – so ist ja wohl vulgo sein Name! Trete Er ans Fenster, wo uns der Populace nicht hört! Dort wollen wir des weiteren über diese Affaire sprechen!«

Die Fenster des Saals öffneten sich gegen Mittag auf den Schloßhof hinaus. Im Hof war ein Trubel. Ich bemerkte den Frater Dothias, meinen Stallmeister. Weltlich ein Baron Galletta, ehemals in toscanischen Militärdiensten, dann als Laienbruder einem Kloster entlaufen, und – als ein eingeschworener Illuminat wie ich und mir darin mit Passion zur Hand – in Rosenkreuzerei, Athenischen Logen und Freimaurerei vom Flammenden Stern – dieser wahren Religion eines achtzehnten Jahrhunderts, – wohl noch besser erfahren als im Messehören und Hufbeschlag.

Dieser mein Ordens-Freund hatte etliche blanke Pferde an den Wassertrensen aus dem Stall ziehen lassen und wies sie einem braunen, schwarzhaarigen Zigeuner, der in den Hof geritten und von seinem Klepper abgetreten war. Mühlsteine und glühend Eisen sind zwar die einzigen Dinge, die ein Zigeuner liegen läßt und nicht mit sich gehen heißt. Doch genießt dies Volk von Ägypten aus, woher es gekommen, noch mancherlei Geheimnisse und weiß, mit Spinnweb, Speichel und Abrakadabra den Pferden Maule und Hahnentritt, Weben und Windsetzen zu vertreiben. Ich konnte es also nicht tadeln, wenn mein Dothias von der schwarzen Kunst des Zigeuners profitierte. Letzlicher stand in einem abgeschossenen langen Rock und hohen Stiefeln, als ein rechter Roßkamm und Roßtäuscher, vor den herausgeführten Gäulen. Aber er suchte nicht in ihrem Maul nach den Kunden in den Zähnen, sondern mit ernstem Aussehen, die langen Haare schüttelnd, nach Etwas in der flachen Hand des Dothias, welcher als ein Oberer vom zweiten Grad unserers heimlichen Ordens, unter seinem Oberrock statt der Nachteule schon den halben Mond am ponceaurothen Band trägt – Bruder Dothias, dieser in alle Eleusinischen Mysterien Insinuierte, blickt erhitzt zu mir herauf und ruft verzückt:

»Monseigneur! Der Zigeunerkerl hier kann mehr als Brot essen! Hier leuchten Pythagoräische Maximen aus fernen Zeiten auf! Er liest Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft untrüglich aus der Hand!«

Da durchbohrte mich der Pfeil einer sublimen Idee, daß ich vielleicht aus dem ungewaschenen Maul eines Zigeuners erfahren möchte, wer der Johannes durch den Wald sei, und ich begab mich hinunter auf den Hof und winkte den braunen Heiden vor mein Angesicht und ließ ihn kurz an: »Zigeuner – kannst du auch mir die Wahrheit sagen?«

Zur Antwort zeigt Jener lachend das Weiße in seinen Augen und die weißen Zähne in der kupferfarbigen Visage, beugt sich über meine Hand, ohne sie zu berühren, und die frohe Laune weicht von ihm und er flüstert ganz erschrocken, ganz leise, so daß nur ich es hören kann:

»Kohdle. Kyre – Großer Herr! . . . Es steht grausames Unglück über Ihrem Schlosse! Das spür' ich als ein Sende, als ein Zigeuner!«

»Woher kommt das Unglück?« raune ich und erwarte mit Grauen die Antwort. ›Von deinem Sohn – dem Johannes durch den Wald!‹ Statt dessen wispert es neben mir: »Es ist schon bei Ihnen eingetreten, Großmächtiger Herr! Hüten Sie sich, – oih weh! – vor dem preußischen Werber!«

»Zigeuner, was weißt du von dem Preußen?«

»Hetzen Sie ihn nicht gegen den Johannes durch den Wald, gewaltiger Herr! Der Johannes durch den Wald nimmt furchtbare Rache an Euch allen! Schicken Sie den Preußen auf dem Schub dahin zurück, woher er kommen ist!«

»Dummer Zigeuner! Der Preuße ist ja noch gar nicht da!«

»Er ist in Ihrem Schloß, – der Pfiffes! Der mächtige Herr merkt es nur nicht!«

»Was plapperst du, Zigeuner?«

»Er hat sich heimlich eingeschlichen, damit es dem Johannes durch den Wald verborgen bleiben soll, daß er vorhanden ist! Dem Johannes durch den Wald wurd' aber flugs ein Zinken gesteckt . . .«

Unter solchen Worten tritt dieses maivais sujet ganz gemächlich in den Steigbügel, schwingt sich auf seinen struppigen, aber nicht üblen Gaul und deutet breit grinsend mit dem Finger nach dem Schloßthor, wo der Porzellankrämer vom Überrhein mir aus dem Saal gefolgt ist und bescheiden in der Ecke steht. Nun aber sich aufreckt und über eine weite Regenlache hinweg einen Sprung wider den Zigeuner führt, wie man sich dessen eher von einem Tiger in Indien als von einem schlichten Großherzoglich Dalberg'schen Subjekt versehen möchte. »Halte-là!« schreit er dabei mit gellender Stimme. »Steh, Zigeuner, und zeig', wer du bist!«

Der braune Kerl auf dem Roß aber wirft es herum, daß es in die Luft steigt, und meist mit der Rechten, unter dem aufflatternden Mantel hervor, ein schuhlanges Pistolet. Im selben Moment hat auch der Bandelkrämer ein doppelläufiges Terzerol aus seinem blauen Leinwandkittel gewonnen und seine Kehle gellt wie eine Trompete: »Du Schuft! Du bist Johannes durch den Wald!«

Die Augen des Zigeuners aber glühen und er lacht und er fährt, Antlitz und Pistolenmündung rückwärts gewendet, mit seinem windschnellen Roß über den Hof, daß Knechte und Mägde, Hunde und Cavaliere voll Entsetzen vor dem Johannes durch den Wald übereinanderpurzeln, rennen, sich in Winkeln ducken. »Ihr seid letztlich gewarnt!« ruft er zurück. »Ich bin mit anderen Schelmen fertig geworden als mit Euch, – Herr von Arcularius!«

Wie dem Verruchten folgen? Es standen nur Gäule mit blankem Rücken und losen Trensen umher! Schon saß, nach Türkenmode mit einem Bocksprung von rückwärts, der Herr im blauen Kittel auf dem nächsten besten Tier, und nun merkte dieser sonst untraitable Krippensetzer, daß ihm ein Husar aus weiland Friederici des Großen Armee die Rippen zusammendrückte. Auf blankem Roß und wie mit ihm verwachsen, jagte, zu meinem ungläubigen Etonnement, der Herr Stabsrittmeister von Arcularius hinter dem Johannes durch den Wald drein. Aus der Faust des Zigeuners vorn blitzt die Pistole. Der Jahrmarktskrämer hinten feuert im vollen Galopp wider. So verlieren sich die beiden unheimlichen Gäste meines Schlosses in einer Hetzjagd, an den ackernden und sich hinterm Pflug bekreuzigenden Bauern vorbei, in der Ferne.

Ich, der regierende Graf, war total stupéfait. Der abgedankte Klosterbruder Dothias und der Herr Marquis, mein Marschall, mußten mich unter den Armen in das blaue Cabinet führen – so heftig war der Embarras meiner Nerven. Der Jägermeister O'Kelly ließ mich auf einen Stuhl gleiten, mein Kammerknecht Pompeo lüftete mir das Spitzenjabot, der Maestro Christoforo, mein Porzellanmaler, wedelte mir mit einem Straußenfächer Kühlung. Doch fühlte ich mich erst erquickt, als sich ein zarter und köstlicher Zephyr von Parfüm durch das Zimmer ausströmte, in das die Marquisin Xénais mit leichten Sohlen und hohen Stöckeln hereingetrippelt, und die Göttliche neben mir niederkniete und ihre Rosenfinger die Krähenfüße meiner Schläfen mit Lavendelgeist rieben!

Beglückt, mit geschlossenen Augen, murmelte ich: »Nun wird doch hoffentlich, Theure meiner Seele, der Herr von Wimmersheim seine Chocolate ohne uns löffeln?«

Sie aber, die schwarze Eva, blies mir mit süßer Stimme, unschuldig wie eine arkadische Hirtin, ins Ohr: »Nicht doch! Lassen mir ce pauvre Baron nicht nach dem Anblick Eurer Erlaucht schmachten! Die Visite wird Euer Gnaden, nach dieser Emotion, ein erfrischendes Divertissement bedeuten!«

* * *

Man kann sich nichts Ridicüleres ausmalen, als schon unsere Begrüßung durch Monsieur le Baron Maxence Marie César de Wimmersheim!

Sein Château – füglich eher ein Jagdschloß zu nennen – liegt mitten im dichten Gehölz und kein Einsichtiger wird es ihm unter den obwaltenden Zeitläuften verdenken können, daß er alle Fenster vorsorglich gegen den Johannes durch den Wald hat vergittern lassen. Aber daß jedes Fenster inmitten zierlichen eisernen Geschnörkels eine eiserne Strahlensonne aufweist und als Gesicht in ihr des Barons eigenes Konterfei, wie er dem Johannes ††† draußen höhnisch die Zunge bleckt – diese Imagination läßt schon errathen, was für ein Narr hinter diesen Eisenstäben haust.

Er tänzelte und scherwenzelte uns dienstbeflissen über die Freitreppe entgegen, machte mir unterwegs die possierlichsten tiefen Reverenzen, warf der Sylphe an meiner Seite neckische Kußfingerchen durch die Luft zu und begrüßte herablassend mit einem Wink eben dieser Finger ihren Vater, den Marquis.

Oh . . . Xénais . . . falsche Schlange unter Blumen . . . Ich sah den vielsagenden Augenaufschlag von unten wohl, mit dem du des Barons Wimmersheim graziös gerundeten Arm nahmst, um hinter mir an seiner Seite deine Entrée in das Schloß zu halten. Ein Papagei krähte uns von seiner Stange entgegen. Die Natur hatte die Farben des Regenbogens über das wunderliche Geflügel ausgeschüttet und doch glich gemeldeter Vogel eher einer Krähe, wenn man ihn mit seinem Herrn daneben verglich. Der Baron de Wimmersheim hatte, um der Marquise und mir seine Verehrung zu bezeugen, einen rosarothen goldgestickten Frack angelegt. Daß er einen Schnürleib nach Weiberart darunter trug, sah man nur von hinten. Denn vorn kleidete er seinen hageren, an sich wohlgebildeten Leib mit drei langen Gilets in Klappen übereinandergeschuppt, von Aprikosen-, Flieder- und Perlmutter- Farbe. Die Escarpins waren aus violetter Seide. Silberschnallen an den weiß-seidenen Kniestrümpfen. Unter den Arm hatte dieser Herr einen schwarzsammtenen, goldgeränderten Dreispitz geklemmt, an der Seite einen kleinwinzigen, zerbrechlichen Galanteriedegen gleich einem Kinderspielzeug.

Ein ungeheures, buntseidenes Tuch würgte siebenfach geschlungen, seinen Hals bis zu den Ohren. Das Haar des Barons war in viel hundert kleinen Cherubim-Löckchen gebrannt und gekräuselt, sein faunisches Gesicht mit Reismehl weiß gepudert, Lippen und Augenbrauen mit blutrothem und schwarzem Stift nachgezogen, als sei er ein Pojatz bei den englischen Reitern.

Wo er ging und stand, umwehte ihn eine Wolke von Moschus, und dieser schwüle Odeur benebelte alle seine mit selbstgemachten Stickereien, Deckchen und Polstern complètement gefüllten Boudoirs, durch die uns dieser Imbécile geleitete.

Auf dem Tisch stand eine Collation bereit, und der Baron war nicht wenig stolz, uns auf Edelmanns Ehre zu versichern, daß er diese Pâtisserieen mit eigenen Händen gebacken. Ein kleiner Mohr in Türkentracht wartete auf. Es war freilich nur ein Bauernknäblein aus dem Dorf des Herrn von Wimmersheim, den er mit Kienruß geschwärzt hatte. Er durfte der göttlichen Xénais nicht zu nahe kommen, wenn anders garstige Flecken auf ihrem Putz und Staat vermieden werden wollten. Und in der That – die hartherzige Schöne hatte dem Baron zu Liebe alle verführerischen Reize ihres nachthaarigen, großäugigen wälschen Südens in ein schmachtendes Licht gerückt. Unter ihrer Robe von blutrothem, mit Stahlperlen gestickten, indischen Perkal, warf, in Kniehöhe vorkommend, eine Tunika die gefälligsten Wellen aus schwerem nilgrünem Sammet. Ein Brabanter Spitzenrand umkoste den weiß athmenden Busenausschnitt. In anmuthigster Art hob sie die zarten Arme in kurzen Puffärmeln und strich über das Löckchengewirr, unter dem ihr schmales und pikantes, weißgepudertes Gesichtchen auf das graziöseste dem Baron zulächelte. Für mich hatte sie niemals diesen Ausdruck von Amüsement auf dem kindlichen Linienschnitt ihrer Züge übrig gehabt, und die Höllenpein der Eifersucht machte mein Innerstes erschauern. Denn – ach – ich war bei Jahren – und ce satané Monsieur de Wimmersheim – wenn schon ein ausbündiger Harlequin – war jung . . .

Der Baron klapperte geschäftig mit Täßchen und Schälchen, bot uns wie eine Dame des Hauses die Honneurs, fächelte sich Kühlung, pirouettierte zum Fenster, um einen Fußschemel für Xénais zu apportieren, meckerte und kicherte, erzählte ihr Histörchen in das kleine Ohr, daß sie lachend abwehrte, ihm auf die Finger schlug und doch nicht von ihm abrückte. Dies encouragierte ihn, immer kühnere Schäferspiele aus Wien zu berichten, wo er zehn Jahre hindurch auf der wahren hohen Schule der Galanterie gewesen und sein Vermögen zugesetzt, nun aber, durch die Erbschaft der Gräfin-Tante, um ein Zehnfaches wiedergewonnen hatte. Erst als im vorigen Jahr der neu anhebende blutige Krieg zwischen Habsburg und Buonaparte mit unsanften Pausbacken die Redouten und Assembléen, Praterfahrten und Bals paré's auseinandergeblasen, hatte er, der Baron, sich gezwungenermaßen hierher auf sein Stammhaus im Walde retiriert, ersehnte aber nichts mehr als den nahen lieben Frieden und neues Pläsier.

»Pfui über den Krieg! Ich habe einen wahren Dégout gegen jedes Tröpflein Blut!« gestand er vertraulich. »Mir wird schon blümerant, wenn ich mich nur an meinem Stickrahmen hier in den Finger steche!« Ihm erwiderte Xénais, ihr Lachen hinter der Chocolate-Schaale verbeißend: »Sie reden recht wie ein Frauenzimmer, mein Herr!« Er aber nahm dies für eine Schmeichelei, löffelte Zuckerwerk, sog sich Nervenstärkung aus seinem Riechfläschchen in die Nüstern, erzählte, er habe wohl an die hundert Tabatièren in seinen Gemächern stehen, auf jedem Tisch eine andere, – und wie er neulich seinen Mops habe hinrichten lassen müssen, und daß man sich die Hände nur einmal in der Woche mit frischgemolkener, noch warmer Ziegenmilch waschen müsse – sonst ja nicht und mit nichts anderem, und diesem geheimen Hausmittel, verdanke er, der Baron, seinen vielbewunderten, reinen und weichen Teint, – kurzum – es klapperte ein solcher Mühlbach von Thorheit aus seinem roth geschminkten Mund, daß ich zu meiner Satisfaktion merkte, wie es auch der göttlichen Xénais allgemach zu viel wurde und sie nur noch leer und unwillig zuhörte und leise seufzend nach der Thüre sah.

Dies rührende Bild ließ mich aufathmen! So hatte es denn dieser allzu offenherzige und schellenlaute Narr bei meiner Phyllis verspielt! Ich beorderte durch einen gnädigen Augenwink meinen Hofmarschall, das Anschirren der Pferde persönlich zu überwachen, setzte mich indeß wohlgefällig im Fauteuil zurecht, faltete die Hände und schloß etwas die Augen, denn ich mochte das wirre und krause Geschwätz dieser menschlichen Elster – dieses Herrn von Wimmersheim – nicht mehr hören.

Sei's darum, daß ich ein bißchen eingenickt bin! Jedenfalls zupfte mich nach geringer Zeit ein Meerkater – welch zahmen Affen sich der Baron, quasi in effigie seiner selbst, im Zimmer hielt – zerrte mich dieses Geschöpf, spitzbübisch grinsend, an dem Zöpfchen, das ich, der Zeit zum Trotz, im Nacken trage, und ich erwachte und sah, daß das Cabinet leer war.

Doch eben trat in diesem Augenblick Xénais wieder über die Schwelle, und der Baron hinter ihr, und ihre Wangen glühten unter dem Puder wie Feuer unter dem Schnee, und die dunklen, seelenvollen Mandeln ihrer Augen glänzten in schwärmerischem Aufschlag zum Himmel und ihr Busen wogte. Le Baron de Wimmersheim hatte ihr die Erbschaft der Gräfin- Tante gezeigt, die er vor den k. k. Kriegsläuften aus Wien hierher salviert: – Geschmeide wie aus dem Paradies: Verloques, Kameen – Intaglio's – Perlengeschnür – Diamantengehänge – rubinene Ringe – Türquisen und Amethysten. Nun aber erst das gemünzte Gold: Caroluspiaster und holländische Dukaten – spanische Dublonen und venezianische Zechinen – preußische Pistolen und harte Gulden Wiener Währung – alles schier in Scheffeln, und, sammt dem Geschmeide, in Schatullen in einer großen, eisernen Kiste aufbewahrt, diese aber wieder mit Ring und Ketten im Gebälk des Bodens angeschlossen, so daß der Johannes durch den Wald, wenn er selbst in das Schlafgemach des Barons eingedrungen, sich darin fruchtlos abplacken und ohne Gewinn abziehen müßte!

Die süße Stimme der Marquise Xénais zitterte und schwang, während sie mir diese Schätze des Großmoguls abschilderte. Das Gleißen des Goldes war ihr heißer zum Köpfchen gestiegen, als vorher der feurige Malvasier, an dem sie nur genippt. Sie gestand freimüthig, der Baron sei viel reicher als sie sich je im Traum habe beigehen lassen, und reichte ihn, beim Abschied, neckisch und verführerisch wie eine Circe, die Hand zum Kuß. Ich aber, der Graf, legte mir eine steife Reserve auf und schickte mich in einem bitteren Verdruß des Herzens zur Heimkehr.

* * *

Fahr' hin – du schnöde Welt! Ich mußte mich der Worte des rauhen Abbas Martin entsinnen, daß diese Erde ein Jammertal sei und mit Nichten ein Liebeshof! Mir mißfiel, in Sturm, Regen und Abendgrauen um meine schwerfällig knarrende Hofkalesche, diese »beste aller Welten«, wie sie der geistreiche Franzose nennt. Ich spürte wiederum Lust, sie nicht mehr als ein verliebter Jupiter hinter Nymphen und Dryaden her zu durchschweifen, wie solch eine flüchtige Schöne, quasi in einen Baum verwandelt – so unbeseelt und kaltherzig, in einem grausamen Schweigen neben mir saß – sondern die Menschen nur noch von weitem, aus der Solitüde des Alters her, zu betrachten.

Ein Mensch aber läßt sich nicht bannen! Er gewinnt aus Nacht und Nebel um mich her Leben! Er wächst aus der weißen Luft, die über der Wiese braut! Er lugt aus jedem Dickicht wie ein Haufen Laub am Boden! Er steht wie ein Schatten hinter jeder Eiche am Weg! Er schaut mit fernen Geisteraugen aus dem Phosphorleuchten faulen Holzes dort tief im Forst! Er ist da und ist nicht da! Jeder nennt seinen Namen und keiner kennt ihn! Er schwebet aus dem Abendgespinnst um die Tannen durch die Luft auf mich zu . . . . . Johannes durch den Wald . . . . . mein Sohn . . . . . Oder bist du's nicht, Abbadonna? . . . Unseliger, den der Vaterfluch traf? . . . Bist du es doch? . . . Wehe, mir schauert!

Auf der Landstraße vor uns scholl ein lauter und grober Gesang von vielen Mannskerlen und Burschen:

›Auf – drunter und drüber –
Was Bauer will sein!
Mein Mus ist mir lieber
Als Braten und Wein!‹

Mein sechsspänniger Reisewagen überholte viele Dutzend dahinziehende redliche Landleute in schwarzen Bauernhüten, langen blauen Röcken und weißen Zwillich-Hosen. Beim Schein ihrer Pechfackeln sah man, daß ein Jeder Dreschflegel, Sense, Holzaxt oder sonst eine taugliche Waffe auf der Schulter trug. Ihre Wachhunde bellten. Vorn schlug der Grobschmied wie ein Tambour auf einen Kupferkessel, um durch all dies hussah! und horridoh! eines wilden Heeres etwaige Räuber verzagt zu machen. Zwischen diesen Bauern karrten ein paar schwere Planwagen, die sie auf solche lärmende Manier bewachten, und an der Spitze des Zugs ritt im Dunkel, die gespannte Pistole am rechten Schenkel aufgesetzt, ein junger Herr im Dreispitz und engem, an den Schößen aufgeklapptem Reitfrack und winkte mir, im Vorbeifahren, in die Kalesche hinein einen Gruß und rief mit heller Stimme: »Bon soir, Euer Liebden und Vetter!«

Ich steckte, indigniert über diese Vertraulichkeit des fremden jungen Cavaliers, den Kopf aus der Kutsche. Siehe – da war es die schöne Gräfin Amöne von Hohen-Sulz, die da in Junkerkleidung, wie zur Jagd, rittlings zu Pferde saß und frischweg lachte:

»Ich hab' an dem einen Rencontre gestern mit dem Johannes durch den Wald alleweil genug! Und dieweil ja der erlauchte Herr Cousin seine Straßen nicht schützen kann, so hab' ich meine neue Bauernschaft aufgeboten und mich an ihre Spitze als Hauptmännin und Feldobristin gesetzt und hole meine schwere Bagage mit Silber und Leinen und Pelzwerk und all meinem, übern Rhein mitgebrachten, Hab' und Gut selber vom Reichsstädtchen unten zu mir nach Heilig-Kreuz! Diesen redlichen Landsturm hier geht auch der Johannes durch den Wald nicht an! Die Leutche stecke voller Kurasch, weil ich sie führe – die ich dem Herrn Grafen eine geruhsame Nacht wünsche!«

Unter diesen übermüthigen Worten zog die unverzagte, junge Hohen-Sulz'sche Wittwe ihrem festen Haus zu, und was sie dort alsbald Absonderliches erlebte, muß ich später melden . . .

Fidonc! . . . Wie rümpfte ich indigniert die Nase, als mir beim Eintritt in die Treppenhalle meines Schlosses ein spürbarer übler alter Nachschmack von holländischem Rauch-Kanaster entgegenwehte. Von allen widerwärtigen Barbarenbräuchen der neuen Zeit ist mir dieses, den Indianern abgelauschte Brandopfer der Wachtstube gänzlich insupportabel und, ohne Ansehen der Person, in meinem Hofhalt strictissime verboten. Es war denn auch keiner meiner Subjecte der Schuldige gewesen, sondern der Herr Stabsrittmeister von Arcularius hatte die Ahnenhalle in eine Tabagie verwandelt.

Dieser Preuße – so berichtete mir mein Kammerknecht Pompeo Orlandi – war, bald nach meiner Abfahrt zu dem von Wimmersheim, aus den Wäldern zurückgekehrt, hatte sich, aus seinem Mantelsack und Doppelgänger heraus, bürgerlich, etwa in der Tracht eines Negocianten oder Musterreiters, gekleidet, die beste Bouteille aus dem Keller und, was der Bratspieß dazu hergab, auftischen lassen und hinterher ungescheut eine Pipe Tobak geschmaucht – wie das des Feldlagers Brauch, hatte er dem Pompeo erklärt – und er sei hier wider den Johannes durch den Wald im Felde!

». . . der ihm aber doch zu schnell entritten zu sein scheint!« merkte ich in einigem Ärger an.

Er habe sich, als ein erfahrener Husar und Parteigänger, wohl gehütet, sich von dem Johannes in den Wald hinein und in einen Hinterhalt locken zu lassen, – waren seine Worte – und habe sein an der Lisière des Gehölzes, zum Verdruß der innen lauernden Schelme, Kehrt geschwenkt und ihnen den Rücken präsentiert!

Päh – dieser Pesthauch verkohlten indianischen Krauts in den Lüften! Ich fächelte mit der gespreizten Rechten diesen plebejischen Odem einer neuen Zeit von mir ab, die den Tabak, statt, wie es sich gebührt, als Schnupfpulver zur Nase, gleich einer Brandfackel sich ins Maul führt! Ich recherchierte: »Und, nach ausgerauchtem Pfeifchen – was hat der Herr von Arcularius dann weiter angegeben?«

»Begehrte einen Pfeifenräumer, stocherte sich den Meerschaumkopf leer und wollte ihn sich von Neuem stopfen und anzünden! Da faßte ich mir ein Herz und bedeutete dem Herrn Stabsrittmeister, daß zuviel von dem blauen Dunst den erlauchten Ahnenbildern an den Wänden schädlich werden und sie schwärzen möge! Da schlug Seine Gestrengen mir auf die Achsel und lachte: ›Da sei Gott vor, du Spitzbub! Also führe mich lieber in die Wachtstube! Die ist allerlande das rechte Tabakkollegium für alles, was Patronen beißt und in Steigbügel tritt‹ . . .«

»So geleitete ich denn«, fuhr der Pompeo fort, »diesen Herrn Husaren aus Preußen in das Gewölbe zur ebenen Erde, wo dero hochgräfliche Dragoner sich auf den Pritschen lümmelten und ihr Commandant, der Herr von Schindewolff, zwischen ihnen am Tisch hinter einer Kanne saß. Zu ihm setzte sich der Herr von Arcularius rittlings auf einen Stuhl, würfelte und trank mit ihm, spendete auch Euer Erlaucht gemeiner Reiterei ein freigebiges Biergeld, so daß er bald die ganze Soldateska in Gunst und um sich versammelt hielt, wie Kriegsleute aller Orten sich leicht als Freund oder Feind finden.«

* * *

Daß aber die gesammte monströse und für einen Edelmann unschickliche Begebenheit mit der qualmenden Pipe im Ahnensaal nur eine Kriegslist gewesen, um ohne Aufsehen und Mißtrauen durch meinen, allen Dragonern wohlbekannten Kammerknecht auf der Wachtstube eingeführt zu werden, – das ist erst später ans Licht gekommen.

Nun denn: der Rittmeister Gustav Adolf von Arcularius saß da, und hielt die Pfeife zwischen den Zähnen und seine Augen gingen durch den Qualm hin und her über die Kerle, als suchte er Etwas, und er erzählte tausend Schnurrpfeifereien von seiner Werberei in der großen Pfaffengass' längs des Rheins von Mainz bis Cöln, und vorher in hamburgischen Tavernen, unter wildem Seevolk, entsprungenen Galeeren-Züchtlingen, Schmugglern, Dieben und Deserteuren, aus welcher Crapüle es auch bei aller Umsicht nicht leicht gewesen sei, taugliche Individuen für Seine Majestät in Preußen herauszufischen!

Es läßt sich leicht abnehmen, welch ein wohlgefälliges und sachkundiges Auditorium der Herr Werbe-Offizier mit solchen Historien in der Wachtstube fand! Da war wohl Keiner, dem nicht noch das Fell irgendwo in der Erinnerung juckte. Mein guter Schindewolff konnte sich seine Leute auch nicht beim Pastor auswählen! In diesen Napoleonischen Läuften, in denen unser betrübter alter Erdtheil nur noch ein Haufen Kraut und Rüben, durfte man Niemanden lange fragen, woher er des Wegs kam! Man hätte doch nie die Wahrheit vernommen, und ich konnte froh sein, wenn meine Armee jetzt mit siebzehn Dragonern und einem Trompeter – dem schon gemeldeten Brabanter Bellonier – komplett angemustert und furchtgebietend dastand!

Die Dragoner waren hocherfreut, einmal einen adeligen Herrn zu finden, der ihre Gemütsart begriff, und wie es einem gemeinen Burschen zu Muth, der bald diesem, bald jenem König Seel' und Knochen verdingt, da, von den streifenden Husaren unbemerkt und so ohne Strick und Spießruthen aus diesem Lager desertiert, in jenem drüben wieder Handgeld nimmt, hinter den Armeen als Mérode-Bruder umschweift, und, von Winter und Schnee aus den Waldlöchern vertrieben, wieder horcht, wo die Trommel klingt und die harten Thaler über den aufgestellten Werbetisch springen.

Diese Noth eines armen, jungen Kriegskerls versteht keiner besser als ein Husar, der ja, nach seinem Métier, meist weit draußen vor dem Lager im Lande liegt, mit Bauer und Edelmann, Mönch und Bürger, Jud und Fuhrknecht gut Freund, in Feld und Flur daheim, und daher der Natur und den Menschen näher ist, als die hochmüthigen, bezopften Herren mit Sponton und Ringkragen in Reih' und Glied der Wachtparade. So drängten die Dragoner eifrig den Herrn von Arcularius, noch mehr von seinen hamburgischen Werber-Aventüren zum Besten zu geben, und er klopfte seine Pfeifenasche in die Bierlache auf dem Wacht-Tisch und erzählte:

»Es hat mir dort nicht mehr gefallen wollen, nachdem ich einmal schon beinahe durch fremde Bosheit in den Husarenhimmel, – will sagen: die Hölle – eingegangen. Es war da ein langer, rüstiger Kerl. Der wollte sich samt seinem Kameraden anmustern lassen und erbot sich, mich in die Herberge zu führen, wo sein Kumpan zu finden sei. Ich folgte ihm in eine verrufene Gasse und unter übles Volk. Das ließ ich mir unbedachtsam in den Rücken gerathen und unversehens warf sich, was an Galgenvögeln in diesem Wanzengemach hauste, auf mich, um mich kalt zu machen und – was ja allerwege die große Gefahr aller Werber ist – das viele Handgeld zu gewinnen, das ich im Hosensack bei mir führen mußte! Denn das wißt Ihr selber am besten: dem Vogel muß man flugs sein Futter hinhalten, wenn er kirr ist! Sonst fliegt er wieder fort!«

»Ei – und wie erging es denn dem Herrn Capitän?«

»Ich sprang durchs offene Fenster drei Stockwerke hinunter auf die Straße!« sagte der Preuße kaltblütig und rauchte.

»Da müßte der Herr doch heute noch an Krücken gehen!«

»Nein! Denn unten war kein Pflaster aus Erde, sondern ein stinkendes, stilles Gewässer. Solche Wassergassen heißt man in Hamburg die Fleete. Da schwamm ich denn davon. Meldete, naß wie ein Pudel, einem hohen Senat mein übles Geschick. Flugs schickte das Niedergericht die Stadtknechte an den von mir bezeichneten Ort. Aber sie fanden schon das Nest leer und es gab so etliche ungehängte Schelme mehr auf der Welt!«

Auf das hin trank der Rittmeister von Arcularius seine Kanne leer, ließ seine Augen wieder über ein versammeltes, reichsgräflich Palmingen'sches Reichscontingent schweifen und klappte den Zinndeckel mit den Worten zu: »Seitdem hab' ich Hamburg gemieden und mich am Rhein besser gefallen! Da ist ein leichtes und fröhliches Volk und gut sein! Es finden sich auch geschickte Leute zu Pferd' und Fuß genug! Ich wollte mich getrauen, zwischen Neumond und Vollmond ein ganzes Bataillon Husaren aufzurichten! Nur Eines freilich müßte ich mir aus dem preußischen Norden verschreiben und kommen lassen!«

»Was meint der Herr Kamerad für ein Manquement?« murmelte der Commandant von Schindewolff schon halb schlaftrunken. Denn er hatte, nach seiner Art, trotz des frühen Abends, schon brav Bier geschluckt.

»Das sind die Trompeter!« sprach der Herr Rittmeister. »Ihr blast hier am Rhein nicht herzhaft genug! Solch ein Alarmsignal bei uns Husaren in Preußen – hei! – das schmettert wie das Jüngste Gericht, daß Einem das Herz im Leibe lacht!«

»Ei – denkt der Herr Kamerad, wir tuten hier wie die Kuhhirten?« replicierte der dicke, alte Schindewolff und strich sich beleidigt die Biertropfen aus dem weißen Schnauzbart. »Ich werde Ihnen gleich weisen, was wir können! . . . He . . . Bellonier! . . . Trompeter! Trete einmal vor! – Das ist ein Brabanter, Herr Rittmeister, und mit sieben Wassern gewaschen!«

»Mir wohl bekannt, Herr Commandant!«

»So . . . so! . . . Woher denn wohl?«

»Nun – weil mir dieser Trompeter gestern die gnädige Invitation Seiner Erlaucht überbracht hat!« sagte der Preuße langsam und leichthin und sah ihn an.

»Ah . . . richtig! . . . Ich vergaß! . . . Hallaho . . . Bellonier . . . mon ami! . . . En avant! . . . Blase dem Herrn Stabscapitän unser Retraite-Signal! Das flutscht dir am besten!«

Der Brabanter – ein hagerer, schwarzer Geselle – placierte das Mundstück seiner Trompete unter dem dunklen Schnurrbart. Die schwarzen Augen liefen ihm, während er anhub, unruhig wie zwei gescheuchte Mäuse in dem gelben Gesicht hin und her, blieben dann an dem Herrn Husaren-Werber haften. Die Trompete aber gab nicht weiter die wild schmetternde, gräflich Palmingen'sche Rückzugs-Fanfare in Kriegszeiten von sich, sondern plötzlich einen gräßlichen, heulenden Ton wie den Aufschrei eines Sterbenden und verstummte dann gänzlich, und der Herr Stabsrittmeister lüpfte sich von seinem Reitsitz, knöpfte sich den Oberrock zu und sprach kalten Bluts zu dem Schindewolff: »Sie werden heute nicht viel Ehre mit dem Kerl einlegen, mon commandant, – denn er ist, nach meiner opinion, besoffen!«

»Besoffen wie ein Schwein!« schrie der feiste Schindewolff, aufspringend und schnaubend ob seiner Blamage. »Hinaus mit dir und in dein Dorfquartier! Schnarch' deinen Rausch aus, du nichtsnutziger Teufels-Trompeter – warte!«

Der Bellonier war schon aus der Thür. Gleich hernach trat auch der Herr von Arcularius hinaus in den schwarzen, regnerischen Abend, nachdem er kurz von dem verdutzten alten Schindewolff Urlaub genommen. In ein paar Sprüngen hatte er den einsamen Kerl auf der Landstraße eingeholt.

»Steh', Canaille!«

»Ja – Herr Stabsrittmeister!«

»Warum schlotterst du am ganzen Leibe . . .? Pfui! Ein Soldat!« . . .

»Huh! Gnade, Herr Rittmeister . .!«

Dabei wirft sich selbiger Kerl mit den Knieen in den Schlamm am Boden und hebt die Hände. Der preußische Herr aber betrachtet ihn von oben und zuckt die Achseln.

»Um Gnade magst du ein hochnotpeinliches gräfliches Hals- und Blutgericht bitten, dem ich dich unweigerlich nach Rückkehr Seiner Erlaucht wegen mörderischen Überfalls auf mich in Hamburg denuncieren werde! Ich besorge aber, daß du doch den Sprung von der Leiter thun wirst! Geht der Welt auch nicht viel verloren!«

»Herr Rittmeister gnädiger Herr . . . Es ist ja damals in Hamburg durch Gottes Gnade und Fügung alles noch gut verlaufen und Euer Wohlgeboren nicht zu Schaden gekommen! Ich habe nachher auch unser intendiertes Verbrechen bitterlich bereut und wieder hier ein ehrliches Soldatenhandwerk ergriffen. Der Herr Rittmeister sehen es ja!«

Der Herr von Arcularius lachte und beugte sich in Wind und Nacht über den Höllenbraten, der wie ein dunkler Klumpen unter ihm am Boden wimmerte, und hatte doch, zu einiger Vorsicht, die Hand an der Pistole im Sack.

»Ein ehrlicher Dragoner willst du sein, du Hund?« sprach er.

». . . und ein gottesfürchtiger Trompeter dazu.«

»Soll ich dir sagen, weswegen du dich in diese gräfliche Troupe hier hast einrollieren lassen?«

»Gnädigster Herr . . .«

»Soll ich dir sagen, wer du bist, wenn man dir ins Gesicht leuchtet?«

»Leise . . . leise . . .«

»Ein Mitglied von der Bande des Johannes durch den Wald bist du! Und Keines von den Gemeinsten!« versetzte der Husar, auch auf einmal gedämpft. »Ich habe dich auf der Stell', von Hamburg her, erkannt und mich nichts Gutes von dir versehen, wie du mir das hochgräfliche Schreiben auf meine Wirthskammer brachtest, und habe auch auf den ersten coup d'œil bemerkt, daß auf dem gefalteten Brief das Palmingen'sche Siegel mit heißem Federmesser abgesetzt und wieder aufpetschiert und also diese Post unterwegs erbrochen war! Ließ also lieber statt meiner den Mantelsack in der Kutsche reisen und behielt Recht . . . Kerl – wann glaubst du, daß du gehenkt wirst? Es soll hier ein weißköpfiger, fünfundsechzigjähriger Scharfrichter beamtet sein, des Namens Nord, der seine Kunst meisterlich versteht!«

Der teuflische Wurm am Boden winselte nur und wand sich. Der Herr oben setzte ihm bedachtsam die Stiefelspitze auf die Brust.

»Um dich zu fassen und zu halten, bin ich heute in Eure Wachtstuben niedergestiegen!« sagte er, »und habe mich mit Euch losem Volk gemein gemacht! Nun hab ich dich Brigant!«

»Erbarmen . . . Erbarmen . . .«

»Wirst schon sehen, wieviel Erbarmen eine hohe Palmingen'sche Justiz-Kanzlei mit Euch Räubern aufbringt, die just zum letzten die Menschen placken und zwacken!«

»Was fruchtet's, gnädiger Herr Stabsrittmeister, die kleinen Räuber wie mich richten, und die großen läßt man laufen und hat die Noth also doch kein Ende! Ja – wenn ich noch der Johannes durch den Wald selber wäre . . .«

»Bist wenigstens sein Freund und Vertrauter . . .«

»Mir vertraut er! Laßt nur mir das Leben und gerade Glieder«, bettelt das ekle Bündel am Boden. »Ich will Euch auch von Herzen gern dafür den Johannes durch den Wald anzeigen und verrathen!«

Da pfeift der Husar oben durch die Zähne und lacht: »Guckt der Fuchs schon aus meinem Loch? Du Maledetto! Weißt du, was ich mit dir vorhab?«

»Mich gnädigst springen lassen,« flennt es auf der Erde, »wenn ich den Johannes auf den Markt und ans Messer bringe!«

»Hoffst du so, du Höllensohn?«

»Wohlgeborener Herr, was ist an einem geringen Landstreuner und falschen Trompeter wie mir gelegen? An mir ist nicht viel Ehr' zu holen! Hingegen wer den Johannes durch den Wald meistert, erwirbt sich Mériten durch das ganze Land, und in jedem Bänkelsängerlied wird sein Name gepriesen und ihm dankt die ganze Population, und der Herr Stabsrittmeister hat einen rechten Husarenruhm und Ehre aus dieser Affaire!«

»Gut denn!« sagt der Preuße ohne Wimperzucken zu dem Kerl zu seinen Füßen. »Du hast deine Bosheiten gegen mich verübt! Also kann ich dich auch pardonnieren, ohne ein gräfliches Urtheil! Entläufst dem Teufel doch nicht! Steh auf!«

Nun gedieh der Kerl wenigstens aus dem Dreck, in dem er sich wälzte, auf die Knie, umklammerte so die Kniee des Herrn Stabsrittmeisters und barmte wie ein kleines Kind: »Lieber, guter Herr Stabscapitän! Lassen Sie mich leben!«

»Antworte mir: wer ist der Johannes durch den Wald?«

»Gnädiger Herr! Ich weiß es nicht!«

»Lasse die Wahrheit aus deinem Maul gehen, Kerl, oder ich mache dich doch noch zu einer Rabenspeis' am Galgen!«

»Euer Gnaden! Es heißt allerorts, selber Johannes habe bei den türkischen Heiden im Lande Ägypten den Schlüssel Salomonis und ein Bündniß mit dem Teufel gewonnen, sei aber im übrigen der rechte, heimgekehrte Sohn Seiner gräflichen Erlaucht von Palmingen! Ob er es nun in Wahrheit ist, das ist mir nicht bekannt!«

»Hast ihn doch oft genug von Angesicht gesehen, du lügnerischer Satanello!«

»Immer nur mit einer Larve vor seinem Antlitz, Herr Stabsrittmeister! Immer nur mit einer schwarzen Larve! Der Johannes durch den Wald läßt sich nicht anders erblicken!«

Dieser Drommeter Uriels und Belials-Dragoner stand nun auf seinen zwei lebenden Beinen und verstummte. Der preußische Herr frug weiter: »Wenn du mir schon nicht melden kannst, wie der Johannes durch den Wald aussieht, du Erzdieb, so wirst du doch wissen, wo sein Verweilen und sein gewöhnlicher Aufenthalt ist . . .«

»Ich thät es von Herzen gern sagen, gnädigster Herr Rittmeister! Aber der Johannes durch den Wald verräth es Keinem, woher er kommt! Auf einmal steht er unter uns!«

»Wo – du incorrigibler Schuft! Nun aber sprich!«

Der Trompeter schaute sich voll bösen Gewissens in der Nacht um, schluckste merklich und raunte: »Eine halbe Stund' von hier liegen in einer wüsten, leeren Gegend die Kandelmühlen. Die sind von altersher ein wahres, rechtschaffenes Räuberquartier! In selben Kocheme Bayes, wie wir Jauner solche vertraute Häuser nennen, versammelt sich heute Nacht unsere ganze Diebessozietät!«

»Und du mit?«

»Allergnädigster Herr – ich wäre ein feiger Hans ohne Herz, wenn ich diesmal ausbleiben wollt'! Es wird heute eine gewaltige Chasne Maloche geben – ein Einbruch mit Sturm und Feuersnoth und Blut, wie noch keiner im Lande dagewesen! Es sind große verrufene Räuber von weither verschrieben und gekommen! Viel Scherfenspieler mit ihnen – will sagen Hehler, um das unmäßige geraubte Gut wegzuschaffen! . . . Wird die Mühe lohnen, Herr Stabsrittmeister! Die großen Planwagen sind voll von Leinwand, Garn und Tuch, Rauchwerk, Sammet und Seide, Silber, Kupfer und Zinn, Zierleder, Daunensäcken, Bettung, Mehl, Schmalz, Schinken und Wurst. Baargeld in dicken Beuteln, Fässer voll starkem Pfälzer Wein. Goldene Borten und Tressen. Federbüsch' und Stickereien und . . . Pardonnieren mir Euer Gestrengen! Aber das Wasser ist einem Kerl wie mir im Maul zusammengelaufen, wie ich die Wagen vorhin habe vorbeipassieren sehen!«

»Welche Wagen, du Hundsfott?«

». . . Die die Frau Gräfin von Hohen-Sulz mit ihrer Bauernschaft nach Heilig-Kreuz geschafft hat! Dort stehen die Wagen jetzt im Klosterhof und Ihro Hohen-Sulz'schen Gnaden glauben sich selber und die gräfliche Fahrniß in dem verschlossenen Haus hinter Eichenthoren und eisernen Gittern sicher und wohl verwahrt. Aber Ihre Hochgeboren macht ihre Rechnung ohne den Johannes durch den Wald! Der ist noch in jedes Haus eingedrungen, wohin es ihn gelüstete – sei's mit Witz, sei's mit der Faust! Da frommt nicht Riegel und nicht Wachhund, nicht brennende Pechpfannen und nicht Sturmläuten! Der Johannes durch den Wald findet seinen Einschlupf und wir hinterher! Das sind wir nicht anders gewohnt!«

»Und so wollt Ihr heute Nacht das Haus der Frau Gräfin attaquieren?«

»Nach Mitternacht marschieret alles von der Kandelmühle durch den Wald dorthin ab! . . . Nun hab' ich frei meine ganze Wissenschaft gestanden! Gnädiger Herr Offizier: Ihre parole d'honneur, daß ich dafür und für diesmal noch unter dem Galgen durchlauf', an dem die Andern hängen!«

Der Herr von Arcularius sog Luft aus seinem Pfeifenkopf und sah beim Aufglühen des Glimmkrauts auf seine Sackuhr und that einen erlösten Athemzug: Es war noch früh am Abend und manche Stunde bis Mitternacht. Ein rechter Husar aber nutzt ein Vaterunserlang besser als ein Pfefferkrämer ein ganzes Jahr.

»Du bist jetzt als ein Filou entdeckt und gänzlich in meiner Macht!« sprach er zu dem bitterlich barmenden Brabanter. »Also auf Cavalierswort: Wenn du mir den Johannes durch den Wald und seinen Anschlag richtig verrathen hast, so magst du morgen bei aufgehender Sonne entlaufen, wohin dich der Teufel pfeift, und eine Rolle Dukaten als Judaslohn mit auf den Weg!«

»Ich küsse Euer Gestrengen gehorsamst die Hände!«

». . . Und nun verzieh' dich in dein Quartier und rühr' dich nicht, bis ich dich rufe! . . . In welcher Direction, von hier, ist das Kloster Heilig-Kreuz situiert?«

»Just da, wo der Mond überm Wald aufgeht!«

»Es ist gut!«

* * *

Während diese echt preußische Reiterseele in der Wachtstube saß und auf der Landstraße ihren Discurs hielt, war ich, der Reichsgraf Florentin von Palmingen, längst wieder, wie schon berichtet, in der Dunkelheit von diesem schnöden und abgeschmackten Geck und Galan, dem Baron von Wimmersheim, in mein Gebiet und Schloß zurückgekehrt, hatte mich mit einer kalten Reverenz von der Marquise Xénais verabschiedet, und, unter Vortritt ihres Vaters, meines Ceremoniers, und eines halben Dutzend, Kandelaber in Händen habender Laquaien, in meinen Regierungssaal verfügt. Dort hätte der Herr von Arcularius, wenn er von meiner Heimkunft erfahren, sich mir wohl nähern und präsentieren können. Doch aber hieß es, als ich nach dem Prussien frug, er habe sich, unbekannt wohin, in die Nacht hinaus verzogen und sei verschwunden!

Die Nacht hatte sich aufgehellet. Der Regen war dem Mond gewichen, der mit einem trüben und schwefeligen Schein am Himmel stand. Es ging ein lauter und heulender Wind aus den Bergen und wehte kalt. Ein unlustiges Wetter also und im Wald eine dunkle Luft, durch den sich unser Herr Husar zu Fuß behende und vorsichtig dahinpürschte und ganz zufrieden war, daß, außer Kauz und Fledermaus, Niemand seiner gewahr werden konnte, bis er vor der aufgelassenen Abtei Heilig-Kreuz stand.

Der Anblick dieses nun ausgekramten, durch viele Säcula bestandenen Pfaffen-Nestes stillte sein Gemüth. Denn dies ehrwürdige Kloster, dessen beide Kirchtürme und Wahrzeichen der Gegend ein rheinbündischer Fiscus bereits hatte abtragen lassen und die Steine den Bauern zum Aufrichten ihrer Ställe gegeben – dieses Kloster aus der Zeit des Kaisers Barbarossa lag im Mondschein in einem Viereck rings von breiten Wasserläufen umgeben, die die festen Mauern bespülten und durchaus keinen Zutritt zu dem Inneren ließen – es sei denn über den schmalen Damm, der geradewegs auf das Hauptthor zuführte.

Dieses Thor war von den nun ausgetriebenen Mönchpriestern schon weislich für ungebetene Gäste in der Nacht hergerichtet. Es war, in Form von einem Andreaskreuz, mit mannsdicken Balken verlegt, und über und über mit Eisen beschlagen und verbuckelt und ein eiserner dicker Ring zum Klopfen hing daran und der Herr von Arcularius freute sich und dachte: ›an dem Ring und Thor und Klösterlein beißt sich der Johannes durch den Wald und sein ganzes Comitat von Meisterdieben und Todtschlägern die Zähne aus! Wenn sich da nicht Einer von ihnen den Fuchspelz umthut und sich listig einschleicht und insgeheim seinen Galgenkumpanen von innen aufmacht – anders gewinnt der Buonaparte selber ohne grobes Geschütz dem starken, frommen Haus Nichts ab! Darin ist die Gräfin von Sulz geborgen wie die Perle in der Muschel.‹

Es wird keiner die Behauptung maintenieren wollen, daß die Husaren fleißige Kirchgänger seien. Doch haben, an diesem Abend, die Büsche und Bäume ein aufrichtiges: ›grace à Dieu!‹ des Herrn Rittmeisters vernommen. Er ließ, in dem bläulichen Mondschein, seine Augen über die Environs des Klosters dahingleiten. Das Weiß des Karrenwegs, in dem Thal, setzte sich scharf ab gegen das Schwarz eines Bächleins, das neben ihm herlief und die Nacht mit seinem Murmeln erfüllte. Auf der anderen Seite war der dichte Wald. In dieser Stille nun vernahm unser Herr Husar das Trapsen von Mannesstiefeln – schnell – schlürfend – unregelmäßig – hält an – schleppt sich weiter – und er steckt seinen Kopf vorsichtig wie ein Meister Reinecke aus dem Busch und sieht: da unten auf dem Thalpfad trägt sich ein Mensch, mit Mühe und aufs äußerste fatiguiert, auf unsicheren Beinen, dahin, dem guten Haus Heilig-Kreuz zu, um dort eine Ressource und Protektion zu finden, ehe ihn Nacht und Wald und die eigene Faiblesse als ihr Opfer anfordern.

Dieser einsame und bedrängte Peregrinus schien ein Jungmann von dreißig und etlichen Jahren, und nicht, wie man nach seiner Art, zu Fuß zu reisen, muthmaßen möchte, ein versprengter und in diesen Waldwinkel verirrter, fechtender Handwerksgesell, sondern der Wanderer trug sich in der Art eines Mannes von mittelmäßigem Stand und Ansehen oder in einem Habit, dessen sich auch Höhergestellte auf Reisen bedienen, um nicht ohne Noth jedem kuriosen Wirth und Postknecht ins Auge zu fallen.

Er hielt einen runden, dunklen Hut in der Hand, so daß das halblange, blonde Haar ihm im Nachtwind um den bloßen Kopf flog. Seine Kleidung war ein blauer Redingote mit lang wehenden Schößen, rothem Kragen und Aufschlägen. Hierzu gelbe Pantalons, die in halbhohen, schwarzen Stulpenstiefeln steckten. Waffen sah man an diesem seltsamen Monsieur nicht. Noch observierte er des öfteren in scheuer Manier rückwärts über die Schulter die Gegend, ob er nicht verfolgt oder überfallen würde, und der Herr von Arcularius oben im Gebüsch dachte sich: an dem guten Mann liegt's nicht, wenn ihm nicht die Taschen aufgeschnitten werden und die rothe Brühe über die Ohren läuft! Der Fürwitz dieses Menschen, in einem manneskundigen Paradies des Brigantaggio und gelobten Land aller Nachtdiebe und Posträuber, wie es damals unsere Wälder waren, ohne Fuhrwesen und Escorte sich bei Fuchs und Wolf zu Gast zu laden, wollte ihm nicht gefallen und schmeckte ihm nach einer Kriegslist . . . und so zog der Husar die Stirne kraus und roch Lunte und schlich leise im Wald, wie der Kater neben der Maus, neben dem verdächtigen Bruder auf der Landstraße her.

Dieser nun that en face des Klosters, wo man ihn von dort schon deutlich gewahrnehmen konnte, einen tiefen Seufzer und sank entkräftet zur Erde. Raffte sich mit aller Mühe wieder auf, lugte hinter sich und flüchtete und schwankte im Zickzack auf das Heilig-Kreuz'sche Thor zu, lehnte sich, am End' seiner Force, gegen das dicke Holz und ließ den Klopfer fallen.

Der Husar saß hart neben ihm im Erlenbusch am Rand des Wassergrabens. Der Eisenring gab einen lauten Schlag. Es dauerte ein gutes Paternoster und länger, bis es drinnen im Hause rumorte und lebendig wurde. Dann schob sich oben behutsam, zollweis, der Laden von der Luke. Es schaute erst ein grober, langer Arquebusenlauf heraus. Dann ein Kopf. Selber wies einen glatten Diana-Scheitel von braunem, natürlichem Haar, das flach an den Ohren gestrichen und im Nacken in Zöpfe gelegt war. Diese in Paris neu in Mode gekommene klassische Haartracht wurde in Teutschland schon vielfach von dem vornehmen Frauenzimmer goutieret. Dahinter stand das Kammermensch mit einem Talglicht und erleuchtete so, wie die Opferkerzen Unsere liebe Frau über dem Altar, das Brustbild der schönen Gräfin Amöne, die als ein rechter commandant supérieur einer Festung unverzagt hochselbst Nachtwache, Rond' und Sentinelle hielt.

Mit einer hellen und kriegerischen Stimme wie ein Feldcornett auf Vedette ruft sie hinaus in die Nacht: »Qui vive?« – so daß es der Herr von Arcularius in seinem Röhricht beseufzte: Schade um das anmuthige Weibsbild! Das gäbe einen feinen Junker für meine Husaren!

Der Fremde unten aber findet keine Erwiderung, sondern starrt hinauf und streicht sich ungläubig über die Augen. Und die Hohen-Sulz'sche oben unwirsch: »Antwort' er – s'il vous plaît! Warum guckt er mich an wie der Ochs das neue Thor?«

»Wie ist mir denn? Madame spricht doch dort oben aus der clausura!«

»Jetzt is nix mehr mit der Klausur.«

»Madame: Träum' ich oder wach' ich? Das Ende der Welt ist ja nahe! Die frommen Bettelväter dulden eine Frau im Kloster?«

»Es hat sich ausgebettelt! Jetzt bin ich hier Herr und Meister, die Reichsgräfin von Sulz, und lass' mir und meinem kleinen Kunz, meinem Herrn Sohn, nit die Butter vom Brot nehmen!«

»Und die Mönche sind fort?«

»Alleweil sind die Letzten abmarschiert! Haben in der Eile noch ein paar alte Kutten unten hängen lassen!«

»Und ich hatte das Kloster als letzten point de vue im Auge, um für die Nacht ein Asyl zu finden und nicht wie Benjamin unter die Räuber zu fallen, von denen die Wälder hier wimmeln«, sagte der Fremde unten mit einer tiefen und dunklen Stimme, deren Klang doch den Mann von Education und Politesse verrieth. Er lehnte gänzlich erschlafft am verschlossenen Thor. Sein nach oben gewandtes Antlitz war im Mondschein bläulich-bleich wie das eines Todten. Er hob die Hände. »Ich kann nicht mehr weiter!« fuhr er mühsam fort. »Meine Füße tragen mich nicht mehr! Ich habe geringe Chance, diese Nacht zu überstehen, wenn ich nicht in Madame eine Patronin finde und sie mich christlicher Weise in ihr Haus läßt!«

Die schöne Gräfin-Wittwe steckte, neugierig wie ein ächtes Eva-Geblüt und doch mißtrauisch wie ein Mann, den Kopf weiter hinaus.

»Ei – wer heißt denn auch Monsieur, die Passage durch die abgelegenen Wälder hier zu nehmen, statt daß er sich auf der großen Landstraße hält?«

»Ich muß mich abseits schlagen . . .«

». . . und ohne Roß und ohne Diener! Er mag schon der Rechte sein!«

»Ich darf mich keinem Diener anvertrauen und nicht zu Pferde Aufsehen erregen . . .«

»Glaub's schon! Was hat er denn alles gegen den Code pénal verbrochen? Wieviel Procureurs und Richter sind denn hinter Ihm her?«

»Nicht die Gerichte suchen einen Mann wie mich, Madame!« kam es von unten höflich und ruhig zurück. »Dieser Verdacht ist so absurd, daß nur eine komplette und wohl begreifliche ignorance in Hinsicht meiner Person ihn erklärt. Ach nein, Madame: Hinter mir ist das apokalyptische Thier selber und will mich verschlingen . . .«

»Ich seh' nix als wie eine Fledermaus!« sagte die junge Gräfin. Der inconnu unten lachte wild auf, und ein heiseres Hah! Hah! hallte von der Bergwand zurück.

»Soll ich ihn noch nennen: die Zuchtruthe am Himmel? Die Geißel Gottes? Den neuen Attila und Dschingiskhan? Den meerentstiegenen Dämon Buonaparte? . . . Napoleons Schergen sind hinter mir, Madame! Mit jedem Athemzug steht mein Leben auf dem Spiel! Er selber gab die Ordre an Monsieur Fouché, coûte que coûte mich aus der Welt zu räumen! Voilà tout!«

»Ich mein', der Empereur hat mehr zu thun . . .«

Es schien, als wolle der Herr im blauen Redingote unbedacht Etwas erwidern. Aber er hielt an sich. Dies war dem Rittmeister von Arcularius, der nebenan wie ein Wassergott im Schilfe thronte, ein untrügliches Argument, daß Jener ein Fremder von Distinction sei und sich an der großen Welt glattgerieben habe. Denn Schweigen irritiert jede Eva, und nun möchten sie's partout wissen – und so inquirierte denn auch die Sulz'sche Gräfin flugs von oben:

»Wer ist denn der Monsieur? Decouvriere Er sich!«

»Nehmen Sie an, ich sei der Negociant Krüger, dessen Reisepaß von Hamburg lautet!« sagte der Fremde am Thor plötzlich in einem klaren und wundervollen Französisch, wie man es nur in der hohen Noblesse Europas hört. »Mein eigentlicher Name – was liegt daran – heutzutage – wo Kurfürsten stürzen, Großherzöge auferstehen, uralte Häuser von den Franzosen vertrieben und Soldaten von Glück Könige werden! . . . Genug! Ich muß es Ihnen in der Stille der Nacht eröffnen! Denn es geht um mehr als mein Leben! Es geht um meine Sendung: Ich komme, als geheimer Agent, mit wichtigsten, vertrauten Aufträgen von London nach dem Wiener Hof! Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen, Madame! Doch die Wohlgestalt Ihrer Gesichtsbildung zeigt mir eine Frau von Kopf, die Hirschbüchse in Ihrer kleinen Faust eine Frau von Herz! Ich wage es, in Ihnen eine teutsche Patriotin zu erblicken, die nicht, wie leider so viele blinde Geister am Rhein, zu Buonaparte betet und vor den Franzosen kniet!«

»Vor den Spitzbuben! Vor den Diebesfingern!« schrie die schöne Hohen-Sulz'sche im Fenster empört, denn sie stammte aus der heißen Pfalz, und die Zunge lief ihr so rasch, wie das Blut durch die Adern. »Vor den schlechten Kerlen, die mir drüben überm Rhein unser tausendjähriges Land genommen und meinen Gemahl in der Bataille erschossen und mich als Wittfrau in die Fremde gestoßen haben! . . . Wenn ich dem Napoleon einen rechten Tort anthun könnte –« Sie hob die geballten Hände zum Nacht-Himmel »Ainsi Dieu me soit en aide: Ich thät mich nit lang ziere!«

»Lassen Sie mich ein, madame la comtesse!« sagte unten die tiefe Stimme aus der Nacht, »und Ihr Gebet ist erfüllt!«

»Doch wenn nicht«, fuhr er fort, und seine Gestalt wankte am Thor. ». . . Es übersteigt zwar meine Imagination, wiefern ein einzelner matter und müder Reisender Ihnen inmitten Ihrer starken Dienerschaft mit Gefahr drohen könne – Lassen Sie denn immerhin einen Courier der hohen Politik, an dessen flüchtigem Fuß die Historie hängt, und – soviel sei mein Schleier gelüftet – einen vollbürtigen Standesgenossen zugleich – als Aas für Räuber und Franzosen vor Ihrer Schwelle vergehen . . . ich falle hier nieder – ich habe meine letzten Kräfte ausgegeben! Ich bleibe hier liegen – komme, was mag! Bonne nuit, madame!«

Gleich darauf rasselten die Riegel, kreischten die Angeln, lohten Pechfackeln aus dem geöffneten Thor und in seiner Wölbung stand die Frau Gräfin Amöne inmitten ihrer wenigen, zur Noth bewaffneten Läufer, Lampenwärter, Stallschreiber, Jagdpfeifer und Sommeliers, denn ein guter Theil ihres Hofhalts war ihr schon gestern beim Überfall des Johannes durch den Wald vom Reisewagen weg entlaufen und nicht wiedergekommen. Was von der Livree noch übrig war, griff nun zu und faßte den verirrten Reisenden draußen, den nun wirklich eine Ohnmacht überkommen hatte, an Armen und Beinen und trug ihn wie einen Sack ins Schloß hinein und legte ihn gleich im Erdgeschoß zur Rechten, wo sonst das Sprechzimmer des Herrn Abtes Martin II. gewesen war, auf ein Canapé. Es wurde nach kaltem Brunnenwasser gerufen und nach Essig und Tüchern, und Einer schwenkte gar ein angezündetes Weihrauchfaß, um den Herrn zu beleben, und in diesem treppauf, treppab – hin und her – fiel es dem Herrn Rittmeister von Arcularius nicht schwer, durch das offene Thor in das Kloster zu schlüpfen, ehe die Frau Gräfin von Hohen-Sulz ihre Leute schalt und antrieb: »Allons! Wollt Ihr den Johannes durch den Wald ins Haus bringen? Macht toute de suite das Thor wieder zu!«

Dieses Holzwerk war, von innen gesehen, erst recht stark wie für die Ewigkeit. Es hätte auch einem Rammbaum, den zwölf kräftige Kerle schwangen, Trotz geboten, und unser Herr Husar sagte sich wieder: Nein! Von außen ist die Nuß nicht zu knacken, wenn nicht durch des Teufels Spiel ein Nußknacker innen hineingeräth . . .

Es hing nur ein geringes Lämpchen von der Deckenwölbung und streute, je nachdem es im Luftzug schaukelte, wechselnd Licht und Schatten da und dorthin über die steinerne Halle. In deren Thorwinkel stand der Preuße durchaus im Dunkeln und sah drüben, im Cabinet des regierenden Herrn Abts, hell beschienen, den armen, maroden und hinfälligen, heimlichen Botengänger zwischen der englischen Nation und Seiner Wiener Apostolischen Majestät, der sich mit einem Trunk Wasser erfrischte und wunderlich schnell – unter des Herrn Rittmeisters finsteren und argwöhnischen Blicken – seine entnervten Lebensgeister restituierte.

Das Antlitz dieses Chevalier Ichweißnichtwer, der nun glücklich, dank dem weiblichen Mitleiden der Gräfin, seine Entrée in das Kloster forçiert hatte, war von einer edlen, aber schmermüthigen und verdüsterten Bildung. Diese unruhig schweifenden, flackernden Augen straften den bitter und gramvoll geschlossenen, feingearteten Mund Lügen. Die Falten einer stürmischen Lebensfahrt hatten sich abenteuerlich in die distinguierten Züge eingegraben. Zwei kleine blaue Narben nebeneinander zeichneten sich auf der rechten Schläfe. Wie der Herr nun aufstand, war der Anstand seiner Bewegungen vollkommen und eines Grandseigneurs würdig, und in dem leichten Spiel seiner, wenn auch fatiguierten, Glieder ahnte man eine nicht gewöhnliche Kraft. Er lächelte und sprach einige Worte der Courtoisie zu der von Hohen-Sulz, wie obligiert er Ihro Hochgeboren für bewiesene Barmherzigkeit sei. Dies Lächeln aber war voll Wermuth – von verborgener Wildheit und verhehltem Hohn. So lachte kein Guter. Zu diesem Lächeln zwang sich eher die stille Verzweiflung eines verlorenen Sohns und einer abgründigen Seele . . .

Immer furchtbarer stieg dem Stabsrittmeister von Arcularius aus dem nobeln und finsteren Umriß des Cavaliers in der Abtstube die Gestalt eines Cavaliers aus der Hölle, – des Johannes durch den Wald. Und in diesem horriblen Verdacht sagte er sich, daß dieser Erzbösewicht und Feind der Menschheit vor allem nichts ahnen dürfe, daß der Mann in der Ecke hier der Rittmeister von Arcularius – den er nur als einen bäuerischen Landkrämer gesehen – und ihm und seinen schädlichen Wölfen hart auf der Fährte sei.

»Tiens!« Ich muß doch 'mal visitiere, ob meine Leut' auch das Thor wieder wohl verwahrt habe! Das ist eine arg leichtfertige Bagasch'!« tönte, aus der Höhle des Abbas, die helle Stimme der Frau Gräfin Amöne. Sie sprang, mit einem hurtigen Schwung, die drei Treppenstufen hinunter in die Einfahrtswölbung und ließ dort den ellenlangen Zipfel ihres Kleids, den sie sich zweimal um die Taille gewickelt hatte, aus den Fingerspitzen zur Erde fallen, so daß die Schleppe brav, à la mode, den Staub vom Boden fegte und der Magd die Mühe sparte. Denn die anmuthige Wittwe von Hohen-Sulz stolzierte jetzt nicht mehr als ein junger Jagdcavalier im Reitfrack und – in Ehren zu melden – Höslein, sondern trug ein hochgegürtetes, langfließendes flohfarbenes Kleid, ob dem ein steif aufstehendes, weißes Spitzenkräglein auf das gefälligste ihren weißen Hals und den braunen Nackenschopf umschloß.

So passierte sie, leise mit den Schleifenschuhen klappend, den steinernen Estrich und machte nahe am Thor halt und legte die Hände ineinander und sprach zu sich selbst, erstaunt und halblaut:

»Guck' emol: Ist doch noch ein Pfäffle dagebliebe!«

». . . um den Teufel aus dem Haus zu treiben, liebe Tochter!« sprach der Mönch, der ihr, die Kapuze tief in die Augen und das Antlitz bis zur Nase in der Kutte geborgen, aus dem halben Licht entgegentrat.

»Mich?« frug die Hohen-Sulz'sche kampflustig, die gespreizten zehn Finger schon wieder in die Taille gestemmt.

»Mit nichten! Der Teufel geht hier in anderer Gestalt um!« versetzte der Mönch mit einer dunklen und verstellten Kehle. »Wache und bete, meine Tochter!«

»Ei! Schlaf' ich denn?« rief die schöne Gräfin erzürnt aus und rüttelte, ihm den Rücken kehrend, prüfend an Riegeln und Schlössern. »Alleweil müßt Ihr Herrn Einem die Hölle heiß machen! Und mit dem Beten allein wehr' ich dem wüsten Johannes durch den Wald da draußen nit! Pas du tout! . . . Dafür hat uns der liebe Herrgott Vorleg-Eisen und Schießgewehr und kochend Wasser verliehen! Ich will schon mit dem Johannes beten, wenn er sich einstellt! Mein Avemaria nimmt er sich nicht als Souvenir mit! Dafür bin ich gut! . . . Und mir nicht bewußt, eine Bêtise gesagt zu haben, hochwürdiger Vater, weil Sie unter Ihrer Kutte lachen!«

Da blinzelten sie, im Schatten der Kapuze, zwei Husarenaugen so pfiffig und lauernd an wie ein Kater auf seiner Nachtfahrt auf der Dachrinne, und die liebliche Kätzin drüben, die Hohen-Sulzsche, fuhr zurück und that einen kleinen Schrei. Oder unterdrückte ihn noch halb. Denn der Pater drüben zückte warnend den Zeigefinger.

»Still, Frau Gräfin! . . . . . Es darf hier Keiner meinen Charakter und Patent wissen!«

Da begriff die gute Frau Gräfin, daß ein falscher Pfaff sie schnickte! Es ging ein warmer Sonnenschein über ihr liebenswürdiges Antlitz, und in ihre grauen Augen kam ein feuchter Glanz, und ihre Wangen blühten ein wenig roth, als sei sie noch eine unvermählte Jungfer von Stande und sähe ihren Liebsten. Aber sie faßte sich, reichte dem rauhwolligen Mönch die Hand und flüsterte freudig: »Ja – was führt denn den Herrn Rittmeister so à l'improviste zu mir her?«

Und wer weiß, ob sie nicht insgeheim hoffte, er würde nach Husarenart Sturm reiten, trotz der Pfäfflein-Tracht ihre Hand küssen und feurig erwidern: »Gott Amor selbst, Madame!« Ihr wär' es recht gewesen. Aber der fromme Vater vor ihr zog ein hartes und lauerndes Gesicht, auf dem nicht Frau Venus, sondern Meister Mars wohnte, und erkältete so ihr zärtliches Herz und murmelte zu der still Gekränkten: »Auf der Verfolgung von Räubern muß ich Ihro Hochgeboren molestieren! Hätte mich sonst nicht unterstanden! Bitte mille fois um Pardon!«

»II n'y a de quoi, mon capitaine!« replicierte die schöne Amöne kühl. Dann, mit einem fast spöttischen Achselzucken: »Wie kommt der Herr denn in die Kutte?«

»Es hängen da noch mehr am Riegel, die die Mönche vergessen haben!« sagte der Husar. »Puh! . . . das riecht nach Moder und kaltem Weihrauch. Ich fühle mich wenig geistlich darin!«

»Die fromme Uniform steht dem Herrn Rittmeister auch nicht sonderlich!« versetzte die junge Gräfin-Wittwe feindselig und amüsiert. Er faßte ihre Hand. Noch einmal hoffte sie: Jetzt kommt ein zartes Wort und knüpft mit Rosenketten Herz zu Herzen! Statt dessen stieß Jener rauh und hastig hervor: »Ihren Schwur, Gräfin, daß dieser Mann dort drüben, dem Sie, übel berathen, permittiert haben, hier zu übernachten . . .«

»Ich such' mir meine Gäst' selber und nach meinem Gusto aus – nicht nach des Herrn Rittmeisters Erlaubniß!«

». . . daß dieser Mann mit keinem Laut erfährt, daß ich der Stabsrittmeister von Arcularius bin! . . . Es geht um Ihr Leben, Frau Gräfin!«

»Jesus Christ! . . . Ist das auch recht, Einen so in den Tod zu erschrecken?«

»Wissen Sie, wer dies nach meinem Soupçon ist? Aber bewahren Sie Ihre Contenance! Verziehen Sie keine Miene, wenn ich Ihnen den Namen nenne . . .«

Doch in diesem Augenblick trat, aus dem Abt-Gemach, der Fremde heran, in einer ungezwungenen und leichten, edelmännischen Art, und über sein schönes und bleiches Antlitz unheimlich lächelnd, und es blieb der Reichsgräfin von Hohen-Sulz als einer großen Dame keine Wahl. Sie faßte sich und sagte: »Darf ich Euer Hochwürden hier den Herrn Negocianten – ei – nun hab' ich den Namen vergessen!«

»Krüger – hochdero zu dienen!«

»Merci! . . . den Monsieur Krüger präsentieren! Dieses, mein Herr Krüger, ist der hochwürdige Herr Pater Ignacius, der, in Gottes Namen, seinen Abscheu gegen Weib und Weltlichkeit hintangestellt hat, um noch etliche Tage hier als geistlicher Registrator zu verziehen und mir die Abtei mit Land, Gefällen und Bauern gebührend zu überliefern!«

Der reisende Kaufmann Krüger verbeugte sich steif und streifte den geistlichen Herrn mit einem mißtrauischen und unverhohlen forschenden Blick. Der Fuchs im Mönchspelz wieder dankte väterlich-gemessen. Und auch sein Auge war argwöhnisch und drohend, und es war so still zwischen den beiden Gästen der Frau Gräfin, daß man kleine Füßchen die Treppe hinabspringen hörte, und ihr Knäblein lief heran, die Mundtuch-Zipfel hinterm Ohr, seinen Holz-Löffel schwingend, und rief: »Mamele! Komm' duzwitt! Das Mus stockt in der Schüssel, und kalt schmeckt's garstig!«

Die Gräfin Amöne strich ihm mit der Hand über den Blondkopf und sagte lachend: »Das Erbgräflein hat Recht! Darf ich die Herren bitten, mit der Tafel vorlieb zu nehmen, in der Sie mich unterbrochen haben! Ich kann freilich mit Besserem als einem warmen Hirsebrei und etlichem Kumskraut und Rabinzchen im Echauffement des heutigen Tags nicht dienen!«

Als sie nun oben, in der Wohnung des Klosteramtmanns, bei der Tafel saßen, die Frau Gräfin mit dem Büble in der Mitte, und rechts und links die zwei feindlichen Gastherren, da wußte der Husar, der vom Rhein kam, Bescheid und bekreuzigte sich geschwind, ehe er zu löffeln anhub. Doch der Monsieur vis-à-vis ließ das nicht gelten, sondern neigte sich vor und frug ehrerbietig: »Reverendissime domine . . . Wollen uns der Herr Pater nicht ein kräftiges, lateinisches Tischgebet sprechen?«

Fehlte auch noch, daß des Königs von Preußen Husaren Latein lernten! Die Gräfin Sulz half, da die himmlische Vorsehung dieser hübschen Frauensperson einen schlagfertigen Geist gegeben, schnell aus der Noth. »Ich bin eine Calvinerin!« sagte sie und speiste dabei den kleinen Jungherrn Kunz mit dem Breilöffel, »und red' mit dem lieben Gott gut deutsch, wie mir der Schnabel gewachsen ist . . . Also lasset's unterwegs, wenn's beliebt!«

Damit war dieser Zwist zwischen den Messieurs geschlichtet, und es kam gleich der zweite; denn der Negociant sah den Klosterherrn merkwürdig zweifelhaft an und forschte: »Loquerisne latine?« – »Sprichst du überhaupt Latein?« – Und der Herr von Arcularius verstand davon so viel, wie die Kuh vom Menuett und erwiderte heftig: »Hat nicht eben erst Ihre gräfliche Gnaden uns defendiert, sich dieser schädlichen Mundart zu bedienen, die nur für Fastenprediger und Rechtsverdreher gemacht ist – am wenigsten aber certainement für die Herren Kaufleute – wie der Herr Einer ist!«

Dabei streckte er erzürnt den Arm in der Mönchskutte nach der flackernden Kerze auf dem Tisch, um das Licht zu schnubben, und warf den glimmenden Docht in den Kamin, und der Meßreisende ihm gegenüber lächelte und sprach: »Ich war in Kinderjahren Ministrant. Da bleiben lateinische Brocken bei einem schlichten Bürger hängen! Wie der Zufall ja oft wunderlich will und Euer Hochwürden zum Exempel eine lange und furchtbare Säbelnarbe über den ganzen Unterarm tragen!«

Diese Erinnerung an die hitzigen Bataillen um Kaiserslautern vor zehn Jahren war dem Husaren nicht lieb. Er wählte als Reiterdeckung den Hieb und erkundigte sich, indem er der Frau Gräfin Wein einschenkte, in einer höflichen Theilnahme: »Der Herr ist gewiß en route zur Frankfurter Messe?«

»Meine Ladendiener und Waren sind schon dorthin voraus!«

». . . und sans doute zum ersten Mal in hiesiger Gegend?«

»Sonst wäre ich nicht so tief vom Wege abgekommen!«

»Ist nicht eben so entfernt! Monsieur hätten sich nur da, wo das Waldthal sich gabelt, nach rechts schlagen sollen – nach den unweiten Kandelmühlen zu!«

Der Negociant Krüger hob heftig die Hand: »Wo denken der hochwürdige Herr hin? Da wäre ich wohl in des Teufels Küche gerathen!«

»Ei doch! . . . Woher wissen Sie, Monsieur Krüger, was für ein Volk dort haust?«

»Diese Mühlen, Domine, stehen landauf, landab im übelsten Ruf und Geschrei!«

»Und dieser unfeine Leumund, es sei dort eine Räuberherberge, ist Ihnen bekannt, Monsieur, der Sie doch niemals im Lande waren, wie Sie sprachen?«

»Ein alter Geißhirt, auf den ich am Eingang des Thales stieß, hat mich berathen und gewarnt!« sagte der Fremde ruhig.

»Es ist wahrhaft lamentabel, daß dieser fromme Greis Sie nicht bis hierher accompagniert hat. Ich hätte ihn gerne gesehen und belobt!«

»Es freut mich, daß Hochwürden trotz Säcularisation und Ende Ihrer irdischen Klostermacht und Auszug in das babylonische Exil so laut und herzlich lachen!« sprach der Meßfremde. »Das deutet auf ein wahrhaft christlich einfaches und unverhohlenes Gemüth, wie man es Ihnen, Domine, auf den ersten Blick anschaut!«

». . . so wie Ihnen, Monsieur Krüger, dessen Métier sich den Gott Merkur zum Schutzpatron erwählt hat!«

»Nur zum Theil!« sagte der Negociant kalt. »Denn Mercurius ist bekannter Maßen auch der Gott der Nachtdiebe und Briganten – und hat so, in heutiger Zeit, eine zweite und ansehnliche Gemeinde.«

Der guten Gräfin Amöne, die verstummt, ihr Kind auf dem Schoß, zwischen den beiden Kampfhähnen in Kutte und Kaufmannsrock saß, wurde bei dem hin und her der Stachelreden angst und bang, und sie hob die Tafel auf.

Indessen sie ihren kleinen Kunz Jasomirgott in das Nebengelaß führte, um ihn dort der Kammerdienerin Häberlin und einem jungen Pürschknecht oder Hofschützen in Obhut zu geben, ist der Herr von Arcularius ihr nachgetreten, steht allein mit ihr, faßt ihre Hände, haucht ihr in das unwillig abgewandte Ohr: »Niemals hat der dubiöse Monsieur nebenan sich mit dem Kommerz befaßt!«

»Ich glaub' es auch nicht!« sagt die Gräfin und lacht. ». . . sondern mit einer Profession, vor der selbst die Türken schaudern! Stützen Sie sich auf diesen Betstuhl hier, gnädige Gräfin – sonst tragen Ihre Kniee Sie nicht bei dem signal d'alarme, das ich Ihnen, in aller Heimlichkeit, zublasen muß! . . . Wissen Sie, wer dieser hereingeschneite Sohn Adams ist, der da mit gesenktem Haupt vor dem Kamin steht und in tiefem, düsterem Nachdenken in die Flammen blickt?«

»Ei freilich . . .«

»Woher . . . ? Bei allen Teu . . . Excüsieren Sie! Aber sprechen Sie . . . Ich beschwöre Sie: woher?«

». . . weil er es mir selber confidentiellement eröffnet hat – und ich ebenso Ihnen . . .«

». . . haha! . . . daß er . . .«

»Daß er freilich kein Tuchscheerer und homme d'affaires ist, nach Frankfurter Art, sondern ein Herr aus großem Haus, in ganz delikater Mission von den edeln Britten wider den Buonaparte nach Wien als ein discreter Mittelsmann geschickt! Man braucht den Herrn ja nur mit einem Blick abzumustern: Solch ein Exterieur und Conduite ist das Erbe guter, alter Ahnen, die schon mit auf der Leiter standen und nachdruckten, als vor vielen hundert Jahren Jerusalem gewonnen wurde.«

»Ich bin der Letzte, der in Abrede stellen möchte, daß dieser Herr aus hochadeligem Geschlecht und Wappen stammt . . .« sprach der Husar.

». . . und also hat der Herr Stabsrittmeister diesmal einen falschen Alarm geschlagen! Die Preußen gelten doch sonst allerorts als Soldaten von besonderen Mériten . . .«

». . . nur daß selbst ein Stammbaum von der Sündfluth her nicht vor Sünde, Büberei und Malefizthum schützt . . .« beharrte der Herr von Arcularius.

». . . nun aber weist es sich, daß auch preußische Husaren auf dem Holzweg reiten können!« fuhr die Gräfin Amöne für ihr Theil spöttisch fort. Denn sie war schwer gereizt durch die Kälte des falschen Paters vom doppelten Tuch. Der aber sagte:

»Ich müßte mich vor dem Herrn General von Blücher und jedem redlichen Husaren genieren, wenn ich ein schon genug bedrängtes hochadeliges Frauenzimmer wie die Frau Gräfin ohne vorhandene Raison noch mehr verwirren und ängstigen wollte! Nun habe ich mich aber nicht vergaloppiert und werde das auf der Stelle beweisen und den Schnurrpfeifer da drinnen vor Ihren sehenden Augen attrapieren!«

Dort saß der mysteriöse Courier vom Themsefluß zur Donau gedankenvoll am Feuer, den in die Hohlhand gestützten Kopf den Beiden nebenan abgewendet. Der Husar in der Pfaffentracht hob seine Stimme plötzlich lauter und in der langsamen und würdevollen Sprechart eines geistlichen Herrn. ». . . Malen sich die Frau Gräfin meine heftige Entrüstung aus: Eilt heute vor Abendläuten im Walde dieser betagte Wildläufer auf mich zu, den ich seit Jahren als einen hochgräflich Palmingen'schen bestallten Vogelfänger und Trüffeljäger kenne, und schreit ganz weinerlich: ›Wissen Euer Hochwürden schon? Unser gnädiger Herr und Graf von Palmingen ist plötzlich dahingefahren!‹ . . .«

Und leise, blitzgeschwind, ließ der Husar dabei einfließen: »Observieren Euer Gnaden, wie der Monsieur am Kamin das Haupt dreht, sich erhebt und erbleicht . . . Sapperlot . . . was geht den Diplomaticus aus London ein Graf von Palmingen an?«

Und laut, feierlich knüpfte er wieder an seine Rede an: »Ich faltete die Hände und sprach ein Gebet für diesen hohen Herrn Florentinus, der noch so recht vom alten guten Schlag gewesen und nun so pitoyabler Weise ohne einen Schildhalter und Erbsohn verblichen . . .«

Und leise: »Der Monsieur da drinnen greift sich an die Stirne . . . steht schwerathmend . . . und war doch nie in hiesigem Lande – kann Nichts von einer Reichsstandschaft Palmingen wissen . . .«

Und zum letzten wieder laut: »Ich frug betrübt den Hiobsboten: ›Ist der gnädige Herr am Schlagfluß dahingefahren?‹ Da grinst der alte Eulenspiegel und spricht: ›Wohl und munter ist Seine Erlaucht dahingefahren in seiner Kutsche, auf Visite zum Herrn von Wimmersheim!‹ So hat mich das durchtriebene Männlein tückisch auf seine Leimruthen gelockt, und ist lachend weiter . . . . . regardiere Madame die wandelvoll bewegte Miene des Menschen da innen, der hier gänzlich fremd ist und niemanden kennt – am wenigsten eine Personalität von den hohen Qualitäten und Distinctionen des Herrn regierenden Reichsgrafen von Palmingen!«

Der armen Hohen-Sulzschen Dame war jeder Blutstropfen aus ihrem wohlgebildeten Antlitz gewichen. Sie ließ sich willenlos von einer Hand unter dem Mönchsärmel durch die Seitenthüre in das Treppenhaus hinausziehen. Da war ein gewölbter Kreuzgang. Aus seinen niedern Wänden sahen der Heilige Sebastian am Pfahl und der Heilige Laurentius auf dem Rost und viele andere, buntgemalte liebe Märtyrer auf das mißfällige Bild, daß ein Klostervater und eine schöne und jugendliche, vorne freundlich ausgeschnittene Dame flüsternd miteinander in einer Ecke standen. Die Gräfin Amöne zitterte heftig. Sie frug:

»Wer ist denn aber dieser dunkle Voyageur?«

»Ich kann Ihro Gnaden flugs mit der Antwort dienen: der Erbgraf von Palmingen!«

Da stöhnte die Hohen-Sulz'sche Gräfin vor Angst leise auf – denn sie war doch, bei aller eingeborenen Herzhaftigkeit ein Frauenzimmer – und hielt sich mit den beiden weißen Händen an der braunen Kutte fest, wie ein Ertrinkender an einem starken Stein, und schaute mit irren Augen dem Herrn Husaren ins Gesicht. »Ja – aber um Jesuwillen –« bebte sie. »Vorhin noch, wie ich in die Kuchel schaute, ging am Heerd davon die Rede und es scheint ein Gemurmel durchs ganze Land . . .«

». . . daß der Johannes durch den Wald . . .«

». . . ach du grundgütiger Herrgott im Himmel . . .«

». . . der verstoßene Erbgraf von Palmingen ist . . .«

». . . oh du liebe Zeit! Alleweil wird's mir zu arg!«

». . . der sich als ein fertiger und verwegener Räubercapitän bei Ihro Gnaden hier eingeschlichen hat, um, wie mir dies schon vor meiner Arrivée hier bekannt war, heute Nacht mit seiner Bande das Kloster zu überfallen!«

»Gott verzeih' mir meine Sünden! Wenn ich schon sterben muß: Rettet wenigstens das Gräflein! Mon pauvre petit fils! Laßt das arme Kind nix entgelten!«

»Es ist immer noch ein Ausweg, solange ein Husar in der Nähe ist!« sagte der Pater. »Nur darf man in difficiler Situation den Kopf nicht verlieren!«

»Der Herr Rittmeister hat Recht: sang froid! Darauf kommt's jetzt an!«

». . . und wie ich die Frau Gräfin kenne und taxiere, besitzt hochselbe im kleinen Finger mehr Courage als die halbe selige Reichsarmee!«

»Ja! Ich will mich tapfer halten . . . Was soll ich jetzt thun?«

»Nichts, Madame! Vor Mitternacht ist keine Gefahr! Inzwischen fliege ich jetzt und treffe alle meine Préparations, um die Herren Nachtritter, wenn sie hier anrücken und sich auf ihren Herrn Hauptmann da drinnen verlassen, nach meiner Façon zu empfangen!«

»Und ich bleib' mit dem Ungeheuer allein?«

»Der Verzweifelte kann Ihnen jetzt, inmitten des zahlreichen Gesindes, nichts anhaben und wird es auch sich nicht unterfangen! Denn wer klatscht in die Hände, ehe der Vogel im Garn ist, und verscheucht ihn vor der Zeit? Dies Völklein betet erst zur Mitternacht und Geisterstunde, und früher nicht, und ehe es zwölf schlägt – auf mein Husarenwort – bin ich wieder hier zur Stelle! . . .«

»Gottseidank!«

». . . und fange den Johannes durch den Wald mit eigenen Händen und liefere ihn der Obrigkeit!«

»Warum nit gleich?«

»Wäre schon recht, Frau Gräfin, und eines Husaren erste Intention! Aber ich fürchte: In dem alten Gemäuer hier haben die Wände und die Thüren Ohren, und in einer halben Stunde wissen sie's durch heimliche Botengänger und Lichter in der Nacht draußen im Wald und verziehen sich und sinnen auf neue Bosheiten . . .«

». . . und gar noch ärgere, um ihren Schelmenkönig zu rächen!«

»Drum will ich in heutiger großen Nacht, von der man noch lange reden wird, nicht den Kopf von der Katz', sondern die ganze Katz' in den Sack kriegen – den Hauptmann und die volle Compagnie! Vor Mitternacht stehe ich unten! Lassen die Frau Gräfin nur einen treuen Burschen – etwa den jungen Pürschknecht von vorhin, am Thor warten, daß er mir heimlich aufschließt!«

»Ich werde selber mit dem besagten Kerl zu Handen sein! . . . Nur lassen Sie mich nicht stecken in der Noth . . . in dieser horriblen Nacht!«

»Die Nacht wird lebhaft, aber glorios! Ich fühle alle meine Narben jucken! War mir immer ein gutes Omen! Kehre Madame nur jetzt zu dero Protégé zurück, mustere mit ihm als Dame von großer Welt und gebe ihm keine Gelegenheit zu Skrupel und Argwohn! Dann müssen wir reüssieren – so wahr ich der Rittmeister von Arcularius bin!«

Mit diesem bravourösen Gelübde und listig lachend schlich sich der Herr Kapuzinerpater, auf leisen Sohlen wie ein Fuchs auf der Mausjagd, hinaus in die Nacht. Die Gräfin Amöne von Sulz stieg bleiern und matt, mit verfärbten Wangen, die Treppe hinauf und blieb stehen und seufzte schwer und preßte die Hände auf's Herz, so heftig pochte es ihr vor dem bevorstehenden Tête-à-Tête mit dem Satan, und sie brauchte ihre ganze und nicht gemeine Macht über das eigene Gemüth, um, contre cœur, die Thürklinke zu drücken und dem Unhold, den das Cabinet bewahrte, mit einem naiven und graziösen Lächeln unter die Augen zu treten.

Dieser aber stand, vom Flammenspiel des Kamins beschienen, mitten im Gemach. Seine edlen, von Leidenschaft verwüsteten Züge, waren verdüstert und gespannt. Seine Augen spiegelten den Schrecken, den er sonst wohl anderen brachte. In seinen Bewegungen wohnte schon das Ungestüm der nahenden Blutnacht. Als er der Gräfin ansichtig wurde, eilte er so stürmisch und gegen alle Convenienz auf sie zu, daß sie dachte, er wolle sie bereits erwürgen, und schaudernd gegen den Thürpfosten zurückwich und dabei, inmitten der Gefahr Leib und Lebens, wider Willen denken mußte: wie kann ein Mensch, für den man Rad und Galgen eigens erfinden müßte, wären sie nicht, durch Gottes Rathschluß, schon reichlich vorhanden – wie kann ein solcher Verzweifelter von derart schöner Bildung des Gesichts und der Gestalt sein?

Der unselige Abbadonna vor ihr aber achtete nicht auf ihre Angst. Er stand still und frug mit einer fliegenden Stimme, die vor Emotion zitterte: »Wer ist dieser Mönch?«

»Ich habe Monsieur ja seinen Namen genannt!« sagte die Gräfin und erschrak für sich. Denn sie hatte den Kalenderheiligen des guten Klostervaters, den sie in der Eile angerufen, selber wieder vergessen. Doch ihr furchtbares vis-à-vis beharrte zum guten Glück nicht darauf, sondern wollte weiter wissen: »Wo ist der Mönch hin?«

»Ei – fort!«

»In welchem Flügel der Abtei hat er seine Zelle?«

»Gar nit!« sagte die Gräfin Amöne und dachte sich: Gelt – daß du ihn umbringen kannst? . . . Der Nachtentstiegene vor ihr zuckte bitter die Schultern.

»Wollen Sie meiner spotten, Frau Gräfin?«

»Ist mir weiß Gott nicht zum Lachen zu Muth!« sagte die schöne Frau von Hohen-Sulz und ließ sich geisterblaß auf einen Stuhl sinken.

». . . indem Sie wahrhaben wollen, daß ein Mönch Nachts die Klausur verläßt?«

»Der schon . . .«

». . . und sich womöglich draußen im Freien umtreibt?«

»Gucke Sie nur: da geht er!«

Die Gräfin Amöne wies durch das Fenster. Draußen bogen sich die Erlenbüsche im Sturm und kräuselte sich das schwarze Wasser in dem Graben. Jenseits des Dammes, der zum Kloster führte, auf dem Thalweg, eilte der Mönch dahin. Seine windflatternde Kutte warf, im bläulichen Mondschein, hinter ihm einen unheimlich flackernden, schwarzen Schatten, als tanzte auf seinen Spuren der Böse. Nun war dieser Pater am Wald, schaute sich um und war im Hui – recht nach Räuberart – mit einem Hirschsprung in dessen Dunkel verschwunden.

»Gottseidank!« sprach der Eingeschlichene, Blutumwitterte, und fügte mit einem Blick zum Himmel die zehn Finger ineinander, und die junge Hohen-Sulz'sche Wittwe schaute ihn starr an und begriff es nicht, daß man ein schnöder Frevler wider Gott und die Menschen sein und doch die Hände falten und den Namen des Herrn anrufen könne . . .

»Gottseidank!« wiederholte Jener nochmals laut und feierlich, ohne daß ein Blitz von oben ihn strafte. Dann leuchtete ein warmer und liebenswürdiger Schein über sein Antlitz. Dessen vom Gram junger Jahre gezogene herben Linien wurden weicher. Es blühte in einer Milde und Menschenfreundlichkeit auf, daß sich die Gräfin Sulz vor soviel teuflischer Verstellung entsetzte und schon halb nicht mehr wußte, sollte sie gar dem Lächeln der Güte vertrauen, das diese adelig geschnittenen Lippen besonnte. Der Fremde ergriff die schreckenskalte Rechte der Frau Amöne und drückte sie von Herzen und doch mit der sanften Zurückhaltung und Ehrerbietung des Cavaliers.

»Empfangen die Frau Gräfin meinen Glückwunsch,« sprach er. »Sie sind einer schrecklicheren Gefahr entgangen, als Sie je wohl ahnten!«

»Ei – wodurch?« . . .

». . . daß jener Finstere und Verwegene Haus und Kloster geräumt hat, das er mit seiner Kutte schändete! Denn nie und nimmermehr, verehrungswürdige Gönnerin, war dieser Mensch ein Mönch – oder auch nur ein Sohn der römischen Kirche! Ich weiß es. Denn ich bin selber papistisch getauft, wenn auch ein freier Geist! Der hinkende Gast an Ihrem Tisch schlug das Zeichen des Kreuzes falsch! Er verstand kein Latein! . . .«

»Vielleicht ist's kein Pfäffle! Ich bin fremd hier und ins Land verschlagen, Monsieur! Ich kann den Leuten nicht ins Herz gucken! Muß sie als eine arme Wittfrau nehmen, wie sie gerathen!«

»Narben trägt dieser gottselige Vater am Leibe!« sagte der Fremde wild lachend. »In seinen Pupillen ist Gott Mars ein Altar errichtet! Ich selber bin ein gläubiger Weltbürger und dem Haß und dem Streit der Menschenbrüder von Herzen abhold, – doch aus einem Hause, in dem der Waffendienst seit Alters Usance, und kenne den Blick der Kriegsleute!«

»Mag's denn ein irrender Soldat gewesen sein, Monsieur! Lassen wir ihn traben!«

»Warum aber pürscht er sich hier vermummt und verstellt ein? Warum entfleucht er eilends, wie er sich von mir durchschaut fühlt?«

»Der Herr echauffiert sich pour rien. . . . Es lohnt nicht der Müh . . .«

»Schon drei Posttage von hier,« versetzte der Fremde Wort für Wort mit starkem Nachdruck, »warnt Postillon und Wirth, Reisender und Gensdarm vor den Räubern zur rechten Seite des Rheins, die nach dem Zusammenfall heiligen deutschen Reiches und Unordnung überall, in Massen aus dem Boden entstanden und sich vermehrt haben, wie die Frösche nach dem Gewitterregen. Sonderlich aber waren die hier umliegenden Wälder gefürchtet, als das wahre ungekrönte Fürstenthum eines über das gemeine Maß gewaltigen Verbrechers – Sie, Frau Gräfin, deren Domicil das Schicksal hier statuiert hat – Sie kennen seinen weit verschrieenen Namen besser als ich, wenn Sie auch so wenig wie sonst ein Mensch wissen, wer ihn in Wirklichkeit führt . .«

». . . weil der Johannes durch den Wald alleweil eine Larve trägt . . .«, sagte die schöne Frau Amöne und entsetzte sich hinterher, denn der Johannes durch den Wald saß ihr ja gegenüber . . . . . .

Die gute Dame schielte scheu zu dem schmermüthigen Herrn hin, nicht anders, als ob dieser gräßliche Gast ihr gleich an die Gurgel springen müsse. Doch der saß still und, trotz der müden Gelöstheit seiner Gliedmaßen, in einer so noblen Courtoisie des Gehabens in jeder Handbewegung, jedem Seufzer, jeder Neigung des bleichen und schönen Hauptes, daß ihn ein Pagenmeister oder Introducteur bei Hofe darum hätte beneiden müssen, und ihr diese edle Haltung eines traurigen Gemüths ein weibliches Mitgefühl entfachte und ihr in ihrem heimlichsten Innern der Seele noch weit besser gefiel, als die lachende und milde Lebensart des preußischen Husaren, als welcher sich, wie sie sich immer wieder mit Enttäuschung und gekränktem Herzen sagte, ja doch nicht ein Nagel breit aus ihr machte! Sie war das nicht gewohnt – die Hohen-Sulz'sche Gräfin! Denn sie war ein schönes und stattliches, in frischer Jugend blühendes Frauenzimmer, und kannte nur zu wohl die rasch von ihrem Liebreiz entzündeten, sehnenden, schmachtenden, lockenden Blicke der Cavaliere, so wie jetzt – das Herz stand ihr stille – der Herr über den Tisch hin sie träumerisch, in einer ehrfurchtsvollen Glückseligkeit ansah, gleich als habe der gefiederte Pfeil Cupido's im Nu mitten in dies schwarze Herz getroffen. . . .

Das fehlt noch, daß sich ein Räuberhauptmann in mich verguckt! – dachte sich die Frau Reichsgräfin empört, und dachte weiter: Aber wenn er am End' gar keiner ist? . . .

Dann hätte sie sich's schon gefallen lassen, daß sie gefiel! Dann war der verhohlene Grandseigneur dort drüben just zur rechten Stund' bei ihr ins Haus und ins Herz getreten, als das auf das heftigste durch den im übrigen so hülfsbereiten Herrn von Arcularius beleidigt war und sein sonst wohlverschlossenes Pförtlein auf kurze Frist weit offen stand.

Da konnte jetzt eben Einer die Gelegenheit wahrnehmen und sich einschleichen, wie ein Dieb in der Nacht – so wie dort überm Tisch der General aller Langfinger und Heermeister aller Nachträuber – Gott steh' uns armen Sündern bei! – der Johannes durch den Wald . . .

Dieser Geächtete und Ausgestoßene aber, den seine Thaten verfluchten, – dieser Auswürfling der Hölle nahm ohne Wimperzucken, sondern mit einem sanften Spiel lächelnder menschlicher Wehmuth, seinen eigenen furchtbaren Namen in den Mund und ließ sich vernehmen:

»Vielleicht haben Sie, Frau Gräfin, den Johannes durch den Wald schon einmal gesehen und wissen es blos nicht!«

»Ei – freilich weiß ich's, Monsieur!«

»Wie denn? Höre ich recht . . ?«

»Ja – ist er mir denn nicht übern Weg geritten, gestern im Wald?« rief die schöne Gräfin hitzig und noch nachträglich erbittert über den Verlust ihrer Bagage. »Gelt – vom Rousseau schwatze und mir dabei meine Jupons mause! Menschenrechte – und mein neues sammtenes Camisölche ist heidi . . . Eigenthum ist Diebstahl! – Das konnt' ihm passe, dem Herrn Johannes, einer armen Wittwe ihre besten Battisthemdche und Seidenstrümpf' und Morgenschuh' und Anstandsröckche aus den Koffern zu krame! Oh pfui – das war nit schön!«

Dabei flammte sie im Eifer den Herrn drüben aus ihren großen, grauen Augen an, als gelte die Gardinenpredigt ihm. Der aber hob, ehrlich erschrocken, sein unruhiges, adelig geformtes Haupt.

»Ja – reiste die Frau Gräfin denn ohne Schutz?«

Muß ich das dir erzählen? Du warst doch selber dabei! – dachte sich die schöne Frau von Hohen-Sulz, und glaubte es doch selber nicht! In diesem Widerspruch des Verstandes – ach, und mehr schon des Herzens, zuckte die liebe Dame die Schultern und erwiderte:

»Die bei mir habenden Postknechte und Kammerdiener sind entflohen wie die Reichsarmee bei Roßbach! Der Herr von Arcularius aber, der die ganze Zeit neben meinem Kutschenschlag geritten ist, ist eine Viertelstunde vorher umgekehrt!«

»War wenig ritterlich von einem Edelmann!« sprach der Herr mit einem wunderlichen Lächeln.

». . . Wenn ihn doch, am Schlagbaum, die gräflich Palmingen'schen Officianten und Landreiter auf keine Weise haben passieren lassen!«

». . . Werden wohl gewußt haben, warum . . .«

»Was blieb da dem Herrn von Arcularius übrig, als von mir – malgré soi und herzlich betrübt – Abschied zu nehmen?«

»Und wohin, mit Permission, Gräfin – schlug sich der gemeldete Herr?«

»Er ist stracks im Galopp durch den Wald davongeritten!«

»Und eine Viertelstunde danach kommt ein Sujet unter einer Maske durch den Wald wieder herangeritten, kennt genau Euer Gnaden, die Zeit und die Gelegenheit, und erspäht seinen schimpflichen Vortheil zum Raub! Wer mag dieser verrätherische Cavalier wohl gewesen sein?«

Die Gräfin sprang auf die Füße, that einen hellen Schrei und griff sich an die Schläfen. Ihr Gast maß sie mit einem ernsten Blick aus seinen traurigen und tiefen Augen und sprach es laut aus: »Entsetzen Sie sich nicht, Frau Gräfin, noch hinterher, damit es Ihnen nicht ergehe, wie dem Reiter übern Bodensee: Sie sind in der Gesellschaft des Johannes durch den Wald gereist!«

Jesus – da sitzest du ja . . . der Johannes durch den Wald – dachte sich die ganz verzweifelte junge Gräfin-Wittwe, und es war ihr wirr im Kopf. Jener aber beharrte:

»Und wer kann ermessen, Gräfin, ob nicht dieser Schädlichste aller Ritter von der Landstraß' Ihnen noch weiter nachstellt, so wie der Tiger, wenn er Blut geleckt hat, um so grimmiger wird? Wer weiß, ob es diesem Elenden in seiner Gier, nachdem er gestern Ihre Reisekästen geleert, heute nach dem reichen Inhalt Ihrer Planwagen unten im Hof gelüstet?«

». . . Lieber Gott: Steh dem Erbgräflein und mir, seiner armen Mutter, bei!«

»Wer mißt die Dreistigkeit eines räuberischen Obristen auch mit der längsten Elle aus!« Der Fremde von Distinction am Tisch erhob sich in einer zürnenden Gefälligkeit der Bewegung, die seinen simpeln blauen Redingote und gelbe, im Geschmack eines Musterreiters gewählte enge Nanking-Beinkleider, wie einen Domino zu Fastnacht, als die Verhüllung eines heimlichen großen Herrn, erscheinen ließ. »Wer kann es wagen,« fuhr er bewegt und athemlos fort, ». . . und wenn der Frau Gräfin die Glieder zittern und Ihre schönen Augen sich mit Thränen füllen – es muß gesagt werden: Wer wagt es, zu behaupten, daß die Teufelei eines Verlorenen vor dem geistlichen Gewand zurückschaudert . . . daß nicht viel eher dieser falsche Mönch, der eben, von mir enthüllt und beschworen, mit Stank wie der Teufel aus dem Haus gefahren – daß das nicht Ihr Herr Reise-Compagnon und der Ritter im Walde ist, der sich hier eingeschlichen und in seiner sträflichen Vermessenheit darauf gebaut hat, daß Sie ihn unter der Kutte und Kapuze nicht wiedererkennen?«

»Ei freilich war das der Herr von Arcularius!« schreit die geängstigte Frau Gräfin gerade hell heraus. Der Monsieur vor ihr nickte in einem feierlichen Aufblick zu der von den Mönchen zierlich kassettierten Decke.

»Sie waren am Rand des Abgrunds, Gräfin!« sprach er. »Sie haben sich auf Ihrer Reise den Johannes durch den Wald selber als einen Chevalier d'honneur erwählt! In letzter Stunde hat der allmächtige Sternenwillen, unter dessen Fatum wir alle stehen, Sie durch mich gerettet!«

War nun auch Umriß und Gestalt des spröden Herrn aus Preußen im Herzen der Gräfin Amöne so rasch verblaßt wie aufgeleuchtet, und hatte – sie mochte es vor sich gelten lassen oder nicht – einem anderen, hier im Gemach viel Näheren, als einem neuen Hausherrn, Platz gemacht, so dachte die hohe Dame doch zu ritterlich, um den Schimpf auf einem Abwesenden sitzen zu lassen, und sie warf ein:

»Dies ist ein Erreur, Monsieur! Der Herr von Arcularius ist aus gutem Stande: Ein Stabsrittmeister des Königs von Preußen und Werber für Seiner Majestät Husaren!«

»So meldet er der gutgläubigen Frau Gräfin,« sagte der Fremde ungerührt, »und hat wohl viele Gestalten, wie das für solch einen abgefeimten Filou die Regel seines Métiers sein muß! Die Maske eines preußischen Werbe-Offiziers – ich muß das loben – ist für diesen Erzräuber wie geschaffen. Denn diese Herren Werber dürfen nicht zimperlich sein, müssen sich in üblen Herbergen aufhalten, mit verrufenen Kerlen am Tisch sitzen und ihre Heimlichkeit haben, viel blankes Geld und Waffen in jeder Rocktasche mit sich führen, und es fällt nicht auf!«

Die Gräfin Amöne wurde schreckensbleich. »Das soll ich glauben,« rang sie, die Hände, »daß der Herr von Arcularius . . .«

». . . der Johannes durch den Wald ist, und kein Anderer!«

. . . und der wieder steckt mir zu, du seiest der Johannes durch den Wald! Ja – wer von Euch Beiden ist's denn jetzt? Seid Ihr denn alle Beide vermummt und verkappt, als Husar und Kapuziner, Negociant und Courier? Und wem kann man noch vertrauen? – dachte sich die mitleidswürdige Frau Reichsgräfin, und mit halber und erschöpfter Stimme versetzte sie: »Ich bin eine Wittfrau in gesetzten und fortgeschrittenen Jahren – schon bald fünfundzwanzig, Monsieur, und nicht ein solches ungeschultes Gänslein und Giggak über' Rhein, daß ich einen Räuberhauptmann nicht von einen Edelmann distinguieren könnte!«

»Läugne ich denn,« sprach der Herr am Tisch, der sich wieder gesetzt hatte und auf dessen Antlitz der Weltschmerz thronte, »läugne ich denn, daß dieser Malefikant aus den Zirkeln der Sozietät entsprungen ist – wenn auch nicht so erlauchten Standes wie Sie, Frau Gräfin, und ich? . . . Wäre er denn der einzige verlorene Sohn auf der Welt? Ach – es gibt deren mehre – und Dero Liebden vielleicht näher als Sie denken!«

Er erhob sich und durchmaß mit Schritten, die eine Unruhe der Seele beflügelte, die Kammer. Er sagte:

»Es geht, seit den Tagen der Herren Rousseau und Voltaire und des Abbé Diderot . . .«

Jesus – von diesen französischen starken Geistern sprach ja gerade der Räuber im Wald, wie er mir die Schnupftüchle und Bettbezüge stahl! Am End' ist er's doch! dachte sich die Gräfin Hohen-Sulz und das Herz stand ihr wieder still.

»Es geht ein Sturm durch die Welt und rüttelt die Gemüther und räumt die von Mittelalter und Mönchslatein umdüsterten Gehirne und treibt gerade die besseren und vorzüglicher gearteten Naturen aus überkommener, hochadeliger Enge über Rhein und Meer hinaus in die Gefilde der Freiheit . . .«

. . . Wie hat gestern der Mann mit der Maske vom Pferd herab gerufen: ›Die edle Freiheit lebt und blühet Jedermann, auch uns armen Räubern von der Landstraße!‹ frug sich die arme junge Gräfin entsetzt, . . . das sind seine Worte! Er ist's . . . der dort mir gegenüber . . . Er ist der Johannes durch den Wald . . . .

»Wer wirft den ersten Stein auf die, die aus Vaterhaus und Erbtheil dahingingen, um wieder den Menschen im Menschen zu suchen?« fuhr Jener schwärmerisch fort und seine schönen Augen leuchteten, ». . . die Söhne eines neuen, von den Philosophen Frankreichs entzündeten Weltgewissens, die ihre überkommenen Vorrechte als ein Unrecht an ihren Brüdern empfinden . . .«

Es ist doch wahrhaftig traurig . . . sann die Gräfin Amöne. Die Thränen des Beileids waren ihr, gegenüber dem Abbadonna, nahe . . . daß solch eine schöne Seele Hühner stiehlt . . .

»Brüder aber sind wir Erdbewohner alle!« rief der Fremde, »ob von weißer, schwarzer oder rother Couleur unseres Leibs. Denn in jedem Leib lebt eine vernünftig denkende Seele und fordert ihr Antheil, mag nun der Federbusch eines Wilden oder eines Generals das Haupt zieren, mag eine Irokesin in ihrer Unschuld im Schurzfell gehen oder ein hochgebildetes Frauenzimmer sich décolletieren und glitzerndes Spielzeug an die Ohren hängen wie ihre braune Schwester an die Nase – Menschen sind wir alle, tragen gemeinsam Adams Fluch und Sehnsucht nach dem Paradies, sterben zusammt wie Moses am Wege und sehen nur ferne das gelobte Land, und sind einander Zähren des Mitleids und der Verehrung schuldig . . .«

. . . Wie kann man mit solch zärtlichem Gemüth Meßjuden mit dem Knüttel über den Kopf schlagen . . . frug sich Frau Amöne . . . und armen Fuhrleuten mit Gewalt die Mehlsäcke vom Wagen werfen . . ?

». . . Daß bei diesem begeisterten Flug in die Weite manch einer sich verirrt – so wie ein Zugvogel nicht wieder übers Meer ins alte Nest heimkommt – oder wenn schon, dann gerupft und zerschlagen . . .« sprach der unbekannte Herr mit einem traurigen Lächeln, »wer will dieser indispensablen Nothwendigkeit opponieren? Und daß viele – wehe allzuviele – zu weit – ach allzuweit – geflogen sind – vom Himmel, den sie suchten, zur Hölle – von der Liebe zu den Menschen, die sie beflügelte, zu Blut und Frevel wider alles, was das heilige Menschenangesicht trägt – das hat der Ausgang der großen Revolution in Frankreich schaudervoll jedem Reinen und Mildgesinnten mit feurigen Lettern an die Wand gemalt . . .«

. . . Wie mag sich nur solch ein sentimentalischer Charakter von Postraub nähren? . . . dachte sich die arme Gräfin . . . Müssen ihm nicht die hellen Thränen über die Wangen stürzen, wenn er mit einer kundigen Hand die Felleisen und Mantelsäcke aufschneidet, so wie gestern mein bißchen Hab und Gut?

»Ich habe die Schreckenszeit in Paris selber miterlebt, Gräfin!« fuhr der Herr im blauen Redingote fort. »Ich habe, selig wie ein Bräutigam, Hand in Hand mit Hallenweibern und Musketieren, die geschmückte Braut, den Freiheitsbaum, umtanzt. Ich nannte mich den Citoyen Homo – den Bürger Mensch – um gänzlich meine Herkunft, Rang und Vaterland, zu verwischen. Ich habe – bekreuzigen Sie sich nicht vor dem gläubig Verirrten! – die Jakobinermütze getragen!«

Die Gräfin Amöne wußte nicht mehr: Sprach so der Räuber – der Johannes durch den Wald – sprach so der Erbgraf von Palmingen . . . sprachen beide aus einem Menschen – oder waren die beiden verschieden – und welcher von ihnen stand nun vor ihr – sie fand keinen Rath mehr und saß mucksstill. Der Herr schloß:

»Als aber nun die furchtbare Maschine des Menschenfreundes Guillotin ihr Werk begann – als man auf dem Grèveplatz die Köpfe hackte, wie die Magd auf dem Hof die Rüben, da durchrieselte eisiger Schauer mein Gebein und schluchzende Wehmuth meine Seele. Noch hoffte ich, als die Schreckenszeit unersättlich ihre eigenen Söhne verschlungen – noch hoffte ich da auf eine neue Morgenröthe der Menschlichkeit. Statt dessen klirrten, lauter noch als in der deutschen Welt, aus der ich geflohen, in Frankreich die Ketten und die Säbel – übertäubten Trommelwirbel und Trompetenfanfaren den verröchelnden Weheruf der Freiheit. Leerte der Erste Consul, der General Buonaparte, mit Tyrannenfaust die Gassen und füllte die Kerker. Auch mir, einem aufrechten Nachtreter der Gracchen, drohte dies grausame Loos! Rechtzeitig gewarnt, erreichte ich eben noch vor den Häschern der neuen Gewalt einen Segler nach Amerika!«

Die Gräfin hörte gespannt und andächtig zu. Sie dachte dazwischen: Wann wird er mir wohl die Gurgel abschneiden? – Aber sie that es nur zerstreut, denn sie war schon verliebt in ihren Mörder, der weiter ihr berichtete:

»Amerika, dessen unendliche Wälder und Triften ich nun fünf Jahre, die Freiheit suchend, Europens Zwang entronnen, durchstreifte – Amerika – ach – lassen Sie mich schweigen, Gräfin! – Amerika, wo ich in meinen Träumen die schlichten Kinder der Natur im Urzustand friedlicher Einfalt dahinwandeln, sich mit Blumenketten schmücken und in unschuldigem Reigen hüpfen sah – Amerika wies mir grinsend das Zerrbild der Alten Welt! Der Portugiese schiffte geschäftig die schwarzen Sklaven aus Afrika an Land, zählte und verkaufte sie wie das liebe Vieh, die rothen Männer skalpierten einander und banden sich gegenseitig an den Marterpfahl, der Weiße rottete mit Pulver und Blei die Rothhäute aus, die englische, die französische, die spanische Zunge schieden in Haß die Weißen . . . Ich war bei den Quäkern – in der Pennsylvanischen Gesellschaft . . . und erkannte mit Trauer: Wir waren eine Handvoll Prediger in einer grenzenlosen Wüste! Und es bleibt ewig der Mensch dem Menschen Wolf, und über uns lastet Kains Fluch . . .«

»Da reiste Monsieur retour . . ?«

»Ich wollte noch einmal die Vöglein meiner Heimath singen hören und die Quellen meiner Jugend rauschen. Die grünen Berge dieses Landes riefen mich, und tausend Stimmen lockten mich in die Thäler, in denen ein Kind einst glücklich war!« Der Fremde hatte sich gesetzt. Er legte die Hände über die Augen und die Stirne wider den Tisch. »Mißgönnen Sie dem armen Ahasver den erlösenden Schwall der Thränen nicht! Freundeslüfte umfächeln mich! Der Herbststurm draußen wird mir zum säuselnden Zephyr! Ein lieblicher Engel Gottes empfangen Sie mich am Eingang des neu erreichten Paradieses! Ich hoffe! Ich werde wieder jung! Ich bin daheim . . . Ich bin daheim . . .«

* * *

Oh Xénais . . .

Meine, des Reichsgrafen Florentin, Chronik dieser absonderlichen Begebenheiten schweift nun wieder zurück zu mir, dem betrübten Opfer der Gestirne, und meinem Schlosse Palmingen an diesem Abend . . .

Wie ich es bereits in diesen Blättern angemerkt, hatte ich, nach der Heimkehr von dem Wimmersheimschen Narrenthurm, der Marquise, indigniert über ihre Vertraulichkeit mit dem dortigen Baron, nur ein steifes Compliment gezollt und die Flucht aller Gemächer des Erdgeschosses zwischen mich und den treulosen Schmetterling gelegt.

Aber als ich nun des Abends, dem Herbststurm lauschend, in Gedanken bei meinem verlorenen Sohn, allein, nur im Cercle meiner gemalten Ahnen an den Wänden, vor der tröstlichen Gluth des Kamins saß, da gaukelte dieser Papillon des Südens muthwillig vor meinem, immer noch zu leicht von Amors Schalkheit mit einem rosenfarbenem Tuch verbundenen Augen, mit denen der Verliebte, glücklich und verlacht, wie im Blindekuh-Spiel, über die Schäferwiese dieser Welt irrt – und ich konnte die Sehnsucht meines Herzens nicht mehr zähmen und beorderte, nicht die lose Marquisin, sondern ihren Vater, meinen Herrn Ceremonien-Marschall, zu mir.

Der Herr de Fizeaux präsentierte sich. Er hatte die steinerne Miene aufgesteckt, wie sonst, bei solennen Gelegenheiten, als Führer meines großen, aus vier Palmingen'schen Hofwürdenträgern bestehenden Vortritts. Seine Verbeugung war abgezirkelt. Die Frage nach meinen Befehlen frostig.

Ich ergriff die Hand des alten Franzosen. Ich sprach – alle Standesunterschiede leutselig vergessend – cordial mit ihm wie ein Edelmann zum andern. Ich lächelte neckisch, wie ein verliebter Greis – ich offerierte ihm, mit graziöser Herablassung, eigenhändig meine Tabatière, – ich brillierte, in geistreichem Französisch, mit etlichen, der Stunde und Gelegenheit entsprungenen Bonmots, deren sich der Herr Bischof von Talleyrand nicht hätte zu schämen brauchen – ich suchte in aller leichten Lebensart des achtzehnten Siècle das gallische Herz zu rühren, und eröffnete endlich thränenerstickt mein eigenes Herz: Möge es doch dem verehrungswürdigen Herrn Marquis gefallen, seine Tochter besser zu protégieren, sie vor Escapaden mit einem einfältigen Waldjunker der Nachbarschaft zu bewahren und statt dessen das göttliche Kind in meine Arme zu führen!

Der Marquis hatte mich in einer spröden und verschlossenen Haltung angehört, die merklich von seiner sonstigen geschmeidigen Art zu leben abwich. Als ich geendet, räusperte er sich trocken und versetzte kurz: »Es scheint hier eine Verwechselung mit Euer Erlaucht Silberwäscherinnen, Conditor-Mägden, Tafeldeckerinnen oder Beiköchinnen obzuwalten . . .«

»Ei – was soll das, mein Freund?«

». . . bei welcher hochgräflichen Kammermenschheit Sie, Monseigneur, sicherlich ein geneigtes Ohr treffen werden. Die Marquise Xénais Amélie Solange de Fizeaux de Rouvroy indessen hat für Ihre Beleidigungen nur die Hoheit der Verachtung übrig . . .«

»Ha . . .«

». . . eine Empfindung, Monsieur, die ich, der Marquis Elimar, unglückseliger Weise theile . . .!«

Dies warf mir dieser welsche Wurm ins Angesicht, der seit fünfzehn Jahren mein Gnadenbrot aß – der, von mir verstoßen, sich noch nicht durch Orgeldrehen oder Hühnerrupfen seine Nahrung hätte gewinnen können. »Mein Herr« – so wie man par courtoisie einen Würzkrämer anspricht – nannte mich freventlich mein eigener Hof-Ceremoniarius! Oh . . . mon Dieu! . . . mon Dieu! . . . Es fehlte nur noch, daß er mich mit »Bürger Palmingen« anredete, so wie mein unseliger Sohn wohl als Citoyen der Republik Blutbrüderschaft mit den Jakobinern vom Berge trank! Ich raffte meine ganze Majestät zusammen. »Sie sprechen zu einem Standesherrn des heiligen römischen Reiches, mein Herr Marquis!« gebot ich in hoher Würde, ein Sonnenkönig im Kleinen. Der Marquis aber bitter, mit hämisch geschürzten Lippen:

»Ein Maultiertreiber in Frankreich ist immer noch mehr als ein deutscher Fürst!«

Noch klangen mir ungläubig die Ohren von diesem schnöden Schimpf, als der alte Gallier schon weiterfrevelte: »Suchen Sie sich einen Bären mit Dreispitz und Schweizerstab als Hofmarschall! Mag der arme Petz sich statt meiner vergeblich mühen, Euch Barbaren glatt zu lecken und in Menschengestalt zu bringen!«

Das mir! . . . Ein Teutscher Wilder – ich – der ich Maria Antoinetten noch in den Tuilerien die Hand geküßt – der ich beim Lever im Oeil de Boeuf in Versailles, ehrfürchtig schauernd, dabeigestanden, als König Ludwig der Letzte sein Hemde wechselte – ich – ein großer Herr von Welt – ein Weltbürger – ich: ein Teutscher! Ha – dieser Schimpf aus dem Munde des Franzosen war zu viel!

»Gardez-vous, monsieur le marquis!« schrie ich, und wie von selbst hüpfte mir mein Galanterie-Degen aus der Scheide in die welke Hand. »A votre service, Monseigneur!« klang es drüben, und auch der Marquis fächelte schon mit dem blanken Florett. Er defendierte sich nur – ich aber drang hitzig auf ihn ein und ließ athemlos die Fechtkünste meiner Jugend spielen: »Eh, Parieren Sie diese feinte double!« – und auch seine Gegenfinte war nicht übel, und unsere Klingen wirbelten umeinander wie Schäfer und Schäferin im Tanz.

So trieb ich den schelmischen Franzosen vor mir her, und wir jagten uns durch das Cabinet, daß die Meubles umstürzten, und ließen nicht ab, so sehr mich auch mein Zipperlein im Zeh behinderte – denn ich war über die siebzig Jahre und der Marquis nahe daran – und wenn wir, Luft schnappend, stehen blieben, zupfte er sich eilends das Bruchband unter dem Gilet zurecht und ich schob mein falsches, elfenbeinernes Gebiß, welches ins Rutschen gekommen war, an den rechten Ort, und wir attackierten uns aufs neue . . .

Da warf eine kleine Hand einen langen, farbig geblümten Seidenschal über unsere Degen und riß sie so auseinander, und das Wehen einer stürmisch fliegenden, spinnwebdünnen Robe schied uns wie eine duftige Wolke, und Xénais, die heimlich ins Zimmer getreten, hing, gleich einer großen weißen Taube, schirmend am Halse des Marquis und schrie: »Zu Hülfe! Das Ungeheuer mordet meinen Vater!«

Ich, Florentin VII. – ein Ungeheuer! Ich senkte erschüttert die Waffe. Ich steckte sie, zur Besinnung kommend, ein. Ich war auch, ebenso wie der Herr von Fizeaux, am Ende meiner Kräfte. Xénais hielt ihn immer noch umschlungen. Sie forschte bebend:

»Hat der blutdürstige Alte Sie blessiert, mein Vater?«

»Äh – Ich habe mich seiner erwehrt! Es lebe Frankreich!«

»Haben Sie ihm die Wahrheit gesagt?«

»Vollkommen, meine Tochter!«

». . . daß er ein lächerlicher, greiser Hampelmann ist?«

»Xénais . . .« stöhnte ich.

». . . ein knickebeiniger Paris, der seinen Apfel selber fressen mag! . . . Ein abgedankter Äneas . . .«

»Nicht weiter, – Xénais! Mir bricht das Herz!«

»Ein ridicüler, ennuyanter, insolenter, arroganter, degoutanter alter Sünder, der sich vermißt, das Schnupftuch nach mir zu werfen, als sei er der Großtürke! Und ist dabei ein winziges, armes Wildgräflein, das die Zeit vergessen hat, mit anderem Plunder mitzunehmen! Ich habe die Ehre, mein Herr, und bin Ihre gehorsame Dienerin!«

Dabei macht mir die Marquisin einen tiefen, ehrfurchtsvollen Knix und eine lange Nase dazu. Ich deutete, erbleicht und wider den, solcher Weise das Ceremoniell wahrenden Hofmarschall gekehrt, zur Thüre. »Aus meinem Angesicht!« donnerte ich, »und aussitôt que possible, aus meinem Schlosse!«

». . . der ich nicht ermangeln werde, sofort mit meiner Tochter abzureisen, wenn mir noch Pferde vergönnt sind,« sprach der Franzmann plötzlich höhnisch-höflich, und Xénais triumphierend nach ihm:

»Zu dem Baron von Wimmersheim, mit dem ich mich heute nachmittag, indessen Sie, von Altersschwäche übermannt, schnarchten, geziemend und in allen Ehren verlobt habe!«

Aus jauchzender Kehle, glücklich, sich diesen werthlosen Bouffon aus dem Glückstopf gegriffen zu haben, setzte sie hinzu: »Mein Fiancé reist in den nächsten Tagen nach Wien, wo ja nun wieder der Friede mit Frankreich eingekehrt ist. Dort werden wir uns ehestens von den hochwürdigen Schottenpriestern zusammengeben lassen und künftig in Glanz und Freude residieren.«

». . . und wir sind endlich aus diesem Bärenzwinger echappiert und Eurer hochnärrischen Gnaden ledig!« ergänzte der Herr Marquis und retirierte sich sammt seiner Tochter. Und nicht lange danach rollten draußen Räder und dieser wälsche Betteladel – die junge Marquisin und ihr Vater – fuhren mit ihren wenigen Habseligkeiten davon, und der letzte Traum dieses alten galanten Herzens verwehte grausam in der finstern Nacht.

* * *

Das, was mich nach dem Abscheiden dieser beiden, von mir mit Gnaden und Güte überhäuften Undankbaren, auf das tiefste emotioniert zum nächsten Fauteuil wanken ließ – das war ein Blick wie durch einen zerrissenen Vorhang in das Leere eines langen Lebens. Eine Erkenntnis voll Schmerz, wie illusoire menschliches Trachten und Wollen doch ist! Dies war nun die schreckliche Wahrheit: So sah mein gräflich Palmingen'scher Hofhalt, auf dessen soignierte Etikette nach Bourbonischem Ceremoniell zu achten, mir die tägliche Sorge vieler Jahrzehnte gewesen – so sah mon petit Versailles in den höhnenden Augen meines eigenen Marschalls aus! Ein Franzos, der mich seit fünfzehn Jahren aus täglicher Nähe kannte, zählte mich kalten Herzens, wie selbstverständlich, unter die Teutschen und Barbaren! Ha – dieser Stoß traf besser, als vorher seine Klinge, mein Herz! Ich saß und beweinte ein verlorenes Leben!

Wäre jetzt noch, wie gestern um diese Stunde, der Abt von Heilig-Kreuz hier zur Stelle gewesen, er hätte bei mir – dem von Frankreich Verleugneten – dem von der Geliebten Verlassenen – dem von dem Sohne Geschiedenen – er hätte bei mir, dem Unglücklichen, Einsamen, vielleicht mehr Glück mit seiner Geste nach der stillen Klosterzelle gefunden! Durch den Schleier salzigen Wassers vor meinen Augensternen glaubte ich aufblickend in der That die rauhe Gestalt des Herrn Abbas vor mir zu sehen. Dies war seine braune Kutte. Dies war der grobe gürtende Strick – dies war die spitze Kapuze. Doch sie umschloß ein bartloses und jüngeres Antlitz, dessen abenteuerliche Augen weltlicher blickten als sonst die dicken Patres unter ihrer Brille. Ich kannte diesen Mönch aus dem bisherigen Kloster Heilig-Kreuz nicht. Sein Anliegen durfte keinen Aufschub dulden. Sonst hätte ihn Pompeo nicht ohne Anfrage eingeführt.

Der hochwürdige Klostervater ließ es seinem Aussehen anmerken, daß er einen auf das Äußerste outrierten und forcierten Marsch durch die Nacht und quer durch den Wald hinter sich hatte. Die hohen Stiefel, die er, erstaunlicherweise, statt der Sandalen seiner Ordens-Sozietät trug, klebten von einem feuchten Morast und Schlamm. Moos, Fichtennadeln und Laub hingen in dem haarigen Lodengespinnst seines Habits. Er näherte sich mir so ungestüm, daß dies, der frommen Beschaulichkeit geweihte Gewand, in einem starken Luftzug rauschte und flog und die Kälte von draußen mit sich führte, und frug, mit einer eilenden Verbeugung und ohne mir das Wort zu verstatten: »Gnädiger Herr! Haben Sie ein Bildniß Ihres Sohns?«

»Ich habe keinen Sohn«, erwiderte ich. »Wie also sein Bild?«

»Aber Sie hatten einen . . .«

»Es ist schon lange her! Sein Platz in meinem Herzen, hochwürdiger Herr, ist leer, und nicht minder jene Stelle an der Wand, wo einst sein Porträt aus unschuldigen Jugendtagen gehangen, als ein letztes grünes Reis am Stammbaum, um die Suite unserer, hier in Öl und Rahmen präsenten Ahnen zu continuieren! Hélas! – Es sollte nicht sein . . .«

»Wissen Euer Erlaucht mir mindestens ein Wahrzeichen an ihm zu melden? Ein Muttermal . . . einen Leberflecken, wie ihn Jeder trägt?«

»Ein bissiger Rüde versuchte an ihm, als einem jungen Knaben, seine scharfen Zähne! Davon besitzt er zwei kleine blaue Narben nebeneinander am rechten Schlaf.«

»Er ist es! . . . Er ist es!« rief der wilde junge Pater mit einer Stimme, die man füglich eher auf dem Exerziersand sich vermuthet hätte, und leiser, mit einem Auge des Mitgefühls auf mein Alter, setzte er hinzu: »Auch ohne den Succurs Euer Gnaden hätte es mir hochdero unabweisliche Ähnlichkeit mit ihm verrathen . . .«

»Mit wem?«

. . . »mit jenem Mann – verzeihen Sie der Sprache der Pflicht die Kühnheit, dergestalt von Ihrem Sohn zu reden – mit jenem Mann, sage ich, der sich zur Geißel hiesiger Wälder aufgeworfen hat, – dem Vielberufenen, Ungesehenen . . .«

»Sie haben ihn gesehen, Pater?«

»Ich habe den Johannes durch den Wald gesehen! Gesprochen! Ihm Aug' in Aug' gesessen!«

So ist der Mensch: Ich, der regierende Graf – der Vater – ich wollte, als ein Verächter der Dogmen und starker Geist, diesem regulierten geistlichen Herrn keine weltliche Schwäche zeigen! So frug ich, nach einem kurzen Schweigen der Erschütterung, in einer dumpfen, doch gefaßten Art: »Wo hat dies Miracle stattgehabt?«

»Jetzt eben! Im Kloster Heilig-Kreuz!«

»Die Abtei ist doch von Ihren Ordensbrüdern geräumt! Die Hohen-Sulz'sche Gräfin Wittwe ist dort als neue Propriétaire einpassiert . . .«

». . . und bei dieser hohen und unglücklichen Dame hat sich der Johannes durch den Wald mit einer magnifiquen Finesse eingeschlichen! Er wird sie heute Nacht berauben – vielleicht ermorden! Ein ganzer Heerbann, – eine wahre Ritterschaft der Hölle ist von ihm für den Coup aufgeboten!«

»Wehe uns!«

»Nein! Wehe Jenem!« rief der Mönch mit ein paar grünen Augenlichtern im Kopf, wie der Fuchs Nachts im Sprung. »Heut tritt der Teufel in sein eigenes Eisen! So leicht hält uns Frau Fortuna nicht wieder die Hand zum Kuß! Heia! Wir wollen diese ganze räuberische Streifpartie im Rücken fassen und aus dem Busch heraus sie überrennen und fangen und allen Raben auf zwölf Meilen im Land Futter geben! Hol' mich der Böse, wenn morgen noch eine einzige diebische Canaille sich ungekränkt ihre Läuse absucht!«

War das die Sprache eines gottseligen geistlichen Vaters? Ich staunte. Und doch, als ein Herr, der sich in Türkenkriegen auch auf dem Camp d'Honneur getummelt und einem Janitscharen-Bey einst mit einem Streich zu Habsburgs Ehren das Haupt in zwei Hälften zerlegt hatte – als ein einstiger k. u. k. Leutnant bei den weit renommierten Kürassieren des Herrn Josef Grafen d'Ayasasa, betrachtete ich mit einigem Pläsier den hitzigen Mönch und konnte mich nicht enthalten, bitter lächelnd zu bemerken: »Dazu verschreibt man sich einen – stets absenten – Husaren aus Preußen, damit ein Klostervater die Ehren des Tages rette!«

»Himmeldonnerwetter ja! Das war mir ganz entfallen!« rief der Kapuzinerherr lachend und ich aigrierte mich jetzt über seine freigeistige façon de parler, und mehr noch, als der Religiosus sich ungeniert anschickte, aus dem Ärmel seines geistlichen Gewandes zu fahren! Ich legte einen Protest ein.

»Der Herr wird sich doch nicht hier deshabillieren!« sagte ich. Wußte auch nicht, wie es um die Unterwäsche dieses Paters bestellt sein mochte, und fügte beschwörend zu: »Es ist ein vielköpfiges Frauenzimmer im Schloß, das an einem solchen extraordinären Aspekt ein Ärgerniß oder einen Anlaß zu unzeitigem Frohsinn nimmt!«

Doch mein gutes Pfäfflein hat taube Ohren! Die Kutte fliegt mit einem Schwung bei Seite und es steht da ein ritterlicher Herr in dem Habit, das er darunter getragen: Einem flaschengrünen Spenzer, taubengrauen Pantalons, aus deren Taschen rechts und links je ein silbern eingelegter Pistolenkolben guckte, und, über die Schultern gehängt, ein weiter grisfarbener Radmantel. Auf dem Haupt einer jener verworfenen, kleinen runden Hüte der neuen Zeit, unter denen der Aufruhr lauert. Er aber steht breitbeinig da – die seitlich ausgestreckte Rechte auf seinen Knotenstock gestemmt – mit der weit nach links ausgeschwungenen Linken seine Kopfbedeckung lüftend – in jener gloriosen Haltung wie die preußischen Offiziers mit Sponton und Hut vor ihrem König, und spricht, mir fest ins Antlitz:

»Euer gräflichen Gnaden zu melden: Ich bin der Stabsrittmeister von Arcularius! Und nur deswegen in hochdero Schloß selten vorhanden, weil ich da bin, wo die Brigands sind, und diese Vöglein aus ihrem Nest ausheben möchte, und ihren Nährvater und Obersten, den Johannes durch den Wald, vor allem und mit eigener Hand!«

»Steht aber Alles bei Euer Gnaden!« fuhr er dann, sehr ernst und in einer würdigen Tonart fort: »Denn dieser Coup zielt – brauche ich es noch zu erwähnen? – wider den eigenen Sohn! . . . Sollte sich also in dem hochgebietenden Herrn Grafen das Vaterherz regen . . .«

Oh Vaterherz: Wann bist du je gestillt? Schlägst du nicht heimlich, nur in der Stille hörbar wie die Uhr in der Nacht – schlägst du nicht auch dem Entarteten – dem Verworfenen – und doch dein Fleisch und Blut, das du auf deinen Armen getragen, das auf deinen Knieen geritten, dessen erwachenden Augen du die Bilder der Vorfahren an den Wänden zur Nacheiferung in einem hochadeligen Lebenswandel gewiesen? Doch die Mienen dieser Seigneurs – Generals mit der Hand am Degen und Hochwürdige Bischöfe mit dem Hirtenstab, Diplomatici und Politici in hoher Halskrause und Nimrode mit Hifthorn und Sauspieß – diese kalten Mienen dräuten und wehrten: Dieser Mensch im Walde hat sich der Gemeinschaft der Menschen – wie also nicht vor allem der unseren? – entschlagen! Er ist nicht mehr unseres Stammes und nicht mehr dein Sohn! . . .

Ich stöhnte in einem grausamen Embarras der Seele. Der Husar ehrte mein Schweigen und verharrte still. Aber durch diese Ruhe schwoll ein Gemurmel aus Bildern und Rahmen an den Wänden an und die Schreie längst vergangener Männer und Frauen trafen mein Ohr: Nutze die Zeit, Graf Florentin! Noch bist du Herr im Land! Noch ist die hohe Gerichtsbarkeit auf Palmingen'schem Reichsgebiet dir unterthan! Willst du zaudern, bis sie dich allerehestens aus deiner Herrlichkeit depossedieren und jenen Johannes, wenn sie ihn fangen, vor ein neumodisches Großherzogliches Tribunal oder gar übern Rhein vor ein militärisches Commissariat der Franzosen schleifen! Heute hältst du noch, kraft der Hausgesetze und überkommenen Reichsjustiz, Schwert und Apfel Palmingen'scher Gerechtigkeit! Bist du Cäsar, so gieb ihm, was Cäsar's ist! . . . Richte, den alten Römern gleich, selber deinen Sohn, ehe ihn denn die Andern richten! . . .

In mir thronte, gebieterisch über Zeit und Welt, Menschengeschlechtern und Wehegeschrei des Herzens, jene furchtbare Göttin, die die Binde vor den Augen und die unerbittliche Wage in der Hand trägt. Ich seufzte gepreßt. Thränen überrollten reichlich meine Wangen. Als ich dereinst, zu Maria Theresiens Ruhm, mit wenigen abgesessenen Karabiniers in die Bresche jener Türkenschanze stieg und in erbitterter mêlée die Redoute dem Großvezier abgewann, war mein Entschluß zu einer solchen That mir leichter gefallen. Aber ich raffte mich in meiner ganzen – wahrlich nicht unansehnlichen – Länge empor und versetzte mit der Härte einer unabänderlichen Décision: »Noch herrsche ich in Palmingen – von Gottes Gnaden und also ohne Ansehen der Person! Der Herr Stabsrittmeister geht gegen den Johannes im Walde aus, nicht gegen meinen Sohn, und wolle auf letzteren Umstand keinerlei Rücksicht und Gewicht legen, sondern précisement nur seinen vorhabenden Intentionen und Operationen zur Überwältigung der Briganten folgen!«

»Dann bitte ich, einen Kriegsrath mit hochdero Dragonercapitän von Schindewolff halten zu dürfen!«

Der Commandant en chef meiner Armee kam. Er hatte eine Macht von nicht weniger als achtzehn Mann unter seinen Ordres und schien doch kleinmüthig, als er dem Herrn von Arcularius, den er schon kannte, die vom Bacchus zitterige Hand gab. Er hatte wohl Zeit seines Lebens eine Batterie Bouteillen herzhafter gestürmt als eine Batterie Kanonen und sich mit der Marketenderin hinterm Zelt besser verstanden als mit dem Feind hinterm Busch. Ich besorge, daß er schon als Cadet nicht wegen des Ruhms, sondern wegen der Beute zu Mars geschworen und diesem Princip stets treu geblieben. Denn anders wird ein Herr im Felde nicht so dick und feist wie die Sau vor Weihnachten. Als er vernommen, um was für einen Nachtritt und Attacke es sich handelte, kraute er sich voll Unbehagen seine Glatze: . . . Ob gegen eine solche verzweifelte Überzahl von Bösewichtern die Palmingen'sche Hausmacht nicht zu gering sei, um zu reüssieren, und nicht besser eine vorsichtige Observierung des Feindes? . . . zumal die Stimmung seiner Dragoner – in Folge der ausgebliebenen Löhnung – nicht die beste . . .

Ich, der Graf, genierte mich selber wegen meines muthlosen Schmerbauches von Commandanten. Der Herr aus Preußen aber schnob ihn mit einer zürnenden Courage an: »Da ist es kein Wunder, wenn hinter jeder Hecke ein Kerl mit Schießgewehr liegt! Ich würde hier selber Räuber und hinge die Werberei an den Nagel, wenn Ihr die Hallunken mit Fleiß hegt, wie der Herr Reichsgraf seine Hirsche! Heute geht's nicht um die paar Stüber und halben Sold, sondern um ein heldisches Renommee – sage der Herr Commandant dies seinen Braven! Und wenn deren Zahl zu wenig: Ei – was lungert hier an Schlingeln umher! Stelle der Herr die Metzgersknechte und Zehrgärtner ein! Den Hofschrötern und Rauchknechten wird ein Aderlaß nichts schaden! Die Reitschmiede! Die Besenweiber! . . . Die Bauern heraus, Herr! Mit Spießen und Stangen! Sollen uns das Wildprett einlappen wie bei der Treibjagd!«

»Und wo denn?«

»Nicht auf dem Mond!« zürnte der Herr Husar, »sondern vor der Abtei Heilig-Kreuz! Umstellt heimlich das Thal von beiden Seiten, laßt die Schelme durchpassieren – und sie sind angesichts des Klosters gefangen . . .«

»Aber der Johannes ist dort im Kloster schon drinnen und wird da hausen wie der Türke, wenn er die Seinen draußen verrathen sieht!«

»Das ist die Hauptsache und bleibt meine Sorge bei der Affaire, daß ich den Johannes zur rechten Zeit selber mit diesen Händen überwältige! Ich habe der dortigen Gräfin ein Husarenwort verpfändet, vor Mitternacht zur Stelle zu sein!«

»Es bleibt immer noch die Sorge, zu wissen,« sprach der von Schindewolff, »wann diese schädlichen Leute sich en marche setzen, damit wir uns, in unseren Verstecken, wo wir auf die Mausköpf' lauern, zu guter Zeit still verhalten! Denn lange – das ist dem Herrn Rittmeister bekannt – geht es bei so vielen Leuten ohne Schneuzen und Nießen, Gehüste und Gejucke und Mordsflüch' nicht ab . . .«

»Das Rendezvous der Räubercompagnie ist bei den Kandelmühlen . . .«

»Dacht' mir's!«

»Dort werde ich die versammelte Bande selbst observieren und deren Abmarsch, beim Durchpassieren zur Gräfin in der Abtei, Ihnen selber melden! Ein dreimaliger Käuzchenschrei ist mein Zeichen! Ich brauche, um mich zu den Kandelmühlen zu führen, nur le nommé Bellonier aus Ihrer Truppe: An diesem Kerl habe ich einen Narren gefressen! Er ist gänzlich nach meinem Sinn!«

»Just mein Trompeter!«

»Ei – lassen Sie auf einer alten Gießkanne zur Attacke blasen! Das haben wir Husaren schon alles probiert und den Feind verblüfft!« sagte der Herr von Arcularius. »Nun jedoch wird es Zeit, zu schauen, daß der Säbel locker sitzt und der Feuerstein im Pistolenhahn vorhanden!«

* * *

Es war etwa eine halbe Stunde seit dem Abzug des Herrn Rittmeisters verlaufen. Ich, der Graf Florentin, hatte ihn in dem hellen Mondschein mit dem Trompeter Bellonier vom Saalfenster aus in die Nacht hinausgehen sehen. Dieser Brabanter hatte sein langes Seitengewehr, als zu solcher Entreprise nur hinderlich, zu Hause gelassen. Doch es stieß mir auf, daß der Herr von Arcularius den Dragoner, den er doch selber ausgewählt und auf den er so sehr baute, sorgfältig nach allfallsigen, in der Montur verborgenen Waffen abtastete und ein kurzes Pistolet an sich nahm.

». . . Damit der Bursch es nicht voreilig löst und den Feind scheucht!« erklärte mein Obercommandierender von Schindewolff, der noch bei mir die Zeit verstreichen ließ, und dieses Argument begriff sich aus sich selbst. Draußen bedeutete der preußische Herr mit einer Handbewegung den wälschen Trompeter, vor ihm des Wegs zu schreiten. Beide verloschen wie ausgehende Dochte in der Nacht.

Ich war vom Fenster zurückgetreten. Doch stand dieses noch geöffnet. Das Brausen des Nachtwindes tönte herein. Dieses widerwärtige Heulen und Pfeifen am Himmel und in der Luft war so heftig, daß es mit Leichtigkeit den Schall von leisen Fußtritten verschlingen mochte, falls sich ein Ungebetener von der Orangerie her an die Fassade gestohlen hatte. Aber einen lauten Schlag hinter mir, auf dem Bodengetäfel, hörte ich doch. Als ich mich umkehrte, lag auf dem Parquet ein faustgroßer Stein, den eine unbekannte Hand aus dem Dunkel draußen durch das Fenster geschleudert hatte. Um diesen Stein aber war ein weißes, beschriebenes Blatt gewickelt.

Der Herr von Schindewolff bückte sich schnaufend und präsentierte es mir. Ich faßte den Stiel meines Lorgnons und führte dies Papier von der Art eines Mönchpergaments vor meine Augen. Es war mit den eilenden, großen Handzügen eines Mannes beschrieben. Ich entzifferte peu-à-peu die zerknitterte Schrift:

»Erlauchter Herr! Prenez-garde, s'il vous plaît! Hütet Euch vor der Schlange am Busen! Der preußische Stabsrittmeister von Arcularius ist kein Anderer als der Johannes durch den Wald selber! Vorsicht! Darum beschwört Sie Euer Gnaden

stets Getreuer und spiritus familiaris

Das war Alles. Das Pergament und das Latein am Ende deuteten darauf, daß das Billet aus einem Kloster stammte. Er war kein anderes als die Abtei Heilig-Kreuz in der Nähe. Aber seit wann bediente sich ein gewöhnlicher Ordenspater des Französisch, das doch ein Vorrecht der Domherren und Abbés und der hochgeborenen Geistlichkeit darstellt?

Und was bedeutete diese Warnung aus der Nacht, die sich dann später, am andern Tag, als von dem Monsieur im blauen Redingote aus Heilig-Kreuz durch einen Boten mir geworden erwies? En effet: Ich hatte diesen Herrn von Arcularius ja nur in Verkleidung – erst als einen Bandkrämer – dann als einen Bettelmönch zu Gesicht bekommen! Auf Masken kam es diesem Proteus, wie es schien, nicht an – auch nicht auf die eines Werbe-Husaren Seiner Majestät von Preußen.

Entsetzlich . . . . um mich schwangen die Zimmerwände und kreisten die Ahnen! . . . Ich wagte nicht, in den Abgrund zu blicken, der jäh vor mir klaffte! Ich glaubte nicht an ihn . . . Und doch . . .

Ich saß schwindelig in meinem Fauteuil . . . Oh mon Dieu . . . mon Dieu . . . . . . Der Capitän von Schindewolff bebte mir vis-à-vis. Seine vom Trunk gekupferte Visage war um Nichts klüger wie meine. Wir waren Beide zu bestürzt, um zu reden – geschweige denn zu handeln! Diese Sürprise war zu groß und verwirrend . . . . .

* * *

So wie ein pater familias auch seine ausgearteten Sprossen kennt, so war auch mir als einem gräflich Palmingen'schen Landesvater die Fama nicht verschlossen, in der die Kandelmühlen allerwegs als eine Zunftherberge und Meisterschule für jede unehrliche Profession standen – Beweis dafür die allgemeine Redensart hier zu Lande: ›Der Teufel hat Schelme gesäet und in der Kandelmühl' sind sie aufgegangen‹.

Die beiden Gehöfte lagen nebeneinander in einem leeren und einsamen Thal. Mäßig geneigte, aber dicht mit einem undurchdringlichen Eichenbusch und aufgelassenen Sandsteinbrüchen besetzte Hänge fielen zu beiden Seiten auf sie ab, voll von Steigen, Schlichen und Schlupfen, die rechte Gelegenheit für eine Assemblée von Füchsen, Hehlern, Stehlern, Elstern und Zigeunern. Wer in dieser wüsten Einöde des Ortes kundig war, der konnte von überall aus der Nacht heraus zu den Kandelmühlen und wieder in die Nacht zurück, und brauchte auch nicht zu sorgen, daß ihm Wachthunde an die Waden fuhren. Denn die dunklen Leute, die da Haus hielten, liebten die Stille, ästimierten weder das Gebell, das willkommene Nachtgäste verscheuchte, noch das Klappern des Mühlrads, bei dem man die Annäherung ungebetener Besucher, als wie Landjäger oder Gensdarmes, nicht hörte.

Es lief derart der Mühlbach leer und die beiden Häuser lagen so verschlafen und fromm dieser bösen Welt abgekehrt unten im Thalgrund, als seien sie, statt mit reißenden Wölfen, mit Osterlämmlein besetzt, die das durch die Nacht rauschende Wässerchen nicht trübten. Auf halbem Hang aber kauerte der Trompeter Bellonier neben dem Herrn von Arcularius auf einer verhohlenen Steinplatte voll Brombeer-Ranken und Wurzelgestrüpp und deutete abwärts und murmelte heiser: »Da sind die Kochemer Bayes!«

Dieses mauvais sujet brauchte nicht hinzuzufügen, daß er unter diesem Kauderwelsch eine ausbündige Diebsherberge begriff. Denn der Herr neben ihm war, als ein viel umgetriebener preußischer Werber, in jeder verrufenen Wirthsstube von den Niederlanden rheinaufwärts bis zur Schweiz auf die jenische oder Gaunersprache gestoßen, und wußte, daß das Hebräisch die allgemeine Mundart der Verbrecher, wie das Latein die der Pfaffen und Französisch die der Noblesse und schönen Geister war.

Der Herr von Arcularius hatte sich also auch nicht verwundert, als sie Beide oben am Rand des Thals aus der Düsterniß von einem Schnarrposten der Räuber leise angerufen worden waren: »Was scheft dermehr?« – »Was giebt's?« Und die ebenso heimliche Erwiderung des Bellonier, des brabantischen Judas: »E Kochemer auf der Strade zur Tschor-Kitt!« »Ein vertrauter Mann unterwegs zum Spitzbuben- Quartier!«

»Und der Baal neben dir?«

»E Kamerusch!«

Und als die räuberische Schildwache noch mißtrauisch war, ob das wirklich ein Kamerad sei und nicht ein Wittischer, ein Verräther, hatte der Trompeter ihn angezischt: »Hischomehr! Bei Leib nicht! . . . Thu' mir den Dofe und heim dich! . . . Sei so gut und halt's Maul!«

So waren die Beiden denn auf ihren jetzigen Ansitz gerathen. Der Bellonier starrte finster ins Thal und murmelte: »Es hat Nejr in der Machaim!«

Ja, es war Licht in der Mühle! In dem großen Speicherboden, wo früher die gefüllten Mehlsäcke gelegen, brannten dicke gestohlene Altarkerzen. Man konnte vom Berg durch die offenen Luken hineinschauen. Drinnen bemerkte das Auge des Herrn von Arcularius eine Menge süspecter Gestalten – junge und alte Kerle und etliche Weiber dazwischen – und der Dragoner Bellonier knirschte zwischen den Zähnen:

»Da ist schon die Chawwerusche beisammen!«

»Die ganze Bande? Auch die Obersten?«

»Auch die Schiankel von der Scholemachey! Da, der Große, in dem grünen Bauernkittel – das ist der Mühlarzt – dem die Kandelmühlen zu Eigen gehören – der beste Kallmusschlecker, will sagen: Opferstockdieb, weit und breit. Mit der Rothen neben ihm hält er Haus. Ist die Sälzerin, eine fertige Marktdiebin! . . . Der schiefe, verwachsene Pursch, der sich die schwarzen Husaren und Springflöh aus dem Wamms klaubt, ist der Gaißbub, den sie schon einmal gerädert und aufs Rad geflochten haben, und Nachts haben ihn seine Gesellen heimlich heruntergestohlen, und er ist, was nie gehört war, lebendig wieder aufgekommen! . . . Der sich da von der kleinen Sabine die Läuse suchen läßt – der in den grauen bibernen Oberhosen – der heißt sich der lange Samel! Hat erst unlängst einen Fuhrmann erschlagen. Der mit der langen Pfeife und den hohen Stiefeln und dem weißen Pudelhund ist der Studenten-Friedrich! Der versteht sich beinahe besser aufs Latein wie aufs Stehlen . . .«

Das Wasser lief diesem Kerl, dem Brabanter, im Maul zusammen, wie er solche Blüthe einer mitternächtigen Ritterschaft versammelt sah. Er hatte Sehnsucht nach ihnen. Wäre gern unter seines Gleichen gewesen und saß hier als Verräther draußen in der Nacht. Der Herr von Arcularius spürte wohl, was in der schwarzen Brust des Menschen vorging, und observierte ihn unverwandt. Jener raunte weinerlich: »Voyez, mon capitain: da unten – der Blatternarbige – mit dem Arm in der weißen Schlinge! . . . Das ist der Katzenschinder selbst! Ah – quel brigand! . . . Welch eine Ehre, solch einen Compagnon zu haben! . . . Geschickter kann keiner sein als das pfiffige Männlein neben ihm, der Mendel Poluck! . . . Ei seht, die schöne Danziger Liese!«

Der Trompeter begann heftig zu zittern. Er beugte sich, im Kauern, nach vorn zur Erde, als habe er da seinen Kautabak verloren. Der Herr Husar neben ihm aber hatte schon selber hinter allen Thüren gestanden, und als jener vom dunklen Boden her sich mit einem Sprung in das Dickicht in der Tiefe werfen wollte, fühlte er sich am Bein von hinten festgehalten und hingelegt und sah über sich eine schwarze Pistolenmündung auf seine Stirne voll schwarzer Pläne gerichtet.

»Lolohne! Laßt es bleiben! Weg mit der Buschge!« stöhnte er, und der Herr von Arcularius verwahrte das gespannte Kleingewehr im Sack und sagte, als sei nichts geschehen: »Da kusch' dich! Wer ist der spitzbärtige Vagant in der rothen Scharlachweste mit dem Haarzopf im Nacken, da, wo ihm mit Fug die Henkersschlinge sitzen sollte?«

»Das Musikanten-Hannesche!« sprach der Bellonier verdrossen. »Möchte keinem recommandieren, ihm im Wald zu begegnen!«

Der ganze verbrecherische Geselle wand sich, wie er da unten die Parade aller landkundigen Gauner so herrlich zur Bataille aufmarschiert sah, und krümmte sich vor Sehnsucht, an ihren vorhabenden Schandthaten zu participieren. Der Herr von Arcularius that, als merkte er nichts, und frug: »Und dieser einäugige Mensch, der Terzerole und Brecheisen aus seinem Büchsensack kramt und vertheilt?«

». . . Dem des Weingärtners Th'resel auf dem Knie sitzt? Der kommt von weit her aus dem Schwäbischen und nur zu ganz großen Masematten! Er gibt sich für einen abgedankten Schinderknecht aus und wird der Lumpenstoffel genannt! . . . Aber mir fuchteln die Äste vorm Gesicht! Ich kann weiter oben besser sehen und erklären! Mit Permission, mein Hauptmann!«

Dabei schwang sich der Bellonier rasch auf eine Steinkante hinterwärts und ober dem Herrn von Arcularius. Der fuhr herum wie ein Wind. Sah über sich im Mondschein schon ein gezücktes Messer blitzen, faßte dem Kerl das Handgelenk im Sprung von oben und verdrehte es, so daß die spitze Klinge ungeröthet von Blut ins Moos fiel. Auf diesem weichen Lager wälzten er und des Teufels Kostgänger, dieser brabantische Höllenwurm, sich übereinander und der Herr aus Preußen gewann toute de suite die Vorhand und hielt dem anderen die Gurgel zu, bis er blau im Gesicht wurde und nur noch das Weiße in den Augäpfeln rollte. Da ließ er ihn los und der Bellonier verschnaufte wehmüthig, wischte sich das Blut von der Nase und hockte still und trotzig nieder. Vor sich sah er die beiden Hände des Rittmeisters von Arcularius – in der Rechten die Pistole, in der Linken eine Rolle Dukaten.

»Bei deinem nächsten Muthwillen, du Schuft, blase ich dir unweigerlich das Gehirn in die Lüfte!« sagte dieser Herr aus Preußen. »Wenn ein Werbe-Offizier mit ungeschickten Hanstöffeln deiner Façon nicht fertig würde, dann lebte ich schon längst nicht mehr! Du kannst wählen: Entweder ich leer' dir den Schädel oder ich füll' dir die Hand! Blei oder Gold! . . . Hoffentlich sind deine räuberischen Associé's da unten behender in ihrem Metier als du langsamer Kartoffelsack! Da setze dich just vor mich in Positur, wie ein Türk', mit gekreuzten Beinen – die Händ im Genick . . . Bien! Wer ist der Alte in der Mühle in der österreichischen Montur mit den rothen Aufschlägen, weißer Weste und Kniehosen . . .?«

»Der Ungar! Ein kaiserlicher Deserteur! Ein Vater des Nachtdieb Kronimus, des kleinen Säbelbeinigen neben ihm . . .«

»Warum wehrt ihn das Weibsstück ab?«

»Die Wölfelschneiderin . . .? Er – er hat die Krätz' und der Sohn ist mit dem Erbgrind begabt . . . Eh – tiens . . . voilà . . .«

»Gleich sitzest du still! . . . Qui vive

»Da . . . da . . .«

»Leiser, du Hund . . .«

»Da sehen Sie . . . hélas . . .!«

»Warum stehen denn alle deine Galgenbrüder auf?«

»Er . . . er . . .«

»Warum lüften sie ihre Hüte und stellen sich im Kreis?«

»Er kommt! Aus der Mühle nebenan?«

»Wer – bei des Teufels Großmutter?«

»Der Oberkönig!«

»Wen nennt Ihr so?«

»Da tritt er ein! . . . So kommt er immer . . . auf einmal aus der Nacht . . . im grauen Mantel, die schwarze Maske vor dem Gesicht . . .«

»Das ist . . .«

». . . der Johannes durch den Wald . . .«

»Er kann es nicht sein . . .«

»Sehen Sie doch, mit welchem unterthänigen Respect die Rattegänger unten mit ihm schmusen! Stehen demütig vor ihm da, die Hüt' in der Hand. – Wagen nicht zu kaspern, wenn er befiehlt! Jetzt ordnet er sie und theilt sie ein – für heute Nacht . . . Gleich setzen sie sich en route, gegen das Kloster Heilig-Kreuz!«

»Aber in dem Kloster ist doch der Johannes durch den Wald! Ich habe ihn selber dort verlassen!«

»Wird ihm vielleicht die Zeit zu lange geworden sein, auf den Herrn Rittmeister zu warten«, sagte der Brabanter höhnisch . . .

». . . und er ist freiwillig wieder aus der Festung heraus, in die er sich so subtil hineingeschmuggelt hat?«

»Wird schon ein Schlüpflein vorgerichtet haben, durch das er seine Compagnie einführt! Bei diesem unerhörten und verwegenen Stücklein gegen eine gräfliche Gnaden und Standesperson haben die bescheidenen armen Leut' da unten nur dann eine Courage und das Herz am rechten Fleck statt in den Hosen, wenn der Johannes selber vor ihnen geht und sie führt!«

So mag es sein – dachte sich der Rittmeister von Arcularius, und von seinem leichten Husarenherzen löste sich doch ein schwerer Mühlstein der Sorge um die Frau Gräfin von Hohen-Sulz, und er athmete auf, daß er diese edle Dame wenigstens nicht mehr in der Tête-à-Tête mit dem Johannes durch den Wald, sondern nur von dem Johannes aus dem Wald bedroht wußte. Neben ihm knirschte der teuflische Trompeter: »Eben treten sie aus der Mühle! Es geht los! . . . Kekel mich der Stäpches!«

»Ja – hol' dich nur der Teufel! Stehst obenan auf seiner Musterrolle . . .«

». . . Alle diese herrlichen Kochemer auf dem Weg zum Galgen und wissen's nicht!«

»Du kannst sie mit einem Schrei retten!« sprach der Husar und ließ den Brabanter vor sich den Ziegenpfad bergauf klimmen. »Bien entendu: Es ist dein letzter! Gleich hinterher kommt mein Schuß!«

Der Trompeter schwieg finster. Aus dem Mühlengrund stieg, undeutlich im Monddämmern, ein langer Gänsemarsch schwarzer Gestalten empor und verschwand im Wald. Der Herr von Arcularius und sein höllischer Geist standen und warteten. Und dieser raunte zwischen den Zähnen:

»Ich habe mein Devoir erfüllt, mein Capitän?«

»Hier hast du die Dukaten!«

»Merci! Kann ich jetzt gehen?«

»Wohin?«

»En fuite, mein Herr!«

»Du Esel!« sagte der Husar. »Glaubst du, ich wüßte nicht, daß du jetzt sofort hinter deinen Spießgesellen herläufst und sie noch beim letzten Schlag Mitternacht warnst? Ich besorge, du hast dir deine Räuber-Ehren bei den Nachtwächtern und alten Weibern geholt, aber nicht bei erfahrenen Soldaten! Gieb 'mal deine Hosenträger her!«

»Mon capitain!«

»Alter Kriegsbrauch bei den Prisonnier's! Wer fürchten muß, daß ihm die Hosen rutschen, und sie mit beiden Händen festhalten muß, dem vergeht das Springen! Nun noch mit einem Messerlein die Hosenknöpfe säuberlich abgetrennt! So! . . . Du holst deine Streifpartie nicht mehr ein! Marsch: In der anderen Richtung übers freie Feld im Mondlicht davon oder meine Kugel holt dich noch! Immer weiter! Flugs!«

Welchen point de vue aber wählte sich dieser Höllenbraten für seinen Abzug? Keinen andern, als das ferne, ganz ferne Licht des Feuerwächters auf dem hohen Schloßthurm von Palmingen! Darauf hoppelte er wie ein Haas im Klee zu, bei jedem dritten Schritt seine schlotternden Pantalons raffend, und sputete sich doch und that sein Bestes, recht dem Löwen in die Höhle und dem Henker in den Rachen zu laufen. Denn der Herr von Arcularius hatte ihn nur bis morgen früh für seine ci-devant Hamburger Frevel pardonniert und erst, als der üble Geselle weit weg in der Nacht verflogen war, fiel es selbst einem so mit Ausschuß und Halbzeug unter Gottes Menschenkreaturen erfahrenen Herrn wie dem Husarenrittmeister bei, daß jener Monsieur Thunichtgut noch in aller Eile die unbewachten Kästen seiner, wider die Räuber im Felde liegenden Palmingen'schen Kameraden ausleeren wollte, ehe er einige gute Meilen zwischen sich und den Galgen legte . . .

Der Herr von Arcularius konnte das nicht wehren, sondern nur auf die Kriegskosten schlagen, und durfte jetzt auf ungewohnten Schusters Rappen Galopp reiten, um vor einem löblichen Brigantaggio an die Abtei Heilig-Kreuz zu gelangen und den dort lauernden Herrn von Schindewolff mit seinen Kriegs- und Hülfsvölkern zu avertieren. Er hatte die Avantage, daß die räuberischen Mondscheinhelden auf engem Weg in dickem Haufen zogen, gemäß ihrem mitternächtigen Handwerk nur leise und behutsam schleichen konnten und oftmals schnuppernd und um sich äugend stehen blieben. So rannte er, längs eines Bächleins im Walde, auf ein paar Büchsenschüsse an ihnen vorbei, wie sie gerade sich rund um eine riesige alte Tanne verschnauften. Er gab sich auch, als ein erfahrener Freireiter, gar keine Mühe, sein Dasein zu verhehlen, sondern sprang und krachte in wilden, langen Sätzen im Dunkeln durch die Büsche, so wie es die aufgescheuchten, starken Hirsche thun, von denen die Palmingen'schen Wälder und Gebirge wimmelten.

So gewann dieser ächte Husaren-Charakter seinen Vorsprung vor einem nicht so adretten Widerpart und mußte, als er, doch recht heftig athmend und sich den Schweiß von der Stirn trocknend, die Nähe der Abtei erreichte, den bösen Johannes und die Seinen weit im Rücken. Sah Nichts von ihnen und konnte noch weniger Etwas hören. Denn der Nachtwind stürmte heulend durch den hohen Wald und bog die Wipfel und warf einmal, tief im Inneren der Holzung, einen Patriarchen unter diesen hundertjährigen Eichen oder Tannen, zu Boden, daß der Krach des Sturzes in den fernen Thälern widerhallte.

Das Kloster Heilig-Kreuz lag dunkel und wartete still hinter seinen Wassergräben der Dinge, die da kommen sollten. Der lichte Hochwald trat nahe heran und unter diesen dicken Stämmen, zwischen denen kein Unterholz wuchs, stand der Herr aus Preußen und schaute prüfend umher und nickte und zollte der Kriegskunst des feisten Commandanten von Schindewolff Lob und dachte sich: Geschickter hätten auch der Belling oder der Trenck oder andere Husaren- und Panduren-Obersten, deren gloria noch in der Welt umgeht, nicht ihre Falle stellen und ihr Volk verstecken und, wie mit einem Zauberhütlein, unsichtbar machen können, als es der Held hinter der Bierkanne gethan.

Denn weder hinter den freistehenden Bäumen noch auf dem offenen Boden noch weiterhin in den Büschen war in dem grellen, kalten, blauen Mondschein Etwas von der Palmingen'schen levée en masse zu gewahren. So wollte denn der Herr Husar verabredetermaßen diese Marsgeister beschwören und ließ den kreischenden und weinerlichen Käuzchenruf: »Ki–u–itt!« laut durch das Windsbrausen ergehen.

Doch Nichts rührte sich. Ei . . . sitzt Ihr denn auf Euren langen Ohren? Die Löffel auf, Messieurs und Kameraden! Die Bataille steht bevor! . . . Ki–u–itt!

Keine Antwort auf diesen penetranten und wimmernden Schrei . . .

Dem Herrn von Arcularius wurde unheimlich zu Muth. Zum anderen Mal repetierte er sein Avertissement, und nun reüssierte er wenigstens, einer Erwiderung aus dem Walde: »Ki–u–itt!« – gewürdigt zu werden. Aber es waren nur die Käuzchen selber, die er mit seinem Ruf angelockt hatte, und er hörte, sich zu Häupten, in den Ästen das Gelächter der Leichenhühner: »Komm mit! . . . Komm mit!« – womit diese Nachtvögel ihn auf den Kirchhof luden.

Da mußte der Stabsrittmeister erkennen, daß diese Gegend gänzlich leer und die Palmingen'sche Armee aus einer Meditation heraus, die er nicht kapabel war, zu begreifen, ausgeblieben war!

Der Johannes aber war im Anmarsch gegen das so übel defendierte Kloster und der Rittmeister von Arcularius hatte nicht mehr viel Zeit, zu überlegen, sondern erkannte es als sein vornehmstes devoir, der dortigen, bedrängten Gräfin bei der bevorstehenden Visite des Johannes durch den Wald seine Ritterdienste zu offerieren, und so flog er aus der Lisière des Gehölzes, über das offene Terrain dem Thor der Abtei zu, wo die hohe Dame seiner warten wollte.

Allein da war wieder keine Hohen-Sulz'sche Wittwe und kein Pürschknecht, sondern nur dickes, fest verriegeltes, verrammeltes und von innen verschlossenes Eichenholz. An dessen Eisenbuckel trampelte der Husar mit den Stiefelspitzen und trommelte dazu mit den Fäusten einen Sturmmarsch. Denn es war wahrlich keine Zeit zu verlieren. Nun schaute oben aus der Luke der bleiche und verängstigte Kopf der schönen jungen Gräfin Amöne. Von unten rief der gute Herr athemlos und ungeduldig: »Suppliere gehorsamst, sich jetzt keiner frauenzimmerlichen Faiblesse hinzugeben, sondern mir quam citissime zu öffnen! Die Stund' ist ernst!«

»Bleibe Monsieur nur draußen – s'il vous plaît!« hauchte es oben schreckensvoll hinter dem Laden. Er sah nur zwei große graue Augen, die ihn, über dessen Rand hin, unter einem Kopftuch, starr und feindselig maßen.

»Wie? Ist Madame denn bei Sinnen . . .?«

»Ich bin nit letz im Kopf! Möcht' das nicht noch' mal hören, Monsieur!«

»Es ist Gefahr vorhanden . . .«

»Mir wohl bewußt . . .«

»Eine eindringliche Gefahr, Ihro Gnaden – dank einem unglückseligen mal entendu . . .«

»Grace à Dieu, daß sich das Mißverständnis alleweil geklärt hat!«

»Frau Gräfin brauchen eilends Hülfe und Protektion . . .«

»Mais oui! . . . Gott sei's geklagt, was ich für eine geprüfte Wittfrau bin!«

»Also lassen Sie mich ein!«

»Den Monsieur? . . . Daß ich nicht lach' . . .«

»Die Situation ist nicht ridicüle, Madame! Der Johannes durch den Wald ist mit einer starken Macht auf dem Weg hierher . . .«

»Ich mein', er ist schon da!«

»Wo?«

»Ei – da unten steht er!«

»Ist ja alles leer! Frau Gräfin sehen im Embarras hochdero Nerven Gespenster!«

»Jüstement, wo Sie stehen, Monsieur?«

»Ich? . . . der Rittmeister von Arcularius?«

»Ich möchte 'mal Patent und Bestallung des Herrn Rittmeisters sehen! Glaube nicht, daß le roi de Prusse Etwas von Ihm weiß!«

»Ich? . . . Ja sind denn die Frau Gräfin wahnsinnig?«

». . . wenn ich aufmachen thät' – gewiß!«

»Ich soll der Johannes durch den Wald sein?«

»Ja – wer denn sonst?«

»Bei allen tausend Teufeln – halten zu Gnaden, Frau Gräfin . . . Ein Mann bin ich, der Sie retten will und hier steht, seiner gegebenen parole d'honneur gemäß, sich vor Mitternacht einzustellen! Lassen Sie mich nicht länger antichambrieren! Sonst wird's zu spät, das Haus nothdürftig zur Defensive herzurichten!«

». . . daß es so arg schlechte Menschen giebt!« sagte oben die schöne Gräfin Hohen-Sulz und schaute mit einem traurigen Mitleid, in dem noch ein letztes Interesse von einst verglomm, auf den Stabsrittmeister nieder. »Ayez la pitié und gehe Sie mit Ihren wüste Bube retour! Mei' Haus ist fest! Die Entrée forciert Ihr doch nit, Ihr Schoote, und ich thät' mich an Ihrer Stell' schäme! . . . Quel bonheur de Dieu, daß mich der andere Herr rechtzeitig gewarnt hat . . .«

»Welcher?«

»Ei – der die Lunte gerochen und den Monsieur durch und durch geguckt hat – vorhin . . .«

»Der soi-disant négociant – der falsche englische Courier?«

»Der kam Ihnen ungelegen – gelt?«

»Aber das ist ja selber der Johannes durch den Wald . . .«

»Was . . . ?«

»Vor diesem capitano aller Bravo's und Desperado's will ich Sie ja gerade bewahren! Er hat die Frau Gräfin bethört und umgarnt – nicht ich!«

»Nein, der Monsieur da unten ist der Johannes durch den den Wald!« Die Stimme der Gräfin klang etwas unsicher.

»Nein, der dort oben!«

Während der Herr von Arcularius das zornig rief und sich unwillkürlich nach dem Wald drehte, ob die Räuber nicht schon kämen, sprach er bei sich ein Stoßgebet: Gottlob, daß dieser verlarvte Assassine wieder aus dem Kloster heraus und nach der Kandelmühle gewichen ist, und die unvernünftige, arme Dame in der Abtei allein ist und nicht mehr immediatement in seiner gräßlichen Nähe und Gefahr steht . . .

Wie er aber wieder nach oben schaute, hatte die gänzlich verwirrte und vor Schrecken konfus gewordene Hohen-Sulz'sche die Luke verlassen und wieder den Laden vorgelegt – doch mit einer, solcher Verrichtungen ungeübten, hochgräflichen und blaublütigen, weißen Hand, so daß Falz und Fuge sich nicht trafen und, wenn einer erst oben war, er durch einen fingerbreiten vorhandenen Spalt die Holzflügel aufstemmen und sich hineinschwingen konnte. So probierte denn, in seiner désespoir, der Husar das Wagniß und, wie er seit Kindesbeinen einer Katze im Klettern nichts nachgegeben, rankte er sich in der Mauerkante zwischen Klosterwand und Thorvorbau mit den Schulterblättern und in die Fugen eingestemmten Fersen zu den Sternen empor und hatte, da das erste Stockwerk nach Art der Mönchzellen nur niedrig war, eine Chance, und es gab einen lauten Schlag, wie er durch das Fenster in das Gemach sprang, in das eben die Frau Gräfin zurückkehrte.

Dieses vornehme und geplagte junge Frauenzimmer schrie bei seinem Anblick gellend auf, warf sich die Schleppe übern Arm und floh. Er aber eilte hinterher, bekam eben diesen flatternden Zipfel zu fassen, so daß sie sich anhalten mußte, ein flackerndes Licht in der anderen Hand, und meldete inständig: »An einem redlichen, preußischen Husaren ist kein Räuberhauptmann verloren! Begreifen Frau Gräfin Ihren Erreur: Ich bin nicht der Johannes durch den Wald, sondern dero anderer Gast ist es, der Gottlob vor Beginn der Affaire das Weite gesucht hat.«

»Du liebe Zeit . . . der ist doch da!«

»Hier im Kloster?«

»Nebenan im Salönche hockt er!«

Ja – wie denn? Jäh kapierte der Herr von Arcularius: der Johannes durch den Wald war ja immer beritten! Dieser Napoleon der Wälder war durch die Nacht seinen Leuten voraus und an dem Husaren zu Fuß vorbeigaloppiert und hatte bei der bethörten guten Frau von Hohen-Sulz wieder Gnad' und Einlaß gefunden, den sie dem anderen verweigert.

Die Gräfin Amöne stand da und schauderte. Die Kerze zitterte in ihrer Hand und warf, da sie nicht zur Zeit geschnubbt war, mit einem hochzüngelnden Docht unruhige Lichter und Schatten durch das Cabinet. Der Husar beugte sich vor, um besser den Fremden nebenan mit dem Auge zu suchen. Zugleich aber wurde er von hinten angesprungen wie von einem Tiger, und am Halse gefaßt. »Hab' ich dich Höllen- Hauptmann!« ruft der Herr im blauen Redingote, der ihn, ehe Jener noch etwas von seiner présence gewußt, beschlichen. Der Preuße aber, nicht faul, stellt ihm ein Bein. Beide stürzen hin und wälzen sich kämpfend parterre und der Negociant keucht: »Helfen Sie, Gräfin! Geben Sie mir Ihr dort liegendes Pistolet in die Hand!« und sein Gegner, ihn würgend, knirscht und commandiert: »Nein – mir den Hirschfänger von der Wand, Ihro Gnaden, daß ich den ruchlosen Landschaden hier abthun kann!« – und Jener wieder ohne Athem, indessen die Tische wanken und die Stühle stürzen: »Mit Nichten! Ich will die Menschheit von dem blutigen Monstre befreien!« – und die arme, unselige Frau Amöne hat den Leuchter auf den Bord gestellt und steht mit offenem Mund und entsetzt aufgesperrten Augen und greift sich mit beiden Händen an die Schläfen und jammert: »Ja – wer von Euch ist denn der Johannes durch den Wald? Alle Zwei könnt Ihr's doch nit sein!« Und in diesem schweift ihr verstörtes Auge durch das Fenster in die helle Mondnacht hinaus und sie stößt einen gellen Schrei aus, daß die Wände widerhallen, und wirft sich auf den Boden und liegt auf den Knieen und beugt sich über die beiden Kampfhähne und sucht sie mit den Händen auseinander zu reißen und ruft ihnen ins Gesicht, mit einer Stimme wie das jüngste Gericht: »Assez! Assez! Laßt ab, um Jesu willen! Ich beschwör' die Herren! Ihr seid Beide nicht der Johannes durch den Wald!«

»Was soll das heißen, Madame?« schnaubt, immer noch kämpfend, der Ex-Pater, und der Negociant röchelt: »Woher wissen Sie das, Gräfin?«

». . . Weil der Johannes durch den Wald dort draußen kommt!«

Auf diesen milden Schrei der erlauchten Hohen-Sulz'schen Dame sahen sich die beiden verstrickten Hirsche am Boden verdutzt an, lösten langsam und mißtrauisch ihre ineinandergeschlungenen Glieder, sprangen fast gleichzeitig mit einem Satz auf die Beine, und . . .

Die Hand der Frau Gräfin Amöne deutete zitternd hinaus in die helle, vom Sturm durchheulte Mondnacht. Schwarz stand der Hochwald und schwarz kam es aus ihm hervor – eine Rotte Korah, die schier kein Ende nehmen wollte. Ein Gewalthaufen von einer Summe für den Henker reifen Missethätern, wie man solch eine Kopfzahl einer Räuberbande selbst in gegenwärtigen goldenen Zeiten der Wegelagerei noch nicht gesehen und erlebt. Voraus aber ritt, auf einem Rappen, in langhängendem grauem Mantel, straff im Sattel aufgesetzt, der Mann mit der schwarzen Maske vor dem Angesicht – der schon in den Bänkel-Liedern auf dem Jahrmarkt besungene König der Büsche und Herr der Nacht: der Johannes durch den Wald.

Das war kein freundlicher Anblick und die drei in dem Obergelaß verharrten mehre Vaterunser lang in silentio und durch die wüsten und kahlen Kreuzgewölbe, Hallen und Gänge der ausgenommenen Abtei hörte man die diversen Mannskerle vom Convoi Ihrer gräflichen Gnaden laufen und fluchen und die Kammermenscher und Hausdienerinnen schreien und beten, und sah im Hof Fackeln irren und die Hunde heulten und kläfften und das kleine Gräflein weinte erschrocken und begehrte nach seiner Mutter.

Diese unverzagte, edle Wittwe aber stand mannhaft da, wenn sie auch ein Weib, und ein schönes junges Weib, war, und legte à la vue der Gefahr eine Bravour an den Tag, daß sie, neben dem Stabsrittmeister, Kolpak, Attila und enge Hosen eines preußischen Husaren mit Ehren hätte tragen können, und diese verschnürte Kriegstracht sie als einen schmucken Feldcornett oder Fähnrich auch recht wohl gekleidet hätte.

Sie konnte freilich ihr Grauen vor der furchtbaren und mysteriösen berittenen Maske da unten nicht verhehlen, aber sie zwang ihr wohlgeformtes, blasses Angesicht zu einem tapferen Lächeln, während sie sagte: »Jetzt bin ich doch recht froh, Messieurs, daß ich Euch bei mir hab' . . .« und des weiteren sachkundig als eine braune Göttin Diana Kugel und Propf in das Rohr einer Jagd-Arquebuse senkend und, mit leise zitternder Hand, dann mit dem Ladstock nachstoßend: »Ich mein', das Thor ist stark! Das rammt mir der Gutedel da unte auch nit ein! . . . Voyez-donc: da avanciert er ganz allein!«

Der Nachtritter lenkte sein Pferd langsam auf den Klostereingang zu. Er hielt, im hellen Mondschein, mitten auf der Brücke, straff und hoch im Sattel aufgereckt. Durch die Schlitze der schwarzen Larve musterten die weißen Augäpfel prüfend das Thor von oben bis unten. Im ersten Stockwerk war das Gesicht des Herrn von Arcularius in einer tödtlichen Spannung gefroren. Am Fenster hingekauert, ein Auge zugekniffen, mit angehaltenem Athem zielte er und ließ den Hahn auf die Zündpfanne schnappen. Die Arquebuse donnerte, der Rauch wirbelte auf. Unten machte der Rappe einen Satz mit allen Vieren in die Lüfte. Von der spitzen, weißen Bauernmütze seines Reiters flog der abgeschossene Zipfel ins Gras. Der Mann in der Maske selbst saß unbewegt. Kein Zucken seines Körpers verrieth, daß er um Haaresbreit dem Tod entgangen. Er bändigte mit einem Schenkeldruck den Gaul und ritt im Schritt zurück. Er drehte sich dabei nach rückwärts und winkte mit der Hand seine Anerkennung zu dem Schuß.

»Verdammt!« brummte der Husar. Die Gräfin aber rief erhitzt, mit blitzenden Augen: »Jetzt weiß er doch, daß hier drinnen Einer sitzt, der beißt . . .«

Der Herr Rittmeister war freilich ein ausgeprobter Eisenfresser, der in der Champagne und in den Mainzer Redouten, in der Rheinpfalz wie in der Wasserpolackei Blut geschmeckt und Pulver gerochen. Nur war er hier, zum Unglück, ein Hannibal ohne Heer. Er konnte sich nur aus dem Cortège der Frau Gräfin eine Löffelgarde komponieren und auf die Fenster vertheilen. Postierte hier einen Mundbäcker mit einer alten Muskete, dort einen Bagageknecht mit einer Entenflinte, gab dem wälschen Kammer-Musicus eine Reiterpistole statt der Clarinette in die Finger und dem Silberdiener ein fusil en miniature, womit sonst das kleine Gräflein exerzierte, hieß die Leibkröserin heiß Wasser sieden, um den Herren draußen von oben die Köpfe zu waschen, wenn sie kämen, und die Extraweiber, kalt Wasser in Bottichen aufstellen, gegen einen etwaigen Brand – kurzum: der Prussien mankierte keine Regel der Kriegskunst und schaute doch immer wieder besorgt hinaus vor das Kloster, ob denn die Palmingen'sche Armada noch nicht im Antrab sei.

Aber da draußen setzten sich nur viele schwarze Schattenrisse von dem blauen Mondschein ab: der Johannes durch den Wald, hoch zu Roß, dem wilden Jäger nicht unähnlich, der nach der alten Sage, in stürmischen Nächten und Kriegsläuften wie jetzt, über diese Wälder hier fährt, und sein wüthendes Heer. Das hatte er säuberlich nach der Ordnung hintereinander aufgestellt, zwei und zwei, wie die sieben Schwaben am Spieß, und zwischen sich hielten sie an Seilen und Ketten etwas Langes, Dunkles. Und am Fenster oben sprach die Frau Gräfin Amöne zuversichtlich: »Mit dem Rammbaum drücke mir die kriminellen Diables das Thor nit ein! Dafür bin ich den Coquins gut!«

Der Herr von Arcularius aber wußte jetzt, warum es vorhin im Walde so betäubend gekracht hatte: Die unchristliche Prozession draußen trug nicht eine gemeine Wagenrunge oder einen Brückenbalken, sondern, ihrer dreißig oder vierzig zugleich, den Stamm einer mächtigen Tanne als Sturmbock heran. Außer Schußweite blieben sie stehen.

»Oh Ihr méchante Bube . . .! Ich möcht' nicht dabei sein, wie Euch der Herrgott noch mal an den Ohren zupft!« sagte die Hohen-Sulz'sche Gräfin mit einem Zittern in der hellen Stimme. »Allons! Als bei! Wir haben einen aide-de-camp – der ist vierzehn Noth-Heilige werth: Uns hilft der Mann im Mond! Der scheint Euch heller auf Eure dreckigen Köpf', als Euch lieb ist!«

Neben ihr der erfahrene Stabsrittmeister sprach kein Wort, sondern blinzelte finster nach den drei einsamen, höchsten Buchenwipfeln oben auf der Bergspitze. Um die pilgerten die Sterne. Und es schien, als zögen die drei Riesen mit einer magischen Macht den Mond vom Himmel zu sich herunter. Er senkte sich zu ihnen. Er näherte sich ihnen deutlich. In kurzer Zeit mußte er hinter dem Bergkamm untergetaucht sein und die Nacht wurde dann stockfinster . . .

»Warum wird denn nicht Sturm geläutet, zum Geyer?« sagte der Husar zwischen den Zähnen. »Ich geb' meine Ordres nicht zweimal!«

»Und wer dem Herrn Stabsrittmeister nicht précisement gehorcht, wird duzwitt füsiliert!« schrie die Gräfin in ihrer Erregung, und vor ihr barmte ihr Kammermensch, die Demoiselle Häberlin: »Das Frauenzimmer getraut sich zur Geisterstund' nicht durch die Kirche, weil da die alten, verlebten Äbte begraben liegen!«

»Oh Ihr Gäns',« rief die Hohen-Sulz'sche, »wer nicht sein Laternche nimmt und mit mir kommt, dem setzt's Backpfeife! Wenn doch die Herren Äbt' aus ihren Kämmerchen krabbeln thäten! Mir wär' jetzt jeder secours recht!«

Die Stall-Laternen in der Hand der Kammerweiber warfen ihren gelben Schein auf die Sarkophage. Aber die steinernen Herren darauf lagen ausgestreckt mit gefalteten Händen und Keiner der Hochwürdigen rührte den kleinen Finger. Die schöne Gräfin-Wittwe scheuchte ihre Weibsen die Wendeltreppe empor zum Glockenstuhl und ließ sie die Seile greifen. Die Mägde läuteten, was sie konnten, und sangen dabei in ihrer Angst, um sich Muth zu machen, durch den Sturm, der die Abtei umheulte, das alte kernige Kirchenlied:

»Oh schröckliches Gericht!
Oh Menschen, daß Euch nicht
Des Satans List berücke!
Herr – wehre seiner Tücke!
Geuß Kraft aus Deiner Höhe,
Daß ich ihr widerstehe!«

Die Gräfin Amöne lief, Schleppe und Pistole in der einen, die vom Luftzug gelöschte Laterne in der anderen Hand, unten über den Hof und sagte sich: Und wenn ich hundert Jahr' alt werd, wie meine Urahn' in den Kreuzzügen – an die Nacht heut' werd' ich denken! . . . Den Gesang der Mägde oben hörte die hohe Frau nicht, so laut ging der Wind. Selbst das eilige, zeternde Bim-Bam aller Glocken wurde von ihm vertragen und verweht. Der Sturm regierte mit seinem groben Gebrüll. Es stand nicht zu hoffen, daß man auch nur im nächsten armen und unwissenden Bauerndorf das Nothläuten vernahm – geschweige denn drüben in Palmingen, wo allein Macht und Hülfe war.

»Oh mei' . . . oh mei' . . . Lieber Gott . . . mach' es gnädig!« betete die fromme Dame. Aber jetzt eben schickte ihr der Herr erst eine Post, wie einst dem Hiob: Plötzlich war es um sie dunkel. Der Mond war still, nach seiner Art, hinter den Berg gegangen, und ringsum tiefe Nacht.

»Dadrauf haben die Schießhund' draußen nur gepaßt!« stöhnte die Gräfin Hohen-Sulz, dieses arme und adelige Frauenzimmer, das sich vor dem Muthwillen der Franzosen nur zur Büberei der Räuber gerettet hatte, und tastete sich in der Stockfinsterniß nach dem Vordergebäude. Ehe sie da die Treppe hinauf gestiegen war, schrieen oben die gellenden Rufe ihrer männlichen und weiblichen Servants: »Sie kommen! Sie kommen!« Ganz nahe vor dem Thor erscholl aus der pechschwarzen Düsterniß ein Gebrüll, ein Gejauchze und Geheul, wie es selbst den Janitscharen fremd und bei den Menschenfressern nicht Usage: »Drohnet das Thor ein! Zerschmettert die Winde! Schai Adonai!« Und zwischen dem donnernden Anpochen des Sturmbocks, davor selbst die Mauern bebten, über Alles hin die Stimme des Johannes durch den Wald: »Attaquez, mes braves! Au nom de Diable!«

Während so draußen ein Teufel den anderen anrief, blitzten und krachten oben aus den Fenstern die Schüsse, und die Mönchzellen waren voll Rauch und einzelnen Kugeln, die von unten als Gegenpräsent hereinflogen. Mörtelbrocken lösten sich von der Decke. Und der Herr Stabsrittmeister schrie durch das Dröhnen des gerammten Thors: »Halten sich die Frau Gräfin stricte an der Wand hin, fern vom Schuß! Am Fenster ist Krieg!« und mußte lachen. Denn dieser ächte Protégé des Mars war in seinem Preußenherzen so beschaffen, daß ihm jede hitzige Affaire das Geblüt wärmte und es lustiger laufen ließ.

Wenn er, in wohlverstandenen Intermezzi, aus seinem Rohr Feuer ins Dunkle hinaus gab, war das Responsorium der höllischen Messe draußen jedesmal ein abscheuliches Wehegeschrei, Gefluche und Gewimmer. Denn er zielte mit Bedacht und hielt sich selber dabei in einer Deckung eingerollt wie ein Stacheligel.

Am andern Fenster aber lehnte der schwermüthige Herr im blauen Redingote, gab sich à decouvert, ohne jeden Schutz, den Kugeln preis, als ästimiere er sich für den Adler auf der Vogelwiese, und schaute, die abgefeuerte, noch dampfende Arquebuse in der Hand, nachdenklich auf die Blasen, die der Acheron da unten warf.

Die Gräfin Amöne hatte sich, intrépide wie ein Tambour-Junge bei den Grenadieren, längs der Mauer nahe an das, zu allem Glück enge, Zellenfenster hingeschlichen. Sie frug: »Pour l'amour de Dieu! Warum schießt Monsieur denn nicht?«

»Ich habe ja schon geschossen!« sprach dieser Herr halb geistesabwesend.

»Warum denn nicht wieder?«

». . . Weil ich das Gewehr nicht laden kann!« erwiderte der träumerische Fremde und ein gehacktes Bleistück plärrte ihm weinerlich am rechten Ohrläppchen vorbei. An dem faßte ihn schnell und strafend die Hohen-Sulz'sche Gräfin, und zerrte ihn in den Mauerschutz, entnahm ihm das Gewehr und fing an, es zu laden.

»Dann mach' ich den Büchsenspanner!« sprach sie resolut, »und Monsieur schießt!« Der Weltbürger neben ihr versetzte tiefsinnig: »Ist es nicht triste, Madame, und wider die wahre, auf Brüderlichkeit zielende Natur des Menschengeschlechts, daß ein vernunftbegabtes Wesen die Hand wider das andere erhebt?«

»Ich will die Früchtle unten alle beisammen in mein Herz schließen.« Die frische Frau Gräfin fixierte mit einem festen Ladstockstoß die Kugel im Lauf: »Ich stell' nur die einzige Condition, daß sie sich vorher, Einer wie der Andere, den Galgen von oben besehen haben! Da sind sie mir lieb und werth!«

»Es soll kein Mensch den andern tödten!«

»Absolument mein Princip!« Die Frau von Hohen-Sulz setzte vorsichtig, mit spitzen Fingern, das Zündhütchen auf. »Nur mein' ich: die Herren Mörder sollten mit der goldenen Regel den Anfang machen, und nit wir! Tirez, monsieur! So war's gut!«

Der schmerzliche Herr im Redingote war wieder unerschrocken in das Fensterlicht getreten und hatte einen der vorlautesten Briganten unten erlegt, daß er am Boden zappelte und ins Gras biß und ihm sein unbescheidenes, nächtiges Rumoren verging. Man konnte selben, mit Extrapost zur Hölle abreisenden Kerl von oben deutlich erkennen. Denn dicht daneben hielt, ohne sich um die ihm zugedachten bleiernen Complimente zu kümmern, als Einziger, blutroth von Fackelschein umlodert, hoch zu Roß, furchtbar anzuschauen, der Johannes durch den Wald. Wie er die Hand hob, so donnerte der gefällte Fichtenstamm gegen das splitternde Eichenholz und seine gräßliche Stimme übertäubte noch dies Gekrach und Gepolter: »En avant! Encore une fois! . . . Dohlet! . . . Heh! . . . Woof! . . . Sojn! . . . Vier! – Fünf! – Sechs! – Sieben! Das Thor wankt . . .«

Während oben die Frau Amöne und ihr Menschenfreund Schulter an Schulter wie zwei Zeltkameraden fochten und Noth und Gefahr theilten, war der Herr Stabsrittmeister, die Pistole zur Hand, in die Einfahrtshalle hinabgeeilt. Da stand dieser unerschrockene Husar und sein Antlitz war sehr seriös und bewölkt. Die Kreuzwölbung donnerte unter den Schlägen des Rammbocks gegen das Thor, widerwärtige Fugen spalteten sich klaffend in dessen schuhdickem Holz, so daß man das zornmüthige Siegesgeschrei draußen schon aus nächster Nähe hörte. Langsam lösten sich die Zapfen und Angeln des festen Hausverschlusses aus der Wand und die Thorflügel begannen zu stürzen . . . . .

* * *

Der Vater dieser ganzen Trübsal und Bedrängniß, in die diese tapferen und sittsamen, wohledel- und wohlgeborenen Herrschaften beiderlei Geschlechts in Heilig-Kreuz gerathen – le vrai coupable nach meiner, des Grafen Florentin VII. und Schreibers dieser Chronik Ueberzeugung, wo der Schuldige zu suchen sei – dieser räudige Bock war kein Anderer als mein Commandant en chef von Schindewolff, den wir, in meinem hier vor tout le monde offenliegenden Bericht, im Gespräch mit mir, in meinen Appartements in Palmingen, verlassen haben, nachdem der mysteriöse Steinwurf durch das Fenster uns den Rittmeister von Arcularius als den Kern der Nuß denunciert hatte, an deren, Johannes durch den Wald genannter, Schale wir uns die Zähne ausbissen.

Der von Schindewolff in einem einzigen Begriff und Umriß: Dieser Herr, dem ein deutscher Großer des Reichs wie ich sein ganzes stehendes Heer von fast zwanzig Mann anvertraut – dieser mit so sublimer Verantwortung beladene Militär, war ein Poltron! Gegen Jungfern bezeigte er sich muthig. Kein voller Humpen schreckte ihn. Den drei Würfeln ging er nie aus dem Weg. Seinen Gläubigern bleckte er die Zunge. Aber den Feind im Feld schätzte er gering und kehrte ihm, wenn er nur konnte, zum Zeichen seiner Verachtung die Rückseite dar.

»Mir ist ein Mühlstein vom Herzen, Euer Gnaden,« sprach er, »daß durch diesen Handzettel aus der Nacht der Aventürier, der sich Namen und Art von einem preußischen Husaren abgeborgt hat, als der famose Brigand Johannes selber entlarvt ist. Der Lauskerl wollte uns durch den falschen Allarm eines Überfalls auf Heilig-Kreuz unterwegs Nachts in einen Hinterhalt locken und dero Palmingen'scher Armee ein zweites Cannä oder Austerlitz bereiten! Gottlob, daß wir ihm nicht zu solchem Blutbad zu Diensten standen, sondern uns in einer vorsichtigen Reserve hielten! Mir war bei dem nächtlichen Handel gleich nicht wohl zu Muth! Und das will bei einem alten Heißsporn und Draufgänger wie mir schon Etwas bedeuten!«

Dabei retirierte sich der dicke Kriegsgott vor nachträglicher Angst in das geheime Cabinet und kam wieder und hielt Chansons, als sei er ein Cicero und nicht ein Dragoner, dessen Destination nicht das Reden, sondern das Reiten sein sollte. Ich rückte dem Heros das vor und meinte: »Wir können doch nicht hier unthätig verziehen!« und er pflichtete bei: »Keineswegs, Euer Erlaucht! In so verwirrten Umständen ist der kraftvolle Entschluß der einzig richtige!«

»Ei – und welcher?«

». . . daß wir uns jetzt alle schlafen legen. Euer Gnaden! Morgen ist auch noch ein Tag!«

Wer wirft den ersten Stein auf mich, dafür, daß ich den Einflüsterungen dieses miles gloriosus zu lange ein zu williges Ohr lieh? Man könnte opponieren, was denn – sei es durch die Conseils eines Hasenherzens, sei es durch einen douteusen Steinwurf aus der Nacht und seine mysteriöse Emballage, wohl viel bewiesen sei, um – in Hinsicht auf den Johannes durch den Wald – unser Zaudern und Hinziehen der Zeit zu rechtfertigen?

Doch wer will ein Vaterherz ermessen? Die Imagination, daß dieser Johannes durch den Wald sich nun doch nicht mit meinem Sohn decke – daß mein unglücklicher, ach einst so heiß geliebter Otto Septimus, wenn er annoch am Leben, vielleicht reuig in der Fremde Trebern schlinge und ein verspieltes Glück beseufze – doch aber nicht zum Verächter der Gesetze, Landfriedensbrecher und Feind seines Vaters herabgewürdigt sei – diese freundliche Einbildung goß Trost in meine Seele und ich klammerte mich an sie. Ich hatte – denn so ist der Mensch! – eine heimliche Scheu, durch weitere Recherchen und Démarchen mir dies trübe Glück wieder zu verscheuchen, und Stein und Brief als eine Kriegslist meines Sohnes und ihn selbst doch wieder als diesen famosen Tschingiskhan oder Tamerlan der deutschen Wälder aufzudecken.

So nur begreift es sich, daß eine decidierte Memme wie mein Herr reitender Dragonercommandant sich auf kurze Frist in das Herz eines wider die Türken bewährten, alten habsburgischen Kriegsdieners gleich mir, einschmeicheln und mir diejenige Eingebung einblasen konnte, die immer die unräsonnabelste ist – nämlich, die Dinge nur à moitié zu thun! Ich resolvierte mich zu einer halben Maßregel und befahl dem von Schindewolff: »Lasse Er einen Dreisten unter meinen Dragonern aufsitzen und durch die Nacht nach der Abtei Heilig-Kreuz galoppieren und mir von dort rapportieren, wie es um den Johannes durch den Wald steht und ob Etwas von seinen finsteren Anschlägen bewußt sei!«

* * *

Mein Generalissimus von Schindewolff murrte zwar Einiges in sich. Denn dieser Schnarchsack hätte sich am liebsten gleich aufs Ohr gelegt und unterm Federbett seine Feldwache gehalten und hinterm warmen Ofen biwakiert. Immerhin war er getröstet, daß er nicht sein eigenes Fell zu Markt trug, und beurlaubte sich also und führte seinen schnaufenden und unschicklich feisten Leichnam über die Landstraße zu dem Dorf, wo seine Dragoner bei den Bauern im Cantonnement lagen. Sein Augenmerk war auf einen Burschen, der rothe Christian genannt, vorzüglich gerichtet, der sich unter allen meinen Völkern durch seine agilité auszeichnete und exzellierte.

Der Herr Commandant trat in das Haus, dessen Erdstube gleich zur Rechten dieser Mann mit mehreren andern Kerlen bewohnte. Schon auf dem Flur vernahm er aus der Kammer ein gewaltiges Wehegeschrei und fand, als er eintrat, dort den Corporal und die Dragoner, Klopfpeitschen in den Händen, statt mit ihrer Montur um die Person des Trompeters Bellonier beschäftigt.

Dieser diebische Rabe war, von den Kandelmühlen heimgekehrt und seine Kameraden draußen en marche gegen Heilig-Kreuz wähnend, mit hängenden Hosen zwar, sonst aber nach seines Nächsten Gut lüstern, durch das Fenster eingestiegen. Seine Kameraden waren aus der Wachtstube gekommen und hatten diesen wälschen Sündensohn mitten in seiner Arbeit ertappt und ihm die ohnedies schon gerutschten Pantalons noch ein paar Zoll weiter heruntergezogen, und applicierten ihm, eindringlicher als der Pfarrer auf der Kanzel, das siebente Gebot: Du sollst nicht stehlen! – auf die Posteriora.

»Ha – Hab' ich dich!« donnerte der Herr von Schindewolff. »Lasset ab, ihr Leute! Ihr klopft den Höllenbraten doch nicht mürbe! Pfuscht dem Henker nicht ins Handwerk! . . . Dieser Erzverbrecher ist dem Meister Nord verfallen! Der wird ihn anders zwacken als Ihr und peinlich richten, nicht mit einer Mottenpritsche, sondern mit seinem weitverschrieenen, fünf Fuß langen, zweihändigen Schwert!«

»Ein Ohr nur . . .« winselt der Brabanter Schelm und reibt sich seinen fürnehmsten Theil. »Auf einen läßlichen Diebstahl steht nach Bamberger Recht nur ein Ohr!«

»Glaub's, daß Du die peinliche Halsordnung kennst . . .«

». . . und statt der Carolina, links am Rhein, nach dem code pénal, nur ein paar Wochen Prison!«

»Es handelt sich nicht um Deine armseligen heutigen langen Finger, mon ami!« Der Herr von Schindewolff beutelt zornmüthig den Dragoner am Ohr, das Jener so freigebig der Dame Justitia zu opfern willig war, »sondern um das meilenlange und erschreckliche Register Deiner Schandthaten! Denn nun bist Du erkannt bis in Deine schwarze Seele!«

»Ich bin kein teuflischer Geist!« schrie der Bellonier, »sondern ein frommer und gottesfürchtiger Soldat! Möchte mir das von dem Herrn Commandanten très-obéissant verbeten haben!«

»Warte nur, Du freudiger Christ!« grollte der Herr von Schindewolff und sein Stabstrompeter rief weiter und schaute sich dabei rachselig in der Runde der Dragoner um: »Möchte wissen, wer von Euch Hosenhelden gleich bereit gewesen wäre, so wie ich mit dem Herrn aus Preußen in die Nacht hinauszugehen!«

». . . weil Du gewußt hast – und wir nicht – wer dieser preußische Monsieur mit dem Pferdefuß ist!« donnerte der Commandant. Der Bellonier glotzte ihn mit offenem Maul begriffsstutzig an und schüttelte dann den Kopf. »Von diesem Herrn, Euer Gnaden, ist mir Nichts weiter bekannt, als daß er für den Herrn König von Preußen Husaren wirbt, wo er sie findet, und daraus auch kein Hehl macht. Denn es ist ja ein redliches Gewerbe!«

»Warte! Ich beutele Dich wie eine Ratte!« Der von Schindewolff zauste den Brabanter. »Ich schüttele Dich, bis die Wahrheit aus Dir fällt! Wer also ist der Arcularius – he?«

»Weiß nicht!«

»Will solch ein überführter reißender und räuberischer Wolf sich noch über mich moquieren? Ich schlag' Dir Deine Lügen in die Zähne! Gestehe: Wer ist der Arcularius?«

»Mir nicht bekannt!«

»Oh Du versteckter Höllenhund! Du wagst noch schnöde abzuleugnen, was Seiner gräflichen Gnaden und mir unser natürlicher und stets parater Verstand auf der Stelle untrüglich und klar aufgewiesen hat?«

»Wie soll ein armer Trompeter wissen, was den hohen Herren durch den Kopf geht?«

». . . daß der Arcularius der Johannes durch den Wald ist . . .«

Der Trompeter schaute seinen Colonel an, als sei der dicke Herr nicht bei Trost. Jener aber brüllte weiter und seine weißen Augäpfel quollen aus dem krebsrothen Antlitz.

». . . und Du des Johannes durch den Wald Affe und Lehrling! Er hat gleich fleißig nach Dir gefragt, der Johannes Arcularius! . . . Du bist ihm der rechte nächtige Sergeant-Major! . . . Wo hast Du ihn gelassen – he? . . . Und dabei verzieht dies Geschöpf sein Spitzbubengesicht noch zu einem abscheulichen Grinsen . . .«

»Wenn ich mit dem Johannes durch den Wald halbpart machte,« sagte der Trompeter Bellonier zu dem rothen Puterhahn ihm gegenüber, »dann hätte ich es, meiner Seele, nicht nöthig, hier, wie ein rechter kleiner Dieb, wie man deren tausend findet, heimlich in Läden und Kästen zu kramen.«

Dieser Einwurf war nicht übel. Selbst die Dragoner umher nickten. Der Miserable fuhr fort:

»Wer mit dem Johannes durch den Wald geht, schlägt allerdings Hals und Glieder in die Schanze, gewinnt aber dafür die Goldstücke und die großen Silberthaler und die dicken Gulden und Uhren und seidene Tücher und schwere Löffel und schwimmt in allen Pläsiers und genießt sein Leben! Ich aber – ma foi – diene hier unverdrossen für zwanzig Kreuzer Traktament! Und kriege nicht einmal das pünktlich. Thut so ein Räuber? Urtheilt selbst, mes camarades!«

»Sell is schon wahr!« brummte der rothe Christian zu den Anderen. Der Trompeter endete mit einer wegwerfenden Schulterbewegung seine Suada und versetzte verächtlich: »Da möchte es Einen als ehrlichen Mann bald reuen, daß man nicht lieber dem Johannes durch den Wald und seiner gloire zugelaufen ist, wenn man hier für seine redlichen Dienste nichts Anderes zum Dank gewinnt, als einen Freipaß für den Henker!«

Es war ein Gemurmel unter den Dragonern, das der Herr von Schindewolff bei sich als einen Beifall deuten mußte. Es war ihm, zu allem Leidwesen, nicht fremd, daß ein schädlicher und malcontenter Geist in dieser stolzen Palmingen'schen Leibgarde eingekehrt war, seitdem die hochgräflichen Kassen nach der Auflösung des heiligen Reiches leer standen, und die Dragoner also für die Ehre dienen mußten. Der Wirth aber gab ihnen auf die Ehre nicht Schnaps und Bier, der Krämer keinen Tabak und kein Zopfband, der Bauer nicht Speck noch Schinken. So fraß diese ächte Unzufriedenheit der Neuzeit still um sich wie ein heimliches Feuer. Oft schon hatte ich, der Graf Florentinus, mit dem Obersten meiner Leibwache zu Pferd dies alte leidige Proverbe aller großen, kriegerischen Herren: Point d'argent – point de Suisses! vergeblich abgewandelt. Ach ja: Ohne Geld gab es keine Schweizer – und bald ohne Geld für mich auch keine Dragoner, und der Herr von Schindewolff mußte diese vierschrötigen, verdrießlichen, widerwilligen und aufsässigen Kerle schon sanft wie die Kindlein traktieren und gleich wie mit rohen Eiern mit ihnen umgehen, um alle achtzehn Mann noch bei den Palmingen'schen Adlern und Fahnen zu erhalten.

So bequemte sich der dicke Herr jetzt eines milderen Tones und ging den diebischen Dragoner in zweifelnder und intimer Weise an: »So bist du vielleicht erst heute der fünesten Charlatannerie des Johannes durch den Wald zum Opfer gefallen?«

»Wüßte nicht, wie . . .«

»Eh – mein Freund: Indem Du dem Herrn von Arcularius – auf meine Ordre, wie ich einzuräumen nicht ermangele, – auf seinem nächtlichen Streifzug als Partisan Gesellschaft geleistet hast, ohne zu ahnen, daß es der Johannes durch den Wald war!«

»Der Rittmeister von Arcularius? . . .«

». . . Und kein anderer!« sprach der Herr von Schindewolff feierlich. Der gelbe Wallone aber lachte wiederum, schürzte sich seine Hosen in die Höhe und sagte:

»Ich habe kein Verlangen, als Gesell des Johannes geköpft zu werden, und war es gar nicht! Der Herr Commandant sind auf dem Holzweg! Jamais de ma vie – nun und nimmer ist der preußische Rittmeister der Johannes durch den Wald!«

»Woher weißt Du das?«

»Weil ich neben ihm gesessen hab', in der Nacht, und vor uns ist uns Beiden, mit Larve vor dem Gesicht und aller Gefolgschaft, der Johannes durch den Wald erschienen und davongezogen!«

»Wohin?«

»Nach Heilig-Kreuz! Ist längst dort! Ich möchte für tausend Brabanter Thaler jetzt nicht in diesem Kloster stecken . . .«

* * *

Ich, Graf Florentin VII. hatte, nachdem ich Schindewolffen, den Bramarbas und Maulheros, aus meinem Angesicht entlassen, unter Vortritt meines Stallmeisters, des Frater Dothias, meinen Weg nach dem gelben Thurm, in die mir dort reservierten und verschlossenen Lokalitäten genommen. Was das sagen wollte, wußte Jedermann im Schlosse und seinen Environs.

Mochten auch Zweifel und Kümmernisse ob meines unseligen, fern verschollenen, geheimnißvoll nahen Sohnes mir das Herz zerfleischen – mochte dies zärtliche und getreue alte Herz – dieser sanfte Hochsitz Cupidos – in weinendem Kummer beben, weil dieser mit Rosenketten umwundene Thron seine Königin verloren und ich Xénais als eine tückische Viper unter den Blumen erkannt – mir armen erlauchten Adam die Eva und die Schlange zugleich in meinem Verlorenen Paradies! – alles dieses irdische Leid konnte mich nicht hindern, meinen edleren Menschenpflichten dieses Abends zu genügen, für die ich unbekannten und höheren Oberen als der Senior in loco responsabel war.

Denn heute waltete eine magische Sternenstunde für alle Recepti, Minervalen und Areopagiten unserer Illuminaten-Loge vom Flammenden Stern, deren Provincial-Tempel ich unter dem Brudernamen Demonax präsidierte. Wir schrieben den 39. Pharawardin des Jahres 1152 nach unserer persischen Zeitrechnung in unserer Provinz Nicomedia, und so war der Augenblick gekommen, wo Großkreuz und seine Ritter eines besseren Zeitalters die Nacht über arbeiten – das ist, die schiefe Ansicht in uns bannen mußten, als seien die wenigen Menschen, die uns umgeben, die Menschheit, und die Spanne Land, die wir Vaterland nennen, die Welt. Nicht doch, mes frères! Für den Edlen, für den Weltbürger der drei Johannisgrade, begreift sich die Menschheit in dem Bild der Weltkugel, deren näherer wie fernerer Theil der Bewohner seinem Inneren gleich nahe steht – dem Bild der Sonne, die ihn zur Liebe der gesammten Menschheit erwärmt – dem Bild der Wage, in der er sich mit seinen Neigungen, Trieben, Kräften und Leidenschaften im Gleichgewicht in sich selbst hält, um auf alle anderen vernunftbegabten Wesen zu wirken.

Der Ort unserer Réunion – der schon angemerkte kurze und dicke, runde Thurm – der Legende nach aus Römerzeiten – stand passend einsam auf einer Wiese am Rand des Hirschparks. Der fensterlose Raum zur ebenen Erde, der von einer Decken-Ampel ein bläuliches Licht empfing, war zur Minervalkirche eingerichtet. Seine Mauern waren, nach den Statuten der Ritter des besseren Zeitalters, himmelblau ausgeschlagen, so auch die Stühle und der Tisch in der Mitte, auf dessen fünf Ecken je eine Wachskerze brannte. Dahinter stand, vor einem blau gewässerten Vorhang, mein fünfstufiger Tempelthron unter einem lichtblauen, mit silbernen Franzen behangenen Baldachin.

Sonst fand sich nur noch ein Museum gedruckter Piècen der Mysterienklasse in dieser Loge, nebst einer sinnreich mit Spiritus präparierten Brennkiste, um, beim unverhofften Eindringen störender Gewalt, diese Hieroglyphen alsbald dem Vulcan zu opfern und durch das reine Element des Feuers unreinen Händen zu entziehen.

Außer diesem Tempelraum, in dem wir an der Verbesserung des Menschengeschlechts arbeiteten, auch noch den in den Satzungen gebotenen Vorhof zu etablieren, dafür waren wir Ritter des besseren Zeitalters zu schwach mit der Ortsgelegenheit bestellt. Die Brüder unseres geheimen Ordens mußten draußen, im Gebüsch vorhalten, harren, bis ich innen feierlich fünfmal an mein Schwert schlug und sie paarweise einzogen. Hier ruhte nun allerdings eine difficulté: denn unsere Provinz Nicomedia zählte, nachdem Asmodeus, d. i. mein Ceremonier, der Marquis de Fizeaux, mich in Felonie verlassen, nur noch außer mir den Ritter vom weißen Pelikan – für die gemeine Welt in der Hofcharge meines Stallmeisters als der einstige sardinische Cavallerie-Capitain Baron Galletta und klosterentwichene Frater Dothias bekannt.

Ich und er, der sich, – ich weiß nicht, ob mit Fug – schottischer Obermeistergrade der Maçonnerie rühmt – wir trugen die symbolische Ordenskleidung: einen fleischfarbenen Rittermantel mit blauem Kreuz, um so, durch die Farbe des Menschenleibs, stets an die Gebrechlichkeit und Blöße des Irdischen gemahnt zu werden. Wir hatten Helme auf dem Haupt, Stiefel und Sporen, weiße Handschuhe an den Händen, in denen ich das entblößte Schwert hielt, indessen der Ritter vom weißen Pelikan, um die distance zu wahren, das seinige ablegen mußte.

Eben hatten wir mit der Arbeit begonnen und bemühten uns, auf einem blauen Teppich stehend, aus jedem Buchstaben des hochheiligen Wortes Mac-Benac wieder ein passendes Wort zur Vervollkommnung der Weltbürger zu gewinnen – da störte mich alten und eifrigen Illuminaten ein lautes und bäurisches Hämmern und Pochen an der Thüre und ich unterschied in der Stimme von außen: »Öffnen Euer Gnaden!« deutlich die heisere – ich möchte sagen: bierfeuchte Kehle meines Commandant en-chef von Schindewolff.

»Derangieren uns der Herr jetzt nicht!« rief ich erzürnt durch die Thüre. Jener aber beharrte: »Ich bringe einen Rapport von höchster Wichtigkeit . . .«

»Er ist ein grausamer Maulschwätzer . . .«

». . . der keinen Aufschub duldet . . .«

». . . wenn's aber an's Handeln geht, gewinnt Ihm ein altes Besenweib den Boden ab!«

»Der Herr von Arcularius manifestiert sich jetzt doch nicht als der Johannes durch den Wald . . .«

»Plaudert der Gott Bacchus oder der König Gambrinus aus dem Herrn«? frug ich erschrocken, das Ohr am Holz, denn ich kannte ihn als den Ritter von den drei Räuschen am Tag.

». . . sondern dieser Johannes hüllt sich wieder ins Dunkle . . .«

. . . oh . . . mein Sohn . . . mein Sohn . . . Blutig tropfte wieder mein Vaterherz . . .

». . . und ist, nach der Aussage des Trompeters Bellonier, jetzt eben mit seinem horriblen Attentat auf das Kloster Heilig-Kreuz befaßt, und, was sich dort befindet, von diesem furiösen Briganten an Leib und Leben bedroht!«

»Es soll immédiatement zu Pferd gestiegen werden!«

»Die Gäule sind wohl kriegswillig, Euer Erlaucht, aber die Dragoner nicht!«

»Meine brave Armee will nicht aufsitzen?«

»Die Soldateska ist in hellem Aufruhr! . . . Die Rosse stehn blank im Stall und die Sättel hängen wie angeleimt an der Wand! . . . Selbst mein kriegerisches Renommee aus Ungarn und Polen, Portugal und der Moldau, der Berberei und der Walachei . . .«

»Er hat seine Bataillen und Victoires immer im Mond gefochten, wo Ihn Niemand kontrolliert!«

». . . selbst ein Eisenbeißer wie ich ist ohnmächtig vor dieser Revolte!«

»Wer hat sie angezettelt und aus einem allezeit getreuen Palmingen'schen Dragoner einen fluchwürdigen Apostata gemacht?«

»Just eben der Bellonier – dieser bübische, brabantische Trompeter!«

Und so war es denn auch, als ich mich eilends aus dem Minervalbruder Demonax des Tempels vom Flammenden Stern wieder in den Reichsgrafen Florentin VII. von Palmingen verwandelt hatte und so – finster und gebieterisch, die Arme über der Brust gekreuzt, in einer Attitüde, die ich Buonaparte abgelauscht, in den Kreis meiner wankenden Truppen trat. Dieser Bellonier hatte vor Allem den Hals aus dem Galgenstrick gezogen, in den er sonst, durch ein Miracle dieses eine Mal unschuldig, gerathen wäre, und betheuert und geschworen, daß der Herr von Arcularius, mit dem er ausgezogen, nicht der Johannes durch den Wald und er, der Trompeter, also nicht dessen Partisan sei! Nun aber, da er wohl wußte, daß inzwischen der wirkliche Johannes mit aller Force die Abtei attackierte, erwachte in dem mitternächtigen und verderbten Gemüth dieses Brabanters eine unwiderstehliche Passion, hinzulaufen und seine zehn Diebsfinger mit in diese nie erhörte Beute zu stecken, nachdem meine Kriegsmacht hier unthätig Maulaffen feil hielt! So that dieser abgefeimte Garçon sein Bestes, die malcontente Palmingen'sche Cavallerie nicht nur heimtückisch und zur übelsten Zeit an die rückständige Löhnung zu erinnern, sondern auch – und die Finesse handhabte er meisterlich – diese Heldenherzen mit der Furcht zu verpesten!

Wie man es denn riskieren und einem christlichen teutschen Reiter ansinnen könne, mit dem Johannes durch den Wald anzubinden? – schrie der hagere, einem Zigeuner gleiche Kerl, und zeigte beim Fackelschein den um ihn massierten Dragonern die weißen Wolfszähne unter dem schwarzen Schnauzbart und rollte die weißen Augäpfel in dem gelblichen Gesicht. Ob man denn, für zwanzig Kreuzer täglich, obligiert sei, mit dem Teufel selber in Händel und Verdrießlichkeit zu gerathen, da doch ein Jeder wisse, daß der Johannes durch den Wald gar kein Geschöpf von menschlichem Fleisch und Geblüt sei, sondern ein grausamer und unüberwindlicher Dämon, wie davon, aus mittelalterlichen Zeiten, da und dort noch welche übriggeblieben? Einem Kind sei es bekannt, daß gemeldeter Johannes auf seinem riesigen schwarzen Zauberbock mit Leichtigkeit in einer Nacht von dem weitberühmten Dorfe Winshoot in Friesland, wo, wie aus einem Babylon heraus, der Großmeister jedes Verbrechens dieser Zeit, der Altvater Jakob mit seiner Familie, alle Räuberei durch Europa dirigiere – daß also der Johannes im Hui durch die Luft auf seinem Bock von den Niederlanden zu den Alpen reite – bald hier – bald dort – aber allewegs mit dem Bösen im Bund, und, wer ihm in den Weg tritt, leicht mit Blindheit, fallender Sucht und zeitlebens blödem Hirn geschlagen – von Kugel und Säbel ganz zu schweigen!

»Gegen den Türken – à cause de moi – für drei Sechser Sold – meinetwegen – aber gegen den Teufel nicht!« schrie der Brabanter. »Ich warne Euch, mes camarades! . . . Bleibt im Logis! Laßt Euch nicht ins Feld locken! Es kommt Keiner von Euch lebendig zurück!«

Wie so diese timide Lügentrompete Verrath in ehrliche Reiterohren blies, kochte in mir das einstige, längst durch Altersschnee auf dem Haupt gekühlte Soldatenblut. Ich sah vor meinen greisen Augen wieder das Gewimmel der flüchtenden Janitscharen-Turbane, das Roßschweifgeflatter der fliehenden Paschas auf den ungarischen Pußten, in meinen Ohren jauchzten die Trompeten der Ayasasa-Kürassiere: Prinz Eugen, der edle Ritter . . . der Herr von Schindewolff aber puffte mich in seiner Kleinherzigkeit und Angst respektlos am Ärmel und raunte heiser und verzog sein Gesicht wie ein altes Weib bei Zahnweh: »Wir müssen das Feld räumen, gnädiger Herr . . .«

»Gebe er mir einmal seine Pistole!« sprach ich, und er that es und beleidigte mein Ohr und meine Langmuth weiter und fuhr fort: ». . . und das Kloster Heilig-Kreuz in Gottes Namen seinem Schicksal überlassen! Denn mit diesem Volk hier ist nicht gut Kirschen essen und mit jenem Volk dort noch viel weniger!«

»Gehe er heim und setze er sich auf den Nachtstuhl!« sagte ich. »Dort ist, nach der Himmlischen Destination, im Kriegsgetümmel Seine eigentliche und inattackable Position! Ich enthebe den Herrn hiermit für immer seiner Ehren und Würden als Generalissimus meiner Armee und danke ihn ungnädig ab!«

»Und wer soll, in Zukunft, dieses Viertelschock berittener Bauernschädel commandieren?«

»Ich selber, wie dies in Gefahr die Devoir eines Souveräns ist!« versetzte ich majestätisch und fühlte in mir, dem Abgelebten, dem Alten, die Hitze eines Turenne sich freudig mit der Bedachtsamkeit eines Daun, die Schnelle eines Seydlitz mit der Beständigkeit eines Marlborough vermählen. Vor diesem Bild eines greisen Günstlings und Galans der Kriegsgöttin Bellona verzog sich der, Schindewolff genannte, falsche Mars, und ich forderte mit einem strengen Handwink den Trompeter Bellonier vor mein Gericht. Der Aufsässige kam gemächlich angeschlendert. Er hielt seine ungewaschenen Diebspfoten insolent in seinen beiden Taschen, statt sonst in denen anderer Leute, und in seinem schamlosen Lächeln nistete die Rebellion.

»Du hetzest mir hier einen unverzagten Dragoner in Feigheit und Infamie?« dräute ich. Er zuckt frech die Achseln: »Geht keinen großen Herrn 'was an!«

». . . und denkst, diese braven und ehrlichen reitenden Leute mir auch weiter aus dem Sattel und Pflicht und Gehorsam zu bringen?«

»Hoffe, daß mir's glückt!« höhnt er.

». . . und ist dir nicht bekannt, daß auf den Bruch des Fahneneids vor versammelter Front und Truppe die Todesstrafe statuiert ist?«

Schaut sich der Trompeter breit grinsend im Kreis um, indessen ich des Schindewolffs Pistolet aus meiner gestickten Fracktasche ziehe, und glotzt mir dann, als ein wahrer Provocateur und Feuerbläser, ins Gesicht. »Möcht' wissen,« lacht er laut, »wer die Courage hat, Euern arrêt de mort zu vollstrecken!«

Die Weiber, die am andern Morgen diese Erdstelle auftrockneten, wußten zu berichten, daß Theile und Spritzer des Gehirns zu beiden Seiten der Dorfstraße bis an die Hausmauern geflogen seien und dort noch klebten. So gründlich hatte ich mit meinem Pistolenschuß dies ränkevolle Hirn in die vier Winde geblasen, beugte mich nun, riß dem von kurzer Hand hingerichteten Bellonier den Säbel aus der Scheide und schwenkte ihn vor versammelter Mannschaft.

»Wollt Ihr Euren alten guten Grafen im Stich lassen?« rief ich. »Oh pfui! Das thun mir meine lieben blauen Kinder nicht an! Deß schämen sie sich, daß ein matter Greis allein ins Feld galoppiert und das Jungvolk bleibt daheim bei Becher und Magd! Solche Reiter dürfen nicht staunen, wenn ihnen die Jungfern zum Spott Nachthauben und Schürzen darbieten, und die Gäule, wenn sie in den Stall treten, ihnen mit Roßäpfeln dienen! So ein liederliches und geringes Volk aber seid Ihr nicht, Ihr meine Söhne! Ihr seid rechte Burschen und es hat Euch nur ein wälscher Hund durch sein Gebell auf falsche Fährte gelockt! An seinem abscheulichen Leichnam wollen wir wenden! Hallo! Montez à cheval! Tournez-vous! Demi-tour à gauche! En avant! Mir nach!«

Und meinen Vortheil in den Gesichtern der Dragoner erkennend, haranguierte ich weiter: »Ich selber führe Euch! Ich, ein alter kaiserlicher und königlicher Kürassier, der seine Lehrzeit gegen den Großtürken absolviert! Wenn solch ein großer und gewaltiger Herr wie ich sein Leben für einen faulen Kreuzerkäs ästimiert und Euch vorreitet – was liegt an Eurem? Den Säbel aus der Scheide, wer für mich ist!«

»Evviva Palmingen!« schrie da Einer athemlos und führte im Trab seinen Rappen aus dem Stall. »Hoch Seine Erlaucht!« salutierten andere und keuchten mit Sätteln und Zaumzeug. »Nieder mit dem Johannes!« brüllte ein dritter und zog seiner Stute den Bauchgurt fester. »Vorwärts!« drängten Ungeduldige, die schon zu Pferde saßen. Ich hatte mir einen Stuhl neben den Schimmel des Trompeters stellen lassen und rief: »Helft, Kinder – helft –« und Alles schob und stützte, und ich gewann glücklich dieses Rosses Rücken und verwuchs oben fest mit ihm, so wie jener Géant der Fama – jener Riese sich durch die Berührung mit der Erde aufs neue mit unwiderstehlichen Kräften rétablierte.

So saß ich straff wie ein Cadet im Sattel und inspicierte meine Troupe. Keiner aus der gewaltigen Zahl war unter die Deserteure geflohen! Es mußten – nach Abzug des soeben ausgerotteten Brabanters – siebzehn Mann sein und waren doch nur sechzehn! Gerade le brave des braves – das Subject, zu dem ich die meiste confiance hegte – der rothe Christian war absent, und Keiner konnte sagen, wo er hingerathen.

Da ließen sich durch die Nacht eilige Hufschläge vernehmen und dieser Galopin war kein anderer als dieser geborene Soldat und Parteigänger de destination, der sich aus eigenem Antrieb zu Pferd geschwungen und gegen Heilig-Kreuz auf Kundschaft geritten war, wie es dortigen Orts mit der paix publique bestellt sei.

»Schnell! Schnell!« schrie er schon von weitem mit einer entsetzlichen Stimme und schwenkte seinen Hut und sein Gesicht war verzerrt. »Laßt die Gäul' laufen, was sie mögen! . . . Sonst wird's zu spät . . .«

»Heilig-Kreuz . . .?« stöhnte ich auf.

»Heilig-Kreuz, Euer gräfliche Gnaden, wird von dem Johannes durch den Wald und vielen anderen Bösewichtern auf das heftigste mit einer mannsdicken Flößertanne berannt! Sie haben das Thor schon beinahe eingedrückt! Sie schießen hin und her! Hitziger kann's um Mainz nicht hergegangen sein. Aber die Bataille steht für die drinnen verzweifelt . . .«

»Rangez-vous!« commandierte ich, beinahe so athemlos wie der rothe Christian selber, welcher schloß: »Die Bauern in der Nachbarschaft haben die Schüsse und das Sturmläuten vernommen! Stehen in hellen Haufen mit Sensen und Flegeln bereit! Getrauen sich doch nicht, es allein wider den Johannes zu probieren, bis wir . . .«

»Wir kommen!« rief ich und setzte mich, den Schimmel spornend, an die Tête meiner Cavalcade und wandte mich im Sattel und deutete mit der Spitze des Säbels in der Nacht nach vorn den point de vue: »In das Herz des Johannes durch den Wald!«

Ich las in den entsetzten Mienen: »Es ist dein Sohn!« – Und aus meinem Mund rief mein altadeliger Stamm und Geschlecht: »Wenn mein Sohn ein Räuber ist, so reite ich, ihn zu richten! Galopp . . . Dragoner!«

* * *

Ich schnob mit meinem Heer durch die Nacht dahin. Es ist ein Glück, daß die Pferde in der Finsterniß besser sehen, als die Menschen. So konnten wir sie rennen lassen, daß die Funken stoben. Wir passierten stürmend, die Säbel schwingend, unter wilden Rufen: »Tod aller Räuberschaft« wie ein Corps der Rache oder wie jene sagenberühmte heidnische Parforcejagd durch unsere Lüfte, wir passierten mit fliegenden Hufen das erste Dorf auf Heilig-Kreuz'schem Gebiet. Die ganze Bauernschaft war da schon mit Fackeln und ländlicher Wehr versammelt und auf den Beinen, jauchzte und setzte sich hinter uns in Trab, um mit den Hühnerdieben ein Hühnchen zu pflücken und die Nachtgäste einmal selber nachts auf die Kirmeß zu laden. In den zwei anderen Dörfern der Abtei hatten sie's vernommen, daß nun eine bataille décisive wider das Brigantaggio im Gang, und liefen und strömten mit Spießen und Stangen, mit Pechpfannen und Hunden, von allen Seiten gegen das angesagte Schlachtfeld und es schwirrte wie ein irritierter Wespenstock durch die Dunkelheit.

In der Ferne schlugen breite, rothe Feuerzungen aus dem abseits auf der Wiese placierten Heuschuppen, den die Räuber in Brand gesteckt, um ein rechtes, großes Nachtlicht für ihr schändliches Handwerk zu haben, und in dem rothen Schein lag grell wie bei Tag das Kloster mit eingestoßenen, welk hängenden Thürflügeln, und ein wildes Geschrei kam aus seinem Inneren, Beilhiebe und Schüsse krachten und der Rauch wirbelte durch die Fenster.

Meine blauen Söhne hoben mich alten Mars vom Pferde. Einmal unten, wollte ich Keinem von ihnen mehr den Vortritt auf der Promenade gegen den Feind lassen, sondern avancierte, wenn auch etwas steifbeinig, an ihrer Tête über den Damm zwischen den Wassergräben. Den besetzten flugs die im schnellen Trott nachgerückten Bauern, und so war, was sich verbrecherisch drinnen in der Abtei aufhielt, gefangen, wie die Maus in der Falle.

In der Thorwölbung ballte sich, als wir mit Heissa! und in voller Surprise eindrangen, eine wüste kämpfende Mêlée, die das einstige Cabinet des Abbas Martin zur Linken coûte que coûte zu forcieren trachtete. Wich aber immer wieder heulend en arrière, griff sich an den blutfließenden Schädel oder an ein Loch im Leib. Denn der Herr von Arcularius und ein junger Pürschknecht und ein paar ältere, treue Servants hinter ihm defendierten diese Position mit äußerstem Entêtement, und während der Herr Rittmeister à corps – Mann gegen Mann – sich mit dieser ganzen Rotte feiger Wölfe balgte, schrie er mir mit pulvergeschwärztem Gesicht durch den wilden Tumult und Rumeur Etwas zu, wovon ich nur die Worte: »Die Treppe hinauf . . . der Johannes durch den Wald . . . oben . . . die Gräfin . . .« begriff.

Da wußte ich, daß nunmehr der Vater wider den Sohn vom Leder ziehen mußte, wie einst die beiden edlen Herren und Ritter zur Zeit der Völkerwanderung, in der das Haus Palmingen schon uralt war und in vollem Flor und Ansehen stand. Ich faßte den Degen fester gegen mein eigenes Fleisch und Blut. Ich flog mit meinen gichtigen Beinen die Treppe hinauf. Der erste Raum oben war von den Räubern schon occupiert. Eben schlugen sie die verschanzte Thüre zum Nebengelaß ein. In einem tobenden brouhaha, Tumult und hurlement sehe ich in der Ecke die Gräfin, das Söhnlein auf dem Arm, und vor ihr, sie mit seinem Leibe schützend und mit ungeübter Hand, aber bravourösen Muths, die Pistole in der Linken, den Säbel in der Rechten, die attackierenden Briganten von sich weisend – einen Mann in blauem Redingote und Stulpstiefeln – einen Mann, aus dessen bleichen und edeln Zügen wie in einem Spiegelglas mein eigenes Jugendbild zu mir spricht – ein Mann, in dem ich selbst, in einer neuen Generation, lebe und wandele – Otto Septimus – mein Sohn . . .

Und dieser Mann . . . Engelsfanfaren jauchzen es mir zu – mein thränendes Vaterauge trübt sich – dieser Mann ist nicht der Johannes durch den Wald, sondern er ficht, comme un désespéré, gegen den Johannes durch den Wald! Da, vor ihm, ist das vielberufene, mysteriöse Ungeheuer in der schwarzen Maske, in gemeiner Bauerntracht, und dabei in jeder Bewegung des Leibes ein großer Herr! Er dringt auf meinen Sohn ein! In seiner wirbelnden Klinge droht der Tod! Schnell! Schnell! Drauf, meine Dragoner! Drauf, Drauf!

So war ich ausgezogen, meinen Sohn zu richten, und war eben noch zurecht gekommen, meinen Sohn zu retten! Mein Otto Septimus lag an meiner Brust! Der Verstoßene umarmte mich weinend und ich ihn! Mein Geschlecht blühte wieder. So standen wir erschüttert und schirmten hinter uns die Gräfin.

Doch dies that nicht mehr noth. Die Dragoner hatten dies Zimmer im Augenblick gründlich aufgeräumt und, ohne Quartier und Pardon, mit scharfgeschliffenem Besen ausgefegt. Sie zerrten die Körper der erlegen Malefikanten bei Seite. Unter diesen lag, die Hände verkrampft, in seinem Blut schwimmend und schon verröchelt, mit seiner schwarzen Maske dieser wahre Lieutenant des Satans auf Erden und Generalcapitän aller bösen Buben und Gesetzesverächter – nun, durch Gottes Gnade, für immer ausgetilgt und innocent – der Johannes durch den Wald . . .

Noch hatte Keiner gewagt, die nächtige Larve zu lüften, die das Mysterium dieses abgesagten Feinds des Menschengeschlechts barg. Ich beugte mich nieder und löste die Verkappung . . .

Und richtete mich auf und meine Lippen formten das Staunen meiner Gedanken zum Wort: »Monsieur le baron de Wimmersheim . . .«

Nun begriff ich, warum dieser gute Nachbar, um keinen Soupçon zu erregen, sich bei Tag in die buntscheckige Vermummung eines ausgemachten Narren gehüllt, und sah, auf welche Art er Wiener Gräfinnen-Tanten des Nachts auf der Landstraße beerbte und so zu seinen Schätzen kam, nachdem er, als ein selbst in Wien ungewohnter Libertin, dort das Seine verlottert, nun aber Willens gewesen, von dem zu heißen Boden hier allernächstens wieder nach der Kaiserstadt zu emigrieren, um dort seinen Raub zu genießen . . . .

Ich verharrte eine gute Zeit in einem geziemenden Schweigen. Ich war so occupiert, daß ich – ein alter Cavalier – meiner Ritterpflichten gegen die arme, so übel in unseren Landen empfangene Hohen-Sulz'sche Gräfin vergaß. Doch blieb dies Manko ohne Nachtheil. Denn als ich mich nach ihr kehrte, sah ich dieses adelige und anmuthige, wenn auch zu Tod bleiche und erschöpfte, aber wohlbeherzte Frauenzimmer Arm in Arm mit meinem Sohne stehen, und sie sprach zu mir: »Wir haben Noth, Tod und Gefahr miteinander bestanden, Euer Liebden! Das fügt zusammen!«

»Für diese Stunde?« frug ich. Diese liebe und schöne Frau Amöne aber sagte und goß Sonnenschein in mein Herz: »Nein, Herr Vetter – für alle Ewigkeit! Drum permittieren Sie mir, Sie künftig statt Vetter Vater zu heißen!«

Noch liefen uns selbdritt unsere Zähren und wir hielten uns schluchzend umfangen, da stieg der Herr von Arcularius, der wackere Held, die Treppe hinauf, stellte sich vor mich in die herrliche Positur der Offiziers des Königs von Preußen, die Beine gespreitet, die ausgereckte Linke auf den Säbel gestemmt, den Hut in der zur Seite gestreckten Rechten, und meldete: »Die Affaire hat mit einem runden Succès geendet. Euer Gnaden! Eine gute Partie der Brigands ist auf der Stelle füsiliert, etliche in den Gräben, in die sie flüchtend gesprungen, ersoffen, der Rest wird von einer singenden und jubilierenden Bauernschaft zu neuer rheinbündischer Gerichtsstelle und weiterem peinlichen Traktament mit Guillotine und Galgen geführt. Glaube danach das schädliche Wesen in hiesigen Wäldern auf gute Zeit hinaus abgethan und die Luft rein!«

Ehe ich diesen Herrn umarmen und zu weiterem Dank und einem ehrenvollen Präsent auf mein Schloß komplimentieren konnte, fuhr der Herr Stabsrittmeister fort. »Hiernach ästimiere ich die Leçon, die ich übernommen, für gelöst und bitte Eure gräfliche Erlaucht um allsofortigen Urlaub und Abschied. Wollte nur, en passant und aus Freude an Aventüren, im teutschen Süden zeigen, was ein Preuße kann!«

Ich bat und murmelte wieder Einiges von Dankbarkeit. Doch er erwiderte kurz und bestimmt: »Très obligiert! Aber ich bedarf keiner récompense! Es treibt mich heim! Die Zeiten werden schwarz! Der Buonaparte rüstet alle seine Völker! Es hängen schwere Wolken über Preußen. Ich bin ein Preuße. Wenn in bevorstehender Campagne die Kriegsfortüne wider mein Land schlagen sollte, will ich erst recht dabei sein und das Malheur unverzagt tragen und unserem Staat zu neuen und gloriosen Jahren verhelfen!«

Unter solchem neigte er sich über die Hand der Frau Gräfin Amöne, die doch, in diesen vergangenen Tagen, eine leise faiblesse gegen ihren Reisegefährten empfunden, und aus diesem überwundenen Sentiment heraus ihm weichen Herzens sagte: »Mögen freundliche Seelen Sie in Ihrer Heimath begrüßen!«

»Ei! – Ich freue mich schon auf meine Frau und meine vier Buben!« lachte der Herr Rittmeister und erklärte auf unser Staunen: »Husaren lassen es nicht gern verlauten, daß sie verheiratet sind! Man meint, es schadet der heilige Ehestand ihrer agilité! Kann es von mir nicht behaupten! Habe freilich, wenn schon ein Edelmann, kein Fräulein vom Stande, sondern, aus inniger Amour, eine ehrsame Jungfer aus Bürgerhaus zur Frau genommen und bin darum von den vornehmen Cuirassiers unter die Husaren und Werber verschlagen! Bereue es aber nicht! Denn ich bin, nach meinen abenteuerlichen Ritten und Reisen durch Teutschland, wahrhaft glücklich au sein de ma famille

Da lachte auch die Frau Gräfin Amöne und drückte ihm mit feuchten Augen die Hand und versetzte herzlich: »Mille saluts von mir an Ihre liebe Frau und geben Sie jedem Ihrer Büble von mir einen tüchtigen Schmatz!«

* * *

Ein Reisewagen hielt mittags, als ich heimkehrte, vor meinem Schlosse Palmingen. In ihm saßen der treulose Marquis de Fizeaux, mein abtrünniger Hof-Marschall, und seine Tochter – die Schlange Xénais. Sie hatten, als sie am Abend vorher unangemeldet in Wimmersheim vorgefahren, den Baron in Geschäften verreist gefunden und nun erst, nachdem sie dort übernachtet, nachträglich und mit Horreur das Nest erkannt, in das sie unbedacht gerathen.

Da saßen die beiden wälschen Seelen nun reuevoll und kleinlaut in ihrer Kutsche. Ich sprach zu dem Franzmann: »Ich benöthige in Zukunft keines Ceremoniers. Denn mein Reich Palmingen wird in den nächsten Wochen von dem gekrönten Vasallen Napoleons mediatisiert und mein regierender Hofhalt löst sich auf. Möge mein Erbe und Nachfolger, als ein vornehmer Particulier wie andere, hier wohnen, Gutes thun und den Menschen dienen, wie er vermag. Dem Herrn Marquis werde ich, an aufzugebende Adresse, Einiges aus meiner Schatulle als dépense de bouche überweisen! Bitte aber nun ungesäumt die Reise fortzusetzen!«

Noch einmal wollte mich Xénais mit der dunklen Gluth ihrer Augen versengen. Diese Mandeln des Südens waren schön wie immer. Aber die Marquisin hatte, in dem Embarras dieses Morgens, keine Zeit gefunden, sich zu schminken und zu pudern. Ihre Haut war gelb und welk, ihre Züge matt und alt, unter der verschobenen blauschwarzen Perrücke schimmerte, als eine mir absolument neue Manifestation grellroth und stumpf ihr eigenes Haar . . . . .

Oh Xénais . . . Ich hatte Welt und Eitelkeit überwunden! . . . oh Xénais . . . Ich winkte heiter dem davonrollenden Wagen ein Adieu pour toujours! . . . Oh Xénais . . . Ich brauche keine Königin mehr für dieses einsame, alte Herz! Ich bin nicht mehr einsam! Ich habe einen Sohn! . . . . . Und eine Tochter . . . . .

Ich wandte mich zu meinem Otto Septimus. Ich wandte mich zu meiner Amöne. Ich ergriff Beider Hände. Ich sagte: »Nicht bei dem rauhen Abbas Martin in der Klosterzelle – bei Euch, mes enfants, will ich en retraite, als der Philosoph von Palmingen, meine letzten Lebensjahre genießen!« Und Beide dankten mir und küßten mir die Hände.

Und so verzeichnete ich diese beiden merveilleusen Tage und schließe diese Chronika und blicke aus meinem stillen Sanssouci im Schloß von Palmingen über die grünen Wälder und die Wolken am Himmel, im Kommen und Gehen der Tage und der Geschlechter der Lebenden, im Wandel der Geschicke über uns Menschen allen, denen Gott genade . . . .



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