(Pommerle Band 3)
Erz�hlung f�r junge M�dchen
Paul Franke Verlag
Berlin
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Taschenb�cher
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F�r den sch�nen Herbstnachmittag war von acht Sch�lerinnen der vierten Klasse die Verabredung getroffen worden, am zeitigen Nachmittag in den Wald zu gehen, um Herbstblumen zu pfl�cken. Man hatte geh�rt, da� morgen der Klassenlehrer Seiffert seinen Geburtstag feierte, deshalb wollten einige der Sch�lerinnen ihm einen h�bschen Blumenstrau� bringen. Selbstverst�ndlich hatte sich die kleine Hanna Str�de, die man in Hirschberg unter dem Namen Pommerle gut kannte, ebenfalls bereit erkl�rt, mitzugehen. Der Lehrer Seiffert wu�te immer gar sch�ne Geschichten zu erz�hlen und wurde deshalb von Pommerle schw�rmerisch verehrt.
Die Pflegeeltern des kleinen M�dchens hatten nichts dagegen, obwohl Frau Professor Bender sorgenvoll zum Himmel hinaufschaute.
Die Sonne schien zwar sch�n; aber dennoch hatte Frau Bender schwere Bedenken, ob das Wetter den ganzen Tag �ber so bleibe.
�Ich f�rchte, Pommerle, es gibt heute noch Regen. Geht nicht zu weit, damit ihr nicht na� werdet. Auf der Wiese am Hausberg findet ihr noch mancherlei Blumen. Beeilt euch, damit ihr gegen sechs Uhr wieder daheim seid.�
�Die H�bner Emma hat auch schon gesagt, da� wir am Hausberg noch sch�ne Blumen finden werden, liebe Tante, aber die Uhse Minna m�chte nicht gern zum Hausberg gehen. Sie hat noch immer Angst.�
�Angst? – Wovor f�rchtet sich die Minna, Pommerle?�
�Im Hausberg soll noch immer der Kilian sitzen. Ich glaube es aber nicht, Tante. Die Uhse Minna meint aber, der Kilian sei doch im Berge und rumort darin herum, weil er 'raus will.�
Frau Professor Bender �berlegte einige Augenblicke. Es gab von dem Hausberg, der sich unweit der Stadt Hirschberg erhob, eine Sage, die sie aber nicht mehr kannte. Pommerle schien das besser zu wissen, obgleich das Kind erst seit knapp zwei Jahren in Schlesien lebte.
�Was will denn der Kilian im Hausberg, mein Kind?�
�'raus m�cht' er, aber er kann nicht. Eines Tages, als er mal spazierenging, sah er im Berg ein gro�es Loch. Dort ist er 'reingegangen. Da hat er einen Haufen Gold und Silber gefunden. Er hat sich alle Taschen vollgestopft, ist wieder aus dem Berg herausgelaufen und hat dann furchtbar fein gelebt. Immer nur Flundern gegessen und Champagner dazu getrunken. Aber nach einigen Tagen hat er das ganze Gold aufgegessen gehabt. Da ist er wieder zum Hausberg gegangen. Wieder war das gro�e Loch da, und dann hat er sich noch mal einen Haufen Gold und Silber geholt. Lauter blanke F�nfmarkst�cke. Dann hat er wieder furchtbar fein gegessen, jeden Tag ist er ins Kino gegangen, da hat er bald wieder kein Geld gehabt. Als er dann zum drittenmal in das dunkle Loch ging, gab es einen Krach, der Berg schob sich zusammen; und nun ist der Kilian in dem Berg und kann nicht 'raus. Da hat die Uhse Minna Angst, da� uns auch mal was zusto�en k�nnte. – Nicht wahr, liebe Tante, der Kilian sitzt doch nicht in dem Hausberge? Das erz�hlen die Leute nur so.�
�Hast recht, Pommerle, das ist eine Sage, weiter nichts.�
�Wenn ich mal solch ein gro�es Loch in einem Berge sehen w�rde, ich ginge auch hinein. Oh, ich holte mir dann auch alle F�nfmarkst�cke heraus, die dort liegen, und dann – –�, das Kindergesicht nahm einen verkl�rten Ausdruck an, �dann kaufte ich mir auch viele Flundern und ein Auto. Dann w�rde ich schnell mal wieder an die Ostsee fahren. Dort schenkte ich der Elli G�tsch und der Grete Bauer eine Perlenkette, und dem Otto J�ger kaufte ich ein Paar hohe Wasserstiefel. – Ach, das w�re fein!�
�Es geht auch ohne die F�nfmarkst�cke, Pommerle. Du hast ja alles, was du brauchst, mein Kind.�
�Aber wenn ich viele F�nfmarkst�cke h�tte, wie der Kilian, w�rde ich mir doch ein Auto kaufen und immerfort Flundern essen.�
�Du bekommst morgen auch Flundern, kleines M�dchen. Sei h�bsch zufrieden, Pommerle, man mu� nicht immer mehr verlangen, als man hat. Zufriedenheit ist das beste Gut. Wenn man zufrieden ist, f�hlt man sich gl�cklich und froh.�
Pommerle schlang beide Arme um den Hals der Tante. �Oh, ich bin ja zufrieden, aber – viele blanke F�nfmarkst�cke m�chte ich doch gern haben.� –
Als sich die acht M�dchen am Nachmittag versammelten, um gemeinsam die Wanderung anzutreten, kam die Rede nat�rlich wieder auf den sagenhaften Hausberg. Die blonde Minna meinte, man h�re den Kilian im Berge rufen und schreien. Es sei doch besser, man ginge ein St�ck weiter, denn es w�re schrecklich, wenn der Kilian pl�tzlich, rot vor Wut, aus dem Berge gesprungen k�me. Er w�re sicherlich f�rchterlich anzusehen, weil er schon �ber tausend Jahre darin s��e und sich in der Zeit nicht ein einziges Mal gewaschen h�tte.
Minna wu�te schlie�lich alles so schaurig darzustellen, da� selbst dem mutigen Pommerle das Herz zu klopfen anfing; scheuen Blickes ging man eilig am Hausberg vor�ber und weiter, um an anderer Stelle Wiesenblumen f�r den Lehrer zu pfl�cken.
Man fand nichts Rechtes. Die Blumen, die jetzt noch bl�hten, erschienen den Kindern nicht geeignet. Es sollte doch etwas Besonderes sein. Pommerle meinte daher, es w�re wohl besser, wenn man den Strau� aus den Blumen herstellte, die noch im Garten des Onkels bl�hten.
Emma H�bner wehrte ab. Der Lehrer habe doch selbst einen Garten mit Blumen, ihm w�re ein Strau� aus Wiesenblumen gewi� lieber.
Weiter und weiter lief die kleine Schar, bis Pommerle pl�tzlich stehenblieb und mit heller Stimme rief:
�Seht doch die vielen Preiselbeeren. Wir schenken ihm Preiselbeeren!�
Dieser Vorschlag fand sogleich begeisterte Zustimmung. Blumen hatte der Lehrer im Garten, aber Preiselbeeren w�rde er sich sicherlich nicht pfl�cken. Au�erdem hatte er erst k�rzlich gesagt, da� er Preiselbeeren zu Eierkuchen sehr gern ��e.
Kaum f�nf Minuten sp�ter waren die acht Kinder dabei, die roten Beeren abzupfl�cken. Da man keine Beh�lter mitgenommen hatte, wurden einfach M�tzen und H�te benutzt, und bald war Pommerles Baskenm�tze fast bis zur H�lfte mit roten, sch�nen Beeren angef�llt.
�Oh, wird ihm das schmecken!� sagte Pommerle, die Beeren betrachtend und einige davon in den Mund schiebend. �Wird er Freude daran haben! Nun kann er eine Woche lang jeden Mittag Eierkuchen und Preiselbeeren essen.�
Mit gr��tem Eifer wurde weitergepfl�ckt, bis pl�tzlich eins der M�dchen rief:
�Jetzt f�ngt es an zu regnen!�
Niemand hatte es bemerkt, da� sich der Himmel mit dunklen Wolken �berzogen hatte.
�Pa�t mal auf, gleich pladdert es los�, sagte Minna. �Was machen wir nun? Wir werden na� wie die Katzen.�
�Wir laufen im Galopp nach Hause�, meinte Pommerle.
�Das ist viel zu weit!�
�Dann gehen wir eben zum Harfen-Karle.�
Pommerle horchte auf. Das war ihm ein ganz neuer Name. Vom Harfen-Karle hatte es noch nie etwas geh�rt.
�Wo ist er?�
�Der hat dort dr�ben ein kleines H�usel, darin wohnt er schon immer. Im ganzen Hirschberger Tal kennt man ihn.�
�Was macht er denn?�
�Er mu� doch aber was tun�, meinte Pommerle.
�Nein, der tut nichts, er sitzt immer nur in der Sonne.�
�Und was macht er, wenn's regnet?�
�Dann sitzt er in der Stube.�
Nachdenklich blickte Pommerle nach der Richtung hin�ber, in der das kleine H�uschen des Harfen-Karle stehen sollte. Aber es gab kein langes �berlegen mehr, denn der Regen setzte pl�tzlich mit ungeahnter Heftigkeit ein. Zwei der Kinder liefen voran, die anderen folgten, ohne lange zu �berlegen.
Schlie�lich sah man auch am Waldrande ein kleines Haus, mehr eine H�tte, die einen recht d�rftigen Eindruck machte.
Pommerle blieb stehen. �Wohnt dort der Harfen-Karle?�
�Ja, komm nur schnell, ich bin schon ganz na�!�
Pommerle war die letzte, die das H�uschen erreichte. Z�gernd blieb das kleine M�dchen stehen. Die anderen Kinder waren bereits in den Hausflur getreten. Pommerle h�rte eine fremde Stimme, die gar freundlich klang. Da folgte es den anderen und sah sich bald einem gro�en, hageren Mann gegen�ber, den Pommerle erstaunt musterte. Viele Haare hatte der alte Mann nicht mehr auf dem Kopfe, aber die wenigen, die noch vorhanden waren, hingen in d�nnen Str�hnen bis auf die Schultern herab. Dazu kam ein langer, wei�er Bart. Der alte Mann trug einen grauen Kittel, der fast bis auf die Erde hinunterreichte.
Und dann die H�nde! – So lange, d�nne Finger hatte Pommerle noch nie gesehen. Die Mitsch�lerinnen hatten bereits davon erz�hlt, da� sie beim Beerenpfl�cken vom Regen �berrascht worden w�ren. Sie baten den Harfen-Karle, solange hierbleiben zu d�rfen, bis der Regen nachgelassen habe.
So gut es ging, machte man es sich in der verr�ucherten Stube bequem. Die Kinder hockten an dem gro�en Ofen, um den eine Holzbank aufgestellt war.
�Meine Enkeltochter kommt erst am Abend heim, ich kann euch schlecht helfen, Kinder; aber trocknen k�nnt ihr euch hier.�
Vor Pommerle machte der Alte halt. �Dich kenne ich ja noch gar nicht, Kleine. – Wie hei�t du?�
�Hanna Str�de, aber alle nennen mich Pommerle.�
�Str�de – ich kenne doch im Hirschberger Tal alle Leute, aber eine Str�de kenne ich nicht. – Wo wohnst du denn?�
�In Hirschberg, beim Onkel Professor Bender.�
�Bist du zu Besuch dort?�
�Nein, Harfen-Karle, ich bin immer dort. Ich bin aus Pommern gekommen. Mein Vater ist schon lange im Himmel. Da hat mich der Onkel Professor mitgenommen, und nun soll ich immer in Hirschberg bleiben.�
�Richtig! – So was habe ich ja auch geh�rt. Also das kleine Pommerle bist du. – Gef�llt es dir in Hirschberg?�
�O ja. Der Onkel und die Tante sind sehr gut.�
�Und dann unsere sch�nen Berge. – Bist in eine gar h�bsche Gegend gekommen, kleines Pommerle. Seit zweiundneunzig Jahren lebe ich hier. Ich habe viel gesehen –�
�Hast du auch Pommern gesehen und die Ostsee?�
�Nein, ich bin immer nur in den schlesischen Bergen gewesen, in dem sch�nsten Lande, das es in der ganzen Welt gibt.�
�Oh, die gro�e Ostsee und Pommern sind auch sehr sch�n.�
�Harfen-Karle�, rief eins der Kinder, �m�chtest du uns nicht was spielen und singen?�
�Spiele und singe nicht mehr vor Leuten, bin ein alter Mann.�
�Ach, Harfen-Karle, der Gro�vater sagt, du hast immer so sch�n gespielt und gesungen. Sieh mal, dort steht doch noch deine Harfe. Ach, lieber Harfen-Karle, spiele uns doch ein Lied!�
�Hab' viele tausend Lieder gespielt und gesungen, in der Hampelbaude, in der Peterbaude und in allen den anderen Bauden, die ihr ja auch kennt. Aber jetzt ist der Harfen-Karle ein alter Mann, der nicht mehr recht kann.�
Mit ausgestrecktem Finger wies Pommerle auf die gro�e Harfe, die an der Wand lehnte.
�Kannst du darauf spielen?�
Der Alte nickte. ��ber siebzig Jahre habe ich darauf gespielt und tue es jetzt auch noch; aber es will nicht mehr recht gehen.�
Immer st�rker schlug der Regen gegen die kleinen Scheiben.
�Der R�bezahl �rgert uns wieder mal�, meinte Minna. �Er hat es nicht gern, wenn man ihm die roten Beeren abpfl�ckt, er will alles f�r sich behalten.�
�Dabei soll es doch gar keinen R�bezahl geben�, sagte Pommerle, �er ist auch nur so ein Sagenmann, genau wie der Kilian.�
Ein Sturm der Entr�stung brach los. Alle Kinder meinten, da� es ganz gewi� den R�bezahl g�be, gar zu oft habe man ihn schon gesehen. Pommerle erinnerte sich selbst an seine Begegnung mit dem vermeintlichen R�bezahl. Doch hatte es sich sp�ter herausgestellt, da� jener Mann nicht der Berggeist, sondern ein freundlicher Tourist gewesen war, der ihm damals in seiner Not geholfen hatte.
�Bei euch in Pommern gibt es nat�rlich keinen R�bezahl, der lebt doch nur hier in seinen Bergen. Ihr habt eben nicht so was Sch�nes dort.�
�Wir haben die Stine�, rief Pommerle, �die Stine kann noch viel mehr als euer R�bezahl!�
�Dann ist die Stine auch nur eine Sagenfrau!�
Pommerles Augen gl�hten auf. �Die Stine ist gar keine Sagenfrau, die Stine wohnt bei uns im Wasser, sie wei� alles ganz genau. Der Vater hat gesagt, sie ist da, und dann ist sie auch da!�
Die schlesischen M�dchen verteidigten ihren Berggeist. Man kam ziemlich hart aneinander, bis Pommerle schlie�lich klein beigab und erkl�rte:
�Na, vielleicht ist er doch keine Sage, der R�bezahl. Ich werde ihn mal rufen, vielleicht kommt er. Aber dann mu� er mir viele blanke F�nfmarkst�cke und ein Schlo� schenken.�
Der alte Harfner hatte die Unterhaltung der kleinen M�dchen schweigend mit angeh�rt. Er setzte sich jetzt mitten unter die Kinderschar und sagte langsam:
�Was n�tzt euch alles Geld und ein Schlo�. Ich habe es auch nicht und bin mein Leben lang gl�cklich und zufrieden gewesen.�
�Wenn man viel Geld h�tte, k�nnte man noch gl�cklicher sein�, meinte Minna.
Da stand der alte Harfner auf, ging in die Zimmerecke und holte die Harfe hervor. Die Kinder schlugen begeistert in die H�nde.
�Willst du uns was singen?�
Der Alte nickte. Er nahm die Harfe zwischen die Knie. Da wurde es m�uschenstill in dem Raum. Pommerles Augen hingen wie gebannt an den langen, d�nnen Fingern, die in die Saiten griffen und ihnen gar liebliche T�ne entlockten. Und jetzt begann der Alte zu singen. Wohl war seine Stimme heiser und br�chig, aber es klang doch noch ganz gut.
�Ich bin gar sehr ein armer Mann
Und bleib's gewi� auch immer.
Allein ich will nicht schrei'n und klag'n,
Den andern geht's viel schlimmer.
Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl das gr��te Gut.
Zur Arbeit, nicht zum M��iggang,
Hat mich der Herr geschaffen,
Drum will ich auch mein Leben lang
Die Kr�ft' zusammenraffen.
Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl das gr��te Gut.�
Noch einmal einige sch�ne Akkorde; dann erhob sich der Alte und stellte die Harfe wieder in die Ecke.
Die Kinder waren m�uschenstill geworden. Soeben noch waren tausend W�nsche von ihren Lippen gekommen, W�nsche nach Geld und Gut, nach Schl�ssern, sch�nen Kleidern und anderen Dingen; nun hatte ihnen der alte Harfner davon gesungen, da� man auch in der Armut gl�cklich und zufrieden sein k�nne, wenn man nur gesund sei und frohen Mut habe.
Der Alte nahm die Harfe zwischen die Knie, griff in die Saiten und begann zu singen.
Pommerle h�rte pl�tzlich wieder die Stimme der Tante. Heute mittag, als sie ihr vom Hausberg erz�hlt hatte, hatte die Tante auch gesagt, da� Zufriedenheit das h�chste Gut sei, was man sich w�nschen k�nne. Pommerle nahm sich vor, nicht wieder begehrlich nach blanken F�nfmarkst�cken auszuschauen. Der alte Mann hatte davon gesungen, da� es anderen noch viel schlechter gehe. Pommerle hatte mit seinen neun Jahren schon manchen Blick ins Elend tun d�rfen.
�Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl das gr��te Gut.�
Leise wiederholte Pommerle die beiden letzten Zeilen des Liedes. Diese Worte wollte es sich gut merken. Und wenn der Jule, der Spielgef�hrte, der seit wenigen Wochen bei Meister Reichardt in der Lehre war, wieder einmal ein so m�rrisches Gesicht machte, wollte ihm Pommerle von diesem Lied erz�hlen. Wie war es doch gleich gewesen?
�Zur Arbeit, nicht zum M��iggang,
Hat mich der Herr geschaffen.�
Ob der alte Mann auch heute noch arbeitete? Die anderen hatten doch gesagt, er s��e immerzu in der Sonne. Pommerle hatte pl�tzlich f�r den Harfen-Karle ein brennendes Interesse gewonnen. Er war zweiundneunzig Jahre alt, also viel, viel �lter als der Onkel Professor.
W�hrenddessen waren die anderen Kinder wieder in lebhaftem Gespr�ch mit dem Harfner. Staunend h�rte Pommerle an, da� der Alte fast t�glich in den Wald ging und Beeren und Kr�uter suchte.
�Der Onkel sucht auch Gr�nzeug�, rief Pommerle begeistert aus.
�Wei� ich, kleines Pommerle, aber ich suche Kr�uter und Wurzeln f�r die Apotheke. So ein alter Mann, wie ich, der wei�, was den Menschen gut tut, was ihnen hilft, wenn sie krank sind. Bin in meinem langen Leben nicht oft krank gewesen, und wenn es mal geschah, habe ich mir immer selber zu helfen gewu�t. Der Wald ist der gr��te Wunderdoktor der Welt.�
�Was holst du denn im Walde?� forschte Pommerle interessiert.
�Allerlei Kr�uter, aus denen man guten Tee kocht, wenn du Halsschmerzen oder Bauchweh oder sonst etwas hast. Und manches Kraut ist giftig. Das Gift bekommen dann solche Leute ein, die schwere Leiden haben. Aber das versteht ihr kleinen Kinder heute noch nicht, das lernt ihr erst viel sp�ter. – Kommt mal her, ich will euch mal meine Vorr�te zeigen.�
Dann sahen die Kinder etwas ganz Neues. In Blechdosen, T�ten, kleinen K�stchen und anderen Beh�ltern lagen getrocknete Bl�tter und Wurzeln. Die verschiedensten D�fte entstr�mten diesen Beh�ltern. Ungez�hlte Fragen wurden laut, und mitunter lachte die kleine Schar ungl�ubig, wenn der alte Harfner berichtete, da� man aus dieser trockenen Pflanze ein schlimmes Gift bereite, durch das die Menschen sterben und auch gesund werden k�nnten.
Am aufmerksamsten h�rte wohl Pommerle zu. Der Onkel hatte ihm schon manche Pflanze gezeigt. Es kannte auch die verschiedenen Namen der Gew�chse; aber diese Kr�utersammlung hier war ihm etwas ganz Neues.
�Kann der Onkel auch mal zu dir kommen und sich hier belernen?�
Der Harfner lachte. �Dein Onkel ist ein gar kluger und gelehrter Mann, der wei� das alles l�ngst.�
Pommerle sch�ttelte den Kopf. �Von den kleinen Kr�uterchen, die so giftig sind, die die Menschen tot und lebendig machen, wei� er gewi� nichts. – Darf der Onkel mal herkommen?�
�Nat�rlich, Pommerle.�
�Und der Jule auch?�
�Wer ist denn der Jule?�
�Nun, der Kretschmer Jule, mein Freund.�
�Den Kretschmer Jule kenne ich genau, auch dessen Mutter. Sie ist schon lange recht krank, wird wohl bald zu Ende mit ihr gehen.�
�Mu� sie sterben?�
�Wird wohl nicht anders m�glich sein.�
�Kannst du ihr nicht von der giftigen Wurzel was eingeben, da� sie wieder gesund wird?�
�Wird nicht mehr viel helfen, kleines Pommerle.�
�Ich denke, die giftige Wurzel hilft immer? Ich will den Jule mal herschicken. – Dann singst du dem Jule auch das Lied vor, von der Zufriedenheit, die das h�chste Gut ist, und da� wir nicht zum M��iggang geschaffen sind. – Willst du das tun?�
�Das kann geschehen, Pommerle. Aber der Jule ist doch jetzt bei einem Lehrherrn, er soll ein t�chtiger Tischler werden.�
�Er hat gemeint, es macht ihm keinen Spa�. Er m�chte lieber f�r den Onkel viel Steine und Blumen sammeln.�
�Der Jule ist ein Taugenichts, wenn er nicht arbeiten will.�
�Nein�, sagte Pommerle energisch, �der Jule ist kein Taugenichts, der Jule arbeitet jetzt den ganzen Tag, und vorher hat er auch gearbeitet. Der Jule ist mein bester Freund, der Jule wird bald ein Meister, und sp�ter, wenn wir beide gro� sind, heiratet mich der Jule.�
�Ich kenne den Kretschmer Jule recht gut, kleines M�dchen. Will ihm nur w�nschen, da� die Mutter wieder gesund wird.�
Endlich hatte der Regen nachgelassen. Emma mahnte zum Aufbruch. Es war bereits sechs Uhr vor�ber, die erste D�mmerung senkte sich hernieder.
Man nahm die mit Beeren gef�llten H�te und M�tzen. Pommerle z�gerte ein Weilchen. Es hatte ihm beim Harfen-Karle sehr gut gefallen. Das kleine M�dchen h�tte dem alten Mann gar gern eine Freude gemacht. Ob sie die Beeren teilte und dem alten Mann die H�lfte schenkte?
Pommerle reichte dem Alten abschiednehmend die Hand und hielt ihm die M�tze hin.
�Ich m�chte dir ein paar Beeren schenken. Willst du sie haben? Aber nicht alle, ich habe sie f�r den Lehrer gepfl�ckt.�
�Ich danke dir, kleines Pommerle, ich habe selbst meine Beeren. Nimm sie nur wieder mit. Bist ein gar liebes M�dchen.�
Pommerle war recht gl�cklich, da� es die gef�llte M�tze behalten durfte. Rasch folgte es den anderen, und dann ging es im Sturmschritt heim.
Der starke Regen, der niedergegangen war, hatte die Stra�e unterhalb des Hausberges stark aufgeweicht. Die Kinder mu�ten oftmals �ber Wasserpf�tzen springen, um weiterzukommen. Pl�tzlich stie� Pommerle einen lauten Ruf aus:
�Ein ganz kleiner Piepmatz!�
V�llig durchn��t, mit herunterh�ngenden Fl�geln, h�pfte am Wege ein Sperling dahin. Er mu�te von einem Ast heruntergefallen sein und war unf�hig, wieder aufzufliegen.
�Wenn er hierbleibt, fri�t ihn die Katze, oder es holt ihn ein Raubvogel. Wir m�ssen ihn in einen Strauch setzen.�
�Nein�, meinte Pommerle, �dann friert er oder f�llt wieder herunter. Wir m�ssen ihn zuerst trocknen.�
Mit raschem, aber vorsichtigem Griff hatte Pommerle das V�glein gefangen. Die gef�llte M�tze mit den Beeren stand mitten auf der Stra�e.
�O je, wie es zittert! Es wird sich erk�lten.�
Noch immer hielt Pommerle das V�glein zwischen beiden H�nden. Der Sperling piepte gar �ngstlich.
�Kleiner Piepmatz, f�rchte dich nicht, ich tue dir wirklich nichts. Ich bin doch keine Katze!�
�Wir m�ssen es warm setzen�, sagte eins der M�dchen.
Man �berlegte. Das war nicht so einfach, denn die Kleider der Kinder waren noch immer feucht.
�Einer von euch nimmt meine M�tze mit den Beeren, und ich trage den Vogel zwischen beiden H�nden heim. Dort setze ich ihn in ein K�rbchen, da� er trocknet, und morgen hat er sich wieder erholt.�
�Wenn du ihn immerzu in den H�nden h�ltst, brichst du ihm ein Bein oder einen Fl�gel ab�, meinte Minna. �Mein Bruder hat es auch mal so gemacht. Du mu�t den Vogel ins Warme setzen.�
Ida erkl�rte sich bereit, das V�glein in die Manteltasche zu stecken, doch Pommerle wies voller Entr�stung dieses Ansinnen zur�ck.
�Dann zerdr�ckt ihr ihn ja.�
�So la� den dummen Vogel sitzen�, rief eine andere. �Wir m�ssen weiter.� Und schon setzte sich die Schar in Bewegung.
Noch immer stand Pommerle ratlos mit dem V�gelchen in beiden H�nden da.
�Nehmt doch meine M�tze mit!�
Die anderen hatten Eile, heimzukommen; die gef�llte M�tze mit den Beeren blieb mitten auf der Stra�e stehen. Es dauerte auch nur wenige Minuten, da sah sich Pommerle allein auf der Stra�e.
�F�rchte dich nicht, kleiner Piepmatz, ich verlasse dich nicht.�
Wenn es nur einen Beh�lter gehabt h�tte, etwas Warmes, da� es den Vogel hineinsetzen k�nnte. Pommerle sah ratlos an sich herab. Es bef�hlte mit den H�nden sein R�ckchen, aber das war viel zu na�. Der kleine Vogel mu�te trocken sitzen.
�O je, wie er zittert – er wird sich noch zu Tode zittern.� Pommerle war recht ungl�cklich. Einen Augenblick dachte es daran, die Beeren auszusch�tten und das V�glein in die M�tze zu setzen. – Aber da kam ihm pl�tzlich ein rettender Gedanke: �Kleiner Piepmatz, brauchst nicht mehr zu frieren, jetzt habe ich ein sch�nes H�uschen f�r dich!�
Pommerle lehnte sich an einen Baum, schn�rte rasch den einen Schuh auf, zog ihn aus, fa�te hinein und stellte erfreut fest, da� der Schuh innen warm war.
�So, kleiner Piepmatz, nun hast du ein feines H�uschen, darin tut dir keiner was.�
Vorsichtig lie� das kleine M�dchen das V�glein in den Schuh schl�pfen, hauchte vorher noch einige Male hinein. Das V�glein sa� ganz still in seinem dunklen H�uschen.
�Na, ist es sch�n warm?�
Nur ein leises Piepen war die Antwort. Als Pommerle den Fu� aufsetzte, schrak es ein wenig zusammen. Es hatte mit dem Strumpf gerade in eine kleine Wasserpf�tze getreten. Aber was schadete das! Das V�glein sa� doch warm. Rasch griff Pommerle nach der M�tze, stellte den schmutzigen Schuh auf die Beeren, dann eilte es auf einem Schuh und einem Strumpf hinter den anderen M�dchen her. Es gelang ihm zwar nicht mehr, die Gef�hrtinnen einzuholen, zumal Pommerle mehrmals stehenblieb und bei dem Sperling anfragte, ob er sich auch wohlf�hle.
Als es die ersten H�user von Hirschberg erreicht hatte, traf Pommerle auf der Stra�e eine �ltere Frau. Diese schlug die H�nde zusammen, als sie das Kind kommen sah.
�Wie siehst du denn aus, du Schmutzfink? Warum ziehst du denn den Schuh nicht an?�
Pommerle hob das Gesichtchen mit den strahlenden Blauaugen, durch seine Stimme klang unterdr�ckter Jubel.
�Weil ein liebes V�glein drinnen wohnt.�
�Kind, du wirst dich erk�lten, der ganze Strumpf ist na� und beschmutzt.�
�Warum ziehst du denn den Schuh nicht an?� – �Weil ein liebes V�glein drinnen wohnt.�
Andere kamen und sahen dem kleinen Pommerle nach, manch einer lachte belustigt.
�Die Kleine aus dem Pommerlande hat doch immer allerlei Schnurren im Kopfe!�
Endlich war die Villa des Onkels erreicht. Pommerle lief sogleich in die K�che, in der das Hausm�dchen und Frau Bender mit dem Abendessen besch�ftigt waren.
�Endlich bist du wieder da, Pommerle – aber was ist denn das?�
Behutsam stellte Pommerle den Schuh vor die Tante hin. �Ein kleines V�gelchen ist drin. Nun m�ssen wir es warm setzen, da� es sich nicht erk�ltet.�
Frau Bender wollte ein wenig schelten; aber als sie die Liebe sah, mit der die Kleine das nasse Tierchen betreute, schwieg sie. Pommerles gutes Herz, seine gro�e Liebe zu den Tieren, zeigte sich heute wiederum. Au�erdem war das kleine M�dchen das Barfu�gehen von fr�her her gew�hnt. Der kleine Spaziergang ohne Schuh w�rde ihm nichts schaden.
�Jetzt bringe dich auch in Ordnung, Pommerle, inzwischen habe ich das V�glein versorgt.�
Sehr rasch stellte sich das kleine M�dchen wieder in der K�che ein. Die gute Tante hatte inzwischen den Sperling in ein K�rbchen gesetzt, mit einer Decke zugedeckt und meinte, es sei nun das richtigste, man lasse das Tierchen in Ruhe.
�Sobald er wieder trocken ist, lassen wir ihn fliegen.�
�Wollen wir ihm nicht etwas zu fressen geben?�
�Er ist viel zu ver�ngstigt, Pommerle, jetzt fri�t er nichts. Er f�hlt sich jetzt schwach und braucht nur Ruhe.�
Pommerle eilte schon wieder davon, um wenige Augenblicke sp�ter mit einer Flasche K�lnischen Wassers wieder zu erscheinen.
�Nur mal riechen soll es dran. Wenn es schwach ist, tut es ihm gut.�
�La� das V�glein h�bsch in Ruhe, mein Kind.�
�Aber die Frau M�ller hat auch neulich dran riechen m�ssen, als sie schwach war.�
�Das ist etwas ganz anderes, der Vogel braucht nur Ruhe.�
Als Frau Bender nach einer Weile wieder in die K�che kam, sa� Pommerle noch immer neben dem K�rbchen.
�Wir wollen den Vogel jetzt zudecken, da� er nicht umherflattert; dann wollen wir Abendbrot essen. Morgen fr�h ist dann das Tierchen wieder gesund. – So, nun komm zu Tisch, der Onkel wartet schon.�
�Und ich habe noch so viel zu erz�hlen. – Tante, kennst du den Harfen-Karle?�
�Freilich kenne ich den alten Mann.�
W�hrend des Essens berichtete Pommerle von seinen heutigen Erlebnissen.
�Und da mu�t du mal hingehen, Onkel, der hat 'ne Menge giftige Wurzeln und Bl�tter. Dann kannst du wieder ein Buch dar�ber schreiben.�
�Das k�nnen wir mal machen, Pommerle. Zum alten Harfen-Karle wollte ich schon lange mal gehen, bin nur noch nicht dazugekommen. Aber wir wollen ihn sp�ter einmal gemeinsam besuchen.�
Als man gegessen hatte, griff Pommerle nach den Tellern und Messern, r�umte sie zusammen, so da� alles schon sch�n geordnet stand, als das M�dchen das Zimmer betrat. Erstaunt schaute Frau Bender auf die kleine Flei�ige.
�Nanu, Pommerle, heute gar so emsig?�
Pommerle nickte, und dann begann es, allerdings in recht falschen T�nen, aber doch nicht ohne musikalisches Verstehen zu singen:
�Zur Arbeit, nicht zum M��iggang,
Hat mich der Herr geschaffen.�
Mit leiser Z�rtlichkeit strich Frau Bender dem Kinde �ber das Haar.
Unter fr�hlichem Lachen und L�rmen str�mten die Kinder aus dem Schulhaus. Wieder einmal Ferien! Herbst- oder Kartoffelferien! – Besonders Pommerle strahlte, war ihm doch vom Onkel f�r die Herbstferien wieder ein kleiner Ausflug ins Gebirge versprochen worden.
Nur schade, da� der Spielgef�hrte, der Jule, diesmal nicht dabei sein konnte! Jule war seit dem ersten September bei Meister Reichardt in der Lehre, um das Tischlerhandwerk zu erlernen. Da konnte er nicht mehr fort. Er kam auch jetzt nicht mehr so h�ufig ins Haus des Professors, weil er tags�ber besch�ftigt war. Seine Verpflegung erhielt er beim Meister, nur des Abends ging er heim.
Seit einigen Tagen war das aber auch anders geworden. Jules Mutter, die viel kr�nkelte, war wieder einmal ins Krankenhaus gekommen. Man sagte, es gehe ihr gar nicht gut, und Jule war daher vollst�ndig zu Meister Reichardt �bergesiedelt.
Ferien! – Pommerle packte die Schultasche an beiden Riemen und wirbelte sie in der Luft herum. Die fellbesetzte Klappe l�ste sich, und im n�chsten Augenblick lagen B�cher, Hefte und Federkasten auf der Stra�e verstreut.
�O je!� sagte Pommerle erschrocken.
�Ist das eine Art, die B�cher herumzuwerfen?�
Ein vor�bergehender Herr musterte das Kind vorwurfsvoll durch die Brillengl�ser. �Was stehst du m��ig herum? Sammle die Sachen wenigstens auf!�
Schuldbewu�t und niedergeschlagen machte sich Pommerle ans Werk. Es war doch zu schlimm, da� man immer, wenn man sich �ber etwas gar so sehr freute, gleich etwas Unangenehmes zu sp�ren bekam. Es war doch gewi� ein erfreuliches Ereignis, da� Ferien waren und da� man wieder ins sch�ne Riesengebirge wandern durfte.
Pommerle verzog das Gesichtchen wehleidig, als es sah, da� einige Hefte starke Spuren von Stra�enschmutz trugen. Das war nun wieder einmal Kinderpech. Die Tante w�rde sehr �rgerlich dar�ber sein. In Zukunft wollte Pommerle ein wenig vorsichtiger mit seinen Schulsachen umgehen.
Nun ging es in schnellem Laufe heim. Pommerle �ffnete die Gartenpforte und wollte schnell ins Haus huschen, als es seinen Namen h�rte.
�Pommerle!�
Das kleine M�dchen blieb stehen. Hinter der gro�en Hecke dr�ben schaute der Kopf Jules hervor. Das Antlitz des kleinen M�dchens strahlte. Es freute sich immer, wenn es den �lteren Gespielen sah.
Ferien! – Pommerle packte die Schultasche an beiden Riemen und wirbelte sie in der Luft herum.
�Jule!� rief es erfreut.
�Sei still, komm hierher, mich darf keiner sehen.�
Gehorsam huschte Pommerle hinter die Hecke und schaute fragend den Knaben an.
�Kannst du heute nachmittag mit mir in den Wald gehen? Oder zu den Bobersteinen? Wir k�nnen aber nicht zusammen hingehen, ich habe dir was zu sagen.�
�So sag es doch gleich, Jule.�
�Nein, das ist zu lang.�
�Warum stehst du denn hinter der Hecke?�
Jule scharrte mit dem Fu�e im Kies herum. �Das erz�hle ich dir alles sp�ter. Kommst du?�
�Ich mu� zuerst die Tante fragen. Wenn ich darf, komme ich.�
�Nee, fragen darfst du nicht, sie brauchen es nicht zu wissen, da� ich da bin.�
�Warum sollen sie es nicht wissen, Jule?�
�Das erz�hle ich dir sp�ter.�
Pommerle �berlegte. �Wir haben heute Ferien bekommen, da darf ich vielleicht nachmittags weit spazierengehen.�
Ein langgezogener Seufzer kam �ber Jules Lippen. �Du hast Ferien, und ich mu� immerzu arbeiten, immerzu, von fr�h bis abends. Dann zankt der Meister, und – und – nun kommt auch noch die andere, die wird auch immerfort aufpassen und – wenn ich doch nichts mehr recht mache – wenn ich doch kein richtiger Tischler werde – du, Pommerle, heute nacht ist mir der R�bezahl erschienen.�
�Der R�bezahl?�
�Er hat mir gesagt, ich w�rde mal ein reicher Mann werden. Dann hat er mich auf einen hohen Berg gef�hrt und an ein gro�es Wasser. Na, kurz heraus, Pommerle – ich will nach Amerika!�
�Was willst du denn in Amerika?�
�Ich habe es auch vom Meister geh�rt, er hat erz�hlt, dort sind viele Leute reich geworden, dort liegt das Geld nur so herum.�
Pommerle hob aufmerksam den Kopf. �Das wird sein wie im Hausberg. Dort kann man sich auch die Taschen vollstopfen.�
Jule neigte seine Lippen zu Pommerles Ohr.
�Ich will heute nacht auch nach dem Hausberg gehen. Wenn mir der R�bezahl versprochen hat, da� ich reich werde, zeigt er mir vielleicht den Eingang.�
�Heute nacht? Jule, f�rchtest du dich denn nicht?�
�Nat�rlich f�rchte ich mich, sehr sogar! Aber ich will nicht l�nger bei Meister Reichardt bleiben. Ich will nach Amerika, und dazu brauche ich Geld.�
Pommerle fa�te nach Jules Hand. �Bleib doch lieber hier, Jule. Amerika soll so weit weg sein.�
�Nein, ich bleibe nicht�, erwiderte der Bursche und stampfte trotzig mit dem Fu�e auf den Boden. �Ich gehe auch nicht mehr zum Meister zur�ck. Einen faulen Schlingel hat er mich gehei�en. Nun kommt auch noch seine Tochter, die soll ebenfalls auf mich aufpassen. In der Werkstatt soll sie sitzen. Nein – nein – nein.� Jules Stimme wurde immer weinerlicher. �Ich gehe nach dem Hausberg, hole mir Geld und fahre nach Amerika.�
�Wollen wir nicht zuerst mal den Onkel fragen?�
�Na, das w�re ja noch sch�ner! Du darfst keinem Menschen etwas davon sagen. Wenn ich erst dr�ben in Amerika bin, schicke ich dir viel Geld, dann kommst du nach.�
�Und Onkel und Tante auch?�
�Nein, wir zwei ganz allein. Mach doch kein so dummes Gesicht, Pommerle. Der R�bezahl ist mir heute nacht erschienen.�
�Das hast du getr�umt, Jule.�
�Nun ja, Tr�ume gehen doch in Erf�llung.�
�O nein�, lachte Pommerle schallend auf. �Ich habe auch getr�umt, es ist ein gro�er Fisch gekommen, der hat meine Puppe gefressen und den sch�nen Gummifrosch. Dann habe ich nachgesehen, und da war alles noch da. Der Onkel sagt, die Tr�ume sind nur Geschichten, die uns der Himmel im Schlafe schickt, da� wir uns in der Nacht nicht langweilen.�
�Ach was�, meinte Jule unwillig. �Der R�bezahl meint es gut mit mir. Ich gehe nach Amerika.�
�Der R�bezahl�, meinte Pommerle nachdenklich, �der R�bezahl ist doch nur ein Sagenmann. Vor vielen hundert Millionen Jahren mag er ja in den Bergen herumgestiegen sein. Dann ist er gestorben und zur Sage geworden.�
�Unsinn!� brauste der Jule auf. �Wirst ja sehen, wie mir der R�bezahl hilft.�
Nachdenklich schaute das kleine M�dchen vor sich nieder. Wenn der Jule nicht mehr zu seinem Meister zur�ckgehen wollte, w�rde sich der Meister sehr wundern und ihn suchen lassen. Pommerle hatte sich auch einmal im Gebirge verlaufen. Da hatten viele Menschen nach ihm gesucht. Der Meister w�rde dann in gro�er Angst sein.
�Geh doch lieber zu deinem Meister zur�ck, Jule. Dann wirst du ein t�chtiger Tischler und auch sehr reich. Der Meister Reichardt ist doch auch reich.�
�Mit dir ist heute gar nichts los. Wenn du eben nicht mitmachst, bleibst du hier. Du hast immerfort Ferien, aber ich soll nur arbeiten. Und wenn ich doch nichts recht mache –�
Der j�mmerliche Ton, in dem diese Worte gesagt wurden, schnitt Pommerle ins Herz.
�Mir machst du alles recht, Jule. Und wenn du eben nach Amerika willst, dann geh nur hin. Aber kommst du bald wieder?�
�Das wei� ich nicht.�
�Deine Mutter kann doch aber nicht allein hierbleiben?�
Ein Schatten glitt �ber das Gesicht des Knaben. �Die Mutter ist immerzu krank. Mit der kann ich nicht viel reden. Sie ist nicht daheim, ich wohne jetzt beim Meister, und – da ist doch keiner, mit dem ich so reden kann wie mit dir.�
�Komm mit zum Onkel oder zur Tante, Jule. Vielleicht schenkt sie dir ein blankes F�nfmarkst�ck, da� du nach Amerika fahren kannst. Dann brauchst du nicht heute nacht zum Berg zu gehen.�
�Ich habe es dir doch schon mal gesagt, da� deine Tante nichts wissen darf.�
Viertelstunde auf Viertelstunde verrann, noch immer sprach Jule von seinen abenteuerlichen Pl�nen. Bis pl�tzlich Pommerle vom Flur des Hauses die Stimme der Tante h�rte.
�Wenn ich nur w��te, wo das Kind bleibt!�
�Jule, ich mu� nun gehen, sie warten schon mit dem Mittagessen. Jule, lieber Jule, komm doch mit!�
�Du darfst nichts sagen, da� ich hier war, keiner darf es wissen.�
Dann war der Platz hinter der Hecke leer, Jule war davongelaufen.
Pommerle befand sich in einem Zwiespalt. Es vertraute so gern der Tante alles an, was es auf dem Herzen hatte. Doch der Jule hatte verboten, von der Zusammenkunft zu reden. Nun fragte die Tante sogar noch, warum sich das Kind heute so sehr versp�tet habe.
Pommerle stellte sich auf die Zehenspitzen und fl�sterte der Tante ins Ohr: �Ich darf es keinem sagen, da� ich mit einem Jungen im Garten gewesen bin. Er hat mir gesagt, ich mu� stille sein.�
Es dauerte gar nicht lange, da ahnte Frau Bender, wer dieser Knabe gewesen sei. Sie fragte Pommerle nicht weiter dar�ber aus, wunderte sich auch nicht �ber dieses Zusammentreffen, da sie glaubte, da� Jule in seiner Mittagsstunde auf Pommerle gewartet und mit ihm geplaudert habe. Erst am Abend, als das Kind immer wieder fragte, ob es gef�hrlich sei, nachts am Hausberg spazierenzugehen, wurde Frau Bender aufmerksam.
�Ich glaube nicht, da� jemand nachts am Hausberg spazierengeht.�
�Doch, Tante, heute nacht geht einer dort spazieren.�
�Wer denn?�
Wieder �berlegte Pommerle. Das hatte der Jule nicht verboten zu erz�hlen. Aber ehe die Antwort kam, t�nte die dunkle Stimme eines Mannes durch das Haus. Frau Bender wurde aufmerksam.
Das war doch Meister Reichardt! Sie ging hinaus und lie� den Tischler eintreten.
�Ich wollte nur fragen, gn�dige Frau, ob sich der Jule heute hier sehen lie�. Der Junge ist mir heute fr�h fortgelaufen, hat sich zum Mittagessen nicht eingestellt und ist auch nach Feierabend nicht zur�ckgekommen. Seine Kammer ist leer.�
�Der Jule ist heute mittag in unserem Garten gewesen.�
�So, ich habe ihn heute fr�h wegen einer Unvorsichtigkeit ausgescholten. Schon gestern hat er allerlei Dummheiten gemacht. Er ist ja ein ganz guter und anstelliger Bengel, aber wenn er seinen Eigensinn bekommt, ist nichts mit ihm anzufangen. Wo mag er nur hingelaufen sein?�
Pommerle h�rte die Worte des Meisters. Sein Herz klopfte bis in den Hals hinauf. Durfte es den Jule verraten? Sollte es sagen, da� der Jule heute nacht in den Hausberg gehen wollte, um Geld zu holen und nach Amerika zu fahren? Noch schwieg der Kindermund.
�Ich denke, Meister Reichardt, der Jule wird sich zum Abend wieder einfinden. Sollte er zu uns kommen, werden wir ihn sofort zu Ihnen bringen.�
Abends, kurz vor zehn Uhr, Pommerle lag schon lange in seinem Bettchen und schlief, schickte Meister Reichardt nochmals zu Professor Bender, um nach Jule zu fragen. Aus dem Krankenhaus war die Botschaft gekommen, da� sich der Zustand der Mutter Jules pl�tzlich verschlimmert habe. Der Knabe sollte hinkommen.
�Wo mag der Bengel nur stecken?� sagte Professor Bender. �Ich kann dem Meister keine Auskunft geben.�
�Vielleicht w�re es gut�, meinte die gutherzige Frau Bender, �wenn ich zu Frau Kretschmer hinginge.�
Mutter Kretschmer, wie man sie in Hirschberg nannte, hatte jahrelang Zeitungen ausgetragen und war fast allen gut bekannt. Sie war immer eine stille und ruhige Frau gewesen, die sich und ihr Kind m�hsam durchbrachte. Sie empfand f�r Benders herzliche Dankbarkeit, weil sich der Professor immer des Julius angenommen hatte, und weil er es auch gewesen war, der dem Knaben die Lehrstelle verschafft hatte.
�Wenn es mit Mutter Kretschmer so schlecht geht, will ich heute noch nach ihr sehen.� Schon zog sich Frau Bender den Mantel an und verlie� nach wenigen Minuten die Villa. Sie bat noch, man solle den Jule sofort nachschicken, falls er sich heute abend doch noch sehen lasse.
Mit Mutter Kretschmer ging es zu Ende. Wohl h�rte sie noch die freundlichen Worte, die Frau Bender an die Sterbende richtete, wohl blickten die halbgebrochenen Augen nochmals suchend nach der T�r.
�Der Jule ist ein ganz guter und anstelliger Bengel�, berichtete Meister Reichardt, �aber wenn er seinen Eigensinn bekommt, ist nichts mit ihm anzufangen.�
�Der Jule –�
�Der Jule wird bald hier sein, Mutter Kretschmer�, tr�stete Frau Bender. �Bleiben Sie ganz ruhig liegen, ich bin bei Ihnen und verlasse Sie nicht.�
�Verlassen Sie auch den Jule nicht, er soll ein ordentlicher Mensch, ein t�chtiger Handwerker werden – er soll seine Mutter lieb behalten.�
�Nicht so viel reden, Mutter Kretschmer. Der Jule wird gewi� ein braver Mann werden. Sie d�rfen jetzt nicht so viel reden, recht ruhig liegenbleiben.�
Eine zitternde Hand tastete sich zu der Frau Benders.
�Mein Jule, mein lieber, guter Junge!�
Zehn Minuten sp�ter war das Lebenslicht der alten Frau erloschen. Friedlich ruhte Mutter Kretschmer in den Kissen, Frau Bender dr�ckte der Entschlafenen die Augen zu. Wie schmerzlich w�rde es f�r Jule sein, wenn er h�rte, da� die Mutter in ihrer letzten Stunde immer wieder nach dem Sohne ausgeschaut hatte, der nicht gekommen war.
Am Morgen des n�chsten Tages fragte man bei Meister Reichardt an, ob sich der Jule eingefunden habe. Niemand hatte ihn gesehen. Pommerle h�rte auch davon, es vernahm auch, da� Frau Kretschmer gestorben sei, und eine unerkl�rliche Angst legte sich auf das Herz des Kindes.
�Er hat mir gesagt, ich darf nichts verraten, aber er ist gestern nacht in den Hausberg gegangen, um Geld zu holen. Er will nach Amerika gehen.�
Professor Bender und seine Frau forschten weiter, und Pommerle erz�hlte nun alles. Tiefe Trauer bem�chtigte sich Frau Benders. An dem Tage, an dem der Knabe sich mit schlechten Gedanken trug, an dem er seinem Lehrmeister ausrei�en wollte, war seine Mutter gestorben. Noch in ihrer letzten Stunde hatte sie gehofft, da� der Jule ein t�chtiger Mensch, ein flei�iger Handwerker werden w�rde. Nun war sie tot, und wenn der Jule wiederkam, hatten sich die Lippen seiner Mutter f�r immer geschlossen. Niemals w�rde er mehr ein liebevolles Wort aus Muttermund h�ren.
Aber auch Pommerle war tief niedergeschlagen. Dem Jule war die Mutter gestorben. Das war dasselbe wie damals, als ihm der Vater genommen war. All der Schmerz und das Leid, das Pommerle damals durchlebt hatte, erwachte erneut in dem Kinderherzen. Pommerle ging in sein Zimmerchen, legte sich die Puppe auf den Scho�, nahm den Gummifrosch in den Arm; dann tropfte Tr�ne auf Tr�ne aus den Kinderaugen.
�Vater, Vater! Jule, nun hast du keine Mutter mehr und keinen Vater, nun ist sie tot, die gute Mutter Kretschmer. Ich m�chte an die Ostsee!�
Professor Bender entdeckte am Mittag den Jule, der sich gerade nach dem Ger�teschuppen des Benderschen Hauses schlich. Dort wollte der �berm�dete Knabe ausruhen. Schweigend nahm der Professor den Knaben am Arm, f�hrte ihn ins Haus, hinein in sein Zimmer.
Frau Bender wurde erst aufmerksam, als sie wildes Kinderweinen h�rte. Sie horchte, kam n�her und h�rte den Jule.
�Tot ist sie!�
Da ging sie hinein ins Zimmer, nahm den Knaben in die Arme und dr�ckte ihn fest an sich.
�Nun la� dir sagen, mein liebes Kind, was mir deine Mutter in ihrer letzten Stunde zufl�sterte. Sie hat sehr nach dir verlangt, nach ihrem lieben, guten Jule. W�rest du Meister Reichardt nicht fortgelaufen, h�ttest du ihr zum Abschied die Hand dr�cken d�rfen. Aber du warst nicht da. Jule, deine tote Mutter erwartet von dir, da� du ein t�chtiger Mensch, ein flei�iger Handwerker werden sollst.�
�Ich will zur Mutter!� Das war nicht mehr der f�nfzehnj�hrige Lehrling, es war ein hilfloser Knabe, der pl�tzlich erkannte, da� ihm der gestrige Tag das Beste, was es auf der Erde f�r ihn gab, geraubt hatte. �Ich will zur Mutter!�
�Du wirst zuerst etwas essen, Jule, dann gehen wir zusammen hin.�
Aber der Knabe a� nichts. Die Tr�nen str�mten ihm �ber die Wangen. Er versuchte, zwar einige Bissen hinunterzuw�rgen, es ging nicht. Nochmals schaute Frau Bender nach Pommerle. Auch hier ein weinendes Kind.
�Komm zum Onkel, mein Pommerle. Der Jule geht jetzt mit mir zu seiner Mutter.�
�Ich m�chte zum Vater!�
�Sei vern�nftig, mein liebes Kind, der Onkel wartet schon auf dich.�
Sie ging und barg das verweinte K�pfchen an der Brust des treuen Besch�tzers. – –
Da stand nun der Jule vor der entschlafenen Mutter, w�rgte und schluckte die immer neu hervorbrechenden Tr�nen herunter.
Endlich mahnte Frau Bender leise:
�So, mein liebes Kind, nun gib noch einmal deiner Mutter die Hand, ihre letzten Worte waren ein Segen f�r dich, ihr letzter Wunsch war der, da� du gut und brav werden sollst. Vor einiger Zeit hast du Professor Bender versprochen, du wolltest ein braver Handwerker werden. Du hast dein gegebenes Wort bisher schlecht gehalten, Jule. Ich denke, nun wird es anders werden. Ich wei�, da� die Lehrzeit eine schwere Zeit ist. Besonders f�r dich, der du daran gew�hnt bist, frei herumzustreifen, f�r dich ist das Stillsitzen eine schwierige Aufgabe. Aber schau die Lehrzeit mit frohen Augen an, denke an deine gute Mutter, denke auch daran, da� sie segnend auf dich herniederblickt. Nun sieh mich einmal an, Jule, und sage mir ehrlich: Wirst du wieder zu Meister Reichardt zur�ckkehren und flei�ig sein?�
�Ich will ein t�chtiger Handwerker werden!� stie� Jule unter heftigem Schluchzen hervor. Dann wandte er sich wieder der toten Mutter zu, und wieder klang es leise und kl�glich: �Ja, ich will ein t�chtiger Handwerker werden.�
Drei Tage sp�ter trug man Mutter Kretschmer zu Grabe.
Jule war merkw�rdig gefa�t. Nur von Zeit zu Zeit kam ein Schluchzen aus seiner Brust. Aber wenn er dann die liebevollen H�nde Frau Benders f�hlte, klammerte er sich fest an sie, als k�nne sie ihm ein wenig das Verlorene ersetzen.
Meister Reichardt hatte Jule ohne jeden Vorwurf wieder aufgenommen. Der Tod der Mutter hatte einen tiefen Eindruck auf den Knaben gemacht. Jule nahm sich nach Kr�ften zusammen. Er war anfangs sehr still und in sich gekehrt, mitunter kam es vor, da� er ganz pl�tzlich das Handwerkszeug fortwarf und aus der Werkstatt lief. Einmal war ihm der Meister nachgegangen, hatte den weinenden Knaben im Hofe gefunden und war schweigend wieder zur�ckgegangen. Es war wohl am besten, wenn Jule diese seelischen Ersch�tterungen allein durchk�mpfte.
Professor Bender hatte die Vormundschaft �ber den Knaben �bernommen. Es war mit Meister Reichardt ausgemacht worden, da� Jule die Sonntage im Benderschen Hause verbrachte.
Pommerle schien sich noch inniger an Jule angeschlossen zu haben. Die Kinderaugen hingen mit r�hrender Z�rtlichkeit an dem gro�en Spielgef�hrten, und manches St�ck Schokolade, mancher Apfel wurden ihm zugesteckt; dann freute sich Pommerle, wenn �ber Jules Gesicht ein L�cheln ging.
Waren die beiden Kinder zusammen, sprachen sie oft von den toten Eltern.
�Keiner ist mehr da�, sagte Jule, �der so lieb zu mir spricht wie sie. Sie hat mich so oft gestreichelt. Sie hat mich ihr Julchen genannt, nun ist sie tot.�
�Ich will dich immer Julchen nennen und dich immerzu streicheln, Jule. Ich will so gut zu dir sein wie deine Mutter.�
�Ja, aber deswegen bist du doch nicht meine Mutter. Jetzt wei� ich erst, wie gut sie war. Ich war auch oft h��lich zu ihr. Wenn sie nochmals wiederk�me, ich wollte niemals garstig zu ihr sein.�
An einem der n�chsten Sonntage legte Pommerle vor den Freund ein aufgeschlagenes Buch hin.
�Ich habe ein sch�nes Gedicht gefunden.� Dann lasen sie zusammen die Verse:
�Wenn du noch eine Mutter hast,
So danke Gott und sei zufrieden,
Nicht jedem auf dem Erdenrund
Ist dieses hohe Gl�ck beschieden.�
Pommerle erschrak, als Jule in dem sch�nen Gedicht nicht den Trost fand, den es erwartet hatte. Im Gegenteil, Jule legte die Arme auf die Tischplatte und begann heftig zu weinen.
Immerfort strichen die Kinderh�nde �ber sein Haar, immerfort klang es z�rtlich von Pommerles Lippen:
�Julchen, aber Julchen, weine doch nicht, ich habe doch auch keine Mutter, und mein Vater ist auch gestorben. Julchen, Julchen, ich hole dir ein St�ck Schokolade.�
So trugen in den n�chsten Wochen zwei Kinder gemeinsam ein Leid. Allm�hlich legte sich der gro�e Schmerz in Jules Herzen, nur stille Wehmut blieb darin zur�ck.
Da der November noch sch�ne Tage brachte, k�ndete Professor Bender seinem M�ndel und seiner Pflegetochter an einem Freitagabend an, da� man morgen nachmittag nochmals in die Berge wolle. Meister Reichardt hatte sich bereit erkl�rt, Jule schon am Sonnabend gegen Mittag zu beurlauben; man wollte erst am Sonntagabend wieder zur�ckkehren, konnte also eine gr��ere Wanderung unternehmen.
Jules Gesicht strahlte auf, als er von diesem Plan h�rte.
�Na, Jule, freut es dich?� fragte Professor Bender.
Statt einer Antwort pre�te der Knabe heftig die Hand seines Vormundes. Er hatte es keinem verraten, da� er gro�e Sehnsucht im Herzen trug, wieder einmal in die Berge zu gehen, eine Wanderung zu machen.
�Da du in den letzten Wochen so brav gearbeitet hast, mein Junge, gibt es eine Belohnung. Dann schmeckt die Arbeit wieder doppelt gut.�
Auch Pommerle machte Luftspr�nge vor Freude.
�Gehen wir hoch 'rauf, bis auf die Schneekoppe?�
�Nein, mein kleines M�delchen, das geht jetzt nicht. Das k�nnen wir nur im Sommer machen. Trotzdem wirst du viel Sch�nes zu sehen bekommen.�
�Aber auf einen hohen Berg gehen wir doch, Onkel?�
�Ein gutes St�ck steigen wir aufw�rts, so weit wir kommen.�
�Es w�re sch�n, wenn wir auf einen ganz hohen Berg gingen.�
�Warum denn, Pommerle?�
�Ich denke mir, Onkel, da� der Jule sich dann besser mit seiner Mutter unterhalten kann, die oben im Himmel ist. Wenn er ganz laut zu den Wolken hinaufschreit, da� er so flei�ig ist, wird sie es schon h�ren.�
�Das braucht Jules Mutter nicht erst zu h�ren, das sieht sie.�
�Wenn ich an der See bin, Onkel, dann h�re ich durch das Wasser den Vater sprechen. Dann rauschen die Wellen, und ich h�re alles, was er mir sagt. Vielleicht h�rt der Jule seine Mutter auch auf dem hohen Berge.�
�Wenn man seinen Vater und seine Mutter im Herzen hat, mein geliebtes Kind, h�rt man ihre Stimmen im Waldesrauschen, an der See, im Winde und �berall. Und der Jule hat sein totes M�tterchen fest und tief im Herzen.�
�Und ich meinen Vater.�
�Ja, Pommerle, und so soll es immer bleiben. Du kennst ja das Gebot, das uns sagt, du sollst Vater und Mutter ehren, da� es uns wohlergehe. Auch wenn Vater und Mutter tot sind, mu� man sie ehren und lieben, wie es der Jule jetzt zeigt, indem er so flei�ig und ohne zu murren arbeitet.�
Pommerle nickte dazu.
Freudestrahlend, voll froher Erwartungen hatte man in Hirschberg am Sonnabend mittag die Bahn bestiegen, um zun�chst nach Warmbrunn zu fahren, weil Professor Bender dort einen kurzen Besuch zu machen hatte.
Pommerle und Jule wanderten mit der Tante durch den Ort. Bei dieser Gelegenheit begegneten ihnen mehrfach Damen und Herren, die in Rollst�hlen sa�en und von ihren Angeh�rigen gefahren wurden. Pommerle blickte den Kranken lange nach. Frau Bender mu�te dem Kinde die Erkl�rung geben, da� man hier in Warmbrunn viele Leidende sehen k�nne, die das ganze Jahr �ber die heilkr�ftigen B�der aufsuchten, um von ihren Leiden befreit zu werden.
Man sah sich auch die gro�en Badeanstalten an, die das Kind voller Ehrfurcht betrachtete. Immer wieder hatte die kleine Wi�begierige allerlei Fragen zu stellen, Pommerle wollte wissen, woher es k�me, da� man durch B�der gesund werde. Es war f�r Frau Bender mitunter nicht ganz leicht, den Wissensdurst des kleinen M�dels zu stillen.
Es dauerte nicht lange, so gesellte sich der Professor wieder zu den Seinen. Mit der Talbahn ging es weiter nach Hermsdorf, von dort begann die Fu�wanderung, denn man wollte �ber Agnetendorf nach Schreiberhau. F�r heute war allerdings nur Agnetendorf das Ziel, dort wollte man �bernachten.
R�stig schritt man aus. Jule und Pommerle gingen strammen Schrittes vor Professor Bender und seiner Gattin her. Das Kind war nicht so gespr�chig wie bisher. Es sah noch immer die Rollst�hle mit den Kranken vor sich. Pl�tzlich fing es laut an zu singen. Es waren immer wieder zwei Zeilen, zu denen sich Pommerle die eigene Melodie gemacht hatte.
�Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl das gr��te Gut!�
Nachdem das Kind die beiden Zeilen etwa zwanzigmal gesungen hatte, sagte Jule:
�Warum singst du denn immerfort dasselbe?�
�Weil ich so froh und wohlgemut bin, da� ich nicht im Rollstuhl zu sitzen brauche, und da� ich bis nach Agnetendorf und noch viel weiter laufen kann.�
Selbstverst�ndlich kam gar bald die Rede der beiden Kinder auf den Harfen-Karl.
�Dich hat der Himmel auch zur Arbeit und nicht zum M��iggang erschaffen�, meinte das Kind ernsthaft. �Wer ein Meister werden will, der f�llt nicht vom Himmel.�
�Man kann auch wohlgemut sein�, meinte Jule nachdenklich, �wenn man nicht gesund ist. Meinst du nicht auch, Pommerle?�
�Nein�, klang es energisch zur�ck. �Dann hat man das gr��te Gut nicht. Wenn ich immerzu in einem Rollstuhl sitzen m��te, w�re ich nicht wohlgemut.�
�Aber unsere Sabine ist doch wohlgemut.�
�Wer ist die Sabine?�
�Die Tochter von meinem Meister. Sie ist noch nicht lange aus Breslau zur�ck. Sie ist viel in der Werkstatt und sieht mir beim Arbeiten zu. Eigentlich sieht sie nicht, denn sie hat keine Augen, sie ist blind.�
Pommerle blieb ruckartig stehen. �Keine Augen hat sie?�
�Augen hat sie schon, aber die sind blind.�
�Und nun kann sie gar nichts sehen?�
�Ich wei� nicht�, sagte Jule nachdenklich. �Sie sagt, sie kann nicht sehen, und die Meisterin sagt es auch. Aber wenn sie in der Werkstatt sitzt und zu mir her�berblickt, kommt es mir doch manchmal vor, als ob sie mir zuschaue.�
�Was macht sie denn, wenn sie da sitzt?�
�Sie kann h�bsche K�rbchen flechten, ganz kleine.�
�Wenn sie aber doch nichts sieht?�
�Sie meint, sie f�hlt es. So was h�tte sie in Breslau gelernt.�
Wieder wurde Pommerle nachdenklich. �Wenn sie aber doch gar nichts sieht, kann sie denn da froh und wohlgemut sein?�
�Sie sagt, sie ist zufrieden.�
�Ach, Jule, kann ich die Sabine nicht mal sehen?�
�Freilich, mu�t mich mal besuchen kommen.�
Weiter gingen die Kinder. Pommerle hob die Augen zu den gr�nen Tannen und zum blauen Himmel auf. Dann drehte sie sich um und lief zur Tante. Weit breiteten sich die Kinderarme aus.
�Ach, liebe Tante, ich kann laufen, springen, ich kann alles sehen, den blauen Himmel, die Berge, den Wald und die liebe See. Aber die Sabine soll gar nichts sehen k�nnen. Ach, Tante, ich bin so froh und wohlgemut, da� ich das gr��te Gut habe!�
�Hast recht, mein liebes Pommerle.�
Darauf erkundigte sich das Kind sehr eingehend nach der blinden Sabine. Es war schwer, zu glauben und zu fassen, da� ein junges, sechzehnj�hriges M�dchen gar nichts von der sch�nen Welt sehen sollte, da� es trotzdem zufrieden war und K�rbchen flechten konnte.
�Wenn du ein sehr gutes Zeugnis im Schreiben heimbringst�, sagte der Professor, �gehen wir in den n�chsten Tagen zu Meister Reichardt in die Werkstatt. Dort sollst du Sabine kennenlernen.�
�St��t sie sich nicht furchtbar oft, wenn sie nicht sehen kann, wo sie geht?�
�Blinde lernen ihre Umgebung sehr schnell kennen. Zun�chst mu� sie sich freilich zurechttasten.�
Da Pommerle gar zu gern wissen wollte, wie es sei, wenn man gar nichts s�he, schlo� es die Augen. Vorl�ufig hing es freilich noch am Arm der Tante, da ging alles ganz gut.
Aber schlie�lich �berkam es das Verlangen, sich auch einmal zurechtzutasten. Benders, die von Pommerles Absicht nichts ahnten, gingen ruhig des Weges weiter, bis sie pl�tzlich durch einen Wehruf aufmerksam wurden. Pommerle war �ber eine Baumwurzel gefallen und lag auf der Erde. Es rieb sich das aufgeschlagene Knie.
�Ich m�chte doch nicht die Sabine sein�, sagte es kl�glich. �Ich bin froh, da� ich die Gesundheit und das h�chste Gut habe. Ach, es mu� schrecklich sein!�
Das Schicksal der Blinden besch�ftigte die Kleine noch immer, als man bei einbrechender D�mmerung schlie�lich Agnetendorf erreichte und in einem Gasthause Wohnung nahm. Pommerle kam sich wieder sehr stolz vor, als der Kellner ihm den kleinen Rucksack abnahm und freundlich sagte:
�Ist das kleine Fr�ulein sehr m�de?�
Strahlend wandte sich das Kind den Pflegeeltern zu. Hoffentlich hatten sie es geh�rt, da� dieser gro�e Herr von einem Fr�ulein redete.
Der Sonntag war ebenso strahlend sch�n wie der gestrige Sonnabend. So machte man sich zeitig auf den Weg nach Schreiberhau. Hin und wieder machte Professor Bender die Kinder auf eigenartig gewachsene B�ume, verschiedene Moose und Steine aufmerksam. Jule hatte sich bereits wieder einen Vorrat davon in die Taschen gesteckt. Er hatte auch schon einen gro�en Busch Tannengr�n abgebrochen, den er seiner Meisterin mitbringen wollte. Professor Bender meinte zwar, da� dazu auf dem Heimwege noch Zeit genug w�re. Aber der Jule hatte es wieder sehr eilig. Gar bald st�rte ihn allerdings dieses Gep�ckst�ck.
�Du hast nichts in den H�nden, Pommerle�, meinte er, �trage mir das Gr�n doch ein wenig.�
Bereitwillig griff das gutm�tige Kind danach. Der Jule, frei jeder B�rde, sp�hte sogleich nach allen Seiten aus, um interessante Steine oder Moose zu finden.
Kurz vor Schreiberhau machte Professor Bender pl�tzlich halt und wies kopfsch�ttelnd auf einen Schuttabladeplatz.
�Wie unsch�n! Hier an der gro�en Verkehrsstra�e solch eine h��liche M�llabladestelle. K�nnen die Leute ihre zerbrochenen T�pfe und anderes Ger�mpel nicht an einer versteckter liegenden Stelle abladen?� Dann ging er weiter.
Aber Jule und Pommerle schauten wie gebannt auf jenen Haufen. Welche Sch�tze lagen hier zusammengetragen! Besonders das Vorderrad eines alten Fahrrades zog Jule mit unwiderstehlicher Gewalt an. Pommerle dagegen starrte auf einen mit Blumen bemalten Emailleeimer, der zwar keinen Boden mehr hatte, dessen rote Blumen aber gar so verlockend leuchteten. Und dort noch etwas! Dort lagen, allerdings an einen alten Lappen festgen�ht, sechs herrliche Sprungfedern, wie man sie daheim in einer Matratze hatte. Mit solch einer Sprungfeder hatten die Kinder oben an der See tagelang gespielt. Es war herrlich, wenn der dicke Draht auf und nieder wippte. Und hier lagen viele dieser Sch�tze achtlos hingeworfen.
�Wo bleibt ihr denn?�
�Oooh�, sagte Pommerle, �wir kommen gleich, wir haben aber erst noch so viel Sch�nes zu sehen!�
Benders gingen weiter. Sie achteten nicht auf die beiden Kinder, die auf dem Haufen umherstiegen und nach weiteren Sch�tzen suchten. Pommerle ri� und zerrte an den Sprungfedern.
�Jule, du hast doch ein Messer. Sie sind so fest angebunden.�
�Was willst du denn mit dem ollen Zeug?�
�Mitnehmen.�
Bereitwilligst trennte Jule die Sprungfedern von den alten Gurten ab. Entz�ckt nahm sie Pommerle in Empfang. Jule stand noch immer neben dem Rade und erkl�rte seiner kleinen Freundin, da� er gerade dieses Rad ganz vortrefflich brauchen k�nne. Er bastle n�mlich seit Wochen an einem eigenen Fahrrad. Es fehlten freilich noch allerhand Teile dazu, aber vielleicht f�nde er noch weitere St�cke in dem Haufen.
Mit H�nden und F��en ging es ans W�hlen. Dabei schnitt sich Jule an Glasscherben t�chtig in die Finger.
Aus gr��erer Entfernung ert�nte wieder die Stimme Professor Benders. Er rief nach den Zur�ckgebliebenen.
�Wie schade�, meinte Pommerle, �wir h�tten sicherlich noch viel Sch�nes gefunden!�
Den bodenlosen Eimer mit den roten Rosen hing es an den Arm, es war nicht ganz leicht, auch noch die vier Sprungfedern mitzunehmen. Hilfesuchend blickte Pommerle auf Jule.
�Die gr�nen Tannenzweige mu�t du dir jetzt aber allein tragen.�
�Ich habe doch mein Rad.�
�Ich kann nichts tragen.�
Da fing Jule an, Pommerles Sch�tze ineinanderzuschachteln. Die Sprungfedern wurden in den Eimer gelegt, obenauf kam der Strau�.
�Nun ja�, meinte Pommerle gutm�tig, �so geht es.�
Beide Kinder eilten hinter Benders her, die, als sie Jule und Pommerle so beladen erblickten, stehenblieben. Was schleppte denn das Kind f�r einen Eimer am Arm? Was rollte der Jule neben sich her?
Pustend und schnaufend kamen die Kinder heran.
�Tante, schau, was wir Sch�nes gefunden haben!�
�Aber, Pommerle, was willst du denn damit?�
�Sieh nur, so einen sch�nen Eimer! Au, das wird fein, den stelle ich in den Garten. Im Sommer, wenn die vielen Schnecken da sind, ist das ihr Schlo�. Sieh doch nur die sch�nen Rosen, herrlich!�
�Und das da?�
�Das ist ein feines Spielzeug, Tante. Sollst mal sehen, wie sch�n wir damit spielen werden.�
�Aber, mein Kind, du kannst doch unm�glich mit dem Eimer und dem M�ll im Gebirge herumlaufen. Wir haben noch einige Stunden zu wandern. Es geht nicht!�
Pommerle ri� und zerrte an den Sprungfedern. �Jule, du hast doch ein Messer. Sie sind so fest angebunden.�
�Ach, doch, Tante, es geht schon�, meinte Pommerle.
�Na, und du, Jule? Was willst du mit dem verrosteten Rade?�
Mit Eifer verteidigten die Kinder ihre Sch�tze. Pommerle erkl�rte immer wieder, da� es einen so sch�nen Eimer in ganz Hirschberg nicht g�be. Es wolle den Eimer behalten.
�Ich verspreche dir, Pommerle, da� ich dir in Hirschberg einige Sprungfedern besorgen werde. Diese Dinger werden fortgeworfen und der Eimer dazu.�
�Mein sch�ner Eimer, mein Schlo� f�r die Schnecken! – Ach, es ist recht traurig. Sieh doch die sch�nen roten Rosen.�
�Ich will dir daheim auch einen Eimer geben.�
Jule dagegen war nicht zu bewegen, das Rad liegen zu lassen. Er meinte, er m�sse ein Fahrrad haben, und es fehlten nicht mehr viel Teile dazu.
�So willst du das Rad durch Schreiberhau und weiter durch das Gebirge rollen? Aber t�richt ist es von dir, Jule.�
�Ich m�chte doch aber das Rad behalten.�
Lachend gab der Professor nach. Pommerle warf noch einen schmerzlichen Blick auf den sch�nen Eimer und die Sprungfedern; dann nahm es Jules Tannenstrau� wieder auf und trug ihn, weil Jule mit dem Rade zu tun hatte.
Man hatte Schreiberhau verlassen, da n�herte sich der Spielgef�hrte dem kleinen Pommerle.
�Hier gibt es wieder so viel sch�ne Steine. Willst du nicht mal f�r 'ne Weile das Rad nehmen? Es macht viel Spa�.�
Aber ehe Pommerle eine Antwort geben konnte, hatte ihm der Jule das Rad in die Hand gedr�ckt und war davongelaufen.
Professor Bender sah es. Zun�chst sagte er nichts. Aber pl�tzlich schwenkte er vom Wege ab.
�Wohin gehen wir?� fragte Frau Bender.
�Jule mu� wieder einmal einen kleinen Denkzettel haben. Er ist ein guter, aber ein recht selbsts�chtiger Junge.�
Pommerle qu�lte sich mit dem Strau� und dem Rade. Es hatte ein rotes K�pfchen bekommen, als man endlich vor einem m�chtigen Granitfelsen stand. Hier machte Professor Bender halt.
�So�, meinte er freundlich, �hier wollen wir ein wenig rasten. Pommerle mag sich ausruhen, denn es ist vom Tragen ersch�pft. Komm nur her, Jule, ich m�chte euch hier eine kleine Geschichte erz�hlen. Dieser Fels hei�t im Volksmunde ›R�bezahls Grab‹.�
Z�gernd war Jule n�her gekommen. Er warf einen besorgten Blick auf das krebsrote Pommerle und sagte leise:
�So, nun nehme ich wieder das Rad.�
Man sa� auf den umherliegenden Steinen, und Professor Bender begann zu erz�hlen, da� eine Sage gehe, hier an dieser Stelle sei R�bezahl, der m�chtige Berggeist, begraben.
Jule sch�ttelte unmerklich den Kopf.
�Wenn er noch gar nicht tot ist, kann er doch nicht begraben sein.�
�R�bezahl hat gesagt, er will niemals mehr die Menschen necken und �rgern, er will sich tief in die Erde verkriechen und f�r immer verschwinden, wenn er einmal einen Menschen tr�fe, der selbstlos, g�tig und dankbar w�re. Kennst du die Geschichte, Jule?�
Der Knabe verneinte.
�Gut, so sollt ihr sie h�ren. Hier in Mariental lebte einmal ein alter Weber mit seiner Frau, die hatten nur einen Sohn, das war der Franz. Sie hatten aber eine arme Waise an Kindes Statt angenommen, ein liebes, gutes M�dchen, das den alten Leuten viel Freude machte. Nun kehrten Kummer und Not in der Familie des Webers ein, aber der Franz war ein wackerer Sohn. Er leistete F�hrer- und Tr�gerdienste. Fr�her waren n�mlich die Wege im Riesengebirge nicht so gut wie heute, da brauchte man Leute, die Wege und Stege wiesen oder die Damen, die ins Gebirge hinauf wollten, in Sesseln trugen. Damit verdiente der Franz den Unterhalt zum Leben f�r sich und seine Eltern.
Aber im Winter glitt der Franz einmal aus und fiel den Berg hinab. Seit diesem Tage litt er an heftigen Brustschmerzen. Das war f�r die Familie ein gro�es Ungl�ck, denn es fehlte der Verdiener.
Der Fr�hling kam, und noch immer war der Franz nicht gesund. Die Not wurde immer gr��er, aber wenn Franz versuchte, auch nur eine Kleinigkeit zu tragen, fing er an zu husten und brach bald ermattet zusammen.
Da war es eines Tages, im Sommer, als ein alter F�hrer in das Haus des Webers kam. R�si, die Pflegetochter, trat ihm entgegen und fragte, was er wolle. Der F�hrer sagte, es sei ein reicher Graf mit seiner Tochter im Wirtshause angekommen, der wolle morgen fr�h nach dem Zackenfall hinauf, um die Sonne aufgehen zu sehen. Der Graf habe dreifache Bezahlung versprochen, wenn man seine Tochter in einem Sessel hinauftrage. Der Franz solle mit ihm kommen, denn solch eine gute Gelegenheit f�nde sich nicht oft.
Traurig erkl�rte R�si, da� der Franz diese Arbeit nicht mehr �bernehmen k�nne, denn er sei viel zu krank. Aber das tapfere M�dchen meinte:
›Peter, nehmt mich statt des Franz mit. Ich kann auch tragen. Wenn wir beide zusammen den Sessel mit der jungen Gr�fin anfassen, ist es nicht so schwer.‹
Anfangs wehrte der alte F�hrer ab, aber R�si bat ihn so herzlich, da� er nachgab.
›Ich ziehe die Kleider vom Franz an‹, sagte R�si, ›dann merkt der Graf nicht, da� ich ein M�dchen bin.‹
Am fr�hen Morgen war sie p�nktlich zur Stelle. Sie hatte die Kleider des Pflegebruders angezogen und sah gar schmuck darin aus. Der Peter glaubte anfangs selbst, da� es doch der Franz sei. Dann strich er dem tapferen M�dchen z�rtlich �ber die Wange.
›Bist eine gar gute Pflegeschwester. Der Himmel wird es dir lohnen.‹
Dann wurde der Sessel f�r die junge Gr�fin fertiggemacht, an zwei Stangen befestigt. Vorn sollte R�si tragen, hinten der Peter.
Die Gr�fin nahm Platz, dann ging es los. Bald zitterten dem guten M�dchen die H�nde und F��e, das Blut pochte und klopfte ihm in den Schl�fen von der gro�en Anstrengung.
Und als man endlich, nach einer guten Stunde, am Zackenfall ankam, war R�si so ermattet, da� sie sich ins Moos warf. Vor ihren Augen tanzten und wirbelten die seltsamsten Gestalten. Bald war es ihr gl�hend hei�, dann klapperten ihr die Z�hne vor Frost.
Sie erschrak, als pl�tzlich der Peter zu ihr kam und sagte, die Gr�fin wolle noch bis zur n�chsten Baude hinauf, vielleicht werde es noch gehen. R�si nickte.
Aufs neue nahm man den Sessel und stieg bergan. Oben angekommen, fand sich ein anderer F�hrer, so da� man R�si entlohnen konnte. Sie bekam noch ein besonders gutes Trinkgeld, dann wanderte sie wieder abw�rts. Es war ihr aber unm�glich, Mariental zu erreichen. Hier an dieser Stelle, an der ihr jetzt steht�, sagte der Professor, �brach das junge M�dchen zusammen. Ein Blutstrom entquoll ihrem Munde – sie starb.
Aber der Berggeist hatte R�si in all der Zeit beobachtet. Er hatte gesehen, was das junge M�dchen aus Liebe zu dem Pflegebruder leistete. Er kam dahergebraust, ri� eine Wurzel aus der Erde und erweckte damit die tote R�si. Dann h�llte er sie in seinen Mantel und trug sie ins Haus der Pflegeeltern, nachdem er vorher die Taschen des tapferen M�dchens mit Gold und Silber gef�llt hatte. Dann kehrte der m�chtige Berggeist an diese Stelle hier zur�ck, rief seine Geister herbei und gebot ihnen, einen m�chtigen Felsblock heranzuschaffen. Er werde f�r immer im Innern der Erde verschwinden, denn er habe erkannt, da� es noch gute und edle Menschen auf der Erde g�be. Dann verschwand R�bezahl in der Erde, die Berggeister w�lzten den m�chtigen Stein auf die Stelle, der bis auf den heutigen Tag den Namen ›R�bezahls Leichenstein‹ f�hrt.�
Zun�chst sagte keiner ein Wort. Jule hatte den Kopf tief gesenkt, verstohlen schaute er auf Pommerle. Die R�te der Anstrengung war aus dem Gesicht des Kindes gewichen. Aber Jule f�hlte sich trotzdem recht bedr�ckt. Er hatte der Spielgef�hrtin alle Lasten aufgeladen und war, ohne sich darum zu k�mmern, nach Moosen und Steinen gelaufen. In Gedanken verglich er das Pommerle mit der tapferen R�si. Es w�re furchtbar gewesen, wenn nun Pommerle auch vor Anstrengung gestorben w�re. Da Jule sich den Glauben an den Berggeist nicht nehmen lie�, war ihm diese Stelle, an der man gerade verweilte, recht unbehaglich. Der m�chtige R�bezahl wu�te alles, der hatte auch gesehen, da� das Pommerle den Strau� und das Rad bis hierher geschleppt hatte. Wenn jetzt ganz pl�tzlich der Felsblock zur Seite geschleudert wurde, wenn R�bezahl auftauchte und dem Jule heftige Vorw�rfe machte, was dann?
�Ich denke, wir m�ssen nun weitergehen�, meinte Jule kleinlaut.
Professor Bender ahnte sofort, was den Knaben qu�lte. Er sah deutlich die Unruhe in den Augen seines M�ndels.
�Nun ja�, meinte er, �wir k�nnen aufbrechen. Wir wollen ja noch ein gutes St�ck weiter, und abends geht es wieder heim.�
Als Pommerle den kleinen Rucksack wieder aufschnallen wollte, nahm ihn Jule fort.
�La� nur, ich werde ihn tragen.�
�Nein, la� nur.�
�Er ist viel zu schwer f�r ein kleines M�dchen.�
�Nichts da�, entschied der Professor. �Ein jeder tr�gt seine Last allein. Pommerles Rucksack ist ganz leicht, er macht ihm keinerlei Beschwerden.�
Nochmals warf Jule einen mi�trauischen Blick auf den gro�en Felsblock; doch der stand fest und r�hrte sich nicht. Dann griff er energisch nach dem Tannenstrau� und nach dem Rade, fragte schlie�lich noch Tante Bender, ob er ihr den Rucksack abnehmen sollte.
�Nein, Jule, du hast ja beide H�nde voll.�
Als man aufbrach, war der Jule der erste, der den Platz verlie�, auf dem �R�bezahls Leichenstein� stand. Bei der letzten Wegbiegung warf er nochmals einen Blick zur�ck. – Der Granitfelsen stand fest.
Je weiter man wanderte, um so l�stiger wurde Jule seine Beute. Er schwankte einige Male, ob er den Tannenstrau� oder das Rad liegenlassen sollte. Vier volle Stunden rollte er es nun schon neben sich her. Gar zu gern h�tte er wieder einmal bei Pommerle angefragt, aber er traute sich nicht recht. Er machte zwar mehrmals Andeutungen, da� er auch schon genau so m�de sei wie die R�si; doch Pommerle schien es nicht zu verstehen. Wenn sie ihn wenigstens f�r zehn Minuten abl�sen wollte!
�Es macht gro�en Spa�, das Rad neben sich herzurollen. Findest du das nicht auch?� fragte Jule die Kleine.
�Wenn es aufw�rts geht, mu� man es tragen.�
�Es wird aber nachher wieder abw�rts gehen. Du m��test mal versuchen, was das f�r Spa� macht.�
Jule stellte das Rad quer vor Pommerle hin. Aber dieses Ger�usch mochte wohl einige Kr�hen, die ganz in der N�he sa�en, erschreckt haben; flatternd flogen sie auf. Der Jule erfa�te das Rad, schaute mit �ngstlichen Augen um sich. Er glaubte nichts anderes, als da� sich der R�bezahl auf ihn herniederst�rze. Er war froh, da� sich nichts ereignete.
Da fragte er nicht mehr wegen des Rades an. Aber so manche leise Verw�nschung kam �ber seine Lippen.
Am beschwerlichsten war es hinauf zum Zackenfall.
�So la� doch das Rad im Geb�sch liegen, Jule. Wir kommen denselben Weg wieder zur�ck.�
�Und dann hat es einer mitgenommen.�
�Es wird dir niemand das alte Rad fortnehmen, Junge.�
Jule gab nach. Er suchte einen dichten Busch aus, hinter dem er das Rad und den Strau� verbarg. Er atmete erleichtert auf, als das geschehen war.
And�chtig stand Pommerle an dem sch�nen Zackenfall, der in die tiefe, bewaldete Schlucht hinabbrauste. An der Hand der Tante stieg das Kind die vielen Stufen hinab, um den Fall auch von unten zu bewundern. Inmitten dieser herrlichen Landschaft �berkam es wieder das Gef�hl, da� es sehr gl�cklich sein k�nne, und mit dem Tosen des Wassers vermischte sich der Gesang des kleinen M�dchens:
�Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl mein gr��tes Gut!�
Man verweilte l�ngere Zeit an dem Fall. Aber endlich dr�ngte Professor Bender zum Heimwege.
�Wir m�ssen von Schreiberhau den Zug nach Hirschberg bekommen, denn morgen fr�h mu� der Jule wieder an die Arbeit, und auch du, mein liebes Kind, mu�t frisch sein, denn dann beginnt wieder das Tagewerk.�
In langer Reihe, einer in den Arm des anderen eingeh�ngt, wanderte man abw�rts.
�Jetzt singen wir ein fr�hliches Wanderlied, jeder so gut er kann. Was wollen wir singen?�
�Ihr Kinderlein, kommet�, rief Pommerle begeistert.
�Das ist doch ein Weihnachtslied, Pommerle. Wir wollen lieber singen: ›Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.‹ï¿½
Alle sangen kr�ftig mit. Der Jule wohl am lautesten. Hier in seinen geliebten Bergen f�hlte er sich so froh, so leicht.
So wanderten die vier abw�rts. Drei-, viermal wurde das Lied gesungen. Nun lag Schreiberhau vor den Reisenden. Professor Bender wu�te noch einige h�bsche kleine Geschichten zu erz�hlen, auf dem Bahnhof nahm man noch einen kleinen Imbi� ein, dann brauste der Zug heran.
�Fein war es�, sagte der Jule strahlend.
�Und n�chstens komme ich zu deinem Meister und der Sabine, und dann bringe ich ihr sch�nes Tannengr�n und Blumen –�
Jule sprang von seinem Platz auf, drehte sich einige Male um sich herum, schaute in das Netz des Wagens, sah aber nur die Rucks�cke und stammelte:
�Mein Rad – meine Tannenzweige!�
Ja, an das Rad und an die Tannenzweige, die sch�n hinter einem dichten Busch verborgen worden waren, hatte beim Abmarsch keiner mehr gedacht.
�Mein Rad!� jammerte der Jule kl�glich.
�Das ist nun freilich dahin�, meinte Professor Bender. �F�nf Stunden lang hast du dich damit herumgeschleppt. Ja, mein lieber Jule, man mu� seine Gedanken schon beisammen haben.�
�Und der Meisterin wollte ich die Tannenzweige mitbringen.�
Jule war recht verst�rt. Kurz vor Hirschberg legte Pommerle den Arm um den Hals des Spielgef�hrten.
�Sei mal nicht traurig�, sagte es herzlich, �mein sch�ner Eimer mit den roten Rosen liegt auch im Gebirge. Wenn wir wieder mal ins Gebirge fahren, holen wir alles.�
�Ach�, meinte der Jule weinerlich, �das sch�ne Rad hat dann schon lange ein anderer genommen. – Ach, das sch�ne Rad!�
�Sei nur nicht traurig, Julchen, wenn ich erst gro� bin, und wenn ich viel Geld habe, kaufe ich dir ein richtiges Rad.�
Aber dieser Trost n�tzte nicht viel. Jule blieb in sich gekehrt, und als Hirschberg erreicht war, lag noch immer der Kummer auf seinem Gesicht.
Pommerle dagegen war von dem Ausflug in die Berge vollauf befriedigt, obwohl es den herrlichen Eimer nicht mit hatte heimbringen d�rfen. Am Abend umarmte es st�rmisch den Onkel und die Tante.
�Oh, meine Ostsee ist sehr, sehr sch�n, aber das Gebirge ist auch sehr sch�n, und ihr seid so gut, gerade so gut wie mein Vater!�
Pommerle hatte den Kopf tief auf den Bogen gesenkt, den es mit Eifer beschrieb. Zeile reihte sich an Zeile. Es war so sehr in seine Arbeit vertieft, da� es das Eintreten des Onkels nicht h�rte. Erst als Professor Bender dem Kinde die Hand auf die Schulter legte, blickte es auf.
�So flei�ig, kleine Maus?�
�Sieh mal, Onkel, ich habe schon drei Seiten ganz voll geschrieben.�
�F�r die Schule?�
�Nein – ein Wunschzettel zu Weihnachten.�
�Aber, Pommerle! Seit wann bist du denn so anspruchsvoll? Bist doch immer unser bescheidenes Pommerle gewesen.�
�In der Schule haben sie mir gesagt, ihr seid sehr reich, du verdienst schrecklich viel Geld. Da habe ich mir gedacht, ihr m�chtet eurem Pommerle viel Freuden machen. Und wenn man schenkt, freut man sich doch. Nun schreibe ich alles auf, was ich haben m�chte.�
�Wer reich oder arm ist, k�nnen deine Mitsch�lerinnen wohl sehr wenig beurteilen, mein liebes Kind. Dein Onkel ist ein flei�iger Mann, der sich sein Geld verdienen mu�, und deine Tante ist eine t�chtige Hausfrau, die alles gut zusammenh�lt. Ich glaube nicht, da� dir alle deine W�nsche erf�llt werden.�
Pommerle hielt dem Onkel die beschriebenen Seiten hin. �Ich habe mir gedacht, da� es sehr sch�n w�re, wenn ich das alles bek�me.�
�Recht lange Pulsw�rmer? – Willst du Pulsw�rmer tragen?�
�F�r den Jule.�
Weiter las der Professor. – Was stand da alles niedergeschrieben! Gewi�, Pommerle war nicht gerade bescheiden; es hatte sich allerlei h�bsches Spielzeug ausgesucht. Aber auf dem Wunschzettel stand gar vieles, was f�r andere bestimmt war.
�Da wollen wir uns den Wunschzettel einmal nehmen und gemeinsam �berlegen, was man streichen k�nnte.�
�Ich bin noch lange nicht fertig, Onkel.�
�Nun gut�, sagte Professor Bender, �so behalte vorl�ufig deinen Wunschzettel. Aber sprechen werden wir doch noch einmal dar�ber. Ich glaube, man kann auch gl�cklich und zufrieden sein, wenn man sich weniger w�nscht. Meinst du das nicht auch?�
Pommerle blickte nachdenklich auf das Papier nieder, dann sagte es kleinlaut:
�Aber ein Roller, ein Handball, eine neue Puppe und ein Paar Schlittschuhe m��ten es doch sein.�
�Hast du Lust, mich zu Meister Reichardt zu begleiten, mein Kind? Ich will zu ihm gehen und mir einen kleinen Schrank bestellen; will dem Meister sagen, wie er ihn machen soll.�
Der Federhalter flog auf den Tisch. Pommerle sprang auf. �Oh, fein! Zum Jule und zur Sabine, die nichts sehen kann!�
�Ganz recht, Pommerle. Auch ich m�chte gern einmal das junge M�dchen wiedersehen. Sabine war lange von Hause fort; sie hat in Breslau allerlei gelernt. Nun ist sie zu den Eltern zur�ckgekehrt und wird sich n�tzlich machen.�
�Wenn man nichts sehen kann, Onkel, kann man sich doch nicht n�tzlich machen.�
�Deswegen ist Sabine ja lange in Breslau in einer Blindenanstalt gewesen. Dort lernte sie Lesen und Schreiben – –�
Pommerle lachte auf. �Lesen? – Wenn sie doch keine Buchstaben sehen kann?�
�Das erkl�re ich dir unterwegs, Pommerle. Nun mache dich fertig, wir wollen gehen.�
Pommerle griff hastig in die Sch�rzentasche. Ein paar Bonbons kamen daraus zum Vorschein.
�Die nehme ich der blinden Sabine mit, Onkel, damit sie sich freut. Schmecken kann sie ja.�
�Ich finde, deine Bonbons sehen nicht gerade appetitlich aus, kleines Pommerle.�
�Das finde ich auch, Onkel, aber – sie sieht sie doch nicht.�
�Blinde k�nnen mit den H�nden sehen.�
�Hahaha, Onkel –�
�Blinde haben solch ein feines Tastgef�hl, da� sich Sabine sehr leicht eine Vorstellung machen kann, ob die Bonbons gut aussehen.�
Wieder wurde das kleine M�dchen nachdenklich. Dann sagte es ein wenig kleinlaut: �Onkel, schenkst du mir ein St�ck Schokolade aus dem Kasten, wo jedes St�ck so h�bsch eingewickelt ist?�
�Ich denke, wir nehmen der Sabine den ganzen Karton mit.�
�Den Karton mit dem h�bschen Bild darauf?�
�Ja, Pommerle, ich denke, du wirst ihn gern f�r Sabine hergeben.�
�Wenn sie doch das h�bsche Bild auf dem Deckel nicht sehen kann, und wenn ich das h�bsche Bild immerfort sehen kann? Oder – f�hlt sie auch das Bild?�
�Aber, Pommerle, ich mu� ja ganz neue Eigenschaften an dir entdecken. Ich dachte immer, du bist ein kleines M�dchen, das gern anderen etwas schenkt, zumal solchen, die nicht so gl�cklich sind wie du. Du hast zwei helle, gro�e Augen, kannst alles sehen, und die arme Sabine ist blind. Willst du den Karton behalten, oder wollen wir ihn der Sabine schenken?�
�Der Sabine�, sagte das Kind leise.
Bald war man auf dem Wege zu Meister Reichardt. Aufmerksam h�rte das kleine M�dchen den Worten des Onkels zu. Unz�hlige Fragen hatte es zu stellen. Es wollte Pommerle gar nicht in den Sinn, da� sich ein Blinder auch zurechtfinden k�nne, da� er das Lesen erlerne und Handarbeiten mache. Pommerle konnte es kaum noch erwarten, Sabine kennenzulernen; das Kind wollte die Sechzehnj�hrige fragen, ob sie tats�chlich alles das leisten k�nne, was der Onkel gesagt hatte.
Meister Reichardt stand gerade im Vorgarten seines Hauses, als Professor Bender herankam. Er fragte nach Jule und ob der Meister mit ihm zufrieden sei.
�Ich kann nicht �ber ihn klagen; er macht zwar manches verkehrt, ist mitunter etwas zu eifrig und verdirbt dabei allerlei. Aber er ist dann auch wieder einsichtsvoll, nimmt ruhig den Tadel hin und gibt sich M�he.�
�Und wo ist er jetzt?�
�Hinten im Hof, er schichtet Bretter auf.�
�Dann laufe rasch mal zu ihm, Pommerle.�
Das lie� sich das kleine M�dchen nicht zweimal sagen. Jule war bald gefunden, seine Augen strahlten, als er Pommerle sah.
�Bist du flei�ig?�
�Komm, kannst mir etwas helfen. – Hier, fa� mal mit an!�
Aber in dem Augenblick, als Pommerle das erste Brett aufhob und ein �chzen ausstie�, weil das Brett recht schwer war, rief Jule beinahe erschrocken:
�Nee, nee, la� mal liegen, das verstehst du nicht!�
Ihm stand pl�tzlich ›R�bezahls Leichenstein‹ wieder vor Augen. Er glaubte nun einmal an den Berggeist. Er lie� es sich nicht nehmen, da� der alte Herr mit seinem langen Bart �berall herumsa� und ihn beobachtete.
�Ich kann schon tragen�, meinte Pommerle wichtig.
�Nein, nein, das ist keine Arbeit f�r junge Damen, das macht nur ein Lehrling.�
Als Pommerle das erste Brett aufhob, rief Jule beinahe erschrocken: �Nee, nee, – la� mal liegen, das verstehst du nicht!�
�Sie ist gerade drin in der Werkstatt.�
�Was macht sie denn da?�
�Nichts. Sie ist vorhin hereingekommen, da wird sie wohl noch dort sein.�
�Kann ich sie mal sehen, Jule?�
�Komm mit!� Jule klemmte zwei Bretter unter den Arm und schritt voran in die Werkstatt. Pommerle folgte ihm z�gernd.
An der Hobelbank stand ein junges M�dchen. Ein dicker, blonder Zopf war zweimal um ihren Kopf geschlungen. Pommerle blieb an der T�r stehen und r�hrte sich nicht, als Jule sagte:
�Fr�ulein Sabine, hier ist das Pommerle, von dem ich Ihnen schon erz�hlt habe.�
�Das Pommerle! Willkommen, kleines Pommerle!�
Sabine hatte sich umgewandt, die beiden M�dchen standen sich gegen�ber. Pommerle sah die ausgestreckte Hand nicht. Das Kind starrte der Blinden ins Gesicht und stellte fest, da� Sabine zwei richtige Augen im Kopfe hatte. Genau so blaue Augen wie Pommerle.
�Willst du mir nicht die Hand geben, Pommerle?�
Noch immer schaute Pommerle in das Gesicht Sabines. Dann streckte es die Hand aus, die Sabine herzlich dr�ckte.
�Du bist die Sabine? Vom Meister Reichardt die Sabine?�
�Ei freilich.�
Pommerle hielt den Karton mit dem Konfekt hin, wickelte rasch das Papier ab und sagte:
�M�chtest du das haben?�
�Was denn?�
�Das hier!�
�Willst du es mir nicht einmal zeigen?�
Der Onkel hatte gesagt, da� Sabine mit den H�nden so gut f�hlen k�nne, da� sie wisse, was sie bek�me. Sie reichte Sabine die Schachtel.
�Das hast du mir mitgebracht, kleines Pommerle? Sicherlich ist da etwas Gutes zum Essen darin. – Soll ich alles haben?�
�Ja, alles. Mach doch mal auf!�
Geschickt �ffnete Sabine die Schachtel, fuhr mit den Fingerspitzen �ber den Inhalt hinweg und sagte freudig:
�Oh, welch sch�nes Konfekt! Ich danke dir herzlichst daf�r, Pommerle.�
Das kleine M�dchen war fassungslos. So etwas hatte es noch nicht erlebt. Und als nun Sabine das Kind sogar aufforderte, es m�ge mit ihm hin�ber in die Wohnung kommen, kannte das Staunen Pommerles keine Grenzen.
�Komm, Pommerle, ich f�hre dich hin�ber zur Mutter. Der Vater hat jetzt zu tun.�
Die Kleine wagte kaum zu atmen. Sie sollte von Sabine gef�hrt werden – von einer Blinden, die gar nichts sah! Willenlos lie� sich das Kind an die Hand nehmen. Immer wieder gingen die blauen Kinderaugen zu Sabines Gesicht hinauf, das froh und zufrieden aussah.
Sabine war zur T�r gegangen. Pommerles Herz schlug laut, als die Blinde vor der Schwelle stand. Jetzt mu�te Sabine gleich hinfallen. Aber das junge M�dchen schritt dar�ber hinweg, ging an einem Sto� Bretter, der im Hofe stand, ohne Z�gern vor�ber und schritt ganz richtig, ohne einen Umweg zu machen, auf die Haust�r zu.
�Ich denke – du bist – blind?�
�Das bin ich, Pommerle.�
�Wie siehst du denn dann, wo du gehen mu�t?�
�Ich f�hle es, und ich h�re es.�
�Wenn ich die Augen zumache, f�hle und h�re ich nicht, wo ich gehen mu�, dann falle ich hin.�
�Das ist eben bei uns ganz anders, kleines Pommerle.�
�Bist du nicht sehr traurig, da� du nichts sehen kannst?�
�Nein, kleines M�dchen, warum soll ich traurig sein? Ich habe so vieles, wor�ber ich mich freuen kann; ich bin beh�tet und besch�tzt von den Eltern, habe liebe Freunde, ich h�re die V�gel singen, das Wasser rauschen. Ich kann teilhaben an allen Unterhaltungen, die die Eltern f�hren. Und wenn ich auch nicht zwei Augen habe wie andere Menschen, kann ich mir doch vorstellen, wie sch�n die Welt ist.�
�Wei�t du auch, wie die Blumen aussehen und die Fische – und die Schiffe?�
�Ja, das stelle ich mir alles vor. Man hat uns vieles gezeigt, wir haben es bef�hlen d�rfen, und daher w�rde ich mich in der Welt zurechtfinden.�
�Wenn es doch immer schwarz vor deinen Augen ist, so kannst du dich doch nicht an der Sonne und den Sternen erfreuen. – Oder – siehst du doch ein bi�chen von der Sonne?�
�Von der Sonne, die du siehst, sehe ich freilich nichts, Pommerle, trotzdem ist es nicht dunkel vor meinen Augen – und auch nicht dunkel in meinem Herzen. Ich wei� nicht, ob du das schon verstehst, kleines M�dchen. Wir Blinden, wir fangen uns die Sonne ein, die behalten wir dann im Herzen, und der Mensch, der Sonne im Herzen hat, f�r den kann die Welt nicht �de und traurig sein. Wir finden immer etwas, wor�ber wir uns freuen, wir sind dem Himmel dankbar, da� wir noch so viel Sch�nes genie�en und in uns aufnehmen k�nnen.�
�Wenn du nun die Sonne im Herzen hast, Sabine, dann hast du wohl immer Freude?�
�Ja, Pommerle, ich wei�, da� ich blind bin, da� ich es immer bleiben werde. Wenn mir nun auch dieser eine Sinn fehlt, nutze ich die anderen doppelt aus.�
Die beiden standen vor dem Hause. Sabine �ffnete die T�r.
�Komm, wir gehen nun zur Mutter.�
�Eine Mutter hast du noch�, sagte Pommerle, �da hast du sehr viel. Der arme Jule hat keine mehr – und ich auch nicht. Mein Vater ist ertrunken. – Du hast auch noch einen Vater. – O ja, du hast noch viel Sonne im Herzen.�
Wieder kam eine Schwelle. Eben wollte Pommerle laut aufschreien, um Sabine zu warnen, da war das junge M�dchen schon dar�ber hinweggestiegen, ging ohne Z�gern den Flur entlang, hin zu einer T�r.
Das alles begriff Pommerle nicht. Es mu�te wohl mit der Sonne im Herzen zusammenh�ngen, die so hell herausleuchtete, da� Sabine immer alles fand – die T�r, die Klinke, da� sie die Schwelle sah und nicht an den Haufen Bretter stie�.
Im Zimmer gab es wieder viel neue �berraschungen. Sabine schob dem Pommerle einen Stuhl hin und wollte davongehen, um die Mutter zu rufen.
�Inzwischen kannst du dir einmal die kleinen K�rbchen ansehen, die ich gearbeitet habe.�
Was war das f�r ein feines Rohrgeflecht! K�rbchen mit blauem und rotem Rand; sogar Muster waren hineingeflochten. Und alles das hatte eine Blinde gearbeitet.
Sabine war l�ngst hinausgegangen, und Pommerle schaute noch immer fassungslos auf die h�bschen Arbeiten. Da kam Sabine schon wieder zur�ck ins Zimmer und mit ihr die Meisterin. Das erste war, da� sich Pommerles Augen in die der freundlichen Frau bohrten. Wie kam es nur, da� ein Vater und eine Mutter sehen konnten und doch ein Kind hatten, das blind war.
Freundlich sprach die Meisterin mit Pommerle. Die Kleine wagte kaum zu antworten. Solange sie neben Sabine sa�, f�hlte sie sich verwirrt. Alles, was die Blinde sagte, erschien Pommerle ganz anders. Wenn Sabine erz�hlte, da� sie k�rzlich eine h�bsche Geschichte gelesen habe, da� sie demn�chst auch durchs Hirschberger Tal wandern wollte, klang es Pommerle wie ein M�rchen.
�Und wenn du nun mal zu einem Doktor gehst, kann der dich denn nicht gesund machen?�
�Ich bin doch gesund, Pommerle.�
�Aber du kannst doch nicht sehen!�
�Da kann mir auch der Doktor nicht helfen.�
�Wenn du aber gro� bist, kannst du dann auch noch nicht sehen?�
�Nein, niemals mehr.�
�Auch dann nicht, wenn du ganz alt bist?�
�Nein, Pommerle.�
Aus Pommerles Augen fielen Tr�nen. Sabine sprang auf und legte den Arm um das ersch�tterte Kind.
�Liebes Pommerle, warum weinst du?�
�Weil – weil – du nie mehr sehen kannst!�
�Du gutes, liebes M�dchen. Aber dar�ber brauchst du wirklich nicht zu weinen. Glaube mir, Pommerle, ich bin trotzdem so gl�cklich wie du. Das hat das Schicksal schon so eingerichtet. Ich brauche auch gar nicht traurig zu sein, ich f�hle mich wirklich recht zufrieden. Von innen heraus kommt so viel Fr�hlichkeit, so viel Gl�ck, da� ich meine Blindheit ganz und gar vergesse. Ich kann ja noch einiges arbeiten, und wenn ich erst l�nger im Hause bin, dann werde ich auch der Mutter flei�ig helfen, ganz gewi�! Ich werde kochen und pl�tten und wirtschaften. Das kann ich alles, Pommerle. – Warum sollte ich also traurig sein?�
�Wenn du doch aber nicht siehst, da� die Veilchen blau bl�hen, und da� der Schnee so sch�n wei� ist und das Meer so sch�n blau, und die vielen, vielen Wolken dar�ber.�
�Ich sehe es auch, Pommerle, ich sehe das alles mit meinen blinden Augen. Vielleicht ein wenig anders als du, aber ich sehe es mit meinem Herzen.�
Langsam trocknete Pommerle seine Tr�nen. In diese neue Welt mu�te es sich erst hineinfinden. Nochmals betrachtete es staunend all die h�bschen K�rbchen, h�rte von den vielen Handarbeiten, die die Blinden anfertigten. Dann kam Professor Bender und mahnte zum Aufbruch.
�Onkel, darf die Sabine auch mal zu uns kommen? Wenn sie doch sehen kann, will ich ihr meine Puppen und den Gummifrosch zeigen.�
�Aber nat�rlich darf die Sabine kommen. – Wie w�re es, wenn du sie am n�chsten Sonntag abholtest? Und der Jule kommt auch mit?�
�Kommst du?� fragte das Kind unsicher.
�Nat�rlich komme ich gern zu dir.�
�Ich werde dich abholen. Dann trinkst du bei uns Kaffee. Du darfst auch allen meinen Kuchen essen. Und ich schenke dir – ich schenke dir – ganz was Sch�nes. Dir – schenke ich es jetzt gern.�
�So, mein Pommerle, nun verabschiede dich, und dann komm.�
�Darf ich noch schnell mal zum Jule gehen?�
�Freilich, aber halte den Jule nicht lange auf. Ich warte auf dich.�
Leise und behutsam dr�ckte Pommerle der blinden Sabine die Hand. Diese Hand war f�r das Kind etwas ganz Wundersames geworden. Mit dieser Hand konnte Sabine alles erf�hlen, was sie nicht sehen konnte.
Pommerle lief nach der Werkstatt. Da stand der Jule.
�Jule�, sagte das Kind, heiser vor innerer Erregung, �sieh dir mal alles recht genau an. Es k�nnte doch auch mal sein, da� du blind wirst. Dann ist es schwarz vor dir. – Du mu�t dir auch die Sonne einfangen, ins Herz hinein einfangen, damit es niemals vor dir dunkel wird. Jule, es dr�ckt mich so am Herzen. Aber sie ist nicht traurig, sie sagt, sie kann sehen, nur anders.�
�Sehen kann sie nun nicht, aber ich habe mir schon gedacht, der R�bezahl hat doch eine Wurzel, mit der kann er Tote wieder lebendig machen. Vielleicht kommt er mal und h�lt der Sabine die Wurzel an die Augen. Dann kann sie wieder sehen.�
�Jule, du bist dumm! Der R�bezahl ist eine Sage. Sie hat gesagt, sie kann nie mehr sehen, und wenn sie so alt wird wie eine Gro�mutter.�
�Vielleicht kommt er doch mal mit der Wurzel.�
�Am Sonntag kommt ihr zu uns. Die Sabine auch. Oh, wir wollen sehr lieb zu ihr sein.�
Daheim angekommen, ging Pommerle in sein St�bchen. Auf dem Tisch lagen die drei Bl�tter, voll beschrieben mit den W�nschen.
�Ich bin reich – ich bin gl�cklich�, sagte das Kind. �Ich will zufrieden sein, ich will nichts haben. Ich will meine hellen Augen behalten. Ich kann die sch�ne, gro�e Welt sehen, ich will keinen Roller, ich will auch keine Puppe. Ich will der Sabine lieber etwas ganz Sch�nes schenken.�
Energisch ri� Pommerle seinen Wunschzettel durch. Nach einer Weile nahm es ein neues Blatt Papier zu Hand, �berlegte zuerst ein Weilchen, dann setzte es z�gernd die Feder an.
�Ich w�nsche mir, da� ich der Sabine eine gro�e Freude machen darf, und dann m�chte ich noch einen ganz kleinen Roller, um durch die sch�ne Welt zu fahren, die ich sehen kann. Und wenn ich noch um etwas bitten d�rfte, ich m�chte auch noch einen Handball.�
Das letzte strich das Kind wieder durch.
�Nein, es ist genug�, sagte es energisch. �Aber lesen kann man es doch noch. Vielleicht bekomme ich ihn trotzdem.�
Und dann stand das kleine M�dchen lange am Fenster, schaute hinauf zum Himmel, blickte hinaus in den ver�deten Garten.
�Oh, du sch�ne, gro�e Welt, die ich sehen darf!�
*
Der Fr�hwinter war in diesem Jahre so sch�n, da� Professor Bender seinem Pfleget�chterchen Pommerle den Vorschlag machte, am kommenden Sonntag nicht daheim am Kaffeetische zu sitzen; es w�rde Sabine sicherlich eine gro�e Freude sein, wenn man mit ihr und Jule ein wenig durchs Hirschberger Tal wandere. Noch sei kein Schnee gefallen, es lie�e sich also trefflich marschieren.
�O ja�, sagte Pommerle strahlend, �das wird ihr Freude machen. Ach, Onkel, wenn heute schon Weihnachten w�re, w�nschte ich mir was zum Sonntag.�
�Was w�nschtest du dir?�
�Da� wir mit der Sabine zum Harfen-Karle gingen. Wei�t du, der Harfen-Karle kann so sch�ne Lieder singen. Er soll auch mal der Sabine etwas vorsingen. Irgendein Lied, �ber das sie schrecklich lachen mu� und sich freuen kann.�
�Wenn es am Sonntag sch�n ist, k�nnen wir ja einmal den Harfen-Karle besuchen. Ich will schon lange einmal hinaus zu ihm gehen.�
�Es ist auch nur zu deinem Besten, lieber Onkel. Der Harfen-Karle hat lauter Kasten mit Kr�utern, �ber die du viel schreiben kannst, und dann verdienst du wieder massenhaft Geld damit. Ja, ja, komm nur mit mir zum Harfen-Karle.�
�So wollen wir es Meister Reichardt wissen lassen, da� wir schon am Sonntag vormittag loswandern wollen. Fr�h gegen neun Uhr holst du die Sabine ab, wenn es nicht regnet. Und der Jule geht auch mit.�
W�hrend der n�chsten zwei Tage schaute das Kind gar h�ufig zum Himmel hinauf. Als es aber am Sonntag morgen sch�n und trocken war, sprang Pommerle in aller Fr�he aus den Federn und eilte zum Bett des Onkels.
�Heute geht es zum Harfen-Karle. Ich hole gleich nachher die Sabine und den Jule!�
Bereits um neun Uhr war Pommerle bei Meister Reichardt. Sabine kam dem Kinde freudestrahlend entgegen.
�Ach, wie freue ich mich auf den Spaziergang, es wird wundersch�n werden!�
Auch der Jule stellte sich p�nktlich ein. Pommerle fa�te die Blinde an der Hand, der Jule mu�te an Sabines anderer Seite gehen, und dann ging es dem Hause des Professors zu.
Pommerles Herzchen klopfte wie ein Hammer. Es hatte namenlose Angst um Sabine. Wenn ein Stra�en�bergang kam, k�ndete es der Blinden schon eine ganze Weile vorher dieses Hindernis an. Vernahm Pommerle aus der Entfernung R�derrollen, eilte es mitten auf die Stra�e; kam der Wagen n�her, streckte es beide Arme aus, zum Zeichen, da� man vorsichtig und langsam fahren solle. Kurzum, das Kind befand sich best�ndig in Angst und atmete erst auf, als man das Haus des Onkels erreicht hatte.
Sabine hatte zwar mehrfach ihrer kleinen Besch�tzerin gesagt, da� solch �bergro�e Vorsicht gar nicht notwendig sei. Aber Pommerle war sich seiner Verantwortung voll bewu�t. Es nahm sich auch vor, auf dem Wege durchs Hirschberger Tal die blinde Sabine treu zu beh�ten.
Frau Bender nahm an dem Spaziergang nicht teil. Sie hatte daheim zu tun und lie� den Gatten mit seinen drei Sch�tzlingen allein gehen.
�Ich denke, Sabine, du nimmst meinen Arm, und die beiden anderen laufen neben uns her. Ich kann dir dann am besten die Gegend erkl�ren und dich auf allerlei aufmerksam machen.�
�Soll sie der Jule nicht noch an die Hand nehmen?� fragte Pommerle besorgt.
Professor Bender sch�ttelte den Kopf. �Sabine hat ihr Spazierst�ckchen mitgenommen, mit dem sieht sie.�
Pommerle sagte dazu gar nichts. Alles, was Sabine betraf, war so merkw�rdig, da� an den Worten des Onkels nicht zu zweifeln war.
Hatte sich Pommerle eingebildet, da� man nur ganz langsam, Schritt f�r Schritt gehen werde, so irrte es sich. Der Professor schritt r�stig aus, und die blinde Sabine wanderte wacker an seiner Seite mit. Pommerle ging stets sechs Schritte vor den beiden her. Es achtete nur auf den Weg. Lag ein gr��erer Stein oder ein kleines �stchen auf dem Wege, b�ckte es sich schnell und r�umte das Hindernis fort, da� die Blinde ja nicht stolpere.
Sabine f�hlte sich sehr gl�cklich. Wie lange hatte sie sich nach solch einer Wanderung gesehnt! Doch die Mutter war schlecht zu Fu�, und der Vater hatte bisher noch keine Zeit gehabt, seiner Tochter diese Freude zu bereiten.
�Wenn es nicht zu anstrengend ist, Sabine, gehen wir �fter einmal. Jetzt kommt freilich erst mal der Winter. Wenn dann aber die Natur wieder erwacht, geht es einmal etwas h�her hinauf.�
�Ach ja, wenn der Fr�hling kommt, wenn alles wieder gr�n wird, wenn die V�glein singen, dann wollen wir hinauf in die Berge gehen.�
Pommerle hatte diese Worte geh�rt. Ein Weilchen blieb das Kind still; dann schlich es an Jule heran und sagte fl�sternd:
�Wenn der Fr�hling kommt, so sieht sie es auch, wenn es gr�n wird. Das sieht sie alles mit dem Herzen, weil sie dort viel Sonne hat.�
Nach einst�ndiger Wanderung war das bescheidene H�uschen des Harfen-Karle erreicht. Heute sa� der Alte nicht vor der H�tte. Man fand ihn im Zimmer. Er war gerade damit besch�ftigt, getrocknete Bl�tter in kleine S�ckchen zu legen.
�Sabine hat ihr Spazierst�ckchen mitgenommen, mit dem sieht sie�, sagte Professor Bender zu Pommerle.
�Das ist ja ein gar lieber Besuch�, sagte der Alte. �Ei, Herr Professor, welche Freude, da� Sie auch wieder einmal zu dem Alten kommen!�
�Ich bringe Ihnen noch anderen Besuch mit, alter Freund.�
Gar schnell war man in lebhafter Unterhaltung. Pommerle r�ckte schon ein Weilchen ungeduldig auf dein Stuhl hin und her, so da� Professor Bender lachend sagte:
�Was ist denn mit dir, Kleines, hast wohl keine Ruhe zum Sitzen mehr?�
�Ich m�chte gern auch mal mit dem Harfen-Karle reden.�
�Was willst du denn von mir wissen, kleines M�dchen?� fragte der alte Mann freundlich.
�M�chtest du mir nicht ein Lied singen?�
�Ach was, das kann ich nicht mehr recht.�
Pommerle legte bittend die H�nde zusammen. �Du kannst es so gut wie kein anderer. Hast mir damals so ein sch�nes Lied gesungen, ich wei� es heute noch. Und dem Jule habe ich es auch gesagt. Er wei� jetzt, da� er zur Arbeit, nicht zum M��iggang geschaffen ist. – Harfen-Karle�, Pommerle nahm den Alten am Bart und zog seinen Kopf zu sich herab, �singe der Sabine doch auch so ein h�bsches Lied. Ein Lied, das sie froh und gl�cklich macht. – Die Sabine hat keine Augen, vor der ist es immer finster. Aber sie meint, sie kann doch sehen, weil sie sich die Sonne eingefangen hat. – Harfen-Karle, bitte, bitte, singe der Sabine ein Lied, damit sie recht froh ist.�
�Na, wenn du meinst, da� es eine Freude wird, will ich es schon tun. – Ich soll dem kleinen Pommerle ein Lied vorsingen.�
�Nein, der Sabine�, rief Pommerle lebhaft.
�F�r mich ein Lied? Das w�re sehr sch�n, wenn es der Harfen-Karle t�te�, sagte Sabine.
�H�rst du?� meinte das Kind. Dann eilte es in die Ecke und winkte dem Alten.
Lachend kam Harfen-Karle heran.
Die Augen des Alten glitten zu Sabine hin�ber, die den Kopf lauschend gehoben hatte. Ein Weilchen �berlegte er, dann begann er:
�Ich bin ein armes, doch frohes Blut,
Trotz meiner Leiden und Schmerzen,
Ich habe als eigen das kostbarste Gut,
Ich habe die Sonne im Herzen.
Ich sing' mit den V�glein, da� laut es schallt,
Kann lachen, springen und scherzen,
Ich freu' mich an Wiese, Feld und Wald,
Ich habe die Sonne im Herzen.
Drum bin ich der reichste, der gl�cklichste Mann,
Vergessen sind Sorgen und Schmerzen,
Ich wandle zufrieden des Lebens Bahn,
Denn mir leuchtet die Sonne im Herzen.�
Pommerle sah in Sabines gl�ckliches Gesicht. Dem Kinde wurde andachtsvoll zumute. Ja, das war ein Lied, wie es zu Sabine pa�te, die sich die Sonne eingefangen hatte und in deren Herzen es hell und licht war. Dann blickte Pommerle auf den alten Harfen-Karle, der auch seinerseits schmunzelnd zu dem Kinde hin�berschaute.
�War's gut so?�
�Lieber, lieber Harfen-Karle�, sagte Pommerle, und in diesen wenigen Worten lag hei�er Dank einer begl�ckten Kinderseele.
�Wie sch�n, wie wundersch�n war das!� sagte nun auch Sabine.
�Hat es dir Freude gemacht?� forschte die Kleine.
�Ich habe schon viele sch�ne Tage erlebt, Pommerle, doch der heutige war wohl der sch�nste von allen. Nun hast du es auch geh�rt, da� es das Sch�nste und Beste ist, wenn man sich die Sonne im Herzen eingefangen hat.�
Pommerle breitete die Arme aus. �Oh,� rief es gl�cklich, �jetzt wei� ich, wie es ist, wenn die Sonne ins Herz hineinrutscht. Mir ist so hei� hier drin, es klopft so furchtbar. Oh, ich bin so froh, so froh! Bist du nun auch wirklich gl�cklich, Sabine? Und war's sch�n, was der Harfen-Karle sang?�
�Das alles habe ich dir zu verdanken, Pommerle, dir und deinem guten Onkel.�
�Onkel, nun habe ich auch die Sonne im Herzen und, nicht wahr, du auch, denn die Sabine ist so froh und zufrieden.�
Professor Bender legte den Arm z�rtlich um sein kleines Pfleget�chterchen und dr�ckte das Kind an seine Brust.
�Pommerle!�
Die Tante rief das kleine M�dchen aus dem Wohnzimmer in die K�che. Pommerle kam gelaufen und fragte, was es solle. Schweigend wies Frau Bender auf den K�chenschemel, auf dem Pommerles M�tze lag.
�Ach so!� sagte das Kind kleinlaut, �da ist sie wieder mal liegengeblieben. Ich wei� schon, wo sie hingeh�rt: in den Flur, an den Haken.�
�Wenn du die M�tze angeh�ngt hast, gehst du einmal hin�ber zum Onkel ins Arbeitszimmer, aber bald, ehe er zur�ckkehrt. Dort sieh dich um.�
Pommerle senkte den Kopf, nahm die M�tze, hing sie im Flur auf und begab sich z�gernden Schrittes ins Arbeitszimmer des Onkels. Auf einem der Klubsessel lagen, unordentlich hingeworfen, verschiedene Puppenkleider. Rasch griff das Kind danach und sagte seufzend:
�Schrecklich, da� immer alles liegenbleibt! Dabei wollte ich mich doch bessern.�
Mit den Puppenkleidern kehrte es in sein Zimmerchen zur�ck. Es war ein kleiner, aber sehr freundlich eingerichteter Raum, in dem Pommerles Bett stand, am Fenster ein Tisch, der zum Spielen und zum Arbeiten diente. Das Zimmer lag neben dem Schlafraum der Pflegeeltern. Nachts blieb die Verbindungst�r offen, denn Frau Bender wollte das kleine, temperamentvolle M�dchen m�glichst viel unter ihren Augen haben.
Nicht immer sah es in Pommerles St�bchen so ordentlich aus wie eben jetzt, denn Anna, das t�chtige, langj�hrige Hausm�dchen, hatte alles, was unordentlich umherlag, fortger�umt und an seinen Platz gelegt. Gar zu oft mu�te Frau Bender ihr Pfleget�chterchen daran erinnern, da� in einem Kinderzimmer auch Ordnung zu herrschen habe, da� es die Spielsachen, die benutzt worden waren, selbst wieder fortr�umen m�sse. Es kam oftmals vor, da� Pommerle nach etwas suchte, dann klang sein Stimmchen weinerlich durch die Zimmer:
�Wo ist mein Federkasten, wo sind meine Handschuhe?�
�Wenn die Sabine auch alles so herumwerfen wollte�, sagte Pommerle zu sich selbst, �w�rde sie es nicht finden. Sie kann doch nicht so sehen wie ich.�
Dann legte das Kind die Puppenkleider ordentlich in den kleinen Puppenschrank, drohte dem Puppenkind mit dem Finger und meinte ernsthaft:
�Da� du mir als gro�er Mensch ordentlich wirst, ich kann keine Liederlichkeit leiden. Nur nichts herumwerfen! H�rst du?�
Aufmerksam schaute sich die Kleine im Raume um. Alles war an seinem Platz. Wenn die Tante kam, w�rde sie nichts zu tadeln finden.
Die Schulaufgaben waren gemacht, nun galt es, sich den Weihnachtshandarbeiten zuzuwenden, denn das Fest war nicht mehr fern. Pommerle seufzte. Es hatte noch viel zu tun. Da es in der Schule gelernt hatte, Str�mpfe zu stricken, wollte es dem Onkel ein Paar derbe, graue Socken herstellen. Ein Strumpf war bereits unter Anleitung der Lehrerin fertig geworden, aber der zweite war noch stark im R�ckstand. Dazu kam, da� auch die Pulsw�rmer f�r Jule noch manche Arbeitsstunde erforderten. Der eine war auch fertiggestellt, sch�n, warm und lang. In m�hsamer Strickarbeit war er gefertigt. Wie w�rde sich der Jule freuen, denn bei seinen Arbeiten drau�en im Hof oder im Schuppen war es mitunter so kalt, da� ihm die Finger steif wurden. Diesem �bel sollten die Pulsw�rmer abhelfen.
Das Geschenk f�r die Tante war fertig und stand wohlverwahrt in Pommerles Schrank. Allt�glich holte das Kind die kleine, selbstgefertigte Kommode hervor, die sp�ter auf dem N�htisch der Tante prangen sollte. Hierf�r hatte ebenfalls die Lehrerin die Anleitung gegeben, und voller Begeisterung hatte sich Pommerle dieser niedlichen Handarbeit unterzogen. Sie hatte sechs Streichholzschachteln in zwei Doppelreihen �bereinander geleimt, so da� sich sechs kleine Schubf�cher ergaben. Um diese sechs K�stchen herum war ein Stoffstreifen gespannt, auf den ein kleines Muster gestickt worden war. Auf dunkelblauem Grunde prangten gelbe und rote Kreuzchen aus Seide. Seit Tagen wartete das Kind darauf, dieses herrliche Geschenk Sabine zu zeigen, die versprochen hatte, in K�rze ihre kleine Freundin Pommerle wieder zu besuchen.
Pommerle holte den Strumpf und den Pulsw�rmer hervor. Woran sollte es nun arbeiten? Der Pulsw�rmer war fast fertig. Es fehlten nur noch die kleinen Z�ckchen, die den Abschlu� bildeten. Dabei mu�te die Tante helfen, denn das war f�r Pommerle noch zu schwer.
Das Kind nahm den Pulsw�rmer zur Hand, stellte aber bald fest, da� es richtiger sei, an dem Strumpfe zu arbeiten, warf ihn auf den Stuhl und begann dann, an dem Strumpfe f�r den Onkel zu stricken. Immer wieder wurde an dem bereits fertiggestellten Strumpfe gemessen. Pommerle dehnte das gestrickte St�ck und fand bald, da� es nun wohl an der Zeit sei, mit der schweren Ferse zu beginnen. Wenn der zweite Strumpf etwas k�rzer w�rde, hatte das wohl nichts auf sich.
Nachdem Pommerle die ersten Nadeln der Ferse gestrickt hatte und wieder zu messen begann, stellte es erschreckt fest, da� der andere Strumpf viel l�nger war. Wenn es noch so sehr zog und dehnte, der in Arbeit befindliche Strumpf schrumpfte immer wieder zusammen. Wenn die Tante nachschaute, mu�te es am Ende das gestrickte St�ck wieder aufziehen. So wollte sich das Kind einmal bei Anna erkundigen, ob es nicht einerlei sei, wenn ein Strumpf k�rzer, der andere etwas l�nger w�re.
Es strickte zun�chst emsig weiter, immer wieder vor sich hin singend:
�Zw�lfmal werden wir noch wach, hei�a, dann ist Weihnachtstag.�
Doch das Stricken der Ferse war gar zu schwer. Sehr bald glitten einige Maschen von der Nadel, die Pommerle nicht mehr festhalten konnte. So begab es sich zur Tante.
�Es ist wieder mal ein Ungl�ck bei dem dummen Strumpf geschehen, Tante. Bitte, mache mir doch den Strumpf wieder in Ordnung.�
�Nein, Pommerle, das geht nicht. Der Onkel hat zwei ganz gleich lange Beine, folglich m�ssen auch die Str�mpfe gleich lang gearbeitet werden.�
�So ist es recht, mein liebes Kind, da� du flei�ig arbeitest. Du kannst bei mir im Zimmer bleiben, ich habe auch zu n�hen, und wir k�nnen uns dabei etwas erz�hlen. Nun gib einmal her.�
Mit nicht ganz gutem Gewissen reichte Pommerle den Strumpf hin.
�Du strickst schon die Ferse? Hast du den anderen Strumpf hier?�
�Dr�ben bei mir ist er.�
�So lauf hin�ber und hole ihn.�
Z�gernd ging Pommerle in sein St�bchen, dabei warf es den Pulsw�rmer, der unordentlich auf dem Stuhl lag, herunter, das Wollkn�uel rollte davon, aber Pommerle lie� es ruhig liegen.
Tante Bender legte die beiden Str�mpfe aufeinander und sch�ttelte den Kopf.
�Nein, Pommerle, das geht nicht. Der Onkel hat zwei ganz gleich lange Beine, folglich m�ssen auch die Str�mpfe gleich lang gearbeitet werden. Wenn man ein Geschenk anfertigt, mu� es tadellos sein, sonst macht es keine Freude.�
Die begonnene Ferse wurde aufgetrennt, seufzend schaute das Kind der Tante zu. Dann machte es sich wieder an die Strickarbeit, w�hrend die Tante n�hte. Nach einer Weile fragte die Kleine ganz unvermittelt:
�Tante, wollen wir nicht ein bi�chen zusammen spielen?�
�Aber gewi�, Kleines.�
�Wollen wir Mutter und Kind spielen?�
�Auch gut, Pommerle.�
�Darf ich dann mal die Mutter sein und du das Kind?�
�Sch�n.�
�Nun hei�t du also Pommerle, Tante. – H�re mal, Pommerle, Weihnachten kommt bald heran, da haben wir in unserem Haushalt noch viel zu tun. Ich bin schrecklich besch�ftigt, ich habe f�r meinen Mann noch zu n�hen und zu flicken, und f�r die G�ste mu� ich Kuchen backen. – Pommerle, willst du mir helfen?�
�Freilich, Mama�, sagte die Tante l�chelnd, �was soll ich denn tun?�
�Willst du mein liebes kleines M�dchen sein und mir eine gro�e Arbeit abnehmen?�
�Ja, Mamachen, das will ich tun.�
Da sprang Pommerle wie elektrisiert auf, dr�ckte der Tante den Strumpf in die H�nde und sagte strahlend:
��tsch, Tante, du hast gesagt, du willst mir helfen, nun strick!�
Frau Bender mu�te lachen. �Ja, Pommerle, wenn du das so machst. Wer schenkt denn den Strumpf, du oder ich?�
�Ach, liebe Tante, ich habe noch so viel zu tun. Wenn du mir ein ganz klein wenig helfen wolltest.� Pl�tzlich nahm das Kindergesichtchen einen strengen Ausdruck an. �Du strickst jetzt! Deine Mutter befiehlt es dir!�
�Oh, ich habe aber eine strenge Mama. Da mu� ich mir wohl ein Beispiel nehmen. – Nun gib her, ein St�ckchen will ich dir gern stricken.�
�Und die Pulsw�rmer f�r den Jule machst du mir auch fertig? Die kleinen Zacken obenauf kann ich nicht.�
�Die sind recht leicht herzustellen, Pommerle, ich will dir gern zeigen, wie man sie macht.�
�Na gut�, meinte das Kind, �dann will ich sie holen.�
Wenige Minuten sp�ter vernahm Frau Bender einen lauten, entsetzten Schrei. Darauf die Stimme Annas, dann wieder ihr Pommerle. Was hatte das Kind nur? Es schien dem Weinen nahe zu sein. Und wieder war es Anna, die laut und �rgerlich rief:
�Das ist doch nicht meine Schuld – warum wirfst du alles so liederlich umher!�
�Oh, nun ist alles hin, alles – alles!�
Frau Bender erhob sich. Da mu�te sie doch einmal nachsehen, warum ihr Pommerle gar so j�mmerlich klagte. Die Stimmen kamen aus dem Schlafzimmer. Sie trat ein. Da stand Pommerle und hielt Jules Pulsw�rmer in der Hand. Aber von dem langen, sch�nen Pulsw�rmer war nur noch ein kleiner Rand vorhanden.
�Sie hat alles kaputt gemacht�, klagte das Kind.
�Ich habe eben ein Kn�uel mit Wolle auf der Erde gefunden�, verteidigte sich Anna, �es lag im Schlafzimmer der Herrschaften, da habe ich es aufgenommen und aufgewickelt. Und pl�tzlich ging es nicht weiter, da bin ich in Pommerles Zimmer gegangen, aus dem der Faden kam. Dann habe ich erst gesehen, da� ich den Pulsw�rmer aufgetrennt habe.�
�Wo war denn der Pulsw�rmer?�
Pommerle schwieg. Es erinnerte sich genau, da� es vorhin, als es den Strumpf holte, mit den F��en das Wollkn�uel mitgenommen und nicht aufgehoben hatte. Anscheinend war es ins Schlafzimmer der Tante gerollt. Dann war Anna gekommen, hatte das Kn�uel aufgewickelt und die m�hsame Arbeit vernichtet.
Ein mahnender Blick aus den Augen der Tante veranla�te das kleine M�dchen, alle weiteren Vorw�rfe Anna gegen�ber zu unterlassen. Pommerle war ja selbst an diesem Ungl�ck schuld. Nun mu�te es doppelt flei�ig sein, um Jule rechtzeitig beschenken zu k�nnen. Er sollte seine Pulsw�rmer haben, denn es wurde von Tag zu Tag k�lter.
Am Abend dieses verh�ngnisvollen Tages hatte Pommerle doch noch eine Freude. Jule kam mit einer Bestellung ins Haus des Professors, und Sabine begleitete ihn.
�Wir haben nicht lange Zeit, Pommerle, ich wollte dir nur guten Abend sagen.�
�Ach, dann kann ich dir etwas ganz Feines zeigen. Komm doch mal mit.�
Geheimnisvoll zog Pommerle die gro�e Freundin in sein St�bchen. Aus dem Schrank holte es die kleine Kommode, das Geschenk f�r die Tante.
�Ist es nicht herrlich?�
Sabine bef�hlte das Geschenk, Pommerle gab alle Erkl�rungen, die Blinde meinte, das sei ein reizendes Geschenk, und Pommerle h�tte es gewi� recht h�bsch und ordentlich beklebt und bestickt.
�Und dann zeige ich dir noch was anderes�, sagte Pommerle, indem es die kleine Kommode rasch auf einen der St�hle stellte. �Sieh mal, das hier werden Str�mpfe f�r den Onkel. Aber einer ist erst fertig. – Kannst du eigentlich auch stricken?�
�Ja, das kann ich.�
�Ohne hinzusehen? Und wenn dir mal eine Masche herunterf�llt?�
�Dann mu� ich jemand bitten, mir die Masche aufzuheben. Aber wir stricken langsam, da fallen nur selten Maschen von der Nadel.�
�Kannst du auch eine Ferse stricken?�
�Ja, einen ganzen Strumpf.�
�Ach, Sabine, wenn du mal gar nichts zu tun hast, kommst du mich besuchen, aber noch vor Weihnachten. Dann erz�hlen wir uns sch�ne Sachen, und dabei strickst du.�
�Ich will dir gern helfen, kleines Pommerle.�
�Ach, das ist fein�, jubelte das Kind. �Nun setz dich mal ein Weilchen hin, dann zeige ich dir noch die Pulsw�rmer f�r den Jule. Den einen hat mir die Anna heute aus Versehen aufgetrennt. So, nun setz dich mal da auf den Stuhl.�
�Ich habe nicht lange Zeit, Pommerle, die Eltern warten mit dem Abendessen auf mich. Der Jule sollte gleich wieder heimkommen.�
�Na, ein Weilchen kannst du dich doch hinsetzen�, meinte die Kleine, indem sie Sabine am Arm nahm und energisch auf den Stuhl niederdr�ckte. Aber schon schnellte Sabine wieder auf.
�Was ist denn das?� Ihre Hand griff auf den Sitz. �Ach, Pommerle, deine kleine Kommode!�
Die eben noch so niedlich aussehende Handarbeit war vollkommen zerst�rt. Die kleinen Schachteln v�llig zerbrochen, der gestickte Bezug glitt zu Boden.
�Au, die sch�ne Kommode!� klagte das Kind. �Heute ist alles verhext! Nun habe ich kein Geschenk f�r die Tante! Warum hast du dich auch daraufgesetzt?�
�Ich habe sie ja nicht gesehen�, sagte Sabine leise.
Da wurde Pommerle ganz still. Es durfte Sabine keinen Vorwurf machen. Wenn es die Weihnachtshandarbeit gleich wieder in den Schrank zur�ckgestellt h�tte, w�re das Ungl�ck nicht geschehen. – Was hatte die Tante gesagt? ›Du wirst dir durch deine Unordentlichkeit manchen Schaden zuf�gen.‹
�Oh, Pommerle�, klagte Sabine, �sei mir nicht b�se. Ich will dir gern helfen, aber das werde ich nicht k�nnen.�
�Dann strickst du eben den Strumpf.�
�Ja, das will ich gern tun. Ich komme in den n�chsten Tagen wieder, dann sind wir den ganzen Nachmittag zusammen, wir wollen flei�ig arbeiten. Es tut mir ja so leid, da� ich dir das sch�ne Geschenk zerst�rte.�
�Nun habe ich auch keine Streichholzschachteln mehr.�
�Die will ich dir gern besorgen, sei nur nicht traurig.�
Da betrat der Jule das Zimmer. Hastig ergriff Pommerle die Pulsw�rmer und versteckte sie auf dem R�cken.
�Ich glaube, wir m�ssen gehen, der Meister wartet.�
Als die beiden fort waren, betrachtete das Kind nochmals sorgenvoll die zerdr�ckte kleine Kommode.
�Erst trennt Anna mir den Pulsw�rmer auf, dann zerdr�ckt mir die Sabine die Kommode. Ach, es ist schrecklich!�
Zu schade, da� es sein Leid der Tante nicht klagen konnte. Aber das Geschenk war doch eine �berraschung, von der Frau Bender nichts wissen durfte. –
Am Sp�tabend desselben Tages ging Frau Bender nochmals durch das Haus. Sie sah nach, ob alle Fenster und T�ren gut geschlossen waren, denn drau�en tobte ein heftiger Sturm. Er ri� an den �sten der B�ume und bog die beiden Tannen, die am Eingang zum Garten standen, hin und her.
Pommerle, das bereits in seinem Bettchen lag, horchte auf.
�Puh, Tante, wie der Wind heute bl�st! Wenn er auch so t�chtig an der See bl�st, spritzen die Wellen hoch auf. Ich habe das oft gesehen. H�re doch mal, Tante, es klingt, als ob die Ostsee rauscht.�
�Schlaf' nur ein, Pommerle, es ist schon sp�t.�
Noch einmal warf sich das Kind unruhig im Bett umher, dann senkte sich trotz des heulenden Sturmes der Schlaf auf die Lider Pommerles hernieder. –
Pommerle hob den Kopf. Was war das? Alles war finster, und doch war es nicht so still wie sonst. Sogar im Hause h�rte man sprechen. Es rief nach der Tante, dem Onkel, doch es erfolgte keine Antwort. Da kletterte das Kind aus dem Bett und eilte ins Nebenzimmer. Wie sah denn das Zimmer aus, alles in rotes Licht getaucht, die Betten der Pflegeeltern waren leer, und von unten her t�nte immer lauter werdendes Rufen.
Im Hemdchen lief die Kleine auf den Flur hinaus. Hier war das elektrische Licht eingeschaltet, unten eilten Leute hin und her.
�Tante – Onkel!�
Pommerle eilte die Treppe hinab. Die Tante, die unten im Flur stand, sah das Kind.
�Aber, Pommerle, du kannst dich erk�lten. Geh rasch wieder hinauf!�
�Was ist denn los?� fragte das Kind, unruhig werdend.
�Ein schreckliches Ungl�ck ist geschehen, Pommerle, das Haus von Frau Hanke brennt.�
Frau Hanke! Pommerle kannte die alte Dame genau; sie hatte nebenan das h�bsche Holzhaus mit dem gro�en Garten.
�Geh hinauf, Pommerle, und lege dich wieder ins Bett.�
�Du mu�t bei mir bleiben, Tante – ich f�rchte mich!�
�Deine Tante hat jetzt viel zu tun, sie mu� helfen. Die Leute bringen die Sachen von Frau Hanke in unser Haus. Die Feuerwehr ist auch schon gekommen.�
�Da m�chte ich auch helfen, Tante!�
�Vor allem ziehe dich an, Kind.� Frau Bender hielt es f�r das beste, da� das Kind munter blieb. Bei dem herrschenden Sturme konnte niemand wissen, wie sich das Feuer ausdehnte. Zwar stand der Wind nicht nach dem Hause des Professors zu, die Feuerwehr hatte erkl�rt, f�r den Benderschen Besitz sei keine Gefahr, um so mehr aber f�r das Grundst�ck auf der anderen Seite des brennenden Hauses. Selbstverst�ndlich durfte das Kind sich nicht nach der Brandstelle begeben. Es sollte im Hause bleiben. Es konnte an der Seite der Tante auf die Sachen achtgeben, die die Feuerwehrleute und andere hilfsbereite Menschen heranbrachten.
Als Pommerle das brennende Nachbarhaus sah, erschrak es. Der Anblick war f�r das Kind ungewohnt und schaurig. Wenn es gar daran dachte, da� der freundlichen, alten Dame alles verbrannte, was sie besa�, tat Pommerle das Herz weh.
Hastig kleidete sich das Kind an, warf alles durcheinander, nur um recht rasch fertig zu werden, und kam dann herunter in das Wohnzimmer, in dem M�bel, Betten, Kisten und Kasten standen, und immer noch trug man weiteren Hausrat heran, der vor dem Feuer in Sicherheit gebracht werden sollte.
Wieder wagte sich das kleine M�dchen hinaus in den Hausflur. Es lauschte. Was war das f�r ein Jaulen und Heulen, das aus der K�che kam? Das Kind eilte sogleich hin�ber. Auch in der K�che brannte Licht. Drei ganz kleine, reizende Hunde waren an langer Leine am K�chentisch festgebunden. Sie jammerten wohl nach ihrer Herrin.
�Oh, ihr s��en Tierchen�, jubelte Pommerle, kniete nieder und strich ihnen z�rtlich �ber das zottige Fell. �Habt ihr auch Angst vor dem Feuer? Aber f�rchtet euch nur nicht.�
�Geh hinaus!� ert�nte eine Stimme.
Pommerle fuhr zusammen. Wer hatte eben gesprochen? �Geh hinaus!� Verwundert schaute sich Pommerle um. Dort in der Kammer, neben der K�che, stand ein gro�er K�fig, darin sa� ein sch�ner Papagei. Er legte den Kopf auf die Seite und rief zum drittenmal: �Geh hinaus!�
�Ein Papagei – und einer, der so sch�n sprechen kann! – Oh, ihr s��en Tierchen�, sagte Pommerle, �wie sch�n ist es, da� ich euch hier habe!�
Aber den drei Hunden schien es gar nicht zu gefallen. Sie rissen an den Leinen und wollten sich mit Gewalt frei machen.
�Die armen Tierchen werden sich erw�rgen�, meinte Pommerle. �In der K�che ist es so kalt. Ich glaube, ich mu� sie in die warme Stube nehmen.�
Pommerle knotete die Leinen vom Tisch ab, die drei Hunde umbellten das Kind freudig.
�Habt ihr Hunger? – Hier ist es viel zu kalt f�r euch!�
Zuerst wollte Pommerle die drei Hunde ins Wohnzimmer bringen, doch darin lag so viel, da� kein rechter Platz mehr vorhanden war. So entschlo� sich das Kind nach kurzem �berlegen, die s��en drei H�ndchen hinauf in die warme Schlafstube zu nehmen. Dort brauchten sie nicht an der Leine festgebunden zu sein. Sie machte die T�r fest zu, dann konnten die H�ndchen frei umherlaufen und w�rden sich nicht mehr �ngstigen.
So stieg Pommerle mit den drei Hunden die Treppe empor und brachte die Tierchen in sein kleines Zimmerchen.
�Ja, das glaube ich, hier gef�llt es euch, hier ist es auch sch�n warm.�
Pommerle sa� mit den kleinen Hunden im Zimmer und fand es herrlich, des Nachts solch lieben Besuch zu haben.
Das eine der Tierchen sprang zutraulich an dem Kinde hoch, als es von der Leine gebunden war. Pommerle nahm den Hund auf den Arm, ihn z�rtlich streichelnd. Die beiden anderen schienen dar�ber neidisch zu sein, sie wollten gewi� auch spielen.
So sa� das kleine M�dchen mitten zwischen den Hunden, hatte Feuer und alle anderen Aufregungen vergessen und fand es herrlich, des Nachts solch lieben Besuch zu haben. Schade, da� es nicht auch den Papagei heraufbringen konnte! Auch dem armen Vogel w�rde es dort unten zu kalt werden. Vielleicht fand sie die Anna, und diese konnte den K�fig heraufbringen.
�Ihr kleinen, s��en H�ndchen bleibt jetzt allein. Ich bringe euch noch einen Spielgef�hrten.�
Sorgsam schlo� Pommerle die T�re, da� die drei Hunde nicht heraus konnten. Aber Anna war nirgends zu finden. Dagegen stand die Tante wieder im Flur.
�Tante, ich glaube, der Papagei friert. Kannst du ihn mir nicht herauftragen?�
�La� nur die Tiere in Ruhe, sie sind in Sicherheit.� Und schon war die Tante wieder fortgegangen. Beim Durchschreiten des Flures sah Pommerle gerade, wie ein gl�hender Funkenregen zum n�chtlichen Himmel hinaufstieg. Das fesselte erneut seine Aufmerksamkeit. Wie sehr das h�bsche Haus brannte – es war schrecklich anzusehen. Aus mehreren Schl�uchen spritzte man Wasser in die Flammen; dicker, wei�er Rauch stieg auf; doch das Feuer kam nicht zum Stehen.
Pl�tzlich erblickte Pommerle den Jule. Mit ausgebreiteten Armen lief es ihm entgegen. Der Jule schleppte auf dem R�cken einen gro�en Packen daher und warf ihn in den Flur.
�Hast du gesehen, Jule, es brennt!�
�Ja, es ist schrecklich!�
�Willst du mir nicht den Papagei herauftragen?�
�Ich habe jetzt keine Zeit.�
Nach wenigen Minuten war der Jule schon wieder da. Wieder trug er eine schwere Last. Und dann kamen viele andere, M�nner und Frauen.
Endlich wurde es drau�en ruhiger. Von dem Nachbarhause stand nicht mehr viel; nur das gemauerte Fundament war zu sehen, aus dem es stark rauchte und qualmte. Aus zwei Schl�uchen gaben die M�nner noch immer Wasser, damit auch die letzten Flammen erstickt wurden. Pommerle stand im Flur. Es horchte auf die Reden der Leute, die kamen und gingen.
�Wenn es wahr ist, was sie sagen�, sagte ein Mann, �dann w�re es doch schrecklich. Gestern abend waren die Enkelkinder zu Besuch. Da sollen die Jungens heimlich hinauf auf den Boden gegangen sein, um Zigaretten zu rauchen. Wahrscheinlich hat das umherliegende Ger�mpel Feuer gefangen. Das kommt vom heimlichen Rauchen.�
Aufmerksam hatte Pommerle den Worten gelauscht. Es blickte von einem zum anderen, sah den Jule, der wie versteinert in der T�r stand. Warum ri� er die Augen so weit auf? Warum sah er pl�tzlich so ganz anders aus? Und dann drehte sich der Jule um, Pommerle sah, wie er davonlief, er st�rmte durch den Garten, weiter und weiter.
Was hatte der Mann gesagt? Zum ersten Male hatte der Jule gestern eine Zigarette geraucht. Er hatte einen guten Bekannten getroffen, nicht �lter als er selbst, der hatte Zigaretten gehabt. Der Jule hatte bisher stets neidvoll auf alle jene gesehen, die rauchten. Ihm hatte man es verboten. Der Meister meinte, da� ein junger Bursche im ersten Lehrjahre noch nicht zu rauchen brauche. Und auch von Professor Bender hatte er niemals eine Zigarette bekommen. Gestern hatte ihm der Freund eine geschenkt, und am Abend hatte sich der Jule ganz heimlich in die bereits geschlossene Werkstatt geschlichen und dort geraucht.
�Die Werkstatt brennt�, murmelte Jule vor sich hin, w�hrend er im Sturmschritt die Stra�e hinunterlief. �Die Werkstatt brennt, ich habe sie angez�ndet, ich habe ja geraucht.� Er lief gegen zwei daherkommende M�nner, die sich auch des Nachts aufgemacht hatten, um das schaurige Schauspiel zu betrachten. Er h�rte nicht die Scheltworte der beiden. Nur weiter, da� er das Feuer in der Werkstatt l�schen konnte.
Totenbla�, mit klopfendem Herzen erreichte der Jule das Haus Meister Reichardts. Es lag in tiefem Dunkel. Er ging hinter zur Werkstatt, schob den Riegel zur Seite. Alles war finster. Da sank der Jule ersch�pft auf einem Haufen Hobelsp�ne nieder, rieb sich den Schwei� von der Stirn und sandte ein Dankgebet zum Himmel.
�Ich will niemals wieder heimlich rauchen�, sagte er vor sich hin. �Der R�bezahl hat es wohl nicht gesehen, sonst h�tte er mir bestimmt einen Streich gespielt.� – –
�Nun aber zu Bett, Pommerle�, mahnte Frau Bender, �und bem�he dich, recht schnell einzuschlafen.�
�Ich bin gar nicht m�de, Tante.�
�Doch, mein Kind, es ist kaum vier Uhr fr�h, da kannst du noch einige Stunden schlafen. Kleine M�dchen geh�ren um diese Zeit ins Bett.�
Pommerle wollte etwas erwidern, aber die Tante hob warnend den Finger. Sie dr�ckte dem Kinde einen herzlichen Ku� auf die Stirn und wiederholte energisch: �Nun geh schnell zu Bett, wir kommen auch gleich nach.�
Da wu�te Pommerle, da� es keine Widerrede gab. Es sagte der Tante gute Nacht und stieg die Treppe empor. Schon im Schlafzimmer der Pflegeeltern vernahm es das freudige Bellen der drei Hunde. Da strahlte das Gesicht des Kindes. Es w�rde jetzt mit den drei H�ndchen schlafen gehen. Wenn das Licht wieder ausgel�scht war, w�rden auch die drei s��en Tierchen m�de sein und schlafen. Ob es die niedlichen wei�en H�ndchen mit in sein Bett nehmen konnte?
Pommerle trat �ber die Schwelle. Die drei Hunde kollerten auf dem Teppich �bereinander. Einer hielt etwas Graues im Maule, die beiden anderen bem�hten sich, dem Bruder das Spielzeug zu entrei�en.
Pommerle blickte auf die Hunde. Was hatten die im Maule? Was war das f�r ein langer Streifen?
Ritsch – ratsch, da war wieder in den Z�hnen eines Hundes ein St�ck grauer Stoff h�ngengeblieben. Und nun sah das Kind, was die drei s��en Tierchen angerichtet hatten. Beim schnellen Ankleiden hatte Pommerle auch das Strickzeug herausgeworfen. Der sch�ne fertige Strumpf, der f�r den Onkel als Weihnachtsgeschenk bestimmt war, diente den wei�en, s��en H�ndchen als Spielzeug. Sie schienen sich redlich darein zu teilen, denn jeder hatte ein St�ck Strumpf abgerissen.
Anfangs war das Kind starr, dann h�tte es am liebsten laut geweint.
�Oh, ihr Rei�teufel! Oh, ihr schlimmen Tiere!�
Aber die drei Hunde schienen die Scheltworte als eine Liebkosung zu empfinden. Sie sprangen mit ihrer grauen Beute an dem kleinen M�dchen empor und kl�fften es freudig an.
Da begann Pommerle bitterlich zu weinen. Langsam l�ste es ein St�ck Strumpf nach dem anderen aus den Z�hnen der Tiere. Hier war freilich nicht mehr viel zu retten.
�Da wollte ich nun mit euch zusammen schlafen gehen; nun d�rft ihr zur Strafe nicht mit hereinkommen.�
Pommerle ergriff eins seiner Kopfkissen und warf es ver�rgert nach den Hunden. Dieses Wurfgescho� wurde mit Freuden begr��t. Der Kleinste bi� sogleich kr�ftig hinein. Dem Kinde blieb das Herz stehen.
�La� los�, rief es �ngstlich, �das Bett geh�rt mir! Du b�ser Hund, la� doch los!�
Gerade in dem Augenblick, als Pommerle kr�ftig an dem Kissen zerrte, st�rzten auch die beiden anderen Hunde auf das neue Spielzeug.
�Bitte, bitte�, rief Pommerle angstvoll, �la�t doch los, das ist ein gutes Bett! La�t doch los!�
Es gelang dem Kinde wirklich, das Kissen aus den Z�hnen der drei Hunde zu befreien, doch klaffte ein gro�er Ri� in dem wei�en Bezug. Ratlos stand das M�dchen vor den freudig wedelnden Tieren. Dann holte es die Leinen wieder herbei, fing einen Spitz nach dem anderen ein, band ihn am Halsband fest und f�hrte die s��en drei Hunde scheu und verlegen wieder die Treppe hinab, hinein in die K�che.
�Das habt ihr nun davon, da� ihr so unartig seid.� Aber es erschien ihm doch zu grausam, die Tiere in der kalten K�che zu lassen. Es suchte noch einige Decken zusammen, dann bekam jeder Hund einen freundschaftlichen Klaps und die gute Ermahnung, zu schlafen. Dann drehte Pommerle in der K�che das Licht aus.
Sehr sorgenvoll stieg es empor. Die H�ndchen hatten doch viel Unordnung im Zimmer gemacht. Und der sch�ne Strumpf! Nun war alles entzwei. Der Strumpf, der Pulsw�rmer und die kleine Kommode.
Am n�chsten Tag berichtete Pommerle der Tante unter Tr�nen, was sich ereignet hatte.
�Siehst du, mein Pommerle, das kommt davon, wenn man als Kind eigenm�chtig handelt. Die Tiere waren in der K�che gut aufgehoben. Sie h�tten auch nicht gefroren, denn die K�che ist nicht kalt. Nun hast du dir durch eigene Schuld alle deine Weihnachtsgeschenke selbst verdorben. Siehst du nun ein, da� ein unordentlicher Mensch und einer, der zu vorlaut ist, sich selbst den meisten Schaden zuf�gt?�
�Ja, Tante, ich sehe das alles ein. Ach, mein sch�ner Strumpf!�
Als man am Fr�hst�ckstische sa�, war das Kind still und niedergedr�ckt. Wie sollte es bis zum Weihnachtsfest neue Geschenke herstellen? Auch wenn Sabine ihm half, w�rden die Str�mpfe f�r den Onkel nicht fertig werden.
Professor Bender sprach von dem Brande. Still und aufmerksam h�rte Pommerle ihm zu.
�Es h�tte ein furchtbares Ungl�ck geben k�nnen. Die arme Frau Hanke! Durch den Leichtsinn der Knaben hat sie so schwere Verluste zu erleiden.�
Pommerle dachte an das zerrissene Kopfkissen und senkte das K�pfchen. Doch eine weitere Bemerkung des Onkels lie� es wieder aufhorchen.
�Ein schaurig-sch�ner Anblick war es, das lodernde Feuer in der Nacht. Ja, ja, die Elemente hassen das Gebild von Menschenhand.�
Als der Onkel sp�ter allein war, forschte das Kind neugierig:
�Onkel, was sind denn Elemente? Warum hassen die das Gebild von Menschenhand? – Und was ist ein Gebild?�
�Schau, Pommerle, da haben die Menschen in m�hsamer Arbeit etwas geschaffen, und ganz pl�tzlich kommt eine gro�e Kraft, eine Naturkraft, die zerst�rt alles, was die Menschen aufgebaut haben. Ein Dichter hat diese Worte gesagt. Von dem Dichter Schiller wirst du sp�ter auch h�ren und manches von ihm lernen.�
Darauf ging Pommerle zu den drei Hunden, die vorl�ufig von Anna betreut wurden. Es setzte sich neben die Hunde, die sogleich auf Pommerles Scho� sprangen.
�Ihr lieben, ihr b�sen Tierchen; ihr seid auch solche Elemente! Da habe ich nun wochenlang an dem Strumpfe gestrickt – h�rt ihr zu? Meine Menschenh�nde haben den Strumpf gestrickt, nun kommt ihr Elemente und rei�t ihn kaputt. Sch�mt euch!�
Drei Hundeschweife wedelten vergn�gt. Da konnte Pommerle nicht l�nger z�rnen. �Ach, liebe, s��e Tierchen seid ihr ja doch, ihr seid eben noch zu dumm, um zu wissen, da� man das nicht machen darf. Aber lieb habe ich euch doch. – Ach, ich m�chte zu Weihnachten auch so einen kleinen s��en Hund haben.�
Pommerle stand in der K�che neben Anna, dem Hausm�dchen, und trat ungeduldig von einem Fu� auf den anderen.
�Anna, strick' schnell!�
Die Nadeln klapperten in der Hand des gutm�tigen M�dchens, das Pommerles Strumpf vorhatte und eiligst daran arbeitete.
�Kannst du nicht noch schneller machen? Der Jule wird gleich kommen, dann klingelt's, und wir gehen in die Weihnachtsstube.�
�Fertig wird der Strumpf doch nicht, Pommerle.�
�Aber es fehlt wenigstens dann nur ein St�ckchen. Wenn du recht, recht schnell strickst, und wenn die Tante noch sehr viele Sachen in der Weihnachtsstube aufbaut, dann kannst du ihn vielleicht doch noch fertigmachen.�
�Wo denkst du hin, Pommerle! Es fehlt doch noch das ganze St�ck f�r die Zehen. Ich bin noch nicht einmal oben beim Abnehmen.�
�Vielleicht k�nntest du ihn ein bi�chen k�rzer machen, er dehnt sich doch.�
�Nein, Pommerle, wenn man etwas schenkt, mu� es ordentlich sein. Du erz�hlst dem Onkel von den H�ndchen, die den fertigen Strumpf zerrissen haben, dann nimmt er es nicht �bel.�
�Sabine hat auch so flei�ig gestrickt. Oh, die Sabine bekommt auch von mir etwas sehr Sch�nes.�
�Wer wei�, ob sie sich dar�ber freuen wird?�
�Nat�rlich freut sie sich dar�ber! Jule w�rde sich auch �ber eine Mundharmonika m�chtig freuen. In den Ohren hat die Sabine keinen Schaden. Sie h�rt alles, wenn sie t�chtig bl�st. Oh, sie wird sich m�chtig freuen!�
�Ja, ja, es ist ein Gl�ck, da� wir heute Weihnachtsabend haben. Seit du diese entsetzliche Mundharmonika gekauft hast, hat man im Hause keine ruhige Minute mehr.�
�Ich will sie holen�, lachte das Kind. �Ich blase, und du strickst. Der Jule hat doch gesagt, mit Musik geht alles besser. – Kannst du mir nicht ein bi�chen sagen, was die Tante hinter der T�r alles f�r mich aufbaut?�
�Eine Rute.�
�Hahaha�, lachte Pommerle, �eine Rute ist doch nur f�r ganz kleine Kinder!�
�Einen gro�en Zettel in gro�em Rahmen, so wie ein Bild. Das sollst du dir �ber dein Bett h�ngen. Auf diesem Zettel steht: ›Sei ordentlich‹.�
�O je�, meinte Pommerle kleinlaut, �ich denke, ich bekomme doch noch was anderes. Wei�t du, Anna, was ich furchtbar gern haben m�chte? Einen Roller.�
�Was willst du denn damit anfangen? Jetzt liegt doch drau�en alles voll Schnee. Da kannst du den Roller gar nicht brauchen.�
�Ich fahre damit durch die Stuben.�
�Na freilich, da werde ich dich jagen. Ein Roller ist doch nichts f�r die Zimmer.�
�Wenn ich ihn erst habe, werden wir uns schon dar�ber einigen�, meinte die Kleine. �Anna, bist du nun bald fertig?�
Die Klingel schlug an.
�Das ist der Jule!� rief Pommerle erfreut, eilte in den Hausflur hinaus, um zu �ffnen.
Es war wirklich der Jule. Pommerle stemmte die Arme in die H�ften und schaute den Spielgef�hrten lange an. Jule hatte sich heute sehr fein gemacht. Am heutigen Heiligen Abend war um f�nf Uhr Schlu� mit der Arbeit gewesen. Zur Bescherung war der Jule zu Benders eingeladen; nun war der junge Lehrling gekommen und gl�hte vor Erwartung. Da� er von Benders beschenkt werden w�rde, stand nat�rlich fest, sonst h�tte man ihn doch nicht eingeladen.
�Oh, bist du fein!� staunte das kleine M�dchen.
Den dunkelblauen Anzug trug der Jule freilich nicht oft. Das war sein bestes St�ck, das mu�te geschont werden. Sogar einen Schlips hatte er umgebunden, genau so wie der Onkel.
�Du gef�llst mir�, sagte Pommerle. �Au, Jule, ich habe dir was Feines zu Weihnachten gemacht.�
�Und ich schenke dir das Allersch�nste, was es gibt.�
�Was denn?�
�Es sieht grau aus.�
�Einen Handball?�
�Nein. – Es hat Beine und einen Schwanz.�
�Wird wohl eine Maus sein�, meinte Anna. �Der Jule hat doch nichts als Flausen im Kopfe.�
�Sag' doch, was schenkst du mir?� dr�ngte Pommerle.
�Ich schenke es nur dir�, meinte Jule. �Ich m�chte es eigentlich gern selber behalten, aber es geht nicht. Ich mu� es fortgeben. Der Meister hat einen Hund, und der kann das, was ich dir schenke, nicht leiden.�
�Schenkst du mir – schenkst du mir dein Grauchen?� Pommerle zitterte vor Erregung. Der Jule hatte eine gro�e, graue Katze, oh, eine so wundersch�ne Katze. Als seine Mutter noch lebte, hatte er schon immer von dem Grauchen erz�hlt. �Schenkst du mir das Grauchen?�
�Ja, nicht gern, aber ich schenke es dir doch, weil du es eben bist. – Schenkst du mir auch was?�
�Ja, auch was Graues.�
�Was ist es denn?�
�Ich verrate gar nichts, es ist doch eine �berraschung. Aber wenn du t�chtig an die H�nde frierst, wird es dich w�rmen.�
�Ach so�, meinte Jule gedehnt, �Handschuhe ziehe ich aber nie an, daraus mache ich mir nichts.�
�Ach was, Handschuhe, es ist was viel Sch�neres.�
�Dann werden es eben Str�mpfe sein.�
�Aber, Jule, die zieht man doch nicht �ber die H�nde. – Anna, strick' schnell, es wird gleich losgehen mit der Bescherung.�
Jule stellte sich neben Anna, schaute dem flei�ig strickenden M�dchen zu.
�Sie soll es noch fertigmachen�, sagte Pommerle. �Ich m�chte so gern, da� es fertig wird, aber es fehlt das untere Ende.�
�Steck doch einen anderen Strumpf durch�, meinte Jule.
�Wie denn?�
�Wenn ich die Str�mpfe sehr zerrissen hatte und dann alle Zehen 'rausguckten, habe ich ein anderes Paar daruntergezogen. Da sah man nicht mehr, da� L�cher darin waren.�
�Anna, wollen wir uns ein Paar Str�mpfe holen und sie durchstecken?�
�Das ist ja alles Unsinn�, meinte Anna. �Wir werden doch den guten Onkel nicht zum Heiligen Abend betr�gen.�
�Geht's denn noch immer nicht los?� fragte der Jule ungeduldig. �Ich denke, ihr wolltet um sechs Uhr bescheren. Nun ist es schon sechs.�
�Komm, wir wollen mal klopfen gehen.�
Beide schlichen an die geheimnisvolle T�r. Pommerle klopfte zuerst leise, dann immer lauter an.
�Nun ist es sechs Uhr, nun mu� es losgehen!�
�Nur Geduld�, klang es von innen heraus. �Ist der Jule schon da?�
�Ich warte schon so lange!�
�Nun, dann wartest du eben noch ein Weilchen, Jule. Singt inzwischen noch einige Weihnachtslieder, da� ihr sie nachher auch gut k�nnt.�
�Komm nur�, meinte das Kind seufzend. �Es n�tzt nichts. Wir wollen uns vor die gro�e Uhr in der Wohnstube setzen und auf die Zeiger aufpassen. Dabei wollen wir was singen. – Anna, du strickst doch recht flei�ig?�
Hand in Hand gingen die beiden Kinder ins Wohnzimmer hin�ber und stellten sich vor die gro�e Uhr, die schon f�nf Minuten �ber sechs zeigte.
Pommerle lief ungeduldig im Zimmer umher. Die Ungeduld wuchs mehr und mehr. Schlie�lich begann es doch zu singen: �O du fr�hliche, o du selige. – Jule, du sollst mitsingen!�
Gemeinsam begann man das Lied von vorn. Aber schon nach der ersten Zeile hielt Pommerle inne. �Was hast du denn eben gesungen, Jule?�
�Nun, das Weihnachtslied.�
�Sing doch mal allein.�
Da sang der Jule los: �O du fr�hliche, o du selige, gabenbringende Weihnachtszeit.�
Das Kind lachte. �Du kannst ja nicht mal das Weihnachtslied. Ach, Jule, bist du dumm!�
�Wenn es nun nicht bald losgeht, trage ich meine Geschenke wieder nach Hause. – Wei�t du was, Pommerle, bei mir ist eben jetzt Bescherung. Ich hole dir das Grauchen.�
�Wo ist es denn?�
�Nun, das habe ich auch schon der Frau Professor gebracht. Jetzt sitzt es auch in der Weihnachtsstube. Aber sie soll es mir wieder 'rausgeben.�
�Und meine Pulsw�rmer liegen auch auf deinem Platz.�
�Ach so, Pulsw�rmer. – Na ja, die kann ich gut brauchen.�
Gerade als die gro�e Standuhr ausholte, um die erste Viertelstunde nach sechs zu schlagen, ert�nte die Glocke, die die beiden Kinder und Anna, das Hausm�dchen, in die Weihnachtsstube rief. Auch Frau Krause, die Aufw�rterin, hatte sich inzwischen eingefunden, denn auch f�r sie war im Benderschen Hause ein Gabentisch aufgebaut worden.
Jule und Pommerle stie�en mit den K�pfen in der T�r heftig zusammen, jeder wollte zuerst im Zimmer sein.
Da stand der gro�e Weihnachtsbaum mit seinen strahlenden Lichtern, im Gold- und Silberschmuck. Zwischen den Zweigen leuchteten rote �pfel und braune Pfefferkuchen. W�hrend Jule mit den Augen seinen Platz suchte, stand Pommerle wie gebannt in den Anblick des sch�nen Baumes versunken. Was war das f�r eine Pracht! Sogar in diesem Augenblick dachte es kurz an Sabine. Sie sagte zwar, sie k�nne durch das Herz sehen, aber es war wohl doch nicht m�glich, da� sie den Weihnachtsbaum in all seinem strahlenden Glanz erkannte.
Aber die Gedanken des Kindes wurden sehr bald abgelenkt durch das Freudengebr�ll, das der Jule ausstie�.
�Oh, juhu – fein – das ist 'ne Kiste! Oh, Hurra! Jetzt geht es in die weite Welt. Geh�rt es wirklich mir? Mir ganz allein? Oh – oh – uff!�
Jule stand vor einem Fahrrad. Er strahlte vor Gl�ck und Wonne. Es war kein neues, blitzblankes Rad, man sah es ihm an, da� es wohl schon oftmals benutzt worden war; aber der Jule kniete neben dem Rad nieder, streichelte die Speichen, die Pedale, alle Stangen; und ehe Professor Bender, der l�chelnd dem Treiben des Knaben zusah, es hindern konnte, hatte sich der Jule aufgeschwungen. Er wollte sicherlich nicht fahren, aber in seiner Freude trat er auf die Pedale. Im n�chsten Augenblick fuhr Jule geradeswegs in den Weihnachtsbaum hinein.
Herr und Frau Bender sprangen rasch hinzu, um ein Ungl�ck zu verh�ten. Es lief auch alles gut ab, obwohl der Baum bedenklich schwankte. Aber der Jule lag auf der Erde. Er war sichtlich erschrocken.
�Aber, Jule, was machst du denn?�
Der Knabe konnte vor Verwirrung nicht antworten. In seinen Gedanken tobte der Sturm der Freude: �Ich habe ein Rad, ich habe ein richtiges Fahrrad!�
Pommerle stand vor seinem Gabentisch und war ebenfalls �berw�ltigt von all den sch�nen Geschenken. In einem K�rbchen lag ganz ruhig eine gro�e, graue Katze. Es schien, als lie�e sie sich durch all den Glanz und L�rm nicht st�ren.
�Grauchen, mein liebes Grauchen!�
Doch lange konnte sich Pommerle mit dem Tier nicht aufhalten, denn vor dem Tische stand etwas, das dem Kinde ebenfalls helles Jubelgeschrei entlockte: der Roller.
Jule hatte ein Fahrrad bekommen; er strahlte vor Gl�ck und Wonne.
�Oh – uh – herrlich!�
Und pl�tzlich rollte auch Pommerle durch das Zimmer und wurde noch im letzten Augenblick von den Armen des Onkels aufgehalten, sonst w�re der Weihnachtsbaum abermals in Gefahr gekommen.
�Darf ich jetzt gehen?� fragte Jule.
�Aber, Jule, wir haben noch nicht einmal ein Weihnachtslied gesungen.�
Er stand an seinem Rade und hielt es mit beiden H�nden fest. Er schien wohl zu f�rchten, da� man ihm diesen kostbaren Schatz wieder entrei�en k�nnte.
�Nun wollen wir zuerst ein sch�nes Lied singen.�
�Darf ich dazu das Grauchen in den Arm nehmen?�
�La� die Katze nur im K�rbchen liegen, sie ist zu schwer f�r dich.�
Frau Bender setzte sich ans Klavier; man begann zu singen: �Stille Nacht, heilige Nacht.� And�chtig sang Pommerle mit, aber die erste Strophe war noch nicht beendet, als Jule schon wieder mit dem Rade gegen die T�r fuhr. Er hatte nochmals einen kleinen Aufschwung gewagt und bekam selbst einen Schreck, als das Fahrrad mit ihm davonlief.
Professor Bender hob warnend den Finger. Da stellte Jule besch�mt das Rad an seinen Platz zur�ck.
Nachdem das Lied beendet war, meinte der Jule:
�Ich habe nun zuviel der G�te genossen, ich glaube, ich mu� nun heim.�
�Nein, Jule, nachher essen wir alle zusammen Abendbrot.�
�Ich habe gar keinen Hunger, ich bin m�chtig satt.�
�Ganz gleichg�ltig, wir bleiben heute abend zusammen.�
Dann kam Pommerle mit seinen Geschenken. Bei der Tante war es sehr stolz. Strahlend �berreichte es ihr die neuerstandene kleine Kommode. Dann kam der Onkel an die Reihe. Erst gab Pommerle den einen Strumpf, dann hielt es den zweiten hin, wobei es den Arm �ber die Nadeln deckte.
�Einer sieht wie der andere aus, Onkel. Begucke dir nur den anderen recht genau.�
Der gutm�tige Professor stellte sich auch tats�chlich so, als s�he er die Nadeln darin nicht. Er hatte von der Hundetrag�die geh�rt und wu�te um des Kindes Kummer.
Die Kleine hing geschickt den noch unfertigen Strumpf �ber die Tischkante, legte den anderen darauf und fl�sterte Anna gl�ckselig an:
�Du, er hat nichts gemerkt!�
Dann brachte Frau Bender f�r Pommerle einen reizenden geflochtenen N�hkorb.
�Sieh her, mein liebes Kind, den schenkt dir Sabine. Sie hat ihn selbst geflochten – f�r dich.�
�Oh, ist der herrlich! Nun kann ich den ganzen Tag n�hen. Und wenn ich mit meinem sch�nen Roller einen Ausflug mache, setzen wir uns dann ins Gr�ne und n�hen. – Wie sch�n wird das sein! Der Jule f�hrt auf dem Rade – und ich auf dem Roller immer neben ihm her.�
Jule hantierte schon wieder bedenklich mit seinem Fahrrad herum. Mit dem einen Fu� stand er st�ndig auf dem Pedal.
Professor Bender trat zu dem Knaben.
�Dein Meister hat mir in letzter Zeit viel Gutes von dir gesagt, mein lieber Junge. Da habe ich mir gedacht, da� ich solch einem braven Lehrling auch einmal eine recht gro�e Freude machen will. Wie du siehst, ist das Rad nicht neu. Es ist mein eigenes Rad. Auf ihm habe ich so manchen sch�nen Ausflug unternommen. Es ist nicht so modern ausgestattet wie die R�der, die die heutige Jugend f�hrt, aber das ist auch nicht n�tig, Jule. Dir wird auch dieses Rad viele frohe Stunden bereiten. Kannst du dir erst dein Geld selber verdienen, dann darfst du dir ein sch�nes modernes Rad kaufen. Vom selbstverdienten Geld, mein Junge! Ich hoffe, da� du auch mit dem alten Rade zufrieden bist.�
Der Jule wu�te nichts darauf zu antworten. Er war etwas verlegen, er war aber auch �bergl�cklich, und, ohne zu wissen, was er tat, sa� er schon wieder oben. Er fuhr den armen Herrn Professor kr�ftig an, da� dieser beinahe gest�rzt w�re, wenn er sich nicht an der Lenkstange festgehalten h�tte.
�Jule, Jule, du bist unverbesserlich! Aber das sage ich dir, wenn du mir im Zimmer etwas entzweif�hrst, nehme ich dir das Rad in den Weihnachtsfeiertagen fort.�
Erschrocken lie� der Jule das Rad los.
�Pommerle, um Himmels willen!�
Das Kind war mit dem Roller in den gro�en Spiegel gefahren, aber gl�cklicherweise nicht in die Scheibe, sondern nur an den Rahmen.
�Nun ist's genug�, sagte Frau Bender. �Roller und Rad werden nicht mehr anger�hrt. Wir gehen jetzt hin�ber zum Essen. Aber vorher wird noch ein Weihnachtslied gesungen.�
Da klang das sch�ne Lied vom �Tannenbaum� auch schon durch das Zimmer. Der Jule hatte wenig Interesse f�r den geschm�ckten Baum, er blickte verz�ckt nach seinem Rade, w�hrend Pommerle gl�cklich das Grauchen und die neue Puppe abwechselnd streichelte. Der Jule mu�te mehrfach ermahnt werden, mitzusingen. Das Fahrrad f�llte seine Gedanken vollst�ndig aus.
Dem Jule wollte es heute nicht recht schmecken, obwohl er Besseres erhielt als das, was er bei Meister Reichardt vorgesetzt bekam.
�Ob der Meister nicht auf mich warten wird?� sagte er. Der Meister wartete bestimmt nicht. Aber der Jule wollte zu gern das Rad probieren. Das Stillsitzen bei Tische war f�rchterlich. Und pl�tzlich begann er unter dem Tisch taktm��ig zu treten. Er bildete sich ein, er sitze auf seinem wundersch�nen Rade. Schneller, immer schneller.
Bum – bum – bum. Der erregte Jule schlug mit den arbeitenden Knien gegen die Tischplatte und kam durch diese Ger�usche erst wieder zur Vernunft. Er wurde dunkelrot vor Verlegenheit.
�Ist das aber ein komischer Tisch�, meinte er, �so niedrig.�
Benders sagten nichts dazu. Nur als Pommerle pl�tzlich mit den H�nden vom Teller ein St�ckchen Fleisch nahm und in die Tasche verschwinden lie�, fragte die Tante:
�Was machst du denn da, Pommerle?�
�Ich will dem Grauchen nachher den Weihnachtsbraten bringen.�
�Und da steckst du das fettige Fleisch in die Kleidertasche?�
Das Kind holte das St�ckchen Fleisch wieder heraus und legte es auf den Teller. �Nun ja, Grauchen kann auch vom Teller essen.�
Abermals schlug des Jules Knie dr�hnend gegen den Tisch.
�Ich kann wirklich nicht mehr essen�, meinte der Knabe. �Ich bin bis oben in den Hals hinein vollgestopft.�
Aber er mu�te warten, bis man fertig gegessen hatte.
�Nun m�chte ich gehen, es wird sonst zu sp�t.�
�Meinetwegen, nun gehe�, meinte Professor Bender. �Wenn du den heutigen Abend nicht mit uns verleben willst, so gehe heim. Aber nicht mehr zu lange auf den Stra�en bleiben und niemanden umfahren.�
Die Kinder dr�ngten zur�ck ins Weihnachtszimmer. Professor Bender folgte ihnen, denn er hatte Sorge um den Weihnachtsbaum, den Spiegel und die anderen M�bel.
Jule griff nach seinem Rade. �Guten Abend.�
Er ging zur T�r.
�Was soll denn mit deinem bunten Teller werden, Jule?�
�Ach so –�
�Und mit den Pulsw�rmern und den Str�mpfen? Und das Buch siehst du wohl auch nicht?�
�Das hole ich mir morgen ab. – Nun mu� ich aber gehen.�
Er hatte die Zimmert�r weit ge�ffnet und schob das Rad hinaus.
�Jule�, klang es hinter ihm her.
�Das hole ich mir alles morgen!� Der Knabe stand schon im Hausflur.
�Komm noch einmal zur�ck, Jule. Hast du nicht etwas vergessen, mein Kind?�
�Ich habe doch schon gesagt, da� ich mir das andere morgen hole.�
�Nein, Jule, du hast noch etwas anderes vergessen.�
Die Augen des Knaben glitten �ber den Gabentisch hinweg. Verst�ndnislos schaute er auf den Professor.
�Ach, Jule, du bist doch ein recht undankbarer Knabe. Haben wir dir heute eine Freude gemacht?�
�Na und ob!�
�Und was tust du nun?�
�Ich fahre den ganzen Abend auf den Stra�en spazieren�, klang es begl�ckt zur�ck.
�Ich lasse dich aber nicht eher fortgehen, Jule, bis dir eingefallen ist, was man tut, wenn man von einem anderen Menschen beschenkt wurde.�
Der Jule schlug pl�tzlich die Augen zu Boden. Dann fa�te er nach der Hand des Professors und sagte stotternd:
�Wenn ich mich eben so furchtbar freue, habe ich an nichts anderes gedacht. Ich danke Ihnen auch sehr sch�n, Herr Professor, Ihnen auch – na, wo ist denn die Frau Professor? Und dir, Pommerle, danke ich auch. Das Pommerle hat sich ja auch noch nicht bedankt f�r das Grauchen.�
Das Kind eilte herbei und umschlang den Spielgef�hrten.
�Wenn auch das Grauchen jetzt bei uns wohnt, Jule, soll dir doch davon die H�lfte geh�ren. Ach, ich freue mich so!�
�Und ich danke auch sch�n f�r die Pulsw�rmer. Aber nun mu� ich fort. Ich danke Ihnen wirklich sehr, Herr Professor. Und morgen komme ich wieder, da fahre ich her. – Ich danke Ihnen, da� ich fahren darf. Ja, wirklich, ich danke Ihnen. – Na, wo ist denn die Frau Professor? Ich will doch endlich losfahren!�
Tante Bender nahm den hochgeschossenen Lehrling in die Arme, klopfte ihm z�rtlich auf die Schulter und sagte:
�M�ge dir das Rad viel Freude machen, Jule. Nur sei nicht zu �berm�tig und nimm auf die Fu�g�nger auch R�cksicht. Betrage dich so, da� das Rad sich deiner nicht zu sch�men braucht.�
�Ich werde immer ganz laut klingeln!�
Dann war der Jule fort. Er fuhr schon durch den Vorgarten, mu�te an der Gartenpforte freilich absteigen, und ehe er die Stra�e erreicht hatte, vernahmen Benders noch laute Rufe, die stie� der Jule aus; er mu�te seiner gro�en inneren Freude erst einmal Luft machen. Da� er an diesem Abend noch etwa zwanzigmal am Hause des Professors vor�berfuhr, das wu�ten Benders freilich nicht, und jedesmal, wenn er die Villa sah, ri� der Jule die M�tze vom Kopf, schwenkte sie gegen das Haus und rief:
�Ich danke, ich danke!�
In der Weihnachtsstube war es durch das Fortgehen Jules stiller geworden. Professor Bender und seine Frau sa�en auf dem Sofa und riefen ihr Pfleget�chterchen herein.
�Jetzt setze dich einmal zu uns, Pommerle. Der Onkel will dir von einer gro�en Weihnachtsfreude erz�hlen, die er uns allen dreien macht. Du wirst es noch nicht recht verstehen, aber du bist ein kluges M�dchen, du mu�t jetzt gut aufpassen.�
�Bekomme ich noch was?�
�Ja, Pommerle, wir bekommen eine kleine Tochter, und du bekommst einen Vati und eine Mutti.�
�Einen Vati? – Einen Vater?� fragte das Kind mit bebender Stimme.
�Dein Vater und deine Mutter sind oben im Himmel. Da wurde uns ein Englein auf die Erde gesandt, gerade jetzt, zum Weihnachtsfeste, mit der Nachricht: ›Onkel Bender und Tante Bender, ihr seid immer so allein, und das Pommerle ist auch so allein und hat keine Eltern. Wollt ihr nicht die neuen Eltern vom Pommerle sein?‹ï¿½
Das Kind schaute von einem zum anderen.
�Wenn wir nun wollen, so k�nnen wir dich, kleines Pommerle, von jetzt ab als unser richtiges Kindchen annehmen. Bis jetzt bist du bei uns immer nur als unser Pfleget�chterchen gewesen. Sage mal, m�chtest du nicht gern wieder einen Vati und eine Mutti haben?�
�O ja!�
�Dann wollen wir von heute an dein Vati und deine Mutti sein, nicht mehr Tante und Onkel, sondern dein zweiter Vater und deine zweite Mutter.�
�Solche Stiefeltern, wie sie die Ilse hat?�
�Eltern, die treu f�r dich sorgen wollen, mein Kind, die alle Elternrechte �ber dich haben. Das kannst du noch nicht verstehen. Aber das eine sollst du wissen, da� du in uns nun wieder deinen Vater und deine Mutter sehen sollst. Nun sage, mein liebes Kind, willst du uns von nun an ›Vati‹ und ›Mutti‹ nennen?�
�Vati – Mutti�, sagte Pommerle leise und �berlegend, und nach einer Pause nochmals: �Vati – Mutti!� Und pl�tzlich schlang das Kind seine kleinen Arme um Tante und Onkel: �Vati – Mutti!� rief es laut. �O ja, ich will wieder einen Vati haben und eine Mutti, wie sie die Sabine hat. Sie hat mir gesagt: Kinder, die noch Eltern haben, die sind furchtbar gl�cklich. – Bleibt ihr nun immer mein Vati und meine Mutti, bis ich gro� und alt bin?�
�Solange wir leben, wollen wir es dir sein.�
�Und der Jule?�
�Der Jule ist unser junger Freund, f�r den wir nach M�glichkeit sorgen wollen, Pommerle.�
�Vati – Mutti –, nun habe ich zu Weihnachten neue Eltern bekommen. Ich denke, das ist sehr sch�n. – Ach, Tante, da� du jetzt meine Mutti bist, ach, Tante, das ist herrlich!�
Gegen zehn Uhr mahnte Frau Bender zum Schlafengehen.
�Darf ich das Grauchen mitnehmen?� fragte Pommerle.
�Wir wollen das Grauchen nicht daran gew�hnen, da� es in deinem Zimmer schl�ft. Grauchen w�rde sich nicht gl�cklich f�hlen, Grauchen bekommt ein sch�nes Lager, ganz nach seinem Geschmack.�
�Na ja�, meinte Pommerle, �da brauche ich in der Nacht nicht Angst zu haben, da� es das Kopfkissen zerrei�t. – Oh, Tante Mutti, ich bin ja so gl�cklich! Ich habe nun einen Roller, ein Grauchen, eine Mutti, eine neue Puppe und einen Vati! Habe ich aber viel bekommen, viel mehr, als ich mir gedacht habe. Aber wei�t du, Tante, ich habe doch immer ein bi�chen gehofft, da� ich den Roller bekomme. Sage mal, freust du dich eigentlich �ber die Kommode?�
�Aber nat�rlich, die will ich mir nach den Feiertagen auf den N�htisch stellen.�
�Freust du dich auch, Onkel Vati, �ber die neuen Str�mpfe?�
�Ja, die werde ich sehr bald anziehen.�
�Warte lieber damit noch ein wenig, Onkel Vati. Erst wenn es ganz kalt geworden ist, kannst du sie anziehen.�
Als Pommerle im Bettchen lag, nahm es sich vor, recht bald den zweiten Strumpf f�r den neuen Vati fertigzustricken. Und noch im Einschlafen murmelte der kleine Mund:
�Ich bin ja so gl�cklich!�
�Lauf schnell einmal zum Kaufmann, Pommerle, und hole zwei Pfund Zucker und sechs Eier. Hier hast du Geld. Beeile dich, ich brauche alles sehr notwendig.�
Pommerle fuhr hastig in den Mantel, setzte die blaue M�tze auf und griff nach dem Roller, um m�glichst schnell den Auftrag auszuf�hren. Auf dem Roller kam man doppelt so schnell vorw�rts. Die Tante brauchte dann nicht lange auf die Sachen zu warten.
Der Kaufmann wohnte nicht weit. Pommerle erstand die Eier und den Zucker, klemmte die T�te fest unter den Arm, nahm die Eier behutsam in die Hand, schwang sich auf den Roller, dann ging die Fahrt los.
Pl�tzlich bremste es heftig. Auf der Stra�e lag ein Hufeisen. Ein Hufeisen war immer die Sehnsucht des Kindes gewesen, seitdem der Vati ge�u�ert hatte, er habe in letzter Zeit recht wenig Gl�ck. Pommerle hatte in der Schule geh�rt, ein Hufeisen bringe Gl�ck, und auch der Jule hatte gesagt, wenn man ein Hufeisen �ber sein Bett h�nge, k�nne einem nichts mehr zusto�en.
Das Hufeisen! Pommerle war mit einem Satz vom B�rgersteig herunter, schwang sich erneut auf den Roller, bremste geschickt gerade vor dem Hufeisen – im n�chsten Augenblick stie� es mit dem Kopfe gegen den Kopf eines Knaben, der im vollen Lauf auf das Hufeisen zugest�rzt kam.
Einige Augenblicke flimmerte es vor den Augen des Kindes, es fuhr mit der Hand an die schmerzende Stirn, irgend etwas fiel zur Erde.
�Au!� sagte Pommerle.
�Dumme Trine!�
Und dann stand neben Pommerle noch ein dritter, ein viel gr��erer Knabe. Pommerle h�rte ihn laut lachen. Noch immer rieb das Kind die Stirn. – Endlich war der Schmerz ein wenig �berwunden.
�Wo hast du denn das Hufeisen?� sagte der Knabe. �Gib es her!�
�Das Hufeisen geh�rt mir�, meinte Pommerle. Das Kind sah sich um. Von dem Hufeisen war nichts zu sehen. Dagegen sickerte aus einer T�te eine gelbe Fl�ssigkeit heraus.
�Der Steiner hat das Hufeisen genommen!� Der kleinere Knabe schrie es hinter dem davoneilenden gr��eren Knaben her.
Pommerle stimmte ein. �Gib das Hufeisen wieder her!� Trotz der schmerzenden Stirn schwang es sich wieder auf den Roller, um den Dieb einzuholen. Der aber schwenkte das gefundene Eisen hoch in der Luft und verschwand um die n�chste Stra�enecke.
Pommerle kehrte an die Stelle des Unfalls zur�ck. Jetzt erst sah es, da� nicht nur die Eiert�te, sondern auch der Zucker auf die Stra�e gefallen und beide Umh�llungen geplatzt waren.
Das Kind war entsetzt. Es stimmte schon, was der Jule sagte. Ohne ein Hufeisen hatte man kein Gl�ck.
�Das Hufeisen�, klagte es, mitten auf dem Damm stehend. Es begann, in die geplatzte T�te den Zucker hineinzuf�llen. Erst im letzten Augenblick h�rte es das laute Schimpfen eines Fuhrmannes, der gerade noch sein Pferd zum Stehen bringen konnte. Das Kind sprang entsetzt zur Seite. Der Wagen fuhr wieder weiter.
�Meine Eier – meine Eier!�
Aber es war zu sp�t. Das eine Rad des Wagens rollte durch den gelben Brei, T�te und Eier waren v�llig zermalmt.
Da stand das Pommerle im Rinnstein, an seinen Roller gelehnt, den Zuckerrest in dem St�ck Papier, und war so ungl�cklich, da� es nicht heim wollte. Und wie es nun immer ist, ein Ungl�ck kommt selten allein. Aus einem der Nebenh�user go� ein M�dchen, das soeben das Schaufenster putzte, den Wassereimer in den Rinnstein, und Pommerles Stiefelchen waren sehr bald von der schmutzigen Flut umsp�lt. Es sprang auf. Da fiel auch noch der letzte Rest des Zuckers in das Wasser und wurde fortgeschwemmt.
Sehr gedr�ckt kehrte es ins Haus zur�ck. Die Tante kam ihm schon entgegen.
�Gib schnell her, mein Kind!�
�Ach, was du denkst, das ist nicht. Das Hufeisen ist schuld daran, und der Kutscher ist �ber die Eier gefahren, und der Zucker liegt im Rinnstein.�
�Aber, Pommerle, was ist denn schon wieder los? Was hast du denn an der Stirn? Das gibt ja eine gro�e Beule.�
�Da siehst du eben, der Vati und ich, wir haben beide kein Gl�ck.�
Anna wurde nochmals zum Kaufmann geschickt. Inzwischen rieb Frau Bender dem Kinde die Stirn ein. Aber sie konnte es doch nicht verhindern, da� Pommerles Stirn eine gro�e Beule zeigte.
Jule tr�stete die Kleine am Abend.
�Wenn du ein Hufeisen haben willst, dann gehen wir am Sonntag zum Schmied. Der hat viele. Dann kannst du es deinem Onkel bringen.�
�Dem Vati.�
�Ach was, dem Onkel, dem Professor!�
�Das verstehst du nicht, Jule. Der Vati hat gesagt, er ist jetzt mein Vati, und darum ist er es auch. Aber zum Schmied komme ich mit.�
�Ich fahre 'raus, und du kannst hinterherkommen. Es ist ja nicht weit. Gleich hinten am Bober.�
�Kann ich nicht hinten aufsitzen?�
�Ja, das kannst du.�
Am Sonntag dr�ngte das Kind, es m�sse mit dem Jule eine geheimnisvolle Besorgung machen.
�Es ist wohl besser, mein Kind, du sagst uns zuerst, was du tun willst.�
�Der Mutti kann ich es sagen, aber der Vati darf es nicht wissen. Der Jule meinte, man m��te damit �berrascht werden, sonst hilft es nicht.�
Frau Bender erfuhr von dem Geheimnis, und da der Schmied nur eine Viertelstunde entfernt wohnte, gab sie die Erlaubnis, da� die beiden Kinder ein Hufeisen holten.
Sehr stolz kam der Jule am Hause vorgefahren. Er benutzte sein Fahrrad bei jeder Gelegenheit. Erst k�rzlich mu�te ihm der Meister verbieten, da� er mit dem Rade von der Wohnung zur Werkstatt hin�berfuhr, die kaum zwanzig Schritte entfernt war. Mu�te der Jule sein Rad einmal irgendwo stehenlassen, so kettete er es dreimal fest, damit ihm ja keiner seinen gro�en Schatz stehle. In jeder Tasche hatte er eine Sicherheitskette und ein m�chtiges Schlo� daran.
�Aber vorsichtig sein, Kinder�, mahnte Frau Bender. �Jule, wirf mir das Pommerle nicht um!�
�W�re ja gelacht�, meinte der Jule. �Ich kann schon fahren, ohne da� ich die H�nde auf die Lenkstange lege.� Mit diesen Worten schwang er sich aufs Rad, steckte die H�nde in die Hosentaschen und fuhr Frau Bender eine Runde vor.
�Wenn aber das Pommerle mit drauf ist, machst du mir solche Sachen nicht, Jule.�
�Sie brauchen keine Sorge zu haben, Frau Professor. Ich wei� doch, wie man mit kleinen M�dchen umgehen mu�.�
Die Schmiede war bald erreicht. Jule brachte sein Anliegen vor, und der Meister war lachend bereit, dem Kinde ein Hufeisen zu geben.
�Ein recht gro�es und recht dick. Je dicker, um so mehr Gl�ck hat dann der Vati.�
�Kannst es dir selbst aussuchen. Dr�ben in der Ecke liegt ein ganzer Haufen.�
�Darf ich dann gleich zwei nehmen? Eins f�r den Vati und eins f�r die Sabine.�
�Jawohl, das darfst du.�
Pommerle suchte die beiden gr��ten aus, bedankte sich artig bei dem Meister und sagte: �Du wirst ja genug Gl�ck haben, Meister, du hast so viele Hufeisen, da kommt das Ungl�ck nicht �ber deine Schwelle.�
�Ich habe auch Gl�ck, mein Kind, ich bin gesund, habe Arbeit, mein gutes Brot und liebe Kinder.�
�Hast recht, Meister, du bist gesund und wohlgemut, und das ist wohl das gr��te Gut.�
�Ei, ei, kleines Pommerle, so ist es richtig. Da wei�t du ja etwas recht Sch�nes.�
�Ich wei� auch noch mehr. Zur Arbeit, nicht zum M��iggang, hat mich der Herr geschaffen.�
�Auch das stimmt, kleines M�dchen. Denke nur immer daran, dein ganzes Leben lang.�
�Steige nun endlich auf�, sagte der Jule. �Wollen wir noch etwas weiter fahren? Am Bober entlang?�
�Es k�nnte nichts schaden.�
�Ist dir auch nicht kalt?�
�O nein, es zwickt wohl etwas im Gesicht und an den H�nden, aber das ist nicht schlimm.�
Sie fuhren los. Pommerle fand es herrlich. Sie hatte volles Vertrauen zu Jule und �ngstigte sich auch nicht, als ihr Jule zeigte, da� er ohne H�nde fahren k�nne. Das Rad schwankte zwar mitunter recht bedenklich, aber es gelang Jule doch immer wieder, das Gleichgewicht zu halten.
Endlich ging es in raschem Tempo heim. Pl�tzlich m��igte Jule die Geschwindigkeit. Ein Hund jaulte gar j�mmerlich. Dazwischen vernahm man zornige Stimmen.
Wieder schrie der Hund auf. Anscheinend bekam er Schl�ge. Und nun kamen zwei Burschen aus dem Walde heraus, die hatten einen Hund an der Leine und trieben ihn mit Schl�gen dem Boberufer zu.
Mit einem Satz war der Jule vom Rade herunter. Wenn man einem Tier ein Leid antat, drehte sich in Jule alles um. Schon stieg ihm dunkle R�te in die Stirn. In dem einen Knaben erkannte er seinen fr�heren Mitsch�ler, den um zwei Jahre �lteren Robert Scholz.
�Scholz Robert, was f�llt dir ein, den Hund zu schlagen!�
Da� Pommerle bei seinem Abspringen fast vom Rade gefallen w�re, k�mmerte Jule im Augenblick nicht. Er verga� sogar f�r Sekunden sein kostbares Geschenk.
�Was zerrst du denn den armen Hund?�
�Wir wollen ihn ers�ufen.�
�Ihr seid wohl verr�ckt!�
�Wir m�gen ihn nicht mehr. Er ist h��lich und schmutzig.�
�Das ist er freilich�, stellte der Jule fest, indem er auf den unsauberen und ungepflegten Hund schaute. �Kann der Hund daf�r? Denkst du vielleicht, du bist h�bscher? Bist auch dreckig. Jetzt la� den Hund los!�
Statt einer Antwort versetzte Robert Scholz dem Hund einen weiteren Schlag mit dem Stecken.
In der n�chsten Sekunde war der Jule auf den einstigen Schulkameraden losgesprungen, hatte ihm den Stock aus der Hand gerissen und verabfolgte ihm einen kr�ftigen Schlag.
�Da� du wei�t, wie das tut!� Dann knickte er den Stock �ber dem Knie in kleine St�cke.
�Dich geht das gar nichts an�, sagte der andere. �Der Hund geh�rt uns, wir k�nnen mit ihm machen, was wir wollen.�
Angstvoll war Pommerle n�her gekommen. �Warum soll denn der s��e Hund totgemacht werden? So ein lieber Hund.�
�Weil er h��lich ist, wir wollen ihn nicht mehr.�
�Oh, du bist doch aber auch h��lich�, meinte das Kind. �Wenn dich deine Mutter auch ins Wasser werfen wollte! La� doch den lieben Hund in Ruhe.�
�Wenn du den Hund noch einmal schl�gst�, rief der Jule wild, �sollst du aber was erleben! Dann haue ich dich so zusammen, da� dir H�ren und Sehen vergehen soll. – Jetzt la� den Hund los!�
Der Gr��ere suchte einen Stein, um ihn dem Hunde um den Hals zu binden.
Pommerle schrie angstvoll auf. �Der liebe Hund darf nicht sterben, es ist ein lieber Hund.� Das Kind kniete neben dem ver�ngstigten Tier nieder, das Pommerle zun�chst anfletschte, sich dann aber ruhig streicheln lie�.
�Du lieber, schmutziger Hund�, meinte Pommerle, �h��lich bist du ja, aber gut bist du doch. Die alte Krausen ist auch h��lich, aber sie ist gut, und niemand wird ihr was tun.�
Wieder hatten sich Jule und Robert angepackt, sie rauften zusammen und w�lzten sich schlie�lich am Boden. Jule merkte, da� er unterliegen w�rde.
�R�bezahl�, schrie er laut, �du willst nicht, da� man Tiere qu�lt! R�bezahl, komm!�
�La� den Jule los!� rief Pommerle, und kurz entschlossen schlug es mit beiden F�usten auf den anderen ein. Nun kam aber der Gr��ere seinem Gef�hrten zu Hilfe, versetzte dem Kinde einige kr�ftige Schl�ge und ri� es von den sich Balgenden zur�ck.
�R�bezahl!� schrie der Jule laut.
�Was ist denn hier los?�
Es war ein Spazierg�nger, der von dem L�rm aufmerksam geworden war. Jule zeigte arge Kratzwunden im Gesicht, Pommerle hatte den Strumpf heruntergezogen und rieb das blutende Knie.
�Sie schlagen den lieben Hund und wollen ihn ins Wasser werfen, nur weil der Hund h��lich ist.�
Da geschah etwas ganz Merkw�rdiges. Der Hund kam zu dem weinenden Kind, legte seinen Kopf in Pommerles Scho� und sah es mit seinen treuen Augen vertrauensvoll an.
�Nun bittet er, ihr sollt ihm wieder gut sein und ihm das Leben lassen. Ja, du lieber Hund, du brauchst nicht zu sterben. – Willst du mit mir kommen?�
Der Spazierg�nger wollte Aufkl�rung haben. Da schrie der Jule los. Aber auch der andere verteidigte sich. Und so war es f�r den Herrn schwer, etwas zu verstehen.
�Schenkt mir den Hund�, sagte Pommerle weinerlich, �ich schenke euch auch eins meiner Hufeisen oder was anderes. Aber ich m�chte nicht, da� der Hund ins Wasser kommt. – Nicht wahr, du s��es Hundchen, du gehst mit mir? Daheim hast du auch eine Spielgef�hrtin, eine Katze. Du kannst doch Katzen gut leiden, kleines Tierchen?�
Der Herr schlichtete schlie�lich den Streit. M�rrisch erkl�rten sich die beiden Burschen bereit, den Hund zu verschenken.
�Es ist ja gar kein Hund, es ist eine H�ndin. Wir m�gen sie nicht mehr. Sie hat Ungeziefer und bekommt Junge.�
�Dir streiche ich es noch mal an!� rief der Jule erbittert. �Komm du nur in meine N�he, ich schlage dich mit meinem ersten gehobelten Brett vor den Kopf. – Einen Hund so zu qu�len. Komm du mir nur in den Weg, du L�mmel – du M�rder!�
Der Jule redete sich immer mehr in Wut, und pl�tzlich st�rzte er sich erneut auf den Robert. Ehe sich der zur Wehr setzen konnte, hatte er von Jule einige kr�ftige Ohrfeigen erhalten.
�Dich m��te ich in den Bober schmei�en, dir m��te ich einen Stein um den Hals h�ngen.�
�Sch�me dich�, sagte der Herr. �Und nun geht ihr auseinander, sonst liegt ihr beide im Wasser.�
Auch der Robert schimpfte weidlich, doch der andere gab ihm nichts nach. Pommerle sa� noch immer auf dem kalten Boden, hatte den einen Arm um den Hund geschlungen und liebkoste das Tier.
�Wenn du kleine Hundchen bekommst, lege ich dich in ein sch�nes K�rbchen und passe gut auf, da� dir keiner was tut.�
�Kleines M�dchen, so stehe doch auf, du wirst dich erk�lten. Der Hund geht schon von selbst mit dir.�
Jetzt erst merkte Pommerle, da� es sehr fror.
�Und jetzt marsch, macht, da� ihr heimkommt. Erst geht ihr fort, mit den beiden bleibe ich noch ein Weilchen zur�ck, sonst gibt es erneut eine Keilerei.�
Immer vor sich hin brummend, ging der Jule zu seinem Fahrrad.
�Und das Hundchen?� fragte Pommerle.
Den Hund konnte man freilich nicht mit aufladen.
�Dann gehen wir eben alle drei zu Fu߫, meinte der Jule. �Oder ich fahre ganz langsam neben euch her.�
Er stieg auch wirklich auf, wandte sich dann aber nochmals um.
�Na warte nur, wenn ich dich treffe. Den R�bezahl will ich an jedem Tage darum bitten, da� du auch mal in den Bober geworfen wirst. Er wird mir den Wunsch schon erf�llen. – Du niedertr�chtiger L�mmel! – Pfui, so ein Kerl, pfui – pfui – pfui!�
Einige Augenblicke �berlegte Jule, ob er nicht doch noch einmal umkehren und den Robert kr�ftig anfahren sollte. Das w�re ein Triumph gewesen. Aber er begn�gte sich schlie�lich damit, noch aus der Ferne seine lauten Pfuirufe ert�nen zu lassen.
Der Hund wandte sich nicht mehr nach seinen Peinigern um. Er trottete ruhig neben Pommerle her, das sich so gl�cklich f�hlte, das h��liche, unsaubere Tier vor dem Tode gerettet zu haben. Vati und Mutti w�rden gewi� nichts dagegen haben, da� es sich ein liebes Hundchen mit heimbrachte. Man w�rde dar Tier baden und immer gut abb�rsten, dann w�rde sehr bald aus dem alten struppigen K�ter ein sch�nes, sauberes H�ndchen werden, das jedermann lieb hatte.
�Wirst du dich auch mit Grauchen vertragen?�
�Du Scheusal, na, warte nur, wenn ich dich kriege! Das vergesse ich dir als mein Lebtag nicht.�
�Was willst du denn, Jule?� fragte Pommerle erschreckt.
�Dich verhaue ich noch gr�ndlich!�
�Jule, warum bist du denn so b�se?�
�Kann das Vieh denn was daf�r, da� es so garstig ist? Dabei sieht er selbst aus wie ein Teufel ohne H�rner. Pfui!�
�Schimpfst du auf den Robert?�
Der Jule redete sich schlie�lich so in Wut, da� er immer heftiger auf die Pedale trat und bald dem Pommerle entschwunden war. Aber das Kind hatte ja auch nur Gedanken f�r das liebe Hundchen. Am liebsten h�tte es beim Fleischermeister angepocht und um ein St�ckchen Wurst gebeten. Aber der Laden war heute, am Sonntag, geschlossen.
Der Jule hatte unterwegs noch ein b�ses Erlebnis. Er war noch immer voller Groll und schimpfte lustig weiter. Ein alter Herr, der gerade �ber die Stra�e gehen wollte, blieb stehen, denn Jule fuhr in gar zu schnellem Tempo an ihm vorbei.
�Mal etwas mehr Vorsicht!�
�Du ekelhafter L�mmel! Dir werde ich es anstreichen! Komm mir nur in die N�he!�
Der Jule ahnte gar nicht, da� seine Worte von dem alten Herrn geh�rt worden waren. Er hatte ihn gar nicht angesehen, ihn gar nicht erkannt. Da� es sein eigener, fr�herer Rektor gewesen war, wu�te er nicht. Zu sehr war er mit dem Scholz Robert besch�ftigt; er mu�te seinem ergrimmten Herzen Luft machen.
Aber der Rektor hatte den Jule erkannt, er wu�te, da� Professor Bender ja Jules Vormund war. Schlie�lich brauchte sich ein alter Herr nicht gefallen zu lassen, da� ihn ein junger Bursche einen ekelhaften L�mmel nannte. Der Rektor beschlo�, Klage bei Professor Bender zu f�hren, und machte sich sofort auf den Weg.
Inzwischen war Pommerle daheim angekommen und zeigte freudestrahlend den Hund.
Frau Bender verzog ein wenig das Gesicht. Der Hund hatte wohl niemals etwas Pflege gehabt. Er war voller Schmutz.
�So ein s��es Tierchen�, meinte das Kind und streichelte z�rtlich �ber das unsaubere Fell.
�Pommerle, was soll mit dem Tier geschehen?�
�Wir wollen es behalten und alle recht liebhaben. Es wird sehr fein sein, wenn das Hundchen mit Grauchen spielt.� Dann lockte Pommerle die Katze herbei.
Sie kam, machte einen krummen Buckel, und auch dem Hunde str�ubten sich die Haare.
Ein alter Herr, der gerade �ber die Stra�e gehen wollte, blieb stehen, denn Jule fuhr in gar zu schnellem Tempo an ihm vorbei.
�Ihr m��t euch gut vertragen�, sagte Pommerle, �denn ihr geh�rt jetzt zusammen. Ihr seid nun beide meine Kinder.�
Als aber der Hund heftig zu kl�ffen begann, nahm Frau Bender die Katze rasch hoch.
�Sie m�ssen sich erst aneinander gew�hnen, Pommerle. Aber willst du den Hund wirklich behalten?�
�Bitte, bitte, liebe, s��e Mutti, so ein niedliches Hundchen habe ich mir schon lange gew�nscht.�
Frau Bender fand zwar, da� der Hund gar nicht niedlich war; aber sie gab schlie�lich nach. Man konnte doch ein Tier, das in aller K�rze Junge erwartete, nicht ertr�nken. Das war eine Grausamkeit, die sie auch nicht zugab. Was aber wurde dann, wenn die H�ndin mehrere Junge warf? Pommerle w�rde sich �ber die kleinen Hundchen sehr freuen und sich nicht von ihnen trennen wollen.
W�hrenddessen sa� der Rektor bei Professor Bender und berichtete von Jule und dessen h��lichen Ausdr�cken.
�Der Jule wird bald hier sein. Sonntags i�t er bei uns. Ich will ihm ordentlich die Meinung sagen, Herr Rektor.�
Als der Jule dann kam, kl�rte sich das Mi�verst�ndnis sehr schnell auf. Trotzdem bekam er Vorw�rfe, da� er noch immer in so ungezogenen Ausdr�cken �ber den Robert Scholz zeterte.
�Nun ist es genug, Jule. Der Robert wird auch einmal seine Strafe bekommen.�
Am Nachmittag verbreitete sich in Hirschberg die Kunde, da� Robert Scholz durch eine Unvorsichtigkeit in den Bober gest�rzt sei, doch habe er sich, ohne Schaden zu nehmen, retten k�nnen. Jule h�rte die Botschaft von Anna, die soeben das Kaffeegeschirr ins Zimmer tragen wollte. Wie ein Besessener sprang er umher.
�Ich danke dir, R�bezahl, oh, du bist doch der Beste! H�ttest ihm auch einen Stein um den Hals h�ngen sollen und ihn dann eine Weile zappeln lassen. R�bezahl, R�bezahl, du bist doch der Beste!�
Da der Jule mit Rufen nicht aufh�ren wollte, kam Frau Bender erschreckt ins Zimmer geeilt, gefolgt von Pommerle.
�Was ist denn geschehen?�
�In den Bober ist er gefallen�, jauchzte Jule. �So ist es recht, das hat der R�bezahl gemacht.�
�Sch�mst du dich nicht, Jule? Wie kann man sich dar�ber freuen, wenn jemandem etwas B�ses zust��t?�
�Wenn er einen Hund ertr�nken will, ist er ein M�rder, ein ganz gemeiner Kerl. Und mit so einem gemeinen Kerl habe ich kein Mitleid. Der R�bezahl hat ihn gestraft.�
Pommerle schaute zu Frau Bender auf.
�Ich will mein s��es Hundchen und mein liebes Grauchen niemals qu�len, Mutti. Sie sollen es beide sehr gut haben.�
�Jawohl, Pommerle, wir werden auch deinem Hundchen ein h�bsches Lager bereiten, und du wirst daf�r sorgen, da� es seine Ordnung hat.�
Tags darauf wurde gemeinsam mit Jule beraten, was das neue H�ndchen f�r einen Namen bekommen sollte. Er betrachtete das Tier pr�fend und meinte schlie�lich:
�Klug sieht das Vieh aus, auch gelehrt. Der mu� einen sehr vornehmen Namen bekommen. Wollen wir es ›Professor‹ nennen?�
�Nein�, meinte Pommerle. �Mein Hundchen mu� einen sch�neren Namen haben.�
Allerlei wurde beraten; immerfort fragte das Kind:
�M�chtest du ›Rumpelstilzchen‹ hei�en – oder ›Dornr�schen‹? Oder vielleicht ›Leberw�rstchen‹?�
Pl�tzlich schnappte der Hund lustig nach den streichelnden H�nden des Kindes.
�Sieh nur, Jule, wie niedlich er schnappt!�
�Du oller Schnapper! Sollst du nach deinem Frauchen schnappen?�
�Nat�rlich soll er das, schnapp nur immerfort, mein liebes H�ndchen! Schnapp – schnapp.� Und wirklich begann der Hund mit dem Kinde zu spielen.
�Schnapp!� Der Hund kam gelaufen. �Oh�, meinte Pommerle entz�ckt, �jetzt wei� ich, wie ich ihn nenne. Er h�rt schon auf seinen neuen Namen. ›Schnapp‹ sollst du hei�en, mein s��es Hundchen. Hast du verstanden? Schnapp!�
Schweifwedelnd sprang das Tier an dem Kinde empor.
�Ja, der Name scheint dir gut zu gefallen, Schnapp. Nun wollen wir zur Anna gehen und sie fragen, ob sie nicht ein kleines Wursteckchen hat. Du mu�t doch zu deiner Taufe etwas geschenkt bekommen.�
Man ging in die K�che. Pommerle brachte sein Anliegen vor.
�Aber, Pommerle�, sagte Anna. �Vor einer halben Stunde hast du eine Wurstecke gewollt. Ich kann doch nicht immerfort Wurstecken abschneiden.�
�Nur weil Taufe ist, Anna.�
�Eine K�serinde kann ich dir geben.�
�Und eine kleine Wurstecke.�
�Na, meinetwegen. Aber heute kommst du nicht wieder.�
Schnapp bekam seine Wurstscheibe, blinzelte Anna dankbar an und blieb neben ihr stehen.
�Na, komm nur, Schnapp�, meinte Pommerle, �ein St�ckchen Schokolade habe ich auch noch. Das schenke ich dir.�
Dann wurde Jule gebeten, er m�chte von jetzt an alle Wurstecken aufheben und mitbringen.
�Der Meister hat aber auch einen Hund.�
�Na, da la� die Wurstpellen dem Hund von deinem Meister. Ich werde in der Schule bitten, da� ich Wurstpellen bekomme.�
Am n�chsten Tage, in der Pause, stellte sich Pommerle mitten auf den Schulhof und rief mit lauter Stimme seine Mitsch�lerinnen herbei.
�Ich habe euch was Wichtiges zu sagen. Kommt doch mal alle her!� Dann wurde von dem Hund erz�hlt, der viel Hunger h�tte, der n�chstens viele Kinderchen bekommen w�rde, die alle ern�hrt werden m��ten. Jeder sollte daheim nachsehen, ob nicht Knochen, Wurstabf�lle oder sonst etwas Gutes �brig sei, das sollte man Pommerle am folgenden Tage mit in die Schule bringen.
Der Erfolg war gro�. Schon am n�chsten Tage bekam das Kind, da es bei seinen Mitsch�lerinnen sehr beliebt war, viele kleine P�ckchen. Ein M�dchen brachte sogar einen gro�en Schinkenknochen mit. Strahlend nahm Pommerle alles in Empfang.
�Jetzt kann der Schnapp viele Tage lang fressen.�
Die Vorr�te wurden in die Schulmappe gepackt. Diese konnte die Menge kaum fassen. Und als Pommerle begl�ckt heimkam und vor Anna den Ranzen entleerte, schlug das Hausm�dchen entsetzt die H�nde zusammen. Aus den Papieren waren nat�rlich die Wurstpellen herausgefallen; erschrocken betrachtete Pommerle seine Hefte, die fast alle Spuren der fettigen Geschenke zeigten. Anna nahm von den Vorr�ten fast alles fort.
�Wenn du einen Hund haben willst, Pommerle, mu�t du auch wissen, wie man ihn behandelt, wieviel er fressen darf und wie man ihn zu erziehen hat. Sonst stirbt eines Tages dein Schnapp.�
Da wurde die Kleine nachdenklich. Sie ging zu Schnapp, nahm ihn auf den Scho� und sagte z�rtlich:
�So, Schnapp, jetzt geht es los mit der Erziehung, sonst wirst du mir krank, liebes Hundchen. Vor allem mu�t du dich mit Grauchen vertragen. Ihr seid doch jetzt Geschwister, und die d�rfen sich nicht zanken.� Dann holte Pommerle das Grauchen; aber schon wieder fauchte die Katze den Hund an, und Schnapps Haare str�ubten sich bedenklich. Obwohl Pommerle beiden gut zuredete, waren seine Worte erfolglos. Schnapp knurrte, wurde immer unruhiger, und Grauchen behielt den krummen Buckel.
�Ihr seid eben beide noch nicht erzogen�, seufzte die Kleine. �Na, es wird schon noch anders werden. Wenn ihr erst beide Kinderchen habt, werdet ihr euch schon vertragen.�
Noch am selben Tage lauschte Pommerle aufmerksam den Worten des Vati, der ihm erkl�rte, was eine H�ndin brauche und wie man sie zu behandeln habe.
�Aber vielleicht ist mein Hund anders.�
�Nein, kleines Pommerle. Wenn du zuviel des Guten tust, wird das Tier krank. Und besonders, wenn es demn�chst Junge haben wird, mu�t du ganz besonders vorsichtig sein.�
�Wieviel junge Hundchen werde ich bekommen?�
�Das wei� ich nicht.�
�Und wieviel junge K�tzchen?�
�Das wei� ich auch nicht�, sagte Professor Bender seufzend. �Aber ich sehe schon eine ganze Menagerie um dich herum. – Was willst du mit allen den Tierchen nur anfangen, Pommerle?
�Schrecklich liebhaben will ich sie, und alle zu guten, brauchbaren Tierchen erziehen.�
Pommerle lag in s��en Tr�umen. Alles das, was es an Gl�ck in den letzten Tagen erlebt hatte, spiegelte sich im Schlummer wieder.
Schnapp, die liebe, s��e H�ndin, hatte drei kleine, schwarze Hundchen bekommen, und alle schwarzen H�ndchen hatten wei�e Pf�tchen.
Grauchen hatte tags zuvor vier kleine K�tzchen bekommen.
Der Professor hatte zwar gemeint, man wolle gleich zwei der K�tzchen fortschaffen. Da waren dem Kinde die hellen Tr�nen �ber die Wangen gerollt, es hatte so inst�ndig gebeten, ihm die vier K�tzchen zu lassen, da� Herr Bender nachgab.
Alle die Hunde und Katzen krochen nun im Traume um Pommerle herum, die H�nde zuckten auf der Bettdecke hin und her, jeder Kater, jeder Hund wollte gestreichelt sein, und in Pommerles Tr�ume hinein bellte und miaute es.
Aber es bellte wirklich. Professor Bender erwachte sogar davon. Das war doch Schnapp, der den n�chtlichen L�rm machte? Schnapp hatte sein K�rbchen unter der Treppe im Hausflur. Es war dort nicht kalt, denn die Dampfheizung, die das Haus durchw�rmte, wurde vom Flur aus in Gang gebracht. Schnapp konnte daher mit seinem Lager recht zufrieden sein. Damit sich aber Schnapp und Grauchen, die sich noch immer nicht recht vertrugen, nicht ins Gehege kamen, hatte man Grauchen auf dem Hausboden ein weiches Lager bereitet. Damit es aber in seinen n�chtlichen Wanderungen nicht behindert war, hatte man eine der Dachluken offen gelassen, durch die sich das Tier auf das Dach eines Schuppens und in den Garten hinabschwang und auf dem gleichen Wege wieder zur�ckkehrte.
Professor Bender richtete sich auf. Warum bellte Schnapp so sehr? Und pl�tzlich h�rte er ein j�mmerliches Miauen. Hatten sich die beiden Tiere wieder einmal in den Haaren? Er lauschte noch ein Weilchen. Schnapp beruhigte sich bald wieder. Vielleicht war nur jemand am Hause vor�bergegangen, und Schnapp, der sehr besorgt um seine Kleinen war, hatte in seiner Erregung so heftig gebellt.
Nach Stunden erwachte Professor Bender abermals. Er sah nach der Uhr. Es war kaum sechs Uhr. Das war doch wieder Schnapp, der sich drau�en so unruhig benahm. Deutlich vernahm Professor Bender, da� Schnapp die Treppe zum Boden hinaufsprang und nach kurzer Zeit wieder herunterkam. Was hatte Schnapp oben auf dem Boden zu suchen? Wollte er Grauchen beunruhigen? Nun, das mutige Grauchen w�rde Schnapp schon einen ordentlichen Denkzettel geben, wenn er gar zu nahe an die jungen K�tzchen herankam.
Nach kurzer Zeit h�rte Herr Bender abermals den Hund zum Boden hinauflaufen. Dann blieb es still.
Aber gegen sieben Uhr, als Pommerle aufstehen mu�te, weil um acht Uhr die Schule begann, kratzte Schnapp an der T�r des Schlafzimmers.
�Schnapp ist da!� rief das Kind fr�hlich und eilte im Unterr�ckchen zur T�r, um die vierbeinige Freundin hereinzulassen.
Schnapp stellte sich an Pommerle hoch, lief zur T�r zur�ck, wandte sich nach Pommerle um; aber da das Kind ruhig weiter die Haare k�mmte, kam Schnapp erneut gelaufen, ging dann wieder zur T�r.
�Willst du nun wieder 'raus?�
Pommerle �ffnete die T�r. Doch Schnapp wollte nicht gehen. Er stand vor dem M�dchen und blickte die Kleine bittend an.
�Ich darf dir leider keine Wurstpellen geben, lieber Schnapp. Nachher bekommst du aber deine Suppe. – Ja, was willst du denn eigentlich?�
Als Pommerle die Haare weiter k�mmte, sprang der Hund an ihm hoch, ergriff mit den Z�hnen das Unterr�ckchen und versuchte Pommerle zur T�r zu ziehen.
�Aber guter, lieber Schnapp, ich bin doch noch lange nicht fertig. – Warum zerrst du mich denn so?�
Der Hund lie� nicht nach.
�Soll ich mit dir kommen?�
Wieder das Zerren zur T�r hin.
�Na, was willst du denn?� Pommerle stand in der T�r. Da lief Schnapp zur Treppe, kam wieder zur�ck. Es schien, als fordere er Pommerle ganz energisch auf, mitzukommen. �Was willst du denn?�
Einige Stufen sprang Schnapp hinab, blieb wartend stehen und wedelte mit dem Schwanz. Als aber Pommerle nun auch an die Treppe trat, bellte der Hund vergn�gt auf. Man sah ihm ganz deutlich die Freude an, da� das Kind ihm folgen wollte.
�Schnapp, du bist ein kleiner Esel! Ich bin doch noch nicht angezogen. Ich kann doch nicht spazierengehen. Geh zur�ck zu deinen Kleinen und sage ihnen guten Morgen.�
Wieder ein energisches Schnappen nach Pommerles R�ckchen. Der Hund wurde immer aufgeregter. So blieb dem Kinde nichts anderes �brig, als die ersten Stufen hinunterzusteigen. Schnapp jaulte vor Entz�cken. Jetzt lie� er das R�ckchen des kleinen M�dchens nicht mehr los, so sehr Pommerle dem Hunde auch Vorw�rfe machte. Es blieb nichts anderes �brig, das Kind mu�te die Treppe hinabsteigen. Erst unten lie� Schnapp das R�ckchen los und sprang zu seinem K�rbchen, das unter der Treppe stand.
Pommerle trat hinzu. – Was war denn das? Das Kind schlug die H�nde zusammen.
�Schnapp, was hast du denn da drin? O Schnapp, du b�ser, garstiger Schnapp, warum hast du Grauchen die Kinderchen weggenommen?�
Mit gro�en, treuen Augen schaute der Hund zu Pommerle auf. Sein Schweif wedelte ruhig, er wu�te, er hatte in dieser Nacht eine gute Tat getan.
�Aber, Schnapp, was soll denn das?�
Pommerle z�hlte. Es waren drei kleine, schwarze Hundchen und vier graue K�tzchen in dem K�rbchen, und alle sieben K�pfchen waren mit schnubbernden N�schen aufgereckt, quiekend, miauend, bittend. H�ndchen und K�tzchen, in buntem Durcheinander. Schnapp blickte stolz zu Pommerle auf, leckte dann jedes Tierchen, stieg behutsam in seinen Korb hinein und legte sich in seiner ganzen Breite auf die Kleinen.
�Gib die K�tzchen wieder her, Schnapp�, sagte Pommerle tadelnd. �Oh, das arme Grauchen! Wie wird es um seine Kinderchen weinen. Ich wei� ja, Schnapp, da� du mein Grauchen nicht leiden kannst; da� du ihm aber die Kinderchen fortnimmst, ist b�se von dir. – Geh fort, ich will die K�tzchen zu Grauchen zur�ckbringen.�
Aber Schnapp r�hrte sich nicht.
�Geh fort, Schnapp!�
Pommerle griff mit den H�nden in den Korb. Da fing Schnapp an, leise zu knurren.
�Na warte, du unartiges Tier. Jetzt rufe ich meinen Vati, er wird dir sagen, was sich geh�rt.�
Pommerle eilte hinauf zu Benders. Es erz�hlte, was es eben gesehen hatte. Frau Bender stieg die Treppe hinab und trat an den Korb. Da erhob sich Schnapp, kam vorsichtig heraus, blieb aber am Lager stehen und schaute bald die vier K�tzchen, bald Frau Bender an. Auch jetzt schien er noch sehr stolz zu sein und auf eine Liebkosung zu warten.
Pommerle wollte rasch in den Korb fassen; aber da lag der Hund schon wieder auf den Kleinen und lie� sich weder durch Bitten noch durch freundliches Zureden bewegen, seinen Platz zu verlassen.
�Da will ich doch gleich einmal nach dem Boden gehen und nach Grauchen sehen.�
�Ich habe die Katze schon �berall gesucht, gn�dige Frau�, sagte Anna. �Ich wollte fr�h die Milch hinauftragen. Aber Grauchen ist fort und das K�rbchen leer.�
Nun begann ein gemeinsames Rufen nach Grauchen. Die Luke war ge�ffnet. Grauchen war sicherlich, wie alle N�chte, ein wenig spazierengegangen. Als man Professor Bender den Verlust der Katze meldete, erinnerte er sich, da� er heute nacht das �ngstliche Miauen einer Katze vernommen hatte. Schnapp hatte heftig gebellt. Sollte man Grauchen weggefangen haben? Man klagte in den letzten Wochen in der ganzen Gegend, da� so viele Katzen gefangen wurden. Wahrscheinlich brauchte man die sch�nen Felle und opferte die armen Tiere.
Schnapp war des Nachts mehrfach die Treppe hinauf und hinunter gegangen. Wahrscheinlich hatte er die kleinen K�tzchen oben auf dem Boden j�mmerlich miauen geh�rt. Da hatte er die Jammernden und Frierenden St�ck f�r St�ck heruntergebracht und in seinen Korb getan.
�Schnapp�, sagte Professor Bender, als er am Korbe des Hundes stand, �du guter Schnapp. Hast du heute nacht die armen, verlassenen K�tzchen heruntergeholt? Hast du geh�rt, da� die Kleinen nach der Mutter riefen und Hunger hatten?�
Es schien fast, als verstehe Schnapp die Worte Herrn Benders. Er blickte so stolz um sich, wedelte dazu fr�hlich mit dem Schweif und bellte einige Male kurz und freudig auf. Dann stieg er aufs neue aus dem Korb, betrachtete voller Interesse seinen Familienzuwachs, beleckte abwechselnd Hund und K�tzchen und legte sich dann wieder zu ihnen.
Der gute Schnapp. Es war nichts Wunderbares, da� ein Hund auf einmal ein kleines K�tzchen mit gro�zog. So etwas hatte man schon manches Mal erlebt. Warum sollte Schnapp nicht ebenso edel handeln?
Immer wieder rief und suchte man nach Grauchen. Man fragte nach ihr in der ganzen Umgegend, aber sie war nirgends zu finden.
Pommerle kehrte mittags aus der Schule zur�ck. Seine erste Frage galt Grauchen.
�Du mu�t dich damit abfinden, mein Kind, da� Grauchen nicht wiederkommt. B�se Menschen haben sie gefangen und wahrscheinlich get�tet, um das Fell zu verkaufen.�
Eine tiefe Trauer breitete sich �ber das Kindergesicht. Pommerle hatte sein Grauchen so gern gehabt.
�Und der Schnapp, was macht er nun mit den Katzenkindern?�
�Er wird sie mit seinen Hundchen s�ugen. Wir m�ssen ihn jetzt ganz besonders gut pflegen, denn er braucht viel Kr�fte, um sieben Kinder zu ern�hren. Es w�re besser, wenn es zwei weniger w�ren. Wollen wir ihm nicht zwei K�tzchen fortnehmen?�
Pommerles Augen str�mten �ber. �Wenn ich schon kein Grauchen mehr habe, m�chte ich doch die vier kleinen K�tzchen behalten. Oh, liebe Mutti, la� mir die vier kleinen K�tzchen und die drei Hundchen. Du kannst auch immer mein Essen dem lieben Schnapp geben. Ich will gar nichts Gutes mehr haben, nur die vier K�tzchen und die drei kleinen Hundchen.�
�Dem Schnapp w�re es aber auch lieber, wenn er nicht so viele Kinderchen h�tte.�
�Nein�, sagte Pommerle energisch. �Wenn sich der Schnapp heute nacht die vier K�tzchen heruntergeholt hat, will der Hund doch so viele Kinderchen haben. Man darf dem Schnapp die Kinderchen nicht nehmen.�
Wieder gaben Benders dem Bitten des Kindes nach. Das K�rbchen mit den sieben Tierchen sah auch gar zu niedlich aus. Dieses bunte Durcheinander bereitete sogar dem Professor und seiner Frau die denkbar gr��te Freude. Wie oft nahm Schnapp behutsam eins der K�tzchen ins Maul, um es anders zu betten. Aber immer herrschte gr��te Ordnung in dem K�rbchen. Kroch einmal eins der Hundchen zwischen die K�tzchen, so schob und scharrte Schnapp so lange im Korbe herum, bis wieder die Hundchen in Reih und Glied neben den K�tzchen lagen.
Pommerle bedauerte es auf das lebhafteste, da� es diese wichtige Nacht verschlafen hatte. Wie wundersch�n w�re es gewesen, wenn es gesehen h�tte, wie Schnapp die K�tzchen vom Boden herunterbrachte.
�Woher hat er denn gewu�t, da� Grauchen fort ist?�
�Wahrscheinlich haben die kleinen K�tzchen gefroren oder waren hungrig. Sie haben nach ihrer Mutter gerufen, und da Schnapp sehr gut h�rt, hat er das Jammern der K�tzchen vernommen. Da ist er auf den Boden gegangen, hat nach Grauchen Umschau gehalten, und als Grauchen nicht zur�ckkam, dann die kleinen, frierenden Tierchen zu sich in sein warmes K�rbchen geholt.
�O du guter Schnapp�, jubelte Pommerle. �Am liebsten m�chte ich dir einen Ku� auf deine s��e Schnauze geben. Der Schnapp ist ebenso gut wie du, Mutti. Als mein Vater ertrank, da war ich auch ganz allein. Da habt ihr mich auch in euer Nest getragen. Ach, Mutti, du bist gerade so gut wie der Schnapp.�
Wenn Pommerle daran dachte, da� der Jule nun sein Grauchen niemals wiedersehen konnte, wurde ihm das Herz schwer. Aber der Jule sollte von den vier K�tzchen zwei als Eigentum haben. Vielleicht auch noch ein Hundchen. Und die Sabine mu�te sich auch das K�rbchen mit den sieben kleinen Tierchen ansehen. Was w�rde sie dazu sagen?
Da fiel es Pommerle schwer aufs Herz, da� Sabine dieses junge Tiergl�ck ja nicht sehen k�nnte. Sie konnte nur mit den H�nden �ber die Kleinen hinwegstreichen.
�Die arme Sabine! Sie mu� wirklich ihr Herz ganz dick voll Sonne haben, Mutti, da� sie jetzt nicht traurig wird. Sie kann doch den Schnapp mit seinen vielen Kinderchen nicht sehen. – Mutti, darf ich heute noch zur Sabine gehen? Sie mu� kommen – und der Jule auch.�
Pommerle bekam die Erlaubnis.
Atemlos vom schnellen Laufen, eilte es in die Werkstatt, in der Jule flei�ig arbeitete.
�Weine mal nicht, lieber Jule, es ist etwas Schreckliches geschehen. Sie haben uns unser Grauchen weggefangen. Und das Grauchen hat vier K�tzchen, die hat jetzt der Schnapp alle in seinem K�rbchen.�
Der Jule stellte vor Schreck die Arbeit ein. Sein Grauchen war weggefangen?
Pommerle mu�te die n�heren Erkl�rungen geben. Der sonst so vorwitzige Lehrling wurde still und immer stiller. Der Verlust seiner Katze schmerzte ihn tief.
Pommerle merkte, da� Jule sehr traurig war.
�Armes Julchen, aber ich schenke dir zwei andere K�tzchen und noch ein Hundchen dazu. Vielleicht kommt auch unser Grauchen noch mal wieder.�
Sabine ging mit Pommerle heim. Der Jule wollte nicht mitkommen. Er meinte, er w�rde sich sp�ter Schnapps Kinder ansehen. Heute, nach Feierabend, wolle er lieber mal ordentlich herumfahren, um Grauchen zu suchen. Vielleicht finde er es doch noch.
Strahlend f�hrte Pommerle Sabine vor das K�rbchen. Aber Schnapp hatte jetzt gar keine Lust, seinen Platz zu verlassen.
�Geh doch mal fort, Schnapp, Sabine will deine Kinder sehen.�
Schnapp lie� das nicht zu. Mit mi�trauischen Augen blickte er auf das junge M�dchen und fing sogar an zu knurren, als Pommerle eins der Tierchen nehmen wollte.
�La� sie nur liegen�, meinte Sabine. �Er f�rchtet, da� man den Kleinen ein Leid antun k�nnte. Wir wollen den guten Schnapp nicht unn�tig �ngstigen.�
�Nun hast du aber gar nichts gesehen, Sabine, und hast keine Freude�, seufzte Pommerle. �Daf�r schenke ich dir auch, wenn die K�tzchen erst gro� geworden sind, das allersch�nste.�
Bis sp�t abends suchte und lockte der Jule sein Grauchen. Aber alle M�he blieb erfolglos.
Als Pommerle an einem der n�chsten Tage wieder einmal im Flur bei Schnapp stand, klingelte es. Die Kleine �ffnete selbst die Haust�r und sah sich einer �lteren Dame gegen�ber, der ein gr��erer Knabe folgte.
�Wir kennen uns, Pommerle.�
�Ja�, sagte das Kind. �Du bist die Frau Hanke, der das Haus abgebrannt ist. Wo wohnst du denn jetzt?�
�Ich wollte soeben zu dir kommen, kleines Pommerle. Ich h�rte, da� du eine gro�e Tierfreundin bist. Und weil du damals bei dem Ungl�ck so flei�ig geholfen hast, will ich dir jetzt eine ganz besondere Freude bereiten. – Fritz, komm einmal her.�
Der gr��ere Knabe, der in der T�r stand und einen gro�en Beh�lter trug, der mit T�chern umwickelt war, kam n�her heran. W�hrend Frau Hanke das Tuch entfernte, t�nte von innen heraus eine Stimme:
�Schafskopf!�
�Der Papagei!�
�Ja, Pommerle, der Papagei. Ich habe mir gedacht, da� ich dir eine gro�e Freude damit bereiten werde, wenn ich dir meine Lora schenkte. – M�chtest du den Vogel haben?�
�O ja! – So ein s��er Papagei, den habe ich mir schon immer gew�nscht. – Willst du nun mal meine Hundchen und meine K�tzchen sehen?�
�So sollst du den Papagei behalten, kleines Pommerle.�
Die T�r des Wohnzimmers wurde ge�ffnet. Frau Bender hatte Stimmen geh�rt und wunderte sich, da� man den Besuch im Flur stehenlie�. Als sie Frau Hanke und den gro�en K�fig erblickte, erschrak sie.
�Mutti�, jauchzte ihr Pommerle entgegen, �nun haben wir auch noch einen Piepmatz, einen gro�en, bunten Papagei! Und ›Schafskopf‹ kann er sagen! – Ach, Mutti, bin ich gl�cklich!�
�Bitte, wollen Sie nicht eintreten, Frau Hanke?�
�Mein sch�ner, lieber Papagei! Den stelle ich in meine Stube.�
W�hrend Frau Bender den Besuch ins Zimmer n�tigte, betrachtete Pommerle den Vogel interessiert.
�Er kann gut sprechen�, sagte Fritz. �Er kann auch fein schimpfen.�
�Schafskopf – Schafskopf – Schafskopf!� rief Pommerle in den K�fig hinein. Und prompt kam die Antwort: �Schafskopf!�
�Willst du mal meine Hundchen und meine K�tzchen sehen?�
Schnapp knurrte den fremden Knaben grimmig an und lie� seine Kinderschar nicht be�ugen.
Gemeinsam trugen die beiden Kinder dann den K�fig in des Professors Zimmer.
�Vati, ein neues Gl�ck ist uns ins Haus gekommen. – Siehst du, seit wir das Hufeisen haben, seit jener Zeit regnet es Gl�ck.�
�Was soll denn mit dem Vogel werden?� fragte Bender ein wenig beklommen.
�Den habe ich geschenkt bekommen.�
�Bist du da? – Bist du da? – Hahaha, h�rst du? – Bist du da? – Schmeckt fein. – Herein! – Schafskopf! – Bist du da?�
�Was soll denn der Vogel hier bei mir?� fragte Bender, als er sich das Geplapper ein Weilchen angeh�rt hatte.
�Das ist jetzt mein Vogel, den hat mir Frau Hanke geschenkt. Vati, nun habe ich einen gro�en Hund, drei kleine H�ndchen, vier K�tzchen und den sch�nen Papagei. Und wenn der kleine Sperling nicht wieder fortgeflogen w�re, h�tte ich noch einen Sperling.�
�Geschenkt hat man dir den Papagei?�
�Jawohl – jawohl – jawohl�, schnarrte der Vogel. �Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!�
Professor Bender lie� sich in den Stuhl fallen. Seit der Hundezucht war keine Ruhe mehr im Hause. Nun kam noch ein Papagei hinzu – und wahrscheinlich einer, der den ganzen Tag plapperte.
�Nimm den Vogel nur wieder mit, kleines Pommerle. Wir werden ihn in einem anderen Zimmer unterbringen.�
�Aber nat�rlich, Vati. Er kommt in mein Zimmer.�
�Aber, Kind, was denkst du dir denn? Wir wollen doch wenigstens unsere Nachtruhe haben.�
�In der Nacht schl�ft doch die s��e, kleine Lora. Ach, lieber, lieber Vati, la� mich nur machen. Du wirst noch viel Freude haben, wenn du allein bist und du kannst dir was mit der Lora erz�hlen.�
�Auf Wiedersehen – auf Wiedersehen�, schnarrte Lora.
�Jawohl, auf Wiedersehen�, antwortete Bender, stand auf, nahm den K�fig und trug ihn zun�chst ins E�zimmer hin�ber. �Ich habe zu arbeiten, Pommerle, und m�chte dabei ungest�rt sein.�
Als sich Frau Hanke verabschiedete, lief ihr Pommerle nochmals in den Weg.
�Ich danke dir sch�n f�r den s��en Vogel. Ich habe die Tiere so furchtbar gern.�
�Soll ich dir noch eins von meinen wei�en H�ndchen schenken?�
�Ja.�
�Nein�, rief Frau Bender entsetzt. �Auf keinen Fall! Unser Haus ist schon jetzt der richtige zoologische Garten.�
�Ach, Mutti, so ein s��er, wei�er Hund. Hast du denn gesehen, wie niedlich so ein Hund ist?�
�Du hast Schnapp.�
�Nun�, meinte Frau Hanke, �dann will ich dir meinen Schnipp nicht noch dazuschenken.�
Begeistert schlug das Kind in die H�nde. �Mutti, Schnipp hei�t er. Ach, Mutti, jetzt m�chte ich noch den Schnipp haben. Denke doch, wie sehr sich der Schnapp freute, wenn auch noch ein Schnipp k�me. – Ist das ein Hundem�nnchen?�
�Jawohl, mein Kind.�
�Ach, Mutti, dann la� mir doch den Schnipp. Die kleinen H�ndchen wollen doch auch einen Vati haben. Ich habe doch auch wieder einen Vati bekommen. – Liebe, liebe Mutti, ich m�chte noch den Schnipp haben.�
�Nein, mein Kind, den Schnipp bekommst du nicht.�
�Dann hat doch der Schnapp niemand, mit dem er spielen kann. Nun hat man mir schon das Grauchen genommen. – Mutti, wenn ich jetzt hundert Tage furchtbar artig bin, bekomme ich dann den Schnipp?�
�Nein, Pommerle, du hast an dem einen Hunde genug.�
�Aber wenn ich ihn mir zum Geburtstag w�nsche? Wenn ich gar nichts anderes haben will? So ein s��es, kleines H�ndchen, so wei� und so sch�n. Mutti, zum Geburtstag schenkst du mir doch den Schnipp?�
�Qu�le nicht so sehr, Pommerle. Du hast Schnapp, damit ist es genug.�
Die Kleine schaute hilfesuchend zu Frau Hanke auf. Sie erwartete von dort Beistand. Aber Frau Hanke meinte auch, da� es an einem Hund und drei kleinen reichlich genug habe.
�Aber besuchen darf mich der Schnipp doch einmal?�
�Das kann er. Wenn ich das n�chste Mal komme, bringe ich ihn mit.�
�Vielleicht bekommt er mich dann so lieb, da� er hierbleibt, und da� ich ihn – da� ich ihn – Mutti, was hast du mit mir gemacht?�
�Was meinst du, Pommerle?�
�Warum sage ich mit einem Male ›Mutti‹ zu dir statt ›Tante‹?�
�Weil wir dich als unser Kindchen angenommen haben.�
�Nein, Mutti, du hast noch was anderes mit mir gemacht.�
�Wir haben dich adoptiert, Pommerle. Das ist dasselbe.�
�Ja, so war es. – Vielleicht, wenn ich immer sehr gut mit dem wei�en Hund bin, will er auch bei mir bleiben. Dann wird er von mir adoptiert. Basta!�
Nur mit M�he unterdr�ckten die beiden Damen ein Lachen. Dann verabschiedete sich Frau Hanke.
�Der Meister hat mir von deinem Flei� erz�hlt, lieber Jule. Und auch du, Pommerle, hast in dieser Woche in der Schule nur gute Arbeiten geschrieben. Da will ich euch f�r morgen eine ganz besondere Freude machen. Wir fahren morgen im H�rnerschlitten von der Prinz-Heinrich-Baude zu Tale. Es hei�t also sehr fr�hzeitig aufbrechen, weil wir mit dem ersten Zuge bis nach Krummh�bel fahren wollen. Nicht verschlafen, Jule!�
Pommerle hing am Halse des Vaters und dr�ckte ihn st�rmisch.
�H�rnerschlitten fahren!� jubelte sie. �Hast du geh�rt, Jule? Das geht noch viel schneller, als wenn ich mit dem Roller fahre!�
Der Jule verdrehte verz�ckt die Augen. H�rnerschlitten fahren war schon immer seine Sehnsucht gewesen. Leider hatte er dieses Vergn�gen nicht oft genie�en k�nnen, es war zu teuer, seine Mutter konnte daf�r kein Geld ausgeben, und mitgenommen wurde er nur hin und wieder einmal von Holzf�llern.
�Es wird wohl der letzte Sonntag sein, den wir benutzen k�nnen�, sagte Herr Professor Bender. �Es beginnt zu tauen. Aber oben auf dem Kamm geht es noch.�
Pommerle wiederholte mehrfach voller Entz�cken: �H�rnerschlitten fahren. – Ach, wenn es doch recht bald morgen w�re!�
Man hatte leider noch den ganzen Sonnabendnachmittag vor sich. Das Kind schaute nach der Uhr.
�Es ist erst sechs. Oh, da m�ssen wir noch eine ganze Nacht schlafen. Dann erst geht es auf den H�rnerschlitten.�
�Hast du auch deine Tiere gut versorgt, Pommerle?�
�Nun freilich�, klang es strahlend zur�ck. �Zum Sonnabend bekommt jedes eine Extrafreude. Der Kaufmann schenkt mir immer was f�r die Lora.�
�Ja, ja, ich wei߫, sagte Herr Bender seufzend. �Wann wirst du denn nun die Hunde und Katzen verschenken, Pommerle?�
Der Blondkopf machte ein pfiffiges Gesicht. �Vielleicht gar nicht, Vati. Sie sind alle so h�bsch.�
Ehe Professor Bender darauf eine Antwort geben konnte, klingelte das Telephon auf dem Schreibtisch.
�La� mich doch mal horchen, Vati.�
�Nein, Pommerle, zuerst will ich wissen, wer da ist.�
Jule und Pommerle sa�en fl�sternd in der Zimmerecke. Von Zeit zu Zeit jauchzte es auf: �H�rnerschlitten!� Pl�tzlich zog der Jule die Augenbrauen hoch. Er achtete nicht mehr auf Pommerles Gefl�ster, er lauschte den Worten des Professors.
�Bestellen Sie, bitte, dem Herrn Geheimrat, da� ich morgen selbstverst�ndlich zu seiner Verf�gung stehe. Es ist mir eine gro�e Ehre, Herrn Geheimrat meine Sammlungen zeigen zu d�rfen. Wann darf ich den Herrn Geheimrat erwarten?�
�Hast du geh�rt?� fl�sterte der Jule.
�Dann kommt er eben mit auf den H�rnerschlitten.�
�Gut, um zw�lf Uhr stehe ich zur Verf�gung.�
Professor Bender legte den H�rer auf die Gabel und machte sich einige Notizen.
Pommerle trat an ihn heran.
�Kommt morgen noch einer mit auf den H�rnerschlitten?�
�Ja, mein liebes Kind, nun mu� ich dir einmal eine gro�e Freude zerst�ren. Die Fahrt nach Krummh�bel am morgigen Sonntag mu� leider unterbleiben. Der Vater bekommt Besuch von einem Herrn. Das ist f�r den Vater eine gro�e Ehre, denn der Herr Geheimrat Unolt ist einer der ber�hmtesten deutschen Geologen. Er kommt eigens nach Hirschberg, weil er mich aus meinen B�chern kennt.�
�Du hast doch aber gesagt, wir fahren morgen mit dem H�rnerschlitten.�
�Das geht jetzt nicht mehr, mein Kind. Wir fahren ein anderes Mal.�
�Sie haben aber gesagt, wir fahren morgen. Da brauche ich ja auch nicht mehr so t�chtig beim Meister zu lernen, und das Pommerle braucht auch keine so guten Arbeiten zu schreiben, wenn doch nachher nichts los ist.�
�Ich denke, ihr werdet alle beide einsehen, da� der Besuch dieses ber�hmten Herrn f�r mich von gr��ter Bedeutung ist. Herr Geheimrat Unolt ist ein Herr, der mir au�erordentlich viel n�tzen kann.�
�Der Unhold kann an einem anderen Tage kommen. – Was hat der Kologe hier zu suchen! – Sagen Sie ihm, wir fahren morgen H�rnerschlitten. Am Montag sind wir ja wieder da.�
�Ja, der Unhold soll an einem anderen Tage kommen!�
�Ihr seid jetzt h�bsch vern�nftig.�
�Vati, wenn man was versprochen hat, mu� man es halten.�
�Ich habe doch nicht gewu�t, da� ich so ehrenden Besuch bekomme.�
�Wir pfeifen auf den Besuch�, brummte der Jule. �Der Kologe soll bleiben, wo er ist.�
�Das ist ein Geologe, lieber Jule; ein Mann, der Gesteinkunde studiert hat und der –�
�Ich kann Ihnen auch viele Steine bringen. – Ich m�chte doch morgen H�rnerschlitten fahren.�
�Wenn du jetzt noch ein Wort sagst, Jule, ein Wort in diesem Ton, darfst du morgen gar nicht herkommen.�
�Wenn ich morgen doch nicht H�rnerschlitten fahre, liegt mir auch nichts daran.�
�Sch�n, dann bleibst du morgen bei Meister Reichardt. Ich will dich hier nicht sehen.�
Pommerle streichelte dem Jule die Wange. �Siehst du, Jule, das haben wir nun davon. Erst sollen wir H�rnerschlitten fahren, und weil dann das dumme Telephon klingelt, und weil so ein alter, neugieriger Mann herkommt, mu� der Vati sein Wort brechen.�
�Ich hoffe, mein liebes Pommerle, da� du nicht auch so unvern�nftig bist wie der Jule. – Komm einmal her zu mir.�
Professor Bender hob die Kleine auf die Knie.
�Nun h�re mich einmal an. – Du wei�t doch, da� sich der Vati sein Geld zum Leben durch Schreiben von B�chern verdient. Das ist nicht immer leicht. Nun hat er ein Buch geschrieben, viele, viele Jahre lang hat er dazu gebraucht. Dieses Buch haben ganz ber�hmte Leute gelesen, und das Buch gef�llt. Nun kommt so ein ganz ber�hmter Mann zu deinem Vati und will ihm recht viel Sch�nes und Liebes sagen. Der Vati hat dar�ber gro�e Freude und ist sehr gl�cklich, da� der Herr Geheimrat morgen kommt.�
�Ich w�re aber auch sehr gl�cklich, wenn ich morgen H�rnerschlitten fahren k�nnte.�
�Ich habe dir doch eben gesagt, liebes Pommerle, da� es f�r deinen Vater eine Freude ist, wenn ber�hmte Leute sein Buch sch�n finden.�
�Na ja, Vati, ich finde den ›Struwelpeter‹ auch sehr sch�n. Aber der Mann k�nnte doch auch an einem anderen Tage kommen. Dann k�nnten wir morgen doch H�rnerschlitten fahren. Hier, Vati�, Pommerle nahm das Telephon zur Hand, �sage ihm, er soll am Montag kommen, und wir fahren dann morgen doch H�rnerschlitten.�
�Jule, dann bleibst du morgen bei Meister Reichardt. Ich will dich hier nicht sehen�, bestimmte Professor Bender.
�Ich habe gedacht, da� mein Pommerle seinem Vati eine gro�e Freude g�nnt.�
�Nun ja, Vati, aber du hast doch auch Freude, wenn du H�rnerschlitten f�hrst.�
�Er kann ja mitkommen�, klang es aus der Ecke her. �Auf einem H�rnerschlitten kommen wir sowieso nicht alle weg. Sie k�nnen sich doch unterwegs von Ihrem Buche unterhalten.�
�Jetzt ist es genug�, sagte Bender. �Morgen wird daheim geblieben. Sollte sich das Wetter halten, werden wir am n�chsten Sonntag fahren.�
�Und dann kommt wieder so ein Unhold�, maulte der Jule. �Ich glaub's nicht mehr!�
�Jule! Habe ich dich schon jemals belogen?�
�Nein, Vati�, rief Pommerle dazwischen. �Aber gesagt hast du doch, da� wir morgen H�rnerschlitten fahren.�
�Es war ein Plan, mein Kind, der nun durch Geheimrat Unolt durchkreuzt wurde.�
�Wenn man schon Unhold hei�t�, murmelte Jule. �Wenn mir der Unhold unter die Finger k�me! – Ich bin ja schon still!�
Jule verschwand aus dem Zimmer, und Pommerle eilte hinter ihm her.
�Wollen wir zur Mutti gehen? Sie freut sich auch so sehr – oder vielleicht wei� sie noch gar nichts. Vielleicht sagt sie ja, und dann fahren wir mit der Mutti.�
Die beiden Kinder st�rmten in Frau Benders Zimmer.
�Hat dir Vati auch gesagt, da� wir morgen H�rnerschlitten fahren?�
�Jawohl. Du siehst, die Mutti sucht schon alles zusammen.�
�La� mal sein�, sagte das Kind mit wegwerfender Handbewegung. �Ein Unhold kommt an und macht uns alles kaputt.�
�Nein, Pommerle, der Vati hat gesagt, wir fahren, und dann ist es auch so.�
�Nee, so ist es eben nicht�, rief Jule ergrimmt. �Vor einer Viertelstunde hat er ja gesagt, nu sagt er nee.�
�Waret ihr vielleicht unartig?�
�Ganz im Gegenteil. Der Meister hat mich gelobt, und Pommerle hat gut gearbeitet. Da denkt man nun, man kann endlich mal wieder H�rnerschlitten fahren, und dann kommt der Unhold.�
Jules Faust fiel auf den Tisch, da� die daraufstehenden Gl�ser klirrten.
�Wei�t du, Mutti, wir wollen jetzt alle furchtbar b�se sein, wenn der Vati durchaus nicht will. Die Uhse Minna hat mir gesagt, ihre Mutter macht immer so lange Krach, bis der Vater nachgibt. – Wollen wir mal auch so sein?�
�Aber, Pommerle!�
�Na ja�, sagte das Kind kleinlaut, �wenn der Vati doch gesagt hat, da� wir morgen H�rnerschlitten fahren, und ich m�chte doch so gern fahren. Mutti, ich w�nsche mir noch hinterher zu Weihnachten, da� ich morgen H�rnerschlitten fahre.�
�Willst du endlich schweigen!� Professor Bender stand in der T�r. Er war gekommen, um seiner Frau den angek�ndigten Besuch zu melden. Schon ein ganzes Weilchen hatte er die temperamentvollen �u�erungen seiner Tochter geh�rt. �Soll ich dich ernstlich bestrafen, Pommerle?�
�Wenn – wenn –� Mehr wagte das Kind nicht zu sagen. Von unten herauf schaute es den z�rnenden Vati an.
�Ihr geht sofort hinaus!�
Unter der Treppe, neben dem Hundelager, kauerten die beiden Kinder. Pommerle erz�hlte den Tieren, da� aus der sch�nen H�rnerschlittenfahrt nun nichts werde, weil ein Unhold dazwischengekommen sei.
�Ich fahre �berhaupt nicht mehr mit. Und wenn er mich das n�chste Mal noch so sehr bittet, ich bleibe daheim. Ich lasse mir nichts vormachen!� Jule stampfte zu seinen Worten mit dem Fu�e auf.
�Wollen wir morgen allein H�rnerschlitten fahren? Ich auf dem Roller, und du auf deinem Rade?�
�Ein Gedanke! Ich habe einen Rodelschlitten fertiggemacht, einen Doppelsitzer. Wollen wir am Vormittag hingehen?�
�Au ja, wenn der Unhold beim Vati ist.�
�Wird gemacht�, rief der Jule. �Wenn er nicht mit uns H�rnerschlitten f�hrt, fahren wir allein.�
�Ja, das machen wir�, bekr�ftigte Pommerle. �Jule, holst du mich ab?�
�Nee, ich darf ja morgen nicht herkommen.�
�Aber vorbeikommen kannst du doch und drau�en kr�ftig pfeifen. Wann kommst du denn?�
�Wenn wir morgen doch nicht H�rnerschlitten fahren, brauche ich auch nicht so fr�h aufzustehen. Ich komme um elf.�
�Ist gut, dann bin ich weg, wenn der Unhold kommt. Ich kann den Mann gar nicht leiden, Jule.�
�Geizig ist er. Soll er sich doch das Buch von deinem Vati kaufen, dann kann er sich die Bilder besehen, die drin sind. Dazu kommt er doch nur her, weil er sich das Buch nicht kaufen will. Und darum k�nnen wir nicht H�rnerschlitten fahren.�
�Schrecklich!�
�Wenn du dann mittags heimkommst, dann sagst du: ›ï¿½tsch, jetzt sind wir auch H�rnerschlitten gefahren.‹ï¿½
�Au ja, das sage ich!�
Die beiden kleinen B�sewichter waren sich einig. Wenn ihnen der Vati das Vergn�gen verdarb, wollten sie sich auf eigene Faust eins schaffen. Schon lange bastelte der Jule an einem Rodelschlitten herum. Den wollte man morgen einmal benutzen.
�Wohin gehen wir denn?�
�Wei� noch nicht. Es mu� sehr steil sein, gerade so wie von der Prinz-Heinrich-Baude herunter.�
Diese versprochene Rodelpartie schien f�r Pommerle zwar nur ein schwacher Ersatz, aber immerhin, es war doch ein Vergn�gen. Nun mochte der Unhold stundenlang in die B�cher des Vaters gucken. Pommerle w�rde sich mit Jule schon vergn�gen.
Beim Abendessen war viel die Rede von Professor Unolt. Pommerle machte ein ver�chtliches Gesicht. Der Mann, der sich nicht einmal Vatis B�cher kaufte, imponierte dem Kinde gar nicht.
�Nun, Pommerle, hast du dich wieder beruhigt? Bist du jetzt wieder artig? Sollte es mit der H�rnerschlittenfahrt nichts mehr werden, sollte es weiter so stark tauen, so hat dein Vater noch eine andere Freude f�r dich in Aussicht.�
Pommerle verzog die Lippen. �Was denn?�
�Vati und Mutti fahren zu Ostern, das sind nur noch f�nf Wochen, nach Breslau. Dann nehmen wir dich mit. Ist das nicht sch�n?�
�Fahrt ihr auch, wenn wieder Besuch kommt?�
�Ja, mein Kind, auch dann. Der Vater hat dort einen Kongre�, den will er besuchen.�
�Na, wollen mal sehen. Also zu Ostern.�
Pommerle rechnete aus, da� es doch bis zu Ostern noch ziemlich lange sei. Da lagen noch f�nf Sonntage dazwischen. Das Kind nahm sich vor, die Eltern �fters einmal an die Breslauer Reise zu erinnern, da� sie nicht in Vergessenheit gerate. Zun�chst erhoffte es aber, da� neuer Schnee fiele, da� man am n�chsten Sonntag doch noch H�rnerschlitten fahren konnte.
Im Hause von Professor Bender herrschte am heutigen Sonntag ziemliche Erregung. Es war etwas ganz Seltenes, da� der ber�hmte Geheimrat Professor Doktor Unolt die Wohnung eines Gelehrten aufsuchte. Bisher war diese Auszeichnung nur einem einzigen Herrn in M�nchen zuteil geworden.
Frau Bender war sehr stolz darauf, den Geheimrat als Gast in ihrem Haus begr��en zu k�nnen, und auch Professor Bender f�hlte sich hochgeehrt.
So kam es, da� man am Sonntag vormittag Pommerle allein lie�, da� es auch keinem auffiel, als sich das Kind gegen elf Uhr entfernte. Pommerle ging ja �fters zu Freundinnen oder zur Eisbahn; Frau Bender hatte dem Kinde nur freundlich zugenickt, als es fragte, ob es ein bi�chen fortgehen d�rfe.
Im selben Augenblick ert�nte von der Stra�e her Jules schriller Pfiff. Pommerle eilte hinaus und bewunderte den prachtvollen neuen Rodelschlitten.
�Wann hast du denn den gemacht?�
Jule sah sich verlegen um. �Die gr��ere H�lfte in meiner Freizeit. Aber zum Schlu� habe ich etwas gemogelt. Na, ich denke, es wird nichts schaden.�
�Der Meister hat dich aber gelobt. Ach, Jule, wenn der alte Unhold nicht gekommen w�re, w�ren wir jetzt in Schreiberhau.�
�Wegen so eines Kologen kommen wir um unser sch�nes Vergn�gen.�
W�hrend der Wanderung hinaus zum Rodeln wurde nur von der vereitelten Partie gesprochen. Pommerle erz�hlte, da� es zu Ostern nach Breslau fahren solle. Es habe sich aber viel mehr auf die H�rnerschlittenfahrt gefreut.
�Brauchst dich auf Breslau gar nicht erst zu freuen; du kommst ja doch nicht hin. Es kommt bestimmt wieder Besuch. Ich kenne das. Aber daf�r rodeln wir heute wie die Verr�ckten!�
�Ja�, sagte das Kind, �je toller, desto besser.�
Jeder Hang, der sich zum Rodeln eignete, wurde kritisch betrachtet. Heute erschien den beiden nichts steil genug. Immer wieder meinte der Jule: �Ich hab' 'ne Wut in mir, die mu� erst wieder 'raus!�
�Ich hab' auch 'ne Wut in mir�, meinte Pommerle.
Sie wanderten weiter. Pl�tzlich wies Jule auf einen ziemlich steilen Hang.
�Das w�re fein!�
�Na, da werden wir wohl kopf�ber gehen.�
�Pah, du Feigling! Auf dem Schlitten geschieht uns nichts! Ich lenke ja auch.�
�Ein bi�chen steil ist es ja, und viele B�ume stehen auch hier.�
�Dann fahre ich eben allein.�
Schon stieg der Jule den Hang hinan. Das kleine M�dchen kam z�gernd nach.
Kurz darauf sauste der Jule mit dem Schlitten, eine fabelhafte Geschicklichkeit im Lenken zeigend, an Pommerle vor�ber.
�Wenn ich hundertmal heruntergerodelt bin, ist es mit meiner Wut wieder besser. Willst du nun aufsitzen?�
Jubelnd wurde die gef�hrliche Rodelbahn benutzt.
�Im H�rnerschlitten w�re es ja noch sch�ner�, meinte das kleine M�dchen. Aber schlie�lich mu�te es doch zufrieden sein. In diesem Augenblick w�re der Schlitten beinahe an einen Baum gefahren. Doch gerade das bereitete dem Jule ungeheures Vergn�gen.
�Ich bin aber erschrocken�, meinte Pommerle.
Das war dem �berm�tigen Jule gerade recht. Er konnte sich auf seine Lenkk�nste verlassen. Beim n�chsten Male wollte er noch einmal, ganz genau so dicht an der Tanne vor�berfahren.
�Aufgesessen!� kommandierte er. �Die H�rnerschlittenfahrt geht los!�
�Los!� klang es hinter seinem R�cken.
Und dann geschah das Ungl�ck. Jule hatte die Gewalt �ber den sausenden Schlitten verloren, er fuhr mit aller Wucht an einen Baum, Jule empfand einen schmerzenden Schlag gegen den Kopf, der ihm f�r die n�chsten Sekunden die klare Besinnung nahm. Es klang aber, als ob jemand neben ihm furchtbar aufschrie.
Als er wieder zu sich kam, lief ihm etwas Warmes �ber das Gesicht. Er wischte es fort. Seine Hand war voller Blut.
�Pommerle!�
Ein St�hnen drang zu ihm her�ber. Der Jule richtete sich auf. Etwa zehn Schritte von Jule entfernt lag Pommerle im Schnee. Es sah totenbla� im Gesichtchen aus. Die Kleine blutete auch. Die Tr�mmer des Schlittens waren weit im Umkreise verstreut.
�Ich kann nicht aufstehen. Oh, es tut so furchtbar weh!�
Nochmals wischte sich der Jule das rinnende Blut von der Stirn, dann ging er zu Pommerle, um ihm zu helfen.
�Mein Fu�!� schrie das Kind qualvoll.
�Du mu�t aufstehen�, meinte der Jule. �Bei�e fest die Z�hne zusammen.�
Er versuchte, abermals zu helfen; doch wieder sank das Kind aufschreiend zur�ck in den Schnee.
�Hast du ihn vielleicht gebrochen?�
�Ich glaube, ich habe alles gebrochen�, weinte das Kind. �Ach, mein Fu�!�
�Im Gesicht hast du auch eine gro�e Schramme.�
Jule wischte der Weinenden das Blut ab.
�Ach, es tut so weh! – Ach, mein Fu�! Und hier in der Seite sticht es. – Ich will heim!�
�Versuch doch noch mal zu laufen – nur auf einem Fu�e. Ich helfe dir.�
Es gelang dem Jule, das Pommerle aufzurichten, obwohl das Kind dabei furchtbar st�hnte. Doch nach dem ersten H�pfen sank Pommerle erneut zur Erde.
�Ach, Jule, es tut so furchtbar weh!�
Jule sah, wie das Kindergesicht immer bl�sser wurde. Schlie�lich war es wei� wie Kalk, die Lippen f�rbten sich bl�ulich. Pommerle schlo� die Augen. Es war vor Schmerzen ohnm�chtig geworden.
�Pommerle! – R�bezahl!�
Der Jule achtete nicht des rinnenden Blutes, das auf seine Jacke tropfte. Er packte Pommerle an der Schulter und sch�ttelte es.
�Du sollst nicht sterben! – Was hast du denn? – Pommerle, mach doch die Augen auf – ich trage dich heim!�
Ein Weilchen gab das Kind keine Antwort. Der Jule rieb dem Kinde die Stirn mit Schnee.
Endlich schlug Pommerle die Augen wieder auf.
�Mein Fu�, ach, mein Fu�!�
�Bleib ruhig hier liegen, ich hole Hilfe herbei. Dort unten wohnen Leute. F�rchte dich nur nicht, liebes Pommerle, es ist alles gar nicht so schlimm.�
�Ich will nicht allein bleiben, Jule, ich will heim!�
�Ich kann dich doch nicht tragen. Willst du nicht noch mal h�pfen?�
Aber Pommerle f�hlte sich so matt, da� es sich kaum aufrichten konnte. Es st�hnte f�rchterlich.
Jule war in Todes�ngsten. Hilfe mu�te geholt werden. Pommerle konnte unm�glich im Schnee liegenbleiben. Wenn doch wenigstens der Schlitten ganz geblieben w�re! Er st�rmte davon, obwohl Pommerle j�mmerlich hinter ihm drein rief.
Das n�chste Haus war immerhin zehn Minuten von der Ungl�cksstelle entfernt. Eine Holzf�llerfamilie bewohnte es. Die Frau schlug die H�nde zusammen, als sie den blutenden Knaben sah. Er berichtete hastig, was sich ereignet hatte, und bat um Hilfe.
Und dann geschah das Ungl�ck. Jule hatte die Gewalt �ber den Schlitten verloren, er fuhr mit aller Wucht an einen Baum.
Die Frau rief nach dem Manne, nach dem Sohne. Man holte einen kleinen Handwagen, auf den man Decken legte. Der Jule zeigte die Ungl�cksstelle. Pommerle schrie wild auf, als man es auf den Wagen bettete.
Dem Jule hatte man mit einem feuchten Tuch das blutende Gesicht abgewischt und einen Notverband angelegt.
So ging die traurige Fahrt heim.
�Vielleicht ist es besser�, meinte der Jule, �wir fahren zu Meister Reichardt, nicht zu Professor Bender. Wenn er Pommerle so sieht, wird er schimpfen.�
�Unsinn�, meinte der Mann. �Je eher das Kind daheim ist, um so besser. Und du kannst gleich zum Arzt laufen, Jule.�
�Bringen Sie auch das Pommerle gut heim?�
�Freilich, wir sind ja zwei. Dich kann der Arzt auch gleich richtig verbinden.�
Ein Weilchen ging der Jule noch neben dem Wagen her. Als man aber in die N�he des Benderschen Hauses kam, war er froh, da� er sich entfernen konnte.
Frau Bender bekam einen namenlosen Schreck, als man ihr sagte, was sich ereignet hatte. Pommerle hatte sich wahrscheinlich das rechte Bein gebrochen und auch noch andere kleine Verletzungen erlitten.
Doktor Klaus war sehr schnell zur Stelle. Er untersuchte das Bein des Kindes und stellte neben einem Beinbruch fest, da� ein Holzsplitter in Pommerles Wange und einer in die H�fte gedrungen sei.
�Die Kleine wird sehr lange zubringen m�ssen, ehe der Fu� wieder brauchbar ist.�
Pommerle mu�te die gr��ten Schmerzen ertragen. Wie weh tat die Untersuchung, wie schmerzhaft war das Strecken des gebrochenen Beines! Es schrie oftmals wild auf. Immer wieder rannen die Tr�nen �ber das Gesicht.
Frau Bender hatte kein Wort des Vorwurfs f�r das Kind, aber Pommerle f�hlte doch, da� es ein gro�es Unrecht begangen hatte, da� der Unfall die Strafe f�r seinen Trotz war.
In den ersten Tagen waren freilich die Schmerzen so gro�, da� Pommerle an nichts anderes denken konnte. Aber allm�hlich kam ihm die Erinnerung an sein Verhalten an jenem Sonnabend. Wie h��lich war es zu dem guten Vati gewesen. An diesem Sonnabend war auch der Plan entstanden, zu rodeln. Je toller, desto besser! Aus Trotz hatte man jenen steilen Hang gew�hlt. Nun war diesem Trotz die Strafe gefolgt.
Es dauerte mehrere Tage, ehe sich Jule im Benderschen Hause sehen lie�. Er hatte den Kopf noch immer verbunden. Als er den Professor erblickte, schlug er schuldbewu�t die Augen nieder.
�Gebe der Himmel, Jule, da� der Bruch und die Wunden gut heilen. Ich glaube, du w�rdest dein Leben lang nicht mehr froh werden k�nnen, wenn unser Pommerle ein verk�rztes Bein behielte und immer hinken m��te. Du wirst –�
Der Jule wartete den Schlu� der Rede nicht ab. Ihm war es, als m�sse er laut herausheulen. Ohne M�tze lief er davon, diese hatte er im Hausflur fallen lassen. Nur weiter, immer weiter, hin zum Hausberge, hin zu R�bezahl, um den m�chtigen Berggeist anzurufen, da� er jetzt dem Pommerle beistehe. Aber der R�bezahl hatte wohl hier die meiste Schuld. Nun mu�te er ihn bitten, da� er alles wieder in Ordnung bringe. Schon manches Mal hatte der R�bezahl auf Jules Ruf geh�rt. Warum sollte es der m�chtige Berggeist heute nicht auch wieder tun?
Der Jule st�rmte den Hausberg hinan. Oben streckte er beide Arme zum Himmel und schrie, so laut er konnte:
�F�rst R�bezahl, du thronst so stolz
In deinem Wolkensitz.
In deinem Mantel spielt der Sturm,
Ums Haupt zuckt dir der Blitz.
La� deine schlimmen Launen ruhn,
Oh, zeig' dich mild gesinnt.
Es flehet hier, gar demutsvoll,
Ein armes Menschenkind.
Oh, Geist der Berge, gn�dig h�r'
Auf dieses Sto�gebet.
Ich glaube auch mein Leben lang
An deine Majest�t!�
Der Jule flehte f�r das Wohlergehen seines geliebten Pommerle.
�Ich will meinetwegen bis an mein Lebensende mit einer zerschundenen Stirn herumlaufen, aber mach' das Pommerle wieder gesund!� –
Nicht nur Jule, auch Sabine ging oft zu der kleinen kranken Freundin. Da lag nun Pommerle, bla� und schmal in seinem Bett und durfte sich kaum r�hren, trotz der gro�en Schmerzen, die es hatte. Drau�en war wieder Schnee gefallen, neuer Frost war gekommen.
Und als der n�chste Sonntag kam, blickten zwei Kinderaugen unendlich wehmutsvoll durch das Fenster hinaus.
�Heute w�ren wir H�rnerschlitten gefahren�, sagte Pommerle ganz leise, da� es niemand h�rte.
Kurz darauf kam die Mutter ins Zimmer. Da war es mit Pommerles Fassung vorbei.
�Ach, Mutti, jetzt wei� ich aber wirklich, da� der Himmel alles B�se bestraft. Ich bin sehr unartig gewesen. Und der Jule auch. Ich habe dem Vati seine gro�e Freude nicht geg�nnt, da� der Unhold zu ihm kam. Ich habe vergessen, da� ihr immer lieb und gut mit mir seid. Und nun habe ich das Bein gebrochen. – Bin ich denn zu Ostern wieder ganz gesund?�
�Hoffentlich, mein Pommerle. Aber richtig wieder laufen wirst du dann noch nicht k�nnen.�
�F�hrt der Vati zu Ostern nach Breslau – und du auch?�
�Vati f�hrt hin, aber ich werde bei meinem kranken Liebling bleiben.�
Einige Augenblicke schwieg das Kind. Dann zog es erneut seine Mutti zu sich nieder.
�Nun habe ich dir auch diese Freude kaputt gemacht. Nun kannst du nicht fahren, weil ich unartig war.�
�Werde mir nur wieder ganz gesund, mein Pommerle.�
�Du schimpfst ja gar nicht, Mutti�, meinte das Kind, �weil das Vergn�gen kaputt geht? Du bist immer lieb und gut. – Ach, Mutti, ich will es auch nicht mehr tun. Wenn was sein soll und es ist nicht, werde ich immer zufrieden sein. Ich will wirklich nicht mehr so schlecht sein, ganz wirklich nicht. – Glaubst du mir?�
�Ja, mein Liebling, ich glaube es dir.�
Ein z�rtlicher Ku� besiegelte das Versprechen des Kindes.
An diesem Sonntag bereitete Jule seiner kleinen Freundin unabsichtlich Kummer.
�Es wird schon so kommen�, sagte er. �Das eine Bein wird �berhaupt nicht mehr gesund, und dann kannst du gar nicht mehr auf die Berge steigen. Du kennst doch die Lina, die kann auch nicht auf die Berge gehen, weil das eine Bein krank ist.�
�Wird mein Bein denn nie wieder gesund?�
�Wenn es doch zerbrochen ist. Wenn mir eine Latte zerbricht, kann ich sie auch nicht mehr zusammenleimen. Du wirst nun wohl dein Leben lang hinken.�
Da wurde Pommerle sehr still. Nur ein paar Tr�nen rannen ihm �ber das Gesichtchen.
Wieder kam Frau Bender und sah die Ver�nderung in den Z�gen ihres kleinen T�chterchens.
�Was bedr�ckt dich denn so sehr, mein liebes Kind? Hast du einen Wunsch?�
�Mutti, kennst du das Lied, das der Harfen-Karle gesungen hat?�
�Nein, mein Liebling.�
�Ich bin gesund und wohlgemut,
Und das ist wohl mein gr��tes Gut.�
�Du wirst auch wieder gesund werden, kleines Pommerle.�
�Der Jule sagt�, klang es schluchzend, �ich werde nie wieder auf die Berge gehen k�nnen und mu� immer so laufen wie die Lina. Aber das ist mir ja ganz recht. Ich war so unartig.�
�Der Himmel wird daf�r sorgen, mein Kind, da� alles wieder in Ordnung kommt. Du hast nun eingesehen, da� du trotzig und ungezogen warst. Du hast mir versprochen, in Zukunft ein liebes M�dchen zu sein. Ich glaube, der Fu� wird so ausheilen, da� du auch wieder auf die Berge gehen kannst. Freilich wirst du dich noch ein ganzes Weilchen gedulden m�ssen.�
Mit dem Vati hatte Pommerle eine lange Aussprache im Fl�sterton.
�Jetzt kann jeden Sonntag meinetwegen ein Geheimrat Unhold kommen, ich will nicht mehr brummen. Ich wei�, da� du mich furchtbar lieb hast und mir immer Freude machen willst. Ich m�chte nur wieder ganz gesund werden, damit ich auf die Berge gehen kann. Und auch wieder mal an die Ostsee, Vati. Ob ich wohl wieder ganz gesund werde?�
�Wir wollen es hoffen, mein Kind.� –
Im Garten wurden die Hecken gr�n. Da durfte Pommerle mit einem Stock die ersten Gehversuche machen.
Der Jule war gerade dabei, er schluckte mehrfach an den aufsteigenden Tr�nen. Das alles hatte er verschuldet. Aber das kam davon, da� er den Schlitten in den Arbeitsstunden fertiggemacht hatte und dem guten Herrn Professor gegen�ber frech gewesen war.
Auch Sabine war gekommen, um Pommerle zu seinen ersten Gehversuchen zu begl�ckw�nschen. Das Kind ging sehr unsicher und stellte den verletzten Fu� behutsam auf.
�Ach, Sabine, jetzt erst wei� ich wirklich, da� Gesundheit das h�chste Gut ist. Das ist noch viel besser und viel sch�ner, als wenn man H�rnerschlitten f�hrt. Wenn ich nun erst wieder zum Harfen-Karle gehen k�nnte, da� er mir das Lied singt. Es war so sch�n!�
�Ich habe meine Laute mitgebracht, Pommerle, ich wei�, du h�rst gern singen. Ich kann zwar keine so sch�nen Lieder wie der Harfen-Karle, aber ich kann auch eins, das dir bestimmt Freude macht, �ber das du nachher, wenn du wieder im Bett liegen mu�t, ein wenig nachdenken kannst.�
�So singe es�, bat Pommerle.
Die blinde Sabine nahm die Laute, setzte sich auf einer Bank nieder und begann mit ihrem feinen, s��en Stimmchen:
�Was frag' ich viel nach Geld und Gut, wenn ich zufrieden bin,
Gibt Gott mir nur gesundes Blut, so hab' ich frohen Sinn,
Und sing' mit dankbarem Gem�t mein Morgen- und mein Abendlied.�
�Ja�, sagte Pommerle leise, �so ist es. Das ist dasselbe, was der Harfen-Karle sagte. Gesund m�chte ich wieder werden, und zufrieden will ich in Zukunft immer sein. Ich habe ja viel mehr als alle die anderen. So viele sind krank, so viele m�ssen hungern und frieren, und ich habe alles, alles im �berflu�. Ich danke dir, Sabine. Singe mir das Lied noch einmal.�
Sabine tat es. Pommerle winkte Jule herbei.
�Nun hast du es auch geh�rt, Jule. Ob ich wohl wieder ganz gesund werde und das gr��te Gut habe?�
Acht Tage sp�ter erkl�rte Doktor Klaus, da� das Bein recht gut geheilt sei, da� Pommerle in kurzem wieder laufen und umherspringen k�nne, genau wie fr�her.
Frau Bender umarmte ihren kleinen Liebling z�rtlich.
�Ach, Mutti�, sagte das Kind mit feuchten Augen, �es war schlimm, so lange krank zu sein, aber glaube mir, ich habe doch manches �berlegt. Du hast so oft gesagt, ich bin dein liebes T�chterchen. Ach, Mutti, ich will von nun an wirklich dein liebes Pommerle sein und bleiben!�